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German Pages 255 Year 2007
JAN WURM
GLAS ALS TRAGWERK ENTWURF UND KONSTRUKTION SELBST TRAGENDER HÜLLEN
Birkhäuser Basel ⋅ Boston ⋅ Berlin
Der Autor Jan Wurm arbeitet als Architekt, Designer und Projektmanager bei Arup Materials und Arup Facade Engineering in London.
w w w.arup.com
w w w.trosifol.com
w w w.dorma-glas.de
Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. Dieses Buch erscheint auch in einer englischen Sprachausgabe (ISBN 978-3-7643-7608-6).
© 2007 Birkhäuser Verlag AG Basel · Boston · Berlin Postfach 133, CH-4010 Basel, Schweiz Ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ∞ Layoutkonzept + Umschlaggestaltung: Muriel Comby, Basel Layout und Satz: Continue AG Druck und Bindung: Kösel GmbH & Co. KG, Altusried-Krugzell Umschlagfoto: Arup ISBN 978-3-7643-7607-9 987654321 www.birkhauser.ch
Geleitwort von Graham Dodd
5
Vorwort und Dank
6
1
9
2
EINFÜHRUNG GL ÄSERNE SPANNWEITEN
17
2.1
18
2.2
3
Frühzeit und christliche Sakralarchitektur
18
Neuzeit
22
DAS GL ASDACH : FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION
25
FL ACHGL AS ALS BAUSTOFF
33
3.1
WERKSTOFF GL AS – EIGENSCHAF TEN
34
Flachglas als Konstruktionsmaterial
36
Flachglas als Hüllmaterial
39
3.2
BASISGL AS – FLOATGL AS, WAL ZGL AS UND ZIEHGL AS
45
Herstellungsverfahren
46
Bedeutung für das Konstruieren
48
Bedeutung für die Raumhülle
48
3.3
DIE MECHANISCHE BE ARBEITUNG VON GL AS – SCHNEIDEN, BOHREN UND SCHLEIFEN
49
3.4
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GL AS – VORSPANNEN, EMAILLIEREN, BIEGEN UND STRUKTURIEREN
54
3.5
3.6
4
VON DER BL ÄT TERL AUBE ZUR KLIMAHÜLLE – DIE SUCHE NACH DEM PAR ADIES
Thermisches Vorspannen
54
Emaillieren und Bedrucken von Glas
58
Thermisches Biegen von Glas
59
„Strukturieren“ von Glas
62
DAS FL ÄCHIGE FÜGEN VON GL AS – VERBUND - UND VERBUNDSICHERHEITSGL AS
64
Herstellung und Fertigung
64
Bedeutung für das Konstruieren
66
Bedeutung für den Raumabschluss
68
ISOLIERGL ÄSER – BESCHICHTEN DER SCHEIBE UND VERBINDEN DER R ÄNDER
72
Oberflächenbeschichtungen
72
Aufbau eines Isolierglases
75
Bedeutung für das Konstruieren
77
Bedeutung für die Raumhülle
78
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
83
4.1
KONSTRUIEREN MIT GL AS
84
Flachglas als Hüll- und Konstruktionselement
84
Fügetechnik
85
Nachweisverfahren
89
PL AT TENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE
94
Verglasungsarten
95
Resttragfähigkeit von Platten
97
Fügetechniken
98
4.2
4.3
5
6
Druckbeanspruchte Scheiben
104
Schubfelder
105
Stützen, Glasschwerter und Biegeträger
108
Resttragfähigkeit von Scheiben
111
Fügetechniken
112 119
5.1
ÜBERBLICK
120
Nutzungsprofile
125
5.2
SPE ZIFISCHE ANFORDERUNGEN VON HÜLLGEOMETRIEN
128
Der Glashof – der ebene oder geneigte Raumabschluss
128
Das Glasband – der gekrümmte oder gefaltete Raumabschluss
130
Die Glasmitte – der doppelt gekrümmte Raumabschluss
132
GL ASTRAGWERKE
137
6.1
TR AGSTRUKTURFORMEN VON FL ACHGL AS
138
ENT WURFS - UND KONSTRUKTIONSPAR AMETER
140
Tragwerksform
140
6.3
8
104
FUNKTIONSTECHNISCHE ANFORDERUNGEN
6.2
7
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TR AGWERKEN
Geometrische Netzbildung
141
Redundanz: Sicherheit im nicht hierarchischen Tragwerk
144
Konstruktive Absicherung bei auf Druck ausgelegten Tragwerken
146
Elementierung und Fügungsebenen
148
TR AGSTRUKTUREN AUS GL AS
150
Stabtragwerke
152
Flächentragwerke
154
Zellentragwerke
160
PROJEKTE
165
7.1
TR AGSTRUKTUR – FORMEN VON FL ACHGL AS
166
7.2
DER GL ASHOF – EBENE TR AGSYSTEME
168
7.3
DAS GL ASBAND – GEKRÜMMTE TR AGSYSTEME
210
7.4
DIE GL ASMIT TE – D OPPELT GEKRÜMMTE TR AGSYSTEME
226
AUSBLICK
241
ANHANG
249
LITER ATURHINWEISE
250
BILDNACHWEIS
253
PARTNER
254
GELEIT WORT Der Einsatz von Glas als tragender Baustoff gewann erstmals in den
Dieses Buch präsentiert neben den Forschungsprojekten auch
1990er-Jahren an Bedeutung. Ausschlaggebend dafür waren nicht
eine Auswahl an ausgeführten Werken und fasst die wichtigsten Er-
zuletzt richtungsweisende Publikationen: Neben den Veröffentli-
gebnisse von Jan Wurms Forschung zusammen:
chungen von Rice, Francis und Ritchie, die mit ihrem Werk „Le Verre
Die Herstellungs- und Verarbeitungsmethoden von Glas schaffen
Structurel“ (Paris, 1990) das Potenzial von Glas als Baustoff in der
ein Material mit einer Reihe von technischen und physikalischen Ei-
modernen Architektur erforschten, trug die Glasindustrie mit „Glass in
genschaften in verschiedenen Formen und Größen; je nach Entwurf
Building“ (Oxford/Boston, 1993) von David Button und Brian Pye da-
ergeben sich aus der Verbindung der Glaselemente in der gewählten
zu bei, die Rolle von Glas im Bauwesen zu entmystifizieren. Einen
Geometrie konstruktive Potenziale; durch die Verbindung der kons-
umfassenden Überblick über die Technologie und Bedeutung von
truktiven und physikalischen Möglichkeiten entstehen in synerge-
Glas in der zeitgenössischen Architektur liefert schließlich Michael
tischer Weise einzigartige Räume.
Wigginton mit „Glass in Architecture“ (London, 1996).
Neben einem vollständigen Überblick über die aktuellen Herstel-
In der Folge entstanden zahlreiche Untersuchungen und Publika-
lungsprozesse und der daraus resultierenden Materialeigenschaften
tionen, die die Konstruktionen im wachsenden Bereich der tragenden
liefert der Autor eine systematische Klassifizierung von faszinierenden
Glaskonstruktionen detailliert analysierten. Parallel dazu forcierte, auf-
Glashüllen und eine Tragwerkstypologie, die sich von Beispielen der
bauend auf den gesammelten Erfahrungen, eine kleine aber wach-
klassischen Architekturgeschichte bis hin zu aktuellen Projekten er-
sende Gruppe von Architekten und Ingenieuren das Bauen mit Glas
streckt. Jan Wurm veranschaulicht mit diesem Buch, welches Poten-
bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
zial der Baustoff Glas zukünftig bietet.
Als Jan Wurm zu uns in das „Glas-Team“ im Londoner Büro von Arup kam, war er gerade dabei, diese Forschungsarbeit über Glastragwerke abzuschließen. Seine Arbeit hat mich sofort beeindruckt, weil sie Entwicklungen herausarbeitet, die lange vor der neueren Auseinandersetzung mit dem konstruktiven Glasbau begonnen haben und die gleichzeitig, in Weiterführung der aktuellen Tendenzen, spannende Perspektiven aufzeigen. Im Zuge seiner Tätigkeit hat Jan Wurm mit seinen Studenten zahlreiche Prototypen entworfen und bis hin zum Maßstab 1:1 realisiert. Mit diesen Experimenten hat er den Einsatz von Glas als tragendem Baustoff sowohl im Entwurf, als auch in der Umsetzung erforscht. Seine Entwürfe stellen gültige Erkenntnisse nicht in Frage; im Gegenteil, sie sind Ergebnis einer logischen Analyse der Geometrie selbst tragender Hüllen und basieren auf einem tieferen Verständnis für die Anforderungen an Stabilität, Widerstandsfähigkeit und Realisierbarkeit, die ein Tragwerk zu erfüllen hat.
Graham Dodd, Arup, London, im Mai 2007
VORWORT UND DANK
1
1–3
Visualisierung des veränderten Berufsbildes von Architekt und Ingenieur: Die Fäden symbolisieren die mit dem Bauen verbundenen Entscheidungsprozesse und deren Farbe die Zugehörigkeiten zu funktionalen, konstruktiven und gestalterischen Fragestellungen.
1
Die wachsende Komplexität und Technisierung des Bauens stellt heute die alleinige Entscheidungskompetenz des Planers als Generalist in Frage.
2
Das Hinzuziehen von Fachplanern ermöglicht das Bündeln von Entscheidungsprozessen innerhalb begrenzter Zuständigkeiten. Das integrale Planen
2
erfordert dabei eine intensive Abstimmung zwischen den Fachplanern, um die Bauaufgabe als Synthese von funktionalen, konstruktiven und gestalterischen Fragestellungen lösen zu können. 3
Die Entwicklung von neuen, „kreativen“ Lösungsansätzen bedarf der übergeordneten thematischen Koordination von Entscheidungsprozessen durch „spezialisierte Generalisten“. Eine Möglichkeit bietet die Auseinandersetzung mit den funktionalen, konstruktiven und gestalterischen Fragestellungen der unterschiedlichen Baumaterialien als „Grammatik der Werkstoffe“. 3
VORWORT UND DANK
tät und die notwendige Spezialisierung von Bauphysiker, Glasstatiker, Brandschutzsachverständiger etc. erschwert. Im Gegensatz zu dem
„Was der Tragwerkplaner als Traggerüst versteht, begreift der Architekt
Stahl-, Holz- oder Betonbau haben sich so keine spezifischen Struk-
als Skulptur – selbstverständlich ist es beides.“
turformen von Glastragwerken entwickelt. [2]
– Ove Arup
Dieses Buch will mit der Entwicklung einer Entwurfs- und Konstruktionsmethodik für Flachglas diese Lücke in der Bauforschung
Jedes Material besitzt aufgrund seiner geometrischen Erscheinungs-
schließen. Im Mittelpunkt steht das druckfeste flächige Tragelement,
form, seiner mechanischen, bauphysikalischen und optischen Quali-
universelles Hüllmaterial und vielfältig leuchtende Fläche, als elemen-
täten eine charakteristische Eignung als Tragelement, Raumabschluss
tarer Baustein für weit gespannte Tragstrukturen. Die in dem Buch
oder Gestaltungsmittel. Innerhalb dieser von Anette Gigon bezeichne-
enthaltenen technischen Empfehlungen reflektieren den aktuellen
ten Grammatik der Werkstoffe eröffnet kein anderes Material dem Pla-
Stand der Technik, bedürfen aber ausdrücklich der expliziten Abstim-
ner so umfassende Möglichkeiten wie Flachglas, das in zunehmendem
mung durch die verantwortlichen Fachplaner mit den geltenden und
Maße unsere gebaute Umwelt prägt. [1]
aktuellen Gesetzen, Vorschriften und Normen des jeweiligen Landes. Autor und Verlag können in keiner Weise für den Entwurf, die Planung oder die Ausführung von fehlerhaften Glaskonstruktionen haftbar ge-
Aspekten, wird im Glasbau heute durch die technologische Komplexi-
macht werden.
6
Die traditionelle Genese von Material und architektonischer Form, die Verzahnung von konstruktiven, funktionalen und gestalterischen
VORWORT UND DANK 4
An Entwurf, Planung und Realisierung beteiligte Mitarbeiter und Studenten nach Fertigstellung des Tetra-Glasbogens (2000)
4
Ich danke allen, die mich auf den verschiedenen Stationen dieses
haben. Ich möchte meinen Kollegen Graham Dodd und Bruno Miglio
Buches geführt, begleitet und unterstützt haben. Der größte Dank ge-
bei Arup danken, die mir die Möglichkeit für die Überarbeitung des
bührt Prof. Dr.-Ing. Wilfried Führer für die intensive und immer positive
Manuskriptes gegeben haben.
Unterstützung während meiner wissenschaftlichen Ausbildung und
Mein besonderer Dank gilt den Mitarbeitern und Freunden im
meinem fachlichen Lotsen Prof. Dr.-Ing. Ulrich Knaack. Ich danke
Lehrstuhl Philipp Berninger, Britta Harnacke, Ron Heiringhoff, Maren
meinen ehemaligen Kollegen Dr.-Ing. Rolf Gerhardt, Dr.-Ing. Katharina
Krämer, Alex Kruse, Stefan Steffesmies, Julia Wehrs und insbesonde-
Leitner, Dr.-Ing. Helmut Hachul, Dipl.-Ing. Thorsten Weimar und Dipl.-
re Ralf Herkrath, die entscheidend zu der erfolgreichen Fertigstellung
Ing. Jochen Dahlhausen für die fachlichen Anregungen und die tat-
der Arbeit beigetragen haben. Für die persönliche Unterstützung, aber
kräftige Hilfe. Ebenso bedanke ich mich bei Prof. Alan Brookes und
auch die inhaltliche und sprachliche Korrektur der Arbeit darf ich mich
Prof. Dr. Ir. Mick Eekhout für die wertvollen Erfahrungen während
von ganzem Herzen bei meinen Eltern Charlotte und Johann Peter
meines Forschungsaufenthaltes an der TU Delft im Jahr 2002 und bei
bedanken sowie bei Anke Naujokat, Andres Tönnesmann und vor
Prof. Dr. Phil. Andreas Beyer, Prof. Dr. rer. nat. Reinhard Conradt und
allem bei Silke Flaßnöcker und meinem Baldachin aus Seide. Mein
Prof. Dipl.-Ing. Jochen Neukäter für ihre hilfreichen Anmerkungen.
abschließender Dank gehört allen Studentinnen und Studenten, die
Ich danke allen Unternehmen und meinen direkten Ansprechpart-
mit großer Einsatzbereitschaft an den Projekten mitgewirkt haben. 7
nern, die durch umfangreiches Sponsoring die Umsetzung meiner Forschungsprojekte und die Drucklegung dieses Buches ermöglicht
Jan Wurm, im März 2007
– – – – –
1
9
EINFÜHRUNG
EINFÜHRUNG
1
1 Glaslinsen im kuppelgewölbten Dampfsaal des Hammam „Al Bascha“, 18. Jahrhundert, Akko, Israel 2 Palmenhaus in Kew Gardens, London, 1845 – 48, Arch.: D. Burton, Ing.: R. Turner
10
1
2
Flachglas wird seit etwa 2000 Jahren als Raumabschluss verwendet
lierten klimatischen Bedingungen aufzuziehen, entdeckten sie im Ge-
und gehört zu den ältesten künstlichen Baustoffen überhaupt. Auf-
wächshaus ein ideales Experimentierfeld für die neuen Baumaterialien
grund der anhaltenden Verbesserung seiner Herstellungs- und Ver-
Eisen und Glas. Um das einfallende Sonnenlicht bestmöglich zu nut-
edelungsmethoden stellt Glas heute aber auch eines der modernsten
zen, reduzierten sie den Anteil von Guss- und Schmiedeeisen und
Baumaterialien dar, das wie kein anderes das Erscheinungsbild un-
entwickelten frei stehende Hüllen mit gewölbten und gefalteten Glas-
serer Architektur prägt. Indem diesem Baustoff nahezu alle Aufgaben
dächern. Der aussteifenden Eindeckung mit kleinteiligen in Kitt gebet-
einer modernen Gebäudehülle übertragen werden konnten, wurde der
teten Glasschindeln verdankten die filigranen Strukturen aus Schmie-
Widerspruch im Grundbedürfnis nach Schutz vor der Außenwelt bei
deeisen maßgeblich ihre Stabilität. Mit einer eher intuitiven Vermei-
gleichzeitiger Öffnung zum Licht überwunden und dem Menschen da-
dung von Zugbeanspruchungen im Glas entstanden Faltwerke und
mit der Bau einer Unterkunft ermöglicht, die „ihn schützt, ohne ihn zu
Schalen, bei denen das eiserne Skelett mit der gläsernen Haut kons-
begraben“. [1/1]
truktiv und funktional eine Einheit bildete. Auch heute noch beein-
Die Wurzeln des modernen Glasbaus reichen zurück zu den eng-
druckt die Ästhetik dieser Konstruktionen, die Glas erstmals als flä-
lischen Gewächshauskonstruktionen des frühen 19. Jahrhunderts.
chiges Tragelement verwendeten, aufgrund der Synthese von Material,
Die Pioniere waren Gärtner und Gartenbauunternehmer wie Claudius
Form, Konstruktion und Zweck. [1/2]
Loudon (1783 – 1843) oder Joseph Paxton (1803 – 1865). Indem sie
Die Bedeutung der Gewächshäuser des 19. Jahrhunderts kann in
dem wachsenden Wunsch folgten, exotische Pflanzen unter kontrol-
ihrer Vorreiterrolle für die Entwicklung des Glasbaus kaum überschätzt
EINFÜHRUNG 4
5
3 Halle au Blé (heute: Bourse du Commerce), Paris, 1806 – 1811, erste Eisengitterkuppel der Welt, Arch.: F. J. Bélanger, Ing.: F. Brunet 4 Palmenhaus Bicton Gardens, um 1843, Arch.: D. & E. Bailey nach Plänen C. Loudons 5 Großes Gewächshaus von Chatsworth als ridge-and-furrow-Verglasung, 1840 (1920 abgerissen), Arch.: J. Paxton
werden. Die Erfahrung im Umgang mit den neuen Baustoffen war eine
den zum Credo eines „modernen“ Stils, der die Grenze zwischen Innen
wesentliche Voraussetzung für den späteren Bau großer Bahnhofshal-
und Außen aufzuheben sucht und mit den traditionellen Vorstellungen
len und Passagen. Diese Glas- und Eisenkonstruktionen waren reine
von Raumorganisation gebrochen hat. In den wachsenden Fenster-
Ingenieurbauten, und mit den fortschreitenden Erkenntnissen der
und Verglasungsflächen spiegelt sich nicht nur Zweckmäßigkeit in dem
Baustatik folgte die Formfindung verstärkt den sich entwickelnden Re-
Wunsch, den Innenraum besser mit natürlichem Tageslicht zu versor-
geln des Skelettbaus. Die sich vollziehende Trennung von Hülle und
gen, sondern zunehmend auch eine abstrakt-ästhetische Überhöhung
Tragwerk war zwar begleitet von Fortschritten in der Glastechnologie,
des transparenten Materials. Der von Le Corbusier ausgerufene „Kampf
die sich in einer Steigerung der Scheibenformate und Verbesserung
zwischen dem Bedürfnis nach Licht und den Beschränkungen, die
der Qualität äußerte, aber Glas hatte als bloße Eindeckung gegen Mit-
Baumaterial und Konstruktionsmethoden auferlegen“, nimmt die im
te des 19. Jahrhunderts seine konstruktive Bedeutung fast völlig ver-
Laufe des 20. Jahrhunderts immer stärker werdende, gemeinsame An-
loren. Das ingenieurtechnische Interesse hatte sich auf die Reduzie-
strengung von Architekten und Ingenieuren vorweg, die Fassaden-
rung des tragenden Stabwerks verlagert.
konstruktionen auf ein absolutes Minimum zu reduzieren. Gegen Ende
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkennt eine junge Generation
des 20. Jahrhunderts erhält der Gewinn an Transparenz durch den
von Architekten auch das gestalterische Potenzial der neuen Kons-
„unsichtbaren“ Baustoff Glas verstärkt einen dogmatischen Charakter
truktionsweise. Die Weite und Lichtfülle glasgedeckter Hallen, die Äs-
als Symbol für „Offenheit“, „Demokratie“ und „Fortschrittlichkeit“, und
thetik der durchleuchteten und orthogonal gegliederten Flächen wer-
das ursprünglich Pragmatische des Begriffs geht verloren.
11
1
3
EINFÜHRUNG
6
6 Glas und Transparenz, Reichstagskuppel Berlin, 1998, Arch.: Foster and Partners, Ing.: Leonhardt, Andrä und Partner 7 Hofüberdachung Sony Plaza Berlin, 1998, Arch.: H. Jahn, Ing.: Arup Die Textilsegel unterhalb der Glaskonstruktion dienen dem Wetter-, Blend- und Schallschutz.
12
1
7
Mit der stetigen Zunahme des Verglasungsanteils bis zur Ganzglashül-
Projekte lag. Heute werden Glasflächen als Windschwerter, Träger, Stüt-
le kollidiert die gewünschte Transparenz immer stärker mit den Anfor-
zen oder Druckspreizen in filigrane Tragstrukturen aus Stahl integriert,
derungen der Bauphysik. Große Verglasungsflächen schaffen zusätz-
vor allem mit dem Ziel, eine größtmögliche Auflösung der Hüllstruktur
liche Wärmeverluste im Winter, aber auch Energiegewinne im Som-
zu erreichen. So werden die Konstruktionsprinzipien des Skelettbaus
mer, bis hin zur Gefahr der Überhitzung. Selbst bei der Anwendung
für Glastragwerke übernommen, obwohl die Materialien sich in ihren
heutiger, hoch selektiver Beschichtungen gelangt im Sommer noch so
Eigenschaften grundlegend unterscheiden. Am deutlichsten zeigt sich
viel Energie in den Innenraum, dass „gläserne Schwitzkästen“ sich
die dank des technologischen Fortschritts mögliche „Beherrschung“
häufig nur mit aufwendigen Klimakonzepten vermeiden lassen. Auch
des spröden Materials Glas in der großen Angebotspalette an punktför-
das nachträgliche Aufrüsten der Haustechnik zur Steuerung des Ge-
migen Verbindungselementen für Glasbauteile. [1/3] Der Glasbau ist
bäudeklimas kann die Zweifel am Sinn solcher Glashäuser kaum aus-
heute so stark geprägt von der Tektonik des Stahlbaus, dass er noch
räumen.
keine eigene Formensprache finden konnte.
Seine Bedeutung als Konstruktionsmaterial hat Glas heute dank der
Die dynamische Entwicklung transparenter Hüll- und Konstrukti-
Suche nach gesteigerter Transparenz wieder erlangt. Die Initiative für
onssysteme hin zu den lichtdurchfluteten Räumen, die unser öffent-
die lange vernachlässigte Erforschung der konstruktiven Eigenschaften
liches Leben prägen, den Hallen der Flughäfen und Bahnhöfe, den
des Materials Glas ging von Stahlbauinstituten und -unternehmen aus,
Sport- und Freizeitarenen, den Ausstellungshallen, Einkaufspassagen
in deren Hand auch die Planung und Ausführung erster experimenteller
und Atriumhäusern der Innenstädte, scheint gegenwärtig zu einem
EINFÜHRUNG 9
10
8 Vordachkonstruktion aus „darstellenden“ Polycarbonatplatten am Ricola Lagerhaus, Mulhouse, 1993, Arch.: Herzog und de Meuron 9 Glas und Transluzenz, Schubert Club Band Shell, Saint Paul (USA), 2002, Arch.: James Carpenter Design Associates (JCDA) 10 Dichroitisch beschichtete Gläser bilden eine räumliche Tragstruktur. Glasskulptur „Refractive Tensegrity Rings“, Flughafen München, 1992, Arch.: James Carpenter Design Associates (JCDA)
gewissen Abschluss gekommen zu sein, und es stellt sich die Frage
hülle zu sehen und als sichtbaren „Filter“ einzusetzen. Das große Po-
nach der zukünftigen Bedeutung des konstruktiven Glasbaus. [1/4]
tenzial des konstruktiven Glasbaus, nicht nur Transparenz zu fördern,
Es ist festzustellen, dass die „Stofflichkeit“ des Materials als neue
sondern auch die Lebendigkeit reflektierender Oberflächen und die
Qualität verstärkt in den Vordergrund tritt. Zeitgenössische Arbeiten
Präsenz eines farbig absorbierenden Baukörpers einzusetzen, kommt
entwickeln ein Materialverständnis, das bereits im frühen 20. Jahr-
in Arbeiten des New Yorker Architekten und Designers James Carpen-
hundert in den Projekten der „Gläsernen Kette“ und in frühen expres-
ter besonders deutlich zum Ausdruck _ Abb. 9, 10. [1/6]
sionistischen Arbeiten Mies van der Rohes zum Ausdruck kam. Archi-
Im modernen Glasbau treffen sich zunehmend zwei Entwicklungs-
tekten wie Herzog und de Meuron oder Bernard Tschumi begreifen
tendenzen: die angesprochene neue Ästhetik der Stofflichkeit des Ma-
die Transparenz von Glas als einen veränderlichen Zustand und beto-
terials einerseits und die Hinwendung zu einer Konstruktionsform an-
nen durch gezielte Spiegeleffekte, Farbgebungen und diffuse Streu-
dererseits, die Glas als flächiges Tragelement und nicht mehr als
ung die Vielfalt und Sinnlichkeit des Materials: „In diesem Moment ist
Substitut für linienförmige Träger und Stützen aus Stahl begreift. Flä-
es durchsichtig, im nächsten reflektiert es, um in der darauf folgenden
chentragwerke stellen eine Einheit aus Gebäudehülle und Tragwerk
Minute halbdurchlässig zu werden.“ [1/5] Das Verständnis von Glas als
dar und sind, wie eingangs erwähnt, schon in den englischen Ge-
wahrnehmbare, optisch veränderbare Grenzfläche zwischen Innen
wächshäusern des 19. Jahrhunderts angewandt worden, aber ihre be-
und Außen lädt dazu ein, die Transparenz des Glases bewusst in
sondere Eignung für moderne Glaskonstruktionen wird erst heute wie-
Wechselbeziehung zu den bauphysikalischen Aspekten der Gebäude-
der entdeckt. Sie sind wesentlich toleranter gegenüber dem spröden
13
1
8
EINFÜHRUNG
11
12
11 Glas als tragendes, schützendes und darstellendes Element: Prototyp für ein räumliches Flächentragwerk aus Glas, Tetra-Glasbogen, 2000, Planung: Wilfried Führer und Jan Wurm, Lehrstuhl für Tragkonstruktionen, RWTH Aachen 12 Entwurfsprojekt zu einer Bahnsteigüberdachung, Entwurf: Christof Schlaich und James Wong, Lehrstuhl für Tragkonstruktionen, RWTH Aachen 13 Ansätze für Strukturformen im Glasbau: Glasscheiben ersetzen stabförmige Tragelemente, Tonnenschale aus Glas mit einer Spannweite von 14 m, Maximilianmuseum Augsburg, 2000, Entwurf
14
1
und Planung: Ludwig und Weiler Ingenieure 13
Baustoff Glas, weil sie den Kraftfluss viel gleichmäßiger zu verteilen
nalen, der konstruktiven, der technischen und der gestalterischen
gestatten, als dies in Skelettkonstruktionen die Regel ist. Curt Siegel
Planungen führen dazu, dass für jede Bauaufgabe eine neue Gewich-
beschreibt Flächentragwerke auch als Strukturformen, die sich als
tung von Hüll- und Tragwerkgeometrie vorgenommen werden muss.
Einheit aus den Möglichkeiten des Baumaterials, den konstruktiven
Nur in direkter Auseinandersetzung mit einer konkreten Planungsauf-
und nutzungsspezifischen Rahmenbedingungen der Bauaufgabe und
gabe und in intensiver Zusammenarbeit zwischen Architekt, Ingenieur
dem Gestaltungswillen des Planers entwickeln. [1/7, 1/8] Oder, um mit
und Fachplaner kann eine solche Synthese gelingen. [1/10] Da es
Vitruv zu sprechen, Strukturformen sind das Resultat eines schöpfe-
Strukturformen des Glasbaus bislang nur in Ansätzen gibt, kann man
rischen Prozesses des Architekten oder Ingenieurs, das die grundle-
sich einer spezifischen Formensprache für Glastragwerke aktuell nur
genden Eigenschaften der Zweckmäßigkeit (utilitas), Festigkeit (firmi-
durch einen experimentellen Zugang annähern. Neben aktuellen Pro-
tas) und Schönheit (venustas) in sich vereint. [1/9 ]
jekten renommierter Architekten und Ingenieure werden daher auch
Mit diesem Buch sollen deshalb neue Wege zu Strukturformen für
Fallbeispiele und Prototypen vorgestellt, die der Autor gemeinsam mit
den heutigen Glasbau von weittragenden Hüll- und Dachtragwerken
Studenten und mit Unterstützung der Industrie entwickelt hat. Die
aufgezeigt werden. Dabei sollen die großen Fortschritte im Umgang
Projekte verfolgen das Ziel, durch experimentelles Konstruieren, Pla-
mit dem Werkstoff Glas auf die für Flächentragwerke geeigneten Kons-
nen und Gestalten den notwendigen integralen Entwurfsansatz im
truktionsprinzipien und gestalterischen Möglichkeiten übertragen wer-
Glasbau zu stärken. Mit den vorgestellten Bausystemen soll neben
den. Die häufig widersprüchlichen Anforderungen seitens der funktio-
einer materialgerechten Verwendung des Baustoffes auch gezeigt
EINFÜHRUNG
Mensch
Raumform
Kapitel 2 + 5
Bedürfnisse
Glasdach
Strukturform
Kapitel 7
Raumformen
Glashof
Glasband
Glasmitte
15
Funktion
Gestalt
SF Tragsystem
Konstruktionsformen
Kapitel 3 + 4
Kapitel 6
Konstruktionsformen
Konstruktion F
K
G 16
Eigenschaften
Glas
14 Inhaltsübersicht 15 Entwurfsworkshop im Seminar „Glasbau Konzept und Konstruktion“
Material 16 Die Strukturform (SF) als Synthese von konstruktiven, funktionalen und gestalterischen Qualitäten
1
14
werden, wie sich Tragwerkselemente zur Steuerung des Raumklimas
onen und experimenteller Projekte in Kapitel 7 stellt die große Band-
einsetzen lassen. Mit diesem Ansatz sollen eine Formensprache und
breite möglicher Strukturformen anschaulich dar. Kapitel 8 schließt
eine ästhetische Qualität sichtbar werden, die auf der Poesie tra-
das Buch mit einem Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Per-
gender, raumbildender und leuchtender Flächen beruht.
spektiven ab _ Abb. 14.
Im zweiten Kapitel werden deshalb zunächst nochmals die Zusammenhänge von Form, Funktion und Konstruktion von Dachtragwerken ins Gedächtnis gerufen. Die fachlichen Grundlagen werden in den folgenden Kapiteln systematisch aufgebaut: Die Eigenschaften des Werkstoffs einschließlich der Bearbeitungs- und Veredelungsmethoden werden in Kapitel 3 erläutert. Für die Verwendung von Flachglas als raum- und strukturbildendes Element werden in Kapitel 4 die Prinzipien einer materialgerechten Fügetechnik und Konstruktion vorgestellt. In Kapitel 5 und 6 werden die Rückschlüsse aus den Materiserner Hüllen beziehungsweise die Konstruktionsprinzipien der Flächenbauweise formuliert. Die Vorstellung ausgeführter Glaskonstrukti-
15
aleigenschaften auf die funktionstechnischen Anforderungen glä-
– – – – –
2
17
GL ÄSERNE SPANNWEITEN
VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN
1
2
3
1 – 3 Entwicklungsschritte 1 Gartenarchitektur, Wales 2 Ornamentik des Blätterdaches, Kreuzgang Gloucester, ca. 1360 – 1370 3 Projekt Ganzglastonne, 2000
2.1
4 Das Blätterdach
_
Die Entwicklung der Eisenskelettkonstruktion bildet die technische
_
und ökonomische Voraussetzung für den Bau der ersten gläsernen
_
Dachtragwerke im 19. Jahrhundert. [2.1/1] Kaum weniger bedeutsam für die Auflösung der Deckenkonstruk-
_ _
2.1
tion, bisher allerdings kaum beachtet, sind kulturelle und religiöse Vor-
VON DER BL ÄT TERL AUBE ZUR KLIMAHÜLLE
gaben, die wir hier unter dem Begriff „Paradiessehnsucht“ zusam-
– DIE SUCHE NACH DEM PARADIES
menfassen. In säkularisierter Form offenbart sich darin der Mensch-
18
heitstraum, in Harmonie mit der natürlichen Umwelt, von allen feind„Es liegt ein wunderbarer Reiz darin, mitten im Winter die Fenster eines
lichen Bedrohungen beschützt, in einer Art Garten Eden zu leben.
Salons öffnen zu können und […] einen milden, balsamischen Früh-
Schon lange bevor im 19. Jahrhundert die konstruktiven Mittel bereit-
lingshauch zu fühlen. Es regnet vielleicht draußen, oder der Schnee
standen, das trennende Dach zur Natur wenigstens optisch zu öffnen,
fällt vom schwarzen Himmel in stillen Flocken herab, man öffnet die
wurde die ersehnte Auflösung der Dachkonstruktion im Sakralbau mit
Glastüre und findet sich in einem irdischen Paradiese, das des Winter-
symbolischen und ästhetischen Mitteln suggeriert. Obwohl ohne di-
schauers spottet.“
rekten Bezug zum eigentlichen Glasbau, sind diese frühen Bestrebun-
Bericht über einen Wintergarten der Prinzessin Mathilde von Bonaparte, Paris 1869
gen einer „Öffnung zum Himmel“ heute noch nachzuvollziehen. Derzeit steht bei der Weiterentwicklung des Glasdachs vor allem die An-
VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN
5
6
5 Das „erste Haus“ nach Viollet-le-Duc 6 Schmiedeeiserne Laube in Noyers, Burgund, 19. Jahrhundert 7 „Künstliches“ Blätterdach: Estação Oriente, Lissabon, 1998, Arch.: Santiago Calatrava
2.1
7
passung des Mikroklimas im Innenraum an eine natürlich empfunde-
sung als Dachkonstruktion aus zusammengebundenem Ast- und
ne, ideale Behaglichkeit im Vordergrund.
Blattwerk
_ Abb. 5
. Diese Vorstellungen der Architekturtheoretiker
entsprechen zumindest zum Teil der Wahrheit. Im fruchtbaren ZweiFRÜHZEIT UND CHRISTLICHE SAKR AL ARCHITEKTUR _
DIE LAUBE
stromland Mesopotamien zwischen Euphrat und Tigris, das aufgrund der günstigen klimatischen Verhältnisse als Wiege unserer Kultur und
Das Motiv der paradiesischen Naturerfahrung kommt in dem gebauten
als Ort des Gartens Eden gilt, bestanden die ursprünglichen Behau-
Gartenraum der Laube, einem mit Kletterpflanzen bewachsenen Ge-
sungen tatsächlich „aus zusammengebogenen, in den Boden ge-
rüst, zum Ausdruck. Das Blätterdach der Laube bietet dem Innen-
rammten Stecken“ mit füllendem Laub oder Schilf. [2.1/3]
raum Schutz vor Regen, Wind und Sonne, es ist aber auch lichtdurch-
Auch heute noch löst das Verweilen unter dem abschattenden
lässig und erfüllt damit als Urform des allseitigen Oberlichts die grund-
Blätterdach hoher, von der Sonne beschienener und von einer leich-
legenden Bedürfnisse des Menschen.
ten Brise bewegter Laubbäume ein so hohes Maß an Wohlbefinden
Hans Teubner schreibt, dass „die Laube fast immer mit Vorstellungen vom Paradies […] verknüpft war“, wie etwa beim jüdischen Laub-
aus, wie es auch in bestens klimatisierten und beleuchteten Innenräumen nur selten anzutreffen ist.
mit dem Ursprung der Architektur in Verbindung gebracht: Vitruv, Laugier und Viollet-le-Duc beschreiben die erste menschliche Behau-
19
hüttenfest, das den Auszug aus Ägypten feiert. [2.1/2] Die Laube wird
VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN
8
9
8 Blick in den durchbrochenen Turmhelm des Freiburger Münsters, ca. 1280 9 Das Kreuzgratgewölbe der Kathedrale von Amiens in der Untersicht, die einzelnen Joche treten als Baldachine hervor, ca. 1236 10 Plastisch überformtes Kirchengewölbe am Mosteiro dos Jerónimos in Belém, 1502 – 1571
2.1
10
_ DER
BALDACHIN
Das lateinische tabernaculum ist mit Laube oder auch mit Altarbalda-
von Baldachin und Laube kommt in der floralen Dekoration spätgotischer Gewölbeflächen zum Ausdruck.
20
chin zu übersetzen. Eigentlich ein mit lichtdurchlässigem Seiden- oder Brokatstoff bespanntes Traggestell, dient der Baldachin zunächst der
_
weltlichen Herrscherwürde als Prunkhimmel. Später wird er bei christ-
Die christliche Sakralarchitektur übernimmt von antiken Vorbildern die
lichen Prozessionen als Traghimmel verwendet, bevor er als Symbol
Typologie des Kuppelraumes als Abbild des Himmelsgewölbes. Der
für den Schutz Gottes Teil der Altargestaltung wird. Die Darstellung
symbolische Bezug von Himmel und Gewölbe wird durch die Lichtfüh-
des Baldachins als Himmelszelt ist eine der frühesten, expliziten Him-
rung im Inneren verstärkt: indirektes Licht aus Scheitel oder Kuppel-
melssimulationen in der Architekturgeschichte. [2.1/4]
kranz taucht den Kirchenraum in „göttlichen Glanz“.
DAS KUPPELGEWÖLBE
Das Kreuzrippengewölbe der Gotik nimmt die Darstellung des Bal-
Die Belichtung des Kuppelraums durch den oculus, eine kreisrun-
dachins auf. Mit der Aneinanderreihung der Gewölbejoche in den
de Öffnung im Kuppelscheitel, ist für die Raumwirkung von überge-
Langhäusern der Kathedralen wird die hoch liegende Fensterzone des
ordneter Bedeutung. Das zentrale Oberlicht „monumentalisiert die
Obergadens als durchlaufendes Seitenlicht erfahrbar, das die Decken-
Lichtführung, isoliert den Raum von seiner natürlichen Umgebung
flächen der Gewölbe ausleuchtet. Die Lichtführung verstärkt die Be-
und verhindert Aussicht und Ablenkung“. [2.1/5] Beim Pantheon im
wegungsrichtung des Raumes und verstärkt seine Funktion als Pro-
Rom misst diese Lichtöffnung 9 Meter und damit circa ein Fünftel des
zessionsweg. Das Bild vom Garten Eden als gemeinsamem Ursprung
Kuppeldurchmessers. In den christlichen Zentralbaukirchen erfolgt
VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN
11
12
11 Kuppelgewölbe mit Deckengemälde im Dom von Florenz, 1434 – 1461 12 Deckenmalerei von Correggio, Dom von Parma (1526 – 1530) 13 Das Pantheon in Rom, 118 – 128 n. Chr.
2.1
13
die Belichtung durch einen Fensterkranz am Kuppelauflager wie bei
symbolischen Bedeutungsgehalt der Deckenmalerei mehr und mehr
der Hagia Sophia (532 – 537) durch Fenster im Tambour oder durch
auch die Darstellung der realen Welt in den Vordergrund. So ist der
eine Laterne im Kuppelscheitel, wie beim Florentiner Dom
blaue Himmel des Bildgrundes sowohl Verweis auf das himmlische
(1434 – 1461). [2.1/6] Das zentrale Oberlicht entwickelt sich mit dem
Jenseits als auch realistisches Abbild des hinter der Konstruktion lie-
kuppelgewölbten Zentralbau zum Merkmal des sakralen, später auch
genden physischen Himmels, das der bewussten Raumerweiterung
des profanen Versammlungsbaus. Betont wird die Himmelssymbolik häufig durch eine Ausmalung der Gewölbezone, etwa mit Sternen auf blauem Himmelsgrund, wie
dient. [2.1/8] Die durch Fresken und Gemälde illusionistisch aufgelösten Decken bilden somit die letzte Entwicklungsstufe auf dem Weg zu den aufgelösten Glasdachkonstruktionen des 19. Jahrhunderts.
bei dem frühchristlichen Baptisterium San Giovanni in Fonte in Neapel (ca. 400 n. Chr.). In der Spätgotik erhält die Gewölbezone eine Ausmalung mit Laubwerk. Auch das Traggerüst wird plastisch überformt, so dass Rippen und Pfeiler als Ast- und Rankwerk lesbar werden. Die Decke erscheint als Laube, als direkte Illustration des Garten Eden. Auflösung der Deckenkonstruktion und wird zu einem integralen Bestandteil der Architektur. Im Barock und Manierismus tritt neben dem
21
[2.1/7] Die Ausmalung der Gewölbezone unterstützt die konstruktive
VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN
14
15
14 Großes Gewächshaus im Botanischen Garten zu Dahlem, 1905 – 07, Arch.: Alfred Koerner 15 Innenraum des „People’s Palace“, Muswell Hill, London, 1859 (Projekt) 16 „Das bunte Glas zerstört den Hass.“ Glaspavillon, Kölner Werkbundausstellung von Bruno Taut, 1914
2.1
16
NEUZEIT
und seine Freizeitaktivitäten in den Mittelpunkt einer bürgerlichen
_ DAS
Neuschöpfung der Natur. Ein zeitgenössischer Bericht beschreibt den
GEWÄCHSHAUS
Mit den technischen Fortschritten der industriellen Revolution kann
Wintergarten im Royal Botanic Garden im Regent´s Park: „Ein wahr-
der Traum vom offenen Dach aus Eisen und Glas endlich realisiert
haftiges Märchenland ist in das Herz Londons versetzt worden, ein
werden. Die Gewächshauskonstruktionen in England stellen die ersten
Garten voller Wohlgefallen, der alle unsere Wünsche Wirklichkeit wer-
Glasdächer der Baugeschichte dar. Gewächshäuser werden zu einer
den lässt.“ [2.1/11]
22
Oase, einem „Ort der Glücksverheißung“ für eine „Versöhnung mit der Natur“. [2.1/9] Die tropische Pflanzenpracht mit exotischen Düften und
_
Geräuschen schafft eine Traumwelt und ermöglicht die Flucht der
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts werden sozialutopische Visionen, die
Stadtbevölkerung vor dem Leben der Großstadt. Die klimatechnischen
mit der Verwendung von Glas als Baumaterial für ein neues Zeitalter
Anlagen, die für den Erhalt der Pflanzen notwendig sind, werden vor
verknüpft sind, von den Mitgliedern der expressionistischen Künstler-
dem Auge des Besuchers bewusst verborgen, um diesem die Illusion
vereinigung „Gläserne Kette“ um Bruno Taut (1880 – 1938) und Paul
eines Garten Edens im rauen Klima Nordeuropas nicht zu rauben.
