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German Pages [341] Year 2022
OSKAR KOKOSCHKA BERNADETTE REINHOLD
UND ÖSTERREICH
Facetten einer politischen Biografie
Bernadette Reinhold
Oskar Kokoschka und Ö sterreich Facetten einer politischen Biografie
Böhlau Verlag Wien Köln
Veröffentlicht mit freundlicher Unterstützung der Universität für angewandte Kunst Wien
Meiner Bande
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung : Robert Haas, Oskar Kokoschka Zentrum, Universität für angewandte Kunst Wien (OKV/300/FP). © 2023 Böhlau, Zeltgasse 1, A-1080 Wien, ein Imprimt der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande ; Brill USA Inc., Boston MA, USA ; Brill Asia Pte Ltd, Singapore ; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland ; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fallen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Korrektorat : Felicitas Sedlmair, Göttingen Einbandgestaltung : Michael Haderer, Wien Satz : Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-205-21590-5
Inhalt
Einleitung – Kokoschka und Österreich im Fokus . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Kokoschka, Wien und die österreichische Kulturpolitik bis 1938 . . . . . . . .
25 Die Anfänge einer schwierigen Beziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Die Politisierung eines Verhältnisses: Kokoschka und Österreich ab 1918 . . . . 42 »Österreichs berühmtester Maler« im Visier der »Völkischen Beobachter« .. 44 Isolation versus Aussöhnung. Kokoschka und Wien um 1930 . . . . . . . . . 53 Kokoschkas Netzwerk – Alte und neue Freunde . . . . . . . . . . . . . . . . 56 »Kulturgroßnation« Österreich. 1934 und die Folgen . . . . . . . . . . . . . . . 71 Handwerk und Erziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Der »Ständestaat«. Reformideen und Etablierungsversuche eines Visionärs .. 83 Bruchlinien. Enttäuschung – Abkehr – Neuorientierung. . . . . . . . . . . . 92 Schwanengesang in Paris, Wien und München 1937/38 . . . . . . . . . . . . . 100
Prag und London – Zur Formierung eines neuen Österreich-Bewusstseins . . . 113
»The Political Artist«. Kokoschka in Prag 1934 – 1938.. Kokoschka, Integrationsfigur im Exilland England . . . »Im Namen des gepeinigten Österreich« . . . . . . . Anschluss – Alice in Wonderland (1942) . . . . . . . . .
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Resurrectio Austriae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136
Identitätskonstruktion und Vergangenheitspolitik seit 1945.. . . . . . . . Österreichische Kulturpolitik seit 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Herz Europas. Kokoschkas politische Schriften zu Österreich 1945. . Nach dem Kriegsende: Hoffnung und Desillusionierung . . . . . . . . . . Politisch-humanitäre Aktionen, Einladungen und Ehrungen . . . . . . Kokoschka auf österreichischen Propagandaausstellungen 1946/47 . . . Zukunftspläne – Rückkehrwünsche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der »große OK« und Wien nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Wiener Akademien und Kokoschka . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229
Eine »Häufung versäumter Gelegenheiten«. Kokoschka und die Wiener Museen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 5
Inhalt
Kokoschka sammeln. Strategien und Motivationen.. . . . . . . . . Kokoschka ausstellen. Eine Geschichte der Hindernisse . . . . . . . Annus mirabilis 1955 und die Folgen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Ausstellung in der Wiener Secession 1955. . . . . . . . . . . . Alte und »neue Freunde« nach 1945. Kokoschkas Beziehung zu (ehemaligen) Nationalsozialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Staatsvertrag, Staatsoper und ein Staatsauftrag . . . . . . . . . . . . 1956. Der Österreichische Staatspreis und andere Ehrungen. . . . . Heimkehr eines großen Europäers. Kokoschka im Künstlerhaus 1958 . Ein bekennender Europäer und »Propheta laureatus« . . . . . . . . Nachhall. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anhang. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
Dank.. . . . . . . . . Literaturverzeichnis. . Abkürzungen . . . . . Abbildungsnachweis.. Register . . . . . . . .
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Einleitung – Kokoschka und Österreich im Fokus
auch hitler war ein österreicher nicht nur christus. Ernst Jandl
Mit Schlagzeilen wie Später Triumph in der Heimat wurde im Frühsommer 1971 die Eröffnung einer großen Oskar Kokoschka-Retrospektive im Oberen Belvedere in Wien als kulturelles und politisches Ereignis inszeniert (Abb. 1). Man sprach davon, dass er mit Gustav Klimt und Adolf Loos einer der Wegbereiter der Moderne war, dass der Thronfolger Franz Ferdinand angedroht habe, ihm alle Knochen im Leibe zu brechen und ihn die Nationalsozialisten als »entarteten« Künstler verfolgten. »Seine Aussöhnung mit der Heimat begann 1961, als er Ehrenbürger von Wien wurde. Zehn Jahre später ehrt man ihn nun mit einer groß angelegten Gesamtschau seines Schaffens. Oskar Kokoschka : »Vor diesem Wienbesuch habe ich mich eigentlich gefürchtet. Aber jetzt bin ich glücklich, daß ich gekommen bin. Wien ist wie ein junges Mädchen, ist schöner denn je.«1 Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky hatte ihn in seinem Haus empfangen und dem Künstler angeboten, wieder österreichischer Staatsbürger zu werden. In den Medien wurde Kokoschkas Antwort kolportiert : »Was bedeutet schon ein Paß ? Ich war doch immer und überall Österreicher !«2 1974 erhielt der Künstler, der seit 1947 Brite war, tatsächlich wieder die österreichische Staatsbürgerschaft. Die nicht erfolgte oder sehr späte Aussöhnung Kokoschkas mit seinem Geburtsland Österreich ist seit vielen Jahrzehnten eine Konstante in der Rezeption dieses Künstlers. Auch nach seinem Tod und bis in unsere Tage scheint das Verhältnis belastet, was nicht allein mit der Radikalität seines (frühen) Werkes zu tun hat, sondern auch mit seiner Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Kokoschka, neben Klimt und Schiele wohl einer der bekanntesten Künstler der Moderne in Österreich, gilt heute als politisches Opfer der NS-Diktatur und als eine der vielen Persönlichkeiten, um deren Rückholung sich die Zweite Republik nach 1945 nicht oder nur sehr oberflächlich bemüht hat. Das schwierige Verhältnis zwischen Oskar Kokoschka und Österreich nach 1945 und der Nachkriegszeit wurde zwar immer wieder thematisiert, aber bisher nie grundlegend beleuchtet. Letztlich stehen einige scheinbar festgeschriebene Thesen auf dem Prüfstand : Das Diktum der verhinderten Rückkehr Kokoschkas nach Österreich spielt ebenso eine Rolle wie die auffällig späten Würdigungen in großen Ausstellungen in Wien (1955 und 1 Anonym, Oskar Kokoschka : Später Triumph in der Heimat, in : Die Bunte, 22.6.1961, S. 17. 2 Ebd.
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Einleitung
1 : Kokoschka und der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky, in : Oskar Kokoschka : Später Triumph in der Heimat, Die Bunte, 22. Juni 1971, S. 41.
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Kokoschka und Österreich im Fokus
1958) bzw. in Ehrenauszeichnungen wie dem Österreichischen Staatspreis (1955) oder der Wiener Ehrenbürgerschaft (1961). Die Fakten, dass der Künstler keine Professur an einer der etablierten Kunstakademien erhalten hatte, in die großen künstlerischen Wiederaufbauprojekte, etwa die Gestaltung des Eisernen Vorhangs der Wiener Staatsoper oder den Auftrag für das Staatsvertragsgemälde (1955) nicht oder kaum eingebunden war, der Bilderankauf durch öffentliche Sammlungen nur schleppend verlief, wurde und wird weithin mit der schwierigen Vergangenheitspolitik, der NS-Geschichte dieses Landes in Verbindung gebracht. Kokoschka, ein ausgewiesener Antifaschist, war 1934 nach Prag gegangen und von dort – mittlerweile als »entarteter« Künstler diffamiert – 1938 nach London geflüchtet. Ab 1953 lebte Kokoschka in Villeneuve am Genfer See. In Österreich hielt er sich, wenn überhaupt, nur in der Provinz länger auf, in Salzburg, wo er von 1953 bis 1962 seine Schule des Sehens (Internationale Sommerakademie) leitete bzw. in Linz, wo man ihn schon bald nach dem Krieg mit Ausstellungen ehrte und mit Auftragsarbeiten zumindest kurzfristig zu binden wusste. Wien, das offizielle Wien, die Kulturverantwortlichen in der Politik, in den Museen und den Akademien, die (eifersüchtigen) Künstler-Lobbys und nicht zuletzt das »Publikum« hatten versagt. Kokoschka und – Wien oder Österreich ? Mit dem Historiker Ernst Bruckmüller möchte man antworten : Wien und die österreichische Identität. Dieser wies in einem gleichnamigen Aufsatz auf diametral entgegengesetzte Definitionen hin : »Wien ist die Quintessenz Österreichs. Und […] : Nicht Wien, sondern die Länder repräsentieren Österreich.«3 Wie auch immer die Konzeption des »Österreichischen« ausfällt, sie kommt nie ohne eine wie auch immer geartete Bezugnahme auf Wien aus. Diese Dichotomie hat jahrhundertealte Wurzeln, die sich im 19. Jahrhundert verfestigten. Bekanntlich ließ der Zusammenbruch der Monarchie 1918 aus der Perspektive der verbliebenen österreichischen (Bundes-)Länder mit ihren mehr oder weniger starken Regionalidentitäten die große, ehemals kaiserliche Residenzstadt zum überdimensionierten »Wasserkopf« werden. Hier konzentrierten sich die wichtigsten politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Institutionen sowie die – vor allem nach ihrer Zerstörung im Zweiten Weltkrieg – für Österreich identitätsstiftenden Denkmäler wie der Stephansdom, die Hofburg, die Museen, die Staatsoper und das Burgtheater. Kokoschka, 1886 im niederösterreichischen Pöchlarn geboren, war in Wien aufgewachsen und künstlerisch sowie intellektuell hier sozialisiert worden. Auch wenn der Fokus im Folgenden auf der Nachkriegszeit liegt, so ist es wichtig zu sehen, dass das belastete Verhältnis zweifellos in der Frühzeit Kokoschkas in Wien wurzelte, beginnend mit seinem skandalreichen Debüt bei der Kunstschau 1908. Obwohl sich bald internatio nal, vor allem in Deutschland, Erfolge einstellten, er zu einer der bekanntesten Figuren des europäischen Kunstgeschehens wurde, konnte er diese frühe Ächtung zeitlebens nicht verwinden. Bekanntlich inszenierte er sich wiederholt in verschiedenen künstle3 Bruckmüller 1987, S. 19.
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Einleitung
rischen Medien als Opfer. Der Opferstatus Kokoschkas ist bis heute ein Topos in der Kunstgeschichtsschreibung. Keine Publikation zu Kokoschka, kaum eine zu Kunstskandalen oder der problematischen Stellung des radikalen Künstlers in der Gesellschaft kommt ohne den »Fall Kokoschka« aus. So geht es in einem ersten großen Kapitel nicht darum, vielfach Repliziertes wiederzugeben, sondern die Ambivalenzen in dieser nachhaltigen Zuschreibung als Opfer der Wiener Kunstszene zu beleuchten. Sie sind einerseits Teil einer erfolgreichen Künstler-Vita, deren Mythen es zu reflektieren gilt : Am Anfang steht der radikale, verkannte bzw. von den etablierten Kunstinstitutionen geächtete junge Künstler, der sich – ein weiterer österreichischer Topos ! – im Ausland Anerkennung erwirbt. Erst mit großer Verzögerung wurden seine Arbeit und er selbst als »großer Sohn«, als »bedeutender Österreicher« geehrt. Bei Kokoschka erweist sich die Opferrolle als außerordentlich komplex und hatte durch eine mehrfach sich modifizierende Politisierung zusätzliche Brisanz erhalten. So wurde er in der Zwischenkriegszeit, nicht zuletzt im Ständestaat als österreichisches Aushängeschild etwa bei Auslandspräsentationen instrumentalisiert. Zugleich ging die ultrakonservative Kritik allmählich im Sog der faschistischen, nationalsozialistischen Hetze gegen die Moderne auf. Diese ist kein allein »deutsches« Problem. Die Politisierung Kokoschkas ist eine zentrale These, der rote Faden, der im doppelten Sinne verwoben erscheint : Nicht nur Kokoschka wurde als »österreichischer« Künstler politisiert bzw. instrumentalisiert, sondern auch er selbst vollzog ab den 1930er-Jahren einen Politisierungsprozess, der in zahlreichen Texten sowie in seiner Kunst Niederschlag fand. Er ist seit dieser Zeit in der Kunstgeschichtsschreibung auch als politischer Künstler kanonisiert. Kokoschka wurde und blieb in Österreich ein Politikum, entwickelte sich zu einer Konstante der österreichischen Kunst- und Kulturpolitik. Kokoschka – der Österreicher. Kokoschka – ein österreichischer Künstler. »Heimat bist Du großer Söhne«, hieß es in der ursprünglichen Fassung der österreichischen Bundeshymne von 1946 aus der Feder von Paula Preradović. Es gehört zu den vielgepflegten Selbstdarstellungsmodi des »kleinen« Österreich, dass es »große« Persönlichkeiten hervorgebracht hat. Gerne wird hierzulande immer noch die große Zahl der in Österreich geborenen Nobelpreisträger/ innen angeführt, die indirekt proportional zur Bevölkerungsgröße steht. Wie viele davon aus Österreich während der NS-Zeit flüchten mussten, sei dahingestellt. Ernst Jandls lyrischer Kommentar ist als provokant gesetztes Entree in diese Thematik zu verstehen. Eine von Stereotypen und Klischees getragene Thematik, die eng mit jener »österreichischen« Zwiespältigkeit verknüpft ist, welche zwischen Minderwertigkeitskomplexen (Alfred Adler) und grenzenlosen »Grandiositätsgefühlen« (Erwin Ringel) oszilliert.4 Die »Verösterreicherung«5 Kokoschkas war weitgehend unabhängig von seiner Staatszugehörigkeit : Er war 1938 tschechoslowakischer, 1947 britischer Staatsbürger 4 Vgl. Ringel 1984, S. 22. 5 »Verösterreicherung« ist ein von Jörg Mauthe geprägter Begriff in dessen Roman Die große Hitze oder Die
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Kokoschka und Österreich im Fokus
geworden und hatte 1974 ehrenhalber über das Engagement des Bundeskanzlers Bruno Kreisky zusätzlich die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten. Die österreichische Zugehörigkeit ist noch viel weniger mit Kokoschkas Lebensmittelpunkten zu begründen : Er hatte bekanntlich die meiste Zeit seines Lebens in vielen europäischen Städten gelebt und gearbeitet. Die Thematik ist auch keine, die sich nur vor 1938 und nach 1945 entwickelt. Kokoschka hatte in London, wo er in deutschen sowie österreichischen Exilgemeinschaften als prominenter Antifaschist engagiert war, in politischen Allegorien und in zahlreichen Texten Österreich als explizit politische und kulturelle Größe zu definieren begonnen. Letztere sind in der Forschung bislang nicht ausführlich untersucht worden. Er berührte dabei wesentliche Fragen zur Identität eines spätestens seit 1918 mehrfach in Frage gestellten Staates. Die Untersuchung dieser Zeugnisse geschieht im Kontext der nach 1945 praktizierten Vergangenheits- und Kulturpolitik, die spätestens seit den 1980er-Jahren einer kritischen Revision unterzogen wird. Die »Lebenslüge« vom Status Österreichs als erstem staatlichem Opfer der NS-Politik spielt hier ebenso eine Rolle wie Mechanismen der (Schuld-)Verdrängung oder die Dominanz eines engen, konservativen Kulturbegriffs. In Bezug auf Kokoschka ist es wichtig, die seit 1908 einsetzende und nach 1945 perpetuierte Bringschuld Österreichs zu thematisieren sowie seine Rolle bzw. Funktion im Gefüge der Kulturpolitik nach 1945. Kulturpolitik ist hier nicht, oder nicht nur im engen Sinne, als eine auf legislativen Vorgaben basierende politische Praxis von staatlich eingesetzten Funktionären zu verstehen. Sie ist aus verschiedenen Handlungsfeldern, vornehmlich jenen der Kunst und der Politik, ihren vielfältigen Akteuren, deren Interessen und Beziehungen zu interpretieren. Kokoschka selbst ist nicht nur Projektionsfläche oder gar passiver, ferner Bezugspunkt, sondern nimmt die facettenreiche Rolle eines zentralen Protagonisten ein. Kokoschka starb 1980 in Montreux kurz vor seinem 94. Geburtstag. Sein Leben erscheint wie ein Parallellauf zum 20. Jahrhundert mit all seinen Errungenschaften, Widersprüchen und Katastrophen. Er wuchs in Wien auf, wurde im Gefüge der k. u. k. Monar chie sozialisiert, war im Ersten Weltkrieg an der Front, wo er lebensbedrohlich verletzt wurde, lebte an zahlreichen Orten, war beständig auf Reisen, hatte unzählige Begegnungen mit bedeutenden Persönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik, wirkte als Lehrer und in mehrfacher Hinsicht als anerkannte Autorität. Es wäre absurd anzunehmen, dass eine so starke Persönlichkeit – was immer man darunter verstehen mag – wie Kokoschka sich nicht im Laufe der Zeit weiterentwickelt bzw. ihre Ansichten zu unterschiedlichen Lebensbereichen modifiziert bzw. verändert hätte. Diese Feststellung mag banal erscheinen. Da jedoch bei Künstlerbiografien bestimmte Haltungen oder Aussagen oft für das gesamte Œuvre bzw. die Vita als verbindlich angesehen werden, ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass sich z. B. Kokoschkas politische Einstellung im angesprochenen Zeitraum Errettung Österreichs durch den Legationsrat Dr. Tuzzi (1974) ; zum ambivalent-polaren Wesen des »Österreichischen«, vgl. auch Bogner 1996.
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Einleitung
zumeist schrittweise, manchmal aber auch abrupt wandelte. Als Beispiel sei hier seine Einstellung gegenüber der Sowjetunion genannt oder seine mangelnden Berührungsängste mit ehemals exponierten Nationalsozialisten oder NS-Profiteuren nach 1945. Eine Aufforderung zum Misstrauen
Im Jahr 1946 publizierte die junge österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger (1921 – 2016) einen bekannten Aufsatz mit dem Titel Aufruf zum Mißtrauen – angesichts der Folgen des Krieges und des technisierten Mordens ein Appell zur Selbstreflexion an die Leserinnen und Leser.6 Dieser Text ist ein Aufruf in politischer Hinsicht, aber auch bezüglich der Wirkmächtigkeit des Wortes. Misstrauen, Reflexions- bzw. Selbstreflexionsbedarf besteht, wenn man sich mit der vielschichtigen, wechselvollen, nicht selten manipulativen oder gar manipulierten Rezeptionsgeschichte Kokoschkas befasst. Es ist ein Allgemeinplatz geworden, dass Kokoschkas 1971 veröffentlichte Autobiografie Mein Leben mehr einer autobiografisch gefärbten Prosa als einer verbindlichen Quelle entspricht.7 Kokoschkas Formulier- und Fabulierkunst ist legendär ; beinahe jeder Satz eine pointierte Kostprobe seiner Sprachkunst. Seine Vordatierungen, Ausblendungen, Übertreibungen und die Kunst, Personen, Orte, Begebenheiten zu einem bestimmten Zeitpunkt zu vereinen, welche sich entweder über Jahre hinweg erstreckt haben oder gegebenenfalls in dieser Form gar nie passiert sind, lassen so manche Zitierlust jäh erlahmen und sind eine weitere Aufforderung, nämlich jene zur mitunter mühsamen Quellenarbeit. Nun darf hier Kokosch kas künstlerisch-literarisch-dramatische Mehrfachbegabung nicht außer Acht gelassen werden, sodass man davon ausgehen kann, dass im Grunde fast jeder Text aus seiner Feder, egal ob Brief, Autobiographie oder politisch-kulturhistorische Abhandlung zum Anlass eines kreativen Prozesses werden konnte. Ein Prozess, der mitunter den Gesetzen der manipulativen Rhetorik mit einer bestimmten Intention unterlag. Bei der Manipulation der eigenen Biografie befindet sich Kokoschka – auch das ist allgemein bekannt – in bester Gesellschaft mit vielen anderen bedeutenden Künstlern und Geistesgrößen. Werner J. Schweiger hatte bereits 1986 festgestellt, dass Kokoschka mit der Mystifizierung und Selbststilisierung vergleichsweise früh begann und schon in seiner ersten Monografie von Paul Westheim 1918, also nur zehn Jahre nach seinem Debüt, zahlreiche Ungenauigkeiten vorkommen.8 Schweiger, der ein bis heute gültiges Standardwerk zum frühen Kokoschka publiziert hatte, war es auch, der ein problematisches Phänomen in der Kokoschka-Rezeption beobachtete, das leider vielfach bis heute gültig ist. Was er 6 Ilse Aichinger, Aufruf zum Mißtrauen, in : Plan, H. 7/1946, S. 588. Nach Aichingers Text wurde die frühe, wichtige Anthologie zu Literatur, bildender Kunst, Musik in Österreich seit 1945 durch Otto Breicha und Gerhard Fritsch 1967 benannt, vgl. Breicha/Fritsch 1967. 7 Kokoschka 1971. 8 Westheim 1918 ; Schweiger 1986, S. 114.
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Kokoschka und Österreich im Fokus
für das Frühwerk formulierte, kann man weitgehend für die Auseinandersetzungen mit dem gesamten Œuvre behaupten : Das Gros der [auf Westheims Monographie, Anm. BR] nachfolgenden biographischen Kokoschka-Literatur fußt beinahe ausschließlich auf Aussagen und Schriften des Malers. Diese Tatsachen führten zu einer bequem-klischierten, durch Jahrzehnte immer weitergeschriebenen – ist gleich : festgeschriebenen – Einschätzung von Kokoschkas Frühwerk […].9
Régine Bonnefoit hat in einem Aufsatz das von Kokoschka für sich beanspruchte »Informationsmonopol« anhand der Monografie Kokoschka – Life and Work (1947) von Edith Hoffmann (1907 – 2016) untersucht : Kokoschka »überwachte zeitlebens mit Argusaugen sein Bild in der Öffentlichkeit […]«, belieferte Biografen »großzügig mit vorselek tierten Informationen über sein Leben und Werk unter der Bedingung, dass diese wortgetreu übernommen werden.«10 Hoffmanns breit angelegte kunsthistorische Verortung zog massive Interventionen Kokoschkas nach sich, der sich in einem späteren Urheberrechtsverfahren sogar als Hauptautor brüstete. Das Schicksal der Kontrolle bzw. Zensur teilten quasi alle Kunstkritiker/innen bzw. Kunsthistoriker/innen, die den Künstler mehr oder weniger lange publizistisch begleiteten und die er »meisterhaft […] für seine Zwecke zu instrumentalisieren« wusste.11 Doris Wild, Hans Maria Wingler und sogar Josef Paul Hodin, der weithin als Kokoschka-Panegyriker bekannt ist, hatten mit teilweise massiven Eingriffen zu rechnen. Die Erwähnung von als Konkurrenten empfundenen Zeitgenossen oder unliebsame Analogiebezüge fielen nicht nur dem Rotstift zum Opfer, sondern zogen herbe Kritik des sonst jovialen Künstlers nach sich. Doris Wild etwa beging 1948 den »Fehler«, schon auf den ersten zwei Seiten ihres Aufsatzes über Kokoschkas Blumenaquarelle Picasso und Egon Schiele als gleichwertige, vergleichswürdige Künstler zu erwähnen – ein Fauxpas, der zur Veröffentlichung gelangte.12 Ihre ernüchternde Bilanz 1956 : Kokoschka kümmert sich um das Schicksal seiner Werke, wirkt für ihre Ausstrahlung, nützt Situationen aus und zwingt Menschen in den Dienst seiner Propaganda, um sie hernach auszuschalten und zu vergessen, wenn sie die ihnen zugedachte Rolle erfüllt haben.13
Hans M. Wingler (1920 – 1984), zugleich Gründer des Bauhaus-Archives, musste im Zuge der Erstellung des 1956 herausgegebenen Œuvrekatalogs der Gemälde sogar hin 9 Schweiger 1986, S. 114f. 10 Bonnefoit 2015, S. 169 ; Hoffmann 1947. 11 Bonnefoit 2015, S. 169. 12 Doris Wild, Oskar Kokoschka. Blumenaquarelle, Zürich (Rascher) 1948. 13 Doris Wild, Oskar Kokoschka, in : Neue Zürcher Zeitung, 26.2.1956, S. 4, zit. Bonnefoit 2015, S. 169.
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Einleitung
nehmen, dass Kokoschka bei der Drucklegung extra angereist kam, um das frühe Porträt der Natalie Baczewski (1907) aus der Publikation zu entfernen.14 Er kommentierte seine Erfahrungen mit Kokoschka rund um die Eingriffe einerseits und die geforderte Adoration andererseits in einem Brief mit bitterer Ironie : »Natürlich darf über OK nur Vorteilhaftes gesagt werden.«15 Kokoschka umgab sich in den letzten Jahrzehnten seines langen Lebens vorwiegend mit Personen, die sein Werk bedingungslos schätzten und verehrten bzw. genug Spielraum in ihrem Urteil aufzubringen wussten. Eine Aufforderung zum Misstrauen ist auch bei der Konsultation der jeweils in vier Bänden herausgegebenen, von Kokoschka verfassten Briefe und Schriften geboten, die zwischen 1984 und 1988 bzw. 1973 und 1976, also teilweise noch zu Lebzeiten des Künstlers erschienen sind.16 Bedauerlich ist, dass nur eine Auswahl publiziert wurde und beispielsweise von der Korrespondenz mit österreichischen (Kunst-)Institutionen bzw. deren Vertreter/innen seit 1945 in der offiziellen Briefausgabe beinahe nichts publiziert wurde. Darüber hinaus erscheint das Editionsverfahren problematisch, weil teils größere Passagen ausgelassen wurden, die nicht nur datenschutzrechtliche Faktoren oder »belanglose« Mitteilungen, betreffen. Als nicht weniger schwierig erweist sich die Schriftenausgabe. Da sind mittlerweile peinlich berührende Vordatierungen der Dramen, die leider immer noch zitiert werden, obwohl Schweiger schon früh und Patrick Werkner sogar in englischsprachigen Publikationen Korrekturen vorgenommen haben.17 Schwerwiegend ist aber auch die Kürzung bzw. teilweise massive Überarbeitung der Schriften durch den Künstler im Zuge der Edition zwischen 1973 und 1976. Misstrauen ist also angebracht oder, um ein von gewichtigen Zeitgenossen Kokoschkas oft verwendetes, altes russisches Sprichwort zu bemühen : Vertraue, aber prüfe nach. Aspekte eines Autobiographical Life Aber es ist nicht meine Aufgabe, mich selbst zu loben, in der Nachwelt wird Zeit dazu genug sein. Kokoschka an Walter Feilchenfeld, 194818
Seit der frühen Neuzeit war eine auf den Künstler fokussierte Sichtweise vorherrschend. Mit der Aufklärung verschob sich der Blick hin zum Kunstwerk als Ausdruck seiner Zeit, um im Verlauf des 19. Jahrhunderts wieder das künstlerische Individuum ins Zentrum 14 Winkler/Erling 1995, S. 3f. 15 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 604.24, Hans Maria Wingler an Hans Platschek, 11.3.1956, zit. Bonnefoit 2015. 16 Vgl. Briefe I-IV, Schriften I–IV. 17 Ein Beispiel ist die Datierung von Mörder, Hoffnung der Frauen (1909), vgl. entsprechende Kapitel bei Schweiger 1983 bzw. Werkner 1986 und 1993. 18 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 44, Briefe von O. Kokoschka (Abschriften) 1944 – 1948, OK an Walter Feilchenfeld, Florenz, 28.11.1948.
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Kokoschka und Österreich im Fokus
der Aufmerksamkeit zu stellen.19 Ob als Bohemien oder »Künstlerfürst«, als »wahnsinniges« oder »verkanntes Genie«, dem (männlich gedachten) Künstler kam eine gesellschaftliche Sonderrolle zu, die sich für positive wie negative Projektionen bestens eignete : außergewöhnliche Schaffenskraft und Selbstbestimmtheit standen moralisch bedenklichen Verhaltensweisen und der Gefahr eines Lebens in existentieller Not gegen über. Dem Typus des Intellektuellen verwandt galten Künstler durch ihre gesellschaftliche Randposition als eine Art Korrektiv und wurden oft als mahnende, vorausahnende Stimme, als ungehörte Kassandra, als Prophet und Seismografen apostrophiert.20 Prekäre Lebensverhältnisse und gesellschaftlichen Angriffen ausgesetzt formierte sich die Figur des Künstler-Märtyrers, dem messianische Züge anmuten. Kokoschka war sich zweifellos dieser Künstlerbilder bewusst und hatte sie weitgehend internalisiert. In der jüngeren Biografieforschung kommen »Ego-Dokumenten«, also künstlerischen und schriftlichen Selbstzeugnissen wie Selbstbildnissen und autobiografische Arbeiten eine besondere Rolle zu.21 In diesem Zusammenhang kommt auch dem »Aufbereiten« des eigenen Werkes sowie dem Umgang mit dem präsumptiven Nachlass eine Bedeutung zu. In Reflexion über seine Arbeit als Biograf von Friedrich Nietzsche prägte Carl Pletsch den Begriff des Autobiographical Life, der in wesentlichen Aspekten auch für Kokoschka passend erscheint und von Brigit Kirchmayr untersucht wurde.22 Grundlegend sei die Selbstkonzeption als Genie, das als solches geboren und nicht »gemacht«, also außerhalb des sozialen Kontextes geworden sei und in klarer Opposition zu seinen Zeitgenossen stehe. Letzteren wird die Rolle von Epigonen (bei Kokoschka waren das z. B. Schiele oder Picasso) zugewiesen oder im besseren Fall, jene von Verehrern. Ein Genie schaffe aus sich selbst, ohne Vorbilder, die, wenn dann nur Kunst- oder Geistesgrößen der Vergangenheit sein könnten (z. B. Rembrandt). In diesem Kontext sei besonders auf Annette Windischs Dissertation über Oskar Kokoschka und die Alten Meister hingewiesen.23 Wesentlich seien sein Alleinstellungsmerkmal, seine außergewöhnlichen Leistungen und die in allem innewohnende Innovation. Diese werde oft nicht erkannt, da das Genie seiner Zeit voraus sei und oft nicht oder missverstanden werde – hier kommt die Figur des Rufers in der Wüste zum Tragen. Im Zusammenhang mit dieser Selbstmystifizierung haben viele Künstler und Intellektuelle auch die Fremdwahrnehmung nach ihrem Ableben im Visier. Von der eigenen Bedeutung und dem nachhaltigen Einfluss überzeugt, gestaltet sich im Bewusstsein der eigenen Genialität das Leben in Antizipation künftiger (und gegenwärtiger) Biografen als Autobiographical Life (Pletsch). Dabei bekommen autobiografische Zeugnisse ebenso Gewicht wie der 19 Vgl. Fastert/Joachimides/Krieger 2011a, S. 16. 20 Eine kritische Untersuchung der Metapher des Künstlers als Seismografen, vgl. Schade 2001. Zum Topos der Kassandra in der Moderne : Heckmann/Ottomeyer 2009. 21 Fastert/Joachimides/Krieger 2011a, S. 18. 22 Pletsch 1987 ; Kirchmayr 2021. 23 Windisch 2013.
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Einleitung
materielle Nachlass per se. Es gibt zahlreiche prominente Beispiele von Manipulationen an der eigenen Hinterlassenschaft als biografischer »Vorarbeit«. So hatte etwa Sigmund Freud 15 Jahre vor der Veröffentlichung seiner Traumdeutung (1900) alle Tagebücher, Briefe, wissenschaftlichen Notizen, Manuskripte vernichtet – nicht ohne die süffisante Bemerkung, dass sich seine Biografen daran aufreiben sollten, die »Entwicklung des Helden« zu rekonstruieren.24 Nach der »Aufforderung zum Misstrauen« und zur Quellenkritik rücken auch diese Fragen in den Vordergrund. Dabei fällt auf, dass sich Kokoschka einzig »um das Schicksal seiner Werke« und seiner »richtigen« Rezeption kümmerte (Doris Wild). Seine Bilder sollten in den wichtigsten Museen und Sammlungen vertreten sein, in umfassenden Werkverzeichnissen und Publikationen gewürdigt werden. Seine schriftlichen Werke brachte er für die Nachwelt in der »überarbeiteten« Edition heraus, sowie posthum, aber noch in seinem Geiste ausgewählt, die »wichtigsten« Briefe. Zu guter Letzt hatte er in einem aufwendigen Prozess noch eine Autobiografie vorgelegt. Das, was abgesehen von seinem Werk im engeren Sinne noch als Nachlass »übrig« blieb, stand offensichtlich außerhalb seiner Wahrnehmung. Dieser »Rest« waren neben seiner riesigen Bibliothek und Fotosammlung, circa 30.000 Schriftstücke.25 Kokoschkas Fokus lag auf seinem nach außen hin vermittelten Œuvre. Das Sekundärmaterial zu Leben und Werk hingegen lag v. a. in den Händen seiner Frau Olda, die nach Kokoschkas Tod alles andere als eine Witwe im Wahn war.26 Sie war bemüht, den Nachlass an öffentliche Stellen abzutreten und zugänglich zu machen, finanzierte den Zukauf von Kokoschka-Autografen, u. a. Konvolute von Briefen an und von Alma Mahler, sowie Tagebücher derselben und Kokoschkaspezifische Nach- bzw. Vorlässe von Kunsthistorikern wie die von Hans Maria Wingler, Heinz Spielmann oder vom Kunsthändler Wolfgang Gurlitt. Es gibt also eine Fülle an Archivalien und Dokumenten zu bzw. von Kokoschka, die sich unter bestimmten Gesichtspunkten sogar als Überfülle ansehen lässt. Dennoch wird – auch in Bezug auf seine Beziehung zu Österreich – die »bequem-klischierte, durch Jahrzehnte immer weitergeschriebene – ist gleich : festgeschriebene – Einschätzung« (Werner J. Schweiger) vielfach noch weitertradiert. Eine intensive Auseinandersetzung mit dem »restlichen« Nachlass etabliert sich erst langsam. Warum ? Das ist nicht (allein) durch Rechercheträgheit zu erklären oder das Klischee, dass Kunsthistoriker/ innen sich durch keine besondere Archivaffinität auszeichnen würden. Es hat vielmehr mit der massiven und nachhaltig wirksamen Festschreibung von Mythen durch den 24 Sigmund Freud an Martha Bernay, 1885, zit. und paraphrasiert nach Pletsch 1987, S. 414. 25 Der schriftliche Nachlass ist in der Zentralbibliothek Zürich einzusehen https://www.zb.uzh.ch/de/zuerich/ ok-oskar-kokoschka. Die Nachlassbibliothek (ca. 5.000 Bücher und Zeitschriften ; Zugriff : 20.7.2022) und der Foto-Nachlass (rund 5.000 Aufnahmen) befinden sich im Oskar Kokoschka Zentrum der Universität für angewandte Kunst Wien https://kunstsammlungundarchiv.at/oskar-kokoschka-zentrum (Zugriff : 20.7.2022). 26 Hilmes 2004.
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Künstler selbst zu tun. Eine andere »Leserichtung« einzuschlagen, kommt – in Weiterführung der oben zitierten Bemerkung von Sigmund Freud – auch der De-Konstruktion eines Heroen gleich. Erst mit zunehmend zeitlicher Distanz löst sich die Ausrichtung der Kokoschka-Literatur. Manche eingefahrene Erklärungsmuster besitzen bis heute (politisch) funktionalen Charakter, wie z. B. die Annahme, dass Kokoschka 1934 aus politischen Gründen nach Prag flüchten musste bzw. ein Opfer der österreichischen Nachkriegspolitik war. Der erwähnte Carl Pletsch warnte davor, sich bei der Forschung zu modernen Künstlern und Intellektuellen von der Quantität an Fakten dazu verführen zu lassen, die einzig richtige Lesart finden zu wollen. Vielmehr gehe es um die Bewusstseinsentwicklung, dass man bei derart prominenten Beforschten stets in Bezug auf ein interpretatives Rahmenwerk agiere27 – in diesem Fall rund um Kokoschka und seine Beziehung zu Österreich. Aktionsfelder und Akteure
Im Feld der Kunst hatte sich Kokoschka schon früh und nachhaltig mit seinem skandalreichen Debüt als »Rebell« etabliert.28 Dort waren Galerist/innen und Kunsthändler/innen sowie Verleger/innen wichtige Akteure, die den »Newcomer« förderten, an Sammler/innen, Kunstinstitutionen und Museen vermittelten. Neben wichtigen deutschen, vornehmlich männlichen Kunsthändlern in Kokoschkas Frühzeit29 sind in Österreich bzw. Wien etwa Richard Lányi, Carl Moll, Otto Kallir-Nirenstein, (der zuerst in Berlin tätige) Wolfgang Gurlitt sowie ab den 1930er-Jahren und vor allem nach 1945 Friedrich Welz für ihn im Einsatz. Viele traten auch als Verleger von Druckgrafiken sowie Publikationen auf, die zur Distribution von Kokoschkas Arbeiten maßgeblich beitrugen. Männer und Frauen der ersten Stunde in einer modernen Künstler-Vita sind zudem Kunstkritiker/innen, die unabhängig davon, ob sie dem konservativen oder progressiven Lager angehören, auch in anderen Bereichen aktiv waren. Der berühmt-berüchtigte, ultra-konservative Adalbert Franz Seligmann war neben seiner Kritikertätigkeit selbst Maler und Mitbegründer der späteren Wiener Frauenakademie. Viele schrieben auch Theater- und Literaturkritiken, waren für mehrere Zeitungen und Zeitschriften tätig und darüber hinaus oft noch Kunstschriftsteller, wie Ludwig Hevesi, Arthur Roessler oder in der jüngeren Generation Wieland Schmied und Thomas Bernhard. Die meisten von ihnen hatten Kunstgeschichte studiert, manche waren akademisch verortet wie Hans Tietze, der zudem Beamter im Denkmalamt bzw. im Kultusministerium war. Auch internationale, vor allem deutsche Kunstkritiker spielten eine Rolle, etwa Paul Westheim, 27 Pletsch 1987, S. 411. 28 Vgl. Bourdieu 1993, v. a. S. 109f. 29 Hier sind u. a. Herwarth Walden, Paul Cassirer, Viktor Wallerstein, Hugo Feigl oder Walter Feilchenfeldt zu nennen.
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der 1918 Kokoschkas erster Monograf wurde und jahrzehntelang ein treuer Begleiter blieb. Kritiker/innen können über mehrere Wege das Fortkommen eines Künstlers fördern, verhindern oder zumindest blockieren. Kokoschka hatte früh schon zahlreiche Kritiker/innen und Künstlerkolleg/innen, die ihn journalistisch begleiteten, ihm Publizität verschafften, Angriffe gegen ihn abwehrten und gewisse Topoi entwickelten, die sich wie ein roter Faden durch die Rezeption zu ziehen begannen. Sie haben aufgrund ihrer Deutungshoheit mitunter großen Einfluss und stellen das legitimierte Sprachrohr des »Publikums« dar. Kokoschka wurde aber auch von einer hartnäckigen Kritikergruppe »begleitet«, die sein Werk kontinuierlich ablehnte. Das galt nicht nur für die frühe Zeit des Enfant terrible : Noch im Jahr 1973 anlässlich der Eröffnungsfeierlichkeiten der Oskar Kokoschka Dokumentation30 im Geburtshaus des Künstlers in Pöchlarn trat eine Liga gegen entartete Kunst mit einer Störaktion auf den Plan (Abb. 2). »Er hat die Macht des Wortes und die Macht der Bilder«, stellte Lothar Schreyer in seinen Erinnerungen an Sturm und Bauhaus fest.31 Kokoschkas literarisches Werk entwickelte sich wie auch die Arbeit für das Theater, als Bühnenautor und Bühnenbildner für das Sprech- und Musiktheater, ab und an auch als Regisseur, von Anfang an parallel zu seiner künstlerischen Karriere. Weitgehend als Maler rezipiert nahm er in diesem kunstverwandten Feld jedoch immer einen Sonderstatus ein. Kokoschka pflegte zeitlebens intensiven Austausch mit Literat/innen, Bühnenkünstler/innen, Komponisten und Musikern daneben Intellektuellen, Wissenschaftler/innen, Politiker/innen, manche zählten auch zu seinem engeren Freundeskreis. Bildende Künstler/innen allerdings, die nicht in einer Art Schülerverhältnis zu ihm standen, zählten definitiv nicht dazu. Dabei stellen sie eine dritte, wesentliche Akteursgruppe dar. Von institutioneller Seite gab es neben den Wiener Künstlerverbänden, u. a. die Secession und die Künstlerhaus-Gesellschaft, vor allem die zwei Kunstakademien, die Akademie der bildenden Künste sowie die ehemalige Kunstgewerbeschule, an der Kokoschka studiert hatte. Auch einzelne Gremien wie z. B. der für den Österreichischen Staatspreis verantwortliche Kunstsenat wurden von bekannten Vertreter/innen aus Kunst, Literatur, Musik und Architektur besetzt. In seiner Prager Zeit ab 1934 und vor allem im Exil in London war Kokoschka kulturpolitisch in unterschiedlichen Verbänden und oft in führender Rolle sehr engagiert. Generell jedoch begriff Kokoschka sich als Solitär der Kunst und im breiten Strom der Kunstgeschichte und hatte sein individuelles Netzwerk aufgebaut. In Wiener Künstlerverbände hingegen hatte er sich – mit Ausnahme der frühen 1930er Jahre – nicht integriert. Von diversen Künstlerlobbys hielt er sich fern und machte sich nie zu einem der ihren. Trotz aller Wertschätzung seiner Kunst kam dementsprechend wenig Engagement von dieser Seite, wenn es um eine Einladung zur Rückkehr, eine Professur oder auch um eine Eh30 Zur Oskar Kokoschka Dokumentation im als Museum geführten Kokoschka Haus in Pöchlarn : https:// www.oskarkokoschka.at/ (Zugriff : 20.7.2022) 31 Schreyer 1956, S. 96.
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2 : Flugblatt der Liga gegen entartete Kunst, Pöchlarn 14. Juli 1973, OKD (OKZ).
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renauszeichnung ging. Konkurrenzgefühle und persönliche Befindlichkeiten von Künstlerkollegen sind dabei ein nicht zu unterschätzender Faktor. Eine vierte wesentliche Gruppe bilden Kunsthistoriker und Kunsthistorikerinnen, deren institutioneller Hintergrund vor allem Universitäten, Museen, das Denkmalamt, Kunstvereinigungen u.ä. waren. Auch hier gab es Überschneidungen wie im Fall von Auch-Kunstkritikern Hans Tietze oder Alfred Schmeller. Kokoschka verstand es von Anbeginn an, teils freundschaftlich in diesen Kreisen zu verkehren und manche für seine Zwecke dienstbar zu machen, bei der buchstäblichen Einschreibung in den Kanon, als Verbindungsmänner (und teilweise -frauen) zu staatlichen Kunstinstitutionen oder schlicht als Gesprächspartner, die in vieler Hinsicht Einfluss auf ihn nahmen.32 Die universitär-akademische Rezeption selbst spielt aufgrund ihres zeitlich verzögerten Einsetzens im Etablierungsprozess kaum eine Rolle. Das Museum hingegen ist ein Ort besonderer Auszeichnung für ein zeitgenössisches künstlerisches Werk. Die museale Weihe ist der Art End- und Höhepunkt eines Œuvres und je früher Werke eines entdeckten Talents in den ehernen Bestand einer idealerweise staatlichen Sammlung aufgenommen werden, desto höher das Prestige. Das Museum als Bildungsort und Gedächtnis des Staates ist eine Erfindung der Aufklärung, die in Österreich nach 1918 oft noch mit den Idealen der ehemals kaiserlichen bzw. ärarisch verwalteten Sammlung verknüpft war. Kurz : Die österreichischen Museen und ihre Funktionäre galten weithin als konservativ. Dessen ungeachtet brachte ein Großteil der Museumsbeamten bzw. -direktoren dem Werk Kokoschkas große Anerkennung entgegen. Die relevanten Bundesmuseen waren (in ihren alten Bezeichnungen) die Österreichische Galerie33, die Grafische Sammlung Albertina, von städtischer Seite das Historische Museum der Stadt Wien sowie als Ausstellungsort das Österreichische Museum für Kunst und Industrie (heute : MAK). Das Kunsthistorische Museum (KHM) spielte als Generalsitz für Kulturkommissäre vor 1938 und nach 1945 in beeindruckender Personalkontinuität eine wichtige Rolle, da hier repräsentative, oft für das Ausland bestimmte »österreichische« Kunstausstellungen kuratiert wurden. Kokoschka, der politische Künstler – eine mehrdeutige, hybride Zuschreibung. Er war nie Mitglied einer Partei gewesen, auch wenn er lang Sympathie für das linke Spektrum aufwies. Vom NS-Regime als »entarteter« Künstler diffamiert, hatte er sich antifaschistisch engagiert und – wie erwähnt – speziell im Londoner Exil zahlreiche kulturpolitische Funktionen bekleidet. In verschiedenen Werkphasen hatte er eine eminent politische Ikonografie entwickelt und bestimmte Botschaften vermitteln wollen. Dazu zählen seine politischen Allegorien ab 1939 und einige Politikerporträts. Auch die späten monumentalen Triptychen sind mit aufklärerisch-humanistischer Intention entstanden. 32 Vgl. auch Windisch 2013. 33 Das heutige Belvedere wurde 1903 als Moderne Galerie gegründet, 1912 als k.k. Staatsgalerie und ab 1921 als Österreichische Galerie benannt, vgl. Kräutler/Frodl 2004.
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Kokoschka und Österreich im Fokus
Kokoschka hatte im Verlauf seiner Künstlerlaufbahn ein enormes Renommee erworben und wusste es bei seinem politisch-humanitären Engagement im Exil und in der unmittelbaren Nachkriegszeit als symbolisches Kapital einzusetzen. In besonderer Form wurde Kokoschka auch ein Akteur der österreichischen Politik, speziell ab 1945. Naheliegende Verbindungen gab es über die Kulturpolitik, welche die Rahmenbedingungen staatlicher bzw. staatlich geförderter Kunstinstitutionen setzte, in budgetärer Hinsicht, in der allgemein inhaltlichen Ausrichtung und natürlich bei der Besetzung von Führungspositionen. Die Bundesmuseen waren zu Kokoschkas Zeit noch weisungsgebundene Einheiten, die alle relevanten Entscheidungen über das Bundesministerium für Unterricht und Kunst abzuwickeln hatten. Die Agenden der Bundestheater (Burgtheater, Staatsoper, Volksoper) liefen direkt über das Ministerium. Neben den Vertreter/innen der Kulturpolitik waren für Kokoschka teils hochrangige Politiker/innen wichtige Akteure, wie Wiener Gemeinde- und Stadträte, aber auch Bürgermeister und nicht zuletzt einige Bundeskanzler und Bundespräsidenten. Kokoschka verstand es, seine Rolle als Künstler mit jener des Intellektuellen, der »modernen Sozialfigur«34, zu verknüpfen, deren Aufgabe darin besteht, mutig und oft risikoreich als »›Störfaktor‹ der Macht« zu fungieren. Trotz, oder gerade wegen dieser ambivalenten Position war er für die österreichische Nachkriegspolitik eine willkommene Persönlichkeit : er galt als international anerkannter Künstler, politisch »unbelastet« und mit »weißer Weste, und schätzte sein Art des persönliches Auftretens. Schon in seiner Frühzeit, angeleitet durch seinen Mentor Adolf Loos, war er stets gut gekleidet mit einem Touch von britischem Understatement und wirkte bis ins hohe Alter sportlich-agil. Sein fortgeschrittenes Alter – 1946 feierte Kokoschka seinen 60. Geburtstag – signalisierte Souveränität, wenn auch mit damals gesellschaftlich konsensualen Schwächen eines »Kavaliers« – die Affinität des starken Rauchers zu gereiftem Whiskey und jungen Frauen war legendär. Er generierte Aufmerksamkeit und Sympathie durch sein gleichermaßen charismatisches wie charmantes Auftreten, seine sprachgewandte, oft witzig-pointierte Artikulationsweise. Der gepflegte, kompromisslose Einsatz seines nieder- bzw. ostösterreichischen Dialekts oder zumindest Akzents signalisierte zudem ein gerütteltes Maß Volksverbundenheit. Kokoschka wirkte allgemein smart, leger und zugleich diszipliniert und fleißig – Tugenden, die nicht nur im Nachkriegsösterreich hoch angeschrieben waren. Zudem hatte er keine jüdischen Wurzeln, was im mehr als latent antisemitischen Klima nicht ohne Bedeutung war. Angesichts der seit 1918 subkutanen kollektiven Minderwertigkeitskomplexe fungierte eine Figur wie Kokoschka als ideale Projektionsfläche und stimulierte – unabhängig vom vermutlich für viele schwer rezipierbaren künstlerischen Werk – patriotischen Stolz.
34 Morat 2011.
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Kokoschka und Österreich …
Das komplexe Verhältnis zwischen Kokoschka und Österreich, vor allem der Zweiten Republik wurde vergleichsweise spät ein Thema der Forschung. Im Wesentlichen manifestierte sich Mitte der 1980er-Jahre die Ansicht, dass Kokoschkas Rückkehr nach Österreich in der Nachkriegszeit weitgehend unerwünscht gewesen bzw. sogar verhindert worden sei. Eine erste Zusammenschau lieferte Wolfgang Hilger (geb. 1943) mit seinem Aufsatz Kokoschka und seine Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich im Zusammenhang mit einem Symposion anlässlich des 100. Geburtstags Kokoschkas 1986.35 Die Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit und die »Vertreibung der Moderne« waren zu virulenten Topoi der Enkelgeneration geworden. Zeitgleich hatte in der (Zeit-)Geschichtsschreibung Österreichs ab den späten 1970er-Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden, der zunächst auf die Opfer des NS-Regimes fokussiert war, auf Widerstandskämpfer/innen sowie auf österreichische Exilgruppen diverser Länder. Kokoschka wurde dabei als prominentes Fallbeispiel der austro-britischen Exilgeschichte rezipiert. Zugleich begann man mit großer Verspätung, die nationalsozialistische Kunstpolitik, speziell den Themenkreis rund um die »entartete Kunst« zu thematisieren. Es sollte bis etwa Mitte der 1990er-Jahre dauern bis die zeitpolitisch determinierte Interpretation Kokoschkas allmählich einer differenzierten Sichtweise wich. Eine Sensibilisierung für »Widersprüche« in der politisch-korrekten Narration gab Wolfgang G. Fischer (1933 – 2021) mit seinem Oskar-Kokoschka-Alphabet (1994), in dem er eine komplexe Charakteristik des Künstlers vorlegte.36 Wichtige Untersuchungen waren die Aufarbeitung der Museumsbestände der Österreichischen Galerie im historischen Kontext37 und vor allem der Sammelband Oskar Kokoschka – aktuelle Perspektiven, den Patrick Werkner (geb. 1953) als Gründungsleiter des 1998 entstandenen Oskar KokoschkaZentrums an der Universität für angewandte Kunst Wien zusammengestellt hatte.38 Im Jahr 2003 erschienen zwei Publikationen, die die Bruchlinien in der Kokoschka-Rezeption sichtbar machten. Als bislang wohl umfangreichste Monografie erschien Oskar Kokoschka. Leben und Werk von Heinz Spielmann (geb. 1930), der durch die Edition der Briefe und Schriften, viele Publikationen, Ausstellungen und v. a. in Hamburg initiierte Projekte zu einem wichtigen Vertrauten des Künstlers wurde. Gerade durch diese Nähe stellt sein Kokoschka-Opus von 2003 eine Fortschreibung so mancher Legenden und Mythen dar. Als Ergebnis eines mehrjährigen Forschungsprojekts der Historikerin Gloria Sultano und des Kunsthistorikers Patrick Werkner erschien 2003 Oskar Kokoschka : 35 Hilger 1986. 36 Fischer 1994. 37 Natter 1996a. 38 Perspektiven 1998.
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Kunst und Politik 1937 – 1950.39 Auch wenn das Verhältnis Kokoschka-Österreich nicht vorrangig behandelt wurde, so liegt die Qualität dieser Untersuchung in der Zusammenschau von Kokoschka bezogenen kunst- und zeithistorischen Themen sowie in der Dichte kritisch kommentierter Quellen. Den Autoren ist vor allem zu verdanken, dass sie auf fundiert-wissenschaftliche Weise ohne jeglichen (gerechtfertigten oder auch nur bemühten) moralischen Anspruch die ambivalente Rolle Kokoschkas beleuchten, die nicht allein auf jene eines passiven Opfers reduzierbar ist. … Facetten einer politischen Biografie
Das Coverbild des vorliegenden Buches entstand 1949 in New York – Kokoschka hatte erstmals amerikanischen Boden betreten. Die Aufnahme stammt aus einer Serie, die Robert Haas gemacht hatte. Wie Kokoschka hatte er zumindest kurz die Wiener Kunstgewerbeschule besucht und war sehr erfolgreich als Grafiker und Fotograf tätig, bis er aus Österreich 1938 fliehen musste, über London bald in die USA. Er nahm mit seiner Kamera den »Blick auf zwei Welten«40 – in mehrfacher Hinsicht. Sie zeigen den Künstler in verschiedenen Posen, mal freundlich lächelnd, mal in Gedanken versunken oder eben mit festem, fast trotzigem und doch mehrdeutigem Blick. Die hier ausgewählte Fotografie transportiert jene Widerständigkeit und Ambivalenz, die sich wie ein roter Faden durch die Publikation zieht. Kokoschka und Österreich : Dies ist eine Geschichte von Kränkung und Bewunderung, von Heimat- und Hassliebe, politischer Vereinnahmung und Opportunismus, ein Parcours durch die Kunst und die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie die wechselvolle Biografie eines faszinierenden Künstlers. Schwerpunktmäßig wird die Zeit von 1945 bis Ende der 1950er-Jahre beleuchtet, Kokoschkas Bedeutung für die österreichische Kulturpolitik im Allgemeinen, das Wiener Kunstleben im Speziellen sowie seine Rolle bei der Konstruktion einer neuen österreichischen Identität untersucht. Ein Vorhaben, das nicht ohne einen Blick zurück möglich ist und den Bogen weit in die Zeit vor 1938, bis in die Frühzeit des »Oberwildlings« OK hinein spannen muss. Die Erschließung des Themas geht zudem über das Feld der Kunstgeschichte hinaus und erstreckt sich über weite Bereiche in die Kulturund Zeitgeschichte, die Politikwissenschaften und verwandte Disziplinen. Der Aufforderung zum Misstrauen folgend waren viele Archivrecherchen und das kritische Quellenstudium einer Fülle von Material nötig, vor deren Tücken Carl Pletsch eindrücklich gewarnt hatte. Dazu zählen groß angelegte, in oft penetranter Redundanz vorgetragene Narrative, an deren rhetorischen Rändern allerdings häufig Widersprüche, Irritationen, zumindest Ambivalenzen sichtbar werden. 39 Sultano/Werkner 2003. 40 Anton Holzer, Frauke Kreutler (Hg), Robert Haas. Der Blick auf zwei Welten, AK Wien Museum, Berlin (Hatje Cantz) 2016.
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Die Grundlage all dessen bildet meine Dissertation41, die von Artur Rosenauer und Heidemarie Uhl betreut wurde und denen ich für wichtige Anregungen dankbar bin. Viele Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunde, die ich im Anhang namentlich nenne, haben mich unterstützt bei der Recherche, durch ihre Forschungsarbeit, inspirierende Gespräche und konstruktive Kritik. Leider sind einige von ihnen inzwischen verstorben, in besonderer Dankbarkeit bleibe ich mit ihnen verbunden. Mein Dank gilt auch der Universität für angewandte Kunst Wien, wo ich seit 2008 das Oskar Kokoschka Zentrum leite und in vieler Hinsicht buchstäblich an der Quelle sitze. Durchaus unbequeme Facetten der politischen Biografie Kokoschkas ins Visier zu nehmen, ist daher ein großes Privileg und zugleich ein riskantes, verantwortungsvolles Unternehmen. Das vorliegende Buch wäre nicht ohne die Unterstützung von Rektor Gerald Bast, Anja Seipenbusch-Hufschmied, Olga Wukounig und Bettina Buchendorfer von Seiten der Angewandten sowie die professionelle Begleitung durch den Böhlau Verlag, konkret von Sarah Stoffaneller, Waltraud Moritz und dem Verlagsteam erschienen. Der Fondation Oskar Kokoschka in Vevey, namentlich Aglaja Kempf danke ich für die kontinuierliche Unterstützung und die gute Zusammenarbeit. Mein größter Dank gilt jedoch meiner Familie, meinen inzwischen verstorbenen Eltern Elisabeth und Franz Reinhold, vor allem aber meinem Mann Gerd und meinen Kindern Zeno und Philomena. Euch, meiner Bande, widme ich dieses Buch.
41 Vgl. Reinhold 2017.
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Kokoschka, Wien und die österreichische Kulturpolitik bis 1938 Die Anfänge einer schwierigen Beziehung Kokoschkas frühe Wiener Jahre sind zweifellos der Ausgangspunkt für sein ambivalentes, weitgehend negatives Verhältnis zu dieser Stadt und ihren Kunstinstitutionen. Hier wurde seiner Ansicht nach der Keim seiner späteren Diffamierung als »entarteter« Künstler durch die Nationalsozialisten gelegt.1 Die langen Schatten dieser Beziehung fielen in Folge noch weit über das Jahr 1945 hinaus. Kokoschkas Debüt bei der großen Wiener Kunstschau 1908, der Internationalen Kunstschau 1909 und der gleichzeitigen Uraufführung seines Dramas Mörder, Hoffnung der Frauen, seine legendäre Teilnahme an der Sonderausstellung Malerei und Plastik des Hagenbunds 1911 sowie sein Vortrag für den Akademischen Verband 1912. Kokoschka sah sich von Anfang an als Opfer der Kunstkritik stellvertretend für das Wiener Publikum, der lokalen Museumsfachleute und Kunsthändler. Doch zeitgleich zur vehementen Ablehnung fand Kokoschka potente Fürsprecher/innen, die maßgeblich sein künstlerisches Fortkommen und seinen zunehmenden Erfolg förderten. Im Ränkewerk der Wiener Kunstszene spielten subversive »Neulinge« wie Kokoschka eine bestimmte Rolle. Pierre Bourdieu beschreibt derartige Rangeleien in seinen Theorien zur Organisation von sozialen Räumen sehr anschaulich : »Sie [die Newcomer, Anm. BR.] haben Umsturzstrategien auf ihre Fahnen geschrieben«, es finden ständige Teilrevolutionen statt, die aber die Grundaxiome nicht in Frage stellen.«2 Kurz : Kokoschkas Ruf als »Oberwildling« änderte nichts an der Tatsache, dass seine Karriere wie die der anderen Kunstschaffenden über bestimmte Stationen zu verlaufen hatte, also prominente Ausstellungsbeteiligungen, Zusammenarbeit mit wichtigen Galeristen bzw. Verlegern, der Aufbau eines Netzwerkes an Sammlern, regelmäßige Pressekommentare, Publikationen in Fachzeitschriften. Trotz kritischer Untersuchungen seit den 1980er-Jahren dominiert die Narration des jungen Kokoschka, dem abgesehen von Unterstützung aus Avantgardekreisen allgemeine Ablehnung entgegenschlug. Bei genauer Betrachtung wird aber klar, dass es sich dabei um einen Narrationsstrang von mehreren handelt. Werner J. Schweiger sprach für das Frühwerk von einer Rezeption »zwischen Anerkennung und Verteuflung.3
1 Vgl. Kokoschka 1939. 2 Vgl. Bourdieu 1993, v. a. S. 109f. 3 Schweiger 1986.
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Kokoschka, Wien und die österreichische Kulturpolitik bis 1938
Die Kunstschau 1908 – Debüt eines »Oberwildlings«
Die Kunstschau war anlässlich des 60-jährigen Regierungsjubiläums von Kaiser Franz Joseph I. initiiert worden. Die Kuratoren wollten ein beeindruckendes Lebenszeichen der verschiedenen zeitgenössischen Kunstgattungen setzen.4 Neben der Klimt-Gruppe stellten u. a. zahlreiche Künstler und Künstlerinnen aus. Die Kunstkritik zeigte eine große Resonanz, war aber überfordert.5 Umso bemerkenswerter ist es, dass Oskar Kokoschka, damals noch Student der Kunstgewerbeschule, der einzige Nachwuchskünstler war, der in der Presse Erwähnung fand. Er war damals wie ein »Maniak […] in die Kunst« gesprungen, wie Kokoschkas erster Monograf Paul Westheim bildreich festhielt.6 Die autobiografischen Schilderungen des Künstlers decken sich weitgehend mit anderen Berichten und geben ein lebendiges Zeugnis seiner ersten »Aufnahme« durch das Wiener Publikum bzw. die Kunstkritik : Ich hatte außer dem Gobelinentwurf auch eine Büste aus bemaltem Lehm auf einem Sockel stehen, die ich den ›Krieger‹ nannte. Eigentlich war es ein Selbstporträt mit aufgerissenem Mund, dem Ausdruck eines heftigen Schreies. Mein Raum wurde das ›Schreckenskabinett‹ für das Wiener Publikum, mein Werk zum Gespött der Leute. In dem aufgerissenen Mund meiner Büste fanden sich täglich Stückchen Schokolade oder sonst etwas, womit wahrscheinlich Mädchen ihren zusätzlichen Spott über den »Oberwildling« äußerten, als den mich der Kritiker Ludwig Hevesy [sic !] bezeichnete.7
Die Kritik, die über ihn hereingebrochen war, traf ihn schwer. Adalbert Franz Seligmann (1862 – 1945), selbst Porträt- und Historienmaler, war über dreißig Jahre als Kunstkritiker der Neuen Freien Presse tätig und galt als ultrakonservativ. Er sollte für Kokoschka noch Jahrzehnte später die Personifikation der frühen Schmach darstellen. 1908 gab er die Warnung aus : »Ein Nebenraum mit angeblich ›dekorativen‹ Malereien von Kokoschka ist mit Vorsicht zu betreten. Menschen von Geschmack sind hier einem Nervenchoc ausgesetzt.«8 Der Kommentar des Humoristen und Kunstkritikers Eduard Pötzl (1851 – 1914) über Kokoschkas Gobelinentwurf Die Traumtragenden war an Untergriffigkeit kaum zu überbieten : Ein im ersten Augenblick rätselhaftes Gemenge von stümperhaft gezeichneten Scheußlichkeiten. Nach längerem Besinnen erst erinnert man sich an die schlichten Darbietungen volks4 5 6 7 8
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Vgl. Husslein/Weidinger 2008. Schweiger 1983, S. 66. Zit. Schweiger 1986, S. 114. Kokoschka 1971, S. 55 ; Ludwig Hevesi, Altkunst-Neukunst. Wien 1894 – 1908, Wien 1909, S. 313. Adalbert Franz Seligmann, Die Kunstschau 1908, in : Neue Freie Presse, Wien, Nr. 15727, 2.6.1908, S. 14, zit. Schweiger 1983, S. 67f.
Die Anfänge einer schwierigen Beziehung
tümlicher Kunst, wie wir sie in den verschwiegenen Stätten antreffen, wo der durch den Stoffwechsel angeregte Menschengeist oftmals primitive Szenen aus diesem Naturvorgange selbst oder andere einschlägige Impressionen und Vorstellungen […] auf die Wand zaubert.9
Bis ins hohe Alter hinein war es Salz in alten, nicht verheilten Wunden, wenn Kokoschka auf seine frühe Wiener Zeit zu sprechen kam. OK, wie er seine Arbeiten bald signieren sollte, eignete sich mit seinen radikalen Äußerungen in Kunst und Literatur als ideale Projektionsfläche für die bürgerliche Presse und hatte einen veritablen Kunstskandal provoziert.10 Aber : »Bad news are good news«. So generierte Kokoschka mit einem Schlag nachhaltig Publizität ; der Moderne aufgeschlossene Kritiker, wie Ludwig Hevesi, Richard Muther oder Hermann Bahr, erahnten das künstlerische Potential des enfant terrible (Muther).11 Erste Schritte zur Etablierung im Feld der Kunst waren gesetzt.12 Die inkriminierte Krieger-Büste hatte der Architekt Adolf Loos (1870 – 1933) – laut eigenen Angaben um den Gegenwert einer Zigarette – erworben »und sie bis zu seinem Tod behalten«.13 Loos wurde in den kommenden Jahren zu Kokoschkas wichtigstem Mentor, zu seinem, wie Karl Kraus einmal spöttisch bemerkte : »Pflegevater«14. Er führte den jungen Künstler in die künstlerisch-intellektuellen Kreise ein. Dazu zählten neben Kraus, dem Herausgeber der Die Fackel, u. a. Peter Altenberg, Egon Friedell sowie Arnold Schönberg und dessen Schüler Alban Berg, Anton Webern und Egon Wellesz. Man verkehrte im Salon von Eugenie Schwarzwald, die OK später als Zeichenlehrer in ihrer Reformschule für Mädchen anstellen sollte (und wegen der Entziehung seiner Lehrbefugnis durch das Unterrichtsministeriums bald wieder entlassen musste). Loos nutzte auch sein Netzwerk in Deutschland, stellte Kontakte etwa zum Galeristen und Sturm-Herausgeber Herwarth Walden in Berlin her und war für den ersten Museums ankauf eines OK-Bildes, 1910 für das Folkwang Museum in Hagen, verantwortlich. Unentwegt bemühte sich Loos um Aufträge für seinen Schützling und hatte bald selbst eine stattliche Kokoschka-Sammlung, als deren Leihgeber er unzählige Male auftrat.15
9 Eduard Pötzl, Kunstschau. Eindrücke eines Laien, in : Neues Wiener Tagblatt, Jg. 42, Nr. 157, 7.6.1908, S. 2f., zit. Schweiger 1983, S. 67. 10 Zum Thema Kunstskandale, vgl. Fellner 2008. 11 Schweiger 1983, S. 63 – 76. 12 Vgl. Bourdieu 2001a und 2015. 13 Kokoschka 1971, S. 55. Adolf Loos, Wien 1908, in : Wingler 1956a, S. 15. 14 Kokoschka hatte Loos selbst als solchen in einem herzlichen Schreiben anlässlich des 60. Geburtstags seines Förderers bezeichnet, vgl. Schweiger 1983, S. 123. 15 Zu Loos und OK, Schweiger 1983, S. 116 – 123.
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Kokoschka, Wien und die österreichische Kulturpolitik bis 1938
Selbstinszenierung – Selbststigmatisierung. Die Internationale Kunstschau und die Uraufführung von Mörder, Hoffnung der Frauen 1909
Im Folgejahr der Kunstschau fand die Internationale Kunstschau statt, auf der Kokoschka erneut vertreten war. Er hatte sich bemüht, im Rahmenprogramm der Ausstellung ein »Drama« (Mörder, Hoffnung der Frauen) sowie eine »Komödie«, aufzuführen. Beide thematisierten auf verschiedene Weise den Kampf der Geschlechter, wobei sein Drama allgemein als das erste expressionistische Theaterstück angesehen wird.16 Kokoschkas Berichte über die Reaktion des Publikums zeigten nach mehr als sechs Jahrzehnten die für ihn typische Neigung zur Übertreibung : Das Publikum war johlend dem Verlauf des Spieles gefolgt, doch meine Akteure ließen sich nicht unterbrechen, obwohl gegen Ende das Trampeln, Raufen, Umherhauen mit den Stühlen derart gefährliche Dimensionen angenommen hat, daß etwas geschehen mußte. Schließlich geriet das Publikum mit den Soldaten ins Handgemenge. In dem ausbrechenden Tumult mußte der Polizeipräsident Dr. Schober gerufen werden, welchen Karl Kraus und Adolf Loos persönlich kannten, der bald mit einer Abteilung die Ordnung herzustellen wußte. Ich hätte, ohne das Eingreifen eines hohen Polizeifunktionärs, wegen öffentlicher Ruhestörung arretiert werden können.17
Diese Schilderungen sind nachgewiesenermaßen Erfindungen des Künstlers, der sich im Nachhinein zum Skandalkünstler stilisierte. Insgesamt waren etwa eine Handvoll Kritiken erschienen, die von wohlwollend bis verständnislos über die Stücke berichteten und das Publikum – wie oft in dieser Zeit – zumindest in Gegner und Befürworter geteilt sahen. Die meisten Zuseher waren wohl »vorbereitet« und schienen sich amüsiert zu haben. Stefan Grossmann (1875 – 1935) berichtete für die sozialistische Arbeiter-Zeitung über die Reaktion auf Mörder Hoffnung der Frauen : Am Schluß stieg die Komödie ins Ulkhafte. Die Zuschauer schrien im Takte nach Herr Kokoschka, dazu wurde gepfiffen und gesungen. So begeistert ist noch selten einer angeblasen worden ! Zuweilen wurden Zitate aus dem Drama gerufen : »Wir lechzen nach seinem Blute !« Dieser Ulk währte eine halbe Stunde. Erst als Herrn Kokoschka sehr bleich und aufgeregt im Zuschauerraum erschien, hörte die Hetze allmählich auf.18
16 Vgl. Stuhlpfarrer 2021, Berghaus 2010, Schober 1994, v. a. S. 39 – 94, Strobl/Weidinger 2008, S. 202 – 208 und Husslein/Weidinger 2008a, S. 148 – 155. 17 Ebd., S. 66. 18 st.gr. [Stefan Grossmann], Kokoschka-Abend in der Kunstschau, in : Arbeiter-Zeitung, Wien, 6.7.1909, S. 4.
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In keiner einzigen Besprechung – auch nicht in der kritischsten von Paul Frank in der Wiener Allgemeinen Zeitung – war von Tumulten oder gar Ausschreitungen und Polizeieinsätzen die Rede.19 Seine Rolle als »Hecht im Karpfenteich«20 hatte Kokoschka in jedem Fall bestätigt. Ob Kränkung oder Irritation – die Reaktionen vor allem auf Mörder, Hoffnung der Frauen blieben beim jungen, fast möchte man sagen : spätpubertären Kokoschka nicht ohne Wirkung. Sie fanden ihren kompensatorischen Ausdruck in einer bewussten und provokant gesetzten Selbststigmatisierung (Abb. 3). Da ich mich wie einen Verbrecher behandelt sah, ließ ich mir den Kopf kahlscheren und wollte als Gezeichneter angesehen werden. In meinem bleichen Gesicht brannte ein Feuer ; auf meinen Zeichnungen zu dem Stück, sowie auf einem weiteren Plakat habe ich mich selbst in aller Öffentlichkeit so dargestellt.21
Kokoschka sah sich angesichts des konservativen Wiener Kunstpublikums als Opfer, als Kunst-Outlaw, in Analogie zu seinem Drama : als Kunst-Mörder : ein durchaus aggressives Opfer, das seine Rolle durch entsprechende Selbstinszenierung noch steigerte. Dabei nahm er in den 1910 entstandenen Zeichnungen zu Mörder, Hoffnung der Frauen, sowie in Plakaten eindeutig auf die christologische Ikonografie Bezug. Bekannt ist auch das Foto von 1909, das ihn als Kahlgeschorenen zeigt. Die Kahlrasur 3 : Kokoschka mit kahlgeschorenem Kopf, galt damals als sichtbares Zeichen für die Ver- Wien 1909, Foto : Wenzel Weis, OKZ urteilung und den Ausschluss aus der Gesellschaft wie sie z. B. Häftlingen oder den Insassen einer Irrenanstalt zukam. Der Künstler hatte das Fotoatelier von W.[enzel] Weis, eines der angesehensten Herrenfotografen seiner Zeit, aufgesucht.22 Kokoschka inszenierte sich lust- und humorvoll in der Rolle des Kunstrebellen, des Opfers : kahlrasiert, doch sonst in klassisch-bürgerlicher Dreiviertelporträthaltung, im eleganten Gehrock, in steifem Hemd mit sogenanntem Vater19 Paul Frank, Kokoschka, in : Wiener Allgemeiner Zeitung, 7.7.1909. 20 Kokoschka 1971, S. 66. 21 Ebd., S. 64f. 22 Zu OK und Fotografie, vgl. Reinhold 2013a, S. 24. Zur frühen Inszenierung OKs in der Fotografie, vgl. Werkner 2013.
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mörderkragen [sic !] und kapriziös getupftem Tuch. Aus heutiger Perspektive erscheint diese Form der Selbststilisierung als eine Art Kunstprojekt im Medium der Fotografie. Kokoschkas frühe, zum Expressionismus tendierende Arbeiten, vom Inhalt her noch stark im Symbolismus verhaftet, waren als experimentelles, nonkonformes Statement intendiert. Seine Herangehensweise an seine erste Ausstellung war provokativ und naiv zugleich – die Haltung eines Anfängers, im eigentlichen Sinne. Paul Westheim (1886 – 1963) schrieb in der ersten OK-Monografie 1918 : Leichtsinnig, tollkühn, unverantwortlich, wie es nur solche Jugend zu sein mag, wagehalsig wie einer, der Turngeräte nur vom Hörensagen kennt und sich erdreisten wollte, eins, zwei, drei am fliegenden Reck des Zirkus in 20 Meter Höhe die Welle zu schlagen […]. Gewiß, er war sich nicht bewußt, was er da auf sich genommen hatte.23
Letzteres erklärt, warum er sich derart unerwartet von der Heftigkeit der Kritik getroffen fühlte. Kokoschka hatte 1908 schlagartig erfahren müssen, dass künstlerische Experimente sowie deviant-provokantes Verhalten geahndet wurden : Er trat in Folge, buchstäblich bühnenwirksam, die Flucht nach vorne an, schlüpfte nachhaltig in die Rolle des jugendlichen Nonkonformisten. In seiner Autobiografie schrieb er über die Zeit nach dem Skandal 1908 : »Die Gesellschaft nannten meine Freunde und ich ›Die Erwachsenen‹. Die Bürgerlichen, für welche ich der ›Bürgerschreck‹ blieb, ebenso wie die Adeligen, hatten ihre eigene Vorstellung von Kunst […].«24 Bekanntlich erfuhr der Begriff der Jugend um die Jahrhundertwende eine stärkere Konturierung. Stefan Zweig schilderte in seinem Roman Die Welt von gestern eindrücklich das Idealbild des erwachsenen, bürgerlichen Mannes zur Gründerzeit, der Hochblüte des Historismus im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts : Mein Vater, mein Onkel, meine Lehrer, die Verkäufer in den Geschäften, die Philharmoniker an ihren Pulten waren mit vierzig Jahren alle schon beleibte, ›würdige‹ Männer. Sie gingen langsam, sie sprachen gemessen und strichen im Gespräch sich die wohlgepflegten, oft schon angegrauten Bärte. Aber graues Haar war nur ein neues Zeichen für Würde, und ein ›gesetzter‹ Mann vermied bewusst die Gesten und den Übermut der Jugend als etwas Ungehöriges.25
Als eine Art Gegenkonzept wurde um 1900 von der gründerzeitlichen Söhne-Generation »Jugend« zur literarisch und künstlerisch fruchtbaren Symbolformel der frühen Moderne, zum Sinnbild eines Neubeginns. An dieser Stelle sei die Jung-Wien-Gruppe um die aufstrebenden Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Peter 23 Westheim 1918, S. 19f. 24 Kokoschka 1971, S. 60. 25 Zweig 1996, S. 41f.
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Altenberg u. a. erwähnt. Kokoschkas zitierte Polarisierung offenbart jedoch schon einen fortgeschrittenen Gärungsprozess gesellschaftlicher Verhältnisse um 1910, die sich in aktuellen Kunstäußerungen niederschlug. Stellvertretend seien zwei Freunde Kokoschkas genannt : Walter Hasenclever (1890 – 1940), ein enger Vertrauter in der Dresdner Zeit, brachte in seinem expressionistischen Drama Der Sohn (1914) den Generations konflikt auf die Bühne. Zugespitzter als Zweig es skizzierte, entwarf Berthold Viertel (1895 – 1953), den OK seit frühen Jugendtagen kannte, in einer autobiografischen Rückschau zur Moderne in Wien die These, das sich dessen kulturelle Produktivkraft über die Dichotomie von Vätern und vor allem »die zerstörenden« Söhne entfaltet hatte. Letztere waren nicht an ein Lebensalter gebunden, denn er nannte Kronprinz Rudolf, Gustav Mahler, Adolf Hitler und Peter Altenbergebenso wie Franz Kafka, Otto Weininger und natürlich Oskar Kokoschka.26 Es ging nicht mehr um den kultisch verklärten Jugend-Begriff, der im Jugendstil Wiener Ausprägung als Ver Sacrum eine besondere Hochblüte erlebt hatte. Der »träumende Knabe« Kokoschka mutierte zum enfant terrible, gerierte sich als Widerständiger, der nicht in das überkommene System hineinwachsen wollte.27 Eine Rolle, in der er sich gerne und bis ins hohe Alter hinein sah : Die Zeitschrift Eltern hatte Prominente gefragt, welchen Berufswunsch sie als Kinder 4 : Oskar Kokoschka als Brandstifter, Eltern, hatten. Kokoschka war in der Nachkriegszeit H. 1, 1968, S. 41, Foto : Sven Simon zum »Hofmaler« der bundesdeutschen Politikprominenz geworden, hatte u. a. im Auftrag des ultrakonservativen Springer Verlags den Altkanzler Konrad Adenauer gemalt (1966), galt als VIP und Everybody’s Darling der europäischen High Society.28 Der angebliche Kindertraum von einem »der bedeutendsten Maler der Gegenwart« : Brandstifter (Abb. 4).29 Ein humorvoller Kommentar 26 Prager 2018, S. 99 27 Vgl. Oskar Kokoschka, Die träumenden Knaben, Wien (Wiener Werkstätte) 1908 ; zur spannungsreichen Dichtung siehe u. a. Schorske 1982, v. a. S. 310 – 316. 28 Zu den Porträts deutscher Politiker vgl. Bonnefoit/Häusler 2010a, v. a. S. 105 – 112 und Bonnefoit 2014, v. a. S. 46 – 49. Zum Topos des Hofmalers, vgl. Kreutler 2013, v. a. S. 75f. 29 Brandstifter Oskar Kokoschka, in : Das Buch der großen Kinderträume. Für Eltern fotografiert : Fünfzehn Prominente – in der Kleidung des Berufs, den sie sich wünschten, als sie noch Kinder waren, Eltern, H. 1,
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zum Topos des (bürgerlichen) Traumberufs. Gerne sah sich OK als fackelschwingende Gefahr, als Kunst-Anarchist und Künstler, dessen Aufgabe es ist, der politische »Stachel […] im Gewissen«30 der Gesellschaft zu sein. Dass sich der längst arrivierte Künstler Kokoschka ausgerechnet im Jahr 1968 in dieser Form stilisierte, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Die Wiener Hagenbund-Ausstellung 1911 Ich hasse einen Teil meiner Vergangenheit, und da mir dieses Wort zu lang ist, schreibe ich kurz hin : Wien. Günter Brus, Das gute alte Wien (2007)31
»Es spielte keine Rolle für mich, wo ich hinfuhr. Nur aus Wien heraus !«, so leitete Kokoschka in seiner Autobiografie das Kapitel über seine frühe Zeit in Berlin (ab) 1910 ein.32 Werner J. Schweiger nennt es Das erste »Exil«. Kokoschka und Berlin.33 Kokoschka nahm ab 1910 wesentliche Karrierestationen in Deutschland und gilt bis heute als Austrian born Exponent des deutschen Expressionismus. Wesentliche Kontakte sowie fortführende Unterstützung verdankte Kokoschka neben Loos auch dem Kunsthistoriker, Kritiker und Museumsfachmann Hans Tietze (1880 – 1954), den OK schon 1909 gemeinsam mit seiner Frau Erica Tietze-Conrat (1883 – 1958) porträtiert hatte. Tietze hatte den Künstler von Österreich aus regelmäßig mit wohlwollenden Artikeln oder Nominierungen bei Ausstellungen gefördert. Retrospektiv stellte Kokoschka fest : »Ich begriff vollkommen, daß man mich in Wien nicht verstanden und mir die Existenz so schwer gemacht hatte. Nur in Berlin hatte ich eine Chance […].«34 Hier befand er sich mit einem Schlag »an der Wasserscheide von der Vergangenheit zur Zukunft«, wo man für Neues, das Unerwartete offen war.35 In »der […] traditionslosen Parvenue-Stadt an der Spree«36 arbeitete OK ab 1910 kontinuierlich mit engagierten Galeristen und Verlegern der Avantgarde zusammen (u. a. Herwarth Walden, Paul Cassirer, Wolfgang Gurlitt und Kurt Wolff ) und knüpfte erfolgreich sein 1968, S. 4, vgl. Werkner 2013a, S. 68f. OK wirft mit dem Motiv des Brandstifters verschiedene Assoziationen auf, die von einem (quellenmäßig nicht bestätigten) Brand in seiner Geburtsnacht in Pöchlarn bis hin zu der von Karl Kraus herausgegebenen Zeitschrift Die Fackel reichen, vgl. Kokoschka 1971, S. 41. 30 Hofmann 1955, S. 5. 31 Brus 2007, S. 47. 32 Kokoschka 1971, S. 101. 33 Schweiger 1983, S. 124. 34 Kokoschka 1971, S. 110. 35 Ebd., S. 107. 36 Fischer 1994, S. 149.
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Netzwerk an einflussreichen Kunsthistorikern, Museumsleuten und Sammlern. Seine Erfolge wurden von wohlwollenden Kritikern kommentiert und begleitet. »Keine große Galerie Deutschlands, die sich nicht ein Werk Kokoschkas gesichert hätte ; nur in Wien findet sich durch die Häufung versäumter Gelegenheit an keiner öffentlichen Stelle ein Bild von ihm […]«, schrieb Tietze 1919 – nicht ohne Spitze gegen die heimischen Kunstinstitutionen.37 Der erwähnte Paul Westheim stellte über den »unvermeidlichen« Erfolg fest : »Inzwischen ist Kokoschka nicht nur dieser berühmte Künstler geworden ; jede Äußerung seiner Hand, wie das nun einmal unvermeidlich war, ist zu einem Marktwert geworden.«38 Seine Rezeption in Deutschland (und darüber hinaus) war enorm, sodass er – als Kehrseite dieses Erfolges – von den Nationalsozialisten schon früh als einer der prominentesten »entarteten« Künstler diffamiert wurde. Neueren Forschungen zufolge wurden bei den nationalsozialistischen »Säuberungswellen« allein aus öffentlichen deutschen Museen über 600 seiner Werke entfernt.39 »Steht die legendäre Kunstschau Wien 1908 am Ende einer Entwicklung der Jahrhundertwendekunst, so steht die nicht minder legendäre Sonderausstellung Malerei und Plastik von 1911 im Gebäude des Hagenbundes am Beginn einer neuen Kunstentwicklung, als deren unbestritten prominentester Vertreter Oskar Kokoschka gelten konnte.«40 Nach der bekannten Neukunst-Gruppen-Ausstellung im Wiener Salon Pisko Ende 1909 waren wieder Anton Faistauer, Albert Paris Gütersloh und Franz Wiegele vertreten. Nur Schiele war inzwischen unabhängig. Neu dazu kamen Anton Kolig, Sebastian Isepp, Robin Christian Andersen, Kokoschka und sein Studienfreund Erwin Lang. Kokoschka füllte zwei Säle und war mit insgesamt 25 Gemälden prominent vertreten. Die Presse reaktionen waren enorm, detaillierte Besprechungen zu Kokoschkas Arbeiten dominierten. Die meisten Kritiker rekurrierten auf Kokoschkas Auftritt bei der Kunstschau 1908 bzw. seine Theaterarbeit im Folgejahr. Der Wiener Kunstgeschichte-Ordinarius Josef Strzygowski (1862 – 1941) fand in seiner vernichtenden Besprechung die wohl bildreichsten Formulierungen. Da ist dieser Oskar Kokoschka. Man erinnert sich des Schlächterplakats, mit dem die Kunstschau ihn seinerzeit losließ, um in den Leuten mit dem Gruseln die Neugier zu wecken. Er hat auch heute noch kaum das mündige Alter erreicht, an seiner Erziehung scheinen alle bösen 37 Hans Tietze, Oskar Kokoschkas neue Werke, in : Die Bildende Künste, Wiener Monatshefte, H. 11/12, 1919, S. 249, zit. Dalbajewa 1998, S. 27f. 38 Paul Westheim, Kokoschka, der Zeichner. Eine Studie, in : Das Kunstblatt, H. 11, 1921, S. 322, zit. Dalbajewa 1998, S. 28. 39 .Detailergebnisse erhält man nach Eingabe des Künstlernamens in die Datenbank der Forschungsstelle »Entartete Kunst«, Freie Universität Berlin http://emuseum.campus.fu-berlin.de/eMuseumPlus ?service=R edirectService&sp=Scollection&sp=SfieldValue&sp=0&sp=0&sp=3&sp=SdetailList&sp=0&sp=Sdetail&s p=0&sp=F (Zugriff : 27.6.2022). 40 Schweiger 1983, S. 165.
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Geister mittätig gewesen zu sein ; […] Mit diesen Koko-Strahlen seiner Psyche durchleuchtet er auch die Personen, die das Unglück haben, unter seinen Pinsel zu geraten. Welcher fauler Geruch geht von dem Bilde der Frau Dr. L. Fr. aus ! Welch ekelhafte Pestbeule präsentiert uns der Maler in diesem Karl Kraus ! Peter Altenberg und Adolf Loos samt Frau sind Waisenknaben gegen die Abgründe geheimer Laster, die Kokoschka in diesen beiden Porträts visionär zu öffnen versteht. Ich wüßte für ihn einen Posten, auf dem er ausgezeichnet am Platze wäre. Man lasse ihn gewisse Orte mit abschreckenden Bildern von Syphilis und Paralyse ausmalen.41
Der bekannte Kunstpublizist und Kritiker Arthur Roessler (1877 – 1955), der ein wichtiger Unterstützer der jungen Zeitgenossen war, stand in seiner drastisch-aggressiven Wortwahl dem Herrn Universitätsprofessor in nichts nach : Um eines Trumpfes sicher zu sein, luden die Jüngsten Oskar Kokoschka zu Gaste. Er kam und füllte zwei Säle mit seinen aus einer Brühe von molkigem Eiter, Blutgerinnsel und salbig verdicktem Schweiß gezogenen Lemuren. Das lange Zeit verborgen gewesene Binnenleben der Seele ist von Oskar Kokoschka entdeckt ! – rufen nervengekitzelte Neurastheniker und deutsche Obskuranten, die sich snobistisch freuen, daß endlich wieder einmal in der Kunst etwas da ist, daß sich nicht beweisen läßt, sondern geglaubt werden muß. […] Ich hielt Kokoschka bisher für künstlerisch impotent, tue das nun nicht mehr, weil ich Beweise dafür sah, daß er als Maler eine Durchschnittsbegabung hat. […] Seine Farben braut er sich zusammen aus giftiger Fäulnis, gärenden Krankheitssäften ; […] Er malt die Antlitze von Menschen, die in verdorbener Bureauluft verweilen, die nach Geld gieren, lungernd das Glück erwarten und sich gemein belustigen. Er malt ihre milbige Haut, ihr schwärendes Fleisch, das in innerer Hitze dünstet, von Ausschweifungen zermürbt, von Krankheiten zerfressen ist. […] Sie haben eine gewisse Bedeutung als Manifestation einer verwesenden Zeit ; künstlerisch gewertet sind die Farbengemetzel.42
Auch zu den Publikumsreaktionen sind einige anekdotische Berichte überliefert. Faistauer berichtete über das »schallende Gelächter vor den Bildern Kokoschkas«, das ihm noch »in den Ohren« gelle.43 Legendär ist der Besuch des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand, der für seine reaktionär-konservative Kunstauffassung bekannt war. Seine Visiten sowie die anderer Mitglieder des Kaiserhauses erzeugten öffentliche Aufmerksamkeit und kamen im Idealfall einer Art Auszeichnung gleich. Im Falle der HagenbundSchau war das jedoch nicht der Fall. Franz Ferdinand soll konstatiert haben, dass »diese 41 Josef Strzygowski, Junge Künstler im Hagenbund, in : Die Zeit, Wien, Jg. 10, Nr. 3010, vom 9.2.1911, S. 1f., zit. Schweiger 1983, S. 168. 42 Arthur Roessler, Hagenbund, in : Arbeiter-Zeitung, Wien, Jg. 23, Nr. 35 vom 4.2.1911, S. 1f, zit. Schweiger 1983, S. 190f. 43 Zit. Schweiger 1983, S. 195.
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Ausstellung eine Schweinerei« sei und Kokoschka selbst kolportierte die erzherzogliche Aussage : »Dem Kerl sollte man alle Knochen im Leib zerbrechen !«44 Auch wenn der Thronfolger für eine oft deftige Ausdrucksweise bekannt war, so ist wahrscheinlicher, was Paul Stefan von der kaiserlichen Hoheit überliefert hat : »Sie werden keinem sagen, dass ich dieses Zeug gesehen habe !«45 Die Hagenbund-Ausstellung war nicht nur die erste größere Ausstellungsmöglichkeit Kokoschkas ; sie wurde für ihn zum Inbegriff seines Misserfolges in Wien und prägte nachhaltig sein schlechtes, zumindest ambivalentes Verhältnis zu dieser Stadt. Abgesehen von den Unterstützern, die sich in Folge noch enger um OK schlossen, sah er sich vom Publikum ignoriert und verspottet, von höchsten Gesellschaftskreisen als untragbar und latente Gefährdung und von der Kritik verkannt und verfolgt, kurz : als Opfer der Wiener Gesellschaft und ihrer Kunstszene – eine Haltung, die sich im Laufe der kommenden Jahre noch weiter verfestigen sollte. Künstlerfreunde, Kollegen, Konkurrenz
Der Kunstkritiker Arthur Roessler war für Kokoschka nicht nur wegen seiner Kritiken einer der unsäglichen Patrone seiner frühen Schmähung. Er stand als ein wichtiger Förderer Schieles zudem in einem Dunstkreis zeitgenössischer Künstler-Konkurrenten und potentieller Verschwörer, die ihm (Kokoschka) nach Gustav Klimt die Vorrangstellung in der österreichischen Moderne streitig machen wollten. Kokoschka war zeitlebens eifersüchtig um seinen Ruf als Künstler bemüht und zwar mit Musikern, Komponisten, Literaten, Wissenschaftlern und Politikern de facto aber nicht mit bildenden Künstlern seines Ranges befreundet.46 Bei der im englischen Exil verfassten, 1947 von Edith Hoffmann publizierten Monografie verwehrte sich der Künstler vehement gegen eine Zusammenschau seines Œuvres mit dem 1918 verstorbenen Schiele, den er als geschmäcklerisch und als Pornograf bezeichnete.47 Über allem schwebt der Vorwurf des Plagiats, wie schon bei seinem früheren Künstlerfreund, dem Maler Max Oppenheimer (MOPP), der sich eine Zeitlang das Atelier mit Schiele geteilt hatte. Anlässlich der Möglichkeit Oppenheimers noch vor Kokoschka in München 1911 eine Ausstellung zeigen zu können, hatte Letzterer eine publizistische Phalanx in Bewegung gesetzt. Allen voran Loos, Else Lasker-Schüler und nicht zuletzt Tietze ließen sich einspannen. Aber auch seine jungen Komponistenfreunde Alban Berg und Anton Webern waren von der OK-Propaganda ergriffen.48 MOPP s Ruf wurde nachhaltig zerstört, und seine Rezeption viele Jahrzehnte beeinträchtigt. Schiele jedoch hatte potente Sammler und Fürsprecher. Kokoschka be44 Ebd. 45 Ebd. 46 Kokoschka 1971, S. 282. 47 OK an Edith Hoffmann-Yapou, London, November 1943, in : Briefe III, S. 125 ; Natter 1998, S. 23. 48 Vgl. Schweiger 1983, S. 202 – 209 ; Puttkamer 1999. Zu OKs Feindschaft gegenüber MOPP in Komponistenkreisen vgl. Reinhold 2015, v. a. S. 65 – 68.
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hauptete zudem, dass junge Künstler (u. a. Schiele) etwa seine Zeichnungen überarbeitet, unter seinem Namen wieder in Umlauf gebracht und so seinem Ruf geschadet hätten. Ein Protagonist der abstrusen Verschwörung war für OK wiederholt der ursprünglich mit ihm befreundeten Buch- und Kunsthändler Richard Lányi (1884 – 1942) sowie den Kunsthändler Otto Kallir-Nirenstein (1894 – 1978).49 Letzterer war 1938 über Frankreich nach New York emigriert, wo er in seiner Galerie St. Etienne einer der Promotoren der österreichischen Moderne, vor allem Schieles, wurde. Wann genau das Misstrauen gegen Nirenstein einsetzt, ist unklar. Denn von 1924 bis 1937 fanden mehrere, teils größere Kokoschka-Schauen in dessen Neuer Galerie in Wien statt, da Nirenstein als Wiener Vertreter des Künstlers tätig war.50 In dem vermeintlichen Komplott wurde sogar Alma Mahler eine Rolle zugedacht. Sie soll nach einer falschen Todesmeldung im Ersten Weltkrieg aus Kokoschkas Atelier sämtliche Briefe und etliche Zeichnungen zur weiteren »Verwertung« mitgenommen haben.51 Eine besondere Rolle bei den »überarbeiteten« Kokoschka-Blättern dürfte nach der Auffassung des Künstlers sein Bruder Bohuslav (1892 – 1976), liebevoll Bohi genannt, gespielt haben. Er trat ebenfalls als Schriftsteller und Maler hervor, war damit jedoch nicht oder kaum erfolgreich und zeitlebens auf Unterstützung angewiesen. Kokoschka war ein leidenschaftlicher Familienmensch. Zwar hatte er – trotz zahlreicher Beziehungen und Liebschaften – nie eigene Kinder, dafür widmete er sich aber mit großer Zuneigung den Bedürfnissen seiner Herkunftsfamilie. Ab den 1910er-Jahren begann er, seine Familie finanziell zu unterstützen, was ihn selbst immer wieder in pekuniäre Schwierigkeiten brachte.52 Neben Bohi, seiner in Prag lebenden Schwester Berta (1889 – 1960), vulgo Bibsch oder Bibscherl, und ihrem Mann Emil Patočka erreichten die Zuwendungen seine Eltern Romana (1861 – 1934) und Gustav (1840 – 1923). Für diese erwarb er im Sommer 1920 ein Haus im Wiener Liebhartstal, wo er sich ein Atelierzimmer eingerichtet hatte, das er bis 1934, seinem endgültigen Weggang von Wien, wiederholt nutzte.53 Bohuslav war zwar ständig in Geldnot, zugleich aber als Bruder des berühmten Malers eine bekannte Figur der Wiener Kunstszene. Der Briefwechsel zwischen den Geschwistern ist als Quelle von besonderer Bedeutung, da sich Oskar hier offen und ohne Übertreibungen oder tendenziöse Verzerrungen schrieb. Bohi ist ein wichtiges Vis-à-vis, dem er auch delikate Dinge anvertraute und von dem er umgekehrt Insider-Informatio49 Lányi hatte 1921 Kokoschkas Lithografie-Zyklus Variationen über ein Thema verlegt. Machenschaften rund um Verkauf Lányis von Kokoschka-Arbeiten kursierten schon in den 1920er-Jahren, vgl. Marcus G. Patka, Mit Blick auf die Sirk-Ecke. Die »Buch- und Kunsthandlung Richard Lányi« im Leben von Oskar Kokoschka, in : Perspektiven 1998, S. 41 – 45. Zu Otto Kallir-Nirenstein vgl. Kallir/Bisanz 1986. 50 Winkler/Erling 1995, Verzeichnis der Ausstellungen, v. a. S. 155 – 160 ; Kallir 1986a, S. 16. 51 Kokoschka 1971, S. 130. 52 Spielmann 2003, zum Jahr 1913 : S. 514. 53 Ebd., S. 516.
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nen aus Wien erhielt. Bohuslav war nach dem Ersten Weltkrieg mit dem schon erwähnten Richard Lányi befreundet und verkehrte auch mit Otto Nirenstein freundschaftlich, wie u. a. ein Porträt des Kunsthändlers beweist.54 Wiederholt wies Kokoschka seinen Bruder in Briefen55 zurecht, dass er zu sorglos mit dem Verkauf seiner Arbeiten aus Familienbesitz umgehe und diese immer wieder aus dem Handel zurückkaufen müsse, um keinen Rufschaden zu nehmen. Lányi und Nirenstein sowie der Bilderhauer Fritz Wotruba56 sollen immer wieder involviert gewesen sein. Für Kokoschka stand bald der Wiener Kunsthandel unter Generalverdacht, mit seinen Arbeiten unlautere Geschäfte zu treiben. Der Künstler-Märtyrer: Kokoschkas Vortrag im Akademischen Verband 1912
Die Resonanz, die Kokoschkas frühes Auftreten in Wien erzeugte, bezog sich nicht allein auf seine Ausstellungen. Der junge Künstler war in der Avantgardeszene gut vernetzt und in der Wiener Kunstwelt präsent. Er trat als Dramatiker sowie als Vortragender in Erscheinung und war nicht zuletzt aus Einkommensgründen auch als Kunstpädagoge bzw. in der Lehre tätig. Sein Ruf an der einen Stelle pflanzte sich wellenartig an anderen Orten fort – im positiven wie im negativen Sinn. Einer der Marksteine war ein Vortrag, den Kokoschka am 26. Jänner 1912 im Akademischen Verband für Literatur und Musik in Wien hielt. Der 1908 gegründete Verband war in seiner kurzen Bestandszeit einer der interessantesten und radikalsten Kulturveranstalter : »Der Verband soll die Dinge tun, die in Wien sonst niemand macht : Radikale Richtung !«, soll der Obmann Erhard Buschbeck – ein Jugendfreund Georg Trakls– als Devise ausgegeben haben.57 Man veranstaltete Konzerte und Ausstellungen, an denen auch OK in verschiedener Form (z. B. Plakatgestaltungen) immer wieder beteiligt war, und organisierte Vorträge über Musik, Kunst und Literatur. Die Liste der Vortragenden liest sich wie das Who-isWho der Avantgarde in Wien : Hugo von Hofmannsthal, Stefan Zweig, Karl Kraus, Felix Salten, Egon Friedell, Theodor Däubler, Arnold Schönberg, Adolf Loos, Hans Tietze und nicht zuletzt Kokoschka.
54 Ein Porträt des Kunsthändlers Kallir-Nirenstein von Bohuslav Kokoschka war im Rahmen der online Ausstellung Wiener Kunstgeschichte gesichtet des Instituts für Kunstgeschichte der Universität Wien zu sehen, vgl. https://kunstgeschichte.univie.ac.at/fileadmin/user_upload/i_kunstgeschichte/Texte_IKG/Texte_Archiv/ Denkmal-Kunstgeschichte.pdf (Zugriff : 6.9.2022). 55 Vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 22.1c, OK an Bohuslav Kokoschka, 12.9.1954. 56 Wotruba besaß selbst eine außergewöhnlich qualitätsvolle Sammlung u. a. mit Arbeiten der Wiener Moderne und war ab 1954 künstlerischer Leiter der Galerie Würthle, also im Kunsthandel tätig. Er war zudem ein wichtiger Protagonist der österreichischen Kulturpolitik nach 1945, vgl. Reinhold 2003 ; Haldemann 1998. 57 Zit. Schweiger 1983, S. 211.
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Auch wenn er durch seine Dramen, etwa Mörder, Hoffnung der Frauen und deren sprachliche Radikalität aufgefallen war, so galt er gemeinhin als eher scheuer Charakter, der hinter der Bühne agierte. Dass ausgerechnet er als Vortragender auftrat, verwunderte selbst seine Freund/innen. Eugenie Schwarzwald, eine der zentralen Förderinnen der Moderne in Wien, Gründerin einer progressiven Mädchenschule und ab Herbst 1911 auch Arbeitgeberin des Zeichenlehrers Kokoschka, beschrieb diese Situation sehr anschaulich : Als junger Mann war er so schweigsam, daß Fernstehende ihn leicht hätten für taubstumm halten können. Sagte er dann plötzlich etwas, so war es so merkwürdig – abstrus in der Form, so verblüffend – hellsichtig im Inhalt, daß selbst der Stumpfeste die Bedeutung zu ahnen nicht umhin konnte. Gewöhnlich umhüllte ihn aber tiefes Schweigen. Wie erschraken seine Freunde, als er eines Tages kam und sagte : ›Wißt’s Ihr, nächsten Freitag halt i an Vortrag !‹ – ›Wie willst du das machen ? Du kannst ja gar nicht sprechen !‹ – ›Oh, wann viel Leut da san, kann i schon‹, sagte er, ›nur wenn net viel da san, bin i net animiert g’nug.‹ – ›Ja, weißt du denn, was du eigentlich sagen willst ?‹ – ›Na, das nöt, nur den Anfang hab i schon.‹ – ›So ? Was willst du sagen ?‹ – ›No, einfach die Wahrheit : O mein Gott, o mein Gott, wie fürcht i mi !‹«58
Der Vortrag selbst avancierte zum Skandalon und zog weit über Wien hinaus seine Kreise.59 Der Inhalt der Rede blieb dem Großteil des Publikums im überfüllten Saal des Ingenieur- und Architektenvereins verborgen. Der Architekt Josef Frank erinnerte sich, dass OK »für die meisten ganz Unverständliches und Unzusammenhängendes« gesprochen hatte.60 Selbst seine wohlwollende Freundin Schwarzwald stellte fest, dass er »unerhört tiefe Dinge über Farbe, Liebe und Kunst« vortrug, während des Vortrags unmotiviert den Saal verließ und es nicht leicht war, »aus dem Wirrsal seiner Worte zu entnehmen, was er meinte. Nur den feinsten Köpfen, den heißesten Herzen und dem besten Willen war es gegönnt, ihn zu verstehen. Aber irgendwie war jeder betroffen.«61 Von tumultartigen Szenen und »lärmenden Kundgebungen« im »von Feinden, Gegnern, Spöttern« übervollen Vortragssaal war in der Presse die Rede.62 Im Plakat zum Vortrag im Akademischen Verband hatte Kokoschka auf mehrdeutige Weise seine Rolle in dem aufgeheizten Wechselspiel Künstler-Publikum charakterisiert (Abb. 5). Formal handelt es sich um einen Rückgriff auf ein Plakat für die Zeitschrift Der Sturm (1910) bzw. auf seine Selbststilisierung mit kahlgeschorenem Haupt von 1909 (Abb. 3). Wie schon das Poster für Mörder, Hoffnung der Frauen mit dem Beiti58 Dr. Eugenie Schwarzwald, Der Redner Kokoschka, in : Neue Freie Presse, 20. Januar 1926, S. 10. 59 Vgl. Reinhold 2015, S. 68. 60 Zit. Schweiger 1983, S. 219. 61 Ebd. 62 Ebd.
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tel Pietà (Abb. 6) stellte es eine Provokation dar. Als Selbstbildnis mit »Stigmata des Ausgestoßenen«63 sollte es nicht nur provozieren und Aufmerksamkeit erregen, sondern die vom Künstler empfundene aggressive Grundhaltung des Publikums spiegeln : formal und inhaltlich. Kokoschka sah sich in seiner Funktion, oder besser : Mission als Künstler als ein Seismograf der Gesellschaft, der unmittelbar an der virulenten Bruchlinie steht und an ihr sinnbildlich fast zugrunde geht.64 So erscheint die bleiche Figur, ähnlich der Pietà von 1909, mehr tot als lebendig. Kokoschka als ungehörte Kassandra – eine Metapher, die er auch in reifen Jahren immer wieder verwendete.65 Im Bild erscheint kein zum Schreien, Künden geöffneter Mund, sondern ein verzerrter, vorgeschobener Unterkiefer, der nur mit großer Mühe das Sprechen ermöglicht : ein verbildlichter Widerspruch zum Format einer Vortragsankündigung. Denn selbst wenn seine Worte gehört würden, so wäre es, als ob er in einer fremden Sprache spräche. Der Vortrag, der später mit dem Titel Vom Bewusstsein der Gesichte publiziert wurde, spricht von der Anschauung des »wahren« Menschen : ein moderner Topos in einem visionären, bildsprachlich-assoziativen Textformat.66 Den bevorstehenden Umbruch vorwegnehmend 5 : Oskar Kokoschka, Vortrag O. Kokoschka. entäußert, begibt sich der Künstler selbst in Akademischer Verband fuer Literatur die Randzonen der Norm, des gesellschaftlich und Musik, Plakat 1912, Farblithografie. Erträglichen und wird zum Out-Cast. Mehrfach wurde in der Literatur auf Elemente der Christus-Ikonografie hingewiesen, die sich bei Selbstbildnissen etlicher (Wiener) Künstler dieser Zeit, darunter Egon Schiele, Max Oppenheimer, Richard Gerstl und natürlich auch Kokoschka finden lassen.67 Wesentliche Elemente dieser Selbstsicht und -definition erkannte Pierre Bour63 Strobl/Weidinger 2008, S. 270 – 2702. 64 Zur Metapher vom Künstler als Seismograf vgl. Schade 2011. Schade analysiert dabei die dem Künstler der Moderne zugesprochene Funktion eines gesellschaftlichen »Frühwarnsystems«, eines ungehörten »Rufers in der Wüste«, der eng mit der Figur des Visionärs und Propheten verknüpft ist. 65 Zum Topos der Kassandra als Vision des Unheils in der Moderne, vgl. Heckmann/Ottomeyer 2009. 66 Schriften III, S. 7 – 12, 328f. 67 Vgl. Natter 2002, S. 134 ; Apke 2005.
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dieu schon in der Untersuchung der französischen Frühmoderne : so sprach er von der »christlichen Mystik des ›verfemten Künstlers‹, in dieser Welt geopfert und dem Jenseits geweiht«.68 Die Figur, der Künstler selbst, erscheint als Ecce Homo, als Schmerzensmann, der demonstrativ auf seine Wunde hinweist. Anders als im religiösen Ritus der Bildkontemplation geht es jedoch nicht um eine intendierte Identifizierung mit dem Leidensmann, sondern um eine aggressiv vorgetragene Anklage. Die christografischen Wurzeln bei Künstlerselbstporträts gehen weit in die Kunstgeschichte zurück. Zweifellos kannte der kunsthistorisch gebildete und katholisch erzogene Kokoschka das bekannte Selbstporträt Albrecht Dürers von 1500. Wenn auch frei von jeder scheinbaren Aggression, so verbinden sich bei Dürer ebenfalls Selbst- und Sendungsbewusstsein mit dem Mut zur bedingungslosen Exponiertheit als Künstler in quasi religiöser Aura. Dürer war als ikonisch verehrter Altmeister eine Art Urtypus des neuzeitlichen Künstlers mit all seinen Verstrickungen in Gesellschaft, Politik und Religion, ausgestattet mit Talent und einem tiefen Moment an Selbstreflexion – der Melancholia.69 In einem 1939 publizierten Artikel Kokoschkas setzte er sein eigenes künstlerisch-politisches Schicksal polemisch mit jenem des altdeut6 : Oskar Kokoschka, Pietà, Plakat 1909, schen Meisters in Verbindung : Farblithografie. Das Los, ein internationaler Landstreicher zu werden, hat jeder deutsche Maler früher oder später erfahren müssen, man glaube den gleichgeschalteten Deutschen nicht, daß sie doch für die klassische Kunst schwärmten ; von den klassischen Griechen an, hat kein Kulturvolk seinen künstlerischen Zeitgenossen die Achtung verweigert. Selbst ein Dürer indes mußte auf einem Jahrmarkt seine ›Melancholia‹ von Hausiererkarren herunter feilbieten.70 68 Bourdieu 2001a, S. 136. 69 An dieser Stelle sei auf Dürers bekannten Kupferstich Melancholia I von 1514 und dessen vielschichtige Ikonografie verwiesen. 70 Kokoschka 1939, zit. Breicha 1976, S. 151f. Wie bei seiner eigenen Biografie operierte OK auch bei Dürer im Dienste der Rhetorik mit der Verknüpfung von Fakten und Legenden. Kokoschkas Melancholie-Interpretation siehe Kokoschka 1971, S. 324f.; vgl. Windisch 2013, S. 152 – 158.
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In unausweichlicher, kunsthistorisch unterfütterter Schicksals-Genealogie präsentierte sich Kokoschka im Habitus des Schmerzensmanns, ohne jede eschatologische Hoffnung : ein Opfer der Wiener Kunstszene semper et ubique. Kokoschkas Vortrag für den Akademischen Verband hatte auch behördliche Folgen : seit Herbst 1911 war er in der Schwarzwald-Schule als Zeichenlehrer angestellt. Schwarzwald, die einen der einflussreichsten Wiener Salons führte, hatte eine reformpädagogische Schule etabliert, an der sie selbst »Deutsche Dichtung« vortrug.71 Ihr Mann Hermann, ein bekannter Verfassungsjurist, las Volkswirtschaftslehre und Philosophiegeschichte, Adolf Loos unterrichtete zeitweise Kunstgeschichte, Egon Wellesz war für Musikgeschichte zuständig und Arnold Schönberg gab u. a. Kompositionsseminare. Kurz vor Kokoschkas Vortrag im Jänner 1912 gab es eine Schulvisitation durch den k. k. niederösterreichischen Landesschulrat. Der zuständige Fachinspektor war schockiert von Kokoschkas Unterrichtsmethoden. Zudem war die junge Lehrkraft seit der Kunstschau 1908 kein unbeschriebenes Blatt. Vorschriftmäßig hätten die »betroffenen« Schülerinnen eine Einführung in das Zeichnen dreidimensionaler, geometrischer Grundformen erhalten sollen. Der Inspektor musste aber feststellen : »Zunächst hat sich der junge Mann um den Lehrplan gar nicht gekümmert und hat die Mädchen nach der Methode der ›Übermodernen‹ zeichnen lassen, was sie wollten, und zwar illustrierend‹ […] nur Phantasiebilder, […] ein Chaos von kindlichen Patzereien, zumeist nur halbfertige Schmieragen, ganz im Stile der Kunst, welche er selbst sinn- und gedankenlos zur Zeit der Kunstschau ausgestellt hatte.«72 Kokoschka ließ seine Schülerinnen tatsächlich entweder frei arbeiten oder erzählte ihnen fantasievolle Geschichten, welche sie zur bildlichen Umsetzung anregen sollten. Dass sich OK an den Lehrmethoden Franz Čižeks orientierte, der als Professor an der Kunstgewerbeschule wirkte und nicht zuletzt mit seiner Jugendkunstklasse weltweit Bekanntheit erzielte, war dem Inspektor nicht geläufig.73 Weder die fortschrittlichen Methoden und schon gar nicht der Umstand, dass der smarte Junglehrer von seinen Schülerinnen geradezu umschwärmt wurde, kamen gelegen. Während der Berichterstellung an das k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht hatte Kokoschka seinen Vortrag für den Akademischen Verband gehalten, was die offizielle Be- bzw. Verurteilung noch verschärfte : Der Landesschulrat bemerkt außerdem, daß Kokoschka am 27. Jänner d. J. [sic !] im ›Akademischen Verband für Literatur und Musik‹ einen Vortrag gehalten hat, bei dem es Zeitungsberichten zufolge, zu lärmenden Kundgebungen kam. Im Hinblick auf diese Umstände erscheint
71 Zu Eugenie Schwarzwald vgl. Deichmann 1988 ; Streibl 199 ; Holmes 2012 ; Karin Michaëlis, Die fröhliche Schule, hg. von Robert Streibel, Wien (Löcker) 2019. 72 Zit. Schweiger 1983, S. 244. 73 Ad Čižek vgl. Laven 2006, ad Kinetismus vgl. Bast/Werkner 2011.
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dem Landschulrat […] die sofortige Entfernung Kokoschkas von der Anstalt wünschenswert […].74
Dem Antrag auf »sofortige Entfernung« wurde stattgegeben und Kokoschkas Karriere als Kunstpädagoge im Schulsystem behördlich beendet. Eugenia Schwarzwald soll noch versucht haben, beim zuständigen Minister zu intervenieren und hatte erklärt, dass Kokoschka bleiben müsse, da er ein Genie sei. Die trockene Antwort des Ministers : Genies sind im Lehrkörper der österreichischen Mittelschulen nicht vorgesehen.75 Ministeriell nicht aktenkundig wurde Kokoschkas kurzfristige Lehrtätigkeit als Assistent an der Kunstgewerbeschule, wo er 1912/13 für das Allgemeine Aktzeichnen zuständig war. Direktor Alfred Roller konnte die Besetzung intern bestimmen und administrieren.76 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass der behördlich aus dem österreichischen Schulsystem entfernte Kokoschka viele Jahrzehnte als charismatische Lehrpersönlichkeiten wirkte : ab 1919 als Professor an der Akademie in Dresden und nach 1945 mehrfach in den USA, in der Schweiz und nicht zuletzt ab 1953 in seiner Schule des Sehens in Salzburg. Die Politisierung eines Verhältnisses: Kokoschka und Österreich ab 1918 In den Jahren nach der Hagenbund-Schau 1911 lebte Kokoschka vorwiegend in Wien. Seine exzellenten Verbindungen zu deutschen Galeristen, Kunstkritikern bzw. bestimmten Intellektuellenkreisen blieben weiterhin sehr wichtig. Nach seinen Fronteinsätzen und seiner zweimaligen, lebensgefährlichen Verwundung während des Krieges77 wurde ab 1916 Dresden zu seinem Lebensmittelpunkt, wo er 1919 eine Professur an der Akademie erhielt. Die folgenden Jahre waren für Kokoschka in mehrfacher Hinsicht eine intensive, vom Erfolg geprägte Zeit. Er war durch längere Beurlaubungen viel auf Reisen, lebte u. a. in London und Paris, hatte gute Verträge mit Galeristen und zahlreiche Ausstellungen nicht nur in Deutschland. Auch am Kunstmarkt wurde er zu einer bestimmten Größe und war zunehmend in deutschen Sammlungen und Museen vertreten. Hätte seine Familie nicht hier gelebt, so wäre Wien wohl einer von mehreren Stützpunkten gewesen. Doch familiäre Gründe, vor allem der kränkliche Vater zogen ihn vermehrt zurück. Im Jahr 1920 erwarb er ein Haus im Wiener Liebhartstal für seine Familie, die nach der Mutter benannte Villa Romana, wo er sich im Dachgeschoß ein Atelier bzw. eine Bibliothek einrichtete. Im Oktober 1923 starb Gustav Kokoschka, was den Künst74 Schweiger 1983, S. 246f. 75 Ebd. 76 Ebd., S. 251. 77 Zu OK und Erster Weltkrieg vgl. Bonnefoit/Held 2013.
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ler veranlasste, nicht mehr nach Dresden zurückzukehren bzw. sich weitere zwei Jahre karenzieren zu lassen, zu reisen, und immer wieder nach Wien zu kommen.78 Kokoschkas Rezeption hatte sich im Vergleich zur Frühzeit verändert, was nicht nur mit dem sich (stilistisch) stark wandelnden Œuvre bzw. der zunehmenden Etablierung des Künstlers zusammenhing. Mit dem Ende der Monarchie war aus Wien, der einstigen kaiserlichen Residenzstadt eines riesigen, multi-ethnischen Reiches, die – wie viele nun meinten, überdimensionierte – Hauptstadt eines Kleinstaates geworden. Stefan Zweig schilderte in seinen schon zitierten, 1942 posthum publizierten Erinnerungen Die Welt von Gestern, welche er kurz vor seinem Selbstmord im brasilianischen Exil nicht ohne Wehmut verfasst hatte, die Situation wie sie viele nach 1918 empfanden : […] Österreich, das nur noch als ein ungewisser, grauer und lebloser Schatten der früheren kaiserlichen Monarchie auf der Karte Europas dämmerte. Die Tschechen, die Polen, die Italiener, die Slowenen hatten ihre Länder weggerissen ; was übrig blieb, war ein verstümmelter Rumpf, aus allen Adern blutend.79
Neben der massiven Identitätskrise war die junge Republik Österreich mit den p olitischen und ökonomischen Folgen eines verlorenen Krieges konfrontiert. Das hatte auch Auswirkungen auf den Kunstmarkt bzw. die Kunstszene. Anders als nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Ende der NS-Diktatur und dem Holocaust waren nach 1918 die Akteure der Kunstszene weitgehend dieselben geblieben. Dennoch hatte sich deren Aktionsradius massiv verändert und somit auch deren Orientierung. Die Selbstbezeichnung Deutschösterreich, die nach den Verträgen von Saint Germain 1919 verboten war, versinnbildlicht, was für die maßgeblichen Kreise des Kulturlebens der Ersten Republik galt.80 Die 1920er-Jahre brachten zumindest wirtschaftlich eine vorübergehende Konsolidierung Österreichs, welche nach längeren internationalen Verhandlungen u. a. mit der Einführung einer eigenen Währung, dem Schilling, einherging. In politischer Hinsicht verschärften sich jedoch allmählich die Gegensätze zwischen dem bürgerlichen und dem sozialistischen Lager. Eine Lagerbildung war auch bei der Kokoschka-Rezeption gegeben, die sich aber nicht zwingend an parteipolitischen Ausrichtungen festmachen lässt. Die wesentlichen Akteure waren nach wie vor die alten, polarisierten Lagervertreter – also seine bekannten, quasi bedingungslosen Fürsprecher und seine ebenso »treuen« Gegner. Auch wenn die Auseinandersetzung über kunstimmanente Faktoren verlief, so wurden zunehmend politische Motive in die scheinbar unpolitischen Kunstkritiken eingeflochten. Kokoschka und sein Werk wurden immer öfter im »Österreichischen« verortet, was sich in der 78 Mück 2003, S. 166. 79 Zweig 1996, S. 321. 80 Vgl. Bruckmüller 1996.
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offiziellen Ausstellungspolitik bzw. in den (de facto nicht realisierbaren) Erwerbungswünschen der staatlichen Museen zeigte. Diese durchaus ambivalente Anerkennung mündete kulturpolitisch in einer Vereinnahmung, die im »Ständestaat« an Bedeutung gewann. Parallel dazu kam es zu einer schleichenden Bedeutungsverschiebung bei den ultrakonservativen Kritiken. Deren Diffamierungen erhielten einen zunehmend faschistoiden Unterton und fanden in die nationalsozialistische Propaganda ihren Eingang. Die Politisierung war nicht nur ein passiver Prozess, der Kokoschka zum Spielball bzw. zur Zielscheibe verschiedener Interessen machte. Er selbst entwickelte politische Sensibilität, die sich in seiner Kunst sowie in seinen Schriften bemerkbar machte. »Österreichs berühmtester Maler« im Visier der »Völkischen Beobachter« Nach 13 Jahren ohne bedeutende Wiener Ausstellung fanden 1924 gleich mehrere Kokoschka-Präsentationen statt. Zunächst eröffnete am 24. Juni die Ausstellung Oskar Kokoschka – Aquarelle, Handzeichnungen und Graphik in der von Otto Nirenstein wenig zuvor eröffneten Neuen Galerie.81 Die Reaktion der heimischen und internationalen Presse war umfangreich und vielfältig, wobei alle Kritiker in Kokoschka einen mittlerweile arrivierten Künstlers sahen, der sowohl als deutscher wie als österreichischer Exponent besprochen wurde. Der österreichische Kunsthistoriker Max Eisler (1881 – 1937) zählte ihn »neben Klimt und Schiele sicher zu den österreichischen Meistern des 20. Jahrhunderts«.82 Hermann Menkes (1865 – 1931) erkannte in seiner differenzierten Besprechung in den Zeichnungen Kokoschkas die »allererste Meisterschaft« und machte seine Wertschätzung u. a. an zwei Charakteristika fest, die bei der Kokoschka-Rezeption auch in der Nachkriegszeit (sowie bei der Einschreibung in die österreichische Kunstgeschichte) von großer Bedeutung sein sollten : die Ablehnung der Abstraktion und das Naheverhältnis zu den Alten Meistern : »Wir wissen heute, daß dieser oft hypersensible Künstler, der als Umstürzler verschrien wurde, niemals der Abstraktion und der völligen Vernichtung der Tradition huldigte, daß seine Beziehungen zu Greco, Tintorettound Cézanne reichen.«83 James Ensor und Edvard Munch wurden als jüngere Ahnen evoziert. Menkes ging auch dezidiert auf das getrübte Verhältnis zwischen Kokoschka und Wien ein und sprach von einer zögernden Rückkehr : »Tief erbittert hat Oskar Kokoschka diese Stadt vor Jahren verlassen. Er war das Opfer eines banales Schönheitskults, erregte den Haß mittelmäßiger Salonkünstler, die in Wien sich jetzt noch breit machen und ihr Unwesen treiben.«84 Damit war zweifellos der schon erwähnte Adalbert Franz 81 Kallir/Bisanz 1986, S. 8. 82 Max Eisler, in : Der Tag, 10.7.1924, S. 7. 83 Hermann Menkes, Zwei Ausstellungen. Oskar Kokoschka – Uriel Birnbaum, in : Neues Wiener Journal, 27.6.1924, S. 5. 84 Ebd.
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7 : Oskar Kokoschka, Der Maler II (Maler und Modell II), 1923, Öl/Leinwand, Saint Louis Art Museum, Vermächtnis Morton D. May
Seligmann gemeint. Selbst dieser musste die allgemeine Etablierung Kokoschkas wohl oder übel akzeptieren, wenn auch nicht gutheißen. So modifizierte er seine Taktik des Frontalangriffs, indem er sich angesichts der Vertreter neuerer Richtungen, die »in der willkürlichen Verfratzung und im Betonen des Abstoßenden, Ekelerregenden noch viel weiter« als Kokoschka gingen, scheinbar enttäuscht über das Ausgestellte zeigte.85 Im September 1924 eröffnete die von Hans Tietze und der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst veranstaltete Internationale Kunstausstellung in der Wiener Secession. Kokoschka war mit drei Gemälden vertreten, darunter das 1923 in Dresden entstande nen Bild Der Maler (II), welches das Selbstporträt von 1910/1912 als Bildzitat zeigt (Abb. 3, 7).86 Bei der betont international orientierten Schau war Kokoschka der einzige österreichische Vertreter neben Max Beckmann, Otto Dix, George Grosz, Marc Chagall, Wassily Kandinsky, Paul Klee, Fernand Léger, Pablo Picasso, Piet Mondrian u. a. Zeitgleich konnte man zwei Gemälde Kokoschkas im Wiener Künstlerhaus bei der Österreichi85 A. F. S.[eligmann], Kunstausstellung in der »Neuen Galerie«, in : Neue Freie Presse, 4.7.1924, S. 9. 86 Internationale Kunstausstellung, Secession, Wien, 11.9. – 20.10.1924.
