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German Pages 332 Year 2018
Christian Kühn Operation Goldesel Texte über Architektur und Stadt 2008— 2018
Birkhäuser Basel
22. Oktober 2016
Hin und weg
58
24. September 2016
Vorwort
Das Gold und die Regeln
Ist das schon gut genug?
6
Die Stadt als Objekt
2018
29. Juli 2016
10. März 2018
4. Juni 2016
63
Sparen mit Verstand
Wer braucht denn schon Details?
11
65
Wie viel Wert hat Ihre Haltung?
68
28. Mai 2016
10. Februar 2018
Ein Lift zu Gott
60
27. August 2016
Eine Front findet sich immer
13
71
7. Mai 2016
13. Januar 2018
Nicht alle Schlauen überleben
15
Meint ihr das ernst?
73
9. April 2016
Wie baut man eine Stadt?
2017
12. März 2016
11. November 2017
13. Februar 2016
„We make the world“
Elefant mit Feinheiten
Da kommt noch was!
19
76
78 80
16. Januar 2016
21. Oktober 2017
Erst denken, dann bauen
Schweben mit Verstand
21
82
9. Januar 2016
23. September 2017
Im Archiv des Genies
Mit dem Zufall planen
24
85
26. August 2017
Schule mit offenen Armen
26
2015
29. Juli 2017
Das Wilde pflegen
29
19. Dezember 2015
1. Juli 2017
Ist das Kunst?
Eleganz ganz aus Glas
31
21. November 2015
3. Juni 2017
Bauen wie die Tiger
Schaffen wir das?
33
91
26. September 2015
13. Mai 2017
Das Glück, Vorarlberg zu bauen
36
Chronik einer Gasse
93
29. August 2015
8. April 2017
Im Turm der Paragrafen
Die Stadt der schnellen Schulen
38
1. August 2015
12. März 2017
Licht von allen Seiten
Wir sind am Ziel. Sind wir?
40
98
4. Juli 2015
25. Februar 2017
Das Ei der EU
89
Lernen von den Dänen
42
101
6. Juni 2015
11. Februar 2017
Die Qual mit der Qualität
Orientiert euch!
47
103
9. Mai 2015
14. Januar 2017
Die Party ist noch nicht zu Ende
49
Mut zur Mücke
105
11. April 2015
Luftschiffe im Hinterhof
2016
21. März 2015
17. Dezember 2016
14. Februar 2015
Gleiten oder hetzen?
Was muss hier brennen? Kann das gesund sein?
53
31. Januar 2015
19. November 2016
Bildung, Building, Bilding
56
Tanz der Türme
114
108 110 112
96
2014
5. Januar 2013
Ikonen am Berghang
183
20. Dezember 2014
Zwei Betten, eine Wiege, ein Sarg 22. November 2014
Reden unter Glas
123
Bahn frei für das Mittelmaß
Gegen die Wand
126
187
24. November 2012
27. September 2014
Schön allein ist nicht genug
Stadthaus mit Buckeln
129
189
27. Oktober 2012
30. August 2014
Cluster macht Schule
Wenn der Sachzwang baut
131
191
29. September 2012
2. August 2014
Eine undichte Stelle
Die breite Spitze der Baukunst
134
194
08. September 2012
5. Juli 2014
Was hält uns zusammen?
136
196
18. August 2012
10. Mai 2014
Das Museum wird lebendig
Mit leichtem Schwindel
139
198
7. Juli 2012
11. April 2014
Penthouse für alle?
Eine Stadt sieht rot
141
200
9. Juni 2012
15. März 2014
Money Maker
2012 7. Dezember 2012
24. Oktober 2014
Nichts ist egal
121
Ach, Baukultur, wo willst du hin?
144
Furchtlos in Zürich
Vom Blockrand zum Campus
147
204
14. April 2012
Stadt ohne Körper
2013
207
17. März 2012
Wie im Wilden Westen
7. Dezember 2013
209
25. Februar 2012
Die Retter der Sofie
151
Draußen an der U-Bahn
23. November 2013
211
21. Januar 2012
Ein böses Problem
153
Das Erlebnis Bad
214
25. Oktober 2013
Und ewig schallt das Opernklo
156
2011
14. September 2013
Karneval der Alphatiere
158
24. Dezember 2011
31. August 2013
Lässig im neuen Anzug
Bilder, die Bauten machen
161
217
26. November 2011
6. Juli 2013
Drei Jahre danach
Nach falschem Rezept
163
218
8. Oktober 2011
7. Juni 2013
Der lange Marsch
Schützen an der Halfpipe
165
221
3. September 2011
25. Mai 2013
Operation Goldesel
Das Haus ohne Unterlippe
168
223
20. August 2011
11. Mai 2013
Will das der Markt?
Auf nach Abu Ghraib!
173
225
6. August 2011
13. April 2013
Licht von unten
202
12. Mai 2012
15. Februar 2014
Die Schlucht in der Stadt
175
09. Juli 2011
2. März 2013
Salto mortale mit Schlag
Schlag den Star
178
Alles zum Besten der Narren
228
11. Juni 2011
16. Februar 2013 180
Die Stadt im Flow
230
226
10. Juli 2009
30. April 2011
Wir sind Welterbe
Wo schlägt das Herz der Stadt?
232
284
26. Juni 2009
2. April 2011
Klasse mit Katze
Was lernt die Schule?
235
286
30. Mai 2009
19. März 2011
Die Utopie im Reservat
Pritzker und Freunde
237
291
16. Mai 2009
22. Januar 2011
Adieu, Avantgarde
Sieht so Schule aus?
240
294
18. April 2009
Für immer wie gestern
2010
296
22. März 2009
Stadt fährt ab
24. Dezember 2010
298
06. Februar 2009
Esse mit Ausblick
Schmaler geht’s nicht
243
301
27. November 2010
Die Quadratur des Dreiecks
245
30. Oktober 2010
Orgien, Mysterien, nüchtern gerahmt
2008 15. November 2008
16. Oktober 2010
Der Schwank von Schwaz
Architektur im Pelz
250
305
04. Oktober 2008
4. September 2010
Steine im Glashaus
Wenn Stümper Städte bauen
252
307
31. August 2008
7. August 2010
Auf nach Tirol!
Architektur macht glücklich
254
309
19. Juli 2008
10. Juli 2010
Kultur des Sprudelns
Wo ist hier das Haus?
257
311
18. Mai 2008
12. Juni 2010
Autonomie und Inbrunst
Wohnen mit und ohne Knick
259
313
12.April 2008
08. Mai 2010
Eine Fahne für Österreich
Zeit für PPP?
261
315
24. Februar 2008
17. April 2010
Lernen im fliegenden Teppich
264
Präsenz und Seifenblase
317
20. Januar 2008
20. März 2010
Wien spielt
248
Ein Stadtbild kommt ins Rollen
266
20. Februar 2010
Bauen nach Gebrüdern Grimm
269
23. Januar 2010
Das Asyl im Nirgendwo
271
2009 24. Dezember 2009
Keine Weihnachtsgeschichte
275
28. November 2009
Auftauchen und Luft holen!
276
31. Oktober 2009
Wenn der Komet einschlägt
278
05.September 2009
Baustelle Wien
280
08. August 2009
Spät? Post? Nur modern?
282
319
Vorwort
Das Gold und die Regeln Architektur und Stadt sind Teil der materiellen Welt, feste Dinge, gegen die man anrennen, an denen man sich den Kopf wund schlagen kann. Andererseits sind sie Produkte unserer Einbildungskraft, aufgeladen mit Bedeutungen, die oft erst aus dem Kontext und der Geschichte ihrer Entstehung verständlich sind: Am Anfang jedes komplexen architektonischen oder städtebaulichen Projekts stehen zahlreiche, oft widersprüchliche Bedürfnisse, Sehnsüchte und Interessen. Am Ende stehen ausgeführte Gebäude, die ihrerseits auf die Menschen wirken. Winston Churchill wird eine Kurzfassung dieses Gedankens zugeschrieben: „We shape our buildings; thereafter they shape us.“ Was in diesem Zitat nach klar abgegrenzten Phasen klingt – zuerst das Planen und Bauen und dann die Nutzung –, ist in Wirklichkeit ein kontinuierlicher Prozess mit vielen Rückkoppelungen, vor allem, wenn man bedenkt, dass Bauen heute meist Bauen im Bestand bedeutet. Aber selbst im Fall eines Neubaus auf der „grünen Wiese“ sehen diese Bedürfnisse, Sehnsüchte und Interessen bei der Fertigstellung mitunter anders aus als zu Beginn der Planung: Prioritäten haben sich verschoben, Details wurden ausgehandelt, Kompromisse gefunden, neue Wünsche entdeckt. Entwurf in Architektur und Städtebau bedeutet immer, gleichzeitig an Lösung und Problem zu arbeiten. Man könnte auch sagen: Gelungene Architektur klärt die Verhältnisse.
Die hier abgedruckten Texte – in den Jahren 2008 bis 2018 für die Wochenendbeilage „Spectrum“ der Wiener Tageszeitung Die Presse entstanden – thematisieren Architektur und Stadt in diesem sehr umfassenden Sinn. Mein Anliegen war es, mit ihnen das Unsichtbare an der Architektur freizulegen, auch wenn sie immer von dem ausgehen, was an architektonischer Substanz vorhanden ist: Raum und Form, Material und Konstruktion. Natürlich geht es dabei auch um Schönheit, die sich für mich aber nicht vom Kontext, in dem sie auftritt, trennen lässt. Zwei gleich aussehende, gleich „schöne“ Gebäude können, je nach Kontext, sehr unterschiedlichen Interessen dienen und daher ganz Unterschiedliches bedeuten. Im Vorwort zur ersten Sammlung meiner Architekturkritiken aus dem „Spectrum“, die im Jahr 2007 unter dem Titel Ringstraße ist überall erschienen ist 1, habe ich behauptet, es handle sich um ein „Handbuch für Träumer, die an die Bedeutung von Architektur als Medium des gesellschaftlichen Fortschritts glauben“. Diese Aussage ist nach wie vor gültig. Auf die ironische Brechung, dass nur Träumer an die Kraft dieses Mediums glauben, würde ich aus meiner heutigen Sicht allerdings verzichten. Auch den Realisten ist inzwischen bewusst, dass viele Zukunftsfragen nur dann erfolgreich beantwortet werden können, wenn auch architektonische, städtebauliche und raumplanerische Aspekte berücksichtigt sind. Umso wichtiger ist es, dass sich Architektinnen und Architekten nicht nur den unmittelbaren Auftraggebern verpflichtet fühlen, sondern auch den Nutzern und den anderen auf irgendeine Weise involvierten Akteuren – auch jenen, die ihre Interessen nicht artikulieren können, entweder, weil sie nicht über die Mittel verfügen oder weil sie noch gar nicht existieren: Der Entwurf einer besseren Welt muss heute von der Zukunft her gedacht werden. Damit ist der Rahmen für die „beschränkte Autonomie“ der Architektur abgesteckt, innerhalb dessen sie sich ihren künstlerischen Freiraum bewahren muss. Baukultur beginnt dort, wo diese Autonomie durch Institutionen abgesichert wird – bei den Universitäten und 1
Das Buch ist im Birkhäuser Verlag als Open Access E-Book mit der ISBN 978-3-0356-1919-5 erschienen.
Kunsthochschulen, an denen Architektur gelehrt wird, aber auch in Architekturwettbewerben, deren Wesen darin besteht, dass die Entscheidung über ein Projekt an eine mehrheitlich mit Fachleuten besetzte Jury delegiert wird. Dass Architektinnen und Architekten hier viel Geld investieren, ist kein Zeichen ökonomischer Unvernunft, sondern Ausdruck des Stellenwerts, den sie dieser Autonomie zumessen. Diesem Selbstbild der Profession steht die Haltung jener Auftraggeber gegenüber, die Architektur als Produkt verstehen und deren Planung als reine Dienstleistung. Dazu zählen nicht nur private Auftraggeber, die ihre Rendite über alles stellen, sondern auch öffentliche, die glauben, sich unter der Prämisse von Sparsamkeit und Zweckmäßigkeit mit der billigsten Lösung zufriedengeben zu müssen. Im letzten Jahrzehnt hatte diese Haltung einen Zeitgeist auf ihrer Seite, den etwa der österreichisch-kanadische Großunternehmer und Kurzzeitpolitiker Frank Stronach, der mit dem Fontana-Wohnpark im niederösterreichischen Oberwaltersdorf den „New Urbanism“ nach Österreich gebracht hat, in seiner „goldenen Regel“ so zusammenfasste: „Wer das Gold hat, macht die Regeln.“ Der Titel des vorliegenden Buches, Operation Goldesel, bezieht sich auf den zunehmenden Einfluss von Kapitalinteressen auf die Produktion von Architektur und Stadt, wie er von 2008 bis 2018 zu beobachten war. Dieser Zeitraum beginnt mit einer Bankenkrise, die sich, getrieben von den Interessen der Finanzwirtschaft, in eine Krise der öffentlichen Haushalte verwandelte. Er endet mit einer Spekulationsblase, in der die Profiteure ihre Gewinne in Sicherheit bringen wollen, indem sie in Immobilien, also in „Betongold“, investieren. Diese Entwicklung hat ihre Seiteneffekte: Ist die totale Monetarisierung der Stadt einmal erfolgt, wird alles verhandelbar. Das Modell der „Public Private Partnership“ entzieht das Bauen der öffentlichen Verantwortung, indem es Architektur auf die Frage nach den Kosten reduziert. Vorausschauende
Planung und Gestaltung durch die öffentliche Hand wird als altmodisch und ineffizient denunziert. Was bleibt, ist bestenfalls „Gestaltmanagement“, eine vage Hoffnung, die Interessen der Investoren in verträgliche Bahnen zu lenken. Die Gegenleistung für die Zerstörung von Qualitäten, die über Jahrhunderte entstanden sind, besteht dann in der durch städtebauliche Verträge zwischen Investor und öffentlicher Hand geregelten Errichtung sozialer Infrastruktur. Die Werte, die dabei verloren gehen, sind in Geld nicht messbar. Viele der 124 hier versammelten Texte handeln vom Widerstand gegen diese Entwicklung – ein Widerstand, der in der Architektur weniger im Protest besteht als in der Realisierung konkreter Alternativen: großzügig ausgestattete Schulen, die das Schema von Gang und Klassenzimmer durchbrechen; Wohnbauten, die neue Formen des Zusammenlebens zulassen; öffentliche Räume, die sich im Alltag als „Common Ground“ für eine immer heterogener werdende Gesellschaft bewähren. Nicht alle diese Alternativen sind erfolgreich, aber auch Misserfolge bringen Erkenntnis. Dass dieses Buch entstehen konnte, ist einer Reihe von Menschen zu verdanken, die an Architektur gleich hohe Ansprüche stellen wie ich. Dazu zählen Architektinnen und Architekten, Ingenieure und Stadtplanerinnen, Beamte, Bauherren und Politikerinnen, die im verzweigten Ökosystem der Architektur aktiv sind und mir durch ihre Arbeit Anlass zum Schreiben geboten haben. Danken möchte ich insbesondere auch Wolfgang Freitag, der mich als zuständiger Redakteur im „Spectrum“ über die Jahre begleitet hat. Die grafische Gestaltung des Buches hat wiederum Erwin Bauer übernommen und das Format einer „kondensierten Tageszeitung“, das er im Jahr 2008 für Ringstraße ist überall entwickelt hat, an eine lauter gewordene Zeit angepasst. Dank gebührt auch den Fotografen, die mehr als je zuvor das Bild der Architektur in der Öffentlichkeit prägen, sowie den Sponsoren und Fördergebern und nicht zuletzt der Technischen Universität Wien, die mir die finanzielle Unabhängigkeit sichert, die ein Kritiker braucht.
2018
10. März 2018
Wer braucht denn schon Details? Public-Private-Partnership wird gerne als Königsweg dargestellt, um soziale Infrastruktur zu schaffen — ohne neue Schulden. Erste Realisierungen zeigen die Grenzen dieses Modells.
M
it dem Wachstum der Stadt wächst auch der Bedarf nach Kindergärtenplätzen, Schulklassen und Krankenhausbetten, also nach „sozialer Infrastruktur“. Dieser Begriff hat sich in die Sprache der Planer seit den 1970er-Jahren etabliert, als in den Vereinigten Staaten von einer „Infrastructure Crisis“ gesprochen wurde, die sich zuerst auf rein technische Systeme bezog, also Transport- und Kommunikationssysteme, aber bald auf die „Hardware“ des Bildungs- und Gesundheitssystems ausgedehnt wurde. Über Schulen und Kindergärten als Infrastruktur nachzudenken, bedeutet, sie als große Systeme mit Lebenszyklen von 50 Jahren zu betrachten, in die enorme Investitionen fließen. Pro Jahr muss die Stadt Wien in ihren Pflichtschulen in Summe zusätzliche 120 Klassen schaffen. Es geht hier nicht um einzelne Gebäude, sondern um „Programme“, aktuell in Wien etwa das für die Periode 2012 bis 2022 laufende Schulbauprogramm mit einem Budget 700 bis 800 Millionen Euro, in dessen Rahmen zehn neue Bildungseinrichtungen realisiert werden. Dazu kommen weitere, hunderte Millionen Euro teure Programme für Schulsanierung und -erweiterung. Wer in solchen Dimensionen denkt, fokussiert beim Bauen fast zwangsläufig auf die ökonomischen Aspekte. Jede Million, die die Stadt in ihre Bildungsinfrastruktur steckt, ist zwar eine Investition in die Zukunft, zumindest, wenn man daran glaubt, dass Menschen mit guter Schulbildung später mehr zur Wirtschaft und zum Steueraufkommen beitragen werden als schlecht gebildete. Am Anfang trägt diese Investition aber nur zum Schuldenstand der öffentli11 chen Hand bei, zu dessen Limitierung
sich Österreich innerhalb der Europäischen Union zur Einhaltung der so genannten Maastricht-Kriterien verpflichtet hat. Zur legalen Umgehung dieser Kriterien steht der öffentlichen Hand das Instru112 ← ment des Public-Private-Partnership zur Verfügung, bei dem Infrastruktur von Privaten errichtet und an den Staat vermietet wird, womit nur die jährlichen Mietkosten fürs Budget schlagend werden. Neben der nominellen Budgetentlastung steht hinter dem Modell die Ideologie, dass ein schlanker Staat Aufgaben an Private übertragen sollte, die dieselben Leistungen effizienter und kostengünstiger erbringen würden. Die Idee von PPP-Modellen stammt nicht zufälligerweise aus Großbritannien, wo Tony Blairs New Labour nach ihrem Wahlsieg 1997 die Idee eines Dritten Wegs propagierte, der unter anderem eine stärkere Beteiligung privater Investoren an öffentlichen Aufgaben vorsah – als Partnerschaft, im Unterschied zur radikalen Privatisierung der Thatcher-Ära. Bis zu 20 Prozent günstiger – so lautete das Versprechen – könnten Projekte werden, wenn sie der trägen Beamtenschaft entzogen und agilen Privaten übertragen werden. Die Realität sieht freilich anders aus. Ein Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments kam 2011 zum Ergebnis, dass Nachforderungen der Investoren die Regel sind. Ähnlich urteilte 2014 der Deutsche Bundesrechnungshof, der mittels PPP errichteten Autobahnprojekten Mehrkosten in Milliardenhöhe attestierte. Befürworter des Modells sprechen von einzelnen Negativbeispielen und sehen den zentralen Vorteil von PPP in der höheren Kostenwahrheit, da der Private einen realistischen Fixpreis zusagen muss. Öffentliche Auftraggeber würden
Noch im Winterschlaf: Hofseite des neuen Bildungscampus Attemsgasse mit Balkonen und schwebenden Gärten.
Regal mit eingestellten Boxen: Campus-Konzept von Querkraft Architekten. Foto: Querkraft
Foto: C. Kühn
übernommen, in anderen sind die Architekstattdessen oft mit zu niedrigen Budgets in ten auch in der Ausführungsphase einbezoein Projekt starten. gen, wenn es um letzte Umsetzungsfragen Für den Bildungsbau greift dieses Arguim Detail geht. Zur klaren Regelung, dass ment freilich nicht. Eine Gemeinde wie Wien mit hunderten Schulbauten weiß, wel- der Private die Planer aus dem Wettbewerb chen Standard sie um welches Geld errichten übernehmen muss, wollte die Stadt sich aber nicht durchringen. Bei den kleinen und mitmöchte. Hier geht es einzig und allein um telgroßen Schulerweiterungsprojekten verdie Maastricht-Kriterien beziehungsweise zichtet die Stadt aber inzwischen komplett um die Frage, in welchem Bereich man sich auf PPP und vergibt nach Architekturwettzu PPP-Modellen entscheiden möchte. Wabewerben Generalplaneraufträge – das klasrum ausgerechnet Bauten für die Bildung so sische Modell, das etwas mehr Zeit kostet, realisiert werden müssen, ist nicht leicht zu aber im Schnitt die beste Qualität liefert. argumentieren. Beim PPP-Projekt Campus Attemsgasse, Die Entscheidung Wiens, in Zukunft alle großen Neubauten im PPP-Modell zu errich- der seit Herbst letzten Jahres in Betrieb ist, galten allerdings noch härtere Spielregeln, ten, hat vor zwei Jahren zu einem massiven die den Wettbewerbsgewinnern, Querkraft Protest der Architektenschaft geführt, der Architekten, keinen Einfluss auf die Umsetauch von der Kammervertretung mitgetrazung erlaubten. Das Grundkonzept eines gen wurde. Architekten gaben anstelle von großen, offenen Regals mit eingestellten Projekten Protestplakate ab, in denen sie Raumboxen wurde zwar ohne Komprogegen PPP polemisierten. Dabei ging es vor misse realisiert, und es gibt viele liebevolle allem um einen prinzipiellen, für die archiDetails in der Möblierung. Hätten Quertektonische Qualität wesentlichen Aspekt: kraft mehr mitbestimmen können, hätte Die Stadt wollte PPP so anlegen, dass Archiman aber manches anders ausgehandelt: die tektinnen und Architekten, die einen WettDetails der verzinkten Metallgeländer, die bewerb gewinnen, nur den Entwurf und Dicke der Stahlbetonsäulen des umlaufenLeitdetails planen sollten. Die weitere Pladen Gerüsts, und ganz sicher die massiven nung sollte von anderen Planern im Auftrag des privaten Partners übernommen werden. gelben Beklebungen an allen Glasflächen als Anprallschutz laut ÖNORM B1600, die Die Gründe dafür waren teilweise juristisch hoffentlich sukzessive durch eine intelligenargumentiert, zu einem nicht unbeträchttere Lösung ersetzt werden. Auch wenn es lichen Teil aber mit der Hoffnung, sparen aus der Vogelperspektive der Zuständigen zu können, wenn die Architektur sich nicht für die „soziale Infrastruktur“ nicht leicht mehr mit ihren Flausen einmischen darf. Inzwischen hat die Stadt dazugelernt: Bei zu erkennen ist: Architektur lebt nicht zuletzt von schönen, gut gemachten Details. den jüngeren Campusprojekten kamen unDie sind nicht gratis, spielen sich aber durch terschiedliche Modelle zur Anwendie Zufriedenheit der Nutzer ganz von selbst dung: In manchen Fällen wurden die 12 wieder herein. Architekten vom privaten Partner
Ein Lift zu Gott 10. Februar 2018
Die Wotrubakirche ist der bedeutendste moderne Sakralbau Österreichs. Wie weit darf man gehen, um sie neuen Bedürfnissen anzupassen? Über die „Verheutigung“ einer Ikone.
E
s war einmal ein kleines Dorf, in dem stand eine Kirche, die auf der ganzen Welt berühmt war. Der Bau dieser Kirche ging auf eine außergewöhnliche Frau zurück, die in russischer Gefangenschaft nach dem zweiten Weltkrieg ein Gelübde abgelegt hatte, das sie mit diesem Projekt einlösen wollte. Der Plan stammte von einem berühmten Bildhauer, der zwar selbst nicht gläubig war, aber die Entschlossenheit auf Seiten der Stifterin erkannte, etwas ebenso Zeitgemäßes wie Außergewöhnliches zu schaffen. Die Kirche wurde gebaut und wurde weltberühmt, und es entstand eine Pfarrgemeinde, die sich jahrzehntelang um den Bau kümmerte. Wenn Graffiti auf die Kirche gesprüht wurden, entfernte sie die Gemeinde, und wenn ein Fenster undicht war, dichtete man es ab. Die Mitglieder der Gemeinde wurden älter. Viele konnten den steilen Weg zum Eingang nur noch mit Mühe gehen, einige gar nicht mehr. Da beschlossen sie, einen Weg zu finden, der es allen ermöglicht, in die Kirche zu gelangen, und der auch den Familien, die jetzt ihre Kinderwagen über die Stufen schoben, Erleichterung bringen sollte. Und da sie auch mit dem fensterlosen Gemeindesaal, der sich unter dem Kirchenschiff befand, nicht wirklich glücklich waren, wünschten sie sich einen kleinen Zu13 satzraum mit Licht und Ausblick.
Die Lösung war rasch gefunden: Hinter der Kirche lag ein dichter Wald, durch den man in einer Schleife einen 80 m kurzen Güterweg den Hang hinauf zum Hintereingang der Kirche bauen konnte. Da die meisten der Gebrechlichen sowieso mit dem Auto gebracht wurden, brauchte es nur eine Wendeschliefe, um sie abzusetzen und wieder abzuholen. Der Wald lag auf öffentlichem Grund, aber der Bürgermeister war leicht zu überzeugen, den neuen Güterweg zu bewilligen. Den zusätzlichen kleinen Raum setzte man an den Waldrand, eine einfache Holzkonstruktion, von der Gemeinde im Selbstbau mit Unterstützung des örtlichen Baumeisters errichtet. So wäre diese Geschichte wohl ausgegangen, hätte sie wirklich in einem kleinen Dorf stattgefunden. Aber wir sind in Wien, und da sind die Dinge komplizierter. Der erste Teil der Geschichte hat sich allerdings wie beschrieben zugetragen: Margarethe Ottillinger, die als Mitarbeiterin des Österreichischen Wirtschaftsministeriums 1948 nach Russland verschleppt und 1955 schwer krank aus der Haft entlassen wurde, war seit 1956 im Vorstand der ÖMV, des staatlichen Mineralölkonzerns. Durch diese Position bestens mit der Politik vernetzt, betrieb sie ab 1964 den Bau einer Kirche, zuerst in Steinbach bei Mauerbach als Teil eines Karmeliterinnenklosters, später am
Georgenberg in Wien am Rande des Wienerwalds. Auf Empfehlung von Prälat Leopold Unger wurde Fritz Wotruba mit der Gestaltung beauftragt, bei der ihn zuerst Roland Rainer und schließlich Fritz Gerhard Mayr als Architekten unterstützten. Baubeginn war im Jahr 1974. Wotruba starb 1975, noch vor der Fertigstellung der Kirche im November des folgenden Jahres. In der Kirche entstand eine sehr lebendige Gemeinde, die sich vor ein paar Jahren mit dem Problem eines besseren Zugangs auseinanderzusetzen begann. Auf dem direkt zur Kirche gehörenden Grundstück ist zu wenig Platz für eine Rampe, weshalb man auf die Idee kam, der Kirche einen verglasten Lift vorzusetzen, der über den bestehenden Zugang zur Unterkirche erreichbar sein soll. Der zusätzliche Raum wird neben diesem Zugang als eine Art Vitrine in den Hang geschoben. Der Lift führt nicht direkt in die Kirche, sondern prominent auf deren Eingangsniveau in acht Metern Abstand vor der Fassade. Hier geht es wieder ins Freie und dann um die Kirche herum zu deren Hintereingang. 14 Mit diesem Projekt wandte man sich
Der Bagger war schon zu Besuch: Eingang zum Gemeindesaal nach Abbruch der Einfassung. Wotrubakirche, Wien-Mauer. Foto: C. Kühn
ans Bundesdenkmalamt (BDA) und erhielt 2014 nach einigen Adaptierungen vom Wiener Landeskonservator Friedrich Dahm eine mündliche Befürwortung. Mitten in der weiteren Planung kam es allerdings zu einem Eklat: Fritz Gerhard Mayr hatte von dem Projekt erfahren und bewog das BDA, unter anderem mit Hilfe des Kunstsenats, dem Projekt die Unterstützung zu entziehen. Die Gründe dafür sind nachvollziehbar. Ein drei Meter hoher Glaskubus, der vor der Kirche aufragt, tritt zwangsläufig in einen skulpturalen Dialog mit dem Kirchenbau, der aber inhaltlich leer bleiben muss. Dasselbe gilt für die gläserne Vitrine, die der Kirche zumindest von Nordwesten her betrachtet den Boden unter den Füßen wegzieht, von den als Absturzsicherung nötigen gläsernen Brüstungen ganz zu schweigen. Die Architekten Formann und Puschmann, die unter dem Kürzel f2p firmieren, haben zwar ein in den Details feines Projekt gezeichnet. Darauf kommt es hier aber nicht an: Das Projekt beschädigt schon im Ansatz
die kompromisslose Aura von Wotrubas Skulptur. Um zu klären, ob das Projekt nicht doch mit der Kirche verträglich sei, einigte sich das Bauamt der Erzdiözese Wien mit dem BDA auf die gemeinsame Beauftragung eines Gutachtens, das von Nott Caviezel, Professor für Denkmalpflege an der TU Wien und Präsident der Eidgenössischen Kommission für Denkmalpflege, im Jänner 2016 erstellt wurde. Das Gutachten empfahl dringend, vom Projekt Abstand zu nehmen und Alternativen zu suchen. Es kam daher zu einem negativen Bescheid seitens des BDA. Nun geht es Schlag auf Schlag. Die Diözese legt Einspruch beim Bundesverwaltungsgericht ein und bringt den Fall ins Fernsehen zum Bürgeranwalt; das Gericht entscheidet im Oktober 2017 für das Projekt; der Bescheid wird damit aufgehoben, die Planung fortgesetzt. Einen Querschläger gilt es noch abzuwehren: Mario Terzic, emeritierter Professor für Landschaftsdesign an der Universität für angewandte
Kunst, schlägt eine Lösung vor, die der eingangs geschilderten entspricht, eine Zufahrtsschleife den Hang hinauf über das angrenzende Grundstück, das im Besitz der Stadt Wien steht. Der aktuelle Stand: Um Fakten zu schaffen, wird die ursprüngliche, von Architekt Mayr entworfene Einfassung des Zugangs zur Unterkirche abgebrochen. Als Projektkosten sind 900000,- Euro veranschlagt, von denen noch rund 390000,durch Spenden aufzubringen sind. Auf Johannes XXIII geht der Begriff des „aggiornamento“ zurück, den man als einfühlsame Anpassung an die Erfordernisse der Gegenwart verstehen kann. Das würde die Wotrubakirche heute brauchen. Die offizielle katholische Übersetzung des Begriffs lautet aber „Verheutigung“, und die wird der Wotrubakirche gerade angetan. Auch wenn es nach jahrelangen Planungen geradezu übermenschlich klingt: Wenn die Gemeinde der Idee ihrer Kirche gerecht werden will, muss sie eine andere, bessere Lösung finden.
13. Januar 2018
Nicht alle Schlauen überleben Eine schlaue Stadt, flotte Architektur und ein insolventer Innovator. Die „Smart City Graz“ wirft die Frage auf, welche Forschung die Stadt der Zukunft wirklich braucht.
E
s war kein glücklicher Tag für die Grazer Stadtplanung, als im Juli 2012 die Ergebnisse einer Volksbefragung bekannt gegeben wurden: 67 Prozent der Teilnehmenden hatten sich gegen den Vorschlag der Stadtregierung ausgesprochen, die Reininghaus-Gründe, ein Entwicklungsgebiet mit 52 Hektar Fläche auf dem Areal einer ehemaligen Brauerei, anzukaufen. Dass Politiker bei wichtigen Stadtentwicklungsfragen lieber zum Plebiszit greifen, als für ihre Entscheidung bei den nächsten Wahlen den Kopf hinzuhalten, ist in 15 Österreich nicht selten. Im konkreten
Fall war die Entscheidung tatsächlich nicht einfach zu treffen, da sie von der Einschätzung abhing, wie stark Graz in den nächsten Jahren wachsen würde. Inzwischen gilt es als sicher, dass die Stadtbevölkerung um 4000 bis 6000 Einwohner pro Jahr – und damit prozentuell stärker als Wien – zunimmt, vor allem durch Zuzug aus sogenannten strukturschwachen Regionen. Was die Stadt 2012 mit einem Kaufvertrag hätte bekommen können, nämlich Gestaltungshoheit, muss sie heute – nach dem zwischenzeitlich erfolgten Filetieren des Areals – über städtebauliche Verträge mit den Eigentümern aushandeln. Solche
Verträge sind nach österreichischem Recht immer ein Balanceakt. Die teilweise Abschöpfung widmungsbedingter Wertsteigerungen darf nicht wie eine Steuer erscheinen, sondern muss sachlich begründet sein, etwa als Kostenbeiträge für technische und soziale Infrastruktur, aber auch in Hinblick auf die Qualität öffentlicher Räume oder die Durchführung von qualitätssichernden Prozessen, etwa Architekturwettbewerben. Graz hat sich 2011 mit dem „Fachbeirat für Baukultur“ eine Institution geschaffen, die eine Qualitätssicherung auf mehreren Ebenen erlaubt, vom Städtebau bis zum Einzelobjekt. Auf der Ebene der Objektplanung kann die Vorlage beim Fachbeirat unterbleiben, wenn ein Architekturwettbewerb durchgeführt wird. In diesen Fällen ist in der Regel ein Mitglied des Beirats Mitglied in der Jury. Auch Wirtschaftsvertreter, die dem Beirat gegenüber anfangs skeptisch waren, akzeptieren ihn heute als wichtiges Instrument, um Planungssicherheit herzustellen. Inzwischen sind die Reininghausgründe zwar noch immer nicht 16 bebaut, die Planung ist aber weit
Konischer Turm mit Schwung ins Unendliche: Science Tower in Graz von Markus Pernthaler. Foto: Paul Ott
fortgeschritten. Die Architekturwettbewerbe für die meisten Quartiere sind abgeschlossen, auch für den zentralen Stadtpark und eine verbindende Grünzone. Der lukrative Drang in die Höhe ist bei manchen Wettbewerbsergebnissen nicht zu übersehen. Ob dieser Urbanisierungsschub nach oben zu rechtfertigen ist, wird erst die Qualität der ausgeführten Bauten und Freiräume zeigen. Schon fertiggestellt ist ein Turm in einem anderen nahe gelegenen Entwicklungsgebiet, dem Waagner-Biro-Areal, das sich als „Smart City Graz“ positioniert. Auch dieses Areal ist ein ehemaliges Industriegebiet, woran die Helmut-List-Halle erinnert, eine vom Architekten Markus Pernthaler 2003 im Kontext des Kulturhauptstadtjahres für Großveranstaltungen adaptierte Industriehalle. Von Pernthaler stammt auch der Turm, der neben der List-Halle stehend an einen Campanile neben einer Basilika erinnert. Ob der Turm zum Symbol einer „Smart City“ taugt, hängt davon ab, was man unter
„smart“ versteht. Als Bürohaus ist der Turm jedenfalls alles andere als schlau, nämlich aufgrund seines geringen Durchmessers schlicht unwirtschaftlich. Wenn mit „Smart City“ technologische Innovationen gemeint sind, ist der Turm dagegen ein gut gestalteter und effektiver Werbeträger. Die äußere Schicht der Doppelfassade besteht aus ex trem dünnen Glasscheiben, die teilweise mit neuartigen, elektrochemisch arbeitenden Solarzellen kombiniert sind. Im obersten Geschoß, umgeben von einer leichten Stahlkonstruktion, die dem Turm wie eine Krone aufgesetzt ist, befinden sich Stahlbetontröge, in denen mit Nutzpflanzen experimentiert werden soll. Bauherr des Turms ist der steirische Unternehmer Hans Höllwart, dessen Firma SFL im Anlagen- und Fassadenbau tätig ist und den Turm als Vorzeigeprojekt nutzen möchte. Ende vergangenen Jahres musste die Firma, die unter anderem die Murinsel, die Hülle des Kunsthauses Graz und die Fassade des Wiener Uniqa-Towers ausgeführt hat, Insolvenz anmelden. Der Turm wird damit auch zu einem Symbol für das – in diesem Fall hoffentlich nicht endgültige – Scheitern, von dem Innovatoren in Übergangszeiten immer bedroht sind. Die „Smart City Graz“ besteht aber nicht allein aus der List-Halle und dem Turm. Mit dem Bau einer neuen Schule wird nächstes Jahr begonnen, mehrere Wohnblocks und Bauten für gemischte Nutzung kommen dazu. Hier wird sich zeigen, wie „smart“ diese City wirklich ist. In Bezug auf öffentliche Bauten hat Graz zwar in den vergangenen 20 Jahren einen hohen Standard vorzuweisen; der Wohnbau reicht aber bei Weitem nicht an dieses Niveau heran. (Wer sich für die Zeiten interessiert, als die Steiermark das Nonplusultra des österreichischen Wohnbaus war, sollte die aktuelle Ausstellung „Graz Architecture“ im Grazer Kunsthaus besuchen. Projekte wie die Terrassenhaussiedlung St. Peter und generell Ambition und Resultate des „Modells Steiermark“, das ab den frühen 1970er-Jahren die Entwicklung prägte, sind immer noch inspirierend.) Grundsätzlich ist die Stadt aber auf dem richtigen Weg. Sie setzt auf die Verdichtung möglichst im Bestand oder auf Brachflächen, auf Nutzungsdurchmischung und attraktive öffentliche Räume. Ziel ist die energieeffiziente, ressourcenschonende 17 und emissionsarme Stadt. Niemand
wird etwas gegen diese Ziele einzuwenden haben. Dass ihre Erreichung einen radikalen Wandel unserer Lebensweise und unserer Wohnvorstellungen erfordert, wird aber immer klarer. Gerade deshalb ist es wichtig, mehr in Forschung zu dieser Frage zu investieren. „Smart City Graz“ hat Förderungen in der Höhe von 4,2 Millionen Euro erhalten, und zwar aus dem größten österreichischen Förderungstopf zum Thema, dem beim Klimaund Energiefonds angesiedelten Programm „Smart Cities Demo“, das zum Zeitpunkt der Förderungszusage 2011 noch „Smart Energy Demo“ hieß. Trotz der Namensänderung ist das Programm nach wie vor technologielastig, obwohl der Fonds selbst betont, dass nur eine ganzheitliche Betrachtung, die auch soziale und kulturelle Aspekte berücksichtigt, die Erreichung der Klimaziele ermöglicht. Seit seiner Gründung 2007 hat der Fonds 1,1 Milliarden Euro an Förderungen vergeben, davon knapp 40 Millionen im „Smart Cities“-Bereich, und davon 16,5 Millionen für in Summe sieben Umsetzungsprojekte, die sich nicht nur mit Technologie, sondern auch mit Lebensräumen beschäftigen. Dazu gehörte neben dem Grazer Turm auch das Montfort-Haus in Feldkirch, das im Rahmen der „SmartCityRheintal“ gefördert wurde. Das ist zu wenig. Die öffentliche Hand sollte sich neue Wege für eine Baukultur- und Städtebauforschung – die es als reine Wohnbauforschung bis 1988 im Rahmen der Wohnbauförderung ja schon gab – überlegen.
2017
Elefant mit Feinheiten 11. November 2017
Nur auf den ersten Blick eine klassische Blockrandbebauung mit Innenhöfen und Rasterfassade: Schenker Salvi Weber und feld72 hüllen ein Glashaus in einen Mantel aus Kunststein, dessen Feinheiten erst bei genauerem Hinsehen zum Vorschein kommen.
U
rbanissima: So nannten die Autoren der Innsbrucker Hochhausstudie des Jahres 2002 einen speziellen Typus von Hochhaus, geeignet für das dicht bebaute Stadtgebiet. Während konventionelle Hochhäuser wie Giraffen in der Stadt herumstehen, ist dieser Typus ein Elefant: Er ragt als kompakte Masse aus seiner Umgebung auf, hoffentlich ohne sie zu erdrücken, und ist in den unteren Geschoßen eng mit ihr verknüpft. Der neue Hauptsitz der Post AG im dritten Wiener Gemeindebezirk ist ein Exemplar dieser Gattung. Baurechtlich ein Hochhaus, ist er typologisch eine Blockrandbebauung mit Innenhöfen. Das Grundstück liegt am Rochusplatz, einer Erweiterung der Landstraßer Hauptstraße. Wichtigster Anziehungspunkt ist neben der U-Bahnstation der U3 ein kleiner, gut sortierter Markt, der es im Angebot fast mit dem Naschmarkt aufnehmen kann. Das bisher dominanteste Gebäude am Platz ist ein von Harry Glück entworfenes ehemaliges Fi19 nanzamt aus den 1960er-Jahren, das
vor Kurzem in einen Wohnbau umgewandelt wurde. Der Fassadenrhythmus des Altbaus wurde beibehalten, die Farbgebung aber radikal verändert, indem die grauen Betonelemente der Fassade schwarz verkleidet wurden. Im rechten Winkel zu dieser schwarzen Rasterfassade liegt die mit weißem Kunststein verkleidete der neuen „Post am Rochus“. Das Grundstück befand sich bereits im Besitz der Post und war mit abgewirtschafteten Bestandsbauten besetzt, überwiegend aus den 1950er-Jahren – mit Ausnahme eines Trakts an der Rasumofskygasse aus den 1920er-Jahren, dessen Fassade unter Denkmalschutz steht. Die Entscheidung, die Konzernzentrale an diesen Ort zu legen und nicht in ein neues Stadtquartier, an dem man sich vielleicht mehr in Szene hätte setzen können, begründet die Post nicht nur mit der guten Verkehrsanbindung, sondern vor allem mit der Qualität des Stadtlebens mit zahlreichen Restaurants und dem Markt vor der Tür. Auf eine Kantine für die 1100 Mitarbeiter wurde verzichtet, stattdessen befindet sich im Sockel des Neubaus ein großer öffentlicher Gastronomiebetrieb. Der Entwurf stammt von den Architekten Schenker Salvi Weber
in Kooperation mit dem Büro feld72, wobei Letzteres in der zweiten Stufe eines 2013 EUweit ausgeschriebenen Architekturwettbewerbs als Verstärkung ins Boot geholt wurde. Dass sich die Post auf einen internationalen Wettbewerb einließ, bei dem auch junge Büros mit wenig Referenzen zugelassen waren, ist ihr hoch anzurechnen. Eine solche Entscheidung kommt nicht von ungefähr: Georg Pölzl, Vorsitzender des Post-Vorstands, hat sich schon in seiner Zeit bei T-Mobile mit dem T-Center in St. Marx, dem Blauwal unter Wiens Corporate Headquarters, als mutiger Bauherr erwiesen. Hinter der Rasterfassade der Post am Rochus liegt ein raffinierter Grundriss, der aus dem komplizierten Grundstück etwas Einzigartiges herausholt. Vom denkmalgeschützten Bereich bleibt nicht nur die Fassade erhalten, sondern der ganze Trakt an der Rasumofskygasse, an den hofseitig ein 35 Meter hoher Passagenraum mit Oberlicht anschließt, der alle Bürogeschoße verbindet. Die Arbeitsplätze der Mitarbeiter sind um 20 zwei große, präzise in den Baukörper
„Post am Rochus“: Die Rahmenelemente sind vorgehängt, tragende Säulen befinden sich hinter der Fassade. Foto: Lukas Schaller
eingeschnittene Höfe angeordnet. Theoretisch könnten die Arbeitsplätze auf diesem Grundriss auch in Zellenbüros mit einem Raster von 2,7 Metern organisiert werden. Die Post AG hat sich jedoch für ein Großraumkonzept entschieden, das sich schon bei anderen Headquarters wie dem Erste Campus bewährt hat. Verglaste Boxen, die mit Vorhängen abgeschlossen werden können, dienen als Rückzugs- und Besprechungsräume. Innerhalb einer Abteilung herrscht freie Platzwahl, potenziell täglich, was je nach Abteilung unterschiedlich gehandhabt wird. Die Flexibilität im Großraum hilft, Flächen zu sparen, da es für zehn Mitarbeiter nur neun Arbeitsstationen gibt. Vor allem bietet die weite Sichtverbindung quer über die Höfe eine völlig andere Arbeitsatmosphäre als im Zellenbüro. Wer hier arbeitet, soll wissen: Die Post ist kein Amt mehr, sondern ein innovatives Unternehmen. Parallel zur internen Passage, die den
Mitarbeitern vorbehalten ist, liegt im Erdgeschoß eine weitere Passage, die den Rochusmarkt mit dem Grete-Jost-Park verbindet, einem begrünten Freiraum, der mit den benachbarten Straßen verbunden ist. Ein Drittel aller Besucher der Einkaufspassage, die im Untergeschoß einen großen Lebensmittelmarkt bietet, kommt über diesen Weg. Das Äußere des Hauses löst unterschiedliche Reaktionen aus. Hell und freundlich für die einen, ist es für andere eine Variation von David Chipperfields Kaufhausfassade in der Kärntner Straße. Ein genauer Blick lohnt sich jedenfalls. Während Chipperfields ← 223 Fassade auch eine tragende Wand ist, sind die Rahmenelemente bei der Post am Rochus nur vorgehängt. Die tragenden Säulen aus Stahlbeton liegen hinter dieser Fassade. Im Grunde handelt es sich um ein fast vollständig verglastes Gebäude mit raumhohen Scheiben, denen eine dicke Haut mit mehreren Aufgaben vorgesetzt ist. Alle horizontalen Elemente dienen dem Brandschutz, indem sie den Brandüberschlag zwischen den Geschoßen verhindern. In den vertikalen Elementen befinden sich Lüftungsflügel, mit denen die Nutzer Frischluft ins Haus lassen können. Die Einströmung dafür erfolgt seitlich in den Betonelementen über kleine, kreisrunde Öffnungen. Mit diesen Bausteinen inszenieren die Architekten ein Ornament in der Fassade, das erst beim genaueren Hinsehen auffällt. Die kreisförmigen Öffnungen sind jeweils einseitig in die Betonelemente geschnitten, was in der Seitenansicht ein Muster aus gelochten und glatten Elementen erzeugt. Dieses Ornament wird mit einem weiteren überlagert, das sich aus der Geometrie
Gelungene Einpassung in den Kontext: kompakter Block mit Innenhöfen. Foto: Schenker Salvi Weber mit feld72
der vorgehängten Elemente ergibt. Deren vertikale Stirnseiten, die man in der klassischen Fassadenterminologie als Lisenen bezeichnen würde, haben geschoßweise unterschiedliche Breite. Die Variation ist so graduell, dass sie zuerst kaum auffällt. Wenn man aber einmal erkannt hat, dass sich die Lisenen auf der linken Seite der Fassade von unten nach oben verjüngen, während sie auf der anderen Seite oben breit und unten schmal sind, beginnt man rational zu verstehen, warum die Fassade trotz scheinbar monotonem Raster so abwechslungsreich wirkt. Ob ein Bürohaus unbedingt solche Feinheiten braucht, um die Passanten zu beeindrucken? Vielleicht darf man sich ja gelegentlich auf die Position zurückziehen, Architektur sei die Kunst, das Nutzlose notwendig zu machen.
Erst denken, 21. Oktober 2017
dann bauen
Velden am Wörthersee leistet sich eine Bausperre, um seine Ortsentwicklung auf eine neue Basis zu stellen. Zwei Jahre nicht bauen: Auch das kann ein Zeichen von Baukultur sein.
D
ie Vorstellung einer unberührten Landschaft ist ein Widerspruch in sich. Im Begriff der Landschaft steckt das Schaffen, weshalb mit diesem Begriff nie eine ursprüngliche Natur gemeint sein kann, sondern immer eine gestaltete. Der alpine Tourismus ist ein Phänomen an der Grenze dieser Sphären: im Vordergrund die gestaltete Landschaft, im Hintergrund die unberührte, erhabene Welt der Berge. Kaum eine andere Region entspricht diesem Bild so sehr wie jene um den Wörthersee. Dort hat der Tourismus bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts Wurzeln geschlagen, spätestens mit der Verlängerung der Südbahn bis Villach im Jahr 1864. Um 1900 entwickelte sich hier eine eigene Ausprägung des Heimatstils, eine Form des Späthistorismus, die nach der Jahrhundertwende auch Elemente des Jugendstils in ihr Vokabular aufnahm. Diese von Städtern für Städter entworfene Landhausarchitektur hat die Ufer des Wörthersees von den 1890er-Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg geprägt. Hier entstanden zahlreiche Villen, von denen die meisten auch gut ins Wiener Cottage-Viertel gepasst hätten, wie etwa jene, die sich Gustav Mahler 1901 hier errichten ließ. Dazu kamen Fantasieschlösser wie in Reifnitz und Seefels, und schließlich Bäder und Hotels unterschiedlicher Größe. Pörtschach, wo gleich zwei Hotelbetriebe, die Etablissements Wahliss und Werzer, miteinander konkurrierten, entwickelte sich ab 1895 zu einem der 22 mondänsten Kurorte Österreichs.
Der produktivste Architekt dieser Epoche in der Wörtherseeregion war der aus Wien stammende Franz Baumgartner, der an der Akademie der Bildenden Künste studiert hatte. 1909 begann er seine Karriere als Architekt in Velden, unter anderem mit dem Entwurf des Hotels Kointsch. Friedrich Achleitner lobte an diesem Bau das „unglaublich variable architektonische Vokabular, das alle Ansprüche an eine gehobene Erholungsarchitektur befriedigen konnte“. Ausgeführt wurde das Hotel vom Bauunternehmer Anton Bulfon, der 1908 nach Velden gezogen war und die Entwicklung des Orts als größter Grundeigentümer maßgeblich beeinflusste. Ihm gelang es auch, 1922 das Casino nach Velden zu bringen. Im Zentrum des Orts, am Karawankenplatz, errichtete er nach Plänen Baumgartners 1924 mit dem Carinthia noch ein weiteres Hotel, mit dem man an die große Zeit des Tourismus vor dem Ersten Weltkrieg anknüpfen wollte. Zu ihrer früheren mondänen Atmosphäre fand die Region nach 1918 aber nie mehr zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar einzelne Versuche, Hotels im internationalen Stil der Moderne zu errichten, etwa das weitgehend im Originalzustand des Jahres 1963 erhaltene Parkhotel in Pörtschach, das sich auf einem Teil des ehemaligen Etablissements Wahliss befindet. Wer heute den Wörthersee besucht, braucht einiges an Einbildungskraft, um die Spuren der Erholungslandschaft zu erkennen, die man hier vor hundert Jahren erleben konnte. Die Ufer des Sees wurden über die Jahrzehnte immer dichter verbaut,
überwiegend mit Apartmenthäusern, die als Zweitwohnsitze dienen. Mit solchen Projekten lässt sich prächtig Geld verdienen. Allerdings unterliegen sie dem Paradoxon jeder Massenerholung: Im Erfolg zerstören sie ihre eigenen Voraussetzungen. Am Wörthersee ist die Bebauung an den Ufern exponentiell gewachsen: Viel zu lang hat man die Entwicklung nur als Störung, aber nicht als Bedrohung des Erholungsraums wahrgenommen. Heute ist das zulässige Maß an Verdichtung bei Weitem und – wie manche Beobachter meinen – irreparabel überschritten. Im besten Fall könne man noch ein wenig Kosmetik betreiben, auf der Ebene der Orts- und Raumplanung sei heute nichts mehr zu retten. Aber ist dieser Defätismus tatsächlich gerechtfertigt? Es gibt zumindest einzelne Gemeinden, die versuchen, neue Wege zu gehen. Eine davon ist Velden am Westufer des Wörthersees, im Sommer das touristische Zentrum der Region mit 6500 Gästebetten und 460 000 Übernachtungen pro Jahr. Der Ort boomt, von Mai bis September ist Velden praktisch ausgebucht, und mit dem Veldener Advent wird versucht, die Saison in den Winter hinein zu erweitern. Allerdings gibt es im Ort mit knapp 9000 Einwohnern auch 2000 Nebenwohnsitze, die von Touristikern als „kalte Betten“ bezeichnet werden, da sie den Großteil des Jahres unbenutzt bleiben. Viele dieser Nebenwohnsitze waren ursprünglich als Hotels bewilligt, stellten aber bald den Betrieb ein, um als Geldanlage verkauft 23 zu werden.
Warten auf den „Shared Space“: das Zentrum von Velden mit Bauten von Franz Baumgartner. Foto: C. Kühn
Velden hat auch über andere Fragen der Landschaftsnutzung nachzudenken: den öffentlichen Seezugang, den Durchzugsverkehr im Ort, die plärrende Tourismusarchitektur, die sich weit von der mondänen Entspanntheit entfernt hat, die der Ort einmal zu bieten hatte. In der aktuellen Boomphase hätte man diese Fragen leicht in die Zukunft verschieben können. Velden hat sich entschlossen, diese Phase zu nutzen, um grundlegende Veränderungen einzuleiten. Ein erster Schritt dazu war 2008 die Schaffung eines Architekturbeirats, der überwiegend mit Architekten besetzt ist, die von außerhalb der Region kommen. Der Ortsplaner, Gerhard Kopeinig, ist in diesem Gremium Mitglied ohne Stimmrecht. Eine Aufgabe eines solchen Beirats ist es, bei den Ortsbewohnern Bewusstsein für Qualität zu schaffen. Das braucht mehrere Jahre und Projekte, die sich für eine Bürgerbeteiligung eignen. In Velden hat man sich dafür ein Projekt vorgenommen, das in Österreich einzigartig ist: die Verwandlung eines vom Auto dominierten Verkehrskanals in einen „Shared Space“. Einzigartig ist das Projekt insofern, als erstmals eine Bundesstraße in dieser Form fußgängertauglich gemacht wurde, wofür auf Betreiben der Gemeinde sogar die Straßenverkehrsordnung novelliert werden musste. Finanziert wurde das Projekt zur Hälfte vom Land und zu je einem Viertel von der Gemeinde und den Unternehmen, die an diesem Straßenstück
liegen. In der nächsten Etappe soll die Neugestaltung des Straßenraums bis zum Karawankenplatz, wo die Hauptwerke Franz Baumgartners derzeit in einer Asphaltwüste schwimmen, weitergeführt werden. Im Herbst 2016 hat sich die Gemeinde entschlossen, einen radikalen Schritt zu setzen. Bürgermeister Ferdinand Vouk verkündete eine zweijährige Bausperre für den erweiterten Seeuferbereich, also für alle Grundstücke, auf denen ein besonderer Entwicklungsdruck lastet. In den zwei Jahren sollen die raumplanerischen und gestalterischen Grundlagen erarbeitet werden, auf denen die Gemeinde ihre Entwicklung aufbauen möchte. Seit einem Jahr läuft eine
umfassende Analyse der Situation, im nächsten Schritt werden die Ergebnisse in Bürgerversammlungen diskutiert, danach international ausgeschriebene städtebauliche Ideenwettbewerbe durchgeführt. Am Ende soll ein neuer Bebauungsplan stehen, dessen Ziele im Gemeinderatsbeschluss für die Bausperre klar angesprochen sind: Erhaltung der Ortsbildqualität; Beschränkung der Anzahl der Wohneinheiten auf maximal zwei bis drei pro Grundstück; Freihaltung des Seeuferbereichs; Vermeidung der Verbauung mit großvolumigen Wohnanlagen. Vielleicht gelingt der Gemeinde ja ein Jahrhundertprojekt, mit dem sie ihre große Tradition in die Zukunft führt.
23. September 2017
Im Archiv des Genies Vor 150 Jahren wurde Frank Lloyd Wright geboren, elitärer Erfinder einer egalitären Architektur. Eine Ausstellung im MoMA New York zeigt Schätze aus dem Archiv.
W
eltberühmter Architekt: Diese Berufsbezeichnung gab Frank Lloyd Wright an, als er 1956, im Alter von 89 Jahren, in die Fernsehshow „What’s my Line?“, die amerikanische Variante des „Heiteren Beruferatens“, eingeladen war. Wright hielt sich für den bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts, und zumindest in den USA würde er mit dieser Einschätzung bis heute auf breite Zustimmung stoßen. Wright ist Jahrgang 1867, und sein 150. Geburtstag wird in den USA gebührend gefeiert. Eine große Ausstellung im MoMA zeigt Schätze aus seinem Archiv, das seit einigen Jahren von der Columbia-Universität und dem Museum of Modern Art in New York gemeinsam verwaltet wird und über 55 000 Zeichnungen umfasst. Zugleich wurden zahlreiche Gebäude 24 Wrights in Hinblick auf das Jubiläum
restauriert und wieder öffentlich zugänglich gemacht. Dass Wright zum weltberühmten Architekten werden konnte, verdankt er nicht zuletzt der Tatsache, dass er 1887 sein Architekturstudium nach zwei Jahren abbrach, um im Büro von Louis Sullivan und Dankmar Adler in Chicago als Zeichner zu beginnen. Chicago, das nach dem großen Brand von 1871 wieder aufgebaut wurde, war zu dieser Zeit das Labor einer neuen Architektur, die sowohl in konstruktiver als auch in typologischer Hinsicht revolutionär war. Ob der Stahlskelettbau zum Hochhaustypus führte oder umgekehrt der Zug in die Höhe dazu, Stahl als Baumaterial zu nutzen, ist schwer zu entscheiden, wie das Beispiel des Monadnock-Gebäudes im Zentrum von Chicago zeigt. Es besteht aus zwei im Grundriss fast identischen, jeweils rund 60 Meter hohen Teilen. Der erste, von Burnham & Root
1889 entworfen, ragt als reiner Ziegelbau auf, der zweite wurde 1891 nach Plänen von Holabird & Roche als Stahlskelettbau errichtet. Während der ältere Ziegelbau mit seinen fast spiegelnden massiven Wänden aus hoch gebrannten Ziegeln praktisch ohne jedes Ornament auskommt, ist der jüngere, bei dem der Ziegel nur der Verkleidung dient, mit Ornamenten verziert. Von der tragenden Funktion befreit, kann diese Wand sich wieder leicht und fast textil geben. Den Architekten der „Schule von Chicago“ und allen voran Sullivan gelang es, für diese Fassaden neue Lösungen zu entwickeln. Sullivans Ornamente, die sich wie zarte Tätowierungen in die Terrakotta-Haut seiner Hochhäuser einschneiden, folgen geometrischen Prinzipien, die Wrights Architektur geprägt haben. Auch auf Adolf Loos, der sich in den Jahren von 1893 bis 1896 in den USA und dabei längere Zeit in Chicago aufhielt, müssen diese Bauten großen Eindruck gemacht haben, wie ebenso jene für die Weltausstellung von 1892, die anlässlich des 400-Jahr-Jubiläums der Entdeckung Amerikas eine vom alten Rom inspirierte, klassizistische „White City“ an den damaligen Stadtrand von Chicago setzte. Loos’ berühmter Entwurf für die Chicago Tribune, eine gigantische dorische Säule aus schwarzem Granit, trieb diesen Klassizismus drei Jahrzehnte später auf die Spitze. In diesem Umfeld entwickelte der junge Frank Lloyd Wright eine neue Architektur, die sich vorerst fast ausschließlich in Einfamilienhäusern manifestierte. Nachdem Sullivan ihn 1893 entlassen hatte, weil er in dessen Büro auf eigene Rechnung 25 zu arbeiten begonnen hatte, eröffnete
Der „weltberühmte Architekt“ auf der Baustelle seines Guggenheim Museums in New York. Foto: Frank Lloyd Wright Foundation
Wright seine eigene Firma, die er schließlich nach Oak Park, einen Vorort von Chicago, verlegte. Sein Haus und sein Atelier sind heute öffentlich zugänglich; die über 30 anderen in der Nähe von ihm entworfenen Häuser befinden sich in Privatbesitz. Bewundern kann man sie trotzdem, da Oak Park generell auf Zäune und blickdichte Hecken verzichtet und die Häuser wirken, als stünden sie in einem großen, offenen Park. Das berühmteste Haus Wrights in Chicago, das Robie Haus, befindet sich allerdings am anderen Ende der Stadt und liegt heute auf dem Areal der University of Chicago. Es ist ein Musterbeispiel für den Prärie-Stil, in dem Wright horizontale Schichten und Linien betont. Die Technologie, die diese Häuser möglich macht, ist dieselbe wie jene der Hochhäuser: Die weit auskragenden Dächer der Prärie-Häuser werden von Stahlträgern gehalten, die freilich hinter Verkleidungen aus Ziegeln und Holz verborgen sind. Auch dieses Haus wurde in den vergangenen Jahren um viel Geld restauriert und in einen Zustand gebracht, der den ursprünglichen Plänen entspricht. Dieses Vorgehen hat seinen Preis: Aus den Häusern werden polierte Ausstellungsstücke ohne Spuren der Zeit. Bei einem von Wrights schönsten Häusern aus dieser Epoche, dem Martin Haus in Buffalo, wurden ganze Trakte abgerissen und neu gebaut und im Rahmen der – wahrscheinlich erstmaligen – Herstellung des „originalen“ Gartens alte Bäume entfernt. Wright hätte damit wahrscheinlich kein Problem, da er die von ihm entworfenen Häuser vor allem als sein geistiges Eigentum
betrachtete, dem sich die Nutzer bedingungslos zu unterwerfen hätten. Wer sich weniger für den Geniekult um Wright interessiert, sondern um seine Einordnung in die amerikanische Kulturgeschichte, wird mit der Ausstellung im MoMA in New York, zu der ein hervorragender Katalog erschienen ist, bestens bedient. Sein ambivalentes Verhältnis zum Hochhaus wird da etwa im Vergleich zu jenem Mies van der Rohes diskutiert. Wright befasste sich auch mit der Massenproduktion von Einfamilienhäusern und legte mit der Broadacre City Anfang der 1930er-Jahre eine entsprechende Stadtvision vor. Vertikale Strukturen konnte Wright nur zweimal realisieren, den Forschungsturm der Johnson Wax Factory – anlässlich des Jubiläums ebenfalls zugänglich und mit alter Laboreinrichtung museal inszeniert – und einen Wohnturm, den Price Tower in Oklahoma, der 1956 eröffnet wurde. Im selben Jahr stellte Wright, im Alter von 89 Jahren, das Projekt des Mile-High Illinois vor, einer
1600 Meter hohen Nadel, die 50 Jahre später dem Burj Kalifa in Dubai als Inspiration diente. Hinterfragt werden in der Ausstellung Wrights Appropriation „exotischer“ Kulturen, der indigenen ebenso wie der japanischen. Weniger erfährt man über den Strom von Ideen, der von der Wiener Secession zu den Prärie-Häusern und zurück zum De Stijl führte, vor allem nach der Publikation von Wrights Werk im deutschen Wasmuth Verlag im Jahr 1909. Österreich feiert im kommenden Jahr den 100. Todestag von Otto Wagner, dessen Bedeutung für die Architekturgeschichte jener von Wright in nichts nachsteht. Eine Ausstellung im Wien Museum ist für März angekündigt. Ob Wagners Postsparkasse dann noch öffentlich zugänglich sein wird, ist unklar. Die neuen Eigentümer halten sich bezüglich Nutzung und nötiger Eingriffe in die Substanz bedeckt. Man wird die architektonische Kultur des Landes daran messen können, wie mit diesem zentralen Bauwerk der frühen Moderne umgegangen wird.
26. August 2017
Schule mit offenen Armen Ein Meilenstein in der Entwicklung des österreichischen Schulbaus: Fasch & Fuchs haben für die Seestadt Aspern ein Gymnasium entworfen, das Optimismus und Pioniergeist verströmt. Hier möchte man bleiben.
G
ibt es einen Fortschritt in der Architektur? Soweit man Architektur als technisches Produkt versteht, sicher. Neue Materialien und Fertigungstechniken lösen ältere ab; neue Planungsmethoden, etwa die Einführung des CAD, machen Geometrien umsetzbar, die vor zwei Jahrzehnten nicht zu beherrschen gewesen wären. Als Baukunst betrachtet, kann Architektur einen Fortschritt anderer Art für sich beanspruchen. Während technischer Fortschritt die alte Lösung obsolet 26 macht, lässt der künstlerische dem
Alten seinen Wert. Er ist auch alles andere als linear, verzweigt sich in unterschiedliche Richtungen und setzt dabei manchmal an Verzweigungspunkten an, die weit in der Vergangenheit liegen. Schließlich gibt es noch einen Fortschritt, der aus neuen funktionellen Erfordernissen entsteht. Das können völlig neue Aufgaben sein, wie es im 19. Jahrhundert etwa Bahnhöfe und Schlachthöfe waren, oder auch nur Veränderungen oder Neuinterpretationen bekannter Aufgaben, vom Wohnen bis zur Bildung. Zu den seltenen Fällen, in denen alle drei Arten von Fortschritt zusammenkommen,
gehört das neue Bundesgymnasium in der Seestadt Aspern. Der Fortschritt begann hier schon bei der Ausschreibung des Architekturwettbewerbs. Das Bundesministerium für Bildung wünschte sich eine „Arbeits- und Lernlandschaft, die individuelle Förderung, Arbeiten in unterschiedlichen Gruppengrößen, selbstorganisiertes und offenes Lernen sowie Projektunterricht“ unterstützt. Organisatorisch ist für die Unterstufe ein Cluster-System geplant, in dem sich jeweils vier Klassenräume einen offenen Lernbereich teilen. In der Oberstufe gibt es ein Departmentsystem mit den drei Departments für Sprachen, Naturwissenschaften sowie Wirtschaft und Informatik, zu denen vier große Homebases für die Schüler der Oberstufenjahrgänge gehören. Ein solches Programm ist, international betrachtet, keine große Innovation, aber für österreichische Verhältnisse ein erfreulicher Anschluss an den State-of-the-Art. Hemma Fasch und Jakob Fuchs hatten für dieses Programm ein Grundstück in der Seestadt Aspern zur Verfügung, das an der einen Seite an einen Stadtteilpark grenzt, den Hannah-Arendt-Park, und an der anderen Seite an einen kleinen urbanen Platz. Das Grundstück ist, wie viele in der Seestadt, schiefwinkelig verzogen, ein stadtplanerischer Kollateralschaden der Ringstraße, die in einer gequetschten Kreiskurve um das Zentrum der Seestadt führt. Fasch & Fuchs haben dieses Grundstück genommen, 27 wie es ist, und ihr Haus an drei Seiten
Große Geste zum Park: Das neue Gymnasium in der Seestadt Aspern überzeugt als starker Charakter … Foto: Hertha Hurnaus
bis an die Grundstücksgrenze gebaut. An der vierten Seite breitet es zum Stadtteilpark seine Arme aus und wirkt von dort wie ein luftiges Glashaus mit Terrassen und einer davor ausgerollten Grünfläche. Diese Grünfläche hätte ursprünglich mit dem Stadtteilpark über große Tore verbunden sein sollen, eine Idee, die sich schließlich aus den üblichen Gründen nicht durchsetzen ließ, die Mehrfachnutzung so schwer machen: Wer zahlt den Betrieb, wer ist für Schäden verantwortlich? Die beiden seitlichen Arme der Schule sind Treppen, die alle Terrassen mit dem Schulgarten verbinden und gleichzeitig als Fluchtwege dienen. Straßenseitig sind die Wangen dieser Treppen mit einer Membran aus Kunststoff verkleidet, die sich an drei Seiten um das gesamte Gebäude herumzieht. Bei Gegenlicht wird hinter der Membran die tragende Stahlkonstruktion sichtbar, und was zuerst als massives Bauelement erscheint, zeigt sich plötzlich als leichte, transparente Hülle. Transparenz und Leichtigkeit sind auch im Inneren der Schule das leitende Prinzip. Die Tiefe des Baukörpers erlaubt die Anlage eines gut proportionierten Hofs, der zusätzliches Licht und Grün in die Schule bringt. Parallel dazu liegt eine mehrgeschoßige Aula mit Freitreppen und offenen Lerninseln. Licht von oben kommt über
... und mit feinen Details: Schiebefenster mit Sitzbank zur Gartenterrasse.
ein Shed-Dach mit einer Tragkonstruktion aus Holz. Diese große Offenheit ist möglich, weil die Schule mit einer Sprinkleranlage ausgerüstet ist, eine Maßnahme, die sich nach Angabe der Architekten durch bessere Flächennutzung und den Wegfall anderer teurer Brandschutzmaßnahmen von selbst amortisiert. Die Wände der Klassen beziehungsweise Homebases sind zu den Erschließungsbereichen hin verglast. Sie haben zumeist einen direkten Ausgang zu einer Terrasse, die fast so groß ist wie die Klasse selbst. Statt Glas bis zum Boden gibt es eine von innen und außen benutzbare Sitzbank mit einem großen Schiebefenster, in deren Gebrauch die Schüler sicher viel Fantasie entwickeln werden. Es gibt nur wenige Schulen in Österreich, die eine so gelöste Atmosphäre erreichen wie diese, und die meisten der wenigen stammen ebenfalls von Fasch & Fuchs: die Sonderschule Schwechat aus dem Jahr 2006, die Tourismusschule Bad Hofgastein von 2010 und zuletzt das Schulzentrum im oberösterreichischen Feldkirchen, in zwei Etappen 2011 und 2014 errichtet. Drei weitere sind in Bau, in Lienz, in Hall/Tirol und in Neustift im Stubaital. In all diesen Projekten zeigt sich die Fähigkeit der 28 Architekten, aus der konstruktiven
Eine Unterrichtseinheit über präzises Denken und exaktes Umsetzen: die zentrale Halle mit konstruktiven Elementen aus Stahl, Beton, Glas und Holz. Fotos: Hertha Hurnaus
Logik baukünstlerische Prinzipien zu gewinnen, die man vor 30 Jahren zum Stilbegriff des Hightech verdichtet hat: Leichtigkeit und Transparenz, Membran statt Mauer, aus dem Konstruktiven abgeleitete Form. Fasch & Fuchs gehören zu der kleinen Gruppe von Architekten, die diesen Stil so kultiviert haben, dass er sich nicht doktrinär in den Vordergrund drängt, sondern wie die natürlichste Sache der Welt wirkt. Die Fassade zum Park mit ihrem System von abgehängten Stegen, Stahlfachwerken und den leichten Brücken aus Stahlbeton wirkt auf den ersten Blick nur funktionell, erweist sich aber beim genaueren Hinsehen als ein Kunstwerk für sich. Das muss man wollen, und man muss es können. Fasch & Fuchs haben in langjähriger forschender Praxis so viel Erfahrung gewonnen, dass ihnen Bauherren, in diesem Fall die BIG, auch bei schwierigen Punkten vertrauen. Dazu gehören viele Beteiligte, unter anderem Projektleiter wie Fred Hofbauer, Büropartner von Fasch & Fuchs, die Tragwerksplaner von Werkraum Wien, die Bauphysik von Exikon und die Künstler Gustav Deutsch und Hanna Schimek,
die für die Schule ein kongeniales Farbkonzept entwickelten. Ohne solche Teams, die eine Atmosphäre von Vertrauen, Optimismus und Pioniergeist aufbauen, gibt es in der
Architektur keinen Fortschritt. Gerade bei einer Schule darf man hoffen, dass diese Atmosphäre sich aufs Ergebnis überträgt und Schüler wie Lehrer ansteckt.
29. Juli 2017
Das Wilde pflegen Seit 25 Jahren wird geplant und gebaut. Jetzt wächst das Areal des ehemaligen Nordbahnhofs langsam zu einem neuen Stadtteil zusammen. Vom Stadtraster zur „Freien Mitte“: eine Mentalitätsgeschichte des Wiener Städtebaus.
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ine Wildnis mitten in der Stadt: So Tower hat er – im Tandem mit Gustav Peichl – kann man den heute noch unbeebenfalls zu verantworten. In umgekehrbauten Bereich des ehemaligen ter Richtung betrachtet ist die Entscheidung Nordbahnhofs in der Leopoldstadt für diese Achse wenig glücklich. Sie zielt exmit Recht bezeichnen. Das Gesamt- akt auf die unattraktive hintere Ecke des areal ist das größte zentrumsnahe EntwickIBM-Hauses, auf deren Quadratlochfassade lungsgebiet der Stadt und soll nach aktueller der Stadtwanderer nun hunderte Meter lang Planung bis zum Jahr 2025 Wohnungen für zugehen muss. 32 000 Menschen und Büroflächen für 25 000 Bisher ist die südöstliche Hälfte des Areals bieten. Im Grundriss gleicht es einem rechtannähernd nach diesem Masterplan bebaut, winkeligen Dreieck, mit der Nordbahnstraße wobei von der geplanten Blockrandidee – abund der parallel zu ihr geführten Schnellbahn gesehen von den unmittelbar an der Lassalle als längster Seite und der Lassallestraße und straße gelegenen Bürohäusern – nur noch der Vorgartenstraße als Katheten. Von diewenig zu spüren ist. Vor allem im Wohnbau sen beiden Straßen her wurde das Gebiet seit haben sich Bautypen durchgesetzt, wie sie den 1990er Jahren in Etappen bebaut, wobei die Wiener Bauträger am liebsten haben: als erste markante Objekte die großen Blocks Zeilen und kompakte freistehende Punktfür IBM und die Bank Austria an der Lassalhäuser, wie Reisekoffer ins Abstandsgrün lestraße entstanden, beide entworfen von platziert, wobei dieses Grün im schlimmsten Wilhelm Holzbauer. Fall mit Maschendrahtzaun von der Straße Der 1994 beschlossene Masterplan für die Bebauung stammt von Boris Podrecca und Heinz Tesar. Er sieht eine Bebauung in einem Raster vor, der an Otto Wagners Plan einer unbegrenzten Großstadt erinnert: hohe Dichte, Baublöcke mit Innenhöfen, breite Alleestraßen und eine gewisse Monumentalität, zu der auch ein quadratisch angelegter Stadtpark im Format von 200 mal 200 Metern beiträgt. Eine parallel zur Schnellbahn und damit diagonal zum Blockraster geführte, nach dem Bürgermeister Bruno Marek benannte Allee spannt eine Achse Am Horizont die Stadt der Investoren, zum zwei Kilometer entfernten Milim Vordergrund die Spuren der ehemaligen lenniumstower auf. Podrecca grüßt Nutzung. 29 sich hier gewissermaßen selbst: Den Foto: Lisa Rastl /Az W
abgetrennt ist. Ein traditioneller Stadtraum, wie ihn Tesar und Podrecca in ihrem Masterplan erträumten, kann so jedenfalls nicht entstehen. Wildnis findet sich heute noch auf dem unbebauten Teil des Areals im Westen und Norden. Und diese Wildnis hat ihre Freunde, auch wenn es sich nicht um Wildnis im landläufigen Sinn handelt, sondern um eine spezielle, von industriellen Spuren durchzogene Kulturlandschaft, die in den letzten Jahrzehnten langsam verwildert ist. Ein mitten in diesem Areal gelegener, denkmalgeschützter alter Wasserturm mit einigen angeschlossenen Lagerhallen ist seit einigen Wochen Schauplatz zahlreicher miteinander verschränkter Aktivitäten, die einen ← 33 pfleglichen Umgang mit dieser Kulturlandschaft zum Ziel haben. Dabei kooperieren universitäre Forscher, Bauträger, Masterplaner und das Architekturzentrum Wien für drei Jahre mit lokalen Initiativen. In einem Forschungs- und Entwicklungsprojekt unter dem Titel „Mischung Nordbahnhof “ sollen Strategien für eine Nutzungsmischung des Stadtteils erarbeiten werden, die vermehrt „von unten“ kommen, durch Beteiligung der jetzigen und zukünftigen Bewohner. In diesem Sinn agieren auch sechs internationale Architekturteams, die von Angelika Fitz und Elke Krasny, den Kuratorinnen des Projekts „Care and Repair“ eingeladen wurden, vor Ort mit lokalen Experten und Nachbarn zu arbeiten und Prototypen für eine andere Planungshaltung zu 30 entwickeln. So hat etwa die belgische
Neuer Masterplan von StudioVlayStreeruwitz mit „Freier Mitte“. Foto: StudioVlayStreeruwitz
Gruppe Rotor Überlegungen zur systematischen Einschleusung von gebrauchten Materialen in den Bauprozess angestellt. Gleichzeitig machten sie die Grenze der zukünftigen Bebauung als weiß gekalkte Linie am Boden sichtbar und legten überwucherte Infrastrukturen frei, um den Wert der vorhandenen Kulturlandschaft zu betonen. Zwei andere Teams arbeiteten mit migrantischen Gruppen aus der Umgebung an der Frage, wie auch sie vom neuen Stadtteil profitieren könnten, von öffentlichen Räumen bis zu wirklich leistbarem Wohnraum. Das klingt romantisch und ist es teilweise auch. Die Vorstellung, Stadtraum achtsam aus vorhandener Substanz heraus zu entwickeln, ist allerdings eine Grundhaltung, die über Romantik hinausgeht. Im konkreten Fall soll sie nicht nur „bottom-up“ durchgesetzt werden, sondern auch „top-down“ durch einen neuen städtebaulichen Masterplan. Für den noch unbebauten Teil des Areals fand 2012 ein weiterer städtebaulicher Wettbewerb statt, den Bernd Vlay und Lina Streeruwitz mit einem Projekt für sich entscheiden konnten, das quasi die Antithese zum Masterplan von Podrecca und Tesar darstellt. Statt eines Blockrasters sieht dieser mit den Landschaftsarchitekten Agence TER entwickelte Plan vor, die Mitte des Areals als Grünraum frei zu halten und dafür an den Rändern dichter und höher zu bauen. Von
fürchtete. Im Rahmen der Bürgerbeteiligung den rund 500 000 m2 Nutzfläche soll ein Fünftel in Gebäuden liegen, die über die bau- hat sich diese Furcht inzwischen als grundlos herausgestellt. Die aktuellen Aktivitäten am rechtlich definierte Hochhausgrenze von 35 Wasserturm geben Hoffnung, dass es mehr m hinausragen. Das verursacht zusätzliche als genug Freiwillige geben wird, um diese Kosten, die aber teilweise durch geringere Wildnis sinnvoll zu nutzen. Aufwände für Straßen und Kanäle kompenAm anderen Ende des Areals ist inzwisiert werden. Der eigentliche Vorteil dieschen der Blockraster weitergewuchert. ser „Freien Mitte“ mit dichter Bebauung am Auch hier gab es einen neuen städtebauliRand besteht aber darin, mehr Leben und chen Wettbewerb, den Boris Podrecca geNutzungsmischung in die Sockelzonen bringen zu können, die durch die Lage am „Cen- wann. Er brachte die Blockränder zeitgeistig zum Schwingen und hob sie teilweise vom tral Park“ besonders attraktiv sind. Das Konzept stellt die Stadt vor neue Her- Boden ab. Eigentlich hätten in der Umsetausforderungen. Nicht zuletzt geht es um die zung mehrere Architekten zum Zug kommen sollen. Der Investor sparte sich die Mühe und Frage, wer die Pflege des Grünraums in der Mitte übernehmen soll. Als Park wäre er dem beauftragte Podrecca mit dem gesamten ProBezirksbudget zuzurechnen. Die von den Ar- jekt. Nur für einen kleinen Bauteil Richtung chitekten geplante Form einer pflegeleichten Praterstern wurde ein eigener Wettbewerb ausgeschrieben. Statt echter Vielfalt gibt es Halbwildnis stieß vorerst bei den Beamten jetzt Fassadenakrobatik. Und eine weitere auf wenig Gegenliebe, nicht zuletzt aus HafGegend in Wien, die man meiden sollte. tungsgründen und weil man Kritik der Bevölkerung an einem „ungepflegten“ Park 1. Juli 2017
Ist das Kunst? Das Londoner Kollektiv assemble zeigt im Az W in seiner ersten Einzelausstellung Arbeiten zwischen den Genres: Architektur? Bildende Kunst? Aktionskunst in Zeitlupe? Oder vielleicht doch eine neue Kunstgattung, deren Name erst erfunden werden muss?
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ollektive sind in der bildenden Kunst eine Seltenheit. Wenn überhaupt, treten sie gerne als Verdoppelungen des individuellen Genies auf, wie Gilbert und George oder EVA & ADELE. Dass ein Kollektiv von 18 Personen einen der renommiertesten Kunstpreise der Welt erhält, den mit 40 000 Pfund dotierten britischen Turner-Preis, der schon an Rachel Whiteread, Anish Kapoor oder Damien Hirst verliehen wurde, war 2015 eine kleine Sensation. Die Preisträger, die als Gruppe unter dem Namen „assemble“ firmieren, sind 31 zum größten Teil Architektinnen und
Architekten, die sich beim Studium an der Universität Cambridge kennengelernt haben. Ihr erstes gemeinsames Projekt war die Umwandlung einer verlassenen Londoner Tankstelle in ein Sommerkino im Jahr 2010. Dafür brauchte es nicht viel: eine bestehende Stahlkonstruktion mit vier Stützen, eine steile Tribüne, die darunter errichtet wurde, eine herabrollbare Leinwand und rundherum Vorhänge aus dünnen Folien, die gerafft an die Filmpaläste der 1930er-Jahre erinnerten. Sie konnten nach der Filmvorführung nach oben gezogen werden, um aus der Tankstelle eine Party-Location zu machen. Auf die große Zeit des Films bezog sich auch eine neu auf dem Dach angebrachte Leuchtschrift mit dem Namen dieses flüchtigen
Filmpalasts, „The Cineroleum“. Dieses Projekt entstand in Zusammenarbeit mit über hundert Freiwilligen aus der Umgebung, die gemeinsam mit assemble die Konstruktion entwickelten, Vorhänge nähten und intarsierte Kleinmöbeln für die Kinokasse bauten, die einen eigenartigen Kontrast zu den sägerauen Sitzbänken im „Kinosaal“ bildeten. Den Turner-Preis gewannen assemble für ein Projekt, an dem sie bis heute arbeiten, der Unterstützung eines Community Land Trusts, der sich seit über 20 Jahren mit der Erhaltung und Revitalisierung einer Reihenhausanlage in Liverpool beschäftigt. Die vier kleinen Straßen des „Granby Four Streets“-Projekts sind die letzten verbliebenen Teile einer Viktorianischen Bebauung. Während die neu errichteten Reihenhauszeilen rundherum wie leblose Fabriksprodukte wirken, sind die alten Straßen von Alleebäumen gesäumt und wirken durch Zubauten und Patina lebendig und individuell. Das klingt sentimental und würde sich auch darauf beschränken, wenn es assemble ist nicht gelungen wäre, diesen sentimentalen Impuls in handfeste Aktionen umzusetzen. Sie erarbeiteten mit den Bewohnern ein Konzept für eine schrittweise Sanierung der Häuser und des öffentlichen Raums, planten einen Wintergarten in eine der Baulücken und eröffneten eine Werkstatt, in der sie Elemente für die Sanierung produzierten, die auch 32 in Kleinserien aufgelegt und zum
Wände aus Sandsäcken, die mit Abbruchmaterial gefüllt sind: Tonstudio für OTO-Projects. Foto: assemble
Verkauf angeboten werden. Mit dem Geld aus dem Turner-Preis bauten assemble diese Werkstatt zu einem kleinen Unternehmen aus, das auch lokal Arbeit schafft. Im Architekturzentrum Wien sind diese und andere Projekte in Videos, Modellen und in vielen Fällen 1:1 Details ausgestellt. Darunter findet sich auch ein kleines Tonstudio für OTO-Projects, eine Art Urhütte, deren dicke Wände aus Sandsäcken bestehen, die mit vor Ort verfügbarem Abbruchmaterial gefüllt sind. Außen sind diese Säcke mit einem rauen Putz aus demselben Material verkleidet. Das Dach ist eine einfache Holzkonstruktion. Ein weiteres Projekt, das Yardhouse, ist die eigene Werkstatt von assemble in einem Hinterhof. Die schlichte Fassade besteht aus rautenförmigen Kacheln, die auf den ersten Blick wie Eternit aussehen, aber aufwendig in Handarbeit hergestellte Einzelstücke sind. In der Ausstellung ist ein Teil der Fassade 1:1 zu sehen, kein Modell, sondern das Original: Das Yardhouse wird gerade an einen anderen Ort übersiedelt, und ein kleiner Teil reist zwischendurch nach Wien. Dass diese Architektur nicht ewig halten möchte, ist offensichtlich. Assemble produzieren Aktionskunst in Zeitlupe, ein Architekturtheater mit Laienschauspielern, das sie äußerst professionell inszenieren und dokumentieren. Dass sie dafür den
Turner-Preis erhalten haben, ist konsequent. Die Kunstwelt war dennoch einigermaßen irritiert: Der Aufschrei, ob so etwas denn noch Kunst sei, kam diesmal nicht wie üblich vom bürgerlichen Publikum, sondern aus der Szene selbst. Ob die Irritation auch über das Kunstfeld hinaus wirken kann, bleibt abzuwarten. Im Hof des Az W ist eine Ziegel- und Holzkonstruktion zu sehen, die von Architekturstudierenden der TU Wien, wo zwei Mitglieder der Gruppe ein Jahr lang als Gastprofessoren tätig waren, konzipiert und errichtet wurde. Im Zentrum befindet sich ein Keramikbrennofen, der während der Ausstellung vom Publikum benutzt werden kann. Gemeint ist das, so assemble, als Referenz auf die Ziegelstadt Wien und als Aufforderung, die Gestaltung der persönlichen Lebenswelt nicht der Industrie zu überlassen. Für diesen Anspruch braucht es in IKEA-Zeiten wahrscheinlich einen radikaleren Impuls. Den können Interessenten sich in den nächsten Monaten auf dem Areal des Nordbahnhofs in einer alten Lagerhalle holen, die im Rahmen des Forschungs- und Entwicklungsprojekts „Mischung Nordbahnhof “ der Abteilung für Wohnbau der TU Wien gemeinsam mit dem Az W und der Vienna Biennale genutzt wird. Die
„Nordbahnhalle“ liegt im Zentrum eines Areals, auf dem in den nächsten Jahren tausende Wohnungen entstehen werden. Die Halle soll schon im Vorfeld für Nutzungsmischung sorgen und wird derzeit vom design. build studio der TU Wien unter der Leitung von Peter Fattinger mit Studierenden im Selbstbau adaptiert. Sie bietet Co-Working Spaces, Co-Making Werkstätten, Veranstaltungsräume sowie ein Info-Center der Stadt Wien für den neuen Stadtteil. Angelika Fitz, die neue Direktorin des Az W, hat mit Elke Krasny von der Akademie der Bildenden Künste ein Programm entwickelt, das im Juli mit einer Reihe von Veranstaltungen in der Nordbahnhalle beginnt. Unter dem Titel „Care and Repair“ bietet es die Möglichkeit, die Ansätze aus der Ausstellung im Az W weiter- und vielleicht querzudenken. Sechs international tätige Architekturbüros sollen dabei in Zusammenarbeit mit lokalen Akteuren Prototypen für einen sorgsamen Umgang mit dem Ort und seinen jetzigen und zukünftigen, menschlichen und tierischen Bewohnern erarbeiten. Daraus soll im Lauf der nächsten Jahre eine wachsende Ausstellung entstehen. Wenn die Bagger kommen, um das Areal zu planieren, soll klar sein, dass sie nicht die ersten sind, die diesen Ort gestalten.
3. Juni 2017
Bauen wie die Tiger Architektur, die nur das „Vorwärts!“ kennt, ist in Europa selten geworden. Delugan Meissl durften in Seoul ein herausragendes Exemplar dieser Spezies errichten. Aber ist es repräsentativ für die aktuelle Entwicklung der Architektur?
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enn in 100 Jahren die Architekturgeschichte des 21. Jahrhunderts geschrieben ist, wird sie mit einem
seltsamen Phänomen beginnen. Neben den zahlreichen Kunstmuseen, die nach dem Modell des Guggenheim Bilbao weltweit
errichtet wurden, finden sich spektakuläre, von großen Automobilkonzernen beauftragte Gebäude und Anlagen mit ähnlich hohem architektonischem Anspruch. Einige nennen sich „Welt“, wie die BMW-Welt in München, andere „Stadt“, wie die Autostadt von VW in Wolfsburg, wieder andere bezeichnen sich als „Museum“, wie Mercedes und Porsche in Stuttgart. Museen haben ihre Wurzeln im Sakralbau, und so sind auch die neuen Autohäuser Kultstätten, zu denen Millionen ihren Weg finden: Das Mercedes-Museum ist das mit Abstand meistbesuchte Museum Stuttgarts. Die Budgets, die zur Errichtung dieser Häuser zur Verfügung standen, waren enorm, und sie verhalfen zu Beginn des Jahrhunderts einer Architektur zum Durchbruch, die von komplexen Geometrien und spektakulären Spannweiten und Auskragungen geprägt war. Ihre Hauptfunktion bestand darin, Eindruck zu machen. Es wäre verwunderlich, hätte sich das Rennen um die beste automobile Kultstätte auf die großen deutschen Hersteller beschränkt. 2011 schrieb der Hyundai-Konzern, zu dem auch Kia gehört, für die Marke Hyundai einen Wettbewerb aus, der zwei Aufgaben umfasste: den Entwurf eines Flagship-Centers analog zu den deutschen Beispielen sowie ein Konzept für ein einheitliches Erscheinungsbild aller weltweiten Vertriebs- und Servicestellen der Marke. Den Wettbewerb konnte das Wiener Büro DMAA/Delugan Meissl Associated Architects für sich entscheiden, 34 von dem auch der Entwurf für das
Shaped Sky: das Hyundai Motorstudio Goyang in der Seitenansicht … Foto: Katsuhisa Kida
Porsche-Museum in Stuttgart/Zuffenhausen stammt. Die Direktoren von Hyundai hatten DMAA zum Wettbewerb geladen, weil sie nach einem Besuch in Zuffenhausen das Gefühl hatten, besser zu verstehen, was einen Porsche ausmacht. Für ihr eigenes Gebäude in Goyang, einer Satellitenstadt von Seoul, hatten sie allerdings eine Vorgabe, die sich deutlich vom deutschen Vorbild unterschied: Es sollte auf keinen Fall ein „Museum“ werden, sondern ausschließlich der Gegenwart und der Zukunft gewidmet sein. Dieser radikale Blick nach vorn wird verständlich, wenn man einige Kennzahlen der Stadtentwicklung Seouls betrachtet. Die Stadtregion hat inklusive mehrerer Satellitenstädte rund 24 Millionen Einwohner. Unter den Stadtregionen der Welt nimmt Seoul nach Tokio, New York und Los Angeles mit einem Bruttoregionalprodukt von 850 Billionen Dollar den vierten Platz ein. Das Regionalprodukt pro Kopf reicht an jenes Frankreichs oder Finnlands heran. Das Leben im Zentrum Seouls ist so teuer geworden, dass dort die Bevölkerungszahl zugunsten der Satellitenstädte leicht abnimmt. Dazu trägt auch ein U-Bahnsystem bei, das mit über 330 Kilometer Länge zu den größten der Welt gehört. Das Konzept von DMAA erzählt eine Geschichte, die ohne Bezüge zu einem konkreten Ort oder einer historischen Vergangenheit auskommt. Es arbeitet mit drei Begriffen, die räumliche Situationen
… und als künstlicher Berg im Häusermeer von Seoul.
Das Beste aus Europa: Sanierung des Kleiburg-Komplexes in Amsterdam.
Foto: Katsuhisa Kida
Foto: Marcel van der Burg
Europa scheint sich von dieser Architekandeuten: Landscape, Vertical Green und tur weitgehend verabschiedet zu haben. Vor Shaped Sky. Eine künstliche Landschaft aus wenigen Tagen wurden die Preisträger des gestaffelten Podien bildet die Basis, darüber liegt ein gestalteter Himmel, und dazwi- aktuellen Mies van der Rohe Preises bekannt gegeben, des alle zwei Jahre verliehenen Arschen wachsen vertikale Grünräume. Diese chitekturpreises der EU. Der Hauptpreis ging Erzählung funktioniert gut für kleine Showan NLarchitects für die Sanierung der Wohnrooms, wo DMAA ein System aus polygonahausanlage Kleiburg in Amsterdam aus den len Podien, einer gestaffelten glänzenden Decke und Grünpflanzen vorschlagen. Spek- frühen 1970er-Jahren, einen 400 Meter langen Bau mit elf Stockwerken und Laubentakulär wird sie im Maßstab von 65 000 gängen, der Teil einer viel größeren, auf Quadratmetern in Goyang, wo unter dem einem hexagonalen Raster aufgebauten Saschwebenden Dach ein multiperspektivitellitenstadt war. Statt diesen Dinosaurier scher Raum entsteht, der durch Spiegelflächen zusätzliche Dynamik bekommt. Wie im des sozialen Wohnbaus abzureißen oder gestalterisch zu differenzieren, setzten NLarPorsche-Museum oder bei ihrem Filmmuchitects darauf, das ursprüngliche Konzept seum im Amsterdam begnügen sich DMAA zu rekonstruieren, technisch zu sanieren und aber nicht damit, die Besucher zu beeindie Wohnflächen durch Zusammenlegung drucken. Der Raum zwischen Himmel und Erde ist gut gestaltet und proportioniert, und zu vergrößern. Die Wohnungen wurden im Rohbauzustand zum Selbstausbau vergeben. er kennt neben dem großen Maßstab auch Eine Moderne der endlosen Wiederholung intimere Situationen. Der leicht konische trifft hier auf die Bricolage im Kleinen, auf Turm mit Büros blickt wie ein Berg auf eine eine Individualisierung, die keine ArchitekTerrasse hinunter, die in das Dach eingeten braucht. schnitten ist und Mitarbeitern und RestauDer Preis für die beste Arbeit eines junrantbesuchern einen Rückzugsraum bietet. gen Büros ging ebenso an einen sozialen Das Vertical Green wächst als Bambushain Wohnbau, ein kleines fünfgeschossiges Haus in mehreren Lichthöfen. mit fünf Wohnungen bei Brüssel. Das Büro Wie die Architekturgeschichte des 21. Jahrhunderts über diese Art von Architektur MSA verpasste dem kleinen Turm eine leicht geschwungene Fassade aus weißen Klinurteilen wird, ist noch nicht abzusehen. In Tigerstaaten wie Singapur, Taiwan und Süd- kern, mit der es aus seiner Umgebung herkorea wird die Nachfrage nach ihr hoch blei- ausleuchtet. Das Besondere an dem Projekt ist das komplexe Erschließungssystem mit ben. Wer in erster Linie an die unmittelbare Split-Level- und Duplex-Wohnungen. Auf Zukunft denkt und Erfolg mit Wirtschaftswachstum gleichsetzt, wird immer nach star- einen Lift wurde, um Kosten zu sparen, verken Formen suchen, um seinem Optimismus zichtet. Die Bewohner, so die Architekten, würden das gar nicht bemerken, da die architektonisch Ausdruck zu verleihen. Ein atombombenbauendes Brudervolk in Treppe so abwechslungsreich gestaltet sei. unmittelbarer Nachbarschaft ist dabei Der Glaube an Wunder, die Architektur voll35 bringen kann, ist offenbar ungebrochen. wohl ein zusätzlicher Ansporn.
13. Mai 2017
Das Glück, Vorarlberg zu bauen Vom regionalen Phänomen zu einem international beachteten: Baukultur aus Vorarlberg, dessen Architekturinstitut heuer seinen 20. Geburtstag feiert.
Ueber das Glück, in Vorarlberg zu wohnen“, so hieß die Eröffnungs ausstellung des Vorarlberger Architektur Instituts, das vor 20 Jahren gegründet wurde. Begleitet wurde sie von einem Buch, das eine fotografische Dokumentation Vorarlberger Lebenswelten von Schruns bis Lochau mit Interviews kombinierte, in denen Menschen über ihre Erfahrungen mit Architektur sprachen. Architektur nicht als hohe Kunst, sondern vom Alltag her zu denken: Das war seit den 1980er-Jahren das Motto der Vorarlberger Architekturszene. Die Baukultur in Vorarlberg hat eine große, vom Handwerk getragene Tradition. Es gibt ein Grundvertrauen zwischen Bauherren, Planern und Ausführenden. Sie bilden ein Netzwerk, dem das Kunststück gelungen ist, nicht selbstgefällig zu werden, sondern sich über die Jahrzehnte immer wieder selbst herauszufordern. In den 1980er-Jahren kam diese Irritation von einer Gruppe junger Architekten, die sich „Vorarlberger Baukünstler“ nannten. Ihre Vorbilder fand sie bei Architekten wie Hans Purin und Rudolf Wäger, die schon in den 1960er- und 1970er-Jahren exemplarische, von der Moderne im Sinne Roland Rainers inspirierte Projekte realisiert hatten. Ihre „Baukunst“ war radikal von den Nutzern hergedacht. Sie experimentierten mit neuen Formen des Zusammenwohnens und forderten mit ihren kostengünstigen, nicht für die Ewigkeit gedachten Konstruktionen auch das Handwerk heraus. Auf dieser Grundlage konnte sich die Vorarlberger Baukultur in die Breite entwickeln, nicht zuletzt durch eine von Roland Gnaiger und Bruno Spagolla betreute Sendung im Regionalfernsehen, die unter dem Titel „Plus-Minus“ gute und schlechte 36 Beispiele präsentierte. Der Auftrag
für diese Reihe ging direkt vom Generalintendanten Gerd Bacher an alle ORF-Landesstudios. Nur in Vorarlberg überlebte die Sendung und brachte es in Summe auf 151 Beiträge. Wer das Land Mitte der 1990erJahre besuchte, konnte die Veränderung nicht übersehen: Vom Wohnhaus bis zum Industriebau erreichte die Architektur nicht nur in Einzelfällen ein neues Niveau. Trotz dieses Erfolgs war Vorarlberg das letzte österreichische Bundesland, das ein „Haus der Architektur“ einrichtete, wie es etwa die Steiermark mit dem Haus der Architektur Graz bereits 1988 getan hatte. Das hatte seinen Grund gerade in diesem Erfolg: Wozu braucht man eine Einrichtung zur Architekturvermittlung, wenn alles sowieso gut läuft? Die Initiative für das Vorarlberger Architektur Institut ging schließlich von einer Gruppe von Mitgliedern der Zentralvereinigung der Architekten aus, die ahnten, dass sich die Vorarlberger Architektur von einem regionalen Phänomen zu einem weltweit beachteten entwickeln könnte. Im Begriff des „Instituts“ verbirgt sich – neben der Vermittlung – auch der Auftrag zur Dokumentation und Selbstreflexion. Für beides kommt dem VAI in einem Bundesland ohne eigene Universität eine besondere Rolle zu. Den Anspruch, mit internationaler Strahlkraft über die eigene Position nachzudenken, erfüllte das VAI 2003 mit der von Otto Kapfinger kuratierten Ausstellung „Konstruktive Provokation: Neues Bauen in Vorarlberg“. Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit dem „Institut français d’architecture“ in Paris, wo Marie-Hélène Contal ihren französischen Landsleuten die Vorarlberger Architektur vor allem in ihrer ökologischen Dimension präsentieren wollte. Nachhaltig ist jedenfalls das Interesse des französischen
Protest und Dialog: Stadtspaziergang der Bürgerinitiative See-und-Stadt-und-Bregenz. Publikums, das überproportional zum ArFoto: seeundstadtundbregenz chitekturtourismus beiträgt, der sich inzwiParzelle mit einer Grundfläche von 200 mal schen als eigener Sektor des Tourismus im 50 Meter auf dem ehemaligen BahnhofsvorLand etabliert hat. Unter seiner Direktorin Verena Konrad ist platz, die derzeit als Großparkplatz genutzt wird. Ihre Längsseite liegt parallel zum Seedas Institut heute die zentrale Drehscheibe ufer, wird von diesem aber durch die Bahn für Information und Diskussion über Archigetrennt, die hier im Bahnhofsbereich fünftektur in Vorarlberg. Kein anderes Archigleisig geführt ist. Ein beschrankter Bahntekturhaus in Österreich erhält so viel an übergang, wie er etwas weiter stadteinwärts, privaten Spenden – vor allem aus der Industrie, die weiß, dass eine anspruchsvolle Bau- wo die Bahn nur zweigleisig geführt ist, eine kultur Voraussetzung für die Nachfrage nach Verbindung zwischen Stadt und Seepark anhochwertigen Produkten und Dienstleistun- bietet, lässt sich hier nicht realisieren. Der Wettbewerb für das Areal 2010 war gen ist. Zum 20-Jahr-Jubiläum lud das VAI darauf angelegt, eine kleinteilige Anmuzu einem Festvortrag des Schweizers Köbi tung herzustellen, wie sie stadteinwärts bei Gantenbein, Chefredakteur der Zeitschrift Kunsthaus, Landestheater und Landesmu„Hochparterre“, der dem VAI empfahl, die Woche neu einzuteilen. Von Montag bis Frei- seum zu finden ist. Um Vielfalt zu garantieren, lud man fünf Dreierteams, die aus tag das Loblied auf die Vorarlberger Architektur zu singen – und an den Wochenenden mehr und weniger berühmten, auch internationalen Architekten gemischt waren. der Kritik freien Lauf zu lassen: am konventionellen Wohnbau, an der Zersiedelung, an Rückblickend hat nur das Team aus David der behäbigen Routine, die es natürlich auch Chipperfield, Baumschlager Eberle und Diener.Diener mit einer fast monumentalen in Vorarlberg gibt. Bebauung den Ort verstanden. Das der AusDas umstrittenste Projekt im Land ist schreibung entsprechende, kleinteilige Siederzeit die sogenannte Seestadt Bregenz, gerprojekt von Aicher, Ludescher-Lutz und bei der die Verwirrung schon mit dem Namen beginnt. Es handelt sich um kein Zechner-Zechner ist in der Weiterbearbeitung zur Camouflage einer Shoppingmall mit Stadtquartier, sondern um eine grö37 ßere, von einer Querstraße unterteilte Luxuswohnungen verkommen.
Obwohl die Widmung fix und die Baubewilligung weitgehend erteilt ist, wurde das Projekt vor wenigen Wochen gestoppt. Nachdem der Letztstand der Pläne bekannt geworden war, hatte sich 2016 eine Bürgerinitiative formiert, die von der Architektenschaft des Landes und von Kulturschaffenden unterstützt wurde. Sie organisierte Stadtspaziergänge, die das Areal im Kontext bewusst machen sollten, und kritisierte nicht nur die schwache Architektur, sondern auch die monofunktionale Nutzung.
