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German Pages 285 [286] Year 2015
Udo Wengst Theodor Eschenburg
Udo Wengst
Theodor Eschenburg | Biografie einer politischen Leitfigur 1904–1999
ISBN 978-3-11-040289-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-040303-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-040310-7 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston Titelbild: Theodor Eschenburg (1960er Jahre); Privatarchiv Christine und Susanne Eschenburg Satz: PTP-Berlin, Protago TEX-Production GmbH, www.ptp-berlin.de Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Einleitung | 1 Kindheit und Jugend im großbürgerlichen Ambiente in Kiel, Cuxhaven und Lübeck | 7 Student und politischer Aktivist in Tübingen | 23 Doktorand in Berlin und die Beziehungen zu Außenminister Gustav Stresemann | 49 Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik | 71 Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich | 95 In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern | 135 Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen | 169 „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker | 203 Lebensabend: Familiäres, Krankheiten und die Fron des Memoirenschreibens | 243 Epilog | 253 Quellen und Literatur | 261 Archivalien | 261 Verzeichnis der Veröffentlichungen Eschenburgs | 262 Verzeichnis der veröffentlichten Quellen und der Literatur | 264 Abkürzungen | 271 Abbildungsnachweis | 273 Personenregister | 275
Einleitung Biografien haben in der Geschichtsschreibung in der Bundesrepublik in den 1960er und 1970er Jahren nicht hoch im Kurs gestanden. Hans-Ulrich Wehler hat im Hinblick hierauf gar von einer „Krise der politischen Biografie“ gesprochen.¹ Hiervon kann nunmehr aber keine Rede mehr sein. Seit den 1980er Jahren sind insbesondere über Politiker der Bundesrepublik Biografien in so großer Zahl veröffentlicht worden, dass der Anschein entstanden ist, als ob das Diktum Heinrich von Treitschkes „Männer machen Geschichte“ wieder Gültigkeit besitzt. Hierzu liegt ein Überblick aus dem Jahr 2008 vor.² Aber auch danach sind z. B. mit Biografien über den ersten Bundespräsidenten Theodor Heuss³ und den langjährigen Bundeskanzler Helmut Kohl weitere gewichtige Lebensbeschreibungen erschienen.⁴ Das Interesse an der Biografie ist wohl darauf zurückzuführen, dass die Darstellung von Lebensschicksalen in der Regel anschaulich ist, sie eher langfristige Prozesse in den Blick nimmt und damit zeitliche Veränderungen verdeutlichen kann. Die Biografie, vor allem die Politikerbiografie, ist daher wieder ein zentraler Bestandteil der Geschichtsschreibung geworden, und zwar über alle Phasen der Zeitgeschichte bzw. allgemeinen Geschichte. Dabei mag auch eine Rolle spielen, dass es für viele Historiker besonders reizvoll ist, sich als Biograf zu betätigen. Dies trifft auch für den Verfasser zu. Deshalb hatte ich mir vorgenommen, nach der Fertigstellung meiner Biografie über Thomas Dehler⁵ nochmals eine Biografie zu schreiben. Jedoch sollte der Gegenstand meiner Betrachtungen dieses Mal kein Politiker der ersten Garnitur sein, sondern eine Persönlichkeit, die in ganz unterschiedlichen Bereichen gewirkt und sich dabei einen Namen gemacht hatte. Während der Zeit des Nachdenkens, auf wen meine Wahl fallen könnte, starb Theodor Eschenburg. Ihn hatte ich in meinen Tübinger Jahren noch etwas kennen gelernt, und er hatte mich durchaus beeindruckt. Hinzu kam, dass das Leben Eschenburgs nahezu das gesamte 20. Jahrhundert umfasst, was
1 Hans-Ulrich Wehler, Zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Psychoanalyse, in: HZ Beil. 208 (1969), S. 531. 2 Udo Wengst, Machen Männer wieder Geschichte? Der Stellenwert von Politikerbiografien in der Geschichtsschreibung über die Bundesrepublik Deutschland, in: Klaus Hildebrand u. a. (Hrsg.), Geschichtswissenschaft und Zeiterkenntnis. Von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Festschrift zum 65. Geburtstag von Horst Möller, München 2008, S. 628–631. 3 Ernst Wolfgang Becker, Theodor Heuss. Bürger im Zeitalter der Extreme, Stuttgart 2011; Peter Merseburger, Theodor Heuss. Der Bürger als Präsident, München 2012; Joachim Radkau, Theodor Heuss, München 2013. 4 Hans-Peter Schwarz, Helmut Kohl. Eine politische Biographie, München 2012. 5 Udo Wengst, Thomas Dehler 1897–1967. Eine politische Biographie, München 1997.
2 | Einleitung zu der Annahme berechtigte, dass sich die Zeitläufte mit all ihren Brüchen in seinem Lebenslauf widerspiegeln könnten. Hierzu bestand umso mehr Anlass, als Eschenburg es schon in jungen Jahren verstanden hatte, ein Netzwerk aufzubauen, das ihn mit herausragenden Personen in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik in Verbindung brachte und ihm den Eintritt in die Berliner Gesellschaft ermöglichte. Aufgewachsen in einem großbürgerlichen Milieu hatte er in Tübingen und Berlin studiert und in der Reichshauptstadt Kontakt zum damaligen Reichsaußenminister Gustav Stresemann gefunden. Um diese Verbindung rankten sich Gerüchte, die so weit gingen, dass Eschenburg im Nachhinein zum Sekretär Stresemanns gemacht wurde. Obwohl dies nicht stimmte, gibt es an dem starken Einfluss, den Stresemann auf Eschenburg ausgeübt hat, nichts zu deuteln. Dieser Einfluss ging weit über den Tod des Ministers hinaus und hat dazu geführt, dass sich Eschenburg an der Gründung des Deutschen Staatspartei beteiligte, für diese im Reichstagwahlkampf 1930 kandidierte und ihrem Reichsvorstand angehörte. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass er in den schwierigen Jahren der Republik zu den denjenigen Kräften im Bürgertum gehörte, die sich für den Bestand der Republik gegen ihre Gegner einsetzten. Beruflich hatte er aber zu dieser Zeit bereits einen anderen Weg eingeschlagen. Anfang des Jahres 1930 begann er eine Tätigkeit als Verbandsfunktionär, die er über die Zäsur von 1933 hinweg in unterschiedlichen Verbänden bis zum Ende des Dritten Reichs ausübte. Danach führte ihn der Weg in die Regierung von Württemberg-Hohenzollern, zunächst als Kommissar für das Flüchtlingswesen, danach als Stellvertreter des Innenministers. Schon in der Zeit als Mitglied der Regierung von Württemberg-Hohenzollern hielt Eschenburg Lehrveranstaltungen an der Universität Tübingen ab, an der er Ende 1948 zum Honorarprofessor ernannt wurde. Als im Zuge der Einrichtung von Lehrstühlen für Politische Wissenschaft an den deutschen Universitäten in der Nachkriegszeit, die die „Reeducation“ der Besatzungsmächte fortsetzen sollten, über die Besetzung einer solchen Professur an der Universität Tübingen nachgedacht wurde, fiel frühzeitig der Name Eschenburgs. Sowohl die Landesregierung als auch er selbst strebten diese Lösung an. Nachdem er 1952 zum ersten Lehrstuhlinhaber ernannt worden war, machte er sich sehr schnell einen Namen weit über die Universität hinaus. Durch eine weit gespannte Vortragstätigkeit und regelmäßige Veröffentlichungen in der Presse wurde er als „Hüter der Institutionen“ und „Lehrer der Demokratie“ bekannt. Er bildete nicht nur ganze Generationen von Lehrern und Journalisten aus, sondern trug mit seinen zahlreichen Beiträgen in erheblichem Maße zur öffentlichen politischen Diskussion bei. Er fungierte als Ratgeber und Mahner von Politikern über die Parteigrenzen hinweg. Es war deshalb nachvollziehbar, dass die Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft im Jahr 2002 beschloss,
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den von ihr verliehenen „Preis für das politikwissenschaftliche Lebenswerk“ nach Theodor Eschenburg zu benennen. Dies war eine Hommage an eine der herausragenden Gestalten der Gründergeneration der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik, deren Lebensleistung zu dieser Zeit unbestritten war. Als ich im Jahr 2002 mit ersten Archivrecherchen begann, stellte ich schnell fest, dass die Quellenlage zu Eschenburgs Leben vor 1945 nicht sehr ergiebig war. Er selbst hatte alle persönlichen Papiere – nach eigenem Bekunden – nach dem „Röhmputsch“ vernichtet.⁶ Die Akten der Dienststellen, die er im Dritten Reich als Geschäftsführer geleitet hatte, waren durch Bombenschäden weitgehend vernichtet worden. Das hat mich jedoch nicht abgehalten, das Projekt weiterzuverfolgen. Ich musste aber die Arbeit hieran über Jahre unterbrechen, da meine dienstliche Tätigkeit im Institut für Zeitgeschichte und andere wissenschaftliche Projekte dies verlangten. Erst seit dem Sommer 2011 habe ich die Quellenrecherchen wieder aufnehmen und die Beschäftigung mit der Biografie fortsetzen können. Zu dieser Zeit hatte sich die Ausgangslage aber vollständig gewandelt. Rainer Eisfeld veröffentlichte nämlich in diesem Jahr einen Aufsatz, in dem er neue Quellen erschloss, die belegten, dass Eschenburg im Jahr 1938 an der „Arisierung“ einer jüdischen Firma beteiligt war.⁷ Im Gefolge dieser Publikation entwickelte sich eine Kontroverse, in deren Verlauf nicht nur Eschenburgs Beteiligung an der „Arisierung“ diskutiert wurde, sondern auch seine zeitweise Mitgliedschaft in der SS. Diese war zwar spätestens seit dem Erscheinen des zweiten Bandes seiner Memoiren bekannt – wurde jetzt aber skandalisiert. Außerdem geriet nunmehr auch Eschenburgs politische Haltung und Tätigkeit in der Weimarer Republik in den Fokus der Kritik. Auf der Grundlage einiger weniger Quellen wurde er dem antidemokratischen, sogar „rechtsradikalen“ Lager zugeordnet. Seine Haltung als „Diener des Dritten Reichs“⁸ erschien dadurch vorgeprägt worden zu sein. Schließlich machten Eschenburgs Kritiker auch vor seiner Tätigkeit nach 1945 nicht halt. Er musste sich nicht nur den Vorwurf gefallen lassen, sich nicht rechtzeitig mit seiner Vergangenheit im Dritten Reich auseinandergesetzt, sondern es wurde ihm auch vorgehalten, eine theorieferne Politikwissenschaft betrieben zu haben.⁹ Rainer Eisfeld hat alle diese Vorwürfe an die Adresse des Tübinger Polito-
6 Theodor Eschenburg, Die improvisierte Demokratie. Gesammelte Aufsätze zur Weimarer Republik, München 1963, S. 9. 7 Rainer Eisfeld, Theodor Eschenburg [I]: Übrigens vergaß ich noch zu erwähnen... Eine Studie um das Kontinuitätsproblem in der Politikwissenschaft, in: ZfG 59 (2011), S. 27–44. 8 Rainer Eisfeld, Theodor Eschenburg. Ein Diener des Dritten Reichs, in: Stuttgarter Zeitung vom 18.9.2013. 9 Ein Überblick über die Kontroverse in: Udo Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“. Zum Problem der historischen Urteilsbildung, in: VfZ 61 (2013), S. 413–420. Danach erschienen weitere
4 | Einleitung logen in dem Satz zusammengefasst: „Vom ´rechtsradikalen´Tübinger Studenten zum Verfechter einer staatszentrierten ´Betriebswirtschaftslehre der Politik´“.¹⁰ Die Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft machte sich die Vorwürfe an die Adresse Eschenburgs zu eigen und beschloss im Oktober 2013, den EschenburgPreis künftig nicht mehr zu vergeben. Eine Biografie ist nicht der Ort, diese Kontroverse fortzusetzen. Geschrieben wurde sie jedoch in Kenntnis von den darin bezogenen Positionen, wobei vom Leser aber nicht erwartet wird, dass er diese stets präsent hat. Ziel der Biografie ist es in erster Linie, anhand der überlieferten Quellen das Leben Eschenburgs, über das wir in wichtigen Phasen bisher nur umrisshaft unterrichtet sind, aufzuhellen und damit zum Verständnis seines Denkens und Handelns beizutragen. Das kann nicht immer im gewünschten Ausmaß geschehen, da die Quellenlage für bestimmte Lebensabschnitte zu wünschen übrig lässt. Unabhängig hiervon hat der Verfasser von Beginn an beabsichtigt, eine „schlanke“ Biografie zu schreiben. Deshalb sind auch die Kapitel über die Nachkriegszeit, über die reichlich Quellenmaterial vorliegt, bewusst knapp gehalten. Es ist deshalb nicht auszuschließen, dass detailliertere Betrachtungen insbesondere über den Politologen und sein Werk Einsichten erbringen, die die Ergebnisse dieser Biografie vertiefen. Nicht zu erwarten ist aber, dass sie das in diesem Buch gezeichnete Bild Eschenburgs wesentlich korrigieren. Es ist selbstverständlich, dass auch Eschenburgs Memoiren, die in zwei Bänden in den Jahren 1995 und 2000 erschienen sind¹¹, immer wieder herangezogen wurden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sie nicht in allen Teilen von dem Tübinger Politologen selbst geschrieben worden sind. Beide Bände basieren auf Interviews, die Wolf-Jobst Siedler und Joachim Fest mit ihm Anfang der 1980er Jahre geführt haben. Diese Interviews sind in schriftlichter Form in Eschenburgs Nachlass überliefert und dienten ihm als Vorlage bei der Erstellung des Manuskripts der Memoiren. Dabei hat er sich schwer getan, was die Fertigstellung immer wieder verzögerte. Deshalb ist dem Verleger Siedler wohl der Gedulds-
Beiträge; zu erwähnen sind insbesondere Rainer Eisfeld, Theodor Eschenburg (II): Der innere Widerstand gegen ein totalitäres Regime verlangte eben besondere Verhaltensweisen, in: ZfG 61 (2013), S. 522–542, und Rainer Eisfeld, Staatskonservative Kollaboration. Theodor Eschenburgs Agieren in einem Mikrokosmos des „Dritten Reichs“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 2 (2014), S. 107–120, sowie Hans-Joachim Lang, Theodor Eschenburg und die deutsche Vergangenheit. Die Enteignung Wilhelm Fischbeins – und was Theodor Eschenburg damit zu tun hat, in: INDES 2014, S. 133–140. 10 So die Überschrift eines Artikels in: Politik unterrichten 28 (2013), Heft 1, S. 13–17. 11 Theodor Eschenburg, Also hören Sie mal zu. Geschichte und Geschichten 1904–1933, Berlin 1995; Theodor Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch. Erinnerungen 1933–1999, Berlin 2000.
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faden gerissen, so dass er bereits im ersten Band einen Text veröffentlichte, der nicht mit dem von Eschenburg abgelieferten Manuskript übereinstimmte. Noch weniger authentisch ist der zweite Band, der erst kurz nach seinem Tod erschienen und im Wesentlichen von Hermann Rudolph verfasst worden ist. Aus diesem Grund habe ich immer wieder auf den Text der Interviews zurückgegriffen, wenn sie mir authentischer erschienen als die Memoiren, was immer dann der Fall war, wenn die Formulierungen in der Vorlage deutlich drastischer waren als in der publizierten Fassung. Gleichwohl sind auch die „Erinnerungen“ Eschenburgs mit großer quellenkritischer Vorsicht zu betrachten, da er sie in einem sehr hohen Alter in großem zeitlichem Abstand zu den Ereignissen Siedler und Fest zur Kenntnis gebracht hat. Trotzdem kann auf sie nicht verzichtet werden, da für bestimmte Zeiten und Aspekte andere Quellen nicht zur Verfügung stehen. Dies trifft nicht für die Jahre ab 1927 bis 1932 zu. Denn im Nachlass von Paul Binder, einem engen Mitstreiter in der Tübinger Studentenpolitik, der im Archiv für Christlich-Demokratische Politik in St. Augustin eingesehen werden kann, befindet sich ein Briefwechsel zwischen diesem und Eschenburg, der einen tiefen Einblick in dessen Tätigkeit in Berlin seit 1927 bietet. Aufgehellt werden darin nicht nur die Entstehung der Dissertation, die Beziehungen zu Stresemann und die politische Tätigkeit nach dessen Tod, sondern auch die Einflussnahme auf die politische Bildungsarbeit an der Universität Tübingen, die bis 1928 fortgesetzt wurde. Ergänzende Materialien zum Kontakt mit Stresemann enthält dessen Nachlass im Auswärtigen Amt. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist schließlich, dass in vorliegender Biografie erstmals sämtliche Veröffentlichungen präsentiert werden, die Eschenburg Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre verfasst hat. Sehr schlecht bestellt ist es mit der Quellenlage für die Zeit des Dritten Reichs. Neben den wenigen Akten, die aus den Beständen der von ihm geleiteten Geschäftsstellen von Kartellverbänden aus den Jahren 1944/45 erhalten geblieben sind, gibt es nur die ihn betreffende Stammrolle der SS, die wenig aussagekräftig ist, und Aktensplitter aus dem Reichswirtschaftsministerium und dem Österreichischen Staatsarchiv, die die Beteiligung Eschenburgs an „Arisierungsmaßnahmen“ im Jahr 1938 belegen. Diese Funde sind Rainer Eisfeld zu verdanken, dessen Interpretationen jedoch nicht mit meinen übereinstimmen. Es ist nicht auszuschließen, dass weitere Recherchen in anderen Aktenbeständen neue Quellen über Eschenburgs berufliche Tätigkeit im Dritten Reich zu Tage fördern. Inwieweit diese ein differenzierteres Bild ergeben werden, muss offen bleiben. Eschenburgs Existenz in der NS-Diktatur darf jedoch nicht nur auf seine berufliche Tätigkeit reduziert werden. Ich hielt ich es deshalb für nötig, über die Freundschaften und das gesellschaftliche Umfeld Eschenburgs in diesen Jahren, über das nicht nur er selbst, sondern auch andere im Nachhinein berichtet haben,
6 | Einleitung weitere Informationen zu erschließen. Die damit verbundenen methodischen Probleme liegen auf der Hand; gleichwohl erschien es mir sinnvoll, diesen Versuch zu unternehmen. Mit dem Ende des Dritten Reichs und der Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik beginnen die Quellen dann reichlich zu fließen. Für die Jahre der Mitgliedschaft in der Regierung von Württemberg-Hohenzollern haben sich die Bestände im Staatsarchiv Sigmaringen als sehr ergiebig erwiesen. Bereits für diese Zeit, aber noch mehr für seine Tätigkeit als Professor in Tübingen ist sein Nachlass im Universitätsarchiv Tübingen die zentrale Quelle. Die hier überlieferten Unterlagen, in erster Linie die Briefwechsel mit Kollegen und Politikern, dokumentieren Eschenburgs universitäres Engagement, aber auch seine Vortrags-, Publikationsund Beratungstätigkeit. Von Bedeutung waren schließlich auch mündliche und schriftliche Informationen, die ich erhalten habe. An erster Stelle sind dabei die Töchter Christine und Susanne Eschenburg zu erwähnen. Ausführliche Antworten auf meine Fragen gaben mir einige Schüler Eschenburgs, so Gerhard Lehmbruch, Rudolf Hrbek und Hans-Georg Wehling. Weitere Hinweise erhielt ich von Hans-Peter Schwarz und Hermann Rudolph. Ihnen allen sei an dieser Stelle ganz herzlich gedankt, ebenso wie dem Direktor des Universitätsarchivs Tübingen, Michael Wischnath, der mir auf der Grundlage seiner Aktenkenntnis viele Fragen beantwortete, sowie Hans-Joachim Lang, Rainer Eisfeld, Hans Küng und Anselm Doering-Manteuffel, die mich auf einschlägige Quellenbestände hingewiesen bzw. Dokumente zur Verfügung gestellt haben. Bastian Hein danke ich für Anregungen zur Überarbeitung der Einleitung und des Epilogs. Ein ganz besonderer Dank gilt Andreas Nagel, der alle auftretenden „Computerprobleme“ gelöst und somit großen Anteil an der Erstellung des Manuskripts hat. Unerwähnt bleiben dürfen schließlich auch nicht Cornelia Horn und Gabriele Jaroschka, die mit Umsicht Satz und Drucklegung im Verlag betreut haben.
Kindheit und Jugend im großbürgerlichen Ambiente in Kiel, Cuxhaven und Lübeck Theodor Eschenburgs Wiege stand in Kiel. Hier wurde er am 24. Oktober 1904 geboren. Das erste Kapitel seiner Memoiren beginnt jedoch nicht mit der Darstellung seiner ersten Lebensjahre in Kiel und Cuxhaven, sondern steht unter der Überschrift „Lübeck als Lebensform“. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Eschenburgs über mehrere Generationen hinweg der Oberschicht der kleinen Hansestadt angehörten. Etliche Vorfahren waren Mitglied der Bürgerschaft oder hatten gar mehrmals das Amt des Bürgermeisters inne. Dies war auch bei dem Großvater Johann Georg Eschenburg der Fall, der dreimal (1905/06, 1909/1910 und 1913/14) als Bürgermeister amtierte. In seinen Memoiren schildert Theodor Eschenburg einleitend ausführlich den Lebenslauf seines Großvaters. Dieser war promovierter Jurist, der als Rechtsanwalt und Notar in der Hansestadt gearbeitet hatte und über Tätigkeiten in der Stadtverwaltung 1870 zu deren obersten Beamten aufgestiegen war. 15 Jahre später wurde er erstmals in den Senat gewählt.¹ Eschenburg hat diesen Einstieg wohl nicht zuletzt deshalb gewählt, weil damit die Bedeutung seiner Familie gleich zu Beginn herausgestrichen wird und er auf den Erfolgsroman „Buddenbrooks“ von Thomas Mann hinweisen konnte. In diesem Roman, der den Niedergang einer fiktiven, aber mit Anspielungen auf reale Personen gespickten Lübecker Honoratiorenfamilie schildert, kommen auch die Eschenburgs vor, und zwar unter dem Namen Huneus, aber „ganz unverkennbar“, und sie haben – wie Eschenburg betont –„sogar einen favorablen Auftritt“.² Sicherlich ist die Prägung, die Theodor Eschenburg durch das großelterliche Haus erhielt, stärker als die durch den Vater. Gleichwohl will ich chronologisch vorgehen und mit der Schilderung der Jahre beginnen, in denen Theodor als Kind in seinem Elternhaus lebte. Theodor Eschenburgs Vater, ein Seeoffizier, der 1904 den Rang eines Oberleutnants bekleidete, war zur Zeit der Geburt in die deutsche Kolonie von Tsingtau (China) abkommandiert, und Vater und Sohn haben sich erst kennen gelernt, als Theodor zwei Jahre alt war. Auf den „fremden Mann“³ reagierte er zunächst ebenso entgeistert, wie das nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in vielen deutschen Familien der Fall war, als die Väter aus Krieg oder Gefangenschaft heimkehrten. Theodor scheint sich aber schnell an die neue Situation gewöhnt und ein
1 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 17–24. 2 Ebenda, S. 7. 3 Ebenda, S. 44.
8 | Kindheit und Jugend gutes Verhältnis zu seinem Vater aufgebaut zu haben. Von Beginn an lebten die Eschenburgs in großbürgerlichem Stil, obwohl das Gehalt zunächst eher bescheiden war. Die fehlenden Mittel schoss der Großvater zu. 1909 wurde der Vater nach Cuxhaven versetzt. Damit war zunächst die Beförderung zum Ausbildungsoffizier für Minen und Torpedos auf Spezialschiffen, dann als Kapitänleutnant zum Chef einer Minensuchdivision von sechs kleineren Booten verbunden. Dies führte zu einer weiteren Verbesserung der Lebensumstände. Nunmehr bewohnte man eine „moderne Sieben-Zimmer-Wohnung“. Zur Versorgung standen eine Köchin, ein Kinderfräulein und ein Hausmädchen zur Verfügung. Außerdem hatte der Vater einen „Burschen“, der „faktisch die Rolle des Hausdieners spielte“. Schließlich kamen wöchentlich oder in etwas größeren Abständen eine Waschfrau, eine Plätterin und eine Näherin.⁴ Theodor Eschenburg war somit frühzeitig an Personal gewöhnt. Damit war eine gewisse Unselbständigkeit verbunden, die dazu führte, dass er in seinem weiteren Leben stets bestrebt war, dienstbare Geister um sich zu haben. Ostern 1911 begann für Theodor die Schulzeit. Zunächst erhielten er und zwei andere Söhne von Offizieren Privatunterricht durch einen Volksschullehrer, an dessen Stelle jedoch schon bald der Küster und Organist der Garnisonkirche trat. In eine „richtige Schule“ kam Theodor erst 1913, als sein Vater wieder nach Kiel versetzt und zum Kommandanten eines U-Boot-Mutter- und Hebeschiffs befördert wurde und die Familie dort direkt an der Förde die beiden obersten Stockwerke mit acht Zimmern eines Zweifamilienhauses bezog.⁵ Theodor wurde in die Septima, die „Vorschulklasse“ des Kieler Gymnasiums eingeschult, und erinnerte sich später, dort auf einen „herrlichen alten Lehrer“ gestoßen zu sein. Die Freude am Unterricht ist dem neuen Kieler Schüler aber offensichtlich bald vergangen, denn als alter Mann klagte er noch im Blick auf diese Schuljahre, dass es „eine Zeit von ungeheurer Arbeit“ gewesen sei.⁶ Ein guter Schüler war Theodor in Kiel nicht, so dass er zweimal, jeweils am Ende der 9. und 10. Klasse, sitzen geblieben ist. In einem von ihm zum Abitur verfassten Lebenslauf machte er dafür neben einem „längere[n] Versäumnis der Schule“, worauf noch einzugehen ist, „eigene Schuld“ verantwortlich.⁷ In seinen Erinnerungen hat er dies noch deutlicher formuliert, indem er ein „ausgesprochenes Desinteresse an bestimmten Fächern“
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Ebenda, S. 46f. Ebenda S. 52. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 1.11.1983, UAT, 530/275. Abiturakten Theodor Eschenburg: Lebenslauf, Katharineum Lübeck.
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herausstrich. So habe ihn „Latein und Griechisch auf der einen, Mathematik und Chemie auf der anderen Seite“ kalt gelassen.⁸ Wichtiger als die Schule war für Theodors Entwicklung in den Kieler Jahren der Einfluss, den der Vater auf ihn ausübte. Das Leben „im Bann der Flotte“ beeindruckte den Jungen offensichtlich, und er hat seinen Vater ohne Zweifel zutiefst bewundert. Dies belegt eine Passage in dem bereits erwähnten Lebenslauf: „Durch den Beruf meines Vaters kamen wir Kinder viel mit der Marine in Berührung, oft nahm er mich mit auf See und machte mich vertraut mit dem Leben und Wirken an Bord der Kriegsschiffe. So wurde in mir frühzeitig der Wunsch wach, ebenfalls Seeoffizier zu werden. Meine ganze Beschäftigung in der freien Zeit richtete sich auf dieses Ziel.“⁹ Ein Höhepunkt der Erlebnisse, die Theodor auf See in diesen Jahren begeisterten, war eine Tauchfahrt mit einem U-Boot im Sommer 1917. Dabei erlebte er Gefechtsübungen, die er mit dem Satz: „Da konnte einem schon die Spucke wegbleiben“, in seinen Memoiren kommentierte. Allerdings deutet er hierin auch bereits erste unterschiedliche Bewertungen der Kriegführung zwischen ihm und seinem Vater an¹⁰: Ob dies jedoch zutrifft, muss offen bleiben, erscheint aber eher zweifelhaft, wenn die weiteren Ereignisse in den Blick genommen werden. Im Herbst des Jahres 1917 bekam Theodor nach zwei Brüdern noch ein kleines Schwesterchen. Damit schien das Glück der Familie vollkommen zu sein, wenn auch der Vater kurz darauf erstmals im Krieg als Kommandant eines U-Bootes vor der italienischen Küste an die Front musste. Nach einigen Monaten kehrte er jedoch unverletzt zurück. Wenig später fand die Taufe der kleinen Tochter statt. Patin war Prinzessin Adelheid, die Ehefrau von Prinz Adalbert von Preußen, des dritten Sohns des Kaisers. Dies war ein Zeichen für den gesellschaftlichen Status, den die Familie erlangt hatte. Er wurde auch dadurch unterstrichen, dass der Vater Theodors noch im September 1918 aus der Hand des Kaisers das Ritterkreuz des Hausordens von Hohenzollern mit Schwertern verliehen bekam. Gleichwohl hatte auch die Familie Eschenburg unter der schlechten Versorgung während des Krieges zu leiden. In den Erinnerungen Eschenburgs heißt es: „Wir Kinder hatten uns an einen langen Krieg gewöhnt, bei qualitativ und quantitativ geringer Kost, gebratenen Steckrüben und getrocknetem Steckrübengemüse, holzbesohlten Schuhen und aus Flicken zusammengeschneiderten Kitteln.“¹¹ Daneben gab es aber auch immer wieder Möglichkeiten, die schlechte Ernährung
8 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 129. 9 Abiturakten Theodor Eschenburg: Lebenslauf, Katharineum Lübeck. 10 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 90f. 11 Ebenda, S. 93.
10 | Kindheit und Jugend aufzubessern. So bekam die Mutter einmal „ein ganzes geschlachtetes Schwein“¹² und der Vater brachte aus Italien „vieles“ mit, „unter anderem einen Riesenschinken“, der zur Taufe der kleinen Schwester verzehrt wurde.¹³ Das Leben hatte auch in diesen schwierigen Zeiten für die „besseren Kreise“ noch einige Annehmlichkeiten zu bieten, die anderen verwehrt blieben. Ansonsten beteiligten sich die Kinder mit starkem Engagement an der Stabilisierung der inneren Front. So sammelten sie für das Rote Kreuz oder für Blinde oder warben für die Zeichnung von Kriegsanleihen. Die dabei gesammelten Zettel wurden sodann in der Schule abgegeben, die sie an die Banken weiterreichte. Für die Schüler war das „eine Art Wettbewerb“. Im Rückblick hat Eschenburg diese Tätigkeit als einen „Idealismus gepaart mit Spielerei und Wichtigtuerei“ bezeichnet, da die Schüler das Gefühl gehabt hätten, mit ihrer Tätigkeit „etwas zum Kriegssieg“ beizutragen.¹⁴ Aus diesem Leben wurde die Familie Eschenburg Ende September 1918 durch einen „furchtbaren Schicksalsschlag“ gerissen. Die Mutter wurde ein Opfer der am Ende des Krieges ausbrechenden großen Grippeepidemie und starb am 30. September.¹⁵ Wenige Wochen später brach die Revolution aus. Sie empfand Eschenburgs Vater, der noch kurz zuvor zum Fregattenkapitän befördert worden war, als zweiten Schicksalsschlag. Beide Ereignisse haben, wie der Sohn vermutete, dazu geführt, dass der bisher lediglich latente Antisemitismus seines Vaters sich immer mehr ausprägte und verfestigte. Denn der alte Eschenburg machte einen jüdischen Arzt, dem er Behandlungsfehler unterstellte, für den Tod seiner Frau verantwortlich, und den Ausbruch der Revolution führte er wie so viele andere rechts gerichtete Männer auf das Wirken jüdisch-bolschewistischer Mächte zurück. Diese „Erkenntnis“ verdankte er nicht zuletzt der Lektüre des Buches „Die Weisen von Zion“.¹⁶ Seine Erlebnisse beim Ausbruch der Revolution hat Eschenburg Anfang der 1980er Jahre wie folgt geschildert: „Wir gingen morgens noch zur Schule, aber da wurde schon die rote Flagge hochgezogen, das hat uns furchtbar erschüttert. Ich bin am Nachmittag in der Stadt gewesen und sah einen großen Zug revolutionierender Matrosen in Uniform, aber mit Gewehr, roten Fahnen, wilden Gesichtern und harten Gesängen und bin wieder weggelaufen. Ganz erschüttert, weil ich so etwas nicht für möglich hielt.“¹⁷ Eschenburgs Vater hat sich in den Wochen nach
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Ebenda, S. 100. Ebenda, S. 102. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 104. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. Ebenda.
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der Revolution zunächst zurückgezogen und fragte sich „verzweifelt“, „was aus ihm werden solle“.¹⁸ Die Republik, die er stets nur verachtete, meinte es indessen gut mit ihm und übernahm ihn als Chef des Stabes des Inspektors des Torpedowesens. Gedankt hat er es der Republik nicht. Denn im Kapp-Putsch im Frühjahr 1920, als ein Teil der Reichswehr unter General von Lüttwitz mit Generallandschaftsdirektor Kapp putschte, stand er auf Seiten der Putschisten. Seinen Sohn setzte er als Boten und Austräger von Flugblättern ein. Dies hat der damals knapp 16-jährige anscheinend aus Überzeugung mitgemacht. Ebenso trug er im ersten Reichstagswahlkampf Wahlzettel für die Deutschnationalen aus, auch dies im Auftrag des Vaters, der Mitglied dieser Partei geworden war. Nach dem schnellen Zusammenbruch des Kapp-Putsches wurde Eschenburg weder bestraft noch entlassen. Die Republik zeigte sich erneut gnädig und beförderte ihn kurze Zeit später gar zum Kapitän zur See.¹⁹ Aber auch diese Vorgänge hatten keine Auswirkungen auf dessen republikfeindliche Haltung, die in den folgenden Jahren immer heftigere Formen annahm. Obwohl er 1923 eine neue Verwendung als Marinekommissar für den Kaiser-Wilhelm-Kanal gefunden hatte, wurde er immer „monarchiebesessener“. Dies führte 1926 zu seiner Entlassung, die ihm jedoch mit dem Recht versüßt wurde, „Titel und Uniform der nächsthöheren Rangstufe zu tragen“. Eschenburg war somit zum Konteradmiral a. D. avanciert, der schon zuvor die Nähe des im Exil befindlichen Kaisers Wilhelm II. in Doorn gesucht und gefunden hatte.²⁰ 1925 hatte ihn dieser zum Generaladjutanten mit goldenen Schnüren ernannt und ihm das Großkomturkreuz des Königlichen Hausordens verliehen. ²¹ Von nun an reiste Eschenburg jedes Jahr für ungefähr sechs Wochen nach Doorn. Richten wir nun aber noch einmal den Blick zurück in den Herbst 1918 und fragen, welche Auswirkungen der Tod der Mutter für Theodor und die Familie gehabt hat. Zunächst kam eine „unverheiratete Frau von etwa fünfzig Jahren“, die Schwester eines mit dem Vater „befreundeten Offiziers, gutwillig, aber steif und langweilig, eine alte Jungfer – so sah sie aus und so war sie – [. . . ] zu Hilfe. Die Köchin Minna aus Thüringen, um die dreißig Jahre alt, resolut und entschlossen, nahm ohne viel zu fragen den Haushalt in die Hand.“²² Für den damals 14-jährigen
18 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 116. 19 Ebenda, S. 121–123 und 127. 20 Ebenda, S. 130. 21 Sigurd von Ilsemann, Der Kaiser in Holland. Aufzeichnungen des letzten Flügeladjutanten Kaiser Wilhelms II. Hrsg. von Harald Koenigswald, Band 2: Monarchie und Nationalsozialismus 1924–1941, München 1968, S. 23. 22 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 104f.
12 | Kindheit und Jugend Theodor Eschenburg war die familiäre Situation nicht leicht. Dies ergibt sich aus dem Lebenslauf aus dem Jahr 1924, in dem es heißt: „Ein Wendepunkt in meinem Leben bedeutete für mich der Tod meiner lieben Mutter und der Ausbruch der Revolution.“²³ Zunächst war es für ihn sicherlich eine Erleichterung, dass ihn sein Vater mit an Bord seines Schiffes nahm, wo er für eine Weile wohnte.²⁴ Wie lange dieser Zustand andauerte, ist nicht überliefert. Der Tod der Mutter hatte jedenfalls dazu geführt, dass der junge Theodor Eschenburg „körperlich und seelisch so niedergedrückt“ war, dass ihn sein Vater „zweimal zur Erholung nach Finnland schickte“, wo er „je ein viertel Jahr“ einen „erinnerungsreichen Aufenthalt genoss“.²⁵ Dieser Auslandsaufenthalt erfolgte im Rahmen einer Aktion von finnischen Familien, die Kinder deutscher Offiziere einluden – als Dank für die Militärhilfe des Deutschen Reiches für Finnland in den Jahren 1917/18. In seinem Lebenslauf stellte Eschenburg fest, dass er seinem Finnland-Aufenthalt „viel zu verdanken“ habe: so sei zum einen seine „Gesundheit wiederhergestellt“ worden, zum anderen habe er dort „viel gesehen und eine große Reihe neuer Eindrücke gewonnen“. An dieser Stelle folgt dann jedoch der Hinweis auf das „längere Versäumnis der Schule“, das Eschenburg neben seiner Faulheit und Interessenlosigkeit für bestimmte Fächer für sein zweimaliges Sitzenbleiben verantwortlich machte.²⁶ So hatte er Ostern 1922 nicht mehr als das Versetzungszeugnis in die elfte Klasse zu bieten, was bedeutete, dass er bei einem normalen weiteren Schulverlauf erst 1925, d. h. mit 21 Jahren das Abitur abgelegt hätte. Dies erschien wenig erstrebenswert, so dass andere Überlegungen Platz griffen. Zunächst erhielt der junge Eschenburg auf Anraten des Oberstudiendirektors des Kieler Gymnasiums ein halbes Jahr Privatunterricht. Danach sollte er eine Prüfung ablegen, nach deren Bestehen die Aufnahme in die 12. Klasse vorgesehen war. Kurz vor Beginn der Prüfung teilte der Provinzial-Schulrat Eschenburgs Vater jedoch mit, „dass die Prüfung nur dann als bestanden gelte, wenn ihr Gesamtprädikat ,gut‘ wäre“. Außerdem musste für die Aufnahme in das Gymnasium die Genehmigung des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung eingeholt werden. Dies erübrigte sich indessen, da es Theodor nicht schaffte, die Prüfung mit der Note „gut“ zu bestehen.²⁷ In dieser ausweglos erscheinenden Situation riet der Privatlehrer, der damals knapp
23 24 25 26 27
Abiturakten Theodor Eschenburg: Lebenslauf, Katharineum Lübeck. Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 105. Abiturakten Theodor Eschenburg: Lebenslauf, Katharineum Lübeck. Ebenda. Ebenda.
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50-jährige Theodor Nissen, der an der Kieler Gelehrtenschule die Fächer Latein und Geschichte unterrichtete²⁸, Theodors Vater, sich um die Aufnahme seines Sohnes in das „Lübecker Katharineum zu bemühen“. Dabei handelte es sich um die führende Lehranstalt der Hansestadt, die auch bereits der Vater und Großvater Theodors besucht hatten. So begaben sich beide zum Chef der Oberschulbehörde und erreichten die Aufnahme Theodors in das Katharineum.²⁹ Diese Aufnahme erfolgte im Herbst 1922 „zunächst für 14 Tage probeweise und dann endgültig“.³⁰ Die Versetzung in die 13. Klasse Ostern 1923 war nicht gefährdet. Zu dieser Zeit war er schon Achtbester der Klasse.³¹ Dies war darauf zurückzuführen, dass Theodor inzwischen ein Schüler geworden war, der Interesse am Unterrichtsstoff zeigte und dem die Schule Spaß machte, insbesondere die Fächer Latein und Griechisch, die schon im Zentrum des Privatunterrichts in Kiel bei Theodor Nissen gestanden hatten. In seinem vor dem Abitur verfassten Lebenslauf betont der junge Eschenburg, dass ihn dieser „überzeugend auf den Wert der humanistischen Bildung aufmerksam gemacht“ und er ihm durch den „persönlichen Kontakt sehr viel zu verdanken habe“.³² Auch im Katharineum gab es Lehrer, die Eschenburg beeindruckten. In seinen Memoiren nennt er zwei: zum einen den Lateinlehrer Fritz Möhler, zum anderen den Direktor Georg Rosenthal, der ihn in Deutsch unterrichtete. Über beide sprach der alt gewordene Eschenburg ausgesprochen positiv, da ersterer ein „selten befähigter Pädagoge“ gewesen sei und letzterer es vermocht habe, „die Klasse die ganze Stunde lang geistig in Bewegung zu halten“. Dabei verschweigt er nicht, dass Möhler „aus der rechtsgerichteten Jugendbewegung“ kam, während er Rosenthal eher als „gemäßigten Konservativen“ einschätzte, „der aber wohl deutschnational wählte“.³³ Beide gehörten nach Eschenburgs Erinnerung nicht zu den Lehrern, die Julius Leber, Redakteur der SPD-Zeitung „Lübecker Volksbote“, in einem Artikel Mitte März 1922 attackierte: „Sollen wir noch lange zusehen“, fragte er hierin, „wie an Gymnasien und Realschulen eine vom Staat bezahlte Lehrerschaft ihre Stellung dazu missbraucht, gegen Republik und Sozialismus zu hetzen“?³⁴ Wohl aber war das Gymnasium „eine Insel für das Bürgertum“ geblieben.³⁵ Das galt auch
28 Auskünfte des Stadtarchivs Kiel. 29 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 129. 30 Abiturakten Theodor Eschenburg: Lebenslauf, Katharineum Lübeck. 31 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 135. 32 Abiturakten Theodor Eschenburg: Lebenslauf, Katharineum Lübeck. 33 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 134f. 34 Julius Leber, Schriften, Reden, Briefe. Hrsg. von Dorothea von Beck und Winfried Schoeller, München 1976, S. 30. 35 Ebenda, S. 31.
14 | Kindheit und Jugend für das Katharineum, in dem zwar weder Monarchismus noch Nationalismus zu konstatieren waren, wie sich Eschenburg Anfang der 1980er Jahre erinnerte, aber der Republikanismus „schwach entwickelt“ war und man sich „auf eine neutrale Position zurückgezogen“ hatte. Bis auf den Verfassungstag habe man „von der Republik keine Notiz genommen“.³⁶ Im Katharineum hat Theodor Eschenburg „im Vergleich zu Kiel [. . . ] eine schöne Schulzeit verbracht“. Seine neuen „Mitschüler nahmen [. . . ] ihn nicht unfreundlich, aber anfangs kühl auf, ließen [ihn] jedoch nicht merken, dass [er] ein Neuling mit einer etwas ungewöhnlichen schulischen Biografie war“.³⁷ Entsprechend heißt es in dem bereits mehrfach erwähnten Lebenslauf: „War ich in Kiel meist allein gewesen, so fand ich in Lübeck bald einen Freundeskreis, in dem ich mich sehr wohl fühlte und den Wert der Freundschaft und Kameradschaftlichkeit kennen lernte.“³⁸ Zu seinem Wohlbefinden hat aber auch beigetragen, dass er nun bei seinen Großeltern wohnte. „Bei ihnen herrschte doch ein ganz anderes Klima als bei meinem Vater“, schreibt Eschenburg in seinen Memoiren und begründet diese Feststellung mit der Aussage, dass in der neuen Umgebung die Politik nicht das „umstrittene Zentralthema“ gewesen sei, „das alle Debatten überlagerte“.³⁹ Was den Lebenszuschnitt anbelangt, gab es jedoch keine großen Unterschiede. Das „Ambiente“ war bei den Großeltern wohl noch etwas großbürgerlicher. Diese wohnten in einem stattlichen Haus, und um ihr Wohl und das der häufigen Gäste kümmerten sich Hausangestellte. Sie wurden von der Großmutter dirigiert, der immer eine Köchin, ein Hausmädchen und ein Diener zur Verfügung standen. Nach Bedarf wurde weiteres Personal eingestellt.⁴⁰ Das Essen war durchaus reichlich – es bestand kein Mangel an Fleisch – und der Großvater und männliche Gäste tranken auch nicht wenig Wein oder Bier.⁴¹ In den Jahren, in denen Theodor Eschenburg bei seinem Großeltern lebte, mussten aber auch diese angesichts der Inflation gewisse Einschränkungen hinnehmen. Eschenburg hat im Alter darauf hingewiesen, dass er sich in der Zeit des Wechsels von Kiel nach Lübeck von den poltischen Ansichten seines Vaters emanzipiert habe. Auch hier scheint sein Privatlehrer Nissen erste Anstöße gegeben zu haben. 1983 erzählte Eschenburg, dass er bei diesem nicht nur Griechisch, Latein und Religion gelernt und Homer und Tacitus gelesen, sondern auch Kaffee
36 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. 37 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 134. 38 Abiturakten Theodor Eschenburg: Lebenslauf; Katharineum Lübeck. 39 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 129f. 40 Ebenda, S. 24. 41 Ebenda, S. 25.
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getrunken und „über die aktuellen Ereignisse“ gesprochen habe. Damit habe eine „Wende“ in seiner „intellektuellen Entwicklung“ eingesetzt, die sich auch auf die Politik bezogen habe, da Nissen wohl „Vernunftrepublikaner“ war.⁴² Er hat es in den vielen Unterredungen offenbar verstanden, seinem Schüler „den Sinn der repräsentativen Demokratie“ zu vermitteln.⁴³ Entscheidend war aber dann der Einfluss seines Großvaters, der „zwar auch ein Konservativer“ war, „allerdings ein republikanischer nach Lübecker Tradition“⁴⁴, die in der Familie Eschenburg nicht von einer „deutschtümelnden und atmosphärischen Enge“ geprägt war.⁴⁵ Ebenso spricht wenig dafür, dass es im Haus der Großeltern einen ähnlich ausgeprägten Antisemitismus gab wie bei Eschenburgs Vater oder dessen scharf antirepublikanische Haltung geteilt wurde: Als Beispiel für Letzteres sei auf eine Stelle in den Memoiren verwiesen, als der Großvater den Vater scharf rügte, als er vom „Schwein Ebert“ sprach.⁴⁶ Trotzdem kann nicht eindeutig geklärt werden, welche politische Haltung Eschenburg in den letzten beiden Jahren seiner Schulzeit eingenommen hat. Dafür fehlen entsprechende Quellen, die zeitnah zu den Ereignissen entstanden sind. Dies gilt auch für die Darstellung von Antonina Vallentin in ihrer Stresemann-Biografie von 1930. Auf der Grundlage von Gesprächen mit Eschenburg, zu dieser Zeit bereits Gefolgsmann von Stresemann, behauptet sie, dass Eschenburg bis zu seinem Zusammentreffen mit Stresemann zu dem „Kreise der Rechtsradikalen“ gehört habe, die die Republik verachteten. „Unser Ideal war“ – so zitiert Vallentin Eschenburg – „das scheinbar glanzvolle Reich, von dem wir uns eine ans Legendäre grenzende Vorstellung machten. [. . . ] Wir jubelten im November 1923 Hitler zu. Wir erhofften alles von der Macht der Generäle.“ Von Stresemann sei man enttäuscht gewesen, seitdem er „den passiven Widerstand [gegen die Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen im Jahr 1923], von dem wir in unserer Sehnsucht nach heldischem Handeln begeistert waren, aufgegeben hatte“.⁴⁷ Auch diese Äußerungen stehen unter dem doppelten quellenkritischen Vorbehalt, dass sie erst ex post gemacht und außerdem nicht von Eschenburg
42 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. Hier findet sich zwar der Begriff „Vernunftkritiker“; aus dem Zusammenhang ergibt sich jedoch, dass „Vernunftrepublikaner“ gemeint ist. Siehe auch Eschenburg; Also hören Sie mal zu, S. 129. 43 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 23.11.1983, UAT, 530/276, S. 8 44 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 129. 45 So Anne Rohstock, Kein Vollzeitrepublikaner – die Findung des Demokraten Theodor Eschenburg (1904–1999), in: Bastian Hein u. a. (Hrsg.), Gesichter der Demokratie. Porträts zur deutschen Zeitgeschichte, München 2012, S. 201. 46 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 126. 47 Antonina Vallentin, Stresemann. Vom Werden einer Staatsidee, Leipzig 1930, S. 234.
16 | Kindheit und Jugend selbst, sondern von einer Person überliefert worden sind, die sich auf dessen Erzählungen beruft. Wenig Zweifel bestehen jedoch, dass Eschenburg und seine Klassenkameraden in der aufgeheizten Stimmung im Jahr 1923, die durch die große Inflation und die Ruhrbesetzung verursacht worden war, nationalistische Positionen vertreten haben. So berichtet Eschenburg in seinen Memoiren von einer Klassenfahrt mit Direktor Rosenthal im September 1923, in deren Verlauf sie u. a. die Besatzungsgrenze bei Höchst „mit Schaudern“ besichtigt hätten, „an der hinter einem Absperrseil schwarze Soldaten aus den französischen Kolonialgebieten standen“.⁴⁸ Nähere Details hierüber, die auch auf Eschenburgs Informationen zurückgehen, finden sich in einem Sammelband aus dem Jahr 1982. Danach ist die Klasse mit „Rucksäcke[n] voll von Konserven“ mit dem Zug „vierte Klasse von Lübeck über Hamburg, Kassel, Frankfurt, Heidelberg, Wetzlar, Freiburg“ gefahren. Übernachtet wurde in Turnhallen und ungeheizten Schulräumen. Sie besuchten Fabriken und Museen und auch – worauf schon hingewiesen wurde – die Grenze in Höchst „mit einem ungeheuren Hass auf die Franzosen“. Am Abend wurde reichlich Frankfurter Apfelwein getrunken, über den „schändlichen“ Versailler Vertrag diskutiert und „von Bismarck und Hindenburg, vom Kaiser und den Schlachten“ geschwärmt.⁴⁹ Es geht aber sicherlich zu weit, den damals gerade 19-jährigen Eschenburg aufgrund dieser wenigen, nicht immer zweifelsfrei überlieferten Äußerungen als „rechtsradikal“ einzustufen. Im Frühjahr 1924 stand die Abiturprüfung bevor. Über die Bedeutung des Abiturs zur damaligen Zeit berichtete Eschenburg im Rückblick mit den Worten: „Das Abitur war etwas ungeheuer Wichtiges. Wer keine Abiturexamen hatte, war zweiter Klasse. [. . . ] Das Abiturexamen war die Krönung der Schulzeit“, und es war – wie er ergänzte – „auch nicht ganz leicht. Jedenfalls bei uns in Lübeck nicht.“⁵⁰ In Latein hatten die angehenden Abiturienten einen deutschen Text ins Lateinische zu übersetzen. Der Lateinlehrer Fritz Möhler, der bereits erwähnt wurde, hat die Arbeit Eschenburgs mit der Note „Genügend“ bewertet und mit dem Kommentar versehen: „Abgesehen von zwei Verstößen gegen die Tempuslehre ist die Arbeit von grammat[ikalischen] Fehlern frei. Im Ausdruck und Anlage des Satzes zeigt sich an einigen Stellen eine gewisse Ungewandtheit. Im Ganzen
48 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 137. 49 Birgit Lahann, Abitur. Von Duckmäusern und Rebellen – 150 Jahre Zeitgeschichte in Aufsätzen prominenter Deutscher, Hamburg 1982, S. 124. 50 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276.
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aber ist der Verf[asser] der gestellten Aufgabe gerecht geworden.“ Diese Note entsprach – wie Möhler hinzufügte – den „Klassenleistungen“.⁵¹ Im Fach Deutsch entschied sich Eschenburg für das Thema „Non scholae, sed vitae discimus“ [Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir.]. Das Thema war jedoch nicht frei zu behandeln, sondern die Darstellung sollte auf der Grundlage von Goethes „Faust“ erfolgen. Eschenburg hat seine Ausführungen später als „prüfungsfromm“ bezeichnet⁵² und seinen Aufsatz damit treffend charakterisiert. Schon im ersten Absatz steht der etwas altklug wirkende Satz: „Mahnen soll dies Wort [gemeint ist das gestellte Thema] den Menschen, nicht bei allem nur an den morgigen Tag zu denken, sondern aus allem Erlebten zu lernen für das Leben, tagtäglich zu bauen ,am laufenden Webstuhl der Zeit‘“. Direktor Rosenthal hat bereits an dieser Stelle am Rand vermerkt: „Verfasser zitiert wenig in dieser Arbeit. Wo er aber zitiert, da ist das Zitat wirklich am rechten Platze.“ Eschenburg zeichnet Fausts Entwicklung nach, der zwar auch geirrt, aber aus diesem Irrtum gelernt habe. Auf seinem Weg, auf den Eschenburg detailliert eingeht, habe Faust für das Leben gelernt und sein Lernen „zum Wohle der Menschheit“ verwandt. In diesem Zusammenhang streicht Eschenburg die Beschäftigung mit dem „klassischen Altertum“ heraus, da man hierdurch nicht für einen „ganz bestimmten Zweck“ lerne, „sondern für das ganze Leben“, um dann fortzufahren: „Es kommt nicht darauf später an [sic!], wie uns so oft in der Schule gesagt ist, dass man später noch alle im Unterricht gelernten Vokabeln zu beherrschen hat [was Rosenthal mit der Randbemerkung „wohl kaum“ kommentierte], sondern dass die Antike ein Stück geistigen Eigentums geworden ist. Das Wort ,Non scholae, sed vitae discimus‘ ist nicht nur in der Sprache, sondern vor allem im Geist des klassischen Altertums gesprochen.“ Dieser Passus gefiel Rosenthal sehr, so dass er ihn mit Randbemerkung „sehr gut“ versah. Auch Eschenburgs Ausführungen über Fausts Schaffen für andere Menschen, in denen er mit den Begriffen „Arbeit“ und „Beschäftigung“ hantierte, hielt der Direktor für gelungen, so dass er sie mit der Bemerkung kommentierte: „Sehr fein werden Arbeit und Beschäftigung unterschieden.“ Am Ende formulierte dann der junge Mann mit einem gehörigen Schuss Pathos: Wie bei Faust „soll auch unser Lernen und unsere Arbeit nicht für uns sein, sondern für die Menschen, für die, die da leben und kommen werden. Kein Wort aber kann zu diesem sozialen Schaffen besser mahnen als dies hier. Keiner aber kann uns besser so handeln lehren als Faust.“ Direktor Rosenthal war begeistert. Am Ende der Arbeit fasste er sein Urteil in die Worte:
51 Abiturakten Theodor Eschenburg: Lateinische Arbeit, Katharineum Lübeck. 52 Lahann, Abitur, S. 124.
18 | Kindheit und Jugend „Verf[asser] hat das Thema tief durchdacht und mit klarem Verständnis durchgeführt.“ Er bewertete die Arbeit mit der Note „sehr gut.“⁵³ Für diesen Aufsatz wurde Theodor Eschenburg wenige Wochen nach dem Abitur ausgezeichnet, da er als bester Aufsatz seines Abiturjahrgangs bewertet wurde. In einer Feierstunde in der Aula wurde der Verfasser mit einem „prachtvollen Schillerband mit Widmung“ geehrt.⁵⁴ In seinen Memoiren schreibt Eschenburg hierüber: „Die Prämie begeisterte mich, verständlicherweise, nicht, um so mehr aber die Auszeichnung selbst.“⁵⁵ Jahrzehnte später erhielt Eschenburg für seinen Abituraufsatz eine weitere Würdigung. Als ein Verlag eine „Sammlung der Abituraufsätze von nachmals prominent gewordenen Verfassern“ veröffentlichen wollte, ist auch Eschenburg gebeten worden, seinen Abituraufsatz zur Publikation zur Verfügung zu stellen. Nach einigem Zögern gab er seine Zustimmung.⁵⁶ So ist der Aufsatz im Jahr 1982 in gekürzter Form mit einer kleinen Einleitung erschienen.⁵⁷ Als Eschenburg den publizierten Band in die Hand bekam, wäre er froh gewesen, wenn er die Veröffentlichung seines Beitrags verweigert hätte.⁵⁸ Denn im Vergleich mit den ebenfalls in der Anthologie enthaltenen Aufsätzen von Gerd Bucerius, später CDU-Bundestagabgeordneter und bedeutender Verleger, und Willy Brandt, später Bundesaußenminister und Bundeskanzler, fiel Eschenburgs Beitrag deutlich ab. Bucerius hatte 1924, also im selben Jahr wie Eschenburg, an einem Hamburger Real-Gymnasium einen Abituraufsatz über das Thema „Aus welchen Quellen schöpfe ich Lebensfreude?“ geschrieben und dabei so provoziert, das die Arbeit nicht zensiert wurde.⁵⁹ Auch Willy Brandt, der acht Jahre nach Eschenburg am Lübecker Johanneum das Abitur ablegte, bewies großen Mut, als er das Thema wählte: „Wir haben der Schule für Erziehungsarbeit keinen Dank abzustatten . . . Wir können von dem, was sie uns gelehrt hat, nichts gebrauchen. Wir sind eine Jugend ohne Hoffnung.“ Das Zitat war ein Auszug aus der Abschiedsrede eines Berliner Abiturienten aus dem Jahr 1931. Willy Brandt, der damals noch Herbert Frahm hieß, stimmte der Aussage des Berliner Abiturienten zwar einerseits zu, um dann jedoch am Ende festzustellen: „Wenn die Jugend sich auf die anderen verlässt, ist sie ewig verlassen. Hoffen wir, dass sie eine Jugend nicht nur ohne, sondern vielmehr mit Hoffnung sei.“⁶⁰ Die Aufsätze
53 Abiturakten Theodor Eschenburg: Deutscher Aufsatz, Katharineum Lübeck. 54 Lahann, Abitur S. 125f. 55 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 141. 56 Ebenda. 57 Lahann, Abitur, S. 123–127. 58 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 141. 59 Ebenda, S. 127–132. 60 Ebenda, S. 143–147.
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von Bucerius und Brandt ließen eine intellektuelle Reife und ein Selbstbewusstsein erkennen, an das die Ausführungen des jungen Eschenburg bei weitem nicht heranreichten. Nach dem Abitur stellte sich für Theodor Eschenburg die Frage, welchen Beruf er ergreifen wolle. In dem vor dem Abitur verfassten Lebenslauf teilt er mit, dass er „längere Zeit geschwankt“ habe. „Anfänglich“ habe er, so schreibt er, Jura und Nationalökonomie studieren wollen, um eine „Anstellung im auswärtigen Reichsdienst zu erlangen“. Dann aber habe er sich, wiederum auf Anraten von Theodor Nissen, entschlossen, Geschichte und Germanistik zu studieren „in der Hoffnung, als Antiquar oder in einer ähnlichen Stellung“ sich betätigen zu können. Weil er aber die „Aussichten auf ein Vorwärtskommen in den akademischen Berufen“ als „sehr gering“ erachtete, wolle er auch „nationalökonomische Vorlesungen hören, um vielleicht eine Stellung in der Wirtschaft oder Industrie zu erlangen“.⁶¹
61 Abiturakten Theodor Eschenburg: Lebenslauf, Katharineum Lübeck.
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Abb. 1. Die Eltern: Theodor Eschenburg Senior mit Ehefrau Ellen, geb. Wieler.
Abb. 2. Theodor Eschenburg in den Armen seiner Mutter (1905).
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Abb. 3. Die Mutter mit ihren Söhnen Theodor und Hans-Herbert (Weihnachten 1907).
Abb. 4. Theodor mit seinen Geschwistern Hans-Herbert (geb. 1907), Harald (geb. 1914) und Heidi (geb. 1917) (ca. 1922).
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Student und politischer Aktivist in Tübingen Am 2. April 1924 richtete Theodor Eschenburg ein Schreiben mit folgendem Wortlaut an das Universitätssekretariat der Universität Tübingen: „Ich will zu Semesterbeginn, also am 22. April nach Tübingen reisen, um mich dort in die philosophische Fakultät immatrikulieren zu lassen.“ Dem Immatrikulationsantrag legte er das Reifezeugnis, „eine Bescheinigung der Heimatgemeinde“ und die „vorgeschriebene Summe von einer Mark“ bei.¹ In der Bescheinigung der Heimatgemeinde wurde angegeben, dass Eschenburgs Vater, Kapitän z. S., ebenso wie der künftige Student in Kiel beheimatet sei und Letzterer „vollständig von seinen Eltern unterhalten“ werde.² Die Wahl Tübingens als Studienort führte Eschenburg in seinen Memoiren darauf zurück, dass er damals gerade Werke von Eduard Mörike, des schwäbischen Pfarrers und Dichters, gelesen habe und andere Universitäten wie Bonn, Kiel und Heidelberg aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht in Frage gekommen seien.³ Wenige Tage später fuhr Eschenburg mit der Reichsbahn in der vierten Klasse von Kiel nach Tübingen. Das war eine Reise, die damals mit mehrfachem Umsteigen verbunden war und eineinhalb Tage dauerte. Seinen Koffer hatte er mit einer Kette um seinen Bauch gesichert, damit sein Eigentum nicht entwendet werden konnte, wenn er schlief. Am Tübinger Bahnhof warteten schon die Vertreter verschiedener Verbindungen, um die Neuankömmlinge zu „keilen“, d. h. für den Beitritt in die eigene Verbindung zu gewinnen. Eschenburg war offensichtlich von einem „Alten Herrn“ des Chors Rhenania annonciert worden. Mit einer Größe von einem Meter und neunundachtzig war er nicht zu übersehen und wurde von einem Vertreter des Corps zu den Rhenanen gebracht. Bei diesen gefiel es aber Eschenburg ebenso wenig wie bei dem Corps Suevia und der Derendingia, die er sich ebenfalls anschaute. Während dieser Orientierungsphase kam der jüngere Bruder von Eschenburgs Vater auf der Rückreise von Italien nach Tübingen. Dieser hatte wie Theodors Großvater sowie dessen Brüder und deren Söhne in Bonn studiert, und alle waren Mitglied der Burschenschaft Alemannia. Diese gab es jedoch in Tübingen nicht. Der Onkel aber kannte einige Mitglieder der Tübinger Burschenschaft Germania und meldete kurzerhand seinen Neffen zu einem Gast-
1 Theodor Eschenburg an das Universitätssekretariat der Universität Tübingen vom 2.4.1924, UAT, 258/4080. 2 Die Bescheinigung datiert vom 2.4.1924, ebenda. 3 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 142f.
24 | Student und politischer Aktivist in Tübingen besuch an.⁴ „Da ging es sehr gemütlich zu“, erzählte Eschenburg im November 1982, „und bei denen bin ich haften geblieben.“⁵ Die „Germania“ war die älteste Burschenschaft in Tübingen und eine der ältesten überhaupt. Sie galt als renommiert und gehörte zu den schlagenden und farbentragenden Verbindungen. Ein großer Teil der Studenten in Tübingen waren Korporierte. Die von Eschenburg in seinen Memoiren genannte Zahl von 70 bis 80 %⁶ ist zwar zu hoch gegriffen. Aufgrund historischer Forschungen ist von einem Anteil von 45 % auszugehen.⁷ Nach dem Ersten Weltkrieg – so schreibt der spätere SPD-Politiker Carlo Schmid, der gleich nach Kriegsende in Tübingen studiert hatte, in seinen Memoiren – habe es eine ganze Reihe von Studenten vorgezogen, sich keiner Verbindung anzuschließen und „Freistudent“ zu bleiben.⁸ Für Eschenburg stand jedoch nie in Frage, Mitglied einer Verbindung zu werden: Das war schon eine familieninterne Vorgabe. Im Rückblick hat er die Mitgliedschaft bei den Germanen recht positiv bewertet, obwohl ihn die Mensuren ebenso wenig begeistert haben wie die Kneipabende mit ihren Gesängen und Besäufnissen. Aber im Nachhinein schätzte er die Verbindungen wegen ihrer „stark disziplinierend[en]“ Wirkung.⁹ So sei bei den Germanen z. B. „sehr streng“ darauf geachtet worden, „dass in einer angemessenen Zeit ein Examen gemacht wurde“. Ebenso wurden die Mitglieder der Burschenschaft angehalten, in der Öffentlichkeit nicht durch Trunkenheit oder nicht angemessenen Umgang aufzufallen. Dagegen war es durchaus „in Ordnung“, „so ein bisschen Lärm [zu] machen [und] die Polizei [zu] veräppeln“.¹⁰ An solchen Vorkommnissen war auch Theodor Eschenburg beteiligt, der Mitte Dezember 1925 mit 15 weiteren Germanen einen Bußgeldbescheid der Staatsanwaltschaft „wegen ruhestörenden Lärms“ erhielt und dafür 10 Mark Geldstrafe zahlen musste.¹¹ Es stellt sich schließlich die Frage nach der Wirkung der Verbindungen auf die politische Einstellung ihrer Mitglieder. Deren Behauptung, „unpolitisch zu sein“, war Eschenburg zufolge „natürlich Unsinn“. Denn die meisten von ihnen hätten „sich betont deutsch und sehr national“ gegeben und „keine von ihnen hätte Schwarz-Rot-Gold geflaggt“. Die „grundsätzliche nationale Einstellung einmal vorausgesetzt“, habe es bei den
4 Ebenda., S. 142–144. 5 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. 6 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 162. 7 Manfred Schmid, Die Tübinger Studentenschaft nach dem Ersten Weltkrieg 1918–1923, Tübingen 1988, S. 50. 8 Carlo Schmid, Erinnerungen, Bern u. a. 1979, S. 89. 9 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 166. 10 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11 .1983, UAT, 530/276. 11 Bescheid der Staatsanwaltschaft vom 15.12.1925, UAT, 258/4080.
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Korporationen „in Bezug auf ihre politische Haltung“ „deutliche Unterschiede“ gegeben: neben „extrem nationalistische[n]“ auch „liberalere“.¹² Eschenburg hat in seinen Erinnerungen geschrieben, dass sich ihm bei seiner Ankunft in Tübingen eine „völlig neue Welt, im Politischen wie im Menschlichen“ erschlossen habe. „Über allem lag ein milder, schwäbischer demokratischer Liberalismus.“¹³ Ganz abwegig erscheint diese Beschreibung nicht, denn Tübingen war nach dem Ersten Weltkrieg eine Hochburg der Deutschen Demokratischen Partei¹⁴, und der Historiker Waldemar Besson hat die „ausgeglichene soziale Temperatur Württembergs“ als ein charakteristisches Merkmal dieser Jahre bezeichnet. Neuere Untersuchungen bezweifeln indessen, ob diese Aussage in Bezug auf die Studentenschaft gerechtfertigt ist. Hier wird beispielsweise darauf hingewiesen, dass diese bereits zu Zeiten des Kapp-Putsches mehrheitlich auf Seiten der Putschisten gestanden und ihr Leitbild stets die „Nation“ geblieben sei. Allerdings lasse sich während der Weimarer Jahre „keine eindeutige Grenzlinie zwischen Republikanern und rechten Republikgegnern ziehen“.¹⁵ Auf eine gewisse Ambivalenz weist auch eine andere Studie hin, die einer „weitgehend antidemokratisch eingestellte[n] Universität“ bescheinigt, „sozusagen die Demokratisierung von Wissen“ praktiziert zu haben. So sei zwar das Bildungsangebot, „politisch gesehen, gewollt rechtslastig“ gewesen. Außerhalb „nationaler Kundgebungen“ seien „jedoch manipulative Einseitigkeiten in der Regel vermieden“ worden, „explizit republikbejahende Personen“ aber „seltener zu Wort“ gekommen.¹⁶ Als Beispiel dafür, „dass auch an der Tübinger Universität antidemokratisches, revanchistisches und nationalistisches Denken die Regel und nicht die Ausnahme waren“, gilt die „Lustnauer Schlacht“ vom 2. Juli 1925.¹⁷ An diesem Tag hielt der Heidelberger Privatdozent, der Pazifist Emil Julius Gumbel, der durch eine Untersuchung zu den politischen Morden zu Beginn der Weimarer
12 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 167. 13 Ebenda, S. 144. 14 Schmid, Tübinger Studentenschaft, S. 38. 15 Sonja Levsen, Elite, Männlichkeit und Krieg. Tübinger und Cambridger Studenten 1900–1929, Göttingen 2006, S. 321. 16 Mathias Kotowski, Die öffentliche Universität. Veranstaltungskultur der Eberhard-KarlsUniversität Tübingen in der Weimarer Republik, Stuttgart 1999, S. 287. 17 Ralph Lange, Von der „Affäre Gumbel“ zum „Fall Willbrandt“: Die „Lustnauer Schlacht“. Ein Beitrag zur politischen Kultur der Universität Tübingen in der Weimarer Republik, in: Johannes Michael Wischnath (Hrsg.), Bausteine zur Tübinger Universitätsgeschichte, Folge 9, Tübingen 1999, S. 30.
26 | Student und politischer Aktivist in Tübingen Republik bekannt geworden war¹⁸, in Tübingen eine Rede. Eingeladen war er von der Arbeitsgemeinschaft sozialistischer Akademiker. Sprechen sollte er über das Thema „Vier Jahre politscher Mord“. Die Ankündigung rief in Tübingen, vor allem in der Studentenschaft, heftige Reaktionen hervor. Diese wurden nicht nur durch sein erwähntes Buch verursacht, in dem er nachgewiesen hatte, dass die Rechte für sehr viel mehr politische Morde verantwortlich war als die Linke. Noch stärker fiel ins Gewicht, dass Gumbel im Mai 1924 in Heidelberg in einer Gedächtnisfeier anlässlich des zehnten Jahrestages des Kriegsbeginns von 1914 etwas verklausuliert in Hinsicht auf den Ersten Weltkrieg vom „Feld der Unehre“ gesprochen hatte. Der Rektor der Universität versuchte wiederholt die Veranstaltung in Tübingen zu verbieten. Es gelang ihm jedoch nur insofern, als Gumbel nicht mehr als Gast der Universität sprechen durfte, sondern die Vereinigten Gewerkschaften einspringen mussten, um die Veranstaltung durchführen zu können. Gumbels Rede wurde von anwesenden Studenten so heftig gestört, so dass die Veranstalter in ein Gasthaus im Tübinger Vorort Lustnau auswichen. Aber auch hierhin folgten die Studenten und zettelten eine gewaltige Schlägerei an, die an dem betroffenen Gasthaus und anliegenden Anwesen beträchtliche Zerstörungen verursachte. Die Polizei schritt erst relativ spät, etwa gegen Mitternacht, ein und machte dem Spuk ein Ende.¹⁹ In die Vorgänge um die „Lustnauer Schlacht“ war auch Theodor Eschenburg verwickelt. Als Vorsitzender des Hochschulrings Deutscher Art in Tübingen, auf den noch detailliert eingegangen wird, hatte er im Vorfeld der geplanten Veranstaltung ein Plakat unter seinem Namen verbreitet, das sich „mit starker Entrüstung“ gegen den Auftritt Gumbels wandte. „Nach der allgem[einen] Verurteilung seiner Rede an der Universität Heidelberg“, so heißt es auf dem Plakat, „bedeutet sein Vortrag hier eine starke Beleidigung eines jeden teutschen Studenten. Wir erwarten auf das Bestimmteste“, so fährt der Text fort, „dass Herr Dr. Gumbel von seinem Vorhaben absieht.“²⁰ Der Rektor der Universität, Ludwig von Köhler, hatte Eschenburg zwar vor „Ungesetzlichkeiten“ gewarnt, die Erklärung jedoch grundsätzlich gebilligt, da sie nach seinem Dafürhalten „auf einer berechtigten und gesunden Gegenempfindung“ beruhe.²¹ Eschenburg hat später auf die zeitliche Koinzidenz des Gumbel-Vortrags mit einem vorgesehenen Auftritt von Reichsaußenminister Gustav Stresemann in Tübingen hingewiesen, so dass er befürchtet habe, Stresemann könnte seinen Besuch Tübingens mit dem Hinweis
18 Emil Gumbel, Vier Jahre politischer Mord, Berlin 1922. 19 Lange, „Affäre Gumbel“, S. 31–38. 20 UAT, 530/991/4. 21 Lange, „Affäre Gumbel“, S. 34.
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auf Unruhen im Zusammenhang des Vortrages von Gumbel absagen.²² In der Tat liefen in jenen Tagen Vorbereitungen für einen Besuch des Außenministers in Tübingen. Eschenburg war mit ihm in den ersten Junitagen in Stuttgart „bei der Einweihung des Hauses des Deutschtums“ zusammengetroffen. Bei dieser Gelegenheit hatte Stresemann zugesagt, Ende Juni nach Tübingen zu kommen, worauf ihm Eschenburg den 30. des Monats reservierte. Die Terminabsprache stand jedoch unter dem Vorbehalt eventueller außenpolitischer Termine des Ministers.²³ In der Tat sagte dieser wegen „dringender, nicht voraussehbarer Verpflichtungen“ kurzfristig ab, hielt aber an seiner „generellen Zusage“ fest.²⁴ Eigenem Bekunden nach hat Eschenburg zwar die Veranstaltung mit Gumbel in Tübingen besucht, sich jedoch nicht an der „Lustnauer Schlacht“ beteiligt. Er habe sich kurz nach zehn Uhr auf den Weg nach Lustnau begeben, dann jedoch schon „von ferne das Gewühl der Menge“ gesehen, „die sich ein hartes Gefecht lieferte“. Da habe er kehrtgemacht und sei nach Hause gegangen.²⁵ Eschenburg zeigte hier bereits ein Verhalten, das er auch im Dritten Reich an den Tag legte. Immer wenn es brenzlig zu werden drohte, zog er den Kopf ein und machte sich aus dem Staub. Trotzdem hatte die „Lustnauer Schlacht“ für ihn noch ein kleines Nachspiel. Von der Stuttgarter Kriminalpolizei wurde er als der Verantwortliche für das Plakat des Hochschulrings gegen den Auftritt Gumbels „wegen Anstiftung zur Saalschlacht in Tübingen und der folgenden Prügelei“ vernommen. Irgendwelche negativen Folgen hatte diese Vernehmung für ihn nicht.²⁶ Eschenburgs Memoiren zufolge hatte sich sein Vater bereits vor der Abreise nach Tübingen bei einem ihm bekannten Kieler Historiker nach dem „Ruf“ der Tübinger Kollegen erkundigt. Der Angesprochene habe insbesondere den Professor für mittelalterliche Geschichte, Johannes Haller, und den Neuzeithistoriker Adalbert Wahl empfohlen.²⁷ Vor allem Johannes Haller war damals ein hochangesehener Gelehrter, der nicht nur mittelalterliche Werke verfasste, sondern auch über das 19. Jahrhundert Vorlesungen hielt und Bücher veröffentlichte und sich darüber hinaus als deutschnationaler Kritiker der Weimarer Republik einen Namen gemacht hatte. 1923 hatte er ein Buch mit dem Titel „Die Epochen der deutschen Geschichte“ veröffentlicht, das damals zu den meist gelesenen historischen Wer-
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Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 175. Binder an Plappert vom 14.6.1925, ACDP, 01-501-010/2. Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 176. Ebenda. Ebenda, S 176f. Ebenda, S. 149f.
28 | Student und politischer Aktivist in Tübingen ken überhaupt zählte. Aber auch Adalbert Wahl hatte eine ganze Reihe bemerkenswerter Bücher publiziert und war zudem wie auch wenige Jahre zuvor Haller 1921/22 Rektor der Universität gewesen. Eschenburg besuchte Haller bereits in der ersten Woche in dessen Privatwohnung. Der Professor nahm sich mehr als eine Stunde Zeit, um sich mit dem ihm unbekannten Studienanfänger zu unterhalten.²⁸ Haller forderte Eschenburg während des Studiums „gelegentlich“ auf, „ihn nach Hause zu begleiten“, und lud ihn und andere Seminarteilnehmer bisweilen auch „Sonntagnachmittags zu Kaffee und selbstgebackenem Kuchen“ ein.²⁹ Ähnliche Erfahrungen hat etwas früher der Student Carlo Schmid in Tübingen gemacht. Auch er betont in seinen Erinnerungen, dass er „bald ein gutes Verhältnis“ zu seinen Professoren gefunden habe. Diese hätten „nahezu alle ihre Hörer persönlich“ gekannt und die eifrigsten von diesen gelegentlich „auf den Abend zu einem Glas Bier“ eingeladen.³⁰ Im Unterschied zu Wahl, dessen Kolleg über die Wilhelminische Zeit Eschenburg abbrach, weil nach seiner Erinnerung der Professor „zu wenig Kritik [geübt] und zu viel Huldigung“ dargebracht habe³¹, beeindruckte Haller den Studenten Eschenburg zutiefst. In seinen Memoiren berichtet er, „immer wieder von seinen Vorlesungen hingerissen“ gewesen zu sein: Haller sei „glanzvoll im Vortrag“ gewesen: „Rhetorische Eleganz verband er mit reichem Inhalt.“³² Ob aus dieser Feststellung und ähnlichen nachträglichen Äußerungen geschlossen werden kann, dass Eschenburg die „leidenschaftliche[. . . ] Gegnerschaft“ Hallers „zur Weimarer Demokratie“ teilte, wie jüngst vermutet worden ist³³, steht dahin. In einem Interview charakterisierte er Haller Anfang November 1983 als einen „Balten mit dem ganzen Gift, das dieser Stamm in sich trug“.³⁴ Wie wenig Eschenburg als getreuer Gefolgsmann Hallers bezeichnet werden kann, zeigt eine Episode, die sich wohl 1925 abgespielt hat. In diesem Jahr war das Werk des jüngeren Bruders von Max Weber, Alfred Weber, über „Die Krise des modernen Staatsgedankens in Europa“ erschienen, in dem er seine Forderung nach einer „Führerdemokratie“ entwickelte.³⁵ Eschenburg, der dieses Werk bis an sein Lebensende sehr geschätzt hat³⁶, hatte gleich nach Erscheinen auf
28 Ebenda, S. 150. 29 Ebenda, S. 161. 30 Schmid, Erinnerungen, S. 94. 31 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 159. 32 Ebenda, S. 150. 33 Rohstock, Kein Vollzeitrepublikaner, S. 202f. 34 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 1.11.1983, UAT, 530/275. 35 Alfred Weber, Die Krise des modernen Staatsgedankens in Europa, Stuttgart 1925. 36 Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“, S. 436.
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Empfehlung zweier Kommilitonen mit der Lektüre des Buches begonnen, das er dann jedoch im Kolleg Hallers liegen gelassen hatte. In der nächsten Sitzung, die Eschenburg geschwänzt hatte, soll sich Haller mit den Worten an die Studenten gewandt haben: „Meine Herren, hier hat einer gestern ein Buch liegen lassen. Alfred Weber ,Krise des modernen Staatsgedankens‘ . Niemand, wirklich niemand? Meine Herren, das ist für mich eine große Freude, dass niemand von meinen Schülern diesen Scharlatan liest. Dass keiner sich mit diesem Buch vergiftet. Ich danke Ihnen, meine Herren.“ Zwei Tage später, so berichtet Eschenburg, sei er zum Pedell gegangen und habe ihm gesagt: „Hören Sie mal, ich habe da ein Buch liegen lassen.“ Daraufhin habe der geantwortet: „Der Professor Haller ist sehr verärgert darüber.“ Ein paar Tage später, so überliefert Eschenburg weiter, habe er bei einem Bierabend neben Haller gesessen und dessen Beanstandung zur Sprache gebracht. Die Aufforderung Eschenburgs, das Buch zu lesen, habe Haller mit der Bemerkung abgetan, dass das Buch „einfach Schund“ und es ihm „unerklärlich“ sei, „wie ein solcher Mann an einer deutschen Universität lehren kann“.³⁷ Dass Eschenburg schon frühzeitig durchaus andere Auffassungen als Haller entwickelte, zeigte sich schon wenige Jahre später, als er 1928 seinen ersten wissenschaftlichen Aufsatz veröffentlichte, in dem er sich, wie noch zu zeigen sein wird, mit Thesen Hallers sehr kritisch auseinandersetzte. Im Zentrum von Eschenburgs Tätigkeit in Tübingen stand jedoch nicht das Studium und auch nicht das Verbindungsleben, sondern sein Engagement im Hochschulring Deutscher Art (HDA). Bei dem HDA handelte es sich um eine „reichsweite Organisation mit Ortsgruppen in allen Universitätsstädten“. Er „verstand sich als völkische Sammelbewegung der Studenten und engagierte sich in der sogenannten Grenzlandarbeit und der Förderung des Auslandsdeutschtums“.³⁸ Dementsprechend hat Sonja Levsen die These vertreten, dass auch der HDA in Tübingen von Beginn an einen „radikalen, aggressiven Nationalismus mit starker völkischer Prägung“ vertreten, in der Bildungsarbeit einen „studentischen Nationalismus“ verfolgt und mit seinen Aktivitäten, vor allem mit von ihm initiierten Vorträgen einen „kaum zu unterschätzenden Einfluss auf die Tübinger Studentenschaft“ ausgeübt habe.³⁹ Eschenburg, der schon bald nach der Aufnahme seines Studiums in den Vorstand des HDA und kurz darauf zu dessen Vorsitzenden gewählt wurde, hat in seinen Memoiren festgestellt, dass diese Vereinigung in Tübingen weder „überparteilich“ ausgerichtet gewesen sei, noch auf „völkischer
37 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 1.11.1983, UAT, 530/275. 38 Levsen, Elite, S. 217. 39 Ebenda, S. 315f.
30 | Student und politischer Aktivist in Tübingen Grundlage“ gestanden habe, wie bei seiner Gründung im Jahr 1920 formuliert worden war. Der HDA habe vielmehr der Deutschnationalen Volkspartei nahegestanden.⁴⁰ Eschenburg nimmt für sich im Rückblick in Anspruch, als Vorsitzender des HDA den Versuch unternommen zu haben, den Verband „umzufunktionieren“. Er wollte den HDA, „der zur Stärkung nationaler Einstellungen begründet worden war“, benutzen, „um die politische Bildung zu etablieren“, wobei es für ihn um die Vermittlung der grundlegenden Kenntnisse der politischen Willensbildung in einer Demokratie gegangen sei.⁴¹ Ob diese Behauptung der Realität entspricht, soll im Folgenden anhand überlieferter Quellen überprüft werden. Erste Hinweise auf die hochschulpolitische Tätigkeit Eschenburgs in Tübingen gibt es aus dem Juni 1925. In einem Brief teilte damals Paul Binder Werner Plappert mit, dass Eschenburg „im ASTA das Amt der politischen Bildung“ innehabe und sich mit dem Rektor der Universität, Köhler, „sehr gut verstehe“. Eschenburg bemühte sich zu diesem Zeitpunkt, also im Juni 1925, dem HDA in Tübingen „eine eigene, lokale finanzielle Basis“ zu beschaffen, indem er finanziell betuchte Personen (Industrielle und hohe Beamte) für Spenden für den HDA Tübingen zu gewinnen versuchte. „Aus dem Kreis der Geldgeber [sollte] ein Verwaltungsrat gebildet werden, der in dieses politische Bildungsamt Kontinuität hineinbringen“ sollte.⁴² Die Versuche, den HDA in Tübingen auf eine eigene finanzielle Basis zu stellen und ihn damit von der Reichsorganisation unabhängig zu machen, sind auch die nächsten Jahre mit mehr oder weniger Erfolg fortgesetzt worden und werden im weiteren Verlauf der Darstellung detailliert behandelt. Wer waren aber nun die Personen, mit denen Eschenburg die „studentische Politik“ in Tübingen betrieb? Sowohl aus seinen Memoiren als auch aus Briefen der damaligen Zeit lassen sich folgende Namen nennen. Zunächst ist auf den angesehenen Staatsrechtslehrer Karl Sartorius (Rektor der Universität von 1919 bis 1921 und Verfasser eines mehrfach aufgelegten Standardwerkes über Verfassungs- und Verwaltungsgesetze) zu verweisen, der „das Gespräch mit Studenten mehr als mit seinen Kollegen“ suchte und von den Studenten, mit denen er sich „auch abends“ oft „zu einen Glas Wein“ traf, als „primus super pares“ angesehen wurde.⁴³ Eschenburg war jedenfalls bereits im Juni 1925 überzeugt, wie er einem ihm nahestehenden Studenten mitteilte, dass Sartorius „sich sehr für seine [Eschenburgs] Sache interessiere“.⁴⁴ Im selben Brief schreibt Eschen-
40 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 168f. 41 Ebenda, S. 177ff. 42 Binder an Plappert vom 14.6.1925, ACDP, 01-501-010/2. 43 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 181. 44 Binder an Plappert vom 14.6.1925, ACDP, 01-501-011/2.
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burg, dass er auch mit Wilhelm Hofmann, dem Geschäftsführer der Tübinger Studentenhilfe, „gut auskomme“. Auch dieser gehörte zum Kreis um Eschenburg, genauso wie Albert Sauer, der Vorsitzende des Allgemeinen Studentenausschusses.⁴⁵ Wilhelm Hofmann arbeitete nach der Promotion an der Berliner Universität bei dem Pädagogen Eduard Spranger als Bibliothekar an der Landesbibliothek in Stuttgart, deren Direktor er nach 1945 wurde und als solcher zugleich die Leitung der Universitätsbibliothek Tübingen übernahm. Albert Sauer, Mitglied einer streng katholischen und konservativen Verbindung und der Zentrumspartei, fungierte nach dem Krieg von 1946 bis 1966 als Oberbürgermeister seiner Heimatstadt Ravensburg, war Mitbegründer der CDU, Mitglied des Landtags und gehörte unterschiedlichen Landesregierungen als Staatssekretär und Minister an. Am wichtigsten waren jedoch für Eschenburg Werner Plappert und vor allem Paul Binder. Beide waren nur unwesentlich älter als Eschenburg. Binder studierte Nationalökonomie und Plappert Jura. Beide stammten aus wohlhabendem Haus: Binders Vater war Bankier in Stuttgart, Plapperts Vater Zigarrenfabrikant in Heidenheim. Binder gehörte der nicht farbentragenden Verbindung Stuttgardia an. Ob auch Plappert Verbindungsstudent war, ist nicht überliefert. Binder arbeitete nach dem Ende des Studiums als Bankier in London und Berlin. In der Reichshauptstadt amtierte er zwischen 1937 und 1940 als stellvertretender Direktor der Dresdner Bank, wo er als Leiter der „zentralen operativen Stelle für die Akquisition und Abwicklung von ,Arisierungen‘ jüdischer Unternehmen“ zuständig war. Ab 1941 arbeitete Binder als selbständiger Wirtschaftsprüfer. Nach dem Krieg trat er der CDU bei, war als Staatsekretär der Finanzen Mitglied der Landesregierung von Württemberg-Hohenzollern. Höhepunkt seiner politischen Tätigkeit war die Mitgliedschaft im Parlamentarischen Rat. Danach wandte sich Binder wieder vorwiegend Tätigkeiten in der Wirtschaft zu, ohne jedoch sein politisches Engagement vollständig aufzugeben.⁴⁶ Werner Plapperts weiterer Lebensweg war weniger spektakulär. Er übernahm in Heidenheim das elterliche Geschäft und wurde nach dem Krieg für kurze Zeit von den Amerikanern zum Oberbürgermeister seiner Heimatstadt berufen. Sowohl Binder wie auch Plappert arbeiteten besonders eng mit Eschenburg zusammen. Sie waren zu unterschiedlichen Zeiten im Tübinger HDA aktiv und gehörten auch dem Vorstand an. Besonders wichtig ist, dass sie und Eschenburg auch noch auf die Politik dieses Verbandes Einfluss zu gewinnen
45 Eschenburg, Also hören sie mal zu, S. 180f. 46 Günter Buchstab, Paul Binder (1902–1981). Staatssekretär, Wirtschaftsprüfer, WürttembergHohenzollern, in: Günter Buchstab/Hans-Otto Kleinmann (Hrsg.), In Verantwortung vor Gott und den Menschen. Christliche Demokraten im Parlamentarischen Rat 1948/49, Freiburg im Breisgau, S. 102–112.
32 | Student und politischer Aktivist in Tübingen versuchten, als sie bereits ihr Studium abgeschlossen hatten (Plappert und Binder) oder schon nicht mehr in Tübingen wohnten (Binder und Eschenburg). Das geht allein schon daraus hervor, dass alle drei im Sommersemester 1927 Mitglieder des vierköpfigen Ältesten-Ausschusses des HDA in Tübingen waren.⁴⁷ Eine besonders enge Beziehung entstand seit 1925 zwischen Eschenburg und Binder. Letzterer, der im Juli des Jahres noch in Rostock studiert hatte, dann aber nach Dijon gewechselt war, schrieb von dort im September an seine Eltern, Eschenburg sei doch „ein trolliger Kerl“.⁴⁸ Leicht verärgert nahm er jedoch auch davon Kenntnis, dass Eschenburg immer wieder zu „Kindereien“ neige. Das kann auf auffälliges Verhalten in der Öffentlichkeit bezogen gewesen sein, für das – wie oben dargestellt – Eschenburg gerade zu dieser Zeit mit anderen Germanen einen Strafbefehl wegen ruhestörenden Lärms erhalten hatte. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass Binder auf die „Lustnauer Schlacht“ anspielte, die er – wie seine Briefe zeigen – kritisch bewertete und für deren nachträgliche „Aufarbeitung“ er sich aussprach.⁴⁹ Im November 1925 teilte Binder Plappert mit, dass man mit Eschenburg „seine liebe Not“ habe, er aber hoffe, dass er sich als Senior seiner Burschenschaft in Zukunft „doppelt vorsichtig“ verhalten werde. Gleichzeitig ließ er Plappert aber auch wissen, dass er an Eschenburg „die Frische und Unmittelbarkeit des Handelns [. . . ] sehr schätze“.⁵⁰ Dessen Bestrebungen, aus dem HDA eine „politische Fakultät“ zu machen, begrüßte er ausdrücklich. Deren Zielsetzung sollte darin bestehen, dass „die Studentenschaft im Parteisinn entpolitisiert“ werde.⁵¹ Über die Arbeit des HDA in Tübingen unter dem Vorsitz Eschenburgs ist in den überlieferten Briefen der Akteure wenig zu finden. Wohl aber existiert eine Denkschrift aus der Feder Eschenburgs vom Mai 1926, also aus der Zeit, als er Tübingen soeben verlassen hatte. In der Denkschrift geht Eschenburg zunächst auf das Gründungsziel des HDA ein, „die national gesinnten deutschen Studenten in sich zusammenzufassen, um mit ihrer Hilfe die Auswüchse der Revolution zu bekämpfen und nach Kräften am Wiederaufbau Deutschlands mitzuarbeiten“. Im Vordergrund der Propaganda habe deshalb die kulturpolitische „völkische Idee“ gestanden. Eine solche Propaganda sei nun nicht mehr notwendig, da die nationale Gesinnung der Mitglieder des HDA und seines Umfeldes eine „Selbstverständlichkeit“ geworden sei. Daran anschließend skizziert Eschenburg zwei neue Aufgaben. Ausgehend
47 Übersicht über die Vorstandsmitglieder des HDA in Tübingen, ACDP, 01-105-010/1. 48 Binder an die Eltern vom 15.9 1925, ebenda. 49 Binder an Wilhelm Hofmann vom Juli 1925; ACDP, 01-105-010/2. 50 Binder an Plappert vom 4.11.1925, ebenda. 51 Paul Binder an Wilhelm Hofmann vom Juli 1925, ebenda.
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von einer von ihm konstatierten „Abnahme des politischen Interesses auch bei den Hochschulringmitgliedern“ müsse dieses wachgehalten werden. Dies solle durch „Vorträge bedeutender politischer Persönlichkeiten“, von „poltische[n] Persönlichkeiten ersten Ranges“ geschehen, die durch „ihre Persönlichkeit die Studenten fesseln“ könnten und in der Lage seien, „die notwendige praktische Aufklärungsarbeit zu leisten“. Des Weiteren sei es notwendig, aus dem HDA eine „akademische [. . . ] Einrichtung“ zu machen und diese „gewissermaßen zu einem politischen Seminar“ umzugestalten. Dabei ging es Eschenburg darum, aus der Masse der Studenten des HDA „eine kleine Gruppe fähiger und politisch stark interessierter Persönlichkeiten [. . . ] herauszugreifen und deren politisches Denken zu schulen, damit sie dereinst Träger einer verständigen, nationalen Politik sein können“. Ziel war letztlich die Schulung des nationalpolitischen Denkens „unabhängig von allen parteipolitischen und persönlichen Tendenzen“ mit der Zielsetzung, „die positive, sachliche Arbeit einer nationalen, politischen Erziehung leisten zu können und damit zur Bildung einer einheitlichen, politisch führenden Gesellschaft Deutschlands beizutragen“. Zur Finanzierung der Durchführung der genannten Aufgaben, so Eschenburg abschließend, solle ein „Förderkreis gegründet werden mit einer derartigen Zusammensetzung, dass wir dadurch in keiner Weise parteipolitisch gebunden werden“.⁵² Als Eschenburg diese Denkschrift Ende Mai 1927 an den Privatsekretär von Gustav Stresemann, Konsul Henry Bernhard schickte, tat er dies mit den Worten. „Zum Beweis, dass der Hochschulring in Tübingen in seiner Zielsetzung und praktischen Arbeit durchaus vom Reichshochschulring sich unterscheidet, erlaube ich mir in der Anlage unsere kleine Denkschrift, die ich vor einem Jahre verfasst habe, beizufügen.“⁵³ Zu diesem Zeitpunkt war Eschenburg bereits an der Berliner Universität immatrikuliert. Nach einem „Feriensemester“ in Dijon, zu dem ihn Paul Binder überredet und dem Eschenburgs Vater nach kurzem Bedenken zugestimmt hatte⁵⁴, wollte er in Berlin das Studium mit der Promotion abschließen. Die Arbeit hieran nahm Eschenburg, wie noch zu zeigen ist, zwar zügig auf; Tübingen ließ ihn aber noch lange nicht los. Nicht zuletzt durch Zuwendungen aus der Schatulle Binders, aber auch von anderer Seite wurde in Berlin ein Büro für Eschenburg eingerichtet. Dessen Aufgabe bestand darin, Publikationsinteressen Binders, der zu dieser Zeit in London arbeitete, in Berlin zu vertreten, aber gleichzeitig auch die Vorgänge im
52 Denkschrift Hochschulring Deutscher Art Tübingen, PA/AA, 053/1 (Nachlass Stresemann). 53 Eschenburg an Konsul Henry Bernhard vom 20.5.1927, ebenda. 54 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 185f.
34 | Student und politischer Aktivist in Tübingen HDA in Tübingen im Auge zu behalten und auf diese gegebenenfalls Einfluss zu nehmen. Diese Einflussnahme ist ab Mai 1927 nachweisbar. Bereits 1925 war, wie oben dargestellt, eine Rede von Außenminister Stresemann in Tübingen vorgesehen, die aber aufgrund von Terminschwierigkeiten kurzfristig abgesagt werden musste. Eschenburg, der in Berlin – wie noch zu zeigen ist – näheren Kontakt zu Stresemann gesucht und gefunden hatte, konnte in der zweiten Hälfte des Monats Mai 1927 Konsul Henry Bernhard mitteilen, dass in Tübingen alle Vorbereitungen für einen Redeauftritt Stresemanns, der im Jahr zuvor mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war, getroffen seien und mit einer Zuhörerschaft von 1.400 Personen gerechnet werden könne.⁵⁵ Die Veranstaltung fand dann im Juni statt. Eschenburg war aus diesem Anlass auf Bitten des Ministers selbst nach Tübingen gereist.⁵⁶ Eine ausführlichere Wiedergabe der 45-minütigen Rede⁵⁷ hat Antonina Vallentin gegeben: Danach hat Stresemann die Ideen der Demokraten von 1848 beschworen und die „unpolitische Einstellung des deutschen Bürgertums der Vergangenheit“ kritisiert, die er vor allem für den Zusammenbruch von 1918 verantwortlich machte. Es war naheliegend, dass Stresemann ausführlich auf die Außenpolitik einging. Als deren Aufgabe bezeichnete er es, „mit allen unseren Kräften dafür zu sorgen, dass der Frieden in Europa erhalten bleibt“.⁵⁸ Eschenburg zufolge erhielt Stresemann für seinen Vortrag großen Beifall, was den begleitenden Reichspressechef Walter Zechlin überrascht habe. Ebenso sei der „anschließende Dämmerschoppen“ in kleinem Kreis in angenehmer Atmosphäre verlaufen, obwohl die Positionen von Stresemann nicht von allen geteilt worden seien.⁵⁹ Nur kurze Zeit nach Stresemann, Anfang Juli 1927, sprach der ehemalige Reichsminister und Reichskanzler Hans Luther auf Einladung des HDA in Tübingen. Luther war parteilos, stand aber der DVP nahe. Er behandelte das Thema „Bewusste Politik“. Als Akte einer bewussten Politik bezeichnete er das DawesAbkommen von 1924, das eine Zwischenlösung in der Reparationsfrage brachte, den Locarno-Vertrag von 1925, der den status quo an der Westgrenze Deutschlands sicherte, und den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund 1926. Dies waren alles Entscheidungen, die bei der politischen Rechten in Deutschland auf Kritik oder entschiedene Ablehnung gestoßen waren. Luther plädierte sodann für eine „Ver-
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Eschenburg an Konsul Henry Bernhard vom 20.5.1927, PA/AA, 053/1 (Nachlass Stresemann). Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 187. So ebenda. Vallentin, Stresemann, S. 236–239. Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 188f.
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mehrung der Ausfuhr und Stärkung des inneren Marktes“, aber auch für den „Schutz der Landwirtschaft“. Abschließend appellierte Luther an seine Hörer, „das Deutschsein als Lebenszweck“ aufzufassen und bereit zu sein, „Opfer zu bringen“. Mit seinen Ausführungen erntete Luther „stürmischen Beifall“, und „in einem Schlusswort gelobte der Vertreter des Hochschulrings im Namen der Studentenschaft, mit aller Kraft dahin zu wirken, dass das Gehörte in die Tat umgesetzt werde“. Wie auch beim Vortrag Stresemanns fand im Anschluss an den Vortrag „ein Bierabend in kleinem Kreise“ statt.⁶⁰ Eschenburg hatte der Einladung an Luther reserviert gegenübergestanden, da er noch nicht zu übersehen vermochte, welche politischen Ambitionen dieser in der Zukunft verfolgte. Geradezu erzürnt war er jedoch über das Verhalten Plapperts während der Veranstaltung. Denn dieser hatte – wie Eschenburg Binder wissen ließ – nicht am Bierabend teilgenommen und damit „eine unerhörte Torheit“ begangen. Damit sei versäumt worden, die „so glänzende Stimmung“ nach dem Vortrag auszunutzen und Luther um die schriftliche Ausarbeitung seines Vortrags zu bitten und die Zustimmung zu dessen Veröffentlichung zu erlangen. Eschenburg beabsichtigte nämlich, eine Broschüre mit den Vorträgen von Stresemann, Luther und dem Anglisten Wilhelm Dibelius, der ebenfalls in Tübingen aufgetreten war, herauszugeben, die als „Werbematerial“ dienen sollte. Jetzt nachträglich in Berlin die Zustimmung Luthers zu bekommen, sei ihm nicht gelungen. In einem kurzen Telefongespräch habe Luther „sehr kühl und sachlich“ reagiert.⁶¹ Ein gewisse Distanz Eschenburgs zu Plappert blieb auch in der Folgezeit bestehen, wie aus einem Schreiben Eschenburgs an Binder vom 5. November 1927 hervorgeht.⁶² Im Mai 1928 begrüßte Eschenburg zwar, dass sich Plappert „intensiv um die Tübinger Angelegenheit“ kümmern wolle, fügte aber gegenüber Binder hinzu, „immerhin müssen wir ihm soweit auf die Finger sehen, dass wir nicht das Heft aus der Hand verlieren“.⁶³ Aber auch zwischen Eschenburg und Binder war das Verhältnis nicht immer konfliktfrei. So beklagte sich Ersterer im September 1927 über das „politisch bestimmte[. . . ] Misstrauen“, das Binder auch gegen seine „Freunde nicht unterdrücken“ könne, und erinnerte diesen daran, dass sie „zusammen den Hochschulring gegründet“ hätten, „wie er heute besteht“, obwohl sie „manchmal mehr oder minder Mühe gehabt [hätten], an
60 Reichskanzler Dr. Luther in Tübingen, Staatsanzeiger für Württemberg vom 2.7.1927, ACDP, 01-105-0101/1. 61 Eschenburg an Binder vom 12.7.1927, ebenda. 62 Eschenburg an Binder vom 5.11.1927, ebenda. 63 Eschenburg an Binder vom 12.5.1928, ebenda.