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schen Kunst-Ausstellung 1900 – 1924 sehen.87 Wenig später, am 13. Oktober, öffnete in Nirensteins Neuer Galerie die zweite Einzelausstellung unter dem Titel Oskar Kokoschka, II. Teil : Gemälde der Zeit 1907 – 1915, die vorwiegend auf Bestände von Wiener Sammlern wie Adolf Loos und Oskar Reichel zurückgriff. Die heimischen und internationalen Pressestimmen waren durchwegs positiv, darunter auch amerikanische Kritiken, waren voll des Lobes.88 Seligmann artikulierte erneut seine Enttäuschung über den »abgeklärten« OK, attestierte »Spuren zeichnerischen Könnens«, die er allerdings auf dessen »Karikaturtalent« zurückführte.89 Zudem tat sich eine neue Facette auf, die sich in der negativen Moderne-Rezeption zeigt, nämlich die Unterstellung dubios-kapitalistischer Preistreiberei durch den Kunsthandel. So wurden etwa die Impressionisten nach jahrelangem Spott bei zunehmendem Erfolg von den konservativen Kritikern, darunter auch der austrofranzösische Kritiker Max Nordau – er hatte den Begriff der »Entartung« für die Kunst eingeführt – , weniger oder kaum mehr wegen ihren künstlerischen Arbeiten selbst verurteilt. Vielmehr prangerte man die wirtschaftlichen Machenschaften, den »Schwindel« rund um die auch am Kunstmarkt erfolgreichen Künstler an.90 Seligmann mutmaßte eine »Verhöhnung des Publikums« aus dessen Ahnungs- und Verständnislosigkeit Kapital geschlagen werde. Ins selbe Horn blies der Feuilletonist und Humorist Ludwig Hirschfeld, der zu dem Gemälde Der Maler II (Maler und Modell II) ein Spottgedicht verfasst hatte : O Kokoschka, o Kokoschka ! Ja, sag mir nur, was malst du da ? So sieht es aus in deinem Atelier ? Das tut mir in der Seele, in den Augen weh. Den Maler kenn’ ich, ohne Spaß, Aus der Rubrik : »Wer weiß etwas ?« Auch das Modell geschoren bis auf ’s Bein, Muß ganz wo anders schon »gesessen« sein. Die Dame rechts hat wohl das Bild bestellt ? Die richtige Frau Spießer. Sie wartet drauf und wird »zusehends« mieser. O Kokoschka, o Kokoschka. Du bist Professor, Dichter, ja ! Als Maler aber bist du Humorist 87 Österreichische Kunst-Ausstellung 1900 – 1924, Künstlerhaus Wien, 18.9. – 29.10.1924, vgl. Winkler/Erling 1994, S. 155. 88 Vgl. Held 2011, S. 95f. 89 A. F. S.[eligmann], Kunstausstellung in der »Neuen Galerie«, in : Neue Freie Presse, 20.10.1924, S. 5. 90 Vgl. Huemer 2013 ; Levine 1976.
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Und weißt genau, was jetzt verblüffend und rentabel ist. Je mehr man blufft, je mehr wird erst dafür gezahlt. Die Welt verdient es, daß man ihr was – malt !91
Abgesehen von den schon bekannten Angriffen und den Anspielungen auf ein kriminelles Umfeld des Modells, das »gesessen« sei, kommen die »rentablen« Geschäfte des Kunsthandels zur Sprache. Unterstellt wird ein Täuschungsprozess, der statt »wahrer« Kunst des Kaisers neue Kleider verkaufen wolle – als Renditen maximierende Spekulationsware am Kunst- und Kapitalmarkt. Ein großer Bluff, den aufzudecken besagte Kritiker nicht müde werden wollten. Noch sind keine antisemitischen Untertöne zu hören, doch ließen diese nicht lange auf sich warten. Derartige Kritiken leisteten in unterschiedlichen Genres, von theoretischen Abhandlungen bis hin zur scheinbar leichtfüßigen Satire der NS-Diktion rund um die »Entartung« in der Kunst und im Kunstbetrieb Vorschub. Die Kommentare der Nationalsozialisten etwa bei der Ausstellung Entartete Kunst (ab 1937) sind nicht der Anfang, sondern der Kulminationspunkt der Hetze.92 Eine Woche nach der Eröffnung stand die OK-Schau erneut im Fokus des öffentlichen Interesses : am 23. Oktober 1924 wurde in der Neuen Galerie ein KokoschkaGemälde mit Messerstichen beschädigt. Über Wochen hinweg fanden sich Meldungen und Karikaturen in der Presse, die über den unbekannt gebliebenen Attentäter, seine Motivation bzw. Abneigung gegen moderne Kunst und nicht zuletzt Kokoschkas Reaktion berichteten.93 Der BekcKünstler sah sich einmal mehr in der Rolle des Opfers des Wiener Kunstpublikums und verfasste am 25. Oktober einen öffentlichen Brief an seinen Galeristen Otto Nirenstein : Sehr geehrter Herr Nirenstein ! Erbittert über die boshafte Beschädigung eines meiner wichtigsten Jugendwerke bitte ich, weil ich nicht den Sachwert meiner Bilder zu schätzen habe, was Sache der betreffenden Besitzer ist, für mich das Recht in Anspruch nehmen zu dürfen, so lange hier Narren frei herumlaufen, mein geistiges Eigentum vor der Oeffentlichkeit zu wahren.
91 Ludwig Hirschfeld, [o.T.], in : Moderne Welt, H. 1/1924, S. 19. 92 Die Gratwanderung zwischen anti-moderner und antisemitischer Haltung verlangt eine differenzierte Betrachtung. Vereinzelt waren es auch prominente jüdische Kunstkritiker wie z. B. Max Nordau (1949 – 1923), Mitbegründer der Zionistischen Bewegung, oder eben Adalbert Franz Seligmann und Ludwig Hirschfeld, die der Entwicklung der NS-Diktion Vorschub leisteten. Vgl. Max Nordau, Entartung, 2 Bde., Berlin (Duncker) 1892 – 1893 ; vgl. Ludwig Hirschfeld, Wien in Moll : ausgewählte Feuilletons 1907 – 1037, hg. von Peter Payer, Wien (Löcker) 2020. 93 Am selben Tag wurde das Gemälde Selbstbildnis vor rotem Vorhang von Max Beckmann in der Wiener Secession mit einem Messer attackiert. Auch hier blieb der Täter unerforscht. Vgl. Held 2011, 96 – 105.
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Ich habe in anderen Ländern Beschädigungen meiner Bilder, Attentate gegen meine Bühnenaufführungen und gegen meine Person erlebt. Dann aber waren es immer abnorme Personen, deren Ohnmacht sich ebenso gegen andere Objekte der menschlichen Kultur erbost hätte. Der vorgekommene Fall aber ist, soweit meine persönliche Erfahrung erkennt, symptomatisch für ein steriles Herostratentum einer ganzen Gesellschaft, das genährt wird von einer dem Schöpferischen abholden Presse, die 1907 gegen dieselben Bilder in der Kunstschau zu greifen begann, während das Publikum dieselben verunreinigte ; die mich, so oft ich hier an Schulen für Kinder, Lehrlinge, Kunststudenten gleichwohl als Lehrer zu wirken versuchte, den Behörden denunzierte. Bis einer Künstlervereinigung gar das Lokal zur Strafe für eine Ausstellung von mir weggenommen wurde (1911), was meine Auswanderung erzwang, worüber dieselbe Presse mit der Prämierung meiner Epigonen triumphierte. Seither hat man mich gegen alle Ueberredungsversuche von seiten [sic !] meiner Freunde, an einen Wandel glauben zu wollen, taub gestellt und Sie, meiner [sic !] Lieber, als Sie die Ausstellung eröffneten, vor einem schlimmen Endeffekt gewarnt. Ich bitte Sie nun freundlich zu veranlassen, daß sowohl Ihre Ausstellung, wie auch aus der Sezession [sic !], dem Künstlerhaus und Rathaus sofort alle Bilder meiner Hand ihren Besitzern zurückgestellt werden mögen. Mit dem Ausdruck meiner freundlichen Gesinnung gegen Sie, bester Herr Nirenstein, Oskar Kokoschka m.p.94
Kokoschka war ein Meister der Rhetorik, der sich Tatsachen unterzuordnen hatten. In dem offenen Brief belegt er seinen Opferstatus mit einer Fülle von »Fakten«, die im Laufe der Zeit kanonisiert wurden und mit manchen Halb- und Unwahrheiten teilweise noch die aktuellen Kokoschka-Rezeption prägen. Kokoschka ging stets salopp mit Jahreszahlen um (Vordatierung : 1907) und verknüpfte oftmals nicht zusammenhängende Fakten : die Schließung der Zedlitzhalle (Hagenbund) war schon lange vor der OK-Schau 1911 geplant, Kokoschka war nicht zur »Auswanderung« gezwungen, sondern hatte bis zum Ersten Weltkrieg in Wien seinen Lebensmittelpunkt. Die Bitte um Entfernung bzw. »Sicherstellung« seiner Bilder in den aktuellen Ausstellungen und an anderen Orten war bar jeder Umsetzungsmöglichkeit. Doch zurück zur Reaktion auf Kokoschkas Statement. Der wohlwollende Max Ermers warf ihm vor, mit »dem kindischen Brief« und der Pauschalverurteilung mehr Schaden angerichtet zu haben, als am realen Bild geschehen sei.95 Das Neue Wiener Journal, das Kokoschkas Brief komplett abgedruckt hatte, nahm ihm die »Schmähung des Wiener Publikums« übel : »Kokoschka kann sich über Wien nicht gerade beklagen, weil seine künstlerische Begabung hier entsprechend Anerkennung gefunden hat.«96 Paul 94 Kokoschka aus Wien abgereist. [Brief Kokoschkas an Otto Nirenstein], in : Neues Wiener Journal, 26.10. 1924, S. 4. 95 M.E. (Max Ermers), Unnütze Kokoschka-Aufregungen, in : Der Tag, 3.11.1924, S. 2. 96 Kokoschka aus Wien abgereist, in : Neues Wiener Journal, 26.10.1914, S. 4.
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Westheim sprang (wenig verwunderlich) für den Künstler in die Presche. Er hatte sich über die Bitte Nirensteins nach dem Attentat, die Identität des Bildes (Spielende Kinder, 1909) und dessen Besitzer (Adolf Loos) zu verschweigen, hinweggesetzt und berief sich in seinem Artikel Der »Kindermord« oder Kokoschka und Wien auf ein Gespräch mit OK : Dieser habe erklärt »die Leute in Wien seien noch nicht reif für eine Ausstellung seiner Arbeiten«, die ihn höchstens als »Klimtschüler« titulierten oder ihm den »Stil des Schiele« nachweisen wollten.97 Andere Zeitungen berichteten, dass Kokoschka nach Paris verreist sei, wo er in einem Interview sagte : »Der Zwischenfall in Wien brachte mich auf den neuen Weg, den ich in Kürze beschreiten werde. Mit Deutschland und Österreich bin ich auf weiteres fertig.«98 Einen Tiefpunkt der Kommentare lieferte einmal mehr Adalbert F. Seligmann, der für Kokoschka inzwischen zur Personifizierung der Wiener Kritikerhetze wurde : Selig mann kommentierte unter dem Titel Messerstecher und Kunstsalon, dass die Polizei davon ausgehe, »dass Einer für sich das vermeintliche Recht in Anspruch nahm, beleidigtes ästhetisches Empfinden, verletztes Schönheitsgefühl durch einen Bubenstreich zu rächen.«99 Indirekt argumentierte er, dass die Werke selbst zu solcher Tat provozierten und eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellten. Und weiter : »So verständlich die Abneigung ist, sich verhöhnen und frozzeln zu lassen, so ärgerlich es für den Mann aus dem Publikum sein mag, wenn ihm der Maler zu verstehen gibt, daß er ihn für einen ausgemachten Kretin hält […].« Kokoschkas Hinweis auf den antiken Hero strat, der aus Ruhmsucht im 4. Jahrhundert v. Chr. den Artemis-Tempel in Ephesos angezündet hatte, schmetterte mit dem Kommentar ab, dass in diesem Fall der Täter offensichtlich unerkannt bleiben wollte und außerdem sei es »höchst unwahrscheinlich […], dass sich die ›Nachwelt‹ überhaupt mit Kokoschka befassen werde.«100 Auch wenn die Internationale Sammler-Zeitung feststellte, »dass ein ›spezieller‹ Kritiker« in Wien schon lange nicht mehr ernst genommen werde«, so fielen Seligmanns sich wiederholende Argumente in fataler Weise auf fruchtbaren Boden. In dieselbe Kerbe wie Seligmann schlug der Wiener Kritiker und Humorist Rudolf Herrmann (1876 – 1963) mit einer Karikatur. Unter dem Titel Bilder von Kokoschka wurden von einem Unbekannten durch Messerstiche und Unrat beschädigt zeigte er den Maler vor dem schon von Ludwig Hirschfeld mit Spottversen bedachten Der Maler II (Maler und Modell II). Dabei spielt es keine Rolle, dass nicht das tatsächlich beschädigte Bild gezeigt wurde. Denn hier stand niemand anderer als Kokoschka selbst am Pranger (Abb. 8). Die Bildunterschrift erklärt den (Un-)Geist hinter der Karikatur : »Kokoschka : Wie soll ich 97 Paul Westheim, Der »Kindermord« oder Kokoschka und Wien, in : 8 Uhr Abendblatt, Berlin, Anfang November 1924 sowie in : Dresdner Nachrichten, 4.11.1924, zit. Held 2011, S. 101. Vgl. Spielende Kinder (FOK CR 1909/14). 98 Kokoschka geht und nimmer kehrt er wieder…, in : Prager Tagblatt, 11.11.1924, S. 7. 99 [Adalbert F. Seligmann], Messerstecher und Kunstsalon, in : Neue Freie Presse, 26.10.1924, S. 8. 100 Ebd.
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jetzt meine Bilder reparieren, wenn ich nicht weiß, welcher Dreck von mir und welcher von dem anderen ist.« Die angebliche Beigabe von »Unrat« bei dem Attentat war eine Erfindung des Autors : Die Schmutz-Metapher ist im Kontext der Karikatur zweideutig, im (kultur-) politischen Sinne jedoch eindeutig.101 Eindeutig hatte sich Herrmann schon in der im Mai 1924 publizierten Karikatur Das expressionistische Porträt geäußert, die einen Kunstsammler mit wechselnden Gesprächspartnern zeigt (Abb. 9). Als vermeintliches Porträt des Sammlers erscheint Kokoschkas 1923 entstandenes, kubistisch anmutendes Selbstbildnis von zwei Seiten, das in der vierten Bildtafel als »Mißgeburt mit einem Nasenloch« desavouiert wird. Max Eisler bemerkte zu Herrmanns Karikatur in beinahe unheimlicher Voraussicht auf Kommendes : »Die Wühlarbeit langer Jahre trägt jetzt ihre Frucht. Die moderne Kunst ist Freiwild geworden […].«102 Die Gegenreaktion ließ nicht lange auf sich warten. Herrmann entgegnete in einem Artikel Der Expressionismus und seine Helfershelfer.103 In Seligmannscher Manier stellte er fest, dass diverse Tendenzen der Kunst hinausliefen »auf 8 : Rudolf Herrmann, Bilder von Kokoschka den Bluff, auf den eklatanten Betrug am Publiwurden von einem Unbekannten durch kum, dem eingeredet wird, daß es zu dumm sei, Messerstiche und Unrat beschädigt – Kokoschka : Wie soll ich jetzt meine Bilder reparieren, wenn um wirkliche Kunst zu verstehen und daher das ich nicht weiß, welcher Dreck von mir und welcher als Kunst zu betrachten hat, was ihm von […] von dem anderen ist. Karikatur, Wiener SonnKunstgelehrten als Kunst eingeredet wird.« und Montags-Zeitung, 3. November 1924, S. 5 Weiter : »Kokoschka und seine ›Epigonen‹ fabrizieren« Arbeiten, also Porträts, bei denen »der Arzt wahrscheinlich Verbrennungen 101 Möglicherweise griff Herrmann bewusst auf die unklare Formulierung Kokoschkas in seinem offenen Brief vom 26. Oktober 1924 zurück (»[…] während das Publikum dieselben verunreinigte«). Herrmanns Motivation zum Aufgreifen dieses »Missverständnisses« liegt jedoch auf der Hand. 102 M. E. [Max Eisler], Gegen die Kunst, in : Der Morgen, 17.11.1924, S. 6 und Max Eisler, Rudolf Hermann und Oskar Kokoschka, in : 1.12.1924, S. 9. 103 Rudolf Herrmann, Der Expressionismus und seine Helfershelfer, in : Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 24.11.1924, S. 5f. und 29.12.1924, S. 7 ; vgl. auch Held 2011, S. 99f.
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9 : Rudolf Herrmann, Das expressionistische Porträt, in : Götz von Berlichingen, 23. Mai 1924, OKD (OKZ)
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dritten Grades, Lupus, Lues oder Lepra« konstatieren würde.104 Die Ereignisse rund um die Ausstellungen 1924 verdeutlichen, dass die konservative, anti-moderne Kritik, die »Wühlarbeit«, Schritt für Schritt in eine propagandistisch motivierte Hetze überging. Herrmanns Arbeiten sind symptomatisch für diesen in den 1920er-Jahren manifester werdenden Prozess. Später sollte Herrmann nota bene als Gestalter des Plakats für die Ausstellung Entartete Kunst auftreten.105 Im Kontext der faschistischen Hetzkampagnien gegen Kokoschka erscheint eine Trennung in eine deutsche und eine österreichische Rezeption geradezu absurd. Der Übergang von der konservativen, anti-modernen Kritik in eine nationalsozialistisch-faschistische war fließend. 1928 erschienen Kommentare des Kampfbunds für deutsche Kultur über die »Schmierereien Kokoschkas« sowie Paul Schultze-Naumburgs Pamphlet Kunst und Rasse mit Anfeindungen gegen seine »artfremden« Werke. Schon im Herbst 1930 erfolgten »Säuberungen des Weimarer Museums vom Kulturbolschewismus«, wobei im Schlossmuseum Weimar Lithografie-Zyklen (Der gefesselte Kolumbus und Bach-Kantate) abgehängt und magaziniert wurden.106 Auch auf die Diffamierungen Alfred Rosenbergs von Kokoschkas Werken als »bastardische Ausgeburten, erzeugt von geistiger Syphilis und malerischem Infantilismus« in der legendären, unzählige Male wiederaufgelegten Schrift Der Mythos des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit (1930) ging der Künstler in der Zeit nie explizit ein. Hitlers Machtergreifung im Jänner 1933 zeigte seine baldige Wirkung. Im Frühjahr des Jahres musste in Dresden der Museumsdirektor und Kokoschkas früherer Weggefährte, Hans Posse, bald auch Kurator für Hitlers Führermuseum, die Gemäldesammlung »säubern«, darunter Arbeiten Kokoschkas ; wenige Monate später kam es in der Stadt an der Elbe zu einer frühen Version der Ausstellung Entartete Kunst.107 Als kulturelle Vorfeldorganisationen der Nationalsozialisten wurden in Wien 1930 die Neue Gilde, Vereinigung zur Förderung deutscher Kunst und Kultur sowie der Verband nationalsozialistischer Künstler als Untergruppe des schon erwähnten Kampfbundes für deutsche Kultur gegründet. »Hakenkreuzler-Strömungen in der Secession« wurden schon 1932 festgestellt, wobei einzelne Mitglieder im Jahr zuvor bekundeten, dass »eine Künstlervereinigung ohne Juden (für Wien eine sehr beachtliche Leistung)« sei.108 Im Dezember 1933 wurde in der Linzer Alpenländischen Morgen Zeitung unter der Schlagzeile Jüdischer Terror in der Kunst ein nicht namhaft gemachtes »hervorragendes Mitglied der Innviertler Künstler-Gilde, des Künstlerbundes März und des Kunstvereins Salzburg« zitiert : 104 Ebd. 105 Herrmann gestaltete die Plakate nachweislich für die Entartete Kunst-Schau für Hamburg 1938, Chemnitz und Wien 1939, vgl. u. a. Barron 1991, S. 102f. 106 Vgl. Mück 2003, S. 174. Vgl. Paul Schultze-Naumburg, Kunst und Rasse, München (Lehmann) 1928. 107 Mück 2003, S. 179. Zu Hans Posse vgl. Lupfer 2015, Schwarz 2014. 108 Vgl. Forsthuber 1988, S. 34f. Zur Secession bis 1945 vgl. Nierhaus 1986.
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Wir erleben jetzt den Fall, daß alle von Deutschland ausgeschifften Juden und Judenprotegés bei uns landen, und von der Asphaltpresse hinaufgelobt werden – bis sie in Staatsstellen landen […]. Jetzt propagiert man Kokoschka, nachdem er in Dresden als Akademieprofessor kaltgestellt wurde, als kommenden Direktor der Kunstgewerbeschule ! Man mag im Zeitalter der individuellen Kunst und Kunstgestaltung auch Herrn Kokoschka Geltung und Wirksamkeit zubilligen – gewiß ; aber an die Spitze eines Kunsterziehungsinstitutes gehört er wahrlich nicht.109
Die Etablierung des NS-Regimes in Deutschland hatte deutschnational Gesinnte und Nationalsozialisten in Österreich zunehmend mutig werden lassen, ihre Meinung ungefiltert öffentlich kundzutun. Kokoschka, einmal mehr als »Judenprotegé« verunglimpft, hatte schon einige Jahre zuvor seine Dresdner Professur im Einvernehmen mit der Akademie gelöst. Die Anspielung auf die Wiener Kunstgewerbeschule steht im Zusammenhang mit deren zeitgleichen Ausschreibung des Direktionspostens, für den sich auch Kokoschka beworben hatte. Viktor Matejka beschrieb in seinen Erinnerungen eine Wiener Versammlung der Nationalsozialisten, bei der Alfred Frauenfeld, der spätere Gauleiter von Wien und langjährige NS-Kulturfunktionär, eine Brandrede gegen die Moderne unter dem Gesichtspunkt der »jüdischen Zersetzung« hielt : »Er wettere gegen die ›jüdischen Flachdächer, die aus Palästina stammen und jetzt Wien schänden‹. Für ihn war Loos ein ›jüdisch-dekadenter‹ Architekt, und als er auf den ›Menschenzerstörer, den jüdisch verseuchten Kokoschka‹ zu sprechen kam, da tobte der Saal im ›Auge Gottes‹.«110 Isolation versus Aussöhnung. Kokoschka und Wien um 1930 Die Rezeption Kokoschkas in den frühen dreißiger Jahren war äußerst ambivalent, wenn nicht sogar widersprüchlich. Das kulturelle Klima Wiens war und blieb sehr konservativ, die extremen Stimmen fanden ihr Echo zunehmend in faschistischer Hetze bzw. gingen in ihr auf. Zugleich berief man sich in der Zwischenkriegszeit, wo sich das offizielle Österreich gerne als Kulturland darstellte auf erfolgreiche Landsmänner (und in Ausnahmen auch -frauen). Kokoschka zählt zweifellos zu ihnen. In manchen kulturpolitisch relevanten Kreisen, darunter v. a. offizielle Ausstellungskommissäre, wurde er förmlich hofiert, da man sich seines Status im europäischen Kontext bewusst war – eine Haltung, die sich auch 1945 nicht ändern sollte. In der affirmativen Kritik wurden bekannte Be109 Anonym, Jüdischer Terror in der Kunst, in : Alpenländische Morgen-Zeitung, 21. Dezember 1933, S. 4. 110 Matejka 1991, S. 201. Zu Alfred Frauenfeld (1898 – 1977) vgl. Klee 2003. Das Haus »Auge Gottes« in der Wiener Nußdorferstraße diente mit seinem großen Saal u. a. für Veranstaltungen der NSDAP, vgl. Stefan Winterstein, Das »Auge Gottes«. Abriss zur Geschichte einer Wiener Gast- und Vergnügungsstätte, in : Das Heimatmuseum Alsergrund, Mitteilungsblatt des Bezirksmuseums Alsergrund, H. 168, 43. Jg., S. 3 – 27.
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ziehungsmuster des von seiner Heimatstadt Geschmähten in hartnäckiger Redundanz wiederholt. Dabei handelt es sich um ein Ritual, bei dem mehr oder weniger die gleichen »Beschwörungsformeln« verwendet wurden. Bei fortwährender Wiederholung kam es zu einer Verfestigung der Handlungen bzw. der Argumente. Zugleich weiß man, dass bei langdauernder Praxis über die z. B. wechselnden politischen oder ökonomischen Bedeutungszusammenhänge Rituale einem Wandel unterworfen sind.111 So wird in der österreichischen Presse ab den 1920er-Jahren zum wohlwollenden, zunehmend patriotisch-stolzen Grundtenor oft die (»selbstgewollte«) isolierte Sonderstellung des Künstlers betont und bedauert. Darüber hinaus floss eine neue Formel ein : jene des Wunsches nach »Aussöhnung« zwischen Kokoschka und Wien. In das Ritual der Wiener Presse fügen sich die meisten Besprechungen anlässlich der großen Schau Oskar Kokoschka. Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen 1927 – 1932 in der Neuen Galerie im Oktober 1932. Sie wurde als »ein künstlerisches Ereignis, das gewiß nicht ohne bedeutende Anregungen gegeben zu haben, vorübergehend wird« gelobt, zumal man nach langem endlich aktuelle Arbeiten des Künstlers sehen könne.112 Auch im jungen Medien-Genre des illustrierten Lifestyle-Magazins, darunter die Zeitschrift Moderne Welt, berichtete man, dass Kokoschka [seit] einigen Jahren […] in Paris in produktiver Einsamkeit [lebe]. Wien aber beginnt sich seines größten lebenden Malers zu entsinnen. Wir sahen endlich eine Reihe der schönsten Werke aus seinen letzten fünf Jahren. Vielleicht daß dieser Anblick der österreichischen Öffentlichkeit zum Bewußtsein bringt, was ihr Kokoschka bedeuten könnte, wenn er in Wien seinen Wirkungskreis hätte. Die Folgerung daraus ist unschwer zu ziehen. Wird sie zur Tat werden ?113
In Artikeln wie diesen artikulierte sich die (nicht erst) seit 1918 latente Haltung, dass Österreich nicht mehr Zentrum, sondern Provinz des kulturellen Europas geworden sei ; ein Land, das nicht mehr über genug Anziehungskraft verfüge, selbst die »eigenen, großen Söhne« binden zu können. Dahinter stand das zerrüttete Identitätsbild eines zum Zwergstaat geschrumpften Österreichs. Eine Zusammenfassung der gängigen Beziehungsmuster bietet die Besprechung des bekannten Wiener Kritikers Hans Ankwicz-Kleehoven (1883 – 1962). Er stellt bei der Würdigung der Werke fest, dass sich 111 Vgl. Belliger 1998. 112 A.M. [Alfred Markowitz], Ausstellung Oskar Kokoschka, in : Arbeiter-Zeitung, 6.11.1932, S. 9 ; Oskar Kokoschka. Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen 1927 – 1932, Neue Galerie Wien, Oktober 1932. Zu sehen waren u. a. Stadtansichten von London, Paris etc., Schweizer und schottische Landschaften, Bilder seiner Nord-Afrika-Reise 1928/29 und einige Tierbilder, darunter Der Mandrill (FOK CR 1926/9) 113 Dr. Wolfgang Born, Oskar Kokoschka, in : Moderne Welt. Almanach der Dame, H. 2, Nov. 1932, S. 16.
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[…] ihr Schöpfer nach wie vor von der Wiener Öffentlichkeit fernhält. Er kann es den Wienern immer noch nicht vergessen, daß sie seinen Aufstieg mit Hohn und Gelächter begleitet haben, statt ihn zu fördern, und will sich nicht neuen Insulten aussetzen. Die hatte er nun wohl nicht mehr zu befürchten, denn inzwischen ist er ein weltberühmter Künstler geworden, dessen Bedeutung sogar die konservativen Kreise anerkennen müssen. Zudem […] ist [er] längst nicht mehr der »wilde Mann«, der einst den braven Bürger [..] aufgeschreckt hat. Demnach wäre der Zeitpunkt für ein besseres Verhältnis zwischen Kokoschka und seiner österreichischen Heimat bereits da, und die bevorstehende, noch ohne Kokoschkas persönliche Mitwirkung zustandegekommene [sic !] Ausstellung wird jedenfalls das ihre dazu beitragen, die gegenseitige Annäherung zu fördern.114
Kokoschkas Isoliertheit oder Distanz vom Wiener Kulturleben ist gerade in den frühen 1930er-Jahren kritisch zu hinterfragen. Sein »Fernbleiben« erklärt sich durch längere Aufenthalte in Deutschland sowie in Paris. Er hielt sich zwar von Künstler-Lobbys, speziell von anderen »gleichrangigen« Malern fern und war in Wien auch nicht über eine Professur akademisch »institutionalisiert«. Dennoch pflegte er, bis 1934 vielfältige Beziehungen. Dazu zählen Salonbesuche bei Eugenie Schwarzwald, Kontakte zu wichtigen Protagonisten des Roten Wien, zu offiziellen (staatlichen) Ausstellungskommissären bis hin zum Österreichischen Werkbund. Der deutsche Kunsthistoriker und Apologet der Moderne Julius Meier-Graefe (1867 – 1935) konnte anlässlich eines Besuchs im Atelier 1931 das Gemälde Wien, Schloss Wilhelminenberg mit Blick auf Wien in statu nascendi begutachten und berichtete für die Frankfurter Zeitung : »Alle Kunstschreiber mit Ausnahme der Wiener behaupten, er sei der größte, der feinste, der erfindungsreichste Maler. […] Oskar Kokoschka sonnt sich in seiner Wiener Verlassenheit«.115 Abgesehen von der Pro-Kokoschka-Propaganda Meier-Graefes, darf nicht übersehen werden, dass die Verkaufs- und Auftragslage in den Jahren der Weltwirtschaftskrise auch für einen so bekannten Künstler wie Kokoschka speziell im weitgehend konservativen Wien schwierig war. Lange war der Künstler von wichtigen deutschen Galeristen vertreten worden, vor allem von Paul Cassirer, der sich jedoch 1926 das Leben nahm. Der folgende Streit mit den Galerie-Nachfolgern Walter Feilchenfeldt und Grete Ring mündete u. a. in öffentlichen Briefen Kokoschkas – dieser hielt sich nur bedingt an Galerie-Verträge nicht zuletzt wegen der selbstauferlegten Versorgungspflicht seiner (Wiener) Familie, die unter permanenter Geldnot litt. Otto Nirenstein wurde vorübergehend in Wien ein Partner, doch die Stadt war kein guter Marktplatz für moderne Kunst. Angesichts der Wirtschaftskrise hatte Nirenstein Ende 114 Dr. Hans Ankwicz-Kleehoven, Die Oskar Kokoschka-Ausstellung in der Neuen Galerie, in : Wiener Zeitung, 10.11.1932, S. 10. 115 Julius Meier-Graefe, Besuch im Wiener Atelier, in : Wiener Brief, Frankfurter Zeitung, 12.11.1931, zit. Calvocoressi 2006 ,S. 226 (bzw. S. 218, Anm. 9).
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1931 eine Ausstellung Moderne Österreichische Malerei organisiert, wo die Käufer in einer Art Auktion den Preis der Werke bestimmen konnten. Kokoschka protestierte heftig dagegen in einem offenen Brief und beklagte als Lockvogel zu gelten, wo er doch «durch seine Kunst im Auslande stets für die Würde der österreichischen Kunst geworben« habe. Der Galerist musste in einer Presseaussendung klarstellen, dass Kokoschkas Arbeiten ohnehin vom »System ›Angebot durch den Käufer‹« ausgenommen seien.116 Die weithin verbreitete These von Kokoschkas Isoliertheit in Wien steht in offenem Widerspruch zu seinem Interesse an bestimmten politischen Prozessen der Ersten Republik aus künstlerisch-intellektueller Perspektive. Dieses artikulierte sich in Briefen, in publizistischem Engagement bzw. einigen (Radio-)Vorträgen mit explizit kulturpolitischem Inhalt, die ihn als gut vernetzten Protagonisten der Kunstszene ausweisen. In der österreichischen Museumslandschaft, damit ist v. a. die Albertina und das Belvedere gemeint, wurde Kokoschka ab 1918 vor allem als Grafiker wahrgenommen. Wenn es zu Erwerbungen kam, dann waren es Ankäufe aus dem Kunsthandel bzw. 1922 sogar einmal eine Schenkung des Künstlers selbst.117 Gerade für die Moderne Galerie (Belvedere) war Direktor Martin Haberditzls bemüht, Kokoschka-Arbeiten zu akquirieren, was bis 1938 nur in drei Fällen gelang. Die katastrophale Budgetsituation versuchte man etwa durch Tauschaktionen zu kompensieren. In den meisten Fällen traten (vor allem deutsche) Galeristen mit dem Museum in Verhandlung, in einzelnen Fällen der Künstler selbst. Aus den erhaltenen Unterlagen spricht die Verzweiflung mit der man bemüht war, neben den gut vertretenen Künstlern wie Schiele, Anton Kolig, Herbert Boeckl etc., vor allem Kokoschka in seinen wichtigsten Werkphasen zu sammeln. Das ehrenwerte Ansinnen änderte aber nichts an der Enttäuschung des Künstlers, dessen Werk in Deutschland schon ab 1910 Eingang in zahlreiche Museen gefunden hatte : OK und nicht zuletzt die österreichischen Museen selbst sahen sich bis weit nach 1945 in einer Bringschuld. Kokoschkas Netzwerk – Alte und neue Freunde Kokoschkas künstlerischer Werdegang war nicht nur von deutschen, sondern auch von einigen einflussreichen Wiener Kritikern, Kuratoren bzw. Kunst-Kommissären, Museumsfachleute und Kunsthändlern maßgeblich begleitet und unterstützt worden. Dazu zählten die Positionierung des Künstlers in lokalen Einzel- und Gruppenausstellungen und bei internationalen Präsentationen zeitgenössischen Kunstschaffens Österreichs bzw. Wiens. Zu den frühesten Beispielen ist die Internationale Ausstellung des Sonder bundes 1912 in Köln zu nennen, wo auch »jüngere Künstler fast aller europäischen 116 Vgl. Forsthuber 1988, S. 33f., Kallir 1986, S. 17. Ähnliche Verkaufsausstellungen gab es in dieser Zeit auch in der Wiener Galerie Würthle. 117 Natter 1996a, S. 10, 62f.
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Kulturländer« zur Teilnahme eingeladen wurden. Kurator der Österreich-Sektion war Hans Tietze.118 Neben einigen heute kaum bekannten Künstlern hatte er Anton Faistauer, Albert Paris Gütersloh, Anton Kolig, Egon Schiele und nicht zuletzt Kokoschka ausgewählt. Letzterer war mit sechs Arbeiten am stärksten vertreten und genoss – in Nachbarschaft zu Werken von Paul Cézanne, Vincent van Gogh, Paul Gauguin, Pablo Picasso oder Ferdinand Hodler – als einziger den Vorzug einer Katalogabbildung. Das Kunsthistoriker-Paar Hans Tietze (1880 – 1954) und seine Frau Erica Tietze-Conrat (1883 – 1958) zählen zweifellos zu den faszinierendsten Persönlichkeiten des Wiener Kunstlebens.119 Über die Vermittlung von Adolf Loos hatte Kokoschka Ende 1909 das berühmte Doppelporträt geschaffen und dazu bemerkt : »Der Herr Doktor sieht aus wie ein Löwe und die gnä’ Frau wie eine Eule.« (Abb. 10).120 Zu diesem Zeitpunkt waren die Tietzes noch ausschließlich mit alter Kunst befasst. Für Hans Tietze kam es 1911 zum Initiationsereignis : » Manchem meiner Generation […] ist die Hagenbundausstellung im Februar 1911, […] einer der stärksten künstlerischen Eindrücke und Erinnerungen geblieben ; dem Schreiber dieser Zeilen ist sie in besonderem Sinn ein persönliches Erlebnis geworden […] sich der alleinigen Kunst, die am lebendigsten aus dem Gegenwärtigen spricht, laut und öffentlich zu bekennen ; durch die Ausstellung, in der Kokoschkas erstem wilden Schwanken entwachsenes Werk zu sehen war, […] bin ich zum Schriftsteller moderner Kunst geworden.«121 Tietzes Position war international ausgerichtet, was sich nicht nur in der Sonderbundschau 1912 niederschlug. In der Literatur zur Moderne in Wien bzw. Österreich wenig rezipiert ist der 1911 in Deutschland entbrannte Vinnen-Konflikt, benannt nach einem deutschen Maler, der gegen den »überbordenden« Import und Ankauf französischer Kunst durch deutsche Museen protestierte. Deutsch-französische Ressentiments, die – wenn auch nicht in derselben Härte – auch in Österreich fruchtbaren Boden fanden, verwoben sich mit einer anti-modernen Haltung. Der Protest wurde von unzähligen Künstlern unterzeichnet. Daraufhin rief Franz Marc zu einem Gegenprotest auf, den in Österreich neben Gustav Klimt und Carl Moll noch Tietze unterzeichnete. Er plädierte für das über nationale Grenzen hinweggehende Zusammensehen von Kunsttendenzen und decouvrierte in subtil-ironischer Weise die chauvinistisch-patriotische Position hinter dem Vinnen-Protest : »Wir dürfen nicht verkennen, dass nationale Vorzüge genauer betrachtet oft internationale Mängel sind, dass das an einem Künstler das Deutsche ist, was nicht die ganze Welt zu würdigen vermag.«122 118 Internationale Kunstausstellung des Sonderbundes westdeutscher Kunstfreunde und Künstler zu Cöln, 25.5. – 30.9.1912. Zu Tietze und der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst vgl. u. a. Caruso 2008. 119 Vgl. Krapf-Weiler 1999 ; Caruso 2015. 120 Krapf-Weiler 1999, S. 66. 121 Hans Tietze, Die bildenden Künste, II. Jg. 1919, S. 139, zit. Krapf-Weiler 1999, S. 76. 122 Zit. Huemer 2013, S. 152, Anm. 54. Vgl. Reinhold 2014, S. 126.
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10 : Oskar Kokoschka, Hans Tietze und Erica Tietze-Conrat, 1909, Öl/Leinwand, The Museum of Modern Art (MoMA), New York.
»Löwe« und »Eule« – vor allem Ersterer – wurden zu treuen Begleitern Kokoschkas. Tietze schrieb zahlreiche Artikel, war Kurator und zugleich Ministerialbeamter, der nach 1918 eine Neukonzipierung der staatlichen Kunstsammlungen vornahm, allerdings frustriert von den Behinderungen 1925 den Staatsdienst verließ. Sein Engagement für die zeitgenössische Kunst, nicht zuletzt für Kokoschka fand im Akademischen Verband ebenso Niederschlag wie in der von ihm begründeten Gesellschaft zur Förderung der modernen Kunst. Sowohl in seinem breiten privaten Umfeld als auch bei öffentlichen Stellen war er bemüht, Ankäufe moderner Kunst anzuregen.123 Der sinnbildlich wie ein Löwe für die Moderne kämpfende Tietze war maßgebend an der Positionierung Kokoschkas als eine der Hauptfiguren der Moderne in Österreich, als einer, der auf internationalem Parkett gleichauf mit der Avantgarde stand, beteiligt. Die Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst veranstaltete die Internationale Kunstausstellung in der Wiener Secession 1924 sowie die Ausstellung moderner Wiener Malerei im Rheinland 1926 in Köln. 1927 ist das Gemeentemuseum in Den Haag die erste Station einer von Tietze verantworteten Wanderschau durch die Niederlande, bei der 15 Gemälde des Künstlers zu sehen waren.124 Hans Tietze, der wie seine Frau einer assimilierten jüdischen Familie entstammte, hatte in den 1920er-Jahre schon antisemitische Anfeindun123 Krapf-Weiler 1999, S. 77. 124 Ausstellung moderner Wiener Malerei im Rheinland, Kunstverein Köln, April 1926 ; Oostenrijksche
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gen erfahren müssen.125 Angesichts des sich verschärfenden (kultur-)politischen Klimas resignierten die Tietzes und widmeten sich ab ca. 1930 wieder zunehmend der Erforschung Alter Meister.126 Der Kontakt zu Kokoschka war inzwischen loser geworden. Erst 1945 traten der in die USA emigrierte Tietze und Kokoschka wieder gemeinsam in Erscheinung. Der Kunsthistoriker hatte einen Abriß einer österreichischen Kunstgeschichte verfasst, dem der Künstler ein Vorwort beistellte.127 Als bittere Randnotiz sei festgehalten, dass Kokoschka weder »Löwe« noch »Eule« in seiner Autobiografie 1971 erwähnt hatte. Intermezzo im Roten Wien Ich habe mein großes Lebensrettungsbild angefangen, aber es ist so ein Huren-Strichregen (wie ist der eigentlich), also so ein andauernder auf- und niedergehender Regen. Nebel und dann wieder Gewitter, dass ich schon zwei Wochen verloren habe. Und ich muß doch erst meine Familie finanzieren, bevor ich weg kann.128
Mit diesen Worten beschrieb Kokoschka den Entstehungsprozess des einzigen Werkes, das eine offizielle österreichische Stelle vor 1945 bei ihm in Auftrag gegeben hatte, nämlich Wien, Schloss Wilhelminenberg mit Blick auf Wien von 1931 (Abb. 11). Hintergrund war das Projekt, Wien-Ansichten von österreichischen Künstlern im Rathaus zu versammeln. Es war nicht Karl Seitz, der sozialdemokratische Bürgermeister der Stadt, sondern David Josef Bach (1874 – 1947), der als spiritus rector fungierte.129 Er war ein Jugendfreund Arnold Schönbergs, überzeugter Sozialist und hatte in Philologie und Philosophie an der Universität Wien promoviert und danach u. a. als Musikkritiker der Arbeiter-Zeitung gearbeitet. Er initiierte 1905 die legendären Arbeiter-Symphonie Konzerte sowie 1906 die Wiener Freie Volksbühne. 1919 wurde er zum Leiter der neugeschaffenen Sozialdemokratischen Kunststelle, wo er sein Engagement fortsetzte, Arbeiterinnen und Arbeitern einen breiteren Zugang zu kulturellen Angeboten zu ermöglichen. Auch die Tietzes und ihr Freundeskreis hatten sich, nicht zuletzt im Rahmen der erwähnten Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst, über die soziale Funktion von Kunst und ihre Vermittlung zur Förderung der Demokratie Gedanken gemachten.130 schilderijen en kunstnijverheid 1900 – 1927, 15.10. – 13.11.1927, u. a. im Gemeentemuseum Den Haag, vgl. Winkler/Erling 1995, S. 156. 125 »Tietze ist Jude und trotz seiner Begabung kaum zu empfehlen, […].«, bemerkte Julius von Schlosser 1926 rund um die Nachbesetzung eines Münchner Lehrstuhls. Zit. Krapf-Weiler 1999, S. 74. 126 Ebd., S. 81. 127 Tietze 1945. 128 OK an Egon und Grete Wissing, Wien, 5.9.1931, in : Briefe II, S. 237 129 Vgl. Calvocoressi 2006. Zu David Josef Bach vgl. Kotlan-Werner 1977. 130 Krapf-Weiler 1999, S. 77. Dass Tietze bei der Vermittlung des Auftrags an Kokoschka 1931 beteiligt gewe-
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Kokoschka und Bach kannten sich vermutlich schon vor 1918, etwa über Schönberg, mit dem OK seit 1909 in Kontakt war. Verbindungen gab es auch über den Kreis an Komponisten und Musikern, mit denen er über den Akademischen Verband verkehrte und nicht zuletzt seine Beziehung zu Alma Mahler und dem weitverzweigten Gustav MahlerUmkreis. Kokoschka hatte bekanntlich sowohl vor als auch nach dem Ersten Weltkrieg etliche Protagonisten der Musikszene porträtiert, darunter auch David Josef Bach.131 Viktor Matejka nannte in seinen Erinnerungen neben Bach als Initiator auch den Kunsthistoriker Ludwig Münz (1889 – 1957).132 Münz war mit Karl Kraus, Adolf Loos und somit auch mit Kokoschka enger befreundet. Er hatte schon in den frühen 1920erJahren als Dozent der Wiener Volkshochschule gewirkt und wenig später in Hamburg in der Kulturwissenschaftlichen Bibliothek Warburg gearbeitet. Seine Promotion an der Universität Hamburg scheiterte aus antisemitischen Gründen. Zurück in Wien war er für die Aufstellung der Antikensammlung im Museum für Kunst und Industrie verantwortlich. Seine Forschungsschwerpunkte lagen in der Niederländischen Malerei, bei Rembrandt, aber auch bei der Kunst von Blinden. Als (jüdischer) NS-Gegner musste er 1938 fliehen, rettete den Loos-Nachlass und war im Londoner Exil ein Unterstützer Kokoschkas.133 1946 nach Wien zurückgekehrt wurde er Direktor der Gemäldegalerie an der Akademie der bildenden Künste und ein wichtiger Akteur im österreichischen Beziehungsgeflecht rund um Kokoschka.134 Kokoschka war im Herbst 1931 nach einem längeren Aufenthalt in Paris nach Wien zurückgekehrt. Seine Arbeiten waren schwer am französischen Kunstmarkt zu etablieren. OK lag im Streit mit seinen deutschen Galeristen und die Wirtschaftskrise, die der Börsenkrach von 1929 in Gang gesetzt hatte, war omnipräsent. Der Schuldenberg sen sein könnte, ist kaum anzunehmen. Moll spielte vielleicht bei der geschäftlichen Abwicklung eine Rolle : OK erwähnte Moll gegenüber in einem Brief »das Bild, das Du der Gemeinde Wien seinerzeit verkauft hast«, das »in einer Rumpelkammer […], in einem Amtszimmer verschimmelt« und doch besser verkauft werden sollte, an Institutionen, die es zu schätzen wüssten, was obendrein »den sicher nicht übervollen Kulturpropagandasäckel« füllen könne. Vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 34.24, OK an Carl Moll, 7.4.1935. 131 OK hatte Bach 1923 in einer Kreidzeichnung porträtiert (Wien Museum). Aus der Wiener Szene enstanden Bildnisse u. a. von Arnold Schönberg (FOK CR 1924/2), Egon Wellesz (FOK CR 1911/8) und von Anton von Webern (FOK CR 1914/10), der 1922 die Leitung der Arbeiter-Symphonie Konzerte von Bach übernommen hatte. 132 Dass Viktor Matejka für die Initiative verantwortlich gewesen wäre, wie Sultano behauptet, ist auszuschließen. Es finden sich dazu keine Quellen. Matejka war zu dieser Zeit nicht in der Position, derartige Aufträge zu veranlassen. Vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 34. Zu Bach und Münz : Matejka 1991, S. 208. 133 OK traf Münz schon in seinen ersten Tagen im Exil und war unter anderem mit Antoine Graf Seilern bekannt, der später Auftraggeber Kokoschkas werden sollte. Münz hatte sich gemeinsam u. a. mit dem Maler Gerhart Frankl auch für andere potentielle österreichische Exilanten, wie die Kunsthistoriker Otto Demus oder Fritz Novotny (welcher letztlich aus familiären Gründen während der NS-Zeit in Wien blieb) über seine Kontakte zum Warburg bzw. dem Courtauld Institut (Seilern) stark gemacht, vgl. Lachnit 1998, u. a. S. 225 – 230. 134 Auch Münz fand keine Erwähnung in Kokoschkas Autobiografie 1971.
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11 : Oskar Kokoschka, Wien, Schloss Wilhelminenberg mit Blick auf Wien, 1931, Öl/Leinwand, Wien Museum.
des Künstlers, wie man von seinen Briefen weiß, war erdrückend. Zudem sah er sich für die Versorgung seiner alten Mutter und seines arbeitslosen Bruders verantwortlich.135 Die Ansicht von Wien, welche gleich nach Kokoschkas Rückkehr beauftragt wurde, war daher tatsächlich ein »Lebensrettungsbild«. Es blieb als offizielles Auftragswerk ein Einzelfall, die Reaktionen von verschiedenen Stadtvätern, nicht zuletzt von Bürgermeister Seitz, machen deutlich, dass es großer Überzeugungskraft im Vorfeld gebraucht hatte. Matejka schilderte ein Gespräch mit Seitz nach 1945, wo sich dieser despektierlich über Kokoschkas Porträt des amtierenden Bürgermeisters Theodor Körner äußerte. Erinnert daran, dass er für die Beauftragung des Wien-Bildes 1931 verantwortlich gewesen war, meinte Seitz : »Ja, da hat mir der Davidl Bach keine Ruh geben…«136 Interessant erscheint die Bildfindung bzw. die spezielle Ikonografie des Gemäldes. Kokoschka war sehr beeindruckt von den Errungenschaften des Roten Wien, die Errichtung von Gemeindebauten mit Wohnungen für eine Viertel Million Menschen. Schon sein alter Freund Loos war in der Frühphase des sozialen Wohnbaus engagiert gewesen. Daneben standen das Gesundheits-, das Sozial- und Erziehungswesen im Zentrum der 135 Mück erwähnt in seiner detaillierten Biografie mehrere Spitalsaufenthalte Kokoschkas wegen Unterernährung bzw. deren Folgen, Mück 2003, z. B. S. 176. 136 Matejka 1991, S. 209.
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sozialdemokratischen Reformtätigkeit, das Kokoschka in seine Wien-Ansicht sinnbildlich darstellte. Er wählte das Schloss Wilhelminenberg, nahe dem für seine Familie erworbenen Haus, von wo man einen Blick auf die in einem Becken liegende Stadt hat. Das Schloss war nach wechselvoller Geschichte 1926 von der Gemeinde Wien erworben wordn. Im Folgejahr eröffnete man dort ein städtisches Kinderheim, das mit Unterbrechungen bis 1977 bestand. Kokoschkas Wahl, eine Einrichtung der Kinderwohlfahrt zu zeigen, war durch sein früh entwickeltes Interesse an Pädagogik bzw. Kunstpädagogik befördert.137 Noch in seiner Studienzeit an der Kunstgewerbeschule lernte er die Pionierarbeit Franz Čižeks (1865 – 1946) und seiner Jugendkunstklasse kennen, in dessen Zentrum das freie künstlerische Gestalten von Kindern stand.138 Kokoschkas Nachlassbibliothek spiegelt sein großes Interesse an Pädagogik und weist viele zeitgenössische Standardwerke auf.139 Angst- und gewaltfreies Aufwachsen und Lernen, nicht zuletzt mit Mitteln der Kunstpädagogik waren ihm wichtig sowie er insgesamt Erziehung als politisches Instrument gegen Nationalismus und Kriegshetze sah. Die pädagogischen Schriften von Johann Amos Comenius (Komenský) (1592 – 1670), dessen Welt-Bild-Lexikon Orbis sensualium pictus (1658) er schon als Sechsjähriger von seinem Vater erhalten hatte, wurden zu einem Baustein seiner eigenen Lehre, z. B. in seiner späteren Schule des Sehens. Kokoschka sah in Comenius auch in politischer Hinsicht ein Alter Ego.140 Ikonografisch verknüpfte er das Genre des Landschaftsbildes, in der für ihn typischen polyfokalen Sichtweise, die an barocke Weltbilder erinnert, mit einem kunsthistorischen, in Wien verortbaren Zitat : Die Kinderspiele von Pieter Breughel d. Ä. im Kunsthistorischen Museum (Abb. 12). Verortbar ist in Kokoschkas Gemälde das heitere Kinderspiel, das formal mit einem flüssigen, leichten Farbauftrag korrespondiert, durch eine in Rot gehaltene Inschrift am Giebel des Schlosses : »Stadt Wien«. 1948 lässt Paul Westheim den Künstler selbst zu Wort kommen : »Ich malte die ›Wiener Sozialistische Kinderfürsorge‹.« Westheim ergänzte : »Nachdem Starhembergs Heimwehr das Rathaus gestürmt hatte, wurde das Bild als Dokumentation des sozialistischen Regimes entfernt. Der Kontrast wäre hier : ehemaliges Habsburgerschloß und lebendige fröhliche Proletarierkinder.« Und erneut Kokoschka : »Es war mein erstes Bild mit politischer Einstellung.«141 Kokoschkas Wien-Gemälde blieb ein Intermezzo. Nur drei Jahre später musste sein unmittelbarer Auftraggeber David Josef Bach seinen Posten als Leiter der progressiven Sozialdemokratischen Kunststelle niederlegen. Die sogenannte »Selbstausschaltung« bzw. verhinderte Wiederherstellung des österreichischen Parlaments im März 1933, 137 138 139 140 141
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Vgl. auch Calvocoressi 2006, v. a. S. 221 – 224. Vgl. Laven 2006. Bonnefoit/Reinhold 2010, v. a. S. 40 – 42. Bonnefoit 2021. Westheim 1948, o.S.
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12 : Pieter Breughel d. Ä., Die Kinderspiele, um 1560, Öl/Holz, Kunsthistorisches Museum Wien
die Manifestation des autoritären bzw. austrofaschistischen »Ständestaats«, die bürgerkriegsähnlichen Straßenkämpfe im Februar 1934, gewaltsamer Höhepunkt und Ergebnis der jahrelangen Vergiftung des politischen Klimas, und das gleichzeitige Verbot der Sozialdemokratischen Partei beendeten auf vielen Ebenen das Reformwerk des Roten Wien.142 Das Gemälde gilt heute noch als Sinnbild für das Reformwerk des Roten Wien in der Ersten Republik und reflektiert damit dessen Maler als politische Figur, welche in besonderer Weise mit der Geschichte Wiens und in weiterem Sinne mit Österreich verbundenen ist. Begegnungen mit einem »Unorthodoxen«: Viktor Matejka
In der Reihe jener Männer und Frauen, die sich mit großem Engagement in den Dienst der demokratischen Bestrebungen der (u. a. sozialdemokratischen) Volksbildungsbe142 Jahrzehnte nach seiner Schließung, spätestens 2010 wurden v. a. grausame Erziehungsmethoden und sexuelle Missbrauchsfälle in der Nachkriegszeit im Kinderheim am Wilhelminenberg bekannt, die ihm eine neue, unauslöschliche Konnotation gaben, vgl. Endbericht der Kommission Wilhelminenberg, Juni 2013 : http://www.kommission-wilhelminenberg.at (Zugriff : 29.6.2022)
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wegung, speziell der Kunstvermittlung in Österreich stellten, ist auch Viktor Matejka (1901 – 1993) zu nennen. Der Linkskatholik, der an der Universität Wien Geschichte und Geografie studiert hatte, war ab 1926 in der Volksbildung tätig und konnte, wenn auch mit massiven Behinderungen im »Ständestaat« hohe Funktionen in der Volkshochschule bzw. als Bildungsreferent bei der Arbeiterkammer einnehmen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war er bei einem der ersten Prominentendeportationen in das KZ Dachau. 1945 ist er einer derjenigen, die sich unmittelbar am kulturellen Wiederaufbau verdient gemachten haben. Damals erst wurde er Mitglied der Kommunistischen Partei. Matejka, der sich selbst einen »Unorthodoxen« nannte (nicht ohne Anspielung auf die Terminologie der KP) wird vor allem ab 1945 als kommunistischer Wiener Kulturstadtrat eine wichtige Rolle im Beziehungsgeflecht Kokoschka-Wien/ Österreich spielen.143 Das erste Kokoschka-Erlebnis hat mir 1930 eine große Ausstellung im Wiener Künstlerhaus mit dem Titel ›Die Kunst in unserer Zeit‹ gebracht. Hier haben, gleichsam als vorläufige Bilanz von rund einem Vierteljahrhundert, kompetente Wiener auf dem Gebiet der europäischen Kunstgeschichte sowie der Kunst der Moderne den Versuch gemacht, charakteristische Entwicklungslinien vom ausgehenden 19. Jahrhundert über die Vorzeit des Ersten Weltkriegs bis zur damaligen Gegenwart in Bildern anschaulich zu machen.144
Auch wenn nur zwei frühe Arbeiten von Kokoschka zu sehen waren, so ist es wert, kurz einige Bemerkungen über die genannte Ausstellung zu verlieren. Sie wurde von der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst in Wien veranstaltet und veranschaulicht in bester Weise, was diese unter breiter Kunstvermittlung verstand, nämlich »den ästhetischen Bann [zu] brechen, der heute die Allgemeinheit von der Kunst fernhält.«145 Die Kuratoren waren Hans Tietze, daneben der Kunsthistoriker, Museumskustode und Mitbegründer der Gesellschaft Ernst Buschbeck (1889 – 1963) sowie der Komponist Egon Wellesz (1885 – 1974). Buschbeck sollte bei der Positionierung Kokoschkas als Exponent Österreichs sowohl im »Ständestaat« als auch nach 1945 noch eine wichtige Rolle spielen. Die von Fachvorträgen begleitete Ausstellung gab, in mehrere didaktische Kapitel gegliedert, nicht nur einen Einblick in das moderne Kunstschaffen im engeren Sinne (Malerei, Grafik, Skulptur), sondern widmete auch der zeitgenössischen Architektur und dem Design breiten Raum.
143 Vgl. u. a. Matejka 1984, 1991 und 1993, Klamper 1981, Reiter 1994. 144 Matejka 1991, S. 197. 145 H.T. [Hans Tietze], Einleitung, in : AK Die Kunst in unserer Zeit, Künstlerhaus Wien, März-Mai 1930, S. 9.
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Für Matejka, der in seiner Volksbildungsarbeit zunächst mit der Vermittlung wirtschaftspolitischer Themen befasst war, fand hier eine wichtige Begegnung mit der Moderne statt.146 Kokoschka persönlich lernte er im selben Jahr kennen : Das Gespräch entspann sich bald heftig um Fragen der Kunst und der Politik. Alles ging kreuz und quer und durcheinander. Ich hatte den Eindruck : hier ist ein politischer Mensch, dessen künstlerische Arbeit in erster Linie dazu da ist, den Mitmenschen die Augen zu öffnen. Mit den Augen würden auch alle anderen Sinne geweckt, nicht zuletzt der Sinn für das Verständnis einer Zeit, die infolge der raschen Entwicklung von Technik und Zivilisation geistig und kulturell äußerst gefährdet sei.147
Zur Sprache kamen Fragen der Schul- und Erwachsenenbildung, die Idee zur Gründung einer (Kunst-)Schule, in der alle genannten Aspekte ihre Verwirklichung finden sollten. Kokoschkas Erfahrungen seiner eigenen (akademischen) Lehrtätigkeit, in der Schwarzwald-Schule, die die »besten Köpfe« im Lehrkörper zu vereinen wusste, wurden ebenso diskutiert wie der pazifistische Grundgedanke all dieser Unternehmungen. Matejka wurde beim damaligen Unterrichtsminister (und seinem früheren Gymnasiallehrer) Emmerich Czermak vorstellig : »Ein mißglückter Versuch«.148 Der Minister hatte nicht die geringste Beziehung zum modernen Kunstschaffen, soll sich negativ über den Kokoschkas Ruf und dessen »Umsturzgedanken« geäußert haben und sah als Antisemit in ihm einen Sympathisanten und Protegé der »jüdischen Zersetzung«.149 Carl Moll – Kokoschkas »einziger Freund in Österreich«150
Anders als bei Hans Tietze widmete Kokoschka in seiner späten Autobiografie dem Wiener Maler Carl Moll (1861 – 1945) Raum für eine warmherzige, von Dankbarkeit getragene Darstellung (Abb. 13).151 Mehr noch als der intellektuelle »Löwe« Tietze war Moll für OK ein väterlicher Freund und Beinahe-Schwiegervater, der ihn mit seiner ersten großen Liebe, Alma Mahler (1879 – 1964), bekannt gemachte hatte. Als kongenialer Kunstagent, Ausstellungsorganisator, Netzwerker blieb er für Kokoschka bis 1938 eine der zentralen Bezugsfiguren in Österreich. Die ersten Berührungspunkte gab es bei der Kunstschau 1908, deren Mitorganisator Moll gewesen war. Es war aber die Hagenbund-Schau 1911, die sie nachhaltig verband.152 Carl Moll verstand es früh den 146 147 148 149 150 151 152
Matejka 1991, S. 197. Matejka 1991, S. 198. Ebd., S. 198 – 200. Ebd., S. 200f. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 34.24, OK an Carl Moll, Sonntag [Ostern 1937 ?]. Kokoschka 1971, S. 127 – 129, 237f. Moll 1943, S. 176f.; Kokoschka 1971, S. 127.
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skandalbehafteten Kokoschka auch auf Auslandsausstellungen zu platzieren und in den Kanon der österreichischen Moderne, neben Gustav Klimt, Egon Schiele, zu integrieren. Ein Beispiel war die Wiener Kunstschau in der Berliner Secession 1916, wo OK mit sieben Gemälden und drei Zeichnungen vertreten war. In einem Brief bedankte sich Kokoschka bei Moll und »Freund [Koloman ?] Moser« für die Vermittlung der »Berliner Ausstellung, die mir zum ersten Mal (natürlich bis auf die Neue Freie Presse) einmüthig [sic !] Lob und Anerkennung gebracht herzlich […].153 Wenig später konzipierte Moll die Ausstellung Ein Jahrhundert Wiener Malerei im Kunsthaus Zürich im Mai/Juni 1918, wo der mittlerweile in Dresden bzw. Deutschland lebende OK ebenfalls vertreten war. Im Vorwort waren die Definition und Verortung der Wiener Malerei des 19. und jungen 20. Jahrhunderts deutlich durch Molls deutschnationale Haltung geprägt : Wiener Kunst ist deutsche Kunst, den Einflüssen der südlichen und östlichen Nachbarschaft unterworfen. Die Einflüsse wirken eigenartig gestaltend, so dass Wiener Kunst in deutscher Kunst ihre eigene Note hat. […] Die gemütvolle Gediegenheit dieser Art entschädigt für die schwächere Kraft im rein malerischen [sic !], für das vielleicht unsere Rasse weniger begabt ist, gewiss fehlt uns hier die unerlässliche Tradition.154
Moll war ab der Mitte der 1890er-Jahre für fast fünf Jahrzehnte eine der prägenden Persönlichkeiten der Wiener Kunstszene.155 Zunächst im Kreis des Landschaftsmalers Emil Jakob Schindlers (1842 – 1892) war er ab 1894 Mitglied des Wiener Künstlerhauses. Hier sowie bei der 1897 von ihm mitbegründeten Secession erwies er sich als exzellenter Kulturmanager und forcierte die Gründung der Modernen Galerie im Belvedere. Moll pflegte exzellente Kontakte zu (europäischen) Künstler- und Kunsthandelskreisen sowie zu staatlichen Kunstbehörden. Er war österreichischer Kommissär bei der Pariser Weltausstellung 1900 und an der Konzeption zu einem k.k. Wandermuseum (ab 1899) beteiligt, das großen Teilen der Bevölkerung die Entwicklung der europäischen Kunst, vor allem aber das Verständnis für zeitgenössisches Kunstschaffen nahebringen sollte.156 1912 war er an der Gründung des Österreichischen Werkbunds beteiligt. Im Jahr 1904 übernahm er die künstlerische Leitung der Wiener Galerie Miethke, welche mit dem Verdacht der »Kommerzialisierung« die Abspaltung der »Klimt-Gruppe« von der Secession nach sich zog. Molls Tätigkeit als Kunsthändler bot ihm einen erweiterten Aktionsradius, den er nicht zuletzt bei der Organisation von internationalen Ausstellungen zum Einsatz brachte. Darunter waren Präsentationen, die wesentliche Impulse für die 153 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, Ms. Briefe, Kokoschka, Oskar (1) A-M, OK an Carl Moll, 24.3.1916 ; AK Wiener Kunstschau in der Berliner Secession, Jänner/Februar 1916. Im Katalog sind keine Verantwortlichen, also auch Moll nicht genannt. 154 Carl Moll, o.T. [Vorwort], AK Ein Jahrhundert Wiener Malerei, Kunsthaus Zürich, Mai/Juni 1918, S. 4f. 155 Zu Moll vgl. Natter/Frodl1998 ; Fürnsinn 2009 ; Rollig/Huemer 2020. 156 Vgl. van Heerde 1994 ; Reinhold 2014, S. 121.
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Rezeption der internationalen Moderne gaben und auf fortschrittliche, oft didaktischlegitimierende Weise deren Anbindung in der Kunstgeschichte sichtbar machten. Dazu zählte u. a. die bedeutende Impressionismus-Schau der Secession 1903.157 »Er hatte wirklich Augen für Güte und Gehalt eines Werkes […].«, stellte OK später fest und bezog sich dabei auch auf Werke der frühen Neuzeit. Moll hatte, laut Kokoschka, eine Zeitlang ein Tizian-Gemälde (wohl eine Version von Venus mit dem Orgelspieler) in seinem Atelier untergebracht.158 Molls Verbindungen reichten quer durch die politischen Lager. Er stand mit allen politischen Regimen in gutem Einvernehmen – während der Monarchie, in der Ersten Republik und speziell im »Ständestaat«. Sein kulturpolitisches Agieren war aus der Haltung eines Künstlers heraus und oft an Künstler-Verbände gekoppelt. Egal ob in der Galerie oder als Österreich-Kommissär der Biennale in Venedig (1932 und 1936), auch in seinem Zusammensehen von zeitgenössischer und historischer Kunst, traf er Entscheidungen aus der Perspektive eines Künstlers heraus, sein vielfältiges Agieren war selbst eine Art künstlerischer Prozess. Das stand Kokoschka vermutlich näher als Tietzes intellektuelles Vorgehen, auch wenn es ihm politisch mehr entsprach. Der (sozial-)demokratische Impetus wie ihn Tietze, Bach oder Matejka vortrugen, war Moll fremd. Sein Engagement als »Künstler für Künstler« 13 : Oskar Kokoschka, Carl Moll, 1913, gab sich scheinbar unpolitisch. Dennoch trat Öl/Leinwand, Belvedere Wien. er wiederholt als staatlich beauftragter Kurator für etliche Ausstellungen mit explizit politischem Anspruch auf, die meist österreichische oder Wiener Kunst repräsentieren sollten. Moll war einer der wichtigen Kanon-Bildner der Moderne in Österreich trotz oder auch durch seine deutschnationale Haltung : er vertrat konsequent seine schon 1918 formulierte Ansicht, dass »Wiener Kunst in deutscher Kunst ihre eigene Note hat.«159. Den »Anschluss« an das Deutsche Reich im März 1938 begrüßte er offen und machte auch im Vorfeld aus seiner Sympathie dafür kein Hehl. 157 Vgl. Kramer 2003 ; Reinhold 2014. 158 Tizian, Venus mit Orgelspieler, um 1548, Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz, Gemäldegalerie Berlin ; Kokoschka 1971, S. 128, 132. 159 Vgl. Reinhold 2020, S. 97.
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Der Unvereinbarkeit seines Engagements für die Moderne und seiner Begeisterung für NS-Deutschland relativierte sich für viele durch sein Charisma. Hans Tietze über seinen Mitstreiter für die Kunst : »Der Schlüssel aller Widersprüche und Gegensätze in diesem jugendlichen Graukopf ist das prachtvoll warme und gütige Herz.«160 Befremdlich erscheinen Molls Kommentare in seiner Autobiografie 1943 über seinen engen Freund Kokoschka. Noch für den Frühsommer 1937 hatte Moll anlässlich des 50. Geburtstags für den – zeitgleich in der Münchner Hetzschau Entartet Kunst diffamierten – Kokoschka im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie (heute : MAK) eine große Einzelausstellung organisiert. Autobiografien (im Gegensatz zu Tage büchern), so persönlich sie auch verfasst zu sein scheinen, sind stets für eine Veröffentlichung gedacht und rechnen mit einer Leserschaft.161 Kokoschka sind jedenfalls nur wenige Sätze gewidmet, die mehr wegen ihrer Auslassungen und ihrer Diktion bemerkenswert sind : Mit dem ebenso anziehenden wie verwirrenden Kokoschka wird der Contakt sehr rege, und als er im Jahre 1913 mein Portrait malt, lerne ich im täglichen Verkehr sein arbeiten [sic !] kennen, den faszinierenden ersten Anlauf und oft das darauf folgende Abgleiten vom Höhenflug. Für den künstlerischen Menschen war auch in diesem die ganz individuelle Begabung fühlbar, Fernstehende konnten nicht mit, was Kokoschka verschuldete, nicht ihr Unverständnis. […] Mein Contakt zu Kokoschka verband diesen auch mit meiner Familie. Alma, noch jung und einsam, nimmt Anteil an seinem Schaffen. Freundinnen sind geschäftig, sie zu beeinflussen, zeigen ihr eine Lebensaufgabe, ein Genie zu stützen, auf die rechte Bahn zu bringen. Der Wirkung der hohen Begabung Kokoschka’s kann sich ein geistiger Mensch nicht entziehen. Kokoschka wirbt stürmisch um Alma, fast wäre es zu einer Verbindung gekommen, wenn nicht der gesunde Sinn Alma’s das Krankhafte im Charakter Kokoschka’s erkannt, und sie sich zur rechten Zeit zurück gezogen hätte.162
Molls Begeisterung für den Nationalsozialismus war zu diesem späten Zeitpunkt immer noch evident. Dabei hatte die, »seine« Kulturstadt Wien, die »Perle des Reiches«163 während der NS-Zeit an Bedeutung verloren : ein bewusst gesetzter Akt Hitlers, der die österreichischen Nationalsozialisten der ersten Stunde schwer enttäuscht hatte, zumal viele von ihnen bei der Besetzung von Posten leer ausgingen. Die Leidenschaft für die großdeutsche Idee war um 1943 vielen in der Ostmark vergangen. Der Kriegsverlauf hatte die Überzeugung vom »Endsieg« längst untergraben und der Terrorapparat der 160 Hans Tietze, Carl Moll zum 60. Geburtstag, Wien 1921, zit. Fürnsinn 2009, S. 346, Anm. 13. 161 Moll 1943. Molls Manuskript wurde im Juni 1943 durch einen Wiener Verlag und den NS-Multifunktionär Leopold Blauensteiner geprüft, das deren Meinung nach »für Quellenforscher« interessant sei, aber in vielem »gegenwärtig wenig positive Schätzung« erfahren würde, vgl. Reinhold 2020, S. 101. 162 Moll 1943, S. 177 und 180. 163 Vgl. Holzschuh/Platzer 2015.
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Nazis wurde »nochmals in aller Härte wirksam«.164 Die Luftangriffe der Alliierten tat das übrige.165 Molls Autobiografie weist ihn mit den Sympathiebekundungen für Hitler und speziell in seiner Einschätzung Kokoschkas als unverbesserlichen Nationalsozialisten aus. Sie zeugt von einer verschobenen Wirklichkeitswahrnehmung, die befremdlich konsequent in seinem Selbstmord gemeinsam mit seiner Tochter Maria (verh. Eberstaller) und deren Ehemann am 13. April 1945 mündete, inmitten des Befreiungskampfes der Roten Armee in Wien.166 Vielleicht hatte er seine jahrzehntelange bedingungslose Freundschaft für Kokoschka aber auch auf wenige Sätze reduziert, weil sie von einer tiefen Enttäuschung, vielleicht sogar Kränkung geprägt war. Einer vielschichtigen Enttäuschung rund um die OK-Ausstellung 1937 und nicht zuletzt aufgrund Kokoschkas konsequenter Abkehr von Österreich. Kokoschka und die Biennale in Venedig 1932 und 1936
Dennoch : Carl Molls Engagement für Kokoschka bis zur NS-Herrschaft war enorm. Zu den von ihm vermittelten internationalen Erfolgen zählt auch Kokoschkas Teilnahme an der Biennale 1932. Österreich hatte bis 1912 regelmäßig an diesem künstlerischen Wettbewerb der Nationen teilgenommen. Kriegsbedingt bzw. aus ökonomischen Gründen kam es erst 1926 wieder zu einer offiziellen Teilnahme, wobei man sich im internationalen Pavillon einmieten musste.167 Erst 1934 wurde ein eigener Ausstellungsbau nach dem Entwurf von Josef Hoffmann als kulturpolitisches Signal des jungen »Ständestaats« eröffnet.168 Österreichs Beitrag 1932 fand im deutschen Pavillon statt, der wegen Absage des Eigentümers frei geworden war. Kommissär war niemand anderer als der mit allen Künstlervereinigungen und auch in Italien bestens vernetzte Carl Moll, in seiner Funktion als Vorstand des Vereins der Museumsfreunde in Wien, wozu er 1925 berufen worden war. Retrospektiv meinte er dazu : »Ich komme wieder in mein Fahrwasser, Propaganda für erste Kunst machen zu können […].«169 Für die Biennale 1932 bemühte er sich »um ein ausgewogenes Bild der österreichischen Kunstlandschaft« und hatte eine vielgelobte Auswahl an Künstlern getroffen, darunter etwa Herbert Boeckl, Georg Ehrlich, Franz Wiegele, Anton Kolig, Anton Faistauer, Albert Paris Gütersloh, Alfred Kubin, Anton Hanak, Fritz Wotruba und nicht zuletzt Kokoschka.170 164 Bruckmüller 1996, S. 351. 165 Ebd., S. 310f. 166 Vgl. Fürnsinn 2009, S. 358. Zum Provenienzfall nach Alma Mahler-Werfel, bei der Moll ebenfalls eine Rolle gespielt hat vgl. Fürnsinn 2009 und http://www.provenienzforschung.gv.at/wp-content/uploads/ 2006/04/Mahler-Werfel.pdf (Zugriff : 29.6.2022). 167 Hoerschelmann 2013, S. 184. 168 Ebd., S. 216 – 233 ; Franz 2013. 169 Moll 1943, S. 222. 170 Hoerschelmann 2013, S. 202.
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Für Kokoschka war die Biennale kein fremdes Terrain, hatte er doch seine Arbeiten in größerem Umfang schon 1922 und 1926 im deutschen Pavillon, also in denselben Räumen, präsentiert.171 Nun war er mit sieben Arbeiten vertreten, darunter das im österreichischen Kontext oft gezeigte Bildnis von Carl Moll (Abb. 13).172 Aufschlussreich ist Molls Vorwort im Padiglione dell’Austria, das er in der für ihn typischen Vorgangsweise mit einer Art kunsthistorischen Genealogie einleitete : Nach dem Wiener Kongress, wo die Stadt »tutta l’Europa« zu Gast hatte – durchaus eine Anspielung auf die vergangene Größe und Bedeutung des Landes – , seien vier Stationen für die heutige Entwicklung maßgebend gewesen : die Kunst Waldmüllers, die Maler der Zeit um 1870/80, darunter Hans Canon, August von Pettenkofen, vor allem aber Hans Makart, darauffolgend die Kunst der Jahrhundertwende, vertreten durch Gustav Klimt und die Meister des Dekorativen, sowie die heutige Generation, deren herausragende Vertreter er, geleitet von der Intention der Qualität ausgewählt habe. Man sei voll der Freude, so Moll sinngemäß, den weltweit am meisten beachteten österreichischen Künstler, der bislang immer für Deutschland ausgestellt habe, als den führenden Protagonisten (»capo«) dieser repräsentativen Ausstellung Österreichs voranzustellen : Oskar Kokoschka, il più noto dei pittori austriaci nel mondo dell’arte internazionale, finora contrastatoci sempre dalla Germania, ci offre per la prima volta la gioia di comparire a capo di questa esposizione rappresentativa dell’Austria.173
Für das Jahr 1936 war Carl Moll erneut in der österreichischen Jury für die Biennale und bot an, privat mit dem »bedeutendsten österreichischen Künstler, nämlich Oskar Kokoschka Kontakt aufzunehmen.«174 Die politischen Voraussetzungen in Österreich hatten sich jedoch inzwischen grundlegend verändert. Kokoschka hatte im Frühjahr 1934 bei einer offiziellen Österreich-Schau in London eine herbe Enttäuschung erfahren müssen und war aus wirtschaftlichen, familiären und wohl auch politischen Gründen schon im Herbst 1934 nach Prag gegangen und um größtmögliche Distanz zum österreichischen Regime bemüht. Kokoschka lehnte eine Teilnahme an der Biennale unter österreichischer Flagge kategorisch ab, so wie er 1934 und 1935 gegen eine politische Vereinnahmung auf internationalen Kunstschauen durch das »ständestaatliche« Regime protestiert hatte. In einem an Sarkasmus kaum zu überbietenden Brief an den österreichischen Maler und Kunst-Funktionär Ferdinand Kitt sprach er die Doppelbödigkeit seiner politischen Vereinnahmung an :
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Ebd., S. 170, 176f., 184f. Im Katalog fälschlich 1914 datiert : Biennale 1932, S. 258. Carl Moll, in : Biennale 1932, S. 256. Hoerschelmann 2013, S. 234.
»Kulturgroßnation« Österreich. 1934 und die Folgen
Es freut mich, wenn Österreich dem Ausland zu geben hat, und ich schlage Ihnen vor, sich an die Werke der von der führenden österreichischen Gesellschaft propagierten Maler zu halten, damit nicht nachher der Vorwurf auf Sie fällt, daß Sie im Ausland eine Art von Kunst vertreten, die man im Inland nicht kennt. Ich habe schon wiederholt den Delegierten der österreichischen Kulturkammer den Vorschlag gemacht, meine bescheidenen Verdienste um die Hebung des europäischen Kulturniveaus zu vergessen, um den Platz zu schaffen für die Strebenden und deren Werke. […] Hat man in Österreich in den langen Jahren seit 1908 […] nur die eine und selbe Haltung gekannt, die ich erst vor kurzer Zeit durch einen österreichischen Gesandten […] wieder bestätigt fand, welcher auf die Frage einer ausländischen Dame auf die Frage, ob er meine Werke kenne, erwiderte : »Ja, vom Wegschauen !«175
»Kulturgroßnation« Österreich. 1934 und die Folgen In der Zwischenkriegszeit kam es zu einer zunehmenden Politisierung Kokoschkas – im aktiven wie im passiven Sinne. Neben den schon 1918 verstorbenen Künstlerkollegen Gustav Klimt und Egon Schiele wurde er zu einem prominenten Aushängeschild »österreichischer« Kunst. Vor allem bei Auslandsausstellungen des austrofaschistischen Regimes, die eine genuin österreichische Kultur als Abgrenzung zum NS-Deutschland als politisches Instrument propagierten, bediente man sich der Werbewirksamkeit des Künstlers. Das führte – wenig verwunderlich – bald zu neuen Spannungen und letztlich auch zum Bruch mit Österreich. Kokoschkas Politisierung vollzog sich auch in einem gesteigerten Bedürfnis des Künstlers sich zu politischen Themen zu äußern. Bislang unbeachtet blieb, dass er sich schon ab den frühen dreißiger Jahren an der Konstruktion eines neuen Österreich-Bildes beteiligt hatte.176 Kokoschka führte sein gekonnt platziertes Wort aus der selbstdefinierten Perspektive eines Kosmopoliten, eines Reformers und natürlich der eines Künstlers. Es überrascht, wie er sich damit in die Reihe einschlägiger Autoren einordnen lässt und wie ambivalent seine Haltung gegenüber dem »Ständestaat« anfangs war. In seiner so oft als Quelle herangezogenen Autobiografie 1971 erwähnt er sein diesbezügliches Engagement (mit einer Ausnahme) mit keiner Silbe.177 Das simplifizierte Bild Kokoschkas als Opfer bzw. Gegner des Regimes, ist in jedem Fall einer kritischen Revision zu unterziehen.
175 OK an Ferdinand Kitt, Prag, März 1935, in : Briefe III, S. 13. 176 Die Ausnahme blieb eine Einzeluntersuchung von Leo Lensing, vgl. Lensing 1998. Seine Studie blieb, trotz etlicher evozierter »Widersprüche« im klischierten OK-Image, ohne Folgen. 177 Kokoschka 1971, S. 237.
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Kokoschka, Wien und die österreichische Kulturpolitik bis 1938
Politische Voraussetzungen
Die Radikalisierung des politischen Klimas in Österreich, die militarisierten Kämpfe des christlich-sozialen und des sozialistischen Lagers eskalierten schon in den 1920er-Jahren und zogen nach dem fatalen Freispruch der Mörder von Schattendorf den Brand des Wiener Justizpalastes nach sich (1927). Die durch einen Abstimmungsfehler provozierte »Selbstausschaltung« des Parlaments am 4. März 1933 mündete in der diktatorischen Übernahme durch den christlich-sozialen Parteiführer Engelbert Dollfuß (1892 – 1934), dessen Vorgehen untrennbar mit der paramilitärischen Heimwehr verbunden war.178 Die Auflösung des Parlaments war ein schon länger verfolgtes Ziel der Christlich-Sozialen, sodass sie eine Wiedereinsetzung desselben mit allen Mitteln verhinderten. Dollfuß’ eigene Partei wurde zur Vaterländischen Front, als Einheitspartei Österreichs umgebaut. Österreich wurde als klerikal-katholischer Staat propagiert, was nicht zuletzt bei dem im September 1933 in Wien abgehaltenen Allgemeinen Deutschen Katholikentag sinnbildlich zum Ausdruck kam. Die politischen Strukturen sollten statt durch Parteien über einen »Ständestaat«, also über die verschiedenen »Stände« organisiert sein – ein Konzept, das ins 19. Jahrhundert zurückreicht und antidemokratische sowie auch antikapitalistische Wurzeln hatte. Im Mai 1933 wurde die Kommunistische Partei verboten, im Juni die NSDAP. Das politische Klima war über viele Jahre hin vergiftet, ein Prozess, der einen gewaltsamen Kulminationspunkt erreichte : Dieser nahm am 12. Februar 1934 in Linz seinen Ausgang und wurde durch das Bundesheer und die Heimwehr in wenigen Tagen blutig niedergeschlagen. Die SDAP wurde verboten, die Anführer wurden hingerichtet oder in Anhaltelager wie jenes im niederösterreichischen Wöllersdorf deportiert.179 Damit hatte sich das Regime aber auch potentieller Verbündeter gegen die zunehmende Aggression Deutschlands entledigt : Im Juli 1934 folgte ein Putschversuch österreichischer Nationalsozialisten, in dessen Verlauf Bundeskanzler Engelbert Dollfuß ermordet wurde. Das Bündnis mit dem faschistischen Italien (und Ungarn) wurde zunehmend brüchiger. Die Selbstständigkeit Österreichs wurde durch massive deutsche Interventionen schrittweise unterlaufen. Der verzweifelte Versuch auf diplomatischem und nicht zuletzt kulturpolitischem Feld mit den Westmächten eine Allianz gegen den drohenden Anschluss an Hitler-Deutschland zu erreichen, scheiterte. Österreich war beim Prozess der Nationsbildung ein »Spätzünder«. Die Ursachen dafür sind lange vor dem Zusammenbruch der Donaumonarchie 1918 zu suchen.180 Seit dem Mittelalter gab es in den österreichischen Kernländern eine bis heute wirksame, starke Regionalidentität. Darüber hinaus entwickelte der Nationalismus im 19. Jahrhundert in den Kronländern des zum Vielvölkerstaat gewordenen Österreich eine enorme 178 Vgl. Tálos/Neugebauer 2014. 179 Schölnberg 2015. 180 Umfassend zur »Nation Österreich« und ihrem kulturellen Bewusstsein : Bruckmüller 1996.
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Zentrifugalkraft. Eine Identitätskrise erfasste das Land 1866 mit der Auflösung des Deutschen Bundes, der die Idee des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation unter der Vorherrschaft Österreichs ad absurdum geführt hatte. 1918 wurde das österreichische Selbstverständnis wohl in die schwerste Krise gestürzt und »erzeugte ein Vakuum an Identität nicht zuletzt, weil die deutschsprachigen Österreicher als dominante Gruppe innerhalb der Monarchie deren Ende nicht aktiv angestrebt hatten.«181 Die Überlebensfähigkeit des kleinen Staates wurde von Bürgerlichen sowie sozialistischen Kreisen in Frage gestellt und führte zu einem eminenten Anschlusswunsch an Deutschland – auch wenn die Motivationen sehr unterschiedlicher Natur waren. Eine »Entösterreicherung« (Otto Bauer) griff um sich, bei den Sozialisten aus einer Ablehnung des imperialistischmonarchischen Habsburgerreiches, bei großen Teilen des Bürgertums bzw. österreichischen Deutschnationalen als Kompensation des Machtverlusts bzw. als Weg hin zu einer neuen Einheit Deutschlands.182 Sprachliche, kulturelle, politisch visionäre Aspekte wurden ins Treffen geführt, eine – wie Ernst Hanisch schrieb – »aus der Monarchie ererbte Zuschreibung zum deutschen Volk, die, weil so vage, ideologisch leicht ausbaufähig war.«183 Bar seiner einstigen politischen Großmachtsfunktion in Europa, auf einen Kleinstaat geschrumpft, versuchte allen voran das christlich-soziale Lager »den alten und neuen Staat zu versöhnen« und durch mythische Überhöhung eine »aufgebauschte österreichische Kulturmission« zu generieren.184 Der Mythos Österreich und das Konstrukt Kulturgroßnation sollten im »Ständestaat« zunächst unter diktatorischer Führung von Engelbert Dollfuß, nach dessen Ermordung im Juli 1934, durch Kurt Schuschnigg (1897 – 1977) eine propagandistische Hochblüte erfahren. Eine Reihe namhafter Künstler/innen, v. a. Schriftsteller/innen trug schon vor dem politischen Machtwechsel 1933 zu diesem neuen Österreich-Bild bei. Einmal mehr sei Stefan Zweig zitiert, diesmal aus Eine österreichische Bilanz anlässlich der Repräsentationsschau Austria in London 1934 : Und man ist überrascht, […] eine wie wichtige Stelle […] Österreich, das im Raum so begrenzte, noch immer einnimmt, sobald ihm seine wesentliche Aufgabe gestellt ist, eine uralt angesehene Tradition zu verteidigen ; sofort, wenn es die Kunst gilt, sind die Größenverhältnisse umgestoßen, und noch immer bewahrt trotz materieller Verarmung, trotz räumlicher Verkleinerung, trotz politischer Machtminderung Österreich und vor allem Wien einen Rang, der es zumindest neben die größten Nationen stellt. Noch also ist das alte Erbe nicht vertan, noch ein Besitz ein unsichtbarer, aber unschätzbarer, bewahrt : die kulturelle Sympathie Europas. 181 Knapp 2005, S. 46 ; vgl. auch Bruckmüller 1996, S. 376. 182 Bruckmüller 1996, S. 91 ; vgl. auch Pelinka 2017. 183 Hanisch 1994, S. 159, vgl. Knapp 2005, S. 47. 184 Knapp 2005, S. 48, Hanisch 1994, S. 159 ; zur Konstruktion historischer Österreich-Mythen : Suppanz 1998
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Gerade weil das Land im Raume jetzt so begrenzt ist, wird es immer zwingender sein, durch geistige, durch künstlerische Leistungen über sich selbst hinaus in den Weltraum zu wirken.185
Stefan Zweig, im Februar 1934 selbst Opfer eines massiven Übergriffs geworden, nannte damit die wesentlichen Faktoren der österreichischen, vor allem »ständestaatlichen« Kulturpolitik : kulturelle Größe (Erbe) und Sympathie (eine österreichische Wesensart).186 Sie sind Mission und außenpolitisches Werkzeug zugleich auf dem Weg österreichischer Selbstbehauptung. Zwar sah sich Österreich, speziell Wien als »Weltmusikstadt«187, doch bemühte man sich auch auf dem Feld der bildenden Kunst um wohlwollende Aufmerksamkeit, vor allem in England und Frankreich. Schon ab etwa Mitte der 1920erJahre gab es erste Bestrebungen zwischen den ehemaligen Kriegsgegnern sich auf dem scheinbar unverdächtigen Feld des Kulturaustausches, Österreich und etwa das ebenfalls katholische Frankreich wieder in Tuchfühlung zu bringen, um so die Allianz gegen einen drohenden Anschluss an Deutschland zu stärken. Im Zuge der Erodierung des austroitalienischen Bündnisses zwischen Dollfuß bzw. Schuschnigg und Mussolini forcierte die österreichische Diplomatie die Annäherung an die Westmächte und fand sie u. a. in der imagefördernden Wirkung von (Kunst-)Ausstellungen. Eine Frage der Identität. Kokoschkas frühe Texte zu Österreich
Kokoschka hatte durch die Künstler- und Intellektuellenkreise rund um Loos und Karl Kraus ein vorwiegend über die Kunst gespiegeltes, politisches Bewusstsein entwickelt. Er war mit einigen Persönlichkeiten befreundet, die im Reformwerk des Roten Wien im Wohn- und Siedlungsbau, in der Kunstvermittlung oder in der Schul- und Volksbildung engagiert waren. Die Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs, die Weltwirtschaftskrise ab 1929, die drückende Arbeitslosigkeit, die Pauperisierung des Proletariats sowie des bürgerlichen Mittelstands und nicht zuletzt seine eigene wirtschaftliche Situation wurden prägend.188 Er begann er sich intensiv mit Fragen der Erziehung, (utopischen) Staatstheorien oder dem »Mutterrecht« als spezifische Kritik am Patriachat zu beschäftigen. Alle diese Themen waren nicht neu, in dem Sinne, dass sie nicht auch schon 185 Zweig zit. Klamper 1994, S. 130f. 186 Aspekte des »österreichischen Menschen« werden noch im Zusammenhang mit Kokoschkas Texten zu Österreich und zum »österreichischen Wesen« besprochen werden, vgl. auch Suppanz 1998a, Johnston 2010, Weinzierl 1989. Zweig hatte nach einer Hausdurchsuchung in seinem Domizil in Salzburg Österreich in Richtung London verlassen. Er war verdächtigt worden, Waffen des Schutzbundes zu verstecken. Vgl. Klamper 1994, S. 130. 187 Nußbaumer 2007. 188 In diesem Kontext möchte ich auf einen leidenschaftlich verfassten Text des viel zu früh verstorbenen Historikers Siegfried Mattl (1954 – 2015) verweisen, vgl. Mattl 1994.
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in seinem frühen Umfeld um 1910 diskutiert worden wären. Neu war sein Impetus, sich an einer politischen Veränderung zu beteiligen – wenn auch ohne parteipolitische Bindung. Sein literarisches Talent begann sich in Essays zu entfalten, die künstlerisch-philosophischen bzw. kulturhistorischen Inhalts waren und häufig politische Botschaften vermitteln wollten. Neben Zeitungsartikeln, Vorwörtern in einschlägigen Publikationen, (Radio-)Vorträgen eröffnete ihm auch das Medium des (manchmal zur Veröffentlichung gedachten) Briefes Artikulationsmöglichkeiten und Spielarten, sich zu aktuellen Themen zu äußern. Kokoschka hatte seit seinem Debüt 1908 ein zwiespältiges Verhältnis zur Wiener Kunstszene bzw. zu österreichischen Kunstinstitutionen. Politisch gesehen war er jedoch dem Lager zuzurechnen, das für ein unabhängiges Österreich eintrat, was nach 1918 keine Selbstverständlichkeit war. Die Gründe, weshalb das in der Kokoschka-Forschung bislang kaum beleuchtet wurde, sind vielfältig. Die politischen Ereignisse 1934 und Kokoschkas Übersiedelung nach Prag werden vereinfacht als generelle Ablehnung Österreichs, speziell des austrofaschistischen »Ständestaats« interpretiert. Die Verfemung als »entarteter« Künstler, sein antifaschistisches Engagement überlagerten zusätzlich die Sicht auf diese Periode. Darüber hinaus erschweren die Quellenlage und die Edition der Texte eine differenzierte Rezeption Kokoschkas. Seine politische Verortung im Österreich der Zwischenkriegszeit ist aus seinen Briefen, aus Kommentaren von Zeitgenoss/ innen, vor allem aber aus seinen eigenen politischen Texten ersichtlich. In ihnen werden Kokoschkas persönlichen Sichtweisen und Visionen vergleichsweise früh mit hegemonialen Pro-Österreich-Bildern verknüpft. Kokoschkas Rundfunkvortrag Der Österreicher 1931
Für den Samstagabend des 14. November 1931 war im Wiener Radio ein Gespräch mit Oskar Kokoschka angekündigt.189 Die Neue Freie Presse übernahm Passagen der später unter dem Titel Der Österreicher190 publizierten Rede : Der Maler Oskar Kokoschka, der in den letzten Jahren nur äußerst selten dem Wiener Publikum Gelegenheit gab, seine künstlerische Entwicklung zu verfolgen, hielt gestern im Radio einen Vortrag. Er sprach Gedanken aus, die sein Leben im Ausland ihm zugetragen hat, und Beobachtungen, die er der zeitweiligen Rückkehr in die Heimat dankt. »Wer heute lebt und malt, der ist verrückt«[,] sagt man. »We l c h e n N u t z e n h a t d i e K u n s t ? «[,] fragt man. 189 Wiener Radio-Programm, Samstag, 14. November 1931, 18.45 Uhr. Leider gibt es keine Tonbänder bzw. kaum Aufzeichnungen (z. B. Schellackplatten) aus dieser Zeit. Vgl. Anonym, Vortrag Oskar Kokoschkas im Radio, Neue Freie Presse, 15.11.1931, S. 13. Ohne Charakterisierung des Vortragsinhalts, vgl. Dr. Wolfgang Born, Oskar Kokoschka. Ein Porträt, in : Neues Wiener Journal, 12.11.1931, S. 6, vgl. Früh 1994, S. 8f. 190 Kokoschka 1931.
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Darauf erwidert Kokoschka : »We l c h e n N u t z e n h a t d i e G e s e l l s c h a f t f ü r d i e K u n s t ? « und er wendet sich g e g e n d e n M a t e r i a l i s m u s , der überall seine zerstörende Wirkung zeigt. Kokoschka forderte dann die Oesterreicher auf, schlechte Gesellschaft zu meiden und sich nicht dem anzupassen, was dem Oesterreicher wesensfremd ist, möge es sonst auch noch so sehr in der Welt verbreitet sein. Der Oesterreicher hat ein geniales Herz. K o k o s c h k a h o f f t a u f d i e J u g e n d , a u c h a u f d i e J u g e n d i n O e s t e r r e i c h . Die Jugend wird die heilige Flamme zum Ziele tragen.191
Bildreich evozierte Kokoschka die vermeintlichen Wesenszüge des »österreichischen Menschen«, welche nicht erst im »Ständestaat« zu einem Topos der Österreich-Ideologie geworden waren.192 Die Sprachzugehörigkeit sollte nicht automatisch in einer Volksgemeinschaft münden und zur Abgrenzung vom »Deutschtum« war man um die Generierung eines »österreichischen ›Volkscharakters‹« bemüht.193 Beachtenswert ist bei Kokoschkas Radiobeitrag die Nähe zur berühmten Rede über Österreich von Anton Wildgans (1881 – 1932).194 Der österreichische Schriftsteller und Burgtheaterdirektor hielt diese anlässlich des 10. Jahrestages der österreichischen Republik nicht im November 1929, sondern verspätet am Neujahrstag 1930 im Radio. Kokoschkas Rede ist ungleich kürzer, dennoch sind auffällige Parallelen zu bemerken, die nahelegen, dass er die aufsehenerregende Wildgans’sche Ansprache kannte. Diese sollte propagandistisch in klarer Abgrenzung zu Deutschland »Zeugnis ablegen für das neue Österreich«.195 Vor der Historie des Habsburgerreichs entwickelte Wildgans das Konstrukt des »österreichischen Menschentums, welches ein Ergebnis ist seiner besonderen Geschichte, seiner Kultur und seiner natürlichen Anlagen.«196 Seiner Ansicht nach wurde in Österreich »jahrhundertelang Weltpolitik gemacht« worden, »und Weltpolitik bringt mit sich Weltkultur.«197 Diese »Weltkultur« speise sich aus vielen Einflüssen, die eine besondere Ausprägung in der »österreichischen« Kunst erfahren habe : die »köstliche Blüte des 191 Ebd. Hervorhebungen wie im Original. Es wird dort auch berichtet, dass OK im Anschluss noch die von ihm verfassten Erzählungen »Der Schlächter und sein Lamm« sowie »Die Schale« vorgetragen habe und seit seinen Anfängen »als Schriftsteller sehr gewachsen« sei. 192 Vgl. Johnston 2010, Suppanz 1998 und 1998a, S. 184. 193 Uhl 1999a, S. 2. 194 Wildgans 1930, siehe auch : www.antonwildgans.at/page87.html (Zugriff : 30.6.2022). Zur Kontextualisierung desTextes vgl.Johnston 2010,S. 214 – 219.Ein Ausschnitt der Rede ist über die Österreichische Mediathek nachzuhören, vgl. https://www.mediathek.at/katalogsuche/suche/detail/ ?pool=BWEB&uid=135E8715332-002CB-000004A4-135DCBB9&cHash=de2b9cc23106ac08533ef9a516fbd36c (Zugriff : 30.6.2022). 195 Wildgans 1930, S. 15. Wildgans : »Denn es erscheint als eine allzu leicht hingenommene Behauptung, daß der frühere Nationalitätenstaat in seinen Grundfesten morsch und als solcher unmöglich gewesen wäre. Unmöglich war er bloß als Schwerthelfer des Germanentums, und vor allem als solchem wurde ihm auch ein Untergang von seltener Grausamkeit bereitet. […]«, ebd. 196 Wildgans 1930, S. 26. 197 Ebd., S. 18.
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österreichischen Barock« wurde ebenso genannt, wie berühmte Komponisten (»fast der ganze lebendige Weltbesitz an klassischer Musik«) und Schriftsteller.198 Das Zusammenleben im Vielvölkerstaat lege den Grundstein, dass der österreichische Mensch ein »Völkerkenner, Menschenkenner, Seelenkenner, mit einem Wort : Psychologe« geworden sei.199 Die damit verbundene »Einfühlungsgabe« sei aber auch ein Hemmschuh, insofern als der Österreicher kein »Tat- und Herrenmensch« sei : das möge »vom Standpunkte nationaler Selbstbehauptung ein Mangel sein […] von der höheren Warte reiner Menschlichkeit aus gesehen ist es ein Fehler kaum.«200 Positive Eigenschaften, wie Tapferkeit, Duldsamkeit und Fleiß bei der Arbeit hätten den österreichischen Menschen nicht abstumpfen lassen : Das hängt damit zusammen, daß der österreichische Mensch irgendwie eine Künstlernatur ist und daß seine Methode der Arbeit mehr die der schöpferischen Improvisation und des schaffenden Handwerks geblieben als die der disziplinierteren, aber auch mechanischeren Fabrikation geworden ist.201
Man unterstelle, so Wildgans, dem österreichischen Menschen nicht zu Unrecht » einen gewissen Konservativismus und ein gewisses Zögern gegenüber dem Fortschritt«, da ihm das Bewahren von Werten sowie »das menschliche Herz und die menschliche Seele« von größter Bedeutung sei.202 Auch Kokoschkas Rede von 1931 evoziert diese Österreich-Stereotypen, die noch 1945 in seinen programmatischen Texten wirksamen bleiben sollten.203 Seine Sprache ist weniger pathetisch, staatstragend, öfters blitzt ein satirischer Ton durch, der an Robert Musils Vorstellungen von »Kakanien« denken lässt.204 Während Wildgans auf den Habsburg-Mythos zurückgriff, sparte der linksorientierte Künstler dynastische Beziehungen gänzlich aus, selbst wenn er auf die vergangene Größe Österreichs zu sprechen kam : 198 Ebd., S. 19, 21f. 199 Ebd., S. 27. 200 Ebd., S. 28f. 201 Ebd., S. 32. 202 Ebd., S. 33f. In einer Propagandaschrift der Vaterländischen Front hieß es in einem unüberbietbaren, mehrdeutigen Pleonasmus : »Der Österreicher ist ein menschlicher Mensch.«, aus : Richtlinien zur Führerausbildung. Vaterländische Front Bundeswerbeleitung. Zum Eigengebrauch, o.O. o.J., S. 139f., zit. Suppanz 1998a, S. 187. 203 Vgl. Kokoschka 1945. 204 Zu Musils Begriff »Kakanien« aus dessen Roman Der Mann ohne Eigenschaften (1930) im Kontext des »österreichischen Menschen«, vgl. Johnston 2010, S. 157 – 169. An dieser Stelle sei auch auf Musils Rede Über die Dummheit verwiesen, die er auf Einladung des Österreichischen Werkbunds in Wien am 11. sowie am 17. März 1937 gehalten hat.
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Daß das Leben ein Traum und der Mensch das Maß aller Dinge ist, das wußten wir hier zuhause schon, als Österreich sich noch brüsten konnte, daß in seinen Grenzen die Sonne nicht untergehe.205
So hatte Kokoschka den Aspekt des »Menschlichen« historisch eingebunden und dieser manifestiert sich im gesamten Text als essentiell österreichische Wesensart. Natürlich kam auch er auf die »Künstlernatur« (Wildgans) zu sprechen, beklagte aber, dass die Gesellschaft den Künstlergenius (z. B. Dürer, Rembrandt, Vermeer, Waldmüller und – ungenannt – er selbst) stets verkannt habe. Zudem gab er eine bildreiche Kapitalismuskritik angesichts der herrschenden Weltwirtschaftskrise, mit Schlagwörtern wie dem »Goldene[n] Kalb« und dem »papiernen […] internationalen Börsendrachen« und wandte sich allgemein »gegen den Materialismus«. Bei der Fremd- und Eigenwahrnehmung Österreichs evozierte er nicht ohne Ironie tourismustaugliche Klischees in absurden Szenarien, die der sarkastischen TV-Serie Die Piefke-Saga von Felix Mitterer (1990 ; 1993) entspringen könnten : Wenden wir uns lieber dem Volke zu, der Heimat […]. Wenn unser Volk sich selbst so sehen könnte, wie die anderen es sehen, so würde dann auch zuhause vieles besser sein ! Der Österreicher hat keinen Grund, weil sein Land so klein geworden ist, aus falscher Bescheidenheit sich selbst aufzugeben. Das soll kein Ausverkauf sein für den Fremdenverkehr, wo unter Glockenläuten die Unsrigen als Statisten stehen. Müssen 50.000 Tiroler Gebirgsbauern überredet werden, in die tropischen Urwälder zu gehen, weil die Banken schlecht stehen ?206
Anders als Wildgans verbreitete er sich nicht über die kulturellen Höchstleistungen österreichischer Kunst, Musik und Literatur. Sie kommen aber als zu bewahrender Wert zur Sprache, wenn auch in Form einer Warnung : Nun kennt man die Köpfe unserer großen Musiker wohl, auch sind sie auf unsern [sic !] Geldstücken geprägt ; beim Spielen hat man ihre Stimmen ein wenig verlegt, weil man sie für den Export zurichtet. Der Österreicher soll die schlechte Gesellschaft meiden und nicht auch anfangen, alle Dinge nur um des momentanen Nutzens willen zu betreiben.207
205 Kokoschka 1931, S.257. Wildgans sprach von »der Macht der Habsburger« und Zeiten, »da die Sonne in ihrem Reiche nicht unterging.«, vgl. Wildgans 1930, S. 19. 206 Kokoschka 1931, S. 260f. Er spielte hier auf den Umstand an, dass seit dem späten 19. Jahrhundert und speziell in den 1930er Jahren tausende Tiroler Familien aus wirtschaftlichen Gründen nach Brasilien ausgewandert waren. Darunter war auch der Großvater des bekannten Architekten Clemens Holzmeister. Zum Teil bestehen bis heute noch damals gegründete Kolonien, wie z. B. Tres Tílias. 207 Ebd., S. 261.
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Wie Wildgans und andere österreichische Autoren der Zwischenkriegszeit betonte Kokoschka zwei essentielle Elemente des »Österreichischen« : das Konservative und die Betonung des »Menschlichen« : Man lacht oft über das Konservative im Österreicher, weil er noch an seiner Mundart und manchen alten, von den Fremden mißverstandenen Sitten und Gebräuchen hängt. Wenn wir moderne Ikarusse und Dädalusse zur Sonne schweben sehen, denkt mancher Wiener in seiner Mundart bei sich : »Dö Zwa, ös werd’s Engs überlegn !«208
Das latent Rückständige wird zum positiven Wert, wie das Bewahren von Werten und der »Respekt vor der Vergangenheit und [dem] Traditionsbewusstsein«.209 Der Zug zum »Menschlichen« wird bei Kokoschka in einer enigmatischen, aber hochpathetischen Textpassage zum Thema. Zwar sprach Kokoschka, anders als Wildgans, nicht von Österreich als gefährdetes Bollwerk der Christenheit respektive des Abendlandes210, sah aber Bedrohungen, gegen die er die »heilige Flamme der Menschlichkeit« als Wunderwaffe auf den Plan rufen wollte : Diese heilige Flamme ist der Menschlichkeit, die uns vor der Barbarei rettete, wenn vor den Toren Hunnen und Barbaren rasten. […] Solange das österreichische Volk seinen Charakter bewahrt, wird es das Menschliche bleiben. Diese Meinung über den Österreicher habe ich im Ausland noch immer gehört, und so ist er noch bekannt…211
Handwerk und Erziehung In dem politisch verschärften Klima waren Fragen des Patriotismus auch in Künstlerkreisen virulent. Adolf Loos hatte schon 1927 den Artikel Ich – der bessere Österreicher publiziert.212 Dieser Text stellt einen für ihn typischen Rundumschlag gegen das »Wiener Weh«, die Wiener Werkstätte unter der Leitung Josef Hoffmanns dar und geht auf den Begriff des Handwerks, der »Wiener Edelarbeit« ein. Dieser Text war zugleich eine Antwort auf die Vorwürfe gegen den weitgehend in Paris lebenden Loos, mit seiner Polemik gegen das Kunstgewerbe »im Ausland« dem Image Österreichs zu schaden, mehr noch : schaden zu wollen : Von allem, was […] über mich gesagt und geschrieben wurde […] ist mir nur ein […] Vorwurf näher gegangen. Daß ich mit meinen Vorträgen, Schriften und nicht nur hier, sondern natür208 Ebd. 209 Suppanz 1998a, S. 188. 210 Wildgans 1930, S. 16. 211 Kokoschka 1931, S. 261f. 212 Loos 1927.
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lich auch im Ausland vorgebracht oder dort wenigstens gehörten Anklagen meinem Vaterland, im besonderen aber Wien schade ! […] Mit einem Wort, ich gefährde mit meinem ›Schimpfen‹ das erworbene oder kreditierte Renommee, das Österreich im Ausland genießt. ›Ich bin kein Patriot …‹ Darauf erwidere ich, daß jede Zeile, die sich zustimmend oder ablehnend mit meiner Person und meinen Argumentationen befaßt, mit ›Der Patriot‹ überschrieben sein müsste. […]. Ich schädige den guten Ruf, den die Wiener Edelarbeit im Ausland genießt ? Im Gegenteil. Ich bin ein Patriot. Ich bin unermüdlich damit beschäftigt, die Ausländer aufzuklären, […] daß es eine Falschmeldung ist, wenn man ihnen auf Ausstellungen allen jenen österreichischen Luxusgschnas vorführt und als österreichischen Stil deklariert. Über den wir zu Hause bloß lachen und der so ziemlich das Unvolkstümlichste ist, was sich je der Förderung durch amtliche österreichische Stellen erfreut hat.213
Die Loossche Gedankenwelt, die Bedeutung, die er dem Handwerk in zeitgenössischen Diskurs verlieh, seine Abscheu gegen das Kunstgewerbe in der Interpretation der Wiener Werkstätte und nicht zuletzt die Schärfe seiner Rhetorik waren prägend für Kokoschka, der im Oktober 1933 zum Festredner der Gedenkfeier des im August verstorbenen Loos auserkoren wurde.214 Im Vorfeld war der Künstler, der in seiner Frühzeit von Loos und von Hoffmann sehr protegiert worden war, in die Querelen des Österreichischen Werkbunds geraten. Dieser stand aus vielen Gründen 1932/33 vor der Zerreißprobe : der konfliktreiche Bau der Wiener Werkbundsiedlung215 unter der Leitung Josef Franks, der Konkurs der Wiener Werkstätte, die allgemein schlechte Wirtschaftslage u.v.m. führten dazu, dass Hoffmann im Juni 1933 demonstrativ austrat. Im Folgejahr 1934 wurde der politisch konservativ orientierte, latent antisemitische Neue Werkbund Österreich unter dem Vorsitz des Architekten und im »Ständestaat« omnipräsenten Kulturfunktionärs Clemens Holzmeister knapp nach den blutigen Straßenkämpfen gegründet.216 Der Architekt Josef Frank übernahm die Führung im bestehenden (alten) Werkbund und bemühte sich um eine inhaltliche Öffnung : Kokoschka, aber auch der Komponist Ernst Krenek wurden wiederholt eingeladen und in den Werkbund aufgenommen.217 213 Ebd. 214 Vgl. W.D., Adolf-Loos-Gedächtnisfeier, in : Neue Freie Presse, 28.10.1933 (Abendausgabe), S. 2 ; Oskar Kokoschka, Zum Gedächtnis von Adolf Loos, Variante II, in : Schriften III, S. 187 – 193 (Kokoschka 1933a). 215 Vgl. https://www.werkbundsiedlung-wien.at/ (Zugriff : 2.7.2022). 216 Achleitner 1978, S. 111, zit. Gmeiner/Pirhofer 1985, S. 186¸ vgl. Posch 2010, Kap. Bewegte Jahre 1934 – 1938, v. a. S. 236 – 243, 245 – 247, 252 – 255. 217 Hinweis dazu bei Gmeiner/Pirhofer 1985, S. 184. Es gibt kein Werkbund-Archiv, und auch sonst ist die Quellenlage düster. Krenek und OK kannten sich schon früh über die Vertonung (Oper) von Kokosch kas Drama Orpheus und Eurydike (1920). Krenek hatte sich 1932 seine Wohnung von Franks Firma
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Frank kannte OK schon aus seiner Frühzeit218 und war zu einer streitbaren kulturpolitischen Szenefigur geworden : »Als glänzender Redner nahm er jede Gelegenheit wahr, durch Vorträge die Öffentlichkeit zu belehren und gegen Fehlentwicklungen zu predigen, die er durch den steigenden Einfluss biederer Reaktionäre kommen sah. Seinen Feinden – und er hatte viele – erschien er destruktiv und voll vernichtender Ironie.«219 Kokoschka hatte sich trotz seiner Freundschaft zu Hoffmann für den tendenziell bis explizit linkeren Verband entschieden und sich hierin 1933/34 sehr engagiert. Mit Holzmeister hingegen, der vor der Werkbund-Spaltung unverhohlen Stimmung gegen Frank gemacht hatte220, lassen sich bis weit in die Nachkriegszeit kaum persönliche Berührungspunkte zu Kokoschka nachweisen.221 Im Schatten der bürgerkriegsähnlichen Kämpfe am 13. Februar 1934 berichtete die Presse von Veränderungen über die »zwei Werkbünde« : »Der eine betont die Volks verbundenheit und Tradition, der andere die Weltläufigkeit und unmittelbare Zeitge mäßheit.«222 Der Vorstand des (alten) Österreichischen Werkbunds wurde neu gewählt, und ihm gehörten nun neben dem Vorsitzenden Walter Sobotka noch Anton Brenner, Fabrus, Frank, László Gabor, Höller, Julius Kalmar, Walter Loos, Otto Neurath, Oskar Strnad, Lois Welzenbacher und last but not least : Kokoschka an.223 Der Künstler hielt 1933 und 1934 etliche Vorträge, wobei Frank öfters als Programmredner oder Moderator mit dabei war. Frank emigrierte im Verlauf des Jahres 1934 nicht zuletzt wegen des stetig wachsenden Antisemitismus nach Schweden, hatte seine Verbindungen zu Österreich aber erst später endgültig abgebrochen. Kokoschkas Aktivität im Vorstand des architekturlastigen Werkbunds ist trotz der forcierten Öffnung durch Frank bemerkenswert. Die Gründe dafür sind vielfältig, laufen aber letztlich auf einen Punkt hinaus : OK hatte für sich das Feld der Kulturpolitik entdeckt. Dahinter stand nicht nur eine kurzfristige Taktik wie das Lobbying rund um die Bewerbung als Direktor der Kunstgewerbeschule, sondern tatsächlich eine Perspektivenerweiterung. Dabei spielt der erwähnte Diskurs zum Begriff des Handwerks eine große Rolle, den er in ein reichlich unorthodoxes Erziehungskonzept integrierte. VisioHaus & Garten einrichten lassen, vgl. Krenek 1998, S. 793 – 795. Eine Mitgliedschaft beim alten Österreichischen Werkbund erwähnt er in seinen Erinnerungen nicht und ist im Nachlass nicht nachweisbar. Krenek hatte laut eigenen Aussagen ca. 1928 im Werkbund den Vortrag »Musik und Material« gehalten. 218 Frank hatte OKs Rede im Akademischen Verband gehört (1912), Schweiger 1983, S. 219. 219 Herbert Thurner über Frank, zit. Posch 2010, S. 239. 220 Posch 2010, S. 241f. 221 Für die Rechercheunterstützung in den jeweiligen Holzmeister-Nachlassteilen danke ich Christoph Hölz, Archiv für Baukunst, Universität Innsbruck und Gabriele Jurjevec-Koller, ehem. Universitätsbibliothek der UAK. 222 Anonym, Der Weg des Werkbundes, in : Neue Freie Presse, 13.2.1934, S. 2. An dieser Stelle sei auf die verdienstvolle Recherchearbeit in der zeitgenössischen Presse von Eckhart Früh verwiesen, vgl. Früh 1994, 1995 und 2008. 223 Ebd.
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när, affirmativ und eklektisch, im Tonfall oft großspurig und letztlich auch naiv, wenn es um seine Versuche geht, auf staatlicher Ebene zu reüssieren. Aufmerksamkeit erreichte er mit etlichen Vorträgen 1933/34, die von Presseberichten begleitet wurden. Dazu zählte die Adolf-Loos-Gedächtnisfeier des Österreichischen Werkbunds am 27. Oktober 1933 im Kleinen Musikvereinssaal mit Kokoschkas äußerst assoziativ angelegter sowie performativer224 Laudatio : »Keine Rede : eine Eruption von Visionen.«225 Dabei wurde der Architekt und Lebensreformer gewürdigt und klargestellt, dass sowohl Loos als auch er Patrioten waren mit ihren Visionen zum »kulturellen Neubau Österreichs«.226 Letztendlich aber (be-)nutzte Kokoschka die Gedenkrede für seinen alten Freund vor allem als Bühne für seine eigenen Ideen und machte irritierenderweise aus Loos einen Ahnherrn progressiver Pädagogik. So forderte er, Loos’ Schriften in den öffentlichen Schulen einzuführen und verknüpfte in einem assoziativen Bogen dessen Genius mit Überlegungen zur Bedeutung des Handwerks und einer Reform des Schulwesens.227 Er stellte Loos in die Reihe pädagogisch-philosophischer Vordenker und legte ihm Worte des »Landsmanns« Comenius in den Mund. Humanismus und Erziehung sind eins. Österreich soll seine Kulturaufgabe, die im Zeitenlauf nicht immer gleich bleibt, jetzt […] behaupten, da Mädchen und Jünglinge, aus den Volksschulen entlassen, sich auf den Straßen befinden und Arbeit verlangen, vergeblich von Fabriken erhoffen. Beginnen wir damit, daß der staatliche Volksunterricht auf Ideen, Pläne des Bildners, des Wahlvaters des deutschen Idealismus zurückgeht, des ehrwürdigen Comenius, dem Leibnitz, Herder, Hegel, Kant, Goethe, Humboldt, wie sie selber in ihren Schriften bekennen, die Fundamente ihres Charakters verdanken. Adolf Loos, sein Landsmann, ist ohne es vielleicht genau gewußt zu haben, Erzieher im Geiste des comenius’schen Grundgedankens gewesen, der besagt : »Nicht nur aus Büchern sollen wir unsere Erkenntnis schöpfen, sondern aus Himmel und Erde, aus Eichen und Buchen und statt fremden Beobachtungen sollen wir die Dinge selbst kennenlernen.« […] Für die Jünglinge verlangt er : »Neben dem Erziehungswerke der Volksschulen lerne ein jeder praktisch ein Handwerk.« […] Es ist im Sinne des erwachenden Österreich, daß die Enkel eines reich begabten und kunstsinnigen Volkes nicht zu seelenlosen Maschinenmenschen herabsinken, wie sie den Liebhabern des Filmes (Chaplin : »Modern Times«) bereits auf der Leinwand vorgeführt werden.228
224 »Oskar Kokoschka am Vortragspult ist ein eigenes Erlebnis. […] Er spricht befangen, unruhig, stoßweise – und doch ist man vom ersten Wort an gefangen. Jeder fühlt : hier formt einer, der etwas zu sagen hat, seine besten Gedanken. Kokoschkas Rede war ein Bekenntnis.«, Dr. Wolfgang Born, Kokoschka feiert seinen Freund Loos, aus : Neues Wiener Journal, 27.10.1933, S. 4. 225 Ebd.; Piero Rismondo, Die Loos-Feier des Werkbundes, in : Wiener Allgemeine Zeitung, 28.10.1933, S. 5. 226 Ebd. 227 Kokoschka 1933a. 228 Ebd.; Zu Comenius u. a. als »Augenöffner« vgl. auch Bonnefoit 2021.
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Kokoschka sprach wie viele Österreich-Apologeten von einer Art naturgegebenen Mission des Landes, »welches der Natur seiner geografischen Lage nach, den Ausgleich, inmitten der verschiedenen Strömungen in Europa, oft gesucht und oft gefunden hat […].«229 Kultur und in diesem Sinne konkret : das Handwerk sei das grundlegende (pädagogische) Element, das richtungsgebend sei. Um dem offensichtlichen Anachronismus den Wind aus den Segeln zu nehmen, verbrämte er seine Position als ein visionäres Gegen-den-Strom-Schwimmen : Man halte es nicht für unzeitgemäß und rückschrittlich, wenn ich das Handwerk im Sinne Adolf Loos’, entgegen der öffentlichen Meinung, jetzt in der kritischen Zeit werbe […] Was wir tun müssen ist, daß wir die Jugend mit seinen Grundsätzen bekannt machen, er sah in der Handwerkskultur die österreichische Kultur.230
Der »Ständestaat«. Reformideen und Etablierungsversuche eines Visionärs In der Textsammlung der politischen Schriften (1976) ist Kokoschkas Vortrag im Österreichischen Werkbund 1934231 publiziert, den man bislang als Beleg für Kokoschkas antifaschistische Grundhaltung und vor allem sein kritisches Verhältnis zum »Ständestaat« interpretierte : Wegen unserer Kulturpropaganda geschieht es, daß heute noch friedliche Reisende mit dem Zug durch unsere Landschaft kommen. Aber während man ein friedliches Leben vom Zug aus zu beobachten glaubt, werden Menschen, etwas entfernt vom Bahndamm, in Kriegsgeschäfte, von denen sie nichts verstehen, verwickelt, vom Standgericht in die Gefängnisse und Konzentrationslager geworfen und mit dem Galgen bedroht.232
Der »Vortrag«, dessen Originalmanuskript Kokoschka mehrfach überarbeitet hatte, wirft allerdings viele Fragen auf. Er basiert de facto auf zwei Vorträgen und mindestens einem längeren Artikel, vor allem aber weicht der viel später edierte Text stark von dem ab, was die Presse damals berichtete. Kokoschka hatte am 4. Dezember 1933 einen Vortrag im Österreichischen Werkbund mit dem Titel Das Handwerk als Grundlage der Erziehung in Österreich233 gehalten und die Gedächtnisrede für Loos programmartig ausgeführt und in Zeitungsartikeln und Interviews näher erläutert : »Das Handwerk muß Grundlage der Erziehung werden, und der Malerphilosoph will das offizielle Österreich auf 229 Kokoschka 1933a., S. 192. 230 Ebd., S. 193. 231 Kokoschka 1934. Zur Problematik der Edition vgl. Reinhold 2017, ab S. 119. 232 Kokoschka 1934. 233 Vortrag Oskar Kokoschka, Neue Freie Presse, 3.12.1933, S. 8. Anonym, »Handwerk als Grundlage der Erziehung in Österreich«, Neue Freie Presse, 6.12.1933, S. 5.
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seine Gedankengänge hinweisen.«234 »Das Handwerk als der der Menschheit dienende Stand [sic !] wurde eingekeilt zwischen das kapitalistische Unternehmen und die neue Schichte des Fabrikarbeiters«, was angesichts von »150 Millionen« Arbeitslosen nicht folgenlos bleibe.235 Zudem habe das Handwerk durch die akademische, kunstgewerbliche Ausbildung unter dem Einfluss der »jeweiligen Stilarchitektur »seine Selbständig keit verloren«.236 Vom »Ästheten nur entworfen, aber vom Tischler angefertigt […], der wiederum den geistigen Gehalt der neuen Formidee nicht erfaßt«, würde »hier eine Lebenslüge« produziert – ein Seitenhiebe auf die Arbeitsweise der (1932 in Konkurs gegangenen) Wiener Werkstätte, ganz im Loos’schen Sinne.237 Im Geiste Comenius’ forderte er eine umfassende, pazifistisch orientierte Reform des Erziehungswesens : nach einem Stufenplan sollten die Kinder bei der Einschulung zuerst einen »Handfertigungsunterricht« erhalten, dem eine Einführung in das »Buchwissen« folgen sollte ; in der Pubertät »solle wieder ein Handwerksjahr einsetzen, das die starke psychische Belastung der Entwicklungsjahre auszugleichen hätte.«238 Das wäre kein Ersatz für eine handwerkliche Fachausbildung, sondern unterstütze die geistige Entwicklung aller Sinne. Zur Finanzierung sollten nämlich »alle Einkünfte und Dividenden der Rüstungsindustrie für Erziehungszwecke beschlagnahmt werden« und er vertrat die von Eugenie Schwarzwald praktizierte Idee des (internationalen) Schüleraustauschs auf, der neue Erfahrungen und Begegnungen bieten und Vorurteile in einem pazifistischen Sinne abbauen sollte.239 Kokoschkas Bewerbung als Direktor der Kunstgewerbeschule
Kokoschkas Werkbund-Vortrag im Dezember 1933 lag kurz vor Ende der Bewerbungsfrist für den Posten des Direktors der Kunstgewerbeschule, war also durchaus strategisch platziert. Nach der Ära Alfred Roller wurden der alte Josef Hoffmann, Oskar Strnad und nicht zuletzt Kokoschka als aussichtsreiche Kandidaten kolportiert.240 Später behauptete Kokoschka, dass ihm […] aus Wien das Unterrichtsministerium angetragen [habe], die Leitung der Kunstgewerbeschule, wo ich einst Schüler gewesen und verbannt worden war, zu übernehmen ; aber ich machte die Annahme der Einladung davon abhängig, daß man gleichzeitig in dem klein gewordenen Österreich eine allgemeine Schulreform im Sinne des Erziehungsplanes des Jan 234 o.z. [Otto Zausmer], Kokoschka, der Philosoph, in : Volks-Zeitung, 2.12.1933, S. 3. 235 Anonym, Jeder junge Österreicher soll ein Handwerk lernen ! Von Oskar Kokoschka. Aus einem Gespräch, in : Neues Wiener Journal, 3.12.1933, S. 14. 236 Ebd. 237 R.W-a [Robert Wacha], Kokoschka über Erziehungsprobleme, in : Neues Abendblatt, 7.12.1933, S. 3. 238 Ebd. 239 Ebd. 240 Anonym, Wer wird Direktor der Kunstgewerbeschule, in : Neues Wiener Journal, 8.12.1933, S. 15.