Scheerbart (1863 – 1915) aufgegriffen. Taut entwirft kristalline Stadt-
[2.1/10 ]
kronen aus Glas wie etwa das „Haus des Himmels“: „Zum Aufbau der
Die öffentlichen Wintergärten und Florabauten mit integrierten Konzertsälen, Restaurants und Bibliotheken stellen den Menschen
DER „GLASKRISTALL“
Decke dienen Prismen aus farbigen, elektrolytisch verbundenen Gläsern, zum Aufbau der Wände gegossene Prismen.“ [2.1/12]
VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE
18
GLÄSERNE SPANNWEITEN
17
19
17 Projekt einer geodätischen Kuppelkonstruktion über Manhattan, ca. 1960, Arch.: Buckminster Fuller 18 Projekt einer pneumatisch gestützten Klimahülle in der Arktis, 1970, Arch.: Frei Otto mit Kenzo Tange und Ove Arup 19 Pavillon der USA auf der Expo 1967 in Montreal von Buckminster Fuller 20 Die großen Biosphären des „Eden Project“ in Cornwall, 2001, Arch.: Nicolas Grimshaw, Ing.: Arup und Anthony Hunt Associates
2.1
20
Und Scheerbart schreibt: „Die Erdoberfläche würde sich sehr verän-
bereits 1808 mit den „Phanlanstères“ das Ideal einer vollständig
dern, wenn überall die Backsteinarchitektur von der Glasarchitektur
glasüberdachten Stadt, die auch als Katalysator für eine neue Gesell-
verdrängt würde. Es wäre so, als umkleidete sich die Erde mit einem
schaftsordnung dienen soll. [2.1/14]
Brillanten- und Emailschmuck. Die Herrlichkeit ist gar nicht auszuden-
1822 entwirft J. C. Loudon die Vision, für die Verbesserung der Le-
ken. Und wir hätten dann auf der Erde überall Köstlicheres als die
bensbedingungen ganze Städte in „nördlichen Gegenden“ unter ein
Gärten aus tausend und einer Nacht. Wir hätten dann ein Paradies auf
Glasdach zu stellen. „Die wirtschaftlichste Art und Weise, ein ange-
der Erde.“ [2.1/13]
nehmes Klima zu schaffen, wird sein, ganze Städte mit gewaltigen Glasdächern zu überspannen.“ [2.1/15]
DIE KLIMAHÜLLE
Fast 150 Jahre später wird diese Vision durch das Projekt von
Im 19. Jahrhundert herrscht ein allgemeines gesellschaftliches Be-
Buckminster Fuller (1895 – 1983) für eine geodätische Kuppel mit
dürfnis nach Unabhängigkeit von Witterungseinflüssen und Schutz
drei Kilometern Durchmesser über Manhattan und ein Projekt von
vor dem Schmutz und den Abgasen der Großstadt, das sich in der
Frei Otto für eine Klimahülle mit zwei Kilometern Durchmesser in der
großzügigen Überdachung städtischer Räume mit Glas nieder-
Arktis wieder aufgegriffen. [2.1/16]
schlägt. Im Wunsch nach Hygiene und Sauberkeit überlagern sich
Die Kuppelkonstruktion, die Buckminster Fuller zur Weltausstel-
physische und metaphysische Aspekte. Um den „Schäden der Zivi-
lung von 1967 in Montreal errichtet, ist mit einem Durchmesser von
lisation“ zu begegnen, beschreibt Charles Marie Fourier (1772 – 1837)
circa 75 Metern eine kleinmaßstäbliche Verwirklichung dieser Vision.
23
_
VON DER BLÄTTERLAUBE ZUR KLIMAHÜLLE GLÄSERNE SPANNWEITEN
21
22
21 Das Blätterdach aus Glas: Ademie der Künste am Berliner Platz, Berlin, 2002, Arch.: Behnisch und Partner 22 „Tropical Island“ in Brand bei Berlin, 2004, Generalplaner: CLMAP GmbH München 23 Inszenierte Natur, Fotomontage „Kitkariver“, 2004, von Ilkka Halso, Orimattila
2.1
23
Fuller schreibt: „Im Inneren wird es einen uneingeschränkten Blick-
So zeigt sich auch in vielen zeitgenössischen Projekten die seit dem
kontakt mit der Außenwelt geben. Die Sonne und der Mond werden
19. Jahrhundert mit dem Glashaus verbundene Sehnsucht nach dem
in der Umgebung strahlen, der Himmel wird vollständig sichtbar
Paradies als Synthese von Mensch und Natur. Der Aufenthalt unter
sein, aber die unerwünschten klimatischen Begleiterscheinungen
dem farbigen Glasdach der Kurtherme in Bad Colberg oder im Atrium
wie Hitze, Staub, Ungeziefer, Blendlicht, etc. werden von der Hülle
der Berliner Kunstakademie soll vom Besucher als „Aufenthalt unter
gefiltert werden, um im Inneren einen Garten Eden zu erzeugen.“
einem Blätterdach“ empfunden werden. [2.1/18, 2.1/19]
[2.1/17] Umfangreiche Fortschritte bei Haustechnik und Glasveredelung er-
einen tropischen Regenwald mit Lagunen, Veranstaltungssälen und
möglichen heute eine solche Regulierung der Energieströme zwischen
Bars beherbergt, wollen dem Besucher eine scheinbar intakte Natur
innen und außen. Mit gläsernen, selbstregulierenden dynamischen Ge-
bei vollem Spaßfaktor präsentieren und erkaufen dies mit enormem
bäudehüllen, die unabhängig von den nicht regenerativen Energiequel-
haustechnischem und energetischem Aufwand für die künstliche Kli-
len durch Nutzung der Sonnenenergie einen ausgeglichenen Energie-
matisierung und Steuerungstechnik.
haushalt aufweisen und sich den Bedürfnissen des Menschen und den sich ändernden klimatischen Bedingungen der Umwelt anpassen kön24
Moderne Freizeitparadiese wie das „Tropical Island“ bei Berlin, das
nen, ist die Sehnsucht nach einer Zukunft verbunden, in der der Mensch wieder in Einklang mit der Natur leben kann.
eben
Orientierung/Raumform
Tragsystem/Konstruktionsform
Glashof
eindimensional
zweidimensional
horizontal
Balken
Platte
geneigt
Sparren
Tragrost
gefaltet/gekrümmt
Glasband
zweidimensional
dreidimensional prismatisches
Sattel
Rahmen
Faltwerk
konvexe
Bogen
Tonne
Seil
Hängedach
Krümmung
konkave Krümmung
doppelt gefaltet/gekrümmt
Glasmitte
dreidimensional
Pyramide/
pyramidisches
Zeltdach
Faltwerk
Kuppel
DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION
Grundrissform
GLÄSERNE SPANNWEITEN
Dachform
Schale
antiklastische
Membran-
Krümmung
tragwerk
1 1 Dachformen und Orientierung in Glashof,
2.2
Glasband und Glasmitte
_
diesen weit gespannten Dachtragwerken wird die Überlagerung von
_
funktionalen und konstruktiven Aspekten bei der Formfindung beson-
_
ders deutlich. Die Raumform der Hülle, nach Grundriss und Querschnitt, entwi-
_
2.2
DAS GL ASDACH : FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION _
RAUM- UND KONSTRUKTIONSFORM
ckelt sich aus der beabsichtigten Nutzung und den funktionalen Anforderungen der Bauaufgabe. Damit ein Tragwerk seine Zweckbestimmung erfüllen kann, muss es alle einwirkenden Eigen- und Verkehrs-
Im 19. Jahrhundert entwickeln sich aufgelöste Tragstrukturen aus
lasten in den Baugrund abtragen. Alle Tragelemente, die für diesen
stabförmigen druck- oder zugfesten Materialien wie Holz oder Stahl,
Lastabtrag notwendig sind, müssen ein tragfähiges Gesamtsystem er-
die erstmals teilweise oder vollständig mit Glas gedeckt werden. Die
zeugen, die Konstruktionsform. Die Eigenschaften und die Verfügbar-
Trennung von Tragwerk und Hülle vollzieht sich in Mittel- und Nordeu-
keit des Baumaterials sind wichtige Aspekte bei der konstruktiv-tech-
ropa während der industriellen Revolution aus der Notwendigkeit,
nischen Formfindung von Dachtragwerken. [2.2/1]
große Nutzflächen von Bahnhofs-, Montage-, Versammlungshallen
In dieser Arbeit werden Glasdächer in Anlehnung an die Typologi-
oder Passagen vor den Einflüssen der Witterung zu schützen und
sierung von Erscheinungsformen des Oberlichtes von J. F. Geist nach
gleichzeitig mit natürlichem Tageslicht zu versorgen. Die Entwicklung
ihren Raum- und Konstruktionsformen unterschieden. Die grundle-
des Glasdachs ist damit sehr eng mit der des Flachbaus verknüpft. Bei
genden Typen von Glashof, Glasband und Glasmitte sind in
_ Abb. 1
25
_
GLÄSERNE SPANNWEITEN
DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION
Typ
Querschnitt
Grundriss
Entwicklung
Dachform
Orientierung
Vorstufen
1800
Atriumhaus
Erschließungshof
Glashof
1850
1900
1950
der Lichthof Hofhaus
Oberlichtsaal
Hofhalle
Eingangshalle Markthalle
Schalterhalle Badehalle
Glasband
Arkaden
Montagehalle
Basilika
Passage
das durchlaufende Oberlicht
Hallenkirche
Bahnsteighalle
Busbahnhof Tunnel
Laubengang Galerie Tempel/Thermen
Glasmitte
Börse
das zentrale Oberlicht Arena
Zentralraum Passage Gewächshaus
Zentralbaukirche
Sitzungssaal
Laube
Veranstaltungshalle Sportarena Gewächshaus
Glashaus das allseitige Oberlicht
Wintergarten/Flora
Kombinationen Markthalle Ausstellungshalle
Messehalle Klimahülle
2
26
2.2
2 Entwicklungsschema der verschiedenen Glasdachtypen
dargestellt. Der Glashof weist eine ebene, das Glasband eine gefaltete
_
oder gekrümmte und die Glasmitte eine doppelt gefaltete oder ge-
Die historische Entwicklung des Glasdachs und seiner typischen Er-
krümmte Dachform auf. Das Glashaus umfasst als Typ die allseitige
scheinungsformen Glashof, Glasband, Glasmitte und Glashaus ist in
Glashülle, die sich zugunsten einer skulpturalen Qualität stark von ein-
_ Abb. 2
deutigen typologischen Bezügen emanzipieren kann. [2.2/2]
denzen und Entwicklungslinien von Querschnitt (Dachform) und
HISTORISCHE ENTWICKLUNG
schematisch dargestellt. Die Übersicht dient dazu, Ten-
Der Kraftfluss im Tragsystem und die Beanspruchung der Trag-
Grundriss (Orientierung) von den ersten Glasdachkonstruktionen um
glieder hängen von der Querschnitts- und Grundrissgeometrie ab,
1800 bis heute aufzuzeigen. Unter „Vorstufen“ werden exemplarisch
weshalb Form und Größe von Tragwerken nicht unabhängig voneinan-
Bautypologien des Massivbaus aufgeführt, die von einem ähnlichen
der wählbar sind. Für große Spannweiten wird ein Flachdach schnell
Raumgefüge geprägt sind.
unwirtschaftlich, während ein doppelt gefaltet oder gekrümmtes Dach
Die Übersicht skizziert die Entwicklung vom Beginn der industriel-
noch mit vergleichbar geringem Materialaufwand erstellt werden kann.
len Revolution um 1800 bis heute in Phasen von jeweils 50 Jahren.
In diesem Sinne unterscheiden sich Glashof, Glasband und Glasmitte
Mit dem Bedarf an großen Oberlichtdächern entstehen um 1850
auch bezüglich ihrer räumlichen Ausdehnung und der Größe der
Grundrissformulierungen für neue Bauaufgaben wie Museen, Markt-
überspannten Fläche.
hallen, Börsen und Bibliotheken. Es werden große Hallen und Säle für die Produktion, Verteilung und Präsentation von Handelsgütern und für die Versammlung einer neuen städtischen Öffentlichkeit zum Zwe-
B
C
D
DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION
A
4
5
7
6
8
GLÄSERNE SPANNWEITEN
3
7 Der anliegende Glashof, Pultdach 3 Grundrissformen des Glashofs A Der anliegende Glashof
Museum Meteorit, Essen, 1998, 5 Innen liegender Erschließungshof, Familistère de Guise, um 1860
B Der Eckhof C Der eingeschobene Glashof D Der innen liegende Glashof (Atrium)
Arch.: Propeller Z 8 Der anliegende Glashof, Glasvorbau
6 Innen liegender Glashof als bauliche Ergänzung,
Rietberg, Zürich, 2007,
Museums Berlin, 2003, Arch.: I. M. Pei
Arch.: ARGE Grazioli Krischanitz GmbH
2.2
4 Schalterhalle der Hauptpost in St. Petersburg
und Foyer, Erweiterung Museum
Schlüterhof des Deutschen Historischen
cke der Erholung oder der kulturellen Bildung benötigt. Gegen Ende
Häusern, wird das Atrium heute oftmals als bauliche Ergänzung von
des 19. Jahrhunderts fördern neue Gesellschaftsstrukturen den Aus-
vorhandenen Lichthöfen als Foyer, Ausstellungsraum und Cafeteria ge-
bau administrativer Tätigkeiten und die Herausbildung der modernen
nutzt. Mit zunehmender Öffnung der Wandumfassung entstehen weni-
Dienstleistungsgesellschaft. Die heutige Freizeitgesellschaft manifes-
ger introvertierte Formen des Glashofs, in denen eine oder mehrere
tiert sich in großen Erlebnis- und Sportarenen.
Richtungen ausgezeichnet sind. Die Öffnung kann zusätzlich durch einen rechteckigen Grundriss oder die Neigung der Dachfläche betont
DER EBENE RAUMABSCHLUSS – DER GLASHOF
werden. Bei einem eingeschobenen Glashof sind nur drei Seiten von
Eine ebene Dachfläche ist horizontal oder geneigt, das Dachprofil ein-
massiven Gebäudeteilen umschlossen, und die Richtung zur offenen,
dimensional.
oft verglasten Seite erlangt vorrangige Bedeutung für die Grundrissorga-
Der von oben belichtete, nach außen abgeschirmte Hof gehört zu
nisation. Bei dem Eckhof sind zwei aneinandergrenzende Seiten geöff-
den ältesten Formen der Raumorganisation. Er dient der Belichtung
net, wodurch die Raumdiagonale gestärkt wird. Der anliegende Glashof
und der Erschließung angrenzender Räume, hat einen ruhenden, intro-
schließlich ist nach drei Seiten offen. Mithilfe einer innen liegenden, von
vertierten Charakter und lädt zum Verweilen ein. Das innen liegende,
der Primärkonstruktion abgehängten Staub- oder Lichtdecke kann der
mit einer horizontalen Glasdecke abgeschlossene quadratische Atrium,
ruhende Charakter des Glashofs auch bei Pult- und Satteldachkons-
bei dem keine der seitlichen Raumbegrenzungen dominiert, ist ein
truktionen erhalten werden. Eine solche zweischalige Konstruktion
Glashof in Reinform. Ursprünglich ein offener Lichthof in altrömischen
kennzeichnet den Oberlichtsaal als spezielle Form des Glashofs. [2.2/3]
27
_
DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION GLÄSERNE SPANNWEITEN
9
12
10
11
13
9 Der eingeschobene Glashof (Blick nach oben), Sparkasse Düsseldorf, 2001 Arch.: Ingenhoven Overdiek und Partner
12 Passage GUM in Moskau, 1893, Ing.: V. G. Suchov
10 Der Eckhof, Kunstmuseum Tel Aviv, 1998,
13 Zentrale Messehalle Leipzig, 1996 Arch.: von Gerkan Marg und Partner
11 Passage Verdeau, Paris, 1847
2.2
Arch.: D. Eytan, Ing.: M. Eekhout
11 – 15 Das konvex gekrümmte Glasband
Zu den ebenen Tragsystemen zählen Balken- und Plattentragwerke. Die für den Lastabtrag notwendige Biegesteifigkeit erfordert einen er-
_
DER GEFALTETE ODER GEKRÜMMTE RAUMABSCHLUSS – DAS GLASBAND
höhten Materialaufwand, der sich in den Querschnittsabmessungen
Die hier betrachteten Dachformen haben ein zweidimensionales
der Tragelemente niederschlägt. Die Dachfläche lang gestreckter
Raumprofil, das beim Giebeldach oder beim prismatischen Faltwerk
Grundrisse entsteht durch Aneinanderreihung einzelner Querträger.
gefaltet und beim Bogen- oder Hängedach gekrümmt ist. Bögen wei-
Ist der Abstand zwischen diesen so groß, dass eine Nebenträgerebene
sen eine konvexe, Hängedächer eine konkave Krümmung auf.
notwendig wird, entsteht ein mehrlagiges, hierarchisch aufgebautes
Das Glasband bezeichnet ein durchlaufendes, lang gestrecktes
System. Platten können dagegen einen zwei- oder mehrachsigen Last-
Oberlicht, das an den Längsseiten von meist massiven Gebäuderie-
abtrag aufweisen und eignen sich für das Überspannen nahezu qua-
geln begrenzt wird. Im Gegensatz zum Glashof stellt das Glasband ei-
dratischer Grundrissflächen. Balken und Platten können als Fach-
nen Bewegungsraum dar, der durchschritten oder durchfahren wird.
werke in normalkraftbeanspruchte Systeme mit schlankeren Quer-
Das Glasband tritt vor allem bei Bauaufgaben mit transitorischem
schnitten aufgelöst werden. Biaxial gespannte Fachwerkroste oder
Charakter wie Passagen und Bahnhofshallen auf. Das eingeschobene
Raumfachwerkplatten ermöglichen größere Spannweiten.
Atrium, durch einen u-förmigen Massivbau begrenzt, verbindet als
28
Mischform Glashof und Glasband. Der in Querrichtung gefaltete oder gekrümmte Raumabschluss unterstützt die Dynamik des Bewegungsraums. Giebel- und Tonnen-
DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION 16
18
15
17
19
GLÄSERNE SPANNWEITEN
14
18, 19 Das konkav gekrümmte Glasband 18 Hängedach Hauptbahnhof Ulm, 1993,
16, 17 Das gefaltete Glasband 14, 15 Bahnsteighalle Lehrter Bahnhof Berlin, 2002, Arch.: von Gerkan Marg und Partner,
Arch.: Gottfried Böhm, Ing.: Jörg Schlaich 17 Bahnsteighalle Gare d‘Austerlitz in Paris, 1862
Ing.: Schlaich, Bergermann und Partner 19 Hängedach Bahnhofsvorplatz Heilbronn, 2001, Ing.: Schlaich, Bergermann und Partner
2.2
Ing.: Schlaich, Bergermann und Partner
16 Zentrale Halle Züblin-Haus Stuttgart, 1985,
dach führen zu einer starken Längsausrichtung und zu einer „Kanalisie-
Abweichung von Stützlinie zu Systemgeometrie, desto größer ist die
rung“ des Grundrisses. So wird insbesondere die Passagen- und Bahn-
Momentenbeanspruchung. [2.2/4]
Sattel- und später auch durch das Tonnendach gekennzeichnet.
Mit der Reihung von Bögen spannt sich eine tonnenförmige, dreidimensionale Hüllfläche mit einachsigem Lastabtrag auf. Sind die Bö-
Der umgekehrt gekrümmte Raumabschluss, das Hängedach, bil-
gen in Längs- und Querrichtung schub-, druck-, und zugfest miteinan-
det sich erst im 20. Jahrhundert als Bautypus heraus. Die sich zu den
der verbunden, können Lasten auf der gekrümmten Fläche auch zwei-
Längsseiten öffnende Querschnittsform unterstützt ein Durchschrei-
achsig abgetragen werden, es entsteht eine Tonnenschale. Die Ton-
ten der Querachse und markiert einen Vor- oder Schwellenbereich.
nenschale ist ein Flächentragwerk, das die Lasten bei entsprechenden
Zu den zweidimensionalen Tragsystemen zählen Rahmen- oder
Auflagerbedingungen längs und quer zur Tonnenebene abträgt. Die
Bogentragwerke. Durch das Knicken oder Krümmen der Trägerachse
Spannungsverteilung in Längsrichtung ähnelt dem Balken, die Druck-
passt sich die Tragwerksform dem natürlichen Kraftfluss der Stützlinie
zone befindet sich also am Scheitel und die Zugzone an den unteren
an. Durch die Bogenwirkung entstehen bei geknickten oder ge-
Rändern. Tonnenschalen sind aufgrund der fehlenden zweiten Trag-
krümmten Tragsystemen kaum Biegebeanspruchungen, der erforder-
werkskrümmung relativ weich und müssen in Querrichtung beispiels-
liche Materialaufwand wird reduziert. Das Verhältnis von Biege- und
weise durch Versteifungsbögen stabilisiert werden. Bilden die stabili-
Druckkraftbeanspruchung hängt von Geometrie und Lastbild ab. Jede
sierenden Maßnahmen eine durchgehende zweite Ebene, entsteht ein
Abweichung im Lastbild führt zu einer anderen Stützlinie, je größer die
zweilagiges System größerer Steifigkeit. [2.2/5]
29
hofsarchitektur im 19. Jahrhundert zunächst durch das symmetrische
DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION GLÄSERNE SPANNWEITEN
20
21
23
22
24
23 Pyramidisches Faltdach, Bewag Glaspyramide
20 – 22 Die Glasmitte: Synklastisch gekrümmte Kuppelkonstruktionen 20 Halle au Blé (heute: Bourse du Commerce) in Paris, 1809 – 1811,
Berlin, 1999, Arch.: A. Liepe, H. Siegelmann
Arch.: Foster + Partners 22 Gewächshaus National Botanical Garden of Wales, 1999, Arch.: Foster + Partners
24 Antiklastisch gekrümmtes Netztragwerk „Schubert Club Band Shell“ Minnesota, 2002, Ach.: JCDA
2.2
Arch.: F. J. Bélanger
21 Reichstagskuppel Berlin, 1998,
30
_ DER
DOPPELT GEFALTETE ODER GEKRÜMMTE RAUMABSCHLUSS –
Die im Vergleich zu einer Tonnenschale aufgrund der doppelten Flä-
DIE GLASMIT TE
chenkrümmung wesentlich steifere Kuppelschale eignet sich für große
Pyramidische Faltwerke, Kuppeln, Schalen oder Zelte weisen in Längs-
Spannweiten von Veranstaltungshallen und Arenen. Der Lasttransport
und Querrichtung eine Faltung oder Krümmung auf und sind dreidi-
erfolgt in Ring- und Meridianrichtung, Tragwerkselemente müssen
mensionale, räumliche Strukturen. Bei synklastisch gekrümmten kup-
druck-, zug- und schubfest miteinander verbunden sein. Kuppeln wei-
pelförmigen Dächern liegt eine gleichsinnige Krümmung in beiden
sen bei gleichmäßig verteilten Lasten keine Momente, sondern einen
Querschnittsachsen vor. Bei antiklastischen Membran- und Zeltdä-
Membranspannungszustand auf, die Fläche ist also nur durch Nor-
chern verlaufen die Krümmungen gegensinnig.
malkräfte beansprucht. Entspricht die Kuppelgeometrie der Stützflä-
Die Glasmitte ist das zentrale Oberlicht bei einem ideal kreisför-
che der dreidimensionalen Analogie zur Stützlinie, entsteht in dem
migen Grundriss. Die seitlichen, umlaufenden Begrenzungen sind
System eine reine Druckbeanspruchung in Meridianrichtung. Erst bei
meist homogen. Die zusammenführende Geste definiert diesen Typus
einer Abweichung der Kuppelgeometrie von der Stützfläche, wie dies
als Versammlungsraum. Das zentrisch angelegte Pyramiden- und
bei einer Kugelschale der Fall ist, werden die Ringkräfte aktiviert. Der
Kuppeldach verweist mit seinem repräsentativen Charakter auch auf
Übergang von Ringdruck- zu Ringzugkräften in der Stützfläche, die
einen besonderen Machtanspruch. Eine antiklastische Krümmung
Bruchfuge, liegt bei einer Kugelschale bei etwa 52° Polarwinkel von
kehrt die Raumform der Kuppel um und führt zu einer extrovertierten,
der Rotationsachse. Das Ideal des Membranspannungszustands wird
öffnenden Geste.
durch große Punkt- und Einzellasten gestört, im Extremfall kann es
DAS GLASDACH: FORM, FUNKTION UND KONSTRUKTION GLÄSERNE SPANNWEITEN
27
25
26
28
27 Gewächshaus Dahlem, Mischkonstruktion, 1908, Arch.: A. Koerner 28 Kurklinik Bad Neustadt, Membran als
26 – 28 Das Glashaus als Mischtypus 26 Überschneidung von Glasband und Glasmitte, 25 Fußballstadion „Amsterdam ArenA“, 1996,
Arch.: Lamm, Weber, Donath und Partner,
Arch.: von Zanth
Ing.: W. Sobek Ingenieure
2.2
Arch.: R. Schuurman
freigeformtes“ Seilnetz, 1999,
Botanischer Garten Wilhelma Stuttgart, 1844,
zum lokalen Versagen und Durchschlagen der Kuppelfläche kommen.
Raum- und Konstruktionsform zulässt. So weist beispielsweise das
Im Auflagerbereich muss der Kuppelschub aus den Meridiankräften
Gewächshaus, das Glashaus schlechthin, je nach Grundrissorganisa-
durch eine geeignete Unterkonstruktion abgefangen werden, um eine
tion und beherbergter Pflanzenart vielfältige geometrische Formuli-
Störung des flächigen Lastabtrags zu vermeiden. [2.2/6]
erungen auf. Auch beim Bauen im Bestand können sich für das Glashaus Geo-
_
DAS GLASHAUS
Das Glashaus entspricht nach J. F. Geist dem „allseitigen, umfassenden
metrien ergeben, die in erster Linie nicht der internen Organisation, sondern städtebaulichen Zwängen des Kontextes folgen _ Abb. 28.
Oberlicht“. Die Verglasung dehnt sich im Gegensatz zu den anderen Typen auf die seitlichen Begrenzungsflächen bis zum Boden aus und bildet eine umschließende Wetterhülle. Je nach innerer Organisation kann die Geometrie des Glashauses als raumbildende Variante von Glashof, Glasband oder Glasmitte interpretiert werden. So korrespondiert der kubische Glaskörper typologisch mit dem Glashof, die GlasröhOft fließen beim Glashaus Aspekte der verschiedenen Grundtypen zusammen, so dass es als Mischtypus keine eindeutige Aussage über
31
re mit dem Glasband und die raumbildende Kuppel mit der Glasmitte.
– – – – –
3
33
FL ACHGL AS ALS BAUSTOFF
Basisglas
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN
Ziehglas
Floatglas
Gussglas
OnlineOberflächenbeschichtung
1
Kap. 3.2
Zuschnitt Kantenbearbeitung Bohren
Oberflächenbearbeitung Sandstrahlen Ätzen
Kap. 3.3
2 Biegen Veredelte Glasprodukte
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Glas Rezeptur
Emaille Beschichten Vorspannen (ESG, TVG) Kap. 3.4
Flächiges Fügen (VSG,VG)
Kap. 3.5
Oberflächenbeschichtung
1
Naturglas (Obsidian)
2
Vielfalt Glas: Handproben veredelter Flachglaserzeugnisse
3
Linienförmiges Fügen (Isolierglas) Kap. 3.6
Übersicht der Herstellungs- und Veredelungsstufen von Flachglas im Kontext der Kapitelabschnitte 3.2 bis 3.6
3.1
3
_
Neubau oder die Renovierung von Gebäudehüllen verwendet. [3.1/1]
_
Das umfangreiche Anforderungsprofil, das heute vonseiten der Bau-
_
physik, Konstruktion und Gestaltung an den Baustoff Glas gestellt wird, hat zu einer vielfältigen Produktpalette geführt. Nach Herstellung
_ _
3.1
WERKSTOFF GL AS – EIGENSCHAF TEN
und Formgebung des Basisglases – in der Regel Floatglas – schließen sich mindestens zwei Veredelungsstufen an, die den Baustoff für be-
34
stimmte funktionstechnische Aspekte wie Sonnenschutz, WärmeDer Werkstoff Glas bezeichnet ein Schmelzprodukt, das in der Natur
schutz, konstruktive oder sicherheitstechnische Aufgaben wie Split-
als erstarrte vulkanische Schmelze vorkommt und dem Mensch be-
terschutz oder rein gestalterische Aspekte wie Farbwirkung, optimie-
reits vor 5000 Jahren für die Herstellung von Schmuck und Werkstü-
ren. Bei Glasprodukten, die für großflächige Glashüllen zur Anwen-
cken diente. Im erhitzten, zähflüssigen Zustand kann Glas durch me-
dung kommen, verschmelzen diese Aspekte auf Grund eines in der
chanische Verfahren zu flächigen, stabförmigen oder kompakten
Regel übergreifenden Anforderungsprofils. Diese Gläser weisen einen
Halbzeugen geformt werden. Alle zur Verwendung im Bauwesen aus
für das jeweilige Projekt mit seinen statischen, bauphysikalischen und
dem Werkstoff Glas hergestellten Erzeugnisse, neben Profilgläsern
gestalterischen Vorgaben spezialisierten Aufbau auf. So sehr Basis-
und Glassteinen sind dies in erster Linie Flachgläser, werden als Bau-
glas ein standardisiertes Massenprodukt ist, sind die Endprodukte oft
stoffe bezeichnet. Über 70 Prozent aller Flachgläser werden für den
in Serie gefertigte Spezialanfertigungen. [3.1/2]
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN
Floatglasproduktion (Bandmaß)
In-Line Veredlung
Fremdveredler 1
Transformationsfiliale im Firmenverbund 2
Fremdveredler 2
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Transformationsfiliale im Firmenverbund 1
etc.
etc.
Endprodukt (Kundenmaß)
4 Abk. SPG
TVG
ESG
VG
Bedeutung
Glassorte
Dicke [mm]
max. Format [m x m]
3–19
3,21 x 6,00 (Bandmaß)
Spiegelglas, nicht vorgespanntes Glas
Floatglas/
(entspricht meistens Floatglas)
Spiegelglas
teilvorgespanntes Glas
ESG
6–19
2,70 x 6,00
(auch: „thermisch verfestigtes Glas“)
Hersteller A
4–15
1,67 x 7,00
Einscheibensicherheitsglas
ESG
8–19
2,80 x 6,00
(auch: „voll vorgespanntes Glas“)
Hersteller B
6–19
2,50 x 5,00
Verbundglas
TVG
4–12
Hersteller A
2,70 x 6,00
4
1,67 x 7,00
Logistische Rahmenbedingungen bei der Flachglasveredelung: Die Veredelung erfolgt entweder unmittelbar nach der Herstellung in firmeneigenen
VSG
MIG
Verbundsicherheitsglas
TVG
(VG mit Sicherheitseigenschaften)
Hersteller B
Mehrscheiben-Isolierglas
VSG
6–12
Wärmeschutzglas mit niedrigem
VSG
Emissionsgrad (von Engl.: low-emissivity)
Hersteller B
Veredelungsfilialen oder durch Unternehmen außerhalb
2,50 x 5,00 4–80
Hersteller A Low-E
2,80 x 6,00
Fremd- oder Lohnlamieren von VSG-Scheiben.
2,40 x 3,80 2,00 x 4,00
8–100
des Firmenverbundes, wie beispielsweise beim
5
2,30 x 5,40 2,40 x 5,00 6
Isolierglas
Gängige Abkürzungen und Bezeichnungen von Flachglasprodukten
bis 45
2,70 x 5,00
Übersicht durchschnittlicher Fertigungsgrößen veredelter Flachglaserzeugnisse: Die Maße sind in erster Linie produktabhängig, können aber
Hersteller A
auch von Hersteller zu Hersteller variieren.
3.1
6
sind die verschiedenen Herstellungs- und Veredelungs-
anschließen. Dazu gehört das Biegen der Scheiben, aber auch das
schritte schematisch dargestellt. Zum Großteil wird Basisglas heute
Einbrennen keramischer Farben in die Glasoberfläche. Beim ther-
durch den Floatglasprozess hergestellt, nur etwa 10 Prozent der am
mischen Vorspannen werden durch beschleunigtes Abkühlen der
Bau verwendeten Gläser im Ziehglas- oder Gussglasverfahren. Die
Scheibe im Glas künstliche Spannungen aufgebaut, die das Trag- und
Gruppe der Basisgläser wird durch Floatgläser erweitert, die direkt
Bruchverhalten in geeigneter Weise beeinflussen.
In
_ Abb. 3
nach der Formgebung im Online-Verfahren beschichtet werden. Häu-
Die Oberfläche der Scheibe kann durch physikalische und che-
fig schließen Veredelungslinien direkt an den Produktionsprozess an,
mische Prozesse mit Dünnfilmbeschichtungen (auch Funktionsbe-
ansonsten wird das Basisglas als Halbzeug an regionale, überregio-
schichtungen genannt) versehen werden, in erster Linie um optische
nale Veredler oder Transformationsfilialen innerhalb oder außerhalb
Eigenschaften wie den Licht- und Energiedurchlass zu verändern. Am
eines Firmenverbunds abgegeben
Ende der Veredelungskette steht in der Regel das flächige Fügen von
_ Abb. 4
.
Im ersten Schritt der Weiterverarbeitungskette erfährt das Basis-
zwei oder mehreren Gläsern zu Verbund- oder Verbundsicherheitsglä-
glas, das nach der Herstellung in so genannten Bandmaßen vorliegt,
sern und als letzter Schritt das Fügen von Einfach- oder Verbundglä-
einen Zuschnitt in kundenspezifische Festmaße. Weiteren mecha-
sern zu Isoliergläsern durch einen linienförmigen Randverbund ent-
nischen Bearbeitungsschritten, wie dem Bohren, dem Schleifen und
lang der Glaskanten.
Polieren der Glaskante und dem Flächenschliff oder dem Sandstrah-
Die Reihenfolge der Prozesse ist vom Veredelungsgrad und von
len der Glasoberfläche, können sich thermische Veredelungsprozesse
den logistischen Randbedingungen abhängig. Jeder Veredelungs-
35
5
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Stahl
Nadelholz
Beton
Glas
S 235
S 10
C20/25
Kalknatronglas
Brechungsindex η
–
–
–
1,5
Raumgewicht/Dichte ρ
78,5
6
22
25
21 000
1 100
2 900
7 000
[kN/m3] Elastizitätsmodul E [kN/cm2]
A
(wie Aluminium)
Zugfestigkeit f t,k
24
[kN/cm2]
(Streckgrenze)
Bruchdehnung ε in %
25
Druckfestigkeit fc,k
23,5
1,4
0,22
0,7
–
0,006 – 0,17
II 1,7 – 2,6
2
ca. 50
⊥
[kN/cm2]
4,5
0,4 – 0,6
Grenzzugspannung σRd
21,8
0,9
(~0,1)
1,2/1,8
Sicherheitsbeiwert y
yM = 1,1
yM = 1,3
1,8
2,5
Reißlänge σ/ρ
2 800
1 500
(45)
480/720
75
II 0,5
1,6
1
B
[m] Wärmeleitfähigkeit
⊥ 0,2
[W/m x K] Temperaturwechsel-
–
–
–
12 x 10 -6
II 5 x 10 -6
10 x 10 -6
40
beständigkeit ∆T [1/K] Temperaturausdehnungskoeffizient αT [1/K]
⊥ 35 x 10 -6
9 x 10 -6 60 K ≈ 0,5 mm/m C
7
Sauerstoff Silicium
8
8 Vereinfachte Darstellung des Strukturzustandes des Glases A Strukturbaustein SiO 4 -Tetraeder B Darstellung eines regelmäßigen,
7 Die Kenngrößen der verschiedenen mechanischen
kristallinen SiO2-Netzwerks
und thermischen Eigenschaften für Kalknatronglas
C Darstellung eines unregelmäßigen,
im Vergleich zu anderen spröden (Beton) und
glasigen SiO2-Netzwerks
3.1
zähen Werkstoffen (Holz und Stahl)
schritt bedarf technischer Anlagen wie beispielsweise Biege- und Vor-
lungsmethoden zusammenhängend und in ihren Wechselbeziehungen
spannöfen oder Beschichtungsanlagen, wodurch maximale Ferti-
vorgestellt, um ein tieferes Verständnis für die oft komplexen Anwen-
gungsgrößen, -gewichte und -dicken der Glaselemente vorgegeben
dungsbedingungen zu ermöglichen. Nach einer Einführung in die
werden. Solche Rahmenbedingungen sind bei dem Entwurf von Glas-
grundlegenden Eigenschaften des Materials gliedert sich das Kapitel
konstruktionen zu berücksichtigen und werden in den folgenden Un-
in die in oben skizzierten Veredelungsschritte.
terkapiteln im Detail beschrieben
_ Abb. 6
.
36
Die zeitliche und örtliche Abfolge der Veredelungsschritte ist für
FL ACHGL AS ALS KONSTRUKTIONSMATERIAL
die Herstellungskosten des Produktes ausschlaggebend. Mit zuneh-
Baugläser bestehen nahezu zu drei Vierteln aus Siliziumoxid, das in
mendem Veredelungsgrad und Größe der veredelten Produkte steigt
Form von reinem Quarzsand als Rohstoff in großer Menge auf der Erde
deren Preis in dem Maße an, wie sich die Anzahl von Anbietern redu-
vorhanden ist, und werden daher auch als Silikatgläser bezeichnet.
ziert und der Transportaufwand und das Bruchrisiko steigt. Bei spezi-
Diesem Glasbildner wird mit Natriumoxid ein Flussmittel beigemengt,
ellen Verfahren kommen oftmals nur wenige spezialisierte Unterneh-
um die Transformationstemperatur herabzusetzen und damit den ver-
men im In- und Ausland in Frage.
fahrenstechnischen Prozess zu vereinfachen, sowie Calciumoxid als
In diesem Kapitel wird Flachglas als Hüll- und Konstruktionsmate-
Stabilisator, um die chemische Beständigkeit zu erhöhen. Weitere Zu-
rial beschrieben. Die bauphysikalischen, mechanischen und optischen
schlagstoffe in der Größenordnung von weniger als einem Prozent
Eigenschaften werden abhängig von den Herstellungs- und Verede-
können beigemischt werden, um die optischen Eigenschaften des
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN
Größe der Scheibe Dauer der Beanspruchung
Glasart
umgebendes Medium (Luftfeuchtigkeit)
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Zugfestigkeit von Glas
Alter der Scheibe
9
Zug
Druck
10 Bruchfestigkeiten
Druck
Zug
Biegezug
Biegezug
[kN/cm2]
(theoretisch)
(theoretisch)
(fabrikneues Glas)
(gealtertes Glas)
Fläche 20 cm x 20 cm
70 – 90
600
4 – 17
3,8 – 7
Fläche 1 m x 1 m
70 – 90
600
2 – 7,5
1,8 – 5,5
11
9 Einflussgrößen für die (Biege-) Zugfestigkeit von Glas: Die Glasfestigkeit ist keine Konstante! 10 Spannungsquerschnitt bei beschädigter Glasoberfläche: Bei Zugbeanspruchungen entstehen infolge der Kerbwirkung Spannungsspitzen. Bei Druckbeanspruchungen werden die Kerben überdrückt, es kommt zu keinen Spannungsspitzen. 11 Vergleich der Festigkeiten für unterschiedlich
3.1
große und alte Scheiben
Glases zu beeinflussen. Beim Abkühlen des geschmolzenen Gemen-
Wertes, weil Glas ein spröder Baustoff ist, dessen Festigkeit von dem
ges geht das Glas allmählich vom flüssigen in den festen Zustand
Schädigungsgrad der Glasoberfläche abhängt
über, ohne – wie es im Normalfall bei Schmelzprodukten der Fall ist –
kein vollständig kompakter Feststoff, sondern weist eine Reihe von
ein regelmäßiges symmetrisches oder periodisches Kristallgitter aus-
mikroskopischen Unregelmäßigkeiten und Störungen im Gefüge auf.
zubilden. Aufgrund dieser nicht kristallinen (amorphen) Molekular-
Zusätzlich „sammeln“ sich im Gebrauchszustand durch Abrieb, Wind-
struktur wird Glas oft auch als unterkühlte Flüssigkeit bezeichnet. Glas
schliff oder sonstige mechanische Einwirkungen makroskopische
ist isotrop, seine Eigenschaften sind richtungsunabhängig. [3.1/3]
Schädigungen wie Kratzer und Kerben an der Glaskante und der
. So ist Glas
_ Abb. 14
Oberfläche an. Auch können durch Verformungen infolge Lastabtrag ZUG- UND DRUCKFESTIGKEIT DES SPRÖDEN BAUSTOFFES GLAS
ähnlich wie bei unbewehrtem Beton feine Mikrorisse auf der Oberflä-
Aus der Bindungsstärke der chemischen Bestandteile des Glases ergibt
che entstehen. Zugbeanspruchungen führen an solchen Kerbstellen
sich eine erstaunlich hohe theoretische Zugfestigkeit, die vor allem auf
zu Spannungsspitzen im Rissgrund und zu einer Rissausbreitung.
der hohen atomaren Bindungsenergie des SiO4-Tetraeders, Baustein
Überschreiten die Spannungsspitzen einen kritischen Wert, „bricht“
der unregelmäßigen Molekularstruktur von Glas, beruht
. In
das Glas: Der Riss breitet sich mit hoher Geschwindigkeit von Kante zu
der Literatur wird diese mit bis zu 800 kN/cm² angegeben – das ent-
Kante über die gesamte Scheibenfläche aus. Eine geforderte Resttrag-
spricht etwa dem 30-fachen der Streckgrenze von Stahl. Die praktisch
fähigkeit des gebrochenen Glases kann durch Laminieren mehrerer
vorhandene Zugfestigkeit beträgt nur etwa ein Hundertstel dieses
Einzelscheiben zu Verbundglas erreicht werden. [3.1/4, 3.1/5]
_ Abb. 11
37
_
Spannung σ [kN/cm2]
Spannung σ [kN/cm2]
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN
zul. σ
Spannung σ [kN/cm2]
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
σ Bruch σ fließen
σ Bruch (fk) zul. σ (fd)
σ Bruch
zul. σ
Dehnung ε [∆ Ι]
Dehnung ε [∆ Ι] elastischer Bereich
elastischer Bereich
GL AS 12
Dehnung ε [∆ Ι] elastischer Bereich
plastischer Bereich
STAHL
plastischer Bereich
HOL Z
13
14
12–14 Qualitativer Vergleich der SpannungsDehnungs-Diagramme von Glas, Stahl und Holz 12 Linearelastisches Verformungsverhalten von Glas: Beim Überschreiten der Bruchspannung versagt Glas ohne Vorankündigung. 13 Bis zur Fließgrenze verhält sich Stahl nahezu linearelastisch, danach „fließt“ der Stahl: Er verformt sich sichtbar im plastischen Bereich. 14 Holz weist einen elastischen und einen plastischen Verformungsbereich auf. Der Bruch des Holzes
38
3.1
kündigt sich durch Reißen und Splittern der Fasern an.