36 | Student und politischer Aktivist in Tübingen diesem oft wackeligen Unternehmen festzuhalten“.⁶⁴ Das Misstrauen Binders Eschenburg gegenüber war auch einen Monat später noch nicht gänzlich verschwunden, was Letzterer als „unerfindlich“ bezeichnete. Mit Nachdruck bat er den politischen Mitstreiter, der zu dieser Zeit in London arbeitete und daher „die Lage hier nicht übersehen“ könne, ihm „freie Hand“ zu lassen.⁶⁵ Das war insbesondere auf die Bildung eines Förderkreises bezogen, den Eschenburg und Binder zur finanziellen Absicherung des Tübinger HDA für notwendig erachteten. Die Bildung eines Förderkreises hatte Eschenburg schon in seiner Denkschrift vom Mai 1926 angesprochen, auf die oben hingewiesen worden ist. Diese Initiative nahm im Zusammenhang mit dem 450. Jubiläum der Universität Tübingen Fahrt auf. Eschenburg, der an den Jubiläumsfeierlichkeiten als „Ehrengast“ teilnahm, wofür Sartorius gesorgt hatte, traf am Rand der Veranstaltung mit Ludwig Kastl, dem Geschäftsführenden Präsidialmitglied des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, und Max Schlenker, dem Geschäftsführer des Langnamvereins und der Nordwestlichen Gruppe des Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrieller, zusammen. Nach Auffassung Eschenburgs waren beide, die als „Alte Herren“ des Corps Franconia (Kastl) bzw. der Landsmannschaft Ghibelinia (Schlenker) mit der Universität Tübingen verbunden waren, für den Beitritt zum Förderkreis gewonnen, so dass dieser „in nächster Zeit zur Tatsache“ werde. Kastl und Schlenker hätten bereits persönlich um Mittel geworben. Paul Reusch, der Generaldirektor der Gutehoffnungshütte, habe eine einmalige Zahlung von 2.000 Mark geleistet, und Kastl wolle einen Fonds von 50.000 Mark zusammenbringen, von dem auch der HDA profitieren solle. An sich war Eschenburg die Aktion „sehr sympathisch“, da der HDA dadurch „aller Bettelei“ für die nächsten Jahre enthoben sei. Die Zusammensetzung des Förderkreises, der aus ca. 35 Mitgliedern bestehen sollte, bereitete Eschenburg jedoch Sorge, da sie „sehr einseitig“ zu werden drohe. Trotzdem sprach er sich dafür aus, „Kastl und Schlenker ruhig gewähren zu lassen“. Gleichzeitig bat er jedoch Binder, im Umkreis der württembergischen „Alten Herren“ und Banken nach weiteren Mitgliedern für den Förderkreis zu suchen, um „ein Gegengewicht [. . . ] gegen die Großindustrie“ zu schaffen. Eschenburg selbst wollte Geschäftsführer des Förderkreises werden, um die Verbindung zwischen diesem und dem HDA aufrechtzuerhalten, damit er und Binder „die Macht in der Hand behalten“ würden.⁶⁶
64 Eschenburg an Binder vom 15.9.1927, ebenda. 65 Eschenburg an Binder vom 20.10.1927, ebenda. 66 Eschenburg an Binder vom 24.8.1927, ebenda.
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In den nächsten beiden Monaten gab es bei der Bildung des Förderkreises keinen Fortschritt. Dies lag vor allem an Kastl, der sich Gesprächen mit Eschenburg entzog.⁶⁷ Auf dessen zahlreiche Anrufe reagierte er „unwillig“, „an eine Besprechung über die Zusammenarbeit war daher nicht zu denken“. Schlenker erklärte sich deshalb bereit, „anstelle des viel beschäftigten Kastl die Sache in die Hand zu nehmen und den Förderausschuss“ zu bilden. Schlenker akzeptierte Binder als dessen Mitglied und kam damit dessen Wunsch entgegen. Eschenburg hielt an seiner Absicht fest, die „Geschäftsführung des Kreises“ zu übernehmen. Außerdem sagte Schlenker zu, die von Paul Reusch gespendeten 2.000 Mark an den HDA überweisen zu lassen, um diesen „aus der ersten Notlage zu befreien“.⁶⁸ Anfang November 1927 verschickte Schlenker ein Rundschreiben, in dem er bei zahlreichen Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik anfragte, ob sie bereit seien, dem geplanten Förderausschuss beizutreten.⁶⁹ In dem Rundschreiben bescheinigte Schlenker dem HDA, „eine ausgezeichnete, programmatische Erziehungsarbeit geleistet“ und „die Tübinger Studentenschaft auf einen gemeinsamen, neutralen Boden“ zusammengeführt zu haben. Das Rundschreiben Schlenkers war nicht mit Eschenburg abgesprochen, der über die Adressaten nicht informiert war und mit dem Text nicht ganz übereinstimmte.⁷⁰ Die Gründe hierfür nennt Eschenburg in seinem Schreiben nicht, wohl aber konnte er Binder wenig später mitteilen, dass er sich mit Kastl und Schlenker „in nächster Zeit zusammensetzen“ werde.⁷¹ Ein Termin wurde für den 15. und 16. Dezember in Aussicht gestellt.⁷² In der Zwischenzeit informierte Schlenker Eschenburg brieflich über den weiteren Fortgang. So erhielt er Ende November die Nachricht, dass der als liberal geltende Robert Bosch aus Stuttgart bereit sei, dem „Förderausschuss beizutreten, wenn sich der Hochschulring tatsächlich gewandelt haben sollte“, was Bosch indessen bezweifelte.⁷³ An der Mitgliedschaft von Bosch war Eschenburg sehr gelegen. Er schrieb ihm deshalb einen langen Brief, auf den er jedoch keine Antwort bekam. Als er erfuhr, dass Binders Vater Bosch gut kannte, bat er ihn zu intervenieren. Denn für Eschenburg war Bosch der „Garant, dass wir nicht zu sehr nach rechts abschwenken“.⁷⁴
67 Eschenburg an Binder vom 15.9.1927, ebenda. 68 Eschenburg an Binder vom 20.10.1927,ebenda. 69 Rundschreiben Max Schlenkers mit der Liste der angeschriebenen Personen vom 2.11.1927, ebenda. 70 Eschenburg an Binder vom 5.11.1927, ebenda. 71 Eschenburg an Binder vom 7.11.1927, ebenda. 72 Eschenburg an Binder vom 12.12.1927, ebenda. 73 Eschenburg an Binder vom 1.12.1927, ebenda. 74 Eschenburg an Binder vom 27.12.1927, ebenda.
38 | Student und politischer Aktivist in Tübingen Wie problematisch eine allzu große Abhängigkeit von der Schwerindustrie war, zeigte eine Besprechung mit Schlenker im Januar 1928. Denn dieser rückte plötzlich mit dem Vorschlag heraus, den Hochschulring und die Deutsche Studentenschaft in einem Förderkreis zu vereinigen. Dagegen wandte Eschenburg ein, dass sich der HDA nicht mit einer „so großen Bewegungsorganisation vereinigen“ könne, da man „von neuem in Gefahr laufen“ würde, „kompromittiert zu werden“.⁷⁵ Dies sah Binder nicht anders, der „eine Zusammenarbeit und Fusion mit der Deutschen Studentenschaft [. . . ] für ganz undiskutabel“ hielt. Dadurch befürchtete er eine Radikalisierung der Studentenschaft. Dagegen habe der HDA in Tübingen unter seiner und Eschenburgs Ägide stets darauf hingewirkt, „die Kämpfe in der Studentenschaft herabzumindern und die Spannungen auszugleichen“ und damit den Studenten „eine maßvolle politische Haltung“ anzuerziehen.⁷⁶ Eschenburg und Binder traten deshalb mit Nachdruck dafür ein, den Tübinger HDA von der Reichsorganisation zu trennen und ihm den Namen „Staatspolitische Arbeitsgemeinschaft Tübinger Studenten“ zu geben. Hierin sah Binder kein Problem, da dagegen „keine Revolution von unten her seitens der Völkischen“ mehr drohe. Die Arbeitsgemeinschaft sollte Binder zufolge verhindern „dass die Studenten nicht wieder ihre Hand zu reaktionären und utopischen Abenteuern geben, noch dass sie in Zukunft für einen allzu raschen Fortschritt in der Politik eintreten, dessen Tempo eine Gefährdung unserer exponierten Lage sein würde“. Diese Haltung – so Binder weiter – sei „also im wesentlichen konservativer Art“, wobei sich das Spektrum vom „rechten Flügel der Demokratischen Partei bis zum linken Flügel der Deutschnationalen“ ausdehne.⁷⁷ Eschenburg scheiterte jedoch in Tübingen, den mit Binder abgesprochenen Namen durchzusetzen. Eine Namensänderung habe sich als „unmöglich“ erwiesen, schrieb er in der zweiten Februarhälfte 1928 an Binder, da man doch die „Revolution von unten“ habe befürchten müssen und der Austritt der einen oder anderen Verbindung gedroht habe. Er habe daher auf den Rat von Hofmann und Plappert und auf das „einstimmige Votum des Vorstands“ hin einer Namensänderung in „Tübinger Hochschulring für politische Bildung“ zugestimmt. Damit war Eschenburg nicht unzufrieden, da er glaubte, „dass sich mit diesem Namen etwas tun lässt“.⁷⁸ §1 der Satzung dieses neuen Vereins lautete, dass er „die Erweckung und Schulung des politischen Interesses aller Tübinger Studenten auf breiter nationaler Grundlage“ erstrebe und er „mit anderen Organisationen gleicher Art
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Eschenburg an Binder vom 24.1.1928, ebenda. Binder an Eschenburg vom 28.1.1928, ebenda. Binder an Majer vom 30.1.1928, ebenda. Eschenburg an Binder vom 24.2.1928, ebenda.
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dem Deutschen Hochschulring“ angehöre. In einem Entwurf zu einer öffentlichen Verlautbarung hieß es, dass der Tübinger Hochschulring „radikalen Strömungen fern geblieben“ sei und die Bildung eines „Förderkreises für politische Erziehung an der Universität Tübingen“ anstrebe. Da der Tübinger Hochschulring „seine Aufgabe ohne Anlehnung an Organisationen anderer Hochschulen zu erfüllen“ suche, und „in seiner heutigen Gestalt eine rein Tübinger Angelegenheit“ sei, werde „seine Unterstützung auch nur von württembergischer Seite aus erfolgen können“.⁷⁹ Hieran hat sich Eschenburg aber zunächst nicht gehalten, sondern die Verhandlungen mit Schlenker fortgesetzt. In der zweiten Februarhälfte teilte er Binder mit, dass er mit Schlenker in Düsseldorf zusammengetroffen, dort aber auch ein Vertreter der Deutschen Studentenschaft zugegen gewesen sei. Trotz seiner ungünstigen Ausgangsposition habe er seines Erachtens noch ein günstiges Abkommen herausgeschlagen. Danach solle die „Förderfinanzierung für Tübingen“ in der Fördervereinigung der Deutschen Studentenschaft aufgehen. Tübingen solle dann einen „Zuschuss“ erhalten, „den Herr Schlenker festlegt“. Eschenburg dachte an 1.500 Mark pro Semester, die aber Schlenker nicht zugesagt hatte. Eschenburg hatte – wie er Binder schrieb – „unter starkem Druck verhandelt und gerettet, was zu retten war“. Er werde aber nochmals zu weiteren Verhandlungen nach Düsseldorf fahren müssen.⁸⁰ Binder zeigte sich in seiner Antwort enttäuscht. Angesichts der Probleme bei der Aufbringung der finanziellen Mittel konstatierte er, dass der Hochschulring nicht zu der „vorbildliche[n] Institution im Reich gemacht werden kann, auch wenn wir vielleicht durch einen besonderen Förderkreis in der Öffentlichkeit eine gewisse Unterstützung finden sollten“.⁸¹ Im Folgenden wollte sich Eschenburg auf die Gründung eines Förderkreises – wie bereits im Entwurf für eine öffentliche Verlautbarung angekündigt – auf Württemberg beschränken.⁸² Von Schlenker war nicht mehr viel zu erwarten. Von ihm hatte er im April erfahren, dass „alle Fonds wegen der Wahlen erschöpft“ seien. Außerdem hatte Schlenker Eschenburg zu verstehen gegeben, dass er sich „vollkommen an die Deutsche Studentenschaft“ gebunden habe. Ausschließen wollte er indessen nicht, dass er der Tübinger Organisation wieder einen Zuschuss gewähren werde, „wenn ein zahlungskräftiger Förderkreis besteht“.⁸³ Hinter dem
79 Satzung und Entwurf ebenda. 80 Eschenburg an Binder vom 24.2.1928, ebenda. 81 Binder an Eschenburg vom 16.3.1928, ebenda. 82 Eschenburg an Binder vom 22.3.1928, ebenda. 83 Eschenburg an Binder vom 27.4.1928, ebenda.
40 | Student und politischer Aktivist in Tübingen Rücken von Eschenburg versandte Schlenker anschließend ein Rundschreiben an die „nicht württembergischen Mitglieder des Förderkreises“, dessen Text nicht überliefert ist, der Eschenburg jedoch Anlass gab, Schlenker ein „falsches Spiel“ vorzuwerfen und ihn des „Verrats“ zu bezichtigen.⁸⁴ Die abschließenden Besprechungen zur Bildung des Förderkreises führten Plappert und Binder, was auch daran lag, dass sich Eschenburg aus der Tübinger Arbeit zurückzuziehen begann. Ende Juni 1928 schrieb er an Binder: „Ob ich nach Tübingen kommen soll, weiß ich nicht. Plappert hat ja die Dinge fest in der Hand, und ich wüsste nicht, was ich dort viel tun könnte.“⁸⁵ Plappert und Binder vereinbarten zunächst, an ihre betuchten Väter heranzutreten und um einen Beitrag für den Förderkreis zu bitten.⁸⁶ Wenig später beschlossen sie, die Werbung für den Förderkreis auf eine „kleine Zahl größerer Geldgeber“ zu beschränken.⁸⁷ Dabei handelte es sich um 41 Personen, die alle in Württemberg ansässig waren und für die ein Werbeplan aufgestellt wurde. So sollte die Mehrzahl einen Werbebrief erhalten, etliche von diesen darüber hinaus durch Besuche persönlich bearbeitet werden.⁸⁸ Welchen Erfolg diese Aktion hatte und die weitere Arbeit des Hochschulringes beeinflusste, muss im Rahmen der Biographie Eschenburgs nicht weiter verfolgt werden, da er – wie erwähnt – ab Sommer 1928 in die Tübinger Vorgänge offensichtlich nicht mehr involviert war. Um ein vollständigeres Bild seiner Tätigkeit im Tübinger Hochschulring zu geben, erscheint es notwendig, den Blick auf andere Aspekte seiner Arbeit zu richten. Dabei soll zunächst die Frage beantwortet werden, welche Personen in Tübingen als Redner auf Einladung des Hochschulringes aufgetreten sind und welche Rolle Eschenburg bei der Auswahl gespielt hat. In dem Entwurf für eine öffentliche Verlautbarung des Tübinger Hochschulringes vom Februar 1928, auf den bereits hingewiesen worden ist, ist eine Reihe „bekannter Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft“ aufgeführt, die in den letzten Semestern Vorträge gehalten hätten. Neben Stresemann und Luther, auf deren Auftreten bereits eingegangen worden ist, wurden der Staatspräsident von Württemberg, Wilhelm Bazille, der preußische Finanzminister Hermann Höpker Aschoff, der Osteuropa-Historiker Professor Otto Hoetzsch, der AnglistikProfessor Wilhelm Dibelius, der Vorsitzende des Reichslandbundes, Eberhard
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Eschenburg an Binder vom 12.5.1928, ebenda. Eschenburg an Binder vom 28.6.1928, ebenda. Binder an Eschenburg vom16.6.1928, ebenda. Binder an Eschenburg vom 3.7 . 1928, ebenda. Werbeplan für den Förderkreis des Hochschulringes, ebenda.
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Graf von Kalckreuth, und Max Schlenker genannt.⁸⁹ Bis auf Höpker Aschoff, der Mitglied der DDP war, war dies eine Ansammlung prononciert konservativer, wenn nicht reaktionärer Männer. Bazille und Hoetzsch gehörten der DNVP an und waren Mitglieder von deren Reichstagsfraktion. Dibelius hatte von 1911 bis 1918 am Kolonialinstitut in Hamburg und während des Krieges im Kriegspresseamt gearbeitet, und auch Graf Kalckreuth hat stets einen erzkonservativen Kurs verfolgt, der ihn wie Schlenker zur Teilnahme an der Harzburger Tagung im Oktober 1931 führte, in der sich die bürgerlichen Gegner der Republik mit der NSDAP in einer nationalen Front zusammenfanden. Mit Ausnahme der Einladungen an Stresemann und Höpker Aschoff lässt sich nicht feststellen, wie weit die Redner auf Vorschlag von Eschenburg aufgetreten sind. Überblickt man die Kandidaten, die er ab Oktober 1927 für einen Redeauftritt in Tübingen in die Diskussion brachte bzw. mit denen er darüber verhandelte oder deren Einladungen er kritisierte, dann fällt auf, dass er für eine Zusammensetzung der Redner votierte, die weniger „rechtslastig“ war. Ein Lieblingskandidat von ihm war der Erste Bürgermeister der Hansestadt Hamburg, Carl Petersen, Mitglied des Vorstands der Deutschen Demokratischen Partei. Ihn besuchte er das erste Mal in der zweiten Oktoberhälfte 1927 und erlangte dessen Zusage, in Tübingen zu sprechen. An Binder fasste er seinen Eindruck vom Gespräch mit Petersen mit den Worten zusammen: „Ein kluger und ungemein sympathischer Mann, dessen Vortrag uns großen Erfolg erbringen wird.“⁹⁰ Der Auftritt Petersens musste jedoch im Folgenden mehrmals verschoben werden. Ende des Jahres teilte Eschenburg Binder mit, dass „Petersens Besuch sehr in Frage gestellt sei, da die Bürgerschaftswahlen [in Hamburg] wiederholt werden“ müssten.⁹¹ Ende April 1928 stellte Petersen dann sein Kommen nach Tübingen für Juni in Aussicht.⁹² Aber auch hierzu ist es nicht gekommen. Anfang Juni hielt es Eschenburg für notwendig, Petersen noch einmal zu schreiben, obwohl ihm Binder mitgeteilt hatte, dass mit dessen „Erscheinen bestimmt nicht zu rechnen“ sei.⁹³ Mit dieser Einschätzung lag Binder wohl richtig, denn ein Vortrag von Petersen in Tübingen ist nicht aktenkundig, obwohl ihm Eschenburg noch einmal geschrieben hatte.⁹⁴ Ebenso wenig Glück hatte Eschenburg mit seinem Vorschlag, Hans Erdmann von Lindeiner-Wildau einzuladen, in seinen Augen „ein junger, hoffnungsvoller
89 Entwurf in ebenda. 90 Eschenburg an Binder vom 20.10.1927, ebenda. 91 Eschenburg an Binder vom 27.12.1927, ebenda 92 Eschenburg an Binder vom 27.4.1928, ebenda. 93 Eschenburg an Binder vom 3.6.1928, ebenda. 94 Eschenburg an Binder vom 28.6.1928, ebenda.
42 | Student und politischer Aktivist in Tübingen deutschnationaler Abgeordneter.“⁹⁵ In der DNVP gehörte er dem Anti-HugenbergFlügel an, und er verließ 1930 auch die Partei und schloss sich der Konservativen Volkspartei an. Lindeiner sagte jedoch ab, obwohl er „vorher sein Kommen versprochen“ hatte.⁹⁶ Die Bemühungen Eschenburgs, Zentrumspolitiker einzuladen, scheiterten ebenfalls. So hatte er schon im November 1927 Prälat Georg Schreiber, Mitglied des Reichstages, vorgeschlagen.⁹⁷ Im Juni 1928 hatte er diesen wie auch Ludwig Kaas, ebenfalls Mitglied des Reichstags und ab 1928 Vorsitzender der Zentrumspartei, ohne Erfolg nach Tübingen eingeladen.⁹⁸ Den Zentrumspolitiker und Vorsitzenden der Christlichen Gewerkschaften, Adam Stegerwald, als Redner auftreten zu lassen, hatte Eschenburg bereits Anfang November 1927 mit der Begründung abgelehnt: „Stegerwald kommt wegen seiner ausgesprochenen sozialistischen Einstellung nicht in Frage, solange der Förderkreis sich im Stadium der Gründung befindet.“⁹⁹ Auf ebenso entschiedene Ablehnung Eschenburgs stießen bestimmte Vertreter der DNVP. So ließ er Binder Anfang November 1927 wissen, dass er „von den weltfremden [. . . ] deutschnationalen Ministern“ keinen einladen wolle.¹⁰⁰ Ganz und gar nicht einverstanden war Eschenburg, als er erfuhr, dass Gottfried Traub, Gründungsmitglied der DNVP und Mitglied der Nationalversammlung sowie Teilnehmer am Kapp-Putsch und nunmehr Schriftleiter des deutschnationalen Blattes „München-Augsburger Abendzeitung“, in Tübingen auf Einladung des Hochschulringes gesprochen hatte. Binder forderte er auf: „Wir müssen jetzt Weihnachten recht energisch eingreifen, da uns sonst die Gesellschaft blamieren kann.“¹⁰¹ Eschenburg nahm im Jahr 1928 mit zahlreichen Politikern Kontakt auf, um sie für einen Vortrag in Tübingen zu gewinnen, so z. B. den Präsidenten des Reichsgerichts, Walter Simons, und den Reichstagsvizepräsidenten Siegfried von Kardorff (DVP) sowie den Vorsitzenden der DNVP, Alfred Hugenberg.¹⁰² Von Erfolg waren diese Initiativen offenbar ebenso wenig gekrönt wie eine Einladung an Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, der Anfang Juni 1928 absagte.¹⁰³ Auch Generaloberst a. D. Hans von Seeckt stand nicht für einen Vortrag zur Verfügung, da er bereits eine „Einladung des nationalen Klubs in Tübingen“ angenommen hatte.
95 Eschenburg an Binder von 5.11.1927, ebenda. 96 Eschenburg an Binder vom 27.12.1927, ebenda. 97 Eschenburg an Binder vom 7.11.1927, ebenda. 98 Eschenburg an Binder vom 28.6.1928, ebenda. 99 Eschenburg an Binder vom 5.11.1927, ebenda. 100 Eschenburg an Binder vom 7.11.1927, ebenda. 101 Eschenburg an Binder vom 12.12.1927, ebenda. 102 Eschenburg an Binder vom 24.1.1928, ebenda. 103 Eschenburg an Binder vom 3.6.1928, ebenda.
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Wie vermint das politische Gelände in Tübingen im Jahr 1928 weiterhin war, beweist ein Vorgang aus dem Sommer des Jahres. Eschenburg hatte mit der Hochschule für Politik in Berlin vereinbart, „dass diese einen Kursus über die Haltung der großen politischen Parteien in den europäischen Großmächten über die Außenpolitik ihrer Staaten im Sommer [1928] in Tübingen abhält“. Dieser Kursus sollte „in der Form einer Schulungswoche“ stattfinden.¹⁰⁴ Er schloss offensichtlich an Lehrveranstaltungen an, die Vertreter des Auswärtigen Amts bzw. der Presseabteilung der Reichsregierung in Tübingen in den Semestern davor über die Themen „Locarno-Vertrag“, „Völkerbund“ und „Reparationsfragen“ abgehalten hatten, „die sich einer zahlreichen Beteiligung erfreuen durften“.¹⁰⁵ Für einen der Kurse ist die Zahl von 70 bis 80 Studenten überliefert, der deshalb als „glänzender Erfolg“ gefeiert wurde.¹⁰⁶ Als Anfang Juli 1928 in Tübingen bekannt wurde, dass im Rahmen der von der Hochschule für Politik vorgesehenen Veranstaltung Ministerialdirektor Arnold Brecht, Bevollmächtigter der preußischen Regierung im Reichsrat und entschiedener Anhänger der Republik, auftreten sollte, formierte sich Widerstand, und Paul Binder befürchtete, dass bestimmte Leute „einen kleinen Skandal inszenieren“ würden. Er bat deshalb Eschenburg, alles zu versuchen, dass Brecht nicht nach Tübingen komme. „Hoffentlich gelingt es Ihnen“, so Binder abschließend wörtlich, „die Sache gewandt und reibungslos zu schaukeln“.¹⁰⁷ Es ist bereits darauf hingewiesen worden, dass vor allem durch Zuwendungen Binders, aber auch durch andere Quellen frühzeitig ein kleines Sekretariat für Eschenburg in Berlin eingerichtet wurde. Die Energie, mit der von Eschenburg und Binder die Bildung eines Förderkreises betrieben wurde, war auch darauf zurückzuführen, dass hiermit nicht zuletzt weitere Mittel zur Unterhaltung des Büros aufgebracht werden sollten. Dies geht z. B. aus einem Schreiben Eschenburgs vom November 1927 hervor. Hierin teilte er Binder mit, dass er dem Hochschulring geschrieben habe, „nur unter der Bedingung für ihn weiterarbeiten zu können, wenn [ihm] eine Sekretärin zur Verfügung“ stehe. Er habe „zu dem langen Laufen in Schreibmaschinenbüros wahrhaftig keine Zeit mehr“, wo er dann auch noch „lange warten“ müsse. Damit erklärte Eschenburg auch die zahlreichen handgeschriebenen Briefe, von denen es keine Durchschläge gebe, was bisweilen zu „Missständen [. . . ] in der Verständigung“ geführt habe. Aus diesem
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Eschenburg an Binder vom 27.4.1928, ebenda. Entwurf einer öffentlichen Verlautbarung des Hochschulrings, ebenda. Eschenburg an Binder vom 24.1.1928, ebenda. Binder an Eschenburg vom 3.7.1928, ebenda.
44 | Student und politischer Aktivist in Tübingen Grund habe er nunmehr auf eigene Rechnung eine Sekretärin, die selbst eine Schreibmachine besitze, engagiert, die dreimal die Woche komme und jetzt in seiner Rechnung stehe. Er sei bereit, von den 70 bis 80 Mark, die er monatlich zu zahlen habe, 20 bis 30 Mark selbst zu übernehmen. Er hoffe aber, „dass mir später der Förderausschuss eine Sekretärin anstellt“.¹⁰⁸ Diese Hoffnung hat Binder Ende Januar 1928 noch einmal bestärkt, als er „das Gedeihen des Tübinger HDA fast ausschließlich [als] das Werk Eschenburgs“ bezeichnete und auf die Bedeutung des Berliner Büros und seiner Finanzierung hinwies. Man habe die Gründung eines Förderkreises auch deshalb erstrebt, damit „unsere Geschäftsstelle in Berlin [. . . ] einen festen und bleibenden Rückhalt“ besitze.¹⁰⁹ Dies sah der Vorstand des Hochschulrings in Tübingen wohl nicht ganz so. In der zweiten Märzhälfte 1928 teilte er Eschenburg kurzerhand mit, dass er dessen „Auslagen in Höhe von 118 [Mark] nicht bezahlen“ könne, „weil er nicht mehr dazu in der Lage“ sei. Eschenburg konstatierte den „finanzielle[n] Bankrott“, obwohl der Hochschulring über einen Zuschuss von 2.000 Mark verfügt habe. An Binder schrieb er, dass er „das Büro sofort aufgeben“ müsse, und machte seinem Ärger Luft.¹¹⁰ Binder erklärte sich daraufhin bereit, mit einer Summe von 200 Mark einzuspringen, die er jedoch erst nach seiner Rückkehr nach Deutschland zur Verfügung stellen wollte.¹¹¹ Eschenburg sah sich außerstande darauf einzugehen, da er – wie er Binder mitteilte – „aller Mittel entblößt“ sei. Die Außenstände von 118 Mark seien für ihn zu hoch; er habe aber Plappert angeschrieben und um Hilfe gebeten. Nochmals an Schlenker heranzutreten, hielt er für kontraproduktiv. Gleichwohl plädierte er jetzt für die Aufrechterhaltung des Büros: „Das ist unsere Basis, die wir noch ausbauen sollten.“¹¹² Die Rettung für Eschenburg und sein Büro kam drei Tage später in Form eines Briefes aus London. Binder teilte darin mit, dass er es ebenfalls „für außerordentlich wichtig“ halte, „dass das Büro weitergeführt wird“, und machte den Vorschlag, „die Frage der endgültigen dauernden finanziellen Kostendeckung einmal offen zu lassen bis auf weiteres und das Büro, soweit [die]Mittel reichen, in der seitherigen Weise weiterzuführen“. Zur Behebung der augenblicklichen Notlage bot er Eschenburg an, sofort einen Beitrag in Höhe von 150 Mark für das Büro zu zahlen. Dies sei möglich, weil sein Onkel aus dem Verkauf seiner Ölfelder einen Gewinn von 1.600.000 Mark erzielt habe, von dem er seinem Neffen 400 Mark überlasse. Binder hielt es aber für not-
108 Eschenburg an Binder vom 7.11.1927, ebenda. 109 Binder an Majer vom 20.1.1928, ebenda. 110 Eschenburg an Binder vom 22.3.1982, ebenda. 111 Binder an Eschenburg vom 26.3.1928, ebenda. 112 Eschenburg an Binder vom 10.4.1928, ebenda.
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wendig, dass gegenüber dem Hochschulring „selbstverständlich“ die Forderung nach Begleichung des von Eschenburg in Rechnung gestellten Betrages aufrecht erhalten werden müsse.¹¹³ Die weiteren Verhandlungen über die Finanzierung des Berliner Büros wurden im Juni zwischen Binder und Plappert geführt. Sie hofften, durch die Mitglieder des Förderkreises ein jährliches Aufkommen von 3.000 Mark zu erzielen; von dieser Summe sollte Binder zufolge Eschenburg 1.000 Mark zur Finanzierung seines Büros erhalten. Die Verwaltung der Mittel wollte Plappert – wie Binder vermutete – in die Hände des Vorstandes in Tübingen legen, damit er (Plappert) „einen gesicherten persönlichen Einfluss auf die Verwendung hat“.¹¹⁴ In weiteren Gesprächen haben Binder und Plappert die Summe von 3.000 Mark als Ziel aufrechterhalten und die Absicht bestätigt, dass von dieser Summe monatlich ca. 100 Mark an Eschenburg in Berlin abgeführt werden sollten.¹¹⁵ Eschenburgs Urteil über den Hochschulring fiel zu diesem Zeitpunkt ausgesprochen negativ aus. Zwar war er der Ansicht, „dass wir den Hochschulring weiter halten müssen“. Auf der anderen Seite aber glaubte er, „dass er in unserem politischen System mehr und mehr zu einer Position zweiten Grades herabsinken wird“. Angesichts dieser Einschätzung votierte Eschenburg für eine Kurskorrektur im Hochschulring. „Das Wichtigste im Hochschulring ist eine gute Personalpolitik im nächsten Semester“, ließ er Binder wissen, „es kann unmöglich so weiter gehen wie in diesem.“ Für die nach seinem Dafürhalten zu konstatierende Fehlentwicklung machte er vor allem Plappert verantwortlich, der seine Machtstellung vor Ort ausgenutzt habe, um ihn und Binder „von den Dingen fern zu halten“, aber sich „keineswegs in irgend einem positiven Sinn“ betätigt habe.¹¹⁶ Eschenburg fühlte sich – so hat es den Anschein – als Verlierer im Kampf um die politische Ausrichtung des Hochschulrings, auf die er über Monate hinweg Einfluss zu nehmen versucht hatte und dabei Konflikten mit den jeweiligen Vorständen nicht ausgewichen war. So hatte Eschenburg bereits im Juli 1927 beabsichtigt, den damaligen Vorsitzenden des HDA abzusetzen, da er ihn für „unzuverlässig“ hielt.¹¹⁷ Damit hatte er aber keinen Erfolg. Im November war der Vorsitzende immer noch im Amt, wobei Eschenburg zugestehen musste, dass er sich „gebessert“ habe. Sein „Vertrau-
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Binder an Eschenburg vom 13.4.1928, ebenda. Binder an Eschenburg vom 8.6.1928, ebenda. Binder an Eschenburg vom 16.6.1928, ebenda. Eschenburg an Binder vom 28.6.1928, ebenda. Eschenburg an Binder vom 12.7.1927, ebenda.
46 | Student und politischer Aktivist in Tübingen ensmann in letzten Entscheidungen“ war zu dieser Zeit Hofmann, da Plappert sich im Examen befand, und Eschenburg Hofmann für „zuverlässiger“ hielt.¹¹⁸ Dass er sich in der Einschätzung des Vorsitzenden des HDA geirrt hatte, stellte sich nur wenige Tage später heraus. Denn am 11. November erschien eine von diesem unterschriebene öffentliche Verlautbarung des HDA, in der „die guten und großen Züge unseres alten und ältesten Deutschlands“ beschworen, der „Begriff des Staates“ den „zersetzenden Einflüssen einzelner bürgerlicher Interessengruppen“ entgegengesetzt und schließlich das „Bedürfnis der Arterhaltung“ herausgestrichen und ein „starkes Führertum, das unbeeinflusst von besonderen Interessen aus der Not des Deutschtums gewachsen“ sei, gefordert wurden.¹¹⁹ Eschenburg sah in der Verlautbarung „einen bedenklichen Richtungswandel“. Hierfür machte er ein neues Mitglied im Vorstand des HDA verantwortlich, den „Sohn eines deutschnationalen Pfarrers und Landtagsabgeordneten“, der „seinem Sohn [einen] entsprechenden Auftrag gegeben zu haben“ scheint. Wenn es Eschenburg zu diesem Zeitpunkt noch für „zwecklos“ erachtete, „schriftlich“ einzugreifen¹²⁰, so rückte er von dieser Auffassung kurz darauf ab. Ende Dezember 1927 teilte er Binder mit, dass er „nach dem Vortrag [von] Traub sehr ernsthaft“ an den Vorsitzenden geschrieben habe. Für die Zukunft setzte er auf eine „Politik in Tübingen“, die er gegenüber Binder wie folgt umriss: „Größte Reserve gegenüber Reichsorganisationen, persönliche Intervention durch Vertrauensleute und Informationen an dieselben durch eine Einsetzung eines Gremiums von alten Herren in Stuttgart, die in unserem Sinne wirken.“¹²¹ Diese Vorstellungen haben sich indessen nicht umsetzen lassen. Denn knapp einen Monat später berichtete Eschenburg, dass der Vorstand des HDA „reger als früher, aber dafür auch radikaler“ sei. Das führte Eschenburg vor allem auf den bereits erwähnten Sohn eines „extremen“ deutschnationalen Landtagsabgeordneten zurück, der zum Vorsitzenden gewählt worden sei. Der versuche über seinen deutschnationalen Vater Politiker ohne Eschenburgs Wissen nach Tübingen einzuladen, so z. B. den NSDAP-Reichstagsabgeordneten Ernst Graf zu Reventlow, und polemisiere gegen von Eschenburg vorgeschlagene Kandidaten wie z. B. Hermann Höpker Aschoff. Die Situation war Eschenburg zufolge „insofern nicht ungefährlich“. Er habe die Wahl verhindern wollen und einen anderen Kandi-
118 Eschenburg an Binder vom 5.11.1927, ebenda. 119 Verlautbarung unter der Überschrift „Der Hochschulring Deutscher Art am 9. November“ vom 11.11.1927, ebenda. 120 Eschenburg an Binder vom 1.12.1927, ebenda. 121 Eschenburg an Binder vom 27.12.1927, ebenda.
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daten, einen „gemäßigten Württemberger“, vorgeschlagen, sei aber damit nicht durchgedrungen.¹²² Einen Überblick über die Lage in Tübingen erhielt Eschenburg Mitte Mai 1928 durch zwei Schreiben des Vorsitzenden des HDA. Danach war die finanzielle Lage „geradezu trostlos“, so dass der Vorstand „mehr als einmal“ überlegt habe, „ob unter solchen Umständen eine Fortführung unserer Arbeit überhaupt möglich sei“. Obwohl die Tübinger Studentenhilfe nach Rücksprache mit Sartorius dem Hochschulring eine Anleihe gewährt habe, sei im Vorstand das Gefühl „einer trostlosen Verlassenheit“ zu konstatieren.¹²³ Im zweiten Schreiben wurde Eschenburg in Kenntnis gesetzt, welche Redner kürzlich in Tübingen aufgetreten und welche für die nahe Zukunft vorgesehen seien. Dabei ist besonders auf Martin Spahn, Professor für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Köln und Reichstagsabgeordneter der DNVP, und den Schriftsteller Edgar J. Jung hinzuweisen, der 1926 mit dem Buch „Die Herrschaft der Minderwertigen“ hervorgetreten war und sich damit als führender Vertreter der „Konservativen Revolution“ profiliert hatte. Der Vorsitzende des Hochschulrings stellte weitere Namen zur Debatte, dabei auch Kandidaten, die Eschenburg bereits vorgeschlagen hatte, um dann festzustellen, dass bei der Auswahl der Redner „mehr denn je auf die bewusst nationale, ja geradezu konservative Haltung der führenden Württemberger Rücksicht“ genommen werden müsse.¹²⁴ Über die Mitteilungen zur finanziellen Lage zeigte sich Eschenburg „vollständig überrascht“, und er bat Binder zu intervenieren. „Treten Sie nur recht energisch auf“, hieß es in dem entsprechenden Schreiben, „und benutzen Sie die Gelegenheit im Sinne der Verstärkung unseres Einflusses.“ Dem zweiten Brief aus Tübingen entnahm Eschenburg, „dass die radikalere Richtung im T[übinger] H[ochschulring] wieder zunimmt“. Jung sei „ein deutscher Faschist“, und Spahn sei Binder „ja selbst hinreichend bekannt“.¹²⁵ Dies war wohl als eine Anspielung auf die betont antidemokratische und nationalkonservative Einstellung Spahns zu verstehen. Im Unterschied zu Eschenburg bewertete Plappert die Lage in Tübingen als „weniger ernst“. Binder ließ sich von ihm überzeugen und sah daher keinen Anlass für ein „sofortiges Eingreifen“. Stattdessen hielt er es in Übereinstimmung mit Plappert für „die dringendste Aufgabe“, dass Eschenburg noch einige große Männer für einen Vortrag in Tübingen gewinne. Dieser musste sich darüber hinaus noch Kritik an seinem Verhalten bei seinem letzten Besuch in der schwä-
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Eschenburg an Binder vom 24.2.1928, ebenda. Koch an Eschenburg vom 16.5.1928, ebenda. Koch an Eschenburg vom 18.5.1928, ebenda. Eschenburg an Binder vom 24.5.1928, ebenda.
48 | Student und politischer Aktivist in Tübingen bischen Universitätsstadt gefallen lassen. Er habe es versäumt, monierte Binder, den Vorsitzenden des Hochschulrings „etwas fester an sich zu binden“. Eschenburg sei wohl „ein wenig mit zu viel Berliner Kommandoton nach Tübingen“ gekommen, „anstatt Seelenfang zu betreiben“.¹²⁶ Eschenburg reagierte leicht pikiert. Zwar stimme er „Plapperts Ansicht über die Situation“ in Tübingen zu, doch habe der „im Allgemeinen den Fehler, die Dinge zu optimistisch anzusehen“. Man müsse „auch gelegentlich einmal eingreifen und anpacken und darf nicht immer zuwarten“. Das sei bisher „immer wieder unser Fehler gewesen“. Wenn er in Tübingen „verschrien“ sei, so weniger wegen seines „Auftretens“, sondern weil er „gelegentlich“ von sich aus „Maßnahmen getroffen habe, z. B. in der Angelegenheit Höpker Aschoff, die der Vorstand in seiner Mehrheit dann nicht billigte“. Auch wenn Eschenburg akzeptierte, dass Binder von einer Intervention in Tübingen absehen wollte, bat er ihn, sich auch in Zukunft „für die Dinge stark zu interessieren“, da man Plappert allein nicht trauen könne.¹²⁷ Eschenburg hatte seine Ansichten im Tübinger Hochschulring auch diesmal nicht in dem Maße durchsetzen können, wie es seine Absicht gewesen war. In den Junitagen 1928 ist eine Resignation und Verbitterung nicht zu übersehen. Festzuhalten bleibt aber, dass er stets versucht hat, den Hochschulring aus einer rechten reaktionären Ecke herauszuführen und auf einen gemäßigt konservativen Kurs festzulegen, der sich im Rahmen der Verfassungsordnung der Weimarer Republik bewegte.
126 Binder an Eschenburg vom 30.5.1928, ebenda. 127 Eschenburg an Binder vom 3.6.1928, ebenda.
Doktorand in Berlin und die Beziehungen zu Außenminister Gustav Stresemann Es war in der Zeit, zu der Eschenburg studierte, noch durchaus üblich, dass im Laufe des Studiums die Universität gewechselt wurde. Dass Eschenburgs Wahl auf Berlin fiel, begründet er in seinen Memoiren besonders mit seinem „leidenschaftliche[n] Interesse an der Politik“. „Ich wollte in der Reichshauptstadt“ – so schrieb er – „an Ort und Stelle einen unmittelbaren Eindruck von der praktischen Politik gewinnen, wollte wissen, wie Politik – um es drastisch auszudrücken – gemacht wird.“ Am Sitz der staatlichen Institutionen, der Parteizentralen und Verbandsführungen war der Ort für diejenigen, die „politisch etwas bewirken, von der Politik profitieren oder auch nur in ihr mitspielen“ wollten.¹ Noch im Nachhinein lobte Eschenburg die Großzügigkeit seines Vaters, der aus Kostengründen nicht darauf bestanden habe, dass er sein Studium in Kiel fortsetzte, das auch über eine angesehen Universität verfügt habe.² Sein Vater ermöglichte ihm damals auch – darauf ist bereits hingewiesen worden – , dass der Wechsel von Tübingen nach Berlin nicht direkt erfolgen musste, sondern Eschenburg ein „Feriensemester“ in Dijon absolvieren konnte, das er gemeinsam mit seinem Freund Paul Binder verbrachte. In den Memoiren hat Eschenburg die Erlebnisse in Dijon, wo er mit Binder an Lehrveranstaltungen im Fach Geschichte an der dortigen Universität teilnahm, auf knapp zwei Seiten abgehandelt und seine Erfahrungen in dem Satz zusammengefasst: „Die einerseits liberaleren, andererseits viel disziplinierteren und in gewissem Sinne sogar autoritären Verhältnisse, die wir in Dijon kennen lernten, bereicherten mein Bild von Frankreich beträchtlich.“³ Das war sehr allgemein formuliert und lässt auf keine andauernden konkreten Wirkungen schließen. In Berlin nahm Eschenburg zunächst das Studium der Geschichte wieder auf, erweiterte es dann aber auch um den Besuch rechtswissenschaftlicher Veranstaltungen. An der Universität der Reichshauptstadt traf er auf die überragenden Wissenschaftler und akademischen Lehrer der damaligen Zeit. Eschenburg nennt Friedrich Meinecke, die „Leuchte der Geschichtswissenschaft“, über dessen Vorlesungen er jedoch ein ambivalentes Urteil abgibt.⁴ Als „andere Sterne erster Größe“ erwähnt er den Bismarck-Biographen Erich Marcks und den überzeugten
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Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 190. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 186. Ebenda, S. 191f.
50 | Doktorand in Berlin Demokraten Hermann Oncken, der ab 1928 in Berlin lehrte. Darüber hinaus hörte Eschenburg Vorlesungen des Osteuropa-Historikers und DNVP-Politikers Otto Hoetzsch⁵ und von den Juristen den Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, Handelsrecht und Internationales Privatrecht, Martin Wolf, sowie Heinrich Triepel, den Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrechtler.⁶ Als „entscheidende[n] Lehrer“ bezeichnet Eschenburg in seinen Memoiren jedoch Fritz Hartung, der zwar „nicht zu den ganz großen Koryphäen der deutschen Geschichtswissenschaft“ gehört habe, aber „unter den damaligen Verfassungshistorikern der führende Mann“ gewesen sei. Als Beleg hierfür kann der Hinweis auf Hartungs erstmals 1914 publizierte „Deutsche Verfassungsgeschichte“ dienen, die 1969 in 9. Auflage veröffentlicht wurde. Dieses Buch hatte Eschenburg offenbar bereits gelesen, als er in Berlin eintraf, und es hatte ihm – wie er im Rückblick feststellt – „sehr imponiert“.⁷ Aber nicht nur deshalb suchte er ihn sogleich nach seinem Eintreffen in Berlin auf. Es gab auch dadurch einen persönlichen Anknüpfungspunkt, weil Hartung die Witwe eines gefallenen U-Boot-Offiziers geheiratet hatte, der von Eschenburgs Vater ausgebildet worden war. Eschenburg kannte die Witwe „aus dem gesellschaftlichen Umgang“ und er hatte „ihre zwei Kinder gelegentlich bei Veranstaltungen auf den Schultern getragen“. Hartung „wusste also sofort Bescheid“, als sich Eschenburg vorstellte, und nahm ihn „äußerst freundlich“ auf.⁸ Sogleich im ersten Semester in Berlin besuchte er ein Seminar bei ihm und hielt dort ein Referat über „Bennigsens Ministerkandidatur 1878“.⁹ Rudolf Bennigsen war langjähriger Vorsitzender der nationalliberalen Fraktion des Deutschen Reichstags gewesen. Eschenburg hatte mit der Wahl dieses Themas frühzeitig sein Interesse an dieser Partei, aber auch am biografischen Ansatz bekundet. Außerdem hatte er mit seinem Referat, das Hartung offenbar für gut befunden hatte, die Grundlage geschaffen, um mit diesem über ein Dissertationsthema zu sprechen, denn die Promotion war das Ziel, das Eschenburg mit seinem Wechsel nach Berlin ins Auge gefasst hatte. Dass er so schnell bei Hartung nach einer Promotionsmöglichkeit nachgefragt habe, begründete Eschenburg im Nachhinein mit der Rücksicht auf seinen Vater, der pensioniert war und deshalb nicht mehr so zahlungskräftig war. Über das Thema der Dissertation einigte sich Eschenburg mit Hartung in einer zwanglosen Unterhaltung, die Eschenburg in seinen Memoiren anschaulich schildert.
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Ebenda, S. 192. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 190–193. Ebenda, S. 193. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276.
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Hartung bat demnach seinen künftigen Doktoranden, selbst einen Vorschlag für ein Thema zu machen. Eschenburg bekundete daraufhin sein Interesse an einer Arbeit über die Ära des Reichskanzlers Bernhard Fürst von Bülow (1900 bis 1909), und hier insbesondere am sogenannten Bülow-Block von 1906/09, als sich eine Gesetzgebungskoalition aus Nationalliberalen und Konservativen gebildet hatte. Dann fiel der Name des Vorsitzenden der Nationalliberalen, Ernst Bassermann, der zur Zeit des Bülow-Blocks eine „wichtige Rolle als Vermittler zwischen Konservativen und Liberalen“ gespielt hatte. Hartung stimmte zu, gab aber seiner Befürchtung Ausdruck, dass Eschenburg „kaum Material“ finden würde.¹⁰ Mit Ernst Bassermann war die Wahl Eschenburgs auf einen Mann gefallen, der einer ähnlich großbürgerlichen Familie angehörte wie Eschenburg selbst. Die Geschichte dieser Familie hat Lothar Gall in dem Buch „Bürgertum in Deutschland“ dargestellt und damit dieser vor allem in Mannheim ansässigen Familie, die Unternehmer, Politiker und Künstler hervorgebracht hat, einen gleichsam paradigmatischen Stellenwert für das Verständnis des deutschen Bürgertums zugeschrieben.¹¹ Es ist nicht zu hoch gegriffen, Galls Buch als das geschichtswissenschaftliche Pendant zu Thomas Manns Roman „Buddenbrooks“ zu bezeichnen. Das Milieu, in dem Ernst Bassermann lebte und wirkte, war Eschenburg demnach sehr vertraut, und dies hat – wie wir noch sehen werden – bei der Wahl seines Dissertationsthemas auch eine Rolle gespielt. Doch zuvor soll Ernst Bassermann etwas näher in den Blick genommen werden. Ernst Bassermann war von Beginn an Vertreter eines „sozusagen konservativen Liberalismus“¹², der „einen ausgeprägt bürgerlichen Lebensstil in dem neuen, besitzbürgerlich akzentuierten Sinne pflegte“.¹³ Als Vorsitzender der Reichstagsfraktion der Nationalliberalen seit 1898 und deren Zentralvorstandsvorsitzender seit 1905 spielte er in der Reichspolitik bis zu seinem Rücktritt von allen Ämtern im Jahr 1917 eine gewichtige Rolle. Im Laufe seiner Karriere stieg er „zu einem der wichtigsten Gesprächspartner sämtlicher Reichskanzler und fast aller in Berlin politisch tonangebender Persönlichkeiten“ auf.¹⁴ Wenn er auch bisweilen Reformen am politischen System des Kaiserreichs nicht gänzlich auszuschließen vermochte, so blieb er doch „ein Mann der Anlehnung an die Konservativen, an die bestehende Ordnung in Staat und Gesellschaft und an ihre
10 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 196. 11 Lothar Gall, Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989. 12 Ebenda, S. 415. 13 Ebenda, S. 419. 14 Ebenda, S. 427.
52 | Doktorand in Berlin spezifischen Ordnungsmächte“.¹⁵ Für eine „Allianz oder auch nur Kooperation“ aus Nationalliberalen, Demokraten und Sozialdemokraten, die unter der Parole „von Bassermann bis Bebel“ propagiert wurde, stand er nicht zur Verfügung.¹⁶ Dies bedeutete nicht zuletzt eine Absage an eine „entschiedene [. . . ] Parlamentarisierung“ des Kaiserreichs. Im Juli 1927 erschien ein kurzer Beitrag Theodor Eschenburgs zum zehnten Todestag Ernst Bassermanns. Der Autor hob hierin hervor, dass „Bassermann ein Bürger im besten Sinne des Wortes“ war, dass die „solide Basis seiner Wirksamkeit und seiner parlamentarischen Stellung“ seinem „Bürgerbewusstsein“ entsprungen sei. Bassermann selbst sei – und da wird die Ähnlichkeit zu Galls Ausführungen offensichtlich – „in Haltung und Gesinnung, in politischer Anschauung und sozialer Stellung der Typus des Bürgers in seiner besten Art aus der kaiserlichen Zeit“. Ambivalent fällt das Urteil über die politischen Zielsetzungen und Erfolge Bassermanns aus. An der Bismarckschen Verfassung habe er „aus pietätvoller Bewunderung für den großen Kanzler“ festgehalten und daher „allen radikaldemokratischen Gedankengängen“ fern gestanden. Davon abgesehen habe er jedoch „leider im Großen und Ganzen vergebens eine liberale Durchdringung der Verwaltung“ im Reich und Preußen erstrebt. Erst in seinem letzten Aufsatz im Jahr 1917 seien neue Einsichten festzustellen. Denn hierin habe er geschrieben, „ein Zeitalter liberaler Reformen wird anheben und unsere Mitarbeit beanspruchen“.¹⁷ Als Eschenburg diese Zeilen schrieb, hatte sich die „Materialfrage“ für die geplante Dissertation, die Hartung als problematisch erachtet hatte, in eine günstige Richtung entwickelt. Eschenburg hatte mit der Witwe seines „Helden“, Julie Bassermann, Fühlung aufgenommen und deren Zustimmung zur Einsichtnahme in den Nachlass ihres verstorbenen Mannes erhalten. Dieser Nachlass lag noch ungeordnet in der von ihr bewohnten Villa in Mannheim. So reiste Eschenburg schon Ende 1926 oder Anfang 1927 nach Mannheim, um die dort liegenden Papiere zu sichten. Im März 1927 folgte ein weiterer Besuch. Seine Aufenthalte in Mannheim schilderte Eschenburg 1983 wie folgt: „Die Witwe Bassermann hatte eine große schöne alte Villa in L 10 oder 13. Da lagen Pappkartons. Schreibmaschinen gab es ja noch wenige. Bassermann war immer mit einem besonderen Koffer nach Hause gekommen, da hatte er alle Briefe rein geschmissen. Er hatte eine Haushälterin, die sie in eine Kiste schloss. Das lag da unsortiert. Frau Basser-
15 Ebenda, S. 434. 16 Ebenda. 17 Theodor Eschenburg, Ernst Bassermann zum 10jährigen Todestag. 24. Juli 1917, in: Deutsche Stimmen 39 (1927), S. 417ff.
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mann sagte, Sie können hier arbeiten. Ich packte die Kisten aus und sortierte sie, machte mit der Hand Auszüge. Es war ein außerordentlich ergiebiges Material. Frau Bassermann half mir sehr mit Auskünften. Ich kam also mit einem Koffer mit Karteikarten und mit ungeheuren Blocks wieder nach Berlin.“¹⁸ Hilfreich für Eschenburg waren auch die Gespräche mit Bassermanns ältester Tochter, Elisabeth von Roon, und weitere Interviews, die er mit ehemaligen Weggenossen Bassermanns führte. Zu nennen sind hier z. B. Eugen Schiffer, im Kaiserreich Staatssekretär im Reichsjustizamt, der Zentrumspolitiker Joseph Wirth, der Chefredakteur des „Berliner Tageblattes“, Theodor Wolff, schließlich der Publizist und Schriftsteller Maximilian Harden.¹⁹ In seinen Memoiren hat Eschenburg behauptet, dass ihm Stresemann, der Nachfolger Bassermanns als Vorsitzender der Nationalliberalen Partei, den Zugang zu Julie Bassermann geebnet habe.²⁰ Dies ist aufgrund der überlieferten Akten im Nachlass Stresemann nicht der Fall gewesen, wohl aber kann es möglich sein, dass sich Eschenburg der eine oder andere Gesprächspartner zur Verfügung stellte, weil Stresemann oder dessen Privatsekretär Konsul Bernhard für ihn Fürsprache eingelegt hatten. Davon abgesehen muss jedoch konstatiert werden, dass manche Angaben in den Memoiren ungenau und die Jahresangaben oftmals schlicht falsch sind. Richtig ist aber, dass die Beziehungen zwischen Eschenburg und Stresemann durch die Dissertation über Bassermann immer enger geworden sind. Wie Eschenburg in seinen Memoiren berichtet, hatte er noch als Student im ersten Semester erhebliche Vorbehalte gegenüber Stresemann. Als der Verantwortliche für den Abbruch des passiven Widerstands gegen die Besetzung des Ruhrgebiets durch die Franzosen im Herbst 1923 hatte er sich nach Auffassung des jungen Tübinger Studenten als „Erfüllungspolitiker“ diskreditiert. Im August 1924 bekam er aber über einen Bundesbruder Eintrittskarten für einen Besuch des Reichstages, als er in Berlin auf einer Reise eine Zwischenstation einlegte. Hierdurch war ihm die Möglichkeit gegeben, der Debatte vor der Abstimmung über den Dawes-Plan beizuwohnen. Stresemanns Auftritt beeindruckte ihn tief und ließ seine „Vorbehalte dahinschwinden“. Es sei „nicht nur die rhetorische Brillanz“ gewesen, die ihn fasziniert habe, sondern auch die „überzeugende Argumentation“. Danach habe er den Reichstag „hingerissen“ verlassen.²¹ Ein Jahr später erfolgte die Einladung an den Reichsaußenminister, in Tübingen eine Rede zu halten.
18 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. 19 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 198–202. 20 Ebenda, S. 197. 21 Ebenda, S. 171.
54 | Doktorand in Berlin Es ist wohl Binder gewesen, der vorschlug, Stresemann nach Tübingen einzuladen. Beide waren von der Politik Stresemanns zunehmend überzeugt und hielten einen Auftritt des Reichsaußenministers in der schwäbischen Universitätsstadt zu diesem Zeitpunkt für möglich, da in der Reichsregierung unter dem parteilosen Reichskanzler Hans Luther auch die Deutschnationalen vertreten waren. Deshalb habe er, Eschenburg, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des HDA Stresemann eine Einladung geschickt. Als nach drei Wochen noch keine Antwort eingetroffen war, sei er mit Binder nach Berlin gefahren. Von einer öffentlichen Telefonzelle aus hätten sie sodann Stresemanns Privatsekretär, Konsul Henry Bernhard, angerufen und um eine Unterredung gebeten. Für den nächsten Tag wurde daraufhin ein Gesprächstermin mit dem Konsul vereinbart. Als Eschenburg und Binder zur abgesprochenen Zeit im Auswärtigen Amt eintrafen, habe ihnen Bernhard mitgeteilt, dass Stresemann die beiden Studenten selbst sprechen wolle. Die anschließende Begegnung hielt Eschenburg mit den Worten fest: „Stresemann empfing uns sehr freundlich, bot uns Zigarren an und erkundigte sich nach Tübingen. Prinzipiell sei er bereit, zu einem Vortrag zu kommen, erklärte er uns dann, einen Termin könne er uns allerdings noch nicht nennen; auf jeden Fall solle es aber noch in diesem Sommer sein.“²² Hierzu ist es, wie oben dargestellt, wegen Terminschwierigkeiten des Außenmisters jedoch nicht gekommen. Erst zwei Jahre später erfolgte dann der Auftritt Stresemann in der schwäbischen Universitätsstadt. Als sich Eschenburg Anfang Februar 1927 wegen seiner Dissertation an den „hoch zu verehrende[n] Herrn Reichsminister“ wandte, konnte er davon ausgehen, dass diesem und dessen Privatsekretär der Name des Petenten noch nicht gänzlich entfallen war. In seinem Schreiben betonte Eschenburg die Notwendigkeit, sich mit der „inneren Politik“ des Kaiserreichs, „die für unsere Gegenwart nicht ohne Einfluss geblieben ist“, auseinanderzusetzen. Dies sei auch deshalb notwendig, „weil jetzt noch eine Reihe auch der älteren Zeitgenossen Bassermann[s] leben, deren Aussagen und Erzählungen für eine solche Arbeit von wesentlicher Bedeutung sein können“. Dann teilte er Stresemann mit, dass ihm Frau Bassermann den „gesamten schriftlichen Nachlass“ ihres Mannes zur Verfügung gestellt und ihn gebeten habe, „diesen möglichst zu ergänzen“. Da er im Nachlass Bassermann eine ganze Reihe von handgeschriebenen Briefen Stresemanns gefunden habe, gehe er davon aus, dass auch dieser „eine große Anzahl von Briefen von Bassermann empfangen“ habe. Darüber hinaus bat er Stresemann um eine Unterredung, „in der ich meine Fragen und mein die Dissertation
22 Ebenda, S. 173f.
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betreffendes Anliegen vorzubringen Gelegenheit haben würde“.²³ Bereits einen Tag später traf die Antwort ein. Darin hieß es kurz und knapp, dass Stresemann bereit sei, Eschenburg möglichst bald zu empfangen, um mit ihm „über die beabsichtigte Arbeit zu sprechen“. Desweiteren sei er bereit, die in seinem Besitz „befindlichen Briefe Bassermanns [. . . ] zur Verfügung zu stellen unter der Voraussetzung, dass [er] die Dissertation vor der Drucklegung lesen“ könne.²⁴ Ein Gespräch zwischen Stresemann und Eschenburg kam vor dessen Aufenthalt in Mannheim im März 1927 nicht mehr zustande. Offensichtlich auf dessen Bitte hin intervenierte Julie Bassermann in der zweiten Märzhälfte wiederum bei Stresemann. In einem handgeschriebenen Brief an den Außenminister findet sich der Satz: „Darf ich Sie nochmals an den jungen Eschenburg und seine Doktorarbeit erinnern?“²⁵ Die in Aussicht genommene Besprechung hat dann Anfang April stattgefunden. Über ihren Inhalt ist – soweit es die Dissertation betrifft – nichts überliefert. Festgehalten werden kann lediglich, dass über den Verbleib des Nachlasses Bassermann im Besitz seiner Witwe bzw. dessen Übergabe an das Reichsarchiv debattiert wurde und sich Stresemann und Eschenburg gegen die Übergabe an das Reichsarchiv aussprachen.²⁶ Die Arbeit an der Dissertation ging in den nächsten Monaten zügig voran. Bereits in der zweiten Oktoberhälfte teilte Eschenburg Binder mit, dass sie „bis auf den letzten Teil und den Schluss fertiggestellt“ sei. Er müsse nur noch „die Maschinenschrift durchsehen“, die er anschließend Binder zugehen lassen werde. Er bat seinen Freund, sich „mit der Kritik und der Korrektur“ nicht zurückzuhalten, und gab Anregungen zur Gestaltung von eventuellen „Auslassungen“.²⁷ Die Übersendung der Arbeit an Binder verzögerte sich jedoch um einige Wochen, da der Großvater Eschenburgs den Wunsch geäußert hatte, sie noch zu lesen und zu korrigieren. Dies hatte zur Folge, dass Eschenburg das vom Großvater überarbeitete Exemplar „nochmals durchlesen“ musste.²⁸ Trotz der eingetretenen Verzögerung konnte Eschenburg bereits mit Schreiben vom 22. November 1927 Binder für die „sorgsame und mühevolle Arbeit der Durchsicht“ der Dissertation danken. Eine Äußerung hierzu war indessen Eschenburg nicht möglich, da er gegenwärtig alle Exemplare vergeben habe. So begnügte er sich mit dem Hinweis, „dass die Arbeit
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Eschenburg an Stresemann vom 2.2.1927, PA/AA, 127/2 (Nachlass Stresemann). Stresemann an Eschenburg vom 3.2.1927, ebenda. Julie Bassermann an Stresemann vom 24.3.1927, ebenda. Eschenburg an Stresemann vom 20.5.1927, ebenda. Eschenburg an Binder vom 20.10.1927, ACDP, 01-105-010/1. Eschenburg an Binder vom 5.11.1929, ebenda.
56 | Doktorand in Berlin keineswegs abgeschlossen“ sei, da „der letzte Teil und die abschließende Würdigung“ noch fehle.²⁹ Es hat dann noch etliche Monate gedauert, bis das Manuskript vorlag. Erst Anfang April 1928 teilte Eschenburg Binder mit, dass er seine Dissertation gerade diktiere und sie „im Lauf der nächsten Woche“ an ihn schicken werde. Er bat darum, das Manuskript „bitte recht schnell“ durchzulesen.³⁰ Aber auch diese Ankündigung und Bitte erwiesen sich als voreilig. Denn erst gut vierzehn Tage später meldete Eschenburg: „Meine Arbeit ist fertig.“ Er sei dabei, „das letzte Kapitel, Literaturverzeichnis und die fehlenden Anmerkungen zu diktieren“. Da er jedoch „die drei verschiedenen Exemplare miteinander vergleichen“ müsse, „um sie gleichmäßig zu korrigieren“, zögere „sich die Absendung noch um einige Tage hinaus“. Hartung wolle „ebenfalls im Lauf der nächsten Woche die Arbeit haben“. Zu Korrekturen, die Binder offensichtlich beim zweiten Kapitel angemahnt hatte, sehe er sich im Augenblick „psychisch“ nicht in der Lage. Für „einen detaillierten Rat“ sei er aber „sehr dankbar“.³¹ Ihn hat Eschenburg offensichtlich auch erhalten. Denn Mitte Mai 1928 bedankte er sich bei Binder herzlich für die „sorgfältige und kritische Beurteilung“ der Arbeit. Die von diesem vorgeschlagene „bessere Anordnung“ der einzelnen Kapitel hielt Eschenburg zwar „durchweg für richtig“. Er wolle aber, wie er dem Freund schrieb, „die Arbeit nicht erneut umändern“, sondern „endlich zum Abschluss“ gelangen. Dass Binder aber insgesamt zu einem positiven Urteil gelangt war, erfüllte Eschenburg mit Erleichterung. Er sei nämlich – so seinen Ausführungen – „in letzter Zeit recht verzweifelt“ gewesen. Hierauf führte er zurück, dass er „nur so langsam mit der Darstellung vorwärts“ gekommen sei.³² Eine positive Rückmeldung gab es wenig später auch von Hartung, der gegen die „Arbeit sachlich und in der Disposition nichts mehr einzuwenden“ hatte. So konnte Eschenburg die Dissertation am 25. Mai 1928 in der Fakultät einreichen.³³
29 Ebenda. 30 Eschenburg an Binder vom 10.4.1928, ebenda. Der Brief ist übrigens von Eschenburg falsch datiert worden. Er trägt das Datum vom 10.4.1926. Auf Grund des Inhalts ist 1928 aber die korrekte Jahreszahl. 31 Eschenburg an Binder vom 27.4.1928, ebenda. 32 Eschenburg an Binder vom 12.5.1928, ebenda. 33 Eschenburg an Binder vom 24.5.1928, ebenda.
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In den Zeitraum, den Eschenburg in seiner Dissertation behandelte, fiel mit der „Daily-Telegraph-Affäre“ die „schwerste Krise des Wilhelminischen Reiches“.³⁴ In einem Ende Oktober 1908 in der Londoner Zeitung „Daily Telegraph“ erschienenen Interview mit dem deutschen Kaiser hatte dieser u. a. erklärt, dass er im Burenkrieg von 1899 einen Zusammenschluss der europäischen Kontinentalmächte gegen Großbritannien verhindert und seiner Großmutter, der englischen Königin Viktoria, einen Feldzugsplan geschickt habe, auf dessen Grundlage die Briten gesiegt hätten. Wilhelm II. hatte den Entwurf des Interviewtextes gemäß den Verfassungsvorschriften an Reichskanzler Bülow geschickt, der ihn ungelesen zur Prüfung an die zuständigen Beamten weiterleitete. Als der Text, lediglich mit leichten stilistischen Änderungen versehen, wieder auf dem Schreibtisch des Reichskanzlers landete, gab ihn dieser wiederum ungelesen zur Veröffentlichung frei. In Deutschland reagierte die Öffentlichkeit empört, und der Reichstag distanzierte sich mit großer Mehrheit vom Monarchen, während es Reichskanzler Bülow geschickt verstand, seine Verantwortung nachträglich zu vertuschen. Zu dieser Affäre hatte Eschenburg bei den Arbeiten an seiner Dissertation in der Aktenpublikation des Auswärtigen Amtes³⁵ eine „Reihe von Dokumenten“ gefunden, die er in das entsprechende Kapitel seiner Dissertation „nicht hineinarbeiten“ konnte, weil es dann „zu ausführlich“ geworden wäre. Die genannten Dokumente seien „aber zur Beweisführung“ seiner „Thesen unbedingt notwendig“, so dass er ein extra Kapitel schreiben müsse, das er als „Sonderaufsatz in eine[r] der größeren Zeitschriften herauszugeben gedenke“.³⁶ Diese Absicht ließ sich verwirklichen. Bereits Mitte Dezember 1927 teilte Eschenburg Binder mit, dass er seinen Aufsatz „wahrscheinlich in den ,Preußischen Jahrbüchern‘ veröffentlichen werde“.³⁷ Dabei handelte es sich eine kulturpolitische Monatsschrift nationalliberaler Prägung, die hohes Ansehen genoss. Seinen späteren Angaben zufolge hat Eschenburg deren Chefredakteur, Emil Daniels, sein Manuskript angeboten, ohne eine Empfehlung zu haben. Daniels habe zunächst „äußerst unfreundlich“ reagiert, sich dann aber bereit erklärt, sich das Manuskript einmal anzusehen. Einige Wochen später habe er Eschenburg
34 Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen. Erster Band: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 299ff. Hierauf basiert folgender Absatz. 35 Die große Politik der europäischen Kabinette 1879–1914. Sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes. Band 24: Deutschland und die Westmächte 1907–1908, Berlin 1925. 36 Eschenburg an Binder vom 22.11.1927, ACDP, 01-105-010/1. 37 Eschenburg an Binder vom 12.12.1927, ebenda.
58 | Doktorand in Berlin zu sich bestellt, um mit ihm das Manuskript zu besprechen. Diese Unterredung schildert Eschenburg in seinen Memoiren sehr anschaulich: „Was mich erwartete, war eine dreistündige Sitzung, bei der Daniels meinen Text mit rücksichtsloser Strenge und lehrerhafter Akribie, Einspruch nur schwer ertragend, Zeile für Zeile mit mir durchging. Die Beanstandungen waren meistens historisch-methodischer Art – hier fehlte ihm diese Quelle, da jenes Gespräch, dort wiederum ließ meine Darstellung die von ihm geforderte Klarheit vermissen.“³⁸ Für den jungen Verfasser war das Gespräch „furchtbar anstrengend“. Daniels beendete das Treffen dann jedoch mit der Aufforderung an seinen Besucher, das Besprochene „ins Reine“ zu schreiben und es ihm anschließend zu geben. Eschenburg „machte das alles“.³⁹ Der Aufsatz erschien im letzten Heft der „Preußischen Jahrbücher“ des Jahres 1928 unter der Überschrift „Die Daily-Telegraph-Affäre. Nach unveröffentlichten Dokumenten“.⁴⁰ Eschenburg vertrat in seinem Aufsatz, den er in seinen Memoiren als „die erste wissenschaftliche und kritische Darstellung“ der Affäre bezeichnet⁴¹, die These, dass Reichskanzler Bülow den ihm vom Kaiser übersandten Text des Interviews in der Tat ungelesen zur Prüfung an das Auswärtige Amt geleitet und den dort nur unwesentlich überarbeiteten Entwurf zur Veröffentlichung freigegeben habe, ohne vom Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Neben der Auswertung der amtlichen Aktenpublikation stützte sich Eschenburg auf Interviews mit noch lebenden Beteiligten, „die sehr ,nahe‘ an den Vorgängen dran gewesen waren.“⁴² Auf dieser gegenüber den bisherigen Kenntnissen deutlich verbreiterten Grundlage vermochte Eschenburg nicht nur eine überzeugende Darstellung des Ablaufs der Entscheidungsprozesse zu geben, sondern auch die jeweilige Verantwortung der einzelnen Akteure herauszuarbeiten und sein Urteil über Bülow auf eine sicherere Basis zu stellen. Insgesamt fiel seine Bewertung der Auswirkungen der „Daily-Telegraph-Affäre“, die er als „intermezzoartige Katastrophe“ bezeichnete, negativ aus. Ihr komme für die Geschichte des Kaiserreichs „nur symptomatische Bedeutung“ zu und „keine politische, weil sie weder eine Veränderung in dem Machtverhältnis der politischen Faktoren in Deutschland, noch eine innenpolitische Wandlung herbeigeführt“ habe. Er konstatierte lediglich „eine Erschüt-
38 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 212. 39 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. 40 Theodor Eschenburg, Die Daily-Telegraph-Affäre. Nach unveröffentlichten Dokumenten, in: Preußische Jahrbücher, Zweihundertvierzehnter Band, Oktober bis Dezember 1928, Berlin 1928, S. 199–223. 41 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 212. 42 Ebenda, S. 213.
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terung des monarchischen Gedankens, [. . . ] ohne dass diese sich irgendwie im Augenblick politisch auswirkte“.⁴³ Für den jungen Verfasser bestand das Problem bei der Publikation dieses Beitrags – wie er schon vor Abschluss des Manuskriptes erkannte – darin, dass er sich „zu einer Controverse mit Haller“, dem Tübinger Mediävisten, zu dem Eschenburg in seinen ersten Semestern in einem engeren Verhältnis gestanden hatte, auswachsen würde. Da jedoch „Haller in Tübingen nicht sehr beliebt“ sei „und die Mehrzahl der Politiker auf Bülows Seite“ stünden, ging er davon aus, dass „eine derartige Controverse keinerlei Gefahr“ für ihn mit sich bringen werde.⁴⁴ Ganz ohne Bedenken dürfte Eschenburg im Folgenden trotzdem nicht gewesen sein. Selbst sein Doktorvater Hartung war über seinen Schüler irritiert, den er mit den Worten kritisiert haben soll: „Hören Sie mal zu, Sie können doch nicht einfach einen Ordinarius publizistisch widerlegen.“⁴⁵ Die Kritik Hartungs ist nachvollziehbar, wenn man sich ansieht, in welch bisweilen bissiger Form sich Eschenburg mit dem hochangesehenen Tübinger Historiker auseinandersetzte. Johannes Haller hatte zu Beginn der 1920er Jahre ein Buch über die „Ära Bülow“ veröffentlicht⁴⁶, in dem er die These vertrat, dass Bülow den Text des Interviews gelesen und damit gekannt habe. Es sei seine Absicht gewesen, den Kaiser bloßzustellen. Dabei habe er nicht aus eigenem Antrieb gehandelt, sondern sei von Friedrich von Holstein, der langjährigen „grauen Eminenz“ im Auswärtigen Amt, angestiftet worden, der auch die Pressekampagne nach dem Bekanntwerden des Interviews in Deutschland gesteuert habe. Mit seinen Thesen hatte sich Haller nach der Veröffentlichung seines Buches in einer „wissenschaftlichen Pressefehde“ so eindeutig durchgesetzt, dass seine Sichtweise in das führende Handbuch zur deutschen Geschichte aufgenommen worden ist.⁴⁷ Eschenburg hinderte dies jedoch nicht daran, diese Aussagen detailliert zu zerpflücken und sehr deutlich auf Ihre Unhaltbarkeit hinzuweisen. Hallers These, dass Bülow den Text des Interviews gelesen und im Folgenden im Einvernehmen mit Holstein gehandelt habe, wies Eschenburg mit den Worten zurück, es fehle „jeglicher Beweis, auch nur Indizienbeweis, dass Bülow hier auf Veranlassung oder unter dem Zwang Holsteins gehandelt und das Interview entgegen seiner Behauptung tatsächlich gelesen“ habe.⁴⁸ Eschenburg benannte
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Eschenburg, Daily-Telegraph-Affäre, S. 223. Eschenburg an Binder vom 12.12.1927, ACDP, 01-105-010/1. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. Johannes Haller, Die Ära Bülow. Eine historisch-politische Studie, Stuttgart 1922. Eschenburg, Daily-Telegraph-Affäre, S. 200. Ebenda, S. 207f.
60 | Doktorand in Berlin sodann die Anhaltspunkte, die deutlich dafür sprächen, „dass Bülow das Manuskript nicht gelesen“ habe, um dann fortzufahren, „jedenfalls erscheint ein Indizienbeweis, auf den Haller sich stützt, in dieser Hinsicht keinen Anspruch auf Glaubwürdigkeit zu haben“.⁴⁹ Im Folgenden warf Eschenburg Haller vor, notwendige Erklärungen unterlassen zu haben, und stellte ohne wenn und aber fest, dass „von einer zwingenden Beeinflussung Bülows durch Holstein [. . . ] keine Rede“ sein könne.⁵⁰ Ebenso wenig vermochte Eschenburg Hallers These zu überzeugen, dass Holstein für die Pressekampagne nach dem Bekanntwerden des Interviews in Deutschland die Verantwortung trage. Sie wies er mit der apodiktischen Feststellung zurück, dass die Beteiligung dieses einstmals so einflussreichen Beamten hieran „völlig außerhalb des Bereiches aller Wahrscheinlichkeit“ liege.⁵¹ Eschenburgs Attacken zeugen von einem nicht geringen Selbstbewusstsein und einem ausgeprägtem Maß an persönlichem Mut. Gleichwohl war er sich nicht sicher, wie der Tübinger Ordinarius reagieren würde, und einem Zusammentreffen mit diesem anlässlich eines kleinen Abendessens in der schwäbischen Universitätsstadt kurz nach dem Erscheinen des Aufsatzes sah er mit einer gewissen Befangenheit entgegen. Haller sprach ihn jedoch überhaupt nicht auf den Aufsatz an, auch nicht auf seinem Heimweg, auf dem ihn Eschenburg auf Hallers Wunsch begleitete. Eschenburg hat in seinen Memoiren die Vermutung ausgesprochen, dass der Tübinger Professor den Aufsatz wohl gar nicht gelesen hatte, was durchaus möglich war, da das Historische Seminar der Universität die „Preußischen Jahrbücher“ nicht im Bestand hatte.⁵² Eschenburg hat im Rückblick erklärt, dass der Aufsatz „wie eine Bombe“ eingeschlagen sei. Er habe ihn „mit einem Schlag in den politisch-historisch interessierten Kreisen“ bekannt gemacht. Dazu habe auch die „Vossische Zeitung“ beigetragen, die Auszüge mit Zitaten aus dem Aufsatz veröffentlichte.⁵³ Dies habe auch Stresemann „äußerst interessant“ gefunden, berichtete Eschenburg zu Beginn der 1980er Jahre. Demnach hat auch Eschenburgs Vater von dem Aufsatz Kenntnis erlangt, der sogar vom ehemaligen deutschen Kaiser im Exil in Doorn darauf angesprochen worden sei.⁵⁴ Festzuhalten bleibt schließlich, dass dem jungen Wissenschaftler damals ein Beitrag gelungen ist, dessen Aussagen im Wesentlichen bis heute Gültigkeit beanspruchen können.
49 Ebenda, S. 208. 50 Ebenda, S. 209. 51 Ebenda, S. 216. 52 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 215. 53 Ebenda, S. 214. 54 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.1.1983, UAT, 530/276.
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Eschenburgs Dissertation war noch nicht endgültig abgeschlossen, da ergaben sich schon günstige Aussichten für ihre Veröffentlichung als Buch in einem renommierten Verlag. Es war Stresemann, der dem Doktoranden Anfang April 1928 anbot, sich bei dem Verlag von Georg Stilke, der auch die „Preußischen Jahrbücher“ herausgab, für eine Veröffentlichung zu verwenden, und in Aussicht stellte, für deren Finanzierung eine „Garantiesumme aus dem Parteifonds“ der DVP zur Verfügung zu stellen.⁵⁵ In der zweiten Junihälfte, als Stresemann zu einem längeren Aufenthalt in das Kurhotel Bühlerhöhe bei Baden-Baden reiste, um seine angeschlagene Gesundheit wieder herzustellen, nahm er Eschenburgs Dissertation mit. Gegenüber seinem Privatsekretär Konsul Bernhard soll er schon zu diesem Zeitpunkt „die Absicht geäußert“ haben, „ein Vorwort zu schreiben“, was Eschenburg sehr begrüßte. Die Chancen für eine Veröffentlichung der Dissertation in dem von Stresemann vorgeschlagenen Verlag hatten sich zu diesem Zeitpunkt jedoch verschlechtert, da der Inhaber, Georg Stilke, plötzlich verstorben war. Eschenburg beabsichtigte daher mit dessen Sohn, den er „persönlich“ kannte, zu verhandeln.⁵⁶ Erschienen ist das Buch jedoch in dem „Verlag für Kulturpolitik“, einem Verlag, wie Eschenburg in seinen Memoiren berichtet, in dem „Bücher des Kaisers über das Kriegsende“ erschienen seien. Dem Chef dieses Verlags, Friedrich Novak, habe er das Manuskript ohne Fürsprache Stresemanns, Hartungs oder sonst einer prominenten Persönlichkeit zur Veröffentlichung angeboten. Der habe sich einverstanden erklärt, wobei das Vorwort des Reichsaußenministers seine Wirkung wohl nicht verfehlt haben wird. Allerdings machte der Verleger die Publikation von einer Garantieabnahme von 300 Exemplaren abhängig.⁵⁷ Am 10. Juli erhielt Eschenburg die Einladung Stresemanns, am folgenden Tag nach Bühlerhöhe zu kommen. Der Einladung konnte er aber nicht Folge leisten, da für diese Tage das Rigorosum angesetzt war. Außerdem hatte er noch weitere Termine wahrzunehmen, so dass er mit Stresemann verabredete, erst am 16. Juli auf Bühlerhöhe einzutreffen.⁵⁸ Diesen Aufenthalt, der „etwa eine Woche“ dauerte, hat Eschenburg in seinen Memoiren ausführlich geschildert.⁵⁹ Inwieweit die dortige Darstellung die täglichen Gespräche korrekt festhält, muss offen
55 Eschenburg an Binder vom 10.4.1928, ACDP, 01-105-010/1.1983 hat Eschenburg gegenüber Siedler und Fest behauptet, dass Stresemann die Garantiesumme aus dem Haushalt des Auswärtigen Amtes bestritten habe, was aber nicht richtig ist. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530 /276. 56 Eschenburg an Binder vom 28.6.1928, ACDP, 01-105-010/1. 57 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 210 58 Eschenburg an Binder vom 11.7.1928, ACDP, 01-105-10/1. 59 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 202–209.
62 | Doktorand in Berlin bleiben. Nachzuvollziehen ist aber sein Bericht über die Diskussionen, die zwischen beiden über die Dissertation geführt worden sind. Es ist wohl richtig, dass Stresemann die Arbeit „Seite für Seite durchgelesen“ und mit „Unterstreichungen, Frage-, Ausrufezeichen und Anmerkungen am Rand“ versehen hatte. Stresemann sei „ziemlich scharf“ mit ihm „ins Gericht“ gegangen. Er, Eschenburg, habe von „vielen seiner Einwände und Anmerkungen profitiert und auch manches geändert und ergänzt“, aber „standhaft“ an seinen Urteilen festgehalten. Noch während des Aufenthaltes von Eschenburg in Bühlerhöhe verfasste und korrigierte Stresemann seine Einleitung zum Buch, die das Datum vom 18. Juli 1928 trägt.⁶⁰ In seinen einleitenden Bemerkungen betonte Stresemann, dass in die von Eschenburg behandelte Periode der Blockpolitik der „erste tastende Versuch“ gemacht wurde, „eine Tradition des Reichstags zu schaffen, die zu einer Art parlamentarischen Systems geführt hätte“. So hatte nach Stresemann die „DailyTelegraph-Affäre“ gezeigt, dass „die Mitwirkung des das Volk repräsentierenden Reichstags in den großen Entscheidungen“ notwendig gewesen wäre, „um ein Gegengewicht gegen den Eigenwillen des Kaisers zu bilden“. Dass es hierzu nicht gekommen ist, lastete Stresemann vor allem dem Kaiser an, der seine Missachtung der führenden Parteipolitiker auch darin zum Ausdruck gebracht habe, dass er einem Zusammentreffen mit Bassermann stets ausgewichen sei. Allerdings bestätigte Stresemann den Befund Eschenburgs, dass Bassermann selbst „vor entscheidenden Schritten zurückgeschreckt“ sei, um das parlamentarische System einzuführen, da er dies mit „Schwierigkeiten“ verbunden sah und deshalb „Bedenken“ äußerte. Auch Stresemann hob das ausgeprägte „Bürgerbewusstsein“ Bassermanns hervor, der „für den Adel nichts übrig“ gehabt habe und liberal „vom Scheitel bis zur Zehe“ gewesen sei. Stresemann bescheinigte Eschenburg, Bassermann „im einzelnen richtig erfasst und geschildert“ zu haben, und wünschte der Arbeit „den besten Erfolg“. Es ist beeindruckend, dass Eschenburg in seinem Vorwort auf die Standortgebundenheit des Verfassers einging, „der durch Erziehung und Elternhaus auch nicht frei von dem Einfluss jener Jahre“ sei, der sich aber „bemüht“ habe, „ein sachlich gerechtes Bild zu geben“. Ebenso klar fiel aber auch schon an dieser Stelle sein Urteil über die Blockpolitik aus, wenn er feststellte: „Damals hat das Kaiserreich [. . . ] vielleicht die letzte Gelegenheit für innenpolitische Reformen ungenützt vorübergehen lassen, durch die wahrscheinlich die staatspolitische
60 Theodor Eschenburg, Das Kaiserreich am Scheideweg. Bülow und der Block. Nach unveröffentlichten Papieren aus dem Nachlass Ernst Bassermanns. Eingeleitet von Gustav Stresemann, Berlin 1929, S. VII–XII. Der Entwurf der Einleitung mit zahlreichen handschriftlichen Korrekturen, PA/AA, 105/1 (Nachlass Stresemann).
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Entwicklung im Reich einen anderen Verlauf genommen hätte.“⁶¹ Diese Überlegung griff Eschenburg, der in seinem Buch, das mit etwas über 300 Seiten Umfang das damals übliche Maß einer Dissertation bei weitem überschritt, die Entwicklung der Blockpolitik von 1906 bis 1909 Schritt für Schritt nachvollzogen hatte, in seinem Schlusswort wieder auf. Darin bemängelte er die fehlende „Erkenntnis“ und den mangelnden „Willen“ der Regierung unter Reichskanzler Bülow, „zu einer Umgestaltung der Dinge entsprechend der Wandlung der politischen Verhältnisse zu gelangen, ohne dass dadurch der Staat irgendeiner Erschütterung ausgesetzt“ werde. Damit sei die Chance „einer rechtzeitigen Reform“ verpasst worden, die darin bestanden habe, dass die Regierung „zur richtigen Stunde ihre Maßnahmen“ getroffen hätte. Im Folgenden warf der junge Verfasser den damals Verantwortlichen vor, durch ihre „Starrheit“ nicht nur dem Kaiserreich „schwersten Schaden“ zugefügt zu haben, sondern auch der 1918 ins Leben getretenen Republik. „Die deutsche Demokratie hätte wohl eine andere Entwicklung genommen“, so seine Schlussfolgerung, „wenn sie nicht durch eine furchtbare Erschütterung“ infolge des Bruchs der „staatspolitische[n] Tradition“ durch den Zusammenbruch der „monarchische[n] Staatsautorität“ entstanden wäre, die dazu geführt habe, dass eine „neue Staatsführung auf demokratischer Grundlage ganz plötzlich und ohne alle Vorbereitung gebildet werden musste“.⁶² Sowohl Stresemann als auch Eschenburg erhielten bereits vor dem Erscheinen des Buches Reaktionen aus der Familie Bassermann. Die älteste Tochter Bassermanns und Witwe eines Enkels des berühmten preußischen Generalfeldmarschalls Albrecht von Roon, Elisabeth von Roon, übermittelte Stresemann Anfang November 1928, dass sie mit „großem Vergnügen“ dessen Vorwort gelesen habe und sich darüber freue, dass die „lebendigen Erinnerungen“ Stresemanns „an Papa die Arbeit nun so schön einleiten werden“. Dann bat sie jedoch darum, die Ausführungen über den „Adel fortzulassen“, da sie hierin eine Kritik an ihrer Heirat mit einem Adligen erkenne, die sie „im Andenken“ an ihren „lieben Mann schmerzlich empfinde“. Ebenso machte Frau von Roon Vorbehalte gegenüber der Darstellung Stresemanns geltend, dass der Kaiser einem Treffen mit Bassermann ganz bewusst ausgewichen sei. Die Bitten von Frau von Roon hatten jedoch keinen Erfolg. Der Text Stresemanns erschien unverändert im Druck. Vielleicht war eine Änderung des Textes zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich, obwohl Frau von Roon in ihrem Schreiben darauf hinwies, dass sie von Eschenburg erfahren habe, dass über die Drucklegung noch nicht endgültig entschieden sei, da „die
61 Ebenda, S. XIII–XVI. 62 Ebenda, S. 277–285. Zitate auf S. 281f.
64 | Doktorand in Berlin Zusage der Deutschen Volkspartei“ noch ausstehe, dass sie die Abnahme einer „größere[n] Anzahl von Exemplaren des Buches garantiere“.⁶³ Auch die Witwe Bassermanns war mit der „Arbeit nicht ganz zufrieden“, wie Eschenburg Ende Juni erfuhr. Er vermutete, dass deren leichte Missstimmung darauf zurückzuführen sei, dass in der von ihm verfassten Biografie ihr Gatte „nicht zu dem großen Mann gemacht“ worden sei, „wie sie es wohl gewünscht hätte“. Eschenburg schrieb daraufhin einen „sehr freundlich[en]“ Brief an sie und hoffte, „auf gütlichem Wege zu einer Einigung“ zu kommen.⁶⁴ Direkt im Anschluss an seinen Besuch bei Stresemann auf Bühlerhöhe fuhr Eschenburg nach Mannheim zu ihr. Sein Doktorvater Hartung soll ihn mit den Worten vorgewarnt haben: „Sie werden bei den Gesprächen mit der Witwe einen schweren Stand haben.“ Eschenburgs Memoiren zufolge, war dies auch so. Seine Gesprächspartnerin sei „enttäuscht“ über das gewesen, was er „über ihren Mann persönlich geschrieben“ habe. Trotzdem sei sie „auch jetzt sehr freundlich“ gewesen, aber „manchmal [auch] den Tränen nahe“.⁶⁵ Gleichwohl wurde „auch diese Klippe [. . . ] umschifft“, wie sich Eschenburg in einem Interview ausdrückte, in dem er auch auf Bassermanns älteste Tochter, Elisabeth von Roon, zu sprechen kam. Das sei eine „sehr kenntnisreiche Person“ gewesen, die die Arbeit auch gelesen habe. „Aber auch mit der kam ich klar“, stellte Eschenburg im Rückblick fest.⁶⁶ Gleichwohl hat es Stresemann wohl noch für nötig erachtet, Julie Bassermann gegenüber eine Lanze für Eschenburg zu brechen. Anfang August 1928 äußerte er sich einem Brief an sie wie folgt: „Das Buch von Herrn Eschenburg habe ich mit großem Interesse gelesen. Soweit er als Fernstehender die ganzen Dinge beurteilen konnte, ist er mit großem Sachverständnis in sie eingedrungen.“⁶⁷ Das Buch „Das Kaiserreich am Scheideweg“ erschien Anfang April 1929. Eschenburgs Großvater feierte am 1. April, als der Verfasser bereits die ersten Exemplare besaß, seinen 85. Geburtstag. Zu der zu diesem Anlass anberaumten Familienfeier fuhr Eschenburg mit „Cutaway und Frack“ nach Lübeck. Er habe dem Großvater ein Exemplar in dessen Arbeitszimmer mit der Bemerkung überreicht: „Hier ist mein Buch.“ Der Großvater fand das „fabelhaft“. Da Eschenburg im Unterschied hierzu eine gänzlich andere Reaktion seines Vaters erwartete, habe er seinem Großvater gesagt: „Weißt Du, meinem Vater schenke ich es nicht. Das gibt nur Differenzen wegen des Kaisers.“ Damit hatte Eschenburg wohl im
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Elisabeth von Roon an Stresemann vom 9.11.1928, PA/AA, 103/1 (Nachlass Stresemann). Eschenburg an Binder vom 28.6.1928, ACDP, 01-105-010/1. Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 209. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 25.11.1983, UAT, 530/276. Stresemann an Julie Bassermann vom 4.8.1928, PA/AA, 127/2 (Nachlass Stresemann).
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Prinzip recht, denn seine Darstellung des Bülow-Blocks entsprach mit Sicherheit nicht den Anschauungen des abgedankten Monarchen. Das Erscheinen des Buches ließ sich jedoch vor dem Vater nicht verheimlichen, so dass ihm Eschenburg im Sommer 1929 – wie er in seinen Memoiren schreibt – auf Aufforderung seiner Stiefmutter ein Exemplar „mit ein paar erklärenden Worten und einer Widmung“ geschickt habe. Sein Vater habe sich einige Wochen später bedankt und das gute Deutsch gelobt, aber auf jede Stellungnahme zum Inhalt verzichtet.⁶⁸ Bereits vor dem Erscheinen des Buches waren in den „Deutschen Stimmen“ Teilkapitel hieraus als Vorabdrucke publiziert worden. Die September-Ausgabe 1928 enthielt Ausführungen über die „Entstehung des Bülow-Blockes“⁶⁹, die Oktober-Ausgabe 1928 über die Entlassung Posadowskys“ sowie „Bassermann und das preußische Wahlrecht“.⁷⁰ Interessant ist, dass zu diesem Zeitpunkt der spätere Titel des Buches noch nicht feststand. Im ersten Beitrag wurde das „demnächst“ erscheinende Werk noch unter der Überschrift „Bassermann und Blockpolitik“ aufgeführt, im zweiten unter dem Titel „Bassermann, Bülow und der Block“, der in der Buchausgabe als Untertitel firmierte. Das Buch selbst fand nach seinem Erscheinen zwar nicht die Resonanz wie der Aufsatz über die „DailyTelegraph-Affäre“, aber immerhin erhielt es eine Reihe hochkarätiger Rezensionen⁷¹, von denen hier nur auf eine hingewiesen werden soll. Dabei handelt es sich um eine Besprechung, die die angesehene „Vossische Zeitung“ Mitte Oktober 1929 publizierte. Ihr Verfasser war Theodor Heuss, damals einer der bekannteren Politiker der DDP, mehrfach Reichstagsabgeordneter, und nach dem Krieg der erste Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Heuss hielt die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit fest – insbesondere die Angst Bülows und Bassermanns „vor den Konsequenzen“ eines reformerischen Handelns, die immer „stärker“ gewesen sei „als die Einsicht in den Zwang neuer Gestaltung“. Abschließend stellte er Eschenburg ein gutes Zeugnis aus: „Im ganzen ist sein Buch sehr bedenkenswert. Bassermanns politische Natur wird mit starker Einfühlung in die menschlich noble und dabei gesellig unscharfe Art seiner etwas lässlichen Großbürgerlichkeit dargestellt.“⁷²
68 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 216. 69 Theodor Eschenburg, Aus der nationalliberalen Parteigeschichte. Die Entstehung des Bülowblockes, in: Deutsche Stimmen 40 (1928), S. 529–537. 70 Theodor Eschenburg, Aus der nationalliberalen Parteigeschichte. Die Entlassung Posadowskys. Bassermann und das preußische Wahlrecht, in: Deutsche Stimmen 40 (1928), S. 589–597. 71 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 219. 72 Theodor Heuss, Bülow und Bassermann, in: Vossische Zeitung (Morgen-Ausgabe) vom 17.10.1929 (Erste Beilage).
66 | Doktorand in Berlin Die Beziehungen zu Stresemann, die sich während den gemeinsamen Tagen auf Bühlerhöhe offensichtlich vertieft hatten, beabsichtigte Eschenburg auch weiterhin zu pflegen und dabei nicht nur auf die Dissertation und deren Erscheinen zu beschränken. Bereits schon vor dem Besuch auf Bühlerhöhe hatte er Binder gegenüber betont, dass er mit Stresemann nicht nur über seine Dissertation sprechen wolle, sondern auch über „alle anderen möglichen Angelegenheiten“. Der Stresemann begleitende Attaché, mit dem er „sehr gut bekannt“ sei, wolle „in diesem Sinne“ auf den Minister wirken. Dabei handelte es sich zum einen um das Vorhaben, aus der der DNVP nahestehenden Zeitung „Tägliche Rundschau“ eine „konservativ-republikanische Zeitung“ gemäß den von ihm und Binder verfolgten Vorstellungen zu machen. Außerdem hatte Eschenburg erfahren, dass Privatsekretär Bernhard den Plan ventiliere, ihn als zweiten Sekretär Stresemanns einzusetzen bzw. ihn bei einem evtl. „Ausbau eines großen Generalssekretariats der Deutschen Volkspartei“ zu berücksichtigen. Eschenburg vermochte jedoch nicht zu übersehen, „wie weit hier ernste Absichten“ bestünden. Da er hieran zweifele, habe er sich bisher „sehr zurückgehalten“.⁷³ Für Eschenburg gab es also einiges mit dem Minister zu besprechen. Aber auch dessen Interesse an diesem jungen Man beschränkte sich nicht nur auf die Dissertation. In dem Brief, den er wenige Tage nach dessen Besuch auf Bühlerhöhe an Julie Bassermann schrieb, hieß es: „Ich habe mich lange mit ihm [Eschenburg] unterhalten und glaube, dass wir in diesem jungen Mann eine Persönlichkeit haben, die einmal in der Politik eine Rolle spielen wird.“⁷⁴ Das Interesse Stresemanns an Eschenburg dürfte sich auch dadurch noch verstärkt haben, dass dieser mittlerweile der Deutschen Volkspartei beigetreten war und ein Abgeordnetenmandat in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Schöneberg wahrnahm.⁷⁵ Zur Freude Eschenburgs „entwickelte sich seit der Woche, die [er] auf Bühlerhöhe mit ihm [dem Außenminister] verbracht hatte, ein intensiver und [. . . ] regelmäßiger Kontakt“. Eschenburg hat das Kapitel, in dem er in seinen Memoiren hierüber berichtet, mit der Überschrift „In Stresemanns Nähe“ versehen. Die hierin enthaltene Darstellung über die zahlreichen Treffen zu zweit oder in kleinerer oder größerer Runde, über die Einladungen, die er nunmehr auch zu gesellschaftlichen Veranstaltungen in die Villa des Außenministers erhielt, erscheint durchaus realistisch. Eschenburgs Memoiren zufolge hat er Pfingsten 1929 Stresemann sogar auf eine Reise nach Heidelberg begleiten können, an der auch der deutsche Gesandte in Warschau, Ulrich Rauscher, teilgenommen hatte. Dies alles führte
73 Eschenburg an Binder vom 28.6.1928, ACDP, 01-105-010. 74 Stresemann an Julie Bassermann vom 4.8.1928, PA/AA, 127/2 (Nachlass Stresemann). 75 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 234.
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zu einer „beträchtliche[n] Erweiterung“ seines „gesellschaftlichen Umkreis[es]“. Der alte Eschenburg hat sich die Frage gestellt, warum Stresemann seine Nähe gesucht habe, und vermutete, dass er „in erster Linie ein Gesprächspartner“ gewesen sei, dessen Reaktionen den Außenminister interessierten, „an dem er Argumente erproben wollte oder bei dem er einfach etwas von den Spannungen und Konflikten abladen wollte, die sich tagsüber angesammelt hatten“.⁷⁶ Wie Eschenburg schreibt, sah er Stresemann seit der gemeinsamen Pfingstreise nach Heidelberg aber „so gut wie nie“.⁷⁷ Der Außenminister war nur noch selten Berlin, da er an internationalen Konferenzen teilnehmen oder sich Sanatoriumsaufenthalten unterziehen musste. Wenige Tage nach einem letzten kurzen Treffen Ende September 1929 ist Stresemann am 3. Oktober gestorben. Noch am selben Tag suchte Eschenburg dessen Privatsekretär Bernhard auf und begann mit ihm gemeinsam eine Gedenknummer der „Deutschen Stimmen“ vorzubereiten. Diese Zeitschrift befand sich im Besitz Stresemanns und er hatte sie bis zu seiner Ernennung zum Reichskanzler im Jahr 1923 selbst geleitet. Nun beschlossen Eschenburg und Bernhard, Politiker aller Parteien aufzufordern, den Verstorbenen mit einem Nachruf zu würdigen. Entsprechend hieß es in der nur zwei Tage nach Stresemanns Tod erschienen Gedenknummer, dass sich „junge Menschen der verschiedenen politischen Richtungen von rechts bis links, ohne Auftrag der Parteien, aber fest verwurzelt in dem Anschauungskreis ihrer Gruppen, im Gedenken an den großen Toten als einen Führer unseres Reiches“ vereinigt hätten.⁷⁸ Für diese Gedenknummer hatte Eschenburg nach Rücksprache mit Hans Simons, einem befreundeten Ministerialrat im preußischen Innenministerium, Vertreter aller Richtungen des poltischen Spektrums gewonnen. Für die deutschnationale Rechte schrieb Heinrich von Gleichen, der Mitbegründer des Deutschen Herrenclubs und Herausgeber der jungkonservativen Zeitschrift „Der Ring“. Für die SPD übernahm Simons selbst die Aufgabe. 1933 emigrierte er in die USA und fungierte nach dem Krieg als Verbindungsoffizier der Amerikaner zum Parlamentarischen Rat. Die Beiträge für das Zentrum und die Deutsche Demokratische Partei stammten von Karl Schreiner und Walter Bauer. Letzterer war Vorstandsmitglied des Petschek-Konzerns, des größten mitteldeutschen Braunkohleunternehmens und mit Eschenburg befreundet. 1944 ist er als Widerstandskämpfer inhaftiert worden. Der Verfasser des ersten Beitrages war Eschenburg, der als Vertreter der Deutschen Volkspartei auftrat. Am Anfang stand wie ein Fanfarenstoß der Satz: „Der
76 Ebenda, S. 219–227, Zitate auf S. 220, 223 und 221. 77 Ebenda, S. 227. Hiernach auch die folgenden Ausführungen. 78 „In Memoriam Stresemann“, in: Deutsche Stimmen 41 (1929), S. 593.