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Amos Comenius einführe. Wie aussichtslos das war, wußte ich zu gut ; denn in Österreich hatte man sich bereits auf den Anschluß an das Reich eingestellt, in der Hoffnung damit die Arbeitslosigkeit wie durch ein Wunder zu beenden.241
Fakten, Fiktion und retrospektive Projektion : Kokoschka wurde weder zur Übernahme der Direktion der Kunstgewerbeschule – die ihn niemals »verbannt« hatte ! – eingeladen, noch hatte sich das offizielle Österreich auf den »Anschluß an das Reich eingestellt«. Im Gegenteil war man verzweifelt versucht, auf allen Ebenen diesen zu verhindern. De facto hatte sich der Maler für die Direktionsstelle zwei Tage nach Ablauf der Frist beworben An die Direktion der Kunstgewerbeschule Mein Name wird in der Reihe der für die Besetzung der Direktorstelle der Kunstgewerbeschule in der Presse wiederholt angeführt in Verbindung mit meinem kürzlich im Rahmen des Werkbundes gehaltenen Vortrag : Handwerk als Grundlage der Erziehung in Österreich. Ich ersehe daraus [,] daß die Öffentlichkeit an den von mir vorgeschlagenen grundlegenden Reformplänen das entsprechende Interesse nimmt, weshalb ich mich sobald mit der Neubesetzung der Direktorstelle an der Kunstgewerbeschule auch entschiedenen Reformen verbunden wären, zu diesem Zwecke zur Verfügung stelle. Die Bedeutung dieser Lehranstalt für Österreich schätze ich sehr hoch ein und bin der Ansicht [,] daß in der gegenwärtigen Zeit gerade von Österreich aus eine entschiedene kulturelle Leistung ausgehen sollte. Oskar Kokoschka Wien, 11. Dez. 33242
Beworben hatten sich u. a. Wolfgang von Weresin, Ferdinand Kitt, Max Fellerer, Otto Prutscher, Josef Frank, Robert Orley, Philipp Häusler, Anton Brenner, Oskar Strnad, Anton Hanak und Albert Paris Gütersloh.243 Wesentlich erschien dem Kollegium, »ob der Bewerber genügend Vertrautheit mit dem österreichischen Kunstgewerbe und der österreichischen Geschmacksindustrie besitze […], ob er hinreichend frei sei von Bindungen kunst-parteipolitischer Art […].«244 Bald darauf bestellte man Max Fellerer (1889 – 1957) zum Direktor245, der – politisch genehm – jahrelang der engste Mitar-
241 Kokoschka 1971, S. 237. 242 OK an die Direktion der Kunstgewerbeschule, Wien, 11.12.1933, zit. Wagner 1991, S. 37.; vgl. Zl. 10.047/ 1 – 3/Aut, UAUAK, Streichungen vom Original übernommen. 243 Protokoll der VI. Sitzung des Arbeitsausschusses vom 11.12.1933, UAUAK, Sitzungsprotokolle der Hochschule für angewandte Kunst 1930 – 1938. Anwesende Professoren : Franz Čižek, Josef Hoffmann, Michael Powolny, Eduard Josef Wimmer-Wisgrill unter dem Vorsitz von Alfred Roller. 244 Ebd., S. 9f. 245 Ebd., S. 10, 13.
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beiter und Vertraute des einflussreichen »Staatsrats« Clemens Holzmeister war.246 Kokoschkas Bewerbung erscheint da mehr wie eine Randnotiz. Am Beginn der Sitzung am 15. Dezember wurde protokolliert, man werde Kokoschka nicht als Kandidat in Betracht ziehen. Die trocken formulierte Abfuhr signalisiert, dass sein »Formalfehler« durchaus zupasskam. Der Vorsitzende gibt bekannt, dass seit der letzten Sitzung, also nach Ablauf der Einreichungsfrist, ein gesuchartiges Schreiben von Maler Oskar KOKOS CH KA eingelangt sei. Er schlägt vor, die Beantwortung in dem Sinne zu halten, dass das Schreiben als verspätet eingelangt, nicht in Betracht gezogen werden konnte, womit sich die Anwesenden einverstanden erklären.247
In dieser Zeit, am 19. Dezember 1933, erschien ein Artikel Kokoschkas im Neuen Wiener Journal, dessen Titel eventuell von der Redaktion und nicht vom Autor gewählt wurde : Handwerk soll Österreichs Volk zur Erfüllung seiner Mission erziehen ! 248 Das ausgegebene Motto war ein klares politisches Statement, das durch die Verwendung einschlägiger, regimekonformer Terminologie befremdet.249 In kokettierender Bescheidenheit schrieb er zur Ausschreibung der Direktion der Kunstgewerbeschule, dass er sich absichtlich zu spät bzw. außerhalb des Bewerbungsverfahren dem Ministerium angetragen habe, »dieses Bildungsinstitut in eine Staatslehrwerkstätte umzuwandeln.250 Im Geiste (des nicht genannten) Loos’ sprach er sich gegen das Kunstgewerbe aus : Es sei »ein aufgepfropfter Reis und kein natürlicher Schößling des Handwerks.«251 Vielmehr solle die Kunstgewerbeschule in eine »Staats- und Versuchswerkstätte« umgewandelt werden und […] Handwerkslehrer als Erzieher heranbilden, worunter nicht gewerbetreibende Handwerksmeister zu verstehen sind. Eine arme Zeit verpflichtet zur Voraussicht […]. Das Problem der Stunde ist nicht, daß unsere leere Schüssel mit einem sinnentsprechenden oder sinnloseren Ornament verdeckt sei, wo unsere gesamte Zivilisation auf dem besten Wege ist, sich selbst ad absurdum zu frühen. Untergang des Abendlandes oder einen gangbaren Weg zur Erziehung des geistigen Proletariats, das wir die Masse nennen, finden : den Weg zum Volke zurück !252
246 Posch 2010, S. 225. 247 Protokoll der VI. Sitzung des Arbeitsausschusses vom 11.12.1933, UAUAK, Sitzungsprotokolle der Hochschule für angewandte Kunst 1930 – 1938, S. 11. 248 Kokoschka 1933b. 249 Früh 2008, S. 32. 250 Kokoschka 1933b. 251 Ebd. 252 Ebd., S. 17f.
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Die Erziehung der Jugend durch das Mittel des »ehrlichen« Handwerks sei der Schlüssel zum Frieden ; auf die nationale Ebene heruntergebrochen, sei es die Beförderung des Landes aus dem Zustand und dem Empfinden der Krise herauszuführen. Kokoschka variierte oft Gesagtes in neuen Konnotationen und bediente sich auf erschreckende Weise des Vokabulars des Dollfuß-Regimes. Bei aller Naivität, die man Kokoschka möglicherweise unterstellen kann, ist ein gehöriges Maß an Anbiederung nicht zu übersehen bzw. zu überlesen : Weil Österreich ein Kleinstaat ist, kann es nicht wie ein Großstaat sich den Luxus leisten, den größeren oder kleineren Teil des Volksganzen als geistiges Proletariat, als amorphe Masse heranzuziehen […]. Noch hat der Österreicher als Erbgut einer jahrhundertealten Übung eine manuelle Begabung im Blut, eine natürliche Anschauung von der Welt im Kopf […].253
Manche Formulierungen erinnern an Wildgans’ Österreich-Stereotypen und deren Sendungsbewusstsein. Am Ende seines Plädoyers, oder besser : Manifests kulminierte Kokoschkas Affirmation an den »Ständestaat« förmlich, führt er doch ein Ereignis ins Treffen, das so gar nicht in das aufgeklärte, politische Weltbild des linksorientierten bzw. zumindest liberalen Kokoschka passt, nämlich den Allgemeine Deutschen Katholikentag im September 1933254 – ein propagandistisches Hochfest des klerikal-faschistischen Regimes : Wenn ein Volk sich wieder auf den Sinn der Arbeit, als einer Leistung auf Gegenseitigkeit, innerhalb der menschlichen Lebensgemeinsaft besinnt, indem der einzelne Mensch, dank einer natürlichen Erziehung, sich wieder harmonisch zur Umwelt einstellt, dann wird einmal dies die österreichische Mission in der Welt gewesen sein. Es ist vielleicht kein Zufall, daß ein internationaler Kirchenkongreß, der sich die Speisung der Hungernden Rußlands, die Aufrüttlung des Weltgewissens als Arbeitsprogramm gestellt hat, in Wien tagt. Nicht wer Direktor an der Kunstgewerbeschule wird also, sollte die Öffentlichkeit beschäftigen, sondern daß ein Landeskommissär für das Erziehungswesen ernannt werde, der im Ständestaat Handwerk als Grundlage der Erziehung in Österreich einführt.255
Die bisherige Deutung, Kokoschka habe sich offen gegen das austrofaschistische Regime geäußert256, sind in keiner Weise zu belegen. Im Gegenteil : auch wenn mehrfach in der Presse der Hinweis kam, dass seine Reden sehr impulsiv und assoziativ erschienen, so wusste er doch seine Inhalte mit regimekonformen Reizwörtern zu versehen. Nun 253 Ebd., S. 18f. 254 Hanisch 2014, v. a. S. 80 255 Kokoschka 1933b. 256 Vgl. Spielmann 2003, S. 302 – 306.
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könnte man vermuten, dass man in den Redaktionsstuben der zunehmend – um in der NS-Diktion zu sprechen – »gleichgeschalteten« Presse den Korrekturstift angesetzt habe. Doch Kokoschka wäre bei klarer Regimekritik entweder (zumindest) verbal verurteilt oder totgeschwiegen worden. Vielmehr zeigt die Dichte an verschiedenen Zeitungsberichten, dass man seine Botschaften samt ihrem visionären Grundtenor für mitteilungswert hielt. Wie lässt sich nun Kokoschkas tendenziell linke Haltung mit seiner affirmativen Rhetorik in Einklang bringen ? Begründungen dafür wird man auf mehreren Ebenen suchen müssen. Die Auftragslage damals war auch für einen prominenten Künstler enorm schwierig, seine finanzielle Lage sowie die seiner Familie tatsächlich extrem angespannt. Sich in einer politischen Umbruchszeit den neuen Machthabern anzudienen, erscheint moralisch verwerflich, wenn auch durchaus menschlich. Dennoch mag das als Erklärung kaum greifen, da es u. a. eines tragfähigen Netzwerkes bedarf, um überhaupt von den politischen Entscheidungsträgern wahrgenommen zu werden. An der Wende zwischen 1933 und 1934 war klar, wo die entscheidenden Seilschaften zu knüpfen gewesen wären : Kokoschka bewegte sich beispielsweise nicht im Dunst- bzw. Gunstkreis eines Clemens Holzmeisters. Kokoschka hatte ein Sendungsbewusstsein entwickelt, vom dem Eugenie Schwarzwald scheinbar anekdotenhaft schon 1926 zu berichten wusste. In mehrfach adaptierten Artikeln schilderte sie – nicht zufällig auch 1934 – die breiten, außer-künstlerischen Interessen des Künstlers : Für Kunstgeschichte interessiert er sich nicht, das heißt für Tintoretto schon, aber nicht für sich selber. Wer ihn mit Tadel oder Lobeserhebungen über sein eigenes Werk unterhalten wollte, wäre fehl am Ort. Mit ihm muß man über Mutterrecht, die Weltproduktion an Petroleum und Steinkohle sprechen, über die Not der Menschen in Whitechapel und über Kinderversendung aufs Land ; dann wird er lebendig. Das sind die Gegenstände, die ihm wirklich nahe gehen. »Über solche Sachen möchte i a Buch schreiben«, sagt er, »aber da bin i halt net g’scheit g’nug. Mein Geist ist wie die tibetanische Wüste, nur daß die kleinen Tempel der Weisheit darin fehlen. Das tut mir leid, ich weiß nämlich was Wichtiges, was man überhaupt zu wissen braucht, und halte es für meine Pflicht, das allen Menschen mitzuteilen. Aber da ich keine Bücher schreiben kann, muß ich halt malen.257 257 Schwarzwald 1934. Der Text war erstmals 1926 und ab dann in verschiedenen Varianten erschienen, vgl. Dr. Eugenie Schwarzwald, Der Redner Kokoschka, in : Neue Freie Presse, 20. Januar 1926, S. 10. Vgl. auch Schweiger 1983, Anm. 29, S. 219 (bzw. S. 264). Eine Paraphrase bei Karl Marilaun, Unterhaltung mit Kokoschka. Zu seinem vierzigsten Geburtstag, in : Neues Wiener Journal, 17.3.1926, S. 8f. Whitechapel galt schon Ende des 19. Jahrhunderts gemeinhin als eines der ärmsten, slumartigen Viertel Londons, zumeist von Juden und Iren bewohnt, wo jedoch bald Sozial- und Bildungsprojekte initiiert wurden. Kokoschkas alter, von ihm geschätzter Gymnasiallehrer, der Anglistikprofessor und Zionist Leon Kellner (1859 – 1928) war an der Umsetzung ähnlicher Projekte in Österreich beteiligt, vgl. Oelschlägl 2014.
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Anfang der 1930er-Jahre hatte sich Kokoschka offensichtlich nicht mehr damit abgefunden, »halt [nur] malen« zu können. Der Umstand, dass er im Februar 1934 in den Vorstand des Österreichischen Werkbunds Eingang fand, deutet darauf hin, dass OK versuchte, sich auf kulturpolitischer Ebene zu etablieren – immerhin schlug er sich bar jeder realpolitischer Grundlage (indirekt) als »Landeskommissär für das Erziehungswesen« vor.258 Dass er seine Reformideen in einer politisch genehmen Sprache formulierte, sollte die Chance der breiteren Rezeption, die er schon aufgrund seines Namens hatte, wohl noch erhöhen. Befremdend erscheint der Umstand, dass der Künstler die eindeutig repressiven Entwicklungen durch das Dollfuß-Regime nicht kritisierte, sondern ignorierte. Februar und März 1934
Kokoschka setzte unter Ausblendung wichtiger realpolitischer Vorgänge 1933/1934 einige idealistisch-naiv anmutende Hoffnungen in die Entwicklung eines »Ständestaats«. Aus der historischen Distanz gilt es, möglichst heterogene Quellen zur Klärung der Gegebenheiten heranzuziehen. Die meist rezipierte bzw. strapazierte Darstellung überliefert seine Autobiografie von 1971 : Zu Anfang 1934, als ich in Budapest einen Vortrag hielt, warnten mich ungarische Freunde vor einem bevorstehenden Putsch in Wien. Eiligst kehrte ich zurück. Meine Mutter und mein jüngerer Bruder lebten in unserem kleinen Haus in Wien zwar fern vom Stadtzentrum, vom Parlament und den Regierungsgebäuden, wo Demonstrationen zu erwarten waren, doch immerhin nahe genug den Arbeitersiedlungen, die an der Stadtperipherie jüngst, nach einem Vorschlag von Adolf Loos, erbaut worden waren. Die Bauten waren als vorbildlich auch im Ausland anerkannt worden.259
In einer bemerkenswerten Verdrehung der historischen Fakten skizzierte der mehr als 80-jährige Künstler rückblickend die vermeintlichen Bürgerkriegsgegner und -motive : Leider hat der damalige Kanzler Österreichs, Dollfuß, die Gefahr, die von gewissen Anhängern der alldeutschen Partei drohte, unterschätzt. Die Partei, nach dem Verlust ihrer Besitzungen – Güter, aber meist Fabriken in den vormaligen Kronländern – verarmt, wollte durch den Anschluß an das Reich ihre verlorene Machtposition wiedergewinnen. Die politischen Auseinandersetzungen zwischen dieser Gruppe der Bürgerschaft und der Arbeiterpartei führten nach deutschem Muster zur Bildung einer Privatarmee unter der Führung von Graf Starhemberg. Die Arbeiter verschanzten sich, bewaffnet, hinter dem Ring der Arbeitersiedlungen und woll258 Kokoschka 1933b. 259 Kokoschka 1971, S. 233.
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ten sich nicht ergeben. Die Bürgerlichen sahen in diesen Siedlungen kommunistische Festungen. Blutige Demonstrationen begannen, Dollfuß ließ Kanonen auffahren – das hatte man in Wien noch nicht erlebt.260
Wie auch immer Kokoschkas unmittelbare Reaktion auf die Februarkämpfe gewesen sein mag, das Bombardement auf die Arbeiterwohnbauten des Roten Wien durch das Bundesheer waren nicht nur ihm, sondern auch seiner Mutter sehr nahegegangen. Er sah hier den eigentlichen (seelischen) Auslöser für die Krankheit und letztlich den Tod von Romana Kokoschka im Sommer 1934.261 Viktor Matejka berichtete von einem Telefonat mit dem Künstler nach dem Beginn der Kampfhandlungen : Ein Bürgerkrieg demonstriere dies unmittelbar, hier gingen Fronten mitten durch den Leib des Volkes. Statt zu Gewehren und Kanonen zu greifen, sei es oberste Pflicht jeder Regierung, unablässig um friedlichen Ausgleich der Differenzen bemüht zu sein. Eine Regierung, die auf Bürger schießen läßt, mißbrauche die Hände, die zur Friedensarbeit da seien. Der Glaube an die Notwendigkeit von Kunst bestätige sich in der richtigen Funktion der Hände, Kunst und Kunsthandwerk entsprängen der gleichen Wurzel. Das klang nicht wie eine theoretische Lehre, es kam vielmehr aus einem blutenden Herzen, das eindeutig links schlug. Hier sprach der österreichische Politiker [sic !] Kokoschka, dessen Regierung freilich nichts von ihm wissen wollte.262
Dass Matejka Kokoschkas Betonung von »Kunst und Kunsthandwerk« hervorhob, geht offensichtlich auf dessen idée fixe pazifistischer Erziehungsreformen angesichts der Kampfhandlungen zurück. In einem nicht publizierten Brief Kokoschkas an Josef Hoffmann vom 1. März resümiert er seine Bewerbung an der Kunstgewerbeschule, bewusst zu spät abgeschickt habe, »um es dem Amtsschimmel besonders leicht zu machen.«263 Das Schreiben und die vermutlich nicht abgesandte Antwort Hoffmanns erscheinen als ein Nachtrag zur Geschichte des nunmehr gespaltenen Werkbundes : mit großem Enthusiasmus breitete OK seine »Reform, die nicht eine Utopie ist«, aus und lud seinen alten Förderer zu einem weiteren Vortrag ein : »Kommen Sie doch mir zuliebe in zwei Wochen in den Abend vom Oest. Werkbund. Ich spreche noch einmal über den Erziehungsplan : ›Planung auf dem Gebiete des Bildungswesens !‹«264 Dass Kokoschka ausge260 Ebd. 261 Ebd. 262 Matejka 1991, S. 202f. Das Telefonat datierte Matejka exakt am Dienstag, 14.2.1934. 263 WSLB, Handschriftensammlung, IN 172.570, OK an Hoffmann, Wien, 1.3.1934 (Abschrift) sowie Hoffmann an OK (handschr. Briefkonzept u. Transkription), o.O., o.D. Im schriftlichen Nachlass OKs (ZBZ) ist kein entsprechender Brief Hoffmanns erhalten. 264 WSLB, Handschriftensammlung, IN 172.570, fol. 5, OK an Hoffmann, Wien, 1.3.1934 (Abschrift). Schon Sekler verwies auf diese Korrespondenz, vgl. Sekler 1982, S. 209.
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rechnet Hoffmann zu einer Veranstaltung des alten Österreichischen Werkbunds einlud, war vielleicht ein missglückter Versöhnungsversuch.265 Vermutlich aber erhoffte er sich Unterstützung bei weiteren Bewerbungen rund um die Kunstgewerbeschule. Hoffmanns Antwort fiel jedenfalls warmherzig mit sentimental-resignativem Grundton aus. Er würdigte das Engagement des jungen Kollegen, erinnerte an die gemeinsamen vergangenen Tage, nicht ohne mehrere Seitenhiebe auf und Warnungen vor jenen »Kreisen der wissentlich Wissenden […], die immer wieder bewusst oder unbewusst das Ihnen ebenso peinliche Unheil anrichten.«266 Er und Fritz Waerndorfer (Wiener Werkstätte) hatten […] mit heller Begeisterung Ihre ersten Taten mitmachen dürfen. Es ist die schönste Zeit meines und Wärndorfers Leben, […]. Wir sind nicht so, dass wir unverdient Ihren Ruhm mitgeniessen wollen, nicht so, dass wir wie gewisse Leute daraus Kapital schlagen möchten. […] Wie schön wäre es gewesen, wenn wir, von allen Hunden gehetzt und nun vor wirklich Aufgaben gestellt mit Ihnen hätten an grosse Taten schreiten können. Armes Österreich, das immer wieder sein wirkliches Gut nicht sieht und achtet. […] Und nun verlangen Sie, dass ich in diesen Kreisen, die gerade das Gegenteil all dieses irrtümlich empfundenen Wollens bilden, auch nicht einsehen und vergessen, dass darin der Kernpunkt all unseres Unglücks steckt und dass nur unerhörtes Raffinement Sie umstrickt. Ich möchte weinen, dass ich nicht Sie sehen und hören kann, aber in diesem Kreis und bei der Absicht gerade durch Hervorholung Ihrer Person uns den Todesstoss zu versetzen, kann ich doch nicht.267
Tatsächlich hielt Kokoschka am 21. März 1934 – mehr als ein Monat nach den Februarkämpfen – einen Vortrag mit dem Titel Planung auf dem Gebiete des Bildungswesens im Österreichischen Werkbund.268 Das Neue Wiener Journal berichtet davon mit der Schlagzeile Durch Werkstattschulung zur Ueberwindung der Krise !269 Die Rede ist als wortwörtliches Zitat wiedergegeben und bringt inhaltlich nichts Neues. Die Wortwahl hatte aber in frappanter Weise die Diktion des Regimes angenommen : Durch die ideale Forderung »Heimatschutz als Planung im Bildungswesen« soll der in Entwicklung stehenden Jugend des Oesterreichs von morgen ein Weg gezeigt werden, wie sich ein Kulturbewußtsein aus der Liebe zur Heimat entwickeln kann. Diese Leitidee will das Handwerk zur Grundlage des allgemeinen Volksunterrichts machen. Es soll in Zukunft der Gedanke humanistischer Bildung, gleichberechtigt dem Volksunterricht beigestellt sein. […] 265 Vgl. Long 2002, S. 187, Anm. 60. 266 WSLB, Handschriftensammlung, IN 172.570, fol. 7, Hoffmann an OK (handschr. Briefkonzept u. Transkription), o.O., o.D. 267 Ebd., fol. 1 – 3. 268 Vortragsankündigung vgl. Neue Freie Presse, 21.3.1934, S. 6. 269 Kokoschka 1934a ; vgl. Lensing 1998, S. 47.
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Durch die Beendigung des politischen Streits um die Schule wird sie aufhören als Machtfaktor in den Kampf hineingezogen zu werden und ihre wesentliche und ursprüngliche Aufgabe wieder erfüllen können, die nationale Kultur planmäßig zu pflegen. Im Ständestaat wird die wirtschaftliche Regulierung des liberalen Hochkapitalismus durchgeführt werden ; unsere Anregung geht zu den Wurzeln der allgemeinen Krise, indem sie die tiefste Ursache in der geistigen Not sieht. Die Neuplanung im Erziehungswesen mache dem wilden liberalen Schulsystem ein Ende […]. [D]er neue Ständestaat wird dem Handwerkerstand, der gleichfalls abgeschlossen vom Volksbewusstsein vegetiert und dadurch kein Bildungsgut, vor allem nicht sein Ethos der menschlichen Handarbeit vermitteln kann, am besten helfen, indem er ihn zum Erzieher der Jugend macht.270
Kokoschka war nun endgültig in propagandistisches Fahrwasser geraten. Der Artikel war zwar unter seinem Namen erschienen, lässt aber auf eine eindeutig redaktionelle Überarbeitung schließen. Er hatte primär sein Reformwerk bzw. dessen Umsetzung vor Augen gehabt und dies in irritierend unkritischer Weise dem jungen »Ständestaat« angetragen. Von friedensfördernden, völkerverständigenden Initiativen fehlt hier jede Spur, dafür ist von »nationaler Kultur« die Rede. Nicht Österreich und seine kulturelle »Mission in der Welt«, sondern »Heimat« und »Heimatschutz« wurden beschworen. Statt Begriffen wie »Massen« oder »Proletariat« wurden ihm nun politisch eindeutigere Formeln wie »Volk« in den Mund gelegt. Und auch das Schul- und Erziehungswesen war zum »Volksunterricht« mutiert. Kokoschka hatte sich die Monate zuvor durch seine (journalistische) Präsenz gefährlich der Propaganda genähert. Dass er nun, fünf Wochen nach Beginn der kurzen, aber blutigen Februarkämpfe, in dem sich das Dollfuß-Regime endgültig seiner Opposition entledigt hatte, in noch zugelassenen Zeitungen kaum mehr auf demokratisch breite Berichterstattung hoffen konnte, liegt auf der Hand. Auch wenn sein Herz »eindeutig links schlug«, so hatte Kokoschka unterschätzt, was sich hinter der verharmlosenden Selbstbezeichnung »Ständestaat« verbarg. Bruchlinien. Enttäuschung – Abkehr – Neuorientierung Nur zwei Tage nach seinem Vortrag im Werkbund wurde von den »Vorbereitungen für die Ausstellung Austria in London berichtet, die vom 16. April bis 12. Mai 1934 lief. Es war eine der ersten vom jungen »Ständestaat« umgesetzten österreichischen PropagandaSchauen im Ausland, die Kunst, Industrie und Tourismus in Österreich gewidmet war. Die agierenden Kunst-Kommissäre waren weitgehend deckungsgleich mit ähnlichen Ausstellungen bis 1938 – und auch nach 1945 : Clemens Holzmeister, Josef Hoffmann, Michael Rosenberger (London) sowie Carl Witzmann, der wie Hoffmann Professor an 270 Kokoschka 1934a.
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der Wiener Kunstgewerbeschule war. Holzmeister (1886 – 1983) fungierte als spiritus rector, als Allgegenwärtiger der österreichischen Kulturpolitik im klerikal-katholischen »Ständestaat«. Bekanntlich wirkte er auch nach dem Krieg ab 1945 – zunächst noch indirekt, nach seiner Rückkehr aus dem türkischen Exil 1954 aber wieder ad personam – als einer der zentralen Protagonisten im öffentlich-gremialen Kulturspektrum.271 Wichtige Protagonisten im Hintergrund der Londoner Schau 1934 waren u. a. Richard Ernst, Direktor des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, Regierungsrat Gottfried Hohenauer vom Unterrichtsministerium und nicht zuletzt Hofrat Alfred Stix (1882 – 1957), Generaldirektor des Kunsthistorischen Museums, dem bei ähnlichen Veranstaltungen die Funktion eines übergeordneten Generalkurators für den Kunstbereich zukam. Als Folge der 1933 von NS-Deutschland erlassenen »1000-Mark-Sperre« und dem massiven Rückgang deutscher Tourist/innen, schlug man auch im anglo-sächsischen Raum die Werbetrommel für das sympathische, gemütliche, an Kultur und wunderschönen Naturlandschaften reiche Land – ein Kanon an Begriffen, der Österreich bis heute begleitet.272 Die Schau Austria in London gilt »als eine der ersten konsequent tourismusorientierten Selbstdarstellungen«273 und verband eine unaufdringlich moderne Gestaltung mit gediegen-traditionellem Flair. Es gab eine shopping street im Stil des Old Vienna und ein Tiroler Schützenfest bzw. eine Österreichische Landschaft, inszeniert von den Malern Ferdinand Kitt (1887 – 1961) und Ernst Huber (1895 – 1960), die sowohl im »Ständestaat« als auch im NS-Regime eine durchgehende Karriere hatten.274 Dem 1934 nach Schweden emigrierten Josef Frank, der just in einer englischen Architekturzeitschrift das Konzept der Propagandaschau kritisiert hatte, wurde mit dem englischen Sprichwortes : »Right or wrong, my country«, unterschwellig Vaterlandsverrat unterstellt.275 Im Katalogtext zur Kunst bedauerte man, dass die kirchliche Barockkunst des Landes nicht ausstellbar wäre, wusste aber Rat : »A journey to Austria, if only for this reason must bring joy to the connoisseur […].«276 Im Anschluss evozierte man drei wichtige kunsthistorische Positionen : Waldmüller – Makart/Canon/Schindler – Klimt. Letzterem wurde »the Alpine« Albin Egger-Lienz als parallel laufende Tradition beigestellt. Sonst wurde kein anderer Künstler mehr genannt außer : Kokoschka.
271 Zu Holzmeister vgl. Posch 2010. Zur Organisation und den Bedingungen der Kulturpolitik im »Ständestaat« siehe Wohnout 1994 und auch Klamper 1994. 272 Zum Faktor Kultur-Natur-Sympathie, siehe auch Felber/Krasny/Rapp 2010, S. 7. Zur Österreich-Terminologie vgl. Johnston 2010 und Suppanz 1998a. Neben Ausstellungen bediente man sich auch des breitenwirksamen Mediums des Kinofilms. 273 Boeckl 1996, S. 34. 274 Zit. Boeckl 1996, S. 35. 275 Ebd., S. 35. 276 London 1934, S. 4
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Only a few traces of post-war German expressionism are to be found in Austria. A small number only of drawings by Oskar Kokoska [sic !] are on view in the Exhibition, as a show of his work was held recently in London.277
»Kokoska« hatte man offensichtlich nicht in die Auswahl der Werke eingebunden ; sein Beitrag war, freundlich formuliert : ein Euphemismus. Er war mit zwei wenig repräsentativen Arbeiten vertreten, die der Künstler zudem als manipuliert ansah.278. Er fand seinen Namen, sein Werk in diskreditierender Form für platte politische Propaganda missbraucht. Wut und Enttäuschung schlugen in Aversion um : in einem Brief an Carl Moll, der für die österreichische Delegation der Weltausstellung in Brüssel 1935 bei dem Künstler vorstellig geworden war, kleidete er seine Verbitterung in grandiosen Sprachwitz und Spott : Meine vaterländische Pflicht erfülle ich auf meine Weise, zwei Löcher im Fell, Undank und Hohn von Seiten der officiellen Schieferln seit 25 Jahren als Künstler – Du kennst die Litanei. Bei Watschentanz, Gullasch [sic !] und Beethofen [sic !] unter der Patronanz von Snobs und Schmocks ist nicht mein Geschmack, dass man damals meines officiellen Protestes ungeachtet doch und zwar nichtssagende oder gefälschte Zeichnungen in London ausstellte – war eine Unverschämtheit. Wenn die österreichischen Kulturräte Propaganda mit mir im Ausland machen wollen, so haben sie kein Recht mich im Ausland zu schädigen. Moralisch und auch praktisch ! Ich lebe nämlich von meiner Arbeit, weil ich kein Schieferl bin und sonst wie mir die Sporteln verschaffe, die mir die Arbeit als Broterwerb erübrigen würde.279
Alibimäßig wurde im Katalog eine Kokoschka-Ausstellung – »held recently in London« – erwähnt : diese hatte im Juni 1928, also sechs (!) Jahre zuvor, in The Leicester Galleries stattgefunden.280 Die durchsichtige Vereinnahmung des Künstlers durch die Kommissäre der Ausstellung Austria in London wurde für Kokoschka zum »Sündenfall«, den er niemals verzeihen sollte. Nicht »das Land«, sondern dessen vielfach auch nach 1945 wieder agierende offiziellen Kulturvertreter hatten sich an seinem Werk »vergriffen«. 1908 und die Folgen und nun die Verletzungen rund um Austria in London 1934 hatten einen Keim des Misstrauens in die nur scheinbar geheilte Wunde gelegt. Trotz zahlreicher Ehrenauszeichnungen nach 1945 blieb der Argwohn des Künstlers stets virulent und wurde bei geringsten Anzeichen reaktiviert. Die Ausstellungsmaschinerie im Dienste Österreichs 277 Ebd. 278 Ebd., S. 64, Nr. 24 und 29. 279 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 34.24, OK an Carl Moll, 7.4.1935. 280 Das Vorwort von P.G. Konody, Oskar Kokoschka, in : AK Catalogue of the Kokoschka Exhibition, The Leicester Galleries, London 1928 weist eine erstaunliche positive Umwertung von Strzygowskis »KokoStrahlen« auf.
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war 1935 wieder für die Beteiligung an der Weltausstellung in Brüssel im Einsatz. In dem als Großvitrine gestalteten Pavillon von Oswald Haerdtl war nicht die moderne Kunst, sondern die Schönheit der österreichischen Landschaft das Hauptthema, das in Form einer überdimensionalen Fototapete facettenreich illustriert war. Das »kulturelle Erbe« und folkloristische Elemente wurden darin tourismusfördernd eingewoben.281 Kokoschka hatte nicht nur nicht teilgenommen, sondern sich dezidiert gegen eine Einbeziehung ausgesprochen – nach den Erfahrungen mit der Londoner Schau kaum verwunderlich. Bei seiner Absage an Clemens Holzmeister wiederholte er dieselben Argumente des Misstrauens, der erlebten Enttäuschung und Minderschätzung seines Werks, das man in Österreich nur »vom Wegschauen« kenne, und der Verweigerung, sich politisch instrumentalisieren zu lassen.282 Abkehr von Wien
Neben den realpolitischen Katastrophen, den Enttäuschungen und Vereinnahmungen durch das austrofaschistische Regime war Kokoschkas Privatleben von schweren Schicksalsschlägen gekennzeichnet : Anfang Juli war seine Mutter gestorben mit der ihn eine innige Beziehung verbunden hatte. Elias Canetti berichtete später, dass Kokoschka den Tod der Mutter in direktem Zusammenhang mit den Februarkämpfen 1934 sah : Seine Mutter, an der er mehr als an jedem anderen Menschen hing, sei an gebrochenem Herzen über den Bürgerkrieg auf den Straßen Wiens gestorben. Von ihrem Haus im Liebhartstal habe sie mitansehen können, wie mit Geschützen auf die neuen Arbeiterwohnhäuser der Gemeinde geschossen wurde. […] Die Mutter war nah genug, um den Geschützdonner zu hören und konnte sich vom Anblick der Kämpfe nicht losreißen. Bald danach war sie erkrankt und nie wieder von ihrer Krankheit aufgestanden. […] Es sei eine Gefahr für ihn, daß diese Frau, die den wunderbaren Namen Romana trug, nicht mehr da sei. Nun werde er sich ganz von Österreich abschneiden. Für das neue Regime in Deutschland sei er ein entarteter Maler, für Österreich wäre jetzt eine Gelegenheit da, seinen größten Maler mit offenen Armen aufzunehmen. Aber selbst wenn sie den Weitblick gehabt hätten, ihn zu einer ehrenvollen Rückkehr aufzufordern, wie hätte er unter einem Regime zurückfinden können, dem er die Verantwortung für den Tod seiner Mutter zuschrieb ?283
Kokoschka reiste im September 1934 nach Prag und wollte seinem Freund, dem Schriftsteller Albert Ehrenstein nach Moskau, später eventuell nach China folgen. Letztlich aber blieb er bis zu seiner Flucht nach London im Oktober 1938 in der Stadt an der 281 Felber/Krasny/Rapp 2000, v. a. S. 123 – 128. 282 OK an Clemens Holzmeister, Prag, 3.3.1935, in : Briefe III, S. 17f. 283 Canetti 1985, S. 331f.
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Moldau. Sein Schuldenberg und der seines »unversorgten« Bruders hatte bedrohliche Ausmaße angenommen und ließ die Konfiszierung seines Wiener Hauses befürchten. Österreich, dessen Kunstmarkt und offizielle Sammlungs- und Ausstellungspolitik stagnierten. Wiederholt finden sich negative Bemerkungen über die »Wiener Blutsauger«, u. a. Otto Nirenstein in den Briefen.284 Eine Einladung 1935 sich zur Nachfolge Bertold Löfflers an der Kunstgewerbeschule zu bewerben, nur knapp zwei Jahre nach der Ausschreibung des dortigen Direktionspostens, blieb ohne Reaktion. Mythos Flucht
Entgegen allen quellenbasierten Forschungen hält sich hartnäckig die Sichtweise, dass Kokoschka 1934 vor dem austrofaschistischen Regime nach Prag geflüchtet wäre.285 Doch trotz seiner Affinität zum Roten Wien war er nie derart exponiert, dass er etwa wie der Philosoph, Nationalökonom und überzeugte Sozialist Otto Neurath (1882 – 1945) tatsächlich flüchten hätte müssen. In seinen Briefen hatte er seine Übersiedelung nach Prag nie als Flucht bezeichnet : er hätte sicher keinen Moment gezögert, eine solche kundzutun. Schon James Shedel bezeichnete Kokoschka als einen »voluntary exile« und bemerkte primär private Auswanderungsgründe.286 Keith Holz sah den Weggang »vielmehr durch den Wunsch nach einem besseren Absatzmarkt für seine Bilder« motiviert.287 Agnes Tieze stellte fest, dass »in der jüngeren Forschung […] Kokoschka im Übrigen gern als Flüchtling herausgestellt [wird], was für seine Londoner, jedoch nicht für seine Prager Zeit zutreffend ist.288 Warum wurde und wird trotz detaillierter anderslautender Forschungsergebnisse Kokoschkas Umzug nach Prag immer noch als Flucht bezeichnet ? Unkenntnis der Quellen oder Bequemlichkeit beim Zitieren alleine sind nicht Grund genug. Vielmehr fällt auf, dass sich dieser Mythos vor allem in der österreichischen Rezeption »eingenistet« hat und spiegelt die moralisch gesehen politisch korrekte, aber faktisch simplifizierte Darstel284 OK schrieb in einem Brief über die Prager Kunsthändler, v. a. Hugo Feigl : »Der hiesige Nierenstein [sic !] ist sehr dienstbeflissen und ein ganz anderer Typ als die Wiener Blutsauger. Außerdem hat er viel Snobismus wie alle Prager Juden und [ist] schon deshalb gutartig.« OK an Bohulslav Kokoschka, [Prag, Herbst 1934], in : Briefe III, S. 9. An seinen Freund Albert Ehrenstein schrieb er zeitgleich von Interventionen des Bruders von Nirenstein, der Sekretär bei Kokoschkas Förderer Oskar Federer gewesen war. In Folge war es zum Bruch mit Letzterem gekommen : »[…] ich schrieb meinem Mäzen einen kecken Brief, daß ich meine Bilder nicht durch Gallen-, nicht durch Nierensteine, also nicht durch den Kunsthandel, sondern als fahrender, reisender Maler, wie weiland Dürer von seinem Hundswagerl herab, anbiete.«, OK an Albert Ehrenstein, [Prag, Herbst 1934], in : Briefe III., S. 10. 285 Beispielhaft vgl. Werner Haftmann, Oskar Kokoschka – Exil in der Tschechoslowakei uned Großbritannien, in : Hülsewig-Johnen 1994, S. 27 – 45. 286 Shedel 1991, S. 45. 287 Holz 1997a, S. 86. 288 Tieze 2014, S. 104.
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lung Kokoschkas als bedingungslosen Antifaschisten, mehr noch : als quasi permanentes politisches Opfer. Diese Einschätzung folgt dem spezifischen Diskurs bzw. Paradigmenwechsel, der sich in der Forschung ab den späten 1970er-Jahren sowie der viel späteren Rezeption in der (offiziellen) österreichischen Vergangenheitspolitik abgezeichnet hatte. Damals entstanden nach einem akademischen Generationswechsel grundlegende Forschungsarbeiten zum »Ständestaat« bzw. Austrofaschismus, zum Nationalsozialismus und Exil mit Bedachtnahme der spezifisch österreichischen Situation. Im Rahmen der Geschichtswissenschaft etablierte sich der Sonderbereich der Zeitgeschichte, und auch in der Politikwissenschaft ergaben sich durch die Diskussion rund um die Begriffe Totalitarismus, Faschismus in seinen nationalen Spielarten neue Perspektiven. Der Fokus lag lange durch jene »Mischung aus Kulturverlust, schlechtem Gewissen und einer philosemitisch kodierten politischen Korrektheit Rechnung tragend […] auf jene[n] ehemaligen Bürgerinnen und Bürger[n], die zu den herausragenden Protagonisten der künstlerischen, wirtschaftlichen, religiösen und politischen Entwicklung des Fin-de-Siècle und der Zwischenkriegszeit gehört hatten.«289 Kokoschka eignete sich in diesem Kontext als international bekannter Künstler, mit seinen spezifischen biografischen Eckdaten und seinem unleugbar politischen Widerstandsgeist hervorragend als Projektionsfläche bzw. Paradebeispiel. Seine Zuschreibung als politischer Flüchtling des Austrofaschismus speiste sich aber auch aus den häufig wiederholten Aussagen Kokoschkas über seinen generellen Opferstatus in Bezug auf Österreich bzw. Wien – als locus damnatus. Die Beurteilung von Kokoschkas Situation 1934 wurde nicht zuletzt durch seine Stellung während der NS-Zeit und seine schwierige Beziehung zu Österreich auch und gerade nach 1945 überformt. Sein Abschied von Wien 1934 war unter anderem der innenpolitischen Situation geschuldet ; Kokoschka war aber keiner Verfolgung ausgesetzt, die die Bezeichnung Exil rechtfertigen würde. Kehrtwendung und Neuorientierung
Die Tschechoslowakei war wirtschaftlich potenter, Kokoschka fand Mäzene und erlebte in Prag ein anregendes kulturelles Klima, das in Wien nicht (mehr) gegeben war. Persönlich und politisch enttäuscht wandte er sich von Österreich ab und legte vielfältig sein »Bekenntnis zur Tschechoslowakei« ab290 : ein radikaler Wandel, wenn man sein Bekenntnis zum österreichischen Staat ab 1931 bedenkt ! 1935 hatte er den greisen Präsidenten Tomáš Garrigue Masaryk (1850 – 1937) in einer Art Doppelporträt mit Comenius porträtiert und durch dessen Vermittlung die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft angenommen (Abb. 14).291 Comenius war für Kokoschka zu einer Zentralgestalt 289 Stern 2006, S. 243. 290 Bonnefoit 2015. 291 Ebd. und Bonnefoit 2021.
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seiner pädagogisch-politischen Überlegungen. Das Masaryk-Comenius-Bildnis vor der Prager Stadtlandschaft sah er als Botschafter, idealerweise »auf einer Völkerbundpalastwand« und stellt in gewisser Weise das erste seiner politisch-allegorischen Bilder dar.292 Die Vision einer »internationale[n] Verpflichtung zur allgemeinen, freien und obligatorischen Elementarschule, wie sie in dem Via Lucis des Amos Komensky beschrieben ist […]« konnte Kokoschka 1936 als tschechoslowakischer Abgesandter auf einem Brüsseler Friedenskongress vortragen.293 Damals begann er auch sein bis in die 1970erJahre hin weiterentwickeltes Drama Comenius zu schreiben, bei dem anti-militaristische Figuren wie der »brave Soldat Schwejk«, aber auch Charly Chaplin und dessen Film Der große Diktator Eingang in eine Frühfassung fanden.294 Die Kommentare zu Österreich bzw. Wien sind in den frühen Prager Jahren häufig voller Sarkasmus und Spott. Das geschah oft in Briefen, ein vielgenutztes Medium seiner politischen Meinungsäußerungen und -reflexionen. Seiner früheren Geliebten, der russischstämmigen Sängerin Anna Kallin (1896 – 1988) skizzierte er bald nach seiner Übersiedelung nach Prag im Oktober 1934 die politischen Umstände in Österreich in einem bildhaft-skurrilen Szenario : In Wien bin ich fast zum Politiker geworden über diese fürstlichen Gigolos, liberalen Kanonenkreuzritter und kardinalischen Watschenfänger, die, um den Fremdenverkehr zu fördern (und was für einen !), die Landbevölkerung von ganz Österreich in Konzentrationslager sperren. Bald reden diesen jungen Hitzköpfen die [sic !] Regierungsspitzel ein, daß sie Nazis sein sollen, bald Kommunisten, und dann kommt das K.u.K. [sic !] Militär (d.h. die Hollywooder Uniformen mit abgetakelten Schelmen drinnen) und die für Rum aus dem Zuchthaus entlassene Heimwehr und knallt den »Irregeleiteten« die Schädel mit den Gewehren ein ! Aber statt Spitzel, Tscheka-Gauleiter und den lieben Gott am Kopf der Verfassung sollte man lieber das »Mutterrecht« und den Arbeiterrat in der Volksschule (nicht in den Fabriken, die mit im Rüstungsfieber prosperieren und im Frieden den Arbeiterbetriebsrat absetzt !) einführen. Das war das Programm meiner Vorträge und Essays. Aber niemand hat sich daran gekehrt […].295
Kokoschkas Lust am Jonglieren mit Wörtern und an Wortspielen verband sich nicht selten mit dem Instrument der Übertreibung, das mitunter Bedrohungsfaktoren in absurden, szenenartigen Bildern aufzulösen vermochte. Diese waren ihm nicht nur eine sprachkünstlerische Äußerung, ein literarisches L’art pour l’art, sondern schufen einen Distanzraum für Reflexion und persönliche Verarbeitung. Kokoschkas Formulierungen voller Ironie und 292 OK an Albert Ehrenstein im Juni/Juli 1935, zit. Bonnefoit 2015, S. 10. 293 Rede auf dem Brüsseler Friedenskongress (1936), in : Schriften IV, S. 171 – 189, vgl. auch Bonnefoit 2015 S. 11 und Anm. 7, S. 15. 294 Ebd., S. 13 und Bonnefoit 2021, S. 114. Schon in seiner Gedächtnisrede für Loos am 27.10.1933 in Wien hatte er Chaplins Filmkunst zitiert. 295 OK an Anna Kallin, Prag, Oktober 1934, in : Briefe III, S. 7f.
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14 : Oskar Kokoschka, Tomáš Garrigue Masaryk, 1935/36, Carnegie Museum of Art, Pittsburgh.
Spott demonstrieren den Wunsch nach Abstand zu dem damit bedachten Gegenstand, nämlich Österreich in seiner politischen Gemengelage. Die Ursachen dafür liegen u. a. in Enttäuschung, Kränkung, Angst, Ablehnung und Widerstand. In seiner Analyse des problematischen Begriffs der kollektiven Identität am Beispiel Österreichs stellte Albert Müller u. a. fest, dass sich nationale Identität über ein Gefühl der Nähe, der Zugehörigkeit oder des Nationalstolzes ebenso artikulieren kann, wie darüber, dass man sich etwa für sein Land schämt, darüber schimpft oder sich lustig macht.296 Die österreichische Literaturgeschichte ist reich an Sprachkunst und reich an ambivalenten Reflexionen über Österreich, stellvertretend seien hier nur Karl Kraus, Thomas Bernhard, Gerhard Roth oder Robert Menasse genannt.297 Österreich wurde für Kokoschka wenige Jahre später wieder zum Thema von Essays. Die politischen Umstände hatten sich aber durch die NS-Herrschaft in Österreich und in der Tschechoslowakei, den Krieg und sein Exil in London derart radikalisiert, sodass sich die Einstellung des Autors entscheidend verändert hatte. 296 Vgl. Müller 2006. 297 Menasse 2005 ; Roth 1995.
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Schwanengesang in Paris, Wien und München 1937/38 Etwa zeitgleich im Frühsommer 1937 wurden drei bedeutende Ausstellungen eröffnet, die das ambivalent-widersprüchliche Profil Kokoschkas als »österreichischen« Künstler deutlich machten. Es handelte sich um die Exposition d’Art Autrichien im Jeu de Paume in Paris im Mai/Juni 1937, die im April/Mai des Jahres laufende große Ausstellung Kokoschkas in Wien im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie und die folgenschwere Hetzschau Entartete Kunst, die im Juli 1937 in den Arkaden des Münchner Hofgartens eröffnet wurde. Alle drei Ausstellungen markieren auf ihre Art den Endpunkt einer Entwicklung und illustrieren zugleich die Komplexität der KokoschkaRezeption bis 1938. Die notorisch beschworenen Brüche und vor allem Kontinuitäten nach 1945 werden hier einmal mehr sichtbar. Die kulturpolitischen Prozesse der Nachkriegszeit und in den Folgejahren begannen nicht in der »Stunde Null«, sie waren, wie das Fallbeispiel Kokoschka zeigt, nicht voraussetzungslos. Propaganda für Österreich: Die Exposition d’Art Autrichien in Paris 1937
Über die erschreckende Höhe der Akzeptanz des »Anschlusses« Österreichs an NSDeutschland im März 1938 wurde viel diskutiert und geschrieben. Im Vorfeld war die österreichische Kulturpolitik stückweit ein Element der Außenpolitik geworden. Ein Höhepunkt, um bei den Westmächten Sympathie zu lukrieren, war die Exposition d’Art Autrichien, die im Pariser Jeu de Paume mehr als 800 Objekte, »30.000 Kilogramm österreichische Kunst« von der Gotik bis zur Gegenwart präsentierte.298 Sie lief vom 30. April bis zum 30. Juni 1937 und überschnitt sich mit der Weltausstellung in Paris, auf der im Spanischen Pavillon Picassos Guernica als »Aufruf gegen den Krieg« gezeigt (und überhört) wurde und sich die großen totalitären Hauptmächte, das Deutschen Reich und die Sowjetunion, in großen, architektonischen Gesten gegenüberstanden. Die Exposition im Jeu de Paume war das Ergebnis eines Ausstellungsprojektes, das ab 1926/27 als französische Initiative begann299, sich aber mehrfach verzögerte– auf einen Zeitpunkt, an dem der drohende »Anschluss« kaum noch abwendbar und die innenpolitischen Zustände in Frankreich äußerst angespannt waren. Das kuratorische Team bestand neben dem ehemaligen Gesandten Nikolaus Post aus verdienstvollen, politisch zuverlässigen Musealbeamte, die teils schon bei der Austria in London-Schau beteiligt waren : Martin Haberditzl (Österreichische Galerie Belvedere), Richard Ernst (Österreichisches Museum für Kunst und Industrie), Anton Reichel (Albertina), Hans Ranzoni für die Künstlerschaft. Der Kommissär bzw. Generalissimus war Alfred Stix (1882 – 1957), Erster Direktor des Kunsthistorischen Museums 298 Vgl. Reinhold 2007. 299 Ebd., u. a. S. 315, Anm. 4.
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(KHM). Generalsekretär dieser staatstragenden Ausstellung war der Kustos der Gemäldegalerie des KHM, Ernst Buschbeck (1889 – 1963). Er verfügte über ausgezeichnete französische Kontakte, hatte unter Hans Tietze 1920 die erfolgreiche Verteidigung des österreichischen Kunstbesitzes gegenüber den Alliierten verhandelt, war Delegierter am Institut de Coopération Intellectuelle (Völkerbund) gewesen, zudem Gründungsmitglied der Gesellschaft zur Förderung moderner Kunst sowie des frankophilen Wiener Kulturbundes, teils gemeinsam mit Tietze.300 Weitere beteiligte Kunsthistoriker bei der Gestaltung der zeitgenössischen Abteilung waren Bruno Grimschitz und Heinrich Schwarz (Öster reichischen Galerie). Fast alle involvierten Kunsthistoriker sollten auch nach 1945 bei ähnlichen Ausstellungsprojekten wieder beteiligt sein – mit Ausnahme von Grimschitz, der wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft suspendiert worden war und Schwarz, der aus der Emigration in die USA nicht mehr zurückgekehrte. Folgestationen in Zürich bzw. Bern waren geplant. Der organisatorische Aufwand von Leihgaben von Klöstern, Museen bis hin zu (vielfach jüdischen) Sammlern moderner Kunst war enorm. Man appellierte an die »patriotischen Gefühle« der heimischen Leihgeber und beschwichtigte deren Sorgen ob der politischen Situation in Frankreich. Manche Leihgaben waren aber 1937 noch anderen Gefahren ausgesetzt. Von Kokoschka waren zehn Gemälde ausgestellt, einige davon aus deutschen, mittlerweile in nationalsozialistischer »Säuberung« begriffenen Museen, wie die Nationalgalerie Berlin. Deren zwischenzeitlicher Direktor Eberhard Hanfstaengl (1886 – 1973) verlieh die Porträts von Adolf und Bessie Loos sowie Die Jagd nur unter der Auflage, »daß die Tatsache des Eigentums der National-Galerie weder im Katalog noch sonst wo zum Ausdruck kommt.«301 Wien konnte dem Berliner Wunsch entsprechen.302 Kokoschkas Sorge um das weitere Schicksal seiner Bilder nach der Ausstellung war groß und sollte für ihn auch bei der zeitgleichen Wiener Kokoschka-Schau ein zentrales Thema werden. Die französische Presseresonanz war im Schatten der großen Weltausstellung trotz anderer Behinderungen groß. Wenn die moderne, zeitgenössische Kunst in dem groß angelegten kunsthistorischen Überblick überhaupt Erwähnung fand, so waren meist Klimt, Schiele und auch Kokoschka im Gespräch. Man sah ihn als »brutalen«, aber »tiefen Psychologen«, der »mit seinem apokalyptischen Licht, absolut persönliche und neue Akzente« setze.303 Dass OK selbst immer wieder längere Zeit in Paris gelebt hatte, fand 300 Zum Wiener Kulturbund siehe Barbara Porpaczy, Frankreich-Österreich 1945 – 1960. Kulturpolitik und Identität, Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte H.18, 2002, S. 46. Zu Stix und Buschbeck vgl. Haupt 1991, Haupt 1995 und Personalia im Archiv des KHM. 301 Archiv des KHM, K. Österreichische Kunstausstellung 1937, Korrespondenz etc. I, Hanfstaengl an Alfred Stix, 15.3.1937. Vgl. Adolf Loos FOK CR 1909/18, Bessie Bruce (Bessie Loos) FOK CR 1910/1, Die Jagd FOK CR 1918/1. 302 Hanfstaengl wurde aber bald darauf seines Amtes wegen zu moderater Kunstanschauung im Zuge der »Gleichschaltung« seines Museums suspendiert. 303 Zit. Reinhold 2007, S. 313.
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keine Erwähnung. Der mittlerweile im Pariser Exil lebende Paul Westheim würdigte ihn als einen »der zehn Künstler […], die zur Zeit in Europa das schöpferische Schaffen repräsentieren«, mit dem Nachsatz, dessen Werk »verschimmelt jetzt im Dritten Reich.«304 Die französische Rezeption des gezeigten österreichischen Kulturschaffens fiel vergleichsweise verhalten aus. Mit dem als typisch österreichisch propagierten (auch am Katalog-Cover präsenten) Barock konnte man wenig anfangen und bei den jüngeren Arbeiten brachte man gelegentlich das Bild vom »kleinen Landwein« im Vergleich zu den französischen »Grands Crus«.305 Die Erwartungen der Organisatoren waren zu hoch gewesen, die Besucherzahlen (und die Einnahmen) sehr gering und abgesehen von einigen geknüpften Künstlerkontakten waren die politischen Zielvorstellungen nicht erfüllt, vielmehr nicht erfüllbar. Die große Kokoschka-Ausstellung 1937 in Wien
Parallel zur Exposition d’Art Autrichien lief ein anderes ambitioniertes Projekt : eine Kokoschka gewidmete Ausstellung in Wien anlässlich seines 50. Geburtstags. Der Kurator : Carl Moll. Sie sollte nicht nur die erste (!) museale Präsentation Kokoschkas in Wien sein, sondern »der Versuch, Kokoschka zu rehabilitieren, ein aus unterschiedlichsten Motiven ersonnenes Bemühen […].«306 Diese Ausstellung sollte 1936, also im Jubiläumsjahr des Künstlers in der Secession stattfinden, einer der Wirkungsstätten des Kurators und Initiationsort der Moderne. Moll war bei seinen Reisen zu potentiellen Leihgebern auch im Deutschen Reich wohlwollend aufgenommen worden und meist erfolgreich. Er meldete dem Unterrichtministerium, dass er nur »die reifsten Werke« sondiere und vermeide, »was den Gegnern Angriffspunkte bieten könnte«.307 Moll verstand es auch, möglichen »außerkünstlerischen« Vorbehalten des Ministeriums den Wind aus den Segeln zu nehmen : Der Kokoschka gemachte Vorwurf der »Emigration« ist bis hierher gedrungen. Nun muss constatiert werden, dass er in Wien seßhaft ist – (Hausbesitzer zum Galitzienberg) – und im Auslande nur thätig [sic !] ist um seine Aufträge auszuführen. Oben erwähnten merkwürdigen Vorwurf habe ich vor einiger Zeit ja auch in einem Bureau Ihres Hauses gehört und erwidert, ob Patriotismus das ist, wenn man in Wien verhungert, oder das – wenn man österreichische Kunst im Ausland zu Ehren bringt.308 304 Paul Westheim, in : Pariser Tageszeitung, 13.5.1937 zit. Reinhold 2007. S. 312f. 305 Zit. Reinhold 2007, S. 314. 306 Forsthuber 1988, S. 36 ; Neben Forsthuber haben sich auch Werkner und Sultano ausführlich mit dieser Ausstellung und ihren Hintergründen befasst, siehe auch Sultano/Werkner 2003. 307 Moll an das Unterrichtsministerium, 7.10.1936, zit. Forsthuber 1988, S. 37. 308 Moll an das Unterrichtsministerium, 7.10.1936, zit. Sultano/Werkner 2003, S. 30.
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Der Direktor der Hamburger Kunsthalle verlangte eine Erklärung, dass gegen die Ausstellung »von Seiten der österreichischen Regierung kein Bedenken obwaltet.«309 Die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit stellte am 9. November 1936 fest : Oskar Kokoschka gilt als Anhänger demokratischer Ideen und soll unter anderem gemeinsam mit anderen Persönlichkeiten beim Völkerbund den Antrag eingebracht haben, die Friedensidee dadurch zu fördern, daß der Völkerbund die Jugenderziehung in der ganzen Welt beaufsichtige. In staatsbürgerlicher und moralischer Beziehung hat er zu nachteiligen Wahrnehmungen bisher keinen Anlaß geboten.310
Der Ende Oktober 1936 angesetzte Eröffnungstermin musste letztlich auf das Frühjahr 1937 verschoben werden. Die nationalsozialistisch unterwanderte Secession führte am 22. Februar 1937 eine Abstimmung über die Kokoschka-Schau durch. Ihr Präsident, der Architekt Alexander Popp (1891 – 1947) stellte fest, »dass die Ausstellung Kokoschka [sic !] gemacht werden solle, weil Sie einen künstlerischen Gewinn bedeute […].«311 Einige Secessionsmitglieder hatten dennoch Bedenken »wegen des nationalen Ansehens« und wegen der zeitgleich geplanten Ausstellung Deutsche Baukunst – Deutsche Plastik am Reichsportfeld in Berlin – eine Propagandaschau, die unter dem Ehrenschutz von Franz Papen stand, ehemals Vizekanzler im Kabinett Hitlers und seit 1934 Botschafter in Wien. Das deutsch-österreichische Juli-Abkommen 1936 hatte der nationalsozialistischen Unterwanderung Tür und Tor geöffnet. Popp schrieb später über die deutsche Schau, viele Parteigenossen »drückten mir stumm die Hand, als das Hakenkreuzbanner reichlichst bemessen […] von der Secession wehte und dankten mir […].«312 Popps war für die OK-Ausstellung eingetreten, eine Haltung, die nach dem »Anschluss« wegen seiner »den Kulturbolschewismus fördernden Einstellung« als »untragbar« empfunden wurde.313 Die Zeit nach dem »Anschluss« im März 1938 war eine Hochzeit des Denunziantentums auch in den Reihen der ehemals »illegalen«, österreichischen Nazis. Alexander Popp hatte aber keinen Karriereknick zu befürchten : er war zwar nach der NS-Annexion nicht mehr Präsident der Secession, stattdessen war er am 12. März (!) 1938 als Mitglied der kommissarischen Leitung der Akademie der bildenden Künste und ab 1940 als deren Rektor berufen worden.314 Ein Bekenntnis zur Moderne verhinderte nicht zwingend eine Karriere als Kulturfunktionär des NS-Regimes. Dafür lassen sich etliche Beispiele anführen, von Kokoschkas altem Dresdner Freund Hans Posse (1879 – 1942), der zum Kurator des Führermu309 Ebd. 310 Zit. Sultano/Werkner 2003, S. 29. 311 Ebd., S. 31. 312 Forsthuber 1988, S. 35f. 313 Sultano/Werkner 2003, S. 31f. 314 Ad Popp vgl. Seiger/Lunardi/Populorum 1990, auch Pawlowsky 2015.
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seums avancierte bis hin zu Bruno Grimschitz (1892 – 1964), der ab 1938 Direktor der Österreichischen Galerie wurde. Das Definitionsspektum des Begriffs Moderne reicht bekanntlich weit – etwa vom Ruralen, aus der »Natur« und der »Volkskunst« Schöpfenden (eine Lesart, der Grimschitz gerne nachkam315) bis hin zum Esoterischen, von der Betonung des »Funktionalistischen« (Bauhaus ; Internationaler Stil) bis hin zum politisierten Anspruch Kunst ins Leben, in die Alltagspraxis überzuführen – eine Tendenz, die im italienischen Faschismus ebenso griff wie in der jungen Sowjetunion, aber auch weniger ideologisierten, emanzipatorisch-lebensreformerischen Ansätzen folgen konnte (die Kunstäußerungen etwa rund um die Ideen Rudolf Steiners). Auch die NS-Kulturpolitik folgte keinem homogenen Konzept316 bzw. evozierte zahlreiche Widersprüche, wozu etwa das Berufsverbot des überzeugten Nationalsozialisten Emil Nolde zählt. Moll fand im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie den geeigneten Ersatzort für eine Kokoschka-Schau. Direktor Richard Ernst (1885 – 1955) erklärte, »dass das Museum es als Ehre betrachte, die Kokoschka-Ausstellung aufzunehmen« – so hieß es zumindest in einem späteren, denunzierenden Schreiben eines Museumsmitarbeiters nach dem »Anschluss«.317 Auch Ernst war nach dem März 1938 sein »Bekenntnis zur entarteten Kunst« vorgeworfen worden.318 Da das Museum jedoch seit Jahren keine Dotationen für Ausstellungen erhalten hatte, fand man im Industriellen und Kunstmäzen Ferdinand Bloch-Bauer (1864 – 1945) einen Financier. Es waren 39 Gemälde, 48 Originalgrafiken und 16 Druckgrafiken Kokoschkas vom 15. Mai mit einer Verlängerung bis zum 31. Juli 1937 zu sehen. Wie schon bei der Exposition d’Art Autrichien waren bei der Provenienz deutscher Leihgaben lediglich Städtenamen (Dresden, Berlin, Hamburg) angeführt. Der Großteil kam von österreichischen Privatsammlern, von denen beinahe alle – außer Bohuslav Kokoschka oder Carl Moll – im Folgejahr aus politischen oder rassischen Gründen emigrieren mussten oder sogar ermordet wurden : Otto Brill, Ernst Bunzl, Richard Lányi, Ernst Pisk, Hans Reichel, Max Roden, Hans Tietze, Frédéric Wolff-Knize und Alma Mahler-Werfel, die mit ihrem Mann, dem Dichter Franz Werfel nach New York flüchtete. »Onkel Ferdinand« Bloch-Bauer, wie er von Moll in Briefen an OK genannt wurde, dessen früh verstorbene Frau Adele bekanntlich von Klimt porträtiert worden war, hatte sich noch 1936 (über Vermittlung Molls) von Kokoschka als Jäger porträtieren lassen. Der großzügige Kunstsammler und -mäzen verlor mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten sein gesamtes Vermögen und emigrierte in die Schweiz.319 315 Fuchs 1991, v.a Kap. 2.4.1. Zivilisationskritik und Agrarromantik, S. 154 – 168, zu Grimschitz u. a. S. 160 – 162. 316 Holz 2004, S. 275. 317 Zit. Sultano/Werkner 2003, S. 32. 318 Ebd., S. 58. Zu Ernst siehe auch Franz/Weidinger 2010. 319 OK hatte zumindest das Honorar für das Bloch-Bauer-Porträt auf dessen Konto deponiert, mit dem Hintergedanken, es für die Versorgung seines Bruders Bohi in Wien zu sichern.
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Kokoschka stand dem Projekt sehr skeptisch gegenüber. Zu seinem 50. Geburtstag im März 1936 schrieb er in dem Artikel Wie ich mich sehe nicht ohne sarkastisch-gekränkten Unterton einmal mehr über seine schwierige Beziehung zu Wien320 – auf extra Erläuterungen zu Kokoschkas Faktenverdrehungen soll dabei verzichtet werden. Bemerkenswert an dem Text ist u. a. die Verknüpfung mit einem patriotischen Narrativ, dem Kriegsdienst für das Vaterland ; Erfolg sei ihm aber trotzdem nur im Ausland beschieden : Eine Chronik der Häme, die nun in seiner Diffamierung als »entarteter Künstler« gemündet sei.321 Das polizeiliche Verbot meines Stückes »Mörder, Hoffnung der Frauen« erhielt ich gleichzeitig mit der Einberufung zum Weltkrieg. Ich hatte jedoch nicht das Herz, mir persönlich unbekannte angebliche Feinde niederzuschießen, dafür rettete ich einigen Russen das Leben durch Gefangenschaft, worauf ich ausgezeichnet wurde. Ich erhielt auch einen Kopfschuss und einen Lungenstich. Dennoch hatte ich nicht das Gefühl, genug für die Kultur geleistet zu haben und beschloß, zu meinem früheren Beruf zurückzukehren. Ich malte. Aber in meinem Vaterland wurde vor dem Krieg meine Malerei verboten, und die Ausstellung, die es gewagt hatte, meine Bilder aufzuhängen, wurden nach der Besichtigung durch den Erzherzog strafweise in eine Gemüsehalle verwandelt. Mir wurde »taxfrei« der Titel »Bürgerschreck« verliehen. Ich habe mein Kartenhaus dann in Deutschland aufgebaut. Infolge eines ungeahnten Erfolges sollte ich […] Deutschland in Venedig [auf der Biennale, Anm. BR] vertreten. […] Das »Berliner Tagblatt« – von keinerlei Propheten beraten – hat es damals überaus bedauerlich empfunden, daß ein »Ausländer aus Österreich« öffentlich dazu berufen worden war […]. 1933 wurden meine Bilder aus den deutschen Museen abgehängt. Herr Hinkel hat seinen Namen in die Kunstgeschichte eingetragen und mir als einem der ersten das Epitheton »Kulturbolschewist« geschenkt.322
Schwierigkeiten gab bei der Wiener Kokoschka-Ausstellung, da Moll zwar der Kurator war, der Veranstalter aber der Neue Werkbund Österreichs unter Holzmeisters Vorsitz. Kokoschka insistierte bei Moll, dass er in der »verteufelte[n] Sache« mit der »Gesellschaftsclique« nichts zu tun haben wolle.323 Mit dieser »Clique« meinte er die Exponenten des Neuen Werkbundes und die (teilweise in Personalunion agierenden) offiziellen Kulturkommissäre und Museumsbeamten. Bei aller Wertschätzung auch durch die »Clique« war Kokoschka klar, dass man ihn und sein Werk für das austrofaschistische Regime instrumentalisierte. Eine Gratwanderung für , die dieser aber mit einigen Volten für seinen alten Freund und 320 Oskar Kokoschka, Wie ich mich sehe,1936, in : Schriften III, S. 251 – 255. 321 Die Verbindungen von nicht zusammengehörigen biografischen Fakten sollen hier nicht mehr eigens erläutert werden. 322 Oskar Kokoschka, Wie ich mich sehe,1936, in : Schriften III, S. 251f. 323 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 34.24, OK an Carl Moll, Sonntag [Ostern 1937 ?]. Hervorhebungen im Original ; fehlende Beistriche – wie so oft bei OK – wurden nicht ergänzt.
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ehemaligen Schützling gut zu meistern verstand. Kokoschka erkannte den Impetus des Freundschaftsdienstes, aber zugleich auch dessen gefährliche Doppelgleisigkeit : Mir tut es sehr leid, daß Du so viel Sorgen hast wegen dieser Ausstellung, aber grade im letzten Punkt ist mir dies wirklich schwer geworden, Dir Recht zu geben, weil ich ja konsequent bisher diese offizielle Clique abgelehnt hatte […] und nun müssen die Leute, die abseits dieser Clique stehen, glauben, daß ich umgefallen bin und mir ein Kokardel aufgesteckt habe und auch zu den Jasagern und Gottnimm-Anbetern übergegangen wäre. Die Anhänger sind vor den Kopf gestoßen und die neuen sind karakterlos [sic !]. Aber in Gottes Namen, Dir meinem einzigen Freund in Österreich zuliebe, nehme ich’s auf mich verkannt zu werden.324
Kokoschka kam weder zur Eröffnung noch danach zu seiner Ausstellung nach Wien, weswegen ihm Moll riet, seinen »Verfolgungswahn« zu kurieren.325 Auch der als »Botschafter« nach Prag entsandte Elias Canetti konnte nichts erreichen. Er stellte fest, Kokoschka hege einen […] tiefen Groll gegen das offizielle Österreich. […] Er komme auch über die Ereignisse von Februar 1934 nicht hinweg. Seine Mutter, an der er mehr als an jedem anderen Menschen hing, sei an gebrochenem Herzen über den Bürgerkrieg auf den Straße Wiens gestorben. […] Mir aber kam es so vor, als zähle Wien für Kokoschka nicht mehr, seit er es verlassen hatte. In seiner Zeit, als er plötzlich an der Hand von Adolf Loos dort überall auftauchte, war Wien etwas gewesen. Aber jetzt hatte nicht Wien ihn, sondern er hatte Wien verbannt und der gute alte Moll, der sich seit Jahrzehnten die Füße für ihn abrannte, war nicht der Mann, ihn für Wien wieder zu interessieren.326
Ausgangspunkt für Moll war der dringliche Wunsch, Kokoschka eine breite Würdigung und Ehrung bzw., wie auch Kokoschka retrospektiv schrieb, »Rehabilitierung« zukommen zu lassen.327 Die Propagandamaschinerie des »Ständestaats« hatte ihren Kanon an österreichischen Künstlern der Moderne ausgebildet, welcher Kokoschka miteinbezog – ob dieser wollte oder nicht. Die Kulturpropaganda war, vereinfacht gesagt, der Versuch, binnenpolitisch eine neue österreichische Identität zu generieren. Als der andere, »bessere« deutsche Staat bemühte man sich auch im Ausland, das heißt bei den Westmächten ein positiv besetztes Bild zu vermitteln. Das Deutsche Reich stand ante portas und so waren kulturpolitische Großprojekte auch im Inland zunehmend dem Druck der eigenständigen bzw. eigenstaatlichen Selbstbehauptung und einer Distinktion 324 Ebd. 325 Zit. Sultano/Werkner 2003, S. 21. 326 Vgl. Canetti 1985, S. 331 – 335. Die Unterstreichung ist im Originaltext kursiv gesetzt. 327 Kokoschka 1971, S. 238.
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gegenüber dem NS-Staat ausgesetzt. Eine große Kokoschka-Ausstellung 1937 war nicht nur der Versuch einer künstlerischen Rehabilitierung bzw. Etablierung und einer zweifellosen Vereinnahmung für den österreichischen Staat. Kokoschka war in Deutschland persona non grata, einer der prominentesten als »entartet« diffamierten Künstler und umso mehr ein Politikum. In diesem Sinne ist auch das öfters wiederholte »Bekenntnis zu Kokoschka« bei den Eröffnungsreden zur Ausstellung am 14. Mai 1937 sowie im Katalog zu verstehen. In der Wiener Zeitung wurde am Folgetag die Eröffnungsrede des ministeriellen Vertreters veröffentlicht : Bundeskommissär Minister a.D. Hans Hammerstein-Equord […] bezeichnete die Ausstellung als einen geeigneten Versuch, Österreich für Kokoschka und Kokoschka für Österreich zu gewinnen […] Das neue Österreich sei sich seiner kulturellen Aufgaben bewußt, wolle seine Kulturschätze wahren und seine Kulturkräfte fördern, sei stolz auf Kokoschka und wisse seine Kunst zu schätzen. Darum möge auch er an das neue Österreich glauben und in die Heimat zurückkehren, wo sich seine geistige Kraft am besten entfalten würde.328
In dieser Kokoschka-Rezeption manifestierte sich etwas, was bislang nur auf Ebene wohlwollender Kritiken geschehen war : es wurde nun von offizieller Seite die schmähliche Behandlung Kokoschkas in Wien betont und der Wunsch nach einer endgültigen Aussöhnung – nicht ohne eine politische Vereinnahmung. In dasselbe Horn blies Freund Moll in seinem Katalogvorwort, dessen Grundtenor an Pathos kaum zu übertreffen ist. Er deponierte, dass es sein frühes Umfeld war (Loos, Hoffmann), die ihn zuerst entdeckt und ihn in die Öffentlichkeit geführt hatten. Geschickt historisierte Moll die mangelnde Wertschätzung der Frühzeit als klassisches Rezeptionsmuster in einer Ahnenreihe mit anderen großen Künstlern, die ebenfalls vom Gros ihrer Zeitgenossen verkannt worden waren : Gustav Klimt, Hans von Marées, Édouard Manet, Paul Cézanne und sogar Rembrandt. Es waren »Wiener Freunde«, die maßgeblich versucht hatten seine Karriere zu fördern, Kokoschkas Werk sei, so Moll ohne dafür eine Erklärung abzugeben, österreichisch geblieben und OK selbst sei Wiener geblieben. Er verknüpfte mit lyrischem Einschlag die Begriffe Mutter und Heimat, wohlwissend welche zentrale Rolle Kokoschkas Mutter gespielt hatte. Movens sei die Kindesliebe zur Mutter, die nun von der Heimaterde bedeckt sei. Die Provenienzen der Leihgaben verschleierte Moll elegant ; die Bilder seien aus »staatlichen und privaten Sammlungen des Auslands, wo sie der österreichischen Kunst einen Ehrenplatz erobert haben.« Zum Abschluss verklammerte Moll mit großen Worten einmal mehr Kokoschka mit seiner Heimat Österreich :
328 Eröffnung der Kokoschka-Ausstellung, in : Wiener Zeitung, 15.5.1937, S. 9, zit. Sultano/Werkner 2003, S. 28. Unterstreichungen sind im Originaltext gesperrt gesetzt.
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Du bist der Heimat abhanden gekommen. Sie wirft Dir vor, daß Du sie fliehst, Du wirfst ihr vor, daß sie Dich nur vom »Wegschauen« kennt. Beides ist als Vorwurf ungerecht. Es ist keine Flucht, wenn man die Welt sucht, erlebt, gestaltet, die Kunst der Heimat in der Welt zu Ehren bringt, und »wegschauen« wird überall der, dem das Hinaufschauen Beschwerden macht. […] Wir Wiener wollen uns nicht besser machen als wir sind. Aber auch nicht schlechter. Es waren doch wieder Wiener Freunde, die zuerst es versuchten, Dich an eine Lehrkanzel zu binden ; es mußte ebenso mißlingen wie der spätere Versuch in Deutschland. […] So konnte Berlin uns Dein Werk entführen. Dieses selbst ist – ohne daß Du es vielleicht selbst erkennst – österreichisch geblieben. In Deiner Farbe ist die Musik Deiner Heimat. […] Und noch einmal sind es Wiener Freunde, welche Dich heute mit einer Ausstellung Deiner Werke grüßen, welche Deiner Heimat Dein Werden, Dein Gewordensein vor Augen führen. […]. Wir grüßen Dich, wir reklamieren Dein Werk, reklamieren Dich für Österreich, für Deine, unsere Heimat.329
Kokoschkas Verfemung in Deutschland als »entarteter Künstler« fand in Molls Katalogvorwort mit keinem Wort Erwähnung. Sie war aber bittere Realität, die auch die Wiener Ausstellung betraf. Schon im Herbst 1936 hatte Kokoschka versucht, Bilder aus reichsdeutschem Besitz über ein Ausstellungsprojekt in die USA zu bringen. Der emigrierte deutsche Kunsthistoriker Alfred Neumeyer (1901 – 1973) hatte ihm angeboten, als Lehrender Fuß fassen bzw. ganz nach Amerika zu kommen.330 Kokoschka schrieb quasi zeitgleich mit der Eröffnung der Hetzschau Entartete Kunst in München am 23. Juli 1937 einen Brief an Direktor Ernst sich für die Nicht-Rückstellung der deutschen Leihgaben zu verwenden und eine »internationale oder inländische Kollekte« zum Ankauf der Arbeiten zu initiieren.331 Ernst machte sich tatsächlich stark dafür und urgierte bei Minister a. D. Hans Hammerstein-Equord, beim Kommissär der Pariser Exposition Hofrat Alfred Stix und beim Präsidenten des Neuen Werkbundes, Staatsrat Clemens Holzmeister. Ein Höhepunkt der Bemühungen war Kokoschkas Schreiben an den österreichischen Bundekanzler Kurt Schuschnigg.332 Doch die Leih- und Versicherungsverträge galten als verbindlich und man wollte angesichts der angespannten deutsch-österreichischen Beziehungen keinen Eklat provozieren. Kokoschka stellte 1971 in seiner Autobiografie fest : »Man berief sich in Wien jedoch auf legale Gründe und sandte die Bilder zurück.«333 Der »moralische Erfolg der Ausstellung war groß«, so Direktor Ernst retrospektiv. Die Presseresonanz sowie die rund 3.000 Besucher/innen nahmen sich bescheiden 329 Carl Moll, Oskar Kokoschka zu seinem fünfzigsten Geburtstag, in : AK Oskar Kokoschka, Ausstellung im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, [veranstaltet von :] Der neue Werkbund Österreichs, Wien 1937. 330 Vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 22, 47 – 50. 331 Ebd. 332 OK an Kurt von Schuschnigg, Mährisch-Ostrau, 3.8.1937, in : Briefe III, S. 49 – 54. 333 Kokoschka 1971, S. 238.
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aus334 – im Vergleich mit der Besucherzahl von 15.000 der erwähnten NS-Schau in der Secession. Im Jahr 1947 bat Kokoschka bei seiner ersten großen Ausstellung nach dem Krieg in Basel nicht ohne Schmeichelei Direktor Ernst, der durchgehend im Amt verblieben war, um Unterstützung, »weil ich mich gut an die von Ihnen so glänzend veranstaltete Wiener Ausstellung erinnere. In einem sentimentalen Beisatz schrieb er, dass diese Schau »zu einer Art Schwanengesang werden sollte, nun mein geliebtes Wien in Trümmern«.335 München, Juli 1937 – Wien, März 1938
Würde man die drei für Kokoschka wichtigen Ausstellungen des Jahres 1937 nur nach der Besucherquote befragen, so stünde die Gewinnerin eindeutig fest, nämlich die Münchner Entartete Kunst-Schau.336 Sie hatte (nach eigener Zählung) in den ersten 14 Tagen 396.000 Besucher/innen.337 Sarkastisch kommentierte Kokoschka später die »Fortune« der nationalsozialistischen Wanderschau : »Toller Erfolg ! Die Ausstellung ›Entartete Kunst‹ hatte zwei Millionen Besucher. Noch nie waren zwei Millionen vor meinen Bildern gestanden.«338 Kokoschka war neun Gemälde, einem Aquarell, einem Plakat und fünf grafischen Blättern und einer Lithografie aus dem Zyklus O EwigkeitDu Donnerwort (Bachkantate) bei der ersten Station vertreten. Darunter waren so wichtige Gemälde, wie Die Windsbraut, Die Auswanderer oder Die Freunde.339 Kokoschka an Carl Moll : »Im Reich sind meine Bilder bereits alle saisiert und, weil ich hohe Preise habe, aus Devisengründen, nicht wegen moralischen Hemmungen, noch nicht zerstört.«340 Im Herbst 1938 war die Schau in Salzburg zu sehen, wo die einzige Bücherverbrennung auf österreichischem Terrain stattgefunden hatte. Danach hatte man etliche Werke prominenter Künstler aus der Ausstellung entfernt, um sie devisenbringend in der Schweiz zu versteigern.341 Dazu zählten Arbeiten von Vincent van Gogh, Marc Chagall, Lovis Corinth, James Ensor, Emil Nolde, Franz Marc, Pablo Picasso und Kokoschka. Die Windsbraut wurde schon im Vorfeld einer großen Auktion im Juni 1939 in Luzern vom Kunstmuseum Basel erworben. Die Hetzschau Entartete Kunst lief mit verschiedenen Unterbrechungen bis 1941. In Wien hatte sie im Mai 1939 334 Sultano/Werkner 2003, S. 68. 335 OK an Richard Ernst, 5.2.1947, zit. Sultano/Werkner 2003, S. 62. 336 Vgl. https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/khi/forschung/projekte/entartete_kunst/index.html (Zugriff : 6. 7.2022). 337 Sultano/Werkner 2003, S. 86. 338 Kokoschka. Mit seinen Koko-Strahlen, in : Der Spiegel, 1.8.1951, zit. Held 2011, S. 107. 339 Vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 99. Vgl. Die Windsbraut FOK CR 1913/10, Die Auswanderer FOK CR 1916/9, Die Freunde FOK CR 1917/6. 340 OK an Carl Moll, [Prag, Sommer 1938], in : Briefe III, S. 73. 341 Zu den Versteigerungen vgl. auch Sultano/Werkner 2003, S. 110 – 118.
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Station genommen. Kokoschka war zu diesem Zeitpunkt nur noch mit Druckgrafik vertreten.342 Wien im Vorfrühling 1938 : Die Atmosphäre in Wien war sehr merkwürdig in diesen Vorfrühlingstagen. Äußerlich hatten sie etwas von einem Fastnachtstreiben. Denn die Leitung der Nazipartei hatte von Deutschland aus einen unerhörten Befehl erhalten : Kinder auf die Straße ! So füllten sich in diesen letzten Tagen des damaligen Österreich, in denen schon die deutschen Einmarschtruppen an der Grenze zusammengezogen wurden, die Straßen Wiens mit immer größeren Scharen von Jugendlichen aller Altersstufen, die Hakenkreuzfähnchen trugen, »Heil Hitler« riefen und in dichten Gruppen und Verbänden die Hauptverkehrsadern der Stadt blockierten. Die Polizei war hilflos […]. […] die Erwachsenen standen schweigend da, teils belustigt, teils verbittert, teils in hämischer Erwartung.343
In Alma Mahler-Werfels Salon waren hochrangige Politiker des »Ständestaats« gerne zu Gast. So hatte Kokoschka sie in einem fordernd-bittenden Brief gebeten, sich bei Schuschnigg für seine Ideen eines supranationalen, pazifistischen Erziehungs- und Schulwesens stark zu machen.344 In den Märztagen 1938 war dies in Wien weniger als eine verblasste Vision. Die »hämische Erwartung« und die warnenden Vorzeichen, wie sie Carl Zuckmayer beschrieben hatte, sollten sich noch verdichten (Abb. 15). Am Abend des 11. März, also nach dem erzwungenen Abbruch zur Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs, […] brach die Hölle los. […] Die Stadt verwandelte sich in ein Alptraumgemälde des Hieronymus Bosch : Lemuren und Halbdämonen schienen aus Schmutzeiern gekrochen und aus versumpften Erdlöchern gestiegen. Die Luft war von einem unablässig gellenden, wüsten, hysterischem Gekreische erfüllt, aus Männer- und Weiberkehlen, das tage- und nächtelang weiterschrillte. Und alle Menschen verloren ihr Gesicht, glichen verzerrten Fratzen ; die einen aus Angst, die anderen in Lüge, die andren in wildem, haßerfülltem Triumph. […] Ich hatte die Unruhen der Nachkriegszeit miterlebt, die Niederschlagung von Aufständen, Straßenkämpfen […] war beim Münchner »Hitler-Putsch« von 1923 mitten unter den Leuten auf der Straße. Ich erlebte die erste Zeit der Naziherrschaft in Berlin. Nichts davon war mit diesen Tagen in Wien zu vergleichen. […] Was hier entfesselt wurde, war der Aufstand des Neids, der Mißgunst, der Verbitterung, der blinden böswilligen Rachsucht […].345
342 343 344 345
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Zu den Ausstellungsstationen : Sultano/Werkner 2003, S. 105 – 109. Zuckmayer 1966, S. 65f. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 271.1., OK an Alma Mahler-Werfel, 30.7.1937. Ebd., S. 71.
Schwanengesang in Paris, Wien und München 1937/38
15 : BdM-Mädchen begrüßen Adolf Hitler, Wien, März 1938.
Der von gewaltsamen Exzessen begleitete politische Umbruch hatte seine Wirksamkeit auch noch im feinsten Geäst der Gesellschaft. Im Zuge der staatlich gesteuerten sowie bei »wilden« sogenannten »Arisierungen« von mehreren zehntausenden Wohnungen in Wien statuierte man an Kokoschkas Porträt Robert Freund von 1909 ein Exempel der besonderen Art. In einem bitter-bösen Brief an seinen alten Freund, den mittlerweile offen bekennenden Nationalsozialisten Carl Moll schrieb er, »der Geist des seligen Moritz [sic !] Seligmann« feiere »eine fröhliche Auferstehung […]«.346 In Wien hat man amtlicherseits am 5.V.38 in der Reisnerstr. 40 durch die Gestapo Abtlg. II H ein altes Portrait erstmalig, als Novum, zerschnitten. Sie können stolz sein über diesen Sieg ! Die Stücke sind in Prag, die Zeugen ebenfalls. Das Portrait stellt einen jungen Mann dar, den ich vor dreißig Jahren gemalt habe. So hat Wien wieder einmal die Palme davon getragen.347
Unliebsam war nicht nur der Maler, sondern auch der Dargestellte : Robert Freund (1886 – 1952), ein Gefährte aus frühesten Tagen, war vor seiner Flucht in die USA Gründer bzw. Teilhaber großer Verlage wie Piper (München) und Bastei (Wien) gewesen. Friedrich 346 OK an Carl Moll, [Prag, Sommer 1938], in : Briefe III, S. 74. 347 Ebd., S. 73.
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Kokoschka, Wien und die österreichische Kulturpolitik bis 1938
16 : Postkarte des Gemäldes Robert Freund von 1909, auf der Rückseite in französischer und flämischer Sprache Hinweise zur Zerstörung des Bildes durch die Gestapo in Wien am 5. Mai 1938 sowie u. a. »Carte vendue pour l’aide des émigrés allemands«, 1938, Foto : Fred Stein, Paris, OKZ.
Torberg beschrieb ihn in seiner Tante Jolesch : »Dieser Dr. Freund, ein eleganter, durch und durch schöngeistiger, geradezu exzessiv kultivierter Herr, verkörperte den Typ, den wir ›Dejeuner-Snob‹ nannten, das ist einer, der französische Lebensart mit englischer Formenstrenge zu verschmelzen strebt […].«348 Das zerschnittene Gemälde gelangte vermutlich über seinen Besitzer nach Prag, wohin Freund gute Beziehungen gepflegt hatte, bevor er nach Paris und letztlich New York flüchtete.349 Das Bild wurde neben 18 anderen Kokoschka-Arbeiten in der als Pendant zur Entartete Kunst-Schau konzipierten Ausstellung Twentieth Century German Art im Juli 1938 in London gezeigt.350 Es wurde zu einer negativen Ikone des nationalsozialistischen Bildersturms. Im November des Jahres war es auf der Folgeausstellung Freie Deutsche Kunst in Paris zu sehen.351 Inzwischen hatte man von dem zerschnittenen Bild Postkarten anfertigen lassen, die mehrsprachig auf sein Schicksal hinwiesen : »Zerstört von der Wiener Polizei, Gestapo Abteilung II H, am 5. Mai 1938«. Der Kauferlös kam, wie auf einigen Versionen zu lesen war, Flüchtlingen des Deutschen Reiches zugute (Abb. 16).352
348 Friedrich Torberg, Die Tante Jolesch oder Der Untergang des Abendlandes in Anekdoten, München 1977, S. 192, zit. Feilchenfeldt 2009, S. 260. 349 Feilchenfeldt 2009, S. 268. 350 Vgl. Wasenstein 2021. 351 Feilchenfeldt 2009, S. 267 – 274 ; Holz 2010. 352 Reinhold 2013a, S. 14f.
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Prag und London – Zur Formierung eines neuen Österreich-Bewusstseins Die Ideologie vom totalitären Staat beruht auf dem Gefühl von nationaler Minderwertigkeit ; deren Überkompensierung muß zwangsfläufig zu den Greueln der Massenvernichtung, des Tortur- und Geißelsystems, zu den Institutionen der geheimen Staatspolizei, des abhängigen Richtertums und der neuesten Mode und größten Schande des Jahrhunderts, den Konzentrationslagern, führen, weil anders nicht die Anerkennung einer Autorität gelingen kann, die an Rechtstatt den sacro egoismo vertritt. Oskar Kokoschka, Domine, quo vadis, 19361
Die Kunsthistorikerin Edith Hoffmann (1907 – 2016) hatte im Londoner Exil die erste umfangreiche Kokoschka-Monografie verfasst.2 Dem letzten Kapitel hatte sie den Titel Prague and London. The Political Artist gegeben.3 Anders als prominente, ebenfalls vom NS-Regime diffamierte Künstlerkollegen, wie Wassily Kandinsky oder Max Beckmann, der eine extrem apolitische Haltung einnahm4, engagierte sich Kokoschka in Prag, vor allem in London für antinazistische Kultur- und Bildungsarbeit. Seit dem Herbst 1934 lebte er in Prag, dessen politisches Klima bislang durch extreme nationalistische Spannungen zwischen den deutsch- und tschechischsprachigen Eliten geprägt war. Diese waren ab spätestens 1933 zumindest überdeckt, da nach der Machtergreifung Hitlers viele aus NS-Deutschland hierher geflohen waren. Und auch aus Österreich kamen ab 1934 zunehmend Linksintellektuelle, die sich in das kulturelle Leben der Moldaustadt nicht nur einfügten, sondern es in besonderer Weise mitprägten. Kokoschka kam mehr denn je in Berührung mit der hier versammelten internationalen Linken und wurde allmählich vor dem Horizont des faschistischen Flächenbrands in Europa eine prominente antifaschistische Stimme. Im Jahr 1937 liefen in Wien, Paris und München Ausstellungen, die sein Werk – wenn auch mit extrem unterschiedlicher Motivation ! – präsentierten. Damals hatte er sich schon längst – wie Hoffmann es später formulierte – als politischen Künstler verstanden. In der Zeit entstand, zunächst als Auftrag bzw. Geschenk für eine Freundin, ein Bild, das bald den Titel Selbstbildnis als »entarteter« Künstler tragen sollte (Abb. 17).5 Angesichts der massiven Anfeindungen hatte er sich nicht in eine vermeintlich unpolitische Haltung 1 2 3 4 5
Oskar Kokoschka, Domine, quo vadis ?, in : Die Wahrheit, Prag, Sommer 1936, zit. Schriften IV, S. 166. Hoffmann 1947 ; Zu Kokoschkas massiven Interventionen, vgl. Bonnefoit 2015. Hoffmann 1947, S. 199. Holz 1997, S. 49. Bonnefoit 2018.
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Prag und London – Zur Formierung eines neuen Österreich-Bewusstseins
zurückgezogen, sondern stellte sich den Konfrontationen, wie der mehrdeutige, aber feste, beinahe trotzige Blick seines Porträts versinnbildlicht. »The Political Artist«. Kokoschka in Prag 1934 – 1938 In der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre fand die Politisierung Kokoschkas ihre ersten Höhepunkte. Für die im Herbst 1935 gegründete überparteiliche Union für Recht und Freiheit, in der sich Künstler/innen und Intellektuelle gegen die Missachtung der Menschenrechte und Zerstörung von Kultur einsetzten, hielt er Vorträge und verfasste Essays, auch zu aktuellen politischen Themen.6 Künstlerischen Niederschlag fand sein antifaschistisches Engagement in zumindest drei Arbeiten, die unmittelbar Bezug auf den Spanischen Bürgerkrieg nahmen. Bekannt wurde sein Plakat Pomozte baslickým Dětem ! [Helft den baskischen Kindern !], das Kokoschka in seiner Autobiografie (1971) in den Kontext der deutschen Bombardierung der Stadt Guernica am 26. April 1937 setzte (Abb. 18). Der genaue Zeitpunkt der Entstehung liegt jedoch im Dunkeln. Kokoschka sah 17 : Oskar Kokoschka, Selbstbildnis als die faschistische Bedrohung auch für und in der »entarteter Künstler«, 1937, Öl/Leinwand, Tschechoslowakei. Neben dem tschechisch bePrivatbesitz, Leihgabe an die Scottish schrifteten Aufruf hatte er das kriegsartige SzeNational Gallery of Modern Art, Edinburgh. nario vor der Stadtsilhouette Prags angelegt. Die mit ihren Kindern im Vordergrund dargestellte flüchtende Mutter trägt eindeutig die Züge der jungen Prager Juristin Olda Palkovská (1915 – 2004), mit der er im Oktober 1938 nach London fliehen sollte. Anders als Picasso, der sein ikonisches Gemälde Guernica auf der Pariser Weltausstellung im Frühsommer 1937 gezeigt hatte, wählte Kokoschka das Medium des Plakats. Seinem alten Freund Albert Ehrenstein in London schrieb er im Oktober 1937, dass er selbst vier Tage in der Druckerei dafür gearbeitet hatte, um Kosten zu sparen.7 6 Z.B. Oskar Kokoschka, Was wird der Völkerbund vom Abessinien-Abenteuer lernen ?, in : Schriften IV, S. 152 – 160. Zu Kokoschkas pazifistischem und politischem Engagement in Prag vgl. Bonnefoit 2015a. 7 OK an Albert Ehrenstein, Werksspital Wittkovitz, 28.10.1937, in : Briefe III, S. 56. Kokoschka waren die
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Damals hatte er auch zwei Federzeichnungen zugunsten der republikanischen Seite im Spanischen Bürgerkrieg für eine Verbreitung in großer Auflage geschaffen hatte.8 Es handelt sich um La Pasionaria (Abb. 19), eine Darstellung der spanischen Revolutionärin und Kommunistin Dolores Ibárruri Gómez (1895 – 1989) und des von Franko-Brigarden ermordeten spanischen Dichters Federico García Lorca (1898 – 1936) (Abb. 20). Sowohl Ibárruri als auch Lorca waren Kultfiguren der republikanischen bzw. kommunistischen Seite des Spanischen Bürgerkriegs. Beide sind mit der erhobenen Faust, dem Zeichen des Kampfes gegen den Faschismus, dargestellt – eine ikonografisch eindeutig lesbare Geste der internationalen Linken. Kokoschkas Kontakte zu antifaschistischen, linken Gruppierungen in Prag bildeten die Grundlage für sein politisches Engagement im Londoner Exil, wo er eine pro-sowjetische Stellung bezog.9 Retrospektiv versuchte der Künstler diese politische Ausrichtung herunterzuspielen bzw. sich neben seinem humanistisch-pazifistischen Engagement als »one man underground movement« zu stilisieren.10 Dies mag für die Zeit nach 1945 gelten, doch nicht für die Prager bzw. Londoner Exilzeit. Heinz Spielmann 18 : Oskar Kokoschka, Pomozte baslickým meinte zu den Prager Flugblatt-Vorlagen für Dětem ! Helft den baskischen Kindern !, die spanisch-republikanische Seite, dass »Ko- Plakat 1937, Farblithografie, Fondation koschka im hoffnungslosen Kampf gegen Oskar Kokoschka, Vevey. Hitler seine ehemals später erneuert deutliche Abneigung gegenüber der Linken zurückstellte« und spielt damit auf die sogenannte Kunst-Lump-Debatte während den revolutionären Kämpfen in Dresden 1920 an.11 Kokoschkas spätere politische Affinität zu konservativen Kreisen überformte offensichtlich im Rückblick die Beurteilung seiner eigenen politischen Tätigkeit in Prag und später auch in London. politischen Umstände buchstäblich an die Nieren gegangen : 1937 befand er sich wegen einer lebensbedrohenden Nierenerkrankung in Behandlung. 8 Vgl. Briefe III, S. 52f. 9 Sultano/Werner 2003, u. a. S. 204f. 10 Kokoschka 1971, S. 265. 11 Spielmann 2003, S. 328 ; aktuelle Forschungen zum Dresdner Kunst-Lump-Streit siehe Schwarz 2014a.
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19 : Oskar Kokoschka, La Pasionaria, 1937, Federzeichnung. 20 : Oskar Kokoschka, Federico Garcia Lorca, 1937, Federzeichnung.
Schon 1934/35 war Kokoschka »geladener Gast« der Prager Secession bzw. »korrespondierendes Mitglied« im Verein der bildenden Künstler S.V.U. Mánes (Spolek výtvarných umělců Mánes).12 Spätestens nach der Hetzschau Entartete Kunst und den nationalsozialistischen »Säuberungen« der Museen ging sein Kampf allmählich auf eine breite politische Ebene über. Kokoschka wurde zu einer Leitfigur des künstlerisch-politischen Widerstands, schrieb zahlreiche Aufsätze, Artikel, hielt Vorträge. Wieviel symbolisches Kapital allein sein Name als prominenter Künstler besaß, verdeutlicht im Herbst 1937 die Gründung des Oskar-Kokoschka-Bundes in Prag, dem neben tschechoslowakischen vor allem deutsche (exilierte) Künstlern, wie John Heartfield, angehörten. Kokoschka war selbst nicht Mitglied des Bundes, unterstützte aber dessen »geschlossenes Auftreten gegen die Kunstideale der Nationalsozialisten«.13 Er beteiligte sich u. a. an einer Kunstmappe, die Edvard Beneš, dem Nachfolger Masaryks, im Mai 1938 überreicht wurde.14 12 Tieze 2014a, S. 104. 13 Ebd., S. 104f. 14 Details dazu sind nicht bekannt, da diese Mappe nicht genau und nur in Fotografien dokumentiert ist, vgl. Rokytová 2014, S. 111.
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Wie sehr sich Kokoschka politisch exponiert und allmählich in Gefahr gebracht hatte, hält er später fest : »Der deutsche Sender Breslau drohte mir : ›Wenn wir nach Prag kommen, wirst Du am ersten Laternenpfahl hängen !«15 Auffallend humorlos und verärgert reagierte er im Sommer 1938 auf eine offene Flugpostkarte Ehrensteins, die ihm als »Linksgerichteten«16 […] hier sehr schaden kann, wenn Sie bedenken, daß auch hier schon Zensur ist. Wir stehen vor einem Weltkrieg, der in 3 – 4 Tagen ausbrechen kann oder in 1 – 2 Wochen, und da darf man nicht so unverantwortlich sein, alle meine Bekannten, heimlichen Konflikte, Adresse meines Bruders in Ö. u.s.w. auf eine offene Postkarte zu schreiben, wenn Sie doch ebenso gut wissen wie ich, daß es hier zur Hälfte Nazis gibt, daß man auch C. Bekannten nicht ganz trauen kann […].17
Neben der drohenden Kriegsgefahr vermittelte der Künstler ein Stimmungsbild am Vorabend der NS-Okkupation : »Die kosmopolitische Gesellschaft in Prag löste sich in nichts auf.«18 Noch vor dem für ihn bedrohlichen Münchner Abkommen vom 30. September 1938, das (von den Vertretern Englands, Frankreichs, Italien und Deutschlands ausverhandelt) den Zuschlag des Sudetenlandes an das Deutsche Reich fixierte, war ihm seine aussichtslose Stellung in Prag klar. Seine beinahe größte Sorge aber war sein Bruder in Wien, von dem er seit März 1938 nur unregelmäßig Nachrichten erhielt. Er organisierte Freunde wie Ruth und Adolf Arndt die Bohuslav unterstützten, er erteilte Ratschläge, vom Gemüseanbau zur Selbstversorgung bis hin zur Warnung im Umgang mit offiziellen Stellen – wohlwissend, dass der Bruder durch die exponierte, politische Stellung des älteren gefährdet war. Alfred Neumeyer charakterisierte er seine Situation in Prag Ende März 1938 : Ich bin hier in einer Mausefalle und mein Lebensraum wird täglich karger, während mein geleistetes Lebenswerk nun auch in Österreich von der Vernichtung bedroht ist. Aber da es Hundertausenden ähnlich geht (mein Bruder macht mir am meisten Sorgen, der in Wien sitzt), so hat man eben zu warten, bis das Beil herunterfällt.19
Strategisch hatte er über Monate u. a. mit englischen und amerikanischen Kunsthistorikern und Museumsfachleuten wie Neumeyer oder Herbert Read korrespondiert, Ausstellungsprojekte lanciert, nicht ohne den Hintergedanken so seine Bilder in Sicherheit 15 Kokoschka 1971, S. 238. 16 OK an Albert Ehrenstein, [Prag, Sommer 1938], in : Briefe III, S. 72. 17 Ebd., S. 71. 18 Kokoschka 1971, S. 248. 19 OK an Alfred Neumeyer, Prag 28.3.1938, in : Briefe III, S. 63. Der von OK verwendete Begriff »Lebensraum« war spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts eindeutig politisch konnotiert und wurde nicht zuletzt von Adolf Hitler in Mein Kampf (1924) als rassisch-geografisch definierte Kampfformel verwendet.
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zu bringen. Er regte Porträtaufträge an, beispielsweise den englischen Kriegsminister Leslie Hore-Belisha zu malen – und lieferte stets ein klares Bild der realen Bedrohung in seiner »Mausefalle«.20 In seiner Autobiografie von 1971 schrieb er : »Amerika ist zu weit weg von Wien und Prag«, wo seine Schwester Berta samt Schwager Emil lebten, um nonchalant weiterzuführen : »Ich habe nie Lust gehabt, ein Emigrant zu werden, war von Jugend an gewöhnt, wegzugehen, wo es mir nicht mehr gefiel und dorthin zu gehen, wo ich leben konnte. Das Problem war nur, wohin ?« Frankreich schloss er aufgrund seiner schlechten Erfahrungen dort aus. »Ich war lange indolent, entschloß mich aber dann für England als Reiseziel.«21 Angesichts der Odyssee, die viele Künstler und Intellektuelle wie etwa Walter Benjamin, Max Ernst, Stefan Zweig oder Paul Westheim bei ihrer oft jahrelangen Flucht vor den Nazis auf sich nehmen mussten, mutet es als zynischer Euphemismus an, wenn er seine Flucht als »Reise« bezeichnete. Jahrzehnte später artikulierte sich darin auch eine zumindest scheinbar »unbeugsame« Haltung : Kokoschka saß in der »Mausefalle« und sah sich durch die existenzielle Gefahr zur Flucht gezwungen. Bezwungen waren aber offensichtlich nicht sein Wille und sein Mut sich weiterhin politisch bzw. kulturpolitisch zu engagieren. So sehr er sich im Kontext der Wiener Kunstszene als lebenslanges Opfer gerierte, so wenig wollte er sich in eine Defensivhaltung gegenüber den Nationalsozialisten begeben. Seine spätere Frau Olda hatte die Flucht und einen der letzten möglichen Flüge nach London am 19. Oktober 1938 organisiert. Kokoschka hatte sein potentes Netzwerk aktiviert : im Sommer hatte er die noch die schon von Masaryk angebotene tschechoslowakische Staatsbürgerschaft angenommen, die ihn in England vor der Internierung bewahrte – ein Schicksal, das alle deutschen bzw. (nun ebenfalls reichsdeutsch gewordenen) österreichischen Flüchtlinge betraf. Kokoschka, Integrationsfigur im Exilland England Im September 1938, also rund um das Münchner Abkommen, wurde das British Commitee for Refugees from Czechoslovakia gegründet, das sich für jene Emigranten einsetzte, die 1933/34 aus Deutschland bzw. Österreich geflohen waren. Vielen Mitgliedern des Oskar-Kokoschka-Bundes und auch Kokoschka selbst wurde dadurch die rettende Flucht ermöglicht. Trotz seines hohen Bekanntheitsgrades, guter Kontakte, Förderer (z. B. Edvard Beddington-Behrens) und Mentoren (darunter die bekannten Kunsthistoriker Herbert Read, Kenneth Clark, Michael Croft) war es für Kokoschka nicht leicht, in England Fuß zu fassen. Grund dafür war allgemein gesprochen le goût anglais, der bis heute wenig Affinität zu expressionistischer Kunst zeigt. Doch mehr als die schwierigen 20 OK bezeichnete Hore-Belisha irrtümlich als Londoner Bürgermeister, vgl. OK an Herbert Read, Prag, 17.5.1938, in : Briefe III, S. 67. 21 Kokoschka 1971, S. 248.
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Kontakte mit dem englischen Kunsthandel, mit Sammlern und Museen, beunruhigte den 52-jährigen Künstler das Schicksal seines »geleisteten Lebenswerks«22, das sich weitgehend im europäischen Kriegsgebiet befand. Er selbst und Olda Palkovská durften mit nur einem Koffer in England einreisen, in dem sein Manuskript zu Comenius lag. Im teuer bezahlten Übergepäck hatte er sein Selbstbildnis als »entarteter« Künstler und Die Quelle mitgenommen. Free German League of Culture
Kokoschkas Engagement für vor allem deutsche und österreichische Emigrantengruppen in Prag, Paris und London kann nicht überschätzt werden. Es »vollzog sich im Zuge eines vielfältigen Austauschs mit anderen Exilanten«23 und war definitiv kein »one man underground movement«.24 In Prag hatte er seinen Namen für den Oskar-KokoschkaBund geliehen, sich für die Union für Recht und Freiheit und die Unterstützung der anti faschistischen Volksfront in Spanien stark gemacht. Im Freien Künstlerbund in Paris übernahm er die Ehrenpräsidentschaft und unterstützte die Ausstellung Freie deutsche Kunst, wo sein Bildnis von Robert Freund ausgestellt war. In London war er an den Aktivitäten der Free German League of Culture (Freier Deutscher Kulturbund) umfassend beteiligt. Vom Dezember 1938, also kurz nach seiner Ankunft in London, bis zum Sommer 1941 übernahm er den Vorsitz der Gruppe bildender Künstler. Von da an bis 1946 stand er sogar in der Funktion des Präsidenten der gesamten Liga. Sie nahm Deutsche, Österreicher/innen und Brit/innen auf, es gab unterschiedliche Kunst-Sektionen und breit gesteckte Ziele : die Bewahrung und Förderung einer freien deutschen Kultur, ein entschiedenes Wirken gegen die NS-Kulturpropaganda und der Kulturaustausch mit England. Kokoschka war als international bekannter Künstler eine Symbolfigur der Exilgemeinschaft(en) geworden. Sein Einsatz im Kulturbereich und in der Jugendarbeit war omnipräsent : er organisierte Ausstellungen, die er mit pointierten Reden eröffnete, schrieb Katalogtexte, Einleitungen für unterschiedliche Publikationen, hielt Vorträge und begann zunehmend eigenes Geld von Bilderverkäufen zu spenden. Großbritannien war vor und während des Zweiten Weltkriegs zu einem Zentrum des internationalen Exils geworden, rund 90 % waren jüdische Flüchtlinge.25 Ein Gutteil der verschiedenen europäischen Exilregierungen hatte ihren Sitz in London. Anders als in den von den Deutschen besetzten Ländern wie z. B. Frankreich oder Belgien, mussten die deutschen oder österreichischen Emigranten nicht in den Untergrund gehen, sondern konnten prinzipiell antifaschistische Exilverbände bilden. Außen- und innenpolitische 22 OK an Alfred Neumeyer, Prag 28.3.1938, in : Briefe III, S. 63. 23 Holz 1997a, S. 87. Siehe auch Exil 1986 und Dogramaci 2011. 24 Kokoschka 1971, S. 265. 25 Muchitsch 1992, S. 8.
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Vorgänge, vor allem die von der britischen Regierung verfolgte strenge Politik der NichtEinmischung, die von Kokoschka so heftig kritisierte Appeasementpolitik, erschwerte die Arbeit.26 Mit der Kriegsbeteiligung Großbritanniens im September 1939 galten deutsche und österreichische Flüchtlinge mit einem Schlag als »Enemy Alien«, ab Juni 1940 kam es zu Masseninternierungen. Kokoschka entging diesem Schicksal durch seine tschechoslowakische Staatszugehörigkeit, hatte aber in der österreichischen Exilzeitschrift Zeitspiegel eine Erklärung zugunsten internierter Emigranten veröffentlicht.27 Mit dem Kriegseintritt unterzeichnete OK eine in der Times veröffentlichte Deklaration, dass Exilanten Opfer der Nazi-Barbarei seien, bereit, mit England den Kampf um »Freiheit, Kultur und Demokratie« zu führen.28 Die Betonung des gemeinsamen Kampfes wurde umso wichtiger, als es ab Herbst 1940 zu fast täglichen deutschen Bombardements (»the London blitz«) kam. Hatte man Kokoschka in Prag schon gedroht im Fall einer deutschen Besetzung am »ersten Laternenpfahl« aufzuhängen29, so stand er auf der »Sonderfahndungsliste G.B. des Reichssicherheitshauptamtes für den Fall der Invasion Großbritanniens vom Mai 1940« an prominenter 111. Stelle : »Oskar Kokoschka, 8.10.68 Pöchlarn, Emigrant, Vorstandsmitgl. d. Freien dtsch. Kulturliga i. England, London […].30 Im Februar 1943 erschien das Büchlein »Und sie bewegt sich doch !« Freie deutsche Dichtung in London. Es vereinte deutsche Gedichte, »Große Stimmen«, aus den Exilländern Großbritannien, Amerika und der Sowjetunion. Lyrik von Bertolt Brecht war vertreten, das Cover hatte John Heartfield gestaltet : Hitler als Affe am Globus hockend, in der einen Pfote einen Toten, in der anderen ein bluttriefendes Schwert (Abb. 21). Das Vorwort verfasste niemand anderer als »Professor Oskar Kokoschka«, der sich vor dem Hintergrund der deutschen Exil-Gemeinschaft bestimmter Klischees bediente und dabei aktuelle Aspekte mit unverwüstlichen Argumenten und Ahnherren des historischen Repertoires zu verknüpfen wusste : Lord Vansittart31 stimmt mit Tacitus darin überein, dass den Deutschen von jeher ein kriegerischer Geist innewohnt. Es ist wahr, dass der Deutsche gerne den Lockungen auf Sold und Kriegsbeute leichter erlag, was zum Teil an der Dürftigkeit seines Ackers, aber auch an seiner Sucht nach Verfeinerung seiner groben Sitten lag. […]
26 Zu massiven britischen Interventionen im Kulturbereich vgl. Holz 1997, S. 48f. 27 Oskar Kokoschka, Erklärung zugunsten internierter Emigranten, in : Zeitspiegel-Anti-Nazi-Weekly, 22.12.1941, vgl. Schriften IV., S. 353f. 28 Zit. Holz 1997a, S. 89. 29 Kokoschka 1971, S. 238. 30 Zit. Muchitsch 1992, S. 79. 31 Robert Vansittart (1881 – 1957) war britischer Diplomat, Gegner der britischen Appeasementpolitik, der 1940 ein umfangreiches anti-deutsches Pamphlet herausgegeben hatte, in dem er den Deutschen unterstellte, immer schon Barbaren, Kriegsfanatiker etc .gewesen zu seien.
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Eine andere Art des deutschen Wesens lernt man als Untergrundbewegung kennen, die seit den Bauernkriegen dort nie erloschen und welcher die moderne Menschheit die Formulierung sozialer Reformen verdankt, ja die Idee eines neuen Gesellschaftsaufbaus. […] Es ist gewiss kein Zufall, dass (als die Hitlersoldateska die Welt noch nicht mit ihren Monstrositäten entsetzte) man den Deutschen häufig eine besondere Beseeltheit und Gefühlstiefe zubilligte, was man im profanfrivolen Westen fast ein bisschen komisch fand, wenn es sich nicht als deutsche Musik offenbarte, oder aus des Dichters Mund.32 Free Austrian Movement
England war als Aufnahmeland für österreichische Flüchtlinge von besonderer Bedeutung.33 Nach dem »Anschluss« am 12. März 1938 und erneut nach den Novemberpogromen des Jahres waren die Flüchtlingszahlen sprunghaft angestiegen, sodass Visa-Verordnungen erlassen wurden. Die britische Haltung gegenüber österreichischen Emigranten war bis zur Moskauer Deklaration am 30. Oktober 1943 nicht klar definiert. Die alliierten Mächte (USA, Großbritannien und die Sowjetunion) hatten darin erklärt, dass der »Anschluss« ungültig und die Selbstständigkeit Österreichs wieder herzustellen sei. Die 21 : John Heartfield, Und sie bewegt sich doch !, vielen österreichischen Gruppen schafften es Buchcover nach Collage, 1943. nie, eine Exilregierung zu konstituieren, was vor allem am Widerstand der Sozialisten lag, die erst mit der Moskauer Deklaration von der Idee einer großdeutschen Koalition abrückten.34 Alle anderen politischen Lager, die Kommunisten, die Bürgerlichen bzw. die Legitimisten, sprachen sich – wenn auch mit anderen Motivationen – für die Herstellung eines selbstständigen Österreichs aus. Die Zusammenarbeit dieser Gruppierungen war sehr gut und mündete 1941 in der Gründung eines Dachverbands, dem Free Austrian Movement (FAM). Die aktivste und 32 Oskar Kokoschka, Einleitung, in : »Und sie bewegt sich doch !« Freie deutsche Dichtung, London (Freie Deutsche Jugend) 1943, S. 3f. 33 Umfassend über Österreicher im Exil in Großbritannien vgl. Muchitsch 1992. 34 Muchitsch 1992, S. 154 – 160, v. a. 159.
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einflussreichste Partei in der Exilgemeinschaft waren zweifellos die Kommunisten. Sie engagierten sich in jeder Phase der Flüchtlingsbetreuung, von der Erstaufnahme, der Arbeitsvermittlung bis hin zu Verhandlungen im Zuge der Masseninternierungen, bei denen für tausende Österreicher/innen Bestätigungen erwirkt wurden, dass sie Opfer der Nationalsozialisten waren. Der Wirkkreis des Free Austrian Movements war groß und wandelte sich natürlich im Verlauf des Kriegsgeschehens. Die politischen Aktivitäten des FAM waren aber immer untrennbar mit Kultur- und Jugendarbeit verbunden. Kokoschka war seit seiner Gründung eines der prominentesten und aktivsten Mitglieder.35 Humanitäres Engagement und die österreichisch-sowjetische Freundschaft
Kokoschka hatte schon in Prag beste Kontakte zu linken bzw. kommunistischen Gruppierungen. Wie seine Nachlassbibliothek zeigt, war er mit wichtiger Literatur zu Fragen des Sozialismus, zur Sowjetunion etc. vertraut, die teilweise aus dem Besitz von Karel B. Palkovský (1888 – 1978) stammen.36 Kokoschka hatte den Prager linken Intellektuellen, Anwalt und Kunstsammler37 schon in seiner frühen Berliner Zeit kennengelernt und war 1941 sein Schwiegersohn geworden : Kokoschka und Olda hatten im Mai des Jahres in einem Luftschutzkeller, einem provisorischen Standesamt in Hampstead geheiratet.38 Palkovsky war mit Kokoschka eng befreundet und hatte mit seiner pro-sowjetischen Orientierung sicher Einfluss auf den Künstler genommen. Zugleich schätzte er das Engagement der kommunistischen Gruppen in England mit ihrer beispiellosen, effizient organisierten Exilarbeit, wodurch sie in allen großen Exil-Verbänden die Fäden in der Hand hatten. Im Gegensatz zu den Sozialisten traten sie bedingungslos für ein freies und unabhängiges Österreich ein, was sich mit Kokoschkas Einstellung seit jeher deckte. Im Frühjahr 1939 eröffnete man das überparteiliche Austrian Centre als Treffpunkt für Flüchtlinge, das »sich zur größten Organisation der österreichischen Emigration entwickeln sollte«39 und dem Sigmund Freud bis zu seinem Tod im September 1939 als Ehrenpräsident vorstand. Hier wurde umfassende Hilfe geleistet : man betrieb eine Bibliothek, initiierte Ausstellungen, Konzerte, Theater-, Sport- und Volkstanzveranstaltungen, gründete zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften. Kokoschka war höchst aktiv u. a. in Young Austria, einer großen, nicht parteigebundenen, aber betont antifaschistischen Jugendorganisation. Die kommunistische Vereinnahmung war jedoch immer ein Thema, 35 Ebd., S. 170. Holz 1997a, S. 92. 36 Die Nachlassbibliothek befindet sich im Oskar Kokoschka Zentrum der Universität für angewandte Kunst Wien. Lebensdaten von Karel Bretislav Palkovsky, siehe Todesanzeige (Druck), ZBZ, Nachl. Olda Kokoschka E 2004/2006. 37 Tieze 2014, S. 80. 38 Im Londoner Bezirk Hampstead hatte die Free German League of Culture ihren Hauptsitz, vgl. Holz 1997, S. 50. 39 Muchitsch 1992, S. 166.
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das nicht zuletzt von den rivalisierenden Sozialisten ins Feld geführt wurde. Wie fließend hier die Grenzen waren, demonstriert Kokoschkas Rede 1942 im Rahmen der Sowjetischösterreichischen Freundschaftswoche in London bei einer Hilfsaktion von Young Austria für die Rote Armee. Mehr als die Hälfte der Mitglieder war dem Aufruf »Austria’s youth fights against Hitler« gefolgt und hatte mit der Spende eines Tageslohns einen fahrbaren Röntgenapparat finanziert. Kokoschka, der anders als etwa Picasso nie Mitglied einer Kommunistischen Partei war, verstand es, sich an deren Diktion anzupassen. Er sprach von der »Schicksalsverbundenheit mit den Brudervölkern« und bedankte sich bei den »vielen verwundeten Helden des Sowjetheeres […], dass sie auch dem fast vergessenen österreichischen Volke als Helfer in dessen schwersten Stunden beistehen !«40 Von der direkten Flüchtlingshilfe bis zur Ausstattung von Exil-Einrichtungen war man auf Spenden angewiesen. Bis zum Kriegsausbruch hatten den Großteil der nötigen Summen Private aufgebracht, danach war man auf die Unterstützung der britischen Regierung angewiesen.41 Durch die Organisation von Spenden für Flüchtlingseinrichtungen geprägt, begann er, im Londoner Exil wiederholt Geld von Bilderverkäufen für humanitäre Zwecke zu spenden. Insbesondere in der Jugend sah Kokoschka das Potential einer politischen Erneuerung, weshalb er sich auch durch viele Begegnungen mit jungen, geflüchteten Österreichern und Österreicherinnen mit Young Austria besonders verbunden fühlte und zwei Jahre nach seiner Gründung je 1.000 Pfund stiftete.42 Diese Art des Engagements sollte er bis ins hohe Alter beibehalten, ergänzt vor allem durch das Honorar etlicher Bilder, das er humanitären Fonds überließ. Über Vermittlung seines Förderers Sir Edward Beddington-Behrens wurde 1942/43 das Porträt des sowjetischen Botschafters Ivan Maisky in Auftrag gegeben und nach Fertigstellung der Tate Gallery geschenkt. Es gehört zu der von Kokoschka im Verlauf der 1940er-Jahre entwickelten Idee einer Porträtserie bedeutender Staatsmänner, »um darin eine politisch-humanistische Botschaft« zu transportieren – überdies eine Möglichkeit mit der Prominenz der Dargestellten auch die allgemeine Wahrnehmung als einen der bedeutendsten Künstler zu steigern.43 Ähnlich wie beim Masaryk-Porträt, das er gerne »an einer Völkerbundpalastwand« gesehen hätte, war er überzeugt, dass das MaiskyBildnis »dem ganzen Charakter des Dargestellten und der Darstellungsweise nach, weiter werben wird für Stalingrad und für die U.d.S.S.R. Ich bin glücklich, diesen, wenn auch bescheidenen Anteil zu der guten Sache beizusteuern.«44 Um die Wirkkraft seines Engagements nicht nur politisch, sondern auch humanitär im Bewusstsein zu verankern, 40 Kokoschka 1942, S. 228, 231. 41 Muchitsch berichtet von drei Millionen Pfund Sterling, die allein die britischen Juden bis 1939 aufgebracht hatten, Muchitsch 1992, S. 10. 42 Sultano/Werkner 2003, S. 153. Zum Young Austria gehörten u. a. Herbert Steiner sowie der junge Maler Georg Eisler, der auf besondere Weise mit OK verbunden war, vgl. Eisler 1972 bzw. Muchitsch 1992, S. 474f. 43 Ebd., S. 201 ; vgl. Bonnefoit/Häusler 2010a. 44 Sultano/Werkner 2003, S. 204.
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spendete er das Honorar von 1.000 Pfund Sterling für Spitalsbetten in einem Krankenhaus in Stalingrad, was »gleichermaßen den russischen wie den deutschen Verwundeten zugute käme.«45 Noch 1946 berichtete er seiner Schwester von dem Plan, Stalin persönlich porträtieren zu wollen, wozu es bekanntlich nicht kam.46 Kokoschkas Sowjet-Affinität blieb nicht ohne Kritik. Sein alter Freund Ehrenstein war nach den ursprünglich gemeinsam geplanten Reisen durch die Sowjetunion und China ernüchtert zurückgekehrt und nach einer gefahrenvollen Odyssee ins amerikanische Exil gegangen. Ohne Umschweife richtet er OK im Oktober 1945 aus : »Ich […] fand es ein wenig exhibitionistisch, sich für den russischen Sozialfaschismus zu engagieren.« Mit der Drohung, seine englische Tubutsch-Ausgabe ohne die Illustrationen Kokoschkas (1911) wiederauflegen zu lassen, hoffte er, dass OK weder »verschnupft, hoppatatschig« sei »oder wie der Picasso (fern von Moskauer Justizmorden) den Malsalonkommunismus derzeit für die richtige Weltanschauung« halte.47 Abgesehen von den durchsichtigen Versuchen der Image- und Karrierepflege war die Sowjetunion nicht nur für Kokoschka eine politische Projektionsfläche – die Utopie eines Vielvölkerstaates unter Aufhebung aller Klassenunterschiede. Wolfgang Neugebauer wies auf die »blinden Flecken« in der Wahrnehmung kommunistischer Exilant/innen bzw. auch Widerstandskämpfer/innen hin : »Heute kann nicht mehr darüber hinweggesehen werden, dass das Verhältnis des kommunistischen Widerstands und Exils zum Stalinismus, die totale Unterordnung unter die KPdSU- bzw. Komintern-Linie, das Schweigen zum Massenterror in der Sowjetunion, die Fragwürdigkeit des Hitler-Stalin-Paktes etc. in Darstellungen von […] aus dem kommunistischen Exil kommenden Publizisten nicht thematisiert wurden.«48 Kokoschka zählte zu dieser Gruppe, auch wenn er in seiner politischen Allegorie What we are fighting for (1943) eine komplexe Gesamtverurteilung des Krieges auf die Leinwand brachte (Abb. 34). Dieses Bild wollte er zugunsten ungarischer Juden und Jüdinnen auf ihrer Flucht nach Großbritannien und Amerika spenden. Als dies nicht gelang, sollte 1945 der erhoffte Erlös einen Oskar-Kokoschka-Fonds, »eine Sammlung für Kinder gefallener österreichischer Freiheitskämpfer unter den im Ausland lebenden österreichischen Künstlern initiieren.«49 Das Schicksal des von ihm porträtierten sowjetischen Botschafters schien an ihm spurlos vorüberzugehen : Ivan Maisky war schon 1943 bei Stalin in Ungnade gefallen. 45 Kokoschka 1971, S. 251. Vgl. auch Sultano/Werkner 2003, S. 202. Eine entsprechende sowjetische Dankesurkunde befindet sich im Nachlass : ZBZ, Nachl. Olda K E 2004 Auszeichnungen, Würdigungen, Ehrenzeichen. 46 OK an Berta Kokoschka, 2.3.1946, in : Briefe III, S. 167. 47 OKZ, Inv.Nr. Aut 3243/4, Albert Ehrenstein an OK, Wien, 101.10.1945, zit. Sultano/Werkner 2003, S. 204f. 48 Neugebauer 2006, S. 186. 49 Herbert Steiner betreffend eines geplanten Oskar Kokoschka-Fonds und einer von Young Austria in London gezeigten Ausstellung österreichischer Künstler, in : Jung-Österreich, London, Nr. 13, 30.6.1945, zit. Muchitsch 1992, S. 476. Zur ursprünglichen Zweckwidmung vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 197.