Die Zug- bzw. Biegefestigkeit des Glases spiegelt demnach die Ober-
_
flächenqualität wieder und ist keine Konstante
VERFORMUNGSVERHALTEN BEI BELASTUNG UND TEMPERATUR
. Sie steht in
Das Elastizitätsmodul von Glas ist mit 7000 kN/cm² nur etwa ein Drittel
direktem Zusammenhang zu Scheibengröße und -alter, denn je größer
so groß wie das von Stahl, aber fünfmal größer als das von Laubholz.
und älter die Scheibe, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit für einen
Der Werkstoff verformt sich bei wachsender Belastung rechtwinklig
kritischen Defekt _ Abb. 14. Die Festigkeit des Glases hängt auch von
zur Plattenebene linear-elastisch, bis er bei Überschreiten der Bruch-
der Dauer der Beanspruchung und dem umgebenden Medium ab;
dehnung schlagartig und ohne Vorankündigung auf der zugbean-
Luftfeuchtigkeit unterstützt die subkritische Rissausbreitung.
spruchten Seite bricht. Die Dehnungen ε verhalten sich bis zum Bruch
_ Abb. 12
Infolge des spröden Materialverhaltens ist die Druckfestigkeit von
proportional zu den Spannungen σ. Glas unterscheidet sich damit we-
Glas circa zehnmal höher als die (Biege-) Zugfestigkeit. Da Kerbstellen
sentlich von anderen „gutmütigen“ Konstruktionsmaterialien wie Holz
in der Scheibenebene überdrückt werden, wirken sich Störungen an
oder Stahl, die sich in einem gewissen Maße plastisch verformen kön-
der Glasoberfläche nicht festigkeitsmindernd aus _ Abb. 13. Da Druck-
nen, um Spannungsspitzen abzubauen
beanspruchungen immer auch von Querzugkräften begleitet sind,
lierte Spannungsspitzen auszuschließen, ist daher der direkte Kontakt
liegt die real vorhandene Druckfestigkeit von circa 50 kN/cm² deutlich
zwischen Glas und Glas und zwischen Glas und Metall unbedingt zu
unter dem theoretischen Wert von bis zu 90 kN/cm². Die Druckfestig-
vermeiden. Auch Zwängungsspannungen, wie sie durch Temperatur-
keit unter Dauerlast wird in der Literatur mit etwa 17 kN/cm² angege-
dehnungen entstehen, können aufgrund des fehlenden plastischen
ben. [3.1/6]
Verformungsverhaltens zum Bruch führen.
. Um unkontrol-
_ Abb. 15 – 17
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF 15
Flachglas und die vielfältigen Erscheinungsformen des Lichts: Kirchenfenster mit dichroitisch beschichtetem Glas, Sweeny Chapel Indianapolis, 1987, Arch.: JCDA
3.1
15
Der Wärmeausdehnungskoeffizient αT erfasst die relative Längendeh-
Seine Sprödigkeit, die hohe Druckfestigkeit und das elastische Verfor-
nung eines Bauteils pro Grad Temperaturerhöhung. Für das im Bau-
mungsverhalten sind für das Konstruieren mit Glas von übergeord-
wesen übliche Kalknatronglas liegt dieser bei 9 x 10 -6 und damit rund
neter Bedeutung. Die wichtigsten physikalischen Kennwerte sind in
ein Viertel unter dem Wert von Baustahl. Bei allen konstruktiven An-
_ Abb. 10
im Vergleich zu anderen Werkstoffen zusammengefasst.
Bauteildehnungen beachtet werden. Titan, das den gleichen Wärme-
FL ACHGL AS ALS HÜLLMATERIAL
ausdehnungskoeffizient wie Glas besitzt, hat daher trotz der hohen
Als amorpher Stoff weist Glas keine Phasengrenzen auf, an denen die
Materialkosten für den konstruktiven Glasbau eine besondere Bedeu-
Lichtstrahlen gebrochen werden, das Glas erscheint durchsichtig. In
tung. Auch spezielle galvanisierte Metalllegierungen können dem αT
der hohen Transparenz und der guten chemischen Beständigkeit ge-
von Glas angepasst werden.
genüber den meisten aggressiven Medien wie Säuren und Salzen liegt
Die Temperaturdifferenz ∆T, die ein Bauelement aufnehmen kann,
seine herausragende Bedeutung als Hüllmaterial. Lediglich silizium-
ohne zu brechen – auch Temperaturgradientenbeständigkeit TGF ge-
oxidlösende Flusssäure greift die Glasoberfläche an. Allerdings kön-
nannt –, ist bei Bauglas gering. Für nicht vorgespanntes Kalknatron-
nen auch basische wässrige Lösungen, die sich beispielsweise bei
glas weist sie nur circa 40 Kelvin auf. Die TGF von Borosilikatglas ist
Auswaschungen aus angrenzenden Bauwerksteilen aus Beton oder
wegen der geringeren Wärmedehnung mehr als doppelt so hoch.
Kalkstein oder durch andauernde Kondensation stehenden Wassers
Auch das Vorspannen der Gläser erhöht die TGF.
auf der Glasfläche bilden, langfristig zum Erblinden der Glasoberfläche
39
schlüssen und Verbundkonstruktionen müssen die unterschiedlichen
UV
IR
sichtbar
Relative energetische Intensität
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
100%
50%
0 0
1000
2000 Wellenlänge λ [nm]
16
18 Sonneneinstrahlung 100%
Gesamte Sonneneinstrahlung direkte Transmission 85%
Lichttransmission τl Transmission τe
Reflexion + Reflexion
7% sekundäre Wärmeabgabe nach außen qa
87% 13 % 2%
6% Sekundärabstrahlung und Konvektion
Sekundärabstrahlung und Konvektion
17
sekundäre Wärmeabgabe nach innen qi = Gesamtenergietransmission/g-Wert
19
20
18, 19 Strahlungsanteile von Transmission, Reflexion 16
Farbglas Artista, Landeszentralbank Sachsen
und Absorption addieren sich zu 100%
und Thüringen in Meiningen, Arch.: H. Kollhoff,
des einfallenden Lichtes.
Kunstverglasung: H. Federle
Der g-Wert ist die Summe der direkt durchgelassenen Strahlungsanteile und der
20
Treibhauseffekt: Durch die Verglasung gelangt mit dem
Schematische Darstellung des Sonnenspektrums,
sekundären Wärmeangabe qi der Verglasung
sichtbaren Licht kurzwellige Strahlung in den Innenraum,
das einen Wellenlängenbereich von ca. 280
infolge Wärmestrahlung, Wärmeleitung
wo sie absorbiert wird. Die entstehende langwellige
nm (UV) bis 3500 nm (IR) umfasst.
und Konvektion.
IR-Strahlung wird von der Scheibe absorbiert.
3.1
17
führen. Neben den optischen Eigenschaften des Glases sollen im Fol-
absorbierten Strahlung ist von der der Scheibendicke abhängig. Eine
genden auch die thermischen und akustischen Eigenschaften ange-
Beeinträchtigung von Transparenz, die meist als sehr störend empfun-
sprochen werden, soweit sie für die Verwendung der gläsernen Schei-
den wird, beruht auf der Reflexion des auftreffenden Lichts auf der
be als Raumabschluss von Bedeutung sind.
Glasscheibe. Zwischen Luft und Glas beträgt das Reflexionsvermögen bei senkrechtem Einfall je 4 Prozent auf der Vorder- und der Rücksei-
_ TRANSMISSION,
REFLEXION UND ABSORPTION
rischer Schichten kann die Reflexion für eine bestimmte Wellenlänge
auf die Glasoberfläche auftrifft, wird reflektiert und ein anderer Anteil
des Lichts durch destruktive Interferenz nahezu vollständig ausge-
durch die Einfärbung des Glases absorbiert. In der Vielfalt und wech-
schaltet werden. Bei Wärme- oder Sonnenschutzgläsern kann so das
selseitigen Abhängigkeit dieser optischen Phänomene liegt die einzig-
Reflexionsverhalten von Glas im UV- oder IR-Wellenbereich gezielt be-
artige Faszination des Baustoffes Glas begründet _ Abb. 18.
einflusst werden. Zwischen den Maßzahlen für Transmissionsgrad τ,
Während das Transmissionsvermögen (oder der Transmissionsgrad) angibt, welcher Teil der auftreffenden Strahlung ohne größere
40
te, also 8 Prozent insgesamt. Durch das Aufbringen dünner dielekt-
Glas ist nicht ausschließlich transparent – ein Teil der Strahlung, die
Reflexionsgrad ρ und Absorptionsgrad α besteht eine einfache Bilanz, welche die Erhaltung der Strahlungsenergie ausdrückt: τ+ρ+α=1.
Aufstreuung eine Scheibe durchtritt, beschreibt Absorption eine Ei-
Im Bereich des sichtbaren Lichtes, bei dem das Sonnenspektrum
genschaft des Materials, einmal eingedrungene Strahlung in andere
mit einem Anteil von über 50 Prozent an der Gesamtstrahlung die
Energieformen – größtenteils in Wärme – umzusetzen. Der Anteil der
höchste Intensität
_ Abb. 19
hat, weist Glas eine sehr hohe Transmis-
Reflexion Absorption
Transmission Wellenlänge [nm]
23
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN
21
Lichtdurchlässigkeit/Reflexion
Wellenlänge [nm]
Transmission und Absorption [%]
Lichttransmission
Lichtreflexion Einfallswinkel des Lichts
24
Sichtbares Licht [%]
Gesamtstrahlung[%]
Stärke [mm]
Durchlässigkeit [τv] Reflexion [ρv]
Absorption [αv]
Durchlässigkeit [τe]
Reflexion [ρe]
Absorption [αe]
2
91
8
1
87
8
5
3
91
8
1
84
7
9
4
90
8
2
82
7
11
5
90
8
2
80
7
13
6
89
8
3
78
7
15
8
89
8
3
74
7
19
10
88
8
4
71
7
22
12
86
8
6
66
6
28
15
83
8
9
62
6
32
22
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Transmission τ [%]
Weißes Klarglas Floatglas
25
23 21
Spektrale Transmission von Weiß- und Floatglas
22
Übersicht der optischen Kennwerte bezogen auf das
Spektrale Transmission von Grünglas, das sich aufgrund eines ausgeprägten Absorptionsverhaltens im IR-Bereich als Sonnenschutzglas eignet.
sichtbare Licht (Index v) und die Gesamtstrahlung
24
Lichttransmissions- und Reflexionskurve für verschiedene Einfallswinkel
25
Totalreflexion bei flachem Betrachtungswinkel, Finnischer Pavillon, Expo 2000
3.1
(Index e) für Floatglas verschiedener Stärken
sion auf. Ultraviolett (UV)-Strahlungen unterhalb von 320 Nanome-
strahlung (τe, ρe, αe mit Index e für energy) bezogen
_ Abb. 24
. Darü-
tern und langwellige Infrarot (IR)-Strahlung oberhalb von 3000 Nano-
ber hinaus ist für Verglasungen der Gesamtenergiedurchlassgrad g von
metern werden fast vollständig absorbiert. Auf dem Sachverhalt unter-
Bedeutung. Dieser setzt sich neben dem direkt durchgelassenen
schiedlicher Durchlässigkeiten für verschiedene Wellenlängen beruht
Strahlungsanteil des gesamten Sonnenspektrums auch aus der se-
auch der für gläserne Raumbegrenzungen wichtige Treibhauseffekt:
kundären Wärmeabgabe der Verglasung infolge Wärmestrahlung und
Die vom Glas durchgelassene sichtbare und kurzwellige Strahlung
Konvektion zusammen. Das Verhältnis von τ zu g wird als Selektiv-
wandelt sich im Innenraum in langwellige Wärmestrahlung um, die
kennzahl S bezeichnet, dabei entspricht ein Wert von S = 2 der physi-
von der Verglasung absorbiert wird und über Strahlung oder Konvekti-
kalischen Grenze, da das sichtbare Licht etwa die Hälfte der gesamten
on wieder an den Innenraum abgegeben wird. Die Verglasung wird zur
Energie des Sonnenspektrums ausmacht. Das heißt, dass durch eine
„Wärmefalle“
selektive Verglasung, die ausschließlich sichtbares Licht durchlässt,
_ Abb. 23
. [3.1/7, 3.1/8]
Die Strahlungsbilanz für einen bestimmten Bereich des Sonnen-
immer noch die Hälfte der gesamten Strahlungsenergie in den Innen-
spektrums ist also abhängig sowohl von der Zusammensetzung, Dicke
raum gelangt. Mit anderen Worten: Um einer Aufheizung entgegenzu-
und Oberflächenbeschaffenheit des Glases als auch von dem vorherr-
wirken, muss auch der Tageslichtgewinn reduziert werden. [ 3.1/9]
te werden in der Regel entweder auf den Bereich des sichtbaren Lichtes (τv ρv und αv mit dem Index v für visible) oder auf die Gesamt-
41
schenden Einfallswinkel der Strahlung. Diese charakteristischen Wer-
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
ki ki
θ1 Luft n = 1,0 Glas n´ = 1,5
θ1 θ2
kt
Snellius‘sches Brechungsgesetz
Luft n = 1,0 Glas n´ = 1,5
θ1‘ θ1
Luft n = 1,0 Glas n´ = 1,5
Totalreflexion
Reflexionsgesetz
26
Quelle
28
Material
Brechungsindex n
Luft
1,00
Wasser
1,33
Plexiglas
1,49
Kalknatronglas
1,52
Bleikristallglas
1,60
Diamant
2,42
27
θ2
kr
30
Glas n´ = 1,5 Luft n = 1,0
29
31
30 26
An den Grenzflächen transparenter Materialien mit unterschiedlichen Brechungsindizes wird das
kritischer Winkel θ1´ = 41,8°
Totalreflexion: Bei schräg einfallendem Licht erhöht sich der Prozentsatz des reflektierten Lichtes (s. auch
28
Reflexionsgesetz: Der Ausfallswinkel der reflektierten
Abb. 27). Ab einem kritischen Winkel (41,8° für Glas)
durchgelassene Licht nach dem Snellius’schen
Strahlungsanteile ist gleich dem Einfallswinkel:
tritt beim Übergang vom optisch dichteren (Glas) zum
Brechungsgesetz gebrochen: n sinθ1 = n’ sinθ2.
θ1 (Einfallswinkel) = θ1’(Reflexionswinkel).
optisch dünneren Medium (Luft) eine Totalreflexion auf, und die Strahlen werden vollständig reflektiert.
27
Brechungsindizes n für verschiedene
Lichtbrechung, -reflexion und -absorption an einem Randstück eines Floatglasbandes
31
Strahlenbrechung und Spektralverteilung am Prisma
3.1
transparente Materialien
29
42
_ STRAHLUNGSBILANZ
IN ABHÄNGIGKEIT ZU
transmission ist so gut wie unabhängig von der Glasdicke. Bei einer
GLASDICKE, -ZUSAMMENSETZUNG, EINFALLSWINKEL UND
Staffelung stark absorbierender Scheiben (z. B. in einem Mehrschei-
OBERFLÄCHENBESCHAFFENHEIT
ben-Isolierglas) ist zu beachten, dass sich die resultierende Transmis-
Bei einem 4 Millimeter dicken Kalknatronglas werden etwa 90 Prozent
sion als Produkt der Transmissionsvermögen der Einzelscheiben er-
des sichtbaren Lichtes durchgelassen, 8 Prozent reflektiert und 2 Pro-
gibt. Nur bei schwacher Absorption der Einzelgläser lassen sich die
zent absorbiert. Die Absorption beruht auf Verunreinigungen der Glas-
Absorptionsvermögen annähernd addieren.
masse durch Eisenoxid (circa 0,1 Prozent), das zu der Absorption von
Die spiegelnde Reflexion ist eine Eigenschaft der Grenzschicht
rotem Licht und damit zu der grünlichen Eigenfärbung führt. Durch
zwischen zwei lichtdurchlässigen Medien. Der Reflexions- und damit
kontrollierten Zusatz anderer Metalloxide kann die Glasfärbung ge-
auch der Transmissionsgrad ändern sich mit dem Einfallswinkel. Je
steuert werden, wodurch die Absorption auf Kosten der Transmission
flacher das Licht zur Scheibenebene steht, desto mehr nimmt die
zunimmt. Ein grau eingefärbtes Glas lässt beispielsweise im Vergleich
Spiegelung zu. Zusätzlich verstärkt sich mit einem flacher werdenden
zu einem klaren Floatglas nur etwa die Hälfte des Lichtes durch. Mit
Einfallswinkel die Lichtbrechung: Es tritt eine zunehmende Richtungs-
wachsender Glasdicke nimmt der Anteil absorbierter Strahlung und
änderung der durchgelassenen Strahlen an den Grenzflächen zwi-
damit die Erwärmung des Glases zu. Durch die Verwendung von sehr
schen Glas und Luft auf. Ab einem bestimmten kritischen Einfallswin-
reinem Siliziumoxid bei der Herstellung von Weißglas verringert sich
kel kommt es zur Totalreflexion an der strahlungszugewandten Seite
dagegen die Absorption – das Glas erscheint farblos, und die Licht-
– die auftreffenden Strahlen werden nicht mehr gebrochen, sondern
38
33
36
39
34
37
40
34
32, 35, 38 Transmissionsarten
35 Gemischte Transmission von direkter und diffuser Strahlung an strukturierter Oberfläche
33, 36, 39 Reflexionsarten 33 Spiegelnde Reflexion an idealer Oberfläche
37
Die strukturierte Oberfläche eines Gussglases
40
Die raue Oberfläche eines sandgestrahlten Glases
36 Gemischte Reflexion an strukturierter Oberfläche 37 Diffuse Reflexion an rauer Oberfläche
3.1
38 Lichtstreuung bei rauer Oberfläche
Die feuerpolierte, nahezu vollkommen glatte Floatglasoberfläche
32 Transmission direkter Strahlung an idealer, glatter Oberfläche
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN
35
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
32
vollständig reflektiert. Dieser Effekt, der auf den unterschiedlichen
erkennen ist. Die Durchlässigkeit von diffusem Licht wird als Translu-
Dichten und Brechungsindizes optischer Materialien beruht, kann in
zenz bezeichnet. Neben der Strukturierung der Glasoberfläche durch
Bezug auf den Lichtdurchgang bei planparallelen Flachgläsern ver-
Ätzung oder Flächenschliff kann der direkte Strahlungsdurchgang
nachlässigt werden, da die Winkeländerung beim Lichtaustritt an der
auch durch Trübung der Glasmasse (Milchglas) reduziert werden.
gegenüberliegenden Oberfläche aufgehoben wird. Bei nichtparallelen
Umgekehrt sind bei der feuerpolierten, „glasklaren“ Oberfläche von
Oberflächen kann durch Mehrfachbrechung allerdings ein Prismenef-
Float- oder Ziehglas die Streulichtanteile extrem gering, und der ganz
fekt entstehen, so dass das Licht in seine Spektralfarben zerlegt wird
überwiegende Teil der auffallenden Lichtstrahlen folgt dem Reflexi-
_ Abb. 33
. [3.1/10]
Die Oberflächenbeschaffenheit beeinflusst weniger die Strahlungs-
onsgesetz. Sie treten unter dem gleichen Winkel gegenüber der Senkrechten zur Scheibenebene aus, unter dem sie eingefallen sind.
bilanz als vielmehr das Verhältnis von direktem, quasiparallelem Licht und indirektem oder diffusem Streulicht in Bezug auf Transmission
_ THERMISCHE
und Reflexion. Mit zunehmender Rauheit oder Strukturierung der
Da Glas eine relativ hohe Wärmeleitfähigkeit hat, ist es nur durch den
Oberfläche wird das gerichtete Licht bei der Transmission aufgestreut,
mehrschichtigen Aufbau eines Isolierglases und einer zwischen den
und die spiegelnde Reflexion nimmt zugunsten der diffusen Reflexion
Glasebenen eingeschlossenen Dämmschicht aus Füllgas möglich,
ab. Sowohl das Bild in der Durchsicht als auch das Spiegelbild ver-
den Wärmedurchgangskoeffizient (U-Wert) auf das Niveau moderner
schwimmen, bis es nur noch schemenhaft auf der Glasoberfläche zu
Wärmeschutzanforderungen zu senken. Auch in Bezug auf Brand-
43
UND AKUSTISCHE EIGENSCHAFTEN
Raumab-
Raumab-
schluss
schluss mit
schluss mit
(feuerwider-
reduzierter
therm. Isolation
standsfähig)
Hitzeab-
(feuerhemmend,
strahlung
feuerbeständig)
DIN
G 30
4102
G 120
–
F 30 F 120
EN ISO
E 15-
EW 30-
E| 15-
12543
E 240
EW 60
E| 240
41
Schalldämmmaß RW [dB]
WERKSTOFF GLAS – EIGENSCHAFTEN FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Raumab-
2 40
1
30
20 2
3
4
5
6 7 8
10
14
20
Scheibendicke [mm] 42
41
Klassifizierung der Brandschutzklasse nach deutscher und europäischer Normung
42
Schalldämmmaß in Abhängigkeit von der Scheibendicke 1 Einfachglas
3.1
2 Verbundglas
schutzanforderungen ist das unveredelte Glas als Raumabschluss kri-
Wellenlängen abhängig. An der harten und ebenen Glasoberfläche
tisch. Glas ist zwar nicht brennbar und trägt damit nicht zur Brandlast
werden Schallwellen im oberen Frequenzbereich zurückgeworfen,
bei, aber aufgrund der geringen Temperaturgradientenbeständigkeit
was zur akustischen Beeinträchtigung der Umgebung führen kann.
kann es bereits bei Kontakt mit heißen Brandgasen brechen und des-
Durch Strukturierung der Glasoberfläche reduziert sich die direkte Re-
halb keinen sicheren Raumabschluss gegen einen Flammen- und
flexion. Die Schallabsorption, von der wesentlich das Schalldämmmaß
Brandgasdurchtritt gewährleisten. Durch die Verwendung von vorge-
abhängt, kann durch größere Scheibendicken und einen mehrschich-
spanntem Borosilikatglas, das eine geringere Wärmeausdehnung be-
tigen Verbundglasaufbau gesteigert werden.
sitzt, kann die Standzeit beträchtlich gesteigert werden. Transparente Glaskeramik, die sich durch eine Teilkristallisation des Gefüges von Glas unterscheidet, besitzt aufgrund einer sehr geringen Wärmeausdehnung dagegen eine ausgezeichnete thermische Beständigkeit und wird als Brandschutzglas verwendet. Die Transmission von Wärmestrahlung kann durch Verbundgläser mit Brandschutzschichten einge-
44
schränkt werden. [3.1/11] Die wellenförmige Ausbreitung von Schall ist vergleichbar mit der von Licht. Reflexion und Absorption von Schallwellen sind von deren
Manganoxid Nickeloxid
blau
Kupfer(II)oxid Kobalt(II)oxid
grün
Eisen(II)oxid Chrom(II)oxid Kobalt(III)oxid
gelb
Chrom(VI)oxid Wolframoxid
gelb-braun braun
Eisen(III)oxid Eisen(III)oxid Nickeloxid Manganoxid
rot
1
Kupfer(I)oxid
3
BASISGLAS – FLOATGLAS, WALZGLAS UND ZIEHGLAS
violett
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Färbung mit Metalloxiden
1 Einbringung des Gemenges in die Schmelzwanne 2 Floatglasanlage in Köln-Porz, Deutschland Links unten im Bild das Gemengehaus und der Schmelzofen 3 Farbspektrum zur Ionenfärbung von Glas durch beigemischte Metalloxide
3.2
2
_
_ GLASREZEPTUR
_
Im Bauwesen werden überwiegend Kalknatrongläser verwendet, wäh-
_
rend Borosilikatgläser in wesentlich kleinerem Umfang für Brandschutzverglasungen hergestellt werden. Durch Verwendung besonders
_ _
3.2
BASISGL AS – FLOATGL AS, WAL ZGL AS UND ZIEHGL AS
eisenoxidarmen Siliziumoxids wird farbloses oder „weißes“ Kalknatronglas mit sehr geringer Absorption und entsprechend hoher, von der
Basisgläser unterscheiden sich je nach Rezeptur und Herstellungsver-
Die Mehrkosten betragen je nach Glasdicke 15 bis 25 Prozent. Durch
fahren bezüglich Fertigungsgrößen und Eigenschaften. Nach der che-
den Zusatz von Farbbildnern (Anlauffärbung) oder Metalloxiden (Io-
mischen Zusammensetzung unterscheidet man Kalknatron- und Bo-
nenfärbung) kann die spektrale Durchlässigkeit und damit die Glasfar-
rosilikatgläser oder Weiß- und Farbgläser. Flachglas wird im Floatglas-,
be gezielt gestaltet werden _ Abb. 3. Die Zusätze betragen weniger als
Walzglas- und Ziehglasverfahren hergestellt, wobei Floatglas heute
0,5 Prozent des Gemenges. Metalloxide erzeugen ein weites Farb-
über 90 Prozent der Flachglasproduktion ausmacht und das wichtigs-
spektrum. Edelmetalle, Metallsulfide und -selenide führen abhängig
te Basisglas darstellt. Im Folgenden werden die Basisprodukte und
vom Prozess zu Anlauffärbungen in Gelb- und Rottönen. Die Farbtöne
ihre Bedeutung für Hülle und Konstruktion vorgestellt.
massegefärbter Gläser können sich nach Charge unterscheiden, so dass die Einlagerung von Ersatzscheiben empfehlenswert ist. [3.2/1]
45
Glasdicke praktisch unabhängiger Tageslichttransmission hergestellt.
BASISGLAS – FLOATGLAS, WALZGLAS UND ZIEHGLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
4
6
4 Das Gussglasband bei der Formgebung durch ein Walzenpaar 5 Auf Bandmaß geschnittene Floatglastafeln nach Formgebung und optischer Kontrolle
3.2
6 Blick in den Ziehschacht beim Fourcault-Verfahren 5
HERSTELLUNGSVERFAHREN
geschnitten. In sehr begrenztem Maß werden für den Glasmarkt Über-
_ FLOATGLAS
längen produziert. Einige Glaswerke produzieren für außergewöhn-
Die Floatglasherstellung beruht auf einem von Alastair Pilkington ent-
liche Anwendungen einmal pro Jahr Scheiben mit 12 Metern Länge,
wickelten Verfahren. Das Kernstück der Anlage bildet das ungefähr
dabei handelt es sich in der Regel um Weißglasscheiben.
50 Meter lange Zinnbad, auf das bei 1100 °C die flüssige Glasschmel-
Die Möglichkeiten zur Modifizierung der Glasmasse sind aufgrund
ze aus der Schmelzwanne fließt und bis zur Erhärtung bei ungefähr
der Massenproduktion begrenzt. Neben Weißglas wird Farbglas nur in
600 °C „schwimmt“.
Bronze bis zu einer Dicke von 12 Millimeter und in Grau, Rosa und
Die Glaserzeugung wird heute von Unternehmensgruppen mit
Grün bis 10 Millimeter hergestellt. Borosilikatglas wird in Jena von der
einem weltweiten Netz an Floatglasanlagen abgewickelt. Ein Produkti-
Schott AG in einer Mikro-Floatanlage in Dicken bis 21 Millimeter in
onsstandort kann pro Tag bis zu 750 Tonnen (circa 50 000 m²) Glas
maximalen Tafelgrößen von 2,30 m x 3 m hergestellt.
46
produzieren. Die vier führenden Glashersteller der Welt Nipon Sheet Glass (die im Jahr 2005 Pilkington erwarben), Asahi, Saint-Gobain
_
und Guardian bestreiten etwa zwei Drittel der Weltproduktion an hoch-
Die Herstellung von Walzglas erfolgt nach dem Prinzip der „überlau-
wertigem Floatglas (circa 25 Mio. Tonnen).
fenden Wanne“: Aus der Schmelze wird kontinuierlich durch ein Paar
WALZGLAS
Floatglas wird in Dicken von 2 bis gewöhnlich 19 Millimetern her-
formgebender Walzen mit strukturierten Oberflächen ein Glasband
gestellt und nach dem Kühlvorgang in Bandmaße von 3,21 m x 6 m
abgezogen und anschließend gekühlt und geschnitten. Das mit einer
Opt. Eigenschaften
Bandmaße [cm]
Stärke [mm]
Floatglas
glatt, transparent
max. 321 x 600
2; 3; 4; 5; 6
±0,2
Massenprodukt,
Überlängen in 50 cm
8; 10; 12
±0,3
hohe Qualität,
Schritten (Aufpreis)
Gussglas
Vorteile
15
±0,5
exakte Fertigung
19; (25)
±1,0
(genaue Dicken)
Borosilikatglas:
3,8; 5; 5,5; 6,5
±0,2
max. 230 x 300
7,5; 8; 9; 11
±0,3
(Dicken 5,5 – 9 mm)
13; 15
±0,3
16; 17; 18; 19
±0,5
20; 21
±1,0
glatt/strukturiert,
max. 250 x 450
3; 4; 5; 6
±0,5
Große Auswahl an
lichtstreuend,
(produktabhängig)
8
±0,8
Farben und
10; 13; 15
±1,0
Ornamenten auch in
lichtlenkend
Kleinserien
Ziehglas
glatt/strukturiert,
max. 170 x 240
< 1,8 (Dünnglas)
leichte Ziehwellen
(produktabhängig)
> 19 (Dickglas)
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Drahtglas: 7; 9
Fertigung von Spezialgläsern, große Auswahl an Farben
Abweichungen von mehreren cm möglich
2; 3; 4
±0,2
5; 6
±0,3
8
±0,4
10
±0,5
12
±0,6
BASISGLAS – FLOATGLAS, WALZGLAS UND ZIEHGLAS
Glassorte
7
Abmessungen [cm x cm]
Farbglas Imera
2,75 ± 0,25
160 (2,5) x 150 (+10/-20)
Überfangglas Opalika
2,1 – 2,7 … 5,0 – 6,0
140 x 160
6 ± 0,25 3,5 bis 36
240 x 170 100 x 60 bis 210 x 103
Borosilikatglases entsprechen dem von der Firma Schott hergestellten „Borofloat 33“.
Bleiglas „RD 30“ „RD 50“
8 Fertigungsgrößen einiger im Ziehverfahren hergestellter Spezialgläser der Schott AG
240 x 160
8
Kapazität von 300 Tonnen pro Tag größte Gussglaswerk Europas be-
_ ZIEHGLAS
findet sich in Mannheim
Spezial-Flachgläser mit besonderen Glasrezepturen werden aufgrund
_ Abb. 4
.
Wegen der ein- oder beidseitig ornamentierten Oberfläche wird Walz-
der kürzeren Umrüstzeiten im Ziehglasverfahren vor allem von der
glas auch als Ornamentglas bezeichnet. Bei der Herstellung von Draht-
Schott AG in Grünenplan hergestellt. Das Ziehglasverfahren wurde An-
glas wird beim Walzvorgang eine Drahtnetzeinlage in das flüssige Glas
fang des 20. Jahrhunderts entwickelt, in verbesserter Form kommt
eingezogen. Eine Vielzahl von Mustern – zum Teil mit Drahteinlage –
das nach seinem Erfinder benannte Fourcault-Verfahren heute noch
steht zur Verfügung, aber auch kundenspezifische Muster sind mög-
zur Anwendung. Das brutto circa 1,90 Meter breite Glasband wird
lich, wenn ein entsprechender Kosten- und Zeitrahmen für die Anfer-
kontinuierlich über eine Ziehdüse vertikal aus der Schmelze gezogen
tigung der Walzen vorhanden ist. Neben Weißglas sind 30 verschie-
und über Rollen im Ziehschacht nach oben transportiert, so dass es
dene Braun-, Gelb-, Grau-, Violett- und Blautöne erhältlich.
spannungsfrei abkühlen kann _ Abb. 6.
Das Bandmaß beträgt maximal 2,50 m x 4,50 m, je nach Produkt
Im Ziehglasverfahren werden heute Farbglas in über 30 verschie-
und Glasdicke treten Abstufungen auf. Die üblichen Dicken betragen
denen Grundfarben, Weißglas, Dünn- (bis 1,8 mm) und Dickglas (über
4, 5, 6, 8 und 10 Millimeter, aber auch Dicken von 13, 15 und 19 Mil-
19 mm), ferner auch Überfanggläser (oder Zweischichtengläser) her-
limeter werden produziert. Drahtglas wird in ähnlichen Tafelgrößen mit
gestellt, dabei wird ein farbloses Grundglas mit einer dünnen Schicht
den Dicken 7 und 9 Millimeter hergestellt. Gussgläser weisen mit bis
farbigen oder milchigen Glases (Milchüberfangglas, z.B. Opalika)
zu ±10 Prozent große Dickentoleranzen auf.
überzogen. Die Tafelbreiten von Spezialgläsern betragen zwischen
3.2
– die Kenndaten des im Floatverfahren hergestellten
Stärke [mm]
47
7 Fertigungsgrößen und -merkmale von Basisgläsern
Produkt
BASISGLAS – FLOATGLAS, WALZGLAS UND ZIEHGLAS
11
13
10
12
14
11 Bruchbild Drahtglas
13 Maschinengezogenes Milchüberfangglas (Opalika)
12 Strukturierte Ornamentglasoberfläche
14 Ziehwellen beeinträchtigen die verzerrungsfreie
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
9
9 Bruchbild Floatglas 10 In Überlängen hergestelltes Floatglas: Schaufensterscheibe mit einer Länge von ca. 8 m, New York
Durchsicht von Ziehglas.
3.2
mit Drahtglaseinlage
140 und 170, die Tafellängen zwischen 100 (bei 2 mm Dicke) und
BEDEUTUNG FÜR DIE R AUMHÜLLE
240 Zentimeter (bei 8 mm Dicke)
Die die hochwertige optische Qualität von Floatglas ist konkurrenzlos,
_ Abb. 8
. [3.2/2, 3.2/3, 3.2/4]
so dass es als Basisglas für alle Veredelungsstufen dient und in allen BEDEUTUNG FÜR DAS KONSTRUIEREN
Bereichen der Gebäudehülle verwendet wird. Walzgläser sind zwar
Für konstruktive Anwendungen kommen aufgrund der hohen Maß-
plan und lichtdurchlässig, aber nicht transparent. Sie werden vor allem
genauigkeit und geometrischen Exaktheit nur Floatgläser in Betracht,
als Sichtschutz im Innenraum eingesetzt. Durch die Kombination von
die entsprechend weiterverarbeitet werden. Aufgrund der geringeren
Farben und Ornamenten ermöglichen Gussgläser vielfältige optische
Oberflächenqualität ist die Festigkeit von Walzglas nur etwa halb
Effekte. Sie kommen zunehmend in Fassadenbekleidungen zur An-
so hoch wie die von Float- oder Ziehglas. Alle Basisgläser brechen
wendung. [3.2/5] Charakteristisch für Ziehglas sind die durch das Her-
in radial vom Bruchzentrum ausgehenden spitzwinkligen Schollen
stellungsverfahren verursachten Unebenheiten in der Oberfläche, die
_ Abb. 9
. Von allen Basisgläsern weist Drahtglas die geringsten me-
so genannten Ziehwellen
_ Abb. 14
chanischen und thermischen Festigkeiten auf, die Temperaturwech-
nen Umfang für spezielle lichttechnische Anwendungen zum Einsatz.
selbeständigkeit beträgt nur circa 20 Kelvin.
Milchüberfanggläser finden aufgrund ihres diffusen Lichts vor allem bei Lichtdecken Verwendung
48
. Ziehgläser kommen nur im klei-
_ Abb. 13
. Durch kürzere Umrüstzeiten
kann eine große Vielfalt von Gläsern hergestellt werden.
ISO
12.5° - 20° 33 mm Rückschritt
> 12.5° 65 mm Rückschritt 1
3
4
min. 30°
1 schräge Kante
Rechtwinkliges Dreieck
Vieleck
Dreieck
30% Aufschlag
30% Aufschlag
50% Aufschlag
50% Aufschlag
Radius min. 10 cm
DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS
0°- 20° 20 mm Rückschritt
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
VSG
Ø min. 50 cm max. 200 cm
1 Glastafeln im Bandmaß vor dem Zuschnitt 2 Preisaufschläge für Formschnitte
Parallelogramm
Trapez
3 und 4 Rundecken
Kreis/Kreisausschnitt
40% Aufschlag
40% Aufschlag
60% Aufschlag
80% Aufschlag
3 Optische Kontrolle vor dem Schneiden 4 Notwendige Rückschnitte bei Dreiecksscheiben
3.3
2
_
_ VERFAHREN
_
Das Schneiden, Bohren und Kantenschleifen erfolgt heute weitgehend
_
mit CNC-gesteuerten Anlagen in „Bearbeitungszentren“, die mehrere Bearbeitungsschritte kombinieren können. Moderne Anlagen können
_ _
3.3
Scheiben bis zur Bandmaßgröße und einer Dicke von 19 Millimeter
DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GL AS –
bei einem maximalen Scheibengewicht von 500 oder sogar 1000 Ki-
SCHNEIDEN, BOHREN UND SCHLEIFEN
logramm bearbeiten.
Die mechanische Bearbeitung des spröden Werkstoffes erfolgt mit
mit Diamanten bestückten Schneidearm, der ganze, halbe oder viertel
Vielkorn-Werkzeugen (Diamant- oder Korundkorn). Man unterschei-
Bandmaße mit einer Schnittgenauigkeiten von bis zu 0,1 Millimeter in
det Schneiden und Trennen, Bohren, Kanten- und Flächenschleifen.
Festmaße auftrennt. Der zero-cut von Scheiben in Bandmaß stellt den
Die mechanische Bearbeitung erfolgt in der Regel vor allen weiteren
ersten Verarbeitungsschritt dar, bei dem seitlich an jeder Kante zwi-
Veredelungsschritten, vorgespannte Gläser können nachträglich nur
schen 5 und 10 Zentimeter abgeschnitten werden, um die Rechtwink-
noch oberflächlich mechanisch bearbeitet werden. Das Biegen von
ligkeit der Scheibe sicherzustellen. Verbundglas-Schneideanlagen er-
Glas im kalten Zustand nimmt bei den mechanischen Bearbeitungs-
möglichen das Schneiden laminierter Gläser bis 2 x 8 mm Dicke. Im
prozessen eine Sonderrolle ein.
Vergleich zu Rechteckscheiben ist der Formschnitt von Modellschei-
49
Der Zuschnitt aller Glasarten erfolgt vollautomatisch durch einen
2 mm
DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
45° ± 2° Gehrungskante
Flachfacette
halbrunde Kante
flachrunde Kante 5
6 Benennung
Beschreibung
geschnitten
Die geschnittene, unbearbeitete
Schematische Darstellung
Glaskante mit scharfkantigen Rändern, quer zu den Rändern weist die Kante leichte Wellenlinien (Wallnerlinien) auf. gesäumt
Schnittkanten, deren Ränder mit einem Schleifwerkzeug gebrochen bzw. gefast sind (Abmessungen Fase nicht einheitlich geregelt)
maßgeschliffen
Die Glasscheibe wird durch Schleifen der
(justiert)
Kantenoberfläche auf das erforderliche Maß gebracht. Die Kante kann sowohl geschnitten als auch gesäumt sein.
geschliffen
Die Kantenoberfläche ist durch Schleifen
(feinjustiert)
ganzflächig bearbeitet. Die Kante kann sowohl geschnitten als auch gesäumt sein.
5 Kantenformen
poliert
Die polierte Kante ist eine durch Überpolieren verfeinerte geschliffene Kante. Polierspuren
6 Innenausschnitte im Abrasivwasserstrahlschneide-
in gewissem Umfang sind zulässig.
verfahren (Flow Europe) 7
50
3.3
7 Kantenausführungen nach DIN 1249-11
ben mit einer oder mehreren schrägen Kanten oder Kreisausschnitten
Das Schleifen und Polieren geschnittener Glaskanten erfolgt mit auf
aufgrund der geringeren Schnittgeschwindigkeit und des in der Regel
Metallwerkzeugen gebundenem Korund- oder Diamantkorn. Die Bear-
größeren Materialverschnitts 30 bis 100 Prozent teurer
.
beitung kann mehre Arbeitsschritte mit abnehmender Korngröße um-
Spitzwinklige Schnitte sind technisch möglich, allerdings sollten ent-
fassen, um eine gewünschte optische und mechanische Qualität der
sprechende Rückschnitte vorgesehen werden, um ein späteres Ab-
Kanten zu erzielen. Der erste Schritt ist das Säumen oder Anfassen
brechen der Spitzen während des Transports oder der Montage zu
der Schnittkanten. Beim nachfolgenden Justieren wird die Scheibe auf
verhindern _ Abb. 4. [3.3/1]
das erforderliche Maß gebracht, wobei die Kanten noch blanke Stellen
_ Abb. 2
Das Abrasivwasserstrahlschneiden ermöglicht mit einem bis 2,5 Mil-
aufweisen. Durch das Feinjustieren wird die Glaskante ganzflächig be-
limeter breiten Hochdruck-Wasserstrahl, dem ein loses Schleifkorn (Ab-
arbeitet, erscheint aber noch matt. Erst durch das abschließende Po-
rasivstoff) zugesetzt ist, das Auftrennen von Werkstücken bis 120 Milli-
lieren werden die Kanten transparent. Neben geraden Kanten ist auch
meter Dicke in einem Arbeitsgang. Der Schnittgeometrie sind dabei
die Herstellung von Gehrungskanten bis 45°, Flachfacetten, runden
keine Grenzen gesetzt, auch Innenausschnitte sind möglich. Die Schnitt-
Kanten, Stufenfalzen, Nuten etc. möglich, wobei die Arbeitsschritte
genauigkeit ist höher als beim Diamantscheiden, allerdings entsteht an
des Formschleifens und Polierens für kleinere Scheibenformate in ei-
der Schnittkante eine Winkelungenauigkeit, die je nach Schnittge-
ner Schleifstraße zusammengefasst werden. Aufgrund des Arbeitsauf-
schwindigkeit bis 0,3 Millimeter betragen kann. Das zeit- und kostenin-
wandes stellen das Schleifen und insbesondere das Polieren einen
tensive Verfahren kommt nur bei speziellen Anwendungen in Betracht.
beträchtlichen Kostenfaktor dar.
DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
8
9
8 Detail einer sandgestrahlten Glasoberfläche 9 Detail einer geätzten Glasoberfläche 10 VSG-Scheibe aus 2 x 10 mm Weißglas mit außen liegender Mattätzung, Kunsthaus Bregenz, 1997, Arch.: P. Zumthor
3.3
10
Zylinder-, Senk- oder Hinterschnittbohrungen werden im Diamant-
gleich zu einer Flächenätzung im Säurebad mit Flusssäuresalzen wird
bohrverfahren durch einen lokalen Schleifvorgang im nicht vorge-
eine geringere optische Qualität erzielt _ Abb. 8, zudem zieht die raue
spannten Einfach- oder Verbundglas hergestellt. Komplexere Bohr-
Oberflächenstruktur Flüssigkeiten, Fette und Ablagerungen an, so
lochgeometrien müssen im Wasserstrahlverfahren hergestellt werden.
dass eine Außenanwendung auch bei einer Schutzbeschichtung nicht
Um ein Ausbrechen des Bohrers auf der gegenüberliegenden Werk-
zu empfehlen ist. Durch Maskierung der Oberflächen sind partielle
stoffseite zu verhindern, erfolgt die Bohrung meist von beiden Seiten;
Mattierungen möglich.
der Bohrungsversatz im zylindrischen Lochteil kann bis zu einem halben Millimeter betragen. Auf den meisten Anlagen sind Bohrdurch-
_ BEDEUTUNG
messer bis 70, in manchen Fällen sogar bis 150 Millimeter möglich.
Jede Form der mechanischen Bearbeitung führt zu mikro- und makros-
Die Toleranzen für die Bohrpositionsgenauigkeit wachsen den Flä-
kopischen Materialabplatzungen im Bearbeitungsbereich und zu einer
chentoleranzen entsprechend mit den Scheibenabmessungen an.