Dass zudem die Wirtschaftlichkeit des Projekts durch Fundierungsprobleme für das zweite Garagengeschoß unsicher ist, hat die Entscheidung von Stadt und Projektentwickler Prisma erleichtert, das Projekt nochmals von Grund auf neu zu denken. Der Unterschied zu Wien, modellhaft sichtbar am ähnlich gelagerten HeumarktProjekt? Vorarlberger Politiker stellen Sachpolitik vor Machtpolitik. Und sie haben offenbar noch nicht verlernt, zuzuhören und Fehler einzugestehen.
8. April 2017
ImTurm der Paragrafen Zum Glück muss man das Bundesvergabegesetz nicht kennen, um Architektur zu genießen: eine trockene Materie, aber mit großem Einfluss auf die Baukultur.
B
aukultur entsteht, wenn gute Bauherren und gute Architektinnen und Architekten zueinander finden. Dafür gibt es viele Wege, vom Direktauftrag bis zum Architekturwettbewerb in seinen unterschiedlichen Formen. Private Bauherren haben hier Wahlfreiheit. Öffentliche Bauherren, die mit Steuergeld bezahlen, unterliegen dabei zahlreichen Spielregeln, die in den vergangenen Jahrzehnten immer komplexer geworden sind. Seit 1993 gibt es in Österreich ein Bundesvergabegesetz (BVergG), das für öffentliche Vergaben jeder Art Fairness und Transparenz herstellen soll. Das Gesetz schreibt vor, alle öffentlichen Aufträge in der EU ab bestimmten Schwellenwerten europaweit auszuschreiben. Allein damit hat es durch Stärkung des Wettbewerbs einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Europas geleistet. Niemand 38 sollte Zeiten nachtrauern, in denen
mächtige Bautenminister Planungs- und Bauaufträge direkt an Partei- und sonstige Freunde vergeben konnten. Das widersprach zwar auch damals den geltenden Ö-Normen, aber erst die Europäische Union und ihr Gerichtshof haben den Rahmen geschaffen, in dem solche nationale Korruption deutlich erschwert ist. Das Gesetz ist in weiten Teilen eine Übersetzung von Richtlinien der EU in österreichisches Recht, die nach jeder Revision auf EU-Ebene nachvollzogen werden muss. Solche großen Revisionen ergaben sich annähernd im Rhythmus von zehn Jahren, zuletzt 2004 mit einer Frist zur Umsetzung in nationales Recht bis 2006 und aktuell 2014 mit Frist bis 2016. Während Deutschland diese Frist einhielt, liegt das Gesetz in Österreich erst jetzt, mit gut einem Jahr Verspätung, zur Begutachtung im Parlament. Der Hintergrund ist ein Politikum: Zu Beginn des Jahres 2016 wurde eine Novelle des Gesetzes vorgezogen, die sich gegen Sozialdumping richtete
und unter anderem eine Verpflichtung zum Bestbieterprinzip – also der Vergabe nach Qualitätskriterien und nicht nur nach dem Preis – bei Bauaufträgen ab einer Million Euro einführte. Die Gesamtrevision quasi parallel dazu rechtzeitig umzusetzen war legistisch nicht zu bewältigen. Unter anderem regelt das Bundesvergabegesetz die Vergabe von sogenannten „geistigen Leistungen“, zu denen auch Architektur- und Planungsaufträge zählen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht zwingend zum selben Ergebnis führen: Bei gleicher Ziel- und Aufgabenbeschreibung können, wie jeder Architekturwettbewerb zeigt, höchst unterschiedliche Lösungen entstehen. Die Sprache des Gesetzes hat sich in diesem Punkt über die Jahre subtil verändert: War ursprünglich von „geistig-schöpferischen Leistungen“ die Rede, womit der Aspekt der „Kreativität“ impliziert war, ist im aktuellen Gesetzesvorschlag nur noch von „geistiger Leistung“ die Rede, bei der es noch dazu eine subtile Differenzierung gibt, und zwar in geistige Leistungen, die „konzeptionelle oder innovative Lösungen“ erfordern, und solche, die das nicht tun. Für Letztere ist es mit dem neuen Gesetz zulässig, als einziges Zuschlagskriterium den Preis der Leistung zu verwenden. Darunter kann etwa eine routinemäßige statische Berechnung oder eine Vermessung fallen, bei denen Ziele und Methoden klar beschrieben werden können. Auch die örtliche Bauaufsicht wird von manchen Juristen in diese Kategorie gezählt werden, obwohl gerade hier die Kompetenz gefragt ist, unvorhersehbare Herausforderungen zu bewältigen. Mittelfristig hat die neue Regelung allerdings auch eine gewisse Sprengkraft für die Planung generell. Wie kreativ ist ein Planer noch, dessen CAD-System auch komplexere Aufgaben auf Knopfdruck erledigt? Man kann darauf vertrauen, dass jeder Architekturauftrag eine ganzheitliche und derart hochkomplexe Leistung verlangt, dass eine Automatisierung nicht möglich ist. Trotzdem: Die neue Formulierung öffnet ein Stück weit die Tür zu einer Welt, in der Auftraggeber auch bei geistigen Leistungen bewusst eine nicht innovative Lösung bestellen, für deren Planung sie dem Billigstbieter den Zuschlag erteilen können. Zudem könnte eine zweite Neuregelung problematische Seiteneffekte haben. Während bis39 her das „technisch und wirtschaftlich
günstigste“ Anbot aufgrund vorab definierter Zuschlagskriterien zu wählen war, ist in Zukunft eine Alternative zulässig, nämlich die Vergabe aufgrund der erwarteten Lebenszykluskosten in Kombination mit den Kosten der Planungsleistung. Die Lebenszykluskosten bei der Bewertung zu berücksichtigen ist grundsätzlich vernünftig: Die Kosten für den Auftraggeber bestehen ja nicht nur in den Errichtungskosten, sondern in den Kosten für Energie, Wartung, Erneuerung und gegebenenfalls der Entsorgung. Die Regelung bietet allerdings die Möglichkeit, geistige Leistungen rein auf der Basis monetärer Kriterien zu vergeben, selbst wenn das Gesetz das Bestbieterprinzip verlangt. Eine besondere Bedeutung für die Baukultur hat das BVergG insofern, als es die Grundlagen für Architekturwettbewerbe im öffentlichen Sektor formuliert. Architekturwettbewerbe liefern einen Gewinner, der das Recht erwirbt, mit dem Auftraggeber in ein Verhandlungsverfahren einzutreten. Sie sind immer noch der beste Weg zur Qualität, solange die Souveränität und Professionalität der Jury gesichert sind. Das Gesetz sieht allerdings ebenso Varianten des Verhandlungsverfahrens vor, die man mit dem Architekturwettbewerb verwechseln könnte, nämlich die „Innovationspartnerschaft“ und den „wettbewerblichen Dialog“. Gedacht ist Letzterer für komplexe neue Aufgaben wie zum Beispiel die Ausschreibung eines fahrerlosen Transportsystems, bei denen technische Spezifikationen im parallelen Dialog mit mehreren Bietern erst erarbeitet werden müssen. Dieses Instrument als Ersatz für städtebauliche Ideenwettbewerbe einzusetzen, wie das in Wien diskutiert wird, ist problematisch. Es verlagert die Formulierung der Aufgabe ins Verfahren selbst und öffnet dabei Tür und Tor für den Einfluss von Partikularinteressen. Die zentrale Rolle kommt hier den Verfahrensorganisatoren und Prozessbegleitern zu, deren Kompetenz in Gestaltungsfragen aber meist nicht ausreicht, um den Vorrang des Stadtraums gegen diese Interessen zu verteidigen. Zum Glück kann man Architektur auch ohne Kenntnis der 384 Paragrafen dieses Gesetzes genießen. Um Architektur zu schaffen, muss man heute, jedenfalls im öffentlichen Bereich, zumindest die Grundlagen dieser hochkomplexen juristischen Materie verstehen.
Im Parlament warten derzeit auch ein fachere Gesetze auf ihre Beschlussfassung, etwa das „Bundesgesetz zur Förderung von kommunalen Investitionen 2017“, mit dem 175 Millionen Euro zusätzlich für Modernisierung der Infrastruktur, in erster Linie für Kindergärten, Schulen und Heime, an die Gemeinden ausgeschüttet werden. Diese Wirt-
schaftsförderung geht direkt vom Finanz inisterium an die Kommunen. Die Gelegen m heit, die Auszahlung dieser Gelder an Kriterien zu binden, die die Baukultur verbessern, etwa die Durchführung von Wettbewerben oder Vorrang für Investitionen in bestehenden Ortskernen, scheint der Gesetzgeber wieder ungenutzt vorbeigehen zu lassen.
12. März 2017
Licht von allen Seiten Gelungener Umgang mit einem schwierigen Denkmal: Aus der Pestalozzi-Hauptschule im steirischen Leoben-Donawitz entstand das Bildungszentrum Pestalozzi. Dem Umbau, verantwortet vom Büro Nonconform und dem Architekten Michael Zinner, ging eine gemeinschaftliche Ideenwerkstatt voraus.
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in unsympathisches Haus: Vor zwei Jahren habe ich die Pestalozzi-Schule erstmals besucht, kurz vor dem Umbau, und viel mehr als dieses Urteil ist mir nicht in Erinnerung geblieben. Stilistisch ist dieses Bauwerk schwer einzuordnen. Einige sezessionistische Elemente können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Grunde ein klassischer, dezent monumentaler Nutzbau aus den späten Jahren der k. u. k. Monarchie sein möchte. Das planerische Niveau dieser Zeit wird hier aber bei Weitem nicht erreicht. Dazu ist das Haus im Grundriss zu verwinkelt, in der Ornamentik unbeholfen, und dem Mittelrisalit fehlt zur Symmetrie so eindeutig eine Fensterachse, dass es beim längeren Hinsehen wehtut. Trotzdem war das Gebäude zu seiner Errichtungszeit in den Jahren 1921 bis 1927 ein Statement. Die Gemeinde Donawitz bekannte sich dazu, auch in den harten Zeiten nach dem Ersten Weltkrieg Geld in Bildung zu investieren. Dass sie 40 die Schule genau an die Grenze zu
Bildungszentrum Pestalozzi, Leoben-Donawitz: das neue, helle Herz der Schule. Foto: Kurt Hoerbst
Spielterrasse und große Gartentreppe in den ersten Stock. Fotos: Kurt Hoerbst
Ins Haus geht’s durch den Keller: Straßenfassade mit Treppe und Rampe zu den Zentralgarderoben im ersten Untergeschoß.
Leoben setzte, war kein Zufall: Damals noch zuvor in einem kleineren Gebäude mit eigeeigenständig, wollte sich Donawitz gegennem Garten untergebracht gewesen. Ihr die über dem Nachbarn profilieren. Dabei dürfte Übersiedlung hierher nur mit ökonomischen sich die Gemeinde übernommen haben: Sachzwängen der Gemeinde zu erklären, Nicht zuletzt die hohen Kosten des Schulwäre eine Zumutung gewesen. Die Heraushauses trieben Donawitz in einen Bankrott, forderung war, aus der Sanierung einen so der schließlich zur Gemeindezusammenlesubstanziellen Umbau zu machen, dass die gung mit Leoben führte. Nutzer die Übersiedlung als Verbesserung Der Denkmalschutz für dieses Gebäude ihrer Situation empfinden konnten. hat also durchaus Berechtigung. Er begrünVoraussetzung dafür war ein umfassendet sich in einem zumindest auffälligen der Beteiligungsprozess, für den die GeKunstwollen und der sozialgeschichtlichen meinde das Büro Nonconform – bekannt Bedeutung. Für eine Umnutzung stellt er unter anderem für die Auslobung des Landaber eine große Herausforderung dar, nicht luft-Gemeindepreises – und den Architekten zuletzt weil zu den schützenswerten BeMichael Zinner engagierte, der Architektur sonderheiten graue Terrazzo-Böden und und Schulbau sowohl an der Kunstuniversi-wände zählen, die dem Haus im Inneren tät in Linz als auch an pädagogischen Hochden Charme eines Industriebaus verleihen. schulen lehrt. Das Beteiligungsformat, das Die Attraktivität des Gebäudes spielte Nonconform für solche Fälle entwickelt hat, in diesem Fall aber eine besondere Rolle, nennt sich „Ideenwerkstatt“ und erklärt sich sollten doch hier nach der Sanierung drei am besten aus seinem Slogan: „In drei Taverschiedene Schulen zusammengelegt wer- gen ist alles anders.“ den: die bestehende Hauptschule als Neue In der Ideenwerkstatt, die 2014 stattMittelschule, eine Volksschule mit angeglie- fand, erfanden Lehrer, Schüler und Gemeinderten sonderpädagogischen Klassen sowie demitarbeiter das Projekt unter Anleitung eine Polytechnische Schule. Um Kosten zu eines achtköpfigen Teams neu, und zwar sparen, entschied sich die Gemeinde dafür, so radikal, dass am Ende die interessannicht alle drei Standorte zu sanieren, sonteste Sanierung eines denkmalgeschützdern nur den größten, der genügend Fläche ten Schulhauses, die es in Österreich in den für alle drei Schulen aufzuweisen hatte. letzten Jahren gegeben hat, entstand. Die Die ersten, mit dem Denkmalamt abgeAnalyse des Istzustands erbrachte ein erstimmten Pläne für eine Sanierung existier- wartungsgemäß kritisches Ergebnis. Die ten bereits. Sie sahen neue Fenster, bessere Schule hätte ein „dunkles Herz“: Der Punkt, Wärmedämmung und eine Verbesserung an dem alle Schülerströme zusammenlaudes Standards der Klassenräume vor. Die fen, sei eng und schlecht belichtet. Sie hätte Baudirektion von Leoben erkannte aber in „tote Enden ohne Durchblick“: Das labyGesprächen mit den zukünftigen Nutzern, rinthische Erschließungssystem erzeuge dass dieser Umbau sich nicht auf eine nicht nur für kleinere Kinder Angsträume Sanierung der Oberflächen beschrän- ohne Ausblick. Und schließlich wurden 41 ken durfte. Die Volksschule war die „leeren Gänge“ kritisiert, die mit ihren
Terrazzo-Oberflächen als reine Verkehrswege ohne Aufenthaltsqualität wirkten. Zusätzlich fehlte es der Schule an Nutzflächen für eine Bibliothek und eine Mensa. In der Ideenwerkstatt entstanden über 1000 Vorschläge, nicht nur als Text, sondern auch in zahlreichen Skizzen, die von den Architekten mit den Nutzern erstellt wurden. In drei Tagen kann zwar kein fertiges Projekt entstehen, aber sehr wohl ein Leitbild und zahlreiche einzelne Ideen, die dann in die weitere Planung integriert werden können. Bereits in der Ideenwerkstatt war klar, dass die Schule ein neues Herz bekommen sollte, mit Licht aus allen Richtungen. Vor aussetzung dafür waren zahlreiche horizontale und vertikale Durchbrüche im zentralen Gebäudeteil, die das Denkmalamt in Abwägung von Erhaltungs- und Nutzerinteressen klar im Interesse der Nutzer bewilligte. Im ersten Obergeschoß liegen hier alle drei Direktionen nebeneinander, über raumhohe Glaswände für alle Vorübergehenden einsichtig. Transparenz gibt es auch zwischen Gang und Klasse, aufgrund der dicken Ziegelmauern nicht raumhoch, sondern als kreisrunde Tunnels ausgeführt, mit 80 Zentimeter Durchmesser gerade so groß, dass es sich kleinere Kinder in den „Tunnelportalen“, die in den Gang
hinausragen, bequem machen können. Alle Klassenräume sind als „Tandemklassen“ ausgeführt: Jeweils zwei sind miteinander verbunden, unspektakulär über zwei Türen, aber ausreichend zur gemeinsamen Gestaltung des Schulalltags ohne Umweg über den Gang. Bibliothek und Mensa bekamen einen Zubau in einem der Höfe, mit Spielterrasse im ersten Stock und einer großen Gartentreppe. Diese Sanierung eines schwierigen Baudenkmals ist der aktuelle Benchmark, an dem sich andere messen sollten. Nicht alles wird man unhinterfragt lassen: Ist der Zugang zu den Zentralgarderoben im Keller über massiv geratene Rampenbauwerke vor der Schule wirklich die beste Lösung? Musste man die alten Eingänge sperren, nur weil sie nicht mehr barrierefrei sind, und allen Besuchern den Umweg durch den Hof zumuten? Hätte man – statt die Fassade mit einem einheitlichen Beige zu malen – deren ursprüngliche Polychromie nicht doch aufnehmen sollen, selbst wenn die originalen Farbtöne nicht mehr feststellbar waren? Auch aus diesen Punkten spricht aber zumindest der Wunsch, eine radikale Lösung zu finden, also an die Wurzel der Probleme zu gehen. Wer traut sich das heute noch im österreichischen Schulsystem?
25. Februar 2017
Das Ei der EU Eine grandiose Idee, die nicht zu einer Form finden will, aufgeblasen in ihren Ansprüchen – und nur scheinbar um Transparenz bemüht. Das neue Ratsgebäude in Brüssel: Wie sich der Zustand der Union in ihren Repräsentationsbauten spiegelt.
W
er amerikanischen Freunden die politische Struktur der EU erklären möchte, hat es schwer. Jeder Durchschnittsbürger der Vereinigten Staaten ist imstande, die wichtigsten Komponenten seines politischen Systems zu nennen: Präsident, Kongress und Oberster Gerichtshof bilden ein Dreieck, das
zumindest von akademisch gebildeten Amerikanern mit Exekutive, Legislative und Judikative identifiziert wird. In Europa ist die Sache etwas komplexer. Die EU hat sieben Organe, von denen die Kommission als Exekutive, der Europäische Gerichtshof und der Rechnungshof als Kontrollorgane noch den Konzepten entsprechen, die wir auf nationaler Ebene kennen.
Dem Europäischen Parlament als Legislative fehlt das Initiativrecht, also die Möglichkeit, selbst Gesetzesanträge einzubringen, ein Recht, das in der EU nur der Kommission zusteht. Diese kann allerdings vom Parlament, vom Europäischen Rat und seit Kurzem auch von Bürgerinitiativen dazu aufgefordert werden, eine Verordnung zu einem bestimmten Thema zu entwickeln. Zu den Organen der EU gehören weiters die Europäische Zentralbank sowie zwei praktisch namensgleiche Organe, der „Rat der Europäischen Union“ und der „Europäische Rat“. Ersterer ist der Ministerrat der Union, gewissermaßen deren Staatenkammer auf Ministerebene, Letzterer der Rat der Staats- und Regierungschefs, der für die allgemeinen politischen Zielvorstellungen und Prioritäten der EU zuständig ist. Dass es mit dem Europarat eine weitere Institution gibt, die mit diesen Räten und der Europäischen Union insgesamt gar nichts zu tun hat, trägt zur Verwirrung nur noch unwesentlich bei. Die Entwicklung der EU in kleinen, vorsichtigen Schritten in ein immer kunstvoller austariertes Gebilde hat auch die Architektur ihrer Institutionen geprägt. Die Vereinigten Staaten fassten unmittelbar nach ihrer Gründung den Beschluss, 43 eine neue Hauptstadt zu planen, und
Schlüpft da noch was? Foyer des neuen Ratsgebäudes der Europäischen Union in Brüssel. Foto: EU
schon im Jahr 1800 konnte der zweite Präsident ins neuerrichtete Weiße Haus in Washington einziehen, in dessen Umfeld dann die weiteren staatlichen Gebäude in einem einheitlichen klassizistischen Stil errichtet wurden. In Europa gab es dagegen schon bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl 1952 den ersten nicht aufgelösten Streit über die Ansiedlung ihrer Institutionen. Während sich die anderen fünf Mitgliedsstaaten auf Brüssel als Sitz geeinigt hatten, torpedierte ausgerechnet Belgien selbst aus innenpolitischen Gründen diesen Vorschlag und bot die Provinzstadt Liège als Standort an. Schließlich erklärte sich das kleine Luxemburg bereit, provisorisch als Sitz der EGKS zu fungieren. Als Tagungsort für die Gemeinsame Versammlung, den Vorläufer des EU-Parlaments, entschied man sich für Straßburg, wo der Sitzungssaal des Europarats als übernationale Einrichtung mitgenutzt werden konnte. Die Verteilung der zentralen europäischen Institutionen auf mehrere Standorte war damit vorherbestimmt, obwohl sich Belgien spätestens seit den 1958 geschlossenen Verträgen von Rom darum bemühte, Brüssel zur Hauptstadt
Europas zu machen und massiv in Infrastruktur und Gebäude für diesen Zweck investierte. Wer heute nach Brüssel, ins Herz der Europäischen Union, reist, findet um den Platz Schuman ein Konglomerat von Bauten in enormer Dichte, zwischen denen kaum städtisches Leben aufkommt. Sein ältester Teil ist das zwischen 1963 und 1969 errichtete Berlaymont-Gebäude auf dem Gelände des alten Berlaymont-Klosters. Der Entwurf für das Berlaymont stammt von Lucien de Vestel und den Brüdern André und Jean Polak. Deren Vater, der Schweizer Architekt Michel Polak, hatte in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts auf dem Grundstück schräg gegenüber das Palais Résidence entworfen. Es war das erste großvolumige Gebäude im Quartier Léopold, einer Stadterweiterung Brüssels aus dem frühen 19. Jahrhundert, in die ab 1838 das Bürgertum gezogen war. Nach dem Ersten Weltkrieg begann das Viertel zu verfallen und seine Bewohner an die Außenbezirke zu verlieren. Das Palais Résidence, zwischen 1922 und 1927 im Stil des Art déco errichtet, sollte diesen Trend aufhalten. Es war ein luxuriöser Wohnbau mit bis zu zwölf Geschoßen, in dem auch Restaurants, ein Schwimmbad und ein Theater untergebracht waren. Ein Motiv für seine Errichtung war der Mangel an Dienstboten nach dem Ersten Weltkrieg, dem hier nach dem Muster des Grand Hotels durch gemeinsames Personal begegnet werden konnte. Alte Fotos zeigen das Palais als einsamen Koloss aus dem Gewebe der Bürgerhäuser des 19. Jahrhunderts ragen. Mit dem Berlaymont war der Startschuss für die weitere Entwicklung des Quartier Léopold gefallen. Hier entstand nach 1960 eine Spielwiese für Investoren, vor allem aus Großbritannien, die im seinerzeit größten Bürohausboom Europas beinahe unreglementiert Gebäude errichten und lukrativ an die EU-Behörden vermieten konnten. Der Spekulation dieser Jahre zwischen 1960 und 1980 verdankt die Stadtplanung den Begriff der „Brusselization“ als Ausdruck für eine rücksichtslose Stadtentwicklung, die für hohe Dichten und hohe Renditen eine ebenso massive stadträumliche Verarmung in Kauf nimmt. Ohne das Palais Résidence, das heute vollkommen in der Masse der es umgebenden Bauten aufgeht, hätte diese Entwicklung aber nicht so 44 problemlos in Gang gesetzt werden
können. Das Palais gab den Maßstab vor, der von den nachfolgenden Planern nur aufgenommen werden musste. Alle Versuche, in Brüssel einen dezentralen Standort mit mehr Entwicklungsmöglichkeiten für die europäischen Institutionen zu finden, wurden in einem bizarren Wettstreit zwischen den EU-Gründerländern durch Frankreich und Luxemburg blockiert, die befürchteten, ihre inzwischen eingelebten Institutionen wieder nach Brüssel abgeben zu müssen. Umgekehrt versuchte Brüssel, das Europäische Parlament zurückzuholen, dessen Auslagerung nach Straßburg neben organisatorischen Problemen auch enorme Kosten verursacht, nach der jüngsten Schätzung aus dem Jahr 2013 rund 200 Millionen Euro pro Jahr. Da Straßburg als Hauptsitz des EU-Parlaments in Verträgen festgeschrieben ist, die nur einstimmig geändert werden können, musste die Errichtung eines neuen Parlamentsgebäudes in Brüssel gewissermaßen im Geheimen stattfinden, was bei einer Bauführung im Ausmaß von mehreren hunderttausend Quadratmetern Fläche nicht einfach ist. Der Trick, mit dem dies gelang, war die Planung eines Kongresszentrums in zufällig denselben Ausmaßen, wie sie das EU-Parlament benötigte, durch eine private Errichtungsgesellschaft, die den fertigen Plan für einen zweiten Standort direkt mit dem Parlament verhandelte. Der Standort dieses als „Espace Léopold“ bezeichneten Bauwerks liegt prominent am Rande des Quartier Léopold, 15 Minuten Fußweg vom Berlaymont-Gebäude entfernt. Sein Spitzname, „Caprice des Dieux“, bezieht sich auf einen Käse gleichen Namens, dessen Schachtel eine ähnlich längliche, an beiden Seiten abgerundete Form aufweist wie das Parlamentsgebäude. Als Laune der Götter kann man das Ensemble aber auch insofern bezeichnen, als sein eigentlicher architektonischer Urheber nicht wirklich zu fassen ist. Offiziell wird eine Planungsgruppe mit dem Namen Atelier Espace Léopold, hinter der sich ein Konglomerat belgischer Großbüros verbirgt, als Planverfasser angeführt. Der eigentliche Entwurf, mit dem ein sehr beschränkt ausgeschriebener Wettbewerb für das Gebäude 1988 gewonnen wurde, stammt jedoch vom damals gerade 26-jährigen Michel Boucquillon, der im selben Jahr sein Architekturstudium abgeschlossen hatte.
Es ist kein Wunder, dass man von diesem Architekten nie wieder etwas gehört hat: In der Hochblüte der architektonischen Postmoderne ausgebildet, entwarf Boucquillon eine symmetrische Anlage, deren Fassade mit Säulenmotiven aus Naturstein verziert ist. Zwischen diesen Motiven findet sich eine kleinteilig gerasterte, verspiegelte Glasfassade. Eine einfältigere Pappendeckelarchitektur ohne Tiefe wird man nur bei wenigen Repräsentationsbauten in Europa finden. Der Mitteltrakt der Anlage wird von einer gläsernen Halbtonne betont, die im Wesentlichen Dekor ist, während Zugänge und innere Erschließung labyrinthisch und für den normalen Besucher so gut wie undurchschaubar sind. Die erste Kostenschätzung für das Gebäude lag bei zwei Milliarden Euro, die nach einer Prüfung durch externe Berater auf eine Milliarde halbiert wurde. In der Ausführung stiegen die Kosten wieder auf 1,2 Milliarden. Die Differenzen zwischen diesen Beträgen geben eine Ahnung vom Ausmaß der Korruption, die hier im Spiel war. Wie viel Geld in der labyrinthischen Konstruktion sowohl des Baus als auch der Errichtungsgesellschaften versickert ist, wird sich wohl nie mehr klären lassen. 45 Heute finden hier im Schnitt sechs
Sanft leuchtende Amphore im Schaukasten: Kitsch, gepaart mit extremem Pragmatismus. Foto: EU
Sitzungen des EU-Parlaments pro Jahr sowie die Ausschuss- und Fraktionssitzungen statt. Zwölf weitere Sitzungen des Plenums erfolgen im 400 Kilometer entfernten Straßburg, wo seit 1999 ein weiterer, für 470 Millionen Euro errichteter Parlamentsneubau zur Verfügung steht. Dieser Aufwand mag auf den ersten Blick überraschen, bestand doch der Grund, sich mit dem Parlament überhaupt in Straßburg niederzulassen, in der Möglichkeit, sich hier kostengünstig mit dem Europarat ein Versammlungsgebäude zu teilen. Das Provisorium aus den Fünfzigerjahren war 1977 durch einen Neubau auf dem unmittelbar angrenzenden Grundstück abgelöst worden, der nach wie vor gemeinsam mit dem Europarat genutzt wurde. Neben dem aufwendigen Brüsseler „Caprice des Dieux“ hätte dieses Parlament aber allzu bescheiden gewirkt und zu Diskussionen geführt, ob nicht doch ein einziger Standort in Brüssel ausreichend wäre. Der Architekturwettbewerb für einen eigenen Neubau in Straßburg fand auf französisches Betreiben 1991 statt, also gleichzeitig mit dem Baubeginn für sein Brüsseler Pendant. Das nach Entwürfen des Pariser Büros Architecture Studio in einer Flussschleife
errichtete Gebäude kombiniert die Metaphern von Raumschiff und Turmbau zu Babel zu einer einprägsamen Figur. Der Plenarsaal befindet sich im Raumschiff, einem flächigen Bauteil mit einer zum Fluss hin orientierten Glasfassade, die meisten Büros liegen in einem 60 Meter hohen runden Turm mit kreisrundem Innenhof, dessen obere Geschoße absichtlich nur zum Teil ausgebaut sind. Große Betonrahmen sollen die Idee vermitteln, dass dieses Haus, wie die Europäische Union selbst, noch lange nicht zu Ende gebaut ist. Von den erwähnten Gebäuden hat bisher nur das Berlaymont in Brüssel eine ikonische Eigenständigkeit erreicht. Immerhin findet sich das Gebäude inzwischen im Logo der Europäischen Kommission, wenn auch nur als schattenhafte Andeutung seiner Geschoßteilung und charakteristischen Kurven. Als Ikone der europäischen Integration taugt dieses Gebäude aber kaum, steht doch die Kommission eher für die trockene bürokratische Seite der EU. Wenn sich die politische Idee Europas irgendwo widerspiegelt, dann wohl im Sitz ihrer strategischen Organe, im Gebäude des Rats der Europäischen Union und des Europäischen Rats. Seit 1995 logieren diese in einem gigantischen Labyrinth, dem Justus-Lipsius-Gebäude mit 214 000 Quadratmetern Bürofläche und 24 Kilometer langen Korridoren, am Place Schuman direkt gegenüber dem Berlaymont-Gebäude gelegen. Die vorgeblendeten, gebäudehohen Natursteinrahmen zeugen von einem unbeholfenen Versuch, diesem gesichtslosen Bau doch Charakter zu verleihen. Nach einem hartnäckigen Gerücht bilden diese Rahmen symbolisch Europa ab, indem sie dessen ersten Buchstaben um 90 Grad kippen, woraus sich die drei monumentalen, mit einem Quergebälk verbundenen Säulen erklären, die an jeder Front zu finden sind. Die Idee, ein Gebäude zu errichten, das endlich das Herz der europäischen Bürger erreicht, erhielt Auftrieb im Jahr 2004. Die europäischen Staatschefs hatten in Rom gerade den Entwurf jener Unionsverfassung unterzeichnet, die im Jahr darauf an den Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte. In der kurzen Phase der EU-Euphorie, die diesen Niederlagen voranging und in die auch der Wettbewerb für die Europäische Zentralbank in Frankfurt fiel, bot der belgische Staat der Union 46 einen neuen Standort für den Sitz der
beiden Räte an – jenes Gebäude, mit dem die großvolumige Entwicklung des Quartier Léopold begonnen hatte: das Palais Résidence, das für diesen Zweck adaptiert und erweitert werden sollte. Mit der Namenswahl wurde klargestellt, dass hier das Zentralgebäude der Union entstehen sollte. Kein verdienter Parlamentarier und keine Figur der europäischen Geistesgeschichte standen diesmal Pate, sondern die Sache selbst: „Europa“. Den dreistufigen Wettbewerb, dessen Jury von belgischen Beamten dominiert war, gewann ein belgisch geführtes Konsortium: Philippe Samyn und Partner gemeinsam mit dem italienischen Büro Studio Valle und BuroHappold aus Großbritannien. Der Entwurf interpretiert die Aufgabe mit erstaunlicher Naivität: Was tun mit den geforderten Sälen für Ratssitzungen, Bankette und Pressekonferenzen? Am besten wie am Spieß übereinanderstapeln. In welcher Form? Warum nicht als gigantische Vase mit einer Glashülle, hinter der die Erschließung der Säle verläuft. Wie kommt das Publikum zur Vase? Am besten über eine verglaste Halle, die als Foyer den Block schließt und die Vase zu einem kostbaren Gegenstand macht, wie ein Fabergé-Ei in einer beleuchteten Vitrine. Hat das schon Symbolkraft genug? Nein, das vereinte Europa braucht einen ökologischen Touch, also kommen Solarzellen auf das weit auskragende Dach, und das Foyer erhält eine Fassade, in der alte Eichenfenster aus allen europäischen Ländern recycelt werden. Ein Klischee reiht sich in diesem Konzept ans andere, Kitsch paart sich mit extremem Pragmatismus: Für die dunkle Farbe, in der die Stahlkonstruktion der Fassade gestrichen ist, gibt Samyn einen Grund an, der so pragmatisch ist, dass er ins Surreale kippt: Man habe – um die Reinigungskosten niedrig zu halten – den Staub der angrenzenden Rue de Loi analysiert und eine Farbe gewählt, auf der dieser nicht auffällt. Surreal mutet auch die Geometrie der Vase an. Sie ist im Grundriss nicht kreisrund, sondern oval, wodurch sie zwar in der frontalen Ansicht schlank wirkt, von der Seite gesehen aber einen beachtlichen Schmerbauch entwickelt. Ihre weiße Streifenbedruckung hat einen psychedelischen Effekt, der sich in der Bemalung aller Decken, Türen und Liftschächte mit flirrenden Farbflächen in Pastelltönen nach einem Konzept des Künstlers Georges Meurant fortsetzt.
Gemessen an den üblichen Kriterien der Architekturkritik ist dieses Gebäude architektonisch und städtebaulich zweifellos gescheitert: städtebaulich, weil es die spezielle Situation, die das Palais Résidence an dieser Stelle mit seiner Schrägstellung zur Achse der Rue de Loi eingenommen hat, auslöscht. Das neue Europa-Gebäude ist ein weiterer großer Block unter den vielen, die wie Metastasen an der Rue de Loi gewachsen sind. Architektonisch ist diese große, gequetschte Vase in ihrem Käfig nicht mehr als ein viele Millionen teurer Scherz. Die Versuchung ist groß, dieses Haus als Gradmesser für den aktuellen Status der Europäischen Union zu betrachten: eine grandiose Idee, die nicht zu einer Form finden will, aufgeblasen in ihren Ansprüchen, scheinbar um Transparenz bemüht, während die
wichtigen Entscheidungen dann doch in einem geheimnisumwitterten Raum fallen, aus dem sich die Bürger ausgeschlossen fühlen. Man sollte dieser Versuchung widerstehen und diesem unsäglichen Bauwerk gegenüber ein vorläufiges, suspendiertes Verhalten pflegen. Es taugt immerhin dazu, der europäischen Öffentlichkeit einen sanft leuchtenden Hintergrund für Fernsehberichte aus Brüssel zu liefern. Mit der Namensgebung als „Haus Europa“ haben die Verantwortlichen schon einen ersten Schritt dafür getan, es zum Verschwinden zu bringen: Keine Suchmaschine ist imstande, es nach diesen Begriffen zu finden. Als Symbol für Hybris, Naivität und Korruption verstanden, könnte es zumindest kathartische Wirkung entfalten. Das wirkliche Herz Europas wird man eines Tages an einem anderen Ort errichten müssen.
11. Februar 2017
Die Qual mit der Qualität Alle wollen Qualität. Aber wer legt fest, was schön ist und was nicht? Beim Projekt WEV muss die Antwort jetzt auf politischer Ebene gefunden und verantwortet werden. Kann das gut gehen?
N
un ist es also so weit: Der Entwurf des Flächenwidmungsund Bebauungsplans für das Areal von Hotel Intercont und Wiener Eislaufverein liegt seit letzter Woche bis 16. März zur öffentlichen Einsicht und Stellungnahme auf. Das dem Plan zugrunde liegende Projekt hat eine Nachdenkpause hinter sich, nachdem der Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung sich im Mai 2016 überraschend deutlich gegen den Entwurf ausgesprochen und eine Überarbeitung empfohlen hatte. Zu den Kritikpunkten gehörten formale Aspekte wie die 47 „gedrungene Massivität“ des Turms,
aber auch funktionelle wie die winterliche Barrierewirkung, die sich aus der Drehung der Eisfläche in den öffentlichen Raum der Lothringerstraße ergibt, sowie Zweifel an der Qualität der Durchwegung in den dritten Bezirk. Nicht zuletzt forderte der Fachbeirat, „das Projekt so anzupassen, dass eine Verträglichkeit mit dem Welterbestatus herstellbar ist“. In der Überarbeitung wurde an einigen Stellschrauben gedreht: Der Turm ist von 73 auf 66 Meter geschrumpft, die Eisfläche ein wenig gestutzt, die Verbindung zum dritten Bezirk verbreitert. Die Scheibe des Hotel Intercont soll nur um zwei Geschoße erhöht werden statt um drei. Sie wird allerdings als
Neubau ausgeführt und rückt dabei deutlich Richtung Stadtpark. Ihre im Vergleich zum Bestand um vier Meter vergrößerte Trakttiefe kompensiert angesichts der enormen Ausdehnung der Scheibe einen guten Teil des durch die reduzierte Geschoßanzahl verlorenen Volumens. Der Rest wird im Trakt am Heumarkt ausgeglichen, der ebenfalls tiefer wird. An der Ansicht vom Belvedere haben diese Änderungen praktisch nichts verändert. Von der Johannesgasse und vom Stadtpark her gesehen drängt sich das Projekt dagegen deutlich voluminöser in den Stadtraum. Die Chance, die nun plötzlich erfolgte Entscheidung für den Abriss des Intercont-Gebäudes zum Anlass für einen Neustart zu nehmen, bleibt ungenutzt. Wir müssen uns mit der Absurdität begnügen, ein mittelmäßiges Gebäude aus den 1960er-Jahren als „Ersatzneubau“ rekonstruiert zu bekommen. Nach fünf Jahren Entwicklungszeit liegt damit ein Projekt vor, das bis zur Kenntlichkeit dessen entstellt ist, was es repräsentiert, nämlich einen von privaten Interessen dominierten Städtebau nach wirtschaftlichen Grundsätzen. Dass dieses Projekt von der UNESCO als Beitrag zum Welterbe Wien Innere Stadt akzeptiert wird, ist so gut wie ausgeschlossen, die Streichung von der Welterbeliste die logische Folge. Wie die Stadt damit umgehen wird, ist absehbar: Bei einer Pressekonferenz im Jänner, in der Bürgermeister und Vizebürgermeisterin das Projekt gemeinsam mit dem Investor vorstellten, gab man sich zwar offiziell zuversichtlich, dass die UNESCO ein Einsehen haben werde. Aber es müsse auch klar sein, dass noch immer die Wiener darüber entscheiden, was in ihrer Stadt gebaut wird, und nicht eine ausländische Behörde in Paris. Dass diese Pressekonferenz just einen Tag vor der Sitzung des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung stattfand, in der erst über die Berücksichtigung der Empfehlungen aus dem Mai 2016 beraten wurde, ← 73 sagt einiges über die Konfusion aus, die dieses Projekt in der Stadt ausgelöst hat. In den „Baukulturellen Leitsätzen“, die sich die Stadt Wien 2014 zur Qualitätssicherung verordnet hat, liest sich alles noch wunderbar. Das Ziel ist klar: „hohe Lebensqualität beim Neubau wie im Bestand“. Dorthin führen „qualitätsorientierte und transparente Prozesse bei Planung 48 und Errichtung“, „qualitätsorientierte
Rahmenbedingungen“ sowie die „Förderung der kritischen, vielfältigen und innovativen Szene der Baukulturschaffenden“. Das WEV/Intercont-Projekt ist der Beweis dafür, dass selbst eine Überfülle an „qualitätsorientierten Prozessen“ kein gutes Ergebnis garantiert. Bei keinem anderen Projekt hat es in Wien je so viele informelle Verfahrensschritte gegeben, um die Grundlage für eine Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung zu finden: die ersten Expertenrunden im Jahr 2012, das anschließende kooperative Verfahren zur Variantenentwicklung 2013, den zweistufigen Architekturwettbewerb des Jahres 2014 bis zur Nachdenkpause des letzten Jahres als Abschluss. Im Hintergrund dieser Prozesse darf man sich die Beamten der Stadt Wien vorstellen, die versuchen, einen Tiger zu reiten, dessen gute Beziehungen zur politischen Entscheidungsebene ihnen bekannt sind. Die grundsätzliche Richtung ist klar, und man behält sie weisungsgebunden im Blick, auch unter Ausblendung unangenehmer Realitäten, die sich manchmal ins Bild schieben: ein Vertreter der UNESCO, der vom ersten Workshop im Jahr 2012 an immer klar feststellt, kein Projekt akzeptieren zu können, das über die Höhe des Intercont hinausragt, oder eine Architektenkammer, die den Architekturwettbewerb des Jahres 2014 nur mit Vorbehalt unterstützt, weil wichtige städtebauliche Rahmenbedingungen ungeklärt sind. Das eigentlich zuständige Beratungsgremium der Stadt, der Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung, wurde mit dem Projekt erst nach dem Architekturwettbewerb befasst, als die städtebaulichen Prämissen längst definiert waren. Der Beirat hat im Mai 2016 versucht, über Kritik am Objekt Kritik am Städtebau zu üben. Das konnte nicht erfolgreich sein. Die „Nachdenkpause“ war nur ein weiterer unter den vielen Prozessschritten, die der Herstellung einer Alternativlosigkeit dienten, die mit jedem weiteren Schritt zum Konsens geronnen ist. Ganz ist das nicht gelungen: Laut Stellungnahme des Beirats hält „ein Teil der Mitglieder in Teilen die Forderungen für die Überarbeitung nicht für erfüllt“. So viel Eiertanz wäre gar nicht nötig gewesen: In diesem Prozess wurde der Beirat in seiner städtebaulichen Kompetenz schlicht ausgebremst. An der unangenehmen Wahrheit, dass sich auf diesem Bauplatz nicht alle gewünschten Interessen unterbringen lassen,
kommt man nicht vorbei. Auf der Strecke bleiben die verletzlichsten, die Qualität des Stadtbilds und das Vertrauen in die Prozesse der Stadtplanung, gerade weil sie hier mit so enormem Aufwand inszeniert wurden. Jetzt ist das Projekt dort angekommen, wo es eigentlich hingehört: auf der politischen
Ebene. Proteste jenseits der Fachöffentlichkeit formieren sich. Der Investor spricht von Baubeginn nicht vor 2019. Bis dahin ist viel Zeit, die Konsensmaschine auf Hochtouren laufen zu lassen. Aber auch Zeit, die Alternativlosigkeit des Projekts infrage zu stellen. Wer bringt dafür die Fantasie auf?
14. Januar 2017
Die Party ist noch nicht zu Ende Dubai ist die Welthauptstadt der kapitalistischen Stadtentwicklung. Für die Expo 2020 bläht sich die dortige Immobilienblase noch einmal mächtig auf.
umindest quantitativ geht es profitabel zu bauen und im richtigen Moment aus dem Spiel auszusteigen. China ervoran: Die Weltbevölkerung lebte eine solche Blase mit einer Spitze im wächst, über die vergangeJahr 2009, bei der sich die Preise im Vernen 200 Jahre betrachtet gleich zu 2005 verdreifacht hatten. Das Land explosionsartig, von einer verbrauchte in zwei Jahren so viel Beton wie Milliarde Menschen auf die USA im gesamten vergangenen Jahrheute 7,4 Milliarden. In den vergangenen Jahrzehnten hat hundert. 2013 begannen die Preise zu kollabieren, da es an Nachfrage fehlte. Bis heute sich das Wachstum verlangsamt, liegt aber in absoluten Zahlen noch immer bei jährlich ist die Blase, die Geisterstädte mit schlecht rund 75 Millionen. Allein in China wächst die konstruierten Wohnhochhäusern und leeBevölkerung trotz Ein-Kind-Politik nach wie ren Shoppingmalls hinterließ, noch nicht vor um sieben Millionen Menschen pro Jahr. verarbeitet. Dass sich das Wachstum von ImmobiIm Jahr 2050 ist mit einer Weltbevölkerung lienmärkten auch weitgehend aus externer von zehn Milliarden zu rechnen, von denen Nachfrage generieren lässt, hat in den verein überwiegender Teil in Städten leben gangenen Jahren am deutlichsten Dubai vorwird. Die Wachstumsschmerzen, die Wien gerade durchmacht, nehmen sich neben sol- geführt. Das Scheichtum am Persischen Golf mit 2,5 Millionen Einwohnern das größte der chen Zahlen bescheiden aus. Vereinigten Arabischen Emirate, hat sich in Maßgeblich für die Nachfrage nach Güden vergangenen Jahrzehnten zu einer „Glotern, Dienstleistungen und nicht zuletzt Imbal City“ entwickelt, in der ein boomender mobilien ist dabei nicht nur die absolute Tourismus und der Immobilien- und FinanzZahl an Menschen, sondern auch der glosektor die Wirtschaft bestimmen. Tourisbal zunehmende Wohlstand. Die Nachfrage tisch ist der Stadt das scheinbar Unmögliche nach Wohnungen und Büros steigt oft deutgelungen: als eine Art Las Vegas ohne Calich schneller als die Bevölkerungszahl und sinos erfolgreich zu sein. Maßgeblich dafür kann regional exponentielle Steigerungsrawar die Kombination von fast steuerfreien, ten erreichen. Diese Situation ist der ideale ins Stadtgebiet implantierten FreihandelsAusgangspunkt für Immobilienblazonen mit einer an Größenwahn grenzensen, in denen es für Spekulanten dar49 den Strategie der Extreme: Die Stadt brüstet auf ankommt, möglichst schnell und
sich mit dem teuersten Hotel, dem höchsten Hochhaus und den größten Malls der Welt, alles Rekorde, die leicht von anderen überholt werden können. Prophylaktisch wurde inzwischen die Parole ausgegeben, die glücklichste Stadt der Welt zu werden. „We aspire to be the world’s happiest city, let’s spread the joy“, heißt es auf mobilen digitalen Kummerkästen, die es den Kunden öffentlicher Dienstleistungen vom Museumsbesuch bis zum Fahrkartenschalter erlauben, ihre „experience“ in drei Stufen („happy, neutral, unhappy“) zu bewerten: Nur messbares Glück ist echtes Glück. Die Stadtstruktur Dubais gleicht einem gigantischen Monopoly-Spielfeld auf einem sechzig Kilometer langen und zehn Kilometer breiten Küstenstreifen. Der 50 Dubai Creek, ein Meeresarm, der auf
Massen ohne Maß: Wohn- und Bürohochhäuser in Dubai, anlässlich der Expo 2020 auch Standort für … Foto: C. Kühn
diese Tiefe ins Landesinnere reicht, markiert den ursprünglichen Stadtkern mit dem alten Handelsplatz, von dem aus sich die Stadt nach Süden hin entwickelt. Lebensader ist eine Autobahn mit acht Spuren in jede Richtung, von der aus die Monopoly-Felder erschlossen werden: hochverdichtete Zonen mit Hochhäusern an der Küste, flächig organisierte Entwicklungen mit Villen im Landesinneren. Eine Metro parallel zur Autobahn und ein Bussystem existieren; bevorzugtes Verkehrsmittel bleibt aber das Auto, mit dem man bei Sommertemperaturen um die 40 Grad von einer klimatisierten Zone in die andere gelangt. Das eigentliche neue Wahrzeichen Dubais sind die beiden „Palmeninseln“, die
zur Verlängerung der Küstenlinie künstlich im Meer aufgeschüttet wurden. Die kleinere, Palm Jumeirah, ist inzwischen fast vollständig bebaut, mit einer Kette von Hotels im äußeren Ring, Apartments auf der Mittelachse und Villen auf den Palmenblättern. Deren leicht gekrümmte Straßen mit ihren fast identischen Elementen hinterlassen einen surrealen Eindruck, der von der dichten, standardisierten Begrünung verstärkt wird. Die größte Dichte erreicht die Stadt in Hochhausclustern, die in der Regel um künstliche Wasserflächen angelegt sind: 70 Türme mit bis zu 200 Meter Höhe im Bereich der Jumeirah Lake Towers, 150 an der Dubai Marina. Wer die Hochhausstadt Benidorm an der Costa Blanca für nicht überbietbar gehalten hat, wird hier eines Besseren belehrt. Es geht noch dichter, und es finden sich offenbar immer Architekten, die mehr oder weniger originelle Fassaden für die ansonsten identischen Türme zu entwerfen bereit sind, sowie Freiraumplaner, die Ähnliches für die künstlichen Wasserlandschaften leisten. Dubai ist das Stadtmodell, zu dem sich unter ungebremst kapitalistischen Bedingungen alle Städte entwickeln würden, zumindest wenn es nie eine Energiekrise gegeben hätte. Man muss der Krise dankbar sein, dass sie Europa vor dieser Karikatur des Städtebaus weitgehend bewahrt hat.
… den höchsten Turm der Welt, entworfen von Santiago Calatrava. Foto: Santiago Calatrava
Im Jahr 2020 wird Dubai eine Expo unter dem Titel „Connecting Minds, Creating the Future“ veranstalten, bei der sich dieses Modell noch einmal in Szene setzen möchte. Zumindest bis dahin wird die Stadt ihren Weg weitergehen, mit Großprojekten wie dem größten Flughafen und dem noch einmal höchsten Gebäude der Welt, einem von Santiago Calatrava geplanten Aussichtsturm. Aber irgendwann ist die Party doch vorbei: Ein tragfähiges Modell für einen von zehn Milliarden Menschen bewohnten Planeten muss anders aussehen.
2016
Gleiten oder hetzen? 17. Dezember 2016
Neue Geometrien, neue Möglichkeiten: Bringt die Befreiung vom rechten Winkel mehr hervor als spektakuläre Formen? Über das neue ÖAMTC-Hauptquartier in Wien-Erdberg.
N
ur die katholische Kirche hat in Österreich mehr Breitenwirkung: Mit knapp über zwei Millionen Mitgliedern ist der ÖAMTC definitiv der größte Klub des Landes; keine Gewerkschaft, kein Alpenverein und keine politische Partei reicht an ihn heran. Er ist das freundliche Gesicht eines Systems, dessen Kehrseite in Abgaswerten und Unfallstatistiken gemessen wird – und das heute vor massiven Umbrüchen steht. Längst dürfen auch Radfahrer und Fußgänger der ÖAMTC-Mobilitätsfamilie angehören, deren motorisierter Teil in den nächsten Jahren drastisch abnehmen könnte. Wenn autonom fahrende Vehikel zur Selbstverständlichkeit werden und Mobilität immer weniger an Fahrzeugbesitz gekoppelt ist, wird das nicht ohne Auswirkungen auf die Verkehrsklubs bleiben. Für eine solche Institution im Umbruch ein neues Hauptquartier zu entwickeln ist eine spannende Aufgabe. Als der ÖAMTC im Jahr 2013 einen geladenen Wettbewerb ausschrieb, war bewusst nicht nur der 53 Entwurf für einen Bürobau gefragt,
sondern für ein „Mobilitätszentrum“, das die verschiedenen Dienstleistungen des ÖAMTC zusammenführen sollte: das Kfz-Service, ein Reisezentrum, ein Callcenter, das zentrale Management, ein Fortbildungszentrum mit Vortragssälen, die Redaktion der diversen vom ÖAMTC betriebenen Medien und schließlich einen Hubschrauberlandeplatz mit Garage auf dem Dach des Gebäudes. Der siegreiche Entwurf von Christoph Pichler und Hannes Traupmann, die gemeinsam als pxt firmieren, hat dieses komplexe Anforderungsprofil in eine spektakuläre Struktur verwandelt, die ungebrochenen Optimismus verbreitet. Das Grundstück liegt für die Aufgabe ideal, unmittelbar an der Südosttangente, mit 170 000 Fahrzeugen pro Tag die meistbefahrene Straße Österreichs. Zugleich gibt es mit der U3-Station Erdberg einen U-Bahnanschluss, der über einen Steg kreuzungsfrei mit dem ÖAMTC verbunden ist. Der Weg führt in friedlicher Koexistenz durch den Hof eines Bürogebäudes, in dem die Wiener Linien, also die städtischen öffentlichen Verkehrsbetriebe, ihren Hauptsitz haben.
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Im 19. Jahrhundert war dieses Areal mit seinen Schlachthäusern und Gasometern ein wichtiger Teil der städtischen Infrastruktur. Inzwischen sind nicht nur in die Gasometer neue Nutzungen eingezogen: Das Quartier St. Marx mit dem „Groundscraper“ des T-Mobile-Gebäudes liegt in unmittelbarer Nähe, und bald werden hier mehrere neue Hochhäuser – teilweise mit Wohnnutzung – für weitere Verdichtung sorgen. Die 800 im ÖAMTC-Gebäude arbeitenden Menschen werden daher in einigen Jahren ein paar Inseln von Urbanität vor ihrer Haustüre 114 vorfinden, zwischen denen es klassischen Stadtraum, wie wir ihn aus den Innenstädten gewohnt nicht, nicht mehr geben wird. Umso wichtiger ist die räumliche Organisation der Inseln, die mehr Luft enthalten müssen als die alten Blockstrukturen. Das ÖAMTC-Gebäude ist in dieser Hinsicht vorbildlich. Es gruppiert seine Nutzungen um eine zentrale, von oben belichtete Halle, die alle Geschoße miteinander verbindet. Der Hauptzugang für Fußgänger liegt auf der Ebene des ersten Obergeschoßes, annähernd auf der Fahrbahnhöhe der Südosttangente. Man erreicht den Eingang entweder über die Verbindungsbrücke zur U-Bahn oder über eine geschwun54 gene Rampe, die vom Straßenniveau
Wahrzeichen an der meistbefahrenen Straße Österreichs, Wiens Südosttangente: ÖAMTC-Hauptquartier … Foto: Toni Rappersberger
nach oben führt. Wer sein Auto in die Werkstatt bringt, kann es übergeben und dann von der zentralen Halle aus durch große Verglasungen beobachten, wie es im ersten Untergeschoß artgerecht gepflegt wird. Die beiden Geschoße über der Eingangsebene gehören dem Callcenter, dem Firmenrestaurant und dem angeschlossenen Veranstaltungsbereich, der für die Fortbildung der Mitarbeiter gedacht ist, aber auch extern vermietet werden soll. Darüber schweben vier Bürogeschoße, die im Grundriss an einen Seestern mit fünf Armen erinnern, die vom zentralen Atrium her ausstrahlen. Diese Typologie hat den Vorteil sehr gut belichteter Bürozonen, die im konkreten Fall nicht wie bei einem normalen Kammtyp im rechten Winkel aneinanderstoßen, sondern in einer weichen Geometrie. Der fließende Übergang von einem Büroarm zum anderen bietet hohe Flexibilität, da die Grenzen zwischen den Abteilungen problemlos verschoben werden können. Durch eine doppelte Ringerschließung – einmal im Atrium und konzentrisch dazu vor den Nebenräumen – gibt es viele Durchblicke, aber kaum Störungen durch die Menschen, die
sich im Atrium bewegen. Dessen RauminArchitektur, der man lange nur eine Exisszenierung mag spektakulär aussehen; vor tenz auf dem Computerbildschirm zugeallem aber ist sie ein gelungener Beitrag zum traut hätte, tatsächlich konstruieren lässt, Betriebsklima, indem sie alle Abteilungen ist erbracht, und nun steht zur Debatte, ob vom Management hin zu den Werkstätten das Ergebnis mehr zu bieten hat als großvernetzt. formatige spektakuläre Bilder. Was den Das nach außen auffälligste Merkmal des einen als Inbegriff von Dynamik erscheint, Gebäudes ist die vorgesetzte geschwungene ist für andere nicht mehr als die gehetzte Glaswand, die um drei Viertel des GebäuÄsthetik eines fortschrittsbesoffenen Zeitdes läuft. Sie ist sowohl Schallschutz als auch alters, das gerade seinem Ende zugeht. Man Fluchtweg mit eingebauten Treppen, die darf gespannt sein, wohin sich nicht nur kaskadenartig von den Bürogeschoßen nach die Architektur von pxt weiterentwickelt, unten führen. Das Erweiterungskonzept sondern die ganze Richtung, zu der sie sich des Hauses sieht vor, die fünf Arme des See- bekennt. Sie hat ein Arsenal an neuen Mögsterns um zwei zusätzliche zu ergänzen und lichkeiten geschaffen, unterstützt von einem dann auch die Glaswand um das gesamte Ökosystem aus Fachingenieuren und ausGebäude herumzuführen. führenden Firmen, die imstande sind, hochKonstruktiv ist das Gebäude eine Meiskomplexe Strukturen im großen Maßstab terleistung, die den Architekten als General- zu planen und zu bauen. Dieses Potenzial in planern (Projektleiterin bei der Umsetzung: eine Richtung zu lenken, die weniger monuJohanna Maria Priebe) mit einem Team mental und objekthaft ist, wird eine Aufgabe von Ingenieuren gelungen ist, neben anfür die Zukunft sein. deren FCP als Tragwerksplaner und DnD Landschaftsplanung. Ausgeführt wurde das Projekt von einem Totalunternehmer mit Erfahrung auf diesem Sektor, der Baufirma Granit, die unter anderem die Bibliothek der Wirtschaftsuniversität von Zaha Hadid und den Erste Campus umgesetzt hat. Die Verwandtschaft des Projekts mit Zaha Hadids Architektur ist kein Zufall. Hannes Traupmann unterrichtet seit vielen Jahren an der Universität für angewandte Kunst, zuerst bei Wilhelm Holzbauer, dann bis zu deren Emeritierung in Hadids und jetzt in Kazuy Sejimas Meisterklasse. Das Büro pxt hat sich seit seiner Gründung 1992 kontinuierlich weiterentwickelt und in den letzten Jahren verstärkt mit dem formalen Repertoire experimentiert, das auf Hadid und ihre Partner zurückgeht. Anders als bei Hadid, bei der die Form im Vordergrund steht und die Konstruktion nur ein Mittel zum Zweck ist, das die spektakulären Formen ermöglicht, verstehen sich pxt auch als Konstrukteure einer vom Tragwerk und vom Detail ausgehenden Architektur. Wer gern architektonische Ahnenforschung betreibt, wird darin den Einfluss Helmut Richters erkennen, an dessen Institut an der TU Wien Christoph Pichler viele Jahre gearbeitet hat. An der schwebenden Glaswand und ihren Details hätte auch Richter seine Freude gehabt. Man darf sich durchaus fragen, ob die … mit raffiniertem Grundriss, Ästhetik dieses Gebäudes noch zeitentworfen von Pichler & Traupmann. 55 gemäß ist. Der Beweis, dass sich eine Foto: Pxt
Bildung, Building, Bilding 19. November 2016
Die Reform unseres Bildungssystems quält sich durch die Mühen der Ebene. Zumindest architektonisch hat der PISA-Schock aber eine stille Revolution ausgelöst, deren Ergebnisse nicht mehr zu übersehen sind. – Neue Bildungsräume aus Österreich: gefunden in Dornbirn und Innsbruck.
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rchitektur ist ein Medium, in dem allem im Ausland finden oder in einem Rücksich gesellschaftliche Veränderun- griff auf die Geschichte: In den 1960er- und 1970er-Jahren hatte es auch in Österreich gen materialisieren. Manchmal eine breite Diskussion über radikale Altergeschieht das in kleinen Schritnativen gegeben, die aber in einer Rückkehr ten, manchmal in plötzlichen Schüben – vor zu „bewährten Mustern“ endete. Selbst das allem, wenn es darum geht, Schocks zu verviel gepriesene Wiener „Schulbauprogramm arbeiten. Ein solcher war der PISA-Schock im Herbst 2001, die Veröffentlichung der ers- 2000“ konnte in den 1990er-Jahren zwar ten Studie des „Programme for International einiges an formaler Innovation vorweisen, typologisch musste es – gebunden an starre Student Assessment“, die dem deutschen Richtlinien – am Gang- und Klassenzimmerund dem österreichischen Bildungssystem typus festhalten. bestenfalls mittelmäßige Qualität attesInhaltlich nahm die Debatte der 1960ertierte. Die davon ausgelöste Debatte betraf Jahre vieles von dem vorweg, was auch heute zuerst die „Software“ des Schulsystems, die diskutiert wird. Es ging um IndividualisieLehrpläne, die Unterrichtsmethoden sowie rung des Lernens: Kinder müssen nicht im die Ausbildung des Lehrpersonals. Erst mit ein paar Jahren Verzögerung wurde auch die selben Tempo nach denselben Methoden lernen. Es ging um Inklusion, verstanden „Hardware“ zum Thema: Kann es sein, dass als Erziehung zur Solidarität und zur Akdie Art, wie wir Kindergärten und Schulen gestalten, eine Mitschuld an den durch PISA zeptanz von Differenz. Und es ging um die Öffnung der Schule zum „Leben“, also zum aufgedeckten Schwächen trifft? Wer damals behauptete, dass Grundrisse mit Stadtteil und den anderen, auch informellen Bildungseinrichtungen vor Ort. In Arlinks und rechts eines langen Ganges chitektur umgesetzt bedeutete das offenere aufgereihten Klassenzimmern über56 Grundrisse, in denen Lernen nicht nur in holt sind, konnte Indizien dafür vor
Klassenzimmern stattfindet, sondern an unterschiedlich gestalteten Lernorten im Schulhaus und im Freiraum, mit möglichst viel Durchblick, um das Arbeiten in Teams zu unterstützen. Auch wenn diese Themen nach 1975 gelegentlich wieder aufflackerten, bekamen sie erst mit dem PISA-Schock den nötigen Aufwind. Ab 2005 intensivierte sich die Diskussion und erfasste schließlich auch die zahlreichen Schulerhalter auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene. Seither hat eine stille Revolution im österreichischen Bildungsbau stattgefunden. Es gibt „Leuchtturmprojekte“ wie den Campus Sonnwendviertel der Stadt Wien, das Gymnasium in der Au in Innsbruck oder die Schule in Feldkirchen in Oberösterreich, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurden. Und es gibt Dutzende weitere Projekte, die weniger prominent sind, aber auf gleichem Niveau Vorbildwirkung entfalten. Dabei geht es nicht allein um die Qualität von Einzelprojekten, sondern um die langfristige Strategie. Der unmittelbare Bedarf an neuen Schulen ist selbst in boomenden Städten wie Wien geringer als der Bedarf an Sanierung und Erweiterung bestehender Standorte. Ob in diesen Fällen eine Sanierung oder doch ein Neubau die bessere Lösung ist, hängt stark von der Ambition der 57 Schulerhalter ab: Wollen wir eine
Hauptsache viel Durchblick: Spielhof und innere Lernstraße, Volksschule Edlach, Dornbirn (links). Anfang einer Revolution? Das „bilding“ in Innsbruck (rechts). Fotos: Bruno Klomfar (links), Günter Watt (rechts)
besser wärmegedämmte Gangschule oder eine Schule, in der man auf dem heutigen Stand der Pädagogik unterrichten kann? Eine Gemeinde, die sich dieser Frage seit Jahren systematisch stellt, ist Dornbirn, mit knapp 50 000 Einwohnern die größte Stadt Vorarlbergs. Sie hat sich 2009 ein neues Schulraumkonzept verordnet, das bis zum Jahr 2030 Investitionen von rund 100 Millionen Euro in die Schulen und Kindergärten der Gemeinde vorsieht. Im Kern steht nicht die technische Sanierung, sondern die räumlich-pädagogische Qualität. Eine Ausweichschule wurde errichtet, um bestehende Schulstandorte umfassend und nicht nur in Etappen sanieren zu können. Das ursprüngliche Ziel, Projekte in einem Jahr abzuschließen, hat die Gemeinde aufgegeben: Hetzen bringt keine Qualität, und so rechnet man heute mit eineinhalb bis zwei Jahren für jedes Projekt. Aktuell wurden in der Gemeinde ein Kindergarten nach dem Entwurf von Marte. Marte und eine Volksschule von Dietrich | Untertrifaller fertiggestellt, beides Vorarlberger Baukunst auf hohem formalem und technischem Niveau. Die Volksschule in Edlach war ursprünglich als Sanierung gedacht. Es
stellte sich jedoch bald heraus, dass nur ein Neubau die gestellten Anforderungen erfüllen konnte – nicht flächenmäßig, sondern in der funktionellen Organisation. Bemerkenswert ist in diesem Fall, wie stark sich das Konzept vom Wettbewerb im Jahr 2012 zum ausgeführten Projekt weiterentwickelt hat. Der damalige Entwurf für eine Sanierung teilte den lang gestreckten Grundriss in zwei Hälften: Klassenräume auf der einen Seite, Bewegungsflächen, kleinere Projekträume und Sonderunterrichtsräume auf der anderen. Eine zentrale Treppe führte vom Eingangsbereich im Erdgeschoß nach oben. Dieses Konzept hält am Klassenraum als wichtigstem Lernort fest, dem ergänzende Räume vorgelagert werden. Eine Beziehung zwischen den Klassenräumen ist nicht vorgesehen. Im realisierten Entwurf ist der Grundriss stattdessen in Cluster gegliedert, die jeweils drei Stammklassen und zwei Projekträume über eine gemeinsame Mittelzone zu einer Einheit verbinden. Statt einer Haupttreppe gibt es zwei gleichwertige, die von der offenen Zentralgarderobe im Erdgeschoß nach oben führen, womit die Mittelzone von Durchgangsverkehr frei bleibt. Toiletten gibt es nur im Erdgeschoß, wodurch das Treppensteigen auch für die Kleinen zur regelmäßigen Übung wird. Die Wände zu den
Stammklassen sind voll verglast, und kleine, ins Volumen eingeschnittene Loggien und Höfe erweitern die Mittelzone mit direkt jedem Cluster zugeordneten Freiklassen. Neu im Raumprogramm ist eine großzügige Aula im Erdgeschoß: kein Durchgangsraum, sondern ein Halle, in der man bei Bedarf auch Theater spielen kann. Was derzeit im österreichischen Bildungsbau passiert, ist ein Experiment in „open innovation“, wie man in der Industrie Innovationen bezeichnet, die ohne zentrale Steuerung ablaufen. Es zeichnen sich neue Typologien ab, die vielleicht zu Standards werden können. Allerdings ist die Schule auf einem guten Weg, von der Maschine zum Lebensraum zu werden. Das spricht gegen Lösungsmuster und für allgemeine Prinzipien, die am jeweiligen Standort angewendet dessen Potenzial ausschöpfen. Wer sich in dieser Hinsicht inspirieren lassen möchte, dem sei ein Besuch im „Bilding“ empfohlen, einer Schule für Kunst und Architektur im Rapoldipark in Innsbruck, einem Gemeinschaftsprodukt, getragen vom aut, von Studierenden und Lehrenden des Instituts für Hochbau der Uni Innsbruck und zahlreichen privaten Förderern. Auch so dynamisch kann ein Bildungsbau aussehen: Vielleicht – hoffentlich – stehen wir ja erst am Anfang einer Revolution.
22. Oktober 2016
Hin und weg Kampfzone Denkmalpflege: zwei Beispiele aus Wien, eine Buchhandlung in der Innenstadt und die Villa Beer in Hietzing. Wo schaut das Denkmalamt in dieser Stadt hin und wo schaut es weg?
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schwer einzuschätzen. Mit seinen Fenstera war doch was. Immer an dieser Ecke, bei Spaziergän- rahmen aus Holz könnte es historisch sein, gen durch die Wiener Innen- aber dagegen spricht eine eigenartige Asymmetrie der Komposition. Die Schaufenster stadt, gab es diesen kurzen wirken wie bewegliche Elemente, die sich Moment der Irritation: ein vor die Fassade schieben oder klappen. Ihre einfaches Geschäftsportal Tiefe reduziert sich an diesen Stellen auf mit drei Öffnungen, von knapp zehn Zentimeter; tief genug, um das denen zwei als Schaufenster ausgebildet sind und die dritte den Eingang zu präsentieren, womit dieses Geschäft handelt, nämlich Bücher. darstellt. Das Alter dieses Portals ist
Fehlt da was? Buchhandlung in der Chorhausgassse von Elsa Prochazka, Originalzustand 1989 …
… und nach der Fassadensanierung 2016. Foto: C. Kühn
Foto: Margherita Spiluttini © Architekturzentrum Wien, Sammlung
Zweifel, ob man es nicht vielleicht doch mit einem historischen Portal zu tun hätte, lösten sich bisher spätestens dann auf, wenn man das eigentlich irritierende Element dieses Portals nicht als spätere Zutat, sondern als integralen Bestandteil erkannt hatte: eine Reihe von bunt gefärbten, rechteckigen Glasplatten, gerahmt in schmale Aluminiumprofile, die in einem ausgefeilten Rhythmus über und neben den Öffnungen angeordnet waren und diese miteinander verbanden. Auch die Sockel der Schaufenster waren mit solchen Platten geschützt, wobei diese im Sockelbereich in Dunkelblau und Purpurrot ausgeführt waren, im oberen Bereich abwechselnd in Purpur- und hellem Rubinrot. Die Komposition dieser Fassade entsprach einem Musikstück mit klar komponierten Harmonien, Klangfarben und Obertönen. Entworfen wurde sie Mitte der 1980er-Jahre von der Wiener Architektin Elsa Prochazka. Kleinarchitekturen waren zu dieser Zeit das Hauptgeschäft einer jüngeren Generation von Architekten, zu denen unter anderen Hermann Czech mit seinen Cafés und Bars oder Helmut Richter und Heidulf Gern groß mit dem Restaurant Kiang gehörten. Im Spannungsfeld zwischen Czechs raffiniertem Manierismus und dem Hightech-Handwerk von Richter/Gerngroß nimmt das Werk von Elsa Prochazka eine Zwischenposition ein, in der im Alltäglichen das Besondere aufblitzt. Vor Kurzem wurde die Fassade des denkmalgeschützten Hauses, in dem die Buchhandlung untergebracht ist, saniert. Und seither sind die Glastafeln weg. Das ist, als hätte man in einer Symphonie den Bläsersatz eliminiert. So steht man nun vor dem Rest dieses Portals und fragt sich: Wie 59 konnte das passieren? Der Eigentümer
des Hauses, der Deutsche Orden, zeigt sich ehrlich überrascht und verweist aufs Denkmalamt, das im Rahmen der Fassadensanierung dazu ermuntert hätte, möglichst viele spätere Zutaten an der Fassade zu entfernen. Erst auf Nachfrage finden sich im Archiv des Ordens doch die Pläne zu diesem Geschäftslokal, das auch im Innenraum zu den besten seiner Zeit gehört. Über die Anordnung und Farbgebung der Glasplatten gab es zahlreiche Diskussionen mit dem Orden und dem Denkmalamt, es wurden 1:1-Modelle angebracht, es wurde eine Variante mit weißem Glas überlegt, bevor man sich schließlich doch – gemeinsam – für die kräftige bunte Variante entschied. Ist das Denkmalamt vergesslich? Oder hat diese Entscheidung doch mit einem impliziten Qualitätsurteil zu tun? Oder schlicht mit Inkompetenz der zuständigen Beamten? Wohl eine Mischung von all dem, wobei ein zusätzlicher Aspekt zu berücksichtigen ist. Auf der Homepage des Bundesdenkmalamts wird explizit auf die neue Situation durch den seit 2003 bestehenden Welterbe-Status der Wiener Innenstadt verwiesen: „Um die strengen Richtlinien, die mit einer solchen Auszeichnung verbunden sind, einhalten zu können, musste die Unterschutzstellungstätigkeit in der Abteilung für Wien nachhaltig intensiviert werden.“ Diese Hyperaktivität darf aber nicht zu einer „Alles-weg-wasstört“-Strategie führen, der vorbildliche Beispiele für neues Bauen in alter Substanz zum Opfer fallen. Man wird nicht jedes Geschäftsportal unter Denkmalschutz stellen wollen. Im konkreten Fall hätten ein Minimum an Wissen über die jüngere Architektur und ein Blick ins Archiv ausgereicht, um eine Zerstörung zu verhindern.
Dass jüngere Architektur selbst dann, wenn sie bereits unter Denkmalschutz steht, in Wien einen schweren Stand hat, zeigen die aktuellen Vorgänge um die 1929 von Josef Frank und Oskar Wlach entworfene Villa Beer in der Wenzgasse. Anlässlich der Ausstellung über Josef Frank im Museum für angewandte Kunst wurde die Villa Beer erstmals seit Jahren wieder einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht, und an einem einzigen Wochenende stürmten 2500 Besucher nach Hietzing, um an einer Führung durch das Haus teilzunehmen. Das ist angesichts der Bedeutung des Hauses für die jüngere Architekturgeschichte kein Wunder: Die Villa Beer zählt zur selben Klasse von einzigartigen Wohnhäusern aus dem ersten Drittel des 20 Jahrhunderts, zu der auch die Villa Tugendhat in Brünn von Ludwig Mies van der Rohe, das Haus Müller in Prag von Adolf Loos und die Villa Savoye von Le Corbusier in Poissy gehören. Noch 2007 hatte die Stadt Wien, vertreten durch den damaligen Planungsstadtrat Rudolf Schicker, angekündigt, das Haus kaufen zu wollen, wenn auch „nicht zu einem horrenden Preis“. Verkauft wurde tatsächlich, allerdings an einen privaten Investor,
der zuerst 2008 einen Hausanteil erwarb und schließlich im Jahr 2012 den Rest ersteigerte und in Summe 2,8 Mio. Euro für eine Wohnfläche von 600 Quadratmetern investierte. Bestandsfrei wurde die Villa dadurch nicht, da ein Erbe der Vorbesitzerin über seine Firma noch einen Mietvertrag für eine Wohneinheit hält. Diese Einheit ist eine von fünf, in die das Haus im Lauf der Zeit zerlegt worden war. Die anderen vier wurden wieder zu der ursprünglichen großen Wohnlandschaft zusammengelegt, in Franks Worten zu einem „Haus als Weg und Platz“, einem Wunderwerk an Raumabfolgen, von dem sich die 2500 Besucher überzeugen konnten. Was der Eigentümer mit dem Haus vorhat, ist unklar. Einerseits erklärt er, mit MAK oder Az W über eine Kooperation sprechen zu wollen, um das Haus zu öffnen. Andererseits bietet er es für 5,5 Millionen Euro zum Verkauf an. Aktuell liegt ein Plan vor, einen Lift und eine zusätzliche Treppe einzubauen, um wieder drei Wohneinheiten errichten zu können. Die Raumfolge im oberen Wohngeschoß wäre damit dauerhaft zerstört. In Städten mit baukulturellem Bewusstsein gäbe es einen Aufschrei. In Wien hat das Denkmalamt dieser Zerstörung zugestimmt.
24. September 2016
Ist das schon gut genug? Kann die Aufstockung zweier schwacher Bestandsbauten zu einem starken Resultat führen? Am Karlsplatz wird man sich diese Frage stellen müssen.
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ie Wiener Karlskirche ist zweifellos eine der originellsten und bedeutendsten Barockkirchen der Welt. Mit ihren zwei monumentalen Säulen und der im Grundriss
ovalen, in der Frontalansicht schlanken und von der Seite wuchtig wirkenden Kuppel ist sie das Hauptwerk ihres Architekten Johann Bernhard Fischer von Erlach. Zur Erinnerung an die überstandene Pest des Jahres 1713 errichtet, war die Kirche in erster Linie kaiserlicher Propagandabau, in
Architektur übersetztes Gottesgnadentum. Ihr Standort ist daher mit Bedacht gewählt: Als dreiseitig freigestellter Monumentalbau lag sie außerhalb der Befestigungsmauern auf einer kleinen Anhöhe über dem damals noch unregulierten Wienfluss und war exakt auf die Hofburg hin ausgerichtet. Seit ihrer Fertigstellung im Jahr 1739 hat sich die Umgebung der Kirche massiv verändert. Im Unterschied zur Stephanskirche, die man im 19. Jahrhundert von Anbauten befreite und als Monument auf dem Präsentierteller des Stephansplatzes inszenierte, wurde die Karlskirche sukzessive von der um sie wachsenden Stadt umarmt. Aus den landwirtschaftlich genutzten Flächen der Umgebung wurde eine im Blockraster gegliederte, dicht parzellierte Stadt. Die Vorstadthäuser verwandelten sich in gründerzeitliche Wohnhäuser, die schon im 19. Jahrhundert in mehreren Etappen aufgestockt wurden. Ähnliches gilt auch für die benachbarten öffentlichen Monumentalbauen. Im Jahr 1897 wurde die damalige Technische Hochschule um ein Geschoß erhöht und erreichte damit annähernd 61 die Gesimshöhe der die Karlskirche
Aufstockung des Winterthur-Hauses: Entwurf von Henke Schreieck, der den Bestand fast unverändert lässt. Henke und Schreieck
flankierenden Glockentürme. Carl König, der Gegenspieler Otto Wagners an der Technischen Hochschule, entwarf schließlich einen seitlichen Zubau zur Hochschule, eine ruhige, fast klassizistische Fassade, die in einem Winkel von 45 Grad an deren Hauptgebäude anschließt. Dieser einigermaßen harmonischen Lösung ein entsprechendes Pendant auf der anderen Seite der Karlskirche zu geben ist eines der vertracktesten Probleme, das Wien für Architekten und Stadtplaner zu bieten hat. Viele haben sich daran versucht, geglückt ist es keinem. Otto Wagner kämpfte über zehn Jahre lang für sein Projekt eines Kaiser-Franz-Josef-Stadtmuseums an diesem Standort, zuerst 1900 mit einem „Agitationsentwurf “, den er in der Secession ausstellte. In dem 1902 folgenden Wettbewerb unterlag Otto Wagner dem Architekten Friedrich Schachner, der einen Entwurf im neo-barocken Stil lieferte, der präferierten Architektursprache des Thronfolgers Franz Ferdinand. Der öffentlich heftig geführte
Streit um das Projekt kulminierte 1910 darin, dass Wagner auf eigene Kosten ein Einszu-eins-Modell mehrerer Fensterachsen aus Holz und Leinwand errichten und das Gesamtvolumen durch hölzerne Rahmen markieren ließ. Am Ende beschloss der Gemeinderat 1911, das Stadtmuseum nicht im Zentrum, sondern auf der Schmelz zu errichten. Erst 40 Jahre später, nach dem Zweiten Weltkrieg, kam es schließlich doch zum Bau eines Stadtmuseums an diesem Ort. Das 1959 eröffnete Gebäude nahm sich die frei stehenden Kulturbauten des Künstlerhauses und des Musikvereins zum Vorbild. Während Otto Wagner als Abschluss des Karlsplatzes eine monumentale Fassade nach dem Muster seiner Postsparkasse vorgeschlagen hatte, war das von Oswald Haerdtl entworfene Museum ein solitärer, an die Lothringerstraße gerückter Baukörper, der zur Karlskirche hin eine Lücke offenließ. Hier befand sich damals noch ein schlichtes barockes Wohnhaus mit drei Geschoßen, das bis auf Tuchfühlung an die Kirche heranreichte. Anfang der 1970er-Jahre wurde dieses Gebäude abgerissen und durch das Winterthur-Haus, ein Bürogebäude nach einem Entwurf von Georg Lippert, ersetzt. Das neue Haus war kaum höher als das alte und ebenfalls knapp an die Karlskirche gerückt. Lipperts Ansatz war, das Haus zum Verschwinden zu bringen, einerseits durch eine anämisch wirkende Fassade, andererseits indem er es über Brückengeschoße mit dem Wien Museum verband. Vom Karlsplatz aus betrachtet, bilden Museum und Bürohaus heute eine die Horizontale betonende Wand, die von einem Durchgang Richtung Schwarzenbergplatz durchbrochen ist. Nun liegt ein Entwurf für die Aufstockung des Winterthur-Hauses vor. In einem geladenen, anonymen Wettbewerb unter dem Juryvorsitz von Rüdiger Lainer gewannen die Architekten Henke Schreieck mit einem Entwurf, der den Bestand fast unverändert lässt. Optisch wird das Haus um zwei Geschoße erhöht, ein niedriges mit kleinen, in einem freien Rhythmus gesetzten Fenstern und ein höheres im einheitlichen Raster des Bestandes. Hinter dieser Teilung verbergen sich zwei Vollgeschoße und ein zurückgesetztes Staffelgeschoß, dessen Terrassenbrüstung in die oberste Fensterreihe integriert ist. Diese Fassade ist 62 zwar mit Rücksicht auf den Bestand
entwickelt, aber im Gegensatz zu ihm alles andere als banal. Für die vereinten Ortsbildschützer Wiens ist sie Grund genug, mit Unterstützung der „Kronen Zeitung“ gegen das Projekt Sturm zu laufen: Ein kleiner Schandfleck solle hier in einen großen verwandelt werden. Das ist Unsinn. Wenn hier schon aufgestockt werden muss, dann ist diese Lösung durchaus akzeptabel. Trotzdem muss über das Projekt geredet werden. Sein Anlass ist nämlich eine andere Aufstockung, jene des Wien Museums. Hier hat ein Wettbewerb im Herbst 2015 zu einem Siegerprojekt geführt, das eine „schwebende“ Box auf das Museum setzt und es durch Abbruch der Brücken freistellt. Aus dem Durchgang soll eine Straße werden. Um den Eigentümern des Winterthur-Hauses diese Lösung zu versüßen, gibt es eine Kompensation: Durch den Abbruch fallen 700 Quadratmeter Nutzfläche weg, durch die Aufstockung kommen 4300 Quadratmeter dazu. Es hat daher keinen Sinn, isoliert über das Winterthur-Haus zu diskutieren. Um das Gesamtergebnis beurteilen zu können, muss auch der Planungsstand des Wien Museums auf den Tisch. Die Öffentlichkeit hat ein Recht, beurteilen zu können, ob die zahlreichen Kritikpunkte am Projekt in der Weiterbearbeitung zufriedenstellend gelöst werden konnten. Das betrifft die Details der verglasten Zwischenebene zwischen Bestand und schwebender Box, laut Juryprotokoll „das große Versprechen des Entwurfs“, aber auch die Erschließung, die Qualität der Dauerausstellungsräume sowie Statik und Lichtführung – lauter Fragen, die schon im Juryprotokoll kritisch vermerkt sind. Erst dann wird man abschätzen können, ob die Qualität der mit 100 Millionen Euro budgetierten Erweiterung und Sanierung auch die Umgestaltung des Winterthur-Hauses rechtfertigt. Kann die Aufstockung zweier schwacher Bestandsbauten zu einem starken Resultat führen? Am Karlsplatz wird man sich dieser Frage stellen müssen. Im Zweifel müsste man sich zur Entscheidung durchringen, einen Neustart zu wagen, der auch den Denkmalschutz für Haerdtls Museumsbau infrage stellt. An diesem extrem sensiblen Ort mit einem Projekt zu scheitern wäre keine Schande. Ein halbherziges zu realisieren, das für die nächsten hundert Jahre eine überzeugendere Antwort verhindert, aber sehr wohl.
27. August 2016
Die Stadt als Objekt Eine Stadtplanung, die mehr ist als der geschickte Umgang mit Sachzwängen und Interessen: Ist so etwas überhaupt vorstellbar? Die Wiener Architektenkammer lädt mit einem „Strategiepapier zur Stadtentwicklung“ zum Dialog ein. Man darf auf die Antworten gespannt sein.
Versteckte Strukturen im Häuserbrei: Schnappschüsse aus einer virtuellen Reise durch Wien. Abbildung: C. Kühn / Google Maps
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ennen Sie Wien? Ach, Sie sind hier geboren. Und wie oft waren Sie schon in der Spargelfeldstraße? Oder am Kagraner Anger? Noch nie. Das wundert mich nicht. Diese Adressen werden Sie in keinem Reiseführer finden. Nicht, dass es dort nichts zu sehen gäbe. In der Spargelfeldstraße residiert immerhin die Österreichische Agentur für Gesundheitswesen,
die hier ihre Zentrale mit 600 Mitarbeitern betreibt, in unmittelbarer Nachbarschaft zu Einfamilien- und Reihenhäusern und einem künstlichen Berg, der Mülldeponie Rautenweg, dem höchsten Punkt in der Umgebung. Auch der Kagraner Anger ist kein touristischer Hotspot. Nichts hier erinnert an den namensgebenden historischen Anger des Vororts Kagran. Eine Pfarrkirche, 1970
nach Plänen der Berliner Architekten Alfons Freiraumplanung Platz gemacht, deren gestalterisches Repertoire sich auf Grünpflanund Florian Leitl errichtet, bildet hier den zen und Stadtmöblierung beschränkt? Schlusspunkt einer modernistisch-monuDie Qualität der in den letzten Jahrzehnmentalen Wohnhausanlage aus den frühen ten entstandenen Stadträume lässt frei1960er-Jahren, deren bis zu zehn Geschoße lich Zweifel daran aufkommen, ob man auf hohe Wohnblöcke sich in strenger orthogonaler Anordnung einen Kilometer weit nach diese Disziplin tatsächlich verzichten kann. In Deutschland führten diese Zweifel 2014 Süden erstrecken. zu einer Debatte, die von einem dreiseitiEs ist gut möglich, dass 99 Prozent der gen Manifest unter dem Titel „Stadt zuerst!“ Wiener diese Orte nie besuchen werden. ausging, das Kölner Stadtplaner um WolfDürfen sie trotzdem behaupten, ihre Stadt zu kennen? Natürlich. Wie bei jeder Stadt ist gang Sonne und Christoph Mäckler initiiert hatten. „Deutschland war noch nie so wohldas Wien, das die Wiener kennen, ein sehr habend, seine Stadträume waren aber noch individuelles. Ein paar Dutzend Adressen nie so armselig“, hieß es da trocken, und sind jedem Wiener geläufig, es gibt ein paar die Kritik richtete sich vor allem an die UniErzählungen, die von fast allen geteilt werden, aber dann franst das Wien-Bild aus und versitäten, an denen man nur noch lerne, ausführlich zum Thema Stadt zu sprechen, differenziert sich in persönliche Wien-Bilder und Erfahrungen. Das Charakteristikum aber nicht mehr, wie man eine Straße, geder Großstadt ist, dass sie einen Namen hat, schweige denn einen Stadtteil gestaltet. Die Antwort kam von einer etwas jüngeaber viele Identitäten. ren Generation von Planern, die unter dem Die Stadtplanung der letzten Jahrzehnte hat daraus den Schluss gezogen, dass es sich Titel „100 Prozent Stadt“ ein Gegenmanifest verfassten, in dem die Vielfalt der Stadt nicht lohnt, die Stadt als ein Objekt zu bebeschworen wurde, die nur noch durch intrachten, das sich gestalten ließe. Als Folge terdisziplinäre Anstrengung gelenkt werden hat sie die Stadt in zwei Richtungen aufgekönne. Eine lebendige Stadt sei eben immer löst: auf der einen Seite in ihre funktionalen in Bewegung und existiere eigentlich nur im Elemente, Verkehrssysteme und Wohnbauten, Grünanlagen und Industriebetriebe, eine Kopf: Sie bestehe „vor allem aus den Erzähgigantische, form- und gestaltlose Infrastruk- lungen der Vergangenheit und den gegenwärtigen Erwartungen an die Zukunft“. Ist tur, zwischen deren Komponenten ein perdiese erzählte Stadt nicht um vieles interesmanenter Fluss von Energie, Personen und santer als ihre dauerhafte Form aus Ziegel, Gütern besteht. Auf der anderen Seite in ein Stahl und Beton? Spannungsfeld von Interessen, in dem das Wer sich an diese Frage praktisch heranRecht auf Stadt permanent zwischen Bewohnern und Projektentwicklern, Grundstückei- wagen möchte, dem sei ein Ausflug in die Stadt empfohlen, allerdings nicht in die regentümern und Beamten verhandelt wird. ale, sondern in die virtuelle. Google bietet So unterschiedlich diese beiden Ansätze mit seiner Maps-Funktion seit Kurzem die auch sind, in einem Punkt gehen sie konMöglichkeit, in ausgewählten Städten frei form: Wenn sich etwas gestalten lässt, dann durch ein dreidimensionales Modell der sind es die immateriellen RahmenbedinStadt zu navigieren. Im Vergleich zu frügungen, die zur Gestalt führen, und nicht die Gestalt der Stadt selbst. Im ersten Fall ist heren Versionen, die zuerst die Navigation diese Gestalt das Resultat technischer Sach- durch ein exaktes, orthogonal aufgenomzwänge, im zweiten Fall ein Resultat sozialer menes Luftbild erlaubten und später eine Schrägansicht in voreingestellten PerspekProzesse. tiven, bietet die neue Funktionalität das ErDass der Begriff Stadtbaukunst in dielebnis eines Drohnenflugs, gesteuert mit der sem Umfeld kein besonders hohes Ansehen Computermaus. genießt, ist nicht weiter verwunderlich. Ist Vom Fließen ist in diesem Modell keine die Vorstellung einer künstlerischen Disziplin, die Bauwerke und den von ihnen gebil- Rede mehr. Die Stadt ist erstarrt. Die Sonne steht am Zenit eines sonnigen Tages, und so deten Raum in einem zeitlich und räumlich detailreich alle Fahrzeuge und selbst Baugroßen Maßstab zusammendenkt, nicht stellen dargestellt sind: Die Straßen sind hoffnungslos veraltet? Hat sie nicht menschenleer, und nichts bewegt sich. Je abseits der historischen Stadtkerne 64 näher man dabei ins Bild zoomt, desto ihren Gegenstand verloren und einer
sichtbarer werden die Effekte der Algorithmen, mit denen Google aus Satellitenbildern und anderen Daten die Geometrie und die Oberflächen dieses Stadtmodells errechnet. Man muss diesen Bildern einen speziellen, äußerst suggestiven „Stil“ zugestehen, der das Modell stark vereinheitlicht. In Verbindung mit der freien Navigation wirkt die Stadt plötzlich nicht mehr als Addition von Elementen, sondern als großes, faszinierendes Objekt. Wer sich ein paar Stunden durch dieses Modell bewegt, lernt die Stadt auf eine radikal neue Art kennen. Vor allem lernt er, dass es zwischen der Stadt der technischen Sachzwänge und der Stadt der Interessen tatsächlich eine Stadt als Objekt gibt, mit eigener Form und Gestalt, in der andere Zusammenhänge bestehen, als man sie von der Fußgängerebene aus herstellen würde. Und genau hier könnte auch eine zeitgemäße Stadtbaukunst ansetzen, die nicht zurück ins 19. Jahrhundert weist, sondern in die Zukunft. Die Kammer der Wiener Architekten und Ingenieurkonsulenten hat gerade einen Schritt gesetzt, die beamtete Wiener Stadtplanung und ihre akademischen
Sekundanten zu einem Dialog über diese Frage herauszufordern. „Schmerzlich vermisst“ werde, so die Vorsitzenden der Kammer, „eine Strategie für Stadtgestaltung im Sinne einer originären und zeitgemäßen Antwort in Fragen der Architektur und des Städtebaus.“ Als ersten Input für diese Diskussion hat die Kammer ein „Strategiepapier Stadtentwicklung“ beauftragt, verfasst von Michael Hofstätter, Mitglied der Architektengruppe PAUHOF. (Nachzulesen unter bit.ly/2bxnv2u.) Hofstätter referiert die Geschichte der Stadtplanung in Wien, analysiert ihre aktuellen Zwänge und Beschränkungen und fordert schließlich eine rationale Debatte über ihre Instrumente, Institutionen und Organisationsformen. Dieses Papier hat ernsthafte Antworten verdient. Sie sollten mit dem Eingeständnis beginnen, dass es eine Ebene der Stadtplanung gibt, die nicht von Sachzwängen und Interessen dominiert ist. Ihre Kunst besteht darin, im Häuserbrei der Stadt anschlussfähige Strukturen, Formen und Gestalten zu entdecken und auf dieser Basis dem Wachstum der Stadt Orientierung zu geben. Noch ist es dafür nicht zu spät.
29. Juli 2016
Sparen mit Verstand Mit seinem Programm zum „smarten“ Wohnen sucht der geförderte Wiener Wohnbau nach der Quadratur des Kreises: günstige Mieten trotz hoher Qualität. Ein erstes Ergebnis, geplant von Geiswinkler & Geiswinkler, beweist: Das geht. Wir müssen nur lernen, Urbanität in der dritten Dimension zu leben.
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inter dem Hauptbahnhof befindet sich ein Großlabor des geförderten Wiener Wohnbaus: das Sonnwendviertel. Jüngstes Experiment in diesem Labor ist ein Wohnhaus, das der Bauträger „Heimbau“ an der Alfred-Adler-Straße entwickelt hat. Das Grundstück liegt an der
Schnittstelle zwischen der gründerzeitlichen Bebauung und dem neuen Stadtteil auf dem ehemaligen Bahngelände. Es ist lang und schmal, mit einer 150 Meter langen straßenseitigen Front nach Südosten und einem Innenhof mit gründerzeitlichen Hoffassaden. Ein markantes Gegenüber findet der lange
Riegel an der Kreuzung zur Sonnwendgasse, wo ihm ein elfgeschossiges Turmhaus aus den 1960er-Jahren einen vertikalen Kontrapunkt setzt. Das Haus ist eines der ersten in Wien, in dem der Großteil der Wohnungen (116 von 148) nach dem Prinzip des sogenannten Smart-Wohnens im geförderten Wohnbau errichtet wurde. Smart-Wohnen soll „leistbaren“ Wohnraum schaffen, ohne den hohen Standard des geförderten Wohnbaus in Wien aufzugeben. Erreicht werden soll das durch Bruttomieten von maximal 7,50 Euro pro Quadratmeter, Reduktion der Quadratmeterflächen der Wohnungen und eine hohe Bebauungsdichte, die den Anteil der Grunderwerbskosten reduziert. Das Smart-Programm ist nicht unumstritten: Was die einen als logischen Schritt zur Reduktion auf das ökonomisch Vertretbare sehen, ist für die anderen ein Rückschritt in Richtung „Wohnen für das Existenzminimum“, noch dazu in gefährlich dichter Packung. Mit dem Wohnbau in der Alfred-AdlerStraße haben die Architekten Kinayeh und Markus Geiswinkler bewiesen, dass Smart-Wohnen ohne Abstriche bei der Qualität funktionieren kann. Ihr Wohnbau, dessen reine Baukosten bei 1385,- Euro pro Quadratmeter lagen, 66 ist ein „Stadtregal“ mit einfachem
Vielfalt im großen Rahmen: Stadtregal mit Platz für eigene Gestaltung. Fotos: Daniel Hawelka
Konstruktionsprinzip: tragende Außenwände, denen zur Straße hin ein zwei Meter tiefes Gerüst mit Balkonen vorgesetzt ist, zum Hof hin Laubengänge mit ebenfalls zwei Meter Breite, die sich aber an mehreren Stellen zusätzlich aufweiten, als Abstellplätze für Fahrräder, aber auch als geschlossene Räume, etwa für Waschküche oder Werkstätten. Der Laubengang spart Kosten, da er die Erschließung vieler Wohnungen mit wenigen Aufzügen erlaubt; er ist aber auch ein Begegnungsraum, wenn er – wie hier – mit Zusatzfunktionen angereichert wird. Die Küchen haben Fenstertüren zum Laubengang, und man darf
Halböffentliche Erschließungszonen: innere Laubengänge mit Boxen für gemeinsame Nutzungen.
erwarten, dass doch manche Bewohner die Menschen baute, scheinen die VerkehrsGelegenheit nutzen, die Grenze zwischen planer, die hier am Werk waren, überhaupt Privatem und Öffentlichem für ein paar verlernt zu haben. Derart unwirtlich breite Stunden am Tag aufzuheben. Straßenräume wie im Sonnwendviertel hat Diese effiziente Nutzung von Raumzodie Stadt schon lange nicht mehr gesehen. nen ist angesichts der geringeren GrundfläDer motorisierte Verkehr wird hier sicher chen ein Kernprinzip des Smart-Wohnens. gut vorankommen; bleiben möchte in dieser Die Wohnungsgrößen liegen mit 40, 55 und Straße niemand. 70 Quadratmetern deutlich unter den sonst Das ist besonders schade, da es im neuen üblichen. Im C-Typ mit 70 QuadratmeGebäude selbst gelungen ist, eine durchgäntern lassen sich im maximalen Ausbau eine gig mit Geschäften oder öffentlichen NutWohnküche, ein Elternschlafzimmer und zungen belebte Erdgeschoßzone mit einer zwei Kinderzimmer unterbringen. Angeüberdeckten Arkade zu schaffen. Von hier sichts dieser Dichte ist es wichtig, dass alle bieten sich auch Sichtverbindungen zu dem Räume Fenstertüren und einen Balkon beschönen, von den Gartenarchitekten Ausitzen, der vor den Schlafräumen nur 80 cm böck und Kárász geplanten Hof. In dessen tief ist, sich vor den Wohnräumen aber auf privatem Teil haben sie die knappe Fläche gut nutzbare zwei Meter aufweitet. Damit diese tiefen Balkone die Wohnungen nicht verschatten, sind sie stockwerksweise gegeneinander versetzt, sodass über jedem tiefen Balkon ein zweigeschossiger Luftraum liegt. Gemeinsam mit der Bepflanzung, die im Moment noch etwas schütter aussieht, belebt dieser Versatz die straßenseitige Fassade des Stadtregals, die sonst leicht monoton wirken könnte. Neben den Laubengangwohnungen im langen Riegel gibt es an der tieferen Stelle des Grundstücks zwei Quertrakte, die einen kleinen, öffentlich zugänglichen Hof umschließen. Dieser Hof ist Teil eines Systems von Fußwegen, das im Sonnwendviertel die Innenhöfe der Blockrandbebauung miteinander verbindet. Die Architekten haben hier aus diesem Prinzip einen städtischen Platz mit besonderer Qualität gemacht, der nicht nur räumlich überzeugt, sondern auch durch Geschäfte im Erdgeschoß städtisches Leben anziehen wird. Die Verbindung zur Straße erfolgt nicht durch einen schmalen Durchgang, sondern durch einen breiten, gedeckten Stadtraum, für den im Erdgeschoß sechs Achsen des Stadtregals geöffnet wurden. Dieser Stadtraum ist quasi das öffentliche Foyer für die beiderseits liegenden Portale zu den Liften und Laubengängen. Gewünscht hätte man sich an dieser Stelle eine Station der hier vorbeiführenden Buslinie und einen Zebrastreifen als logische Fortsetzung des Fußwegesystems. Dass sowohl der Bus als auch der nächste Zebrastreifen erst einen Häuserblock weiter zu finden sind, ist ein SchildbürGrundriss mit privatem Garten und öffentlichem gerstreich, der die Passanten 150 m Durchgangshof. Geiswinkler & Geiswinkler 67 Umweg kostet. Wie man Straßen für
mit einer Dschungellandschaft im militärischen Camouflagemuster ausgestattet, die sich wie ein Teppich an einer Schmalseite des Hofs hochzieht. Im öffentlich zugänglichen Bereich gibt es runde, teilweise begrünte Sitzkreise. Insgesamt lässt dieses Projekt den Schluss zu, dass Smart-Wohnen tatsächlich ein schlaues Konzept ist. Es wird dann erfolgreich sein, wenn es konsequent den Weg geht, den die besten der Wiener Wohnbau-Architekten im Moment verfolgen,
nämlich Urbanität in der dritten Dimension zu entwickeln. Das bedeutet, die Stadt ins Haus zu holen, die Erdgeschoße zu beleben und halb öffentliche Erschließungszonen bis in die obersten Geschoße als Begegnungszonen auszubilden. Selbst wenn die 163 → Bewohner dieses Angebot nicht sofort annehmen, ist es essenziell, um die Dichte in dieser Art von Bebauung nicht nur als erträglich, sondern als bereichernd und aktivierend zu empfinden.
4. Juni 2016
Wie viel Wert hat Ihre Haltung? Alle zwei Jahre finden in ganz Österreich die Architekturtage statt, heuer unter dem Titel „Wert/Haltung“. Sie zeigen unter anderem Österreichs beste Häuser – auch solche, die es bald nicht mehr geben wird. Zu Herbert Eichholzers Haus Albrecher-Leskoschek in Graz.