68 | Doktorand in Berlin Führer ist von uns gegangen.“ Von dem „Parteiführer“, dem „großen Führer“ war auch noch an anderer Stelle die Rede, und das zeigt, mit welcher Selbstverständlichkeit dieses Wort benutzt wurde, ehe es durch die Erfahrungen mit Hitler im Dritten Reich gänzlich in Misskredit geraten ist. Eschenburg stellte Stresemann in eine Reihe mit Bennigsen und Bassermann, seinen Vorgängern in der Parteiführung der Nationalliberalen. Der verstorbene Reichsaußenminister sei von ihnen aber „innerlich der stärkste und äußerlich der mächtigste“ gewesen. Eschenburg hielt Stresemann für „einen der ganz wenigen, die als positive Politiker strategisch sahen und handelten“. Dies bezog er sowohl auf die Außen- als auch auf die Innenpolitik, auf deren Gestaltung er mit seiner „virtuosen Beherrschung der parlamentarischen Taktik“ maßgeblichen Einfluss gewann. In Stresemann sah Eschenburg einen Politiker, der seinen Vorstellungen von Führung in einer parlamentarischen Demokratie entsprach. Er betonte die Notwendigkeit der „Gefolgschaft“ der Parteien. „Das Regiment ist vorwiegend Sache der Führer und des Kabinetts. Nur so ist Parlamentarismus möglich.“ Elemente der direkten Demokratie, in seiner Diktion „Mikrodemokratien und Entscheidungsgewalt, die bis zu den Ortsgruppen heruntergehen“, führten „zur Auflösung des Staates“. Stresemann habe das Postulat Max Webers, dass der Staatsmann „Augenmaß und Leidenschaft zugleich“ berücksichtigen müsse, „in hoher Vollendung“ erfüllt. Als Sprecher der Jungen in der Volkspartei rief Eschenburg abschließend dazu auf, das Werk Stresemanns „nunmehr mit bescheideneren Kräften“ neu zu beginnen und dabei „das Erbe Stresemanns [zu] bewahren“ und zu „mehren“.⁷⁹
79 Eschenburg, in: ebenda, S. 596–599.
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Abb. 5. Porträt des jungen Theodor Eschenburg (2. Hälfte der 1920er Jahre).
Abb. 6. Porträt des jungen Theodor Eschenburg (2. Hälfte der der 1920er Jahre).
Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik Als sich im Frühjahr das Engagement Eschenburgs im Tübinger Hochschulring seinem Ende näherte, machte er Binder mit seiner Absicht vertraut, in Berlin einen „konservativen republikanischen Klub [. . . ] von guten Leuten“ zu gründen. Aus den weiteren Ausführungen wird deutlich, dass sich diese Vorstellungen am Tübinger Hochschulring orientierten. Denn auch in diesen Klub sollten „die Größen eingeladen“ werden. Eine solche Gruppierung gebe es „noch nicht in Berlin, und ich glaube“, so Eschenburg weiter, „dass wir etwas machen können“, da er „jetzt viele gute junge Leute“ kenne. Wie in Tübingen setzte Eschenburg auch in Berlin auf Stresemann, den man „dafür interessieren“ könne, und „auf einige kapitalkräftige Geldgeber“.¹ Auf Eschenburgs Anregung reagierte Binder „außerordentlich“ erfreut, der in seiner Antwort von einem „exklusiven Konservativen Klub“ sprach, der „ins Leben zu rufen“ sei.² Das war die Geburtsstunde der „Quiriten“, über die wir bisher nur durch die Memoiren von Eschenburg und Felix Gilbert unterrichtet sind. Gilbert, der dem Kreis selbst angehörte, war Jude, SPD-Mitglied und angehender Historiker. 1930 promovierte er bei dem prominenten Berliner Historiker Friedrich Meinecke. 1933 emigrierte er nach England, 1936 in die USA, wo er nach Zwischenstationen schließlich eine Professur in Princeton bekleidete.³ Eschenburg behandelt diese Gesprächsrunde in seinen Memoiren unter der Überschrift „Ein Club manierlicher junger Leute“.⁴ Den Namen „Quiriten“ entnahmen die Initiatoren des Klubs der römischen Geschichte. Denn dabei handelte es sich um die Anrede der Römer in den antiken Volksversammlungen. Die „politische Spannweite“ der Mitglieder habe – so Eschenburg – „von linken Deutschnationalen bis zur Mitte der SPD“ gereicht, aber nur ein Teil sei Mitglied einer Partei gewesen.⁵ Gilbert hat diese Zusammensetzung in seinen Erinnerungen mit etwas anderen Worten bestätigt: Mit „Ausnahme der Rechtsradikalen und der Kommunisten“ seien „alle politischen Parteien“ vertreten gewesen. „Fünfzehn bis zwanzig jüngere Leute – unter ihnen Beamte aus den Ministerien, Attachés im
1 Eschenburg an Binder vom 10.4.1928, ACDP, 01-105-010/1. 2 Binder an Eschenburg vom 13.4.1928, ebenda. 3 Friedrich Meinecke, Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910–1977. Eingeleitet und bearbeitet von Gerhard A. Ritter, München 2006, S. 56–61. 4 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 258. 5 Ebenda, S. 259.
72 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik Auswärtigen Amt, Dozenten der Universität oder der Politischen Hochschule, ein paar Vertreter der Banken- oder Geschäftswelt sowie der Gewerkschaften, daneben aber auch Studenten“ – trafen sich „einmal im Monat zu einem gemeinsamen Essen, zu dem ein aktiver Politiker oder eine andere Persönlichkeit mit politischem Einfluss“ eingeladen worden sei.⁶ Namen sind bei Gilbert nicht zu finden, wohl aber bei Eschenburg, der als Initiatoren neben Binder und sich selbst noch den Attaché im Auswärtigen Amt, Rudolf Rahn, sowie die Oberregierungsräte Kurt Zierold (Preußisches Kultusministerium) und Eberhard Barth (Reichswirtschaftsministerium) nennt, an anderer Stelle als Mitglieder noch Felix Gilbert und den späteren Tübinger Rechtsprofessor Ludwig Raiser. Treffpunkt war die Weinstube Lutter und Wegener am Gendarmenmarkt.⁷ Offensichtlich handelte es sich bei den „Quiriten“ jedoch nicht nur um einen lockeren Gesprächskreis, sondern einen Klub, der auch über eine Satzung und Organe verfügte. In einem Brief von Ende 1929 berichtet Binder nämlich von einer „Generalversammlung“ der „Quiriten“, in der es nicht möglich gewesen sei, „zu irgendwelchen nennbaren Abstimmungen zu kommen“. Inzwischen sei der „Sturm“ aber „bereits beigelegt und alles wieder in schönster Ordnung“.⁸ Einer der ersten Gäste war – wie Eschenburg gehofft hatte – Außenminister Stresemann. Über diesen Auftritt liegt ein Brief Stresemanns vor, den er im März 1929 an Ernst Scholz richtete, der ihm nach seinem Tod als Parteivorsitzender nachfolgte. Hierin beschreibt er die „Quiriten“ wie folgt: In diesem Kreis hätten sich in „äußerst dankenswerter Weise junge Leute im Alter von 25 bis 35 Jahren versammelt, um über politische Fragen zu diskutieren“. Bei den Diskussionen kämen „die Parteien insgesamt sehr schlecht weg“, was Stresemann verständlich fand. Daneben seien bei seinem Gespräch mit den jungen Leuten „aber auch viele fruchtbare Gedanken [. . . ] zum Ausdruck gekommen“. Als positiv bewertete der Außenminister, „dass überhaupt diese Generation wieder anfängt, sich politisch zu betätigen, zumal sie im Wesentlichen der Deutschen Volkspartei“ nahe stehe. Es sei der Wunsch dieses Kreises, „dass man aus den kleinen Parteien herauskommt“, und nach seinem Dafürhalten würden die Mitglieder „energisch“ dafür eintreten, dass alles, „was zur Mitte gehört, aneinander rückt von links bis rechts.“⁹ In gewisser Hinsicht hat Felix Gilbert diese Annahme in seinen Erinnerungen bestätigt, in denen er feststellt: „Ziel war es unter anderem, den ständig wachsenden Spannungen zwischen den politischen Parteien entge-
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Felix Gilbert, Lehrjahre im alten Europa. Erinnerungen 1905–1945, Berlin 1989, S. 87. Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 259. Binder an Plappert vom 4.12.1929, ACDP, 01-105-010. Stresemann an Ernst Scholz vom 26.3.1929, PA/AA, 104/2 (Nachlass Stresemann).
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genzuwirken, die politische Kompromisse – und angesichts des deutschen Mehrparteiensystems hieß das jedes Regieren – unmöglich machten.“¹⁰ Eine ähnliche Auffassung hat Eschenburg zufolge auch Ludwig Raiser vertreten. Er habe auf das „Bemühen“ der „Quiriten“ hingewiesen, „die von den radikalen Gruppen immer mehr ausgehöhlte Mitte zu stärken“.¹¹ Bei seinem Besuch bei den „Quiriten“ hielt Stresemann keinen Vortrag, sondern sagte zu Beginn: „Fragen Sie mich. Was wollen Sie wissen?“ Eschenburg zufolge hat er drei Stunden lang die „Grundlagen seiner Außenpolitik, seine Ziele und seine Konzepte für die innenpoltische Absicherung seiner Politik“ dargelegt. Das Echo sei „äußerst positiv“ gewesen.¹² Geradezu begeistert ist der Bericht über das Zusammentreffen mit Stresemann ausgefallen, den Felix Gilbert seinen Erinnerungen anvertraut hat. Es sei „ein denkwürdiger Abend“ gewesen. Gilbert lobte „die Offenheit“, mit der Stresemann „die politische Lage“ mit den jungen Leuten diskutierte, und „die Aufmerksamkeit“, mit der er deren Ansichten anhörte. Er habe nichts „von der herkömmlichen herablassenden Haltung eines Deutschen in hoher Position“ an sich gehabt. Seine Ausführungen über die Außenpolitik hätten „vollkommen des nationalistischen Tons“ entbehrt und er habe eine Verfassungsänderung, die dem Reichspräsidenten mehr Macht einräume, ganz entschieden zurückgewiesen.¹³ Als weitere Gäste der „Quiriten“ führt Eschenburg den preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker auf, außerdem den ehemaligen Reichskanzler und Reichsfinanzminister Hans Luther, Reichswehrminister Wilhelm Groener sowie den DNVP-Politiker Wilhelm Freiherr von Gayl, der kurz nach seinem Auftreten bei den „Quiriten“ Reichsinnenminister wurde. Zu Gast war ebenfalls der Vorsitzende der Wirtschaftspartei, Johann Bredt, Reichspressechef Walter Zechlin und der DNVP-Politiker Axel Freiherr von Freytagh-Loringhoven, der wegen seiner radikalen, antirepublikanischen Ausfälle fast einen Skandal provoziert habe. Unter den Wissenschaftlern ragte der Nationalökonom Moritz Julius Bonn hervor, damals Rektor der Handelshochschule und prominenter Berater der Reichsregierung. Auf seine Anregung ging auch – Eschenburg zufolge – die Einladung an den jungen, als brillant geltenden Staatsrechtslehrer Carl Schmitt zurück. Eschenburg hat ihn im Nachhinein als einen „der denkwürdigsten Gäste“ bezeichnet. Er habe eine „brillante Vorlesung über das Problem“ gehalten, „wie das parlamentarische System in ein präsidial-plebiszitäres umgewandelt werden könne, und zwar ohne
10 Gilbert, Lehrjahre, S. 87. 11 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 263. 12 Ebenda, S. 259. 13 Gilbert, Lehrjahre, S. 88.
74 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik Änderung der Verfassung“. Im Zentrum dieser Konzeption stand der Reichspräsident, der als Träger einer „kommissarischen Diktatur“ fungieren sollte. Da die Zuhörer Schmitts von dessen Ausführungen fasziniert waren, wurde er zu einem zweiten Besuch eingeladen. Bei dieser Gelegenheit habe er sein „Plädoyer für die Stärkung der Staatsspitze“ und die als „Gegengewicht gemeinte Betonung des plebiszitären Elements“ wiederholt und dieses „Konzept damals noch ganz als Verteidigung der Weimarer Republik“ interpretiert.¹⁴ Die genauen Daten der Auftritte Schmitts im Kreis der „Quiriten“ sind anhand von dessen ediertem Tagebuch zu ermitteln. Es waren der 13. März 1930 und der 9. Februar 1931.¹⁵ Allerdings enthalten die Einträge keine inhaltlichen Angaben, so dass Eschenburgs Bericht in seinen Memoiren nicht kontrolliert werden kann. Nicht in dieser Publikation, wohl aber in einem seiner Interviews zu Beginn der 1980er Jahre hat Eschenburg berichtet, dass auch Hermann Göring von der NSDAP zu einem Vortrag bei den „Quiriten“ eingeladen worden sei. Hierüber hat es offensichtlich eine interne „Diskussion“ gegeben. Göring habe im letzten Moment aber abgesagt. Versuche Eschenburgs, ihn dennoch zum Kommen zu überreden, hätten keinen Erfolg gehabt. Die Absage sei deshalb erfolgt, weil „irgendetwas mit Hitler passiert“ gewesen sei.¹⁶ Felix Gilbert hat darauf hingewiesen, dass unter den Präsidialregierungen, die im Frühjahr 1930 seit der Ernennung Heinrich Brünings zum Reichskanzler immer deutlichere Gestalt annahmen, „sehr schnell eine grundsätzliche Veränderung der politischen Atmosphäre spürbar“ geworden sei, die eine „Verschärfung der Spannungen zwischen rechts und links“ gebracht habe. Diese sei auch bei den „Quiriten“ nicht zu übersehen gewesen. In diesem Zusammenhang weist Gilbert auf eine Zusammenkunft hin, die kurz nach der Verkündung des deutschösterreichischen Zollunionsprojekts im März 1931 stattfand, das im westeuropäischen Ausland zu einem Aufschrei der Entrüstung geführt hatte. Er habe das Projekt im Kreis der „Quiriten“ als „schweren Fehler“ bezeichnet und eine „Niederlage Deutschlands“ prophezeit. Hierauf sei er heftig angegriffen und seine Einstellung als „undeutsch“ und „verächtlich“ bezeichnet worden.¹⁷ Damit zeichneten sich erste Auflösungserscheinungen der „Quiriten“ bereits ab. Allein die politische Ausrichtung der genannten Mitglieder des Klubs führte zu immer stärkeren Antagonismen. Rahn orientierte sich in Richtung NSDAP, der er 1933 bei-
14 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 259–263. 15 Carl Schmitt, Tagebücher 1930–1934. Hrsg. von Wolfgang Schuller in Zusammenarbeit mit Gerd Giesler, Berlin 2000, S. 31 und 88. 16 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. 17 Gilbert, Lehrjahre, S. 89f.
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trat, und er machte im Dritten Reich eine große Karriere im Auswärtigen Dienst. Ähnliches trifft auch für Barth zu, der nach der Machtergreifung seine Beamtenkarriere ohne Unterbrechung fortsetzte und schließlich in der Organisation Todt zum Ministerialdirektor für Energiewirtschaft aufstieg. Kurt Zierold schied aus dem Ministerium aus und leitete ab 1934 die Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht, und Gilbert emigrierte im selben Jahr als Jude in die USA. Da Gilbert nicht der einzige Jude bei den „Quiriten“ war, sondern ihnen „viele jüdische Mitglieder“ angehörten, löste Eschenburg den Klub kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten auf. Das mit seiner Gründung intendierte Ziel, die durch radikale Gruppen mehr und mehr ausgehöhlte Mitte zu stärken, hatte sich durch die politischen Umstände sowieso erledigt.¹⁸ Das durch die „Quiriten“ geschaffene Netzwerk erwies sich für Eschenburg jedoch noch als durchaus nützlich. Eschenburg und Binder beschränkten sich jedoch nicht auf interne politische Diskussionen im Kreis der „Quiriten“. Schon seit 1927 strebten sie an, mit ihren politischen Vorstellungen an die Öffentlichkeit zu treten. Zunächst verwandte sich Eschenburg für ein Buchprojekt Binders über Frankreich bei verschiedenen Verlagen und diskutierte mit dem Verfasser des Manuskriptes brieflich über die möglichen Publikationsorte. Ebenso tauschten sich die beiden Freunde darüber aus, welche Zeitungen und Zeitschriften wegen eventueller Rezensionen anzuschreiben seien.¹⁹ Von diesem Projekt hat Binder jedoch im März 1928 Abstand genommen, ebenso wie von der Publikation eines Aufsatzes über die Reparationen²⁰, über dessen Veröffentlichung Eschenburg ebenfalls bereits mit Verlagen verhandelt hatte.²¹ Dagegen schlug Binder Eschenburg Mitte März 1928 ein gänzlich neues Projekt vor, das eine eindeutige politische Stoßrichtung besaß. Er regte an, „ein Buch von ca. 120 Druckseiten“ mit dem Titel „Die Erbschaft der Republik“ zu veröffentlichen. Binder selbst wollte den außenpolitischen, Eschenburg sollte den innenpolitischen Teil verfassen. Darüber hinaus gab Binder zu bedenken, ob man auch Plappert bitten solle, sich mit einem Beitrag über die deutsche Wirtschaftspolitik zu beteiligen. Binder begründete das vorgeschlagene Projekt damit, „dass wir als Vertreter der konservativen Richtung leider nicht die Möglichkeit haben, unseren politischen Rang durch radikale Forderungen und demagogische Kämpfe zu begründen, sondern den langwierigen Weg
18 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 263. 19 Beispielhaft hierfür Eschenburg an Binder vom 15.9., 20.10. und 5.11.1927, ACDP, 01-105-010/1. 20 Binder an Eschenburg vom 16.3.1928, ebenda. 21 Eschenburg an Binder vom 24.2.1928, ebenda.
76 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik einschlagen müssen, erst durch sachkundige Veröffentlichungen die Achtung und das Vertrauen der Alten zu erwerben, die die Führung der Staatsgeschäfte innehaben.“ Erst danach könne man „die Fühlung mit der breiten Volksmasse“ aufnehmen, „die allein die Basis einer politischen Karriere sein kann“. Entstanden war diese Idee auch deshalb, weil Binder inzwischen zu der Erkenntnis gekommen war, „dass aus unserem Tübinger Hochschulring nicht die vorbildliche Institution gemacht werden kann“.²² Was diesen Punkt anbetraf, so stimmte Eschenburg ohne Einschränkungen zu. Nach seiner Einschätzung werde der Hochschulring „eben nur fortgeführt, um quasi eine Liquidation zu verhindern“. Auch ansonsten war Eschenburg „prinzipiell“ einverstanden. Er hielt es ebenso für erforderlich, den „Marsch auf die Bastion“ nunmehr zu beginnen, und bestätigte seine Absicht, „über die innere Politik der Republik zu schreiben“. Mit Rücksicht auf den Abschluss seiner Promotion könne das aber erst „später“ geschehen. Er schob damit das Projekt zunächst auf die lange Bank, auch wenn er Binder nochmals bestätigte, dass sich „unsere Pläne in ausgezeichneter Weise“ treffen würden.²³ Gleichwohl wurde das Projekt in den folgenden Wochen weiter verfolgt. Eschenburg gab Binder die Zusage, bis zum Herbst liefern zu können, und regte an, Hofmann um einen kurzen Beitrag zur Kulturpolitik zu bitten. Dieser Vorschlag fand die Zustimmung Binders, der es jedoch für notwendig hielt, Hofmann die Punkte zu skizzieren, die „in den Rahmen unseres Gesamtprogramms“ passen, und Plappert außerdem zu bitten, den Beitrag im Hinblick auf schärfere Formulierungen zu überarbeiten, da anderenfalls zu befürchten sei, dass Hofmanns „Ausführungen zu blutleer“ ausfallen würden.²⁴ Danach ist das Vorhaben jedoch versandet. Jedenfalls findet sich im Briefwechsel Eschenburg – Binder kein Hinweis mehr darauf. Dagegen ventilierte Letzterer in der zweiten Maihälfte 1928 bereits einen neuen Plan. Er schickte Eschenburg den Entwurf für eine „Pfingstbotschaft“, die er in den großen Tageszeitungen zu veröffentlichen wünschte. Der Text dieses Entwurfs ist bisher nicht bekannt. Aus der Stellungnahme Eschenburgs hierzu kann man jedoch entnehmen, dass hierin u. a. das Vorgehen der nationalen Rechten kritisiert wurde, die „mit monarchistischen Ressentiments und Reminiszenzen“ die Republik attackiere. Eschenburg stimmte mit den „Gedankengängen“ Binders „im Großen und Ganzen“ überein und teilte mit, dass auch er „ähnliche Erwägungen“ angestellt habe. Aus persönlichen Gründen könne er jedoch jetzt mit einer solchen Botschaft nicht an die Öffentlichkeit treten. Solange er von seinem
22 Binder an Eschenburg vom 16.3.1928, ebenda. 23 Eschenburg an Binder vom 22.3.1928, ebenda. 24 Binder an Eschenburg vom 13.4.1928, ebenda.
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Vater finanziell „abhängig“ sei, wolle er „nicht in offenen Gegensatz zu ihm treten [. . . ], wie das geschehen würde, wenn ich es in einer Tageszeitung, die ihm nicht unbekannt bliebe, veröffentlichte“. Ein anderer Grund sei die Rücksicht auf seine Dozenten, bei denen er in den kommenden Wochen sein Doktorexamen ablegen müsse. Diese könnten es ihm verargen, wenn er „vor der Prüfung in dieser Weise vor die Öffentlichkeit träte“. Diese Rücksichtnahme war wohl das stärkere Argument. Denn Eschenburg stellte die Möglichkeit in Aussicht, nach dem Examen „in dieser Weise an die Öffentlichkeit zu treten, und zwar mit der Ermahnung an die Rechte zur sachlichen Opposition“.²⁵ Binder zeigte zwar Verständnis für die Haltung Eschenburgs, hätte es aber gerne gesehen, dass ein anderer an dessen Stelle das Dokument unterzeichnet hätte, denn „gesagt sollte es einmal werden“.²⁶ Wenn auch Binder und Eschenburg in dieser Phase nicht über das politische Pläneschmieden hinauskamen, so dokumentiert doch der Briefwechsel die politische Einstellung dieser beiden jungen Männer, die zwar konservativ, aber erkennbar an einer Festigung der Republik mit ihrer Verfassungsordnung interessiert waren. Dies zeigte sich auch beim Engagement Eschenburgs bei den Veränderungsprozessen im deutschen Parteienfeld, die sich seit 1928 in ersten Ansätzen abzuzeichnen begannen und sich dann in den folgenden Jahren bis 1930 vollzogen. Die Rolle, die Eschenburg hierbei spielte, war jedoch insgesamt recht bescheiden. Sie weist ihn aber auch wieder als eine Person aus, die Politik im Rahmen des durch die Weimarer Verfassung vorgezeichneten Systems zu betreiben versuchte. Kurz vor seiner Einladung durch Stresemann nach Bühlerhöhe Ende Juni 1928 hatte Eschenburg eine Unterredung mit dessen Privatsekretär Bernhard. Darin erfuhr der Doktorand, dass Stresemann wieder auflebe und in einem Brief an Ernst Scholz gedroht habe, die Parteiführung niederzulegen, „wenn er weitere Schwierigkeiten von der Fraktion“ erfahre. Er plane, unter diesen Umständen anschließend einen Parteitag einzuberufen. Dies war der Anstoß für Eschenburgs Absicht, bei seinem bevorstehenden Besuch auf Bühlerhöhe Stresemann ein Exposé vorzulegen, das er mit Binder gemeinsam ausarbeiten wollte. Das Wesentliche schien ihm dabei zu sein, Stresemann „einen großen Apparat zu schaffen, um seine Anhängerschaft tunlichst zu verstärken“. Es käme nur darauf an, „einmal in dem System zu sitzen, Bernhard würde dann immer mehr repräsentative Bedeutung erhalten“.²⁷ Eschenburg hoffte auf eine Verbreiterung der parteipolitischen Basis von Stresemann, von der er annahm, dass sie auch seine
25 Eschenburg an Binder vom 24.5.1928, ebenda. 26 Binder an Eschenburg vom 30.5.1928, ebenda. 27 Eschenburg an Binder vom 28.6.192, ebenda.
78 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik politischen Ambitionen fördern würden. Binder sah dafür im Augenblick wenige Chancen, denn er hielt die angesprochene Verbreiterung der politischen Basis, d. h. ein Zusammengehen von Volkspartei und Demokraten zwar in Württemberg und Hamburg für möglich, nicht aber im Reich.²⁸ Gleichwohl blieb eine Unruhe in der Mitte des Parteienfeldes bestehen. Diese betraf in erster Linie sicherlich nicht die Volkspartei, sondern die Demokraten und die Deutschnationalen, in der sich die Umgruppierung im Parteienfeld 1929/30 hauptsächlich vollzog. Aber auch die Volkspartei war von den Vorgängen betroffen. Stresemann hat dies in einem Schreiben an Ernst Scholz vom März 1929 deutlich angesprochen. Hierin verwies er auf Ausführungen des Letzteren in einer Zentralvorstandssitzung, dass alles, „was einstmals nationalliberal war und was heute in der Demokratischen Partei und der Deutschnationalen Volkspartei besteht, sich wieder [mit der Volkspartei] zusammenschließen möge“. Stresemann, dem man dieselben Absichten unterstellte, hatte sich „in ironischer Form“ dazu geäußert und alle entsprechenden Hinweise als „Gerüchte“ bezeichnet.²⁹ Sein Parteifreund Paul Moldenhauer hat demgegenüber jedoch berichtet, dass Stresemann „oft genug den Gedanken ausgesprochen“ habe, „unsere Politik müsse so ausgerichtet werden, dass sie sowohl die gemäßigten Deutschnationalen wie die verständigen Demokraten zu uns hinüberzöge“.³⁰ So war es keine Überraschung, dass es nach dessen Tod im Herbst 1929 wiederholt „zur Fühlungnahme“ zwischen führenden Politikern der DVP und der DDP, hier insbesondere Erich Koch-Weser, kam, „um die Möglichkeiten einer Verbindung zwischen beiden liberalen Parteien zu untersuchen“.³¹ Die Entwicklungen, die sich hier anbahnten, beobachteten Binder und Eschenburg sehr genau. Sowohl den Machtkampf in der Parteiführung der DNVP, der „wider Erwarten viel langsamer“ fortschritt, als die beiden Beobachter erwartet hatten, als auch die „verschiedenen Ansätze zur Gründung der neuen Partei“ fanden deren Aufmerksamkeit. Bei Letzterer handelte es sich um einen Zusammenschluss von Teilen der Deutschnationalen, der Volkspartei und der Demokraten, an dem sich Eschenburg und Binder mit einer eigenen „Aktion“ beteiligten. Ihnen erschien es als „wichtigstes Ziel, über das ganze Reich hin die für die Politik der neuen Partei in Betracht kommenden jungen Kräfte zu sammeln“. Bin-
28 Binder an Eschenburg vom 3.7.1928, ebenda. 29 Stresemann an Ernst Scholz vom 26.3.1929, PA/AA, 104/2 (Nachlass Stresemann). 30 Politik und Wirtschaft in der Krise 1930–1932. Quellen zur Ära Brüning. Eingeleitet von Gerhard Schulz. Bearbeitet von Ilse Maurer und Udo Wengst unter Mitwirkung von Jürgen Heideking, Düsseldorf 1980, S. XXXVIII. 31 Ebenda, S. XLV.
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der sah hierin eine „Politik auf lange Sicht“, der es aber „an dem Führer fehle, der sich der großen Sache annehmen würde“. Hans Luther käme ebenso wenig in Frage wie Wilhelm Groener. Luther besitze „trotz aller Vitalität gar kein demagogisches Temperament“. Ähnliches gelte für Groener, der darüber hinaus als potentieller Nachfolger von Reichspräsident von Hindenburg in Reserve gehalten werden müsse.³² Offensichtlich zur Vorbereitung der von ihnen in Aussicht genommenen neuen Partei nahmen Binder und Plappert im Sommer 1930 „Fühlungnahme“ mit Willy Hellpach, dem ehemaligen Staatspräsidenten von Baden und Reichstagsmitglied der DDP, mit Hjalmar Schacht, dem ehemaligen Reichsbankpräsidenten und seit der zweiten Hälfte der 1920er Jahre auf dem Weg zur politischen Rechten, der ihn bis in die Arme von Hitler führte, sowie mit „Stahlhelmleuten“ auf. Eschenburg erweckte bei Binder zwar den Eindruck, dass deren Aktion seinen „Beifall“ gefunden habe und er „offenbar Wert“ darauf lege, „in dieser Kombination als linker Flügelmann zu agieren“.³³ Inwieweit Binders Eindruck von Eschenburgs Haltung der Realität entsprach, erscheint zweifelhaft. Denn dieser war inzwischen an einem Projekt beteiligt, das ihm eine – wenn auch bescheidene Rolle – in der Reichspolitik zu spielen erlaubte. Eschenburg war nämlich im Sommer 1930 in die Gründung der Deutschen Staatspartei involviert. Dabei handelte es sich um einen Zusammenschluss von Deutscher Demokratischer Partei und der Volksnationalen Reichsvereinigung, der parteipolitischen Organisation des Jungdeutschen Ordens. Der Parteiführer der Demokraten, Erich Koch-Weser, versuchte mit dieser Verbindung gegen den Wählerschwund der Demokratischen Partei anzugehen, und er hoffte zusammen mit dem sehr konservativen, auch durch Antisemitismus geprägten Jungdeutschen Orden von Artur Mahraun, auf neue Wählerstimmen in den für den September des Jahres angesetzten Reichstagswahlen. Anfangs hat Koch-Weser versucht, auch die Volkspartei mit an Bord zu nehmen, ist aber am Widerstand von deren Parteivorsitzenden Ernst Scholz gescheitert. Beteiligt hat sich aber die Reichsgemeinschaft junger Volksparteiler, der Eschenburg angehörte. Seine Mitwirkung an der Gründung der Staatspartei, über die bisher nur einige Schlaglichter bekannt sind, erhellt ein Schreiben Paul Binders vom 10. August 1930, in dem er Plappert über „eine eingehende Aussprache“ vom selben Tag mit Eschenburg infomierte.³⁴ Dem Bericht Binders zufolge hat Eschenburg „kurz nach der Reichstagsauflösung“ am 18. Juli 1930 Ernst Lemmer, Werner Stephan und „einige andere
32 Binder an Plappert vom 4.12.1929, ACDP, 01-105-010/2. 33 Binder an Plappert vom 10.8.1930, ebenda. 34 Ebenda.
80 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik Persönlichkeiten von der DDP angerufen [. . . ] und ihnen auseinander gesetzt [. . . ], dass jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Umgruppierung der bürgerlichen Mitte gekommen sei“. Daraufhin sei er am 25. Juli „plötzlich in den Reichstag gerufen worden, wo er Koch und Mahraun getroffen habe, die ihr Aktionsprogramm skizziert“ hätten. Er, Eschenburg, habe anschließend „sofort versucht einige führende Volksparteiler, u. a. Julius Curtius, zu erreichen“, was aber daran gescheitert sei, „dass alle maßgebenden Herren in die Ferien gefahren“ seien. Den Vorsitzenden der Reichsgemeinschaft junger Volksparteiler, Frank Glatzel, habe er nur „andeutungsweise von dem bevorstehenden Schritt in Kenntnis gesetzt“. In diesem Moment habe der Sammlungsaufruf der Volkspartei, in dem aufgefordert wurde, davon abzusehen, „nach rechts oder nach links zu optieren“, sondern zu versuchen alles zusammenzufassen, „was aktiv am Staat, an der Sicherung seiner Grundlagen mitarbeiten will“³⁵, Koch-Weser veranlasst, „vorzeitig loszuschlagen.“ Am 27. Juli schloss er das „Gründungsabkommen“ mit der Volksnationalen Reichsvereinigung ab und einen Tag später trat er mit einem Aufruf der neuen Partei an die Öffentlichkeit. Eschenburg habe daher mit Josef Winschuh, der ebenfalls Mitglied der Reichsgemeinschaft, aber auch der „Quiriten“ war, vor der Alternative gestanden, „wegzubleiben und die Aktion verpuffen zu lassen oder führend mitzuwirken, um dadurch Schlechteres zu verhindern“, und sich für Letzteres entschieden.³⁶ Das Vorgehen der führenden Personen der Reichsgemeinschaft stieß in der Vorstandssitzung der Volkspartei am 31. Juli auf harsche Kritik. In deren Zentrum stand insbesondere Glatzel, der Vorsitzende der jungen Volksparteiler, der in diesem Gremium die Gründungsgeschichte der Staatspartei und seine eigene Rolle hierbei etwas anders darstellte als Eschenburg. Dieser wurde aber, obwohl in der Vorstandssitzung nicht anwesend, namentlich erwähnt und sein Vorgehen in die allgemeine Kritik an der Reichsgemeinschaft einbezogen.³⁷ Eschenburg sah der weiteren Entwicklung der Staatspartei bereits zu diesem Zeitpunkt skeptisch entgegen. Die sofortige Auflösung der DDP habe dazu geführt, dass auch „ein großer Teil des pazifistischen Flügels, den man doch gerade abstoßen wollte“, ebenfalls in die Staatspartei gekommen sei. Außerdem glaubte er, dass es „leicht zu erreichen“ gewesen wäre, den Parteivorsitzenden Scholz mit der Hilfe „von gewichtigeren Männern seiner Partei zum Aufgehen in die Staatspartei“ zu zwingen, wenn man sich mehr Zeit zur Vorbereitung
35 Nationalliberalismus in der Weimarer Republik. Die Führungsgremien der Deutschen Volkspartei 1918–1933. Bearbeitet von Eberhard Kolb und Ludwig Richter, Düsseldorf 1999, S. 1058f. 36 Binder an Plappert vom 10.8.1929, ACDP, 01-105-010/2. 37 Nationalliberalismus, S. 1054–1089, Eschenburg auf S. 1071.
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genommen hätte. Im übrigen war er mehr denn je davon überzeugt, dass man „die Neugruppierung s. Zt. schon im Herbst nach Stresemanns Tod hätte [. . . ] erreichen können“. Nunmehr hoffte er, „dass nach den [Reichstags]wahlen beide Parteien [Staatspartei und Volkspartei] doch noch zusammengehen werden“. Von der augenblicklichen Lage in der Spitze der Staatspartei malte Eschenburg seinem Freund gegenüber ein schauerliches Bild. „Die Auflösung der DDP“ sei ihm wie die „Beerdigung eines verdammten und von aller Welt verlassenen Selbstmörders“ erschienen. Das Verhältnis der führenden Personen untereinander sei gestört und der 15-köpfige Aktionsausschuss scheine „eine ziemlich wirre Versammlung zu sein“. Generaldirektor Heinz Pulvermann und der Bankier Max Warburg, die Eschenburg gut kannte, hätten zwei Tag auf ihn und den jungen Demokraten Walter Bauer eingeredet, „ihre Unterschriften wieder zurückzuziehen, nachdem die Einbeziehung des linken Flügels der Deutschen Volkspartei gescheitert“ sei. Daraufhin habe Eschenburg den bekannten und einflussreichen Journalisten und Spitzenpolitiker der DDP, Gustav Stolper, „in den Aktionsausschuss hereingenommen, um diese Opposition zu spalten“. Das sei auch gelungen.³⁸ Nach der Gründung der Staatspartei erhielt Eschenburg neben dem ehemaligen Geschäftsführer der DDP und dem damaligen Referenten in der Presseabteilung der Reichsregierung, Werner Stephan, und Erich Glodschey von der Volksnationalen Reichsvereinigung einen Sitz in der dreiköpfigen zentralen Geschäftsführung.³⁹ Eigentlicher Geschäftsführer war jedoch Stephan. Wie dieser berichtet, habe sich Glodschey der „ihm gemäßen Pressearbeit“ gewidmet und Eschenburg Aufgaben als „ein wichtiger Teilnehmer im Hauptaktionsausschuss“ übernommen.⁴⁰ Dieser Ausschuss hatte „die Streitigkeiten über Kandidaturen in Wahlkreisen zu schlichten“ sowie „über die Zusammensetzung der Reichsliste zu entscheiden“.⁴¹ Stephan zufolge musste er „nur in wenigen Fällen eingreifen“, da „der Termindruck [. . . ] das Zusammenrücken erleichtert“ habe.⁴² Gleichwohl hatte der Ausschuss nach Fertigstellung der Reichsliste noch „mancherlei Beschwerden von Wahlkreisorganisationen und von Verbänden abzuwehren“.⁴³ Ob Eschenburg hierbei noch eine Rolle spielte, ist nicht bekannt.
38 Binder an Plappert vom 10.8.1930, ACDP, 01-105-010/2. 39 Linksliberalismus in der Weimarer Republik. Die Führungsgremien der Deutschen Demokratischen Partei und der Deutschen Staatspartei 1918–1933. Eingeleitet von Lothar Albertin. Bearbeitet von Konstanze Wegner in Verbindung mit Lothar Albertin, Düsseldorf 1980, S. 577. 40 Werner Stephan, Aufstieg und Verfall des Linksliberalismus 1918–1933. Geschichte der Deutschen Demokratischen Partei, Göttingen 1973, S. 453. 41 Linksliberalismus, S. 577. 42 Stephan, Aufstieg, S. 456. 43 Ebenda, S.461.
82 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik Eschenburg selbst wollte von Beginn an kandidieren, und zwar in Lübeck, wovon ihm aber von verschiedener Seite, u. a. von seinem neuen Arbeitgeber, dem Verein Deutscher Maschinenbauanstalten, „als verfrüht“ abgeraten wurde. Trotzdem ließ sich Eschenburg von seiner Absicht nicht abbringen. Er bestand auf seiner Kandidatur, „um die Technik des Wahlkampfes kennen zu lernen und sich den Wahlkreis Lübeck zu sichern“. Seine Chancen, in den Reichstag gewählt zu werden, schätzte er als gering ein: zum einen, weil die DDP in Lübeck das „letzte Mal auch niemand durchgebracht“ habe, zum anderen, weil er noch „zu jung“ sei. Trotzdem wolle er „einmal den Versuch machen“.⁴⁴ Zunächst war er im Wahlkreis Mecklenburg, zu dem auch Lübeck gehörte, als Spitzenkandidat vorgesehen⁴⁵. Er konnte diese Spitzenkandidatur aber letztlich nicht durchsetzen und musste sich mit dem zweiten Platz begnügen. Aber trotzdem engagierte er sich „für die gemeinsame Sache mit stärkstem Einsatz“.⁴⁶ Über Wahlkampfauftritte Eschenburgs berichtete die „Vossische Zeitung“ am 4. und 8. September. Gegenstand des ersten Artikels war eine Versammlung der Staatspartei in Schwerin, an der über 1.000 Personen teilgenommen hatten. Außer Eschenburg sprachen auch noch Ernst Lemmer und ein Kandidat der Volksnationalen Reichsvereinigung. Störungsversuche von Nationalsozialisten seien „im Keime erstickt“ worden, und die Reden hätten einen „starken Eindruck auf diejenigen hinterlassen, die auf dem Wege nach neuen Zielen sind“.⁴⁷ Der zweite Artikel informierte über eine „überfüllte Kundgebung der Deutschen Staatspartei“ in Rostock. Die Reden von Eschenburg und Staatssekretär a. D. Oskar Meyer seien „mit stärkstem Beifall“ aufgenommen worden.⁴⁸ Das Abschneiden Eschenburgs war in den Reichstagswahlen in beiden Wahlkreisen „überdurchschnittlich gut“. Es reichte aber erwartungsgemäß nicht zur Erlangung eines Reichstagsmandats.⁴⁹ Eschenburg hatte seine Wahlkampfauftritte wenige Tage vor dem Wahltag am 14. September beendet und war „ziemlich erschöpft nach Südfrankreich“ gefahren. Das Wahlergebnis, das den Nationalsozialisten eine große Zahl von Mandaten bescherte und sie zu einer Partei machte, die fortan einen gewichtigen Faktor in der deutschen Politik darstellte, den neu gegründeten Parteien der Mitte aber nur wenige Mandate bescherte und sie zur Bedeutungslosigkeit verdammte, erfuhr Eschenburg aus der französischen Presse. Er sei „vollkommen entsetzt“
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Binder an Plappert vom 10.8.1930, ACDP, 01-105-010/2. Politik und Wirtschaft, S. 371. Stephan, Aufstieg, S. 458. Vossische Zeitung vom 4.9.1930 (Morgen-Ausgabe). Vossische Zeitung vom 8.9.1930 (Abend-Ausgabe). Stephan, Aufstieg, S. 468.
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gewesen, berichtete er im Rückblick, denn die Nationalsozialisten habe man bis zum Wahltag nicht ernst genommen, das sei ja nur „eine kleine Partei“ gewesen. Er sei sofort nach Deutschland zurückgekehrt. Dabei dürfte ihn die „eklatante Niederlage“ der Staatspartei nicht überrascht haben, denn ihm war ja schon frühzeitig klar geworden, dass die Verbindung mit den Volksnationalen ein „missglückter Versuch“ war. Denn die hätten – wie er in einem Interview im Jahr 1984 äußerte – „eine ganz andere Staatsvorstellung [gehabt], eine bündische Staatsvorstellung im Gegensatz zur demokratisch-parlamentarischen“, die er für den Flügel der Partei reklamierte, der sich aus ehemaligen Demokraten und Volksparteilern rekrutierte und der nach dem Austritt der Volksnationalen aus der Staatspartei im Herbst 1930 nunmehr allein die Staatspartei bildete. Die Partei sei sich einig in ihrer Absicht gewesen, die Brüning stützende „Koalition zu erhalten und ein einigermaßen erträgliches Verhältnis zur Sozialdemokratie zu finden“, da sonst „der ganze Laden“ zu scheitern drohte.⁵⁰ Die hier zum Ausdruck kommende Haltung gegenüber der Sozialdemokratischen Partei wird durch eine Stellungnahme bestätigt, die Eschenburg in einer Sitzung des Gesamtvorstandes der Staatspartei Mitte März 1931 abgab. Hier schlug er vor, eine „Reihe von prominenten Personen auszuwählen, die die einzelnen Punkte unseres Programms ausarbeiten“. Dabei sollten der Sozialdemokratie „Konzessionen“ gemacht werden, „weil wir Interesse an ihrem Bestehen haben“. Außerdem schlug er ein Reparationsmoratorium vor.⁵¹ Auf Beruhigung der Gemüter war ein Redebeitrag im Februar 1932 im Gesamtvorstand der Staatspartei ausgerichtet. Hierin bezog er sich auf einen Erlass des Reichswehrministers Groener, der regelte, „wann Bewerber aus politischen Gründen von der Einstellung in die Wehrmacht auszuschließen sind“.⁵² In der hierüber in der Öffentlichkeit geführten Diskussion wollte Eschenburg eine „Psychose“ erkennen. „Hier sei eine Bagatelle vielleicht zu einer großen Sache gemacht worden.“ Es sei „doch nicht [zu] leugnen“, dass die Reichswehr sich „sehr zu ihrem Vorteil verändert“ habe, und er warnte seine Parteifreunde davor, „wieder wehrfeindlich zu werden, wie das früher schon einmal der Fall war“.⁵³ In der Staatspartei war Eschenburg kein Mann von großer Bedeutung oder beträchtlichem Einfluss. Aber er hat in dieser Partei mitgearbeitet und ist für einen Kurs eingetreten, der – soweit aus den wenigen Äußerungen geschlossen werden kann – eine Stabilisierung der bestehenden
50 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. 51 Linksliberalismus, S. 639. 52 Staat und NSDAP. Quellen zur Ära Brüning. Eingeleitet von Gerhard Schulz. Bearbeitet von Ilse Maurer und Udo Wengst, Düsseldorf 1977, S. 276ff. 53 Linksliberalismus, S. 695.
84 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik Verhältnisse zum Ziel hatte. Eine ähnliche Schlussfolgerung lässt sich aus seinen publizistischen Äußerungen in der Endphase der Republik ziehen. Im Sommer 1927 reichte Eschenburg bei Stresemanns Privatsekretär Henry Bernhard ein Manuskript zur „Flaggenfrage“ ein, das er in den „Deutschen Stimmen“, für deren Redaktion Bernhard verantwortlich war, publizieren wollte. Letzterer wünschte einige Korrekturen am Manuskript, auf die sich Eschenburg aber nur bedingt einließ. Er wollte an dem im Manuskript enthaltenen Plädoyer für die Farben der Republik festhalten und deshalb nur „ungern sachlich noch weitere Änderungen vornehmen“.⁵⁴ Eschenburg setzte sich durch und im November des Jahres erschien sein Aufsatz unter der Überschrift „Nationalstaat und Nationalfahne“⁵⁵, jedoch mit einer Vorbemerkung. Hierin war eine Distanzierung von der Meinung des Verfassers enthalten, dessen „Schlussfolgerungen für schwarz-rotgold“ mitsamt ihren „ausführlich[en]“ Begründungen „nicht in allen Punkten der Auffassung der Schriftleitung“ entsprächen. Eschenburg begann seinen Aufsatz mit einem historischen Überblick über die Durchsetzungsprobleme der Farben schwarz-weiß-rot als Nationalfahne des Kaiserreichs, und er drückte sein Verständnis für die „berechtigte[n] gefühlsmäßige[n] Empfindungen“ derjenigen aus, die an den Farben des Kaiserreichs auch nach dem Umbruch von 1918 festzuhalten wünschten. Auch wenn der Verfasser selbst betonte, dass er im Rückblick den „Flaggenwechsel [von 1918] für unverständlich und falsch“ halte, obwohl die Rücksichtnahme auf die SPD seinerzeit ein starkes Argument hierfür gewesen sei, müsse man jetzt „für schwarz-rot-gold eintreten“, da dies „um der Festigung des Staates und um der Erziehung der Jugend willen notwendig ist“. Binder war mit den Ausführungen nicht so ganz einverstanden, musste sich aber von Eschenburg sagen lassen, dass die Anerkennung der republikanischen Staatsform und deren Staatssymbole Voraussetzung für diejenigen sei, die „sich tatsächlich wieder eine wirkliche Macht im Staate zu verschaffen“ suchten. Von einem Journalisten wurde der Aufsatz als eine politische Stellungnahme für die Linke gewertet. Bestätigt wurde diese Einschätzung dadurch, dass der Demokratische Zeitungsdienst den Aufsatz teilweise abdruckte, der sodann „von einer Reihe von demokratischen Provinzblättern übernommen“ wurde.⁵⁶
54 Eschenburg an Henry Bernhard vom 2.9.1927, PA/AA, 127/2 (Nachlass Stresemann). 55 Theodor Eschenburg, Nationalstaat und Nationalfahne, in: Deutsche Stimmen 39 (1927), S. 545–550. 56 Eschenburg an Binder vom 22.11.1927, ACDP, 01-105-010/1.
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Einen Monat später erschien am selben Ort ein weiterer Aufsatz Eschenburgs, in dem er seine „Gedanken zum Einheitsstaat“ entwickelte.⁵⁷ Auch dieser Beitrag griff zunächst auf die Geschichte des Kaiserreichs zurück und kritisierte die dort zu konstatierende Unfähigkeit zu innenpolitischen Reformen. Ein „allzu starkes Festhalten am Althergebrachten“ durch die damals Mächtigen habe eine „Weiterentwicklung der Verfassung in der Richtung einer stärkeren Vereinheitlichung des Reiches“ verhindert. Hierfür machte der Verfasser in erster Linie die Parteien verantwortlich, deren Tätigkeit er auch im Jahr 1927 als eine Gefahr für den „Einheitsstaatsgedanken“ erachtete. Deshalb dürfe „der Einheitsstaatsgedanke [. . . ] nicht Sache der poltischen Parteien und der wirtschaftlichen Verbände allein sein, so wichtig sie auch im Einzelnen sind“. Stattdessen setzte Eschenburg auf die „innere Anteilnahme weiter Volkskreise“, die in Verbindung mit einer „geschickten politischen Führung“ dafür sorgen müssten, dass „der Gedanke in einer diese Idee tragenden Schicht reift, bis es an der Zeit ist, dass er von starken Persönlichkeiten seine endgültige Gestaltung erfährt“. Die grundsätzliche Kritik an den politischen Parteien ist hier mit Händen zu greifen. Eschenburg hat sich bei diesen Ausführungen von den Ideen Alfred Webers leiten lassen, dessen Buch über die „Führerdemokratie“ eine lebenslange Wirkung auf ihn ausgeübt hat. In diesem Aufsatz tritt sie als ein zentrales Element seines politischen Denkens erstmals hervor. Die Schlussfolgerungen am Ende des Aufsatzes fallen wenig überzeugend aus, denn Eschenburg charakterisierte den Einheitsstaatgedanken als einen „Gegenstand unseres gesamtpolitischen Denkens“, der zur „Befreiung aus der innenpolitischen Stagnation“ führen und „im einzelnen Deutschen das Bürgerbewusstsein erwecken“ kann, „selbständig an dem Staat der Deutschen mitzudenken und mitzuschaffen“. Der nächste Artikel Eschenburgs erschien im März 1928 ebenfalls in den „Deutschen Stimmen“.⁵⁸ Hierin befasste er sich mit der „politischen Erziehung“, ein Thema, das ihn bereits im Tübinger Hochschulring beschäftigt hatte und das ihn auch nach dem Krieg als Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen nicht mehr los ließ. In seinem Beitrag stellte Eschenburg nach einem Überblick über die politische Erziehung seit 1918 die Frage, „ob die politische Schulung der Studenten überhaupt notwendig und ob sie möglich ist“? Seine Antwort fiel positiv aus, wenn er feststellte: „In einem demokratischen Staatswesen [. . . ] ist sie erforderlich und sie ist notwendig zur Heranbildung einer tragenden gesellschaftlichen Schicht, auf die sich die politischen Führer im Staat stützen
57 Theodor Eschenburg, Gedanken zum Einheitsstaat, in: Deutsche Stimmen 39 (1927), S. 783– 790. 58 Theodor Eschenburg, Politische Erziehung, in: Deutsche Stimmen 40 (1928), S. 140–147.
86 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik können und die deren Willen auf die Massen des Volkes überträgt.“ Eschenburg stellte sodann als Agenturen der poltischen Bildung die Zentrale für Heimatdienst und die Deutsche Hochschule für Politik vor, ging aber auch auf das Konzept des Tübinger Hochschulrings ein, „maßgebende Führer aus Politik und Wirtschaft“ zu Vorträgen einzuladen, um das „Interesse und Verständnis für die politischen Fragen“ anzuregen und eine anschauliches Bild „von unserem Staatsleben“ zu geben. So könne die „politische Erziehung an den einzelnen Hochschulen“ eine „wesentliche Ergänzung des akademischen Unterrichts bilden“. Die beiden letzten Beiträge Eschenburgs in den „Deutschen Stimmen“ erschienen im August und September 1929. Im ersten Artikel besprach er zwei Bücher über den Ersten Weltkrieg⁵⁹, im zweiten diskutierte er das Thema „Kommunalpolitik, Parteien und Jugend“.⁶⁰ Bei den beiden besprochenen Werken handelte es sich zum einen um Emil Ludwigs Buch über den „Juli 1914“, zum anderen um Victor Schiffs Darstellung „So war es in Versailles“. Emil Ludwig war damals ein sehr bekannter deutscher Autor, der zahlreiche populärwissenschaftliche Darstellungen verfasst hatte und der „meistgelesenste deutsche Schriftsteller im Ausland“ war. Seine Abhandlung über die Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs, die mit dem Attentat in Sarajewo einsetzt, bezeichnete Eschenburg als „eine ungewöhnliche Leistung“; sie sei „von einer bestechenden Diktion und faszinierend in seiner Wirkung“. Allerdings bemängelte Eschenburg, dass das von Ludwig entworfene Bild durch „fundamentale Fehler [. . . ] entstellt“ sei, da Ludwig in erster Linie „Wirkung“ erzielen wolle und sein Streben nicht auf „Wirklichkeit“ gerichtet sei. Auf wenig Verständnis stieß beim Rezensenten, dass Ludwig „Behauptungen über Deutschlands Kriegsschuld aufstellt, die nicht die Wirklichkeit treffen“. Damit habe Ludwig „eine große Aufgabe“ verfehlt. Das Buch von Victor Schiff, Redakteur der sozialdemokratischen Parteizeitung „Vorwärts“ und Begleiter der deutschen Friedensdelegation in Versailles 1919, kommt insgesamt besser weg. Dieser Darstellung über die Vorgänge in Versailles und anschließend in Berlin bescheinigte Eschenburg, dass es „mit politischem Instinkt, offenem Blick und Takt“ geschrieben sei, „ohne dass es dadurch an Lebendigkeit“ verloren habe. Das abschließende Lob über den Autor, dass er „in sich ein starkes Menschheitsgefühl mit der bewussten Liebe zum republikanischen Nationalstaat“ vereinige, zeigt eine Offenheit Eschenburgs der SPD und ihren Repräsentanten gegenüber, die jedoch – wie im Folgenden gezeigt werden kann – auch ihre Grenzen besaß.
59 Theodor Eschenburg, Anfang und Ende, in: Deutsche Stimmen 41 (1929), S. 481–487. 60 Theodor Eschenburg, Kommunalpolitik, Parteien und Jugend, in: Deutsche Stimmen 41 (1929), S. 570–578.
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In dem zweiten Aufsatz arbeitete Eschenburg die Bedeutung der Kommunalpolitik für das Gemeinwesen heraus. Während im Kaiserreich „die Kommune die Domäne des Bürgertums“ gewesen sei, habe heute der „Lokalpatriotismus im guten Sinne stark nachgelassen“ und eine „Passivität in der politischen Machtausübung des Bürgertums in der Kommune“ ausgelöst. Das habe die SPD genutzt, um in der „Kommune die Republik“ zu erobern. Eschenburg hielt es deshalb für notwendig, hiergegen mit einer „großen bürgerlichen Parteibildung“ auf der Ebene der Gemeinden zu begegnen, und er wollte hierfür vor allem die jungen Menschen in die Pflicht nehmen, um die „Sammlung eines selbstbewussten, lebensbejahenden Bürgertums zu wecken“. Das Bürgertum als Bezugspunkt von Eschenburgs Denken, seine Bedeutung für das politische System, wie er es sich wünschte, lässt auch dieser Beitrag wieder deutlich erkennen. Die seit früher Kindheit erfolgte Prägung ist nicht zu übersehen. Im Juli, Oktober und Dezember 1932 erschienen große Artikel Eschenburgs über Heinrich Brüning, Paul von Hindenburg und Kurt von Schleicher in der „Vossischen Zeitung“. Der Verfasser versteckte sich unter dem Pseudonym Georg Huneus, dem Familiennamen, mit dem die Eschenburgs in dem Roman „Buddenbrooks“ von Thomas Mann auftreten. Der Beitrag über den im Mai 1932 vom Reichspräsidenten zur Demission gezwungenen Reichskanzler Brüning ist in vier⁶¹, der Artikel über den letzten Reichskanzler der Weimarer Republik, Kurt von Schleicher, ist in drei Teilen veröffentlicht worden.⁶² Der Artikel über den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg ist anlässlich von dessen 85. Geburtstag in einer Ausgabe des Blattes als Ganzes erschienen und hat zwei volle Seiten eingenommen.⁶³ In der Aufmachung ähneln sich die Artikel insofern, als der Verfasser jeweils die Lebensläufe der einzelnen Akteure skizzierte und dabei die Bedingungen für ihren Aufstieg in höchste politische Positionen herausarbeitete, um sodann deren Wirken darzustellen und dabei auch die jeweiligen Hintergründe gekonnt auszuleuchten. Das ergibt nicht nur eine Analyse dieser Beiträge aufgrund der Kenntnisse, die nach jahrzehntelanger historischer Forschung vor-
61 Teodor Eschenburg (Pseudonym Georg Huneus bzw. Georg Hunneus), Heinrich Brünings Weg als Reichskanzler, in: Vossische Zeitung vom 17.7.1932 (Sonntags-Ausgabe); Heinrich Brünings Kreuzgang, in: Vossische Zeitung vom 20.7.1932 (Morgen-Ausgabe); Brünings letzter Sieg, in: Vossische Zeitung vom 22.7.1932 (Morgen-Ausgabe); Brünings letzte Wegstrecke, in: Vossische Zeitung vom 24.7.1932. 62 Theodor Eschenburg (Pseudonym Georg Huneus), Der General, in: Vossische Zeitung vom 4.12.1932 (Sonntags-Ausgabe), vom 6.12.1932 (Morgen-Ausgabe) und vom 11.12.1932 (SonntagsAusgabe). 63 Theodor Eschenburg (Pseudonym Georg Huneus), Hindenburgs Werk, in: Vossische Zeitung vom 2.10.1932 (Vierte Beilage).
88 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik liegen, sondern war den Herausgebern der Zeitung auch damals bereits präsent. In einer Vorbemerkung zum ersten Beitrag stellten sie den Verfasser mit den Worten vor: „Ein guter Kenner der Zusammenhänge, auch der verborgenen, in der deutschen Leidensgeschichte der letzten zwei Jahre unternimmt hier den ersten Versuch, diese zeitgeschichtlichen Einzelvorgänge einheitlich zu deuten.“ Auch in den folgenden Artikeln wurde Georg Huneus als „ein guter Kenner auch verborgener Zusammenhänge“, als ein „vertrauter Kenner der Geheimgeschichte unserer Zeit“ vorgestellt. Und in der Vorbemerkung zum ersten Artikel über General von Schleicher hieß es über den Verfasser, er sei, „den Brennpunkten der Geschehnisse nahe, ein aufgeschlossener und vorurteilsfreier Beobachter“, der in der Lage sei, „Männer der Zeit zu schildern, wahrhaft sine ira et studio, ohne eifernde Liebe noch Hass“. Es ist wenig sinnvoll, die einzelnen Beiträge im Detail vorzustellen. Wichtiger erscheint es, einige markante Stellen vor dem Leser auszubreiten, aufgrund derer die Einstellung des Autors verdeutlicht werden kann. Wie wenig Eschenburg von Hitler hielt, ist einer Gegenüberstellung zwischen ihm und Brüning im zweiten Beitrag vom 20. Juli 1932 zu entnehmen. Hier heißt es: „Brüning hochgebildet und kenntnisreich [. . . ], Hitler ein Mann des Einfalls und der typischen Halbbildung, demagogisch und mittelmäßig. Brüning tief religiös, selbstlos, zäh, aber frei von Ehrgeiz und bescheiden, verbunden mit einem sehr starken Selbstgefühl, Hitler sentimental und egozentrisch, unbeständig, eitel, aber innerlich unsicher. Brüning spricht eindringliche Worte, aber das Auftreten Hitlers ist hinreißend vor den Massen. Brüning ein Führer – Hitler ein Trommler. Brüning verfügt über eine unerschütterliche, seine Umwelt bis zur Verzweiflung bringende Geduld. [. . . ] Hitler, ein Fanatiker, sieht nur den Tag und die Stunde. Beide nicht ohne innere Schwäche. Brüning sucht sie durch eine ungeheure geistige Energie zu überwinden, Hitler durch eine dauernde Betriebsamkeit zu kompensieren. Brüning ist in Haltung und Handlung der wirkliche Repräsentant seiner Persönlichkeit; Hitler sein eigener Heldendarsteller.“ So treffend Eschenburg hier Hitler charakterisierte, so schätzte er doch seine Absichten nicht richtig ein, wenn er ihm unterstellte, dass er nicht die Führung der deutschen Politik anstrebe. Sein Ziel sei „Volkstribun mit Vetorecht“ zu werden. Außerdem irrte er in seiner Einschätzung, dass „die Festungshaft nach dem Münchner Putsch 1923 [. . . ] Hitler das Rückgrat gebrochen“ habe. Auch künftig waren die Einschätzungen Eschenburgs über Hitler und dessen Möglichkeiten und Absichten nicht frei von Irrtümern. So meinte er noch in seinem letzten Artikel über Schleicher, dass Hitler im August 1932 „auf dem Höhepunkt seiner Macht [. . . ] das Spiel verloren“ habe, als er nach Todesurteilen gegen Parteigenossen „wegen politischer Bluttaten“ Proklamationen gegen Richter und die Staatsmacht erlassen hatte. Seither sei aus „seiner Geduld Entschlusslosigkeit“ geworden. Diese Beobachtung war sicherlich nicht gänzlich falsch, und Eschenburg stand mit seiner Einschätzung
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damals bei weitem nicht allein. Viele glaubten bis über den Jahreswechsel 1932/33 hinaus an das Ende des „Hitler-Spuks“ und sind damit ein Opfer der Unterschätzung Hitlers und der Nationalsozialisten geworden. Überblickt man die Ausführungen Eschenburgs in dieser recht großen Anzahl von Artikeln in der „Vossischen Zeitung“ als Ganzes, so wird das bereits oben abgegebene Urteil bestätigt, ihn als Anhänger und Befürworter des von Hindenburg 1930 eingeschlagenen Kurses zu bezeichnen, mit Reichskanzlern seines Vertrauens zu regieren, die an der Spitze von Präsidialregierungen standen. Von diesen Reichskanzlern schätzte er Brüning bei weitem am höchsten ein; wie ausgeprägt diese Hochachtung war, ergibt sich aus der bereits zitierten Gegenüberstellung von Brüning und Hitler. Die Demission Brünings hat Eschenburg mit dem Satz kommentiert: „Das Unfassbare war geschehen – Deutschland hatte wirklich hundert Meter vor dem Ziel seinen besten Mann entlassen.“ Es war aber nicht Deutschland, das Brüning zur Demission gezwungen hatte – im Reichstag hatte er zu der Zeit eine Mehrheit hinter sich –, sondern Reichspräsident von Hindenburg. Ihn hatte Eschenburg durchaus zu Recht ein „sehr eigenwilliges, misstrauisches und interessiertes Staatsoberhaupt“ genannt und bestritten, dass er ein „milder, gleichgültiger Greis“ gewesen sei. Dieser hatte nicht nur mit Brüning einen kompetenten Kanzler gestürzt, sondern mit Franz von Papen einen Nachfolger eingesetzt, dessen „Leichtsinn“ – wie Eschenburg meinte – sprichwörtlich war, der „forsch und unbekümmert [das] autoritäre[. . . ] Regiment“ weiterführte und mit einem „Häuflein Menschen mit Verfassungsexperimenten“ herumlaborierte. Verantwortlich für dessen Einsetzung als Kanzler war aber auch – wie Eschenburg wusste – General von Schleicher, der mit ihm eine „auswechselbare Spitze des Kabinetts“ installiert hatte. Als Eschenburg seine Artikel über Schleicher verfasste, war noch nicht abzusehen, wie das Ende aussehen würde. Die Skepsis des jungen Beobachters, ob der „General im Vordergrund“ als Reichskanzler erfolgreich sein würde, war aber offensichtlich. Der Artikel Eschenburgs zu Hindenburgs 85. Geburtstag unterschied sich deutlich von den anderen Beiträgen. Aufgrund des Anlasses hatte er eher den Charakter einer Huldigung als einer analytischen Untersuchung, obwohl über weite Strecken durchaus interessante Einsichten in die Biografie und die politischen Systeme des Kaiserreichs und der Republik gegeben wurden. Am Ende aber stand eine Würdigung, die den greisen Reichspräsidenten auf eine Stufe mit der englischen Königin Viktoria und dem österreichischen Kaiser Franz Joseph stellte. Eschenburg bescheinigte Hindenburg eine „Größe“, die das „Glück der Nation in ihrem Unglück gewesen ist, dass er weder institutionell noch personell ersetzbar ist“. Dieser „Feind des Revolutionären“ habe das „Kaiserreich des Krieges von 1918 in all seinen zentralen Positionen“ umgeformt und der „Republik einen neuen Charakter“ gegeben. Obwohl Hindenburg das „Geniale“ fehle und er kein
90 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik „schöpferischer Staatsmann“ sei, lobte Eschenburg dessen „Charakterfestigkeit“ und „heroischen Mut“. Diese Elogen Eschenburgs auf den Reichspräsidenten überraschen etwas, da er sie nur wenige Monate nach der Entlassung des von ihm so verehrten Reichskanzlers Brüning zu Papier brachte. Sie zeigen aber auch, wie wenig sich selbst diejenigen dem Mythos des alten Marschalls entziehen konnten, die Einblick in die politischen Verhältnisse besaßen. Ob Eschenburg dieses Loblied auf Hindenburg auch noch angestimmt hätte, nachdem dieser Hitler zum Reichskanzler ernannt hatte, darf bezweifelt werden. In einem Artikel über „Das Ende der Weimarer Republik“ aus dem Januar 1958 hat er zur Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch Hindenburg wie folgt Stellung genommen. Letzterer habe zwar „formal korrekt“ gehandelt, als er den Parteiführer der NSDAP zum Reichskanzler ernannte. Gleichwohl sei dieser Akt „verfassungsfeindlich“ gewesen, „da dieser Führer und seine Partei radikal antidemokratisch“ gewesen seien.⁶⁴ Im Juli 1927 stellte Eschenburg erstmals Überlegungen zu seiner beruflichen Zukunft nach Abschluss seiner Promotion an. Zu dieser Zeit hatte er ein Angebot von Reinhold Schairer, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Studentenwerks in Dresden, vorliegen, in dieser Organisation eine Referentenstelle zu übernehmen. Eschenburg hat sich das Angebot überlegt und über Bedingungen nachgedacht, die er stellen müsste: Büro in Berlin, angemessenes Gehalt, Dispositionsfonds. Es gab jedoch Vor- und Nachteile, die er zu bedenken hatte, und er erwog auch noch andere Möglichkeiten. Denn noch beabsichtigte er, seinen „Referendar zu machen“, d. h. sein juristisches Studium mit einem Examen abzuschließen, war sich aber nicht sicher, ob dies „so ohne weiteres möglich“ sei.⁶⁵ Binder hielt es jedoch für richtig, dass Eschenburgs berufliche Ambitionen eine andere Richtung einschlagen sollten. Als im März 1928 bekannt wurde, dass ein gemeinsamer Bekannter eine Stelle als Privatsekretär bei Carl Duisberg, dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats und des Verwaltungsrats der IG Farben und Vorsitzenden des Reichsverbandes der Deutschen Industrie, übernommen hatte⁶⁶, war Binder der Ansicht, dass eine solche Position auch für Eschenburg „einmal in Betracht kommen“ könne.⁶⁷
64 Theodor Eschenburg, Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik, Band. 1: Kritische Betrachtungen 1957–1961.Zweite überarbeitete und mit Nachträgen versehene Auflage, München 1967, S. 53. 65 Eschenburg an Binder vom 12.7.1927, ACDP, 01-105-010/1. 66 Eschenburg an Binder vom 22.3.1928, ebenda. 67 Binder an Eschenburg vom 26.3.1928, ebenda.
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Bis sich solche Vorstellungen realisieren ließen, dauerte es jedoch noch einige Zeit. Zunächst besuchte Eschenburg nach dem Abschluss seiner Promotion juristische Lehrveranstaltungen, wofür er im Frühjahr 1928 ein Stipendium der Studienstiftung erhalten hatte.⁶⁸ Die Bewerbung hierfür war auf Anraten von Wilhelm Hofmann und auf Druck des Vaters erfolgt.⁶⁹ Gleichwohl zeigt schon ein Blick in Eschenburgs Memoiren, dass er das Jurastudium mit wenig Einsatz betrieb. Lediglich auf zweieinhalb Seiten geht er hierauf ein.⁷⁰ Viel wichtiger war für den jungen Mann – auch das belegen seine Memoiren⁷¹ – der Aufbau und die Pflege eines politischen Netzwerkes. Es waren nicht nur die Gespräche mit Stresemann und mit den Mitgliedern der „Quiriten“, mit denen er regelmäßig zusammentraf. Dies tat er auch mit dem preußischen Kultusminister Carl Heinrich Becker und dessen „Jüngern“. Besonders engen Kontakt hielt er zu Arnold Brecht, gegen dessen Auftritt in Tübingen der Hochschulring Stellung bezogen hatte, sowie zu den ebenfalls bereits erwähnten Hans Simons und Kurt Zierold. Zu den Gesprächspartnern, mit denen Eschenburg öfters zusammentraf, gehörten auch der Pressechef der Reichsregierung, Walter Zechlin, und der Bruder des ersten Außenministers der Weimarer Republik, Ernst zu Rantzau. Dazu kamen weitere Gesprächspartner, die er vor allem infolge von Einladungen zu gesellschaftlichen Abenden kennen lernte. Ein Beispiel sind hierfür die Treffen im Hause von Eduard Hamm, dem Vorsitzenden des Deutschen Industrie- und Handelstages. In diesen Zusammenkünften spiegelte sich die „arbeitende Geselligkeit“ des rechtsbürgerlichen, wirtschaftsnahen, aber republikloyalen Milieus wider.⁷² Gleichzeitig verkehrte Eschenburg aber auch im nationalkonservativen Deutschen Herrenclub, zu dessen Mitgliedern in diesen Jahren aber auch Männer wie Carl Petersen und Arnold Rechberg zählten, die im demokratischen Lager zu verorten sind.⁷³ Nicht vergessen werden darf das Eintauchen in den Berliner Kulturbetrieb: regelmäßige Zusammenkünfte mit dem Verleger Ernst Rowohlt, in denen er herausragende Schriftsteller der damaligen Zeit kennen lernte. Auch in der Familie des engen Freundes Rudolf Olden, politischer Redakteur beim „Berli-
68 Eschenburg an Binder vom 22.3.1928, ebenda. 69 Eschenburg an Binder vom 20.10.1927, ebenda. 70 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 216ff. 71 Ebenda, S. 238–258 und 264–272. 72 So die Mitteilung von Hamms Enkel, Wolfgang Hardtwig, an den Verfasser. Siehe auch den Beitrag von Wolfgang Hardtwig über Eduard Hamm in dessen Werk Deutsche Geschichtskultur im 19. und 20. Jahrhundert, München 2013, S. 313–355. 73 Gerhard Schulz, Der „Nationale Klub von 1919“ zu Berlin. Zum politischen Zerfall einer Gesellschaft, in: Gerhard Schulz, Das Zeitalter der Gesellschaft. Aufsätze zur politischen Sozialgeschichte der Neuzeit, München 1969, S. 313f.
92 | Politische und berufliche Aktivitäten in den Krisenjahren der Republik ner Tageblatt“, traf Eschenburg zahlreiche Prominente aus Politik, Wissenschaft und Kunst. Dies alles ermöglichte Eschenburg einen tiefen Einblick in die Berliner Politik, der ihn in die Lage versetzte, die oben vorgestellten sehr informierten Artikel in der „Vossischen Zeitung“ zu schreiben. Anfang 1930 gelang ihm auch der Einstieg in das Berufsleben. Er erhielt eine Stelle als Referent für Handels- und wirtschaftspolitische Arbeiten im Verein Deutscher Maschinenbauanstalten (VDMA) in Berlin.⁷⁴ Dieser Verein war 1899 gegründet worden. Er war die Spitzenvertretung der Maschinenbauindustrie im Reich, die deren Interessen gegenüber den staatlichen Einrichtungen, aber auch gegenüber anderen Wirtschaftsverbänden zu vertreten hatte. Da der Maschinenbau exportorientiert war, gab es einen deutlichen Interessengegensatz zur Schwerindustrie, aber auch zur Landwirtschaft, die weiterhin auf eine Schutzzollpolitik setzten. An der Spitze des Verbandes stand Alexander Rüstow, der geschäftsführende Vorsitzende war Karl Lange. Eschenburgs Aufgabe bestand darin, „dem Verband zu helfen, sich in der politischen Landschaft zurechtzufinden“. Dazu gehörte die Auswertung der großen Zeitungen, der Verbandszeitschriften, aber auch der Reichstagsprotokolle sowie die Beobachtung der „Verlautbarungen der anderen mächtigen Verbände“. Die „Beobachtung und die Beteiligung an der Politik“ wurde für ihn nun zum Beruf.⁷⁵ Er hatte damit, wie Binder Anfang 1931 an Plappert schrieb, die „gegebene Stellung“ gefunden.⁷⁶ Darüber hinaus war es eine Position, die den Vorstellungen entsprach, von denen er bereits in seinem Lebenslauf gesprochen hatte, den er am Ende seiner Schulzeit vorgelegt hatte. Alexander Rüstow hat in der damaligen Zeit großen Eindruck auf Eschenburg gemacht; er selbst hat in seinen Memoiren geschrieben, dass dieser Mann „zu den eindrucksvollsten Begegnungen dieser Jahre“ für ihn gehört habe.⁷⁷ Rüstow hat in seinem Leben mehrere Richtungsänderungen vollzogen, ehe er sich in den 1920er Jahren und dann noch entschiedener in der Emigration in den 1930er Jahren zu den Vordenkern des Konzepts der sozialen Marktwirtschaft entwickelte. In den Krisenjahren der Republik gehörte Rüstow – wie Eschenburg schreibt – aber auch zu denen, die für eine „Diktatur in den Grenzen der Demokratie“ plädierten, die vom Reichskanzler wahrgenommen werde sollte, „dem zu diesem Zweck für die Dauer eines Jahres von einer qualifizierten Mehrheit des Reichstages das Ver-
74 Fragebogen Eschenburgs des Gouvernement Militaire en Allemagne, unterzeichnet von Eschenburg am 15.10.1946, gegengezeichnet von Rossmann am 24.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 75 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 233. 76 Binder an Plappert vom 25.1.1931, ACDP, 01-105-010/2. 77 Eschenburg, Als hören Sie mal zu, S. 235.
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trauen ausgesprochen werden müsse“.⁷⁸ Rüstow ging es um die Stärkung der Stellung des Reichskanzlers, der für eine Übergangszeit unabhängig von Reichspräsident und Reichstag regieren und damit die politische Lage stabilisieren sollte. Hierin können die Wurzeln der Überlegungen von Eschenburg in den 1960er Jahren gesucht werden, als er für eine „Diktatur auf Zeit“ plädierte. Im Jahr 1932 wechselte Eschenburg seine Arbeitsstelle. Er übernahm die Funktion des Geschäftsführers im Deutschen Bund für freie Wirtschaftspolitik, den der VDMA und andere am Export interessierte Verbände gegründet hatten. An dessen Spitze trat der Erste Bürgermeister der Hansestadt Bremen, Carl Petersen. Mit ihm war – wie wir gesehen haben – Eschenburg schon 1927 erstmals zusammen getroffen, um ihn als Redner nach Tübingen einzuladen. Petersen hatte Eschenburg beeindruckt, und es hat den Anschein, dass der damals entstandene Kontakt aufrechterhalten worden ist. Hierauf ist wohl auch die Berufung Eschenburgs zurückzuführen. In seiner neuen Eigenschaft hatte Letzterer mit seinem Stab „Propaganda gegen Autarkie und Zwangswirtschaft“ zu betreiben.⁷⁹ Das lief so ab, dass wissenschaftliche Publikationen herausgegeben und große Veranstaltungen abgehalten sowie Informationen an die Presse gegeben wurden. Dabei ging es um die Herausstellung der Aufrechterhaltung und Steigerung des deutschen Exports als „nationale Aufgabe“.⁸⁰ Diese Tätigkeit unterschied sich inhaltlich nicht so sehr von dem, was Eschenburg bisher getan hatte. Neu war, dass er jetzt der Chef war, was sich auch auf das Gehalt auswirkte, das sich nahezu verdoppelte.⁸¹ Als Eschenburg beruflich für eine freie Wirtschaftspolitik eintrat und politische Positionen vertrat, die sich im Rahmen der Verfassungsordnung von Weimar bewegten, lief die politische Entwicklung in eine Richtung, die von vielen nicht für möglich gehalten wurde. Es war viel von Diktatur in verschiedenen Ausprägungen die Rede, aber dass sich die Nationalsozialisten durchsetzen würden, glaubte Ende 1932 nur noch eine Minderheit. Kurz danach war Hitler Reichskanzler, und innerhalb einer kurzen Frist gelang es den Nationalsozialisten die Demokratie in Gänze auszuhebeln. Dies ist nicht ohne Auswirkungen auf das Leben Eschenburgs geblieben.
78 Ebenda, S. 238. 79 Fragebogen Eschenburgs vom 15./24.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 80 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. 81 Fragebogen Eschenburgs vom 15./24.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480.
Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich Über die Erlebnisse Eschenburgs in der Phase der „Machtergreifung“ Hitlers liegen keine aus der damaligen Zeit überlieferten Quellen vor. Deshalb ist es notwendig, auf die Angaben aus den Interviews von Eschenburg mit Wolf-Jobst Siedler und Joachim Fest anfangs der 1980er Jahre zurückzugreifen, trotz der grundsätzlichen Vorbehalte, die gegen diese Quelle vorgebracht werden müssen. Diese Bedenken erscheinen im Hinblick auf die „Machtergreifung“ und ihre unmittelbaren Folgen weniger gravierend zu sein, da es sich hierbei um Ereignisse handelte, die Zäsurcharakter besaßen und sich daher tief in das Gedächtnis der Zeitgenossen eingegraben haben. Wenn Eschenburg seine Erinnerungen nicht getrogen haben, hat ihn ausgangs des Jahres 1932 im Anschluss an eine Rede des ehemaligen Reichskanzlers Franz von Papen im Herrenclub erstmals die Befürchtung beschlichen, dass Hitler im Gegensatz zu allen Erwartungen von Reichspräsident Paul von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt werden könnte. Er habe daraufhin den mit ihm befreundeten Staatssekretär in der Reichskanzlei, Erwin Planck, aufgesucht und um eine Stellungnahme gebeten. Von diesem sei eine solche Entwicklung aber ausgeschlossen worden. Alle Hoffnungen hätten sich daher auf Schleicher gerichtet. An dieser Auffassung habe er, Eschenburg, auch noch am 28. Januar 1933, festgehalten, als er sich abends mit Kurt Zierold und Eberhard Barth bei Robert Tillmanns, damals Regierungsrat in der preußischen Unterrichtsverwaltung und von 1953–1955 Bundesminister, getroffen habe. Während seine Gesprächspartner über die künftige Entwicklung und die Rolle Hitlers spekuliert hätten, sei von ihm die Ansicht vertreten worden, dass Schleicher bleibe und „in irgendeiner Form der Verfassungsverletzung mit Hindenburgs Zustimmung die Sache weiter steuern“ werde. Dies habe er auch für richtig gehalten, denn es sei „die einzige Möglichkeit“ gewesen, „Hitler rauszuhalten“.¹ Kurze Zeit später war diese Annahme Makulatur. In der Mittagszeit am 30. Januar erfuhr Eschenburg von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler. Seine Reaktion schilderte er 1984 mit den Worten: „Ich war erschlagen. [. . . ] Mir war das unfasslich. Ich konnte es mir auch nicht erklären.“ Die hierin zum Ausdruck kommende Erschütterung ist leicht nachzuvollziehen, wenn man sich daran erinnert, dass er noch wenige Monate zuvor als Verfasser der Artikel über
1 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. Hierauf basiert auch die folgende Darstellung.
96 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich Heinrich Brüning als ein „guter Kenner auch verborgener Zusammenhänge“, als „vertrauter Kenner der Geheimgeschichte unserer Zeit“ vorgestellt worden war. Dies galt offensichtlich nicht mehr für die Vorgänge, die sich im Januar 1933 hinter den Kulissen abgespielt hatten. Aus dem kleinen Kreis, der Hitler letztlich an die Macht gebracht hatte, drangen keine Informationen mehr zu Eschenburg durch. Seine Erlebnisse in den Stunden nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler schilderte er 1984 wie folgt. Er sei um 18.00 Uhr bei Elisabeth von Roon, der ältesten Tochter Bassermanns, die er seit der Arbeit an seiner Dissertation kannte, eingeladen gewesen. Der Bitte der Gastgeberin, die ein schönes Haus direkt am Brandenburger Tor bewohnte, bis zum angekündigten Fackelzug der SA zu bleiben, habe er nicht entsprochen. Dies ist wohl nicht nur darauf zurückzuführen, dass er – wie Eschenburg berichtet – im Unterschied zu seiner Gastgeberin angesichts der Ereignisse „sehr besorgt“ und „sehr erregt“ gewesen sei. Wichtiger war wohl für Eschenburg, dass er für den Abend noch eine weitere Einladung bei dem Generaldirektor der Mitteldeutschen Braunkohlen A. G., Heinz Pulvermann, hatte, den er aus dem Herrenclub und der politischen Zusammenarbeit im Rahmen der Deutschen Staatspartei kannte. Mit ihm und einem weiteren Gast sei er einig gewesen, dass das Ganze an „einem Grashalm“ hänge und Hitler es nicht schaffen werde: Insofern hätten er und sein Gastgeber die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler „nicht ernst“ genommen. Diese Auffassung sei auch in den nächsten Tagen weit verbreitet gewesen, in denen immer wieder zu hören gewesen sei, Hitler werde „über kurz oder lang irgendwie verspielen“. Erst nach dem Reichstagsbrand habe ein Stimmungswandel eingesetzt. Diesen Stimmungswandel, der sich im Zuge der Gleichschaltungspolitik verstärkte, bekam auch Eschenburg zu spüren. Als ein Beispiel ist auf den letzten Vortrag zu verweisen, der in dem damals noch bestehenden Diskussionszirkel der „Quiriten“ gehalten wurde. Dies muss im März 1933 gewesen sein. Denn die Anlage zum von Eschenburg am 15. Oktober 1946 unterschriebenen Fragebogen enthält die Angabe, dass die „Quiriten“ seit März 1933 nicht mehr zusammengetreten seien.² Redner war Konrad Heiden, ein Journalist und Schriftsteller, der 1932 ein kritisches Buch über den Nationalsozialismus veröffentlicht hatte und im Laufe des Jahres 1933 emigrierte.³ Karl Demuth, der Syndikus der Industrieund Handelskammer Berlin, der auch dem Vorstand von Eschenburgs Arbeitgeber angehörte, soll nachdrücklich geraten haben, Heiden wieder auszuladen. Eschen-
2 Fragebogen von Theodor Eschenburgs vom 15./26.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 3 Konrad Heiden, Geschichte des Nationalsozialismus. Die Karriere einer Idee, Berlin 1932. Bekannt geworden ist Heiden durch eine zweibändige Hitler-Biografie, die er erstmals 1936 im Londoner Exil veröffentlichte.
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burgs Erinnerung zufolge hatte Demuth wie folgt argumentiert: „Herr Eschenburg, Sie können mit dem Regime nicht so umgehen. Wir wissen nicht, wie lange es dauert, aber das ist in manchen Dingen, vor allem in der Wirtschaftspolitik, vernünftiger als wir gedacht haben. Das ist einfach eine Provokation, ein Affront. Das müssen die Leute Ihnen übelnehmen. Das dürfen Sie nicht tun.“ Eschenburg hat seinen Angaben zufolge die Einladung an Heiden aber aufrechterhalten. Nach dessen Auftritt hat er jedoch angesichts der immer deutlicher sichtbaren „politischen Gegensätze“ im Kreis der „Quiriten“ von weiteren Einladungen abgesehen. Viel entscheidender für Eschenburgs weiteren Lebensweg war aber, dass auch der Deutsche Bund für freie Wirtschaftspolitik aufgelöst wurde und er damit seinen Arbeitgeber verlor. Der Vorsitzende Petersen sah keine Chancen mehr für eine weitere Arbeit dieses Bundes, so dass er im Mai 1933 liquidiert wurde. Damit besaß Eschenburg keine Existenzgrundlage mehr und er stand vor dem beruflichen Aus. Dass sich ihm schneller als erwartet ein Ausweg bot, hatte er der antijüdischen Politik der Nationalsozialisten, aber auch dem Netzwerk zu verdanken, das er durch die Kontakte im Kreis der „Quiriten“ geknüpft hatte. Zwei jüdische Rechtsanwälte, Erwin Michel und Berthold Cohn, hatten in der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er Jahre in Berlin ein Sammelbüro für die Kleinindustrie gebildet. Dieses Büro kümmerte sich um die „Abwehrkartelle gegen die großen Einkaufsorganisationen“, die ausgangs der 1920er Jahre entstanden waren. Michel wurde nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten verhaftet und im zweiten Quartal 1933 zum Austritt aus der Sozietät gezwungen. Danach verließ er Deutschland. Cohn nahm daraufhin über Arnold Haase, einen seiner Mitarbeiter, der auch Mitglied der „Quiriten“ gewesen war und den Eschenburg aus dem gemeinsamen Studium an der Berliner Universität kannte, Kontakt zu diesem auf und bot ihm an, als gleichberechtigter Geschäftsführer in sein Büro einzutreten. Nach eigenem Bekunden war Eschenburg zunächst überrascht, und er hatte Bedenken, das Angebot anzunehmen, da er von der Materie wenig verstand. Für einen Mann, der bisher als Agent für eine freie Wirtschaftspolitik tätig gewesen war, war es nicht unbedingt nahe liegend, nunmehr als Geschäftsführer eines Kartellverbandes zu fungieren. Nach kurzer Bedenkzeit sagte er gleichwohl zu. Das begründete er im Nachhinein mit den Worten: „Mir drohte Arbeitslosigkeit und so machte ich das.“⁴
4 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. Dazu auch Hans-Joachim Lang, Eschenburg, das Dritte Reich und die Juden, in: Schwäbisches Tagblatt vom 19.1.2013; HansJoachim Lang, Ein Freund geblieben. War der einflussreiche Tübinger Politologe Theodor Eschenburg ein Nazi? Wohl kaum – wie neu gesichtete Dokumente zeigen, in: Die Zeit vom 5.9.2013.
98 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich Die Entscheidung für die Annahme des Angebots von Cohn dürfte auch darauf zurückzuführen gewesen sein, dass die neue Position materiell mit einem „ungeahnte[n] Aufstieg“ verbunden war.⁵ Hatten Eschenburgs jährliche Einnahmen 1932 und 1933 noch 20.000 bzw. 24.000 RM betragen, so erreichten sie 1934 schon 38.000 RM, um danach bis 1943 in noch größere Höhen zu klettern. In den Jahren 1937 und 1938 überstieg das Einkommen die 50.000 RM-Grenze, 1940 und 1941 belief es sich auf exakt 50.000 RM. Den Höhepunkt erreichte das Einkommen mit 60.000 RM im Jahr 1939. Erst im Jahr 1944 gingen die Eschenburg zufließenden Zahlungen mit 27.000 RM deutlich zurück, um im Jahr 1945 (bis 1. Oktober) auf nur noch 3.600 zu fallen.⁶ Wie hoch dieses Einkommen war, wird bei einem Vergleich mit den Bezügen von Spitzenbeamten und Angestellten in leitenden Positionen deutlich. Verheiratete Ministerialräte (Sonderklasse) bezogen im Januar 1932 ein monatliches Gehalt von 978 RM. An dieser Höhe hat sich den folgenden Jahren nichts geändert. Die monatlichen Bezüge tariflicher Angestellter in Spitzenpositionen beliefen sich im April 1938 auf 745 RM (Sonderklasse), um danach bis zum April 1941 auf etwas über 886 RM anzusteigen. Aber auch im Vergleich zu den Einkommen von Rechtsanwälten waren die Bezüge Eschenburgs beträchtlich. Die Spitzenverdiener dieser Berufsgruppe erzielten im Schnitt etwas über 30.000 RM im Jahr. Mit seinem Einkommen zählte Eschenburg ohne jegliche Abstriche zu denjenigen, die im Dritten Reich im Wohlstand lebten. Es versteht sich von selbst, dass dies nicht ohne Auswirkungen auf seine Haltung gegenüber dem System geblieben ist. Das Büro, das Eschenburg zunächst gemeinsam mit Cohn, nach dessen Emigration Anfang 1936 nach New York allein leitete, diente „zur Verwaltung solcher Industrieorganisationen, die zu klein waren, als dass es sich für sie lohnte, einen eigenen Syndikus zu unterhalten“. Dabei handelte es sich nach einer Aufzählung Eschenburgs aus dem Jahr 1946 um die Verbände der Deutschen Wäscheknopfindustrie, der Deutschen Knopfteilindustrie, der Perlmutterknopffabrikanten, der Beinwarenindustrie, der Porzellanfabrikanten, der Patenttreuhandgesellschaft der Reißverschlussfabrikanten, sodann verschiedener internationaler Verbände sowie der Verbände Nähnadelfabrikanten, Celluloid-Waren-Fabrikanten und Schwachstromfabrikanten, den Reichsverband der Batterieindustrie, die Gemeinschaft der Tubenverschlussfabrikanten und den Zentralverband der Knopffabrikanten. Eschenburgs Büro beriet diese Verbände „in allen einschlägigen Fragen, schlichtete ihre Streitigkeiten, schloss und überwachte Verträge betr. Maße, Aufmachung und Verpackung sowie Preisen und Rabatten, gab unzuverlässige Kun-
5 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 18. 6 Fragebogen von Theodor Eschenburg vom 15./26.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480.
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den bekannt und zog ausstehende Forderungen für sie ein“. In gewisser Weise sorgte Eschenburg für eine Rundum-Betreuung dieser kleinen Verbände, die die Hilfestellung durch dessen Büro benötigten, um sich des Konkurrenzdrucks der Warenhäuser und Einkaufsgenossenschaften erwehren zu können.⁷ Als im Jahr 1936 die Nationalsozialisten die Struktur der deutschen Wirtschaft änderten und Reichsstände mit Fachgruppen und Fachuntergruppen einführten, wurden aus den bisher freien Verbänden Pflichtverbände, deren Leiter vom Reichswirtschaftsminister ernannt wurden. Im Rahmen dieser Reorganisation wurde Eschenburg mit der Leitung der beiden Fachgruppen „Knopf- und Bekleidungsindustrie“ sowie „Schnitz- und Formerstoffe verarbeitende Industrie“ betraut. Bei Letzterem handelte es sich um die Herstellung von Haushaltund Gebrauchsartikeln aus Kunststoffen und natürlichen Schnitzstoffen, z. B. Horn und Bernstein.⁸ Die Einweisung in diese Leitungsposition erfolgte aber offensichtlich nicht ganz reibungslos. Hierauf ist weiter unten einzugehen. Eschenburgs berufliche Tätigkeit war mit einer Vielzahl von Dienstreisen, davon viele in das Ausland verbunden. Deren Zahl erreichte in der Friedenszeit bis 1939 annähernd dreißig. Ziele waren in alphabetischer Reihenfolge: Amsterdam, Brüssel, Helsingfors, Kopenhagen, London, Mailand, Oslo, Paris, Prag, Stockholm, Wien und Zürich. Die meisten Reisen unternahm Eschenburg nach Prag, aber auch London, Paris und Zürich suchte er mehrmals auf. Neben der Teilnahme an internationalen Tagungen der betroffenen Verbände dienten die Auslandsreisen zur Führung von Verhandlungen mit einzelnen Firmen, aber auch mit den betreffenden ausländischen Verbänden. Dabei handelte es sich in ihrer Mehrzahl um Verbände der Reißverschlussindustrie, aber auch der Perlmutterknopfsowie Sicherheitsnadel- und Stecknadelindustrie. Selbst nach Ausbruch des Krieges hielt die Auslandsreisetätigkeit Eschenburgs an. Sie konzentrierte sich jedoch im Wesentlichen auf die Orte Stockholm und Zürich und inhaltlich auf Verhandlungen mit den Verbänden der jeweiligen Reißverschlussindustrie. Auch das Kriegsende erlebte Eschenburg im Ausland, nämlich in der Schweiz. Hier führte er zu der Zeit Schlichtungsverhandlungen zwischen einer deutschen und schwedischen Reißverschlussfirma.⁹ Bei einem Mann wie Eschenburg, der zwar nicht zu den wirtschaftlichen Spitzenmanagern im Dritten Reich zählte, aber auch keine ganz unbedeutende Funktion in der damaligen Wirtschaftsorganisation einnahm, stellt sich notwendigerweise
7 Ebenda. 8 Ebenda. 9 Ebenda.
100 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich die Frage, in welchem Verhältnis er zum NS-System stand. Da er daran interessiert war, seine berufliche Position nicht zu gefährden, ist davon auszugehen, dass er nicht darumgekommen ist, sich zumindest an das System anzupassen, wenn nicht gar offen mit ihm zu paktieren. In diesem Zusammenhang kommt seiner zeitweisen Mitgliedschaft in einem Motorsturm der SS in den Jahren 1933/34 einige Bedeutung zu. Deshalb ist an dieser Stelle ausführlich hierauf einzugehen. Die vorübergehende SS-Mitgliedschaft Eschenburgs war lange Zeit unbekannt. Dieser soll zwar im Schülerkreis darüber gesprochen haben. In der Öffentlichkeit indessen verlor der Tübinger Ordinarius hierüber kein Wort. Noch im Oktober 1985 – so schreibt Michael Naumann in einem Zeitungsartikel im Oktober 2013 – sei Eschenburg im Rahmen eines Treffens bei Joachim Fest auf seine SS-Mitgliedschaft angesprochen worden. Er habe darauf aber mit Schweigen reagiert.¹⁰ Gegenüber dem damaligen Gastgeber hatte Eschenburg jedoch bereits ein Jahr früher seine Erinnerung an die ganze Affäre in allen Details geschildert.¹¹ Die überarbeitete Fassung dieser Äußerungen findet sich im zweiten Band von seinen Memoiren.¹² Der Darstellung Eschenburgs zufolge residierte in dem Gebäude, in dem das von Cohn und ihm geleitete Büro untergebracht war, auch die Geschäftsstelle des Verbands der Rundfunkindustrie, an dessen Spitze neben Cohn noch ein zweiter Mann stand, der der SA als Obersturmführer angehörte. Er – so überliefert Eschenburg – habe sich von diesem bedroht gefühlt. Deshalb sei er auf die Idee gekommen, der SS beizutreten. Dass die Wahl auf diese Organisation fiel, hatte damit zu tun, dass sie als „ein elitäres und intellektuelles Gegenstück, sogar eine Konkurrenz des proletarischen Millionenheeres der SA“ galt.¹³ Dieses Selbstbild entsprach den Vorstellungen Eschenburgs, der sich stets als Mitglied der Elite einschätzte. Den Beitritt zur SS habe er mit Hilfe eines Rechtsanwalts und eines Bekannten, der bereits der SS angehörte, vollzogen. Dabei erweckt Eschenburg den Eindruck, dass es einer gewissen Form von Bestechung bedurft hätte (fünf Liter Cognac für den Obersturmführer), um den Beitritt zu vollziehen. Das gleiche Vorgehen sei bei dem Austritt notwendig gewesen.
10 Michael Naumann, Ein Fall von Opportunismus bei unumstrittener Lebensleistung, in: FAZ vom 25.10.2013. 11 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. 12 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 21–29. 13 Ebenda, S. 23. Die neuste Darstellung zur Allgemeinen SS hat bestätigt, dass es dieser Organisation ab 1930 gelungen ist, ihr Image als „Auslese“, „Garde“ oder „Elitetruppe“ in der Öffentlichkeit durchzusetzen, obwohl sie sich in diesen Jahren in vielerlei Hinsicht, auch in der Gewaltpraxis, kaum von der SA unterschied. Bastian Hein, Elite für Volk und Führer? Die Allgemeine SS und ihre Mitglieder 1925–1945, München 2012, hier S. 307.
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Der Bericht über die dienstlichen Tätigkeiten in der SS in den Memoiren zeichnet ein eher idyllisches Bild. Der Dienst sei „erträglich“ gewesen. Dazu habe „Gewehrputzen“ gehört, ebenso „zwei- bis dreimal im Monat eine Marschübung“. Einmal im Monat habe es „eine Sonntags- und eine Nachtfahrt mit militärischen Übungen bis Mitternacht oder sogar bis zum frühen Morgen“ gegeben, und einmal im Vierteljahr sei es notwendig gewesen, „in der Nacht vor dem Dienstgebäude des Sturms allein Wache [zu] schieben“. „Von Ideologie“ sei „nicht viel die Rede“ gewesen. „Man sagte ,Heil Hitler‘, den Rest besorgten der Gesang von Kampf- und Volksliedern und stramme Haltung.“ Nur selten sei man mit NS-Größen in Kontakt gekommen. So berichtet Eschenburg von einem gemeinsamen Auftritt Sepp Dietrichs, des Kommandeurs von Hitlers Leibstandarte, und Kurt Dalueges, des Leiters der Polizeiabteilung im preußischen Innenministerium, vor dem Sturm. Ebenso sei es zu einer Begegnung mit dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, gekommen, als dieser auf einem Kasernenhof drei SS-Motorstürme antreten ließ und deren Front abschritt. Die persönlichen Beziehungen zwischen den Mitgliedern des Sturms seien nicht eng, aber insgesamt konfliktfrei gewesen. Es gibt Anzeichen, dass diese Darstellung geschönt ist. Ein Blick in die schriftliche Fassung des Interviews, in dem Eschenburg Siedler und Fest über seine Zeit in der SS informiert hatte, lässt zumindest in einem Fall erkennen, dass der Motor-Sturm nicht nur friedlich Geländefahrten unternahm. So habe es einen „wilden Mann als Brigadeführer“ gegeben, wusste Eschenburg zu berichten, „der wollte uns ernstes Handeln beibringen“. Auf dessen Befehl hin habe man nächtens ein Arbeitsdienstlager überfallen, die Leute geweckt und sie zum Aufstehen und Rausgehen gezwungen. Danach habe er, Eschenburg, „einen wahnsinnigen Anschiss“ bekommen, weil er seinen Mann zu freundlich aufgeweckt hatte. Auch in einem anderen Punkt geriet Eschenburg in eine „Konfliktsituation“. Dabei handelte es sich um die Einstellung zu den Logen, denen die SS feindlich gegenüberstand.¹⁴ Für seine Entscheidung, kurz nach dem Eintritt in die SS wieder auszutreten, führte Eschenburg aber nicht diese Konflikte und inhaltlichen Divergenzen an, sondern ganz praktische Gründe, die die Mitgliedschaft für ihn lästig werden ließen. „Allein das Überprüfen, ob das Auto sauber war – so in seinen Mitteilungen gegenüber Siedler und Fest – , der Motor in Ordnung, ob mein Chauffeur alles gemacht hatte, nahm sehr viel Zeit in Anspruch.“ Dies erschien Eschenburg mehr und mehr als Zeitverschwendung, umso mehr, als seine dienstlichen Verpflichtungen (Terminarbeiten für das Reichswirtschaftsministerium und Auslandsreisen) sich immer weniger mit den oftmals kurzfristig angesetzten
14 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277.
102 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich Alarmierungen und Übungen seines SS-Sturms in Übereinstimmung bringen ließen. Hinzu kam, dass Eschenburg heiraten wollte und er wenig Lust verspürte, bei der SS eine Heiratserlaubnis zu beantragen, „zu der eine Untersuchung der Braut durch einen SS-Arzt gehörte“. In dieser Situation habe er einen Entlassungsantrag gestellt, dem stattgegeben worden sei. Im Spätherbst 1934 habe er seine Uniform abgeliefert. Seine Mitgliedschaft in der SS sei damit beendet gewesen.¹⁵ Konfrontieren wir diese Darstellung, die allein auf Eschenburgs nachträglicher Schilderung beruht, mit den Eintragungen auf seinem SS-Stammrollenblatt.¹⁶ Dieses Stammrollenblatt, das schon wiederholt zur Grundlage von Interpretationen der SS-Mitgliedschaft des Betreffenden herangezogen wurde, ist wenig aussagekräftig. Zunächst enthält es weder ein Ausstellungsdatum, noch die Unterschrift des Ausstellenden und auch kein Dienstsiegel. Insofern besaß dieses Dokument keine Rechtskraft. An der SS-Mitgliedschaft Eschenburgs ändert dies jedoch nichts, da sich Eschenburg als Mitglied betrachtete und als SS-Mann in Uniform Dienst geleistet und sehr wahrscheinlich auch einen Dienstausweis besessen hat. Vermerkt sind auf dem Stammrollenblatt wenige persönliche Angaben, die SS-Mitgliedsnummer (allerdings unter der Rubrik Teilnahme an Aufmärschen usw.) sowie die Eintrittsdaten in die SS: am 30. Juni 1933 als SS-Anwärter und am 6. März 1934 als SS-Mann. Wenn diese Daten stimmen, kann die Darstellung Eschenburgs in seinen Memoiren, dass er durch das Verhalten des SAObersturmführers im Haus seines Büros zum Eintritt in die SS veranlasst worden sei, nicht richtig sein. Denn der im Stammrollenblatt festgehaltene Eintritt als SS-Anwärter stimmt in etwa mit seinem Dienstantritt als Partner Cohns überein. Deshalb erscheint es wahrscheinlich, dass Eschenburgs Stammrollenblatt erst nach der Übernahme als SS-Mann angelegt und der Eintritt als SS-Anwärter mit geschätztem Datum erst ex post eingetragen worden ist. Dies ist durchaus auch in anderen Fällen vorgekommen, da das Beitrittsverfahren zur SS in diesen Jahren noch nicht recht normiert war und es daher zu unterschiedlichen Handhabungen gekommen ist.¹⁷ Wenn man sich die Unvollständigkeit von Eschenburgs Stammrollenblatt vor Augen hält, ist es auch kein Wunder, dass hier kein Austrittsdatum vermerkt ist. Dass Eschenburgs Angaben über sein Ausscheiden aus der SS sehr wahrscheinlich der Wirklichkeit entsprechen, zeigt schon ein Vergleich mit Stammrollen von SS-Mitgliedern, die in der SS verblieben sind. Hierin sind deren Teilnahme
15 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 28. 16 BArchB, BDC, SM/SS-Unterführer (Theodor Eschenburg). 17 Bastian Hein, Himmlers Orden. Das Auslese- und Beitrittsverfahren der Allgemeinen SS, in: VfZ 59 (2011), S. 263–280.