Reduzierung der Tragfähigkeit. Die Glasfestigkeit ist direkt abhängig von
Die Mattierung der Glasoberfläche kann mechanisch durch ein in der
Form und Qualität der Kanten- und Oberflächenbearbeitung. Durch ei-
Regel handgeführtes Sandstrahlgebläse oder im Nassschliff durch ei-
nen Flächenschliff oder eine Strahlmattierung wird beispielsweise die
ne Mattiermaschine (max. Glasbreite circa 2 m) erzielt werden – even-
Festigkeit um bis zu 50 Prozent herabgesetzt. Durch das Vorspannen
tuell vorher aufgebrachte Beschichtungen werden zerstört. Anders als
der Scheibe nach abgeschlossener Bearbeitung wird der festigkeits-
beim Kantenschliff erfolgt die Bearbeitung mit losem Korn. Im Ver-
mindernde Einfluss der mechanischen Bearbeitung relativiert.
51
FÜR DAS KONSTRUIEREN
DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS
D≥S A ≥ 2S
D≥S
B ≥ 2S
D≥S
A ≥ 2S
C
≥
6S
R >> 10 mm
A
Abstand zum Scheibenrand
B
Lochabstand (von Lochrand zu Lochrand)
C
Abstand zur Glasdecke
D
Lochdurchmesser
S
Scheibendicke
b
11
d
14
90° 1/2 1/2
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
I ≤ I/3
12
13
15
14 11
Standard-Ausschnitte: Der Radius für gerundete Ecken sollte min. 10 mm
Für die Positionierung von Lochbohrungen
betragen, bei Verbundgläsern min. 15 mm. Ein
und Mindestabmessungen bestehen noch Verschiedene Bohrlochgeometrien (12, 13, 15):
Eckausschnitt sollte sich nicht über mehr als ein Drittel
12
Zylindrisches Bohrloch
einer Kantenlänge erstrecken.
Die Angaben in der Zeichnung sind
13
Konisches Bohrloch
Bei Anschnitten an mehr als zwei Kanten muss die
als Richtmaße zu verstehen.
15
Hinterschnittbohrloch
Produzierbarkeit mit dem Hersteller vorab geklärt werden.
3.3
keine einheitlichen Regelungen.
Die Kanten konventionell geschnittener Gläser weisen wellenförmige
und Glaskante sind in
Unebenheiten (Wallnerlinien) und Mikrorisse auf. Das Fasen entlang
werden für eine konstruktive Verwendung prinzipiell vorgespannt.
_ Abb. 11
dargestellt. Scheiben mit Bohrungen
der Glaskante verbessert das Tragverhalten, da Spannungskonzentra-
Da die Festigkeit von wasserstrahl geschnittenen Kanten etwa
tionen – insbesondere auch beim thermischen Vorspannprozess – ab-
30 Prozent höher als bei konventionell bearbeiteten Gläsern ist, ist ei-
gebaut werden. Auch rückspringende Ecken von Aussparungen müs-
ne Nachbearbeitung nicht unbedingt erforderlich. [3.3/2]
52
sen abgerundet werden, um Spannungsspitzen zu vermeiden. Bei konstruktiven Anwendungen sollten die Kanten bei einem Materialab-
_
trag von circa 2 Millimeter zumindest fein justiert sein. Konstruktiv ist
Bei frei liegenden Glaskanten ist eine Nachbearbeitung geboten, um
die Gehrungskante für Ganzglasstöße von Bedeutung, bei entspre-
die Verletzungsgefahr zu mindern und ein gleichmäßiges Erschei-
chenden Eckausbildungen muss eine Toleranz von ±2° im Gehrungs-
nungsbild zu erzeugen. Mit zunehmender Qualität der Kantenbearbei-
winkel berücksichtigt werden.
tung und abnehmender Korngröße nimmt die Transparenz und Re-
BEDEUTUNG FÜR DIE RAUMHÜLLE
Im konstruktiven Glasbau kommen vor allem zylindrische Boh-
flektivität der Glaskante zu. Im Gegensatz dazu hat das Aufrauen der
rungen für Bolzenverbindungen und konische Senkbohrungen für flä-
Oberfläche eine entspiegelnde Wirkung, das Licht wird gestreut, und
chenbündige Punkthalter zur Anwendung
. Der Bohrloch-
das Glas wirkt matt und durchscheinend. Eine Mattierung kann me-
durchmesser sollte mindestens der einfachen, besser der doppelten
chanisch durch Strahlmattierung oder Flächenschliff und chemisch
Glasdicke entsprechen. Richtwerte für Abstände zwischen Bohrungen
durch Ätzung erzielt werden _ Abb. 8, 9.
_ Abb. 12, 13
ESG
VSG aus ESG
VSG aus ESG
ohne Wärmebehandlung
mit Wärmebehandlung
Dicke [mm]
4
5
6
8
10
12
8
10
12
Radius [m]
2,4
4
6
5,2
8,4
12,3
2,7
4,8
7,2
17
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
1
DIE MECHANISCHE BEARBEITUNG VON GLAS
Glassorte
2
3
4
16
16
18
Produktionsablauf eines Bogenglases 1 Auflegen in Form und Aufheizen auf 70 °C 17
2 Verformung durch Aufbringen einer
Tabelle zur vorläufigen Ermittlung der minimalen Biegeradien zylindrisch kalt
Belastung bis Erreichen des Bogenstiches
gebogener Glasscheiben nach P. Kasper
3 Fixierung der Form durch Einbau der Zugstangen (bei Last und Temperatur) 18
4 Abkühlen auf Raumtemperatur und
2 m x 4 m große Bogenglas-Elemente als
3.3
Lichtband, zentraler Busbahnhof Heidenheim
3.3
anschließendes Entfernen der Auflast
DAS KALT VERFORMEN VON GLAS
Die Firma Maier-Glas bietet vorgefertigte zylindrische Bogensegmente
Glas lässt sich aufgrund seines linear-elastischen Verformungsverhal-
aus VSG an, die durch Zugstangen in ihrer Form fixiert werden. Der
tens im kalten Zustand mechanisch verformen. Durch Klemm- oder
Herstellvorgang ist in _ Abb. 16 dargestellt. [3.3/3, 3.3/4]
Punkthalter kann eine ebene Glasplatte auf eine Unterkonstruktion in
Die Kaltverformung führt zu ständigen Biegezugbeanspruchungen
eine gekrümmte oder verwundene Geometrie gezwungen werden.
im Bauteil. Je größer die Verformung und je enger der Radius, desto
Dieses Verfahren stellt bei Hüllen mit unregelmäßigen Flächenkrüm-
größer die Spannungen, die sich zu den Spannungen aus der Ge-
mungen eine kostengünstige Alternative zu thermisch verformten Glä-
brauchslast addieren. Da etwa 60 Prozent der Gesamtspannung aus
sern dar, allerdings lassen sich dadurch nur flache Krümmungen bis
dem gekrümmten Grundzustand resultieren, weisen kalt verformte
maximal einem halben Grad pro Meter realisieren. Je größer Dicke
Scheiben im Vergleich zu thermisch verformten eine geringere Tragfä-
und Steifigkeit der planen Scheibe, desto weniger kann die Scheibe
higkeit auf. Aufgrund der dauerhaften Einwirkung von Lasten kommen
gekrümmt werden. Bei zylindrischen Krümmungen sind im Vergleich
für die Kaltverformung nur vorgespannte Gläser mit hoher Langzeit-
zu heiß verformten Scheiben die Minimalradien pro Scheibendicke um
festigkeit in Frage. [3.3/5] Zurzeit gibt es nur wenige Erkenntnisse zum
den Faktor 3 größer
Einfluss permanenter Schubbeanspruchungen auf die Dichtigkeit des
. Zwischen den Befestigungspunkten
_ Abb. 17
kann die Kantenkrümmung bis zu ±10 Millimeter von der idealen Krümmungslinie abweichen.
Randverbundes von Isolierglasscheiben. 53
_
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Reinigung
Erhitzen > 600°
Anblasen
1
0,2 d 0,6 d
Zugzone
0,2 d Druckzone
2
5
Druck
Druck
Zug
Zug
0,2 d
0,2 d
0,6 d
0,6 d
0,2 d
0,2 d
1 Fertigungsprozess liegend vorgespannter Flachgläser d 2 Druck- und Zugspannungsbereiche vorgespannter Gläser im Querschnitt (qualitative Darstellung) 3 Spannungsquerschnitt eines thermisch voll vorgespannten Glases (ESG) 3
6
4 Spannungsquerschnitt bei Überlagerung von Vorspannkräften und Biegespannungen: Die Biegezugkräfte bauen die Druck
D|Z
D|Z
Zug
Oberflächendruckspannungen ab.
D|Z 5 Typisch nadelförmige Kantenverletzung bei vorgespannten Gläsern 6 Spannungsquerschnitt eines thermisch teilvorgespannten Glases (TVG) 7 Spannungsquerschnitt eines chemisch
3.4
vorgespannten Glases 4
7
_
THERMISCHES VORSPANNEN
_
_
_
Man unterscheidet voll vorgespanntes Einscheibensicherheitsglas (ESG) und teilvorgespanntes Glas (TVG). ESG weist aufgrund des
_ _
VERFAHREN
3.4
schnelleren Abkühlvorgangs oder einer höheren Ausgangstemperatur
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GL AS –
eine größere Eigenspannung als TVG auf. Die auf einem Rollenband
VORSPANNEN, EMAILLIEREN, BIEGEN UND
liegend transportierten Gläser werden gleichmäßig bis 100 °C oberhalb
STRUKTURIEREN
des Transformationspunkts erhitzt, danach durch Düsen mit kalter Luft
54
angeblasen. Da sich das Abkühlen und Erstarren zunächst an den GlaEine erhöhte Widerstandsfähigkeit von Glas wird durch thermisches
soberflächen vollzieht, versetzt das verzögerte Abkühlen und Zusam-
Vorspannen erreicht, wobei die auf 650 °C gebrachte Glasscheibe mit
menziehen des Kerns die Scheibe in einen Eigenspannungszustand
einem beidseitigen Luftstrom abgeschreckt wird. Während dieses Pro-
mit parabelförmigem Profil: Auf der Oberfläche wird eine Druck-, im
zesses kann auch eine Emaillierung durchgeführt werden, bei der
Kern eine Zugspannung aufgebaut. Damit sich dieses Spannungsprofil
dünne keramische Schichten, meist farbig, in die Oberfläche einge-
im Scheibenquerschnitt aufbauen kann, ist eine Glasdicke von min-
brannt werden. In zähflüssigem Zustand kann Flachglas auch gebo-
destens 4 Millimeter erforderlich. ESG wird bis 19, TVG nur bis 12 Mil-
gen und umgeformt werden.
limeter produziert, da bei größeren Dicken noch nicht die Produktions-
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS 10
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
8
11
8 Bruchbild eines teilvorgespannten Glases (TVG) 9 Heat-Soak Test (Heißlagerungstest) von ESG-Scheiben (bei SGG Deutschland): Nachweisverfahren für Nickelsulfideinschlüsse; nach vorschriftsmäßiger Testdauer unzerstörte Scheiben werden als ESG-H bezeichnet. 10 Bruchbild eines TVG unter hohen Biegezugspannungen: Der Initialbruch tritt in zwei- bis dreifachem Abstand zur Glaskante auf. Aufgrund der hohen Spannungen ist das Bruchbild ähnlich feinkörnig wie bei ESG. 11 Bruchbild eines ESG: kleinteilige Glaskrümel
3.4
9
qualität kontrolliert werden kann. Die maximalen Fertigungsgrößen
_ VERBESSERUNG
hängen von den Vorspannöfen der Hersteller ab, üblich sind Größen
Die durch die thermische Behandlung erzeugte Druckspannung in der
von 2,50 m x 5 m, mittlerweile können von einzelnen Veredlern auch
Scheibenoberfläche bewirkt, dass Oberflächendefekte überbrückt
Scheiben in Bandmaßbreite und bis 6 Meter Länge und darüber hin-
werden und sich nicht festigkeitsmindernd auswirken. Erst wenn die
aus vorgespannt werden. Vorgespannte Borosilikatgläser gibt es bis zu
Vorspannung infolge äußerer Belastung abgebaut ist, kann es zum
einer Dicke von 15 Millimetern und einer Größe von 1,60 m x 3 m. Vor-
Risswachstum kommen. ESG und TVG unterscheiden sich im Grad
gespannte Scheiben werden meist durch einen Ätzstempel gekenn-
der Vorspannung. Aufgrund der geringeren Oberflächendruckspan-
zeichnet.
nung ist die charakteristische Mindestfestigkeit von TVG nur etwa halb
nischer Bearbeitung, und es kommen alle Basisgläser außer Drahtglas in Betracht. Durch die Wärmebehandlung nehmen Dicken- und Flächentoleranzen zu. In
_ Abb. 12
sind die mechanischen und thermischen Eigen-
schaften vorgespannter Gläser zusammengefasst.
so groß wie von ESG, aber fast doppelt so hoch wie bei nicht vorgespanntem Glas. Auch die Temperaturwechselbeständigkeit wird durch das Vorspannen erheblich verbessert. Bei ESG aus Floatglas beträgt sie 150 Kelvin, bei TVG 100 Kelvin und bei vorgespanntem Borosilikatglas (z.B. Pyran S) sogar 300 Kelvin – im Vergleich zu 40 Kelvin bei nicht vorgespanntem Floatglas. Die Vorspannung beeinflusst auch das Bruchverhalten. Die im
55
Die thermische Veredlung erfolgt nach abgeschlossener mecha-
DER KONSTRUKTIVEN EIGENSCHAFTEN
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Fertigungsgröße
Oberflächendruck-
Bruchfestigkeit fk
Temperaturgradienten-
Spontanbruchgefahr
spannung [kN/cm2]
[kN/cm2]
beständigkeit [K]
Nickelsulfid
Schneidfähigkeit
–
4,5
40
nein
ja
3,5 – 5,5
7
100
nein
nein
Kalknatrongläser: Floatglas
2 mm – 21 mm 3,21 m x 6,0 m
TVG aus Floatglas
4 mm – 12 mm 2,5 m x 5,0 m Bis 3 m x 6,0 m
ESG aus Floatglas
wie TVG
10 – 15
12
150
ja
nein
Gussglas
4 mm – 19 mm
–
2,5
30
nein
ja
10 – 15
9
150
ja
nein
–
2,5
90
nein
ja
3,5 – 5,5
7
200
nein
nein
10 – 15
12
300
nein
nein
(15)
250
nein
mit Einschränkungen
2,5 m x 5,0 m ESG aus Gussglas
4 mm – 19 mm 2,5 m x 5,0 m
Borosilikatgläser: Floatglas
bis 21 mm 2,3 m x 3,0 m
TVG aus Floatglas
4 mm – 12 mm 1,6 m x 3,0 m
ESG aus Floatglas
4 mm – 15 mm 1,6 m x 3,0 m
chemisch
bis 19 mm
vorgespanntes Glas
ca. 1,0 m x 2,0 m
von Eindringtiefe und Oberflächenschädigungen abhängig
12
12
Mechanische und thermische Eigenschaften
3.4
vorgespannter und nicht vorgespannter Flachgläser
Glas gespeicherte hohe Energie führt dazu, dass eine ESG-Scheibe
reinigte Scheiben bei einer zerstörenden Prüfung im Heat-Soak Test
beim Bruch in viele kleinteilige Glaskrümel zerspringt
. Da
herausfiltern, indem die fertig produzierten ESG-Scheiben für einen
die Bruchstücke stumpfkantig sind, bezeichnet man ESG auch als „Si-
definierten Zeitraum auf einem konstanten Temperaturniveau gehal-
cherheitsglas“, obwohl Bruchstücke in größeren Schollen beim Herab-
ten werden. Scheiben, die diesen nach EN 14179 genormten Test be-
fallen auch zu Verletzungen führen können. TVG hingegen bricht aus-
standen haben, werden entsprechend gekennzeichnet. Bei teilvorge-
gehend vom Bruchzentrum in größeren Schollen und Inseln ähnlich
spannten Gläsern und bei Borosilikatglas haben NiS- Einschlüsse in
wie nicht vorgespanntes Glas
der Regel keine Auswirkungen. [3.4/4, 3.4/5]
_ Abb. 8
_ Abb. 11
. Die europäischen Normen
EN 12150 und EN 1863 stellen an das Bruchbild von voll bzw. teilvorgespannten Gläsern genaue Anforderungen.
MÄNGEL IM OPTISCHEN ERSCHEINUNGSBILD
Thermisch vorgespannte Gläser weisen Maßtoleranzen von meh-
Der thermische Vorspannprozess hat eine Reihe von Auswirkungen
reren Millimetern auf, die beim Konstruieren beachtet werden müssen
auf die optische Qualität der Gläser, die das visuelle Erscheinungsbild
, . [3.4/1, 3.4/2, 3.4/3]
_ Abb. 13 17
56
_
von vorgespannten Gläsern beeinträchtigen können. Hierzu zählen
Ein besonderes Phänomen bei voll vorgespannten Gläsern stellt
Anisotropie, roller-waves sowie großflächige und örtliche Verwerfungen
der Spontanbruch da, der auf dem allmählichen Volumenzuwachs von
der Glasoberfläche. Diese Mängel sind bei voll vorgespannten stärker
Nickelsulfid (NiS)-Einschlüssen im Glasgefüge beruht. Da der Volu-
als bei teilvorgespannten Gläsern ausgeprägt.
menzuwachs von Nickelsulfid wärmeabhängig ist, lassen sich verun-
Es ist seit langem bekannt, dass transparente homogene Materi-
≤ 2 000
± 2,5
± 3,0
2 000 – 3 000
± 3,0
4,0
> 3 000
± 4,0
± 5,0
b–t
13
b+t
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
17
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS
t für d ≥ 12 mm
h+t
t für d ≤ 12 mm
h–t
Kantenlängen [mm]
14
15
16
18
13, 17 Längentoleranzen t für thermisch vorgespannte Gläser 14, 15 Blick durch Isolierverglasung aus vorgespanntem
16
Verwerfungen bei thermisch vorgespannten
18
Anwendungsbeispiel für chemisch vorgespanntes
Scheiben, zentraler Omnibusbahnhof, Hamburg,
Glas: Tragende Glaskuppel am ILEK an der Universität
(Abb. 15), der die Anisotropie sichtbar macht.
2003, Arch.: Silcher, Werner und Redante
Stuttgart, Prof. W. Sobek und L. Blandini
3.4
Glas ohne (Abb. 14) und mit Polarisationsfilter
alien, sobald sie sich durch innere oder äußere Zwänge in einem
als annehmbar und was als optischer Defekt einzustufen ist – diesem
Spannungszustand befinden, das Phänomen der optischen Doppel-
Umstand muss bei der Auswahl des Glasveredlers große Aufmerk-
brechung aufweisen. Damit die optische Anisotropie bei vorge-
samkeit geschenkt werden. [3.4/6]
spanntem Glas sichtbar wird, bedarf es einer „anisotropen Beleuch-
Durch das Erwärmen der Scheibe wird deren Planität beeinträch-
tung“: Das Licht muss zumindest teilweise linear polarisiert sein. Unter
tigt. Optisch wahrnehmbar als Verzerrungen in der Durchsicht oder im
einer solchen Beleuchtung können helle oder dunkle Streifen oder
Reflexionsbild sind Verwerfungen und Rolleneindrücke (roller-waves),
Flecken von beiden Seiten der Verglasung wahrgenommen werden.
die beim Transportieren im Vorspannofen (normalerweise mit der
Tageslicht ist tatsächlich meist etwas polarisiert, aber insbesondere
Schmalseite voraus) entstehen, wo das erhitzte Glas zwischen die
durch Reflexion an Glasscheiben oder an der Oberfläche eines Ge-
Transportrollen „sackt“. Zur Begrenzung dieser Rolleneindrücke sind
wässers entstehen hohe Polarisationsgrade
die Industriestandards nicht ausreichend, erstrebenswert sind roller-
.
Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass die Anisotropie besonders bei extremen Lichtbedingungen, bei Mehrfachreflexionen oder in der
waves unter 0,15 für Einfach- und 0,07 Millimeter für laminierte Gläser, um störende Linseneffekte zu vermeiden.
Nähe von Wasserflächen, bei flachen Betrachtungswinkeln oder bei
Verwerfungen entstehen durch das unterschiedliche Abkühlen
beschichteten Gläsern deutlicher in Erscheinung tritt. Dennoch lassen
der Scheibenoberflächen, so dass sich entweder die Ecken oder die
sich Anisotropien durch genaue Kontrolle des Abkühlvorgangs redu-
Scheibenmitte von dem Transportband abheben. Längliche Scheiben
zieren. Zurzeit gibt es aber noch keine einheitlichen Regelungen, was
krümmen sich, quadratische Scheiben neigen zum „Schüsseln“.
57
_ Abb. 14, 15
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS
20 Farbtrog Dosierwalze
Druckwalze
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Farbschicht Glasscheibe
Transportrollen 21 A=axb
Ry
a
d
Rx
b 19
22
20
Großformatige Siebdruckanlage bei der Firma Glasid in Essen, Deutschland
19
Transluzenter Siebdruck. Finnischer
21
Prinzip einer Farbbeschichtung im Walzauftrag
22
Ermittlung des Bedruckungsgrades (BDG): BDG [%] = 50 πd2 / Rx Ry
3.4
Pavillon, Expo Hannover, 2000
_ EXKURS:
CHEMISCHES VORSPANNEN
den. Das Emaillieren und Bedrucken erfolgt auf Festmaßen nach ab-
Eine Vorspannung von Glas mit hohem Natriumanteil kann chemisch
geschlossener mechanischer Bearbeitung. Als Ausgangsprodukt für
durch Elektrolyse im Tauchbad erfolgen. Durch Natriumaustausch und
den Siebdruck eignen sich nur Gläser mit planer Oberfläche, also kei-
Verdichtung der molekularen Struktur werden große Oberflächendruck-
ne Strukturgläser. Gussgläser können „trocken“ emailliert werden, die
spannungen erzeugt. Aufgrund der geringen Eindringtiefe besteht aller-
keramische Farbe wird in Pulverform vor dem Einbrennen aufgetra-
dings eine größere Anfälligkeit für Oberflächenschäden. Chemisch vor-
gen. Da der Farbauftrag verfahrensbedingt Unregelmäßigkeiten auf-
gespannte Gläser sind bedingt schneidfähig. Das Verfahren eignet sich
weist, sollten alle Anwendungen vorher mit dem Hersteller abgespro-
für dünne Gläser unter 4 Millimeter und komplexe Scheibengeometrien
chen werden. [3.4/8]
und ermöglicht eine sehr hohe Oberflächenplanität _ Abb. 18. [3.4/7]
Beim Walzauftrag überträgt eine Druckwalze aus Gummi je nach
58
Profil ein flächiges Farbmuster einseitig auf die Glasoberfläche (mittEMAILLIEREN UND BEDRUCKEN VON GL AS
lerweile können durch profilierte Walzen auch Muster aufgetragen
Emaillierte Gläser weisen im Prinzip die Eigenschaften eines voll oder
werden), im Gießverfahren durchläuft die Tafel horizontal einen „Gieß-
teilvorgespannten Glases auf. Vor der Verarbeitung werden einseitig
schleier“. Im Siebdruckverfahren können dagegen beliebige Muster
keramische Farben entweder flächig aufgewalzt, gegossen oder durch
aufgetragen werden. Eine Mehrfarbigkeit wird durch wiederholten
Siebdruck aufgetragen und während des Vorspannprozesses einge-
Druck mit verschiedenen Sieben erstellt. Schattierungen (Fotovorla-
brannt, wodurch sie dauerhaft mit der Glasoberfläche verbunden wer-
gen) können im Rastersiebdruck dargestellt werden, wobei Abstand
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
23
23 - 24 Biege- und Vorspannstrecke einer modernen Schwenkrollen-Biegeanlage ohne Schalung (zero-tooling)
3.4
24
und Durchmesser der Punkte variiert werden können (Verlaufsraster).
den Sonnen-, Blend- und Sichtschutz eingesetzt werden. Es können
Vierfarben-Rastersiebdrucke können von Schollglas auch mit kera-
opake, transluzente oder (semi-) transparente Bedruckungen realisiert
mischen Farben hergestellt werden. Standardformate betragen bis zu
werden. Die Lichtdurchlässigkeit ist von Siebdruckfarbe, Glasart, -dicke
2 m x 4 m, einzelne Veredler bieten eine voll automatisierte Be-
sowie vor allem von dem Bedruckungsgrad (BDG) abhängig _ Abb. 22.
druckung bis zu einer Größe von circa 2,50 m x 6 m an. Bei der Wei-
[3.4/9]
terverarbeitung zu Isoliergläsern werden emaillierte Gläser witterungsund UV-geschützt angeordnet, das heißt, sie erhalten nicht die Außen-
THERMISCHES BIEGEN VON GL AS
position. Eine Kombination mit Wärme- und Sonnenschutzbeschich-
_ VERFAHREN
tungen ist möglich.
Flachglasscheiben können im heißen, viskosen Zustand umgeformt
UND FERTIGUNG
Die mechanischen Eigenschaften der Glasoberfläche werden
werden. Nach Stückzahl und Geometrie kommen verschiedene Bie-
durch eingebrannte Dickfilmbeschichtung beeinträchtigt. Durch
geverfahren zur Anwendung. Der zeitintensive, spannungsfreie Ab-
Emaillierung einer ESG- oder TVG-Scheibe wird die Biegezugfestigkeit
kühlprozess kann durch forciertes Abkühlen im Rahmen des ther-
um etwa 40 Prozent vermindert. Da die Emailleschicht die Haftbedin-
mischen Vorspannverfahrens ersetzt werden.
bunden in der Regel nach außen. Gläser mit flächiger oder partieller Farbbeschichtung können für
Das senkrechte Biegeverfahren, bei dem das Glas hängend erwärmt und anschließend in eine Form gepresst wird, kommt heute aufgrund der größeren Herstellungstoleranzen und der schlechteren
59
gungen verändert, zeigen bedruckte Glasoberflächen bei VSG-Ver-
α
Radius
r1: Radius 1a
r:
a:
Abwicklung
r2 : Radius 2
a1: Abwicklung 1
s:
Sehnenlänge
α r1
α: Öffnungswinkel
h
l: l
Länge der geraden Kante
a1: Abwicklung 1
a2 : Abwicklung 2
a2 : Abwicklung 2
a 3 : Abwicklung 3
l: s
a3
β: Kegelwinkel (max. 45 °)
l
h: Stichhöhe r2
β
a1
α: Öffnungswinkel
a1
Kugelradius
Länge der geraden Kante
a2
a2
a 25
27
26
28
29
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS
r
r:
25
Geometrie der zylindrischen Biegung
26
Punktgehaltene zylindrische VSGScheiben aus vorgespanntem Weißglas mit
27
Geometrie der konischen Biegung
28
Sphärisch gekrümmte Verglasung der „Besucherkapseln“
bedruckter Concepta-Sonderfolie, La Tour de la Paix, St. Petersburg, 2003,
am London Eye, 1999, Arch.: D. Marks, J. Barfield
29
Geometrie der sphärischen Biegung
60
3.4
Arch.: Jean-M. Wilmotte, C. Halteri
optischen Qualität nur bei extremen Biegegeometrien zum Einsatz.
gebogenem Glas. Das Glas wird liegend in den Ofen transportiert und
Beim verbreiteten horizontalen Schwerkraft-Biegen wird die im Ofen
dort durch das Schwenken und Drehen der Transportrollen ohne
erwärmte Scheibe entweder an den Rändern auf einen Rahmen ge-
Schalung (zero-tooling) bis zu Größen von 4,20 m x 2,44 m verformt
legt, wobei sie sich unter ihrem Eigengewicht durchbiegt, oder man
_ Abb. 23, 24
. [3.4/10 ]
lässt sie zur besseren Kontrolle der Biegegeometrie in die Formflächen
Bei einfach gekrümmten Gläsern unterscheidet man zylindrische
einer feuerfesten Schalung aus Metall oder Keramik herabsacken. Ei-
Gläser mit konstantem Biegeradius und konische Gläser mit gleichmä-
ne vollflächige Schalung bringt erhebliche Werkzeugkosten mit sich
ßig sich veränderndem Biegeradius. Bei doppelt gekrümmten Gläsern
und eignet sich in der Regel nur für Serienfertigungen wie im Fahr-
unterscheidet man sphärische (kugelförmige), asphärische (z.B. para-
zeugbau.
bolische) und sattelförmige Geometrien. Bei sphärischen Biegungen
Die Minimal- und Maximalradien hängen beim Schwerkraftbiegen
sind die Biegeradien gleichsinnig und im Gegensatz zu asphärischen
von dem Scheibengewicht und damit auch von Scheibengröße und
auch gleich groß, bei sattelförmigen sind die Krümmungen gegensinnig.
-dicke ab. Mehrere aufeinanderliegende Scheiben können, sofern sie
Es empfiehlt sich, im Entwurfsprozess die Fertigungsmöglichkeiten,
anschließend nicht vorgespannt werden, in einem Verfahrensschritt
Stückzahlen und Glasarten mithilfe einer genauen Formbeschreibung
gebogen werden, um anschließend zu VSG verarbeitet zu werden. Mo-
(evtl. Schablone im Maßstab 1:1) mit dem Hersteller abzuklären. Die
derne Rollen-Biegeanlagen mit Schwenkrollen ermöglichen durch ge-
Biegegeometrie lässt sich anhand von Abwicklung, Kantenmaßen, In-
ringe Rüstzeiten die effektive Fertigung von zylindrisch oder konisch
nen- und Außenradius, Stichhöhe und Öffnungswinkel beschreiben.
MIG
32
35
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
30
VG, VSG
33
31
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS
SG, ESG
34
36
30, 32, 35 Weiterverarbeitung gebogener Gläser zu Verbund- und Isoliergläsern: Gebogene Gläser können auch mit hitzebeständigen
33, 34 Einsinnig gekrümmte VSG-Verglasung: Die
Wärme- und Sonnenschutzbeschichtungen
seitliche Verglasung besteht aus zwei 2 m breiten
versehen werden.
VSG-Scheiben aus 2 x 6 mm Floatglas. Ohne Berücksichtigung der geometrischen Versteifung
31 Gekrümmtes, vorgespanntes Einfachglas
36 Zweisinnig gekrümmte Isolierverglasung
durch die Schalentragwirkung müssten die Gläser
mit Sonnenschutzbeschichtung,
2 x 12 mm dick sein. Skywalk Hannover,
Ford-Forschungszentrum Aachen,
Nürnberg, 2000, Arch.: V. Staab
1998, Arch.: Schulitz Architekten
1994, Arch.: J. L. Martinez
3.4
Geländerverglasung, Neues Museum
Bei zylindrischen Standardbiegungen kann der Öffnungswinkel bis
_ BEDEUTUNG
90°, bei geringen Scheibendicken sogar bis 180° (Halbkreis) und der
Bei der Weiterverarbeitung zu Verbund- und Isoliergläsern und bei der
Kegelwinkel bis 45° betragen. Zylindrisch gebogenes Floatglas kann
Planung der Verbindungsdetails müssen ausreichende Toleranzen
im Bandmaß bis zu einer Stichhöhe von 1,50 Meter hergestellt wer-
eingeräumt werden, um die in der Regel erheblichen Maßabwei-
den. Auch Bögen mit ein- oder beidseitigen geraden Verlängerungen
chungen aufzufangen, die je nach Elementgröße, Form und Dicke des
FÜR DAS KONSTRUIEREN
und Mehrfachkrümmungen in s-Form oder u-Form können
Glases beim Umformen auftreten. Da es noch keine Normen gibt,
gefertigt werden. Bis zu einer Größe von circa 2,50 m x 4,50 m und
müssen Toleranzen in Bezug auf Kantenlänge, Biegeradius, Geradli-
einer maximalen Scheibendicke von 15 Millimetern werden vorgespann-
nigkeit und Verwindung frühzeitig mit dem Hersteller vereinbart wer-
te Gläser hergestellt. Bei vorgespannten Borosilikatgläsern (Pyran G)
den _ Abb. 40.
beträgt das maximale Fertigungsmaß 1,50 m x 2,50 m. [3.4/11]
Nach der Formgebung kann das Glas voll oder teilweise thermisch
Bei sphärischen Gläsern kann der Öffnungswinkel bis 30° betra-
vorgespannt werden. Bei komplexen Geometrien kann ein gleichmä-
gen. Der Biegeradius ist in der Regel größer als 2 Meter, kleinere Ra-
ßiges Abblasen allerdings kaum gewährleistet werden. Gebogene Glä-
dien können zu Stauchungen und zu Randfalten führen. Bei frei ge-
ser können zu Verbundsicherheitsgläsern verarbeitet werden, bei grö-
formten Scheiben stellt die Kontrolle der Biegegeometrie eine große
ßeren Toleranzen müssen diese im Gießharzverbund hergestellt wer-
Herausforderung dar – in der Regel ist die Herstellung von zahlreichen
den. Bohrungen in gekrümmten Gläsern sind mit einem hohen Kos-
Prototypen nach dem Prinzip try and error erforderlich.
tenaufwand verbunden.
61
_ Abb. 37
min. R [mm]
max. R Einfachglas [mm]
3
50
1 000
4
80
1 750
5
120
2 200
6
160
2 800
8
230
3 400
39 Bezeichnung
Toleranzen [mm]
Kantenlänge I
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS
37
Scheibenstärke [mm]
2 000 mm
±3
Radius r
±3 Geradlinigkeit
2/m Float 3/m ESG/TVG Verwindung
3/m Float 4/m ESG/TVG
38
40
39 37
Minimale und maximale Biegeradien nach
Beispiel für ein gebogenes Glas mit
Herstellerangaben der Glas Trösch AG.
geraden Verlängerungen
Die Werte können von Hersteller zu Hersteller variieren, da eine gemeingültige Normung noch aussteht.
38
Gebogene VSG-Scheiben für Vitrinen und „Sign Band“, Schaufensterverglasung Aspery Store, NYC, Arch.: Foster
40
Übersicht durchschnittlicher Toleranzen in mm bei gebogenen Gläsern
3.4
and Partners, Ausführung: Glasbau Seele, Gersthofen
Die einfache und umso mehr die doppelte Krümmung führen zu einer
merkbar machen. Deren unterschiedliche Qualität zeigt sich beson-
Versteifung des Glases, die sich bei unverschiebbarer Auflagerung für
ders deutlich bei der Weiterverarbeitung zu Verbundglas. Aufgrund
eine Schalentragwirkung nutzen lässt. Mit stärkerem Krümmungsradi-
des Vorspannprozesses ist es nicht möglich, die Einzelscheiben auf-
us reduzieren sich Durchbiegung und Momentenbeanspruchung, so
einanderliegend umzuformen. Beim Laminieren können durch die
dass im Vergleich zu einer planen Scheibe die erforderliche Stabilität
versetzten Rolleneindrücke Linseneffekte entstehen, die als Lichtre-
schon mit geringeren Glasdicken erreicht wird. [3.4/12]
flexe störend wahrgenommen werden. Gebogene Gläser lassen sich zu Isoliergläsern weiterverarbeiten.
_ OPTISCHES
ERSCHEINUNGSBILD
Dabei ist zu beachten, dass nur pyrolytisch beschichtete Gläser (hard-
Die Oberflächenplanität und optische Qualität von gebogenen Gläsern
coatings) gebogen werden können, diese aber die Qualität eines mit
hängt stark von den einzelnen Verfahrensschritten ab. Musterschei-
softcoating versehenen Glases hinsichtlich Wärmedämmung, Sonnen-
ben von allen Geometrien sind zur Beurteilung der visuellen Qualität
schutz und Farbneutralität nicht erreichen. Eine Abstimmung mit den
unerlässlich. Horizontales Biegen führt zu besseren Ergebnissen als
angrenzenden Verglasungen ist erforderlich _ Abb. 38.
62
vertikales; eine vollflächige Schalung ist mit Hinblick auf eine verzerrungsfreie Optik einer Unterstützung der Scheibenränder vorzuziehen.
„STRUKTURIEREN“ VON GL AS
Bei vorgespannten Gläsern können sich im Vergleich zu spannungsfrei
Unter Fusing versteht man das Aufschmelzen von anderen – in
gekühlten Gläsern deutliche Verzerrungen der Glasoberfläche be-
der Regel farbigen – Gläsern auf das Floatglas. Durch das erneute
42
44
DIE THERMISCHE VEREDELUNG VON GLAS
43
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
41
44 41
Strukturierte Floatglasscheiben, Rezeption
Structuran-Platte aus Weißglasscherben,
Tea Wharf Building, London
The Greenhouse Effect Ltd, UK
Die Oberflächenstruktur wird im Ofen durch Erhitzen und Aufschmelzen des Glases auf
42
Anwendungsbeispiel Structuran, Augenzentrum
Textur einer im Ofen auf einem Sandbett umgeformten
einem strukturierten feuerfesten Untergrund
Floatglasscheibe, Fusion Glass Ltd, London
erzielt. Glas: Fusion Glass Design Ltd., London
3.4
Michelfeld, 2003, Arch.: Heinle, Wischer und Partner
43
Aufschmelzen nimmt eine Floatglasscheibe aber auch Form und
der Kapazitäten, so dass in Zukunft großflächigere Anwendungen in
Oberflächenstruktur der feuerfesten Unterlage an, wie dies beim tra-
der Gebäudehülle möglich erscheinen.
ditionellen Gussglas geschieht, bei dem die flüssige Glasschmelze in
Ein Werkstoff mit völlig neuen Eigenschaften entsteht, wenn Glas-
ein Sandbett gegossen wird. Im Unterschied zu Walzgläsern ist das
bruchstücke bis zur Teilkristallisierung miteinander verschmolzen
Oberflächenrelief solcher auch als slumped oder kiln-formed bezeich-
werden (Sintern). Nach einem Patent der Firma Schott AG werden sol-
neter Gläser wesentlich ausgeprägter. Die Scheiben werden bis 750 °C
che Glaskeramiken mit der Produktbezeichnung Structuran auch für
erhitzt. Bei anschließender Vorspannung oder Laminierung kann das
den Bau als Fassadenplatten hergestellt. Die Platten sind in der Regel
Oberflächenrelief bis zu 8 Millimeter betragen; Fertigungsgrößen von
20 Millimeter dick und können bis zu einer Größe von circa
circa 1,50 m x 3 m sind gegenwärtig möglich. Konstruktiv interessant
2,75 m x 1,25 m hergestellt werden. Aufgrund der teilweise kristallinen
ist die Möglichkeit, durch eine wellen- oder faltenförmige Profilierung
Struktur verliert das Produkt aber seine Transparenz. Als Rohstoff wer-
dem Glas in Spannrichtung eine größere statische Höhe und damit
den gebrochene und verkleinerte Fahrzeugverglasungen verwendet,
eine höhere Biegesteifigkeit zu verleihen. Aufgrund des aufwendigen,
durch Zugabe von Pigmenten ist eine gezielte Farbwirkung möglich.
wenig automatisierten Herstellungsverfahrens kommt das Produkt in Außenraum und nur in kleinen Stückzahlen zum Einsatz. Das wachsende Interesse von Architekten führt jedoch zurzeit zu einem Ausbau
63
erster Linie für künstlerische, exquisite Anwendungen im Innen- oder
DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Glas
A
PVB-Folie/ Gießharz Glas
Glas
B
Glas (Deckschicht) Glas
Mittelachse
(tragende Schicht) Glas (Deckschicht)
C
1
2
3
1 Aufbau eines Verbundglases (VG) bzw. eines Verbundsicherheitsglases (VSG): A: Symmetrischer Aufbau B: Asymmetrischer Aufbau C: Symmetrisches Mehrfach-Verbundglas: Die innen liegende, tragende Glasscheibe springt zurück,
2 Eine VSG-Scheibe aus teilvorgespanntem Glas (TVG): Die Splitter bleiben an der PVB-Folie haften.
um vor gewaltsamer Beschädigung geschützt zu 3 VSG-Scheiben vor dem Autoklaven
3.5
werden; die Deckschichten bilden „Opferscheiben“.
_
HERSTELLUNG UND FERTIGUNG
_
PVB-Verbunde werden in zwei Schritten hergestellt. Zunächst werden
_
die Einzelscheiben erwärmt und mit der Folie verpresst (Vorverbund), bevor im Autoklaven bei hohem Druck und Temperaturen von circa
_ _
3.5
140 °C ein vollflächiger Verbund erzielt wird. Der Vorverbund kann im
DAS FL ÄCHIGE FÜGEN VON GL AS –
Walzverfahren oder bei gebogenen Scheiben und Mehrfachverbunden
VERBUND - UND VERBUNDSICHERHEITSGL AS
auch im Vakuumsackverfahren erfolgen. Die Dicke der Zwischen-
64
schicht beträgt ein Vielfaches der Folienstärke von 0,38 und 0,76 MilVerbundgläser bestehen aus mindestens zwei Glas- oder Kunststoff-
limeter. Bei vorgespannten Gläsern werden zum Welligkeitsausgleich
scheiben, die durch Zwischenschichten miteinander verbunden sind.
dickere Folien verwendet. Spezialisierte Veredelungsunternehmen
Gebräuchliche Materialien sind Polyvinylbutyral (PVB), Gießharz (GH),
sind in der Lage, Einfach- und Mehrfachverbundgläser bis zum Band-
Äthylenvinylacetat (EVA) und SentryGlas Plus (SGP) von Dupont. Das
maß von 3,21 m x 6 m und einem maximalen Gesamtgewicht von
flächige Fügen eröffnet durch die Wahl von Fügepartner, Schichtenfolge
1 Tonne zu laminieren, in Ausnahmefällen sogar bis 7 Meter Länge
und -dicke vielfältige Möglichkeiten, mechanische und optische Eigen-
und einem Gesamtgewicht von 2 Tonnen. Für spezielle Glasanwen-
schaften zu modifizieren. Ein Verbundsicherheitsglas (VSG) hat splitter-
dungen stellt beispielsweise Glasbau Seele im Vakuumsackverfahren
bindende Eigenschaften und eine erhöhte Resttragfähigkeit. [3.5/1]
sogar Verbundgläser bis 12 Meter Länge her. Bei Glasaufbauten mit
Autoklav
DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS
Vorverbund durch Kalander
fertiges VSG
4 VSG
Glas-Glas-Verbund
Glas-Kunststoff-Verbund
Schallschutz
Integration PV
PVB – Folie
ja
ja
nein
ja
Dünnschichtzellen
Gießharz (GH)
bedingt
ja
nein
ja
kristalline Zellen
EVA – Folie
bedingt
ja
nein
nein
ja
PU – Folie
bedingt
nein
ja
nein
bedingt
5
6
7
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Positionieren und Zusammenlegen
8
4 Schematischer Ablauf des zweistufigen Herstellungsverfahrens von VSG
7 Automatisches Zusammenlegen der Einzelscheiben
8 Vorverbund
3.5
5 Verwendungsmöglichkeiten von Verbundmaterialien
6 Einlegen der PVB-Folie
vorgespannten Gläsern werden die Fertigungsgrößen in der Regel von
schiedenen Produktbezeichnungen hergestellt (Scholl-Leichtglas, Si-
den Abmessungen der Vorspannöfen begrenzt. [3.5/2, 3.5/3]
la-Carb, Rodurlight etc). Der Aufbau weist meistens eine PC-Scheibe
Die wesentlich steifere Zwischenschicht SGP wird ähnlich wie PVB
als Kern und dünne, vorgespannte Gläser an den Außenflächen auf
in einem Autoklaven zu Verbundsicherheitsglas verarbeitet. Im Gegen-
_ Abb. 15, 17
satz zu PVB kommt das Material allerdings nicht als Rollen-, sondern
peraturdehnungen von PC zu gewährleisten, erzielt gute Haftungsei-
als Plattenmaterial mit standardmäßigen Dicken von 1.52 und 2.28 Mil-
genschaften und ist chemisch beständig, aber relativ teuer. PU kann
limeter in den Handel. Zurzeit ist die Fertigungsbreite auf 2,50 Meter
ähnlich wie PVB als Folie oder flüssig verarbeitet werden. Beim Ein-
beschränkt, standardmäßig beträgt die Plattenlänge 3 Meter.
pressen von flüssigem Polyurethan zwischen die an den Rändern ab-
Bei der nicht voll automatisierten Herstellung von GH-Verbundscheiben wird das Harz in den mit transparentem doppelseitigem Kle-
. Polyurethan (PU) vermag die Aufnahme der großen Tem-
gedichteten Scheiben bestehen hinsichtlich der Form des Verbundelementes kaum Beschränkungen. [3.5/5]
beband abgedichteten Scheibenzwischenraum von 1 bis 2 Millimetern
Schollglas stellt mit Gewe-composite ein Verbundglas her, bei dem
Breite eingelitert. So können auch Scheiben mit größeren Dickentole-
ein spezielles Gießharz mit hoher Verbundwirkung verwendet wird,
ranzen verbunden werden. Die Fertigungsgrößen werden nur von der
das wie bei SGP eine Reduzierung der Scheibendicken erlaubt.
gen. [3.5/4] Verbundgläser aus Glas und Polycarbonat (PC) werden unter ver-
65
Größe des Kipptisches begrenzt und können bis zu 3 m x 8 m betra-
DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS
A ohne Verbund/lose
Z|D
B mit elastischem Verbund
Z|D
C mit starrem Verbund 9
12
Schubmodul G [N/mm2]
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Z|D
2,0 1,5 1,0 0,5 0,1 0 0
10
11
10 20 30 40 50 60 70 80 90 Temperatur T [°C]
13
12
Spannungsverteilung im Querschnitt eines Verbundglases:
9 Dachverglasung mit SGP und Pilkington Planar,
A: ohne Verbund
Yorkdale Shopping Center, Toronto, Kanada
B: mit partiellem Verbund C: mit vollem (starrem) Verbund
10 Resttragfähigkeitsversuch eines VSG aus ESG: Kurz nach dem Bruch ist das VSG noch relativ 13
steif, mit anhaltender Belastungsdauer sackt 11 Delamination eines VSG bei mangelhafter Herstellung
Näherungskurve für die Abhängigkeit des Schubmoduls G von der Temperatur T (bei VSG)
3.5
es zusammen wie ein „nasses Handtuch“.