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Befreites Wohnen 1938: Haus Albrecher-Leskoschek … Foto: Sammlung Haimo Halbrainer
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ie erklärt man ArchitekUmso größer war seine Fähigkeit, Architur? Am besten gar nicht, tektur als Erlebnis zu vermitteln. In der Bemeinen viele Architekten: antwortung einer Rundfrage aus dem Jahr Gute Architektur spreche 1907 nach dem schönsten Wiener Innenfür sich selbst und brauche raum nennt Loos den Stephansdom: „Sage keine Erklärung. Tatsächlich wird sich kaum ich damit etwas Altes? Umso besser. Man ein Laie ohne das direkte, sinnliche Erlebnis kann es nicht oft genug sagen: Wir haben den für ein Haus begeistern. Selbsterklärend ist weihevollsten Kirchenraum der Welt. Das ist Architektur damit aber noch lange nicht. Man kein totes Inventarstück, das wir von unseren sieht nur, was man weiß, und daher braucht Vätern übernommen haben. Dieser Raum auch gute Architektur Vermittler, um Aspekte erzählt uns unsere Geschichte. Alle Generaeines Werks freizulegen, die ohne Vorwissen tionen haben daran mitgearbeitet. Dann aber nicht verständlich wären. strömt dieser Raum auf einen ein, daß man … Zu den Architekten, die sich intensiv mit Ich sehe, ich kann mich nicht ausdrücken, Architekturvermittlung befassten, gehörte wie er wirkt. Aber vielleicht beobachte jeder Adolf Loos, nicht nur als Autor zahlreicher das Gefühl, das ihn erfaßt hat, wenn er nach Beiträge in der „Neuen Freien Presse“, sondem Durchschreiten die Straße betritt. Es ist dern auch als Herausgeber einer eigenen stärker als nach der Fünften von Beethoven. Zeitschrift mit dem programmatischen TiDie dauert eine halbe Stunde. St. Stephan tel „Das Andere. Ein Blatt zur Einführung braucht dazu eine halbe Minute.“ abendländischer Kultur in Österreich“. Loos Im selben Text nennt Loos auch das wollte darin nicht Architektur vermitteln, schönste Palais: das Stadtpalais Liechtensondern eine kulturelle Haltung, die sich auf stein in der Bankgasse („ganz unwienerisch, alle Lebensbereiche erstreckte. Das Blatt, nicht in dem kleinlichen Wiener Barockstil“); das 1903 als Beilage zur Zeitschrift „Kunst“ das schönste neue Gebäude: das Geschäftserschien, erlebte wohl auch aus diesem und Wohnhaus Ecke Himmelpfortgasse/ Grund nur zwei Auflagen. Wer von Architek- Kärntner Straße von Johann Walland, heute tur in erster Linie schöne Formen erwartete, ein Anhängsel von David Chipperfields wurde von Loos nur schlecht bedient. Peek-und-Cloppenburg-Palast („bescheiden,
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…-- von Herbert Eichholzer in Graz, umgebaut und erweitert, in Kürze abgerissen. Foto: Antje Senarclens de Grancy
ruhig, vornehm. Dieses Haus wird nicht in den Kunstzeitungen abgebildet werden, man hält es nicht für künstlerisch genug. Und das, was die Leute modern nennen, also ordinär, ist es auch nicht.“); und schließlich auch das schönste sterbende Gebäude: das wenige Jahre später, 1913 abgerissene Kriegsministerium am Platz am Hof, in dessen Nachfolgebau heute das Park Hyatt Hotel eingezogen ist („Jeder weiß, dass es bald fallen wird, aber keine Hand erhebt sich, diesem Frevel Einhalt zu tun. Nun gut, so fangt euch den Hof jetzt noch mit Blicken ein, damit Ihr ihn im Herzen aufbewahren könnt. Dieses Gebäude gibt den Grundakkord für den Platz. Ohne dieses Gebäude gibt es keinen Platz am Hof mehr.“) Die Architekturtage, die an diesem Wochenende wie alle zwei Jahre in ganz Österreich stattfinden, haben sich heuer mit dem Motto „Wert/Haltung“ ein sperriges Thema gegeben, das in dieser Tradition der Architekturkritik steht und nach den Wertvorstellungen fragt, die in der Architektur bei jedem Projekt zum Vorschein kommen. Reden wir nur von Funktionen, Kosten und Sachzwängen? Oder auch von Nachhaltigkeit, von Innovation und von Schönheit? Haben wir Respekt vor kreativen Leistungen, oder reicht uns das Mittelmaß? Die Architekturtage, die von der Bundeskammer und den Länderkammern der Architekten und Ingenieurkonsulenten und der Architekturstiftung Österreich veranstaltet werden, bieten eine Gelegenheit, sich mit diesen Fragen zu befassen, und zwar nicht nur abstrakt, sondern vor allem konkret am gebauten Objekt. So weit wie möglich sind – im Rahmen des Veranstaltungsformats „Zu Gast bei . . .“ – auch Bauherren und Architekten der Projekte vor Ort. Selbst das hat Adolf Loos schon vor hundert Jahren vorgemacht: Er veranstaltete regelmäßig „Wohnungswanderungen“, bei denen er Interessierte durch von ihm gestaltete Wohnungen führte. Das umfangreiche Programm der Architekturtage wird von den Vermittlungsinstitutionen in den Bundesländern getragen, wobei in Wien die Österreichische Gesellschaft für Architektur und das Architekturzentrum kooperieren. Exemplarisch zum Thema „Wert/ Haltung“ passt ein Programmpunkt, den das Haus der Architektur in Graz anbietet: eine Führung durch das Haus Albrecher-Leskoschek, 1937 vom Archi70 tekten Herbert Eichholzer im Stil der
internationalen Moderne entworfen. Wäre es noch im Originalzustand, hätte man es mit einem für Österreich seltenen Beispiel für diesen Stil, der nie einer sein wollte, zu tun, einem Haus, dessen Qualität nahe an das Landhaus Gamerith am Attersee von Ernst Plischke heranreicht. Im Unterschied zu Plischkes Meisterwerk, das als eingeschossiges Ferienhaus eine größere Leichtigkeit hat, ist das Haus Albrecher-Leskoschek vom Format her eine bürgerliche Villa mit Wohn- und Schlafgeschoß. Sie scheint über dem Hang zu schweben, auf Stützen, die eine umlaufende Terrasse tragen. Von einem leichten Vordach geschützt, ist sie ein regengeschützter Wohnraum im Freien. Der Zugang erfolgt nordseitig über einen kleinen Vorraum und eine Garderobe, von der zwei Stufen in eine Wohndiele hinunterführen, an die wieder eine Stufe tiefer der Wohn- und Essbereich anschließt. Die Möblierung ist in der Wohndiele funktionalistisch reduziert, während sie sich im Wohnbereich eher an Josef Frank orientiert, dessen Stoffe Eichholzer hier auch einsetzt. Alles an diesem Haus erzählt von der Hoffnung auf eine neue Zeit, in der Sigfried Giedion „befreites Wohnen“ propagierte und Frank überhaupt die Devise ausgab: „Modern ist, was uns vollkommene Freiheit gibt.“ Dass wir heute überhaupt über diese Urfassung des Hauses sprechen können, ist einem hervorragenden Buch zu verdanken, mit dem das Autorenteam Heimo Halbrainer, Eva Klein und Antje Senarclens de Grancy dem Haus ein Denkmal gesetzt haben. Der Urzustand ist nach zahlreichen Umbauten und Erweiterungen heute nämlich höchstens zu erahnen. Auch das wundersame Wandgemälde von Axl Leskoschek, eine „Allegorie der Freunde“, das im Buch detailreich in seiner Symbolik beschrieben wird, ist unrettbar hinter einer dicken Schicht roter Farbe verschwunden. Nur anhand des Buchs kann man heute erkennen, dass dieses „sterbende Gebäude“, das bald einer Erweiterung des Landeskrankenhauses Graz weichen wird, mehr ist als ein beliebiges Stadtrandhäuschen. Für seinen Architekten Herbert Eichholzer war die internationale Moderne mehr als ein Stil. Als Mitglied der kommunistischen Partei engagierte er sich, unter anderem mit Grete Schütte-Lihotzky, im Widerstand gegen das NS-Regime. 1941 an die Gestapo verraten, wurde er 1942 in Wien hingerichtet.
28. Mai 2016
Eine Front findet sich immer Alle zwei Jahre versammelt sich die Architekturszene zur Positionsbestimmung in Venedig. Diesmal ist sie gerade noch nicht unter die Räder der guten Absichten geraten.
Raumgreifendes Ding: Beitrag von Christian Kerez im Schweizer Pavillon, Architekturbiennale Venedig. Foto: C. Kühn
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Less aesthetics, more ethics“, so betitelte Massimiliano Fuksas die von ihm im Millenniumsjahr 2000 kuratierte Architekturbiennale. Wer erinnert sich noch an die lange Flucht von Projektionen in den Räumen des Arsenale, in denen Fuksas ein Weltpanorama
der Architektur aufrollte? Als Labor über die „planetare Dimension“ aktueller Probleme im Spannungsfeld von Umwelt, Gesellschaft und Technologie gedacht, scheiterte diese Biennale in der Umsetzung. Die Bilderflut überrollte die Besucher, ohne dass sich die Konturen einer Alternative zum laufenden Betrieb erkennen ließen. Ähnlich erging es wenig später Richard Burdett, der sich bei
der Biennale 2006 zwar nicht auf den ganzen Planeten, aber immerhin auf dessen urbanisierten Teil konzentrierte. Heuer sucht Alejandro Aravena als Direktor der aktuellen Architekturbiennale einen anderen Zugang zum Thema. Am Planeten interessiert ihn nicht mehr die weltumspannende, gemeinsame Oberfläche, sondern die Grenzlinie in ihrer radikalsten Form, der Front. Mit dem Titel „Reporting from the Front“ stellt Aravena die heurige Biennale unter ein Motto, das leicht missverstanden werden kann. Die Front markiert die umkämpfte Grenze zwischen Freund und Feind, zwischen Eigenem und Fremden. Vor ein paar Jahren hätte das aus europäischer Perspektive nach einem exotischen Thema über Frontlinien in Kriegsgebieten ferner Länder geklungen. Heute dominieren diese Themen die europäische Politik. Aravenas Vorstellung von „Front“ geht jedoch weit über diese Kriegsrhetorik hinaus. In seiner Beschreibung des Themas klingt die Vorstellung einer neuen Avantgarde der Architektur an, die unter den Bedingungen des Ausnahmezustands mit frischen Ideen ans Werk geht. Die Biennale möchte Ansätze präsentieren, von denen man lernen könne, „trotz knapper Ressourcen zu intensivieren, was verfügbar ist, statt über den Mangel zu klagen“. Es gehe um „Werkzeuge, mit denen sich die Kräfte, die das ,Ich‘ über das ,Wir‘ stellen, subversiv umgehen lassen“, und um Fallbeispiele, die unter widrigen Umständen weiterhin „die Mission der Architektur verfolgen, das Mysterium der ,conditio humana‘ zu durchdringen.“ Ziel sei ein Verständnis zu wecken für „Design als Mehrwert statt als zusätzlicher Kostenfaktor“. So viel heroisches Pathos hat es seit Langem nicht mehr im Architekturdiskurs gegeben. Dass Aravena für diese Art von Engagement heuer mit dem Pritzker-Preis ausgezeichnet wurde, beweist, dass die Zeit dafür reif war, 15 Jahre, nachdem Fuksas die Formel „Less aesthetics, more ethics“ zur Diskussion gestellt hat. Aravena geht es in erster Linie um konkrete Aktionen, was sich auch in den Beschriftungen der Arbeiten in den beiden von ihm direkt kuratierten Ausstellungen im Hauptpavillon und im Arsenale widerspiegelt. Sie beginnen jeweils mit „The work of … in …“, wobei damit nicht das Werk im Sinn eines Objekts gemeint ist, sondern das Arbeiten an einem 72 konkreten Ort. Konsequenterweise
Grenzbalken oder Gabentisch? Betonplatte vor dem Eingang zum Österreichischen Pavillon. Foto: Paul Kranzler
zeigt Aravena fast ausschließlich realisierte Projekte und keine Utopien, und nicht immer sind Architekten die Hauptakteure, so etwa bei „The work of EFM (Public Companies of Medellin) and the mayor’s office to change the fate of the city“. In Summe ist Aravena eine Weltausstellung einer anderen Architektur gelungen, nicht zuletzt deshalb, weil sie nicht nur akute Krisenintervention, also Notlösungen zeigt, sondern auch Arbeiten – oder genauer Arbeit –, die auf Dauerhaftigkeit und höchste Qualität setzen. Es ist symptomatisch, dass ein eigener Raum Renzo Piano gewidmet ist, einem Architekten, der neben Großprojekten immer auch Ad-hoc-Architekturen entwickelte, beides auf höchstem Niveau. Aus Österreich überrascht im Arsenale „The work of Marte.Marte in Vorarlberg“, das hier an der Frontlinie zwischen Natur und Architektur präsentiert wird. Unter den Länderpavillons widmen sich Deutschland und Österreich den Themen Flucht und Migration. Der deutsche Pavillon präsentiert sich als unmissverständliches Bekenntnis zu Deutschland als Einwanderungsland. Nur in einem Raum geht es um die akute Flüchtlingskrise, alle anderen widmen sich der Frage, wie Deutschland zur Heimat für die neu Ankommenden werden kann. Ausgehend von Thesen aus Doug Saunders’ Buch „The Arrival City“, werden die urbanen, architektonischen und sozialen Anforderungen an die Stadt unter Migrationsbedingungen ausgelotet. Das Bekenntnis zur Offenheit drückt sich auch im Raum aus: Mehrere großformatig in die Außenwände
gebrochene Durchgänge lassen Wind und Regen in den Pavillon, bieten aber auch neue, lohnende Ausblicke. Der österreichische, von Elke Delugan mit Liquid Frontiers kuratierte Beitrag setzt vor den Pavillon ein irritierendes Element: eine scheinbar schwebende Stahlbetonplatte, die man als einladenden Gabentisch, aber auch als massiven Grenzbalken interpretieren kann, wobei Letzteres wohl die Mehrheitsposition zur Immigrationsfrage in Österreich (und Deutschland) symbolisiert. Hinter diesem Balken findet sich die Dokumentation von drei noch laufenden Projekten in Wien, die Caramel, EOOS und Next Enterprise mit Flüchtlingen und für Flüchtlinge in Wien erarbeitet haben. Räumlich wurde Heimo Zobernigs Installation von der jüngsten Kunstbiennale beibehalten und nur um einen großen Tisch mit Materialien und Videos ergänzt. Davor, im Eingangsraum, finden die Besucher Stapel großformatiger Poster mit Fotos von Flüchtlingen zur freien Entnahme. Wenn diese Installation als Entlarvung oberflächlicher Anteilnahme
gedacht war, ist sie jedenfalls gelungen. Hauptprodukt der Ausstellung ist aber eine gut aufgemachte, großformatige Zeitung, die einem internationalen Publikum nicht nur die drei direkt im Rahmen der Biennale entstandenen Projekte, sondern so gut wie alle relevanten Initiativen zum Thema in Österreich vorstellt. Unter den übrigen Länderpavillons sticht der Schweizer Pavillon mit Christian Kerez’ Beitrag hervor, der von Arbeit an einer ganz anderen Front berichtet. Kerez, der auch im Hauptpavillon mit einem Rechercheprojekt über eine Favela in São Paulo vertreten ist, installiert hier ein raumgreifendes, in den Dachstuhl ragendes Objekt, eine weich-amorphe Form mit grottenartigem begehbarem Innenraum. Das Objekt repräsentiert einen Nullpunkt der Architektur, ohne Bindungen sozialer, funktionaler oder inhaltlicher Art, durch Beobachtung von Zufall entworfen und mit enormem technischem Aufwand umgesetzt. Es ist das Weltwunder dieser Biennale, ein rätselhaftes Ding in einer Welt ohne Rätsel.
7. Mai 2016
Meint ihr das ernst? Die Pläne für die Bebauung am Wiener Eislaufverein gehen in die nächste Runde. Der städtische Fachbeirat für Stadtplanung und die UNESCO geben in den kommenden Wochen ihre Empfehlungen ab. Wie wird der Gemeinderat im Herbst mit dem Projekt verfahren?
Du sollst Dir kein Ortsbild machen“: Kein Geringerer als Friedrich Achleitner hat dieses Gebot vor Jahren verkündet. Städte und Dörfer verändern sich, manchmal langsam und behutsam, manchmal in plötzlichen Schüben, die kaum einen Stein auf dem anderen
lassen. Die Fixierung auf ein Bild, das für die „gute alte Zeit“ steht, ist ein schlechter Ratgeber, wenn es darum geht, gute Veränderungen von schlechten zu unterscheiden. Trotzdem besteht die Stadt auch aus Bildern, die im kollektiven Gedächtnis haften bleiben. Der Blick vom Oberen Belvedere auf Wien gehört zu diesen besonderen
Eindrücken: der barocke Garten mit dem Unteren Belvedere als Abschluss; dahinter eine gestaffelte Dachlandschaft, die überwiegend auf das 19. Jahrhundert zurückgeht; der Nordturm der Stephanskirche und die Hügel des Wienerwalds. In dieses Bild haben sich in den letzten Jahrzehnten neue Elemente geschoben, die teilweise deutlich aus der alten Dachlandschaft herausragen. Dazu gehören die beiden großvolumigen Hotels am Stadtpark, das Intercontinental und das Hilton, die Hochhäuser im Bereich von Wien-Mitte und am Donaukanal, mit dem Media-Tower und dem Sofitel als markantesten Objekten. Diese Hochpunkte bilden eine lose Kette, die annähernd konzentrisch zum östlichen Abschnitt der Ringstraße verläuft. Was spricht dagegen, eines dieser Objekte, das Hotel Intercontinental, um drei Etagen aufzustocken und ihm einen Turm an die Seite zu stellen, der mit 73 Metern gleich hoch wäre wie der Ringturm, ein Bauwerk aus den 1950er-Jahren am anderen Ende der Innenstadt? Wer unvor74 eingenommenen Besuchern eine
Hochhausdebatte? Oder geht es doch um mehr? Wien-Blick vom Oberen Belvedere mit projektiertem Turm am WEV-Areal. Fotomontage: M. Kupf
entsprechende Visualisierung des Blicks auf die Innenstadt vom Oberen Belvedere aus vorlegt, bekommt darauf eine spontane und einfache Antwort: Dieser Blick ist ruiniert. Niemand würde auf die Idee kommen, neben die Karlskirche einen Getreidesilo zu stellen oder vor das Parlament ein Hochregallager. Warum geht das hier? Warum ein Hochhaus, das wie ein Gespenst aus den 1950er-Jahren aussieht? Warum eine Scheibe, die als Karikatur der rationalistischen Häuserzeilen Ludwig Hilberseimers aus den 1930er-Jahren durchgehen könnte? Als Idee hat das vielleicht einen surrealistischen Witz. Aber ist das, so fragen die Besucher ungläubig, wirklich Euer Ernst? Ein spontanes ästhetisches Urteil reicht freilich nicht aus, um eine gute Veränderung von einer schlechten unterscheiden zu können. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Zeitgenossen sich irren und ein zuerst umstrittenes Bauwerk später als Bereicherung empfunden wird, wie etwa der Eiffelturm
oder die Torre Velasca in Mailand. Das liegt allerdings nicht an gutem Marketing, sondern ist in den Objekten selbst angelegt. Was bietet das aktuelle Wiener Projekt in dieser Hinsicht? Konstruktiv und formal ist es eine Banalität, wie sie tausendfach auf der Welt vorkommt. Ein Wahrzeichen entsteht hier sicher nicht. Aber ist es nicht trotzdem eine Verbesserung des heutigen Zustands, an einem Ort, der Besseres verdient hat? Der Ort ist tatsächlich ein besonderer. Welche Stadt leistet es sich sonst noch, mitten im Zentrum einen Eislaufplatz zu betreiben? Und zwar nicht als Verlegenheitsnutzung, sondern als Teil des Ringstraßenkonzepts, das zwischen dem Stadtpark zum Flanieren und den Kulturbauten von Konzerthaus und Akademietheater eine Fläche für Sport vorsah. Seit 1897 gibt es hier den Wiener Eislaufverein, seit 1900 mit eigenen, von Ludwig Baumann entworfenen historistischen Gebäuden, die in den 1960er-Jahre dem Hotel Intercontinental weichen mussten. Der Eislaufverein ist seither in Gebäuden im Stil des Nachkriegsfunktionalismus untergebracht, die wie das Hotel eine Sanierung verdienen. Dafür fehlt dem Verein allerdings das Geld: Sein Kapital ist das im Grundbuch bis 2058 gesicherte Recht auf eine Eislauffläche im Ausmaß von 6 000 Quadratmetern. Dass die Betreiber des aktuellen Projekts zuerst das Hotel und dann, zum sensationell niedrigen Preis von knapp fünf Millionen Euro, auch das Areal des Eislaufvereins erwerben konnten, wurde allgemein als gutes Zeichen gesehen. Die Kombination der beiden Flächen hat viel Potenzial: eine Erweiterung des Hotels um Konferenzräume, eine verbesserte Durchwegung zwischen erstem und drittem Bezirk, die Schaffung eines kleinen, seitlichen Vorplatzes für das Konzerthaus, der im Sommer um die Eisfläche zu einem großen Platz werden könnte. Die Randbereiche des Grundstücks ermöglichen die Errichtung hochwertiger Wohnungen und Büros. Das aktuelle Projekt geht über diese bescheidene Vision hinaus. Es sieht einen dreigeschoßigen Sockel für Konferenzräume und Geschäftslokale vor, auf dem sich ein Wohnturm mit 18 Geschoßen erhebt. Voraussetzung dafür ist ein gewagtes Manöver zur Einverleibung eines bisher öffentlichen Grundes. Um dem Turm Platz zu machen, wird die Eislauffläche um 90 75 Grad gedreht und ragt damit in die
Lothringerstraße hinein, deren Fahrspuren dafür verlegt werden. Dass Passanten im Winter auf die Bande der Eislauffläche auflaufen werden, ist nur ein Problem. Das andere ist, dass die Eisfläche auf Höhe der Lothringerstraße liegen muss und nicht mehr, etwas abgesenkt, als Vorplatz vor dem Konzerthaus fungieren kann. Für die Betreiber lohnt sich der Aufwand jedenfalls. Ihren Beteuerungen, an diesem Projekt kaum zu verdienen, lässt sich eine einfache Rechnung entgegenhalten. Ein Durchschnittspreis von 12 000 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche ist realistisch angesichts einer Lage, die in den obersten Geschoßen reihum Blick auf die Stephanskirche, den Stadtpark, das Belvedere und die Karlskirche bietet und damit nicht mit Dachböden im ersten Bezirk, sondern mit Top-Lagen in New York und London konkurriert. Bei Baukosten von geschätzten 2000 Euro pro Quadratmeter, 500 Quadratmeter Wohnfläche und 18 Geschoßen bliebe eine Differenz von 90 Millionen Euro, von der rund 20 Millionen für Straßenverlegung, Grundstückskosten, Projektentwicklung und für „Geschenke“ an die Öffentlichkeit wie etwa ein unterirdischer Turnsaal abzuziehen sind. Dass den Betreibern bei einem derartigen, durchaus riskanten Projekt ein hoher Gewinn bleiben soll, lässt sich nachvollziehen. Dass angesichts dieser Spanne kein besseres Projekt entstehen kann, aber nicht. Die UNESCO, die beobachten muss, ob die Republik die Verpflichtungen einhält, die mit dem Welterbe-Status der Inneren Stadt Wiens verbunden sind, hat dem Projekt seit 2012, als die ersten Ideen für eine massive Verbauung präsentiert wurden, konsequent die rote Karte gezeigt. Die 47, 168 → Stadt Wien hat das Projekt nie fachlich verteidigt, sondern mit dem Hinweis auf die zahlreichen Experten, die ihm als Mitglieder in kooperativen Verfahren und als Juroren in Architekturwettbewerben ihren Segen gegeben hätten. Dass in diesen Verfahren das von den Betreibern geforderte Volumen an hochpreisigem Wohnraum nie zur Diskussion stand, wird dabei dezent verschwiegen. Wien sollte die UNESCO nicht brauchen, um seine öffentlichen Interessen zu wahren. Eine rot-grüne Regierung, die nicht dazu imstande ist, privates Kapital in verträglichere Bahnen zu lenken, hat sich von ihren Wählern verabschiedet.
9. April 2016
Wie baut man eine Stadt? Wohnen am Helmut-Zilk-Park in Wien-Favoriten: Die ÖBB wagen den Sprung von der Liegenschaftsverwertung zum Städtebau. Ein Bericht zum aktuellen Stand.
Kooperativ entwickelter Masterplan … Foto: Rieder / ÖBB
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it rund 25000 Liegenschaften sind die Österreichischen Bundesbahnen einer der größten Immobilieneigentümer Österreichs. Einfluss auf Städtebau und Architektur üben die ÖBB überall dort aus, wo sie Flächen, die nicht mehr für den Bahnbetrieb benötigt werden, für andere Nutzungen freigeben. Allein in Wien gehören dazu zwei der wichtigsten Stadtentwicklungsgebiete: einerseits das Areal des ehemaligen Nord- und Nordwestbahnhofs, ande76 rerseits das Gebiet um den neuen
Hauptbahnhof. Hier entstehen Stadtquartiere, die weit über ihre engeren Grenzen hinaus wirken. Die Bebauung des Areals um den neuen Hauptbahnhof ist inzwi- 89, 126 → schen zu knapp zwei Dritteln abgeschlossen. Der Masterplan dafür stammt aus dem Jahr 2004 und geht auf die Architekten Albert Wimmer, Theo Hotz und Ernst Hoffmann, den Planer des Regierungsviertels in St. Pölten, zurück. Dieser Plan sieht am Wiedner Gürtel ein Quartier mit überwiegender Büronutzung vor, das von der
Bahntrasse diagonal durchschnitten wird. Hier sollte eine Mischung aus Blockrandbebauung und Hochhäusern entstehen. Die Hochhäuser gibt es, den Blockrand nur in Ansätzen. Am spektakulärsten und erfolgreichsten ignoriert wurde er vom Erste Campus, der sich für seine geschwungenen, offenen Formen einen neuen Bebauungsplan bewilligen ließ. Südöstlich des Bahnhofs schließt ein gemischtes Baugebiet mit Schwerpunkt Wohnen an, in dessen Mitte ein nach Helmut Zilk benannter Park liegt, ein lang gestrecktes Dreieck parallel zu der in Hochlage geführten Bahntrasse. Im Westen dieses Parks sah der Plan eine Blockrandbebauung vor, die sich als Fortsetzung der Bebauungsstruktur des angrenzenden Gründerzeitviertels versteht. Allerdings fallen die Blöcke hier doppelt so groß aus wie ihre historischen Vorbilder. In der Umsetzung ist es nur in Teilbereichen gelungen, diese Dimension auf ein erträgliches Maß herunterzuschrauben. Für den Streifen Bauland, der sich zwischen der Ostkante des Parks und der Bahntrasse befindet, war eine eigenwillige Struktur geplant, eine Art städtebaulicher Tatzelwurm mit zentralem Erschließungsboulevard und beidseitig angedockten U-förmigen Höfen, auf der Seite zur Bahntrasse vor allem für gewerbliche Nutzung. Als die ÖBB 2012 an die Verwertung dieses Bereichs gingen, war bald klar, dass der Plan massive Schwächen hatte. Der Boulevard in der Breite der Favoritenstraße ohne markanten Anfangs- oder Endpunkt wäre vor allem Verkehrsträger geblieben; der schematische Zuschnitt der Baublöcke hätte kaum Abwechslung in den Stadtraum gebracht; und schließlich gab es Zweifel an der Vermarktbarkeit der vorgesehenen Gewerbeflächen. Auf Anregung der Stadt Wien entschlossen sich die ÖBB, ein sogenanntes „kooperatives Verfahren“ für eine Überarbeitung dieses Plans durchzuführen. Im Unterschied zum städtebaulichen Ideenwettbewerb, bei dem mehrere Planer parallel und ohne die Arbeit der Mitbewerber zu kennen eine Idee entwickeln, wird im kooperativen Verfahren offen gearbeitet. Die Teilnehmer treffen sich, diskutieren ihre Ansätze und übernehmen Ideen voneinander. Manchmal dauert ein solches Verfahren nur wenige, intensiv genutzte Tage. Bei komplexeren Aufgaben wechseln sich kurze Workshops 77 mit Ausarbeitungsphasen ab, wobei
dieser Prozess bis zu sechs Monate dauern kann. Im Unterschied zum Wettbewerb, bei dem am Ende konkurrierende Konzepte stehen, ist dieses Ergebnis beim kooperativen Verfahren nur eine Option. Im Extremfall gibt es hier nur ein einziges, von allen Teilnehmern getragenes Resultat. Im konkreten Fall handelte es sich um eines der ersten Verfahren dieses Typs in Wien. Sechs Architektenteams waren eingeladen, die sich erst darauf einstellen mussten, nicht mehr in Konkurrenz zu arbeiten. Als sich auch nach mehreren Anläufen die Zahl konkurrierender Ideen nur von sechs auf fünf reduziert hatte, beschlossen die Teilnehmer, ihre Konzepte zu überlagern. Das Ergebnis war ein dichtes Liniengeflecht, aus dem man die wesentlichen Elemente herausschälte: Der Boulevard wird weitgehend vom motorisierten Verkehr befreit, der an die Bahntrasse verlegt ist; aus dem monotonen Straßenraum entsteht eine differenzierte Abfolge von Stadträumen mit vielen Abzweigungen und Durchblicken zum Park; die Baublöcke sind kleiner und reagieren auf das Achsensystem des angrenzenden Stadtviertels. Die Brücke für Fußgänger und Radfahrer, die über die Bahn zum Arsenal führt, endet nicht mehr an einer Engstelle, sondern an einem Platz, der sich zum Park hin öffnet. Für die Erdgeschoßzonen wird eine Raumhöhe von vier Metern vorgegeben, um überall gewerbliche Nutzungen zu ermöglichen. Die Hoffnung, dass hier ein lebendiger Stadtteil entstehen wird, ruht aber nicht nur auf einem besseren Stadtgrundriss. Max Rieder, einer der Architekten im kooperativen Verfahren, begleitete das Projekt auch im nächsten Schritt, nämlich der Suche nach den richtigen Bauträgern. Hier gingen die ÖBB in Abstimmung mit der Stadt neue
… für eine Stadtbrache mitten in Wien. Sonnwendviertel Ost, nahe Hauptbahnhof. Foto: C. Kühn
Wege. Von den 34 Bauplätzen wurden 17 an den Meistbietenden verkauft, 17 zu einem Fixpreis im Qualitätswettbewerb. Vier davon gingen an Baugruppen, der Rest an Bewerber, die neben einem architektonischen Konzept auch einen Betreiber für die Erdgeschoßzonen vorweisen mussten. Diese sogenannten Quartiershäuser sind über das Viertel verteilt und sollen von Anfang für Urbanität sorgen, also für die richtige Kombination von Dichte, Hybridität und Theatralik. Für die Vergabe der Quartiershäuser gibt es zweistufige Verfahren, bei denen ein von den ÖBB installierter Quartiersentwicklungsbeirat unter dem Vorsitz von Max Rieder die Auswahl der Projekte vornimmt. Als
Planer zum Zug kam hier eine neue Generation von Büros, die offen für Kooperationen ist, unter anderem Einszueins, feld72, StudioVlay und Franz Architekten. Sozialen Wohnbau im engeren Sinne gibt es nur auf zwei Randparzellen an der Nord- und an der Südspitze des Areals, dort geplant von asap. Das alles klingt aufwendig und ist es auch, wobei der Aufwand weniger finanziell als organisatorisch ins Gewicht fällt. In einem viel beachteten Vortrag beim letzten „Turn On“-Festival erläuterte Max Rieder, warum dieser Aufwand nötig ist, um das Elend der heutigen Stadtplanung zu überwinden, die zwischen schön Reden und schön Zeichnen nicht zum Eigentlichen kommt.
12. März 2016
„We make the world“ Wenn Architektinnen und Architekten die Welt erklären: so geschehen kürzlich in Wien, beim Architekturfestival „Turn On“. Einblicke und Ausblicke im Rückblick.
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as Architekturfestival Turn On, das mit zahlreichen Beteiligten, bei dem ständig mehr Hürden zu überspringen sind. Diese Ende letzter Woche seine 14. Auflage erlebte, hat ein einfaches Prin- Vorträge geben einen faszinierenden Einblick in technische und organisatorische zip: Menschen stellen sich auf die Bühne des Radiokulturhauses in der Wiener Innovationen, die heute für die ArchitekturArgentinierstraße und sprechen über Häuser, entwicklung bestimmend sind. Der Blick aufs Ganze geht in diesem WettGärten oder Stadtquartiere. rennen um immer mehr Effizienz freilich etIn den ersten Jahren des Festivals wawas verloren. Der letzte Tag von Turn On ren diese Menschen ausnahmslos Architekgehört daher nach wie vor dem klassischen tinnen und Architekten, die ihre Projekte Werkvortrag: Architektinnen und Architekpräsentierten. Über die Jahre hat sich das ten sprechen über Dinge, die sie sich ausFestival ausgedehnt, aus einem in den gedacht haben. Da wird es oft persönlich, Abend verlängerten Nachmittag mit einem knappen Dutzend Vorträgen wurde ein Drei- und die Persönlichkeit der Vortragenden spiegelt sich im Charakter der Gebäude witagesprogramm, das von Donnerstag bis Samstag dauert. An den ersten beiden Tagen der, die sie vorstellen. Gute Architektinnen teilen sich die Architekten die Bühne mit an- und Architekten sind in der Regel keine „flexiblen Menschen“, zumindest nicht in dem deren Menschen, die für das Gelingen von Architektur wichtig sind: Bauträgern, Baufir- Sinn, mit dem dieser Begriff als deutsche men, Fachplanern und Vertretern der Bauin- Übersetzung in Richard Sennetts Buch „The dustrie, die neue Technologien in konkreten Corrosion of Character“ verwendet wurde. Sennett vertritt darin die These, dass es im Anwendungen vorstellen. heutigen Wirtschaftsleben schädlich ist, Gemeinsam mit den Architekten beCharakter zu haben, also sich zu sehr mit der richten sie darüber, wie anspruchsvoll und Sache zu identifizieren, an der man arbeitet. komplex das Planen und Bauen geDie Architektinnen und Architekten, die worden ist. Architektur zu produzie78 bei Turn On vortragen, gehen dieses Risiko ren gleicht heute einem Staffellauf
ein. Sie identifizieren sich zu 100 Prozent mit der Sache Architektur, und das macht die Faszination dieser Vorträge aus, deren Gegenstand man sich ja genauso gut aus Zeitschriften oder noch besser aus dem Besuch vor Ort erschließen könnte. Wie weit die Identifikation der Vortragenden mit ihrem Werk reicht, erfährt man aber am besten im persönlichen Vortrag. Der Übergang von der Identifikation zur Obsession ist dabei fließend. Rem Koolhaas vermutet ja – in Anlehnung an die kritisch-paranoide Methode von Salvador Dalí – in jedem Architekten den Paranoiker, der eine andere Welt als die aktuell reale imaginiert. Der Unterschied zum echten Paranoiden bestehe nur darin, dass dieser wirklich verrückt sei. Und so könnte auch der eigenwilligste Satz, der bei den Vorträgen letzte Woche gesagt wurde, als Zeichen einer solchen Paranoia aufgefasst werden. Fast beiläufig wies die irische Architektin Yvonne Farrell in ihrem Vortrag darauf hin, dass die Welt, in der wir leben, zum größten Teil ein entworfenes Ding ist: „This profession is so important. We make the world.“ So deutlich hat das schon lange niemand mehr aus79 zusprechen gewagt. Kann dieser Satz
Architektonische Gewebe: Anna Heringers Bambushelme für eine Jugendherberge. Foto: Jenni Ji
ernst gemeint sein? Oder ist er vermessen in einer Zeit, in der das Ende des Autors weitgehend akzeptiert ist und die Autopoiesis der Architektur als Zukunftsmodell diskutiert wird? Yvonne Farrell ist zuzutrauen, dass sie diesen Satz ernst meint. Sie führt mit ihrer Partnerin Shelley McNamara ein Architekturbüro in Dublin, Grafton Architects, das 1978 gegründet wurde und spätestens seit 2008 mit der Fertigstellung der Università Luigi Bocconi in Mailand weltberühmt ist. Soeben wurde die erste Baustufe eines weiteren Universitätsgebäudes eröffnet, eine technische Universität in Lima, Peru, der Farrell den Großteil ihres Vortrags widmete. An einem exponierten Standort neben einer Stadtautobahn gelegen, übernimmt das Projekt die Typologie einer Stadiontribüne, die zum tragenden Gerüst für gestaffelte Vortragssäle und Büroetagen wird. Der Raum unter diesen Nutzflächen wird zu einer Begegnungszone, die atmosphärisch dem Raum unter den Tribünen gleicht. In spirationsquelle sind dabei vor allem die Stadien des brasilianischen Architekten Paulo
Mendes da Rocha. Die Gegenüberstellung dieser Vorbilder mit den eigenen Projekten in großen Modellen, die Grafton Architects bei der Architekturbiennale des Jahres 2012 präsentierten, gehörte damals zu den besten Beiträgen. Monumentalität, vermittelt über Raum, Material und Licht, ist das Thema dieser Architektur. Allerdings wirken diese Monumente nicht schwer. Sie sind mit hoher konstruktiver Eleganz lufthaltig und manchmal schwebend ausgeführt. Farrell sieht Architektur als künstliche Landschaft, die für die meisten Menschen die Natur abgelöst hat. Vor diesem Hintergrund bekommt die Aussage „We make the world“ eine radikalere Bedeutung. Wir bauen nicht mehr in der Welt – wir bauen die Welt, mit der Option, sie zu zerstören. An diesen Aspekt erinnerte ein anderer Vortrag bei Turn On, der dramaturgisch klug vor Yvonne Farrells Präsentation angesetzt war. Die Architektin Anna Heringer berichtete über aktuelle Projekte, darunter drei Häuser für eine Jugendherberge in China,
die im Rahmen der Bambus-Biennale im Dorf Baoxi entstanden. Die drei Rundhäuser sind von Formen inspiriert, wie sie beim spielerischen Arbeiten an der Töpferscheibe entstehen. Diese Formen in Bambus zu übersetzen führt zu überraschend schlüssigen Konstruktionen, in denen das Material seine Stärken ausspielen kann. Für Anna Heringer, die erstmals 2005 mit einer unter anderem mit dem Aga Khan Award ausgezeichneten Schule aus Stampflehm in Bangladesch internationale Aufmerksamkeit erregte, kann Architektur nur dann nachhaltig sein, wenn sie zugleich als schön empfunden wird. Nachhaltigkeit bedeute aber auch, dass jedes Projekt darauf geprüft werden müsse, ob es als Vorbild für die sieben Milliarden Menschen, die sich die Welt derzeit teilen, dienen kann. Diese Frage zu stellen ist ein erster Schritt. Welche Disziplin sie ernsthaft beantworten kann, weiß heute noch niemand. Vielleicht bleiben wir beim Begriff Architektur und geben ihm neue, dem Stand der Dinge entsprechende Inhalte.
13. Februar 2016
Da kommt noch was! Wenn Architektur Gewohnheiten nicht mehr herausfordern dürfte, gäbe es keine Entwicklung. Eine Antwort auf Peter Reischers Polemik gegen die Stararchitektur.
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ndlich sagt einer, was die meisten schon lange denken. Auch wenn Peter Reischers vorige Woche im „Spectrum“ unter dem Titel „War das schon alles?“ erschienene Polemik sich vor allem gegen Zaha Hadid richtete, ist klar, wer gemeint ist: die Stararchitekten und ihre Epigonen, die durch
„bedenkenlose Ausnutzung einer Masche“ einen „an Kolonialismus erinnernden Architekturexport“ betreiben. Sie erdreisten sich, nicht nur Häuser zu entwerfen, sondern auch Möbel, Schmuck, Stoffe, Jachten und sogar Kleidung. Wo, so Reischer, bleibt da noch der „soziale Auftrag, der gesellschaftsbildende, kulturelle Input der Architektur“? Stararchitekten gingen
über Leichen, wie man an Hadids kalter Reaktion auf die tödlichen Unfälle auf Baustellen für die Fußball-WM in Katar ablesen könne. Solche Sentimentalitäten könne sich nicht leisten, wer meist damit beschäftigt sei, totalitären Staaten „mit Prunkbauten ein legitimistisches Feigenblatt“ zu liefern. Dabei fehle es dieser Architektur am Wesentlichen, nämlich der „Fassade als bildgebender Metapher für ein Bauwerk“. Worte wie Haus, Kirche oder Moschee „rufen in unserem Gehirn – je nach kulturellem Hintergrund – ein Haus als Kubus mit Satteldach, eine Kirche mit Turm und die Moschee mit Kuppel und Minarett“ auf. Dekonstruktivis tische Architektur von Gehry bis Coop Himmelb(l)au sei nicht mehr fähig, Fassaden und damit klare Bilder zu produzieren. „Das – meist sehr verwirrende – Körperhafte überwiegt, das menschliche Auge kann sich kein Bild mehr machen.“ Ästhetischer Kolonialismus, soziale Kälte, ethische Indifferenz und eine endlose Produktion der immer gleichen Bilder mit rein kommerziellen Interessen: Wenn das den Stand der Architektur beschreibt, dann wäre sie – wie Peter Reischer resümiert – tatsächlich am Ende. Reischers Polemik verdient eine Entgegnung nicht um ihrer selbst willen, dazu ist sie auf zu schwachen Fundamenten gebaut. Architekten, die nicht nur Häuser, sondern auch Stoffe, Möbel und Kleidung entwerfen, sind wohl alles andere als neu in der Architekturgeschichte. Ob sie heute ihre Sache genauso gut oder besser machen als die inzwischen ausdifferenzierte Profession der Designer, ist die einzige Frage, die in diesem Zusammenhang interessiert. Ähnliches gilt für den Vorwurf des bedenkenlosen Ausnutzens einer Masche und des ästhetischen Kolonialismus. Ästhetisch betrachtet, war auch die internationale Moderne eine Masche, die bis heute 90 Prozent der globalen Bauproduktion beherrscht. Genau gegen diese Massenproduktion hat sich die Stararchitektur positioniert, teilweise in einer Nische, teilweise mit dem Anspruch, neue Regeln für die 90 Prozent zu finden. Von einer ästhetischen Weltherrschaft dieser Versuche sind wir aber weit entfernt, und selbst wer zur Gruppe der Stararchitekten nur Coop Himmelb(l)au, Hadid, Gehry, Koolhaas und Herzog & de Meuron zählen möchte, ist heute mit einer Spannweite konfrontiert, die in der Archi81 tekturgeschichte einzigartig ist. Dass
diese Architektur keine Fassade mehr hätte, ist erstens Unsinn und wäre zweitens auch kein Grund, ihr Einprägsamkeit abzusprechen. Auch unsere Wahrnehmung entwickelt sich weiter, und was vor 30 Jahren irritierend war, ist heute zu neuen Typologien geworden, die meist komplexer sind als die klassischen, denen Reischer nachtrauert. Von Zaha Hadid ist das Bonmot überliefert, mit dem sie einem Journalisten, der an ihrem Sofa „Iceberg“ kritisierte, man könne darauf keine zehn Minuten sitzen, antwortete: „Da müssen Sie noch an Ihrer Sitzhaltung arbeiten.“ Das ist arrogant, aber trotzdem nicht völlig unberechtigt. Wenn Architektur Gewohnheiten nicht mehr herausfordern dürfte, gäbe es keine Entwicklung. Bleibt schließlich der Vorwurf, dass dieser Architektur das soziale Engagement und die ethische Haltung fehlen. An diesem Punkt wird es interessant, denn hier ist Reischers Polemik stellvertretend für einen Trend, Architektur vor allem an ihren guten Absichten zu messen. Dieser Trend hat heuer auch die Architekturbiennale in Venedig erreicht, deren Direktor Alejandro Aravena das Thema „Reporting from the Front“ ausgegeben hat. Die Biennale möchte Ansätze präsentieren, von denen man lernen könne, „trotz knapper Ressourcen zu intensivieren, was verfügbar ist, statt über den Mangel zu klagen“. Es gehe um „die Werkzeuge, mit denen sich die Kräfte, die das ,Ich‘ über das ,Wir‘ stellen, subversiv umgehen lassen“, und um Fallbeispiele, die unter widrigen Umständen weiterhin „die Mission der Architektur verfolgen, das Mysterium der ,conditio humana‘ zu durchdringen“. So viel heroisches Pathos hat es seit Langem nicht mehr im Architekturdiskurs gegeben. Intelligentes Sparen, das schon bei der Aufgabenstellung ansetzt und nicht erst bei den Details, sollte zur Kernkompetenz guter Architekten gehören. Sich im Umgang mit dem Mangel bereitwillig dem Sparzwang zu unterwerfen kann aber auch jenen in die Hände spielen, denen die Ausplünderung der öffentlichen Haushalte in den Finanzkrisen der letzten Jahrzehnte zu verdanken ist: Standards zu senken, um Wohnraum für das Existenzminimum zu schaffen, ist alles andere als sozial. Diese Entwicklung könnte tatsächlich zum Ende der Baukultur führen, denn Kultur bedeutet nichts anderes als den Wunsch, Wertvolles zu schaffen. Was genau wir unter „wertvoll“ verstehen, ist eine
Aushandlungssache, von der die Entwicklung der Kultur lebt. Wenn aber die Notlösung zum Standard erklärt wird, ist der Wunsch, Wertvolles zu schaffen, an sich in Gefahr. Was übrig bleibt, ist gleichgültiges und gedankenloses Bauen, von dem es auch ohne Krise genug gegeben hat. Aktuell geht es darum, die Übersicht über die Verhältnisse nicht zu verlieren und den Handel mit guten Gedanken zwischen den Welten diesseits und jenseits der „Front“ zu fördern. Dann wäre der gegenwärtige Wechsel der Aufmerksamkeit der Architekturszene hin zu kleinen, spontanen, partizipativen und temporären Interventionen mehr als nur eine Mode, die nach zwei Jahrzehnten Dominanz der Großarchitektur
kommen musste, nämlich eine Erweiterung der Optionen. Manche Großarchitekten haben dazu schon Vorleistungen erbracht. Herzog & de Meuron planten unter Verzicht auf ihr Honorar im brasilianischen Natal eine Sporthalle im Zentrum des Arbeiterbezirks Mãe Luiza, der vor 40 Jahren noch eine Favela war. Jedes kleinste Detail dieses Projekts hat die Qualität, die man von Stararchitekten erwartet: ein luftiges Satteldach mit runden Einbauten, aus Stahlträgern einfach konstruiert und trotzdem, durch einen simplen geometrischen Kunstgriff, spektakulär aufgelöst. Ohne Zweifel ein besonderer Ort: Warum sollten sich die Bewohner von Mãe Luiza mit weniger zufriedengeben?
16. Januar 2016
Schweben mit Verstand Eine Standardaufgabe an einem außerordentlichen Ort: Mit dem Wohnheim im Olympischen Dorf in Innsbruck zeigen ARTEC Architekten, wie menschengerecht ein architektonisches Meisterwerk sein kann.
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ie Stadt als Parklandschaft mit eingebetteten Hochhäusern, das war die Maxime des Städtebaus der 1960er- und 1970er-Jahre. Le Corbusier hatte die Idee schon 1922 mit dem Konzept seiner „ville contemporaine“, einer Stadt für drei Millionen Einwohner, in die Welt gesetzt. Fast jede europäische Stadt, die sich nach 1945 erweiterte, hat von dieser Idee zumindest ein Stück abbekommen. Auch in Innsbruck gibt es einen Stadtteil, der paradoxerweise Olympisches Dorf heißt, aber von Hochhäusern geprägt ist. Sein Name geht auf die Austragung der Olympischen Spiele in den Jahren 1964 und 1976 zurück. In beiden Fällen wurden jeweils rund 700 Wohnun82 gen errichtet, Punkthochhäuser mit
sternförmigem Grundriss 1964, scheibenförmige Hochhäuser 1974. In den Jahren nach den Spielen wurde jeweils in derselben Typologie weitergebaut. Inzwischen leben hier knapp 7000 Menschen, zum größten Teil in Hochhäusern. Wie in vielen anderen Fällen zeigt die Idee der dicht bebauten Parklandschaft auch in Innsbruck ihre inhärenten Schwächen. Sie ist weder Landschaft noch Park, weil die Hochhäuser einen Raum mit tiefen Schatten bilden, in dem sich nur schwer Landschaftsarchitektur betreiben lässt. Es gibt zu viele dunkle Winkel und zu wenig markante Orte. Durch die Trennung der Funktionen Wohnen, Arbeiten, Handel und Verkehr gehören die Straßen den Autos, und in den Erdgeschoßen gibt es zu wenig Frequenz, um Geschäfte zu erhalten.
Trotz allem gehört das Innsbrucker O-Dorf zu den besseren Beispielen dieser Art von Stadt. Seine besondere Qualität liegt in der unmittelbaren Nähe zum Flussraum des Inn, bei dessen Regulierung eine bis zu 50 Meter breite, natürlich wirkende Uferpromenade mit dichtem Baumbestand angelegt wurde. Die Grünräume zwischen den Hochhäusern sind mit dieser Promenade verbunden, die eine echte Erholungszone ohne motorisierten Verkehr bietet. Eine Bebauung dieser Promenade ist auf den ersten Blick unvorstellbar. Dass die Stadt Innsbruck trotzdem auf diese eiserne Baulandreserve zugreifen musste, hat demografische Gründe. Knapp 28 Prozent der Einwohner im Olympischen Dorf sind älter als 65 Jahre, mehr als in jedem anderen Bezirk der Stadt. Diesen Bewohnern einen Platz in einem Wohnheim in möglichst großer Nähe zu ihrem bisherigen sozialen Umfeld bieten zu können, erforderte ein Heim mit 118 Betten und 10 500 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche. Ein Haus dieser Dimension an einer attraktiven Stelle zwischen die Hochhäuser zu fädeln erwies sich als 83 unmöglich. So kam man auf einen
Aufwertung durch Überbauung: Uferpromenade mit Parklandschaft, rechts das Café. Foto: Bruno Klomfar
Bauplatz an der Schnittstelle zwischen den Sternhäusern der 1960er- und einer abgetreppten Scheibe aus den 1970er-Jahren, an dem sich bereits ein niedriger Bestandsbau befand. Dieser sollte ersetzt und durch einen in die Uferpromenade hineinreichenden Neubau erweitert werden. Bettina Götz und Richard Manahl (ARTEC) konnten den Wettbewerb für das Projekt mit der Erfindung eines neuen Bautyps für sich entscheiden. Sie ersetzen den eingeschoßigen, linearen Bestandsbau durch ein Gebäude im alten Umriss und situieren an dessen Ende – genau am Übergang zur Uferpromenade – ein sechs Geschoße hohes Gelenk mit Treppenhaus und Lift. An dieses Gelenk schließen die Zimmertrakte an: Ein zweigeschoßiger Trakt folgt zuerst annähernd der Richtung des alten Bestandsbaus, schwenkt dann aber nach einer Wendung um 90 Grad in den Uferverlauf des Flusses ein. Ein höherer Trakt mit fünf Geschoßen zweigt gleich am Gelenk in einem Winkel von 45 Grad ab. Aus dem
Zusammenspiel dieser Trakte entsteht ein ein dreiecksförmiger Hof, zu dem hin alle Erschließungsgänge orientiert sind. Das Besondere an diesem Hof ist, dass er keinen Boden hat: Beide Zimmertrakte schweben mindestens fünf Meter, stellenweise bis zu acht Meter über dem Niveau der Uferpromenade und werden von nur neun zarten Stützen und einem kleinen runden Baukörper getragen. (Das Tragwerkskonzept von Peter Bauer/Werkraum Wien, das diesen Schwebzustand ermöglicht, verdient eine besondere Erwähnung.) Der Blick unter dem Gebäude hindurch bleibt fast ungehindert erhalten. Die kongeniale Freiraumgestaltung von Auböck und Kárász, die nicht nur das unmittelbare Umfeld des Heims, sondern einen längeren Abschnitt der Uferpromenade bearbeiten durften, verstärkt diesen Effekt durch die raffinierte Organisation von Wegen und Pflanzen. Über die genauen Winkel zu sprechen, in denen Baukörper aneinanderstoßen, ist in diesem Fall angemessen. Die präzise Linienführung gehört zur besonderen Qualität Schwebendes Deck auf Höhe der Baumkronen: der Architektur von ARTEC, wobei PräziWohnheim O-Dorf, Innsbruck. sion nicht impliziert, dass jede Linie ratioFoto: Lukas Schaller nal erklärbar wäre. Der Typus des Hauses mit schwebendem Hof korrespondiert hier nicht erreichen kann.“ Ab einem gewissen mit den vielen unterschiedlichen Linien Punkt geht es aber um Konsequenz: „Irrader Häuser in der Umgebung, ohne eine zu tionale Gedanken müssen absolut logisch bevorzugen. weiterverfolgt werden.“ Auch ARTEC agieWer ein Beispiel für Josef Franks „Akren in gestalterischen Fragen mit eiserner zidentismus“ sucht, kann es hier finden: Konsequenz. Vieles hier hätte im EinzelPräzision ohne Raster, Beweglichkeit der nen eine andere Richtung nehmen können: Linien zur Ausnutzung von Potenzialen, die sich im Entwurf eröffnen. Dazu gehört etwa Warum wechseln sich in der Fassade des Wohnheims walzblanke und eloxierte Aludie nach Süden orientierte Terrasse über platten ab? Es gibt keine „Begründung“ für dem zweigeschoßigen Zimmertrakt – ein schwebendes Deck auf der Höhe der Baum- diese intuitive Entscheidung. Ähnliches gilt für die diagonalen, in der Fassade liegenkronen –, aber auch die Tatsache, dass es den Zugbänder. Sie sind statisch notwendig hier keine Mittelgänge gibt und damit vor und Ergebnis von Berechnungen, aber man jedem Zimmer viel Licht. Ist das unwirthätte sie auch verkleiden oder die Fassade schaftlich? Nur, wenn man Qualität in Zahlen messen möchte. Wie viele Punkte Abzug auf sie abstimmen können. Stattdessen werden sie hinter den Glasflächen sichtbar gegibt es für einen dunklen, toten Gang? Und wie viele Punkte mehr für einen Ort, an den lassen, wie Spangen, die in einen Körper eingezogen sind. Formal betrachtet, ist das man sich gern erinnert? eine Ästhetik des kontrollierten Zufalls, die Einprägsamkeit erreicht die Architektur von ARTEC durch ihre ästhetische Präzision, am Ende ein Ganzes erzeugt, das in sich völlig schlüssig erscheint. Damit weist diese die klaren Regeln folgt, wie man sie auch in Ästhetik über das Formale hinaus, auf eine der Konzeptkunst findet. „Konzeptkünsttiefe Verbindung von Intuition und Ratioler sind“, schrieb Sol Lewitt 1969 in seinen Sätzen über Konzeptkunst, „eher My- nalität, Seele und Genauigkeit. „Schön“ im konventionellen Sinn ist das Ergebnis nicht siker als Rationalisten. Sie springen 84 immer. Aber dafür ist es umso lebendiger. zu Schlussfolgerungen, die die Logik
Mit dem Zufall planen 9. Januar 2016
Über totalitären Glauben, Anti-Methodologie, Sharawaggi und Hundertwasser: Hermann Czech im Gespräch anlässlich der aktuellen Josef-Frank-Ausstellung im Wiener MAK.
CK: Hermann Czech, die von Ihnen mitkuratierte Ausstellung über Josef Frank im MAK läuft unter dem Titel „Against Design“. Das erinnert an Paul Feyerabends Buch „Against Method“, das auf Deutsch „Wider den Methodenzwang“ heißt. HC: Das passt gut; Feyerabend hat bei der Titelsuche auch eine Rolle gespielt. Frank hat ja erklärt: „Man kann alles verwenden, was man verwenden kann.“ Insofern ist er unter dem Titel gut zu verorten. Das Konzept der Ausstellung ist, Franks gedanklichen Hintergrund im Vergleich mit parallelen und analogen Positionen darzustellen, von Alberti bis Rem Koolhaas. Dem kommt der Ausstellungsraum entgegen: ein großes U, das eine Chronologie von Werken und Motivationen Franks enthält – von den frühen Wohnungseinrichtungen über die Möbel und Einfamilienhäuser, die Arbeiten für die Stadt Wien im Siedlungs- und Wohnungsbau bis hin zu den Möbel- und Stoffentwürfen für Svenskt Tenn – und parallel dazu ein innerer schmaler Umgang, der Frank eine Auswahl von Referenzen gegenüberstellt. Das unterscheidet die Ausstel85 lung auch von der, die Johannes Spalt
und ich 1981 im MAK gezeigt haben. Da war Franks Werk selbst ja noch kaum aufgearbeitet, und es waren noch nicht so viele Bewegungen populär, die solche Vergleiche gerechtfertigt hätten. Heute ist das anders, es gibt eine Tendenz zur Anti-Methodologie, eine gewisse Lässigkeit. Sogar das Wort Styling heißt nicht mehr, dass alles zusammenpassen muss. CK: Sie haben im vergangenen Jahr im Hauptgebäude der Universität Wien die Gestaltung einer Ausstellung über den Wiener Kreis betreut, bei der – wie im MAK – die vorgefundene räumliche Struktur zum Vorteil der inhaltlichen verwendet wurde. Es gibt da einige Überschneidungen mit Josef Frank, etwa über die Person Otto Neurath und die Siedlerbewegung. War Frank von der „wissenschaftlichen Weltauffassung“ des Wiener Kreises beeinflusst? HC: Frank hat vom Wiener Kreis vor allem die Einsicht mitgenommen, dass jede Dogmatisierung verfehlt ist. Er hat sich ja immer gegen jede Form des Totalitarismus gestellt, ästhetisch wie politisch. Wir hatten ursprünglich vor, dem politischen Frank in der Ausstellung einen eigenen Abschnitt
zu widmen, aber dazu braucht es noch mehr Forschung. Für Frank hatten schon kunstgewerbliche Reformversuche einen Nahbezug zum Militarismus. Beim Forum Alpbach 1947 sagte er: „Ich bin der Ansicht, dass jeder, der den Wunsch hat, sein Hinterteil auf einem Rechteck auszuruhen, im Grunde seiner Seele einen totalitären Glauben hat.“ CK: Aus demselben Jahr stammt auch Franks Entwurf für den Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York, ein Alternativvorschlag zum später realisierten Projekt, das eine Kommission unter 86 Beteiligung von Le Corbusier und
Gegen jede Form von Totalitarismus: Josef Franks Alternativvorschlag für den Hauptsitz der UNO in New York, 1947. Foto: Nachlass Josef Frank / Albertina Wien
Oscar Niemeyer entworfen hatte, eine perfekte, völlig rationale Scheibe als Symbol für eine von der Vernunft regierte, einheitliche Welt. Frank schlägt dagegen mehrere unterschiedlich hohe, mit Ornamenten verzierte Türme vor, die durch zarte Brücken verbunden sind. Aus der Distanz von 60 Jahren betrachtet, entspricht diese Idee eher der Wirklichkeit. Diese Türme sind dabei nicht irrational, aber sie wirken trotzdem so, als wären sie bis zu einem gewissen Grad
zufällig entstanden. Frank hat dafür Ende der 1950er-Jahre ja auch einen Begriff geprägt: Akzidentismus. HC: Abgesehen von dieser politisch visionären Bildhaftigkeit ist das UN-Projekt eines der Bezugsthemen zu Rem Koolhaas: nämlich die Auflösung der klassischen Hochhaustypologie. – „Akzidentismus“ ist Franks halb ironische Zusammenfassung seiner lebenslangen skeptischen und antidogmatischen Haltung. Mit dem „wie zufällig Entstandenen“ umschreibt er nichts anderes als den komplexen Begriff der künstlerischen Qualität. Es geht um scheinbare Absichtslosigkeit, wobei das Interessante ist, wie man das macht. Dafür gibt es kein Rezept. Ich stelle immer die Analogie mit der Gartenkunst her, dass man nämlich etwas betreibt, bei dem man sich klar ist, das Ergebnis nicht voll unter Kontrolle zu haben. Im Entwurf muss man bereit sein, das einzubeziehen. CK: Wie stark ist Frank dabei von der asiatischen Kultur beeinflusst? Er hat ja 1910/11 die Einrichtung für das Ostasiatische Museum in Köln entworfen, damals das europäische Zentrum für Sinologie. HC: Ostasien war natürlich ein zentraler Einfluss, der ja auch schon für die englische Gartenkunst wichtig war. Der chinesische Begriff des Sharawaggi – für scheinbar absichtslose, höhere Harmonie in der Unregelmäßigkeit – war in England schon im 18. Jahrhundert bekannt. Das hat letztlich auch mit Partizipation als einem externen, nicht kontrollierbaren Einfluss zu tun, aber eben nicht in dem unpräzisen Sinn, dass man sich als Architekt zurückzieht und alles Ästhetische den Nutzern anheimstellt – das ist gar nicht möglich. Vielmehr muss das Entwurfsdenken breit genug sein, auch Unvereinbares aufzunehmen; allerdings ist das kein leidensfreier Prozess. CK: Gibt es da eine Verwandtschaft mit Hundertwasser, stellenweise auch ästhetisch? Manche Stoffe Franks und auch fantastische Entwürfe wie das Giraffenhaus mit Kaminen, die an Giraffenhälse erinnern, sind doch hart an der Grenze zum Kitsch. HC: Frank hat selbst behauptet: „Jedes große Kunstwerk muss an der Grenze des Kitsches stehen.“ Bei Hundertwasser – ich spreche vom späten, „architektonischen“ Hundertwasser – ist das allerdings unfreiwilliger Kitsch, er simuliert Eingriffe des Nutzers. Bei Frank ist es die bewusste 87 Verwendung solcher Elemente, so wie
Rem Koolhaas kein Problem hat, sich aus dem „Trash“ des „Junkspace“ zu be129 → dienen. Wenn Frank übrigens sagt, dass man sich an zufällig entstandenen Orten wohler fühlt als im „designten“ Raum, dann ist das „Zufällige“ ja durchaus aus Absichten entstanden, von einzelnen oder sogar vielen Leuten, aus Motivationen, die später aber nicht mehr nachvollziehbar sind und insofern etwas Fremdes darstellen, was eine gewisse Beruhigung ergibt. Frank sagt anlässlich seiner Wohnung in Wien, die teilweise von Dachschrägen geformt war, dass sie eben dadurch „angenehm und unpersönlich“ wirkt. Das ist ein eigenartiger Gegensatz – wieso ist etwas zugleich angenehm und unpersönlich? Weil man zwar nicht weiß, warum etwas so aussieht, aber es offensichtlich doch einen Grund, eine Substanz hat. CK: Sie haben 1970 über Adolf Loos geschrieben, dass sein „Kampf gegen das Ornament nicht zu verstehen [ist] als Kampf für die glatte Fläche, sondern gegen jede Form, die nicht Gedanke ist – und sei es eine glatte Fläche.“ Ist das nicht eine Überforderung der Architektur, dass jede Form Gedanke sein muss? HC: Ich habe im gleichen Text auch die Fähigkeit gefordert, „zu individualisieren, konkret und nicht abstrakt zu denken“. Gott sei Dank muss die Architektur kein philosophisches System aufstellen, sondern sie muss in bestimmten Situationen intervenieren, und zwar dringend. (Früher hätte man gesagt, sie muss „Probleme lösen“.) Es nützt die abstrakte Theorie nichts, wenn die Intervention nicht gelingt. Der „Gedanke“, den ich meine, ist nicht abstrakt, sondern: Denken zum Entwurf. Wenn man Qualität nur von Form ableiten wollte und dauernd Formen im Kopf haben müsste, dann hätte man es ja beim Entwurf noch schwerer. Wenn ich dagegen – ein unter Umständen tragfähiges Gedankenbeispiel – beim Bauen ein Industrieprodukt verwende, weil es da ist (und die Haftungsfragen damit geklärt sind), dann kann ich das Grübeln über Form aufgeben, weil das Produkt eh schon eine Form hat. Also das ist fallweise sogar leichter fürs Entwerfen.
2015
19. Dezember 2015
Eleganz ganz aus Glas Henke Schreieck ist im Wiener Quartier Belvedere etwas wirklich Großes gelungen: der Erste Campus, das neue Hauptquartier für die Erste Bank.
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eldgeschäfte leben vom Vertrauen. Wer sein Geld zur Bank trägt, hofft heute zwar nicht mehr auf Zinsen, vertraut aber zumindest darauf, dass sich sein Vermögen dort nicht in Luft auflöst. Diese Gefahr ist, wie die letzten Jahre gezeigt haben, größer als gedacht. Den kriminellen Größenwahn, der Banken wie die Hypo Alpe Adria in den Ruin getrieben hat, werden wir noch lange teuer bezahlen. Die alte Forderung von Adolf Loos – „Das bankhaus muss sagen: Hier ist dein geld bei ehrlichen leuten gut und sicher verwahrt.“ – würde heute wohl wieder viel Zustimmung erfahren. Für die Banken ist das nicht unbedingt erfreulich. Im Geschäft mit solchen Kunden ist nämlich nicht viel zu verdienen. Dass die Bank Austria ihr Filialnetz in Österreich drastisch reduziert, ist dafür das jüngste Indiz. Das Bankgeschäft verlagert sich zunehmend in den virtuellen Raum. Dort führt unser Geld eine Existenz, deren Wesen die meisten von uns nicht mehr durchschauen, und in dem neue Softwaretechnologien das Geldgeschäft bald fundamental verändern könnten. Umso wichtiger ist es für Banken, im realen Raum Präsenz zu zeigen, wobei es nicht nur um das Vertrauen der Kunden geht, sondern auch um das Selbstvertrauen der Mitarbeiter. Je mehr das Filialnetz schrumpft, desto wichtiger werden dafür die Hauptsitze der Banken. Unicredit, der Mutterkonzern der Bank Austria, hat sich 2012 in Mailand ein Denkmal gesetzt: das damals mit 231 Metern höchste Hochhaus Italiens, errichtet auf einem ehemaligen Bahn89 hofsgelände. Die Plaza davor ist heute
der meistbesuchte öffentliche Raum der Stadt, noch vor der Piazza del Duomo. César Pelli entwarf für die Bank eine verspiegelte gebogene Scheibe mit einem koketten Türmchen an einem Ende, ein 85-Meter-Finger ohne Funktion, der wie das Modell des Hochhauses aussieht, das die Torre Unicredit eigentlich hätte werden wollen. Die Erste Bank erwarb für ihr neues Hauptquartier ein Grundstück in Wien, auf dem eine solche vertikale Geste von vornherein unmöglich war. Zwar hätte es auf dem Areal vor dem Hauptbahnhof, das von seinen Entwicklern wegen der Nähe zum Barockpalais auf den Namen „Quartier Belvedere“ getauft wurde, auch Standorte gegeben, die größere Höhen zugelassen hätten. Aber die Erste Bank entschied sich bewusst für ein Eckgrundstück am Wiedner Gürtel mit geringerer Bauhöhe, aber viel Blick ins Grün des Schweizergartens. Auf diesem Areal von 2,5 Hektar war ein Raumprogramm mit einer Bruttogeschoßfläche von rund 120 000 Quadratmetern – berechnet ohne Kellergeschoße – unterzubringen. Damit ist der Erste Campus größer als die Wirtschaftsuniversität Wien, allerdings auf einem kleineren Grundstück. Dessen Bebauungsplan sah eine Art Blockrandbebauung mit Innenhöfen vor. Die Erste Bank schrieb im Jahr 2007 einen Architekturwettbewerb aus, für den aus 200 interessierten Büros 14 ausgewählt wurden. Die Ausschreibungsunterlagen formulierten auf 300 Seiten die Vision für das neue Hauptquartier, in dem Mitarbeiter aus den verteilten Verwaltungsstandorten in Wien zusammengeführt werden. Im September 2008 entschied sich die Jury unter Vorsitz
Fließende Geometrie mit Victory-Zeichen: Blick aus einem Innenhof in die Eingangshalle des Erste Campus.
Anstelle des Blockrands: Offene Struktur mit Durchgang zum Schweizergarten. Foto: Henke Schreieck
Foto: Werner Huthmacher
von András Pálffy für das Projekt der Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck, praktisch zeitgleich mit der Insolvenz von Lehman Brothers und dem Beginn der Finanzkrise. Die dadurch verlängerte Reifezeit für das Projekt hat sich gelohnt. Den Architekten ist hier im direkten wie im übertragenen Sinn etwas Großes gelungen. Sie haben den Blockrandplan ignoriert und stattdessen begonnen, den Städtebau an dieser Stelle neu zu denken, und zwar von den Nutzern her. Die scheinbar „freien“ Formen sind geprägt vom Ansatz, jeden Arbeitsplatz zu einem speziellen Ort zu machen, mit weitem und in gewisser Weise einzigartigem Blick. Ähnliche Grundrissfiguren haben Henke und Schreieck schon in ihrem OMV-Hochhaus und in den kleineren Bürohäusern im Viertel 2 erprobt. Im Erste Campus hat sich die Geometrie weiterentwickelt. Sie wirkt wie mit lockerer Hand hingezeichnet, in zahlreichen Wiederholungen auf der Suche nach der richtigen Linienführung. Es ist eine sehr intuitive Geometrie, die sich nur schwer einordnen lässt, aber wunderbar funktioniert. Die Bürogeschoße sind bis hin zur Haustechnik so konzipiert, dass jeder Bürotyp möglich wäre, vom Zellenbüro bis hin zum Großraum, für den man sich letztlich – auch im Bereich des Vorstands – entschied. Die Qualität im Detail ist bemerkenswert, wofür auch die ausführenden Firmen hervorzuheben sind, vom Bauunternehmen Granit bis zum mittelständischen Fensterhersteller aus dem Südburgenland, der alle Fensterrahmen für die 40 000 Quadratmeter Fassade produzierte. Diese Fassade besteht aus einer äuße90 ren rahmenlosen Glasscheibe und
einer inneren Rahmenkonstruktion aus Holz mit Isolierverglasung und teilweise öffenbaren Fenstern. Im Raum dazwischen liegt ein effizienter Sonnenschutz, der es erlaubte, nicht verspiegeltes, sondern hochtransparentes Glas zu verwenden: In dieses Haus kann man auch bei Tag von außen hineinund an vielen Stellen durchsehen, was für die Detailplanung neue Fragen aufwirft. Die Farben von Möbeln und Wandverkleidungen oder die Position von Pflanzen werden plötzlich zu einer Frage des äußeren Erscheinungsbildes, ebenso wie die Beleuchtung der Innenräume. Für die Öffentlichkeit ist bei diesem Bankhaus vor allem die Sockelzone entscheidend. Hier liegt eine großzügige, teilweise durch Innenhöfe belebte Erschließungshalle mit Café, Geldmuseum, einer Bankfiliale und einem großen Veranstaltungssaal. Die Decke dieser Halle wird von v-förmigen Stützen getragen und überspannt wie ein leichtes Tuch auch den öffentlichen Raum, der die Durchquerung des Grundstücks erlaubt. Auf dieses Tuch haben die Landschaftsarchitekten Maria Auböck und János Kárász einen Garten gezaubert, der im ersten Obergeschoß gewissermaßen den Schweizergarten ins Zentrum des Campus weiterführt und den Bankern als Erholungsfläche dient. Man darf die ersten 1600 Mitarbeiter, die diese Woche einziehen, um ihren Arbeitsplatz beneiden: Elegantere und wohnlichere Büros wird man in Wien nicht finden. An einer Frage kommt man bei der Diskussion dieses Gebäudes freilich nicht vorbei: Können sich heute wirklich nur noch Banken dieses architektonische Niveau leisten? 110, 126 →
Schaffen wir das? 21. November 2015
Vom Ausnahmezustand zur strategischen Planung: Wie löst man das Problem der Unterbringung von Flüchtlingen, wo es doch auch unter den hier Geborenen Mangel an Wohnraum gibt?
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ass ein Grundriss die Titelseite einer Tageszeitung ziert, noch dazu in voller Seitenbreite, ist eine Seltenheit. Vor knapp zwei Wochen ist das der „Presse“ erstmals gelungen: Über der Schlagzeile „Fertigteilhäuser für Flüchtlinge“ prangte der Grundriss eines lang gestreckten Gebäudes mit einem Mittelgang und 20 Zimmern, jedes rund 14 Quadratmeter groß und mit zwei Betten und einem kleinen Badezimmer ausgestattet. Dieser Grundriss ergibt, viermal übereinandergestapelt, das in der Bildunterschrift genannte „Grundversorgungsquartier für rund 80 Personen, das als Fertighaus gebaut wird; Kostenpunkt etwa 1,6 Millionen Euro“. Vorgestellt wurde das Konzept durch den Österreichischen Fertighausverband in Anwesenheit von Flüchtlingskoordinator Christian Konrad. Anlass war die von der Bundesregierung im Oktober vorgestellte Wohnbau-Offensive 2016, die unter anderem die Schaffung einer Wohnbau Investitionsbank (WBIB) vorsieht, die auch Quartiere für Flüchtlinge finanzieren wird. Angesichts von derzeit rund 65 000 Flüchtlingen in der Grundversorgung und heuer bisher 26 000 Asylentscheidungen, die zu 35 Prozent in der ersten Instanz positiv ausfielen, ist der massive Bedarf an Quartieren offensichtlich. Man sei, so Konrad, mit den Bürgermeistern im Gespräch bezüglich der nötigen Grundstücke und plane, „so viele Fertighäuser wie möglich zu errichten und in vielen Varianten: größere oder kleinere Einheiten“. 91 Zu den größeren Einheiten gehören
auch Notunterkünfte, die bei derselben Veranstaltung präsentiert wurden und die man nur als menschenverachtend bezeichnen kann: 50 Meter lange und zwölf Meter tiefe Baukörper mit Vierbettzimmern ohne Bad, dafür mit Sanitärcontainern an einem Ende mit offenem Treppenhaus. 84 Personen pro Geschoß können hier untergebracht werden. Wer die Internet-Postings zu Artikeln in Lokalzeitungen liest, muss feststellen, dass sogar das von einem beachtlichen Teil der einheimischen Bevölkerung als zu luxuriös empfunden wird. „Grenzen zu und so lange abschieben, bis alle einheimischen Wohnungssuchenden versorgt sind“, lautet die Forderung dieser Gruppe. Mit billigen Notunterkünften wird eine doppelte Botschaft in diese Richtung gesandt. Erstens: Wir bauen für Flüchtlinge so, wie wir es den „eigenen Leuten“ nie zumuten würden. Zweitens: Flucht ist ein temporäres Phänomen, auf das wir mit Provisorien antworten können. Diese Grundstimmung zur Maxime des Bauens für Flüchtlinge zu machen, werden wir teuer bezahlen. Angesichts der Bilder zerstörter Städte in Syrien ist klar, dass es selbst im besten Fall ein Jahrzehnt dauern wird, bis dieses Land ein sicherer Aufenthaltsort wird. Das Thema Flucht und Integration wird uns in den nächsten Jahrzehnten begleiten, wie bisher in Wellen, aber es wird nicht verschwinden. Statt Notmaßnahmen wäre daher strategische Planung nötig. In einer Mitte 2015 erschienenen Sonderausgabe von „asyl aktuell“, der Zeitschrift
der Asylkoordination Österreich, haben sich Nina Kolowratnik und Johannes Pointl mit Studierenden der TU Wien systematisch mit dem „Fluchtraum Österreich“ befasst und dessen bauliche Rahmenbedingungen in einprägsamen Zeichnungen visualisiert. Ihre Zusammenfassung lautet: „Anders als der Tourismusinfrastruktur oder dem öffentlichen Gesundheitssystem in Österreich fehlt dem Asylsystem die langfristige Planung. Die Vorstellung von Flucht als zeitlich beschränktem Phänomen, die durch den wiederkehrenden institutionellen Ausnahmezustand aufrechterhalten wird, lässt keine strategische Herangehensweise zu und diese wird auch bis dato vom Architekturdiskurs ferngehalten.“ Letzteres hat sich in den letzten Monaten rapide geändert, zumindest ist die Betriebsamkeit in der Szene deutlich gestiegen. Dabei ist auch ein Projekt sichtbar geworden, das sich schon länger mit dem Thema befasst und dabei den Schritt von der Notmaßnahme zur strategischen Planung vorausgedacht hat. „Transfer Wohnen Vorarlberg“ wurde als Modell für kleinere und mittlere Gemeinden entwickelt und könnte Vorbildwirkung für ganz Ös92 terreich haben.
Zurück in die zertrümmerte Heimat? Straße in Aleppo, 2015. Foto: Imago/Zuma Press
Gearbeitet wird an dem Konzept seit Anfang 2015 von einer interdisziplinären Gruppe, getragen von den Vorarlberger Architekten Andreas Postner und Konrad Duelli in Zusammenarbeit mit Hermann Kaufmann, Professor an der TU München und führendem Holzbauexperten. Die Gruppe hat bestehende Einrichtungen untersucht, auch in Hinblick auf die Reaktion der lokalen Bevölkerung, und daraus das Prinzip abgeleitet, dass der Bau von neuen Nachbarschaften für Flüchtlinge als Impuls und wesentlicher Bestandteil der Gemeindeentwicklung verstanden werden muss. Das setzt kleine Einheiten von höchstens 25 bis 30 Personen voraus. Nur in diesem Maßstab kann längerfristig die Integrationsbereitschaft der ortsansässigen Zivilbevölkerung und der Flüchtlinge geschützt, unterstützt und gefördert werden. Bauten für 50 bis 70 Flüchtlinge vor Ort würden neue Barrieren schaffen, Integration behindern und hohe soziale Folgekosten hervorrufen. Die Architekten haben Typenpläne und Details für sehr einfache, zweigeschoßige und dreigeschoßige Häuser entwickelt, die
variabel in die bestehenden Umgebungen integriert werden können. Die Kleinteiligkeit erlaubt die Bildung von gestalteten Freiräumen dazwischen, die auch gärtnerisch genutzt werden können. Technisch werden die Häuser in Tafelbauweise errichtet, also in derselben Technologie, die auch den Produkten der meisten Fertighausanbieter zugrunde liegt. Allerdings sind die Details im konkreten Fall so gestaltet, dass sie von lokalen Holzbauunternehmen ausgeführt werden können, um möglichst viel Wertschöpfung vor Ort zu behalten. Bauzeit und Kosten entsprechen nach Berechnung der Architekten jenen der Großstrukturen, wobei die Bewohner zusätzlich Teile des Endausbaus selbst übernehmen könnten. Für die Möblierung eignen sich Altmöbel, die von den Asylwerbern renoviert werden könnten. Im Unterschied zu den Großstrukturen lassen sich diese Häuser tatsächlich in gute Startwohnungen umbauen, wenn die Flüchtlingswelle abflaut. Zwar wird diese Flexibilität auch von den Fertighausanbietern versprochen, ein Blick auf die entstehenden
Grundrisse macht aber klar, dass es sich aus der Perspektive heutiger Wohnvorstellungen nur um Notquartiere handeln würde. In solche Häuser zu investieren ist vergeudetes Kapital. Eine zentrale Frage für den Erfolg des Konzepts „Transfer Wohnen“ ist das Bauland. Hier haben die Initiatoren auf Basis des Engagements des Vorarlberger Bischofs Benno Elb begonnen, auf 45 dem Land zur Bebauung auf Baurechtsbasis angebotenen Bauplätzen auf Kirchengrund einige der geeignetsten Standorte zu analysieren. Auf mehreren sollen nun die ersten Pilotprojekte entstehen. Die Akzeptanz in der Bevölkerung wird nicht zuletzt davon abhängen, ob parallel zu diesen Bauten unter gleichen niedrigen Kostenbedingungen Wohnbauten für Ortsansässige realisiert werden, wie es auch die Proponenten von „Transfer Wohnen Vorarlberg“ fordern. Die Schaffung der Wohnbau-Investitionsbank, die beide Sektoren bedienen soll, ist dafür ein guter Schritt – weg vom Ausnahmezustand und hin zur Ermöglichung guter Planung im allgemeinen Interesse.
26. September 2015
Chronik einer Gasse Großbürgerliche Palais, Puritanismus des Wiederaufbaus, Gewerkschafts- und Investorenbarock: städtische Geometrie als Spiegel der Kultur.
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ede Stadt entsteht aus der Verbindung von Geometrie und Geschichte. Punkte, Linien und Flächen bilden den Stadtgrundriss, in den immer feinere Geometrien vom Baukörper bis zum Architekturdetail eingeflochten werden. Dieser Prozess endet nie: Linien lösen sich auf und werden durch
andere ersetzt, Baufluchten vor- und wieder zurückverlegt, Achsen geöffnet und wieder versperrt. Wahrgenommen werden diese Veränderungen oft erst mit Verspätung. Das Bild der Stadt, das wir im Kopf mit uns herumtragen, ist stärker als die Realität. Aber irgendwann ist der Punkt erreicht, an dem man nicht mehr in der gewohnten Straße steht, sondern in einer neuen und sich fragt: Was ist hier geschehen?
Die Straße, um die es hier gehen soll, heißt Plößlgasse und liegt im vierten Wiener Gemeindebezirk. Sie verbindet die PrinzEugen-Straße, die früher schlicht Heugasse hieß und erst 1907, als Thronfolger Franz Ferdinand ins benachbarte Schloss Belvedere einzog, unbenannt wurde, mit der Argentinierstraße. Das Viertel ist geprägt von der Nachbarschaft zu den beiden größten Wiener Palais, dem Schloss Belvedere und dem Palais Schwarzenberg und ihren Gärten, deren von Baumkronen überragte Mauern die Prinz-Eugen-Straße an einer Seite begleiten. Auf mehreren Grundstücken auf Höhe der Plößlgasse errichtete die Familie Rothschild hier Ende des 19. Jahrhunderts insgesamt vier Palais. Zwei davon sind erhalten: ein kleines, zweigeschoßiges in der Plößlgasse 8 und das von den Architekten Fellner und Helmer in der Prinz-Eugen-Straße geplante aus dem Jahr 1894, heute Sitz der Brasilianischen Botschaft. Während diese Stadtpalais in die Straßenflucht eingebunden sind, standen die beiden anderen, weit größeren Rothschild-Palais frei auf ihren Grundstücken und forderten als bürgerliche Konkurrenz die benachbarten Adelspaläste heraus. Das Palais Albert von Rothschild aus dem Jahr 1884 lag an der Ecke von Plößl 94 gasse und Prinz-Eugen-Straße. Der
Was blieb von den Rothschilds? Plößlgasse, Wien-Wieden. Fotos: C. Kühn
französische Architekt Gabriel-Hippolyte Destailleur machte das Beste aus der für ein repräsentatives Gebäude schwierigen Ecksituation, indem er das Hauptgebäude von der Prinz-Eugen-Straße wegrückte und ihm einen Ehrenhof vorlagerte. Die bombastisch dekorierte Straßenseite stand in einem seltsamen Kontrast zur klassizistischen Gartenfassade. Weit opulenter gestaltet war das Palais von Albert Rothschilds Bruder Nathaniel, 1878 ebenfalls von einem französischen Architekten, Jean Girette, entworfen. Dem an der Theresianumgasse liegenden Haupttrakt war ein grandioser Garten vorgelagert, der bis zur Plößlgasse reichte. Die enorme Dimension des Palais begründete sich nicht zuletzt darin, dass es in seinen weitläufigen Räumen die umfangreiche Kunstsammlung des Bauherrn aufnehmen musste. Beide Palais wurden von den Nationalsozialisten enteignet und nach dem Zweiten Weltkrieg restituiert. Die Erben von Nathaniel Rothschild ließen sein weitgehend zerstörtes Palais abreißen und verkauften das Areal an die Arbeiterkammer, die hier 1952 das Franz-Domes-Lehrlingsheim nach Plänen von Roland Rainer errichtete. Das in der
Substanz erhaltene Palais Albert Rothschild wurde vom Eigentümer mit der Auflage, einen Pensionsfonds für seine ehemaligen Angestellten einzurichten, der Republik überlassen, die mit dem historistischen Bau aber nichts anzufangen wusste. 1954 wurde auch dieses Palais abgerissen, um Platz für den neuen Hauptsitz der Arbeiterkammer zu schaffen. Dass wenig später das von den Rothschilds gestiftete und an die jüdische Kultusgemeinde restituierte Rothschildspital am Gürtel – bis in die 1930er-Jahre eines der renommiertesten Krankenhäuser der Stadt – ins Eigentum der Wirtschaftskammer überging, ist ein Beispiel für die großkoalitionäre Verteilungsgerechtigkeit der Nachkriegszeit. 1960 wurde das Spital abgerissen und auf dem Areal das Wirtschaftsförderungsinstitut errichtet. Auch in der Plößlgasse lief die Entwicklung auf eine Auslöschung aller Spuren der Vergangenheit hinaus. Das 1960 eröffnete Gebäude der Arbeiterkammer, von den Architekten Franz Mörth, Heinrich Vana, Kurt Vana und Alexis Franken geplant, Ergebnis eines 1955 gewonnenen Wettbewerbs, ist typisch für den vorsichtigen Rationalismus der Nachkriegszeit. Mit der Ecklage hat es nicht weniger zu kämpfen als das alte Palais. Es gibt sich zur Prinz-Eugen-Straße klassisch-repräsentativ, mit symmetrisch gesetztem Eingang und der Andeutung eines Mittelrisalits in der Fassadengliederung. Zur Plößlgasse hin war man mutiger: Ein knapp 15 Meter weit gespannter Unterzug erlaubte den Blick unter dem Quertrakt hindurch in den Garten. Dass dieses offene Geschoß bei der jüngsten Sanierung 2008 verbaut wurde, ist ein Verlust für die Passanten, denen das Haus nun Garagentor und Hintereingang zuwendet. Anfang der 1960er-Jahre war das ge95 samte Areal um die Plößlgasse in den
nüchternen Linien der Nachkriegsarchitektur neu bebaut. Eine Berufsschule bildete den Abschluss des Franz-Domes-Heims, die Gewerkschaft für Metall, Bergbau und Energie errichtete 1962 ihre Zentrale an der Kreuzung zur Argentinierstraße, einen würfelförmigen Bau von kaum überbietbarer Schlichtheit. Schon 1959 war im Garten vor der Arbeiterkammer das Anna-BoschekMädchenheim nach einem Entwurf von Carl Auböck entstanden. Als diese Gebäude Anfang der 1980erJahre sanierungsbedürftig wurden, entschied sich die Arbeiterkammer dafür, das schlichte Lehrlingsheim von Roland Rainer abzureißen und das Areal neu zu ordnen. Anstelle des Heims entstand 1989 ein Bildungszentrum mit Theater. Warum die Kammervertreter sich vom Architekten Rudolf Jarosch die Karikatur eines Barockpalais für diese Aufgabe einreden ließen, wird ewig ein Rätsel bleiben. Inzwischen zeigt eine vor die Fassade gestellte Großskulptur von Hans Schabus, ein Palettengerüst mit dem Titel „Régalité“, dass sich die Kammer dieser Entgleisung bewusst ist. Carl Auböcks Anna-Boschek-Heim wurde 2008 im Zuge der von NMPB verantworteten Generalsanierung der Arbeiterkammer abgebrochen. Einzig das Mäuerchen aus Stampfbeton, das den Garten von der Plößl gasse abtrennt, erinnert noch an diesen im Detail liebenswürdigen Bau. Das jüngste Projekt der Arbeiterkammer auf dem Grundstück, ein Bürogebäude nach einem Entwurf von Češka Priesner und Fellerer-Vendl Architekten, führt die Mauer in einen Sichtbetonsockel weiter, über dem sich ein würfelförmiger Bau mit doppelter Glashaut erhebt. Mit seiner klaren Geometrie macht dieses Haus – auch wenn es stilistisch und typologisch eher an die 1990er-Jahre erinnert – jedenfalls eine gute Figur. Das kann man vom neuen Wohnbau auf der anderen Straßenseite, der seit 2013 das Haus der Metallergewerkschaft ersetzt, nicht behaupten. Der Verkauf des nun bis aufs absolute Maximum ausgenutzten Grundstücks mag zur Sanierung der von der BAWAG-Pleite angeschlagenen Gewerkschaftsfinanzen beigetragen haben. Der Stadt ist mit solcher emailleweißer Grottenbahnarchitektur aber nicht gedient. In der wirren Geometrie dieses Hauses spiegelt sich eine Kultur, in der alles möglich wäre, aber nichts gelingen will.
29. August 2015
Die Stadt der schnellen Schulen Die Wiener Schulpolitik hat auf die rasante Steigerung der Schülerzahlen zu spät reagiert. Jetzt setzt sie bei der Erweiterung von Pflichtschulen auf Standardisierung, massiven Holzbau und den Verzicht auf Architektur. PFERD oder PFIFF, das ist hier die Frage.
W
as ist das: Es sieht aus wie eine Gangschule aus den 1960er-Jahren, ist aus Holz gebaut und garantiert architekturfrei. Antwort: Das ist ein PFERD. Ein Pferd? Das Wort steht für PFlichtschulERneuerungsDruck und wurde von der Wiener Baudirektion für ein Investitionsprogramm geprägt, in dessen Rahmen ein beachtlicher Teil der zusätzlichen Nachfrage nach Schulraum in Wien befriedigt wird, vor allem mit Erweiterungsbauten auf dem Areal bestehender Bildungseinrichtungen. Das PFERD-Programm ist eines von dreien, mit denen die Stadt Wien die Auswirkungen des Stadtwachstums auf den Bildungsbereich zu bewältigen versucht. In den Stadterweiterungsgebieten setzt sie auf das Campus-Modell, das sich inzwischen zum Campus plus und zum Mini-Campus weiterentwickelt hat. Ursprünglich sah das Modell die Kombination von Kindergarten, Volksschule und – in einigen Fällen – Neuer Mittelschule zu einer großen Einheit vor, in der Sportanlagen und Räume für die Nachmittagsbetreuung allen zur Verfügung stehen. Die einzelnen Einrichtungen blieben dabei aber separiert. 96 Im Campus plus sind Kindergarten
und Volksschule in Form sogenannter Cluster enger miteinander verbunden. Ein Cluster besteht in der Regel aus zwei Kindergarten- und vier Volksschulräumen, in manchen Fällen ergänzt um eine „basale“, also für die Integration schwerbehinderter Kinder geeignete Einheit. Klassenräume gibt es zwar nach wie vor, aber sie öffnen sich zu einer großen, gemeinsamen Mitte, dem Zentrum des Clusters. In solchen Einheiten haben die Kinder mehr Orte zum eigenständigen Lernen sowie Bewegungsflächen und Angebote für den ganztägigen Betrieb. Der Übergang vom Kindergarten zur Volksschule kann individueller und sanfter gestaltet werden als in „normalen“ Strukturen, was vor allem für den Spracherwerb unter den aktuellen demografischen Bedingungen wichtig ist: Von den knapp 100 000 Schülerinnen und Schülern an Wiener Pflichtschulen hatten im Jahr 2014 nur 40 Prozent Deutsch „als Umgangssprache“, wie das die Statistik Austria formuliert. Vier Campusschulen gibt es bisher, eine weitere wird nächste Woche in der Seestadt Aspern eröffnet. Der erste Campus plus, entworfen von Querkraft Architekten, wird 2016 in der Attemsgasse im 22. Bezirk seinen Betrieb aufnehmen, weitere neun große Campusschulen sollen bis 2023 mit einem Investitionsvolumen von 700 Millionen Euro entstehen. Daneben sind unter dem
Namen Mini-Campus kleinere Lösungen geplant, die Räume für Kindergärten und Volksschulen mit anderen Nutzungen wie Wohnen oder Handel kombinieren. Für diese Neubauprojekte führt die Stadt nach wie vor Wettbewerbe durch, bei denen für den jeweiligen Standort die beste architektonische und städtebauliche Lösung gesucht wird. Das ist aufwendig, führt aber in Kombination mit den pädagogisch neu durchdachten Raumprogrammen zu innovativen Resultaten. Wien hat in diesem Bereich eine Tradition, die auf das Schulbauprogramm 2000 aus den 1990er-Jahren zurückgeht. Damals entstanden individuell geplante, ästhetisch ansprechende Schulen mit animierenden Räumen, die auch international beachtet wurden. Anders sieht die Lage bei Schulsanierungen und Erweiterungen aus. Hier greifen die beiden anderen von der Stadt betriebenen Programme. SUSA (für SchUlSAnierung), in deren Rahmen seit 2008 „substanzerhaltende“ Sanierungen an 242 Pflichtschulen durchgeführt werden, ist mit 570 Millionen Euro für einen Zeitraum von zehn Jahren dotiert. Für das Erweiterungsprogramm PFERD werden allein in den Jahren 2014 bis 2017 rund 110 Millionen Euro für 111 Klassen an 20 Standorten investiert. 97 Von den im Campus-plus-Modell
Wenn der Sachzwang Schule macht: Adolf-Loos-Gasse, Afritschgasse, Vorgartenstraße, Engerthstraße (von links oben im Uhrzeigersinn). Fotos: C. Kühn
formulierten Qualitäten, die ja für alle Schülerinnen und Schüler gelten sollten, ist die Stadt hier freilich weit entfernt. Bei Sanierungen werden in der Regel nur neue Fenster und eine bessere Wärmedämmung installiert sowie Brandschutz und Barrierefreiheit auf den neusten Stand gebracht. Die Chance, mit etwas Mehraufwand auch die Grundrisse an neue Bedürfnisse anzupassen, ist in diesen Fällen auf Jahrzehnte, bis zur nächsten Sanierung, verspielt. Die Erweiterungen im PFERD-Programm beeindrucken vor allem durch ihr Tempo. Eine eigens als von der Stadt gegründete Wiener Infrastruktur Projekt GmbH, kurz WIP, wickelt diese Projekte in geradezu atemberaubendem Tempo ab, wobei jeweils mehrere Schulen zugleich im Rahmen eines Totalunternehmerauftrags, der Planung und Ausführung umfasst, vergeben werden. Grundlage sind schematische Machbarkeitsstudien, die von Baumeistern oder Architekten in Hinblick auf eine Ausführung in Holzfertigteilbauweise erstellt werden. Diese Schulen lassen sich im Zeitraum von unter einem Jahr ab der Bedarfsanmeldung errichten, wobei der Rohbau oft nur wenige Wochen benötigt. Wer die Abläufe
für ein öffentliches Bauprojekt in Wien und die zahlreichen involvierten Akteure kennt, kann dieses Tempo nur bewundern. Der Wiener Bildungspolitik hat PFERD buchstäblich Kopf und Kragen gerettet. Tausende Schüler ohne Raum oder in behelfsmäßig aufgestellten Containern hätten jedenfalls kein gutes Bild ergeben. Die Kollateralschäden dürfen jedoch nicht unter den Tisch gekehrt werden. Messlatte in Bezug auf architektonische Qualität und pädagogisches Potenzial ist bei diesen Projekten der temporär aufgestellte Schulcontainer. Man muss zugeben, dass diese Latte zumindest im äußeren Erscheinungsbild übersprungen wird. Diese Schulen sind architekturfreie Ingenieurbauten, die an die funktionalistischen Schulen der 1950er- und 1960er-Jahre erinnern. Mit dieser Ästhetik kann man durchaus spielen, wie es etwa die Schweizer Architekten Miller & Maranta mit ihrem Volta-Schulhaus in Basel aus dem Jahr 2000 getan haben, hinter dessen strenger Fassade sich ein Wunder an Raum und konstruktiver Eleganz verbirgt. Daran war hier aber niemand interessiert, was sich an der Brutalität zeigt, mit der mit dem Bestand umgegangen wird, etwa bei der Erweiterung
der Schule in der Vorgartenstraße 208, einem Entwurf von Martin Kohlbauer, der vom würfelförmigen Neubau erschlagen wird. Das eigentliche Problem ist aber die Schizophrenie, mit der in Wien zwischen Neubau und Sanierung von Schulen differenziert wird. Warum wird bei Sanierung und Erweiterung nicht einmal der Versuch gemacht, zeitgemäße räumliche Bedingungen herzustellen? Reichen für einige Kinder ein Dach über dem Kopf, schmale Gänge, Klassen ohne kontrollierte Raumlüftung und ein Schuleingang, der nicht mehr ist als ein normgerechtes, barrierefrei durchlässiges Loch in der Wand? Mit dem Know-how der WIP ließe sich eine drastisch höhere Qualität erzielen, wenn sie neben dem Geschwindigkeitsauch einen Innovationsauftrag hätte, und dafür kompetente architektonische Planung einbezieht. Das PFERD, die Notlösung, muss nicht gleich zum PFAU werden, zum PFlichtschulArchitekturUniversum. Aber mehr PFIFF sollte eine Schule des 21. Jahrhunderts schon haben: als PFlichtschule mit Intelligenter FormFindung.
1. August 2015
Wir sind am Ziel. Sind wir? Seit 2010 wird an der Seestadt Aspern gebaut. Die ersten 2600 Wohnungen im Südwesten sind bezogen, der See ist seit Juli zum Baden freigegeben. Entsteht hier die Stadt der Zukunft? Ein Lokalaugenschein.
D 98
ie Fahrt mit der U-Bahn ist in Wien seit der Einführung neuer Sprachdurchsagen zu einer Gruppenreise geworden. „Wir sind am Ziel“, sagt die Tonbandstimme, und das kollektive „wir“ weiß, dass es ganz weit draußen angekommen ist, an Orten wie Hütteldorf
im Westen, Siebenhirten im Süden oder Leopoldau im Norden. Seit Kurzem gibt es auch eine entsprechende Destination im Nordosten, die freilich keinen alten Ortsnamen hat. Die Seestadt auf dem ehemaligen Flugfeld Aspern, im Süden begrenzt vom General-Motors-Motorenwerk, ist ein komplett neuer Stadtteil, in dem im Endausbau 20 000 Menschen in 10 500 Wohnungen
wohnen und ebenso viele einen Arbeitsplatz finden sollen. Die Fläche des Gebiets entspricht annähernd der Wiener Innenstadt innerhalb des Rings. Den ersten Anlauf für eine städtebauliche Planung gab es im Jahr 1992, damals noch für 4 000 Wohneinheiten. Das Konzept von Rüdiger Lainer nahm die Achsen der Landebahnen des alten Flugfelds zum Ausgangspunkt für eine städtebauliche Figur, die Aufbruch signalisierte. Sichtachsen sollten den Blick nach außen offenhalten, die Planung mit den Freiräumen beginnen und die Bebauung in einem offenen Prozess schrittweise festgelegt werden. Das klang mehr nach Partitur als nach Plan und stieß auf wenig Gegenliebe bei den Wiener Bauträgern. 2006 erfolgte daher ein weiterer Wettbewerb, bei dem die Anzahl der Wohnungen bereits auf 8500 gewachsen war. Der Masterplan, den dieser Wettbewerb hervorbrachte, stammt vom schwe99 dischen Büro Tovatt Architects and
Gebremster Aufbruch in der Stadt am See. Spannender wird’s in der zweiten Reihe. Foto: C. Kühn
Planners, zum Zeitpunkt der Ausschreibung des Wettbewerbs noch ein Gemeinschaftsbüro mit dem inzwischen 91-jährig verstorbenen Ralph Erskine, Mitglied des legendären „Team Ten“ und radikaler Kritiker des modernistischen Städtebaus. Der Masterplan sieht einen See im Zentrum vor, um den sich die Stadt in mehreren konzentrischen Ringen ausbreitet. Der Blockraster in den Dimensionen der gründerzeitlichen Stadt gibt dabei den Takt vor. Eine der umlaufenden Straßen ist als überbreiter Boulevard hervorgehoben, eine Ringstraße, die im Unterschied zu ihrem Vorbild tatsächlich ein kreisförmig geschlossener, wenn auch ein wenig verquetschter, Ring ist. Dieser Masterplan sieht im Grundriss konservativer aus, als er ist. Die Blockrandbebauung ist als grobe Vorgabe mit einigem Spielraum im Rahmen einer vorgegebenen Dichte zu verstehen, was vielfältige
Verbindungen zwischen Straßenraum und dem Inneren der Blöcke ebenso ermöglicht wie unterschiedliche Bauhöhen in einem Block. Die Qualität des Konzepts von Johannes Tovatt, der das Projekt als Stadtplaner auch in der Umsetzung begleitet hat, liegt darin, dass es von Anfang an den Freiraum ins Zentrum rückte. Dafür entwickelten Gehl Architects aus Kopenhagen 2009 ein Planungshandbuch unter dem Titel „Partitur des öffentlichen Raums“ als Grundlage für die weitere Arbeit der Architekten und Freiraumplaner. „Zuerst das Leben, dann die Stadträume, dann die Gebäude“, lautete der Slogan. Mit der Fertigstellung der Bebauung im Südwesten mit 2600 Wohneinheiten ist eine erste Bilanz über das Projekt aus städtebaulicher und architektonischer Sicht möglich, da hier alle zentralen Fragen zu beantworten waren: Anschluss an den See, Ausformung von Wohnstraßen und Ringstraße, Typologie der Bebauung, Übergang zu den angrenzenden Einfamilienhausgebieten. Besucher, die sich dem Areal von der Endstation der U2 nähern, dürfen sich vom ersten Eindruck nicht täuschen lassen. Das Brachland, das sich vor ihnen ausbreitet, wird in den nächsten Jahren verbaut. Bis zur U-Bahn-Station fertiggestellt ist nur der Park am südlichen Seeufer, der zurückhaltend gestaltet ist und sich bemüht, den beachtlichen Niveausprung zum Wasserspiegel des Sees in den Griff zu bekommen. Nähert man sich vom Park kommend den Wohnbauten an der Bebauungskante zum See, sieht man sich einer unruhigen Front von Fassaden gegenüber, die in einer eher spannungslosen spätmodernen Formensprache gestaltet sind. Damit ist ein Grundproblem des Konzepts einer lockeren Interpretation des gründerzeitlichen Blocks angesprochen: So wertvoll der Ansatz ist, in der Stadtplanung vom Freiraum und nicht von den Gebäuden auszugehen, bleibt am Ende die schlichte Tatsache, dass der Stadtraum von Häusern gebildet wird. Während deren Typologie und Gestalt im gründerzeitlichen Block stark geregelt war, hängt in der Seestadt sehr viel mehr von der Qualität des Einzelobjekts ab. Das erlaubt auch Ausreißer nach oben: Am Übergang zur kleinteiligen Nachbarschaft hinter der spätmodernen Wasserkante finden sich drei Stadtvillen von NMPB, die mit sparsamen Mitteln hohe 100 Wohnqualität und von Rajek/Barosch
fein gestaltete Außenräume bieten. Ein paar Reihen dahinter stehen sich die beiden Baublöcke der Architekten PPAG auf der einen und Berger und Parkkinen mit Querkraft auf der anderen Seite gegenüber. PPAG verdichten das Baufeld maximal mit scheinbar frei eingestreuten Turmhäusern, zwischen denen es so dicht zugeht wie in der Altstadt von Venedig. Trotzdem gibt es aus allen Wohnungen weite Blicke und auf Straßenniveau einen winkeligen öffentlichen Raum mit kleinen Baumgruppen und viel Asphalt, der erstaunlich gut funktioniert. Berger und Parkkinen haben sich mit Querkraft ein großes Baufeld nicht in der üblichen Weise in zwei Abschnitte geteilt, sondern gemeinsam eine große Lösung entwickelt, eine komplexe Zeilenstruktur, die es sich im Blockrand bequem macht. Als eines der ganz wenigen Projekte kommt dieses ohne Vollwärmeschutz aus, es arbeitet mit einer Holzelementfassade. Im Inneren der Anlage gibt es einen halböffentlichen Park nach einem Entwurf von Alice Größinger, der von den Bewohnern mitgestaltet wird. In beiden Projekten ist die Idee, in der Erdgeschoßzone Wohnungen mit direktem Straßenzugang anzubieten, die auch als Büros genutzt werden können, umgesetzt. Am Ziel der Wünsche sollte man mit der ersten Bauetappe der Seestadt jedenfalls noch nicht sein. Der erste Abschnitt der Ringstraße zeigt deutlich, dass der Juryvorsitzende aus dem Wettbewerb, Carl Fingerhuth, mit der Aussage recht hatte, diese Straße sei „das Unwichtigste am Projekt“. Während die Wohnstraßen gut funktionieren, kann mit dem überbreiten Straßenraum offensichtlich niemand etwas anfangen. Überhaupt sind Kreuzungspunkte und Platzbildungen keine Stärke des Konzepts und müssten für die Zukunft besser mit der Bebauung justiert werden. Unangenehm bemerkbar macht sich auch das Fehlen eines Farbkonzepts, für das von den Stadtplanern zumindest eine Strategie vorzulegen wäre. Und dass die Bildungseinrichtungen, die die Stadt hier errichtet, mehr Esprit haben sollten als der erste Bildungscampus, der zumindest von der Zugangsseite her aussieht wie ein Finanzamt aus den 1960er-Jahren, wäre an diesem peripheren Standort besonders wichtig. Eine Idealstadt wollte die Seestadt sowieso nie werden, sondern ein lernendes System. Das kann sie in der nächs26 → ten Ausbaustufe beweisen.