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Kokoschka, Integrationsfigur im Exilland England
»The Sins of Their Fathers«
Kokoschka hatte sich seit den frühen 1930er-Jahren mit Ideen einer nachhaltigen pazifistischen Erziehung beschäftigt. Mit dem Blick nach vorne, in die Zeit nach dem Krieg und dem Ende des NS-Terrors stellte sich die Frage, wie die Zukunft Deutschlands aussah, dessen jüngste Generation, die in der Hitlerjugend, im Bund deutscher Mädchen großgeworden oder gar im SS-Lebensborn »gezüchtet« worden war.50 In Kokoschkas Nachlass hat sich eine Ausgabe der Exil-Zeitschrift Tribune erhalten, die einem zunächst ins Auge sticht, weil der Künstler hier offensichtlich seine Buntstifte ausprobiert hatte (Abb. 22).51 Ein dichter Kranz von Farbschattierungen ist um den Artikel The Sins of Their Fathers von Paul Sering52 gelegt. Darin wird von der Widerstandsgruppe um Hans und Sophie Scholl (»Weiße Rose«) berichtet, also jungen Menschen, die in dem seit 1933 herrschenden NS-System groß geworden waren. Kokoschka muss derartige Botschaften aufgesogen haben. Dies demonstriert auch seine erhaltene Sammlung an Zeitungsartikeln (Clippings) mit Beiträgen zum Thema Jugend – von der freiwilligen Meldung österreichischer Jugendlicher bei alliierten Militäreinheiten bis hin zur Dämonisierung des infected Nazi child.53 Neben erwähnten Spendenaktionen war er im Kontext der Bildungs- und Jugendarbeit der Exilverbände maßgeblich bei zwei 22 : Paul Sering, The Sins of Their Fathers, aus : Ausstellungsprojekten u. a. mit einem Katalog- Tribune, 7. Mai 1943, OKZ.
50 Volker Koop, »Dem Führer ein Kind schenken« Die SS-Organisation Lebensborn e.V., Köln/Wien/Weimar (Böhlau) 2007. 51 OK hatte im Exil, v. a. bei Aufenthalten bei Freunden in Schottland und Wales auch aus Kostengründen viel aquarelliert und begonnen, mit Buntstiften zu zeichnen – die einfache Handhabung gestattete es, unauffällig in teils vom Militär gesperrten Küstengebieten zu arbeiten. 52 Vgl. OKZ, 16.190/Q. Richard Löwenthal (Pseudonym Paul Sering 1908 – 1991) war deutscher Politikwissenschaftler, der als Marxist schon lange vor seiner Exilzeit in England u. a. zum Thema Faschismus bzw. Sozialismus publiziert hatte. 53 OKZ, OK-Clippings Villeneuve K. 2, London 1938 – 1944, Mappe London (Kriegsjahre) 1943/44, Anonyme Artikel aus : The Star, 25.6.1943.
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vorwort beteiligt, die Children’s Art Exhibtion 1941/42 und die Schau The War Seen by Children 1943 (Abb. 23).54 Der »Sündenfall der Väter« hatte das Heimatland österreichischer Kinder auf Landkarten in englischen Schulbüchern zum Verschwinden gebracht, was Kokoschka im Februar 1944 in seinem Artikel What About Austria ? thematisierte. Ein »Sündenfall«, den die britische Appeasementpolitik augenscheinlich hingenommen hatte : Sir, – Will it be of any interest for British readers to know about the embarrassment I felt when recently asked by Austrian refugee children to show them the frontiers of Austria on their cheap world atlas published since the war ? Is it incidental that »the first free country to fall a victim of Nazi aggression«, according to the statement of the Moscow conference, should be the only one not marked out on the popular publications of 23 : Oskar Kokoschka, The Value of Children’s this kind in Britain ? […] Art, in : Seven. Magazin of People’s Writing, In view of the urgent task of re-education of the nazi H. 3, Oktober/November 1941, S. 3, Youth, will there be a special set of maps designed Nachdruck von Kokoschkas Rede zur Eröffnung der Children’s Art Exhibition where a signal expression is given to the effect that (16. August 1941) mit handschriftlichen the liberating Powers consider themselves as in no Anmerkungen, OKZ. way bound by any changes effected in Austria since 15th March, 1938 ? As a reminder for the designers of the above-mentioned maps, it will be useful to know that »the Anschluss« has it’s verbal origin in the dictionary of appeasement. How will the future British tourists find their way to the country, traditionally known here for it’s »Gemütlichkeit« if Austria had been wiped out from the British globe ?55
»Im Namen des gepeinigten Österreich« Seit der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre hatte sich Kokoschkas Beziehung zu Öster reich mehrfach modifiziert. Ab 1934 war sie durch Enttäuschung, Ablehnung und Spott 54 Schriften IV, S. 209 – 213, 353 und S. 246 – 253, 358. 55 Oskar Kokoschka, What About Austria ?, in : Forward, 19.2.1944, OKZ, OK-Clippings Villeneuve Karton 2, London 1938 – 1944, Mappe London (Kriegsjahre) 1943/44. Vgl. auch Sultano/Werkner 2003, S. 157f.
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gegenüber der österreichischen Politik, Kulturpolitik und dem Land allgemein geprägt, was sich aber um 1937/38 allmählich wandeln sollte. Am 28. März 1938 schrieb er an den schon erwähnten deutsch-amerikanischen Kunsthistoriker Alfred Neumeyer in Kalifornien von der »gewalttätige[n] Okkupation Österreichs gegen den Willen des größten und reifen Teils der Bevölkerung […].«56 Damit bezog er sich indirekt auf sein Ansuchen an den Haager Schiedsgerichtshof, das er offensichtlich noch vor dem »Anschluss« und nach dem bekannten Gespräch des österreichischen Bundeskanzlers Schuschnigg mit Hitler in Berchtesgarden verfasst hatte.57 Es ist der beeindruckende, wenn auch naive Versuch des Künstlers, Schuschniggs Kniefall vor Hitler auf völkerrechtlich-legalem Weg für null und nichtig zu erklären. Des Tschechischen nicht mächtig war er in Prag vor allem auf deutschsprachige (Exil-)Pressemeldungen angewiesen. Kokoschka war (und blieb) überzeugt, dass der Großteil der österreichischen Bevölkerung für ein unabhängiges Österreich und gegen eine Annexion an NS-Deutschland war. Dabei berief er sich auf »eine in den kritischen Februartagen organisierte Unterschriftensammlung des österreichischen Gewerkschaftsbundes«, wonach »weit mehr als eine Million Zustimmungen zur Erklärung der Freiheit und Unabhängigkeit des österreichischen Volkes ergeben« hätten. Mit Zurechnung der Familienmitglieder käme man, so OK an den Haager Schiedsgerichtshof, auf die Hälfte der Bevölkerung.58 Carl Zuckmayers Schilderung der Märztage 1938 in Wien sind vor allem eine literarisch-subjektive Quelle. Dennoch ist es ein Faktum, dass es kaum nennenswerten Widerstand beim Einmarsch der deutschen Truppen gegeben hatte. Dieses Bild wollte sich aber bei Kokoschka weder 1938 noch in den Folgejahren einstellen und blieb idealisierte Grundlage seines österreichspezifischen Engagements im Exil. Eine Sichtweise, die viele seiner Schicksalsgenoss/innen teilten. Wolfgang Neugebauers Analyse dieser Form des Verdrängens ist nichts hinzuzufügen : »Es ist heute unübersehbar, dass die Exilierten und WiderstandskämpferInnen im Exil ein schönfärberisches Österreichbild hatten. Unter Vorwegnahme der späteren Opfertheorie sahen sie die Österreicher als ein von den Deutschen vergewaltigtes Volk, das sich heldenhaft zur Wehr setzte ; der Widerstand wurde in diesem Sinn ausschließlich als ein nationaler Befreiungskampf interpretiert. Sie wollten die tiefe Durchdringung der österreichischen Bevölkerung vom Nationalsozialismus und seiner rassistischen Ideologie, die Komplizenschaft und das Nutznießertum durch ›Arisierungen‹ und Zwangsarbeit nicht wahrhaben.«59 Bei aller er- und gelebten Distanz wurde für Kokoschka – wie für viele andere Flüchtlinge – die verlorene Heimat, das von der Landkarte entfernte Österreich, eine emotionale 56 OK an Alfred Neumeyer, Prag, 28.3.1938, in : Briefe III, S. 63. 57 Kokoschka 1938. 58 Ebd., S. 201. 59 Neugebauer 2006, S. 187.
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und politische Größe. Ein Gutteil seines Engagements speiste sich aus diesem »neuen« Verhältnis zu Österreich und erklärt unter anderem seine Affinität zu kommunistischen bzw. pro-sowjetischen Verbänden. Diese traten bedingungslos für die Wiederherstellung eines selbstständigen Österreichs ein. Kokoschkas Österreich-Plädoyers waren keine allein einem sentimentalen Gefühl folgende Privatmeinung. Er war eine Persönlichkeit öffentlichen Interesses und nutzte das für diese Agenda. Noch vor der Moskauer Deklaration 1943, die u. a. Österreich als erstes Opfer des NS-Eroberungskrieges sah und zu einer Grundlage für die Wiederherstellung Österreichs 1945 und letztlich den Staatsvertrag 1955 wurde, vertrat Kokoschka den Opferstatus Österreichs. Ohne hier auf die »Funktionalität« der »Lebenslüge« der Zweiten Republik (Anton Pelinka) genauer einzugehen, erscheint es doch bemerkenswert, dass und wie Persönlichkeiten außerhalb des engen Dunstkreises der Politik an der spezifischen Konstruktion der Zweiten Republik entscheidend mitwirkten.60 Angesichts des eigenen Opferstatus, den Kokoschka inkorporiert hatte, zuerst als Reaktion auf die Anfeindungen des Wiener Kunstpublikums bzw. der Kunstkritik, später durch die nationalsozialistische Kunstpolitik, sind durchaus Analogien zwischen dem selbst erlebten Schicksal und jenem des alten »Heimatlandes« gegeben. Die neue, nach 1945 offiziell aus der Taufe gehobene Österreich-Identität war maßgeblich an den Opferstatus geknüpft und erodierte in verschiedenen Transformationsstufen erst allmählich im Zuge der Waldheim-Affäre.61 Beispielhaft findet sich Kokoschkas Formulierung des ersten staatlichen NS-Opfers in der schon zitierten Rede Fast vergessen anlässlich der Sowjetisch-österreichischen Freundschaftswoche in London 1942.62 Sie hatte die Verbundenheit der »Brüdervölker« und die Rolle der Sowjetunion im Kampf gegen den NS-Faschismus besonders betont. Nicht ohne Pathos sprach Kokoschka »im Namen des gepeinigten Österreich«, dass es um nichts weniger als um »das Schicksal der Zivilisation« ginge bei dem Kampf, den die Sowjetunion im »Bündnis […] mit den grossen Demokratien der Welt« führe. Seine Conclusio : von der russischen Front hänge »aller Wohl und Weh« ab. Mit Tränen der Erbitterung wird man den österreichischen Menschen den letzten Gruss sagen, Nachfolger eines Wallisch, die mit ihrem Opfertod die wahre Geschichte des österreichischen Volkes fortsetzen. Es war eine Zeit da man für den Freiheitskampf dieses Volkes nur ein Achselzucken übrig hatte. Mit dem summarischen Urteil von einem Wien das da trinkt und tanzt und musiziert hat die Demokratie sich damit abgefunden, dass, ärmer um die österreichische lebendige Kultur, die Welt schneller dem Zynismus verfallen wäre, als dessen fürchterlicher Ausdruck der militante Faschismus heute Länder verödet. Dem Wien des Volkes, dessen Gemeinde als erste nach dem Kriege hygienische Wohnbauten für die Arbeiter 60 Pelinka 1996. 61 Vgl. Uhl 2001. 62 Kokoschka 1942.
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geschaffen, freie ärztliche Pflege für Kranke, Musterschulen für die Jugend eingeführt hatte, diesem roten Wien, wie man es damals im Westen nannte, sandte der Völkerbund als Finanzkommissar einen Herrn Roost von Tonningen63, […]. Es ist vielleicht auf die Berichte dieses Herren zurückzuführen, dass der Freiheitskampf des österreichischen Volkes in England nicht besser erkannt wurde und dass dieser Kampf bis heute noch die offizielle Anerkennung verweigert wird.64
In Analogie zu Neugebauers Feststellung blendete OK jegliche Form der Kollaboration, der Mittäterschaft, geschweige denn der großen Begeisterung anlässlich des »Anschlusses« von großen Teilen der österreichischen Bevölkerung komplett aus. Im Gegenteil, die Unrechtspolitik des austrofaschistischen Regimes wurde in jene der NS-Herrschaft emulgiert : prominente Opfer der Februarkämpfe 1934, wie der zum Helden mythisch verklärte Koloman Wallisch65, subsummierte er ebenso wie die Ignoranz bzw. Appeasementpolitik der Engländer/Westmächte. Diese hatte OK schon in seiner Prager Zeit bzw. auch in seinen rätselhaften politischen Allegorien zwischen 1939 und 1943 massiv kritisiert. Österreich bzw. Wien stehe für Volkswohlfahrt, womit er speziell die Reformen des Roten Wiens meinte. Der Freiheitskampf des tapferen, österreichischen Volkes wurde und werde nicht (genug) wahrgenommen. Wie Irene Etzersdorfer in ihrer Analyse des Österreich-Bildes aus Sicht der (kommunistischen) Emigrant/innen formulierte : »Österreich wurde per Wunschakt zu einem Volk der nationalen W iderstandskämpfer ernannt, geführt von einer kommunistischen Elitetruppe.«66 Die hohe Präsenz der Kommunist/innen in der Organisation der Exilgemeinschaften und des Widerstands spiegelte jedoch in keiner Weise ihren Stellwert in der Ersten (und Zweiten) Republik wider.67 Dieses Wunschbild verfestigte sich bei OK in einer weiteren Formel, nämlich in den Wesenszügen des »österreichischen Menschen«, welche subkutan in diesem Text durchschimmern. Summa summarum : die »wahre Geschichte des österreichischen Volkes« oder (frei nach Etzersdorfer) : »Am österreichischen Wesen soll[te] die Welt genesen«.68
63 Meinoud Rost van Tonningen (1894 – 1945), niederländischer Politiker und Mitglied der nationalsozialistischen Nationaal-Socialistische Beweging, war von 1923 – 28 und 1931 – 36 Vertreter des Völkerbundes in Österreich. Er spielte bei der deutschen Besetzung der Niederlande eine wichtige Rolle. 64 Kokoschka 1942. 65 Koloman Wallisch (1889 – 1934) gilt als eines der prominentesten sozialistischen Opfer bzw. als »Märtyrer« der Februarkämpfe 1934. Zum Heldenmythos Wallischs nicht zuletzt durch Anna Seghers und Bertold Brecht siehe Bauer 2019, S. 60. 66 Etzersdorfer 1996, S. 96. 67 Ebd., S. 95f. 68 Etzersdorfer 1996.
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Anschluss – Alice in Wonderland (1942) Kokoschkas politische Allegorien zwischen 1939 und 1943 haben seit der Monografie von Edith Hoffmann (1947) zahlreiche Interpretationen erfahren und sind doch in einigem rätselhaft und mehrdeutig geblieben. Das 1942 entstandene Gemälde Anschluss – Alice in Wonderland fordert förmlich zu einer ikonologischen Auseinandersetzung auf (Abb. 24).69 Das Schriftfeld im Vordergrund – » O U R T I M E S 1934« markiert die zeitlichen Eckpunkte, in denen das Bild zu verstehen ist : nämlich von 1934 bis zur Gegenwart. Wie im zeitgleich entstandenen Text Fast vergessen (1942) wird der Austrofaschismus bei Kokoschka als böses Vorspiel zur NS-Okkupation Österreichs 1938 gewertet. Im Hintergrund steht ein klassizistischer Bau, ikonografisch als das Parlament zu deuten, in Flammen : die Demokratie ist der Zerstörung preisgegeben. Die »Initialzündung« dazu gaben die blutigen Konflikte im Februar 1934, wie die straßenkampfartigen Szenen andeuten. » W I E N « als Zentrum der Auseinandersetzung ist in roten Lettern am Giebel ausgewiesen und steht als pars pro toto für Österreich. Die titelgebende Protagonistin, dem englischen Publikum aus Lewis Carolls Roman bekannt, ist zugleich die Personifikation der Austria. Sie ist von einem Stacheldrahtverschlag umgeben, der als Hinweis auf die Internierung von deutschen und auch österreichischen Emigranten interpretiert wurde.70 Im Dezember 1941 hatte Kokoschka eine Erklärung zugunsten internierter Emigranten publiziert.71 Am unteren Bildrand verweist das Signum » I N R I « in Analogie zur Passion Christi auf den Opferstatus der Austria hin, wofür aus Kokoschkas Sicht die Appeasementpolitik Englands bzw. der Westmächte verantwortlich war. In diesem Zusammenhang sind die Männer daneben zu deuten. Kokoschkas Kommentar dazu : Speak not evil, see not evil. Hear not evil, this is how the three monkeys in the Buddhist legend are remembered. Die Wahrheit darf nicht genannt, gehört noch gesehen werden, obwohl sie ein Feigenblatt trägt, aber Wien kann ruhig abbrennen und die Kinder dort verhungern. Dies stört auch die Großmächte nicht, die ihre Gewaltpolitik ruhig vorantreiben. OK72
69 Edwin Lachnit sprach von »interpretatorischem Wildwuchs«, Lachnit 1991, S. 39. Deutungen zu Anschluss – Alice in Wonderland und den anderen politischen Bildern siehe u. a. Hoffmann 1947, S. 235 ; Lachnit 1991 ; Holz 1997a ; Patrick Werkner, Kap. In London : Die »politischen« Bilder, in : Sultano/Werkner 2003, S. 177 – 212. Das Bild ist auf der Rückseite falsch beschriftet bzw. datiert »THE ›ansluss‹ by OK/1939« (vgl. FOK CR 1942/2), was z. B. bei der Ausstellung Meisterwerke aus Österreich, Zürich 1946/47, zu falschen Angaben führte. 70 Holz 1997a, S. 91. 71 Oskar Kokoschka, Erklärung zugunsten internierter Emigranten, in : Zeitspiegel-Anti-Nazi-Weekly, 22.12. 1941, vgl. Schriften IV., S. 353f. Vgl. Holz 1997a, S. 91. 72 Die Interpretation befindet sich auf einer undatierten Beschriftung einer Repro-Fotografie : Anschluss –
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In der linken Figur ist der britische Premierminister Arthur Neville Chamberlain an seinem charakteristischen Schnurrbart zu erkennen, im Anzug mit Schirm samt englischem Helm. In der Mitte droht ein NS-Soldat mit Hakenkreuz-Armbinde steif auf den blutroten Boden zu kippen. Die Augen mit einer Art Blindenbrille verdeckt, hält er sich wie vor Schreck eine Hand vor den Mund und deutet mit der anderen auf die nackte Figur der Alice/Austria. Dabei fällt eine entsicherte Handgranate zu Boden. Zuletzt ist ein feister Geistlicher mit französischem Militärhelm zu sehen. Er versinnbildlicht den österreichischen Klerikalfaschismus des »Ständestaats« ebenso wie das katholische Frankreich. Mehr noch als die Geste des Ohren-Zuhaltens und Taubstellens wirkt er völlig aufgelöst, sein Gesichtsausdruck verrät Angst und Panik. Die Drei symbolisieren die europäischen Großmächte sowie die drei Stände, deren Machtmissbrauch Europa und vor allem Österreich an den Rand ihrer Existenz gebracht haben : das Kapital, das Militär und den Klerus. Kokoschka zeigt keine Apotheose der Macht. Vielmehr scheint die politische Lage außer Kontrolle geraten zu sein. Sein Bild ist eine komplexe Anklage der gescheiterten Appeasementpolitik. Sie war der Grund für das Schweigen bei der Annexion Österreichs. Die englischen »Lords« hatten, so Kokoschka an Herbert Read im Mai 1938, »großmütigerweise meine Heimat Österreich an die Nazis als Geschenk abgetreten«.73 Nach dem Münchner Abkommen war zuerst das Sudetenland und dann – vertragsbrüchig – die sogenannte Rest-Tschechei im März 1939 von den Deutschen besetzt worden. Spätestens damals war die Beschwichtigungspolitik gescheitert. Von September 1940 bis Mai 1941 war England selbst zum Kriegsschauplatz geworden : mit dem Flugzeug über dem brennenden Parlament im Bildhintergrund weist Kokoschka auf das Bombardement der deutschen Luftwaffe (»The London Blitz«) hin. Ist es eine Geste der Scham über das verursachte Leid, die gescheiterte Politik, die Kokoschkas Chamberlain-Figur die Augen verschließen lässt ? Auch Frankreich war sinnbildlich taub und mitverantwortlich für die desaströse Nicht-Einmischungspolitik. Im Sommer 1940 wurde es selbst zum Opfer des NS-Eroberungskriegs. Rätselhaft bleibt der deutsche Soldat, da er durch die Bildmetaphorik der drei buddhistischen Affen im Verband der Westmächte erscheint. Seine Rolle als Hauptaggressor ist buchstäblich gekippt. Ausgeblendet ist die Sowjetunion, zu der OK damals eine große Affinität hatte. Ihre wie auch immer geartete Darstellung hätte zu diesem Zeitpunkt zwangsläufig einen propagandaartigen Charakter angenommen. Kokoschka sah seinen Auftrag aber offensichtlich in der Sichtbarmachung der Opferrolle Österreichs, die neben dem NS-Aggressor maßgeblich die europäischen Westmächte zu verantworten hatten.74 Alice in Wonderland (1942), Werkfotografie, mit Autograf von Oskar Kokoschka, Foto : Studio Alfred Carlebach, OKZ, Inv.Nr. 4051/FW/Aut. 73 OK an Herbert Read, Prag 17.5.1938, in : Briefe III, S. 67. 74 Die USA, die im Dezember 1941 zu Kriegsteilnehmern wurden, sowie andere außereuropäische kriegsbeteiligte Länder spielen in Kokoschkas Texten sowie in seinen politischen Allegorien keine Rolle. Auch wenn
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24 : Oskar Kokoschka, »Anschluss« – Alice in Wonderland, 1942, Öl/Leinwand, Leopold Museum (Dauerleihgabe der Sammlung Wiener Städtische Versicherungs AG – Vienna Insurance Group).
Den weiblichen Figuren des Bildes kommt ein besonderer Stellenwert zu. Links vorne sieht man eine junge Frau in giftgrüner Kostüm-Uniform. Über ihre Attribute, eine Rot-Kreuz-Tasche, verspricht sie Versorgung und Zuwendung. Doch sie verharrt wie im Schock, grünlich-bleich und starrt mit schreckgeweiteten Augen auf die Hauptfigur des Bildes. Ihr Hut ist mit Blumen bekränzt, die aber die Farben des Grauens angenommen haben.75 Auf ihrem Schoß steht ein kleines Kind mit Gasmaske. Beide verkörpern die empfindlichsten Glieder der Gesellschaft. Folgt man der kompositorischen Diagonalachse so findet sie ihren Endpunkt in einer kapellenartigen Nische, in der eine enthauptete Madonna mit ebenfalls kopflosem Gotteskind zu sehen ist. Doch auch von ihnen geht kein Heil, kein göttlicher Trost aus. In vielen Schriften betonte der Künstler/Auer Phänomene wie Faschismus und Uniformität in einer zivilisationskritischen Sicht als weltweites Problem ansah, so lag der Fokus seiner Interessen auf Europa : er sah den Krieg als primär europäisches Problem. 75 Vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 188.
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tor die lebensspendende und -befördernde Kraft der Magna Mater und des weiblichen Prinzips.76 Die geschändete, aus dem Hals blutende Gottesmutter im Gemälde steht für die Gefährdung des Lebens schlechthin. In dem gewalttätig-chaotischen Szenengewirr scheint die Titelfigur sonderbar ruhig. Dezent lächelnd blickt sie in die Ferne, scheinbar unberührt von ihrer Umgebung. Ambivalent erscheint sie als strahlender, sinnlicher Frauenakt, konterkariert durch die blonden, mädchenhaften Zöpfe. Kunsthistorisch und literarisch versiert verknüpfte Kokoschka in dieser Figur teilweise widersprüchliche Ikonografien, die mehrere Sinnzusammenhänge sichtbar machen konnten. Zunächst erscheint die literarische Alice, ein leichtgläubiges Mädchen, das sich allzu schnell auf gefährliche Abenteuer einlässt. Daneben drängt sich allein durch Kokoschkas zitierte Kurzinterpretation die Figur der Nuda veritas, der nackten Wahrheit, auf. Anders als etwa Gustav Klimts gleichnamiges Gemälde von 1899 handelt es sich aber nicht um eine demonstrative, latent laszive Nacktheit (Abb. 25).77 Vereinzelt wurde in der Literatur die Susanna-Ikonografie als Vergleich bemüht, was aber abgesehen von formalen Aspekten wenig schlüssig erschient.78 Die altbiblische Susanna war beim Bad von lüsternen Alten beobachtet und überfallen worden und bot ab der frühen Neuzeit Gelegenheit zur sinnlichen Aktdarstellung und zum doppelten Voyeurismus – dem bildimmanenten durch die Alten und jenem des Betrachters.79 Doch in Kokoschkas Bild finden sich keine Voyeure – einzig die junge Frau blickt direkt auf die exponierte Alice/Austria. Zwar hebt sich der helle Akt durch den breiten Pinselduktus von seiner viel- und kleinteiligen Umgebung deutlich ab, doch die puppenhafte Steifheit und das überdeutliche Feigenblatt widersetzen sich einer eindeutigen ikonografischen Zuschreibung. Das schamhafte Bedecken evoziert die Bildformel der Venus pudica (Abb. 26). Doch Kokoschkas Alice hat nichts von dem kokett-erotischen Spiel des Verdeckens und Enthüllens. Auch der Habitus der biblischen Ur-Frau Eva, die sich nach dem »Sündenfall«, seit der frühneuzeitlichen Malerei selten ohne sinnliche Elemente dargestellt, ihrer Nacktheit schämt, erscheint als eine von mehreren Lesarten (Abb. 27). Die ikonografischen Vorbilder machen deutlich, dass eine sexualisierte Aufladung der dargestellten Alice kaum eine Rolle spielt. Kokoschka ging es um ein Sinnbild der Ge76 Bonnefoit 2010. Angeregt durch den Intellektuellenzirkel seiner Wiener Frühzeit hatte OK sich schon bald mit der Mutterrechtstheorie von Johann Jakob Bachofen (1815 – 1887) beschäftigt. Dessen Vorstellung einer matriarchalen Ordnung als Urform der Gesellschaft vor dem Patriachat hatte sich nicht auf empirische, d.h. historische oder archäologische Untersuchungen gestützt, sondern basierte auf einem emphatischen Zugang und der Kenntnis der Mythologie. Bachofens Theorien wurden Anfang des 20. Jhdts. als Gegenentwurf zur bestehenden patriarchalen Herrschaft evoziert und oft mit der Theorie der »Großen Göttin« verbunden, wie sie OK wiederholt in seine kulturtheoretischen Aufsätze einfließen ließ. 77 Natter/Hollein 2005. 78 Sultano/Werkner 2003, S. 189, Lachnit 1991, S. 40. 79 Zur frühneuzeitlichen Ikonografie vgl. u. a. Hammer-Tugendhat 1994, 1994a und 1999.
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schlechterverhältnisse, das in der zeitgenössischen Politik seinen gewaltsamen Niederschlag fand. Die Rollen der männlichen Protagonisten des patriarchalen Systems, sind eindeutig negativ besetzt. Kapitalismus, Krieg und Kirche sind die pervertierten Seiten jeglicher Lebensäußerung : des Umgangs mit und der Verteilung von Ressourcen, des gemeinschaftlichen Zusammenlebens in einer pazifistischen Gesellschaftsordnung und einer allgemeingültigen, lebensbejahenden Spiritualität. Das herrschende System hat versagt, darum erscheint auch der NS-Soldat ebenso ohnmächtig wie die Vertreter der anderen Großmächte. Das weibliche Prinzip hingegen wurde marginalisiert, geopfert bzw. bloßgestellt. Dabei geht es nicht länger um einen Kampf zwischen den Geschlechtern, sondern – wie Kokoschka auch in seinen Texten zu verdeutlichen suchte – schlicht um das Überleben. Jenseits seiner Interpretation und Intention ergeben sich auch im Kontext des Österreichbildes Kokoschkas interessante Ambivalenzen und Deutungsmöglichkeiten : naiv wie Alice hatte sich Österreich spätestens 1934 auf die Gefahren der Diktatur und des Faschismus eingelassen : ein »Sündenfall«, der das Land Schritt für Schritt in die Isolation trieb, zum leichten Opfer der NS-Herrschaft machte, 25 : Gustav Klimt, Nuda veritas, 1899, schweigend geduldet von den Westmächten. Öl/Leinwand, Theatermuseum Wien. Formal irritierend ist, dass Österreich in dieser 26 : Kapitolinische Venus, Marmor, Interpretation zwar schutzloses (nacktes) OpKapitolinische Museen, Rom, 96 – 192 n. Chr. fer geworden war, aber nicht als geschundene, 27 : Lucas Cranach d. Ä. und Werkstatt, Eva, gebrochene Austria erscheint, sondern viel1533, Museum der bildenden Künste Leipzig. mehr in heroischer Nacktheit, als standhafte, ideelle Größe. Nicht zufällig bringt Kokoschka in Alice/Austria einen weiblich-allegorischen Körper zum Einsatz, der in der Kunstgeschichte stets als ideale Projektionsfläche diente und in seiner persönlichen Ikonografie als prinzipiell positives, lebensbejahendes Element.80 Dabei spielt das Wunschbild vieler Emigranten eine wichtige Rolle : Österreich ist Opfer, doch zugleich vital genug, um die faschistisch-kriegerische Zerstörungswut heil zu überstehen. Ein patriotisches Sinnbild eines ehemaligen, exilierten Österreichers ? Die Rot-Kreuz-Binde an Alices Arm ist ein ambivalent protektives Zeichen, signalisiert sie doch Hilfe für die Opfer des Krieges sowie auch für ihre Trägerin. Auch die Umzäunung entzieht sich im Bedrohungsszenario einer klaren Deutung, kann sie 80 Zum Themenkomplex der weiblichen Allegorie vgl. Schade/Wagner/Weigel 1994, Wenk 1996.
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doch als Symbol der Gefangennahme und Isolation oder aber als Schutz interpretiert werden. Immerhin macht sich Alice/Austria am Stacheldrahtzaun zu schaffen. Er ist durch dünne, lange Stäbe mit bajonettartigen Aufsätzen um die Figur gespannt, deren Konstruktion im Vordergrund schon brüchig geworden scheint. Schwer erkennbar ist, was die Figur in ihrer rechten Hand hält. Ist sie dabei, den Zaun zu demolieren ? Aus heutiger Kenntnis des Kriegsverlaufs wäre dies ein realitätsferner, naiver Hoffnungsschimmer gewesen inmitten des Krieges, der noch weitere drei Jahre des Mordens und der Zerstörung bringen sollte.
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Das Kriegsende war auch in Österreich von Chaos, Zerstörung und Gewaltexzessen beherrscht. Am 12. März 1945 kam es zum schwersten Angriff der US-amerikanischen Luftwaffe auf Wien, wobei gezielt das historische Zentrum bombardiert wurde. Hunderte Menschen kamen ums Leben, bedeutende Bauten und Kulturdenkmäler wurden zerstört. Am 29. März betraten Einheiten der Roten Armee vom Osten her österreichischen Boden. Bis zur Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 war der Blutzoll enorm, zehntausende Soldaten waren bei der »Schlacht um Wien« gefallen.1 Doch nicht nur die militärischen Befreiungskämpfe forderten ihre Opfer. Der am 19. März 1945 ausgegebene »Nero-Befehl« Hitlers, der verordnete, den erobernden alliierten Truppen »verbrannte Erde« zu hinterlassen, motivierte in den letzten Kriegswochen fanatische Nationalsozialisten zu endzeitartigen Aktionen – von »spontanen« Verhaftungen und Exekutionen an Zivilisten bis hin zu bewusster Zerstörung von Versorgungseinrichtungen oder auch Kulturwerten.2 Die Bandbreite menschlichen Handelns (und Nicht-Handelns) reichte in ihren Extremen von monströser Täterschaft bis hin zum Widerstand, mit zahlreichen Facetten von Mittäterschaft, nachlässiger Befolgung oder Verweigerung von Befehlen, Sabotage und scheinbar kleinen, aber lebensgefährlichen Gesten der Zivilcourage. Die oft simplifizierende Bewertung bzw. Verurteilung von »Feind«, »Befreier«, »Besetzer« und nicht zuletzt die mehrfach angesprochen Rolle Österreichs als erstem staatlichen NS-Opfer hat erst Jahrzehnte nach Kriegsende eine differenziert-kritische Auseinandersetzung erfahren. Auch im Bereich der Kunst war das Spektrum an Handlungsvorgaben und der tatsächlichen Umsetzung sehr breit. So hatte beim Einsetzen der »Götterdämmerung«, wie Goebbels das Ende der NS-Regierung bezeichnete, der Gauleiter von Oberdonau August Eigruber die Sprengung des Bergungsortes Altaussee angeordnet, wo wertvollste Kunstschätze der Wiener Museen eingelagert waren. Einer Kombination glücklicher Umstände, von »Auflösungserscheinungen des Systems, Versuche[n] von NS-Politikern, sich für die Zeit ›danach« zu arrangieren, Zivilcourage von Einzelpersonen« ist es zu verdanken, dass die befohlene Vernichtung verhindert werden konnte.3 Die berühmten Fakultätsbilder Gustav Klimts hingegen wurde im Zuge des »Nero-Befehls« in Schloss Immendorf ein Opfer der Flammen. Sah man lange Zeit die Rote Armee dafür ver1 Oliver Rathkolb, 1945 ; Wolfgang Etschmann, Die Schlachten um Wien und Berlin 1945, in : Truppendienst, Folge 344, Ausgabe 2/2015 : http://www.bundesheer.at/truppendienst/ausgaben/artikel.php?id=1817 (Zugriff : 7.7.2022). 2 Vgl. Brückler 1999, S. 28. 3 Ebd., S. 28f.
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antwortlich, so belegen die Quellen jedoch deutlich, dass es die SS-Männer waren, die am 8. Mai, dem letzten Kriegstag, bei ihrem Abzug mit einem Zeitzünder die Arbeiten unwiederbringlich zerstört hatten.4 Tausende Menschen wurden in den letzten Kriegswochen und -tagen noch Opfer des NS-Terrors.5 Auch hier seien nur zwei bekannte, ob ihrer Grausamkeit kaum zu fassenden Beispielen erwähnt. In Stein an der Donau wurden zwischen dem 6. und 29. April – also schon nach der Republikgründung – bei der Räumung des Gefängnisses in konzertierten Aktionen politische Häftlinge von SS-Leuten exekutiert, wobei mindestens 370 Menschen ihr Leben verloren.6 Am 24./25. März kam es zur bis heute nicht restlos geklärten Hinrichtung von rund 200 ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern im burgenländischen Rechnitz.7 Am 11./12. April fing der Wiener Stephansdom durch via-à-vis gelegte Brandstiftung im Zuge von Plünderungen Feuer, was in Folge zum Einsturz des Dachstuhls und der weitgehenden Zerstörung des symbolträchtigen Sakralbaus führte. Erst am Tag zuvor hatte man – nur für kurze Zeit und erfolglos – die weiße Fahne gehisst.8 Am 13. April 1945 war die »Schlacht um Wien« beendet, vier Tage später wurde Theodor Körner zum Wiener Bürgermeister bestellt, der Gemeinderat nahm seine Tätigkeit auf. Am 27. April hatte sich eine provisorische österreichische Regierung unter Billigung der Sowjetunion als Koalition von SPÖ, ÖVP und KPÖ und unter Leitung Karl Renners konstituiert. Auf Grundlage der Moskauer Deklaration wurde die Unabhängigkeit Österreichs erklärt und die Zweite Republik gegründet. Am 30. April verübte Adolf Hitler in seinem Bunker in Berlin Selbstmord und am 8. Mai folgte letztendlich die Kapitulation der deutschen Wehrmacht. In Folge wurde Österreich bis zur Erlangung seiner Unabhängigkeit durch den Staatsvertrag im Mai 1955 unter die Ordnungsmacht der Alliierten, der Sowjetunion, den USA, England und Frankreich in verschiedenen Zonen gestellt.9
4 Ebd., S. 222 ; Frodl-Kraft 1997 ; Schallmeiner 2016. 5 Vgl. 41 Tage. 1945. Verdichtung der Gewalt, Web-Ausstellung des Haus der Geschichte Österreich, Wien, kuratiert von Dieter A. Binder, Georg Hoffmann, Monika Sommer, Heidemarie Uhl, https://www.hdgoe.at/ category/41+Tage.+Kriegsende+1945+%E2%80%93+Verdichtung+der+Gewalt.+ (Zugriff : 7.7.2022). 6 Vgl. Konstantin Ferihumer, Winfried R. Garscha, Der »Stein-Komplex« : Nationalsozialistische Endphasenverbrechen im Raum Krems und ihre gerichtliche Aufarbeitung, in : Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Jahrbuch 2016, Fanatiker, Pfichterfüller, Widerständige, Reichsgaue Niederdonau, Groß-Wien, Wien 2016, S. 51 – 82. 7 Vgl. Walter Manoschek, Der Fall Rechnitz. Das Massaker an Juden im März 1945, Wien (Braumüller) 2009. 8 Flieder/Loidl 1967 ; vgl. Stuhlpfarrer/Uhl, 2022. 9 Erste Regelungen der Besatzung bzw. der Zonen : 1. Kontrollabkommen am 4.7.1945, Zonenabkommen 9.7.1945, vgl. Rauchensteiner 1998, S. 25.
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Identitätskonstruktion und Vergangenheitspolitik seit 1945 Der Herr Doktor haben den Krieg im Ausland verbracht ? […] Das war aber gescheit vom Herrn Doktor. Da haben Sie sich viel Unannehmlichkeit erspart. Wenn der Herr Doktor wüßte, was uns alles passiert ist. Das Elend, das wir durchgemacht haben.10
Im Umgang mit historisch belasteter, »traumatisierender« Vergangenheit haben sich die Begriffe Vergangenheitsbewältigung als Auseinandersetzung auf einer breiten gesellschaftlichen Ebene, und Vergangenheitspolitik etabliert. Letztere konzentriert sich vor allem auf »praktisch-politische Maßnahmen, die von politischen Akteuren gesetzt werden.«11 Wie schon erläutert war in der Moskauer Deklaration 1943 Österreich als Opfer der Okkupation durch das nationalsozialistische Deutschland erklärt worden, was bei der Republikgründung 1945 als Grundargument der Eigenstaatlichkeit diente. Hitler habe, so das Staatsgesetzblatt vom 1. Mai 1945, »[…] das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt […], den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war.«12 Abgekoppelt war damit eine Mitverantwortung für Verbrechen des Nationalsozialismus, verschwiegen die »Anschluss-Sehnsucht«13 vor 1938 und die Begeisterung bzw. Zustimmung weiter Bevölkerungskreise bei der »Heimholung der Ostmark« ins »Altreich«. Die Funktionalität, Langlebigkeit und Transformation der Opferthese, der österreichischen »Lebenslüge« der Zweiten Republik wurde vielfach analysiert.14 Sie trug wesentlich zur Konstruktion eines hegemonialen österreichischen Geschichtsbildes bei, das bestimmte Formen des Erinnerns, aber auch des Vergessens ausbildete.15 Die Geschichtskonstruktion betraf nicht nur einen ungefährlich weit zurückliegenden, mythischen Ursprung, der etwa in den 950-Jahre-Österreich/OstarrichiFeierlichkeiten 1946 einen ersten, breitenwirksamen Höhepunkt fand.16 Österreich war 10 Kommentar eines Kellners im Wiener Café Herrenhof auf die Rückkehr eines remigrierten Gastes, vgl. Hilde Spiel, Rückkehr nach Wien. Ein Tagebuch, Wien (Milena) 2009, S. 73f. zit. nach Polt-Heinzl 2013, S. 17. 11 Manoschek/Geldmacher 2006, S. 577. 12 Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich, Jg. 1945, 1. Stück, 1.5.1945, zit. Manoschek/Geldmacher 2006, S. 578. 13 Michaela Bachem-Rehm : Rezension zu : Rolf Steininger, Austria, Germany and the Cold War. From the Anschluss to the State Treaty 1938 – 1955. New York 2008, in : H-Soz-Kult, 26.09.2008, http://www. hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-11493 (Zugriff : 7.7.2022). 14 Umfassend, wenn auch schon älter : Kos/Rigele 1996, darin u. a. Botz 1996, Hanisch 1996 und Pelinka 1996 ; Pelinka 2001 ; Uhl 2001, 2002 und 2005. 15 Vgl. Sandner 2001, Uhl 1999 und 2002a. 16 Vgl. Hanisch 2002, Spevak 2003. Zum Österreich-Mythos bzw. zur Österreich-Identität u. a. auch Bruckmüller 1995, Haller 1996.
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wiedergeboren worden, seine Identitätsfestigung hatte nun tatsächlich breite Zustimmung im Gegensatz zur Ersten Republik17. Bei Gesprächen, die eine mögliche Zusammenarbeit zwischen deutschen und österreichischen Sozialdemokraten ausloten sollten, hatte der spätere Vizekanzler und Bundespräsident Adolf Schärf (1890 – 1965) schon 1943 erklärt, dass »die Realitäten des ›Anschlusses‹ […] den Österreichern den Deutschnationalismus ausgetrieben« habe.18 Zur Einigkeit des neuen Österreichs wurden Mythen wie jener des Geistes der KZ-Lagerstraße »als Ort der Versöhnung der Bürgerkriegsparteien« von 1934 beschworen oder auch die Legende der »Stunde Null«, als tabula rasa, des (schuldfreien) Neubeginns.19 Doch nicht nur die Vertreter der Großparteien, sondern auch Persönlichkeiten, die vom NS-Regime verfolgt worden waren und exilieren mussten, bauten nachhaltig an der neuen Österreich-Identität mit. Antideutsche Elemente als Abgrenzung, die in einer althergebrachten antipreußischen Haltung wurzelten, hatten Hochkonjunktur, zumal man die Schuldfrage bequem auf Deutschland als Rechtsnachfolger des NS-Staates abwälzen wollte (was nur bedingt gelang). In der Feinstrukturierung ging es wichtigen prominenten Intellektuellen weniger um eine simple Verurteilung und Schuldabschiebung, sondern um eine identitätsstiftende Differenzierung, oder besser Distanzierung von einer breitgefassten Idee des Deutschtums, die in der Ersten Republik als hegemoniales Konzept angesehen wurde. Vertreter der neuen, antinazistischen, »antideutschen« Identitätskonstruktion waren etwa der katholische Kulturhistoriker und Publizist Friedrich Heer (1916 – 1983) sowie der austro-französische Historiker und Widerstandskämpfer Felix Kreissler (1917 – 2004). Für beide war, wenn auch mit anderem Hintergrund, der Kampf um die österreichische Identität ein zentrales Anliegen.20 Kreissler nannte im Vorwort zu Der Österreicher und seine Nation. Ein Lernprozess mit Hindernissen als Ziel, »die Legende von den ›deutschen Österreichern‹, ja sogar den ›besseren‹ Deutschen radikal zu zerstören und das Werden und Festigen der österreichischen Nation« zu befördern.21 Während etwa Heer und Kreissler um die Generierung, den Kampf um den gemeinsamen österreichischen Nenner, eine Inklusion unter dem Titel des »Österreichischen« bemüht waren, so tat sich – als Kehrseite der Medaille – die Frage nach der gleichzeitigen Exklusion auf. Albert Müller nannte dies treffend den »Inklusion-Exklusion-Mechanismus«, der im Kontext der Bildung einer sogenannten kollektiven Identität wirksam werde.22 Wie widersprüchlich diese Identität war, erwies sich anhand der Entnazifizierung sowie am Opferbegriff, der einem starken Veränderungsprozess ausgesetzt war. Die Entna17 Vgl. Pelinka 2017. 18 Interview mit der Historikerin Brigitte Bailer, in : Thomas Köhler, Christian Mertens, Blick auf komplexe Zusammenhänge, Die Furche 24, 11.6.2015, S. 22. 19 Hanisch 2002, S. 27. 20 Heer 2001, vgl. Müller 2006, S. 69. 21 Kreissler 1984, zit. Müller 2006, S. 69. 22 Müller 2006, S. 70.
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zifizierung war über das Verbotsgesetz sowie das Kriegsverbrechergesetz geregelt, wurde vor allem von den Amerikanern in den ersten Nachkriegsjahren forciert und war im Grunde 1948 abgeschlossen. Von den 536.000 im Jahr 1946 registrierten Nationalsozialisten waren rund 100.000 sogenannte »Illegale«, NS-Parteigänger vor 1938 gewesen.23 Entziehung von politischen Rechten und Berufsverbot waren gängige Sühnemaßnahmen. Durch Ausnahmeregelungen wurde die Entnazifizierung bald aufgeweicht und im Sinne einer »inneren Befriedungspolitik« war man um die Integration der ehemaligen Nazis bemüht.24 Da die politisch »Minderbelasteten« bei der Wahl 1949 zugelassen waren, war ein enormes Potential von einer halben Million Wählerstimmen gegeben, um das nun gebuhlt wurde. Zudem wurde die Gründung der VdU, des Verbands der Unabhängigen als Sammelbecken ehemaliger Nationalsozialisten erlaubt : l’inclusion autrichienne. Von den über 13.000 von den Volksgerichten nach dem Kriegsverbrechergesetz Verurteilten waren 1955 nur noch 14 Personen in Haft, der Rest war durch großzügige Amnestien und in teilweise skandalösen Freisprüchen freigegangen.25 Beamtenbezüge wurden nachbezahlt, die Haft als Dienstzeit angerechnet.26 Zu den großen Tabus zählte – nicht allein wegen der staatlich propagierten Opferthese – lange auch der österreichische Anteil an NS-Verbrechen. Damit ist nicht nur der Prozentsatz der hochrangigen NS-Täter gemeint, sondern generell die Frage nach der Täterschaft. Im Gegensatz zu anderen tatsächlich besetzen Ländern war allein schon durch die breite »Anschlussbewegung seit 1918«, die vorwiegend deutschsprachige Bevölkerung sowie das geringe Nationalbewusstsein »die österreichische Gesellschaft während der NS-Zeit weitgehend in das NS-System integriert«, sodass der Begriff Kollaboration nicht adäquat erscheint.27 Efraim Zuroff vom Simon Wiesenthal Center in Jerusalem resümierte 70 Jahre nach Kriegsende die Praxis österreichischer Nachkriegsjustiz und sprach vom »fast gänzlichen Versagen Österreichs, Nazi-Kriegsverbrecher gerichtlich zu verfolgen«.28 Auch der Umgang mit NS-Opfern und mehr noch die Nivellierung des Opferbegriffs gehört zu den dunklen Kapiteln der österreichischen Nachkriegsgeschichte. Anders als in Frankreich, wo die Résistance zu den symbolischen »Erinnerungsorten«29 (Pierre Nora) der Grande Nation zählt, lange unter großzügiger Ausblendung des Vichy-Re23 Die im Folgenden angegeben Zahlen sind, wenn nicht anders angegeben, nach Manoschek/Geldmacher 2006 zitiert. 24 Ebd., S. 582 25 Vgl. www.nachkriegsjustiz.at (Zugriff : 7.7.2022) 26 Ebd., S. 580. 27 Eine differenzierte Darstellung zum österreichischen Anteil an NS-Verbrechen vgl. Perz 2006, hier zit. S. 227f. 28 Zuroff sprach vor allem von der Bedeutung der alten, gerichtlich nicht oder nur kurzfristig belangten Nationalsozialisten für die aktuelle rechtsradikale Szene. Sterk, Kritik an Umgang mit NS-Tätern. Wiesenthal Center : »Fast gänzliches Versagen« in Wien, in : Der Standard, 19.8.2015, S. 6. 29 Nora 1998.
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gimes, war der NS-Widerstand in Österreich vergleichsweise sehr gering und ging vor allem von kommunistischen und katholischen Gruppen aus. 1945 wurden nur jene im Opferfürsorgegesetz bedacht, die für ein freies, unabhängiges Österreich aktiven Widerstand gegen das NS-System geleistet hatten. Die »passiven« Opfer, also jene die wegen ihrer Abstammung, Rasse etc. verfolgt und vertrieben worden waren, wurden erst 1947 darin erfasst, mussten sich einen Opferausweis bestätigen lassen. Da sich die Republik Österreich selbst als »Opfer« sah, fühlte man sich für diese Gruppe nicht verantwortlich : Leistungen an diese verstand man als freiwilliges staatliches Entgegenkommen und waren entsprechend gering.30 Auf breiter Basis entwickelte sich allerdings das Kriegsopferversorgungsgesetz, inkludierte über eine halbe Million Wehrmachtsangehörige bzw. ihre Angehörigen und später auch Angehörige der Waffen-SS.31 Im Umgang mit der jüngsten Vergangenheit bildete sich, wie Heidemarie Uhl es nannte, »bereits kurz nach Kriegsende eine ›double speak‹ heraus[…].«32 Im außenpolitischen Kontext, etwa bei den Staatsvertragsverhandlungen, bestand man auf der Streichung der Mitschuld-Klausel und betonte, dass die Österreicher gezwungen wurden »in der verhaßten Kriegsmaschine zu dienen.« Zeitgleich sprachen offizielle Vertreter bei der Enthüllung von unzähligen Kriegerdenkmälern den »ehemaligen Wehrmachtsangehörigen ihren Dank für ihre Pflichterfüllung und Opferbereitschaft bei der Verteidigung der Heimat aus.«33 Das vielfach besprochene kollektive Gedächtnis entwickelte sich entlang einer hegemonial ausgebildeten Achse. Interessant sind die Facetten von Geschichte, die erinnert bzw. vergessen werden oder allmählich verblassen. Spätestens mit der Affäre um die Kriegsvergangenheit und SA-Mitgliedschaft Kurt Waldheims (1918 – 2007), Diplomat, zeitweiliger UNO-Generalsekretär und parteiunabhängiger Kandidat der ÖVP bei der Wahl des Bundespräsidenten 1986 hatte sich eine Diskussion um die »Pflichterfüllung« im NS-System entwickelt, die einen Paradigmenwechsel in der Auseinandersetzung mit der eigenen jüngeren Vergangenheit« weit über akademische Kreise hinaus nach sich zog. Erst 1991 kam es zum offiziellen Sichtwechsel, als Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) in einer bekannten Rede vor dem Nationalrat das Bekenntnis zur Mitverantwortung vieler Österreicher/innen an dem durch das NS-System verursachten Leid ablegte. Der NS-Widerstand in Österreich hatte seine legitimative, außenpolitische Bedeutung (oder besser Funktion) bei der Entstehung der Zweiten Republik. Bis zum eben erwähnten Paradigmenwechsel wurde er in der breiten, hegemonialen Geschichtsauffassung in Österreich aber nur ein Teilelement des jungen Staates, da die Zahl der Widerstandskämpfer/innen gering war und die Kommunist/innen als wichtige Träger des 30 Monoschek/Geldmacher 2006, S. 580. 31 Ebd. 32 Uhl 2002, S. 14. 33 Ebd.
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Widerstands ab den Wahlen im November 1945 innenpolitisch marginalisiert worden waren. In dem erwähnten Inklusion-Exklusion-Mechanismus waren die vom Nationalsozialismus Vertriebenen die »blassen Stellen« bzw. die blinden Flecken der jüngeren Vergangenheit. Der Großteil der Exilanten und Exilantinnen, wovon Juden und Jüdinnen mit 120.000 Personen die größte Gruppe darstellten, blieb auch nach dem Krieg im Ausland : »Weder von staatlicher Seite noch von den politischen Parteien wurden Bemühungen unternommen, sie wieder nach Österreich zurückzuholen. Sie wären in Österreich auch nicht willkommen gewesen.«34 In der österreichischen Entschädigungsdebatte der Nachkriegszeit sei ausschließlich das vielzitierte Statement des damaligen SPÖ-Innenministers Oskar Helmer erwähnt, der empfahl »die Sache in die Länge zu ziehen«.35 Angesichts der massiven Schäden eines – aus der Sicht vieler – verlorenen Krieges, der vielen Gefallenen und getöteten Zivilisten, die es in quasi jeder Familie zu beklagen gab, der Traumata, die während und nach dem Krieg erlitten wurden, der bedrückenden Ressourcenknappheit und der düsteren Zukunftsaussichten wurden – in Verbindung mit der offiziellen Linie der Opferthese und den Parolen zum Wiederaufbau eines neuen Öster reichs – die nachhaltigen Schuldkomplexe überlagert. Der österreichische Psychiater und Suizidforscher Erwin Ringel (1921 – 1994) hat in seinem bekannten 1984 verfassten Essay Die österreichische Seele die verhängnisvolle Verkettung von Angst, Hass, Neid, Schuld und Verdrängung sowie ihre nachhaltigen Folgen am Beispiel des Umgangs mit der NS-Vergangenheit in Österreich skizziert.36 Ohne auf diesen immer noch lesenswerten Text näher einzugehen, sind hier wesentliche Grundmuster des Umgangs mit den Vertriebenen genannt worden.37 Stellvertretend sollen zwei prototypische Beispiele von üblichen Reaktionsweisen genannt werden. Der in Wien aufgewachsene Physiker und Wissenschaftshistoriker Gerald Holton (geb. 1922) emigrierte 1938 über England in die USA. In einem Interview antwortete er auf die Frage, ob er an Rückkehr gedacht habe, dass er – abgesehen von beruflichen Aspekten – schlimme Erinnerungen an die Pogrome nach dem Einmarsch der Nazis habe. »Warum sollte ich nach Österreich ? […] und niemand in Österreich hat mich jemals gefragt, ob ich zurückkommen wollte.«38 Er sei wiederholt nach dem Zweiten Weltkrieg nach Österreich gekommen : Als die Menschen meine Geschichte hörten, sagten einige aus der älteren Generation : »Sie haben uns in [sic !] Stich gelassen. Sie haben sich in Sicherheit gebracht, als die ganz Tragödie 34 Manoschek/Geldmacher 2006, S. 581. 35 Ebd., S. 592. 36 Ringel 1984. 37 Ringels Text ist mittlerweile zur Quelle geworden. Zu Ringels patriotischen Äußerungen bzw. seine Affinität zum »Ständestaat«, vgl. Haller 1996, S. 298f. 38 Peter Illetschko, »Manche sagen noch heute : Wir waren die ersten Opfer«, in : Der Standard, 25.11.2015, S. 10.
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begann, als Bomben auf unsere Städte fielen. Das mussten Sie in den USA nicht erleben – wir dagegen waren die ersten Opfer der Nazis.« Ich habe gesehen, wie die Leute gejubelt haben, als Hitler nach Österreich kam. Ein tragischer Moment.39
In einem Aufsatz über die Präsenz des Dritten Reiches in der Zweiten Republik ging Ernst Hanisch auf die Aspekte des mehrheitlichen Umgangs der Österreicher und Österreicherinnen mit der NS-Vergangenheit in der Nachkriegszeit ein.40 Er untersuchte dabei das Phänomen der Mitläufer, »die das Gesicht der dämonischen Gemütlichkeit trugen […].«41 Helmut Qualtinger verlieh in der 1961 im österreichischen Fernsehen ausgestrahlten Sendung des legendären Ein-Mann-Stückes Der Herr Karl dieser »dämonischen Gemütlichkeit« sein Gesicht. In Bezug auf die Rückkehr jüdischer Vertriebener und die verharmlosend bezeichneten »Reibpartien« in Wien, wo Juden und Jüdinnen in den Märztagen 1938 unter allgemeiner Belustigung die Parolen des austrofaschistischen Regimes von den Straßen entfernen mussten, sei hier Herr Karl zitiert : Nochn Kriag is er zurückgekommen. Der Tennenbaum. Ich grüße ihn. Er schaut mich net an. Hab i ma denkt : na bitte, jetzt is er bees, der Tennenbaum. Dabei : Irgendwer hätt’s ja wegwischen müssen !42
Wie sehr die literarische Figur der bitteren Realität und den beinahe unerträglichen Verdrängungsmechanismen geschuldet war, verdeutlicht etwa eine Begebenheit, welche die spätere Germanistin Ruth Klüger (1931 – 2020) als Kind erlebt hatte : sie war mit ihrer Mutter von Auschwitz nach Wien zurückgekehrt und war mit ihr zu jener Greißlerin gegangen, die sie, als sie damals den Judenstern tragen mussten, nicht mehr bedient hatte. Zur Begrüßung kam die Frage der Greißlerin : »Gnädige Frau, wo waren’s denn so lange ? Haben’s bei der Konkurrenz eingekauft ?«43 Das geflügelte Zitat aus Johann Strauß’ Operette Die Fledermaus »Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist«, wurde, wie Erwin Ringel einmal feststellte, zur heimlichen, bitter-süßen Hymne der österreichischen Verdrängungsgesellschaft.44 Neben der jungen akademischen Generation begann man sich vergleichsweise früh im Feld der Kunst mit Österreichs brauner Vergangenheit und dem damit verbundenen enormen geistigen Verlust auseinanderzusetzen. Letztlich ging es um nichts weniger, als die Wurzeln der eigenen Moderne wiederzuentdecken. Die Ausstellung Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich 1985, initiiert vom Künstler und damaligen Rektor 39 Ebd. 40 Hanisch 1996. 41 Ebd., S. 37. 42 Carl Merz, Helmut Qualtinger, Der Herr Carl, Filmaufnahme, Wien (ORF) 1961. 43 Ruth Klüger in einem Interview, in : Der Standard, 21.11.1994, zit. Hanisch 1996, S. 37f. 44 Ringel 1984, S. 13.
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der Hochschule (heute Universität) für angewandte Kunst Wien Oswald Oberhuber (1931 – 2020) setzte dabei einen ersten Meilenstein.45 Im Katalogvorwort skizzierte der nach London emigrierte Dichter Erich Fried (1921 – 1988), der mit Österreich eng verbunden, aber nie zurückgekehrt war, die Doppelbödigkeit, oder besser : Verlogenheit, mit der man sich der großen Namen vertriebener Österreicher und Österreicherinnen gerne bediente, ohne Verantwortung für deren Vertreibung zu übernehmen : Die Vertreibung des Geistigen besteht nicht immer nur darin, daß man die Träger des Geistes vertreibt, sondern auch oft darin, daß man die Vertriebenen mit dieser oder jener Begründung nicht wieder aufnimmt oder zwar aufnimmt, aber ignoriert, oder nicht einmal ignoriert, aber sie sehr klein hält.46
Um es mit Frank Stern zusammenzufassen : »Wird der kulturelle Verlust‹ nur als ein Ergebnis des NS-Regimes betrachtet, geht das Bewusstsein dafür verloren, was […] im Hinblick auf die Versäumnisse der Nachkriegszeit als ›die zweite Schuld‹« bezeichnet wird.47 Wien im Fin de Siècle – eine Entdeckung, eine Konstruktion
Fast zeitgleich mit der Pionier-Ausstellung Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich hatte im Wiener Künstlerhaus die Schau Traum und Wirklichkeit. Wien 1870 – 1930 über 620.000 Besucherinnern und Besucher und wurde zur Initialzündung zur populären Rezeption des kulturellen Phänomens Wien um 1900.48 Wie wenig Sensibilität man gegenüber der eigenen jüngeren Vergangenheit hatte, vermittelte der im Untertitel genannte Zeitrahmen bis 1930, der in der Pariser Folgestation bezeichnender Weise bis 1938 erweitert wurde. Die Schau wandelte das Image der Stadt nachhaltig, die sich begann, sich in die »Topographie der global cultural cities« einzuschreiben.49 Wien um 1900 wurde aber nicht nur zum touristisch bedeutsamen Faktor, sondern zu einem, wie Heidemarie Uhl feststellte, »Gedächtnisort von nachgerade ikonischer Qualität, der Wien« international, aber auch in Österreich selbst »als einen Geburtsort für die Kunst und Kultur der Moderne positionierte.«50 Was heute selbstverständlich erscheint, war tatsächlich eine Wiederentdeckung, die erst Mitte der 1980er-Jahre möglich war. Zwar stieg seit 45 Die Vertreibung des Geistigen aus Österreich. Zur Kulturpolitik des Nationalsozialismus, Zentralsparkassa und Kommerzbank in Zusammenarbeit mit der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, Wien JännerFebruar 1985, vgl. Oberhuber/Koller 1985. 46 Erich Fried, Die Vertreibung des Geistes aus Österreich, in : Oberhuber/Koller 1985, S. 5. 47 Stern 2006, S. 252. 48 Traum 1985. 49 Uhl 2006, S. 47. 50 Ebd., S. 48.
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den späten 1970er-Jahren das Interesse am späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, was etwa in der populären österreichischen TV-Serie Ringstraßenpalais (1980 – 1983) von Hellmut Andics zum Ausdruck kam und im akademischen Feld im interdisziplinären Corpus Die Wiener Ringstraße seinen Niederschlag fand.51 Die Omnipräsenz und Vermarktungsmöglichkeit der Trias von Klimt – Schiele – Kokoschka war damals noch undenkbar (Abb. 28). Einen ersten, lange folgenlosen Schritt setzte 1945 eine von der Österreichischen Kulturvereinigung veranstaltete Ausstellung Klimt Schiele Kokoschka in der Neuen Galerie des exilierten Otto Kallir-Nirenstein. Die Vereinigung, eine der wichtigsten 1945 gegründeten Kulturinstitutionen, stellte damit fest, dass sie am Beginn ihrer Ausstellungstätigkeit eine »Zusammenstellung von bedeutenden Malern der Vergangenheit, die in den letzten Jahren nicht entsprechend gewürdigt wurden« präsentieren wollte.52 Der Kunsthistoriker und Publizist Benno Fleischmann (1906 – 1948) schrieb im Katalog, man zeige diese drei Künstler »zum ersten Mal so ausschließlich nebeneinander«, da sie als eine abgeschlossene Wiener Malerschule zu betrachten seien, »die die ganze Fülle von geistigen und künstlerischen Problemen ihrer Art« be- 28 : Schimt Kiele Schokoschka Malercompagnie, wältigt habe.53 Scheinfassade im Prater (2008), Wien 2022. Der Kunstbanause hat eben erst begonnen, sich mit Klimt abzufinden. Aber es sind dieselben, die Klimts Fakultätsbilder verhöhnten, die Schiele ins Gefängnis sperrten und die Kokoschkas Bilder auf den Scheiterhaufen warfen. Es wird noch mancher erzieherischer Arbeit bedürfen, bis gewisse Schlagwörter nicht mehr als Bretter vor den Köpfen sitzen. Hier ist der erste Schritt getan worden, der zu einem einfachen Ergebnis führen soll.54
51 Renate Wagner-Rieger (Hg.), Die Wiener Ringstraße. Bild einer Epoche – die Erweiterung der Inneren Stadt Wien unter Kaiser Franz Joseph, 11 Bde., Wiesbaden (Steiner) 1969 – 1981. 52 Klimt/Schiele/Kokoschka 1945, [Vorwort], o.P. Die Ausstellung fand vom 15.9. – 1.11.1945 statt. Der Katalogpreis ist noch in Reichsmark angegeben, da die Währungsumstellung auf den österreichischen Schilling erst mit 30.11.1945 erfolgte. An diesen Umstand erinnerte sich auch der Kunsthistoriker und Museumsfachmann Hermann Fillitz (1924 – 2022), für den die Ausstellung zur entscheidenden Berührung mit der heimischen Moderne wurde, vgl. Fillitz-Interview 2015. 53 Fleischmann 1945, S. 1 und 4. Sultano/Werkner 2003, S. 223. 54 Fleischmann 1945, S. 4.
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Jahrzehntelang gab es in der sozialdemokratisch regierten Stadt kein positives Bild vom Wien der Jahrhundertwende. Es galt »keineswegs als Bezugspunkt eines glanzvoll kulturellen Erbes, sondern ganz im Gegenteil als Negativfolie für das ›Neue Wien‹, das Leitbild der ›modernen‹ Großstadt in den 50er bzw. 60er Jahren.«55 Klimt, Schiele und nicht zuletzt Kokoschka waren zwar im Nachkriegsösterreich immer ausgestellt worden, das komplexe Konstrukt des Wien um 1900 wurde aber erstmals 1964 zu einem eigenen Ausstellungsthema.56 An drei Standorten (Secession, Künstlerhaus, Historisches Museum der Stadt Wien) zeigte man erstmals eine Zusammenstellung von Künstlern und Künstlerinnen, von denen einige später in den einschlägigen Kanon eingehen sollten. Zu vielen konnte man damals aber keine bzw. kaum biografische Daten oder nähere Informationen zum Werk bieten, obwohl die zwei versierten Kunsthistoriker und Museumsdirektoren Franz Glück vom Historischen Museum der Stadt Wien sowie Fritz Novotny von der Österreichischen Galerie Belvedere involviert waren. Symptomatisch für die Einschätzung der Kunst des Wien um 1900 ist das Vorwort des sozialdemokratischen Kulturstadtrats und Vizebürgermeisters Hans Mandl (1899 – 1970), dem Amtsnachfolger Viktor Matejkas : die Schau sei der Schlusspunkt einer didaktisch angelegten Ausstellungsreihe, die dem Wiener Publikum die wichtigen Meister der Moderne mit Erfolg nahegebracht habe : »Van Gogh (1958), Edvard Munch (1959), Paul Gauguin (1960), Paul Cézanne (1961), Ferdinand Hodler (1962).«57 Die große Kokoschka-Ausstellung 1958 im Künstlerhaus verschwieg er in dieser Serie geflissentlich. Entschuldigend stellte Mandl fest, dass man hier »die Reaktion der Wiener Künstler auf die bahnbrechenden Meister zeigen« wolle, da »es in Wien in den letzten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts keine revolutionäre Kunst« gab, lediglich »eine reiche malerische Tradition von starker lokaler Färbung […].«58 Er verlor kein Wort über jenes Wien, das heute gerne als eine der Geburtsstätten der Moderne angesehen wird, und erwähnte mit keiner Silbe die vertriebenen Intellektuellen und Künstler/innen oder etwa das jüdische Mäzenatentum. All diese Aspekte waren ihm nicht bewusst, oder vielmehr : konnten ihm kaum bewusst gewesen sein. In kaum überbietbarer Idolenz stellte der Wiener Kulturstadtrat schlussendlich fest, »daß auch diese Zeit, […], ihr gerütteltes Maß an sozialen, politischen und anderen Problemen hatte.«59
55 Uhl 2006, S. 49. 56 Wien um 1900, Ausstellung veranstaltet vom Kulturamt der Stadt Wien, 5.6. – 30.8.1964, vgl. Wien 1964. 57 Hans Mandl, Vorwort, in : Wien 1964, S. XIII. 58 Ebd. 59 Ebd., S. XV.
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Ein »großes Versäumnis«. Kokoschka-Rezeption im Spiegel der Zeitgeschichte
Anders als in Österreich wurde Kokoschka als »entartet« diffamierter Künstler in Deutschland nach 1945 im Diskurs der »vertriebenen Moderne« als prominenter Vertreter kanonisiert und einmal mehr in der deutschen Kunstgeschichte, wenn auch in ihrem dunkelsten Kapitel, verortet. In Österreich hingegen wurde er als bekannter, nicht zurückgekehrter respektive zurückgeholter Exilant frühestens ab den späten 1980er-Jahren virulent. Er wurde dabei weitgehend als Opfer der österreichischen Nachkriegspolitik gesehen – eine bis heute wirksame Sichtweise. Die hitzige Debatte um die Kadidatur Kurt Waldheims für das höchste Amt im Staat lief parallel zu den Veranstaltungen rund um die Würdigung Kokoschkas anlässlich seines 100. Geburtstags im Jahr 1986. Die in internationalen Museen gezeigten (Wander-)Ausstellungen zogen aus Ignoranz der offiziellen Kultur- und Museumspolitik an Österreich vorbei. »In die Bresche sprang damals die Hochschule für angewandte Kunst – eingedenk ihrer historischen Verantwortung als ehemalige ›Kunstgewerbeschule‹, wo das junge Talent seinen ersten professionellen Schliff bekommen hatte […].«60 So wurde als einzige Kokoschka-Ausstellung in Österreich im Frühjahr 1986 mit dem Titel Oskar Kokoschka. Städteportraits eröffnet.61 Ihr Initiator war Johann Winkler, der international bestens vernetzte Gründerungsleiter der seit 1972 bestehenden und von Oskar und Olda Kokoschka unterstützten Oskar Kokoschka Dokumentation in Pöchlarn (OKD), in enger Zusammenarbeit mit der »Angewandten«, insbesondere Erika Patka, der Leiterin der eigenen Kunstsammlung und des Archivs und der Kunsthistorikerin Gabriele Koller. Ermöglicht hatte das der schon erwähnte Rektor Oswald Oberhuber. Zum 100. Geburtstag beantragte die Hochschule für angewandte Kunst die Umbenennung ihres Vorplatzes in Oskar-Kokoscha-Platz und initiierte die Aufstellung einer OK-Skulptur Alfred Hrdlickas. Zusätzlich fand ein Symposion statt, das in mehrerlei Hinsicht einen Wandel in der Kokoschka-Rezeption anzeigte.62 Es war eine Hommage an den 1980 verstorbenen Künstler und versammelte Vortragende unterschiedlicher Generationen, darunter Josef Paul Hodin, Edith Hoffmann und Heinz Spielmann, die teils seit den 1940er-Jahren Kokoschkas Life and Work (Edith Hoffmann) begleitet hatten. Der Großteil der Referierenden entstammte der Enkelgeneration, war um 1930 bzw. überhaupt in der (Nach-) Kriegszeit geboren und eröffnete neue Perspektiven in der Kokoschka-Rezeption, die sich nicht allein auf den Künstler als einzige Quelle stützten bzw. überhaupt quellenkritisch arbeiteten.63 60 Lachnit 1997, S. 1. 61 Oskar Kokoschka. Städteportraits, Ausstellung der Hochschule für angewandte Kunst in Wien in Zusammenarbeit mit der Oskar Kokoschka Dokumentation – Pöchlarn, Österreichisches Museum für angewandte Kunst, Wien, 4.3. – 6.4.1986. 62 Symposion 1986. 63 Vgl. Schweiger 1986, S. 115.
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Bemerkenswert war der Zugang, den Wolfgang Hilger in Kokoschka und seine Rezeption nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich aufbrachte, auch durch Anrufung Viktor Matejkas als Kronzeugen.64 Dieser war im »Ständestaat« als bekannter Linkskatholik in der Volksbildung tätig und wurde bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten in einem der ersten Prominententransporte ins KZ deportiert.65 Während der letzten Kriegskämpfe war er der KPÖ beigetreten und noch im April von den Sowjets als Kulturstadtrat Wiens eingesetzt worden, eine Funktion, die er bis 1949 mit unermüdlichem Eifer innehatte und mit oft unkonventionellen Methoden maßgeblich am Aufbau des kulturellen Lebens in den ersten Nachkriegsjahren beteiligt war. Matejka war einer der wenigen, die nach der »Vertreibung des Geistigen« bedeutende Persönlichkeiten aus Kunst und Wissenschaft einlud, nach Österreich zurückzukehren.66 Für die Folgegeneration war er Mahner und lebendes schlechtes Gewissen zugleich. Im Rückblick sprach er von »kulturellen Großchancen«, die »Wien versäumt hat, weil der Ungeist nur scheinbar überwundener Zeit weiterregierte.«67 Wie das Amen im Gebet kam dabei auch Kokoschka ins Gespräch : Selbstverständlich lud ich ihn zur Heimkehr ein. Er kam bald, und gern hätte er von der Gemeinde Wien ein wenn auch noch so kleines Landgut gepachtet, für die Gründung einer von ihm schon lange geplanten »Schule des Sehens«, das sein landwirtschaftlich geschulter Bruder Bohuslav betreuen sollte. Das aber erstickte im Wiener Bürokratismus, während sich in Salzburg aktives Interesse für Kokoschkas Aufbauwillen zeigte. Der Künstler zog schließlich vor, abermals zu emigrieren [sic !] und ließ sich am Genfer See nieder. Es hat lang gedauert bis die Stadt Wien den oft verkannten Muster- und Meister-Wiener zu ihrem Ehrenbürger gemacht hat.68
Mit seinem Symposionsbeitrag 1986 knüpft Wolfgang Hilger (geb. 1943) an Matejkas Sichtweise an und etablierte gemeinsam mit anderen Autor/innen den Themenkomplex »Kokoschka und Österreich«, der als eine politische Bringschuld formuliert wurde. Man thematisierte die eigene Position in der Generationenfolge, die wenn auch nicht zwingend als sogenannte 68er-Generation deklariert, nach den Traumata und dem Schweigen der (Groß-)Eltern den Blick auf begangenes Unrecht richten, es ansprechen und anklagen wollte – ein Unrecht, das unverheilte Wunden auch im kulturellen Leben Österreichs geschlagen hatte. Kosmetische Wiedergutmachungen wie späte Ehrungen seien bloß Kompensation, aber kein Ersatz für die nicht erfolgte Integration Kokosch64 Hilger 1986. 65 Klamper 1981 ; Matejka 1984, 1991 und 1993. 66 Vgl. Oberhuber/Koller 1985. 67 Matejka 1985, S. XXVI. 68 Ebd.
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kas – stellvertretend für die »Vertreibung des Geistigen« allgemein. Wut, Trauer und das verdrängte, schmerzende »leise Schuldgefühl« auch der Nachkommen fanden hier ihren Ausdruck. In der Rückschau bleibt es ein großes Versäumnis, Kokoschka nicht unmittelbar nach dem Krieg nach Österreich geholt zu haben. Eine Rezeption seiner Kunst durch die jungen heimischen Maler der Nachkriegszeit wurde dadurch verhindert, das heißt eine Kokoschka-Rezeption fand nicht statt ! […]. Ein zentraler, schmerzlicher Punkt in Kokoschkas Bewußtsein bleibt stets die verhinderte Heimkehr. […] Rezeption bedeutet auch »Aufnahme in eine Gemeinschaft«. Dazu sind wir nachträglich, auch mit dem leisen Schuldgefühl der Unbeteiligten, mehr als bereit. Dagegen konnten die zahlreichen Ehrungen zu Lebzeiten Oskar Kokoschkas bestenfalls mildernd wirken, die frühen Versäumnisse jedoch nicht mehr ungeschehen machen.69
Hilgers Sichtweise fand breite Resonanz, wobei Kokoschkas Haltung als Antifaschist und »Natur-Linker« – wie ihn Dieter Schrage (1935 – 2001) in seinem Text In Wien meist übergangen : Der politische Kokoschka 1986 bezeichnete70 – vielfach mitkommuniziert wurde. Neben Viktor Matejka trat auch der österreichische Maler Georg Eisler (1928 – 1998) als Zeitzeuge auf, der Sohn des Komponisten Hanns Eisler und der Sängerin Charlotte Eisler. Mit seiner seit den 1920er-Jahren als Kommunistin engagierten Mutter war er als Jugendlicher über Umwege nach England geflüchtet, wo er 1944 Kokoschka kennengelernt hatte. Dieser wurde ihm künstlerisch sowie politisch, nicht zuletzt in der englischen Exilcommunity, im Young Austria zur Leit- bzw. Vaterfigur.71 Schon 1972 hatte er den Text Der linke Kokoschka verfasst. Wie Matejka wurde er nicht müde auf die Verhinderung der Rückkehr Kokoschkas hinzuweisen, die sie beide u. a. der Eifersucht gewisser Künstlerlobbys, vor allem dem Maler und Akademieprofessor Herbert Boeckl zuschrieben.72 In der Reihe der jüngeren kritischen Autoren ist auch der Kunsthistoriker und Schriftsteller Wolfgang G. Fischer (1933 – 2021) zu nennen, der 1938 über Umwege von Wien nach England geflogen war, und – wie sein Vater Harry Fischer – auch ein wichtiger Kunsthändler für Kokoschka sein sollte. Zu guter Letzt sei der Theaterwissenschaftler, Germanist und Kunsthistoriker Otto Breicha (1932 – 2003) erwähnt, einer der produktivsten Kunstpublizisten der Zweiten Republik, der zahlreiche Monografien und Aufsatzsammlungen zu bedeutenden Künstlern Österreichs herausgeben hatte, u. a. zu Fritz Wotruba, Friedensreich Hundertwasser 69 Hilger 1986, S. 291. 70 Dieter Schrage, In Wien meist übergangen : Der politische Kokoschka, Typoskript, o.D. [März 1986], OKZ. 71 Frank 2012, v. a. S. 127 – 133. Angeblich wurden RAVAG-Tonbandaufnahmen der politisch weiterhin engagierten Lotte Eisler »als politischer Racheakt in den Fünfzigerjahren« gelöscht, vgl. ebd., S. 192f. 72 Eisler 1986, S. 43.
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und auch Oskar Kokoschka. Rechtzeitig zum 90. Geburtstag (1976), hatte Breicha eine reich mit Druckgrafiken bebilderte Anthologie zusammengestellt.73 Als designierter Direktor des in Gründung begriffenen Rupertinums in Salzburg konnte auf einen guten Grundstock zurückgreifen, nämlich die Schenkung des fast kompletten druckgrafischen Œuvres durch den Kunsthändler Friedrich Welz. Breichas Textcollagen boten auch eine erste Rezeptionsgeschichte des Künstlers, da eine Edition der Schriften noch nicht existierte. Ausgewählt waren nur Autoren und Autorinnen, die für Kokoschka einstanden, zwei Drittel der Texte waren vor 1938 entstanden. Julius Meier-Graefes schon erwähnter Bericht von 1931, der unverhohlen die Wiener Ignoranz gegenüber dem Künstler thematisierte, war gefolgt von Kokoschkas Text Aus meinem 30jährigen Emigrantenleben [als deutscher Maler]74, der 1939 in einer Pariser Exilzeitschrift publiziert worden war : in Bezug auf Kokoschkas schwieriges Verhältnis zu Österreich ein bald kanonischer Text, spannte er doch den Bogen von den massiven Kritiken in Wien von 1908 bis zur Diffamierung durch die Nationalsozialisten und fügte sich in das Bild des weiterhin geschmähten Emigranten : Aus meinem 30jährigen Emigrantenleben [als deutscher Maler] Mit zwanzig mußte ich zum erstenmal aus Wien emigrieren. Wenn die deutsche Diktatur darauf stolz ist, die moderne Kunst zu verfolgen, so hat die Wiener »Neue Freie Presse« nicht erst auf ihre neuen Herren warten gebraucht. Schon vor dreißig Jahren hat sie in ihrem Kunstreferat unentwegt Kübel um Kübel Unrates ausgeleert und die Werke der Monet, Manet, Cézanne, van Gogh für Machwerke von Spekulanten und ihren Pfuschern erklärt. Zur Zielscheibe der Verfolgungs- und Denunziationssucht des damaligen Kunstpapstes, vor welchen die Minister für Kultur und Unterricht ebenso wie vor dem heutigen gezittert haben, wurde ich, weil ich mich versündigt gegen das oberste Gesetz der offiziellen Porträtmalerei, das da sagt : »Das Gewandel macht das Mandel«. Nicht die frisierten und kostümierten Gliedergruppen, gesellschaftlichen Attrappen, sondern das Gesicht der Menschen meiner Zeit, malte ich als Junge, was seit den Zeiten Waldmüllers niemand mehr in Wien gewagt hatte. Ja, das war eine böse Zeit, die Polizei mußte meine Plakate entfernen, sogar meine ersten Theaterstücke wurden von der Polizei verboten. Meine Versuche, nachdem ich als Künstler verfemt war, mich als Lehrer, erst an der Kunstgewerbeschule, durchzusetzen, wurden von [sic !] Kunstpapst dem Unterrichtsminister denunziert, der darauf schleunigst auf Entfernung des »Bürgerschrecks« bestand. Zum Nutzen der heute gleichgeschalteten Professoren der Kunstgeschichte an der Wiener Universität, die auch einmal, wie ihre reichsdeutschen Museumskollegen, sich zu mei73 Breicha 1976. 74 Breicha hatte den Text einer von Werner Hofmann 1966 herausgegebenen Sammelschrift entnommen und bei dem Titel den ursprünglichen Zusatz »als deutscher Maler« entfernt, siehe : Kokoschka 1966. Dort wird als Quelle eine DDR-Publikation angegeben : Diether Schmidt (Hg.), In letzter Stunde. Künstlerschriften 1933 – 1945. Schriften deutscher Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts, Bd. II, Dresden (Verlag der Kunst) 1964.
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ner Arbeit bekannt hatten, will ich hier bemerken, daß sie in der Kunstspalte der »Neuen Freien Presse« damals wacker mitgehetzt haben. Mag auch ein zeitgenössischer Diktator die dunkle Wiener Quelle vergessen haben, um der Wahrheit die Ehre zu geben, der Sport, die herrschende Clique gegen den lebenden Künstler aufzuhetzen, ist von der Wiener »Neuen Freien Presse« vor einem Menschenalter erfunden worden. Liebedienerisch so den niedrigsten Instinkten schmeichelnd, hat dies ihrem Kunstkritiker damals zu trauriger Berühmtheit verholfen. Nicht Hitler, sondern der Doktor Seligmann, der auch gern Maler werden wollte, hat als erster vor dreißig Jahren gegen mich die Schimpfwörter »Geisteskranker« und »Spekulant auf die niedrigsten Instinkte« und »Untermensch« und »entarteter Künstler« im Wiener Börseblatt geprägt. Ebenso wurde auf Allerhöchste Kabinettsordre das Kunstlokal strafweise in eine Gemüsehalle umgewandelt. Die vaterländischen Kunststellen verstanden es aber, mich im Ausland als ein Kulturaushängeschild, trotz meiner wiederholten Proteste, zu benutzen, gleich wie ihre heutigen Erben, welche die reichsdeutschen, Wiener und böhmischen Sammlungen von meinen Bildern gesäubert haben, diese auf Prangerausstellungen in der Heimat herumzuschleifen und jetzt im Ausland zu verauktionieren, um Devisen zu gewinnen, wozu sie einen schmeichelnden Werbekatalog druckten. Das Los, ein internationaler Landstreicher zu werden, hat jeder deutsche Maler früher oder später erfahren müssen […].75
Die Betonung Kokoschkas als kompromissloser, widerständiger, antifaschistischer und somit »unbequemer« Künstler lief und läuft wie ein roter Faden durch die Rezeption der österreichischen Kunstgeschichtsschreibung und verband sich mit zeitpolitischen Ereignissen, nicht zuletzt im Vorfeld des Gedenkjahres 1988. Sie zog jedoch im Falle Kokoschkas die Ausblendungen bzw. interpretative Abschwächung wichtiger Fakten nach sich. Hilger hatte zwar schon erwähnt, dass Kokoschka vom österreichischen Bundespräsidenten abwärts zahlreiche Einladungen zur Rückkehr erhalten und 1947 die britische Staatsbürgerschaft angenommen hatte. Das eine wurde jedoch als Lippenbekenntnis, das andere als Notlösung abgetan : »Seine nach Kriegsende zweifelsohne vorhandene Neigung, wieder dauernd nach Österreich zurückzukehren [sic !], mäßigte sich auch angesichts der fraglichen politischen Zukunft des vierfach besetzten Landes.«76 Die »verhinderte Rezeption […] durch die jungen heimischen Maler«77 wurde beim selben Symposion durch Dieter Ronte widerlegt, der von Kokoschkas Bedeutung für die »Zwischengeneration« gesprochen hatte, wozu er die unmittelbare Nachkriegsgeneration, neben Arnulf Rainer, u. a. die Wiener Aktionisten Günter Brus und Hermann Nitsch zählte.78 75 Kokoschka 1939, zit. Breicha 1976, S. 150f. 76 Hilger 1986, S. 281f. 77 Ebd., S. 291. 78 Ronte 1986, S. 299.
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Ernüchternd muss man feststellen, dass die These vom verschmähten, »verhinderten« Kokoschka eine hartnäckige, letztlich zu kurze Sicht auf die wesentlich komplexere Faktenlage darstellt.79 Der Umgang mit Exilant/innen war einem Wandel unterworfen. Kokoschka kann dabei als prominenter Künstler mit antifaschistischem Hintergrund als prototypischer Vertreter der ersten affirmativen Phase der Gedächtniskultur verstanden werden : Jene Mischung aus Kulturverlust, schlechtem Gewissen und einer philosemitisch kodierten politischen Korrektheit Rechnung tragend konzentrierten sich die deutschsprachigen Publikationen der Nachkriegsjahrzehnte – zunächst in der Bundesrepublik Deutschland und später erst in der Republik Österreich – auf jene ehemaligen Bürgerinnen und Bürger, die zu den herausragenden Protagonisten der wissenschaftlichen, künstlerischen, wirtschaftlichen, religiösen und politischen Entwicklung des Fin-de-Siècle und der Zwischenkriegszeit gehört hatten.80
Österreichische Kulturpolitik seit 1945 Kultur ist weit mehr als das, was der Tradition nach als solche beansprucht, erlebt und vermittelt wird.Kultur ist das Leben. Kultur ist die Arbeit am Leben und für das Leben, ist die Pflege des Lebens. Kultur ist Lebenshaltung, Lebensführung, ist Inhalt der Persönlichkeit und somit auch ihre Form. Also gibt es Kultur noch jenseits der Musentempel, der Kunststätten, der Museen, der Klangkörper, der Schulen, der Bildungswerke. Viktor Matejka, Was ist österreichische Kultur ? (1945)81
Österreich wurde und wird oft als »Kulturnation«, als »kleiner Staat mit großer Kultur«, ab und an sogar als »Kulturgroßnation« beschrieben.82 Dieses Bild hängt ursächlich mit der Identitätskonstruktion des Landes zusammen und greift auf eine lange vor 1945 liegende Entwicklung zurück. Die Konzeption bzw. Gestaltung der Kulturpolitik hängt daher einerseits von den jeweiligen Österreich-Bildern ab, welche identifikationsstiftend wirksam waren. Andererseits stellt sich bei der politischen Orientierung bzw. Zielsetzung der Kulturpolitik die Frage nach dem zugrunde liegenden Kulturbegriff. Ist dieser traditionell, eng definiert, so wird Kultur meist mit Kunst gleichgesetzt und findet politisch in Kunstförderung oder Erhaltung des kulturellen Erbes ihren Niederschlag. Weitläufig spricht man dabei auch von »Hochkultur«. Ein Kulturbegriff, wie ihn hinge gen der leidenschaftliche Volksbildner Viktor Matejka in einem programmatischen 79 Natter sprach noch 1995 davon, dass OK vergeblich auf eine Einladung zur Rückkehr wartete, Natter 1995, S. 53. 80 Stern 2006, S. 243. 81 Matejka 1945, S. 4. 82 Knapp 2005, S. 26 und Knapp 2006, S. 768.
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Vortrag 1945 vertrat, zielt auf eine über viele Lebensbereiche erstreckte, demokratische bzw. partizipatorische, oftmals dezentralisierte Wirkkraft. Die Orte, die Medien und die Akteure sowie das »Publikum« waren je nach Interpretation des Kulturbegriffs andere. Matejka bemühte sich in den ersten Nachkriegsjahren, um niederschwellige Zugänge : er veröffentlichte Abbildungen in Zeitschriften bzw. plante in Ermangelung von Originalen Ausstellungen von Kokoschka-Reproduktionen im Rathaus oder in Wiener Bezirkslokalitäten bei freiem Eintritt. In der unmittelbaren Nachkriegszeit versuchten auch die Alliierten kulturpolitischen Einfluss zunehmen, welcher auf eine antifaschistische Umerziehung (»re-education«) bzw. Demokratisierung und auf Begegnungen mit der internationalen Moderne abzielte. Das Spektrum reichte von konventionellen Ausstellungen, Denkmalsetzungen (z. B. für das Monument der Roten Armee am Wiener Schwarzenbergplatz), dem Aufbau von Bibliotheken, Zeitungs- und Zeitschriftengründungen bis hin zu Radiosendern. Das Engagement der französischen Besatzungsmacht in Innsbruck, die sich um die Vermittlung der Moderne bemühte, blieb weitgehend isoliert, auch wenn sich einige Künstler, etwa der junge Oswald Oberhuber, wichtige Impulse holte.83 Die USA forcierten im Zuge des Kalten Krieges »die kulturelle Westintegration«.84 Sie nutzen die neuen Medien und etablierten etwa über Musiksender Populärkultur, der man von offizieller Seite in Österreich skeptisch bis ablehnend gegenüberstand und »als Gefahr und Bedrohung für Österreichs Kultur« wahrnahm.85 Die praktizierte Vergangenheitspolitik blieb auch im Kulturbereich nicht ohne Konsequenzen. Durch die inkonsequente Entnazifizierung waren bald hochrangige Kulturfunktionäre des NS-Regimes an den Hochschulen86 sowie im Kulturbetrieb wieder in Amt und Würden. Stellvertretend soll der bekannte Fall des Malers Rudolf Eisenmenger87 (1902 – 1994) genannt werden und des Schriftstellers Hermann Stuppäck (1903 – 1988). Letzterer war als Generalkulturreferent des Reichsleiters Baldur von Schirach in höchster kulturpolitischer Funktion während der NS-Zeit in Österreich. Er konnte seine Karriere nach kurzer Unterbrechung im Entnazifizierungslager Glasenbach, wo auch der Kunsthändler Friedrich Welz inhaftiert war, ungehindert fortsetzen und folgte nach dem Abschied Kokoschkas von seiner Schule des Sehens in Salzburg 1964 als deren administrativer Direktor.88 Die Liste jener vertriebenen, nicht, spät und/oder halbherzig zur Rückkehr nach Österreich eingeladenen Kunstschaffenden ist hingegen quasi endlos. Sie fehlten nun als Vermittler/innen in allen Kunstzweigen, was die Auseinandersetzung mit der (eigenen) Moderne für die junge Künstlergeneration schwierig machte. 83 Vgl. u. a. Dankl 1996. 84 Knapp 2005, S. 91. 85 Knapp 2006, S. 773. 86 Vgl. Seiger/Lunardi/Populorum 1990. 87 Floch 2007. 88 Fritz S. 21f.
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Für Österreich lässt sich weit bis ins 19. Jahrhundert ein großer Einfluss des Staates in Bereichen der Kunst- und Kulturförderung feststellen. Diese Rolle verfestigte sich 1918 mit dem Wegfall alter, potenter Mäzenatenschichten und war auch 1945 wieder virulent geworden : man stand erneut, wie Ernst Hanisch es so treffend formulierte, im »langen Schatten des Staates«.89 Mit der Republikgründung am 27. April 1945 war der Schriftsteller Ernst Fischer (1899 – 1972) für die KPÖ als Staatssekretär für Volksaufklärung, für Unterricht und Erziehung und für Kultusangelegenheiten für die Kulturagenden zuständig, ein bekannter Intellektueller, mit dem auch Kokoschka in Verbindung stand.90 Die KPÖ war neben der ÖVP jene Partei, die sich bedingungslos für die Stärkung einer Österreich-Identität einsetze und dabei Kultur als Medium verstand. Für alle Parteien der provisorischen Regierung 1945 (KPÖ, ÖVP, SPÖ) bestand Konsens im Wiederaufbau der traditionellen Kulturinstitutionen. Diese waren allen voran die Staatsoper91, das Burgtheater sowie der zerstörte Stephansdom92, die für weite Bevölkerungskreise als Symbole österreichischer Identität galten und man als prioritäre Wiederaufbau-Agenda ansah. Der Großteil der westeuropäischen Länder hatten nach dem Krieg in einer ersten Phase die »Förderung nationaler Identität […] als zentrales Motiv staatlicher Kulturpolitik« und konzentrierten sich »auf die Erhaltung des kulturellen Erbes und die ›Bestandssicherung der Hochkultur«.93 In einer zweiten Phase hatten die meisten von ihnen den Aufbau einer »zeitgenössischen kulturellen Infrastruktur« zum Ziel, etwa durch den Bau bzw. die Förderung diverser Kultureinrichtungen (Theater, Museen, Galerien etc.), was einer differenzierten Imagebildung bzw. Prestigesteigerung dienen sollte.94 Diese Stufe wurde in Österreich – kurz gefasst – übersprungen bzw. erst ab den späten 1960erJahren allmählich bzw. in den Regierungsjahren der SPÖ unter Bruno Kreisky ab 1970 in Angriff genommen. Bei den Wahlen im November 1945 waren die Kommunisten mit knapp über 5 % de facto marginalisiert worden. In Folge besetzte die ÖVP in wechselnden Regierungskonstellationen bis 1970 das für Kunst und Kultur zuständige Unterrichtsministerium. Wie schon in der Ersten Republik verfolgte sie den Aufbau eines Österreich-Mythos, der sich an Idealen der Monarchie bzw. vergangenen kulturellen Leistungen orientierte. Die Wiedererrichtung und Bewahrung des »kulturellen« Erbes stand und blieb im Vorder89 Vgl. van Heerde 1991 ; Hanisch 1994. 90 In der OK-Nachlassbibliothek befinden sich einige Bücher Fischers. Dessen Verhältnis zu Matejka lässt sich mit dem bekannten Bonmot »Feind-Todfeind-Parteifreund« (Franz Josef Strauß) beschreiben. Die Gründe lagen neben der »persönlichen Chemie« v. a. bei Fragen der stalinistischen Vorgaben. Im Gegensatz zum »unorthodox« agierenden Matejka wurde der sehr lange linientreue Fischer nach seiner Kritik an der Niederschlagung des Prager Frühlings 1969 aus der KPÖ ausgeschlossen. Vgl. Klamper 1981, S. 349 – 369. 91 Stuhlpfarrer 2019 und 2019a. 92 Stuhlpfarrer/Uhl 2022. 93 Knapp 2005, S. 82f. 94 Ebd.
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grund. Die entscheidenden kulturpolitischen Instanzen förderten primär elitäre Hochkultur, insbesondere das Musik- und Theaterwesen mit Fokussierung auf die Staatsoper, das Burgtheater, die Salzburger Festspiele bzw. die Wiener Philharmoniker.95 Sie propagierten diese als Inbegriff österreichischer Kultur fremdenverkehrsfördernd auch im Ausland und griffen, wenn man es als opportun empfand, in die Programmgestaltung ein.96 Die Restauration, oder anders formuliert : der kulturelle Mief der Nachkriegsjahre hielt sich über Jahrzehnte in Österreich. Die moderne Massenkultur wurde von offizieller Seite als Gefahr, als amerikanische »Infektion« angesehen. Parallel dazu war die überkommene Einstellung gegenüber der Moderne weitgehend wirksam geblieben und wurde zum »rot-weiß-roten Kulturkampf«.97 In einer Parlamentsdebatte 1950 argumentierte Ernst Strachwitz aus dem rechtsnationalen Lager der ÖVP, […] daß man auch mit Bilderstürmen keine entartete Kunst aus der Welt schaffen wird. Diesen Unsinn haben unsere Vorgänger in den letzten Jahren gemacht. Aber […] wir […] müssen dafür sorgen, daß diese Kunstrichtungen nicht gefördert werden, denn sie verdienen es nicht, denn sie sind […] für die Jugend und für alles, was wir wollen, verderblich.98
Die Kommunisten unter Ernst Fischer waren die einzigen, die gegen das beengende, konservative Kulturklima protestierten. Bei der Konzentration auf die Bewahrung des Überkommenen haben […] die meisten Nobelpreisträger […] die dumpfe Luft des Provinzialismus in dieser undankbaren Heimat verlassen und sind in die freie Welt hinausgegangen. Diese bedauernswerte Tradition wurde in die Zweite Republik nicht nur eingeschleppt, sondern sie wird emsig weitergepflegt, und man muß leider feststellen, daß die kulturelle Atmosphäre der Zweiten Republik noch reicher an Stickstoff und noch ärmer an Sauerstoff geworden ist, als es in der Ersten Republik der Fall war. Hören Sie doch einmal, mit welcher Bitterkeit unsere Gelehrten, unsere Künstler, unsere Schriftsteller, unser jungen Ärzte von der niederdrückenden Kulturmisere in Österreich sprechen, mit welcher Bitternis über die – man muss es offen sagen – Kulturfeindschaft der für diesen Staat Verantwortlichen gesprochen wird.99
95 Zu den Budgetzahlen : Knapp 2005, S. 91 – 99, 112 – 114 ; zur »Musikstadt Wien« vgl. Nußbaumer 2007. 96 Knapp 2005, S. 99. 97 Kerschbaumer/Müller 1992. 98 Abgeordneter Strachwitz (ÖVP) in der Nationalratssitzung am 8.12.1950, zit. Knapp 2005, S. 102. Zu Ernst Strachwitz (1919 – 1998) : http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_01906/index.shtml sowie http:// www.spiegel.de/spiegel/print/d-44449214.html (Zugriff : 24.7.2022) 99 Ernst Fischer (KPÖ) in der Nationalratssitzung am 8.12.1950, zit. Knapp 2005, S. 101.
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Die in kulturpolitischen Fragen zurückhaltende SPÖ wollte die »Entscheidung darüber, was Kunst ist oder was nicht […] der Zukunft überlassen […].«100 Auch hier liegt ein Konzept zugrunde, dass zwar auf einen breiten Kulturbegriff zurückgreift, letztlich aber auf die Ausbildung von Spitzenleistungen, also künftiger Träger von Hochkultur hin verweist. Daß Hugo Wolf, Klimt, Kokoschka und Adolf Loos, Menschen, die heute für die österreichi sche Kultur Ungeheures bedeuten, noch in den letzten Jahrzehnten oft sehr mißgünstig gewertet wurden, daß sollte uns bei vorschnellen Urteilen bedenklich stimmen.101
Das Herz Europas. Kokoschkas politische Schriften zu Österreich 1945 sprache, staat und wirklichkeit, […] diese heilige dreifaltigkeit, in der jeder aspekt im anderen realisiert ist. Oswald Wiener102
Kokoschka hatte sich im englischen Exil in die Reihe jener gefügt, die sich für die Konstruktion eines neuen, nachhaltigen Österreich-Bildes begeisterten. Die Situation und Zukunft Österreichs sah er wie schon in seinem Gemälde »Anschluss« – Alice in Wunder land (1942) als pars pro toto für die Gesamtentwicklung der Menschheit. Ein großer Anspruch für ein kleines Land. Kokoschka schlüpfte in die facettenreiche Rolle des Intellektuellen, war einmal mehr der Staatsmann, dann der Revoluzzer, Kritiker oder Mahner, manchmal der Kulturhistoriker, wechselweise und gleichzeitig Patriot und Kosmopolit in einem. Spürbar ist seine Sorge um das »vielgeprüfte« Österreich103, spöttischpointierte Bemerkungen fehlen – ungeachtet der großen Formulier- und Fabulierkunst, die er wiederholt an den Tag legte. Politische Betrachtungen zum Wesen österreichischer Kultur
Der Aufsatz Das Wesen österreichischer Kultur wurde in London am 19. Mai 1945, also wenige Tage nach offiziellem Kriegsende »ohne Hoffnung auf Veröffentlichung geschrie ben.«104 Der mehrseitige Text ist eine komplexe Auseinandersetzung mit den Folgen der Ökonomisierung, der Massenproduktion und -konsumation, des Faschismus, dem 100 Abgeordneter Karl Mark (SPÖ) in der Nationalratssitzung am 8.12.1950, zit. Knapp 2005, S. 102. 101 Ebd. 102 Oswald Wiener, die verbesserung von mitteleuropa, Reinbeck b. Hamburg 1969, S. CXLII, zit. Jahraus 2009, S. 43. 103 Vgl. Paula Preradovićs Text der österreichischen Bundeshymne, 2. Strophe, 1947. 104 Kokoschka 1945 ; Heinz Spielmann, Anmerkungen, in : Schriften III, S. 332f.
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herrschenden Verhältnis zwischen Mann und Frau sowie von materialistisch orientierter Rationalität und dem im Einklang mit alten Mythen gewachsenen und nachhaltig bedrohten Kulturraum der Donauländer, in welchen er Österreich eingebettet sah. Ähnlich wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer in ihrer ebenfalls im Exil verfassten Dialektik der Aufklärung (Los Angeles, 1944), aber weniger pessimistisch, sah Kokoschka in dem seit der Neuzeit massiv einsetzenden Prozess der Ökonomisierung aller Lebenszusammenhänge einen Verlust authentischer, über Jahrtausende gewachsene Kultur.105 Der Einfluss »internationaler Monopole« schaffe das, was Stefan Zweig die »Monotonisierung der Welt« genannt hatte106 bzw. die Entwicklung einer Kulturindustrie, die konsumierbare Kultur-»Waren« produziere oder im Tourismus nur mehr als Kultur-Farce verkauft werde – eine Überlegung, die Kokoschka schon im oben erläuterten Radiovortrag von 1931 vorgestellt hatte. Im Frühsommer 1945 schrieb er : Der Österreicher ist sich dessen nicht bewußt geworden, daß er gleichzeitig seine Freiheit verloren hatte, als er seine bodenständige Kultur aufgegeben im Austausch gegen einen flachen Materialismus, der ihn bloß proletarisiert.107
Mit der kapitalisierten Uniformierung sei der Boden für den Faschismus bereitet worden, der zwar in seiner Verkörperung durch das NS-Regime bekämpft sei, aber dessen kulturelle Nachwehen großen Schaden angerichtet hätten. Kokoschka ging in diesem Punkt nicht auf die Verbrechen der letzten Kriegswochen ein, von denen er im Mai 1945 wahrscheinlich auch kaum wissen konnte. Er ging weder hier noch später auf den von der österreichischen Bevölkerung mitgetragenen Antisemitismus oder den Holocaust ein. Diese waren trotz seiner antifaschistischen Haltung auch niemals Themen für Bilder oder Texte geworden. Der emigrierte Verleger Robert Freund, dessen frühes Porträt 1938 von der Wiener Gestapo zerschnitten worden war, hatte Kokoschka zu einer Serie zum Holocaust bzw. zu Konzentrationslagern anregen wollen, fand jedoch keine Resonanz.108 Österreich war ein Opfer und scheinbar sakrosankt. Über die Entnazifizierung, 105 Adorno/Horkheimer 2013. 106 Stefan Zweig, Die Monotonisierung der Welt (1925), in : ders., Die Monotonisierung der Welt. Aufsätze und Vorträge, Frankfurt a. Main (Suhrkamp) 19761, S. 7 – 15. In Analogie dazu Kokoschka : »Die Massenproduktion wird in allen Ländern von denselben Maschinen geleistet, unabhängig von ortsüblicher Handwerkstradition. An die Stelle der Volkstrachten ist der internationale Overall des Fabrikarbeiters und der Khakidress des Soldaten getreten.«, vgl. Kokoschka 1945, S. 124. 107 Kokoschka 1945, S. 125. 108 Für den Hinweis danke ich Keith Holz, Western Illinois University. Konzentrationslager wurden von OK in einigen Schriften, v. a. Briefen wiederholt erwähnt, aber m.W. nie ausführlicher behandelt. Edwin Lachnit bringt in seiner brillanten Studie u. a. über Gerhart Frankl über eine farblich-formale Assoziation einen Vergleich zwischen Frankls In Memoriam-Zyklus (1963 – 1965) und Kokoschkas What we are fighting (1943) vor, Lachnit 1998, S. 258. Die farblichen Analogien erscheinen plausibel, die Motive, v. a. aber die Motivation sind aber zu unterscheiden : Frankl hatte rund 20 Jahre gebraucht, um den Tod seiner Eltern im
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die nur wenige Jahre forciert werden sollte, die österreichische Nachkriegsjustiz und die Nivellierung des Opferbegriffs konnte Kokoschka zu diesem Zeitpunkt noch nicht berichten. Er tat es aber auch später nicht. Fragen der Kollektivschuld »der Deutschen« waren durchaus ein Thema, aber nie im Kontext einer »Mitschuld« Österreichs. Der Text war als eine Art Stimulus konzipiert, dessen Fokus auf den traditionell kulturellen Werten Österreichs lag. Seine Definition österreichischer Kulturtradition ist eine scheinbar historisch begründete, die Aspekte der Volkskultur bzw. -kunst und somit Partizipation suggerierte, sich aber nicht ohne Ambivalenzen für die Förderung und Bewahrung der Strukturen der Hochkultur einsetzte. Wie erwähnt war für weite Teile der Bevölkerung sowie für Kokoschka der schnelle Wiederaufbau des Stephansdomes, der Museen und der Wiener Oper als causa prima, untrennbar mit der österreichischen Identität verbunden. Neben der Rekonstruktion der materiellen war auch die immaterielle Kulturtradition durch die Dominanz des konservativen Lagers zum Inbegriff österreichischer Kultur geworden (bzw. geblieben), deren sofortige Wiederinbetriebnahme als »Symbol für die Normalisierung des gesellschaftlichen Lebens« galt.109 Hans Perntner (ÖVP), bis 1938 und nach 1945 einflussreicher Kulturpolitiker, hatte in einer Rede für Österreich festgestellt, dass »die unzerstörbare Kraft seines Kultur- und Geisteslebens« allein dadurch »vollauf bewiesen« war, dass […] schon am 27. April 1945, also wenige Tage nach dem Verstummen der Geschütze, das erste Großkonzert der Wiener Philharmoniker mit triumphalem Erfolg stattfand. Gerade in jenen Tagen der Not hat sich wieder gezeigt, daß Kultur ein Lebenselement des österreichischen Menschen ist.110
Im selben Atemzug hielt Perntner fest, dass der Staat diese umso mehr fördern müsse, als sie »ein nicht hoch genug einschätzbares außenpolitisches und wirtschaftliches Aktivum unseres Landes darstellt.«111
Holocaust bildlich in einer beklemmenden Weise zu verarbeiten. Kokoschkas Antikriegsbild, seine komplexe Ikonografie wirken eindringlich, aber m.E. letztlich sehr »verkopft«. Auch hier scheint der Holocaust nicht explizit thematisiert. 109 Knapp 2005, S. 95. 110 Hans Perntner (ÖVP) in der Nationalratssitzung am 24.5.1946, zit. Knapp 2005, S. 95f. Hans Perntner (1887 – 1951) war ab 1922 im Unterrichtsressort tätig, von 1932 – 1934 als Sektionschef der Kunstsektion und der Bundestheater, 1934 – 36 Staatssekretär und von 1936 – 38 Bundesminister für Unterricht. Er wurde unmittelbar nach dem »Anschluss« ins KZ Dachau, später nach Mauthausen deportiert. 1945 war er Gründungsmitglied der ÖVP sowie der Österreichischen Kulturvereinigung und sofort wieder Leiter der Kunstsektion und der Bundestheater. Vgl. u. a.: http://www.parlament.gv.at/WWER/PAD_01180/index. shtml (Zugriff 24.7.2022) 111 Ebd., zit. Knapp 2005, S. 95f.
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Das Herz Europas. Kokoschkas politische Schriften zu Österreich 1945
Kulturland Donauraum
Bemerkenswert in Kokoschkas Aufsatz vom Mai 1945 sind zwei große Themenkreise : er verortete die österreichische Kultur im transnationalen Donauraum, den er in einem zweiten Schritt als eine ursprünglich und immer noch latent matriarchale »Sonderkultur« definierte : Schon in der Vorzeit weist der Mensch der Donauländer an der Stelle des Feuerkultus, der die archaischen Zivilisationen charakterisierte, eine Sonderkultur auf. Die häufigen Funde in den prähistorischen Siedlungen in diesem besonderen Kulturkreis weisen […] ein zähes Festhalten an der Urform des gesellschaftlichen Erlebnisses nach, die als Bewußtsein des organischen Zusammenhangs des Individuums mit der Mutter auftritt. Weitverbreitete Funde von primitiven Darstellungen der weiblichen Figur, für welche die irrtümlicherweise »Venus von Willendorf« genannte in diesem Kulturkreis typisch ist, weisen auf den Kult der Erdmutter hin.112
Kokoschkas Begriffs des übernationalen Donauraums kann mit dem in den Kulturwissenschaften ausführlich diskutierten Begriff Zentraleuropas zusammengeführt werden, einer »Großregion Europas mit unscharfen Begrenzungen«, welche speziell seit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989 realpolitisch wieder Bedeutung erfahren hat.113 Nun lässt sich die »Geschichte Österreichs […] sinnvollerweise nicht auf das Territorium der heutigen Republik beschränken«, sondern »umfasst in historischer Perspektive den gesamten zentraleuropäischen Raum, der über Jahrhunderte – allerdings mit wechselnden Außengrenzen – durch die Habsburgermonarchie zu einer politischen Einheit zusammengefaßt war.«114 Historisch betrachtet wurde Zentraleuropa bzw. der Donauraum aus zwei Positionen heraus definiert, entweder aus dem »› habsburgischen Mythos‹ einer einträchtigen Völkerfamilie« oder als »Schlachtfeld der nationalen Chauvinismen.«115 Nun kann man Kokoschka definitiv keine Affinität zum Hause Habsburg oder monarchistisch-legitimistische Tendenzen unterstellen. Wesentlich war wohl eher die Vorstellung einer positiv besetzten Großgemeinschaft. Seine Faszination für die Sowjetunion als Vielvölkerbund speiste sich vermutlich über ähnliche Vorstellungen, wie er sie nun in der ideellen »Kulturlandschaft« des Donauraums sehen wollte. Zudem kannte er nicht zuletzt über die (konservativen) Exilgruppen, die im Dachverband des Free Austrian Movement organisiert waren, die vielbesprochenen Identitätsmuster für ein neues, in »großer« Vergangenheit begründetes Österreich. Kokoschka war in der k.u.k. Monarchie, nicht zuletzt durch die Schule sozialisiert worden, hatte im Ersten Weltkrieg in der Armee »gedient« – 112 113 114 115
Ebd., S. 126f. Stachel 1999 ; vgl. www.idm.at (Zugriff : 7.12.2015). Stachel 1999. Uhl 1999a.
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kurz : er war durch das, was Pierre Bourdieu als »kulturelles Unterbewusstes« definiert, geprägt, was »nicht so sehr mit einzelnen oder vereinzelten Denkschemata, sondern eher mit einer allgemeinen Disposition, […] als Nährboden […]« erklärbar ist.116 Kokoschkas Vorstellung eines unverdächtig transnationalen geografischen Raumes bot Vorteile, auch wenn sie mit legitimistischen Konzepten einherging. So hatte man das multiethnische Habsburgerreich nicht erst im »Ständestaat« als friedlich organisiertes Staatsgebilde, eine »Völkermischung« als imagined community konstruiert, »verständnisvoll und aufgeschlossen für fremde Kulturen«, als Hort der »Friedensliebe« und der »österreichischen Humanitätsidee« bzw. als vielzitierte Brücke zwischen Ost und West.117 Wie sehr Kokoschka von der Idee dieses donauländischen Kulturraums angetan war, verdeutlicht mehr als zehn Jahre später die unter seiner Kontrolle entstandene Werkverzeichnisausgabe durch Hans Maria Wingler 1956. Im Kapitel Grundlagen heißt es einleitend : Kokoschka ist seiner österreichischen Heimat, der alten Kulturlandschaft an der Donau, mit tausend Fasern verbunden geblieben. Er hat die Welt durchwandert, unter dem Druck der politischen Geschehnisse die Staatsbürgerschaft zweimal gewechselt – das »Donauländische« blieb spürbar, ja es trat als Wesenskomponente seines Werks desto reiner zutage, je mehr dieses über die Bezirke einer nur-nationalen Kunstgeschichte hinaus und der Mensch Kokoschka ins Kosmopolitische wuchs.118
Kokoschka sah sich gerne in der Rolle des genialen, vorbildlosen Künstlers, wie sie Ernst Kris und Otto Kurz schon 1934 in Die Legende vom Künstler dekonstruiert haben.119 Er verwob in seinen kunst- und kulturtheoretisch-politischen Texten immer auch seine eigene Position innerhalb des entwickelten Theoriegeflechts. Mit der Evozierung des »Donauländischen« subsummierte er bekannte Österreich-Stereotypen mit einer eigenen Verortung in der europäischen Kunstgeschichte. Durch die Rückbindung an einen »alten« Kulturraum – oder an die »Alten Meister« – setzte er sich ahistorisch außerhalb des nahliegenden Bezugsrahmens, nämlich der Moderne. Mutterkult – Mutterland
Neben der Idee des donauländisch-österreichischen Kulturraums schimmert in Kokosch kas Aufsatz vom Mai 1945 seine jahrzehntelange Beschäftigung mit Theorien zum Mutterrecht durch. Johann Jakob Bachofens Schriften hatten sein künstlerisches Frühwerk 116 117 118 119
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Bourdieu 1997, S. 115 – 124, v.a S. 123. Suppanz 1998a, S. 189f. und 192. Wingler 1956, S. 19. Kris/Kurz 1995, vgl. Kirchmayer 2021.
Das Herz Europas. Kokoschkas politische Schriften zu Österreich 1945
beeinflusst und später setzte er sich intensiv mit den Arbeiten des Arztes und Soziologen Robert Briffault (The Mother, 1927 und Family Sentiment, 1933) auseinander, den er vermutlich 1934 persönlich in Wien kennengelernt hatte.120 Kokoschka selbst orakelte in den 1920er-Jahren, dass »ein Geschlecht von Sybillen und Prophetinnen und Amazonen« auf »das Ende der Geschichte der männlichen Verbrecher« folgen werde.121 Die Rolle der Frauen, speziell der Mütter als Friedensstifterinnen hatte er im Kontext der Erziehungs- und Schulreformen in seiner Prager Zeit mehrfach herausgestellt und auch öfter über den teils noch lebendigen Mutterkult im Mittelmeer-Raum bzw. in Afrika geschrieben.122 Auch im Gemälde »Anschluss« – Alice in Wonderland spielten die Frauen eine besondere Rolle. Die Erwähnung des »Feuerkult[s], der die archaische Zivilisation charakterisierte« ist eine Anspielung auf die Überheblichkeit des Prometheus als individualisiertem Mann-Mensch-Subjekt, der sich im Sakrileg das Feuer von den Göttern stahl. Dem gegenüber stellte er die »Welt der Mütter«, wobei – wie Almut Krapf-Weiler festhielt – eine »Identifikation seiner Heimat mit der mütterlichen Welt und seiner daraus resultierenden Entwicklung der Idee der warmen, lebendigen, humanen Welt des donauländischen Barock« zum Tragen kam.123 Die Kultur des Donauraums mit seinem vermeintlich mythischen Mutterkult diente ihm zur Darstellung eines weithin bekannten, klischeebehafteten Antagonismus zwischen dem »Österreichischen« und dem »Deutsch-Germanischen« : In den Donauländern ist schon zu Beginn die Mutteridee mit Erfolg dem abstrakten Monotheismus des Frühchristentums gleichgestellt worden. Ohne die erlebnisnahe Muttervorstellung hätte das Christentum innerhalb der Donaukultur keine Wurzeln gehabt. Die sogenannte »Ährenmadonna« von Kremsmünster ist in gerader Linie von der Erdmutter entstammt. Wie verschieden ist zum Beispiel das protestantische Christentum der germanischen und anglo-sächsischen Völker, welches rein patriachalisch blieb, und wo Gott als Herr der Schlachten noch heute offiziell angerufen wird.124
Einmal mehr evozierte Kokoschka Vorstellungen und Argumentationsketten, die einer empirischen Untersuchung nicht standhalten bzw. politisch konforme Muster replizierten. So existiert die erwähnte »Ährenmadonna von Kremsmünster« nicht. Mehr noch : die seltene, im Übrigen erstmals von deutschen (!) Kaufleuten in Mailand eingeführte 120 Briffault 1927 und 1933 ; etliche Publikationen Briffaults sind in der Nachlassbibliothek im OKZ vorhanden und teilweise mit Widmung des Autors bzw. vielen Annotationen Kokoschkas versehen. Ausführlich zum Verhältnis Briffault-OK vgl. Bonnefoit 2010. 121 Buchwidmung Kokoschkas für die Schauspielerin Chana Rowina, Berlin 1926, OKZ, OK-Nachlassbibliothek OK-Sch 38/3/V. 122 Bonnefoit 2010, S. 162. 123 Krapf-Weiler 1987, S. 203. Vgl auch Kokoschkas Text : Die Prometheus Saga (1952) in : Schriften III, S. 313 – 319. 124 Kokoschka 1945 S. 127.
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Ikonografie ist durch mehrere Attribute im Kontext der Tempeljungfrau und nicht einer göttlichen Erdmutter zu interpretieren.125 Auch der Bogen, den er von der Christianisierung der germanischen bzw. angel-sächsischen Völker zum »rein patriachalen« Protestantismus zieht, spricht für sich. Bemerkenswert erscheint, dass Kokoschkas Integration des Weiblichen in die »österreichische« Wesensart keinen individuellen Spleen darstellt oder allein seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Mutterrechts- und Matriachatstheorien geschuldet wäre. Die Feminisierung des Landes geht in verblüffender Weise mit der offiziellen österreichischen Propaganda ab 1945 konform. Im offiziellen politischen Sprachgebrauch, in weitverbreiteten Schriften wie dem Rot-Weiß-Rot-Buch wurde wiederholt vom Missbrauch und der Vergewaltigung Österreichs durch NaziDeutschland gesprochen.126 Gedächtnisort Barock
Ein wichtiger Topos, der sich durch Kokoschkas kunst- und kulturhistorische Texte sowie durch die Kunstgeschichtsschreibung zu seinem eigenen Œuvre zieht, ist der Barock.127 In der Kunstgeschichte sowie in den Kulturwissenschaften stellte der Barock immer mehr als eine Stilbezeichnung dar und wurde als vielfach codierter Ort des Gedächtnisses ausgewiesen.128 Kokoschka hatte sich mehrfach zum Barock geäußert, etwa in seinem Aufsatz Böhmisches Barock von 1938. Für die Entwicklung bestimmter Charakteristika seien »nicht ausschließlich nationale Faktoren« verantwortlich, sondern vielmehr »Bestimmungen wie Umwelt, geografische Lage, politisches Klima, geistige Spannungen, wie sie in gewissen historischen Momenten durch das Zusammentreffen und den Ausgleich verschiedener Kulturen […]« entstehen.129 Im Vorwort, dass er zu Klara Garas‹ Franz Anton Maulpertsch-Monografie 1960 verfasst hatte, ehrte er neben Anton Romako und Ferdinand Georg Waldmüller einen, wie er öfters sagte, seiner österreichischen Ahnen.130 In seinem Aufsatz Das Wesen der österreichischen Kultur 1945 ist das Barocke untrennbar mit dem Donauraum verbunden : 125 Möglicherweise war die Ährenmadonna im Stift Schlägel, ebenfalls in Oberösterreich gemeint. Isfried Hermann Pichler, AK Schlägler Gemäldekatalog, Schlägler Schriften Bd. 9, Linz (OÖ Landesverlag) 1987. Der Typus ist im deutschen Sprachraum ab ca. 1380 nachweisbar. Vgl. Rudolf Berliner, Zur Sinnesdeutung der Ährenmadonna, in : Robert Suckale (Hg.), Rudolf Berliner (1886 – 1967), »The Freedom of Medieval Art« und andere Studien zum christlichen Bild, Berlin (Lukas) 2003, S. 31 – 42. 126 Vgl. u. a. die »Proklamation über die Selbstständigkeit Österreichs«, Staatsgesetzblatt für die Republik Österreich, 1.5.1945, Kap. 1 (Proklamation), abgedruckt in : Rot-Weiss-Rot-Buch 1946, S. 200. Für diesen Hinweis danke ich Konstantin Ferihumer herzlich. 127 Krapf-Weiler 1987 ; Michel 2009 und 2013 ; Windisch 2013. 128 Csáky/Celestini/Tragatschnig 2007. 129 Oskar Kokoschka, Böhmisches Barock, in : Schriften III, S. 113. 130 Oskar Kokoschka, Vorrede, in : Klara Garas, Franz Anton Maulpertsch 1724 – 1796, Wien (Amalthea) 1960, vgl. Schriften III, S. 133 – 140.
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Nichtsdestoweniger wird die letzte selbständige Äußerung des Kulturwillens der Donauländer, der Barock, von der Mehrzahl der Kunstgelehrten bloß als eine malerische Entartung der römischen Renaissance abgetan. Wie der Natur des Österreichertums, so wird auch dessen Kunst nachgesagt, daß sie weicher wäre, aufgelöster, »dekadenter«. […] hier [ist] an Stelle des Nutzinteresses ein spirituelles Moment beteiligt. […] Barock ist eine kulturelle Bewegung, die von den österreichischen Erbländern und Flandern und Spanien bis Mexico, von Böhmen und Mähren, Bayern, Sachsen nach Polen, von Ungarn bis in die Ukraine und von Venedig entlang der Indienstraße bis nach dem Fernen Osten getragen wurde. […] Dem Barock liegt eine dynamische Kraft zugrunde, die schöpferisch blieb bis zum Ende, weil sie im Wesen war, was wir heute abschließend Humanismus nennen dürfen.131
Bei Kokoschka wird das Barocke wird als essentialistische, »humanistische« Wesensart des Österreichischen interpretiert, welches als »kulturelle Bewegung«, wie ein breiter, naturgegebener Strom, der Donau entlang über die Kulturlandschaft geflossen sei und in dem Reich, in dem einst die Sonne nicht unterging, weitergetragen wurde. Das Barocke sei, so unterstellte Kokoschka auch in anderen Texten, aufgrund seiner breiten Verankerung in der Volkskultur in seiner Bedeutung bis in die jüngsten Tage als »Entartung« (!) »abgetan« worden. Barock steht hier synonym für Österreich : ein Opfer wesensfremder (»germanischer«) Expansionsgelüste hier, ein Opfer der »Mehrzahl der Kunstgelehrten« dort. Demgegenüber weiß man, dass der Barock schon im 19. Jahrhundert als österreichischer Nationalstil propagiert wurde, wofür u. a. Albert Ilg (1847 – 1896) mit seinen Schriften, darunter die erste Monografie über Johann Bernhard Fischer von Erlach (1895) sowie Die Zukunft des Barockstils (1880), verantwortlich war.132 Die lange pejorative Beurteilung des Barocken wandelte sich in der österreichischen Kunstgeschichtsschreibung gegen Ende des 19. Jahrhunderts und trat zumeist in der Konnotation des »Österreichischen« sowie des »Übernationalen« auf. Hans Tietze sah in der Kunst Öster reichs explizit eine »Mischkunst«, die aufgrund der vielen Grenzräume bzw. angrenzenden Kulturen bereichert worden sei.133 Die später exponierten Nationalsozialisten Hans Sedlmayr und Bruno Grimschitz galten ab den 1930er-Jahren als Barockexperten, wobei Sedlmayr den Begriff eines »Reichsstils« prägte, den er in der Wiener Barockarchitektur verdeutlicht sah.134 Die Wertschätzung bzw. Begeisterung für die Barockkunst fand in Wien u. a. in der Eröffnung des Barockmuseums 1923 im Unteren Belvedere ihren 131 Kokoschka 1945, S. 127f., 130. 132 Zit. Michel 2009, S. 63 ; Stachel 2007. 133 Die Ansicht vertrat er auch in seinem Abriss einer österreichischen Kunstgeschichte, wozu OK das Vorwort verfasst hatte, vgl. Tietze 1945. 134 Michel 2009, S. 67.