BEDEUTUNG FÜR DAS KONSTRUIEREN
den aus Einzelgläsern mit starken Planitätsabweichungen sowie bei
Durch das Laminieren von Glas zu Verbundelementen kann das Trag-
gebogenen und strukturierten Gläsern zum Einsatz.
66
verhalten bei intakten aber vor allem auch bei gebrochenen Einzelgläsern entscheidend verbessert werden. Splitterbindung, Trag- und
_
Resttragfähigkeit bei Glasbruch hängen neben der Festigkeit der Ein-
Für das Tragverhalten ist die Position der Zwischenschicht innerhalb
zelgläser vor allem von der Verbundwirkung der Zwischenschicht ab.
des Spannungsquerschnittes relevant. Bei gleich dicken Deck-
TRAGFÄHIGKEIT
Bei der Detailplanung sind die größeren Herstellungstoleranzen
schichten eines symmetrischen Verbundaufbaus liegt die Zwischen-
bei Verbundgläsern zu beachten. Durch den Laminierungsprozess
schicht in der Mittelachse und wird im intakten System nur durch
von PVB oder SGP kann es an den Kanten der Gläser sowie an den
Schubkräfte beansprucht. Je steifer die Folie, desto größer ist die Ver-
Wandungen von Bohrlöchern zu einem Kantenversatz von bis zu
bundwirkung und desto kleiner die auftretenden Verformungen. Da es
2 Millimetern kommen, der bei vorgespannten Gläsern nicht mehr bei-
sich bei PVB um einen visko-elastischen Thermoplast handelt, ist das
geschliffen werden darf. Die tatsächlichen Außenabmessungen kön-
Schubmodul in besonderem Maß von der Umgebungstemperatur und
nen so bis zu 4 Millimeter vom Ursprungsmaß abweichen
.
der Dauer der Einwirkung abhängig. Aufgrund dieser Abhängigkeiten
Bei Gießharzverbunden können durch die manuelle Ausrichtung der
sind bei rechnerischen Nachweisen Fallunterscheidungen sinnvoll,
Scheiben geringere Kantenversprünge als beim PVB-Verbund erzielt
wie sie etwa im Normentwurf der EN 13474 vorgeschlagen wurden.
werden. Gießharze kommen vor allem für die Herstellung von Verbun-
Bei kurzzeitigen Lasten wie Windböen oder Anpralllasten kann ein
_ Abb. 18
DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS 18
PC-Kern
PU-Harz
PU-Folie/
1 1
Glas-GlasVerbund
Glas-PolycarbonatVerbund
Dicke [mm]
40
24
Gewicht [kg/m2]
90
38
U - Wert [W/m2K]
4,47
3,95
Dünnglas
5
5
9
5
15
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
16
5
14
Dünnglas
17
19
14, 16 Bauteilversuche an Mehrfach-VSG-Scheiben für begehbare Verglasungen: Bei kurzzeitigen Belastungen wie beim harten Stoß (hier simuliert durch einen Stahltorpedo) ist die
18 15
Mehrschichtiger Aufbau eines SILACarb-Sicherheitsglases
Verbundsteifigkeit hoch, bei mittel- und langfristigen Beanspruchungen wie bei der Resttragfähigkeit gebrochener Scheiben unter Eigen- und Verkehrslast
19 17
Glas-Glas-Verbund und Glas-Polycarbonat-Verbund
Aufbau eines Glas-Polycarbonat-Verbundglases mit
gleicher Widerstandsklasse (durchbruchhemmend
einer Durchbruchhemmung P6B nach EN 356
P8B nach EN 356) im Vergleich
3.5
(hier simuliert durch Lastpakete) dagegen gering.
Produktionstechnisch kann es bei der Fertigung von VSG zu einem Kantenversatz von bis zu 2 mm kommen.
voller Schubverbund, bei dauerhaft einwirkenden Lasten wie Eigenge-
gerechnet werden kann und die Scheibendicken und -gewichte deut-
wicht darf dagegen nur die Steifigkeit der Einzelscheiben berücksich-
lich reduziert werden können. Mittlerweile wird SGP im konstruktiven
tigt werden. Bei Temperaturen unter 23 °C kann bei mittelfristig wir-
Glasbau wie bei den Treppen für die Apple-Stores auch dazu benutzt,
kenden Lasten ein Teilverbund veranschlagt werden. Ab 80 °C beginnt
Beschläge auf die Glasoberfläche zu laminieren, um die Optik mecha-
sich die PVB-Folie vom Glas zu trennen (Delamination). [3.5/6, 3.5/7]
nischer Verbindungen zu vermeiden. Da die Wärmeausdehnung von
EVA und GH weisen ein ähnliches rheologisches Materialverhalten wie PVB auf. Ihre Steifigkeit ist bei Raumtemperatur nur etwa halb so
SGP aber ein Vielfaches von der des Glases beträgt, müssen Temperaturspannungen auch langfristig besonders beachtet werden.
groß wie bei PVB, bei Temperaturen um 60 °C ist die verbleibende Steifigkeit allerdings deutlich höher. Bei weichen, für den Schallschutz
_ SPLIT TERSCHUTZ
optimierten GH-Zwischenschichten darf kein Verbund angerechnet
Um das Risiko von Schnitt- und Stichverletzungen so weit als möglich
werden.
zu mindern, steht die Splitterbindung und Resttragfähigkeit bei Glas-
Im Gegensatz zu PVB, Gießharz oder EVA besitzt die konstruktive
bruch an oberster Stelle und ist ausschlaggebend für die Klassifizie-
Zwischenschicht SGP, ursprünglich für Verglasungen in Hurrikan-Ge-
rung als VSG. Über 95 Prozent aller VSG werden mit Folien aus PVB
bieten entwickelt, eine bis zu 100-fach höhere Steifigkeit. Hohe Dau-
hergestellt. In der Isonorm EN ISO 12543 sind die Mindestanforde-
ertemperaturen (bis 70 °C) verändern kaum die mechanischen Eigen-
rungen an ein VSG festgeschrieben, die sich an den Eigenschaften
schaften, so dass auch bei Dauerlasten ein vollständiger Verbund an-
von PVB orientieren; die konstruktiven SGP-Zwischenschichten über-
67
UND REST TRAGFÄHIGKEIT
DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS
Nennmaß
Aufbau
Gesamt-
Schall-
Gesamtdicke
[mm]
gewicht
dämmmaß
[kg/m2]
[dB]
[mm]
Scheibe 1
SZR
Scheibe 2
mit Standard-PVB-Folien 9
44,2
–
–
20
34
12
64,4
–
–
25
35
13
66,2
–
–
30
36
15
66,6
–
–
30
37
37
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
mit speziellen PVB-Folien (Trosifol Sound Control) 9
44,2
–
–
20
29
44,2
16
4
30
39
31
44,2
16
6
35
41
33
44,2
16
8
40
43
39
66,3
16
10
55
46
38
44,2
16
66,3
50
48
Dicke [mm]
Farbe
Lichtdurchlässigkeit [%]
0,38
farblos
88
0,76
farblos
88
1,14
farblos
88
1,52
farblos
88
0,38
weiß
71
0,38
weißtransluzent
65
0,38
hellblaugrün
73
0,38
ozeanblau
71
0,38
Medium Bronze
52
0,38
grau
44
0,38
hellbraun
55
0,38
mittelbraun
26
0,38
dunkelbraun
9
23
20
21
20
Anwendungsbeispiel für VSG-Schallschutzgläser mit Trosifol Sound Control, Flughafen Köln-Bonn
21
Muster von VSG-Scheiben mit farbigen PVB-Folien (Stadip Color von SGG)
22
Muster einer VSG-Scheibe mit bedruckter Zwischenfolie (Sentry-Glass Expressions von Dupont)
23
Schalldämmmaß RW für ausgewählte VSGKonfigurationen: ein Scheibenaufbau 44.2 bedeutet VSG aus Scheiben von je 4 mm und 2 Zwischenlagen-PVB-Folien von je 0,38 mm
24
Lichtdurchlässigkeiten von verschiedenen
3.5
farbigen PVB-Folien (Trosifol MB) 22
24
treffen diese Anforderungen. Auch Gießharze, EVA- und PU-Folien las-
gegeneinander verzahnen können, so dass eine gewisse Formstabilität
sen sich hinsichtlich ihrer splitterbindenden Eigenschaften optimieren.
erhalten bleibt – im Gegensatz zu einem VSG aus ESG, das wie ein
Die Resttragfähigkeit von VSG hängt von Folienart, Foliendicke
„nasses Handtuch“ zusammensackt _ Abb. 10.
68
und dem Bruchbild der Einzelgläser ab. Da sich nach Bruch einer oder mehrerer Glasscheiben in der Regel Zugspannungen in der Folie
BEDEUTUNG FÜR DEN R AUMABSCHLUSS
aufbauen, bestimmen Reißfestigkeit und Reißdehnung der Zwischen-
_
schicht maßgeblich die Standzeit. In PVB-Verbunden kann die Rest-
Die Zwischenschichten unterscheiden sich in ihrem Brechungsindex
tragfähigkeit durch größere Foliendicken verbessert werden. Durch
kaum von dem von Glas, so dass sie in der Durchsicht nicht zu erken-
die Verwendung von SGP können die Verformungen nach dem Bruch
nen sind. PVB- und GH-Schichten absorbieren einfallendes UV-Licht
deutlich reduziert werden. Zudem haben Forschungen am ILEK der
fast vollständig. Mit dickeren PVB- und GH-Schichten (ab circa
Universität Stuttgart gezeigt, dass die Resttragfähigkeit durch Faser-
1,5 mm) laminiertes Weißglas zeigt einen leichten Gelbstich, während
und Gewebeeinlagen im Folien- oder Gießharzverbund deutlich ver-
SGP ähnlich wie Polycarbonat vollkommen farblos bleibt. An den Kan-
bessert werden kann.
ten von Gießharzscheiben sind bei bestimmten Lichtverhältnissen
OPTISCHE EIGENSCHAFTEN
Bei Glasbruch sämtlicher Scheiben beeinflusst das Bruchbild
Lichtbrechungen an den Klebebandrändern möglich. Die Kantenstabi-
maßgeblich die Resttragfähigkeit. Nicht oder nur teilweise vorge-
lität von PVB-Verbunden ist geringer als bei SGP, aber in der Regel so
spannte Spiegelgläser brechen in Schollen, die sich im Folienverbund
gut, dass auch bei frei bewitterten Kanten keine Delaminierungen
DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS Glas Lochblech in PVB eingebettet Glas
26
27
25
Muster Laminatglas mit Dekoreinlage
26
Aufbau eines Glas-Lochblech-Verbundglases
27
Simulation einer selbsttragenden hängenden
29
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
25
Fassade als Glas-Lochblech-Verbundglas Entwurf: Chr. Lueben, M. Mertens 28
Sphärisch gebogene VSG mit besonderen Sicherheitsanforderungen, Besucherkapsel London Eye, 1999, Konstruktionsfirma: Hollandia
29
VSG mit transluzenten PVB-Folien, SGG Stadip mit PVB-Folie Trosifol MB, Zuschauergalerien Turbinenhalle Tate Modern, London, 2000, Arch.: Herzog & de Meuron
3.5
28
oder Verfärbungen auftreten. Das Erscheinungsbild von VSG kann
_ SICHERHEITSEIGENSCHAFTEN
durch Verwendung eingefärbter PVB-Folien modifiziert werden. Die
Als Raumabschluss kann VSG auch aktive Sicherheitseigenschaften
Folienhersteller bieten ein Farbspektrum von transparenten und trans-
erfüllen. Nach EN 356 werden durchwurf- und durchbruchhemmende,
luzenten Grundfarben an, die miteinander kombiniert werden können
nach EN 1063 durchschusshemmende und nach DIN EN 13541
. Die Folienbreiten sind von Farbe und Dekor anhängig,
sprengwirkungshemmende Aufbauten unterschieden, die in weitere
_ Abb. 21
Grundfarben werden in der Bandmaßbreite von 3,21 Meter hergestellt. Durch das Einlegen von laserbedruckbaren PE- oder PET-Folien (Pat-
Widerstandsklassen unterteilt werden. Die extrem hohe Schlagzähigkeit und Belastbarkeit von PC im Ver-
.
bund verbessern die Durchbruchsicherheit. Die Deckschichten aus
Im digitalen Vierfarbendruck kann auch direkt auf die PVB-Folie ge-
Glas gewährleisten eine gute Kratzfestigkeit. Bei vergleichbaren Wi-
druckt werden. [3.5/8, 3.5/9]
derstandsklassen ist ein Glas-PC-Verbund dünner und leichter als ein
ternfolien) ergeben sich weitere gestalterische Möglichkeiten
_ Abb. 22
Das Gießharz kann im gesamten Farbspektrum koloriert oder mit
Glas-Glas-Verbund.
beliebigen anderen Materialien durchzogen werden, wodurch aber meist die mechanischen Eigenschaften beeinträchtigt werden. Ge-
_ AKUSTISCHE
naue Bemusterung und Reproduzierbarkeit der dekorativen Effekte
Der Aufbau eines Verbundglases um eine weiche Zwischenschicht ent-
sind nur bedingt möglich.
spricht einem schalldämpfenden Masse-Feder-Masse-System. Für einen optimierten Schallschutz sind spezielle PVB-Folien mit einem wei-
69
EIGENSCHAFTEN
DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
31
30
Laminierte Natursteinplatten erzielen ungewöhnliche optische Effekte (Verbundglas aus 12 mm ESG, 1,5 mm Gießharz und 10 mm Marmor). Christus Pavillon auf der Expo 2000, Arch.: gmp, Glas: Wendker & Selders
31
Ansicht einer Verbundscheibe mit integrierter HOE-Gitterfolie: Das einfallende Licht wird
3.5
in seine Spektralfarben zerlegt. 30
chen Kern entwickelt worden, die bis zur Bandmaßbreite von 3,21 Me-
kann durch Draht-, Geflecht-, Gewebe- oder Lochblecheinlagen erzielt
ter produziert werden. Gießharze kommen oft für Schallschutzgläser
werden. Für die Integration im PVB-Verbund müssen die Materialien
zur Anwendung, allerdings können diese aufgrund der gewünschten
genügend Durchgriff und Perforierung aufweisen, um einen Haftver-
Elastizität der Zwischenschicht die Anforderungen an die Splitterbin-
bund zu ermöglichen _ Abb. 25.
dung in der Regel nicht erfüllen. Aufgrund der höheren Steifigkeit weist
Eine weitere mögliche Anwendung ist die Einbettung von Filmen mit
SGP schlechtere schalldämmenden Eigenschaften auf
Holografisch-Optischen Elementen (HOE), die zur Lenkung von di-
_ Abb. 23.
rektem oder diffusem Tageslicht, als transparente Rückprojektions_ SPEZIELLE
wand oder für farbige Lichteffekte benutzt werden können
VERBUNDGLÄSER
70
Aus dekorativen Zwecken lassen sich über GH oder PVB Gläser mit
_ Abb. 31.
[3.5/10]
anderen flächigen Materialien verbinden. So werden dünn geschnitte-
Seit einiger Zeit befinden sich thermotrope, elektrochrome und
ne transluzente Natursteinplatten auf eine tragende Glasscheibe lami-
elektro-optische Verbundgläser mit variabler Strahlungsdurchlässigkeit
niert, um die Textur des Steins erfahrbar zumachen (z.B. Fiberglass,
in der Entwicklung. Marktreif sind bislang nur Verbundgläser mit
GreinTec). Die Natursteinschichten betragen zwischen 15 Millimeter
Schichten aus Flüssigkristallen (LC), die zwischen PU-Folien eingebet-
(Marmor oder Onyx) und 1 Millimeter (Granit)
tet sind. Durch das Anlegen eines elektrischen Feldes richten sich die
_ Abb. 30
.
In den PVB- oder GH-Verbund können auch weitere Dekor- oder
Kristalle aus, das Glas wechselt von einem durchscheinenden in einen
Funktionsschichten integriert werden. Ein saisonaler Sonnenschutz
durchsichtigen Zustand. Die Lichtdurchlässigkeit bleibt dabei nahezu
2
3
A
DAS FLÄCHIGE FÜGEN VON GLAS
1
B
32
34
32
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
4
Gebäudeintegrierte Solarmodule an der gläsernen Hüllkonstruktion der Fortbildungsakademie Herne, 1998 Arch.: Jourda & Perraudin Architectes mit HHS Planer
33
Gekrümmte VSG-Scheiben mit gefärbtem Gießharz als Überkopfverglasung: Die ungefärbten Abdichtungsbänder und die Schlieren in der Fläche beeinträchtigen das Erscheinungsbild.
34
Funktionsweise einer elektro-optischen Verglasung: Durch Anlegen eines elektrischen Feldes wird ein durchscheinendes Glas (B) durchsichtig (A). 1: Glas 2: Transparente Elektrodenschicht 3: Polymerschicht mit gerichteten Flüssigkristallen 4: Polymerschicht mit ungerichteten Flüssigkristallen
3.5
33
unverändert (circa 75 Prozent). Diese elektro-optischen Gläser sind
von symmetrischen Verbundgläsern. Die Deckscheibe wird normaler-
als VSG klassifiziert und weisen eine maximale Fertigungsgröße von
weise als Weißglas ausgeführt. Front- und Rückscheiben bestehen
1 m x 2,8 m auf. [3.5/11, 3.5/12]
aus TVG, um den erhöhten Temperaturen, die durch die Absorption der Sonnenenergie entstehen, standzuhalten. Maximale Fertigungsgrößen liegen bei 3,2 m x 2 m.
stellen Brandschutzgläser dar, die neben der raumschließenden Wir-
Man unterscheidet nach Wirkungsgrad und Erscheinungsbild mo-
kung auch die Ausbreitung der Hitzestrahlung eindämmen. Im Brand-
no-, polykristalline und amorphe Zellen. Kristalline Zellen werden wegen
fall bricht die beanspruchte Glasseite, und die Brandschutzmasse
ihrer größeren Dicke vorwiegend in Gießharz (Schichtdicke 2 mm) ein-
schäumt auf, wodurch der Durchgang der Hitzestrahlung fast vollständig
gebettet, während amorphe Zellen in einen PVB-Verbund integriert wer-
blockiert wird. Die Scheibengrößen betragen bis 1,35 m x 2,70 m.
den. Den besten Wirkungsgrad erzielen blaue, dunkelgraue bis schwar-
Von großer Bedeutung für Gebäudehüllen ist die Integration von
ze monokristalline Solarzellen (circa 16 Prozent). Aufgrund des geringe-
Photovoltaik (PV)-Zellen. Im Gegensatz zu freistehenden add-on-Sys-
ren Energieaufwandes bei der Herstellung und der guten Haltbarkeit
temen, bei denen die Solarzellen in EVA- und Tedlarfolie eingebettet
kommen meist polykristalline Zellen mit Kantenlängen von 10, 12,5 und
auf die Rückseite einer Glasscheibe aufgebracht werden, liegen bei
15 Zentimeter zum Einsatz, die innerhalb eines Moduls frei angeordnet
gebäudeintegrierten PV-Anlagen im Dach- und Fassadenbereich die
werden. [3.5/13] Scheiben mit eingebetteten PV-Zellen sind meist keine
Zellen geschützt in der mittleren, spannungsfreien Zwischenschicht
Verbundsicherheitsgläser (schlechtere Trag- und Resttragfähigkeit).
71
Verbundgläser mit einer zwischen vorgespannten Gläsern eingeliterten Brandschutzmasse aus Wasserglas oder salzhaltigem Hydrogel
ISOLIERGLÄSER FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
innen
außen
Verfahren
Produkt
Online-Sprühen (Pyrolyse)
Low-Energy-Gläser
Hardcoating thermisch und mechanisch beständig, für Weiter-
Sonnenschutzgläser
verarbeitung geeignet,
Spiegel
als Einzelglas verwendbar, bei Isolierglas in Pos. 1-4
Selbstreinigende Gläser Tauchbeschichtung
Entspiegelte Gläser
bei Einbrenntemperaturen > ca. 600 °C
°C 1 1
2
3
4 Softcoating mechanisch, oft auch therm.
Magnetronsputtering
nicht beständig, begrenzt
Low-Energy-Gläser Sonnenschutzgläser
für Weiterverarbeitung geeignet, bei Isolierglas nur außen
innen
in Pos. 2, 3
Tauchbeschichtung
Dichroitische Gläser
bei Einbrenntemperaturen < ca. 600 °C
2
Online begrenzte Schichtmaterialien
Online-Sprühen (Pyrolyse)
und Schichtanzahl,
Low-Energy-Gläser Sonnenschutzgläser
begrenzte Leistungsfähigkeit
Offline flexible Schichtmaterialien
Magnetronsputtering
Low-Energy-Gläser
und Schichtanzahl,
Sonnenschutzgläser
hohe Leistungsfähigkeit
Entspiegelte Gläser Spiegel Tauchbeschichtung
3
1 Die vielfältigen Schutzfunktionen eines Isolierglases: Wärmeschutz, Hitzeschutz, Lärmschutz und Schutz vor Einbruch 2 Bezeichnung der Positionen beschichteter Gläser bei einem Zweifach-Isolierglas
3.6
3 Beschichtungsarten im Überblick
_
OBERFL ÄCHENBESCHICHTUNGEN
_
Die harte, beständige und ebene Floatglasoberfläche ist ein ideales
_
Substrat für einen homogenen Materialauftrag während oder nach der Formgebung des Glases. Die mechanischen Eigenschaften bleiben
_ _
durch den Beschichtungsprozess weitgehend unverändert. [3.6/1]
3.6
ISOLIERGL ÄSER – BESCHICHTEN DER SCHEIBE UND VERBINDEN DER RÄNDER
Dünnfilmbeschichtungen für den Sonnen- und Wärmeschutz werden im Sprüh-, Kathodenzerstäubungs- oder Tauchverfahren herge-
72
stellt. Zu den Dickfilmbeschichtungen zählen aufgedruckte bezieDie letzte Stufe im Veredelungsprozess von Flachglas ist das Fügen
hungsweise aufgewalzte Farbschichten und gegossene Verbund-
von Einfach- oder Verbundscheiben zu Mehrscheiben-Isolierglas
schichten (s. Abschnitt 3.5).
(MIG). Isoliergläser haben ihre vorrangige Bedeutung im Wärme-
Je nach Widerstandsfähigkeit gegen mechanische, thermische
schutz, werden aber zunehmend auch multifunktional eingesetzt, um
und chemische Einwirkungen werden hard- und softcoatings unter-
Anforderungen an den Sonnen-, Blend- und Schallschutz zu integrie-
schieden. Hardcoatings werden meist als Online-Beschichtungen un-
ren
. Die Eigenschaften des Isolierglases werden von den Be-
mittelbar nach der Formgebung des Glases auf die heiße Flachglaso-
schichtungen der Einzelgläser, der Ausführung des Randverbundes
berfläche durch ein Sprühverfahren eingebrannt (Pyrolyse). Aktuell
und dem Gesamtaufbau bestimmt.
werden pyrolytische hardcoatings mit verbesserten Eigenschaften und
_ Abb. 1
ISOLIERGLÄSER 0 Glasoberfläche
Reflexion [%]
20 40 60 80
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
6
Low-E-Beschichtung
100 0
500
1000
1500
2000
Wellenlänge [nm] 4
7 Sichtbares Licht [%]
Gesamtstrahlung [%]
τv
ρv
bläulich-gräulich
54
19
27
38
16
46
bronzefarben
18
17
65
29
14
57
grünlich
26
32
42
19
17
64
Reflexionsfarbe
αv
τe
ρe
αe
pyrolytisch (online)
4 Kathodenzerstäubungsanlage Magnetronsputtering (offline) 5 Optische Kenndaten für verschiedene
starb silbrig
08
42
50
06
37
57
silbrig
32
13
55
26
14
60
gräulich
40
10
50
37
09
54
stark bläulich
08
30
62
08
25
67
bläulich
50
07
43
45
08
47
jeder Glasoberfläche wird die Flamme reflektiert,
stark grünlich
07
30
63
04
17
79
die Verfärbung des reflektierten Spiegelbildes
grünlich
26
11
63
15
08
77
markiert die Position der Beschichtung (hier:
Sonnenschutzbeschichtungen 6 Feuerzeugprobe zur Schichtbestimmung: An
Wärmeschutzbeschichtung auf Position 3). 5
7 Reflexionskurve für eine Low-E-Wärmeschutzbeschichtung: Die Reflektivität ist im sichtbaren Bereich gering,
3.6
im langwelligen IR-Bereich sehr hoch.
hitzebeständige softcoatings entwickelt. Die empfindlicheren Offline-
tät (Wärmeabstrahlung) von circa 90 auf etwa 15 Prozent herabge-
Beschichtungen werden auf gekühltem Glas aufgetragen, durch Mehr-
setzt wird (Low-E-Beschichtung) _ Abb. 7.
fachbeschichtung und flexible Schichtaufbauten werden leistungsfähigere Schichtsysteme ermöglicht
_ Abb. 3
. [3.6/2]
Die Wirkung selbstreinigender Gläser (z.B. SGG Bioclean, Pilkington Activ) beruht auf einer hydrophilen Schicht auf der Außenseite des Glases, die die Oberflächenspannung herabsetzt und ein gleichmä-
_
PYROLY TISCHE SPRÜHBESCHICHTUNGEN
ßiges Abfließen des Regenwassers ermöglicht. Tröpfchenbildungen
Pyrolytische hardcoatings, die sich auch für thermische Veredelungen
und Schmutzrückstände werden verhindert. Darüber hinaus be-
wie Biegen, Vorspannen und Emaillieren eignen, kommen für Sonnen-
schleunigt ein fotokatalytischer Effekt die Zersetzung organischer
und Wärmeschutzbeschichtungen und selbstreinigende Beschich-
Rückstände auf dem Glas. Ein Kontakt mit Silikonmassen muss ver-
tungen zum Einsatz.
hindert werden, ein Nassverfugen ist nicht möglich _ Abb. 10.
talloxidschicht auf klares oder gefärbtes Glas aufgebracht, die im ge-
_ KATHODENZERSTÄUBUNGSVERFAHREN
samten Bereich des Sonnenspektrums den Strahlen- und Energie-
Die größte Bedeutung für das Bauwesen haben im Kathodenzerstäu-
durchlass reduziert. Im reflektierten Licht wirken die Scheiben farblich
bungsverfahren (Magnetronsputtering) aufgetragene hochleistungsfä-
getönt und metallisch glänzend. Zur Verbesserung des Wärmeschutzes
hige softcoatings für den Sonnen- und Wärmeschutz
kann eine Zinnoxidschicht aufgetragen werden, wodurch die Emissivi-
Beschichtung erfolgt im kundenspezifischen Festmaß: Ein ther-
_ Abb. 4
. Die
73
Als Sonnenschutzbeschichtung wird eine stark reflektierende Me-
ISOLIERGLÄSER FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
10
8
11
8, 9 Neue Beschichtungstechnologie von abrasions- und witterungsbeständigen Chromspiegelbeschichtungen, die nicht vollflächig, sondern nur partiell aufgebracht werden (SGG STADIP aus PlaniluxDiamant und PVB-Folie Trosifol MB), Lentos Kunstmuseum Linz, Arch.: Weber und Hofer 10
Wirkungsweise SGG Bioclean: Nasse Floatglasscheibe, rechts mit und links ohne hydrophile Beschichtung
3.6
11
Farbwirkung dichroitisch beschichteter Glasproben
9
misches Vorspannen und das Erstellen von Bohrungen und Aus-
gesenkt werden, so dass mit dem Sonnenschutz auch ein wirkungs-
schnitten erfolgt vor der Beschichtung, das Laminieren der Gläser im
voller Wärmeschutz erreicht wird. Bei Streiflicht führen diese high-per-
Anschluss daran. In modernen Anlagen können im Bandmaß bis zu
formance coatings bisweilen zu unnatürlichen Reflexionsfarben.
74
15 verschiedenartige Schichten nacheinander aufgetragen werden. Die Durchlaufhöhe der Anlagen ist auf maximal 16 Millimeter be-
_
schränkt. Einfachgläser mit Standardbeschichtungen werden in der
Spezielle Offline-Beschichtunen werden als Sol-Gel-Tauchbeschich-
Regel in Dicken bis 10 Millimeter produziert.
tung beidseitig auf das Glas aufgebracht. Je nach Temperatur der an-
TAUCHBESCHICHTUNGEN
Schichtsysteme mit Silberschichten weisen bei geringer Außenre-
schließenden Wärmebehandlung (zwischen 400 °C und 650 °C) wer-
flexion (circa 12 Prozent) und neutraler Reflexionsfarbe eine hohe Se-
den sie zu soft- oder hardcoatings gezählt. Bei Antireflex-Gläsern redu-
lektivität auf. Die Edelmetallschicht zeigt bei hoher Durchlässigkeit im
zieren Interferenzerscheinungen an aufgetragenen Metalloxidschichten
Bereich des sichtbaren Lichts ein hohes Reflexionsvermögen im UV-
die Reflexion von 8 Prozent eines normalen Floatglases auf etwa
und Infrarotbereich. Mithilfe von Doppelsilberschichtsystemen ist es
1 Prozent (z.B. Schott Amiran). Entspiegelte Gläser sind in der Regel
möglich, eine Lichtdurchlässigkeit von bis zu 70 bei einem entspre-
bis 12 Millimeter Stärke erhältlich, die maximale Tafelgröße beträgt
chenden Gesamtenergiedurchlass von nur 35 Prozent zu erreichen
circa 1,80 m x 3,80 m. [3.6/3]
und damit die Selektivkennzahl nahe an die physikalische Grenze von
Durch verschiedene Tauchbäder sind Mehrfachbeschichtungen
2 zu bringen. Die Wärmeabstrahlung des Glases kann bis auf 2 Prozent
mit bis zu 40 Schichten möglich, wie sie für die Herstellung von
ISOLIERGLÄSER 15
18
13
16
19
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
12
Glas
Glas SZR
SZR SZR mit Luftfüllung
Abstandhalter Trocknungsmittel
SZR mit Luft- oder Edelgasfüllung
Glasleiste
1. Dichtungsebene (Butyl)
Butylrandverbund mit integriertem Trocknungsmittel
2. Dichtungsebene (Polysulfid/Silikon)
Polysulfid
evtl. Siebdruck
(2. Dichtungsebene)
transparentes Silikon 14
17
20
15 Zweifach-Standard-Isolierglas mit einem Abstandhalter aus Aluminium
12 Vorgänger des heute üblichen Isolierglases: Isolierglas mit verschweißtem Randverbund („Ganzglas-Doppelscheibe“)
18 Muster eines Wärmeschutzglases Thermur HM 16 Muster eines Edelstahl-Randverbundes (its-
mit Klimafolie der Firma Fischer Glas
Randverbund von der Firma Interpane) 13, 14 Muster der Firma Glasbau Hahn und
19, 20 Muster der Firma Scholl Glas und 17 Aufbau eines Standard-Randverbundes
Aufbau eines TPS-Randverbundes
3.6
Aufbau eines Ganzglas-Randverbundes
. Im Schichtaufbau
spezifischen Eigenschaften des Isolierglases hängen von den verwen-
wechseln sich Oxidschichten mit hohen und niedrigen Brechzahlen
deten Glassorten, der Art und Position der Beschichtung(en), der Grö-
ab, so dass ein System aus Interferenzschichten entsteht und das
ße und Füllung des SZR und der Art des Randverbundes ab.
dichroitischen Gläsern benötigt werden
_ Abb. 11
Licht wie durch einen Farbeffektfilter in die Spektralfarben zerlegt
Prinzipiell kommen alle Glasarten wie gebogenes Glas, Brand-
wird. Bestimmte Wellenlängen des sichtbaren Lichtes werden trans-
schutzglas, Gussglas und mit Einschränkungen auch Drahtglas für die
mittiert, komplementäre Wellenlängen reflektiert. Die Farbwirkung
Weiterverarbeitung zu Isolierglas in Betracht. Für ein einheitliches Er-
hängt neben den Schichtdicken, dem Einfallswinkel und der Intensität
scheinungsbild sollte innerhalb einer Fassade natürlich der gleiche Auf-
des Lichtes auch von dem Standort des Betrachters ab. Sie kosten
bau gewählt werden. Qualität und Dicke der Gläser (SG, ESG, TVG)
circa das 150-fache eines normalen Flachglases. [ 3.6/4, 3.6/5]
richten sich nach den statischen Erfordernissen. Für den Schall- und Einbruchsschutz werden Verbund- und Verbundsicherheitsgläser verwendet.
Eine Isolierglaseinheit besteht nach der Euronorm EN 1279 aus min-
Beschichtete Gläser verbessern die bauphysikalischen Eigen-
destens zwei Scheiben, die entlang ihrer Kanten linienförmig gefügt
schaften des Isolierglases. Um die Position der Beschichtung zu be-
sind und so einen luft- oder gasgefüllten Scheibenzwischenraum
zeichnen, werden die Scheibenoberflächen des Isolierglases von der
(SZR) einschließen. Ein Standard-Isolierglas besteht aus zwei, ein
außen liegenden Wetterseite (Pos.1) zur Innenseite (z. B. Pos. 4) num-
hoch dämmendes Wärmeschutzglas aus drei Scheibenebenen. Die
meriert. Softcoatings sind nur auf den geschützten Positionen 2 und 3
75
AUFBAU EINES ISOLIERGL ASES
ISOLIERGLÄSER
8 – 16 mm SZR : Luft Argon Krypton (SF)
Innenscheibe
12 mm
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
Außenscheibe
22
2 – 8 mm
12 mm
60°
SZR 15°
23 4
4 Glas
Außen
Evakuierungsöffnung mit verlötetem Verschluss Mikro-Abstandhalter Low-E-Beschichtung Gelöteter Randverschluss
U ~ 1,3 W / M 2 K 21
24
22
Prinzipieller Aufbau eines Standard-Isolierglases mit Gasfüllung
23
Aufbau einer Dreifach-Isolierverglasung mit
Im Scheibenzwischenraum integrierte gekantete
Stahlgewebeeinlage als saisonaler Sonnenschutz.
Lochbleche, Mediathek Vénissieux, 2001,
Edelgasfüllung und Wärmeschutzbeschichtung
Arch.: D. Perrault
befinden sich in einem getrennten SZR.
24
Aufbau eines Vakuum-Isolierglases mit einem U-Wert von ca. 1,3 W/m²K (Spacia von Nipon Sheet Glass)
3.6
21
im SZR zulässig. Sonnenschutzbeschichtungen sind außenseitig und
male Tafelgröße beträgt 2,40 m x 1,35 m. Mit einer Low-E-Beschich-
Wärmeschutzbeschichtungen raumseitig vorzusehen
tung kann ein U-Wert um 1,3 W/m²K erzielt werden _ Abb. 24. [3.6/6]
_ Abb. 2, 6
.
Der SZR bei Standard-Isolierglas beträgt normalerweise 12 bis
Der abdichtende Randverbund eines Standard-Isolierglases be-
16 Millimeter und ist zur Reduzierung der Wärmeleitfähigkeit statt mit
steht aus umlaufenden, etwa 12 Millimeter breiten, schubfest ver-
trockener Luft meist mit dem Edelgas Argon, seltener mit Krypton ge-
klebten Rechteckhohlprofilen aus Aluminium. Da eine vollkommene
füllt
Zur Integration von verschattenden oder lichtlenken-
Dampfdichtigkeit nicht gewährleistet werden kann, ist der Abstandhal-
den Maßnahmen kann der SZR auf bis zu 40 Millimeter zunehmen.
ter mit einem feinkörnigen Trocknungsmittel (Molekularsieb) gefüllt,
Bei der Kombination mit Wärme- und Sonnenschutzbeschichtungen
um eindringende Feuchtigkeit zu adsorbieren und Kondensatbildung
im SZR dürfen die Vorrichtungen nicht in Kontakt mit den softcoatings
zu verhindern. Um eine Korrosion der softcoatings zu verhindern, wer-
kommen. Den besten Schutz bietet ein Dreifachisolierglas (mit ent-
den die Einzelgläser vor dem Fügen einer mechanischen Randent-
sprechend größerer Gesamtdicke), bei dem Beschichtung und Vor-
schichtung unterzogen. Überwiegend wird ein zweistufiges Dichtsys-
richtung in verschiedenen SZR angeordnet sind
tem verwendet, bei dem die erste Dichtungsstufe eine Verklebung
_ Abb. 22.
_ Abb. 23
.
76
Eine Minimierung der Wärmeleitfähigkeit wird durch Evakuierung
zwischen Profil und Glas mit Butyl darstellt, die zweite eine dauerelas-
des SZR erreicht. Das auf dem Markt befindliche Spacia weist eine
tische Dichtung aus Polysulfid, Polyurethan oder Silikon, die auf den
Vakuumschicht von 0,2 Millimeter auf, die Scheiben sind durch Mikro-
außen liegenden Rücken des Abstandhalterrahmens eingebracht wird
noppen gekoppelt und die Glasränder hermetisch verlötet. Die maxi-
_ Abb. 17
. Polysulfid erreicht eine bessere Gasdichtheit als Silikon, ist
+
+
25
ISOLIERGLÄSER
=
-
27
min. 6 mm max. d2 + 2 mm d1
≤ 16 mm
min. 5 mm d2
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
W
evtl. ESG, TVG; kein Drahtglas
Sonnenschutzglas, Farbglas
26
28
29
28 25
Isoliergläsern mit normalen Scheibendicken.
Auch bei einseitiger Beanspruchung z. B. durch Wind werden beide Glasebenen beansprucht.
27
Ausbauchungen bei fallenden Temperaturen und/ oder fallendem Luftdruck (links) und Einwölbungen
29
Bei Sonnenschutz- und Farbgläsern sollten sich
Isolierverglasung eines Hochhauses in New York: Die
bei steigenden Temperaturen und/oder steigendem
aufgrund der erhöhten Bruchgefahr die Scheibendicken
optischen Verzerrungen deuten auf die Einwölbung bzw.
Luftdruck (rechts) – die dünnere Scheibe ist bei stärkeren
(d1, d2) um nicht mehr als 2 mm unterscheiden,
Ausbauchung der Scheiben infolge von Klimalasten hin.
Verformungen einer größeren Bruchgefahr ausgesetzt.
und die dünnere Scheibe sollte vorgespannt sein.
3.6
26
Besondere Bruchgefahr besteht bei steifen Scheiben, wie z. B. bei kleinformatigen
Schematische Darstellung des Kisseneffektes:
aber nicht UV-beständig und sollte daher nicht für einen frei liegenden
einflussen. Dazu zählen der so genannte Kisseneffekt, das Bauchen
Randverbund wie beim Structural-Glazing verwendet werden.
und Wölben der Scheiben infolge von Klimalasten und die Versteifung
Neuartige Randverbundsysteme wie Abstandhalter aus rollge-
durch den Abstandhalter. Temperatur- und Klimaspannungen können
formtem Edelstahlband oder Kunststoff reduzieren die Kältebrücken
die Verwendung vorgespannter Gläser erforderlich machen.
im Randbereich (Warm-Edge-Systeme), wodurch der U-Wert der ge-
Unter Kisseneffekt versteht man bei intaktem Randverbund die me-
samten Glaseinheit um 0,1 bis 0,2 W/m²K verbessert wird. Bei einem
chanische Kopplung der Gläser durch den SZR bei Biegebeanspru-
thermoplastischen Randverbund (Thermo-Plastic-Spacer, TPS) be-
chungen rechtwinklig zur Glasebene. Die beanspruchte Scheibe
steht der Abstandhalter aus einer trocknungsmittelhaltigen extrudier-
„stützt“ sich über das eingeschlossene Volumen auf die nicht unmit-
ten Butylmasse mit einer 1000-fach geringeren Wärmeleitfähigkeit als
telbar beanspruchte Scheibe ab, so dass beide Glasebenen sich zur
Aluminium
Hälfte am Lastabtrag beteiligen.
_ Abb. 19, 20
. [3.6/7]
BEDEUTUNG FÜR DAS KONSTRUIEREN
ben „konservierten“ barometrischen Luftdruck des Produktionsortes
Beim Konstruieren muss das große Eigengewicht der Einheiten beach-
im SZR. Infolge einer veränderten Wetter- und Höhenlage am Einbau-
tet werden. Der Randverbund und der hermetisch abgedichtete Schei-
ort entstehen Druckdifferenzen, die zu Verformungen führen. Stei-
benzwischenraum führen zu einer Reihe von besonderen mecha-
gende Temperatur oder fallender Luftdruck bewirken eine Ausbau-
nischen Eigenschaften, die das Tragverhalten von Isoliergläsern be-
chung der Scheiben infolge eines Überdrucks im SZR. Bei entgegen-
77
Klimalasten beruhen auf dem durch die Versiegelung der Schei-
16 mm
30
außen
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
ISOLIERGLÄSER
30 mm
SZR 50 m
Abstandhalter
25,00
40/25/3
4,00 Q 22 62 HV
8,00
40,00 4,00
31
30
32
33
Aufbau einer Isolierverglasung als Vertikalverglasung mit integrierten, beweglichen Mikrolamellen für flexiblen Sonnen-, Blend- und Sichtschutz; der große SZR führt zu größeren Klimalasten.