Lernen von den Dänen 4. Juli 2015
Mit seinen jüngsten Projekten katapultiert sich der Däne Bjarke Ingels in die erste Reihe der Weltarchitektur. Ist Dänemark auf dem Weg zu einer führenden Architekturnation?
Trockendock mit versenktem Museum, im Hintergrund Hamlets Schloss Kronborg in Helsingør. Foto: Iwan Baan
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ie lange dauert der Weg an die Weltspitze? Im Jahr 2003 eröffnete in Kopenhagen das Restaurant Noma, dessen 1977 geborener Küchenchef René Redzepi sich 2005 mit neuer nordischer Küche seinen ersten Michelinstern erkochte. Zwei Jahre darauf wurde Noma mit zwei Michelinsternen ausgezeichnet, bevor es in den Jahren 2010 bis 2014 vom britischen „Restaurant Magazine“ viermal zum besten Res101 taurant der Welt erklärt wurde.
In der Kochkunst verwundern solche Blitzkarrieren heute niemanden. In der Baukunst sieht es anders aus. Architektur gilt als Old Man’s Job; in Wien wird gerne Otto Wagners Aussage zitiert, dass der Baukunstjünger erst ab 50 ernst zu nehmen sei. Umso bemerkenswerter ist die Karriere von Bjarke Ingels, Jahrgang 1974, der nach drei Lehrjahren bei Rem Koolhaas im Jahr 2005 sein eigenes Architekturbüro eröffnete. BIG steht für Bjarke Ingels Group und ist repräsentativ für das Ego seines Gründers. BIG erregte
erstes Aufsehen mit Wohnbauten in Kopenhagen, mit dem dänischen Expo-Pavillon in Shanghai und mit einem in Bau befindlichen Wohnhaus in New York: einem Hybrid zwischen Blockrandbebauung und Skyscraper. Auf dieses Hochhaus folgte nun ein weiteres Projekt, das an Prestige kaum zu überbieten ist. BIG wird das Two World Trade Center in New York planen, den zweithöchsten der neuen WTC-Türme, für den bereits ein Projekt von Sir Norman Foster existierte, das dem zukünftigen Hauptmieter aber zu konventionell war: James Murdoch, der Sohn des Medienmoguls, vergab den Auftrag an BIG. Nun wird Fox News in ein Hochhaus einziehen, das aus sieben gestapelten und leicht gegeneinander versetzten Kuben besteht. Der Entwurf bildet zum Ground Zero hin eine ruhige Figur, die sich Richtung Tribeca abstuft und mit ihren begrünten Terrassen einen einzigartigen Beitrag zur New Yorker Skyline leisten wird. Mit diesem Coup dürfte Ingels seine Kritiker, die ihm gerne vorwerfen, keine ernsthafte Architektur zu produzieren, zumindest verunsichert haben. Den doppelt so alten Norman Foster an diesem Ort aus einem Auftrag gedrängt zu haben, positioniert ihn jedenfalls in der ersten Reihe der Weltarchitektur. Den latenten Vorwurf, er sei so erfolgreich, weil er zwar Talent, aber keinen Charakter hätte, wird er mit diesem Projekt aber kaum aus der Welt schaffen. Kann man guten Gewissens für Fox News bauen?
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Ähnlichen Vorwürfen sah sich Rem Kool haas ausgesetzt, als er für das chinesische Staatsfernsehen das CCTV-Gebäude in Beijing entwarf. Koolhaas’ Antwort darauf lautet in Kurzfassung: Wir müssen als Architekten aufhören, uns für Dinge verantwortlich zu fühlen, die wir nicht beeinflussen können. Wenn sich die Gelegenheit bietet, außergewöhnliche Architektur umzusetzen, sollten wir sie nutzen. Unter außergewöhnlich versteht Koolhaas dabei aber nicht primär die Form, sondern die Funktionslogik eines Gebäudes, die vom Architekten neu interpretiert werden müsse. Dass sich diese Interpretation in einer außergewöhnlichen Form äußert, ist ein Nebeneffekt, auf dessen Eintreten beim Entwurf natürlich penibel geachtet wird. Das Anliegen, die Welt durch Architektur zu verbessern, hat Koolhaas dabei nicht aufgegeben. Es tritt aber nicht mehr als großspurige Ansage auf, sondern ist in den Entwurf als Potenzial eingewoben. Das CCTV-Gebäude, das als Bauaufgabe George Orwells Ministerium für Wahrheit entspricht, ist bei Koolhaas kein Superzeichen der Macht, sondern eine wunderbare Raumschleife, die jeden Moment zu kippen droht. Niemand, der hier arbeitet, kann sich dieser Botschaft, die der Hierarchie eines totalitären Staatsapparats diametral entgegensteht, völlig entziehen. Man könnte diese Haltung als „kritischen Opportunismus“ bezeichnen. Im Unterschied zu Koolhaas geht Ingels dabei mit
Entwurf vom Übervater: neues Architekturzentrum in Kopenhagen von Rem Koolhaas Foto: OMA
einer bemerkenswerten Portion Humor ans Werk. Für jedes der Projekte von BIG hat er eine Erklärung parat, die den Entwurf wie eine IKEA-Bauanleitung erklärt. So gewinnt man Bauherren, die in der Regel keine Freunde von Komplexität sind. Tatsächlich sind die Projekte von BIG alles andere als simpel. Mit dem 8 House in Kopenhagen, einem Gebäude mit 60 000 Quadratmetern Wohnungen und 10 000 Quadratmetern Büro- und Geschäftsflächen, ist Ingels der wahrscheinlich komplexeste Wohnbau der Welt gelungen, eine gigantische Achterschleife mit Wohnungen auf zehn Geschoßen, von denen die meisten ohne Lift über Rampen erreichbar sind. Ebenfalls in Kopenhagen liegt ein in Bau befindliches Heizkraftwerk, das Ingels mit einer Skipiste umhüllt und mit einem Schornstein ausstattet, aus dem der Abgasdampf nicht kontinuierlich aufsteigt, sondern in ringförmigen Portionen auspufft, womit aus einer diffusen Umweltbelastung eine abzählbare wird. Mit dem dänischen Schifffahrtsmuseum in Helsingør, 50 Kilometer nördlich von Kopenhagen, hat BIG 2013 seinen ersten Kulturbau errichtet. Statt wie vorgesehen ein altes Trockendock mit einem Museum zu füllen, entwarf BIG ein versenktes Museum um das Dock herum, dessen Hohlraum nur von einigen Brückenbauten durchzogen wird.
Dass Bjarke Ingels ausgerechnet von Dänemark aus eine Weltkarriere starten konnte, ist kein Zufall. Gestaltung hat in Dänemark hohen Rang, nicht zuletzt aufgrund der großen, von Architekten getragenen Designtradition, also im kleinen Maßstab des täglichen Lebens. Andererseits zeichnet sich Dänemark durch eine hervorragende Stadt- und Raumplanung aus. Als das Kulturministerium 2006 einen Kanon mit den wichtigsten kulturellen Leistungen des Landes zusammenstellte, gehörte dazu auch der „Fünf-Finger-Plan“, die Raumplanung für die Region Kopenhagen. Last but not least wissen die Dänen seit der Schaffung der Øresund-Region durch die Brückenverbindung zwischen Malmö und Kopenhagen, was sie vorausschauender Planung zu verdanken haben: einen boomenden Wirtschaftsraum mit 3,8 Millionen Bewohnern. Zwischen Design und Raumplanung ist in Dänemark viel Platz für gute Architektur und Freiraumplanung. Ab 2017 wird diesen Themen ein neues Haus gewidmet sein, das vom Dänischen Architektur Center bespielt wird. Es entsteht gerade in prominenter Lage an der Wasserkante der Altstadt. Das gemischte Raumprogramm umfasst inklusive einiger Wohnungen 17 000 Quadratmeter. Dieses Projekt musste BIG noch dem Übervater überlassen: Der Entwurf stammt von Rem Koolhaas.
6. Juni 2015
Orientiert euch! Und jetzt alle gemeinsam: Das Wiener Museum für angewandte Kunst sucht mit der Vienna Biennale nach einer neuartigen Einheit der Künste im Zeitalter der „Digitalen Moderne“. Lässt sich so die Welt verbessern? Eine Vorschau.
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ie können Kunst, Architektur und Design zur Verbesserung der Welt beitragen? Schon bei seinem Amtsantritt als Direktor des Wiener Museums für angewandte Kunst im Herbst 2011 kondensierte Christoph ThunHohenstein sein Konzept für die zukünftige Entwicklung des MAK auf diese knappe
Fragestellung. Die Kunst-, Architektur- und Designszene nickte diese Ansage freundlich ab, erinnerte sich etwas wehmütig an Installationen wie die fliegende Dampfwalze von Chris Burden, die es nun wohl so bald nicht mehr im MAK zu sehen geben würde, und ging zur Tagesordnung über. Seither sind vier Jahre vergangen, und das MAK hat seine Sammlung neu aufgestellt,
ein „Design Labor“ im Keller installiert und ein vielfältiges Ausstellungsprogramm geboten. Aus Sicht der Architektur blieb vieles in guter Erinnerung, etwa die große Retro spektive zu Hans Hollein, die Recherche über die Produktionsbedingungen für Architektur im Fernen Osten („Eastern Promises“) und zuletzt „Wege der Moderne“ über Josef Hoffmann und Adolf Loos. Dazu wurden der jüngeren Szene Möglichkeiten geboten, sich zu positionieren, etwa Soma und „Alles wird gut“ mit kleinen Einzelausstellungen. Und die Verbesserung der Welt durch Kunst, Architektur und Design? Christoph Für eine zugewandte Kunst! Vorhang auf für die Thun-Hohenstein hatte schon zu seinem Vienna Biennale, im MAK und auf offener Straße. Amtsantritt angekündigt, dass diese Frage Foto: C. Kühn nicht nur als Leitmotiv seines Programms zu Diesem hohen Anspruch folgend, ist die verstehen sei, sondern als eigener SchwerVienna Biennale ein Großprojekt geworpunkt mit eigenem Format unter dem Arden, an dem zahlreiche Institutionen beteibeitstitel „Ideas for Change: Ideen für den positiven Wandel“. Ursprünglich war an eine ligt sind. Ausstellungsorte sind neben dem MAK auch die Kunsthalle Wien und die UniTriennale gedacht, letztlich entschied sich versität für angewandte Kunst sowie der öfdas MAK für eine Biennale, deren erste Ausfentliche Raum, der mit Installationen und gabe am 11. Juni eröffnet wird. im Rahmen eines Performing Public Art FesDie Vienna Biennale ist aus mehreren Gründen bemerkenswert. Sie ist weltweit die tivals bespielt wird. Thun-Hohenstein hat vier internationale Kuratorinnen und Kuratoeinzige Mehrsparten-Biennale, in der Kunst, ren eingeladen, das Programm zu gestalten. Architektur und Design gemeinsam themaMaria Lind, Direktorin der Tensta Konsthall tisiert werden. Und sie hat ein klares inhaltin Stockholm, zeigt unter dem Titel „Future liches Programm, das zwei Zukunftsfragen der Menschheit in den Mittelpunkt stellt: die Light“ im MAK eine Gruppenausstellung und in der Kunsthalle Wien filmische InstallatioÜberbeanspruchung des Planeten Erde und nen von Pauline Boudry und Renate Lorenz. die Digitalisierung des Lebens mit ihren poPedro Gadanho, Kurator für zeitgenössische sitiven wie negativen Folgen. Im 250 Seiten Kunst des MoMA in New York, präsentiert starken Katalog zur Biennale, der um zehn Euro zu erstehen sein wird, sprechen die Au- Projekte zum „Taktischen Urbanismus“ in sechs Weltmetropropolen, Mumbai, Istanbul, toren von einer „Digitalen Moderne“, die eiNew York, Rio de Janeiro, Hongkong und Lanen „radikalen Einstellungswandel sowohl gos. Peter Weibel wirft im MAK einen Blick in den reichen Industrieländern als auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern er- auf eine Stadt des ehemaligen Ostblocks: „Mapping Bucharest: Art, Memory, and Revofordert“. Zugleich bedürfe es, da „auch die lution 1916–2016“. Harald Gründl, Vorstand Kreativsparten immer stärker im Sinne herdes Instituts für Design Research in Wien, kömmlichen Wachstums instrumentalisiert hat zehn Projekte initiiert, die sich mit zuwurden, zu ihrer Erneuerung einer Kreativikünftigen Entwicklungen in den Bereichen tätsreform“. Ansätze dafür seien bereits zu Mobilität, Arbeit, Geld, Gesundheit, Wohnen, erkennen: „In Design und Architektur wird Versorgung, Gastfreundschaft, Bildung, Konpositiver Wandel immer mehr zum Kernsum und Unterhaltung im Kontext des städthema, und auch die bildende Kunst findet tischen Alltags befassen: „2051: Smart Life in Wege, zur Verbesserung der Welt beizutrathe City“. gen, ohne deshalb gleich ,angewandt‘ zu Gezeigt werden die Projekte einerseits in werden.“ Eine nachhaltige Überwindung einer Zusammenschau im MAK, bei der die der ökonomischen Eigeninteressen und der Milliardenstadt Hypotopia, die vergangenes Selbstbezogenheit der Sparten werde aber Jahr von Studierenden der Technischen Unierst möglich, wenn „sich Kunst, Deversität Wien vor der Karlskirche als Modell sign und Architektur zu einer neuarti104 gen Einheit der Künste verbinden“. aufgebaut wurde, als roter Faden dient, und
andererseits an mehreren Standorten im öffentlichen Raum, an denen „Demonstratoren“ zu den Projekten aufgebaut werden. Um die Zukunft der Arbeit unter den Bedingungen der „Digitalen Moderne“ geht es in den von Marlies Wirth unter dem Titel „24/7“ kuratierten Kunstprojekten in der MAK Galerie und in einem vom Biennale Circle mit Erwin Bauer gestalteten Ausstellungsmanifest im Obergeschoß der Säulenhalle. Mit einem konkreten Baublock in der Seestadt Aspern befasst sich ein Wettbewerb, bei dem sieben vom Direktor des Az W, Dietmar Steiner, ausgewählte internationale Architekturbüros – Kempe Thill, Bek Perović, Cino Zucchi, Helen & Hard, Hild und K, Lacaton & Vassal und von Ballmoos Krucker – eingeladen wurden, alternative Herangehensweisen der Stadtentwicklung zu erproben, insbesondere in Bezug auf die Nutzungsoffenheit der Strukturen. Gezeigt werden diese Projekte ab 12. Juni im Architekturzentrum Wien. Wie weit die Vienna Biennale ihre hohen Ansprüche einlösen kann, und ob sie dabei auch die erhoffte internationale Wirkung erreicht, werden die nächsten Monate bis Anfang Oktober zeigen. Die Besucher auf das Format einer Biennale einzuschwören, bei
der die „neuartige Einheit der Künste“ vor allem dann erlebt wird, wenn man sich ein paar Tage Zeit nimmt, wird vielleicht noch nicht beim ersten Mal gelingen. Der Schritt eines Museums, sich das scheinbar Unmögliche, nämlich die Verbesserung der Welt durch die Künste, zur Aufgabe zu machen, hat jedenfalls Respekt verdient. Aber ist das nicht alles doch etwas zu gutmenschenmäßig? Sollten wir uns nicht doch an Stéphane Hessels Empfehlung „Empört Euch!“ halten? Die Botschaft der Vienna Biennale ist anders: Orientiert euch! Und sucht den Punkt, von dem aus ihr wirksam zu einer Verbesserung der Welt beitragen könnt. Das könnte in Österreich aus aktuellem Anlass die Frage der Unterbringung von Flüchtlingen sein, die derzeit von baurechtlichen Erlässen und dem taktischen Aufbau von Zeltlagern dominiert wird. Die elende Fantasielosigkeit, mit der hier auf fast allen Ebenen agiert wird, ist beschämend. Eine „digitale Moderne“ sollte diese Aufgabe wohl anders bewältigen können, durch bessere Kommunikation und Planung, durch Architektur und Design und nicht zuletzt durch eine Kunst, die sich vielleicht als „zugewandt“ deklarieren könnte.
Mut zur Mücke 9. Mai 2015
Ein Bauplatz am Ende der Stadt, ein Bauherr, dem es vor allem um die Rendite ging: Wie dem Architektenteam Querkraft unter schwierigen Bedingungen ein besonderes Projekt gelingen konnte.
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ine Preisfrage für alle, die glauben, Wien zu kennen: Welche Station der U-Bahnlinie U1 liegt zwischen den
Stationen Rennbahnweg und Großfeldsiedlung? Selbst für Bewohner des 21. Bezirks ist es keine Schande, die Antwort nicht zu
Querkraft und Querriegel. Wer frisst hier wen? Citygate, Wien-Floridsdorf.
wissen. Im Unterschied zu den beiden nach Foto: C. Kühn berühmt-berüchtigten Großsiedlungen aus den 1970er-Jahren benannten Stationen ist die Station Aderklaaer Straße ein Zwischen- so generisch wie die Shoppingmall, deren Angebot kaum mehr bietet als eine Unterstopp im gemischt genutzten Baugebiet, wo Industrie, Handel und Gewerbe dominieren. menge des nur drei Stationen entfernten Donauzentrums. Architektonisch originell Für das an die Station anschließende, sind nur die beiden von Querkraft geplanunbebaute Grundstück im Ausmaß von ten Wohnhochhäuser, von denen das erste 30 000 Quadratmetern begann durch die gerade bezogen wird. Schon von Weitem Ankündigung des U-Bahnbaus Ende der 1990er-Jahre ein neues Zeitalter. Erste städ- fällt dieses Haus durch seine plastisch gestaltebauliche Konzepte datieren ins Jahr 2000. tete Fassade auf, die mit einfachsten Mitteln einen einprägsamen visuellen Effekt erzielt. Heute befinden sich hier eine Shoppingmall mit 20 000 Quadratmetern sowie rund 1200 Erstens werden die umlaufenden schmalen Balkone in regelmäßigen Abständen Miet- und Eigentumswohnungen, die zum halbkreisförmig auf über zwei Meter Tiefe einen Teil in zwei Hochhäusern mit jeweils erweitert. Zweitens werden diese Balkone 100 und 80 Metern Höhe, zum anderen Teil nicht exakt übereinandergestapelt, sondern in einer achtgeschoßigen Blockrandverbaupro Geschoß leicht verschoben, sodass eine ung und in gleich hohen, kompakten WohnWellenbewegung mit einem kontinuierliblöcken untergebracht sind. Das Dach der Shoppingmall ist begrünt und für die Bewoh- chen Verlauf über die gesamte Fassade entsteht. Und drittens werden auch die Balner zugänglich, um das nicht gerade üppige kongeländer – einfache „Zaunlatten“ aus Grünflächenangebot in der Umgebung ein Aluminium, wie sie als Massenprodukt für wenig zu kompensieren. Gartenzäune gefertigt werden – in BeweUrsprünglich hieß das Areal Brach106 mühle. Der neue Name Citygate ist gung gebracht: Dort, wo die Balkone tiefer
werden, verdichten sich die Abstände zwischen den Latten, während die Höhe dieser Stäbe gleichzeitig ansteigt. Auch im Grundriss hat dieses Hochhaus mit einer Innovation aufzuwarten, die von den Architekten als „vertikale Dorfstraße“ bezeichnet wird. Auf der nach Norden gerichteten Schmalseite des Turms liegen keine Wohnungen, sondern gemeinschaftlich nutzbare Räume, von der Waschküche bis zu Kinderspielräumen, und einige allgemein zugängliche Terrassen. Die Lifttüren öffnen sich auf jedem Geschoß zu diesen Räumen, die zum Gang hin verglast sind. Im Unterschied zu einem normalen Hochhaus, bei dem man erst in der Wohnung spürt, auf welcher Höhe man sich befindet, gibt es das Höhenerlebnis und damit eine vertikale Orientierung hier in dem Moment, in dem man aus dem Lift heraustritt und – je nach Höhe – mehr oder weniger weit in die transdanubische Landschaft blickt. Für dieses Erlebnis wurde auf ein paar nordseitige Wohnungen verzichtet, was durch die sonst hohe Effizienz des Grundrisses möglich war. Das Tragsystem ist ökonomisch und bietet für die Wohnungsteilung eine hohe Flexibilität. Die Wohnungen sind gut geschnitten, die Fenster nicht übermäßig breit, aber bis zum Boden geführt, was die Räume in Kombination mit dem umlaufenden Balkon erweitert. Wo immer möglich, bietet sich schon von der Wohnungstür aus ein Blick über ein gegenüberliegendes Fenster ins Freie, eine Maßnahme, die nichts kostet, aber bei jedem Betreten der Wohnung Freude macht. Die Idee, im Hochhaus die Vertikale zu inszenieren, hat Querkraft bis ins Detail durchgezogen. Auf jeder Etage gibt es vor den Liften eine kleine Grafik und einen Text, der die Höhe mit einer Geschichte verbindet: im ersten Geschoß die Höhe einer Giraffe mit sechs Metern, im achten Geschoß das Brandenburger Tor mit 26 Metern, im 31. Stock die New Yorker Freiheitstatue mit 93 Metern, und ganz oben, im 34. Stock, wird auf die maximale Flughöhe von Stechmücken mit 100 Metern Bezug genommen. Ähnliches leistet Heimo Zobernigs Kunst-am-Bau-Projekt, das auf eine Umfrage zurückgeht, welche Farben Menschen mit emotional besetzten Begriffen assoziieren. Für den Citygate-Tower wurde die Verteilung zum Begriff Geselligkeit gewählt, bei der Orange mit 25 Pro107 zent dominiert, und als Leitfarbe für
die Geschoße verwendet. Diese ist von außen im Schlitz zu sehen, den die vertikale Dorfstraße an der Nordseite ins Hochhaus schneidet, und in den Erschließungsgängen zu den Wohnungen. Bauherr der Türme und eines Teils der sonstigen Wohnungen ist die Stumpf AG des Investors Georg Stumpf, der mit dem Millenniumstower und der anschließenden Mall ein Vermögen gemacht hat, das ihm 2005 den Kauf des Areals ermöglichte. Die Ausschlachtung eines Projekts bis zum einträglichen Maximum ist sein Markenzeichen. Ein erstes, von Frank und Partner entworfenes Projekt, das diesem Prinzip bedingungslos huldigte, scheiterte mehrfach am Fachbeirat für Stadtgestaltung, dem jedes Hochhaus vorzulegen ist, und vor allem am Grundstücksbeirat, der über die Wohnbauförderung entscheidet. Unter dem Vorsitz von Dietmar Steiner schickte der Beirat das Projekt so lange in die Warteschleife, bis 2010 ein neues städtebauliches Verfahren erfolgte und Stumpf den Auftrag an Querkraft übertrug. Dass auch Querkraft zu kämpfen hatte, zeigen acht Zentimeter dünne Gipskartonwände in den Wohnungen und manche Details, wo mit wenig Geld Architektur statt Improvisation hätte entstehen können. Das Ergebnis ist ein Teilerfolg in der Kanalisierung von Privatkapital in verträglichen Wohnbau mit öffentlicher Förderung. Die Kompromisse und Kämpfe sieht man dem Projekt an, etwa, wo der Turm mit dem banalen Wohnbauriegel zusammenstößt, den Frank und Partner am Ende bauen durften. In 50 Jahren wird man fragen, wie eine Epoche zu solcher Schizophrenie fähig war.
Grundriss mit vertikaler Dorfstraße neben den Liften. Querkraft
Luftschiffe im Hinterhof 11. April 2015
Wien wächst auch durch innere Verdichtung. Ein Ausflug nach Simmering, Mautner-Markhof-Gründe. In die Zukunft des städtischen Wohnbaus?
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städtebaulichen Konzepts zeigt eine Schwäimmering gilt nicht unbedingt als che des Systems auf, mit dem in Wien auf die feinste Gegend von Wien. Für dieser Maßstabsebene Stadtplanung betriedie Bewohner Döblings beginnt hier ben wird. Im städtebaulichen Wettbewerb der Osten, der Balkan, die Steppe. Allerdings ist dieser Osten durch den Bau der müssen die Planer nicht nur eine Baumassenstudie liefern, sondern bereits eine U-Bahnlinie U3 inzwischen nahe ans Zendetaillierte Aussage über die vorgesehenen trum gerückt: Von der Station Enkplatz in Grundrisstypologien und Freiräume. Das hat Simmering erreicht man Wien Mitte in nur seine Berechtigung, ist aber niemals durch neun Minuten. das Honorar gedeckt, das für städtebauliche Wer sich für die Stärken und Schwächen des aktuellen Wiener Wohnbaus interessiert, Wettbewerbe bezahlt wird. Im konkreten Fall betrug das Preisgeld für die acht geladeist gut beraten, diese kurze Fahrt anzutreten. Hier sind auf dem Areal der ehemaligen nen Planer je 7000 Euro. Kompensiert wird Mautner-Markhofschen Fabrik in den letzten dieses garantierte Verlustgeschäft durch zwei Jahren rund 900 neue Wohnungen ent- die inoffizielle Zusage, dass der Gewinner gemeinsam mit einem Bauträger am folgenstanden, in der Werbesprache der Stadt ein „neuer Stadtteil“, streng genommen eher ein den Bauträgerwettbewerb teilnehmen darf – großes Implantat, das sich in die bestehende und dabei als sogenannter Fixstarter nicht mehr verlieren kann. Bebauung einfügen muss. Diese eigenartige Vorstellung von WettDas städtebauliche Konzept stammt bewerb hat Konsequenzen, die man auf den vom Büro Hermann und Valentiny mit Mautner-Markhof-Gründen besichtigen Peter Podsedensek. Es ist das Ergebnis eikann. Der Bauträger Wien Süd, der das genes Wettbewerbs aus dem Jahr 2007 und samte Areal erworben hatte, beauftragte als sieht eine große Fußgängerachse vor, die Fixstarter das Team Hermann, Valentiny von der Simmeringer Hauptstraße, also und Podsedensek mit dem großvolumigen von der U-Bahnstation am Enkplatz, durch Bauteil an der Simmeringer Hauptstraße und das Grundstück bis zur Mautner-Markhoffür das Pendant am anderen Ende der Achse Gasse führt und dabei einen Platz durchein weiteres Team aus dem städtebaulichen quert, der das urbane Zentrum des „neuen Wettbewerb, Harry Glück und Atelier4. Die Stadtteils“ bilden soll, neben einem niedrifrei stehenden Baukörper dazwischen wurgen, villenartigen Altbestand, der teilweise den an andere Bauträger vergeben. Dabei denkmalgeschützt ist. An beiden Enden der kam auf einem Baufeld mit Rüdiger Lainer Fußgängerachse verdichtet sich die Bebaufür den Bauträger Wiener Heim ein weiterer ung und passt sich dem Blockrand an, wähTeilnehmer aus dem städtebaulichen Wettrend in der Mitte eine lockere Struktur mit bewerb zum Zug, die zwei restlichen Baufrei stehenden Baukörpern entsteht, die relativ tief sind und über zentrale Lichthöfe er- felder wurden durch die Architekten Tillner und Willinger für das Österreichische Siedschlossen werden. lungswerk und Geiswinkler & Geiswinkler Die Umsetzung dieses konven108 tionellen, aber in sich schlüssigen für Neues Leben geplant.
Wohnbauten mit schwungvollen Balkonen von Geiswinkler & Geiswinkler, mit Durchblick auf …
… die pragmatische Alternative.
Nicht zuletzt diese Konstellation erklärt das beachtliche Qualitätsgefälle der Anlage. Die großvolumigen, vom Bauträger Wien Süd entwickelten Teile sind Massenware: rein pragmatisch der Wohnblock von Harry Glück, als große Geste inszeniert der Bauteil von Hermann und Valentiny an der Simmeringer Hauptstraße. Die Maschinenästhetik von Hermann und Valentiny, schon immer eine Art Parodie auf die russische Revolutionsarchitektur, ist hier unangemessen monumental und im Detail schlecht umgesetzt. Auch das Freiraumkonzept von Jakob Fina, das an der Hauptachse klassische Motive von Straße und Platz zitiert, wird der spezifischen Situation eines großen, etwas wilden und potenziell geheimnisvollen Hinterhofs nicht gerecht. Das Ergebnis ist paradox: überinszeniert und trotzdem langweilig. Innovation findet man allerdings in den frei stehenden Wohnbauten, die den vorgegebenen Typus des kompakten Blocks mit zentraler, von oben belichteter Erschließungshalle sehr unterschiedlich interpretieren. Bei Rüdiger Lainer wird aus der Halle eine geschoßweise Begegnungszone mit hoher Aufenthaltsqualität: Blick ins Freie und wenige Vertikalverbindungen. Die Halle bei Tillner und Willinger ist für sich genommen nicht mehr als ein großzügigeres Treppenhaus, allerdings im Erdgeschoß und ersten Stock geschickt mit den Sozialräumen des Hauses verbunden. 109 Die überzeugendste Interpretation
des Typus liefern Geiswinkler & Geiswinkler. Ihre Halle ist ein mehrgeschoßiger, heller Aufenthaltsraum mit Stiegenläufen, für die man gerne darauf verzichtet, den Lift zu benutzen. Im Unterschied zu den beiden anderen Variationen des Typus, denen man von außen ihren Passivhaus-Standard deutlich anmerkt, schweben die Häuser von Geiswinkler & Geiswinkler wie Luftschiffe im Hinterhof, mit verglasten Ecken und umlaufenden Balkonen, deren Brüstungen aus fein gelochtem Aluminiumblech in der Sonne blitzen. Die tiefen, raffiniert gestaffelten Ausbuchtungen der Balkone sind echte Sommerwohnzimmer, mit Pflanztrögen und Rankgerüsten aus Metall. Alle Details passen, auch solche, die man nicht sieht: Die Entwässerung der Balkone, sonst meist außen in Rohren geführt, wird man an dieser Fassade vergeblich suchen, da sie nach innen verlegt ist. Eine besondere Qualität des Projekts ist die Freilegung der Kellergeschoße, die durch das leicht abfallende Gelände begünstigt wird. Zwischen den drei identischen Baukörpern entsteht so eine Gemeinschaftszone, die an einem Ende einen Kindergarten aufnimmt, am anderen einen großen Veranstaltungssaal und unter dem mittleren Baublock eine offene, aber überdachte Spielfläche. Die hervorragende Gartenarchitektur stammt von Auböck und Kárász, die beweisen, dass es auch ohne den Maschendrahtzaun geht, der in diesem
Fotos: C. Kühn
„neuen Stadtteil“ die meisten Parzellen voneinander trennt. Alle, die über die Zukunft des Wiener Wohnbaus zu entscheiden haben, sollten sich diese Architektur genau ansehen. Dem aktuellen Kostendruck kann man vom heute
erreichten Qualitätsniveau aus durch typologische und technische Innovationen und durch Durchforstung von Normen und Regulierungen begegnen. Oder dadurch, dass man sich von den Pragmatikern 30 Jahre in die Vergangenheit katapultieren lässt.
21. März 2015
Was muss hier brennen? In Frankfurt brennen zur Eröffnung der Europäischen Zentralbank fürs Erste die von Demonstranten angezündeten Autos. Ist dieser Turm ein Symbol für Europas Zukunft?
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n der Finanzkrise ducken sich die Banken lieber weg. Wer gerade Geld beim Staat aufnehmen musste, um seine Liquidität zu sichern, tut sich schwer, Pläne für neue, hunderte Millionen teure „Headquarters“ umzusetzen, selbst wenn sie wirtschaftlich sinnvoll sind. Als die Erste Bank 2008 den Wettbewerb für ihre neue Zentrale am Wiener Hauptbahnhof abgeschlossen hatte, blieb das Siegerprojekt mehr oder weniger unter Verschluss. Über den Siegerentwurf der Architekten Henke und Schreieck konnte praktisch nicht berichtet werden, da die Bank weder Visualisierungen noch Pläne des 300-Millionen-Euro-Projekts freigab. Die Europäische Zentralbank hat mit 1,3 Milliarden Euro mehr als das Vierfache gekostet, und sie wäre wohl kaum in dieser Form realisiert worden, hätte der Wettbewerb für das Projekt nicht schon im Jahr 2004 stattgefunden, als von einer Finanzkrise noch nichts zu bemerken war. 2004 hatten die Europäischen Staatschefs in Rom gerade den Entwurf jener Unionsverfassung unterzeichnet, die im Jahr darauf an Referenden in Frankreich und in den Niederlanden scheitern sollte. In der kurzen Phase der EU-Euphorie, die diese Entwicklung begleitete, beschloss die EU 110 gleich zwei neue Headquarters für ihre
zentralen Organe zu errichten: Der Europäische Rat und der Rat der EU sollten ein neues, gemeinsames Gebäude in Brüssel erhalten, die Europäische Zentralbank eines in Frankfurt. Die übrigen vier Organe – Kommission, Parlament, Rechnungshof und EU-Gerichtshof – waren baulich bereits gut versorgt. Aus Anlass der Verfassungsgebung ein neues Parlament zu errichten – wie das in vielen Nationalstaaten der Fall war – wäre in der EU keine gute Idee gewesen: Mit den Parlamentsbauten in Straßburg und Brüssel leisten wir uns ja bereits zwei aktive Parlamentsstandorte mit Transferkosten von rund 200 Millionen Euro pro Jahr. Vom dritten Plenarsaal in Luxemburg, der nur einige Jahre in Betrieb war, wird heute lieber nicht mehr gesprochen. Dass die Europäische Zentralbank zu einem Symbol für den Zusammenhalt der Europäischen Union wurde, ist ebenso wenig Zufall wie ihr Standort. Die Einführung des Euro und damit die Aufgabe der Deutschen Mark waren der Preis, den Deutschland für die Wiedervereinigung zu leisten hatte. Obwohl zahlreiche Ökonomen die Einführung der gemeinsamen Währung für verfrüht hielten, behielten die politischen Argumente die Oberhand. Immerhin bekam die EZB ihren Sitz in Frankfurt, dem Finanzzentrum Deutschlands, um dem Euro ein wenig von
der Aura der Deutschen Mark mitzugeben. Der Turm der EZB ist daher weniger ein Monument des Kapitals als vielmehr ein Monument der Europapolitik. Wer hier aus österreichischer Perspektive eine Entsprechung sucht, kann sie im Projekt für die Nationalbank der k. u. k. Monarchie, der Österreichisch-Ungarischen Bank, finden, in deren Druckereigebäude am Otto-Wagner-Platz bis heute die Oesterreichische Nationalbank untergebracht ist. 1911 konnte der Wagner-Schüler Leopold Bauer, der sich zu diesem Zeitpunkt schon von seinem Lehrer entfremdet und dem Neoklassiszismus zugewandt hatte, den Wettbewerb für ein monumentales Zentralbankgebäude an der Alser Straße für sich entscheiden, das mit einem fast 100 Meter hohen, pyramidenförmigen gekrönten Turm als Symbol für die k. u. k. Monarchie als supranationale Einheit gedacht war. Begonnen wurde der Bau mit dem Druckereitrakt, einem schlichten Industriebau, der mit der Bank über eine Brücke verbunden gewesen wäre. 1917 stand dieses Gebäude im Rohbau und wurde von 1923 bis 1925 zum Verwaltungsbau der Nationalbank umgestaltet, dessen Dimension dem geschrumpften Österreich entsprach. Anstelle des monumentalen Turms findet sich heute eine lieblos gestaltete Grünfläche, die sinnigerweise Ostarrichi-Park heißt. Der Europäischen Zentralbank ist ein solches Schicksal erspart geblieben, da alle wesentlichen Entscheidun111 gen noch vor der Finanzkrise gefällt
Eingang, Atrium, Seitenansicht mit Polizei beim Lokalaugenschein vor der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Fotos: C. Kühn
wurden. Für den Standort östlich außerhalb des Bankenviertels, in dem die EZB bisher untergebracht war, hatte man sich bewusst entschieden, um den Unterschied zwischen der Zentralbank und den anderen Banken hervorzuheben. Auf dem Areal am Main, das für das Projekt zur Verfügung stand, befand sich eine denkmalgeschützte Großmarkthalle, 1928 nach einem Entwurf von Martin Elsaesser errichtet. Die Halle, mit 250 mal 50 Metern zur Bauzeit eines der größten Gebäude der Welt, liegt in der Mitte des annähernd quadratischen, 300 mal 300 Meter großen Grundstücks und musste in den neuen Komplex integriert werden. Das Ergebnis ist wohl eines der markantesten und schönsten Hochhäuser der Welt. Wer von Coop Himmelb(l)au und den Tragwerksplanern Bollinger und Grohmann dekonstruktivistische Collagen erwartet, wird von der disziplinierten und trotzdem mysteriösen Geometrie des Turms überrascht sein, der eigentlich aus zwei durch eine Halle miteinander verbundenen Türmen besteht. Die seitlichen Außenflächen sind sogenannte HP-Flächen, doppelt gekrümmte hyperbolische Paraboloide, die aus geraden Elementen konstruiert werden können. Da die beiden Türme leicht gegeneinander verschoben sind und das Gesamtgebäude keinen horizontalen oberen Abschluss hat, sondern einen schräg angeschnittenen, bietet es aus unterschiedlichen
Blickrichtungen jeweils ein völlig anderes Erscheinungsbild: kompakt und fast wuchtig in der Ostansicht, schlank und dynamisch in der Westansicht vom Stadtzentrum aus. Die besondere typologische Innovation des Turms ist die innere Halle, die in mehrere bis zu 60 Meter hohe vertikale Abschnitte geteilt ist. Auf den Zwischenebenen halten offen geführte Expresslifte, in jedem der beiden seitlichen Bürotürme gibt es weitere Liftgruppen, die über die Halle zugänglich sind. Wer von einem Bürogeschoß in ein anderes wechseln möchte, betritt dafür zuerst die Halle, statt einfach von einem identischen Bürogeschoß in ein anderes katapultiert zu werden. Das ist eine Veränderung der Alltagsdramaturgie, die nicht gering zu schätzen ist. Einzelne Stege zwischen den beiden Bürotürmen stellen weitere Verbindungen zwischen bestimmten Abteilungen her. Zusätzliche, der Stabilisation der beiden Türme dienende Stahlträger laufen schräg durch den Raum. Die Glaswände, die beiderseits die Atrien nach außen abschließen, sind konstruktive Meisterwerke mit einem markanten Knick in der Mitte, der Bewegungen der Fassade abfedert. Der Turm steht seitlich neben der mit großem Aufwand restaurierten Markthalle. Sie wurde durch Einbauten in ein
Konferenzzentrum verwandelt und bildet auch den Hauptzugang zum Gebäude. Hier entsteht tatsächliche eine Collage zwischen Alt und Neu: Ein horizontaler Trakt durchschneidet die Halle schräg und verfällt dabei in eine heftige Krümmung, die sich über den Eingang schiebt. Dahinter entwickelt sich eine gut rhythmisierte Raumfolge, die schließlich in das erste, unterste Atrium des Turms führt. Frei zugänglich ist nur ein kleiner Teil des Areals, dessen Außenanlagen von Günther Vogt gestaltet wurden. Das Konferenzzentrum ist ein zumindest halböffentlicher Bereich, hinter dem dann die Hochsicherheitszone des Turms beginnt. Für manche wird dieses Hochhaus der Inbegriff all dessen sein, was für sie in der Europäischen Union falsch läuft. Sie werden es von Herzen hassen. „Architektur muss brennen“, haben Coop Himmelb(l)au vor vielen Jahren gefordert, und vielleicht wird dieses Gebäude in einigen Jahren tatsächlich in Flammen aufgehen. Es ist teuer, dominant und elitär. Es könnte aber auch ein Symbol für den Versuch werden, Rationalität und Leidenschaft miteinander in Verbindung zu bringen, sich in einem vereinten Europa große, schwer erreichbare Ziele zu setzen und dabei erfolgreich zu sein. Wofür dieses Haus am Ende steht, werden die nächsten Jahre entscheiden.
14. Februar 2015
Kann das gesund sein? Die Rezepte und ein paar Zutaten vom Spitzenkoch, zubereitet wird bei der Fastfoodkette. Wenn der Architekt seine Schuldigkeit getan hat: das Public-Private-Partnership-Modell.
E
s wird der wichtigste Kulturbau sein, den die Stadt Wien in eigener Verantwortung seit über 50 Jahren realisiert: die Erweiterung des Wien Museums am Karlsplatz. Noch heuer soll der Wettbewerb über die Bühne gehen, bis
Jahresende könnte ein Generalplaner feststehen, der das Projekt vom Entwurf bis zur künstlerischen Oberleitung betreut, inklusive aller nötigen Zwischenschritte wie Ausführungs- und Detailplanung. Dieses Organisationsmodell praktizieren große
öffentliche Bauherren wie die Bundesimmobiliengesellschaft seit Jahrzehnten mit großem Erfolg. Doch Wien ist anders: Das Museumsprojekt soll „PPP-tauglich“ sein, also eventuell im Rahmen eines sogenannten Public-Private-Partnership-Modells realisiert werden. In diesem Fall – so erklären die juristischen und wirtschaftlichen Berater der Stadt Wien – könne den Siegern des Wettbewerbs nur eine Beauftragung von Entwurfs- und Einreichplanung und einigen Leitdetails garantiert werden. Alle weiteren Planungsstufen müssten vom privaten Partner verantwortet werden. Den Architekten könnte nur eine Beraterrolle auf der Seite der Stadt eingeräumt werden, aber keine Verantwortung für die finale Detailplanung und künstlerische Oberleitung. Was treibt die Stadt Wien dazu, sich auf ein Verfahren einzulassen, das man mit dem Versuch vergleichen könnte, für ein Festessen (also das Museum) das Rezept (den Entwurf ) und ein paar ausgewählte Zutaten (die Leitdetails) in einem Spitzenrestaurant einzukaufen und dann die Zubereitung einer Fastfoodkette zu überlassen. Ob unter diesen Bedingungen internationale Spitzenarchitekten, für die eine weitgehende Kontrolle über ihre Projekte selbstverständlich ist, überhaupt am Wettbewerb teilnehmen werden, ist fraglich. Woher kommt die Motivation der Stadt, sich auf dieses Risiko einzulassen? Die Antwort führt in einen Dschungel volkswirtschaftlicher und juristischer Sachzwänge, die ihren Ausgangspunkt bei der Lage der öffentlichen Finanzen haben. Dazu kommt die ideologisch belastete Frage, ob die öffentliche Hand oder private Unternehmen besser mit dem Geld der Steuerzahler umgehen. Die Idee von PPP-Modellen stammt nicht zufälligerweise aus Großbritannien, wo Tony Blairs New Labour nach ihrem Wahlsieg 1997 die Idee eines Dritten Wegs propagierte, der unter anderem eine stärkere Beteiligung privater Investoren an öffentlichen Aufgaben vorsah, als Partnerschaft, im Unterschied zur radikalen Privatisierung der Thatcher-Ära. Bis zu 20 Prozent günstiger – so lautete das Versprechen – könnten Projekte werden, wenn sie der trägen Beamtenschaft entzogen und agilen Privaten übertragen werden. Die Realität sah freilich anders aus. Ein Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments kam 2011 zum 113 Ergebnis, dass Nachforderungen der
Investoren die Regel sind. Zu einer ähnlich kritischen Haltung kam 2014 der Deutsche Bundesrechnungshof, der mittels PPP errichteten Autobahnprojekten Mehrkosten in Milliardenhöhe im Vergleich zu einer öffentlichen Umsetzung attestierte. Befürworter des Modells sprechen von einzelnen Negativbeispielen und sehen den zentralen Vorteil von PPP in der höheren Kostenwahrheit, da der Private einen realistischen Fixpreis zusagen muss. Öffentliche Auftraggeber würden stattdessen oft mit zu niedrigen Budgets in ein Projekt starten und danach nicht die Kosten minimieren, sondern ihren Arbeitsaufwand und ihr politisches Risiko. Die anhaltende Attraktivität von PPP-Projekten hat freilich andere Gründe: Im PPP muss sich die öffentliche Hand nicht in der Höhe der Projektkosten verschulden, sondern für eine Zeitspanne von 20 bis 30 Jahren ein jährliches Nutzungsentgelt zahlen, wobei das Objekt am Ende in den Besitz der Stadt übergeht. Mit dieser Konstruktion belastet das Projekt die öffentliche Verschuldung Österreichs, zu deren Beschränkung auf 60 Prozent des BIP sich die Republik im Rahmen des Euro-Stabilitätspakts verpflichtet hat, nur im Rahmen der Jahresrate. Gemessen wird dieser Wert von der Statistik Austria nach Regeln, die von ihrem Äquivalent auf EU-Ebene, der Eurostat, vorgegeben werden und im europäischen System der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung (ESVG 2010) ihren rechtlichen Rahmen haben. Diese Regeln zielen darauf ab, Scheinkonstruktionen, bei denen sich die öffentliche Hand der Privaten nur bedient, um die Schuldenbremse zu umgehen, von „echten“ PPP-Projekten zu unterscheiden. Zentrales Kriterium ist das Risiko, das der Private übernimmt. Dabei müssen drei Risiken eindeutig dem Privaten zugeordnet werden: das Baukostenrisiko, das Verfügungsrisiko und das Finanzierungsrisiko. Der letzte Punkt bedeutet, dass die öffentliche Hand für die Kredite des Privaten nicht haften darf; der zweite, dass Zeitverzögerungen zu Lasten des Privaten gehen; und der erste, dass Baukostenüberschreitungen nicht an die öffentliche Hand weitergegeben werden dürfen. An diesem Punkt setzt die verzwirbelte Kette der Sachzwänge an, wie sie die Berater der Stadt argumentieren. Wird der Private dazu verpflichtet, die Architekten aus dem Wettbewerb weiter zu beauftragen,
könnte der Umstand eintreten, dass der Private eine Baukostenüberschreitung auf eine fehlerhafte Ausführungsplanung der Architekten zurückführt und die Mehrkosten der öffentlichen Hand zu verrechnen versucht, die ihn ja „gezwungen“ hat, diese Planer zu beauftragen. Dieser Fall ließe sich zwar vorab in einem Vertrag zwischen der Stadt und dem Privaten explizit ausschließen. Allerdings könnte eine solche Regelung in einem Zivilprozess nach § 879 ABGB von einem Richter als „sittenwidrig“ eingestuft und aufgehoben werden. Würde nun der Private auf diesem Weg Mehrkosten erfolgreich einklagen, hätte er einen Teil des Baukostenrisikos auf die öffentliche Hand abgeschoben – und dann könnte der Fall eintreten, dass die Statistik Austria das Projekt nicht als „echtes“ PPP-Projekt anerkennt und der Schuldenstand der Stadt um die Projektkosten ansteigt. Die vielen Konditionalsätze in dieser Argumentation bedeuten vor allem eines: Die
Stadtregierung kann den privaten Partner mit gutem Gewissen dazu verpflichten, die Gewinner des Architekturwettbewerbs mit der weiteren Planung zu beauftragen. Sie müsste dafür allerdings tun, wofür sie gewählt ist: politische Verantwortung übernehmen. Die im letzten Herbst von der Stadt veröffentlichten „Baukulturellen Leitsätze“ sollten als Motivation ausreichen. Immerhin verspricht sie „qualitätsorientierte Prozesse für die Planung aller Bauten im Einflussbereich der Stadt Wien“. Es geht hier nicht nur um das Wien Museum. Acht neue Wiener Campusschulen und zahlreiche andere Sozialbauten sollen in den nächsten Jahren als PPP-Projekte umgesetzt werden. Es wird Mut zur Qualität und die Bereitschaft brauchen, im Rahmen der Möglichkeiten des ESVG neue Modelle der maastrichtneutralen Finanzierung und Umsetzung, die es sehr wohl gibt, zu entwickeln. Vor dem Restrisiko in die Knie zu gehen, ist jedenfalls kein gesunder Weg.
Tanz der Türme 31. Januar 2015
Ein neues Hochhauskonzept für Wien liegt vor. Wird es Wirkung zeigen?
W 114
er baut Wien? Unter diesem Titel publizierte Reinhard Seiß 2007 sein Sittenpan orama der Wiener Stadtplanung seit den 1980er-Jahren. Das Skandalöse an diesem Titel war die Frage nach dem „Wer“: Gibt es überhaupt noch
so etwas wie persönliche Verantwortung im Städtebau? Baut sich die Stadt nicht längst selbst, in einem Strom systemisch verknoteter, unkontrollierbarer Prozesse, die sich jedem individuellen Zugriff entziehen? Seiß hat nachgewiesen, dass diese Darstellung der Dinge falsch ist und vor allem ein Ziel verfolgt: die für die Stadtplanung grundlegende Unterscheidung zwischen öffentlichen und
Vision 2050: Die Wiener Innenstadt wächst
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über sich hinaus. privaten Interessen zu vernebeln. Für die Foto: Andreas Mayer Jahre bis 2007 konnte Seiß an zahlreichen Wiener Beispielen nachweisen, wie sich in Die bisherigen Leitlinien für den Bau von diesem Nebel gute Geschäfte machen ließen, Hochhäusern stammen aus dem Jahr 2002 von denen Investoren, Parteifreunde und und waren kein Konzept, sondern ein PatchBeamte profitierten. work, mit Angaben über Ausschlusszonen, Seither hat sich viel geändert. Das Jahr freizuhaltende Sichtachsen und einer Defini2010 markiert den Beginn einer rot-grütion von Eignungszonen, die der Spekulation nen Koalition, deren Juniorpartner für die mehr als genug Raum ließ: „Alle nicht als Stadtplanung verantwortlich ist. Das Ausschlusszonen deklarierten Stadtbereiche 237 Bekenntnis zur Stadt, das Maria Vassisind potenzielle Eignungszonen.“ Zusätzlakou kurz nach ihrem Amtsantritt ab- liche Vorgabe war das Vorhandensein einer legte, klang authentisch. Die Stadt ließ ihr „höherrangigen“ öffentlichen Verkehrsanauch keine Wahl, da sie beschlossen hatte, bindung – ein Konzept, das spitze Kommenheftig zu wachsen. Das wirft Fragen nach tare geradezu herausforderte: Kann in Wien Bebauungsdichten und –höhen auf, die zu ein Hochhaus gebaut werden, wo immer den Idealen mancher grüner Parteigänger sich zwei Straßenbahnlinien kreuzen und – für die ein Haus grundsätzlich nicht hökeine Ausschlusszone vorliegt? Städtebauher zu sein hat als ein Baum – deutlich im liche Leitbilder sollten erst im Lauf der ProWiderspruch stehen. Dass sich das Hochjektentwicklung für ein konkretes Hochhaus haus in den Jahren der rot-grünen Koalition entstehen, was gewissermaßen eine Schubvom Exoten zu einem Normalfall der umkehr der Stadtplanung bedeutet: Statt Stadtverdichtung entwickelt hat, ist vom Leitbild gesteuert zu werden, schafft 115 jedenfalls bemerkenswert. das Projekt sich sein Leitbild selbst.
Dieses Hochhauskonzept aus dem Jahr 2002 war das dritte, das die Stadt Wien in Auftrag gegeben hatte. Das erste wurde 30 Jahre zuvor von Hugo Potyka verfasst. Es lieferte 1972 einen auf einer minutiösen Analyse von Topografie, Verkehr und Stadtstruktur aufbauenden städtebaulichen Entwurf, der geeignete Standorte und verträgliche Höhen festlegte, durchaus mit dem Ziel, mit einigen dieser Objekte Dominanten zu setzen, so wie es expressionistische Architekten wie Bruno Taut in den 1920er-Jahren mit ihrer Idee der „Stadtkrone“ getan hatten. Auf besonderes Interesse stieß dieses Konzept nicht. Im Gegenteil: Ende der 1980er-Jahre herrschte in den für die Stadtentwicklung zuständigen Abteilungen des Wiener Magistrats geradezu eine Hochhausphobie. Dass Wien seine eigene, kleine Tradition im Hochhausbau besaß, wurde verdrängt. Hochhäuser aus den 1950er-Jahren wie der Ringturm und das Hochhaus am Matzleinsdorfer Platz – als Theodor-KörnerHof hochrangig tituliert – wurden zu ihrer Zeit als Wahrzeichen des Wiederaufbaus verstanden. Auch das erste Wiener Hochhaus in der Herrengasse, ein Entwurf der Architekten Theiss und Jaksch aus dem Jahr 1932, war nicht nur ein elegantes bürgerliches Wohnhaus im Stil einer moderaten Moderne, sondern auch ein Politikum. Erste Ideen, Hochhäuser auch im Rahmen des sozialen Wohnbaus zu errichten, gab es bereits Mitte der 1920er-Jahre. Es blieb freilich bei vertikalen Gesten – wie beim Reumann-Hof aus dem Jahr 1926, für dessen Zentrum Hubert Gessner ursprünglich ein zwölfgeschoßiges Hochhaus geplant hatte. Stadtrat Franz Siegel („Persönlich bin ich prinzipiell gegen das Hochhaus“) entschied, den Leuchtturm des aufstrebenden Proletariats nicht zu bauen. Zwei Jahre später hatten sich die Dinge geändert: 1928 fand ein Wettbewerb für ein Hochhaus an der Ecke Währingerstraße/Spitalgasse, also auf dem Gelände des heutigen Arne-Carlsson-Parks statt, mit dem sich die Sozialdemokratie ein Denkmal setzen wollte. Neben 245 Wohnungen sollte das Haus eine Bibliothek, die Zentrale der Wiener Stadtwerke, ein Jugendheim, Postamt, Kindergärten und Künstlerateliers enthalten. Der Wagner-Schüler Rudolf Fraß gewann den Wettbewerb mit einem expressionistischen Entwurf, der breite Zustim116 mung fand.
Ende 1930 waren die Ausführungspläne fertiggestellt, Brandschutz- und Windkanalversuche positiv abgeschlossen. Zu dem für das Frühjahr 1931 vorgesehenen Spatenstich kam es jedoch nicht. Die dem roten kommunalen Wohnbau äußerst feindselig gestimmte schwarze Bundesregierung beschloss einen neuen Finanzausgleich, der den Wiener sozialen Wohnbau zugunsten Niederösterreichs praktisch zum Erliegen brachte. Als dann die bereits bewilligten Mittel aus der Bundeswohnbauförderung in das Hochhausprojekt in der Herrengasse umgeleitet wurden, legten die Sozialdemokraten ihre Hochhauspläne zu den Akten. Das bürgerliche Lager hatte den Wettlauf um das erste Hochhaus gewonnen. Öffentliche Flächen beschränkten sich hier auf ein Tanzcafé in den obersten beiden Geschoßen. Ende der 1960er-Jahre wurde auch dieses in Wohnungen umgewidmet. Die ausführliche Darstellung dieser Geschichte findet sich im zweiten Wiener Hochhauskonzept, das Wolf D. Prix und Helmut Swiczinsky von Coop Himmelb(l)au 1992 gemeinsam mit Michael Wagner-Pinter vom Forschungsinstitut Synthesis und zahlreichen Partnern wie Max Rieder, Hans Peter Wörndl und Jan Tabor erstellten. Der Auftrag dafür kam vom damaligen Planungsstadtrat, Hannes Swoboda, der den Magistrat von seiner Hochhausphobie kurieren wollte. Coop Himmelb(l)au, der Stadt spätestens nach der Erfahrung mit dem gescheiterten Projekt des Ronacher-Umbaus in Hassliebe verbunden, produzierte mit ihren Partnern ein dreibändiges Werk, das, kostbar gebunden, nur in wenigen Exemplaren aufgelegt wurde. Das provokante Großformat war darauf angelegt, in keinen Papierkorb zu passen und so der raschen bürokratischen Entsorgung zu entgehen. Inhaltlich hätte die „Wiener Hochhausstudie“ diese Überhöhung nicht gebraucht. Sie geht das Thema in voller Breite an, von der Geschichte des Hochhauses über städtebauliche und konstruktive Fragen bis hin zum Planungsprozess und zur Sozialverträglichkeit. Gefordert werden die programmatische Durchmischung von Hochhäusern und die Schaffung von Durchlässigkeit und zusätzlichem öffentlichem Raum in den unteren Geschoßen, wofür sich die Autoren amerikanische Großstädte wie New York zum Vorbild nehmen. Nicht zuletzt geht es im Konzept um die politische Dimension von
Architektur, die bei Hochhäusern naturgemäß von besonderer Bedeutung ist. Das liest sich dann streckenweise wie eine Abrechnung mit der Selbstgefälligkeit der roten Alleinregierung in Wien: „Die Vorstellung von einem Zentrum der Politik, die im Modell der Industriegesellschaft kultiviert wird, beruht auf einer eigentümlichen Halbierung der Demokratie. Einerseits bleiben Handlungsfelder der Subpolitik von der Anwendung demokratischer Regeln ausgespart. Andererseits trägt auch im Inneren die Politik den systematisch geschürten äußeren Ansprüchen nach majestätische Züge.“ Ob die solcherart Adressierten diese Sprache verstanden haben, darf bezweifelt werden. Das Konzept wurde im Magistrat jedenfalls von Herzen ignoriert. Dass wenig später der Wienerberg zum erstrangigen Hochhausstandort werden konnte, abseits von öffentlicher Verkehrsanbindung und ohne sinnvolles städtebauliches Leitbild, spricht für sich. Die große Chance zu einem städtebaulichen Durchbruch war zu diesem Zeitpunkt schon durch die Entscheidung verspielt, das Gelände vor der UNO-City als Hochhauszone freizugeben, statt die Wiener Messe hier anzusiedeln. Im Konzept von Coop Himmelb(l)au und Synthesis war noch zumindest die Option enthalten gewesen, Hochhäuser diesseits der Donau entlang der Lassallestraße auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs zu realisieren. Dieser Standort hatte im Vergleich zum Gelände vor der UNO-City durchaus höhere Attraktivität, da er mehr Spielraum bot und deutlich weniger isoliert ist als der transdanubische. Für diesen hätte sich als Nachnutzung der geplanten Weltausstellung Expo 95 die Übersiedlung der Wiener Messe angeboten, die damit unmittelbar neben dem Konferenzzentrum zu liegen gekommen wäre. Zwei Nutzungen, die sich gegenseitig stärken, hätten damit zueinander gefunden. Zugleich wäre das Messegelände – immerhin ein Areal von 600 mal 200 Metern – als ein Wohnbaugebiet zur Verfügung gestanden, das in jeder Hinsicht dem Wohnen vor der UNO-City vorzuziehen ist. Die Windbelastung ist geringer, das Stadtzentrum näher, die Verkehrsanbindung besser und der Prater als Erholungsgebiet unmittelbar vor der Tür. Von dieser Lösung hätte auch die neue Wirtschaftsuniversität profitiert, 117 die heute im Nordosten nicht von der
undurchdringlichen Mauer des Messegeländes begrenzt wäre, sondern von einer lebendigen Wohnbebauung. Dass diese Lösung – Hochhäuser im Bereich Praterstern/Lassallestraße, Messe vor der UNO-City und Wohnbebauung am bisherigen Messegelände – nicht weiter verfolgt wurde, nachdem die Wiener 1991 in einer Volksbefragung den Fehler des Jahrzehnts machten und sich gegen die Expo 95 entschieden, ist nicht leicht zu erklären. Ein Grund mag die Hochhausphobie gewesen sein: Man wollte die Hochhäuser in sicherer Distanz halten, jenseits der Donau, wo mit der UNO-City ja bereits ein erster Sündenfall begangen worden war. Für die Lassalle straße schwebten manchen Stadtplanern und Bezirksvertretern die Champs-Élysées vor, eine gewagte Analogie, der das heutige Erscheinungsbild der Straße, abgesehen von der Überbreite, nicht wirklich entspricht. Die wesentlichen Gründe für die Entscheidung lagen jedoch im wirtschaftlichen Bereich: Das Areal vor der UNO-City war im Besitz der Stadt, während der Nordbahnhof den ÖBB gehörte. Für Hans Mayr, den Wiener Finanzstadtrat und neben Helmut Zilk heimlichen Bürgermeister Wiens, war die Entscheidung klar: Warum sollten die ÖBB einen Widmungsgewinn einstreifen, der am anderen Standort der Stadt selbst zugute käme? Noch dazu versprach der Standort vor der UNO-City die Sanierung der dort unter der Oberfläche liegenden Mülldeponie und in weiterer Folge die Überplattung des gesamten Gebiets mit einer Betondecke, mit schönen Aufträgen für stadtnahe Unternehmen. Diese Praxis, Stadtplanung über das Finanzressort zu betreiben, hat sich bis heute gehalten. Ein aktuelles Beispiel ist die Bebauung der sogenannten Hoerbiger-Gründe im 11. Bezirk, Standort eines Schweizer High-Tech-Unternehmes auf dem Gebiet der Automatisationstechnik mit Wurzeln in Wien. Als der Hoerbiger-Konzern 2012 über einen Neubau seines Wiener Werks nachzudenken begann, stand die Übersiedlung nach Bratislava im Raum. In den Verhandlungen konnte Wien ein Grundstück in der Seestadt Aspern anbieten, das ausreichend Expansionsmöglichkeiten und gute Verkehrsanbindung aufweist. Das scheint nicht ausgereicht zu haben, um Hoerbiger zu überzeugen. Erst eine neue, massiv verdichtete und auf Wohnnutzung veränderte Widmung
des bestehenden Standorts gab offenbar den Ausschlag: Die Flächenwidmung ist eine dezente Förderung und fast so effektiv, wie Geld zu drucken. Von der Idee, einen geladenen Architekturwettbewerb für sein neues Wiener Hauptquartier in der Seestadt durchzuführen, war das Unternehmen vor diesem Hintergrund wohl leicht zu überzeugen. Was sind – so wird man sich im Planungsressort gedacht haben – die großen Gewinne ohne die kleinen. Finanzstadträtin Renate Brauner ist ihr Erfolg, ein Hightech-Unternehmen in Wien gehalten zu haben, zu gönnen. Aber wer übernimmt die Verantwortung für die Kollateralschäden in Simmering: viel zu dichte Bebauung, unzureichende Freiräume, schlechte Wohnqualität? War das Widmungsgeschenk wirklich die Ultima Ratio in diesem Prozess? Spielt städtebauliche Qualität überhaupt eine Rolle im kollektiven Bewusstsein der Stadtregierung? Das aktuellste Wiener Hochhauskonzept kann als therapeutischer Versuch gelesen werden, die Selbstheilungskräfte der Stadt durch kollektive Einübung ins städtebauliche Denken zu stärken. Das Konzept, das von Christoph Luchsinger, Professor für Städtebau an der TU Wien, und seinen Mitarbeitern im Dialog mit zahlreichen Akteuren im Magistrat und externen „Echogruppen“ erarbeitet wurde, baut auf den bisherigen auf, unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt: Es gliedert die Stadt in Bereiche, in denen je unterschiedliche Muster der Hochhausentwicklung Platz greifen sollen. Die „Konsolidierte Stadt“ im historischen Zentrum, das „Urbane Komposit“ im Simmeringer Osten, die „Südlichen Terrassen“ auf den Ausläufern des Wienerbergs, die „Fluviale Stadtlandschaft“ an den Uferbereichen der Donau und schließlich die „Transdanubische Ausdehnung“ in die Fläche. Diese Eignungsbereiche nehmen nur einen Teil des Stadtgebiets ein; dazwischen gibt es Übergangszonen, in denen keine Hochhausbebauung stattfinden soll. Die Beschränkungen durch Welterbe und Sichtachsen bleiben wie im Konzept aus dem Jahr 2002 bestehen und sind exemplarisch aufgezählt. Auch die Forderung nach hochrangiger öffentlicher Verkehrsanbindung gilt weiterhin. Diese Festlegungen sind allgemein genug, um keine Anhaltspunkte für Spekulation zu bieten, aber doch so aussagekräftig, dass sie im Anlassfall konkrete Schlussfol118 gerungen erlauben.
Rechtlich verbindlich wird das neue Regelwerk genauso wenig sein wie der Stadtentwicklungsplan 2025, dessen Bestandteil es sein wird. Manche laufenden Projekte scheinen aber im Konzept bereits vorweggenommen. So wirkt das Projekt dreier Wohnhochhäuser neben den Gasometern in Simmering am Franzosengraben durchaus kompatibel mit dem Muster für das „Urbane Komposit“, das „poröse Sockelzonen“ vorsieht, die zur Vernetzung der stark 53 → fragmentierten Stadtstruktur beitragen sollen. Der Teufel steckt freilich im Detail: Während im Konzept eine moderate Höhenentwicklung angedeutet ist, schieben sich die drei Türme im konkreten Projekt fast ungebremst in den Himmel. Wer hier das Maß vorgibt und mit anderen Projekten im Umkreis abstimmt, bleibt ungeklärt. Der in Luchsingers Text elaborierte Prozess in vier Phasen (Idee, Konzept, Entwurf und Realisierung) weist die Klärung dieser Frage der Phase zwei (Konzept) zu, in der ein „lokales Leitbild“, die Nutzungsvielfalt und der Mehrwert für die Umgebung festgelegt werden. Eine „argumentierte Höhenfestlegung laut Bereichsbeschreibung“ deutet darauf hin, dass die Höhe nicht gänzlich von Renditeüberlegungen abhängen sollte. Auch in der „Transdanubischen Ausdehnung“ ist die Realität dem Hochhauskonzept vorausgeeilt. Hier kann sich das Luchsinger-Konzept „Hochpunkte als Landmarks für ein kapillares Netzwerk von Zwischenzonen der heterogenen Siedlungsstrukturen“ vorstellen, also das Gegenteil der sonst üblichen Zusammenballung von Hochhäusern zu „Clustern“. Diesen Anspruch erfüllt etwa das Citygate-Hochhaus von Querkraft Architekten an der U-Bahn-Station Aderklaaer Straße, das auch typologisch innovativ ist, etwa mit gut belichteten Erschließungszonen und Gemeinschaftsflächen auf allen Geschoßen. Wie viele solche Türme der transdanubische Immobilienmarkt verträgt, wird sich zeigen. Wenn durch eine Mischung von frei finanzierten, geförderten und Sozialwohnungen eine Ghettobildung vermieden werden soll, müssen sich genug Käufer finden, die einen sehr fernen Fernblick aufs Stadtzentrum schätzen und kein Problem mit der Nachbarschaft von Rennbahnweg und Rinterzelt haben. Mit dem neuen Hochhauskonzept könnte der Stadtplanung ein Schritt in Richtung
eines systematischen, aus der Stadtstruktur abgeleiteten Umgangs mit dem Phänomen Hochhaus gelingen. Eine Prämisse dafür findet sich gleich zu Beginn des Erläuterungstextes: „Aus den topografischen, morphologischen, atmosphärischen, naturlandschaftlichen, funktionalen, sozialen und ökologischen Qualitäten Wiens ergibt sich: Wien benötigt Hochhäuser nur unter der Voraussetzung, dass diese außerordentliche Mehrwerte für die Allgemeinheit beisteuern.“ Dem wird man zustimmen, wobei die diffuse Begrifflichkeit des „Mehrwerts“ zu denken gibt. Die Vernichtung städtebaulicher Qualität lässt sich nicht damit rechtfertigen, dass ein Investor Leistungen für die öffentliche Hand übernimmt wie etwa die Errichtung einer Sporthalle. Der Mehrwert muss in erster Linie ein stadträumlicher und stadtgestalterischer sein. Die Abschöpfung zumindest eines Teils des Widmungsgewinns ist ein anderes Thema, das auf gesetzlicher Ebene so rasch wie möglich umgesetzt werden sollte. Für das aktuelle Projekt eines Turms am Wiener Eislaufverein lässt sich aus dem neuen Hochhauskonzept keine Rechtfertigung ableiten. Ein nach allen Regeln der Moderationskunst eingefädeltes kooperatives Planungsverfahren mit angeschlossenem Architekturwettbewerb kann nichts daran ändern, dass hier kein ausreichender Mehrwert für die Öffentlichkeit gegeben ist. Das Ergebnis wäre stattdessen eine nachhaltige Blamage für eine Stadt, die auf ihr historisches Erbe stolz ist. Warum die Gefahr dennoch groß ist, dass es zu einer Realisierung kommt, zeigt eine einfache Rechnung: Der Marktwert der obersten sechs Geschoße des 18-geschoßigen Turms mit je 600 Quadratmetern verkaufbarer Fläche pro Geschoß ist leicht zu berechnen: Beim derzeit im ersten Bezirk erzielten Maximalpreis von 25 000 Euro pro Quadratmeter wäre es 90 Millionen Euro, bei vorsichtig geschätzten 15 000 Euro immer noch 54 Millionen. Bei Errichtungskosten von 3000,- Euro pro Quadratmeter bleibt auch nach großzügigen Spenden an die Stadt einiges übrig. Wie weit die Stadt fähig ist, dem Druck standzuhalten, der durch die Verflechtung der Projektbetreiber mit den größten Boulevardmedien der Stadt zu erwarten ist, bleibt abzuwarten. Vielleicht zeigt die 119 Einübung ins städtebauliche Denken
im Rahmen des neuen Hochhauskonzepts ja Wirkung. Am Ende könnte ein neues Projekt für den Eislaufverein stehen, 73 das der Besonderheit des Ortes gerecht wird.
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2014
20. Dezember 2014
Zwei Betten, eine Wiege, ein Sarg Zwei Architekturausstellungen, zwei Welten. Das Museum für angewandte Kunst zeigt verschlungene Wege zur Moderne, das Architekturzentrum Wien wirbt für Isay Weinfeld und seinen Hochhausentwurf am Wiener Eislaufverein.
A
uch ich bin schöpferisch, ich schöpfe Verdacht. So lautet einer der bekannten Aphorismen aus Oswald Wieners Roman „Die Verbesserung von Mitteleuropa“. Er findet sich als Zitat im Katalog zur aktuellen Ausstellung „Wege der Moderne – Josef Hoffmann, Adolf Loos und die Folgen“ im Wiener Museum für angewandte Kunst. Dass diesen beiden Antipoden der österreichischen Kulturgeschichte erst jetzt zum ersten Mal eine große gemeinsame Ausstellung gewidmet wird, ist bemerkenswert. Überall Verdacht geschöpft, also radikale Kulturkritik betrieben, hat nur einer von beiden, Adolf Loos. Zur Verbesserung Mitteleuropas, das damals noch schlicht Österreich hieß, brachte er 1903 eine eigene Zeitschrift heraus: „Das Andere. Ein Blatt zur Einführung abendländischer Kultur in Österreich“. Darin findet sich die berühmte Geschichte vom Sattlermeister, dem eingeredet wird, seine Sättel seien nicht mehr modern, weil „ohne Phantasie“ gestaltet. Er wendet sich an die Kunstgewerbeschule, wo sich eine Meisterklasse sofort an den Entwurf zeitgemäßer Sättel im Secessionsstil macht. Als dem Sattlermeister die Resultate 121 präsentiert werden, hellt sich seine
Miene auf. „Herr Professor! Wenn ich so wenig vom Reiten, vom Pferde, vom Leder und von der Arbeit verstehen würde wie Sie, dann hätte ich auch Ihre Phantasie!“ Und Loos gibt der Geschichte ein glückliches Ende, in dem sein eigenes Ideal guten Designs aufleuchtet: „Er lebt nun glücklich und zufrieden. Und macht Sättel. Moderne? Er weiß es nicht. Sättel.“ Für Loos war eine neue Ästhetik „von oben“, wie sie die von Josef Hoffmann gegründeten Wiener Werkstätte propagierte, unvorstellbar. Das Neue könne man nicht erzwingen, es entstehe von selbst, bedingt durch neue Technologien und neue Bedürfnisse der Benutzer. Loos lehnte – wie Otto Wagner – jeden Stil ab, auch jeden „modernen“. Das hinderte ihn nicht, „Stilmöbel“ in seinen Interieurs zu verwenden, etwa Kopien von Chippendale-Sesseln in den Speisezimmern. Das Sitzen „bei Tisch“ hätte sich seit 300 Jahren nicht verändert. Für das Sitzen im Kaffeehaus entwarf Loos dagegen eigene Sesseltypen aus Bugholz, oder genauer: Er kombinierte die Elemente mehrerer vorhandener zu einem neuen Typ. Hoffmann verstand sich dagegen als schöpferischer Künstler im klassischen Sinn. Seine Produktivität war enorm, sowohl als Designer als auch als Architekt. Allein für
das Palais Stoclet in Brüssel, ein Hauptwerk der frühen Moderne, existieren tausende Zeichnungen. Die Anzahl seiner Entwürfe für Stoffe, Geschirr und Möbel geht in die Hunderte. Er war nach Otto Wagner bis in die 1920er-Jahre mit Abstand der renommierteste österreichische Architekt, nicht zuletzt durch prestigeträchtige Projekte im Ausland, etwa dem Pavillon für die Kunstgewerbeausstellung in Paris 1925. Die Ausstellung im MAK stellt die Auseinandersetzung zwischen Loos und Hoffmann in einen breiteren historischen Kontext, der vom frühen 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart reicht. Es ist ihr Verdienst, das 19. Jahrhundert nicht als Zeitalter des schlechten Massengeschmacks zu denunzieren, sondern als ersten Versuch einer Kultur der Massengesellschaft darzustellen. Das MAK kann diese Darstellung zum größten Teil aus eigenen Beständen bespielen, bis hin zu Goldrahmen aus Papiermaché und Perserteppichen in Prägetechnik. Die enorme Anzahl an Exponaten ist in diesem Fall berechtigt, weil sie vermittelt, dass diese Massenkultur in die Krise kommen musste. Auch den Reaktionen darauf wird breiter Raum gegeben. Otto Wagner als erste zentrale Figur ist mit Großstadtentwürfen und Möbeln vertreten, in denen die „Phantasie“ durch ein Verständnis für Material und Herstellung auf der Höhe des industriellen Zeitalters kultiviert ist. Vorbei an der 1:1-Rekonstruktion einer Geschäftsfassade Wagners, des Depeschenbüros „Die Zeit“ aus blitzendem Aluminium, geht es weiter in den zentralen Raum, in dem die ästhetischen Welten von Loos und Hoffmann gegeneinander in Stellung gebracht werden. Als Referenzobjekte dienen hier zwei Schlafzimmer: die Rekonstruktion des mit weißen Angorafellen und blauem Spannteppich ausgelegten, das Loos 1903 in seiner eigenen Wohnung einrichtete und unter dem Titel „Das Schlafzimmer meiner Frau“ publizierte, und ein im Quadratraster diszipliniertes aus dunklem Holz von Josef Hoffmann. Um diese zentrale Szene herum platziert finden sich Modelle und Pläne der Hauptwerke von Loos und Hoffmann sowie Werke befreundeter Künstler, wie etwa Kokoschka auf der einen und Klimt auf der anderen Seite. Damit hat der Besucher erst zwei Drittel der Ausstellung abgeschritten, die danach noch Werke aus dem Umfeld der 122 beiden Hauptfiguren zeigt, etwa von
Josef Frank und Grete Schütte-Lihotzky, und dann in die Gegenwart überleitet. Michael Embachers Ausstellungsgestaltung lässt den Objekten trotz der Fülle des Materials viel Raum, man fühlt sich nirgendwo bedrängt, sondern zum Entdecken angeregt. Ähnliches gilt für den hervorragenden Katalog, den die Kuratoren Christian Witt-Döring und Matthias Boeckl mit zahlreichen Autoren – unter anderem Otto Kapfinger, Ernst Strouhal und Andreas Vass – herausgegeben haben. Im Sinne einer radikalen Kulturkritik muss man freilich auch bei dieser Ausstellung Verdacht schöpfen. Wird hier nicht mit viel Liebe zum Detail eine österreichische oder besser Wiener Leitkultur weiterkonstruiert, die de facto Vergangenheit ist, so sehr man sich auch bemüht, sie in die Gegenwart scheinen zu lassen? In unsicheren Zeiten könnte das legitim sein, nicht als Nostalgie, sondern als Aufruf, das Reflexionsniveau dem Neuen gegenüber wieder auf eine Höhe zu bringen, wie sie im Konflikt zwischen Loos und Hoffmann erreicht war. Anlass dafür bietet die zweite diese Woche eröffnete Architekturausstellung, die über den Architekten Isay Weinfeld im Architekturzentrum Wien zu sehen ist. Verdacht zu schöpfen, lohnt sich hier besonders. Weinfeld ist der Architekt des geplanten Hochhauses am Wiener Eislaufverein, dessen Developer die Ausstellung, die zuvor in São Paulo und in New York zu sehen war, nach Wien geholt hat und nun gegen eine großzügige Spende im Az W zeigen darf. Dass diese Ausstellung nicht kritisch sein kann, ist klar. Zumindest müsste sie aber die Voraussetzung für Kritik schaffen, indem sie Weinfelds Projekt umfassend zeigt, inklusive Blick vom Belvedere und Heumarkt, Details der Fassade und einer Renditeberechnung dieses spekulativen Unternehmens, das den Stadtkörper Wiens beschädigen wird wie kaum eines davor. Stattdessen wird man mit einem Modell des Projekts im Maßstab 1:1000 abgespeist. Der Rest der Ausstellung zeigt einen Architekten, der – in den Begriffen der Loos-Hoffmann-Debatte – Kunstgewerbe für die brasilianische Millionärs-Oberschicht produziert. Auch im Zentrum dieser Ausstellung stehen zwei 1:1 installierte Schlafräume, jeweils mit einer Designer-Wiege und einem Designer-Sarg nach Entwurf von Isay Weinfeld möbliert. Der Architekt
als Weltdekorateur, der seine Kunden von der Geburt bis in den Tod begleitet: Das war der Albtraum, gegen den Loos Zeit seines Lebens gekämpft hat. Das poetische
Geschwurbel, mit dem Weinfeld seine Projekte begleitet, ist das rhetorische Äquivalent dazu. Hinter diesem Vorhang wächst der Profit.
22. November 2014
Reden unter Glas Nach Jahren der Vorbereitung liegt der Entwurf für die Sanierung des Parlamentsgebäudes am Ring vor. Jabornegg & Pálffy beweisen wieder einmal ihre Meisterschaft im Umgang mit wertvoller Bausubstanz.
I
n Österreich, so heißt es in Artikel eins der Bundesverfassung, geht das Recht vom Volk aus. Diese abstrakte Formel wird konkret im Parlament, wo die Repräsentanten des Volkes sich versammeln, um Gesetze zu diskutieren und zu beschließen. Wie ein Haus aussehen soll, das die repräsentative Demokratie repräsentiert, wirft heute viele Fragen auf. Ist es ein nationales Monument, das die Bedeutung eines Landes nach innen und außen verdeutlicht? Soll es sich offen und transparent geben, um eine entsprechende Politik zu signalisieren? Soll man ihm vielleicht anmerken, dass es das Parlament eines Landes ist, das zur Europäischen Union gehört? Immerhin basieren 80 Prozent der hier beschlossenen Gesetze auf EU-Vorgaben, und die laufende Reform der Geschäftsordnung des Nationalrats sieht vor, den österreichischen EU-Abgeordneten hier ein Rederecht einzuräumen. Auf den ersten Blick scheint es, dass Österreich sich über diese Fragen keine besonderen Gedanken machen müsste. Wir haben ja ein Parlament, ein schönes und „repräsentatives“ noch dazu, ein Ringstraßenjuwel aus dem Jahr 1883, 123 entworfen von Theophil Hansen.
Es handelt sich um ein Meister218 → werk des Historismus, in Hansens Lieblingsstil geplant, der griechischen Klassik. Kritiker nannten es bei seiner Eröffnung eine „gefrorene Satire auf die Akropolis“. Zu Unrecht: Hansen war ein hervorragender Baumeister, vom großen Maßstab bis ins feine Detail. Dem Charme des Hauses können sich auch eingefleischte Gegner des Historismus nur schwer entziehen. Leider ist dieses Haus ziemlich marode, da es gegen Ende des Zweiten Weltkriegs von mehreren Bomben getroffen und durch den folgenden Brand in 60 Prozent seiner Substanz beschädigt wurde. Der Wiederaufbau nach dem Krieg erfolgte mit den beschränkten finanziellen und technischen Mitteln der Zeit. Fünfzig Jahre lang, bis zum Beginn des neuen Jahrtausends, konnte man den Betrieb durch schrittweise Reparaturen aufrechterhalten. Im Jahr 2004 kam es zur bisher umfangreichsten: Die Rampe vor dem Haus wurde komplett erneuert, was dem Haus einen zusätzlichen Eingang an der Ringstraße und ein Besucherzentrum in den Räumen unter der Rampe verschaffte. 2008 sollte der Plenarsaal an die Reihe kommen. Der Architekturwettbewerb dafür
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Wer findet die Unterschiede? Der Plenarsaal aus den 1950er-Jahren von Fellerer und Wörle (oben) im Vergleich mit dem Entwurf von Jabornegg & Pálffy. Foto: Stefan Oláh, Atelier Jabornegg & Pálffy
erbrachte zwar ein Siegerprojekt, vor dessen Umsetzung man aber zur Einsicht gelangte, doch besser eine Generalsanierung des gesamten Hauses durchzuführen. Die Kosten für diese Sanierung wurden zu einem Politikum. Umfangreiche Gutachten ergaben für eine reine Bestandssanierung einen Kostenrahmen von 250 Millionen Euro; für eine „effizienzsteigernde“ Variante mit zusätzlichen Räumen für Ausschüsse und Büros, einer Besuchercafeteria und einem „Ökologiepaket“ zur Senkung des Energieverbrauchs wurden 300 Millionen Euro errechnet, jeweils ohne Mehrwertsteuer und mit einem Spielraum von 20 Prozent nach oben oder unten. 2013 wurden die Generalplanerleistungen für das Projekt ausgelobt. Die zehn aufgrund eines Bewerbungsverfahrens ausgewählten Planerteams hatten unter anderem ein „Qualitätsangebot“ in Form eines detaillierten architektonischen Entwurfs einzureichen. Noch während des laufenden Verfahrens beschloss der Nationalrat eine Budgetobergrenze von 350 Millionen Euro für das Projekt, womit die Finanzierung der „effizienzsteigernden“ Variante gesichert war. Im Juli dieses Jahres fällte eine Jury die Entscheidung für den Entwurf des Planerteams Jabornegg & Pálffy und Axis. Vor drei Wochen konnte das Projekt der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Diese Chronologie klingt reibungsloser, als sie sich tatsächlich ereignet hat. Einsprüche von nicht geladenen Architekten und ein Disput über die Vertragsbedingungen, der zum Rückzug von zwei Planerteams führte, sorgten für monatelange Verzögerungen. Die Anzahl der Jurymitglieder wurde kurzfristig auf 24 verdoppelt, da jede politische Fraktion ein weiteres Mitglied entsenden wollte, und damit auch die Zahl der Fachpreisrichter entsprechend erhöht werden musste. Es ist ein Verdienst der verstorbenen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und des Juryvorsitzenden Ernst Beneder, dass am Ende eine einstimmige, von allen Parteien getragene Juryentscheidung erzielt wurde. Das Siegerprojekt zeichnet sich dadurch aus, dass es Hansen als Architekten des Maschinenzeitalters ernst nimmt. Denn hinter der spielerischen Leichtigkeit des Dekors verbirgt sich bei Hansen eine strenge Rationalität, die den Geist der in125 dustriellen Revolution verrät. Die
Einbauten von Jabornegg & Pálffy nehmen diesen Geist auf. Sie sind präzise wie neue Maschinenteile in die alte Substanz gesetzt, spürbar vor allem im Besucherfoyer im Erdgeschoß und in den Treppenhäusern, die in bestehende Lichthöfe implantiert werden. Über dem Plenarsaal wird sich eine Glaskuppel wölben, die die Grenzen des heute statisch Möglichen auslotet. Auf der Ebene darunter liegt eine neu geschaffene, zusätzliche Besuchergalerie mit Blick in den Saal. Im Plenarsaal selbst regiert weniger die Handschrift der Architekten als jene des Denkmalamts. Der bestehende Saal aus dem Jahr 1956 von Max Fellerer und Eugen Wörle gehört nämlich zu den besten Werken der österreichischen Nachkriegsarchitektur. Bei der Eröffnung urteilte Roland Rainer: „Ein Saal der Arbeit, ernst und klar, fast durchsichtig, sachlich und höchst gediegen. An dieser Arbeit hätte Adolf Loos seine Freude gehabt – er würde wenig anders gemacht haben.“ Den Architekten sei zudem „eine legitime Fortsetzung des Hauptwerks Theophil Hansens“ gelungen. Zu einer wirklichen Unterschutzstellung, die den Abgeordneten weiterhin enge Sessel zugemutet und eine Beschränkung der Barrierefreiheit bedeutet hätte, konnte sich das Denkmalamt nicht durchringen. Schon beim Wettbewerb 2008 hatte es zur schizophrenen Zauberformel gefunden, die „derzeitige Optik in der Vertikalen“ zu erhalten und in der „Horizontalen umfassende Grundrissänderungen“ zuzulassen. Diese Art von Denkmalpflege ergibt keinen Sinn, sondern schadet in beide Richtungen: Sie erhält statt der Komplexität des Bestands bestenfalls dessen oberflächliches Erscheinungsbild und behindert Bauherren und Architekten bei der Suche nach dem zeitgemäßen Ausdruck für eine Bauaufgabe. Der Saal von Fellerer und Wörle mag Messlatte und Inspiration sein. Wie und mit welcher künstlerischen Ausgestaltung sich dieser de facto neue Saal präsentiert, darf sich die Republik aber nicht vom Denkmalamt vorschreiben lassen. Wenn das Parlamentsgebäude 2020 nach der Sanierung wiedereröffnet wird, sollte es keinen Zweifel daran lassen, dass die österreichische Demokratie im 21. Jahrhundert angekommen ist. Symbole des Stillstands finden sich in diesem Land genug.
24. Oktober 2014
Bahn frei für das Mittelmaß Ein Architekturwettbewerb für das 250 Millionen Euro teure Gebäude fand nie statt. Man merkt es dem Ergebnis an. Zu Wiens neuem Hauptbahnhof.
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uf der Strecke Wien–Linz–Salzburg hat die Bahn den PKW längst als schnellstes Verkehrsmittel überholt. Eine gefühlte Stunde nach Linz, zwei nach Salzburg, vier nach München: Solche Zahlen verändern die mentale Landkarte. Die Bahn hat in dieser Hinsicht eine große Tradition. Schon im 19. Jahrhundert spielte sie als Katalysator der wirtschaftlichen und
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sozialen Entwicklung eine ähnliche Rolle wie heute das Internet. Entsprechend eindrucksvoll waren damals auch die Bahnhöfe. Angelegt am Rand der bestehenden Städte waren sie hybride Gebäude, in denen sich Architektur und Ingenieurwesen auf eine sehr spezielle Art begegneten: Zur Stadt hin zeigten sie Palastfassaden, hinter denen sich Meisterwerke der Ingenieurskunst
Architektonische Entgleisung? Zugang vom Bahnhofsplatz. Foto: C. Kühn
verbargen, die größten und am weitesten gespannten Hallen, die bis dahin errichtet worden waren. Im heute weitgehend elektrifizierten Betrieb muss ein Fernbahnhof freilich nicht unbedingt aussehen wie eine Kathedrale der Industriegesellschaft. Vom praktischen Gesichtspunkt her ist er eine bessere Schnellbahnstation mit vielen Gleisen und höherer Besucherfrequenz. Letztere hat allerdings einen wichtigen Seiteneffekt: Wo viele Menschen unterwegs sind, entsteht heute fast zwangsläufig ein Shoppingcenter. Dass die Eröffnung des Wiener Hauptbahnhofs vor zwei Wochen eigentlich die Eröffnung des Shoppingbetriebs feierte und nicht die Inbetriebnahme der Gleise für den Fernverkehr, die erst im Dezember folgen wird, spricht für sich. Städtebaulich ist die Lage des neuen Bahnhofs eine Herausforderung. Als Durchgangsbahnhof scheint er selbst auf der Durchreise zu sein. Seine Ausrichtung folgt der optimalen Kurve des Gleiskörpers, ohne sich besonders um den umliegenden Stadtraum zu kümmern. Dazu kommt das
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Problem, dass die U-Bahnlinie U1, die den Bahnhof an den öffentlichen Verkehr anschließt, relativ weit entfernt liegt und die Gleise nicht in der Mitte, sondern am westlichen Ende erschließt. Hätte man den Bahnhof zurückversetzt, um einen größeren Vorplatz zu schaffen, wäre diese Distanz, die schon jetzt knapp 500 Meter Gehweg bis zu den Gleisen bedeutet, weiter gewachsen. Alle weiteren städtebaulichen und architektonischen Entscheidungen in diesem Projekt müssen als Versuche verstanden werden, aus dieser Situation das Beste zu machen. Manches ist gelungen: Der lange Weg zur U-Bahn ist abwechslungsreich und zumindest punktuell natürlich belichtet. Die Verbindung der beiden Bezirke Wieden und Favoriten unter dem Gleiskörper ist an mehreren Punkten hergestellt, nicht zuletzt durch die innere Passage, die auf der einen Seite Geschäfte und auf der anderen die Aufgänge zu den Gleisen erschließt. Sie mündet auf der Favoritner Seite in einen zweiten Bahnhofsvorplatz, an dem auch das Hochhaus der ÖBB-Zentrale liegt. Der Bahnhof verbindet damit die beiden Bezirke
Coincidentia Oppositorum: das Rautendach als Kompromiss zwischen Knäuel und Kiste. Foto: ÖBB
Bandnudeln als Bahnhofsdach im Wettbewerbsprojekt von Hotz/Hoffmann: wenn ein Platzhalter zum Projekt wird.
Ex aeqo: Wettbewerbsprojekt von Albert Wimmer mit zaghaften Ansätzen zum Hochhausviertel.
Foto: Arge Hotz/Hoffmann
Foto: Atelier Wimmer
als gleichwertig, ohne eine Vorder- und eine der Besucher dominiert aber die skulpturale Wirkung der Einzelteile, die kein Ganzes Rückseite auszubilden. ergeben. Die Auf- und Abbewegung aller Auch eine Bahnhofshalle gibt es: Sie liegt Elemente und die leichte Krümmung der stadtseitig parallel zum Gleiskörper und wird an beiden Stirnseiten von großen Glas- Gesamtanlage tragen dazu bei. Man fühlt sich nicht geschützt unter einem Dach, sonwänden abgeschlossen. Auf der Glaswand dern wie ein Zwerg, der unter eine Herde zum Südtiroler Platz klebt eine Uhr mit vier Meter Durchmesser, die der alten Uhr an der von Wasserbüffeln mit stämmigen Beinen Wand des Südbahnhofs nachempfunden ist. geraten ist, die ihre Bäuche aneinander reiben. Die Planer sind stolz darauf, dass hier Dasselbe gilt für den Schriftzug, und im inso viel Stahl verbaut wurde wie im Eiffelneren der Halle ist der kleine Markuslöwe aufgestellt, der als letztes Relikt des im Krieg turm. Man hätte sich besser Bahnhöfe wie zerstörten Südbahnhofs erhalten blieb. Dass Salzburg oder Dresden zum Vorbild nehmen die Uhr auf der Glaswand, von der Rückseite sollen, leichte Konstruktionen mit Dächern her betrachtet, die verkehrte Zeit anzeigt, ist aus Kunststoffmembranen. Wer der Frage nachgeht, von wem diesymptomatisch. Hier wird mit historischen ser Entwurf stammt, kommt zu einem überVersatzstücken Stimmung gemacht, statt raschenden Ergebnis. Im Jahr 2004 kürte technische Infrastruktur auf der Höhe der eine Jury in einem städtebaulichen WettbeZeit zu konzipieren. Trotz hohem Aufwand werb für das Bahnhofsareal zwei Preisträger reicht es architektonisch gerade noch fürs ex aequo, das Team Theo Hotz/Ernst HoffMittelmaß. mann und Albert Wimmer. Beide hatten in Dasselbe gilt für die Überdachung der ihren Modellen die Bahnhöfe als Baukörper Bahnsteige. Die weit gespannte Stahlkon angedeutet: Wimmer als eine Kiste ähnlich struktion besteht geometrisch aus fünf ineinander verzahnten Bändern, die konstruktiv jener, die er beim Bahnhof Praterstern realisiert hat, Hotz/Hoffmann als Fantasiegeals 14 jeweils 76 Meter lange rautenförmige bilde aus Bandnudeln. Als wenig später die Elemente mit einem zentralen Oberlicht Ingenieurleistungen für den neuen Bahnhof ausgebildet sind. Durch die wellenförmige und die Gleisanlagen vergeben wurden, waVerzahnung der Bänder entstehen zusätzren Hotz/Hoffmann und Wimmer als Teil lich seitliche Belichtungsfelder. Das Dach eines Konsortiums dabei und durften ihre schwingt sich über den Aufgängen zu den Platzhalter aus dem städtebaulichen WettBahnsteigen auf beachtliche 15 Meter Höhe auf, läuft Richtung Osten gemächlich auf die bewerb gemeinsam weiterentwickeln: aus Bandnudeln und Kiste wurde das RautenHöhe normaler Bahnsteigdächer aus. Alle 38 Meter tragen massive schräge Stützen die dach. Ein Architekturwettbewerb für das immerhin 250 Millionen teure BahnhofsgeLast des Stahldachs in den Boden ab. Aus der Vogelperspektive wirkt dieses bäude fand nie statt. Man merkt es dem Er128 Dach relativ klar. Aus der Perspektive gebnis an.
27. September 2014
Schön allein ist nicht genug Spitzengastronomie bietet die Gelegenheit, gutes Essen und gute Architektur an einem Ort zusammenzuführen. Mit der Erweiterung des Steirerecks im Wiener Stadtpark ist PPAG die ideale Bühne für eine Begegnung gelungen, die alle Sinne anspricht.
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utes Essen und gute Architektur haben eines gemeinsam: Schön aussehen reicht noch lange nicht. Für das gute Essen ist dieser Grundsatz allgemein anerkannt. So schön kann sich eine Speise gar nicht auf dem Teller präsentieren – wenn sie fad schmeckt, ist sie beim Gast unten durch. In der Architektur ist die Sache etwas komplizierter. Ihr Problem ist, dass sie massenhaft über Bilder verbreitet wird und deshalb oft als primär optisches Phänomen gilt. Dass Architektur auch etwas damit zu tun hat, ob ein Raum alltagstauglich organisiert ist, wie sich seine Oberflächen anfühlen und ob er
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gut klingt, ist für viele Menschen alles andere als klar. Aber auch hier gilt: So schön kann ein Raum gar nicht aussehen – wenn er akustisch oder funktionell misslungen ist, kann er nicht für sich beanspruchen, gute Architektur zu sein. Die Spitzengastronomie bietet eine perfekte Gelegenheit, gutes Essen und gute Architektur an einem Ort zusammenzuführen. Das Restaurant Steirereck der Familie Reitbauer hat den ersten Schritt in diese Richtung im Jahr 2005 gesetzt, als es seinen gutbürgerlichen Standort im dritten Bezirk aufgab und in ein teilweise denkmalgeschütztes Objekt im Wiener Stadtpark
Wie man ein Haus zum Verschwinden bringt: poliertes Aluminium und Schiebefenster, in denen sich die Wolken spiegeln. Foto: Helmut Pierer
übersiedelte, die sogenannte Meierei, eine ehemalige Milchtrinkhalle aus dem Jahr 1903. Deren ursprünglicher Entwurf stammt von Friedrich Ohmann, neben Otto Wagner Leiter einer Meisterschule an der Akademie und im Stadtpark auch für die Architektur der Wienflussausmündung verantwortlich, einer Abfolge von Treppen und Pergolen, die mit Otto Wagners angrenzender Stadtbahnstation eine recht eigenartige Symbiose eingehen. Im Vergleich zu dieser üppig dekorierten Architektur war die Meierei ein schlichtes Gebäude mit Mansarddach und großen Bogenfenstern an beiden Hauptfronten, von denen heute – nach Kriegszerstörungen und zahlreichen Umbauten – noch das Fenster zum Wienfluss erhalten ist. Schon 2005 hatten die Reitbauers das Haus für einen Betrieb auf zwei Ebenen eingerichtet: Auf Ebene der Kaipromenade gibt es einen verglasten Zubau, der unter dem Namen Meierei als Gastraum eines eigenen Lokals mit kleiner Karte betrieben wird. Über eine Treppe verbunden liegt im Geschoß darüber das eigentliche Steirereck, dem eine große Gartenterrasse vorgelagert war. Bei der aktuellen Erweiterung ging es darum, diese Gartenterrasse mit einem neuen Gastraum zu überbauen und darunter zusätzliche Räume für Küche und Lager zu 130 schaffen.
Akzidentistisch, aber mit System: Grundriss mit Altbau und Erweiterung. Foto: PPAG
Die Suche nach den richtigen Architekten für die Aufgabe haben sich die Bauherren nicht leicht gemacht. Ihr ursprünglicher Plan war, einen Direktauftrag an ein Büro mit großer Erfahrung und Referenzprojekten im Gastronomiebereich zu vergeben. Das Ergebnis wäre erwartbar gut gewesen, aber nicht unbedingt herausragend. Die Bauherren entschlossen sich daher, einen Wettbewerb unter acht eingeladenen Büros auszuloben, darunter auch zwei ausländische und zwei Teams von jungen Architekten. Jedes Team bekam ein separates Briefing in Form eines Essens mit anschließendem Blick hinter die Kulissen, wo in einem Lokal der Spitzengastronomie auf einen Koch zwei Gäste kommen und die Summe des Personals annähernd gleich mit der Anzahl der Sitzplätze anzusetzen ist. Die Ergebnisse des Wettbewerbs waren aus der Sicht der Bauherren durchwegs hervorragend. Den Zuschlag bekam das Projekt der Architektengruppe PPAG (Anna Popelka und Georg Poduschka) vor allem, weil es die Einbeziehung des Stadtparks in die neuen Räume am besten gelöst hatte. Ihr Plan sieht im Zubau keinen großen Gastraum vor, sondern eine Struktur, die aussieht, als wäre sie wie ein Kristall von der Front des Altbaus her in mehreren Fingern in den Park gewachsen.
Im Inneren ergeben sich dabei zahlreiche Ni- aus einem viel subtileren: Auf jedem Boden schen unterschiedlicher Figuration, in denen klingen die Schritte der Kellner anders, und die Tische locker platziert sind. Trotz der Ni- der Kunststoff hatte für die Bauherren zu viel schen wirken die Räume großzügig, da jeder „Eigenleben“. Finger eine beachtliche Tiefe aufweist. Das signifikanteste Element im Entwurf Der Haupteingang mit Windfang liegt ge- von PPAG sind die großen Schiebefenster, nau zwischen den beiden mittleren Fingern die sich vertikal nach oben schieben lassen und wird über einen schmalen, zum Park hin und dann wie große Bilderrahmen über die offenen Hof erreicht. Der Eingangsbereich Dachkante des Zubaus hinausstehen. In der liegt hier genau an der richtigen Stelle: Nach Fassade wechseln sich diese Schiebefenster links bietet eine Glaswand einen ersten Blick ab mit Verkleidungen aus matt spiegelnden in die obere Küche, in der ein Dutzend KöAluminiumplatten, demselben magischen che mit weißen Hauben an der Arbeit ist. Vor Material, mit dem Kazuyo Sejima die kürzdem Besucher liegt ein verglastes Weinlalich eröffnete Louvre-Außenstelle im franzöger und rechts ein kleines Empfangspult, das sischen Lens verkleidet hat. Die polygonale nicht aussieht wie ein Empfangspult, sonGeometrie des Steirerecks bringt diese Madern wie eine suprematistische Skulptur. terialien zur vollen Entfaltung: Abhängig von Folgt man der Erklärung der Bauherrschaft, Licht und reflektierter Umgebung bekommt ist das aber Zufall: Das Pult ist vor allem jede Fläche ihren eigenen Glanz. praktisch, und seine unterschiedlichen HöNeben seinen vielen praktischen Vorzühen und Tiefen bieten mehr Möglichkeiten, gen erfüllt das Projekt damit auch eine anmit den Gästen beim Abgeben der Gardedere Vorgabe der Bauherren: Es bietet eine robe ins Gespräch zu kommen. signifikante und einprägsame Figur, die Auf die Idee, sich selbst einen Sitzplatz zu den Besuchern in Erinnerung bleibt. Wem suchen, kommen die Besucher hier schon das Ergebnis nicht „wienerisch“ genug ist, deshalb nicht, weil erst eine Drehung um 180 sollte bei Josef Frank nachlesen, der schon Grad den Blick zu den Tischen öffnet. Dass 1931 postuliert hat, dass ein beliebiges Polyman dort eine andere Zone betritt, macht gon einen besseren Grundriss abgibt als ein auch der Wechsel im Bodenbelag deutlich. regelmäßig-rechteckiges. Im Eingangsbereich ist ein Fliesenboden in Frank wollte der Architektur ihre Gravieinem PPAG-typisch vertrackten Muster ver- tät nehmen und hat in späteren Jahren unter legt, dessen Logik sich erst bei genauerer Be- dem Begriff des „Akzidentismus“ Phantatrachtung erschließt, in den Speiseräumen sieentwürfe skizziert wie das berühmte Giein hellgrauer Terrazzo. Ursprünglich hatraffenhaus, als dessen Urenkel man das ten die Architekten hier einen Boden aus Steirereck mit seinen hochgeschobenen Kunststoffgewebe vorgeschlagen. Man entFenstern durchaus betrachten darf. Architekschloss sich dann doch für die harte Oberflä- tur mit Humor ist eine Seltenheit. PPAG ist che, aus hygienischen Gründen, aber auch sie hier gelungen. 30. August 2014
Cluster macht Schule Volksschule Mariagrün in Graz, zumindest hier bewegt sich das Bildungssystem: Lerninseln ersetzen die Korridore, Bildungsbereiche die Klassenzimmer. Werden sich diese neuen Räume auch bewähren?
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ie letzte große Bildungsreform in Österreich, das Schulorganisationsgesetz von 1962, liegt ein halbes Jahrhundert zurück. Bildungspolitisch
leben wir im Land der kleinen Schritte 286 → und vorsichtig austarierten Kompromisse, hinter denen aber zumindest manchmal größere Ambitionen hervorleuchten.