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Ausdruck, in unmittelbarer Nachbarschaft zur sechs Jahre später initiierten Modernen Galerie in der Orangerie. Der Funke war übergesprungen : sowohl in der Kunstgeschichte als auch in der Kunstkritik war das »barocke Erbe« nun positiv konnotiert und man sprach immer öfter vom »modernen Barock« im Zusammenhang mit Arbeiten zeitgenössischer Künstler Österreichs, neben Kokoschka u. a. Herbert Boeckl, Anton Kolig oder Anton Faistauer. Barock stand hier für »ein Maximum von Ausdruck, Emotion, Dynamik und kräftige Farbigkeit« und wurde vielfach als Ersatz für den lange als Schimpfwort angesehenen Begriff »expressiv« oder »expressionistisch« verwendet.135 Kokoschka hatte sich zeitlebens dagegen verwehrt als Expressionist bezeichnet zu werden. Schon Paul Westheim hatte in der ersten OK-Monografie (1918) den Begriff »Barock« zur Charakterisierung und kunsthistorischen Verortung verwendet.136 Eva Michel hat festgestellt, dass gerade bei jungen, noch nicht arrivierten Künstlern häufig das »antiakademische« Image des Barock dienstbar gemacht wurde.137 Das Barocke als assoziative Größe war jedoch kein hermetisches System innerhalb der Kunst, der Kunstkritik oder Kunstgeschichte. Gerade im zum Kleinstaat geschrumpften Österreich der Zwischenkriegszeit entfaltete die Evozierung des Barocken identitätsstiftende, legitimierende Wirkkraft. Das Phänomen des Barock sowie auch das supranationale (habsburgische) Österreich wurden größer gedacht als die Grenzen der (Ersten und auch der Zweiten) Republik und korrespondierte mit einer Kulturlandschaft, auf die nicht nur Kokoschka 1945 noch Bezug nehmen konnte. Wie nahe der Künstler schon in den ersten Nachkriegstagen an der jahre- bzw. jahrzehntelang propagierten Affirmation des Barocken in der offiziellen Nachkriegspropaganda kam, offenbart das aufwendig gestaltete Österreich-Buch von Ernst Marboe für den Bundespressedient 1948 (Abb. 29).138 Hermann Bahr (1863 – 1934) war mit seinem Spätwerk maßgeblich an der Popularisierung und Integration des Barocken in der österreichischen »Selbstwahrnehmung« beteiligt. Er betonte den Gegensatz zur »deutschen Gotik« und postulierte das Barocke generell als Wesensart des gegenwärtigen österreichischen Menschen, des modernen »Barockmenschen«.139 Dass die Konstruktion eines österreichischen Volkscharakters auch in der Zweiten Republik zur Differenzierung vom »Deutschen« virulent blieb, wurde schon erwähnt und war nicht allein eine Domäne der ÖVP. Der erwähnte Ernst Fischer (KPÖ) legte 1945 die Schrift Die Entstehung des öster reichischen Volkscharakters vor, die antideutsch orientiert war und – entgegen dem ahistorischen Konzept des »österreichischen Menschen« – als geschichtliche Genese lesbar 135 136 137 138 139
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Ebd., S. 69f. Westheim 1918, S. 11. Michel 2009, S. 78. Marboe 1948, S. 76. Ebd., S. 75f.; Hermann Bahr, Wien, Stuttgart (Krabbe) 1906, zit. Krapf-Weiler 1987, S. 206.
Das Herz Europas. Kokoschkas politische Schriften zu Österreich 1945
sein sollte. Fischer sah im Zeitalter des Barock die Loslösung von der deutschen Entwicklung, als jene Phase, in der sich Österreich zu einer Großmacht (im Gegensatz zum zersplitterten Deutschland) mit Weltoffenheit entwickelt habe. Durch die Repressionen des Absolutismus, die Kokoschka und viele anderen Autoren weiträumig ausgeblendet hatte, habe der Österreicher jedoch auch eine »Passivität und Wurstigkeit« ausgebildet. Sein Ventil finde diese Wesensart im »Raunzen«, im spitzzüngigen Spott oder – wie die österreichische Geschichte demonstrierte – in explosionsartigen Ausbrüchen : Fischer nannte 1848, 1927 und 1934. Die Exzesse im März 1938, wo sich die »Volksseele« von ihrer finstersten Seite gezeigt hatte, verschwieg er.140 Nicht Anklage, aber auch nicht Versöhnung, sondern Staatsraison und innenpolitische Befriedungspolitik standen bei den meisten Autoren der ersten Republikstage im Vordergrund.141 Auch Fischers Parteifreund (und Parteifeind) Viktor Matejka beschrieb in seinem erwähnten Vortrag zur Kulturpolitik 1945 die »Österreichische Kraft« : Die Kräfte und Eigenschaften, die den Österreicher zum Kulturschöpfer machen, sind allzu bekannt. Bekannt sind auch die Landschaften, aus denen diese Kultur entsprossen ist und immer wieder neu ersprießt. Bekannt ist auch das Glück und die Tragik unserer Vergangenheit. 29 : Barock in Österreich, aus : Das ÖsterreichBekannt sind die innigen Beziehungen unseres Buch von Ernst Marboe, Wien 1948, S. 76. Volkes zu andern Völkern. All das wirkt auf Wesen und besondere Eigenart dessen, was wir österreichische Kultur nennen. Das übernationale Denken, das Verlangen nach Freiheit, die Sehnsucht nach versöhnender Gerechtigkeit, der Mangel an Überheblichkeit, die Abneigung gegen jede Schnoddrigkeit, ein gesunder Sinn für schöpferische Schlamperei und Improvisation, seit jeher Wesenszüge unseres österreichischen Menschen, alle diese Eigenheiten sind von einer nun in den Staub gesunkenen Ära für Träumerei, Dummheit, Feigheit oder Schwäche erklärt worden. 140 Fischer 1945, zit nach Suppanz 1988a, 197, 200, 208 (Literaturangabe unter Anm. 62). Vgl. Ernst Fischer, Der österreichische Volks-Charakter, Zürich (Frei-österreichische Bewegung in der Schweiz) 1945. 141 Das Engagement etwa eines Simon Wiesenthal (1903 – 2005), die Verbrecher des NS-Regimes zu ahnden, wurde offiziell zwar anerkannt, fand aber aus besagten Gründen keine breite Basis.
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Sie sind aber in Wahrheit stets die Wurzeln unserer Kraft gewesen.142
Invention of tradition nannte der Historiker Eric Hobsbawm die Konstruktion einer ideellen Vergangenheit, die in der Retrospektive aktuelle politische Legitimation und Stabilität generieren sollte.143 Die Liste der prominenten »Traditionserfinder« des lebendigen barocken Erbes in Österreich ist lange und Kokoschka zählt in seiner Mehrfachfunktion als Künstler, Intellektueller, vor allem aber »Österreicher« in jedem Fall dazu. Abriss einer österreichischen Kunstgeschichte
Im Oktober 1945 kam im Londoner Exil-Verlag Jugend Voran ein knapp 30 Seiten umfassender Abriss einer österreichischen Kunstgeschichte aus der Feder des nach New York emigrierten Hans Tietze heraus.144 Diese Publikation entstand im Rahmen eines Aufklärungsprogramms, das der im Exil lebenden österreichischen Jugend kulturelle Eckpunkte und Werte der fernen »Heimat« vermitteln sollte. Probleme und Gestalten der österreichischen Literatur standen ebenso am Programm wie die Geographie Österreichs oder Liederbücher.145 Ein ähnliches Anliegen vertrat auch die Kulturelle Schriftenreihe des Free Austrian Movement, in der ebenfalls 1945 das Büchlein Bildende Kunst in Oester reich. Rueckblick und Ausblick mit Beiträgen von Otto Benesch, Otto Demus u. a. veröffentlich wurde.146 Die Grenzen Österreichs hatte sich im Verlauf von Jahrhunderten mehrmals verschoben, doch 1918 und erst recht 1938 war ein Bruch entstanden, der offensichtlich thematisiert werden musste. Österreich hatte zu existieren aufgehört, war 1945 in den engen Grenzen nach dem Ersten Weltkrieg verblieben. Seine Historie sowie seine Kunstgeschichte ragten aber weit über diese hinaus. Tietze definierte Österreich traditionell als »Grenzland« und griff – nach einer allgemeinen Erklärung, warum die Kenntnis der eigenen kulturellen Vergangenheit zum Wiederaufbau nötig sein – auf seine schon früher vorgetragene These zurück, wonach die österreichische Kunst reich sei durch das Aufnehmen und charakteristische Modifizieren fremder Einflüsse. In der Vorrede räsonierte Kokoschka in staatsmännischer Diktion über die österreichische Kultur.147 Einmal mehr wiederholte er die Opferthese und blendete jegliche Begeisterung für das NS-System bzw. Mitverantwortung Österreichs aus. So wie Napoleon hatte Hitler das Land überfallen – OK vertrat hier die bekannte These, wonach für die aufgeladene »Schuld« vor allem die Person eines pathologischen Diktators verantwortlich sei. Diese war u. a. eine der wichtigsten Grundannahmen des bekannten Rot-Weiss142 143 144 145 146 147
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Matejka 1945, Kap. Österreichische Kraft, S. 15f. Hobsbawm/Ranger 1983, zit nach Michel 2009, S. 87f. Tietze 1945. Verlagsankündigungen in : Tietze 1945, o.S. Ullrich 1945. Für den Hinweis auf diese Schrift möchte ich Artur Rosenauer herzlich danken. Kokoschka 1945a.
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Rot-Buch. Gerechtigkeit für Österreich !, einer offiziell-propagandistischen Darstellung »zur Vorgeschichte und Geschichte der Okkupation Österreichs«148 von 1946. Hierin wurde auf eindringliche Weise festgestellt, dass Österreich das erste »von der Welt im Stich gelassene […] Opfer war«, die »überwiegende Mehrheit seiner Bevölkerung« »niemals« nationalsozialistisch gewesen wäre und dass hinter all dem Elend, in welches Österreich gestürzt wurde vor allem Hitler stand, der schon in Mein Kampf, seinem »Drehbuch« des Grauens, die Hand nach Österreich gestreckt hatte.149 Kokoschka hielt ebenso fest, dass ein Widerstandsgeist den Österreichern eigen sei ; so hätte man 1848 »in Wien vor allen anderen Großstädten, Barrikaden errichtet«. In einer pathetischen Geschichtsklitterung unter Negierung sämtlicher historischer Zwischenstationen schloss er den Bogen von 1848 direkt hin zum (nicht explizit genannten) Roten Wien : Die Armeen der Reaktion mussten Oesterreich räumen, und nach kurzer Zeit schon hatte man in Wien Gesetze erlassen müssen, soziale Reformen und Institutionen für das Gemeinwohl durchgeführt, die beispielgebend für Europa wurden, weil sie vom Bildungsideal und Geist des Humanismus eingegeben waren.
Es folgt in dieser »Chronologie« der ebenfalls nicht extra ausgewiesene Kämpfe von 1934, sinnbildlich der Anfang vom Ende : Der Aufstand der Wiener hatte kein Verständnis gefunden. So geschah es, dass das Ende der österreichischen Mission drohte. Ganz Europa, die Welt musste [sich] der tödlichen Gefahr bewusst werden.150
Kokoschka sah das Land als »Sammelbecken der Einflüsse und Vermittler zwischen dem Westen und Osten […].«151 Die Auffassung von Österreich als Brücke zwischen Ost und West war eine zunächst von konservativen Kreisen getragene und gehörte zu den Konstanten der österreichischen Außenpolitik der Zweiten Republik. Österreich sei eine Verbindung aller europäischen »Kräfte« mit einer eindeutigen (kulturellen) Westausrichtung. Vor allem aber sah er das Schicksal Österreichs in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft pars pro toto für ganz Europa : Der Österreicher war immer schon kosmopolitisch ; von Spanien, Holland, Italien, von Frankreich, Belgien, Böhmen und Polen, vom Balkan und aus der Türkei sind viele unserer Vorfah148 149 150 151
Rot-Weiss-Rot-Buch 1946. Ebd., S. 5, 7 und 11. Kokoschka 1945a, S. 2. Ebd., S. 1.
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ren eingewandert und in der östlichen Hauptstadt des Westens zu Wienern geworden. […] Die Gefahren Europa’s sind die Oesterreich’s, die Triumphe ebenso, wie die Niederlagen […]. Der Westen braucht Oesterreich ebenso wie Oesterreich den Westen braucht. […] Es darf kein luftleerer Raum zwischen Westen und Osten entstehen, will man diesmal wirklich Frieden organisieren […]. Es darf nicht auf zu lange Zeit eine Art kulturloses No-man’s-land den Westen vom Osten trennen.152
Diese Sicht entsprach linientreu der Österreich-Propaganda der Nachkriegsjahre, wie sie im leichtfüßigen Österreich-Buch von 1948 zur Sprache kam. Im gut lesbaren Plauderton erzählt es von der Geschichte und den Besonderheiten Österreichs, begleitet von zahlreichen, ansprechenden Grafiken und Illustrationen. Erst das gegen Ende des Buches erscheint das Kapitel Das österreichische Nocturno mit minimalen, aber pathetischen Textpassagen, mehr wie ein Beitext zu den drastischen Fotografien des zerbombten Hohen Marktes mit der Kapuzinergruft, des Stephansdoms und der Staatsoper in Wien.153 Mit dem französischen Staatsmann Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord wurde festgehalten : »Österreich zerstören, heißt das Chaos an die Stelle der Ordnung setzen.« […] Als Österreich von der Landkarte weggewischt war, da brach das große Nocturno, das unbarmherzige Töten, das seelenlose Sterben an. […] Wer in Österreich Gewalt sät, hat immer noch ganz Europa – nunmehr die Welt – mit ins Verderben gerissen.154
Auch Kokoschka erklärte, warum das Schicksal der »Welt« von jenem Österreichs abhänge : er bediente sich der politisch vielbemühten Metapher, dass das Land das Herz Europas sei, seine Kultur der »Blutkreislauf, […] das Lebenszeichen eines geistigen Verkehrs, der die Völker einer Lebensgemeinschaft verbindet. Mit dem Unterbrechen des Kreislaufs hört das Herz auf zu schlagen.«155 Tietzes Schrift sollte seiner Meinung nach der österreichischen Exil-Jugend sowie den Besatzungsmächten in Übersetzung vorgelegt werden und er formulierte die Mission Österreichs für den Westen : »Wäre Oes-
152 Ebd., 2f. 153 Die illustrative bzw. grafische Gestaltung stammt von Eugenie Pippal-Kottnig, Hans Robert Pippal, Elli Rolf und Epi Schlüsselberger, ein Kriegsschäden-Plan vom Burgschauspieler Fred Hennings. 154 Marboe 1948, S. 537 – 540. 155 Kokoschka 1945a, S. 2. Zur Herz-Metapher sei hier stellvertretend für viele aus einem Artikel von Karl Renner, dem ersten österreichischen Bundespräsidenten nach dem Krieg, zitiert : »Erst war es durch mehr als vier Jahrhunderte ein Stück des großen mitteleuropäischen Habsburgerreiches, ja es war dessen Herzstück. Der erste [sic !] Weltkrieg hat es gewaltsam herausgerissen. Arterien und Venen dieses Herzens wurden zerrissen und abgetrennt.«, Karl Renner, Die Zukunft Österreichs, in : Arbeiter-Zeitung, 1.3.1946, S. 1.
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Nach dem Kriegsende: Hoffnung und Desillusionierung
terreich vollends zerstört worden, dann wäre es vielleicht auch die grössere europäische Lebensgemeinschaft.«156 Nach dem Kriegsende: Hoffnung und Desillusionierung Mein liebste Bibschl und braver Emilio, Gott sei Dank für das Telegramm heute. Jetzt kann ich wieder anfangen aufzuatmen, nachdem ich weiß, daß alle lebendig sind. Das war ein furchtbarer Alpdruck durch viele Jahre, und ich durfte nichts tun, um mir die Gewißheit zu verschaffen aus Angst, nichts zu verschlimmern. Bloß jeden Tag habe ich zu einer unbekannten göttlichen Idee gebetet, zu der Göttin, daß mir die Hoffnung bleibe ! Ich bin in diesen Tagen wieder zum Leben erwacht, seitdem ich erst Nachricht über Euch und dann über den Bohi erhielt. Ich könnte immer noch heulen über das Wunder, wenn ich nicht wüßte, daß man jetzt mit allen Kräften haushalten muß, um Hilfe zu bringen ! Ich werde das Unmöglichste möglich machen, damit wieder alles gut geht. […] Kokoschka an Berta und Emil Patočka, London, 25. Juni 1945157
Die Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Mai 1945 gilt gemeinhin als offizielles Kriegsende. Drei Tage später schrieb Kokoschka nach langen Jahren der Ungewissheit an seine Schwester Berta und ihren Mann Emil in Prag. Noch war das Misstrauen in das Faktum des tatsächlichen Kriegsendes und der Nazi-Herrschaft bzw. der Zensur zu groß, sodass er diese ersten Zeilen in Englisch verfasste : »I did not dare to communicate with you through the Red Cross the whole time, because I feared that the Nazi would try to get news from you by their well known methods about me and my doings here.«158 Seiner Freude über das Überleben seiner Familie in Wien bzw. Prag folgte jedoch umgehend die Sorge nach deren Fortkommen. So sind die Korrespondenzen bis weit in die Nachkriegsjahre hinein gekennzeichnet von Versuchen, über mehr oder weniger legale Wege Lebensmittel, Medikamente, Kleidung u.ä. zu vermitteln.159 Bohuslav, der im Haus der Familie im Wiener Liebhartstal verblieben war, musste drei Tage nach dem »Anschluss« eine Hausdurchsuchung der Gestapo über sich ergehen lassen und arbeitete in Folge vor allem in der Landwirtschaft.160 Er war 1943 Vater eines Sohnes, Roman (1943 – 2015) geworden, dessen Wohl Kokoschka zeitlebens ein großes Anliegen war und sich mit seinem humanitären Engagement in der Kindernothilfe deckte. Seine 156 Ebd., S. 2. 157 OK an Berta und Emil Patočka, London, 25.6.1945, in : Briefe III, S. 144. 158 OK an Berta und Emil Patočka, London, 11.5.1945, in Briefe III, S. 143f., 314. 159 Wichtige Güter waren aber auch Zigaretten oder Kaffee. Ein Gutteil der Korrespondenz zwischen OK und Bohulslav in diesen Jahren handelt von diesen Vermittlungsaktionen, vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 22.1a – 1c und 339.12, Briefe an und von Bohuslav Kokoschka. 160 Vgl. OK an Walter Feilchenfeldt, Wien 21.11.1947, in : Briefe III, S. 198.
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Schwester, die an Leukämie erkrankt war, hatte mit ihrem Mann Emil den Krieg in Prag überstanden. Als dieser im Oktober 1946 gestorben war, flog Kokoschka – als tschechoslowakischer Staatsbürger – zum Begräbnis nach Prag und gab in einem (englischen) Brief an Olda ein erschütterndes Bild der Umstände. Neben der Krankheit, der Einquartierung Fremder in ihr Haus etc. fürchtete er, dass sie ein Opfer der massiven anti-deutschen Racheakte werden könnte.161 Unermüdlich hatte Kokoschka beide Geschwister in ihren künstlerischen Neigungen ermutigt und unterstützt. Jahrelang versuchte er Bohuslav als Schriftsteller zu platzieren und illustrierte sowohl dessen literarische Arbeiten als auch einen Gedichtband seiner Schwester.162 Seine (erfolglosen) Interventionen für Bertas Ausreise gingen bis zum österreichischen Bundespräsidenten Karl Renner, seine Vermittlungsversuche, die Texte seines Bruders zu veröffentlichen, ziehen sich durch fast jeden Briefwechsel mit möglichen Unterstützern.163 »This is the new version of Fascism […]«. Die internationale Realpolitik nach Kriegsende
Kokoschkas politische Grundhaltung während der Exilzeit war zweifellos antifaschistisch, left-winged bzw. prosowjetisch und zugleich voll der Anklage gegen die Appeasementpolitik der Westmächte, wohlwissend dass es in England möglich war, derart Kritik üben zu können, ohne sich größeren Gefahren auszuliefern. Wenige Wochen nach Kriegsende kam jedoch angesichts der Realpolitik eine Ernüchterung, die seinen politischen Idealismus erodieren ließen. Kokoschka war stets sehr gut informiert, las neben politischen Publikationen zahlreiche Zeitungen und hatte schon in Prag begonnen, Artikel zu Themen wie Sozialismus, Rassismus aber auch Kolonialismus zu sammeln, deren Inhalte Niederschlag in seinen Briefen und Texten fanden.164 Auch die Atombombenabwürfe von Hiroshima und Nagasaki am 6. bzw. 9. August 1945 thematisierte er in Briefen und in seiner Kunst.165 Auch wenn er von der Hoffnung auf Demokratie als umzusetzender politischer Vision sprach, so war dieses System für ihn durch die politische Praxis der demokratischen Westmächte desavouiert. Das Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 und dessen Folgen mündeten in zahlreichen wütenden und zugleich ohnmächtigen Protestnoten und Briefen. In Potsdam hatten die Siegermächte die politische Neuordnung 161 OK an Olda Kokoschka, Prag, 24.10.1946, in : Briefe III, S. 181f. und S. 328. 162 Berta Patockova-Kokoschka, Mein Lied, Ausgewählte Gedichte. Mit sieben Lithografien von Oskar Kokoschka., Wien/Linz/München (Gurlitt) 1952 ; zu Bertas bildnerisch-künstlerischen Arbeiten siehe u. a. Bonnefoit/Häusler 2010a, S. 104f. 163 Z.B. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 357.11, Karl Renner an OK, Wien, 12.10.1949 über seine Bemühungen für Bertas Ausreise ; OK über Bohuslavs Matrosen-Roman Ketten ins Meer siehe u. a. UAUAK, Inv. Nr. 10.497/Aut 30, OK an Viktor Matejka, London, 25.2.1946 (Abschrift). 164 Siehe Clipping-Sammlung im OK-Nachlass im OKZ. 165 Vgl. Zirkus oder die Entfesselung der Atomenergie, 1946/47, Öl/Leinwand, The Israel Museum, Jerusalem, FOK CR 1947/1.
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Deutschlands geregelt. Neben der Entnazifizierung, Demokratisierung, Entmilitarisierung und der Regelung von Reparationen wurden neue Grenzen und das Schicksal der deutschen bzw. deutschsprachigen Bevölkerung in den Ostgebieten festgelegt. Der tschechoslowakische Staatsbürger Kokoschka und seine in Prag lebenden Verwandten waren von den Regelungen bezüglich der Tschechoslowakei betroffen. Der Künstler hatte im Mai 1945 nach Prag seiner Schwester vorsorglich von seiner Spende für tschechische Waisen und das Stalingrader Spital von je 1.000. Pfund166 berichtet : I send you a newspaper cutting which will be of value for you when you show it to your friends about my donation for the Czechoslovak orphans [and] to the Stalingrad Hospital-Fund as the only artist doing such a thing. […] I tell you this in order that it may help you to find sympathies for yourselves during the interval, until the misery of the war had led to a real peace.167
Bekanntlich kam es zur Enteignung und Vertreibung von Millionen von deutschen bzw. deutschsprachigen Menschen in den Ostländern als politischem Racheakt, was Hunderttausenden das Leben kostete. Jan Buruma und Jiří Padevet haben eindrücklich die Gewaltexzesse »am Wendepunkt« skizziert.168 Staatlich geduldete Lynchjustiz, Massenvergewaltigungen und andere Gräueltaten sollten die Schuld der Deutschen sühnen. Kaum ein Brief ab dem Herbst 1945, in dem Kokoschka nicht mit scharfen Kommentaren die Politik des tschechoslowakischen Staatspräsidenten Edvard Beneš169 und die doppelbödigen Strategien der Westmächte als Hüterinnen der Demokratie kritisierte : »But Democracy cannot eat the cake and have it as well.«170 Etwa drei Millionen (Sudeten-)Deutsche wurden 1945/46 aus der Tschechoslowakei vertrieben. Dieser verharmlosend als »odsun« (Abschub) bezeichnete Exodus, der vor allem in der ersten Phase vielerorts von gewaltsamen Übergriffen begleitet war, wurde von allen tschechoslowakischen Parteien als nationaler Triumph gewertet.171 Eine konstruktive Aufarbeitung zeichnet sich erst jetzt in der dritten bzw. vierten Generation langsam ab.172 Umgekehrt wurden die Vertreibungen, oder wie Philipp Ther es formulierte, »ethnischen Säuberungen« der deutschsprachigen Bevölkerung jahrzehntelang durch revisionistische bzw. 166 167 168 169
OK an Alfred Neumeyer, London, 1.3.1946, in : Briefe III, S. 166. OK an Berta und Emil Patočka, London, 11.5.1945, in : Briefe III, S. 143f., 314. Buruma 2014, Padevet 2022. Kokoschka 1971, S. 246 ; vgl. auch Niklas Perzi, Die Beneš-Dekrete : eine europäische Tragödie, St. Pölten/ Wien/Linz (NP) 2003. 170 OK an den Herausgeber der Times, Glasgow, 8.9.1945, in : Briefe III, S. 152. 171 »Langsam ist es besser geworden« Vertriebene erzählten vom Wegmüssen, Ankommen und Dableiben, österreichisch-tschechischen Wanderausstellung (Kurator : Niklas Perzi), Neulengbach (Eigner) 2013, vgl. http://www.radio.cz/de/rubrik/geschichte/vertreibung-der-sudetendeutschen-und-oesterreich-ausstel lung-in-prag (Zugriff : 24.7.2022). 172 Niklas Perzi, Heilung der Wunden der Vergangenheit, in : Die Furche Nr. 24, 11.6.2015.
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neonazistische Kreise ausgeschlachtet.173 In Reaktion auf einen Artikel der Times verfasste OK eine Protestnote, deren Argumente er auch in einem Brief an den befreundeten britischen Kunsthistoriker Herbert Read formulierte. Man hatte in diesem Artikel die Anwesenheit von Flüchtlingen scharf kritisiert und diese aufgefordert, zum Wiederaufbau in ihre Länder zurückzukehren. Kokoschka hielt dem entgegen, dass durch das Potsdamer Abkommen rund 13 Millionen erneut zu Flüchtlingen geworden waren, weil sie deutsch bzw. deutschsprachig waren, darunter auch Opfer des NS-Regimes, Juden und Jüdinnen bzw. ehemalige KZ-Häftlinge. They have to wear the degrading badges of »Germans« because Dr. Beneš in his official declaration identifies language with race. This is the new version of Fascism that will (possibly) be supported by the Gentlemen of the City with the help of financial loans. It all seems to end with a »Völkerwanderung« into hell.174
Kokoschka wurde im Juli 1949 die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft aberkannt, die er knapp zehn Jahre zuvor und durch Protektion höchster politischer Kreise erhalten hatte.175 Seine Affinität zur Sowjetunion unter Stalins Führung wich nach Kriegsende einer wachsenden Kritik, oft indirekt artikuliert, wie in Briefen an Herbert Readbzw. an Josef P. Hodin im November 1945, wo er von der »Moskauer Zensur« gesprochen hatte.176 Heftig kritisierte er im Folgejahr, dass österreichische Erdölquellen nicht verstaatlicht wurden, sondern als sowjetische Reparationsabgeltung angesehen wurden. Nach Kokoschka gehöre das Öl aber weder den Russen noch den Amerikanern, »but to the starving Viennese children«, die die großen Verlierer waren und doch als »imbued with fascist germs as a race […]«177 unter Generalverdacht standen. Bei seiner ersten Reise nach Wien im November 1947 hatte er selbst eine bedrohliche Begegnung mit Sowjetsoldaten erfahren. Aus Basel kommend, wo er seine erste große Einzelausstellung nach dem Krieg hatte, wurde er in der Nähe von Linz »in der Mitte der Nacht 173 Philipp Ther stellte die gewaltsame Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung in einen größeren historischen Kontext, indem er sie als die »dunkle Seite der Nationalstaaten« und gesamteuropäisches Phänomen analysierte. So wurde Druck aus der vielfach einzig polarisierten Interpretation genommen, was nicht ohne (abstruse) Angriffe des deutschen Bundes der Vertriebenen blieb. Vgl. Ther 2011 sowie u. a. Anonym, Unliebsamer Autor, in : Der Spiegel, 3.3.2008, www.spiegel.de/spiegel/print/d-56047390.html (Zugriff : 15.9.2022). 174 OK an Herbert Read, Elrig, 6.9.1945, in : Briefe III, S. 149. 175 Vgl. Bonnefoit 2015a, S. 186 – 188. Noch im März 1946 befürchtete er in einem Brief : »Mit meinem Czechischen [Pass] könnte ich nicht einmal nach Böhmen reisen, weil ich das für die dortige Demokratie nothwendige Idiom nicht spreche und meine Muttersprache höchstens dort für ein Conzentrationslager ausreicht.«, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka Zuw. 1997 (G Olda K.), OK an Alma Mahler-Werfel, 23.3.1946, zit. ebd., S. 188. 176 Ebd.; OK an Josef P. Hodin, London, 20.11.1945, in : Briefe III, S. 159. 177 OK an Jack Carney, Elrig, 18.8.1946, in : Briefe III : S. 178f., 325f. Vgl. Rathkolb 1998.
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im strömenden Regen von russischen Soldaten mit Gewehren aus dem Zug herausgeholt […], die sich geweigert haben, ihn und einige andere wieder einsteigen zu lassen […] erst nach zweistündigem Verhandeln und Verzögerung […].178 Seine Kritik an der stalinistischen Politik änderte nichts daran, dass er in bestimmten Kontexten bzw. gewissen Personen gegenüber weiterhin für Sozialismus und Demokratie eintrat, auch wenn seine prinzipielle politische Einstellung zunehmend von großer Enttäuschung gekennzeichnet war. Die Wahrnehmung der Besatzungsmächte, speziell der Sowjets durch die österreichische Bevölkerung und die offizielle Diktion gingen oft weit auseinander (Befreier vs. Okkupation).179 Die Besatzungslandschaft Wien war außerdem ein Sonderfall. Die Alliierten wurden weitgehend als Last, manchmal als kulturell übergriffig empfunden (Stichwort Cola-Colonisation), zugleich machte man mit ihnen, vor allem den Amerikanern, Geschäfte, profitierte von ihren Investitionen. Den Sowjets hingegen eilte ein furchterregender Ruf als Rächer der deutschen Verbrechen am Russlandfeldzug voraus. Die bis heute vielfach noch pejorativ als »die Russen« bezeichneten Rotarmisten galten als »kulturlose« Vernichter von Kulturdenkmälern, Plünderer und Massenvergewaltiger, die eine Spur der Verwüstung hinter sich zogen. Die Befreier aus den »Brudervölkern«, wie OK sie noch 1942 genannt hatte, lösten panikartige Reaktionen aus, die 1945 auch in eine erhebliche Binnenmigration innerhalb Österreichs mündete. Auf politischer Ebene herrschte die Sorge, dass das ganze Land ähnlich den östlichen Nachbarn in der Gefahr stand, ständig unter Sowjetkontrolle zu fallen, befeuert durch eine nicht erst während der NS-Zeit propagierte antikommunistische bzw. antibolschewistische Grundhaltung weiter Bevölkerungskreise. Die sowjetischen Nachkriegsziele standen schon 1944 fest, auch wenn sie durch den Kalten Krieg gewisse Adaptionen erfahren hatten : Österreich sollte als Kleinstaat unabhängig von Deutschland existieren, wobei eine gewisse westliche Einflussnahme akzeptiert wurde. Die ökonomische Ausbeutung (z. B. der Erdölquellen) diente nicht einer Destabilisierung, die peu à peu das kommunistische System einführen sollte, sondern war einzig Reparationsinteressen geschuldet. Zudem galt Österreich schon 1944 als »Peripherie der sowjetischen Interessens- und Einflusssphäre«, man sah eine »Neutralisierung« als wünschenswert an.180 Das ernüchternde Ergebnis der KPÖ bei den ersten Wahlen im November 1945 mit 5,42 % schuf bzw. verfestigte realpolitische Gegebenheiten. Trotz der Ängste und Ressentiments kam es von offizieller Seite zur tendenziellen »Austrifizierung« der Besatzungsmacht im Sinne wohlgefälliger Gesten wie der nicht verordneten Umbenennung von prominenten Plätzen und Brücken in Wien.181 Der Furcht, welche »die Russen« evozierten, wurde mit einer oft im Bereich der Legen178 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 44, Briefe von O. Kokoschka (Abschriften) 1944 – 1948, Olda Kokoschka an Viktor Matejka, Fiesole, 15.9.1948 ; Kokoschka 1971, S. 266f. 179 Zu den sowjetischen Absichten in Österreich vgl. Rathkolb 1998 ; zur Problematik der Geschichte der Besatzungszeit in Österreich vgl. Rauchensteiner 1998. 180 Siehe Kap. V. Resümee in Rathkolb 1998, S. 156f. 181 Von 1945 bis 1955 hieß der Schwarzenbergplatz Josef-Stalin-Platz (vgl. Reinhold 2007a), die Reichsbrü-
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den und Anekdoten verorteten Umgangsweise begegnet, die in der Rezeption mehr über nationale Klischees verrät als über die Fakten. Die legendäre Trinkfestigkeit des Bundeskanzlers Leopold Figl bei den Verhandlungen v. a. mit den russischen Alliierten, die charmant-diplomatische Gesprächsatmosphäre sind nur eine schmale Facette politischer Nachkriegsrealität. Politisch-humanitäre Aktionen, Einladungen und Ehrungen Kokoschka setzte ab 1945 zahlreiche politisch-humanitäre Aktivitäten, in deren Kontext wiederholt künstlerische Arbeiten entstanden.182 Dabei waren vor allem notleidende Kinder sowie wiederholt Österreich bzw. Wien im Zentrum seiner Bemühungen. Wie erwähnt hatte Kokoschka im Sommer 1945 erhofft, vom Verkauf seiner politischen Allegorie What we are fighting for (1943) einen Oskar-Kokoschka-Fonds zu etablieren, um damit »eine Sammlung für Kinder gefallener österreichischer Freiheitskämpfer unter den im Ausland lebenden österreichischen Künstlern« zu finanzieren183 , was in der österreichischen Presse entsprechenden Niederschlag fand (Abb. 34).184 Am bekanntesten ist seine Plakataktion, mit der er auf den Hunger und das Elend der Kinder in Europa aufmerksam machen wollte – kein ganz einfaches Unternehmen (Abb. 30). Im November 1945 berichtete er dem ebenfalls in London lebenden Josef P. Hodin : Und weil ich broadcasts nach Wien schrieb, die ich vom BBC-Zensor zurück bekam, und Artikel für die diversen Free Movements, die wiederum deren eigene, Moskauer Zensur nicht haben will. Nun habe ich mich selbständig gemacht, und etwa in einem Monat werden Sie ein großes Plakat sehen von mir, ohne jeden Parteischwanz […].185
Inspiriert von einer ihm bestens vertrauten Skulptur von Matthias Braun auf der Karlsbrücke in Prag gruppierte er eine Kinderschar um einen sich vom Kreuz herabbeugenden Christus. Die Lithografie, die als Grundlage diente, war zunächst in Englisch beschriftet : INRI / IN MEMORY of the CHILDREN of EUROPE WHO HAVE to DIE of HUNGER this Xmas. Kokoschka dachte zunächst an eine Affichierung in englischen Kirchen. Letztlich wurden 1.000 Plakate von den insgesamt 5.000 Stück in der Londoner U-Bahn plakatiert. Im Folgejahr ließ er eine weitere Serie mit spanischem Text – EN cke war die Brücke der Roten Armee, die Floridsdorfer Brücke war die Malinowski-Brücke geworden, Rauchensteiner 1996, S. 27. 182 Vgl. Sultano/Werkner 2003, u. a. S. 206 – 212. 183 Herbert Steiner betreffend einen geplanten Oskar Kokoschka-Fonds und eine vom Young Austria in London gezeigte Ausstellung österreichischer Künstler, in : Jung-Österreich, London, Nr. 13, 30.6.1945, zit. Muchitsch 1992, S. 476. Zur ursprünglichen Zweckwidmung vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 197. 184 Wiener Kurier 27.8.1945, siehe auch Hilger 1986, S. 279. 185 OK an Josef P. Hodin, London, 20.11.1945, in : Briefe III, S. 159.
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MEMORIA de los NIÑOS de VIENA que MORIRAN de HAMBRE este AÑO 1946 explizit für die hungernden Kinder in Wien drucken. Sie wurde an diplomatische Vertretungen in Südamerika versandt (Abb. 31).186 Kokoschka legte auf eine weltweite Verbreitung des Plakats großen Wert, was der Sache und nicht zuletzt auch seinem Ruf als engagierter Künstler nützte. Anny Wolff-Knize und vor allem aber Hans Tietze ist es zu verdanken, dass Kokoschkas Poster auch in die bedeutendsten amerikanischen Museen und Kunstinstitutionen Eingang fand.187 Der während der NS-Zeit emigrierte Kunsthistoriker Otto Benesch (1896 – 1964), ab 1947 Direktor der Graphischen Sammlung Albertina in Wien, bedauerte, die Albertina besäße […] leider in ihrer Sammlung keinen Abzug des Plakates, das Sie zum Gedächtnis der am Kriegselend zugrunde gegangenen Wiener Kinder geschaffen haben. Als ich vor zwei Jahren am Institute for Advanced Study in Princeton arbeitete, wurde mir durch Frau Anny Knize eine Anzahl von Kopien zur Verteilung an amerik. Kupferstichkabinette mit Ausstellungsverpflichtung übergeben. Ich habe diesen Auftrag durchgeführt, leider aber kein Exemplar für die Albertina behalten, da meine Rückkehr damals noch ungewiss war.188 30 : Oskar Kokoschka, Christus hilft den
Zeitgleich mit dem »Weihnachtsplakat« ge- hungernden Kindern, 1945, Lithografie nach staltete Kokoschka mit einer kleinen Zeich- Tuschepinselzeichnung, OKZ. nung den Umschlag bzw. eine Beilage für ein Konzert österreichischer Komponisten in der Albert Hall in London (Abb. 32). Sie wurden »in vielen tausenden« Exemplaren als Neujahrgrußkarten vervielfältigt, was die Verteilungsquote enorm erhöhte.189 Passend zur Weihnachtszeit, dem Fest der Menschwerdung Gottes versinnbildlicht in einem Neugeborenen, einem schutz- und macht186 Sultano/Werkner 2003, S. 209. 187 Im schriftlichen OK-Nachlass hat sich umfangreiche Korrespondenz zwischen Tietze und diversen, Institutionen erhalten, vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 454 : Korrespondenz betreffend Oskar Kokoschkas Lithografie »In memory of the Children of Europe who have to die of cold and hunger this Xmas«, 1945/46. 188 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 390.21 Wien, Otto Benesch an OK, 1.12.1947. In der Albertina befindet sich die spanische Version des Plakats (Inv.Nr. 1993/622). 189 OK an Josef P. Hodin, London, 20.11.1945, in : ebd., S. 160.
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losen Kind, knüpfte Kokoschka an die christliche Ikonografie mit aktuellen politischen Bezügen. In extremer Nahsichtigkeit erscheint eine schmerzverzerrte Mutter, die ihr mit den Stigmata Christi versehenes Kind in Händen hält : kaum geboren, durch den Krieg und seine verheerenden Folgen zum Sterben verurteilt. Kokoschkas beherzter Eigeninitiative waren Horrormeldungen über die Versorgungslage von Millionen von Menschen und vor allem Kindern, unzählige von ihnen auf der Flucht oder von Vertreibung bedroht, vorangegangen : Hier in London ist es zum Ersticken, nicht bloß deshalb, weil man den Weihnachtsfresserei-Vorbereitungen zusieht und in Europa dieses Massenelend jetzt erst beginnt, obwohl dort der bisherige Zustand alles überschreitet, was jemals an Verheerung in Europa geschah […].190
Dem Terror der NS-Herrschaft und des Krieges war übergangslos eine humanitäre Katastrophe gefolgt. Die prekäre Situation von 31 : Kokoschka vor seinem Plakat EN Kindern bzw. jungen Erwachsenen kümmerte MEMORIA de los NIÑOS de VIENA que Kokoschka, da er in ihnen noch nicht korrumMORIRAN de HAMBRE este AÑO 1946, pierte Hoffnungsträger einer friedvollen ErFotografie, London 1946, OKZ. neuerung Europas sah. In einem Brief an den nach Australien emigrierten Jugendfreud Ernst Pisk (1861 – 1960) formulierte er seine Sorgen in der Umbruchs-, aber auch Folgezeit : Während des Siegesjubels dachte ich bloß an die entsetzlichen Folgen eines Friedens, welchen Ignoranz, Kalkül des Kommerz und verbrecherische Diktatur, die einem Hitler in nichts nachgibt, zu schlichten bereit war. […] Aber in so einer Welt, die rechts und links verfault, muß man trotzdem bis zum letzten Atemzug Liebe predigen, Liebe zu jedem Verfolgten, ungerecht Verurteilten, im Elend Befindlichen, und vor allem zu jedem Kind, welches das Opfer der Sünden der Erwachsenen in der ganzen Welt ist.191 190 Ebd. 191 OK an Ernst Pisk, London, 13.3.1948, ebd., S. 204, vgl. auch Mück 2003, S. 199.
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Im November 1947 betrat Kokoschka nach mehr als zehn Jahren wieder österreichischen Boden, um seinen Bruder Bohuslav und seine Familie zu besuchen. […] das sind Zustände hier. Mein Häusle dient irgendwelchen Schiebern als Möbelmagazin, es ist vollkommen verwahrlost während der 9 Jahre meiner Abwesenheit. Ich wohne in meiner Küche, sanitäre Anlagen außer Funktion, kein Bad etc.192
Dabei traf er auch seinen alten Bekannten Viktor Matejka, inzwischen als kommunistischer Kulturstadtrat engagiert und mit dem er einig war […] daß zuerst den Kindern geholfen werden muß, daß sie zu gesunden Menschen werden können. Um jeden Preis ! ! […] Ohne Kinder ist keine Gesellschaft, daher auch keine Demokratie denkbar. Wer anders denkt oder handelt, ist kein Demokrat.193
Matejka arrangierte Treffen u. a. mit hochrangigen Politikern und führte den Künstler durch die bombenzerstörte Stadt (Abb. 33). In einem Brief an seine Freunde Gertrude und Walter von Wyss stellte er fest,
32 : Oskar Kokoschka, Xmas in Vienna !, Umschlaggestaltung für ein Konzert programm zugunsten der hungernden Kinder Wiens, 1945, OKZ.
[…] daß Wien in der furchtbarsten Lage ist. Ich sprach mit vielen Hunderten von jungen Leuten dort, um die es schade ist. Sie sind alle innerlich sauberer als die Erwachsenen, die dort regieren, und verdienten ein besseres Schicksal. Hunderte von jungen Krüppeln humpeln auf Stöcken, weil es keine Prothesen gibt, keine Rohmaterialien, keine Beschäftigung, kein Essen, kein Feuer, kein Obdach. Aber diese halben Kinder, die man mit 16 Jahren an die StalingradFront jagte, wollen jetzt plötzlich an die Demokratie glauben. Der Glaube wird wohl in einem Wunder erwartet, denn weder rührten die politischen Parteien noch die Okkupationstruppen bisher einen Finger, um dem Wort »Befreiung« [sic !] zu geben.194 192 OK an Walter Feilchenfeldt, Wien, 21.11.1947, in : Briefe III, S. 198. 193 OK an Viktor Matejka, Wien, 15.11.1947, ebd. 194 OK an Gertrude und Walter von Wyss, London, Dezember 1947, in : Briefe III, S. 199.
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Dem Kunsthändler Walter Feilchenfeldt berichtete er, dass ihm der Bundespräsident und der Bürgermeister Wiens persönlich für seine »Kinderaktion« gedankt hatten. »Jetzt habe ich vor, Prothesen für die vielen jungen Kriegsverletzten zu verschaffen, um welche sich niemand kümmert.«195 Dazu lieferte er ein Sittenbild der unmittelbaren Nachkriegszeit in Wien : neben der egoistischen »feinen Gesellschaft«, die mit »dieser oder jener Auslandsmacht zusammengeht«, gebe es die »Gesellschaft von Schiebern und Schleichhändlern« und »schließlich gibt es die große Masse des grauen Elends, der unterernährten, tuberkulösen Kinder, der Kriegskrüppel, der Greise, die alles verloren haben und sich es nicht »richten« konnten.«196 In einem Brief an Matejka appellierte er : »Machen Sie bereits eine Aktion in der Presse, damit man auch alle Invaliden erfaßt, die vielleicht, hoffnungslos, sich gar nicht gemeldet haben. Mit meinem Namen garantiere ich Hilfe !«197 Und der Wiener Bürgermeister Theodor Körner telegrafierte Anfang 1948 offensichtlich auf Anfrage den Bedarf an diversen Prothesen : »834 Oberarm-Amputierte, 552 Unterarm-Amputierte, 2254 Oberschenkel-Amputierte, 1936 Unterschenkelamputierte. Dank und herzliche Gruesse, Koerner Buergermeister.«198 Als Reaktion auf Kokoschkas Bemühungen folgte im April des Jahres ein erstes Dankschreiben Körners : Ich habe mit lebhaftem Interesse Ihren Zwischenbericht über den Stand Ihrer persönlichen Aktion, Wiener Kriegsversehrte mit Prothesen zu versorgen, verfolgt und danke Ihnen herzlichst für diesen neuen Beweis Ihrer grossherzigen Verbundenheit mit den Schicksalen Ihrer Heimatstadt. Auch das Landesinvalidenamt für Wien, Niederösterreich und das Burgenland habe ich über Ihre mühsamen Schritte informiert und ich werde nicht ermangeln, mit den hiesigen amerikanischen Stellen in dieser Angelegenheit geeignete Fühlung zu nehmen.199
Ein halbes Jahr später konnte Matejka berichten, dass er vom Kunsthistoriker Fritz Novotny, einem überzeugten Antifaschisten und nach 1945 interimistischer Direktor der Österreichischen Galerie Belvedere, »kürzlich die Zusage der Beschaffung von Prothesen für Kriegsverletzte erhalten« habe.200 Kokoschka hatte, wie der Briefwechsel in dieser Zeit veranschaulicht, in seinem weitverzweigten Netzwerk über Freunde und Bekannte versucht, Geld bzw. Prothesen aufzutreiben. Im Habitus des intellektuellen Künstlers sah sich Kokoschka in der unmittelbaren Nachkriegszeit verpflichtet, sein symbolisches Kapital als anerkannter Künstler in politisches, im konkreten Fall in de facto ökonomisches 195 OK an Walter Feilchenfeldt, Wien, 21.11.1947, ebd., S. 198. 196 Ebd., S. 198f. 197 OK an Viktor Matejka, London, 15.1.1948, in : Briefe III, S. 201. 198 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 390.15, Theodor Körner an OK, Wien, 12.1.1948 (Telegramm). 199 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 390.15, Theordor Körner an OK, London, 9. April 1947. 200 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, 9.7.1948.
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33 : Kokoschka und Viktor Matejka vor der Albertina und dem zerstörten Philipphof, Wien 1947, OKZ.
Kapital zu wechseln und organisierte neben der Kriegsopferhilfe auch Materialspenden für die Modeschule in Hetzendorf.201 Kokoschka zählte nach Kriegsende zu jenen prominenten »Österreichern«, die sehr bald wieder im Fokus des Interesses standen, als einer, der sich nach »beklagenswertem Zwischenspiel«202 für seine Heimat einsetzte. Obwohl im fernen London lebend wurde er alsbald zu einer wichtigen Integrationsfigur der »ersten Stunde«, was sich an zeitgenössischen Zeitungsmeldungen erahnen lässt. Ab 27. August 1945 erschien der Wiener Kurier, eine von der amerikanischen Besatzungsmacht initiierte und herausgegebene Tageszeitung. In seiner ersten Ausgabe konnte man in der Kolumne Kunst und Künstler, prominent auf Seite 2 abgedruckt, unter der Schlagzeile »Kunde von Kokoschka« die »langersehnte Nachricht« von »Österreichs größten [sic !] lebenden Maler« lesen, nämlich »daß Oskar Kokoschka lebt […].« Beachtenswert ist die Diktion, die – obwohl in einem Besatzungsmedium publiziert und zu einer Zeit als die Entnazifizierung durch die Amerikaner noch in vollem Gange war – unliebsame Ereignisse der jüngsten Geschichte ausblendete oder nur indirekt formulierte. Es wurde von seiner Initiative zur Gründung eines Fonds für die Kinder ge201 Viktor Matejka an OK, Wien, 14.2.1949, ebd. 202 Anonym, Kunde von Kokoschka. Londoner Ausstellung für Österreich, in : Wiener Kurier, 27.8.1945, S. 2.
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fallener österreichischer »Freiheitskämpfer«, seiner Spende des Gemäldes What we are fighting for ? und einer für diesen Zweck geplanten internationalen Ausstellung mit u. a. österreichischen Künstlern, darunter Georg Mayer-Marton, Otto Prutscher und Siegfried Charoux berichtet.203 Er sei neben Klimt und Schiele einer jener Künstler, die um den Ersten Weltkrieg herum der österreichischen Kunst »einen wahrhaft internationalen Rang verschafften.« Man erwähnte die Ausstellung 1937, »die letzte öffentliche Manifestation der Kunst Kokoschkas, die seither durch den Willen der nazistischen Gewalthaber aus Österreich, ja sogar aus einem großen Teil Europas verbannt sein sollte.« Doch fände nun »dieses beklagenswerte Zwischenspiel ein Ende.«204 Kokoschka konnte nun endlich wieder einer der »Unseren« (Karl Renner) werden. Die Korrespondenz zwischen den offiziellen Stellen Österreichs bzw. der Stadt Wien lässt sich erst im Frühjahr 1946, anlässlich des 60. Geburtstags des Künstlers nachweisen, die größere Publizität in der Presse nach sich zog. Federführend war einmal mehr Viktor Matejka, der den Wiener Bürgermeister Theodor Körner animierte, Kokoschka zum runden Geburtstag zu gratulieren und ihn zur Rückkehr einzuladen. In der Öster reichischen Zeitung, der von den Regierungsparteien gemeinsam herausgegebenen Tageszeitung, hieß es : »Wir laden Sie ein, nach Wien zu kommen, um hier Ihrer [sic !] Kunst zu leben.«205 Es wurde die NS-Zeit bzw. seine Diffamierung als »entarteter« Künstler erwähnt und die mangelnde Ehrung in der Vergangenheit und das Bedürfnis nach Versöhnung angesprochen : »Wir wollen Ihnen bei Ihrer Ankunft in Wien eine Ehrung bereiten, die gleichzeitig manches Versäumnis gutmachen soll. Seien Sie auf das herzlichste gegrüßt.«206 Kokoschka war offensichtlich sehr gerührt von den vielfältigen Ehrenbekundungen und schrieb in bester Laune an die Verwandtschaft in Prag : Liebste Bibschlibischli und Emiloooo, Gestern habe ich so viele Ehrungen aus Wien erhalten, daß ich mich wieder traue, Dir in unserer Sprache zu schreiben. Mein Herz ist erleichtert, weil ich weiß, daß sich alles in diesem Jahr zum Guten wenden wird. Vom Bürgermeister in Wien (der rote General Körner, der gegen Starhemberg und Dollfuß kämpfte) erhielt ich ein 10 Seiten langes Telegramm mit : Großem Menschen und weltberühmten Künstler und komme heim und große Ehrungen erwarten Dich u.s.w. Von der Landesregierung und dem österreichischen Staat ebenso und vom Land Niederösterreich eine Einladung, die Kunstgewerbeschule und das Erziehungswesen zu reorganisieren 203 Ebd. 204 Ebd. 205 Anonym, Ehrung Oskar Kokoschkas, in : Österreichische Zeitung, 1.3.1946, S. 4. Ähnliche Verlautbarungen u. a. in der Arbeiter-Zeitung, 1.3.1946, S. 3. Vgl. OKZ, Ok/4/Aut, Theodor Körner an OK, Wien, 27.2.1946. 206 Ebd.
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und vom Bundeskanzler u.s.w. Ich schrieb, dass man dem Bohi zuerst seinen Roman »Ketten ins Meer« drucken soll, damit er die Rationen als geistiger Arbeiter bekommt. Aber jetzt habe ich einen riesig großen Plan. Ich werde einen Kreuzzug für die hungernden Kinder in der Welt in diesem Jahr beginnen. Vielleicht kriege ich Stalin dazu, den ich für diesen Zweck in Moskau malen werde. Auch mit dem Leiter des Internationalen Roten Kreuzes (Schweizer und Verehrer von mir) sprach ich schon deshalb. Dies wäre mir lieber als sämtliche Ehrungen der Welt, weil es eine Aufgabe ist, die ich mir selbst gestellt und erfunden habe.207
Auch Bundespräsident Karl Renner (1870 – 1950) war in der Reihe hochrangiger österreichischer Politiker, mit denen Kokoschka Kontakte pflegte und ihn kontinuierlich mit Komplimenten und Rückkehrwünschen von Seiten des offiziellen Österreichs hofierten. In Erwiderung auf Kokoschkas Festtagswünsche schrieb Renner Weihnachten 1946 : Lieber Meister ! Ich war sehr erfreut, von Ihnen ein Lebenszeichen zu bekommen. Tausend Dank für Ihre lieben Wünsche 1947, die ich von ganzem Herzen erwidere. Ich kann nur hoffen, dass Ihr Weg Sie wieder hierher führen wird und dass Österreich wieder in die Lage kommen wird, Sie stolz zu den Seinen zu zählen. […] Ihr aufrichtiger Karl Renner208
Renner zeigte sich bemüht, Kokoschka bei der Einreise Bertas nach Österreich (letztlich erfolglos) behilflich zu sein.209 Noch kurz vor seinem Tod Ende 1950 lud er ganz amikal den Künstler bei dessen nächstem Wienbesuch auf einen gemeinsamen Kaffeeplausch samt Zigarre ein und äußerte einmal mehr die Hoffnung : »Auf der Suche nach einer »friedlichen Heimat« wird Ihre Wahl hoffentlich auf Österreich fallen. Wir wären froh und stolz, Sie wieder ganz den Unseren nennen zu können.«210 Der Briefwechsel mit Renner demonstriert, dass im Umgang mit Emigrant/innen Kokoschka ein Ausnahmefall blieb : denn auch wenn es sich um Lippenbekenntnisse handelte, wenn nie von Professorenposten oder ähnlichem die Rede war, so war Kokoschka nicht zuletzt durch sein humanitäres Engagement in Österreich eine willkommene Persönlichkeit. Eine Persönlichkeit, die nicht (oder kaum) mehr polarisierte, konsens- bzw. mehrheitsfähig und als Künstler/Intellektueller auch kein potentieller Polit-Konkurrent war. Der Großteil der vom NS-Regime verfolgten und vertriebenen Geisteswelt konnte 207 OK an Berta und Emil Patočka, London, 2.3.1946, in : Briefe III, S. 167. Das erwähnte, siebenseitige Telegramm Körners befindet sich im OKZ, Inv.Nr. OK/5/Aut. Kokoschkas (nicht realisierbare) Pläne auch Gandhi oder den Papst zu malen, waren mehr als Spleens. Zu den geplanten Porträts von Stalin und Gandhi siehe Bonnefoit 2015a bzw. Bonnefoit 2014a. 208 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 357.11, Karl Renner an OK (Otto [sic !] Kokoschka), Wien, 24.12.1946. 209 Karl Renner an OK, Wien, 12.10.1949, Ebd. 210 Karl Renner an OK, Wien, 18.12.1950, Ebd.
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auf derartig viele Einladungen zur Rückkehr nach Österreich nur hoffen. Im Gegenteil : Jahrzehnte später, in den 1990er- bzw. 2000er-Jahren begann man von offizieller Seite, die in ihren neuen »Heimatländern« prominent gewordenen Vertriebenen im Sinne einer Versöhnungsgeste zum Besuch einzuladen – eine gut gemeinte Geste, aber oft nicht mehr, war man sich doch zumeist sicher, dass die mittlerweile Hochbetagten kaum mehr das Ansinnen einer Rückkehr, geschweige denn größere Ansprüche stellen würden.211 Dabei handelte es sich fast ausschließlich um vertriebene österreichische Jüdinnen und Juden. Der strukturelle, gesellschaftlich in verschiedenen Schattierungen konsensuale Antisemitismus war mit der Republikserklärung am 27. April 1945 nicht aus den Köpfen verschwunden. Kokoschka hatte christlich-katholische Wurzeln, was ihm neben vielen anderen Faktoren im Nachkriegsösterreich zweifellos viele Türen öffnete. Der Künstler selbst äußerte sich darüber nie. Lediglich in einem verzweifelten Brief an Olda bei seinem Besuch seiner Schwester Berta in Prag im Oktober 1946, in dem er seine Bemühungen für diese schilderte, bezeichnete er sich selbst als »humble [einflusslosen] Edel-Arier«.212 Auch die großen Kunstinstitutionen setzten bald nach Kriegsende insbesondere um seinen 60. Geburtstag Zeichen zur Ehrung Kokoschkas – Ehrentitel, die mehr oder weniger aufrichtiges Engagement dahinter verbargen. Dazu zählt etwa die Ehrenmitgliedschaft an der Wiener Akademie der bildenden Künste, die Anfang 1946 unter Rektor Herbert Boeckl, einem bekannten Kokoschka-Konkurrenten, beschlossen wurde und sich letztlich als hohle Geste erweisen sollte. Auch die Wiener Secession reihte sich in die Reihe der Ehrbekundenden – ein Umstand, der ebenfalls Misstrauen erweckt, hatten doch 1937 noch größere Kreise der nationalsozialistisch unterwanderten Vereinigung sich gegen eine Kokoschka-Ausstellung ausgesprochen. Im Nachlass hat sich tatsächlich eine kunstvoll gestaltete Mappe erhalten, in der dokumentiert ist, dass die »WIENER SECESSION […] in ihrer Generalversammlung vom 3. Dezember 1947 Herrn Professor Oskar Kokoschka eingedenk seiner hervorragenden Künstlerschaft einstimmig zu ihrem EHRENPRÄSIDENTEN ernannt« habe.213 Unterzeichnet hatte niemand anderer als der hochbetagte, seit 1945 amtierende Secessions-Präsident Josef Hoffmann. Kokoschka sollte die Auszeichnung allerdings erst im Sommer 1953 offiziell annehmen.214
211 Stern 2006, S. 243f. 212 OK an Olda Kokoschka, Prag, 24.10.1946, in : Briefe III, S. 181 und S. 328. 213 ZBZ, Nachl. Olda K E 2004, Auszeichnungen, Ehrenzeichen, Würdigungen, Mitgliedschaften, Oskar Kokoschka und Olda Kokoschka. 214 Archiv Secession, Dossier K O K O S CH K A, Oskar III.a.6.1.1., Secession an OK, Wien, 27.6.1953 und Erklärung OKs, dass er die Ehrenpräsidentschaft annimmt vom 3.8.1953.
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Kokoschka auf österreichischen Propagandaausstellungen 1946/47 Es muß die Atmosphäre Österreichs eingefangen werden, lebende Kunst, nicht Vitrinen ! J eder »anmutige« Stil wäre zu vermeiden. Wir müssen auf die Vernichtung der Liebenswürdigkeit ausgehen [sic !]. Erst wenn das gelingt, dann treten wir in die Schar der Nationen, die zählen. Fritz Wotruba (1946)215
Im Jahr 1946 nutzte man die 950. Wiederkehr der namentlichen Erwähnung der »babenbergischen« Markgrafschaft Ostarrichi in einer Schenkungsurkunde »zur Stärkung eines österreichischen Staats- und Kulturbewusstseins«.216 Unter dem Titel Österreichische Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart fand im Herbst eine repräsentative Ausstellung im Österreichischen Kunstgewerbemuseum (MAK) statt, der im Vorjahr eine ähnlich konzipierte Schau in der Hofburg vorausgegangen war und die beide auf die Gründung eines »Museums Österreichischer Kunst« sowie die Festigung eines Österreich-Bewusstseins in Abgrenzung zum »Deutschtum« abzielten.217 Die zeitgenössische Abteilung zeigte Arbeiten von Klimt, Schiele, Egger-Lienz, Faistauer, Skulpturen von Anton Hanak und Franz Barwig sowie architektonische bzw. kunstgewerbliche Entwürfe von Otto Wagner, Adolf Loos, Oskar Strnad und der Wiener Werkstätte. Kritische Stimmen bemängelten das Fehlen von noch lebenden Künstlern und aktuellen Kunstpositionen : Von Kokoschka und den anderen gegenwärtig schaffenden und nach künstlerischem Ausdruck des Erlebnisses dieser Zeit ringenden österreichischen Künstlern ist nichts mehr zu sehen. Ein junger, zukunftsfroher Staat hätte aber gerade diese so entscheidende Arbeit seiner lebenden Künstler bewußt neben das Erbe gestellt, um zu zeigen, daß man nirgends nur aus der Vergangenheit lebt, sondern, daß man in der Gegenwart für die Zukunft berufen ist.218
Zeitgleich mit der Ausstellung in Wien waren vom 27. Oktober 1946 bis zum 13. April 1947 in Zürich Meisterwerke aus Österreich zu sehen, deren Zusammenstellung in vielem an die österreichischen Propagandaschauen vor 1938, speziell die Exposition d’Art Autrichienne in Paris 1937 anknüpfte. Im Zürcher Kunstgewerbemuseum präsentierte man Kunstschätze von der Hallstattzeit bis zur Gegenwart, während man im Kunsthaus Zürich Gemälde und Skulpturen des Kunsthistorischen Museums, Grafiken der Alber215 UAUAK, Zl. 27/1946, Fritz Wotruba, Protokoll zur Sitzung des »Vorbereitenden Komitees für die österreichische Ausstellung in Zürich«, Wien, 17.1.1946. 216 Vgl. Spevak 2003. 217 Ebd., S. 154. 218 Mahrer, Österreichische Kunst, in : Österreichische Zeitung, 25.10.1946, S. 5 zit. Spevak 2003. S. 158.
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tina, ergänzt u. a. durch kirchlichen Besitz zeigte.219 Der Zeitbogen erstreckte sich vom Spätmittelalter über Gemälde von Tizian, Tintoretto, Veronese, Rembrandt, Rubens, van Dyck etc. bis zu zeitgenössischen Arbeiten der letzten Jahre. Dabei betonte man, nur Werke der wichtigsten lebenden »österreichischen« Künstler zu zeigen – darunter auch Oskar Kokoschka. Die Ausstellung war ein wichtiger Baustein im Gefüge der österreichischen Identitätskonstruktion der jungen Zweiten Republik auf kulturpolitischer Ebene und hatte in Zürich ihren ersten, enorm erfolgreichen Beginn und wurde bis 1953 noch in Brüssel, Amsterdam, Paris, Stockholm, Kopenhagen, London sowie in zahlreichen US-amerikanischen Städten (u. a. New York, Washington, San Francisco), in Kanada und später u. a. noch in Oslo gezeigt. Allein die Schweizer Schau hatte einen Rekord von 300.000 Besucher/innen, begleitet von einer Unzahl an Pressemeldungen, die – wenig verwunderlich – v. a. die Bedeutung der Alten Meister bzw. der alten Meisterwerke betonten.220 Eine Schau der Superlative und ein Publikumsmagnet, da Schätze auf Reisen waren, die ihren Museumsplatz sonst nie verlassen hätten. Doch viele Wiener Museen sowie die kirchlichen Institutionen lagen noch in Schutt und Asche und waren buchstäblich im Wiederaufbau begriffen. Für die erste Station wurde manches direkt aus den Bergungsorten etwa in Lauffen (Salzburg) bzw. Altaussee (Steiermark) geholt. Aus Kostengründen waren diese anfangs noch ohne Kisten, teilweise nur mit Papierbäuschen geschützt, in Waggons verladen worden, die mit Begleitung bzw. dem Schutz von alliierten Soldaten transportiert wurden.221 Der österreichische Unterrichtsminister Felix Hurdes hielt in einem Schreiben an seinen Kollegen im Innenministerium fest : »Diese Veranstaltung […] ist nicht nur von eminenter kulturpolitischer Bedeutung, sondern auch wesentlich geeignet, das Interesse des Auslandes für den Österreichischen Staatsgedanken zu fördern.«222 Derselbe ÖVPMinister hatte wenig später in Österreichische Kulturpolitik (1948) seine Grundhaltung zusammengefasst : dabei hatte er die »geistigen Werte« als Rohstoff in einem generell rohstoffarmen Lande bezeichnet, in einer camouflierenden Wortwahl die Unterstützung der Exilant/innen, der »Auslandsösterreicher, nie wankend in ihrer Treue« beim Wie-
219 Vgl. KHM Archiv, Karton V/166 – Wanderausstellung Amsterdam-Brüssel-Zürich I, Zürich 1946/47 ; Amsterdam 1947. 220 Vgl. KHM-Archiv, XVII/258 Zeitungsausschnitte 1945 – 1947. Unterrichtsminister Felix Hurdes sprach sogar von einer halben Million Besucher, vgl. Hurdes 1948. 221 Vgl. Fillitz-Interview 2015. Kisten konnten erst beim Transport von Stockholm nach Kopenhagen 1948/49 angeschafft werden. U.a. aus konservatorischen Gründen wurden nur Leinwand- und keine Tafelbilder auf Reisen geschickt und Objekte immer wieder ausgetauscht. 222 KHM Archiv, Karton V/166 – Wanderausstellung Amsterdam-Brüssel-Zürich I, Zürich 1946/47, BM Felix Hurdes an das Ministerium des Inneren, Wien, 21.8.1946.
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deraufbau gewürdigt, um dann ausführlich die »österreichischen Kunstausstellungen im Auslande« zu besprechen.223 Bis heute ranken sich zahlreiche Gerüchte um diese Ausstellung. Hermann Fillitz (1924 – 2022), der als junger Kunsthistoriker ab 1948 seinen Dienst im Kunsthistorischen Museum antrat und als Kurier für diese Wanderschau im Einsatz war, war mit deren Legenden vertraut.224 Das Argument, dass man die Kunstwerke v. a. vor der sowjetischen Besatzungsmacht, »den Russen«, in Sicherheit bringen wollte, entkräftet er damit, dass die hochrangigen Kunstwerke des KHM weitgehend in amerikanischen Zonen geborgen waren und einer Gefährdung nicht freiwillig ausgesetzt worden wären. Die Devisen, die man bei der Auslandstour über die Eintrittsgelder lukrieren konnte, provozierten weitere Spekulationen : diese reichten von der Annahme, dass man damit den (baulichen) Wiederbau in Österreich finanzieren wollte, bis hin zu der Theorie, dass man Reserven für eine österreichische Exilregierung anlegen wollte – für den Fall, dass das Land von der Sowjetunion annektiert würde. Diese Möglichkeiten waren, so Fillitz, allein aufgrund fehlender Finanztransaktionsmöglichkeiten obsolet. Wie schon erläutert waren die vermeintlichen Annexionsgelüste der SU ein Teil der Rhetorik des Kalten Krieges geworden.225 Auffällig bei dem großen Ausstellungsprojekt ist die personelle Kontinuität zu ähnlichen Projekten vor 1938. Das Ausstellungskomitee stand wie bei der Pariser Schau 1937 unter der Führung von Alfred Stix (1882 – 1957), der nach seiner Zwangspensionierung in der NS-Zeit als Generaldirektor der staatlichen Sammlungen bzw. der Wiener Museen wiedereingesetzt worden war. Ihm zur Seite stand wieder Ernst Buschbeck (1889 – 1963), der im Wesentlichen der Kurator der Ausstellung war. Für die Präsentation in Zürich sind auf österreichischer Seite u. a. Richard Ernst (Staatliches Kunstgewerbemuseum in Wien, MAK) zu nennen, der für den kunstgewerblichen Teil verantwortliche Erich V. Strohmer (Sammlung für Plastik und Kunstgewerbe, KHM), Karl Wagner (Städtischen Sammlungen Wien), Anna Spitzmüller (Albertina), Otto Brechler (Handschriftensammlung, ÖNB), Dagobert Frey (BDA), die Architekten Oswald Haerdtl und Josef Eduard Wimmer-Wisgrill, die Ministerialbeamten des BMU Sektionschef Edwin Zellweker (Vorsitzender) sowie Konrad Thomasberger und last but not least der Bildhauer Fritz Wotruba.
223 Hurdes 1948, S. 6 – 8, 10f. 224 Fillitz-Interview 2015. 225 Ebd.; Rathkolb 1998. Zu den spekulativen Annahmen vgl. Spevak 2003, S. 156, Anm. 482 und 483.
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Fritz Wotruba Die Zweite Republik ist ein hohles, gebrechliches Gehäuse, in dem ein sehr zartes Geschöpf lebt, das sich Demokratie nennt. Es ist umstellt von schwarzgelben und braunen Phantomen, die trotz Moder und Verwesung zu gewissen Zeiten bedrohliche, fleischwerdende Auferstehung feiern. Fritz Wotruba226
Fritz Wotruba, 1907 in Wien geboren, gehörte der Folgegeneration Kokoschkas an. Er war 1933/34 nach Zug in die Schweiz gegangen und jedoch wieder nach Österreich zurückgekehrt. Bis zum »Anschluss« war er auf allen wesentlichen Propagandaschauen »österreichischer Kunst« vertreten gewesen, darunter Biennalen in Venedig, sowie auf der Pariser Ausstellung im Jeu de Paume 1937. Speziell die dort geknüpften Verbindungen sowie die Folgeschau der Zeitgenossen in Basel waren für seine zunehmende internationale Rezeption von großer Bedeutung. Als überzeugter Sozialist und nicht zuletzt wegen seiner aus einer jüdischen Familie stammenden Frau Marian emigrierte er 1938 bzw. 1939 mit Hilfe des einflussreichen Schweizer Bundesrat Philipp Etter nach Zug. Das Haus Wotruba wurde zu einem wichtigen Treffpunkt anderer Emigrant/ innen bzw. Schweizer Künstlerfreunde, wo etwa Kontakte mit dem Sammlerehepaar Fritz und Edith Kamm, dem ebenfalls emigrierten Robert Musil sowie Jean Rudolf von Salis geknüpft wurden.227 Wotruba kehrte Ende 1945 nach Wien zurück und wurde auf Initiative des damaligen Rektors Herbert Boeckl als Professor an die Akademie der bildenden Künste in Wien berufen. Beide haben in ihren Meisterklassen wesentlich die jüngere Künstlergeneration geprägt bzw. einen fruchtbaren künstlerischen Nährboden geschaffen. Entscheidend war auch ihr kulturpolitisches Engagement, ihre Mitarbeit bzw. Mitgliedschaft in quasi allen entscheidenden Gremien, Jurys der Nachkriegszeit. Wotruba gilt gemeinhin als intellektueller, sprachgewandter Künstler, der sich – ähnlich wie Kokoschka – in der Rolle eines politischen Akteurs sah.228 Nach Wien zurückgekehrt wurde sein Haus erneut zum Sammelpunkt vieler bildender und darstellender Künstler/innen, Schriftsteller/innen, Intellektueller und Lebenskünstler. Der durch die 226 Fritz Wotruba, Ein Archiv der Republik, in : Otto Breicha (Hg.), Um Wotruba. Schriften zum Werk, Wien 1967, S. 145 zit. Klamper 1990. 227 Pfister 1998 ; Reinhold 2003. 228 Wie die aktuelle Rezeptionsforschung zu Wotruba zeigt, wurde der Bildhauer zu einer Leitfigur des aufrechten Antifaschisten stilisiert – eine Rolle, die er durch kleine »Korrekturen« in seinen Biografien unterstützte : »Er wurde überhöht zu einem unbeugsamen Kämpfer im Widerstand gegen die österreichische Kunsttradition von Dekoration, Verspieltheit und Barock, gegen den noch bestehenden ›Nazi-Mief‹, gegen den Kleingeist der Zeit und gegen die Moderne-Feindlichkeit.«, vgl. Stöger-Spevak 2012, S. 53. Auch in Wotrubas Biografie gab es lange Zeit Ausblendungen und Umdatierungen, speziell seine Karriereentwicklung im »Ständestaat,« und sein Image als Opfer des Austrofaschismus weist etliche »Unstimmigkeiten« auf, vgl. Pfisterer 1998, S. 50, 53 sowie auch Stöger-Spevak 2008, S. 111f., dies. 2012.
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Zuwendungen der Schweizer Freunde stets reich gefüllte sowie legendäre Mittagstisch im Hause Wotruba bot einen Austausch in der wieder aufkeimenden Kunst- und Kulturszene der Stadt bzw. des Landes. Wotrubas Hoffnung und Engagement in Österreich galt der Durchsetzung und der Kunst der Moderne. Wie hartnäckig sich die Umsetzung dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit im postfaschistischen Österreich gestaltete, wurde jedoch für Wotruba und seine Mitstreiter in den heftigen Auseinandersetzungen an der Akademie bei der Entlarvung, Demissionierung und großzügigen Rehabilitierung von Nationalsozialisten an der Wiener Akademie sichtbar.229 Die »bedrohliche, fleischwerdende Auferstehung« von »schwarzgelben und braunen Phantomen« war omnipräsent.230 Noch vor seiner Rückkehr nach Österreich lernte Wotruba den Historiker, Schriftsteller und Journalisten Jean Rudolf von Salis (1901 – 1996) kennen. Dieser war Präsident der Gesellschaft zur Förderung der kulturellen Beziehungen zwischen Österreich und der Schweiz, die u. a. zum Ziel hatte, österreichische Künstler und Wissenschaftler zu unterstützen.231 Der »Glaube an das ewige Österreich« und ein Appell an Kokoschka
In einem Konzept mit dem Titel Thema und Sinngebung der Ausstellung MEISTERWERKE AUS ÖSTERREICH, das von Salis vermutlich 1946 zusammengestellt hatte, ging er auf die Hintergründe und Ziele der Schau genauer ein.232 So heißt es unter anderem, dass »nicht nur das Österreich von ehedem, sondern auch das Österreich von heute« gezeigt werden sollte.233 Die Entstehung von Kunstwerken, Dokumenten etc. auf österreichischem Boden wurde ebenso miteinbezogen – darunter fielen, so von Salis, in »diesem Sinne […] auch eine Handschrift Beethovens, oder die Schlußakte des Wiener Kongresses [als] Meisterwerke aus Österreich«.234 Das Land und Wien im Speziellen sollten als »Zentrum und Sammelpunkt der Kultur des Donauraumes« dargestellt werden, »dem auch italienische und französische Ingredienzien zu gewissen Zeiten beige-
229 Beispielhaft seien hier der Maler, Akademieprofessor und Nachkriegsrektor Sergius Pauser sowie der Restaurator Robert Eigenberger genannt, vgl. Reinhold 2009, v. a. S. 272, Klamper 1990. 230 Vgl. Fritz Wotruba, Ein Archiv der Republik, in : Otto Breicha (Hg.), Um Wotruba. Schriften zum Werk, Wien 1967, S. 145 zit. Klamper 1990. 231 Der Gesellschaft gehörten Österreicher ebenso an wie Schweizer, Pfisterer 1998, S. 60, Reinhold 2009, S. 269. 232 KHM Archiv, Karton Mappe Varia Zürich, V/166 – Wanderausstellung Amsterdam-Brüssel-Zürich I, Zürich 1946/47 ; Amsterdam 1947, J.R. v. Salis, Thema und Sinngebung der Ausstellung MEISTERWERKE AUS ÖSTEREICH, o.O., o.D. 233 Ebd., Unterstreichungen im Original übernommen. 234 Ebd.
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mischt waren.«235 Eine Grundfrage sei, »was hat Österreich dem Kontinent gegeben, was kann der Kontinent im heutigen Österreich finden ?« Wichtig war von Salis die Teilnahme von lebenden »österreichischen« Künstler/innen. Nicht, ohne Pathos schrieb er : Wir erwarten deshalb nicht nur eine historische Lehre von der Ausstellung, sie soll nicht eine prachtvolle Kaisergruft sein. Sondern wir erwarten, daß man in der Ausstellung auch eine Lehre für die Gegenwart finden kann, durch die die europäische Lage und Sendung Österreichs am Schnittpunkt der Nationen sichtbar und verständlich wird. Mit einem Wort : die Ausstellung ist nicht möglich ohne den Glauben an das ewige Österreich.236
Das hehre Ansinnen war jedoch aus mehreren Gründen nicht leicht umzusetzen und offenbarte unterschiedliche Auffassungen der Protagonisten : das offizielle Österreich hatte sich bis 1938 und seit 1945 mit seinem reichen Kulturerbe zu positionieren versucht – als ein Ort (und Hort) großer Vergangenheit und nicht als Ausgangspunkt innovativen Experimentierens, für Zukunftsvisionen oder als fruchtbarer Boden für aktuellzeitgeistige Entwicklungen. Zwar war man, konkret Stix und Buschbeck, willens wie schon 1937 einen Konnex zur Gegenwart herzustellen. Die Übermacht der Historie, bei deren Präsentation man sich sicher fühlte, ließ allerdings wenig gedanklichen und buchstäblichen Raum für das Zeitgenössische : es war und blieb ein Anhang, vielmehr ein Anhängsel. So wundert es auch nicht, dass lediglich in Zürich zeitgenössische Kunst gezeigt wurde und man sich bei weiteren Etappen auf die Objekte des Kunsthistorischen Museums (KHM) konzentrierte. Die Zeitplanung war äußerst knapp und die Organisation selbst bei den eigenen Leihgaben der Bundesmuseen aus diversen Bergungsorten schwierig. Die Korrespondenz musste quer durch die verschiedenen Besatzungszonen ihre Empfänger finden und wurde nicht selten durch persönliche Kuriere übermittelt. Noch drei Wochen vor Ausstellungseröffnung war nicht klar, welche Zeitgenossen überhaupt zu sehen sein würden. Sie mögen es unserem Interesse an dem grossen Unternehmen zugute halten, wenn wir uns auch für die Repräsentanten der lebenden Kunst besonders interessieren. Es ist uns noch nicht klar – weil die aus Wien erhaltene Liste sich darüber ausschweigt -, welche Entschlüsse in Bezug auf die lebenden Künstler in Wien getroffen worden sind. Gestatten Sie mir, Sie daran zu erinnern, dass fest abgeredet wurde, dass Werke von Kokoschka, Herbert Boeckl und Fritz Wotruba (ausserdem noch ein Bildhauer, dessen Name mir augenblicklich entfallen ist) in Zürich gezeigt werden sollen. Es ist heute unser Standpunkt, dass auf keinen Fall mehr als sechs lebende Künstler gezeigt werden sollen. Die Geschlossenheit und Qualität einer so 235 Ebd. 236 Ebd.
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grossartigen Ausstellung […], könnte doch eventuell darunter leiden, wenn allzu viele und verschiedenartige moderne Künstler ausstellen würden. Bei den drei Genannten kann man der hohen Qualität sicher sein.237
Das Drängen von Salis’ bzw. Wilhelm Wartmanns, Direktor des Kunsthaus Zürich, auf Qualität vor Quantität war keine übertriebene Vorsicht – das bezeugen zahlreiche Interventionsversuche von Künstlerverbänden auf österreichischer Seite.238 Letztlich stellte man neben den drei Genannten noch den in England lebenden Bildhauer Georg Ehrlich, Anton Kolig und den Ende 1944 bei einem Bombenangriff ums Leben gekommenen Franz Wiegele aus. Kokoschkas Teilnahme stand Anfang September 1946 allerdings noch nicht fest. Ernst Buschbeck hatte am 30. Juli einen Brief über eine Mittelsfrau an den Künstler gerichtet – den dieser aber nie erhalten hatte. Buschbeck hatte darin von »einer ganz kleinen[n] Auswahl« gesprochen, bei der »nur ein paar Künstler von anerkannter Qualität zu Worte kommen sollen. Sie brauchen also nicht zu fürchten, daß Sie dort in einer Gesellschaft auftreten würden, die Ihnen nicht passt.«239 Ende August war offensichtlich immer noch kein Kontakt hergestellt und der Wiener Kurator war entsprechend nervös. Seiner Übermittlerin erklärte er, dass Kokoschkas Teilnahme nicht nur für die Wirkung Österreichs im Ausland wichtig war, sondern auch von innenpolitischer Bedeutung : Wenn wir keine Bilder von ihm [Kokoschka, Anm. BR] in Zürich zeigen können, würde der Schwerpunkt ganz auf Böckl und Kolig liegen, was meiner Ansicht nach ein ganz schiefes Bild ergäbe. Ferner zu Deiner persönlichen Information (reservat !), Böckl ist hier, ziemlich ohne sein Zutun, zu einem Politikum, nämlich zu einem Exponenten der ÖVP gestempelt worden. Es wäre mir daher auch deshalb wichtig, daß Kokoschka mittut, damit die moderne Abteilung auch sozusagen »politisch ausbalanciert« ist. […] Ich füge hinzu, daß programmgemäß nur Werke aus der Zeit von 1938 bis jetzt gezeigt werden sollen, um sozusagen zu beweisen, daß die »Entartete Kunst« trotz Nazismus in Österreich weitergelebt hat.240
Das offizielle Schreiben wurde erneut an den Künstler geschickt, gefolgt von einem gemeinsamen Brief von Buschbeck und Wotruba, der in seiner appellativen Diktion vermutlich auf den Bildhauer zurückzugeht – und ganz offensichtlich den richtigen Tonfall traf, um Kokoschka zur Teilnahme zu motivieren : 237 KHM Archiv, Karton V/166 – Wanderausstellung Amsterdam-Brüssel-Zürich I, Zürich 1946/47 ; Amsterdam 1947, Mappe Varia Zürich, Jean Rudolf von Salis an Alfred Stix, Brunegg, Schweiz, 2.10.1946. 238 Vgl. Reinhold 2017, S. 275, Anm. 782. 239 KHM Archiv, Karton V/166 – Wanderausstellung Amsterdam-Brüssel-Zürich I, Zürich 1946/47 ; Amsterdam 1947, Mappe Kunsthaus Oben, Ernst Buschbeck an OK, Wien, 30.7.1946. 240 Ernst Buschbeck an Käte Friedenstein, Wien, 27.8.1946, ebd.
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Die Situation der Kunst hier in Österreich ist sehr übel. Es herrscht eine bodenlose Mittelmäßigkeit und im Grunde noch immer der Geiste der Nazi-Kunstkammer. Die reaktionäre Einstellung im Geistigen reicht heute, im Gegensatz zu früher, politisch von rechts bis zu den linksesten [sic !] Extremisten und tobt sich insbesondere auf dem Gebiete der Kunst aus. Diese Leute rechnen damit, daß die moderne Kunst ohnehin zu schwach und ihre Vertreter räumlich zu sehr zerstreut sind, um auf die Dauer eine bedeutsame Rolle spielen zu können. Es handelt sich also im jetzigen Zeitpunkt wirklich um die Existenz der modernen Kunst. Wir appellieren darum beide an Sie, daß Sie sich nicht ausschließen und mit einigen Bildern aus den letzten 8 oder 9 Jahren an der Ausstellung beteiligen.241
Am 14. September 1946 kam das erlösende Telegramm, dass Kokoschka das Gemälde What we are fighting for (1943) in Gegenüberstellung zu seiner Wien-Ansicht vom Wilhelminenberg mit dem »Kinderwohlfahrtswerk« ausgestellt haben wollte (Abb. 11 und 34). Wie erwähnt hatte Kokoschka mehrfach Pläne den Erlös des erstgenannten Bildes für karitative Zwecke einzusetzen. Letztlich ging es in den Besitz des Kunsthauses Zürich über. Tatsächlich gezeigt wurden aber das Kinderhilfswerk der Stadt Wien, Schloß Wilhelminenberg (1931) sowie drei Bilder der politischen Serie : »Anschluss« – Alice in Wonderland (1942), Private Property (1939) und Loreley (1942). Sie waren damals noch im Besitz des Künstlers und stellten neben zwei Federzeichnungen von Georg Ehrlich – Flüchtlingsmädchen bzw. Flüchtlinge aus Gibralta (1942) – die einzigen Arbeiten dar, die einen explizit politischen Kontext hatten. Einige Steinskulpturen Wotrubas (z. B. Stürzende, 1944) konnten aufgrund ihrer Grundaussage als Reflexionen zum Zeitgeschehen bzw. zur unmittelbaren Vergangenheit interpretiert werden. Auch wenn die Schau kein didaktisches Konzept vor Augen hatte, wie es die ebenfalls im Herbst 1946 im Wiener Künstlerhaus eröffnete, von Matejka initiierte und von Viktor Slama kuratierte antifaschistische Ausstellung Niemals vergessen ! vorführte, stellt sich die Frage, ob der von Wotruba in der emphatischen Leihanfrage formulierte Anspruch, die »österreichische« Moderne mit ihrem politischen Potenzial gegen den »Geist der Nazi-Kunstkammer« zu positionieren, tatsächlich erfüllt wurde. Die zeitgleich startende Ausstellung Österreichische Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart (14. September – 30. Oktober 1946) war dafür kritisiert worden, dass keine »gegenwärtig schaffenden […] Künstler« gezeigt wurden und man nicht das Bild eines »jungen, zukunftsfrohen Staats« evoziert habe. Ähnlich wie in Paris 1937 bemühte man sich – auf expliziten Wunsch der Schweizer Veranstalter ! – qualitative Arbeiten von Zeitgenossen zu präsentieren, dennoch : die Schwerpunktsetzung war klar und das Vertrauen, mit aktuellen Kunstwerken zu reüssieren, gering. Dieses verhaltene Statement fand seinen Niederschlag in der Presse, die sich abgesehen von einigen nur namentlichen Erwähnungen der gezeigten 241 Ernst Buschbeck und Fritz Wotruba an OK, Wien, 27.8.1946, ebd., sowie ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 391.4 (Wien, Kunsthistorisches Museum).
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34 : Oskar Kokoschka, What we are fighting for, 1943, Öl/Leinwand, Kunsthaus Zürich.
sechs zeitgenössischen Künstler vor allem auf die historischen Artefakte konzentrierte. In einer der wenigen, überdies wohlwollenden Besprechungen wurde die schwierige Rezeption der Zeitgenossen thematisiert : In den beiden großen Ausstellungen ›Meisterwerke aus Österreich‹, […] herrscht das internationale Kunstgut vergangener Epochen so stark vor, daß manche Besucher den in sich geschlossenen Abteilungen des zeitgenössischen österreichischen Kunstschaffens allzuwenig Beachtung schenken. Und doch kommt dieser ersten Nachkriegs-Manifestation des lebenden künstlerischen Gestaltens in Österreich eine besondere Bedeutung zu. […] Unter den Malern ist der sechzigjährige Oskar Kokoschka am bekanntesten ; er lebt zurzeit in England. Seine in weiche Farbschimmer gehüllten, erzählerischen Bilder haben zumeist einen satirisch pointierten Charakter.242
242 KHM-Archiv, Karton XVII/258 Zeitungsausschnitte 1945 – 1947, Mappe Meisterwerke aus Österreich 1946/47, fol. 52, E.Br., Neue österreichische Kunst, [ohne weitere Angaben, vermutlich in : Neue Zürcher Zeitung, vermutlich Februar 1947].
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Unter den Besprechungen befindet sich auch ein Rundumschlag gegen die Moderne, die als Ausdruck der »heillose[n] Verwirrung der europäischen Gegenwart« interpretiert wurde. Dabei gerieten speziell Wotruba und Kokoschka ins Kreuzfeuer Kritik, die in der politisch motivierten Diffamierung der NS-Zeit lediglich ein Feigenblatt der Qualitätslosigkeit erblicken wollte : Das ganze 19. Jahrhundert ist anscheinend absichtlich weggelassen, weshalb denn die zwei größeren Säle füllenden Werke von fünf [sic !] modernen österreichischen Künstlern als durchaus unorganisches Anhängsel wirken. Der Bildhauer Wo t r u b a und der Maler K o k o s c h k a sind die einzigen, die in der Schweiz weiterhin bekannt sein dürften. Wenn auch im Vorwort ausdrücklich gesagt wird, daß die betreffenden in besonderer Weise unter dem Naziterror, der gegen die entarte Kunst geführt wurde, zu leiden gehabt hätten, so fragt man sich doch ehrlich, ob in diesem Falle diese Bezeichnung nicht zufällig ihre Richtigkeit habe. Auf jeden Fall muß dies auf den unbefangenen Betrachter so wirken, wenn er nach der künstlerischen Zucht von Meisterwerken aus vielen Jahrhunderten, die in schreienden Farben vorgetragenen Schlagworte und Sentimentalitäten ansieht.243
Anders als die Exposition d’Art Autrichien im Jeu de Paume in Paris 1937 war die Zürcher Meisterwerke-Ausstellung außerordentlich erfolgreich. »Dieses Wien, das bisher von Zürich nur empfangen hat, Kartoffel, Milch, Kleider und Schuhe, hat zwar nicht zurückgezahlt, denn Güte bleibt unbezahlt, aber so königlich gegeben, wie es nur ein königlicher Bettler kann. Wien und mit ihm ganz Österreich, das die Schweiz bisher nur seine äußere Armut hat sehen lassen, hat jetzt den Reichtum seiner Seele gezeigt.«244 Wotrubas Anspruch, »die Atmosphäre Österreichs« einzufangen, »lebende Kunst, nicht Vitrinen« auszustellen und auf die »Vernichtung der Liebenswürdigkeit« auszugehen, war definitiv nicht erfüllt worden. Die zeitgenössische Kunst Österreichs blieb auf der Züricher Propaganda-Schau lediglich eine Marginalie. Kokoschkas vier Arbeiten waren im gleichen Raum mit neun Gemälden von Anton Kolig, sechs Bildern von Franz Wiegele, drei Bronzeskulpturen von Georg Ehrlich und einem Weiblichen Torso von Wotruba. Herbert Boeckls acht Gemälde erhielten nicht ganz zufällig einen eigenen Raum und waren mit Steinarbeiten seines Freundes Wotruba kombiniert. Reaktionen Kokoschkas auf die Ausstellung sind nicht überliefert. Viktor Matejka, der offiziell als Leihgeber des Bildes vom Wilhelminenberg fungierte, schrieb am 24. Oktober, kurz vor der Zürcher Eröffnung, an den Künstler in London. Überbringer war Egon Seefehlner, der in dieser Zeit begann, sich zu einem wichtigen
243 Paul Leonhard Ganz, Die europäische Malerei an der Wiener Ausstellung in Zürich II., in : Oberländer Tagblatt, Thun, 18.1.1947, ebd., fol. 76. 244 Dr. Roland Nitsche, Meisterwerke aus Österreich in Zürich, in : Die Presse, Wien, 9.11.1946, ebd., fol. 24.
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kulturpolitischen Protagonisten des Landes zu entwickeln.245 Matejka resümierte die Auswahlkriterien der Zürcher Schau und deponierte einmal mehr den Wunsch, Kokoschka zur Heimkehr nach Wien zu bewegen : Die Auswahl wurde im wesentlichen [sic !] diktiert von einer Clique rings um den Maler B ö c k l und den Bildhauer Wo t r u b a . Diese Clique wurde assistiert von den leitenden Musealbürokraten, Hofrat S t i x . Ich kann Ihnen in den kurzen Zeilen nicht die weiteren Hinterund Vordergründe dieser echt österreichischen Misswirtschaft auseinandersetzen. Aber Sie können versichert sein, es hat einige, wenn auch nur wenige Leute gegeben, die gegen diese Schweinerei angekämpft und sogar einigen Erfolg erzielen konnten.[…] Ich hoffe, daß Sie sich aber auch entschließen nach Wien zurückzukehren, […] in Wien mit einer großen Ausstellung herauszukommen. Ich würde Sie bitten, diese Ausstellung möglichst offiziell durch unsere Stadt arrangieren zu lassen. Lassen Sie sich hier durch keine wie immer geartete private Vereinigung herausbringen. Denn sie scheinen nur privat zu sein, in Wirklichkeit dienen sie ganz bestimmten, wenn auch verklausulierten politischen Zielen. Ihre Kunst ist für die ganze Stadt da, und ich will allen meinen Einfluss in der Stadt-Verwaltung dahin aufbieten, daß die Stadtverwaltung offiziell alles daran setzt, um Ihre Ausstellung zu einem grossen künstlerischen Erfolg zu machen.246 Kokoschka on Tour
Dass Kokoschka von der Ausstellung keine Notiz nahm, lag daran, dass er zeitgleich seine erste wichtige Ausstellung nach dem Krieg bzw. überhaupt nach der Personale 1937 in Wien zusammenstellte. Sie war bezeichnenderweise zuerst in der Kunsthalle Basel (22. März – 27. April 1947) und danach im Kunsthaus Zürich (4. Juli – 31. August 1947) zu sehen und überschnitt sich mit der Meisterwerke-Schau um etliche Wochen. Kokoschka, der unter Wilhelm Wartmann schon 1913 im Kunsthaus Zürich mit einer wichtigen Ausstellung präsent gewesen war, hatte nach 1945 auch noch andere Freunde in der Schweiz. Dazu zählen u. a. der Anwalt Friedrich Gubler, der sich als Mittelsmann um die Versorgung von Bohi und Bibsch bemühte sowie der Kunsthändler Walter Feilchenfeldt.247 Im Zuge dieser Personalausstellung knüpfte er wichtige Kontakte zu Museumsfachleuten, Verlegern, Sammlern usw. Es war sein erster großer Auftritt auf 245 Der als Diplomat ausgebildete Jurist Egon Seefehlner (1912 – 1997) war 1945 – 1963 Kulturreferent der ÖVP, Generalsekretär der in der Nachkriegszeit wichtigen Österreichischen Kulturvereinigung, die 1958 u. a. die große OK-Schau im Künstlerhaus veranstalten sollte, wirkte als Herausgeber der Zeitschrift Der Turm, war von 1946 – 1961 Generalsekretär des Wiener Konzerthauses und von 1954 – 1961 stellvertretender Direktor, und von 1976 – 1982 bzw. 1984 – 1986 Direktor der Wiener Staatsoper. 246 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 391.5, Viktor Matejka an OK, Wien, 24.10.1946. 247 Zu OK, dem Kunsthaus Zürich und Wilhelm Wartmann vgl. Baldini/Zamariàn 2005 ; Zu Friedrich Gubler : Kokoschka 1971, S. 268, zu Walter Feilchenfeld siehe u. a. Feilchenfeldt 2005.
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der Weltbühne der Kunst in der Nachkriegszeit, er sah Bilder wieder, die er Jahrzehnte davor verkauft hatte bzw. die er während der NS-Zeit und durch die Kriegswirren verloren geglaubt hatte. Oskar und Olda Kokoschka verbrachten mehrere Wochen in der Schweiz und erhielten den ersten nachhaltigen Impuls, sich ganz hier niederzulassen – ein jahrelanger Entscheidungsfindungsprozess über den künftigen Lebensmittelpunkt war im Gange. Nach der Schweizer Kokoschka-Ausstellung zogen die Bilder weiter nach Amsterdam (November/Dezember 1947). Von Juli bis Oktober 1948 wurde Kokoschka mit einer Einzelausstellung auf der Biennale in Venedig geehrt – ein unvergleichlicher internationaler Erfolg. Darüber hinaus streckte er seine Fühler in Richtung USA aus : so schloss an seine venezianische Präsenz lückenlos eine von James S. Plaut kuratierte Ausstellungstour an, die im Oktober 1948 in Boston startete und mit Zwischenstationen in Washington, St. Louis, San Francisco, Wilmington im Museum of Modern Art in New York ihr Finale hatte. Die junge Zweite Republik versuchte die Reputation des Künstlers mit ihren Interessen zu koppeln. Im Vorfeld der Schau in den Phillips Memorial Galleries in Washington bot Ludwig Kleinwächter, der erste österreichische Botschafter in den USA nach dem Krieg, organisatorische Hilfe an – was jedoch ohne weitere Reaktionen blieb : Ich habe die Nachricht von Ihrer Ausstellung umsomehr begruesst, als sich die Gesandtschaft in wachsendem Masse bemueht, die kulturellen Beziehungen zwischen Oesterreich und den Vereinigten Staaten auszubauen und zu intensivieren. Ich hatte schon seit langem die Absicht, eine Ausstellung oesterreichischer Kuenstler in den Vereinigten Staaten zu veranlassen. Allein die praktischen Schwierigkeiten haben sich bis zum Augenblick als unueberwindlich erwiesen. Ich erlaube mir, Ihnen die Inanspruchnahme der Dienste der oesterreichischen Gesandtschaft bei der Vorbereitung und Durchfuehrung Ihrer Ausstellung anheim zu stellen […].248
Unter der Mitwirkung einiger alter deutscher Freunde, wie Carl Georg Heise und Wolfgang Gurlitt setzte unter dem Kurator Ludwig Grote vom Herbst 1950 bis zum Frühjahr 1951 ein weiterer Ausstellungsreigen an, der nach München, noch in Berlin und Köln Halt machte. Den Schlusspunkt bildete Österreich im Sommer 1951 : doch nicht Wien, dessen Museen über Jahre ihre wichtigsten Kokoschka-Bilder für diese Serie zur Verfügung gestellt hatten, war der Ort des Finales, sondern Linz. Über die Vermittlung Wolfgang Gurlitts war sie von Juni bis August 1951 in den Räumen der Neuen Galerie zu sehen. Diese Ausstellung sollte lange die einzige große Kokoschka-Schau in Österreich bleiben. Erst 1955 fand in der Secession in Wien eine vergleichbar repräsentable Werkschau statt. Der Stachel des Misstrauens gegen Wien saß tief. Matejkas kritische 248 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 357.1, Austrian Legation in Washington DC, Ludwig Kleinwächter an OK, Washington, 25.4.1947.
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Kommentare über die für die Meisterwerke aus Österreich-Schau verantwortliche »Clique« taten das ihre dazu und reaktivierten Kokoschkas Skepsis gegenüber offizieller Kulturinstitutionen. Die Fragen nach einer großen Kokoschka-Ausstellung in Wien, einer möglichen Professorenstelle bzw. die Gründung einer eigenen Kunstschule sowie überhaupt eine Rückkehr in die alte »Heimatstadt«, wie es immer wieder hieß, waren schon 1945 gestellt worden. 1946/47 befand sich der Künstler selbst noch in einer Orientierungsphase, in der er seine Optionen abwog und sich aus oft emotionalen Gründen für oder gegen manche entschied. Zukunftspläne – Rückkehrwünsche […] denn ich sah keine Zukunft für mich in Österreich, das nun von den Russen, Amerikanern, Engländern und Franzosen besetzt blieb.249
Im englischen Exil hatte Kokoschka aus verschiedenen Gründen kaum künstlerisch arbeiten können – Aquarelle, Zeichnungen bzw. die komplexen, kleinformatigen poli tischen Allegorien gehören zum Œuvre dieser Zeit.250 Der Ruf bzw. das Renommee des knapp Sechzigjährigen basierte nach Kriegsende auf Bildwerken, die durch die NSKulturpolitik und bald durch die Kriegswirren zerstreut bzw. in einigen Fällen auch zerstört worden waren. Sein Kunstmarktwert war schwer in Mitleidenschaft gezogen. Edith Hoffmann hatte zwar 1947 die erste umfangreiche Monografie Kokoschka. Life and Work im Londoner Verlag Faber & Faber herausgeben, doch gab es weder Werkverzeichnisse seiner Bilder und Grafiken noch eine Edition seiner Schriften.251 England hatte sich für Kokoschka als sicheres Exilland erwiesen, doch nicht als Ort, wo seine Kunst erfolgreich sein konnte. Seine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft war aufgrund der politischen Entwicklungen nicht mehr tragbar. Auch wenn ihm bald klar war, dass er nicht dauerhaft in England leben wollte, so bemühte er sich ab 1946 intensiv um einen britischen Pass, der ihm viele Freiheiten, u. a. bessere Reisemöglichkeiten bot. Durch Unterstützung von Freunden und Bekannten wurde er tatsächlich am 19. Februar 1947 britischer Staatsbürger und blieb es bis zu seinem Tod.252 Einmal mehr hatte er aus pragmatischen Gründen die Staatszugehörigkeit gewechselt. In einem Brief an den Kunsthistoriker Kenneth Clark (1903 – 1983), der zu seinen Unterstützern zählte, beschrieb er England – nicht ohne Kalkül – als seine neue Heimat ; die USA und sein altes Heimatland Österreich hingegen schloss er als optionale Zielländer aus. Die 249 Kokoschka 1971, S. 266. 250 »Hier in meinem dunklen Schlafzimmer kann ich weder einen Stein klopfen noch sonst viel tun außer Schriftstellerei.«, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1 – 6, OK an Wolfgang Gurlitt, London, 20.2.1952. 251 Hoffmann 1947. 252 OK an Kenneth Clark, London, 29.4.1946, in : Briefe III, S. 171 und 324, bzw. OK an Augustus John, London, 24.4.1946, ebd., S. 170 ebenfalls mit der Bitte um Unterstützung.
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gelieferten Begründungen spiegeln trotz ihrer taktischen Schmeichelei seine mehr oder weniger verborgenen Ängste und Ressentiments : Austria is still occupied and may be signed over to the Russians altogether. I cannot go to the U.S.A. because I would get crazy from the businesslike noise and advertisment of cultural relations there. I have been living in London during the whole war. If I had to leave England now I would probably become more homesick than for Vienna, which is in ruins and will hardly ever ressurect. It seems to me that in many ways England resembles old Austria more than any other country of the world, especially since the recent hopeful revival of its theatre, music and art.253
Kokoschkas Entscheidungsfindungsprozess über einen künftigen Lebens- und Arbeitsmittelpunkt zog sich über Jahre hin. Wichtig erscheint dabei die Differenzierung, wo er tatsächlich leben bzw. wo er wirken wollte. Einige Quellen geben Auskunft darüber, dass er ernsthaft erwogen hatte, nach Österreich zurückzukehren. Wien, Linz und Salzburg waren mit unterschiedlichen Gewichtungen im Gespräch. Doch auch die Schweiz war – nicht zuletzt aufgrund ihrer Neutralität und seinen Erfahrungen im Zusammenhang mit den Ausstellungen 1947 – bald eine Option für ihn. Wie Olda Kokoschka berichtete, fiel 1951 die definitive Entscheidung für die Schweiz : nach vielen gescheiterten Versuchen in Österreich einen geeigneten Platz zu finden und irritiert durch verschiedene politische Ereignisse, brachte eine Reise quer durch Europa die nötige Klarheit. Das Ehepaar Kokoschka war von Amsterdam über Deutschland, Salzburg, Zürich, Venedig und zurück in die Schweiz gefahren, wo man beschloss, sich am Genfer See niederzulassen : im November 1951 kam es zur Reservierung und später zum Kauf eines Grundstücks in Villeneuve am Genfer See.254 Im gegebenen Kontext sind Kokoschkas Argumente für oder gegen eine Rückkehr nach Österreich, speziell nach Wien, im Spannungsfeld latent widersprüchlicher Verschränkungen von Orten/Regionen und einer imaginierten Gemeinschaft von besonderem Interesse. Wien steht oft als Synonym für das gesamte Land, das heißt die in der Hauptstadt ansässigen Bundesinstitutionen, wie Ministerien, staatliche Museen und Theater usw. Es steht aber auch für die Stadtverwaltung (Gemeinderat, Magistrat etc.), die Künstlerschaft, die Kunstakademien, die Kunsthändler, Verleger, Galeristen und nicht zuletzt »das« Publikum, kurz : eine diffuse Vielfalt von Protagonist/innen und 253 Ebd. 254 Heinz Spielmann nach einem Bericht von Olda Kokoschka, vgl. Spielmann 2008, S. 90 und Spielmann 2003, S. 522, vgl. auch Wally 2003, S. 51. Schon Ende 1948 spricht OK gegenüber den Kunsthändlern Walter Feilchenfeldt und Hugo Feigl vom gewünschten Erwerb eines Bauernhofs in der Schweiz, vgl. OK an Walter Feilchenfeld, Florenz, 28.11.1948 und OK an Hugo Feigl, Zürich, 20.12.1948, beide : ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 44 Briefe von O. Kokoschka (Abschriften) 1944 – 1948. Sultano/Werkner 2003, S. 248.
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Interessen. In der Rezeption des Beziehungsgeflechts zwischen Kokoschka und Nachkriegsösterreich steht demgegenüber »die« Provinz, konkret Salzburg und Linz, wo er nach 1945 gewirkt hatte. Ob das kriegszerstörte Wien, das nach Ansicht vieler gefährlich nahe bzw. sogar im politischen Interessensfeld der Sowjetunion lag, tatsächlich ein möglicher Rückkehrort für Kokoschka gewesen war, muss offenbleiben. Die Suche nach einem neuen Standort war im Wesentlichen durch drei Faktoren bestimmt. Da war zunächst der Wille, an seine Karriere anzuknüpfen bzw. diese weiter auszubauen. Neben Fragen der Kunsthandelsvertretung, seines Marktwertes, neuen Aufträgen, dem Verkauf an Museen und wichtige Sammlungen sollten Ausstellungen an ausgewählten Orten für die Bekanntheit des Künstlers sorgen. Wesentlich für seine breite Rezeption waren Publikationen und Reproduktionen : diese reichten von Ausstellungskatalogen, leicht leistbaren Überblickswerken, für Spezialisten zusammengestellte Werkverzeichnisse bis hin zu Faksimile (z. B. Mappenwerke) oder schlichten Postkarten. Außerdem stand eine Herausgabe seiner Schriften (Dramen, Prosa, Texte zur Kunst, Briefauswahl) an, die ihn auch als Schriftsteller und Intellektuellen positionieren sollte. Als international bekannter Künstler (Stichwort : USA) war Kokoschka bemüht, auch englische bzw. italienische Ausgaben zu lancieren. Vor der ab den 1970er-Jahren betriebenen und durch Olda und Heinz Spielmann geleiteten Schriftenedition waren es deutsche bzw. Schweizer Verlage, die Kokoschkas Texte auflegten.255 Wichtige Publikationen zum künstlerische Œuvre hingegen wurden vor allem von zwei in Österreich ansässigen Verlegern in Angriff genommen. Ab etwa 1947 war es der in Linz bzw. Oberösterreich agierende Wolfgang Gurlitt, der sich um das Werkverzeichnis der Druckgrafik bemühte. Die Arbeit erlahmte jedoch bald wegen eines Rechtsstreits für lange Zeit. So war es Friedrich Welz, der in dem seiner Salzburger Galerie angeschlossenen Verlag gemeinsam mit Hans Maria Wingler als Mitherausgeber 1956 das erste umfassende Werkverzeichnis der Gemälde und 1975 das Druckgrafik-Verzeichnis publizierte.256 Sowohl Gurlitt, vor allem aber Welz waren in quasi alle wesentlichen Kokoschka-Projekte der Nachkriegszeit involviert. Ein weiterer Aspekt bei der Suche nach einem neuen Lebens- und/oder Arbeitsmittelpunkt war, dass Kokoschka ganz offensichtlich wieder als Lehrer wirken bzw. eine eigene Schule gründen wollte. Damit stellte sich die Frage nach einer ordentlichen Professur an einer der beiden Wiener Kunstakademien. In jedem Fall wollte er seine über Jahrzehnte gereifte Kunstanschauung, seine Reflexionen zur (Kunst-)Erziehung und, im buchstäblichen Sinne : Welt-Anschauung in einer Schule des Sehens weitergeben. Diese war durchaus als Gegenkonzept zur damals scheinbar hegemonialen abstrakten Kunst zu verstehen. Kokoschkas beinahe hysterische Ablehnung der gegenstandslosen Kunst mag ideelle Gründe gehabt haben. Sie stand jedoch auch in einem politischen Kontext : man 255 Kokoschka 1956 und 1956a. 256 Wingler 1956 und Wingler/Welz 1975 bzw. 1981.
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warf der realistischen, gegenstandsgebundenen Kunst einerseits ungenügende Distanz zur nationalsozialistischen Doktrin vor. Andererseits wurden diese Fragen zu einem kulturpolitischen Kampfelement des Kalten Krieges, die Kokoschkas künstlerische Position zu einer nicht bzw. schwer zuordnenbaren Grauzone werden ließen.257 Interessanterweise begann Kokoschka seine Schulidee zuerst in den USA umzusetzen, nämlich 1949, 1952 und 1956 in Boston bzw. Minneapolis, wo er an Kunstschulen bzw. -universitäten unterrichtete und seine erste School of Vision verwirklichte.258 Es wurden damals mehrwöchige Kurse angeboten – ein Prinzip, das er bei seiner 1953 mit Friedrich Welz in Salzburg begründeten Sommerakademie, der Schule des Sehens übernahm.259 1955 hatte er in Sion (Kanton Wallis/Valais) eine weitere Schule des Sehens gegründet.260 Eine Lehrtätigkeit ohne fixe Bindung an einen Ort bzw. an eine Institution bot Kokoschka Freiraum für zahlreiche eigene Projekte und Reisen bis in die frühen 1970erJahre hinein. In Wien war Matejka bis in die 1950er-Jahre hinein (erfolglos) um das Projekt einer Kunstschule Kokoschkas bemüht war. In Linz entwickelte bald nach Kriegsende der oberösterreichische Kunstreferent und Kunsthistoriker Justus Schmidt (1903 – 1970) das Konzept einer Werkkunstschule (Werkhaus Linz), das ähnlich wie das Bauhaus organisiert sein sollte. Hier sollten »Künstler und Meisterschüler in produktiver Werksgemeinschaft unter bewusster Ablehnung des schulmäßig akademischen Kunstbetriebs zusammenarbeiten […]«.261 Im November 1945 erging die Einladung des neuen, kulturaffinen Linzer Bürgermeisters Ernst Koref an verschiedene Künstler. Dem damals noch im Exil in Ankara lebenden Architekten Clemens Holzmeister sowie Kokoschka wurde die Oberleitung dieser Kunstschule angetragen. Weder die Berufung des einen noch des anderen kam zustande ; Kokoschka wollte sich nicht binden und lehnte ab.262 Last but not least spielte bei Kokoschkas Zukunftsplänen die Versorgung seiner Geschwister Berta in Prag und Bohuslav samt Familie in Wien eine Rolle. Sie wurden nach dem Krieg durch ein internationales Netzwerk an Freunden Kokoschkas mit Lebensmitteln, Kleidung usw. versorgt. Spätestens seit dem Frühsommer 1946 ventilierten die beiden Brüder die Idee, dass der Ältere ein Landgut in Österreich erwerben und der 257 Da hier nicht näher auf Kokoschkas Haltung gegenüber der abstrakten/gegenstandslosen Kunst eingegangen wird, sei auf Patrick Werkners Kap. Konservative Wende : Gegen Picasso, gegen die »Abstrakten« verwiesen, vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 253 – 260. 258 Zur Lehrtätigkeit Kokoschkas in den USA siehe Peltheo 1991 und Wally 2003, u. a. S. 16f. Vgl. auch Bonnefoit 2018, Holz 2021. 259 OK und Welz zogen sich nach 1962 von der Schule des Sehens (Internationale Sommerakademie) Salzburg zurück. Detailreiche Untersuchungen zu Kokoschka, Welz und der Salzburger Schule des Sehens : Wally 1993 und 2003 ; Amanshauser 2013 bzw. Stegen 1978. 260 OKs Lehrtätigkeit in Sion beschränkte sich auf die Jahre 1955 und 1956, vgl. Spielmann 2003, S. 522f. Vgl. OK-Fotonachlass im OKZ. 261 Wacha 1986, S. 3. Wacha 2004, S. 649f. 262 Wacha 2004, S. 650.
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landwirtschaftlich ausgebildete Bohi es bewirtschaften sollte.263 Es hätte dem Künstler bei seinen Projekten an vielen verschiedenen Orten als ein heimatlicher Stützpunkt dienen und idealerweise dessen eigene Kunstschule beherbergen können. Die Idee eines familiären Anwesens ging ursprünglich wohl von Bohuslav aus, der schon 1945 verlauten ließ, dass er Wien mit seiner Familie verlassen und als Landwirt bzw. Gutsverwalter arbeiten wolle. In einem Brief vom 7. Jänner 1946 heißt es : Ich rate Dir, auf keinen Fall herzukommen. Man würde Dir vielleicht den Akademie (die auch ein arges Loch bekommen hat) Direktor anbieten, jedoch würde die Stadt, die zum großen Teil aus Ruinen besteht, sehr deprimierend auf Dich einwirken, Geschäfte alle mit Brettern vernagelt, da keine Ware da ist, Du könntest Dich an diese Verhältnisse auf keinen Fall eingewöhnen, wo es schwer ist für jene, die sie genau kennen. Ausserdem wäre eine solche Reise jetzt lebensgefährlich und ein Verbrechen dazu zu animieren und hätte auch gar keinen Zweck.264
Diese Meldungen setzten dem Familienmenschen Kokoschka ebenso zu wie die politisch und wirtschaftlich instabile Lage, die vor allem aus den Sowjet-Zonen Österreichs gemeldet wurde.265 Sein alter Freund Albert Ehrenstein, der nach New York geflüchtet war, goss im Herbst 1947 noch Öl ins Feuer : »Sie sollten sehen, dass Sie ihre Leut [sic !] über den Winter aus Wien nach der Schweiz kriegen ! Nach allem, was ich höre, haben in Österreich nur die Bauern zu essen. Da das schon lange so geht und die Russen halt Deutschland und Österreich [ausrauben u.] auffressen, um Revolutiönchen zu erzwingen, befürchte ich Epidemien.«266 Kokoschka nahm alle Informationen aus Österreich mit großem Interesse bzw. mit Sorge auf. Noch 1950 sprach er gegenüber Welz von einer drohenden (kommunistischen) Putschgefahr in Österreich, die er wohl im Vorfeld des entsprechend medial aufbereiteten, großen Oktoberstreiks 1950 sah.267 In seiner 263 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, Bestand Kokoschka, Bohulslav an OK 1922 ; 1945 – 1950, Zuwachs 1997 (?), Bohuslav Kokoschka an OK, Wien, 16.6.1946. Bohuslav nennt hier die Steiermark, Salzburg, Tirol und Kärnten als mögliche Standorte. 264 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, Bestand Kokoschka, Bohuslav an OK 1922 ; 1945 – 1950, Zuwachs 1997 (?), Bohuslav Kokoschka an OK, Wien, 7.1.1946, Unterstreichungen im Original übernommen. Der Hinweis auf die mögliche Übernahme der Akademie-Leitung konnte quellenmäßig weder im UAbKW noch in den Akten des zuständigen BMU verifiziert werden. Im Juni d. J. erläuterte Bohuslav seine Idee sehr detailliert, vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, Bestand Kokoschka, Bohuslav an OK 1922 ; 1945 – 1950, Zuwachs 1997 (?), Bohuslav Kokoschka an OK, Wien, 16.6.1946. 265 Niederösterreich, Burgenland und das nördliche Oberösterreich unterlagen der sowjetischen Kontrolle. Wien wurde von allen vier Alliierten verwaltet. Durch seine östliche Lage sahen jedoch viele die Gefahr, dass die Stadt in den alleinigen Einflussbereich der Sowjets geraten könnte. Vgl. Rathkolb 1998. 266 Albert Ehrenstein an OK, o.O. [vermutlich New York], 27.9.1947, in : Ehrenstein 1989, S. 426. 267 Vgl. auch ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 45, Briefe von O. Kokoschka, Abschriften 1949 – 1959, OK an Friedrich Welz, London, 18.4.1950. Die enormen Preissteigerungen 1950 gingen nicht mit der Lohnentwicklung einher. Da der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) jedoch dem offiziellen Lohn-Preis-
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Jahrzehnte später erschienenen Autobiografie spiegelt sich seine Angst vor allem vor der Sowjetarmee wider : »Nachher sollen besonders die russischen Truppen, Kalmücken und Tataren, wilde Völker, denen man den von ihnen besetzten Teil Wiens preisgegeben hatte wie einst im Dreißigjährigen Krieg, arg gehaust, gemordet und geschändet haben. So sah der Frieden aus, für welchen Millionen von weißen und farbigen Soldaten in fast sechs Jahren ihr Leben gläubig hingegeben hatten.«268 Fieberhaft war Kokoschka auf der Suche nach einer guten Lösung. Dabei setzte er bei der Grundstückssuche quasi zeitgleich Wolfgang Gurlitt sowie Friedrich Welz ein.269 Und auch Viktor Matejka erwähnte in seinen Erinnerungen, dass er sich in dieser Sache für den Künstler in Wien bemüht hatte. In allen genannten Städten, in Wien, Salzburg oder in Linz, wurde das Ansinnen mit der Idee einer Schulgründung verknüpft. Die Hauptmotivation bei allen drei »Städten« und ihren drei mehr oder weniger offiziellen Vertretern war aber die Rückholung in bzw. engere Bindung Kokoschkas an seine »alte Heimat Österreich«. Viktor Matejka am 11. Oktober 1947 : Lieber Herr Kokoschka ! Doktor Novotny hat an den Bürgermeister der Stadt Wien Ihren Brief weitergeleitet, in welchem Sie den Wunsch aussprechen, dass Wien und Österreich noch einmal und bald wieder zu einem Kulturzentrum werden. In diesem Briefe schrieben Sie auch : »Falls man auf meine Mitarbeit Wert legt, so möge man versichert sein, dass ich lieber heute als morgen dort leben möchte – falls man meinen Lebensbedürfnissen nachzukommen imstande wäre.« Ich bitte Sie nun, lieber Herr Kokoschka, mir ganz konkret mitzuteilen, was wir von der Stadt Wien aus für Ihre Lebensbedürfnisse machen können. Die allgemeine Lage hier in Wien ist Ihnen gewiss nur zu gut bekannt. Was ich aber ganz konkret wissen will, ist, welche Wünsche Sie im Besonderen haben. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, dass ich es nur bedauern kann, dass Wiens grösster Maler des 20. Jahrhunderts die meiste Zeit der letzten Jahrzehnte im Ausland verbringt. Ich bedaure es ferner, dass die Stadt Abkommen zustimmte, kam es unabhängig vom ÖGB zu Arbeitsniederlegungen. Die Beteiligung der Kommunisten wurde als Putschversuch interpretiert, der angeblich zum Ziel hatte, Österreich zu einem Teil der SU werden zu lassen. Das bot u. a. die Gelegenheit zur »Säuberung« des linken Flügels der Gewerkschaftsbewegung, deren Opfer erst 2016 rehabilitiert wurden, vgl. Peter Mayer, Späte Gerechtigkeit für Streikopfer, in : Der Standard, 23./24.4.2016, S. 8 ; Autengruber/Mugrauer 2016 bzw. Hautmann 2000. Auch noch 1951 fürchtete OK für Wien/Österreich »eine Katastrophe […] wie in Prag«, vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1 – 6, OK an Wolfgang Gurlitt, Hamburg, 23.6.1951. 268 Kokoschka 1971, S. 267. 269 Welz’ intensive Suche eines geeigneten Anwesens haben Franz Eder, Barbara Wally bzw. Patrick Werkner detailliert untersucht, vgl. Eder 2003, Wally 2003a bzw. Kap. Intermezzo : OK sucht eine Wiese, in : Werkner/ Sultano, S. 246 – 248. Parallel dazu ließ OK seine in der Schweiz lebenden Freunde dort nach einem geeigneten Grundstück suchen.
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Wien Ihnen keine Aufträge für Porträts und Landschaften der Stadt gibt. Aber von diesem Bedauern haben Sie nichts und auch die Stadt Wien nichts, die letztere höchstens die Schande und die Schuld. Ich bin der Meinung, Sie müssen also wirklich recht bald, so wie es viele getan haben, nach Wien kommen, damit wir wenigstens einmal mündlich alle Ihre Wünsche und unsere Bitten an Sie besprechen können.270
Wolfgang Gurlitt am 26. April 1949 : Selbstverständlich bin ich gerne bereit mich weiterhin für einen kleinen Landsitz für Dich zu interessieren und da man in Linz und Oberösterreich sich natürlich freuen würde, wenn Du dort irgendwie ansässig würdest, glaube ich von allen offiziellen Seiten Unterstützung zu finden. Es wäre nur nötig, dass Du mir noch einmal Deine Wünsche, wie sie sich jetzt darstellen, mitteilst […].271
Friedrich Welz am 1. März 1951 (Kokoschkas 65. Geburtstag !) : Ich werde unablässig weiter bemüht sein, für Sie jene Voraussetzungen und Anreize zu schaffen, die Ihnen den sommerlichen Aufenthalt in Salzburg angenehm machen… Überlegen Sie bitte nochmal und lassen Sie – ich flehe Sie an – Ihre alte Heimat Österreich nicht im Stich. Es gibt nicht allzu viele, die den Undank gutmachen wollen, den man an Ihnen in der Vergangenheit begangen hat.272 Wolfgang Gurlitt
Die zuvor erwähnte Idee einer Werkkunstschule in Linz war mit der zeitgleich ventilierten Gründung der Neuen Galerie (1946, eröffnet 1947) entstanden und fand im Kunsthändler Wolfgang Gurlitt (1888 – 1965) einen idealen Partner.273 Der ehemals in Berlin ansässige Gurlitt hatte sich mitsamt seiner riesigen Kunstsammlung gegen Kriegsende 270 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, 11.10.1947. Viktor Matejka bezieht sich auf den Brief OK an Fritz Novotny, Sierre, Schweiz, 31.7.1947, in : Briefe III, S. 189. 271 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 325.24, Wolfgang Gurlitt an OK, Bad Aussee, 26.4.1949. »Was aber grade mein Plan ist, daß er [Bohuslav, Anm. BR] auf eigenen Beinen setzen soll, dank einer solchen Erwerbung, denn plötzlich kam der Tag, wo ich nimmer bin. Wenn Du aber so lieb bist und durch einen Fachmann Erkundigungen nach einer bessern Gelegenheit, womöglich nicht zu weit von Salzburg, wo ich den internationalen Kontakt und ein Flugfeld in der Nähe habe, einholst, so bin ich Dir außerordentlich dankbar. Ich will nicht mehr lange selber in England bleiben und gedenke auch mir in demselben Haus ein Absteigquartier einzurichten.«, vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 66.1 – 6, OK an Wolfgang Gurlitt, Zürich, 9.11.1950. 272 Friedrich Welz an OK, 1.3.1951, zit. Stegen 1978, S. 21. 273 Ausführlich zu OK, Gurlitt und Linz : Nowak-Thaller 2008 und Wacha 2008.