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an Aufmärschen und sonstigen Aktivitäten vermerkt. Außerdem gibt es einen Lebenslauf von Eschenburg aus dem Jahr 1936, in dem die SS-Mitgliedschaft nicht erwähnt wird.¹⁸ Ebenso war der Austritt aus der SS in jenen Jahren kein so einzigartiger Vorgang, wie Eschenburg in einem seiner Interviews mit Wolf-Jobst Siedler und Joachim Fest glauben machen wollte, als er sagte: „Es war ja auch eine einmalige Erscheinung, dass einer ausgetreten ist.“¹⁹ Bastian Hein hat mehrere Fälle eruiert, in denen SS-Männer „ehrenvoll“ entlassen wurden. Dies geschah vor allem dann, wenn die Betreffenden „belegen konnten, dass sie wegen beruflicher Überlastung [. . . ] nicht mehr in der Lage waren, regelmäßig SS-Dienst zu tun“.²⁰ Dies war aber genau das Argument, das Eschenburg gegenüber seinem SS-Sturmführer vorgebracht hatte. Möglicherweise hatte Eschenburg aber noch ein anderes Motiv, das ihn zum Austritt aus der SS veranlasste. Ende Januar 1934 war der Rechtsanwalt Georg Heinrich Maier wegen eines kritischen Artikels in der „Vossischen Zeitung“ von der SS verhaftet und für sechs Wochen in das Konzentrationslager Oranienburg verbracht worden. Maier, der sich als aufrechter Kämpfer gegen das NS-Unrecht einen Namen machte, war auch der Anwalt Eschenburgs, der ihm Aufträge erteilte, „weil er so gescheit war“. Seinen Zustand nach der Entlassung aus dem Konzentrationslager beschrieb Eschenburg mit den Worten „Zähne ziemlich ausgeschlagen.“²¹ Das war kein Einzelfall und aus Eschenburgs Bericht ist zu entnehmen, dass ihn diese Vorgänge beunruhigten und ängstigten. Da er die Verhaftung Maiers in der Erinnerung irrtümlich in das Jahr 1933 verlegte, stellte er einen Zusammenhang mit seinem Aufnahmeantrag in die SS her, da er angesichts dieses und ähnlicher Vorgänge einen Schutz in dieser Organisation gesucht habe. Dies kann aber nicht sein, da Maier erst 1934 in Haft genommen und misshandelt worden ist. So ist eher anzunehmen, dass die Misshandlung Maiers im KZ ein Motiv gewesen sein kann, das Eschenburg zum Austritt aus der SS veranlasst hat. Hinzu kam, dass er das Vorgehen der SS gegen die SA im Rahmen des sogenannten „Röhm-Putsches“ missbilligte. Dies ist jedenfalls seinen Äußerungen von Anfang der 1980er Jahre zu entnehmen.²² Eschenburg hat in dieser Zeit auch zu Protokoll gegeben, dass er 1934/35 zweimal aufgefordert worden sei, der NSDAP beizutreten. Das habe er aber mit dem Argument abgelehnt, dass er nicht zu denen gehören wollte, die nach der
18 Der Lebenslauf datiert vom 15. Juli 1936, BArchB, R 3101 – 15221. 19 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. 20 Hein, Himmlers Orden, S. 279. 21 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. 22 Ebenda.
104 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich „Machtergreifung“ lediglich aus Opportunitäts- bzw. Karrieregründen in die Partei eingetreten seien und als sogenannte „Märzgefallene“ einen zweifelhaften Ruf genossen.²³ Dagegen trat Eschenburg im Jahr 1934 aber der Deutschen Arbeitsfront (DAF), der größten Massenorganisation des Dritten Reiches bei.²⁴ Diese Mitgliedschaft war kaum zu umgehen. Denn wer sich „ihrem Eingliederungsverlangen“ entzog, musste mit „beruflichen Nachteilen“ rechnen.²⁵ Ein Jahr später schloss sich Eschenburg auch dem NS-Rechtswahrerbund an.²⁶ Dieser Schritt diente ebenfalls der Absicherung der beruflichen Position. Denn eine fehlende Mitgliedschaft in dieser Organisation wurde als ein Hinweis auf eine nicht vorhandene nationalsozialistische Gesinnung gewertet. Eschenburg achtete also durchaus darauf, dem herrschenden System wenige Angriffsflächen zu bieten; er passte sich an, ohne sich indessen nach seinem Austritt aus der SS auf eine Mitgliedschaft in wirklich wichtigen Organisationen des Regimes einzulassen. Als 1936 die Struktur der deutschen Wirtschaft geändert wurde und die bisherigen freien Verbände durch Reichsstände mit Fachgruppen und Fachuntergruppen ersetzt wurden, deren Leiter das Wirtschaftsministerium ernannte, verlief diese Umstellung für Eschenburg offensichtlich nicht ganz ohne Schwierigkeiten. Wie den überlieferten Akten zu entnehmen ist, gab es bei der Ernennung Eschenburgs zum Beauftragten für die Knopf- und Bekleidungsverschlussindustrie keine Schwierigkeiten. Dagegen sorgte der Vorschlag, ihn gleichzeitig zum Beauftragten für den Bereich der Fachgruppe Schnitz- und Formenstoffe für die verarbeitende Industrie zu ernennen, offensichtlich für einige Probleme, da das zuständige Ministerium um eine Begründung bat.²⁷ Die Antwort ist nicht überliefert. Die Ernennung ist dann aber gemäß Antrag erfolgt. Eschenburg hat Anfang der 1980er Jahre darauf hingewiesen, dass das Zögern der Reichswirtschaftskammer, ihn mit der genannten Stelle zu betrauen, auf einen Einspruch der Gauleitung zurückzuführen gewesen sei. Diese habe einen ganzen Katalog an Vorbehalten gegen ihn aufgestellt: Ausscheiden aus der SS, Entbindung der ersten Tochter im September 1935 durch einen jüdischen Arzt, Empfang von jüdischen Gästen im Haus und kein Abonnement des „Völkischen
23 Ebenda. 24 Fragebogen von Theodor Eschenburg vom 15./26.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 25 Volker Dahm, Die „deutsche Volksgemeinschaft“ und ihre Organisation, in: Die tödliche Utopie. Bilder, Texte, Dokumente. Daten zum Dritten Reich. Hrsg. von Volker Dahm u. a., München 2008, S. 222–225. 26 Fragebogen von Theodor Eschenburg vom 15./26.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 27 Prüfungsstelle für den Bereich der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie an das Reichswirtschaftsministerium vom 16.7.1936; Der Reichs- und Preußische Wirtschaftsminister an die Reichswirtschaftskammer vom 27.7.1936, BArchB, R 3101 – 15221.
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Beobachters“. Diese Vorhaltungen habe er gegenüber der Gauleitung entkräften können. Das Ausscheiden aus der SS habe er mit Hinweis auf seine Tätigkeit für das Wirtschaftsministerium begründet; die jüdische Herkunft des Arztes sei unbekannt gewesen; bei den jüdischen Gästen habe es sich um ausländische Kundschaft gehandelt und den „Völkischen Beobachter“ lese er im Büro.²⁸ Eine Überprüfung dieser Aussagen auf der Grundlage der Akten der Gauleitung ist kaum möglich, da die entsprechende Überlieferung fast nur aus Aktensplittern besteht und die gesuchte Akte „mit ziemlicher Sicherheit“ nicht mehr existiert.²⁹ Gleichwohl spricht manches dafür, dass Eschenburgs Darstellung den Tatsachen entspricht. Lediglich im Punkt SS-Mitgliedschaft bleibt ein Fragezeichen. Denn Bastian Hein hat herausgearbeitet, dass eine „Entlassung“ aus dieser Organisation „keine negativen Folgen“ nach sich gezogen habe.³⁰ Es sind nur wenige Unterlagen aus dem Aktenbestand überliefert, der die tägliche Arbeit in Eschenburgs Büro dokumentiert Dies ist darauf zurückzuführen, dass dieses am 23. November 1943 total zerstört wurde.³¹ Ein weiterer Aktenverlust ist „infolge erheblicher Beschädigung“ der neuen Geschäftsstelle Anfang März 1944 eingetreten.³² Es ist daher nicht möglich, die Arbeit des Büros detailliert darzustellen. Wohl aber kann an einigen Beispielen gezeigt werden, in welchen Bereichen sein Leiter tätig wurde. Dabei hilft der Rückgriff auf Dokumente, die in anderen Beständen überliefert worden sind. Dies trifft insbesondere für die „Arisierung“ zu, an der Eschenburg und seine Dienststelle beteiligt waren. Diese Beteiligung erschließt sich nicht aus den Memoiren. Hierin berichtet er nur über „eine Bruchlinie“, die in den Verbandssitzungen ab Sommer 1933 „plötzlich“ sichtbar geworden sei. Es hätten sich drei Gruppen herausgebildet, die schon an der Sitzordnung zu erkennen gewesen seien: „die Nazis und die, die ihnen zustimmten, die ,Neutralen‘ und die Juden“. Zunächst hätten sämtliche Anwesende „die Verbandsfragen noch in aller Offenheit“ miteinander diskutiert. Nach einiger Zeit seien die Wortmeldungen „aus der Gruppe der jüdischen Mitglieder“ immer weniger geworden und dann vollständig ausgeblieben. Wieder etwas später schickten die jüdischen Besitzer ihre Prokuristen zu den Verbandssitzungen. „Seit den Nürnberger Gesetzen vom September 1935 war dann
28 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. 29 Auskunft von Martin Luchterhandt (Landesarchiv Berlin). 30 Hein, Himmlers Orden, S. 279. 31 Eschenburg an Alfred Berning vom 14.12.1943, BArchB, R 13 XV, Band 104. 32 Arbeitsausschuss „Knöpfe aller Art“ (Eschenburg) an den Sonderausschuss für Ausrüstung und Ausstattung vom 10.3.1944, ebenda.
106 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich klar, dass Drangsalierungen und Pressionen keine Willkürakte untergeordneter Instanzen waren. Vielmehr war die Rechtlosmachung und Verdrängung der deutschen Juden die erklärte Politik der Regierung.“ Danach hätten der Verkauf der jüdischen Geschäfte und die Emigration ihrer jüdischen Besitzer begonnen.³³ In diese Zeit fällt auch das Ausscheiden von Eschenburgs Compagnon Berthold Cohn und dessen Auswanderung nach New York. Währenddessen stieg die antisemitische Stimmung im Verband unaufhörlich an. Eine Einladung zum Kameradschaftsabend der Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie im Januar 1938 ist nur noch an deren arische Mitglieder gerichtet und hält abschließend noch einmal ausdrücklich fest, dass „zu der Veranstaltung selbstverständlich nur Arier Zutritt haben“.³⁴ Zu diesem Zeitpunkt trat auch die „Arisierung“ in eine neue Phase ein. So gab das Reichswirtschaftsministerium seit dem Ausgang des Jahres 1937 seinen bisherigen zurückhaltenden Kurs in dieser Frage auf und traf Maßnahmen, die die „Arisierung“ vorantrieben.³⁵ Eine weitere Verschärfung des Vorgehens erfolgte nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938, als die Reichsregierung Maßnahmen traf, um die wilden „Arisierungen“ durch die Bevölkerung zu „legalisieren“. So wurde einerseits mit der Vermögensverkehrsstelle in Wien eine große Behörde zur Durchführung von „Arisierungs“- und Liquidierungsmaßnahmen ins Leben gerufen, andererseits wurden Gesetze und Verordnungen erlassen, die die „Entjudung“ forcierten und die auch für das Altreich galten.³⁶ Ebenso wie hier war auch die Reißverschlussindustrie in Österreich in einem Kartell zusammengeschlossen, das von der österreichischen Kontroll-Bank für Industrie und Handel verwaltet wurde. Es bestand aus den Firmen Auerhahn und Blaskopf sowie der Firma Bickford. Die Inhaber der ersten beiden Firmen waren Juden, bei der letzteren handelte es sich um ein Unternehmen im englischen Besitz, das auch einen Betrieb in Nürnberg besaß. Bickford war die Firma mit dem mit Abstand größten Umsatz und Exportvolumen. Mit deren englischer Mutterfirma Lightning Fasteners führte Eschenburg bereits im Frühjahr 1938 Gespräche,
33 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 21. 34 Eisfeld, Staatskonservative Kollaboration, S. 111f. 35 Frank Bajohr, “Arisierung” in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933– 1945, Hamburg 1997, S. 217ff. 36 Hans Safrian, Beschleunigung der Beraubung und Vertreibung. Zur Bedeutung des „Wiener Modells“ für die antijüdische Politik des „Dritten Reiches“ im Jahr 1938, in: Constantin Goschler und Jürgen Lillteicher (Hrsg.), „Arisierung“ und Restitution jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989, Göttingen 2002, S. 61–89; Götz Aly/Susanne Heim, Vordenker der Vernichtung und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991, S. 33–43.
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in denen die Vertreter der Firma sich „darüber sehr betroffen“ zeigten, „dass durch den Anschluss Österreichs an das alte Reichsgebiet der Finanzverkehr zwischen Bickford und Lightning Fasteners insofern eine Beeinträchtigung erfahren hatte, als nunmehr Bickford nicht mehr in der Lage war, wie bisher Devisen an Lightning Fasteners überweisen zu können“. Eschenburg ließen sie daher im Laufe der Gespräche wissen, dass sie Interesse am Erwerb der Firma Blaskopf hätten. Entsprechende Verhandlungen seien bereits eingeleitet worden. Eschenburg hat die Absicht der Engländer, Blaskopf zu kaufen, befürwortet, da er „vom Exportstandpunkt aus gesehen hier ein allgemeines deutsches Interesse“ zu erkennen glaubte.³⁷ Ab Mai 1938 fuhr Eschenburg wiederholt nach Wien, um vor Ort mit der dortigen Reißverschluss- und Perlmutterknopfindustrie zu verhandeln.³⁸ Während einer dieser Besuche traf er Ende Oktober auch mit dem zuständigen Referenten der Österreichischen Vermögensverkehrsstelle, George, zusammen, um über die „Arisierung“ der Firma Blaskopf zu verhandeln. Im Laufe dieser Erörterungen wurde auch über die „Arisierung“ der Firma Auerhahn gesprochen. Aus dem Vermerk Eschenburgs über die Besprechung geht hervor, „dass mit Rücksicht auf die Rohmaterialknappheit, die bezüglich Messing besteht, und die Schwierigkeit, die Reißverschlussfabrikation auf Leichtmetall (das zur Zeit auch knapp ist) umzustellen, sowie im Hinblick darauf, dass 5 oder 6 Reißverschlussfabriken aus dem Sudentengau hinzukommen [. . . ], an einer Liquidierung aller nichtarischen Betriebe, soweit sie noch nicht arisiert sind, Interesse besteht“. Die Fachuntergruppe habe daher, wie Eschenburg George am 1. November mitteilte, beantragt, „dass sämtliche jüdischen Betriebe der Knopf- und Bekleidungsindustrie im Altreichsgebiet, in der Ostmark und im Sudentengau, wozu auch die Reißverschlussbetriebe gehören, nicht arisiert werden, sofern sie noch nicht arisiert sind“. Unter diesen Antrag würden auch zwei Firmen im Altreichsgebiet fallen.³⁹ Diese Vorstellungen haben sich aber nicht realisieren lassen. Zum einen erhob der Bund der österreichischen Industriellen Einspruch, der eine Liquidierung der Firmen Auerhahn und Blaskopf ablehnte und ihre Übernahme durch die Firma William Prym, die 1937 in Österreich gegründet worden war, befürwortete. Begründet wurde diese Forderung damit, dass auf diese Weise die bei-
37 Eschenburg an Rechtsanwalt Novottny vom 19.8.1938 mit Anlage: Eschenburg an Assessor Müller vom 19.8.1938, ÖStAW, AdR, „Arisierung“ Blaskopf, Nr. 7146, Band. 2. 38 Fragebogen Eschenburgs vom 15./26.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 39 Eschenburg an die Österreichische Vermögensverkehrsstelle vom 1.11.1938, ÖStAW, AdR, „Arisierung“ Blaskopf, Nr. 2146, Band. 1.
108 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich den jüdischen Firmen in die Hände „ostmärkischer Betriebsführer“ kämen.⁴⁰ Zum anderen zog die Firma Bickford Ende November 1938 ihre Bewerbung zur Übernahme von Blaskopf zurück. Stattdessen schlug die englische Firma vor, „Blaskopf zu liquidieren und die frei werdende Quote an die Firma Bickford zu übertragen“. Hierauf ließ sich die Vermögensverkehrsstelle ebenso wenig ein wie auf den Vorschlag Eschenburgs, der im Hinblick auf Boykottdrohungen aus den USA nunmehr „grundsätzlich für eine Liquidierung sämtlicher österreichischer Reißverschlussfirmen“ eintrat. Der zuständige Referent stimmte nur der Liquidierung der Firma Auerhahn zu, lehnte jedoch die Liquidierung von Blaskopf und die Übertragung von deren Kontingent an Bickford ab, da diese Firma sonst eine „marktbeherrschende Stellung“ einnehmen werde. Unabhängig hiervon sei auch eine Liquidierung von Blaskopf aus dem Grund zu unterlassen, da dies zu einer „dauernden oder vorübergehenden Störung im Export“ führen könne.⁴¹ Liquidiert wurde schließlich nur die Firma Auerhahn, das kleinste und unbedeutendste Unternehmen. Es war leistungsunfähig und gleichzeitig hoch verschuldet. Deshalb plädierte Eschenburgs Dienststelle für dessen Ausscheiden. Denn angesichts zu erwartender wesentlicher Herabsetzung von Messingzuteilungen liege es im Interesse der lebensfähigen Betriebe, wenn deren Kapazität erhöht werde. Für die Beschäftigung der Arbeiter der Firma habe der Treuhänder „insofern Vorsorge getroffen, als andere Betriebe sich bereit erklärt“ hätten, „diese Arbeiter zu übernehmen“.⁴² Auerhahn reiste im März 1939 nach Berlin und danach nach London weiter. Der Schlussprüfungsbericht über seine Firma datiert von Mitte August 1943. Erst da war die Liquidation abgeschlossen. Die Firma Blaskopf wurde von drei Männern gekauft, an deren Spitze ein mittelloser SA-Obersturmführer und Blutordensträger stand. Der bisherige Inhaber und seine Ehefrau erhielten bis zu ihrer Deportation nur einen geringfügigen monatlichen Unterhaltsbetrag. Aus Akten aus dem Reichswirtschaftsministerium lässt sich rekonstruieren, dass Eschenburg auch noch mit Stellungnahmen an der „Arisierung“ der Firma Runge & Co. und der Lozalit A. G. beteiligt war. Inhaber der beiden Firmen war Wilhelm Fischbein, ein junger jüdischer Unternehmer. Die Firma Runge & Co. stellte Kunststoffprodukte her und hatte damit sowohl auf dem deutschen Markt als auch
40 Bund der österreichischen Industriellen an die Vermögensverkehrsstelle vom 10.12.1938, ebenda, Nr. 7146, Band. 1. 41 Abteilung Export an den Staatskommissar in der Privatwirtschaft, Walter Rafelsberger, vom 28.12.1938, ebenda. 42 Fachuntergruppe Knopf- und Bekleidungsverschlussindustrie an das Reichswirtschaftsministerium vom 7.7.1939, ebenda, Nr. 7806, Band. 2.
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international großen Erfolg. Ende 1935 kaufte Fischbein das gesamte Aktienkapital einer kleinen Firma, der Lozalit A. G., auf. Diese Firma besaß die Patente an einem Verfahren, mit dem aus den Grundstoffen von Acetylcellulose und Aceton nahtlose durchsichtige Spritztuben und Behälter hergestellt werden konnten. Das Material nannte sein Erfinder „Neocell“, dessen Produktion für die Massenfertigung aber noch nicht gelungen war. Obwohl Fischbein Jude war, hatte das Reichswirtschaftsministerium dessen Betriebe im November 1937 in den Vierjahresplan aufgenommen, weil es sich Exporterfolge mit dem Kunststoff „Neocell“ erhoffte. Als im Verlauf des Jahres 1938 die „Arisierung“ vorangetrieben wurde und sich dementsprechend auch die Haltung des Reichswirtschaftsministeriums änderte, gerieten die Firmen Fischbeins aber unter Druck. Problematisch war jedoch, dass die englische Bankengruppe Sassoon 49 % des Aktienkapitals besaß und zur Weiterentwicklung von „Neocell“ weitere Kredite notwendig waren.⁴³ Diese sollten durch den Zugriff auf sog. „Sperrmarkdarlehen“ aufgebracht werden. Dabei handelte es sich um Auswandererguthaben, die seit der Bankenkrise von 1931 bei einer inländischen Devisenbank deponiert werden mussten. Betroffen hiervon waren seit Beginn des Dritten Reichs vor allem Juden. Ein Vermerk aus dem Reichswirtschaftsministerium hält den weiteren Verlauf der Ereignisse wie folgt fest: „Sämtliche beteiligten Referate“ im Haus würden als Voraussetzung hierfür die Durchführung der „Arisierung“ dieser Firma für notwendig halten. Hiervon sei Fischbein „bereits Ende Juli in Kenntnis gesetzt worden“. Er habe daraufhin „Verhandlungen in dieser Richtung“, insbesondere mit der IG Farben, aufgenommen. Ebenso sei Fischbein zur Führung von Verhandlungen wiederholt ins Ausland gereist. Für die zweite Novemberwoche habe er wieder eine Einladung der Sassoon-Gruppe nach London erhalten. Fischbein habe daher um die Ausstellung eines neuen Reisepasses gebeten⁴⁴, da ihm sein bisheriger Pass aufgrund einer Verordnung vom 5. Oktober 1938 entzogen worden war. Fischbeins Rechtsanwalt Carl Langbehn, dem auch die „Treuhandschaft“ über das Unternehmen übertragen worden war, unterstützte das Verlangen nach Ausstellung eines neuen Reisepasses mit dem Argument, dass die Verhandlungen „mit den ausländischen Partnern [. . . ] nur unter persönlicher Teilnahme des Herrn Fischbein mit Aussicht auf Erfolg geführt“ werden könnten, da er allein „die technischen Einzelheiten und die kaufmännischen Grundlagen des von ihm aufgebauten Unternehmens“ kenne. Da er außerdem für die bisherigen Kredite der Sassoon-Gruppe persönlich hafte, könne man auch nicht ohne ihn „über wei-
43 Hierzu ausführlich und abschließend Lang, Theodor Eschenburg, hier S. 134ff. 44 Vermerk des Leiters der Hauptabteilung IV (Reichswirtschaftsministerium) vom 7.11.1938, BArchB, R 3101 – 18383.
110 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich tere Kredite mit den ausländischen Partnern sprechen“. Langbehn hatte bereits mit diesen und der IG Farben über die „Arisierung“ verhandelt. Dabei habe er der Sassoon Banking Corporation „verständlich“ machen können, dass die „vollständige Arisierung [. . . ] im Interesse aller Beteiligten“ liege, und die „grundsätzliche Zusage für eine weitere Finanzierung“ erhalten.⁴⁵ Für die Festlegung der endgültigen Modalitäten seien jedoch weitere Verhandlungen unter Beisein Fischbeins in London notwendig. Deshalb stand die Frage, ob Fischbein ein neuer Reisepass ausgestellt werden solle oder nicht, seit dem 1. November im Zentrum der Debatte. An diesem Tag wurde Eschenburg in die Diskussion über den „Fall Fischbein“ einbezogen. Dies geschah in einer Besprechung mit dem zuständigen Referenten im Reichswirtschaftsministerium, von Borries. Wie dessen Vermerk vom 9. November zu entnehmen ist, handelte es sich dabei wohl um ein Telefongespräch, denn von Borries hat in der Überschrift hinter Eschenburgs Namen die Nummer von dessen dienstlichem Fernsprechanschluss notiert. In diesem Gespräch bestätigte dieser, dass er „die Neocell-Fabrikate für einen ausgezeichneten Exportartikel“ halte. Desweiteren vermerkte von Borries, dass es sein Gesprächspartner „für erforderlich“ halte, „zunächst die Arisierungsfrage schnellstens zu lösen“. Nach dessen Ansicht bestehe die Gefahr, „dass Fischbein sich in das Ausland begebe und dort mit Unterstützung seiner ausländischen Geldgeber ein neues Unternehmen“ aufziehe. Deshalb halte er, Eschenburg, „ebenfalls die baldige Einziehung des Passes für erforderlich“. Im weiteren Verlauf des Gesprächs hat Eschenburg dem Vermerk zufolge darauf hingewiesen, dass man Fischbein bei dessen letztem Aufenthalt in Liverpool einen „Angestelltenposten“ angeboten habe und er (Eschenburg) wegen des geringen Umsatzes der NeocellErzeugnisse vermute, dass Fischbein „die bewilligten Sperrmarkdarlehen offensichtlich für andere Zwecke“ benutze. Eschenburg habe abschließend die „Durchführung einer eingehenden Betriebsprüfung“ angeregt und seine Mitwirkung bei der „Lösung der Arisierungsfrage“ in Aussicht gestellt.⁴⁶ In einem Schreiben vom 8. November, dessen einleitenden beiden Absätze offensichtlich auf die Besprechung mit von Borries am 1. November Bezug nehmen, hat Eschenburg den Inhalt von dessen Vermerk in Teilen bestätigt. So wies Eschenburg zu Beginn auf die „große Zukunftsbedeutung von Neocell“ hin. Er habe „daher sowohl die Produktions- als auch die Absatzentwicklung aufmerksam verfolgt“. Die in letzter Zeit zahlreichen Auslandsaufenthalte Fischbeins und der geringe Umsatz der Neocell-Produkte habe „zu der Vermutung Anlass“ ge-
45 RA Carl Langbehn an das Reichswirtschaftsministerium vom 6.11.1938, ebenda. 46 Vermerk von Borries vom 9.11.1938, ebenda. Ausführlich zitiert von Eisfeld, Theodor Eschenburg [I], S. 40.
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geben, dass Fischbein unter dem Vorwand, Exportaufträge hereinzuholen, unter Benutzung deutscher Devisen im Auslande Fabriken für diesen Artikel einrichte, um sich selbst eine neue Existenzbasis zu schaffen“. Eschenburg habe hiervon dem Reichswirtschaftsministerium (von Borries) „vorsorglich Kenntnis“ gegeben und auf „die Notwendigkeit“ hingewiesen, „die Patentlage im einzelnen zu prüfen“. Der Briefschreiber bestätigte nicht, dass er in dem Gespräch mit von Borries für „die alsbaldige Einziehung des Passes“ von Fischbein votiert habe, sondern er stellte lediglich fest: „Inwieweit dieser Hinweis [auf die vermuteten Aktivitäten Fischbeins im Ausland] entscheidend war für den Passentzug [. . . ], entzieht sich meiner Kenntnis.“⁴⁷ Ebenso fehlt in dieser Passage des Schreibens jeglicher Hinweis, dass in dem Gespräch mit von Borries über die „Arisierung“ der Firmen von Fischbein gesprochen worden sei. Am 2. November suchte Fischbein das Reichswirtschaftsministerium auf und bat dringend um die Ausstellung eines Reisepasses, damit er nach London fahren könne. Er sehe „keine Möglichkeit, die Arisierung im befriedigenden Sinne durchzuführen, wenn er nicht zuvor in die Lage versetzt werde, eine Regelung mit den ausländischen Gläubigern zu treffen“. Nachdem auch sein Rechtsanwalt Langbehn einen Tag später noch einmal in dieser Angelegenheit im Reichswirtschaftsministerium vorgesprochen hatte, wurde für den 4. November eine erneute Referatsbesprechung angesetzt, an der auch Eschenburg teilnahm. Hierin begründete Langbehn eingangs ausführlich, warum nach seiner Auffassung „die Reise Fischbeins nach London und gegebenenfalls auch die Aufnahme weiterer Sperrmarkdarlehen vor Durchführung der Arisierung erforderlich“ seien. Falls Fischbein nicht nach London fahren könne, bestehe die Gefahr, dass die Sassoon-Gruppe „die Auslandspatente ohne Rücksicht auf das deutsche Werk“ verwerte und „damit einen Export von Neocell-Erzeugnissen aus Deutschland unmöglich“ mache. Nur durch die Anwesenheit Fischbeins in London sei die Möglichkeit gegeben, „dass die Arisierungsfrage in einem für die deutsche Volkswirtschaft günstigen Sinne geregelt werde“. Die Gefahr, dass Fischbein nicht nach Deutschland zurückkehre, schloss Langbehn aus. Nach seinem Vortrag verließ der Rechtsanwalt die Sitzung, die als interne Besprechung fortgesetzt wurde. Darin ließ Eschenburg „seinen Standpunkt, dass dem Juden Fischbein weitere Auslandsreisen für die Lozalit A. G. unmöglich gemacht werden müssten, fallen“. Als Begründung gab er an, „dass unter allen Umständen eine Regelung angestrebt werden müsse, bei der die Exportmöglichkeiten nicht beeinträchtigt
47 Eschenburg (Vorprüfstelle Schnitz- und Formerstoffe verarbeitende Industrie) an das Reichswirtschaftsministerium vom 8.11.1938, BArchB, R 3101 – 18383.
112 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich würden“. Abschließend wurde beschlossen, dem Staatssekretär die Angelegenheit zur Entscheidung vorzulegen und Langbehn hiervon in Kenntnis zu setzen.⁴⁸ Wenige Tage später, am 7. November, ergab sich eine Situation, die das Leben der Juden in Deutschland dramatisch veränderte. In Paris verübte Herschel Grynszpan ein Attentat an dem deutschen Botschaftsangehörigen Ernst vom Rath, der an den Folgen dieses Anschlags zwei Tage später verstarb. Noch vor dessen Ableben hielt der Rassereferent im Reichswirtschaftsministerium in einem handschriftlichen Vermerk zum „Fall Fischbein“ fest, dass „als Antwort auf den Pariser Mord scharfe judenfeindliche Maßnahmen erwartet werden“.⁴⁹ Es kann davon ausgegangen werden, dass dies auch Eschenburg bewusst war und er noch vor der Reichspogromnacht vom 9. auf den 10. November, mit der die Judenverfolgung in eine neue Phase eintrat, die erhöhte Gefahr antizipierte, in der sich Fischbein nunmehr befand. Dies würde jedenfalls erklären, warum Eschenburg am 8. November ein langes Schreiben an das Reichswirtschaftsministerium sandte, in dem er seine Haltung zum „Fall Fischbein“ noch einmal in aller Ausführlichkeit darlegte. Der Absender hatte es offensichtlich eilig, dass das Schreiben den Adressaten erreichte, denn es wurde durch Boten zugestellt. Das Dokument ist oben bereits kurz angesprochen worden, da Eschenburg hierin zunächst einmal auf seine Stellungnahme im Gespräch mit von Borries am 1. November zu sprechen kam. Darauf folgte die Feststellung, dass er aufgrund der Besprechung am 4. November, wobei er insbesondere die Ausführungen von Oberregierungsrat Reinbothe und Rechtsanwalt Langbehn erwähnte, und der Prüfung der „mir zur Verfügung stehenden Unterlagen“ wie folgt Stellung nehme: „Ich habe weder gegen die Ausstellung eines neuen Reisepasses für Fischbein noch dagegen, ihm die Auswanderungsgenehmigung zu gegebener Zeit zu erteilen, Bedenken.“ Sein Votum begründete Eschenburg ausführlich in sieben Punkten. 1. In dem Vertrag mit der Sassoon-Gruppe sei fest gehalten, „dass Fischbein trotz seiner jüdischen Herkunft die Leitung [der Firma] innehat“. Hieraus ergebe sich, „dass ein Inhaberwechsel ohne Einwilligung der Sassoon-Gruppe nicht möglich ist“. 2. Die Sassoon-Gruppe sei bereit, einer „Arisierung“ zuzustimmen; dafür sei es aber notwendig, dass Fischbein die entsprechenden Verhandlungen führe, da sonst der englische Partner „misstrauisch“ werden und die „Beschlagnahmung“ seines Anteils durchführen könnte.
48 Vermerk von Borries vom 9.11.1938, BArchB, R 3101 – 18383. 49 Handschriftlicher Vermerk vom 8.11.1938 am Ende des Vermerks des Leiters der Hauptabteilung IV des Reichswirtschaftsministeriums vom 7.11.1938, ebenda.
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Dadurch entstünde ein Schaden, der „wesentlich größer“ sei als die Tatsache, „dass Fischbein unter Umständen im Auslande neue Fabriken einrichten“ werde. 4. Nach einer Auswanderung werde Fischbein sehr wahrscheinlich eine Tätigkeit in der Sassoon-Gruppe anstreben, „so dass also indirekt auf seine Tätigkeit deutscherseits immer ein Einfluss bestehen“ bleibe. 5. Da Fischbein auch künftig Interesse daran haben werde, „freizügig in der Welt herumreisen zu können“, werde er von den Verhandlungen in London „aller Voraussicht nach“ zurückkehren, „um nicht seines Passes verlustig zu gehen“. 6. Die Sassoon-Gruppe habe kein Interesse daran, „dass Fischbein nach dieser Verhandlung nicht nach Deutschland“ zurückfahre, da sie „an einer ordnungsgemäßen Übergabe des Betriebes absolut interessiert“ sei. 7. Der Sassoon-Gruppe liege daran, dass Fischbein nicht „aus dem Schuldverhältnis [. . . ] vollständig entlassen“ werde, auch dann nicht, „wenn die Lozalit-A. G. arisiert“ werde. Abschließend empfahl Eschenburg, die Ausstellung des Reisepasses mit der Auflage zu verbinden, „dass Herr Rechtsanwalt Dr. Langbehn an dieser wie auch den künftigen Reisen, die der Verhandlung mit der Sassoon-Gruppe dienen“, teilnehme. Außerdem wies er darauf hin, „dass die ganze Angelegenheit mit größter Vorsicht“ zu behandeln sei, „da hier außerordentlich große wirtschaftliche Werte auf dem Spiel“ stünden.⁵⁰ Es ist nicht auszuschließen, vielleicht sogar naheliegend, dass die Absendung des Briefes auf Grund einer Absprache zwischen Eschenburg und Langbehn erfolgte. Dafür spricht nicht nur der Inhalt des Schreibens, das wesentliche Argumente aufgriff, die Langbehn in der Besprechung am 4. November vorgebracht hatte, und der Vorschlag, die Passausstellung für Fischbein an die Auflage zu binden, dass ihn Langbehn auf seinen Reisen nach England begleiten sollte. Als weiteres Indiz hierfür kann auch gelten, dass sich die beiden Herren wohl recht gut kannten. In der zweiten Hälfte der Weimarer Republik waren beide Mitglieder des Deutschen Herrenklubs und der Deutschen Volkspartei (in Berlin). Nach 1933 gehörten sie sowie ihre Ehefrauen zum Freundeskreis von Herbert Engelsing, zu
50 Eschenburg (Vorprüfstelle Schnitz- und Formerstoffe verarbeitende Industrie) an das Reichswirtschaftsministerium vom 8.11.1938, BArchB, R 3101 – 18383.
114 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich der Zeit Herstellungsgruppenleiter von Tobis, einer großen Filmproduktionsgesellschaft, und dessen Frau.⁵¹ Eschenburgs Schreiben traf im Reichswirtschaftsministerium zu einem Zeitpunkt ein, als über die Empfehlung des federführenden Referats, die Reise Fischbeins „nach London und evtl. weitere notwendige Auslandsreisen aus volkswirtschaftlichen Gründen“ zu befürworten und „gegebenenfalls noch vor Durchführung der Arisierung die Aufnahme weiterer Sperrmarkdarlehen“ zu genehmigen“, heftig diskutiert wurde. Die Meinungen der Referenten fielen unterschiedlich aus. In den Diskussionsprozess war auch Eschenburgs Eingabe einbezogen, wie einem handschriftlichen Referentenvermerk zu entnehmen ist, in dem es heißt: „Ich schließe mich dem Vorschlag des federführenden Referats im Hinblick auf die Exporttätigkeit und die bedeutenden Exportmöglichkeiten der Lozalit A. G. an. (s[iehe] beiliegendes Gutachten der Vorprüfstelle Schnitz- u[nd] Formstoffe verarbeitende Industrie)“. Am 10. November entschied der Staatssekretär jedoch, von einer Befürwortung der Reise Fischbeins abzusehen. Darüber hinaus gab er Weisung, „weitere Sperrmarkgenehmigungen [. . . ] nur Zug um Zug gegen Arisierung“ zu erteilen.⁵² An dieser Auffassung hat das Reichswirtschaftsministerium in den nächsten Wochen festgehalten und sein weiteres Vorgehen daran orientiert. An der Durchführung der „Arisierung“ war Eschenburg nur noch am Rand beteiligt. Am 14. November diskutierte er mit Fischbein auf Empfehlung von Borries’ darüber, welche Firmen in Deutschland „für die Übernahme“ der Lozalit A. G. in Frage kommen würden. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Fischbein entschlossen, „von sich aus die Arisierung schnellstens vorwärts“ zu treiben. Von Borries informierte er, dass er „auf Grund der Entwicklung in der Judenfrage, die in den letzten Tagen eingetreten sei, inzwischen auch von der Sassoon Banking Cooperation aus London ein Telegramm mit der Aufforderung bekommen [habe], alsbald für die Durchführung der Arisierung Sorge zu tragen“.⁵³ Die letzte Spur von Eschenburgs Mitwirkung in diesem Fall findet sich in einem Vermerk über eine Referenten-Besprechung im Reichswirtschaftsministerium. In dieser Sitzung, die am 18. November stattfand, wurde über die Möglichkeit der „Einsetzung eines politischen Kommissars“ diskutiert, um den „Zusammenbruch des Unternehmens nach Möglichkeit“ zu vermeiden. Eschenburg nannte einen Kan-
51 Ingeborg Malek-Kohler, Im Windschatten des Dritten Reiches. Begegnungen mit Filmkünstlern und Widerstandskämpfern. Mit einem Vorwort von Theodor Eschenburg, Freiburg im Breisgau 1986, S. 154f., 158 und 168. 52 Handschriftliche Vermerke auf dem Vermerk des Leiters der Hauptabteilung IV (Reichswirtschaftsministerium) vom 7.11.1938, BArchB, R 3101 – 18383. 53 Vermerk von Borries’ vom 15.11.1938, ebenda.
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didaten, gegenüber dem jedoch Vorbehalte angemeldet wurden. Die Einsetzung eines politischen Kommissars zerschlug sich dann aber, da diese Anweisungen widersprach, die Göring kurz zuvor erlassen hatte. ⁵⁴ Die „Arisierung“ wurde schließlich durch einen Treuhänder durchgeführt. Für dieses Amt hatte man Rechtsanwalt Langbehn bestellt.⁵⁵ Die oben ausgebreiteten und interpretierten Aktenfunde, die wir den Recherchen Rainer Eisfelds verdanken, lassen keinen Zweifel daran, dass Eschenburg und die von ihm geleitete Geschäftsstelle an „Arisierungs“- und Liquidierungsmaßnahmen“ ab 1938 beteiligt waren. Es ist jedoch festzuhalten, dass er nicht dafür verantwortlich war, dass diese eingeleitet und vorangetrieben wurden. Es gehörte lediglich zu seinen dienstlichen Obliegenheiten als Geschäftsführer der Fachuntergruppe Knopf- und Bekleidungsverschlussindustrie der Wirtschaftsgruppe der Bekleidungsindustrie sowie als Beauftragter der Vorprüfstelle Schnitz- und Formerstoffe Verarbeitende Industrie, Stellungnahmen zur „Entjudung“ von Betrieben der betroffenen Branchen abzugeben. Dabei hatte er nur die Möglichkeit, das „wie“ vorzuschlagen, also „Arisierung“ oder Liquidierung, nicht aber das „ob“. In Rechnung zu stellen ist außerdem, dass er dabei die Geschäftsinteressen der Mitgliedsbetriebe in den von ihm betreuten Kartellen zu berücksichtigen hatte. Das ist in den hier vorgestellten Fällen deutlich geworden, denn Eschenburg machte seine Empfehlungen allein von der Rohstoffversorgung und den jeweiligen Exportmöglichkeiten abhängig. Antisemitische Einstellungen spielten überhaupt keine Rolle. Im Fall Fischbein hat er sich zudem nach einer anfänglich als problematisch einzuschätzenden Haltung eine Empfehlung zu Eigen gemacht, die als eine nachdrückliche Hilfestellung für einen jüdischen Unternehmer interpretiert werden muss, dem Verfolgungsmaßnahmen drohten. Nach 1945 hat Eschenburg die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft unter der NS-Herrschaft verurteilt. In einem Artikel über den mit ihm seit den Weimarer Jahren befreundeten Walter Bauer bezeichnete er das damalige Vorgehen als „nationalsozialistische[n] Arisierungsterror“.⁵⁶ In seinen Memoiren ist er hierauf aber nicht eingegangen und er hat somit hierin auch über seine marginale Beteiligung an diesen Vorgängen kein Wort verloren. Dies ist ein Beispiel dafür, dass Eschenburg in seinen Memoiren bestimmte Aspekte seiner Vergangenheit im Dritten Reich ausgeblendet hat. Dies kann mit der Entstehungsgeschichte der
54 Vermerk von Borries’ vom 28.11.1938, ebenda. 55 Über das weitere Schicksal Fischbeins der im Januar 1939 über die Schweiz nach England flüchtete, siehe Lang, Theodor Eschenburg, S. 140ff. 56 Eschenburg, Walter Bauer, in: Zur politischen Praxis, Band. 1, S. 260.
116 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich Memoiren zusammenhängen. Da Siedler und Fest nicht nach der „Arisierung“ gefragt haben, ist Eschenburg hierauf auch nicht zu sprechen gekommen. Schon aus Eschenburgs zeitgenössischen Stellungnahmen zu den „Arisierungen“ ergibt sich, dass die Probleme auf dem Rohstoffmarkt stets eine Rolle gespielt haben. Die Engpässe auf diesem Gebiet haben sich in den Jahren danach, insbesondere nach Ausbruch des Krieges, ständig verstärkt und die Tätigkeit Eschenburgs und seines Büros vor immer neue Probleme gestellt. Dies kann an den überlieferten Dokumenten aus dem betreffenden Aktenbestand recht gut demonstriert werden, in dem auch die mit der Planwirtschaft verbundenen Schwierigkeiten erkennbar werden. Hierüber hatte Eschenburg bereits als Referent in einem der „Absatzwirtschaftlichen Kurse“ des Instituts für Wirtschaftsbeobachtung in Nürnberg im Jahr 1938 vorgetragen. Das Thema lautete: „Marktprobleme der gebundenen Wirtschaft“.⁵⁷ Auftritte dieser Art traten jedoch nach Ausbruch des Kriegs immer mehr in den Hintergrund. In Vordergrund standen nunmehr die Anforderungen zur Lösung der Probleme der Planwirtschaft, insbesondere die Zuteilung von Arbeitskräften und die Bereitstellung der notwendigen Rohstoffe. Die grundsätzliche Problematik skizziert ein Rundschreiben an die Vorsitzenden der Untergruppen und technischen Beiräte der Knopf- und Bekleidungsindustrie vom Februar 1942. Daraus ergibt sich, dass die Knopfindustrie im Krieg in eine Existenzkrise geraten war, da es sich als schwierig herausgestellt hatte, den amtlichen Stellen gegenüber „die Notwendigkeit der Knöpfe an sich darzulegen“; das gelte „vor allem in Fragen der Rohstoffbewirtschaftung und des Arbeitseinsatzes“. Es sei daher notwendig, die Produktion „in Zukunft weniger auf den Ziercharakter als auf den reinen Verwendungszweck der Knöpfe“ abzustellen und im Wege der Rationalisierung auch die „ganze oder teilweise Stilllegung“ von Betrieben nicht auszuschließen. Außerdem sei damit zu rechnen, dass die Knopfindustrie „in erheblichem Umfange noch Arbeitskräfte an die Rüstungsindustrie abgeben“ müsse. Aber „trotz des erheblichen Fortfalls von Arbeitskräften und trotz eines weiteren Rückganges in der Rohmaterialzuteilung“ seien alle Anstrengungen erforderlich, um „die Knopfindustrie als solche zur Deckung des dringendsten Bedarfs zu erhalten“.⁵⁸ Entsprechend diesen Vorgaben stellt das auch von Eschenburg unterzeichnete Protokoll einer Sitzung des Arbeitsausschusses Knöpfe aller Art vom Juni 1942 fest, dass es das Ziel des Arbeitsausschusses sei, „mit möglichst wenig
57 Volkhard Laitenberger, Ludwig Erhard. Der Nationalökonom als Politiker. Mit einem Vorwort von Helmut Kohl, Göttingen/Zürich 1986, S. 32. 58 Rundschreiben Hermann J. Voigts vom 23.2.1942, BArchB, R 13 XV, Band 209.
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Arbeitskräften unter größtmöglicher Einsparung an Kohle, Kraft und Material eine höchstmögliche Produktion zu erzielen“. Obwohl bei der Aufzählung der „Bedarfsträger“ die Wehrmacht an erster Stelle genannt wurde, hält die Sitzungsniederschrift als Meinung der Anwesenden fest, dass „nicht nur der Wehrmachtsbedarf, sondern auch der zivile Bedarf an Knöpfen“ als „kriegswichtig“ anzusehen sei.⁵⁹ Dies ist aber nicht so recht gelungen. Denn der zeitweise vorgesehene Einsatz von russischen Zwangsarbeitern im Bereich „Wehrmacht und allgemeines Gerät“ wurde „abgeblasen“, da „die Russen [. . . ] vorerst für die reine Rüstungsindustrie eingesetzt“ werden sollten.⁶⁰ Seit Anfang 1943 stand die Produktionsplanung für Knöpfe und Reißverschlüsse im Vordergrund aller Überlegungen über das weitere Procedere. In Bezug auf die Knopfindustrie stellte sich heraus, dass sich der Wehrmachtsbedarf „zahlenmäßig“ erfassen ließ, nicht jedoch der Bedarf „des Handwerks und der Haushaltungen“. Insgesamt war ein Mangel in sämtlichen Bereichen zu konstatieren.⁶¹ Nicht viel anders sah es bei den Reißverschlüssen aus. Auch hier zeigte sich, dass es sehr schwer war, die entsprechenden Anforderungen zu erfüllen, obwohl Eschenburg „schon alle Aufträge, die nicht als unbedingt kriegsnotwendig zu bezeichnen“ waren, gestrichen hatte. Um die eingetretenen Engpässe zu beseitigen, sei „mit Hilfe der Reißverschlussindustrie [. . . ] für die Luftwaffe z. B. eine eigene Reparaturwerkstatt eingerichtet worden, um den Bezug von neuen Reißverschlüssen als Ersatzbedarf möglichst einzuschränken“.⁶² Im Januar 1944 verhandelte Eschenburg mit dem Ri-Ri-Werk in Wuppertal, um die Produktion innerhalb „kurzmöglichster Frist“ von Metall- auf Kunststoffreißverschlüsse umzustellen, die „ausschließlich für Wehrmachtszwecke“ eingesetzt werden sollten. Zur Erhöhung der Produktionsziffern wurde neben der Verlagerung von Produktionsstätten auch der Einsatz von „60 Tb-kranke[n] kriegsgefangene[n] Russen“ in Aussicht genommen.⁶³ Anfang Februar 1944 verwahrte sich Eschenburg gegen eine in der Diskussion befindliche Umorganisation der gewerblichen Wirtschaft. Die bisher bestehende Einheit von Knopf- und Reißverschlussindustrie sollte aufgehoben werden. Dem Plan konnte Eschenburg nicht zustimmen, da er die Ansicht vertrat, dass sich die bisherige Zusammenarbeit von Knopf- und Reißverschlussindustrie bewährt
59 Kurze Zusammenfassung über die Ergebnisse der Sitzung des Arbeitsausschusses Knöpfe aller Art am. 10.6.1942, BArchB, R 13 XV, Band. 108. 60 Rundschreiben Eschenburgs vom 31.7.1942, ebenda. 61 Aktennotiz über eine Sitzung der Reichsstelle Glas, Keramik, Holz am 21.1.1943, ebenda. 62 Rundschreiben Eschenburgs vom 28.7.1943, BArchB, R 13 XV, Band 104. 63 Eschenburg an den Arbeitsausschuss „Reißverschlüsse“ vom 28.1.1944, ebenda.
118 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich habe.⁶⁴ Durchsetzen konnte er sich hiermit jedoch nicht. Im Frühjahr 1944 erfolgte eine „weitgehende Umorganisation im Bereich der Selbstverwaltungsorgane der Rüstungswirtschaft“. Anfang Mai teilte Eschenburg in einem Schreiben mit, dass die Fachgruppe Knöpfe „in zwei Arbeitsausschüsse geteilt worden sei, nämlich Arbeitsausschuss ,Knöpfe‘ einerseits und Arbeitsausschuss ,Reißverschlüsse‘ andererseits“. Diese gehörten dem Sonderausschuss „Zubehör für Ausrüstung und Ausstattung“ an, der wiederum dem Hauptausschuss „Rüstungsgerät“ unterstehe. Für die „Knöpfe aus künstlichen Stoffen (Kunsthorn, Spritzgussmasse und Pressmasse usw.)“ gelte eine andere Zuordnung, da sie dem Sonderring „Kunststoffgeräte“ zugerechnet würden. Der Kommentar Eschenburgs fiel sarkastisch aus, als er feststellte: „In der internen Organisation ändert sich nichts, da Leiter und Geschäftsführer immer wieder dieselben sind.“⁶⁵ Im Jahr 1944 verschlechterte sich die Rohstofflage immer mehr. Das führte dazu, dass in verstärktem Maße nach Ersatzmaterialien Ausschau gehalten wurde. Bei den Reißverschlüssen stand die „Metallumstellung“ im Vordergrund, was besagte, dass Kunststoff als Ersatzmaterial eingesetzt werden sollte.⁶⁶ In der Knopfherstellung wurde geprüft, inwieweit „Eisenhosenknöpfe durch Glasknöpfe“ oder durch „Knöpfe aus anderen Materialien“ ersetzt werden konnten.⁶⁷ In all diesen Fragen musste Eschenburg zwischen den Anweisungen der Ämter und den Interessen der Firmen vermitteln und außerdem noch hin und wieder den „Feuerwehrmann“ spielen. So klagte er im August 1944 gegenüber einem Unternehmer, dass er einmal eingreifen musste, als von Seiten der Bekleidungsindustrie „schlagartig“ eine „Stilllegungsaktion“ einsetzte, und er ein andermal „unverzügliche Maßnahmen“ treffen musste, als bei einem Kunststoff eine „außerordentliche Verknappung“ eintrat. Es sei ihm „rein zeitlich kaum mehr möglich, zwischen der täglich noch steigenden Aufgabenlast einerseits und gleichzeitigem Vermindern des Personalbestandes andererseits hindurchzukommen“.⁶⁸ Im selben Schreiben klagte er sodann, dass die „Rohstofffrage [. . . ] immer schwieriger“ werde. Die Pressmasse sei „sehr eingeschränkt“ worden. Daraufhin sei der Pressmasseknopf für die „zivile Lieferung verboten“ worden, „desgleichen der Vulkanfiberknopf“. Auch habe sich bei den Kunststoffen allgemein ein „starker Engpass“ ergeben, so dass man „in stärkerem Umfang zweifellos zu Eisen“
64 Eschenburg an den Reichsminister für Rüstung und Kriegsproduktion vom 7.2.1944, ebenda. 65 Eschenburg an die Zentralauftragsstelle vom 4.5.1944, ebenda. 66 Niederschrift über eine Sitzung des Arbeitsausschusses „Reißverschlüsse“ am 29.2.1944, ebenda. 67 Eschenburg an Otto Berning vom 2.3.1944, ebenda. 68 Eschenburg an Alfred Berning vom 21.8.1944, BArchB, R 13 XV, Band 107.
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werde zurückkehren müssen. Seine „ganze Sorge“ gelte zurzeit aber den Anzugund Hosenknöpfen, da es hier den „größten Mangel“ gebe. Daran anschließend unterzog Eschenburg die Planung einer grundsätzlichen Kritik. Es sei ja so leicht „von oben“ zu planen; aber die „meisten von oben gegebenen Anweisungen“ würden „unten niemals durchgeführt“. Er habe sich daher „bis jetzt mit Erfolg [. . . ] einer totalen Planung widersetzt, weil sie zu einer überaus großen Belastung der Firmen und zur außerordentlichen Erweiterung der Verwaltung zwangsläufig führen“ müsse. „Nicht aus Sturheit, sondern aus Erfahrung halte [er] an [s]einer alten Regel fest: keine totale Planung, sondern Sicherung des Bedarfs der Wehrmacht und der übrigen großen Bedarfsträger. Im Übrigen elastische Handhabung der Bedarfsdeckung durch Lieferanweisungen bzw. Lieferverbote bestimmter Artikel für den Inlandsbedarf und für den Export.“⁶⁹ Bis zum Schluss galt jedoch für die von Eschenburg geleitete Dienststelle die Maxime, sich im Rahmen der Vorgaben des NS-Systems zu bewegen. So wurde ein Unternehmer im November 1944 darauf hingewiesen, dass „grundsätzlich der Name einer total bombengeschädigten Fabrik in Veröffentlichungen auch vertraulichen Inhalts nicht genannt werden“ dürfe. Dabei komme es nicht „auf die persönliche Meinung“ an, „sondern auf die Vorschriften, die wir erhalten haben und bei deren Zuwiderhandlungen wir bestraft werden“.⁷⁰ Und in einem Schreiben an eine Firma vom Januar 1945, in dem auf das Verhältnis von Knopfindustrie und Bekleidungsindustrie eingegangen wurde, heißt es, dass der Arbeitsgruppe der Knopfindustrie „die Regelung der Aufgaben weitgehend selbständig überlassen“ sei. Man habe „immer versucht, einen Weg zu finden“, der zu keinem Gegensatz von Knopf- und Bekleidungsindustrie geführt hätte, dabei „aber den Belangen der Knopfindustrie vollauf Rechnung“ getragen. Alles dies – so die abschließende Bemerkung – habe „selbstverständlich in einem volks- und heute kriegswirtschaftlich vertretbaren Rahmen zu geschehen“.⁷¹ Seinen dienstlichen Verpflichtungen kam Eschenburg bis zum bitteren Ende nach. So unternahm er noch im Februar 1945 eine Dienstreise nach Sachsen. In den Tagen der Zerstörung Dresdens durch britische und amerikanische Bomber hielt er sich in der Stadt oder deren Umgebung auf. Da es seinem Büro nicht gelang, eine Verbindung zu ihm herzustellen, war man dort „beunruhigt“ und leitete Nachforschungen ein.⁷² Eschenburg war jedoch nichts passiert. Seine Dienstgeschäfte setzte er auch danach fort. Im März reiste er – worauf bereits kurz
69 Ebenda. 70 Schreiben ohne Unterschrift an die Firma Paul Hübner vom 15.1.1944, ebenda. 71 Schreiben ohne Unterschrift an die Firma Karl Strauss vom 23.1.1945, ebenda. 72 Schreiben an Direktor Pause (Dresden) vom 16.2.1945, ebenda.
120 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich hingewiesen wurde – zu Schlichtungsverhandlungen zwischen den Ri-Ri-Werken und der Firma Gusmus aus Schweden nach Zürich und Mendrisio.⁷³ Eschenburgs Erinnerungen zufolge scheiterten die Verhandlungen bereits nach kurzer Zeit. Eine Rückkehr nach Deutschland sei aber nicht möglich gewesen, da die „rasch vordringenden Alliierten die Grenze für Deutsche gesperrt hatten“. So sei er gezwungen gewesen, bis Mitte Juni 1945 in der Schweiz zu bleiben.⁷⁴ Es ist bereits thematisiert worden, dass Eschenburg im Dritten Reich ein sehr gutes Einkommen bezogen und dementsprechend bis in den Krieg hinein ein Leben in großem Wohlstand geführt hat. Schon als Junggeselle verfügte er über eine Haushälterin.⁷⁵ Außerdem besaß er bereits in dieser Zeit einen eigenen PKW. Obwohl er die Führerscheinprüfung erfolgreich abgelegt hatte, war auch ein Chauffeur bei ihm angestellt. 1932 und 1933 verbrachte er Urlaube in Genua, Mailand und Venedig.⁷⁶ Die privaten Auslandsreisen setzte Eschenburg auch fort, nachdem er am 30. Juni 1934 geheiratet hatte. Bei der Auserwählten handelte es sich um Erika Kempf, die er im Haus eines jüdischen Bekannten, des Direktors der Städtischen Gas- und Elektrizitätswerke Robert Kaufmann, kennen gelernt hatte. Erika Kempf war die Tochter eines im Remstal bei Stuttgart ansässigen württembergischen Textilfabrikanten. Sie hatte Jura studiert und 1932 das Referendar-Examen abgelegt. Eine angemessene Anstellung verweigerte ihr der nationalsozialistische Staat aus ideologischen Gründen, so dass sie zunächst als Sekretärin arbeiten musste. In dieser Situation traf sie Eschenburg zufällig in einer U-Bahn-Station. Dabei konfrontierte sie ihn mit der Frage, ob er nicht eine Stellung für sie habe. Da sie Eschenburg für eine „sehr gescheite, sehr tüchtige junge Frau“ hielt, stellte er sie nach kurzer Überlegung als Sachbearbeiterin in seinem Kartellbüro ein – zunächst gegen den Willen seines Sozius Cohn, der „Frauen als Berufswesen“ gehasst habe. Wie aus diesem Dienstverhältnis eine Liebesbeziehung und schließlich eine Ehe entstand, ist in den Memoiren ausführlich dargestellt worden.⁷⁷ Wesentlich knapper hat sich Eschenburg gegenüber Siedler und Fest geäußert: „Dann habe ich sie eines Tages geheiratet. Aber ich habe sie nicht geholt, um sie zu heiraten. Das hat sich erst dann ergeben.“ Sie habe zunächst weiter im Büro gearbeitet und sei erst nach der Geburt des ersten Kindes ausgeschieden. Ihre politische Orien-
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Anlage zum Fragebogen Eschenburgs vom 15./26.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 80. Mitteilung von Christine Eschenburg. Anlage zum Fragebogen Eschenburgs vom 15./26.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 29–32.
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tierung beschrieb Eschenburg mit den Worten: „Sie war noch etwas liberaler als ich.“⁷⁸ Diese Aussage war wohl etwas euphemistisch. Denn Erika Kempf hatte als Sekretärin bis zu deren Auflösung bei den Gewerkschaften gearbeitet. Als Studentin soll sie darüber hinaus einer linkssozialistischen Studentenorganisation angehört haben.⁷⁹ Den Bund fürs Leben schlossen die Eschenburgs mit einer Heiratserlaubnis der SS, die er ohne ärztliche Untersuchung seiner Braut bekommen habe, am 30. Juni 1934. Dieser Termin erwies sich als eine gute Wahl, denn er bewahrte Eschenburg davor, dass er in die Mordaktionen der SS beim sogenannten „Röhmputsch“ einbezogen wurde. Ohne Kenntnis dieser Vorgänge wurde die Vermählung, die nur standesamtlich erfolgte, in einer „wunderbare[n] Villa“ an einem der Berliner Seen gefeiert, die dem Sozius Cohn gehörte, der neben Ernst Rowohlt auch als Trauzeuge fungierte. Noch am selben Tag seien sie vom Lehrter Bahnhof zur Hochzeitsreise nach Heiligendamm abgereist. Bereits auf der Fahrt zum Lehrter Bahnhof sei ihnen die hohe Präsenz von Reichswehreinheiten mit „Maschinengewehren und Panzer[n]“ aufgefallen, auf die sie sich keinen rechten Reim hätten machen können. Auf einer Zwischenstation auf dem Weg nach Heiligendamm erhielten sie die ersten Hinweise auf die Vorgänge um Röhm. Am nächsten Tag hätten sie Jagd auf die „Zürcher Zeitung“ gemacht und auch ein Exemplar erhalten, in dem nähere Einzelheiten enthalten waren. Die Tage danach schilderte Eschenburg 1984 wie folgt: „Die Frage war, sollte ich bleiben oder nicht, und da sagte ich, erst mal abwarten. [. . . ] Wir gingen also spazieren, aber am dritten Tag wurde mir die Sache doch mulmig und ich fuhr nach Hause in die Wohnung, die wir schon zuvor bezogen hatten, und merkte die dicke Stimmung im Büro; da hatte ich ja auch eine ganze Reihe von Nazis sitzen.“ Erst jetzt habe er schriftlich seinen Abschied bei der SS eingereicht.⁸⁰ Nach dieser dramatischen Zuspitzung normalisierte sich das Leben bald wieder. Eschenburgs bisherige Haushälterin stand auch noch dem jungverheirateten Ehepaar einige Zeit zur Seite. Nach deren Ausscheiden übernahm eine Köchin namens Bertha das Regiment. Sie blieb den Eschenburgs bis in die Nachkriegszeit erhalten.⁸¹ Bis 1938 unternahm das Paar etliche Urlaubsreisen in das Ausland. Ziele waren Italien (Venedig, Neapel, Genua und Sizilien), die Schweiz (Arosa, Zürich und Genf) und Jugoslawien.⁸² In den ersten Jahren der Ehe sorgte Erika
78 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278. 79 Mitteilung von Gerhard Lehmbruch. 80 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. 81 Mitteilung von Christine Eschenburg. 82 Anlage zum Fragebogen Eschenburgs vom 15./26.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480.
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Abb. 7. Theodor Eschenburg mit Tochter Ellen (ca. 1937).
Eschenburg dafür, dass Bilder moderner Künstler angeschafft wurden. Es waren Werke von Emil Nolde, Max Pechstein, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff. Gegenüber Siedler und Fest betonte Eschenburg, dass der Erwerb der Bilder noch in eine Zeit gefallen sei, als keiner von den erwähnten Malern zu den „entarteten Künstlern“ gezählt habe. Eine Ausnahme seien die Werke gewesen, die er von Ernst Wilhelm Nay gekauft habe. Dies habe er auf Bitten des mit ihm befreundeten Kunsthistorikers Carl Georg Heise getan, der ihn auf die Not Nays hingewiesen habe.⁸³ Ab 1935 trat im Leben des Paares dann eine grundlegende Veränderung ein. Im September des Jahres kam die erste Tochter Ellen zur Welt; im Oktober 1939 folgte die zweite Tochter Christine. Zu diesem Zeitpunkt wohnte die Familie in einem eigenen Haus in Berlin Zehlendorf, das man durchaus als „anmutige Villa“ bezeichnen kann⁸⁴. Der Voreigentümer dieser Immobilie war der angesehene Rechtsanwalt Ernst Wolff, der von 1929 bis zur Machtübernahme durch die Nationalsozialisten Präsident der Berliner Rechtsanwaltskammer und Vorsitzender der Vereinigung der Vorstände der deutschen Anwaltskammern war. Kurz nach dem Machtantritt haben die Nationalsozialisten Wolff, der jüdischer Abstammung war, als Kammerpräsident abgesetzt, ihn 1935 als Notar entlassen und ihm 1938 die Zulassung als Rechtsanwalt entzogen. Der nach der Reichspogromnacht drohenden Verhaf-
83 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278. 84 So die Unterschrift unter einer Abbildung des Hauses in Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 59.
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Abb. 8. Theodor Eschenburg schlafend (ca. 1938).
Abb. 9. Theodor Eschenburg mit Tochter Ellen (ca. 1938).
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Abb. 10. Das Ehepaar Eschenburg (ca. 1940).
Abb. 11. Die Villa in Berlin.
tung wusste er sich zu entziehen. Im Januar 1939 emigrierte er nach London.⁸⁵ Die oben angesprochene „anmutige Villa“ wechselte im Juni 1939 den Besitzer. Als Generalbevollmächtigter handelte anstelle des emigrierten Wolff Rechtsanwalt Georg Heinrich Maier, der ein enges Verhältnis zu Ernst Wolff besaß, aber auch – worauf bereits hingewiesen wurde – mit Eschenburg gut bekannt war, da Maiers Frau Hedwig in seinem Büro arbeitete und Maier selbst für Eschenburg anwaltschaftlich tätig geworden war. Dieser hat 1984 erklärt, dass er das Haus
85 Lang, Eschenburg, das Dritte Reich und die Juden.
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„ganz ordnungsgemäß“ gekauft habe, „ohne einen Pfennig zu drücken“.⁸⁶ Aufgrund von Briefen Eschenburgs aus den 1950er Jahren ergibt sich, dass er das Haus zu einem Preis von 85.000 Reichsmark erworben hatte. Der Preis lag mit ca. 43 % deutlich über dem damaligen Einheitswert von 59.300 Reichsmark. Dies war erheblich mehr, als zu dieser Zeit z. B. in Köln für arisiertes Privateigentum gezahlt wurde.⁸⁷ Es ist davon auszugehen, dass der Eigentumswechsel von Wolff auf Eschenburg, bei dem es sich um eine „Arisierung“ gehandelt hat, im Einvernehmen erfolgt ist. Welchen Anteil des Kaufpreises Ernst Wolff erhalten hat, ist nicht festzustellen. Er und sein Bruder Bernhard, die nach dem Krieg nach Deutschland zurückkehrten, blieben Eschenburg zeitlebens ebenso verbunden wie Hedwig Maier. Sie alle sind auf dem Bergfriedhof von Tübingen beigesetzt worden. Eschenburg fand sein Grab nur wenige Meter entfernt von ihnen.⁸⁸ Das Glück der Familie in ihrem neuen Heim währte jedoch nicht lange. Im März 1943 wurde es „bei einem Luftangriff so schwer beschädigt, dass es nicht mehr bewohnbar war“.⁸⁹ Daraufhin kam die Familie vorübergehend in einem Haus in der Nachbarschaft unter, das Cäsar von Hofacker gehörte, den Eschenburg aus Tübingen kannte. Im Haus Hofackers war Platz, da dessen Familie bereits evakuiert worden war. Im Herbst des Jahres wurde auch Eschenburgs Frau mit den beiden Töchtern und der Köchin nach Altaussee im Salzkammergut evakuiert. Erika Eschenburg war zu dieser Zeit hochschwanger. Ende Oktober gebar sie ihre dritte Tochter im Evangelischen Diakonissenhaus in Salzburg. Die Geburtsanzeige, die Eschenburg an Freunde verschickte, war ungewöhnlich. Da es laut Anordnung der Reichsstelle für Papier verboten war, Glückwunschkarten oder auch Karten mit Geburtsanzeigen zu versenden, wurde die Geburt der neuen Erdenbürgerin Ulrike Eschenburg mit Dienstschreiben „in eigener Angelegenheit“ bekannt gemacht. Das Schreiben war so abgefasst, als ob Ulrike die Verfasserin wäre: Ihr Name stand im Briefkopf und am Ende hieß es „gez. Ulrike Eschenburg“. „Für die Richtigkeit“ bürgte „der Vater: Eschenburg“.⁹⁰ Als Wohnung diente den nunmehr fünf Personen ein Zimmer auf einem Bauernhof.⁹¹ Dem in Berlin gebliebenen Familienoberhaupt ging es da schon etwas besser. Auch er hatte ein neues, kleineres Domizil bezogen, das sich ebenfalls in der Nachbarschaft zu Eschenburgs früherem Haus befand. Aber die neue Wohnung bestand
86 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. 87 Vgl. Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“, S. 437f. Dort auch die Belege. 88 Lang, Eschenburg, das Dritte Reich und die Juden. 89 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 68. 90 Schreiben von Ulrike Eschenburg vom 6.11.1943, ACDP, 01 – 105 – 011/7. 91 Mündliche Mitteilung von Christine Eschenburg.
126 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich immerhin noch aus „Wohnzimmer, Schlafzimmer, Badezimmer und Toilette“.⁹² Einen Einschnitt in Eschenburgs Lebensführung war jedoch, dass man ihm zu dieser Zeit bereits sein Auto „weggenommen“ hatte. Er sei damals „noch nicht so kriegswichtig“ gewesen, dass er „den Wagen hätte behalten können“.⁹³ Diese Formulierung lässt offen, ob er später, als sein Büro offensichtlich kriegswichtig geworden war, wieder über ein Auto verfügt hat. Seit Beginn des Krieges verschlechterte sich die Versorgungslage bei allen Gütern des täglichen Bedarfs deutlich. Hiervon waren auch die Bezieher hoher Einkommen wie Eschenburg betroffen, da es viele Güter – angefangen von Lebensmitteln bis zur Bekleidung – nur noch auf Marken gab. Ingeborg MalekKohler, die damalige Frau Engelsings, hat diese Verknappung in ihren Erinnerungen mit den Worten festgehalten: „Alles wird rationiert. Waren verschwinden aus den Auslagen. Lebensmittelkarten werden verteilt, Bekleidungskarten folgen.“⁹⁴ Unter diesen Bedingungen erlangten die Auslandsreisen für Eschenburg eine ganz neue Bedeutung. Vor allem seine Reisen in die Schweiz nutzte er nunmehr auch „für den Einkauf von dringend benötigten Gebrauchswaren“, wie z. B. Schuhen, Strümpfen und Hemden. Da die Ausfuhr von neuen Produkten dieser Art aus der Schweiz nach Deutschland verboten war, habe er sich etwas einfallen lassen, um die Kleidungsstücke zu präparieren, sie also so aussehen zu lassen, als ob sie bereits seit längerer Zeit in Gebrauch gewesen seien.⁹⁵ Um Kenntnis über Eschenburgs politische Einstellung im Dritten Reich zu erhalten, ist es hilfreich, sich den Freundeskreis und das gesellschaftliche Umfeld anzuschauen, in dem sich er und seine Frau bewegten. Da schriftliche Dokumente hierüber aus der Zeit selbst nicht vorliegen, bleibt nur der Rückgriff auf Erinnerungen. Dass damit quellenkritische Probleme verbunden sind, ist evident. Gleichwohl soll der Versuch unternommen werden, einen entsprechenden Überblick zu gewinnen, wobei nicht nur Eschenburgs Erinnerungen, sondern auch die anderer Personen berücksichtigt werden. Eine enge Freundschaft verband Eschenburg mit dem bereits erwähnten Herbert Engelsing, zunächst Justitiar und dann Herstellungsgruppenleiter von Tobis, einer großen Filmproduktionsgesellschaft im Dritten Reich. Eschenburg zufolge hat sich dieser frühzeitig der NSDAP mit der Begründung angeschlossen, dass man „sich einem solchen Regime äußerlich anpassen [müsse], um die eigene
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Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. Ebenda. Malek-Kohler, Im Windschatten, S. 181 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 67f.
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Substanz zu wahren“⁹⁶. Engelsing war mit einer in der NS-Terminologie sogenannten „Halbjüdin“ liiert, die zu heiraten, ihm zunächst verwehrt wurde. Erst nach längerem Hin und Her und dank der Hilfestellung einiger einflussreicher Beamter, darunter wohl auch Hans Globke, der mit Engelsing seit gemeinsamen Schulzeiten befreundet war, erhielten die Engelsings Ende 1937 die Heiratserlaubnis. Trauzeugen waren Theodor und Erika Eschenburg, die von der Frau Engelsings, die 1939 die Patenschaft von Eschenburgs zweiter Tochter übernahm, in ihren Erinnerungen zu den „engsten“ bzw. „besten Freunden“ in der damaligen Zeit gezählt werden.⁹⁷ Die enge Beziehung wird in den Memoiren Eschenburgs bestätigt, in denen darüber hinaus über die Einladungen im Haus der Engelsings berichtet wird, zu denen jeweils ein größerer Kreis zusammengekommen sei. Der „Umgangston“ und die „Art der Geselligkeit“ seien so gewesen, als ob „die Zeit vor der Machtergreifung“ fortgedauert habe. In den Gesprächen zwischen Beamten, Anwälten und Schauspielern habe man den Eindruck gewinnen können, als ob das Dritte Reich nicht existiere. Eschenburg erinnert sich an „eine Atmosphäre ungezwungener, gesellschaftlicher Solidarität, in die selbst Parteimitglieder einbezogen waren“. An einen „wirklich überzeugten Nazi im Hause Engelsing“ könne er sich jedoch nicht erinnern.⁹⁸ Dagegen freundeten sich die Engelsings mit Harro und Libertas Schulze-Boysen an, die dann auch als deren Gäste bei den gesellschaftlichen Einladungen zugegen waren. Beide gehörten der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ an und wurden im Dezember 1942 hingerichtet. Die Verhaftung der beiden hatte das Ehepaar Engelsing überrascht. Denn trotz der engen Freundschaft und häufigen Besuche hatte sie Harro Schulze-Boysen „so gut wie nichts von seiner politischen Aktivität“ wissen lassen.⁹⁹ Als die „vielleicht wichtigste Beziehung“ nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten bezeichnet Eschenburg in seinen Memoiren sein Verhältnis zu Paul Scheffer. Das war in den Jahren der Weimarer Republik ein angesehener Auslandskorrespondent des „Berliner Tageblatts“, der vor allem aus Moskau berichtet hatte, wo er in engem Kontakt zum dortigen deutschen Botschafter Ulrich Graf von Brockdorff-Rantzau stand. 1934 übernahm er als Nachfolger von Bernhard Wolff die Chefredaktion des „Berliner Tageblatts“. In dieser Position bemühte er sich, der Zeitung ihre „Unabhängigkeit zu bewahren“.¹⁰⁰ Um ihn herum bildete sich ein Gesprächskreis, dem neben dem Ehepaar Eschenburg Margret Boveri,
96 Malek-Kohler, Im Windschatten, S. 10. 97 Ebenda, S. 154 und S. 158. 98 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 50. 99 Malek-Kohler, Im Windschatten, S. 185. 100 Neue Deutsche Biographie, Berlin 2005, Band. 22.
128 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich eine junge Journalistin, die Scheffer zum „Tageblatt“ geholt hatte, Alfred Rubinski, Mitglied des Vorstands der Karstadt A. G., und dessen Frau angehörte. Da Scheffer als Chefredakteur Zugang zu ausländischen Zeitungen besaß, war er gut informiert. Eschenburg zufolge habe der Kreis „freimütig die politische Lage“ ausgelotet. Paul Scheffer geriet jedoch zunehmend in Konflikt mit dem Regime, so dass er 1936 als Chefredakteur abgesetzt wurde und im Januar 1937 in die USA ausreiste. Eschenburg gehörte zu den wenigen Freunden, die bei der Abreise des nunmehr „Verfemten“ am Bahnhof erschienen. Als 1939 Rubinski, der jüdischer Herkunft war, nach dem Tod seiner Frau nach Schottland emigrierte, löste sich der Gesprächskreis auf.¹⁰¹ Zu den Freunden zählte auch Ernst Rowohlt, dessen Abendgesellschaften Eschenburg in seinen Memoiren als „unvergleichbar, wohl auch unwiederholbar“ bezeichnet.¹⁰² Bereits zu Zeiten der Weimarer Republik hat er an diesen Abenden teilgenommen und dabei eine ganze Reihe prominenter Zeitgenossen kennen gelernt, die das gesamte politische Spektrum abdeckten. Auch nach Hitlers Machtantritt blieb er mit dem prominenten Verleger, der fast 20 Jahre älter war, in engem Kontakt. In Eschenburgs Memoiren heißt es: „Erhalten blieb meine Freundschaft mit Ernst Rowohlt. [. . . ] Seine Abendfeste [. . . ] setzten sich fort, wie früher waren sie laut, lustig und liefen zumeist auf ein allgemeines Besäufnis hinaus.“ ¹⁰³ Die enge Beziehung zu Rowohlt wird auch dadurch dokumentiert, dass er neben Berthold Cohn Trauzeuge bei Eschenburgs Hochzeit war. Mit dem NS-Regime hatte er zu dieser Zeit bereits ernste Schwierigkeiten, weil es nach der „Machtergreifung“ einen Großteil der in seinem Verlag erschienenen Bücher beschlagnahmt und verbrannt hatte. 1936 wurde ihm mit der Begründung Berufsverbot erteilt, dass er jüdische Schriftsteller tarne; ein Vorwurf, der zutraf. Lieber als die Abendgesellschaften besuchte das Ehepaar Eschenburg Rowohlt in seinem Landhaus, wo sie ebenfalls prominente Zeitgenossen antrafen. Auch hier handelte es sich meist nicht um Sympathisanten des Regimes. Dies war naheliegend, denn Rowohlts politische Einstellung änderte sich nicht, obwohl er 1937 in die NSDAP eintrat. Als Eschenburg das erste Mal das Parteiabzeichen an ihm sah, habe er ihn gefragt, ob er „denn verrückt geworden“ sei. Rowohlt habe das verneint, aber hinzu gesetzt: „Das muss man heute. Ich muss meinen Verlag
101 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 42–47; Zur Verabschiedung Scheffers am Bahnhof auch Margret Boveri, Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler, Olten u. a. 1965, S. 598. 102 Eschenburg, Also hören Sie mal zu, S. 273. 103 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 52.
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machen.“¹⁰⁴ In der Feier zu seinem 50. Geburtstag im Juni 1937, an der es „wie üblich laut und trinkfreudig“ zugegangen sei, habe ein Redner „mit Geist und Galle über das Regime“ hergezogen, dass es dem Ehepaar Eschenburg so „mulmig zumute“ wurde, dass es sich „unauffällig“ auf den Weg nach Hause gemacht hätte.¹⁰⁵ Ein Jahr später emigrierte Rowohlt nach Brasilien, kehrte aber 1940 zurück und meldete sich zur Wehrmacht. In einem seiner Interviews mit Siedler und Fest hat Eschenburg festgestellt, dass die Verbindungen zu alten Freunden im Verlauf des Dritten Reiches „vielfach zerfloss[en]. Die Leute wurden versetzt. Die Leute gingen weg, emigrierten; sie gingen zum Militär, waren auch ängstlicher geworden.“ Die „Geselligkeit sei zwar noch da gewesen“, jedoch „in anderer Form, in anderer Zusammensetzung, aber es fehlte ihr weitgehend die Offenheit“.¹⁰⁶ Diese gab es nur noch in ganz eng vertrauten Zirkeln. In einem solchen hat Eschenburg die letzten eineinhalb Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft gelebt. Ihm gehörten neben ihm selbst die Nachbarn Karl Blessing und Herbert Rohrer an, deren Familien ebenfalls evakuiert waren. Der spätere Bundesbankpräsident Karl Blessing war damals Chef der Kontinental Öl A. G., Herbert Rohrer Generaldirektor von Osram. Zu ihnen zu zählen ist auch noch Karl Guth, Hauptgeschäftsführer der Reichsgruppe Industrie und Schwager von Ludwig Erhard, der ebenfalls bisweilen zu diesem Kreis stieß. Obwohl Blessing, Rohrer und Guth der NSDAP angehörten, wobei ersterer aber zum weiteren Umfeld der Verschwörer des 20. Juli zählte, hat Eschenburg ohne wenn und aber in seinem Memoiren festgehalten, dass alle Genannten wie auch er selbst „Gegner des Regimes“ gewesen seien [. . . ], aber um unseres Berufes und des Überlebens willen unser Auskommen mit den Machthabern und ihren Funktionären suchen“ mussten.¹⁰⁷ Einem der Interviews mit Siedler und Fest ist jedoch zu entnehmen, dass diese Aussage relativiert werden muss, denn hierin betonte er, dass er zwar mit Blessing „alle diese Dinge äußerst offen“ besprechen konnte. Bei Guth und Rohrer machte er jedoch Vorbehalte, da diese lange auf den Sieg des Deutschen Reiches gesetzt und erst allmählich eingesehen hätten, dass „die Dinge immer schwärzer“ wurden.¹⁰⁸ Dazu trugen sicherlich die gemeinsam erlebten Luftangriffe bei, nach deren Ende die Herren reichlich „gute, um nicht zu sagen erlesene Weine, manchmal auch Whisky
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Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 52–55. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 70. Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277.
130 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich und Cognac“ tranken. Die Bestände sollten geräumt sein, „wenn die Russen kämen“.¹⁰⁹ Bei der Lektüre dieser Zeilen hat man den Eindruck, dass Eschenburg im Rückblick die Gefahren des Bombenkriegs für das eigene Leben nicht allzu hoch eingeschätzt hat, während er im Gegenteil dazu betonte, in „ständiger Angst“ vor des Gestapo gelebt zu haben.¹¹⁰ Bei der mit Eschenburg befreundeten Ingeborg Malek-Kohler, der damaligen Frau Herbert Engelsings, gab es ähnliche Gefühle, wobei sie aber die Bedrohung durch Luftkrieg und Gestapo als ähnlich groß empfand. „Wir wissen jetzt nicht“, beschreibt sie die Situation nach der Hinrichtung von Harro und Libertas Schulze-Boysen, „ob wir uns mehr vor der Gestapo oder vor dem Bomben fürchten sollen. Überleben ist zu einer subtilen Geschicklichkeitsübung geworden.“¹¹¹ Das gesellschaftliche Umfeld, in dem sich Eschenburg im Dritten Reich bewegte, bestand aus Personen, die in ihrer Mehrzahl im NS-System Funktionen in der Wirtschaft, im Journalismus, im Verlagswesen oder auch als Schauspieler wahrnahmen, aber bestrebt waren, eine gewisse Distanz zum System selbst aufrechtzuerhalten. Für eine Teilnahme am Widerstand waren sie nicht zu gewinnen. Dies gilt auch für Eschenburg selbst. Er hatte Kontakte zu Personen, die zu dem Kreis der Attentäter auf Hitler am 20. Juli 1944 gehörten, wie z. B. Walter Bauer, dem späteren Patenonkel seiner vierten Tochter, oder den bereits erwähnten Cäsar von Hofacker, in dessen Haus Eschenburgs Familie 1943 vorübergehend Unterschlupf gefunden hatte. Letzterer hatte ihn – wie Eschenburg später berichtete – „vierzehn Tage oder drei Wochen vor dem 20. Juli“ über das Attentat mit den Worten in Kenntnis gesetzt: „Wir müssen jetzt losschlagen, sonst rücken die Alliierten ein und dann ist die Sache verloren.“ Eschenburg habe seine Bedenken geäußert, die Hofacker mit den Worten weggewischt habe: „Es ist alles vorbereitet. Ob es gelingen wird, wissen wir nicht. Es ist der allerletzte Moment.“¹¹² Eschenburg hat einen Widerstand gegen das Hitler-Regime immer für zwecklos gehalten und das in seinen Memoiren im Hinblick auf den 20. Juli damit begründet, dass im Vorfeld der Aktion „zu viele Hinweise und Andeutungen im Umlauf“ gewesen seien, was „in einem Überwachungsstaat wie dem Dritten Reich [. . . ] nicht gutgehen konnte“. Hinzu kamen Zweifel, „ob wirklich die richtigen Leute
109 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 68. 110 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277. Ähnliche Feststellungen durchgehend im entsprechenden Kapitel in: Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch. 111 Malek-Kohler, Im Windschatten, S. 201 f. 112 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest 1984, UAT, 530/277.
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an der Spitze der Verschwörung standen“.¹¹³ Walter Bauer wurde nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler in Haft genommen und zum Tode verurteilt. Offenbar mit Hilfe von Globke gelang es jedoch, die Vollstreckung des Urteils hinauszuzögern, so dass Bauer überlebte.¹¹⁴ Dagegen wurde Cäsar von Hofacker im Dezember 1944 hingerichtet. Zu seiner Vergangenheit im Dritten Reich äußerte sich Eschenburg nach dem Krieg erstmals in mehreren Fragebögen, die er 1945 und 1946 ausfüllte. So charakterisierte er im Oktober 1946 im Fragebogen der französischen Militärregierung sein politisches Verhalten gegenüber den Machthabern des Dritten Reiches mit den Worten „Distanzierung in jeder Beziehung“.¹¹⁵ Dies entsprach in etwa der Einschätzung der von den Amerikanern 1944 erstellten „weißen Liste“, in die die Deutschen eingetragen waren, die als Nazi-Gegner oder zumindest als Nicht-Nazis angesehen wurden. Die Angaben beruhten auf „Aussagen von gutgesinnten Kriegsgefangenen, Flüchtlingen und geheimen Quellen“. Sie waren nicht über jeden Zweifel erhaben und mussten deshalb auch nach Meinung der Verfasser der „Weißen Liste“ „in jedem Fall mit Vorsicht behandelt werden“.¹¹⁶ In der „Weißen Liste“ tauchte auch der Name Eschenburgs auf. Hingewiesen wurde auf seine zeitweise Mitgliedschaft in der SS, aus der er aber ausgetreten und ein heftiger NS-Gegner geworden sei.¹¹⁷ Einen Hinweis auf die zeitweise Mitgliedschaft in der SS sucht man jedoch im genannten Fragebogen, aber auch in zwei Meldebögen vom Oktober 1945¹¹⁸ und vom April 1946¹¹⁹ vergeblich. In den jeweiligen Rubriken hat er die Frage nach der Mitgliedschaft in der SS bzw. in der Allgemeinen SS mit „nein“ beantwortet. Damit machte sich Eschenburg strafbar. So hieß es in dem Meldebogen von Oktober 1945, „dass falsche oder unvollständige Angaben schwere Bestrafung nach sich ziehen können“. Im Meldebogen vom April 1946 findet sich eine ähnliche Formulierung. Hiernach standen „falsche oder irreführende oder unvollständige Angaben“ unter der Androhung einer Gefängnis- oder Geldstrafe. Nicht viel anders hieß es im Fragebogen vom Oktober 1946, „dass jegliche Auslassung oder
113 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 72. 114 Ebenda, S. 49. 115 Fragebogen Eschenburgs vom 15./24.10.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 116 Henric L. Wuermeling, Die weiße Liste. Umbruch und politische Kultur in Deutschland 1945, Berlin u. a. 1981, S. 21. 117 Ebenda, S. 291. 118 Partei-Nachweis Eschenburgs bei der Gemeinde Plochingen vom 31.10.1945, Stadtarchiv Plochingen, A 1127. 119 Meldebogen Eschenburgs bei der Gemeinde Plochingen vom 25.4.1946, StAL, EL 901/Bü 146.
132 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich falsche und unvollständige Angabe ein Vergehen [. . . ] darstellt und mich [d. h. denjenigen, der den Fragebogen ausfüllt] der Anklage und Bestrafung aussetzt“. Im Widerspruch zu seinem persönlichen Verhalten stehen Eschenburgs „Grundsätze der Denazifizierung“ in den „Überlegungen zur künftigen Verfassung und Verwaltung in Deutschland“, die er in den letzten Oktobertagen in Plochingen abschloss.¹²⁰ In ihnen heißt es: „Jede Person, die Mitglied der NSDAP, der SS [. . . ] vor dem ersten Mai 1937 war bzw. zweien oder mehrerer Organisationen bzw. der SS angehört hat, ist vom passiven Wahlrecht sowie der Bekleidung folgender öffentlicher Ämter und Stellungen ausgeschlossen.“¹²¹ In der daran anschließenden Aufzählung wurden u. a. oberste Behörden der Länder genannt, d. h. z. B. die Regierung von Württemberg-Hohenzollern, in der Eschenburg eine Woche nach seinem Denazifizierungsvorschlag die Stelle des Flüchtlingskommissars übernahm. Eschenburgs Grundsätze zur Denazifizierung und die Angaben zu seiner eigenen Person, d. h. das Verschweigen seiner zeitweiligen SS-Mitgliedschaft, sind nur schwer in Übereinstimmung zu bringen. Da er davon ausgehen musste, dass er damit jederzeit auffliegen konnte, war sein Vorgehen mit einen nicht geringen Risiko behaftet. Warum er dieses eingegangen ist, kann auf der Grundlage der vorhandenen Quellen nicht geklärt werden. Sein damaliges Schweigen über seine SS-Mitgliedschaft erklärt aber vielleicht, warum er Jahrzehnte verstreichen ließ, bis er mit seinem Bekenntnis, dieser Organisation angehört zu haben, an die Öffentlichkeit ging. Auch ansonsten hielt sich Eschenburg mit öffentlichen Äußerungen über sein Leben im Dritten Reich lange Zeit zurück. Dagegen gab er hierüber in einem Brief aus dem November 1968 Auskunft, in dem es hieß: „Ich war nicht Parteimitglied, bin aber nicht im Dritten Reich verfolgt worden, wenn ich auch eine Reihe von Unannehmlichkeiten und Peinlichkeiten miterleben musste, die aber nicht des Aufhebens gegenüber den Leiden anderer wert sind.“¹²² Wenn Eschenburg in den Jahren ab 1960 in der Öffentlichkeit zum Leben im Dritten Reich Stellung bezog, dann tat er dies in Beiträgen zu anderen, die ebenfalls in die Politik des Systems eingebunden waren, in aller Regel in weitaus prominenterer Stellung als er selber. Dabei handelte es sich um Hans Globke, damals Ministerialrat im Reichsinnenministerium, später langjähriger Staatssekretär im Bundeskanzleramt unter Adenauer, um Lutz Graf Schwerin von Krosigk, von 1932 bis zum Ende des Krieges
120 Wolfgang Benz, Staatsneubau nach der bedingungslosen Kapitulation. Theodor Eschenburgs „Überlegungen zur künftigen Verfassung und Verwaltung in Deutschland“ vom Herbst 1945, in: VfZ 33 (1985), S. 166–213. 121 Ebenda, S. 183. 122 Eschenburg an Johannes Kleifeld vom 4.11.1968, UAT, 530/21.
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Reichsfinanzminister, und um Ernst von Weizsäcker, von 1938 bis 1943 Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Sie alle verteidigte er in viel gelesenen Artikeln und warf ihren Kritikern vor, deren Situation im Dritten Reich nicht erkannt zu haben. Dabei ging er so weit, eine Vetoposition der Zeitzeugen zu beanspruchen, da diejenigen, die die Realität des Dritten Reiches nicht erlebt hätten, nicht in der Lage seien, die Lebenssituation der damaligen Akteure zu verstehen und damit angemessen beurteilen.¹²³ Zu seiner eigenen Lebensgeschichte im Dritten Reich äußerte sich Eschenburg erst zu Beginn der 1980er Jahre in den Interviews mit Siedler und Fest ausführlich. Veröffentlicht wurde dieser Lebensbericht kurz nach seinem Tod.¹²⁴ Die Authentizität dieser Publikation ist aber zweifelhaft, da sie von Eschenburg nicht mehr autorisiert worden ist, und die Vorlage für die Veröffentlichung, die von Hermann Rudolph formuliert worden ist, von „recht fragmentarischer Fassung“ war.¹²⁵ Deshalb kommt dem von Eschenburg verfassten Vorwort zu den Erinnerungen seiner engen Freundin Ingeborg Malek-Kohler, im Dritten Reich die Frau Herbert Engelsings, besonderes Gewicht zu. Denn es ist offensichtlich, dass er in diesem Text auch das eigene Leben in der NS-Diktatur im Blick hatte. Dies geht bereits aus dem Satz hervor: „Nicht Weniges habe ich in Kummer, aber auch in Glück miterlebt.“ Daran schloss Eschenburg die Feststellung, dass in den Erinnerungen „wirklichkeitsnah und anschaulich vom Persönlichen her das private Milieu beschrieben“ werde. Dass Eschenburg in dieser Schilderung auch das eigene Erleben eingefangen sah, ergibt sich aus dem weiteren Text, in dem er die Existenz seines engen Freundes im Dritten Reich wie folgt umschrieb und dabei auch leicht erkennbar sich selbst einbezog: „Das Leben in wirtschaftlich, beruflich und gesellschaftlich gehobener Position wird erzählt, über einen Ehemann, der nicht im Zentrum der Politik gestanden, wohl aber in einem wichtigen Randgebiet der damaligen Politik gewirkt hat. An dem Leben dieser Familie, deren Freundes- und Bekanntenkreis, eben deren gesellschaftlicher Umgebung, ist das Charakteristische, dem Nationalsozialismus nahe sein zu müssen und ihm doch fernzubleiben, um in einer getarnten inneren Emigration auszuharren.“¹²⁶ Die Ambivalenz der eigenen Existenz in der NS-Diktatur hat Eschenburg mit diesen wenigen Sätzen treffend charakterisiert. Allein der Gebrauch des Bergriffs der „inneren Emigration“ mag manchen im Hinblick auf Eschenburg als problematisch erscheinen. Die lexikalische Definition des Begriffs lässt es
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Dazu ausführlich Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“, S. 420–426. Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 9–82. Ebenda, S. 285. Malek-Kohler, Im Windschatten, S. 14.
134 | Wirtschaftspolitischer Amtsträger im Dritten Reich aber zu, dessen Verhalten im Dritten Reich als „innere Emigration“ zu bezeichnen. Denn diese wird hiernach als „eine politisch umstrittene Form des Widerstands“ beschrieben, „die bei äußerer Erfüllung öffentlicher Pflichten persönliche politische Vorbehalte entwickelt und sie allenfalls im Kreis Gleichgesinnter artikuliert“.¹²⁷
127 Brockhaus-Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. Neunzehnte, völlig neu bearbeite Auflage, Mannheim 1988, Sechster Band, S. 345.
In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern Es hat nur wenige Monate gedauert, bis Eschenburg eine Anstellung in der Politik im Nachkriegsdeutschland gefunden hatte. Doch zunächst einmal verbrachte er einige Wochen in amerikanischer und französischer Haft. Denn als er im Juni 1945 aus der Schweiz ausreisen durfte und sich zu seiner Familie in Österreich durchschlagen wollte, wurde er festgenommen und erst nach gründlicher Überprüfung seines Falls wieder freigelassen. Erst danach gelang ihm die Reise nach Altaussee zu seiner evakuierten Familie.¹ Da in Österreich aber für ihn keine Erwerbsmöglichkeiten bestanden, wollte er nach Deutschland zurück. Ohne Ausreisegenehmigung machte er sich mit einem Ortskundigen zu Fuß auf den Weg über die Grenze bei Rosenheim. Von da ging es auf dem Kohlewagen eines Güterzuges nach Heidenheim. Dort traf er seinen alten Freund aus Tübinger Tagen, Werner Plappert. Anschließend reiste er in das Remstal weiter, wo seine Schwiegereltern wohnten.² Hier angekommen hatte Eschenburg zunächst das Bedürfnis, „die eigenen Gedanken zu ordnen und sich eine Vorstellung von den konkreten Möglichkeiten der Wiederherstellung eines deutschen Staates zu machen“. So entstand eine knapp 60 Seiten umfassende Ausarbeitung, die er mit der Überschrift „Überlegungen zur künftigen Verfassung und Verwaltung in Deutschland“ versah und die er am 24. Oktober 1946 abschloss. Obwohl sich der Verfasser der Vorläufigkeit seiner Aufzeichnung bewusst war, die während ihrer Abfassung „schon durch die Ereignisse überholt“ wurde, nahm er keine Änderungen vor, „weil die Absicht bestand, eine geschlossene Entwicklungsreihe zu zeigen“. Es ging ihm darum, den Verlauf von der Okkupation zur Souveränität Schritt für Schritt aus der Perspektive vom Herbst 1945 darzustellen. Dies kann hier nicht im Einzelnen nachvollzogen werden. Es müssen einige Stichworte genügen. Thematisiert wurden die durch die Militärdiktatur der Alliierten gezogenen Rahmenbedingungen, der Aufbau demokratischer Institutionen von unten nach oben ohne die Bildung von Parteien traditionellen Zuschnitts, Aufbau der Verwaltungsapparate in Ländern und Gemeinden, der zivilen Gerichtsbarkeit und der Strafgerichtsbarkeit, Ermöglichung des Verkehrs zwischen den Besatzungszonen und Ablösung der Militärregierung durch eine Zivilverwaltung. Sehr eingehend behandelte Eschenburg die Denazifizierung, für die er knappe zeitliche Fristen vorschlug, und ebenso setzte er sich ausführlich mit einer Länderneugliederung
1 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 81f. 2 Ebenda, S. 83.
136 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern auseinander, da es aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit notwendig sei, möglichst Länder gleicher Größe zu schaffen. Durchgehend ist das Misstrauen gegenüber der politischen Vernunft des deutschen Volkes zu greifen. Seine Vorschläge für eine vorläufige Verfassung, die sich an der Weimarer Verfassung orientierten, sprechen in dieser Hinsicht Bände. Der Bundestag sollte nicht durch das Volk, sondern zur einen Hälfte von den Landtagen gewählt, zur anderen Hälfte von den Landesregierungen ernannt werden. Eine Wahl durch das Volk wollte der Verfasser erst nach Ablauf von fünf Jahren in Aussicht nehmen. Die zentrale Stellung war für den Bundespräsidenten vorgesehen, der als „Wächter der Verfassung“, von den Besatzungsmächten ernannt, im Wesentlichen alle die Zuständigkeiten haben sollte, die schon der Reichspräsident besessen hatte – einschließlich des Notverordnungsrechts. Als einen gewissen Gegenpol sprach sich Eschenburg für die Einrichtung eines Bundesgerichts als „Hüter der Verfassung“ aus. Dennoch ist auffällig, wie stark die Exekutive ausgestaltet werden sollte. Obwohl das Werk von Alfred Weber über die Führerdemokratie, das Eschenburg schon in der Weimarer Republik beeindruckt hatte und auf das er später immer wieder zu sprechen kam, expressis verbis nicht genannt wurde, ist der Bezug hierauf deutlich zu erkennen. Abschließend fasste Eschenburg sein politisches Credo in dem Satz zusammen: „Die Institution ist Subjekt und Objekt der Politik in ständiger Wechselwirkung.“ Da dem deutschen Volk – wie die jüngste Vergangenheit gezeigt habe – der „politische Instinkt“ abgehe, komme der „deutschen Inneneinrichtung“ „umso größere Bedeutung zu“. Deshalb müsse man sich bemühen, „Konstruktionsfehler in der Innenarchitektur des Staatsneubaus zu vermeiden“, denn „gute Konstruktion und Ausführung der politischen Institutionen“ seien „die Voraussetzung für eine bessere politische Entwicklung“.³ Noch aus seiner beruflichen Tätigkeit während des Dritten Reiches kannte Eschenburg einen Unternehmer, der unweit des Domizils der Schwiegereltern, nämlich in Plochingen, eine „moderne mittelgroße Firma“ aufgebaut hatte. Dabei handelte es sich um die „Kunstharz-Presserei Schwaben“. Deren Inhaber, Otto Single, war NSDAP-Mitglied gewesen und daher nicht mehr befugt, die Firma zu leiten. Eschenburg kam ihm da gerade recht. Er konfrontierte ihn mit dem Vorschlag, den Betrieb vorübergehend als Pächter zu übernehmen. Obwohl Eschenburg anscheinend anfangs Bedenken geltend gemacht hat⁴, akzeptierte er schließlich das Angebot Singles und spielte offensichtlich über einen länge-
3 Benz, Staatsneubau, S. 213. 4 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 84.
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ren Zeitraum hinweg die Rolle des „Strohmannes“.⁵ Single ist erst Ende Februar 1947 erlaubt worden, „in seinem eigenen Betrieb als Konstrukteur und sachbearbeitender Ingenieur“, allerdings „in nicht leitender oder aufsichtsführender Stellung“, zu arbeiten.⁶ Wann diese Restriktion fallen gelassen wurde und Single wieder Chef in der eigenen Firma wurde, ist nicht bekannt. Für Eschenburg war dieses Arrangement schon deshalb vorteilhaft, weil ihm Single eine Wohnung zur Verfügung stellte, in die seine bis dahin in Altaussee evakuierte Familie am 1. April 1946 einziehen konnte.⁷ Zu diesem Zeitpunkt war Eschenburg bereits seit Monaten Landeskommissar für das Flüchtlingswesen im Staatssekretariat von Württemberg-Hohenzollern. Dieses war am 16. Oktober 1945 von der französischen Militärregierung eingesetzt worden. Der an seine Spitze berufene SPD-Politiker Carlo Schmid gehörte als quasi „nomineller Staatsrat“ auch der Landesregierung von Württemberg-Baden an, um die Verbindung zwischen Stuttgart, das in der US-Zone lag, und Tübingen auch über die Landesgrenzen aufrechtzuerhalten.⁸ Das Finanzressort im Tübinger Staatssekretariat übernahm Paul Binder, Eschenburgs alter Weggefährte aus der Zeit der Weimarer Republik. In Eschenburgs Memoiren findet sich eine anekdotenhaft ausgeschmückte Darstellung der Vorgänge, die zu seiner Ernennung zum Landeskommissar für das Flüchtlingswesen führten.⁹ Hieran ist wohl so viel richtig, dass Binder dabei eine maßgebliche Rolle spielte. Denn dieser hatte noch am Tag seiner Berufung in das Staatsekretariat versucht, einen Vetter für ein „Regierungsamt“ anzuwerben.¹⁰ Es liegt daher nahe, dass er auch Eschenburg angesprochen hat, den er so lange kannte und der ihm seine „Überlegungen zur künftigen Verfassung“ wohlweislich zugänglich gemacht hatte. Außerdem brachte dieser nach Meinung Binders – wie Eschenburg berichtet – Vorkenntnisse mit, da ein Großteil der Flüchtlinge aus den Gebieten kam, wo die Fabrikanten zu Hause waren, die Eschenburgs Büro während des Dritten Reichs betreut hatte.¹¹ In ihrer vierten Sitzung entschieden die Landesdirektoren, Eschenburg zum Flücht-
5 Otto Single an den Prüfungsausschuss bei der Militärregierung Esslingen vom 5.11.1945, Kreisarchiv Esslingen, E1/Bü 1043. 6 Vermerk vom 22.2.1947, Stadtarchiv Plochingen, A 1131. 7 Antrag Eschenburgs auf Bewilligung einer Trennungsentschädigung 12.7.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 8 Klaus-Jürgen Matz, Reinhold Maier (1889–1971). Eine politische Biographie, Düsseldorf 1989, S. 204. 9 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 84–87. 10 Binder an seinen Vetter Odilo vom 16.10.1945, ACDP, 01-105-014/1. 11 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 85.