33 32
Musterscheibe
Isolierglaseinheit durch die kraftschlüssige Verklebung
Sonnenschutzlamellen aufgrund von Klimalasten
eines konstruktiven Abstandhalters aus Edelstahl
3.6
31
Skizze zur umlaufenden Lagerung der Einzelgläser einer
Fehlfunktion einer Isolierverglasung mit integrierten
gesetzten klimatischen Verhältnissen entsteht ein Unterdruck, und die
Der umlaufende, verklebte Randverbund führt zu einer Schubkopp-
Scheiben wölben sich nach innen. Das Bauchen der Scheiben wächst
lung der Scheiben entlang der Scheibenränder. In der Regel wird ver-
linear mit der Breite des SZR, als Faustregel führt die Klimalast zu ei-
sucht, die Schubbeanspruchung im Randverbund so gering wie mög-
ner Verformung von etwa 10 Prozent des SZR. Insbesondere Sonnen-
lich zu halten, um die Funktionalität der Dichtungsebenen nicht zu
schutzverglasungen sind aufgrund ihrer Erwärmung starken Klimalas-
beeinträchtigen. So sollte das Eigengewicht beider Glasebenen bei
ten ausgesetzt. Eine Temperaturdifferenz von 3 °C kann eine Klimalast
Vertikal- und Schrägverglasungen direkt gehalten werden und nicht
von 1 kN/m² verursachen _ Abb. 27.
über den Randverbund.
Die auftretenden internen Spannungen hängen von der Steifigkeit
Voraussetzung für eine nachweisbare Verbundwirkung sind steife
der Halterung und der Scheiben ab. Punkthalterungen und sehr steife
und ausreichend bemessene Abstandhalter aus Edelstahl oder glasfa-
Isoliergläser (kleine Scheiben mit großen Scheibendicken), dreiecks-
serverstärktem Kunststoff (GfK) und die Verwendung von Klebstoff-
förmige oder gekrümmte Scheiben, die nur eine geringe Verformung
systemen mit hoher Schubsteifigkeit _ Abb. 33. [3.6/8]
78
zulassen, erhöhen die Bruchgefahr der Einzelscheiben. Bei asymmetrischen Aufbauten sind die dünneren Scheiben bruchgefährdet.
BEDEUTUNG FÜR DIE R AUMHÜLLE
Drahtgläser sollten nur bis zu einem SZR von circa 10 Millimeter ver-
_
wendet werden, die Bruchgefahr von Einzelscheiben kann generell
Die Wärmeverluste eines Isolierglases durch Wärmestrahlung der
durch die Verwendung vorgespannter Gläser reduziert werden.
Glasoberflächen (Emission), Wärmeleitung und Konvektion im SZR
WÄRMESCHUTZ
Ar U ~ 5,8 W/m2K D
4
16
4
4
16
Ar
Luft U~ 3,0 W/m2K
U~ 1,1 W/m2K mit warm-edge
4
16
4
Ar U~ 2,7 W/m2K C
4
16
Ar
4
16
4
Ar
Low E
E
Low E
B
4
Low E
A
U~ 1,2 W/m2K
ISOLIERGLÄSER
4
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
16
Low E
4
8 mm
U~ 0,7 W/m2K
F
34
34
U-Werte von Einfach- und
Wärmestrahlung
Isolierverglasungen im Vergleich A Einfachglas 8 mm B Luftgefülltes Isolierglas C Mit Argon gefülltes Isolierglas D Zweifach-Isolierglas mit Wärmeschutzbeschichtung und Argon-Füllung E Wärmeschutzglas mit warm-edge-Randverbund
Konvektion
F Dreifach-Wärmeschutzglas mit Argonfüllung 35
Darstellung der physikalischen Ursachen für die Wärmeverluste einer Isolierglaseinheit: Wärmestrahlung zwischen den Glasoberflächen, Wärmeleitung durch das Füllgas bzw. den Randverbund und Konvektion im SZR.
Wärmeleitung
Zwei Drittel des gesamten Wärmeverlustes gehen auf die
über Gasfüllung
Wärmestrahlung (Emission) der Glasscheiben zurück. 36
Wärmeleitung
Zur Verbesserung des Wärmeschutzes können
über Randverbund
lichtdurchlässige Kapillarmatten in einen getrennten SZR eines Dreifach-Isolierglases 35
36
werden durch den Wärmedurchgangskoeffizient oder U-Wert erfasst
Isolierglas der zum Innenraum weisende SZR mit transparenter
. Moderne Anforderungen an den Wärmeschutz sehen für
Wärmedämmung (TWD) gefüllt werden, worunter man eine Kammer-
Glasbauteile U-Werte von 1,5 und besser vor. Während die isolierende
oder Kapillarstruktur aus Glas, Polycarbonat oder Plexiglas versteht
Luft- oder Gasschicht die Wärmeleitung zwischen äußerer und innerer
_ Abb. 36
Glasebene reduziert, verringert eine Wärmeschutzbeschichtung die
gleichmäßigen und blendfreien Tageslichtstreuung, die durch weiße
Emission. Die Wärmeverluste durch Konvektion nehmen mit wach-
Kapillarstrukturen und die Kombination mit kaschierenden Faserge-
sendem Gasvolumen und zunehmender Schräglage der eingebauten
weben verstärkt werden kann. [3.6/10]
_ Abb. 35
3.6
integriert werden (z. B. Kapilux von Okalux)
. Neben dem Wärmeschutz liegt der Vorteil von TWD in der
Isoliergläser dagegen zu. _ SONNENSCHUTZ
5,8 W/m²K auf. Durch das Füllen des SZR mit Argon, einer Wärme-
Eine effektive Reduzierung der Strahlungsgewinne wird durch eine re-
schutzbeschichtung und einem warm-edge-Randverbund reduziert
flektierende Sonnenschutzbeschichtung auf einer Scheibenoberflä-
sich der U-Wert bei einem Zweifach-Wärmeschutzglas auf 1,1 W/m²K,
che des Isolierglases erzielt (s. Seite 76 ff.). Gefärbte oder getönte
bei einem Dreifach-Glas sogar auf 0,7 W/m²K _ Abb. 34. Zur Gewicht-
Gläser senken auch die direkte Transmission, geben aber absorbierte
ersparnis kann bei hoch dämmenden Dreifach-Isoliergläsern eine Kli-
Strahlungsanteile durch Wärmestrahlung an den Innenraum ab.
mafolie die mittlere Glasebene ersetzen _ Abb. 18. [3.6/9] Zur Verbesserung des Wärmeschutzes kann bei einem Dreifach-
Durch die Integration von fest installierten oder beweglichen Mikrolamellen, Lochblechen und Geweben, Spiegelraster und Prismen-
79
Eine 8 Millimeter dicke Floatglasscheibe weist einen U-Wert von
ISOLIERGLÄSER FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
1
24 mm
23
4
60° SZR
15°
O2
A 37
41 1
23
4
37 Aufbau einer Isolierverglasung mit integrierten, unbeweglichen Mikrolamellen
SZR
für Lichtlenkung und Sonnenschutz ESG 38 Aufbau einer Isolierglasscheibe mit integriertem Mikro-Spiegelraster als Überkopfverglasung (Entwicklung Chr. Bartenbach mit Siemens AG). VSG aus TVG
Quer zu der Direktstrahlung verlaufen verspiegelte Kunststofflamellen, die als Reflexionsfläche dienen. Die Lamellen sind untereinander zu senkrecht
H2
B
stehenden Stegen verbunden: Die direkte Strahlung 38
wird reflektiert, die diffuse durchgelassen.
40 4 mm
6
16
4
39 Bewertetes Schalldämmmaß RW für ausgewählte Glasaufbauten. Eine Krypton- statt einer Argonfüllung kann
Ar
RW = 30 dB A
bei bestimmten Aufbauten das Schalldämmmaß
RW = 35 dB
zusätzlich verbessern. A Einfachglas
D
B VSG mit PVB-Akustikfolie C Isolierglas aus zwei gleich starken Einzelgläsern D Isolierglas aus zwei Einzelgläsern
4 4
4 4
20
6
unterschiedlicher Stärke E Isolierglas mit Außenscheibe aus VSG mit PVB-
Ar
mit PVB-
Akkustikfolie
Akkustikfolie B
F Isolierglas mit zwei VSG unterschiedlicher Stärke
RW = 41 dB
RW = 37 dB
40 Funktionsweise einer gasochromen Verglasung: Durch Wasserstoff tritt eine Blaufärbung ein (B), die
E
Entfärbung erfolgt durch die Zufuhr von Sauerstoff (A). 1 Glas 2 Wolframoxidschicht
4
16
4
6
6
24
4 4
3 Katalysator 4 Gasvolumen RW = 50 dB
Ar
mit PVB-
Ar
RW = 32 dB
41 Vielfältiges optisches Erscheinungsbild bei
Akkustikfolien
3.6
C
Isolierverglasung: Verzerrung der Reflexbilder aufgrund von Ausbauchungen der Scheiben, Bankgebäude am
F
Pariser Platz in Berlin, 1999, Arch.: F. O. Gehry
39
platten im SZR eines Dreifach-Isolierglases kann der Strahlungsge-
das Schalldämmmaß von Isoliergläsern erheblich. Für einen erhöhten
winn weiter reduziert werden. Durch deren Geometrie und Profilierung
Schallschutz können größere Scheibendicken und/oder Verbundgläser
kann ein winkelselektiver Strahlungsertrag und damit ein saisonaler
als Innen- oder Außenscheiben verwendet werden _ Abb. 39. [3.6/13]
Sonnenschutz erreicht werden. So kann die Lichtdurchlässigkeit im Sommer bei einem Einstrahlwinkel von etwa 60° minimal und im Win-
_
ter bei niedrigen Sonnenständen (7°) maximal sein
ERSCHEINUNGSBILD
.
Das optische Erscheinungsbild des Isolierglases entsteht aus der
Durch verspiegelte und profilierte Längs- und Querlamellen von Mi-
Überlagerung von Transmission und Reflexion der verschiedenen Glä-
kro-Rasterelementen wird das energiereiche Südlicht fast vollständig
ser und Beschichtungen mit unterschiedlichen Brechungsindizes.
_ Abb. 23, 37, 38
geblockt. [3.6/11] Aktuell wird an gasochromen Isoliergläsern geforscht,
Die Ausbuchtungen und Einwölbungen der Gläser unter Klimalast
deren Transparenz durch die chemische Reaktion eines eingeleiteten
werden bei starken Reflexen an den Außenscheiben als deutliche Ver-
Gases mit den beschichteten Innenflächen gesteuert werden kann
zerrungen wahrgenommen. Eine im Vergleich zur Innenscheibe stei-
_ Abb. 40
fere Außenscheibe reduziert diesen Effekt. Mitunter kommt es im in-
. [3.6/12]
tensiven Schräglichteinfall der auf- oder untergehenden Sonne zu
80
_ AKUSTISCHE
EIGENSCHAFTEN
Prismeneffekten, die sich als lokale Zerlegung des Lichts in Spektral-
Der mehrschalige Aufbau von Isoliergläsern und die Eigenfrequenz des
farben zeigen und als Doppelscheibeneffekt dem charakteristischen
Masse-Feder-Masse-Systems verbessern für besondere Frequenzen
Erscheinungsbild von Isolierglas zugeordnet werden. [3.6/14]
81
3.6
FLACHGLAS ALS BAUSTOFF
ISOLIERGLÄSER
– – – – –
4
83
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
KONSTRUIEREN MIT GLAS KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Flächenförmig (2D)
Stabförmig (1D)
Plattenförmige Verwendung (raumbildend) Biegung
zweiachsig gespannte Platte
Knicken 2
einachsig gespannte Platte
Plattenstreifen
Scheibenförmige Verwendung (strukturbildend) Druck
Scheibe
Kippen
Stütze 3
Schub
Beulen Schwert zur Stabilisierung/Aussteifung
4
Biegung 1 Übersicht Tragelemente aus Flachglas 2 – 4 Die drei elementaren Stabilitätsfälle von stabwandartiger Träger
und scheibenförmigen Tragelementen aus Balken
Flachglas: das Knicken von druckbeanspruchten Wandscheiben und Stützen, das Kippen von Balken und Trägern und das Beulen von allseitig
4.1
gehaltenen Druckgliedern und Schubfeldern 1
_
bei Tragstrukturen unterscheiden. Platten- und scheibenförmige An-
_
wendungen können sich bei Flächentragwerken überlagern _ Abb. 1. Die plattenförmige oder raumbildende Verwendung von Glas ist
_
untrennbar mit der traditionellen Schutzfunktion der Gebäudehülle
_ _
4.1
KONSTRUIEREN MIT GL AS
verbunden. Quer zur Glasebene angreifende Wind- oder Schneelasten werden über die Biegesteifigkeit der Platte zu den Auflagerrändern
84
abgetragen. Auch wenn die Beschädigung von Tertiärtragwerken (VerFL ACHGL AS ALS HÜLL- UND KONSTRUKTIONSELEMENT
glasungen im Wand- oder Dachabschluss) folgenlos für die globale
Glas unterscheidet sich von allen anderen Konstruktionsmaterialien
Stabilität des Tragwerks ist, müssen insbesondere bei Überkopfver-
durch seine Sprödigkeit: Wenn Glasbauteile brechen, passiert dies im
glasungen, begehbaren und absturzsichernden Verglasungen Anfor-
Allgemeinen ohne Vorankündigung. Um überhaupt gläserne Bauele-
derungen an die RTF erfüllt werden. Bei scheiben- oder stabförmigen
mente verwenden zu können, ist neben ihrer Tragfähigkeit vor allem
Verwendungen werden die Scheiben in ihrer Ebene beansprucht. Auf-
die Fähigkeit gefragt, auch im gebrochenen Zustand Lasten abtragen
grund der im Vergleich zur plattenförmigen Verwendung größeren
zu können, die Resttragfähigkeit (RTF).
Tragfähigkeit sind Scheiben und Stäbe aus Glas strukturbildend, sie
Prinzipiell kann man zwischen einer plattenförmigen Anwendung in
ermöglichen den planmäßigen Transport von Systemlasten von der
der Gebäudehülle und einer scheiben- bzw. stabförmigen Anwendung
Lastangriffsfläche zum Boden. Nur wenige Bemessungs- oder Aus-
KONSTRUIEREN MIT GLAS 6
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
5
8
5 Beispiel einer plattenförmigen Verwendung: Punktgehaltene Vertikalverglasung, Sony Center Potsdamer Platz Berlin, Arch.: Murphy Jahn, 2000 6 Beispiel einer scheibenförmigen Verwendung als stützende Wandscheibe: Temple de l’Amour, Burgund, 2002, Arch.: D. J. Postel
7
7 Beispiel einer scheibenförmigen Verwendung
9
als Schubfeld: Hängende Verglasung ZeppelinCarré, Stuttgart, 1998, Arch.: Auer + Weber 8 Beispiel einer Glasstütze, Fußpunkt Stelenkonstruktion Platzgestaltung Göttingen, 2004, Arch.: M. Hägele 9 Beispiel eines versteifenden Glasschwerts als Teil eines Fassadenpfostens, Neues Museum Nürnberg, 2000, Arch.: V. Staab 10 Beispiel für eine stabförmige Verwendung als Glasbalken, Überdachung des Judenbades in Speyer, 1999, Planer: W. Spitzer
führungsnormen regeln diese neuen konstruktiven Anwendungsmög-
FÜGETECHNIK
lichkeiten. Zu den scheibenförmigen Bauteilen zählen Druckglieder,
Aufgrund der Sprödigkeit des Materials stellt das Fügen von Glasbau-
Schubfelder und wandartige Träger, zu den stabförmigen Tragele-
teilen die zentrale Herausforderung dar. Eine glasgerechte Verbin-
menten Stützen und Balken.
dungstechnik sollte auf einem „Bausatz“ verschiedener, beanspru-
Aufgrund der in der Regel hohen Schlankheit dieser Tragelemente
chungsgerechter Lösungen basieren, die anwendungsbezogen kombi-
neigt der Querschnitt dazu, unter Last seitlich auszuweichen, so dass
niert und modifiziert werden können.
Stabilitätskriterien die Tragfähigkeit begrenzen. Druckglieder neigen
In jedem Fall muss auf eine gleichmäßige Krafteinleitung zwischen
zum Knicken, Schubfelder zum Beulen, Balken zum Kippen oder Bie-
Glas- und Verbindungselementen durch geeignete Zwischenschichten
gedrillknicken _ Abb. 2 – 4.
geachtet werden. Ein Kontakt zwischen Glas und Glas oder Glas und
Der Transport von Systemlasten verlangt Ausfallbetrachtungen
Metall ist auszuschließen. Härte, Steifigkeit und Dauerstandverhalten
und Systemsicherheiten. Während der Bruch einzelner Schubfelder
der Zwischenschicht beeinflussen das Tragverhalten von Platte und
zur Aussteifung von Tragstrukturen (so genannte Sekundärtragwerke)
Scheibe entscheidend. Die Lasteinleitungsschicht sollte bei einer
nicht unmittelbar das Versagen der Gesamtstruktur nach sich zieht,
möglichst hohen Druckfestigkeit und einem guten Dauerstandverhal-
besteht bei Bruch von stützenden Glasbauteilen, die Teil des Primär-
ten ein geringeres E-Modul (Elastizitätsmodul) als Glas aufweisen.
tragwerks sind, durchaus die Gefahr des Einsturzes weiterer Teile des Bauwerks.
Platten- oder scheibenförmige Tragelemente können an Kanten, Ecken oder Flächen punktförmig, entlang ihrer Kanten linienförmig
85
4.1
10
KONSTRUIEREN MIT GLAS KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Kraftschluss
Reibverschluss
Klemmteller (punktförmig)
Stoffschluss
Formschluss
Kleben
Kontaktverbindung
Klemmschiene (linienförmig)
linienförmige Klotzung
punktförmige Klotzung
Lochbleibungsverbindung
geklebter Punkthalter
linienförmiges Kleben (SG)
11 Normalkraft
Biegung
scheibenförmige Verwendung
plattenförmige Verwendung
zweiseitig Punktförmige Lagerung geringe Ausnutzung des Querschnitts dreiseitig
Lastkonzentration
Linienförmige Lagerung vierseitig
vollständige Ausnutzung des Querschnitts
12
Eckklemmhalter
Bolzenverbindungen
11 12
Übersicht der Fügetechniken Qualitativer Vergleich der Spannungsverteilung von punkt- und linienförmiger Lagerung bei platten- und gemischte Stützung
scheibenförmiger Verwendung anhand von FEM-Modellen 13
Linienförmige und punktförmige Lagerung
4.1
13
oder durch gemischte Stützungsvarianten gelagert sein
. Die
Nach dem Mechanismus der Kraftübertragung differenziert man
Form der Lasteinleitung hat große Auswirkungen auf die Spannungs-
formschlüssige, kraftschlüssige und stoffschlüssige Systeme. Zu den
verteilung im spröden Glas. Punktförmige und ungleichmäßige Kraft-
im Glasbau verwendeten kraftschlüssigen Verbindungen zählen Reib-
einleitungen führen zu Lastkonzentrationen und einer geringen Aus-
schluss- und Kontaktverbindungen, zu den formschlüssigen Verbin-
nutzung des Glasquerschnitts. [4.1/1, 4.1/2] Bei Punkthalterungen unter-
dungen zählen Bolzen- und Lochleibungsverbindungen. Den stoff-
scheidet man neben Anzahl und Größe der Haltepunkte verschiedene
schlüssigen Klebeverbindungen wird aufgrund der vielfältigen Anwen-
Systeme, die sich in Bezug auf Lastabtrag und Verhalten bei Glasbruch
dungsmöglichkeiten im Folgenden ein besonderer Stellenwert einge-
unterscheiden. Während Tellerhalter und Kopfhalter, Senkhalter und
räumt _ Abb. 11.
_ Abb. 13
86
geklebte Punkthalter die Scheibenfläche stützen, greifen Randklemmhalter und Klemmteller an den Scheibenrändern und -ecken an. An
_
den Haltepunkten kann die Spannung bis zu dem Dreifachen der
Kleben ist das Fügen mit einem haftenden, nicht metallischen
Grundspannung betragen, so dass in der Regel thermisch vorge-
Prozesswerkstoff. Der Tragmechanismus einer Verklebung beruht auf
spannte Gläser verwendet werden müssen
der Tragkette von Fügeteil, Grenz- und Klebschicht
_ Abb. 12
. Die Punktlage-
KLEBETECHNIK
_ Abb. 16
, dabei
rung ermöglicht zwar eine gute Aufnahme von Toleranzen, führt aber
unterscheidet man Adhäsionskräfte im Grenzschichtbereich (Grenz-
auch zu einer aufwendigen technischen Gestaltung des Haltepunktes.
flächenhaftung) und Kohäsionskräfte in der Klebschicht (Festigkeit
Zeit- und kostenintensive Nachweisverfahren können erforderlich sein.
des Klebstoffes).
KONSTRUIEREN MIT GLAS Kraftschluss
Stoffschluss
18 Formschluss
14
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
17
Verbinden unterschiedlicher Werkstoffe
+
++
++
Berechenbarkeit der Verbindung, Abhängigkeit der Verbindungsstärke von der Temperatur, Kriechen unter statischer Last
++
0
+/0
Anwendungskriterium
thermischer Verzug
++
++
++
Arbeitsphysiologie z.B. Chemikalienemission
+
++
+/-
Abdichtung der Verbindung
-
0
++/+
Korrosionsanfälligkeit
0
0
+
Zeitbedarf zwischen Fügevorgang und gewünschter Verbindungsfestigkeit
++
++
+/0
Temperaturbeständigkeit der Verbindung
++
+/0
+
Lösbarkeit der Verbindung
++
+
0
Fügeteil 1 Grenzschicht 1 Klebschicht Grenzschicht 2 Fügeteil 2
16
19
17 – 19 Spannungsoptische Aufnahmen 14
Verklebte Glasbauteile im Möbelbau
17 Spannungsspitzen im Bereich der
15
Qualitativer Vergleich von form-, kraft-
18 Spannungsspitzen an Überlappungsenden
Bohrung bei Verschraubung unter Last und stoffschlüssigen Verbindungen
++ = sehr gut, + = geeignet, 0 = teilweise geeignet, - = ungeeignet
bei harten Verklebungen 19 Gleichmäßige Spannungsverteilung
16
bei dicken, elastischen Verklebungen
Tragkette Verklebung
4.1
15
Die Vorteile der Klebetechnik liegen vor allem darin, dass eine gezielte
vom Festigkeitsaufbau während der Aushärtung und von dem Festig-
Auswahl von Klebstoffen nach ihren mechanischen Eigenschaften ein
keitsabbau unter Gebrauchsbedingungen aufgrund von Umweltein-
universelles Anwendungsspektrum eröffnet. Abhängig von Fugenbreite
flüssen, Alterungs- und Schrumpfprozessen, Kriechen bei Dauerbe-
und Steifigkeit können Kräfte sehr gleichmäßig eingeleitet
lastungen und Ermüdungserscheinungen bei hoher Lastwechselrate
,
unterschiedliche Werkstoffe verbunden und Fügeteiltoleranzen und
nach der Aushärtung
Wärmeausdehnungen ausgeglichen werden. Die Klebfuge kann zusätz-
ben Aufschluss über die Alterungsprozesse unter dem Einfluss von
liche technische Funktionen wie die Fugenabdichtung übernehmen.
Temperatur, UV-Strahlung und Feuchtigkeit, so dass unter Berück-
Allerdings müssen im Vergleich zu kraft- und formschlüssigen Verbindungen zahlreiche Einflussfaktoren kontrolliert werden, die die Fes-
_ Abb. 21 – 23
. Verschiedene Testverfahren ge-
sichtigung von Abminderungsfaktoren die langfristige Dauerhaftigkeit von Klebstoffsystemen nachgewiesen werden kann. [4.1/3, 4.1/4]
tigkeit einer Klebeverbindung im Gebrauchszustand beeinflussen. So
Die Erfahrung im Fahrzeug-, Flugzeug- und Schiffsbau, wo Struk-
ist die Festigkeit nicht nur von den mechanischen Eigenschaften des
turklebstoffe seit längerem eine herausragende Rolle spielen, zeigt,
Klebstoffsystems und Art und Dauer der Beanspruchungen abhängig ,
dass bei der richtigen Auswahl des Klebstoffsystems und bei anforde-
sondern auch von der geometrischen Gestaltung der Klebefuge, der
rungsorientierter Planung und Ausführung Klebeverbindungen vorbe-
Ausführungsqualität, den Umwelteinflüssen wie UV-Strahlung, Feuch-
haltlos eingesetzt werden können. Neue Produktentwicklungen er-
tigkeit und Temperatur und der Oberflächenbehandlung der Fügeteile.
möglichen es, das große Potenzial der Klebetechnik vermehrt auch im
Die Festigkeit einer Klebeverbindung ist von vielen Einflüssen geprägt:
konstruktiven Glasbau für eine ganze Bandbreite neuer Anwendungs-
87
_ Abb. 17 – 19
KONSTRUIEREN MIT GLAS
Spannung
System und Beanspruchungen
Klebstoffart
zähelastische Klebschicht flexible, elastische Klebschicht
Materialien der Fügeteile
Fertigung
Dehnung ε 20
Konstruktionstoleranzen
Oberflächen der Fügeteile
Kleben
starre Verklebung
100 Klebfestigkeit [%]
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
harte, spröde Klebschicht
80
Instandsetzung und Wartung
Oberflächenvorbehandlung und -aktivierung
60 40 20
Atmosphärische Einwirkungen und Alterung der Klebung
0 0
Klebgeometrie, Schichtdicke der Klebung
0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 Klebschichtdicke [mm]
21
23 elastische Verklebung Silikone Klebfestigkeit [%]
100 80
Polyuretane
60 Epoxidharze
40 20
Acrylate
0 0
1
2
3
4
5
6
Festigkeit
Klebschichtdicke [mm] 22
Temp.Beständigkeit
Feuchte-/UVBeständigkeit
Fugendicke
Ausgleich von Verformungen
Transparenz
24
20
Spannungs-Dehnungsdiagramm für verschiedene Klebstoffsysteme
21
Abhängigkeit der Festigkeit von der Klebschichtdicke bei harten Verklebungen
23
Größen, die die Festigkeit von Klebeverbindungen beeinflussen
22
Abhängigkeit der Festigkeit von der 24
Qualitativer Vergleich verschiedener Klebstoffsysteme
4.1
Klebschichtdicke bei elastischen Verklebungen
möglichkeiten transparenter Kanten- und Flächenverklebungen zu
keinem schlagartigen Festigkeitsverlust. Wegen des ausgeprägten
nutzen
Kriechverhaltens beträgt die Kurzzeitfestigkeit von flexiblen Klebstof-
_ Abb. 24
.
Nach dem Elastizitäts- und Schubmodul werden flexible, zähelasti-
88
fen ein Vielfaches der Langzeitfestigkeit.
.
Epoxidharze und Acrylate zählen in der Regel zu den harten Kleb-
Silikone, MS-Polymere (Modified Silicones) und Polyurethane (PUR)
stoffen, sie weisen bei einer Klebstoffdicke von ca. 0,1 bis 0,5 Milli-
zählen zu den flexiblen Systemen. Flexible Klebstoffe weisen in der
meter nur eine geringe Bruchdehnung auf
Regel eine Festigkeit von über 1 N/mm² und eine Bruchdehnung von
maler Schichtstärke zwar hohe Festigkeiten besitzen, aber nicht tole-
über 150 Prozent auf und eignen sich daher für linienförmige Verkle-
ranz- und spannungsausgleichend sind, eignen sie sich vor allem für
bungen. Mit einer Fugendicke von circa 5 Millimeter sind elastische
punktförmiges Fügen. Zwängungsspannungen, die aus dem hohen
Klebstoffe spaltfüllend und spannungsausgleichend
sche und harte bzw. spröde Klebstoffsysteme unterschieden
_ Abb. 20
_ Abb. 21.
Da sie bei opti-
. Die
Temperaturausdehnungskoeffizient herrühren können, müssen be-
flexible Verbindung eignet sich gut für die Aufnahme dynamischer Be-
achtet werden. Harte Klebstoffe versagen durch Sprödbruch ohne
lastungen, dämpft die Schallübertragung zwischen den Bauteilen und
Vorankündigung.
_ Abb. 22
kann darüber hinaus auch abdichtende Funktionen übernehmen. Im
Eine Sonderrolle nimmt zurzeit das Fügen mit Zwischenlagen aus
Vergleich zu harten Klebstoffen existieren bessere Möglichkeiten zur
Sentry Glass Plus (SGP) von DuPont ein, das für das Laminieren von
Reparatur oder zur Demontage der Verbindung. Aufgrund des hohen
VSG mit hoher Verbundsteifigkeit entwickelt wurde. In letzter Zeit wur-
Weiterreißwiderstandes ist das Versagensbild gutmütig, es kommt zu
den erfolgreich auch Punkt- und Kantenbeschläge mit SGP im Auto-
Aufnahme geringer Kräfte
Aufnahme großer Kräfte
Prinzipielle Spannungsverteilung in Klebefuge
Klebfestigkeit [%]
Gebrauchsfestigkeit Scherkräfte
Montagefestigkeit Transportfestigkeit
Zugkräfte Zeit
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Zug-Scher-Festigkeit [N/mm2]
25 Druckkräfte
2,5 2 Schälkräfte
1,5 1 0,5 0 10
20
30
40
50
60
70
80
90
Spaltkräfte
Prüftemperatur [°C]
Zeitstandfestigkeit [N/mm2]
26
KONSTRUIEREN MIT GLAS
Beanspruchungsart Reservefestigkeit
29
2,5 2 1,5 1 0,5 0 0,01 0,1
1
10
10 2 103 10 4 105
statische Beanspruchungszeit [h]
Schubwechselspannung [N/mm2]
27
25 Qualitative Festigkeitszunahme
2,5
eines Klebstoffs nach Verarbeitung 2 1,5
26 – 28 Einflussfaktoren auf die Langzeitfestigkeit bei einem flexiblen PUR-Klebstoff
1
26 Einfluss Temperatur
0,5
27 Einfluss Lastdauer (statisch) – mit
0 0
1
10
10
2
10
3
10
4
10
5
Anzahl der Lastwechsel
10
6
7
10
zunehmender Lastdauer nähert sich die Kurve dem Grenzwert der Dauerstandfestigkeit an 28 Einfluss Lastwechsel (dynamisch)
29
Geometrien von Klebefugen und deren Belastungsarten
4.1
28
klaven und im Vakuumsack unter Druck und Temperatur mit der Glas-
nationaler und bisweilen auch auf regionaler Ebene unterschiedlich.
oberfläche stoffschlüssig verbunden. SGP stellt auch bei einer Schicht-
Im Folgenden soll ein allgemeiner und vereinfachter Überblick der
dicke zwischen 1,5 und 2 Millimeter eine relativ harte Verklebung dar,
baurechtlichen Situation in Europa gegeben werden.
so dass die verschiedenen Ausdehnungskoeffizienten von Glas und SGP beachtet werden müssen.
In der Regel wird zwischen Bauprodukten und Bauarten unterschieden. Zu den Produkten zählen die verschiedenen Basisglasprodukte und veredelten Flachglaserzeugnisse. Für geregelte Baupro-
_
BAURECHTLICHE SITUATION
dukte existieren entsprechende nationale oder europäische Produktnormen, die von den jeweiligen Ländern umgesetzt werden, wie die
Die Grundlage zur Planung und Genehmigung einer Glaskonstruktion
EN 572 für Float- und Walzglas, die EN 12150 für vorgespanntes Glas,
bildet die baurechtliche Situation des Landes, in dem die Konstruktion
die EN 1863 für teilvorgespanntes Glas oder die EN ISO 12543 für
zur Ausführung kommen soll, sowie die dort gültigen Produkt-, Aus-
Verbundsicherheitsglas. Hier sind jeweils die Herstellungsverfahren,
führungs- und Bemessungsnormen. Aufgrund der sicherheitsrele-
Maße, Toleranzen und Eigenschaften wie die mechanische Festigkeit
vanten Fragestellungen bei der Verwendung des spröden Baustoffs
aufgeführt. Die Übereinstimmung des Bauprodukts mit den Normen
geht die Normungsarbeit allerdings nur langsam voran und liegt ge-
muss durch eine Herstellererklärung oder ein Zertifikat einer aner-
genwärtig weit hinter den Möglichkeiten des Baustoffes zurück. [4.1/5]
kannten Prüfstelle nachgewiesen werden. Im europäischen Bereich
Zudem sind oftmals die Genehmigungsverfahren auf kontinentaler,
erfolgt die Kennzeichnung durch das CE-Zeichen. [4.1/6]
89
NACHWEISVERFAHREN
KONSTRUIEREN MIT GLAS KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Leitlinien für die europäische technische
Konstruktion
Zulassung
punktförmig gelagerte Vertikal- oder
abZ, ZiE
Zulassung (ETAG) Nr.
Teil
Titel
Überkopfverglasung, nicht nach TRPV 002
Geklebte Glaskonstruktionen
(Technische Regeln für die Verwendung
Structural sealant glazing Systems
von punktförmig gelagerten Verglasungen)
01
Gestützte und ungestützte Systeme Supported and unsupported Systems
02
Beschichtete Aluminium-Systeme
geklebte, lastabtragende Verglasung
ETA, abZ, ZiE
linienförmige Überkopfverglasung,
ZiE
SSG
Coated aluminium Systems 03
Systeme mit thermisch getrennten Profilen Systems incorporating profiles with a thermal barrier
>1,20 m
nicht nach TRLV (Technische Regeln für die Verwendung von linienförmig
04
Beschichtete Verglasung
gelagerten Verglasungen)
Opacified glazings
30 punkt- oder linienförmig gelagerte,
abZ, ZiE
begehbare Verglasung
absturzsichernde Verglasung, nicht
abZ, ZiE
nach TRAV (Technische Regel für die Verwendung von absturzsichernden Verglasungen)
30 31
Druckglieder
ZiE
Schubfelder
ZiE
wandartige Träger und Balken
ZiE
Leitlinien für europäische Zulassungen Übersicht der Zulassungsverfahren von nicht geregelten Bauarten (Beispiel Deutschland) abZ: allgemeine bauaufsichtliche Zulassung, erteilt vom DIBt (Deutsches Institut für Bautechnik) ETA: Europäische Technische Zulassung, erteilt von der Europäischen Organisation für technische Zulassungen (EOTA) ZiE: Zulassung im Einzelfall, erteilt von der obersten Bauaufsicht des Bundeslandes
4.1
31
Unter Bauarten versteht man die Art und Weise, wie die Bauprodukte verwendet und gefügt werden. Auf europäischer Ebene existieren kei-
Berlin erteilt wird, oder einer Europäischen Technischen Zulassung
ne entsprechenden Ausführungsnormen für Glaskonstruktionen, eine
(ETA), die in Abstimmung mit der jeweiligen Länderbehörde von der
Norm für die Bemessung von Glasbauteilen ist jedoch in Vorbereitung.
Europäischen Organisation für technische Zulassungen (EOTA) erteilt
Auch auf nationaler Ebene bestehen nur wenige Normen, in Deutsch-
wird. Grundlage für die Beurteilung des Zulassungsantrags sind Zulas-
land gibt es lediglich Regeln für die Verwendung von hinterlüfteten
sungsleitlinien (ETAGs) oder speziell abgestimmte Beurteilungskrite-
Außenwandbekleidungen,
rien. Ein Beispiel für eine ETAG ist die Zulassungsleitlinie für Geklebte
linienförmig
gelagerten
Verglasungen
(TRLV) und absturzsichernden Verglasungen (TRAV). Eine technische
90
lichen Zulassung, die vom Deutschen Institut für Bautechnik (DIBt) in
Glaskonstruktionen (ETAG 002) _ Abb. 30. [4.1/10]
Regel für die Bemessung und Ausführung punktförmig gelagerter Ver-
Wenn Bauprodukt oder -art weder durch technische Regeln noch
glasungen (TRPV) liegt als Entwurfsfassung vor (August 2006). [4.1/7,
durch Zulassungen oder Prüfzeugnisse des Herstellers geregelt sind,
4.1/8, 4.1/9]
muss die Verwendbarkeit einer solchen Sonderkonstruktion für diesen
Da in den meisten Fällen die Verwendbarkeit eines Glasproduktes
speziellen Einzelfall nachgewiesen werden. Die Zuständigkeit für die
oder einer Glaskonstruktion nicht durch geltende technische Baube-
Durchführung und Kontrolle des Nachweises ist europaweit nicht ein-
stimmungen nachgewiesen werden kann, muss eine Zulassung des
heitlich geregelt. In Deutschland ist eine solche Zulassung im Einzelfall
Herstellers für das Produkt oder die Bauart vorliegen, etwa in Form
(ZiE) vom Bauherren bei der obersten Bauaufsicht des Bundeslandes
einer national gültigen Zulassung wie der allgemeinen bauaufsicht-
einzuholen. Neben Standsicherheits- und Gebrauchstauglichkeits-
Einwirkungen
anspruchsvolle plattenförmige Anwendungen
scheibenförmige Anwendungen
Widerstand
deterministisches Verfahren
probabilistisches Verfahren
Versagenswahrscheinlichkeit 32
33 Glasart
Verwendung
Charakteristische
Zulässige
Globaler
Biegefestigkeit
Spannung
Sicherheits-
[N/mm 2]
[N/mm2]
beiwert γ
ESG aus Spiegelglas
120
50
120/50 = 2,4
ESG aus Gussglas
90
37
90/37 = 2,4
Emailliertes ESG
70
30
70/30 = 2,4
aus Spiegelglas Spiegelglas
Gussglas
Überkopfvergl.
45
12
45/12 = 3,8
Vertikalvergl.
45
18
45/18 = 2,5
Überkopfvergl.
25
8
25/8 = 3,1
Vertikalvergl.
25
10
25/10 = 2,5
Überkopfvergl.
45
15 (25)*
45/15 = 3,0
Vertikalvergl.
45
22,5
45/22,5 = 2,0
TVG aus Spiegelglas
70
29
70/29 = 2,4
Emailliertes TVG
45
18
45/18 = 2,5
VSG aus Spiegelglas
KONSTRUIEREN MIT GLAS
einfache plattenförmige Anwendungen
Szenario
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Tragstruktur
aus Spiegelglas
*für untere Scheibe einer Überkopfverglasung aus Isolierglas bei Lastfall „Versagen der oberen Scheibe“ zulässig 34 32
Prinzipielles Vorgehen zur sicherheitstheoretischen Untersuchung; die Unterscheidung möglicher Schadensszenarien ist bei spröden Materialien sinnvoll.
33
Sinnvolle Anwendungsbereiche für das deterministische und das probabilistische Verfahren
34
Übersicht bemessungsrelevanter Größen beim Tragfähigkeitsnachweis des deterministischen Verfahrens nach der deutschen TRLV (die bauaufsichtliche
4.1
Einführung von TVG ist noch nicht abgeschlossen)
nachweisen sind gegebenenfalls auch Nachweise zur Stoßsicherheit
dard AS 1288 und der zurückgezogene Entwurf für die EN 13474 folgen
und zur RTF von einer sachkundigen und anerkannten Prüfstelle zu
verschiedenen deterministischen und probabilistischen Ansätzen. [4.1/13,
erbringen. [4.1/11, 4.1/12]
4.1/14 ]
Bei dem deterministischen Verfahren, wie es beispielsweise in der
Der Großteil tragender Glaskonstruktionen fällt heute immer noch
deutschen TRLV beschrieben ist, werden Streuungen auf Material- und
in diese Kategorie der Sonderkonstruktionen, so dass häufig aufwen-
Beanspruchungsseite durch einen globalen Sicherheitsfaktor erfasst,
dige rechnerische und versuchstechnische Nachweise zu erbringen
der nur bedingt auf Glas- und Verwendungsarten eingeht.
sind _ Abb. 31.
Zur Bestimmung der Versagenswahrscheinlichkeit nach dem probabilistischen Sicherheitskonzept, auf dem auch der Entwurf der EN
RECHNERISCHE NACHWEISE
13474 beruht, wird dagegen durch Teilsicherheitsbeiwerte in differen-
Die Dimensionierung von Glasbauteilen ist für die meisten konstruktiven
zierter Weise auf statistische Streuungen sowohl auf Materialseite
Anwendungen aufgrund fehlender Bemessungsnormen nicht oder nur
(Festigkeit) als auch auf Lastseite (Größe Wind, Schnee) eingegangen.
unzureichend geregelt. Unklarheiten bestehen bei der Ermittlung der
Auf der Materialseite können Einflussfaktoren wie Art und Dauer der
Spannungsverläufe, wie zum Beispiel wie mithilfe der Finite-Elemente-
Belastung, Größe und Zustand der Scheibe und Umgebungsbedin-
Methode (FEM) wirklichkeitsnahe Modellannahmen zu treffen sind, und
gungen wie Luftfeuchtigkeit berücksichtigt und anwendungsbezogene
vor allem bei deren Be- und Auswertung. Die technischen Richtlinien in
Besonderheiten wie die temperatur- und zeitabhängige Verbundwir-
Deutschland, der American Standard ASTM E 1300, der Australian Stan-
kung von Verbundsicherheitsglas und die unterschiedliche Verteilung
91
_
KONSTRUIEREN MIT GLAS
Konstruktion
Experimenteller Nachweis
Kriterium
Absturzsichernde
Pendelschlagversuch mit
Verglasung wird nicht
Verglasung
Verglasung mit weichem Stoßkörper
durchschlagen und löst
(Zwillingsreifen nach EN 12600)
sich nicht aus Halterung, kein Herabfallen gefährlicher Bruchstücke
Überkopfverglasung
Resttragfähigkeitsnachweis
Mindeststandzeit,
unter Stoßbelastung mit
z.B. 24 Stunden
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Zusatzbelastung 36 zu Reinigungszwecken
Fallversuch mit weichem Stoß-
Verglasung wird nicht
betretbare Überkopf-
körper (Glaskugelsack, 50 kg)
durchschlagen und löst
verglasung
und Fallversuch mit hartem
sich nicht aus Halterung,
Stoßkörper (Stahlkugel, 4 kg)
kein Herabfallen
bei Belastung mit Einzellast
gefährlicher Bruchstücke, Mindeststandzeit, z.B. 30 Min.
begehbare Verglasung
Fallversuch mit hartem Stoß-
Verglasung wird nicht
körper („Torpedo“, 40 kg) bei
durchschlagen, kein Herab-
Belastung mit Einzellast
fallen gefährlicher Bruchstücke, Mindeststandzeit z.B. 30 Min.
sonstige tragende
Belastungsversuche zur Kali-
Glasbauteile
brierung der rechnerischen
je nach Anwendungsfall, Resttragfähigkeit immer
z.B. Balken, Stützen
Nachweise
erforderlich
Glashalter, für die ein
Bestimmung der Tragfähigkeit
je nach Anwendungsfall
rechnerischer Nachweis
d. Halters bei Auszug u. unter
nicht möglich ist
Querlast, Bestimmung der Dauerhaftigkeit der Funktion des Halters (Salzsprühnebeltest), Untersuchung der verwendeten Zwischenmaterialien
35
35
37
Überblick über versuchstechnische Nachweise:
36
Pendelschlagversuch mit Zwillingsreifen
37
zum Nachweis der Absturzsicherung
Kugelfallversuch zum Nachweis der Stoßsicherheit einer Überkopfverglasung
4.1
Vorgaben für verschiedene Konstruktionen
von Vorspannkräften über die Scheibenfläche bewertet werden. [4.1/15,
für viele nicht geregelte Bauprodukte und Bauarten keine ausrei-
4.1/16, 4.1/17, 4.1/18, 4.1/19 ]
Mithilfe von Versagensszenarien können auch
chenden Erkenntnisse über Tragfähigkeit und RTF vorliegen und dy-
Grenzzustände für Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit formuliert
namische Einwirkungen zum Teil rechnerisch noch nicht erfasst wer-
werden
den können
.