Vom Urwald zum Schulhaus in 22 Monaten: die Volksschule Mariagrün in Graz. Spürbar werden diese Ambitionen nicht Foto: webcam.reinisch.at zuletzt im Schulbau. Hier hat sich in den vergangenen Jahren, meist unbemerkt von sind, aber in den letzten Jahren durch neue der breiten Öffentlichkeit und abseits der Bildungsziele und Schlüsselqualifikationen Schusslinie im Grabenkampf um die Schulan Brisanz gewonnen haben. Die homogene reform, ein Paradigmenwechsel vollzogen, Klasse, in der gleich begabte Kinder mit gleidessen Resultate nun österreichweit wirkcher Geschwindigkeit dasselbe lernen, gibt sam werden. Zwei repräsentative Beispiele, es längst nicht mehr. Schule geht heute vom die auf Wettbewerbe aus dem Jahr 2011 zuPrinzip der Inklusion aus, womit nicht alrückgehen, nehmen im Herbst ihren Belein die Integration sogenannter behinderter trieb auf: die Volksschule Mariagrün in Graz Schüler gemeint ist, sondern ein so weit wie und der Bildungscampus Sonnwendviertel möglich auf die Persönlichkeit des einzelnen in Wien, eine Kombination aus KindergarKindes zugeschnittener Unterricht. Das ist ten, Volksschule und Neuer Mittelschule. Es ein hoher Anspruch, der nicht nur exzellente sind nur zwei Beispiele von vielen. In allen und motivierte Pädagogen braucht, sondern Bundesländern und auch auf Bundesebene auch geeignete Räume. Es ist kein Zufall, wurde in den letzten Jahren begonnen, die dass die Formulierung, der Raum sei – neben starren, teilweise gesetzlich fixierten Regeln den anderen Kindern und den Lehrern – der für den Bau von Kindergärten und Schulen „dritte Pädagoge“, von Loris Malaguzzi in Itazu flexibilisieren und neue Unterrichtsforlien geprägt wurde, einem Land, das seit den men auch architektonisch zu unterstützen. 1970er-Jahren auf inklusiven Unterricht setzt Charakteristisch für das neue Paradigma und schon damals seine Sonderschulen weitist die Auflösung des Systems aus Klassengehend abgeschafft hat. zimmern und Erschließungsgängen zuAn der Volksschule Mariagrün in Graz gunsten von offeneren Grundrissen, die lässt sich erkennen, dass die „neue Schule“ unterschiedliche Lehr- und Lernformen und nicht unbedingt spektakulär aussehen muss. nicht nur den Frontalunterricht unter- Der Entwurf der Vorarlberger Architekten stützen. Dahinter stehen Ideen, die Philipp Berktold und Christoph Kalb ist eine 132 in der Pädagogik alles andere als neu einfache, holzverkleidete Box am Hang. Auf
demselben Grundstück liegen ein als Kindergarten genutztes, denkmalgeschütztes Sanatorium aus dem 19. Jahrhundert und eine 2010 errichtete Kinderkrippe, ein Massivholzbau von Martin Strobl. Mit diesen Einrichtungen teilt sich die Schule nicht nur den Freiraum, ein parkähnliches Areal im Grazer Stadtteil Mariatrost, sondern auch die Küche und den Speisesaal, die im Altbau liegen. Bedingt durch die Hanglage befindet sich der Haupteingang zur Volksschule im obersten der drei Geschoße. Eine großzügige, flexibel nutzbare Halle mit Oberlicht empfängt die Besucher. Linker Hand liegt die Direktion, ein Stockwerk tiefer die gemeinsame Garderobe mit eigenem Ausgang in den Garten. Auf dem untersten, teilweise in den Hang gegrabenen Niveau liegen der Turnsaal und Werkräume mit überdachten Terrassenflächen. Der Unterschied zu einer normalen Schule besteht in der Anordnung der Unterrichtsräume. Sie gliedern sich pro Geschoß in einen großen, von jeweils vier Gruppen gemeinsam nutzbaren offenen Bereich, an den vier mit Schiebetüren zu öffnende „Klassenräume“ angelagert sind. Dazu kommt ein großzügig dimensionierter Teamraum für die Lehrer, ein Lagerraum für Unterrichtsmaterialien und die WCs für die Schüler. Eine solche, um eine gemeinsam nutzbare Mitte herum angeordnete Einheit wird im Schulbau als „Cluster“ bezeichnet. In Mariagrün werden die vier Gruppen als Jahrgangsklassen geführt, im zentralen Raum wird aber jahrgangsübergreifend und im Team gearbeitet. Auch der neue Campus Sonnwendviertel in Wien, ein Entwurf der Architekten PPAG, folgt diesem Clusterprinzip. Für den Wiener Schulbau muss das Projekt als Auslöser einer kleinen Revolution gesehen werden. Während die ersten Campusschulen nach dem Muster Gang und Klassenzimmer konzipiert waren, hat sich der Cluster heute als Standard im Schulneubau der Stadt etabliert. Inzwischen wurde auch das Potenzial dieses Prinzips für die Verbesserung der frühkindlichen Bildung erkannt: Eine Kombination von Kindergartengruppen und Schulklassen in einem Cluster bietet die Möglichkeit, die wichtige Schnittstelle zwischen diesen Institutionen flexibler und besser auf die individuellen Bedürfnisse hin orientiert zu gestalten. Sowohl im Wiener wie im Grazer Bei133 spiel zeigt sich, dass der Clustertypus
eine Neujustierung von Gewichtungen erfordert. In Graz wurden die „Klassenräume“ auf 48 m2 verkleinert, um Flächen für den Zentralraum zu schaffen. In Wien wurde der Hort als eigenständige, nur halbtags genutzte Institution aufgegeben und seine Flächen der Schule zugeschlagen. In beiden Fällen wird der Möblierung große Bedeutung gegeben: Eine flexible Schule funktioniert nur mit leichten, beweglichen Tischen und Sesseln und zusätzlichen Aufbewahrungsmöglichkeiten für Schulsachen. Solche Verschiebungen über Budgetgrenzen hinweg klingen einfacher als sie sind, ebenso die Kombination von bisher säuberlich getrennten Institutionen wie Kindergarten und Schule. Die eigentlichen Helden in diesem Spiel sind Beamte der Bildungs- und Bauressorts, die gemeinsam mit engagierten Pädagogen Grenzen einreißen und neue Regeln definieren. Ohne eine kluge Wettbewerbsausschreibung, die von den Architekten Innovationen einfordert, wäre keine der beiden genannten Schulen möglich gewesen. Die anstehende große Reform unseres Bildungssystems kann diese Entwicklung nicht ersetzen. Sie schafft aber eine wichtige Voraussetzung einer zeitgemäßen Pädagogik. Jetzt geht es darum, die neuen Konzepte im Betrieb zu beobachten, aus ihnen zu lernen und die Erkenntnisse in die Breite zu tragen.
Cluster: vier Bildungsräume mit gemeinsamer Mitte. Architekturwerk Berktold Kalb
2. August 2014
Eine undichte Stelle Das Wiener Stadthallenbad ist endlich eröffnet. Die Farce um seine Sanierung endet wohl vor Gericht.
Stadthallenbad: Gestaffelte Stahlträger mit unterschiedlicher Neigung.
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n der aktuellen Ökonomie der Aufmerksamkeit ist der Wert der Architektur im Schwinden begriffen. Noch vor zehn Jahren setzte das amerikanische „Time Magazine“ unter dem viel versprechenden Titel „The Shape of Things to Come“ den Stararchitekten Daniel Libeskind aufs Titelblatt und ließ ihn und andere Götter in Schwarz über die Zukunft der gebauten Umwelt räsonieren. Auch in einer 134 der jüngsten Ausgaben von „Time“
Foto: C. Kühn
ging es in einem immerhin knapp 40 214 → Seiten starken Sonderteil um Architektur unter dem Titel „The Smarter Home“. Das Titelblatt zeigte diesmal allerdings die Zeichnung eines Einfamilienhauses, das zwar ästhetisch eher ins Fertighausparadies der „Blauen Lagune“ passen würde, technisch aber einiges verspricht, unter anderem seinen eigenen Energiebedarf abzudecken, durch ausgefeilte Sensorik auf die Bedürfnisse seiner Nutzer zu reagieren
und über LEDs beliebige Lichtstimmungen erzeugen zu können. Man wird sich daran gewöhnen müssen, dass Architektur außerhalb der Reservate der Architekturkritik in einem neuen Rahmen diskutiert wird: als Gerüst, auf das wir Schalter und Tasten montieren, mit denen wir unseren Komfort steuern. Mit der Realität des Architekturschaffens haben solche Fantasien freilich nur wenig zu tun. Die zunehmende Komplexität der Gebäudetechnik ist ein Faktum, das die Architektur dazu zwingt, viele ihrer klassischen Mittel neu zu denken. Der Schluss, dass Ingenieure und Haustechniker und eine vielleicht noch entstehende Berufsgruppe von Interface designern eine ganzheitliche architektonische Planung ersetzen könnten, wäre freilich verhängnisvoll. Am Ende stünde dann oft ein saftiger Bauskandal – die andere verbliebene Möglichkeit für ein Gebäude, heute noch in die Zeitung zu kommen. Das Wiener Stadthallenbad hat sich in den vergangenen Jahren zu einem solchen Skandal entwickelt, in dessen Zentrum die Frage des Vertrauens zwischen der Bauherrenseite und den verantwortlichen Architekten steht. Begonnen hat dieser Skandal im Jahr 2009, als die Stadt Wien den schon lange fälligen Entschluss fasste, das Stadthallenbad zu sanieren. Das Sportamt hatte einen Planer mit einem Sanierungsentwurf beauftragt, der auf eine grobe Verunstaltung des Gebäudes hinausgelaufen wäre. Dass die Verantwortlichen nicht wirklich wussten, womit sie es zu tun hatten, zeigte sich schon an dem kleinen Detail, dass in der Projektbeschreibung ein gewisser Arnulf Rainer als Architekt des Ursprungbaus aus dem Jahr 1974 angeführt war. Gemeint war Roland Rainer, einer der wichtigsten Nachkriegsarchitekten, der Wien zuerst mit dem Bau der Stadthalle und später als Stadtplaner nachhaltig geprägt hat. Tatsächlich handelt es sich beim Stadthallenbad um eines seiner Hauptwerke, ein auch im internationalen Vergleich herausragendes Werk, nicht so spektakulär wie seine frühen Hallen, aber unglaublich raffiniert in Konzept und Detail. Durch Proteste der Fachöffentlichkeit sensibilisiert, beantragte die Stadt Wien selbst praktisch im letzten Moment Denkmalschutz für das Bad und ließ in einem Generalplanerverfahren nach einem entsprechend kompetenten Architek135 ten suchen. Georg Driendl, der selbst
bei Roland Rainer studiert hat, überarbeitete die vorliegende Planung von Grund auf. Das technisch und denkmalpflegerisch größte Problem waren die bereits in den 1990er-Jahren erfolgten Sanierungen, bei denen unter anderem der Hallenboden leicht angehoben und eine Edelstahlwanne anstelle des gekachelten Beckens eingesetzt wurde. In vielen Punkten hatten sich seit 1974 Vorschriften geändert, für Geländer ebenso wie für Türhöhen, und hier galt es, sinnvolle Lösungen zu finden, teilweise unter Beibehaltung der alten Standards, wie das bei denkmalgeschützten Altbauten ja auch in anderen Fällen in Kauf genommen werden muss. Die Sanierung begann 2010 und sollte im Herbst 2011 abgeschlossen werden. Wie bei vielen Sanierungen traten zusätzliche Probleme auf, die unter anderem auf jahrelange Vernachlässigung der Substanz zurückzuführen waren. Zum öffentlich gravierenden Problem wurde kurz vor Abschluss der Sanierung das Edelstahlbecken, das sich als undicht erwies. Die ausführende deutsche Firma, von der das Becken in den 1990er-Jahren stammte, empfahl, etappenweise nach den undichten Stellen zu suchen und das Bad trotzdem zu eröffnen, da die austretende Wassermenge minimal sei. Die Stadthalle unter der Führung ihrer neuen kaufmännischen Direktorin, Sandra Hofmann, entschloss sich nach kritischen Zeitungsberichten zu einem anderen Weg, nämlich einen Schuldigen zu suchen. Sie veranlasste Ende Jänner 2012 einen Baustopp und eine gerichtliche Beweissicherung. Seit damals hat sich diese Causa zu einer Farce entwickelt, die Hunderttausende Euro an Gutachter- und Rechtsanwaltshonoraren
Wenn der Schlosser Architektur machen soll: Treppenaufgang zum Sprungturm. Foto: C. Kühn
gekostet hat. Bereits nach Plänen von Georg Driendl errichtete Teile wie der Kassenschalter beim Eingang wurden abgebrochen und neu errichtet und fertig verlegte Böden getauscht. Der Aufgang auf den Sprungturm wurde neu als Standardtreppe statt als Leiter errichtet und steht entsprechend unglücklich im Weg. Um viel Geld wurde auch eine Gesamtprüfung des vorgespannten Tragwerks durchgeführt, in der Hoffnung, das ungeliebte Gebäude könnte aus statischen Gründen als nicht erhaltenswert eingestuft werden. Die von einem Tragwerksplaner aus dem Umfeld von Pier Luigi Nervi stammende Konstruktion hielt dieser Prüfung aber mit mehrfacher Sicherheit stand. Inzwischen ist das Edelstahlbecken dicht. Wer heute im Stadthallenbad schwimmen geht, darf sich an einer ästhetisch und funktionell hervorragend gelungenen Sanierung erfreuen. Auch die Wasserqualität ist – nach
der Korrektur der Fehler, die schon zu Roland Rainers Zeiten gemacht wurden – hervorragend. Bei der Pressekonferenz zu der im Juni erfolgten Eröffnung sprach Sandra Hofmann von 300 Planungsfehlern des Generalplaners, der auf mindestens 6,8, möglicherweise 15 Millionen Euro Schadenersatz geklagt werde. Womit man wieder im ursprünglichen Budgetplan sei. Das klingt nach Realitätsverweigerung. Falls es tatsächlich zu diesem Prozess kommt, wird der Steuerzahler aller Voraussicht nach heftig zur Kasse gebeten werden. Dass das Becken schon vor der Sanierung des Bads undicht war, ist bekannt. Hätte man die Energie ins Lösen von Problemen statt in die Suche nach Schuldigen gesteckt, wäre das Bad wohl schon im März 2012 in Betrieb gegangen: ohne Skandal, als Erfolgsstory einer intelligenten und einfühlsamen Sanierung.
Nichts ist egal 5. Juli 2014
Seine Bauten waren ihrer Zeit Jahrzehnte voraus. So ist es keine Überraschung, dass sie heute dringend saniert werden müssen. Wien sollte das Andenken an Helmut Richter ehren, indem es seine Bauten weitersprechen lässt– die Stadt hat nicht viele Räume dieser Qualität zu bieten.
Ü
ber Architektur zu sprechen ist Helmut Richter nie leicht gefallen. Ein allgemeines Gespräch zum Thema „Architektur“ hielt er für sinnlos, weil es keine ästhetischen Argumente gäbe, sondern nur ästhetische Postulate. Die würden allerdings nicht vom Himmel und dem
Architektengenie in die Hände fallen. Vielmehr sei festzuhalten, dass „die ständige Beschäftigung mit einem Problem, dauernde Anstrengung und der Wille, etwas zu verbessern, neben der Verwendung von klaren Argumenten bei der Kontrolle unserer Handlungen zu dem Resultat führt“.
Einer der schönsten Innenräume Wiens: Sporthalle in Helmut Richters Hauptwerk, der Schule am Kinkplatz. Es ist symptomatisch, dass Richter „dem Foto: Rupert Steiner Resultat“ kein Adjektiv beistellt, wie man es an dieser Stelle erwarten würde. Sollte es tätig. Er kehrte nicht direkt nach Österreich nicht zumindest „korrekt“ sein, besser noch zurück, sondern wechselte für vier Jahre als „gelungen“ oder „herausragend“? Das wäre Assistenzprofessor an die École nationale sufür Richter schon zu viel an Selbstgefälligkeit périeure des beaux-arts in Paris. gewesen. Das Resultat ist, was es ist. Aber Dort freundete sich Richter mit einer inim selben Text, der 1984 in der Zeitschrift ternationalen Gruppe von Architekten an, „UmBau“ erschien, heißt es auch: „Die Medie gerade mit der Planung des Centre Pomthode sei der ständige Zweifel, die Kontrolle, pidou befasst waren. Zum ersten Mal in der die Korrektur.“ So macht man sich und seiGeschichte Frankreichs hatten an dem Wettner Umgebung kein leichtes Leben. Aber bewerb für dieses Projekt auch ausländische man gelangt zu außergewöhnlichen Resulta- Architekten teilnehmen dürfen, und aus ten. Und das ist das Mindeste, das man über fast 700 Einreichungen machte das Team Helmut Richters Architektur sagen kann. des Engländers Richard Rogers und des ItaGeboren wurde Richter 1941 in Ratten in lieners Renzo Piano das Rennen. Das Proder Steiermark. „Aufgewachsen bin ich im jekt eines anderen Briten, des 23 Jahre alten Wald“, sagte er vor Jahren in einem InterWilliam Alsop, kam auf Platz zwei. Richter view und legte damit wahrscheinlich eine hoffte, sich in diesem Pariser Umfeld als infalsche Fährte: Sein Vater war Bergbauinternationaler Architekt selbstständig magenieur, und beeinflusst haben ihn wenichen zu können. Das ging nicht auf, aber der ger die Natur als das industrielle Gerät und kontinuierliche Austausch mit den Archidie Industriebauten des Kohlebergwerks im tekten und Ingenieuren der ArchitekturströOrt. Nach dem Architekturstudium an der mung, die man ab Mitte der 1970er-Jahre als TU in Graz ging Richter 1969 in die USA, um „Hightech“ zu bezeichnen begann, ließ ihn an der University of California, Los AngeKonstruktion und Material neu denken: nicht les, weiterzustudieren. Dem Trend der Zeit als Mittel zum Zweck, sondern als zentraentsprechend, belegte er Vorlesungen les Medium des architektonischen Schaffens. in System- und Netzwerktheorie und Unter den österreichischen Architekten ge137 war bis 1971 als Forschungsassistent langte nur Konrad Frey, der zur selben Zeit
wie Richter an der TU Graz diplomiert und danach in London bei Arup Associates – den Ingenieuren des Centre Pompidou – gearbeitet hatte, zu einem vergleichbaren Verständnis. Im Jahr 1977 kehrte Richter nach Wien zurück und gründete gemeinsam mit Heidulf Gerngroß ein eigenes Büro, das sehr rasch auffällig wurde. Während an der TU Wien mit Rob Krier ein wortgewaltiger Vertreter der Postmoderne den Ton angab, legten Gerngroß/Richter Projekte einer zweiten, entspannt wirkenden Moderne vor. Es waren kleine und kleinste Aufgaben: das Einfamilienhaus Königseder in Oberösterreich, das Bad Sares und das Restaurant Kiang in Wien, alle in den Jahren zwischen 1980 und 1985 realisiert. Für viele Studierende an den Wiener Architekturschulen wurden diese Projekte zu Leitbildern. Sie waren der gebaute Beweis, dass ihre Lehrer unrecht hatten. Die behaupteten nämlich zu dieser Zeit, man müsse einem Projekt ansehen, dass es die Weltgeschichte der Architektur ehrfurchtsvoll zitiert. Die Projekte unter dem Label von Gerngroß/Richter zeigten eine Alternative auf, die völlig im Heute zu Hause war. Wer diesen Weg verfolgte, war aber auch gegen jede Art von Dekonstruktivismus immunisiert. Richters Lieblingsphilosophen waren Wittgenstein und Popper. Er verstand Entwerfen als deduktiven Prozess, dessen Ergebnisse sich im Leben zu bewähren haben, und Bauschäden als Erkenntnisgewinn durch Falsifikation. Zur Attraktivität der Person Helmut Richters bei der jungen Szene trug wesentlich seine kompromisslose Haltung bei – sie führte aber nicht immer zum Erfolg. Beim Wohnbau auf den Wiener Gräf-und-StiftGründen, der als Stahlkonstruktion geplant war, erlebte er eine doppelte Niederlage: Die Ausführung erfolgte in Massivbauweise, und die zahlreichen Grundrissvarianten, die der Entwurf den Nutzern angeboten hätte, wurden auf zwei reduziert. Im Kampf mit der Genossenschaft ließ sich Richter auf keinen Kompromiss ein, bis er den Auftrag verlor. Sein Gegenüber erwartete von einem Haus nicht mehr, als dass es warm, trocken und möglichst billig war. Richters Leidenschaft galt der Präzision bis ins letzte Detail. Richard Manahl von ARTEC, einer der ersten Mitarbeiter im Büro Gerngroß/Richter, berichtet, er hätte dort vor allem 138 ein Prinzip gelernt: „Nichts ist egal.“
In der Wiener Welt des Durchwurstelns ist das bis heute eine Kampfansage. Diese Ansage hat Richter seit den frühen 1980er-Jahren auf vielen Wegen in die österreichische Architekturszene getragen. Da wären einerseits die Mitarbeiter in seinem Büro, andererseits die Studierenden, die er zuerst als Lehrbeauftragter an der Angewandten, dann als Gastprofessor in Kassel und schließlich ab 1991 als Nachfolger von Ernst Hiesmayr an der TU Wien unterrichtet hat. In seiner Zeit als Professor betreute Richter rund 750 Diplomarbeiten: eine ganze Architektengeneration. An der TU etablierte er mit seinen Assistentinnen und Assistenten eine Schule, die aus dem Betrieb herausleuchtete. Zu denen, die ihm auf die eine oder andere Art wesentliche Impulse verdanken, gehören viele, auch einige der besten der heute um die 50-jährigen Architekten in Wien, unter anderem Fasch und Fuchs, Querkraft, Gerner und Gerner, Andreas Treusch, Pichler Traupmann, Berger und Parkkinen, Bulant und Wailzer, Tillner und Willinger. Diese Architekten verbindet ein Verständnis für Konstruktion und Material, wie es an den beiden Hauptwerken Richters, der Wohnhausanlage in der Brunner Straße und der Hauptschule am Kinkplatz, abzulesen ist. Peter Cook hat diese Architektur als „Hand-Tailored Tech“ bezeichnet. Sie ist exklusive Maßarbeit, im Unterschied zum britischen und französischen Hightech, der auf große Ingenieurbüros und ausführende Firmen mit Stahlbautradition zurückgreifen konnte. Richter und sein Ingenieur, Lothar Heinrich von Vasko+Partner, entwickelten Konstruktionen, die ihrer Zeit 20 Jahre voraus waren. Scheinbar serielle Industrieprodukte, die aber nicht aus der Fabrik, sondern aus der Schlosserei stammen. Dass diese Bauten heute, nach 20 Jahren, dringend saniert werden müssen, ist keine Überraschung. Sie teilen dieses Schicksal mit dem Centre Pompidou, dessen erste Generalsanierung 20 Jahre nach der Eröffnung begann. Mit heutigen Technologien lassen sich Richters Bauten warm und dicht machen, ohne ihre Qualität zu zerstören. Am 15. Juni ist Helmut Richter nach langer Krankheit verstorben. Wien sollte das Andenken an diesen stillen, fast scheuen Architekten ehren, indem es seine Bauten weitersprechen lässt. Die Stadt hat nicht viele Räume in dieser Qualität zu bieten.
10. Mai 2014
Das Museum wird lebendig 150 Jahre auf dem Buckel, und es tritt nicht leiser – im Gegenteil: Sensationelle Installationen, spektakuläre Werkpräsentationen, provokante Themenausstellungen gab es schon, nun liegt der Schwerpunkt auch auf Design. Zur Geschichte eines Sonderfalls: das Wiener MAK.
Museum der Kontraste: Das MAK feiert 150. Geburtstag.
I
m Film „Nachts im Museum“ muss die von Ben Stiller gespielte Hauptfigur ein New Yorker Museum bewachen, in dem die Exponate nach Sonnenuntergang zum Leben erwachen. Untertags zeigt sich das Museum im Normalbetrieb als ein Ort für Dinge, die mit der Gegenwart nicht viel
Foto: MAK/Georg Mayer
zu tun haben: tote Tiere, Alte Meister, längst obsolete Maschinen, Zeug von gestern. Was im Schatzhaus des Museums eingeschlossen ist, soll möglichst still halten und uns Erholung vom Alltag bieten. Dieses Bild des Museums ist freilich längst obsolet geworden. In einem Vortrag,
der vergangene Woche im Rahmen der Wiener Vorlesungen im Wien Museum zu hören war, referierte der in Zürich lehrende Kulturwissenschaftler Bernhard Tschofen über Alternativen zur Metapher des Schatzhauses. Museen seien Institutionen der Gegenwart, in denen Menschen und Dinge ein „epistemisches Gefüge“ bilden würden, also eine besondere Situation des Erkenntnisgewinns – am Objekt und im Raum. In einem guten Museum würde heute die Reflexion im Mittelpunkt stehen und nicht die Affirmation, der das Museum als Erfindung des Bürgertums im späten 18. und vor allem im 19. Jahrhundert seine Existenz verdankte. Das Museum hätte schon immer Geschichte konstruiert, aus der Perspektive von Klassen und Nationen; heute müsse es sich dessen bewusst sein und deutlich machen, wer hier für wen spricht. Das zweite Museumszeitalter sei in den Jahren nach 1968 angebrochen, als Museen begannen, sozial- und alltagsgeschichtliche Aspekte aufzugreifen. Ein Museum müsse sich daher als Generator verstehen, als Produzent von kulturellen Aussagen, die bewusst auf den Prüfstand der Öffentlichkeit gestellt werden. Dass diese Öffentlichkeit heute alles andere als homogen ist, nämlich geprägt von kulturellen Differenzen, ist ein wichtiger Faktor. Die klassische Arbeitsteilung von Kuratoren, Gestaltern und Vermittlern sei unter diesen Umständen nicht mehr ausreichend. Das Museum müsse zur „Trading Zone“ werden, und seine Mitarbeiter zu Maklern, die zwischen unterschiedlichen Wissensordnungen vermitteln. Universalmuseen wie das Wien Museum sind – so Tschofen – für diese Aufgabe besser gerüstet als klassische Kunstmuseen, da sie den kulturhistorischen Kontext aus ihren Beständen beistellen könnten. Ob das Wien Museum jemals geeignete Räume für diese Aufgabe bekommen wird, muss sich in nächster Zeit klären. Nachdem die Standortentscheidung für den Karlsplatz gefallen und die Erweiterungsmöglichkeit im Groben skizziert ist, sollte noch vor den nächsten Wiener Wahlen ein Architekturwettbewerb zeigen, ob die Gemeinde Wien imstande ist, einen Kulturbau zu realisieren, der einer Millionenstadt angemessen ist. Diese Sorge hat das Museum für angewandte Kunst, das kommende Woche seinen 150. Geburtstag fei140 ert, nicht. Für Sammlungen und
Wechselausstellungen steht genug Raum zur Verfügung. Das MAK ist von seiner Geschichte her der Sonderfall eines Museums, das sich schon immer als Ort der Produktion verstanden hat, nicht im unmittelbaren Sinn, sondern als Sammlung von vorbildlichen Produkten. Unter der 25-jährigen Direktorenschaft von Peter Noever entwickelte sich das MAK zu einem Museum, das Gegenwartskunst vor dem Hintergrund der historischen Bestände präsentierte. Die Interventionen, die Noever Ende der 1980er-Jahre im MAK von Künstlern in der Schausammlung des Museums installieren ließ, waren eine Sensation, die – zusammen mit spektakulären Werkpräsen tationen und provokanten Themenausstellungen – den Ruf des Hauses neu begründete. Sein Nachfolger Christoph Thun-Hohenstein, der die Direktion im Herbst 2011 übernahm, hat dem MAK eine neue, weniger schillernde Ausrichtung gegeben. Die Schausammlungen wurden schrittweise neu aufgestellt, zuerst die Bestände zu „Wien 1900“, dann die Asien- und die Teppichsammlung. Das Prinzip, zeitgenössische Künstler in die Neuaufstellung der Schausammlung einzubinden, blieb erhalten, mit einer kräftigen Intervention bei der Asien-Sammlung durch Tadashi Kawamata und einer dezenten in der Teppichsammlung durch Füsun Onur. Kawamata mischt Holzlatten und Exponate zu einem Treibgut, das sich im Raum verfängt und in Dialog mit den „grottesken“ Wandmalereien tritt. Onurs Engelteppich schwebt dagegen unauffällig über der Installation aus fliegenden Teppichen, konzipiert von Michael Embacher. Dass die Kuratoren und Kustoden mehr Mitsprache haben als bisher, ist den Aufstellungen positiv anzumerken. Vor allem die Sammlung zu „Wien 1900“, die nun die Jahre 1890 bis 1938 behandelt, bietet Überraschungen auch für Besucher, die über dieses Thema schon alles zu wissen glaubten. Mit dem kommenden Dienstag zum 150. Geburtstag eröffneten Design Labor setzt das MAK das bisher deutlichste Zeichen für eine Neupositionierung. Die vom Wiener Designbüro EOOS unter kuratorischer Beratung des Institute of Design Research Vienna gestaltete Ausstellung ersetzt die bisherige Studiensammlung komplett. Ein Teil des Materials ist geblieben, aber lebendiger präsentiert und thematisch neu geordnet. Ein Raum widmet sich dem Produzieren:
Hier stoßen künstlerische Produktion und Design aneinander, mit Franz West auf der einen und einer Zusammenschau aller Staatspreise für Design seit 1962 auf der anderen Seite, vom Damenhut bis zur Aufklärungsdrohne. Weitere Bereiche widmen sich dem Kochen und Essen, der Bekleidung (grandios: das Spezialarchiv Helmut Lang) und der visuellen Kommunikation. Das klingt nach säuberlich getrenntem Sortiment, aber EOOS freuen sich, dass diese „Supermarktaufstellung“ an vielen Punkten zu durchaus überraschenden Begegnungen führt.
Zwei Räume für Wechselausstellungen und das MAK Forum – ein multifunktionaler Vortrags- und Ausstellungsraum, in dem es trotz der Lage im Keller viel Tageslicht gibt – runden das Angebot ab. Besucher, die den direkten Weg in den Zentralraum der Studiensammlung gewohnt waren, werden den neuen Eingang, der die Besucher durchs MAK Forum führt, gewöhnungsbedürftig finden. Wenn der Beitrag des Designs zum „positiven Wandel“, den sich das MAK auf die Fahnen geschrieben hat, dort tatsächlich seinen Ausgang nimmt, lohnt sich der Umweg allemal.
11. April 2014
Penthouse für alle? Baugemeinschaften lassen die Genossenschaftsidee im Wohnbau wieder aufleben. Wie Reichtum durch Teilen entsteht: so gesehen in Wien-Leopoldstadt.
E
ine Sache zu teilen bedeutet meist, weniger von ihr zu haben. Es gibt aber auch Güter, die sich beim Teilen vermehren. Ein Auto, das von vielen Nutzern geteilt wird, vervielfacht sich zwar nicht physisch, entfaltet aber beim Carsharing einen deutlich vermehrten Nutzwert. Auch wenn es bis heute keiner der großen Automobilkonzerne gewagt hat, statt Autos schlicht Mobilität zu verkaufen, ist abzusehen, dass die Entwicklung in diese Richtung gehen wird. Systeme, in denen geteilt wird, sind grundsätzlich flexibler und effizienter. Individuelles Eigentum wird in solchen Systemen durch den Zugang zu Ressourcen genau dann ersetzt, wenn sie benötigt werden. Ein verwandter Trend lässt sich im Wohnbau unter dem Begriff „Baugemeinschaften“ beobachten. Der 141 Begriff klingt nicht zufällig nach
„Wohngemeinschaft“: Es geht ums gemeinsame Planen, Errichten und Benutzen von Wohnraum. In der Regel wird dabei kein individuelles Eigentum begründet, sondern eine andere Form der Bauträgerschaft gewählt. Die meisten Baugemeinschaften agieren als Vereine, andere als Eigentümergemeinschaften oder als Kooperationsprojekte mit einem Bauträger, bei dem die Projektbetreiber als Mieter auftreten. Das bekannteste Wiener Vorbild für eine „Baugemeinschaft“ ist die sogenannte „Sargfabrik“ im 14. Bezirk, ein Mitte der 1980er-Jahre begonnenes Wohnprojekt, das nach einem Entwurf der Architektengruppe BKK-2 geplant und in der ersten Baustufe 1996 eröffnet wurde. BKK-2 steht nicht von ungefähr für „Baukünstlerkollektiv“: Die Videoaufnahmen der legendären wöchentlichen Diskussionen, in denen das Projekt gemeinsam im Plenum entwickelt wurde,
sind Lehrstücke für die Mühen der Basisdemokratie, an denen schon viele ähnliche Projekte gescheitert sind. Die Sargfabrik hat fast zehn Jahre von der Vision bis zur Umsetzung gebraucht. Die jüngeren Baugemeinschaften, die derzeit in Wien mit ersten Realisierungen auf sich aufmerksam machen, haben aus diesen Erfahrungen gelernt. Beim Wohnbau auf dem Areal des ehemaligen Nordbahnhofs, hinter dem ein Verein mit dem trockenen Namen „Wohnprojekt Wien“ steht, dauerte es exakt vier Jahre von der Vereinsgründung bis zur Fertigstellung. Das Wohnprojekt ist kleiner als die Sargfabrik: 39 Wohnungen, 65 Erwachsene und 27 Kinder. Entscheidungen fallen nicht basisdemokratisch, sondern „soziokratisch“ nach einem in den Niederlanden entwickelten Partizipationsmodell, das Entscheidungen in eigenverantwortliche und mit eigenem Budget ausgestattete Arbeitskreise delegiert. Dass zu den Bauherren auch Unternehmer und Organisationsentwickler gehören, hat dem Projekt offenbar geholfen – was nicht selbstverständlich ist: Auch die Ballung von Expertise hat schon manches Projekt zu Fall gebracht. Institutionell lehnt sich das „Wohnprojekt“ insofern an die Sargfabrik an, als der Verein als Betreiber eines Heims 142 auftritt. Die Wohnbauförderung für
Soziokratisch entwickelt und betrieben: Das „Wohnprojekt Wien“ auf dem Areal des ehemaligen Nordbahnhofs mit 39 Wohnungen, in denen 17 verschiedene Sprachen gesprochen werden. Fotos: Herta Hurnaus
Heime liegt pro Quadratmeter zwar unter jener von Wohnungen, dafür erhalten auch Gemeinschaftseinrichtungen – bis zu einem Ausmaß von 25 Prozent der sonstigen Wohnfläche – eine Wohnbauförderung. In diesem Fall haben die Betreiber das Potenzial fast vollständig genutzt: Seminarräume und Werkstätten liegen in dem über einen großen Spielhof belichteten Keller, eine Gemeinschaftsküche im Erdgeschoß, und anstelle eines Penthouse finden sich im obersten Geschoß eine Sauna, eine Bibliothek und drei Gästezimmer, die nach Bedarf genutzt werden können. Eine große Hürde für Baugemeinschaften ist in Wien die Suche nach einem geeigneten Grundstück. Der Traum von der Baulücke mit begrüntem Hof in einem der inneren Bezirke ist angesichts der aktuellen Preise auf dem Immobilienmarkt illusorisch. Um an ein Grundstück zu kommen, ging der Verein „Wohnprojekt Wien“ eine Kooperation mit einem gemeinnützigen Bauträger ein, mit dem er bei einem von der Stadt Wien ausgelobten Bauträgerwettbewerb für ein Grundstück auf dem Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs teilnahm.
Die Genossenschaft Schwarzatal schlug ein Mischprojekt für das Grundstück vor: einen Block mit 51 Wohnungen mit normaler Wohnbauförderung, einen zweiten Block mit 39 Wohnungen als Heimmodell für den Verein. Den Wettbewerb, der unter dem Schlagwort „interkulturelles Wohnen“ ausgelobt war, konnte das Projekt nicht zuletzt aufgrund der Zusammensetzung der Baugruppe für sich entscheiden: Ihre Mitglieder sprechen 17 Sprachen und kommen aus 40 verschiedenen Berufen. Ein Solidaritätsfonds, der für einige Mitglieder den Eigenmittelbedarf auf null reduzierte, ist Teil des Konzepts. Für den „normalen“ Wohnbau wurden Superblock Architekten verpflichtet, für das Wohnprojekt Katharina Bayer und Markus Zilker, die gemeinsam als Einszueins Architektur firmieren. Das Wohnprojekt ist solide ausgeführt, ein eleganter Baukörper mit gut nutzbaren, zwei Meter tiefen Balkonen aus Sichtbeton vor einer mit Holz verkleideten Fassade. Die Grundrisse sind pragmatisch im guten Sinn. Offenbar haben die Bewohner ihren Architekten im Rahmen des aufwendigen Partizipationsprozesses zu vertrauen gelernt und sich in puncto Gestaltung auf die Auswahl aus sechs unterschiedlichen Fensterformaten 143 beschränkt.
Luftige Mitte mit viel Licht: Erschließungshalle als Begegnungszone.
Der Luxus des Projekts besteht – neben den Gemeinschaftsflächen – in zwei tiefen Einschnitten in den Baukörper, die aus einem sonst dunklen Mittelgang eine gut belichtete Erschließungszone machen, einen luftigen Raum mit Sichtverbindungen nach außen und zwischen den Ebenen. Der Verzicht auf die Maximierung der Nutzfläche ist wie so oft Voraussetzung für eine gute Lösung. Das Projekt ist ein Beweis dafür, dass Baugemeinschaften ein erfolgreicher Weg zu einem selbst gestalteten Wohnen außerhalb der üblichen Spielregeln des Markts sind. Zum Spekulieren ist das Modell nämlich nicht geeignet. Wer auszieht, bekommt seinen Eigenmittelanteil zurück, aber keine etwaige Wertsteigerung. „Penthouse für alle“ beschreibt die Idee des Projekts daher nur unzureichend. Es ist auch ein politisches Projekt, das zu Fragen von Eigentum, Solidarität und Verantwortung für die Polis Stellung bezieht. Die Gemeinde Wien hat sich inzwischen mit der Idee der Baugemeinschaften so weit angefreundet, dass diese auch ohne Bauträgerwettbewerbe zu Grundstücken kommen. Aktuelle Projekte, vor allem in der Seestadt Aspern, finden sich übersichtlich unter gemeinsam-bauen- wohnen.org zusammengestellt.
Money Maker 15. März 2014
Jetzt sind alle Illusionen ad acta zu legen. Nach zwei Jahren Diskussion, einem kooperativen Verfahren und einem Architekturwettbewerb ist klar: Ein Projekt, das die gewünschte Rendite bringt und stadtplanerisch und architektonisch überzeugt, hat sich nicht gefunden. Zum Umbau von Hotel Intercontinental und Wiener Eislaufverein.
W
em gehört die Stadt? Diese Frage ist mit einem Blick ins Grundbuch nicht zu beantworten. Dort finden sich zwar alle öffentlichen und privaten Eigentümer mit ihren Rechten und Pflichten. Die Stadt als Ganzes ist aber etwas Anderes als die Summe dieser Teile. Sie ist ein komplexes Wechselspiel von Interessen und Kräften, Sachzwängen und Phantasien. Der Spekulant gehört in diesem Spiel zu den typischen Genrefiguren. Wenn er ein Grundstück kauft, in dem „Phantasie“ steckt, dann bedeutet das für die Stadtentwicklung in der Regel nichts Gutes. Der Spekulant liebt das Risiko, weshalb er sich am liebsten in unklare Verhältnisse einkauft, die er zu seinen Gunsten verändern möchte. Am Ende winkt der Goldschatz in Form einer Ausnutzung des Grundstücks, die weit über jener liegt, die dem ursprünglichen Kaufpreis entspricht. Stadtplanung bedeutet in diesem Fall, 144 aus den unklaren Verhältnissen klare
168 → zu schaffen. Im konkreten Anlass 114, 121 → geht es um zwei besondere Orte am Rande der Wiener Altstadt. Da ist erstens das Hotel Intercontinental aus dem Jahr 1964, eine 45 Meter hohe Scheibe mit breitem Sockel, ein typisches Beispiel der moderaten Wiener Moderne der Nachkriegszeit, das zu seiner Entstehungszeit zu Recht als „Masse ohne Maß“ kritisiert wurde. Zumindest zum Stadtpark hin zeigt es aber eine nicht unelegante Breitseite. Dem Haus steht eine Totalsanierung bevor: Haustechnik und Fassade entsprechen längst nicht mehr aktuellen Ansprüchen, Konferenzräume fehlen. 2012 wurde das Objekt von Michael Tojner und der JP Immobiliengruppe um 50 Millionen Euro erworben. Ebenfalls mehrheitlich in Tojners Besitz wechselt im selben Jahr das zweite, unmittelbar angrenzende Grundstück, auf dem der Wiener Eislaufverein bis ins Jahr 2058 das Recht besitzt, eine 6 000 m2 große Eisfläche zu betreiben. Der Kaufpreis aus dem Jahr 2012 ist nicht bekannt; 2008 wurde das Grundstück jedenfalls von dem damals zum Innenministerium
Kollateralschaden: der Blick vom Belvedere.
ressortierenden Stadterweiterungsfonds um 4,2 Millionen Euro verkauft, nach Ansicht des Rechnungshofs um mindestens 5 Millionen Euro zu günstig. Der Eislaufverein ist bei den Wienern nach wie vor beliebt. Seine Gebäude haben ihre beste Zeit allerdings längst hinter sich. Dass beide Grundstücke und ihre sanierungsbedürftigen Gebäude in einer Hand sind, bietet tatsächlich Chancen. Um diese auszuloten, begann im Jahr 2012 ein Verfahren, das jetzt mit einem Architekturwettbewerb einen vorläufigen Abschluss gefunden hat. Gestartet wurde im Frühjahr 2012 mit so genannten „Hearings“, in denen Bezirksund Stadtpolitiker, Abgesandte von Eis laufverein und Konzerthaus, Vertreter der Welterbehüter von ICOMOS sowie beamtete und selbstständige Stadtplaner und Architekten ihre Meinung über die zukünftige Entwicklung des Areals äußern durften. Es folgte ein „kooperatives Expertenverfahren“ im Jahr 2012, in dem drei Architektenteams rund 30 Bebauungsstudien entwickelten. Aus diesen destillierte 145 eine Kommission ein Leitbild, das der
Foto: Stadt Wien / MA 41
Stadtentwicklungskommission zur Kenntnis gebracht wurde. Auf dessen Basis wurde schließlich ein internationaler, zweistufiger Architekturwettbewerb ausgelobt. In diesem Prozess gab es eine einzige Konstante, die nie in Frage gestellt wurde: Die Erwartung der Projektbetreiber, zusätzlich zum Bestand mindestens 13 000, im Falle eines Abrisses und Neubaus des Hotels 18 000 Quadratmeter Nutzfläche für Luxuswohnungen zu erzielen. Und so sieht der Siegerentwurf nun auch aus: der brasilianische Architekt Isay Weinfeld projektierte eine um vier Fensterachsen verbreiterte und um zwei Geschoße erhöhte Hotelscheibe, dahinter einen 73 m hoher Turm mit Luxuswohnungen, beide verbunden durch eine zweigeschoßige Sockelplatte. Die Eisfläche wird gedreht, um dem Turm Platz zu machen, wodurch sie satte 10 Meter in die Lothringerstraße hineinragt, deren Fahrspuren nach Norden verschoben werden. Das verbreitert zwar den Gehsteig vor dem Konzerthaus; zumindest im Winter,
Scheibe, Platte, Turm: Städtebau als isoliertes Spiel mit Volumen.
Im Bild gut kaschiert: die Eislauffläche ragt in den Straßenraum.
Foto: Wertinvest
Foto: Wertinvest
wenn die Eisfläche mit einer Brüstung geschlossen ist, entsteht aber eine Barriere, der die Fußgänger auf dem Weg vom Konzerthaus Richtung Stadtpark ausweichen müssen. Die Banalität dieses Projekts wird vor allem aus der Distanz sichtbar, etwa vom Stadtpark aus, wenn der Hochhausstummel ein Stück hinter der Hotelscheibe aufragt, oder vom Belvedere, wo sich Turm und erhöhte Scheibe mitten in die Achse des „Canaletto-Blicks“ schieben. Hier wegen der identischen Höhe von 73 m von einem zweiten Ringturm zu sprechen, wie von Jurymitgliedern zu hören war, ist absurd: mit demselben Recht könnte man einen Turm in den Volksgarten neben das Burgtheater setzen. Auch die angebotenen öffentlichen Nutzungen – eine Sporthalle und ein 50 m Schwimmbecken mit drei Bahnen, alle ohne natürliche Belichtung im Keller liegend – rechtfertigen in keiner Weise den geplanten Eingriff in die Stadtstruktur. Jetzt sind zumindest alle Illusionen ad acta zu legen. Nach zwei Jahren Diskussion, einem kooperativen Verfahren und schließlich einem Architekturwettbewerb, bei dem eine international besetzte Jury aus zwei Dutzend Projekten auswählen konnte, ist zumindest eines klar: Ein Projekt, das an diesem Standort die gewünschte Rendite bringt und gleichzeitig stadtplanerisch und architektonisch überzeugt, hat sich nicht gefunden. Die Visualisierungen, die von der MA 41, der Magistratsab146 teilung für Stadtvermessung erstellt
wurden, sprechen für sich. Selbst mit Unterstützung der Kronen Zeitung, deren Eigentümern Michael Tojner als Mitbesitzer des Dorotheums verbunden ist, wird es kaum gelingen, diese Immobilienspekulation in der Öffentlichkeit als Schaffung eines „Orts der Begegnung, der Kultur und des Sports“ zu verkaufen. Was soll die Stadtregierung jetzt tun? Vor allem zuhören: den Bürgern, die einen Ausverkauf öffentlichen Raums bei den nächsten Wahlen quittieren werden; der UNESCO, die hier zu Recht die Aberkennung des Welterbestatus nicht nur androhen, sondern exekutieren wird; der Fachöffentlichkeit, die dieses Projekt nach Strich und Faden zerlegen wird. Mit der Entscheidung kann die Stadt sich Zeit lassen. Auch ohne Turm steckt genug „Phantasie“ in diesem Areal: in einer intelligenten Sanierung des Hotels, einem Ausbau der Infrastruktur, vor allem für den Konferenzbetrieb, und einer Bebauung am Heumarkt. Luxuswohnungen können in den obersten Geschoßen des Hotels entstehen, indem vier der sehr niedrigen Geschoße zu drei mit luxuriösen Raumhöhen zusammengefasst werden. Die Projektbetreiber müssen entscheiden, ob sie als erfolglose Spekulanten oder als verantwortungsbewusste Eigentümer in die Geschichte dieses Areals eingehen wollen.
Furchtlos in Zürich 15. Februar 2014
Architektur, die an nichts erinnern und nichts erzählen will. Adolf Krischanitz’ Projekt für die Zentrale der Zurich Versicherung besticht durch Gelassenheit.
D
ie Stadt der Zukunft muss in Europa in der Stadt der Vergangenheit errichtet werden. Selbst wenn wir in den nächsten 200 Jahren alle Gebäude – mit der Ausnahme einiger weniger Denkmäler – durch Neubauten ersetzen, geht das nur in so kleinen Etappen, dass die alten Strukturen auf die eine oder andere Art in den neuen weiterleben werden. Umso wichtiger sind übergeordnete Ziele, die helfen, auch im Rahmen dieser kontinuierlichen Erneuerung zu einer substanziellen Steigerung der Qualität zu gelangen. Die Bewohner der Stadt Zürich haben sich in einer Volksabstimmung im Jahr 2008 ein solches Ziel gesetzt: die 2000-Watt-Gesellschaft. Das bedeutet, dass jeder Einwohner der Stadt mittelfristig mit einem Energiebedarf auskommen soll, der einer stetigen Leistung von 2000 Watt entspricht. Derzeit beträgt dieser Wert das Dreifache. Die reiche Schweiz könnte sich einen Verbrauch auf diesem Niveau wohl noch ein paar Jahrhunderte leisten. Wozu also sparen? Hinter der 2000-Watt-Gesellschaft steht nicht die Idee, in den Alpen eine energieautarke Insel der Seligen einzurichten, sondern die Absicht, ein Vorbild für die globale Entwicklung zu setzen. Wenn alle aufstrebenden Schwellenländer das Anspruchsniveau der Industrieländer entwickeln, müssen rasch Wege gefunden werden, dieses Niveau mit geringerem Ressourcenverbrauch zu erreichen. Mit dem Bauen hat dieses Ziel insofern zu tun, als die Errichtung und der 147 Betrieb von Gebäuden in Mitteleuropa
bis zu 50 Prozent des gesamten Energieverbrauchs beanspruchen. Aber hat es auch etwas mit Architektur zu tun? Geht es hier nicht primär um technische Fragen, von den Dämmstoffstärken bis zur Gebäudesteuerung? Sollte man dieses Feld nicht besser den Ingenieuren überlassen und von den Architekten nur noch die Gestaltung schöner Hüllen für die effizienten Green-Buildings der Zukunft verlangen? Es sieht nicht danach aus. Gerade weil Bauen heute so gut wie immer Bauen im Bestand bedeutet, sind architektonische Entscheidungen gefordert, die sich nicht auf Technik plus Hülle reduzieren lassen. Als die Zurich Versicherung – ein alteingesessener Schweizer Konzern, der seinen Umlaut längst der Expansion zu einer der größten Versicherungsgesellschaften der Welt geopfert hat – die Neugestaltung ihres Hauptquartiers am Zürichsee in Angriff nahm, ging es vorerst um die Frage, welche Teile des Bestands überhaupt zu erhalten waren. Dass der denkmalgeschützte Stammsitz, ein historistischer Prachtbau am Mythenquai, dazu gehörte, war klar, aber für das anschließende Konglomerat aus unterschiedlichen Stilepochen fiel diese Entscheidung schwer. Alles hätte sich sanieren lassen. Dem Bauherrn ging es aber um eine Qualitätssteigerung nicht nur im thermischen Sinn. In der Ausschreibung zum Wettbewerb, den er für die Sanierung auslobte, stand bei den Beurteilungskriterien der Bereich „Gesellschaft“ an erster Stelle, gefolgt von „Wirtschaft“ und „Umwelt“. Als gesellschaftliche relevante
Kriterien war darin die Qualität der Gestaltung der Bauten und ihrer Beziehung zur Stadt an erster Stelle genannt. Dazu kamen ergänzend die Umsetzung der Unternehmenskultur, die Zugänglichkeit für alle sowie die Schaffung von ausreichenden und hochwertigen „Kontemplationsflächen“. Kontemplation im Sinne von Achtsamkeit ist nicht nur für einen Versicherungskonzern eine wertvolle Übung. Für das hehre Ziel einer 2000-Watt-Gesellschaft dürfte sie überhaupt die Voraussetzung sein. Es wäre naiv zu glauben, dass die Reduktion des Energieverbrauchs auf ein Drittel nur eine technische Frage und nicht eine der Lebensweise ist. In diesem Kontext darf man Ludwig Wittgensteins Bemerkung, die Arbeit in der Architektur sei wie die Philosophie Arbeit „an einem selbst“ ins Kollektive übertragen: Zu welchen Formen gelangt eine Gesellschaft, wenn sie im Medium der Architektur über ihre aktuelle Situation nachdenkt? Jeder anspruchsvolle Architekturwettbewerb mit guter Ausschreibung und kompetenter Jury ist ein Labor für die Beantwortung dieser Frage. Im Falle des Züricher Wettbewerbs haben 14 internationale Architektenteams in diesem Labor 148 mitgewirkt. Gewonnen hat ein Projekt
Was ist alt, was ist neu? Die historischen Gebäude bleiben erhalten und werden von Zubauten befreit. Foto: Atelier Krischanitz
des Wiener Architekten Adolf Krischanitz, in dem laut Jury alte und neue Teile so eng ineinandergreifen, dass ein Betrachter ohne Vorkenntnis sie im Lageplan nicht unterscheiden könnte. Die historischen Bauten bleiben erhalten und werden teilweise von Zubauten befreit. Als neues Volumen wird ein im Grundriss U-förmiges Gebäude eingesetzt. Seine Trakte sind unterschiedlich breit und können so perfekt auf den Bestand reagieren: Der schmalste Trakt endet im Innenhof in einem verglasten Kopfbau, der vom My thenquai aus in der Lücke zwischen zwei Bestandsbauten als Turm zur Wirkung kommt. Der neue Haupteingang liegt auf der dem See abgewandten Seite des Blocks, exakt auf der Achse eines niedrigen Bestandsgebäudes, das quer zum Prachtbau in die Tiefe führt. Das Bemerkenswerte an diesem Projekt ist seine Gelassenheit. Es will an nichts erinnern, will nichts erzählen. Es spinnt Motive früherer Bauten von Krischanitz weiter, etwa die gefaltete Glasfassade, die sich in ähnlicher Form in seinem Laborgebäude für Novartis in Basel findet. Nur ist die Geometrie hier komplexer, horizontal und vertikal
Ein neuer, U-förmiger Bauteil verbindet die Teile. Foto: Modell Zurich
gefaltet. So statisch es auf den ersten Blick wirkt, so dynamisch ist das Projekt im Detail. Die diversen Trakttiefen und Hofsituationen erzeugen unterschiedliche, aber immer hochwertige Arbeitsplätze. Die Geschoßhöhen variieren, was zur Spannung der Fassade ebenso beiträgt wie das schrittweise Zurückversetzen ihrer vertikalen Steingewände: Was in den unteren Geschoßen als vertikale Lisene beginnt, endet oben in einem Bandfenster. Die Jury attestiert Krischanitz zu Recht, er hätte die unterschiedlichen Gebäudehüllen „konsequent, ja furchtlos entwickelt“. Furchtlos ist hier ein treffender Begriff. Krischanitz’ Architektur war nie gefällig. Sie reagiert auf das, was der Fall ist. Sie vermeidet jede Anbiederung, an den menschlichen Maßstab ebenso wie an die unmittelbar aktuellen Bedürfnisse. Dafür lässt sie Platz für Entwicklung, fürs Reinwachsen und fürs Weiterbauen. Architektur, hat Adolf Krischanitz einmal geschrieben, ist der Unterschied zwischen Architektur. Über diesen Zen-buddhistischen Satz kann man lange nachdenken. Im Getriebe der Sachzwänge hilft er, Gelassenheit zu bewahren.
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2013
7. Dezember 2013
Die Retter der Sofie Würstel statt Engel, Investoren statt Mäzene: die neu-alten Wiener Sofiensäle, ein Pyrrhussieg der Denkmalpflege.
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anche Gebäude sind nicht umzubringen. Nach dem spektakulären Brand der Sofiensäle im August 2001 waren die Hoffnungen gering, dass dieser einzigartige Wiener Veranstaltungsort je wieder seinen Betrieb aufnehmen würde. Das Gerücht, dieser Brand sei nicht zufällig entstanden, hielt sich hartnäckig und wurde durch die Bemühungen des Eigentümers, des „Baulöwen“ Julius Eberhardt, so rasch wie möglich eine Abbrucherlaubnis zu erwirken, nicht gerade entkräftet. Von den Sofiensälen war tatsächlich wenig mehr übrig als die Fassade zur Marxergasse und die Seitenwände des großen Saals mit Resten von Stuck und einigen Balkongeländern. Die Nebengebäude mit den weiteren Sälen hatten den Brand ebenso wenig überlebt wie das hölzerne Dach über dem Hauptsaal. Auch der Holzboden des Saals war verbrannt und ließ eines der ursprünglichen Besonderheiten des Gebäudes sichtbar werden: das große, aus Ziegeln gemauerte Becken, in dem einmal ein Schwimmbad untergebracht war. Im Winter wurde das Becken überplankt und der Raum darüber als Saal für Bälle und Konzerte genutzt, wobei der große Hohlraum unter dem Boden als Resonanzköper wirkte und zu einer exzellenten Akustik beitrug. Die Pläne, nach denen das Sofienbad in den Jahren 1846 bis 1850 errichtet wurde, stammten von den Architekten der Staatsoper, Eduard van der Nüll und August Sicard von Sicards151 burg. Von den Sofiensälen im Plural
sprach man seit 1886, als der zweite, kleinere Saal errichtet wurde. 1899 erhielt das Ensemble eine neue, sezessionistisch angehauchte Fassade, entworfen von Ernst Gotthilf-Miskolcz, von dem unter anderem auch die Länderbank und der Anker-Hof im ersten Bezirk stammen. Bedeutend waren die Sofiensäle aber nicht nur wegen ihrer Architektur. Hier haben zwischen 1850 und 1896 fast 100 Werke von Johann Strauß (Sohn) ihre Uraufführung erlebt; hier wurde 1926 die österreichischen NSDAP gegründet; ab 1938 dienten die Sofiensäle als Sammelstelle für die Deportation jüdischer Bevölkerung. Nach dem Zweiten Weltkrieg errichtete die DECCA das modernste Aufnahmestudio Europas, das bis in die 1970er-Jahre in Betrieb war. In den 1980er-Jahren waren die Sofiensäle eine beliebte Location für Bälle wie das Elmayer– Kränzchen oder das ÖKISTA-Gschnas und schließlich ab 1990 ein Ort für Clubbings. Investiert wurde in die Säle kaum mehr, was ihnen ein einigermaßen abgewohntes Flair bescherte. Der Brand war das letzte Kapitel eines allmählichen Abstiegs. Dass die Brandruine nicht sofort abgerissen wurde, ist dem Denkmalamt zu verdanken. Es attestierte den Resten einerseits ausreichende Standfestigkeit, andererseits einen Erhaltungszustand an den Oberflächen, der eine Wiederherstellung rechtfertigen würde. Die Strategie des Eigentümers, in dieser Hinsicht die Zeit für sich arbeiten zu lassen, indem die Wände des Saals der Witterung ausgesetzt blieben, ging nicht auf. Das Denkmalamt konnte gerichtlich
durchsetzen, dass der Eigentümer zumindest die Erhaltung der Reste zu finanzieren hätte. Der geplante Hotelneubau auf dem Grundstück war unter diesen Bedingungen nicht zu realisieren. 2006 verkaufte Eberhardt das kulturhistorisch kontaminierte Areal an den Bauträger ARWAG, die hier vor allem Wohnungen errichten wollte und vom Architekten Albert Wimmer ein Konzept ausarbeiten ließ, das die Erhaltung des Saals mit einer umgebenden Wohnnutzung verbinden sollte. 2010 zog sich die ARWAG teilweise aus dem Projekt zurück. Sie behielt nur den von historischem Ballast freien nördlichen Teil des Grundstücks und verkaufte den Rest samt Brandruine an die ifa, eine Tochterfirma der Soravia-Gruppe. Der Entwurf von Albert Wimmer, der bis zur Einreichplanung gediehen war, wurde von den neuen Eigentümern übernommen. Die Ausführungs- und Detailplanung erfolgte durch den Generalplaner L-Bau-Engineering sowie Söhne und Partner. Zur Wohnnutzung kamen noch ein Hotel, ein Fitnesscenter und ein Restaurant. Die ifa versammelte eine Gruppe von rund 100 privaten Investoren im 152 Rahmen eines Bauherrenmodells, die
Würstelmann von Erwin Wurm im rekonstruierten Ambiente. Foto: C. Kühn
nun namentlich auf einer großen Tafel beim Eingang als Retter der Sofiensäle ausgewiesen sind, so wie sich im Musikverein eine Tafel mit Mäzenen findet, die dessen Bau finanziert haben. Die Chuzpe ist beachtlich: Während die Mäzene ihr Geld für den Musikverein gespendet haben, durften die Investoren bei den Sofiensäle ihr Geld vermehren, und das mit beachtlicher Unterstützung aus Steuermitteln. 2,7 Millionen Euro hat die Stadt Wien aus der Wohnbauförderung beigetragen, zwei Millionen aus dem Kulturbudget. Dass eine Wohnbauförderung an diesem zentrumsnahen Standort nicht nötig ist, um die Wohnungen zu verwerten, liegt auf der Hand. Hier könnte man die De-facto-Übernahme des Verwertungsrisikos durch die Stadt noch mit sozialer Durchmischung verteidigen. Der Mix von 49 geförderten und 21 frei finanzierten Wohnungen ist so aber nicht zu begründen. Noch heikler ist die hohe Förderung aus dem Kulturbudget: Würde diese nicht höchste Qualität in der architektonischen Umsetzung und ein ausgereiftes Betriebskonzept für den Saal voraussetzen?
In beiden Punkten schneidet das Projekt denkbar schlecht ab. Mit tatkräftiger Unterstützung des Denkmalamts wurde zwar der Saal blitzblank und goldglänzend rekon struiert. Er sieht aus wie neu und ist es auch: 90 Prozent des Stucks sind neue Ware. Geschichtliche Spuren wurden zugunsten eines scheinbaren Urzustands ausgelöscht. Die Übergänge zwischen Alt und Neu wirken eher zufällig als geplant, die Details billig. Die künstlerischen Interventionen, etwa Erwin Wurms Würstelmänner, die in einigen Nischen im Saal die früheren Engelsfiguren ersetzen, sind provokant gemeint, wirken in diesem Umfeld aber wie eine Faschingsdekoration. Und was wird hier passieren? Für die Kulturförderung reichte ein schwammiges Konzept der Soravia’schen Kunststiftung SoArt aus, das vom Design bis zur Literatur alles Mögliche und mit den Nachbarn Verträgliche verspricht. Ein Programm ist das nicht, und es ist zu befürchten, dass hier vor allem Firmenfeiern, Hochzeiten und Promo–Events stattfinden werden. An eine Alternative zu dieser verunglückten Rekonstruktion wollte offenbar niemand denken: ein neuer,
multifunktionaler Saal ohne Blattgold, der den Geschichtsfaden weiterspinnt, statt die Geschichte auszulöschen. Wien hat sich, wie schon bei den Redoutensälen, für die Vergoldung der Asche entschieden.
Sofiensäle, 16. August 2001 . Foto: Christoph Hauser
23. November 2013
Ein böses Problem Ein kooperatives Verfahren, wie es sein sollte: Alle haben dazugelernt, am Ende steht ein Kompromiss, aber kein fauler. Über den aktuellen Stand in der Sache Otto-Wagner-Spital, Ostareal.
G
ute Planer unterscheiden zwei grundsätzlich verschiedene Klassen von Problemen. Auf der einen Seite jene, bei denen die Aufgabenstellung klar definiert
und der Lösungsweg weitgehend 180 → vorgezeichnet ist. Solche Probleme mögen komplex und knifflig sein, aber man weiß im Prinzip, wie die Lösung aussehen soll und wann man sie erreicht hat. Auf der anderen Seite gibt es Probleme, die
sich einer klaren Definition entziehen, viele Lösungswege offenlassen, und bei denen sich die eigentliche Aufgabenstellung oft erst dann klärt, wenn man schon viele Schritte gegangen ist. Im schlimmsten Fall weiß man dann zwar im Nachhinein, was die richtige Lösung gewesen wäre, kann aber nicht mehr an den Start zurück. Der Planungstheoretiker Horst Rittel hat diese zwei Klassen als „zahme“ und „bösartige“ Probleme bezeichnet und postuliert, dass die meisten Aufgaben der Stadtplanung zur Klasse der bösartigen Probleme zählen. Es ist kein Zufall, dass sein mit Melvin Webber an der Universität Berkeley verfasster Text über „Dilemmas in a General Theory of Planning“ 1973 erschienen ist. Die Stadtplanung dieser Zeit war von der Idee einer rationalen Planung getragen: Ist-Analyse, Zieldefinition und Festlegung der nötigen Schritte von A nach B. Für Technokraten ist jedes Problem „zahm“: Sie fühlen sich im Besitz der Hoheit über die nötigen Mittel und über die Zieldefinition, natürlich immer zum Besten der Betroffenen. Genau diese Hoheit wurde den Technokraten aber ab den späten 1960er-Jahren von den Betroffenen streitig gemacht. Die Politik – bis dahin natürliche Schutzmacht der Technokratie – knickte unter dem Druck der Medien ein, die rasch erkannten, wel154 che Machtposition sie sich durch die
Neue Pavillons für den Steinhof: Ein Expertenteam empfahl im April 2013 die Durchführung eines Testplanungsverfahrens. Foto: Planungsgruppe Steinhof
Unterstützung und Steuerung von Bürgerinitiativen erobern konnten. Ein Lehrstück für diese Entwicklung ist die Geschichte der „Steinhofgründe“, einer Erweiterungsfläche für die „Heil- und Pflegeanstalt am Steinhof “, zur Zeit ihrer Errichtung 1907 mit über 2000 Betten eines der größten Spitäler der Welt. Die „Steinhofgründe“ nicht für die Erweiterung des Spitals zu nutzen, sondern als Wohngebiet in bester Grünlage, war naheliegend, gab es doch bereits eine entsprechende Flächenwidmung. Als die Stadt Wien Ende der 1970er-Jahre beschloss, dieses Potenzial zu realisieren und hier 900 Gemeindewohnungen zu errichten, gelang es einer Bürgerinitiative, einen Sturm der Entrüstung gegen die Verbauung auszulösen, der 1981 zu einer Volksbefragung führte. Die Technokraten des Magistrats mussten fassungslos zur Kenntnis nehmen, dass zwar 83 Prozent der Befragten für den sozialen Wohnbau an sich stimmten, aber 53 Prozent die Errichtung solcher Wohnungen auf den Steinhofgründen ablehnten, einem Areal, das davor nicht öffentlich zugänglich war, und dessen Existenz vor der Volksbefragung in der Öffentlichkeit praktisch unbekannt war.
Stimmiger Gesamtplan mit individuellem Spielraum: elf quadratische Baufelder, die viergeschoßig überbaut werden dürfen. Planungsgruppe Steinhof
Heute hat sich der Begriff „Steinhofgründe“ so sehr ins kollektive Bewusstsein eingeprägt, dass auch ein aktuelles Projekt in den Medien gern unter diesem Namen geführt wird. Es handelt sich dabei allerdings um das östlich gelegene Wirtschaftsareal der heute auf Otto-Wagner-Spital umbenannten Anlage. Hier wollte die Stadt Wien über den Bauträger Gesiba im Jahr 2012 rund 570 Wohnungen errichten, nach einem Plan von Albert Wimmer unschön eingeklemmt zwischen die bestehenden Pavillons, zum Teil auf Grünflächen, die jeder sensible Planer auch dann freihalten würde, wenn sie nicht auf Otto Wagner zurückgehen. Diese rücksichtslose Verdichtung hatte freilich Gründe: Über den Verkauf der Grundstücke sollte ein Beitrag zur Finanzierung des Wiener Krankenanstaltenverbunds, des Eigentümers des Spitals, geleistet werden. Auch diesmal erhob sich ein Sturm der Entrüstung, zuerst von Anrainern, dann von Kunsthistorikern und schließlich von Architekten. Besonders „bösartig“ wurde das Problem, weil sogar die Interessen der Gegner höchst unterschiedlich waren: Teile der Bürgerinitiative wandten sich gegen jede 155 Bebauung, andere, darunter auch
die meisten Architekten, sahen Potenzial für eine sinnvolle Verdichtung. Als die Medien das Thema genüsslich aufzukochen begannen, zog der Bürgermeister die Notbremse und verordnete dem Projekt eine Nachdenkpause. Im Unterschied zu 1981 hat die Stadt gelernt, dass Probleme dieser Art sich besser durch einen Abgleich von Interessen im Dia log lösen lassen als durch eine Volksbefragung. In einem ersten Mediationsverfahren wurden 2012 die Zielkonflikte erfasst, unter dem Vorsitz von Adolf Krischanitz wurde ein Expertengremium eingesetzt, das im April 2013 eine Empfehlung an die Stadtregierung abgab: keine Neubauten auf den Grünflächen zwischen Haupt- und Ostareal; kein Verkauf der Grundstücke, sondern Vergabe im Baurecht auf Basis genauer Gestaltungsrichtlinien; Entwicklung von Nutzungsszenarien für das Gesamtareal und ehestmögliche Gründung einer entsprechenden Betriebsgesellschaft; Definition eines Parkpflegewerks für das Gesamtareal; Durchführung eines kooperativen Testplanungsverfahrens für das Ostareal unter Einbindung aller Beteiligten. Dieses Verfahren wurde im Sommer 2013 begonnen und das Ergebnis letzte Woche der Öffentlichkeit vorgestellt. Unter dem Vorsitz von Christoph Luchsinger entwickelten sechs Architektenteams unter Einbeziehung von Mitgliedern aus dem Mediations- und Expertenverfahren ein Bebauungskonzept, das zehn quadratische Baufelder vorsieht, die präzise in den Bestand eingepasst sind. Ein elftes, längliches Baufeld markiert den Abschluss nach Norden. Diese Felder dürfen viergeschoßig und zu rund 60 Prozent überbaut werden, wobei an jede der vier Seiten der Feldumgrenzung angebaut werden muss. Als Fassadenmaterial sind, wie in vielen der Bestandsbauten, Sichtziegel vorgeschrieben. Die sechs Planungsteams – Hermann Czech, Jabornegg & Pálffy, königlarch, Werner Neuwirth, Pool und PPAG – haben mit ihren Entwürfen bewiesen, dass diese Vorgaben viel individuellen Spielraum lassen, aber trotzdem ein stimmiges Gesamtbild erzeugen. 160 vermietbare Einheiten lassen sich so realisieren, weitere 100 durch Sanierung des Bestands. Ein Viertel davon soll von der Gesiba an soziale Einrichtungen für betreutes Wohnen vergeben werden. Maria Vassilakou und Michael Häupl haben sich inzwischen zu diesem Projekt
bekannt und seine Umsetzung ab 2014 garantiert. Dass sie die politische Verantwortung übernommen und nicht an die Boulevardmedien delegiert haben, verdient Respekt. Jetzt geht es um die „Zähmung“
des nächsten Problems: für das Kerngebiet des Spitals muss eine sinnvolle Nachnutzung gefunden werden. Nachverdichtung ist dort ausgeschlossen, umso mehr ist Kreativität im Umgang mit dem Bestand gefragt.
25. Oktober 2013
Und ewig schallt das Opernklo Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut: Der Sanierung und Neugestaltung der Opern- und Karlsplatzpassage fehlen Witz, Geschmack und der Mut zum radikalen Eingriff in die historische Substanz. Bericht aus einer Unterwelt ohne Schatten.
S
o viel war klar: Hier muss etwas geschehen. Die unterirdische Verbindung zwischen Karlsplatz und Oper, einer der meist frequentierten Orte Wiens, war zusehends heruntergekommen, die Oberflächen abgenutzt und schäbig, Wasserschäden an der Decke, schlechte Beleuchtung. Irgendwann war der Drogenhandel dazugekommen, der für die Passanten zwar eine mehr gefühlte als reale Bedrohung darstellte, aber das Sicherheitsempfinden erheblich belastete. Genau genommen handelt es sich um zwei Passagen, die Opernpassage, die seit 1955 existiert, und die Karlsplatzpassage, im Zuge des U-Bahnbaus Anfang der 1970erJahre errichtet. Letztere war ein typisches Produkt ihrer Zeit, ein Fußgängerkorridor für eilige Passanten, an dem sich kleine Geschäfte für den Alltagsbedarf angelagert hatten: Blumenläden, günstige Kleidung und Schuhe sowie Fast Food, von den großen Ketten bis zum Sushi-Laden und Süßwarenkiosk. Zwingend notwendig ist dieser Korridor, der Fußgänger aus dem Stadtraum abzieht und an der Oberfläche eine tote Zone schafft, nicht. Aber der Komfortverlust für Fahrgäste, die von den Straßenbahnlinien am Ring in die U-Bahnlinien U2 und U4 umsteigen wollen, wäre ohne 156 ihn doch beachtlich.
Als Passage im engeren Sinn kann man von den beiden nur die Opernpassage bezeichnen. Zu diesem Begriff gehört nämlich untrennbar der Flaneur, für den der gut geschützte Weg vorbei an den Schaufenstern wichtiger ist als das Ziel. Diesem Anspruch wurde die Opernpassage in ihrer ursprünglichen Form durchaus gerecht. Im Jahr des Staatsvertrags und gleichzeitig mit der instand gesetzten Oper eröffnet, sollte sie den Wienern „den unbeugsamen Willen, Weltstadt zu werden“ vor Augen führen, wie es der zuständige Stadtrat zur Eröffnung ausdrückte. Sie war weit mehr als nur ein Verkehrsbauwerk, nämlich ein wichtiges Stück Nachkriegsarchitektur, oder genauer: ein Stück Architektur in der Nachgeschichte des Faschismus. Da gibt es den Neonröhren-Schick der 1950-Jahre, Materialien wie eloxiertes Aluminium, aber auch eine fast klassizistische Doppelreihe aus Säulen und kleine elegante Details, die auf die Wiener Architektur der Zwischenkriegszeit verweisen. Besucher aus den Bundesländern reisten extra nach Wien an, um dieses Ambiente zu erleben und mit der ersten Rolltreppe Österreichs auf und ab zu schweben. Der Architekt der Passage, Adolf Hoch, 1910 geboren, hatte bei Peter Behrens an der Akademie studiert und von 1929 bis 1938 im Atelier von Behrens und Popp gearbeitet, wo er vor allem an der Planung
der Linzer Tabakfabrik beteiligt war. 1938 machte er sich selbstständig. Als Mitglied der NSDAP seit 1933 hatte Hoch nach Kriegsende Berufsverbot, erhielt aber 1947 seine Befugnis zurück und entwickelte sich zu einem der produktivsten Architekten der Nachkriegszeit. Zu seinen Bauten zählen das Unfallkrankenhaus Meidling, das Lorenz-Böhler-Krankenhaus, das Stadion von St. Pölten sowie als exotischer Beitrag das Hotel Palace Ducor in Monrovia, Liberia, ein elegantes Beispiel internationaler Hotelarchitektur. Das Stadtbild am deutlichsten geprägt hat Hoch mit den Verkehrsbauten am Ring, der Opern- und Bellariapassage, von denen an der Oberfläche vor allem die zarten, verglasten Einhausungen der Abgänge in Erscheinung treten. Für solche Subtilitäten hatten die U-Bahnbauer der 1970er-Jahre wenig Verständnis: Sie ließen ihren Korridor in die Opernpassage einbrechen, als sei diese nicht mehr als ein praktischer Hohlraum zur Aufnahme von Fußgängerströmen. Ein Viertel der Passage wurde auf diese Weise demoliert, der Rest im Lauf der Jahre bis zur Unkenntlichkeit verändert, inklusive des ursprünglich voll verglasten zentralen 157 Cafés, dessen nobles Interieur einer
Alt, jetzt neu: echte Neonbeschriftung aus 1955, glasummantelte Säulen mit Linoleumdekor, Lichtstreifen und Musikersterne. Fotos: C. Kühn
Ankerbrot-Filiale weichen musste. Das Denkmalamt meinte dennoch, dass die restliche Substanz eine Unterschutzstellung gebot. Vor diesem Hintergrund war die Sanierung der beiden Passagen für die Architekten Gerda und Andreas Gerner (gerner°gerner plus; realisiert wurde das Projekt von der Arge gerner°gerner plus, Ritter+Ritter und Vasko+Partner) von Anfang an eine Aktion im Kreuzfeuer unterschiedlicher Interessen: drei Stadtressorts (Verkehr, Kultur und Finanzen); die Wiener Linien; eine Bewilligung nicht nur nach Baurecht, sondern auch nach Eisenbahnrecht; die Interessen der Mieter, für die Ersatzflächen geschaffen werden mussten, so sie keine Ablöse akzeptierten. Spannungen waren vorprogrammiert: Als bei der Sanierung der Opernpassage entdeckt wurde, dass die Verkleidung der Säulen ursprünglich aus Linoleum mit Marmor-Maserung bestanden hatte, verweigerte der Brandschutz seine Zustimmung zu einer Rekonstruktion. Die unsäglichen Musikersterne auf dem Boden und das kitschige Opernklo, aus dem 24 Stunden am Tag der
Donauwalzer in die Passage schallt, erwiesen sich als vertraglich so gut abgesichert, dass an eine Entfernung dieser Peinlichkeiten nicht zu denken war. Gerner und Gerners Konzept für die Karlsplatzpassage besteht im Wesentlichen darin, das Licht in dieser Unterwelt aufzudrehen. Auch wenn die eingesetzten LEDs in den nächsten Jahren noch etwas nachdunkeln werden, wird der Korridor ein schattenloser Durchgangsraum bleiben, in dem sich die von den Architekten erdachten bunten Lichtstreifen an Boden und Decke mit einem Kunstwerk von Ernst Caramelle in die Haare geraten, einem 70 Meter langen abstrakten Wandgemälde in dezenten Farbtönen, das vor allem nicht stört. Von den kleinen Läden sind eine Trafik und ein Schuhgeschäft geblieben, McDonald‘s, Starbucks und Ströck dominieren den Raum. Die Drogenszene hat sich an andere, touristisch weniger sensible Standorte verlagert. Für die Opernpassage wurde mit dem Denkmalamt ein Gestaltungskatalog
entwickelt, der irgendwann ein möglichst ursprüngliches Erscheinungsbild inklusive der Neonbeschriftung in den Geschäften herstellen soll. Dass der Denkmalschutz leider oft das Denken abstellt, beweist die Lösung, die für Säulen und Boden gefunden wurde: Erstere erhielten eine teure Glasummantelung mit aufgedrucktem Linoleumdekor, Letztere einen Natursteinbelag, der Linoleum ähnelt. Argument: Das hätte Adolf Hoch 1955 sicher auch gemacht, wenn das Budget gereicht hätte. Dass sich das Denkmalamt dabei explizit auf den französischen Denkmalpfleger des 19. Jahrhunderts, Eugène Viollet-Le-Duc, beruft, der berüchtigt dafür war, gotische Kirchen viel gotischer zu restaurieren, als sie es je waren, ist erstaunlich. Um aus dem stilistischen Konglomerat der beiden Passagen etwas Substanzielles zu schaffen, hätte es Witz, Geschmack und den Mut zu radikalen Eingriffen in den historischen Bestand gebraucht. Davon ist hier leider nichts zu merken.
14. September 2013
Karneval der Alphatiere Fünf Jahre nach dem Wettbewerbsentscheid ist der neue Campus der Wirtschaftsuniversität fertig. Aufgeteilt auf verschiedene Baufelder, entstanden im Wiener Prater schwarz-weiß gescheckte, grellbunte und atemberaubend schräge Gebäude. Gut gelaunte Architektur. Aber ist sie auch ernst zu nehmen?
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ine der schönsten Definitionen von Urbanität stammt von dem großen amerikanischen Architekten Louis Kahn: Die Stadt ist eine Versammlung von Institutionen, die miteinander im Dialog stehen und einen gemeinsamen Raum bilden. Die Decke dieses Raums ist der Himmel, und seine Wände sind die Fassaden. Die Qualität des Lebens in der
Stadt hänge wesentlich davon ab, auf 291 → welchem Niveau der Dialog der In stitutionen oft über Jahrhunderte in Gang gehalten werde. Auch der neue Campus der Wirtschaftsuniversität folgt diesem Prinzip. Der Dia log der Institutionen konnte sich hier allerdings nicht über Jahrhunderte entwickeln. Zwischen dem Wettbewerb, der
Gemeinschaftswerk mit Dissonanzen: autonome Baukörper, in Szene gesetzt nach einem Leitprojekt 2008 entschieden wurde, und der Fertigvon Laura Spinadel. stellung des Campus liegen nur fünf Jahre. Foto: Anna Blau Ursprünglich war dieser Wettbewerb auch nicht für einen Campus mit verteilten Baukörpern ausgeschrieben. Die meisten der die letztlich realisiert wurden, tatsächlich Wettbewerbsbeiträge sahen große zusamgeworden. Von Kohärenz kann allerdings menhängende Strukturen vor, quasi einen keine Rede sein. Stararchitekten sind AlphaCampus aus einem Guss. Das Projekt von tiere, und Jury und Bauherr entschieden Laura Spinadel (BUSarchitektur) teilte dasich im Zweifelsfall für die starke Geste. Die gegen das Areal in Baufelder auf, für die ein Begegnung der Institutionen findet trotzzusätzlicher Wettbewerb abgehalten wurde. dem statt, sie tendiert aber anlassmäßig eher Die Teilnehmer, die zu dieser Stufe gelazum Gschnasfest als zur Promotionsfeier. den waren, rekrutierten sich überwiegend Den Preis für das beste Kostüm gewinnt aus dem Umfeld des Juryvorsitzenden Wolf dabei eindeutig das Learning Center von Prix, was nicht nur den Vorteil hatte, dass Zaha Hadid, das im Zentrum der Anlage drei Pritzker-Preisträger an den Start gingen, liegt. Das LC ist ausgesprochen fotogen und sondern auch erwarten ließ, dass es bei aller wird der WU mit Sicherheit eine Präsenz in Eigenständigkeit der Beiträge eine Kohärenz den Medien garantieren. Man merkt dem zwischen den architektonischen Ansätzen Gebäude an, dass sich Detailplaner und geben würde. Ausführende mit großem Einsatz bemüht Ob das gelungen ist, lässt sich haben, eine Idee kompromisslos umzusetinzwischen im Maßstab 1:1 beurteizen. Tatsächlich sieht das Ergebnis aus wie 159 len. Eigenständig sind die Beiträge, die ursprünglichen Visualisierungen, mit
einigen angesichts der geometrischen und technischen Komplexität nicht verwunderlichen Abstrichen im Detail. Zwei Ansichten sind fotografisch besonders zu empfehlen: eine Außenansicht mit den Rennstreifen der Fassade im Vordergrund und dem dramatisch vorkragenden dunklen Bauteil im Zentrum sowie eine Innensicht der Halle, aufgenommen aus dem dritten Stockwerk mit Blick zum Treppenturm der Bibliothek. Die von Fotografen gefürchteten „stürzenden Linien“ sind in diesem Fall unvermeidlich, da alle wesentlichen Bauteile um einige Grade aus der Vertikalen gekippt sind, als hätte das Gebäude sich ein wenig betrunken. Der Begriff „Sick Building“ bekommt hier eine neue Bedeutung, die sich leider auch auf den Besucher überträgt: Selten habe ich ein Gebäude so gern wieder verlassen wie dieses. Aber möglicherweise gibt es auch hier bei Dauerbesuchern einen Gewöhnungseffekt. Den wird es beim zweiten für die Studierenden wichtigen Gebäude, dem Hörsaalund Seminarzentrum, nicht brauchen. Die Pläne dafür stammen von BUSarchitektur, die als Generalplaner für dieses Gebäude sowie für den Masterplan und die Freiraumplanung verantwortlich waren. Auch hier ist die Eingangshalle großzügig, aber sie empfängt den Besucher, statt ihn überwältigen zu wollen. Über dem Audimax, das mit 650 Sitzplätzen so groß ist wie bisher an der alten WU, befindet sich ein großer, abgestufter Raum mit studentischen Arbeitsplätzen, an denen man sofort gerne studieren möchte. Den größten Raumgewinn im Vergleich zum bisherigen Angebot gibt es bei den Seminarräumen, von denen nun 53 statt bisher 35 zur Verfügung stehen. Sie liegen in mehreren Geschoßen über dem Niveau des Audimax. Die notwendigen Fluchttreppen haben BUSarchitektur wie große Stahlskulpturen nach außen an die Hinterseite des Gebäudes gelegt. Der Charakter einer freundlichen Maschine wird durch die Verkleidung des Baukörpers mit rostroten Cortenstahlplatten unterstrichen. Den Instituten gehören auf dem Campus drei Bauteile, die jeweils von Hitoshi Abe, Carme Pinós und Peter Cook entworfen wurden. Abes Bauteil liegt dem Hörsaalzentrum gegenüber und trägt ein schwarz-weiß geschecktes Kostüm. Seine gekurvten Baukörper umschließen einen at160 traktiven Außenraum und bieten im
Inneren die interessantesten Institutsräume mit hellen, teilweise mehrgeschossigen Erschließungszonen. Um die gepixelte Fassade von Carme Pinós’ Institutsgebäude wurde wegen der speziellen Fensterzuschnitte lange gestritten. Das Ergebnis ist überzeugend, gerade in den Büroräumen, die durch die Fenster einen individuellen Charakter bekommen. Insgesamt ist dieses Institutsgebäude das disziplinierteste unter den dreien. Die langen Innengänge hätten wesentlich davon profitiert, wenn sich die WU an innovativen Unternehmen orientiert und zumindest Glaswände zu den Gängen installiert hätte. Die traurigen Mattglasschlitze in den Türen symbolisieren, dass die Wissenschaftler hier lieber als Einzelkämpfer für sich bleiben wollen. Der grellbunte Kakadu unter den Alphatieren ist das Institutsgebäude von Peter Cook, das mit seinem Fassadendekor aus Holzlatten für den meisten Gesprächsstoff auf dem Campus sorgt. Was aussieht, als sei dem Bauherrn das Geld ausgegangen, ist in Wahrheit vom Architekten explizit so geplant und war äußerst aufwendig umzusetzen. Dasselbe gilt für die offen geführten Leitungen im Inneren, die ausschauen, als hätten mehrere Pfuscherpartien fröhlich Kabel und Lüftungsrohre gezogen, wo es ihnen gerade passt. Um sich solche Witze leisten zu dürfen, müsste man ein exzellenter Architekt sein, und das ist Cook leider bei Weitem nicht. Hier hätte der Bauherr den billigen Effekten eine Grenze ziehen müssen. Dass er ihm stattdessen auch noch die Innenausstattung übertragen hat, die an Laubsägearbeiten aus den späten 1970er-Jahren erinnert, ist unverständlich. Trotz solcher Teilaspekte ist der neue WU-Campus in Summe ein Erfolg. Er bringt eine Universität an einen der besten Standorte der Stadt, zwischen zwei U-Bahnstationen, direkt am grünen Prater. Er wurde zeitgerecht und im Kostenrahmen umgesetzt, was wesentlich den Generalplanern Vasko+Partner und BUSarchitektur zu verdanken ist. Angesichts der Komplexität mancher Bauteile und der speziellen Lösungen bei Brandschutz und Haustechnik ist das eine beachtliche Leistung. Die Bundesimmobiliengesellschaft als Bauherrin wird sich überlegen müssen, welche Lehren sie aus diesem Projekt zieht. Zurück zur Mittelmäßigkeit der Zeit vor der Gründung der BIG sollte die Devise jedenfalls nicht lauten.
31. August 2013
Lässig im neuen Anzug In Eisenstadt ist Pichler und Traupmann einer der besten Kulturbauten Ostösterreichs gelungen. Ihr Medienzentrum in Wien hat dagegen kaum mehr Chancen auf Realisierung.
Metall in unterschiedlichen Konfektionen: Parkseite des neuen Kulturzentrums Eisenstadt.
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rsprünglich sollten sie alle gleich aussehen: Acht Kulturzentren wollte der 1972 gegründete „Verein zur Planung, Errichtung und Erhaltung von Kultur- und Bildungszentren“ gleichmäßig über das Burgenland verteilen, alle geplant nach einem Grundkonzept des Architekten Matthias Szauer. Das erste entstand 1976 in Mattersburg, eine kraftvolle Sichtbetonarchitektur; bei wohlwollender Betrachtung ein Bau im Geist des „Brutalismus“, jener Architekturströmung der 1960er-Jahre, für die roher Beton, starke Plastizität und robuste Kon 161 struktion charakteristisch waren.
Foto: Roland Halbe
Das 1981 fertiggestellte Kulturzentrum in Eisenstadt stammte zwar vom selben Architekten, dieser war aber in der Zwischenzeit vom Virus der historisierenden Postmoderne infiziert. Das Gebäude versuchte sich zum Stadtzentrum hin als abstrahierter Palast zu tarnen und war im ersten Obergeschoß über eine im Grundriss gekrümmte Brücke mit dem benachbarten Hotel verbunden. Von dieser grotesken Anlage ist heute nichts mehr zu erkennen. 2009 gewannen die Architekten Johann Traupmann und Christoph Pichler den internationalen Wettbewerb für die Sanierung und Erweiterung des Kulturzentrums. Erhalten blieben vom Vorgängerbau der an sich gut
funktionierende Saal und ein Treppenhaus. Die Brücke zum Hotel wurde abgebrochen, ein großer Gewinn für den Stadtraum, der so seinen selbstverständlichen Fluss wiedergewinnen konnte und das Kulturzentrum als eigenständigen Baukörper besser zur Wirkung kommen lässt. Der Besuchereingang liegt am FranzSchubert-Platz, zu dem sich auch die Hauptfassade des Gebäudes öffnet. Die Architekten haben dem Haus einen neuen Anzug aus Aluminium geschneidert, der Altbau und Neubau geschickt zusammenfasst. Das glänzende Metall kommt dabei in unterschiedlichen Konfektionen zum Einsatz, einerseits als Streckmetallgitter, andererseits als Baumaterial für die Lamellen, die vor den Glaswänden des Foyers im Erdgeschoß und im ersten Stock als regulierbarer Sonnenschutz dienen. Lebendig wird die Fassade nicht zuletzt dadurch, dass hinter den scheinbar einheitlichen Oberflächen ganz unterschiedliche Ebenen zu erkennen sind. An manchen Stellen ist das Streckmetall nur eine Verblendung, hinter der die schwarz gestrichenen Oberflächen des Altbaus zu sehen sind; an anderen Stellen sind die Außenwände hinter dem Gitter verglast und lassen die Tiefe des Hauses erahnen. Bei Nacht wird dieser Effekt naturgemäß verstärkt, und da sich die Betreiber eine recht aufwendige LED-Beleuchtung geleistet haben, die Farbenspiele aller Art möglich macht, darf das untertags silbergraue Haus bei Nacht auch ab und zu ein buntes Festkleid anlegen. Stadträumlich klug ist die Idee, die Fassade zur Platzmitte hin niedriger zu machen und eine Terrasse anzuordnen, der ein vorkragender Baukörper im ersten Stock entspricht: ein erweitertes Foyer vor dem großen Saal und zugleich ein Regenschutz für den Eingang ins Haus. Auch die Terrasse ist kein isoliertes Element, sondern Teil eines komplexen Wegesystems, das vom Eingang über eine großzügige innere Treppe bis hinauf zu einer Dachterrasse mit wunderbarem Blick über die Stadt führt. Neben dem großen Saal gibt es zudem einen neuen kleinerer, mit dem er bei bei Bedarf zu einem großen zusammenhängenden Raum mit dem Foyer verbunden werden kann. Ein Geschoß tiefer als die Eingangsebene liegt die Burgenländische Landesgalerie, zu erreichen über eine breite Treppe mit Sitzstufen, die auch 162 die Möglichkeit bietet, Vorträge
abzuhalten. Mehrere Schichten von Glas garantieren die sichere und unabhängige Benutzung der einzelnen Bereiche, erlauben aber viele Durchblicke dazwischen und zum umgebenden öffentlichen Raum. Pichler und Traupmann ist hier einer der besten Kulturbauten nicht nur des Burgenlandes, sondern ganz Ostösterreichs gelungen. Dass es sich um einen Umbau handelt, macht das Projekt noch bemerkenswerter, vor allem wegen des gelassenen Umgangs mit der alles anderen als hochwertigen Altsubstanz. Besonders an der Nordseite, wo der neue Anzug etwas lockerer sitzt, blitzen nicht nur die Oberflächen des Bestandsgebäudes hervor, sondern auch die Reste gestalterischer Absichten aus den 1980er-Jahren: etwa dick in Vollwärmeschutz gepackte Erker, die hinter dem Metallgitter wie abstrakte Skulpturen wirken. Ob Pichler und Traupmann solche zufälligen Zusammenstöße tatsächlich mit Sympathie sehen, ist fraglich. Ihre Architektur hat sich in den letzten Jahren deutlich in Richtung eines organischen Determinismus entwickelt, der Bewegungsströme und städtebauliche Faktoren zum Anlass für fließende skulpturale Formen nimmt. Es ist kein Zufall, dass Johann Traupmann an der Universität für angewandte Kunst an der Klasse von Zaha Hadid unterrichtet. 2012 gewannen Traupmann und Pichler den Wettbewerb für das neue Medienzentrum der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien, den Schlussstein in der Verwandlung der ehemaligen Veterinärmedizinischen Universität im dritten Bezirk in einen Campus für diese künstlerischen Bereiche. Der Entwurf war ein Raumkunstwerk, das die Jury ins Schwärmen brachte: „Einprägsame Raumsequenzen und die geschmeidige Abfolge von Wegen, kaskadenförmiger Treppe und kommunikativen Aufenthaltszonen inspirieren den Alltag der Studenten und das Raumerlebnis der Besucher.“ Die zukünftigen Nutzer zeigten sich weniger erfreut und brachten das Projekt zu Fall, nicht zuletzt mit der Forderung nach mehr Flexibilität und nach rechteckigen statt „dynamisch sinusförmigen“ Probesälen. In einem aktuellen Urteil bestätigte das Bundesvergabeamt in erster Instanz den Widerruf des Wettbewerbs durch die Bundesimmobiliengesellschaft. Dass die Universität die Nutzer nicht von Anfang an ausreichend in die Planung einband und deren eigentliche Anforderungen
erst zutage kamen, nachdem 84 teilnehmen de Büros in Summe einen Millionen-Euro Betrag in den Wettbewerb investiert hatten, ist ein Skandal für sich. Unabhängig davon wirft der Fall aber eine prinzipielle architek-
tonische Frage auf, der sich jede Architektur Zaha-Hadid’scher Prägung stellen muss: Wie viel Spielraum bleibt den Nutzern in ihren nur auf den ersten Blick so „geschmeidigen“ Räumen?
6. Juli 2013
Drei Jahre danach 2010 habe ich an dieser Stelle behauptet, „einen der wichtigsten Beiträge zum Wiener Wohnbau der letzten Jahre“ vorzustellen. Und wie ist der Eindruck heute? Tokiostraße, Wien-Donaustadt: ein Wiedersehen.
A
rchitekturkritik kommt meistens zu spät. Ein Theater bleibt leer, wenn sich die Verrisse häufen, ein lau kritisiertes Buch verkauft sich schlecht. Schlechte Architektur dagegen bleibt, von Kritik weitgehend ungerührt, jahrzehntelang im Weg stehen. Architekturkritiker behaupten daher gerne, für die Zukunft zu schreiben, in der Hoffnung, dass gute Beispiele zum Vorbild werden und ein Verriss die Wiederholung von Fehlern verhindert. Insofern kommt Architekturkritik aber auch zu früh. Sie erfolgt meist unmittelbar nach der Fertigstellung, bevor ein Bauwerk beweisen musste, dass es alltagstauglich ist und von den Nutzern in seinem Potenzial auch verstanden und angenommen wurde. Wenn ein Gebäude nach seiner Eröffnung wieder als Architektur in die Zeitung kommt, dann meistens Jahrzehnte später, wenn die nicht mehr vorhandene Alltagstauglichkeit die Substanz gefährdet und das Denkmalamt gegen einen Abriss oder Umbau einschreitet. Der Wohnbau in der Tokiostraße von ARTEC-Architekten wurde 2010 fertiggestellt und hat bis zur denkmalpflegerischen Behandlung noch einen Weg 163 vor sich. Ich habe das Haus im Jahr
269 → 2010 an dieser Stelle im Spectrum als „einen der wichtigsten Beiträge zum Wiener Wohnbau der letzten Jahre“ vorgestellt und mit Lob nicht gespart: ein genialer Mix aus gestapelten Wohntypen sei hier zu finden; hohe Dichte, aber trotzdem viel Licht und Luft; raffinierte Übergänge zwischen öffentlichen und privaten Bereichen; viele Terrassen und Loggien als wohnungsnahe Freiräume, die sich die Benutzer noch gärtnerisch gestalten würden; viel soziale Infrastruktur, etwa ein doppelgeschoßiger Partyraum, Schwimmbecken mit Liegewiese auf dem Dach und eine offene Erdgeschoßzone, die sich die Bewohner für Feste aneignen könnten. Dieses Programm ist in einer baukünstlerischen Eigenart umgesetzt, die aus der Wohnhausanlage einen urbanen Ort macht, den man sich merkt. Ein warmgrauer Verputz und Sichtbeton an der Fassade stehen im Kontrast zu kräftigen Rot- und Gelbtönen in den Hallen und Treppenhäusern. Die Fassade zur Tokiostraße hin ist ein dreidimensionales Vexierspiel aus schrägen Stahlrohren in einem raffinierten Muster, und abends leuchtet der Partyraum an der Stirnseite wie eine rote Laterne in den Straßenraum.
Nicht alle Leser teilten diese Meinung. Die Fotos zeigten das Haus unmittelbar vor der Besiedlung, und es gab den üblichen Leserbrief, der mich darauf hinwies, dass nur Architekten Sichtbeton schön finden, aber auch einen anderen, der das Haus als formalistisch und am Leben vorbeigeplant kritisierte. Gegen diese Fundamentalkritik muss sich das Haus selbst wehren, dachte ich mir damals, und notierte mir eine Besichtigung nach ein paar Jahren im Kalender. Letzte Woche war es so weit. Begleitet von einem der Geschäftsführer der Wohnbaugenossenschaft „Neues Leben“, Johann Gruber, durfte ich das Haus nach drei Jahren Betrieb besuchen. Von der Betreiberseite hat das Haus die Erwartungen erfüllt; einzige Ergänzung war der zusätzliche seitliche Abschluss einer Erschließungshalle durch ein Kunststoffgewebe, da im Winter an windigen Tagen Flugschnee in die Halle eingedrungen war. Dass die Bewohner das Haus in Besitz genommen haben, ist deutlich zu sehen. Die privaten Kleinstgärten auf den Terrassen und Balkonen sind begrünt, je nach gärtnerischem Talent mit unterschiedlicher Dichte. Auch in der Erschließungshalle sind die Vorbereiche vor den Wohnungen genutzt, freilich großteils als Abstellplätze für 164 Fahrräder und Kinderwägen. Nur vor
Ein Haus wächst zu: Straße, Halle und Hof. Wien Tokiostraße. Von ARTEC Architekten. Foto: C. Kühn
einer Wohnung ist ein kleiner Sitzplatz mit Kaffeehaustisch aufgebaut, der aber eher als symbolische Geste wirkt. Es gibt auch hier einiges an Grün, in den oberen, gut belichteten Ebenen wuchert vor einer Wohnung sogar ein kleiner Empfangsdschungel aus Topfpflanzen. Im öffentlich zugänglichen Hof ist der Rasen gepflegt, die Betonwände werden von Pflanzen erobert und haben ihre Härte verloren. Ein kleines „Nimm ein Sackerl“-Hinweisschild im Rasen weist auf potenzielle Interessenskonflikte in einem halböffentlichen Grünraum hin. Schon mehrmals hätte die Hausverwaltung mit dem Gedanken gespielt, erklärt Johann Gruber, das Problem durch einen Maschendrahtzaun mit Tür zu lösen, sei aber davon zu überzeugen gewesen, dass damit eine wesentliche Qualität des Hauses zerstört würde: die hohe Dichte durch ein Angebot an gut gestalteten öffentlichen und halböffentlichen Freiräumen zu kompensieren. Zu diesen Räumen gehört auch die Dachterrasse mit Schwimmbecken im Trakt zur Tokiostraße, die allen Bewohnern der in Summe 100 Wohnungen zur Verfügung steht. Die Terrasse ist geteilt, im vorderen Bereich liegt das Becken, dann geht es über ein paar Stufen hinunter auf die Liegewiese.
Hier trifft man auf Bewohner, die erzähDas Haus in der Tokiostraße hat auch das len, dass sie mit dem Haus sehr zufrieden Glück, in einem der wenigen städtebaulich sind. Es gebe Klagen über Lärmbelästigung gelungenen Entwicklungsgebiete Transdadurch die Straßenbahn in der Tokiostraße, nubiens zu liegen. Der Masterplan aus dem deren Fahrgeräusch durch die offene ErdJahr 1993 stammt von Elsa Prochazka, und geschoßzone auch in der Halle merkbar nach 20 Jahren zeigt sich, dass hier ein ursei. Überhaupt: Benutzt werde diese Halle baner Raum mit Aufenthaltsqualität entnur als luxuriöser Abstellplatz für Fahrrästanden ist. Was den meisten Häusern hier der, und auch der Partyraum sei kaum in dennoch fehlt, ist der Dialog zwischen Haus Betrieb. Die übrigen Kritikpunkte beziehen und Stadt, die subtile Verbindung zwischen sich auf Details, die Ausführung des Sichtöffentlichen und halböffentlichen Zonen. betons und punktuelle Wasserschäden in Diese Qualität besaß auch die angeblich so der Sockelzone des Verputzes in der zweiten vorbildliche Blockrandbebauung der GrünEingangshalle. derzeit nicht oder nur dort, wo sie aufgrund Die Überraschung des Besuchs ist, dass bestehender älterer Bauten dazu gezwungen es keine Überraschungen gibt. Das Haus war. Gerade hier läge aber – wie das Haus grünt sich unter tatkräftiger Mithilfe der Be- von ARTEC beweist – das Potenzial der heuwohner ein. Die halböffentlichen Zonen tigen Stadterweiterung. funktionieren nicht, oder genauer: Sie haben Der Genossenschaft „Neues Leben“ sind in unserer Gesellschaft keinen praktischen diese Qualitäten offenbar ein besondeWert mehr, sondern einen symbolischen. res Anliegen. Auf dem Areal des ehemaliWer in Kagran unter Menschen sein möchte, gen Nordbahnhofs errichtet sie gerade drei geht nicht zum Nachbarn, sondern ins DoWohnhäuser auf einer quadratischen Parnauzentrum. Abschaffen sollte man diese zelle, geplant von den Architekten Sergison Zonen dennoch nicht: Sie inszenieren den und Bates aus London, von Ballmoos KruAbstand, den wir zueinander brauchen, und cker aus Zürich und Werner Neuwirth. Drei machen das Leben in dichter Packung erst Häuser im Dialog, eine fein justierte Mitte, erträglich. Und vielleicht braucht eine vermehr braucht es nicht. Im stadträumlichen änderte Gesellschaft irgendwann genau Elendsviertel, zu dem der Nordbahnhof leidiese Expansionsräume vom Privaten ins der geworden ist, sind diese Häuser zuminÖffentliche. dest ein Lichtblick.
Der lange Marsch 7. Juni 2013
Gegründet, als von Baukultur noch kaum die Rede war: Das Haus der Architektur in Graz wird 25 Jahre alt.