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im Salzkammergut niedergelassen. Ein Gutteil seiner Sammlung, die etliche während der NS-Zeit entzogene bzw. mit außerordentlich problematischer Provenienz behaftete Kunstwerke enthielt, wurde von der Stadt erworben und bildete den Grundstock des neuen Museums.274 Gurlitt war bekanntlich einer der ersten Galeristen und Verleger, mit denen der junge OK in den 1910er-Jahren verbunden war (Abb. 35). Er hatte 1946 über Matejka scheinbar erfolglos bzw. dann erst nach einem Wiedersehen bei Kokoschkas Zürcher Ausstellung im Sommer 1947 Kontakt mit dem Künstler aufgenommen. In Anspielung auf eine in der Wiener Albertina geplante OK-Schau bot er diesem an : «Wenn Du mich mit Deiner Vertretung für Österreich betrauen würdest, wäre mir dies eine besondere Genugtuung und Du könnest alles, was Du hier zu erledigen, oder zu erreichen trachtest über mich leiten. Ganz gleich, ob es sich um die Ausstellung in der Albertina oder sonstige Dinge handelt.«275 Als ehemals vertrauter Galerist und Kokoschka-Sammler hatte er versucht, die in alle Windrichtungen zerstreuten Bilder, v. a. Druckgrafiken zusammenzuführen. Darüber hinaus erstellte er als Verlagsinhaber ein Konzept bzw. einen Vertrag zur Gründung eines Kokoschka-Archivs : Um dem Werk und Werken Oskar Kokoschkas einen für die Dauer gesicherten Sammelpunkt und eine Heimstätte zu geben und auf diese Weise eine Stelle zu schaffen, die der Kunstwissenschaft dienen soll, übernimmt es Wolfgang Gurlitt das KOKOSCHKA-ARCHIV aufzubauen und zu verwalten. Die Arbeitsziele des Archives sind : Anlegen von Sammlungen : 1.des malerischen Œ uvres in Reproduktionen, 2. der Grafik in Originalen, 3. des dichterischen Werkes in allen Publikationen, 4. der Veröffentlichung von und über Kokoschka, seiner Graphik und seiner literarischen Werke. Herausgabe neuer literarischer und graphischer Werke, Veranstaltungen von Ausstellungen, Wahrung der Interessen des Künstlers, Herausgabe des graphischen Oeuvre-Kataloges. […].276
Gurlitt wurde noch vor Welz bzw. phasenweise zeitgleich mit diesem zu einer Art Manager für Kokoschka, was vor allem in Hinblick auf manche Wiener Bemühungen um Kokoschka von Bedeutung wurde. Die genannte große Schau, die Gurlitt 1951 in Linz gezeigt hatte (OK : »Deine Ausstellung in Linz hat mich noch gefreut, weil Du ein leidenschaftlicher Mensch bist, der so was mit dem Herzen macht.«277) und die konfliktreiche Lukrierung des Porträts des Wiener Bürgermeisters Dr. Theodor Körner (Abb. 37) für die Neue Galerie erfüllte Kokoschka mit Genugtuung und Häme gegenüber den offiziellen Wiener Stellen. Darüber hinaus wurde Kokoschka mehrfach mit (einigen
274 Wacha 1986, S. 8. Zur »Sammlung Gurlitt« und Linz, siehe u. a. Schuster 1999 und 2005. 275 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 325.24, Wolfgang Gurlitt an OK, Bad Aussee, 25.7.1947. 276 Typoskript, o.O., o.D., ebd. 277 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1 – 6, OK an Wolfgang Gurlitt, Salzburg, 18.8.1951.
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nicht ausgeführten) Aufträgen der Stadt Linz betraut, wie etwa dem Gemälde Linzer Landschaft (1955).278 Die Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und dem Kunsthändler/Galeriedirektor war jedoch bald von Problemen überschattet : Gurlitt hatte finanzielle Probleme, die nicht ohne Folgen auf sein Verhältnis zu den politischen Verantwortlichen in Linz geblieben waren. Zudem war er in einen schwierigen Rechtsstreit rund um das OK-Werkverzeichnis mit Wilhelm F. Arntz geraten, was dessen Erscheinen jahrelang blockierte. Die von Gurlitt als Popularisierung Kokoschkas initiierten OKA-Drucke gerieten als Reprints von (Druck-)Grafiken und angeblich durch den Verleger gesetzte Signaturen in Verruf. Diese Umstände führten spätestens Anfang 1952 zu nachhaltigen Verstimmungen mit dem Künstler. In Folge war Walter Kasten (1902 – 1984), Gurlitts früherer Assistent und nachmaliger Direktor der Neuen Galerie, der Linzer Ansprechpartner für Kokoschka. Der »große OK« und Wien nach 1945 Wie schon erwähnt war Viktor Matejka einer 35 : Oskar Kokoschka, Wolfgang Gurlitt als jener wenigen Persönlichkeiten, die sich aktiv Zauberprinz, »Wolfgang / Ich war als Kind / ein um die Rückkehr vertriebener Künstler/innen Zauberprinz / nie werde ich sterben / müssen / und Wissenschaftler/innen nach Österreich Oskar«, 1923, Offset-Lithografie. bemühten – ein Engagement, das nicht nur einen konstruktiven, versöhnlichen Umgang mit der weithin verdrängten (Mit-)Schuld zum Ziel hatte, sondern auch eine Revitalisierung des Kulturlebens. Schon in den ersten Tagen nach der Befreiung Österreichs, war es für mich selbstverständlich, daß die wenn auch noch so provisorische Regierung eine generelle Einladung an alle durch den Nationalsozialismus vertriebenen Österreicher zu richten hatte. Dazu wäre sie aus mehr als einem Grund verpflichtet gewesen. Doch ich erlebte eine Niederlage, die ich heute noch als schmerzlich empfinde. Eine generelle Einladung an die zeitweise verlorengegangenen Söhne
278 Vgl. Linzer Landschaft, 1955, Öl/Leinwand, Lentos Kunstmuseum Linz, FOK CR 1955/1.
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und Töchter der Heimat ist leider nie erfolgt. Solche Einladungen wurden bestenfalls von Gruppen oder Einzelpersonen ausgesprochen, aber von keiner österreichischen Regierung.279
Matejka konnte zwar nicht im Namen der Bundes- oder Stadtregierung agieren, aber kraft seines Amtes als Kulturstadtrat zumindest Einladungen aussprechen und fand im ersten Nachkriegs-Bürgermeister Theodor Körner einen prinzipiell wohlwollenden Vorgesetzten. Dennoch musste er aus vielerlei Gründen scheitern. Mehr noch als das Beispiel Kokoschkas offenbart die versuchte Rückholung Arnold Schönbergs die Untiefen der Hindernisse. Der nach Kalifornien exilierte, rückkehrwillige Komponist bat einzig um die Zusicherung einer Wohnmöglichkeit. Mit dem Hinweis auf die bestehende Wohnungsnot und um nicht einen möglichen Präzedenzfall zu schaffen, wussten bestimmt Kreise den Antrag zu verhindern. Im Fall Schönbergs traten noch das Unverständnis gegenüber seinem Werk sowie ein unverhohlener Antisemitismus zutage. Dazu ein »sehr wichtiges Mitglied der Wiener Landesregierung […] : Schon wieder an jüdischen Musiker, den eh keiner versteht, will da der Matejka einschmuggeln !«280 Neben der praktischen Hilfe für künstlerische bzw. wissenschaftliche Remigrationswillige war der engagierte Kulturpolitiker auch bemüht, vielen die längst fällige, offizielle Ehrenbekundung zu erweisen. Doch auch hier stieß er wiederholt auf Widerstand. Der Kontakt zwischen Kokoschka und Matejka ist spätestens im Februar 1946 nachzuweisen (Abb. 36).281 Humanitäre Hilfsprojekte und Ausstellungspläne wurden dabei verknüpft ; die Unterstützung für Bruder Bohi zieht sich wie ein roter Faden durch die Korrespondenz.282 Über Jahrzehnte hin setzte er sich mit beeindruckender Energie für Kokoschka und sein vielseitiges Schaffen ein, verabsäumte nie den »größten lebenden Maler Österreichs« bei allen Gelegenheiten und in verschiedenen Medien zu benennen.283 Er war – wie er einmal über OK sagte – selbst ein »glühender Patriot«284 und schon vor 1938 ein kompromissloser Antifaschist und Verteidiger der österreichischen Selbstständigkeit gewesen. Der Titel der von ihm initiierten Ausstellung Niemals vergessen ! (1946) wirkte wie ein Lebensmotto Matejkas. In seinen Briefen an den Künstler berichtete er etwa von dem US-amerikanischen Propagandafilm Die Todesmühlen (Re279 Matejka 1991, S. 204. 280 Matejka 1984, S. 195. 281 OKZ, Inv.Nr. 10.497/Aut 30, OK an Viktor Matejka, London 25.2.1946. 282 Ebd. Bohi berichtet wenig später von den Bemühungen Matejkas »um alles, was Du von ihm haben willst, und ich bat ihn jede Art von Schnakerl Ausstellung zu verbieten, eine große Repräsentative mit allem was dazu gehört und einem Weltnamen entspricht, wird gemacht werden bis die Zeit dafür reif ist, darauf freut er sich ganz besonders und man kann sicher sein, dass er da das Beste und Lebendigste leisten wird.«, vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka Zuw. (1997), Bohuslav Kokoschka an OK, Wien, 23.3.1946. 283 Eines seiner Sprachrohre war u. a. die ab 1946 von der KPÖ herausgegebene Kulturzeitschrift Österreichisches Tagebuch (ab 1957 : Tagebuch, von 1969 – 1989 : Wiener Tagebuch). 284 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, 9.3.1951.
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gie : Hanuš Burger, Billy Wilder, 1945), seinen Zeugenaussagen gegen NS-Schergen im KZ Dachau, aber auch von ehemaligen Nationalsozialisten, die ihre Schuld eingesehen hatten. Mit Kokoschka verband ihn die oft spontane, unorthodoxe Art, sich zu engagieren, sein symbolisches Kapital einzusetzen – sei es für humanitäre Spendenaktionen, junge Künstler/innen oder verschiedene Kunstvermittlungsprojekte. Matejkas spätere Berichte decken sich weitgehend mit den Quellen, v. a. dem erhaltenen Briefwechsel. Anders als bei Kokoschkas häufiger »Interpretation« bzw. Verzerrung von Fakten, war er stets um korrekte historische Darstellungen bemüht und wurde nicht müde, diese eventuell zu korrigieren. Dennoch sind seine Schilderungen quellenkritisch zu kontextualisieren und zu beurteilen. Sein Engagement gerade für Kokoschka war quasi bedingungslos und offenbart einige »blinde Flecken« bzw. große »Nachsicht« bei der Wahrnehmung des verehrten Künstlers. Dazu zählt Kokoschkas gehörige Portion an Egoismus und (leicht gekränkter) Eitelkeit und nicht zuletzt an politischem Opportunismus. Matejka nahm die Wünsche, Vorschläge und Forderungen Kokoschkas stets ernst, auch wenn er nach dem Verlust seiner Stadtratsfunktion und dem damit verbundenen politischen Pouvoir weniger dienstbar werden konnte. Persönliche 36 : Viktor Matejka und Kokoschka, Wien, Kränkungen ertrug er geduldig : so hatte er 1949, Foto : Pressefoto Henisch, OKZ. beispielsweise 1956 beklagt, dass man bei einer Ausstellung in Amsterdam die Möglichkeit verwirkt habe, Picassos Guernica und Kokoschkas Thermopylae in gleichwertiger Gegenüberstellung auszustellen.285 In Picasso, der zum vielleicht weltweit bekanntesten, lebenden Maler geworden war, sah Kokoschka einen großen Konkurrenten. Jener erzielte spätestens nach 1945 auch am US-Kunstmarkt enorme Preise und galt durch das besagte Bild sowie seine ebenso ikonisch gewordene Friedenstaube als Inbegriff des politisch engagierten Künstlers. Gegenüber Paul Westheim hatte er in einer in der Briefedition zensurierten Passage deutliche Worte gefunden : »Der Picasso macht jetzt hier große Aufregung als Verfolgter »degenerate« artist. Ein bissl spät. Wir waren früher dran und sind mittlerweile nicht Besitzer von ei285 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, 30.7.1954.
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ner Menge von Zinshäusern in der Rue de Rivoli geworden. Ich finde es ja blöd, noch auf die alten Tage Grundstückspekulant zu werden. Bin bloß neugierig, ob er es der kommunistischen Partei im Testament vermacht oder den Millionären, die in dem nächsten Wallstreet-Krach bankrott werden.«286 Es war wohl auch Neid, der sich im Vorwurf des Plagiats artikulierte, das er gerade an Guernica nachgewiesen haben wollte.287 Matejkas »Fauxpas« hatte zur Folge, dass Kokoschka jahrelang dessen Briefe unbeantwortet ließ. Schon zuvor hatte sich OK gegenüber seinem Bruder abfällig über ihn geäußert : in einer in der Briefausgabe gestrichenen Textstelle hielt er in Gegenüberstellung zum genannten Historienbild und in Anspielung auf Matejkas bzw. Picassos KP-Mitgliedschaft fest : »Nix von dem französischen, dekorativen Picasso Kunstgewerbe-Negerei-Schmus, den der Herr Matejka für das letzte Wort in der Kunst hält, weil es einen roten Hemdzipfel herausstehen hat, dort wo die Hose ein Loch hat.«288 Kokoschkas Attacke traf den Falschen : kaum jemand in Österreich war derart unbeirrt, beinahe missionarisch getrieben von der Bedeutung und aktuellen Wirkkraft des »Meisters« überzeugt. Der Titel eines langen Kokoschka-Kapitels in einer seiner Erinnerungen brachte das selbstgewählte Verhältnis auf den Punkt : »Der große OK und der kleine VM«.289 Viktor Matejkas Engagement für Kokoschka ging bis weit über seine Amtszeit als Kulturstadtrat Ende 1949 hinaus und wurde als eine Geschichte der Verhinderungen, der fatalen Kombination aus Ignoranz, Unverständnis und Neid, der Versäumnisse und peinlichen Verspätungen interpretiert. Matejka hatte noch 1955 beim Unterrichtsminister versucht, die Salzburger Schule des Sehens über Bundesagenden in die Hauptstadt zu holen.290 Seit dem 60. OK-Geburtstag (1946) hatte der »Rote Stadtrat« auf eine würdige Ehrenauszeichnung gedrängt, was in Folge 15 Jahre dauern sollte. Darüber hinaus hatte sich Matejka um offizielle Auftragsvergaben der Stadt Wien bemühte, was zumindest bei dem 1949 entstandenen Porträt des Wiener Bürgermeisters Theodor Körner gelang. Das Gemälde sollte sich allerdings ab 1951 im Besitz der Stadt Linz befinden.291 Daneben engagierte sich »der kleine VM« viele Jahre erfolglos, eine große KokoschkaAusstellung in Wien zu organisieren. 286 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 44 (Briefe von O. Kokoschka, Abschriften, 1944 – 1948), OK an Paul Westheim, London, 24.1.1946, vgl. Briefe III, 163f. 287 Zum Verhältnis OK zu Picasso vgl. Sultano/Werkner 2003, S. 255f. OK war überzeugt, dass seine Zeichnungen zu Mörder, Hoffnung der Frauen als Grundlage für Picassos Guernica gedient hatten, vgl. z. B. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1 – 6, OK an Wolfgang Gurlitt, 19.4.1951. 288 OK an Bohuslav Kokoschka, Villeneuve, 1.1.1955, in : Briefe IV, S. 37 ; die zensurierte Passage vgl. ders. Brief, vollständige Fassung, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 22.1.c. 289 Matejka 1991, S. 197. 290 ÖStA, AdR, BMU, Sammelmappe 210 Oskar Kokoschka 1955 – 1973 02 K47, Zl. 107.392-II/9a/55 1B, Viktor Matejka an Unterrichtsminister Heinrich Drimmel, Wien, 17.12.1955 bzgl. der Übernahme der Salzburger Sommerakademie durch den Bund ; siehe auch ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejka an OK am 8.8.1955 und 16.12.1955. 291 Vgl. Hilger 1986, S. 283 – 286, Sultano/Werkner 2003, S. 229 – 234.
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Das »unvollendete« Porträt des Wiener Bürgermeisters Theodor Körner
Kokoschka war im November 1947 erstmals wieder in Wien gewesen. Matejka in seinen Erinnerungen : »Meine Betriebsamkeit kam auf Hochtouren, und ich versuchte meinen Kollegen im Wiener Stadtsenat klarzumachen, daß jetzt endlich veranlaßt werden müsse, was bisher versäumt worden war.«292 Von da an schrieb Matejka dem Künstler in regelmäßigen Abständen und sprach am 6. Jänner 1948 die Hoffnung eines baldigen Wiedersehens und eines Bürgermeister-Bildes von Kokoschkas Hand aus : »Der Bürgermeister und ich rechnen ehrlich und allen Ernstes, dass Sie in diesem Frühjahr wieder nach Wien kommen. Bürgermeister Kärner [sic !] spricht oft davon, wie das sein wird, wenn Sie ihn malen werden. Er hat an Ihnen richtig Feuer gefangen.«293 Mit einigen Verzögerungen kam Kokoschka im April 1949 nach Wien und malte Theodor Körner mit dem er sich – wie schon bei der ersten Begegnung 1947 – intensiv über aktuelle Probleme unterhalten hatte (Abb. 37). Kokoschka faszinierte offensichtlich durch seinen Enthusiasmus, sein Hoffnung-setzen in die Jugend und nicht zuletzt durch die erwähnte Sammelaktion von Prothesen für Kriegsversehrte. Das Porträt zeigt ein klassisches Brustbild in Dreiviertelhaltung, das den Dargestellten 37 : Oskar Kokoschka, Porträt durch die Haltung seiner Hände in einem Dr. Theodor Körner, 1949, Öl/Leinwand, vermeintlichen Redegestus zeigt – eine Pose, L E N T O S Kunstmuseum Linz. die – wie man an einer Fotoserie der Porträtsitzungen erkennen kann – für den Porträtierten offensichtlich nicht sehr bequem war (Abb. 38). Die Figur scheint ruhig, etwas steif zu sitzen, ihr Blick wirkt nachdenklich, nach innen gerichtet. Die Haltung, das kompakt gestaltet Gesichtsinkarnat, das beinahe wie verschleiert wirkt, kontrastiert mit der allgemein vorherrschenden malerischdynamische Auffassung. Der Pinselgestus erzeugt eine lebendige, fast unruhige Atmosphäre. Manche Bildkompartimente scheinen sich zu verselbstständigen, bekommen ein abstraktes Eigenleben. Mit breiten, schnellen Zügen wurde der Körper umrissen, die Farben wirken weitgehend ungemischt und unmittelbar auf die Leinwand gesetzt. 292 Matejka 1991, S. 204. 293 ZBZ Nachl. O. Kokoschka, 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, 6.1.1948.
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38 : Kokoschka malt Theodor Körner, Rathaus, Wien April 1949, Foto : Bilderdienst, Pressestelle der Stadt Wien, OKZ.
Auffallend ungelenk wirken die Hände, die wie von unmotiviert laufenden roten Nervenbahnen durchzogen sind. Sie korrespondieren mit der wild gesetzten Paraphrase des floralen Hintergrunds (Tapete), die nicht als räumliche Folie hinter der Figur erscheint, sondern vielmehr wie eine dynamisierte Aura um das bürgermeisterliche Haupt. Die starken Rotakzente im oberen Bereich erzeugen eine Nahwirkung, die den Bildraum insgesamt sehr eng erscheinen lässt. Das Bildnis des Wiener Bürgermeisters vermittelt einen repräsentativen und zugleich irritierenden Gesamteindruck. Entsprechend geteilt waren die Meinungen über das Gemälde, wobei Matejka und Korrespondenten wie Richard Ernst, der Direktor des Österreichischen Kunstgewerbemuseums, gegenüber Kokoschka nur eigene bzw. geschönte Kommentare überlieferten. So schrieb Letzterer nach Kokoschka Rückreise : »Nach dem Abschied am Freitag haben wir alle das Bild des Bürgermeisters lange betrachtet ; ich habe mich über Ihre prachtvolle Arbeit sehr gefreut.«294 Matejka selbst, der spiritus rector des Gemäldes, berichtete im Juli des Jahres dem in Rom weilenden Meister : »Inzwischen drängen sich immer mehr Leute zu dem Körner-Porträt, das derzeit in meinem Büro steht. Ich habe schon ein ganzes Buch mit schriftlichen Urteilen, Meinungen, Kritiken, die hier die Besucher zum Besten 294 Archiv MAK, Zl. 5574 – 49, Richard Ernstan OK, Wien, 4.5.1949, zit. n. Sultano/Werkner 2003. S. 232.
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geben.«295 In seinen Erinnerungen hingegen gab der Kulturstadtrat ein anderes Bild der unmittelbaren Rezeption : Das Porträt war abgeschlossen, es begann die Kritik und bald darauf die Stänkerei, zuerst nur hintenrum. Aber es fand sich auch unter den öffentlich bestallten Kritikern und Kunstpäpsten niemand, der das Bild einer besonderen Hervorhebung für würdig befunden oder sich sachlich damit auseinandergesetzt hätte. Es vollzog sich so eine Art Diffamierung auf kaltem Weg. Solange ich im Rathaus tätig war (bis Ende 1949), stand das Porträt in meinem Büro auf einer Staffelei und ich ersuchte viele Besucher, mir ihre Meinung zu sagen. Manche schrieben sie mir auch auf. Andere wieder nahmen strikt Abstand von jeder schriftlichen Fixierung : man kann ja nie wissen…296
Kokoschka hatte kein Honorar verlangt, sondern sich eine Kollekte für Kinder gewünscht : »Das Bild vom Bürgermeister gehört den Wiener Kindern. Man soll bloß viel Geld dafür hereinzukriegen trachten mittels Eintrittsgebühren, Sammlungen und Reproduktionseinkünften, die ich dem lieben Bürgermeister zur Verfügung überlasse.«297 De facto kam es nie zu einer Umsetzung. Im Dezember 1949 waren Gemeinderatswahlen, und Matejka verlor seine Funktion als Kulturstadtrat. Er behauptete später, dass das BürgermeisterBild im Depot verschwunden sei. Wolfgang Hilger rekonstruierte, dass es erst 1951 anlässlich der genannten großen Kokoschka-Schau in Linz 1951 von dort hervorgeholt worden wäre. Kokoschka hatte es für die Ausstellung reklamiert und es weiterhin als sein Eigentum angesehen.298 Auch danach sollte das Bild auf Wunsch des Künstlers in Oberösterreich bleiben und ging unter außergewöhnlichen Umständen 1954 endgültig in die Sammlung der Neuen Galerie der Stadt Linz, Wolfgang-Gurlitt-Museum ein. Im Sommer dieses Jahres war die Donau über die Ufer gegangen : Kokoschka spendete sein Bild abermals, diesmal für die Hochwasseropfer in Linz und in seiner Geburtsstadt Pöchlarn.299 Das Bildnis des Wiener Bürgermeisters wurde von der Stadt Linz erworben und ging in ihr Eigentum über. Das offizielle Wien hingegen hatte versagt. Die Nachlässigkeit mit der die Stadtväter mit der Donation des Künstlers umgingen ist evident, was neben der Trägheit des bürokratischen Apparats vor allem auf das Unverständnis der künstlerischen Leistung zurückzuführen ist. Der Künstler hatte Gurlitt 295 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, Juni 1949. 296 Matejka 1991, S. 207f. 297 OKZ, Inv.Nr. 10.497/18/Aut, fol. 3, OK an Viktor Matejka, Rom, 24.6.1949. 298 Hilger 1986, S. 284f. 299 Im September 1955 hatte der Gemeinderat Pöchlarns beschlossen, dem Künstler zu seinem 70. Geburtstag (1956) den erstmals zu diesem Anlass initiierten Ehrenring ihrem ersten Ehrenbürger zu verleihen, und stand seit damals mit ihm in wohlwollendem Kontakt. Im August 1956 kam es zur persönlichen Übergabe der Auszeichnungen in Pöchlarn. Im Februar des Jahres wurde OK die Ehrenplakette des Landes Niederösterreich zuerkannt. Vgl. ZBZ, Nachl. Olda K E 2004, Auszeichnungen, Würdigungen, Ehrenzeichen.
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mit den Agenden betraut, der sich damit in Wien mehr Feinde als Freunde machte. Auf den Vorwurf, dass die Stadt Wien dem Schenkungswunsch und somit der Honorarabmachung nicht Folge geleistet habe, erwiderte der Kulturstadtrat Hans Mandl (1899 – 1970) im Jänner 1952 lapidar, die Sache sei völlig unklar, und sah – wenig verwunderlich – in den Gebarungen seines Vorgängers die Wurzel des Problems. Der Wunsch, den »Wiener Kindern« zu helfen und die Behörde selbst entscheiden zu lassen, wo und wie das Geld am Nötigsten einzusetzen wäre, wurde von Mandl offensichtlich als ein Affront empfunden, zumal er für die Kinder- und Schulagenden verantwortlich war und mit fadenscheinigen Argumenten die Abmachung überhaupt anzweifelte : Die Abmachungen, die seinerzeit mit dem Künstler von meinem Vorgänger Dr. Matejka getroffen wurden, sind nirgends festgehalten und derart vage, dass man bisher nie an eine Realisierung denken konnte. Selbst Stadtrat Matejka ist nicht in der Lage, präzise Angaben zu machen. Der Vorschlag, dass Kokoschka für das Werk kein Honorar verlange, sondern die Stadt für einen zu gründenden Fond zu Gunsten notleidender Wiener Schulkinder einen, dem ungefähren Wert des Bildes entsprechenden Betrag stiften solle, ist ja in Wahrheit ein Unding. Es gibt in Wien kein notleidendes Schulkind, weil die öffentliche Fürsorge in all ihren Verzweigungen ( Jugendhorte, Schülerausspeisungen, usw.) für die Schuljugend so sorgt, dass die Bereitstellung eines Betrages im angeführten Sinne einfach widersinnig wäre. […] Aus dieser Tatsache allein ergibt sich schon, wie unmöglich die seinerzeitige Absprache – vorausgesetzt, dass sie in der Art stattgefunden hat – gewesen sein muss.300
Unausgesprochen war das Gemälde selbst nicht als Gewinn, sondern als eine Altlast Matejkas interpretiert worden. Doch Hans Mandl wollte sich nicht nur von seinem Vorgänger distanzieren : im Zusammenhang mit der schon erwähnten Verleihung der Ehrenmitgliedschaft der Wiener Akademie offenbarte, oder besser entlarvte er sein Unverständnis gegenüber dem Bildnis bzw. der Malerei Kokoschkas : Dass die Akademie d. bild. Künste die Absicht hat, K. zum Ehrenmitglied zu machen, hat mir der Rektor der Akademie mitgeteilt. Ich habe ihm den Sachverhalt geschildert und ihn noch darauf aufmerksam gemacht, dass Hr. Prof. Kokoschka anlässlich der Arbeit an seinem Bild im Wiener Rathaus erklärt hat, er käme nochmals bei Gelegenheit nach Wien, um das Bild fertigzustellen. Es scheint sich also nach seinen eigenen Aussagen um eine allerdings sehr weit gediehene Skizze zu handeln, die erst vollendet werden müsste.301 300 WStLA, Vizebgm StR Hans Mandl, Abtlg. F. Kultur, Volksbildung und Schulverwaltung, Korrespondenz 1950 – 1952, Karton A1 – 2, Fasz. StR Hans Mandl : Chefpost (1951) (H. 1 – 215), Korrespondenz, Zl. 21/1952, Hans Mandl an Wolfgang Gurlitt, Wien, 28.1.1952. Hans Mandl hatte selbst eine Lehrerausbildung und war bis zu seiner politischen Karriere im Lehr- und Schulwesen tätig gewesen, vgl. http://www. dasrotewien.at/seite/mandl-hans (Zugriff : 7.9.2022). 301 Ebd.
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Der amtierende Kulturstadtrat war zudem mehr als verstimmt, da Kokoschka die Verleihung des Ehrenrings der Stadt Wien zu seinem 65. Geburtstag im März 1951 abgelehnt hatte, was das Verhältnis auf weitere zehn Jahre trübte. Dies war wohl ein Grund, warum Kokoschka via Gurlitt so konsequent auf die zunächst Leih- und dann endgültige Herausgabe des Körner-Bildnisses nach Linz drängte. Für die von Juni bis August 1951 laufende Werkschau in Linz verlieh der Künstler dem Kunsthändler und Linzer Museumsdirektor eine Vollmacht, beim Wiener Magistrat die »Leihanfrage« zu stellen : Das »Körner«portrait muß man Dir im Rathaus leihen, weil es faktisch mir gehört solange man nicht die Bedingungen erfüllt hat, die ich an die Übergabe an die Stadt stellte. Nämlich eine Sammlung für notleidende Kinder mit einem […] Erlös, der ungefähr dem Werte eines Bildes von mir entspricht. […] Schuld liegt am Wiener Gemeinderat, der mich scheinbar für ein Aushängeschild benutzt, wenn sie kulturellen Ausverkauf machen, aber vergisst, wenn es sich um kulturelle Aufgaben handelt. Nur in der Nazizeit war man sich über mich einig und hat mich ausgebürgert und angeprangert ! !302
Kokoschka verknüpfte – wie noch öfters – Wien mit der von Deutschland aus gelaufenen Ausstellung Entartete Kunst, die in Wien im Mai 1939 nur mehr in bescheidenem Umfang Arbeiten von OK enthalten hatte. Evident wird hier ein Muster, dem der Künstler folgte, wenn er bei Wiener Kunstinstitutionen auf Widerstand mit seinen Wünschen stieß – Begründungen dafür ignorierte er weitgehend. Er war und blieb das Opfer der Wiener Kunstpolitik ; seine eigene Position war gegen Argumente »immun«. Die in der Einleitung erläuterte Differenzierung zwischen Protagonisten des Feldes der Kunst bzw. der Politik sind bei der Klärung des schlechten Klimas zwischen dem Künstler und »der Stadt Wien« notwendig. Denn das Unverständnis und die mehr als latente Geringschätzung durch den Politiker Mandl stand die Position der Wiener Sammlungen, im konkreten Fall des Direktors des Historischen Museums der Stadt Wien, Franz Glück (1899 – 1981), gegenüber. Der Kunsthistoriker war ein Freund von Karl Kraus und Adolf Loos gewesen und mit dem Loos-Intimus Ludwig Münz sehr eng befreundet. Leider wurde der Großteil der Kokoschka betreffenden Akten des heutigen Wien Museums skartiert. In Kokoschkas Nachlass hat sich jedoch Korrespondenz von Glück an OK erhalten, die einige interessante Aspekte beleuchtet und die apodiktisch angenommene »Wiener« Ignoranz bzw. Ablehnung relativiert. Glück hatte 1949 die Leitung des Museums übernommen und war Karl Wagner (1881 – 1958) gefolgt. Letzterer war als bekennender Burschenschaftler im November 1938 zum Direktor ernannt worden. Da er nie NSDAP-Mitglied gewesen war, blieb Wagner ohne irgendwelche Sanktionen hinsichtlich seiner politischen Aktivitäten bis zu seiner Pensionierung im Herbst 1949 in seiner 302 OK an Wolfgang Gurlitt, Hamburg, 27.5.1951, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1 – 6, Gurlitt (1). Die Vollmacht für Gurlitt : OK, Vollmacht, Hamburg, 12.6.1951, ebd.
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Position. Nach der »Ära Wagner« war Glück als Nachfolger intensiv mit einer »Reorganisation des, meiner Ansicht nach, sehr verschlampten Musealbetriebes« beschäftigt.303 Im Juli 1951 bat er Kokoschka sehr eindringlich, direkt mit ihm bezüglich des Porträts des mittlerweile zum Bundespräsidenten gewählten Körner zu verhandeln – ohne den Mittelsmann Gurlitt. Darüber hinaus erklärte er den »Widerstand« gegen die Herausgabe des Körner-Bilder, der nicht in mangelnder Wertschätzung begründet sei : Ich habe sogleich, als sich Herr Gurlitt vor vielen Monaten an mich wandte, mitgeteilt, daß ich während der Wiener Festwochen eine Ausstellung der Hauptwerke des Wiener Museums eröffnen würde und daher die beiden Bilder aus dem Besitz der Stadt Wien nicht zur Verfügung stellen könnte. Das Porträt des Bundespräsidenten Körner war durchaus nicht »in einer Kanzlei sozusagen abgestellt«, sondern hing über meinem Schreibtisch. Ich habe es dort oft Fremden, Wienern, vor allem auch Studenten der Wiener Akademie gezeigt.304
Dass es erst jetzt zu einer öffentlichen Präsentation komme, hänge mit der oben erwähnten nötigen Neuorganisation nach der Direktionszeit Wagners zusammen. Danach habe er das Bild sofort, noch in der Bürgermeister-Zeit des Dargestellten, ausgestellt – einer Gesamtschau, die »mit der Urgeschichte Wiens beginnt, mit Ihren Arbeiten enden« sollte. Kokoschka war nicht umzustimmen und erteilte Gurlitt eine Vollmacht, das Bild für die Linzer Ausstellung einzufordern.305 Glück versuchte die unrühmliche Position, die Mandl eingenommen hatte, mehr oder weniger elegant zu relativieren und behauptete, der Kulturstadtrat hätte OK in Salzburg treffen wollen : »Nur der Wechsel auf dem Stadtratsposten und die ständige Hoffnung, daß es zu einer persönlichen Zusammenkunft kommen könnte«, habe den Anschein eines Versäumnisses provoziert.306 Derlei »bemühte« Kalmierungen provozierten heftige Reaktionen des Künstlers : »[…] die Wiener Rathäusler sollen sich schämen. Dem Dr. Glück zeigst Du meinen Brief und sagst ihm, dass Du seine ungehörigen Ausdrücke gegen mich mir ausgerichtet hast. Dies wird ihm eine Lehre sein !«307 Der Wiener Ehrenbürger Oskar Kokoschka
Schon zum 60. Geburtstag Kokoschkas 1946 hatte Matejka in einer vertraulichen Gemeinderatssitzung die Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Kokoschka beantragt.308 Dieses Ansinnen stieß bei den übrigen Stadtvätern auf taube Ohren, was er jedoch 303 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 323.20, Franz Glück, Historisches Museum der Stadt Wien an OK, 12.7.1951. 304 Ebd. 305 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1 – 6, OK, Vollmacht, Hamburg, 12.6.1951. 306 Ebd. 307 OK an Wolfgang Gurlitt, o.O., o.D. [1951], ebd. 308 Ein unmittelbarer Nachweis dazu ist den Protokollen der Gemeinderatssitzungen im WStLA nicht mög-
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während seiner Funktionszeit den Künstler tunlichst nicht wissen ließ. In seinen Erinnerungen schilderte Matejka sehr plastisch die Argumente, die damals gegen jegliche Auszeichnung des Künstlers vorgebracht wurden : Als ich Oskar Kokoschka 1946 […] für die Ehrenbürgerschaft vorschlug, mußte ich mit aller Deutlichkeit erfahren, wie verhärtet und voll der Vorurteile Menschen den Grundgeboten österreichischer Anständigkeit gegenüber sein können. »Er soll erst amal siebzig Jahr alt werden«, sagten die einen, »a Ausländer is er ja a«, sagten die anderen. Und daß im Dritten Reich seine Kunst als »entartet« verfolgt worden war, solle noch kein besonderer Pluspunkt in dem vom nationalsozialistischen Regime befreiten Wien sein.309
Weder die Ehrenbürgerschaft, noch die Ernennung zum »Bürger ehrenhalber« und auch nicht die dritte Kategorie, der Ehrenring sollte verliehen werden : »›Den Ring kann er haben, wenn er fünfundsechzig wird‹, sagten die einen, ›und gesund is er ja a no, er hat ja erst vor net langer Zeit g’heiratet‹, sagten die anderen.«310 Matejkas Handlungsmöglichkeit auf dieser Ebene war ausgeschöpft. Dennoch bemühte er sich, Kokoschka auf anderem Wege Ehrbekundungen zu erweisen. Als Randnotiz sei daher die vom Kulturstadtrat mitinitiierte Internationale Plakatausstellung 1948 erwähnt. Diese fand gemeinsam mit der sogenannten Galerie der Straße im und rund um das Künstlerhaus statt. In Absprache mit dem Bürgermeister kam man überein, dass man an die Künstler/innen, Auftraggeber/innen und Druckereien Anerkennungsurkunden vergeben wolle. Unter den Ausgezeichneten befand sich auch Kokoschka mit dem Plakat Kunstsalon Wolfsberg-Z. von 1923 (!).311 Das Jahr 1951 erwies sich nicht nur hinsichtlich der Linzer Kokoschka-Ausstellung und der Auseinandersetzung rund um das Bildnis von Theodor Körner als ein kritischer Zeitpunkt im Verhältnis Kokoschkas zu seiner »Heimatstadt«. War seine Haltung 1945 und unmittelbar nach dem Krieg eine sehr wohlwollende gewesen, begleitet von etlichen karitativen Initiativen, so war ausgerechnet sein 65. Geburtstag zu einem problematischen Kippmoment geworden. Matejka, der mittlerweile als einfacher Gemeinderat in der Stadtregierung präsent war, spielte dabei eine wichtige Rolle. Im Vorfeld des runden Geburtstags kam es im Jänner 1951 zu einem Antrag durch das Kulturamt, Kokoschka den Ehrenring der Stadt Wien zuzuerkennen, wozu eine mehr als zweiseitige Biografie samt Würdigung beigefügt war – als ihr Autor ist Franz Glück anzunehmen. Matejka stellte einen Abänderungsantrag, sodass das Gremium über den von ihm schon 1946 lich, da – anders als bei öffentlichen – bei vertraulichen Sitzungen lediglich die Beschlüsse im Amtsblatt veröffentlicht wurden, aber in keiner Aktenablage Protokolle dazu abgelegt wurden. 309 Matejka 1983, S. 197 310 Ebd. 311 Es handelte sich höchstwahrscheinlich um das Plakat Selbstbildnis von zwei Seiten als Maler, Farblithografie, 1923, WW 164. Vgl. Senatsrat Dr. Kraus an Bürgermeister Theodor Körner, 30.7.1946, WStLA, Zl. M.A.7 – 2917/1948. Kopie der Anerkennungsurkunde, OKZ.
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vorgeschlagenen Ehrenbürgertitel für OK abstimmen sollte : dieser wurde abgelehnt.312 Kulturstadtrat Mandl teilte Kokoschka die Zuerkennung des Ehrenrings mit und hoffte, bei der Verleihung die Gelegenheit zu erhalten, »über die noch unerledigte Angelegenheit Ihres Bürgermeisterbildes mit Ihnen zu sprechen.«313 Hans Mandl und seine Abteilung traf Kokoschkas Antwortschreiben sehr unerwartet : Sehr geehrter Herr Stadtrat Mandl. Ich bitte Sie freundlichst dem Wiener Gemeinderat mitteilen zu wollen, dass ich nie Ringe oder anderen Schmuck trage. Ich weiss nicht recht, warum man mir einen solchen verleihen wollte. Da meine künstlerische Leistung in meiner Vaterstadt nur wenigen Freunden wirklich am Herz lag, die seither verstorben sind, kann nur irgendleine [sic !] Meldung ausländischer Zeitungen von einem meiner Geburtstage Grund zu dem Magistrats-Beschluss gegeben haben, ein Datum, das kein Grund zum Jubilieren ist, wenn man noch so viel zu leisten hätte, während die Zeit knapper und die Zeitverhältnisse einer kulturellen Tätigkeit beständig ungünstiger werden. Ich bin nicht informiert in welche Klasse von Ehrungen man mich da in Wien einzuteilen vorhatte. Im Athen des Pericles hat man einen verdienstvollen Mitbürger entweder zum Ehrenbürger gemacht oder ihn verbannt. Ich glaube das ist einfach und scheint mir noch immer die richtige Methode zu sein wie man mit Propheten in der Heimat umgeht. Mit dem Ausdruck der vorzüglichen Hochachtung, Oskar Kokoschka314
Diese Reaktion erstaunt, da die Causa Ehrenring vs. Ehrenbürgerschaft noch vor den Schwierigkeiten rund um das Körner-Porträt stand. Die sarkastischen Formulierungen waren für Stadtrat Mandl offensichtlich unerklärbar. Ironieresistent, die Gründe für die Verstimmung nicht erahnend und auch nicht hinterfragend, antwortete er mit einer peinlich anmutenden Engstirnigkeit, die Kokoschka in seiner artikulierten Aversion gegenüber dem kulturpolitischen Beamtenapparat nur noch bestätigten konnte : »Ich glaube nicht, dass die Uebernahme dieses Ringes davon anhängig gemacht werden kann, ob man Schmuck trägt oder nicht. Sie würden ja die Bürgerurkunde der Stadt Wien nicht ständig bei sich tragen […]. Ich glaube, dass dieses Argument nicht stichhaltig genug ist.« Die Ehrenbürgerschaft, so Mandl weiter, setze eine österreichische Staatsbürgerschaft oder zumindest einen Wohnsitz vor Ort voraus und würde nur für soziale 312 WStLA, M.Abt. 7, Pr.Z. 395/1951, Zl. 7 – 434/1951, Antrag von Senatsrat Dr. Kraus vom 29.1.1951 sowie Abänderungsantrag von Viktor Matejka ad Tagesordnugspunkt 4 (Pr.Z.395/1951) vom 9.3.1951, Die entsprechende, vertrauliche Gemeinderatssitzung hatte am 9. März stattgefunden. 313 WStLA, MA, Geschäftsgruppe III (Kultur und Volksbildung), Zl. 78/1951, Hans Mandl an OK ; Theodor Körner an OK, 3.4.1951, Ebd. 314 WStLA, MA, Geschäftsgruppe III (Kultur und Volksbildung), Zl. 78/1951, OK an Hans Mandl, 16.4.1951.
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und politische Verdienste verliehen.315 Dass der Künstler, wie viele andere NS-Verfolgte, seine Staatsbürgerschaft aufgeben und – wenn auch über Prag – nach England flüchten musste, war mit keiner Silbe erwähnt worden. Umgekehrt stellt sich die Frage, woher Kokoschkas plötzliche Ablehnung gegen die Wiener Stadtregierung kam. Aufschluss darüber gibt ein Brief Matejkas, den dieser unmittelbar nach der besagten Gemeinderatssitzung verfasst hatte. Darin riet er dem Künstler eindringlich »den Ring zurückzuschicken oder ihnen zu schreiben, dass sie ihn gar nicht schicken brauchen.« Der Ehrenring sei die drittklassige Auszeichnung, die »so viele Simpeln und Idioten im Laufe der Jahrzehnte« erhalten haben. Was er seinem Künstlerfreund während seiner Amtszeit als Kulturstadtrat verschwiegen hatte, kam nun bekenntnisartig ans Tageslicht : Ich habe schon zu Deinem 60. Geburtstag alles aufgeboten, um die obersten Stadtdeppen von Wien zu überzeugen, wer dieser O.K. ist und was er an Aussergewöhnlichem geleistet hat. […] Ich sehe schon ein, dass man sehr sparsam sein soll mit dieser höchsten Ehrung, aber wenn ein Künstler seit 1918 Wien in der besten Art auf der ganzen Welt bekannt macht, so ist es der Künstler O.K. Das hat er durch vierzig Jahre hindurch bewiesen, in guten und sehr schlechten Tagen, er, der nicht nur ein kämpfender und kündender Künstler ist, sondern auch ein glühender Patriot.316
Der Brief zeigte eine nachhaltige Wirkung. Er gibt Auskunft über die Ignoranz der Verantwortlichen, die in realpolitischen Dimensionen agierten, und beleuchtet Matejkas Position. Dessen Handlungsweise hatte man schon während seiner Stadtratsperiode oft als unkonventionell beschrieben. Im Gemeinderat, in der politischen Entscheidungsstruktur einer Magistratsabteilung und erst recht in einer auf Kaderdisziplin aufgebauten Partei wie der KP waren Idealisten wie Matejka Sand im Getriebe. Doch auch Kokoschkas Haltung hatte sich seit den unmittelbaren Kriegstagen gewandelt. Vorbei waren die Jahre, wo er sich berufen sah, Schriften über Das Wesen österreichischer Kultur zu verfassen. Die Kriegszerstörungen und das menschliche Elend waren im Wiederaufbau zumindest minimiert worden und die Euphorie über ein neues Österreich, in das idealistische Wunschvorstellungen hineinprojeziert werden konnten, hatte Platz gemacht für einen Staat, der vor allem auf einem festgebauten Parteien- und Institutionensystem beruhte. Der antifaschistische Impetus war schon ein, zwei Jahre nach dem Ende der NS-Herrschaft aus der öffentlichen Meinung verschwunden. Wie schon erläutert war man vergleichsweise schnell zur Rehabilitierung und Integration von einer halben Million NSDAP-Mitgliedern in Österreich übergegangen, die ab 1949 wieder wahlberechtigt waren. 315 Die Staatsangehörigkeit war, wie die Wiener Ehrenbürgerschaft für Richard Strauß demonstriert, keine zwingende Voraussetzung. 316 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, 9.3.1951.
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Diese Umstände schienen Kokoschka, folgt man den Interessensschwerpunkten in seinen Schriften und vor allem seinen Briefen, nur mehr peripher bzw. gar nicht zu tangieren. Er war primär mit der Weiterentwicklung seines eigenen Fortkommens befasst. Bis ins hohe Alter hinein spendete er so manches Honorar, schuf Arbeiten (v. a. Lithografien) zu Charity-Zwecken, doch der politische Impetus, die Dringlichkeit, sich politisch zu artikulieren, war verschwunden. Es hat den Anschein, dass er nur mehr bei (Eigen-)Bedarf – wie z. B. bei der Zurückhaltung seiner Arbeiten (wie dem Körner-Bildnis) für Ausstellungen – vordergründig politische, immer aus einer Opferhaltung heraus formulierte Argumente anführte, die wiederholt mit Verklitterungen der österreichischen Geschichte und seiner eigenen Biografie versehen waren. Dass er den Ausgangspunkt der Hetzschau Entartete Kunst in Wien ansetzte, ist hierfür ein Beispiel. Daneben darf ein sehr menschlicher Zug nicht übersehen werden, nämlich seine Eitelkeit. Österreich, speziell Wien war nach der unmittelbaren Nachkriegszeit nur mehr eine, wenn auch zweifellos sentimental aufgeladene Station : er war britischer Staatsbürger, entsprechend mobil und im Begriff, sich endgültig in der neutralen Schweiz niederzulassen. 1951 hatte er eine beispiellose internationale Ausstellungstour hinter sich und wirkte in mehreren europäischen und amerikanischen, auf ihn abgestimmten Schulen des Sehens. Daneben begann er sich mit dem Porträt des Bundespräsidenten Theodor Heuss (1950) zum bekanntesten Porträtisten der bundesdeutschen Politprominenz zu etablieren.317 Und auch die Versorgung seines Bruders hatte sich zumindest entspannt. Eine offizielle Auszeichnung der Stadt Wien war also ausschließlich eine Frage der Ehre geworden. Doch gerade weil es eine ehrenhafte Anerkennung sein sollte, reagierte er umso empfindlicher auf die Auswahl des drittklassigen Ehrenrings. Alte Ressentiments aktivierten sich mit einem Schlag wieder. Die Unbeholfenheit im Umgang mit Persönlichkeiten vom Rang eines Kokoschka, wie sie die Korrespondenz z. B. von Hans Mandl offenbaren, tat das ihre. Am Rande sei bemerkt, dass Kokoschka trotz der Causa Ehrenring nicht verabsäumte, Theodor Körner zur Wahl zum Bundespräsidenten zu gratulieren und generell mit hohen Politikern der großen Parteilager ein ausgezeichnetes Einvernehmen pflegte.318 Nachdem man mit großer Verspätung 1955 und 1958 große Kokoschka-Werkschauen in Wien gezeigt hatte und sein charismatischer Umgang mit Politikern aller Couleurs gegenwärtig war, kam man in der Wiener Stadtregierung überein, dem Künstler anlässlich seines 75. Geburtstages (1961) endlich die gewünschte Ehrenbürgerschaft zu verleihen. Seit einer persönlichen Begegnung war bei dem mittlerweile zum Vizebürgermeister aufgestiegenen Hans Mandl eine Art Gesinnungswandel eingetreten. Zum 317 Zu den Porträtierten zählte neben Theodor Heuss (FOK CR 1950/1) der Hamburger Oberbürgermeister Max Brauer (1951), FOK CR 1951/2, Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (1959), FOK CR 1959/2, AltBundeskanzler Konrad Adenauer (1966), FOK CR 1966/2 und Bundeskanzler Helmut Schmidt (Zeichnung) 1976. 318 Vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 390.15, Dankschreiben von Bundespräsident Theodor Körner an OK, Wien, Juni 1951, Wien.
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70. Geburtstag schrieb er dem »hochverehrten Meister« : »Ich hatte mich sehr gefreut, Sie anlässlich Ihres letzten Aufenthalts in Wien persönlich kennen zu lernen und bin Ihnen für diese Begegnung dankbar. Sie vermittelten mir die Bekanntschaft nicht nur eines großen Künstlers, sondern auch eines liebenswerten Menschen, dessen Werk man erst versteht, wenn man ihn in seiner sprühenden Vitalität, seinem frohen Naturell und seiner Güte kennt.« Wenig später versuchte Mandl erneut, Kokoschka auszuzeichnen, diesmal mit einem Würdigungspreis der Stadt Wien, fragte aber vorsichtshalber beim Künstler an und sandte ihm sogar die Statuten des Preises vorab.319 Noch 1958 war diese Auszeichnung als eine Option gehandelt worden – zumindest in der Kulturabteilung des Magistrats : in einer Gesprächsnotiz mit Friedrich Welz, der damals als eine Art Generalvertreter Kokoschkas in Österreich fungierte, wurde festgehalten, dass Letzterer »am Preis völlig desinteressiert« sei. »Das einzige, was er annehmen würde, wäre die Ehrenbürgerschaft. Das würde ihm Freude machen und er würde sich sicher revanchieren. Wäre Geschäft für die Stadt (nach Welz). Jemand, der für ein Bild ÖS 250.000,- bekommt, kann man nicht ÖS 10.000,– als Preis anbieten.«320 1961 sollte sich Kokoschkas Wunsch erfüllen : in einem staatstragenden Festakt nahm er am 18. März persönlich unter Anwesenheit des Bundespräsidenten Adolf Schärf, des Bürgermeisters Franz Jonas, des Vizebürgermeisters Hans Mandl und zahlreicher Stadträte die Auszeichnung entgegen. In der Pressaussendung wurde Kokoschka folgendermaßen zitiert : Ich bin tief gerührt und muß stammeln. Wien ist eine Stadt, mit der ich ein Leben lang in glücklicher und unglücklicher Liebe gelebt habe. Wir haben uns gerauft und haben uns geliebt. Das hier (mit einem Blick auf die Ehrenbürger-Urkunde) ist eine Liebkosung. Wenn ich heute diese Ehrung bekommen habe, dann weiß ich, warum ich immer an Wien gehangen bin.321
Die Wiener Akademien und Kokoschka Im Kontext einer möglichen Rückkehr Kokoschkas nach Österreich taucht unweigerlich die Frage nach einer Professur an einer der beiden Wiener Kunstakademien auf, die man ihm anbieten hätte können. Wolfgang Hilger hatte sich 1986 in seinem Aufsatz über die Rezeption Kokoschkas in Österreich nach 1945 hiermit auseinandergesetzt : 319 WStLA, MA 7, Zl. 38/1956, Hans Mandl an OK, Wien, am 28.2.1956 und 19.3.1956. 320 WStLA, MA7, Geschäftsgruppe III, Büro des Stadtrats, Zl. 91/1958, Gesprächsnotiz zu einem Telefonat mit Friedrich Welz, 1.4.1958. 321 WStLA, MA 7, Zl. 170/1961, Presseaussendung der Stadt Wien, 18.3.1961. Der entsprechende Gemeinderatsbeschluss war am 10.2.1961 gefallen, ebd. Festredner waren Bürgermeister Jonas und Vizebürgermeister Mandl, dessen Rede von Franz Glück verfasst worden war, vgl. Wienbibliothek, Nachlass Franz Glück, ZPH 1546/5, Mappen 2.2.131 – 133 ; Rede von Hans Mandl anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerschaft an Oskar Kokoschka 1961, mit wenigen Abänderungen publiziert in : Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 25, 29.3.1961, S. 3 – 5.
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Bei all den vagen Versuchen, Kokoschka wieder an Österreich zu binden, stellt sich eigentlich wie von selbst die Frage, wo in diesem Zusammenhang die Wiener Kunstakademien geblieben sind. Hier stehen wir ohne Zweifel vor einer der dunkelsten und wenig ruhmreichen Kapitel der österreichischen Kunstgeschichte. Georg Eisler und Viktor Matejka versichern absolut glaubwürdig, daß eine von Kokoschka erwartete Berufung an die Akademie der bildenden Künste intern verhindert und von vorherein abgeblockt wurde, und zwar auch von solchen eben erst als Professoren installierten Künstlern, die sich der Kunstdiktatur des Dritten Reiches nicht gebeugt hatten. Oder war es die Angst der zu Hause gebliebenen Generationskollegen vor dem Charisma des im Ausland Erfolgreichen, daß sie – wie Georg Eisler schrieb – die »Festung Schillerplatz vor ihm verrammelten«322 ? Es müssen persönliche, lange zurückliegende, wohl auch von Konkurrenzdenken bestimmte Gründe gewesen sein, die im Detail nicht mehr recherchierbar sind und aus Pietät vor allen längst verstorbenen Beteiligten wohl auch nicht mehr recherchiert werden sollten.323
Bislang ist in keiner direkt von Kokoschka stammenden Quelle der Anspruch auf eine Akademieprofessur nachweisbar. Auf der einen Seite steht in den ersten Nachkriegsjahren die mehrfach geäußerte Absicht, sich definitiv nicht mehr in Wien niederlassen zu wollen, da die Umstände (Besatzung, Zerstörung etc.) dagegensprachen. Spätestens ab 1947 mit seinen in der Schweiz geknüpften Kontakten und dem Beginn seiner internationalen Ausstellungreihe war Österreich ohnehin nur mittelbar interessant. Andererseits wäre allein der Antrag einer ordentlichen Professur zweifellos schon ein Zeichen der Wertschätzung gewesen, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass er einen solchen Antrag angenommen hätte. Kokoschka war empfänglich für Anerkennungen, aber auch empfindlich, wenn diese nicht bedingungslos seinem – der problematische Begriff sei hier gestattet : – Genie geschuldet waren. Das Argument, dass er sich nicht längerfristig binden wollte und daher Sommerschulen bevorzugte, wäre nicht Grund genug gewesen, um eine Professur abzulehnen, da weder früher noch heute Akademieprofessor/innen zwangsweise permanent anwesend sein mussten bzw. waren. Seine Lehrtätigkeit in Dresden (ab 1919) war bekanntlich durch längere Abwesenheiten gekennzeichnet. Auch die Altersfrage ist nicht relevant, da Kokoschka bis 1962, also bis zu seinem 77. Lebensjahr in Salzburg lehrte. Es stellt sich eher die Frage, ob Kokoschka, der schon in seiner Frühzeit begonnen hatte, sich von Künstlerlobbies weitgehend fern zu halten, tatsächlich Seite an Seite mit Boeckl in der »Festung« am Schillerplatz hätte arbeiten wollen – das hätte eine Begegnung auf Augenhöhe vorausgesetzt. In eine ähnliche Richtung sind auch die Bemühungen der Kunstgewerbeschule nach 1945 zu hinterfragen.
322 Georg Eisler, Das Porträt als Wesensbild einer ganzen Epoche, in : heute, Nr. 2/1982 (25.2.1982), S. 18 zit. n. Hilger 1986, S. 283. 323 Hilger 1986, S. 283, vgl. auch Sultano/Werkner 2003, S. 226.
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»Wir fühlen uns bloss verpflichtet […]« Die »Kunstgewerbeschule und ihr prominenter Schüler
Im Jahr 1935, eineinhalb Jahre nach Kokoschkas Bewerbung für die Direktion der Kunstgewerbeschule zeichnete sich die vorzeitige Pensionierung Bertold Löfflers (1874 – 1960) ab, der schon 1929 NSDAP-Mitglied geworden war.324 Löffler hatte die Klasse für Gebrauchsgrafik geleitet und war einer der frühesten Förderer Kokoschkas gewesen. In einer Arbeitsausschusssitzung der Professoren im Juli 1935 kam man überein, dass neben OK, welcher als der Wunschkandidat genannt wurde, u. a. Joseph Binder, Robin Christian Andersen, Alfred Wickenburg und Franz Zülow in Betracht kämen : »Bei Kokoschka ist der Arbeitsausschuss einstimmig der Ansicht, dass es ein Glücksfall für die Schule wäre, Kokoschka als Lehrer zu gewinnen, doch erscheint fraglich, ob er einer Berufung überhaupt Folge leisten würde.«325 Fellerer sandte in Folge eine Einladung an den Künstler – eine Antwort ist quellenmäßig nicht belegbar. Kokoschka hatte sich zu diesem Zeitpunkt von Österreich abgewendet und zeigte höchstwahrscheinlich kein Interesse an einer Rückkehr.326 Nach dem »Anschluss« im März 1938 kam es innerhalb kürzester Zeit zu einem radikalen Personalwechsel in der Professorenschaft. Von Zwangspensionierungen und Amtsenthebungen waren neben Direktor Max Fellerer u. a. noch der Professor der Fachklasse für angewandte Malerei Wilhelm Müller-Hofmann betroffen.327 Er wurde nach 1945 rehabilitiert, verstarb allerdings im Herbst 1948, womit sein Lehrstuhl vakant wurde.328 Unter den Bewerbern kristallisierte sich bald Eduard Bäumer als potentieller 324 Koller 1991, S. 203f., v. a. Anm. 93 (S. 255). 325 UAUAK, Protokoll der XI. Sitzung des Arbeitsausschusses vom 20. Juli 1935, S. 5. Anwesend waren die Professoren Fellerer (Vorsitz), Hoffmann, Powolny, Gütersloh, Wimmer-Wisgrill. Vgl. auch UAUAK, P.Z. 225/1935, Direktion der KGS an das Bundesministerium für Handel und Verkehr, Wien, 25.7.1935. Bei der Sitzung am 12.9.1935 einigte man sich darauf, »Kokoschka auf alle Fälle zu schreiben«, Protokoll der XII. Sitzung des Arbeitsausschusses vom 12. September 1935, S. 2, ebd. 326 »Ich möchte mir, als Direktor der Anstalt, erlauben Sie zu fragen, ob Sie prinzipiell geneigt wären die Fachklasse für angewandte Malerei an unserer Schule zu übernehmen. Professor Löffler ist in Pension gegangen, wodurch diese Stelle frei würde. Ich brauche Sie wohl nicht zu versichern, dass uns bewusst ist, welchen Gewinn unsere Schule durch eine Zusage Ihrerseits hätte.«, ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 391.3, Max Fellerer an OK, Wien, 14.9.1935. 327 Daneben wurden auch noch A.P. Gütersloh, Hilde Schmid-Jesser, Carl Witzmann, Marianne Zeles entlassen. Ad Müller-Hofmann vgl. UAUAK, P.Z. 54/1938 ; Koller 1990, S. 199f. 328 Die Aktenlage zu 1945/46 ist sehr lückenhaft. Im UAUAK befinden sich zwar die Mappen mit Sitzungsprotokollen 1945 – 1946 sowie für 1946/47, für 1945 ist jedoch nur eine, die erste Sitzung am 17.9.1945 dokumentiert. Protokolle für das Jahr 1946 fehlen gänzlich. Für den Zeitraum 1946/47 sind lediglich zwei Protokolle (1. und 2. Sitzung) vom 25. bzw. 26. Juni 1947 erhalten. Bedauerlicherweise sind im Aktenbestand des BMU – anders als bei der Akademie der bildenden Künste – schon im entsprechenden Index keine Sitzungsprotokolle angeführt und auch im Aktenbestand keine abgelegt. In Letzterem konnten für den Zeitraum 1945 – 1965 keine Hinweise auf Kokoschka gefunden werden, vgl. ÖStA, AdR, BMU Sekt. II, Karton Akad. f. angew. Kunst 15 C 1.3. 1940 – 1965, 15 D 1940 – 1965,
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Nachfolger heraus. Im Vorfeld jedoch hatte man neben Kokoschka noch Anton Kolig als renommierte Künstlerpersönlichkeit in Betracht gezogen. Der 1945 ebenfalls als Rektor der Akademie für angewandte Kunst wiederberufene Max Fellerer hielt in einer Sitzung am 12. Oktober 1948 mit einer beeindruckenden Verwendung des Konjunktivs, der verklausulierenden Möglichkeitsformel, fest, dass er […] sich aus dem Empfinden einer allgemeinen Verpflichtung nachkommen zu sollen, informativ an die Maler Kolig und Kokoschka mit der Anfrage gewendet habe, ob sie einer Berufung an die Schule Folge leisten würden. Ueber Maler Kolig wurde er informiert, dass er eine solche nicht anstrebe, da ihn vor allem sein schwer leidender körperlicher Zustand daran hindere. Er möchte nur mit seinem Schülerkreis in Nötsch weiterarbeiten und einige Staatsaufträge erhalten. Von Kokoschka, an den von privater Seite eine telegraphische Anfrage gerichtet wurde, ob er sich für eine Lehrstelle an unserer Schule interessieren würde, ist bisher noch keine Antwort erfolgt, doch ist mit dessen Zusage wohl kaum zu rechnen.329
In einem schon zwei Wochen zuvor verfassten Brief an Fellerers Favoriten Eduard Bäumer kündigte er informell dessen Zuerkennung der Professur an, mit der besagten Einschränkung, dass man noch Kokoschka hätte fragen müssen : Geplant ist folgendes, dass Sie die Nachfolge MUELLER H OFMANNS übernehmen ; nur für den Fall, als die grosse Unwahrscheinlichkeit eintreten würde, dass KOKOS C H KA nach Wien kommt, müssten Sie eine Klasse der Allgemeinen Abteilung führen. Es ist dies aber so unwahrscheinlich, dass Sie meines Erachtens mit Sicherheit mit dem ersten Fall rechnen können. Wir fühlen uns bloss verpflichtet, bei Kokoschka auf privatem Wege anzufragen zu lassen, ob er überhaupt daran denken würde, nach Wien zu kommen.330 Die »Festung Schillerplatz«. Kokoschka und die Akademie der bildenden Künste Wien Ich hätte nie daran gedacht, die Akademie der bildenden Künste in Wien zu besuchen, in Samtrock und Barett als Künstler zu gelten. […].331
In seinen späten Memoiren erinnert sich Kokoschka an seine Studienzeit, der er vergleichsweise viel Raum einräumte. Während er von der Kunstgewerbeschule am Stuben329 UAUAK, Protokoll der I. Sitzung des Lehrkörpers vom 6. Oktober 1948, S. 9, 11f. Anwesend waren die Abteilungsleiter Alfred Barnet, Friedrich Böhm, Friedrich Cremer, Oswald Haerdtl, Franz Herberth, Anton Kenner, Paul Kirnig, Eugen Mayer, Ernestine Kopriva, Robert Obsieger, Eduard Josef WimmerWissgrill, Carl Witzmann, Franz Schuster unter dem Vorsitz Fellerers. 330 UAUAK, P.Z. 89/1948, Max Fellerer, Akademie für angewandte Kunst an Eduard Bäumer, Wien, 21.9.1948. 331 Kokoschka 1971, S. 49.
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ring, den dort »propagierten Ideen« in »dem damals schon provinziell werdenden Wien« beinahe schwärmerisch berichtete, fand er für die Akademie der bildenden Künste lediglich die oben zitierten Worte. Seine buchstäblich anti-akademische Haltung ist im Kontext des von ihm gelebten und auch kultivierten jungen Kunst-Rebellen zu interpretieren ; sie ist aber auch Ausdruck einer lebenslangen Distanz zur Institution Akademie.332 Dieses Verhältnis beruhte auf Gegenseitigkeit : Kokoschka war zweifellos allein schon wegen seines radikalen Debüts ein Gesprächsthema gewesen. In den ärarischen Unterlagen der Akademieverwaltung wird der Künstler erst ab 1926 aktenkundig, hier und in Folge allerdings nur über abgelegte Zeitungsberichte zu Ausstellungen, die frühe nationalsozialistische »Säuberung« der deutschen Museen von seinen Werken (1930), seinen Radiovortrag 1931 und den legendären Vortrag über Das Handwerk als Grundlage der Erziehung in Österreich sowie eine Notiz zum 50. Geburtstag 1936.333 Man muss sich vor Augen führen in welche Situation Kokoschka anlässlich einer (niemals erfolgten) Berufung an die Akademie der »Spätnazizeit«, wie Günter Brus es einmal nannte, gekommen wäre.334 Die letzten Kriegswochen hatten an der Akademie ein chaotisches Wechselspiel zwischen Ausnahmezustand und bemühter Normalität gezeigt : noch Ende März 1945 war von NS-Staatsaufträgen an Akademieprofessoren die Rede gewesen. Etwa zeitgleich wurde der Akademiebau von Bomben schwer getroffen und am 4. April die »Kriegsverfügung für die Kunsthochschulen« verordnet. Am 19. April wurde ein Sicherheitsdienst unter der Leitung der österreichischen Widerstandsbewegung eingerichtet und der Maler Herbert Boeckl (1894 – 1966), der als einer der wenigen in den letzten Tagen des Krieges bzw. der Befreiungskämpfe der Sowjets an der Akademie verblieben war, »mit der provisorischen Führung der Akademie« betraut. Am Folgetag, also genau eine Woche vor der Republikgründung, begann man offiziell wieder mit dem Unterricht.335 In der ersten Sitzung des Professorenkollegiums im Juni 1945 war man auf äußerst ambivalente Weise um die Aberkennung von Ehrenmitgliedschaften, etwa an Nazi-Größen wie Baldur von Schirach und Arthur Seyß-Inquart, aber auch von Josef Hoffmann bemüht, trauerte aber gleichzeitig um den Dichter Josef Weinheber, der sich als bekennender Nationalsozialist beim Einmarsch der Roten Armee Anfang April das Leben genommen hatte. Wesentlich war die Berufung neuer Professoren, darunter Fritz Wotruba und Albert Paris Gütersloh.336 Die personelle Kontinuität nach der NS-Zeit an der Akademie war erschreckend. Im Frühjahr 1946 musste Boeckl als Rektor demissionieren, da seine von ihm nicht gemeldete NSDAP-Mitgliedschaft bekannt wurde.337 Hierbei muss hinzugefügt werden, dass der neunfache Familienvater und prominente Ex332 333 334 335 336 337
Vgl. Bourdieu 2001a und 2015. Vgl. UAbKW, Index-Bände 38 – 40 (1926 – 30, 1931 – 35, 1936 – 40). Zuvor gibt es keine Hinweise auf OK. Brus-Interview 2015. Reinhold 2009, S. 270, Klamper 1990, Nierhaus 1990, Pawlowsky 2015. Reinhold 2009, ebd. Vgl. Rathkolb 2009, v. a. S. 218f. Zu Boeckl generell vgl. Husslein 2009 und Husslein/Jesse/Boeckl 2009.
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ponent des austrofaschistischen »Ständestaats« in der NS-Zeit lediglich geduldet war und keine Meisterklasse, sondern nur den von vielen jungen Künstler/innen frequentierten »Abendakt« leitete. Andere Professorenkollegen wie z. B. Sergius Pauser, Emil Pirchan, Josef Müllner und Christian Ludwig Martin waren zwar keine Parteimitglieder gewesen, hatten jedoch im Gegensatz zu Boeckl mit dem NS-Regime kollaboriert. Zudem waren sie alle Vertreter einer durchwegs konservativen Kunstauffassung und konnten auf eine ungebrochene Karriere zurückblicken. Pauser etwa hatte gleich nach dem »Anschluss« ein großformatiges Hitler-Bildnis präsentiert und malte durch Vermittlung des mit ihm befreundeten Kajetan Mühlmann, einem der Drahtzieher des NS-Kunstraubs, in mehreren Sitzungen das Porträt des berüchtigten Generalgouverneurs Hans Frank in Krakau sowie Görings Tochter Edda. 1943 wurde er Akademieprofessor.338 Gerade in der unmittelbaren Nachkriegszeit kam es zu heftigen Auseinandersetzungen vor allem zwischen Wotruba und Boeckleinerseits und dem Rest des Kollegiums andererseits, sodass sogar eine Zeitlang bei den Sitzungen ein juristischer Beistand anwesend sein musste. Die beiden Künstler hatten am Kulminationspunkt der Konflikte dem neuen Rektorat das Misstrauen ausgesprochen und ein Protestschreiben verlesen : dabei wurde die konservative Kunstanschauung Pausers ebenso angeprangert wie dessen politische Gesinnungselastizität, und sie appellierten an das »Verantwortungsgefühl als Lehrer dieser Akademie, die endlich und zuerst mit dem geistigen Schutt der letzten Jahre aufräumen muß, soll hier endlich wirklich der Kunst und dem Staat förderliche Arbeit geleistet werden.«339 Herbert Boeckl und das Nicht-Ehrenmitglied Kokoschka
Am 11. Februar 1946 schlug der Noch-Rektor Herbert Boeckl vor, »dass man die seinerzeitig gegen Kokoschka bezogene ablehnende Stellungnahme der Akademie revidieren und denselben durch eine grosse Ehrung auszeichnen sollte, um so einen Strich gegenüber der Vergangenheit zu ziehen.« Im Protokoll heißt es weiter : »Das Kollegium beschloss mit Stimmeneinhelligkeit Prof. Oskar Kokoschka zum Ehrenmitglied der Akademie zu wählen.«340 Der Vorschlag wurde wenig später vom Unterrichtsministerium bestätigt und genehmigt.341 Nun ist bekannt, dass Boeckl seit den 1920er-Jahren in mehr oder weniger offener Rivalität zu Kokoschka stand. Konzilianz, eine Geste der Versöhnung ? Im Nachlass Kokoschkas ist aber weder ein Dokument zur Ehrenmitglied-Verleihung noch entsprechende Korrespondenz zu finden. Recherchen im Archiv der Akademie entlarvten dieses »Engagement« als hohle Geste : nach der ministeriellen Bestätigung, Kokoschka zum 338 339 340 341
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Reinhold 2009, S. 272, 278 (Anm. 32). UAbKW, Zl. 730/1946 ; Zl. 707/1946, Protokoll der 9. Sitzung des Professorenkollegiums, 20.6.1946. UAbKW, Zl. 188/1946, Protokoll der 4. Sitzung des Professorenkollegiums, 11.2.1946, Pkt. 5. ÖStA, AdR, BMU, Zl. 1637/II-2/46, 5.3.1946.
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Ehrenmitglied ernennen zu dürfen, wurden offensichtlich keine weiteren Schritte zur Umsetzung gesetzt. Als ob man sich an den Beschluss von 1946 nicht mehr erinnern könnte, kam das fast idente Professorenkollegium im November 1953 auf Würdigungen zu sprechen, wobei Prorektor Robert Eigenberger meinte, die »Akademie müsste überhaupt eine Reihe prominenter Künstler für eine solche Ehrung in Betracht ziehen. In erster Linie hätten wir an Kokoschka zu denken. Ich habe in der Angelegenheit schon einmal Fühlung genommen und keine Absage erhalten.«342 Mit wem »Fühlung« genommen wurde, war nicht offensichtlich. Im Dezember 1954 wurde unter dem nunmehrigen Rektor Eigenberger erneut ein Antrag auf Ernennung zum Ehrenmitglied der Akademie für Kokoschka gestellt.343 Im November 1966 wusste man von dem zwölf bzw. 20 Jahre zuvor gefassten Beschluss nichts mehr : anlässlich des (acht Monate zurückliegenden) 80. Geburtstags Kokoschkas bat Rektor Ernst A. Plischke um die Meinung der Anwesenden zu einer Ehrenmitgliedschaft für OK, betonte aber »daß in dieser Sitzung noch kein entsprechender Kollegiumsbeschluß gefaßt werden könne.« Zum einen stand dieser Punkt nicht auf der Tagesordnung (!), zum anderen müsse festgestellt werden, ob der Künstler überhaupt geneigt wäre, diese Auszeichnung anzunehmen. Boeckl war zwei Jahre zuvor verstorben ; mit Gerda Matejka-Felden und Pauser waren allerdings Professoren von 1946 in der Sitzung – Wotruba war an diesem Tag entschuldigt. Das Kollegium war nun zum dritten Mal positiv übereingekommen, und der Rektor wollte sich persönlich mit dem zu Ehrenden in Verbindung setzen.344 Zu guter Letzt wurde im Jänner 1976 der Antrag gestellt, Clemens Holzmeister zum 90. Geburtstag eine besondere Ehrung zukommen zu lassen, und man besann sich auch auf Kokoschka.345 Mittlerweile stellte eine neue Generation das Kollegium. Die »Demenz« der prominentesten Kunstakademie des Landes erwies sich als verblüffend nachhaltig : auch das Vorhaben von 1976, den greisen Künstler zu ehren, wurde wieder vergessen und de facto nie umgesetzt. Doch wie stand es tatsächlich um die Rivalität zwischen Herbert Boeckl und Kokoschka ? Angeblich soll dieser 1922 verhindert haben, dass Boeckl während seiner Berliner Zeit (1921/22) vom bedeutenden Kunsthändler Paul Cassirer unter Vertrag genommen wurde.346 Diese Annahme ist jedoch nicht belegt werden und bleibt spekulativ. Im Gegenteil : im Rückblick sah Boeckl seinen Berliner Aufenthalt als positiv : »Wunderbare Zeit war das.«347
342 UAbKW, Protokoll der 4. Sitzung des Professorenkollegiums, 13.11.1953. 343 UAbKW, Protokoll der 4. Sitzung des Professorenkollegiums, 7.12.1954, Pkt. 3. 344 UAbKW, Protokoll der 1. Sitzung des Professorenkollegiums, 16.11.1966. 345 UAbKW, Protokoll der 3. Sitzung des Professorenkollegiums, 29.1.1976. 346 Klaus Albrecht Schröder, Übergänge und Brüche. Stilprobleme im frühen Werk von Herbert Boeckl, in : ders., Ingried Brugger, Herbert Boeckl, AK Kunstforum Bank Austria Wien, München/New York (Prestel) 1994, S. 21. 347 Husslein/Jesse/Boeckl 2009, S. 404.
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Boeckl war extrem sensibel, wenn es um die eigene Wirkung ging, auch wenn sich der Kärntner in kritischen Situationen meist in die Pose des defensiven Opfers begab. Empfindlichkeiten pflegte man aber auch andernorts. Kokoschkas Intimus Paul Westheim, der nach der Machtübernahme der Nazis nach Frankreich geflohen war, schrieb Kunstkritiken für deutschsprachige Exilzeitungen. In der Pariser Tageszeitung im April 1939 erscheint der Artikel O, du mein Österreich !, der eine neue Facette der Rivalität zwischen Boeckl und OK beleuchtet. Rund ein Jahr nach dem »Anschluss« war es ein Rundumschlag gegen die mit der NS-Kunstpolitik gleichgeschaltete Museumslandschaft bzw. deren Umgang mit »entarteter« Kunst. Im Fokus der spöttischen Analyse standen der Museumsdirektor Bruno Grimschitz und sein Protegé Herbert Boeckl, die beide ursprünglich aus Kärnten (und nicht aus der Steiermark, wie Westheim irrtümlich schrieb) kamen und seit dem gemeinsamen Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg enge Freunde waren. Im Zentrum stand aber Kokoschka und sein Genius : Bruno Grimschitz. Jawohl Doktor Grimschitz von der Staatsgalerie in Wien, der bis März 38 sich unentwegt einsetzte für das, was jetzt »entartet« heisst. Ueberzeugungsstark, direkt »Vorkämpfer« – Während tzl, Styx [sic !] usw. nach dem Ueberfall sofort flogen, kehrte Herr Grimschitz den Rockkragen um und zum Vorschein kam ein in Bereitschaft gehaltenes Hakenkreuz. Ja, so sehen sie aus, die überzeugungsstarken Männer, sie haben immer die Überzeugung, die von Herrchen verlangt wird… […] Grimschitz ist Steiermärker und als solcher hatte ein Künstler für ihn nur Talent, wenn er aus der Steiermark stammt. Da war vor allem einer : Böckl. Er hatte in allen Ehren allerlei von Kokoschka, sagen wir : leidlich entarteter Kokoschka. Der also war für Grimschitz das Non plus ultra, der Schlagobers des österreichischen Kunstgeistes.348
Westheim schilderte einen Besuch in Wien 1923 und welche Rolle Boeckl als Liebkind des Kunstmarktes und der Ankaufspolitik der staatlichen Museen hatte. Zudem ortet der bekannte Kritiker eine verdächtige Nähe zur Malerei Kokoschkas : der Plagiatsverdacht stand im Raum ! Tatsächlich wurde Boeckls Pariser Selbstbildnis (1923) noch im Entstehungsjahr von der Österreichischen Galerie/Staatsgalerie erworben, und es entstand ein Porträt des mit ihm befreundeten Direktors Haberditzl.349 Der tiefreligiöse Katholik Boeckl hatte 1934 den im »Ständestaat« erstmals vergebenen Großen Österreichischen Staatspreis für das Gemälde Hymnus an Maria erhalten. Im Folgejahr wurde er Professor für Malerei an der Akademie. Er hatte einflussreiche Freunde im christlich-konservativen Spektrum der Ministerialbürokratie, u. a. Gottfried Hohenauer sowie den Staatsekretär und späteren Unterrichtsminister Hans Pernter. Westheim kam auch noch auf Grimschitz’ doppelbödige Rolle zurück : 348 Paul Westheim, O, du mein Österreich !, in : Pariser Tageszeitung, 28.4.1939, S. 4 (OKZ, Clippings Villeneuve 2 (1938 – 1944), Mappe Paris 1939). 349 Biografische Eckdaten zu 1923 vgl. Husslein/Jesse/Boeckl 2009, S. 404.
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Was, fragt man sich, wird der Grimschitz nun mit seinem Schwarm anfangen ? Der neuen Herrschaft darf er damit doch nicht vor die Augen kommen, nicht einmal im Keller seiner Galerie darf er so was haben. Wesenhaft deutscher Mann, wie er ja nun geworden ist, wird er, taxier’ ich, auch ihn verraten, seinen Blut und Boden-Steiermärker.350
Westheims fast wie nebenbei eingestreute Bemerkung, dass die Moderne »nicht einmal im Keller« lagern dürfe, war ein indirekter Hinweis darauf, dass es in der Österreichischen Galerie de facto keine »Säuberungen« gegeben hatte – ein Umstand, der Grimschitz teils bis heute positiv angerechnet wird. Dass jedoch seine »Verdienste«, Kunstgut während der NS-Zeit gerettet zu haben, auch über Käufe im Auktionshandel mit großer Vorsicht zu bewerten sind, zeigt die rezente Provenienzforschung.351 Nach seiner Enthebung 1945 trat er bald wieder im Kulturleben in Erscheinung, u. a. als kunsthistorischer Referent in – nota bene ! – Kokoschkas Schule des Sehens in Salzburg. Es ist nicht nachgewiesen, ob Boeckl Westheims Artikel jemals gelesen hatte. Kokoschka hatte ihn jedenfalls in seiner im Londoner Exil angelegten Sammlung von Zeitungsausschnitten aufbewahrt. Auch wenn er sich nie namentlich über Boeckl äußerte, sondern etwa von den »Cliquen« sprach, so sah er doch in ihm einen – um es im sprichwörtlichen Jägerlatein zu formulieren – Platzhirschen in der österreichischen Moderne, mit dem er sich in keiner Weise messen wollte. Erwähnenswert ist ein Briefwechsel mit Bohuslav Kokoschka unmittelbar nach Kriegsende, der seinem Bruder in London über die aktuelle Kunstszene in Wien berichtete : Heute hat jeder den Mund voll davon u. sagen [sic !] der Herr Böckl, der Rektor der Akademie, der nur deshalb nicht Parteigenosse werden konnte, weil er Dich nachgeahmt hat (u. weiter nachahmt) was ihn wieder für das neue Österreich gerettet hat, wo er es gar dadurch bis zum Akademiedirektor gebracht hat. Er sagte einmal seinen Schülern : Der Kokoschka war auch besser als er noch nicht so berühmt war ! Das soll Dich natürlich nicht ärgern, im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass eine Herbstausstellung von Dir hier alles bisher u. in allen Ländern Dagewesene schlagen wird u. das ist das Wichtigste, d+a fallen solche kleine, persönliche, diplomatische Kniffe Unfähiger oder Schwacher ab wie Sand an der Cheopspyramide !352
Herbert Boeckl hatte vom 7. April bis zum 19. Mai 1946 in den Räumen der Akademie eine große Einzelausstellung mit über 200 Werken und großer Publizität. Veranstalterin war nicht die Akademie, sondern die erwähnte Österreichische Kulturvereinigung (ÖKV), die im Vorjahr in der Neuen Galerie die Schau Klimt Schiele Kokoschka organisiert hatte. 350 Vgl. Paul Westheim, O, du mein Österreich !, in : Pariser Tageszeitung, 28.4.1939, S. 4 (OKZ, Clippings Villeneuve 2 (1938 – 1944), Mappe Paris 1939). Zu Grimschitz siehe Mayer 2019. 351 Mayer 2004, v. a. ab S. 260. 352 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, Zuw. ? [1997 ?], Bohuslav Kokoschka an OK, Wien, 2.5.1946, Unterstreichungen im Original übernommen.
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Die ÖKV war im Juli 1945 von Hans Perntner als Präsidenten und Egon Seefehlner als Generalsekretär gegründet worden. Sie entstand aus dem Bedürfnis einzelner ÖVP-Politiker, das brachliegende Kulturleben durch Konzerte, Ausstellungen, Vorträge wieder anzukurbeln, mit »christlich-abendländischer« Ausrichtung, aber ohne parteipolitische Bindung.353 Zu ihren prominenten Gründungsmitgliedern zählten neben den zwei Genannten Monsignore Otto Mauer, die Schauspieler Raoul Aslan, Willi Forst, der Schriftsteller Rudolf Henz und der Dirigent Josef Krips sowie die Künstler Michael Powolny, Max Fellerer und auch Herbert Boeckl.354 Die große Akademie-Ausstellung war eine der »meistbesuchten und heftigst umstrittenen«, weil »dem Wiener Publikum in diesem letzten Jahr manches zugemutet worden ist, das in dem einer zeitgemäßen Kunst entwöhnten Gemüt einen Schock hervorrufen konnte.«355 Die ÖKV veranstaltete Mitte Mai eine Diskussion in der Ausstellung, die sehr kontrovers geführt wurde. Dabei wurde einerseits die Frage nach »guter oder schlechter Kunst« erörtert, andererseits die Stellung Boeckls im österreichischen Kunstkontext behandelt : Seefehlner bezeichnete Boeckl als den »bedeutendsten Künstler Österreichs.«356 Bohulslav berichtete seinem Bruder darüber : Herr Böckl hält auch einen Vortrag : neue Formen der Kunst, womit er in der Hauptsache seine Kunst meint, er hat auch ganz Wien, wo noch eine vollständige Wand ist, mit seinen Plakaten verpickt, auch eine Ausstellung, die ich mir angesehen u. die vollkommen von Dir abhängig ist, soweit sie nicht van Goghs Sessel u. Stühle zeigt. Ich muß lachen über so was, obwohl es den Leuten dabei bedeutend besser geht als unsereinem, denn er ist ausgefressen wie ein Mastochse, war gleich im Anfang ein Mitbegründer des russisch-österr. Kulturvereins und begann aber nach Erscheinen der übrigen Alliierten gleich zu westeln. Schwamm drüber !357
Bei der Diskussion meldete sich auch Viktor Matejka zu Wort und meinte, »daß […] unser kleines Vaterland eine ganze Reihe bedeutender Maler aufzuweisen habe ; er nenne nur Kokoschka […].«358 Später erinnerte er sich : »Obwohl mir durchaus bewusst war, welcher Rang Boeckl zukam, erlaubte ich mir den Zwischenruf : ›Noch lebt der allerbe353 Seefehlner 1983, S. 82f.; Interview mit Egon Seefehlner, geführt von Felizitas Schreier am 8.8.1991. Vgl. www.kulturvereinigung.at (Zugriff : 24.7.2022). 354 Archiv der ÖKV Wien, Proponentenliste. Ab Mai 1954 waren auch Fritz Wotruba, Manfred MautnerMarkhof und Diego Goetz ÖKV-Mitglieder, vgl. Reinhold 2009, S. 274 und 278, Anm. 48. 355 E. Petrasch, Magie der Farbe. Gedanken zur Boeckl-Ausstellung, in : Kunst und Aufbau. Zeitschrift für Wirtschaft und Kultur, H. 8, 1946, S. 3 und Benno Fleischmann, Anmerkungen zur Boeckl-Ausstellung, in : Der Turm, H. 10, Mai 1946, o.S. zit. Reinhold 2009, S. 274. Der Turm war eine von der ÖKV herausgegebene Zeitschrift. 356 t [Kürzel des Autors], Pro und kontra Herbert Boeckl. Eine Aussprache in der Akademie der bildenden Künste, in : Wiener Kurier, 13.5.1946. 357 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, Zuw. ? [1997 ?], Bohuslav Kokoschka an OK, Wien, 2.5.1946, 358 Vgl. t [Kürzel des Autors], Pro und kontra Herbert Boeckl. Eine Aussprache in der Akademie der bildenden Künste, in : Wiener Kurier, 13.5.1946.
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deutendste, und der heißt Kokoschka ! Er verdient, endlich heimgeholt zu werden !‹«359 Matejka spielte bei der Aufdeckung der NSDAP-Mitgliedschaft Boeckls ebenso eine Rolle wie bei den Querelen innerhalb der Akademie. Seine Ex-Frau Gerda MatejkaFelden war Teil des Kollegiums und hatte im November 1946 gefordert, dass Boeckl wegen seiner Nicht-Meldung der Parteizugehörigkeit strafweise ein halbes Jahr ohne Bezüge zu stellen sei. Zudem stand sie in einem langwierigen Konflikt mit Wotruba, wobei sich beide gegenseitig faschistisches Verhalten bzw. eine verdeckte NS-Vergangenheit vorwarfen. Anders als es Wotruba, aber auch Kokoschka getan hätten, war Boeckl in eine Defensivhaltung gegangen und hatte Matejka später auch zum Thema Bürgermeisterporträt geschrieben : Wie sollte ich Portaite [sic !] malen, wo ich seinerzeit den mir, so sehr geschätzten Herrn Bürgermeister [Theodor Körner] nicht gemalt habe, wie sollte ich es tun, ohne nicht neue Verstimmung hervorzurufen. Um aber auch das zu sagen, was ich hätte sagen müssen. Ich wollte den Bürgermeister oder auch einen anderen Auftrag nicht annehmen, weil ich dadurch Ihnen verpflichtet gewesen wäre. Das wollte ich auf keinen Fall und Sie hätten dann Grund und Recht gehabt mich dauernd zu verachten. Wenn Sie mich auch vor 3 Jahren als Nazi deklariert haben und mich sogar vors Volksgericht bringen wollten (wäre das nur geschehen, es wäre mir damals leichter zumute gewesen), so können Sie doch von mir nicht glauben, dass ich weniger bereit bin die Leiden eines Kzlers [sic !] zu ertragen…360
Wie schon bei der Spaltung des Österreichischen Werkbunds deutlich wurde, liefen die Bruchlinien nicht zwingend entlang der politischen Lager, sondern hatten ihre Ursachen vielfach in persönlicher Antipathie, Konkurrenz und gepflegten Feindschaften.361 Vom Frühjahr bis zum Sommer 1946 verdichteten sich die innerinstitutionellen Konflikte der Akademie, und die politische Vergangenheit mancher Professoren wurde vor allem von Wotruba unter Beihilfe Boeckls diskutiert. Am Kulminationspunkt der Auseinandersetzungen brachen die beiden eine grundlegende Reformdiskussion zur Akademie vom Zaun – Wotruba war einmal mehr federführend (Abb. 49). Im Juni und Juli 1946 hatte er mit Boeckl mehrere Briefe an Unterrichtsminister Hurdes verfasst mit Vorschläge zur Erneuerung der Akademie, wobei die aktiven Professoren charakter359 Matejka 1991, S.207. 360 Herbert Boeckl an Viktor Matejka, 17.8.1948, zit. in : Sehr geehrter Herr Stadtrat, Liebster, engelsguter Dr. Matejka, Antiquariat Walter Wögenstein, Exportkatalog 26, o. J. [1993], o. S. Noch 1964 anlässlich der großen Boeckl-Ausstellung im Museum des 20. Jahrhunderts schrieb Matejka : »Boeckls Widerstandskampf im Dritten Reich bleibt eine späte, armselige, risikolose Auflehnung, und die Legende vom ›Katakombenmaler‹ zieht nicht, am allerwenigsten beim ›Altar‹, der die erschütternden Jahre 1938 – 1945 […] mit hausbackener Symbolik vermanscht.«, Viktor Matejka, Aus dem Lebenswerk eines Malers, nicht lokalisierbare Zeitungskritik, 1964, Privatarchiv. 361 Reinhold 2009, S. 275.
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lich und künstlerisch analysiert sowie das fortwährend absinkende, provinzielle Niveau der altehrwürdigen Institution moniert wurde.362 Einer der umstrittensten Punkte war, ob man nur heimische Künstler als Professoren berufe oder ob man – wie Wotruba und Boeckl es forderten – auf eine Internationalisierung der Akademie setzte.363 Zur »Behandlung drängender Fragen d. Akademie« schlug Wotruba die Gründung eines »Konsilium[s] […], welches sich aus Demokraten, Kunst- u. Kulturfachleuten auch des Auslandes zusammenfindet.« Die beigefügte handschriftliche Liste weist jedoch nur österreichische »Kulturfachleute« auf, die das kulturpolitische Netzwerk Wotrubas und Boeckls abbildet : die altgedienten Museums- und Ausstellungsexperten Franz Glück, Alfred Stix und Ernst Buschbeck, Edwin Zellweker (BMU), Egon Seefehlner (ÖKV), Hans Pernter, Unterrichtsminister a.D., Otto Mauer, der legendäre Domprediger und spätere Gründer der Galerie nächst St. Stephan und nicht zuletzt Boeckl und Wotruba selbst.364 In keiner Kollegiumssitzung, in keinem Akt der Akademie wurde Kokoschka jemals als Professor der Akademie vorgeschlagen bzw. diskutiert. Auch dem im Londoner Exil lebenden Maler Gerhart Frankl, der sich im Dezember 1945 um eine Professur an der Akademie beworben hatte, wurde erklärt, dass keine Stelle vakant sei.365 Einzig Wotruba überlegte Alternativen zum Lehrkörper : so fanden sich neben dem Architekten Oswald Haerdtl der Bildhauer Jakob Adelhart, die Maler Alfred Wickenburg aus Graz, der genannte Frankl und nicht zuletzt Kokoschka auf einer Liste von vorgeschlagenen Künstlern.366 Unklar ist, ob dieser undatierte Brief mit dem Bleistiftvermerk »Boeckl« von diesem mitkonzipiert wurde. In der endgültigen, von beiden unterzeichneten Variante vom 8. Juli 1946 wurde jedenfalls statt Kokoschka der in den USA lebende Viktor Hammer vorgeschlagen.367
362 FWP, Nachlass Fritz Wotruba, Mappe Herbert Boeckl und Mappe Sergius Pauser, vgl. Reinhold 2009, S. 272. 363 Ebd. 364 FWP, Nachlass Fritz Wotruba, Mappe Herbert Boeckl Fritz Wotruba an Unterrichtsminister Felix Hurdes, 28.6.1946 Nachlass Wotruba, Wien, Mappe Herbert Boeckl. 365 Jesse 2015, S. 46. 366 FWP, Nachlass Fritz Wotruba, Mappe Herbert Boeckl, Fritz Wotruba an Unterrichtsminister Felix Hurdes, o. D. Zu Boeckls Eifersucht gegenüber Frankl vgl. Christian Michael Nebehay, Die goldenen Sessel meines Vaters. Gustav Nebehay (1881 – 1935). Antiquar und Kunsthändler in Leipzig, Wien und Berlin, Wien 1983, S. 168f. Adelhart war, wie sich später herausstellte, NSDAP-Mitglied gewesen, und auch Haerdtl hatte in der NS-Zeit keinen Karriereeinbruch erlitten, vgl. Holzschuh/Platzer 2015. 367 FWP, Nachlass Fritz Wotruba, Mappe Sergius Pauser, Fritz Wotruba und Herbert Boeckl an Unterrichtsminister Felix Hurdes, 8.7.1946,.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau Während der ersten Nachkriegsjahre hatte sich Kokoschka in einer Neuorientierungsphase befunden. Mit seiner großen Ausstellung 1947 in Basel, einer beispiellosen Tour seiner Werke durch die USA und durch Deutschland war er ins internationale Kunstleben zurückgekehrt. Unabhängig von Staatszugehörigkeit oder Wohnort war er zum Kosmopoliten geworden. Die emotionale Bindung an Österreich nahm allmählich an Intensität ab. Die positiv besetzte Imagination Österreichs verschmolz mit einem übernationalen Kulturraum des Donauländischen (1945). Im Verlauf der folgenden Jahre begann sich aber auch diese Vorstellung zu weiten : Essenzen des Österreichischen wurden aus der Vorstellung des Landes herausgelöst und diffundierten in einen viel größer gedachten Denk- und Kulturraum : dem aus dem Geist der Antike gewachsenen Europa. Auch Kokoschkas antifaschistischer Impetus wich bald nach Kriegsende einem individuell gefassten Humanismus-Konzept, das sich (vermeintlich) unpolitisch artikulierte. Bei vielen Intellektuellen ist nach 1945 angesichts der Kriegstraumata, des Holocausts und der atomaren Bedrohung eine große Skepsis bzw. Desavouierung von politischen Denksystemen festzustellen : alternative, nicht selten anachronistische Denkmodelle hatten Hochkonjunktur. Mit großer Gelehrigkeit und Eloquenz legte Kokoschka ein Bekenntnis für Hellas ab – so der Titel einer großen Lithografie-Serie von 1964 : gegenwärtige Probleme wurden durch die scheinbar transparenten Folie einer idealisierten, griechisch-hellenistische Geschichte betrachtet und interpretiert.1 Dabei interessierten ihn nicht die Wurzeln der Demokratie – schon unmittelbar nach dem Krieg äußerte sich Kokoschka v. a. in Briefen kritisch bis ablehnend über dieses System, aber ohne konkrete Gegenentwürfe gutzuheißen oder zu artikulieren. Sein unausgesprochen westlich orientierter Eurozentrismus verband sich mit dem Topos, dass menschliche (sowie politische) »Urkonflikte« schon in der Antike, speziell im antiken Drama bzw. in der Mythologie thematisiert worden seien. In seinen Schriften sowie in seinen Bildern, speziell den großformatigen Triptycha artikulierte sich eine diffuse, oft pseudowissenschaftlich »belegte«, aber immer mit großer Emphase vorgetragene Zivilisationskritik, die mit ihrer Rückbindung an das Konstrukt der Antike unverhohlen eskapistische Züge trug. Auch wenn seine früheren politischen Schriften oder seine Allegorien oft verunklärt bzw. rätselhaft in ihrer Aussage blieben, da sie Manifestationen eines Künstlers (und nicht eines Politikers) darstellen, so waren sie doch Zeugnisse eines bewussten politischen Agierens. Gerne sah sich der reife Kokoschka 1 Über 500 Bücher und abonnierte Fachzeitschriften zum antiken Geisteslebens, zu Kunst, Politik, Wirtschaft und Religion befinden sich im Bibliotheksnachlass im OKZ Wien. OK stand mit zahlreichen u. a. Archäolog/innen in Kontakt.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
in den 1950er- und 60er-Jahren in der Rolle des Visionärs und in Verbindung mit seinem Charisma im Habitus der beinahe unangreifbaren Figur des weisen Sehers. Dies machte ihn für Politiker interessant, die sich medial gerne mit Intellektuellen oder eben KünstlerIntellektuellen umgaben. Seine kosmopolitische, internationale Stellung hatte ihn überdies zum Porträtisten, zum »Hofmaler« der Mächtigen und Reichen gemacht.2 Die bundesdeutsche Politikprominenz, betuchte Sammler in den westeuropäischen Ländern und in den USA sowie potente, kunstaffine Industrielle, wie der in Deutschland geborenen Schweizer Waffenhändler Emil Georg Bührle zählten zu seiner Klientel. Seine Stadtansichten, die nicht zufällig immer wieder als Städteporträts bezeichnet werden, sind oft politisch konnotierte Auftragswerke von Kommunen oder Potentaten. Prototypisch sei hier die Linzer Landschaft (1955) zu nennen und das vom Verleger Axel Springer beauftragte Gemälde der geteilten Stadt Berlin – 13. August 1966 (1966). Der Titel und die Akzentuierung des Motivs nahm unmittelbar auf den fünften Jahrestag der Errichtung der Berliner Mauer Bezug. Der Auftrag an Kokoschka, im selben Jahr den Alt-Bundeskanzler Konrad Adenauer zu porträtieren, ging ebenfalls vom Medienmagnaten bzw. der von ihm herausgegebenen Illustrierten QUICK aus (Abb. 39). Springer wusste daraus durch Pressereportagen mit breit angelegten Fotostrecken von Sven Simon (Springer jun.) mediales Kapital zu schlagen.3 Der Kunstrebell war eine Figur der Vergangenheit, die linksorientierte, mahnende Stimme längst verklungen. Auch wenn Kokoschka sowohl Aufträge aus dem konservativ-reaktionären Lager sowie z. B. von SPD-Politikern annahm und bis ins hohe Alter karitative Gesten setzte4, so war sein unabhängiger Status als Künstler-Intellektueller, wenn nicht desavouiert, so zumindest in Frage gestellt. Er hatte sich, wie Wolfgang G. Fischer es einmal formulierte, vom »linken‹ Kokoschka ausgehend […] in die Position einer Stütze der Gesellschaft begeben […]«, war »in dieser Epoche sozusagen systemkonform im politischen Sinne geworden […].«5 Österreich war für Kokoschka allmählich zu einer sentimentalen Größe geworden. Umso empfindlicher reagierte er, wenn dieses Beziehungsgeflecht gestört wurde, der über Jahrzehnte hin immer wieder bestätigte bzw. kultivierte Argwohn durch bürokratische Engstirnigkeit oder Kleingeist virulent wurde. Die politische Landschaft war bis 1955 allein durch die Besatzungszonen sehr heterogen. Die für ihn arbeitenden Verleger, Galeristen bzw. Kunstmarktvertreter Wolfgang Gurlitt und Friedrich Welz hatten durch ihr Wirken im weitgehend von Westmächten kontrollierten Oberösterreich bzw. Salzburg 2 Vgl. Kreutler 2013, Bonnefoit 2014a. 3 Vgl. Simon/Schuster 1966 ; Simon 1967 ; Werkner 2013a, v. a. S. 56 – 60, Smola 2013, S. 251 – 257. 4 OK stellte u. a. Lithografien für die Schweizer Zentrale für klinische Tumorforschung (Longévité, 1968, WW 436), die UNI CEF (Elternpaar mit Kind, 1966, WW 361) zur Verfügung und stiftete den Ertrag seiner Serie The Jerusalem Faces (WW 493 – 498, 1973/74) für die von Teddy Kollek gegründete Jerusalem Foundation. 5 Fischer 1995, S. 131.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
39 : Der Maler und sein Modell, Konrad Adenauer und Kokoschka, Cadenabbia, April 1966, QUICK, 1. Mai 1966, Foto : Sven Simon.
bessere Voraussetzungen als der in der Bundeshauptstadt agierende, kommunistische Kulturstadtrat Matejka. Vor allem Salzburg entwickelte sich zu einem Angelpunkt für Kokoschka. Hier war seine Schule des Sehens situiert, wo sich eine steigende Zahl von internationalen Schüler/ innen einfand. Die Stadt konnte mit dem großen Künstlernamen werben und für ihre Profilierung als international beachtete Kunst- bzw. Musik-Theaterstadt nutzen. Sein pädagogisch-pazifistisches Engagement in Erziehungsfragen, das ihn als tschechoslowakischen Abgesandten sogar auf den Brüsseler Friedenskongress 1936 geführte hatte, fand im Exil in Schriften, Ausstellungen usw. seine Fortsetzung. Nach dem Krieg bzw. im Wiederaufbau legte er seine Hoffnung in »die Jugend«.6 Doch auch dabei kam es allmählich zu einer Verschiebung seiner Interessen. Kokoschka liebte es, von jungen Menschen umgeben zu sein. Er faszinierte durch seine Berichte etwa vom Wien um 1910, seine unkonventionellen Assoziationen, die er bei der Kunstbetrachtung entfaltete und in die er oft zivilisationskritische Aspekte einflocht. Der Ehrgeiz seiner implizit politischen Idee einer übernationalen, erfahrungsorientierten Schule war verflogen ; es blieb
6 Ein differenziertes Bild der »Kriegskinder«, ihrer Traumata und der (Problematik der) medialen Konstruktion einer Generation vgl. Bode 2021, Seegers/Reulecke 2009, vgl. auch Biess 2009.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
40 : Saison in Salzburg, Berichte von Kokoschkas Schule des Sehens, Herbert von Karajan und anderen Stars der Salzburger Festspiele, Illustrierte Bunte, Juli/August 1961.
die temporäre, intensive Auseinandersetzung v. a. mit jungen Erwachsenen7, die sich dezidiert für seine Lehrmethode entschlossen hatten. Die Sommerakademie fand von 1953 bis inklusive 1962 im selben Zeitraum wie die Salzburger Festspiele statt, welche in der Stadt nicht nur Größen des Musik- und Theaterlebens, sondern auch der Politik und Wirtschaft versammelte. Zahlreiche Celebrities gaben sich hier ein Stelldichein, und Kokoschka gehörte dazu (Abb. 40). Eine »Häufung versäumter Gelegenheiten«. Kokoschka und die Wiener Museen Kokoschka sammeln. Strategien und Motivationen Schon in der Zwischenkriegszeit hatten wichtige Kunstkritiker festgehalten, dass man in Österreich versäumt habe, Arbeiten Kokoschkas für Museen, insbesondere die Öster reichische Galerie (Belvedere), die Albertina sowie die Städtischen Sammlungen zu er7 Es gab keine speziellen Aufnahmekriterien, wie z. B. eine künstlerisch-akademische Vorbildung bei der Schule des Sehens sowie keine Altersbeschränkung, sodass es auch etliche ältere Teilnehmer/innen gab.
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Eine »Häufung versäumter Gelegenheiten«. Kokoschka und die Wiener Museen
werben.8 Die Stadt Wien war erst unter Direktor Franz Glück, einem engen Freund Adolf Loos’, bemüht, den Künstler stärker im Museum vertreten zu wissen und ihn mit (Dauer-)Ausstellungen präsent zu halten. Im Belvedere war unter Direktor Martin Haberditzl (1982 – 1944) ab 1915/16 eine zeitgemäße Museumsstrukturierung vorgenommen worden. Er eröffnete 1929 innerhalb des Sammlungsverbands die Moderne Galerie (1929), engagierte sich für die Erwerbung von zeitgenössischer Kunst und wurde u. a. von seinem Freund Egon Schiele oder auch Herbert Boeckl porträtiert. Die Klage Kokoschkas und seiner frühen Apologeten wie Tietze und Westheim, dass man in den großen Museen Österreichs kein Interesse an seiner Arbeit zeige, wird schon in Haberditzls Amtszeit widerlegt. Dennoch : angesichts der katastrophalen Budgetsituation der Museen in der Zwischenkriegszeit wie (zumindest unmittelbar) nach 1945 lässt sich Tietzes frühe Feststellung einer »Häufung versäumter Gelegenheiten« verifizieren.9 Dabei lohnt ein Blick auf die damaligen Preise : abgesehen von den Freundschaften zwischen manchen Museumsbeamten und Künstlern waren Bilder des in seiner Reputation weitgehend auf Österreich beschränkten Boeckl einfach und günstig zu erwerben. Dasselbe gilt für den 1918 gestorbenen Schiele, der über lokale Sammler und Kunsthändler gut vertreten war. Schon Werner J. Schweiger hat auf den enormen Preisunterschied zwischen Kokoschka- und Schiele-Arbeiten hingewiesen. Kokoschka hatte früh in Deutschland reüssiert, wobei die erste deutsche Museumserwerbung 1910, Victoire de Montesquiou-Fezensac (ehem. Die Herzogin von Rohan) für das Folkwang Museum erwähnt sei. Dessen Direktor Karl Ernst Osthaus hatte für das Gemälde umgerechnet 780 österreichische Kronen gezahlt, was dem Gegenwert von vier Arbeitermonatslöhnen bzw. eineinhalb Monatsgehältern eines Sektionsrats entsprach. Schiele verlangte dem gegenüber anfangs zwischen 60 bis 150 Kronen, bei der Hagenbund-Schau 1911 ca. 330 bis 400 Kronen für ein Ölbild. Tietzes Warnung an Kokoschka, dass er mit den »geforderten Riesensumme[n]« sich selber schaden könne, verhallten ungehört.10 Die Moderne Galerie erwarb erstmals 1922 ein Kokoschka-Gemälde, das Stillleben mit Hammel und Hyazinthe (1909). Es gehörte ursprünglich dem Wiener Arzt und Kunstsammler Oskar Reichel. Bis 1938 hatte man noch die Bilder Der Rentmeister (auch : Dr. Julius Szeps) (1910) bzw. Prager Hafen (1936) kaufen können.11 Während man in Deutschland, z. B. in Dresden wichtige Arbeiten wie Die Macht der Musik (1920) von der Staffelei weg kaufte, musste man im Belvedere teils bedeutende, zum Kauf angebotene Bilder vorbei ziehen lassen. Schmerzlich lang ist ihre Auflistung : Die Auswanderer 8 Das Museum des 20. Jahrhunderts, heute mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien, existiert erst seit 1962. 9 Hans Tietze, Oskar Kokoschkas neue Werke, in : Die Bildende Künste, Wiener Monatshefte, H. 11/12, 1919, S. 249, zit. Dalbajewa 1998, S. 28. 10 Schweiger 1983, S. 143. 11 Fünf Papierarbeiten musste man im Rahmen einer Museumsneuordnung 1925 an die Albertina abtreten, vgl. Natter 1996a, S. 12.
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(1916/17), Liebespaar mit Katze (1917), Stockholmer Hafen (1917), Die Jagd (1918), Neustadt III (1921), Genfer See I (1923), Zwei Mädchen (1924), Lyon (1927), die als verschollen geltenden Bilder Der Maler I (1922/23) und Zwei Mädchen (1931), wobei Letzteres von Kokoschka selbst angeboten wurde.12 Im Jahr 1924 hätte man sogar die Gelegenheit gehabt, Die Windsbraut zu erwerben.13 Haberditzl wurde 1938 des Dienstes enthoben ; unter seinem Nachfolger Bruno Grimschitz wurden die Moderne-Bestände, die unter das Verdikt der »entarteten« Kunst gefallen waren, magaziniert. Mit Kriegsende gelangten zwei wichtige Gemälde in die Sammlung : Carl Moll hatte im April 1945 Selbstmord begangen und sein Porträt von 1913 (Abb. 13) sowie Die Heimsuchung (1912) testamentarisch dem Museum vermacht. Insbesondere das Belvedere bemühte sich nach dem Krieg das Defizit an KokoschkaArbeiten wettzumachen. Das gelang jedoch erst ab den 1960er-Jahren in größerem Umfang.14 Eine Persönlichkeit verdient in diesem Kontext besondere Anerkennung : Fritz Novotny (1903 – 1983). Der Kunsthistoriker und überzeugte Antifaschist konnte aus familiären Gründen nicht emigrieren, erhielt noch unter Bruno Grimschitz eine Anstellung und war nach 1945 kurzfristig interimistischer Direktor der Österreichischen Galerie. Der international anerkannte Cézanne-Experte setzte sich aus Überzeugung für die österreichische sowie die internationale Moderne ein. 1947 wurde Karl GarzarolliThurnlackh (1894 – 1964) in Folge einer Personalrochade in der Museumslandschaft zum Direktor bestellt. Dieser hatte 1946/47 zwischenzeitlich die Albertina geleitet und wurde nach der Rückkehr Otto Beneschs aus den USA in der Österreichischen Galerie eingesetzt. Erst nach dessen Pensionierung 1959 sollte ihm Novotny als Direktor folgen. Kokoschkas unbestrittene kunsthistorische Bedeutung und das Ausgleichen von Sammlungsdefiziten waren die Hauptargumente, warum man sich mit »deutlichen Verzögerungen« im Vergleich zu Deutschland um seine Arbeiten bemühte. Dort kam Kokoschka nach der NS-Herrschaft eine prominente Stellung als »entarteter« Künstler und Exponent der vertriebenen Moderne zu.15 Das Bewusstsein der »Täterschaft« ging quer durch alle Institutionen, die einen Kurs der Wiedergutmachung und im Bereich der Kunst eine Rehabilitierung der Moderne anstrebten – Letzteres forciert durch die Westorientierung und den Kulturkampf im Kalten Krieg. In Österreich stellte sich die Situation prinzipiell anders dar. Den Museumsbeamten war schmerzlich bewusst, welche Lücken es im öffentlichen Bestand an Kokoschka-Arbeiten gab. Die politische Motivation, Werke Kokoschkas zu erwerben, wurde nie als Akt einer »Wiedergutmachung« verstanden. Das offizielle Österreich sah sich nicht in einer politischen Schuld, sondern 12 Ebd., S. 14 – 17. 13 Ebd., S. 17. 14 In zwei Fällen, Bildnis Karl Kraus II (1925) und Bertha Eckstein-Diener (1910), wurden die Ankäufe dem jungen Museum des 20. Jahrhunderts unter der Leitung von Werner Hofmann zugesprochen, vgl. u. a. Natter 1996a, S. 25f. 15 Vgl. Ebd., S. 22.
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selbst als Opfer. Vielmehr galt es nach der jüngsten Vergangenheit auf dem Feld der Kunst das nationale Selbstbewusstsein zu stärken. Wie die meisten westeuropäischen Staaten versuchte man auch in Österreich nach 1945 über die Museumspolitik und die Herausstreichung einer »landesspezifischen« Kunstgeschichte identitätsstiftend zu wirken.16 Auf der Ebene der Kulturpolitik quer durch die Couleurs, von Matejka bis hin zu konservativen ÖVP-Ministern, und auch in den Museen selbst sah man Kokoschka nicht nur als großen Künstler, sondern in einem patriotischen Sinne auch als großen Österreicher. Nach der Behebung der Kriegsschäden wurde das Belvedere 1953 als ein Österreichisches Museum mit Kunstbeständen ausschließlich österreichischer Provenienz wiedereröffnet. Dafür war es im Vorfeld zu einer Verschiebung bzw. Zersplitterung von gewachsenen Museumsbeständen gekommen. Herausragende Werke der Moderne, beispielsweise von van Gogh oder Monet wurden abgetreten und lagen für viele Jahrzehnte im Verwaltungsbereich des Kunsthistorischen Museums. Was heute völlig unverständlich erscheint, fand damals weitgehend positive Resonanz. Nur einige wenige Stimmen des Kulturlebens, darunter Fritz Wotruba, kritisierten diese Nationalisierung der Kunst und die künstliche Trennung von ihren (internationalen) Entwicklungszusammenhängen.17 Die Kunsthistorikerin Alice Strobl (1919 – 2010) charakterisierte die dahinterliegende Motivation dieser Umstrukturierung : »Obwohl alle Kunstmuseen von Bomben schwer getroffen waren, unternahm man große Anstrengungen zu deren Wiederherstellung, und zahlreiche Ausstellungen wurden veranstaltet, bei denen es auch darum ging, die österreichische Kunst besonders zu betonen und die Forderung nach einem Museum österreichischer Kunst immer wieder zu stellen.«18 Novotny war als Universitätsdozent bemüht, dem kunsthistorischen Nachwuchs die Moderne zu vermitteln, während dem Wiener Kunstgeschichte-Ordinarius Karl Maria Swoboda daran lag, die Studierenden »ganz besonders mit der österreichischen [Kunst] vertraut zu machen. […] Ging es doch darum, auch der österreichischen Kunst in der Weltkunst ihren Platz zu sichern, die bis dahin in den Handbüchern nicht aufschien.«19 Strobl nannte Alfred Stix als einen Initiator des Museums österreichischer Kunst – ein Konzept, das mit den vielen, ähnlich orientierten Propagandaausstellungen im In- und Ausland konform ging. Das Ziel war die Abgrenzung von der deutschen Kunst- und Kulturgeschichte und die Generierung bzw. Steigerung eines Österreich-Bewusstseins, das – wie schon vor 1938 – verstärkt im traditionellen Kunst- und Kulturbereich transportiert werden sollte.20 Dem patriotischen Auftrag waren wohl alle Beteiligten verpflichtet ; die individuelle Motivation war jedoch 16 Vgl. u. a. Knapp 2005, 82f. 17 Vgl. Protestschreiben Wotrubas, u. a. im Nachlass Fritz Wotrubas (FWP). Vgl. auch Fillitz-Interview 2015. 18 Strobl 2004, S. 189. 19 Ebd., S. 190. 20 Vgl. Knapp 2005, 82f.
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unterschiedlich gewichtet. Fritz Novotny war ein der Moderne auf vielen Ebenen Verbundener, doch auch Direktor Garzarolli, dem kein gesteigertes Interesse an moderner bzw. zeitgenössischen Kunst nachgesagt wurde, war bewusst, dass Kokoschka zweifellos zum Kanon österreichischer Kunst zählte.21 Das Ziel war ein monografischer KokoschkaSaal, den man längere Zeit mit Leihgaben privater Sammler bzw. mit Hilfe der Neuen Galerie Linz (Körner-Bildnis) ergänzen musste. Während heute viele Museen in ihren Dauerausstellungen eine Zusammenschau von zeitgleichen Kunsttendenzen vorführen, wollte man damals ausgewählte Künstlerheroen bzw. Kunstlandschaften präsentieren. Im Zusammenhang mit den Schweizer Ausstellungen hatte Novotny 1947 versucht, das düstere Selbstbildnis mit Pinsel (1914) zu erwerben und argumentierte, dass »die österreichische Galerie bisher kein Selbstbildnis dieses bedeutendsten lebenden österreichischen Malers besitzt und das genannte Werk sehr repräsentativ für die Frühperiode Kokoschkas ist […].«22 Er verwies auf die Empfehlung des vorgesetzten Kunstbeamten (Alfred Stix) und die Möglichkeit, den Kauf mit dem von der Meisterwerke-Schau gewonnenen Erlös zu finanzieren. Optional schlug Novotny den Ankauf der Bilder Dr. Hermann Schwarzwald(1911), Strand in Biarritz (1925) oder Madrid (1925) vor. Es kam jedoch zu keiner Erwerbung : hinderlich war der Umstand, dass sich das Unterrichtsministerium schnell hätte entscheiden müssen. Auch 1949 blitzte Novotny mit der Bitte ab, das Gemälde Stockholmer Hafen (1917) mit Hilfe der erwähnten Finanzquelle zu kaufen. Der zuständige Ministerialrat zögerte, weil man gleichzeitig den Kauf eines Waldmüller-Bildes finanzieren wollte.23 Diese zwei verpassten Chancen sollten keine Einzelfälle bleiben. Sie signalisieren, dass Tietzes Bonmot über die »Häufung versäumter Gelegenheiten« auch nach 1945 an der Tagesordnung war. Meist war eine Mischung aus Budgetknappheit, anderer Prioritäten, bürokratischer Verschleppung und Entscheidungsschwäche für Nichterwerbungen verantwortlich. Das Bemühen, im Falle Kokoschkas Versäumtes nachzuholen, führte aber auch zu übereilten Erwerbungen von Bildern, die nicht von der Hand des Künstlers stammten. Bekannt ist der Fall des Bildnis Ernst Koessler, das 1956 für die Österreichische Galerie erworben wurde, aber, wie sich später zeigen sollte, tatsächlich von Kokoschkas frühem Rivalen Max Oppenheimer stammte.24 Es sollte nicht der einzige Fehlkauf bleiben.25
21 Garzarolli, der als schwierige Persönlichkeit galt, überließ zumeist Novotny die Agenden zur Akquirierung moderner Kunst. In seiner Direktionszeit wurde etwa Schieles Gemälde Kardinal und Nonne (1912) zum Tauschobjekt (heute im Leopold Museum, Wien), vgl. Fillitz-Interview 2015. 22 AÖG, Zl. 153/1947, Fritz Novotny an das BMU, Wien, 29.4.1947. 23 AÖG, Zl. 440/1949, Fritz Novotny an das BMU, Wien, 11.8.1949 ; ÖStA, AdR, BMU 03, Karton 151, 15B1 ÖG 1949 – 1953, Zl. 38.238/49, AV von MR Konrad Thomasberger.Vgl. auch AÖG, Zl. 440/1949. 24 Natter 1996a, S. 27. 25 Reinhold 2017, S. 338f.
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Kokoschka ausstellen. Eine Geschichte der Hindernisse Kokoschka wurde erst im Herbst 1955 nicht in einem der Wiener Museen, sondern in der Secession mit einer großen Ausstellung bedacht – ein Faktum, das zu Recht als eines der vielen Versäumnisse gewertet wurde. In den Archiven der in Wien situierten Museen sowie des für Kunstangelegenheiten zuständigen Unterrichtsministeriums lässt sich allerdings eine Fülle an Unterlagen finden, die ab 1946/47 ein intensives Bemühen um eine Kokoschka-Schau belegen. Bis 1951, also in einem Zeitraum von fünf Jahren wollte man eigene Kokoschka-Ausstellungen organisieren bzw. sich in die große, über viele Länder und Städte laufende Ausstellungstour einklinken. Zugleich bedienten sich die staatlichen Institutionen in verschiedenen Projekten der Reputation Kokoschkas, die ihn als großen »Österreicher« und als »eigenen« Vertreter der Moderne vorstellten. Kurz : Von einem Desinteresse, oder auch nur einer verzögerten Wertschätzung Kokoschkas war keine Rede. Im Juli 1946 richtete Viktor Matejka an die Direktion der Albertina sowie der Städtischen Sammlungen die »Bitte festzustellen, wo, d.h. in welcher Galerie und Sammlungen [sic !] Kokoschka-Bilder sich derzeit befinden.26 Diese Sondierungen waren die Vorarbeit für eine große Kokoschka-Ausstellung in Wien, die Matejka als politisch-moralische Verpflichtung sowie als volksbildnerischen Auftrag empfand. Parallel dazu initiierte er niederschwellige Vermittlungsprojekte, wie z. B. Ausstellungen mit Reproduktionen. So hatte er unmittelbar nach dem ersten Wien-Besuch des Künstlers im November 1947 zahlreiche Sammler/innen um fotografische Werkabbildungen angeschrieben.27 Kokoschkas »Werbeaktion« um »Sympathien für die kulturelle Tradition Österreichs«
Die Jahre 1947/48 erwiesen sich in mehrfacher Hinsicht als wichtiger Dreh- und auch Reibepunkt im Verhältnis mit dem Künstler. Im Zusammenhang mit den großen Kokoschka-Ausstellungen in Basel und Zürich, später in Amsterdam waren alle wesentlichen Bestände der Wiener Museen angefragt worden. Mit der Koordinierung der Leihgaben (Versicherung, Transport etc.) wurde die Österreichische Galerie, namentlich Fritz Novotny betraut.28 Als überzeugter Antifaschist, als Kunsthistoriker und Beamter versuchte er ein von Wertschätzung getragenes Verhältnis zu Kokoschka aufzubauen, agierte im Zweifelsfall bei Leihansuchen für den Künstler und versuchte, Arbeiten zu 26 Wien Museum Archiv, Zl. 548/1946, Viktor Matejka an Karl Wagner (Städtische Sammlungen), Wien, 19.7.1946. Vgl. auch Archiv Albertina, Zl. 190/1946, Schlagwortverzeichnis [Index] 1942 – 46. Ein entsprechender Akt konnte nicht gefunden werden. 27 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, Viktor Matejka an Frédéric (Fritz) Knize, Wien, 28.11.1947 (Abschrift) und Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejkaan Walter Neurath, Wien, 28.11.1947. 28 Seine Freundschaft mit Gerhart Frankl bzw. deren Briefverkehr geben Einblicke in seine Grundhaltung im postfaschistischen Österreich, vgl. Lachnit 1998.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
erwerben sowie eine repräsentative Kokoschka-Ausstellung zu realisieren. Letzteres gelang ihm erst 1971 unter seinem Direktorat im Belvedere. Die ersten großen Ausstellungen nach dem Krieg, darunter jene 1947 in der Schweiz, waren für Kokoschka besonders wichtig : so meldete er sich auf dem internationalen Terrain zurück und verband damit auch ökonomische Interessen.29 Es folgten etliche andere Stationen, auf denen er für längere Zeit wiederholt seine Bilder aus den Wiener Sammlungen zeigen wollte. Mit Eloquenz und teils großem Pathos versuchte er, den offiziellen österreichischen Leihgebern seine Ausstellungsserie auch als eine »Werbeaktion« für Österreich mit humanitären Zielen zu erklären. Im Juli 1947 schrieb OK an Fritz Novotny : Ich sehe mit Kummer dem Ende der Züricher Ausstellung entgegen, weil ich noch immer nicht das mir gesteckte Ziel – 1 000 Pfund für mein Bild »What we are fighting for« – als Spende für die Wiener Kinder erreicht habe. Dies war aber, was mir am meisten am Herzen liegt, warum ich hauptsächlich diese Ausstellungen arrangierte, welchen noch weitere in Amsterdam und sodann in allen großen Museen Nordamerikas folgen sollen.30
Auch wenn Kokoschkas Spendengroßzügigkeit nicht zu bezweifeln ist, war das Diktum, dass er die Ausstellungen »hauptsächlich« zugunsten der Wiener Kinder veranstalten wollte, nicht mehr als eine sympathieheischende Floskel. Darüber hinaus verknüpfte er seinen eigenen Erfolg mit der Reputation, die Österreich durch ihn im Ausland erreichen könnte : so sprach er von »Sympathien für die kulturelle Tradition Österreichs«, die er mit seiner »Werbeaktion« schaffen wollte.31 Im August 1948, vor seiner großen Retrospektive auf der Biennale bzw. vor dem Ausstellungsreigen in den USA, war er um pathetische Worte nicht verlegen : »Dass eine solche grosszügige Aktion im Interesse der österreichischen Kulturpropaganda liegt, muss allen klar sein. Ich habe auch noch ein Sonderinteresse, indem solcherart die Autorität meines Namens in den Staaten gesteigert wird, dies meiner persönlichen Hilfsaktion für die Wiener Kinder und Oesterreich allgemein zugute kommen wird.«32 Damit appellierte er an die humanitäre und patriotische Seite, an ein »Österreichertum«, dem sich nach der »deutschen« NS-Herr29 Sowohl bei der Basler als auch bei der Zürcher Ausstellung wurden von insgesamt 69 (bzw. 64) Gemälden jeweils 23 zum Verkauf angeboten ; einige davon gehörten dem Künstler selbst bzw. seinen Kunsthändlern, vgl. Kokoschka 1947 und 1947a. In der Basler Ausstellung war in der Sektion der Ölgemälde 1937 – 1946 (Saal III) höchstwahrscheinlich außer Katalog auch Der »Anschluss« gezeigt worden, vgl. Bleistiftnotiz im Katalogexemplar des OKZ, Inv.Nr. OK-Ex Mon 729/B. 30 OK an Fritz Novotny, Sierre, 31.7.1947, in : Briefe III, S. 188. 31 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 44 (Briefe von O. Kokoschka, Abschriften, 1944 – 1948), OK an Fritz Novotny, o.O., o.D. [wahrscheinlich Jänner 1948), mit handschriftlichem Vermerk von Olda Kokoschka »1947« ; OK an Viktor Matejka, London, 15.1.1948, in : Briefe III, S. 200f. 32 AÖG, Zl. 385/1948, OK an Ernst Buschbeck, Sirmione (Italien), 4.8.1948.