138 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern lingsbeauftragten zu berufen.¹² Mit der Ernennungsurkunde vom 1. November 1945 wurde er zum Landeskommissar für das Flüchtlingswesen ernannt. Am 11. November bestätigte er den Empfang.¹³ Als ein durchgehendes Problem erwies sich für die Arbeit des Flüchtlingskommissars die Haltung der französischen Militärregierung, die bestrebt war, ihre Besatzungszone von Evakuierten zu räumen und von Flüchtlingen weitgehend freizuhalten. So heißt es bereits in einem Schreiben Eschenburgs von Ende November 1945, dass „alle Bemühungen, eine Aufschiebung der Rückführung der Evakuierten in die amerikanisch besetzte Zone zu erreichen, [. . . ] zu keinem Erfolg geführt“ hätten. Die französische Militärregierung bestehe auf der Rückführung und betreibe sie „mit äußerster Energie, zum Teil unter Einsatz der Polizei“. Der Flüchtlingskommissar betonte, er bemühe sich zwar, „das Los der Evakuierten so weit wie möglich zu mildern“, er sei „aber außerstande, für Betreuung und Transport dieser Evakuierten außerhalb der französischen Zone Regelungen zu treffen“.¹⁴ Damit war Eschenburg erstmals mit dem durchgehenden Anspruch der Militärregierung konfrontiert worden, sich des Staatssekretariats als ihrer „Exekutive“ zu bedienen und das Besatzungsregime zu „einem allgegenwärtigen Interventions- und Kontrollregime“ auszubauen.¹⁵ Die Probleme der Flüchtlingspolitik in der französischen Zone hat Eschenburg in einem Bericht über eine Besprechung mit bayerischen Stellen in München betreffend Flüchtlingsfragen detailliert festgehalten, die in der zweiten Dezemberhälfte 1945 stattfand. Hiernach waren die Dienststellen in der französischen Zone auf die zu erwartende Flüchtlingswelle nicht genügend vorbereitet, so dass der Flüchtlingskommissar eine „Katastrophe“ befürchtete. Er verlangte, dass möglichst umgehend die notwendigen Vorbereitungen zu treffen seien. Zu erfassen seien „die Zahl der zu erwartenden Flüchtlinge, ihre Verteilung auf die Gebiete der französischen Zone sowie das Herkunftsland und der Zeitpunkt der Ankunft“. Wichtig sei aber auch, Vorsorge zu treffen, dass in die französische Zone nicht „im wesentlichen solche Flüchtlinge“ kommen, „vor deren Aufnahme die anderen Besatzungszonen sich scheuen“. Es müsse ein „gerechter Ausgleich der wirtschaftlich Leistungsfähigen gegenüber den wirtschaftlich Schwachen“ erfolgen. Die Erfolgsaussichten bewertete Eschenburg jedoch „außerordentlich
12 4. Sitzung der Landesdirektoren am 26.10.1945, in: Die Protokolle der Regierung von Württemberg-Hohenzollern, 1. Band: Das Erste und Zweite Staatssekretariat Schmid 1945–1947. Bearbeitet von Frank Raberg, Stuttgart 2004, S. 13. 13 Ernennungsurkunde ohne Ausstellungsdatum, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 14 Eschenburg an Direktor Buchmann, Innenministerium Stuttgart, StAS, Wü 40 T 2, Nr. 65. 15 Petra Weber, Carlo Schmid 1896–1979. Eine Biographie, München 1996, S. 228.
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pessimistisch“. Es würden nämlich „alle noch so intensiven Arbeiten des Flüchtlingskommissars nur wenig“ nutzen, „wenn er nicht die echte und rückhaltlos bereitwillige Unterstützung aller südwürttembergischen Behörden hat und gleichzeitig mit einer weitgehenden Förderung der französischen Militärregierung rechnen kann“.¹⁶ Unter welchen Bedingungen das Flüchtlingskommissariat noch Anfang Februar 1946 zu arbeiten hatte, ist einem Rundschreiben Eschenburgs zu entnehmen. Danach stand den neun Mitarbeitern anfangs lediglich ein Zimmer zur Verfügung. Erst nach einiger Zeit habe man ausreichende Räume zugewiesen bekommen. Außerdem herrsche ein Mangel an Fahrzeugen und Benzin. Die der Dienststelle zugewiesenen drei vorwiegend alten Fahrzeuge würden beim Eintreffen weiterer Flüchtlinge nicht ausreichen, da dann sechs Fahrzeuge notwendig seien. Diesen Zustand kommentierte Eschenburg mit den Worten: „Die hierdurch entstandene Verzögerung und Belastung vertrete ich nicht. Ich bin bemüht, sie nach Kräften aufzuholen.“ Als Probleme skizzierte er sodann den Ausfall des Roten Kreuzes bei der Betreuung der Flüchtlinge, die bisher nicht ausreichende Zahl von Auffanglagern und Kreisdurchgangslagern, die zwar fast alle gefunden, aber von der französischen Militärregierung nur zum geringen Teil genehmigt worden seien. Eine dringend notwendige Besprechung mit der französischen Militärregierung habe bisher nicht stattgefunden, da es nicht gelungen sei, „einen Termin zu vereinbaren“. Geklärt werden müsse darüber hinaus die „Lebensmittelplanung“ für die ankommenden Flüchtlinge, über deren Zahl, Ankunftstermin und Herkunftsländer noch keine Informationen vorlägen. Mit der Flüchtlingsaufnahme verbunden werden sollte die Rückführung weiterer Evakuierter in die amerikanische und britische Zone. Im Hinblick hierauf plädierte Eschenburg „für eine längere Frist“, da dann der „Abtransport“ der Evakuierten „humaner“ vollzogen werden könne.¹⁷ In einem Gespräch mit dem für Flüchtlingsfragen zuständigen Kommandanten der französischen Militärregierung wurde wenige Tage später nach Auswegen aus der verworrenen Lage gesucht. Darin erfuhr Eschenburg, dass Mitte April des Jahres mit der Einreise von 75.000 Flüchtlingen zu rechnen sei. Dabei handele es sich im Wesentlichen um „Reichsdeutsche, die in Österreich ansässig“ waren. In der Frage der Genehmigung von Auffangs- und Durchgangslagern signalisierte die französische Seite Entgegenkommen, meldete aber andererseits zusätzliche
16 Bericht über die Besprechung bei den bayerischen Stellen in München betreffend Flüchtlingsfragen in der Zeit vom 20. bis 22.Dezember 1945, ACDP, 01-105-029/7. 17 Internes Rundschreiben Eschenburgs vom 8.2.1946, ACDP, 01-105-029/2.
140 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern Quartieransprüche für französische Soldaten an.¹⁸ Außerdem wurde eine Schule in Schwenningen, die von Eschenburg mit Zustimmung der französischen Militärregierung als „Hilfskrankenhaus“ in Aussicht genommen worden war, Mitte März 1946 als „Sommerfrische“ für 300 französische Kinder reklamiert.¹⁹ Zudem hielten sich bereits zu dieser Zeit annähernd 3.000 Kinder aus der französischen Zone in Berlin in Württemberg-Hohenzollern auf. Das ergab laut Eschenburg eine Gesamtbilanz von 12.000 Flüchtlingen, die sich bereits in WürttembergHohenzollern aufhielten. Dazu kamen ca. 81.000 Evakuierte und 27.000 Ausländer, sprich „Displaced Persons“. Zu dieser Zahl waren die Berliner Kinder und die erwarteten Flüchtlinge noch hinzuzurechnen.²⁰ Wenige Tage, nachdem Eschenburg diese Zahlen an Carlo Schmid gesandt hatte, kam es zwischen ihm und der Militärregierung zu einem Konflikt. In einer Unterredung, zu der die Militärregierung am 30. März den Flüchtlingskommissar mit den Landräten und Bürgermeistern nach Rastatt geladen hatte, wurden diese mit dem Vorwurf konfrontiert, die Rückführung der Evakuierten nicht mit dem notwendigen Nachdruck betrieben zu haben. Dies hat Eschenburg in einem Schreiben wenige Wochen später vehement zurück- und die Militärregierung darauf hingewiesen, dass er erstmalig in der Sitzung in Rastatt „vom Termin und den Modalitäten der Rückführung“ erfahren habe. Er habe daher sofort ein entsprechendes Gesetz ausgearbeitet und vom Direktorium des Staatssekretariats unterschreiben, von der Militärregierung genehmigen und es anschließend veröffentlichen lassen. Der von der Militärregierung gewünschte Termin des Beginns der Rückführung, der 3. April, sei unter diesen Umständen nicht einzuhalten gewesen. In diesem Zusammenhang wies Eschenburg insbesondere auf die im Gesetz verankerten Ausnahmegenehmigungen hin, von denen ungefähr 20.000 Flüchtlinge betroffen seien, wobei jedoch jeder Einzelfall geprüft werden müsse. Der Flüchtlingskommissar betonte, dass es ihm in Rastatt „ferne gelegen“ habe, „künstliche Schwierigkeiten zu schaffen“, sondern es sei ihm lediglich darauf angekommen, „keine Zusagen zu machen“, die er „beim besten Willen unter gleichzeitiger Wahrung“ der „auch für die deutsche Verwaltung“ sich „ergebenden Verpflichtungen nicht einzuhalten“ vermochte.²¹ Davon unabhängig war Eschenburg jedoch, wie er Mitte Mai 1946 seinen Kollegen in Stuttgart wissen
18 Internes Rundschreiben Eschenburgs vom 11.2.1946, ebenda. 19 Eschenburg an Staatsrat Carlo Schmid vom 13.3.1946, ebenda. 20 Ebenda. 21 Eschenburg an die französische Militärregierung vom 10.4.1946, StAS, Wü 40 T 2, Nr. 65. Eine Darstellung dieses Treffens mit falscher Datierung, falscher Ortsangabe und falschem Teilnehmerkreis, in: Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 101.
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ließ, „von jeher ein Gegner dieser Rückführungsmaßnahmen“. Er habe sich „aber in dieser Frage nicht durchsetzen“ können, da es sich „um eine Anweisung des Militärkontrollrats“ gehandelt habe und die deutschen Stellen „lediglich ausführendes Organ“ gewesen seien.²² Wie sich die einzelnen Zahlen bei Flüchtlingen und Evakuierten im weiteren Verlauf entwickelten, kann hier nicht dokumentiert werden. Dem Bericht des Landeskommissars für das Flüchtlingswesen für den Monat September 1946 ist aber zu entnehmen, dass die französische Militärregierung eine zunehmend rigidere Haltung in der Flüchtlingsfrage einnahm. Hiervon hatte Eschenburg in der zweiten Augusthälfte durch die Mitteilung des französischen Gouverneurs Kenntnis erhalten. Demnach wurde ab Mitte August 1946 „allen Deutschen, die aus den Ostländern, insbesondere aus Polen und der Tschechoslowakei kommen, der Zuzug in die französisch besetzte Zone untersagt“.²³ Selbst 1.200 Sathmarer Schwaben, denen Eschenburg nach mündlicher Bestätigung durch den zuständigen französischen Kommandanten die Einreise zugesagt hatte²⁴, mussten „an ihren alten Wohnsitz, den sie bereits verlassen hatten, zurückkehren“, obwohl sie bereits „bis zur Grenze gekommen“ waren. Nicht minder schwierig gestaltete sich die Lage für diejenigen, die das Land verlassen sollten. Die Probleme reichten von der Verhängung einer „Waggonsperre“ durch die französische Militärregierung bis hin zu dramatischen Versorgungsengpässen mit Lebensmitteln. Trotz aller Schwierigkeiten und zahlreicher Anträge Betroffener „auf Verlängerung der Rückführungsfrist“ sank die Zahl der Flüchtlinge von Mai bis August 1946 erheblich. Eschenburg zog diese Schlussfolgerung aus der Summe der Fürsorgeaufwendungen in diesem Zeitraum. Sie reduzierte sich kontinuierlich von 341.912 RM auf 167.537 RM.²⁵ Im Herbst 1946 hatte Eschenburg vermehrt mit dienstlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Dabei taten sich zwei Fronten auf. Zum einen gab es gravierende Probleme in der Zusammenarbeit mit seinem unmittelbaren Vorgesetzten, dem Landesdirektor des Innern Lothar Rossmann, zum anderen verschärften sich die Spannungen mit der französischen Militärregierung. In einem Schreiben von Anfang Oktober an Rossmann bemängelte der Flüchtlingskommissar, dass Rundschreiben, die er vor ihrer Weiterleitung zur Genehmigung an die Militärregierung seinem Vorgesetzten zur Abzeichnung vorzulegen habe, über Gebühr bei diesem
22 Eschenburg an den Staatsbeauftragten für das Flüchtlingswesen im Innenministerium in Stuttgart vom 11.5.1946, StAS, Wü 40 T2, Nr. 65. 23 Eschenburg an Staatsrat Carlo Schmid vom 22.8.1946, StAS, Wü 40, T 2, Nr. 65. 24 Ebenda. 25 Bericht des Landeskommissars für das Flüchtlingswesen für den Monat September 1946 vom 30.10.1946, ACDP, 01-105-029/2.
142 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern liegen blieben. Dies störe den Dienstbetrieb in einer Weise, „die die Durchführung wichtiger Maßnahmen überhaupt in Frage“ stellen würden. Eschenburg sah sich daher veranlasst damit zu drohen, dass er „zur Aufrechterhaltung“ seines „Dienstbetriebes“ und seines „Dienstverkehrs mit den Landräten“ seine „Rundschreiben direkt dem Direktorialamt einreichen“ werde. Der Verfasser des Schreibens war sich der „ungewöhnliche[n] Art dieses Vorgehens“ bewusst und er wies Rossmann auf die Möglichkeit hin, ein Disziplinarverfahren gegen seinen Untergebenen einzuleiten, dass diesem die Gelegenheit geben würde, sich „sachlich zu rechtfertigen“.²⁶ Eschenburg hat zu diesem Schreiben in einem Brief an Carlo Schmid, den er einige Wochen später formulierte, wie folgt Stellung genommen: Es sei „in einer Form notgedrungen abgefasst [worden], die für einen Untergebenen kaum mehr verantwortet werden“ könne. Da die durch Rossmanns Verhalten entstandenen „Verzögerungen zu einer schweren Störung“ des Dienstbetriebs geführt hätten, habe er aber zu diesem Mittel greifen müssen. Es habe nach der Absendung des Briefes auch ein Gespräch mit Rossmann gegeben, der ihm darin für die Zukunft die „schnellste Erledigung“ der ihm vorgelegten Rundschreiben zugesagt habe. Leider müsse er Schmid mitteilen, so Eschenburg weiter, dass inzwischen wiederum ein äußerst wichtiges Rundschreiben über zwei Wochen unerledigt beim Landesdirektor des Innern liege. Er sei sich der „unüblichen und unerlaubten Art dieses Vorgehens bewusst“, sein Anliegen direkt beim Vorsitzenden des Direktoriums vorzubringen. Er habe „aber nur die Wahl zwischen diesem Weg und der weiteren Duldung der Störung und Behinderung“ seiner Verwaltungsaufgaben. „Im Interesse des Ansehens der öffentlichen Verwaltung gegenüber der Militärregierung und der Bevölkerung und mit Rücksicht auf die schnellstmögliche Behebung des gegenwärtig verwaltungsmäßig kaum mehr zu vertretenden Zustandes“ habe er sich verpflichtet gefühlt, „den erst genannten Weg zu beschreiten“.²⁷ Da Carlo Schmid selbst mit Lothar Rossmann „überhaupt nicht zurecht“ kam, hatte er für die Beschwerden Eschenburgs ein offenes Ohr. Er selbst drängte in diesen Tagen auf die Ablösung dieses Mitarbeiters, der noch vor Jahresende aus dem Amt ausschied.²⁸ In ungefähr denselben Zeitraum fiel auch das Ende der Tätigkeit Eschenburgs als Landeskommissar für das Flüchtlingswesen. Dies lag aber nicht daran, dass Carlo Schmid oder andere Kollegen innerhalb des Staatssekretariats sein Ausscheiden betrieben hätten. Dieses veranlasste allein die französische Militärregie-
26 Eschenburg an Landesdirektor Rossmann vom 8.10.1946, StAS, Wü 40 T 2, Nr. 65. 27 Eschenburg an Carlo Schmid vom 16.11.1946, ebenda. 28 Weber, Schmid, S. 224.
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rung, die Eschenburg im Oktober signalisierte, dass sie an einer weiteren Zusammenarbeit nicht mehr interessiert war. Auf deren Veranlassung wurde ihm kein Passagierschein für Reisen nach Stuttgart mehr genehmigt, obwohl er „die Notwendigkeit des Verkehrs mit den Stuttgarter Dienststellen [. . . ] in einem besonderen Schreiben eingehend dargelegt“ hatte. Eschenburg kündigte an, dass er daher „den Dienstverkehr mit den Stuttgarter Behörden“ so lange einstellen werde, bis „eine Änderung in der Auffassung der franz[ösischen] Behörden“ im Hinblick auf seinen „Verkehr mit Behörden anderer Zonen“ eingetreten sei.²⁹ Wie notwendig dieser für seine Arbeit war, veranschaulichte er einen Tag später in einem weiteren Brief. Es gebe das Problem, so führte er aus, dass Personen aus anderen Zonen nach Württemberg-Hohenzollern einreisen würden, die lediglich Passierscheine „zu einmaligem Grenzübertritt“ besäßen. Eine Rückführung dieser Personen sei danach nicht möglich, weil die Behörden der Herkunftsgebiete die Einreise verweigern würden. Er habe vorgehabt, diese Frage auf der nächsten Zonenkonferenz der Flüchtlingskommissare zu regeln. Da er aber keinen Pass mehr besitze, könne er dies nicht tun. Abschließend vergaß er nicht darauf hinzuweisen, dass die Frage „unbedingt klärungsbedürftig“ sei, da hier eine „Lage in der Zuzugsregelung“ entstehe, „die zumindest sich demoralisierend auswirken muss“.³⁰ Damit erreichte Eschenburg jedoch keine Änderung der Haltung der Militärregierung. Nicht die Dienststellen vor Ort in Tübingen, sondern die Zentrale in Baden-Baden setzte seine Abberufung durch.³¹ Die Gründe hierfür erfuhr er, als er Mitte Januar seinen Abschiedsbesuch als Flüchtlingskommissar bei den verantwortlichen Repräsentanten der französischen Militärregierung in Tübingen machte. Dabei drückten diese ihr Bedauern aus, betonten die bisherige gute Zusammenarbeit und versicherten, ihr „Möglichstes“ getan zu haben, um ihn „im Amt zu halten“. Das sei jedoch nicht gelungen, da „Baden-Baden“ seine Arbeit seit längerem beanstandet habe. Dabei konzentrierte sich die Kritik auf drei Komplexe. Es sei in der Zentrale der Eindruck entstanden, dass Eschenburg „eine selbständige Politik betrieben habe auf dem Gebiete des Flüchtlingswesens“. Beanstandet wurde weiterhin die „Korrespondenz mit Dienststellen außerhalb der Zone“. Hierin sah „Baden-Baden“ den Versuch, ein nicht mehr bestehendes „einiges Deutschland“ „auf dem Wege der Korrespondenz“ wiederherzustellen. Schließlich musste sich Eschenburg den
29 Eschenburg an das Gouvernement Militaire du Wurttemberg in Tübingen vom 9.10.1946, StAS, Wü 40 T 2, Nr. 65. 30 Eschenburg an das Gouvernement Militaire du Wurttemberg in Tübingen vom 10.10.1946, ebenda. 31 Eschenburg an Victor Renner vom 21.1.1947, ACDP, 01-105-615/2.
144 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern Vorwurf gefallen lassen, dass er auf der bereits erwähnten Konferenz am 30. März 1946 in Rastatt „einen ungünstigen Eindruck hinterlassen hätte“. Der ehemalige Flüchtlingskommissar versuchte alle Vorwürfe mit detaillierten Argumenten zu entkräften, wohl wissend, dass er „an den Konsequenzen und der Entscheidung Baden-Badens nichts ändern könne“. Er müsse aber Wert darauf legen seinerseits festzustellen, dass er „loyal und guten Glaubens gehandelt“ habe und dass er seinerseits „in diesem guten Glauben nie den Versuch unternommen hätte, außerhalb der französischen Instruktionen eine selbständige Politik zu treiben“. Einwände gegenüber einem weiteren Verbleiben Eschenburgs im Staatsdienst bestanden von Seiten der Franzosen nicht. Sie wünschten jedoch, dass „einige Zeit verstreichen“ sollte, und sie regten an, dass er „zweckmäßigerweise eine technische und keine politische Aufgabe übernehme“.³² An die Wünsche der Franzosen hat sich die deutsche Seite aber nicht so ganz gehalten. Noch vor Eschenburgs Abschiedsbesuch bei den Tübinger Repräsentanten der französischen Militärregierung hatte sich das Staatssekretariat für eine weitere Anstellung Eschenburgs entschieden. Dabei handelte es sich auch nicht um eine „technische“, sondern um eine eminent „politische Aufgabe“. Vorausgegangen waren jedoch politische Überprüfungen durch die Säuberungskommission für das Staatssekretariat. Diese hatte in ihrer Sitzung am 29. Mai 1946 ein Verbleiben Eschenburgs im Amt vorgeschlagen, da dieser „nicht Mitglied der früheren NSDAP“ gewesen und deshalb „politisch nicht belastet“ sei.³³ Eine weitere Überprüfung ist dann im Oktober des Jahres erfolgt, als Eschenburg einen entsprechenden Fragebogen der französischen Militärregierung, der Stellungnahmen zu 91 Punkten verlangte, ausfüllen musste. Es ist schon darauf hingewiesen worden, dass er hierin seine zeitweise Mitgliedschaft in der SS verschwieg. Aber ansonsten erwecken seine Angaben den Eindruck, dass sie der Wahrheit entsprachen, wobei er selbst alle „Wert- und Zeitangaben“ unter den Vorbehalt stellte, dass er „über irgendwelche Unterlagen z. Zt. nicht verfüge, sondern diese Angaben aus dem Gedächtnis“ machen müsse.³⁴ Eine „politische Belastung“ ergab sich auch aus den Angaben in diesem Fragebogen nicht, so dass in dieser Hinsicht weiterhin keine Einwendungen gegen Eschenburgs Weiterbeschäftigung im Staatsdienst bestanden.
32 Ebenda. 33 Säuberungskommission für das Staatssekretariat, Sitzung vom 29.5.1946, Niederschrift beurkundet am 31.5.1946, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 34 Fragebogen unterschrieben am 15.10.1946, durch den unmittelbaren Dienstvorgesetzten bestätigt am 24.10.1946, ebenda.
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So konnte der Nachfolger von Lothar Rossmann als Staatssekretär des Innern, der SPD-Politiker und bisherige Landrat des Kreises Tübingen, Victor Renner, am 17. Dezember 1946 dem Direktorium des Staatsekretariats von WürttembergHohenzollern vorschlagen, Eschenburg zu seinem „vorläufigen Abwesenheitsvertreter“ zu ernennen. Dieser habe seine Bereitschaft erklärt, „sich hierfür zur Verfügung zu stellen“. Der Vorschlag wurde „allgemein gutgeheißen“.³⁵ Knapp einen Monat später gab Renner in der Sitzung des Direktoriums das Ausscheiden Eschenburgs „aus seiner bisherigen Stellung als Landeskommissar für das Flüchtlingswesen“ bekannt. Zugleich schlug er vor, diesen zum Ministerialrat und seinem Stellvertreter „unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit“ zu ernennen und ab 1. Januar 1947 „in eine freie Planstelle“ mit entsprechender Besoldung einzuweisen. Das Direktorium beschloss dies einstimmig. Offen gelassen wurde jedoch, ab welchem Zeitpunkt Eschenburg seine Dienstgeschäfte aufnehmen sollte. Denn der letzte Satz des entsprechenden Protokollauszugs hält fest, dass dieser „seine neue Tätigkeit bei der Landesdirektion des Innern nach Vereinbarung mit Staatssekretär Renner aufnehmen“ werde.³⁶ Die Ernennungsurkunde zum Ministerialrat trägt das Datum vom 7. Februar 1947.³⁷ In seiner neuen Funktion arbeitete Eschenburg aber zunächst nicht so sehr mit Renner zusammen, sondern er nahm Aufgaben außerhalb des Hauses wahr, die er in enger Abstimmung mit dem Vorsitzenden des Direktoriums, Carlo Schmid, zu bearbeiten hatte. Hierbei ging es um die Vorbereitung einer Verfassung für einen zonenübergreifenden deutschen Staat, ein Thema, mit dem sich Eschenburg bereits in seiner Denkschrift aus dem Oktober 1945 befasst hatte. Dabei handelte es sich aber auch um eine Herzensangelegenheit Schmids, der sowohl die Verfassungsberatungen in Württemberg-Baden als auch in Württemberg-Hohenzollern maßgeblich beeinflusste.³⁸ Als das Deutsche Büro für Friedensfragen, das eigentlich zur Vorbereitung einer Friedenskonferenz zuständig war, sich mit Verfassungsfragen zu beschäftigen begann, hielt es Carlo Schmid für angeraten, Eschenburg als Leiter der Rechtsabteilung in diesem Büro unterzubringen.³⁹ Er nahm die Funktion seit Anfang April 1947 ehrenamtlich wahr⁴⁰;
35 97. Sitzung des Direktoriums am 17.12.1946, in: Protokolle der Regierung von WürttembergHohenzollern, S. 345. 36 100. Sitzung des Direktoriums am 14.1.1947, ebenda, S. 354. 37 HStSt, EA 3/150 Bü 480. 38 Dazu ausführlich Weber, Schmid, S. 272–285. 39 So die Vermutung von Heribert Piontkowitz, Anfänge westdeutscher Sicherheitspolitik 1946– 1949. Das Deutsche Büro für Friedensfragen, Stuttgart 1978, S. 58f. 40 Aktennotiz Fritz Eberhards vom 9.6.1947 über eine Besprechung am 10.4.1947, BArchK, Z 35, 51.
146 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern sein Gehalt bezog er als Ministerialrat des Staatssekretariats von WürttembergHohenzollern. Seine Tätigkeit konzentrierte er jedoch auf das Büro für Friedensfragen, auch wenn er wegen des Fehlens einer Bibliothek in Stuttgart, dem Sitz seiner neuen Arbeitsstelle, „etwa drei Tage in der Woche in Tübingen“ arbeiten musste. Als Leiter der Rechtsabteilung wollte Eschenburg „die Fragen der Verfassung selber bearbeiten“. Um sich hierauf konzentrieren zu können, hielt er die Einstellung eines zweiten Mitarbeiters in seiner Abteilung für wünschenswert, der sich mit den „Fragen des Völkerrechts und des internationalen Privatrechts“ befassen sollte.⁴¹ Der hierfür vorgesehene Kandidat stieß jedoch auf die Ablehnung des Chefs der hessischen Staatskanzlei, Hermann L. Brill, der die von dem Kandidaten 1929 vorgelegte Dissertation als „profaschistisch“ bezeichnete.⁴² Aus den Dokumenten kann nicht geschlossen werden, dass Eschenburg den Kandidaten oder seine Dissertation kannte. Ebenso geht nicht daraus hervor, dass er dessen Einstellung empfohlen hat. Vielmehr hielt der Leiter des Deutschen Büros für Friedensfragen, Fritz Eberhard, dessen Einstellung „nach Rücksprache“ mit Eschenburg für „wünschenswert“, dem es offensichtlich um eine Entlastung zu tun war. Aus diesem Vorgang „auf ein zielgerichtetes Handeln“ Eschenburgs „zugunsten Belasteter zu schließen“ ist „nicht angemessen“.⁴³ Im Frühjahr 1947 begannen die Verfassungsberatungen im Deutschen Büro für Friedensfragen mit der Vorlage eines Verfassungsentwurfs durch den bereits genannten Hermann L. Brill, der sich sowohl gegen eine „Omnipräsenz der Parteien“ richtete, sich aber auch von den „extrem föderalistisch-gouvernementalen Plänen Bayerns“ absetzte.⁴⁴ Dieser Entwurf war Mitte April 1946 Gegenstand von Beratungen im Deutschen Büro für Friedensfragen. Vertreten waren Repräsentanten aller Länder der amerikanischen Zone, darunter die Ministerpräsidenten von Bayern, Württemberg-Baden und Hessen, sowie Fritz Eberhard. Die Ministerpräsidenten verließen nach kurzer Zeit den Raum, da ihnen eine Beratung zu „heikel“ erschien, und sie befürchteten, dass daraus ein „Gegenstand zur Agitation“ werden könnte. Die übrigen setzten die Aussprache, die abschließend als eine „private Zusammenkunft“ bezeichnet wurde, über die Verfassung fort und bildeten
41 Fritz Eberhard an Anton Pfeiffer vom 17.4.1947, ebenda. 42 Hermann L. Brill an Fritz Eberhard vom 2.7.1947, ebenda. 43 Eisfeld, Theodor Eschenburg [I], S. 27f. 44 Petra Weber, Gescheitertes „Neu Beginnen“ – Hermann Louis Brill (1895–1959) in: Hein (Hrsg.), Gesichter der Demokratie, S. 134.
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schließlich eine kleine Kommission, in der die Beratungen weitergeführt werden sollten.⁴⁵ Diese Kommission kam bis Juni zu drei Sitzungen zusammen.⁴⁶ Vertreten waren die Länder der US-Zone und das Deutsche Büro für Friedensfragen mit jeweils zwei Repräsentanten, aber auch das Land Württemberg-Hohenzollern, und zwar durch Carlo Schmid und Theodor Eschenburg. Angesichts des Misstrauens der französischen Besatzungsbehörden gegenüber einer zonenübergreifenden Zusammenarbeit wurden beide in den Sitzungsprotokollen aber nicht genannt.⁴⁷ Eschenburg verfasste die Sitzungsniederschriften, was als Hinweis darauf gedeutet werden muss, dass er an den Sitzungen in einer Doppelfunktion teilnahm: zum einen als Vertreter Württemberg-Hohenzollerns, zum anderen als Leiter der Rechtsabteilung des Deutschen Büros für Friedensfragen. In letzterer Eigenschaft hat er auch im Hintergrund gewirkt, als es um die Bearbeitung der Beratungsgrundlagen zwischen den Sitzungen ging. Interessant ist, dass Eschenburg in der Sitzung am 20. Mai aus der Rolle des Protokollanten schlüpfte und sich an der Diskussion beteiligte. Dabei ging es um den von Brill eingereichten Entwurf eines „Vertrages über die Bildung einer deutschen Staatengemeinschaft“. Dieser Text sollte der für Juni in München angesetzten Ministerpräsidentenkonferenz vorgelegt werden. Eschenburg monierte die Beschränkung auf die drei Westzonen, da er hierin „eine Gefahr für den Zusammenschluss aller vier Zonen“ sah. Mit dieser Intervention hatte er Erfolg, denn der Entwurf wurde entsprechend geändert und er erhielt eine neue Überschrift: „Vertrag über die Bildung eines Verbandes deutscher Länder“. Der Text sollte dem bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard mit der Bitte zugeleitet werden, auf der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz eine entsprechende Vereinbarung herbeizuführen⁴⁸. Carlo Schmid hat sich seinem bayerischen Kollegen gegenüber in dieser Frage besonders stark gemacht.⁴⁹ Die Münchener Ministerpräsidentenkonferenz, zu der Ehard seine Kollegen aus allen Besatzungszonen für den 6. Juni nach München eingeladen hatte, ließ kurzzeitig Hoffnungen aufkeimen, dass dem deutschen Teilungsprozess Einhalt geboten werden könnte. Die Aussichten hierfür waren jedoch von Beginn an kaum gegeben, da sowohl die deutschen Parteiführer, insbesondere der SPD-
45 Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945–1949. Band 2: Januar-Juni 1947. Bearbeitet von Wolfram Werner, München 1989, S. 294–300, Zitate S. 297 und S. 298. 46 Protokolle abgedruckt in: ebenda, S. 428–431, S.437–443 und S. 623ff. 47 Ebenda, S. 47f. 48 Ebenda, S. 437f. 49 Weber, Schmid, S. 290.
148 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern Vorsitzende Kurt Schumacher, aber auch die französische Besatzungsmacht die Beratung politischer Fragen auf dieser Konferenz strikt ablehnten. Hinzu kam, dass die politischen Gegensätze zwischen Ost und West bereits so ausgeprägt waren, dass eine Einigung der Ministerpräsidenten über politische Fragen kaum möglich erschien. Eschenburg war – wie er berichtet hat – in die Vorbesprechungen für diese Konferenz einbezogen, und er hat auch an ihr selbst teilgenommen, allerdings, wie es seinem Rang entsprach, nur in untergeordneter Funktion. Der Mann, der erstmals Anfang Januar 1947 die Idee für eine solche Konferenz in die Diskussion gebracht hat, ist Eschenburg zufolge der Bevollmächtigte der bayerischen Staatsregierung beim Süddeutschen Länderrat, Gebhard Seelos, gewesen. Er habe damals diesen „persönlichen Plan“ mit Paul Binder und ihm erörtert. Die dahinter stehende Absicht habe Seelos mit den Worten beschrieben, „die Konferenz solle zu einer Demonstration für die staatliche Einigung Deutschlands auf föderalistischer Basis werden“. Die französische Militärregierung hat erst kurzfristig ihre Zustimmung zur Teilnahme der Ministerpräsidenten ihrer Zone an der Konferenz mit der bereits erwähnten Auflage erteilt, dass eine Behandlung politischer Fragen nicht erlaubt sei. Für Württemberg-Hohenzollern haben Carlo Schmid und der Fraktionsvorsitzende der CDU im Landtag, Gebhard Müller, aber auch Eschenburg an der Konferenz teilgenommen.⁵⁰ Letzterer traf vor den beiden anderen Vertretern aus Württemberg-Hohenzollern in München ein, um sich an der für den 4. Juni angesetzten Vorbesprechung zu beteiligen. In der Diskussion in diesem Gremium meldete er sich aber nicht zu Wort. Er dürfte jedoch mit der Tendenz der geäußerten Meinungen übereingestimmt haben, die die Bedeutung der Konferenz angesichts der „großen Erwartungen“ in der Bevölkerung betonten und vom Vorsitzenden der Konferenz, dem bayerischen Ministerpräsidenten Hans Ehard, erwarteten, dass er in seiner Begrüßungsansprache ein „Bekenntnis zur Zusammengehörigkeit aller deutschen Länder“ abgeben würde. Dies entsprach ja Eschenburgs Intervention in der Besprechung über Verfassungsfragen am 20. Mai, als er zur Änderung des Entwurfs eines Vertrages über die Bildung eines Verbandes Deutscher Länder im Sinne einer gesamtdeutschen Orientierung beitrug. Ganz auf dieser Linie lag der Vorschlag des Bremer Senatspräsidenten Wilhelm Kaisen , „auf alle Fälle“ die Vorbesprechung „so zu gestalten, als ob auch die russische Zone anwesend
50 Theodor Eschenburg, Erinnerungen an die Münchener Ministerpräsidenten-Konferenz 1947, in: VfZ 20 (1972), S. 412.
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sei“.⁵¹ Über deren bisheriges Nichterscheinen war man jedoch „sehr verärgert“.⁵² Vertreter aus der SBZ waren auch noch nicht zugegen, als am Nachmittag des 5. Juni eine zweite Vorbesprechung stattfand. Immerhin waren diese, wie Anton Pfeiffer einleitend berichtete, „bereits auf dem Weg nach München“. Das Fehlen der Ostdeutschen führte jedoch dazu, dass sich auch das erneute Zusammentreffen „auf eine weitere Vorbereitung der technischen Faktoren und sachlichen Entwürfe beschränken“ musste.⁵³ Offensichtlich am Morgen des 6. Juni besprach sich Eschenburg mit Fritz Eberhard, seinem Vorgesetzten im Deutschen Büro für Friedensfragen. Dabei überlegten sie „miteinander, ob es nicht zweckmäßig wäre, wenn der bayerische Ministerpräsident Ehard die sozialdemokratischen Regierungschefs zu einer Sondersitzung laden würde“. Diese fand „um die Mittagszeit“ in Anwesenheit von Carlo Schmid statt, der kurz zuvor in München eingetroffen war. Dieser sei „sehr zufrieden und optimistisch“ aus der Sitzung gekommen. Man sei sich einig gewesen, den inzwischen eingetroffenen ostzonalen Antrag abzulehnen, das Thema „Bildung einer deutschen Zentralverwaltung durch Verständigung der demokratischen deutschen Parteien und Gewerkschaften zur Schaffung eines deutschen Einheitsstaates“ als ersten Punkt der Tagesordnung zu debattieren.⁵⁴ Noch vor Beginn der eigentlichen Konferenz, die durch ein gemeinsames Abendessen im Bayerischen Hof, das für 19.00 Uhr angesetzt war, eingeleitet werden sollte, verschlechterte sich die Stimmung, weil das Eintreffen der ostdeutschen Vertreter weiter auf sich warten ließ. Eschenburg führte bis zu deren verspäteter Ankunft Gespräche mit Beamten anderer Länder. Daraus habe sich ergeben – wie Eschenburg 25 Jahre später berichtete – , dass kaum jemand eine Verständigung mit den Ostdeutschen für möglich hielt und man „sich schlechterdings nicht vorstellen“ könne, dass die Konferenz „programmgemäß zu Ende geführt“ werde. Während der Tischreden, die Hans Ehard als Vertreter der US-Zone, der Ministerpräsident Schleswig-Holsteins, Hermann Lüdemann, für die britische Zone, Carlo Schmid für die französische Zone und Louise Schroeder für den Westteil Berlins hielten, entstand eine rührselige Stimmung. Die Redner mussten ihre Ausführungen unterbrechen, „um die Tränen herunterzuschlucken“. Doch als der Ministerpräsident Thüringens, Hugo Paul, für die SBZ-Vertreter zu einer
51 Erste Vorbesprechung zur Münchener Ministerpräsidentenkonferenz in München am 4. Juni 1947, in: Akten zur Vorgeschichte, S. 476–481, Zitate S. 477 und S. 480. 52 Eschenburg, Erinnerungen, S. 414. 53 Zweite Vorbesprechung zur Münchener Ministerpräsidentenkonferenz in München am 5.Juni 1947, in: Akten zur Vorgeschichte, S. 482ff., Zitat S. 482. 54 Eschenburg, Erinnerungen, S. 415.
150 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern zackigen Rede das Wort ergriff, sei die „bisher aufgelockerte Stimmung“ „plötzlich“ erstarrt.⁵⁵ Dem entsprach der Konferenzverlauf. Bereits in der Vorbesprechung der Ministerpräsidenten in der Nacht vom 5. auf den 6. Juni erwies sich eine Einigung als unmöglich. Die Vertreter aus der SBZ verließen daraufhin München. Aus der gesamtdeutsch geplanten Münchener Konferenz war eine westdeutsche geworden. Ehard hat im Hinblick hierauf von einer „Spaltung Deutschlands“ gesprochen.⁵⁶ Damit war eine Entwicklung eingetreten, gegen die sich Eschenburg in der Besprechung über Verfassungsfragen im Deutschen Büro für Friedensfragen am 20. Mai noch gewandt hatte, als er für ein Offenhalten einer gesamtdeutschen Lösung votierte. 25 Jahre später hat er die Meinung vertreten, dass im Gegensatz hierzu die Abreise der ostdeutschen Kollegen den Absichten der westdeutschen Ministerpräsidenten entsprochen habe: „Sie hatten erreicht, was sie wollten, nämlich die Formierung der westdeutschen Regierungschefs“. Hiermit sei es ihnen gelungen, im Entstehungsprozess des westdeutschen Staates als der „selbstverständliche Verhandlungspartner der westlichen Besatzungsmächte“ aufzutreten.⁵⁷ Auch nach dem Abschluss der Münchener Konferenz blieb Eschenburg noch eine Zeit lang im Deutschen Büro für Friedensfragen tätig. In einer Übersicht über den Stellenplan von Anfang August 1947 wird er als Abteilungsleiter und Bearbeiter für Verfassungsfragen aufgeführt, aber mit der Ergänzung: „provisorisch, ohne Honorar“.⁵⁸ Über seine Tätigkeit danach finden sich aber keine Spuren mehr. Wann er das Amt endgültig aufgegeben hat, ist unbekannt. In der grundlegenden Monographie über das Deutsche Büro für Friedensfragen findet sich die Feststellung: „Gegen Jahresende [1947] hatte sich Eschenburg dann mehr oder weniger vollständig aus dem Friedensbüro zurückgezogen.“⁵⁹ Im Rückblick hat er dieser Tätigkeit wenig Bedeutung eingeräumt. In einem Brief vom Mai 1976 hat er mitgeteilt, dass er lediglich als „Leiter der Rechtsabteilung vorgesehen“ gewesen sei. Die Stelle habe er nicht angetreten, weil er dann seine „Stellung als Ministerialrat im Innenministerium des Landes Württemberg-Hohenzollern [hätte] aufgeben“ müssen. Er habe „damals vorübergehend und nur an bestimmten Tagen oder
55 Ebenda. 56 Vorbesprechung der Ministerpräsidenten über die Tagesordnung der Münchener Ministerpräsidentenkonferenz am 5./6. Juni 1947, in: Akten zur Vorgeschichte, S. 485–510, Zitat S. 504. 57 Eschenburg, Erinnerungen, S. 417. 58 Fritz Eberhard an Karl Hildebrand Frhr. von Gumppenberg vom 6.8.1947, BArchK, Z 35, 42. 59 Piontkowitz, Anfänge, S. 59.
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lediglich nur stundenweise im Büro für Friedensfragen gearbeitet“.⁶⁰ Das war wohl etwas untertrieben, zeigt aber, dass diese Tätigkeit nur geringe Spuren in der Erinnerung von Eschenburg hinterlassen hatte. Während seiner Tätigkeit in der Regierung von Württemberg-Hohenzollern wohnte Eschenburg lange Jahre als „möblierter Herr“ in einem Einzelzimmer zur Untermiete in Tübingen, seine Familie seit dem 1. April 1946 in Plochingen. Frau Erika, die drei Töchter und die Hausgehilfin lebten dort in einer 4 ½-Zimmerwohnung. Besuche Eschenburgs bei der Familie waren stets mit einem „Grenzübertritt“ verbunden, weil Plochingen in der US-Zone, Tübingen dagegen in der französischen Zone lag. Ein Zuzug nach Tübingen war bei Dienstantritt im Herbst 1945 wegen Wohnungsmangel nicht möglich. Auch Gespräche mit dem Oberbürgermeister von Tübingen eröffneten keinen Ausweg. Eschenburg suchte eine Wohnung mit fünf Zimmern und Küche. Entsprechende Wohnungen wurden ihm jedoch bis in das Jahr 1949 nicht angeboten, und er wurde von Jahr zu Jahr vertröstet. Als Ausgleich erhielt er lediglich eine Trennungsentschädigung in Höhe von zuletzt 5,60 DM täglich. Noch im Frühjahr 1949 wurde eine Fortzahlung der Trennungsentschädigung veranlasst, die erst im Herbst des Jahres auslief⁶¹, weil dann endlich eine geeignete Wohnung zur Verfügung stand. Dabei handelte es sich um ein Gebäude in einer Reihe neu errichteter Holzfabrikhäuser in der Mörikestraße, die heute unter Denkmalschutz stehen. Da in ihnen vorwiegend Professoren wohnten, wurden diese Häuser auch „Intelligenzkolchose“ genannt. Besonders groß waren sie nicht. Im Erdgeschoss befanden sich ein Wohnzimmer mit Kachelofen, eine Küche und ein Bad mit einem Boiler für Warmwasser, der mit Holz beheizt werden musste. In der ersten Etage gab es drei Schlafzimmer, auf dem Dachboden ein weiteres Zimmer. Das Haus verfügte über keine Zentralheizung. In diesen Räumlichkeiten, die der Schätzung von Christine Eschenburg zufolge 100 bis 120 qm maßen⁶², mussten insgesamt sieben Personen unterkommen, da im Dezember 1949 kurz nach dem Einzug eine weitere Tochter, Susanne, geboren worden war. Als deren Paten fungierten neben einem Familienangehörigen Walter Bauer, den Eschenburg seit seinen Berliner Jahren kannte und der als Widerständler im KZ gesessen hatte, und sein jetziger Chef, Victor Renner, der die Übernahme der Patenschaft seinem Untergebenen ange-
60 Eschenburg an Manfred Overesch vom 19.5.1976, UAT, 530/2. 61 Eschenburg an die Landesdirektion des Innern vom 12.7.1946: Antrag auf Bewilligung einer Trennungsentschädigung, HStSt, EA 3/150 Bü 480. 62 Mitteilungen von Christine Eschenburg.
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Abb. 12. Die Töchter v. l. n . r.: Christine (geb. 1939), Susanne (geb. 1949), Ellen (geb. 1935) und Ulrike (geb. 1943) (ca. 1952).
boten hatte.⁶³ Ob auch Susanne die Erziehungsmethoden über sich ergehen lassen musste, die Eschenburg seinem alten Freund Binder empfahl, der im August 1948 erstmals Vater geworden war, ist nicht bekannt. Ihm kündigte er „schwere Zeiten“ an. Die Windeln würden „stinken“, und „das Geschrei des Kindes“ werde „die Nachtruhe nehmen“. Darauf müsse man „eisern hart“ reagieren. „Stellen Sie das Baby in die Küche oder in den Keller“, riet er Binder, „aber nehmen Sie es nie einmal in den Arm. Verbieten Sie das Gleiche strengstens Ihrer Frau.“ Ein Baby sei „schlimmer als ein Diktator“. Wenn es merke, „dass ein einziges Mal sein Geschrei Gehör findet, so setzt es Nacht für Nacht zur gleichen Stunde diese Gewohnheit fort“. Ein Baby sei „in dieser Beziehung von tierischer Gewaltsamkeit und barbarischer Rücksichtslosigkeit“. Dies war offensichtlich ernst gemeint, denn Eschenburg bemerkte abschließend: „Wir haben alle unsere drei Kinder schreien lassen und ihnen die Küche als Schlafraum überlassen.“⁶⁴ Unter den Professoren, die nun Nachbarn der Eschenburgs waren, kam er mit dreien in engeren Kontakt. Der Erste war Konrad Zweigert, ein Jurist und ab September 1951 Richter am Bundesverfassungsgericht. Mit ihm und zwei weiteren Juristen, nämlich Günter Dürig und Wilhelm Gallas, hielt er nach seiner Berufung auf den Lehrstuhl für Politikwissenschaft über mehrere Semester hinweg ein
63 Mitteilung von Susanne Eschenburg. 64 Eschenburg an Binder vom 30.8.1948, ACDP, 01-105-615/2.
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gemeinsames Kolloquium über rechtspolitische Tagesfragen ab. Der Zweite war Hans Wenke, der Psychologie und Pädagogik lehrte. 1953 wurde er zum Rektor der Universität gewählt und übernahm im selben Jahr auch den Vorsitz des Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen. Ein Jahr danach wurde er in den Senat der Hansestadt Hamburg gewählt, wo er das Bildungsressort führte. Wenke machte Eschenburg mit Problemen der Lehrerausbildung vertraut, die für ihn bis dahin „ein völlig unbekanntes Feld“ waren.⁶⁵ Zu ihm ergab sich ein besonders enger Kontakt. Dies war auch darauf zurückzuführen, dass zwischen den Ehefrauen eine Freundschaft entstand, und sich auch zwei gleichaltrige Töchter der beiden Ehepaare anfreundeten. Die zwischen den Töchtern damals entstandene Verbindung ist bis heute erhalten geblieben.⁶⁶ Der Dritte war Gerhard Rosenkranz, der den Lehrstuhl für Missions- und Religionswissenschaft innehatte. Diesem gratulierte Eschenburg im Mai 1976 zum 80. Geburtstag. Die Anrede lautete: „Lieber Herr Rosenkranz, verehrter Nachbar, Freund und Kollege.“ In dem Schreiben war von der „Erinnerung an ein wirklich schönes nachbarliches Verhältnis“ in der Mörikestraße die Rede. Wie der weitere Inhalt des Briefes ergibt, hatte man sich inzwischen jedoch etwas aus den Augen verloren.⁶⁷ Als Stellvertreter des Staatssekretärs des Innern, der mit der Bildung der ersten regulären Regierung von Württemberg-Hohenzollern im Juli 1947 Ministerrang erhielt, besaß Eschenburg eine Vielzahl von Aufgabenbereichen bzw. Zuständigkeiten. Dazu zählten die Entscheidung über Kompetenz- und Organisationsfragen innerhalb des Ministeriums, die Abgrenzung zur Besatzungsmacht, die Ausstellung von Dienstzeugnissen, die Entscheidung über Personalfragen aller Art (Versetzungen, Höhergruppierungen, Wiedereinstellungen und die Besetzung von Landratsposten). Zuständig war er auch für Terminfragen und für den Einsatz von Dienstfahrzeugen, für den Schriftverkehr mit Ministerien und Landratsämtern, die er auch regelmäßig besichtigen musste. Ebenso gehörten zu seinem Aufgabenbereich Rechtssachen und öffentliche Ordnung, das Gesundheitswesen und Veterinärwesen, Verkehrsangelegenheiten und Wiedergutmachungsfragen. Außerdem unterstand ihm das Ausstellungswesen, die Akademie für Verwaltungswissenschaften in Speyer und die Landespolizeidirektion. Dieses breite Spektrum an Zuständigkeit und Aufgaben kann und soll im Folgenden nicht ausgebreitet werden, da das tagtägliche Verwaltungshandeln insgesamt nicht so viel
65 Theodor Eschenburg, Anfänge der Politikwissenschaft und des Schulfaches Politik in Deutschland seit 1945, in: Augsburger Universitätsreden, Augsburg 1986, S. 29. 66 Mitteilung von Christine Eschenburg. 67 Eschenburg an Gerhard Rosenkranz vom 2.5.1976, UAT, 530/3.
154 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern Aussagekraft besitzt. Vielmehr ist vorgesehen, schwerpunktmäßig Eschenburgs Abgrenzungspolitik gegenüber den Besatzungsmächten bzw. der Bundesregierung darzustellen, da es sich hierbei um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung handelt. Eine erste Besprechung hierüber führte Eschenburg Anfang November 1947 mit dem Leiter des Landessuchdienstes. Dieser war der Meinung, „dass seine Dienststelle direkt der von der franz[ösischen] Militärregierung [. . . ] eingerichteten Zentralzonenstelle unterstehe“ und er deshalb allein von dieser „Weisungen zu empfangen“ habe. Dagegen setzte Eschenburg das Argument, dass der Landessuchdienst eine deutsche Behörde und der Leiter des Landesuchdienstes daher „deutscher Regierungsangestellter“ sei. Deshalb habe er sich „in jeder Beziehung an die Dienstordnung des Innenministeriums zu halten“. Da Eschenburg aber fürchtete, dass aufgrund seiner Auseinandersetzung mit dem Dienststellenleiter bei der französischen Militärregierung der Eindruck entstehen könne, dass von der Regierung in Württemberg-Hohenzollern Auffassungen vertreten würden, die „im Gegensatz zu den Interessen der Militärregierung“ stünden, regte er eine Fühlungnahme seines Vorgesetzten mit dem französischen Präfekten in Tübingen an.⁶⁸ Auch in der Folgezeit kam es immer wieder zur „Einschaltung französischer Behörden in deutsche Dienstangelegenheiten“. Dies geschah auf Initiative „untere[r] Behörden“, insbesondere „der Gemeinden“, die die „französischen Behörden in Angelegenheiten“ kontaktierten, „die ausschließlich Sache der deutschen Zuständigkeit“ seien. Eschenburg bat deshalb Minister Renner im Oktober 1948, auf der nächsten Behördendienstbesprechung den Landräten nahe zu legen, „dass dieses Verhalten [. . . ] nicht geduldet“ werden könne.⁶⁹ Für eine Behördendienstbesprechung, die wenige Monate später stattfand, empfahl er seinem Minister, den Landräten mitzuteilen, dass er Wert darauf lege, mit ihnen „in dauerndem Kontakt über alle Fragen der Besatzungspolitik von grundsätzlicher Bedeutung zu bleiben“. Er erwarte deshalb „eine kurze Information“, wenn seitens französischer Stellen „an die Landräte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auch mündlich herangetragen“ würden.⁷⁰ In dem Entwurf für seinen Minister für dieselbe Besprechung riet Eschenburg, die Landräte in Gesprächen mit Vertretern der französischen Militärregierung zu „äußerster Zurückhaltung“ anzuhalten. Außerdem müsse sich jeder Landrat „bei derartigen Unterhaltungen
68 Eschenburg an Renner vom 8.11.1947, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 72/0311. 69 Notiz Eschenburgs für Minister Renner vom 4.10.1948, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 72/0234. 70 Eschenburg an Renner vom 18.2.1949, StAS, Wü T 23, Nr. 72/0186.
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bewusst sein, dass er Vertreter der Regierung ist und daher keiner anderen Politik Geltung verschaffen kann als derjenigen, die die Regierung vertritt“.⁷¹ Auf die Einhaltung der Kompetenzen war Eschenburg auch nach der Gründung der Bundesrepublik bedacht. Nun war aber nicht mehr nur die Besatzungsmacht im Spiel, sondern auch noch die Bundesregierung. Die Kompetenzabgrenzung betrachtete Eschenburg nicht nur „unter dem Gesichtspunkt des Prestiges“, sondern sie besaß für ihn eine „viel grundsätzlichere und sachlichere Bedeutung“.⁷² Es gehe deshalb nicht an, dass sich Gemeinden „direkt an die Bundesminister und sogar die Hohen Kommissare wenden“. Das sei „ausschließlich Sache der Landesregierung“. Gemeinden, die sich dennoch direkt an die Besatzungsbehörden oder die Bundesregierung wenden würden, sollte angedroht werden, „dass die Regierung sie bei ihrem Vorhaben nicht unterstützt oder desavouiert“. An eine ähnlich kurze Leine waren die Landräte zu nehmen. Auch sie hätten – wie Eschenburg seinen Minister wissen ließ – sich „zwecks Entscheidung“ an das Innenministerium zu wenden, „wenn im Verkehr zwischen Landrat und Besatzungsbehörden Zweifelsfragen aufgrund des Besatzungsstatuts auftreten“ würden.⁷³ Als sich der Landtagspräsident einige Monate später wegen „Scharfschießens auf dem Kniebis“ direkt an das Bundeskanzleramt gewandt hatte, reagierte Eschenburg empört. Minister Renner teilte er mit, dass man das „ohnehin überlastete Bundeskanzleramt [. . . ] nur mit solchen Angelegenheiten in Anspruch nehmen“ solle, „bei denen unsere eigen Möglichkeiten erschöpft“ seien. Das könne „aber nur die Staatsregierung oder das zuständige Ressort beurteilen“. Der Verkehr mit den Exekutivbehörden des Bundes sei „nicht Sache des Landtags“. Den Entwurf eines Schreibens an den Landtagspräsidenten, den er Renner übersandte, hätte er „gerne deutlicher abgefasst“; aber er habe sich mit Rücksicht auf die Wünsche des Ministers „besondere Milde auferlegt“.⁷⁴ Lässt man die Stellungnahmen Eschenburgs Revue passieren, so kann festgestellt werden, dass er auf die Einhaltung der Kompetenzen innerhalb der Verwaltung des Landes Wert legte. Die Wahrnehmung der Beziehungen, soweit sie grundsätzlicher Art waren, zu den alliierten Dienststellen und später zur Bundesregierung stand nach seinem Dafürhalten allein der Regierung zu. Eschenburg erwies sich bereits in seiner Funktion als der Stellvertreter des Innern als
71 Entwurf Eschenburgs für einen Hinweis auf der Behördendienstbesprechung am 19.2.1949, StAS, Wü T 23, Nr. 72/0185. 72 Eschenburg an Renner vom 18.11.1950, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 72/0023. 73 Eschenburg an Renner vom 28.4.1950, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 72/0076. 74 Eschenburg an Renner vom 18.11.1950, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 72/0023.
156 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern ein Mann, der auf die Einhaltung von bürokratischen Normen achtete und sie in seinem Verantwortungsbereich durchzusetzen versuchte. Im Zentrum der Tätigkeit von Eschenburg im Innenministerium stand seit dem Sommer 1948 die „Südweststaatfrage“, d. h. die Diskussion über die Modalitäten der Zusammenlegung der drei Länder Württemberg-Baden, WürttembergHohenzollern und Baden. Das zentrale Problem bestand darin, dass die badische Regierung unter Staatspräsident Leo Wohleb die Eigenständigkeit Badens erhalten wollte und dabei Unterstützung durch die französische Militärregierung und später den französischen Hohen Kommissar erhielt. Die Regierungen der Länder Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern strebten dagegen mit unterschiedlicher Intensität die Vereinigung an. Über die Modalitäten der „Verschmelzung“ hatten im Juni 1948 bereits Besprechungen zwischen Beamten aus Stuttgart und Tübingen, darunter Eschenburg, begonnen, zu denen auch ein Vertreter Badens eingeladen werden sollte.⁷⁵ Seine Rolle im Innenministerium bei der Behandlung der „Südweststaatfrage“ beschrieb Eschenburg kurze Zeit später wie folgt: „Bisher habe ich geglaubt, richtig zu handeln, wenn ich alle Angelegenheiten der Vereinigung [von] Württemberg [und] Baden bearbeitet habe. In wichtigen Fragen ist jeweils die Staatskanzlei von mir informiert worden.“⁷⁶ In dem Vorentwurf für ein Schreiben von Gebhard Müller, der seinen verstorbenen Vorgänger Lorenz Bock im August 1948 als Staatspräsident abgelöst hatte, begründete Eschenburg die Notwendigkeit der Bildung des Südweststaats mit den Worten: „Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass die kleinen Länder einfach nicht in der Lage sind, qualitativ [. . . ] über jene Anzahl von Personen zu verfügen, die einfach zur Erfüllung der politischen und administrativen Aufgaben notwendig sind.“ Außerdem hielt er es für nötig, „diese Frage nun so schnell und so frühzeitig wie möglich“ zu lösen, „weil sie sonst, eben weil sie in der Schwebe bleibt, bis zur endgültigen Lösung ein Gegenstand ständiger Beunruhigung und Störung bleibt“.⁷⁷ In den Verhandlungen, die in den Sommermonaten 1948 zwischen den südwestdeutschen Regierungen geführt wurden, ohne indessen zu einer Einigung zu gelangen, spielte Eschenburg im Hintergrund insofern eine maßgebliche Rolle, als er seinen Staatspräsidenten mit den notwendigen rechtlichen Gutachten versah, Entwürfe für Reden verfasste, ihn zum Handeln drängte und darüber hinaus
75 Aktenvermerk Eberhards vom 19.6.1948, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 156/17. 76 Vermerk Eschenburgs für Minister Renner vom 12.8.1948, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 72. 77 Vorentwurf Eschenburgs für ein Schreiben des Staatspräsidenten an den Militärgouverneur von Januar 1949, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 229/184.
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eine Fülle von Besprechungen führte. Erst nach einem Stillstand der Verhandlungen zwischen den Ländern in den Wintermonaten 1948/49 ergriff Staatspräsident Müller in Absprache mit Stuttgart die Initiative zu neuen Gesprächen, um die Aufnahme eines speziellen Artikels über den Südweststaat in das vor der Verabschiedung stehende Grundgesetz zu erreichen.⁷⁸ Auch in der hiermit beginnenden Phase war es Eschenburg, der seinen Staatspräsidenten munitionierte und auch selbst in Kontakten mit Kollegen aus den anderen Ländern die Sache voranzutreiben versuchte. Der Stellvertreter des Innenministers fungierte zu dieser Zeit als „Referent des Staatspräsidenten in Südwest-Staatfragen“. Für die damit verbundene „erhebliche dienstliche Mehrbelastung“ und in „Anerkennung dieser Tätigkeit“ beschloss das Kabinett im April 1950, ihm eine „Sonderzuwendung“ in Höhe von 600 DM zu gewähren.⁷⁹ Bereits Anfang Mai 1949 hatten Müller und Eschenburg mit Schreiben an unterschiedliche Adressaten auf die Arbeit des Parlamentarischen Rats in der Südweststaatfrage Einfluss genommen. Müller hatte dem Präsidenten des Gremiums, Konrad Adenauer (CDU), eine von Eschenburg konzipierte Vorlage geschickt.⁸⁰ Dieser wiederum hatte sich an Fritz Eberhard, seinen ehemaligen Chef im Deutschen Büro für Friedensfragen und nunmehrigen SPD-Abgeordneten im Parlamentarischen Rat, gewandt. In seinem Schreiben monierte Eschenburg, dass nach dem vorliegenden Grundgesetzentwurf die „Südweststaatbildung oder Wiederherstellung der alten Länder“ weiterhin abhängig sei „von der komplizierten Regelung in allen anderen deutschen Ländern“. Dies erachtete er als einen „unerträgliche[n] Zustand“. Um diesen zu beseitigen, müsse eine „Sonderregelung für südwestdeutsche Staaten in den Übergangsbestimmungen getroffen werden“. Eschenburg bat Eberhard abschließend darum, Theodor Heuss (FDP), Carlo Schmid (SPD) und Gustav Zimmermann (SPD) vom „Inhalt dieses Schreibens zu unterrichten“.⁸¹ Die Intervention hatte Erfolg. In das Grundgesetz wurde mit Art. 118 eine Bestimmung aufgenommen, die eine separate Neugliederung der Länder im deutschen Südwesten zuließ, und zwar „durch Vereinbarung der beteiligten Länder“. Weiter hieß es dann im Text: „Kommt eine Vereinbarung nicht zustande, so wird die Neugliederung durch Bundesgesetz geregelt, das eine Volksbefragung vorsehen muss.“
78 Knappe Übersicht in: Matz, Maier, S. 336–347. 79 Auszug aus der Niederschrift über die 151. Sitzung des Staatsministeriums am 25.4.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 232/054. 80 Matz, Maier, S. 348. 81 Eschenburg an Fritz Eberhard vom 4.5.1949, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 229/078.
158 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern Eschenburg hat in den Wochen nach der Verabschiedung des Grundgesetzes mehrere Ausarbeitungen über den Zusammenschluss der südwestdeutschen Länder auf der hierdurch gegebenen Rechtslage angefertigt und diese dem Staatspräsidenten zugänglich gemacht. In einer dieser Aufzeichnungen hat er angesichts der Haltung der Alliierten die Meinung vertreten, „dass rechtsverbindliche Regelungen erst abgeschlossen werden können, nachdem die Bundesregierung eingesetzt und damit das Besatzungsstatut in Kraft getreten ist“.⁸² Als dies der Fall war, setzten sowohl die Tübinger wie die Stuttgarter Regierung Kommissionen ein, um das weitere Vorgehen gemäß Art. 118 GG abzustimmen. Die Kommissionen tagten in Eschenburgs Büro gemeinsam, der damit so etwas wie der Vorsitzende war. Auch an Teilnehmer aus Baden war zur ersten Sitzung eine Einladung ergangen.⁸³ Zu einem Ergebnis führten die Verhandlungen jedoch zunächst nicht. Dies lag vor allem daran, da sich eine Einigung über das Verfahren bei der in Aussicht genommenen Volksabstimmung nicht erzielen ließ. Besonders umstritten war die Frage, wie die Stimmenzählung und die Feststellung des Ergebnisses erfolgen sollten. So wollte vor allem die badische Regierung eine Aufteilung in vier Stimmbezirke (Nord- und Südwürttemberg sowie Nord- und Südbaden), die getrennt gezählt werden sollten, wobei der Zusammenschluss als gescheitert zu betrachten sei, wenn nur ein Bezirk gegen diesen votiere. Da das Ergebnis der Volksabstimmung höchst unsicher war, brachte Eschenburg Anfang Juli 1950 die Idee einer Volksbefragung auf die Tagesordnung. Damit könne der bisherige Streit über die Formulierung der Fragestellung in einer Volksabstimmung, die Reihenfolge der Fragen, die Abgrenzung der Abstimmungsbezirke und die Folgen der Abstimmung zunächst umgangen werden. Da die Volksbefragung keine „konstitutive Wirkung“ habe, verlören alle die zuvor aufgeführten Probleme ihre Bedeutung. Dagegen würden mit dem Ergebnis der Volksbefragung „Regierungen und Landtage über ein Material“ verfügen, „das ihnen nun Möglichkeiten der konkreten Verhandlung überhaupt gibt“. Worauf diese Argumentation abzielte, geht aus dem weiteren Text hervor. Eschenburg sah durch das von ihm vorgeschlagene Vorgehen eine Chance für eine „schnelle [. . . ] Abstimmung“, was dazu führe, „dass eine sichtbare Blamage und Autoritätseinbuße“ der bisher zur Einigung unfähigen Regierungen gegenüber der Bevölkerung vermieden werde. Demokratietheoretisch war der Vorschlag insofern jedoch problematisch, als Eschenburg bei „nicht ganz eindeutige[n] Ergebnisse[n]“ eine „Reihe von Auslegungsmöglichkeiten“ antizipierte, da die „Volksbefragung noch
82 Eschenburg an Staatspräsident Müller vom 24.6.1949 mit Anlage, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 229/251. 83 Eschenburg an Landeshauptmann Moser vom 3.9.1949, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 248/023.
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Korrekturen“ zulasse.⁸⁴ Die drei Regierungen haben den Vorschlag Eschenburgs übernommen. In der zweiten Septemberhälfte des Jahres fand die Volksbefragung statt. Das Ergebnis fiel nicht ganz unerwartet aus. In Nord- und Südwürttemberg gab es eine „überwältigende“, in Nordbaden „immer noch sehr starke Mehrheit“ für den Südweststaat. Im Unterschied dazu votierte in Südbaden eine deutliche Mehrheit gegen ihn. Auch bei einer Addition der Stimmen von Nord- und Südbaden überwogen diejenigen, die den Südweststaat ablehnten, jedoch nur mit einer sehr knappen Mehrheit.⁸⁵ Eschenburgs Bewertung des Ergebnisses ist einer Aufstellung zu entnehmen, die er in der zweiten Oktoberwoche 1950 Staatspräsident Müller für eine bevorstehende Südweststaat-Konferenz in Wildbad anfertigte. In zwölf Punkten instruierte er seinen Chef, von denen nur die wichtigsten rekapituliert werden sollen. Er empfahl Müller, an seiner „Mittlerstellung“ festzuhalten, „ohne sich um dieser Stellung willen taktische oder sachliche Konzessionen aufdrängen zu lassen, die der Verwirklichung des Südweststaatgedankens schaden“. Er solle sich weiterhin „jeder Vereinbarung mit Südbaden, die den Südweststaat ersetzen“ solle, entziehen und „nach Möglichkeit die Anrufung des Bundes verzögern oder verhindern“. Er müsse darüber hinaus die Interpretation, „dass die Volksbefragung infolge der großen Stimmenthaltung eigentlich ein Entscheid für einen status quo darstelle“, zurückweisen. Zentral war die Aufforderung an den Staatspräsidenten, „die Führung in der Hand [zu] behalten, technisch, taktisch und politisch“.⁸⁶ Dies versuchte Müller, indem er eine „Kehrtwendung“ vornahm. Die von ihm geführte Staatsregierung votierte nunmehr nicht mehr für den Abschluss eines Staatsvertrags, sondern für ein Bundesgesetz, und sie hielt auch nicht länger an dem von ihr bisher vertretenen Abstimmungsmodus fest.⁸⁷ Der von der Regierung von Württemberg-Hohenzollern erarbeitete „Gesetzentwurf für die Südweststaatbildung“ wurde im Januar 1951 nach Bonn gesandt. In der Regierung in Tübingen gab es aber insofern einen Dissens, als Innenminister Renner vorschlug, den „Südweststaat sofort nach der Abstimmung“ zu bilden. Hiermit konnte er sich aber nicht durchsetzen. Wohl aber wurde ihm konzediert, Bundestagsabgeordneten seine Meinung mitzuteilen. Dies hat Eschenburg in einem Schreiben an
84 Eschenburg an Staatspräsident Müller vom 14.4.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 232/070. 85 Matz, Maier, S. 356. 86 Eschenburg an Staatspräsident Müller vom 10.10.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 260/022. 87 Matz, Maier, S. 358. Detaillierte Darstellung der Verhandlungen zwischen den drei Regierungen in: Eberhard Konstanzer, Die Entstehung des Landes Baden-Württemberg, Stuttgart 1969, S. 210–216.
160 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern den Abgeordneten Richard Freudenberg (FDP) getan. Darin unterstützte er seinen Minister „vollauf“, nicht nur, „weil er sein Vorgesetzter“, sondern weil er „selbst davon überzeugt“ sei. Der Minister und sein Stellvertreter hielten „die Staatsbildung des Südweststaats erst nach der Verabschiedung der Verfassung [für] unzweckmäßig“. Eschenburg begründete diese Einstellung mit dem Hinweis auf das bisherige Agieren der Regierung von Freiburg: Man habe in den letzten Jahren der „Verhandlungen über den Südweststaat so viele unerwartete Überraschungen seitens der südbadischen Regierung erlebt, die weit über das, was sich unsere Phantasie vorzustellen vermochte, hinausgeht, dass mit Recht die Sorge besteht, die Südbadener werden auch nach einer positiven Südweststaatabstimmung alles nur Erdenkliche, ja Unvorstellbare versuchen, um die Verfassungsverabschiedung und damit die Staatsbildung hinauszuschieben“. Renner schickte noch Schreiben „im gleichen Sinne“ an die Abgeordneten Carlo Schmid und Friedrich Maier von der SPD sowie Ernst Mayer von der FDP.⁸⁸ Den Gesetzentwurf von Württemberg-Hohenzollern brachten die CDU-Abgeordneten Karl Gengler und Kurt Georg Kiesinger Ende Januar 1951 im Bundestag ein.⁸⁹ Die Beratungen in den Bonner Gremien hierüber dauerten bis in den April. Am 26. des Monats verabschiedete der Bundestag mit großer Mehrheit das Erste und Zweite Neugliederungsgesetz. Eschenburg hat die Beratungen in der Bundeshauptstadt aufmerksam verfolgt und in Vermerken Staatspräsident Müller und die Minister der Landesregierung über die Vorgänge im Bundestag auf dem Laufenden gehalten.⁹⁰ Das Erste Gesetz entsprach nicht so ganz den Vorstellungen, die Renner und Eschenburg in ihren Schreiben im Januar des Jahres nach Bonn übermittelt hatten. Denn das Gesetz bestimmte zwar, dass unmittelbar nach der Volksabstimmung ein Ministerrat aus Vertretern aller bisherigen drei Länder gebildet werden sollte, dessen Amtszeit aber bis zur Wahl eines Ministerpräsidenten durch die verfassunggebende Landesversammlung beschränkt war. Dies erschien aber nicht so problematisch, da das Abstimmungsverfahren sehr gute Aussichten für die Bildung des Südweststaates schuf. Für die Wahl gab es vier Abstimmungsbezirke. Gezählt werden sollten die Stimmen im gesamten Abstimmungsgebiet und jeweils getrennt in den Abstimmungsbezirken. Für die Entstehung des Südweststaats war eine Mehrheit in jeweils drei dieser Bezirke und im gesamten Abstimmungsgebiet notwendig. Aufgrund der Ergebnisse der Volksbefragung konnte man davon ausgehen, die notwendige Mehrheit zu erlangen.
88 Eschenburg an Richard Freudenberg vom 16.1.1951, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 261/324. 89 Matz, Maier, S. 360; Konstanzer, Entstehung, S. 218. 90 Ausführlich dazu Konstanzer, Entstehung, S. 218ff.
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Als Termin für die Volksabstimmung schlug die Tübinger Regierung Anfang Juli 1951 vor, während die Stuttgarter Regierung ihn eher für Mitte September ansetzen wollte. Für diesen späten Termin votierte sie deshalb, weil sie mit einer Klage Wohlebs beim Bundesverfassungsgericht rechnete. Mit dieser Annahme lag sie richtig. Am 25. Mai reichte die Freiburger Regierung die erwartete Klage ein. Das Problem bestand jedoch darin, dass sich das Bundesverfassungsgericht noch nicht konstituiert hatte. Die Auseinandersetzungen über seine personelle Besetzung zogen sich bis Anfang September hin. In seiner ersten Entscheidung, die am 23. Oktober fiel, erklärten die Richter das Erste Neugliederungsgesetz, auf das es ankam, in seinen wesentlichen Bestimmungen für verfassungskonform, so dass der 9. Dezember als Termin für die Volksabstimmung festgesetzt werden konnte.⁹¹ In dieser Phase gab es noch hektische Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den drei südwestdeutschen Landesregierungen. Die Bundesregierung schien zu lavieren und förderte damit das Misstrauen in Stuttgart und Tübingen. Sowohl Wohleb als auch Renner fuhren in der zweiten Augusthälfte nach Bonn, um mit Bundeskanzler Adenauer Gespräche zu führen. Renner wurde dabei von Eschenburg begleitet, der sich über diesen Besuch etwa zehn Tage später gegenüber dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt, Otto Lenz, äußerte. Dieses Schreiben ist in zweierlei Hinsicht aufschlussreich. Es erhellt zum einen Eschenburgs Meinung über Wohleb, der als „ein Virtuose der Propaganda“ bezeichnet wird. Hierauf ist später noch ausführlich zurückzukommen. Es ist aber zum anderen auch aufschlussreich im Hinblick auf Eschenburgs Demokratieverständnis, das ebenfalls noch intensiver thematisiert werden wird. Im hier zur Debatte stehenden Brief warf er der Bundesregierung vor, gegenüber Wohleb nicht auf die Wahrung der „Bundesdisziplin“ zu achten, und knüpfte hieran die Feststellung: „Wenn das Volk so wenig von Demokratie wissen will, so in erster Linie deswegen, weil es sich danach sehnt, regiert zu werden und spürt, dass es nicht regiert wird. Es fehlt der dramatische Effekt der Kraft.“ Was ihn interessiere, sei „das Problem der Staatsautorität, die so sehr darunter leidet, dass man immer wieder versucht, ihrer Geltendmachung im entscheidenden Moment auszuweichen“.⁹² Das Ergebnis der Volksabstimmung entsprach den allgemeinen Erwartungen. In Nordwürttemberg und Südwürttemberg-Hohenzollern stimmten über 90 % für die Bildung des Südweststaats, in Nordbaden noch annähernd 60 %. Lediglich in Südbaden votierte eine deutliche Mehrheit von über 60 % dagegen. Damit war eine Mehrheit der Abstimmenden sowohl im Gesamtgebiet als auch in drei von
91 Vgl. ebenda, S. 222–227. 92 Eschenburg an Staatssekretär Lenz vom 27.8.1951, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 261/039
162 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern vier Stimmbezirken erreicht. Wohleb wollte das Ergebnis nicht akzeptieren und beantragte die Aussetzung des Vollzugs des Ersten Neugliederungsgesetzes über den Bundestag. Damit scheiterte er jedoch Mitte Januar 1952. Zu diesem Zeitpunkt hatte der im Ersten Neugliederungsgesetz vorgesehene Ministerrat bereits seine Arbeit aufgenommen. Er wickelte in seinen insgesamt acht Sitzungen „sämtliche ihm aufgetragenen Regularien weitgehend einvernehmlich ab“.⁹³ Eschenburg, dem im September 1951 „in Anerkennung seiner Verdienste um die Staatsverwaltung“ der Titel „Staatsrat“ verliehen wurde⁹⁴, erhielt einen Tag nach der Volksabstimmung einen Brief von Oskar Farny, der ihm einen „herzlichen Glückwunsch zum gekrönten Abschluss“ der „schweren und opferreichen Tätigkeit im Kampf um den Südweststaat“ aussprach. Farny glaubte „einer der wenigen“ zu sein, der Eschenburgs „Arbeitsrolle“ und „Arbeitsvolumen in allen Phasen des vierjährigen Kampfes verfolgen konnte“.⁹⁵ Damit sprach Farny eine Tätigkeit an, über die bisher noch nicht berichtet worden ist. Es handelt sich um die Organisation der Propaganda für den Südweststaat, die Eschenburg aus dem Tübinger Innenministerium steuerte. Dabei arbeitete er eng mit Konrad Wittwer, Staatsrat im Stuttgarter Staatsministerium, und Wilhelm Martens, Landesdirektor für Justiz in Nordbaden, zusammen. Ausgangspunkt dieser Propagandaaktionen waren entsprechende Initiativen in Baden. Speziell in Südbaden ließ die Regierung unter Staatspräsident Wohleb schon im Jahr 1948 „kaum eine Gelegenheit aus, um in der Presse, im Rundfunk sowie in öffentlichen Veranstaltungen für die Wiedervereinigung der getrennten badischen Landeshälften zu werben“ und damit gegen den Südweststaat Front zu machen.⁹⁶ Zur Verstärkung der Propaganda im Sinne Freiburgs im nordbadischen Raum wurde am 11. März 1949 in Karlsruhe ein Verein mit dem Namen „Arbeitsgemeinschaft der Badener“ gegründet.⁹⁷ Hierauf reagierte zunächst die Regierung von Württemberg-Hohenzollern. Unter dem Vorsitz von Staatspräsident Müller trafen Mitte Mai Innenminister Renner, Landtagspräsident Karl Gengler und Eschenburg mit einer Reihe von Honoratioren aus dem Land in Bebenhausen zusammen. Zweck der Zusammenkunft war es, „in Württemberg-Hohenzollern
93 Matz, Maier, S. 364. 94 Urkunde in HStSt, EA 3/150 Bü 480. 95 Oskar Farny an Eschenburg vom 11.12.1951, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 262/083. 96 Paul Sauer, Die Entstehung des Landes Baden-Württemberg. Eine Dokumentation, Ulm 1977, S. 87. 97 Chronik des Südweststaatproblems vom Mai 1945–Mai 1950, verfasst von Theodor Eschenburg mit Datum vom 31.7.1950, S. 19, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 233/180.
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eine Organisation zur Förderung des Südweststaatgedankens“ zu bilden. Die Arbeit der Organisation sollte darin bestehen, „publizistisch aufklärend für den Zusammenschluss der drei Länder tätig zu sein“. Es wurde ein Gründungskomitee gebildet und der bereits erwähnte Oskar Farny, ein Gutsbesitzer aus dem Allgäu, der in der Weimarer Republik für das Zentrum im Reichstag gesessen und sich nach 1945 der CDU angeschlossen hatte, zum Vorsitzenden gewählt. Die Geschäftsführung übernahm ein Mitarbeiter der Tübinger Staatsregierung.⁹⁸ Ähnliche „Südwest-Vereinigungen“ wurden auch in den anderen Landesteilen gebildet. Wirklich Fahrt nahm die Propaganda für den Südweststaat aber erst ein Jahr später auf. Anfang Mai 1950 fand in Karlsruhe eine Sitzung der Südweststaatausschüsse statt. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Richard Freudenberg, der die „Südwest-Vereinigung“ in Nordbaden leitete, schlug hierin vor, keinen einheitlichen Verband für alle Abstimmungsgebiete zu bilden, sondern die vier Landesverbände lediglich „korporativ unter Wahrung ihrer Selbständigkeit zusammenzuschließen“. Geleitet werden sollte dieser Zusammenschluss durch einen „geschäftsführenden Ausschuss“ mit einem Generalsekretär an der Spitze. Für diesen Posten schlug Freudenberg das Vorstandsmitglied der Jungen Union in Freiburg, Albert Maria Lehr, vor und erhielt hierfür die Zustimmung der Anwesenden. Eschenburg teilte unter dem Beifall der Anwesenden mit, dass Staatspräsident Müller „während des Abstimmungskampfes eine Reihe von Reden“ halten werde. Außerdem regte er an, einen „Informationsdienst“ zu schaffen, „der wöchentlich erscheint und an die Presse und an die Redner geht“. Skeptisch äußerte er sich über direkte Initiativen gegenüber der Presse. ⁹⁹ Dessen ungeachtet hat sich Eschenburg in den nächsten Wochen wiederholt an die Presse bzw. den Rundfunk gewandt und gegen die dort vorgenommene Berichterstattung Protest erhoben. Gegenüber dem Intendanten des Südwestfunks, Friedrich Bischoff, beschwerte er sich über „verunglimpfende Ausfälle gegen die Württemberger“. Der Staatsrat monierte insbesondere die „allgemeine Färbung der Berichterstattung und Unterhaltung, die antiwürttembergisch und damit antisüdweststaatlich“ sei.¹⁰⁰ Einen Journalisten der „Neuen Zeitung“ ließ er wissen, dass er bei deren Lektüre „in der letzten Zeit eine steigende Abnei-
98 Niederschrift über eine Besprechung zur Vorbereitung des Südweststaates am 11.5.1949 im Schloss Bebenhausen, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 248/180. 99 Niederschrift über eine Sitzung der Südweststaatausschüsse im Gästehaus der Stadt Karlsruhe am 6.5.1950 vom 8.5.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 232/012. 100 Eschenburg an Friedrich Bischoff vom 25.5.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 232/117.
164 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern gung gegen den Südweststaat“ spüre.¹⁰¹ Im November des Jahres verwahrte sich Eschenburg gegenüber einem Journalisten des „Südkuriers“, der ihn als „Südweststaat-Amokläufer“ bezeichnet hatte. Diesen Vorwurf wies er zurück und forderte seinen Widerpart auf, in seiner Zeitung, die sich „Unabhängige Heimatzeitung für Oberbaden und das Bodenseegebiet“ nannte, darauf Acht zu geben, „gleichmäßig und gleichzeitig beide Standpunkte in der Frage der Neugliederung in Erscheinung treten“ zu lassen.¹⁰² Darüber hinaus versuchte Eschenburg die Oberbürgermeister wichtiger Städte zu einem aktiven Einsatz für den Südweststaat zu gewinnen. So schrieb er am 1. Juni 1950 an den Oberbürgermeister von Ulm, Theodor Pfitzer. In diesem Schreiben wies er einleitend auf seine „Sorgen wegen der Propaganda für den Südweststaat“ hin. Es sei notwendig, „die führende Schicht für den Südweststaat zu gewinnen“. Deshalb regte er an, den Staatspräsidenten für einen Vortrag in einer geschlossenen Veranstaltung von 100 bis 150 Personen einzuladen.¹⁰³ Am selben Tag schrieb er an seinen Freund Walter Bauer in Heilbronn. Ihm scheine es wichtig, so seine Ausführungen, „dass in den großen Städten zum mindesten die führenden Leute für den Südweststaat gewonnen werden“. Wie in Ulm regte Eschenburg an, Müller zu einem Vortrag vor 100 bis 150 Leuten einzuladen, und er bat deshalb, die Anregung an den Oberbürgermeister weiterzuleiten. Kosten würden der Stadt nicht entstehen, denn der Staatspräsident sei „in seiner Lebenshaltung sehr bescheiden“ und verlange „kein großes Festessen oder eine irgendwie geartete Bewirtung“.¹⁰⁴ Mitte des Monats sprach Müller in Heidelberg. Hierfür legte ihm Eschenburg eine Disposition unter der Überschrift „Können wir denn auf den Südweststaat verzichten?“ vor. An deren Ende war der Punkt aufgeführt, der dem Verfasser der Disposition wichtig war: „Auseinandersetzung mit Wohleb über Gefühlspropaganda gegen Verstandesüberlegungen, Gemütsregungen gegen Zweckmäßigkeit.“¹⁰⁵ Für wie dringend notwendig Eschenburg die Bildung des Südweststaats erachtete, machte er Müller noch einmal in einem Vermerk von Mitte September 1950 deutlich. Darin wies er auf die große Einwohnerzahl von Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen hin und folgerte hieraus: „Wir kleinen Länder werden von diesen großen Ländern einfach erdrückt. [. . . ] Wir sind einfach zu schwach, um uns Geltung zu verschaffen.“ In diesem Zusammen-
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Eschenburg an Berkenhoff vom 14.6.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 258/101. Eschenburg an Johannes Weyl vom 6.11.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 262/145. Eschenburg an Theodor Pfitzer vom 1.6.1950, ebenda. Eschenburg an Walter Bauer vom 1.6.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 258/144. Eschenburg an Staatspräsident Müller vom 15.7.1950 mit Anlage, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 233/262.
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hang wies er auf Schleswig-Holstein als „warnendes Beispiel“ hin: Es könne „sich nicht mehr halten“, vegetiere „von monatlichen Zuschüssen anderer Länder“.¹⁰⁶ Unzufrieden zeigte sich Eschenburg im Juni 1950 mit der Arbeit von Albert Maria Lehr. Dieser votierte nämlich mit Rücksicht auf Frankreich für eine gewisse Zurückhaltung in der Propaganda für den Südweststaat. Die sich anbahnende deutsch-französische Verständigung (Schuman-Plan) dürfe nicht gestört werden.¹⁰⁷ Bei allem Verständnis für die Argumente Lehrs war Eschenburg mit dessen Haltung „nicht einverstanden“. Er ärgerte sich, dass Wohleb zusammen mit dem französischen Hohen Kommissar André François-Poncet einen gemeinsamen Auftritt auf einem Heimatfest plante. Hiergegen wehre sich sein „elementares nationales Empfinden“ und dem gebe er „in taktvoller und gemäßigter Form auch Ausdruck“. Schließlich forderte er Lehr auf, in der „Zusammenarbeit in einer so wichtigen Angelegenheit die konventionellen Hemmungen“ zu überwinden, weil es nur dann gelinge, „in dem Zusammenwirken für den Südweststaat einen möglichst hohen Nutzeffekt zu erreichen“.¹⁰⁸ Wenige Tage später wandte sich Eschenburg erneut an Lehr und drängte auf die beschleunigte Fertigstellung von Propagandamaterial, darunter insbesondere eine „Südweststaatsfibel“. Diese sollte „die Redner mit Argumenten“ versehen und dafür sorgen, „dass sie alle die gleiche Sprache sprechen“.¹⁰⁹ Im Vorfeld der Volksbefragung im September 1950 kannte er auch wenig Skrupel, die Landräte und Oberbürgermeister für Propagandaaktionen für den Südweststaat einzusetzen. In einer Dienstbesprechung Mitte Juli bat er die Landräte, die „Südweststaat-Abstimmung“ „zu begünstigen“. Bedenken aus deren Mitte wischte er mit dem Argument beiseite, dass „in Südbaden der Staatsapparat wirtschaftlich und personell [. . . ]gegen den Südweststaat benützt werde. Angesichts dieser Tatsache könne eine Inanspruchnahme der Landräte in WürttembergHohenzollern voll vertreten werden.“ Nach einem Überblick über die geplanten weiteren Propagandamaßnahmen und der Vereinbarung, dass sofort Südweststaat-Komitees auf Kreisebene gebildet werden sollten, berichtete Eschenburg abschließend über einen Vortrag Müllers über die Südweststaatfrage in Freiburg, den die badische Seite habe verhindern wollen, jedoch ohne Erfolg.¹¹⁰
106 Vermerk Eschenburgs für Staatspräsident Müller vom 19.9.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 234/123. 107 Lehr an Staatspräsident Müller vom 19.6.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 233/310. 108 Eschenburg an Lehr vom 23.6.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 233/292. 109 Eschenburg an Lehr vom 28.6.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 258/040. 110 Bericht über eine Dienstbesprechung der Landräte und Oberbürgermeister betr. Volksbefragung über den Südweststaat am 14.7.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 233/246.
166 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern Am Ende des Jahres dankte Eschenburg Lehr für seinen Einsatz für den Südweststaat. Aber auch er selbst habe „nichts unterlassen, um für dessen Erhaltung und Fortsetzung zu wirken“. Für die nächste Zeit sah er die Arbeiten für den Südweststaat weitgehend seiner „Einwirkung entzogen, weil sie in Bonn entschieden“ würden.¹¹¹ Wie sich herausstellte, war Eschenburg aber auch in diesen Entscheidungsprozess einbezogen, und er hat darüber hinaus ein recht umfangreiches Pamphlet ausgearbeitet, das er Anfang August 1951 abschloss.¹¹² Seine Autorenschaft hat er lange verschwiegen und sich erst 1984 als Verfasser geoutet.¹¹³ Das Büchlein war mit Attacken auf Wohleb nur so gespickt, der als „biegsam“ und „wendig“, als „klein“ und „glatt“ charakterisiert wurde, für den „kein Loch [. . . ] zu eng war, um sich nicht hindurchwinden zu können“. Wohleb habe durchgehend eine „offizielle Staatspropaganda“ betrieben, kein Wochenende habe er ausgelassen, um mit „seiner männlichen schönen Stimme wirklich überzeugend [zu] reden“ und „auf die Tränendrüsen zu drücken wie kein anderer“. Die Altbadener hätten stets nur an „Sentiments“ appelliert und eine ersthafte Auseinandersetzung mit der Südweststaatproblematik verweigert. Mit der von Wohleb betriebenen Staatspropaganda lasse sich aber „nur ein Propagandastaat schaffen“, nicht aber eine „echte Staatsschöpfung“. Den Verantwortlichen in Baden warf Eschenburg schließlich vor, in den letzten drei Jahren es „unterlassen“ zu haben, „phantasievoll und sorgfältig erdachte Überlegungen über die Wahrung der wahrhaft badischen Belange in einem neuen Gesamtstaat anzustellen“. Dies getan zu haben, nahm er für Württemberg in Anspruch, und er forderte die Badener auf, künftig gemeinsam mit Württemberg „phantasievoll und sorgfältig erdachte Überlegungen über die Wahrung der wahrhaft badischen Belange in einem neuen Gesamtstaat anzustellen“. Dies sei „wichtiger als alle Propaganda und noch so raffinierte politische Akrobatik“.¹¹⁴ Ungefähr zur gleichen Zeit, als Eschenburg die Arbeit an seinem Pamphlet über Baden abschloss, warb er in einem Schreiben an Staatspräsident Müller um finanzielle Unterstützung für eine andere kleine Monographie. Dabei handelte es sich um ein Buch mit dem Titel „Ländergrenzen im Südwesten“ von Friedrich Metz.¹¹⁵ Eschenburg strich als Besonderheit der Ausarbeitung heraus, dass sie „geradezu als Grundlage für eine politische Entscheidung dienen“ könne. Etwas sybillinisch fügte er hinzu, dass sich das Buch „selbstverständlich nicht für
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Eschenburg an Lehr vom 23.12.1950, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 260/003. Theodor Eschenburg, Baden 1945–1951.Was nicht in den Zeitungen steht, Darmstadt 1951. Matz, Maier, S. 350, Anm. 61. Eschenburg, Baden, Zitate S. 19, S. 34f. und S. 79f. Remagen 1951.
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irgendwelche propagandistische Zwecke“ eigne, „obwohl es für denjenigen, der in der nächsten Zeit Vorträge und Aufsätze zu dieser Frage schreiben soll, sehr nützlich sein kann“. Seine „dringende“ Empfehlung für eine Förderung durch das Land Württemberg-Hohenzollern unterstütze Eschenburg mit dem Hinweis darauf, dass Württemberg-Baden und Nordbaden bereits entsprechende Beträge zugesagt hätten.¹¹⁶ Inwieweit die Propagandaaktionen, die von beiden Seiten in der Auseinandersetzung über die Bildung des Südweststaats inszeniert worden sind, das Ergebnis der Volksabstimmung beeinflusst haben, muss offen bleiben. Noch weniger kann die Wirkung der beiden zuletzt genannten Schriften von Eschenburg und Friedrich Metz beurteilt werden. Wichtig ist aber festzuhalten, mit welchem Einsatz Eschenburg für den Südweststaat gekämpft hat. Rückblickend hat er die Rolle, die er gespielt hat, sehr hoch eingeschätzt. 1984 äußerte er in großer Unbescheidenheit: „Ich bin ja eigentlich der Vater des Südweststaats gewesen.“ Er begründete dies mit den Worten: „Ich musste [. . . ] dem Gebhard Müller jeden Morgen einen Tritt in den Hintern geben und sagen ,Vorwärts‘.“¹¹⁷ Nach dem Vorliegen des Ergebnisses der Volksabstimmung über den Südweststaat im Dezember 1951 ergaben sich für Eschenburg „zwei neue Aufgaben“. Zum einen wollte er sich der „Vorbereitung der Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung“ widmen, zum anderen hielt er es für sinnvoll, die Anregung Farnys aufzugreifen und ein Archiv aufzubauen, in dem die „Abstimmungsmethoden, Abstimmungsparolen usw.“ katalogisiert werden sollten.¹¹⁸ Inwieweit er diese Absichten in der noch verbliebenen Zeit umsetzen konnte, ist im Einzelnen nicht nachzuweisen. Mit der Wahl zur Verfassungsgebenden Landesversammlung im März 1952 trat der Staat Württemberg-Hohenzollern in seine finale Phase, die mit dem Überleitungsgesetz vom 15. Mai 1952 abgeschlossen wurde. An die Stelle der bisherigen drei Länder trat das Bundesland Baden-Württemberg. Über die Ministerien der bisherigen Länder hieß es in Art. 22 (1), dass sie „in Abwicklung“ treten. Die Leitung der Abwicklungsstelle für das Innenministerium von Württemberg-Hohenzollern übernahm Theodor Eschenburg. In einem internen Dienstschreiben vom 19. Mai informierte er darüber, dass „vorrätige Kopfbogen, Briefumschläge und sonstige Vordrucke“ aufgebraucht werden mussten. Dabei sei überall, „wo im Briefkopf das Wort Innenministerium enthalten“ sei, „unter dem Briefkopf der Zusatz ,Abwicklungsstelle‘ einzutragen“. Außerdem seien alle „Schreiben an die obersten Bundes- und an Landesbehörden außerhalb des
116 Eschenburg an Staatspräsident Müller vom 24.7.1951, StAS, ohne Signatur. 117 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278. 118 Eschenburg an Oskar Farny vom 16.12.1951, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 262/071.
168 | In der Regierung von Württemberg-Hohenzollern Gebietes des bisherigen Landes Württemberg-Hohenzollern“ ihm „zur Unterzeichnung vorzulegen“.¹¹⁹ In den folgenden Wochen ist es noch zu kleineren Reibungen zwischen Eschenburg und der neuen Regierung in Stuttgart gekommen. So hatte der Leiter der Abwicklungsstelle nach einer Schlägerei zwischen französischen Besatzungssoldaten und Deutschen in Friedrichshafen ohne Rücksprache mit dem Innenministerium in Stuttgart Maßnahmen getroffen. Eine Nachfrage aus Stuttgart hatte er mit der Feststellung beantwortet, dass „wegen der Dringlichkeit der Angelegenheit [. . . ] eine vorherige Unterrichtung des Innenministeriums nicht möglich“ gewesen sei. Außerdem habe die Abwicklungsstelle „hier dieselben Möglichkeiten“ wie das Ministerium, „über die Landräte und Bürgermeister“ zu verfügen.¹²⁰ Wenige Tage später monierte Eschenburg gegenüber dem Stuttgarter Innenminister Fritz Ulrich, dass sich dieser und Ministerpräsident Reinhold Maier in einer Auseinandersetzung zwischen dem Leiter der Abwicklungsstelle und der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr öffentlich von Ersterem distanziert haben sollten.¹²¹ Eschenburg betonte demgegenüber, dass seine diesbezüglichen Maßnahmen in Absprache mit Ulrich erfolgt seien und diese seinerzeit außerdem auch die Zustimmung von Justizminister Renner gefunden hätten. Eschenburg bat daher Ulrich darum, „gegenüber der Gewerkschaft eine Richtigstellung veranlassen zu wollen“.¹²² Zu diesem Zeitpunkt neigte sich Eschenburgs Tätigkeit in der Abwicklungsstelle dem Ende zu, da das Berufungsverfahren, mit dem er auf den Lehrstuhl für Politikwissenschaft in Tübingen gelangte, unmittelbar vor dem Abschluss stand. Diese Berufung hatte er nicht zuletzt, wie noch zu zeigen sein wird, seiner Anstellung im Ministerium zu verdanken. Er selbst hat die Jahre im Landesdienst von Württemberg-Hohenzollern in guter Erinnerung behalten, besonders seinen Einsatz für den Südweststaat. Hierüber hat er sich 1984 mit den Worten geäußert: „Der Südweststaat [. . . ] hat mir Spaß gemacht. Es passiert einem ja relativ selten, dass man eine Sache von A bis Z durchzieht.“¹²³
119 Internes Rundschreiben Eschenburgs vom 19.5.1952, StAS, Wü 2 T 23, Nr. 78/0055. 120 Eschenburg (Abwicklungsstelle) an das Innenministerium Baden-Württemberg vom 18.7.1952, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 91. 121 Rundschreiben der Gewerkschaft ÖTV an alle Mitglieder vom 4.6.1952, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 78/0035. 122 Eschenburg an Innenminister Ulrich vom 24.7.1952, ebenda. 123 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278.
Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen Der Wechsel vom Amt des Stellvertreters des Innenministers von WürttembergHohenzollern zum Professor an der Universität Tübingen war ein fließender Übergang. Eschenburgs Memoiren zufolge begann er im Sommer 1947 bei einem gemeinsamen Urlaub von Carlo Schmid sowie Theodor Eschenburg und Familie. Im Verlauf von Gesprächen über die Weimarer Republik habe Carlo Schmid den Vorschlag gemacht, Eschenburg einen Lehrauftrag für die Geschichte der Weimarer Republik an der Universität Tübingen zu erteilen. Gegen den anfänglichen Widerstand des zuständigen Lehrstuhlinhabers, Rudolf Stadelmann, habe die Regierung diesen Plan durchgesetzt. Infolgedessen stand der Name Eschenburg im Wintersemester 1946/47 zum ersten Mal im Vorlesungsverzeichnis. Die Resonanz sei von Beginn an groß gewesen. Die anfängliche Überwachung durch die Franzosen habe er durch ein Gespräch mit dem Hochschulreferenten der Militärregierung beenden können.¹ Wie wichtig Eschenburg diese Tätigkeit war, geht aus dem Bericht über seinen Abschiedsbesuch bei den verantwortlichen Repräsentanten der französischen Militärregierung nach seiner Entlassung als Landeskommissar für Flüchtlingsfragen hervor. Denn bei diesem Treffen wies er auf seine „Vorlesungstätigkeit an der Universität hin“. Hierauf sei ihm „spontan“ erwidert worden, dass „hiergegen keine Bedenken“ bestünden.² An dieser Auffassung hat die französische Militärregierung auch im Folgenden festgehalten. Denn als der Kultminister anderthalb Jahre später um die Zustimmung zur Ernennung Eschenburgs zum Honorarprofessor nachsuchte³, erhielt sie diese nach wenigen Tagen.⁴ Die Begründung für den Antrag ist recht informativ. Denn hierin hieß es, dass die Lehrtätigkeit Eschenburgs über die Geschichte der Weimarer Republik sowohl bei den Studenten als auch bei den Mitgliedern des Lehrkörpers ein „voller Erfolg“ sei. Deshalb beabsichtige die Philosophische Fakultät, für ihn „eine Honorarprofessur
1 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 96ff. Die Jahresangaben treffen hier nicht ganz zu. Es ist unmöglich, dass im Sommer 1947 zwischen Carlo Schmid und Eschenburg ein Lehrauftrag verabredet wurde, aber Eschenburg die diesbezügliche Veranstaltung schon im Wintersemester 1946/47 abgehalten hat. 2 Eschenburg an Staatssekretär Renner vom 21.1.1947, ACDP, 01-105-615/2. 3 Kultminister Sauer an die Militärregierung von Württemberg vom 25.8.1948, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 4 Delegation Superieure pour le Gouvernement Militaire du Wurttemberg an den Staatspräsidenten von Württemberg-Hohenzollern vom 2.11.1948, ebenda.