U
rteile über architektonische Qualität stehen immer unter dem Verdacht, auf reine Geschmacksfragen hinauszulaufen. Was baukünstlerisch
richtig oder falsch, schön oder hässlich ist, lässt sich nicht mit wissenschaftlicher Exaktheit bestimmen. Architektonische Qualität ist eine unscharfe Größe. Das heißt aber
Durchblick oder Spiegelbild: brauchen wir Architekturvermittlung? nicht, dass man über sie nicht präzise disku- Wozu Foto: Florian Lierzer tieren könnte. Es ist wie mit der Qualität des Essens: Natürlich geht es hier um individukann das nicht nur im Anlassfall eines Bauellen Geschmack, aber es ist möglich, jenprojekts geschehen. Es braucht auch Instituseits dieses Geschmacks Konsens über die tionen, in denen kontinuierlich verhandelt Qualität der Zutaten und der Zubereitung zu erzielen. Allerdings hat die Kochkunst im wird, was unter Qualität zu verstehen ist. Zu diesen Institutionen gehören AusbilVergleich zur Baukunst den großen Vorteil, dass kaum jemand gezwungen ist, zu essen, dungs- und Forschungsstätten, also die Universitäten, Berufs- und Fachhochschulen, was ihm nicht schmeckt, während man sowie die Berufsverbände. Daneben hat sich missliebiger Architektur großräumig ausein neuer Typus von Institution etabliert, weichen muss – und das in der Regel viele der unter dem Begriff der „Vermittlung“ aufJahrzehnte lang. tritt. Ganz neu ist der Typus nicht: Schon die Ein gutes Haus zu bauen ist schon desZentralvereinigung der Architekten und der halb komplexer, als ein gutes Menü zu koÖsterreichische Werkbund, 1907 und 1912 chen. Dazu kommt, dass offene, moderne gegründet, richteten sich mit dem Ziel einer Gesellschaften mehr Handlungsspielraum bieten als geschlossene Gesellschaften und „Hebung des künstlerischen Geschmacks“ nicht nur an die Produzenten, sondern auch damit auch mehr Fehlerquellen eröffnen. an die Nutzer von Architektur. Die Wiener Traditionelle Lösungen, die in geschlossenen Gesellschaften für Stabilität gesorgt ha- Werkbundsiedlung Anfang der 1930er-Jahre war wahrscheinlich das größte Projekt der ben, funktionieren oft nicht mehr, weil sich die Problemlagen durch Dimensionssprünge „Architekturvermittlung“, das in Österreich radikal verändert haben. Die Moderne muss je stattgefunden hat. Die erste Vermittlungsinstitution im ensich daher ihre Fundamente selbst geren Sinn war die 1965 gegründete Össchaffen, ohne auf Traditionen ver166 trauen zu können. In der Architektur terreichische Gesellschaft für Architektur
(ÖGFA). In ihrem Gründungsdokument heißt es explizit, dass „Baukultur nicht allein von Fachleuten getragen wird, sondern von jedem Bürger“, weshalb es nötig sei, „die notwendigen Verbindungen zu den Wissenschaften, Künsten, zu Wirtschaft und Politik aufzuzeigen und zu pflegen“. Wie ihr Name sagt, verstand sich die ÖGFA als bundesweit agierende Institution. Diesem Anspruch konnte sie nie gerecht werden: Sie war und blieb eine Wiener Institution mit gutem internationalem Netzwerk, aber wenig Wirksamkeit in den Bundesländern. Während die ÖGFA ohne Unterstützung der Politik als Bottom-up-Institution entstanden ist, konnte das Haus der Architektur in Graz von Anfang an auf die Unterstützung durch die steirische Landespolitik – zur Zeit seiner Gründung 1988 insbesondere durch den Leiter der Hochbauabteilung des Landes, Wolf-Dieter Dreibholz – bauen. Das HDA ist bis heute ein Verein, dessen Vorstand zu einem guten Teil von anderen Institutionen nominiert wird und damit unmittelbar in ein Netzwerk von Beziehungen eingebettet ist: Land Steiermark, Stadt Graz, Forum Stadtpark, Architektenkammer, Zentralvereinigung der Architekten, Technische Universität Graz. Das HDA ist nach der ÖGFA die älteste unter den inzwischen in allen Bundesländern existierenden Institutionen der Architekturvermittlung: das Vorarlberger Architekturinstitut, das aut in Tirol, die Initiative Architektur Salzburg, das Architekturforum Oberösterreich, das ArchitekturHaus Kärnten, der Verein ORTE in Niederösterreich, der Architekturraum Burgenland und das Architekturzentrum Wien. Die Bundesländerinstitutionen haben sich gemeinsam mit der ÖGFA und der Zentralvereinigung der Architekten eine gemeinsame Plattform geschaffen, die Architekturstiftung Österreich. Die Entwicklung, die das HDA in den letzten 25 Jahren genommen hat, ist typisch. Am Anfang stehen das Engagement einzelner Personen und konkrete Anliegen, für die ehrenamtlich gearbeitet wird. Die Zusammenarbeit mit den öffentlichen Förderern ist geprägt durch persönliche Netzwerke, die nach jeder Verschiebung politischer Machtverhältnisse neu aufgebaut werden müssen. Das HDA hat einige dieser Wechsel überstanden, ohne sich inhalt167 lich verbiegen zu müssen. Auf seiner
Homepage ist das Programm seit 1989 dokumentiert: Die ersten Jahresthemen sind geprägt von der Auseinandersetzung mit der Stadt, ihren peripheren Zonen, ihrer Verbindung zur Landschaft. Eine Phase lang geht es um die Grundlagen der Baukunst: Architektur und Musik, Angemessenheit der Mittel, die Kunst der Linie. Dann um die geänderte Rolle und Funktion der Disziplin: Mehrwert Architektur, das Image des Berufs, seine Standesvertretung und wirtschaftliche Basis im internationalen Kontext. In der nächsten Phase um Region und Ort als prägende Faktoren. Die ersten 20 Jahre lang wurde das Programm von wechselnden operativen Vorständen entwickelt und umgesetzt. Das garantiert frischen Wind, hat aber den Nachteil, dass jeder Architekt ein Architekturzentrum für sich ist oder das zumindest allen anderen unterstellt. Architekturvermittlung von Architekten für Architekten leistet zwar wichtige Beiträge zur Selbstreflexion und zur Entwicklung der Disziplin, das Verständnis für Baukultur im Allgemeinen hebt sie aber kaum. Seit 2008 hat das HDA mit Eva Guttmann eine Geschäftsführerin, die das Programm in Abstimmung mit dem Vorstand auch inhaltlich verantwortet. Seither ist das Programm stärker auf das allgemeine Publikum ausgerichtet. Dazu passt, dass das HdA 2008 seinen Standort verlegt hat: von der etwas abgelegenen, sehr großzügigen Villa in der Engelgasse ins Palais Thinnfeld im Zentrum der Stadt, unmittelbar neben dem Kunsthaus, mit einem Bruchteil der Fläche, aber der Chance, neues Publikum zu erreichen. Die „wilden Jahre“ des HdA müssen damit nicht endgültig vorbei sein. Wenn es seine weit verzweigten Wurzeln pflegt, wird es auch weiterhin Unerwartetes produzieren. Das gilt auch für die anderen Institutionen der Architekturvermittlung in Österreich, die unterschiedlich weit auf dem Weg der „Professionalisierung“ gegangen sind. Mit dem Architekturzentrum Wien, das gerade seine hervorragende Sammlung in der Ausstellung „Das Gold des Az W“ zeigt, ist eine dieser Institutionen gerade auf dem Sprung zum Architekturmuseum. Dass Baukultur wichtig ist und ähnlich gefördert werden muss wie die Musikkultur – von den Philharmonikern bis zur Blasmusik– sollte sich auf allen politischen Ebenen herumgesprochen haben.
25. Mai 2013
Operation Goldesel „Elegant wie der Ring“ nannte es der Herr Bezirksvorsteher, und die Frau Vizebürgermeisterin war stolz auf „so ein sehenswertes Ergebnis“. Doch aus schönen Worten baut man keine Stadt. Zu den Plänen rund um den Wiener Eislaufverein: Notizen eines Beteiligten.
E
ine gute Gegend ist das nicht. Oder genauer: Sie hat schon einmal bessere Zeiten gesehen. Wer heute vom Schwarzenbergplatz kommend in den Heumarkt einbiegt, findet hier wenig, das zum Bleiben einlädt. Linker Hand die Hintereingänge von Akademietheater und Konzerthaus, dann eine lange graue Fassade, hinter der die Sportflächen des Wiener Eislaufvereins liegen. Den Abschluss bildet die Tiefgarageneinfahrt des Hotel Intercontinental, das aus dieser Perspektive als klobiger Turm über dem Areal aufragt. Da fehlt doch eine Gasse, denkt sich der Spaziergänger nach dieser fast 200 Meter langen Trübsal, und er hat Recht: Die Marokkanergasse, die aus dem dritten Bezirk stadteinwärts zielt, könnte bequem entlang der Nordseite des Konzerthauses bis zum Beethovenplatz führen. Stattdessen findet sie ihr abruptes Ende an einem rostigen Blechtor, über das die Anlieferung des Eislaufvereins abgewickelt wird. In seinen besten Zeiten befand sich auf diesem Areal etwas, das man heute als „Urban Entertainment Center“ bezeichnen würde. Ludwig Baumann legte 1890 den Entwurf für das „Olympion“ vor, eine Kombination aus mehreren Konzertsälen, einem Eislaufplatz, einem Bicycleclub, 168 und einer Freilichtarena. Das Projekt
wurde in Etappen errichtet, kleiner und nur teilweise nach Baumanns Plänen. Gemeinsam mit den Architekten Fellner und Helmer plante er 1911 das Akademietheater und das Konzerthaus, in alleiniger Verantwortung die Randbebauung des Eislaufvereins, die bescheidener ausfiel als geplant, aber trotzdem ein durchaus opulentes Stück Jugendstilarchitektur war. Diese Randbebauung musste 1964 den neuen Zeiten in Form des Hotel Intercontinental weichen, damals mit 504 Zimmern das größte Hotel Österreichs. Die Jugendstilbauten haben die Wiener dafür gern geopfert. Selbst Otto Wagners Stadtbahnpavillons am Karlsplatz überlebten die Nachkriegszeit nur knapp: Bei der Eröffnung des Historischen Museums der Stadt Wien 1959 erklärte der zuständige Kulturstadtrat Hans Mandl, die Pavillons vor der Museumstür – „scheußlich, aber leider unter Denkmalschutz“ – würden zum Glück bald mit der Überdeckung der Stadtbahn verschwinden. Das Hotel Intercontinental ist ein typisch österreichisches Produkt dieser Zeit, indem es internationale Einflüsse zwar aufnimmt, aber dann doch aufs Provinzielle zurechtstutzt. Das Grundkonzept stammte von der US-amerikanischen Architekturfirma Holabird & Root, die im Auftrag der Intercontinental Hotels Group, einer 1946 von der Fluggesellschaft PanAm gegründeten
Hotelkette, weltweit mit lokalen Partnern zusammenarbeitete. In Wien war der Partner Carl Appel, einer der damals erfolgreichsten Architekten der Stadt, der mit dem Kaufhaus Steffl und dem Steyr-Haus am Ring die Architektur der Nachkriegszeit prägte. Appel hatte bei seinem Projekt bald mit einem Problem zu kämpfen, das für das Areal bis heute von Bedeutung ist: Es liegt genau auf der Achse des Blicks vom Schloss Belvedere auf das Stadtzentrum, der von den Wienern gerne als „Canaletto-Blick“ bezeichnet wird. Der Plan, das Hotel als über 50 Meter hohe massive Scheibe mit einer breiten Front Richtung Stadtpark anzulegen, führte schon damals zu Protesten. Appel löste das Problem pragmatisch, einerseits durch eine Reduktion der Geschoßhöhe auf 2,6 m, andererseits durch einen Quertrakt, der wie ein Rucksack an die Front des Hotels Richtung Konzerthaus angehängt wurde. Das Ergebnis ist ein in jeder Hinsicht fauler Kompromiss: die Raumhöhen 169 von 2,4 m waren fürs Luxussegment
Rendite versus öffentliches Interesse: Wiener Eislaufverein, flankiert von Hotel Intercontinental und Konzerthaus. Fotos: Wolfgang Freitag
in der Hotellerie schon damals zu niedrig, der Quertrakt ist im Stadtraum klar als Notlösung zu erkennen, und der Blick vom Belvedere ist trotz der Reduktion der Gebäudehöhe auf rund 43 m beeinträchtigt, wobei besonders die unklare Kontur der Dachkante unangenehm auffällt. Die T-Form des Baukörpers ist aus der Distanz nicht lesbar, und das Auge sucht vergeblich nach einer klaren Linie. Das Urteil, das Friedrich Achleitner in einer Kritik zur Eröffnung des Hotels fällte, fiel entsprechend vernichtend aus: „Eine Masse ohne Maß.“ Aus heutiger Per spektive wird man dem Hotel zumindest von der Stadtparkseite eine gewisse Qualität attestieren: ein liegender Quader mit leidlich proportionierter Fassade, der vor allem aus größerer Distanz nicht unelegant wirkt. Das Hotel und sein Nachbar, der Eislaufverein, befinden sich seit vielen Jahren in einer Art Dornröschenschlaf, aus dem sie nun vom Prinzen in Form eines Investors,
Michael Tojner, Gründer und Geschäftsführer der Global Equity Partners (GEP), wachgeküsst wurden. Im Unterschied zum Märchen ist der Prinzessin allerdings das Altern nicht erspart geblieben: Das Hotel braucht zumindest ein technisches Facelifting in Form einer neuen Fassade, und die Bauten des Eislaufvereins kann man getrost als baufällig bezeichnen. Was die Prinzessin trotzdem attraktiv macht, ist ihre heimliche Fähigkeit, sich in einen Goldesel zu verwandeln. Die Zauberformel dafür heißt Flächenwidmungs- und Bebauungsplan: Wenn es gelingt, die Widmung dieses Grundstücks in allerbester Lage so zu verändern, dass zusätzlich 13 000 bis 18 000 m2 hochwertige Wohnfläche entstehen, wird aus dem Projekt eine Goldgrube. Wohnungen in einzigartigen Toplagen haben auch in Wien die Marke von 15 000,- Euro pro Quadratmeter längst hinter sich gelassen. Der Weg dorthin ist allerdings, wie es sich für ein Märchen gehört, mit zahlreichen Dornen versehen. Zuerst muss das Grundstück günstig erworben werden. In diesem Fall ging das über mehrere Etappen: Das Areal, auf dem sich der Eislaufverein befindet, war das letzte Grundstück im Besitz des im 19. Jahrhundert für den Bau der Ringstraße eingerichteten Wiener Stadterweiterungsfonds, der zuletzt unter der Verwaltung des Innenministeriums stand. Im Jahr 2008 verkaufte der Fonds, der schon lange aufgelöst werden sollte, das Grundstück um 4,2 Mio Euro an einen nie aktiv gewordenen Wohnbauträger namens „Buntes Wohnen“. Der Preis wird in einem aktuellen Rechnungshofbericht als deutlich zu niedrig eingeschätzt, da es in einer Bieterrunde bereits Angebote um 9 Mio Euro gegeben hätte. Nach Ansicht des Rechnungshofs hätte das Verkaufsverfahren gestoppt werden müssen. Dass der Schätzpreis für das Grundstück von 1,9 Mio bis 42 Mio Euro reicht, liegt an der speziellen Situation: Der Wiener Eislaufverein (WEV) hat einen bis 2058 laufenden Pachtvertrag auf dem Gelände. Die höhere Summe geht davon aus, dass der Eislaufverein sich diesen Vertrag ablösen lässt und seinen Betrieb an einen anderen, weniger zentralen Standort verlegt. Dazu ist der WEV zwar im Moment dezidiert nicht bereit. Für eine großzügige Finanzspritze zur Erneuerung seiner Publikumsräume und für eine neue Trainingshalle 170 würde er aber Kompromisse eingehen
und unter Umständen eine vorübergehende Absiedlung in Kauf nehmen, während auf dem Areal gebaut wird. Was immer der Käufer des Jahres 2008 mit seinem neuen Besitz tatsächlich vorhatte und warum er den Zuschlag erhielt, wird ein Rätsel bleiben. „Buntes Wohnen“ verwandelte sich 2011 in die „Lothringer Straße 22 Projektentwicklungs GmbH“ mit neuen Eigentümern: zu 55% Rechtsanwalt Bernhard Steindl, zu 45% mehrere Privatstiftungen. Anfang 2012 wechselt das Grundstück wieder die Besitzer: 55% übernimmt die zu Michael Tojners GEP gehörende „Wertinvest“, 45% die Gruppe TECTO, die aus den bereits vorher involvierten Privatstiftungen besteht. Damit ist das gesamte Areal in einer Hand. Denn Tojner, der nach eigenen Angaben bereits 2008 erfolglos um das WEV-Gelände mitgeboten hat, kaufte im März 2012 um 50 Mio Euro zusammen mit der Wiener Immobiliengruppe JP Immobilien auch das Hotel Intercontinental. Damit sind aber noch lange nicht alle Dornen aus dem Weg geräumt. Einig sind sich alle Beteiligten nur darüber, dass das Areal eine Aufwertung erfahren soll. Die Wertinvest möchte im Frühjahr 2012 von der Stadt wissen, welche maximale Bebauung auf dem Grundstück möglich ist, erhält darauf aber keine klare Antwort. Die zuständige Magistratsabteilung für Stadtteilplanung und Flächennutzung, MA 21, die zum Ressort von Vizebürgermeisterin Vassilakou gehört, hält sich bedeckt. Im Fall eines Neubaus oder einer umfassenden Generalsanierung sei ein Vorrücken der Hotelscheibe Richtung Stadtpark denkbar. Grundsätzlich sei die Höhenentwicklung – abgesehen vom Bestandsbau des Hotels – mit der Bauhöhe der Ringstraße von rund 21 m begrenzt. Eine darüber hinaus gehende Höhenentwicklung sei nicht ausgeschlossen, würde aber unweigerlich zu Konflikten mit der UNESCO um den Welterbestatus der Wiener City führen. Der Weg zum Projekt führt in einem solchen Fall heute über ein so genanntes „Kooperatives Verfahren“, in das möglichst viele „Stakeholder“ eingebunden sind. Vor 20 Jahren hätte die Stadtplanung städtebauliche Gutachten in Auftrag gegeben und auf deren Basis entweder sofort oder nach einem darauf aufbauenden Architekturwettbewerb die Bebauungsbestimmungen für das Grundstück festgelegt. Je komplexer die Situation und je größer die Zahl der wirklich
oder vermeintlich betroffenen, desto größer ist bei diesem Weg die Gefahr, dass ein Projekt durch Proteste von Anrainern oder anderen Fachleuten bis hin zu Vertretern von ICOMOS – jener Institution, die für die UNESCO als Schützerin der Welterbestätten auftritt – zu Fall gebracht wird. Die mühsame, Jahrzehnte dauernde Entwicklung des unweit gelegenen Areals Wien-Mitte ist ein Beispiel dafür. Also reden heute möglichst viele mit. Das hat sein Gutes, denn im offenen Gespräch lassen sich viele städtebauliche Fragen besser klären als in anonymen Wettbewerben, bei denen die Kommunikation zwischen Auslober und Planern nur schriftlich stattfinden kann. Es hat aber den Nachteil, dass am Ende niemand mehr weiß, wer wirklich für das Ergebnis verantwortlich ist. Unter Umständen führt das dazu, dass die Projektbetreiber etwas als breiten Konsens verkaufen, das keiner ist: Je mehr Ideen erarbeitet wurden, desto leichter ist es, am Ende etwas als „Goldenen Mittelweg“ zu konstruieren, das genau den Interessen der Investoren entspricht. Der Weg dorthin begann im konkreten Fall mit zwei Expertenhearings im März und April 2012, zu denen rund 70 Teilnehmer eingeladen waren, Bezirkspolitiker, Vertreter des Denkmalamts und von ICOMOS, beamtete und selbstständige Stadtplaner und Architekten, Abgesandte von Eislaufverein und Konzerthaus. Im Hearing gab es bereits neun Bebauungsstudien zu sehen, die im Auftrag der Investoren entstanden waren und eine Gesamtnutzfläche von rund 75 000 m2 um die Eisfläche drapierten, neben den Hotelflächen einige 171 Büros, ein Fitnesscenter, eine Eishalle
Identitätsstiftend? Oder eins zu eins umgesetztes Interesse, gut verkäufliche Luxuswohnungen zu errichten? Die beiden von den Investoren publizierten Projekt-Visualisierungen, einmal ohne, einmal mit Abbruch des Hotels Intercontinental. Wertinvest
für den WEV und vor allem 18 000 m2 „Residences“, die – so der Investor – das Projekt finanzierbar machen sollten. Die eingeladenen Experten aus Stadtplanung und Architektur, zu denen auch ich zählen durfte, fühlten ihre Bedeutung, als sie ihr Urteil über diese Studien verkünden durften: Keine werde der Bedeutung des Standorts gerecht. Die Investoren zeigten sich verständnisvoll und griffen einen Vorschlag von Seiten der Raumplanung auf, ein spezielles „Kooperatives Verfahren“, das sich in ähnlicher Form bereits in Köln bewährt hätte. Auch dort gefährdete ein Projekt gegenüber dem Dom im Stadtteil Deutz mit mehreren Hochhäusern den Welterbe-Status. In einem mehrstufigen Prozess hatten drei Architekturbüros in Diskussionen mit den „Stakeholdern“ Qualitätskriterien für den Standort definiert und schließlich drei Entwürfe geliefert. Es gab keinen Sieger, aber ein in der begleitenden Jury ermitteltes Stimmungsbild gab einen klaren Hinweis darauf, welches Projekt als am besten geeignetes angesehen wurde und damit als Grundlage für einen Projektwettbewerb dienen konnte. In Wien wurde das Verfahren modifiziert. Aus den Teilnehmern der Expertenhearings wurden wie bei einem Gesellschaftsspiel Untergruppen gebildet: Einige Architektur- und Städtebauprofessoren, Vertreter aus Politik und Beamtenschaft und die Investoren bildeten zusammen mit den „Stakeholdern“ ein Bewertungsgremium. Für
die Erarbeitung von Bebauungsvorschlägen selbst wurden aus den bei den Hearings anwesenden Architekten drei Zweiergruppen gebildet, die jeweils durch einen Theoretiker verstärkt wurden. Das anschließende mehrere Monate dauernde Planungsspiel ergab zahlreiche Varianten, die inzwischen auch in einer Broschüre der Stadt Wien publiziert sind. Im Unterschied zum Kölner Vorbild deklarierte sich das Bewertungsgremium in Wien nicht für eine der Projektvarianten, sondern ging mit einer Reihe von allgemeinen Schlussfolgerungen an die Öffentlichkeit, gegen die es vorerst nichts einzuwenden gibt: Bebauung am Heumarkt mit gleicher Traufhöhe wie das Konzerthaus, moderate Absenkung der Eisfläche mit nutzerfreundlichem Zugang von der Lothringerstraße, deren Gehsteig durch eine Verlegung der Straße verbreitert werden soll, Schaffung einer Durchlässigkeit zwischen 1. und 3. Bezirk. Das aus Investorensicht erfreulichste Ergebnis ist allerdings ein „identitätsstiftendes Gebäude mit Leitfunktion und Signalwirkung, konzipiert als schlanker Turm neben dem Hotelgebäude nahe der Kreuzung Lothringerstraße/Johannesgasse“. Da freut sich der Bezirksvorsteher des 3. Bezirks und spricht auf einmal wie ein Immobilienmakler: „Ein Platz, der seinesgleichen sucht. Elegant wie der Ring, großzügig wie der Stadtpark, spannend wie die Kunstmeile, und voller Überraschungen.“ Die Vizebürgermeisterin stimmt ein: „Ein Ort, an dem man sich gern aufhält, ein Platz, der die Geschichte respektiert und allen neue Möglichkeiten eröffnet. Ich bin stolz, dass wir mit einem für die Stadt umfangreichen Prozess so ein sehenswertes Ergebnis erhalten haben.“ Es geht nichts über gute Pressearbeit: Auch der Falter und die Kronen Zeitung berichteten in höchsten Tönen über das Projekt, wobei es wohl kaum schadet, dass der Besitzer der letzteren, die Familie Dichand, gemeinsam mit Michael Tojner auch Eigentümer des Dorotheums ist. Leider kann man aber aus schönen Worten keine Stadt bauen. Die von den Investoren publizierten Visualisierungen der beiden Varianten mit und ohne Abbruch des Hotel Intercontinental zeigen eine geradezu läppische städtebauliche Figur. Das Gerede von einem identitätsstiftenden Signal entlarvt sich als das, was es ist: das 172 eins zu eins umgesetzte Interesse, gut
verkäufliche Luxuswohnungen zu errichten. Warum dieser Platz durch einen wie zufällig den Sachzwängen folgenden massiven Turm an Identität gewinnen soll, ist rätselhaft. Keines der im Verfahren von den Architekten entwickelten Projekte war auch nur annähernd auf einem so tiefen Niveau wie das, was letzlich als Ergebnis verkauft wurde. Noch bevor ICOMOS gegen diesen Vorschlag protestierte, haben sich Exponenten der Wiener Architekturszene, von der Architektenkammer über die Zentralvereinigung der Architekten, die Österreichische Gesellschaft für Architektur bis zum Architekturzentrum Wien sowie zahlreichen Einzelpersonen kritisch in einem offenen Brief an die Vizebürgermeisterin zu Wort gemeldet. Sie fordern eine Revision der bisherigen Ergebnisse mit dem Ziel, die Renditeerwartungen der Investoren den öffentlichen Interessen unterzuordnen. Als einer der vielen am Verfahren beteiligten und vom Investor für ihre Expertise bezahlten Konsulenten muss ich ihnen Recht geben. Das Instrument des „Kooperativen Verfahrens“ hat sich in diesem Fall als Sackgasse erwiesen, aus der es jetzt wieder herauszukommen gilt. Die Situation am Heumarkt kann nur verbessert werden, wenn sich alle „Stakeholder“ bewegen, nicht nur die Investoren, sondern auch der Eislaufverein, der mit mehr Flexibilität in Bezug auf Proportion und Größe der Eislauffläche eine wesentlich attraktivere, auch für eine hochwertige Sommernutzung geeignete Infrastruktur erhalten könnte. Dasselbe gilt für ICOMOS, das mit seiner fundamentalistischen Position jede Diskussion über Qualitätskriterien vertikaler Entwicklungen abblockt, die im Fall eines Abbruchs des Hotel Intercontinental jedenfalls zu führen wäre. Die Wertinvest hat den offenen Brief trocken als „interessanten weiteren Diskussionsbeitrag“ quittiert und möchte die Operation Goldesel offenbar weiterführen wie geplant. Das wäre fatal. Statt mit dem vorliegenden Ergebnis in einen Projektwettbewerb zu gehen, in dem alles offen ist und nur die Rendite der Investoren eine Konstante, müssen die Rahmenbedingungen neu ausverhandelt werden. Wenn es da144 → bei keine Bewegung gibt, bleibt das Areal um den Heumarkt vorerst, wie es ist. Das wird Wien noch weitere 40 Jahre aushalten.
11. Mai 2013
Will das der Markt? Hauptsache Rendite: wie man Wohnungen verkauft, in die der Käufer nie einziehen würde. Ein Beispiel aus Wien.
Glückliche Mieter? Vorsorgewohnungen mit mehrfach geknickten Erschließungsgängen und dunklen Kochnischen aus dem Angebot von C&P. C&P Consulting
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ohnen ist, so sagt es die UN-Menschenrechtskonvention in Artikel 25, ein Grundrecht: „Jeder Mensch hat das Recht auf einen Lebensstandard, der ihm und seiner Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet,
einschließlich Nahrung, Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale Leistungen.“ Wohnen ist zugleich ein Wirtschaftsfaktor. Im Schnitt wird in Österreich knapp ein Drittel des Haushaltseinkommens für Wohnen, Energie und Wohnungsausstattung aufgewendet.
Wohnen ist daher auch ein Geschäft. Allerdings eines, in das der Staat – zumindest in Österreich – massiv eingreift, durch die Regulierung bestimmter Segmente des Mietwohnungsmarktes, aber auch durch Förderungen. Die Wohnbauförderung erlaubt es, Bauträgern Qualitätsstandards vorzuschreiben, etwa in Bezug auf den Energieeinsatz und die Wohnungsqualität, und zugleich die Baukosten zu begrenzen. Gemeinnützige Bauträger stöhnen zwar gerne über diese Schere. Sie hat aber zumindest in Wien per Wettbewerb zu hoher Qualität und vielen Innovationen geführt: raffinierte Grundrisse mit hoher Flexibilität, großzügige Erschließungs- und Gemeinschaftsbereiche, die das Leben trotz hoher Dichte angenehm machen, begrünte Freibereiche vor den Wohnungen und nicht zuletzt bautechnische Innovationen, die Baukosten reduzieren helfen. Dass der geförderte Wohnbau in Wien einen höheren Standard hat als der frei finanzierte, ist daher nichts Neues. In meinem jüngsten Beitrag an dieser Stelle des „Spectrums“ über einen geförderten Wohnbau in der Raxstraße im zehn→ 175 ten Bezirk habe ich behauptet, dass sich private Wohnungskäufer überlegen sollten, warum sie „für deutlich weniger Qualität das Drei- bis Vierfache jener rund 1 400 Euro bezahlen sollen, die eine geförderte Wohnung in der Errichtung kostet“. Die Reaktion folgte prompt: Ich würde hier Äpfel mit Birnen vergleichen, und außerdem sei ein Wohnungspreis von über 4 000 Euro im frei finanzierten Bereich in ähnlicher Lage niemals zu erzielen. Das hat mich neugierig gemacht. Ich bin überzeugt davon, dass man Äpfel sehr wohl mit Birnen vergleichen kann: Einem frischen Apfel wird man den Vorzug vor einer faulen Birne geben. Und was die Wohnungspreise betrifft, hilft ein Blick in den Inseratenteil: „Neubau-Eigentum, Wien 10. Erlachplatz, 45 m2, Kaufpreis 180 000 Euro“. Welche Besonderheit hat diese Wohnung, wenn ich für sie trotz der alles anderen als guten Lage 4 000 Euro pro Quadratmeter hinblättern muss? Die Neugier steigt, wenn man vom Makler eine Werbebroschüre zum Projekt zugesandt bekommt. Erstens wird in dieser Broschüre der Standort als „sehr zentral“ dargestellt: „In nächster Nähe befinden sich der Hauptbahnhof und das Schloss Belve174 dere.“ Sicher, alles ist relativ, und der
Stahlbeton, Styropordämmung, Kunststofffenster, Ästhetik der Spekulation: Städtisches Wohnhaus, Erlachplatz, Wien-Favoriten. Foto: Hart & Haring
neue Hauptbahnhof wird auch den zehnten Bezirk aufwerten. Aber bis ins Belvedere ist man doch eine halbe Stunde unterwegs und hat dabei einige nicht unerhebliche Hindernisse wie den Gürtel, Wiens meistbefahrene Straße, zu überwinden. Zweitens springt einem auf dem Grundriss die Erschließung des Hauses ins Auge, ein mehrfach geknickter Mittelgang ohne natürliche Belichtung. Ein Effekt davon ist, dass keine einzige der Wohnungen über Querlüftung verfügt. In einem energietechnisch optimierten Haus mit mechanischer Raumlüftung zur Wärmerückgewinnung wäre das kein Problem. Hier ist es ein echter Mangel an Wohnkomfort. Ein zweiter Effekt ist der Weg zur eigenen Wohnung: Für die oben beschriebene Wohnung (im Plan ganz links hinten) beträgt er vom Lift aus gemessen 25 Meter, zwei 90-Grad-Drehungen inklusive. Die Wohnung selbst hat einen brauchbaren Zuschnitt und eine ausreichend dimensionierte Loggia. Was auf dem Plan nicht zu erkennen ist: Sie orientiert sich nicht zum begrünten Erlachplatz, sondern zu einem eher tristen Hinterhof, den die Sonne bestenfalls im Hochsommer für ein paar Stunden erreicht. Die nordseitig orientierten Wohnungen, in die mit Sicherheit nie ein Lichtstrahl fallen wird, haben zum Ausgleich einen Balkon, von dem aus sie den Blick ins drei Meter entfernte Schlafgemach ihrer Nachbarn genießen können. Auch für diese Wohnungen werden noch Preise von über 3 000 Euro pro Quadratmeter verlangt – im Dachgeschoß bis zu 5 000 Euro. Ausführung: Stahlbeton, Polystyroldämmung, Kunststofffenster.
Wie geht das? Ein Besuch beim Projektentwickler bringt Aufklärung: Selbst er würde – „Samma uns ehrlich“ – nie in einer solchen Wohnung wohnen wollen. Seine Käufer aber auch nicht. Es handelt sich nämlich um das Modell „Anlegerwohnung“ oder „Vorsorgewohnung“. Der Käufer wird die Wohnung, die er als „Beimischung zu seinem Vermögensportfolio“ gekauft hat, wahrscheinlich nie betreten. Er bezahlt auch nicht die oben genannten Bruttopreise, sondern Nettopreise, da die Wohnung ja gewinnbringend vermietet wird, in der Regel wieder vom Projektentwickler im Auftrag des Käufers. Das Modell funktioniert, solange Wohnungen knapp sind. In Städten wie Wien und Graz mit steigender Bevölkerungszahl wird das mit hoher Wahrscheinlichkeit so bleiben. Daher ist der Projektentwickler vor allem dort aktiv, mit derzeit 2 500 Wohnungen in Planung und Bau.
Soll man solche Wohnungen kaufen? Wem es gleichgültig ist, wie seine Mieter wohnen, wird da keine Skrupel haben. Er sollte den Projektentwickler aber auffordern, seine Kalkulation offenzulegen: Wenn, wie in diesem Fall, der Netto Durchschnittspreis der Wohnungen bei 3 300 Euro pro Quadratmeter liegt und die Errichtungskosten bei bestenfalls 1 700, bleibt selbst nach Abzug des Grundstücksanteils ein mehr als satter Gewinn übrig. Hoffnung auf eine Wertsteigerung sollte man bei diesem Preis in dieser Lage jedenfalls nicht haben. Dass privates Kapital in Wohnungen dieser Kategorie fließt, ist zu begrüßen. Aber gibt es nicht irgendeine Möglichkeit, den freien Markt so zu justieren, dass die Wohnqualität dabei ein zentraler Faktor wird? Ich weiß es nicht. Anregungen sind willkommen.
Licht von unten 13. April 2013
Die Verbindung von hoher Dichte und hoher Wohnqualität gelingt nur, wenn Städtebau und Architektur gemeinsam neu gedacht werden. Eine geförderte Wohnanlage im zehnten Wiener Gemeindebezirk holt die Stadt ins Haus.
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ie dicht darf ’s denn sein? Ange- Geschoßfläche eines Hauses zur Fläche des sichts des aktuellen Wiener Baulands, auf dem es errichtet wurde. Ein Bevölkerungswachstums nähert Grundstück mit 500 m2, auf dem ein fünfsich die Bebauungsdichte auch geschoßiges Haus mit Flächen von je 200 m2 außerhalb des Gürtels immer mehr jener pro Geschoß steht, ist in einer Dichte von 2.0 der Innenstadt an. Im Stadtentwicklungsbebaut. Dieser Wert war im STEP 2005 als plan (STEP) von 2005 finden sich Zielvorga- Mindestmaß für das „dicht bebaute Stadtben für die urbane Dichte, gemessen gebiet“ festgelegt, im „Einzugsbereich hochan der sogenannten Nettogeschoßrangiger Verkehrsmittel“ galt ein Wert von 175 flächenzahl, dem Verhältnis der maximal 3.0.
Heute schreiben wir das Jahr 2013 und finden bei aktuellen Projekten weitab von jedem „hochrangigen Verkehrsmittel“ Dichten deutlich über 3.0. Das Areal an der Raxstraße im zehnten Wiener Gemeindebezirk, auf dem nach Plänen der Architekten Rüdiger Lainer, Adolf Krischanitz und ARTEC ein neuer Wohnkomplex mit einer Dichte von 3.35 errichtet wurde, ist ein Beispiel dafür. Grundsätzlich ist gegen eine hohe Dichte an diesem Standort nichts einzuwenden. Das Erholungsgebiet Wienerberg ist nicht weit entfernt, und in wenigen Jahren wird die U-Bahnlinie U1 am Verteilerkreis Favoriten eine Station haben, die per Bus in fünf Minuten erreichbar ist. Problematisch ist die Lage an der dicht befahrenen Raxstraße, die das Grundstück südlich begrenzt. Für den Schallschutz wäre es sinnvoll, zu dieser Straße hin einen geschlossenen, lang gestreckten Baukörper zu errichten. Südsonne würde in die dahinter liegenden Höfe dann aber kaum mehr fallen, und umgekehrt würde die Raxstraße noch mehr zu einem Verkehrskanal verkommen. An einem solchen Standort hohe Dichte und hohe Wohnqualität zu verbinden, kann nur gelingen, wenn Städtebau und Architektur gemeinsam neu gedacht werden. In diesem Fall hat die Stadt Wien 176 das durch die Ausschreibung eines
Das Haus als Weg und Platz: Wohnbau an der Raxstraße, verantwortet von ARTEC … Foto: Bruno Klomfar
Bauträgerwettbewerbs für das gesamte Areal gefördert, bei dem jeweils drei Bauträger mit drei Architektenteams sowohl ein Konzept für den Bebauungsplan als auch für die einzelnen Wohnbauten vorlegen mussten. Der Plan, den win4wien, ein Konsortium der Bauträger Neues Leben, EBG, Mischek und Neue Heimat, von den Architekten gemeinsam mit den Landschaftsplanern Auböck und Kárász ausarbeiten ließ, stellt die städtebauliche Logik scheinbar auf den Kopf. Statt eines Riegels zur Raxstraße und dahinterliegender, lärmgeschützter Einzelbauten sieht er drei lang gestreckte, quer zur Raxstraße orientierte Baukörper vor, zwischen denen wenige Meter schmale Einschnitte zu Raxstraße offenbleiben, die den Durchblick in beide Richtungen erlauben und Licht von Süden in die zwischen den Baukörpern entstehenden länglichen Höfe fallen lassen. Der Lärmschutz wird durch eine Verglasung dieser Einschnitte bewältigt. Zur Raxstraße hin zeigen die Schmalseiten der drei Trakte ihr jeweils ganz eigenes Gesicht: eine Fassade mit spielerisch versetzten Fensteröffnungen von Rüdiger Lainer, eine strenge Lochfassade mit horizontaler Streifenbemalung von Adolf Krischanitz und an der Ecke ein schmaler,
… im städtebaulichen Verbund mit Adolf Krischanitz und Rüdiger Lainer. Visualisierung: ARTEC
leicht überhöhter Glasturm, in dem ein Treppenhaus und ein Lift zu erkennen sind. Der Glasturm bildet die Schmalseite eines sich konisch nach Norden verbreiternden Bauwerks, der von Bettina Götz und Richard Manahl (ARTEC) entworfen wurde. Dieser Bau Foto: Bruno Klomfar zeigt exemplarisch, wie sich hohe Qualität und hohe Dichte verbinden lassen. Die Formel dafür lautet: die Stadt ins Haus holen. Bei den einzelnen Wohnungen. Hier lassen sich traditionellen Typologien des Wiener Stadtauch die Fenster zur Halle öffnen; im Brandhauses ist die Grenze zwischen dem öffentfall sorgt eine Entrauchungsanlage dafür, lichen und dem privatem Raum das Haustor. dass die Fluchtwege sicher erreichbar bleiben. Was sich dahinter abspielt, geht die ÖffentZusammengefasst werden alle diese halblichkeit nichts an. Das Treppenhaus ist in öffentlichen Verbindungselemente durch der Regel kein Aufenthaltsort, sondern ein eine intensiv gelbe Farbe, die den Raum zuDurchgangsraum, der sowieso nur benutzt sätzlich aktiviert. Die ersten aufgestellten wird, wenn der Lift ausfällt. Grünpflanzen scheinen sich jedenfalls wohlFür das Wohnhaus in der Raxstraße haben zufühlen. Das Gelb zieht sich bis in die TiefARTEC ein Erschließungssystem entwickelt, garage, deren oberstes Geschoß noch zur das ganz andere Verhältnisse herstellt. Es gibt Hälfte über dem Straßenniveau liegt. Hier für die insgesamt 110 Wohnungen nur zwei fällt die Westsonne tief in den Baukörper Lifte an den Enden des Baukörpers, jeweils und über eine Verglasung bis in den ersten verbunden mit Treppen, die so viel Licht beHof, der so gegen Abend gewissermaßen kommen, dass man sie gern benutzt: Als Pen- von unten beleuchtet wird. dant zum Glasturm gibt es an der Breitseite Mit diesem Haus haben ARTEC einen des Hauses einen über alle Geschoße reiMaßstab für die Entwicklung des Wiener chenden Luftraum, über eine Glasfassade mit Wohnbaus gesetzt, an dem in Zukunft nieder Umgebung verbunden. Von diesen Enden mand vorbeikommen wird, der zu einer aus erreicht man die Wohnungen über ein sinnvollen urbanen Verdichtung Wiens beiSystem von Erschließungswegen, die je nach tragen möchte. Welche Qualität hier wieder Geschoß und Lage im Haus unterschiedlich einmal im geförderten Wohnbau bei Bauausgebildet sind. In den Untergeschoßen des kosten von 1410,- Euro pro Quadratmeter schmäleren Teils sind sie als Laubengänge im erreicht wurde, spricht für die LeistungsHof geführt, in den Obergeschoßen als zwei- fähigkeit des Systems. Private Wohnungsgeschoßige verglaste Halle mit hoher Aufkäufer sollten sich überlegen, warum sie für enthaltsqualität. Im breiteren Teil gibt weniger Qualität Preise im Bereich des Dreies eine konisch zulaufende Erschlieoder Vierfachen bezahlen. An der Lage al177 ßungshalle mit Stegen und Brücken zu lein liegt es sicher nicht.
2. März 2013
Salto mortale mit Schlag Schöner als die Nike von Samothrake: Coop Himmelb(l)au setzt der futuristischen Phase in der rasanten Entwicklung Chinas mit dem Konferenzzentrum in Dalian ein Denkmal.
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ach der industriellen Revolution kommt der Futurismus: „Bis heute hat die Literatur die gedankenschwere Unbeweglichkeit, die Ek stase und den Schlaf gepriesen“, heißt es in Filippo Tommaso Marinettis futuristischem Manifest von 1909. „Wir wollen die angriffslustige Bewegung preisen, die fiebrige Schlaflosigkeit, den Laufschritt, den Salto mortale, die Ohrfeige und den Faustschlag.
Ein Rennwagen, dessen Karosserie große Rohre schmücken, die Schlangen mit explosivem Atem gleichen … ein aufheulendes Auto, das auf Kartätschen zu laufen scheint, ist schöner als die Nike von Samothrake.“ Wer heute China bereist, findet eine Mentalität vor, die in ihrer Euphorie für den rasenden Fortschritt diesem Futurismus gleicht. Sie weist aber auch dessen dunklen Seiten auf, die Verherrlichung des
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Aluminiumwolke mit Volumen: Das österreichische Parlament, die Staatsoper und einige Zinshäuser würden Platz finden …
Militarismus und des Rechts des Stärkeren. Die explosive Bautätigkeit des Landes beruht auf einer Goldgräbermentalität, der Tausende alte Stadtviertel geopfert werden. Archäologische Funde, die in Europa zu Umplanungen oder zum Scheitern von Projekten führen würden, bremsen die Entwicklung in China höchstens für einen Moment, zumindest wenn die Investoren über gute politische Kontakte verfügen. Mit ihrem Konferenzzentrum in Dalian, einer Stadt mit dreieinhalb Millionen Einwohnern im Nordosten Chinas, haben Coop Himmelb(l)au der futuristischen Phase in der Entwicklung Chinas ein Denkmal gesetzt. Man muss dieses Bauwerk mit dem Nationaltheater in Beijing vergleichen, das nach Plänen des französischen Architekten Paul Andreu errichtet und 2007 eröffnet wurde. Die fünf Jahre Differenz zwischen den beiden Kulturbauten entsprechen im chinesischen Zeitraffer einer ganzen Epoche. In Raumprogramm und Dimension sind sich die Projekte durchaus ähnlich. Das Nationaltheater enthält im Kern eine Oper, flankiert von zwei großen Sälen, die zusammen unter einer im Grundriss 220 mal 150 Meter überspannenden, teilweise verglasten Kuppel untergebracht sind. Die Kuppel sitzt in einer 250 mal 250 Meter großen Wasserfläche und ist nur über einen unter dem Wasser geführten Tunnel erreichbar – ein Stück Herrschaftsarchitektur, das maßstabslos neben der Verbotenen Stadt aufragt. Mit ihren gigantischen, symmetrisch geordneten Innenräumen symbolisiert sie eine Epoche, in der die chinesische Nomenklatura noch an ihre Allmacht glauben durfte. Das Konferenzzentrum in Dalian ist mit 200 mal 220 Metern annähernd gleich groß wie sein Beijinger Pendant. Auch hier liegt ein Theater- und Opernsaal für 1600 Personen im Zentrum, allerdings umgeben von sieben unterschiedlich großen Konferenzund Banketträumen, deren größter für 2500 Personen ausgelegt ist und bei Bedarf die Hinterbühne der Oper mitnutzen kann. Auf Fotos lässt sich die Dimension des Bauwerks nur erahnen: In seinen beiden ersten Geschoßen ließe sich das österreichische Parlament unterbringen, und würde man dann die Staatsoper obendrauf packen, bliebe noch immer Luft für 179 Dutzende Zinshäuser.
… im neuen Konferenzzentrum in Dalian von Coop Himmelb(l)au. Fotos: Ducio Malagamba
Von Symmetrie im üblichen Sinn ist an diesem Bauwerk nichts zu spüren. Es gleicht einer Gewitterwolke, die in einem Moment hoher Turbulenz eingefangen und auf die Erde geholt wurde. Die skulpturale Wirkung ist beeindruckend, sowohl bei Tag, wenn sich in der matt glänzenden Fassade aus Aluminiumblech der Himmel spiegelt, als auch bei Nacht, wenn farbige LEDs die Hülle in wechselndes Licht tauchen. Dennoch ist dieses Bauwerk nicht einfach eine begehbare Skulptur. Seine innere funktionelle Logik ist klar, das Erschließungssystem übersichtlich und der Innenraum erstaunlich differenziert: Neben gigantischen Canyons gibt es zahlreiche ruhigere Zonen, alle gut proportioniert und über den Filter der Aluminiumhülle angenehm belichtet. So geschlossen die Hülle von außen wirkt, erscheint sie durch die verwendeten Lochbleche von innen wie ein dünner Schleier, der das Licht filtert. In diesen Räumen gibt es keine zentrale Kontrolle mehr. Hinter jeder Ecke lauert eine neue Gelegenheit, alles bewegt sich und wird doch auf eine geheimnisvolle Weise in einem kontrollierten Zustand gehalten, weil die Bewegungen sich ausgleichen wie in der Kurvatur eines Drachenkörpers. Wenn die aktuellen chinesischen Eliten ihr Paradies beschreiben müssten, es würde den endlosen Raumfluchten des Konferenzzentrums in Dalian gleichen.
Nicht nur formal, sondern auch technisch ist Coop Himmelb(l)au mit diesem Bau ein Meisterwerk geglückt. Das selbsttragende Schalentragwerk des Dachs überspannt 85 Meter, der Foyer- und Ausstellungsraum kragt 40 Meter weit aus. 14 vertikale Kerne aus Beton-Stahl-Komposit tragen die Lasten in die Fundamente ab. Das Know-how der örtlichen Schiffsbaufirmen wurde genutzt, um die Konstruktion bis zum Äußersten auszureizen. Als die Struktur im Rohbau trotzdem andere Verformungen zeigte als vorhergesehen, konnten die Detailpläne der Fassade durch den Einsatz neuester CAD-Techniken in wenigen Wochen neu generiert werden. Wenn die Entwicklung Chinas weiter im Zeitraffer verläuft, wird ihre futuristische Phase bald vorbei sein. In unmittelbarer Nachbarschaft des Konferenzzentrums kann man der Kopie einer europäischen Stadtstruktur mit Loire-Schloss-Türmchen beim Wachsen zusehen. Im Central-Business-
District, dessen krönenden Abschluss zum Meer die Aluminiumwolke von Coop Himmelb(l)au bildet, entsteht ein grauer Turm neben dem anderen, bald auch eines der höchsten Häuser Chinas. Was danach kommt, wissen wir nicht. Vielleicht rast China in die ökologische Katastrophe, vielleicht gelingt die Wende zu einer nachhaltigeren Wirtschaft. Die Architektur dafür muss noch erfunden werden. Dass sie hohes technisches Wissen und systemisches Denken erfordert, ist klar. An Extreme zu gehen, wie es Coop Himmelb(l)au in Dalian und in anderen Projekten wie der Europäischen Zentralbank in Frankfurt und dem Musée des Confluences in Lyon getan haben, hat durchaus seine Berechtigung. Die Architektur der Zukunft wird vielleicht gar nicht futuristisch aussehen. Aber man kann nur hoffen, dass sie sich nicht aufs rein Nützliche glattbügeln lässt: Ohne Begeisterung für Raum und Form hat noch keine Kultur überlebt.
16. Februar 2013
Alles zum Besten der Narren Willkommen am Steinhof: In jeder zivilisierten Stadt wäre ein derart grober Umgang mit wertvollem Bestand spätestens am Gestaltungsbeirat gescheitert. In Wien wurschtelt man sich durch.
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er plant Wien? Das gleichnamige Buch von Reinhard Seiß geht inzwischen in die vierte Auflage, die Stadtregierung hat von Rot auf Rot-Grün gewechselt, und noch immer wissen wir die Antwort nicht. Sind es die Beamten des Planungsressorts und die Experten, sind es die Projektentwickler und Investoren, die Politiker oder gar die Bürger? Wer plant zum Beispiel die Zukunft des Steinhof-Areals, der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt für Geisteskranke im Westen Wiens, mit über 2 000 Bet180 ten zur Zeit seiner Entstehung eines
der größten Spitäler der Welt? Konnte man bisher davon ausgehen, dass nur ein Teil des Areals, das insgesamt größer ist als der achte Bezirk, neuen Nutzungen zur Verfügung stehen würde, ist seit Mai letzten Jahres bekannt, dass bis zum Jahr 2020 sämtliche Spitalsnutzungen von hier an andere Standorte in Wien übersiedeln werden. Eigentümer ist die Gemeinde Wien über ihren Krankenanstaltenverbund (KAV), der noch zu Beginn der 2000er-Jahre größere Summen in die Adaptierung der denkmalgeschützten Pavillons investierte. Drei Architektengruppen, Runser/Prantl, Beneder/ Fischer und Sarnitz/Silber/Soyka, erhielten damals den Auftrag, je einen Pavillon
umzubauen. Manche der dabei entwickelten Ideen wurden für weitere Sanierungen übernommen. Zur gleichen Zeit begann auch die elf Millionen Euro teure Sanierung der Otto-Wagner-Kirche mit ihrer vergoldeten Kuppel, auf deren vermeintliche Zitronenform der Name Lemoniberg für das Areal zurückgeht. Die Kirche gilt als Meisterwerk des Jugendstils. Ihr Architekt, Otto Wagner, hätte dieser Zuschreibung allerdings wenig abgewinnen können. Er hatte sich schon um 1890 von allen historischen Stilen losgesagt und bezeichnete seinen eigenen Stil als „modern“, bis er schließlich auch das „modern“ als neuen Stilbegriff verdächtig fand und nur noch von der „Baukunst unserer Zeit“ sprechen wollte. Wagner war ein Rationalist, der auf die „peinlichste Erfüllung des Zwecks“ und die angemessene technische Ausführung größten Wert legte. Die Bezeichnung des Steinhof-Areals als „Jugendstil-Juwel“ führt daher auf eine falsche Fährte, vor allem, wenn man mit dem Begriff Jugendstil die Ornamentik eines Gustav Klimt assoziiert und in weiterer Folge Hundertwassersche Goldkringel. Der Blick auf die Anlage zu ihrer Entstehungszeit in einem Gemälde von Erwin Pendl aus dem Jahr 1907 zeigt eine „weiße Stadt, überragt von der goldenen Kuppel einer weißmarmornen Kirche“, wie es in einem zeitgenössischen Bericht heißt. Sie gliedert sich in das Sanatorium für die wohlhabenden Kranken im Wes181 ten, die Heil- und Pflegeanstalt im
Heil- und Pflegeanstalt Steinhof, Wien: Von der weißen Stadt mit goldener Kuppel … Foto: Gemälde von Erwin Pendl, 1907
Zentrum und einen Wirtschaftsbereich ganz im Osten, zu dem auch eine Prosektur mit Kapelle gehört, deren Achse direkt auf die Kuppel der Otto-Wagner-Kirche ausgerichtet ist. Sanatorium und Heilanstalt gliedern sich jeweils symmetrisch in eine Männer- und Frauenabteilung. Zentralgebäude wie Verwaltung und Gesellschaftshaus sind entlang der Symmetrieachsen aufgereiht. Der ursprüngliche Entwurf der Gesamtanlage stammt – so wie die Entwürfe der Pavillons – von Carlo von Boog, einem beamteten Architekten. Von Boog, ein Jahrzehnt jünger als Otto Wagner, hatte in Niederösterreich zahlreiche Verkehrsbauten und die Krankenanstalten in Gugging und in Mauer-Öhling bei Amstetten errichtet. Er war ein hervorragender Organisator und Techniker, der für seine Familie in der Nähe von Stift Göttweig die „Villa Betonia“ errichtete, ein Haus, in dem er die neuesten Stahlbetontechniken erprobte. Die Anlage von Mauer-Öhling, die bis heute als Krankenanstalt in Betrieb ist und vom Land Niederösterreich hervorragend saniert wurde, war mit ihren Pavillongruppen ein international vorbildliches Projekt. Kaiser Franz Joseph schrieb nach einem Besuch dort an Katharina Schratt: „Alles zum Besten der Narren. Es muß ein Hochgenuß sein, dort eingesperrt zu sein.“ Unmittelbar nach der Fertigstellung Mauer-Öhlings 1902 fiel der Beschluss für das Nachfolgeprojekt in Wien. Die Planung
wurde von Boog übertragen, Otto Wagner erhielt den Auftrag, ähnlich wie bei der Wiener Stadtbahn eine Art künstlerische Oberleitung zu übernehmen, vor allem für die Gestaltung der Kirche. Wagner legte allerdings einen Gesamtplan vor, der jenen Carlo von Boogs deutlich modifizierte. Er behielt zwar die Hauptachsen und die Anzahl der Pavillons bei, veränderte aber deren Position. Von Boog hatte die Pavillons dem Geländeverlauf folgend platziert, nicht so sehr mit pittoresken Absichten, sondern um Erdbewegungen im steilen Gelände zu sparen. Wagner begradigte dagegen den Raster und legte ein streng orthogonales Achssystem fest, ähnlich dem Stadtplan, den er als Musterplanung für eine „unbegrenzte Großstadt“ publiziert hatte. Im Unterschied zum ursprünglichen Plan von Boogs sah Wagner auch zwei dicht bepflanzte Grünstreifen vor, die in der Darstellung aus dem Jahr 1907 deutlich erkennbar sind: Sie grenzen die Heil- und Pflegeanstalt vom Sanatorium einerseits und vom Wirtschaftsbereich und der Prosektur andererseits ab. Dass diese Streifen als Erweiterungsflächen für zusätzliche Pavillons gedacht waren, ist auszuschließen. Dafür stand genug Land hinter der Kirche zur Verfügung – die Steinhofgründe, die auf dem Bild als weitläufiges Areal innerhalb der Anstaltsmauer zu erkennen sind. Sie waren als Reservefläche für eine Erweiterung des Krankenhauses auf die doppelte 182 Größe vorgesehen.
… zur Villa Kunterbunt: VAMED-Rehabzentrum, derzeit in Bau. Foto: Ernst Kopper
Der Versuch der Stadt Wien, dieses Potenzial für knapp 900 Gemeindewohnungen zu nutzen, führte 1981 zu einer Bürgerinitiative und Volksbefragung, die das Projekt zu Fall brachten. Ein neuer Bebauungsplan gliederte das Areal ins grüne Allerheiligste ein, den Wald- und Wiesengürtel. Für das bereits mit Pavillons bebaute Gebiet bestand aber weiterhin eine flächendeckende Bebaubarkeit in Bauklasse III, also bis zu 16 Meter Traufhöhe. Ein neuer Bebauungsplan 2006 reduzierte die Bebaubarkeit zwischen den Pavillons drastisch auf fünf Prozent, um nur noch kleine Zubauten für den Spitalsbetrieb zu erlauben, und beschränkte die Bauklasse III auf ein kleines Stück im Südwesten und auf das Wirtschaftsareal im Osten. Dieses Areal wurde vom KAV um neun Millionen Euro verkauft. Es ging großteils an den Wohnbauträger Gesiba, der hier nach einem Leitkonzept von Albert Wimmer 570 Wohneinheiten plant. Ein kleiner Teil wurde an die Vamed verkauft, die hier ein Rehab-Zentrum errichtet. In jeder zivilisierten Stadt wäre ein Projekt an diesem Ort einem Gestaltungsbeirat vorgelegt worden, der dann wohl aufgeschrien hätte. Nicht in Wien. Hier stürzt man sich kopfüber ins Schlamassel. Die Gesiba als gemeindenaher Betrieb wird vom Bürgermeister erst zurückgepfiffen, als die „Kronen Zeitung“ sich einschaltet. Das
VAMED-Projekt, das jeder Beschreibung spottet, ist inzwischen in Bau. Die Bürgerinitiativen, die sich hier engagieren, haben Applaus verdient – auch den der Fachwelt, die weitgehend geschlafen hat. Seit letztem Herbst versucht eine von der Stadt eingesetzte Kommission unter dem Vorsitz des Architekten Adolf Krischanitz das
Schlamassel zu entwirren und aus der Logik des Bestandes heraus eine Zukunft für den Ostteil des Areals zu skizzieren. Im April wird sie Ergebnisse vorstellen. Das kann nur der erste Schritt sein. Wenn 1907 vier Jahre gereicht haben, die komplette Anlage zu bauen, sollte eine auch ökonomisch tragfähige Umnutzung bis zum Jahr 2020 gelingen.
Ikonen am Berghang 5. Januar 2013
Konkurrenz für Bayreuth: Einer „Verrücktheit“ verdankt sich die Entstehung des neuen Festspielhauses in Erl. Über das Zusammentreffen von Rauheit und Perfektion in der Tiroler Landschaft.
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das Haus wie einen großen Lautsprecher uffällig war dieser Punkt erscheinen lassen, aus dem etwas in die in der Landschaft schon Landschaft verkündet wird. immer, als hätte jemand Ende der 1990er-Jahre entdeckte der Mumit einem Stift eine aufsiker und Dirigent Gustav Kuhn dieses Passteigende Kurve in den Hang gezeichnet und dann sionsspielhaus für sich und gründete hier die Tiroler Festspiele Erl, die seit 1997 jedes Jahr mit Deckweiß nachgearbeitet. Die meisten hielten das Gebäude aus im Sommer stattfinden, mit Ausnahme der der Ferne für eine Kirche, und das war nicht Jahre, in denen das Haus für Passionsspiele belegt ist. Unter Kuhns Leitung entwickelganz falsch: Hier hatten 1959 die alle sechs ten sich die Festspiele zu einem international Jahre stattfindenden Erler Passionsspiele beachteten Ereignis mit einem Schwerpunkt ein festes Haus für 1500 Zuschauer bekommen. Der Entwurf stammte vom Architekten auf der Musik Richard Wagners, das begann, Bayreuth Konkurrenz zu machen. Robert Schuller, der damit eine Ikone der Das Passionsspielhaus ist für den OpernTiroler Nachkriegsarchitektur schuf, eine betrieb eine Herausforderung. Für die einprägsame Figur mit wenigen Elementen: eine gekrümmte, weiß verputzte Wand, Osterzeit ausgelegt, fehlt ihm die Wärmedämmung, wodurch es im Sommer oft heiß die vor dem Hang zu schweben scheint und Zuschauerraum und Bühnenturm miteinan- und im Winter unbenutzbar ist. Da es keinen Orchestergraben gibt, spielen die Muder verbindet; darunter ein konzentrischer siker an der Rückwand der Bühne, was in Ring rauer Sichtbetonscheiben, zwischen Verbindung mit dem breit gelagerten Zudenen die Besucher das Haus betreten; und schauerraum allerdings eine außergewöhnschließlich eine Menge kleiner, in liche Nähe zwischen Sängern und Publikum die Wand des Bühnenturms getupf183 ter quadratischer Öffnungen, die erlaubt. Die raue, einfache Gestaltung des
Stradivari aus Stahl, Beton und Glas … Foto: privat
Raums mit offenem Holzdachstuhl, einem Bühnenportal aus Sichtbeton mit eingelassener Orgel und die Bestuhlung mit Sperrholzsesseln ergeben eine besondere Atmosphäre, die in keinem anderen Opernhaus der Welt zu finden ist. Man könnte das alte Passionsspielhaus als Musikinstrument mit einer Guarneri vergleichen, deren einzigartiger Klang im Gegensatz zu den Violinen des anderen großen Geigenbauers aus Cremona, Guiseppe Stradivari, angeblich nicht absoluter Perfektion zu verdanken ist, sondern einer genialen, nicht immer regelmäßigen Bearbeitung der Innenflächen des Resonanzkörpers. Rauheit gegen Perfektion: So könnte auch die aktuelle architektonische Entwicklung um das Festspielhaus charakterisiert werden. Auf den Erfolg der Festspiele folgte bald der Ruf nach einer Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Das alte Haus aufzurüsten hätte dessen Charakter zerstört und bestenfalls durchschnittliche Bedingungen geschaffen. Die Erweiterung um eine komplett neue Spielstätte ist das Ergebnis einer „Verrücktheit“, die den in Wörgl geborenen Industriellen Peter Haselsteiner nach seinem ersten Besuch der Festspiele 2004 erfasste. Er erkannte in Gustav Kuhn einen Seelenverwandten: Bayreuth zu übertreffen ist in der kulturellen Arena vergleichbar mit Haselsteiners eigener Ambition, sein Unternehmen zum größten Baukonzern Europas zu machen. Mit der Zu184 sage einer Finanzierung des Projekts
mit Nettobaukosten von 13 Millionen Euro konnte 2007 ein Wettbewerb ausgeschrieben werden, an dem einige der besten österreichischen und internationalen Architekten teilnahmen, unter anderem Zaha Hadid, Dietmar Feichtinger und Marte.Marte. Am Ende betrugen die Gesamtkosten 36 Millionen, von denen 20 von Haselsteiner stammen. Das Siegerprojekt von DMAA (Delugan Meissl Associated Architects) war das einzige, das die Idee des alten Passionsspielhauses weiterdachte und neben die Ikone des Jahres 1959 eine Ikone des Jahres 2007 setzte, ebenfalls mit wenigen klaren Linien in die Landschaft gezeichnet. Formal greifen DMAA auf ein Repertoire zurück, das sie ähnlich bereits beim Porsche Museum in
… mit holzvertäfeltem Innenleben. Fotos: Brigida Gonzalez
Schnitt: DMAA
Stuttgart und beim Filmmuseum in Amster- für das Victoria & Albert Museum in Dundam benutzt haben. Das Muster passt hier dee sind sie 2010 in der zweiten Runde eines freilich perfekt, und wer dem spitzen DachWettbewerbs an Kengo Kuma gescheitert, winkel Formalismus vorwerfen möchte, der unter der Ansage des „Anti-Objects“ ermüsste das auch beim Schwung des alten folgreich einen eigenen, diffuseren ForPassionshauses tun. In beiden Fällen liegt malismus propagiert. Ob die Zukunft der der Unterschied zwischen formalistischer Architektur in immer höherer Perfektion Kulisse und Architektur in der Bewältigung liegt oder in der Fähigkeit, Störungen aufzudes Übergangs zwischen außen und innen, nehmen und dabei über sich hinauszuwachund da bewähren sich die beiden Spielstätsen? Stradivari oder Guarneri: Man darf ten in Erl auf ihre jeweils eigene Art. Das gespannt sein, wie DMAA sich in dieser großzügige Foyer des Neubaus verbindet Hinsicht entwickeln werden. mit seinem leicht geneigten Boden zwei Zugangsniveaus und bietet präzise gefasste Ausblicke in die Umgebung, sowohl von der Eingangsebene als auch von einem Außenbalkon auf dem Niveau der Galerie. Der Saal, der mit seiner gefalteten Holzvertäfelung die Motive des Baukörpers weiterführt, ist flexibel. So gibt es etwa kein fixes Bühnenportal, wodurch er sich für Konzerte in einen allseits holzvertäfelten Raum verwandeln lässt. Die Sichtbedingungen sind optimal, und die Akustik, für die Karl-Bernd Quiring verantwortlich zeichnet, ist in den ersten Kritiken als hervorragend eingestuft worden. Das Haus für Mozart, das man sich für Salzburg immer gewünscht hat, steht jetzt in Erl. Für DMAA ist das Projekt ein weiterer Schritt in der Entwicklung einer Formensprache, die sie inzwischen mit höchster Virtuosität bis ins Detail beherrschen. Mit einem ähnlichen, noch stärker 185 ins Skulpturale gesteigerten Entwurf
2012
Gegen die Wand 7. Dezember 2012
Ein schöner Saal, keine Frage. Aber wieso sieht das neue Musiktheater der Wiener Sängerknaben von außen aus wie ein Schiffsunglück?
M
an muss den Sängerknaben gratulieren. Ihr Traum ist wahr geworden: Am 9. Dezember eröffnen sie ein eigenes Musiktheater im Augarten, nur ein paar Gehminuten von ihrem Stammsitz, dem gleichnamigen Schloss, entfernt. Das neue Haus heißt „MuTh“, was für Musik und Theater steht, aber auch für „Mut zum Neuen“, den man bisher kaum mit den Sängerknaben verbunden hat. Das ist kein Zufall. Die Sängerknaben haben sich in den letzten Jahren entwickelt, im Schulangebot und auch musikalisch. Das neue Haus, das vor allem junge Menschen für Musik begeistern soll, ist ein Botschafter für diese Modernisierung. Wer den Aufführungssaal betritt, findet eine Atmosphäre vor, die mit dem klassischen, irgendwo zwischen Mozartkugeln und Lipizzanern angesiedelten Image der Sängerknaben denkbar wenig zu tun hat. Der gut proportionierte, sehr intim wirkende Zuschauerraum fasst knapp über 400 Besucher. Er ist asymmetrisch aufgebaut, mit einem breit gelagerten Parterre und einer Galerie, die ein wenig an den Konzertsaal der Berliner Philharmonie von Hans Scharoun erinnert. Herzstück des Saals ist eine zwölf mal neun Meter große Bühne mit versenkbarem Orchestergraben, die den Raum sowohl für Konzerte als auch für Musiktheater und Theateraufführungen verwendbar macht. Eine Täfelung aus kräftig gemasertem Nussholz zieht sich über die gefaltete Oberfläche von Wänden und Decken und vermittelt das Gefühl, im Bauch eines 187 geheimnisvollen Musikinstruments
zu sitzen. Tatsächlich haben Material und Faltungen ihre Gründe nicht nur in der architektonischen Idee eines dynamischen Raums, dem die Holzmaserung noch zusätzlich Tempo macht, sondern auch in akustischen Überlegungen. Im vorderen Teil der Decke verschwindet die Technik hinter einem Streckmetallgewebe aus goldgelb eloxiertem Aluminium, das den oberen Raumabschluss leicht und fast durchlässig wirken lässt. Seine akustische Bewährungsprobe hat der Raum in den ersten Tests zur vollen Zufriedenheit bestanden. Ein guter Saal, keine Frage. Auch die Erschließungsräume, die ihn umgeben, sind hell und großzügig, und die Verbindungstreppen zur Galerie bieten attraktive Durchblicke und Ausblicke aus dem Gebäude. Vom äußeren Erscheinungsbild des Hauses war bisher nicht die Rede. Mit gutem Grund. Denn so gelungen das Innere des MuTh in vielen Bereichen ist, sein Äußeres stürzt den Betrachter, der sich ihm von der U-Bahnstation Taborstraße nähert, in größte Verwirrung. Ist hier ein U-Boot von einem Tsunami angeschwemmt und von innen so fest gegen die Mauer des Augartens gedrückt worden, dass seine Stahlnähte aufgeplatzt sind? Oder hat sich der Boden unter einer Lagerhalle gesenkt, die dadurch schräg gegen das barocke Häuschen gefallen ist, das die Ecke des Augartens an dieser Stelle markiert? Um zu verstehen, welche Kräfte hier am Werk waren, muss man weit in die Geschichte des Projekts zurückgehen. Im Jahr 2000 wird der Augarten unter
Ins Eck gequetscht: Das MuTh am Augartenspitz.
Denkmalschutz gestellt. 2002 beschließt der Wiener Gemeinderat, für die Südostecke des Augartens anstelle der bestehenden Flächenwidmung, die einen viergeschoßigen Schulbau erlaubt hätte, eine Bebauung auf 30% der Fläche mit niedriger Bauhöhe zuzulassen. Das ist vom historischen Bestand her durchaus legitim, befanden sich hier doch bis in die 1970er-Jahre die ehemaligen Gesindehöfe des Palais. Als voraussichtlicher Nutzer sieht sich das in den erhaltenen, straßenseitigen Gesindetrakten untergebrachte Filmarchiv Austria. Ungefähr gleichzeitig melden die Sängerknaben Bedarf für eine neue Spielstätte an. Ab 2004 haben sie dafür auch einen Mäzen, die Pühringer Privatstiftung POK. Ein erster Entwurf für einen unterirdischen Saal vor dem Palais erweist sich als zu teuer. 2005 beauftragt die POK die Architekten Johannes Kraus und Michael Lawugger (archipel) mit dem Konzept eines Kulturforums auf einem ungenutzten Areal annähernd auf der Achse des Palais. Das Projekt, eine Art Landschaftsrelief, das an bestehende Erdwälle anschließt, soll als kulturelle Infrastruktur mit großzügigem Vorbereich gemeinsam von den Sängerknaben und dem Filmarchiv genutzt werden. Im Februar 2006 diskutieren die beteiligten Institutionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwei von archipel ausgearbeitete Alternativen: eine Weiterentwicklung des Kulturforums im Park und eine Variante am Augartenspitz, die den Saal in einen schmalen Streifen an der Parkmauer zwängt. Das Denkmalamt lehnt kategorisch 188 jeden Neubau in der Tiefe des Parks
Foto: Rupert Steiner
ab. Dafür wird den Sängerknaben explizit zugesagt, am Augartenspitz ein Gesindehaus und die Mauer durch den Neubau ersetzen zu dürfen. Als die Pläne der Öffentlichkeit vorgestellt werden, melden sich Bürgerinitiativen zu Wort, die unter dem Slogan „Der Augarten darf kein Baugarten werden“ alle Pläne verhindern wollen. Zu einem ersten Erfolg verhilft ihnen das Denkmalamt, das seine Zusage für das Schleifen von Gesindehaus und Mauer zurückzieht. Die Bürgerinitiative hofft, das Projekt damit buchstäblich an die Wand gefahren zu haben. Doch archipel planen weiter. Das Barockhaus wird integriert, der Neubau hinter der Mauer versteckt. Der großzügige Eingang geht verloren, die Besucher müssen nun seitlich die Augartenmauer entlang, dann rechts durch ein Tor und betreten das MuTh durch einen Nebeneingang. Die von Anfang an problematischen Aspekte des Bauplatzes – zu niedrige Bauhöhe und fehlendes Vorfeld – machen sich noch deutlicher bemerkbar. Die Bauskulptur bäumt sich verzweifelt hinter der Mauer auf, und für die Fassade zum Augarten und die Integration des Gesindehauses bleibt den Architekten nur noch die Option „Augen zu und durch“. Architekturkritik greift hier zu kurz. Die Schwächen dieses Hauses sind Schwächen einer Kultur, die sich zwanghaft ans Alte klammert und das Neue nur als notwendiges Übel akzeptieren kann. Dass es anders geht, haben etwa Next Enterprise mit ihrem
Wolkenturm in Grafenegg bewiesen, der zur musikalischen Attraktion ersten Ranges geworden ist. Dort war es allerdings auch Teil der Wettbewerbsaufgabe für die Architekten, den besten Standort im Park zu finden. Dem MuTh und seinem schönen Saal wünsche ich viel Erfolg. Aber ein echtes „Happy End“ dieser Geschichte hätte anders
ausgesehen: ein Kulturforum im Park mit einem gestalteten grünen Vorfeld für Feste und Filmvorführungen, ein Kinderspielplatz am Augartenspitz und dazwischen ein öffentlicher Durchgang in den Park, den es – nicht zuletzt durch den Widerstand der Sängerknaben, ihren Park zu öffnen – nach wie vor an dieser Stelle nicht gibt.
24. November 2012
Stadthaus mit Buckeln Eingepasst zwischen Biedermeier und Gründerzeit: Das neue „Theoriegebäude“ der Universität Wien ist ein Lernund Begegnungsort für Wissenschaftler und Studierende.
E
s knirscht wieder vernehmlich im Gebälk des österreichischen Universitätssystems. Gerade werden die Budgets für die nächsten drei Jahre verhandelt, und trotz aller politischen Beteuerungen, wie wichtig Bildung und Wissenschaft für unsere Zukunft sind, bleiben die Universitäten demselben Spardruck ausgesetzt wie andere öffentliche Institutionen. Die Kluft zwischen der steigenden Zahl an Studierenden und den beschränkten Ressourcen wird dadurch immer dramatischer. Den Universitäten fehlt es an Personal und Raum, wobei veränderte Anforderungen für zusätzlichen Druck sorgen. Neben den Räumen für Forschung und Lehre werden zunehmend auch Räume fürs Lernen benötigt, nicht im Sinne von Studierzimmern, sondern als Lern- und Begegnungsorte, an denen Wissen erarbeitet und in Teams ausgetauscht werden kann. Das neue „Theoriegebäude“ der Universität Wien in der Währinger Straße ist ein Hybridgebäude, das alle diese Funktionen in einer hohen Dichte zur Verfügung stellt. Es geht auf einen Wettbewerb aus dem Jahr 1999 zurück, den die Architekten- Betonte Mitte, lebendige Fassade: Wie man maximale Nutzfläche erzielt, ohne die Nachbarn zu erdrücken. gruppe NMPB für sich entscheiden konnte. Sascha Bradic, der für das B im Büronamen steht, hat das Projekt auf der Basis der davermeiden und eine flexibel nutzbare Strukmals festgelegten Bebauungsbestimmungen tur schaffen wollte. Das Raumkonzept sieht ab 2005 weiterentwickelt. Der Projektname im Untergeschoß einen Hörsaal und grö„Theoriegebäude“ deutet schon an, ßere Seminarräume vor, in den ersten drei dass man eine eindeutige Festlegung Geschoßen Bibliotheksräume und Arbeits189 für bestimmte Studienrichtungen räume für Studierende, darüber Büroräume
Treppenhaus: Gelenk mit Durchblick.
mit Kommunikationszonen. Besiedelt wurde das Haus mit Beginn des aktuellen Herbstsemesters von den Fakultäten für Informatik und Publizistik, stark nachgefragten Studien, von deren Unterbringung in einem gemeinsamen Haus man sich über den Bereich der Medientechnologie auch Synergien erwartet. Der Wunsch, in diesem Haus nicht nur unabhängige Nutzungen zu stapeln, sondern möglichst miteinander zu vernetzen, hat viele Entwurfsentscheidungen beeinflusst. Schon beim Betreten der Eingangshalle fächert sich der Blick in die Tiefe des Gebäudes auf, linker Hand zur Bibliothek, rechts daneben zur breiten Treppe, die ins Untergeschoß zu den Seminarräumen und zum großen Hörsaal führt, und schließlich wieder hinaus in den Innenhof, der öffentlich durchgängig bleibt und eine Verbindung zu den Fakultätsgebäuden des Alten AKH bietet. Die Verglasungen im Erdgeschoß und im ersten Stock lassen den Raum äußerst großzügig wirken, obwohl hier jeder Quadratmeter intensiv genutzt wird. Erweitert wird der Raum durch einen gläsernen Zubau, über den der Vorbereich zu den Seminarräumen im Untergeschoß belichtet wird. Das Gebäude wurde unter maximaler Ausnutzung der Bebauungsbestim190 mungen auf das Grundstück gesetzt.
Fotos: Hertha Hurnaus
Es füllt die Baulücke zur Währinger Straße mit einem bis zu achtgeschoßigen Trakt aus, ein zweiter Trakt in derselben Höhe schließt an der südlichen Grundgrenze L-förmig an. Durch seine Höhe unterliegt das Gebäude bereits den Bestimmungen für Hochhäuser, mit allen zusätzlichen Komplexitäten für den Brandschutz, die aus einem einfachen Stiegenhaus eine Hightech-Maschine mit speziellem Feuerwehraufzug machen. Trotzdem bekommt auch dieses Stiegenhaus nicht nur Licht über Fenster zum Nachbargrundstück, sondern ist auch nach innen zu den Kernzonen der Institutsräume hin verglast. Das Brandschutzglas, das hier verwendet wurde, ist teuer, aber gut investiert: Das Stiegenhaus wirkt hell und großzügig, und die Vorbeigehenden können einen Blick in die Kommunikationszonen ihrer Nachbarn werfen. Aus- und Einblicke bestimmen auch die Fassade des Gebäudes, die eine Lücke zwischen zwei Gründerzeitbauten ausfüllt, deren Straßenfluchten in einem leichten Winkel zueinander stehen. Die neue Fassade greift beide Fluchten auf, nimmt sich aber in der Mitte die Freiheit, mit den Ebenen zu spielen und sie in verschiedenen Geschoßen
schräg miteinander zu verschränken. Dieser Effekt macht die Fassade lebendig und einigermaßen verträglich zu den Nachbarn, die sie zwangsläufig an Höhe überragen muss. Mit kleinen Details – etwa einer gläsernen seitlichen Verkleidung über dem vierten Obergeschoß – wird den Baumassen Gewicht weggenommen, mit dem sie visuell das viergeschoßige Nachbargebäude erdrücken würden. Annähernd im Zentrum der Fassade zeigt eine über zwei Geschoße reichende Verglasung, dass es sich hier nicht um ein normales Bürogebäude handelt. Dahinter liegt eine Arbeits- und Aufenthaltszone für Studierende mit einem aufs absolute Minimum reduzierten, aber trotzdem effektvollen Luftraum, der zumindest einmal auch in den Bürogeschoßen eine höhere Vertikalspannung erzeugt. Effektvoll ist außerdem die Oberfläche der geschlossenen Fassadenelemente. Es handelt sich um Fertigteile aus Sichtbeton mit einer speziell gestalteten, leicht buckeligen und sehr glatten Oberfläche, die je nach Licht ganz unterschiedlich zur Wirkung kommt: eine dezente graue Haut, die plötzlich lebendig wird, sobald direktes Sonnenlicht auf sie fällt. Ein halbes Jahr haben die Architekten an diesem Element gearbeitet und mit Materialien experimentiert, unter anderem mit einem neuartigen Leichtbeton, der ohne zusätzliche Wärmedämmung auskommt. Am Ende kam
doch ein konventioneller Beton zum Einsatz, mit einer harten, wie poliert wirkenden Oberfläche. Hinter der Oberfläche verbergen sich bei diesem Projekt zahlreiche Komplexitäten der Fundierung und Statik, die vom Tragwerksplaner Robert Schedler von FCP zu lösen waren. Es ist umso bemerkenswerter, dass das Gebäude im geplanten Kosten- und Zeitrahmen errichtet wurde. Das Zusammenspiel von Bundesimmobiliengesellschaft als Bauherr, den universitären Nutzern und den Architekten und Fachplanern hat hier offensichtlich gut funktioniert. Wer von den Universitäten Innovation einfordert, muss ihnen auch Raum und Personal geben. Dass sich die Politik im Moment vorsichtig der Tatsache zu stellen beginnt, dass das Missverhältnis zwischen Ressourcen und Studierenden in vielen Studienrichtungen untragbar ist, darf als positives Zeichen gewertet werden. Mit einem Plan in Richtung Studienplatzfinanzierung und der Ankündigung, in stark nachgefragten Studien wie Wirtschaftswissenschaften und Architektur sofort knapp 100 neue Professuren zu schaffen, sind zumindest erste Schritte gesetzt. Es bleibt zu hoffen, dass die Geldgeber in den Ministerien die Finanzkrise nicht zum Anlass nehmen, billige Lösungen einzufordern, wo kreative, nachhaltige und damit letztlich preiswerte gefragt sind.
27. Oktober 2012
Wenn der Sachzwang baut Zwei Jahrzehnte wurde um dieses Projekt gestritten, 490 Millionen Euro wurden investiert. Im November steht die Eröffnung an. Hat sich der Aufwand gelohnt? Wien-Mitte, ein Lokalaugenschein.
V
or 150 Jahren war hier der „Bauch von Wien“: Nach dem Vorbild der Pariser Markthallen errichtete die Stadt 1864 an der Landstraßer Hauptstraße eine Großmarkthalle,
die später um eine Fleisch- und eine Viktualienhalle ergänzt wurde. Sie bildeten ein Ensemble beiderseits einer Brücke, die über die damals noch offenen Gleisanlagen und den Wienfluss Richtung Stadtzentrum führte.
Von diesem Ensemble ist längst nichts mehr übrig. 1957 wurde hier das erste Shoppingcenter Wiens eröffnet, das „Ausstellungs- und Einkaufszentrum“ (AEZ), mit der längsten Rolltreppe Österreichs und einem Autolift, der bis auf die Dachterrasse führte. Als Pendant entstand gegenüber das wegen seiner blauen Parapetbänder so genannte „Blaue Haus“, ein Bürogebäude mit den Abgängen zu U- und Schnellbahn. 1979 wurde die letzte verbliebene Markthalle abgerissen, und an ihrer Stelle entstand ein düsteres Markt- und Garagengebäude, das den schon seit Jahren spürbaren Niedergang des Areals besiegelte. 1985 entwickelten Roland Rainer und Hermann Knoflacher im Auftrag der Stadt einen Plan für die Sanierung des Areals, der eine Blockrandbebauung mit 94 000 Quadratmeter Bruttogeschoßfläche vorsah. Damit war für die ÖBB als Eigentümer ein erstes Maß für die Verwertbarkeit des Areals vorgegeben. Wie alle Europäischen Bahnen träumten auch die ÖBB seit Ende der 1980er-Jahre davon, ihre wertvollen zentrumsnahen Grundstücke zu Geld zu machen. 1990 wurden diese Hoffnungen in einem ersten Wettbewerb für das Areal konkretisiert, den die Architekten Laurids und Manfred Ortner für sich entschei192 den konnten: Aus den ursprünglich
94 000 Quadratmetern wurden 110 000, verteilt auf mehrere schlanke Türme, die sich in der Höhe am benachbarten Hotel Hilton mit 65 Metern orientierten. Obwohl 1993 ein entsprechender Bebauungsplan im Gemeinderat beschlossen wurde und mit der B.A.I. ein Investor gefunden war, kam es zu keiner Realisierung. Die Absage der Weltausstellung Expo 95 hatte zu einem Sinken der Büromieten in Wien geführt, die das Projekt wirtschaftlich zu riskant erscheinen ließen. 1998 legten die Projektentwickler einen neuen Plan vor, in dem die Nutzfläche nochmals auf 136 000 Quadratmeter und die Türme auf bis zu 120 Meter gewachsen waren. Trotz massiver Proteste von Bürgerinitiativen wurde im Mai 2000 im Gemeinderat ein Bebauungsplan beschlossen, der den Investoren ein Projekt mit einem 42 Meter hohen Sockel und vier Türmen zusicherte, drei davon 87 und einer 97 Meter hoch. Auch das Planungsteam änderte sich: Zu Ortner und Ortner kamen die Büros Neumann und Steiner sowie Lintl und Lintl. Gestoppt wurde das Projekt nicht von der Bürgerinitiative, der sich inzwischen auch Altbürgermeister Helmut Zilk angeschlossen hatte, nicht von namhaften Architekten, die weniger gegen die Höhe an sich als gegen die miserable Qualität des Projekts
protestierten, und auch nicht von der Tatsache, dass die UNESCO 2001 die Innere Stadt zum Weltkulturerbe erklärte. Das waren für die Investoren nur Vorwände, sich von einem riskanten Projekt mit niedriger Rendite zu verabschieden. Das beste Indiz dafür ist, dass der 87 Meter hohe Turm des Justizzentrums an der Marxergasse, jener Teil des Projekts, der baurechtlich und technisch die geringsten Probleme aufwarf und einen zahlungskräftigen Mieter in Aussicht hatte, 2003 ohne Skrupel realisiert wurde. Für den Rest des Areals hieß es aber 20 Jahre nach den ersten Planungen wieder zurück an den Start. Die B.A.I. wurde mit sanftem Druck der Stadt wieder ins Boot geholt und sollte mit ihrem neuen Geschäftsführer, Thomas Jakoubek, der sich unter anderem mit der Entwicklung des T-Center in St. Marx einen Namen gemacht hatte, den „Sauhaufen“ (Bürgermeister Michael Häupl) in Ordnung bringen. 2003 kam es zu einem städtebaulichen Wettbewerb, den die Architekten Henke und Schreieck für sich entscheiden konnten. Das Projekt überzeugte durch eine U-förmige Blockrandbebauung, im Erdgeschoß durchlässig und mit mehrgeschoßigen Stadtfoyers zur Umgebung geöffnet, ergänzt durch eine dichte Bebauung im Inne193 ren, die sich Richtung Justizzentrum
Mächtige Aufblähung: Bahnhof Wien-Mitte vor und nach der Neugestaltung. Fotos: Bwag/Wikimedia
in die Höhe schraubt und an der Marxergasse eine Art Skyline ausbildet. Dass dieses Projekt nicht 1:1 realisiert werden konnte, war jedoch von Anfang an klar: Es hatte von allen Einreichungen die geringste Nutzfläche und lag 20 000 Quadratmeter unter der Vorgabe. Ohne Henke und Schreieck – die ja nur den städtebaulichen Wettbewerb gewonnen hatten – weiter einzubeziehen, knetete das Team um die Ortners und Heinz Neumann so lange am Projekt, bis die 120 000 Quadratmeter wieder erreicht waren. Der dafür sinnvollste Weg, den Turm Richtung Justizzentrum um ein paar Geschoße zu erhöhen, war leider versperrt: Der Kotau der Stadt Wien gegenüber den Welterbe-Fundamentalisten, die Qualität in Höhenmetern messen, war schon damals vollkommen. Verloren haben die öffentlichen Flächen und Durchgänge im Erdgeschoß, die zugunsten der Shoppingmall auf ein Minimum reduziert wurden, und die Proportion der Blockrandbebauung, die höher ausfiel als ursprünglich vorgesehen. Trotzdem ist Wien-Mitte deutlich besser als das, was ein Projekt nach den Plänen des Jahres 2000 der Stadt beschert hätte. Der architektonisch interessanteste Bereich, die
Staffelung der Baumassen im Innenhof, ist für die breitere Öffentlichkeit kaum sichtbar, da anstelle des von Henke und Schreieck vorgesehenen Glasdachs nur ein ovaler Deckendurchbruch ausgeführt wurde. Die Obsession der Planer fürs Ovale macht sich auch in der Fassade zur Gigergasse mit ihren großen, unmotivierten Bullaugen bemerkbar. Zur Landstraße hin bemühen sich hinterleuchtete Stützen aus Mattglas und eine von der Künstlerin Esther Stocker gestaltete schräge Decke aus Sichtbeton, einen Hauch von Las Vegas zu verbreiten, und in der Mall wird die Besucher eine 7,5 Meter hohe, schwebende Aluminiumskulptur von Louise Bourgeois empfangen. Diese Kunstwerke runden das Bild ab, das Wien-Mitte heute bietet: ein Monstrum – im ursprünglichen Wortsinn eines Mahnzeichens –, dem die über Jahrzehnte angehäuften Sachzwänge in allen Gliedern stecken. Ins 19. Jahrhundert, in die kleinteiligen Viktualien- und Fleischmärkte, führt kein Weg zurück. Wir müssen uns Frankenstein als einen glücklichen Menschen vorstellen.
Innenhof des Neubaus: Wer hat hier entworfen? Henke Schreieck? Ortner & Ortner? Oder doch der Sachzwang? Foto: Anna Blau
29. September 2012
Die breite Spitze der Baukunst Sichtbeton, rostroter Stahl und Kalkstein aus Istrien: Hubmann und Vass gestalteten den neuen Zugang zum Schloss Rivoli in Turin. Was macht dieses Projekt zu einem von Europas besten Bauten?
B
ergsteiger wissen, dass die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten nur selten die gerade Linie ist. Sobald man sich nicht im abstrakten Raum, sondern in der wirklichen Welt von A nach B bewegt, wird der Begriff „kurz“ vieldeutig und bezeichnet nicht nur eine gemessene Länge, sondern auch die Anstrengung einer durchschrittenen Zeit und das mehr oder weniger „kurzweilige“ Erlebnis einer 194 zurückgelegten Wegstrecke.
Das Schloss Rivoli in Turin, ein Palazzo aus dem 18. Jahrhundert, liegt auf einem Hügel, der ursprünglich als monumentale Terrassenanlage geplant war. Nach der Einstellung des Baus blieb davon nur ein Schüttkegel, über den eine schmale Straße in Serpentinen nach oben führte. Der Hauptzugang zum Schloss, das heute als Museum für zeitgenössische Kunst genutzt wird, lag bisher seitlich, abgewandt vom Zentrum der Stadt Turin, von wo aus die Alleestraße des Corso Francia kilometerlang auf das von Weitem sichtbare Schloss zuläuft.
Nominiert für den Mies-van-der-Rohe-Preis: die Neugestaltung des Zugangs zu Schloss Rivoli in Turin.
Foto: Hubmann & Vass
Foto: Werner Feiersinger
2002 schrieb die Stadt einen Wettbewerb für die Neugestaltung des Zugangs aus, der die Schlossterrasse mit dem Straßengewirr am Fuß des Hügels und mit einer in Zukunft hier mündenden U-Bahn-Station verbinden sollte. Erich Hubmann und Andreas Vass, die bereits den Vorbereich zur Alhambra im spanischen Granada gestaltet hatten, konnten den Wettbewerb mit einem Projekt für sich entscheiden, das den Berg gewissermaßen mit dem Seziermesser aufschneidet und ihm ein System von Rolltreppen, Rampen und Überdachungen implantiert, das die Besucher von Ausblick zu Ausblick und schließlich auf die Schlossterrasse führt. Die Konsequenz, mit der dieser Grundgedanke umgesetzt wurde, ist eine Meisterleistung. Der Steilhang wurde mit Spannankern gesichert, die Bergflanke unterfangen, mit Auskragungen, die bis zu fünf Meter betragen. Der Weg führt über unterschiedliche Bodenbeläge: Kalkstein, buckelige Kieselflächen, Asphalt. Die Überdachungen sind in Cortenstahl ausgeführt, Stützmauern in unterschiedlich eingefärbtem Beton und Naturstein. Aus der banalen Aufgabe, einen Weg zwischen zwei Punkten herzustellen, ist hier ein architektonisch durchgestalteter Raum geworden, der in den Hügel hineinführt und streckenweise unter der Serpentinenstraße durchtaucht. Der Weg ist eine Erweiterung des Museums, das nun nicht erst oben auf dem Berg beginnt, sondern schon unten in der Stadt. Dass jedes Element beinahe Innenraumqualität hat, ist aus dieser Perspektive betrachtet keine Verschwendung, sondern konsequent. Der neue Zugang zum Schloss 195 Rivoli ist – gemeinsam mit dem
Museumseinbau in Stift Altenburg von Jabornegg & Pálffy – eines von zwei Projekten österreichischer Architekten, das aus insgesamt 343 nominierten in die engere Wahl für den aktuellen Mies-van-der-RohePreis aufgenommen wurde. Der Auswahlprozess für diese wichtigste, mit 80 000 Euro dotierte europäische Auszeichnung für Architektur ist so komplex wie die EU selbst: Architektenkammern, Architekturzentren und -museen haben ein Nominierungsrecht, sowohl direkt für Projekte als auch indirekt durch die Nennung weiterer Experten; Architekten aus allen Ländern der EU können für den Preis vorgeschlagen werden, auch mit Projekten außerhalb Europas; Norwegen, Island und Liechtenstein sind dabei, ebenso die Kandidatenländer aus Ex-Jugoslawien und die Türkei, die Schweiz nicht (was für einen europäischen Architekturpreis einen Schönheitsfehler darstellt). Eine Jury aus sieben Personen, zu der neben früheren Preisträgern auch Architekten und Kritiker gehören, die von außerhalb der EU kommen, nimmt aus den Einreichungen rund 40 Projekte in die engere Wahl und wählt daraus sieben Finalisten. Diese Projekte werden von der Jury besucht, und unter ihnen werden schließlich zwei Preise vergeben, ein Hauptpreis und einer für das beste junge Büro. Eine Ausstellung der Projekte der engeren Wahl reist danach durch Europa. In Wien ist sie noch bis 8.Oktober im Architekturzentrum in Wien zu sehen. Der Preis, der seit 1988 alle zwei Jahre vergeben wird, ist ein Gradmesser für den Stand der architektonischen Kultur Europas. Er ist nicht objektiv, sondern das Ergebnis eines weit gespannten Diskurses
über das, was architektonische Qualität ausmacht: Die Homepage www.miesarch.com gibt einen faszinierenden Überblick über die Geschichte der neueren europäischen Architektur im Spiegel dieses Diskurses. Dass heuer mit David Chipperfields Neuem Museum in Berlin und dem Collage-Haus von Boch und Capdeferro in Girona zwei Projekte die Hauptpreise erhielten, die vom Bestand leben – einmal im großen Maßstab eines Museums und einmal im kleinen eines Wohnhauses –, ist bezeichnend. Hier schiebt sich derzeit eine Idee des vorsichtigen Weiterbauens in den Vordergrund, die sich bei genauerer Betrachtung als zumindest problematische – weil in erster Linie ästhetische – Antwort auf die Forderung nach Nachhaltigkeit im Bauen erweist. Ist Chipperfield nun der beste Architekt Europas? Diese Frage geht an der Intention des Preises vorbei. Dessen Ziel ist es,
architektonische Projekte höchster Qualität auf eine Spitze hin auszurichten und damit die Qualitätsdiskussion anzuregen. Summiert man die Ergebnisse der nationalen und internationalen Architekturpreise, zeigt sich, wie breit diese Spitze in Wahrheit ist. Für die österreichische Szene liegt eine Dokumentation dazu nun schon in der dritten Ausgabe als Buch vor: der von Kulturministerin Claudia Schmied alle zwei Jahre in Auftrag gegebene Band „Best of Austria“. Hier sind so gut wie alle Ergebnisse österreichischer und die renommiertesten internationalen Preise berücksichtigt und in kurzen Projektdarstellungen auf 270 Seiten präsentiert. 430 Namen zählt die Liste der Architekten und Architektinnen. Dieses Buch gehört in jeden Haushalt, vor allem in die öffentlichen, die sich fragen müssen, warum trotz dieser breiten Spitze noch immer so viel Mist in diesem Land gebaut wird.
8. September 2012
Was hält uns zusammen? Die Architekturbiennale in Venedig nimmt sich diesmal die ganz großen Fragen vor. Und überhebt sich dabei gewaltig.
I
n den Sprachwissenschaften versteht man unter „Common Ground“ die gemeinsame Vorstellungswelt, die es Gesprächspartnern erst erlaubt, sich zu verständigen. David Chipperfield hat diesen Begriff aus zwei Gründen als Leitthema für die heuer von ihm kuratierte Architekturbiennale gewählt. Einerseits sei es ihm um den „Common Ground“ zwischen Architektur und Gesellschaft gegangen: Ist die Architektur als Profession hellhörig genug für das, was die Gesellschaft von ihr erwartet, und kann sie umgekehrt ihre Anliegen verständlich machen? Andererseits müsse sich die Architektur der Frage nach 196 ihrem eigenen „Common Ground“
stellen, nach der Summe an Erkenntnissen und Erfahrungen, die sie von anderen Professionen unterscheidet, die sich ebenfalls der Gestaltung der gebauten Umwelt widmen. Das sind wichtige Fragen, und man durfte gespannt sein, ob Kazuyo 264 → Sejimas fabelhafte Biennale von 2010 heuer eine angemessene Fortsetzung finden würde. Sejima hatte unter dem Leitthema „People Meet in Architecture“ eine sehr gelassene Ausstellung kuratiert, die faszinierende Rauminstallationen mit historischen Rückblicken und Beiträgen aus der Kunstszene verband und auch ihr eigenes Werk ohne falsche Bescheidenheit in Szene setzte. Auch damals ging es um einen
„Common Ground“, allerdings um jenen, zu dem Architektur wird, wenn sie Menschen hilft, sich in ihr zu begegnen. Wer David Chipperfields Architektur kennt, durfte eine systematischere, empirisch ausgerichtete Ausstellung erwarten, die an Chipperfields eigener Vorstellung eines architektonischen „Common Ground“ Maß nehmen würde: einem tiefen Verständnis der Architektur- und Kulturgeschichte, das nicht zur Kopie verleitet, sondern zum souveränen Umgang mit Referenzen fähig macht. Um dieses Konzept umzusetzen, hätte es freilich eine selektive Einladungspolitik und klare Vorgaben gebraucht, zu denen sich Chipperfield aber nicht durchringen wollte oder konnte. So begegnet man jetzt weitgehend den üblichen großen Namen und vielen Freunden aus Chipperfields Netzwerk, die in ihren Beiträgen recht beliebig über den „Common Ground“ spekulieren dürfen. So richtig Feuer haben dabei nicht einmal die Akteure gefangen, deren bekannt konservative Positionen hier einmal Gelegenheit gehabt hätten, sich in der ersten Reihe zu präsentieren. Hans Kollhoff zeigt Projekte von Studierenden, die über die Jahre seiner Lehrtätigkeit an der ETH Zürich entstanden sind, ein Gipsmuseum klassizistischer Langeweile, Vittorio Magnago Lampugnani den „Novartis Campus“ in Basel, als Privatstadt eines Pharmakonzerns ein zweifelhaftes Vorbild für einen harmonischen Städtebau. Gleich daneben finden sich Beiträge von Norman Foster, Zaha Hadid und 197 Herzog & de Meuron, was durchaus
Auflösung der Körper: Österreichischer Pavillon, Biennale Venedig. Foto: Günter Wett
interessant sein könnte, da sie ja für ganz andere Vorstellungen eines „Common Ground“ stehen: Foster für eine technoide Spätmoderne, die weiterhin an eine weltweit verständliche Sprache glaubt, Hadid für einen biotechnischen Determinismus, der sich inzwischen unter dem von Patrik Schumacher geprägten Begriff „Parametrismus“ als neuer globaler Stil zu verkaufen versucht, und Herzog & de Meuron als Kontextualisten, die nicht am Urgrund der Architektur interessiert sind, sondern in jeder Situation ein spezielles Potenzial entdecken und aktualisieren wollen. Stattdessen sieht man in allen drei Fällen entweder oberflächliche oder desinteressierte Präsentationen, die wenig zum Thema beitragen. In Fosters Installation füllen Projektionen von Architektennamen in kleiner, fast unleserlicher Schrift den Raum und scheinen wie Ameisen über das Publikum zu laufen, während großformatige Projektionen an den Wänden abwechselnd aufgeregte Menschenmassen im öffentlichen Raum und ruhige Architekturszenen zeigen. Hadid/Schumacher präsentieren schöne Modelle, Herzog & de Meuron ihre Elbphilharmonie in Hamburg als Pressespiegel ohne weiteren Kommentar. Dazwischen gibt es viel und auch manches Interessante zu sehen, in Summe bleibt der Besucher der von Chipperfield kuratierten Beiträge aber ratlos zurück. Erinnern wird man sich an Thomas Demands
großformatige Fotos von Modellen des Architekten John Lautner, winzige Details in praller Materialität, daneben gespensterhafte Originalfotos von Modellen aus den russischen WchUTEMAS der 1920er-Jahre. Im Dachgeschoß des Hauptpavillons zeigen Rem Koolhaas/OMA eine Dokumentation über scheinbar anonyme „Beamtenarchitektur“ aus mehreren europäischen Ländern, erstaunlich experimentelle Projekte mit wechselvoller Geschichte. Nur für Insider eine Reise wert ist Valerio Olgiatis Beitrag: Er lud Kollegen ein, ihm jeweils bis zu neun Abbildungen aus ihrem Bilderkosmos zur Verfügung zu stellen, Bilder, die ihnen wichtig sind, nicht unbedingt von eigenen Arbeiten. Auf einem großen Tisch unter niedriger Decke aufgelegt, wird daraus ein Spiel von Identitäten, denen nachzurätseln durchaus ein Vergnügen ist. Unter den Länderpavillons stechen die Niederlande mit einer Rauminstallation der Architektin und Künstlerin Petra Blaisse hervor, einem beweglichen Vorhang, der alle paar Minuten seine Position verändert und den Raum anders teilt. Im französischen Pavillon werden drei Stadtentwicklungsgebiete an der Pariser Peripherie präzise und unaufgeregt präsentiert, im englischen geht es um Inspiration durch Projekte aus anderen Ländern. Der deutsche Pavillon setzt zum Thema reuse/reduce/recycle auf eine bewusst unspektakuläre Gestaltung: Ein an die Seite verlegter Eingang, raumhohe Fotos von
intelligenten Zu- und Umbauten, verbunden durch die Stege, die in Venedig bei Hochwasser den Gehsteig ersetzen: Viel mehr hat es nicht gebraucht, um dem Pavillon sein Pathos zu nehmen und ihn zu einem angenehmen Alltagsort zu machen. Im österreichischen Pavillon hat man das Gegenteil versucht: Eine bedeu207 tungsschwangere Inszenierung von Wolfgang Tschapeller, die auch auf die Kunstbiennale gepasst hätte. Es geht um die Frage, was uns zusammenhält, wenn der menschliche Körper selbst zum gestalteten Objekt geworden ist. Ästhetisch ist die Installation durchaus gelungen: Eine Spiegelwand teilt den Raum, Projektionen zeigen schwebende, computeranimierte Figuren, die sich teilweise zu einem Knäuel zusammenballen, teilweise allein oder in Zweiergruppen einen „danse macabre“ aufführen und sich an ihren Extremitäten auflösen. Nach der Marktschreierei, die Eric Owen Moss als Onkel aus Amerika vor zwei Jahren im österreichischen Pavillon aufführen durfte, ist man hier am anderen Ende der Skala angekommen: beim tiefgründigen Geraune, zu dessen Aufklärung auch der Katalog nichts beitragen will. So wie die gesamte Biennale hat sich auch dieser Beitrag mehr vorgenommen, als in der kurzen Vorbereitungszeit zu leisten war. Um wieder zu einem Zentrum des Architekturdiskurses zu werden, wird die Biennale wohl tatsächlich einen Neuanfang brauchen.