_ Abb. 32
_ Abb. 35
. Zu den Nachweisen gehören Versuche zur
Während das deterministische Verfahren die Einflussgrößen auf
Stoßsicherheit, zur Tragfähigkeit und RTF. Zerstörende Nachweise
der sicheren Seite abschätzt und so auf Kosten einer Querschnittsop-
können wie beim Heißlagerungstest von vorgespannten Scheiben
timierung ein anwenderfreundliches und praxisnahes Vorgehen für
auch der Qualitätskontrolle dienen. [4.1/20]
einfache Plattenbemessungen ermöglicht, wird das aufwendigere und
Bei dem Nachweis der Stoßsicherheit beispielsweise von angriffs-
detailliertere probabilistische Verfahren dem Materialverhalten von
hemmenden oder absturzsichernden Verglasungen unterscheidet
Glas wesentlich gerechter und ist somit für Nachweise von speziellen
man zwischen einem weichen und einem harten Stoß. Die Sicherheit
plattenförmigen Anwendungen und vor allem von strukturbildenden,
gegen Aufprall eines weichen Körpers hoher Masse (weicher Stoß)
scheibenförmigen Anwendungen geeignet
wird bei absturzsichernden Verglasungen durch einen so genannten
_ Abb. 33
.
Pendelschlagversuch nach EN 12600 nachgewiesen. Ein Zwillingsrei-
92
_ VERSUCHSTECHNISCHE
NACHWEISE
fen schwingt dabei aus einer definierten Fallhöhe gegen die Vergla-
Versuchstechnische Nachweise sind in der Regel zerstörende Nach-
sung, so dass maximale Beanspruchungen für Halter und Glas verurs-
weise an Originalbauteilen. In vielen Fällen sind sie unvermeidbar, da
acht werden
_ Abb. 36
. Der dynamische Lastangriff eines weichen
KONSTRUIEREN MIT GLAS 39
38
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
38
40
Doppelringversuch zur Bestimmung der Bruchfestigkeit einer Gussglasscheibe
39
Vierpunktbiegeversuch bei einem Sandwich aus vorgespannten Gläsern
40
Belastungsversuch und Resttragfähigkeitsversuch bei einem Glasfaltwerk
41
Floatglasproben für versuchstechnische Nachweise und Qualitätssicherung
4.1
41
Stoßes lässt sich mittlerweile auch rechnerisch simulieren. Der Aufprall
Gefährdung durch herabfallende Glasbauteile oder -splitter besteht.
eines harten Gegenstandes relativ geringer Masse (harter Stoß) wird
Da ein Glasbruch nie völlig ausgeschlossen werden kann, wird auch
bei Überkopfverglasungen oder begehbaren Verglasungen beispiels-
bei der gezielten Zerstörung einer, mehrerer oder aller Scheiben der
weise nach der DIN 52338 durch einen Kugelfallversuch
Verglasung eine von Nutzung und Wartungsintervall abhängige Rest-
_ Abb. 37
oder den Bewurf mit einem genormten Stahltorpedo auf die ungünsti-
standzeit bis zum Kollaps gefordert _ Abb. 38 – 40.
gen Stellen des Prüfkörpers nachgewiesen. In der Regel gelten die zerstörenden Versuche als bestanden, wenn die Verglasung nicht von den Lagern rutscht, die Scheibe nicht durchschlagen wird und sich keine gefährdenden Bruchstücke herauslösen. Der Nachweis der Tragfähigkeit kann durch Belastungsversuche an Originalbauteilen mit vorgegebener Belastung erbracht werden. Belastungen bis zum Bruch geben Aufschluss über das tatsächliche Sicherheitsniveau der Konstruktion. Durch Versuchsreihen werden Durch RTF-Versuche wird nachgewiesen, dass die Konstruktion auch nach Bruch für eine gewisse Zeit standsicher ist und dass keine
93
auch rechnerische Verfahren zur Standsicherheit kalibriert. [4.1/21]
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE
Einbaugeometrie
Verwendung
vertikal
Beispiel Raumformen
Fassade
w
80° – 90°
Vertikalverglasung
Absturzsicherung
H
g,s schräg
Überkopfverglasung
g,s w
horizontal
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Schräg- bzw.
w
15° – 80°
0° – 15°
g,s P
Horizontal- bzw. Überkopfverglasung
betretbare Überkopfverglasung
1 Übersicht der verschiedenen Verglasungsarten g,s p
an der Gebäudehülle begehbare Überkopfverglasung
2 Beanspruchungen und Einwirkungsdauer von Verglasungsarten
1 Sehr kurze Einwirkungsdauer harter Stoß
weicher Stoß
Vertikalverglasung
Wind
Mittlere Einwirkungsdauer Schnee
Holmlast
Personen
X
Vertikalverglasung mit Absturzsicherung
4.2
Kurze Einwirkungsdauer
X
Horizontal- und Schrägverglasung
evtl.
Begehbare Verglasung
X
evtl.
X
X
X
X
X
X
X
Ständige Einwirkungsdauer Klimalast
Eigengewicht
Höhenlage
evtl.
evtl.
evtl.
evtl.
evtl.
X
evtl.
evtl.
X
evtl.
2
_
sondere Gefährdung für Verkehrsflächen darstellen, werden diese zu
_
Überkopfverglasungen zusammengefasst, für die besondere Anforde-
_
rungen an die Resttragfähigkeit (RTF) gestellt werden. Auch Vertikalverglasungen, die der Absturzsicherung dienen, und betretbare, be-
_ _
4.2
gehbare oder befahrbare Horizontalverglasungen müssen besondere
PL AT TENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER
Sicherheitseigenschaften aufweisen und zusätzliche Anforderungen
GEBÄUDEHÜLLE
an Tragfähigkeit und RTF erfüllen. Plattenförmige Anwendungen sind in zahlreichen Veröffentlichungen wie dem „Glasbau Atlas“ detailliert
Nach der Einbaulage von plattenförmigen Glasbauteilen in der Gebäu-
beschrieben. Im Folgenden werden die Anforderungsprofile der Ver-
dehülle unterscheidet man Vertikal-, Schräg- und Horizontalvergla-
glasungsarten und die Lagerungsarten zusammengefasst. [4.2/1]
sungen. Vertikalverglasungen sind maximal 10 Grad aus der Vertikalen, Horizontalverglasungen maximal 15 Grad aus der Horizontalen gekippt _ Abb. 1.
94
Von der Einbaulage hängen Art und Dauer der Einwirkungen und damit auch das Gefährdungspotenzial der Verglasung ab _ Abb. 2. Da Schräg- und Horizontalverglasungen im Falle von Glasbruch eine be-
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
3
5
6
5 Absturzsichernde Vertikalverglasung: Café in der Tate Modern mit Blick über die Themse, 2001, Arch.: Herzog & de Meuron 3 Punktgehaltene Vertikalverglasung mit Dorma-Spider
6 Rahmenlose Vertikalverglasungen aus ESG stellen ein Gefährdungspotenzial dar. Die herabfallenden, oft zusammenhängenden Glaskrümel können
4 Der Pendelschlagversuch bei einer
schwere Verletzungen verursachen.
absturzsichernden Verglasung
4.2
4
Vertikalverglasungen, die Personen auf angrenzenden Verkehrsflächen
_
VERTIKALVERGLASUNG UND ABSTURZSICHERNDE VERGLASUNG
vor einem Höhenunterschied und einem seitlichem Absturz bewahren,
Kurzfristige Winddruck- und Windsogkräfte wirken quer zur Scheibe-
werden als absturzsichernde Verglasungen bezeichnet
nebene. Das Eigengewicht, das in der Scheibenebene wirkt, muss über
raumhohe Verglasungen mit oder ohne Geländerholm oder einer Un-
Verklotzungen oder Bolzenverbindungen an die Unterkonstruktion ab-
terteilung durch einen Brüstungsriegel in vorgeschriebener Höhe soll-
gegeben werden. Das wesentliche Schutzziel bei Vertikalverglasungen
ten unterschiedliche Anforderungen gelten. Generell sollte für absturz-
besteht im Versagensfall darin, Verkehrsflächen vor herabfallenden
sichernde Verglasungen VSG aus grob brechenden Gläsern verwendet
Splittern zu schützen
werden.
_ Abb. 3, 6
. Bei allseitiger Lagerung dürfen auch
_ Abb. 5
. Für
grob brechende Glaserzeugnisse wie Spiegelglas (SPG), Gussglas oder
Kriterium der Absturzsicherung ist neben der Tragfähigkeit unter
Verbundglas (VG) verwendet werden, ansonsten müssen Sicherheits-
der linienförmigen Holmlast auch die Standsicherheit bei einem An-
gläser zur Anwendung kommen. Für Vertikalverglasungen, bei denen
prall einer Person und die RTF bei Glasbruch. Der rechnerische oder
mit länger anhaltenden veränderlichen Lasten zu rechnen ist (z. B.
experimentelle Nachweis der Stoßsicherheit durch einen Pendel-
Schneeanhäufungen bei Shed-Verglasungen) muss VSG verwendet
schlagversuch
werden. Linienförmig gelagerte Verglasungen stellen in der Regel – bei-
rungsbedingungen der Verglasung den Standards entsprechen, wie sie
spielsweise nach der deutschen Technischen Richtlinie für linienförmig
etwa in den deutschen Technischen Regeln für die Verwendung von
gelagerte Verglasungen (TRLV) – eine geregelte Bauart dar. [4.2/2]
absturzsichernden Verglasungen (TRAV) beschrieben sind. [4.2/3]
_ Abb. 4
kann entfallen, wenn Abmessung und Lage-
95
VERGL ASUNGSARTEN
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
7
8
8 Nicht geregelte Überkopfverglasung aus gebogenem ESG, die Verkehrsfläche muss durch ein gespanntes Netz vor herabfallenden Bruchstücken geschützt werden, Verbindungsgang Neue Messe Leipzig 7 Für den Nachweis der Resttragfähigkeit einer großflächigen, punktgehaltenen Überkopfverglasung
9 Überkopfverglasung mit geklebten Scheibenrändern:
ist vor allem die Geometrie und Anordnung der Punkthalter
Eingang U-Bahnstation Buchanan Street, Glasgow, 2003,
entscheidend, Neue Messe Leipzig, 1996, Arch.: gmp
Ing.: Dewhurst McFarlane and Partners. Alle Glasbauteile sind als VSG mit entsprechender RTF ausgeführt.
96
4.2
9
_ ÜBERKOPFVERGLASUNG
_
BETRETBARE UND BEGEHBARE VERGLASUNGEN
Das Eigengewicht stellt bei Überkopfverglasungen eine dauerhafte
Überkopfverglasungen können für geschultes Personal zu Reinigungs-
Beanspruchung quer zur Plattenebene dar, daher müssen Einfachver-
oder Wartungszwecken betretbar sein. Dabei sind die Auflagen aus
glasungen und Innenscheiben von Isolierverglasungen aus VSG beste-
dem Bereich des Arbeitsschutzes und die Vorschriften der Berufsge-
hen. Neben VSG kann Drahtglas bis zu einer maximalen Stützweite
nossenschaften zu beachten. Wenn die unterhalb der Verglasung be-
von 70 Zentimetern und einem ausreichenden Glaseinstand verwen-
findliche Verkehrsfläche während der Reinigungs- oder Wartungsar-
det werden. VSG aus ESG darf wegen der schlechten RTF nicht ver-
beiten gesperrt wird, liegt in der Regel keine Gefahr für die öffentliche
wendet werden. Bei zweiseitiger Lagerung besteht im Gegensatz zu
Sicherheit vor. Über Fallversuche ist dann die bedingte Betretbarkeit
einer vierseitigen Lagerung auch bei VSG die Gefahr einer Knickbil-
und Durchsturzsicherheit nachzuweisen. [4.2/4, 4.2/5]
dung in der Scheibenmitte, daher schreibt die TRLV ab einer Spann-
Begehbare Verglasungen wie Treppenstufen, Podestplatten und
weite über 120 Zentimetern eine allseitige Lagerung vor, das Verhältnis
transparente oder beleuchtete Fußböden werden planmäßig durch
der Scheibenabmessungen darf maximal 3:1 betragen. Nicht geregelt
Personenverkehr belastet. Für die Ausführung begehbarer Vergla-
sind linienförmig gelagerte Verglasungen mit Bohrungen oder Aus-
sungen gibt es derzeit keine Normen. Einige Hersteller bieten aller-
schnitten, Verglasungen aus Gussglas oder gekrümmte oder geklebte
dings Systeme für punkt- und linienförmig gelagerte begehbare Ver-
Verglasungen _ Abb. 7 – 9.
glasungen an, z.B. SGG Lite-Floor _ Abb. 10 – 12. [4.2/6] Für die rechnerischen Nachweise ist die Tragfähigkeit unter gleichmäßig verteilter
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
11
12
10 Anwendungsbeispiel SGG Lite-Floor, Privathaus Antwerpen, Belgien 11, 12 Belastungs- und Stoßversuche im Rahmen des Prüfverfahrens für eine allgemeine bauaufsichtliche Zulassung von SGG Lite-Floor
4.2
10
Verkehrslast (z. B. 5 kN/m²) und einer Einzellast an ungünstigster Stelle
zu verlegen. Die seitlichen Scheibenränder sollten für eine statisch be-
zu untersuchen. Die Stoßsicherheit wird experimentell über Fallversuche
stimmte Lagerung frei beweglich sein. Durch Distanzverklotzungen ist
mit einer Stahlkugel oder einem Stahltorpedo und die RTF über einen
ein Verschieben auszuschließen, die Scheiben sind eventuell gegen
anschließenden Reststandversuch nachgewiesen. Dabei muss der
Abheben zu sichern. Bei zweiseitiger Lagerung muss beispielsweise
Prüfkörper bei zerstörten Einzelscheiben eine nutzungsabhängige Rest-
durch Senkhalter gewährleistet sein, dass die Scheibenränder auch bei
standzeit (min. 30 Minuten, bis zu 48 Stunden) aufweisen. [4.2/7, 4.2/8]
Glasbruch nicht vom Auflager rutschen können _ Abb. 14.
tens drei Scheiben, wobei voll vorgespannte, teilvorgespannte und
REST TR AGFÄHIGKEIT VON PL AT TEN
nicht vorgespannte Gläser miteinander kombiniert werden dürfen. Die
Zur Bestimmung der RTF beschädigter Glasplatten werden Schadens-
oberste Scheibe besteht für eine bessere Schlagfestigkeit in der Regel
szenarien mit der Schädigung einer einzelnen, mehrerer oder aller
aus ESG und wird als Verschleißschicht bei den rechnerischen Nach-
Scheiben des Verbundes unterschieden.
weisen nicht berücksichtigt. Deren Rutschsicherheit muss nach den
Ist eine Scheibe gebrochen, hängt die RTF von der Biegefestigkeit
Nutzungsanforderungen durch Siebdruck, Strahlmattierung, Walzglas
der verbleibenden intakten Scheiben ab. Aufgrund der höheren Bean-
etc. gewährleistet werden.
spruchungen empfehlen sich hierfür vorgespannte Gläser. Gebro-
Eine allseitige Lagerung ist für die RTF von Vorteil _ Abb. 12, 13. Die Gläser sind plan auf ein ausreichend dickes und breites Elastomerlager
chene Scheiben in der Druckzone können sich über die Verbundfolie noch am Lastabtrag beteiligen. [4.2/9]
97
Begehbare Vergasungen bestehen in der Regel aus VSG mit mindes-
poss. Siebdruck
SilikonVersiegelung
≥ 5 mm
VSG-Aufbau von
[mm]
oben nach unten
Mindestdicke der PVB-Folie
[mm]
[mm]
700
8 TVG/15 ESG/8 TVG
1,52
1 400
8 TVG/19 ESG/8 TVG
2,28
Elastomerunterlage Shore-A-Härte 60 – 80 20 – 35 mm
Unterkonstruktion
13 ≥ 30 mm
poss. Siebdruck
VSG
Max.
Max.
VSG-Aufbau von
Mindestauflager-
Länge
Breite
oben nach unten
breite der Verglasung
[mm]
[mm]
[mm]
[mm]
1 500
400
8 TVG/10 SPG/10 SPG
30
1 500
750
10 TVG/12 SPG/12 SPG
30
1 250
1 250
10 TVG/10 TVG/10 TVG
35
1 500
1 250
10 TVG/12 TVG/12 TVG
35
VSG
Unterkonstruktion
65 – 100 mm
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Max. Stützweite
VSG
Distanzklotz
≥ 5 mm
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE
≥ 8 mm
mindestens M 12
14 Resttragfähigkeit bei Zerstörung aller Scheiben
gering
mäßig
gut
sehr gut
VSG aus Floatglas VSG aus ESG
x x
VSG aus TVG
x
VSG aus ESG + TVG
x
Drahtglas
x
15 13
Schematischer Aufbau einer allseitig linienförmig gehaltenen, begehbaren Verglasung
Resttragfähigkeit bei Zerstörung aller Scheiben
gering
mäßig
gut
und beispielhafte Glasaufbauten
sehr gut 14
vierseitige Lagerung
x
Schematischer Aufbau einer zweiseitig linienförmig gehaltenen, begehbaren Verglasung und beispielhafte Glasaufbauten
zweiseitige Lagerung
x
Punktlagerung mit Tellerhalterung
x
Punktlagerung mit versenkten Haltern
x
15
Resttragfähigkeit für verschiedene Glasarten
16
Resttragfähigkeit für verschiedene
4.2
Lagerungsarten bei Verwendung von VSG 16
Sind alle Scheiben gebrochen, wird die RTF bestimmt durch Lage-
tremfall bei Senkhaltern zum Ausknöpfen des Halters führen können.
rungsart und Bruchbild. Prinzipiell weisen Platten aus grob bre-
Bei gelenkiger Lagerung können nach Scheibenbruch die Spannungen
chenden Glaserzeugnissen (Spiegelglas oder TVG) eine wesentlich
besser kontrolliert werden. Durch den Formschluss von Bolzen mit
bessere RTF auf als das in feine Krümel brechende ESG, da
dem Glaselement („Vernagelung“) ist die RTF insgesamt besser als
Glasschollen durch ihre gegenseitige Verzahnung einen Beitrag zum
die von zweiseitig gelagerten Platten zu bewerten _ Abb. 16.
Abtrag der Kräfte in der Zugzone leisten können. Ein VSG aus ESG weist sehr starke Verformungen auf, da die Zugkräfte allein über die
FÜGETECHNIKEN
Folie abgetragen werden müssen
_
_ Abb. 15
. Prinzipiell hat eine allsei-
Durch punktförmige Bolzenverbindungen wie Senk- und Tellerhalter
dreiseitig gelagerte, da sich nach dem Bruch Membrankräfte in der
kann die Verglasung von der Konstruktionsebene entkoppelt werden,
Platte entwickeln können, die das Plattenelement versteifen. Bei zwei-
dabei stellen sich zusätzliche Bedingungen für eine zwängungsfreie
und dreiseitig gelagerten Platten treten größere Verformungen auf; es
Lagerung in und quer zur Glasebene ein.
besteht die Gefahr, dass die Platte von den Auflagern rutscht.
98
FORMSCHLUSS: SENK- UND TELLERHALTER
tige linienförmig gelagerte Platte eine bessere RTF als eine zwei- oder
Zunächst muss für eine zwängungsfreie Montage die Aufnahme
Die RTF punktförmig gelagerter Platten hängt von der Art des Hal-
sämtlicher Toleranzen an den Verbindungselementen („Spider“-
ters ab. Je nach Steifigkeit des gebrochenen Glases und nach Ausbil-
Fitting o. Ä.) zwischen Unterkonstruktion und Glastafel sichergestellt
dung des Halters entstehen am Haltepunkt große Kräfte, die im Ex-
werden
_ Abb. 20, 21.
Bei einer Stahlskelettkonstruktion sollten die
gemischte Stützentypen
punktförmig
Tellerhalter (Kopfhalter)
Senkhalter
linienförmig
Rand- oder Eckklemmhalter
geklebte Punkthalter
Pressleisten
Structural Glazing
17 Vertikallager
± 2 mm
Festlager
Loslager
± 1,5 mm
± 1,5 mm
± 1,5 mm
± 1,5 mm
Gelenk im oder am Glas
± 5 mm
Tragarm
Unterkonstruktion ± 5 mm
± 2 mm
18
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
± 1 mm
20 Gelenk außerhalb des Glases
Ausgleichselement für die Aufnahme von Toleranzen und Temperaturdehnungen
Festlager
Vertikallager
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE
Fügetechnik Platte
starrer nicht gelenkiger Glashalter
Loslager
19
21
22
17 Einteilung der Verglasungsarten
20
18, 19 Bohrlochgeometrien und Lagerscheiben
Aufnahme von Toleranzen am Tragarm (Horizontalschnitt durch Vertikalverglasung)
nach Lagerung und Fügetechnik 21
Aufnahme von Toleranzen t am Haltepunkt
22
Die gelenkige Halterung ermöglicht eine
(Ausgleichselemente) für Fest-, Vertikalund Loslager für zwängungsfreie Aufnahme
zwängungsfreie Lagerung quer zur Glasebene.
4.2
von Toleranzen und Temperaturdehnungen
Justiermöglichkeiten mindestens ± 10 Millimeter betragen. [4.2/10] Di-
70 Millimeter Durchmesser, die über einen Stahlbolzen an die Glaso-
ese Ausgleichselemente ermöglichen auch eine statisch bestimmte
berfläche gepresst werden
Lagerung in der Scheibenebene und gewährleisten eine Toleranz ge-
der Regel 12 bis 15 Millimeter. Die Windkräfte werden über die Rei-
genüber Temperaturdehnungen. Festlager werden als Passbohrung,
bungsfläche zwischen Glas und Halter aufgenommen, die Span-
Vertikal- oder Horizontallager als Langlöcher und Loslager als Boh-
nungen hängen von der Pressflächensteifigkeit der Zwischenschicht
rungen mit größerem Durchmesser ausgeführt
ab. Das Eigengewicht von Vertikalverglasungen wird dagegen über
. Der Glaseinstand beträgt in
Eine zwängungsfreie, statisch bestimmte Lagerung quer zur Plat-
Kontakt zwischen Bolzenschaft und zylindrischer Lochleibung abge-
tenebene wird durch gelenkige Halteranschlüsse erzielt. Je weiter das
tragen werden. Das Hülsenmaterial sollte so weich sein, dass es sich
Kugel- oder Elastomergelenk von der Plattenebene abrückt, desto grö-
den Toleranzen und Unebeneinheiten der Lochbohrung anpassen
ßer die Zwängungen aus der Exzentrizität des Gelenks und desto grö-
kann. Der Scheibenversatz einer VSG-Einheit von 2 Millimeter kann
ßer die Plattendicken. Starre Anschlüsse können zu sehr hohen loka-
bei vergrößerten Bohrungsdurchmessern auch durch das kraftschlüs-
len Spannungsspitzen führen
sige Verfüllen des Bohrlochs aufgenommen werden. Je größer Gla-
_ Abb. 22.
[4.2/11] Die Abdichtung der
Wetterhaut erfolgt durch die Nassversiegelung der Fugen mit dauerelastischen Silikonmassen. Diese Verklebung der Scheibenränder beeinflusst die RTF positiv. Ein Tellerhalter (Kopfhalter) besteht aus zwei Klemmtellern bis
seinstand und Tellerdurchmesser, desto größer die RTF. [4.2/12] Der Senkhalter besteht aus einem in der Glasfläche versenkten und flächenbündigen Haltekopf und einem Klemmteller auf der innen liegenden Glasoberfläche _ Abb. 23 – 26. Die Konusbohrung ermöglicht
99
.
_ Abb. 18, 19
_ Abb. 27, 28
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Ø 50 Ø 25
Ø 48 Ø 38
Ø 19 Ø 15
23
27
30
24
28
31
25
29
27 – 29 Tellerhalter 28 Rodan-Tellerhalter 29 Tellerhalter stören den Regenabfluss bei Überkopfverglasungen. 23 – 26 Senkhalter 30, 31 Sonderhalter mit stark reduzierten Halteköpfen
23, 24 Prinzipieller Aufbau 25 Dorma-Tragarm (Spider) für Anschluss der Verglasung an Unterkonstruktion
4.2
26 Senkhalter Dorma Manet Construct
31 Fugenhalter Pauli und Sohn auf der glasstec 2004
26
die bessere Aufnahme von Toleranzen im Lochdurchmesser. Über
_
den in eine Manschette aus Kunststoff oder Aluminium eingefassten
Klemmhalter stützen punktförmig Scheibenrand (Randklemmhalter)
Senkkörper werden neben dem Eigengewicht auch Windsogkräfte ab-
oder -ecke (Eckklemmhalter). Einwirkungen quer zur Platte werden
getragen. Trotz des Formschlusses wird über den Senkhalter eine
durch Formschluss, Einwirkungen in Plattenebene (Eigengewicht bei
schlechtere RTF erzielt, da die Gefahr des Ausknöpfens wesentlich
Vertikalverglasung) durch Kontaktklotzung und Konsolen abgetragen.
größer als beim Tellerhalter ist. Das System ist für hängende Über-
Klemmhalter führen zu breiteren Fugen, weisen aber auch bessere
kopfverglasungen daher nur bedingt geeignet.
Möglichkeiten zur Toleranzaufnahme auf. Die Einstandtiefe sollte
KLEMMHALTER UND PRESSLEISTEN: KRAFTSCHLUSS
Eine Sonderform des Punkthalters ist der Hinterschnittanker (z.B.
mindestens 25 Millimeter und die glasüberdeckte Klemmfläche je Hal-
SGG Point XS), der das Glas nicht vollständig durchdringt und die
terung mindestens 10 Quadratzentimeter betragen. Je größer Klemm-
Außenfläche unberührt lässt
. Der Halter mit einem Durch-
fläche und Glaseinstand, desto besser die RTF. Die Abdichtung der
messer von 20 Millimeter wird in der Regel für vertikale Einfachvergla-
Scheibenränder wird durch die in der Fuge liegenden Verbindungsele-
sungen aus ESG verwendet und weist etwa die Hälfte der Tragfähigkeit
mente erschwert _ Abb. 32, 33.
_ Abb. 30
eines gängigen Punkthalters auf. Mit VSG aus TVG sind Überkopfver100
und entsprechend geringer Belastbarkeit 30 Hinterschnittanker SGG Point-XS für VSG
Bei einer
werden die Scheibenränder mit
glasungen möglich, deren RTF noch unter der von Senkhalter-Syste-
hinreichend steifen Trag- und Abdeckprofilen zwischen rechteckige
men liegt. [4.2/13, 4.2/14]
oder profilierte Dichtungsstreifen aus EPDM auf eine tragende Unterkonstruktion geklemmt. Bei Vertikal- und Schrägverglasungen muss
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE
min. 25 mm
36
33
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
32
35
32 Prinzipskizze Klemmhalter 33 Innenansicht Überkopfverglasung mit außen liegenden Sogklemmhaltern an den Fugenkreuzen 34, 36 Pressleistenverglasung bei Schrägdach, der freie Abfluss des Regenwassers ist gestört. 35 Schnittmodell Pressleistenverglasung
4.2
34
das Eigengewicht durch ausreichend harte Verklotzungen in den Hori-
_ PUNKT-
zontalfugen aufgenommen werden, elastische Distanzklötze fixieren
Bei dem Structural-Sealant-Glazing (SSG), der linienförmigen Verkle-
die Scheibe im Rahmen. Der Falzraum muss wegen der Gefahr ein-
bung von Fassaden- und Dachelementen in der Regel mit Silikon,
dringender Feuchtigkeit entwässert werden.
dient der Klebstoff nicht nur der Abdichtung, sondern auch dem Ab-
tenverglasungen als Stahl- oder Aluminiumprofile an. Für eine zwän-
trag der Lasten in die Unterkonstruktion. In den USA wird das System seit 1963 angewandt.
gungsfreie Lagerung sollte die Durchbiegung von solchen Unterkon-
In Europa ist das SSG durch die Richtlinie für europäische tech-
struktionen auf 1/200 ihrer Stützweite oder auf maximal 15 Millimeter
nische Zulassungen für geklebte Glaskonstruktionen (ETAG 002) ge-
beschränkt werden. Im Überkopfbereich sind bei einer zweiseitigen
regelt. Die ETAG umfasst derzeit drei Regelungsbereiche, nach denen
Lagerung mit einer Spannweite über 1,20 Meter oder einem Seitenver-
europäische technische Zulassungen (ETZ) erteilt werden können (s.
hältnis über 3:1 besondere Untersuchungen zur RTF erforderlich. Bei
auch Kapitel 4.1, _ Abb. 30 ). Die Nutzungsdauer solcher Konstruktio-
vierseitiger Lagerung und einem Glaseinstand von 15 Millimeter kann
nen wird allgemein auf 25 Jahre beschränkt, wobei diese Leitlinie auf
im Regelfall weder die Scheibe bei Glasbruch vom Auflager rutschen,
Silikon als Kleb- und Dichtstoff abgestimmt ist.
noch wird im Gebrauchszustand die freie Verdrehung der gehaltenen Scheibenränder beeinträchtigt _ Abb. 34 – 36.
In Teil 1 der ETAG (gestützte und ungestützte Systeme) werden vier Konstruktionstypen nach der Art der Lastaufnahme unterschieden _ Abb. 40. Bei Typ 1 und 2 werden nur die nicht ständigen Wind-
101
Zahlreiche Hersteller bieten Pfosten-Riegelsysteme für Pressleis-
UND LINIENFÖRMIGE VERKLEBUNGEN: STOFFSCHLUSS
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Typ |
Typ ||
Typ |||
Typ |V
37
38
40
Hersteller
Dow Corning
Produkt
2K-Silikon
Zugfestigkeit
zul. Zugspannung
Zugscherfestigkeit
zul. Schubspannung
[N/mm2]
(Kurzzeit)
[N/mm2]
(statisch) [N/mm2]
Reißdehnung
Einsatztemperatur
Farbe
0,95
0,14
k.A.
0,011
130%
-50 °C bis 100 °C
schwarz
0,95
0,14
0,8
0,0105
160%
-50 °C bis 100 °C
schwarz
ca. 8
anwendungs-
ca. 4,5
anwendungs-
ca. 400%
-40 °C bis 90 °C
schwarz
DC 993 Sika
2K-Silikon SG 500
Sika
1K-PUR Sika Tack-HM
bezogen
bezogen
39
40
Typen von SSG-Fassaden nach ETAG 002
41
Citroen Centre de Communication Paris, Prototyp
37
Beispiel einer SSG-Fassade Typ 2
38
Strukturelle Verklebung mit 2K-Silikon
39
Vergleich der Eigenschaften von zwei Structural-
Structural Sealant Glazing, 2005, Fassadenbau:
Glazing-Silikonen mit einem PUR-Klebstoffsystem
Gartner, Arch.: Manuelle Gautrand
Dachsonderverglasung mit verwundener Geometrie und integrierten Pyramidenelementen mit
4.2
41
lasten über die Verklebung abgetragen, bei Typ 3 und 4, die nur für
Die Fugenbreite beträgt zwischen 6 und 8 Millimetern, das Verhältnis
Einfachverglasungen zulässig sind, auch das ständig wirkende Eigen-
von Fugenhöhe zu Breite zwischen 1:1 und 3:1. Vorteilhaft ist eine
gewicht. Typ 1 und 3 weisen für den Fall, dass die Verklebung versagt,
Haftung an zwei parallelen Oberflächen. Die Mindestklebbreite ergibt
mechanische Sicherungssysteme auf.
sich aus den aufzunehmenden Lasten.
Da Silikone auch bei niedrigen Temperaturen dauerhaft elastisch
Im Vergleich zu Silikon können durch Verklebungen mit PUR hö-
sind und eine sehr gute Adhäsion auf Glas und gebräuchliche Rah-
here Festigkeiten erzielt werden. Das Sika-Tack Panel System, bei dem
menmaterialien aufweisen, eignen sie sich hervorragend für Structu-
ein hochmoduliger Scheibenklebstoff verwendet wird, um Fassaden-
ral-Glazing-Systeme. Überwiegend werden Zweikomponenten-Syste-
platten verschiedenen Materials auf einen Unterkonstruktion aus Alu-
me wie die Klebstoffe DC 993 von Dow Corning und Elastosil SG 500
miniumprofilen zu kleben, stellt nach der ETAG einen Typ 4 dar, bei
von Sika verwendet, die nach den Leitlinien der EOTA für SSG-Anwen-
dem auch das Eigengewicht ohne mechanische Sicherungssysteme
dungen getestet werden. Silikone sind dauerhaft witterungsbeständig,
über die Verklebung abgetragen wird. Die Klebefugen verlaufen verti-
temperaturbeständig von -50 °C bis 150 °C (spezielle Silikone sogar
kal über die gesamte Höhe des Paneels, zur Montagehilfe wird ein
bis 300 °C) und weisen eine gute chemische Beständigkeit auf. Auf-
doppelseitiges Klebeband verwendet.
102
grund der geringen Kohäsionskräfte beträgt die Zugfestigkeit 1 N/mm², die zulässige Spannung bei Kurzzeitlasten ist um Faktor 10 und bei Dauerlasten um Faktor 100 geringer _ Abb. 39. [4.2/15, 4.2/16, 4.2/17]
42, 43, 45:
Geklebter Punkthalter mit Delo-Photobond 4468, System der Hunsrücker Glasveredelung Wagener
44
Eigenschaften von spröden und zähelastischen Klebstoffsystemen im Vergleich (Herstellerangaben)
46
Belastungsversuch einer mit Acrylat verklebten Glaslamelle
43
46
Hersteller/
Produkt/
Zugfestigkeit
Scherfestigkeit
E-Modul
Einsatz-
Reißdehnung
Klebstoff-
Anwendung
[N/mm2]
Glas-Glas/
[N/mm2]
temperatur
[%]
Glas-Al [N/mm2]
system Huntsmann/
Araldite 2020
2K-Epoxidharz
nur Innenbereich
Delo/
Photobond GB 368
Acrylat-Klebstoff
(UV-härtend)
k.A.
26/k.A.
20
23/23
12
Farbe
(Dauer) [°C] - 2 500
bis 40
k.A.
farblos klar
900
-40 bis 120
17
farblos klar
22/24
250
-40 bis 120
200
farblos klar
12
10/12
80
-40 bis 120
280
farblos klar
6
6/4
-40 bis 120
300
gelblich klar
Möbelbau Photobond PB 4468
PLATTENFÖRMIGE VERWENDUNG IN DER GEBÄUDEHÜLLE
45
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
42
(lichthärtend) Punkthalter Photobond PB 493 Innenbereich/ Linienverklebungen Photobond PB 4496
–
Linienverklebungen
4.2
44
_
GEKLEBTE PUNKTHALTER
mige Mischverklebungen kommen zum Spannungsausgleich lichthär-
Bei geklebten Punkthaltern wird das Glas zwar nicht durch Bohrungen
tende Acrylate mit einer Reißdehnung bis 300 Prozent und Schichtdi-
geschwächt, oftmals sind aber zusätzliche Maßnahmen für das Abfan-
cken von bis zu 3 Millimetern zum Einsatz. Im Vergleich zu Silikonen
gen von Eigenlasten in der Scheibenebene und die RTF notwendig. Für
erzielen Acrylate etwa zehnfach höhere Festigkeiten, sind aber weni-
hängende Überkopfverglasungen sind die Systeme daher ungeeignet.
ger temperaturbeständig und feuchtestabil. Mit einem Festigkeitsver-
Als Klebstoffe kommen Acrylate oder 2K-Epoxydharze in Frage, eine
lust von etwa 30 Prozent bei 42-tägiger Wasserlagerung erreichen ei-
freie Bewitterung sollte vermieden werden. Das Tragverhalten ist ab-
nige Acrylate aber fast die Anforderungen der ETAG und sind somit
hängig von Klebschichtdicke und Punkthalterradius. Bemessungsrele-
auch für Außenanwendungen geeignet _ Abb. 44. Das Verspröden, die
vant sind die Spannungsspitzen am Halterrand. [4.2/18, 4.2/19]
Abnahme der Reißdehnung über die Zeit und das Vergilben des Kleb-
Die Firma
, führend bei der Modifikation von Acrylaten für die
stoffes können bei modernen Klebstoffsystemen kontrolliert werden.
Bauanwendung, bietet eine Reihe von lichthärtenden und UV-härtenden Einkomponenten (1K)-Acrylaten für feste bis zähelastische Glas-Glas- und Glas-Metall-Verklebungen an _ Abb. 42, 43, 45. [4.2/20]
dehnung und Aushärtezeit modifizieren. Für flächige oder linienför-
103
Acrylate ermöglichen hoch beanspruchbare Glas-Glas-Verklebungen und lassen sich in Bezug auf Schichtdicke, Viskosität, Bruch-
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
1
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
2
3
1 – 3 Skulptur „Big Blue“ von Ron Arad in Canada Square, Canary Wharf, London 1998, Ing.: Arup. Ein Diskus aus glasfaserverstärktem Kunststoff mit einem Durchmesser von ca. 14 m sitzt vollständig auf einem Ring aus gebogenen Scheiben auf. Das Eigengewicht von ca. 7 t und Wind- und Windsogkräfte werden vollständig von den gläsernen Wandscheiben aufgenommen. Zusätzlich dient die Verglasung als Oberlicht für die unter der Platzfläche gelegene Shopping Mall und als Absturzsicherung. Das Glas besteht auf 2 x 15 mm ESG-H, die Kräfte von ca. 30 kN pro Verbindung werden über einen Wagebalken in die Lochleibungsverbindungen der Scheiben eingeleitet. 4 Der „Glasbogen 1“ mit einer Spannweite von 10 m, 1998, W. Sobek und M. Kutterer, ILEK, Universität Stuttgart
4.3
4
_
tur „Big Blue“ von Ron Arad in Canary Wharf, London
_
Druckspreizen werden in über- und unterspannten Systemen und
_
Fachwerken verwendet
.
. Die besondere Tragfähigkeit von
druckbeanspruchten Scheiben wird aber vor allem von selbsttra-
_ _
_ Abb. 5, 6
_ Abb. 1 – 3
genden Bogen- und Schalenkonstruktionen aus Glas unter Beweis
4.3
gestellt _ Abb. 4.
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
Der Trag- und Versagensmechanismus von Druckgliedern hängt vor allem von deren Lagerungsart ab. Bei punktförmiger Lagerung
DRUCKBE ANSPRUCHTE SCHEIBEN
führen Spannungskonzentrationen und Querzugkräfte an der Lastein-
Bei einer Druckbeanspruchung von Scheibenelementen wirkt sich die
leitung zum Bruch, bevor ein Stabilitätsversagen auftreten kann. Die
Sprödigkeit des Materials kaum festigkeitsmindernd aus. Glasschei-
Querzugkräfte zwischen den Druckspannungslinien in der Scheiben-
ben können als Wandscheiben, Druckspreizen und Schalenelemente
fläche sind dagegen gering und für die Bemessung nicht ausschlagge-
verwendet werden. Beispielhafte Projekte, bei denen tragende Wand-
bend _ Abb. 15.
104
scheiben dem planmäßigen Abtrag von Decken- und Dachlasten dienen, sind die Sommerakademie in Rheinbach
Bei Scheiben mit linienförmiger Krafteinleitung sind dagegen oft
, der
Stabilitätskriterien maßgeblich. Scheiben, deren Ränder parallel zur
„Temple de l’Amour“ bei Noyers in Burgund _ Abb. 12 und die Skulp-
Lastrichtung nicht gehalten sind, können um die schwache Achse kni-
_ Abb. 53 – 56
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN 7
9 N
Last
ideelle Kipplast σLK
2
120 N/mm w0
t
Verformung 6
8
10
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
5
8 Last-Verformungsdiagramm einer druckbeanspruchten 7, 9 Knickversuche von VSG-Scheiben an der EPFL Lausanne von Andreas Luible: Die Stabenden sind
Glasscheibe: Bei Annäherung an die ideelle Knicklast nimmt die seitliche Auslenkung des Stabes stark zu.
im Versuchsstand an beiden Enden durch gelenkige 5, 6 Großformatig, fachwerkartig unterspannte Glasplatten mit
Lagerköpfe gehalten, so dass eine richtungstreue Last
10 Aus der Knickverformung entsteht eine
in die Stabachse eingeleitet wird; links: unbelastete
Biegebeanspruchung. Ein Überschreiten der effektiven
Überdachung Schloss Juval, 1998, Arch.: Robert Danz
Scheibe, rechts: belastete, verformte Scheibe.
Biegezugfestigkeit führt zum Versagen der Scheibe.
4.3
dem von Dorma hergestellten Rodan-Zugstabsystem,
cken. Das Knicken kündigt sich bei Laststeigerung durch die allmäh-
Druckkräfte können durch Kontaktverbindungen, Bolzen- und Reib-
liche Zunahme der seitlichen Auslenkung des Scheibenquerschnittes
schlussverbindungen übertragen werden.
an, bis es zu einem Initialbruch auf der Biegezugseite im mittleren _ Abb. 8
. Die Größe der kritischen Knicklast
SCHUBFELDER
hängt daher nicht von der Druck-, sondern von der Biegezugfestigkeit
Glas wurde als aussteifendes Element bereits in den Gewächshäusern
des Glases
und von zahlreichen weiteren Einflussfaktoren
des 19. Jahrhunderts verwendet. Im Kittbett verlegte Scheiben dienten
wie der geometrischen Schlankheit des Bauteils, der gelenkigen oder
neben der Aussteifung der Gesamtkonstruktion auch der Stabilisie-
steifen Lagerung der Scheibenränder, den Imperfektionen wie Vorver-
rung der knickgefährdeten Eisenrippen, so dass auf Diagonalverbände
formungen oder Streuungen der Glasdicke, der Exzentrizität der
und biegesteife Anschlüsse verzichtet werden konnte _ Abb. 11.