170 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen für Staatskunde“ zu beantragen. Denn damit würde „eine Lücke im Lehrbetrieb geschlossen, die besonders mit Rücksicht auf die Umerziehung der jungen Studentengeneration in Deutschland als besonderer Mangel empfunden“ werde. Erst jetzt konnte Eschenburg seine Lehrtätigkeit auf neue Gebiete ausweiten. In einem Schreiben Eschenburgs an den Rektor der Universität von Anfang November 1948 sind die Lehrveranstaltungen im Einzelnen aufgeführt, die er bis zu diesem Datum abgehalten hatte. Die bereits erwähnte Vorlesung „Geschichte der Weimarer Republik“ war einstündig mit anschließendem Kolloquium und fand vor 150 Hörern statt. Als besonders notwendig strich Eschenburg das Kolloquium heraus, da die Hörer anfangs misstrauisch gewesenen seien und er „jeden einzelnen Begriff, wie beispielsweise Demokratie, Parlamentarismus, Hegemonie, Sozialismus erklären musste“. Angesichts der Unkenntnis der Studenten habe er das Kolleg auf vier Semester erstreckt und die Vorgeschichte der Weimarer Republik eingehend darin behandelt. Dabei sei es ihm insbesondere darauf angekommen, den Studenten „die von der nationalsozialistischen Schulung ihnen eingetrichterte Vorstellung von der Systemzeit zu widerlegen und die Hörer durch Behandlung der politischen Einrichtungen und Machtverhältnisse der Zeit von 1918 – 33 zum Denken in politischen Kategorien auch bezüglich der Gegenwartserscheinungen zu erziehen“. In weiteren Vorlesungen behandelte Eschenburg die Themen „Die Revision des Versailler Vertrages und die Entstehung des Zweiten Weltkrieges“ sowie die „Organisation der Bundesgewalt“ im Rahmen einer „politischen Einführung in das Bonner Grundgesetz“. Dabei musste die zuerst genannte Veranstaltung wegen Überfüllung – die Zahl der Hörer lag zwischen 300 bis 500 – in das Auditorium Maximum verlegt werden. Daneben bot er Übungen für einen kleineren Kreis von jeweils etwa 15 Teilnehmern über die Vorgeschichte des deutschen Parlamentarismus und die Einrichtung der zweiten Kammer in den demokratischen Verfassungen ebenso an wie eine Übung über die Neugliederung der südwestdeutschen Länder. Außerdem hielt er öffentliche Vorträge vor Studenten und übernahm Veranstaltungen im Leibniz-Kolleg. Eschenburg klagte durchgängig über das geringe Wissen der Studenten und einen weit verbreiteten Radikalismus, der nur durch eine gute Lehre im Bereich der politischen Bildung bekämpft werden könne. Deshalb votierte er für die Einrichtung entsprechender Lehrstühle, hielt es aber auch für notwendig, dass in anderen Disziplinen politische Bildung betrieben werde. Er warnte vor den Folgen, wenn die Universität dieser Aufgabe nicht nachkäme. Denn dann würden „andere Einrichtungen außerhalb der Universität sich dieser
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Aufgabe bemächtigen“ und sie „unwissenschaftlicher und einseitiger erfüllen, als die Universität dazu in der Lage“ sei.⁵ Zur Vorbereitung seiner Vorlesung im Wintersemester 1949/50 hatte Eschenburg seinen Vorgesetzten, Minister Renner, für eine Woche um Urlaub gebeten.⁶ Wegen der Übung über das Südweststaatproblem bekam er Ärger mit Baden. Der enge Vertraute Wohlebs, Oberlandesgerichtspräsident Paul Zürcher, und auch die „Badische Tagespost“ unterstellten ihm, mit der Veranstaltung Werbung für den Südweststaat zu betreiben. Diesen Vorwurf wies Eschenburg mit einigen wenigen ironischen Bemerkungen zurück. Ihm sei unerfindlich, welchen Sinn es haben sollte, 15 Studenten, die zum Teil auch noch aus anderen Teilen Deutschlands stammten, für den Südweststaat zu schulen. In der Veranstaltung interessiere „das Südweststaatproblem nur als Lehrobjekt“. Er bot Zürcher an, einen badischen Studenten zu entsenden, damit dieser an der Übung teilnehme.⁷ Zeitgleich brachte sich Eschenburg durch eine Rede im Laupheimer Kreis, einem konservativen Debattierclub, in erhebliche Schwierigkeiten. Einem Artikel der „Stuttgarter Nachrichten“ zufolge soll er sich dabei abträglich über die politischen Parteien geäußert haben. Wie die Zeitung berichtete, hatte der Stellvertreter des Innenministers den Parteien vorgeworfen, „den gesamten Staatsapparat mit ihren Anhängern“ zu durchsetzen. Da die Parteien nur über ein geringes „Menschenreservoir“ verfügen würden, „habe das Niveau der Abgeordneten und Minister einen bisher noch nie gekannten Tiefstand erreicht“. Die Rede löste eine große Debatte im Landtag aus, in der die Suspendierung Eschenburgs gefordert wurde. Dieser Forderung kam die Regierung indessen nicht nach. Sie stellte aber eine grundsätzliche Prüfung in Aussicht.⁸ Die Regierung hat zwar eine Suspendierung Eschenburgs wie auch eine Missbilligung seiner Äußerungen abgelehnt, aber zugleich „die Mahnung zur vorsichtigen Formulierung in Zukunft ausgesprochen“. Hieraus zog der Betroffene die Schlussfolgerung, dass er „auf Grund dieses Vorfalls mit einer weiteren beruflichen Entwicklung in diesem Lande nicht rechnen“ könne. Gleichwohl teilte er Bundeskanzler Adenauer in der zweiten Februarhälfte 1950 mit, dass er sich „im Interesse“ seiner „akademischen Tätigkeit [. . . ] um eine Stellung in Bonn nicht bewerben“ möchte. Diese Absage hatte Eschenburg nicht ins Blaue erteilt. Vor-
5 Eschenburg an den Rektor der Universität Tübingen vom 8.11.1949, UAT, 205/71. 6 Vermerk Eschenburgs für Renner vom 18.10.1949, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 72. 7 Eschenburg an Zürcher vom 7.12.1949, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 231/085. 8 Artikel „Eine Rede erregt Anstoß“ in: Badische Zeitung vom 14.12.1949, HStASt, EA 3/150 Bü 48o.
172 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen ausgegangen war ein Schreiben, in dem nach seinem Interesse für einen Wechsel nach Bonn nachgefragt worden war.⁹ Die Übernahme einer Stelle in Bonn blieb auch in den nächsten Jahren stets eine berufliche Perspektive. Im Dezember 1950 korrespondierte er hierüber mit Wilhelm Haas, dem Leiter des Organisationsbüros für konsularisch-wirtschaftliche Vertretungen im Ausland. Aber auch ihn ließ er wissen, dass er nach Bonn nur „sehr ungern“ ginge, zumal er fürchte, dort seine „akademische Lehrtätigkeit nicht fortsetzen“ zu können. Darin sehe er aber seine „Hauptaufgabe“, die ihm nicht nur „große Freude“ bereite, sondern deren „Durchführung“ er für „eine politische Notwendigkeit“ erachte. Denn „aus den Niveauniederungen unserer Parlamente“ könne man nur herauskommen, „wenn wir über ein höheres Maß an politischer Bildung verfügen“.¹⁰ Anfragen, ob er eine Stelle in Bonn zu übernehmen bereit sei, erhielt Eschenburg trotzdem weiterhin. Im November 1951 bot ihm der Staatssekretär des Bundesministeriums des Innern, Hans Ritter von Lex, die Leitung des Bundesheimatdienstes an. Eschenburg lehnte ab, dieses Mal aber mit einer anderen Begründung. Er wolle „im Augenblick Tübingen noch nicht verlassen, zumindestens nicht eher, als bis die Verfassung des Südweststaates oder des dann wiederhergestellten Württembergs abgeschlossen“ sei.¹¹ Diese Einstellung hatte sich mittlerweile in Bonn herumgesprochen. Denn Staatssekretär Otto Lenz schrieb Eschenburg Mitte Dezember 1951: „Ich möchte Sie ja nach wie vor nach Bonn ziehen, fürchte aber, dass dies bei Ihnen angesichts der Südweststaatfrage nicht auf Gegenliebe stößt.“¹² Es erscheint jedoch nicht unwahrscheinlich, dass diese Begründung nur vorgeschoben war, denn inzwischen waren die Bemühungen der Regierung von Württemberg-Hohenzollern, eine ordentliche Professur für Politik an der Universität Tübingen einzurichten, in ein konkretes Stadium eingetreten. Dies war Eschenburg mit Sicherheit nicht verborgen geblieben, und an seinem Interesse, auf diesen Lehrstuhl berufen zu werden, konnte kein Zweifel bestehen. Im Sommer 1951 hatte sich Kultminister Paul Sauer mit einem Schreiben an den Rektor der Universität gewandt. Hierin wies er darauf hin, dass in einer ganzen Reihe von deutschen Universitäten bereits entsprechende Lehrstühle eingerichtet
9 Eschenburg an Bundeskanzler Adenauer vom 18.2.1950, UAT, 530/5. 10 Eschenburg an Staatsrat Haas vom 23.12.1950, UAT, 530/8. 11 Eschenburg an Bundespräsident Heuss vom 20.11.1951, UAT, 530/5. Hierzu auch Gudrun Hentges, Staat und politische Bildung. Von der „Zentrale für Heimatdienst“ zur „Bundeszentrale für politische Bildung“, Wiesbaden 2013, S. 204–213. 12 Staatssekretär Lenz an Eschenburg vom 17.12.1951, StAS, Wü 2 T1, Nr. 262/067.
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und besetzt worden seien und es nicht länger verantwortet werden könnte, „wenn eine Universität von dem Range Tübingens hier nicht denselben Weg beschreitet“. Inhaltlich begründete der Minister die Notwendigkeit für die Errichtung von Lehrstühlen für Politik mit dem Hinweis auf „das Versagen der Weimarer Republik“ und „die Machtergreifung Hitlers“, die auf den „Mangel an politischer Bildung in allen Kreisen der Bevölkerung, vor allem aber auch bei den Akademikern“ zurückzuführen seien. Deshalb stellte der Kultminister „im Hinblick auf die große Bedeutung der Frage“ eine „ordentliche Professur für Politik zur Verfügung“. Sie sollte an die Stelle des Lehrstuhls für Religionsphilosophie und christliche Weltanschauung treten, der schon seit einiger Zeit durch den Weggang von Romano Guardini nach München frei war.¹³ Die betroffene Fakultät war nicht begeistert. Ihr Dekan wies darauf hin, dass der Große Senat bereits beschlossen habe, anstelle der durch den Weggang von Guardini frei gewordenen Professur einen Lehrstuhl für vergleichende Literaturwissenschaft einzurichten. Außerdem hatte der Minister wohl vorgeschlagen, bei der Besetzung der Professur für Politik von dem Grundsatz des Dreiervorschlags abzuweichen, und den Namen Eschenburgs als den Wunschkandidaten der Regierung ins Spiel gebracht.¹⁴ Dies wies der Dekan mit der Begründung zurück, dass „in der Personenfrage die förmlichen und materiellen Voraussetzungen einer regulären Berufung mit besonderer Sorgfalt gewahrt werden sollten“, „weil mit der Errichtung dieser neuen Professur gewisse Risiken verknüpft“ seien.¹⁵ Die Haltung der Fakultät machte sich die Universitätsleitung anscheinend zu Eigen, denn in der Sitzung des Staatsministeriums Anfang Januar 1952 berichtete Minister Renner, dass die Universität Tübingen nach wie vor beabsichtige, den Lehrstuhl Guardini in einen solchen für vergleichende Sprachwissenschaft umzuwandeln. Dagegen betonten Renner und sein Kollege Sauer „die Notwendigkeit einer schnellen Besetzung des Lehrstuhls für Politik“. Sauer begründete diese Forderung damit, „dass die Besetzung dieses Lehrstuhls die Voraussetzung für die Heranbildung der für eine erfolgreiche Durchführung des staatsbürgerlichen Unterrichts in den Schulen notwendigen Lehrkräfte sei“. Auch Staatspräsident Müller hielt unter Verweis auf einen entsprechenden Beschluss des Landtags die schnelle Umwandlung des Lehrstuhls Guardini in eine Professur für Politik für notwendig und bat Sauer, der Universität für die Besetzung einer solchen Pro-
13 Kultminister Sauer an den Rektor der Universität Tübingen vom 20.6.1951, UAT, 205/71. 14 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 189. 15 Der Dekan der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät an den Rektor vom 6.8.1951, UAT, 205/71.
174 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen fessur eine Frist bis zum 1. April 1952 zu setzen.¹⁶ Wenige Tage später hat Sauer sodann unter Darlegung des bisherigen Verlaufs der Debatte zwischen Ministerium und Universität diese ultimativ aufgefordert, den Lehrstuhl Guardini in eine ordentliche Professur für Politik umzuwandeln und spätestens bis Mitte Februar „in der üblichen Form eine Vorschlagsliste für die Besetzung“ vorzulegen. Als eine fristgerechte Reaktion der Universität ausblieb, drohte ihr Sauer am 18. März an, „dem Herren Staatspräsidenten auch ohne Vorschlagsliste einen Ernennungsvorschlag vorzulegen“.¹⁷ Der Rektor, es war der Theologe Helmut Thielicke, wies dieses Ansinnen mit dem Argument zurück, dass eine Kommission dabei sei, einen Berufungsvorschlag zu erarbeiten, und warnte das Ministerium vor einer „Oktroyierung“, die die Universität „nicht hinnehmen“ würde.¹⁸ Am 8. Mai legten die Philosophische und die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät dem Rektor eine Vorschlagsliste für die Besetzung des Lehrstuhls für Politik vor. Sie führte in alphabetischer Reihenfolge Arnold Bergstraesser, Karl Dietrich Erdmann und Theodor Eschenburg auf. Auf eine „Lozierung“ hatte man mit Absicht verzichtet, da die drei Kandidaten „je ihren besonderen Zugang zur Wissenschaft von der Politik“ hätten und „in ihrer Eigenart schwer miteinander zu vergleichen“ seien. Aus der sodann vorgenommenen wissenschaftlichen Würdigung der in Aussicht genommenen Wissenschaftler lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass Bergstraesser als derjenige gelten musste, der das umfassendste Oeuvre aufwies und durch seine Erfahrungen in der Emigration in den USA und seine dortigen Lehrerfahrungen, zuletzt in Chicago, sich als „Brückenbauer im Sinn einer echten politischen Verantwortung und auf breiter Erfahrungsgrundlage bewährt“ habe. Respekt zollte das Gutachten auch den wissenschaftlichen Leistungen des jüngsten der Kandidaten, nämlich Karl Dietrich Erdmann, der eine Diätendozentur in Köln innehatte. Im Unterschied zu Bergstraesser, der als Schüler Alfred Webers von der Soziologie kam und auch literaturhistorisch gearbeitet hatte, war Erdmann Historiker, der insbesondere über Themen der französischen und englischen Geschichte geforscht und publiziert hatte. Nicht zuletzt auf Grund seiner Tätigkeit für die UNESCO bescheinigte ihm die Kommission, dass er „die Leidenschaft des Forschens mit Weltoffenheit und Verhandlungsgeschick“ verbinde und er daher „eine bedeutende akademische Leistung erwarten“ lasse. Mit Recht wiesen die Ausführungen über Eschenburg darauf hin, dass seine „wissenschaftliche[n] Arbeiten ihrem Gegenstand nach begrenzt erscheinen“.
16 Niederschrift über die 253. Sitzung des Staatsministeriums Tübingen am 3.1.1952, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 17 Kultminister Sauer an den Rektor der Universität Tübingen vom 18.3.1952, UAT, 205/71. 18 Der Rektor der Universität Tübingen an das Kultministerium vom 27.3.1952, ebenda.
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Dies war in der Tat richtig. Denn im Vergleich zu seiner „vorzüglichen Dissertation“ und seinem Aufsatz über die „Daily-Telegraph-Affäre“ aus den Jahren der Weimarer Republik waren die Veröffentlichungen aus den Nachkriegsjahren mehr als bescheiden. Vorzuweisen hatte er nur zwei schmale Bändchen von je ca. 50 Seiten über „Die improvisierte Demokratie der Weimarer Republik“¹⁹ und „Das Problem der Neugliederung der Deutschen Bundesrepublik“.²⁰ Bei beiden handelte es sich um erweiterte Fassungen von Vorträgen. Die letztere Publikation stand genauso im Zusammenhang mit Eschenburgs dienstlicher Tätigkeit im Innenministerium wie die kurz vor dem Erscheinen stehende Veröffentlichung „Verfassung und Verwaltungsaufbau des Südweststaates“, die immerhin fast 90 Seiten umfasste.²¹ Um Eschenburg dennoch als gleichwertig neben die beiden anderen Bewerber zu setzen, hob die Vorschlagsliste andere Qualitäten hervor. Der Kandidat verfüge „über eine in dieser Form in Deutschland seltene Verbindung von historischer und politscher Anschauung, ministerieller Verwaltungserfahrung und Vertrautheit mit den Problemen des Verfassungs- und Verwaltungsrechts“. Außerdem habe er sich „während seiner mehrjährigen Lehrtätigkeit an der Universität Tübingen im Unterricht voll bewährt“.²² Wie nicht anders zu erwarten war, setzte der Große Senat Eschenburg auf Platz 1 der Liste und Bergstraesser und Erdmann gemeinsam auf Platz 2. Begründet wurde diese Reihung damit, dass es eine „besonders vordringliche Aufgabe des Lehrstuhls für Politik“ sei, die „strukturellen Zusammenhänge des demokratischen Staatsaufbaus in Deutschland“ zu durchleuchten. Zur notwendigen selbständigen Urteilsbildung der Studenten sei es „in erster Linie geboten“, sie „mit den konkreten Fragen der Verfassung, der Verwaltung, des Kräftespiels der Parteien und Interessengruppen usw. vertraut zu machen“. Hierfür hielt der Große Senat Eschenburg in besonderer Weise für geeignet, da er „an der Spitze“ derer stehe, „die heute die Probleme der demokratischen Neuordnung in engster Fühlungnahme mit den praktischen Auswirkungen im Staatsleben theoretisch durchdenken und die Technik einer echten und gesunden politischen Willensbildung zum Gegenstand eindringender Untersuchung machen“. Es waren diese Erwägungen und die Überzeugung, dass Eschenburgs „anregende akademische Wirksamkeit in Tübingen bereits erprobt“ sei, die den Großen Senat veranlass-
19 Erstmals erschienen in den „Schweizer Beiträgen zur Allgemeinen Geschichte“ Band 9 (1951). Erneut veröffentlicht im Steiner Verlag Schloss Laupheim o. J. 20 Dargestellt am Beispiel des Südweststaates, Frankfurt am Main 1950. 21 Stuttgart 1952. 22 Vorschlagsliste für die Besetzung des Lehrstuhls für Politik vom 8.5.1952, UAT, 131/729.
176 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen ten, sich für dessen Berufung auszusprechen.²³ Kultminister Sauer stimmte ihr Anfang August 1952 zu. Ministerpräsident Gebhard Müller genehmigte sie Ende des Monats.²⁴ Die Ernennung zum ordentlichen Professor für wissenschaftliche Politik an der Universität Tübingen zum 1. Oktober erfolgte mit Schreiben des Kultministeriums vom 5. September.²⁵ Die Berufungsvereinbarung hatte Eschenburg bereits am 23. Juli 1952 unterschrieben. Ihr zufolge übernahm er „vorbehaltlich der Ernennung durch den Herrn Ministerpräsidenten die ordentliche Professur für Politische Wissenschaften in der Philosophischen Fakultät der Universität Tübingen und die Direktion des Seminars für Politische Wissenschaften“. Festgelegt wurde noch die Besoldung (Grundgehalt, Dienstaltersfestsetzung, Wohnungsgeldzuschuss und Kinderzuschläge sowie eine Unterrichtsgeldeinnahme). Bei den folgenden fünf Punkten handelte es sich lediglich um Absichtserklärungen des Kultministeriums, das sich für die Erfüllung der Wünsche Eschenburgs einzusetzen versprach. Diese bezogen sich auf das Personal (ein Assistent und eine Sekretärin), Mittel für die Erstausstattung der Bibliothek und für den Geschäftsbedarf sowie die Bereitstellung von Räumlichkeiten mitsamt Mobiliar. Eine konkrete Zusage enthielt der letzte Punkt. Hiernach war vorgesehen, dass der neue Ordinarius „bis zur Bereitstellung der erforderlichen Seminarräume und ihrer Einrichtung [. . . ] seinen bisherigen Büroraum nebst Vorzimmer“ weiterhin als Dienstraum behalten dürfe.²⁶ Auch von den räumlichen Gegebenheiten gestaltete sich der Übergang von der Leitung der Abwicklungsstelle des Innenministeriums zur ordentlichen Professur an der Universität Tübingen fließend. Den Kampf um die Erfüllung der Absichtserklärungen des Ministeriums in der Berufungsvereinbarung hat Eschenburg in einem Interview im Dezember 1984 plastisch geschildert. Der zuständige Ministerialrat habe die Zuweisung einer Sekretärin zunächst ohne Begründung abgelehnt und erst nach Insistieren des soeben Berufenen geäußert, da müsse er sich „erst einmal erkundigen“. Die gleiche Antwort habe er erhalten, als er nach einem Arbeitszimmer gefragt habe. Die Zuweisung sei dann jedoch daran gescheitert, dass Räumlichkeiten nicht vorhanden waren. Dass er sein bisheriges Arbeitszimmer habe behalten dürfen, habe er dem Innenminister, seinem bisherigen Vorgesetzten, verdankt. Zur Ver-
23 Großer Senat der Universität Tübingen an das Kultministerium vom 17.5.1952, UAT, 205/71. 24 Der Kultminister an den Ministerpräsidenten vom 2.8.1952, genehmigt vom Ministerpräsidenten am 29.8.1952, HStASt, EA 3/150 Bü 48o. 25 Schenkel (Kultministerium Baden-Württemberg) an Eschenburg vom 5.9.1952, UAT, 205/71. 26 Eschenburg an das Kultministerium Württemberg-Hohenzollern (Abwicklungsstelle) vom 22.7.1952 mit der Berufungsvereinbarung als Anlage, HStASt, EA 3/150 Bü 480.
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fügung gestellt wurde ihm offensichtlich umgehend der in Aussicht gestellte Etat für die Erstanschaffung von Büchern, die er in seinem Arbeitszimmer untergebracht habe. Hierin hätten auch zunächst die Lehrveranstaltungen (Seminare und Übungen) stattgefunden. Die notwendigen Stühle hätten sich die Studenten aus anderen Zimmern des Gebäudes geholt.²⁷ Die Probleme bei der Bereitstellung von Räumlichkeiten führte Eschenburg auch auf „Widerstände in erster Linie aus Bequemlichkeit“ der Juristen und Nationalökonomen zurück. Ebenso gestand er im Dezember 1984 zu, dass es auch bereits gegen seine Berufung in der „Universität große Widerstände“ gegeben habe, wobei er nicht wisse, von wem die ausgegangen seien.²⁸ Dagegen gab es für ihn keine Zweifel, worauf sie zurückzuführen waren. An den Dekan der Philosophischen Fakultät schrieb er im Juni 1973: „Damals wurden Außenseiter [wie er einer war] noch sehr viel misstrauischer aufgenommen, als es heute der Fall ist.“ Eschenburg fehlte nicht nur die Habilitation, sondern auch ein überzeugendes Oeuvre, und er war ein Kandidat, der offensichtlich unter der Protektion der Regierung stand. Die Philosophische Fakultät habe ihn jedoch seine Außenseiterrolle nicht spüren lassen, sondern vielmehr so aufgenommen, als ob er „seit langem zu ihrem Bereich gehört“ habe. Dadurch sei ihm damals seine „im Anfang schwierige Arbeit sehr erleichtert“ worden.²⁹ Eschenburg brauchte dann auch nicht lange, um sich den Respekt seiner Kollegen in der Fakultät zu erwerben. Bereits im Jahr 1957 ist er zu ihrem Dekan gewählt worden. Das galt in der damaligen Philosophischen Fakultät, in der zahlreiche Fächer mit ihren Professoren vertreten waren, noch als eine Auszeichnung. Wachsende Anerkennung fand Eschenburgs Wirken aber zunehmend auch über Tübingen hinaus. Sowohl die Bundesregierung als auch eine Reihe anderer Universitäten versuchten, ihm eine Tätigkeit außerhalb der schwäbischen Universitätsstadt schmackhaft zu machen. Das erste Angebot kam Ende 1954 von Bundesinnenminister Gerhard Schröder. Er bot ihm die Leitung der Abteilung 1 in seinem Ministerium im Rang eines Ministerialdirigenten an. Darüber fand am 28. Dezember ein Gespräch zwischen dem Minister und Eschenburg statt. Dieser ließ den Minister einige Tage später wissen, dass ein Wechsel nach Bonn nicht so ohne weiteres möglich sei. Dagegen gebe es nicht nur inhaltliche (Aufgabe „akademische[r] Pläne“ und die mit der Auflösung seiner „literarischen Verpflichtungen“ verbundenen Probleme), sondern auch Bedenken finanzieller Art. Diese liefen letztlich
27 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278. 28 Ebenda. 29 Eschenburg an Dekan Bausinger vom 15.6.1973, UAT, 530/27.
178 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen darauf hinaus, dass für Eschenburg ein Wechsel nur dann ernstlich in Frage kommen würde, wenn er eine Ministerialdirektorenstelle erhalte.³⁰ Am gleichen Tag unterrichtete der Tübinger Politologe das zuständige Ministerium in Stuttgart von der Anfrage aus Bonn, das er darauf hinwies, dass er Schröder um Bedenkzeit gebeten habe, die er auf Bitten des Letzteren „möglichst kurz“ halten solle.³¹ Nach Gesprächen mit Staatssekretär Ritter von Lex vom Bundesinnenministerium Anfang Februar 1955 verknüpfte Eschenburg seinen eventuellen Wechsel nach Bonn mit dem Erwerb eines Hauses. Dem Kultministerium teilte er mit, dass man ihm dort „mit staatlicher Förderung, soweit es irgend angängig ist“, den „Bau eines Hauses“ ermöglichen wolle. Dies veranlasste ihn, für den Fall seines „Hierbleibens“ in Tübingen das Ministerium um Prüfung zu bitten, ob er „hierbei die Förderung meistbegünstigt erhalte, die auch anderen Kollegen entsprechend der gegenwärtig zulässigen Möglichkeiten zuteil“ werde. Dabei handelte es sich um die Überlassung von Grundstücken „in Erbpacht“. Ein solches hatte Eschenburg bereits „Am Apfelberg“ gefunden. Dass er auf der Suche nach einer neuen Bleibe für sich und seine Familie war, ist darauf zurückzuführen, dass der Eigentümer des in dieser Zeit von Eschenburgs Familie bewohnten Hauses für 1957 Eigenbedarf angemeldet hatte.³² Es war nicht mehr das Häuschen in der „Intelligenzkolchose“, sondern ein weitaus größeres und komfortableres Gebäude in der Waldhäuserstraße, etwas höher gelegen als die Mörikestraße, das über einen schönen Garten verfügte.³³ Das Ministerium überließ Eschenburg das Grundstück „Am Apfelberg“, nachdem er die Anstellung in Bonn abgelehnt hatte.³⁴ Hiervon war in dem Brief, mit dem Eschenburg Minister Schröder Ende Februar die Ablehnung des Angebots mitteilte, keine Rede. Hierin finden sich nur Begründungen inhaltlicher Art, die er in drei Punkten zusammenfasste: 1. der Verzicht auf die „publizistische Unabhängigkeit“; 2. die fehlende Möglichkeit zur „Fortsetzung der akademischen Lehre und Forschung“; 3. die Verpflichtung, „einer im allgemeinen sehr timiden und sekuritätsbedürftigen öffentlichen Meinung“ weiterhin für eine „wirklich unabhängige[. . . ] Publizistik“ zur Verfügung zu stehen. Gerade den letzten Punkt hielt er für entscheidend, da er sich „auf diesem Gebiet reichlich einsam“ fühle und sein Weggang nach Bonn daher eine
30 Eschenburg an Bundesminister Schröder vom 4.1.1955, UAT, 530/20. 31 Eschenburg an das Kultministerium von Baden-Württemberg vom 4.1.1955, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 32 Eschenburg an das Kultusministerium von Baden-Württemberg vom 15.2.1955, ebenda. 33 Mitteilung von Christine Eschenburg. 34 Mitteilung von Christine Eschenburg.
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„empfindliche und nachhaltig spürbare Lücke reißen würde“.³⁵ Das Ministerium in Stuttgart belohnte ihn für sein Bleiben mit einer Erhöhung der Bezüge und der Kolleggeldgarantie sowie die Bereitstellung weiterer Mittel für Reisekosten.³⁶ Kurze Zeit nach der Entscheidung in Tübingen zu bleiben, begann Eschenburg mit den konkreten Planungen für den Hausbau am „Am Apfelberg“. Zuerst einmal bot er das nach wie vor in seinem Besitz befindliche Haus in Berlin zum Verkauf an.³⁷ Hierzu ist es Ende September 1955 offensichtlich gekommen. Binder erfuhr von einem Freund, den er in den Verkauf eingeschaltet hatte, dass ein Makler im Begriff sei, das Haus „an einen Filmmann ganz günstig zu verkaufen“.³⁸ Das Haus „Am Apfelberg“, das ein später mit den Eschenburgs befreundeter Architekt baute, war von einem Zuschnitt, wie es einem Großordinarius vom Schlage Eschenburgs entsprach. Im Erdgeschoss befanden sich ein Ess- und ein Wohnzimmer, die sich verbinden ließen, neben dem Wohnzimmer noch das Arbeitszimmer des Hausherrn. Durch einen kleinen Flur getrennt waren auf dieser Ebene noch die Küche, ein Hauswirtschaftsraum und ein Zimmer für ein Hausmädchen. Die Diele im Eingangsbereich war groß und repräsentativ. Von hier aus führte eine Treppe in das obere Stockwerk mit sechs Schlafzimmern, Bad, Dusche, Toilette und einem geräumigen Abstellraum. Das Gebäude lag in einem großen Garten, der von hohen Hecken umgeben war, die vor dem Einblick von Nachbarhäusern schützten.³⁹ Dieses zweifellos repräsentative Wohnhaus entsprach dem großbürgerlichen Lebensstil der Eschenburgs. Sie empfingen „unendlich viele, oft interessante Gäste“, „darunter viel Prominente“. Aber auch Freunde von früher, darunter „etliche jüdische, die emigriert waren“, fanden den Weg zum „Apfelberg“. Daneben schauten immer wieder Tübinger Freunde vorbei, auch ohne Einladung, wie z. B. der Staatsrechtslehrer Günter Dürig, der Mineraloge Wolf von Engelhardt, der Leiter des Uhland-Gymnasiums Erich Haag, der Chefarzt der Kinderklinik, Jürgen Bierich, der Direktor der HNO-Klinik Dietrich Plester und der Altphilologe Walter Jens, deren Frauen ebenfalls zum Freundeskreis zählten, genauso wie der katholische Theologe Hans Küng. Aber auch Studenten, Freunde der Töchter, fanden stets offene Türen, sofern es sich um „interessante gescheite junge Männer“ han-
35 Eschenburg an Bundesminister Schröder vom 28.2.1955, UAT, 530/20. 36 Das Kultusministerium Baden-Württemberg an das Akademische Rektoramt der Universität Tübingen vom 17.3.1955, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 37 Eschenburg an Binder vom 22.6.1955, ACDP, 01-105-084/2. 38 Binder an Eschenburg vom 21.9.1955, ebenda. 39 Mitteilung von Susanne Eschenburg.
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Abb. 13. Das Haus „Am Apfelberg“ in Tübingen (2. Hälfte der 1950er Jahre).
delte. Dann störte es auch nicht, wenn diese aus armen Verhältnissen kamen und „durchgefüttert“ werden mussten.⁴⁰ Zweimal wurde Eschenburg in den Jahren bis 1960 ein Intendantenposten angeboten, zum einen der des Süddeutschen Rundfunks, zum anderen der des Westdeutschen Rundfunks. Beide Male lehnte er nach nur kurzer Überlegung ab. Begründet hat er die Ablehnung jeweils damit, dass er „die Rundfunkverhältnisse zu wenig“ kenne. Ausschlaggebend war jedoch für ihn, dass er sich „durch die Übernahme einer derartigen Tätigkeit“ weit von seiner „wissenschaftlichen Tätigkeit entfernen“ würde.⁴¹ Das aber wollte er nicht. Ebenso wenig war er jedoch bereit, ernstlich einen Ortswechsel vorzunehmen, selbst wenn damit kein Ausscheiden aus dem wissenschaftlichen Betrieb verbunden war. Dies lässt sich aus seinen Reaktionen auf Rufe von auswärtigen Universitäten schlussfolgern. In den Jahren 1957 und 1958 gab es gleich drei Universitäten, die Eschenburg berufen wollten. Das waren die Universitäten in München (Ludwig-MaximiliansUniversität), Bonn und Köln. In den beiden zuletzt genannten Orten wurde er auf Platz 1 der erstellten Listen gesetzt. Als das zuständige Ministerium in Nordrhein-Westfalen von der Liste für den neu errichteten Lehrstuhl in Bonn Kenntnis erlangte, wandte es sich mit der Anfrage an das Kultusministerium von Baden-Württemberg, wann die dreijährige Sperrfrist für Eschenburg nach der
40 Mitteilung von Susanne Eschenburg. 41 Eschenburg an MdB Adolf Arndt vom 10.11.1960, UAT, 530/1.
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Ablehnung seiner Berufung an das Bundesinnenministerium und der damit verbundenen Aufstockung seiner Bezüge ablaufe.⁴² Wenig später erfuhr Eschenburg „privat und zufällig“, dass ihn die Universität Köln „an erster Stelle als Ordinarius für ihren neu zu errichtenden Lehrstuhl der wissenschaftlichen Politik vorgeschlagen haben“ sollte. Wie wenig Aussicht er aber besaß, dass der Ruf an ihn ergehen würde, wurde ihm ebenfalls „privat und zufällig“ zugetragen. Danach hatte das Kultusministerium von Baden-Württemberg Düsseldorf davon in Kenntnis gesetzt, dass die „Karenzfrist noch laufe“ und daher „eine Berufung nicht in Betracht käme“. In einem Schreiben an das Kultusministerium in Stuttgart wies Eschenburg die Auffassung des Ministeriums zurück, da sich eine Sperrfrist nur „auf akademische Berufungen bzw. auf Berufungsvereinbarungen beziehe, die wegen Ablehnung akademischer Berufungen abgeschlossen, nicht aber auf Berufungsvereinbarungen, die aus anderen Anlässen getroffen seien“.⁴³ Im Folgenden müssen intensive Verhandlungen zwischen Eschenburg und dem Ministerium stattgefunden haben. Die Universität Bonn erteilte ihm nämlich im Frühling 1958 den Ruf, den er jedoch Anfang Juni ablehnte, so dass der junge Berliner Privatdozent Karl Dietrich Bracher zum Zuge kam. Eschenburg hat sich die Ablehnung jedoch wiederum „vergolden“ lassen. Das Ministerium verdoppelte seine jährliche Unterrichtsgeldgarantie, es gewährte einen „ruhegehaltsfähigen Zuschuss zur Ergänzung des Grundgehalts“ und stellte ihm einen „Pauschbetrag für wissenschaftliche Hilfskräfte“ so lange zur Verfügung, bis das Institut eine zweite Assistentenstelle erhalte, die „im Voranschlag zum Haushaltsplan 1959“ angefordert werde.⁴⁴ Im Sommer 1965 bemühte sich die Universität Hamburg darum, Eschenburg zu berufen, der nunmehr bereits 60 Jahre alt war. Wie sich inzwischen die Usancen geändert hatten, geht daraus hervor, dass die betreffende Fakultät fünf Kandidaten, darunter auch den damaligen Hamburger Innensenator und späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt, zu einem Referat in einer Vortragsreihe mit dem Thema „Regierungspraxis in der Bundesrepublik“ eingeladen hatte. Diese Vorträge waren zwar nicht als „Probevorlesung[en]“ ausgeflaggt, aber es handelte sich doch – wie Eschenburg an Wilhelm Hennis, den Hamburger Ordinarius für Politikwissenschaft mitteilte – um „eine Probe, eben im Sinne von
42 Regierungsdirektor Frhr. von Medem (Kultusministerium von NRW) an Ministerialrat Müller (Kultusministerium von Baden-Württemberg) vom 26.1.1957, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 43 Eschenburg an das Kultusministerium Baden-Württemberg vom 17.1.1958, ebenda. 44 Das Kultusministerium Baden-Württemberg an das Akademische Rektoramt der Universität Tübingen vom 19.6.1958, ebenda.
182 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen probieren“.⁴⁵ Allzu großen Erwartungen, dass sich Eschenburg für Hamburg entscheiden würde, hat man sich aber dort nicht hingegeben. Der Schlusssatz in einem Brief von Hennis klingt schon sehr verhalten, denn er lautete: „Ein bisschen Hoffnung darf uns doch bleiben?“⁴⁶ Ende Oktober entschied sich Eschenburg, wie erwartet, den Ruf an die Universität Hamburg abzulehnen und in Tübingen zu bleiben. Es versteht sich von selbst, dass ihn auch dieses Mal das Stuttgarter Ministerium dafür belohnte. Der „ruhegehaltsfähige Zuschuss zur Ergänzung des Sondergrundgehaltes“ wurde erneut erhöht, ebenso die jährliche „Unterrichtsgeldabfindung“. Daneben erhielt Eschenburg noch weitere Verbesserungen, die sich auf die personelle und finanzielle Ausstattung seines Instituts bezogen.⁴⁷ In der vorliegenden Vereinbarung findet sich kein Hinweis darauf, dass Eschenburg weitere Zusagen erlangt hatte. Einem Schreiben des Dekans der Philosophischen Fakultät, in dem dieser seine Freude und Erleichterung ausdrückte, dass Eschenburg in Tübingen blieb, ist jedoch zu entnehmen, dass auch über die Besetzung des zweiten Lehrstuhls für Politikwissenschaft verhandelt worden ist. Es bestünde „auf dieser neu gewonnen Basis“ Aussicht, so der Dekan, dass „nun bald auch eine Sie [Eschenburg] befriedigende Besetzung des zweiten Lehrstuhls“ erwirkt werden könne.⁴⁸ Dies gelang zwei Jahre später mit der Berufung des Heidelberger Privatdozenten Klaus von Beyme. Außerdem konnte Eschenburg nunmehr auch das Grundstück „in Erbpacht“, auf dem sein Haus stand, käuflich erwerben.⁴⁹ Wenige Jahre später, ausgangs der 1960er Jahre, erhielt das Haus einen Anbau mit einer getrennten Wohnung. Dies ging auf den Wunsch von Erika Eschenburg zurück, die sich nach dem Auszug der Töchter in dem großen Haus nicht mehr sicher fühlte, da es immer wieder nächtliche anonyme Anrufe mit Drohungen gab und auch einmal eine Glastür mit einem Backstein eingeschlagen worden war. Die neu geschaffene Wohnung verfügte über einen großen Wohnraum mit Terrasse, auf der Bergseite über ein kleines Schlafzimmer, ein kleines Badezimmer und eine Küche. Auf der ersten Etage wurde außerdem ein Zimmer – ebenfalls mit Terrasse – gebaut, das als Arbeitszimmer Eschenburgs diente. Diese Wohnung wurde in aller Regel über das Akademische Auslandsamt an Gastprofessoren vermietet.⁵⁰
45 Eschenburg an Wilhelm Hennis vom 30.7.1965 mit Anlage, UAT, 530/7. 46 Wilhelm Hennis an Eschenburg vom 11.8.1965, ebenda. 47 Das Kultusministerium von Baden-Württemberg an das Akademische Rektoramt der Universität Tübingen vom 4.11.1965, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 48 Der Dekan der Philosophischen Fakultät (Andreas Flitner) an Eschenburg vom 6.11.1965, UAT, 530/13. 49 Mitteilung von Christine Eschenburg. 50 Mitteilung von Susanne Eschenburg.
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Bis zum Ausgang der 1960er Jahre fanden die Lehrveranstaltungen Eschenburgs in der Studentenschaft starken Zuspruch. Dies galt insbesondere für die Vorlesungen, die meist im Auditorium Maximum stattfanden, da auch Studenten anderer Fächer in großer Zahl diese Veranstaltungen besuchten. Dies war auf die klare Darstellung der jeweiligen Zusammenhänge zurückzuführen, die sich zumeist auf konkrete Vorgänge bezogen und damit sehr verständlich waren. Hinzu kam der Unterhaltungswert Eschenburgs. Erzählungen von Studenten, dass der Professor, der ein starker Zigarren- und Pfeifenraucher war, immer wieder einmal eine brennende Pfeife in die Jacketttasche gesteckt und es dann daraus gequalmt habe, machten nicht nur in Tübingen die Runde. Für Neuankömmlinge in der schwäbischen Universitätsstadt war es daher schon beinahe ein Muss, sich in eine der Vorlesungen Eschenburgs zu setzen. Eine Übersicht über die von Eschenburg behandelten Themen ergibt, dass sehr oft „Der deutsche Staat der Gegenwart“ behandelt wurde, wobei der Professor unterschiedliche Schwerpunkte setzte: von der Einführung in die Organisation des öffentlichen Lebens bis hin zu Ausführungen zu Ländern und Gemeinden, Parteien und Verbänden. Wiederholt erfolgte die Analyse der Bundesrepublik aber auch anhand der jeweiligen Haushaltspläne oder einzelner Institutionen wie dem Bundesrat und dem Bundesverfassungsgericht oder Begriffen wie die „Richtlinien der Politik“. Ein eigenständiges Thema, das öfters aufgegriffen wurde, waren die politischen Parteien und immer wieder das Grundgesetz. Auch als Professor für Politikwissenschaft verzichtete Eschenburg nicht auf die Behandlung zeithistorischer Themen. So las er über die Geschichte der Weimarer Republik und über die Geschichte Deutschlands von 1945 bis 1955 oder aber von 1949 bis 1956. Auch die Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone ließ er nicht aus. Da lag es nahe, dass ebenso die „Wiedervereinigung“ ein Thema war, die er auch als „weltpolitisches Problem“ in einem Oberseminar diskutierte. Eschenburg griff jedoch auch immer wieder Themen auf, die sich nicht auf Deutschland und seine Geschichte bezogen. Zu nennen sind hier die Vorlesungen „Demokratie und Totalitarismus zwischen den Weltkriegen“, aber auch Veranstaltungen über die „Regierung im modernen Staat“, die „Herrschaftssysteme der Welt der Gegenwart“, die „internationale Politik“ und schon ganz früh zu Beginn der 1950er Jahre über das „Europaproblem“. Aber auch politische Theoretiker wie Aristoteles, Tocqueville und Max Weber fehlten nicht im Lehrangebot, genauso wenig die Behandlung aktueller Themen wie „Übungen zum Aufstand in Ungarn und zur Suez-Krise“ im Wintersemester 1957/58, also nur kurze Zeit nach den Ereignissen im Jahr 1956. Erst für das Wintersemester 1960/61 hat Eschenburg eine Veranstaltung angekündigt, die auch das Dritte Reich betraf. Der Titel lautete: „Faschismus und Nationalsozialismus. Analyse und Kritik ihrer politischen Ideologie“.
184 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen Als Eschenburg nach der zweijährigen Unterbrechung durch das Rektorat im Sommersemester 1963 seine Lehrtätigkeit wieder aufnahm, ist bei den von ihm abgehaltenen Seminaren eine Konzentration auf Themen festzustellen, die sich auf die Bundesrepublik bezogen. Nur in seiner ersten Lehrveranstaltung nach der Pause, einer Übung, stand das Thema „Entwicklungen und Probleme der Vereinten Nationen“ zur Debatte, und auch im Sommersemester 1969 hatte er eine Thematik gewählt, die möglicherweise über die Bundesrepublik hinausgriff, wobei dies aber nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden kann. Denn die Formulierung „Probleme der Bürokratie im parlamentarischen, föderalistischen und kommunal-autonomen politischen System“ lässt offen, ob neben der Bundesrepublik auch noch andere Staaten in den Blick genommen worden sind. Bei den übrigen Themen ist die Konzentration auf die Bundesrepublik eindeutig. In den knapp zehn Jahren bis zu seiner Emeritierung hat er gleich dreimal die „Bundesregierung“ zum Thema gemacht, ebenso oft die „Parteien und Fraktionen“. Zweimal stand die Haushaltspolitik des Bundes auf dem Programm, je einmal das Verhältnis von „Kirche und Staat“, die „Organisation des Auswärtigen Dienstes“, die Beziehungen von „Bundestag und Bundesrat“ sowie die „Faktoren der politischen Entscheidung im Bund“. In diesen Rahmen passten auch die großen dreistündigen Vorlesungen, die Eschenburg gegen Ende seiner Amtszeit ankündigte, so z. B. über das „politische System der Bundesrepublik“ die sich 1969/70 über zwei Semester erstreckte, oder über „Parteien und Verbände“ im Wintersemester 1970/71. Besonders in der ersten Hälfte der 1950er Jahre bot Eschenburg Lehrveranstaltungen an, die vor allem an zukünftige Lehrer gerichtet waren. Das hing mit seinem Engagement für das Fach Staatsbürgerkunde im Schulunterricht zusammen, worüber noch zu sprechen sein wird. In späteren Lehrveranstaltungen fehlen in diese Richtung weisende Informationen. In den Blick gerieten nunmehr neben den angehenden Lehrern verstärkt auch andere Berufsgruppen. Das Fach Politikwissenschaft sollte „für die Vorbildung von Journalisten in Presse und Rundfunk sowie in den Pressestellen des Öffentlichen Dienstes, für die in der Wirtschaft und den Verbänden, in Partei und Fraktionen Tätigen dienen“.⁵¹ Daneben ist davon auszugehen, dass Eschenburgs Interesse an der Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlern im Lauf der Zeit anstieg, obwohl er den Arbeitsmarkt für Politologen skeptisch einschätzte und z. B. seinen Kollegen Arnold Bergstraesser in Freiburg kritisierte, weil er „einen Sack voll von Doktoranden und Habilitanden“ hatte, was er für „unverantwortlich“ hielt.⁵²
51 Eschenburg, Anfänge der Politikwissenschaft, S. 30. 52 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278.
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Die Zahl der Politologen, die Eschenburg promovierte, blieb überschaubar, und noch überschaubarer die Zahl derjenigen, denen er zur Habilitation verhalf. Von diesen sind alle auf Lehrstühle gelangt. Dabei war der Tübinger Ordinarius nicht „schulbildend“; die Themen der Arbeiten, die er vergab, waren genauso unterschiedlich wie die Wissenschaftler selbst. Dies soll an einigen Beispielen veranschaulicht werden. Langjährige Assistenten wie Gerhard Lehmbruch, der Nachfolger Eschenburgs auf dem Tübinger Lehrstuhl, oder Frieder Naschold, der Professor und Rektor an der Universität Konstanz und Abteilungsleiter am Wissenschaftszentrum Berlin wurde, sowie Rudolf Hrbek und Peter Pawelka, die beide später in Tübingen Professuren bekleideten, schrieben Qualifikationsarbeiten mit ganz unterschiedlichen Thematiken und machten sich später auf Forschungsfeldern einen Namen, die jeweils eigenständig waren. Am nächsten am Forschungsgebiet Eschenburgs blieben zeit ihres Lebens Gerhard Lehmbruch und Frieder Naschold, die jedoch beide den Demokratiebegriff ihres Lehrers weiterentwickelten. Lehmbruch schrieb Monographien über Themen wie „Proporzdemokratie“, „Verhandlungsdemokratie“ oder den „Parteienwettbewerb“⁵³, in denen er eine Theorie des Neokorporatismus entwarf. Frieder Naschold interessierte sich für das Demokratisierungspotential komplexer Organisationen, für Gesellschaftsplanung und dann in Berlin für Arbeitspolitik.⁵⁴ In Rudolf Hrbeks Arbeiten stand von Beginn an das Europaproblem im Vordergrund des Interesses⁵⁵, und Peter Pawelka hat am Tübinger Institut die „sozialwissenschaftliche Orientforschung“ etabliert.⁵⁶ Hieraus erschließt sich nicht nur, wie anregend Eschenburg als akademischer Lehrer war, sondern die Vielfalt der Themen ist auch ein Beleg für die Liberalität und die Offenheit, mit denen er seinen Schülern entgegentrat. Diese Eigenschaften bewies er auch, wenn es darum ging, externe Habilitationen vorzunehmen bzw. sich für Habilitationen einzusetzen, die eigentlich in ein anderes Fachgebiet gehörten und deren Thematik nicht in
53 Gerhard Lehmbruch, Proporzdemokratie. Politisches System und politische Kultur in der Schweiz und in Österreich, Tübingen 1967; Gerhard Lehmbruch, Verhandlungsdemokratie. Beiträge zur vergleichenden Regierungslehre, Wiesbaden 2003; Gerhard Lehmbruch, Parteienwettbewerb im Bundesstaat. Regelsysteme und Spannungslagen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, 3. aktualisierte Aufl. Wiesbaden 2000. 54 Frieder Naschold, Organisationen und Demokratie. Untersuchung zum Demokratisierungspotential im komplexen Organisationen, Stuttgart 1969; Frieder Naschold, Arbeit und Politik. Gesellschaftliche Regulierung der Arbeit und der sozialen Sicherung, Frankfurt am Main 1985. 55 Rudolf Hrbek und Sabine Weygand, Betrifft: das Europa der Regionen. Fakten, Probleme, Perspektiven, München 1994. 56 Peter Pawelka, Der Staat im Vorderen Orient. Konstruktion und Legitimation politischer Herrschaft, Baden-Baden 2008.
186 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen sein eigentliches Forschungsfeld fielen. Mit einem solchen Beispiel wollen wir beginnen. Dabei handelte es sich um Iring Fetscher. Dieser hatte in Tübingen 1950 im Fach Philosophie mit einer Arbeit über „Hegels Lehre vom Menschen“⁵⁷ bei Eduard Spranger promoviert. Danach arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent und Lehrbeauftragter, aber auch als Stipendiat an der Universität. 1956 machte er sich auf Anregung seines Doktorvaters, der inzwischen in den Ruhestand getreten war, an die Arbeit an einer Habilitationsschrift. Als Thema hatten sich Spranger und Fetscher auf eine Studie über Rousseau geeinigt, die im neuen Fach Politikwissenschaft eingereicht werden sollte. Dazu war die Zustimmung Eschenburgs notwendig, der „für das Projekt gewonnen“ wurde. Dabei war es sicherlich hilfreich, dass sich der Habilitand und der Professor bereits kannten, da ersterer Vorsitzender eines kleinen „studentischen Arbeitskreises für Politik“ war und Eschenburg dessen Mitglieder „quasi als seine Schutzbefohlenen“ betrachtete. Es ist nicht zu übersehen, dass der „Arbeitskreis“ in der Tradition des Tübinger „Hochschulrings“ in den 1920er Jahren, aber auch der „Quiriten“ in Berlin stand, denn neben der „Alltagsarbeit“ wurden auch hier „interessante deutsche und französische Politiker“ eingeladen. Dies geschah auf Veranlassung Eschenburgs durch die Studenten, denen es z. B. gelang, den ersten deutschen Botschafter in Belgrad, Karl Georg Pfleiderer, sowie die Bundestagsabgeordneten Kurt Georg Kiesinger (CDU) und Fritz Erler (SPD) für Gastvorträge zu gewinnen. Als ein besonderer Höhepunkt blieb Fetscher der Auftritt von André François-Poncet 1953 im Gedächtnis, der damals noch französischer Hochkommissar war, bevor er 1954 erster französischer Botschafter in Bonn wurde.⁵⁸ Die Habilitationsarbeit Fetschers erschien 1959 unter dem Titel „Rousseaus politische Philosophie“.⁵⁹ Eschenburg soll „später über den philosophischen Charakter der Arbeit“, der ihm anscheinend „einige Schwierigkeiten“ gemacht hat, gestöhnt haben.⁶⁰ Fetscher wurde 1963 auf eine Professur für Politikwissenschaft und Sozialphilosophie an die Universität in Frankfurt am Main berufen, an der bis zu seiner Emeritierung 1987 verblieb.
57 Der Text wurde erst 1970 unter obiger Überschrift im Kommentar zu den Paragraphen 387–482 der Enzyklopädie der Philosophischen Wissenschaften, Stuttgart/Bad-Cannstatt 1970 veröffentlicht. 58 Iring Fetscher, Neugier und Furcht. Versuch mein Leben zu verstehen, Hamburg 1995, S. 430f. 59 Iring Fetscher, Rousseaus politische Philosophie. Zur Geschichte des demokratischen Freiheitsbegriffs, Neuwied/Berlin 1960. 60 Fetscher, Neugier und Furcht, S. 457.
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Gänzlich anders gelagert war der Fall Ekkehart Krippendorff. Dieser hatte 1959 mit einer Dissertation über die Liberal Demokratische Partei in der SBZ bei Eschenburg promoviert⁶¹ und war danach an verschiedenen Universitäten in den USA und an der FU Berlin tätig. Hier betätigte er sich auch politisch, und zwar in der linken Studentenbewegung. Auf dieses politische Engagement war es offensichtlich zurückzuführen, dass 1970 seine Habilitation an der FU scheiterte. Dies ärgerte Eschenburg über die Maßen, so dass er Krippendorff, obwohl er dessen politischen Überzeugungen überhaupt nicht teilte, „gewissermaßen in Ausübung seiner feudalen Schutzpflichten die Habilitation in Tübingen anbot“. Dabei hatte er in der Fakultät „keine geringen Schwierigkeiten“, ihn durchzubringen, und in der Sitzung des Senats ging es „dramatisch“ zu. Die Fragen nach dem „politischen Standort“ des Habilitanden konterte Eschenburg mit der Feststellung: „Hier steht nicht eine politische Position zur Entscheidung, sondern eine wissenschaftliche Qualifikation, für die ich bürge.“ Damit setzte er sich durch.⁶² Der Tübinger Ordinarius hatte sich bereits einige Jahre vorher für Krippendorff verwandt und damit ein Zeichen seiner Liberalität gesetzt. Als zu Beginn der 1960er Jahre der linke Jungwissenschaftler Aufsätze veröffentlichte, die auf konservativer Seite Anstoß erregten, verteidigte ihn Eschenburg gegenüber einem Tübinger Kollegen. Es gebe „eine Vielzahl großer Gelehrter, die in ihrer Jugend unausstehlich radikal waren.“ Krippendorff habe ihm „in den Seminaren und Kolloquien nicht immer taktsicher widersprochen“, was ihm „sympathisch“ gewesen sei. Er sehe in einem solchen Verhalten „wissenschaftliche[. . . ] Pubertätserscheinungen“, die man „nicht tragisch“ nehmen dürfe, da sie „auf eine gute Entwicklung hoffen“ ließen.⁶³ Krippendorff hatte zunächst Schwierigkeiten, auf eine Professur an eine Universität in der Bundesrepublik berufen zu werden. Dies gelang erst 1978, als er an der FU Berlin einen Lehrstuhl für Politikwissenschaft und Politik Nordamerikas erhielt. Ein ganz besonderer Fall war Hans-Peter Schwarz, der von 1966 bis zu seiner Emeritierung Professuren in Osnabrück, Hamburg, Köln und Bonn wahrgenommen und eine Fülle großer Monografien geschrieben hat, unter denen die Arbeiten über die Ära Adenauer, insbesondere die zweibändige AdenauerBiografie, herausragen.⁶⁴ Zudem hat Schwarz in der Nachfolge von Hans Rothfels
61 Ekkehart Krippendorff, Die Liberal Demokratische Partei in der Sowjetischen Besatzungszone 1945 bis 1948, Düsseldorf 1961. 62 Ekkehart Krippendorff, Lebensfäden. Zehn biographische Versuche, Heidelberg 2012, S. 165ff. 63 Ekkehart Krippendorff, Der „Fall Eschenburg“: Die Bankrotterklärung der Politikwissenschaft, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 58 (2013), Heft 12, S. 87–93, Zitate S. 92. 64 Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Gründerjahre der Republik 1949–1957, Stuttgart 1981; Hans-Peter Schwarz, Die Ära Adenauer. Epochenwechsel 1957–1963, Stuttgart 1983; Hans-Peter
188 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen und Eschenburg zusammen mit Karl Dietrich Bracher über Jahrzehnte hinweg die „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ herausgegeben. Schwarz war Schüler von Arnold Bergstraesser in Freiburg, bei dem er 1958 mit einer Arbeit über Ernst Jünger promoviert worden war.⁶⁵ Während Schwarz an der Habilitationsschrift arbeitete, ist sein akademischer Ziehvater 1964 plötzlich verstorben. Da es nicht möglich war, alle aus dem bereits thematisierten „Sack voll von Doktoranden und Habilitanden“ Bergstraessers in Freiburg zum Abschluss zu führen, sind diese auf Professoren an anderen Universitäten verteilt worden. Eschenburg übernahm daraufhin Schwarz, obwohl sich beide nur oberflächlich durch Seminare kannten, die Eschenburg und Bergstraesser gemeinsam durchgeführt hatten. Schwarz vermutet, dass der Tübinger Ordinarius Interesse am Thema der Habilitationsschrift hatte, aber darüber hinaus „uneigennützig helfen“ wollte. Ausgetauscht haben sich Eschenburg und Schwarz über die Arbeit vor der Prüfung nicht – „alles lief schriftlich und beschränkte sich [. . . ] allein auf das Verfahren“. Den Einwand, dass Schwarz zu dieser Zeit bereits Professor an der Pädagogischen Hochschule Osnabrück und damit eine Habilitation eigentlich nicht mehr notwendig war, konnte Eschenburg aus der Welt schaffen, und das Habilitationscolloquium ging dann „völlig glatt über die Bühne“.⁶⁶ Eschenburg hat später mit einiger Zufriedenheit auf Schwarz geschaut und in einem Interview Anfang der 1980er Jahre festgestellt, dass er „nicht schlecht mit ihm gefahren“ sei.⁶⁷ Die Habilitationsschrift von Schwarz behandelte das Thema „Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft“ und sie ist noch im Jahr der Habilitation unter dem Titel „Vom Reich zur Bundesrepublik“ erschienen.⁶⁸ Sie galt bald als Standardwerk und ist deshalb auch 1980 in Stuttgart in einer zweiten Auflage publiziert worden. Als ein Beispiel für den liberalen Umgang Eschenburgs mit aufmüpfigen Studenten kann Johannes Agnoli gelten. Er war – wie Lehmbruch berichtet – „ein Paradiesvogel in den Seminaren“, der immer wieder durch „provozierende Bemerkungen“ auffiel. Der Tübinger Ordinarius kannte ihn bereits aus dem „Arbeitskreis für Politik“ und hatte wohl schon hier ein positives Urteil über ihn gewonnen.
Schwarz, Adenauer. Der Aufstieg, 1876–1952, Stuttgart 1986; Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann 1952–1967, Stuttgart 1991. 65 Hans-Peter Schwarz, Der konservative Anarchist. Politik und Zeitkritik Ernst Jüngers, Freiburg im Breisgau 1962. 66 Mitteilung von Hans-Peter Schwarz. 67 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278. 68 Hans-Peter Schwarz, Vom Reich zur Bundesrepublik. Deutschland im Widerstreit der außenpolitischen Konzeptionen in den Jahren der Besatzungsherrschaft, Berlin 1966; 2. erweiterte Aufl. Stuttgart 1980.
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Jedenfalls hat er ihn als wissenschaftliche Hilfskraft eingestellt und in ihm offensichtlich einen „Gewährsmann für politische Ideengeschichte“ gesehen.⁶⁹ Agnoli gilt als Vordenker der 68er-Bewegung, und er hat nach seiner Habilitation an der FU 1972 dort eine Professur wahrgenommen. Sein Werk „Die Transformation der Demokratie“⁷⁰, das er zusammen mit Peter Brückner verfasste, enthielt eine fundamentale Kritik an der parlamentarischen Demokratie westlicher Prägung. Man kann sie als eine Auseinandersetzung mit den politikwissenschaftlichen Prämissen Eschenburgs deuten. Weniger nachsichtig ist Eschenburg jedoch mit Hermann L. Gremliza, dem späteren langjährigen Herausgeber der Zeitschrift „konkret“, umgegangen. Gremliza studierte damals Politikwissenschaft und war gleichzeitig Chefredakteur der Studentenzeitung „Notizen“. Hierin hatte Gremliza 1963 einen Artikel unter der Überschrift „Die braune Universität. Tübingens unbewältigte Vergangenheit“ publiziert, in dem er zwei an der Universität lehrenden Professoren vorwarf, „einst mit großem Eifer ihre Universität zu einer ,Musterhochschule‘ im Geiste der nationalsozialistischen Ideologie umgebaut“ zu haben.⁷¹ Einer der Genannten war der Jurist Georg Eißer, 1955/56 selbst Rektor der Universität, der Eschenburg in seinen Amtsjahren als Prorektor zur Seite stand, als sich keine andere Lösung anbot.⁷² Ihn bezeichnete Eschenburg am Ende seiner Amtszeit als Rektor als einen „umsichtigen und erfahrenen Berater, dessen Urteil in seinem sach- und institutionsgerechten Bemühen von großem Wert“ gewesen sei.⁷³ Möglicherweise ist hierauf die heftige Reaktion Eschenburgs zurückzuführen, der den Artikel Gremlizas als einen „Misthaufen, gegen den man nicht anstinken kann“, bezeichnet haben soll.⁷⁴ Wenn es stimmt, dass Gremliza zu dieser Zeit Doktorand bei Eschenburg war, dann hatte er möglicherweise ein Problem. Er hat jedenfalls Jahrzehnte
69 Gerhard Lehmbruch, Demokratieforschung und Demokratieerziehung in der Nachfolge Eschenburgs, in: Volker Rittberger (Hrsg.), Demokratie – Entwicklung – Frieden: Schwerpunkte Tübinger Politikwissenschaft, Baden-Baden 2003, S. 31–48. 70 Johannes Agnoli/Peter Brückner, Transformation der Demokratie, Frankfurt am Main 1967. 71 Volker Paulmann, Die Studentenbewegung und die NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik, in: Stephan Alexander Glienke (Hrsg.), Erfolgsgeschichte Bundesrepublik? Die Nachkriegsgesellschaft im langen Schatten des Nationalsozialismus, Göttingen 2008, S. 189. 72 Jahresbericht über das akademische Jahr 1961/62, erstattet bei der Immatrikulationsfeier am 6. Juni 1962 vom Rektor Professor Dr. Theodor Eschenburg, Tübingen 1962, S. 15f. 73 Jahresbericht über das akademische Jahr 1962/63, erstattet bei der Rektoratsübergabe am 10. Mai 1963 vom Rektor Professor Dr. Theodor Eschenburg, Tübingen 1963, S. 20. 74 Paulmann, Studentenbewegung, S. 190.
190 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen später mitgeteilt, dass er nach der Erklärung Eschenburgs „nicht mehr zu fragen“ brauchte, „ob vielleicht der Doktorand Gremliza noch erwünscht sei“.⁷⁵ Wie die Reaktion Eschenburgs auf diese Frage ausgefallen wäre, ist jedoch nicht sicher. Denn nach einiger Zeit hat er den Artikel in den „Notizen“ deutlich abgewogener beurteilt und die Forderung der Studenten, die Vergangenheit der Universität im Dritten Reich stärker zu beleuchten, für richtig gehalten. Deshalb hat er sich auch mit einem Beitrag an der Ringvorlesung über die „Braune Universität“ im Wintersemester 1964/65 beteiligt. Sein Thema waren dabei die Universitäten in der Zeit der Weimarer Republik, die er in Tübingen und Berlin kennen gelernt hatte. Seiner Meinung zufolge waren diese keine „Hochburgen des Nationalsozialismus“. Es habe an ihnen jedoch „mehr oder minder [. . . ] der schwarzweiß-rote Geist“ überwogen, aus dem „eine wachsende Aufnahmebereitschaft für den Nationalsozialismus“ entstanden sei.⁷⁶ Eschenburg hat nach allem, was überliefert ist, eine strenge Auswahl vorgenommen, wenn es um die Förderung von wissenschaftlichem Nachwuchs ging. So hat er seinem Schüler Friedrich Karl Fromme nie die Habilitation angeboten, obwohl dieser eine grandiose Dissertation über den Zusammenhang von der Weimarer Verfassung und dem Bonner Grundgesetz geschrieben⁷⁷ und ihm fünf Jahre als Assistent gedient hatte. Fromme wechselte daher über den Süddeutschen Rundfunk in die „Frankfurter Allgemeine“, wo er bis zum Ressortleiter für Innenpolitik aufstieg. Eine große Karriere in der Presse machte auch Theo Sommer in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Sommer hatte zwar bei Hans Rothfels promoviert, aber auch zahlreiche Lehrveranstaltungen bei Eschenburg besucht, der ihn dann an „Die Zeit“ vermittelte. Weitere Assistenten, nämlich Rudolf Schuster, Peter Seibt, Ulrich Junker und Klaus Jordan, machten unterschiedliche Karrieren. Erstere wurden ohne Habilitation Professor an der TU München bzw. an der Universität Bremen, Letztere gingen in den diplomatischen Dienst; andere wiederum fanden an Fachhochschulen oder in politischen Bildungseinrichtungen Anstellungen. Über seine Schüler hat sich Eschenburg zu Beginn der 1980er Jahre mit der Bemerkung geäußert: „Eine regelrechte Pleite habe ich nie erlebt. Manches Mittelmaß, aber doch eine Reihe durchaus Herausragender.“⁷⁸
75 Eisfeld, Staatskonservative Kollaboration, S. 119f. 76 Theodor Eschenburg, Aus dem Universitätsleben vor 1933, in: Andreas Flitner (Hrsg.), Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus. Eine Vortragsreihe der Universität Tübingen mit einem Nachwort von Hermann Diem, Tübingen 1965, S. 24–46, Zitat S. 46. 77 Friedrich Karl Fromme, Von der Weimarer Verfassung zum Bonner Grundgesetz. Die verfassungspolitischen Folgerungen des Parlamentarischen Rates aus Weimarer Republik und nationalsozialistischer Diktatur, Tübingen 1960, 2. Aufl. Tübingen 1962. 78 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278.
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Im Verlauf der 1950er Jahre war das Ansehen Eschenburgs innerhalb der Universität auch über die eigene Fakultät hinaus ständig gestiegen. Dies kann man aus dem Antrag der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät aus dem November 1958 entnehmen, Eschenburg zu ihrem Mitglied zu ernennen. Begründet wurde dies sachlich damit, dass bereits die seinerzeitige Berufungsliste sowohl von der Philosophischen als auch von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät gemeinsam vorgelegt worden sei. Damals habe man aber aus grundsätzlichen Erwägungen von der Zugehörigkeit Eschenburgs zu beiden Fakultäten abgesehen. Dessen Lehrtätigkeit habe auf die „Studierenden die Anziehungskraft ausgeübt“, die man bei der Berufung erhofft habe. Dagegen seien die „institutionellen Voraussetzungen für den fachwissenschaftlichen Unterricht [. . . ] zur Zeit begrenzt“, da Eschenburg nicht über das Promotionsrecht in der Rechts- und Wirtschaftwissenschaftlichen Fakultät verfüge.⁷⁹ Der Große Senat hat diesen Antrag wenige Tage später „einmütig befürwortet“ und an das Ministerium weitergeleitet.⁸⁰ Das Ministerium hat dementsprechend entschieden. Eine noch größere Auszeichnung bedeutete es aber für Eschenburg, dass er im Januar 1961 zu seiner eigenen Überraschung als Kandidat für das Rektorenamt nominiert wurde. Einem Kollegen in Kiel schrieb er, hiermit habe er „überhaupt nicht gerechnet“. Dies könne man schon daraus ersehen, dass er noch „im November einen Antrag auf Beurlaubung im Sommersemester gestellt habe“.⁸¹ Auch im Dankesschreiben für die „freundlichen und persönlich gehaltenen Worte der Gratulation“ aus Anlass der Wahl zum Rektor, das er Anfang Februar 1961 an den Kultusminister richtete, betonte er, dass die Wahl für ihn „überraschend“ gekommen sei. Er sei sich der Last, die er auf sich nehme, bewusst. „Aber wer die Selbstverwaltung im Prinzip“ wolle, müsse „auch selbst bereit sein, die Lasten, die mit dieser Aufgabe verbunden [seien], zu tragen.“ In diesem Zusammenhang gab Eschenburg aber bereits zu bedenken, dass auch „andere Formen“ der Selbstverwaltung „als die bisherigen sich denken“ ließen.⁸² Was er hier nur andeutete, sprach er in seinem ersten Jahresbericht als Rektor im Juni 1962 schon deutlicher aus. Angesichts der Entwicklung, die durch ein immer stärkeres Anwachsen der Studentenzahlen und einer dahinter zurück-
79 Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät an das Akademische Rektoramt vom 21.11.1958, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 80 Der Große Senat der Universität Tübingen an das Kultusministerium Baden-Württemberg vom 29.11.1958, ebenda. 81 Eschenburg an Hans Diller vom 11.1.1961, UAT, 530/40. 82 Eschenburg an Kultusminister Gerhard Storz vom 2.2.1961, UAT, 530/14.
192 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen bleibenden Ausstattung an Räumlichkeiten, Sachmitteln und Personal gekennzeichnet war, stellte Eschenburg die Frage, „ob die Professoren noch in der Lage“ seien, „in jährlichem Wechsel nebenamtlich gleichsam nach Honoratiorenart ein so kompliziertes Gebilde wie die moderne Universität in einem ständig wachsenden Ausmaß [. . . ] zu verwalten und umzugestalten“. Letzteres sei aber notwendig. Denn die „Wandlung des Universitätsbetriebes“ erfordere „auch institutionelle Veränderungen“. Wenn diese nicht „statutarisch oder organisatorisch“ vorgenommen würden, so würden „sie sich von selbst“ einstellen, „aber vielleicht auf eine Art und Weise, die den Lehr- und Forschungsbetrieb“ mehr beeinträchtige „als eine bewusst gewollte und durchdachte Änderung“.⁸³ Ein Jahr später fasste er seine Kritik an der bestehenden Organisation der Leitung der Universität in dem Satz zusammen: „Die Zeit der patriarchalischen Idylle ist endgültig vorbei.“⁸⁴ Eschenburg war von nun an ein dezidierter Befürworter der Präsidialverfassung. Als ein weiterer Beleg hierfür kann eine Stellungnahme im Großen Senat gelten, die er seiner Erinnerung zufolge kurz vor Ablauf seiner zweiten Amtszeit abgegeben hat: „Die Zeit des Rektorats ist abgelaufen. Kein Wissenschaftler kann diese Verwaltungslast noch bewältigen. Da gehört ein erfahrener Administrator hin.“ In diesem Sinne hat er sich auch später in der Kommission eingesetzt, die Empfehlungen für die Verfassung der neu gegründeten Universität Konstanz ausarbeiten sollte.⁸⁵ Es ist nicht erstaunlich, dass gerade Eschenburg dieser Erkenntnis zum Durchbruch verhalf. Denn er gehörte im Kreis der Professoren zu den wenigen, die für das Amt des Rektors qualifiziert waren. Er verstand sowohl „etwas vom Recht, vor allem aber von der Praxis der Verwaltung“. Insbesondere seine Erfahrungen aus der Zeit im Innenministerium von Württemberg-Hohenzollern haben ihm „im Umgang mit den Behörden, aber natürlich auch mit den eigenen Kollegen geholfen“. In seinen Memoiren schreibt er, er „habe die Universität nach allen Regeln einer Behörde regiert. Das ging nicht ganz so wie in einem Ministerium, obwohl die Konflikte, die aufbrachen, und die Kämpfe, die ich auszufechten hatte, mit denen in der Politik durchaus vergleichbar waren.“⁸⁶ Die Tätigkeit des Rektors Eschenburg hat sich aber nicht im „Administrieren“ erschöpft. Im Rückblick war er besonders stolz darauf, auch dafür gesorgt zu haben, „dass in einem ganz altmodischen Sinne die Liberalität an der Univer-
83 84 85 86
Jahresbericht über das akademische Jahr 1961/62, S. 11. Jahresbericht über das akademische Jahr 1962/63, S. 21. Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 227. Ebenda, S. 218.
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Abb. 14. Theodor Eschenburg als Rektor (1961–1963).
Abb. 15. Theodor Eschenburg mit Ehefrau am 60. Geburtstag (1964).
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Abb. 16. Familienbild am 60. Geburtstag (v. l. n. r.: die Töchter Christine, Susanne, Ulrike, das Ehepaar Eschenburg, Tochter Ellen mit Ehemann Klaus Kemmler und deren Kinder Nicola und Kati).
sität bewahrt bliebe“.⁸⁷ Diese Bemerkung bezog er auf zwei Berufungen, die in sein Rektorat fielen und die von dem Üblichen abwichen. In beiden Fällen hat sich Eschenburg für die Betreffenden engagiert und damit wiederum den Beweis erbracht, dass er für Personen eintreten konnte, deren politische Auffassungen er nicht teilte. Wichtig war für ihn nur die wissenschaftliche Qualität. In dieser Hinsicht war er sowohl von Walter Jens als auch von Ernst Bloch überzeugt. Der junge Altphilologe Walter Jens hatte seit 1956 eine apl. Professur für Klassische Philologie an der Universität Tübingen inne. Zu dieser Zeit war er aber auch bereits als Schriftsteller hervorgetreten, und er gehörte seit 1950 der „Gruppe 47“ an. Die damit verbundene Prominenz und die Resonanz, die er bei der Studentenschaft fand, veranlassten die beiden Lehrstuhlinhaber für Altphilologie, sich gegen die Einrichtung einer weiteren Professur auf diesem Gebiet für Jens auszusprechen. Dazu kamen politische Vorbehalte, denn er vertrat schon „damals poin-
87 Ebenda, S. 221.
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tierte Auffassungen“⁸⁸, obwohl er „noch sehr vorsichtig“ agierte.⁸⁹ Er galt jedoch allgemein als „ein etwas links stehender Literat“⁹⁰, was die Neigung auf konservativer Seite nicht gerade erhöhte, ihn auf einen klassischen Lehrstuhl zu berufen. Eschenburg zufolge ist daher der Gräzist Wolfgang Schadewaldt auf die Idee gekommen, einen neuen Lehrstuhl für „Klassische Philologie und Rhetorik“ zu schaffen und diesen mit Jens zu besetzen.⁹¹ Diesen Plan hat Eschenburg als Rektor unterstützt und somit die Berufung von Jens aktiv betrieben. Sie erfolgte 1963, nachdem Jens einen Ruf an die Universität Hannover abgelehnt hatte.⁹² Obwohl sich Jens nach seiner Berufung politisch weiter radikalisierte und Eschenburg schon Anfang der 1980er Jahre nicht mehr daran glaubte, „dass er wieder vernünftig wird“⁹³, sind die beiden Freunde geworden und geblieben. Genauso wenig wie mit Jens stimmte Eschenburg mit den politischen Auffassungen von Ernst Bloch überein. Dieser marxistische Philosoph war von den Nationalsozialisten ausgebürgert und in die Emigration gezwungen worden. In der DDR wurde er 1949 auf einen Lehrstuhl für Philosophie in Leipzig berufen. 1955 wurde er Nationalpreisträger der DDR und damit quasi zu deren Staatsphilosophen. Nach der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn 1956 überwarf er sich mit dem System, wurde ein Jahr später aus politischen Gründen emeritiert und kaltgestellt. Im Mai 1960 hielt Bloch auf Einladung der Philosophischen Fakultät einen Gastvortrag an der Universität Tübingen, der so viel Anklang fand, dass der Philosoph aus der DDR zu einer Gastvorlesung an die schwäbische Universität eingeladen wurde. Diese fand im Wintersemester 1961/62 statt, d. h. kurz nach dem Mauerbau. Bloch hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits entschieden im Westen zu bleiben. Dies warf die Frage nach der Finanzierung seines Lebensunterhalts auf. Er erhielt zunächst ein DFG-Stipendium und sodann Honorarzahlungen von der Universität Tübingen für seine Gastvorlesung. Das Problem der Gastprofessur bestand jedoch darin, dass sie für jedes Semester erneut beantragt werden musste und mit ihr keine Versorgungsansprüche für das Alter verbunden waren. Alle diese Fragen fielen in das Rektorat Eschenburgs, der nicht nur mit dem Kultusministerium eine für Bloch erträgliche finanzielle Versorgung aushandeln, sondern dessen Anstellung in Tübingen auch gegen professoralen und politischen Widerstand durchsetzen musste. Hierauf soll im Folgenden der
88 Ebenda, S. 222. 89 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278. 90 Ebenda. 91 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 221. 92 Jahresbericht über das akademische Jahr 1962/63, S. 17. 93 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278.
196 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen Schwerpunkt gelegt werden, da Eschenburgs Argumentation tiefen Einblick in sein Denken und Handeln gewährt. Zum Ersteren sei nur so viel gesagt, dass vor allem durch den Einsatz von Kultusminister Gerhard Storz, der seine Schritte jeweils eng mit dem Tübinger Rektor abstimmte, die Gastprofessur für Bloch durch Erhöhung der entsprechenden Mittel im Staatshaushaltsplan quasi auf Dauer und ihm im Falle der Arbeitsunfähigkeit „die Bewilligung eines Alterssolds oder Gratials“ in Aussicht gestellt wurde.⁹⁴ Eschenburg hat immer wieder betont, dass er sich nicht anmaße, über Bloch „ein fachkundiges Urteil“ abgeben zu können, aber hinzugefügt, dass dieser „als Philosoph über ein großes Ansehen, auch im Bereich seiner Gegner“, verfüge. Er selbst habe festgestellt, dass Bloch ein „historisch-politisch ungewöhnlich gebildeter Mann“ sei. Er habe sich zudem „immer mehr in seiner Auffassung von der realen kommunistischen Politik distanziert“, sei aber „auch heute noch philosophisch ein Materialist“. Die „Vertretung dieser philosophischen Ansicht“ müsse aber „an den deutschen Universitäten ertragen“ werden können, da ansonsten die „akademische Freiheit in Frage gestellt“ sei. Ihm seien darüber hinaus „diese starken, entschiedenen Persönlichkeiten“, zu denen Bloch nach seiner Auffassung gehöre, „sympathischer als die verschlagenen Opportunisten, die ja sehr viel zahlreicher“ seien. Außerdem sei er „nur wenigen Persönlichkeiten begegnet [. . . ], die als geistige Erscheinung einen so starken Eindruck“ auf ihn gemacht hätten.⁹⁵ Hinzu kamen für Eschenburg weitere Faktoren, die für Bloch ins Gefecht geführt werden konnten. So hatte er sich – wie er an den Kultusminister schrieb – „in Tübingen als ein ungewöhnlich erfolgreicher Lehrer erwiesen“. Er habe „bis zur letzten Stunde des Semesters“ „übervolle Hörsäle“ gehabt. Trotz des „sehr spröden Stoffs“ (Grundbegriffe der Philosophie) habe er „eine Anziehungskraft weit über den Kreis der eigentlichen Philosophen ausgeübt“. Außerdem gehöre er zu den Kollegen, die am häufigsten zu auswärtigen Vorträgen eingeladen würden. Positiv sei schließlich noch anzumerken, dass Bloch sowohl in den universitären Veranstaltungen als auch bei auswärtigen Auftritten „politische Äußerungen“ vermeide und sich ganz auf sein Fachgebiet beschränke.⁹⁶ Abschließend ist noch auf ein Argument einzugehen, das Eschenburg bereits am Anfang der Auseinandersetzungen über Bloch ins Spiel brachte. Einen Göttinger Kollegen wies er im Oktober 1961 nicht nur darauf hin, dass sich Bloch „von
94 Kultusministerium Baden-Württemberg an Rektor Eschenburg vom 23.8.1962, UAT, 351/8. In diesem Bestand auch der Briefwechsel zwischen Eschenburg und Storz. 95 Eschenburg an Gerhard Mildenberger vom 17.11.1961, ebenda. 96 Eschenburg an Kultusminister Storz vom 21.3.1962, ebenda.
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der SBZ gelöst“ habe, sondern es das Ansehen der bundesdeutschen Universitäten stärken würde, „wenn wir einem Mann, dem in der SBZ das wissenschaftliche Wirken verwehrt wird, die Gelegenheit frei zu forschen und zu lehren bieten“. Entscheidend war jedoch der letzte Satz des Briefes. Hierin hieß es: „Zweifellos hat sich Herr Bloch in der Bewertung der sowjetischen Politik geirrt; es lehren aber auch an deutschen Hochschulen eine ganze Reihe von Persönlichkeiten, die sich in der Beurteilung des Nationalsozialismus geirrt haben.“⁹⁷ Damit forderte Eschenburg das Recht auf politischen Irrtum, und zwar sowohl für „rechten“ wie für „linken“. Dies sollten alle diejenigen bedenken, die meinen, Eschenburg und mit ihm viele andere, auch die, die sich sehr viel stärker auf den Nationalsozialismus eingelassen hatten als er, auf Dauer an den Pranger stellen zu müssen. Eine weitere wichtige Weichenstellung, die Eschenburg bereits vor seinem Rektorat angestoßen hatte, die aber erst zum Abschluss kam, als er amtierte, betrifft die Einrichtung einer Professur für Zeitgeschichte. Infolge der Hakenkreuzschmierereien an der neu eingeweihten Kölner Synagoge am Weihnachtsabend 1959 und der anschließenden Welle weiterer antisemitischer Schmierereien in der Bundesrepublik wies Eschenburg in der Sitzung der Philosophischen Fakultät im Februar 1960 darauf hin, dass „sicher bald allgemein an den Universitäten Lehrstühle für Zeitgeschichte eingerichtet würden“. Tübingen sei „eine der wenigen Universitäten, die einen solchen Lehrstuhl sogleich aus sich heraus besetzen könnten“. Das war offensichtlich auf den Privatdozenten und Schüler von Hans Rothfels, Waldemar Besson, bezogen, ohne dass dies im Protokoll vermerkt wurde. Die Fakultät beschloss, sich mit dem Ministerium „über die Möglichkeiten eines solchen Lehrstuhls zu verständigen“.⁹⁸ Die Schaffung und Besetzung dieser Professur ging dann jedoch langsamer voran als erwartet. Das war darauf zurückzuführen, dass parallel über die Nachfolge von Rothfels entschieden werden musste, was sich als schwierig herausstellte, da keiner der Kandidaten auf der ersten Liste den Ruf annahm und auf der anschließend erstellten zweiten Liste die Kandidaten auf den Plätzen 1 und 2 ebenfalls absagten. In eine neue Phase traten die Bemühungen zur Besetzung eines Lehrstuhls für Zeitgeschichte Ende Januar 1961, als „vorsorglich“ eine Kommission gebildet wurde, der auch Eschenburg angehörte. Sie sollte aber erst tätig werden, wenn über die Nachfolge von Rothfels entschieden worden sei.⁹⁹. Beschleunigt wurde der Prozess durch die Wahl Eschenburgs zum Rektor. Da er damit „seine Lehrtätigkeit einschränken“ müsse, wünschte die Fakultät dringend, dass das Fach
97 Eschenburg an Karl Friederichs vom 11.10.1961, ebenda. 98 Sitzung der Philosophischen Fakultät am 18.2.1960, UAT, 131/209, S. 124. 99 Sitzung der Philosophischen Fakultät vom 28.1.1961, UAT, 131/210, S. 18.
198 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen Zeitgeschichte bereits im Sommersemester 1961 vertreten werde. Als Kandidat, der hierzu bereit sei, nannte der Dekan den Berliner Privatdozenten Gerhard Schulz.¹⁰⁰ Dieser Zusage entsprechend übernahm der Schüler Hans Herzfelds in Vertretung des zu begründenden „Ordinariats für Zeitgeschichte“ einen Lehrauftrag.¹⁰¹ Parallel dazu tagte die Kommission zur Besetzung des Lehrstuhls. Diese legte ihre Liste in der zweiten Dezemberhälfte 1961 der Fakultät vor, die dafür votierte, die „Professur Zeitgeschichte“ mit Rücksicht auf das zweite Rektorat von Eschenburg und vier an anderen Universitäten zu besetzenden Lehrstühlen dieses Faches „baldmöglichst“ zu besetzen. Auf Platz 1 der Liste stand Gerhard Schulz. Als Bezeichnung des Lehrstuhls schlug die Fakultät „Neue Geschichte mit besonderer Berücksichtigung der Zeitgeschichte“ vor.¹⁰² Mitte Februar 1962 nahm der Große Senat den Vorschlag der Fakultät an.¹⁰³ Wenige Tage später sprach Schulz mit dem Rektor über die zukünftige Stellung der Zeitgeschichte an der Universität Tübingen, die schließlich organisatorisch als eigenständiges Seminar, unabhängig vom Historischen Institut, ihren Platz fand. Eine „Verbindung mit der politischen Wissenschaft“ hielt Schulz, der auch für dieses Fach die venia legendi besaß, für „problematisch“. Damit traf er sich mit Eschenburg, der eine „Enthistorisierung“ der Politischen Wissenschaften in die Diskussion gebracht hatte, die „einer solchen Bestrebung entgegenlaufen“ würde.¹⁰⁴ Die Zeitgeschichte und die Politische Wissenschaft blieben im Folgenden in Tübingen zwei deutlich voneinander unterschiedene Fächer, nicht nur organisatorisch, sondern auch inhaltlich. Es ist deshalb auch nachvollziehbar, dass sich das Themenspektrum von Eschenburgs Veranstaltungen nach der Etablierung des Fachs Zeitgeschichte an der Universität Tübingen auf spezifisch politikwissenschaftliche Fragestellungen konzentrierte und zeitgeschichtliche Themen, die er in den 1950er Jahren immer wieder aufgegriffen hatte, gänzlich mied. Eschenburg befand sich nach dem „glanzvollen Rektorat auf dem Gipfel seines akademischen Ansehens“.¹⁰⁵ Je unruhiger und aufmüpfiger die Studenten aber auftraten und je umstrittener die Verfassung der Universität wurde, umso mehr geriet er zwischen die Fronten. Den linken Kräften in der Studenten- und Assistentenschaft gingen seine Reformvorstellungen nicht weit genug, konservative Kol-
100 Dekan Wolfgang Mohr an das Akademische Rektoramt vom 14.4.1961, UAT, 315/158. 101 Sitzung der Philosophischen Fakultät vom 4.5.1961, UAT, 131/210, S. 28. 102 Sitzung der Philosophischen Fakultät vom 21.12.1961, ebenda, S. 66. 103 Sitzung des Großen Senats vom 13.2.1962, UAT 47/42, S. 348–350. 104 Gerhard Schulz an Eschenburg vom 15.3.1962, UAT, 315/158. 105 So Hans-Peter Schwarz gegenüber dem Verfasser.
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legen hingegen klagten über zu große Zugeständnisse an den Zeitgeist. In welcher Zwickmühle sich Eschenburg befand, erhellen zwei Briefe aus den Jahren 1967 und 1968. Der eine war an Wolf-Dieter Narr gerichtet¹⁰⁶, Assistent an der Universität Konstanz und ein engagierter Befürworter der Ausweitung der Mitbestimmung von Assistenten und Studenten in der akademischen Selbstverwaltung, der andere an Ministerpräsident Hans Filbinger.¹⁰⁷ Narr hatte sich auf einer Podiumsveranstaltung in Stuttgart, über die die „Stuttgarter Zeitung“ berichtet hatte, zum Entwurf für ein neues Hochschulgesetz geäußert. Ihm warf er vor, dass er „lediglich die Fassade der OrdinarienUniversität von vor fünfzig Jahren spiegele“. Außerdem bezeichnete er die „Praxis des Berufungsverfahrens als ein irrationales Roulettespiel, das derjenige gewinne, der über die besten Beziehungen verfüge“. Mit viel Sarkasmus wies Eschenburg die Vorwürfe Narrs zurück, dem er nicht nur mangelnde Erfahrung vorwarf, sondern ebenso fehlende Bereitschaft, das Bemühen der professoralen Reformer, zu denen sich Eschenburg zählte, angemessen zu würdigen. Der Anlass für das Schreiben an Filbinger war die Einladung der A. V. Guestfalia zu einem Diskussionsabend über die Lage an den Universitäten, an dem auch der Ministerpräsident teilnehmen werde. Eschenburg bezweifelte gegenüber Filbinger, ob ihm eine „überwiegend konservative Korporation wirklichkeitsnahe Informationen bringen“ werde. Er hätte es für besser gehalten, wenn der Ministerpräsident sich mit dem Rektor der Universität oder „einem ausgesuchten Kreis der verschiedenen Richtungen“ innerhalb der Studentenschaft zusammensetzen würde. Eschenburg wollte nicht ausschließen, dass Filbinger während der Veranstaltung durch ein „go-in“ überrascht werde, was für ihn „sehr interessant“ sein würde. Denn hieraus könne er ersehen, „wie unendlich viel schwieriger die Verhältnisse an der Universität liegen, als sich viele es vorstellen“. Nur wenige Tage später, Anfang Dezember 1968, schlugen die Wellen der studentischen Empörung über Eschenburg zusammen. Anlass war ein bekannt gewordenes Gespräch, das er mit einem Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes im September geführt hatte. Von diesem Mitarbeiter war Eschenburg mit dem Wunsch konfrontiert worden, ihm Kandidaten mit Universitätsabschluss zu nennen, die zukünftig als Nachwuchskräfte im Beamten- oder Angestelltenverhältnis im Bundesnachrichtendienst in Frage kämen. Außerdem hat Eschenburg möglicherweise Namen von Kollegen genannt, die als weitere Ansprechpartner für den Bundesnachrichtendienst dienen könnten, u. a. den Professor für Wissenschaft und Geschichte der Politik, Michael Freund, in Kiel. Über die-
106 Eschenburg an Wolf-Dieter Narr vom 15.9.1967, UAT, 530/15. 107 Eschenburg an Ministerpräsident Hans Filbinger vom 27.11.1968, UAT, 530/23.
200 | Professor für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen sen ist der Vorgang in die Öffentlichkeit gelangt, so dass Rundfunk und Presse darüber berichteten.¹⁰⁸ Der Tübinger AStA reagierte am 6. Dezember mit einer Presseerklärung unter der Überschrift „Der Dritte Mann“. Darin hieß es u. a., dass „das Verhalten Eschenburgs [. . . ] die Freiheit des wissenschaftlichen Studiums“ gefährde. „Von Eschenburgs Verhalten bis zur Gesinnungskontrolle in Diktaturen“ sei „es nur ein kleiner Schritt“. Deshalb könne keinem Studenten „eine weitere Mitarbeit in Eschenburgs Seminar zugemutet werden“. Daher forderte das Flugblatt zum Boykott aller Lehrveranstaltungen des Seminars für Politikwissenschaft auf, dem sich die Mitarbeiter des Seminars anschließen sollten. Die Attacke auf den angesehenen Wissenschaftler gipfelte in der Aufforderung, „dass Professor Eschenburg sein Ordinariat“ niederlege, „anderenfalls die Universität eine Zwangsemeritierung“ herbeiführen müsse.¹⁰⁹ Eschenburg war entsetzt. Da er in der nächsten Sitzung seines Seminars mit einem „go-in“ rechnete, verlegte er die Veranstaltung in einen Vorlesungsraum, zu der er nicht nur die Seminarteilnehmer einlud. Zwar sei „die Versammlung ohne besondere Zwischenfälle“ verlaufen, wie Eschenburg an das Kultusministerium berichtete, aber trotzdem sei ständig der Verdacht wiederholt worden, dass es in dem Gespräch nicht nur um die Einsetzung von V-Leuten an der Universität gegangen sei, sondern dass Eschenburg „selbst die Studenten bespitzele“. Letzterer sah im Boykottaufruf „eine Beeinträchtigung“ seiner Lehrtätigkeit, und er beanspruchte gegenüber dem Ministerium, ihn gegen „Beleidigungen, Verleumdungen und Androhungen dieser Art zu schützen“. Jedenfalls, so seine abschließende Feststellung, sei es „den Lehrenden der Universität nicht zuzumuten, ihre Lehrtätigkeit unter diesem Druck der Studentenschaft aufrechtzuerhalten“.¹¹⁰ Irritiert und empört war Eschenburg auch über Äußerungen von Eugen Kogon, Professor für Politikwissenschaft an der TH Darmstadt, und Kurt Sontheimer, Professor für Politikwissenschaft an der FU Berlin, die sein Verhalten öffentlich kritisiert hatten. Beide wies er darauf hin, dass es das Recht und die Pflicht der Bundesregierung sei, „durch eine entsprechende Institution für Spionageabwehr zu sorgen“. Kogon warf er vor, sich als „Kontrolleur und Zensor“ aufzuspielen, und Sontheimers Äußerung hielt er für „mehr als rücksichtslos“, als „unfair und unwissenschaftlich“.¹¹¹
108 Eschenburg an das Kultusministerium vom 12.12.1968, UAT, 117 E/2575. 109 Flugblatt des AStA vom 6.12.1968, ebenda. 110 Eschenburg an das Kultusministerium vom 12.12.1968, ebenda. 111 Eschenburg an Kurt Sontheimer vom 10.12.1968, UAT, 530/31; Eschenburg an Eugen Kogon vom 11.12.1968, UAT, 530/21.
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Mit der durch „1968“ an den Universitäten geschaffenen Lage hat sich Eschenburg nicht mehr anfreunden können. Ende August 1969 schrieb er in einem Brief: „Die Universitäten befinden sich in einem Stadium der Revolution, und ob diese schon im Abklingen ist, werden wir erst merken, wenn das Semester begonnen hat.“ Zu diesem Zeitpunkt wusste er noch nicht, „ob er seine Vorlesung überhaupt starten“ könne, und wenn ja, ob er sie „durchzuhalten“ vermöge. Im Seminar gehe es nach seinen „bisherigen Erfahrungen etwas friedlicher zu, aber [auch] hier haben schon Explosionen stattgefunden, und weitere werden stattfinden können“.¹¹² In der Tat hat er die Vorlesung in den nächsten beiden Semestern nicht gehalten und auch sein Seminar „Parteien und Fraktionen“ im Sommersemester hat nicht er, sondern sein Assistent Peter Pawelka geleitet. Eschenburg hat bereits einige Zeit vor seiner Emeritierung den Lehrbetrieb weitgehend eingestellt. Angesichts der Entwicklung an den Universitäten hat er resigniert und verstärkt auf den Feldern agiert, die sich ihm bereits seit Beginn seiner Hochschullehrerlaufbahn außerhalb seiner Alma Mater geboten hatten.
112 Eschenburg an Karl Friedrich Reimers vom 27.8.1969, ebenda.
„Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker Eschenburgs hat seine Tätigkeit von Beginn an nicht auf die Universität beschränkt. Er war ein „öffentlicher Professor“¹, der Politikberatung betrieb (Mitwirkung in von staatlichen Stellen eingesetzten Kommissionen), zahlreiche Vorträge vor ganz unterschiedlichem Publikum hielt, als Publizist regelmäßig in Zeitungen und Zeitschriften schrieb oder mit Beiträgen und Interviews im Radio und Fernsehen auftrat und sich darüber hinaus mit zahlreichen Publikationen einen Namen machte. Innerhalb relativ kurzer Zeit war Eschenburg eine bekannte Größe in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion. Die Ehrungen für sein Wirken setzten 1960 mit der Verleihung des Schillerpreises der Stadt Mannheim ein. 1968 wurde er in den Orden Pour le Mérite aufgenommen. 1975 bekam er die Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg verliehen, 1986 das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Entsprechend fielen die Würdigungen in der Presse anlässlich seines 75. Geburtstags im Jahr 1979 aus. Demnach war er der „Praeceptor Germaniae“ („Die Zeit“ vom 19.10.1979), „Ein Demokrat über den Parteien“ („Die Welt“ vom 24.10.1979), „Eine Institution der Republik“ („Stuttgarter Zeitung“ vom 24.10.1979) oder „Der Wächter über Normen und Kompetenzen“ („Schwäbisches Tagblatt“ vom 24.10.1979). Zehn Jahre später richtete Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu Eschenburgs 85. Geburtstag ein Abendessen in der Villa Hammerschmidt aus, in dessen Verlauf der Bundespräsident, Außenminister Hans-Dietrich Genscher und der Ministerpräsident Baden-Württembergs, Lothar Späth, den Jubilar würdigten. Es war nicht selbstverständlich, dass die politische Klasse der Republik Eschenburg in dieser Weise ihre Wertschätzung zum Ausdruck brachte, denn als Kritiker war er unerbittlich. Dies gilt nicht nur hinsichtlich seiner öffentlichen Stellungnahmen, sondern auch für seine Schreiben an zahlreiche Politiker, die deren Verhalten monierten und sie zur Wahrung von Recht und Gesetz anhielten. Gleichwohl ist er immer wieder von wichtigen Politikern der Bundesregierung, insbesondere auch von Bundeskanzler Konrad Adenauer, zum Meinungsaustauch eingeladen und um Rat gebeten bzw. in Kommissionen und Beiräte, die die Bundesregierung einsetzte, berufen worden. Eschenburgs spezifische Auffassung von politischer Führung in der Demokratie lässt sich anhand seiner Briefwechsel
1 Bezeichnung übernommen aus: Institut für Politikwissenschaft in Verbindung mit der Universität Tübingen (Hrsg.), Theodor Eschenburg (1904–1999): Tübinger Perspektiven. Katalog zur Ausstellung anlässlich seines 100. Geburtstages, Tübingen 2004, S. 67.
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Abb. 17. Aufnahme in den Orden Pour le Mérite (Theodor Eschenburg mit Rektor Ludwig Raiser sowie Ehefrau und zwei Töchtern) (1968).
mit den politischen Größen der Bundesrepublik detailliert nachvollziehen, und sie hat sich auch in seiner Kommissionstätigkeit niedergeschlagen. Deshalb wird in diesem Kapitel des Näheren hierauf eingegangen. Durchgehend sah der Tübinger Ordinarius die zentrale Aufgabe der Politikwissenschaft in der politischen Bildung. Dies war der Auftrag, der mit der Übernahme der Professur verbunden war und dementsprechend hat er sich auch sogleich in diesem Bereich engagiert. Aber auch als er später den Blick weitete und Themen behandelte, deren Bezug zur politischen Bildung nicht ohne weiteres ersichtlich ist, kann veranschaulicht werden, dass er neben seiner akademischen Lehrtätigkeit auch seine Vorträge und Publikationen sowie seine Tätigkeit als Publizist und nicht zuletzt seine Korrespondenz und seine Unterredungen mit führenden Politikern als Beiträge zur politischen Bildung und damit zur Erziehung zur Demokratie betrachtete. Der Name Eschenburgs ist schon frühzeitig im Zusammenhang mit politischer Bildungsarbeit genannt worden. Als Ende 1947 ein erster Anlauf gemacht wurde, ein „Institut zur Erforschung der nationalsozialistischen Politik“ zu gründen, war Theodor Eschenburg als Geschäftsführer in Aussicht genommen worden.