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schaft auch so differenziert denkende und handelnde Intellektuelle wie Novotny schwer entziehen konnten. Tatsächlich konnte Kokoschka bei den Stationen in der Schweiz, bei der Biennale in Venedig (1948) und allen beteiligten US-Museen im Zeitraum von März 1947 bis Oktober 1949 sowie in München (1950) und Linz (1951) zumeist über die fünf Bilder des Belvedere verfügen. Bei fast allen Ausstellungen war überdies auch das Bild Wien, Schloss Wilhelminenberg mit Blick auf Wien aus den Städtischen Sammlungen zu sehen, und Novotny hatte noch wichtige Leihgaben privater Sammler/innen in Österreich organisiert.33 Das Ringen um eine Kokoschka-Schau in Wien
Im Hintergrund zu den Ausstellungen in Basel, Zürich und Amsterdam begann man eine eigene Kokoschka-Schau in Wien zu planen. Nach dem Wiederaufbau sah die Albertina der Neueröffnung ihres Hauses im Herbst 1947 entgegen. Bisher unbekannt war, dass die erste Ausstellung niemand anderem als Oskar Kokoschka gewidmet sein sollte. Anfang Mai bedankte sich Albertina-Direktor Otto Benesch bei der Basler Kunsthalle, für »die so verdienstvoll organisierte grosse Kollektiv-Ausstellung des führenden österreichischen Künstlers Oskar Kokoschka […]« und bedauerte »lebhaft […], dass dieses Ereignis sich in einer für die meisten Österreicher unerreichbaren Entfernung abspielt.«34 Daher, so Benesch, verfolge man die Idee, nach der Amsterdamer Station aus Kostengründen zumindest einen Teil, vor allem Zeichnungen und »graphische Blätter« nach Wien zu bringen, um sie »der treuen Gefolgschaft und den vielen Bewunderern Kokoschkas in seiner Heimatstadt zu zeigen.«35 Besonderes Augenmerk wolle man auf die letzte Arbeitsphase legen, die hierorts unbekannt sei. Auch Novotny bat den Künstler für die Wiedereröffnung der Albertina um die ihm gehörenden Blätter der jüngeren Zeit.36 Doch der Termin der Ausstellung im Stedelijk Museum verzögerte sich, wofür man auch großzügig österreichische Leihgaben zur Verfügung stellte. Letztlich scheiterten alle Bemühungen von Benesch und Novotny, die Kokoschka-Schau aus Zürich bzw. Amsterdam nach Österreich zu holen.37 Erst im Frühjahr 1964 gelang es unter Beneschs Nachfolger Walter Koschatzky, eine erste 33 Laut den Katalogen war die Wiener Ansicht nur auf den OK-Retrospektiven der Biennale 1948, in Köln 1951 und – angesichts des Streits um das Körner-Bildnis mit der Stadt Linz wenig verwunderlich – in Linz (1951) nicht zu sehen. Die Belvedere-Bilder waren nur in Berlin und Köln (beide 1951) nicht vertreten. Aus Privatbesitz war u. a. das Porträt von Alma Mahler aus deren Besitz, das in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in Wien bei Viktor Matejka in Verwahrung gewesen war, vgl. AÖG, Zl. 161/1947. 34 Otto Benesch an Lucas Lichtenhan (Kunsthalle Basel), Wien, 3.5.1947, (Abschrift), AÖG, Zl. 428/1947. Der Brief ist nur als Abschrift im AÖG, aber nicht im Archiv der Albertina vorhanden. 35 Ebd. 36 AÖG, Zl. 491/1947, Fritz Novotny an OK, Wien, 6.5.1947. 37 Vgl. Reinhold 2017, S. 343. Die Albertina wurde mit einer Alfred-Kubin-Ausstellung wiedereröffnet.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
Kokoschka-Schau mit den damals aktuellen Lithografie-Zyklen King Lear, Bekenntnis zu Hellas und Apulien zu machen. Zeitgleich liefen die Vorbereitungen zum ersten Besuch Kokoschkas in Wien seit mindestens zehn Jahren. Matejka und Novotny bemühten sich, das Visum bzw. die nötige offizielle Einladung durch Bürgermeister Körner bzw. die Regierung zu organisieren. Überdies sollten die durch Noteinquartierung belegten Räume im Haus des Bruders freigemacht werden. In einem Brief vom 30. Oktober 1947 sprach Novotny gegenüber Kokoschka auch über die Leihgaben für die amerikanische Ausstellungstour : es sei »etwas schmerzlich, den gesamten öffentlichen Besitz an Werken Kokoschkas für so lange Zeit auf der Wanderung zu lassen, und, ehrlich gesagt, auch etwas unheimlich […].« Im Verlauf mehrerer Ausstellungsstationen war es zu einigen Beschädigungen gekommen, manche Arbeiten waren zeitweilig sogar verloren gegangen.38 Zudem hatte man für das Frühjahr 1948 in Rom eine Ausstellung österreichischer Kunst geplant und wollte dabei »natürlich« auch Kokoschka-Arbeiten zeigen. Doch auch in Wien hatte man in der Akademie eine Ausstellung vorbereitet, die im März/April 1948 unter dem Titel Entwicklung der österreichischen Kunst von 1897 bis 1938. Malerei Plastik Zeichnungen gezeigt wurde. Anders als bei der Zürcher Schau Meisterwerke aus Österreich, wo man sich auf eine Handvoll bedeutender Zeitgenossen geeinigt hatte, spannte man hier mit rund dreißig Künstlern einen Bogen von Klimt, Schiele und Gerstl bis hin zu jüngeren, weniger bekannten Kollegen.39 Das kuratorische Team waren wieder bekannte Museumskustoden ; Alfred Stix war der Verfasser des Vorworts.40 Von Kokoschka scheinen im Katalog neben drei privaten Leihgaben die fünf Gemälde der Österreichischen Galerie sowie drei Aquarelle bzw. Zeichnungen der Albertina auf. Rund um die Eröffnung hatte Ludwig Münz, Direktor der Akademie, seinem alten Freund Kokoschka geschrieben und eine von ihm verfasste Radiorede mitgesandt. Darin sprach er explizit von der Diffamierung und Verfolgung Kokoschkas in der NS-Zeit und der internationalen Rehabilitierung, die der Künstler auf der bevorstehenden Biennale im Sommer 1948 erfahren sollte.41 Für Münz und seine antifaschistischen Gesinnungsgefährten Matejka und Novotny war es »zum erstenmal nach einer langen Pause«, dass Kokoschka gezeigt wurde, was einem künstlerischen sowie politischen Auftrag gleichkam. Kokoschka hingegen war anderer Meinung. Mit eindeutigen Worten hatte er sich bei Matejka im Jänner 1948 über Behinderungen in Wien beschwert :
38 AÖG, Zl. 161/1947, Fritz Novotny an OK, Wien, 30.10.1947. 39 Vgl. Akademie 1948. 40 Auffällig ist die schlampige Katalogredaktion : OKs Biografie strotzt vor Fehlern und sogar der omnipräsente Wotruba wurde mit einem anderen Vornamen (Ernst statt Fritz) angeführt, ebd. 41 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 353.20, Ludwig Münz an OK, Wien, 6.3.1948. Münz erwähnt in seinem Brief eine »Übertragung« auch in den Abendstunden.
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Eine »Häufung versäumter Gelegenheiten«. Kokoschka und die Wiener Museen
Man hat aus Amsterdam die Bilder, die dem Rathaus und dem Staat gehören, einfach abspedieren lassen, ohne es mich wissen zu lassen, mit der Begründung, daß man in Wien eine Kunstausstellung veranstaltet. Nun sage ich Ihnen, lieber Freund, daß ich meine Bilder wichtiger für meine Werbeaktion im Ausland brauche und keine Lust habe, mit ein paar Leinwänden auch als A D A B EI, dort ausgestellt zu werden, wo man mich noch vor ein paar Jahren als entarteten Künstler abhing und auslachte. Ich will auch nicht, daß man mich überhaupt dort zeigt, bis ich nicht mir eine Kollektivausstellung selber einrichten und aussuchen kann. Ich bin nicht auch ein österreichischer Maler mit Krethi und Plethi zusammen, auch nicht gut dazu, um irgendwelchen dortigen Malern, lebend oder verstorben, als Schnittlauch auf der mageren Suppe zu dienen. So hatte es immer der Herr Nierenstein (heute New York) versucht, um seinen Vorrat an heimischen Genies, Schiele u.s.w., etwas Blut in die Adern zu praktizieren, damit deren kommerzieller Wert steigt. Man hat, bis in die letzten Jahre, Geschichten erlogen, um irgendeinen Zusammenhang zwischen diesen Cliquen und mir zu konstruieren, und damit vielleicht absichtlich den geschichtlichen Hergang verfälscht. Deshalb habe ich die schmalzigen Brusttöne wie »Und er ist doch unser« und ich habe noch immer die Nase voll davon und werde erst meine Bilder in Wien zeigen, bis ich selber dazu die Initiative ergreife. […] Wenn man mir meine Bilder verweigert, so werde ich Konsequenzen ziehen.42
Die zitierten »schmalzigen Brusttöne« nahmen natürlich auf Carl Molls pathetisches Vorwort der Wiener Ausstellung 1937 Bezug. Sie waren auch in James S. Plauts Katalogtext für den amerikanischen Katalog (1948) zitiert und – dort als »chauvinistic estimate« bezeichnet – OK wieder in Erinnerung gerufen worden.43 Etwa gleichzeitig hatte der Künstler auch an Novotny geschrieben. Für die kommende große Personalausstellung auf der Biennale in Venedig forderte er vehement sein Stillleben mit Hammel und Hyazinthe : »Bei einer Wiener Sammelausstellung ist es entbehrlich. Die Wiener sollen sich an ihren geliebten Schiele halten, dessen Werk nach meiner Meinung ein Abklatsch von Klimt, van Gogh, mir und Pschütt-laszivitäten [sic !] ist, die mit Kunst so viel zu tun hat, wie die Schmalzmusik der Wiener Heurigen mit Schubert, Mozart und Beethoven.« Ähnlich wie bei Edith Hoffmann versuchte er auch, Novotnys Texten über ihn zumindest eine bestimmte Richtung zu geben – nicht ohne die bekannten Seitenhiebe gegen etwa Picasso, aber auch Wiener Institutionen : Ich bitte Sie auch mir den Text Ihres Buches über mich zu schicken und hoffe, dass Sie darin besonders mein frühestes graphisches Werk behandelt haben, welches einem breiteren Kreis kaum zugänglich gemacht wurde bisher. Die Wahrheit sickert langsam durch, dass gerade die frühen Zeichnungen von mir […] richtungsgebend für den Zeitstil in Deutschland und anderswo wurden. Auch meine berühmten Kollegen in Frankreich haben weidlich davon profitiert, ohne jemals 42 OK an Viktor Matejka, London, 15.1.1948, in : Briefe III, S. 200f. 43 Plaut 1948, S. 11.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
meine Vaterschaft anzuerkennen. […] Der Hinweis auf dieses Frühwerk von mir in einem Buch, das meine Graphik behandelt, ist mir deshalb unentbehrlich, weil die Albertina Dinge besitzt, die mir fälschlich zugeschrieben werden, wie ich in Basel Gelegenheit hatte zu sehen mit eigenen Augen. Dafür hatte man aber eine wunderbare Zeichnung, die von Nijinsky, von Adolf Loos seinerzeit an Direktor Meder geschenkt, später verauktionieren lassen. Dies ist bezeichnend. Ich werde mich besonders über Ihr Buch freuen, wenn Sie diesen Abschnitt meines Wirkens mit besonderem Interesse behandeln […]. Bitte setzen Sie Ihre Autorität dafür ein, dass man meinem Wunsch nachkommt.44
Novotny reagierte unmittelbar und offerierte dem Ministerium Vorschläge, um Kokoschkas »Wünschen« zu entsprechen : man könne schon im Frühjahr 1948 eine größere Kokoschka-Schau in Wien veranstalten und damit Kollisionen mit der Biennale im Sommer vermeiden. Dort könnte, so Novotny, Kokoschka zumindest einen der beiden großen Säle im österreichischen Pavillon bespielen.45 Doch weder die Wiener Schau noch Kokoschkas Auftritt im explizit österreichischen Rahmen in Venedig kam zustande. Der Künstler zog es vor, im leerstehenden jugoslawischen Pavillon seine sogenannte Kollektivausstellung zu zeigen. Österreich wurde auf der Biennale offiziell von Fritz Wotruba präsentiert sowie von Egon Schiele, dessen 30. Todesjahr man gedachte.46 Novotny begann erneut, nun für den Herbst 1948 fieberhaft nach einem guten Ausstellungsort in Wien zu suchen, und fasste mit Hilfe Matejkas einen geeigneten Raum im Rathaus ins Auge.47 Der Fokus sollte auf den politischen Allegorien liegen, die sich im Besitz des Künstlers befanden. Im Auftrag Matejkas und unter Berufung auf Novotny wurde Direktor Karl Wagner (Städtische Sammlungen) vorstellig.48 Im OK-Nachlass befindet sich bei Wagners Schreiben ein undatierter Notizzettel mit einer Auflistung von Gemälden und Leihgebern, die in Bezug auf die Biennale und die USA-Tour in Frage kamen. Darauf ist die Bemerkung notiert : »Novotny, danken, vorläufig nicht binden / Matejka = Kraus Schreiben um Leihgabe […] / Wien von Wilh. [heminennberg, Erg. BR] verlangen […].49 44 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 44 (Briefe von O. Kokoschka, Abschriften, 1944 – 1948), OK an Fritz Novotny, o.O., o.D. [wahrscheinlich Jänner 1948). 45 AÖG, Zl. 28/1948 (in Zl. 569/1948), Fritz Novotny an das BMU, Wien, 30.1.1948. 46 Die österreichische Vize-Kommissärin berichtete : »Die Schieleausstellung [findet] bei Kennern als auch beim gewöhnlichen Publikum allgemein große Anerkennung. Nur Kokoschka schimpft darüber. Im Grunde ist er ein buffone trotz seines Könnens. Seine Frau ruft ihn O.K. – come on.«, AÖG, Zl. 569/1948, Helene de Gironcoli an Franz Balke, Venedig, 23.6.1948. Zu Österreichs Biennale-Beitrag 1948 vgl. auch Neuburger 2013, S. 268 – 279. 47 AÖG, Zl. 385/1948, Fritz Novotny an Walter Neurath, Wien, 10.9.1948 ; ders. an Franz Balke, Wien, 28.9.1948, AGÖ, Zl. 569/1948. 48 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Direktor Karl Wagner, Städtische Sammlungen, an OK, Wien, 16.9. 1948, (Mag. Abtlg. 10, Zl. 1468/48), mit einer handschriftlichen Bemerkung von Matejka. 49 Ebd. »Dr. Kraus« war ein im Wiener Kulturamt tätiger Beamter.
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Mitte September schrieb Novotny dem in Venedig weilenden Meister und erwähnte die Überzeugungsarbeit, die er beim Ministerium hatte leisten müssen, um die Leihgabenzahl für Kokoschkas Amerika-Tour zu erhöhen. Dabei begann er ausloten, ob Kokoschka geneigt wäre, sich für die großzügigen Leihgaben mit der »Widmung« eines Gemäldes aus der »letzten Periode« erkenntlich zu zeigen. Novotnys Unbehagen, »als Sprachrohr« fungieren zu müssen, ist dabei offensichtlich.50 Mehr noch : er hatte die ministerielle Bewilligung für weitere Leihgaben für Kokoschkas US-Ausstellungsserie unter der Auflage erhalten, dass er dem Künstler Donationswünsche nahelegen würde. Weder eine Schenkung noch die im Rathaus geplante Ausstellung mit den politischen Allegorien kam zustande.51 Die Leihgaben der Wiener Museen für die Biennale und die USA hatte Kokoschka mit treuer Hilfeleistung Novotnys erreicht. »Nur in Wien will ich prinzipiell keine Ausstellung«
Im Oktober 1949 fand die amerikanische Ausstellungsserie im Museum of Modern Art in New York ihr Ende. Die vielen Reisen waren nicht ohne Spuren an den Belvedere-Bildern geblieben. Vor allem das Bild Stillleben mit Hammel und Hyazinthe hatte sehr gelitten : es war ohne Absprache mit dem Eigentümer gefirnßt worden.52 Doch im Frühjahr 1950 wurden schon die nächsten Leihansuchen für Kokoschkas Werkschauen in Deutschland gestellt : in München, Hamburg, Berlin, Mannheim, Köln stand man in den Startlöchern. Der Wunsch nach den wichtigen Bildern der Frühzeit aus den öffentlichen Sammlungen in Wien war groß. Ludwig Grote, der Kurator der Münchner OK-Ausstellung, argumentierte damit, dass »Kokoschka ein triumphaler Wiedereinzug in das deutsche Kulturleben« bereitet werden solle.53 In München, der ersten Station, plante man eine große Retrospektive mit 85 Gemälden und 92 Zeichnungen und Aquarellen von 1908 bis zur Gegenwart. Sie wurde im September/Oktober 1950 im Haus der Kunst gezeigt – ein symbolträchtiger Ort, wo ab 1937 die berühmt-berüchtigten Großen Deutschen Kunstausstellungen zu sehen waren.54 Die Schau wurde von der Bayerischen Staatsgemäldegalerie gemeinsam mit dem Direktor des US Information Center 50 AÖG, Zl. 569/1948, Fritz Novotny an OK, Wien, 15.9.1948. 51 Fritz Novotny an Franz Balke, Wien, 28.9.1948, ebd. Novotny deutet an, dass für den »unwahrscheinlichste[n] Fall«, dass OK der Ausstellung in Wien zustimmen würde, die Bilder nach der Biennale gleich abtransportiert werden könnten – »falls nicht K. daran Anstoß nimmt, daß seine Werke neben denen des verachteten Schiele im selben Waggon stehen.« 52 In den Akten war zunächst von »Kutscherlack« die Rede, mit dem auch Der Rentmeister behandelt worden war. Die beteiligten Museen wiesen die Verantwortung für diesen Eingriff von sich. Man kam überein, dass OK (entgegen seinem Usus) die »Firnissung« eventuell selbst vorgenommen habe, vgl. AÖG, Zl. 161/1947 sowie Zl. 385/1948. 53 AÖG, Zl. 120/1950, Ludwig Grote an Karl Garzarolli, München, 19.7.1950. 54 Vgl. http://www.gdk-research.de/db/apsisa.dll/ete (Zugriff : 8.9.2022)
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in München veranstaltet, welches das aufwendige Projekt auch in Hamburg und Berlin finanzierte. Der deutsche Bundespräsident Theodor Heuss, der in diesem Jahr (1950) von OK gemalt wurde, verfasst eine Grußnote im Katalog. Wie die zahlreichen Medienberichte bestätigen, war Kokoschkas Ausstellungsreigen in Deutschland auch ein politisches Manifest.55 Im Belvedere hatte man für München alle Gemälde zugesagt, mit Ausnahme des fragilen Hammel-Stilllebens. Nach einer Intervention Grotes, der das Bild als »Grundstein in dem Lebenswerk des Malers« bezeichnete und von der Ausstellung als einer »Wiedergutmachung« sprach, wurde das Gemälde auf einen neuen Keilrahmen aufgezogen und nach München gesandt.56 Die restlichen Bilder wurden aus Salzburg angeliefert, wo sie in der von Friedrich Welz zusammengestellten Festspiel-Ausstellung Moderne österreichische Kunst gezeigt worden waren.57 Wie schon bei den vorhergehenden Ausstellungen wollte man Kokoschka und in weiterem Sinne die deutschen Kollegen unterstützen.58 Die nächste Etappe des »Triumphzugs« Kokoschkas durch Deutschland war Hamburg. Doch in der Österreichischen Galerie hatte man beschlossen, die Bilder aus restauratorischen Gründen nicht mehr weiterziehen zu lassen. Carl Georg Heise, Direktor der Hamburger Kunsthalle, ein alter, »besonders naher Freund von Kokoschka« sprach gar von einem »Stück kunsterzieherischer Arbeit« und von »der Möglichkeit, Kokoschkas Lebenswerk endlich wieder einmal in Deutschland in einer wirklich geschlossenen Übersicht zu zeigen«, was »künstlerisch und kunstpolitisch für uns von so großer Wichtigkeit« sei : »Nach den bösen Zeiten, die hinter uns liegen, brauchen wir, die wir unser ganzes Leben für diese Kunst eingesetzt haben, dringend die Unterstützung aller derjenigen, die mit uns gleichen Geistes sind.«59 Wenig später schaltete sich Kokoschka persönlich ein : mit »Bestürzung« habe er von den Behinderungen in Wien erfahren, wo dank der Mühe und Geldmittel amerikanischer und »treugebliebenen« deutscher Freunde »die Jugend in Deutschland seit meiner Verfemung in Europa mein Werk wieder zu sehen« bekommen solle.60 Die vom Museum angeführten restauratorischen Gründe fanden bei Kokoschka keine Erwähnung. Seine Opferpose hatte sich derart verfestigt und wurde immer dann virulent, wenn seinen Leihgabenwünschen nicht entsprochen wurde oder er bzw. sein Werk 55 Vgl. OKZ, Einklebebuch, Zeitungsausschnitte 1949 – 1955 (Dauerleihgabe der OKD). 56 AÖG, Zl. 120/1950, Ludwig Grote an Karl Garzarolli, München, 19.7.1950. Karl Garzarolli an Ludwig Grote, Wien, 2.8.1950, ebd. 57 Vgl. AÖG, Zl. 448/1950. 58 Einzig die Albertina konnte bzw. wollte die Blätter nicht ohne Mitreise eines Kuriers verleihen. Vgl. Archiv Albertina , Akten 1950, u. a. Ludwig Grote an Otto Benesch, München, 14.8.1950. 59 AÖG, Carl Georg Heise, Kunsthalle Hamburg, an Karl Garzarolli, Hamburg, 17.10.1950. 60 AÖG, Zl. 448/1950, OK an Karl Garzarolli, Neapel, 20.10.1950. Auch Ludwig Grote, München, hatte über Franz Glück gebeten, die Leihgaben für die Hamburger Schau zu bewilligen, vgl. AÖG, M.A.10-795/50 Dr. Gl, Grote an Glück, München, 19.10.1950, (Abschrift).
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irgendeiner Kritik ausgesetzt wurden. Formelhaft brachte er dann die vermeintliche »Ausbürgerung« aus Österreich oder die Verknüpfung Wiens mit der Entartete KunstAusstellung zur Sprache. Kokoschkas Vorwurf, man habe ihm »stricte« die Nutzung des Österreich-Pavillons bei der Biennale 1948 verweigert, entbehrt jeder Grundlage. Die offiziellen Stellen, insbesondere die Museen sah er in einer Bringschuld : »Die Position des Künstlers hatte sich verändert. Nun gab er den Ton an.«61 Wenig später folgte ein Telegramm : »ERBITTE HERZLICH UND DRINGEND ZUSAGE FUER LEIHGABEN. KOKOSCHKA = HEISE«62 So reflexartig, wie Kokoschkas Vorwürfe kamen, so vorhersehbar war die Reaktion der zuständigen Beamten : Novotny intervenierte umgehend für Kokoschka beim Ministerium.63 Neben Belvedere-Direktor Garzarolli versuchte eine andere, gewichtige Stimme, Kokoschkas Unterstellung, er werde in Wien bewusst boykottiert, zu relativieren. Es war sein alter Förderer und Freund Josef Hoffmann, der Ende 1950 in der für ihn typischen, sanften Defensivhaltung argumentierte : Aber an so gewaltige Feinde in Wien kann ich nicht recht glauben. Wenigstens in allen Kreisen, die ich je kennen lernte, habe ich nichts davon bemerkt. Deinen Aufschwung in aller Welt haben wir alerdings [sic !] auch gewolt [sic !] und dir mit Recht gewünscht. Was hätten wir in unserem kleinen und ruinierten Land dir auch bieten können ?64
Schon bei der ersten Kontaktaufnahme der deutschen resp. Münchner Organisatoren im März 1950 hatte Novotny nicht nur entscheidende Hilfe zum Gelingen der Schau geboten, sondern sogleich die Möglichkeit erfragt, ob man »die Ausstellung auch nach Wien […] bringen« könne.65 Über Jahre hin hatte man sich bemüht, in Wien eine repräsentative Kokoschka-Ausstellung zu zeigen – ein Faktum, dass in der Kokoschka-Literatur trotz umfangreicher Aktenkonvolute in den Museen und im Unterrichtsministerium bislang unbeachtet blieb.66 Im Spätsommer 1950 hatte sich ein eigenes Komitee gebildet, um die große deutsche Schau nach Wien zu bringen. Gewichtige Museumsleute wie Otto Benesch (Albertina), Fritz Novotny (ÖG), Richard Ernst (Österreichisches Museum für Kunst und Industrie/MAK), Ludwig Münz (Akademie) hatten sich unter der Koordination von Franz Glück (Historisches Museum der Stadt Wien) mehrfach getroffen und über den Münchner Kurator Ludwig Grote die Kosten und Verpflichtungen recherchiert : die Ergebnisse waren ernüchternd. Die Versicherungssumme der 61 Natter 1996a, S. 22. 62 AÖG, Zl. 448/1950, Telegramm C.G. Heise/OK an Karl Garzarolli, Hamburg 24.10.1950. 63 Fritz Novotny an das BMU, Wien, 28.10.1950, ebd. 64 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 331.17, Josef Hoffmann an OK, Wien, o.D. [Dezember 1950]. 65 AÖG, Zl. 120/1950, Fritz Novotny an Ludwig Grote, Wien, 8.3.1950. 66 Irritierenderweise wurde dieses Projekt auch in der Untersuchung der Beziehungen zwischen Kokoschka und dem Belvedere trotz umfangreichen Aktenmaterials nicht berücksichtigt, vgl. Natter 1996a.
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Münchner Schau belief sich auf ca. 1,5 Millionen DM, die Ausstellungskosten (ohne Katalog) auf rund 8.000. DM. Alle Leihgeber sollten erneut kontaktiert werden. Da es sich vielfach um Einzelleihgaben handelte, wäre ein Transport von 40 bis 45 Kisten zu organisieren gewesen, und Wien hätte als letztes Glied in der Kette den gesamten Rücktransport zu verantworten gehabt.67 Unabhängig von den Kosten war noch ein Umstand aufgetreten, der in den Wiener Museen für Unmut sorgte : auf allen deutschen Stationen hatte Wolfgang Gurlitt in seiner Doppelfunktion als Direktor der Neuen Galerie in Linz und als Kunsthändler eine Reihe von Leihgaben bereitgestellt. Im April hatte er Garzarolli versichert, »dass ich selbstverständlich die Ausstellung in Wien zeigen würde und Linz nur dann endgültig in Betracht zu ziehen wäre, wenn Besitzer der Bilder – womit man manchmal rechnen muss – einer Verbringung der selben nach Wien nicht zustimmen sollten.«68 Dabei positionierte er sich als Koordinator für »den österreichischen Teil der Ausstellung« : »Es macht nun draussen [in München, Anm. BR] keinen sehr guten Eindruck, wenn von 2 Seiten, nicht miteinander, sondern wie es dort den Anschein hat, gegeneinander, oder nebeneinander gearbeitet wird […].«69 Gurlitt hatte überdies noch angeregt, dass der kunstsinnige Linzer Bürgermeister Ernst Koref und der zuständige Magistratsdirektor »im Namen der Neuen Galerie der Stadt Linz letzthin mit den höchsten Amerikanischen Stellen in Wien verhandelten, um zu erreichen, dass man von amerikanischer Seite aus auch in Österreich die Durchführung so interessanter Ausstellungen fördert und ermöglicht, wie dies in München bei den Ausstellungen Blauer Reiter, Bauhaus, Kokoschka geschieht.«70 Diese Aktivitäten durften bei den Wiener Kunstbehörden nicht unwidersprochen bleiben : kurz darauf würdigte man im Ministerium Gurlitts »Rührigkeit und […] unleugbare Verdienste um das österreichische Kunstleben«, wies aber mit aller Deutlichkeit darauf hin, dass es nicht statthaft sei, dass eine große staatliche Sammlung (d.h. die Österreichische Galerie) »von einem Museumsleiter, der gleichzeitig privater Kunsthändler ist, sozusagen ins Schlepptau genommen wird und dieser die Verhandlungen wegen einer die gesamte Öffentlichkeit berührenden Ausstellung bei sich monopolisiert.«71 Die Verärgerung über das Vorpreschen der oberösterreichischen Instanzen war enorm ; daran änderte auch eine umfangreiche Erklärung des Linzer Bürgermeisters Koref wenig.72 Dessen ungeachtet bemühte sich das Wiener Ausstellungskomitee um eine OK-Ausstellung für den Herbst 1951 – also nach der Linzer Schau. Fritz Novotny nahm mit dem 67 AÖG, Zl. 448/1950, Ludwig Grote an Franz Glück, München, 11.9.1950 (Abschrift). Das erste Treffen des Komitees war wahrscheinlich am 7.9.1950 in der Akademie, vgl. Archiv Albertina, Akten 1950, Franz Glück an Otto Benesch, Wien, 1.9.1950. 68 AÖG, Zl.120/1950, Wolfgang Gurlitt an Karl Garzarolli, Linz, 19.4.1950. 69 Ebd. 70 Ebd. 71 Konrad Thomasberger (BMU) an Wolfgang Gurlitt, Wien, 10.5.1950 (Abschrift), ebd. 72 AÖG, Zl. 597/1950, Ernst Koref an Konrad Thomasberger, Linz, 30.6.1950 (Abschrift).
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zuständigen US Information Center-Officer Verhandlungen wegen der Finanzierung auf, und Garzarolli stellte die Raumanfrage an die Akademie am Schillerplatz, deren Professorenkollegium verkündete, die Kokoschka-Ausstellung »unter allen Umständen« machen zu wollen.73 Das Projekt stand aber unter keinem guten Stern : die AkademieRäume waren wegen größeren Bausanierungen erst im Frühjahr 1952 disponibel. Außerdem stellte die Linzer Ausstellung mit »nur« 28 Gemälden »für Linz zweifellos ein Ereignis« dar ; für einen repräsentativen Überblick in Wien war dieser Umfang jedoch nicht ausreichend.74 Die lange schon gewünschte Kokoschka-Schau in Wien sollte nicht gelingen. Mit ein Grund dafür war auch die geänderte Haltung, die der Künstler eingenommen hatte. Im April 1951, also im Vorfeld der Organisation der Linzer OK-Ausstellung und dem Ärger rund um die »Leihgabe« des Theodor-Körner-Bildnisses schrieb Kokoschka an Gurlitt mit nicht zu überbietender Deutlichkeit : Nur in Wien will ich prinzipiell keine Ausstellung. Eben hat man mich wieder dort geärgert mit einer Ehrung III. Klasse (einen Ehrenring wie man einen solchen einem Parteigreisler gibt). Ich habe die »Ehrung« abgelehnt, denn es zeigt doch immer wieder, dass man in Österreich, ich meine in Wien, nicht die blasse Ahnung hat was und wer ich bin. Das Verständnis dort reicht etwa zu Epigonen von mir wie Schiele u. dgl. Es ist besser für meine Galle, wenn man überhaupt keine Notiz an mir nimmt und mich in Ruhe lässt.75
Im August des Jahres war Kokoschkas Zorn bzw. die Kränkung in der Causa Ehrenring und Stadtrat Mandl in Wien derart groß, dass er Gurlitt erneut beschwor : […] auf Deine Frage wegen [der] Wiener Ausstellung. Bitte mache sie nicht und in meinem Namen verhindere dort auch andere[;] eine Ausstellung jetzt im Nachtrab nach (im ganzen 16) Gesamtausstellungen in der ganzen Welt. In Wien hätte man beginnen müssen, nicht hinten nachkommen. Erstens gibt jetzt nach 4 Jahren ausstellen niemand mehr ein wichtiges Bild her, zweitens leiden die Bilder enorm darunter ! Ich habe es gesehen mit eigenen Augen. Dies steht wirklich nicht im Verhältnis zum Effekt ! Dass sich ein paar Mandl [sic !] wichtig machen, am Schluss aber übereinkommen, wie üblich in Wien, daß ohnedies die Nazis ganz recht gehabt hatten in dem sie dies Zeug vernichten wollten. Ja, wenn’s noch um einen Pariser ginge oder abstrakt wär, das dort grade in Mode kommt. Nein, ich will jetzt keine Ausstellung, 73 AÖG, (Zl. 219) Zl. 337/1951, Fritz Novotny an A.N. Hopman, Information Center Officer, Wien, 12.5.1951 ; Karl Garzarolli an Christian Martin (Akademie), Wien, 12.6.1951, ebd.; vgl. auch UAbKW, Sitzungsprotokoll des Professorenkollegiums, 21.6.1951. 74 AÖG, Zl. 337/1951, Christan Martin (Akademie) an Karl Garzarolli, Wien, 3.7.1951 und 23.7.1951. UAbKW, Sitzungsprotokoll des Professorenkollegiums, 24.10.1951. 75 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1 – 6, OK an Wolfgang Gurlitt, London, 20.4.1951.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
außerdem tut es mir selber gut wieder einmal ruhig an die Welt zu denken. […] nach Wien würde heute auch niemand wirklich wichtige Bilder leihen.76
Im Vorfeld des 70. Geburtstags des Künstlers im Jahr 1956 nahmen die besagten Museumsdirektoren erneut einen Anlauf, um eine repräsentative Ausstellung in den Räumen der Akademie der bildenden Künste zu organisieren. Das Projekt war jedoch – wie der Albertina-Direktor Otto Benesch feststellen sollte – schon im Jahr davor »in höchst unvollkommener Weise« vorweggenommen worden.77 Annus mirabilis 1955 und die Folgen Mit der Unterzeichnung des Staatsvertrages, dem Ende der Besatzung und dem Abzug der Alliierten wurde das Jahr 1955 zu einem Gedächtnisort (Pierre Nora) österreichischer Geschichte und Identität par excellence. Neben der Unabhängigkeit und der Konsolidierung markierte dieses Jahr auch das Ende des Wiederaufbaus. Das wurde bezeichnender Weise mit der Wiedereröffnung von zwei Kulturbauten, dem Wiener Burgtheater und der Staatsoper im Oktober bzw. November versinnbildlicht. Das österreichische Wunderjahr erwies sich auch hinsichtlich der Beziehung zwischen Kokoschka und Österreich als besonders, da dem Künstler etliche Würdigungen durch Kunstinstitutionen und kulturpolitische Entscheidungsträger erwiesen wurden. Am Vorabend des 70. Geburtstags wird neben der künstlerischen Anerkennung eine Verknüpfung mit den aktuellen politischen Ereignissen deutlich. In der jüngeren Kokoschka-Literatur wurden diese vielen Würdigungen als der »Versuch einer Versöhnung« »mit großer Verspätung« interpretiert ;78 zudem wurde auf den Umstand verwiesen, dass er in keines der großen Wiederaufbauprojekte eingebunden gewesen sei. Als Beispiel ist das Gemälde der Staatsvertragsunterzeichnung zu nennen oder der Eiserne Vorhang der Wiener Staatoper, der von einem ehemals wichtigen NS-Kulturfunktionär gestaltet wurde. Neben der Dichte und dem Zeitpunkt fällt auf, dass die vielen Würdigungen um 1955 von höchster staatlicher Stelle ausgehen und die Initiative nicht (mehr) von überzeugten Antifaschisten oder NS-Opfern wie z. B. Matejka kam. Die Ausstellung in der Wiener Secession 1955 Nach der großen Kokoschka-Retrospektive 1937 sollte es 18 Jahre dauern, bis in Wien wieder eine repräsentative Ausstellung des Künstlers gezeigt wurde. Grund hierfür war 76 OK an Wolfgang Gurlitt, Salzburg, 18.8.1851, ebd. 77 Archiv Albertina, Zl. 2006/1955, Otto Benesch an Robert Eigenberger (Akademie), Wien, 24.10.1955. 78 Hilger 1986, S. 289.
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die lange Serie an Ausstellungen u. a. in den USA und in Deutschland, sodass die Eigentümer der Bilder nur noch schwer für Leihgaben zu gewinnen waren. Zudem lag dies auch an den hohen Kosten, bürokratischer Trägheit und mangelndem Durchsetzungswillen gegenüber den öffentlichen Geldgebern, ein derart großes Projekt zu realisieren. Zu guter Letzt war es Kokoschka selbst, der über Jahre hinweg keine Ausstellung in Wien wollte. Sein mehrfach geäußertes Verdikt kommt u. a. in einer gebotsartigen Bitte an Wolfgang Gurlitt zum Ausdruck : »Auf jeden Fall musst Du verhindern, daß dort Bilder hinkommen ! Ich habe nichts gegen Grafik und water-colours, doch Ölbilder nicht !«79 Die Gründe dafür waren kurz gefasst die Causa des Wiener Ehrenrings und die (Nicht-)Honorierung des Porträts des Bürgermeisters Körner. Kokoschka fasste es zudem als Beleidigung auf, dass seinen Leihwünschen für seine internationale Ausstellungstour in den Wiener Museen teils nur zögerlich entsprochen wurde. Er begab sich in eine gegen Argumente immunisierte aggressive Opferhaltung, aufbauend auf seinen alten Ressentiments gegenüber »Wien«. Am 15. Oktober 1955 kam es zur feierlichen Eröffnung einer großen Ausstellung in der Secession durch Unterrichtsminister Heinrich Drimmel, welche knapp ein Monat, nämlich bis zum 13. November zu sehen war. Ausgestellt waren 48 Gemälde, 65 Aquarelle und Zeichnungen sowie 117 Druckgrafiken. Einer der wichtigsten Leihgeber war Wolfgang Gurlitt, der ein Drittel der Grafiken und fast alle Druckgrafiken bereitstellte. Im Katalog kamen der Präsident der Secession Paul Meissner, der Kurator Werner Hofmann und Kokoschka selbst zu Wort und hatte eine Auswahl an Schriften und Briefen des Künstlers dafür getroffen. Letzterem war wie erwähnt 1947 die Ehrenpräsidentschaft angetragen worden, wobei die Initiative vom damaligen Secessions-Präsidenten Josef Hoffmann ausgegangen war. Spätestens ab 1950 sprach Hoffmann wiederholt die Bitte aus, »Ihre Verbundenheit zu uns durch solch eine Ausstellung zu bekräftigen.«80 Im Herbst 1955 war es soweit : Angesichts des 70. Geburtstags des Künstlers, nach vielen Personalausstellungen außerhalb Wiens, wollte man die Lücke im imaginären Kokoschka-Kalender nutzen. Vor allem hatte man die Schau explizit im Zusammenhang mit der feierlichen Wiedereröffnung der Staatsoper geplant und beworben. Sie wäre ohne eine umfassende finanzielle Subvention gar nicht möglich gewesen, da ein Gros der Leihgaben aus dem Ausland kam und der Transport sowie die Versicherungen Unsummen verschlangen. Die schützende Hand, das Pouvoir von Seiten der höchsten kulturpolitischen Kreise für dieses Projekt, ist als eindeutig politische Willenserklärung für diese Kokoschka-Ausstellung zu sehen. Die Beweggründe dafür sind im größeren außerkünstlerischen Kontext zu suchen. Die Junktimierung mit der Staatsopern-Wie79 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1 – 6, OK an Wolfgang Gurlitt, Hamburg, 28.1.1952. 80 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 331.17, Josef Hoffmann an OK, Wien, o.D. [Dezember 1950] ; Direktzitat aus : Archiv Secession, Dossier KOKOSCHKA, Oskar III.a.6.1.1., Secession [Paul Meissner] an OK, Wien, 27.6.1953.
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dereröffnung war in jedem Fall ein strategischer Schachzug der Organisatoren. Denn diese fand wenig später unter Anwesenheit vieler internationaler bzw. prominenter Gäste statt : unter ihnen Oskar und Olda Kokoschka. Querelen im Hintergrund: Hofmann versus Benesch
Kurator der Kokoschka-Schau in der Secession war Werner Hofmann (1928 – 2013). Wie kam es, dass der 27-jährige Kunsthistoriker die erste große Kokoschka-Schau der Nachkriegszeit zuwege brachte, an der die sogar in einem eigenen Komitee verbundenen wichtigsten Wiener Museumsdirektoren jahrelang gescheitert waren ? Hofmann war zweifellos ein außergewöhnlich brillanter Geisteswissenschaftler, ein junger Intellektueller, der u. a. als Kunstkritiker sowohl in der jungen (Wiener) Kunstszene präsent als auch in der klassischen Kunstgeschichte firm war. Er hatte beste Kontakte zur Academia, war ein gern geladener Vortragender und ein – wie man heute sagen würde – exzellenter Netzwerker, der früh schon internationale Museumskontakte aufzubauen begann. Durch längere Studienaufenthalte in Frankreich war er mit der internationalen, speziell der französischen Moderne bestens vertraut. Hofmann hatte überdies sehr gute Kontakte zum Ministerium für Unterricht und Kunst. Er war 1956 als österreichischer Vize-Kommissär bei der Biennale Venedig bestellt, für die er nach dem plötzlichen Tod des Kommissärs Josef Hoffmann im Frühjahr verantwortlich wurde. Wenig später wurde er mit dem Aufbau des Museums des 20. Jahrhunderts (heute : mumok) betraut, dessen Gründungdirektor er wurde. Wie allein seine Aktivitäten rund um die KokoschkaSchau 1955 zeigen, verstand er, intellektuellen Tiefgang mit Eloquenz zu verbinden, er galt als sehr ambitioniert und selbstbewusst. Hofmann war zum Zeitpunkt der Kokoschka-Eröffnung im Herbst 1955 gerade ein halbes Jahr als »kunsthistorischer Berater« für die Secession tätig. Zuvor war er ab 1949 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Dienst der Albertina, wo er unter der speziellen Förderung von Direktor Otto Benesch gestanden war. Erste Kontakte hatte es zwischen den beiden schon während Hofmanns Studiums gegeben.81 Von 1952 bis 1954 ist u. a. die Unterstützung von Studienaufenthalten in Paris, Mittelfrankreich, England und in der Schweiz aktenkundig. Die im Archiv der Albertina erhaltenen Berichte Hofmanns von seinen Forschungsarbeiten bzw. Beneschs Antworten darauf zeugen von einem wohlwollenden Verhältnis.82 Im März 1955 kündigte Hofmann : und kam damit – wie 81 Hofmann hatte über Daumier dissertiert. Vgl. Archiv Albertina Schlagwörterverzeichnis zum Sachindex der Graphischen Sammlung Albertina, »Werner Hofmann«. Vgl. ÖStA, AdR, BMU, Personalakt Dr. Werner Hofmann, 08/82 und 18/159. 82 Vgl. Archiv Albertina, Personenregister, Index 1952 – 1956, »Dr. Werner Hofmann«, sowie 25.5.1950, Zl. 578/1950, Fasz. Akten 1950, Zl. 201 – 699, Werner Hofmann an Otto Benesch, Paris, 13.5.1950 und Antwort Benesch an Hofmann, Wien.
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Benesch in Folge wiederholt betonte – der Kündigung des Dienstgebers zuvor.83 Über die Gründe schweigen sich die Akten aus.84 Aus der Perspektive des Albertina-Direktors muss es zu einem massiven Vertrauensbruch gekommen sein ; Hofmann wurde in Folge Zielscheibe intensiver Interventionen durch Benesch.85 Dieser informierte u. a. die Redaktionen der Kunstzeitschriften, für die Hofmann tätig war, und intervenierte beim Akademie-Rektor Robert Eigenberger gegen eine Lehrverpflichtung dieses »Herren«.86 Noch im Folgejahr trat Benesch als Mitglied des Commitato Internazionale de Esperti im Ministerium (BMU) und bei Biennale-Präsident Umbro Apollonio gegen die Bestellung Hofmanns als österreichischer (Vize-)Kommissär auf.87 Abgesehen von der persönlichen Kränkung hatte sich Beneschs Groll nicht zuletzt an Hofmanns Kokoschka-Ausstellung entzündet. In diesem Zusammenhang wusste er die Wiener Museumsdirektoren hinter sich. Als Leiter der österreichischen Sektion des ICOM, des International Council of Museums, brachte Benesch in diesem Kontext eine Klage ein : eine anlässlich des 70. Geburtstags von Kokoschka in der Akademie der bildenden Künste 1956 geplante Ausstellung sei von der Secession »in höchst unvollkommener Weise« vorweggenommen worden. In ähnlicher Weise habe die Künstlervereinigung mit der »Linzer Modernen Galerie« schon eine Klee-Ausstellung, die vier Jahre lang vorbereitet worden sei, zu Fall gebracht. ICOM wurde mit der Angelegenheit der Kokoschka-Ausstellung befasst, wegen der »im letzten Moment erzwungenen Einschaltung des Wiener Musealbestandes in dieselbe«.88 Genese einer Ausstellung
Angesichts der jahrelang erfolglosen Bemühungen der Wiener Museen um eine Kokoschka-Ausstellung mutet die Organisation der Secessions-Schau fast wie ein Hohn an. Werner Hofmann hatte den Künstler offensichtlich während der Schule des Sehens in 83 Vermutlich waren es höchst persönliche Konflikte, wie Robert Fleck in einem noch nicht publizierten Interview mit Werner Hofmann in Erfahrung brachte. Für den Hinweis danke ich Christian Bauer. 84 Vgl. ÖStA, AdR, BMU, Personalakt Dr. Werner Hofmann, 08/82 und 18/159. 85 Im Interview beschrieb Hermann Fillitz den Albertina-Direktor als sehr misstrauischen und im sozialen Umgang schwierigen Menschen, der in seiner Amtszeit zahlreiche Leute entlassen habe. Hofmann galt als »das Liebkind von Benesch« und inoffiziell »sozusagen als Stellvertreter«. Bei einem Auslandsaufenthalt Beneschs hatte Hofmann angeblich auf eine an den Direktor gerichtete Einladung geantwortet, dass er diese statt seines Vorgesetzten übernehmen könne, vgl. Fillitz-Interview 2015. Hofmann hatte sich nachweislich auch nach dem Eklat als Kustos der Albertina bezeichnet, vgl. Archiv Secession, Dossier KOKOSCHKA, Oskar, III.a.6.1.1. 86 Archiv Albertina, Zl. 1971/1950, Otto Benesch an die Redaktion der Weltkunst (München), Wien, 26.10.1955, und Zl. 1186/1955, ders. an Robert Eigenberger, Wien, 13.6.1955. 87 Archiv Albertina, Zl. 954/1956, Otto Benesch an Josef Musil (BMU), Wien, 9.4.1956, und Zl. 1073/1956, ders. an Umbro Apollonio, Wien, 20.4.1956. 88 Archiv Albertina, Zl. 2006/1955, Otto Benesch an Robert Eigenberger, Wien, 24.10.1955.
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Salzburg im Sommer 1955 besucht und ihm das Ausstellungsvorhaben angetragen. Bald darauf schrieb er : Dennoch hatte ich »la ceur serrá«, wie man französisch sagt, weil ich deutlich spüre, wieviel diese Zusage für Sie bedeutet und wieviel Überwindung es Sie kosten wird, wenn Sie bei ihr bleiben wollen. Ich habe die tiefste Achtung für alle Menschen, die in diesem Land gelitten haben und habe immer, zumal bei meinen Londoner Freunden – Gombrich – mit Beschämung die Dinge erfahren, die vorgefallen sind. All das wird davon nicht besser, wenn man sagt, daß in Deutschland die organisierte Barbarei noch größer und in ihren Folgen noch schrecklicher waren. Hier, in Österreich, sind die Widerstände anderer, heimtückischerer Art. Sie kommen aus einer Zone der Verdummung, die jedoch heute auf schwächeren Füßen als früher steht. Darin liegt der Sinn Ihrer überzeugenden Wiederkehr, darin die Verpflichtung der jungen Menschen, die in Ihrem Werk nicht nur den Maler, sondern auch den beispielgebenden Menschen verehren. Eine Generation ist heute hier tätig, die Ihre Leistungen als eine Legende empfindet, da sie nur wenige Ihrer Werke kennt. Sie belehren und führen in Salzburg die Jugend aller Länder – hat nicht die Jugend Wiens ein bescheidenes Recht auf Ihr Beispiel, auf Ihr Schaffen ? […] Ihre Menschlichkeit hat mich getroffen und in mir den Wunsch geweckt, aus der Ausstellung ein größeres Ganzes, eine Geste der Wiederbegegnung, der Wiederversöhnung zu gestalten. Bitte, helfen Sie mir dabei !89
Hofmann hatte den richtigen Ton getroffen, die wesentlichen Aspekte, die Kokoschka an einer Ausstellung in Wien interessieren konnte, formuliert. Mehr noch : er hatte dem Lehrer angeboten auch Arbeiten seiner Salzburger Schüler/innen mitauszustellen. Er hatte dem Dramatiker von Gesprächen mit dem Wiener Volkstheaterdirektor berichtet, der in der Reihe Dichter der Gegenwart sein Orpheus und Eurydike (1919 !) auf die Bühne bringen wollte. Und er wiederholte mehrfach die Bitte an den Schriftsteller, noch unveröffentlichte Schriften zur Kunst oder Politik bzw. literarische Arbeiten publizieren zu wollen.90 Dass Hofmann damit nicht (nur) schmeicheln wollte, er keine bloßen Lippenbekenntnisse abgab, bestätigt seine einschlägige Herausgeberschaft als späterer Direktor des Museum des 20. Jahrhunderts.91 Sein eindringlicher »Wunsch«, Kokoschka auszustellen, konnte nicht unerfüllt bleiben. Dass die »Jugend« dem Künstler (und »Österreicher«) eine »Wiederbegegnung« anbot, trug Früchte. Dies bestätigte Kokoschkas Kommentar bei seinem Besuch der Ausstellung im November : »Ausstellungen habe ich schon viel gehabt 89 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 391.23, Werner Hofmann an OK, o.O. [Wien], o.D. [wahrscheinl. August 1955], Unterstreichungen im Original. 90 Vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 391.23, Werner Hofmann an OK, Wien, 29.8.1955. 91 Der erste Band der sogenannten Schriften des Museums des 20. Jahrhunderts Wien war OK gewidmet, vgl. Kokoschka 1966.
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in der Welt, aber in der Secession habe ich das Vertrauen zur Jugend wieder gewonnen. OKokoschka 7.11.55.« Die Konfrontation zwischen Hofmann und Benesch ist in mehrfacher Hinsicht auch als Generationskonflikt zu deuten. Kokoschkas Zuwendung galt dabei zweifellos den »Jungen«, ihrem Bedürfnis nach Aufbruch und Ausbruch aus den etablierten Bahnen. Vor allem sein radikales Frühwerk, sein Opponieren gegen die künstlerischen und letztlich gesellschaftlichen Normen um 1910, war für diese kurz vor bzw. im Krieg geborene Generation im Blick zurück ein wichtiger Bezugspunkt. Der Künstler war auch durch seine integrative Funktion zur weitgehend verdrängten Geschichte des »vertriebenen« Österreichs von politischer Bedeutung bzw. wurde von einigen jungen Künstlern und Intellektuellen zu einer Art Kultfigur stilisiert. Hofmanns Engagement für das Zustandekommen der Kokoschka-Schau in der Secession im symbolträchtigen Jahr des Staatsvertrages war ein klares Signal in diese Richtung. Kokoschka selbst fühlte sich geschmeichelt, aber in einem positiven Sinne auch in die Pflicht genommen. Der gute Wille und Kokoschkas Zusage bildeten die Grundlage. Eine derart große Ausstellung, wie sie letztlich zustande kam, bedeutet allerdings einen enormen Aufwand. Hofmann hatte erst Anfang/Mitte September das definitive Placet des Künstlers erhalten – durch Vermittlung von Friedrich Welz.92 Ohne dessen Unterstützung sowie die großzügigen Leihgaben von Wolfgang Gurlitt hätte die in nur eineinhalb Monaten organisierte Schau nie stattfinden können. Hofmann musste innerhalb kürzester Zeit dutzende Leihgeber kontaktieren und betonte die politisch-symbolische Bedeutung des Unternehmens. Er konnte sich auf den Meister selbst berufen, der dieses oder jenes Werk unbedingt in der Schau wissen wollte, und erwähnte gelegentlich den Zeitdruck, unter dem man durch die späte Zusage des Künstlers stand. Die meisten beteuerten zwar, das Projekt prinzipiell unterstützen zu wollen, sagten aber zunächst ab, da sie durch die Kokoschka-Ausstellungstouren lange Zeit ihre Bilder entbehrt hatten. Manche von ihnen hatten ihre Leihgaben in schlechten Zuständen zurückbekommen.93 Hofmann hatte u. a. bei Georg Schmidt, dem Direktor des Kunstmuseum Basel, Die Windsbraut angefragt. Dieses Schlüsselwerk war von Schmidt auf einer von den Nazis initiierten Auktion 1939 in Luzern erworben und somit gerettet worden.94 Schmidt erteilte eine Absage, trotz seiner »Sympathie für Wien«, da man es nach den Schäden, die während der Ausstellungen in den USA passiert waren, prinzipiell nicht mehr ausleihen wollte. Mit den Kaprizen des Künstlers bestens vertraut, kommentierte er trocken dessen Sonderwünsche und den gegebenen Zeitdruck : »Dass Kokoschka sich zuerst ziert und dann nachher doch nicht genug bekommen kann, ist mir nichts Neues.«95 92 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 391.23, Werner Hofmann an OK, Wien, 2.9.1955 bzw. Archiv Secession, Dossier KOKOSC HKA, Oskar, III.a.6.1.1., Werner Hofmann an Wolfgang Gurlitt, Wien 12.9.1955. 93 Vgl. Archiv Secession, Dossier K O K O S CH K A, Oskar 2, III.a.6.1.1. 94 Vgl. Sultano/Werkner 2003, Kap. Die Luzerner Auktion, Sommer 1939. 95 Archiv Secession, Dossier K O K O S CH K A, Oskar, III.a.6.1.1., Georg Schmidt an Werner Hofmann, Basel, 14.9.1955.
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Bis knapp eine Stunde vor der Eröffnung in der Secession wurden die letzten Bilder geliefert. Die Voraussetzungen. Kokoschkas Agenten im Einsatz
Kokoschka hatte seit seinen ersten Kontakten mit Österreich um 1947 seine Agenten, zunächst v. a. Gurlitt, ab den frühen fünfziger Jahren zunehmend Welz für sich verhandeln lassen. Er selbst griff nur zur Feder, wenn er es für absolut notwendig hielt : im positiven Fall, um seine konkreten Vorstellungen und Wünsche zu artikulieren oder um sehr direkt seinen Unmut und nötigenfalls Drohungen aussprechen. Neben, oder besser hinter Hofmann war vor allem der Drahtzieher der Secessions-Schau. Er hatte durch die Herausgabe von OK-Publikationen, v. a. des Gemälde-Werkverzeichnisses (1956) sowie die Salzburger Sommerakademie ständig Kontakt mit dem Künstler und nutzte jede Gelegenheit, um Kokoschka Präsenz zu verschaffen. Dass die Wiener Ausstellung überhaupt finanziell und logistisch möglich war, ist vor allem zu verdanken. Er hatte im Sommer 1955 eine an Exponaten überschaubare, aber hochrangige Kokoschka-Schau zusammengestellt, die offiziell von der Internationalen Sommerakademie und der Galerie Welz veranstaltet wurde. Zeitgleich mit den Salzburger Festspielen, wo man Mozarts Zauberflöte in der Ausstattung von Kokoschka erleben konnte, bekam die Ausstellung im Markus-Sittikus-Saal der Residenz offiziellen Charakter. Sie war werbetechnisch ein Gewinn für viele : für Kokoschka, die Sommerakademie, die Galerie Welz, die Festspiele, das Land Salzburg und letztlich auch die Republik. Salzburg hatte sich mit den Festspielen in der internationalen Wahrnehmung als saisonale Kultur- bzw. Musik-Weltstadt etabliert, wovon auch Politik und Wirtschaft profitierten.96 Die Salzburger Ausstellung zeigte nur aktuelle Arbeiten, neben den Städtebildern von London (1954) und Linz (1955) Porträts, darunter das beeindruckende Bildnis des spanischen Cellisten und Antifaschisten Pablo Casals (1954) und die Entwürfe zur Zauberflöte. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stand zweifellos das riesige Triptychon Thermopylae, das Kokoschka 1954 für die Universität Hamburg gemalt hatte (Abb. 52). Es war längere Zeit in Europa on tour und veranschaulichte in einer dichten Ikonografie Kokoschkas über die antike Geschichtsmythologie gespiegeltes neues Politikverständnis. Neben Kokoschkas Zauberflöten-Konzeption war, so der Kunstkritiker Johann Muschik, »dessen Darbietung […] höchstwahrscheinlich das zweite große Ereignis des Festivals von Salzburg.«97 An anderer Stelle las man : »Die gleiche Ausstellung kommt im Sep96 Ad Salzburger Festspiele nach 1945 vgl. Gratzer 2013. 97 Johann Muschik, Variationen über Krieg und Frieden. Oskar Kokoschkas »Thermopylen-Triptychon«, in : Tagebuch, 27.8.1955. Zahlreiche Pressartikel zu den Ereignissen im Jahr 1955 vgl. OKZ, Einklebebuch, Zeitungsausschnitte 1949 – 1955, (Dauerleihgabe der OKD). Muschik war in dieser Zeit Kunstkritiker für die kommunistische Zeitschrift Tagebuch und somit im Dunstkreis Viktor Matejkas. Thermopylae war zuvor im Kunsthaus Zürich ausgestellt gewesen.
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tember in die Neue Galerie der Stadt Linz. Wann kommt sie nach Wien ? Im nächsten Jahr feiert Österreich den 70. Geburtstag des weltberühmten Österreichers Kokoschka. Welche Ehrungen, welche Ausstellungen veranlassen aus diesem Anlaß das Unterrichtsministerium und die Stadt Wien ? Spät, aber doch !«98 Welz’ Organisationstalent war auch finanzieller Natur. Wie die Presse berichtete, hatte er im dritten Unterrichtsjahr eine Sanierung und Adaptierung der Hohenfestung für die Sommerakademie u. a. durch Sponsoring von Banken und Privaten erreicht.99 Dieses Geschick brachte Welz auch für die Wiener Secessions-Ausstellung ein. Er hatte wichtige Gespräche geführt und auszugleichen versucht, wenn die vielen organisatorischen Kippmomente ein kritisches Ausmaß annahmen. Doch auch sein Engagement, seine offensichtlich guten Kontakte zum Künstler, zu Leihgebern, Museumsleuten und last but not least zum Ministerium gerieten an ihre Grenzen. Noch am 9. Oktober, also wenige Tage vor der Eröffnung, berichtete Welz, dass er »tief unglücklich darüber« sei, »daß eine Verschiebung der Eröffnung nicht möglich sei.« Interventionen bei Ministerialrätin Adele Kaindl zeigten keinen Erfolg, da der Termin vom Eröffnungsredner, Unterrichtsminister Heinrich Drimmel abhing : »Die Ausstellung wird dadurch mangelhaft vorbereitet sein und auch der Katalog muß darunter leiden.« Welz hatte eine Reihe von Leihanfragen gestellt, die zunächst fast alle negativ beantwortet worden waren. »Es war mir aber doch möglich im persönlichen Kontakt eine ganze Reihe von Zusagen zu erhalten. Ähnliches hätte man auch in Deutschland machen müssen […].«100 Ein anderer wichtiger Partner war Wolfgang Gurlitt, der aus seiner eigenen Sammlung große Bestände lieh. Darüber hinaus hatte die Stadt Linz, vor allem Walter Kasten, der Leiter der Neuen Galerie, maßgeblich zum Zustandekommen der Ausstellung beigetragen. Man lieh fünf Gemälde : Linzer Landschaft (1955), Vater Hirsch (1909), Bildnis Marcel Nemes (1929), Die Freunde (1917) und das Porträt von Bürgermeister Theodor Körner (1949). Letzteres, so Kasten, sei eine Leihgabe in der Österreichischen Galerie und könne ebenfalls entliehen werden, falls man es für »opportun« halte und »ohne den besonderen Zorn des Herren Hofrates Garzarolli auf sich zu laden […].«101 Die Verbitterung des »Herren Hofrates« war sehr groß. Er war Mitglied im KokoschkaAusstellungskomitee der Museumsdirektoren mit Benesch gewesen und per se gegen eine Schau in der Secession. Sein Argument, einzelne Kokoschka-Bilder wegen der kommenden Wiener Opern-Festwochen nicht verleihen zu können resp. zu wollen, waren mit einem Schreiben des Ministeriums am 5. Oktober vom Tisch, wobei Garzarollis Mühen um einen eigenen Kokoschka-Saal im Belvedere als »fragmentarisch und 98 Anonym [ Johann Muschik], o.T., ebd. 99 Johann Muschik, TB notiert, in : Tagebuch 10.9.1955. 100 Archiv Secession, Dossier K O K O S CH K A , Oskar, III.a.6.1.1., Friedrich Welz an Werner Hofmann, Salzburg, 9.10.1955. 101 Walter Kasten an Werner Hofmann, Linz, 8.9.1955, ebd.
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unzulänglich« abqualifiziert wurden.102 Das Ministerium bzw. der Unterrichtsminister waren offensichtlich vom Erfolg der von der Secession und Welz organisierten Ausstellung überzeugt. Subalterne Dienststellen wie die Österreichische Galerie mussten das Einsehen haben. Neben Welz war Gurlitt bezüglich der OK-Agenden allmählich ins Hintertreffen geraten. Durch einen schon erwähnten langjährigen Rechtsstreit um das DruckgrafikWerkverzeichnis hatte er sich den Missmut des Meisters zugezogen und kontinuierlich dessen Vertrauen verloren. Der Salzburger hingegen war zumindest in Österreich in Sachen Kokoschka omnipräsent und als eine Art Generalsekretär bzw. -manager zu einer, oder besser der Ansprechperson geworden. In einem Brief Kokoschkas an Werner Hofmann charakterisierte er Welz, »dessen Mitarbeit Sie sicher von großem Nutzen finden werden, weil er über die nötige Energie verfügt, die von mir gewünschten Bilder auch heranzuschaffen.«103 Die Konkurrenz zwischen Welz und Gurlitt wurde zumindest im Briefwechsel mit OK sowie mit Vertretern diverser Institutionen diskret behandelt. Nur anlässlich Kokoschkas Wienbesuch im November 1955 äußerte sich Gurlitt gegenüber Hofmann resigniert und nicht ohne Doppeldeutigkeit über die Schieflage in der Dreiecksbeziehung : »Dass Kokoschka nun doch nach Wien gegangen ist, obgleich er mir schrieb, dass er auf keinen Fall der Einladung folgen würde, nimmt mich schon wunder und ich habe eigentlich immer schon damit gerechnet.« Er wolle den Aufenthalt des Künstlers nicht begleiten, »und dann liegt es mir auch nicht, mit Herrn Welz in Konkurrenz zu treten, der ja sicherlich den Versuch machen wird, während der Wiener Tage immer neben dem Meister zu stehen. Ich will Herrn Welz also das Vergnügen überlassen, Kokoschka in seinem Interesse gegen alle übrigen Einflüsse abzuschirmen.«104 Die »Heimholung«
Die Ausstellung in der Secession zeigte jene Bilder, die in der Salzburger bzw. Linzer Schau zu sehen waren, daneben etliche Werke aus Schweizer und deutschem Besitz. Man konnte nach der documenta I in Kassel das Bildnis Hans Tietze und Erica Tietze-Conrat aus dem Museum of Modern Art New York zeigen und den geschlossenen Bestand der Österreichischen Galerie, der über eine Weisung des Ministeriums bereitgestellt wurde. Die Stadtansicht vom Wilhelminenberg (1931) hingegen war nicht vertreten. Direktor Franz Glück hatte sich vehement in die Frontlinie mit Otto Benesch gestellt und sowohl eine direkte Korrespondenz mit Werner Hofmann als auch die Teilnahme verweigert. 102 AÖG, Zl. 613/1955, Josef Musil (BMU) an Karl Garzarolli, Wien, 5.10.1955. 103 OK an Werner Hofmann, Villeneuve, 23.9.1955, ebd. 104 Wolfgang Gurlitt an Werner Hofmann, München, 5.11.1955, ebd. Zur Konkurrenz zwischen Welz und Gurlitt vgl. Wally 2003, S. 50.
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Da das Bild in städtischem und nicht in staatlichem Besitz war, hatte das Ministerium keine Eingriffsmöglichkeit.105 Die Besucherzahlen lagen trotz der kurzen Laufzeit bei rund 10.000 Personen. Kokoschka war Anfang November für ein paar Tage nach Wien gekommen und hatte am 7. November eine Führung gemacht, die mit gezählten 1056 Besuchern und Besucherinnen einem Massenansturm gleichkam (Abb. 41).106 Die Erwartungen im Vorfeld lagen hoch und hatten unterschiedliche Gewichtungen. In seinem Subventionsansuchen hatte Secessions-Präsident Meissner betont, die Ausstellung sei »nicht nur eine Ehrenschuld der Wiener Secession gegenüber Kokoschka […], sondern eine gesamtösterreichische Verpflichtung […].« Die Beweggründe für das Ministerium waren wesentlich pragmatischer : »Es erübrigt sich, näher auszuführen, daß die Veranstaltung einer Kokoschka-Ausstellung während der Zeit der Burgtheater- und Operneröffnung äußerst wünschenswert ist.«107 Kokoschka war in den Augen der hochrangigen Kulturpolitik ein prominenter Österreicher mit internationaler Reputation. Nach der Staatsvertragsunterzeichnung und der wiedererlangten Unabhängigkeit verlangte die Staatsräson, die junge, »freie« Republik in ihrem besten Licht zu zeigen. Generell wurde Kokoschkas Verfolgung durch die Nationalsozialisten nur gestreift108, in dem man allgemein von »Diktatur«, »Barbarei« und »Willkür« sprach, die angesichts der politischen Aussage des Thermopylae-Bildes eher in einem gegenwärtigen Kontext gedeutet wurde. In keinem einzigen Text, weder in den Katalogtexten noch in der Presse wurde die jüngste Vergangenheit näher thematisiert und schon gar kein kritischer Kommentar zur Rolle des Landes in derselben abgegeben. Dabei hatten viele die Ausstellung von 1937 erwähnt und die lange Trennung Kokoschkas von Wien, den man nun wieder »heimgeholt« habe. Man feierte die Wiederkehr mit Schlagzeilen wie Der Prophet in seinem Lande, Wien lernt Kokoschka kennen, O.K. oder die trunkene Netzhaut. Der rasende Großvater mit den kühlen Kindern/Daheim in der Secession oder Die letzte Chance, in Anspielung auf Kokoschkas fortgeschrittenes Alter und fehlende offizielle Würdigungen.109 Auch die kommunistischen Medien reihten sich in diesen Interpretationsfluss. Einzig Johann Muschik hatte – allerdings schon bei der Besprechung des Thermopylae Triptychon bei der Salzburger Ausstellung im Sommer – ausführlich auf die politischen 105 Alfred Schmeller hob die Weigerung der Museen zur Teilnahme extra hervor, vgl. Kokoschka in der Wiener Secession. Der Prophet in seinem Lande, in : Wiener Kurier, 17.10.1955. 106 Hilger 1986, S. 289. 107 ÖStA, AdR, BMU/Kunstangelegenheiten 02, K81, 15 Vereine, Zl. 83.114/-II/9a – 55, Paul Meissner an das BMU, 12.9.1955 sowie AV von Josef Musil (BMU), 1.10.1955. 108 Eine der wenigen Ausnahme : vgl. Alfred Schmeller, Kokoschka in der Wiener Secession. Der Prophet in seinem Lande, in : Wiener Kurier, 17.10.1955. 109 Ebd.; Hans Heinz Hahnl, Wien lernt Kokoschka kennen, Zum 70. Geburtstag, in : Neue Zeit, 22.10.1955 ; Moldovan, O.K. oder die trunkene Netzhaut. Der rasende Großvater mit den kühlen Kindern/Daheim in der Secession, in : Bildtelegraf, 19.10.1955 ; Anonym, Die letzte Chance, in : Die Union, 22.10.1955.
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41 : Kokoschka bei der Führung durch seine Ausstellung in der Secession, Wien, 7. November 1955, Foto : Pressefoto K L I N SK Y, OK Z .
Allegorien hingewiesen, die zum damaligen Zeitpunkt noch nie in Österreich zu sehen waren. Es ist anzunehmen, dass diese, wären sie in Wien ausgestellt gewesen, lediglich in einem allgemein humanistischen Kontext interpretiert worden wären. Hält man sich die vielschichtige Aussage des Bildes Anschluss – Alice in Wonderland vor Augen, so hätten sie den hegemonialen Status Österreichs – so wie ihn Kokoschka dezidiert vertrat – als erstes staatliches NS-Opfer wohl noch bestätigt.110 Die vielfach artikulierte Bringschuld gegenüber Kokoschka war somit, anders als in Deutschland, nicht explizit politisch motiviert. Man hatte versäumt, den großen »Österreicher« zu würdigen bzw. »heimzuholen« – Letzteres nicht in Form einer physischen Rückholung, sondern in einer Art von patriotischer Aneignung. Hofmann breitete in seinem Katalogtext die Rolle Kokoschkas als Mahner und Visionär aus, dem eine opferreiche Verantwortung in der Gesellschaft zukomme und der sich vom Ruhm unbeirrt
110 Johann Muschik, Variationen über Krieg und Frieden. Zu Oskar Kokoschkas Thermopylae-Triptychon, in : Tagebuch, 27.18.1955.
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nicht habe korrumpieren lassen. Zeitlich spannte er dabei den Bogen von der Frühzeit bis zur Gegenwart und bot in brillanten Formulierungen großen Interpretationsspielraum : Die Besorgnis, die der Künstler um seine Zeit verspürt, hat ihn noch nie vor den Schmähungen zu bewahren vermocht. Was er rund um sich wahrnimmt und mit hellseherischer Macht vorausahnt, ist meist von der Art, daß es ihm übel genommen werden muß. […] Gleich einem Stachel saß der streitbare Mut dieses Künstlers dem Wien der Jahrhundertwende im Gewissen und riß Wunden auf, die noch heute schwären. Er sah das Ende kommen und gab ihm in seinen bestürzenden Bildnissen halluzinatorische Gestalt.111
In etlichen Briefen und Artikeln betonte Werner Hofmann die symbolische Bedeutung der Ausstellung als »Kokoschkas Heimholung auf Wiener Boden, der hoffentlich nicht irgendetwas wieder entgegen treten wird.«112 Kokoschka reagierte auf Hofmanns Erläuterungen begeistert : »Es ist ausgezeichnet, wie klar Sie meine singuläre Stellung in der Zeit sehen, in der es von Gruppen, Schulen, movements und Ismen nur so wimmelt und das ›Wir‹ fast selbstverständlich für ein ›vir‹ zu stehen kommt.«113 Alte und »neue Freunde« nach 1945. Kokoschkas Beziehung zu (ehemaligen) Nationalsozialisten Welz ist in erster Linie Geschäftsmann, der in politischer Hinsicht als Konjunkturritter zu bezeichnen ist, der es immer verstanden hat, sich jeweils dem bestehenden System anzuschließen, um sich so für sein Geschäft Vorteile zu sichern. Es gelang ihm daher auch, sich vom Inhaber eines Rahmengeschäftes zum Kunstsachverständigen des Gaues Salzburg emporzuarbeiten. Bericht des Sicherheitsdienstes der SS, Hauptaußenstelle Salzburg, 15. Jänner 1942114
Friedrich Maximilian Welz (1903 – 1980), Sohn eines Salzburger Rahmenhändlers, hatte seine Lehrzeit u. a. in Wien absolviert. Dort nahm sein leidenschaftliches Interesse für zeitgenössische Kunst, mit der er in Otto Kallir-Nirensteins Neue Galerie oder in Lea Bondi-Jarays Galerie Würthle in Berührung gekommen war, seinen Anfang.115 Nach dem Tod des Vaters 1934 erweiterte er den Betrieb in der Sigmund-Haffner-Straße um 111 Hofmann 1955, S. 5f. 112 Archiv Secession, Dossier K O K O S CH K A, Oskar III.a.6.1.1., Werner Hofmann an Wolfgang Gurlitt, Wien, 8.11.1955. 113 OK an Werner Hofmann, Villeneuve, 23.9.1955, ebd. 114 Salzburger Landesarchiv Handschrift 925/5 (91), zit. Koller 2000, S. 12. 115 Zu Welz siehe u. a. Kerschbauer 2000, Koller 2000, Juffinger/Plasser 2007. Die Bedeutung von Welz’ Lehrzeit in Wien, der Bedeutung der modernen Galerien und der, wenn auch zeitversetzten Vorbildwirkung von Carl Molls Multifunktionen als Galerist, Kulturpolitiker, Vermittler alter und zeitgenössischer Kunst etc. hatte schon Gerhard Plasser gesehen, vgl. Juffinger/Plasser 2007, S. 82.
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eine Galerie. Ein Verlag sollte folgen. Im alten, in der Barockzeit als fürsterzbischöfliches Zentrum geprägten Salzburg, der Geburtsstadt Mozarts war mit den 1920 von Max Reinhardt begründeten Festspielen ein neuer kultureller Geist eingekehrt. Zumindest für einige Wochen im Jahr wurde die Stadt zu einem Begegnungs- und Erlebnisort des internationalen Musik- und Sprechtheaters, wo abseits von Wien identitätsstiftende Elemente der »Kulturgroßnation« Österreich generiert wurden.116 Welz war ambitioniert und setzte ab 1934 Akzente, auch der bildenden Kunst Raum zu verschaffen. Schon im Folgejahr zählte u. a. Bundeskanzler Kurt Schuschnigg zu seinen Galeriebesuchern.117 Der junge Kunsthändler begriff sein Aktionsfeld über die engeren Berufsgrenzen hinaus auch als kulturpolitischen Auftrag. Er veranstaltete an verschiedenen Orten in Salzburg wichtige Ausstellungen und zeigte 1937 eine repräsentative Waldmüller-Schau, die musealen Ansprüchen genügt hätte. Die Verschränkung von privat-unternehmerischem und öffentlichem Engagement wurde ab 1934 auch in Gesprächen mit Landeshauptmann Franz Rehrl über (zunächst erfolglose) Pläne zur Gründung einer Salzburger Landesgalerie greifbar. In dieser Zeit kam es auch zum ersten persönlichen Kontakt mit Kokoschka, dem Welz 1935 durch eine Übernahme von Kallir-Nirenstein eine Ausstellung mit neun Gemälden widmete.118 Fritz Koller attestierte, dass Welz »unbeirrt vom politischen Wechsel […] sein Leben lang zwei Ziele« verfolgt hatte : »den Gewinn von Prestige und geschäftlichem Erfolg, beides vor dem Hintergrund von Kunst und Kunsthandel.«119 Salzburg war die einzige österreichische Stadt, wo am 30. April 1938 eine nationalsozialistische Bücherverbrennung stattgefunden hatte. Im selben Monat zeigte Welz in seiner großen Galerie-Dependance die Wanderausstellung Die Straßen des Führers, die sein Entrée in die nationalsozialistische Kulturpolitik wurde.120 Zeitgleich konnte er durch die Arisierung der erwähnten Wiener Galerie Würthle geschäftlich und gesellschaftlich Profit schlagen.121 Im Juli 1938 wurde er Mitglied der NSDAP und hatte erreicht, eine Mitgliedsnummer zu erhalten, die ihn post festum als vor dem März 1938 »illegalen« Nationalsozialisten ausweisen sollte.122 Sein Projekt einer Landesgalerie konnte er nun unter den neuen Machthabern verwirklichen. Welz schrieb sich damit, nicht zuletzt aufgrund seiner Einkaufstouren im besetzten Paris, in die Geschichte des NS-Kunstraubs ein.
116 Vgl. Gratzer 2013, Hochleitner/Lasinger 2020 sowie https://www.salzburgerfestspiele.at/geschichte-uebersicht (Zugriff : 27.7.2022). 117 Koller 2000, S. 11f. 118 Eder 2003, S. 92. 119 Ebd., S. 12f. 120 Koller 2000, 13f. 121 Koller 2000, S. 12. 122 Ebd. Fritz Koller maß Welz’ Beteuerungen, er sei schon ab 1922 Quasi-Illegaler gewesen ebenso als »schönfärberisch« keine Bedeutung zu wie seiner Behauptung des Gegenteils nach 1945.
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Welz war nicht nur in »erster Linie Geschäftsmann« und »Konjunkturritter« quer durch die politischen Systeme hindurch, wie ihn der eingangs zitierte SS Sicherheitsdienst in Salzburg charakterisierte : er war auch ein »Meister des Verwirrens«.123 Er benützte die Vorteile seiner öffentlichen Funktion zugunsten seiner privaten Geschäftsinteressen, indem er beides untrennbar, unentwirrbar, unauflöslich ineinander fließen ließ. Dabei handelte es sich nicht um das Unvermögen eines künstlerischen Menschen gegenüber den Anforderungen der Buchhaltung. Solcherart verkleidete er seine Vorgangsweise charmant, doch traf das nicht zu. Es handelt sich um Absicht und eine Methode, die er konsequent gegenüber den Behörden des Reichsgaus, der US-Militärregierung und der Landesregierung durchhielt.124
Welz machte sich mit seinen Geschäften nicht nur Freunde. Nach einem Wechsel in der Gauleitung, einigen Interventionen und Intrigen wurde er im Herbst 1944 von der Wehrmacht eingezogen.125 Im Mai bzw. im November 1945 wurde er verhaftet und im amerikanischen Camp Markus W. Orr, allgemein als Kriegsverbrecherlager Glasenbach bekannt, interniert. Im April 1947 erfolgte seine Entlassung. Erst im Jänner 1950 wurden die am Volksgerichtshof anhängigen Verfahren wegen seiner illegalen NSDAPMitgliedschaft vor 1938, Arisierungen etc. endgültig niedergelegt.126 1947 hatte Welz wieder sein Galerieprogramm aufgenommen und begann erneut, im Salzburger Kulturleben Fuß zu fassen. Am 4. Mai 1949 schrieb Welz erstmals wieder an Kokoschka und bot ihm ein Treffen an, »um Möglichkeiten einer Ausstellung und die Frage des Verlages einiger Werke« zu besprechen.127 Im Frühjahr 1950 verdichtete sich die Kontaktnahme, und im Sommer kam es zum ersten Besuch Kokoschkas, wobei die Stadtansicht Salzburg vom Kapuzinerberg entstand.128 Von Anbeginn an wurden Pläne zur Gründung der Sommerakademie sowie zur Sesshaftwerdung Kokoschkas in Salzburg ventiliert. Von 1953 bis 1962 sollte Kokoschka mit seiner Schule des Sehens als künstlerischer Leiter Geschichte schreiben. Welz blieb als geschäftsführender Direktor des Unternehmens stets der Mann hinter dem großen OK (Abb. 42). Mit der Bindung Kokoschkas an Salzburg hatte Welz einen Coup gelandet, von dem alle Beteiligten profitierten. Die Stadt konnte mit der Präsenz des weltbekannten Künstlers punkten : seine Schülerschaft war international und etablierte Salzburg nachhaltig auch als Ort der bildenden Künste. Er war ein Anzie123 124 125 126 127 128
Vgl. Kerschbaumer 2000. Koller 2000, S. 13. Ebd., S. 20 – 22, 33 – 35. Ebd., S. 36. Ebd., S. 95. Salzburg vom Kapuzinerberg, 1950, Öl/Leinwand, Bayerische Staatsgemäldegalerie, Pinakothek der Moderne München. Vgl. auch Welz 1961, o.S.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
42 : Kokoschka und Friedrich Welz beim Einzug auf die Festung Hohensalzburg anlässlich der Eröffnung der Internationalen Sommerakademie 1962, Foto : Werner Welz, OKZ.
hungspunkt, hatte neben der Stadtansicht für die Festspiele 1955 die Ausstattung von Mozarts Zauberflöte geschaffen und zeitgleich für das Festspielhaus die Tapisserie Amor und Psyche entworfen. Dabei darf nicht übersehen werden, dass in Salzburg ein extrem konservatives Kulturklima auch noch nach 1945 herrschte. Zwei Ausstellungen verdeutlichen dies bespielhaft : so hatte die Werkschau von Josef Thorak, einem der prominentesten Bildhauer der NS-Zeit, 1950 unter dem Ehrenschutz des Salzburger Bürgermeister 22.000 Besucher, während die von Welz organisierte Wotruba-Schau im gleichen Zeitraum von nur 800 Interessierten gesehen wurde.129 Kokoschkas Sommerakademie auf der Hohenfestung wurde von Barabra Wally nicht ohne Doppeldeutigkeit als »konservatives Bollwerk« bezeichnet : Welz hatte dem amtierenden Landeshauptmann Josef Klaus 1952 die Idee, OK zu gewinnen damit angetragen, »dass die bewusst konservative Ausrichtung (auch Kokoschka gehört mittlerweile zu den Klassikern) […] gerade für Salzburg zweckmäßig ist.«130
129 Kerschbaumer/Müller 1992, S. 104 – 108 ; Mattl 2003, S. 93. 130 Wally 2003a, S. 50, 52.
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43 : »Bastei-Fest« der Sommerakademie, Festung Hohensalzburg 1953, sitzend : Oskar und Olda Kokoschka im Gespräch mit Landeshauptmann Josef Klaus, Clemens Holzmeister und Friedrich Welz ; stehend v. l. n. r.: J.G. Gsteu, Hans Hofmann und Gustav Peichl, OKZ.
Kokoschka konnte hier seine Vorstellung des Kunstunterrichts verwirklichen, ohne sich um organisatorische Dinge kümmern zu müssen. In Friedrich Welz hatte er jenen Partner gefunden, der seine Anliegen mit ungeheurem Fleiß und Engagement, mit diplomatischem Fingerspitzengefühl und durch seine »charmant-umtriebige Art« vorantrieb.131 Er genoss das spezifische Flair in Salzburg (Abb. 43), traf hier auf Persönlichkeiten aus Kunst, d.h. vor allem aus dem Musik- und Theaterleben, Politik und Wirtschaft. Prominente Besuche wie z. B. vom österreichischen Bundespräsidenten Adolf Schärf oder dem »Vater des deutschen Wirtschaftswunders«, Wirtschaftsminister Ludwig Erhard erzeugten ein Medienecho, dass der Schule, der Stadt und natürlich Kokoschka zugutekam. OK war eine very important person, ein V.I.P. geworden und wurde in dieser Rolle medial immer wieder bestätigt. 1977 wurde nach einer großzügigen Kunst-Donation durch Welz die Moderne Galerie und Graphische Sammlung Rupertinum als Museum eröffnet. Einen Kernbestand bildet das beinahe komplette druckgrafische Werk Kokoschkas, der damit bis heute in der Stadt verankert ist – so wie auch seine Internationale Sommerakademie. 131 Koller 2000, S. 13.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
Der »treue Welzius«, wie ihn OK immer wieder nannte, war von der künstlerischen Bedeutung Kokoschkas überzeugt – was ihn nebenbei bemerkt nicht davon abhielt, auch Picasso oder Schiele in seiner Galerie zu vertreten. Mit Kokoschka, einem Altmeister der Moderne, der als »entartet« verfemt wurde und als politisch integer sowie humanitär engagiert galt, hatte er einen international bekannten Künstler in seinem Galerie- und Verlagsprogramm. Das brachte – wie Koller als Hauptziele definiert hatte – einen Prestigegewinn für seinen Betrieb und seine Person, dem man mancherorts mit Vorbehalt gegenüberstand. Nach Landeshauptmann Franz Rehrl und Gauleiter Friedrich Rainer war nun der Landeschef Josef Klaus der neue, politisch potente Partner in Salzburg. Welz’ (kultur-)politische Kontakte entwickelten sich auch auf bundespolitischer Ebene sehr gut, wobei Kokoschka mehrfach den Anlass für sein in und über Österreich hinaus vernetztes Arbeitsfeld bot. Auch hier war sein unternehmerischer sowie kulturpolitischöffentlicher Arbeitseinsatz »untrennbar, unentwirrbar, unauflöslich«. Welz’ geschäftstüchtige Gesinnungselastizität im Politischen war nicht erst mit der neu entflammten Restitutionsdebatte in den späten 1990er-Jahren aktuell. Erste kritische Arbeiten dazu fanden mit dem Paradigmenwechsel in der österreichischen Geschichtsforschung und den Tendenzen in der Vergangenheitspolitik in den späten siebziger Jahren statt.132 Sie gaben und geben aber ein indifferentes Bild : Welz’ Position erscheint nach wie vor sehr ambivalent, hatte er doch konsequent auch in der NS-Zeit an seinem Engagement für die Moderne festgehalten. Er hatte sich um den von der Stuttgarter Akademie demissionierten, quasi »entarteten« Anton Kolig bemüht oder (außer Katalog) in der Wiener Galerie Welz, vulgo Würthle »wehrkraftzersetzende« Bilder von Egger-Lienz gezeigt. Auch sein viel späteres Engagement für den emigrierten Gerhart Frankl, der sich bis zu seinem Tod 1965 erfolglos um eine definitive Rückkehr bemüht hatte, sind nicht durch pekunäres Gewinnstreben zu erklären : Welz hatte Frankl nicht nur als Nachfolger Kokoschkas auf der Sommerakademie vorgeschlagen, sondern für ihn auch seine potenten Beziehungen zur Politik, speziell zum Unterrichtsministerium verwendet.133 In gewissen Dingen blieb sich der »Konjunkturritter« treu. Eine eindeutige Schwarz-Weiß, oder besser Braun-Weiß-Malerei erscheint weiterhin nicht angebracht. Davon abgelöst sind die diesbezüglichen Fragen der jüngeren Kokoschka-Forschung zu betrachten, denn sie reflektieren weniger Welz’ konkrete Position als Kokoschkas Haltung gegenüber ehemaligen Nazis bzw. NS-Profiteuren. Wiederholt taucht nämlich die Feststellung auf, dass es »unklar« sei, ob »Kokoschka […] von der Rolle des Friedrich Welz während der NS-Zeit Bescheid wußte […].«134 Das antifaschistische Image 132 Ernst Hanisch hatte in den späten 1970er-Jahren begonnen, sich mit der NS-Geschichte Salzburgs zu beschäftigen. Gert Kerschbaumer hatte im kritischen Jahr 1986 eine Dissertation über Rituale und Praktiken im Kulturleben Salzburgs vorgelegt, vgl. Kerschbaumer 1986, Kerschbaumer/Müller 1992 sowie u. a. Hanisch 1997. 133 Lachnit 1998, S. 254 – 257. 134 Sultano/Werkner 2003, S. 241.
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Annus mirabilis 1955 und die Folgen
Kokoschkas und die politische Vergangenheit seines »Welzius« passen so gar nicht in ein Bild und artikuliert(e) sich auch in der jüngeren, kritischen Literatur als ein diffuses Unbehagen. Die Imagination einer väterlichen schuldlosen Vorbildfigur war derart wirkmächtig, ein Desiderat, dass auch lebenslang überzeugte Antifaschisten wie Viktor Matejka oder Georg Eisler oder später Wolfgang Hilger offensichtliche Widersprüche nicht thematisierten. Gerade die Ersteren hatten Kokoschka als einen politisch aktiven, unbeugsamen Humanisten erlebt bzw. waren – im Fall des jungen Eislers – durch ihn ein stückweit sozialisiert worden. Naivität bzw. Unkenntnis bezüglich der Welz’schen NS-Vergangenheit kann bei Kokoschka ausgeschlossen werden. Der Nachlass des Künstlers lieferte zudem eindeutige Indizien.135 Es ergeben sich einige Fragen aus der mangelnden Distanz Kokoschkas zu (ehemaligen) Nationalsozialisten und NS-Profiteuren. Sie betreffen die prinzipielle politische Haltung Kokoschkas nach 1945, die Gründe für seinen offensichtlichen Opportunismus und letztlich das Faktum, warum er statt auf Welz und ähnlich politisch Belastete nicht auf seine antifaschistischen Freunde setzte. Wie schon mehrfach erläutert hatte OK nach dem Krieg einen politischen Wertewandel vollzogen und sich einem wertkonservativen, scheinbar apolitischen Humanismus verpflichtet. Er hatte keine 180 Grad-Drehung vollzogen, wies jedoch in seiner Diktion häufig einen unsensiblen Umgang mit eindeutigen Begriffen des NS-Regimes auf. Zur rhetorischen Steigerung seiner kämpferischen Aussagen gegen die abstrakte Kunst und damit indirekt zur Verteidigung seiner eigenen Malerei sprach er 1955 davon, dass in Deutschland »wieder eine Reichskulturkammer im Entstehen begriffen ist, diesmal von der ›gegenstandslosen‹ Partei unter Führung von Herrn Haftmann oder Großmann [sic !] (Berlin) statt dem Dr. Göebbels [sic !]. Degeneriert wird wieder alles sein, was denen nicht in den Kram passt, also auch Rembrandt, Grünewald wieder wie zuvor.«136 In dieser Zeit geißelte er auch den »Versuch eine[s] Gleichschaltungsprozess[es]« der sich in der »sogenannten abstrakten Kunst äußert.«137 Vor allem aber wollte er »kein Richter noch Gesinnungsschnüffler«138 sein, wenn es um Persönlichkeiten ging, die ihm dienstbar sein konnten. Neben Welz waren u. a. die beiden ehemals exponierten Nationalsozialisten Bruno Grimschitz und der Wiener Akademieprofessor Robert Eigenberger (1890 – 1979) für ihn tätig. Letzterer hatte nach 135 Dazu zählt u. a. die Bekanntschaft Kokoschkas mit der ebenfalls nach London geflohenen Lea Bondi-Jaray. 136 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1., OK an Wolfgang Gurlitt, 9.8.1955, zit. Windisch 2013, S. 287, Anm. 1045. Gemeint waren die deutschen Kunsthistoriker Werner Haftmann und Will Grohmann. 137 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 70ff + Zuw. 1996 (369.22), OK an Hans Sahl, 13.3.1955, zit. Windisch 2013, S. 286, Anm. 1042. 138 Diese Formulierung fand er, als Doris Wild in ihrem Text zu Kokoschka-Aquarellen den KZ-Tod von Kamilla Swoboda und die ungebrochene Karriere ihres Ex-Mannes, des Kunsthistorikers Karl Maria Swoboda während der NS-Zeit erwähnt hatte. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 44, Briefe von O. Kokoschka (Abschriften) 1944 – 1948, OK an Viktor Matejka, 17.12.1947,.
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einem Schadensfall von Kokoschkas Tapisserieentwurf Amor und Psyche (1955) mit aus heutiger Sicht zweifelhaftem Erfolg restauriert.139 An der Salzburger Sommerakademie leitete er u. a. Seminare zur Malereitechnik. Während der NS-Zeit hatte sich Eigenberger als gefährlicher und ausgesprochen widerlicher Denunziant hervorgetan. Da er jedoch kein NSDAP-Parteimitglied gewesen war, wurde er ohne großes Aufsehen im Professorenkollegium rehabiliert und hatte sogar einige Zeit das Amt des Rektors inne.140 Für den überzeugten Nationalsozialisten Grimschitz (1892 – 1964) brachte die NS-Herrschaft eine steile Karriere und eine beeindruckende Funktionsakkumulation : nach dem »Anschluss« wurde er Museumsdirektor der Österreichischen Galerie, etwas später der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums (1940) und des neuen PrinzEugen-Museums (1941). 1944 wurde er zum Leiter des »Zweckverbandes ›Salzburger Museum‹« ernannt, was wohl auf eine Empfehlung von Welz zurückzuführen ist.141 Aus enormer Höhe folgte 1945 der tiefe Fall, doch der treue Welz sorgte weiterhin für den aller Ämter enthobenen Freund. In Kokoschkas Sommerakademie hielt er mehrfach kunsthistorische Seminare und Vorträge und war der Festredner bei der staatstragenden Feier anlässlich des 70. Geburtstags Kokoschkas in der Salzburger Residenz 1956. Zur Steigerung des Publikumsbesuches in der Secession 1955 schlug Welz dem jungen Hofmann vor, den versierten Grimschitz Spezialführungen halten zu lassen.142 Auch wenn Kokoschka sich zu keiner »Gesinnungsschnüffelei« hinreißen ließ, wusste er über die NS-Vergangenheit dieser drei prominenten Persönlichkeiten des Kunstlebens Bescheid. Es scheint ihn im Dienste der eigenen Sache, »seiner Propaganda«, wie Doris Wild 1948 geschrieben hatte, nicht interessiert zu haben. Ein erschütterndes Dokument stellt in dieser Hinsicht die Korrespondenz mit dem schon erwähnten Ludwig Münz dar. Er zählte zu den ältesten Freunden Kokoschkas aus dem Loos-Umkreis, war ein Vertrauter in der Londoner Exilzeit gewesen und kontinuierlich um das Werk Kokoschkas bemüht. Im März 1955 schrieb Münz über seine Pläne, Kokoschkas Aquarellkunst in einem Buch zu würdigen. Dabei stellt er jedoch die Bedingung, dass er in seiner Auswahl »weder durch die Kunsthändler wie Wels [sic !], noch durch Grimschitz behindert werden würde.« Sein Ansinnen wäre, die »Flut der für mich zum Teil grässlichen Kokoschka-Literatur« entgegenzuwirken sowie dem »provinzielle[n] Lobgepreise auf der anderen Seite«.143 Kokoschka befürwortete das Projekt : Münz hatte u. a. die »Zerstörung der üblichen Schiele-Legende« angekündigt.144 139 Für den Hinweis danke ich Régine Bonnefoit. 140 Klamper 1990 ; Reinhold 2009, v. a. S. 272 ; Ferihumer/Schober 2019. 141 Mayer 2004, S. 257 ; Mayer 2019 ; zur Beziehung Welz-Grimschitz siehe auch Koller 2000, S. 34f. 142 Friedrich Welz an Werner Hofmann, Salzburg, 18.10.1955, Archiv Secession, Dossier KOKOSCHKA, Oskar III.a.6.1.1. 143 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka, 353.20, Ludwig Münz an OK, Wien, 4.3.1955. 144 Ebd. OK hatte Münz offensichtlich auf den Brief vom 4.3.1955 geantwortet.
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Annus mirabilis 1955 und die Folgen
Die folgenden, im Nachlass des Künstlers erhaltenen Briefe blieben allerdings unbeantwortet. Zunächst hatte Münz am 26. Oktober 1955 dem Künstler geschrieben, dass er sich auf dessen Besuch Anfang November anlässlich der Operneröffnung freue, und berichtete über die Endphase des geplanten Buches.145 Wenige Zeilen waren es, die Kokoschka veranlassten, den Kontakt abzubrechen : Es war für mich ein Schock, dass die Akademie die grosse Ausstellung, die geplant war, nicht mehr machen kann, da Du es vorgezogen hast, mit der Sezession [sic !] zu arbeiten. Bist Du in Wien, so will ich einmal mit Dir als alter Freund ganz offen darüber sprechen, warum mir diese Entscheidungen auch für Dich selbst nicht so gut erscheint, wie Du vielleicht glaubst.146
Am 3. Dezember, also einem halben Monat nach Schließung der OK-Ausstellung schrieb Münz erneut dem Freund, in der Annahme, er habe den ersten Brief nicht erhalten. Nach einer kurzen Replik auf das quasi fertige, jedoch nie erschienene Buch präzisierte er in eindeutigen Worten seine Meinung zur herrschenden Kokoschka-Rezeption : Dein Aufenthalt in Wien, so glücklich Du mit dem äusseren Erfolg gewesen sein magst, brachte in mehr als einer Beziehung gerade für die Menschen, die immer und in viel schwierigeren Zeiten als jetzt für Dich eingetreten sind und für Humanität und Reinheit kämpften, manche Enttäuschung. Du musst es einem alten Freund, der Dir in vielen entscheidenderen Augenblicken beigestanden ist, erlauben, dies klar auszusprechen. Du hast sicher das Recht, Dich mit jenen Menschen zu umgeben, welche Dir im Augenblick die nützlichsten erscheinen. Für mich aber wird es immer ein zutiefst erschütterndes Erlebnis bleiben, dass Oskar Kokoschka, der für die Humanität kämpft, sich mit Menschen umgibt, die sich gegen diese Humanität aufs schwerste [sic !] versündigt haben.147
So klar wie Münz auf Kokoschkas Opportunismus zu sprechen kam, so deutlich nahm er unter Anrufung »alter« Freunde auf diejenigen Bezug, die sich gegen die Humanität auf das Schwerste »versündigt« hatten, nämlich Welz und Grimschitz : Ich habe Dir schon in Villeneuve gesagt, dass ich einen Menschen wie Herrn Welz ablehne, der den Rassenantisemitismus in der Hitlerzeit benützt hat, um Vorteil daraus zu ziehen. Er hat Kunstwerke arisiert. Edler – scheint es mir – wäre es gewesen, wenn Du auf diese Verbindung von Haus aus verzichtet hättest. Auch Dr. Grimschitz hat diesen Lehren des Rassenantisemitismus gehuldigt […] Möglich, dass Grimschitz jetzt bekehrt ist, – vielleicht. Mich aber schmerzt es zutiefst, dass einer meiner wenigen noch lebenden alten Freunde glaubt, dass es möglich ist, so 145 Ludwig Münz an OK, Wien, 26.10.1955, ebd. 146 Ebd. 147 Ludwig Münz an OK, Wien, 3.12.1955, ebd.
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an [sic !] alte Bindungen zu vergessen. Glaube mir, weder Karl Kraus, noch Adolf Loos, Peter Altenberg oder Arnold Schönberg hätten für deine neuen Freunde irgend ein [sic !] Verständnis !148
Offen und ungeschminkt nahm der »alte Freund« Stellung zur von Kokoschka geförderten Mythosbildung, die in ihm Verständnislosigkeit auslöste. Zentrale Aspekte waren das von Gurlitt initiierte Kokoschka-Archiv in Linz und die Salzburger Theaterarbeiten. Münz entlarvte damit weniger die Adoranten, Panegyriker, Schmeichler und Profiteure als vielmehr den Narzissmus des Künstlers : […] Es ist mir aber Pflicht, Dich auf jene Punkte aufmerksam zu machen, in denen der heutige Kokoschka sich weit von allem entfernt hat, wofür wir einst gemeinsam gekämpft haben. Wozu braucht zum Beispiel ein Mensch wie Du zu Lebzeiten ein Archiv ? Das deutsche »Archiv«Wesen dieser Art ist ein Unfug. Ein Nietzsche-Archiv war notwendig, weil Nietzsche krank war und man für ihn sorgen musste. Aber alle Arten von zu weitgehender Selbstvergottung auch der grössten Künstler scheinen mir gegen die Natur, Freiheit und notwendige Demut des schaffenden Menschen zu sein. Was für eine Zeit ! Ich glaube nicht, dass jemals die grossen Künstler, deren Leben wir kennen und die wir verehren, sich um die augenblickliche Anerkennung, Reklame für ihr Werk gekümmert haben, wie es heute geschieht. Für das Schaffen fruchtbarster Zeit wird damit, besonders im Alter, verschwendet. Das Salzburger Unwelttheater ist in tieferem Sinn ein Unglück für Dich.149
Im letzten Abschnitt des Briefes deklariert sich Münz als Freund, der »aus innerster Ueberzeugung Kraft und Mut« zum offenen Wort habe. Erneut kamen »alte« Freunde zur Sprache und der Glaube an den Kokoschka, der nicht korrumpierbar sei und mögliche Irrwege auch wieder verlassen könne : Es scheint mir auch Pflicht, und das sei zum Schluss gesagt, da Max Liebermann und Alfred [sic !] Ehrenstein tot sind, als der vielleicht letzte lebende jüdische Freund aus Deiner Jugendzeit, mit voller Klarheit über das zu sprechen, worüber ich heute bestürzt bin. Dein Leben besteht – und das ist das Grossartige bisher gewesen – darin, dass Du immer wieder aus schweren Irrtümern, unmöglichen Situationen den Weg zurückgefunden hast und ich bin überzeugt, dass Du auch jetzt wieder den Weg zu Dir finden wirst, und aus neuer Besinnung Werke schaffen wirst, die einen wieder vergessen lassen, wie leicht es Dir gefallen ist, Dich mit Menschen zu verbinden, die in der grauenhaften Hitlerzeit nur zu bereit waren, mitzuspielen und daraus Nutzen zu ziehen.150
148 Ebd. 149 Ebd. 150 Ebd.
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Ein weiteres untrügliches Indiz, dass Kokoschka von Welz’ politischer Vergangenheit und seinem einschlägigen Ruf gewusst haben dürfte, ist ein Brief des Kunsthändlers Otto Kallirs (ehem. Nirenstein) im Juni 1956 an Olda. Dabei ging es um Hans Maria Winglers Bitte um eine Reproduktion für das bebilderte Werkverzeichnis der Gemälde, die Kallir nicht beantwortet hatte : Ich habe ihm [H.M. Wingler] aus […] Gründen nicht geantwortet, die ich Ihnen gerne sagen will : […] Das Buch soll im Verlag Welz in Salzburg erscheinen. Nun habe ich jede Beziehung mit Herrn Welz abgebrochen, da er ein Nazi war. Und zwar hat er schon im Jahre 1937 sich mir gegenüber in gröbster antisemitischer Weise benommen. Was Welz nach dem Einzug Hitlers in Österreich getan hat, ist zu allgemein bekannt, als dass ich es anführen müsste. Ich kann es nicht über mich bringen, mit einem solchen Menschen heute in irgend einer Weise zusammenzuarbeiten. Ich habe immer die absolut feste und kompromisslose Haltung Ihres Mannes während der Nazi-Zeiten bewundert und war daher erstaunt, dass er sich mit Welz so stark eingelassen hat. Da ich nicht annehmen kann, dass Ihr Mann nichts von all den Sachen um Herrn Welz weiss, könnte ich mir nur vorstellen, dass ich meine Einstellung Welz gegenüber ändern kann, wenn Sie oder Ihr Mann mir erklären würden, dass ich Unrecht habe in meiner Beurteilung dieses Menschen.151
Warum Kokoschka Welz zu seinem engsten Vertrauten in Österreich machte und mit ihm dessen Freunde, liegt auf der Hand. Dass er sich nicht auf die Unterstützung seiner alten oder neuen antifaschistischen Freunde konzentrierte, ist angesichts der österreichischen Vergangenheits- und Kulturpolitik nach 1945 beantwortet : sie verfügten, wenn überhaupt, nur unmittelbar nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes Einfluss. Kokoschkas frenetische Ablehnung der abstrakten bzw. gegenstandslosen Kunst brachte ihn in den Argumentationskreis von Hans Sedlmayr (1896 – 1984). Der nationalsozialistische Kulturideologe hatte während der NS-Zeit einen Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Universität Wien inne und in dieser Zeit seine erst 1948 publizierte Streitschrift gegen die Moderne Verlust der Mitte verfasst. Nach 1945 seiner Ämter enthoben, wurde er 1951 an die Universität München berufen und wurde nach seiner Emeritierung 1965 erneut Professor für Kunstgeschichte nota bene in Salzburg. Seine Redebeiträge bei der legendären Diskussion bei den Darmstädter Gesprächen 1950 zum Thema Über das Menschenbild in unserer Zeit fanden große Resonanz. Sie waren gegen die Moderne und die Abstraktion im Speziellen gerichtet. Kokoschkas Diktum, dass der Mensch »das Maß der Dinge« sei, sowie sein propagiertes Programm fügte sich in die Kunst- und Weltsicht Sedlmayrs.152 Im Oktober 1955 sprach der Kunstgeschichteordi151 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka Zuw. 96, Otto Kallir (Galerie St. Etienne) an Kokoschka, New York, 16.6.1956. 152 Wally 2003a, S. 37 ; Windisch 2013, S. 285.
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narius im Namen des Studentenwerks München eine Einladung zu einem Diskussionsabend aus : Sie könnten hier viel Gutes stiften und ein Gegengewicht sein. Es ist auch Zeit, dass die Kunsthistoriker schweigen und die jungen Leute einmal erfahren und ohne Vermittlung hören, wie ein grosser Künstler über Kunst denkt. Einige Sätze von Ihnen würden mehr wirken als das viele Gerede. Bitte kommen Sie.153
Staatsvertrag, Staatsoper und ein Staatsauftrag Das Staatsvertragsgemälde, ein Kunstskandalon
Anlässlich der Unterzeichnung des Staatsvertrages am 15. Mai 1955 war der Akademieprofessor Serigus Pauser mit der Schaffung eines repräsentativen Gemäldes beauftragt worden. Während der Zeremonie im Marmorsaal des Oberen Belvedere hatte er vor Ort Pastellskizzen angefertigt, die wenig später in einer Ölstudie zur zwischenzeitlichen Ausführung kamen. Eine definitive Endfassung sollte folgen. Dieser prominente Staatsauftrag hatte jedoch einen »Schönheitsfehler«, da er nachhaltig mit einem Kunstskandal verbunden war.154 Laut informellen Berichten muss der als Auftraggeber hervorgetretene Unterrichtsminister Heinrich Drimmel von der Ölskizze »sehr angetan« gewesen sein. Bundeskanzler Julius Raab hingegen »soll sogar ausgerufen haben : ›Faahrts aa mit dem Dreck – des moit da Fuchs.‹« Im Februar 1956, also rund zehn Monate später wurde durch eine Presseaussendung bekannt, dass Robert Fuchs (1896 – 1981) als Staatsvertragsmaler bestellt wurde.155 Da er der Vertragsunterzeichnung nicht beigewohnt hatte, erarbeitete er anhand von Fotografien die Einzelporträts und musste weitere Personen, die nicht anwesend gewesen waren, in die Komposition einfügen. Fuchs galt als »Leibmaler« und Protegé des Bundeskanzlers. Die Kritik spottete über Fuchs’ »fotografische Malweise« und stellte die polemische Frage, ob das Bild 1956 oder 1856 entstanden sei.156 Auch Pausers Bild wurde erworben und befindet sich – Ironie des Schicksals – heute gemeinsam mit Fuchs’ Original im Marmorsaal des Bundeskanzleramtes. In der Rückschau begann man zu kolportiertieren, dass ursprünglich geplant war, Kokoschka den »historischen Moment« festhalten zu lassen, dieser »jedoch gleich abgelehnt« habe.157 In den Akten des Unterrichtsministeriums lässt sich kein Hinweis auf eine Beauftragung Kokoschkas nachweisen. Dennoch war er ohne sein Wissen für kurze Zeit mit Fuchs in Konkurrenz getreten : in November war Bundeskanzler Raab, also immerhin 153 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 374.8, Hans Sedlmayr an OK, München, 28.10.1955. 154 Traeger 2005. 155 Ebd., S. 170. 156 Ebd. 157 Diese Gerüchte setzten zehn Jahre nach der Entstehung (1966) ein, ebd., S. 167.
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ein halbes Jahr nach der Staatsvertragsfeier, an seinen Parteifreund Drimmel »mit dem dringenden Wunsch« herangetreten, »dass der akademische Maler Herr Prof. Robert Fuchs mit einem Auftrag bedacht werde, wobei als Motiv zunächst die StaatsopernEröffnung vorgesehen war.«158 Drimmel versicherte, dass er dem Anliegen »selbstverständlich […] gerne Rechnung tragen« werde. »Ich bitte Dich aber um Verständnis dafür, daß für die Staatsoperneröffnung bereits Prof. Oskar Kokoschka von mir einen Auftrag erhalten hat und ich natürlich solange die zu Zeiten erwartete Absage nicht erfolgt ist auch einlösen muß.« Das Ministerium habe Fuchs den Vorschlag gemacht, den Staatsakt im Belvedere am 15. Mai 1955 »in ›porträtgetreuer Darstellung‹ festzuhalten.« Als offizieller Auftraggeber solle das Bundeskanzleramt auftreten, das Unterrichtsministerium würde lediglich für die Honorarbegleichung aufkommen.159 Der Grund für die ministerielle Großzügigkeit in dem peinlichen Vergabespiel lag u. a. in der Sorge um den »Widerhall, den ein solcher Auftrag bei der österreichischen Künstlerschaft, insbesondere beim Kunstsenat hervorrufen würde.«160 Prestigeobjekt Staatsoper
Neben dem Stephansdom und dem Burgtheater war der Wiederaufbau der Wiener Staatsoper zu einer österreichischen Causa prima geworden – ein identitätsstiftendes Symbol in mehrfacher Hinsicht.161 In diesem Kontext sei ein früher, unveröffentlichter Text erwähnt, den Kokoschka vermutlich im Winter 1945/46 verfasst hatte.162 Aus seinem jahrelangen Engagement in der Kulturarbeit in Exilverbänden und aus einer durchaus sentimentalen Haltung heraus war auch die materielle Wiederinstandsetzung Österreichs ein Ziel. Das Typoskript Rebuild the Opera House in Vienna wurde vermutlich als Petition zum Wiederaufbau der Wiener Oper konzipiert. Einleitend sprach er vom Opferstatus Österreichs und dem »cultural will« des österreichischen Volkes, den es nicht nur moralisch zu unterstützen galt : 158 ÖStA, AdR, BMU 15B1 Kunstwesen Ankauf 1955 – 1958, K.72, Zl. 94.592-II/9a/55, AV von Josef Musil (BMU), 4.11.1955. 159 ÖStA, AdR, BMU 15B1 Kunstwesen Ankauf 1955 – 1958, K.72, Zl. 97-481-II/9a/55, Heinrich Drimmel an Josef Raab, Wien, 30.11.1955. Im genannten AV war als mögliches Motiv auch der Wiener Philharmoniker-Ball im Gespräch. Gestrichene Passagen vom Original übernommen, handschriftliche Ergänzungen Drimmels sind kursiv gesetzt. 160 Wie Anm. 1091. Die Empfehlung für Pauser kam vom Kunstsenat, vgl. LAÖNB, Teilarchiv des Österreichischen Kunstsenats LIT 407/12, 1.3. Jahresberichte, Kunstsenat, Jahresbericht 1955. 161 Stuhlpfarrer 2019 und 2019a. 162 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 44, Briefe von O. Kokoschka (Abschriften) 1944 – 48, Oskar Kokoschka, Rebuild the Opera House in Vienna, Typoskript. Der nicht von OK stammende, handschriftliche Vermerk »London, Winter 1945/46« erscheint plausibel.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
We are indebted to the Austrian people for the heavy toll paid by them in the war for liberation. In this war for freedom of Mankind was at stake. […] The hearts of of all Austrians, whether they live in freed Austria under the provisional government, […] or in the zones of semi-permanent occupation of the Allied Armies. or in exile, are turned towards the ruins of the Opera of Vienna. It had been before the home of the classical Austrian music, which is the only cultural contribution of Austria, which modern man may pass unspoiled on to future generations. As not only the famous Opera House had been destroyed by bombs, but also the famous museums and historical palaces, even the vunerable cathedral of St. Stephan had been burned out. Therefore our appeal, carrying the signature of the leading representatives of the international musical life, goes out to the cultural world. It is an appeal to the conscience of the world to rebuild the Opera House in Vienna in the same place and in the same way as it was before the »Anschluss«.163
Die Wiedererrichtung der 1945 durch Bomben schwer beschädigten Staatsoper war ein politischer Auftrag und die wahrscheinlich größte künstlerische Baustelle der Nachkriegszeit. Die architektonische Leitung lag v. a. bei Architekt Erich Boltenstern (1896 – 1991), der eine Gratwanderung zwischen Rekonstruktion und dezenter Modernisierung zu bewerkstelligen hatte. Die Möglichkeiten, zeitgenössische Arbeiten zu integrieren, konzentrierten sich im Grunde auf die Ausstattung mancher Pausenräume und den sogenannten Eisernen Vorhang. Kokoschka hatte vom österreichischen Unterrichtsminister im Mai 1955 die Einladung erhalten, die bald wiedereröffnete Oper zu malen – in die künstlerische Ausgestaltung des Musiktheaters war er jedoch in keiner Weise eingebunden. Die baulichen Agenden der Staatsoper lagen in der Verantwortung des Bundesministeriums für Handel und Wiederaufbau. Eine größtenteils aus Beamten zusammengesetzte Jury war im Frühjahr 1954 eingesetzt worden und hatte unter dem Vorschlag von Architekt Boltenstern vier Künstler zur Entwurfslieferung für den Eisernen Vorhang eingeladen : die Akademieprofessoren Robin C. Andersen und Herbert Boeckl, Günther Baszel und Rudolf H. Eisenmenger. Robert Fuchs wurde (wenig überraschend) von höchster Stelle hineinreklamiert. Keiner der Entwürfe entsprach den Vorstellungen. Es sollte noch drei weitere Verfahren geben, wobei insgesamt 16 Künstler Entwürfe ablieferten.164 Boltenstern favorisierte Fritz Wotruba, der später zugezogene Clemens Holzmeister empfahl zwei Wochen vor der Entscheidung noch den jungen Wolfgang Hutter. Der Zeitdruck wuchs, da die Bemalung der ca. 170 m2 großen Fläche mit mehreren Monaten anzuberaumen war und im April/Mai 1955 die intensive Probenzeit begann. Am 24. November 1954 fiel die Entscheidung in der Sitzung, an der lediglich Beamte teilgenommen hatten, für Eisenmenger (Abb. 44). Er schuf den Eisernen Vorhang mit 163 Ebd. 164 Zum Wettbewerb vgl. Floch 2007, S. 58 – 74 ; vgl. auch ÖStA, AdR, BMfHuW, Sig 122/1954 KT 2676.
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44 : Zuschauerraum der Wiener Staatsoper mit dem Eisernem Vorhang Orpheus und Eurydike nach einem Entwurf von Rudolf Hermann Eisenmenger, 1955.
dem Motiv Orpheus und Eurydike sowie 14 Tapisserien zu Szenen aus Mozarts Zauberflöte für den großen Gobelinsaal. Massive Kritik über die Auftragsvergabe, das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit und die beschränkte Künstlerauswahl kam neben der Presse auch von Boeckl und Wotruba.165 Generell bemängelte man die offensichtliche »akademische Langeweile«. In einem Interview kurz nach der Eröffnung im November 1955 gab der als Festgast geladene Komponist Dmitri Schostakowitsch einen bissigen, aber zutreffenden Kommentar ab : »Der eiserne Vorhang der Oper ist schrecklich. Er sieht aus wie die Seifenetikette in einer Parfümerie. Dabei ist Ihr Haus doch so schön. Ich glaube, man müsste diesen störenden Vorhang möglichst bald neu machen !«166 Der Bild-Telegraf sprach von »Orpheus und Eurydike im KdF-Stil.«167 Der Hinweis auf die nationalsozialistische Kraft durch Freude-Organisation zielte zweifellos auf die politische Vergangenheit des prämierten Rudolf Hermann Eisenmenger (1896 – 1994). Er war schon 1933 Mitglied der NSDAP 165 Vgl. Die Presse, 31.10.1954, zit. Floch 2007, S. 67f. 166 Dmitri Schostakowitsch in einem Interview, Bild-Telegraf, 9.11.1955, zit. ebd., S. 64. 167 Vgl. Bild-Telegraf, 2.4.1955, zit. ebd., S. 64.
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geworden, in seine Funktion als Präsident des Wiener Künstlerhauses ein einflussreicher NS-Kulturfunktionär geworden. Zudem war er als einer von nur 114 Künstlern durch die 1944 von Hitler und Goebbels erstellte Liste der »Gottbegnadeten« ausgezeichnet worden.168 Nach einem Berufsverbot zwischen 1945 und 1947 konnte Eisenmenger wieder Fuß fassen und etliche monumentale wandgebundene Werke realisieren. 1951 erhielt er eine Professur an der Technischen Hochschule Wien ; zahlreiche Auszeichnungen und Preise folgten. Eisenmengers beinahe ununterbrochene Karriere gilt als ein Paradebeispiel dafür, wie marginal die Auswirkungen der Entnazifizierung und die Versuche der Etablierung einer soliden antifaschistischen Grundhaltung in Österreich waren. Eine Teilnahme Kokoschkas wurde in keiner Phase ernsthaft in Erwägung gezogen. Man kann nur darüber spekulieren, wie OK die Aufgabe künstlerisch gelöst hätte. Auch in Wien war bekannt, dass er gerade in den vorangegangenen Jahren einige monumentale Bildwerke geschaffen hatte. Dabei ist sein Prometheus-Triptychon (1950) zu nennen, das er in London für Antoine Graf Seilern geschaffen hatte. Es war 1952 auf der Biennale in Venedig ausgestellt worden und hatte im Oktogon des Palazzo Centrale neben anderen Kokoschka-Werken einen außergewöhnlich prominenten Platz erhalten.169 Erst 1954 hatte er für die Universität Hamburg das schon erwähnte Triptychon Thermopylae (1954) gemalt, welches in einer Tour durch Europa zu einem medial präsenten Werk wurde (Abb. 52). Schlussendlich hatte OK seit seiner Frühzeit Bühnenbilder geschaffen, von seinem eigenen Drama Mörder, Hoffnung der Frauen (1909) beginnend bis in die damalige Gegenwart. Omnipräsent war damals, dass er zu Mozarts Zauberflöte für die Salzburger Festspiele 1955 das Bühnenbild und die Kostüme entwarf. Kokoschka wurde allerdings nur in der Jury-Sitzung vom 22. Juni 1954 erwähnt, als man keinen einzigen der vorlegten Entwürfe des Eisernen Vorhangs für gut befunden hatte. Dabei wurden gleich auch Bedenken geäußert, ob eine solche Heranziehung überhaupt finanziell tragbar sei.«170 Die Sorge um das Budget war auch in Zeiten der Hochkonjuktur ein Totschlagargument. Auch wenn konservative Beamte die Entscheidung getroffen hatten, so waren im Vorfeld aber auch Künstler bzw. kunstaffine Beamte zugegen, von denen zumindest eine Nennung Kokoschkas hätte erwartet werden können. Dazu zählt neben dem Handelsminister Udo Illig, der zuvor höchster Kulturbeamter der Steiermärkischen Landesregierung gewesen war und 1952 im Belvedere um Kokoschka-Bilder für eine Personal168 Floch 2007. Trotz zahlreicher Quellen halten sich bis heute hartnäckig Stimmen, die Eisenmengers Rolle im Dritten Reich herunterspielen. Dazu zählt leider auch ein auflagenstarkes, erst 2005 veröffentlichtes und vom Bundeskanzleramt gefördertes Überblickswerk über die Geschichte der Wiener Staatsoper : Kramer 2005 ; vgl. auch Mißbach 1986. Zur Gottbegnadeten-Liste vgl. Brauneis/Gross 2021. Aktuelle Literatur zum Wiederaufbau der Staatsoper vgl. Stuhlpfarrer 2019 und 2019a. 169 Katalog der XXVI. Biennale in Venedig 1952, S. 32f., 226 ; Wright 2006, v. a. S. 22f. 170 ÖStA, AdR, BMfHuW, Sig 122/1954 KT 2676, Zl. AE 52.245-I/2/1954, Gedächtnisprotokoll über die Sitzung am 22. Juni 1954, S. 10.
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ausstellung des Künstlers in der Neuen Galerie ( Joanneum) Graz angesucht hatte.171 Im Gremium waren zudem Ernst Marboe, Max Fellerer, Robert Eigenberger, Otto Demus, von denen niemand Kokoschka in relevanter Weise zur Sprache brachte. Mit Ausnahme von Herbert Boeckl und Fritz Wotruba (und vielleicht dem damals noch sehr jungen Wolfgang Hutter) waren keine nennenswerten österreichischen Künstler für den Eisernen Vorhang herangezogen worden. Im Tagebuch hieß es : »Die Macht der Musik hat die Schlacht gewonnen, die Ohnmacht der Malerei wird auf dem eisernen [sic !] picken.«172 An internationale Künstler war offensichtlich gar nicht gedacht worden. Das kam nur indirekt zur Sprache, etwa in einem Schreiben des damaligen Künstlerhaus-Präsidenten Karl Maria May, der in den Nachkriegsjahren zur »immer noch starken konservativen, reaktionären Lobby, die das kulturelle Leben des Landes bestimmte,« und zweifellos zum Unterstützerkreis Eisenmengers zählte.173 Im Juni 1955 dankte er Minister Illig für die »glückliche Auftragserteilung« mit für die postfaschistische Kunstszene Österreichs symptomatischen Argumenten : Diese Arbeit Eisenmengers interessierte mich umsomehr [sic !], als bereits durch Monate hindurch in den Zeitungen – von der katholischen »Furche« bis zum kommunistischen »Tagebuch« – ablehnende, ja herabsetzende Kritiken zu lesen sind. Die »Furche« meinte, nur zwei Künstler wären dazu berufen gewesen, diesen Vorhang zu gestalten : Kokoschka, ein ehemaliger Österreicher, der, als seine Heimat in Not war, in englische Staatsbürgerschaft untergeschlüpft ist, und Chagall, ein national-israelischer Künstler russischer Herkunft. Ich will Ihnen, sehr verehrter Herr Minister, nur mitteilen, dass ich beim Anblick dieses österreichischen Kunstwerkes edelster Prägung tief ergriffen war […] Eisenmenger hat sich mit diesem Werk […] ein Denkmal gesetzt, ebenso seinen Auftraggebern, aber auch dem Kunstwollen des gesamten österreichischen Volkes.174
Die Positionierung der beiden international anerkannten Künstler, die beide 1964 den Erasmus-Preis, eine der höchsten Auszeichnungen der Niederlande, erhielten, war eindeutig : hier der Drückeberger und Vaterlandsverräter, dort der (in antisemitischer Diktion) »ewige Jud« russischer, also atmosphärisch gleichbedeutend mit : kommunistisch-bolschewistischer Herkunft. Abschließend dazu sei eine Briefpassage Matejkas an Kokoschka zehn Jahre nach Abschluss des Staatsvertrags zitiert : 171 »Als Kulturreferent des Landes stehe ich jedoch auf dem Standpunkt, dass es unsere vordringlichste Aufgabe wäre, die in Österreich befindlichen Ölbilder Kokoschkas dem Grazer, resp. dem steirischen Publikum zugänglich zu machen, umso mehr als dieses Publikum sein wachsendes Interesse an bildender Kunst immer erneut unter Beweis stellt.«, AÖG, Zl. 117 (192), Udo Illig an Karl Garzarolli, Graz, 6.2.1952. 172 Vgl. Tagebuch, 1.1.1955, zit. Floch 2007, S. 67. 173 Floch 2007, S. 68. 174 KHA, Biographische Mappe Rudolf Eisenmenger, Karl Maria May an Udo Illig (BMfHuW), Wien 20.6.1955, zit. Floch 2007, S. 69.