18. August 2012
Mit leichtem Schwindel Er wird wohl noch jahrelang die Gerichte beschäftigen, der Terminal 3 am Wiener Flughafen, vormals Skylink. Architektonisch ist er ein neuer Typus von Terminal, in dem man sich erst zurechtfinden muss.
Z 198
um Trost gibt es Berlin: Offensichtlich war der Wiener Flughafen nicht der einzige, der sich bei der Errichtung eines Gebäudes überhoben hat. Der weitgehend neu errichtete Flughafen Berlin-Brandenburg in Schönefeld, der heuer im Mai mit einer Verzögerung von bereits zwei
Jahren hätte in Betrieb gehen sollen, konnte seine Brandschutztechnik nicht in den Griff bekommen. Die Eröffnung wurde auf 2013 verschoben, die Kosten sind von 2,5 Milliarden Euro auf 4,2 Milliarden Euro gestiegen, für das Terminalgebäude allein von 630 Millionen auf voraussichtlich eine Milliarde. Das aktuelle Passagieraufkommen der beiden Flughäfen ist durchaus vergleichbar:
→
21 Millionen in Wien und 25 Millionen in Berlin, sobald dort die drei bisherigen Standorte in Schönefeld zusammengefasst sind. Muss man den Skylink – der inzwischen vom Flughafen nur noch Terminal 3 genannt wird – vielleicht am Ende gar als kostengünstiges Projekt bezeichnen? Wohl kaum. Er wird noch jahrelang ein Fall für die Gerichte bleiben. Allein die Summe der Planungshonorare betrug überproportionale 120 Millionen Euro, von denen rund 40 in die Haustechnik- und 20 in die Architekturplanung geflossen sind. Der Rest von 60 Ästhetische Visitenkarte für Wien? Millionen ging an rund 160 Sonderplaner, Eingangshalle des Skylink. Konsulenten und Projektsteuerer, die der Foto: C. Kühn Reihe nach von den wechselnden Vorständen gerufen wurden, um das stockende Projekt wieder flottzumachen. Zum verlorenen verhandelt wurden. Es ist Steiners Verdienst, Aufwand gehört auch der Schadenersatz, dass die Kostensteigerung gestoppt, das den Architekt Sepp Frank, der beim Wettbe- Projekt mit einem realistischen Terminplan werb im Jahr 1999 einen der beiden ersten fertiggestellt und ohne Pannen in Betrieb gePreise erhalten hatte, wegen Verletzung von nommen werden konnte. Nutzungsrechten seiner Pläne vom Obersten Und das Ergebnis? Ein Terminal ist in ersGerichtshof im Jahr 2011 zugesprochen beter Linie eine Verteilungsmaschine, in der kam, immerhin in der Höhe von 20 Prozent Menschen und Gepäckstücke möglichst effides Vorentwurfshonorars. Im Lauf der Zeit zient an ihr Ziel gelangen sollen. Zugleich ist hatte sich das Projekt in mehreren Punkten, er eine ästhetische Visitenkarte für die Stadt unter anderem der Lage des Piers, seinem und ein Maßstab für deren Fähigkeit, komKonzept aus dem Jahr 1999 angenähert. plexe Probleme zu lösen. Als ästhetische ViWie der Mix aus Fehlplanung, Misswirtsitenkarte ist der neue Terminal jedenfalls schaft, Korruption und Parteienfinanzierung der maximale Kontrast zum bisherigen, desbei diesem Projekt tatsächlich ausgesesen konturloses Innenleben wirkte wie das hen hat, wird sich wohl erst klären lassen, Badezimmer eines Lottogewinners mit eiwenn ein Insider sein Wissen preisgibt. Die nem Faible für Naturstein und Bronze. Die schwierige Projektgeschichte hatte aber Architekten des neuen Terminals, Baumauch Ursachen, die außerhalb des Einflussschlager-Eberle in Partnerschaft mit Itten/ bereichs des Flughafens lagen. Vor allem Brechbühl, haben für den Skylink dagegen 9/11 führte zu drastischen Veränderungen einen neuen Typus entwickelt, der mit seides Projekts, da man einerseits mit einer nen beiden konzentrisch geführten Hallen, Stagnation der Passagierzahlen rechnete, einer viergeschoßigen für die Ankunft und andererseits neue Sicherheitsstandards einer dreigeschoßigen für den Check-In, jeeinführen musste. Genau in solchen Situadenfalls Eindruck macht. Die Ankunftshalle tionen zeigt sich die Qualität des Projektma- – durch die freilich auch ein guter Teil der abnagements. Im Unterschied zum Flughafen fliegenden Passagiere muss, nämlich alle, Berlin, wo das nun geschasste Büro Gerkan, die mit Bus oder Bahn anreisen sowie die Marg und Partner auch Generalplaner war, meisten Parkhausbenutzer – ist introvertiert blieb das Projektmanagement in Wien aber und schluchtartig, ein Raum, der aufgrund immer in der Hand des Flughafens selbst, seiner Krümmung einen leichten Schwindel der sich nach Vorstands- und nachfolgenerzeugt. Einem stressfreien Reiseantritt ist den Konsulentenwechseln immer mehr in das nicht förderlich, vor allem, wenn man eine Sackgasse manövrierte. Erst mit der Be- unter Zeitdruck die versteckt liegenden Rollstellung von Norbert Steiner, dem ehemalitreppen und Lifte nach oben zum Check-In gen Projektleiter des Regierungsviertels in sucht. St. Pölten und der ÖBB-BahnhofsofDie Abflughalle und der „Pier“ – das 450 fensive, gelang 2009 ein Neustart, bei Meter lange Steggebäude mit den einzelnen 199 dem alle Verträge gekündigt und neu Abflug–Gates – bieten dagegen durchgängig
einen Blick nach außen und folgen einer klaren Logik. Der Pier ist mit seinen drei Ebenen das eigentliche logistische Wunderwerk des Flughafens. Begriffe wie „Passagiergefäß“ und „Vereinzelungsanlage“ deuten schon an, dass Menschen in dieser von 2000 Kameras überwachten Welt betrachtet werden wie Wassermoleküle in einem Leitungssystem. Vor allem bei der Ankunft wirken die Gänge und Rolltreppen in diesem System beengend, ein Seiteneffekt der optimierten Logistik, die alle Wege trennt, während sich in anderen Flughäfen oft mehrere Bewegungsströme einen Weg teilen müssen, der dann subjektiv großzügiger wirkt. Eine Fehlentscheidung wird der Akzeptanz des neuen Terminals aber dauerhaft zu schaffen machen: der schwarze Boden aus Kautschuk. Von den Architekten war ein weißer, leicht gesprenkelter Kunststeinboden vorgesehen, der intensiv auf Belastbarkeit und Verschmutzung getestet wurde. Wie im Rechnungshofbericht zum Skylink nachzulesen ist, entschied der Vorstand auf Empfehlung eines Konsulenten – nach 18 Monate dauernder Diskussion –, den Boden
stattdessen aus Kautschuk auszuführen. Die minimal geringeren Materialkosten wurden durch die nötige Verstärkung der Unterkon struktion des Doppelbodens aufgewogen. Ästhetisch ist die Entscheidung ein Desaster. Selbst die bequemen, von Gregor Eichinger entworfenen „Soft-Tables“, die ähnlich wie die Enzis im Museumsquartier zum bequemen Sitzen einladen, können den schwarzen Sumpf nicht wohnlicher machen. Ein Seiteneffekt der minimalistischen Ästhetik lässt sich dagegen vielleicht noch korrigieren. Die Architekten haben die Plakatwerbung, die in vielen Flughäfen visuell dominant ist, auf wenige Flächen konzentriert. Dort wirkt sie freilich jetzt noch dominanter: Im Vorfeld des Terminals gelingt es drei beleuchteten Werbequadern, der Fassade den Rang abzulaufen, und in der Eingangshalle lassen schmale, aber vor dem neutralen Hintergrund umso auffälligere Fahnen vermuten, man sei nicht in Österreich, sondern bei SPAR angekommen. Wenn nach der Schlussrechnung für den Skylink noch etwas Geld übrigbleibt, sollte der Flughafen als Visitenkarte Wiens auf diese Zusatzeinnahmen verzichten können.
7. Juli 2012
Eine Stadt sieht rot Ein Betonmonster in der Altstadt? Oder vielleicht doch ein ganz normales Bauprojekt, das manchen einfach unbequem ist? Bericht aus dem Herzen Salzburgs.
F
ür das deutsche Feuilleton ist die Stadt Salzburg üblicherweise nur zweimal im Jahr von Interesse: im Sommer und zu Ostern, zur Festspielsaison. Im Jahr 1986 veröffentlichte die Hamburger „Zeit“ allerdings einen euphorischen Artikel zu einem Thema, das nichts
mit den Festspielen zu tun hatte: „Einzigartig in Europa: Politik mit guter Architektur. Der Erfolg des Stadtrats Johannes Voggenhuber.“ Es ging um das „Salzburg Projekt“, den Versuch des 1982 ins Amt gekommenen grünen Stadtrats, die verkommene Architekturlandschaft Salzburgs zu reformieren.
Voggenhuber hatte aus dem Himmelfahrtskommando, in dem ihn die Mehrheitsparteien verheizen wollten, einen Erfolg gemacht, der weit über die Grenzen Österreichs ausstrahlte. Damals haben die Salzburger erkannt, dass gute neue Architektur auch im historischen Umfeld möglich ist, und sich mit dem Gestaltungsbeirat eine Institution zur Qualitätssicherung geschaffen, die international zum Vorbild wurde. Voggenhubers Ära währte freilich nur kurz. Nach fünf Jahren wählten ihn die Salzburger ab, nicht zuletzt wegen seiner vehementen Unterstützung für ein Projekt des späteren Pritzker-Preisträgers Álvaro Siza Vieira, den Umbau des Casino Winkler auf dem Mönchsberg, zu dem ein außen an der Felswand geführter Panoramaaufzug gehörte. Das war des Neuen denn doch zu viel. Die Grünen verloren die Gemeinderatswahlen, Voggenhuber verließ Salzburg Richtung Wien und später Brüssel. Sein Projekt hat dennoch überlebt, nicht zuletzt durch den Einsatz seines Nachfolgers Johann Padutsch, der nun schon seit 20 Jahren die politische Verantwortung für die Stadtentwicklung Salzburgs trägt. Nach fünf Jahren in der Opposition konnte er die Grünen 1992 wieder in die Stadtregierung bringen, und seither steht er für einen pragmatischen Kurs, bei dem ar201 chitektonische und stadtplanerische
Entwürfe für den Rehrl-Platz, im Uhrzeigersinn von links oben: erster und dritter Preis von SEP-Architekten und Pichler/Traupmann, Ankäufe von Flöckner/Schnöll und Max Rieder Fotos: Archiv Kühn
Qualität aber immer im Mittelpunkt steht. Das gelang manchmal leicht und unter allgemeinem Applaus, wie etwa beim Makart-Steg, manchmal nur gegen heftige Proteste, wie beim Heizkraftwerk Mitte. Manches ist wenig spektakulär, aber für die Entwicklung der Stadt umso bedeutsamer, wie etwa die „Deklaration Geschütztes Grünland“ oder die Stadtentwicklungsprojekte für die Science City Itzling und die Neue Mitte Lehen. Manche Projekte, denen Padutsch sich zu widersetzen versuchte, konnte er nicht verhindern, wie das Haus für Mozart nach dem Entwurf von Wilhelm Holzbauer und das Kongresshaus. Zuletzt hat er mit verkehrsplanerischen Maßnahmen wie der Altstadtsperre für den motorisierten Verkehr ein klares Signal für den Vorrang des öffentlichen Verkehrs gesetzt, mit dem man sich naturgemäß nicht nur Freunde macht. Auf den Prüfstand kommt das „Salzburg Projekt“ der vorsichtigen Erneuerung derzeit auf dem Dr.-Franz-Rehrl-Platz am Fuß des Kapuzinerbergs. Entsteht hier, wie Salzburger Zeitungen unisono berichten, tatsächlich ein Betonmonster, bei dem die Prinzipien der Bürgerbeteiligung mit Füßen getreten
werden? Fällt die Stadt in die Zeit vor 1982 zurück, wie Johannes Voggenhuber in unerwarteter Allianz mit Bischof Laun und ausgerechnet jenen Wutbürgern, die ihn 1987 aus dem Amt gejagt haben, verlauten lässt? Eine emotionslose Betrachtung fördert im Projekt selbst wenig zutage, das diese Aufregung rechtfertigt. Der Bauplatz ist charakterisiert durch eine sehr heterogene Umgebung: einen massiven, teilweise achtgeschoßigen Krankenhausbau, Stadtvillen an der Salzach und kleine Häuser, die sich in den ansteigenden Hang des Kapuzinerbergs schmiegen. Im Wettbewerb, der im Dezember 2011 entschieden wurde, reagierten manche Projekte – wie etwa die beiden mit Ankäufen ausgezeichneten von Max Rieder und Flöckner/Schnöll – auf diese Situation mit markanten, eigenständigen Baukörperfiguren. Die Jury war sich offenbar bewusst, dass am selben Ort bereits 1995 ein Projekt von Dominique Perrault mit dieser Strategie an Bürgerprotesten gescheitert ist. Den ersten Preis erhielt daher ein Entwurf des deutschen Büros SEP-Architekten, das mit dem Uni-Park Nonntal, einem Erweiterungsbau für die Universität, ein respektables Projekt in Salzburg vorzuweisen hat. Das Projekt gliedert die beachtliche Baumasse kleinteilig und lässt Querblicke auf das Nachbargrundstück zu – kein genialer, aber ein guter Entwurf mit gut vermarktbaren Wohnungen und Geschäftslokalen. Der von den Zeitungen angefachte Proteststurm dürfte denselben Hintergrund haben wie 1995. Die unmittelbaren Nachbarn haben verständlicherweise wenig Freude
damit, dass in ihren Privatpark in Zukunft erst ab Mittag Sonne fällt und die neuen Nachbarn aus dem fünften Stock in ihren Garten blicken. Das ist legitim, aber durch die Bauordnung geregelt, die immer Interessen gegeneinander abwägen muss. Die im Stadtplan als Rehrl-Platz bezeichnete Stelle ist heute eine Asphaltfläche mit abgestellten Nutzbauten, einer Tankstelle und einem kleinen pilzartigen Rundbau. Niemand, der Salzburg liebt, wird daran zweifeln, dass dieser Platz Besseres verdient. Wenn es gelingt, hier einen privaten Investor zu finden, der Geschäftsflächen schafft und den öffentlichen Raum verbessert, ist das kein Ausverkauf der Stadt ans Kapital, sondern normale Stadtentwicklung. Dass der Bebauungsplan erst aufgrund eines in einem Wettbewerb bestimmten Projekts erfolgt, hat nichts mit Korruption zu tun – das ist heute unter dem Schlagwort Vertragsraumplanung etabliert. Das Salzburg Projekt war in dieser Hinsicht Pionier: Von Johannes Voggenhuber wird der Satz kolportiert, für ihn sei der schlechteste Bebauungsplan der beste, weil so der Bauherr mit der Stadt in Verhandlung treten muss, wodurch sich neue Spielräume eröffnen. Wenn die Aufregung um den Rehrl-Platz wieder auf ein normales Niveau heruntergekocht ist, sollten sich die Salzburger fragen, ob ihre Architekturentwicklung nicht doch wieder „einzigartig in Europa“ sein könnte. Vergleichbare Städte wie Innsbruck nutzen das Potenzial zeitgenössischer Architektur jedenfalls deutlich stärker, auch in der historischen Altstadt.
9. Juni 2012
Ach, Baukultur, wo willst du hin? Architekturtage in ganz Österreich, ein Baukulturreport im Parlament. Und doch: Es ist noch immer nicht genug.
A
nders als gewohnt, so lautete das Motto der Architekturtage 2012, die am ersten Juni-Wochenende
in ganz Österreich stattfanden. Zwei Tage Architektur mit einem Programm, das für ein paar Wochen gereicht hätte: Selbst der
leidenschaftlichste Architekturfan konnte nur einen Bruchteil der Führungen, Vorträge und Feste genießen, wie sie auf der Homepage der Architekturtage – übersichtlich nach Bundesländern geordnet – zu finden sind. Der leidenschaftliche Fan, für den ja eh jeder Tag ein Architekturtag ist, ist aber gar nicht die vorrangige Zielgruppe der Architekturtage. Sie richten sich an die lokale Bevölkerung, die aufgefordert ist, ihre alltägliche Umgebung einmal anders wahrzunehmen, besser informiert, mit Einblicken, die sonst nicht einfach zu erhalten sind. Der große Zustrom zu den Architekturtagen hat bewiesen, dass die Neugier und das Interesse, sich mit Fragen der Architektur und des Wohnens auseinanderzusetzen, nicht nur vorhanden sind, sondern zunehmen. Die Rahmenbedingungen haben sich freilich geändert. Die ersten Architekturtage 2002 standen unter dem Motto „Jetzt ist alles offen!“, womit nicht nur die schlichte Tatsache gemeint war, dass Gebäude und Architekturateliers offenstanden, sondern auch die Zukunft. Das kräftige Rufzeichen am Ende des Slogans kündet in dieser Hinsicht von beachtlichem Optimismus. Zehn Jahre später hat sich die Offenheit bestätigt, allerdings nicht in die Richtung, die man erhofft hatte. Heute werden Veranstaltungen wie die Architekturtage als Luxus gesehen, dessen Finanzierung nur mit Mühe aus immer knapper werdenden Quellen gelingt. Angesichts angeblich leerer Kassen und Auftragsbücher ist Baukultur ein schönes Extra, aber niemandes Kerngeschäft. Es sollte allerdings zu denken geben, dass an der Wurzel der Finanzkrisen der vergangenen Jahre in der Regel das Bauen stand, nicht als Ursache, aber gewissermaßen als Medium des Bankrotts. Die US-amerikanischen Subprime-Krise nahm ihren Ausgang bei Krediten für Eigenheime an Kunden mit geringer Bonität und der darauf folgenden Spekulationsblase; die spanische Bankenkrise hat ihren Ursprung in einem Bauboom, dessen hemmungslos in die Landschaft gesetzte Produkte irgendwann keine Abnehmer mehr finden konnten. Beide Phänomene konnten sich nur in einem Umfeld entwickeln, in dem die Baukultur niedrig ist. Natürlich gibt es auch in den USA ambitionierte Architektur, und Spanien hat eine der interessantesten Architekturszenen Europas hervorgebracht. 203 Aber Baukultur ist keine Frage der
Bleibt am Ende nur die Steppe? Kunstinstallation in der Seestadt Aspern. Foto: dadaX
Eliten, sondern ein Breitenphänomen. Sie setzt voraus, dass Bürger das Bewusstsein und das Vertrauen haben, mitgestalten zu dürfen, nicht so sehr, indem sie basisdemokratisch über Fassadenfarben abstimmen, sondern indem sie ihre Anforderungen an die gebaute Umwelt artikulieren können und wissen, dass ihre Interessen in einer fairen Weise mit anderen Interessen abgeglichen werden. Bauen ist voller Zielkonflikte, zwischen Investoren und der öffentlichen Hand, zwischen alten und jungen Menschen, zwischen Bewahrern des kulturellen Erbes und Innovatoren, die auch einmal schöpferische Zerstörung zulassen wollen. Baukultur ist daher zu großen Teilen Gesprächs- und Konfliktkultur, also die Fähigkeit, fremde Interessen anzuerkennen und in geregelten Prozessen mit den eigenen abzustimmen. Was die Sache bei der Baukultur so vertrackt macht, ist der Zeithorizont. Die Häuser und Städte, deren Errichtung und Entwicklung wir heute zu verantworten haben, sind eine wichtige Lebensgrundlage der nächsten Generationen, die aber heute keine eigene Stimme haben. Entscheidungsträger bei dieser Entwicklung sind wir alle, und wir alle laufen Gefahr, rücksichtslos zu agieren. Wer sein harmloses, vielleicht sogar energetisch optimiertes Häuschen im Speckgürtel einer Großstadt baut und dann als Pendler den Ausbau der Autobahn um ein paar weitere Spuren verlangt, ist genauso verantwortlich wie der Bürgermeister einer Landgemeinde, der noch ein paar Äcker in Bauland umwidmet, damit sich der Supermarkt in seiner Gemeinde ansiedelt und nicht in der nächsten.
Ein Bericht zum Stand der Baukultur wird in Österreich alle fünf Jahre in einem Baukulturreport vorgelegt, den die Bundesregierung in Auftrag gibt. Verstand sich der erste Report aus dem Jahr 2006 noch als umfassende Bestandsaufnahme zu allen relevanten Themen, so ist der jüngste, die Jahre bis 2011 betreffende Bericht auf drei Themenbereiche fokussiert: zukunftsfähiges Bauen, bürgernahe Verfahren auf Gemeindeebene sowie Bildung und Vermittlung, wobei unter letzterem Punkt sowohl der Bau von Bildungseinrichtungen als auch die Architekturvermittlung für junge Menschen in Schulen behandelt wird. Statt mehr als 500 Seiten beim letzten Mal hat der aktuelle Report nur 160 Seiten und wurde in einer Auflage von 6000 Stück gedruckt, was vom Optimismus zeugt, dass mit dem Report ein gut lesbares und nützliches Dokument vorliegt, von dem nicht nur Politiker und Beamte profitieren können. Der Bericht stellt der österreichischen Situation ein durchaus kritisches Zeugnis aus, weist aber in vielen Praxisbeispielen darauf hin, dass es auch hier ausreichend Initiativen mit Vorbildwirkung gibt, auf denen man aufbauen kann. Dazu gehören nicht nur Vorzeigebauten, sondern auch strategische Konzepte zur Gemeindeentwicklung. Die im vergangenen Jahr im Nationalrat
beschlossene Erleichterung für Gemeindekooperationen könnte ein wichtiger Impuls sein, Architektur- und Raumplanungspolitik auf dieser Ebene zu verbessern. Die 45 Empfehlungen, die der Report zu den behandelten Bereichen benennt, sind eine Aufforderung an die Politiker, ihren Wählern und sich selbst etwas zuzumuten. Als Querschnittsmaterie verhakt sich das Thema Baukultur zwangsläufig an neuralgischen Punkten der Republik: beim Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern, bei der Raumplanung als Landessache, der unterstützende Komponenten auf Bundesebene fehlen, oder beim Balanceakt, Wirtschaftsförderung mit langfristiger ökologischer Politik zu verbinden. Eines ist klar: Niemand gewinnt mit den Themen Architektur und Stadtplanung die nächsten Wahlen, bestenfalls die übernächsten. Kommende Woche wird der Baukulturreport im Plenum des Parlaments behandelt. Wenn dessen Mitglieder ihn gelesen haben, sollten sie merken, dass die Politik auf allen Ebenen kontinuierlich, und nicht nur alle fünf Jahre, mit Baukultur befasst ist. Vielleicht wäre es ja Zeit, die Empfehlung Nummer 18 aufzugreifen: eine Baukulturdeklaration des Bundes, wie andere Länder sie sich schon längst gegeben haben.
12. Mai 2012
Vom Blockrand zum Campus Erste Schritte zu einer neuen Lernkultur: Otmar Haslers Erweiterung und Sanierung der HTL Spengergasse im fünften Wiener Gemeindebezirk.
D
ie Höhere Technische Lehranstalt in der Spengergasse im fünften Wiener Gemeindebezirk gehört mit 1350 Schülern und 170 Lehrern zu den größten Schulen Wiens. Sie geht auf eine Gründung Maria Theresias im Jahr 1758 zurück, die den Mangel an Fachkräften im Bereich der textilen Gewerbe beheben sollte
und ab 1881 unter dem Namen „Lehranstalt für Textilindustrie“ geführt wurde. Ihren Bezug zum Textil hat sie bis heute behalten, und so bietet sie neben textiltechnischen Ausbildungen auch eine Ausbildung für Kunst und Design an, die aus dem „Musterzeichnen“ hervorgegangen ist. Mehr als die Hälfte der Schüler besucht heute aber die
Abteilung für EDV und Organisation, die an der Schule seit Mitte der 1970er-Jahre als zweites Standbein aufgebaut wurde. Dieser über 250-jährigen Geschichte entsprechend, ist die Schule in einem sehr heterogenen Gebäudebestand untergebracht, der drei Seiten einer Blockrandbebauung einnimmt. Der älteste, nach Norden gerichtete Teil an der Ecke Spengergasse/Siebenbrunnengasse stammt aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die längere Front zur Spengergasse wird von einem mächtigen, teilweise in Sichtziegelmauerwerk ausgeführten Gebäude aus dem Jahr 1898 dominiert, dem ehemaligen „Landwehrmonturdepot“, ursprünglich ein Uniformlager der Armee. Abgeschlossen wurde diese insgesamt 140 Meter lange Front von einem weiteren gründerzeitlichen Gebäude, das vom Uniformlager durch eine neobarocke Toreinfahrt getrennt war. Zu dieser Toreinfahrt gab es am anderen Ende des Gebäudes ein symmetrisch angelegtes Pendant, wodurch das Uniformlager als frei stehender Monumentalbau zur Geltung kam. Nach 1945 wurden diese städtebaulich wichtigen Zäsuren wie Zahnlücken mit viergeschoßigen Einbauten geschlossen, die sich mehr schlecht als recht an den historischen Bestand anzupassen versuchten. Im Jahr 2006 lobte die Bundesimmobiliengesellschaft einen EU-weit offenen Wettbewerb zur Erneuerung des Schulkomplexes aus. Man ent205 schied sich dafür, den südlichsten Teil
HTL-Spengergasse, Wien-Margareten: Putz, Ziegel und Aluminium – ein Ensemble aus Gebäuden …
komplett abzubrechen und hier einen Neubau mit zwei Turnsälen und Klassenräumen zu errichten. Das desolate Uniformlager sollte saniert, und die Werkstätten im Hof sollten erneuert werden. Nach dreijähriger Bauzeit konnte die nach dem Entwurf des Wiener Architekt Otmar Hasler erneuerte Schule heuer wieder bezogen werden. Sein Konzept zeichnet sich durch die Idee aus, die Blockrandbebauung aufzubrechen und die Schule zumindest stadträumlich wieder nach außen zu öffnen. Diese Öffnung war in der ursprünglichen Anlage durch die Freistellung des Uniformlagers bereits angelegt. Hasler geht aber einen Schritt weiter, indem er den Straßenraum ohne Barrieren direkt in den Hofraum hineinzieht, um die Schule als „Campus“ erlebbar zu machen. Zwei überdeutlich angebrachte Überwachungskameras signalisieren allerdings, dass hier auf Kontrolle großer Wert gelegt wird, und auch der verschiebbare Schranken, mit dem der Zugang am Abend gesperrt werden kann, ist kein leichtes Gitterwerk, sondern wirkt eher wie eine Panzersperre. Dass auf deren Ende noch das Verkehrszeichen für „Einfahrt verboten“, also ein roter Kreis mit weißem Querbalken, prangt und die Altstoffcontainer dort stehen, wo man eigentlich ein paar Sitzbänke erwarten würde, konterkariert die einladende Botschaft der Architektur nochmals deutlich.
Die Schulleitung scheint diesem zusätzlichen Eingang in ihr Reich also noch etwas reserviert gegenüberzustehen. Von den Nutzern wird er aber gut angenommen, und bei einer 140 Meter langen Anlage dürften die Vorteile doch deutlich überwiegen. Der freigestellte neue Trakt zeichnet sich durch eine glänzende Aluminimumhaut aus, die aus vertikalen Lamellen vor einer großteils verglasten Fassade besteht. Die Lamellen werden computergesteuert dem jeweiligen Sonnenstand nachgeführt, können aber auch von Hand justiert werden. Nur vor den tragenden Betonstützen in der Fassade sind die Lamellen fix, wobei die Anzahl dieser fixen Lamellen von Geschoß zu Geschoß variiert, um den Eindruck vertikaler Bänder zu vermeiden. Die Frage, ob es sinnvoll ist, eine südseitige Fassade in Glas auszuführen und dann wieder mit Lamellen zu schließen, liegt nahe. Die Lichtstimmung in den Klassen ist jedenfalls gut, und da Hasler die Parapethöhe der Fenster auf nur 60 Zentimeter gesetzt hat, wirken die Räume großzügig und offen. Auch zum Gang hin gibt es neben jeder Klassentüre eine fast gleich breite raumhohe Verglasung, die zur Belichtung der Innenzone beiträgt und einen Einblick in den Unterricht zulässt. Man kann das als vorsichtigen Schritt zu einer veränderten Lernkultur betrachten, in der nicht nur das einzelne Klassenzimmer, son206 dern das ganze Schulhaus ein Ort des
… unterschiedlicher Epochen, versammelt um den gemeinsamen Hof. Fotos: Gisela Erlacher
Lernens ist und eine Lerngruppe sich auch einmal „am Gang“ aufhalten kann. Falls sich irgendwann die Idee durchsetzen sollte, eher im Team zu lehren und zu lernen – wofür es eine andere Raumstruktur mit unterschiedlich großen Vortragsräumen und mehr offenen Lernräumen bräuchte –, ist der Neubau in der Spengergasse dafür jedenfalls gerüstet: Es gibt keine tragenden Innenwände, die einer Neuordnung des Grundrisses im Wege stünden. Im Altbau wurde vor der Bibliothek zumindest ein solcher offener Lernraum eingerichtet. Die Lastabtragung ohne innere Stützen ermöglichte es, die beiden Turnsäle im Keller des Neubaus unterzubringen. Hasler ist es gelungen, von mehreren Seiten natürliches Licht in diese Säle zu bringen, ein nicht gering zu schätzendes Kunststück. Geholfen hat dabei die Idee, den lang gestreckten Hof gegen das Gefälle abzusenken, wodurch eine zusätzliche Belichtung möglich wurde. Im Hof sind an der Längsseite alle Labors und Werkstätten aufgereiht. Sie werden von oben belichtet und über einen langen Gang erschlossen, der als gedeckte Erweiterung des Hofs wirkt. Erst die Durchgängigkeit quer durch alle Trakte verdeutlicht die Einheit der Schule, deren Teile sich mit ihren unterschiedlichen Qualitäten zu einem gelungenen Ensemble ergänzen.
Stadt ohne Körper 14. April 2012
„Architektur als Gebäude spielt hier überhaupt keine Rolle mehr“: Wolfgang Tschapeller über seinen Beitrag für die nächste Architekturbiennale in Venedig und das Wettbewerbsprojekt für die Universität für angewandte Kunst in Wien. Ein Gespräch.
CK: Wolfgang Tschapeller, der österreichische Beitrag bei der nächsten Architekturbiennale wird unter dem Titel „Reports from a City Without Architecture“ stehen. Was darf man sich darunter vorstellen? WT: Gemeinsam mit dem Kurator Arno Ritter haben wir uns die letzten österreichischen Beiträge zur Biennale angesehen. Die waren auf Personen und deren Werk bezogen, also retrospektiv. Wir verstehen den österreichischen Pavillon dagegen als räumliches Instrument der architektonischen Forschung, mit dem wir utopisch klingende Fragen behandeln wollen, unter Einbeziehung von Naturwissenschaften und neuesten medialen Technologien. Eine Stadt als Summe von „Gebäuden“ zu sehen ist ja als Konzept eine Voreingenommenheit. Letzten Endes geht es darum, Situationen zu schaffen, die uns das Leben erlauben, „sympathische Umgebungen“. Wir untersuchen, wohin es führt, wenn wir Architektur aus dieser Richtung her denken und nicht als die Realisierung von Baukörpern. CK: Das sind ja nicht unbedingt neue Ideen. Yona Friedman hat schon Ende der 1950er-Jahre Architektur als Infrastruktur verstanden, in die man dann erst über Membranen und Interfaces solche „sympathischen Umgebungen“ implantiert. WT: Die Recherche, gleich, ob his207 torisch, tektonisch, technisch oder
topografisch, ist ein wichtiger Teil unserer Arbeit, nicht nur für Venedig. Aber es stimmt, dass um 1960 viel in diese Richtung gedacht wurde. Ein Schlüsselbeispiel für uns ist ein Film, den Charles und Ray Eames zwischen 1968 und 1977 realisiert haben, „Powers of Ten“, der von einer Alltagsszene ausgeht, einem jungen Pärchen beim Picknick auf einer Decke, von oben gefilmt, und dann zoomt die Kamera schrittweise hinaus, man sieht die Erdkugel und dann das Universum, und danach geht es zurück in den Mikrokosmos bis auf die molekulare Ebene. Was Charles und Ray Eames hier als Architekten thematisieren, muss man im Vergleich zur Vitruv’schen Figur sehen, die in die Quadratur des Kreises eingespannt ist, oder zu Le Corbusiers berühmtem Modulor-Mann. Bei „Powers of Ten“ ist es nicht nur ein Mann, sondern ein Paar, und die Figuren stehen nicht, sondern liegen auf einer horizontalen Fläche. Die Betrachtung bleibt auch nicht beim Körper stehen, sondern führt den Blick nach innen, in das Innere von Körpern und Materialien. Das sind Perspektiven, mit denen wir in der Architektur bisher wenig arbeiten, aber wir stehen an einer Schwelle. Wir müssen, vereinfacht gesagt, unser Verhältnis zum umgebenden Raum und zur Materie neu klären. CK: Wie wird das in Venedig umgesetzt? WT: Der Pavillon wird im Innenraum an den Längsseiten Projektionen digitaler
Figuren mit interaktiven Fähigkeiten zeigen, die wir mit Martin Perktold und Rens Veltman entwickeln. Mit diesen Figuren, die teilweise als Avatare funktionieren, erzeugen wir eine Stadt, die auf die Beziehung zwischen Figuren reduziert ist. Architektur als Gebäude spielt hier überhaupt keine Rolle mehr. WT: Wir beziehen uns dabei nicht nur auf Elemente der Science-Fiction, obwohl dieser Aspekt eine große Rolle spielt, sondern auch auf scheinbar ganz anders gelagerte Überlegungen wie die von Bernard Rudofsky, der sich als Architekt ebenfalls weniger fürs Bauen und mehr für eine neue Lebensweise interessiert hat. Sein Buch über den „Unfashionable Human Body“ erschien 1971, als sich parallel die Cultural Studies zu formieren begannen und dort die Körperdiskussion in voller Breite losbrach. Die bildende Kunst hatte die Leinwand verlassen und sich im Aktionismus dem Körper zugewendet, und etwas Ähnliches geschah in der Architektur, in den Arbeiten von Walter Pichler, den Haus-Ruckern und Coop Himmelb(l)au, die Architekturen als Erweiterung des Körpers dachten. CK: Auch dem Projekt, mit dem Sie den Wettbewerb für die Erweiterung der Universität für angewandte Kunst gewonnen haben, merkt man ein Interesse für die Ideen aus dieser Zeit an. 208 WT: Ja, natürlich, offensichtlich greift
Wettbewerbssieger: Gerüst von Karl Schwanzer aus den 1960er-Jahren mit Erweiterungen
dieses Projekt gezielt auf Themen und Versprechungen, die auch um 1960 relevant waren, zu. Wir haben diesen direkten Zugriff gründlich diskutiert, etwa anhand der Kugelformen oder der Ballons oder der vorgestellten Erschließungselemente, und haben entschieden, dieses Potenzial zu aktivieren. Viel mehr hat mich aber die serielle Qualität des Bestandsgebäudes von Karl Schwanzer aus dem Jahr 1962 interessiert, ein Stahlbetonraster parallel zum Wienfluss, der nur durch zwei Stiegenhäuser unterbrochen wird. Diese Stiegenhäuser sind die eigentlichen Schlüssel zur Lösung der Bauaufgabe.
Fassade zum Hof Fotos: Atelier Tschapeller
Wir nehmen sie aus dem Raster heraus und setzen sie hofseitig vor das Gebäude, und damit haben wir eigentlich schon den Raum erreicht, den wir brauchen: Etagen mit 86 Meter Länge und 17 Meter Breite so gut wie ohne fixe Einbauten. Der Schwanzer-Bau wird damit das, was er vorgibt zu sein, nämlich reine Konstruktion, nur Decken und Stützen, und davor steht die Erschließung, vergleichbar dem Prinzip des Centre Pompidou oder der Versorgungstürme für Raketen in Cape Canaveral, wenn man die Verbindungsstege betrachtet. Zusätzlich zu diesen Sicherheitsstiegenhäusern und Lifttürmen gibt es noch ein verbindendes, breites Stiegenelement, das wie ein Broadway diagonal über den Fassadenraster führt. Diese Treppe ist einer der gemeinsamen Räume für alle Studios, und
im Untergeschoß gibt es die neue Verbindung zum Ferstel-Bau am Ring, wo in Zukunft auch der Haupteingang sein wird. CK: Im Vergleich zu früheren Projekten geht ihr mit dem Altbau eher sanft um, ohne die „schönen Kollisionen“, die für den Dekonstruktivismus typisch waren. WT: Mag sein. Tatsächlich nutzt dieses Projekt die Erfahrung einer langen Reihe von Experimenten, die wir mit seriellen Elementen und Rastern durchgeführt haben. Im Gegensatz zu anderen, ähnlich gelagerten Projekten suchen wir hier nicht die Kollision, sondern legen den Raster frei, fast im archäologischen Sinn, und fügen zu den drei bestehenden Rastern einen vierten hinzu, der sich wie eine Haut an die neuen Bauteile anschmiegen wird. Wenn Sie wollen: schmiegen statt splittern.
17. März 2012
Wie im Wilden Westen „Generationen Wohnen“ am Mühlgrund in Wien-Donaustadt: drei architektonische Antworten auf die Frage, wie sich Zusammenleben flexibel organisieren lässt.
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rchitekturkritik als Fortsetzungsroman, monatlich ein Grundstück weiter: Wenn sich auf diese Art eine spannende Reihe ergibt, ist das ein Glücksfall. Vor einem Monat habe ich im „Spectrum“ einen Bau von ARTEC vorgestellt, ein sechsgeschoßiges Wohnregal an der U-Bahnlinie U2 in Stadlau. Das Gebäude dient nicht nur dem Wohnen, sondern bildet zugleich die Schallschutzwand für eine zweibis dreigeschoßige Verbauung auf dem nach Süden angrenzenden Grundstück. Gemeinsam ist diesen niedrigen Häusern nicht nur das einheitliche Fassadenmaterial, eine raue Holzverschalung mit vertikalen Brettern, sondern auch das Thema „Generationen Wohnen“, das der 209 Bauträger EBG von den Architekten
behandelt wissen wollte. Die Frage, wie man das Zusammenleben mehrerer Generationen unter einem Dach durch intelligente Wohntypologien unterstützen kann, ist nicht neu, hat aber durch die demografische Entwicklung an Brisanz gewonnen. Die kleinen Wohnhäuser, die in drei Bauteilen jeweils von Hermann Czech, Adolf Krischanitz und Werner Neuwirth geplant wurden, zeigen Grundrisslösungen, die über das Konzept der „Einliegerwohnung“, also einer Kleinwohnung als Annex an die Hauptwohnung, deutlich hinausgehen. Am konventionellsten in dieser Hinsicht sind die Häuser von Adolf Krischanitz, bei denen die Zusatzeinheiten als kleine Ateliers ausgebildet sind, die den Wohnungen des ersten Obergeschoßes zugeschlagen werden
Der Eigengarten im fremden: eine Herausforderung, auch für Pioniere.
Optionale Wendeltreppe zur Einliegerwohnung im Obergeschoß
Foto: katrin bernsteiner
Foto: katrin bernsteiner
von 2,5 Meter Höhe aufweisen. Die hohen können. Die Wendeltreppen nach oben beWohnräume können von den Bewohnern finden sich in Vorräumen, die komplett abselbst umgestaltet werden, indem etwa getrennt oder Teil der Hauptwohnung sein können. Falls die kleine Atelierwohnung für eine Empore mit einem Arbeitsplatz eingezogen wird. Seit der Besiedlung haben die die ältere Generation gedacht ist, muss sie aber rüstig genug zum Treppensteigen sein: Bewohner schon vielfach von dieser Option Gebrauch gemacht, und kaum eine der Die Aufzüge in Krischanitz’ Bauteil führen Wohnungen gleicht heute noch den Fotos, nur auf die zweite Ebene. Dieses Problem hat Hermann Czech, der die nach der Fertigstellung gemacht wurden. Räume mit dieser Höhe und entsprechend Komfort in der Architektur nie als anrüchigroßformatigen Verglasungen haben eine gen Begriff betrachtet hat, anders gelöst. Seine Kleinwohnungen liegen zwar auch im besondere Atmosphäre, die durch die Komposition der Treppe noch gesteigert wird. dritten Stock, sind aber über einen per Lift erreichbaren Laubengang erschlossen. Auch Werner Neuwirth hat in seinen sechs jeweils aus unabhängigen „Häusern“ zusammenhier gibt es, ähnlich wie bei Krischanitz, gesetzten Baukörpern das Konzept der „Eineine Kombinationsmöglichkeit zwischen dem zweiten und dritten Geschoß, während liegerwohnung“ insofern überwunden, als auf ebener Erde quasi normale Wohnungen er die Hierarchie zwischen Haupt- und Nebenwohnung komplett auflöst. angeboten werden. Durch einen Knotenpunkt im Zentrum „Normal“ ist Czechs Wohnbau allerdings jedes Baukörpers lassen sich die Geschoß überhaupt nicht, auch wenn sich das erst ebenen sowohl in horizontaler als auch in bei genauerer Analyse zeigt. Im Schnitt ervertikaler Hinsicht frei zusammenschalten, kennt man die Verschränkung zwischen wodurch Wohntypen möglich werden, die Räumen unterschiedlicher Höhe, einem Wohnraum mit 4,05 Metern und auch ohne großen Aufwand neu kombiniert 210 Nebenräumen, die das Minimum werden können.
Wichtig für die räumliche Wirkung von Neuwirths Entwurf nach außen sind die unterschiedlichen Seitenlängen der Quadrate, aus denen die Baukörper im Grundriss zusammengesetzt sind. Sie erzeugen durch leichte Vor- und Rücksprünge eine gestalterische Varianz ohne funktionale Begründung, ein Prinzip, das auch Adolf Krischanitz in seinen Projekten gern anwendet. Der Rationalismus seiner Architektur lässt sich am besten mit der Definition beschreiben, die Adolf Behne 1923 gegeben hat: „Während der Funktionalist das Haus zum Werkzeug machen will, sieht es der Rationalist (was nur zunächst überrascht) mit der gleichen Bestimmtheit als Spielzeug.“ Die spielerische Grammatik der Bauteile von Neuwirth und Krischanitz sind offensichtlich verwandt und lassen einen Außenraum entstehen, in dem die Grenzen zwischen öffentlichem und halb öffentlichem Raum nicht leicht zu finden sind. Die Freiraumplanung von Anna Detzlhofer vermeidet es, diese Grenzen durch gärtnerische Gestaltung festzulegen. Im ersten Jahr der Besiedlung beginnen die Bewohner vorsichtig, ihre Claims im Freiraum abzustecken. Eine besonders raffinierte Versuchsanlage zu diesem Thema hat Hermann Czech für seinen Bauteil entwickelt, der den Bewohnern beider Hauptgeschoße Eigengärten anbietet. Für die Erdgeschoßwohnungen liegen diese Gärten an der Westseite, für die oberen Wohnungen an der Ostseite, wo sich auch die Erschließungstreppen für diese Wohnungen befinden. Damit die erdgeschoßigen Wohnungen nicht direkt an den Eigengarten der oberen grenzen, ist ihnen ein schmaler Distanzstreifen vorgelagert, der über eine
Eins und Eins ist Zweieinhalb: Raumgewinn durch komplexe Verschränkung. Archiv Czech / Az W Sammlung
Art Stichweg mit der Straße verbunden ist. Durch diese Lösung sind an der Ostseite des Hauses die Freiräume der Bewohner eng miteinander verschränkt. Das fördert das nachbarliche Gespräch, birgt aber auch Konfliktpotenzial. Ob diese Lösung in einem Wildwuchs von Schilfwänden enden wird oder in einem entspannten Miteinander, wird sich zeigen. Der städtebauliche Masterplan von Henke und Schreieck hatte hier eine dichte Bebauung mit privaten Höfen nach dem Vorbild von Roland Rainers Siedlung in Puchenau bei Linz vorgeschlagen, intime Höfe, in denen man aber gerade als älterer Bewohner leicht vereinsamen kann. Dass Czech sein Projekt als „Wildweststadt“ bezeichnet, liegt nicht nur am Fassadenmaterial, sondern auch an dieser besonderen Exponiertheit, die sich am ehesten Pioniere leisten können: im Wilden Westen wie in Stadlau.
25. Februar 2012
Draußen an der U-Bahn Die Peripherie als Chance, die Stadt neu zu denken: Ein Wohnhaus im 22. Wiener Gemeindebezirk geht auf Tuchfühlung mit einem Verkehrsbauwerk.
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er Mühlgrund im 22. Wiener Gemeindebezirk ist Teil einer ehemaligen Aulandschaft, aus der sich die Süd-Ost-Tangente und der
Bahnhof Stadlau ein ordentliches Stück herausgebissen haben. Was übrig blieb, teilten sich bisher Einfamilienhäuser, Schrebergärten und einige grüne Restflächen. Seit die
neue U-Bahnlinie U2 hier Station macht, ist es mit der Gemütlichkeit vorbei. Eine hochrangige Verkehrsanbindung schreit nach Verdichtung, und die passiert auch, vor allem mit gefördertem Wohnbau. Die gute Verkehrsanbindung hat allerdings ihren Preis: Die U-Bahn fährt hier nicht unter der Erde, sondern in Hochlage auf Brücken in 12,5 Meter Höhe. Neben einem solchen Nachbarn einen Wohnbau zu errichten, ist eine Herausforderung. Dass dabei etwas Besonderes entstehen kann, beweist ein von ARTEC – Bettina Götz und Richard Manahl – entworfener Wohnbau, der die U-Bahnlinie auf knapp 100 Meter Länge begleitet. Seiner Situation entsprechend, hat das Haus zwei Gesichter: ein geschlossenes zur U-Bahn im Norden und ein offenes nach Süden. Von der U-Bahnstation Stadlau kommend, läuft der Besucher auf die Schmalseite des Haueses zu, auf der diese beiden Gesichter kollidieren. Das Ergebnis ist auf den ersten Blick schwer einzuordnen. Gezackte Kontur, schwarze Industrieverblechung, anscheinend fensterlos: Handelt es sich um eine Skulptur? Oder um ein Stück technische Infrastruktur, vielleicht eine eine Trafostation? Auf der südlichen Kante blitzen allerdings schon andere Materialien hervor, und sobald man um die Ecke biegt und die Südfassade in ihrer vollen Länge erfassen kann, ist klar, dass es sich um einen Wohn212 bau handelt. Durchlaufende Balkone
Skultptur? Trafostation? Geförderter Wohnbau von ARTEC Architekten. Foto: ARTEC
mit verschiebbaren Sonnensegeln prägen das Bild, an dem allerdings eine leichte Irritation auffällt: alle seitlichen Begrenzungsebenen, also sowohl die Balkonbrüstungen aus Metallgittern als auch die Fassadenebene dahinter, sind aus dem rechten Winkel verdreht. Die Balkonbrüstungen neigen sich nach außen, und die Fassade springt in einer leichten Zickzacklinie vor und zurück. Beides hat durchaus praktische Vorteile. Ein guter Balkon muss tief genug sein, um einen Tisch aufstellen zu können, aber nicht so tief, dass er die Räume dahinter zu sehr verschattet. Statt ein Kompromissmaß anzubieten, sind die Balkone hier vor den Wohnräumen tief und verjüngen sich dann kontinuierlich, sodass in die Schlafräume noch viel Licht fallen kann. Auch die geneigten Brüstungen machen den Balkon dort breiter, wo es die Nutzer tatsächlich brauchen. Wie bei jeder guten Architektur reichen solche pragmatischen Argumente allein nicht aus, um eine Formentscheidung zu argumentieren. Parallel zu ihnen gibt es eine autonome Welt der Form, die nicht rational, sondern intuitiv begründet ist. Aus dieser Perspektive darf man das Bauwerk durchaus mit Kunstwerken wie der berühmten „endlosen Säule“ des Bildhauers Constantin Brancusi vergleichen, die eine ähnlich gezackte
von Gelb und Grün, sondern vor allem daran, dass sie hier nicht als Körper erscheint, sondern als leichte, raumbegrenzende Membran. Die inneren Laubengänge sind keine reinen Verkehrsflächen, sondern vor den Eingängen zu den Wohnungen auf die doppelte Breite erweitert. Hier werden sich die Bewohner gerne aufhalten und sich über das Gedeihen ihres privaten Dschungels austauschen: In mächtigen Betontrögen, die in der Erschließungshalle schweben, haben die Landschaftsarchitekten Maria Auböck und János Kárász zahlreiche exotische Pflanzen eingesetzt, die gerade beginnen, eine vertikale Landschaft zu bilden. Man darf über das Wohnhaus von ARTEC nicht berichten, ohne es als Teil eines Ensembles zu besprechen, zu dem – nach einem Bebauungsplan der Architekten Henke und Schreieck – eine niedrigere Bebauung gehört, die in drei Teilen nach Entwürfen von Hermann Czech, Adolf Krischanitz und Schutzhülle für ein Wohnregal mit U-Bahn Werner Neuwirth entstanden ist. Deren rafim Hintergrund. finiert zugeschnittene Wohnungen eignen sich durch das Kombinieren von kleineren Einheiten gut für das Zusammenleben mehKontur aufweist. Am deutlichsten wird diese rerer Generationen. Vom Wohngefühl her skulpturale Wirkung auf der Nordseite, wo könnte der Kontrast zwischen diesen Beinadas Gebäude tatsächlich als große Skulptur he-Einfamilienhäusern und dem Wohnregal erscheint, ein schwarzer Monolith, der sich von ARTEC kaum größer sein. Gerade darin wie eine gespannte Sehne in den leichten Bo- liegt die Chance des Städtebaus an der Perigen der U-Bahntrasse hineinschiebt. pherie: nicht alte urbane Muster zu kopieren, Hinter dieser schwarzen Wand verbirgt sondern aus scheinbaren Widersprüchen sich einer der schönsten Innenräume, die im Symbiosen zu erzeugen. Wiener Wohnbau in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Wer die Zwänge kennt, denen der soziale Wohnbau heute ausgesetzt ist, weiß, wie viel Knochenarbeit dahintersteckt, um eine solche Detailqualität zu vertretbaren Kosten zu erhalten. Als Verschärfung kam noch hinzu, dass es sich bei diesem Projekt um ein Passivhaus handelt, mit Anforderungen an die Dichtigkeit der Gebäudehülle, die bei diesen speziellen Geometrien eine besondere Herausforderung darstellen. In Abstimmung mit dem Bauträger, der BUWOG, wurden die Leistungen zuerst nach Gewerken ausgeschrieben, um die Kosten möglichst exakt bestimmen zu können, und erst danach an einen Generalunternehmer beauftragt. In der Erschließungshalle wird sofort klar, dass die Zickzacklinie der Gebäudehülle im Innenraum eine völlig andere WirDie hängenden Gärten vom Mühlgrund: kung entfaltet als von außen. Das liegt Eingangshalle mit schwebenden Pflanztrögen. Fotos: Bruno Klomfar 213 nicht nur an der Farbkombination
21. Januar 2012
Das Erlebnis Bad Wiens schönstes Bad wird soeben saniert. Jetzt muss nur noch das Becken dicht werden. Ein Baustellenbesuch.
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einahe wäre es Roland Rainers Stadthallenbad vor zwei Jahren an die Substanz gegangen. Für die längst notwendige Sanierung des denkmalgeschützten Baus, der 1974 fast zeitgleich mit dem ORF-Zentrum am Küniglberg fertiggestellt wurde, lag eine Planung vor, die Kopfschütteln auslöste. Sie erfüllte zwar die neuesten Anforderungen der Bäderhygiene; dass man es hier mit einem Werk der Baukunst zu tun hatte, das nicht zuletzt von feinen Details lebt, war den Planern aber offensichtlich nicht bewusst. Auch die Idee, den bisherigen Eingang exklusiv den Leistungssportlern zu überlassen und für den Breitensport einen zusätzlichen Eingang zur Hütteldorfer Straße zu öffnen, war zwar durchaus zu begrüßen; die hilflose architektonische Antwort auf diese Vorgabe ließ allerdings Schlimmes befürchten. Bei der Sanierung von Nutzbauten mit komplexen Funktionen lauert nämlich an jeder Ecke ein „Sachzwang“, ausgelöst von verschärften Bestimmungen des Brandschutzes, des barrierefreien Zugangs oder der Bäderhygiene. Hier ist hohe gestalterische Kompetenz gefragt, die mit der präzisen Analyse und Bewertung des ursprünglichen Bestandes und späterer Veränderungen beginnen muss. In der Planung geht es dann an vielen Stellen nicht um die Erhaltung des ursprünglichen Zustands, sondern um ein Weiterdenken von bestehenden Konzepten unter neuen Bedingungen. Gerade das Stadthallenbad stellt hier höchste Anforderungen. Auf einem äußerst knapp bemessenen Grundstück hat Roland Rainer die Architektur or214 ganisch aus den Hauptfunktionen
entwickelt: zwei Becken, ein Sprungturm, Tribünen für Zuschauer. Der Sprungturm gibt dem Projekt im Grundriss wie im Schnitt Dynamik. Er staffelt die Fassade nach außen und fächert die mächtigen Stahlträger nach oben weg, und auch die Tribünen sind leicht schräg in die rechteckige Halle gesetzt, um eine bessere Sicht auf die Springer zu erlauben. Dass man bei einer solchen Anlage Dutzende Regeldetails entwickeln kann und trotzdem an vielen Punkten spezielle Lösungen finden muss, liegt auf der Hand. Es ist der Stadt Wien und ihren zuständigen Organen hoch anzurechnen, dass sie mit Georg Driendl einen Architekten gefunden haben, der dieser Aufgabe gewachsen ist. Offiziell konnte Driendl zwar nicht mehr mit der Entwurfs-, sondern nur mit der Ausführungsplanung beauftragt werden. In deren Verlauf wurde aber auch der Entwurf neu und auf dem Niveau des Rainer’schen Bestands aufgerollt und mit der Haustechnikplanung von Vasko+Partner abgestimmt.
Schwimmhalle mit Fenstern in die Stadt.
Driendl, der bei Roland Rainer an der Akademie der bildenden Künste studiert hat, musste sich auch mit Veränderungen auseinandersetzen, die bei bisherigen Renovierungen des Bades erfolgt waren, in den 1980ern und 1996, zu Lebzeiten und teilweise unter Mitwirkung Rainers. Bei der Fassadensanierung wurden damals Verglasungen, die bis zum Boden gereicht hatten, mit geschlossenen Füllungen versehen, und die schlanken Stahlstützen erhielten plumpe Sockel, um Dichtheitsprobleme an den Fußpunkten in den Griff zu bekommen. Auch die „finnische Rinne“, die Rainer verwendet hatte, um den Wasserspiegel auf dasselbe Niveau zu legen wie den umliegenden Hallenboden, musste in einer Form wiederhergestellt werden, die den heutigen Richtlinien entsprach. Eine besondere Herausforderung stellte die Lüftungsanlage dar, Rainersche Raumkunst: Leitungsführung hinter den Tribünen. deren Leitungen seit der Inbetriebnahme Fotos: C. Kühn des Bads nicht mehr gereinigt wurden. Für runde und eckige Querschnitte gibt es dafür Lösungen bis hin zum Einsatz von kleinen „Wellnessoase“ suchen, sicher eine ÜberraReinigungsrobotern. Da Rainer spezielle schung. Als Teil eines Hochleistungsraums Querschnitte verwendet hatte – an beiden für Sportler ist diese Lösung aber schlüssig. Seiten abgerundete Rechtecke –, musste da- Die neu gestalteten Duschen bringen eine für eine ebenso spezielle Lösung gefunden elegantere Note in den Garderobenbereich, werden: fix in den Leitungen installierte und über den sehr übersichtlichen Zugang Vorspannseile, an denen Reinigungsdüsen von der Hütteldorfer Straße gibt es sogar entlanggezogen werden. Die einfachste Lönoch etwas Licht und eine Blickbeziehung sung wäre gewesen, die alten Leitungen zur Außenwelt. quasi als Dekoration zu erhalten und paralDie Fertigstellung des Bads war ursprünglel dazu neue, leistungsfähige Weitwurfdülich für letzten Dezember geplant. Bei sen zu installieren. Die Entscheidung, den einem Sanierungsprojekt ist man vor ÜberBestand auch in seiner Funktion zu erhalraschungen aber nie sicher, und so erwies ten, erfolgte erst nach langen Diskussiosich das Edelstahlbecken trotz vorheriger nen und aus Sorge vor Zugerscheinungen Saugglockentests bei der Befüllung als undurch stärkere Düsen. Dass sich die Erhaldicht. Skandal ist das keiner, sondern untung aber auch ästhetisch gelohnt hat, zeigt angenehme und zeitraubende Routine, bis sich vor allem im Bereich hinter den Tribüdie Schweißnähte gefunden sind, an denen nen, wo Rainer aus diesen Leitungen und nachgebessert werden muss. Ob die 134 → der rot gestrichenen Stahlkonstruktion ein Eröffnung noch im Februar stattfinden 276 → beachtliches technisches Gesamtkunstwerk kann, wird sich zeigen. Viel wichtiger entwickelt hat. ist, dass das Stadthallenbad die SaÜberhaupt hat Rainer im ganzen Genierung bekommen hat, die es verdient. Mit bäude auf Verkleidungen und abgehängte 400 000 Besuchern pro Jahr war es schon Decken so weit wie möglich verzichtet. Bei bisher eines der erfolgreichsten Bäder der der Sanierung wurde dieses Prinzip beibeStadt. Die meisten von ihnen werden nicht halten, obwohl durch neue Anforderungen wissen, dass sein Entwurf von Roland Rainer zahlreiche Leitungen dazukamen. Unter stammt. Es wird sie auch kaum interessieren, anderem mussten in das Edelstahlbecken, wie viel Mühe investiert wurde, um das Bad das 1996 installiert worden war, zusätzliche nicht nur technisch, sondern auch ästhetisch Einströmöffnungen gelegt werden. auf dem höchsten Niveau zu halten. Aber Die Leitungsdichte ist beachtlich unbewusst werden alle Besucher davon pro215 und für Badebesucher, die eine fitieren. Und das ist den Aufwand wert.
2011
24. Dezember 2011
Bilder, die Bauten machen „Erschaute Bauten“ in Wien, „italomodern“ in Innsbruck: Zwei Ausstellungen zeigen eindrucksvoll, wie Architektur in der Fotografie entsteht.
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eit dem frühen 20. Jahrhundert steht die Architektur unter dem Einfluss der Bilder, die Fotografen von ihr machen. Die meisten Architekten der frühen Moderne orientierten sich durchaus bewusst an den speziellen Qualitäten der Schwarz-Weiß-Fotografie, die ihnen für Publikationen zur Verfügung stand. Wer, wie etwa Bruno Taut, auf eine raffinierte Farbigkeit setzte, hatte es in der medialen Vermittlung deutlich schwerer als die Proponenten der weißen Moderne des „internationalen Stils“. Nach 1945, mit der Entwicklung der Farbund der Werbefotografie, wurde auch Architektur oft als perfekt inszenierte Ware dargestellt, etwa durch Julius Shulman, der jahrzehntelang die US-amerikanische Architektur als ihr wichtigster Fotograf begleitete. Zwischen 1945 und 1970 war ein Bauwerk in den USA erst dann bedeutend, wenn es „shulmanized“, also von ihm fotografiert worden war. Viele dieser Bauten sind heute abgerissen oder massiv verändert und in der allgemeinen Wahrnehmung vor allem durch seine Fotografien präsent. Die beiden derzeit im Wiener Museum für angewandte Kunst und im „aut. Architektur und Tirol“ in Innsbruck laufenden Ausstellungen kommentieren auf unterschiedliche Art den aktuellen Stand der Beziehung zwischen Architektur und Fotografie. Im „aut“ erfinden die Kuratoren, der Architekt Martin Feiersinger und sein Bruder, der Bildhauer und Fotograf Werner Feiersinger, einen neuen Stilbegriff – „italomodern“ –, dessen Berechtigung sie durch zahlreiche oberitalienische Beispiele aus der Zeit zwischen 1946 und 1976 belegen. Seit 2004 haben sich die beiden in 217 einer intensiven Recherche mit mehr
oder weniger bekannten Bauten aus dieser Zeit beschäftigt. In der Ausstellung und im Katalog sind sie durch Werner Feiersingers Fotografien des aktuellen Zustands und durch sparsame, aber immer das Wesentliche zeigende Grundriss- und Schnittzeichnungen Martin Feiersingers repräsentiert. Das Konzept geht vor allem im Katalog auf, der zu den besten Architekturpublikationen der letzten Jahre gehört. Die Fotografien und Zeichnungen werden ergänzt durch einen Text von Otto Kapfinger, der in 13 Notizen nicht nur die gezeigten Projekte, sondern auch autobiografisch den Einfluss der „Italomodernen“ auf die österreichische Szene der 60er-/70er-Jahre reflektiert. Die grafische Gestaltung mit einer eigens nach einem zeitgenössischen italienischen Vorbild für den Katalog entwickelten Schrift stammt von Willi Schmid. Das Projekt der Feiersingers zeigt einen architektonischen Kosmos, der die doktrinäre Moderne bald nach 1945 hinter sich gelassen hat, lange bevor der Begriff der Postmoderne in Mode kam. Manche Architekten sind aus der Architekturgeschichte zwar bekannt, wie Angelo Mangiarotti, Gino Valle, Pier Luigi Nervi, Marco Zanuso oder Vittorio Viganò, aber die Projekte, mit denen sie hier vorgestellt werden, sind großteils echte Entdeckungen. Da finden sich etwa ein Hochhaus von Mangiarotti und ein raffinierter Stahlskelettbau von Zanuso in Mailand aus den frühen 60er-Jahren, die absolut aktuell wirken, oder ein Sommerhaus von Viganò in Portese, das so ruppig ist, wie man sich ein Landhaus nur wünschen kann – zumindest in den Fotografien von Werner Feiersinger, der sich diesen Häusern aus einer heutigen Perspektive nähert und dabei nicht unbedingt das freilegt, was die Architekten
als wichtig an ihren Werken erachtet haben, Brüchige Utopien sind überhaupt ein zensondern das, was ihn interessiert. Dass Feitrales Thema der Ausstellung: Ein eigener ersinger dabei nicht seinen formalen IdioBlock von Bildern des deutschen Fotografen synkrasien folgt, sondern Aspekte zeigt, die Tobias Zilony zeigt nächtliche Aufnahmen für die aktuelle Architekturdebatte relevant einer neapolitanischen Trabantenstadt und sind, macht ihn zu einem der wichtigsten ihrer Bewohner, die ahnen lassen, wie aus heutigen Architekturfotografen. hochfliegenden architektonischen Träumen Es ist daher kein Zufall, dass Feiersinger von einer besseren Welt ein alltäglicher Alpauch in der im MAK laufenden Ausstellung traum wurde. Ähnlich kritisch zeigen Sabine über „Erschaute Bauten“ mit mehreren FoBitter und Helmut Weber in ihren invertiertoarbeiten vertreten ist. Die Ausstellung ist ten Schwarz-Weiß-Fotografien den IIT-Camdie erste unter der Direktion von Christoph pus in Chicago von Ludwig Mies van der Thun-Hohenstein und musste unter großem Rohe, aus dessen Geschichte der Abriss eiZeitdruck entwickelt werden, weil eine noch nes funktionierenden „schwarzen“ Viertels unter Peter Noever geplante Retrospektive gerne ausgeblendet bleibt. über Helmut Lang nicht zustande kam. Das Viel Raum bekommt in der Ausstellung ist insofern ein Glücksfall, als eine Ausstelauch das Schindler-Chase-Haus in Los Anlung über „Architektur im Spiegel der zeitgeles, das zum MAK gehört. Neben Arbeiten genössischen Kunstfotografie“ sonst kaum von Candida Höfer und Hiroshi Sugimoto, das Hauptgeschoß des MAK zur Verfügung die das Haus als Ikone betrachten, findet gestellt bekommen hätte. Der Kurator Simon sich eine Arbeit der dänischen Künstlerin Rees hat diese Chance genutzt, großformati- Pia Rönicke, in der quasi im Familienalbum gen Arbeiten viel Raum gegeben und sie mit geblättert wird, begleitet von einer Tonspur, Filmarbeiten kombiniert, die in der künstleauf der der Konservator des Hauses, Robert rischen Auseinandersetzung mit Architektur Sweeney, über dessen Geschichte berichtet. eine immer größere Rolle spielen. Zuweilen Auch zu dieser Ausstellung existiert eine ausentstehen dabei neue Räume, wie in der Ingezeichnete Publikation in Form eines MAK/ stallation von Jane und Louise Wilson, die ZINEs zum moderaten Preis von knapp zehn auf vier Bildschirmen ein desolates Denkmal Euro. Im Doppelpack mit dem Katalog zu aus Stahlbeton im britischen „New Town“ „italomodern“ sollte er ArchitekturversesPeterlee zeigen, das von Jugendlichen in Be- sene auch durch den verschneitesten Weihsitz genommen wird. nachtsurlaub retten. 26. November 2011
Nach falschem Rezept 250 bis 300 Millionen Euro müssen bis 2017 ins Parlamentsgebäude investiert werden. Kann sich die Republik eine Sanierung leisten, von der man Ende kaum etwas sieht?
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er schlechte Zustand des Wiener Parlamentsgebäudes ist so umfassend dokumentiert, dass an der Notwendigkeit einer Sanierung um 250 bis 300 Millionen Euro
kein ernsthafter Zweifel besteht. In Zeiten knapper Budgets eignet sich eine solche, vordergründig in den politischen Betrieb investierte Summe aber hervorragend als Wahlkampfthema. Es ist daher wenig überraschend, dass ein All-Parteien-Beschluss
für die Sanierung trotz aller Bemühungen der Parlamentspräsidentin Barbara Prammer, die als Hausherrin die Verantwortung für das Projekt trägt, nicht zustande kam. Welcher Populist lässt sich schon die Gelegenheit entgehen, bei den nächsten Wahlen „Verschwendung“ zu rufen und mit dem Finger auf den politischen Gegner zu zeigen? Um diesem Problem zu begegnen, soll die Sanierung nun offenbar als Sachzwang dargestellt werden, bei dem es außer technischen Fragen so gut wie nichts zu entscheiden gibt. „Ich liebe dieses Haus“, erklärte die derzeitige Parlaments- und mögliche zukünftige Bundespräsidentin Prammer vor kurzem bei einer Festveranstaltung, die zum Gedenken an den vor 120 Jahren verstorbenen Architekten Theophil Hansen im Parlament stattfand, „und ich erwarte mir, dass man nach der Sanierung dieses Hauses genauso auf der ersten Etage durch die Räume wandern kann und keine Veränderung finden wird.“ 219 So raffiniert die Taktik sein mag, das
In der Säulenhalle: Wer das Neue als Altes tarnt, wird zwangsläufig stolpern. Fotos: C. Kühn
Projekt als Reparatur darzustellen, so ist sie doch mit beachtlichem Risiko verbunden. Denn selbst die unbedingt aus Gründen des Brandschutzes und der Statik nötigen Eingriffe gehen an die Substanz und werfen zahlreiche gestalterische Probleme auf. Dazu kommt die einmalige, in den bisher veröffentlichten Konzepten auch dargestellte Chance, den Parlamentsbetrieb funktionell und atmosphärisch zu verbessern und das Haus mehr nach außen zu öffnen. Wie gefährlich es wäre, die dafür nötigen Veränderungen als Funktionssanierung zu definieren und möglichst unsichtbar zu machen, wurde dem Publikum bei der Festveranstaltung für Theophil Hansen drastisch vor Augen geführt. Für eine Ausstellung in der Säulenhalle waren Stromkabel verlegt, deren Abdeckung man liebevoll im Muster des Marmorbodens kaschiert hatte. Offensichtlich erwies sich diese Lösung als
Sanierung? Erneuerung? Das Wiener Parlament.
Stolperfalle, und so war man gezwungen, durch Klebebänder auf die Gefahr hinzuweisen. Dass diese Bänder in den k u. k-Farben Schwarz-Gelb gehalten sind, wird Zufall sein. Genützt haben sie jedenfalls wenig: Zumindest einmal dürfte jeder Besucher über diese Schwellen gestolpert sein. Die notwendigen und wünschenswerten Eingriffe am Gebäude sind um Größenordnungen komplexer als dieses Beispiel. Es wird an vielen Stellen um kluge Ergänzungen gehen, an manchen auch ums Zerstören mit Verstand und Gefühl. Beim neuen Zugang zum Parlament hinter dem Minerva-Brunnen vor ein paar Jahren hat sich gezeigt, dass das möglich ist, solange gestalterische Kompetenz federführend ins Projekt eingebracht wird. Eine Sanierung, bei der gestalterische Leistungen nur zugekauft werden, um punktuell Probleme zu lösen und die Beleuchtungskörper auszusuchen, muss ein Misserfolg werden. Voraussetzung für eine erfolgreiche Sanie rung ist nicht zuletzt eine Interpretation des Bestandes, die sich nicht auf die schöne Oberfläche beschränkt. Das Parlament ist ohne Zweifel einer der bedeutendsten Bauten der Wiener Ringstraße. Man darf dennoch nicht in den Fehler verfallen, es so zu behandeln wie einen griechischen Tempel. Auch wenn Theophil Hansen sich selbst gerne mit den antiken Baumeistern identi fizierte und sich im Parlamentsgebäude sogar an zentraler Stelle auf einem Gemäldefries als Phidias abbilden ließ, der gerade von Perikles den Auftrag für die Prachtbauten der Akropolis erhält, war diese Architektur doch durch und durch ein Produkt der Industriegesellschaft und des 220 Maschinenzeitalters.
Das hat schon die zeitgenössische Kritik erkannt. „Je mehr einer für die Antike begeistert ist“, schrieb der damalige Architekturkritiker der „Presse“, Albert Ilg, im Herbst 1883 anlässlich der Eröffnung des Gebäudes, „desto frostiger und ungemütlicher muss ihm vor dieser nüchtern zusammenstudirten Modernität in griechischer Uniform werden. Überall, wo sie stehen, diese (…) gefrorenen Satiren auf die Akropolis, schütteln sie ein gesundes Kunstempfinden durch, wie ein widriger Absud aus Apothekergewürz, der noch dazu nach falsch verstandenem Recept zusammengebraut ist.“ So sehr die Architekten des Historismus von ihrer künstlerischen Virtuosität überzeugt waren, waren sie doch vor allem Buchhalter des historischen Erbes, das im Lauf des 19. Jahrhunderts immer umfassender dokumentiert wurde. 1901 hielt Carl König, Professor und Rektor an der Technischen Hochschule in Wien und Antipode Otto Wagners, einen Vortrag über die „Wissenschaft von der Architektur und ihre praktische Bedeutung“, in dem diese Haltung deutlich wird. Man hätte in der Wissenschaft den „sicheren Halt für das künstlerische Schaffen gewonnen“. „Ein Kunstwerk, das unser Wohlgefallen finden soll“, dürfe „vor allem keine Rätsel aufgeben“. Otto Wagner warf diesen Architekten zu Recht vor, die Exaktheit der stilistischen Kopie „zum Wertmesser für die Beurteilung der Kunstformen“ zu machen und sprach vom Historismus als einem „Wahnsinnsgebäude, bei dem der denkende Architekt in Verlegenheit kommt, wo er den Hebel ansetzen soll, um es einzureißen“. Bei allem Respekt vor Theophil Hansen ist aus der historischen Distanz klar, dass es sich beim Historismus um einen toten Ast in der Entwicklung der Architektur handelt, der grundsätzlich anders zu bewerten ist Stilepochen früherer Jahrhunderte. Trotzdem darf man die Räume des Parlaments lieben. Aber das darf kein Grund sein, die Dinge nicht beim Namen zu nennen: Das Parlamentsgebäude braucht keine Reparatur, sondern eine umfassende Erneuerung, um die eine politische Debatte geführt werden muss. Ein um hunderte Millionen repariertes Haus, das uns im Jahr 2030 rückblickend als Symbol für die Selbstblockade der politischen Institutionen der 2010er 123 → Jahre erscheint, können wir uns wirklich nicht leisten.
8. Oktober 2011
Schützen an der Halfpipe Wie man ein Denkmal von Missverständnissen befreit: der neu gestaltete Landhausplatz im Zentrum von Innsbruck.
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er Hauptplatz von Innsbruck? Auf diese Frage wussten selbst Einheimische bisher keine befriedigende Antwort. Es gibt zwar Plätze in der Stadt, den Bahnhofsplatz oder den Bozner Platz, aber das sind Transiträume mit wenig Aufenthaltsqualität. Andere, wie der Sparkassenplatz, sind erweiterte Straßenräume, und selbst das Rathaus ist ohne Vorplatz an die Maria-Theresien-Straße postiert. Der einzige Platz, der von der Dimension und der Bedeutung der dort angesiedelten Institutionen die Bezeichnung
Hauptplatz verdient, wäre niemandem in den Sinn gekommen: der Landhausplatz, heute nach dem Altlandeshauptmann Eduard Wallnöfer benannt. Der Platz war ein Unort, Aufmarschplatz, verwahrloster Grünraum, Zuflucht für Obdachlose und Drogenhändler. Der Platz ist vergleichsweise jung. Er wurde nach dem „Anschluss“ Österreichs als Vorplatz des neu errichteten Gauhauses angelegt. Das Gebäude, heute Sitz der Landesregierung, ist ein typisches Produkt der NS-Architektur, errichtet im Stil eines gedrungenen Klassizismus, in dem sich
Foto: Günter Wett
Biederkeit und latente Brutalität verbinden. Auffällig ist der Mittelrisalit mit Pfeilern aus Naturstein und drei Balkonen, deren mittlerer als Führerbalkon hervorsticht. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde auf Initiative der französischen Besatzer auf dem Platz ein Befreiungsdenkmal errichtet, das formal eine frappante Ähnlichkeit mit dem Mittelrisalit des Gauhauses hat. Die Planung stammt von einem französischen Militärarchitekten, dem der Klassizismus so sehr ins Blut übergegangen war, dass ihm diese Spiegelung nicht weiter auffiel. Die Partner auf Tiroler Seite hatten nichts gegen diese ästhetische Entscheidung einzuwenden, auch nicht gegen die mehrdeutige Inschrift in lateinischer Sprache, die das Denkmal den Opfern für die Freiheit Österreichs widmete, ohne den Faschismus und seine ortsansässigen Parteigänger explizit als Täter zu erwähnen. Auf dem Gesims des Denkmals durfte ein meterhoher, aus Kupferblech getriebener Tiroler Adler Platz nehmen. Die fünf Durchgänge wurden mit Eisengittern versehen, in die die Wappen der österreichischen Bundesländer so eingearbeitet waren, dass sich die Form eines großen Kreuzes ergab. Angesichts dieser symbolischen Gemengelage darf man es den Innsbruckern nicht verübeln, dass sie das Denkmal mit dem 1928 auf persönliche Initiative Mussolinis errichteten Bozener Siegesdenkmal in Verbindung brachten und die Gittertore des vermeintlichen Innsbrucker Pendants und deren religiöse Symbolik für eine spätere Zutat hielten. Daran konnten auch die weiteren, auf dem Platz abgestellten Denkmäler – etwa für die jüdischen Opfer der Novemberpogrome von 1938 – nicht viel ändern. Es ist vielleicht nur Zufall, dass der Wettbewerb für die Neugestaltung des Platzes 2008 stattfand, als es in Südtirol zu massiven Protesten gegen die nach wie vor stattfindende Nutzung des Bozener Siegesdenkmals durch italienische Rechtsparteien kam. Die Sensibilität für die besondere geschichtliche Bedeutung des Innsbrucker Landhausplatzes war jedenfalls geweckt. Und so war im Wettbewerb nicht nur die Funktionssanierung eines heruntergekommenen Stadtraums gefordert, sondern auch die Klärung seiner kulturellen und historischen Bedeutung. WDas Team, das den Wettbewerb für sich entscheiden konnte – die Inns222 brucker Architekten Kathrin Aste und
Foto: Günter Wett
Frank Ludin, die unter dem Kürzel LAAC firmieren, Johannes Stiefel vom Wiener Büro Stiefel/Kramer und der Künstler Christopher Grüner –, hat beide Aufgaben vorbildlich gelöst. Anstelle der Zweiteilung des Platzes in einen „harten“ und einen begrünten Teil ist eine durchgängige Gestaltung getreten, die auf die symmetrischen Monumentalfassaden aus der NS-Zeit mit einer plastisch gestalteten Landschaft reagiert, in die an geeigneten Punkten Bepflanzungen eingelassen sind. Als fliegender Teppich aus hellem Beton folgt sie den Bewegungsströmen der Passanten, deren meist genutzter diagonal über den Platz zur Maria-Theresien-Straße führt. Die Abgänge und Zufahrten für die Tiefgarage unter dem Platz sind nahtlos in diese Landschaft integriert, wobei sich an der Ostseite des Platzes über der Hauptzufahrt ein kleiner Hügel ergibt, von dem aus man den Platz überblicken kann. Die drei kleineren Denkmäler wurden neu positioniert und mit zusätzlichen Elementen ergänzt, unter anderem mit einer kleinen Brunnenkaskade am Südende des Platzes. Den Aufmarschplatz vor dem Landhaus gibt es nach wie vor, aber wenn die Tiroler Schützen gerade nicht aktiv sind, verwandelt er sich in ein Wasserspiel, das aus zahlreichen Düsen kleine Wasserbögen in die Luft schießt, durch die im Sommer die Kinder laufen. Und das Befreiungsdenkmal? Es hat nicht viel mehr gebraucht als die Gittertore zu öffnen und die Betonwellen sanft an seine Stufen gleiten zu lassen, um es vom Fremdkörper zu einem integralen Teil des öffentlichen Raums werden zu lassen. Bei Nacht bleibt es, wie die Aufmarschfläche vor dem Landhaus, nur schwach beleuchtet. Da
gehört der Platz den Stadtbewohnern, vor allem den jüngeren, die hier ein Skaterparadies entdeckt haben. Konflikte unter den Nutzern gibt es kaum, weil alle spüren, dass ihnen hier etwas geschenkt wurde, das man teilen muss: einen präzise gestalteten Stadtraum außerhalb kommerzieller Interessen, ohne Zweifel den schönsten Platz der Stadt.
Dass es jüngeren Tiroler Architekten gelungen ist, ein solches Niveau im Entwurf zu erreichen und in der Ausführung durchzusetzen, ist ein gutes Zeichen für die Baukultur des Landes. Wien kann sich an diesem Platz ein Beispiel nehmen, gerade in der nun anbrechenden Diskussion um die Gestaltung von Morzin- und Schwedenplatz.
3. September 2011
Das Haus ohne Unterlippe Hier kann man lernen, was Exklusivität bedeutet. Peek & Cloppenburg eröffnet auf der Kärntner Straße sein neues „Weltstadthaus“: ein Exhibitionist im feinsten Tuch.
D
as hat es auf der Kärntner Straße bisher nicht gegeben: Ein 60 Meter langes Stück Fassade ohne Schnörkel und Zierglieder, scheinbar massiv gemauert aus hellem Sandstein, durchbrochen nur von großen Öffnungen in einheitlichem Format. Was auf den ersten Blick monoton wirkt, zeigt beim genaueren Hinsehen eine Reihe von feinen Details. Der Steinschnitt ist sorgfältig in unterschiedlich hohenC Schichten ausgeführt. Die beiden Eingänge lassen sich mit einem zarten Metallgitter abschließen, das bündig in der äußersten Fassadenebene liegt und zu den Öffnungszeiten im Boden verschwindet. Die Verglasung der Schaufenster im Erdgeschoß liegt ebenfalls ganz außen an der Fassade, während sie in den Obergeschoßen zurückgesetzt ist und dadurch charakteristische tiefe Fensterlaibungen erzeugt. Im obersten Geschoß ist die Verglasung noch ein Stück weiter nach hinten versetzt und stellt so das Steingitter vor einer durchlaufenden Glaswand frei. Es ist kein Wunder, dass die Wiener sich bei dieser Fassade an das berühmte Haus am Michaelerplatz von Adolf Loos 223 aus dem Jahr 1910 erinnert fühlen,
das zu seiner Zeit als „Haus ohne Augenbrauen“ für Aufruhr sorgte, und man darf annehmen, dass auch David Chipperfield, der Architekt des neuen Peek & Cloppenburg auf der Kärntner Straße, diese Assoziation zumindest mitgedacht hat. 1910 wurde die Fassade des Hauses am Michaelerplatz mit einem Kanaldeckel verglichen, zumindest gibt es eine berühmte Karikatur, die den Architekten im Moment der Inspiration für seine Fassade vor einem solchen zeigt. Bevor man der oberflächlichen Ähnlichkeit der beiden Häuser auf den Leim geht, empfiehlt es sich aber, auf die Unterschiede zu achten. Das Haus am Michaelerplatz hat nämlich einen Sockel, der mit klassischen Säulen, Marmorverkleidungen und fein ziselierten Fensterteilungen alles andere als unverziert ist. So betrachtet, wäre das Peek & Cloppenburg eher ein Haus ohne Unterlippe oder ein bis zum Bauchnabel im Asphalt versunkener Loos. Nun könnte man annehmen, das Loos sich am Michaelerplatz einfach noch nicht getraut hat, auch in der Sockelzone so richtig modern zu sein. Aber das ist ein Irrtum: Seine Fassade orientiert sich einerseits an der Michaelerkirche gegenüber, ebenfalls eine hohe glatte Mauer mit einem
tempelartigen, säulenverzierten Eingang. Andererseits war die gesamte Sockelzone des Hauses am Michaelerplatz genau dem Zweck gewidmet, den auch Peek & Cloppenburg heute hat, nämlich als Verkaufslokal und – im oberen Stockwerk – Maßschneiderei für den damals besten Wiener Herrenausstatter, Goldman & Salatsch. Die gesamte Anlage der beiden Geschoße diente dem Zweck, die Waren und Dienstleistungen dieser Firma auf eine subtil verlockende Weise auszustellen, sie sichtbar zu machen, Exklusivität im engeren Sinn des Wortes: Das neue aber gleichzeitig hinter einem Schleier von Modehaus in der Kärntner Straße. facettierten Gläsern und Spiegelungen zu Foto: Anna Blau verstecken. Das Peek & Cloppenburg-Gebäude versich auch nach der Möblierung weitgehend folgt genau die gegenteilige Strategie. Es ist erhalten. Was fehlt, sind ausreichende Sitzgewissermaßen ein Exhibitionist in einem gelegenheiten an den richtigen Stellen, auf Mantel aus allerfeinstem Tuch, der auf der denen sich Flaneure mit Blick auf das GeKärntner Straße hemmungslos alles zeigt, was er zu bieten zu hat. Das ist so obszön wie wimmel in der Kärntner Straße ausruhen könnten. es klingt, hat aber durchaus Qualitäten. NirAn rastenden Flaneuren ist der Bauherr gendwo sonst öffnet sich die Kärntner Straße für den Passanten zu einer solchen Breite wie aber wohl weniger interessiert als an rastlosen Shoppern mit gut gefüllter Börse. Die hier, wo das Erdgeschoß des Peek & Cloppenburg zumindest visuell zum Teil des Stra- Verschränkung zwischen dem öffentlichen Straßenraum und dem halböffentlichen ßenraums wird. Dazu tragen auch eine gute Raum des Einkaufstempels findet an dieLichtregie, die den Raum in seiner Tiefe ersem Punkt auch ihre Grenze. Denn so intenhellt, und ein Möblierungskonzept bei, das siv sie ist, sie beschränkt sich aufs Visuelle. den Raum nicht verstellt, sondern hohe ReUnd so großzügig auch in den Obergeschogale so gut wie ausschließlich an den rückßen durch die tiefen Laibungen Raum verwärtigen Wänden positioniert, wodurch die schenkt wird: Im Erdgeschoß gibt es kaum Etagen übersichtlich und großzügig bleiben. Im Unterschied zu seinem Kaufhaus Tyrol ein anderes Kaufhaus in der Kärntner Straße, in Innsbruck hat Chipperfield im Inneren des das sein Baurecht so maximal ausnutzt. Wo beim Kaufhaus Steffl ein überdachter VorPeek & Cloppenburg auf raumkünstlerische Ambitionen so gut wie vollständig verzichtet: bereich entsteht und auch bei vielen kleinen Geschäften nuancierte Übergangszonen beSein Kaufhaus ist ein Kaufhaus ist ein Kaufhaus. Das belichtete Atrium ist rechteckig aus stehen, ist man hier entweder drinnen oder den Etagen ausgeschnitten und die Rolltrep- draußen vor der Tür: Über die eigentliche Bedeutung des Worts „exklusiv“ kann es da pen, mit denen Chipperfield in Innsbruck eine Art Aufstiegsparcours inszeniert hat, lie- keine Zweifel geben. Dass sich vor der glatt durchlaufenden Auslagenfront im Erdgegen hier ohne jede Spielerei übereinander. schoß ein Musikant oder gar ein Bettler platDerartiges ist hier schon deshalb nicht nötig, weil es sich im Unterschied zu Innsbruck zieren wird, ist kaum anzunehmen: Zu rasch wäre er mangels Nische vom Passantenstrom ja nicht um ein Shopping-Center handelt, in dem die Besucher zu den Geschäften geleitet weggespült. Insofern ist die Fassadenlösung des Peek werden müssten, sondern um ein Kaufhaus mit einem einzigen Nutzer. Aber jede Spiele- & Cloppenburg ein zwiespältiger Beitrag zum Thema. Ist sie tatsächlich auf der Höhe der rei würde auch von der eigentlichen Besonderheit dieses Kaufhauses ablenken, nämlich Zeit? Hat nicht Frank Gehry am Pariser Platz der Einbeziehung des Straßenraums über die in Berlin für die DZ Bank nicht schon vor über 10 Jahren eine ähnlich strenge Fassade großen Fensteröffnungen. Bei einer ersten realisiert, die mit dem Thema Stein und Glas Begehung im Juli – noch vor der Einvielschichtiger umgeht? Und hat nicht die richtung des Gebäudes – war der Ef224 fekt geradezu sensationell, und er hat Zentralsparkassa von Günther Domenig in
Der magisch leuchtenden Attraktivität der Favoritenstraße vor über 30 Jahren eine Vision geliefert, öffentlichen und kommerzi- des Peek & Cloppenburg kann man sich nur schwer entziehen. Der Stresemann passt uns ellen Raum zu verschränken, die man heute weiterdenken könnte, ohne formal an Dome- wieder. Aber fühlen wir uns darin wirklich nigs Expressionismus anknüpfen zu müssen? wohl?
Auf nach Abu Ghraib! 20. August 2011
Einspruch: In seiner Forderung nach mehr „Pragmatismus“ in der Menschenrechtspraxis zieht Rudolf Taschner das ungeeignetste Beispiel heran, das es nur geben kann: das Folterverbot.
I
st das Folterverbot eine Regelung Behandlung“) verbietet, zu einer Geldstrafe wie viele andere, die uns im Alltag verurteilt. mit einer „roten Linie“ belästigen, Wenn Taschner einen pragmatischen Umdie wir angeblich nicht überschreiten gang mit dem Folterverbot fordert, weil er in dürfen? Folgt man Rudolf Taschners der Deklaration der Menschenrechte nichts Artikel in der letzten Ausgabe des Anderes erkennen will als „Erbauungsprosa“ Spectrum (Ich bin’s, dein Paragraf!, (sic!), sollte er das zentrale pragmatische Ar13.8.2011), dann gebietet es eine gument gegen jede Art unmenschlicher Bepragmatische Sicht auf die Wirklichkeit, das handlung aber zumindest erwähnen: den Verbot der Folter nicht anders zu handhaben Schutz unschuldig Angeklagter. Wenn es daals Rauchverbote, Geschwindigkeitsbegren- für eines aktuellen Beispiels bedarf, dann zungen oder Bekleidungsvorschriften, an bieten sich – ebenfalls beginnend mit der die man sich manchmal hält und in anderen Jahreszahl 2002 – die Opfer der VerhörmeFällen eben nicht. „Klug gesetzte rote Marthoden an, die die US-Armee und mit ihr kierungen“ statt der „roten Linie“ sollten – so verbundene Geheimdienste zuerst in AfghaTaschner – ausreichen, um Gesetze mit „Epi- nistan und später im Irak anwandten. Eines kie“, also mit Angemessenheit und Nachihrer ersten Opfer war ein Taxifahrer, der sicht anzuwenden, auch dort, wo es um die drei mutmaßliche Terroristen als Fahrgäste Menschenwürde geht. transportiert hatte und mit ihnen im DezemDas Beispiel, an dem Taschner das anber 2002 ins Lager Bagram in Afghanistan gebliche Dilemma des Folterverbots, wie gebracht wurde. Er starb fünf Tage später an es in Artikel 3 der Europäischen Menschenden Händen aufgehängt in seiner Zelle an rechtskonvention niedergeschrieben ist, erden Folgen von Tritten gegen seine Gliedläutert, ist der Entführungsfall Metzler aus maßen, die ihm von mehreren Soldaten dem Jahr 2002. Der Polizeibeamte, der dem zugefügt wurden. Der Obduktionsbericht Entführer Schmerzen androhte, wenn er den vermerkt, dass seine Beine zu Brei geschlaAufenthaltsort des entführten Kindes nicht gen waren. Hätte er überlebt, wäre eine Ambekannt gäbe, wurde später aufgrund dieputation nötig gewesen. ser Konvention, die bereits die AndroDer Film „Taxi to the Dark Side“, der 2007 hung von Folter (nicht per se, aber als den Oscar als bester Dokumentarfilm er225 „unmenschliche und erniedrigende hielt, beschreibt die Hintergründe dieser
Methoden, die sich später im Gefängnis von Abu Ghraib im Irak fortsetzten und 2004 an die Öffentlichkeit kamen. Er zeigt, wie die „rote Linie“, die in diesem Fall von der Genfer Konvention vorgegeben war, systematisch von Politikern und Schreibtischtätern unter den Beamten durchbrochen wurde. Im Film kann man Männern wie Donald Rumsfeld und Dick Cheney bei dem von Taschner geforderten „klugen Setzen von roten Markierungen“ zusehen: wie sie mit rhetorischem und juristischem Geschick den Graubereich öffnen, in dem dann sadistische Täter in den unteren Rängen aktiv werden. Wer sich die Fotos aus Abu Ghraib in Erinnerung ruft, findet dort den Ernstfall der Geschichte aus Dostojewskis Brüdern Karamasow, den Taschner benutzt, um dem Leser die universelle Geltung der Menschenwürde auszureden: Dem zerfleischten Kind bei Dostojewski entsprechen die mit Hunden bedrohten und – nach neueren Erkenntnissen – auch von ihnen verletzten Gefangenen in Abu Ghraib. Unter den tausenden Betroffenen muss es dutzende, wahrscheinlich hunderte Unschuldige gegeben haben.
Zur Aufklärung beigetragen hat Folter bisher nur in spekulativen Fernsehserien wie „24“. In der von Taschner beschworenen „prosaischen Wirklichkeit“ war der entführte Jakob von Metzler schon tot, als die Polizei seinem Entführer Schmerzen androhte, und prominente Terroristen lieferten auch nach über 80 Water-Boarding-Torturen durch den CIA vor allem das, was ihre Folterer hören wollten, nämlich die angebliche Verbindung zwischen Al Qaeda und Saddam Husseins Massenvernichtungswaffen. Die Auflösung der „roten Linie“ des Folterverbots, das in seiner erweiterten Formulierung verlangt, staatliche Gewalt gegen Menschen stets so anzuwenden, dass ihnen eine Hoffnung auf die spätere Wiederherstellung ihrer körperlichen und geistigen Souveränität bleibt, hat keinen pragmatischen Nutzen, aber fatale Nebenwirkungen. Ist diese Linie einmal porös geworden, sickern Bereitschaften in den Alltag, die man längst überwunden glaubte, von der „gesunden Watschen“ bis zur Bereitschaft, noch ein Stück mehr an Bürgerrechten für die Bekämpfung des Terrorismus aufzugeben.
6. August 2011
Die Schlucht in der Stadt Kommerzielle Bauaufgabe, virtuos gelöst: Henke Schreieck konzipierten eine „gläserne Box mit schrägem Anschnitt“ als Büro- und Geschäftshaus. Zu finden in der Mariahilfer Straße, Wien-Neubau.
D 226
ie Mariahilfer Straße boomt. Wenn das Wort „Menschenstrom“ irgendwo angebracht ist, dann hier an einem sonnigen Nachmittag, wenn sich die Massen langsam an den Geschäften und Lokalen dieser größten Einkaufsstraße Wiens vorbeiwälzen wie ein Fluss durch ein
breites Bergtal. Nirgendwo sonst ist Wien so dicht bebaut wie hier. Der Straßenraum wird begrenzt von einer bis zu 25 Meter hohen, beinahe kompakten Blockbebauung, in der die wenigen Höfe gerade das erforderliche Minimum an Belichtung herstellen. Aufgebrochen wird diese Typologie an einigen Stellen durch sogenannte Straßenhöfe, scheinbar Quergassen, in Wirklichkeit aber auf privatem Grund liegende Hofräume an der Grundstücksgrenze, die in der Regel auch öffentlich zugänglich sind. Da sie im
Unterschied zu „echten“ Straßen keinen weiteren Durchgang anbieten, wirken sie wie ein Talschluss im Gebirge: Man kann sie bewandern, muss sie aber auf demselben Weg wieder verlassen. Mit dem Büro- und Geschäftshaus in der Mariahilfer Straße 36 haben die Architekten Marta Schreieck und Dieter Henke diesen Typus des Straßenhofs neu interpretiert. Zur Verfügung stand ihnen dafür eine extrem schmale Parzelle mit 17 Metern Breite und 65 Metern Tiefe, deren Bebauungsplan ein Vorderhaus, einen Innenhof mit Seitentrakt und ein Hinterhaus vorsah. Henke und Schreieck entwickelten dazu eine raffinierte Alternative, die aus dem verfügbaren Raumvolumen eine Art Schlucht, die vom Straßenniveau aus über eine Rolltreppe zugänglich ist, herausschneidet. Über diese Treppe erreicht man auf der Ebene des dritten Geschoßes eine lang gestreckte Terrasse mit Blick auf die Mariahilfer Straße, die der Weinhandlung und Bar auf diesem Geschoß als Außenbereich dient. Begleitet wird dieser Weg auf der einen Seite von einer Stahlbetonwand, in die kreisrunde Leuchtkörper eingelassen sind, auf der anderen Seite von der leicht geneigten Glasfassade der Bürogeschoße, die am Ende der Schlucht im rechten Winkel an die Stahlbetonwand anschließt. Die Glasfassade ist hier deutlich nach hinten geneigt, um den Abschluss weniger abrupt wirken zu lassen und mehr Licht in den Raum zu bringen. Zusätzliche Dramatik (und vermietbare Flächen) bringen drei Querspangen, die die Schlucht überspannen beziehungsweise den oberen Abschluss des gesamten Ensembles bilden. Von der Mariahilfer Straße aus betrachtet, wirkt das Gebäude als einprägsame Figur, eine gläserne Box mit schrägem Anschnitt. Die Querspangen ziehen den neugierigen Blick in die Tiefe der Parzelle und laden ein, die Schlucht näher zu erforschen. Kommerziell hat sich diese Lösung jedenfalls bewährt: Die Weinhandlung, die nur über die Rolltreppe und einen Lift zu erreichen ist, floriert, und die Büros sind komplett vermietet. Das ist trotz guter Adresse keine Selbstverständlichkeit: Ein Blick in die umliegenden Höfe zeigt einen beachtlichen Leerstand, der nicht zuletzt durch die ungünstige Hinterhoflage vieler Büros begründet ist. 227 So wie bei früheren Projekten, etwa
dem Büro und Geschäftshaus k47 am FranzJosefs-Kai, gelingt es Henke und Schreieck den Ort zu respektieren, aber zugleich neue konstruktive und bautypologische Möglichkeiten auszunutzen, um eine Lösung zu finden, die den konventionellen Typen in wichtigen Punkten überlegen ist. Das Material- und Detailspektrum, das dabei zum Einsatz kommt, orientiert sich an der klassischen Moderne: Sichtbeton, Stahl- und Aluminiumprofile, raumhohe Verglasungen. Wem dieses Vokabular nicht „aktuell“ genug ist oder zu langweilig, der geht von einem Architekturbegriff aus, der sich vor allem im fotografischen Abbild möglichst plakativ bestätigt sehen möchte. Die Projekte von Henke und Schreieck sehen stattdessen auf Fotos zurückhaltend und elegant aus. Ihre spezielle Qualität erschließt sich erst im direkten Erlebnis: die leicht in den Straßenraum hinausgeschobene Fassadenlösung mit der verglasten Ecke, die einen famosen Blick in die Tiefe der Mariahilfer Straße bietet; der Effekt der schräg gestellten Glaswände über der Terrasse; die Büroräume, die auch noch tief im Baublock von der Öffnung zur Mariahilfer Straße profitieren; und schließlich die Verbindung all dieser Eindrücke zu einem eindrücklichen Ganzen, das sich nicht auf ein Foto komprimieren lässt.
Straßenhof, neu interpretiert: Büro- und Geschäftshaus in der Mariahilfer Straße.
Was am Ende so selbstverständlich und leicht wirkt, ist das Ergebnis einer minutiösen Planung unter höchst komplexen Rahmenbedingungen, einer Verknotung von Haustechnik und Statik, Baurecht und Kosten. Wer hier als Architekt keine anderen Kompetenzen einbringen kann, als hübsche Bilder zu erzeugen, ist auf verlorenem Posten und endet als Dekorateur von Standardlösungen, die andere entwickelt haben. Henke und Schreieck beweisen mit diesem Projekt einmal mehr ihre Kompetenz im Blick aufs Ganze, vom städtebaulichen Konzept bis zum konstruktiven Detail. Dass sie auch mit feinen Zwischentönen umzugehen wissen, zeigt sich in der Bar der Weinhandlung, in der sie in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Ursula Aichwalder die Inneneinrichtung gestaltet haben. Das Vokabular erweitert sich hier mit einer differenzierten Palette von Farben und einfachen Materialien in edler Verarbeitung, die der Aufgabe, eine Bar zu schaffen, die sowohl untertags als auch am Abend funktioniert, elegant gerecht wird. Damit bei einer trivialen Bauaufgabe wie dieser eine derart hohe Qualität gelingt,
Stadtloggia statt Innenhof Fotos: Margherita Spiluttini © Architekturzentrum Wien, Sammlung
braucht es aber mehr als nur gute Architekten und Fachplaner. Es braucht dazu einen Bauherrn, der sich nicht mit der einfachsten Lösung zufrieden gibt: Hier war es die Palmers AG, die schon auf einer benachbarten Parzelle ein Projekt mit Adolf Krischanitz realisiert hat. Und es braucht Beamte und Politiker im Bezirk, die mit dem in anderen Fällen zu traurigem Ruf gekommenen Ausnahmeparagrafen der Wiener Bauordnung verantwortungsvoll umgehen. Hier ist er jedenfalls nicht nur im Sinn des Investors zum Einsatz gekommen, sondern vor allem im Interesse der Stadt und ihrer Bewohner.
9. Juli 2011
Schlag den Star Die Stararchitektur ist tot, es lebe der neue, der andere Star? Über die fantastischen Szenerien des Alexander Brodsky und eine Ausstellung seines Werks im Architekturzentrum Wien.
V
or knapp einem Jahr verkündete Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, anlässlich der Biennale in Venedig das Ende der Stararchitektur. Dreißig Jahre lang hätte diese einen Jahrmarkt der Eitelkeiten bedient, dessen solitäre Objekte nichts anderes darstellten als eine Demonstration wirtschaftlicher oder politischer Macht. So gut wie überall auf der Welt, das beweise nun die von Kazuy0 Sejima kuratierte Biennale, hätte eine Gegenbewegung dazu eingesetzt, charakterisiert durch 228 die Verwendung „armer“ Materialien,
lokale Bezüge und Traditionen, Wiederverwendung und Umnutzung, experimentelle Auseinandersetzung mit Atmosphären. Nur in Österreich hätten diesen Trend die Verantwortlichen für den Beitrag zur Biennale noch kaum begriffen, der sich tatsächlich als einfältige Leistungsschau der heimischen Stararchitektur präsentierte. Der Widerspruch aus der himmelblauen Ecke folgte prompt: Die Biennale, so Wolf D. Prix, sei insgesamt langweilig geraten und würde in ihrer Stimmungsverliebtheit von aktuellen gesellschaftlichen Problemen ablenken. Diese könne der Star – im Gegensatz zum
Stimmungskünstler – durch die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit etwas beeinflussen. Nun schlägt das Architekturzentrum Wien zurück, nicht mit einer systematischen Ausstellung über den angeblichen neuen Trend, sondern mit seinem eigenen Star, dem Russen Alexander Brodsky. 1955 in Moskau in eine Künstlerfamilie geboren, studierte Brodsky am renommierten MArchI, dem Moskauer Architektur Institut, wurde nach seinem Abschluss aber vor allem als Mitglied einer losen Gruppe von „Papier-Architekten“ bekannt. Zusammen mit seinem Partner Ilya Utkin reagierte er auf die Stagnation der Breschnew-Ära mit Wettbewerbsbeiträgen zu öffentlichen Bauaufgaben, die statt der normierten sowjetischen Ästhetik fantastische, von Piranesis Kupferstichen inspirierte Szenarien zeigten. Mit diesen Gegenentwürfen zum Mainstream des Bauens lagen Brodsky und Utkin Anfang der 1980er-Jahre mitten im Trend jenes Zweigs der Postmoderne, der sich durch eine Rückbesinnung auf die Architekturgeschichte neu zu orientieren ver229 suchte. Ihre Arbeiten wurden auch
Melancholische Architektur: Rotunda I von Alexander Brodsky Foto: Yuri Palmin
außerhalb Russlands bekannt, selbst in Japan, wo sie 1982 mit einem solchen Piranesischen Kupferstich einen von der Zeitschrift „Japan Architect“ ausgeschriebenen Wettbewerb gewannen. 1989 wurden Brodsky und Utkin zum ersten Mal zu einer Ausstellung nach New York eingeladen, wo sie sich rasch als bildende Künstler etablierten, vor allem mit Installationen, mit denen sie ihre Piranesi’schen Visionen vom Papier in den Raum übersetzten. Auch das Herzstück der Ausstellung im Architekturzentrum Wien ist eine Weiterentwicklung eines Projekts, das Brodsky und Utkin 1991 für die Ausstellung „Between Spring and Summer: Soviet Conceptual Art in the Era of Late Communism“ entwickelten und an drei Standorten in den USA zeigten. Es handelt sich um einen lang gestreckten Raum, dessen Boden mit einer schwarzen, spiegelnden Flüssigkeit bedeckt ist. Nur am Rand dieser Spiegelfläche bleibt ein schmaler Umgang für die Besucher.