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Mit der Institutsgründung war anfangs die Schaffung einer „Kombination von Archiv, wissenschaftlichem Forschungsinstitut und Zentralstelle für politische Bildungsarbeit“ beabsichtigt. Diese Absicht ließ sich jedoch aufgrund fehlender finanzieller Mittel nicht realisieren. Erst zwei Jahre später wurde ein entsprechendes Institut gegründet², das sich auf die Forschung konzentrierte und später als „Institut für Zeitgeschichte“ großes Renommee erlangte. In den ersten beiden Jahrzehnten der Institutsgeschichte spielte Eschenburg insbesondere als einer der Herausgeber der Zeitschrift des Instituts, der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“, ein wichtige Rolle. Gegen Ende des Jahres 1951 wurde Eschenburg vom Staatsekretär des Innern, Hans Ritter von Lex, die Leitung der „Zentrale für Heimatdienst“, der Vorläuferorganisation der „Bundeszentrale für politische Bildung“, angeboten. Der zu dieser Zeit noch als Stellvertretender Innenminister amtierende Eschenburg hielt die Stellung für “reizvoll“ und die damit verbundene Tätigkeit für „notwendig“. Er lehnte gleichwohl ab, da er „im Augenblick Tübingen noch nicht verlassen“ wolle, jedenfalls so lange nicht, „bis die Verfassung des Südweststaates oder des dann wiederhergestellten Württembergs abgeschlossen“ sei. Außerdem verhehlte er nicht seine Sorge „vor der Neigung, aus dem Bundesheimatdienst ein Regierungsinstrument zu machen“. Dadurch würden – wie er befürchtete – „die Arbeiten dieser Einrichtung um ihre Wirkung, die Institution selbst um ihren Kredit gebracht werden“.³ Als Eschenburg ein gutes halbes Jahr später auf den Tübinger Lehrstuhl für Politik berufen wurde, waren es wiederum Überlegungen, die die politische Bildungsarbeit betrafen, denen ein besonderer Stellenwert zukam. So hatte der Große Senat in seinem Votum für ihn betont, dass „die Durchleuchtung der strukturellen Zusammenhänge des demokratischen Staatsaufbaus in Deutschland [. . . ] eine besonders vordringliche Aufgabe“ des neuen Lehrstuhls sei. Deshalb müssten die Studenten „mit den konkreten Fragen der Verfassung, der Verwaltung, des Kräftespiels der Parteien und Interessengruppen“ vertraut gemacht werden. Denn wenn es nicht gelinge, die Studenten in diesen „elementaren staatsbürgerlichen Bereichen urteilsreif zu machen“, werde es unmöglich sein, ihnen „zu echter Wahrnehmung“ ihrer „politischen Mitverantwortung zu verhelfen“. Das Ministerium pflichtete der Stellungnahme des Großen Senats der Universität Tübingen bei und bezeichnete die von diesem beschriebene politische Bildungs-
2 Helmuth Auerbach, Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 18 (1970), S. 529–554. 3 Eschenburg an Bundespräsident Heuss vom 20.11.1951, UAT, 530/5. Siehe auch Hentges, Staat, S. 114.
206 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker arbeit als „die gegenwärtig wichtigste Aufgabe“ des neuen Lehrstuhls, für dessen Besetzung Eschenburg „sicherlich die geeignetste Persönlichkeit“ sei.⁴ Es war daher nur folgerichtig, dass der neue Ordinarius anfangs so großes Gewicht auf die Ausbildung von Lehrern für das Fach Politik an Höheren Schulen legte. Die Übersicht über die von ihm angebotenen Lehrveranstaltungen, die im vorigen Kapitel gegeben worden ist, hat dies belegt. Ein Problem bestand jedoch darin, dass es das Fach Politik an den Schulen nicht gab, ebenso wenig wie die Möglichkeit, in diesem Fach ein Examen abzulegen. Was den ersten Punkt anbetraf, so setzte das Kultusministerium von Baden-Württemberg 1955 eine Kommission ein, an deren Spitze sie Eschenburg berief. Aufgabe dieser Kommission war es, einen Lehrplan für den staatsbürgerlichen Unterricht an den Schulen des Landes auszuarbeiten. Über die Probleme, die damit zusammenhingen, war sich Eschenburg bereits bei Übernahme des Amtes klar. An Bundesminister Gerhard Schröder schrieb er, er wisse „aus eigener Erfahrung“, wie schwer es sei, den staatsbürgerlichen Unterricht „zu einem Unterrichtsfach für alle Schularten zu gestalten und andererseits dieses neue Fach gegen den Widerstand von Schulverwaltungen und Lehrern wirklich durchzusetzen“⁵. Diese Vermutung hat sich bewahrheitet. Die Vertreter der etablierten Schulfächer wie Geschichte, Latein, Erdkunde etc. wehrten sich dagegen, dass vom Unterricht dieser Fächer Stunden an das Fach Politik abgegeben werden sollten. Schließlich gelang es jedoch der Kommission mit Unterstützung des Kultusministers den hinhaltenden Widerstand ihrer Opponenten zu brechen, so dass in den letzten drei Klassen der Gymnasien in Baden-Württemberg das Fach Politik gelehrt wurde, und zwar mit je zwei Wochenstunden.⁶ Dies gelang jedoch erst mit einer Verzögerung. Denn die Lehrpläne für die Gymnasien Baden-Württembergs, die das Kultusministerium im Juni 1955 herausgab, räumten dem Fach Gemeinschaftskunde in der 10. und 13. Klasse jeweils nur eine Wochenstunde ein. Die Erläuterungen wiesen jedoch darauf hin, dass „staatsbürgerliche Erziehung Unterrichtsprinzip aller Fächer und aller Klassenstufen“ sein müsse. Außerdem enthielten sie den Hinweis, dass „die Diskussion über die Frage des Unterrichts in Gemeinschaftskunde“ noch nicht abgeschlossen sei.⁷
4 Der Kultminister an den Ministerpräsidenten vom 2.8.1952, HStASt, EA 3/150 Bü 480. 5 Eschenburg an Minister Gerhard Schröder vom 28.2.1955, UAT, 530/20. 6 Eschenburg, Anfänge der Politikwissenschaft, S. 33ff.; Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 205f. 7 Lehrpläne für die Gymnasien Baden-Württembergs (Entwurf). Herausgegeben vom Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg, UAT, 530/122.
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Im Zusammenhang mit der schließlich gefundenen Regelung erfolgte auch die Einbeziehung des Faches Politik in das Staatsexamen für das Lehramt. Ehe genügend ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung standen, behalf man sich mit „Übergangslehrern“. Das waren Lehrer anderer Fächer, die durch Fortbildungskurse für das neue Fach ausgebildet wurden. Eschenburg hat sich zu Beginn der 1980er Jahre daran erinnert, dass im Schulamtsbezirk SüdwürttembergHohenzollern solche Kurse „viele Jahre hindurch“ abgehalten worden und „gut besucht“ gewesen seien. In der Schule selbst sei das Fach aber noch längere Zeit auf Widerstand gestoßen und die Lehrer für Politik hätten „Schikanen zu ertragen und zahlreiche Schwierigkeiten zu überwinden“ gehabt. Dies habe erst „im Laufe der Zeit nachgelassen, wenn nicht aufgehört“.⁸ Mitte der 1950er Jahre veröffentlichte Eschenburg in einem Volkshochschulhandbuch eine „Kleine Bürgerkunde“ im Umfang von ca. 60 Seiten.⁹ Als das Bundesverteidigungsministerium diesen Beitrag als Sonderdruck für den politischen Unterricht der Soldaten herausgeben wollte, erhob der Verfasser Einwände. Die Darstellung habe „einen sehr starken Kompendiencharakter“, bleibe „gleichsam in Stichworten“ stecken und unterlasse „jede Erklärung des Warum“. Eschenburg hielt sein jüngst erschienenes Werk „Staat und Gesellschaft in Deutschland“¹⁰ für wesentlich besser geeignet, da es versuche, „unseren Staat sowohl an sich wie im Verhältnis zu anderen Typen der Demokratie und zu anderen Herrschaftsformen [. . . ] zu beschreiben und zu erklären“. Das Problem bestand jedoch darin, dass dieses Werk über 800 Seiten umfasste. In diesem Umfang war es – das wusste auch Eschenburg – nicht für den gedachten Zweck geeignet. Den Einwand schob er aber mit der Feststellung beiseite, dass die beiden Teile des Buches jeweils „für sich gelesen“ werden könnten und es darüber hinaus möglich sei, lediglich „einzelne Kapitel“ für einen Sonderdruck zu verwenden.¹¹ Auf dieses Werk ist an dieser Stelle etwas näher einzugehen. Denn Eschenburg hatte das Buch nicht für „Fachkenner“ geschrieben. Vielmehr sollte es seiner Vorstellung zufolge „dem Lehrer des politischen Unterrichts in allen Schularten und an allen Stätten der Erwachsenenbildung als Hilfsmittel dienen, aber auch jenen, die einmal diese Aufgabe übernehmen wollen, als Einführung nützlich sein“. Der Verfasser legte mit der Publikation „weder neue Forschungsergebnisse noch Reformvorschläge“ vor, sondern wollte lediglich das „Funk-
8 Eschenburg, Anfänge der Politikwissenschaft, S. 33. 9 Theodor Eschenburg, Kleine deutsche Bürgerkunde, in: Die moderne Volkshochschule. Handbuch für Beruf und Haus in zwei Bänden, Stuttgart 1953. 10 Stuttgart 1956. 11 Eschenburg an Graf von Baudissin vom 1.12.1956, UAT, 539/20.
208 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker tionieren der politischen Willensbildung sowie der staatlichen Willensverwirklichung“ beschreiben und erklären. Dabei war er so vorgegangen, dass er zunächst einleitend eine „Übersicht über die Grundbegriffe des Staates, die Grundformen der staatlichen Organisation und der politischen Willensbildung sowie über die wichtigsten Staatstheorien und die Haupttypen der gegenwärtigen Herrschaftsformen zum Verständnis unserer eigenen politischen Ordnung“ gab.¹² Erst dann folgte der fast 500-seitige zweite Teil über die staatlichen Grundlagen der Bundesrepublik. In ihm nahmen die Ausführungen über die politische Organisation der Bundesrepublik mit fast 300 Seiten den größten Platz ein. Erschlossen wurde der Band mit einem ausführlichen Sachregister, was seine Verwendung als Lehrmittel sehr erleiterte. Allein die Schwerpunktsetzung, die Eschenburg in diesem Band vorgenommen hatte, zeigt, dass für ihn die Aufklärung über die Organe der Bundesgewalt im Zentrum der politischen Bildung zu stehen hatte. Unter politischer Bildungsarbeit verstand Eschenburg demgemäß eine „Fahrschule für Politik“, was für ihn so viel hieß, „dass Demokratie mit ihrem komplizierten System einfach gelernt [. . . ], Institutionen, Kompetenzen und Verfahren [. . . ] nüchtern gelehrt, verständlich gemacht“ werden müssen.¹³ Dies geschah nicht immer mit dem gewünschten Erfolg. Ende 1961 schrieb Eschenburg an seinen alten Bekannten aus gemeinsamen Tübinger Tagen, Hans Wenke, nach Hamburg, er müsse immer wieder feststellen, „dass es den Lehrern, Studenten und Schülern an der praktischen Vorstellung der Verfassungswirklichkeit“ fehle. Deshalb habe er eine Reihe von Artikeln aus Zeitungen und Zeitschriften zusammengestellt und veröffentlicht¹⁴, von denen er annahm, dass sie sich „nicht nur für Lehrzwecke“ eigneten, „sondern auch in einem anderen Sinne brauchbar“ seien, „nämlich für den praktischen Politiker zum Nachschlagen“.¹⁵ Auch Jahre später zeigte sich Eschenburg „an der politischen Bildung nach wie vor äußerst interessiert“. An Staatssekretär Werner Ernst im Bundesinnenministerium schrieb er im Mai 1967, dass er „zusammen mit den Lehrbeauftragten und Assistenten“ seines Instituts das Seine „in begrenztem Rahmen“ täte, „um Lehrer für die Gemeinschaftskunde, aber auch Redner für Volkshochschulen und andere politische Veranstaltungen gründlich und disziplingerecht auszubilden“. Außerdem hielten viele seiner Schüler „Vorträge in Volkshochschulen und anderen ähnlich gearteten Einrichtungen sowie bei Veranstaltungen der
12 Eschenburg, Staat und Gesellschaft, S. 11f. 13 Eschenburg, Anfänge der Politikwissenschaft, S. 27. 14 Theodor Eschenburg, Institutionelle Sorgen der Bundesrepublik. Politische Aufsätze 1957– 1961, Stuttgart 1961. 15 Eschenburg an Hans Wenke vom 19.12.1961, UAT, 530/24.
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baden-württembergischen Vereinigung ,Der Bürger im Staat‘ “. Er „achte schon bei der Ausbildung, aber auch später darauf, dass sie nicht ins Schwätzen verfallen und dass sie das Geschwätz bei der Diskussion nicht zulassen“. Damit habe er „ganz brauchbare Erfolge“ erzielt. Dagegen hielt er zu dieser Zeit nichts mehr von Kommissionen, die von Ministerien zur Förderung der politischen Bildung eingesetzt wurden. In seinem Brief an Ernst teilte er mit, dass er „vor einigen Jahren die Einladung“ abgelehnt habe, an einer entsprechenden Kommission des Innenministeriums teilzunehmen. Die Ablehnung sei „nicht aus mangelndem Interesse“ erfolgt, sondern deshalb, weil er sich „über den Leerlauf in vielen Kommissionen dieser Art geärgert habe“.¹⁶ Unabhängig hiervon hielt er nicht viel von der Einmischung staatlicher Stellen in die politische Bildung. Wie bereits eingangs des Kapitels dargestellt, hatte er sich schon Ende 1951 gegen die von ihm vermuteten Tendenzen der Bundesregierung gewandt, sich die Zentrale für Heimatdienst zu unterstellen. An dieser Einstellung hat er festgehalten und sich 1974 klar gegen die von der Landesregierung Baden-Württemberg vorgenommene Unterstellung der Landeszentrale für politische Bildung opponiert. Denn nach seinem Dafürhalten war allein „die politische Information [. . . ] Sache der Regierung, nicht aber die politische Bildung“. Wenn diese zur „Regierungsangelegenheit“ gemacht werde, bestehe „die Gefahr, dass aus ihr politische Information“, d. h. Propaganda, werde. Daraus folgerte Eschenburg, dass die Unterstellung der Landeszentrale unter die Landesregierung nur als „Fehlkonstruktion“ bezeichnet werden könne.¹⁷ Als Eschenburg 1955 in einer wissenschaftlichen Zeitschrift einen Beitrag über das Fach Zeitgeschichte publizierte, ließ er keinen Zweifel an der Bedeutung dieser Disziplin für die politische Bildung. Hierin schrieb er der Zeitgeschichte die Aufgabe zu, „pädagogisch als wirksames Gegengewicht gegen das Übergewicht des Stimmungsurteils“ zu wirken. Daraus folgerte er, dass der „ernsthafte [. . . ] Versuch, das Verstehen und die Urteilsfähigkeit für Politik auf breiter Ebene zu steigern und zu erweitern“, nur gelingen könne, wenn „das Lehren in diesem Zweig der Geschichtswissenschaft schon in den Schulen“ intensiviert würde. Dies sei umso wichtiger, „als er zugleich in die für den modernen Schulunterricht unerlässliche Gegenwartskunde“ hineinführe. Der Verfasser stellte jedoch auch bestimmte Forderungen auf, in welcher Weise das Fach zu betreiben sei. So warnte er unter Hinweis auf Äußerungen eines Bundesministers, der die Verbrechen Hitlers mit der Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten „verrechnen“ wollte,
16 Eschenburg an Staatssekretär Werner Ernst vom 19.5.1967, UAT, 530/20. 17 Eschenburg an Intendant Paul Bausch vom 12.8.1974, UAT, 530/25.
210 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker vor der „Gefährlichkeit einer unsachlichen Zeitgeschichte und affektgeladenen Interpretation“. Dagegen setzte er als Modell eine „nüchterne, redliche, wirklichkeitsnahe Zeitgeschichte“, eine „saubere Zusammenstellung der Fakten und deren behutsame Interpretation, verarbeitet in der Distanz, gerade wegen und trotz der Distanzlosigkeit des eigenen Erlebens“.¹⁸ Dies waren hehre Erwartungen, denen Eschenburg in seinem weiteren Leben selbst nicht immer entsprochen hat. Denn als er Ende der 1970er und noch dezidierter Ende der 1980er Jahre sich mit der Tätigkeit des ehemaligen Reichsfinanzministers Lutz Graf Schwerin von Krosigk und des ehemaligen Staatssekretärs im Auswärtigen Amt, Ernst von Weizsäcker, im Dritten Reich auseinandersetzte, hat er der nachwachsenden Generation die Befähigung zur Beurteilung der damaligen historischen Zusammenhänge rundweg bestritten und für seine Generation die Vetoposition des Zeitzeugen beansprucht.¹⁹ Es geht jedoch nicht an, Eschenburgs zeitgeschichtliche Tätigkeit allein unter dieser Perspektive zu bewerten. Über zwei Jahrzehnte hinweg hat er in maßgeblichen Gremien des bereits genannten Instituts für Zeitgeschichte mitgewirkt, zunächst zehn Jahre als Mitglied des Kuratoriums, dann als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats. Wesentlich mehr öffentliche Wirkung erzielte er jedoch damit, dass er zusammen mit dem Tübinger Historiker Hans Rothfels ebenfalls über einen langen Zeitraum hinweg die „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ herausgab. Diese 1953 erstmals erschienene Zeitschrift galt zwar offiziell als unabhängig vom Institut, wurde aber von dessen Mitarbeitern redaktionell betreut. Unter der Ägide ihrer Herausgeber Rothfels und Eschenburg gewann sie rasch internationale Anerkennung. Besonders auf dem Feld der NS-Forschung erlangte sie in kurzer Zeit große Reputation. Rothfels, der bis 1934 eine Professur für Geschichte in Königsberg innehatte, die er wegen seiner jüdischen Herkunft verlassen musste, war 1938 in die USA emigriert. Nach dem Krieg kehrte er nach Deutschland zurück und wurde 1950 auf einen Lehrstuhl an der Universität Tübingen berufen. Rothfels genoss von Beginn an hohes Ansehen unter seinen Kollegen, was nicht zuletzt daher rührte, dass er zwar Emigrant war, aber zugleich als sehr konservativ galt. Als 1952 im Institut für Zeitgeschichte die Entscheidung fiel, eine Zeitschrift ins Leben zu rufen, ist man mit dem Ersuchen an ihn herangetreten, die Herausgeberschaft zu übernehmen. Nach einigem Zögern hat er diese unter zwei Bedingungen übernommen. Als erstes verlangte er einen Mitherausgeber, der in Tübingen residierte. Dabei war sein Blick auf den soeben vor der Berufung stehenden Eschenburg gefallen,
18 Theodor Eschenburg, Aufgaben der Zeitgeschichte, in: GWU 6 (1955), S. 356–361, Zitate S. 360f. 19 Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“, S. 425f.
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der zugestimmt hatte. Als zweites sollte die „Verantwortung für Gestaltung und Inhalt“ allein bei den Herausgebern liegen, wenn sie auch im Auftrag des Kuratoriums handelten. Bereits in der gemeinsamen Sitzung von Kuratorium und Beirat im Mai 1952, in der entsprechend beschlossen wurde, traten Rothfels und Eschenburg als ein Team auf, das seine Vorstellungen auch gegenüber anderen Meinungen in den Gremien durchsetzte. Als Staatssekretär Walter Strauß die personelle Zusammensetzung des Kreises der Mitherausgeber monierte, hielten Rothfels und Eschenburg dagegen. Besonders Letzterer betonte, dass der Kreis „nach sorgfältiger Beratung und Überlegung“ zusammengestellt worden sei; er wies deshalb die Forderung zurück, diesen nachträglich zu ergänzen. Diese Korrektur würde „die Arbeit so beeinträchtigen“, dass sie nach Meinung der in Aussicht genommenen Herausgeber nicht durchzuführen sei. Die Kritik, dass das im Kreis der Mitherausgeber vertretene Spektrum zu schmal sei, da es „die verschiedenen großen Strömungen im Politischen“ nicht repräsentiere, wies Eschenburg auch im Namen von Rothfels deutlich zurück, als er sagte: „Wir wehren uns dagegen, dass dieses parteipolitische Element in der Frage der Herausgeberschaft der Zeitschrift zum Ausdruck kommt.“²⁰ In seinen Interviews mit Siedler und Fest in den 1980erJahren hat sich Eschenburg sehr positiv über Rothfels geäußert. Er sei „im wahrsten Sinne des Wortes eine vornehme Erscheinung“ gewesen, und zwar sowohl „in der Haltung“ wie „in der Gesinnung“. Als Herausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“, die Eschenburg zeit seines Lebens als „Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte“ bezeichnete, hätten sie „sehr eng zusammengearbeitet“. Dabei habe er Rothfels „den Vortritt gelassen“. Er begründete dies damit, dass er selbst „auf dem Gebiet völlig unerfahren“ und der andere der Ältere gewesen sei, dem zudem diese Zeitschrift sehr „am Herzen gelegen“ habe. Daraus könne aber nicht gefolgert werden, dass er „einfach alles mitgemacht habe“, obwohl er ihm „diesen gewissen Vortritt bewusst gelassen habe“.²¹ Eine Durchsicht der entsprechenden Aktenbestände im Archiv des Instituts für Zeitgeschichte ergibt, dass diese Beschreibung Eschenburgs angemessen ist. Die Dominanz von Rothfels gegenüber Eschenburg schlägt sich nicht nur in der Zahl der Beiträge nieder, die die beiden in den „Vierteljahrsheften“ publiziert haben. Dies sind bei Ersterem 33, bei Letzterem 13. Ebenso hat Rothfels sehr viel öfter als Eschenburg die Vorbemerkungen verfasst, die damals den Aufsätzen oder Dokumentationen vorangestellt waren, für die Verfasser außerhalb
20 Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Kuratorium und Beirat des Instituts für Zeitgeschichte vom 17.5.1952, IfZ-Archiv, ID 4/4. 21 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1985, UAT, 530/278.
212 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker des Instituts verantwortlich zeichneten. Gleichwohl ist der Einfluss Eschenburgs auf die „Vierteljahrshefte“ in ihren Anfangsjahren nicht zu unterschätzen. Der Briefwechsel zwischen ihm und dem Schriftleiter Helmut Krausnick in München über eingereichte Manuskripte ist recht umfangreich. So schlug Eschenburg nach Rücksprache mit Rothfels eine Besprechung des Buches von Peter Kleist „Auch Du warst dabei“ vor²² und diskutierte mit dem Schriftleiter über Manuskripte über die SS.²³ So monierte er an dem Aufsatz von Karl O. Paetel, dass in ihm die Kausalität zwischen dem Ordenscharakter der SS und ihrem „erbärmlichen Untergang“ nicht ausgearbeitet sei. Im Manuskript von Hans Buchheim wiederum fehlte ihm der Hinweis auf das große „Chaos der Verwaltungsorganisationen“, das Hitler geschaffen habe. Darin wollte Eschenburg nicht nur organisatorische Fehlleistungen erkennen, sondern ein „System“. Hiermit nahm er gleichsam andeutungsweise die Polykratiethese vorweg, die erst später entwickelt worden ist. Aber auch über Manuskripte von Autoren wie WilhelmTreue²⁴, Erich Matthias²⁵, Karl Dietrich Bracher²⁶, Arnold Bergstraesser²⁷ und Felix Hirsch²⁸ hat Eschenburg Stellung bezogen, schließlich auch zu einer Dokumentation über Hugenberg.²⁹ Nicht zuletzt meldete er sich ebenso zu Wort, wenn es um die Zusammenstellung von Aufsätzen in den einzelnen Heften ging. Zwei Beispiele aus dem Jahr 1953
22 Eschenburg an Helmut Kausnick vom 2.3.1953, IfZ-Archiv, ID 103-17-133; Hans Buchheim, Zu Kleists „Auch Du warst dabei“, in: VfZ 2 (1954), S. 177–192. 23 Eschenburg an Helmut Krausnick vom 22.6.1953, IfZ-Archiv, ID 103-17-95; Karl O. Paetel, Die SS. Ein Beitrag zur Soziologie des Nationalsozialismus, in: VfZ 2 (1954), S. 1–33. Eschenburg an Helmut Krausnick vom 3.2.1955, IfZ-Archiv, ID 103-33-82; Hans Buchheim, Die SS in der Verfassung des Dritten Reiches, in: VfZ 3 (1955), S. 127–157. 24 Eschenburg an Helmut Krausnick vom 27.9.1954 und vom 3.2.1955, IfZ-Archiv, ID 102-7-72 und ID 103-33-82; Wilhelm Treue, Hitlers Denkschrift zum Vierjahresplan 1946, in: VfZ 3 (1955), S. 184– 210. 25 Eschenburg an Helmut Krausnick vom 27.9.1954, IfZ-Archiv, ID 102-7-72; Eschenburg an Erich Matthias vom 24.10.1955, IfZ-Archiv, ID 103-38-60; Erich Matthias, Der Untergang der Sozialdemokratie 1933, in: VfZ 4 (1956), S. 250–286; Erich Matthias, Der Untergang der alten Sozialdemokratie, in: VfZ 4 (1956), S. 250–286. 26 Helmut Krausnick an Eschenburg vom 30.7.1955, IfZ-Archiv, ID 103-33-72; Karl Dietrich Bracher, Stufen totalitärer Gleichschaltung. Die Befestigung der nationalsozialistischen Herrschaft 1933/34, in: VfZ 4 (1956), S. 30–42. 27 Helmut Krausnick an Eschenburg vom 30.7.1955, IfZ-Archiv, ID 103-33-72; Arnold Bergstraesser, Deutsche Einheit, in: VfZ 3 (1955), S. 335–344. 28 Eschenburg an Felix Hirsch vom 8.3.1955 (in der Vorlage 1956), IfZ-Archiv, ID 103-33-60; Felix Hirsch, Stresemann, Ballin und die Vereinigten Staaten, in: VfZ 3 (1955), S. 20–35. 29 Eschenburg an Helmut Krausnick vom 20.4.1955, IfZ-Archiv, ID 103-33-80; Anton Ritthaler, Eine Etappe auf Hitlers Weg zur ungeteilten Macht. Hugenbergs Rücktritt als Reichsminister, in: VfZ 8 (1960), S. 193–219.
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sollen hier genügen. So begegnete er dem Vorschlag Krausnicks, in einem Heft die Dokumentation einer Rede von Heinrich Himmler und einen Beitrag über die SS zu bringen, mit dem Einwand, dass die Herausgeber „gleichsam den Leser mit SS-Material überfüttern“ würden³⁰, ein Argument, mit dem er sich durchsetzte. Für die Aufnahme einer Dokumentation über die kommunistische Machtübernahme in den baltischen Staaten plädierte er mit dem Argument, dass es „einmal ganz gut“ sei, eine Dokument zu publizieren, „das überhaupt nichts mit dem Nationalsozialismus zu tun“ habe.³¹ Aber auch in späteren Jahren hat Eschenburg auf die Gestaltung von Beiträgen Einfluss genommen. Als Beleg mögen zwei Fälle ausreichen. Im Frühjahr 1961 drang der Staatssekretär im Bundesjustizministerium, Walter Strauß, der zu dieser Zeit auch Mitglied des Kuratoriums des Instituts für Zeitgeschichte war, gegenüber den Herausgebern der „Vierteljahrshefte“ darauf, dass eine Aufzeichnung des ehemaligen Rassereferenten im Reichsinnenministerium, Bernhard Lösener, in der Zeitschrift veröffentlicht werde. Der Inhalt der Aufzeichnung war problematisch, da hierin die Beteiligung Löseners an der „Judengesetzgebung“ als Kampf um die Einschränkung des Betroffenenkreises dargestellt wurde. Das Interesse der Bundesregierung an der Publikation ergab sich daraus, dass in dem Dokument auch ein positives Licht auf die Tätigkeit Globkes, zu dieser Zeit Staatssekretär im Bundeskanzleramt, im Reichsinnenministerium fiel. Damit hofften die Verantwortlichen in Bonn, Globke gegenüber Angriffen wegen seiner Vergangenheit im Dritten Reich aus der Schusslinie nehmen zu können. Die Herausgeber haben das Dokument veröffentlicht, nachdem Eschenburg allzu anfechtbare Formulierungen in der Einleitung von Walter Strauß beseitigt hatte. Aus der Vorbemerkung von Rothfels ergibt sich jedoch, dass die Herausgeber nach wie vor eine gewisse Distanz zum publizierten Text besaßen.³² 1974 reichte Hartmut Soell einen Briefwechsel zwischen dem Journalisten Paul Sethe und dem SPD-Politiker Fritz Erler aus den Jahren 1956/57 ein, die er – mit einer Einleitung versehen – als Dokumentation in den „Vierteljahrsheften“
30 Eschenburg an Helmut Krausnick vom 22.6.1953, IfZ-Archiv, ID 103-17-95. 31 Eschenburg an Helmut Krausnick vom 29.9.1953, IfZ-Archiv, ID 103–17-71; Boris Meissner, Die kommunistische Machtübernahme in den baltischen Staaten, in: VfZ 2 (1954), S. 95–114. 32 Vgl. Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“, S. 420ff. Man hat daraus, dass allein Rothfels die distanzierende Vorbemerkung autorisiert hat, den Schluss ziehen wollen, dass Eschenburg nicht einbezogen war. Dies verkennt, dass die Vorbemerkungen meist von Rothfels und nur gelegentlich von Eschenburg geschrieben wurden. Es gibt keinen Anlass, daraus auf Meinungsverschiedenheiten zwischen den Herausgebern zu schließen. Dagegen Hans Woller und Jürgen Zarusky, Der „Fall Theodor Eschenburg“ und das Institut für Zeitgeschichte. Offene Fragen und neue Perspektiven, in: VfZ 61 (2013), S. 551–565.
214 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker veröffentlichen wollte. Zu der Einleitung nahm Eschenburg in einem langen Brief an den Direktor des Instituts, Martin Broszat, Stellung. Hierin monierte er, dass Soell „die Darstellung der Pressesituation in Deutschland stark übertrieben“ habe. Im Unterschied zum Verfasser glaubte er an die „Liberalität der Pressepolitik“ in der Bundesrepublik und hielt es für nicht angemessen, den „Kapitalismus jetzt zum alleinigen Sündenbock“ zu machen – was er Soell unterstellte.³³ Letzterer hat sich „sehr gefreut“, dass sich Eschenburg „mit dem Manuskript so intensiv beschäftigt“ hatte. Einige seiner Randbemerkungen hätten ihm geholfen, „zu apodiktisch klingende Formulierungen zu mildern und an der einen und anderen Stelle [. . . ] zu präzisieren“.³⁴ Es entsprach dem liberalen Stil der Herausgeber, dass die im Grundtenor unveränderte Einleitung mit den Briefen publiziert wurde.³⁵ Eine nicht unbedeutende Rolle spielte Eschenburg noch einmal im Jahr 1976, als es um die Berufung neuer Herausgeber ging. Im Juli des Jahres war Hans Rothfels gestorben. Eschenburg hatte daraufhin erklärt, dass er „bald von den Pflichten des Herausgebers entbunden sein möchte“.³⁶ Deshalb mussten neue Herausgeber gefunden werden, denn auch der 1973 als dritter Herausgeber kooptierte ehemalige Direktor des Instituts, Helmut Krausnick, hatte der Niederlegung seines Mandats zugestimmt. Die Auswahl der beiden neuen Herausgeber, für die zahlreiche Kandidaten genannt wurden, erfolgte in einem komplizierten Verfahren, an dem der Direktor des Instituts, Martin Broszat, die Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats, Karl Dietrich Erdmann, und des Stiftungsrats, Ministerialdirektor Karl Böck, ebenso beteiligt waren wie Eschenburg. Dabei hatte dessen Meinung durchaus Gewicht. Die Entscheidung für die beiden neuen Herausgeber Karl Dietrich Bracher und Hans-Peter Schwarz war aber das Ergebnis eines Kompromisses. Für die Öffentlichkeit sichtbar war die zeithistorische Tätigkeit Eschenburgs in den Beiträgen, die er in den „Vierteljahrsheften“ publizierte. Die meisten Veröffentlichungen fielen in die 1950er und die Anfänge der 1960er Jahre. Das war bei Rothfels nicht anders und ist darauf zurückzuführen, dass die Herausgeber anfänglich nicht genügend Beiträge von außerhalb zur Verfügung hatten und daher selbst gefordert waren zu schreiben. Thematisch lag der Schwerpunkt bei
33 Eschenburg an Martin Broszat vom 12.8.1974, IfZ-Archiv, ID 90-78-83. 34 Hartmut Soell an Hellmuth Auerbach vom 16.9.1974, IfZ-Archiv, ID 90-78-75. 35 Hartmut Soell, Zum Problem der Freiheit des Journalisten. Aus der Korrespondenz Fritz Erler– Paul Sethe 1956/57, in: VfZ 23 (1975), S. 91–116. 36 Martin Broszat an den Vorsitzenden des Stiftungsrats, Karl Böck, vom 18.10.1976, IfZ-Archiv, ID 90-21-62.
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Eschenburg auf biografischen Skizzen, so über General Kurt von Schleicher³⁷, Franz von Papen³⁸, Paul von Hindenburg, Heinrich Brüning, General Wilhelm Groener und nochmals Kurt von Schleicher³⁹ sowie über Carl Sonnenschein.⁴⁰ Das waren alles Personen, deren Wirken in die Zeit der Weimarer Republik fiel, die stets im Vordergrund von Eschenburgs historischem Interesse stand. Aber auch Aufsätze bzw. Dokumentationen über das Dritte Reich hat Eschenburg veröffentlicht⁴¹, über das Problem der deutschen Einheit nach den beiden Weltkriegen geschrieben⁴², ebenso wie über die Anfänge des Landes WürttembergHohenzollern.⁴³ Die beiden letzten Beiträge aus den 1970er und 1980er Jahren beziehen sich zwar auf historische Probleme, ihnen liegen aber deutlich politikwissenschaftliche Fragestellungen zugrunde.⁴⁴ Das spiegelt das sich gewandelte Interesse des alternden Professors, der sich im Laufe seines Lebens mehr und mehr aktuellen Ereignissen zuwandte, die er politikwissenschaftlich analysierte. Von Beginn seiner Tätigkeit als Professor an hielt Eschenburg eine kaum zu übersehende Fülle von Vorträgen außerhalb der Universität Tübingen. Die große Zahl von Einladungen, die er insbesondere seit Beginn der 1960er Jahre erhielt, ist darauf zurückzuführen, dass er in einem Ausmaß „vernetzt“ war, wie das bei der Mehrzahl seiner Kollegen nicht der Fall war. Hier spielten die Kontakte aus den späten Jahren der Weimarer Republik, aber auch aus der Zeit, der er der Regierung von Württemberg-Hohenzollern angehört hatte, ebenso eine Rolle wie seine frühzeitig einsetzende publizistische Tätigkeit. Als Motiv für seine zahlreichen Vor-
37 Theodor Eschenburg, Zur Ermordung des Generals von Schleicher, in: VfZ 1 (1953), S. 71–95. 38 Theodor Eschenburg, Franz von Papen, in: VfZ 1 (1953), S. 153–169. 39 Theodor Eschenburg, Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik: Hindenburg, Brüning, Groener, Schleicher, in: VfZ 9 (1961), S. 1–29. 40 Theodor Eschenburg, Carl Sonnenschein, in: VfZ 11 (1963), S. 333–361. 41 Theodor Eschenburg, Die Rede Himmlers vor den Gauleitern am 3. August 1944, in: VfZ 1 (1953), S. 357–394; Theodor Eschenburg, Streiflichter zur Geschichte der Wahlen im Dritten Reich, in: VfZ 3 (1955), S. 311–316; Theodor Eschenburg, Eine Beamtenvernehmung im Dritten Reich, in: VfZ 11 (1963), S. 210ff. 42 Theodor Eschenburg, Das Problem der deutschen Einheit nach den beiden Weltkriegen, in: VfZ 5 (1957), S. 107–133. 43 Theodor Eschenburg, Aus den Anfängen des Landes Württemberg-Hohenzollern, in: VfZ 10 (1962), S. 264–279. 44 Theodor Eschenburg, Regierung, Bürokratie und Parteien 1945–1949. Ihre Bedeutung für die politische Entwicklung der Bundesrepublik, in: VfZ 24 (1976), S. 58–74; Theodor Eschenburg, Chronik eines Richtlinienstreites zwischen dem Reichskanzler Luther und dem Reichsminister des Auswärtigen, Stresemann, 1925. Zur Technik des Regierens im parlamentarischen System, in: VfZ 36 (1988), S. 233–258.
216 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker träge und die große Zahl publizistischer Beiträge bezeichnete Eschenburg Ende des Jahres 1960 den „Wunsch und das Interesse, in einem dauerhaften, wohlgeordneten Staatswesen zu leben [und] ein wenig an seiner Gestaltung und Behauptung mitzuwirken“. Diese „Art öffentlichen Wirkens“ erfordere keinen Mut, da damit keine Gefährdung verbunden sei. Es gehe nur darum, die „institutionell gewährte Freiheit“ zu nutzen, bereit zu sein, „Unbequemlichkeiten auf sich zu nehmen, auf machen äußeren Vorteil zu verzichten, und sehr viel Mühe – aber mehr auch nicht“.⁴⁵ Seinen vielfältigen Kontakten entsprechend war der Zuhörerkreis, vor dem Eschenburg jeweils auftrat, sehr heterogen. Folgende Aufzählung soll nur einen Eindruck vermitteln, ist also auch nicht annähernd vollständig. Bereits vor seiner Ernennung zum Professor in Tübingen hat er 1951 einen Vortrag an der Universität Bern gehalten. Er behandelte das Thema „Der Übergang von der Monarchie zur Republik in Deutschland 1918/19“. Seine Druckfassung mit dem Titel „Die improvisierte Demokratie der Weimarer Republik“ gehörte zu den wenigen Werken, die bei der Berufung auf den Tübinger Lehrstuhl von ihm vorlagen.⁴⁶ Historische Probleme erörterte er auch in zwei weiteren Vorträgen aus den 1950er Jahren. Den ersten hielt auf einer Tagung des Instituts für Zeitgeschichte im Mai 1956 in Tutzing, den zweiten auf einem internationalen Kongress dieses Instituts im November 1959 in München. Das Thema des ersten lautete: „Die europäischen Demokratien zwischen den Weltkriegen“⁴⁷, das Thema des zweiten: „Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik – Hindenburg, Brüning, Groener, Schleicher“. Er ist zwei Jahre später in den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ erschienen und deshalb bereits genannt worden.⁴⁸ Weitere Vorträge über historische Persönlichkeiten hat Eschenburg 1962 gehalten. Der erste wurde im Süddeutschen Rundfunk und in Radio Bremen übertragen und würdigte den französischen Politiker der Zwischenkriegszeit und Partner Stresemanns, Aristide Briand.⁴⁹ Den zweiten hielt er an der Universität Tübingen bei der Einweihung eines Studentenheims, das den Namen Carl Sonnenscheins trug. Es versteht sich von selbst, dass Eschenburg bei dieser Gelegenheit über diesen
45 Rede Eschenburgs anlässlich der Verleihung des Schillerpreises der Stadt Mannheim am 6.12.1960, UAT, 530/52. 46 Eschenburg, Die improvisierte Demokratie der Weimarer Republik. 47 Theodor Eschenburg, Die europäischen Demokratien zwischen den Weltkriegen, erstmals veröffentlicht in: Das dritte Reich und Europa – Bericht über die Tagung des Instituts für Zeitgeschichte in Tutzing, Mai 1956, München 1957, S. 1–24. 48 Eschenburg, Rolle der Persönlichkeit. 49 Abgedruckt in: Eschenburg, Die improvisierte Demokratie, S. 227–234.
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katholischen Priester und Sozialpolitiker der Weimarer Jahre sprach, den er noch selbst kennen gelernt hatte.⁵⁰ Ansonsten standen im Zentrum von Eschenburgs Vorträgen und Reden jedoch Themen, die politikwissenschaftlich angelegt waren und Probleme der Gegenwart behandelten. Dabei sprach er oft auf Einladung von Wirtschaftsorganisationen, so z. B. bereits 1954 vor der Industrie- und Handelskammer in Düsseldorf über das Thema „Staatsautorität und Gruppenegoismus“. 1960 folgte ein Auftritt bei der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, wo er sich über „Wahlwerbung und Staatsräson“ äußerte. 1967 und 1968 stellte er „historischpolitische Betrachtungen zur Herrenmode“ auf Einladung der Frankfurter Bank bzw. des Verbandes der deutschen Seiden- und Samtindustrie in Baden-Baden an. Die Kaufmannschaft in Lübeck klärte er 1969 über „Demokratie und Staatspraxis“ auf, vor dem ADAC in Freiburg sprach er 1970 über das Prinzip der Mehrheitsentscheidung. Vorträge hielt er 1968 auch im Innenministerium von BadenWürttemberg über den „Verwaltungsschlendrian“ und 1971 vor Referendaren des Stuttgarter Oberlandesgerichtes, wo er die „Verfassungstreue der Beamten“ zur Diskussion stellte. In welchem Maße auch der Zeitgeist bei der Themenauswahl eine Rolle spielte, zeigen die Vorträge, mit denen er 1971 im Stuttgarter Wissenschaftsministerium bzw. 1974 in der Schwäbischen Gesellschaft auftrat. So wurde die Zuhörerschaft im ersten Fall mit Eschenburgs Ansichten über die „Demokratisierung der Verwaltung“ konfrontiert, im zweiten Fall mit den „Möglichkeiten und Grenzen der Demokratisierung“ ganz allgemein. Darüber hinaus war Eschenburg als Festredner beliebt. Bereits 1960 hielt er den Festvortrag auf den Deutschen Journalistentag, in dem er „kritische Betrachtungen eines Zeitungslesers“ zum Besten gab. Im selben Jahr hielt er die Festansprache bei der Überreichung der Heinrich-Heine-Medaille an Altbundespräsident Theodor Heuss in Düsseldorf, in der er diesen als „politischen Schriftsteller“ würdigte. Die Verleihung des Theodor-Heuss-Preises des Jahres 1976 in München nahm er als Anlass für Ausführungen über „Demokratie im Wahlkampf“ und die von ihm gehaltene Rede bei der Überreichung des Preises der Heinz-Herbert-Karry-Stiftung in Frankfurt am Main 1983 hatte die „Geschichte des deutschen Beamtentums seit dem Allgemeinen Preußischen Landrecht von 1794“ zum Gegenstand. Bereits 1967 hatte Eschenburg Reden in Ankara, Tel Aviv und Haifa gehalten. In Israel sprach er vor der Vereinigung der Einwanderer aus Mitteleuropa. Das von ihm in Ankara behandelte Thema lautete: „Wie wird die Bundesrepublik regiert?“
50 Abgedruckt in: Eschenburg, Die improvisierte Demokratie, S. 110–142.
218 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker Nicht immer war Eschenburg mit seinen Auftritten zufrieden und ebenso wenig haben seine Reden nur positive Resonanz gefunden. Dies soll an zwei Beispielen demonstriert werden. Im Juli 1968 hielt er einen Vortrag über die „Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers“ vor Studenten der Universität Bochum. Wenige Tage später schrieb er hierüber an den Juristen Marcus Lutter, der ihn eingeladen hatte. Der Vortrag sei ihm „nicht gelungen“ und das habe ihn „deprimiert“. Er führte sein Versagen darauf zurück, dass er angesichts zweier Freisemester ein Jahr lang nicht vor Studenten gesprochen habe. Es sei ihm daher nicht gelungen, Kontakt zu den Hörern aufzubauen, worauf er aber angewiesen sei. Außerdem sei er gewohnt, anhand von Stichworten frei zu reden, benötige aber vorher einige Stunden Muße zu Konzentration, an der es in diesem Fall gefehlt habe. Schließlich habe er „wegen der schlechten Beleuchtung auf dem Katheder“ seine Stichworte nicht lesen können und sei daher allein auf sein Gedächtnis angewiesen gewesen. ⁵¹ Als zweites Beispiel soll ein Vortrag genannt werden, den er im Dezember 1968 vor der Verwaltungsakademie Heilbronn hielt. Seinen Inhalt fasste „dpa“ einen Tag später wie folgt zusammen: „Eine parlamentarische Demokratie, die notwendigerweise stets auf die nächste Wahl ausgerichtet sei, brauche [. . . ] alle paar Jahre eine ,Diktatur auf Zeit‘, damit die zuvor von Regierung und Opposition angerichtete ,Sauerei‘ wieder aufgeräumt werden könne“. Diese Feststellung hatte der Redner – wie „dpa“ weiter berichtete – jedoch mit den Worten konkretisiert, dass sich „die Installierung einer echten Diktatur“ von selbst verbiete, „da sie sich nicht zeitlich begrenzen lasse“. Die Meldung von „dpa“ löste einigen Wirbel aus, und der Bundesgeschäftsführer der FDP, Hans Friderichs, schoss im „Spiegel“ eine Breitseite gegen den Tübinger Politikwissenschaftler ab. Eschenburg sah daraufhin Handlungsbedarf. So erstattete er zum einen Strafanzeige wegen Verleumdung und übler Nachrede gegen Friderichs und führte zum anderen mit den „Spiegel“-Redakteuren Joachim Fest und Winfried Scharlau ein Interview, in dem er seine Rede von Heilbronn erläuterte. Zwar wurde seiner Strafanzeige gegen Friderichs nicht entsprochen, ihm aber vom Leitenden Oberstaatsanwalt attestiert, dass aus seinen Äußerungen in Heilbronn auf „keine negative Grundeinstellung zur parlamentarischen Demokratie“ geschlossen werden könne. Außerdem gelang es ihm, im Gespräch mit den Spiegel-Redakteuren seine Stellung in ein Licht zu rücken, das ihm vom Verdacht einer Diktaturanfälligkeit befreite.⁵² Mit diesen Bemerkungen soll es an dieser Stelle sein Bewen-
51 Eschenburg an Marcus Lutter vom 8.7.1968, UAT, 530/17. 52 Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“, S. 429ff. und S. 438f.
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den haben. Auf das Demokratieverständnis Eschenburgs wird aber am Ende des Kapitels noch eingehend zurückzukommen sein. Anfang Juli 1968 schrieb Eschenburg an seinen alten Freund Paul Binder, er bemühe sich „um eine Wissenschaft, die jedermann“ verstehe. Deshalb sei sein „wesentliches Forum die Zeitung, vor allem die Wochenzeitung“.⁵³ Diese Bemerkung war auf „Die Zeit“ bezogen, für die der Tübinger Ordinarius seit 1957 als „freier Mitarbeiter“ regelmäßig ein- bis zweimal im Monat schrieb. Dabei war er „in der Wahl seines Themas und des Zeitpunktes, in Darstellung und Beurteilung“ frei.⁵⁴ Angeworben worden war er 1956 durch die Leiterin des Politikressorts, Marion Gräfin Dönhoff, die ihn nach einer Veranstaltung im Rahmen der Kulturtage von Recklinghausen angesprochen und kurz darauf angeboten hatte, ohne jegliche vertragliche Bindung Beiträge in der „Zeit“ zu veröffentlichen. Nicht zuletzt köderte sie Eschenburg damit, dass sie ihm im Hinblick auf dessen Hausbau auf die mit der angebotenen Tätigkeit verbundenen nicht unbeträchtlichen finanziellen Einnahmen hinwies.⁵⁵ Das war ein Argument, das bei ihm immer zog. Wichtiger war jedoch, dass sich ihm eine Möglichkeit zur öffentlichen Meinungsbildung bot, über die er bisher nicht verfügt hatte. Eschenburg hatte schon vorher in anderen Zeitungen zu Fragen wie „Parlamentsrecht, Regierung und Verfassung“ öffentlich Stellung bezogen. Er nennt in seinen Memoiren das „Schwäbische Tagblatt“ und die in Stuttgart erschienene „Deutsche Zeitung“, ebenso Beiträge, die im Rundfunk gesendet wurden. Was ihn dabei antrieb, geht aus einem Schreiben an Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard vom September 1954 hervor.⁵⁶ Er hielt es für „eine Aufgabe der öffentlichen Meinung“, an der er „in bescheidenem Umfange“ mitwirke, „das Positive wie das Negative herauszustellen, vor persönlicher Bewunderung wie Kritik nicht zurückzuscheuen“. Der Schwerpunkt hatte dabei aber auf Letzterem zu liegen, wie dem weiteren Text zu entnehmen ist. Denn da hieß es, dass die Minister, die keine Vorgesetzten hätten, „im Zeitalter des lendenarmen Parlamentarismus der Massage durch die öffentliche Meinung“ bedürften. Er übe aus der „biedermeierschen Idylle Tübingens“, die jedoch „relativ frei vom Hofschranzengeruch Bonns“ sei, nicht aus „Wollust Kritik an Personen und Maßnahmen“, sondern aus „Sorge“, die ihm „wirklich an die Nieren“ gehe. Das war auf die „Innenarchitektur“ des
53 Eschenburg an Binder vom 2.7.1968, ACDP, 01-105-084. 54 Theodor Eschenburg, Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik. Band 2: Kritische Betrachtungen 1961–1965, München 1966, S. 10. 55 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 210f. 56 Der Brief datiert vom 11.9.1954, UAT, 530/20.
220 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker bundesrepublikanischen Staates bezogen, die „vernachlässigt“ worden sei. Deshalb nahm er sich das Recht heraus, wie er einige Jahre später schrieb, „Minister, Staatssekretäre und Abgeordnete“ in seiner „eigenen Publizistik nicht gerade mit zärtlicher Höflichkeit“ zu behandeln.⁵⁷ Dabei wandte er sich grundsätzlich nur „aktuellen Fragen“ zu, wie aus einem Brief an einen Freund aus dem Oktober 1962 hervorgeht, da der Leser nur ihnen Interesse entgegenbringe. Leiten lasse er sich stets von der Maxime, „die Probleme ohne Rücksicht auf die Parteien zu behandeln“. Deshalb hätten die Sozialdemokraten nicht minder unter ihm gelitten wie die CDU.⁵⁸ Mit seinen Beiträgen in der „Zeit“ nahm seine „publizistische Tätigkeit doch ein anderes Format“ als bisher an.⁵⁹ Die von ihm verfassten Artikel machten ihn bald als maßgeblichen Interpreten von Verfassung und Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik und als Mahner der Politiker deutschlandweit bekannt. Hans-Peter Schwarz hat diese Tätigkeit „eine Art zweiten Lehrstuhl mit bundesweiter Ausstrahlung“ genannt⁶⁰ und damit ihre Bedeutung angemessen beschrieben. Seine Wirkung war auch deshalb so groß, weil „Die Zeit“ seit dem Weggang des als konservativ geltenden Chefredakteurs Richard Tüngel unter dem Herausgeber Gerd Bucerius und dem neuen Chefredakteur Josef Müller-Marein eine betont liberale Richtung einschlug. Obwohl er im Kreis der Redaktion „mehr zu den Konservativen“ gehört habe⁶¹, hat Eschenburg wenige Probleme mit der Veröffentlichung seiner Beiträge gehabt. In einem Brief aus dem August 1974 schreibt er, dass der Herausgeber Bucerius wegen seiner Aufsätze mitunter „geprügelt“ worden sei. Er habe sich „nachträglich auch über den Inhalt des einen oder anderen Artikels“ mit ihm auseinandergesetzt, „aber nie auch nur den geringsten Einfluss bei [der] Drucklegung ausgeübt“.⁶² Dagegen berichten ehemalige fest angestellte Redakteure, dass sich auch Eschenburg „das Streichen oder Umformulieren“ an seinen Manuskripten durch Marion Dönhoff ebenso gefallen lassen musste wie den Austausch der Überschriften.⁶³ Hierüber war der Verfasser nicht immer glücklich, da er den Redaktionen unterstellte, die Überschriften „weitgehend nach redaktionspolitischen und zeitungstechnischen Erwägungen gewählt“
57 Eschenburg an Ruth Müller (Bundespresseamt) vom 16.2.1960, UAT, 530/69. 58 Eschenburg an Helmut Lemke vom 2.10.1962, UAT, 530/11. 59 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 210. 60 Hans-Peter Schwarz, Ein Leitfossil der frühen Bundesrepublik – Theodor Eschenburg (1904– 1999), in: Hein, Gesichter der Demokratie, S. 178. 61 Interview Eschenburgs mit Siedler/Fest am 10.12.1984, UAT, 530/278. 62 Eschenburg an Martin Broszat vom 12.8.1974, IfZ-Archiv, ID 90-78-83. 63 Karl-Heinz Janßen u. a. (Hrsg.), Die Zeit. Geschichte einer Wochenzeitung 1946 bis heute, München 2006, S. 121.
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zu haben. Er hat sich dafür „gerächt“, indem er 1961 eine Sammlung seiner politischen Aufsätze der vorausgegangenen vier Jahre, von denen die meisten in der „Zeit“ erschienen waren, in einem Buch veröffentlichte, jedoch jeweils unter der Überschrift, die er für passend hielt.⁶⁴ Weitere Artikel, die in der Wochenzeitung „Die Zeit“ erschienen waren, hat der Verfasser ebenfalls in Sammelbänden publiziert.⁶⁵ Eine noch größere Auswahl ist im Online-Archiv der „Zeit“ zu finden. Hier sind 171 Beiträge aufgeführt. Die darin behandelten Themen sind im Wesentlichen die Fragen, die Eschenburg immer am meisten interessiert haben: das Handeln der Verfassungsorgane Bundespräsident, Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung (Bundeskanzler, Bundesminister und Parlamentarische Staatssekretäre) sowie Bundesverfassungsgericht und deren Beurteilung im Rahmen der vom Grundgesetz vorgegebenen Normen; die Qualität von Abgeordneten und Ministern; das Problem der Ämterpatronage und den damit verbunden grundsätzliche Erwägungen im Hinblick auf rechtliche Fragen des Beamtentums; die Stellung der Parteien im poltischen System und ihre Finanzierung; das Problem der Diäten; Lobbyismus und damit im Zusammenhang generell die Stellung und Einflussnahme von Interessengruppen und schließlich auch später Radikale im öffentlichen Dienst oder das imperative Mandat. Dabei wählte Eschenburg stets tagespolitische Ereignisse, die er unter Aspekten grundsätzlicher Fragestellungen untersuchte. Das soll an zwei Beispielen, den Turbulenzen im Zusammenhang mit der Wahl des Bundespräsidenten im Jahr 1959 und der „Spiegel-Affäre“ im Jahr 1962, veranschaulicht werden. Dies bietet sich auch deshalb an, weil hieran gezeigt werden kann, dass Eschenburg nicht davor zurückschreckte, auch den Bundeskanzler heftig zu attackieren. Als Einstieg möchte ich einen Auszug aus einem Schreiben Eschenburgs an Hans Globke, den Staatssekretär Adenauers, vom August 1958 zitieren. Hierin hieß es, dass sich der Tübinger Professor bemühe, „dem Bundeskanzler so wenig wie möglich Anlass zu Ärgernis zu geben“. „Aber bei allem Respekt vor ihm“ könne er „auf Kritik“, wenn er sie „für notwendig halte, nicht verzichten“. Daher gebe es auch keinen Anlass, in Zukunft von seinem „Wohlverhalten“ auszugehen.⁶⁶ Damit hatte Eschenburg sicherlich noch nicht seine Stellungnahmen in der „Präsidentenposse“ (Hans-Peter Schwarz) im Jahr 1959 antizipiert. Aber seine öffentlichen Äußerungen entsprachen dieser Ankündigung. So hatte er sich bereits im Vorfeld der im Frühjahr 1959 notwendigen Wahl eines Bundes-
64 Eschenburg, Institutionelle Sorgen, S. 9. 65 Eschenburg, Zur poltischen Praxis, Bände 2 und 3 (Kritische Betrachtungen 1965–1970, München 1972). 66 Eschenburg an Globke vom 7.8.1958, UAT, 530/5.
222 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker präsidenten zu den Überlegungen geäußert, entweder die Amtszeit des amtierenden Bundespräsidenten Heuss zu verlängern oder eine Grundgesetzänderung herbeizuführen, die eine dritte Amtszeit ermöglichte. Obwohl Eschenburg zugestand, dass es schwer sein würde, einen adäquaten Nachfolger für Heuss zu präsentieren, überwogen bei ihm doch die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen entsprechende Eingriffe in das Grundgesetz.⁶⁷ Im Frühjahr 1959 kam es dann zu einer problematischen Entwicklung. Adenauer und die CDU/CSU-Fraktion schlugen Ludwig Erhard als Nachfolger vor, der zunächst zustimmte, diese Zusage aber nach kurzer Zeit zurückzog. Daraufhin verkündete Adenauer, nun wolle er selbst kandidieren. Er verband dies mit der Erklärung, dass das Amt des Bundespräsidenten mehr politische Machtbefugnisse enthalte, als Heuss wahrgenommen habe. Als er feststellte, dass dies ein Irrtum war, trat auch er von der Kandidatur zurück. Zu diesen Vorgängen nahm Eschenburg Mitte Juni 1959 in einem Artikel unter der Überschrift „Warum es zur Kanzler-Krise kam“ Stellung.⁶⁸ Das Verhalten Adenauers konnte er sich „bei der virtuosen taktischen Begabung dieses geistesgegenwärtigen Mannes nur aus einem Fehler in seinem institutionellen Denken“ erklären. „Mangelndes Institutionsbewusstsein“ erkannte Eschenburg dann aber auch bei der CDU/CSUFraktion. Nach detaillierten Überlegungen zum jeweiligen Verhalten der Akteure kam er zu dem Ergebnis, dass dadurch eine „Krise heraufbeschworen“ worden sei. Eine Lösung dieser Krise war nach seinem Dafürhalten nur möglich, wenn eine Persönlichkeit zum neuen Bundespräsidenten gewählt würde, die an dem Prozess, „der zur Institutionskrise geführt“ habe, nicht beteiligt war. Zur „Spiegel-Affäre“ hatte Eschenburg am 13. November 1962 in der Hamburger Universität eine Rede gehalten, die die „Die Zeit“ Ende 1962 in einem Sonderdruck veröffentlichte. Die Affäre war durch einen Artikel des Hamburger Nachrichtenmagazins über die Bundeswehr ausgelöst worden, der unter dem Titel „Bedingt abwehrbereit“ erschienen war. Die Bundesregierung hatte daraufhin ein Verfahren wegen Landesverrat gegen den „Spiegel“ eingeleitet. Die Affäre wuchs sich zu einer Koalitionskrise aus, in deren Verlauf zwei Staatssekretäre entlassen wurden und Bundeskanzler Adenauer und Verteidigungsminister Franz Josef Strauß unter Beschuss gerieten. Letzterer musste daher am Ende des Monats, also nach dem Vortrag Eschenburgs, als Verteidigungsminister zurücktreten. Kurz vorher hatte Adenauer dem „Spiegel“ in einer Rede im Bundestag Landesverrat vorgeworfen, was der Tübinger Professor monierte, da das Urteil über das Verhal-
67 Theodor Eschenburg, Der nächste Bundespräsident – noch einmal Heuss?, in: Die Zeit vom 11.9.1958. 68 Theodor Eschenburg, Warum es zur Kanzlerkrise kam?, in: Die Zeit vom 12.6.1959.
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ten der betroffenen Redakteure des Nachrichtenmagazins noch nicht gesprochen war. Eschenburg gestand dem Bundeskanzler zwar angesichts seiner Amtsstellung und seines Alters den Anspruch auf „Respekt“ zu, um dann fortzufahren, „aber selbst Adenauer“ dürfe das Privileg des würdigen Senex nur für sich in Anspruch nehmen, „wenn er die Würde des Senex zu wahren“ wisse. „Zumindest im politischen Bereich“ gebe es aber „keine Greisenfreiheit, um dieses Wort in Analogiebildung zur Narrenfreiheit zu gebrauchen“. Noch härter ging Eschenburg mit Strauß ins Gericht, dessen Verhalten er vor und während der Affäre im Detail analysierte. Für den Verfasser war die Entlassung des Ministers Strauß „eine Maßnahme, die sich aus dem parlamentarischen System“ ergab – „eben weil der Minister in hohem Maße systemwidrig gehandelt“ habe. Strauß kämpfe „um das Privileg, dank seiner Position und seiner poltischen Fähigkeiten die Ordnung des parlamentarischen Systems nicht beachten zu müssen und damit verachten zu dürfen – also Minister legibus absolutus zu sein“. Bei einem Verbleiben von Strauß im Amt befürchtete Eschenburg „eine schwere Autoritätseinbuße des parlamentarischen Systems, einen Prestigeverlust des Parlaments“ mit „schwerwiegende[n] Folgen für die Verfassungsentwicklung“. Deshalb stellte er schließlich die Frage, „wenn Strauß schon in relativ ruhigen Zeiten so mit der Verfassung“ umspringe, wie „er dann im Fall des Notstands mit ihr umgehen“ werde?⁶⁹ Eschenburg war „kein Gelehrter, nur ein gebildeter Praktiker, der versucht[e], politische Praxis und ihre Möglichkeiten kritisch zu untersuchen und darzustellen“⁷⁰. Diese Aussage stammt aus dem Sommer 1969 und entspricht einer realistischen Einschätzung seiner Tätigkeit. Sie wird bestätigt, wenn man seine Publikationen betrachtet. Denn dabei handelt es sich in den meisten Fällen um erweiterte Fassungen von Vorträgen oder um Zusammenstellungen von Vorträgen und Zeitungsartikeln in Sammelbänden. Aus einem ist soeben zitiert und auf die ersten Veröffentlichungen dieser Art im Rahmen der Darstellung seiner Berufung auf den Tübinger Lehrstuhl hingewiesen worden. Die Mehrzahl der in den folgenden Jahren erschienenen meist kleineren Veröffentlichungen entsprach diesem Muster. Dies trifft z. B. für die Veröffentlichungen „Herrschaft der Ver-
69 Die Affäre. Eine Analyse von Theodor Eschenburg. Protokolle der „Spiegel“-Debatten des Deutschen Bundestages, Die Zeit, Sonderdruck, Hamburg 1962, Zitate S. 4 und S. 11. 70 Eschenburg an Karl Friedrich Reimers vom 27.8.1969, UAT, 530/21.
224 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker bände?“⁷¹, „Ämterpatronage“⁷², „Institutionelle Sorgen in der Bundesrepublik“⁷³, „Die improvisierte Demokratie“⁷⁴ oder auch „Spielregeln der Politik“⁷⁵ zu. Das Buch „Institutionelle Sorgen in der Bundesrepublik“ ist 1967 in zweiter Auflage als Band 1 in einer dreibändigen Ausgabe unter dem Titel „Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik“ nochmals publiziert worden.⁷⁶ Thematisch aus dem Rahmen fiel die Biografie über Matthias Erzberger⁷⁷. Aber hierbei handelte es sich ebenso um die erweiterte und ausgearbeitete Fassung eines Vortrags, der auch in der publizierten Form keinen Anmerkungsapparat enthielt und von Eschenburg selbst als eine „Schnulze“ bezeichnet wurde, die „sich dementsprechend lesen“ lasse.⁷⁸ Die Zielsetzung, die Eschenburg mit der Publikation dieser Texte verfolgte, lassen sich in einigen Fällen seinen Vorworten entnehmen. So begründete er seine Beschäftigung mit dem Thema „Herrschaft der Verbände?“ damit, dass er anhand von Beispielen „allgemeine Erscheinungen und Tendenzen“ aufzeigen wolle, die „zu einer wesentlichen Veränderung unseres Verfassungszustandes führen könnten“. Was ihn umtrieb, war eine von ihm konstatierte „zunehmende [. . . ] Neigung zur bewussten oder unbewussten Vernachlässigung der demokratischen Ordnung“.⁷⁹ Noch deutlicher beschrieb er sein Anliegen einige Jahre später. Sein Interesse gelte „den politischen Institutionen in der modernen Demokratie, besonders denen in der Bundesrepublik“. Da er die Demokratie als „eine polemische Herrschaftsform“ definierte, in der die politische Willensbildung durch „einen gleichsam institutionalisierten Streit“ erfolge, ergab sich für ihn die Forderung nach einer behutsamen Behandlung der Institutionen, denn diese könnten „durch institutionsfremdes oder gar institutionswidriges Verhalten eingebeult, umgebogen oder verschoben werden“. Ein solches Verhalten bezeichnete Eschenburg als „mangelnden Institutionen-Respekt“, der die Demokratie gefährde. Für Eschenburg waren die Institutionen „statisches Element“ in der durch die Dynamik gekennzeichneten Demokratie⁸⁰, die „ausreichende institu-
71 Theodor Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, Stuttgart 1955. 72 Theodor Eschenburg, Ämterpatronage, Stuttgart 1961. 73 Eschenburg, Institutionelle Sorgen. 74 Eschenburg, Die improvisierte Demokratie. 75 Theodor Eschenburg, Spielregeln der Politik. Beiträge und Kommentare zur Verfassung der Republik, Stuttgart 1987. 76 Eschenburg, Zur politischen Praxis der Bundesrepublik, Bände 1–3. 77 Theodor Eschenburg, Matthias Erzberger, München 1973. 78 Eschenburg an Bundesminister Hans Apel vom 31.8.1975, UAT, 530/38. 79 Eschenburg, Herrschaft der Verbände?, S. 6. 80 Eschenburg, Institutionelle Sorgen, S. 7f.
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tionelle Hemmungen und Schranken“ benötige.⁸¹ Hieraus ergab sich für ihn die Notwendigkeit eines politisch unabhängigen Beamtentums, für das er sich mit seinen Stellungnahmen gegen die Ämterpatronage immer wieder einsetzte. Außer den bisher aufgeführten Publikationen hat Eschenburg aber auch Monografien veröffentlicht, die nicht auf Vorträgen und Zeitungsartikeln basierten oder diese in Sammelbänden herausbrachten. Neben dem bereits erwähnten umfangreichen Werk „Staat und Gesellschaft in Deutschland“, dem schmalen Band „Der Sold des Politikers“⁸², in dem sich der Verfasser grundsätzlich mit dem Problem der Diäten auseinandersetzte, und dem Alterswerk „Jahre der Besatzung 1945 – 1949“⁸³, das er nur noch mit Hilfe von Wolfgang Benz und Hermann Graml abschließen konnte, ist auch das Buch mit dem Titel „Über Autorität“ zu nennen. Hierauf ist etwas ausführlicher einzugehen, da in ihm zentrale Elemente von Eschenburgs Staats- und Demokratieverständnis zu finden sind. Für den Tübinger Politologen kam es „auf die Festigkeit der institutionellen Autorität der demokratischen Organe an, damit sie bei wechselnder Besetzung die Kontinuität ihrer Autorität bewahren können“. Dies verlange von ihren Trägern „autoritätsgerechtes Verhalten“, denn die Institutionen würden nicht aus sich heraus, sondern durch Personen wirken, woraus sich einen „Wechselwirkung“ zwischen „institutionelle[r] und persönliche[r] Autorität“ ergebe. Wenn es hier zu Störungen komme, könne das dazu führen, dass „Autorität durch autoritätsfremdes oder autoritätswidriges Verhalten angeschlagen“ werde. Alle diese Überlegungen waren auf das politische Führungspersonal bezogen, denn die Majorität habe keine Autorität, sie könne durch ihre Beteiligung an den jeweiligen Ausleseprozessen nur Autorität schaffen. Notwendig sei schließlich die ständige Rückkopplung zwischen Führung und der Mehrheit, auf deren Zustimmung sie basiere. Von „Autorität im demokratischen Sinne“ könne nur die Rede sein, „wo Führung in Führung bleibt, wo sie die res regendae, die Dinge, die zu tun sind“, kenne „und für sie überzeugend“ wirke.⁸⁴ Im Juni 1959 erschien ein schmaler Band aus der Feder Eschenburgs, der einem ganz anderen Thema gewidmet war. Denn hierin ging es um eine Erörterung der Verfassungsprobleme der Wiedervereinigung. Auf mehr als 50 Seiten setzte sich der Tübinger Politologe mit der Frage der Rahmenbedingungen und Verfahren auseinander, unter und mit denen die Teilung Deutschlands überwun-
81 Eschenburg, Ämterpatronage, S. 74. 82 Theodor Eschenburg, Der Sold des Politikers, Stuttgart 1959. 83 Theodor Eschenburg, Jahre der Besatzung 1945–1949. Mit einem einleitenden Essay von Eberhard Jäckel, Stuttgart/Wiesbaden 1983. 84 Theodor Eschenburg, Über Autorität, Frankfurt am Main 1965, Zitate S. 169, S. 173f. und S. 178.
226 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker den werden könne. Das abschließende Urteil fiel skeptisch aus. „Wenn man die Vorschläge über einen Wiedervereinigungsprozess überschaut“, so schrieb er am Ende seiner Ausführungen, „und gegeneinander abwägt, so will es scheinen, als ob sie entweder erträglich, aber im Augenblick unerreichbar oder erreichbar, aber unerträglich sind.“⁸⁵ Zu dieser Schlussfolgerung musste der Verfasser kommen, weil er sich nicht vorstellen konnte, dass die Sowjetunion eines Tages so geschwächt sein und schließlich auseinanderfallen würde, so dass sie die Satellitenstaaten und damit auch die DDR nicht mehr in ihrem Einflussbereich zu halten vermochte. Mit dem Echo auf seine Darstellung war Eschenburg insofern zufrieden, weil sie „mit Ausnahme der SPD-Presse [. . . ] die ganze deutsche Zeitungswelt außerordentlich gelobt und zum Teil als die treffendste Darstellung des Wiedervereinigungsproblems bezeichnet“ habe. Weniger glücklich zeigte er sich über „die Interessenlosigkeit, mit der die Regierung diesem Buch“ begegne. Obwohl dieses Werk „im Grunde die durchdachte Rechtfertigung der Adenauerschen Außenpolitik im Prinzip“ enthalte, habe die Regierung nichts unternommen, um „eine billige Ausgabe für Schulen, Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zu machen“. Für Eschenburg war das eine erneute Bestätigung dafür, wie wenig von Seiten der Regierung „für die geistig-politische Aufklärung und Verteidigung der eigenen Position getan“ werde.⁸⁶ Seine bisherige Einschätzung der Deutschlandfrage gab Eschenburg jedoch seit dem Mauerbau allmählich auf. In seiner Rede über die „Spiegel-Affäre“ in Hamburg Ende 1962 äußerte er sich hierzu mit den Worten, er sei „bis zur Errichtung der Mauer ein Anhänger der auswärtigen Politik des Bundeskanzlers“ gewesen und halte „sie auch rückblickend in ihrer Haupttendenz für richtig“. Nunmehr aber „zögere“ er, „sie mit der gleichen Vehemenz zu bejahen“, wie er es „vordem getan habe“.⁸⁷ In den Jahren danach ist Eschenburgs Skepsis ständig gewachsen, ob die Wiedervereinigung noch erreichbar sei. Wie er in einem Brief an Botschafter Helmut Allardt schrieb, habe er einige Zeit in einer Zweistaatenlösung, in der „die Bevölkerung in der Zone das Recht der Selbstbestimmung über ihren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Status erhielte mit der Maßgabe, dass das so gebildete Staatswesen in Mitteldeutschland völkerrechtlich, von der Bundesrepublik getrennt, ähnliche Neutralitätsverpflichtungen wie Österreich auf sich nähme“, als „erreichbare optimale Lösung“ angesehen. Aber auch einen solchen Zustand
85 Theodor Eschenburg, Die Deutsche Frage. Verfassungsprobleme der Wiedervereinigung, München 1959, Zitat S. 56. 86 Eschenburg an Ruth Müller (Bundespresseamt) vom 26.2.1960, UAT, 530/69. 87 Eschenburg, Die Affäre, S. 3.
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hielt er Anfang 1966 nicht mehr für durchsetzbar. Er „empfinde die Trennung“ zwar weiterhin „als ein schweres Unglück, sehe aber keine Möglichkeit der Heilung in absehbarer Zeit“. Er habe „vielmehr die Sorge“, dass man „eines Tages mit dem Status quo minus rechnen“ müsse, wenn es nicht gelinge, „den Status quo zu halten und rechtlich zu sichern“.⁸⁸ Das war Klartext gesprochen. Deutlich verklausulierter waren seine Ausführungen in Artikeln der „Zeit“, die wenige Wochen später erschienen, obwohl auch hierin das Plädoyer für eine andere Deutschlandpolitik als bisher eindeutig ausfiel. Die „geringen Chancen, der hohe, vor allem politische Aufwand und die möglichen Risiken einer Politik der direkten Wiedervereinigung“ müsse nicht nur die Frage nahelegen, ob es „nicht andere Wege“ gebe, sondern ebenso zu der Überlegung Anlass geben, ob nicht „die Zielsetzung selber“ zu überprüfen sei.⁸⁹ Kurz vor dem Erscheinen dieses Beitrags hatte Eschenburg Franz Josef Strauß gegenüber zur Deutschlandpolitik Stellung bezogen. In einem längeren Brief erklärte er, dass er „nicht an die Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaates“ glaube. Damit im Zusammenhang sah er jedoch die Frage aufgeworfen, was anstelle der bisher als zentrale Aufgabe postulierten Wiedervereinigung treten könne. Hierauf hatte er noch keine Antwort parat. Deshalb könne er nur „das eine Thema, nämlich das der Liquidation der klassischen Wiedervereinigungspolitik, zur Diskussion stellen“.⁹⁰ Wenige Wochen später sprach sich Eschenburg gegenüber Fred Luchsinger, dem Leiter der Auslandsredaktion der „Neuen Zürcher Zeitung“, für eine „Anerkennung der DDR“ aus. Damit sei keine „Abkehr von der Politik des atlantischen Bündnisses“ verbunden, ganz im Gegenteil würde „der Verzicht auf unmittelbare Wiedervereinigung [. . . ] die Bündnispolitik erleichtern“, da auch „die Westmächte einen von der Bundesrepublik ausgehenden Verzicht begrüßen“ würden.⁹¹ Eschenburg hatte damit eine Position bezogen, die die „neue“ Ost- und Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition vorwegnahm. Diese Briefe zum Problem der Wiedervereinigung zeigen, dass Eschenburg hierin jeweils deutlich Position bezog. Er liebte es, vor allem führende Politiker anzuschreiben und diese mit seinen Vorstellungen, insbesondere mit seiner Kritik zu konfrontieren. Auch dabei ging es in aller Regel um „Stilfragen der Politik“, d. h. um den Umgang mit der Verfassung und den von ihr geschaffenen Institutionen. Nicht selten führten die Briefe auch dazu, dass Eschenburg zu Gesprächen einge-
88 Eschenburg an Botschafter Helmut Allardt vom 16.2.1966, UAT, 530/19. 89 Theodor Eschenburg, Die deutsche Frage 1966, in: Die Zeit vom 29.4.1966. 90 Eschenburg an Franz Josef Strauß vom 12.4.1966, UAT, 530/20. 91 Eschenburg an Fred Luchsinger vom 4.5.1966, UAT, 530/15.
228 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker laden wurde, um über die von ihm angesprochenen Fragen bzw. seine kritischen Stellungnahmen zu diskutieren. So hat Eschenburg frühzeitig Zugang zu Bundeskanzler Adenauer gefunden. Hier mag auch eine Rolle gespielt haben, dass er dessen Staatssekretär Hans Globke aus der Zeit des Dritten Reichs kannte. Dabei hat er sich auch gegenüber dem Bundeskanzler als Ratgeber gefühlt. In einem Brief aus dem Oktober 1963 heißt es: „Was die Politik angeht, so gebe ich jedem meinen Rat, der ihn haben will – zunächst wenigstens einmal. Das habe ich auch bei Adenauer getan, und andererseits hat Adenauer meine Kritik ertragen.“⁹² Erstmals Kontakt hat Eschenburg zum Bundeskanzler anscheinend aufgenommen, als er ihm im April 1954 die publizierte Fassung seiner Antrittsvorlesung an der Universität Tübingen über die „Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit“⁹³ schickte.⁹⁴ Hierauf antwortete Adenauer mit einer Einladung zu einem Besuch in das Bundeskanzleramt „gelegentlich einer Anwesenheit“ Eschenburgs in Bonn. In der Tat haben in den Jahren danach einige Gespräche zwischen den beiden stattgefunden.⁹⁵ Dabei sind wohl ganz unterschiedliche Themen behandelt worden. Ende 1959 schickte Eschenburg Adenauer einen längeren Brief, in dem er auf Probleme des Zusammenhangs von europäischer Einigung und der Deutschlandfrage einging.⁹⁶ Hierauf bat Adenauer um ein Gespräch, in dem er sich mit dem Tübinger Politologen über „den ganzen Fragenkomplex“ „einmal in Ruhe“ austauschen wollte.⁹⁷ Häufiger ist Eschenburg aber mit Adenauers Staatssekretär Globke zusammengetroffen. Dieser war es auch, der ihn 1958 um ein Gutachten betr. Parlamentarische Staatssekretäre gebeten hatte. Diese Aufgabe hatte Eschenburg auch übernommen. Mehr Interesse besaß er jedoch daran, „ein kleines Kompendium“ zu schreiben, „ein Vademecum, eine Art Fürstenspiegel unter dem Aspekt der Bedürfnisse unserer Zeit“. Mit dessen Hilfe hoffte er, „die mit so großem Erfolg begonnenen und ausgebauten institutionellen Ansätze“ auch dann bewahren zu können, „wenn die Personen wechseln sollten“.⁹⁸ Über Globke war Eschenburg
92 Eschenburg an Hans Schneider vom 31.10.1963, UAT, 530/14. 93 Theodor Eschenburg, Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit, in: Die öffentliche Verwaltung 7 (1954), S. 193–201; erneut publiziert in: Eschenburg, Spielregeln der Politik, S. 241–271. 94 Eschenburg an Bundeskanzler Adenauer vom 6.4.1954, als Faksimile abgedruckt in: Adenauer. 1953–1955. Bearbeitet von Hans Peter Mensing, Berlin 1995, S. 96. 95 Ebenda, S. 446. 96 Eschenburg an Bundeskanzler Adenauer vom 11.12.1959, UAT, 530/5. 97 Bundeskanzler Adenauer an Eschenburg vom 22.12.1959, ebenda. 98 Eschenburg an Globke vom 7.8.1958, ebenda.
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offensichtlich auch in die Beratungen bei der Regierungsbildung 1961 insofern einbezogen, als er dem Bundeskanzler den Vorschlag unterbreitete, das Innenministerium zu verkleinern. Sowohl der Bundeskanzler als auch sein Staatssekretär „hätten gern eine Verkleinerung gesehen“, aber mit Rücksicht auf die CSU, für die damals Hermann Höcherl das Ministerium übernahm, davon abgesehen.⁹⁹ Wie mit Adenauer korrespondierte Eschenburg auch mit den anderen Größen der Republik. So mit Bundespräsident Heuss (bzw. dessen Staatssekretär Manfred Klaiber), mit Ludwig Erhard, mit Eugen Gerstenmaier, mit Franz Josef Strauß, mit Kurt Georg Kiesinger, mit Willy Brandt sowie mit Bundestagsabgeordneten und sonstigen Politikern. Die Themen, die der Tübinger Politologe dabei aufs Tapet brachte, waren im Wesentlichen dieselben, mit denen er sich auch in seinen Vorträgen, Artikeln und Publikationen auseinandersetzte. Noch als Stellvertreter des Innenministers von Württemberg-Hohenzollern beglückwünschte er den späteren Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger im August 1949 zu seiner Wahl in den Bundestag und verband hiermit eine Kritik an den Parteien, von denen „eine grundlegende Wandlung ihrer politischen Haltung im Verhältnis zur Regierung und in den Beziehungen untereinander“ erwartet werden müsse.¹⁰⁰ Kritik an den Parteien übte er kurz danach auch gegenüber dem soeben ernannten Staatssekretär im Bundespräsidialamt, Manfred Klaiber. Hierin findet sich die Feststellung, dass „wegen der so hemmungslos geführten politischen Machtkämpfe“ das Ziel gefährdet sei, „eine neue Tradition unserer politischen Institutionen zu schaffen“. Aus der Einbeziehung der Wahl des Bundespräsidenten in die Koalitionsverhandlungen folgerte er, dass die Bundesrepublik „ein reiner Parteienstaat“ geworden sei. Dieser Fehlentwicklung könne nur durch eine „Entpolitisierung des Beamtentums“ begegnet werden.¹⁰¹ Deshalb wandte er sich auch in Laufe der Jahre in etlichen Briefen diesem Thema zu. Am heftigsten war seine Auseinandersetzung mit Helmut Lemke, den er schon aus Weimarer Jahren gut kannte und der von 1955 bis 1963 als Innenminister in Schleswig-Holstein amtierte. In dieser Eigenschaft vertrat er die „maßvolle Betätigung des Beamten in einer politischen Partei“ und wies die Auffassung zurück, „parteipolitisch gebundene Beamte pauschal zu Funktionären und ihre Verwendung als Ämterpatronage abzustempeln“. Denn dies beeinträchtigte seiner Auffassung nach „alle förderungswürdigen Bestrebungen, eine noch größere Zahl charakterfester und fachlich tüchtiger Beamter für die politische Arbeit
99 Eschenburg an Bundeskanzler Kiesinger vom 1.4.1968, ebenda. 100 Eschenburg an Kiesinger vom 24.8.1949, UAT, 530/1. 101 Eschenburg an Manfred Klaiber vom 28.9.1949, UAT, 530/5.
230 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker zu gewinnen“.¹⁰² Diese Auffassung wies Eschenburg ganz entschieden zurück. Er „halte die Ämterpatronage auf lange Sicht gesehen für einen Krebsschaden mit einer ähnlichen Dynamik wie das medizinische Krebsleiden“. Deshalb könne man „gar nicht scharf genug ohne Rücksicht auf die Person einer derartigen Entwicklung entgegentreten“.¹⁰³ Eschenburg bedauerte es daher, dass das deutsche Beamtenrecht nach 1945 nicht an das angelsächsische System angeglichen worden sei. Das hätte nämlich zur Folge gehabt, dass „der Beamte seine Stellung ohne Pensionsberechtigung verlieren würde, sobald er kandidierte“.¹⁰⁴ Zur englischen Lösung drängte Eschenburg im Frühling 1962 auch Bundestagpräsident Eugen Gerstenmaier, als er dessen Reden kritisierte, in denen sich dieser immer wieder „zu umstrittenen Fragen“ geäußert hatte. Er stehe auf dem Standpunkt, „dass der Parlamentspräsident sich die höchstmögliche politische Reserve auferlegen“ und sich mit den „Verkehrsordnungsaufgaben“ im Parlament begnügen müsse.¹⁰⁵ Gerstenmaier wies die Überlegungen Eschenburgs jedoch mit der Begründung zurück, dass die Verhältnisse in England nicht Vorbild für Deutschland sein könnten, denn dort werde der Speaker „von seinem Amt getragen“, während es in Deutschland „unerlässlich notwendig“ sei, „dass der Mann sein Amt mitträgt“. Er habe gleichwohl die Frage „unter Ausspielung“ von Eschenburgs „Autorität“ mit Vertretern aller Fraktionen besprochen. Dabei seien „alle miteinander gegen die englische Lösung“ gewesen und „ebenso sehr für die Beibehaltung“ des bisherigen im Bundestag gepflegten Stils.¹⁰⁶ Wiederholt sprach Eschenburg in seinen Briefen Finanzfragen an, sowohl im Hinblick auf das Gebaren im Parlament als auch innerhalb der Regierung. So regte er Ende 1957 gegenüber Gerstenmaier eine „Reform der Aufwandsentschädigung der Abgeordneten“ an. Dabei schlug er vor, „diese mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung nicht einfach vom Bundestag“ beschließen zu lassen, sondern zunächst Vorschläge durch eine unabhängige Kommission einzuholen.¹⁰⁷ Heftig kritisierte der Tübinger Politologe wenig später gegenüber einem Bundestagsabgeordneten die „Fondswirtschaft“ von Bundesregierung und Parlament. Er fragte, wer die nach seiner Auffassung überflüssigen Auslandsreisen
102 Helmut Lemke, Der Beamte und seine Stellung in der Politik, in: Informationsdienst der Landesregierung Schleswig-Holstein 8 (1960), Nr. 20, S. 147f. 103 Eschenburg an Helmut Lemke vom 2.10.1962, UAT, 530/11. 104 Eschenburg an Günter Triesch (Deutsches Industrieinstitut) vom 23.7.1962, UAT, 530/18. 105 Eschenburg an Bundestagspräsident Gerstenmaier vom 17.3.1962, UAT, 530/1. 106 Bundestagspräsident Gerstenmaier an Eschenburg vom 21.3.1962, ebenda. 107 Eschenburg an Bundestagspräsident Gerstenmaier vom 6.11.1957, ebenda. An dieser Meinung hat Eschenburg zeit seines Lebens festgehalten. Eschenburg an Ernst Taxis vom August 1977, UAT, 530/43.
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von Bundestagsabgeordneten bezahle, und kritisierte in diesem Zusammenhang auch die „Parteibildungsarbeit“, sofern sie „zu einer mittelbaren Subventionierung der Parteiorganisation“ führten. In all diesen undurchsichtigen Geschäften witterte er „Missbrauch“ und „neue Unsitten“.¹⁰⁸ Im Frühling 1964 kam Eschenburg wegen eines geheimen Fonds der Bundesregierung „zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung“ mit dem Leiter des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung, Karl-Günther von Hase, über Kreuz. Dieser hatte eine Rede des Tübinger Politologen moniert, in der dieser Fond und seine Verwendung durch die Bundesregierung kritisiert wurden.¹⁰⁹ Eschenburg wies die Ausführungen von Hases schroff zurück. Er habe sich „gegen derartige Geheimfonds von jeher [. . . ] gewandt“. Es gehöre seiner Meinung nach „zur Trennung von Macht und Amt, dass die Regierung weder mittelbar noch unmittelbar Aufwendungen zur Propagierung ihrer Partei machen“ dürfe. Wiederum unter Verweis auf das britische Beispiel hielt er diese Handhabung in der Bundesrepublik für eine „bedenkliche Erscheinung“.¹¹⁰ Aufschluss geben die Briefe auch darauf, welche Rolle Eschenburg dem Bundespräsidentenamt beimaß und wie er die Amtsführung des ersten Bundespräsidenten kommentierte. Ende August 1952, kurz nach seiner Berufung auf den Tübinger Lehrstuhl, kritisierte er gegenüber Manfred Klaiber die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an seine Gegenspieler in der Südweststaatfrage, Paul Zürcher und Leo Wohleb. Beide hielt er nicht für „ordenswürdig“, und er bezeichnete den damit eingeschlagenen Weg als „eine gefährliche Politik, die nicht die Schranken der Institutionen und Gesetze – von Ethos [wolle er] gar nicht reden“, respektiere.¹¹¹ Klaiber stimmte den vorgetragenen Bedenken zu, verwies aber auf politische Opportunitäten.¹¹² Nur wenig später wandte sich Eschenburg direkt an Theodor Heuss. Diesmal ging es um die „personalpolitischen Befugnisse und Funktionen des Bundespräsidenten“. Im Hinblick hierauf vertrat der Briefschreiber die Auffassung, dass sich „mit Ausnahme der Ministerentlassungen [. . . ] die Rechte des Bundespräsidenten gegenüber denen des Reichspräsidenten nicht geändert“ hätten. Deshalb sei es „sehr bedenklich“, wenn versucht werde, „die Befugnisse des Bundespräsidenten auf diesem Gebiet zu einem Formalakt herabzudrücken“.¹¹³ Da sich Heuss im Urlaub befand, antwortete Klaiber. Zwar
108 Eschenburg an MdB Heinrich Ritzel vom 29.5.1959, ebenda. 109 Karl-Günther von Hase an Eschenburg vom 6.4.1964, UAT, 530/30. 110 Eschenburg an Karl-Günther von Hase vom 10.4.1964, ebenda. 111 Eschenburg an Manfred Klaiber vom 26.8.1952, UAT, 530/52. 112 Manfred Klaiber an Eschenburg vom 3.9.1952, ebenda. 113 Eschenburg an Bundespräsident Heuss vom 3.9.1952, ebenda.
232 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker gestand er zu, dass „der Parlamentarische Rat in der Beschneidung der Rechte des Bundespräsidenten sicher zu weit gegangen“ sei, aber bei Beamtenernennungen könne „der Bundespräsident dem Bundeskanzler und den Ministern die parlamentarische Verantwortung für ihre Personalpolitik nicht abnehmen“. Obwohl der Bundespräsident „keine Unterschriftenmaschine“ sei, müsse er seinen „Anspruch auf Kontrolle der Verwaltung“ aber „auf besondere Ausnahmefälle beschränken“.¹¹⁴ Hiervon ließ sich Eschenburg aber nicht so recht überzeugen. Gegenüber Globke hielt er im Juni 1955 fest, dass er es für richtig halte, „dass der Bundespräsident um seiner auctoritas willen [. . . ] aus der politischen Entscheidung nach wie vor herausgehalten“ werde; eine Ausnahme müsse jedoch für die Personalpolitik gelten. Darüber hinaus gab er zu bedenken, „ob nicht die Geschäftsbereiche der Ministerien durch Verordnung des Bundespräsidenten“ festgelegt werden sollten.¹¹⁵ Beide Anregungen sind jedoch am Machtanspruch Adenauers gescheitert. In den 1960er Jahren korrespondierte Eschenburg mit zahlreichen führenden Politikern aus allen Parteien und führte mit diesen auch Gespräche. Genannt werden sollen nur Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger, Außenminister Willy Brandt, Innenminister Paul Lücke und der Finanzminister Franz Josef Strauß. Kiesinger schlug er nach dem Rücktritt von Innenminister Lücke im Frühjahr 1968 eine Reorganisation, d. h. Verkleinerung des Innenministeriums vor.¹¹⁶ Willy Brandt bestätigte er im Sommer 1968 in seinem außenpolitischen Kurs und teilte ihm seine Überzeugung mit, dass er „mit weitestem Abstand der geeignetste Kandidat“ für das Bundespräsidentenamt sei.¹¹⁷ In einem Schreiben von Ende Februar 1967 an Paul Lücke, das nicht abgesandt wurde, bezog sich Eschenburg auf eine Unterredung, die ihn “sehr beeindruckt“ hatte. Mit dem Minister war er der Meinung, dass eine Fortsetzung der Großen Koalition über das Jahr 1969 anzustreben sei, um die auf den Weg gebrachten Reformen wie Wahlgesetzreform, Notstandsgesetzgebung und das Stabilitätsgesetz zum Abschluss bringen zu können.¹¹⁸ Überraschend sind die Schreiben über bzw. an Franz Josef Strauß. Noch im März 1963 hatte er sich in einem Schreiben an Pater Karl Breuning ausgesprochen kritisch über den bayerischen Politiker geäußert.¹¹⁹ Er kenne Strauß „seit vielen Jahren“, ließ er verlauten, und habe sich „mehrfach mit ihm unterhalten, sogar
114 115 116 117 118 119
Manfred Klaiber an Eschenburg vom 13.9.1952, ebenda. Eschenburg an Globke vom 15.6.1955, UAT, 530/5. Eschenburg an Bundeskanzler Kiesinger vom 1.4.1968, ebenda. Eschenburg an Außenminister Willy Brandt vom 1.8.1968, UAT, 530/8. Eschenburg an Innenminister Paul Lücke vom 27.2.1967, UAT, 530/20. Eschenburg an Pater Karl Breuning vom 4.3.1963, UAT, 530/16.
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sehr ausführlich“, und er „respektiere seine ungewöhnliche Intelligenz und politische Begabung“. Es ängstige ihn aber „die Nonchalance, mit der er mit Institutionen“ umgehe. Für ihn scheine es „einfach keine Barrieren zu geben“. Diese seien aber „notwendig im Interesse einer politischen Ordnung“. Mit größerem Abstand von der „Spiegel-Affäre“ scheinen sich die Ängste Eschenburgs aber allmählich verflüchtigt zu haben. Dazu hat wohl ein Gespräch beigetragen, das die beiden im Januar 1967 über die Ernennung Stammbergers zum Justizminister im Jahr 1961 geführt haben.¹²⁰ In ihm hatte Strauß erklärt, dass er und Staatssekretär Hopf Adenauer vor dessen Ernennung gewarnt hätten, was Eschenburg zufolge das Verhalten von Strauß in der „Spiegel-Affäre“ in einem günstigeren Licht erscheinen ließ. In einem Glückwunschschreiben zum 60. Geburtstag im September 1975 steht dann der Satz: „Ich habe keinen Zweifel an Ihrer Qualifikation zum Kanzler.“ Zwar hielt Eschenburg daran fest, dass er der Richtung des Bajuwaren „im ganzen“ nicht zu folgen vermochte und er gegen manche von dessen „Verfahrensund Verhaltensweisen [. . . ] starke Bedenken“ habe. Unter Bezugnahme auf Alfred Webers Begriff der „Führerdemokratie“ bescheinigte er Strauß aber die Fähigkeit zur politischen Führung, die er als einer von wenigen auch in der „Autoritätsrebellion“ durchgehalten habe.¹²¹ Schon früh ist Eschenburg in Kommissionen berufen worden, die von der Bundesregierung eingesetzt worden sind. So war er Mitglied in zwei Kommissionen, die sich mit dem Bundestagswahlrecht befassten. Die erste Kommission legte 1955 einen Bericht über die „Grundlagen eines deutschen Wahlrechts“ vor.¹²² Auf die Abgabe einer Empfehlung hatte sie verzichtet und nur auf die bestehenden Alternativen hingewiesen. Zu entscheiden sei zwischen der Beibehaltung und gegebenenfalls Verbesserung des geltenden „personalisierten“ Verhältniswahlrechts oder der Einführung des „relativen oder absoluten“ Mehrheitswahlrechts. Eine zweite Wahlrechtskommission, nunmehr als wissenschaftlicher Beirat bezeichnet, tagte im Jahr 1967 unter dem Vorsitz von Eschenburg und legte im Dezember des Jahres einen Bericht unter der Überschrift „Zur Neugestaltung des Bundestagswahlrechts“ vor.¹²³ Der Beirat empfahl sobald wie möglich die Einführung eines relativen Mehrheitswahlrechts. Die Umsetzung scheiterte aber an der SPD, die Rücksicht auf die FDP nahm, mit der sie eine gemeinsame
120 Eschenburg an Franz Josef Strauß vom 11.1.1967, UAT, 530/4. 121 Eschenburg an Franz Josef Strauß vom 7.9.1975, UAT, ebenda. 122 Bericht der vom Bundesminister des Innern eingesetzten Wahlrechtskommission, 1955. 123 Bericht des vom Bundesminister des Innern eingesetzten Beirats für Fragen der Wahlrechtsreform, 1968
234 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker Regierungsbildung nach der nächsten Bundestagswahl anstrebte. Der Tübinger Politologe war auch Mitglied der Kommission für die „Rechtliche Ordnung des Parteiwesens“, die 1958 ihren Bericht vorlegte. Er bildete die Grundlage für die Verabschiedung des Parteiengesetzes, die jedoch erst im Sommer 1967 erfolgte. Eschenburg hat nach dem Abschluss der Arbeiten dieser Kommission moniert, dass die Zahl ihrer Mitglieder zu groß gewesen sei. Darunter habe ihre Arbeit gelitten.¹²⁴ Obwohl die Ergebnisse der Arbeit dieser Beiräte nicht ganz befriedigend war, da ihre Vorschläge nicht oder aber mit großer Verzögerung durchgesetzt wurden, arbeitete Eschenburg in der „Kommission für die Reform des Auswärtigen Dienstes“ mit, die sich im Sommer 1968 auf Vorschlag von Außenminister Willy Brandt konstituierte. Über die Arbeit dieser Kommission berichtet ihr Vorsitzender, der ehemalige Diplomat Hans von Herwarth, in seinen Erinnerungen.¹²⁵ Aufgabe der Kommission war es zu prüfen, inwieweit angesichts der Veränderungen der internationalen Lage und der gewachsenen Verpflichtungen des Auswärtigen Amtes Reformen insbesondere „organisatorischer, dienstrechtlicher und personeller Art“ im diplomatischen Dienst notwendig seien. Die Kommission erarbeitete einen ganzen Katalog von Maßnahmen, die zum Teil auch umgesetzt wurden. Das von ihr erstrebte Gesetz über den Auswärtigen Dienst ist aber erst im Januar 1991 in Kraft getreten. Eschenburg nahm die Arbeit in der Kommission „zeitlich, vor allem durch Auslandsreisen, sehr in Anspruch“¹²⁶. Mit diesem Argument hatte er bereits einige Monate vorher die Berufung in den dritten Beirat zur Inneren Führung durch Verteidigungsminister Schröder abgelehnt.¹²⁷ Verärgert reagierte er im Sommer 1969, als „Der Spiegel“ aus einem Gespräch mit Eschenburg über die Arbeit der Reformkommission berichtete und ihm darin Äußerungen in den Mund legte, die nach Auffassung des Tübinger Politologen so nicht gefallen seien. Dabei ging es um die Bestellung von „Regionalbotschaftern“, die „Übernahme von Spezialisten aus anderen Ministerien“ und die „Eignung von Journalisten für den diplomatischen Dienst“. Überzeugend ist die Zurückweisung der Darstellung im „Spiegel“ nicht ausgefallen.¹²⁸ Eschenburg hatte wohl doch etwas „geplaudert“.
124 Eschenburg an Bundestagspräsident Gerstenmaier vom 6.11.1957, UAT, 530/1. 125 Hans von Herwarth, Von Adenauer bis Brandt. Erinnerungen, Berlin/Frankfurt am Main 1990, S. 372–381. 126 Eschenburg an Karl Friedrich Reimers vom 27.8.1969, UAT, 530/21. 127 Eschenburg an Verteidigungsminister Gerhard Schröder vom 18.12.1968, 530/20. 128 Eschenburg an Günter Gaus vom 14.8.1969, UAT, 530/31.
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Die Krönung als offizieller Berater der Bundesregierung erlebte Eschenburg 1974. Anfang Mai des Jahres war Bundeskanzler Willy Brandt infolge der Guillaume-Affäre zurückgetreten. Guillaume, der kurz vor Brandts Rücktritt als Agent der DDR enttarnt wurde, war im Januar 1970 als Hilfsreferent im Bundeskanzleramt eingestellt worden. Die Einstellung erfolgte über die „Parteischiene“. Guillaume fehlten die laufbahnrechtlichen Voraussetzungen, und die Sicherheitsüberprüfung erfolgte ohne die erforderliche Sorgfalt. Selbst als der begründete Verdacht vorlag, dass Guillaume Spion sein könnte, begleitete der den Bundeskanzler in die Ferien nach Norwegen und erhielt Zugang zu geheimen Dokumenten. Noch vor dem Rücktritt Brandts soll Innenminister Hans-Dietrich Genscher bei Eschenburg angerufen und gefragt haben, was er von einer Untersuchung der Frage halte, „wie und weshalb ein DDR-Spion in die unmittelbare Nähe des Regierungschefs gelangen konnte und wer daran schuld sei“. Darauf habe Eschenburg geraten, eine „geheime Regierungskommission“ einzusetzen, „die völlig freie Hand“ habe „und auch alle Akten bekommen“ müsse.¹²⁹ „Im Grundsatz“ erklärte er in diesem Telefonat bereits seine Bereitschaft, „in einer dreiköpfigen Kommission von unabhängigen Persönlichkeiten mitzuarbeiten, die die Bundesregierung zur Prüfung von Sicherheitsfragen, die durch den Fall Guillaume aufgeworfen“ seien, einsetzen wolle.¹³⁰ Der anstelle von Brandt als Bundeskanzler amtierende Außenminister Walter Scheel dankte ihm mit Schreiben vom 9. Mai für diese Bereitschaft. Der Auftrag der Kommission „würde dahin gehen, alle im Zusammenhang mit dem Fall Guillaume aufgetretenen Fragen des vorbeugenden Geheimschutzes zu prüfen, eine Wertung vorzunehmen sowie Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten“, wobei die Prüfung „sich selbstverständlich nicht auf eventuelle Straftatbestände erstrecken“ könne. Als weitere in Aussicht genommene Mitglieder nannte das Einladungsschreiben den ehemaligen Staatspräsidenten von Württemberg-Hohenzollern und Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Gebhard Müller, und den ehemaligen Bürgermeister von Hamburg, Herbert Weichmann.¹³¹ Eschenburg sagte zu und übernahm den Vorsitz. Anstelle von Müller und Weichmann gehörten der Kommission dann aber die drei ehemaligen Staatssekretäre Johannes Birkholz, Hermann Maassen und Reinhold Mercker an. Damit bestand die Kommission aus Personen, deren Kompetenz in Verwaltungsfragen unbestritten war. Ein „rundes halbes Jahr“ hat die Kommission neben dem Studium der Akten Befragungen
129 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 235. 130 Bundeskanzler Walter Scheel (mit der Wahrnehmung der Geschäfte betraut) an Eschenburg vom 9.5.1974, UAT, 530/28. 131 Ebenda.