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Heut [sic !] bin ich noch traurig, wenn ich daran denke, dass Du nicht den eisernen Vorhang der Staatsoper bemalt hast, und dass die Staatsoper Dir noch immer nicht mit einem Auftrag für die Zauberflöte oder sonst einer Inszenierung nachläuft. Dabei hätte sie längst die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, Dir da nachzulaufen. Aber auch hier hat sich gezeigt, dass der Drimmel ganz andere Interessen hat. Es müssen auf allen Gebieten die ehemaligen Nazis konsultiert, integriert, eingebaut und vertieft werden. Es ist kein Zufall, dass die Firma Julius Meinl jetzt eine große Bonbons-Packung mit dem scheußlich-pathetischen Kitsch bedeckt hat, den der Professor Eisenmenger, ein bewährter teutscher Hitlermaler auf den Vorhang der Wiener Staatsoper gepickt hat. Das entspricht so den Gepflogenheiten des Landes der Mozartkugeln und der Schubertzünder.175 Vom Staatsevent zum Staatsauftrag
Drei Tage vor der Unterzeichnung des Staatsvertrages lud Unterrichtsminister Heinrich Drimmel Kokoschka, den »so ausserordentlichen Manne und im wahrsten Sinne des Wortes hervorragenden Künstler, der unserer Heimat durch mannigfaltige enge Bande verhaftet ist,« dazu ein, anlässlich der Wiedereröffnung unseres ehrwürdigen Opernhauses […] diese festliche Begebenheit für die Mitlebenden und die Nachwelt in einem Bilde gültig festzuhalten. […] Ich lade Sie, verehrter Meister, daher ein, sich diesem Rufe Österreichs nicht zu versagen […].«176 Kokoschka bedankte sich wenig später für das »[…] sehr schmeichelhafte Schreiben, aus welchem ich vor allem ein Bekenntnis zu meiner Kunst lese wie ich es längst nicht mehr aus Wien, besonders von so offizieller Seite her, gewöhnt war. Umso lieber vernehme ich Lob und Preis von der heute für kulturelle Angelegenheiten verantwortlichen, höchsten Stelle.«177 Die Initiative war vom Kunstsenat, u. a. Max Fellerer und Josef Hoffmann ausgegangen.178 Seinem »Welzius« berichtet Kokoschka nicht ohne bissige Kommentare vom Brief des Unterrichtsministers : Der Brief ist außerordentlich nett, so daß man spürt wie Du ihm im Ohr gelegen warst. Ich werde antworten, daß ich mir […] die Situation mit Olda in Wien ansehen will, wenn wir dazu eingeladen werden mit Sacher und Staatswagen obligat natürlich, sonst haben die keinen Respekt in Wien und der arme Unterrichtsminister kriegt wieder von anderer Seite Angst gemacht, daß mit dem O.K. doch nicht so viel hergemacht werden soll, schließlich kommt der ja auch aus Wien !179 175 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, 16.5.1965. 176 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 357.10, Heinrich Drimmel an OK, Wien, 12.5.1955. 177 ÖStA, AdR, BMU 02, K. 47, Sammelmappe 210 Oskar Kokoschka 1955 – 1973, Zl. 59.387-II/9a/1955, OK an Heinrich Drimmel, Villeneuve, 22.5.1955. 178 Vgl. Briefkonzept des BMU an den Kunstsenat, 10.6.1955, ebd.; Kunstsenat, Jahresbericht 1955, 1.3. Jahresberichte, Teilarchiv des Österreichischen Kunstsenats LIT 407/12, LAÖNB. 179 Privatarchiv, OK an Friedrich Welz, o.O., 20.5.1955.
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45 : Kokoschka beim Staatsakt der Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper am 5. November 1955 : Der Musentempel und seine Mäzene, in : Münchner Illustrierte, 19. November 1955.
Das scheinbar Unmögliche wurde wahr : die Annehmlichkeiten (Hotel) »Sacher und Staatswagen obligat« waren Anfang November anlässlich der Wiedereröffnungsfeier der Staatsoper Wirklichkeit geworden. Auch wenn die Kokoschkas in einem anderen Luxushotel nächtigten, so wurden sie doch wie Staatsgäste mit bereitgelegten Flugtickets eingeladen und am 2. November 1955 mit Staatskarosse bei der Ankunft in Wien abgeholt : Kokoschka war ein Teil des Establishments geworden (Abb. 45). Die Staatsoper wurde am 5. November mit Beethovens Fidelio in Anwesenheit von politischer Prominenz des In- und Auslandes, illustren Festgästen aus Industrie, Wissenschaft und nicht zuletzt der Kunst eröffnet. Tausende Schaulustige hatten stunden277
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lang die Zufahrtswege gesäumt, um Blicke auf die vielen V.I.P. zu erhaschen : unter ihnen auch Oskar Kokoschka (Abb. 46). Kokoschkas Einladung hatte u. a. den Zweck, dass der Künstler die Lage für das besagte Gemälde sondieren konnte. Ernst Marboe, u. a. Leiter der Bundestheaterverwaltung, hatte Kokoschka bei der Premiere der Zauberflöte in Salzburg kennengelernt und hatte sich bemüßigt gefühlt, die Vorstellungen zum Auftragsbild zu präzisieren : die Aufgabe sei, »die Eröffnungsvorstellung […] in einem Gemälde festzuhalten […]. Dabei konnte ich Ihnen darlegen, dass es sich nicht darum handelt, das neu errichtete Gebäude von außen her festzuhalten, sondern vielmehr die historische Eröffnung, also das innere Haus während der Abendvorstellung darzustellen.«180 Den Auftraggebern dürfte von der Konzeption etwas Vergleichbares vorgeschwebt sein wie Robert Fuchs’ Staatsvertragsgemälde oder – als historisches Äquivalent – das bekannte Wiener Gesellschaftsporträt vom Zuschauerraum im Alten Burgtheater von Gustav Klimt (1888), in das rund 200 Miniaturporträts eingefügt worden waren.181 Kokoschka hatte seine eigenen Vorstellungen und fand, »der Auftrag die Opernfeier zu malen, ist zu lächerlich als daß ich mich darum nach Wien offiziell einladen ließe […].«182 Der Meister sprach mit verschiedenen Zungen, denn schon einige Tage zuvor hatte sich Minister Drimmel für Kokoschkas Zusage bedankt : »Mit besonderer Freude habe ich von Herrn Welz gehört, dass Sie sich entschließen konnten, mit Ihrer Gattin am 2. November d. J. nach Wien zu kommen und an der Eröffnung unserer Oper teilzunehmen. Insbesondere möchte ich neuerlich meiner tiefen Befriedigung Ausdruck verleihen, dass Sie sich in 46 : Zeitungsbericht über Kokoschkas dankenswerter Weise bereit erklärt haben, Anwesenheit bei der Eröffnungsfeier dieses Ereignis für die Nachwelt im Bilde der Wiener Staatsoper, in : Der Stern, festzuhalten.«183 13. November 1955. 180 181 182 183
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ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 357.13, Ernst Marboe an OK, Wien, 28.7.1955. Natter 2003, S. 112. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 61.1 – 6, OK an Wolfgang Gurlitt, Villeneuve, 24.10.1955. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 357.10, Heinrich Drimmel an OK, Wien 18.10.1055.
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47 : Kokoschka malt die Wiener Staatsoper vom gegenüberliegenden Rohbau des Opernringhofes, 1956, Foto : Pressbildagentur Votava.
Die Ausführung des Gemäldes sollte sich noch ein halbes Jahr hinziehen. Am 3. Juni 1956 kam Kokoschka nach einer verkürzten Griechenlandreise über Venedig nach Wien und sondierte die Möglichkeiten. Dabei kam auch eine Perspektive vom Belvedere zur Sprache – eine Idee, die ganz nach den Wünschen des Direktors Garzarolli (Österreichischen Galerie) gewesen wäre : schon im Sommer 1955 hatte er dem Ministerium vorgeschlagen, dass Kokoschka – falls das Staatsopernbild nicht zur Ausführung käme – das Obere Belvedere malen könne.184 Doch Kokoschka hatte den Rohbau des im (Wieder-)Aufbau befindlichen Opernringhofes ausgewählt, der vis-a-vis der Oper lag. Am 6. Juni begann er mit der Arbeit, die durch Reportagen und einen eigenen Beitrag der Wochenschau im Kino begleitet wurde (Abb. 47).185 Für die Entstehung des Bildes waren einige außergewöhnliche Vorbereitungen nötig : »Er hat sich nunmehr entschlossen, die Staatsoper von aussen mit dem Abschluss der Kärntnerstrasse und dem Stephansturm im Hintergrund zu malen, und zwar aller Voraussicht nach als Nachtbild.« Man arran184 Vgl. ÖStA, AdR, BMU 03, K152, 15B1 Österr. Galerie 1954 – 1962, Zl. 93.833/1955. 185 OK wünschte sich von der Filmaufnahme, »daß sie recht viel auch im Ausland, U.S.A. oder Holland, Schweiz u.s.w. gezeigt werden könnte solange die Angelegenheit aktuell ist.«, OK an Heinrich Drimmel, Villeneuve, 1.6.1956 [vermutlich 1.7.1956], Zl. 74.074-9/1956, ebd.
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48 : Oskar Kokoschka, Die Wiener Staatsoper, 1956, Öl/Leinwand, Belvedere Wien.
gierte, dass die Oper auch nachts beleuchtet war : immerhin liefen damals gerade die Wiener Festwochen, deren großes rot-weiß-rotes Logo auf dem Gemälde unübersehbar ist (Abb. 48).186 Die Baustelle im Opernringhof wurde nach seinen Bedürfnissen adaptiert und die teure nächtliche Beleuchtung der Oper ermöglicht. In Anspielung auf den kapriziösen und für seine Höchstgagen berüchtigten, designierten Staatsoperndirektor hielt er fest : »It costs a lot of money for them but I have to insist on being fussy only in such ways one is appriciated, see yan [sic !] !«187 Kokoschka arbeitete meist ab fünf Uhr abends bis in die späten Nachtstunden hinein (»till I am tired«). Die Bedingungen waren dennoch schwierig : »Nie wieder Nachtmalerei mit Scheinwerfern, tausend kleinen Lichter, Neonreklame, hunderttausend Autos (mit 2 roten Lichtern und eine Million wimmelnde Ameisen) […] um eine komplizierte 186 Vgl. ÖStA, AdR, BMU 02,. K. 47, Sammelmappe 210 Oskar Kokoschka 1955 – 1973, Zl. 65.504-9a-1956. 187 OK an Olda Kokoschka, Wien, 6.6.1956, Ebd. Zwischenzeitlich mussten störende Leuchtreklamen der Fa. Philips abgedreht werden. Als Honorar erhielt OK 150.000.- Schilling. Zum Vergleich : im Jahr 1956 betrug das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines österreichischen Arbeits pro Monat 1.539.- Schilling, vgl. Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (Hg.), Löhne, Gehälter und Masseneinkommen in Österreich 1950 – 1957, Wien 1958, S. 5 und 13.
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aber im Grunde nicht interessante Architektur […]«188 Auch das Wetter war nicht immer ideal : »Außerdem regnet es heute wieder, so kann ich mit dem langweiligen Opernbild nicht weiterkommen.«189 Kokoschka war letztendlich sehr zufrieden mit seiner Arbeit. »½ 12 abends, gehe grade herunter aus meinem Käfig, das Bild wird verflixt gut […].«190 Und wenig später legte er seinem neuen Freund, Unterrichtsminister Drimmel, den Vorschlag nahe, neben der Film-Wochenschau auch Faksimile in Umlauf zu bringen. Einmal mehr wusste er die kulturelle Mission Österreich und seine eigene Fama v. a. außerhalb (!) Österreichs zu verknüpfen : »Ich freute mich das Opernbild doch gemalt zu haben, hoffe daß eine qualitätsvolle Farbreproduktion davon bald an die österreichischen Gesandtschaften, Konsulate und Institutionen, die für die Oper im Ausland werben, hergestellt wird. Und freue mich wenn mein Bild dazu hilft, daß die große Anstrengung und der, in der Wiedererbauung der Wiener Oper so eklatant erwiesene Kulturwille des österreichischen Volkes im Ausland noch bekannter wird.«191 Kokoschkas Gemälde sollte in seinem Sinne ein Kulturbotschafter, ein Symbol für Österreich sein, mehr ein Staatsbild als ein Staatsopernbild. Das Bild selbst gelangte nach mehreren Ausstellungsstationen, darunter natürlich die Staatsoper selbst, in die Österreichische Galerie. Seine symbolische Wirkkraft war jedoch beschränkt, es eignete sich nicht zur Ikone. Karl Garzarolli hingegen war glücklich, dass der konzipierte Kokoschka-Saal in der Österreichischen Galerie Zuwachs bekommen hatte : 1955/56 waren neben dem Opern-Bild das vermeintliche Kokoschka-Bild Bildnis Ernst Koessler und Amor und Psyche, der riesige Entwurf für die Tapisserie als Leihgabe des Künstlers ins Museum gelangt.192 1956. Der Österreichische Staatspreis und andere Ehrungen Das Jahr 1956 stand ganz im Zeichen des großen Wolfgang Amadeus Mozart (1756 – 1991), der in Österreich, vor allem aber in Salzburg und Wien mit einer Fülle an Konzerten und Aufführungen, Ausstellungen und Publikationen gewürdigt wurde, in Schulprogrammen, Tourismusfoldern und sogar auf Schokoladeetiketten und Zigarettenschachteln omnipräsent war. Der zweite herausragende Künstler, dessen man in diesem Jahr gedachte, war Johann Bernhard Fischer von Erlach (1656 – 1723). Wie bei Mozart 188 Ebd. 189 OK an Olda Kokoschka, Wien, 15.6.1956, ebd. 190 OK an Olda Kokoschka, Wien, 13.6.1956, ebd. 191 ÖStA, AdR, BMU 02, K. 47. Sammelmappe 210 Oskar Kokoschka 1955 – 1973, Zl. 74.074-9/1956, OK an Heinrich Drimmel, Villeneuve, 1.6.1956 [vermutlich 1.7.1956]. 192 Ad Zuweisung des Staatsopern-Bildes : ÖStA, AdR, BMU 02, K. 47, Sammelmappe 210 Oskar Kokoschka 1955 – 1973, Zl. 98.048/1955. Zur Erwerbung des Bildnisses Ernst Koessler : Zl. 64.170/1956 und die Dauerleihgabe von Amor und Psyche : Zl. 84.392 – 6/1959, beide in : ÖStA, AdR, BMU 03, K152, 15B1 Österr. Galerie 1954 – 1962.
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war seine Rezeption seit dem 19. Jahrhundert einem starken Wandel unterlegen. Der berühmte Barock-Architekt der Habsburger Dynastie war vom bedeutenden Österreicher während der NS-Zeit zum Reichsdeutschen mutiert und wurde anlässlich seines 300. Geburtstags erneut als großer Landsmann gefeiert.193 Ausstellungen, Festschriften, Vorträge und ähnliches vermittelten eine über die Vergangenheit gespiegelte Bedeutung, die auch im Jubiläumsjahr kulturpolitisch wirksame Strahlkraft haben sollte. Niemand anderer als die bekannten Barockforscher Bruno Grimschitz und Hans Sedlmayr reihten sich in den Kreis der Autoren. Der dritte Jubilar im Bunde war – zumindest aus der Perspektive seiner engen österreichischen Freunde – Kokoschka, der 1956 seinen 70. Geburtstag feierte. Fischer von Erlachs Wiener Karlskirche wurde wie der Stephansdom zu einer österreichischen Ikone stilisiert. Der Patriot Viktor Matejka schrieb seinem Freund von einer Kokoschka-Schau im Wiener Musikvereinsgebäude : von dort sei »ein wunderschöner Blick direkt auf die Karlskirche, Du merkst worauf ich anspiele, im Fischer von Erlach-Gedenkjahr 1956.« Ein Wien-Bild Kokoschkas von der Karlskirche wäre vermutlich, so legte Matejka hier und in zeitgleichen Artikeln im Tagebuch nahe, ein Höhepunkt der neuen-alten Österreich-Ikonografie geworden.194 Salzburg, Linz, Pöchlarn und Wien
Kokoschka wurde anlässlich seines denkwürdigen Geburtstages mehrfach in Österreich geehrt. Am 9. August 1956 hatte in Salzburg unter Anwesenheit von heimischer Politikprominenz eine riesige Festveranstaltung in der Residenz stattgefunden. Eine Woche später nahm OK in Begleitung von Friedrich Welz in seiner Geburtsstadt Pöchlarn den extra für diese Würdigung initiierten und gestalteten Ehrenring persönlich entgegen. Eine umfangreiche (Foto-)Dokumentation verdeutlicht, dass der Besuch des schon 1951 zum Ehrenbürger ernannten Künstlers einem Protokoll folgte, in das die gesamte Stadt und alle Honoratioren eingebunden waren.195 Das Land Niederösterreich hatte ihm zu seinem Festtag die Ehrenplakette des Landes verliehen und mit Verspätung 1958 persönlich übergeben. In Wien hatte man bekanntlich diese Gelegenheit vorbeiziehen lassen : OK wurde erst 1961 Wiener Ehrenbürger. Einzig im Wiener Musikverein zeigte man 1956 eine große Kokoschka-Ausstellung. Sie war der Schlusspunkt einer Schau, die zuvor in der Nationalgalerie Prag, in der Galerie Welz während der Salzburger Festspielzeit und in Linz zu sehen war mit Arbeiten aus Kokoschkas Prager Zeit – viele Werke waren aus der Prager National193 Vgl. Karner/Schütze/Telesko 2022. 194 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejkaan OK, Wien, 28.9.1956. 195 Ad Pöchlarner Ehrenbürgerschaft und Ehrenring vgl. Archiv OKD, Pöchlarn ; Fotodokumentation : OKZ, Inv.Nr. OKV/595 – 644/FP ; Liste und Bestand der Auszeichnungen u.ä.: ZBZ, NL Olda KE 2004 Auszeichnungen-Würd-Mitgliedsch.
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galerie ; der Vermittler bzw. Organisator der österreichischen Ausstellungstour war Friedrich Welz. Aus der Korrespondenz von Matejka mit Kokoschka gehen einige Details über die Hintergründe der Schau hervor. Ende September 1956 schrieb Matejka an seinen Freund über die Ortswahl, die Vermittlungsmöglichkeiten, das von Hans M. Wingler verfasste und im Verlag Welz erschienene Werkverzeichnis und über mögliche Bühnenprojekte für Kokoschka in Wien : Heute war Welz in Wien. Es mußte eine Entscheidung gefällt werden wegen Deiner Ausstellung, die jetzt noch bis 7. Oktober in Linz ist. […] Aber offenbar will der Minister sich da in die sog. Hoheit der Akademie nicht einmischen. Aber ich glaube, wir haben eine Lösung gefunden, die noch viel origineller sein kann. Dr. Gamsjäger, der Direktor der Gesellschaft der Musikfreunde, hat gesprächsweise schon vor einigen Wochen mir gesagt, dass er sehr gerne den Kammersaal des Musikvereinsgebäudes zur Verfügung stellen würde. Und so haben wir zugegriffen. […] und es wäre ein großer Gewinn, wenn Du kommen könntest. Gamsjäger würde für einen Nachmittag den großen Konzerthaussaal zur Verfügung stellen, Du könntest mit der Jugend sprechen, ausserdem ist ja auch sonst noch einiges los, was um Dein Werk herumkreist, ich meine, das Erscheinen des dicken Wälzers aus dem Welzius-Verlag und die Aufführung Deines Orpheus im Parkring-Theater. […] Ich glaube, unser verehrter Furtwängler wäre […] begeistert, wenn er von Deiner kommenden Ausstellung im Musikvereinsgebäude erfahren könnte.196
Vom 12. Oktober bis 11. November 1956 wurde der Kammersaal des Musikvereinsgebäudes zum Ausstellungsort. Alexander Hryntschak, Präsident der besagten Gesellschaft, hielt die Eröffnungsrede und versammelte alle wesentlichen Aspekte, die die offizielle Kokoschka-Rezeption der Nachkriegszeit bzw. der fünfziger und sechzigerJahre auszeichnete. Ohne auf die Details (die NS-Zeit) einzugehen, waren das die »jahrzehntelange« Trennung, die Wertschätzung des Meisters, der Wunsch nach einer breiten Aufnahme (»Popularität«) und nach Festigung resp. Aussöhnung des Verhältnisses : Kokoschka gehört zu den bedeutendsten Malern unserer Zeit. Kürzlich hat er im Auftrag des Bundesministeriums für Unterricht ein Bild unserer Oper gemalt, womit die Verbindung zu seiner Heimat, die lange Jahrzehnte unterbrochen war, wiederhergestellt und gefestigt wurde. […] Möge diese Ausstellung dazu beitragen, die Popularität eines großen österreichischen Meisters in seinem eigenen Lande zu vertiefen !197 196 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, 28.9.1956. Rudolf Gamsjäger (1909 – 1985) war von 1945 – 1972 Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, war ab 1958 Intendant der Wiener Festwochen und von 1972 – 1976 Staatsoperndirektor. 197 Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, Eröffnungsrede von Dr. Alexander Hryntschak (1891 – 1974), Typoskript, datiert (Stempel) 13.10.1956.
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Konsolidierung und Widersprüche. Kokoschka und Österreich nach dem Wiederaufbau
Der Österreichische Staatspreis an einen »sinkenden Stern«
Im Jahr 1948 beschloss man im österreichischen Unterrichtsministerium die Wiedereinführung des Österreichischen Staatspreises, der zwischen 1934 und 1937 österreichische Künstler bzw. herausragende Werke ausgezeichnet hatte. Anders als im »Ständestaat« sollten bedeutende Vertreter aus Kunst, Architektur, Literatur und Musik für ihr bisheriges Lebenswerk geehrt werden. 1950 wurden die ersten Staatspreise vergeben und die Idee zur Schaffung eines die Regierung beratenden Kunstsenats ventiliert. Letzterer wurde letztlich 1954 ins Leben gerufen und hatte den aus dem türkischen Exil zurückgekehrten Clemens Holzmeister als Präsidenten.198 Die Auswahl der Preisträger/innen nimmt sich in den fünfziger und sechziger Jahren in allen Sparten als ein Zickzack-Kurs zwischen Tradition und Avantgarde aus. Auffällig erscheinen die Kontinuitäten in der Vergabe an Kunstschaffende vor 1938 und ab 1950, wobei »ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus vor 1945 keine Erschwernis für die Verleihung der höchsten Auszeichnung der zweiten Republik« darstellte.199 Speziell in der Literatur wurden ausgewiesene Nationalsozialisten wie Max Mell (1954), Franz Nabl (1956) oder Franz Karl Ginzkey (1957), die sich vielfach vor ihrer Deklaration im Bekenntnisbuch österreichischer Dichter für Adolf Hitler im Frühjahr 1938 positioniert hatten, durch den Staatspreis geadelt. Im Feld der Musik war durch den ersten Staatspreisträger Joseph Marx (1950) ein bekannter Gegner der Wiener Schule an einflussreicher Stelle, der sich gegen eine Prämierung von Vertretern derselben meist erfolgreich durchsetzen konnte. Mit Johann Nepomuk David (1953) und Otto Siegel (1956), der 1940 mit Musik in Gefahr die Rosenberg’sche Rassentheorie für das Musikleben »fruchtbar« machte, waren weitere bekannte Nazis ausgezeichnet worden.200 Im Kontext der bildenden Kunst sind die Wiener (Akademie-) Professoren Karl Sterrer (1957), Ferdinand Kitt (1960) oder Sergius Pauser (1965) mit einschlägiger NS-Vergangenheit zu nennen. In den Vergabeentscheidungen ist durchgängig die antimoderne Kunstauffassung der Nachkriegszeit ablesbar, die nur ab und an durchbrochen wurde. Der Staatspreis sollte 1934 zur Stärkung des Österreich-Bewusstseins beitragen. Nach 1945 war der Fokus einmal mehr auf »österreichische« Künstler gelegt worden. Schon im Frühjahr 1950 hatte man in den vorbereitenden Sitzungen beschlossen, jenen Absatz zu streichen, der die Verleihung des Österreichischen Staatspreises auch an »wegen der NS-Herrschaft aus Österreich Emigrierte« und im Ausland le-
198 Zur Geschichte des Staatspreises und des Kunstsenats nach 1945 vgl. Sailer 2003. Die Unterlagen (Protokolle etc.) des Kunstsenats sind erst seit der Präsidentschaft Josef Winklers ab 2012 öffentlich zugänglich, vgl. LAÖNB. Dieses Material ist jedoch sowie auch die entsprechenden Akten im BMU lückenhaft, vgl. auch www.kunstsenat.at. 199 Ebd., S. 21. 200 Ebd., S. 18.
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bende Künstler möglich gemacht hätte.201 Derlei Diskussionen wurden auch noch 1955 geführt.202 Im Grunde aber wollte man den Staatspreis buchstäblich im Land belassen. Bei dem Vorschlag, die Komponisten Ernst Krenek oder Egon Wellesz miteinzubeziehen, konterte »Hofrat Marx« apodiktisch : »es handle sich um einen österreichischen Kunstsenat, und der Kunstpreis der Republik Österreich sollte nur einem Österreicher, nicht einem Ausländer verliehen werden.«203 Doch auch »heimische« Kunstschaffende wurden durch den konservativen Flügel verhindert : von Max Fellerer unterstützt hatte Herbert Boeckl erfolglos den Vorschlag gemacht, den Komponisten und Theoretiker Josef Matthias Hauer zu nominieren.204 Bei der Beratschlagung, welche Maler in Erwägung gezogen werden könnten, entzündete sich am Fallbeispiel Kokoschka im November 1955 abermals die Frage nach der Präsenz potentieller Preisträger. Gütersloh begann die Diskussion mit einem unvermittelten Bekenntnis zum anwesenden Boeckl : der Kunstsenat habe nicht die Pflicht […], sozusagen alljährlich ein Genie entdecken zu müssen. Übrigens habe man in Österreich ein Maß für den Bereich der Malerei und dieses Maß heiße ›Boeckl‹. Ein neues Mitglied des Kunstsenats auf dem Gebiet der Malerei müsste wenigstens einigermaßen an dieses Maß herankommen. Da aber müsse wohl gesagt werden, dass im Umkreise niemand sei, der gleich Boeckl so wie Pallas Athene (dem Haupt des Zeus entsprungen) sein Werk schaffe. Er, Gütersloh, schlage vor, dieses Jahr von einer Kooptierung eines Malers abzusehen.«205
Eine hitzige Debatte über die Trennung des Preises von einer daran gebundenen Mitgliedschaft im Kunstsenat entbrannte. […] man könnte Persönlichkeiten wie Kokoschka etwa als korrespondierende Mitglieder ins Auge fassen. Prof. Boeckl wirft ein, fliegende Gäste, die nicht den Kampf um die Kunst auf dem Boden Österreichs ausfechten, seien für den Senat nicht so wichtig. Ober-Baurat Hoffmann schlägt vor, Künstler wie Kokoschka nicht zu korrespondierenden Mitgliedern, sondern zu Ehrenmitgliedern zu ernennen.206 201 Ebd., S. 20. Es ist hier nur von (männlichen) Künstlern die Rede. Bis auf Martina Wied (1952) und Imma von Bodmershof (1958) sollte es bis in die späten 1960er-Jahre dauern, bis öfters Frauen – ausschließlich aus der Literatur – prämiert wurden (Ingeborg Bachmann, 1968 ; Christine Busta, 1969 ; Christine Lavant, 1970 ; Friederike Mayröcker, 1982 usw.). Erst 1988 wurde mit der Malerin Maria Lassnig eine NichtLiteratin ausgezeichnet. 202 LAÖNB, Teilarchiv Österr. Kunstsenat LIT 407/12, 1.2.1. Protokolle 1954 – 1962, Mappe 1955, Protokoll der Sitzung des Kunstsenats, 28.11.1955. 203 Vgl. Anm. 1137. Gesperrte Passage vom Original übernommen. 204 Ebd. Zur künstlerisch konservativen Ausrichtung des Kunstsenats in Musikfragen vgl. Roschitz 2003. 205 Ebd. 206 Ebd.
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In der Sitzung am 17. Dezember 1955 stellte Max Fellerer den Antrag, dass Fritz Wotruba, der Literat Franz Theodor Csokor und Kokoschka den Staatspreis erhalten sollten. Marx und der Komponist Egon Kornauth enthielten sich der Stimme bezüglich Wotruba. Herbert Boeckl, der zuvor wiederholt für seine Freunde Wotruba und Csokor argumentiert hatte, enthielt »sich der Stimme für den Gesamtvorschlag mit der Begründung, er halte es nicht gut, sinkende Sterne aufzunehmen (er wünscht die Aufnahme dieser Formulierung in das Protokoll […]«, womit er eindeutig gegen die Wahl Kokoschkas eingetreten war. Überdies forderte Boeckl die Staatspreiszuerkennung an Josef Matthias Hauer und blieb aus Protest folgenden Sitzungen fern. Im Ministerium deponierte er sogar seinen Austrittswunsch.207 Am 12. März 1956 hatte man sich auf die drei Genannten als Staatspreisträger und einen »Sonderpreis« für Hauer geeinigt (Abb. 49).208 Im April 1956 erfuhr Kokoschka durch Unterrichtsminister Drimmel, dass ihm der Kunstsenat mit Stimmeneinhelligkeit den Staatspreis zuerkannt hatte, und der Künstler dankte umgehend.209 Im Zuge seines Wienbesuchs wurde Kokoschka am 14. Juni in einem feierlichen Akt der Preis verliehen.210 Wie auch bei anderen hochrangigen österreichischen Politikern begann sich eine mehr oder weniger regelmäßige Korrespondenz zwischen Kokoschka und Drimmelzu entwickeln.211 Der von 1954 bis 1964 amtierende ÖVP-Unterrichtsminister Heinrich Drimmel (1912 – 1991) kam aus den »reaktionärsten bürgerlichen Kreisen«212 und war – anders als etwa Friedrich Heer – Vertreter des konservativen Katholizismus. In der Hochschulpolitik gehen einige Universitätsneugründungen auf ihn zurück sowie die (Wieder-)Berufung von deklarierten Nationalsozialisten. Im Vorfeld der Emeritierung von Karl Maria Swoboda am Institut für Kunstgeschichte an der Universität Wien manifestierte sich der Wunsch des Ministers, dessen Vorgänger, den in München eben emeritierten Hans Sedlmayr, nach Wien zurückzuholen. In einem Interview erinnerte sich Hermann Fillitz, damals Direktor der Kunstkammer des KHM und Universitätsdozent, an die prekäre 207 LAÖNB Teilarchiv Österr. Kunstsenat LIT 407/12, 1.2.1. Protokolle 1954 – 1962, Mappe 1955, Protokoll der Sitzung des Kunstsenats, 17.12.1955. Bei einer späteren Sitzung wurde verlesen, »nach der letzten Sitzung, in welcher Csokor, Wotruba und Kokoschka für eine Kooptierung vorgeschlagen wurden, habe Prof. Boeckl in einem Telegramm ersucht, seinen Austritt aus dem KS zur Kenntnis nehmen zu wollen. Auch habe er zwei Schreiben an den Herrn BM gerichtet.«, ebd., Mappe 1956, Protokoll der Sitzung des Kunstsenats, 28.2.1956. 208 LAÖNB Teilarchiv Österr. Kunstsenat LIT 407/12, 1.2.1. Protokolle 1954 – 1962, Mappe 1956, Protokoll der Sitzung des Kunstsenats, 12.3.1955. 209 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 357.10, Heinrich Drimmel an OK, Wien, 5.4.1956 und ÖStA, AdR, BMU 02, K. 47, Sammelmappe 210 Oskar Kokoschka 1955 – 1973, Zl. 53.474/1956, OK an Heinrich Drimmel, Villeneuve, 10.4.1956. 210 ÖStA, AdR, BMU, K180, Kunstwesen Staatspreise 1956 – 1958, Zl. 65.516-9/1956. 211 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 357.10, Heinrich Drimmel an OK, Wien, 21.7.1956. 212 Vgl. Fillitz-Interview 2015.
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49 : Herbert Boeckl, Josef Matthias Hauer und Fritz Wotruba bei der Eröffnung einer Foto-Ausstellung der Klasse Ernst Hartmann der Höheren Graphischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt in der Galerie Agathon in Wien, 20. Mai 1947, Belvedere, Wien (Nachlass Fritz Wotruba, Fotoarchiv).
Situation um 1961 : »Die Fakultät war total vernazt [sic !] und Drimmel war ganz rechts orientiert. Er wollte unbedingt Sedlmayr haben.« Alle am Institut lesenden Dozenten (mit Ausnahme von Otto Benesch) hatten die Niederlegung ihrer Lehrtätigkeit für den Fall angekündigt, dass Sedlmayr berufen worden wäre.213 Folgenschwere Prominenz erlangte die Berufung eines anderen Nationalsozialisten, die Viktor Matejka 1965 in einem Brief an Kokoschka thematisierte : Ich hoffe, dass Du mittlerweile auch einsiehst, dass der von Dir hochgeschätzte Drimmel als Unterrichtsminister, als geistige Potenz ein Versager ist. […] dabei war es der gleiche Drimmel, der jenen Taras Borodaykewycz [sic !], der hier seit einigen Monaten die ganze Luft verpestet, 213 Otto Demus, der für die zweite Professur zu der Zeit mit dem Ministerium verhandelte, hatte die Forderung der Dozenten in seine Gespräche miteinbezogen. Dabei spielte Fritz Novotny eine wichtige Rolle im Hintergrund. Ebd.
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wieder als ordentlichen Professor an der Welthandelsschule eingesetzt hat. […] Es war halt so wie seinerzeit bis zum Ende Österreichs im März 1938. Die kenntnisreiche Prophetenrolle, die Aufgabe eines klaren Diagnostikers und zuverlässigen Prognostikers sind hieramts und hierorts nicht erwünscht. Hier wird man dekoriert und belohnt, wenn man mit den Wölfen (mit und ohne Schafspelz) mitheult. Aber damit schreibe ich Dir nichts Neues. […] Aber auch hier hat sich gezeigt, dass der Drimmel ganz andere Interessen hat. Es müssen auf allen Gebieten die ehemaligen Nazis konsultiert, integriert, eingebaut und vertieft werden.214
Der nationalsozialistische Historiker Taras Borodajkewycz (1902 – 1984) war schon lange vor 1938 Mitglied der NSDAP und Professor an der deutschen Universität in Prag gewesen. Bald nach 1945 als politisch minderbelastet wieder rehabilitiert, erhielt er 1955 den Lehrstuhl für Wirtschaftsgeschichte an der damaligen Hochschule für Welthandel. Sowohl zu Drimmel als auch zum mehrfach erwähnten Salzburger Landeshauptmann und späteren Bundeskanzler Josef Klaus (ÖVP) pflegte er beste Beziehungen. Borodajkewyczs nationalsozialistische und antisemitische Kommentare in seinen Vorlesungen führten im Frühjahr 1965 zu Demonstrationen bzw. Gegendemonstrationen von Neonazis. Unterrichtsminister war damals Theodor Piffl-Perčević (ÖVP), der sich in seiner politischen Grundhaltung von Drimmel nicht unterschied. Ende März kam der 67-jährige Widerstandskämpfer Ernst Kirchweger als erstes politisches Gewaltopfer der ZweitenRepublik zu Tode. Nach längeren Widerständen durch den zuständigen Minister kam es erst 1971 zur Zwangspensionierung Borodajkewycz bei vollen Bezügen. Heimkehr eines großen Europäers. Kokoschka im Künstlerhaus 1958 Vom 19. Mai bis zum 20. Juli 1958 fand im Künstlerhaus die bislang größte Kokoschka-Ausstellung mit 682 Exponaten aus allen Schaffensphasen statt. Gezeigt wurden 164 Gemälde, 248 Zeichnungen und Aquarelle sowie fast das gesamte druckgrafische Werk, zusammengestellt aus heimischen, europäischen und amerikanischen Museen und Sammlungen (Abb. 50).215 Die Schau war die mittlere Station einer Ausstellungsfolge nach dem Haus der Kunst in München und vor dem Gemeentemuseum in Den Haag. Die rund 400 heimischen und internationalen Pressemeldungen priesen die Ausstellung als ultimative Werkschau und kolportierten, dass man in Wien gegenüber München um 200 Werke mehr lukrieren konnte. Die deutschen Besucherzahlen 214 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Viktor Matejka an OK, Wien, 16.5.1965. 215 Wichtiges Aktenmaterial, darunter rund 400 Presseartikel befinden sich im Künstlerhaus-Archiv Wien (KHA), Mappen Kokoschka-Ausstellung 1958, Kokoschka-Presse 1959 – 1971, Vermietung (v. a. KokoschkaAusstellung 1958), Österreichische Kulturvereinigung und Friedrich Welz.
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versprachen einen riesigen Erfolg auch in Wien. Die Versicherungswerte bewegten sich ebenfalls im Bereich der Superlative und beliefen sich auf 50 Millionen Schilling (Abb. 51). Organisator und Kurator war niemand anderer als Friedrich Welz, der dieses Ereignis von langer Hand geplant hatte. Offizielle Veranstalterin war die schon mehrfach erwähnte ÖVP-nahe Österreichische Kulturvereinigung (ÖKV), die mit einer entsprechenden Budgetierung von Seiten des Ministeriums ausgestattet worden war. Erst durch die Leihanfragen informiert, schlug Direktor Garzarolli dem Ministerium im Februar 1958 vor, die Ausstellung in der Österreichischen Galerie zu zeigen : man sei an einer Kooperation mit der ÖKV sehr interessiert, und das BMU könnte die Mietkosten im Künstlerhaus einsparen, wenn man die Ausstellung in den ausgeräumten Sälen der »Galerie des 20. Jahrhunderts« im Belvedere zeige.216 Die ÖKV hatte jedoch schon monatelang mit dem Künstlerhaus verhandelt ; die angesprochenen Räume in der Österreichischen Galerie erachtete man im Ministerium angesichts der Fülle der zu erwartenden Objekte als nicht ausreichend.217 Kokoschka wurde ab 1955 durch das für Kunstagenden verantwortliche Unterrichtsministerium unter Heinrich Drimmel als 50 : Oskar Kokoschka, Ausstellungskatalog, der »bedeutendste lebende, österreichische Künstlerhaus Wien 1958, OKZ. Künstler« u. a. mit zwei großen Ausstellungen, Staatsaufträgen und dem Staatspreis gewürdigt – eine Wertschätzung, der auch eine eminent politische Bedeutung zukam. Bei dieser konzentrierten staatlichen Zuwendung ist bemerkenswert, dass die Initiative von privater bzw. semi-öffentlicher Seite ausging. Unweigerlich kommt einem Matejkas Warnung von 1946 in den Sinn :
216 ÖStA, AdR, K152, 15B1 Österr. Gal. 1954 – 1962, Zl. 33.363 – 6/58, Karl Garzarolli an das BMU, Wien, 3.2.1958 ; vgl. AÖG, Zl. 96 (576)/1958. 217 Aktenvermerk des BMU, ebd.
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Lassen Sie sich hier durch keine wie immer geartete private Vereinigung herausbringen. Denn sie scheinen nur privat zu sein, in Wirklichkeit dienen sie ganz bestimmten, wenn auch verklausulierten politischen Zielen. Ihre Kunst ist für die ganze Stadt da […].218
Welz’ Beziehung zum Minister(ium) waren offensichtlich ausgezeichnet und er verfügte über ein außergewöhnlich kommunikatives Talent, sein Engagement für die (Kultur-) Politik als dienstbar erscheinen zu lassen. Vergleichbar hatte Wolfgang Gurlitt 1950 als Museumsleiter und »gleichzeitig privater Kunsthändler« agiert.219 Ähnliche Vorwürfe kamen nun von Garzarolli, der sich beschwerte, dass sich »der als Ariseur bekannte Herr Welz« oft als offizieller Vertreter geriere.220 Eine Kritik, die allerdings ohne Resonanz blieb. Der Grundtenor war, unter die »alten politischen Geschichten« respektive die NS-Vergangenheit den berühmt-berüchtigten Schlussstrich zu ziehen : dies galt im aktiven wie im passiven Sinn für dienstbare Organisationstalente wie Welz ebenso wie für Kokoschka, dessen Verfolgung durch die Nationalsozialisten und antifaschistisches Engagement keine, oder kaum mehr eine Erwähnung fand. Doch auch der Ort war auf besondere Weise (nicht) thematisiert worden. Vielfach wurde darauf hingewiesen, dass ausgerechnet der ehemalige »Oberwildling« im Künstlerhaus, dem Hort des Konservativen und Anti-Modernen ausgestellt wurde : bekanntlich hatte sich 1897 die Gruppe der späteren Secessionisten von 51 : Der 50 Millionen Schilling-Transport, in : der Künstlervereinigung abgespalten. Eine Große Österreichische Illustrierte, 24. Mai 1958. Fehlstelle in der Rezeption blieb jedoch, dass im Künstlerhaus im Mai 1939 die Entartete Kunst-Ausstellung gezeigt worden war. Kokoschka war damals kaum noch mit Werken vertreten gewesen, da die prominenten Arbeiten wie Die Windsbraut schon durch Auktionen in der Schweiz zur Devisenbeschaffung der Nazis gedient hatten. Im Jahr 1958 wurde das Künstlerhaus als locus damnatus nirgends erwähnt, weder von OK noch in der Kunstkritik. Im Zentrum standen die scheinbar unpolitische »Heimholung«, die »Versöhnung« des Künstlers mit Wien pars pro toto für 218 ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 391.5, Viktor Matejka an OK, Wien, 24.10.1946. 219 AÖG, Zl.120/1950, Konrad Thomasberger (BMU) an Wolfgang Gurlitt, Wien, 10.5.1950 (Abschrift). 220 ÖStA, AdR, BMU, 15B1 Österr. Galerie 1954 – 1962, Zl. 105.156/1957, Karl Garzarolli an das BMU, Wien, 12.12.1957.
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Österreich und die offizielle Positionierung Kokoschkas als international bekannter, prestigeträchtiger Österreicher. Ein bekennender Europäer und »Propheta laureatus« Die Ausstellung bot einen umfassenden Überblick : zahlreiche frühe Bildnisse sowie Städtebilder aus allen Schaffensphasen waren ebenso zu sehen wie die bis dahin in Österreich noch nicht ausgestellten politischen Allegorien der Exilzeit. Etwa 35 – 40 % der Exponate waren dem mittleren und späten Werk zuzurechnen. Einen Höhepunkt stellte zweifellos das mehr als 2 m hohe und 8 m lange Triptychon Thermopylae dar (Abb. 52).221 Für Kokoschka bildete es einen zentralen Punkt seiner Führungen, die wie in der Secession 1955 zu Massenveranstaltungen wurden. Die zugrundeliegende Erzählung ging auf Herodot zurück, den Kokoschka nicht zuletzt in einem Krytpo-Selbstbildnis als Alter Ego ansah.222 Herodot schilderte die Schlacht am Thermopylenpass zwischen den Griechen und den Persern im 5. Jahrhundert v. Chr., die durch Verrat in Athen einzogen und letztlich von der Revanche der Hellenen in der Seeschlacht von Salamis überraschend besiegt wurden. Kokoschka entwickelte eine komplexe Ikonografie zu verschiedenen Facetten des Krieges, aber auch Sinnbilder des Friedens. Auf dem mittleren Teilstück des Thermopylae Tripychons mit dem Untertitel Der Kampf ist inmitten von Gewalt, Verrat und Schreckensvisionen die Zentralfigur schlechthin zu sehen : der von Kokoschka erfundene Zauderer, dessen militärische und politische Unentschlossenheit zur Metapher des Scheiterns und des mangelnden Mutes wird. Auch auf dem Die Barbaren bezeichneten, rechten Bildteil des Triptychons ist die mehr oder weniger chronologische Schilderung, die bekannte Seeschlacht, mit allegorisch-mythologischen Darstellungen verwoben. Bestimmend wirkt eine aus dem Bild blickende nackte Frauenfigur, mit Blumen und Ähren bekränzt, die eine gesprengte Kette in ihrer Rechten hält. Eine Menschenmenge sowie eine Hundemeute folgt ihr im Furor. Unbeschadet lässt sie das Kriegsgeschehen, die angedeuteten Verwüstungen des Heiligsten (Tempelruinen) hinter sich. Als eine Allegorie Europas erscheint sie in ihrer Mehrdeutigkeit wie eine Schwesterfigur von Kokoschkas Alice in Wonderland von 1942 (Abb. 24). Bekenntnis zu Europa
Das Triptychon von 1954 lässt sich dementsprechend als Interpretation der jüngsten Kriegsvergangenheit verstehen. Kokoschka selbst stellte jedoch noch aktuellere Bezüge her : In der Entstehungszeit schrieb er angesichts der zunehmenden Stalinisierung Mittelosteuropas an einen italienischen Freund : »Denke an die Russen in 221 Ad Thermopylae vgl. Weidinger 1998. 222 Herodot, 1960 – 1972, Öl/Leinwand, Belvedere ; vgl. u. a. Natter 1996b, S. 74f.
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Europa, und Du wirst die Aktualität verstehen […].«223 Das Triptychon wurde aber von Anfang an auch als Kokoschkas »gemaltes Bekenntnis zu Europa« charakterisiert und als »Metapher für die ›Entstehung Europas‹«224 Wie erläutert hatte sich der Künstler schon ab den dreißiger Jahren, vor allem aber im englischen Exil mit der politischen Konstitution Österreichs bzw. in fließendem Übergang mit dem als Donauraum imaginierten Zentraleuropa-Gedanken befasst. Im Verlauf der Nachkriegszeit war er ein leidenschaftlicher Europäer geworden – zeitgleich also mit der Anfangszeit der europäischen Integration. Schon in den Emigrantenkreisen in London gab es Diskussionen um die Zukunft des Kontinents, die Kokoschka mitverfolgt hatte. Doch viele österreichische Emigranten hatten Probleme mit der Idee einer europäischen Vereinigung. Die einen, weil die Selbstständigkeit Österreichs ihr oberstes Ziel war, die anderen (z. B. die Sozialdemokraten), weil sie die diskreditierte Anschluss-Idee überwinden mussten bzw. der österreichische Nationalstaat ein komplexes Definitionsgebilde darstellte.225 Die Wurzeln Europas definierte Karl Jaspers 1947 folgenermaßen : »Europa, das ist die Bibel und die Antike.«226 Dem hätte sicher auch Kokoschka zugestimmt, wobei er die Grundidee der Humanitas im antiken 223 Kokoschka an Leopoldo Zorzi, 15. März 1954, zit. Weidinger 1998a, S. 30. 224 Schefbeck 1998, S. 19. 225 Ebd., S. 22. 226 Karl Jasper, Europa der Gegenwart, Wien 1947, S. 13f. zit. ebd., S. 19.
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52 : Oskar Kokoschka, Thermopylae, 1954, Öl/Leinwand, Universität Hamburg.
Griechenland verwurzelt sah, was bekanntlich großen Niederschlag in seinem künstlerischen Schaffen gefunden hat.227 Das Thermopylae-Triptychon kam in allen Presseberichten nicht nur aufgrund seiner Monumentalität zur Sprache. Aktuelle Bezüge gab es auch im Rahmen der Entstehung der Europäischen Gemeinschaft seit den späten 1940er-Jahren.228 In Wien wurden 1958 im Rahmen der Wiener Festwochen sogenannte Europagespräche etabliert. Mit Wissenschaftlern, Schriftstellern und Politikern wurden unter dem Vorsitz des Wiener Bürgermeisters »als Wortführer eines geeinten Europas die Fragen der europäischen Integration diskutiert«. Man wollte aber auch das künstlerische Festwochen-Programm als »wahrhaft europäisches« verstanden wissen.229 Europa stand 1958 auch in einem größeren Kontext im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit : fast zeitgleich mit Kokoschkas Ausstellung im Wiener Künstlerhaus hatte die erste Weltausstellung seit dem Krieg ihre Pforten geöffnet. In Brüssel, bald das Zentrum der EU bzw. ihrer Vorgängerin227 In der ca. 5.000 Publikationen umfassenden Nachlassbibliothek sind rund 10 % dem Bereich antike Kunstund Geistesgeschichte zuzurechnen. 228 Folgende wichtige Gründungen waren : 1948 Europa-Kongreß, 1949 Europarat und NATO, 1951 EGKS (Europäische Gemeinschaft f. Kohle und Stahl) und 1952 die EVG (Europäische Verteidigungsgemeinschaft). Vgl. Schafbeck 1998, S. 23 – 26. 229 Arbeiter-Zeitung, 1.6.1958.
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stitutionen, wurde unter dem Motto Technik im Dienste des Menschen. Fortschritt der Menschheit durch Fortschritt der Technik neben der Raumfahrt v. a. die Atomenergie als die Zukunftstechnologien präsentiert – versinnbildlicht durch das am Ausstellungsgelände errichtete Atomium. Der Ruf nach einer menschlicheren Welt, wie sie auch Kokoschka nicht müde wurde zu fordern, ist nach dem industrialisierten Tötungsvollzug der Konzentrationslager, aber auch dem Atombombenabwurf in Hiroshima 1945 verständlich. Das Friedensprojekt eines geeinten Europa stand noch länger auf schwachen Beinen angesichts der Frontverhärtung im Kalten Krieg, der Europa spaltete.230 Der unleugbare Eurozentrismus des Triptychons vermittelt ein Europabild, das den Kontinent als Wiege der Kultur und des Humanismus imaginiert. Was heute allein kulturgeschichtlich mehr als fragwürdig erscheint, bildete die hegemoniale Basis der damals aktuellen EuropaDiskurse – ein dichtes Bezugsfeld, in das sich Kokoschkas Thermopylae-Bild bestens einfügte. Die Ausstellung als Staatsakt Die Oskar Kokoschka-Ausstellung war mehr als bloß eine Ausstellung : sie war ein S taatsakt. Sie war die offizielle Heimholung des Propheten, der lange genug nichts im eigenen Lande gegolten hat.231
Mit diesen Worten resümierte der junge Kunstkritiker Wieland Schmied (1929 – 2014) im Juli 1958 die zu Ende gegangene Ausstellung. Tatsächlich hatte die Eröffnungsfeier am 19. Mai mit 3.000 Festgästen einen staatstragenden Grundtenor, allein durch die anwesende Politikprominenz, darunter Nationalratspräsident Felix Hurdes, der Innenund der Finanzminister, Wiens Vizebürgermeister Karl Honay und Kulturstadtrat Hans Mandl sowie etliche diplomatische Vertreter. Schon vor der Zeremonie war Kokoschka bei Bundespräsident Adolf Schärf eingeladen gewesen, der dreimal die Ausstellung besuchte. Den Ehrenschutz hatte Unterrichtsminister Heinrich Drimmel übernommen, der krankheitsbedingt von Außenminister Leopold Figl vertreten wurde. Dieser sprach in seiner Eröffnungsrede die Hoffnung aus, »daß Oskar Kokoschka nach langen Jahren 230 Österreich versuchte bei der Weltausstellung 1958 einen Spagat zwischen der Visualisierung technisch-innovativer Erzeugnisse und den bekannten Selbstdarstellungsformen, die vom frühmittelalterlichen TassiloKelch, Mozart-Autografen bis hin zum Staatsvertrag von 1955 reichten. Im bekannten Pavillon von Karl Schwanzer wurden in der Abteilung moderner Kunst u. a. Herbert Boeckl, Fritz Wotruba und last but not least Kokoschka (Amor und Psyche, 1955) gezeigt. Eine von der Weltausstellungskommission zusammengestellte Ausstellung 50 Ans d’Art Moderne zeigte ca. 350 Werke von unwesentlich weniger internationalen Künstlern. Auch hier war Kokoschka mit vier Gemälden vertreten. 231 Wieland Schmied, Die Kokoschka-Schau war mehr als eine Ausstellung. Bericht über das Ende der Saison in Wien […], in : Berichte und Information, Salzburg, 18.7.1958, vgl. KHA, Mappe O. Kokoschka 19.5. – 20.7. [1958].
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des Wanderns sich nun endgültig als der Unsere fühlen möge.«232 Im Anschluss gab es einen großen, festlichen Empfang im Belvedere. Nicht mehr Erzherzog Franz Ferdinand, so Barbara Coudenhove-Kalergi (geb. 1932), sondern Kokoschka sei Hausherr des Belvedere geworden.233 Der österreichische Schriftsteller und berühmt-berüchtigte Thea terkritiker Hans Weigel (1908 – 1991) schrieb in seinem Kommentar Propheta laureatus : »Der Revolutionär und Bürgerschreck von einst wird von den Ministern seiner Heimat geehrt. Er ist […] schon zu Lebzeiten ein Klassiker. […] Welch ein unösterreichisches Schicksal ! Seit wann gilt der Prophet im eigenen Land, noch dazu in diesem ?«234 Weitere Headlines lauteten : Der Prophet im eigenen Land, Oskar Kokoschkas Heimkehr nach Wien, oder schlicht : Kokoschka ist heimgekehrt.235 Unwillkürlich fühlt man sich an Carl Molls Worte von der »Heimholung« 1937 erinnert. Kokoschka bot sich auch zwanzig Jahre später als Repräsentant Österreichs geradezu an. Weigel formulierte es mit entsprechendem Pathos : »Er hat die österreichische Malerei in die Welt gebracht und bringt nun seine Geltung nach Hause zurück. Und ist dabei wirklich bedeutend.«236 Bürgerschreck, Prophet und Staatsmaler
Die Resonanz auf die Ausstellung, den Künstler und sein Werk folgte – mit Ausnahme der fast völligen Ausblendung der Bezüge zur NS-Zeit – in vielem der Rezeption, wie sie für die Jahre nach 1945 bzw. auch teils schon vor 1938 präsent war. Die Bandbreite der Kritiken war enorm. Einig war man sich über die Bedeutung seiner Kunst und über seine künstlerische sowie gesellschaftliche Etablierung : Kokoschka sei Vom Bürgerschreck zum Staatsmaler geworden.237 Konsens herrschte auch bezüglich seines Charmes und Charismas, dem sich auch arrivierte Kunstkritiker schwer entziehen konnten. Der Furor, mit dem er das Publikum bei persönlichen Führungen in den Bann zog, war von hoher Suggestivkraft, sodass manche Presseberichte die oft nur assoziativen Argumentationsketten Kokoschkas quasi ungefiltert wiedergaben.238 Seine selbstverordnete Sonderstellung im Kunstsystem wurde in den Kritiken oft mit der Figur des Sehers oder Propheten verbunden. Wenn Barbara Coudenhove-Kalergi von dem »Maler mit dem 232 Anonym [Viktor Matejka], Oskar Kokoschka, in : Tagebuch, Wien, Juni 1958. 233 Barbara Coudenhove-Kalergi, Der Maler mit dem Röntgenblick. Oskar Kokoschka – Vom Skandal zum Triumph, in : Die Presse, 25.5.1958. 234 Hans Weigel, Propheta laureatus, in : Heute, 31.5.1958. 235 Wieland Schmied, Der Prophet im eigenen Land, in : Die Furche, 24.5.1958 ; Dr. O.W., Oskar Kokoschkas Heimkehr nach Wien, Linzer Volksblatt, 31.5.1958 ; bgt., Kokoschka ist heimgekehrt, in : Neue Zeit Graz, 24.5.1958. 236 Hans Weigel, Propheta laureatus, in : Heute, 31.5.1958. 237 Anonym, Vom Bürgerschreck zum Staatsmaler, in : Wiener Montag, 27.5.1958. 238 Mit durchaus ironischem Unterton vgl. Michael Lingens, Da war ein Strom von ihm zu ihnen, in : Arbeiter-Zeitung, 28.5.1958.
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Röntgenblick« schrieb, so war diese Rollenzuschreibung nicht neu : das angeblich von der Mutter geerbte Dritte Auge, die Wirkung der »Koko-Strahlen« ( Josef Strzygowski 1911) hatten, so die Presse, in den schonungslosen Seelenporträts der Frühzeit schon ihren Niederschlag.239 In den meist chronologisch aufgebauten Ausstellungsberichten wurde oft der Bogen von der Vorkriegszeit direkt zur Gegenwart geschlagen und sein humanitäres Engagement zur Sprache gebracht. Nicht selten enthalten diese Erläuterungen messianisch-eschatologische Zuschreibungen. So hieß es etwa, Kokoschka »ist nicht nur Künstler, sondern auch als Mensch kompromißlos, er hat sich immer auf die Seite der unschuldig Leidenden gestellt.«240 Unter dem Titel Das Licht in unserer Zeit. Das Lebenswerk Oskar Kokoschkas im Wiener Künstlerhaus hieß es nach Kokoschkas allgemeiner Führung, er sei einer, »wie Jakob gesegnet […] ›mit dem Segen von oben und mit dem Segen von unten’ und der im dunklen Zeitalter des Fortschritts das Licht bewahrt.«241 Kokoschkas Verortung in der Kunst Österreichs und die Verbindung zur heimischen Barockkunst im Sinne einer Traditionslinie sind ebenfalls bekannte Interpretationsmuster. In der Wiener Zeitung wurden Töne angeschlagen, die teils wortwörtlich Carl Molls Diktum von 1937 aufnahmen : Mit ihr reklamieren wir den größten und im Ausland bekanntesten, lebenden Maler für Österreich. Der Maler Oskar Kokoschka und sein Werk sind zutiefst österreichisch ; das weiß man nicht erst seit heute, doch diese, die größte bisherige Kokoschka-Schau soll und kann dieses Wissen in die Welt hinaustragen. [Kokoschka sei, Erg. BR] weltaufgeschlossen und doch ein einzelner Vorkämpfer und doch im Erbe verwurzelt, ein Augenmensch, der Sinne und Geist zu verbinden weiß, voll eines barocken Gefühls, das in Österreich bis heute beheimatet blieb […].242
Der Begriff der »Gefühlsstärke« findet sich auch im Katalogvorwort von Unterrichtsminister Drimmel, dessen Formulierungskunst schon in der Kokoschka-Korrespondenz 1955 augenfällig wurde. Auch hier sind Moll’sche Anklänge zu vernehmen, wenn Kokoschka durch scheinbar typische Charakterzuschreibungen als Österreicher deklariert wird, die an Widersprüchlichkeiten (und Plattitüden) rhetorisch kaum zu übertreffen 239 Vgl. Barbara Coudenhove-Kalergi, Der Maler mit dem Röntgenblick. Oskar Kokoschka – Vom Skandal zum Triumph, in : Die Presse, 25.5.1958. sowie u. a. Karl Maria Grimme, Vom Blick in Seelentiefen bis zur Lebensfreude, in : Österreichische Neue Tageszeitung, 29.5.1958. 240 hg, »Ich suche die Form im Chaos«. Zur großen Kokoschka-Ausstellung im Künstlerhaus, in : ArbeiterZeitung, 21.5.1958. 241 p., Das Licht in dunkler Zeit. Das Lebenswerk Oskar Kokoschkas m Wiener Künstlerhaus – ein Maler »schaut« mit der Hand, o.O., 5.6.1958 [KHA, Mappe Kokoschka-Ausstellung 1958, Presse]. 242 Anonym, Sein Werk ist zutiefst österreichisch. Bedeutsame Oskar-Kokoschka-Ausstellung im Künstlerhaus, in : Wiener Zeitung, 21.5.1958.
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sind : mit Kokoschkas reichem Schaffen würde »immer und überall die völkerverbindende humanitas, die gewinnende Urbanität und die schöpferische Gefühlsstärke des Österreichers sinnfällig und zwingend dokumentiert ! Kokoschka ist und bleibt unser, nicht nur nach Geburt und Heimat, nach Schule und Bildung, sondern auch durch die Fülle seines Wesens, das so eigenwillig und doch so konziliant, so kräftig und doch so liebenswürdig, so revolutionär und doch so traditionsgebunden ist.«243 Nachhall Heute kostet selbst ein schwaches Klimtkitschgemälde mehrere Millionen Pfund, sagte Reger, das ist widerwärtig. Schiele ist nicht Kitsch, aber ein ganz großer Maler ist Schiele natürlich auch nicht. In der Qualität Schieles hat es ja in diesem Jahrhundert mehrere österreichische Maler gegeben, aber außer Kokoschka keinen einzigen wirklich bedeutenden, sozusagen wirklich großen. Thomas Bernhard, Alte Meister. Komödie (1985)244
Im Spektrum der Kokoschka-Rezeption kommt der jungen Nachkriegsgeneration ein besonderer Stellenwert zu. Auch wenn die Not der unmittelbaren Zeit nach 1945 überwunden war, hatte die NS-Propaganda und das konservative Kulturklima der jungen Zweiten Republik nachhaltige Wirkung gezeigt. Die heimischen Informationsquellen beschränkten sich auf schlecht sortierte Bibliotheken und/oder für die meisten zu teure Buchhandlungen. Punktuell hatten die westlichen Alliierten impulsgebende Ausstellungen organisiert bzw. Bildungszentren wie das Institute française in Innsbruck oder das Amerika-Haus in Wien geschaffen, wo man auch Kunstbücher und Schallplatten entlehnen konnte.245 Nur wenige wagten zumindest für eine gewisse Zeit den Sprung etwa nach Paris, wie z. B. Arnulf Rainer, Maria Lassnig oder Friedensreich Hundertwasser, oder schlossen sich immer wieder zu Gruppenreisen zusammen, um wichtige Ausstellungen, wie z. B. jene von Mondrian im Kunsthaus Zürich 1955 zu sehen.246 Nicht viel weniger mühsam war es, die verschüttete heimische Moderne zu entdecken. Klimt, v. a. Schiele, Kokoschka und der durch seinen Selbstmord 1908 lange vergessene und erst in den dreißiger Jahren wiederentdeckte Richard Gerstl waren als radikale Großväter wichtige Impulsgeber. Für viele war es die »produktive Unruhe«247 der frühen Wiener Moderne, die eine besondere Anziehungskraft ausübte : das Be243 Heinrich Drimmel, Zum Geleit, in : Kokoschka 1958, S. III. 244 Bernhard 1985, S. 225f. 245 Vgl. Ammann 1991 ; Dankl 1996 ; vgl. Brus-Interview 2015, Reinhold 2017, S. 428f. 246 Vgl. Kurrent-Interview 2015. 247 Werkner 1998, S. 15.
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zugsfeld des Wien um 1900 bzw. 1910 entfaltete sich nicht nur entlang der bildenden Kunst, sondern schloss Literatur, Musik, Philosophie und Psychologie usw. mit ein. Arthur Schnitzler, Robert Musil, Georg Trakl, Karl Kraus, Arnold Schönberg, Anton Webern, Alban Berg, Adolf Loos, Ludwig Wittgenstein und natürlich Sigmund Freud seien stellvertretend für viele genannt. Die Radikalität ihrer Arbeiten fiel bei manchen jungen Kunstschaffenden im konservativen Klima des postfaschistischen Österreichs auf fruchtbaren Boden. Auch Kokoschkas malerisches und literarisches Schaffen war in vielem noch zu entdecken, ab und an in der Neuen Galerie oder in der Galerie Würthle. Ausstellungs- als Museumsbesuche v. a. im Belvedere boten Gelegenheit, die Vertreter der eigenen Moderne kennenzulernen, wobei Kokoschka im Vergleich zu Klimt und Schiele nicht stark vertreten war. Vermittler waren oft Kommilitonen, (Akademie-)Professoren oder Lehrer. So war Günter Brus (geb. 1938) in der Kunstgewerbeschule in Graz von Lehrern auf Kokoschka aufmerksam gemacht worden248 und machte er über Kunstpostkarten seine Bekanntschaft mit dem Werk : »Ich hatte eine eigene Sammlung angelegt und das Geld vom Mund abgespart […].«249 Die Rezeptionsmöglichkeiten in Wien bzw. in der Provinz waren sehr unterschiedlich, wobei Salzburg durch das Engagement von Friedrich Welz einen Sonderstatus einnahm. Welz veranstaltete regelmäßig Kokoschka-Ausstellungen in seiner Galerie oder z. B. in der Salzburger Residenz. Überdies war durch die Sommerakademie ab 1953 auch die persönliche Begegnung mit dem Meister möglich. Im ersten Jahr hatten sich knapp 40 Schüler und Schülerinnen eingetragen, darunter eine Gruppe von jungen Architekten, die fast alle an der Wiener Akademie bei Clemens Holzmeister studierten (Abb. 43).250 Kokoschka war zweifellos ein Bindeglied in die Vergangenheit, eine positive Autorität und zugleich mit seiner unbequemen, oberflächlich betrachtet : anachronistisch wirkenden Opposition gegen zeitgenössische Kunstmoden ein Orientierungspunkt. Denn auch wenn man begierig aus allen Richtungen Impulse aufnehmen wollte, so regte sich bei vielen Jungen ein Widerstandsgeist gegen die hegemonialen Vorgaben aus Paris oder anderen Kunstzentren. Die Bedeutung Kokoschkas für Künstler/innen der Nachkriegsgeneration lag nicht zwingend in einer direkten formalen Umsetzung. Dazu zählte zweifellos ein (wie auch immer definierter) zeitgemäßer Umgang mit dem Figurativen, der sich nicht allein in Formalismen artikulierte. Einigen wenigen war »die halbherzige Öffnung gegenüber der Moderne, die so nachäfferisch, vor allem der von Frankreich ausgehenden 248 Vgl. Brus-Interview 2015. 249 Ebd. 250 Johann Georg Gsteu (1927 – 2013), Gustav Peichl (1928 – 2019), Gunther Wawrik (geb. 1930) und die als arbeitsgruppe 4 verbundenen Jungarchitekten Friedrich Kurrent (1931 – 2022), Johannes Spalt (1920 – 2010), Wilhelm Holzbauer (1930 – 2019) und Otto Leitner (geb. 1930) zählten zu den ersten Teilnehmern der Sommerakademie, vgl. Reinhold 2017, S. 430.
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Malerei […] zu wenig« und hielten die französische Moderne für »geschmäcklerisch« und »platt«.251 Die großen retrospektiven Ausstellungen in der Secession (1955) bzw. im Künstlerhaus (1958) wurden von einigen wie eine Initiation erlebt. Man war von der Schonungslosigkeit der frühen Porträts fasziniert, deren Umgang mit dem Material, dem Einritzen, dem Abziehen bzw. Abreiben der Farbschichten. Auch Kokoschkas kompromisslose Selbstpositionierung in der Kunstszene, das (angebliche) Bonmot des Erzherzogs Franz Ferdinand, dass man »dem Kerl alle Knochen im Leib brechen sollte«, blieb nicht ohne Wirkung. Man entdeckte einen, der ein halbes Jahrhundert zuvor einen ähnlich radikalen Bruch vollziehen wollte : Kokoschka habe »in der Zwischengeneration vehement weitergewirkt. Er ist ihr Vorbildcharakter als soziales Wesen, als Mitglied der Gesellschaft, das sich als Rebell gibt.«252 Die inszenierte Selbststigmatisierung, wie sie OK in seinen Plakaten 1910 bzw. 1912 vorführte, machte einen starken Eindruck auf Günter Brus und seine Aktionen wie Selbstbemalung oder Selbstverstümmelung Mitte der sechziger Jahre (Abb. 5 und 53). Hermann Nitsch (1938 – 2022) war in der Secession von den verzerrten, »rachitischen« (Nitsch) Körperbildern in den frühen Aktzeichnungen fasziniert, vor allem das Plakat der Pietà von 1909 war in seiner radikalen und zugleich spirituell aufgeladenen Körper53 : Günter Brus, Selbstbemalung, 1964 (2005), konzeption sowie seiner formalen Lösung von Foto : Ludwig Hoffenreich, mumok – großer Bedeutung (Abb. 6 und 54).253 Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Neben dem radikalen Frühwerk fanden Wien, Schenkung des Künstlers. aber auch späte Kokoschka-Arbeiten etwa bei den Wiener Aktionisten allergrößte Anerkennung. Zwar war etwa Nitsch an der humanistischen Thematik der Thermopylae, wie generell an einem anthropozentrischen Weltbild nicht interessiert. Malerisch jedoch sahen sowohl er als auch Brus im Pinselduktus und in großen, weitgehend autonomen Bildzonen eine formale Auflö251 Vgl. Brus-Interview 2015. Zur engen Verbundenheit der Wiener Aktionisten mit der frühen Wiener Moderne, vgl. Badura-Triska 2016 bzw. Reinhold 2016. 252 Ronte 1986, S. 299. 253 Vgl. Nitsch-Interview 2015. Da Nitsch nur für eine Woche außertourlich Schüler war, erscheint er nicht in den offiziellen Schülerlisten (vgl. Kap. Die Studenten der Sommerakademie 1953 – 1963, in : Wally 2003) und auch nicht in der Literatur , vgl. Nitsch Interview 2015, Reinhold 2016, S. 134, Anm. 26. Wie Mikl sollte Nitsch später eine Malerei-Klasse an der Salzburger Sommerakademie leiten.
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sungstendenz und eine Nähe zum Informellen. In der augenscheinlich sinnlich-körperhaften Materialität sprach Nitsch bei Kokoschkas Spätwerk voller Bewunderung vom »Fleisch der Malerei«.254 Die Grenzwanderungen bzw. Grenzüberschreitungen Kokoschkas waren dieser Künstlergeneration, oder genauer gesagt : einigen wenigen zum Ferment ihrer Kunst geworden. Die Beurteilung des Spätwerks in der Kunstkritik, v. a. des großen Triptychons stellt sich bei näherer Betrachtung, wenn schon nicht als inhomogen, so doch als vielstimmig dar. Viele Kulturjournalist/innen waren zugleich Künstler (Kurt Moldovan, Arnulf Neuwirth), arbeiteten als Kunsthistoriker bzw. Beamte im Kulturbereich (Wieland Schmied, Werner Hofmann, Alfred Schmeller), waren im Theaterkontext angesiedelt (Ulrich Baumgartner) oder als Schriftsteller tätig, wie Hans Weigel oder der zitierte Thomas Bernhard. Alle waren sich in der Einschätzung des Frühwerks einig : »Kokoschkas ganz große Zeit !«, wie es Arnulf Neuwirth (1912 – 2012) auf den Punkt brachte.255 Mit dem späten Werk gingen jedoch die Autoren strenger ins Gericht ; nur wenige der radikaleren Künstler, wie Brus, Nitsch, Rainer oder Mikl sahen das Potenzial 54 : Hermann Nitsch, 100. Aktion, Sechsdarin.256 Tage-Spiel, 1998, Farbfotografie, Foto : Heinz Ulrich Baumgartner (1918 – 1984), der als Cibulka, mumok – Museum moderner Kunst Dramaturg arbeitete und später langjähriger Stiftung Ludwig Wien. Intendant der Wiener Festwochen war, gab eine streckenweise hymnische Interpretation, die sich in eine kunsthistorisch bis heute tradierte Interpretation einfügte : Der Österreicher Kokoschka […] griff, nachdem das Wien der Jahrhundertwende unwiederbringlich verloren war, weiter zurück : in die Barocke. Er suchte die ihm gemäße Formel zur Wiedergabe der veränderten Welt in einer Art von dramatischem Impressionismus. […] 254 Nitsch-Interview 2015. 255 Arnulf Neuwirth, Von O.K. bis k.o. im Künstlerhaus. Gast bei Kokoschka : gefährliche Monsterschau eines bedeutenden Malers, in : Express am Morgen, 21.5.1958. 256 Vgl. Ronte 1986, S. 299.
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Die meisten Beurteiler der Wiener Kokoschka-Ausstellung kommen zu dem Schluß, man müsse den Altersstil des Meisters als das hinnehmen, was er zweifellos auch ist : als respektable Spätleistung einer großen, originellen Einzelpersönlichkeit. Vielleicht aber ist er mehr. […] Sicherlich wirkt er nicht mehr so aufregend wie der vom Jahre 1908. Aber ist er darum weniger gültig ?257
Von großer Wertschätzung und kritischer Wachsamkeit zeugen die Kokoschka-Kritiken Thomas Bernhards (1931 – 1989). Er hatte schon im Sommer 1955 von der erwähnten Ausstellung der Thermopylae in der Salzburger Residenz258 berichtet, was isoliert betrachtet kaum den Gefallen des Künstlers gefunden hätte : Kokoschka ist weniger ein Meister der großen Fläche als sein Landsmann Boeckl. Daher scheint der Zyklus auch nicht ganz bewältigt. Wilde Farben des menschlichen Chaos : die fiktive Vernichtung aller Kultur. Wenn es auch seine Weltanschauung darstellt, so hat Kokoschka in dieser Darstellung doch nicht die Weisheit der letzten Zeichnungen etwa Picassos erreicht. […]. Dieses Triptychon besteht aus drei großen Versuchen. Vielleicht steht die Vollendung noch auf dem Programm des bedeutenden Künstlers ?259
Auf die »mehr oder weniger bedeutungslosen« Entwürfe zu Mozarts Zauberflöte hätte man, so Bernhard, jedoch »völlig und bereitwillig […] verzichten können.«260 Deren Belanglosigkeit stellte Bernhard noch ein Jahr später in Kontrast zu den Zeichnungen und Gemälden, die Welz in seiner Galerie anlässlich des 70. Geburtstags u. a. aus Prager Museen und Sammlungen zusammengetragen hatte : Jeder kann sehen, daß Kokoschka als Genie zu malen begann, daß er keine Pflugscharperioden brauchte. Wir gewahren in dieser Ausstellung vor allem eines : den großen Maler und den ebenso bedeutenden Zeichner.261
Und weiter : »Seit Munch hat es niemanden mehr gegeben, der solche Gesichter hat zeichnen können, voll Verzweiflung und Stille ; Wachträume und Wirklichkeiten, die zur Menschreligion verarbeitet werden.«262 Doch nicht nur das Frühwerk, sondern auch die aktuellen Arbeiten erfuhren eine aufrichtige Würdigung, die in einem Nebensatz 257 Ulrich Baumgartner, Der späte Kokoschka. Anmerkungen zu seiner Wiener Kollektivschau, in : FORVM, H. 54, Juni 1958, S. 233. 258 Thomas Bernhard, Salzburg : Kokoschka und Manzu, in : Die Furche, 23. Juli 1955, zit. Bayer/Fellinger/ Huber 2011, S. 24. 259 Ebd. 260 Ebd., S. 24f. 261 Ebd. 262 Ebd.
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latente Vorwürfe verstummen lassen sollte : »Und wer heute, in Anbetracht des jüngsten Werkes […] von ›Altersstil‹ spricht bei Kokoschka, der ist, wie alle Snobisten, lexikalisch verkommen.«263 Bernhard konzentrierte sich auf Werkbesprechungen, politische Bezüge zur jüngeren Vergangenheit, die Rolle Welz’ ; Kokoschkas schwieriges Verhältnis zu Österreich, das Wiener Publikum oder seine Verfolgung in der NS-Zeit waren kein Thema. Bernhards spätere Diffamierung als Nestbeschmutzer und Österreich-Beschimpfer nach seinem Drama Heldenplatz sind Teil der jüngeren Zeitgeschichte geworden. In den fünfziger Jahren war für Bernhard offensichtlich Kokoschkas Werk, seine künstlerische Intensität und der existentielle Tiefgang von Relevanz. An seiner Einschätzung hatte sich auch bis zuletzt nichts geändert. Nur die sprachlichen Mittel, jene der Apodiktik und der Polarisierung, waren andere : in seinem späten Roman Alte Meister (1985) hatte er – wie eingangs zitiert – in der Figur des Kunstkritikers Reger unverrückt daran festgehalten, dass es an österreichischen Malern »außer Kokoschka keinen einzigen wirklich bedeutenden, sozusagen wirklich großen« gebe.264 Der Kunsthistoriker Alfred Schmeller (1920 – 1990) war jenseits seiner Tätigkeit im Bundesdenkmalamt eine der zentralen Figuren der Wiener Nachkriegskunstszene, u. a. durch sein Engagement im Art Club und seine pointierten Kunstkritiken. 1969 folgte er Werner Hofmann als Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts. Seine Ausstellungsbesprechung 1958 war nicht ohne Ironie über Kokoschkas Eitelkeiten und dessen Rivalität gegenüber Picasso und er vermerkte, dass Kokoschka es nicht scheute »unbequem zu sein mit seiner strikten Ablehnung der abstrakten Malerei.«265 In Interviews und bei Führungen hatte Kokoschka unermüdlich gegen gegenstandslose Kunst, die »Krawattenmustermalerei«266 polemisiert und diese mit Versuchen in Verbindung gebracht, Tiere, etwa Affen als Maler arbeiten zu lassen (Abb. 55). Für ihn war das Sehen die Grundlage jeden Erkennens, da das Wort korrumpierbar sei. Günter Brus erinnerte sich an den Eröffnungsabend im Künstlerhaus, wo Kokoschka umringt von jungen Künstlern eine Ansprache gehalten hatte : »[…] dann ist er auf ein Stockerl gestiegen und die Frau Olda hat ›OK ! Dass Du mir nicht runterfällst !‹ [gesagt, Erg. BR]. Und dann hat er eine Brandrede gegen Paul Klee gehalten, ersatzweise für alle anderen Abstrakten.«267 Zum Abschluss gab er dem künstlerischen Nachwuchs die nachdrückliche Empfehlung : »[…] aber werdn’ S’ mir ja nicht abstrakt.«268 263 Ebd. 264 Bernhard 1985, S. 225f. 265 [Alfred] Schmeller, Hat Picasso bei ihm sehen gelernt ? Zur großen O.K.-Ausstellung im Künstlerhaus : Der Mensch und der Raum / Ein heißes Eisen, in : Neuer Kurier, 23.5.1958. 266 Vgl. u. a.: Anonym, Kokoschka-Schau auch in Wien, in : Salzburger Volkszeitung, 15.3.1958 ; 267 Brus- Interview 2015. 268 Günter Brus, unpubl. Rede anlässlich der Eröffnung der Ausstellung Oskar Kokoschka. Das Ich im Brennpunkt, Leopold Museum Wien, 3.10.2013, Kopie im OKZ.
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Kokoschka galt nicht zuletzt mit seinem Skandale provozierenden Frühwerk als außergewöhnliche Künstlerpersönlichkeit. Die Wirkkraft für das zeitgenössische Kunstschaffen war aber nicht bzw. nur punktuell gegeben. OK war eine lebende Ikone. Nur wenige äußerten direkte Kritik oder artikulierten die fehlende Relevanz. Der Kunsthistoriker und Schriftsteller Klaus Demus (geb. 1927) erörterte in der Einleitung seiner Dissertation Der Kubismus und die formalen Strömungen in der Malerei des 20. Jhs. (1951) die Bedeutung früher moderner Kunsttendenzen und ihre Progressivität für das Kommende. Dabei hielt er fest, »dass der ›Nachimpressionismus‹ (F. Novotny) […] und eines Teils der Expressionisten, aber auch solche Erscheinungen wie Kokoschka und Rouault, um nur die wichtigsten zu nennen, keinerlei Signifikanz für das eigentlich Neue der Epoche besitzen […].«269 Der Respekt vor dem Altmeister der Moderne ließ manche Kritik nur durchschimmern, selten trat offenes Unverständnis für seine Arbeit zu Tage. Eine der wenigen unzweideutigen Äußerungen verfasste der auch als Kritiker arbeitende Schriftsteller, Fotograf und Filmemacher Wolfgang Kudrnofsky (1927 – 2010), der zum Kreis des Art Clubs zählte und mit Arnulf Rainer bei der Gründung der Hundsgruppe (1951) gewesen war. Anlass war Kokoschkas im Dezember 1960 im Wiener Ateliertheater am Naschmarkt zur Aufführung gebrachtes Drama Orpheus und Eurydike unter der Regie 55 : Oskar Kokoschka, The Action Painter, 1959, von Veit Relin : Kreidelithografie. Oskar Kokoschka, derzeit vielbeschäftigter Medaillenempfänger, einstens Maler und noch früher auch ein bißchen Dichter, läßt sich gern und unwidersprochen Expressionist nennen, was seine Dichterzeit betrifft, und ist doch in Wirklichkeit nur ein sanfter Hase auf dem Feld. Eine bißchen Wortverdrehung und -erfindung, ein paar Ballungen hingepfeffert, machen nämlich gerade nur so viel Expressionismus wie die Worte »I don’t know« eine englische Rede sind. […] Was einem dabei gesagt wird : Nicht viel. […] Ein heilloses Durcheinander von Kunstgewerbe, Kitsch und Heimatkunde !270
269 Demus 1951, S. 4f. 270 Wolfgang Kudrnosfsky, Wallungen, Ballungen, ruhet sanft ! »Orpheus und Eurydike« von Oskar Ko-
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Kurz zuvor war das barocke Deckenfresko des Gregorio Guglielmi im Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften bei einem Brand zerstört worden.271 Der Künstler und Kritiker Kristian Sotriffer (1932 – 2002) schloss, dass Kokoschkas Kunst zwar Größe zeige, aber letztlich ein Anachronismus sei. Für die Neukonzeption des – nota bene ! – barocken Ensembles in der Alten Universität wäre OK eine Idealbestzung : »Da er zu den durchaus bewahrenden zeitgenössischen künstlerischen Kräften gehört, könnte ihm (was in Wien wichtig ist) auch niemand den Vorwurf extremer Modernität machen.«272 Kokoschka war, wie Alfred Weidinger es einmal formulierte, ein »Revolutionär des Konservativen« geworden.273 Die Kokoschka-Schau im Künstlerhaus lief offiziell im Rahmen der 8. Wiener Festwochen. Die im Winter/Frühjahr 1958 gelaufene Van Gogh-Schau im Belvedere hatte dank des Van Gogh-Films mit Kirk Douglas 140.000 Besucher angelockt. Die Erwartungen für die Kokoschka-Ausstellung waren entsprechend hoch : Nach van Gogh : Ansturm auf Kokoschka. Monsterschau im Künstlerhaus, war zu lesen.274 In den ersten paar Tagen kamen mehrere tausend Besucher und Besucherinnen, was auch auf die persönliche und öffentlich zugängliche Führung Kokoschkas zurückzuführen war.275 Die Münchener Kokoschka-Ausstellung war ein Publikumserfolg und wurde von 80.000 Menschen gesehen – die Latte lag entsprechend hoch. Im Wiener Künstlerhaus zählte man letztendlich die Hälfte. In der Presse las man Schlagzeilen wie : Kokoschka läßt Wiener kalt, Kokoschka ›zieht‹ nicht so wie van Gogh, Kein Kokoschka-Fieber im Künstlerhaus und Teure Ausstellung.276 Letzteres war eine Anspielung auf die hohen Ticketpreise und den teuren Katalog (ÖS 28.-), den man mangels Bildbeschriftungen erwerben musste. Auch zu geringes Engagement bei der Bewerbung und der v. a. von Matejka gebrachte Vorwurf unflexibler Öffnungszeiten wurden beanstandet.277 Kokoschka reagierte erstaunlich gelassen und humorvoll auf die Quotenjagd : »Ich hätte lieber Fußballer werden sollen !«278 Viele Journalisten relativierten jedoch die Besucherzahlen und interpretierten sie für einen lebenden, zeitgenössischen Künstler in der Musikstadt Wien als sensationellen Erfolg. Uneinig war man sich bei der Interpretation koschka wird derzeit in Veit Relins »Ateliertheater am Naschmarkt« aufgeführt, in : Illustrierte KronenZeitung, 29.12.1960. 271 Kurrent 2006, S. 200 – 202. 272 Kristian Sotriffer, Lieber ein Oroginal als eine Kopie. Zur Wiederherstellung des Festsaales in der Alten Universität, Juni 1961 o.O., OKZ, Einklebebuch Zeitungsausschnitte 1961/62. 273 Weidinger 1998a, S. 35. 274 KHA, Mappe Kokoschka-Ausstellung 1958. 275 Mitteilungen der ÖKV, Nr. 64, 1958. 276 KHA, Mappe Kokoschka-Ausstellung 1958. 277 Eine Reaktion von Welz an Matejka auf die angesprochenen Vorwürfe, vgl. ZBZ, Nachl. O. Kokoschka 349.15, Friedrich Welz an Viktor Matejka, Salzburg, 6.6.1958. 278 KHA, Mappe Kokoschka-Ausstellung 1958.
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der Zahlen und der Zusammensetzung des Publikums, mit der Frage, ob mehr ältere oder doch jüngere Interessierte, (Kunst-)Touristen oder aus den Bundesländern Angereiste überwogen. Durch alle Berichte zog sich als roter Faden die Faszination für den charismatischen Künstler bei oft gleichzeitigem Unverständnis seiner Kunst. Letzteres wurde manchmal sehr manifest und rief die Geister, oder besser Ungeister des Thronfolgers Franz Ferdinand auf den Plan (Abb. 56). Nach den Wiener Ausstellungen von 1955 und 1958 könnte man annehmen, dass sich das Verhältnis zwischen Kokoschka und seinem Heimatland Österreich und Wien im Speziellen entspannt habe. De facto zog sich das Wechselspiel bzw. Wechselbad der Emotionen zwischen Kokoschka und Österreich/ Wien quasi bis zum Lebensende hin und sollte in den Diskursen zur Vergangenheitspolitik ab den 1980er-Jahren eine modifizierte Interpretation erfahren und virulent bleiben. Nur 13 Jahre nach der »Monsterschau« im Künstlerhaus hatte das journalistische Kurzzeitgedächtnis 1971 erneut für Kokoschka den Späten Triumph in der Heimat verkündet und von der »ersten großen Ausstellung seiner Werke« gesprochen (Abb. 1). Die »Aussöhnung mit der Heimat« wurde 1961 angesetzt und mit der Verleihung der Wiener Ehrenbürgerschaft in Verbindung gebracht.279 Doch Kokoschka war erneut gekränkt von der erwähnten Theaterkri- 56 : Anonymer Brief zur Kokoschkatik Kudrnosfskys.280 Da half auch die Idee des Ausstellung im Künstlerhaus, 1958, OKZ. Verlegers Arthur Werner, einem Freund der Prager Zeit nicht, »eine Kokoschka-Stiftung zur Förderung junger, begabter Künstler ins Leben zu rufen.281 Spätestens bei der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Wien im März 1961 unter Anwesenheit des Bundespräsidenten und des Wiener Bür279 Anonym, Oskar Kokoschka : Später Triumph in der Heimat, in : Die Bunte, 22.6. 1961, S. 16f. 280 Wolfgang Kudrnosfsky, Wallungen, Ballungen, ruhet sanft ! »Orpheus und Eurydike« von Oskar Kokoschka wird derzeit in Veit Relins »Ateliertheater am Naschmarkt« aufgeführt, in : Illustrierte KronenZeitung, 29.12.1960. 281 ÖStA, AdR, BMU 02, Sammelmappe 210 Oskar Kokoschka 1955 – 1971, Zl. 40.075 – 6/1961, Arthur Werner an Heinrich Drimmel (BMU), Wien, 18.1.1961. Es kam erst 1981, also nach dem Tod des Künstlers zur Schaffung des Oskar-Kokoschka-Preises, der alle zwei Jahre an renommierte Kunstschaffende vergeben wird.
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germeisters war Kokoschkas Unmut wieder verflogen. Kokoschkas Reaktion auf negative Kritiken hatte sich seit 1908 nicht verändert : noch 1971 kam er nicht zur Eröffnung seiner großen Ausstellung in der Österreichischen Galerie, weil ihn ein launiger Artikel im österreichischen Polit-Magazin profil gekränkt hatte, der ihn als politisch reaktionär darstellte und ihm den Status des Revolutionärs in toto absprach.282 Letztlich kam Kokoschka doch nach Wien, um seine große Ausstellung im Belvedere zu sehen und wurde wie ein Staatsgast unter großem Presseaufgebot empfangen. Er konnte einige Stunden alleine mit seinen Werken in den Räumen der Österreichsichen Galerie verbringen und hatte von der Dirketion die außergewöhnliche Genehmigung, dabei auch rauchen zu dürfen. Der österreichische Bundeskanzler Bruno Kreisky (SPÖ) lud ihn nicht nur in seine Amtsvilla ein, sondern wollte ihn mit einer österreichischen Staatsbürgerschaft zumindest symbolisch zurückholen. Dafür wäre ein Ansuchen Kokoschkas und eine örtliche Meldeadresse nötig gewesen. Kreisky umschiffte die bürokratischen Hürden, indem er den Künstler – ohne dessen Wissen – als Untermieter in seinem Haus im Wiener 19. Bezirk anmeldete. So wurde Kokoschka 1974 erneut de jure wieder Österreicher. In seinem Dankbrief kommentierte er gerührt und nicht ohne ironischen Unterton Kreiskys Finte, wodurch »ich noch lebendig der Republik Österreich einverleibt wurde.«283 Der Akt der »Aussöhnung« zwischen Kokoschka und Östereich, seine »Einverleibung« war dennoch zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen, sondern gleicht vielmehr einem höchst instabilen Perpetuum mobile.
282 Anonym [Peter Michael Lingens ?], Oskar Kokoschka : Porno zum Nachtisch, in : profil, April 1971, S. 48 – 52. 283 Hans Werner Scheidl, Der Untermieter, in : Die Presse, 18.9.2008.
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Anhang
Dank Mein Dank gilt Gerald Bast, Julia Beenken, Régine Bonnefoit, Theodor Brückler, Günter Brus, Bettina Buchendorfer, Alexandra Caruso, Luisa Chmiel, Martina Ciadirelli, Elke Doppler, Franz Eder †, Julia Eßl, Nathalie Feitsch, Konstantin Ferihumer, Hermann Fillitz †, Georg Fuchs †, Edith Futscher, Katinka Gratzer-Baumgärtner, Ruth Häusler, Ruth Hanisch ; Gertrud Held (meine »Heldin«), Barbara Herzog, Friedrich C. Heller, Silvia Herkt, Aglaja Kempf, Birgit Kirchmayr, Helga Köcher, Daniela Kumhala, Friedrich Kurrent † ; Stefan Lehner, Astrid Mahler, Sylvia Mattl-Wurm, Waltraud Moritz, Hermann Nitsch †, Elisabeth Nowak-Thaller, Oswald Oberhuber †, Olga Prevden, Paul Rachler, Artur Rosenauer, Felizitas Schreier, Anja Seipenbusch-Hufschmied, Helmut Selzer, Antje Senarclens de Grancy, Stefan Spevak, Sylvia Stifter, Sarah Stoffaneller, Gabriele Stöger-Spevak, Anna Stuhlpfarrer, Heidemarie Uhl, Agnes Unterweger †, Patrick Werkner, Jörg Wolfert, Olga Wukounig, P. Augustinus Zeman OSB, Gerd, Zeno und Philomena Zillner sowie Kolleginnen und Kollegen folgender Institutionen, die meine Recherchen auf vielfache Weise unterstützt haben : Akademie der bildenden Künste Wien, Archiv ; Albertina, Wien ; Archiv für Baukunst, Universität Innsbruck ; Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstands ; Ernst Krenek Institut/Privatstiftung Ernst Krenek Forum Krems ; Fondation Oskar Kokoschka, Vevey ; Fritz Wotruba Privatstiftung, Wien ; Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ; Kunsthaus Zürich ; Kunsthistorisches Museum Wien, Archiv ; Lentos Kunstmuseum, Linz ; Museum der Moderne Salzburg ; mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien ; Oskar Kokoschka Dokumentation Pöchlarn ; Österreichische Kulturvereinigung, Wien ; Österreichischer Kunstsenat, Wien ; Österreichisches Literaturarchiv (Österreichische Nationalbibliothek), Wien ; Österreichisches Staatsarchiv (AdR) ; Research Center Belvedere, Wien ; Secession Wien, Archiv ; Universität für angewandte Kunst Wien : Archiv, Bibliothek, Kunstsammlung und Archiv ; Wienbibliothek im Rathaus ; Wiener Stadt- und Landesarchiv ; Wien Museum ; Zentralbibliothek Zürich, Handschriftensammlung.
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Anhang
Literaturverzeichnis Abgekürzte Literatur inkl. gedruckter Quellen
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Anhang
Abkürzungen AdR Archiv der Republik (ÖStA) AK Ausstellungskatalog AÖG Archiv der Österreichischen Galerie (Research Center Belvedere) AV Aktenvermerk BDA Bundesdenkmalamt BM Bundesminister BMfAA Bundesministerium für Äußere Angelegenheiten (Außenministerium) BMfHuW Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau BMU Bundesministerium für Unterricht DM Deutsche Mark FOK CR Fondation Oskar Kokoschka Catalogue Raisonné (https://www.oskar-kokoschka.ch/ de/1020/Online-Werkkatalog) FWP Fritz Wotruba Privatstiftung Wien KHA Künstlerhaus Archiv Wien KHM Kunsthistorisches Museum Wien KPÖ Kommunistische Partei Österreichs LAÖNB Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek MA Magistrat der Stadt Wien MAK Museum für angewandte Kunst Wien MdM Museum der Moderne Salzburg mumok Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien ÖG Österreichische Galerie (Belvedere), Wien ÖGB Österreichischer Gewerkschaftsbund OK Oskar Kokoschka ÖKV Österreichische Kulturvereinigung ÖNB Österreichische Nationalbibliothek ÖStA Österreichisches Staatsarchiv ÖVP Österreichische Volkspartei OKD Oskar Kokoschka Dokumentation Pöchlarn OKZ Oskar Kokoschka Zentrum, Universität für angewandte Kunst Wien RFS Ring Freiheitlicher Studenten SDAP Sozialdemokratische Arbeiterpartei SPÖ Sozialistische (Sozialdemokratische) Partei Österreichs SU Sowjetunion UAbKW Universitätsarchiv der Akademie der bildenden Künste Wien UAK Universität für angewandte Kunst Wien UAUAK Universitätsarchiv der Universität für angewandte Kunst Wien WV Werkverzeichnis WW Sigle für Werkverzeichniseinträge in Wingler/Welz 1975 bzw. 1981 WSLB Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Wienbibliothek im Rathaus) ZBZ Zentralbibliothek Zürich, Handschriftensammlung, Nachlass Oskar Kokoschka 330
Register
Abbildungsnachweis Archiv der Wiener Staatsoper : 44 (Foto : Felix Leutner ; aus : Stuhlpfarrer 2019, S. 68) ; Belvedere Wien : 13 und 48 (Foto : Johannes Stoll) ; 49 (Nachlass Fritz Wotruba, Fotoarchiv) ; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Wien : 15 (DOEW_02172-10) ; Fondation Oskar Kokoschka, Vevey : 18 (Foto : Julien Gremaud, Vevey), 20 ; KHM – Kunsthistorisches Museum Wien : 12 ; Kunstsammlung und Archiv, Universität für angewandte Kunst Wien : 29 (KM 2992) ; LENTOS Kunstmuseum, Linz : 36 (Foto : Reinhard Haider) ; mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien : 54a (Inv.Nr. MG 155/0), 54b (Inv.Nr. G 897/7) ; Museum der Moderne Salzburg : 35 (BS 1591 ; Foto : Rainer Iglar) ; The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence : 10 (Abby Aldrich Rockefeller Fund.; Acc.n. 651.1939) ; Oskar Kokoschka Dokumentation Pöchlarn (Dauerleihgabe im OKZ, UAK) : 2 (OKD/1/Q), 5, 6, 7, 9 (OK-Per 1629/P+), 21 (OKSch 1647/P+), 40 (OKZ, Ordner Seperata Schule Salzburg), 45, 46, 50 und 54 (OKZ, Einklebebuch Zeitungsausschnitte 1949 – 1955) ; Oskar Kokoschka Zentrum, Universität für angewandte Kunst Wien : Cover-Abbildung (OKV/300/FP), 1 (OK-Per 779/S), 3 (OKV/24/FP), 4 (OK-Per 5345/V), 15, 16 (OK/23/Q), 17, 19 (aus : Briefe III, OK-Sch 183/S), 22 (16.190/Q), 23, 30 (WW 180), 31 (OKB/AD/20/FP), 32 OK/21/Q), 33 (OKV/266/FP), 34, 37 (OKV/268/FP), 38 (OKB/ BD/12/FP), 39 (OK-Per 5273/V), 41 (OKV/665/FP), 42 (OKV/Sbg158/FP), 43 (OKV/Sbg5/ FP), 47 (OKB/AE/28/FP), 48, 50 (OK-Ex Mon 100/1/B), 51, 55, 56 (OK/24/Aut) ; Bernadette Reinhold : 28 ; Sammlung Wiener Städtische Versicherung AG – Vienna Insurance Group : 24 ; Wien Museum : 11 (Inv.Nr. 52300), Wikimedia Commons : 25, 26 (Foto José Luiz), 27. Die Bildrechte liegen für Werke von Oskar Kokoschka : Fondation Oskar Kokoschka, Vevey (© Bildrecht, Wien 2023) Heinz Cibulka und Hermann Nitsch : © Bildrecht, Wien 2023 Robert Haas : Miriam Haas & Catherine Haas Riley sowie bei den Künstlern bzw. ihren Rechtsnachfolger/innen.
Register Adelhart, Jakob 228 Adenauer, Konrad 31, 216, 230, 231 Adler, Alfred 10 Adorno, Theodor W. 157 Aichinger, Ilse 12 Altenberg, Peter 27, 31, 34, 268 Andersen, Robin Christian 33, 219, 272 Andics, Hellmut 145 Ankwicz-Kleehoven, Hans 54 Apollonio, Umbro 251 Arndt, Adolf 117 Arndt, Ruth 117 Arntz, Wilhelm F. 203
Aslan, Raoul 226 Bach, David Josef 59 – 62, 67 Bachmann, Ingeborg 285 Bachofen, Johann Jakob 133, 160 Baczewski, Natalie 14 Bahr, Hermann 27, 164 Bailer, Brigitte 139 Balke, Franz 242, 243 Barnet, Alfred 220 Barwig, Franz 183 Baszel, Günther 272 Bauer, Christian 251
331
Anhang
Bauer, Otto 73 Bäumer, Eduard 219, 220 Baumgartner, Ulrich 300 Beckmann, Max 45, 47, 113 Beddington-Behrens, Edvard 118, 123 Beethoven, Ludwig van 94, 187, 241, 277 Benesch, Otto 166, 175, 234, 239, 244 – 246, 248, 250, 251, 253, 255, 256, 287 Beneš, Edvard 116, 171, 172 Benjamin, Walter 118 Berg, Alban 27, 35, 298 Bernay, Martha 16 Bernhard, Thomas 17, 99, 297, 300 – 302 Binder, Joseph 219 Blauensteiner, Leopold 68 Bloch-Bauer, Adele 104 Bloch-Bauer, Ferdinand 104 Bodmershof, Imma von 285 Boeckl, Herbert 69, 149, 182, 186, 188, 189, 192, 193, 218, 221 – 228, 233, 272, 273, 275, 285, 286, 294, 301 Böhm, Friedrich 220 Boltenstern, Erich 272 Bondi-Jaray, Lea 259, 265 Bonnefoit, Régine 13, 266 Borodajkewycz, Taras 287, 288 Bosch, Hieronymus 110 Bourdieu, Pierre 25, 40, 160 Braun, Matthias 174 Brechler, Otto 185 Brecht, Bertold 120, 129 Breicha, Otto 12, 149, 150 Brenner, Anton 81, 85 Breughel d. Ä., Pieter 62 Briffault, Robert 161 Brill, Otto 104 Bruce, Bessie (Loos, Bessie) 101 Bruckmüller, Ernst 9 Brus, Günter 32, 151, 221, 298 – 300, 302, 329 Bührle, Emil Georg 230 Bunzl, Ernst 104 Burger, Hanuš 205 Buruma, Jan 171 Buschbeck, Erhard 37 Buschbeck, Ernst 64, 101, 185, 188 – 190, 228, 238 Busta, Christine 285 Canetti, Elias 95, 106
332
Canon, Hans 70, 93 Caroll, Lewis 130 Casals, Pablo 254 Cassirer, Paul 17, 32, 55, 223 Cézanne, Paul 44, 57, 107, 146, 150, 234 Chagall, Marc 45, 109, 275 Chamberlain, Arthur Neville 131 Chaplin, Charly 82, 98 Charoux, Siegfried 180 Cibulka, Heinz 300 Čižek, Franz 41, 62 Clark, Kenneth 118, 195 Comenius, Johann Amos ( Jan Amos Komenský) 62, 82, 84, 85, 97, 98, 119 Corinth, Lovis 109 Coudenhove-Kalergi, Barbara 295 Cremer, Friedrich 220 Croft, Michael 118 Csokor, Franz Theodor 286 Czermak, Emmerich 65 Däubler, Theodor 37 Daumier, Honoré 250 David, Johann Nepomuk 284 Demus, Klaus 303 Demus, Otto 60, 166, 275, 287 Dix, Otto 45 Dollfuß, Engelbert 72 – 74, 87, 89, 90, 92, 180 Drimmel, Heinrich 206, 249, 255, 270, 271, 276, 278, 279, 281, 286 – 289, 294, 296, 305 Dürer, Albrecht 40, 78, 96 Dyck, Anthonis van 184 Eberstaller, Maria 69 Egger-Lienz, Albin 93, 183, 264 Ehrenstein, Albert 95, 96, 98, 114, 117, 124, 199, 268 Ehrlich, Georg 69, 189, 190, 192 Eigenberger, Robert 187, 223, 248, 251, 265, 266, 275 Eigruber, August 136 Eisenmenger, Rudolf Hermann 153, 272 – 276 Eisler, Charlotte (Lotte) 149 Eisler, Georg 123, 149, 218, 265 Eisler, Hanns 149 Eisler, Max 44, 50 El Greco (Domínikos Thetokópoulos) 44 Ensor, James 44, 109
Register
Erhard, Ludwig 216, 263 Ermers, Max 48 Ernst, Max 118 Ernst, Richard 93, 100, 104, 108, 109, 185, 208, 245 Etter, Philipp 186 Etzersdorfer, Irene 129 Fabrus 81 Faistauer, Anton 33, 34, 57, 69, 164, 183 Federer, Oskar 96 Feigl, Hugo 17, 96, 196 Feilchenfeld, Walter 14, 17, 55, 169, 177, 178, 193, 196 Fellerer, Max 85, 219, 220, 226, 275, 276, 285, 286 Ferihumer, Konstantin 162 Figl, Leopold 174, 294 Fillitz, Hermann 145, 185, 251, 286, 329 Fischer, Ernst 154, 155, 164, 165 Fischer, Harry 149 Fischer, Wolfgang Georg 22, 149, 230 Fischer von Erlach, Johann Bernhard 163, 281, 282 Fleck, Robert 251 Fleischmann, Benno 145 Forst, Willi 226 Frank, Hans 222 Frank, Josef 38, 80, 81, 85, 93 Frank, Paul 29 Frankl, Gerhart 60, 157, 228, 237, 264 Franz Ferdinand, Erzherzog Thronfolger 7, 34, 295, 299, 305 Franz Joseph I., Kaiser 26 Frauenfeld, Alfred 53 Freud, Sigmund 16, 17, 122, 298 Freund, Robert 111, 112, 119, 157 Frey, Dagobert 185 Fried, Erich 144 Friedell, Egon 27, 37 Friedenstein, Käte 189 Fritsch, Gerhard 12 Früh, Eckhart 81 Fuchs, Robert 270 – 272, 278 Furtwängler, Wilhelm 283 Gabor, László 81 Gamsjäger, Rudolf 283 Gandhi, Mahatma 181 Garas, Klara 162
Garzarolli-Thurnlackh, Karl 234, 236, 243 – 247, 255, 256, 275, 279, 281, 289, 290 Gauguin, Paul 57, 146 Gerstl, Richard 39, 240, 297 Ginzkey, Franz Karl 284 Gironcoli, Helene de 242 Glück, Franz 146, 211 – 213, 217, 228, 233, 244 – 246, 256 Goebbels, Joseph 136, 274 Goetz, Diego 226 Gogh, Vincent van 57, 109, 146, 150, 226, 235, 241, 304 Gómez, Dolores Ibárruri 115, 116 Göring, Edda 222 Göring, Hermann 222 Grimschitz, Bruno 101, 104, 163, 224, 225, 234, 265 – 267, 282 Grohmann, Will 265 Grossmann, Stefan 28 Grosz, George 45 Grote, Ludwig 194, 243 – 246 Grünewald, Matthias 265 Gsteu, Johann Georg 263, 298 Gubler, Friedrich 193 Guglielmi, Gregorio 304 Gurlitt, Wolfgang 16, 17, 32, 194, 195, 197, 200 – 203, 206, 209 – 212, 230, 246 – 249, 253 – 256, 259, 265, 268, 278, 290 Gütersloh, Albert Paris 33, 57, 69, 85, 219, 221, 285 Haas, Robert 23, 331 Haberditzl, Martin 56, 100, 224, 233, 234 Haerdtl, Oswald 95, 185, 220, 228 Haftmann, Werner 265 Hammer, Viktor 228 Hammerstein-Equord, Hans 107, 108 Hanak, Anton 69, 85, 183 Hanfstaengl, Eberhard 101 Hanisch, Ernst 73, 143, 154, 264 Hartmann, Ernst 287 Hasenclever, Walter 31 Hauer, Josef Matthias 285 – 287 Häusler, Philipp 85 Heartfield, John 116, 120, 121 Heer, Friedrich 139, 286 Heise, Carl Georg 194, 244, 245 Helmer, Oskar 142 Hennings, Fred 168
333
Anhang
Henz, Rudolf 226 Herberth, Franz 220 Herodot 291 Herostrat 49 Herrmann, Rudolf 49 – 52 Heuss, Theodor 216, 244 Hevesi, Ludwig 17, 27 Hilger, Wolfgang 22, 148, 149, 151, 209, 217, 265 Hirschfeld, Ludwig 46, 47, 49 Hitler, Adolf 7, 31, 52, 68, 69, 103, 110, 113, 115, 117, 120, 123, 124, 127, 136 – 138, 143, 151, 166, 167, 176, 222, 269, 274, 284 Hobsbawm, Eric 166 Hodin, Josef P.[aul] 13, 147, 172, 174, 175 Hodler, Ferdinand 57, 146 Hoffenreich, Ludwig 299 Hoffmann, Georg 137 Hoffmann, Josef 69, 79 – 81, 84, 85, 90 – 92, 107, 182, 219, 245, 249, 250, 276 Hoffmann(-Yapou), Edith 13, 35, 113, 130, 147, 195, 241 Hofmann, Hans 263 Hofmann, Werner 150, 234, 249 – 256, 258, 259, 266, 300, 302 Hofmannsthal, Hugo von 30, 37 Hohenauer, Gottfried 93, 224 Höller 81 Holton, Gerald 142 Holzbauer, Wilhelm 298 Holz, Keith 96, 157 Holzmeister, Clemens 78, 80, 81, 86, 88, 92, 93, 95, 105, 108, 198, 223, 263, 272, 284, 298 Honay, Karl 294 Hopman, A.N. 247 Hore-Belisha, Leslie 118 Horkheimer, Max 157 Hryntschak, Alexander 283 Huber, Ernst 93 Hundertwasser, Friedensreich 149, 297 Hurdes, Felix 184, 227, 228, 294 Hutter, Wolfgang 272, 275 Ilg, Albert 163, 275 Illig, Udo 274 Isepp, Sebastian 33 Jandl, Ernst 7, 10 Jonas, Franz 217
334
Jurjevec-Koller, Gabriele 81, 147 Kafka, Franz 31 Kaindl, Adele 255 Kallin, Anna 98 Kallir-Nirenstein, Otto 17, 36, 37, 44, 46 – 49, 55, 96, 145, 241, 259, 260, 269 Kalmar, Julius 81 Kamm, Edith 186 Kamm, Fritz 186 Kandinsky, Wassily 45, 113 Karajan, Herbert von 232, 280 Kasten, Walter 203, 255 Kellner Leon 88 Kenner, Anton von 220 Kerschbaumer, Gert 264 Kirchmayr, Birgit 15 Kirchweger, Ernst 288 Kirnig, Paul 220 Kitt, Ferdinand 70, 85, 93, 284 Klaus, Josef 262 – 264, 288 Klee, Paul 45, 251, 302 Kleinwächter, Ludwig 194 Klimt, Gustav 7, 26, 35, 44, 49, 57, 66, 70, 71, 93, 101, 104, 107, 133, 136, 145, 146, 156, 180, 183, 225, 240, 241, 278, 297, 298 Klüger, Ruth 143 Koessler, Ernst 236 Kokoschka, Berta (Bibsch) 36, 118, 169 – 171, 180 – 182, 198 Kokoschka, Bohuslav (Bohi) 36, 37, 104, 117, 148, 169, 170, 177, 198, 199, 201, 204, 206, 225, 226 Kokoschka, Gustav 36, 42, 62, 259 Kokoschka, Olda 16, 114, 118, 119, 122, 147, 170, 173, 182, 194, 196, 197, 238, 250, 263, 269, 276, 280, 281, 302 Kokoschka, Roman 169 Kokoschka, Romana 36, 90, 95 Kolig, Anton 33, 56, 57, 69, 164, 189, 192, 220, 264 Kollek, Teddy 230 Koller, Fritz 260, 264 Konody, P.G. 94 Kopriva, Ernestine 220 Koref, Ernst 198, 246 Kornauth, Egon 286 Körner, Theodor 61, 137, 178, 180, 181, 202, 204, 206 – 208, 211 – 214, 216, 227, 236, 239, 240, 247, 249, 255
Register
Koschatzky, Walter 239 Krapf-Weiler, Almut 161 Kraus, Karl 27, 28, 32, 34, 37, 60, 74, 99, 211, 213, 214, 234, 242, 268, 298 Kreisky, Bruno 7, 8, 11, 154, 306 Kreissler, Felix 139 Krenek, Ernst 80, 81, 285 Krips, Josef 226 Kris, Ernst 160 Kubin, Alfred 69, 239 Kudrnofsky, Wolfgang 303, 305 Kurrent, Friedrich 298, 329 Kurz, Otto 160 Lachnit, Edwin 130, 157 Lang, Erwin 33 Lányi, Richard 17, 36, 37, 104 Lasker-Schüler, Else 35 Lassnig, Maria 285, 297 Lavant, Christine 285 Léger, Fernand 45 Leitner, Otto 298 Lichtenhan, Lucas 239 Liebermann, Max 268 Löffler, Bertold 96, 219 Loos, Adolf 7, 21, 27, 28, 32, 34, 35, 37, 41, 46, 49, 53, 57, 60, 61, 74, 79, 80, 82 – 84, 86, 89, 98, 101, 106, 107, 156, 183, 211, 233, 242, 266, 268, 298 Loos, Walter 81 Lorca, Federico García 115, 116 Mahler, Alma 60 Mahler, Gustav 31, 60 Mahler(-Werfel), Alma 16, 36, 65, 68, 69, 104, 110, 172, 239 Maisky, Ivan 123, 124 Makart, Hans 70, 93 Mandl, Hans 146, 210 – 212, 214, 216, 217, 294 Marboe, Ernst 164, 165, 275, 278 Marc, Franz 57, 109 Marées, Hans von 107 Martin, Christian Ludwig 222, 247 Marx, Joseph 284 – 286 Masaryk, Tomáš Garrigue 97 – 99, 116, 118, 123 Matejka-Felden, Gerda 223, 227 Matejka, Viktor 53, 60, 64, 90, 146, 148, 149, 152 – 154, 165, 170, 173, 177 – 180, 190, 192 – 194, 198, 200 – 210, 212 – 215, 218, 226, 227, 231,
235, 237 – 242, 248, 254, 265, 275, 276, 282, 283, 287 – 290, 295, 304 Mattl, Siegfried 74 Mauer, Otto 226, 228 Mauthe, Jörg 10 Mautner-Markhof, Manfred 226 May, Karl Maria 275 Mayer, Eugen 220 Mayer-Marton, Georg 180 Mayröcker, Friederike 285 Meder, Joseph 242 Meier-Graefe, Julius 55, 150 Meissner, Paul 249, 257 Mell, Max 284 Menasse, Robert 99 Menkes, Hermann 44 Michel, Eva 164 Mikl, Josef 299, 300 Mitterer, Felix 78 Moldovan, Kurt 300 Moll, Carl 17, 57, 60, 65 – 70, 94, 102, 104 – 109, 111, 234, 241, 259, 296 Mondrian, Piet 45, 150, 235, 297 Moser, Koloman 66 Mozart, Wolfgang Amadeus 241, 254, 260, 262, 273, 274, 281, 294, 301 Mühlmann, Kajetan 222 Müller, Albert 99, 139 Müller-Hofmann, Wilhelm 219 Müllner, Josef 222 Munch, Edvard 44, 146, 301 Münz, Ludwig 60, 211, 240, 245, 266 – 268 Muschik, Johann 254, 257 Musil, Josef 251, 256, 257, 271 Musil, Robert 77, 186, 298 Mussolini, Benito 74 Muther, Richard 27 Nabl, Franz 284 Napoleon I., Kaiser 166 Natter, Tobias G. 152 Nemes, Marcel 255 Neugebauer, Wolfgang 124, 127, 129 Neumeyer, Alfred 108, 117, 119, 127, 171 Neurath, Otto 81, 96 Neurath, Walter 237, 242 Neuwirth, Arnulf 300 Nietzsche, Friedrich 15, 268
335
Anhang
Nijinsky, Vaslav 242 Nitsch, Hermann 299, 300, 329 Nolde, Emil 104, 109 Nora, Pierre 140, 248 Nordau, Max 46, 47 Novotny, Fritz 60, 146, 178, 200, 201, 234 – 243, 245 – 247, 287 Oberhuber, Oswald 144, 147, 153 Obsieger, Robert 220 Oppenheimer, Max (MOPP) 35, 39, 236 Orley, Robert 85 Osthaus, Karl Ernst 233 Padevet, Jiří 171 Palkovský, Karel B.[retislav] 122 Papen, Franz 103 Patka, Erika 147 Patočka, Emil 36, 118, 169 – 171, 180, 181 Pauser, Serigus 187, 222, 223, 270, 271, 284 Peichl, Gustav 263, 298 Pelinka, Anton 128 Perntner, Hans 158, 224, 226, 228 Pettenkofen, August von 70 Picasso, Pablo 13, 15, 45, 57, 100, 109, 114, 123, 124, 205, 206, 241, 264, 301, 302 Piffl-Perčević, Theodor 288 Pippal, Hans Robert 168 Pippal-Kottnig, Eugenie 168 Pirchan, Emil 222 Pisk, Ernst 104, 176 Plasser, Gerhard 259 Platschek, Hans 14 Plaut, James S. 194, 241 Pletsch, Carl 15, 17, 23 Plischke, Ernst A. 223 Popp, Alexander 103 Posse, Hans 52, 103 Post, Nikolaus 100 Pötzl, Eduard 26 Powolny, Michael 85, 219, 226 Preradović, Paula 10, 156 Prutscher, Otto 85, 180 Qualtinger, Helmut 143 Raab, Julius 270, 271 Rainer, Arnulf 151, 297, 300, 303
336
Rainer, Friedrich 264 Ranzoni, Hans 100 Read, Herbert 117, 118, 131, 172 Rehrl, Franz 260, 264 Reichel, Anton 100 Reichel, Hans 104 Reichel, Oskar 46, 233 Reinhardt, Max 260 Relin, Veit 303 Rembrandt (Rembrandt Harmenszoon van Rijn) 15, 60, 78, 107, 184, 265 Renner, Karl 137, 168, 170, 180, 181 Ringel, Erwin 10, 142, 143 Ring, Grete 55 Roden, Max 104 Roessler, Arthur 17, 34, 35 Rolf, Elli 168 Roller, Alfred 42, 84, 85 Romako, Anton 162 Rosenauer, Artur 24, 166 Rosenberg, Alfred 52, 284 Rosenberger, Michael 92 Rost van Tonningen, Meinoud 129 Roth, Gerhard 99 Rowina, Chana 161 Rubens, Peter Paul 184 Rudolf, Kronzprinz 31 Sahl, Hans 265 Salis, Jean Rudolf von 186 – 189 Salten, Felix 37 Schärf, Adolf 139, 217, 263, 294 Schiele, Egon 13, 15, 39, 44, 56, 57, 66, 145, 180, 233, 236, 242, 243, 297, 298 Schindler, Emil Jakob 66, 93 Schirach, Baldur von 153, 221 Schlosser, Julius von 59 Schlüsselberger, Epi 168 Schmeller, Alfred 20, 257, 300, 302 Schmidt, Georg 253 Schmidt, Helmut 216 Schmidt, Justus 198 Schmied, Wieland 17, 294 Schnitzler, Arthur 30, 298 Schober, Johann 28 Scholl, Hans 125 Scholl, Sophie 125 Schönberg, Arnold 37, 41, 59, 60, 204, 268, 298
Register
Schostakowitsch, Dmitri 273 Schrage, Dieter 149 Schreyer, Lothar 18 Schubert, Franz 241 Schultze-Naumburg, Paul 52 Schuschnigg, Kurt 73, 74, 108, 110, 127, 260 Schuster, Franz 220 Schwanzer, Karl 294 Schwarz, Heinrich 101 Schwarzwald, Eugenie 38, 41, 42, 55, 65, 84, 88 Schwarzwald, Hermann 41, 236 Schweiger, Werner J. 12, 14, 16, 25, 32, 233 Sedlmayr, Hans 269, 270, 282, 286, 287 Seefehlner, Egon 192, 193, 226, 228 Seghers, Anna 129 Seilern, Antoine Graf 60, 274 Seitz, Karl 59, 61 Sekler, Eduard 90 Seligmann, Adalbert Franz 17, 26, 45 – 47, 49, 50, 111, 151 Sering, Paul 125 Seyß-Inquart, Arthur 221 Shedel, James 96 Siegel, Otto 284 Simon, Sven 230, 231 Slama, Viktor 190 Sobotka, Walter 81 Sommer, Monika 137 Sotriffer, Kristian 304 Spalt, Johannes 298 Spielmann, Heinz 16, 22, 115, 147, 197 Spitzmüller, Anna 185 Springer, Axel 230 Stalin, Josef 124, 172, 181 Starhemberg, Ernst Rüdiger von 62, 89, 180 Stefan, Paul 35 Steiner, Herbert 123, 124, 174 Steiner, Rudolf 104 Stern, Frank 144 Sterrer, Karl 284 Stix, Alfred 93, 100, 101, 108, 185, 188, 189, 193, 224, 228, 235, 236, 240 Strachwitz, Ernst 155 Strauß, Franz Josef 154 Strauß, Johann 143 Strauß, Richard 215 Strnad, Oskar 81, 84, 85, 183 Strobl, Alice 235
Strohmer, Erich V. 185 Strzygowski, Josef 33, 94, 296 Stuppäck, Hermann 153 Sultano, Gloria 22, 60, 102 Swoboda, Kamilla 265 Swoboda, Karl Maria 235, 265, 286 Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice de 168 Ther, Philipp 171, 172 Thomasberger, Konrad 185, 236, 246, 290 Thorak, Josef 262 Tietze, Hans 17, 20, 32, 33, 35, 37, 45, 57 – 59, 64, 65, 67, 68, 101, 104, 163, 166, 168, 175, 233, 236, 256 Tietze-Conrat, Erica 32, 57, 58 Tieze, Agnes 96 Tintoretto, Jacopo (Robusti, Jacopo) 44, 88, 184 Tizian (Tiziano Vecellio) 67, 184 Torberg, Friedrich 112 Trakl, Georg 37, 298 Uhl, Heidemarie 24, 141, 144 Vansittart, Robert 120 Vermeer, Jan 78 Veronese, Paolo 184 Viertel, Berthold 31 Vinnen, Carl 57 Vranitzky, Franz 141 Waerndorfer, Fritz 91 Wagner, Karl 185, 211, 212, 237, 242 Wagner, Otto 183 Walden, Herwarth 17, 27, 32 Waldheim, Kurt 128, 141, 147 Waldmüller, Ferdinand Georg 70, 78, 93, 150, 162, 236, 260 Wallerstein, Viktor 17 Wallisch, Koloman 128, 129 Wally, Barbara 200, 262 Wartmann, Wilhelm 189, 193 Wawrik, Gunther 298 Webern, Anton 27, 35, 60, 298 Weigel, Hans 295, 300 Weinheber, Josef 221 Weiniger, Otto 31 Weis, W.[enzel] 29 Wellesz, Egon 27, 41, 60, 64, 285
337
Anhang
Welz, Friedrich (Maximilian) 17, 150, 153, 197 – 202, 217, 230, 244, 253 – 256, 259 – 262, 266, 269, 276, 298, 301, 304 Welzenbacher, Lois 81 Weresin, Wolfgang von 85 Werfel, Franz 104 Werkner, Patrick 14, 22, 102, 198, 200 Werner, Arthur 305 Westheim, Paul 12, 13, 17, 26, 30, 33, 49, 62, 102, 118, 164, 205, 206, 224, 225, 233 Wickenburg, Alfred 219, 228 Wied, Martina 285 Wiegele, Franz 33, 69, 189, 192 Wiener, Oswald 156 Wiesenthal, Simon 165 Wild, Doris 13, 16, 266 Wilder, Billy 205 Wildgans, Anton 76 – 79, 87 Wimmer-Wisgrill, Eduard Josef 85, 185, 219, 220 Windisch, Annette 15 Wingler, Hans Maria 13, 14, 16, 160, 197, 269, 283 Winkler, Johann 147
338
Winkler, Josef 284 Wittgenstein, Ludwig 298 Witzmann, Carl 92, 219, 220 Wolff, Kurt 32 Wolff-Knize, Anny 175 Wolff-Knize, Frédéric (Friedrich, Fritz) 104, 237 Wolf, Hugo 156 Wotruba, Fritz 37, 69, 149, 183, 185 – 190, 192, 193, 221 – 223, 226 – 228, 235, 240, 242, 262, 272, 273, 275, 286, 287, 294 Wotruba, Marian 186 Wyss, Gertrude von 177 Wyss, Walter von 177 Zeles, Marianne 219 Zellweker, Edwin 185, 228 Zorzi, Leopoldo 292 Zuckmayer, Carl 110, 127 Zülow, Franz 219 Zuroff, Efraim 140 Zweig, Stefan 30, 31, 37, 43, 73, 74, 118, 157
Die erotische Romanbiografie zum Film „Alma und Oskar“
Hilde Berger Die Windsbraut Die Geschichte von Oskar Kokoschka und Alma Mahler 3. Auflage 2020. 192 Seiten. Gebunden € 28,00 D | € 29,00 A ISBN 978-3-205-21116-7 E-Book | E-Pub: € 28,00 D | € 29,00 A
Der biografische Roman erzählt die Amour Fou des jungen expressionistischen Künstlers Oskar Kokoschka mit der um einige Jahre älteren Grand Dame des Wiener Kulturlebens, Alma Mahler, der Witwe des Operndirektors. Sie lässt sich von dem noch unbekannten jungen Künstler malen, sie verführt ihn und weist den Unerfahrenen in die Künste der Erotik ein. Für sie ist er anfangs nur eine ihrer zahlreichen Eroberungen, für ihn ist sie aber die erste große Liebe. Er macht sie zu seiner Muse und glaubt ohne sie nicht mehr künstlerisch arbeiten zu können. Nach zwei Jahren leidenschaftlicher Beziehung gelingt es Oskar beinahe, Alma zu zähmen. Alle Gegner hat er aus dem Feld geschlagen, nur einer bleibt für ihn unbesiegbar, der Tote, Gustav Mahler.
Preisstand 7.10.2022