_ Abb. 10
Lasteinleitung und bei VSG zusätzlich auch von der Verbundwirkung ab. [4.3/1, 4.3/2]
Die Beschreibung John Claudius Loudons, des großen Pioniers des Glasbaus, von dem 1827 errichteten Gewächshaus von Bretton
Es muss auf eine kontrollierte Einleitung der Druckkräfte in die Glas-
legt hierfür ein beeindruckendes Zeugnis ab: „Es gab neben den
scheibe bei allen Belastungs- und Verformungssituationen geachtet
schmiedeisernen Verglasungsprofilen keine Binder oder Träger, um
werden. Insbesondere wenn Glasscheiben steife Dachkonstruktionen
das Dach zu versteifen. Das verursachte einigen Ärger, da zu dem Zeit-
stützen, müssen die Verformungen an den Haltepunkten durch gelen-
punkt, an dem die Eisenkonstruktion aufgestellt, aber noch nicht ver-
kige Lagerköpfe und Koppelungen ausgeglichen werden
glast worden war, der geringste Windhauch ausreichte, um die ganze
_ Abb. 55
.
105
Scheibendrittel kommt
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
11
12
Glasscheibe
=
Z
D
+
D
Z
D
=
D
11
Kibble Palace, Glasgow, um 1870: Im Kittbett verlegte Glasscheiben stabilisieren die Kuppelfläche.
12
„Temple de l‘Amour“ bei Noyers in Burgund:
13
Wandscheiben aus laminierten, vorgespannten Gläsern A
stützen die Dachkonstruktion und steifen gegen
B
C
Windkräfte aus. 13
Das statische System einer Glasscheibe stellt einen Gelenkzug mit sich kreuzenden Diagonalen dar.
D
D
Z
D
(D = Druck, Z = Zug) 14
Möglichkeiten zur schubfesten Einfassung einer Scheibe: A: ohne Rahmen mit Diagonalklotzung B: mit umlaufenden Rahmen und Diagonalklotzung C: mit umlaufenden Rahmen an den Kanten verklebt
4.3
14
Struktur von unten bis oben in Schwingung zu versetzen. Sobald aber
und damit zur optischen Reduzierung der Tragkonstruktion beitragen.
das Glas eingesetzt worden war, konnte man feststellen, dass diese
_ Abb. 17, 18, 20, 21.
vollkommen unbeweglich und stabil geworden war.“ [4.3/3]
Das Tragverhalten eines Schubfeldes kann in einer vereinfachten
Am Bau wird heute von der Schubsteifigkeit der Glasscheibe zur
Systemskizze als Gelenkzug entlang der Kanten mit sich kreuzenden
Aussteifung von Stahl- und Holzskelettkonstruktionen meist nur in
Druckdiagonalen dargestellt werden. Ist die Scheibe in ein Rahmen-
kleinmaßstäblichen Sonderkonstruktionen Gebrauch gemacht, wie bei
system aus Profilen eingebettet, übernehmen bei horizontaler Bean-
der Pavillonkonstruktion des „Temple de l‘Amour“
. Hier
_ Abb. 12
106
übernehmen die Wandscheiben zusätzlich zur Dachlast auch die Aus-
spruchung durch Windkräfte die Kantenbeschläge die Randzugkräfte _ Abb. 13, 14
.
steifung in Längs- und Querrichtung. Dass Glas als Schubfeld für die
Die Schubkräfte können über diagonale Klotzungen, Bolzen-
Aufnahme planmäßiger Kräfte geeignet ist, belegen neben jüngsten
oder Reibschlussverdingungen im Eckbereich oder durch eine lini-
Forschungsergebnissen auch die Erfahrungen aus dem Automobil-
enförmige Verklebung an den Scheibenrändern eingeleitet werden.
bau, wo die Festverglasung zur Versteifung der Karosserie eingesetzt
Eine Möglichkeit zur linienförmigen, formschlüssigen Übertragung
wird. [4.3/4, 4.3/5]
von Schubkräften ist die Verzahnung der Fügeteile durch eine wel-
Nach dem Stand der Technik könnten Schubfelder aus Glas in
lenförmige Profilierung oder Rändelung von Kantenbeschlag und
weit größerem Umfang innerhalb von Stabtragwerken wie Fachwerk-
Glaskante und das Ausfüllen des Zwischenraums durch Injektions-
systemen und Gitterschalen stabförmige Diagonalverbände ersetzen
mörtel.
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
F 0,7xF Verklotzung
Verklotzung
F
15
0,7xF
F
Verlauf der Druckspannungen Verlauf der Druckspannungen
F
2-3xd 16
19 Detail A 5
1 2 3
4 Detail B 15
Kraftfluss bei Diagonalklotzung: Zwischen
Detail C
17
der Kraftausbreitung in der Glasebene auch geringe Querzugkräfte auf. 16, 19
Detail A
Einleitung der Diagonaldruckkraft durch Aufteilung in zwei Kraftkomponenten (Diagonalklotzung) 2
oder durch Abflachung der Scheibenecke 17, 18, 20 Vorgespannte 1 m x 1,75 m große VSG-
4,5 cm
7
7
6 6,5 cm
Scheibe mit HOE-Elementen für Rückprojektion, Karman-Auditorium RWTH Aachen, Entwurf und Planung:
8
8
C. Kielhorn, A. von Lucadou
1
1 Obergurt Edelstahl U-Profil 65/45/6 2 Edelstahlseil 8 mm
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
den Hauptdruckspannungen treten aufgrund
3 VSG aus 2 x 8 mm TVG und HOE-Folie 4 Untergurt wie Pos. 1 5 Kopfplatte / 2 m 16 Hochleistungsanker 6 Elastomerlager als Montagehilfe 7 6 mm Einpressöffnung für HILTI HY 50 8 Bolzen M 8 in Kunststoffhülse 3 Bei Bruch wird die Resttragfähigkeit durch die Steifigkeit der Stahlgurte gewährleistet. Spannseile und Formschluss (Bolzen) verhindern das Herausgleiten der Scheibe.
4.3
18
Durch Kontaktklotzung kann bei Aussparung der Ecke ein Diagonal-
Um eine möglichst zwängungsfreie Lagerung zu erzielen, müssen alle
druck über zwei Kraftkomponenten in dem Glas aufgebaut werden.
statischen Einwirkungen wie Verformungen aus Temperatureinflüssen
Durch Abflachung der Ecke steht die Kraftrichtung senkrecht auf der
oder Schwind- und Quellprozessen erfasst werden. Eine nicht lineare
Kante, wodurch geringere Flächenspannungen und Querzugkräfte
Berechnung der maßgeblichen Hauptzugspannungen mithilfe eines
auftreten _ Abb. 15, 16, 19. [4.3/6]
FEM-Modells muss auch Art und Größe der Vorverformungen und Aufbau und Schubsteifigkeit des VSG-Verbundes berücksichtigen. Bei linienförmig verklebten Gläsern werden die Zwängungen durch
ren, bevor es aufgrund der Schubbeanspruchungen in der Mittelebe-
die Klebstofffuge aufgenommen. Ständige Beanspruchungen sollten
ne zum Beulen der Scheibe kommt. Diese Form des Stabilitätsversa-
wegen des Kriechverhaltens zähelastischer und elastischer Klebstoffe
gens tritt bei Schubfeldern auch bei Druckgliedern mit allseitig fixierten
vermieden werden. Flexible Klebstoffverbindungen versagen unter-
Kanten auf.
halb der ideellen Beullast.
Mit wachsender Belastung nimmt die vom Verhältnis der Kanten-
Druckscherfestigkeit und Geometrie der Klebefuge müssen für je-
längen abhängige Beulverformung stetig zu. Nach Überschreitung der
den einzelnen Anwendungsfall optimiert werden. Steife PUR-Systeme
ideellen Beulspannnung und des überkritischen Tragverhaltens kommt
haben sich beispielsweise bei Karosserieverglasungen gut bewährt.
es nach einem Initialbruch in den Eckbereichen zu einem explosionsartigen Glasbruch auf der Biegezugseite _ Abb. 34. [4.3/7]
107
Bei Punktlagerung kann eine lokale Überschreitung der effektiven Biegezugspannung im Bereich der Lasteinleitung zum Versagen füh-
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
22
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
20
21
Stahl-Glas-Verbundsystem: Glasschwerter zwischen den vertikalen Gurten stabilisieren den Fassadenpfosten, Neues Museum Nürnberg, 2000, Arch.: V. Staab, Ing.: Verroplan
22
Baukastensystem Ganzglaspavillon: Stützen, Träger und aussteifende Wand- und Dachscheiben aus Glas bilden die Tragstruktur. Entwurf und Planung: U. Knaack und W. Führer, Lehrstuhl für
4.3
Tragkonstruktionen RWTH Aachen, 1996 21
STÜT ZEN, GL ASSCHWERTER UND BIEGETR ÄGER
rung aus laminiertem Glas nicht erforderlich ist. In der Regel werden
_ STÜTZEN
die Schwerter hängend gelagert, Verformungen der Primärkonstruktion
Brunet & Saunier entwickelten für den Innenhof der Stadtverwaltung
werden am Fußpunkt ausgeglichen. Bei mehrgeschossigen Fassaden-
St. Germain-en-Laye erstmals eine Glasstütze, deren kreuzförmiger
konstruktionen können auch mehrteilige Glasschwerter verwendet
und knicksteifer Querschnitt sich aus mehreren schlanken Scheiben
werden, die über Reibschluss miteinander verbunden werden.
zusammensetzte (s. auch Kap. 4.1, Abb. 8). Einteilige, streifenförmige
Bei mehrgurtigen Pfosten oder Trägern können zwischen den Gur-
Glasstützen weisen aufgrund ihrer Schlankheit und der damit ver-
ten längliche Glasausfachungen eingesetzt werden. Die Ausfachungen
bundenen Knickgefahr dagegen nur eine begrenzte Tragfähigkeit auf
werden wie ein Schubfeld beansprucht, die Beulform ist von der
Ihr Tragverhalten entspricht dem von schlanken Druck glie-
Schlankheit der Felder abhängig. Bei dem Neuen Museum in Nürn-
_ Abb. 22.
dern [4.3.8] .
berg ist ein solches Stahl-Glas-Verbundsystem bei einem 16 Meter langen Fassadenpfosten umgesetzt worden _ Abb. 21. [4.3/9]
108
_ GLASSCHWERTER
Seit etwa 1950 werden vertikale Glasschwerter zur Stabilisierung von
_
Schaufensterverglasungen verwendet. Im Fassadenbereich wirken
Seit Ende der Achtzigerjahre kommen vermehrt auch gläserne Bieg-
Glasschwerter nur aussteifend und übernehmen Winddruck- und
träger für Dachkonstruktionen mit kleiner und mittlerer Spannweite
Windsoglasten, so dass bei geschosshohen Verglasungen eine Ausfüh-
zur Anwendung.
BIEGETRÄGER
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
M0 =
q x l2 8
7m A
M1 ~ 1 ⁄ 3 M 0
5m
2m
(0,7 l)
(0,3 l)
B
M2 ~ 1 ⁄ 6 M 0
4m
1,5 m
(0,58 l)
24
C
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
1,5 m
Druck M3 ~ 1 ⁄ 4 M0
Schub Zug
3,5 m
3,5 m Druck Schub
D
Zug 23 M 4 = 4 x M0
Vergleich verschiedener Auflagerbedingungen von Balkensystemen:
25
A Einfeldträger über 7 m, max. Feldmoment beträgt Mo = q*l²/8 B Ein Kragarm entlastet das Feld, Stütz- und Feldmoment betragen nur ca. 1/3 M0. C Ein zweiseitiger Kragarm reduziert Stützund Feldmoment auf ca. 1/6 M 0.
25
D Ein Zweifeldträger weist ein max. Stützmoment von 1/4 M0 auf. 3,5 m
Momentenbeanspruchungen werden durch Laschen und Bolzenpaare am oberen bzw. unteren
E Ein Kragträger über die gesamte Spannweite führt zu
3,5 m
Prinzipielle Kraftübertragung am Stoß eines Biegeträgers:
einem Einspannmoment, das vierfach größer ist als M 0.
Rand des Trägers aufgenommen, die Biegedruckbzw. Biegezugkräfte aufnehmen. Um zusätzlich Schubkräfte aufzunehmen, müssen die Laschen
E 24
Kippversuch eines schlanken Glasträgers
entweder miteinander verbunden werden, oder es
an der EPFL Lausanne
muss mind. ein weiterer Bolzen angeordnet werden.
4.3
23
Biegeträger aus Glas, die bei begehbaren Glasböden und Glasdächern
und Biegedrillknickens die Tragfähigkeit. Die geringe Torsionssteifig-
eingesetzt werden (s. Kap. 4.2), müssen im Vergleich zu Glasschwer-
keit begünstigt das seitliche Ausweichen bei gleichzeitiger Verdrehung
tern meist höhere Verkehrslasten und auch mittel- und langfristige
des schlanken Querschnittes
Lasten abtragen. Die Spannweite von einteiligen Trägern ist durch die
reicht, wenn die Biegezugspannungen auf der Glasoberfläche die ef-
Fertigungsgröße von Glas auf 6 bis 7,50 Meter beschränkt.
fektive Glaszugfestigkeit überschreiten. Für die Bemessung schlanker,
_ Abb. 24
. Der Kippwiderstand ist er-
Glasbalken werden um ihre starke Achse auf Biegung bean-
kippgefährdeter Glasträger müssen Abminderungsfaktoren berück-
sprucht. Die Biegebeanspruchung des Trägers ist von Spannweite und
sichtigt werden, die Schlankheit, Glasaufbau, Schubverbund der PVB-
Auflagerung des Trägers abhängig. Dem Biegemoment wirkt die Stei-
Folie, Art der Belastung, effektive Biegezugfestigkeit und vorhandene
figkeit des Querschnittes entgegen, die mit Breite und vor allem Trä-
Vorverformungen erfassen.
gerhöhe zunimmt. Durch die Momentenbeanspruchung entsteht in
Bei gedrungenen Trägern sind in der Regel die Spannungskon-
der Regel im Querschnitt eine lineare Spannungsverteilung von Biege-
zentrationen bei der Lasteinleitung und die Kantenfestigkeiten auf der
Durch Variation von Anzahl, Art und Lage der Auflager kann das System als Kragträger, Einfeldträger mit Kragarmen und Durchlaufträger variiert und das Momentenbild beeinflusst werden _ Abb. 23. Neben der Biegezugspannung begrenzt die Gefahr des Kippens
zugbeanspruchten Seite für die Bemessung ausschlaggebend. [4.3/11, 4.3/12, 4.3/13]
Eine einfache Möglichkeit der gelenkigen Auflagerung des Trägers stellt eine Gabellagerung dar, oftmals als Schuh aus Flachblechen ausgeführt. Die Querkräfte werden durch Kantenpressung abgetragen,
109
druck- und Biegezugkräften. [4.3/10 ]
406
360
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
40
60
25
27
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
26
26, 27 Prototyp eines zusammengesetzten StahlGlas-Verbundträgers: Die druck- und zugbelasteten Flanschen des Doppel-T-Querschnittes werden über Winkelprofile schubfest mit dem Glassteg verbunden. 28 Glaspavillon RWTH-Aachen: Stütze und Träger bilden statisch gesehen keinen Rahmen. Die Fußpunkte der Stützen sind eingespannt. Die gelenkig aufgesetzten Träger übertragen nur Normalkräfte auf die Stützenköpfe.
110
4.3
28
die Kipphalterung wird durch die elastische Einspannung der Balken-
durch Klebeverbindungen experimentiert. Je elastischer der Klebstoff,
enden erzielt und eventuell durch eine schuhförmige Verklebung un-
desto höher die Beanspruchung der Klebefuge, desto geringer aber
terstützt. [4.3/14]
die Beanspruchung des Glases. Am Lehrstuhl für Stahlbau an der
Rahmenecken und Trägerstöße sollten nach Möglichkeit in die
RWTH Aachen wurde von Frank Wellershoff ein Träger entwickelt, der
Nähe von Momenten-Nullpunkten gelegt werden, um die Beanspru-
einen doppel-T-förmigen Querschnitt aufweist _ Abb. 26, 27. Eine Glas-
chungen in der Verbindung gering zu halten. Da Reibschlussverbin-
scheibe bildet den Steg, Stahlbleche bilden die Flansche des Trägers.
dungen bei Glasbalken, die aus Gründen der RTF aus VSG ausgebildet
So übernimmt der Stahl die Druck- und Zugkräfte, das Glas in erster
werden müssen, kaum in Frage kommen, werden Momentenstöße in
Linie nur die Schubkräfte. Die Verbindung erfolgt über L-Profile aus
der Regel als Lochleibungsverbindungen ausgeführt (s. Abschnitt „Fü-
Stahl, die mit einem hochmoduligen PUR-Scheibenklebstoff an die
getechnik“).
Glasflächen geklebt und mit dem Blech verschraubt werden. An der
Je ein Bolzenpaar nimmt entlang der Glaskanten die Biegedruck-
TU Delft wird im Rahmen des ZAPPI-Forschungsprojekts mit diskon-
und Biegezugkräfte auf. Wenn die Verbindung auch Querkräfte auf-
tinuierlichen Glassegmenten experimentiert, die über flächige Kunst-
nehmen muss, muss in der Regel ein Bolzenpaar mit einem weiteren
stofffolien aus Polycarbonat und einen UV-aushärtenden Acrylatkleb-
Bolzen verbunden werden, um ein Verdrehen des Beschlages zu ver-
stoff flächig miteinander verbunden werden, um so auch die Resttrag-
hindern _ Abb. 25.
fähigkeit des Balkens zu verbessern _ Abb. 31, 32.
Zurzeit wird mit der Aufnahme von Momentenbeanspruchungen
Glasart
außen
innen
Float
TVG
Für die Bemessung ist die Tragfähigkeit der Floatgläser entscheidend, daher große
oder
Querschnitte; die Resttragfähigkeit bei intaktem TVG bzw. ESG ist gut.
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
Glasart
ESG TVG
ESG
Für die Bemessung ist die Tragfähigkeit der TVG-Außenscheiben entscheidend, die Resttragfähigkeit bei intaktem ESG ist gut.
ESG
TVG
Für die Bemessung ist die Tragfähigkeit der TVG-Innenscheibe(n) entscheidend; Stoßsicherheit und Resttragfähigkeit bei intaktem ESG ist gut.
ESG
ESG
31
Sehr gute Tragfähigkeit, im Versagensfall Bruch aller Scheiben; für Resttragfähigkeit weitere Maßnahmen wie Seilzug entlang Unterkante notwendig; gute Stoßsicherheit durch ESG
29
30
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
32
33
30, 33 Der Flachstahl entlang der Unterkante des Glasträgers übernimmt bei Glasbruch die Biegezugkräfte und stellt so die Resttragfähigkeit
Delft: Laminatträger mit versetzten Stößen
Trag- und Resttragfähigkeit von Glasträgern hängen von
Gästehaus der RWTH Aachen, 2002,
und eingeklebten Kunststofffolien aus
der Kombination der Glasarten im VSG-Verbund ab.
Arch.: Feinhals, Ing.: Führer Kosch Jürges
Polycarbonat sollen die Resttragfähigkeit verbessern.
4.3
29
31, 32 ZAPPI-Forschungsprojekt an der TU
sicher, Treppenhausüberdachung
REST TR AGFÄHIGKEIT VON SCHEIBEN
Bei Bruch einzelner Scheiben durch Zwängungen oder Stoßeinwir-
Die RTF von scheiben- und stabförmigen Bauteilen hängt von dem
kungen erhöhen sich schlagartig die Spannungen der intakten Schei-
Schadensszenario, dem Verbundglasaufbau und der Halterung ab.
ben. Um einen progressiven Bruch zu verhindern, muss der Tragwi-
Generell muss bei Bruch eines tragenden Glasbauteils sowohl die
derstand des beschädigten Tragelements mindestens so groß sein wie
Standsicherheit des betroffenen Bauteils als auch die der Gesamt-
zum Zeitpunkt des Bruchs. Damit sind Anordnung, Dimensionierung
konstruktion sichergestellt werden. [4.3/15]
und Qualität der Scheiben eines VSG-Verbundes von elementarer Bedeutung.
glasaufbaus gleichzeitig brechen können. Bei dem gleichzeitigen Bruch
Für eine erhöhte RTF sollte in dem Aufbau zumindest eine Schei-
aller Gläser eines VSG-Verbundes hängt die RTF allein von der Dicke
be aus einem grobbrechendem Glaserzeugnis ausgeführt werden. Da
und Reißfestigkeit der Folie ab. Es besteht die Gefahr, dass die PVB-
die Spannungen für Floatglas zu hoch sind, handelt es sich dabei
Folie an der zugbeanspruchten Kante aufreißt, das Glaselement in der
meist um TVG. Um den wünschenswert symmetrischen Glasaufbau
Mitte auseinanderbricht und das Element aus den Lagern rutscht.
zu erreichen werden oft Dreifach-VSG Scheiben ausgeführt, bei denen
Ein Stabilitätsversagen durch Kippen oder Beulen muss ausgeschlos-
die beiden äußeren Scheiben aus TVG bestehen und die innen liegen-
sen werden, da beim schlagartigen Bruch aller Scheiben im überkri-
de Scheibe aus ESG, welche die RTF bei Bruch der Außenscheiben
tischen Bereich das Bruchbild auch bei TVG-Scheiben sehr feinkörnig
gewährleistet _ Abb. 29, 37. [4.3/16]
ist und keine nennenswerte RTF besteht
_ Abb. 34, 36
.
Um zu verhindern, dass alle Scheiben eines Dreifach-VSG durch
111
Es sollte ausgeschlossen werden, dass alle Scheiben des Verbund-
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
oben
Initialbruch
Beulseite
unten
34
36
35
37
34, 36 Scheibenförmige Tragelemente weisen nach einem Stabilitätsversagen auch bei der Verwendung von VSG aus TVG ein so feinkrümliges Bruchbild auf, dass
35
Resttragfähigkeitsversuch an einem Glasträger aus
37
Ein Glasträger aus Dreifach-VSG bietet
TVG: Unter Last werden nach und nach die Scheiben
eine gute Resttragfähigkeit, wenn jede
ist; links: Schubfeld nach Beulversagen;
des Verbundträgers zerstört und Spannungen und
einzelne Scheibe so bemessen ist, dass sie
rechts: Druckglied nach Knickversagen.
Verformungen gemessen.
die planmäßige Last abtragen kann.
4.3
nahezu keine Resttragfähigkeit vorhanden
eine Stoßbeanspruchung zerstört werden, können die Kanten der in-
nungen im Auflagerbereich, stellt aber auch höhere Anforderungen an
nen liegenden, tragenden Scheibe zurückversetzt werden.
die Unterkonstruktion und die Parallelität der Glaskanten. Bei Glas-
Bei Balken ist mit Hinblick auf die RTF eine Verstärkung der Zugzone
ecken, wo sich Kantenstörungen häufen, ist mit der Klotzung ein Ab-
vorteilhaft, beispielsweise durch ein in der Nut eines dreischichtigen
stand von der zwei- bis dreifachen Glasdicke vorzusehen
VSG eingelegtes Stahlseil oder durch einen Flachstahl entlang der Un-
Unebenheiten in den Kontaktflächen sind unbedingt zu vermeiden
terkante des Trägers _ Abb. 30, 33.
ebenso wie ein Verdrehen und Verrutschen des Beschlags.
_ Abb. 16
.
Wie bei allen kraftschlüssigen Verbindungen kommt den SchichFÜGETECHNIKEN
ten zwischen Glas- und Halterungselementen eine übergeordnete Be-
_ KONTAKT VERBINDUNGEN
deutung zu. Für linienförmige Krafteinleitungen sind Materialien geeig-
Durch Kontaktverbindungen werden Druckkräfte über Kantenpressung
net, die aus Plattenware geschnitten oder gestanzt werden. Hierzu
in die Scheibenebene eingeleitet. Besonders bei Bogen- und Schalen-
zählen Elastomere mit Shore-Härten von mindestens D 80, hartelasti-
konstruktionen können so hohe planmäßige Lasten abgetragen wer-
sche Materialien für Hochdruck-Flachdichtungen aus dem Anlagen-
den, die die Biegezugfestigkeit von Glas bis um das Zehnfache über-
bau (wie Klingersil _ Abb. 38 ) und Bleche aus Reinaluminium.
112
treffen
. Punkt- oder linienförmige Klotzungen an den
Für punktförmige Klotzungen insbesondere von VSG sind Formteile
Scheibenrändern stellen über Lasteinleitungsschichten den Kraft-
aus hartelastischem Kunststoff wie Polyoximethylen (POM) und injizier-
schluss her. Eine Vergrößerung der Klotzlänge vermindert die Span-
bare Hybridmörtel zweckmäßig. Über die Zusammensetzung orga-
_ Abb. 40, 42
Standfestigkeit
Standarddicken [mm]
synthetische Fasern,
39 [16h/175 °C] (DIN 52913)
8% (Dickenabnahme bei
0,5/1/1,5/2/3
23 °C und 50 N/mm2)
gebunden mit NBR Klingersil C-4500
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
Druckstandfestigkeit [N/mm2]
Carbonfasern mit spez.
35 [16h/175 °C] (DIN 52913)
10% (Dickenabnahme bei
0,5/1/1,5/2/3
23 °C und 50 N/mm2)
hoch temperaturbeständigen Zusatzstoffen Hilti HIT
Hybridmörtel
10 [empfohlen]
max. 4
38
39
41
43
38 Technische Daten von Verklotzungsmaterialien 39, 41, 43 Kontaktklotzung mit Hilti HIT HY-50: 39 Beispiel Tetra-Glasbogen (s. Kapitel 7.3) 41 Verfüllen des Injektionsmörtels mit Hilfe
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
Klingersil C-4430
Material
einer Schablone 43 Nach Aushärten des Mörtels und Entfernen der Schablone sind die Ein- und Austrittsöffnungen zu sehen. 40 Kontaktverbindung Faltwerktonne, Lehrstuhl für Tragkonstruktionen RWTH Aachen, 1997 42 Kontaktverbindung: Auf einer Klotzungslänge von ca. 50 cm werden bis zu 7 kN übertragen. „Glasbogen 2“, ILEK Universität Stuttgart 42
4.3
40
nischer und anorganischer Bestandteile kann Druckfestigkeit und Elas-
dung. Es handelt sich um rein kraftschlüssige, in der Regel zweischnit-
tizität des Mörtels variiert werden. Insbesondere der Injektionsmörtel
tige Verbindungen: Zwei Laschen werden durch vorgespannte Bolzen-
Hilti HIT HY-50 hat sich im Glasbau bewährt. Die Schichtdicke des Ma-
verbindungen von beiden Seiten gegen eine mittig liegende Glasschei-
terials, das nach der Injektion aushärtet, beträgt bis zu 4 Millimeter.
be gepresst, so dass an den Kontaktflächen hohe Haftkräfte erzeugt
Fertigungstoleranzen wie beispielsweise der Kantenversatz bei VSG und
werden
Montagetoleranzen können so aufgenommen werden. [4.3/17]
Reibkräfte den Schubkräften zwischen den Werkteilen entgegen. Die
_ Abb. 44
. Bei Belastung in der Scheibenebene wirken die
Die Applikation des Mörtels in zähflüssiger Form erfordert eine
Höhe der aufnehmbaren Normal-, Schub- und Biegespannungen
besondere Gestaltung des Anschlusspunktes. Der kammerförmige
hängen bei einer Reibschlussverbindung direkt von dem Anpress-
Hohlraum zwischen Beschlag und Glaskante muss zu allen Seiten ab-
druck und den Reibbeiwerten der Oberflächen ab. Bei der Verwen-
gedichtet sein. Eintrittsöffnungen für die Mischdüse des Auspressge-
dung spezieller Reibschichten können sehr gleichmäßig hohe Kräfte in
räts von 6 und Austrittsöffnungen von 3 Millimeter Durchmesser müs-
die Glasfläche übertragen werden, Reibschlussverbindungen weisen
sen vorgesehen werden
in der Regel eine höhere Beanspruchbarkeit als Bolzenverbindungen
_ Abb. 39, 41, 43
.
auf. Charakteristisch für Reibschlussverbindungen sind BolzengrupREIBSCHLUSS- UND KLEMMVERBINDUNGEN
pen und Mehrbolzenverbindungen
_ Abb. 45 – 48
. Zur Aufnahme von
Reibschlussverbindungen haben sich im Stahlbau für die Aufnahme
Biegedruck- und Biegezugkräften bei mehrteiligen Balken ist die rei-
großer Kräfte bewährt, im Glasbau kommen sie seit 1960 zur Anwen-
henförmige Anordnung in Nähe der Kanten am effektivsten. Da Kräfte
113
_
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
Elastomerhülse
Reibschicht
Federring
Stahllasche
44
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
45
46
44–48 Reibschlussverbindungen: 44 Die Kräfte werden über Reibschichten in die Scheibenebene eingeleitet. 45 Außen liegender Trägerstoß Educatorium Utrecht – Bolzengruppen sind für das Erscheinungsbild von Reibverbindungen typisch. 46 Modell einer Reibschlussverbindung bei VSG: Im Bereich der Krafteinleitung muss die zähelastische Zwischenschicht durch druckfeste Einlagen ersetzt werden. 47 Zangenartige Ausführung einer Reibschlussverbindung, Sony Center Berlin 48 Aufgelöste Reibschlussverbindung mit mehreren Einzellaschen
4.3
47
48
nicht über Lochleibung abgetragen werden, können Toleranzen ein-
Regel ausgeschlossen, es sei denn im Bereich der Krafteinleitung wird
fach durch entsprechend größere Lochdurchmesser aufgenommen
diese Kunststoffschicht durch steifere Kunststoffschichten oder Alu-
werden. Im Gegensatz zu Lochleibungsverbindungen entstehen bei
minium-Zwischenschichten ersetzt, was allerdings technisch sehr auf-
Verwendung von sehr steifen Klemmplatten keine Verformungen im
wändig ist _ Abb. 46.
114
Lochbereich und damit auch keine Spannungsspitzen. Durch die geometrische Ausformung der Klemmlaschen können zudem die Span-
_
nungskonzentrationen im Randbereich kontrolliert werden _ Abb. 48.
Bei einer Lochleibungsverbindung überträgt ein scherfester Stahlstift
BOLZEN- UND LOCHLEIBUNGSVERBINDUNGEN
Die Kontaktflächen müssen feinmechanisch bearbeitet und plan
in einer Passbohrung durch Formschluss mit der Bohrwandung (Loch-
sein. Oberflächenondulierungen beim bearbeiteten Stahlwerkstück,
leibung) konzentrierte Kräfte in das Werkstück, die sich unter einem
vor allen im Bereich der Lochbohrungen, sind auszuschließen, da an-
Winkel von circa 120° in der Scheibenebene ausbreiten _ Abb. 49. Im
sonsten die sehr hohen Anpresskräfte, die bei Reibschlussverbin-
Holz- und Stahlbau als Verbindungsmittel bewährt, stellen Bolzenver-
dungen über die Glasoberfläche aufgebaut werden, zu Spannungs-
bindungen im Glasbau aufgrund des fehlenden Plastizierungsvermö-
spitzen im Glas und zum Bruch führen können.
gens von Glas eine besondere Herausforderung dar. Im Bohrloch tre-
Reibschlussverbindungen kommen in der Regel nur bei monoli-
ten Spannungsspitzen auf, die etwa dreimal so hoch sind wie in einem
thischen, vorgespannten Gläsern zur Anwendung. Bei VSG sind sie
Werkstück aus einem duktilen Werkstoff wie Stahl, die Verwendung
aufgrund des Kriechverhaltens von PVB, GH und auch von SGP in der
vorgespannter Gläser ist erforderlich
.
_ Abb. 51
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
Elastomer
Distanzring
Hülsenmaterial 51
52
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
49
49–52 Lochleibungsverbindungen: 49 Die Lasten werden über Kontakt zwischen Bolzen, geeigneten Zwischenschichten und Bohrlochleibung in die Glasebene eingeleitet. 50 Lochleibungsverbindung Sony Center Berlin 51 Spannungskonzentrationen im Bohrloch bei einer Lochleibungsverbindung 52 Lochleibungsverbindungen bei einem Kragträger, Haltestelle Anger in Erfurt
In den letzten Jahrzehnten haben umfangreiche Forschungen den
tigen Bohrung sollte so gering wie möglich sein, da ein Polieren der
Einfluss von Lochgeometrie, Kantenqualität, Eigenschaft des Hülsen-
Bohrlöcher unter ökonomischen Gesichtspunkten nicht möglich ist.
materials und Art der Halterung auf das Tragverhalten von Bolzenver-
Ein gleichmäßiges Vorspannen wird gewährleistet, wenn der Loch-
bindungen untersucht.
durchmesser mindestens der Scheibendicke entspricht.
Die Bruchkraft ist abhängig von Anzahl und Durchmesser der Zy-
Vorgefertigte Hülsen werden seitlich auf die Lochleibung aufge-
linderbolzen, Kräfte von bis zu 30 kN und mehr lassen sich pro Bolzen
steckt und passen sich unter Beanspruchung den Oberflächen des
übertragen. Um Zwängungen zu vermeiden, sollte die Anzahl der Bol-
Werkstückes an. Steife Hülsenmaterialien wie Nylon oder Aluminium
zen zugunsten größerer Bolzendurchmesser reduziert werden. Ein-
weisen geringere Lastverteilungsflächen und damit auch geringere
schnittige Verbindungen, bei denen zwei übereinanderliegende Werk-
Bruchlasten wie Hülsen aus dem weicheren POM (Polyoximethylen)
stücke verbunden werden, sollten wegen der auftretenden Lastexzent-
auf. Steckhülsen sind einfach zu montieren, ermöglichen aber nur ei-
rizitäten vermieden werden.
ne geringe Toleranzaufnahme. Ungenauigkeiten in Durchmesser und
Für Bolzenverbindungen werden im Allgemeinen Zylinderboh-
Position der Bohrungen von ±2 Millimetern müssen bei vorgefertigten
rungen verwendet, die auf beiden Seiten des Bohrloches eine 45°-
Hülsen durch Langlöcher in den Verbindungselementen aufgenom-
Fase aufweisen (s. auch Kap. 3.3, Abb. 11 – 13). Die Qualität der Bohr-
men werden, oder es kommen präzise aufgebohrte POM-Scheiben
lochoberflächen ist für ein gutes Tragvermögen entscheidend, sie
oder Doppelexzenterringe aus Aluminium zur Anwendung.
sollten glatt und riefenfrei sein. Der Kantenversatz bei einer zweisei-
Für vorgespannte VSG-Scheiben, bei denen der Kantenversatz bis zu
115
4.3
50
4,3 cm
6
4,3 cm
10 6
960 mm ESG innen 1 000 mm TVG außen
Ø 2,3 cm Hülse außen
9 8 7 5
Ø
3 6,0 cm
12
12 2
2 19
11 13
TV
G
au
ße
n
14
8,5 cm 12,8 cm
0,5 cm
18 17
18 Klotzung Hiltl HIT min. 100 mm/ 17 Stahlplättchen z. Toleranzausgleich
0,4 cm
4
2,0 cm
4
5,
m 0c
Ø 2,6 cm ESG 19 mm
17
2,0 cm 1,5 cm
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
9 5 7
14
14
16
15
M 12 – 8,8 vorgespannt
M 12 – 8,8 vorgespannt
Stoffe t = 10 mm in HFA 180 eingeschweißt
53
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
54
53
55
Lochleibungsverbindung am Fußpunkt einer tragenden Wandscheibe beim Bausystem für die Sommerakademie Rheinbach und den „Glass Pavillon Düsseldorf“ 1
Bolzen M 20
2
Bolzen M 10
3
Aluminiumhülse
4
Exzenterringe Aluminium
5
Klingersil C-4500
6
Vergussmörtel Hilti HIT HY-50
7–9
56
VSG aus 10 mm TVG und 19 mm ESG 54
Hier wird die Dachscheibe vollständig von
10
Stahlschuh
11
Auflagerkonsole aus Stahl
tragenden Wandscheiben aus Glas gestützt.
12
Bolzen M 12 (8,8, vorgespannt)
Sommerakademie Rheinbach, 2000, Arch.:
13
Distanzplatte d = 20 mm
Marquardt und Hieber, Ing.: Ludwig und Weiler
14
2 Bolzen M 16
15
Stahlsteife
16
HEA 180
17
Stahlplättchen für Toleranzausgleich
18
Hilti HIT HY-50, im Bereich der Klotzung
55
Gelenkiger Verbindungsschuh zwischen Dach und Wandscheibe für zwängungsfreie Lagerung Exzenterringe für Anschluss der Wandscheiben
4.3
56
3 Millimeter betragen kann, werden Gießhülsen aus Epoxy, Polyester
System- und Dauerlasten durch sehr feste harte Klebeverbindungen,
oder PUR mit nachgewiesener Verträglichkeit zu PVB verwendet.
da insbesondere deren Kriechverhalten noch nicht ausreichend unter-
116
sucht ist. Zudem müssen bei Scherverbindungen und harten Verkle_ KLEBEVERBINDUNGEN
bungen die Spannungsspitzen an den Kleberändern beachtet werden.
Man unterscheidet Mischverklebungen, bei denen punkt- oder linienför-
Aber insbesondere für den stumpfen Stoß bei Glas-Glas-Kantenverkle-
mige Beschläge werkseitig auf die Glasoberfläche oder auf die Glas-
bungen (stirnseitige Verklebung) von gefalteten Elementen, wo durch
kante geklebt werden, und Ganzglasverklebungen, bei denen angren-
die Verklebung nur geringe Druck-, Zug- und Scherbeanspruchungen
zende Glasflächen oder -kanten direkt miteinander verbunden werden.
abgetragen werden, können Acrylate und Schmelzklebstoffe zur An-
Für Mischverklebungen, die für das Fügen von optimierten Verbund-
wendung kommen.
querschnitten eine wachsende Rolle spielen, kommen vor allem zähe-
Klebeverbindungen werden für die Übertragung von größeren
lastische Verklebungen mit speziellen Silikonen, PUR, Acrylaten oder
Kräften in die Scheibenebene generell als Scherverbindungen ausge-
Hochleistungsklebebändern wie VHB von 3M in Betracht. Auch für die
bildet. Durch Verblattung (Schwertverklebung) oder Flankenklebungen
Übertragung von geringen, dauerhaft wirkenden Schub-, Zug- oder Mo-
kann die Klebefläche und damit die Größe der aufzunehmenden Kräf-
mentenbeanspruchungen oder zur Aussteifung oder Stabilisierung von
te und die Elastizität des Klebstoffs vergrößert werden. Bei geringeren
Tragwerken sind flexible Klebeverbindungen gut geeignet _ Abb. 57, 59.
Beanspruchungen werden Einflanken-Verklebungen, bei höheren Ver-
Im Glasbau gibt es noch wenig Erfahrung mit der Übertragung von
klebungen Zweiflanken-Verklebungen ausgeführt, bei denen vier
B
C
D
E 59
60
57
Verkleben eines Aluminiumkantenbeschlags mit Silikon, Prof. B. Weller, Thomas Schadow, Universität Dresden
58
Der „Glass Cube“ auf der glasstec 2002,
KONSTRUKTION UND FÜGETECHNIK
57
SCHEIBEN- UND STABFÖRMIGE VERWENDUNG IN TRAGWERKEN
A
J. Knippers, S. Peters, Universität Stuttgart 59
Linienförmige Verklebung mit 2K-Epoxidharz mit pneumatischer Mischpistole
60
Querschnittsgeometrien linienförmiger Verklebungen A Ein-Flanken-Verklebung (stirnseitige Verklebung) B Zwei-Flanken-Verklebung (L-förmige Verklebung) C Schwertverklebung D Parallele Zwei-Flanken-Verklebung E Drei-Flanken-Verklebung (U-förmige Verklebung)
4.3
58
Werkstückoberflächen miteinander verbunden werden
_ Abb. 60
.
Neue Untersuchungen zeigen, dass eine Dreiflankenhaftung nicht
kon aufgeklebte Rippen aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GfK) stabilisiert wurden _ Abb. 58.
grundsätzlich zu einem besseren Tragverhalten führt. [4.3/18 ] Kräfte quer zur Scheibenebene können durch aufgeklebte Beschläge über zugbeanspruchte Klebefugen in das Glas eingeleitet werden. Dabei sollen Schäl- und Spaltbeanspruchungen vermieden werden, wie sie durch das Abziehen von Fügepartnern von der Glasoberfläche oder durch das Aufklappen einer Klebefuge entstehen können, um ein Einreißen der Klebefuge aufgrund von Spannungsspitzen an den Kleberändern zu verhindern (s. auch Kap. 4.1, Abb. 29). Bei Verbundquerschnitten kann Glas wesentlich zur Versteifung der Konstruktion beitragen, wenn es in der Druckzone des Spannungsquerschnittes liegt. Als Beispiel sei der auf der glasstec 2002 der Universität Stuttgart präsentierte „Glass Cube“ genannt, bei dem die großformatigen Glasscheiben der Dachkonstruktion durch mit Sili-
117
von dem Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen
– – – – –
5
119
FUNKTIONSTECHNISCHE ANFORDERUNGEN
ÜBERBLICK
thermisch
FUNKTIONSTECHNISCHE ANFORDERUNGEN
Behaglichkeit
Makroklima
akustisch
visuell Tätigkeit/ Wärmeabgabe
1
thermische Behaglichkeit
Gebäudeausrüstung U-Wert g-Wert z-Wert
Geometrie/Orientierung
2
1 Thermische, akustische und visuelle Gesichtspunkte beeinflussen das Behaglichkeitsempfinden. 2 Faktoren für die thermische Behaglichkeit einer Glashalle 3 Das Glasdach schützt vor Witterung und versorgt den Innenraum gleichzeitig mit Tageslicht. 4 Schmutzrückstände auf einem flach geneigten Glasdach
5.1
3
4
_
nen. Je nach Nutzung können unterschiedliche funktionstechnische
_
Anforderungen für die thermische, visuelle und akustische Behaglich-
_
keit gelten _ Abb. 1. Die zentralen Bedürfnisse nach Schutz vor sommerlicher Überhitzung und winterlicher Auskühlung sowie vor Blend-
_ _
5.1 ÜBERBLICK
erscheinungen und akustischer Unbehaglichkeit durch Halleffekte müssen schon bei der Planung berücksichtigt werden. Dies gilt auch
„Dass diese Wohltat aber auch von Dauer sei, gewährt Dir nicht die Wand, nicht die Grundfläche und nichts von alledem, sondern allein vor allem, wie man sehen kann, die äußere Schale des Daches ...“ Leon Battista Alberti [5.1/1]
für die Reinigung der Dachflächen _ Abb. 4. [5.1/2, 5.1/3] Komfortansprüchen sollte mit Rücksicht auf unsere Umwelt mit angemessenen technischen Mitteln entsprochen werden. Das Bauen mit Glas ermöglicht dabei, die zentralen Schutzfunktionen mit der Gewinnung von Sonnenenergie zu verbinden und über das Jahr eine
Das Glasdach ermöglicht, große und tiefe Nutzflächen vor der Witterung zu schützen und gleichzeitig mit natürlichem Tageslicht zu ver120
sorgen. Die Glasarchitektur birgt allerdings auch Gefahren, die nur durch sorgfältige Planung und Rücksichtnahme auf die klimatischen Bedingungen und Bedürfnisse des Nutzers vermieden werden kön-
weitgehend ausgeglichene Energiebilanz zu erzielen. [5.1/4]
EN
AF
[%]
[lux]
[%]
gering
2
100
4
mäßig
4
200
8
hoch
10
500
20
sehr hoch
15
750
30
Tageslicht
Trüber Winternachmittag
3000
Bewölkter Wintertag
5000
Wolkenloser Wintertag
10000
Leichtbewölkter Sommertag
20000
Wolkenloser Sommertag
5
7
NennbeleuchtungsAnsprüche [lux]
Dämmerung
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