236 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker durchgeführt und dabei „eine Reihe von Beamten“ des Innenministeriums, des Bundesnachrichtendienstes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz kennen gelernt. „Dank der Intensität der Befragung“ habe sich die Kommission „auch Vorstellungen über die einzelnen Personen“ machen können. ¹³² Die Tätigkeit in der Kommission hat Eschenburg als durchaus anstrengend empfunden. Denn unter Hinweis hierauf äußerte er gegenüber einem Kollegen, er „führe ein der modernen Wohlstandsgesellschaft angepasstes Sklavendasein“.¹³³ Im November 1974 legte die Kommission ihren Bericht vor.¹³⁴ Die Übergabe an den Bundeskanzler und den Innenminister schildert Eschenburg in seinen Memoiren knapp, aber anschaulich: „Schmidt entschuldigte sich, dass er den Bericht nur durchgeblättert habe, wusste aber genau Bescheid. Maihofer sagte, er habe ihn die ganze Nacht gelesen, hatte aber nichts begriffen.“ Anschließend habe der Bundeskanzler die notwendigen „Anweisungen“ gegeben: „Vereinbarung einer Sprachregelung, Presseverlautbarung, Pressekonferenz“. Nach einer Stunde sei alles vorbei gewesen.¹³⁵ In knapper Zusammenfassung hat Eschenburg die Ergebnisse des Kommissionsberichts in einem größeren Artikel in der „Zeit“ im August 1975 publiziert.¹³⁶ Darin führte er die Einstellung Guillaumes in das Bundeskanzleramt „teils auf Struktur- und Organisationsmängel, teils auf menschliches Versagen zurück“. Zu dem Zeitpunkt, als Guillaume bereits enttarnt war, aber der Zugriff noch zurückgestellt werden sollte, habe sich im Hinblick auf die „Sicherheitsvorkehrungen“ gegen Guillaume im Bundeskanzleramt jeder auf den anderen verlassen und keiner „das Erforderliche“ unternommen. Infolgedessen sei es geradezu zu „einem unsichtbaren negativen Kompetenzkonflikt“ gekommen. Der „in erster Linie Verantwortliche“ für das Versagen sei aufgrund der Konstruktion des Grundgesetzes der Bundeskanzler, während den Innenminister „eine wesentlich geringere Verantwortlichkeit“ treffe. Der Rücktritt Brandts habe aber „in keinem Verhältnis zum Verantwortungsgrad“ gestanden. Deshalb kam Eschenburg zu der Schlussfolgerung, dass die Guillaume-Affäre der „Anlass“, aber nicht die „Ursache“ der Demission des Bundeskanzlers gewesen sei. Am Ende stand die Feststellung, dass der „Fall Guillaume“ nicht als ein
132 Eschenburg an Bundesminister Werner Maihofer vom 21.6.1975, UAT, 530/6. 133 Eschenburg an Helmut Schelsky vom 8.5.1975, UAT, 530/28. 134 Bericht der Kommission „Vorbeugender Geheimschutz“ über die Prüfung von Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit dem Fall Guillaume. Im Auftrag der Bundesregierung erstattet im November 1974. 135 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 236. 136 Theodor Eschenburg, Ein Unfall, keine Tragödie, in: Die Zeit vom 29.8.1975.
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„Symptom für mangelnde Qualität der Verwaltung“ gelten könne, da es sich um einen „Unfall“ und um „keine Tragödie“ gehandelt habe. War Eschenburg „ein Demokrat über den Parteien“, wie „Die Welt“ im Oktober 1979 zu seinem 75. Geburtstag titelte, oder lediglich „der Wächter über Normen und Kompetenzen“, wie es in „Schwäbischen Tagblatt“ aus gleichem Anlass hieß? Dass Letzteres im Vordergrund seiner Beschäftigung mit der Politik stand, ist aus dem bisher Gesagten deutlich geworden. Ebenso unbestritten ist aber auch, dass es für Eschenburg einen Bedingungszusammenhang zwischen der Achtung von Normen und Kompetenzen auf der einen und der Demokratie auf der anderen Seite gab. Offen geblieben ist jedoch, welche Vorstellungen der Tübinger Politologe von der Ausgestaltung der demokratischen Ordnung selbst besaß. Diesem Aspekt seines Denkens wollen wir uns nun zuwenden. Seitdem der junge Eschenburg 1925 das Buch Alfred Webers über „Die Krise des modernen Staatsgedankens in Europa“ gelesen hatte, diente dieses Werk als Orientierung für seine Vorstellungen von einer demokratischen Ordnung. Er übernahm dessen These, dass die modernen Massenverhältnisse eine „unegalitäre Führerdemokratie“ als „technische“ und „geistig-strukturelle Alternative“ zu Bolschewismus und Faschismus erforderlich machten. In der von Weber definierten Führerdemokratie wählten die Volksmassen, die selbst zum „Führen“ nicht fähig seien, eine „Führerspitze“ mit „weitgehend selbständiger Entscheidung und Willensbildung“. Die Kontrolle der „Führer“ sollte nach Weber „durch demokratische Revision des Vertrauens“ ermöglicht werden.¹³⁷ Im Gegensatz hierzu hat Carl Schmitt auf Eschenburg nach 1945 kaum noch eine Wirkung ausgeübt. Wenn er auch dessen Verfassungslehre¹³⁸ in seinen Interviews mit Siedler und Fest anfangs der 1980er Jahre als ein gutes Buch gelobt hat, so finden sich aber ansonsten keine in diese Richtung zielenden Hinweise. Schmitts Verhalten im Dritten Reich hatte ihn für den Tübinger Politologen diskreditiert, so jedenfalls sind seine Auslassungen aus dem Jahr 1954 gegenüber Paul Kluke zu interpretieren, in denen er sich in scharfer Form mit Schmitt auseinandersetzte.¹³⁹ In Übernahme der Überlegungen von Alfred Weber legte Eschenburg zeit seines Lebens besonderes Gewicht auf die Ausgestaltung der Exekutive bzw. auf ein demokratisches System, das die Entscheidungsfindung erleichterte. Dies erhellen bereits seine „Überlegungen zur künftigen Verfassung und Verwaltung in Deutschland“ vom Oktober 1945, auf die bereits eingegangen worden ist. In
137 Weber, Krise, S. 138. 138 Carl Schmitt, Verfassungslehre, Berlin 1928, 9. Aufl. Berlin 1993. 139 Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“, S. 435.
238 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker die gleiche Richtung zielen seine Ausführungen in einer Behördendienstbesprechung im August 1950, denen zufolge in einem demokratischen Staat „das monokratische Element nicht nur unerlässlich, sondern eine Demokratie ohne monokratisches Element [. . . ] überhaupt nicht denkbar“ sei.¹⁴⁰ Ähnlich äußerte sich Eschenburg in einem Schreiben an Staatssekretär Otto Lenz vom August 1951, aus dem bereits zitiert wurde. Denn hierin führte er das mangelnde Interesse des Volkes an der Demokratie darauf zurück, dass das Volk spüre, dass nicht regiert werde, da der „dramatische Effekt der Kraft“ fehle, worunter die Staatsautorität leide.¹⁴¹ Wie unverrückbar diese Vorstellungen des Tübinger Politologen über die Jahrzehnte geblieben sind, geht aus Äußerungen aus dem Jahr 1994 hervor. In einem Rundfunkgespräch machte er einen „Antiführungskomplex“ in Deutschland aus, den er für „gefährlich“ erachtete, da „bisher kein Staatssystem in der Geschichte ohne Führung“ habe existieren können. Auch eine Demokratie müsse organisiert werden. Da das Volk nicht herrschen könne, wie er in Anlehnung an Alfred Weber fortfuhr, müsse eine Repräsentativ-Vertretung, ein Parlament, gewählt werden, das wiederum eine Regierung wähle. Diese habe „ein hohes Maß an Ermessensfreiheit. [. . . ] Nur so kann der Staat funktionieren.“¹⁴² Damit stellte sich die Frage nach dem Parteiensystem bzw. nach dem Wahlrecht, denn nicht zuletzt von ihm ist abhängig, wie viele Parteien in ein Parlament gewählt werden. Eschenburg war im Grundsatz für ein Mehrheitswahlrecht, da es große Chancen auf ein Zweiparteiensystem eröffnete. Denn ein Vielparteiensystem biete „die Chance einer leichteren Auswechselung der Regierung“ und enthalte damit „das Risiko einer größeren Labilität“. Der Tübinger Politologe bezweifelte daher, „ob ein moderner demokratischer Staat mit den starken zentrifugalen Kräften der Parteien und Verbände, aber auch der Ressorts [. . . ] einen obersten Koordinator, der eine gewisse autoritäre Wirkungsmöglichkeit“ haben müsse, entbehren könne.¹⁴³ Es entsprach dieser Auffassung, dass die unter seinem Vorsitz tagende Wahlrechtskommission 1967 für die Einführung eines Mehrheitswahlrechts votiert hatte. Im Gegensatz hierzu stand jedoch das Engagement Eschenburgs für eine liberale Wählerinitiative im Frühjahr 1972. Er hat diesen Einsatz mit der spezifischen politischen Situation zu diesem Zeitpunkt begründet. Ihm
140 Ausführungen von Herrn Ministerialrat Professor Dr. Eschenburg auf der 16. Behördendienstbesprechung in Tettnang am 26.8.1950, StAS, Wü 40 T 23, Nr. 76/0001. 141 Eschenburg an Staatssekretär Otto Lenz vom 27.8.1951, StAS, Wü 2 T 1, Nr. 261/039. 142 Theodor Eschenburg, „Wir haben in Deutschland einen Antiführungskomplex“, in: Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 253–265, Zitate S. 260 und S. 264. 143 Theodor Eschenburg, Einparteienherrschaft im Zweiparteiensystem, in: Eschenburg, Zur politischen Praxis, Band. 1, S. 23.
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ging es darum, durch eine Stärkung der FDP einen Beitrag für die Fortsetzung der Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition zu leisten.¹⁴⁴ Damit war aber keine grundsätzliche Distanzierung vom Mehrheitswahlrecht verbunden. So hat er sich in einem Interview mit der „Zeit“ an seinem 90. Geburtstag als „Todfeind“ des Verhältniswahlrechts bezeichnet, da es „funktionsstörend bis zum Exzess“ sei.¹⁴⁵ Diese Überzeugung hat er drei Jahre später in einem Interview mit dem „Stern“ noch einmal wiederholt. Er sei „sehr für Mehrheitswahlrecht“, denn das Verhältniswahlrecht sei „ein Schutzrecht der kleinen Parteien“ und zwinge „in der Regel zu Koalitionen, die nur beschränkt handlungsfähig“ seien, da in ihnen „der Kanzler nicht wirklich die Richtlinien der Politik“ bestimmen könne.¹⁴⁶ An der Bedeutung von Wahlen hat Eschenburg nie einen Zweifel gelassen. Er hat die Demokratie sogar dadurch definiert, dass sie diejenige Herrschaftsform sei, „in der Regierungsbildung und Gesetzbildung von periodisch wiederkehrenden Wahlen abhängig“ seien. Denn die „Befristung der Amtsdauer der Inhaber der hohen Ämter“ und „die Möglichkeit ihrer jederzeitigen Abberufung“ sei „eine Versicherung gegen Machtmissbrauch“.¹⁴⁷ An anderer Stelle hat er die Wahlen als einen „Notbehelf“ beschrieben, „weil organisatorisch anders in einem Staat ein vom Volk ausgehender Willensbildungsprozess überhaupt nicht möglich“ sei.¹⁴⁸ Mit den Wahlen verbunden war auch für Eschenburg die Notwendigkeit von Wahlkämpfen, obwohl er im Hinblick hierauf von einem „unwürdigen Verfahren“, von „Wahlreklame“ sprach.¹⁴⁹ Schon etwas früher hat er hierzu noch dezidierter Stellung genommen. Hier hatte er die Abhängigkeit von Wahlen, die „langfristige Entscheidungen“ verhindere, als eines „der ernsten Probleme der Demokratie“ bezeichnet.¹⁵⁰ Zudem hat er sich einmal auch dezidiert abfällig über die Abhängigkeit politischer Entscheidungen von Wahlen geäußert. In seiner Rede in Heilbronn Ende 1968 hatte er die periodisch wiederkehrenden Wahlen dafür verantwortlich gemacht, dass entweder kostspielige Wohltaten beschlossen
144 Theodor Eschenburg, Darum FDP, in: Institut für Politikwissenschaft, Eschenburg, S. 75. 145 Theodor Eschenburg, „Die lupenreine Demokratie bringt uns um“. Interview mit Theodor Eschenburg aus Anlass von dessen 90. Geburtstag, in: Die Zeit vom 21.10.1994. 146 Theodor Eschenburg, „Die Demokratie kann viel ertragen“, in: Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 275–284, Zitat S. 276 f. 147 Theodor Eschenburg, Einige Voraussetzungen des Funktionierens einer parlamentarischen Demokratie, in: Eschenburg, Zur politischen Praxis, Band 2, S. 63–70, Zitat S. 64. 148 Theodor Eschenburg, Demokratisierung und politische Praxis, in: Eschenburg, Zur politischen Praxis, Band 3, S. 234–250, Zitat S. 238. 149 Eschenburg, Zur politischen Praxis, Band 2, S. 66. 150 Theodor Eschenburg, Wahlwerbung und Staatsräson, in: Eschenburg, Zur politischen Praxis, Band 1, S. 181–191, Zitat S. 191.
240 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker oder notwendige unpopuläre Maßnahmen nicht getroffen würden. Als er deshalb eine „Diktatur auf Zeit“ für notwendig erklärte, führte das zu empörten Reaktionen in der Öffentlichkeit. Daraufhin ruderte Eschenburg zurück und erklärte, er sei falsch verstanden worden.¹⁵¹ Dieser Vorgang steht im Zusammenhang mit Überlegungen, die Eschenburg schon frühzeitig über die Bildung einer Großen Koalition oder Allparteienregierung anstellte. Erstmals hat er Ende 1958 das Problem angesprochen, dass „innerstaatliche Situationen“, sprich „schwere Krisen“, eintreten könnten, die „eine Selbstbeschränkung der Parteien im Wettbewerb erforderlich machen“ würden. Für eine solche Situation schlug Eschenburg die Bildung einer Allparteienregierung vor.¹⁵² Noch ehe 1966 eine Große Koalition auf Bundesebene ins Leben trat, hat sie Eschenburg im Frühjahr des Jahres für Nordrhein-Westfalen als die „zweckmäßigste Lösung“ bezeichnet. Dabei ging er davon aus, „dass eine Große Koalition in Nordrhein-Westfalen zu einer gewissen Unterstützung der Politik der Bundesregierung“ führen würde.¹⁵³ Auch die im Herbst des Jahres auf Bundesebene gebildete Große Koalition hat er stark befürwortet. Das geht nicht nur aus dem Interview hervor, das er nach seiner Heilbronner Rede mit den SpiegelRedakteuren Winfried Scharlau und Joachim Fest führte, in dem er der Großen Koalition die Funktion einer „Aufräumungsdiktatur“ zuwies, die die von den Parteien zu verantwortende „Reformstagnation“ beseitigen müsse.¹⁵⁴ Ebenso ist in diesem Zusammenhang an den nicht abgesandten Brief an Bundesinnenminister Paul Lücke zu erinnern, in dem Eschenburg eine Fortsetzung der Großen Koalition bis 1973 befürwortete, da nur dann die Chance bestehe, die „konkret geplanten Reformen“ umzusetzen.¹⁵⁵ Auf eine Große Koalition setzte er auch noch 1994. In einem Interview befürwortete er sie deshalb, „weil die Aufgaben – Finanzsanierung, deutsche Einheit, Arbeitslosigkeit – so groß“ seien, „dass sich die Regierung keine große Opposition leisten“ könne und dass es „unter Umständen“ auch schwer sei, „Opposition zu machen“. Deshalb galt nach Eschenburg:
151 Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“, S. 429ff. 152 Theodor Eschenburg, Eine Bundesregierung der Großen Koalition?, in: Eschenburg, Zur politischen Praxis, Band 1, S. 77–80, Zitat S. 79. 153 Theodor Eschenburg, Das Problem der knappsten Mehrheit im Dreiparteiensystem, in: Eschenburg, Zur politischen Praxis, Band 3. S. 26–30, Zitat S. 27. 154 Theodor Eschenburg, „Für die Demokratie eine Diktatur auf Zeit?“. Spiegel-Gespräch mit dem Politik-Professor Theodor Eschenburg, in: Der Spiegel, 8 (1969) vom 17.2.1969, S. 36–59, Zitat S. 37. 155 Eschenburg an Innenminister Paul Lücke vom 27.2.1967, UAT, 530/20.
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„Die Notlage, in der wir uns zur Zeit befinden, zwingt zu einer Koalition der beiden großen Parteien.“¹⁵⁶ Bei einem Mann, der die Demokratie so stark aus der Perspektive ihrer Funktionsfähigkeit und ihrer Regierbarkeit betrachtete, ist es nicht verwunderlich, dass er sich mit dem Problem der „Demokratisierung“, das im Gefolge der studentischen Unruhe an den Universitäten heftig diskutiert wurde, schwer tat. In einem Beitrag vom März 1969, dem bezeichnenderweise die Überschrift „Gesellschaft ohne Herrschaft – Hoffnung und Sorge“ vorangestellt war, definierte Eschenburg Demokratisierung als „Ausschöpfung des tatsächlich oder scheinbar unausgenutzten demokratischen Potentials durch Steigerung der Selbst- oder Mitbestimmung des Individuums“. Als eigentliches Ziel der Demokratisierungsbefürworter glaubte der Tübinger Politologe die „grundlegende Umwälzung von Staat und Gesellschaft“ zu erkennen. Ihnen gehe es „programmatisch“ um „eine Revolutionierung des Staates“. Auf die Bundesrepublik bezogen bedeute das, dass „das Mischsystem von demokratischen, oligarchischen und monokratischen Elementen“, das den bundesrepublikanischen Staat kennzeichne, „grundsätzlich in Frage gestellt“ werde.¹⁵⁷ In einem Aufsatz, der mehr als ein Jahr später erschienen ist, hat er Zweifel daran geäußert, ob die „Demokratisierung wirklich mehr Demokratie bringen“ werde. Gleichwohl hat er der „Demokratisierungsbestrebung“ zugestanden, dass sie „eine begreifliche Reaktion auf Erstarrungs- und Entartungserscheinungen der Demokratie“ sei. Geprüft werden müsse jedoch „sorgfältig“, ob „diese Reaktion zu geeigneten Reformmaßnahmen führen“ werde.¹⁵⁸ Reformen hielt Eschenburg in dieser Zeit selbst für notwendig. Sie bezogen sich auf eine „Totalrevision“ des Grundgesetzes. Dies sollte nicht auf eine „Totaländerung“ hinauslaufen, „aber eine Überprüfung der ganzen Verfassung“ zum Ziel haben. Begründet hat er diese Absicht damit, dass durch „sukzessive Einzeländerungen“ das Grundgesetz auf Dauer zu einem „Flickenteppich“ werde.¹⁵⁹ Ähnlich hat er sich ein Jahr später gegenüber dem Juristen Peter Häberle geäußert. Er wolle „ja gar keine umstürzenden Änderungen des Grundgesetzes“, sondern nur „bestimmte Änderungen geschlossen vornehmen, und nicht im Wege des Flickwerks“. Dahinter stünde als „das eigentliche Anliegen“, dass er „die öffent-
156 Theodor Eschenburg, „Man muss den Leuten klarmachen: ihr braucht Zäune.“, in: Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 267. 157 Theodor Eschenburg, Gesellschaft ohne Herrschaft – Hoffnung und Sorge, in: Eschenburg, Zur politischen Praxis, Band 3. S. 146–161, Zitate S. 155–157. 158 Theodor Eschenburg, Demokratisierung und politische Praxis, in: Eschenburg, Zur politischen Praxis, Band 3, S. 234–250, Zitates S. 243 und S. 250. 159 Eschenburg, „Für die Demokratie eine Diktatur auf Zeit?“, S. 38.
242 | „Öffentlicher Professor“ sowie interner Berater und Kritiker liche Meinung und die Politiker drängen“ wolle, „sich durch eine Überprüfung des Grundgesetzes seines Wertes und seiner Bedeutung bewusst zu werden“.¹⁶⁰ Trotz der Unruhen, die seit Ausgang der 1960er Jahre die Gesellschaft der Bundesrepublik prägten, war Eschenburg schon frühzeitig von der Stabilität der politischen Ordnung in der Bundesrepublik überzeugt. Obwohl er in dieser Zeit unter dem heftigen Beschuss der Studenten stand, äußerte er sich Anfang 1969 in einem Interview, dass er die „Überlebenschancen der Demokratie“ in der Bundesrepublik „aufs Ganze gesehen nicht so pessimistisch“ betrachte.¹⁶¹ Gezweifelt hat er hieran wohl in den Jahren des Terrorismus, denn damals hat er sich dafür ausgesprochen, „ein gesetzliches Staatsnotrecht analog Art. 48 der Weimarer Verfassung in das Grundgesetz aufzunehmen“. Justizminister Hans-Jochen Vogel wies dies jedoch mit der Begründung zurück, dass die Bundesregierung und er persönlich der Ansicht seien, „dass der Terrorismus als gemeines Verbrechen gerade nicht mit Sondergesetzen und Sondermaßnahmen, sondern mit dem für alle geltenden rechtsstaatlichen Instrumentarium zu bekämpfen sei“.¹⁶² In einem seiner letzten Interviews im Jahr 1997 hielt er die Demokratie in der Bundesrepublik „für absolut stabil“ und schloss die Wiederkehr „Weimarer Verhältnisse“ aus.¹⁶³ Gleichwohl war Eschenburg bis zum Ende seines Lebens der Überzeugung, dass Institutionen für das Funktionieren einer Demokratie außerordentlich wichtig seien. Denn sie bildeten einen „Rahmen“, in dem man sich bewegen könne, „weil ja alle Politik irgendwie geregelt werden“ müsse.¹⁶⁴ Letztlich waren aber auch für ihn, wie er schon Anfang 1955 ausführte, die Verfahrensfragen nur Hilfsmittel zum Erreichen „ganz bestimmter Zwecke“ in der Demokratie, „nämlich der Verhinderung des Gewaltmissbrauchs, der Einschränkung unserer Freiheit“.¹⁶⁵
160 Eschenburg an Peter Häberle vom 5.2.1970, UAT, 530/21. 161 Eschenburg, „Für die Demokratie eine Diktatur auf Zeit?“, S. 36. 162 Bundesminister Hans-Jochen Vogel an Eschenburg vom 8.3.1978, UAT, 530/47. 163 Theodor Eschenburg, „Die Demokratie kann viel ertragen“, in: Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 283. 164 Theodor Eschenburg, „Wir haben in Deutschland einen Antiführungskomplex“, in: Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 253. 165 Theodor Eschenburg, Staatsbürgerlicher Unterricht als Aufgabe, in: Recht und Freiheit, 2 (1955), Heft 1, S. 3–8, Zitat S. 8. Kopie des Textes in: UAT, 530/122.
Lebensabend: Familiäres, Krankheiten und die Fron des Memoirenschreibens Im Juni 1976 schrieb Eschenburg an seinen alten Freund Peter Olden, den Stiefbruder Rudolf Oldens, einen längeren Brief. Hierin steht der Satz: „Mit dem siebzigsten Geburtstag begann eine schlechte Zeit“.¹ Diese Feststellung bezog sich auf den Gesundheitszustand seiner Frau, bei der Mitte der 1960er Jahre eine Krebserkrankung diagnostiziert worden war. Nach einer Klinikbehandlung waren die Eschenburgs davon überzeugt, dass die Krebserkrankung besiegt sei.² Kurz nach Eschenburgs 70. Geburtstag traten jedoch erneut Krankheitssymptome auf, die sich in einer immer stärker werdenden Gehbehinderung äußerten. Eine für den November 1974 geplante Reise nach Indonesien wurde „im letzten Augenblick wegen der Erkrankung“ abgesagt. Ende November wurde Erika Eschenburg in die Klinik eingeliefert und dort „wegen ihrer starken Schmerzen hochgradig bestrahlt“. Als sie im Januar 1975 aus der Klinik zurückkam, konnte sie sich nur noch im Garten bewegen, im Sommer auch noch im eigenen Pool schwimmen. Im Januar 1976 war ein erneuter Klinikaufenthalt notwendig. Einen Monat später ist sie dann aber gestorben. „Seitdem ist sehr einsam um mich“, klagte Eschenburg gegenüber seinem Freund Olden. Dabei ging es ihm insofern noch einigermaßen gut, weil seine älteste Tochter Ellen, die geschieden war, seinen Haushalt führte. Das Haus „Am Apfelberg“ mit dem schönen Garten bewohnte er weiterhin, obwohl es „viel zu groß“ für ihn war. Aber er legte Wert darauf, dass seine Töchter mit den inzwischen neun Enkeln „während ihres Besuches“ bei ihm im Haus wohnen konnten.³ Wie wichtig dem Witwer in dieser Zeit seine Familie war, erhellen zwei Schreiben aus dem Sommer 1977. Im ersten vom Juni gratulierte er seiner dritten Tochter Ulrike zur Geburt von deren dritten Sohn. Dies gab ihm Veranlassung, daran zu erinnern, dass ihm nach der Geburt von Ulrike seine Frau damals „mit leisem Kummer“ einen Brief geschrieben habe, in dem sie bedauerte, keinen Sohn geboren zu haben. Er habe „emphatisch“ zurückgeschrieben, dass das „eine Frage von untergeordneter Bedeutung“ und die Gesundheit von Mutter und Kind „unendlich viel bedeutsamer“ sei. Deshalb gratulierte er seiner Tochter „voll Freude“ und informierte sie über Neuigkeiten aus der Familie. So hatte er als „Vergnügungsinstrument“ für die Töchter von Christine eine Hängematte gekauft, die
1 Eschenburg an Peter Olden vom 20.6.1976, UAT, 530/2. 2 Eschenburg an Ellen Raemisch vom 6.5.1977,UAT, 530/3. 3 Eschenburg an Peter Olden vom 20.6.1976, UAT, 530/2.
244 | Lebensabend er aber auch für sich selbst „amüsant und nützlich“ fand.⁴ Als ihn Anfang August des Jahres Ulrike mit ihren drei Kindern besuchte, bereitete ihm das „großes Vergnügen“. Der achtjährige Moritz amüsiere sich „virtuos im Schwimmbecken“, der knapp vierjährige Philipp habe Angst, und den erst wenige Wochen alten Benjamin interessiere „das halt noch nicht“.⁵ In diese Phase fielen auch „berufliche“ Veränderungen. So schied er 1976 nicht nur als Herausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ aus, worauf schon hingewiesen wurde. Ebenso entschied er sich dafür, seine mehr als 20jährige Tätigkeit im Staatsgerichtshof von Baden-Württemberg zu beenden. Sie hatte ihn noch im Jahr 1975 über die Maßen beansprucht, da wegen der Gemeindereform in Baden-Württemberg zweiundsiebzig Prozesse geführt wurden, so dass Eschenburg „fast jede Woche [. . . ] zwei volle Tage in Stuttgart“ verbringen musste.⁶ In seinem Verzicht auf eine Wiederwahl sah er nicht zuletzt eine „Gelegenheit zum Generationswechsel in diesem Gericht“.⁷ Dagegen blieb er bis 1989 Mitglied des Präsidiums des Goethe-Instituts. Seit Ende er 1970er Jahre finden sich in den Briefen Eschenburgs immer wieder Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen oder auch ernsthafte Erkrankungen. Im Spätsommer 1977 war er durch einen Gichtanfall so „stark behindert“, dass er „nicht mehr gehen konnte“. Dies hatte dazu geführt, dass er einen Termin kurzfristig absagen musste, da er nicht in der Lage war, „Stufen, wie bei der Eisenbahn oder beim Flugzeug“, zu gehen.⁸ Viel ernster war eine Erkrankung aber im Winter 1979. Denn es musste „ein Karzinom aus dem Darm“ entfernt werden. Obwohl die Operation „sehr gut ausgegangen“ zu sein schien, führte sie „nicht zuletzt wegen der zahllosen Pharmaka und eines erheblichen Blutverlustes“ zu einer „beachtlichen Schwäche“. An Arbeit war daher zunächst einmal nicht zu denken, da die Schwäche nur langsam nachließ.⁹ Mit ähnlichen Erkrankungen hatte Eschenburg auch in der Folgezeit zu tun. 1981 wurde eine Metastase aus dem Dickdarm geschnitten, und im Sommer 1983 stand das Gleiche für einen „kleinen harmlosen Tumor an der rechten Backenseite“ bevor.¹⁰ Zu dieser Zeit hatte sich die familiäre Situation für Eschenburg grundlegend geändert. Ausgangs der 1970er Jahre hatte er eine Frau kennen gelernt, die er
4 Eschenburg an Ulrike Störring vom 14.6.1977, UAT, 530/4. 5 Eschenburg an Gustav Störring vom 9.8.1977, ebenda. 6 Eschenburg an Helmut Schelsky vom 8.5.1975, UAT, 530/28. 7 Eschenburg an Lothar Späth vom 11.6.1976, UAT, 530/25. 8 Eschenburg an Kurt Laqueur vom 1.9.1977, UAT, 530/39. 9 Eschenburg an Bundespräsident Walter Scheel ohne Datum (Antwort auf Schreiben vom 12.3.1979), UAT, 530/39. 10 Eschenburg an Peter Olden vom 16.7.1983, UAT, 530/1000.
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im Februar 1982 heiratete.¹¹ Zunächst bewohnte Eschenburg mit seiner Frau das Haus, wie es oben beschrieben worden ist. Im Sommer 1990 verkaufte er es jedoch, und er zog mit seiner Frau in die nochmals umgebaute Einliegerwohnung.¹² Die bisherige obere Etage wurde vom Haupthaus getrennt und die beiden Etagen des Anbaus durch eine Wendeltreppe verbunden.¹³ Die Ehe stand jedoch unter keinem guten Stern. Es kam zu Auseinandersetzungen, die so weit führten, das Eschenburg vorübergehend in das Gästehaus der Universität zog und schließlich die Schlösser der Wohnung auswechseln ließ, um seiner Frau den Zutritt zu verwehren. Im Februar 1995 wohnte Frau Margarete Eschenburg nicht mehr im Haus „Am Apfelberg“.¹⁴ Bald darauf wurde die Ehe „durch Gerichtsurteil getrennt“.¹⁵ Eschenburg blieb bis zu seinem Lebensende in dem Anbau wohnen. In diese Jahre einer „Ehetragödie“ und weiterer Krankheiten, über die Eschenburg immer wieder in Briefen berichtete, fällt die Arbeit an den Memoiren. Ihr Ausgangspunkt waren mehreren Interviews, die Wolf-Jobst Siedler, Joachim Fest und anfangs auch Johannes Gross mit Eschenburg von Ende 1983 bis zum Januar 1985 an verschiedenen Orten führten. Von vornherein war klar, dass es den Interviewern nicht um ein Memoirenwerk klassischer Prägung zu tun war. Sie gaben nicht nur durch ihre Fragen die gewünschten Schwerpunkte vor, sondern Siedler teilte Eschenburg zwei Tage nach dem ersten Treffen mit, was er und seine Mitstreiter bezweckten. „Wir alle drei werden jedenfalls unser Möglichstes daran wenden“, hieß es in dem Brief, „dass ein farbiges und zugleich interessantes Buch entsteht, das ja in seiner Mischung von erfahrenem und erdachtem Memoirenwerk Zeitgeschichte und Erfahrungsextrakt zugleich sein soll.“¹⁶ Es hat den Anschein, dass der Verleger und seine Kombattanten von Beginn an danach trachteten, Eschenburg „die Feder zu führen“ und ein Buch zu produzieren, wie es ihren Vorstellungen entsprach. Dabei spielte ihnen der prominente Tübinger Politologe in die Hände, da er sich von Beginn an äußerst schwer tat, ein Manuskript abzuliefern. Wenn Siedler zunächst gehofft haben mochte, das Projekt innerhalb einer überschaubaren Frist abschließen zu können, so hatte er sich getäuscht. Eschenburg war schlicht überfordert, auf der Grundlage der Mitschriften der Interviews ein
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Ebenda. Eschenburg an die Stadtwerke Tübingen vom 4.6.1990, UAT, 530/1001. Mitteilung von Susanne Eschenburg. Eschenburg an das Städtische Klinikum Karlsruhe vom 3.2.1995, ebenda. Eschenburg an die Stadtkämmerei Baden-Baden vom 17.1.1997, ebenda. Siedler an Eschenburg vom 3.11.1983,UAT, 530/1000.
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Abb. 18. Theodor Eschenburg bei der Arbeit am Schreibtisch.
Manuskript zu verfassen. An Peter Olden schrieb er im Mai 1985: „Ich stottere an meinen Memoiren.“¹⁷ Bis 1994 hatte Eschenburg Siedler neun Kapitel seiner Memoiren geschickt. Eine inhaltliche Stellungnahme erhielt er hierzu nicht. Darauf reagierte er mit Unsicherheit, da er nicht wusste, wie der „Verlag über das bisher Geschriebene“ dachte. Dabei ging er davon aus, dass ihm das Manuskript an einigen Stellen zu lang geraten sei und deshalb „manches gestrichen werden“ müsse. Vielleicht tauge „Das Ganze überhaupt nichts“. Eschenburg wusste, dass er zu langsam war. Als Beispiel steht seine Mitteilung an Siedler, dass er am zehnten Kapitel – es war das über die „Quiriten“ – „in vierter Fassung [. . . ] jetzt abschließend“ arbeite. Darauf folge noch ein Kapitel über die „Ära Brüning“. Damit sollte es nach Ansicht des Verfassers sein Bewenden haben, denn „selbst bei erheblichen Kürzungen“ gebe „das bis dahin Geschriebene gut einen Band“. Es ist mit Händen zu greifen, dass ihm dieser erste Band deutlich mehr am Herzen lag als ein zweiter Folgeband. Das hing wohl nicht zuletzt damit zusammen, dass hierin über das Dritte Reich zu berichten war. Das Kapitel hierüber werde kurz ausfallen, teilte er Siedler mit, „weil schon sehr viel darüber geschrieben“ wurde.¹⁸
17 Eschenburg an Peter Olden vom 15.5.1985, ebenda. 18 Eschenburg an Siedler vom 7.10.1994, ebenda.
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Abb. 19. Theodor Eschenburg am 85. Geburtstag mit Hans Küng und Walter Jens.
Im Frühjahr 1995 hatten sich der Verlag und Eschenburg über das weitere Vorgehen geeinigt. Siedler und Fest hatten inzwischen Hermann Rudolph als Lektor engagiert, dessen Hauptaufgabe darin bestand, Streichungen am Manuskript Eschenburgs vorzunehmen, aber dabei – wenn nötig – auch auf stilistische Eingriffe nicht zu verzichten. Hier mahnte Eschenburg Vorsicht an, damit kein „Mischstil“ entstehe. Im Ganzen solle sein Stil erhalten bleiben.¹⁹ Hieran hat sich der Verlag aber kaum gehalten. Siedler erteilte Rudolph den Auftrag, das Manuskript auf den vom Verlag vorgesehenen Umfang zu kürzen. Im Herbstkatalog 1995 wurde ein Umfang von 480 Seiten angekündigt. Als das Buch erschien, stellte Eschenburg zu seiner Verwunderung fest, dass es nur 320 Seiten umfasste. Außerdem stammte das letzte Kapitel nicht von Eschenburg, sondern von Rudolph, obwohl Ersterer mit dieser Fassung nicht einverstanden war. Der alte Professor war verbittert. An Siedler schrieb er: „Jahrelang haben wir ohne jede Einschrän-
19 Eschenburg an Siedler vom 9.5.1995, ebenda.
248 | Lebensabend kung eine vertrauensvolle Zusammenarbeit gehabt, und jetzt dieses Verhängnis! Vielleicht haben Sie selbst von diesen Kürzungen nichts gewusst?!“²⁰ Einem Brief Eschenburgs an Wolfgang Stresemann, den Sohn des ehemaligen Reichsaußenministers, ist zu entnehmen, warum der Verfasser von den Streichungen so betroffen war. So hegte er den Verdacht, dass außer Hermann Rudolph noch ein Zweiter, ihm Unbekannter, den Text durchgearbeitet und eine zweite Kürzung vorgenommen habe. Dabei schmerzte es Eschenburg besonders, dass sehr viel von dem, was er über Stresemann geschrieben hatte, gestrichen worden war, denn „das sollte ja das Herzstück des ganzen Buches sein“. Gegenüber dem Verlag fühlte er sich aber „im Grunde wehrlos“, und er war daher „äußerst bedrückt“.²¹ Das Verhältnis zwischen Eschenburg und Siedler blieb bis zum Tod des Tübinger Politologen angespannt. Dafür sorgte zunächst Siedler, der ohne Rücksprache mit dem Verfasser mit dem Wilhelm-Goldmann-Verlag einen Lizenzvertrag für eine Taschenbuchausgabe des ersten Bandes der Memoiren abschloss. Eschenburg bezeichnete dies als einen „Schlag ins Kontor“. Er gestand Siedler zwar zu, zu diesem Vertragsabschluss auch ohne seine Zustimmung berechtigt zu sein, fügte aber hinzu: „Bei unseren jahrelangen persönlichen Beziehungen hätte ich eine vorherige Befragung mit Sicherheit erwartet.“ Außerdem verlangte er, dass das Taschenbuch „auf keinen Fall mit dem letzten Kapitel in der alten Fassung erscheinen“ dürfe. Vielmehr müsse der völlig veränderte Text übernommen werden, den er für das letzte Kapitel verfasst und an den Verlag geschickt habe.²² Wenige Monate später bezog Eschenburg wegen der Taschenbuchausgabe noch einmal deutlich Position gegenüber Siedler. „Nach den schlechten Erfahrungen mit den Korrekturen“ seiner Memoiren, an denen er „zeitlich nicht ganz unschuldig“ sei, lege er „großen Wert darauf, dass sich das beim Taschenbuch nicht“ wiederhole. Im Folgenden bezog er sich auf das Gesetz über das Verlagsrecht, demzufolge der Verleger dem Verfasser einen Korrekturabzug „rechtzeitig [. . . ] zur Durchsicht vorzulegen“ habe.²³ Die Absicht, eine Taschenbuchausgabe des ersten Bandes herauszugeben, hat der Verlag mit Rücksicht auf die Lagerbestände der Erstausgabe dann jedoch nicht weiterverfolgt. Gleichwohl hat Eschenburg Siedler gegenüber im Mai 1998 noch einmal festgehalten, dass er dessen schriftliche Zusage habe, „dass in der Taschenbuchausgabe nicht der Text des letzten Kapitels von Rudolph“ erscheine, sondern der von ihm verfasste. Deshalb
20 Eschenburg an Siedler vom 16.10.1995, ebenda. 21 Eschenburg an Wolfgang Stresemann vom 3.11.1995, UAT, 530/1001. 22 Eschenburg an Siedler vom 8.10.1996, UAT, 530/1000. 23 Eschenburg an Siedler vom 7.2.1997, ebenda.
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werde er auch „auf keinen Fall“ seine Zustimmung zu einem Neudruck geben, der wiederum Rudolphs Fassung enthalten sollte.²⁴ Inzwischen saß Eschenburg an der Arbeit zum zweiten Band. Im Mai 1998 fragte er bei Siedler nach, da er noch keine Stellungnahme zu den bis dahin eingesandten Manuskriptteilen erhalten hatte. Der Verleger meldete sich erst einige Zeit später und fragte nach dem Bearbeitungstand – offensichtlich verbunden mit dem Vorwurf, dass „viele Monate des Schweigens vergangen“ seien. Diese Vorhaltung wies Eschenburg zurück und machte auf einen Erholungsaufenthalt in Bad Reichenhall aufmerksam, den er wegen „Lähmungserscheinungen“ angetreten habe. Diese hätten sich jedoch „nicht verbessert, aber auch nicht verschlechtert“. Er habe sich zwar „im Ganzen“ erholt, was aber „nicht von langer Dauer“ gewesen sei. So habe er wiederum „eine Reihe von Krankheiten, die viel Behandlungs- und Untersuchungszeit“ gekostet hätten, „erleiden müssen“. Diese habe er „nach und nach alle überstanden, allerdings vor allem infolge von Antibiotika mit starken Arbeitsunterbrechungen“. Deshalb habe er „am Anfang des dritten Kapitels des zweiten Bandes haltmachen müssen; weder aus Faulheit noch aus Bequemlichkeit, sondern allein aus Mangel an Funktionsfähigkeit“. Es war deutlich, dass sich das Leben Eschenburgs dem Ende zuneigte, auch wenn er Siedler mitteilte, er habe „in diesen Tagen schon wieder langsam und vorsichtig“ mit der Arbeit an den Memoiren begonnen.²⁵ Nach dem Tod des Tübinger Politologen im Juli 1999 drängte Siedler darauf, den zweiten Band der Memoiren möglichst umgehend zu veröffentlichen.²⁶ Mit der Abfassung des Manuskriptes wurde wiederum Hermann Rudolph betraut. Bereits im September 1999 schloss er die Arbeiten hieran ab. Als Grundlage diente ihm der von Eschenburg bereits vorgelegte Text, der das Dritte Reich und die unmittelbare Nachkriegszeit umfasste, „allerdings zum Teil in recht fragmentarischer Fassung“. Darüber hinaus griff Rudolph auf die Mitschriften der Interviews zurück, die Siedler und Fest mit Eschenburg geführt hatten.²⁷ Der zweite Band der Memoiren ist daher zum großen Teil das Werk Rudolphs, der sich aber bemühte, möglichst nah an den Formulierungen zu bleiben, die er in Eschenburgs Manuskriptvorlage bzw. in den Mitschriften der Interviews vorgefunden hatte.²⁸ Ein Vergleich zahlreicher Textstellen ergibt, dass ihm dies insgesamt recht gut gelungen ist. Trotzdem ist so manche drastische Äußerung Eschenburgs in den Inter-
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Eschenburg an Siedler vom 22.5.1998, ebenda. Eschenburg an Siedler vom 11.9.1998, ebenda. Mitteilung von Hermann Rudolph. Hermann Rudolph, Editorische Notiz, in: Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 285. Mitteilung von Hermann Rudolph.
250 | Lebensabend views der stilistischen Überarbeitung, die Rudolph vorgenommen hat, zum Opfer gefallen. Auch zu der Zeit, als sich der Gesundheitszustand Eschenburgs zunächst langsam, dann aber schneller zu verschlechtern begann, blieb er ein leidenschaftlicher Raucher und Liebhaber schwerer Rotweine. Es war für ihn „unbequem“, als ab Mitte der 1970er Jahre das Rauchen nicht mehr in jeder Veranstaltung erlaubt war. An Willy Brandt schrieb er im November dieses Jahres, dass er in solch einem Fall „neuerdings Kautabak“ benutze. Das sei ihm „wesentlich sympathischer und vielleicht auch bekömmlicher als Schnupftabak“.²⁹ Ein solches Entgegenkommen war für ihn aber undenkbar, wenn ein Klinikaufenthalt anstand. Dem ärztlichen Leiter der Klinik in Baden-Baden, in der er sich im Frühjahr 1988 einer Prostataoperation unterziehen musste, schrieb er im Herbst 1987 einen Brief, in dem er seinen Anspruch auf ein Einzelzimmer anmeldete, um dann fortzufahren: „Ich kenne den Grad der Rauchanimosität der Klinikleitung nicht, aber ich hoffe, dass sie den Pfeifengenuss in meinem Zimmer dulden wird.“³⁰ Nicht weniger wichtig war Eschenburg der Rotwein, mit Vorliebe ein Burgunder. So bedankte er sich im Februar 1977 nach einem Besuch bei den Schwiegereltern seiner Tochter Ulrike in Kiel nicht nur für den Bourbon, den man ihm eingepackt hatte, sondern auch für die Bewirtung mit Schinken und Rotwein. „Die Schinkenhäppchen zart und dünn zum Burgunder“ seien „ein köstliches Erlebnis“ gewesen, das „zur Nachahmung“ reize.³¹ Die Vorliebe für Zigarren oder Pfeifen und Wein waren eine Leidenschaft, die auch sein Großvater und sein Vater bis kurz vor ihrem Ableben gepflegt haben. Dem Lübecker Senator Hans Ewers teilte Eschenburg nach dem Tod seines Vaters mit, dass auf dem Nachttisch seines Großvaters „bei seinem Tod die Zigarre“ lag, „mit der am Abend vorher sein Schlafzimmer betreten hatte“. Bei seinem Vater habe er Ähnliches erlebt. Bei seinem letzten Besuch wenige Wochen vor dessen Tod sei sein Vater „zwar müde und teilnahmslos“ gewesen, aber trotzdem habe er „noch munter“ geraucht und „schon am Vormittag einen schweren Burgunder“ getrunken.³² Sowohl Großvater wie Vater hatten das 90. Lebensjahr überschritten, als sie starben. Eschenburg wurde noch einige Jahre älter, und auch er hat bis kurz vor seinem Ende Tabak und Wein geschätzt. Dies hat der Verfasser Mitte der 1990er Jahre selbst erlebt. Eine seiner jährlichen Reisen zu seinen Töchtern
29 Eschenburg an Willy Brandt vom 20.11.1975, UAT, 530/39. 30 Eschenburg an Dr. Schlaudecker vom 30.10.1987, UAT, 530/1001. 31 Eschenburg an Lisa Störring vom 6.2.1977, UAT, 530/4. 32 Eschenburg an Senator Hans Ewers vom 7.3.1968, UAT, 530/070.
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von Tübingen über Hamburg, München und Ludwigshafen am Bodensee nutzte Eschenburg zu einem Besuch im Institut für Zeitgeschichte. Am späten Vormittag traf er ein und während des Gesprächs mit Institutsdirektor Horst Möller rauchten beide jeweils zwei Zigarren, die Eschenburg mitgebracht hatte. Beim Mittagessen in der Cafeteria des Instituts fragte er nach Rotwein, den es damals noch gab und von dem er ein oder zwei Gläser konsumierte. Während wir beide auf das Taxi warteten, schlief er ein. Als das Taxi kam und ich ihn weckte, entschuldigte er sich, was ich angesichts seines Alters und des Weinkonsums für überflüssig hielt. Zu dieser Zeit wusste ich noch nicht, dass Eschenburg an einer Krankheit litt, die als „Tagesschlaf“ bezeichnet wird. Nach einem Besuch bei Helmut Schelsky und dessen Gattin im Oktober 1962 musste er ein Entschuldigungsschreiben an seine Gastgeber schicken, weil er „zwischendurch einmal geschlafen“ hatte. Er verteidigte sich damit, dass es sich dabei um eine „pathologische Erscheinung“ handele, die mit dem Stottern vergleichbar sei.³³ Anfang des Jahres 1999 waren die gesundheitlichen Verfallserscheinungen Eschenburgs nicht mehr zu übersehen, so dass er auf den Rat seiner Tochter Ulrike hin die „Frage der Rechtsvollmacht im Falle [s]eines Ablebens“ regelte. Diese erteilte er „aufgrund eines Schreibens, das von einem Notar entworfen und auch unterzeichnet“ wurde, seiner Tochter Christine. Die Rechtsvollmacht bezog sich nicht nur auf das Ableben, sondern auch auf den Fall der „geistigen Unfähigkeit“.³⁴ Christine und Ulrike kümmerten sich auch um den Vater, als sich dessen Leben sichtlich dem Ende zuneigte. Nunmehr schmeckten ihm weder Zigarre noch Rotwein, und er bedurfte der ständigen Pflege. Da die Töchter ihn nicht in der Klinik sterben lassen, sondern selbst die Pflege des schwerkranken Vaters übernehmen wollten, beantragten sie bei der Krankenkasse, dass ihnen ein Spezialbett zur Verfügung gestellt wurde. Danach kümmerten sie sich abwechselnd um den todkranken Vater³⁵, der am 9. Juli 1999 von seinen Leiden erlöst wurde. Am 16. Juli wurde Theodor Eschenburg auf dem Bergfriedhof in Tübingen bestattet. Auf der Trauerfeier sprachen Vertreter des Landes, der Stadt, der Universität, Kollegen und Schüler – ganz so, wie es bei der Beisetzung eines prominenten Zeitgenossen üblich ist. Das Besondere war, dass am Ende die kirchliche Traueransprache für den Protestanten Eschenburg von dem katholischen Theologen Hans Küng gehalten wurde. Dies geschah auf Wunsch der Töchter, aber wohl auch deshalb, weil Küng bereits anlässlich der Trauerfreier von Eschenburgs
33 Eschenburg an Helmut Schlesky vom 25.10.1962, UAT, 530/14. 34 Eschenburg an Ulrike Störring vom 15.2.1999, UAT, 530/1001. 35 Mitteilung von Christine Eschenburg.
252 | Lebensabend Frau Erika auf dessen Bitte hin gesprochen hatte. Hinzu kam, dass Eschenburg und Küng nicht nur 40 Jahre lang Kollegen an der Universität gewesen waren, sondern auch Nachbarn, die sich immer wieder trafen, in häufigen Gesprächsrunden näher kennen lernten und anfreundeten. Küng war sich der Problematik seines Auftritts bewusst, am Sarg Eschenburgs ein „geistliches Wort“ zu sprechen. Deshalb stellte er einleitend die Frage, „ob Theodor Eschenburg das überhaupt gewünscht hätte? Er, der Realist, Skeptiker, vielleicht Agnostiker?“ Das Beten habe „der große Mann“ vor dem Sterben „nicht gewollt“ und über sein Verhältnis zur Religion habe er sich ausgeschwiegen. So geriet Küng die weitere Rede zu einer Würdigung des Politikwissenschaftlers Eschenburg, die von tiefer Verehrung geprägt war. Am Ende sprach Küng dann aber wieder ganz als Theologe, als er den Tod als „Durchgang zur eigentlichen Heimat, Einkehr in Gottes Verborgenheit und des Menschen Herrlichkeit“ bezeichnete. Der Tote gehe jetzt „den Weg hinein in das Innerste der Wirklichkeit, einen Bereich jenseits der Empirie, wo sich jenseits des subatomaren Bereichs jene Dimension Unendlich auftut, die sich erst jetzt als die wirklichste Wirklichkeit erweist, das Herz der Welt, ihr Urgrund, Urhalt und Urziel, des Menschen unvergängliche Heimat, aus der er kommt und in die er geht“. Ob der „Realist, Skeptiker, vielleicht Agnostiker“ Eschenburg hiermit hätte etwas anfangen können? Das aber war nicht das Ziel dieser Ausführungen Küngs. Diese Worte waren als Trost für die Trauergemeinde gedacht, für die der katholische Theologe seine Ansprache mit dem Satz abschloss: „Dankbar für alles, was Theodor Eschenburg für uns war und uns bedeutet. Zugleich aber hoffend auf den Frieden, die Freude, das Glück, das ihm und – so hoffen wir – einst auch uns bereitet ist.“³⁶
36 Hans Küng, Umstrittene Wahrheit. Erinnerungen, München 2007, S. 157. Den vollständigen Text der Traueransprache hat mir Hans Küng zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke.
Epilog Wie kaum in einer anderen Nation ist die Entwicklung Deutschlands im 20. Jahrhundert von tiefen Brüchen gekennzeichnet. Eschenburg, der kurz nach Beginn dieses Jahrhunderts geboren wurde und erst ein Jahr vor dessen Ende starb, hat alle Zäsuren in unterschiedlicher Form miterlebt und die damit verbundenen Veränderungen und Auswirkungen auf die eigene Existenz bewältigen müssen. So bedeutete der Ausbruch der Revolution von 1918, der mit dem Tod seiner Mutter zusammenfiel, für den damals 13-jährigen Jungen einen tiefen Einschnitt. Als eine Zäsur erlebte er auch die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten, da sie seinem Lebensweg eine neue Wendung gab. Nach dem Zusammenbruch von 1945 suchte und fand dann Eschenburg ein Betätigungsfeld, das ihn vor ganz anders geartete Herausforderungen stellte und ihm den Weg auf die Professur für Politikwissenschaft an der Universität Tübingen ebnete, die ihm die Chance eröffnete, zu einer politischen Leitfigur zu avancieren. Abschließend soll die Frage aufgeworfen und erörtert werden, welche Aspekte dieses Lebens besonders bedeutsam erscheinen und dazu dienen können, es angemessen zu erfassen und in die Zeitströmungen des 20. Jahrhunderts in Deutschland einzuordnen. Dabei bieten sich folgende Interpretationslinien an. Zentral ist als erstes die Feststellung, dass in dieser Biografie die Geschichte eines Großbürgers erzählt worden ist. Sowohl die Großeltern wie die Eltern gehörten diesem Milieu an und erzogen den jungen Eschenburg entsprechend. Unterschiede gab es indessen in der politischen Ausrichtung. Der Vater war monarchistisch und antisemitisch, der Großvater dagegen liberal-konservativ nach Lübecker Art. Daraus ergab sich eine zunächst zwiespältige Prägung, wobei sich allmählich die gemäßigte Haltung des Großvaters durchsetzte. Spätestens ab Mitte der 1920er Jahre war Eschenburg ein konservativer Anhänger der Weimarer Republik und engagierte sich an deren Ende politisch in der Deutschen Staatspartei. Wie stark die großbürgerliche Prägung war, hatte sich schon bei der Wahl des Themas für die Dissertation gezeigt. Mit Rudolf Bassermann wählte er ganz bewusst einen Repräsentanten einer großbürgerlichen Familie, die von ähnlichem Zuschnitt war wie die Familie, der auch er entstammte. Er selbst hat spätestens seit seinen Berliner Studententagen ebenfalls wie ein Großbürger gelebt – d. h mit Haushälterin – und daran hat sich auch nach der Eheschließung nichts geändert. Selbst während der Evakuierung und in den beengten Wohnverhältnissen der unmittelbaren Nachkriegszeit konnte Eschenburgs Frau auf eine Haushälterin zurückgreifen. Wie viele andere Repräsentanten des Großbürgertums hat sich auch Eschenburg im Dritten Reich angepasst. Insofern weist sein Leben in dieser Zeit gleich-
254 | Epilog sam paradigmatische Züge auf. Beruflich in eine Stellung nicht ohne Einfluss gelangt und finanziell sehr gut dotiert, war er stets bestrebt, Positionen zu vertreten, die sich im Rahmen der Vorgaben der NS-Politik hielten. Dies schloss eine Beteiligung am Widerstand von vornherein aus. Zur Absicherung der von ihm eingenommenen wirtschaftlichen Leitungsfunktionen, die ihm ein Leben von großbürgerlichem Zuschnitt erlaubten, ist er 1934 sogar der SS beigetreten. Er hat diese Organisation aber noch im selben Jahr wieder verlassen. Einen Beitritt zur NSDAP hat er nicht vollzogen und damit seine politische Distanz zum Regime dokumentiert. In diese Richtung weist auch der private Umgang Eschenburgs und seiner Frau, in den stets auch Juden einbezogen waren. Ansonsten nahmen Freunde und Bekannte in ihrer Mehrzahl Funktionen in ganz unterschiedlichen Bereichen im NS-System wahr, ohne sich aber zu dessen ideologischen Maximen zu bekennen. Gleichwohl waren sie wie Eschenburg selbst nicht für eine Teilnahme am Widerstand zu gewinnen, obwohl einige Kontakte bestanden. Auch die Maßnahmen des Regimes gegen zahlreiche befreundete Juden hat Eschenburg und sein Umfeld nicht zu einem Umdenken in dieser Frage bewegen können. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass Eschenburg in ständiger Angst vor dem Regime lebte und glaubte, Rücksicht auf die Sicherheit seiner Familie nehmen zu müssen. Nach dem Krieg ist Eschenburg wie weite bürgerliche Kreise der Auseinandersetzung mit seiner persönlichen Vergangenheit im Dritten Reich lange Zeit ausgewichen. Es gilt auch für ihn, was Hermann Lübbe mit seiner These vom „kommunikativen Beschweigen“ auf den Begriff gebracht hat.¹ So hat er insbesondere über seine vorübergehende Mitgliedschaft in der SS über Jahrzehnte hinweg in der Öffentlichkeit kein Wort verloren. Aber auch ansonsten finden sich keine öffentlichen Verlautbarungen über das eigene Leben unter der nationalsozialistischen Diktatur. Die NS-Vergangenheit thematisierte er, indem er das Verhalten von Personen verteidigte, deren Situation im Dritten Reich er ähnlich einschätzte wie seine eigene.² Darüber hinaus trug er zur zeitgeschichtlichen Forschung in der frühen Bundesrepublik als einer der Herausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“ bei. Außerdem ging nicht zuletzt auf ihn die Gründung des Seminars für Zeitgeschichte an der Universität Tübingen zurück. Auf sein eigenes Verhalten im Dritten Reich ging er erst in den Interviews mit Siedler und Fest anfangs der 1980er Jahre ein, wobei er sich jedoch über seine – marginale – Beteiligung an
1 Hermann Lübbe, Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in: HZ 236 (1983), S. 579–599. 2 Wengst, Der „Fall Theodor Eschenburg“, S. 420–429.
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der „Arisierungspolitik“ des Dritten Reichs ausschwieg. Daher ist hierüber auch in seinen Memoiren kein Hinweis zu finden. Nach 1945 konzentrierte sich Eschenburg wie die Mehrzahl seiner (bürgerlichen) Zeitgenossen zunächst darauf, eine Tätigkeit zu finden, die das wirtschaftliche Überleben sicherte. Dabei hatte er das große Glück, eine Anstellung zu bekommen, die es ihm erlaubte, erneut eine berufliche Karriere mit einem mehr als auskömmlichen Einkommen zu starten. Denn durch Zufall erhielt er eine Leitungsposition in der Landesregierung von Württemberg-Hohenzollern. So konnte er an der Gestaltung der Landespolitik im deutschen Südwesten mitwirken und dabei auch eine maßgebliche Rolle bei der Bildung des Landes BadenWürttemberg spielen. Die Lösung von Gegenwartsfragen stand allemal im Vordergrund. Der Rückblick auf die Diktatur war kein Thema und hat Eschenburg auch als Hochschullehrer – sofern er die eigene Person betraf – lange Zeit wenig interessiert. Als zweiter Interpretationsstrang bietet sich die politische Bildung an. Sie hat Eschenburg bereits seit den ersten Semestern seines Studiums in Tübingen in Beschlag genommen und ihn zeit seines Lebens nicht mehr losgelassen. Als Vorsitzender des Tübinger Hochschulrings Deutscher Art bemühte er sich auch über seine Studienzeit in Tübingen hinaus, diese Vereinigung aus der „rechten Ecke“ herauszuführen und aus ihr einen Diskussionszirkel zu machen, mit dessen Hilfe er in der Tübinger Studentenschaft eine politische Erziehungsarbeit leisten wollte. In Berlin gründete er mit den „Quiriten“ eine ähnliche Gesprächsrunde. Auch in diesem Kreis traten wie im Tübinger Hochschulring führende Politiker auf, um mit den jungen Leuten zu diskutieren. Eschenburg ging es in beiden Fällen darum, dem ständig wachsenden Parteienkonflikt entgegenzuwirken und zu versuchen, die politische Mitte zu stärken. Zu Beginn seiner Lehrtätigkeit an der Universität Tübingen erlebten unter dem Mentorat Eschenburgs mit dem „studentischen Arbeitskreis für Politik“ der „Hochschulring“ und die „Quiriten“ in gewisser Hinsicht eine Wiederbelebung. Auch bei dem „Arbeitskreis für Politik“ handelte es sich um einen Diskussionszirkel, in dem bekannte Politiker mit den Studenten diskutierten. Mit der Übernahme des Tübinger Lehrstuhls trat die politische Bildung in das Zentrum von Eschenburgs Tätigkeit. Dies entsprach den Erwartungen, mit denen seine Ernennung von Beginn an verbunden war. Dementsprechend bot er insbesondere in den Anfangsjahren Lehrveranstaltungen an, die sich expressis verbis an Studenten in den Lehramtsstudiengängen richteten. Ebenso wirkte er in Kommissionen mit, die Studienpläne zur politischen Bildung erarbeiteten. Außerdem hielten er und seine Mitarbeiter in großer Zahl Vorträge mit entsprechendem Inhalt in Fortbildungsveranstaltungen für Lehrer. Wichtiger war jedoch, dass Eschenburg immer häufiger zu Festvorträgen vor wichtigen Einrich-
256 | Epilog tungen eingeladen wurde und damit erhöhte öffentliche Resonanz erzielte. Noch entscheidender war aber seine Präsenz mit zahlreichen Artikeln zu zentralen politischen Fragen in der Presse, insbesondere in der Wochenzeitung „Die Zeit“, in der er seit Ende der 1950er Jahre regelmäßig Kolumnen veröffentlichte. Auf diese Weise wurde Eschenburg ein „öffentlicher Professor“, der sich nicht so sehr als Wissenschaftler verstand, sondern eher als „gebildeter Praktiker“, dem es darum ging, „politische Praxis und ihre Möglichkeiten kritisch zu untersuchen und darzustellen“.³ Im Vordergrund des Interesses standen dabei für Eschenburg stets die Institutionen. Nach seiner Auffassung war es notwendig, erstere behutsam zu behandeln, da sie durch „institutionsfremdes oder gar institutionswidriges Verhalten eingebeult, umgebogen oder verschoben“ werden konnten.⁴ Eschenburg ist daher mit Recht als „Wächter über Normen und Kompetenzen“ bezeichnet worden. Dabei dienten ihm stets aktuelle Ereignisse in der Politik in der Bundesrepublik als Ansatz, um an ihnen grundsätzliche Probleme im Umgang mit den Institutionen zu exemplifizieren. Festgehalten werden muss aber, dass Institutionen, Normen und Kompetenzen für ihn nur deshalb von Bedeutung waren, weil er sie für eine stabile demokratische Ordnung für unerlässlich hielt. Denn sie waren für ihn – wie er schon frühzeitig ausgeführt hatte – notwendig für das Erreichen „ganz bestimmter Zwecke“ in der Demokratie, „nämlich der Verhinderung des Gewaltmissbrauchs, der Einschränkung unserer Freiheit“.⁵ Ein dritter Interpretationsansatz ist das Verhältnis von konservativer Grundeinstellung und liberaler Gesinnung. Schon in der Weimarer Republik gab es keinen Zweifel daran, dass Eschenburg konservativ war. Sowohl der „Tübinger Hochschulring“ als auch die „Quiriten“ verfolgten einen entsprechenden Kurs. Eschenburg hat dabei aber stets darauf hingewirkt, dass liberale Gesichtspunkte zum Tragen kamen. Das lässt sich aus seinem Bemühen ableiten, dass auch Männer wie Hermann Höpker Aschoff oder Carl Petersen zu Vorträgen im Hochschulring eingeladen oder Carl Bosch als Mitglied des Förderkreises in Aussicht genommen wurden. 1932 schrieb er große Artikel über Brüning, Schleicher und Hindenburg, die im konservativen Duktus gehalten waren, aber sie erschienen in der linksliberalen „Vossischen Zeitung“. An dieser Grundhaltung änderte sich auch in der Nachkriegszeit nichts. Noch in seinen Memoiren schreibt er, dass er in der Redaktion der Wochenzeitung „Die Zeit“ „eher zu den Konservativen“
3 Vgl. S. 223. 4 Vgl. S. 224. 5 Vgl. S. 242.
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gehört habe, auch wenn er gegenüber dem Herausgeber Bucerius beteuerte, dass er deshalb für diese Zeitung schreibe, weil es ein „liberales Blatt“ sei.⁶ Zeichen von Liberalität setzte Eschenburg stets auch als Hochschullehrer. So förderte und habilitierte er Studenten und junge Wissenschaftler, die politische Positionen vertraten, mit denen er nicht übereinstimmte. Entscheidend war für ihn, ob die Betreffenden wissenschaftlich qualifiziert waren. An dieser Maxime orientierte er sich auch bei den Berufungen von Walter Jens und Ernst Bloch. Besonders im letzteren Fall hatte es viel Kritik gegeben, weil Bloch aus der DDR gekommen war und weiterhin einen philosophischen Materialismus vertrat. Eschenburg hielt jedoch dagegen, dass auch solche Ansichten an Universitäten der Bundesrepublik gelehrt werden dürften, da ansonsten die „akademische Freiheit in Frage gestellt“ sei.⁷ Nicht viel anders agierte er zusammen mit Hans Rothfels als Herausgeber der „Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte“. Die eingegangenen Manuskripte wurden zwar gründlich lektoriert und die Texte, sofern die Herausgeber mit den darin bezogenen Positionen nicht übereinstimmten, mit den Verfassern eingehend diskutiert. Aber letztlich erschienen die Texte in einer Fassung, die den Auffassungen der Autoren entsprachen. Eine Zensur gab es bei den „Vierteljahrsheften für Zeitgeschichte“ nie. Einen vierten Interpretationsstrang hätte Eschenburg selbst wohl ganz stark betont. Es ist die Wirkung, die Gustav Stresemann auf sein Leben gehabt hat. Eine Reichstagsrede des Letzteren hat auf den jungen Tübinger Studenten am Ende von dessen erstem Semester eine solche Wirkung gehabt, dass er von da an ein grenzenloser Bewunderer des Reichsaußenministers wurde. Es begann eine Beziehung, die während der Arbeit an Eschenburgs Dissertation immer enger wurde und in einen mehr oder weniger regelmäßigen Gedankenaustausch einmündete. Allein der frühe Tod Stresemanns hat wohl verhindert, dass Eschenburg in eine Arbeitsbeziehung zu diesem getreten ist. Nach dessen Tod hat er zusammen mit Stresemanns Privatsekretär das Erscheinen einer Gedenknummer in den „Deutschen Stimmen“ organisiert und hierin auch einen Nachruf geschrieben. Als sich Eschenburg 1930 an der Bildung der Deutschen Staatspartei beteiligte, tat er dies, weil er glaubte, damit im Sinne Stresemanns zu handeln. Auch in den Jahren seit 1945 hat Eschenburg wiederholt auf die Bedeutung hingewiesen, die Stresemann für ihn besessen hat. Viele seiner Gesprächspartner berichten, dass er immer wieder auf seine Beziehungen zu dem ehemaligen Reichsaußenminister zu sprechen gekommen sei, sodass bei einigen der falsche Eindruck entstanden ist, dass Eschenburg ein Sekretär Stresemanns gewesen sei.
6 Eschenburg, Letzten Endes meine ich doch, S. 213. 7 Vgl. S. 196.
258 | Epilog Für einen Sammelband hat der Tübinger Politologe 1963 einen über 80-seitigen Aufsatz über den von ihm zeit seines Lebens bewunderten Politiker der Weimarer Republik geschrieben⁸, den er wenige Jahre später für eine Bildbiografie noch erweitert hat.⁹ Schon einige Jahre vorher hatte er sich bei Bundespräsident Heuss als einem der Herausgeber der biografischen Sammlung „Die großen Deutschen“ beklagt, weil Gustav Stresemann keine Aufnahme gefunden hatte. Trotz der Bedenken, die Heuss in einem Gespräch mit Eschenburg gegenüber der Aufnahme von Stresemann in das Werk geltend gemacht hatte, hielt Letzterer an seiner Meinung fest, dass Stresemann „eine der großen Figuren der Weimarer Republik“ sei und deshalb seine Biografie in der Sammlung nicht fehlen dürfe.¹⁰ Die Bedeutung von Stresemann für Eschenburg wird auch bei der Lektüre der entsprechenden Kapitel der Memoiren deutlich. Es waren nicht nur die Beziehungen zu Stresemann selbst, die Eschenburg zu schätzen wusste, sondern auch die durch den Außenminister vermittelte Ausweitung der gesellschaftlichen Kontakte, die dem Studenten Zugang zu ganz neuen Kreisen eröffnete. Deshalb waren die Ausführungen über Stresemann in Eschenburgs Manuskript zu den Memoiren weit umfassender als in der publizierten Ausgabe. Doch diese waren von dritter Seite gekürzt worden, was Eschenburg verbitterte. Denn seine Absicht war es gewesen, die Kapitel über Stresemann als „Herzstück des ganzen Buches“ zu gestalten.¹¹ Eschenburg war eine politische Leitfigur. Dies war nicht in erster Linie auf seine Lehrtätigkeit an der Tübinger Universität zurückzuführen, sondern in viel stärkerem Maße auf sein Wirken als „öffentlicher Professor“. Dessen umfassende Vortragstätigkeit und seine zahllosen Kolumnen vor allem in der Wochenzeitung „Die Zeit“ wurden von einer großen intellektuellen Leserschaft wahrgenommen. Mehrere Generationen von Lehrern an Schulen und Einrichtungen für Erwachsenenbildung, von Journalisten und darüber hinaus von politisch Interessierten haben bei diesem Politologen und Publizisten gelernt, wie eine Demokratie funktioniert. Insofern hat Eschenburg einen wesentlichen Beitrag zur Implementierung und Stabilisierung der westdeutschen Demokratie geleistet. Dies gilt auch für seinen erfolgreichen Einsatz für die Bildung des Landes Baden-Württemberg, die in der Debatte über Eschenburg bisher überhaupt nicht in den Blick genommen worden ist und in vorliegender Biografie erstmals im Detail dargestellt wird.
8 Theodor Eschenburg, Gustav Stresemann, in: Eschenburg, Die improvisierte Demokratie, S. 143–226. 9 Theodor Eschenburg, Gustav Stresemann. Eine Bildbiographie, Stuttgart 1978. 10 Eschenburg an Bundespräsident Heuss vom 10.9.1956, UAT, 530/5. 11 Vgl. S. 248.
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Dagegen verblasst sein wenig heldenhaftes und durch Anpassung geprägtes Leben im Dritten Reich, das er mit der Mehrzahl seiner Mitbürger teilte. Festgehalten muss in diesem Zusammenhang aber noch einmal die von ihm seit 1934 gewahrte politische Distanz zum Regime. Möglicherweise auch deshalb sah er wenig Veranlassung, sich in den Jahren nach 1945 mit seiner persönlichen Vergangenheit im Dritten Reich auseinanderzusetzen. Betont werden soll abschließend, dass sich Eschenburg nach dem Ende des Dritten Reichs nicht erst als Demokrat erfinden musste, da er schon ab Mitte der 1920er Jahre in der Weimarer Republik als konservativer Demokrat publizistisch und politisch in Erscheinung getreten war.
Quellen und Literatur Archivalien Archiv des Instituts für Zeitgeschichte München (IfZ-Archiv) Bestand ID (Hausarchiv) Archiv für Christlich-Demokratische Politik St. Augustin (ACDP) Bestand 01-105 (Nachlass Paul Binder) Bundesarchiv Berlin (BArchB) Bestand R 3101 (Reichswirtschaftsministerium) Bestand R 13 XV (Wirtschaftsgruppe Bekleidungsindustrie) Bestand BDC (Stammrolle Eschenburg) Bundesarchiv Koblenz (BArchK) Bestand Z 35 (Deutsches Büro für Friedensfragen) Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStASt) EA 3/150 (Personalakte Eschenburg) Katharineum Lübeck Abiturakten Theodor Eschenburg Kreisarchiv Esslingen Entnazifizierungsakten Eschenburg Österreichisches Staatsarchiv Wien (ÖStAW, AdR) Akten der Vermögensverkehrsstelle, Firmen Auerhahn und Blaskopf Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Berlin (PA/AA) Nachlass Stresemann Staatsarchiv Sigmaringen (StAS) Bestand Wü 2 (Staatskanzlei Württemberg-Hohenzollern) Bestand WÜ 40 (Büro Ministerialrat Dr. Eschenburg) Stadtarchiv Plochingen Entnazifizierungsakten Eschenburg Universitätsarchiv Tübingen (UAT) Aktenbestand Seminar für Zeitgeschichte Nachlass Eschenburg Personalakte Ernst Bloch Studentenakte Eschenburg
262 | Quellen und Literatur
Verzeichnis der Veröffentlichungen Eschenburgs (soweit in vorliegender Biografie zitiert oder erwähnt) Ämterpatronage, Stuttgart 1961. Die Affäre. Eine Analyse von Theodor Eschenburg. Protokolle der „Spiegel“-Debatten des Deutschen Bundestages, Die Zeit, Sonderdruck, Hamburg 1962. Also hören Sie mal zu. Geschichte und Geschichten 1904 bis 1933, Berlin 1995. Anfänge der Politikwissenschaft und des Schulfaches Politik in Deutschland seit 1945, in: Augsburger Universitätsreden, Augsburg 1986. Anfang und Ende, in: Deutsche Stimmen 41 (1929), S. 481–487. Aufgaben der Zeitgeschichte, in: GWU 6 (1955), S. 356–361. Aus dem Universitätsleben vor 1933, in: Andreas Flitner (Hrsg.), Deutsches Geistesleben und Nationalsozialismus. Eine Vortragsreihe der Universität Tübingen mit einem Nachwort von Hermann Diem, Tübingen 1965, S. 24–46. Aus den Anfängen des Landes Württemberg-Hohenzollern, in: VfZ 10 (1962), S. 264–279. Aus der nationalliberalen Parteigeschichte. Die Entlassung Posadowskys. Bassermann und das preußische Wahlrecht, in: Deutsche Stimmen 40 (1928), S. 589–597. Aus der nationalliberalen Parteigeschichte. Die Entstehung des Bülow-Blockes, in: Deutsche Stimmen 40 (1928), S. 529–537. Baden 1945–1951. Was nicht in den Zeitungen steht, Darmstadt 1951. Carl Sonnenschein, in: VfZ 11 (1963), S. 333–361. Chronik eines Richtlinienstreites zwischen dem Reichskanzler Luther und dem Reichsminister des Auswärtigen, Stresemann, 1925. Zur Technik des Regierens im parlamentarischen System, in: VfZ 36 (1988), S. 233–258. Die Daily-Telegraph-Affäre. Nach unveröffentlichten Dokumenten, in: Preußische Jahrbücher, Zweihundertvierzehnter Band, Oktober bis Dezember 1928, Berlin 1928, S. 199–223. Die deutsche Frage 1966, in: Die Zeit vom 29.4.1966. Die Deutsche Frage. Verfassungsprobleme der Wiedervereinigung, München 1959. Eine Beamtenvernehmung im Dritten Reich, in: VfZ 11 (1963), S. 210ff. Ein Unfall, keine Tragödie, in: Die Zeit vom 29.8.1975. Erinnerungen an die Münchener Ministerpräsidenten-Konferenz 1947, in: VfZ 20 (1972), S. 411–417. Ernst Bassermann zum 10jährigen Todestag. 24. Juli 1917, in: Deutsche Stimmen 39 (1927), S. 417–419. Die europäischen Demokratien zwischen den Weltkriegen, erstmals veröffentlicht in: Das dritte Reich und Europa-Bericht über die Tagung des Instituts für Zeitgeschichte in Tutzing, Mai 1956, München 1957, S. 1–24. Franz von Papen, in: VfZ 1 (1953), S. 153–169. „Für die Demokratie eine Diktatur auf Zeit?“. Spiegel-Gespräch mit dem Politik-Professor Theodor Eschenburg, in: Der Spiegel 8 (1969) vom 17.2.1969, S. 36–50. Gedanken zum Einheitsstaat, in: Deutsche Stimmen 39 (1927), S. 783–790. (unter dem Pseudonym Georg Huneus), Der General, in: Vossische Zeitung vom 4.12.1932 (Sonntags-Ausgabe), vom 6.12.1932 (Morgen-Ausgabe) und vom 11.12.1932 (SonntagsAusgabe) Gustav Stresemann. Eine Bildbiographie, Stuttgart 1978.
Verzeichnis der Veröffentlichungen Eschenburgs
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(unter dem Pseudonym Georg Hunneus bzw. Huneus), Heinrich Brünings Weg als Reichskanzler, in: Vossische Zeitung vom 17.7.1932 (Sonntags-Ausgabe); Heinrich Brünings Kreuzgang, in: Vossische Zeitung vom 20.7.1932 (Morgen-Ausgabe); Brünings letzter Sieg, in: Vossische Zeitung vom 22.7.1932 (Morgen-Ausgabe); Brünings letzte Wegstrecke, in: Vossische Zeitung vom 24.7.1932. Herrschaft der Verbände?, Stuttgart 1955. (unter dem Pseudonym Georg Huneus), Hindenburgs Werk, in: Vossische Zeitung vom 2.10.1932 (Vierte Beilage). Die improvisierte Demokratie. Gesammelte Aufsätze zur Weimarer Republik, München 1963. Die improvisierte Demokratie der Weimarer Republik, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte, Band 9 (1951). Erneut veröffentlicht im Steiner Verlag, Schloss Laupheim o. J. In Memoriam Stresemann, in: Deutsche Stimmen 41 (1929), S. 594–599. Institutionelle Sorgen der Bundesrepublik. Politische Aufsätze 1957–1961, Stuttgart 1961. Jahre der Besatzung 1945–1949. Mit einem einleitenden Essay von Eberhard Jäckel, Stuttgart/Wiesbaden 1983. Jahresbericht über das akademische Jahr 1961/62, erstattet bei der Immatrikulationsfeier am 6. Juni 1962 vom Rektor Professor Dr. Theodor Eschenburg, Tübingen 1962. Jahresbericht über das akademische Jahr 1962/63, erstattet bei der Rektoratsübergabe am 10. Mai 1963 vom Rektor Professor Dr. Theodor Eschenburg, Tübingen 1963. Das Kaiserreich am Scheideweg. Bülow und der Block. Nach unveröffentlichten Papieren aus dem Nachlass Ernst Bassermanns. Eingeleitet von Gustav Stresemann, Berlin 1929. Kleine deutsche Bürgerkunde, in: Die moderne Volkshochschule. Handbuch für Beruf und Haus in zwei Bänden, Stuttgart 1953. Kommunalpolitik, Parteien und Jugend, in: Deutsche Stimmen 41 (1929), S. 570–578. Letzten Endes meine ich doch. Erinnerungen 1933–1999, Berlin 2000. „Die lupenreine Demokratie bringt sich um.“ Interview mit Theodor Eschenburg aus Anlass von dessen 90. Geburtstag, in: Die Zeit vom 21.10.1994. Matthias Erzberger, München 1973. Nationalstaat und Nationalfahne, in: Deutsche Stimmen 39 (1927), S. 545–550. Der nächste Bundespräsident – noch einmal Heuss?, in: Die Zeit vom 11.9.1958. Politische Erziehung, in: Deutsche Stimmen 40 (1928), S. 140–147. Das Problem der deutschen Einheit nach den beiden Weltkriegen, in: VfZ 5 (1957), S. 107–133. Das Problem der Neugliederung der Deutschen Bundesrepublik. Dargestellt am Beispiel des Südweststaates, Frankfurt am Main 1950. Die Rede Himmlers vor den Gauleitern am 3. August 1944, in: VfZ 1 (1953), S. 357–394. Regierung, Bürokratie und Parteien 1945–1949. Ihre Bedeutung für die politische Entwicklung der Bundesrepublik, in: VfZ 24 (1976), S. 58–74. Richtlinien der Politik im Verfassungsrecht und in der Verfassungswirklichkeit, in: Die öffentliche Verwaltung 7 (1954), S. 193–201; erneut publiziert in: Spielregeln der Politik, S. 241–271. Die Rolle der Persönlichkeit in der Krise der Weimarer Republik: Hindenburg, Brüning, Groener, Schleicher, in: VfZ 9 (1961), S. 1–29. Der Sold des Politikers, Stuttgart 1959. Spielregeln der Politik. Beiträge und Kommentare zur Verfassung der Republik, Stuttgart 1987.
264 | Quellen und Literatur Staat und Gesellschaft in Deutschland, Stuttgart 1956. Staatsbürgerlicher Unterricht als Aufgabe, in: Recht und Freiheit 2 (1955), Heft 1, S. 3–8. Streiflichter zur Geschichte der Wahlen im Dritten Reich, in: VfZ 3 (1955), S. 311–316. Über Autorität, Frankfurt am Main 1965. Verfassung und Verwaltungsaufbau des Südweststaates, Stuttgart 1952. Warum es zur Kanzlerkrise kam?, in: Die Zeit vom 12.6.1959. Zur Ermordung des Generals von Schleicher, in: VfZ 1 (1953), S. 71–95. Zur politischen Praxis in der Bundesrepublik. Band 1: Kritische Betrachtungen 1957–1961. Zweite, überarbeitete und mit Nachträgen versehene Auflage, München 1967; Band 2: Kritische Betrachtungen 1961–1965, München 1966; Band 3: Kritische Betrachtungen 1965–1970, München 1972.
Verzeichnis der veröffentlichten Quellen und der Literatur Adenauer. Briefe 1953–1955. Bearbeitet von Hans Peter Mensing, Berlin 1995. Agnoli, Johannes/Brückner, Peter, Die Transformation der Demokratie, Frankfurt am Main 1967. Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945–1949. Band 2: Januar–Juni 1947. Bearbeitet von Wolfram Werner, München 1989. Aly, Götz/Heim, Susanne, Vordenker der Vernichtung und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991. Auerbach, Hellmuth, Die Gründung des Instituts für Zeitgeschichte, in: VfZ 18 (1970), S. 529–554. Bajohr, Frank, „Arisierung“ in Hamburg. Die Verdrängung der jüdischen Unternehmer 1933– 1945, Hamburg 1997. Becker, Ernst Wolfgang, Theodor Heuss. Bürger im Zeitalter der Extreme, Stuttgart 2011. Benz, Wolfgang, Staatsneubau nach der bedingungslosen Kapitulation. Theodor Eschenburgs „Überlegungen zur künftigen Verfassung und Verwaltung in Deutschland“ vom Herbst 1945, in: VfZ 33 (1985), S. 166–213. Bergstraesser, Arnold, Deutsche Einheit, in: VfZ 3 (1955), S. 335–344. Bericht der Kommission „Vorbeugender Geheimschutz“ über die Prüfung von Sicherheitsfragen im Zusammenhang mit dem Fall Guillaume. Im Auftrag der Bundesregierung erstattet im November 1974. Bericht der vom Bundesinnenminister eingesetzten Wahlrechtskommission, 1955. Bericht des vom Bundesminister des Innern eingesetzten Beirats für Fragen der Wahlrechtsreform, 1968. Boveri, Margret, Wir lügen alle. Eine Hauptstadtzeitung unter Hitler, Olten u. a. 1965. Bracher, Karl Dietrich, Stufen totalitärer Gleichschaltung. Die Befestigung der nationalsozialistischen Herrschaft 1933/34, in: VfZ 4 (1956), S. 30–42. Buchheim, Hans, Die SS in der Verfassung des Dritten Reiches, in: VfZ 3 (1955), S. 127–157. Buchheim, Hans, Zu Kleists „Auch Du warst dabei“, in: VfZ 2 (1954), S. 177 –192. Buchstab, Günter, Paul Binder (1902–1981). Staatssekretär, Wirtschaftsprüfer, WürttembergHohenzollern, in: Günter Buchstab/Hans-Otto Kleinmann (Hrsg.), In Verantwortung vor Gott und den Menschen. Christliche Demokraten im Parlamentarischen Rat 1948/49, Freiburg im Breisgau 2008.
Verzeichnis der veröffentlichten Quellen und der Literatur
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Verzeichnis der veröffentlichten Quellen und der Literatur
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Abkürzungen ACDP a. D. ADAC AdR A. G. Anm. apl. Art. ASTA A.V. Aufl. BArchB BArchK BDC betr. bzw. ca. CDU Co. CSU DAF DDP DDR DFG d. h. DM dpa DNVP Dr. DVP evtl. f. ff. FAZ FDP Frhr. FU GG GWU HDA HNO Hrsg. HStS HZ
Archiv für Christlich-Demokratische Politik außer Dienst Allgemeiner Deutscher Automobilclub Archiv der Republik (Österreich) Aktien-Gesellschaft Anmerkung außerplanmäßig Artikel Allgemeiner Studentenausschuss Akademische Verbindung Auflage Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Koblenz Berlin Document Center betreffend beziehungsweise circa Christlich-Demokratische Union Compagnie Christlich-Soziale Union Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Partei Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forschungsgemeinschaft das heißt Deutsche Mark Deutsche Presseagentur Deutschnationale Volkspartei Doktor Deutsche Volkspartei eventuell folgende (Seite) folgende (zwei Seiten) Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Freiherr Freie Universität (Berlin) Grundgesetz Geschichte in Wissenschaft und Unterricht Hochschulring Deutscher Art Hals- Nasen- Ohren (Fachgebiet der Medizin) Herausgeber/Herausgegeben Hauptstaatsarchiv Stuttgart Historische Zeitschrift
272 | Abkürzungen IG IfZ KZ LABW MdB Nr. NRW NS NSDAP ÖStAW PA/AA PKW qm RA RM S. SA SBZ SPD SS StAL StAS s. Zt. Tb TH TU u. a. UAT U-Boot UNESCO USA usw. VDMA VfZ V-Leute ZfG z. S. z. Zt.
Interessengemeinschaft Farbenindustrie AG Institut für Zeitgeschichte Konzentrationslager Landesarchiv Baden-Württemberg Mitglied des Bundestags Nummer Nordrhein-Westfalen Nationalsozialismus/nationalsozialistisch Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter Partei Österreichisches Staatsarchiv Wien Politisches Archiv des Auswärtigen Amts Berlin Personenkraftwagen Quadratmeter Rechtsanwalt Reichsmark Seite Sturmabteilung Sowjetisch Besetzte Zone Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Staatsarchiv Ludwigsburg Staatsarchiv Sigmaringen seiner Zeit Tuberkulose Technische Hochschule Technische Universität unter anderem Universitätsarchiv Tübingen Unterseeboot Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur Vereinigte Staaten von Amerika und so weiter Verein Deutscher Maschinenbauanstalten Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Informanten von Nachrichtendiensten Zeitschrift für Geschichtswissenschaft zur See zur Zeit
Abbildungsnachweis Die Aufnahmen sind mir ausnahmslos von Christine und Susanne Eschenburg zur Verfügung gestellt worden. Die jeweiligen Fotografen sind größtenteils unbekannt. Sofern das nicht der Fall ist, konnte nicht festgestellt werden, ob sie noch leben bzw. wer Inhaber ihrer Rechte ist.
Personenregister Adalbert, Prinz von Preußen 9 Adelheid, Prinzessin von Preußen 9 Adenauer, Konrad 132, 157, 161, 171, 187, 203, 221–223, 226, 228, 229, 232, 233 Agnoli, Johannes 188, 189 Allardt, Helmut 226 Aristoteles 183 Auerhahn, Alfred 106–108 Böck, Karl 214 Bülow, Bernhard Fürst von 51, 57–60, 63, 65 Barth, Eberhard 72, 75, 95 Bassermann, Ernst 51–55, 62–65, 68, 96, 253 Bassermann, Julie 52–55, 64, 66 Bauer, Walter 67, 81, 115, 130, 131, 151, 164 Bazille, Wilhelm 40, 41 Bebel, Wilhelm 52 Becker, Carl Heinrich 73, 91 Bennigsen, Rudolf 50, 68 Benz, Wolfgang 225 Bergstraesser, Arnold 174, 175, 184, 188, 212 Bernhard, Henry 33, 34, 53, 54, 61, 66, 67, 77, 84, 257 Besson, Waldemar 25, 197 Beyme, Klaus von 182 Bierich, Jürgen 179 Binder, Paul 5, 31–33, 35–49, 54–57, 66, 71, 72, 75–79, 84, 90, 92, 137, 148, 152, 179, 219 Birkholz, Johannes 235 Bischoff, Friedrich 163 Bismarck, Otto Fürst von 16, 49, 52 Blaskopf, Max 106–108 Blessing, Karl 129 Bloch, Ernst 194–197, 257 Bock, Lorenz 156 Bonn, Moritz Julius 73 Borries, von (Reichswirtschaftsministerium) 110–112, 114 Bosch, Robert 37, 256 Boveri, Margret 127 Brückner, Peter 189
Brüning, Heinrich 74, 83, 87–90, 96, 215, 216, 246, 256 Bracher, Karl Dietrich, 181, 188, 212, 214 Brandt, Willy 18, 19, 229, 232, 234–236, 250 Brecht, Arnold 43, 91 Bredt, Johann 73 Breuning, Karl 232 Briand, Aristide 216 Brill, Hermann L. 146, 147 Brockdorff-Rantzau, Ulrich Graf von 127 Broszat, Martin 214 Bucerius, Gerd 18, 19, 220, 257 Buchheim, Hans 212 Cohn, Berthold 97, 98, 100, 102, 106, 120, 121, 128 Curtius, Julius 80 Dönhoff, Marion Gräfin 219, 220 Dürig, Günter 152, 179 Daluege, Kurt 101 Daniels, Emil 57, 58 Dehler, Thomas 1 Demuth, Karl 96, 97 Dibelius, Wilhelm 35, 40, 41 Dietrich, Sepp 101 Doering-Manteuffel, Anselm 6 Duisberg, Carl 90 Eberhard, Fritz 146, 149, 157 Ebert, Friedrich 15 Ehard, Hans 147–150 Eißer, Georg 189 Eisfeld, Rainer 3, 5, 6, 115 Engelhardt, Wolf von 179 Engelsing, Herbert 113, 126, 127, 130, 133 Erdmann, Karl Dietrich 174, 175, 214 Erhard, Ludwig, 129, 219, 222, 229, 266 Erler, Fritz 186, 213 Ernst, Werner 208, 209 Erzberger, Matthias 224 Eschenburg, Christine 6, 122, 127, 151, 243, 251
276 | Personenregister Eschenburg, Ellen 104, 122, 243 Eschenburg, Ellen (geb. Wieler) 10–12 Eschenburg, Erika (geb. Kempf) 120, 121, 125, 127, 151, 182, 243, 251, 253 Eschenburg, Johann Georg 7, 8, 13–15, 23, 55, 64, 250, 253 Eschenburg, Susanne 6, 151, 152 Eschenburg, Theodor (Vater) 7–15, 23, 27, 33, 49, 50, 60, 64, 65, 77, 91, 250, 253 Eschenburg, Ulrike 125, 243, 244, 250, 251 Ewers, Hans 250 Farny, Oskar 162, 163, 167 Fest, Joachim 4, 5, 95, 100, 101, 103, 120, 122, 129, 133, 211, 218, 237, 240, 245, 247, 249 Fetscher, Iring 186 Filbinger, Hans 199 Fischbein, Wilhelm 108–115 François-Poncet, André 165, 186 Franz Joseph, österreichischer Kaiser 89 Freudenberg, Richard 160, 163 Freund, Michael 199 Freytagh-Loringhoven, Axel Frhr. von 73 Friderichs, Hans 218 Fromme, Friedrich Karl 190 Göring, Hermann 74, 115 Gall, Lothar 51, 52 Gallas, Wilhelm 152 Gayl, Wilhelm Frhr. von 73 Gengler, Karl 160, 162 Genscher, Hans-Dietrich 203, 235 George (Vermögensverkehrsstelle Wien) 107 Gerstenmaier, Eugen 229, 230 Gilbert, Felix 71–75 Glatzel, Frank 80 Gleichen, Heinrich von 67 Globke, Hans 127, 131, 132, 213, 221, 228, 232 Glodschey, Erich 81 Goethe, Johann Wolfgang von 17 Graml, Hermann 225 Gremliza, Hermann L. 189, 190 Groener, Wilhelm 73, 79, 83, 215, 216 Gross, Johannes 245 Grynszpan, Herschel 112
Guardini, Romano 173, 174 Guillaume, Günter 235, 236 Gumbel, Emil Julius 25–27 Guth, Karl 129 Höcherl, Hermann 229 Höpker Aschoff, Hermann 40, 41, 46, 48, 256 Haag, Erich 179 Haas, Wilhelm 172 Haase, Arnold 97 Haller, Johannes 27–29, 59, 60 Hamm, Eduard 91 Harden, Maximilian 53 Hartung, Fritz 50–52, 56, 59, 61, 64 Hase, Karl-Günther von 231 Heckel, Erich 122 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 186 Heiden, Konrad 96, 97 Hein, Bastian 6, 103, 105 Heine, Heinrich 217 Heise, Carl Georg 122 Hellpach, Willy 79 Hennis, Wilhelm 181, 182 Herwarth, Hans von 234 Herzfeld, Hans 198 Heuss, Theodor 1, 65, 157, 217, 222, 229, 231, 258 Himmler, Heinrich 101, 213 Hindenburg, Paul von 16, 79, 87, 89, 90, 95, 215, 216, 256 Hirsch, Felix 212 Hitler, Adolf 15, 68, 74, 79, 88–90, 93, 95, 96, 101, 128, 130, 131, 173, 209, 212 Hoetzsch, Otto 40, 41, 50 Hofacker, Cäsar von 125, 130, 131 Hofmann, Wilhelm 30, 31, 38, 45, 46, 76, 91 Holstein, Friedrich von 59, 60 Homer 14 Hopf, Volkmar 233 Hrbek, Rudolf 6, 185 Hugenberg, Alfred 41, 42, 212 Jens, Walter 179, 194, 195, 257 Jordan, Klaus 190 Jung, Edgar J. 47 Junker, Ulrich 190
Personenregister
Köhler, Ludwig von 26, 30 Küng, Hans 6, 179, 251, 252 Kaas, Ludwig 42 Kaisen, Wilhelm 148 Kalckreuth, Eberhard Graf von 40, 41 Kapp, Wolfgang 11, 25, 42 Kardorff, Siegfried von 42 Karry, Heinz-Herbert 217 Kastl, Ludwig 36, 37 Kaufmann, Robert 120 Kiesinger, Kurt Georg 160, 186, 229, 232 Klaiber, Manfred 229, 231 Kleist, Peter 212 Kluke, Paul 237 Koch-Weser, Erich 78–80 Kogon, Eugen 200 Kohl, Helmut 1 Krausnick, Helmut 212, 213 Krippendorff, Ekkehart 187 Lösener, Bernhard 213 Lübbe, Hermann 254 Lücke, Paul 232, 240 Lüdemann, Hermann 149 Lüttwitz, Walter Frhr. von 11 Lang, Hans-Joachim 6 Langbehn, Carl 109–113, 115 Lange, Karl 92 Leber, Julius 13 Lehmbruch, Gerhard 6, 185, 188 Lehr, Albert Maria 163, 165, 166 Lemke, Helmut 229 Lemmer, Ernst 79, 82 Lenz, Otto 161, 172, 238 Levsen, Sonja 29 Lex, Hans Ritter von 172, 178, 205 Lindeiner-Wildau, Hans Erdmann von 41, 42 Luchsinger, Fred 227 Ludwig, Emil 86 Luther, Hans 34, 35, 40, 54, 73, 79 Lutter, Marcus 218 Möhler, Fritz 13, 16, 17 Möller, Horst 251 Mörike, Eduard 23 Müller, Gebhard 148, 156–160, 162–164, 166, 167, 173, 174, 176, 235
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Müller-Marein, Josef 220 Maassen, Hermann 235 Mahraun, Artur von 79, 80 Maier, Friedrich 160 Maier, Georg Heinrich 103, 124 Maier, Hedwig 124, 125 Maier, Reinhold 168 Maihofer, Werner 236 Malek-Kohler, Ingeborg 126, 127, 130, 133 Mann, Thomas 7, 51, 87, 88 Marcks, Erich 49 Martens, Wilhelm 162 Matthias, Erich 212 Mayer, Ernst 160 Meinecke, Friedrich 49, 71 Mercker, Reinhold 235 Metz, Friedrich 166, 167 Meyer, Oskar 82 Michel, Erwin 97 Moldenhauer, Paul 78 Narr, Wolf-Dieter 199 Naschold, Frieder 185 Naumann, Michael 100 Nay, Ernst Wilhelm 122 Nissen, Theodor 13–15, 19 Nolde, Emil 122 Novak, Friedrich 61 Olden, Peter 243, 246 Olden, Rudolf 91, 243 Oncken, Hermann 50 Paetel, Karl O. 212 Papen, Franz von 89, 95, 215 Paul, Hugo 149 Pawelka, Peter 185, 201 Pechstein, Max 122 Petersen, Carl 41, 91, 93, 97, 256 Pfeiffer, Anton 149 Pfitzer, Theodor 164 Pfleiderer, Karl Georg 186 Planck, Erwin 95 Plappert, Werner 30–32, 35, 38, 40, 44, 45, 47, 48, 75, 76, 79, 92, 135 Plester, Dietrich 179 Posadowsky-Wehner, Arthur Graf von 65
278 | Personenregister Prym, William 107 Pulvermann, Heinz 81, 96 Röhm, Ernst 3, 103, 121 Rüstow, Alexander 92, 93 Rahn, Rudolf 72, 74 Raiser, Ludwig 72, 73 Rantzau, Ernst zu 91 Rath, Ernst vom 112 Rauscher, Ulrich 66 Rechberg, Arnold 91 Reinbothe (Reichswirtschaftsministerium) 112 Renner, Victor 145, 151, 154, 155, 159–162, 168, 171, 173 Reusch, Paul 36, 37 Reventlow, Ernst Graf zu 46 Rohrer, Herbert 129 Roon, Albrecht von 63 Roon, Elisabeth von 53, 63, 64, 96 Rosenkranz, Gerhard 153 Rosenthal, Georg 13, 16, 17 Rossmann, Lothar 141, 142, 145 Rothfels, Hans 187, 190, 197, 210–214, 257 Rousseau, Jean-Jaques 186 Rowohlt, Ernst 91, 121, 128, 129 Rubinski, Alfred 128 Rudolph, Hermann 5, 6, 133, 247–250 Sartorius, Karl 30, 36, 47 Sauer, Albert 31, 172–174, 176 Schacht, Hjalmar 42, 79 Schadewaldt, Wolfgang 195 Schairer, Reinhold 90 Scharlau, Winfried 218, 240 Scheel, Walter 235 Scheffer, Paul 127, 128 Schelsky, Helmut 251 Schiff, Victor 86 Schiffer, Eugen 53 Schiller, Friedrich von 18, 203 Schleicher, Kurt von 87–89, 95, 215, 216, 256 Schlenker, Max 36, 37, 39–41, 44 Schmid, Carlo 24, 28, 137, 140, 142, 145, 147–149, 157, 160, 169 Schmidt, Helmut 122, 181, 236 Schmidt-Rottluff, Karl 122
Schmitt, Carl 73, 74, 237 Scholz, Ernst 72, 77–80 Schröder, Gerhard 177, 178, 206, 234 Schreiber, Georg 42 Schreiner, Karl 67 Schroeder, Louise 149 Schulz, Gerhard 198 Schulze-Boysen, Harro 127, 130 Schulze-Boysen, Libertas 127, 130 Schumacher, Kurt 148 Schuman, Robert 165 Schuster, Rudolf 190 Schwarz, Hans-Peter 6, 187, 188, 214, 220, 221 Schwerin von Krosigk, Lutz Graf 132, 210 Seeckt, Hans von 42 Seelos, Gebhard 148 Seibt, Peter 190 Sethe, Paul 213 Siedler, Wolf-Jobst 4, 5, 95, 101, 103, 120, 122, 129, 133, 211, 237, 245–249 Simons, Hans 67, 91 Simons, Walter 42 Single, Otto 136, 137 Soell, Hartmut 213, 214 Sommer, Theo 190 Sonnenschein, Carl 215, 216 Sontheimer, Kurt 200 Späth, Lothar 203 Spahn, Martin 47 Spranger, Eduard 31, 186 Stadelmann, Rudolf 169 Stammberger, Wolfgang 233 Stegerwald, Adam 42 Stephan, Werner 79, 81 Stilke, Georg 61 Stolper, Gustav 81 Storz, Gerhard 196 Strauß, Franz Josef 222, 223, 227, 229, 232, 233 Strauß, Walter 211, 213 Stresemann, Gustav 2, 5, 15, 26, 27, 33–35, 40, 41, 49, 53–55, 60–64, 66–68, 71–73, 77, 78, 81, 84, 91, 216, 248, 257, 258 Stresemann, Wolfgang 248
Personenregister
Tüngel, Richard 220 Tacitus 14 Thielicke, Helmut 174 Tillmanns, Robert 95 Tocqueville, Alexis C. de 183 Traub, Gottfried 42, 46 Treitschke, Heinrich von 1 Treue, Wilhelm 212 Triepel, Heinrich 50 Ulrich, Fritz 66, 127, 168 Vallentin, Antonina 15, 34 Viktoria, englische Königin 57, 89 Vogel, Hans-Jochen 242 Wahl, Adalbert 27, 28 Warburg, Max 81 Weber, Alfred 28, 29, 85, 136, 174, 233, 237, 238 Weber, Max 28, 68, 183 Wehler, Hans-Ulrich 1
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Wehling, Hans-Georg 6 Weichmann, Herbert 235 Weizsäcker, Ernst von 133, 210 Weizsäcker, Richard von 203 Wenke, Hans 153, 208 Wilhelm II, Deutscher Kaiser, König von Preußen 9, 11, 16, 57–65 Winschuh, Josef 80 Wirth, Joseph 53 Wischnath, Michael 6 Wittwer, Konrad 162 Wohleb, Leo 156, 161, 162, 164–166, 171, 231 Wolf, Martin 50 Wolff, Bernhard 125, 127 Wolff, Ernst 122, 124, 125 Wolff, Theodor 53 Zürcher, Paul 171, 231 Zechlin, Walter 34, 73, 91 Zierold, Kurt 72, 75, 91, 95 Zimmermann, Gustav 157 Zweigert, Konrad 152