Auch die Wände sind schwarz und mit mattem, Licht schluckenden Filz bedeckt. Umso dramatischer ist der Blick nach oben, wo in mehreren Schichten Alltagsgegenstände zu schweben scheinen, Flaschen, Haushaltsgeräte, Fahrradteile. Alle Gegenstände sind matt-schwarz lackiert, der künstliche Himmel über ihnen leuchtet wie an einem grauen Herbsttag. Durch ein umlaufendes Spiegelband entsteht der Eindruck, als würde diese Woge aus verbrauchten Gegenständen die ganze Welt überspannen. Der glänzende Boden verdoppelt dieses Bild nach unten, mit einer starken Verfremdung: Während der Blick nach oben vom SchwarzWeiß-Kontrast lebt, wirkt seine Spiegelung wie ein Gemälde in unterschiedlichen Schwarztönen, da ihm die dunkle, aus einer dünnen Schicht Altöl bestehende Spiegelfläche beinahe alles Licht entzieht. So beeindruckend dieser Raum ist, findet sich die eigentliche Überraschung der Ausstellung in einem Nebenraum, in dem Fotos jener Arbeiten präsentiert werden, die Brodsky seit 2000 als Architekt geschaffen hat, nach der Auflösung der Partnerschaft mit Utkin und der Rückkehr nach Russland nach einem vierjährigen Aufenthalt in New York. Der Titel der Ausstellung im Architekturzentrum – „It still amazes me that I became an architect“ – bezieht sich auf diese überraschende Wende in Brodskys Biografie. Er hätte, so Brodsky, eines Tages bemerkt, dass Architektur zu machen für ihn
ganz einfach sei, so wie man Auto fährt, obwohl man gar nicht weiß, wie das Auto wirklich funktioniert. Eine wichtige Rolle spiele auch die Tatsache, dass er zur modernen und zeitgenössischen Architektur, die er trotz aller Mühe lange nicht verstanden hätte, heute einen Zugang gefunden habe. Als historische Referenzpunkte nennt er Sigurd Lewerentz und Gunnar Asplund, als aktuelle Peter Zumthor oder Peter Märkli. Aber auch ein Raum wie der von Norman Foster überdachte Hof des British Museum in London könne ihn heute begeistern. Viele der Projekte seit 2000 bewegen sich an der Grenze zur Installation, aber sie haben alle einen Gebrauchswert. Es sind Restaurants darunter, Pavillons für Kunstausstellungen, Einfamilienhäuser und Bauten für einen Golfklub. Alte Materialen spielen eine Rolle, etwa beim Wodka-Pavillon, der aus Holzfenstern einer ehemaligen Fabrik besteht, oder bei einer Rotunde mit Türen verlassener Häuser. In diesen Projekten ist Brodsky zweifellos ein Melancholiker, der den historischen Städten nachtrauert, die wie in Moskau nur noch in der Erinnerung existieren. Aber es sind auch durchaus optimistische, gelassene Projekte darunter, neben denen die gängige Hochglanzarchitektur verkrampft und müde aussieht. Ob die Zukunft der Architektur aus dieser Richtung kommt? Oder nur die nächste Mode mit neuen Stars? Im Architekturzentrum kann man diesen Sommer zumindest darüber meditieren.
11. Juni 2011
Die Stadt im Flow Beijing: eine Stadt, die internationale Konkurrenz als Vorbild und nicht als Bedrohung versteht. Noch dominieren ausländische Kreative das architektonische Geschehen. Noch.
W 230
enn über China gesprochen wird, dreht sich schnell alles um Zahlen: 1,3 Milliarden Einwohner, rund 45 Prozent davon in Städten. Im Jahr 2025 wird es in China voraussichtlich 220 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern geben.
Heute sind es 42, gegenüber 31 in Europa. Schanghai und Beijing sind mit 19,2 beziehungsweise 15,8 Millionen Einwohnern die beiden bevölkerungsreichsten Städte der Welt. Schanghai hat mit 400 Kilometern das längste U-Bahnnetz, seine erste Linie wurde erst 1995 eröffnet. Die Beijinger U-Bahn ist zwar nur 228 Kilometer lang, dafür besitzt
die Stadt den nach Atlanta, USA, leistungsfähigsten Flughafen, dessen neuer, von Norman Forster entworfener Terminal drei mit einer Nutzfläche von 1,3 Millionen Quadratmetern das flächenmäßig größte Gebäude der Welt ist. Auch die zeitgenössische Architektur Chinas konnte man bis vor Kurzem unter der Perspektive der Massenproduktion abhandeln. Als China in den 1990er-Jahren begann, massiv in Infrastruktur und Wohnbau zu investieren, drehte sich die architektonische Diskussion in der Regel um das Dekor, mit dem sich standardisierte Hochhäuser in der Sockel- und Dachzone als „chinesisch“ artikulierten, soweit sie nicht ohne jeden ästhetischen Anspruch als technische Gebilde hochgezogen wurden. In den vergangenen Jahren hat sich die Situation deutlich geändert. Der Immobilienmarkt hat zumindest in einem Segment, das sich immer noch in Millionen von Quadratmetern bemessen lässt, ein Niveau erreicht, das den höchsten internationalen Standards entspricht. Preise und Nutzfläche von Wohnungen bewegen sich dabei in einem exklusiven Bereich: Im „MOMA Linked Hybrid“, einer Anlage mit 620 Apartments und einem Hotelturm in Beijing, entworfen vom New Yorker Architekten Steven Holl, kostet der Quadratmeter umgerechnet rund 6000 Euro, die Wohnungsgröße bewegt sich zwischen 140 und 400 Quadratmetern. Ein Skywalk auf der Ebene des 17. bis 20. Stockwerks verbindet die Türme als halb öffentliche Zone mit Clubs und Schwimmbad. Im Zentrum der Anlage befindet sich eine Wasserfläche, auf der ein kleines Programmkino mit einer begrünten Terrasse als zweite Gartenebene zu schweben scheint. Auch ökologisch versucht das Projekt zu punkten: Heizung und Kühlung erfolgen durch Bauteilaktivierung über eine geothermische Anlage und Wärmepumpen, Brauch- und Trinkwasser werden in getrennten Systemen geführt. Bereits 2005 haben die österreichischen Architekten baumschlager.eberle auf einem Grundstück gegenüber für denselben Developer einen Wohnbau projektiert, der in ökologischer Hinsicht Maßstäbe setzte. Formal weniger spektakulär als der „Linked Hybrid“, zeichnete sich dieses Projekt durch den ersten außenliegenden Sonnenschutz bei einem Wohnturm in China, mechanische Belüftung und einen Heizwärmebedarf 231 aus, der bei einem Drittel des damals
Exklusives Wohnen: Steven Holls Linked Hybrid.
üblichen lag. Verkleidet sind die Türme zum Teil mit Kupferblech, einem edlen Material, das in China zur Errichtungszeit vergleichsweise billig zu haben war. Ein solcher Pragmatismus ist bei den aktuellen Projekten, die in Beijing nach Entwürfen von internationalen Großarchitekten entstehen, nicht zu bemerken. Stattdessen wird zumindest in der Erklärung versucht, sich an Merkmale der traditionellen chinesischen Architektur anzunähern. Steven Holl etwa leitet die Farbgebung auf der Fassade seines „Linked Hybrid“ von den polychromen Holzbemalungen ab, die für die chinesische Tradition charakteristisch sind. Dass den neuen Wohnbauten ein traditionelles Hutong-Viertel nach dem anderen weichen muss, bleibt dabei unerwähnt. Beim Olympiastadion, dem „Vogelnest“, für dessen Entwurf die Architekten Jacques Herzog und Pierre de Meuron mit dem Künstler Ai Wei Wei zusammengearbeitet haben, findet sich die Konfrontation perfekter Symmetrie mit exzentrischen Mustern, die in der chinesischen Ästhetik immer wieder thematisiert wurde. Diese Exzentrik ist keine oberflächliche Angelegenheit: Ai Wei Wei hat sie zu leben versucht und als Recht auf Kritik interpretiert. Der chinesischen Regierung ist die Botschaft des „Vogelnests“ wohl zu spät aufgefallen. Selbst nach der
Inhaftierung Ai Wei Weis steht dieses prominent auf der zentralen Achse der Stadt, und das Gerücht, es könnte wieder abgerissen werden, angeblich um den Stahl zu verwerten, ist vielleicht nicht aus der Luft gegriffen. Kritisches Potenzial haben auch Rem Koolhaas und Ole Scheren, die Architekten des Gebäudes für den staatlichen Fernsehsender CCTV, für ebendieses beansprucht. Noch sind die öffentlichen Bereiche des Gebäudes nicht zugänglich, weder der offene Platz unterhalb des Hochhauswinkels noch die Skylobbys und Terrassen, die es in den obersten Geschoßen enthalten soll. Welche Art von zumindest potenziell kritischer Öffentlichkeit dort jemals entstehen kann, wird sich erst zeigen. Im Moment spielt das Gebäude seine irritierende skulpturale Qualität in der Fernwirkung aus. Das Gebäude ist zweifellos ein Superzeichen staatlicher Medienmacht, aber gleichzeitig so konstruiert, dass es zu kippen scheint. Selten hat man einen Repräsentationsbau in einem derart labilen Gleichgewicht gesehen. Dass diese Projekte ausnahmslos von internationalen Architekten stammen, spricht eher für das aktuelle Selbstbewusstsein der
Staatsfernsehen im fragilen Gleichgewicht: CCTV-Zentrale von Rem Koolhaas und Ole Scheren. Fotos: C. Kühn
Chinesen, die sich diese Konkurrenz bewusst ins Land holen, um an ihr zu wachsen. Gab es in China 1985 noch gezählte acht Universitäten, an denen man Architektur studieren konnte, sind es heute 250. Die Studierenden dort sind so motiviert, wie man es nur in einem Land sein kann, das in den nächsten 15 Jahren sein Bauvolumen zumindest verdoppeln wird. Auf ausländische Kreativität wird man hier nicht mehr lange angewiesen sein.
Wir sind Welterbe 30. April 2011
Geniert sich wirklich niemand? Zum Zehn-Jahr-Jubiläum des Welterbes Wien-Innere Stadt: ein Lokalaugenschein zum Thema Bauen im Bestand.
I
m Jahr 2005, vier Jahre nach der Entscheidung, die Wiener Innenstadt zum Welt(kultur)erbe zu erklären, verabschiedete die UNESCO bei einer Konferenz im Wiener Rathaus das „Wiener Memorandum“, einen
programmatischen Text unter dem Titel „World Heritage and Contemporary Architecture – Managing the Historic Urban Landscape“. Inhalt des Memorandums ist die Frage, wie das historische Erbe nicht nur bewahrt, sondern zeitgenössisch ergänzt
Auf unterstem Niveau: Aufstockung, Platz am Hof.
und erweitert werden soll. Dass dieses Memorandum gerade in Wien inauguriert wurde, ist kein Zufall, hat man es doch hier mit dem Präzedenzfall einer lebendigen, in Entwicklung begriffenen Innenstadt zu tun, die man nicht dauerhaft in einem bestimmten Zustand konservieren kann. Das Memorandum gibt dafür eine Reihe durchaus brauchbare Ratschläge: Jede Entscheidung sollte auf einem tiefen Verständnis für Geschichte, Kultur und Architektur eines Orts aufbauen, Typologie und Morphologie untersuchen, um rechtzeitig die Gefahren, aber auch die Chancen einer Veränderung zu erkennen. Pseudo-historische Anpassung sei zu vermeiden, oberstes Ziel sei die kulturelle Kontinuität durch Interventionen auf höchstem zeitgenössischen Qualitätsniveau. Wenn man den Bruch kultureller Konventionen, wie er in der Wiener Innenstadt zwischen Barock, Historismus und Jugendstil selbstverständlich ist, als Kontinuität des Stilbruchs auffasst, lässt diese Definition einiges zu, zumindest solange der Stilbruch auf einem hohen Niveau passiert. Genau das kann man von der Wiener Innenstadt zu ihrem zehnjährigen Jubiläum als UNESCO-Welterbe allerdings nicht sagen. An den Stilbrüchen auf 233 unterstem Niveau, die die Innenstadt
Foto: C. Kühn
schon vor 2001 zu ertragen hatte, etwa in der Stadtmöblierung, hat sich außer einer halbherzig auf mittlerem Niveau verunglückten Sanierung der Kärntner Straße nichts verbessert. Dafür hat der Entwicklungsdruck auf die innerstädtischen Immobilien voll durchgeschlagen. Das jüngste Beispiel dafür befindet sich am Platz Am Hof gerade in Fertigstellung: Ein Dachaufbau auf der Schmalseite des Platzes, im Auftrag der Generali Versicherung vom Architekten Gert M. Mayr-Keber verantwortet. So knallprotzig und provinziell hat sich lange niemand mehr auf einem Dach der Innenstadt breitgemacht. Das Haus selbst war schon zu seiner Entstehungszeit 1882 zu hoch und in seiner strengen Symmetrie kein besonders glücklicher Abschluss für einen der historisch bedeutendsten Plätze der Stadt. 1933 wurde die neubarocke Fassade nach Plänen der Architekten Schönthal und Hoppe modernisiert und das bombastische Dach durch eine ruhige, ebenflächige Lösung ersetzt. Nach Kriegsschäden in ähnlicher Form wiederaufgebaut, erhielt das Haus bei der letzten Renovierung seine neubarocke Fassade in leicht veränderter Form zurück, wobei man aber aus gutem Grund darauf verzichtete, das Haus wieder zu seiner alten Höhe
War das so gemeint? Westbahnhof, Projekt …
… und Ausführung.
Foto: beyer.co.at images
Foto: C. Kühn
aufzubauen. Die jüngste Renovierung setzt nun wieder ein lukratives Geschoß drauf und krönt die Fassade mit einer freien Interpretation der Kommandokapsel des Raumschiffs Enterprise. Auch außerhalb des Welterbes beweist die Stadt im Umgang mit ihrem denkmalgeschützten Bestand keine glückliche Hand. Der neue Westbahnhof geht seiner Fertigstellung entgegen, und langsam wird das ganze Ausmaß an Skurrilität offenbar, mit dem die alte, denkmalgeschützte Halle aus dem Jahr 1951 umrahmt wird. Wer die Pläne kennt, mit denen die Architekten Neumann und Steiner im Jahr 2002 den Wettbewerb für den Um- und Zubau gewonnen haben, traut seinen Augen nicht. An der sensiblen Ecke zur Mariahilfer Straße präsentiert sich ein schmalbrüstiger Wolkenbügel mit schrägem Standbein, wo in der Wettbewerbsperspektive noch ein gut proportionierter Bauteil mit durchaus akrobatischer Statik zu sehen war, aber logisch aus der Stadtstruktur entwickelt und mit der Schaffung einer „Stadtloggia“ begründet, die an dieser Stelle als neuer Eingangsbereich in den Bahnhof dienen soll. Auch das Raumvolumen einer solchen „Loggia“ braucht aber eine Proportion, und die ist in der Weiterentwicklung des Projekts völlig verloren gegangen. Welchen Interessen das Büro Neumann und Steiner im Zuge der Planung nachgegeben hat, um zu diesem Resultat zu kommen, sollte Gegenstand einer öffentlichen Debatte werden, sobald das Projekt fertiggestellt ist. Die alte Bahnhofshalle steht nun eingeklemmt neben diesem Stadtungeheuer, und man fragt sich, ob es nicht doch besser gewesen wäre, ihr dieses Schicksal zu ersparen und sie gleich 234 abzureißen. Die Qualitäten ihrer
1950er-Jahre-Architektur kommen zwar im Detail durchaus zum Vorschein, von einem spannungsvollen Ensemble kann aber beim besten Willen nicht die Rede sein, und auch die ungeschickten Einbauten im Inneren der Halle zeigen, dass sie eigentlich niemandem ein echtes Anliegen war. Aus diesen Beispielen zu schließen, dass Wien ein besseres Management für sein bauliches Erbe bräuchte, wie es das Wiener Memorandum im Titel anregt, wäre ein Irrtum. Im Gegenteil: Die UNESCO sollte das Raumschiff Am Hof zum Anlass nehmen, der Innenstadt endlich den Status des Welterbes abzuerkennen. Diese Schocktherapie hätte auf die Wiener Szene jedenfalls eine in vielfacher Hinsicht heilsame Wirkung. Man könnte dem Welterbe-Beauftragten der Stadt, Rudolf Zunke, eine andere Aufgabe im Magistrat zuweisen, und man müsste sich nicht länger mit der Frage aufhalten, ob der durch die Hochhäuser am neuen Hauptbahnhof veränderte Blick von der Türmerstube des Steffl eine Beeinträchtigung des Welterbes darstellt, während nebenan wieder ein bedeutender Platz durch einen Dachaufbau zu einer Gegend wird, die man meiden muss. Die Netzwerke aus Großarchitekten, Vielfachbeiratsmitgliedern und potenten Investoren, die in Wien fast jedes Projekt durchsetzen können, lassen sich auch ohne Hilfe der UNESCO sprengen, am besten durch den Aufbau einer soliden zeitgenössischen Baukultur. Die beginnt dort, wo man die Mitglieder dieser Netzwerke nicht mehr für ihre Cleverness bewundert, sondern für die Kulturlosigkeit der „Denkmäler“ bedauert, die sie sich setzen. Und man sollte ihnen durch klare Regeln und transparente Verfahren den Boden entziehen, auf dem sie gedeihen.
Klasse mit Katze 2. April 2011
Das Siegerprojekt für den Bildungscampus Gudrunstraße auf dem Wiener Hauptbahnhofgelände: eine kleine Revolution im Wiener Schulbau, die auch international Furore machen könnte.
Schule neu Denken: nichts für Pragmatiker und Utilitaristen.
A
n guten Absichten hat es der Stadt Wien beim Thema Schulen und Kindergärten nie gefehlt. Jahrzehntelang ging es ihr darum, sauber standardisierte Schulen in den Stadterweiterungsgebieten zu errichten und im Altbestand für Betriebsfähigkeit zu sorgen. In den 1990er-Jahren erregte das „Schulbauprogramm 2000“ auch international Aufsehen: Architek235 ten, die bei der Biennale in Venedig
Foto: PPAG
ausgestellt hatten, erhielten Direktaufträge für neue Schulen, die bunter und räumlich interessanter waren als das bis dahin übliche Repertoire. An der Typologie der klassischen Gangschule mit aneinander gereihten Klassen im Format von neun mal sieben Metern änderte sich aber nichts, denn für die Unterrichtsbereiche der Schulen galt nach wie vor ein genaues Regelwerk, das von der Raumgröße bis zur Lage des Waschbeckens und zur Anzahl der Vorhangschienen so gut wie jedes Detail vorschrieb.
Mit dem Antritt von Vizebürgermeisterin Grete Laska mussten sich die Proponenten des Schulbauprogramms 2000 der kritischen Frage stellen, was Kinder davon haben, in bunteren Schulen unterrichtet zu werden, die an jedem Standort anders aussehen. Wozu mehr Geld für Architektur ausgeben, wenn das am Unterricht nichts ändert? Laska – selbst ausgebildete Volksschullehrerin – ließ die Idee des „Bildungscampus“ entwickeln, der bis heute die Basis der Wiener Schulbaupolitik darstellt. Er fasst an einem Standort mehrere Bildungsstätten, vom Kindergarten über die Volksschule bis zur Hauptschule und in Zukunft auch zur „Neuen Mittelschule“, zusammen und bietet ihnen eine gemeinsame Infrastruktur von den Turnsälen bis zum Speisesaal und zur Bibliothek. Nach Laskas Vorstellung sollten dafür wieder Standardtypologien entwickelt werden. In der Praxis entschied man sich für individuelle Wettbewerbe, allerdings unter Beibehaltung der bisherigen Richtlinien, die kaum Innovationen zulassen. Inzwischen sind zwei dieser Einrichtungen in Betrieb, eine im Stadterweiterungsgebiet Monte Laa, eine weitere auf dem ehemaligen Gelände des Nordbahnhofs am Rudolf-Bednar-Park, kompakte utilitaristische Gehäuse für jeweils rund 700 Kinder und ihre Lehrer und Kindergärtner. Sie sehen modern aus, die Klassen sind hell und die Gänge leicht zu reinigen. Dass hier eine Welt für Kinder entstanden ist, würde aber niemand ernsthaft behaupten. Es ist trotz allem Bemühen der Planer eine Welt, in der die Bürokratie regiert, Hygienevorschriften und Betriebskosten, Arbeitsinspektorat und Lüftungstechnik. Natürlich braucht es auch all das, um eine Schule gut zu führen. Es geht aber darum, wessen Interessen im Mittelpunkt stehen: die der Kinder und Lehrer oder die der Bürokratie. Beim neuen Campus für das Areal des ehemaligen Südbahnhofs, dem Sonnwendviertel, einem Stadtteil mit geplanten 5.000 Wohnungen, hat sich die Stadt zu einem Neustart entschlossen, zu dem einiges an Mut gehört. Statt für den Architekturwettbewerb auf die bisherigen Richtlinien für den Wiener Schulbau zurückzugreifen, haben die zuständigen pädagogischen Magistratsabteilungen für Schulen und Kindergärten gemeinsam mit dem Österreichischen Institut für Schul- und Sportstätten236 bau die räumlich-pädagogischen
Anforderungen in Form eines „Qualitätenkatalogs“ zusammengefasst. Raumgrößen sind darin nur als ungefähre Werte angegeben, die einzig verbindliche Zahl ist die Gesamtnutzfläche der Schule, die einen Rahmen darstellt, innerhalb dessen die Architekten zu arbeiten hatten. Der Qualitätenkatalog legt keine Lösungen fest, sondern einige grundsätzliche Konfigurationen und die Leistung, die sich die Auftraggeber davon in pädagogischer Hinsicht erwarteten. Die Grundeinheit bilden nach wie vor Klassenräume, die sich jeweils zu viert zu einem „Cluster“ um einen gemeinsamen „Marktplatz“ in der Mitte gruppieren und mit diesem flexibel verbunden sind. Zu jedem Cluster gehören auch ein „Projektraum“ und ein eigener „Teamraum“ für die Lehrerinnen und Lehrer. Das Ergebnis des Wettbewerbs ist nicht nur für Wiener Verhältnisse eine Sensation. Anna Popelka und Georg Poduschka – kurz PPAG – haben in ihrem Siegerprojekt eine großteils nur zweigeschossige, in einem Raster von 4,1 Metern in die Fläche ausgreifende Struktur entwickelt, die eine Vielzahl gut proportionierter Innen- und Außenräume schafft. Die Klassen haben zwar alle dieselbe quadratische Grundfläche, differenzieren sich aber durch die Anordnung von jeweils zwei kleinen, im Niveau versetzten Annexräumen und durch ihre Beziehung nach außen: Jeder Klasse ist eine Freiklasse zugeordnet, entweder im Gartenhof oder auf einer Terrasse. Die Wände der Klassen lassen sich zum inneren „Marktplatz“ hin auffalten und schaffen so eine durchgängige Lernlandschaft mit vielfältigen Nutzungsoptionen. Die Idee, von einer kleinen Raumeinheit auszugehen, sie zu variieren und zu
Zonierte Freiräume: Hofansicht.
einem größeren Gebilde zu addieren, entspricht dem strukturalistischen Denken der 1960er-Jahre. Es wird bei diesem Projekt viel davon abhängen, dieses Denken auch im Detail durchzuhalten. PPAG schlagen eine einfache Konstruktion mit Stahlbetonstützen und Flachdecken vor, die im Innenausbau mit leichten Trennelementen möbliert ist. In der Fassade soll die Wärmedämmung mit einer Hülle aus Schichtstoffplatten geschützt werden, die teils als beschreibbare Tafeln ausgebildet sind, teils mit Kletterpflanzen bewachsen sollen. Der Vorschlag der Architekten, in diese Fassade Nistkästen für Gebäudebrüter einzubauen, also Vögel als Mitbewohner einzuladen, wird der Gebäudeverwaltung noch einige Fragen aufzulösen geben. Überhaupt setzen PPAG darauf, die Pragmatiker und Utilitaristen von Anfang an auf die Probe zu stellen. Auf den Dächern ist Platz für Hochbeete, Brieftauben und Bienenzucht, und Katzen in der Schule kommen zumindest im Erläuterungsbericht vor, der aus der Perspektive einer Schülerin abgefasst ist: „Einmal ist dem Murat bei der
Schularbeit eine Katze aufs Heft gesprungen, und alle haben gelacht.“ Dass nicht alle diese Ideen die Mühen der Umsetzung überstehen werden, ist klar. Aber vielleicht gelingt es damit, Begeisterung für eine Schulatmosphäre zu erwecken, die der natürlichen Neugier und dem Bewegungsdrang von Kindern ebenso Raum gibt wie der konzentrierten Arbeit an einer Sache. In zwei Jahren wird man sehen, ob der Mut gereicht hat, die Schule hier wirklich neu zu denken.
Schulraum mit Durchblick. Fotos: PPAG
19. März 2011
Die Utopie im Reservat Transparenz, Wettbewerb und eine ganzheitliche Stadtplanung hat Wiens Stadträtin Vassilakou angekündigt. Utopie oder Illusion? Ein Stadterweiterungsprojekt in Bozen zeigt, dass es möglich ist. In Wien regiert noch die Macht des Faktischen.
A
ls die neue Wiener Planungsstadträtin und Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou auf Einladung der Plattform für Architekturpolitik und Baukultur vor vier Wochen eine Grundsatzrede unter dem Titel „Zehn Thesen zur Stadtplanung“ hielt, war der Andrang im Architekturzentrum
Wien gewaltig. Das Publikum wurde nicht enttäuscht. Vassilakou skizzierte vor den versammelten Architekten und Planern die Prinzipien einer zeitgemäßen Stadtplanung mit klaren Schwerpunkten und messbaren Zielen: Vorrang der inneren Verdichtung vor der Stadterweiterung; die Schaffung besser nutzbarer und attraktiverer öffentlicher Räume; die Umkehrung des Trends zur
als die „lebenswerteste“ der Welt verkauft, Stadtflucht unter jungen Familien; höhere ist das nicht wirklich zukunftsfähig. Energieeffizienz, nicht nur als SparmaßWie man in der internationalen Städte nahme mit Umweltschutzbonus, sondern konkurrenz auch ohne Kniefall vor den gänals Strategie, langfristig die Abhängigkeit gigen Maßstäben der Investorenarchitektur von fossilen Energieträgern zu reduzieren punkten kann, lässt sich an einem aktuelund damit Freiheit zu gewinnen. Auf der len Projekt für Bozen zeigen. Die Südtiroler operativen Ebene bekannte sich Vassilakou Hauptstadt ist mit rund 100 000 Einwohzu Transparenz und Wettbewerb, Bürgernern zwar in der Dimension nicht mit Wien beteiligung und zum kritischen Dialog mit vergleichbar, das Projekt einer inneren der Fachöffentlichkeit. Die abschließende Aufforderung, Mut zur Utopie zu haben, war Stadterweiterung im Umfeld des bestehenden Bahnhofs erreicht aber eine Dimension mehr als eine rhetorische Floskel: Schon davor war zwischen den Zeilen herauszuhö- von 30 Hektar – für eine Stadt wie Bozen eine gewaltige Kraftanstrengung. ren, dass sie – von der Verkehrsplanung bis Als eine der pro Kopf reichsten Städte zur Abschöpfung von Widmungsgewinnen – zu radikaleren Ideen bereit wäre, als sich im Italiens ist Bozen einem hohen Entwicklungsdruck ausgesetzt, dem auf der stadtMoment politisch umsetzen lassen. planerischen Seite bisher kein Konzept Das Fachpublikum reagierte begeistert. gegenüberstand. Die Idee, durch eine ReAn den Thesen selbst lag das nicht: Vereinduktion und Verlegung von Gleisanlagen zelt hatte man sie in ähnlicher Form schon Entwicklungsfläche zu gewinnen, ist bereits von ihrem Vorgänger hören können. Der einige Jahre alt, ein erstes Projekt war jedoch Unterschied lag in der Art, in der diese einan Bürgerprotesten gescheitert. zelnen Punkte in einen Zusammenhang geDer städtebauliche Ideenwettbewerb, der bracht wurden. War das Ideal der Wiener Ende Februar entschieden wurde, sollte unStadtplanung bisher die Patchwork-City, ter internationaler Beteiligung eine Vision also gewissermaßen die Utopie im Reserhervorbringen, die auch die Stadtbewohner vat, von der Bike-City bis zur Frauen-WerkStadt, so klang bei Vassilakou das Ideal einer und nicht nur die Investoren begeistert. Die Jury unter dem Vorsitz von Dietmar Eberle ganzheitlichen Stadtplanung an, bei der in und Christoph Ingenhoven, der als Architekt großen räumlichen und zeitlichen Zusamdes Bahnhofs Stuttgart Erfahrung sowohl menhängen gedacht wird. mit Visionen als auch mit Bürgerprotesten Dass die Zunft der Planer diese Ansage gemacht hat, wählte aus dem Kreis der Bemit Begeisterung aufnimmt, ist nicht weiwerber zehn aus, zu denen als prominenter verwunderlich. Immerhin darf sie sich teste Daniel Libeskind, Ben van Berkel, Cino dadurch in ihrer Bedeutung gestärkt fühlen. Zucchi, Stefano Boeri, Cruz y Ortiz, Kees Aber ist sie auch realistisch? Ist das, was wir Christiaanse-KCAP und Boris Podrecca geheute unter „Stadt“ verstehen, überhaupt hörten, jeweils in Kombination mit zahlreinoch ganzheitlich planbar? Sind es nicht chen Partnern und Fachplanern. doch die Einzelprojekte, mit denen man im Das Rennen gemacht hat das Projekt von Stadtkörper Akupunktur betreiben muss, in Boris Podrecca und seinem Team, zu dem der Hoffnung, dass sich dieser Körper, von unter anderem das Schweizer Büro von solchen Nadelstichen gestärkt, auf geheimTheo Hotz und die Landschaftsarchiteknisvolle Weise zum Besseren entwickelt? ten Auböck + Kárász gehörten. Podrecca hat Und muss man sich beim Planen im großen schon mehrere Projekte in Bozen bearbeiMaßstab nicht damit abfinden, dass das Retet, etwa das Hotel Greif oder die Neugestalsultat zwangsläufig eher auf die Interessen tung des Kellereigeländes am Grieser Platz. der Investoren als auf jene der StadtbewohVielleicht ist ihm deshalb eine derart nahtner zugeschnitten ist? lose Einbindung in das bestehende StadtTatsächlich wäre es schwer, in Wien Beispiele einer solchen Stadtplanung zu finden. gefüge gelungen. Wie alle Projekte, die in die engere Wahl kamen, verschwenkt PoDie Großprojekte, vom Hauptbahnhof über drecca die Bahntrasse um 45 Grad, um eiden Westbahnhof bis zur Seestadt Aspern, sind von „Sachzwängen“ aller Art bestimmt, nen Großteil des Areals ohne Barriere an die Altstadt anbinden zu können. Sein Prowas sie nicht schlechter macht als jekt belässt aber auch das alte Bahnhofsgeviele andere Projekt auf der ganzen 238 Welt. Aber für eine Stadt, die sich gern bäude, einen respektablen, aber alles andere
als spektakulären Bau aus den 1930er-Jahren, das weiterhin als einer der Zugänge zum Verkehrsterminal dienen darf. Dahinter überspannt allerdings ein 150 mal 50 Meter großes, mehrfach geknicktes Flugdach quer die Gleisanlagen und verbindet die Altstadt mit dem südöstlichen Teil der Stadterweiterung. Ein ähnliches Dach mit großen pneumatischen Kissen aus PTFE-Folie hat Podrecca vor Jahren als Überdachung des Wiener Pratersterns vorgeschlagen. Die Qualität des Bozener Projekts liegt aber nicht an Detailformen, sondern an der präzisen, an jedem Punkt gut proportionierten Ausformung der Stadträume und ihrer Verbindung. Deutlich wird das vor allem im Vergleich mit den anderen eingereichten Projekten, die mit Ausnahme des Projekts von KCAP durchwegs auf große Figuren setzen. Bei Podrecca liegt das Hauptaugenmerk auf dem öffentlichen Raum, eine große Piazza im Bahnhofsbereich, ein grüner Hügel mit Punkthäusern für den kommerzielleren Teil im Süden, Baublöcke mit grünen Innenhöfen im gemischten Baugebiet, verbunden durch einen Grünzug, der sich bis zu den Weinbergen im Norden fortsetzt. Man kann dieses Projekt als ein fast naives Bekenntnis zur europäischen Stadt lesen, von der Dietmar Eberle einmal gesagt
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hat, sie sei die größte Erfindung, die Europa überhaupt hervorgebracht hätte. Das ist eine gewagte These, denn gut funktionierende Großstädte mit Hunderttausenden Einwohnern gab es in China schon vor 2000 Jahren. Die Idee der Polis – als politische und zugleich stadträumliche Struktur – ist aber tatsächlich etwas Einzigartiges: Sie ist um den öffentlichen Raum herum errichtet, nicht um Burg oder Tempel und auch nicht um die Hochhäuser der Banken, Investoren und Bauträger. Wie viel dieses Bekenntnis zur Stadt wert ist, wird die Umsetzung zeigen, sowohl bei Podreccas Plänen für Bozen als auch bei Vassilakous Thesen für Wien. Wenn Transparenz und Wettbewerb für die Grünen eine zentrale Rolle spielen, sind sie allerdings gerade dabei, ihren ersten Kredit zu verspielen. Die von den Grünen mitgetragene neue Wohnbauoffensive, bei der mit öffentlichem Geld ein Sektor von frei finanzierten Billigwohnungen geschaffen wird, überlässt die architektonische Qualität dem Gutdünken der Wohnbaugenossenschaften. Der Protest der Fachöffentlichkeit, die auch für diesen Sektor Qualitätswettbewerbe einfordert, ist massiv. Der erste Anlass für den versprochenen kritischen und konstruktiven Dialog wäre damit wohl gefunden.
Neues Zentrum für Bozen: stadträumliches Denken im großen Maßstab. Foto: Atelier Podrecca
22. Januar 2011
Adieu, Avantgarde Ist die Zeit gekommen für die Entsorgung des Avantgarde-Begriffs? Oder braucht er nur eine neue Ausrichtung, die den Herausforderungen der Gegenwart gerecht wird?
B
runo Kreiskys 100. Geburtstag geht auch an der Kunstszene nicht unbemerkt vorüber. Vergangenen Sonntag lud das Wiener Burgtheater unter dem Titel „Avantgarde Ges.m.b.H.“ zu einer Revue von Podiumsdiskussionen, in denen Künstler, die sich in den 1970er-Jahren zur Avantgarde zählten, mit jüngeren Künstlern und Kulturwissenschaftlern über ihre Einschätzung des damaligen kulturellen Aufbruchs und über den Avantgardebegriff an sich diskutierten. Der Titel bezog sich auf eine Episode der Kulturpolitik Ende der 1970er-Jahre. Hans Hollein und Adolf Frohner war es damals gelungen, Kreisky von der Idee einer Ausstellung neuer österreichischer Kunst in den USA zu überzeugen, um das Bild des Landes international aufzupolieren. Der Kanzler beauftragte den Wiener Galeristen John Sailer mit der Umsetzung, der daraufhin die „Avantgarde Ges.m.b.H.“ gründete, fünf internationale, renommierte Kuratoren einsetzte und von diesen je einen Künstler nominieren ließ. Hollein, der gewieftere Taktiker, war am Ende dabei, mit ihm Walter Pichler, Günter Brus, Hermann Nitsch, Peter Kubelka und Arnulf Rainer. Die Ausstellung „Rituals. An Austrian Phenomenon“ kam aber nie zustande. Nach heftigen Protesten von Kulturbeamten und Künstlern, die sich übergangen fühlten, blies Kreisky das Unternehmen ab. Aus heutiger Sicht, erklärte John Sailer bei der Podiumsdiskussion, 240 finde er sich in seiner Wahl insofern
bestätigt, als Hollein, Pichler, Rainer und Brus als Mitglieder des Kunstsenats gewissermaßen staatstragende Künstler geworden seien – was freilich in erster Linie deren nachhaltiges Genie im Knüpfen von Seilschaften beweist. Peter Weibel, ebenfalls Gast im Burgtheater, brachte es in einer von Sailer nur zaghaft widersprochenen Replik auf den Punkt: Schon damals hätten sich die nominierten Künstler über den Umweg des Oberkurators Sailer ihre Kuratoren selbst ausgesucht. Mit „Avantgarde“ nicht mehr zu bezeichnen als die jeweils aufstrebende Gruppe von jüngeren Künstlern, die sich gegen das Establishment auflehnt, um dann selbst an dessen Stelle zu verkalken, wird dem Begriff freilich nicht gerecht. Die Avantgarden des 20. Jahrhunderts verstanden sich immer als künstlerischer Teil gesellschaftlicher Bewegungen, als kriegerisches Ende der Kunst, das ohne Rücksicht auf Verluste einer Sache dient, deren Schwerpunkt außerhalb der Kunst liegt. Dass dazu auch totalitäre Avantgarden zählen, die – etwa im Italien des Faschismus oder in der frühen Sowjetunion – herausragende Kunst und Architektur hervorgebracht haben, ist kein Zufall. Machtkonzentrate sind das Grundnahrungsmittel der Avantgarde, wobei es fürs Erste gleich ist, ob sie einer demokratischen Massenbewegung oder einer Diktatur entspringen. – Die österreichische Avantgarde der Ära Kreisky ernährte sich in dieser Hinsicht von den Reserven der 1968er-Bewegung und fühlte sich berufen, die „verkrusteten, vereisten, betonierten Verhältnisse“
der österreichischen Nachkriegszeit aufzubrechen, wie Peter Weibel, Elsa Prochazka und Wolf D. Prix in ihren Beiträgen zu den Podiumsdiskussionen im Burgtheater dokumentierten. Dass die jüngeren Diskutanten mit dem Avantgarde-Begriff nur wenig anfangen konnten, liegt nicht nur am Fehlen klarer Feindbilder, sondern vor allem an der dunklen Ahnung, als Künstler nur noch wirkungslose Scheinkämpfe führen zu können. Bei den Architekten unter den Avantgardisten ist das besonders evident. Man braucht nur im Katalog des legendären, von Peter Noever 1992 im Museum für angewandte Kunst unter dem Titel „Architektur am Ende?“ organisierten Symposiums nachlesen, was Frank Gehry im Vorwort den selbst ernannten Kämpfern im „nicht erklärten Krieg gegen die Architektur“ wie Zaha Hadid und Coop Himmelblau – damals noch ohne freigestelltes (l) firmierend – ins Stammbuch schreibt: „Ich kann mich daran erinnern, genauso gedacht zu haben wie sie, aber jetzt stellen sich die Dinge einfacher dar. Ich bin Architekt geworden, weil ich bauen wollte, und um bauen zu können, muss ich innerhalb des gesellschaftlichen Systems bauen. (...) Ich bin letzten Endes zuversichtlich, dass sie (die Teilnehmer am Symposium, CK) alle Aufträge erhalten und wunderbare Bauten errichten werden, und nicht herumsitzen und sich Gedanken über das Ende der Architektur machen müssen.“ Wie recht er mit dieser Prophezeiung hatte, erstaunt Gehry heute wahrscheinlich sogar selbst. Für Avantgarde im klassischen Sinn ist in diesem Denken aber kein Platz. Die Massenbewegung, in deren Dienst es sich stellt, ist die Akkumulation von Kapital. Die jüngeren Bauten und Projekte von Hadid und Coop Himmelb(l)au verkörpern das dazu passende Ideal, die Synthese fließender Bewegung und solider Objekthaftigkeit: Der Dagobert-Duck’sche Geldspeicher hätte heute die Form eines verdrehten Doppelkegels. Dass sich diese Architektur totläuft, sobald der Markt gesättigt ist und seine Lust am Objekthaften verliert, ist offensichtlich. Die kommende Architektengeneration steht vor der Aufgabe, beim Bauen nicht das Objekt, sondern den Prozess in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn sie Avantgarde sein möchte, wird sie sich mit der letzten verbliebenen Massenbewegung, 241 der Ökologiebewegung, verbünden
müssen, allerdings ohne die Weltprobleme durch Wärmedämmung, Lehmbauweise oder biotechnologische Zauberformeln lösen zu wollen. Dafür wird sie neue und oft widersprüchliche Qualitäten brauchen: Liebe zum Kurzfristigen und Geschick im Umgang mit dem Zufall ebenso wie einen langen Atem in der Verfolgung von Zielen, deren Erreichung vielleicht erst ihre Urenkel erleben dürfen. Sie wird die Geduld und Ausdauer von Gärtnern mit der Präzision von Raumfahrtingenieuren vereinen müssen. Ob diese Perspektive der skeptischen jungen Generation ausreicht, um sich der Sache Architektur mit der gleichen unbedingten Leidenschaft zu verschreiben wie die Generation der Coop Himmelb(l)aus, werden die nächsten Jahre zeigen.
2010
24. Dezember 2010
Esse mit Ausblick Die Zeiten, als Industriebauten nur noch als konturlose Blechcontainer auftauchten, sind vorbei. Eine neue Sichtbarkeit ist angesagt. Auf welchem Niveau, zeigt der aktuelle Staatspreis für Industrie und Gewerbearchitektur.
A
ls der große deutsche Architekt Karl Friedrich Schinkel 1826 England bereiste, zeigte er sich tief beeindruckt von den Veränderungen, denen Städte und Landschaften durch die Industrialisierung ausgesetzt waren: „Um 9 Uhr kommen wir mit der Extrapost in Dudley an und fahren nach dem Frühstück und Tee gleich zu den Eisenwerken. Grandioser Anblick von Tausenden von Obelisken, welche rauchen. Größtenteils Förderungsmaschinen, um Steinkohlen, Eisen und Kalk aus den Gruben zu bringen.“ Gebäude, „so lang als das Berliner Schloss und ebenso tief, ungeheure Baumasse von nur Werkmeistern ohne Architektur und fürs nackteste Bedürfnis aus rotem Backstein ausgeführt“, Beispiele jener über 400 Fabriken, die damals in kurzer Zeit in der Region errichtet wurden, ließen Schinkel erahnen, welche Folgen die Industrialisierung für die Architektur mit sich bringen würde. Die Ingenieurkunst des 19. Jahrhunderts setzte erste Impulse für eine neue Ästhetik der Zweckmäßigkeit, und die Klassische Moderne des frühen 20. fand schließlich in den industriellen Bauaufgaben ein reiches Experimentierfeld. Aus den Baumassen für das „nackteste Bedürfnis“, die Schinkel so unheimlich erschienen waren, entwickelte sich die Vision einer neuen Architektur, in der die Sphären von Produktion, Konsum, Wohnen und Erholung zwar räumlich getrennt, aber ästhetisch verbunden sein sollten. Eine moderne Architektursprache für alle Lebensbereiche sollte helfen, eine für alle gemeinsame Welt herzustellen. In der heutigen postindustriellen Gesellschaft sind die rauchenden Schlote – zumindest in Europa – weitgehend verschwunden. Aber auch die Vision 243 der Moderne von einer verbindenden
und verbindlichen Ästhetik hat sich spätestens in den 1970er-Jahren aufgelöst, als die negativen sozialen und ökologischen Folgen der Industrialisierung und der streng nach Funktionen getrennten Stadt nicht mehr länger zu leugnen waren. Architektur gilt seit damals wieder als Disziplin für besondere Anlässe, für Museen und den gehobenen Wohnbau, und sie hat in diesem Marktsegment eine bisher unerreichte Vielfalt an gleichzeitig auftretenden Stilrichtungen hervorgebracht. In der Architekturdiskussion spielte der Industriebau bis zur Jahrtausendwende – mit Ausnahme einiger weniger britischer Beispiele aus dem „High-Tech“-Bereich – nur eine untergeordnete Rolle. Das lag nicht allein an den Architekten. Fast hat es den Anschein, als ob die Industrie selbst unter dem Druck des Umweltschutzes nicht nur die rauchenden Schlote zum Verschwinden bringen wollte, sondern insgesamt unter die Tarnkappe einer neutralen, aus konturlosen Blechcontainern gebildeten Ästhetik außerhalb jedes architektonischen Anspruchs zu schlüpfen versuchte. – Diese Situation änderte sich Ende der 1990er-Jahre, als Unternehmen begannen, ihre Produktionsstätten aus der Perspektive des Marketings zu betrachten. Wenn sich die Produkte selbst immer ähnlicher werden, dann wird die „Story“, die den subjektiven Wert einer Marke für den Konsumenten steigern soll, immer wichtiger. Warum soll nicht auch eine Fabrik oder ein Forschungszentrum zu dieser Fantasie beitragen? Die „Gläserne Fabrik“ in Dresden von VW oder die BMW-Welt in München sind spektakuläre Ergebnisse dieses Kalküls, das dem Industriebau in der postindustriellen Gesellschaft zu einer neuen Sichtbarkeit verholfen hat.
Diese neue Sichtbarkeit hat aber nicht nur mit Marketingüberlegungen zu tun. Unternehmen sind sich heute stärker der Verantwortung bewusst, die sie für die Gestaltung von Stadt und Landschaft und für die Lebensqualität ihrer Mitarbeiter tragen. Gute Planung im Industriebau bezieht Mitarbeiter und Nachbarn ein, sie berücksichtigt die Integration in den Stadt- oder Landschaftsraum und denkt an Betreuungseinrichtungen für die Kinder von Mitarbeitern. Der alle drei Jahre vergebene Staatspreis für Industrie- und Gewerbearchitektur, der vom Ministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend zusammen mit der Architekturstiftung Österreich, der Architekten- und Ingenieurkammer, der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung ausgelobt wird, ist ein Gradmesser für den Entwicklungsstand dieses Sektors in Österreich. Zu den sieben nominierten Projekten gehören durchaus spektakuläre Beispiele, wobei Größe dafür keine Rolle spielt. Spektakulär ist auch das kleinste Projekt, die Schmiede Steidl in Osttirol von den Architekten Peter Jungmann und Markus Tscha244 peller in Innervillgraten. Sie ist ein
Von small bis X-large: Staatspreisträger Holzbau Sohm … Foto: Bruno Klomfar
Marketinginstrument im fast wörtlichen Sinn, ein überdimensionales schwarzes Alphorn inmitten traditioneller Bauernhöfe, gut belichtet von oben und überseitliche Bandfenster, durch die der Blick auf die Hänge gegenüber fällt: Eine Esse mit solchem Ausblick hat nicht jeder Schmied. Spektakulär in einem gänzlich anderen Maßstab ist das Verkaufs- und Finanzzentrum der Voestalpine Stahl GmbH in Linz, errichtet nach einem Entwurf von
Schmiede Steidl in Innervillgraten. Foto: Wolfgang Retter
Verkaufs- und Finanzzentrum Voestalpine Linz.
Swarovski Optik.
Foto: Josef Paus
Foto: Paul Ott
Dietmar Feichtinger, dem hier nach der Donauuniversität in Krems und dem Landeskrankenhaus Klagenfurt sein bisher eindrucksvollster Bau gelungen ist, Signalarchitektur mit Witz und sehr gelungenen Büroräumen im Inneren, die an großzügigen, begrünten Atrien liegen. Die beiden Preisträgerprojekte des Staatspreises, Swarovski Optik in Absam und Sohm Holzbautechnik in Alberschwende im Bregenzer Wald, sind dagegen beinahe kontemplativ. Wolfgang Pöschl hat mit seinem Team für Swarovski ein bestehendes Werksareal schrittweise erneuert. Aus der Einfahrt wurde ein von Zubauten mit üppigen Gründächern gerahmter Hof, den zu überqueren jeden Tag Freude macht. Alle Büros wurden unter Einbeziehung der Mitarbeiter gestaltet, ein Kindergarten wurde eingerichtet und ein neuer Parcours für Werksführungen
inszeniert, der dem Image des Unternehmens gerecht wird. Den architektonisch komplexesten Beitrag hat Architekt Hermann Kaufmann mit der banalsten Bauaufgabe, einer Lagerhalle mit Bürotrakt für Sohm Holzbautechnik, geliefert. Statt der skulpturalen Geste setzt Kaufmann auf die Auflösung des Baukörpers in seine konstruktiven Bestandteile. Die Fassade zur Straße hin ist aus schmalen, beinahe lamellenartigen Tragelementen gebildet. Im Inneren tragen drei mächtige, diagonal in den Raum gestellte Holzsäulen einen Hauptträger, auf dem die Deckenelemente balancieren. In seiner starken Präsenz ohne starke Form ist dieses Projekt richtungsweisend. Man würde sich von manchem sogenannten „Kulturbau“ in Österreichs Gemeinden ein annähernd so hohes Niveau wünschen.
27. November 2010
Die Quadratur des Dreiecks Wie ein Kunstgriff zur Raumkunst wird: Borealis hat in Linz ein neues „Innovation Headquarter“ bekommen — eine Großraumlösung mit radikalem Ansatz.
T
echnischer Fortschritt beginnt mit einer Idee. Aus der Idee wird eine Erfindung, und wenn alles gut geht, wird daraus eine Innovation. Letztere ist ein umfassender Begriff, der dann angebracht
ist, wenn eine Erfindung sich in der Welt behauptet und zum aktuellsten Stand der Technik geworden ist. Innovation ist auch das eigentliche Thema in dem Gebäude, das die Architekten
Dieter Henke und Marta Schreieck in Linz für das Chemieunternehmen Borealis entworfen haben. Hier entwickeln rund 350 Mitarbeiter neue Produkte und Verfahren für die Kunststoffe, die etwa in der Automobilindustrie oder für Verpackungsmaterialien eingesetzt werden. Der Konzern beschäftigt rund 5200 Mitarbeiter, 1600 davon in Österreich und die überwiegende Zahl in acht weiteren Ländern mit Produktionsstandorten von Finnland über Abu Dhabi bis in die USA. Entsprechend international sind auch die Forschungsgruppen, die im neuen Gebäude in Linz zusammenarbeiten. Als das Unternehmen Ende 2007 einen Wettbewerb für sein neues „Innovation Headquarter“ auslobte, war klar, dass dieses Gebäude optimale Voraussetzungen vor allem für die Zusammenarbeit von Forschern bieten sollte. Das Siegerprojekt von Henke und Schreieck verfolgt in dieser Hinsicht einen radikalen Ansatz: Anstelle der üblichen Zellen- oder Gruppenbüros bietet es eine Großraumlösung an, die alle Arbeitsebenen auch in der Vertikalen durch ein Atrium verbindet, das den Blickkontakt zwischen sämtlichen Business Units ermöglicht. Es gibt im gesamten Gebäude kein Einzelbüro mehr, selbst die Chefs haben ihre Schreibtische im Großraum. Dass eine solche Lösung den Kontakt zwischen den Mitarbeitern fördert 246 und damit zur Innovation als einer
Teamleistung beiträgt, die über die individuelle zündende Idee hinausgeht, steht außer Frage. Trotzdem gab es unter den Mitarbeitern zu Beginn verständliche Skepsis. Würden die Vorteile des Großraums nicht durch die bekannten Nachteile aufgewogen: Fehlende Möglichkeit zur individuellen Gestaltung der eigenen Arbeitsumgebung und vor allem akustische Störungen, die ein konzentriertes Arbeiten unmöglich machen würden? Die Umsetzung der zündenden Idee des „Forschungsturms“ mit umlaufenden Arbeitsplätzen und großem Atrium wurde für die Architekten daher selbst zu einer Innovationsaufgabe, bei der sie die späteren Nutzer, aber auch viele Fachplaner und Ausführende ins Boot holen mussten. Als Grundform wählten sie ein Dreieck mit abgerundeten Ecken, an denen nicht die Chefbüros, sondern jeweils ein mittelgroßer Besprechungsraum für bis zu zehn Personen und zwei abgetrennte Zonen für ungestörte Telefonate liegen, die von keinem Arbeitsplatz mehr als 30 Schritte entfernt sind. Dass jedes Geschoß seinen eigenen Grundrisszuschnitt besitzt, verdankt es einem speziellen Kunstgriff: Statt die Öffnungen des Atriums einfach übereinander zu setzen, haben die Architekten sie in jedem Geschoß um 20 Grad verdreht. Diese Lösung ist so simpel und zugleich effektvoll, dass man sich wundert, warum sie nicht schon längst erfunden wurde. Die Halle des
Auch der Vorstand sitzt im Großraum: Atrium und umlaufende Arbeitsplätze. Foto: Rolf Sturm
Guggenheim-Museums in New York werden Henke und Schreieck sicher vor Augen gehabt haben, auch wenn dort eine Rampe und keine horizontalen Ebenen das Atrium begrenzt. Aber selbst Frank Lloyd Wright hätte seine Freude an der räumlichen Dramatik gehabt, die sich im Borealis-Gebäude aus dieser simplen Drehung ergibt. Die Herausforderung steckt – wie bei jeder scheinbar einfachen Idee – im Detail: Erst die leichte Neigung der Brüstungen und die feine Abstimmung von Proportionen, Materialien und Farben macht aus dem Kunstgriff Raumkunst. In Kombination mit versetzt angeordneten raumbildenden Elementen – Glasboxen für Besprechungen, Sanitärbereichen, Fluchttreppen und offenen Kaffee- und Besprechungszonen – entsteht so ein differenzierter Großraum, in dem man sich wohl und gut aufgehoben fühlt. Dass dieser Raum auch akustisch funktioniert, hat einiges an Überlegung bedurft. Akustikdecken konnten nicht eingesetzt werden, da die zur Kühlung nötige Bauteilaktivierung weder abgehängte Decken noch Akustikputze zuließ. Teppichböden sind daher in allen Obergeschoßen selbstverständlich, aber auch die meisten Möbel sind aus speziellen, mit feinen Bohrungen ver247 sehenen schallschluckenden Platten
hergestellt. Und selbst die Espressomaschinen in den Kaffeezonen sind keine Standardprodukte, sondern spezielle Geräte mit Schalldämpfern. Eine weitere Besonderheit ist das mehrlagige pneumatische Foliendach des Atriums, das eine extrem zarte Konstruktion erlaubt. Derartige Dächer sind heute zwar keine Sensation mehr, um witterungsgeschützte Bereiche zu erzeugen. Die Funktionsfähigkeit seines Gebäudes davon abhängig zu machen, dass die nur 0,3 Millimeter starke ETFE-Folie auch einem Hagelgewitter standhält, beweist großes Vertrauen in innovative Kunststofftechnik, wie es von diesem Bauherr wohl nicht anders zu erwarten ist. Energietechnisch erreicht das Gebäude trotz kompakter Form mit seiner Glasfassade nur durchschnittliche Werte. Angesichts der Prozesswärme und -kühlung der umgebenden Anlagen, die das Bürogebäude mitnutzen kann, wäre das Erreichen eines höheren Standards aber sowieso eine wenig sinnvolle Übung gewesen. Dass trotz eindrucksvoller Gebäudetechnik im Untergeschoß Heizung und Kühlung nicht individuell für einzelne Arbeitsplätze oder zumindest eine größere Anzahl von Zonen pro Geschoß geregelt werden können, wird von den Nutzern als einziger Kritikpunkt angemerkt. In diese Richtung darf man sich in Zukunft noch einiges an Innovationen erhoffen. Mit dem neuen Typus für die Bauaufgabe des „Innovation Headquarters“, der Henke und Schreieck mit diesem Projekt geglückt ist, sind dafür jedenfalls die besten Voraussetzungen geschaffen.
Schnitt: Henke Schreieck
30. Oktober 2010
Orgien, Mysterien, nüchtern gerahmt Kunst des Wiener Aktionismus: Die Sammlung Friedrichshof im Burgenland hat ihre Bestände neu arrangiert und sich von Adolf Krischanitz ein Minimalmuseum errichten lassen.
Kleine Monumentalität: neuer Museumseingang. Foto: Lukas Roth
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as Nordburgenland gilt unter Alpenbewohnern als Deprivationslandschaft, deren größter Reiz in ihrer völligen Reizlosigkeit besteht. Dass ausgerechnet hier, in Zurndorf, ein paar Autobahnminuten vom wild wuchernden Designer-Outlet in Parndorf entfernt, seit 30 Jahren eine der besten und ursprünglich auch umfangreichsten Sammlungen von Kunst des Wiener Aktionismus zu sehen ist, hat eine besondere Geschichte. Der Ursprung 248 der Sammlung, die über 100 Arbeiten
von Günter Brus, Hermann Nitsch, Otto Muehl und Rudolf Schwarzkogler enthält, geht auf die Zeit zurück, als Zurndorf Sitz einer Kommune war, die sich um Otto Muehl gebildet hatte. Die Kommune war ein Experiment einer radikal-utopischen Lebensform, das sich an den amerikanischen Westcoast-Kommunen, aber auch an der Kibbuzim-Bewegung und an den großen Sozialexperimenten des 19. Jahrhunderts orientierte. Sie erwarb ab 1972 erste Gebäude auf dem Areal des Friedrichshofs, eines ehemaligen Landguts, und errichtete
Bestand vor dem Umbau.
Foto: Lukas Roth
Foto: Privat
im Lauf der Jahre weitere Anlagen, unter anderem einen eher anspruchslosen Werkstättentrakt, in dem auch die Kunstsammlung untergebracht wurde. Die Verurteilung Otto Muehls zu sieben Jahren Haft wegen sexuellen Missbrauchs von Unmündigen 1991 hat die öffentliche Wahrnehmung der Kommune bis heute bestimmt. Die Ermittlungen gegen Muehl wurden bereits 1987 aufgenommen und hatten die autoritäre Struktur der Kommune bereits so weit aufgeweicht, dass sie sich schon 1989 in eine Genossenschaft umwandelte, in der die beträchtlichen, nicht zuletzt durch Brokertätigkeiten von Mitgliedern erwirtschafteten Vermögenswerte eingebracht wurden. Die Genossenschaft überlebte die offizielle Auflösung der Kommune 1990 und blieb auch Eigentümerin der Kunstsammlung, die ursprünglich weit umfangreicher war. Im Lauf der Jahre wurden Teile verkauft, zuerst an die Sammlung Essl, dann an die Sammlung Leopold und schließlich ans Wiener Museum Moderner Kunst (MuMoK), wo sich heute die umfassendsten Bestände zum Wiener Aktionismus befinden. Dass gerade heuer eine Neuaufstellung der Sammlung unternommen wurde, mag mit dem 20-jährigen Jubiläum der Auflösung der Kommune zu tun haben, deren ehemalige Mitglieder vorsichtig in Erinnerung rufen wollen, was die Kommune für sie bedeutete: ein Leben nach den Prinzipien von „gemeinsamem Eigentum, freier Sexualität ohne feste Paarbeziehungen, kollektivem Kinderaufwachsen und direkter Demokratie“. Beim 20-Jahr-Fest am Friedrichshof waren 400 ehemalige Kommunarden 249 anwesend, ein Zeichen dafür, dass die
Zeit für eine differenzierte Aufarbeitung der Geschichte der Muehl-Kommune gekommen ist. Im offiziellen Pressetext zur Neuaufstellung der Kunstsammlung ist wohl nicht zufällig ein interdisziplinäres Forschungsprojekt angekündigt, das untersuchen soll, wie eine anarchistisch-libertinäre Gruppe in ein autoritäres System kippen konnte. Die Ansätze für eine Erklärung werden gleich mitgeliefert: Man hätte die Komplexität des Vorhabens unterschätzt, dem um eine Generation älteren Muehl zu viel Bewunderung geschenkt und damit zu dessen Selbstüberschätzung beigetragen. Explizit „distanziert sich die Sammlung Friedrichshof von den Verfehlungen Muehls, bedauert das entstandene Leid und ist bestrebt, die Opfer bei der Bewältigung des Geschehenen zu unterstützen“. Zugleich wird aber auch der Gesinnungswandel Muehls anerkannt und dessen Bemühen um Versöhnung, das in einem jüngst veröffentlichten Entschuldigungsschreiben zum Ausdruck komme. Kunst des Wiener Aktionismus zu sammeln war für die Kommune naheliegend, nicht nur weil Muehl zu dessen Exponenten gehörte, sondern auch, weil die Kommune in Anspruch nehmen konnte, den künstlerischen Aktionismus in eine gesellschaftspolitische Praxis umgesetzt zu haben, während die individuellen Künstler zwar einiges an politischer Reaktion auslösten, aber letztlich Reibebäume im geschützten Garten der Kunstproduktion bleiben mussten. Als die Sammlung Friedrichshof ab 1980 durch den in der Kommune lebenden Künstler Theo Altenberg aufgebaut wurde, war der Aktionismus selbst bereits Teil der Kunstgeschichte, wenn auch ein außerhalb Österreichs – bis auf Arbeiten Günter Brus’ – wenig bekannter.
Nach der Auflösung der Kommune wurde „kleine Monumentalität“, wie sich Krischader Ausstellungsmacher Hubert Klocker mit nitz ausdrückt, die sehr selbstbewusst im alder Betreuung der Sammlung beauftragt, die les andere als monumentalen Bestand ihren Platz findet. in den 1990er-Jahren vor allem durch LeihIhre erste Bewährungsprobe besteht die gaben für Ausstellungen in Los Angeles, ToRaumfolge gerade mit einer Ausstellung kyo und Paris zur besseren internationalen von Paul McCarthys Videoinstallation „CarPositionierung des Wiener Aktionismus ribbean Pirates“, die bis Ende März 2011 in beitrug. Die Neugestaltung der Sammlungsräume der Wechselausstellung zu sehen sein wird. In Mehrfachprojektionen zeigt McCarthy erfolgte durch Adolf Krischanitz, der schon ein wildes Satyrspiel mit aktuellen Bezüin den 1980er-Jahren für eine Dependance gen, das an ein Nitsch’sches Orgien-Mysterider Kommune auf den Kanarischen Inseln en-Theater erinnert, bei dem die Macher der ein Haus entworfen hatte. Krischanitz hat US-Fernsehserie Southpark die Regie überden Räumen ein neues Entree vorgesetzt – nommen haben. Die großen Durchbrüche, einen Glaszubau mit zwei X-förmigen Stütmit denen Krischanitz Wechselausstellung zen aus massiven Holzbalken –, die Räume und Sammlung verbunden hat, offenbaren für die Sammlung beruhigt und mit einem so die heimliche Absicht, letztere ein wenig Einbau für Projektionen ausgestattet. Erzu durchlüften: Im Kontrast zu McCarthys gänzt werden diese Räume durch einen Bereich für temporäre Installationen mit einem absurdem Spektakel kommt der tief verspannte katholische Ernst, der den Werken Längsraum als Übergang zur Dauerausdes Wiener Aktionismus anhaftet, drastisch stellung. Ohne großen Aufwand ist so ein zum Vorschein. hochwertiger Kunstraum entstanden, eine 16. Oktober 2010
Der Schwank von Schwaz Die Proteste gegen den Neubau des Stuttgarter Bahnhofs sind in aller Munde. Freilich: Im Vergleich zu dem, was sich rund um das Stadtgalerien-Projekt im Tiroler Schwaz ereignet, ist das Stuttgarter Bahnhofsvorhaben ein Muster an Transparenz.
I
n österreichischen Gemeinden ist der Bürgermeister die erste Instanz in allen Bau- und Planungsangelegenheiten. Das ist grundsätzlich zu begrüßen: Je näher bei den Bürgern Entscheidungen über die Qualität ihres Lebensraums fallen, desto besser. Das gilt zwar nicht für Fragen der Raumordnung, wo Österreich durchaus übergeordnete Planungsinstanzen mit Machtbefugnissen bräuchte. Aber die Verantwortung für Architektur und 250 Stadtgestaltung ist auf lokaler Ebene
richtig angesiedelt und kommt gut ohne eine übergeordnete, etwa auf Landesebene organisierte Schönheitspolizei aus. Von oben verordnete Schönheit passt nicht zu einer Demokratie: Hier muss über Qualität so lange diskutiert werden, bis eine tragfähige Mehrheit gefunden ist. Wie schwierig das ist, kann man derzeit in Stuttgart verfolgen, wo eine Bürgerbewegung aus Denkmal- und Umweltschützern das vier Milliarden Euro teure Projekt des neuen Bahnhofs stoppen möchte. An
Transparenz hat es in Stuttgart allerdings nie gefehlt: Seit 1998 war das Neubauprojekt im alten Bahnhof ausgestellt, und es gibt gute Argumente für die Auflassung des Kopfbahnhofes, der – unter Beibehaltung des Großteils der denkmalgeschützten Bahnhofshallen – mit neuen, quer zum Bestand verlaufenden Gleisanlagen unterfahren werden soll. Die Ursache des spät und eher plötzlich aus einem diffusen Unbehagen auskristallisierten Bürgerprotests dürfte hier in einem Misstrauen gegen alle Lösungen zu finden sein, die man früher stolz als „großen Wurf “ bezeichnet hätte. Hier prallen Welten aufeinander: Ingenieure und Politiker, die Berge versetzen möchten, und Bürger, die dieser Haltung misstrauen und am Bestand nichts ändern wollen. Eine auf den ersten Blick ähnliche Situation ist derzeit – wenn auch in ganz anderem Maßstab – in der Kleinstadt Schwaz in Tirol zu beobachten. Auch hier haben tatkräftige Männer einen großen Wurf vor: Der langjährige Bürgermeister Hans Lintner und der einflussreiche ortsansässige Unternehmer Günther Berghofer träumen von einem innerstädtischen Einkaufszentrum, den Stadtgalerien. Das Grundstück dafür liegt am Rand der Altstadt, direkt am Inn, auf dem Gelände der ehemaligen Tabakfabrik, eines denkmalwürdigen Industriebaus, der 2007 praktisch über Nacht abgerissen wurde. Wie es sich für tatkräftige Männer gehört, mussten sich der Bürgermeister und der Financier erst zusammenraufen: Geplant war zuerst ein multifunktionales Zentrum mit Wohnungen, Büros, Hotel und einem Stadtsaal als Ergänzung zur Shoppingmall. Hotel und Wohnungen mussten fast vollständig Geschäften weichen, und der Stadtsaal wurde schließlich – nicht gerade bürgernah – ins zweite Obergeschoß verdrängt, wo er den Umsatz nicht stört. Wie schlecht dieses Projekt tatsächlich ist, wissen die meisten Bürger von Schwaz erst seit vergangenem Dienstag, an dem eine offizielle Vorstellung stattfand. Einer „ergebnisoffenen“ Diskussion hat diese Veranstaltung nicht gedient: Tatsächlich wurden die Bauarbeiten bereits vor zwei Wochen mit dem Aushub des Kellergeschoßes begonnen, wobei die fast vollständige Fällung der imposanten Kastanienallee, die das Grundstück am Inn begleitet, den Auftakt bildete. Natürlich sind alle Pläne vom Bür251 germeister als erster Bauinstanz
bewilligt. Selbst der von den Grünen gestellte Umweltreferent steht hinter dem Projekt, Alleefällung inklusive. Dass die Pläne nie an die Öffentlichkeit gelangten, liegt daran, dass sich die angrenzenden Grundstücke im Gemeindeeigentum befinden und daher nur wenige Anrainer außer der Gemeinde selbst Parteienstellung im Bewilligungsverfahren hatten. Einer Umweltverträglichkeitsprüfung entzog sich die Gemeinde elegant, indem sie auf die an sich sinnvolle und ursprünglich geplante Verbindung der neuen Tiefgarage mit einer bestehenden verzichtete, womit die Anzahl der Stellplätze unter der kritischen Größe blieb. Schon 2007 hatte es einen geladenen Architekturwettbewerb für das ursprüngliche Raumprogramm gegeben, den die Architekten Henke und Schreieck gewannen. Man muss das damalige Wettbewerbsergebnis mit dem aktuellen Stand vergleichen, um zu erkennen, welche Chance hier verschenkt wird: Aus einer gegliederten Bebauung mit viel Luftraum und Terrassen ist ein ungeschlachter Fremdkörper geworden, der rücksichtslos alle Reserven aus dem Grundstück quetscht. Der Vorplatz, von dem aus Außentreppen zum Stadtsaal führen, liegt beschattet an der Nordseite, während Henke und Schreieck für den Platz eine südwestseitige, zum Inn hin offene Terrasse vorgesehen hatten. Von der offenen Passage im Inneren sind nur ein paar Lichtschächte geblieben, und dass die Alleebäume im damaligen Wettbewerb nicht angetastet werden durften, versteht sich fast von selbst. Als Henke und Schreieck im Herbst 2008 ausgebootet wurden, um einem Wiener Spezialisten für Shoppingmalls Platz zu machen, habe ich den Beitrag, der hier im „Spectrum“ das Geschehen kommentierte, noch unter den Titel „Wenn Stümper Städte planen“ gestellt. Stümperei trifft den Sachverhalt heute nicht mehr. Die politischen Akteure bewegen sich hart am Rande des Amtsmissbrauchs. Im Vergleich mit den Schwazer Stadtgalerien ist das Stuttgarter Bahnhofsprojekt ein Musterbeispiel an Transparenz. Viel eher entspricht die Schwazer Provinzkomödie mit tragischem Ausgang den Vorgängen um den Wiener Riesenradplatz, wo aus einer ähnlich überheblichen Haltung heraus alle Warnungen von Fachleuten und die Kritik von Bürgern ignoriert wurden. Hier wie dort gab es Versuche, durch unsauber
abgewickelte Wettbewerbsverfahren die eigentlichen Absichten zu verschleiern. In Wien war das Projekt letztlich mitverantwortlich dafür, dass die Wiener vergangenen
Sonntag der SPÖ nicht mehr die alleinige Verantwortung für ihre Stadt übertragen wollten. Auf die Pointe des Schwanks von Schwaz darf man gespannt sein.
4. September 2010
Steine im Glashaus Ein großes Haus des Lernens: Die neue Krankenpflegeschule im Kaiser-Franz-Josef-Spital von Andreas Lichtblau und Susanna Wagner beweist, dass Offenheit und Sicherheit kein Widerspruch sein müssen.
Die schönste Aula Wiens, mit ausgeklügeltem Brandschutzplan.
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as Kaiser-Franz-Josef-Spital im zehnten Wiener Gemeindebezirk, das seit einigen Jahren unter dem Namen „Sozialmedizinisches Zentrum Wien Süd“ firmiert, ist ein klassisches Pavillonkrankenhaus, eine Anlage mit großem Park und zahlreichen freistehenden Gebäuden. Dieser Typus des Krankenhauses ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, die auf einem Irrtum 252 beruht: In der Annahme, dass Erreger
vor allem über die Luft übertragen würden, rückte man die Stationen auseinander, um eine möglichst große Durchlüftung zu erreichen, und nahm dafür den praktischen Nachteil langer Wege im Freien in Kauf. Dass Krankheiten, wie Ignaz Semmelweis schon in den 1840er-Jahren nachweisen konnte, im wörtlichen Sinn auf Händen von einer Abteilung in die nächste getragen wurden, blieb lange heftig umstritten. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte
sich die Erkenntnis durch, dass hygienische Maßnahmen wie Desinfektion und Sterilisation ausreichen, um die Übertragung von Keimen zu verhindern. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verschwand der Typus des Pavillonkrankenhauses zugunsten kompakter Lösungen, zuerst in England und etwas später auch im deutschen Sprachraum. Wie viele Irrtümer in der Architektur hatte auch dieser einen positiven Seiteneffekt: Es gibt kaum Krankenhäuser mit großzügigeren Grünräumen und Bezügen nach außen als die alten Pavillonspitäler, obwohl man den Außenräumen anmerkt, dass sie nie als schöne Gärten, sondern als hygienisches Abstandsgrün gedacht waren. Das Kaiser-Franz-Josef-Spital ist da keine Ausnahme, auch wenn die Pavillons im Lauf der Jahre auf Kosten des Grünraums immer wieder erweitert wurden. Eine wesentliche Ergänzung der letzten Jahre war das geriatrische Zentrum nach Plänen von Anton Schweighofer, der für den Komplex auch eine neue Eingangslösung entwickelte. Nun hat das Krankenhaus eine neue Erweiterung erfahren, diesmal für junge Menschen: Die Architekten Andreas Lichtblau und Susanna Wagner haben an der anderen Seite des Geländes eine Krankenpflegeschule entworfen, in der auf rund 6200 Quadratmetern künftig 600 Schülerinnen und Schüler eine dreijährige Ausbildung absolvieren werden. Das Gebäude liegt am Rand des Geländes an einer der meistbefahrenen Straßen Wiens, der Triester Straße. Der lange und schmale Bauplatz bedeutete, dass zu dieser Straße hin eine Front von rund 120 Metern vorzusehen war. Die naheliegende Lösung wäre, die Fassade an dieser Seite möglichst zu schließen. Allerdings ist diese Fassade zugleich die südöstliche Front des Gebäudes, und so wäre über den Großteil des Tages das direkte Sonnenlicht aus der Schule ausgesperrt geblieben. Die Architekten entwickelten daher eine Lösung, die auf den ersten Blick das genaue Gegenteil versucht. Die Fassade zur Triester Straße ist eine durchgehende Glasfassade, eine der größten Wiens, 120 Meter lang und aufgrund des abfallenden Geländes zwischen zwölf und 16 Meter hoch. Sie wird aus knapp 200 Scheiben im liegenden Format von 1,8 mal 4,3 Metern gebildet, schwere Schallschutzgläser, die vom Straßenlärm nur noch ein fast unhörbares Rauschen in 253 den Innenraum dringen lassen.
Fotos: Rupert Steiner
Hinter dieser Fassade liegt eine dreieinhalb Meter tiefe Raumschicht, die man sich als großes Regal mit eingehängten, unregelmäßig verteilt Boxen vorstellen kann, wie Edelsteine in einen Setzkasten platziert. Darin befinden sich Sanitärbereiche, kleine Gruppenräume für selbstorganisiertes Lernen sowie Pausenräume für Schüler und Lehrer. Bis auf die Sanitärräume sind diese Boxen nach oben und teilweise seitlich offen, was viel Durchblicken zwischen den Bereichen zulässt. Hinter diesem verglasten Regal liegen als weitere lang gestreckte Raumschichten ein Erschließungsgang und dann die eigentlichen Klassenräume, die sich funktionell von normalen Schulklassen nicht unterscheiden, außer dass in einigen von ihnen auch Krankenbetten für den praktischen Unterricht Platz finden müssen. Die Architekten haben dem Rechnung getragen, indem sie aus dem langen Baukörper einzelne Abschnitte wie Schubladen in den Innenbereich des Krankenhauses herausziehen. Während die Schule zur Triester Straße hin glatt und hermetisch wirkt, ist sie daher auf der anderen Seite plastisch gegliedert und nimmt mit den angrenzenden Pavillons einen freundschaftlichen Dialog auf.
Überhaupt ist der geschickte Umgang mit dem Kontext eine besondere Qualität des Projekts. Das abfallende Gelände haben die Architekten noch weiter modelliert und teilweise abgegraben, wodurch auch ein großer Hörsaal im Untergeschoß noch Tageslicht erhält. Die Niveausprünge des Geländes wirken bis in die Eingangshalle hinein. Deren Boden verbindet als leichte Buckelfläche die unterschiedlichen Ebenen im Erdgeschoß, was punktuell höhere Aufmerksamkeit beim Gehen erfordert. Auf den Boden zu achten fällt einem angesichts dieser Eingangshalle allerdings nicht leicht. Sie ist lichtdurchflutet und erlaubt schon von außen einen Blick quer durch das Gebäude hindurch. Im Inneren wird der Blick dann in die Längsrichtung in einen 100 Meter langen Passagenraum umgelenkt. Dass dieser Raum als Einheit erlebbar bleibt, ist keine Selbstverständlichkeit. Kaum ein anderer Bereich des Bauens ist von den Anforderungen des Brandschutzes derzeit so geprägt wie der Schulbau. Hier ist es in Zusammenarbeit mit den Behörden gelungen, eine Lösung zu finden, die Offenheit mit
Sicherheit verbindet. Im Brandfall fallen die Türen zu den drei Erschließungstreppen zu, automatisch ausfahrende Schiebewände mit eingebauten Fluchttüren trennen den Passagenraum in drei Abschnitte, und die mechanische Belüftung des Gebäudes wird so gesteuert, dass der Brandrauch auf den Gängen selbst im schlimmsten Fall eine zwei Meter hohe Luftschicht zum Flüchten übriglässt. Die Computersimulation dieses Brandverhaltens hat sich – zur großen Erleichterung aller Beteiligten – bei einem Rauchversuch im ausgeführten Objekt bestätigt. Dass diese Schule das Potenzial hat, ein gutes Haus des Lernens zu sein, liegt auf der Hand. Der Erfolg hängt letztlich von den Nutzern ab, die eine gewisse Toleranz brauchen werden, um die teilweise heiklen Oberflächen und nicht leicht zu reinigenden horizontalen Flächen der Boxen in den Regalen mit Gelassenheit zu betrachten. So weiß wie heute wird diese Schule in ein paar Jahren sicher nicht mehr sein. Dass Gebrauchsspuren in einem schönen Raum besser sind als sauber geputzte Tristesse, steht freilich außer Frage.
Auf nach Tirol! D 7. August 2010
Innsbruck: inzwischen eine der interessantesten Architekturregionen Europas. Ein Stadtspaziergang abseits des „Goldenen Dachls“. ass Tirol einmal zu einer der architektonisch interessantesten Regionen Europas gehören würde, hätte vor zehn Jahren niemand gedacht. Erste Anzeichen, dass hier etwas Besonderes
im Entstehen war, zeigten sich im Herbst 2002, als in Innsbruck praktisch zeitgleich die von Dominique Perrault in Zusammenarbeit mit ATP geplante Rathauspassage und die Bergisel-Schanze von Zaha Hadid eröffnet wurden. Die Innsbrucker überstanden diese Stararchitekten-Doppelattacke
anstandslos und zeigten sich parteiübergreifend so begeistert, dass sie sich von Hadid 2007 gleich um viele Millionen Euro mit einem weiteren Wahrzeichen beglücken ließen, den Stationen der Hungerburgbahn. Dem Phänomen der aktuellen Tiroler Architektur wird diese verkürzte Darstellung freilich nicht gerecht. Das Bemerkenswerte an der Entwicklung sind nämlich nicht die einzelnen Highlights, die sich gut auf die Titelseiten der Zeitungen bringen lassen, sondern die Dichte an Qualität, wie sie heute etwa in Innsbruck zu erleben ist. Erst wenn ambitionierte Einzelprojekte auf Rufweite miteinander ins Gespräch kommen, entsteht ein attraktiver Stadtraum, der mehr ist als die Summe seiner Teile. Um diesen Stadtraum erfassen zu können, macht man sich am besten zu Fuß auf den Weg. Meine Routenempfehlung beginnt im Zentrum beim Stadtforum der Bank für Tirol und Vorarlberg von Heinz Tesar, einem Eckgebäude an der Gilmstraße, und endet auf der anderen Seite des Inns beim Q West an der Höttinger Au, einem noch in Bau befindlichen neuen Stadtteilzentrum mit Geschäften und Büros in den Untergeschoßen und einem Gymnasium auf dem Dach, entworfen von den Architekten Helmut Reitter und Eck & Reiter. Die sehenswerten Bauten, die sich an dieser Strecke von rund zwei Kilometer Länge finden, zeichnen sich nicht zuletzt durch öffentlich zugängliche Innenräume von besonderer Qualität aus. Beginnen wir mit Heinz Tesars 255 BTV-Stadtforum, dessen vier-
Wenn die Stadt zum Projekt wird: ein Parcours durch Innsbrucks Stadtkern, vom Kaufhaus Tyrol in der Fußgängerzone Maria-Theresien-Straße über das Medizinzentrum Anichstraße bis zum neuen Wohnbau an der Universitätsbrücke. Foto: Hertha Hurnaus
geschoßige, nach oben von einem geblähten Betonsegel abgeschlossene Eingangshalle eine fast sakrale Atmosphäre besitzt. Schräg gegenüber in der Erlerstraße liegt der Eingang zum Kaufhaus Tyrol, das David Chipperfield im Auftrag des Projektentwicklers René Benko entworfen hat. Dass es sich lohnt, um den besten Entwurf zu kämpfen, bestätigt sich hier eindrucksvoll. Die Aufteilung der Funktionen wird bei den umstrittenen Vorprojekten nicht anders gewesen sein, Chipperfield hat daraus Architektur gemacht, eine logische und räumliche Einheit, die sich meilenweit über das allgemeine Niveau bei dieser Aufgabe erhebt. Museumsatmosphäre ist dabei zum Glück keine entstanden: Das Tyrol ist der perfekte „ThirdPlace“ fürs entspannte Shoppen. Bei einer Rolltreppenfahrt durch die zentrale Halle kann man die raffinierte Wegführung und Staffelung der Räume nach oben bewundern. Der Haupteingang des Tyrol führt auf die Maria-Theresien-Straße, auf der gerade die Neugestaltung der Fußgängerzone nach Plänen der Architektengruppe awg – ein Akronym für „Alles wird gut“ – abgeschlossen wurde. Auf das W-Profil der Straße hatten die Architekten keinen Einfluss, auch nicht auf die Unsitte, den Straßenraum mittig mit Schanigärten zu verstellen. Immerhin gibt
Foto: B&R Nikolaus Schletterer
Foto: Günther Wett
es sehenswerte Bronzekandelaber und eine brauchbare Stadtmöblierung. Überquert man die Straße, gelangt man nach ein paar Schritten zum nächsten überdachen Raum, der Perrault’schen Rathauspassage. Mit dem Bild der Halle des Tyrol im Hinterkopf wird man die Mall hier etwas weniger beeindruckend finden als bei früheren Besuchen, aber der Turm des Rathauses mit den von Peter Kogler gestalteten Glasflächen kann immer noch überzeugen, wie überhaupt die Funktionsmischung von kommerziellen und kommunalen Flächen, die hier auch außerhalb der Amtsstunden für Leben sorgt. Nimmt man von hier aus den linken Ausgang Richtung Anichstraße, erreicht man nach einigen Minuten das Medizinzentrum in der Anichstraße, entworfen von Michael Loudon und Josef Habeler. Bereits 2001 eröffnet, steht es den oben genannten Projekten architektonisch nicht nach, angesichts der Aufgabe, 40 000 Quadratmeter Krankenhausfläche in die Stadt zu implantieren, eine besondere Leistung. Auch hier bestechen die Innenräume, von der Eingangshalle mit ihrem gedämpften, über zwei Höfe einfallenden Licht bis zu den Stationsgängen mit Blick auf die Berge. Das Medizinzentrum ist gewissermaßen der Fels, an dem der Strom der Anichstraße Richtung Inn zur Universitätsbrücke gelenkt wird. Hier befindet sich linker Hand die gerade eröffnete neue 256 Universitäts- und Landesbibliothek
der Architekten Eck & Reiter in Kooperation mit Dieter Rossmann. (Genau: Das sind dieselben Eck & Reiter wie oben, diesmal in anderer Kombination. Die Fähigkeit zu projektweise wechselnden Partnerschaften scheint eine der Qualitäten der jüngeren Tiroler Architektengeneration zu sein). Aus einem Abstandsgrün wurde hier eine raffinierte, schwellenlose Verbindung von Universität und Stadt. Überquert man die Brücke, trifft man linker Hand auf ein Wohnhaus der Architekten Manzl, Ritsch und Sandner, das letztes Jahr fertiggestellt wurde. Es enthält vor allem Kleinwohnungen, die in der Regel als Geldanlage erworben und vermietet werden. Dass für diese triviale Aufgabe ein so beachtliches Projekt entstehen konnte, verdankt sich dem Architekturwettbewerb, zu dem der Bauherr sich verpflichten musste, um die nötigen Änderungen am Bebauungsplan zu erhalten. Auch hier besteht eine besondere Qualität in einem öffentlich zugänglichen Binnenraum, dem mit Holzlatten verkleideten Innenhof. Wer durch diesen Hof auf die andere Seite schlüpft, erreicht nach wenigen Gehminuten das Bischof-Paulus-Studentenheim von Johannes Wiesflecker, zwei schwebende Schatzkisten, die das Thema der Verbindung von halböffentlichen und privaten Flächen ein wenig verspielt ausloten. Ab Herbst wird man diesen Spaziergang mit einem Besuch im Q West abschließen und erforschen können, wie gut sich die Kombination von Schule und Shopping bewährt. Ganz gleich, wie das Ergebnis ausfällt: Den Innsbruckern ist es gelungen, ihre Stadt zum Projekt zu machen und eine architektonische Kultur zu entwickeln, die vorbildlich ist. Bürgermeister und Beamte von Eisenstadt westwärts: Auf nach Tirol!
10. Juli 2010
Kultur des Sprudelns Das Schloss Belvedere und seine Gärten gehörten schon immer zu den schönsten Orten Wiens. Seit die Brunnen des Prinzen Eugen saniert und wieder in Betrieb sind, lohnt sich ein Besuch doppelt.
Aufgefrischt: Die Wasserspiele des Belvedere. Foto: C. Kühn
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etztlich gehorcht alles in der Architektur den Gesetzen der Schwerkraft. Häuser stehen, weil sie ihre Lasten über Balken und Säulen ins Fundament abtragen. Die Fachgebiete, die sich mit diesem Thema befassen, heißen im Bauwesen bezeichnenderweise Statik und Festigkeitslehre: Architektur soll sich nicht bewegen und daher aus möglichst festen Baustoffen bestehen. Es gibt allerdings eine leichtlebigere Schwester der Baukunst, die zwar auch den Gesetzen der Schwerkraft gehorcht, 257 allerdings nicht jenen von Statik und
Festigkeitslehre. Als „schöne Wasserleitungskunst“ ist sie etwa von Arthur Schopenhauer auf eine Stufe mit der Baukunst gestellt worden. So wie deren „Werke die Ideen der starren Materie entfalten“, würde jene durch „schäumend und brausend über Felsen stürzende Wasserfälle, still zerstäubende Katarakte, als hohe Wassersäulen emporstrebende Springbrunnen und klar spiegelnde Seen die Ideen der flüssigen schweren Materie offenbaren“. Das Ansehen der „schönen Wasserleitungskunst“ war freilich schon zu Schopenhauers Zeiten im Sinken begriffen. Sein
19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Ingenieure, die Brunnen bestenfalls als dekorativen Abschluss zu nützlicheren Werken der Wasserleitungskunst betrachteten. Springbrunnen und andere Wasserspiele gelten bis heute als Spielerei, mit der sich ernst zu nehmende Architekten besser nicht befassen. Die tanzenden Fontänen vor dem Hotel Bellagio in Las Vegas haben es zwar zu einer schönen Nebenrolle in Steven Soderberghs Film „Ocean’s Eleven“ gebracht, aber wer möchte schon als Baukünstler mit solchem Kitsch in Verbindung gebracht werden? Weniger Berührungsangst hat in dieser Hinsicht die bildende Kunst. In Olafur Eliassons Arbeiten finden sich viele Beispiele für einen Umgang mit flüssigen und auch gasförmigen Materien, die als Wasserschleier und Nebelvorhänge raumbildend sind. Die Künstlergruppe Gelitin schuf 2000 für die Gemeinde Staatz einen „Schlürfbrunnen“, der die Gesetze der „schönen Wasserleitungskunst“ umkehrte und Wasser nicht nach oben schäumen ließ, sondern laut schmatzend über eine trichterförmige Vertiefung im Boden zurück in die Erde saugte. Ebenfalls von Gelitin stammt auch der letzte Brunnen, der in Österreich für Furore sorgte: 2003 entstand er in Salzburg als temporäre Installation auf dem Max-Reinhardt-Platz unter dem Namen „Arc de Triomphe“, eine kleine, in einen Plastilinriesen eingebaute Fontäne, die aus dessen Mitte zurück in die Mundöffnung spritzte. Die deutlich sichtbare Erregung dieses „Meneken piss“ löste eine ebensolche öffentliche aus und hätte die damalige Direktorin des Museums der Moderne Salzburg beinahe ihr Amt gekostet. Die großen Zeiten der „schönen Wasserleitungskunst“ liegen jedenfalls schon einige Jahrhunderte zurück. Im Barock war sie integraler Teil der künstlerischen Großunternehmungen, mit denen sich die Könige und Fürsten Europas in ihren Schlossanlagen gegenseitig zu übertreffen suchten. Das Wiener Belvedere, nach Plänen von Johann Lukas von Hildebrandt zu Beginn des 18. Jahrhunderts für den Prinzen Eugen von Savoyen erbaut, gehört zu den großartigsten Beiträgen in diesem Wettbewerb, der nicht zwischen Nationen, sondern letztlich zwischen architekturverrückten Einzelpersonen ausgetragen wurde. Exakt zeitgleich mit dem Belvedere entstand etwa in St. Petersburg die Som258 merresidenz Peters des Großen mit
gigantischen Wasserkaskaden, Grotten und einem 400 Meter langen Stichkanal zum Meer, auf dem sich Besucher in Barken dem Schloss näherten. – Das Belvedere in Wien ist in den Ausmaßen bescheidener, in der feinen Abstimmung zwischen Gebäuden, Gärten, Skulpturen und Wasserkunst aber unübertroffen. Ursprünglich sollte das Untere Belvedere, zwischen 1714 und 1716 errichtet, das Hauptgebäude der Anlage werden, während das Obere Belvedere nur als Abschlusspavillon des Gartens gedacht war. Die ab 1717 bis 1723 ausgeführte Lösung für das Obere Belvedere kehrte die Verhältnisse um und machte auch eine Umplanung des Gartens erforderlich, der zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich schon mit einer Grotte im Zentrum ausgestattet war. Prinz Eugen lieh sich von einem befreundeten Regenten, dem Kurfürsten Max Emanuel von Bayern, den Gartenarchitekten Dominique Girard aus, der am Nymphenburger Schlosspark als maître fontainier wirkte, zwischen 1717 und 1722 mehrmals in Wien war und mit Lukas von Hildebrandt an den Entwürfen arbeitete. Auch wer das Belvedere schon seit Jahren kennt, wird überrascht sein, wenn er heute den Park zu den Betriebszeiten der Brunnenanlagen betritt. Die Fontänen des Kaskadenbrunnens sind tatsächlich Architektur aus Wasser, schaumige Säulen und Bögen, die aus dem nassen „Fundament“ der Wasserflächen in der Kaskade und aus den Skulpturen hervorsprudeln. Gartenhistoriker interpretieren diese Kaskade als den Übergangspunkt, an dem das dionysische Thema des Parks kulminiert und sich mit dem apollinischen Thema im oberen Bereich verschränkt. Dieser Themenwechsel ist auch in der Bepflanzung markiert, die mit üppigen begrünten und beschatteten Bereichen vor dem unteren Belvedere beginnt und unmittelbar vor dem Schloss in einer streng ornamentierten Kieslandschaft endet. Dass dieser Park heute wieder weitgehend erlebbar ist wie zur Zeit seiner Entstehung, ist ein Glücksfall. Die Grundlage für die Rekonstruktion der Gartenanlagen bildete ein Parkpflegewerk, das 1991 von den Landschaftsarchitekten Maria Auböck und János Kárász im Auftrag der Bundesgärten erstellt wurde. Die Brunnen selbst ressortieren zur Burghauptmannschaft der Hofburg und damit zum Wirtschaftsministerium, das die seit 2005 laufende Sanierung finanziert, deren
Nettobaukosten sich auf stolze 7,7 Millionen Euro belaufen. Betreut hat die Sanierung das Büro von Architekt Manfred Wehdorn, dem es gelungen ist, auch viel von der ursprünglichen Bautechnik zu rekonstruieren. Die Wasserspiele selbst werden heute allerdings über Pumpen betrieben. Zu Prinz Eugens Zeiten kam der Wasserdruck aus dem großen Becken an der anderen Seite des Schlosses, das derzeit noch restauriert wird.
Die Besucherströme, die sich täglich erwartungsvoll vor dem Einschalten der Brunnen im Park einfinden, beweisen jedenfalls das ungebrochene Interesse des Publikums an der „schönen Wasserleitungskunst“ und damit auch am zwecklos Schönen. Spielraum dafür würde man sich auch an anderen Orten wünschen. Und die Bauherren, Künstler und Architekten, die ihn zu nutzen wissen.
12. Juni 2010
Autonomie und Inbrunst Hohepriester und solche, die es noch werden wollen: über eine Konferenz „in Abwesenheit von Raimund Abraham“ und eine Ausstellung junger Architekten auf der Suche nach neuen Grenzen.
I
m März dieses Jahres ist der Architekt Raimund Abraham im Alter von 76 Jahren in Los Angeles bei einem Autounfall ums Leben gekommen, auf dem Heimweg von einem Vortrag, den er als Gastprofessor am Southern California Institute of Architecture gehalten hatte. Man habe, so erklärte dessen Direktor Eric Owen Moss, mit Abraham einen „unersetzlichen, einzigartigen und kraftvollen Fürsprecher der Architektur“ verloren. Sein gebautes Werk ist vergleichsweise schmal: ein Stadthaus in Berlin, ein Teil einer kompakten Reihenhaussiedlung in Wien-Inzersdorf, eine Bankfiliale in seiner Heimatstadt Lienz in Osttirol. Sein bekanntester Bau ist das Österreichische Kulturinstitut in New York, das der Architekturkritiker Kenneth Frampton bei der Eröffnung 2001 als das „signifikanteste Beispiel moderner Architektur“ bezeichnete, das in New York „seit dem Seagram Building und dem Guggenheim Museum errichtet wurde“. An diesem Wochenende veranstalten das Museum für angewandte Kunst und die Universität für angewandte 259 Kunst eine Architekturkonferenz
„in Abwesenheit von Raimund Abraham“, die in ihrem Anspruch mit einer Seligsprechung des verstorbenen Architekten zu vergleichen ist. Eröffnet wird die Konferenz mit einem Einleitungsreferat von Thom Mayne, in Österreich bekannt als Architekt der Hypo-Alpe-Adria-Zentrale in Klagenfurt. Danach erinnern sich Absolventen der „Angewandten“ in einem Podiumsgespräch an Begegnungen mit Raimund Abraham und seinen Einfluss auf ihr Denken und ihre Praxis. Die eigentliche Zeremonie findet im zweiten Teil der Veranstaltung satt. Kenneth Frampton hält eine Laudatio, Bundeskanzler Werner Faymann ist mit einem „Plädoyer für zeitgenössische Architektur“ angekündigt, und danach folgt eine Gesprächsrunde mit Vito Acconci, Peter Eisenman, Thom Mayne, Eric Owen Moss, Peter Noever, Wolf D. Prix, Lebbeus Woods sowie den Filmemachern Peter Kubelka und Jonas Mekas. Dieses Großaufgebot an Prominenz ist nicht allein mit dem Werk Abrahams erklärbar, auch nicht mit seiner langjährigen Lehrtätigkeit am Pratt Institute und an der Cooper Union in New York. Abraham
Schmunzelkunst? Genial? Exponate der Ausstellung „NewFrontiers: Experimental Tendencies in Architecture“.
Formen für ihn genauso absolut waren wie jene von Bergen oder Pflanzen und der er 1963 ein eigenes Buch gewidmet hat. verkörperte in idealer Weise ein ArchitekWie relevant diese Vorstellung von der tenbild, wie es Wolf D. Prix in seiner LaudaArchitektur als autonomer Disziplin heute tio anlässlich der Verleihung des goldenen noch ist, wird bei dem Architekturkongress Ehrenzeichens der Stadt Wien 2005 chawohl kaum zur Debatte stehen, zu sehr ist rakterisiert hat: Abraham gehöre „zur Urgedas Podium mit Vertretern der Disziplin besteinsgeneration der Wiener Verweigerer“ setzt, die diese Vorstellung mit derselben und war „getragen vom Anspruch, Erfinder der Architektur zu sein, und ausgestattet mit Inbrunst verteidigen wie der Vatikan die unbefleckte Empfängnis. Geändert hat sich seit dem moralischen Bewusstsein, der Beste den 1960er-Jahren allerdings der Rahmen, zu sein. Seine Architekturen waren Feste, in dem diese Vorstellung vertreten wird: manchmal brutal, manchmal hart, schwer Nach dem langen Marsch durch die Instituoder einfach nur da wie die Quellenheiligtionen ist sie heute der akademische Standtümer in Sardinien oder die schroffen Tempunkt geworden, der mit entsprechendem pel in Mexiko. Abrahams Architekturen sind der Raum als Ziel.“ Dass Abraham wenig ge- Selbstbewusstsein vertreten wird. Zaha Hadids Antwort auf den Vorwurf eines Journabaut hat, liege an seiner kompromisslosen, listen, dass man es „auf Ihrem Sofa Iceberg nur diesem Ziel verpflichteten Haltung, die keine zehn Minuten aushält“, ist bekannt: ihn zwangsläufig in Konflikt mit der „Bequemlichkeit der Bauherren“ gebracht hätte, „Da müssen Sie noch an Ihrer Sitzhaltung feideren „Ansicht von Architektur niemals Aus- len.“ Zur Aura der Autonomie gehört auch sicht, sondern nur Einsicht in Rechnungsbü- die Tendenz, Budgetüberschreitungen zur selbstverständlichen Begleiterscheinung jecher ist“. des architektonischen Geniestreichs zu erDieses heroische Architektenbild ist in klären und entsprechende Kritik gnadenlos den 1960er-Jahren als Gegenposition zum als erbsenzählerisches Banausentum zu vorherrschenden Bauwirtschaftsfunktionadiffamieren. lismus entstanden: Architektur als absolute Beide Strategien haben eine gewisse Form- und Raumkunst, niemandem verBerechtigung: Würde Architektur auspflichtet außer sich selbst. Es ist kein Zuschließlich die aktuellen Bequemlichkeiten fall, dass Prix Tempel und Heiligtümer als bedienen und nicht auch zu HaltungsändeReferenzen anführt. Abraham hätte rungen auffordern, bliebe jede Entwicklung wohl noch die „Elementare Architek260 tur“ des alpinen Raums ergänzt, deren aus. Und der Schaden, der durch zu knappe
Foto: C. Kühn
Budgets, niedrige Qualität und Gleichgültigkeit gegenüber der Gestaltung unserer Umwelt entsteht, ist sicher um vieles größer als jener durch Budgetüberschreitungen aufgrund überspannter Ambitionen. Offen ist, von welcher Seite man diese Fragen nachhaltiger beeinflussen kann: durch Aufklärung der Bauherren und Nutzer oder durch Institutionalisierung eines architektonischen Hohepriestertums. Wie verletzlich die letztere Strategie ist, lässt sich an einer Ausstellung ablesen, die derzeit im Zumtobel Lichtforum zu sehen ist. Kuratiert von Florian Medicus, zeigen 28 jüngere Architektenteams, Absolventen von Architekturschulen in Österreich und der Slowakei, zum überwiegenden Teil mit einem Bezug zur Angewandten, was sie als „New Frontiers“ wahrnehmen. Viele der Aussteller können wahrscheinlich besser zeichnen als Raimund Abraham und sind geschickter als Wolf D. Prix im computergestützten
Generieren von Formen. Ohne den akademischen Schutzmantel wird hier aber deutlich, wie schmal der Grat zwischen gelungener Provokation und offensichtlicher Peinlichkeit, zwischen Tiefsinn und geistiger Hochstapelei ist. Die Frage, wogegen, wofür und vor allem für wen die meisten dieser Arbeiten geschaffen wurden, bleibt weitgehend unbeantwortet. In der Kunstszene würde vieles als „Schmunzelkunst“ untergehen (ein Begriff, den Hermann Czech schon vor 40 Jahren aus ähnlichem Anlass bei seinem Aufruf, Architektur als Hintergrund wirken zu lassen, geprägt hat). Trotzdem scheint in diesen Arbeiten ein Potenzial jenseits der gut einstudierten Provokationen der Väter und Überväter durch. Um dieses Potenzial herauszufordern, bräuchte es freilich etwas Unzeitgemäßes: ein Publikum, dem es wieder darauf ankommt, was gesagt beziehungsweise entworfen und gebaut wird und nicht nur von wem.
8. Mai 2010
Eine Fahne für Österreich Nicht gerade klischeefrei präsentiert sich Österreich auf der Weltausstellung in Shanghai. Dafür mit einem hoch komplexen Pavillon, der in Erinnerung bleiben wird.
E
ines der berühmtesten Gedichte von Ernst Jandl ist der mit dem Titel „Eine Fahne für Österreich“ überschriebene Dreizeiler „rot / ich weiß / rot“. Jandl hätte sicher mehr über das Land zu sagen gehabt, aber der Dreizeiler hat ihm offenbar genügt. Das in die Landesfarben hineingeseufzte „Eh-schon-wissen“ sagt ja tatsächlich mehr über die zähflüssige Substanz der österreichischen Seele aus als viele wortreiche Analysen. Die Präsentation eines Landes bei einer Weltausstellung ist im Ideal261 fall genauso simpel und zugleich
abgründig wie dieses Gedicht. Mehr als eine einfache Aussage hat im allgemeinen Rauschen einer solchen Veranstaltung nicht Platz, und trotzdem muss sie genug Tiefgang haben, um den Besuchern nachhaltig in Erinnerung zu bleiben. Was Österreich auf der am 1. Mai eröffneten Weltausstellung in Shanghai mit seinem Pavillon zustande gebracht hat, kommt diesem Ideal ziemlich nahe. Zwar triefen die gezeigten Inhalte so von Klischees, dass es beinahe weh tut: „Feel the Harmony“, lautet das Motto, und wer auf der Website einen virtuellen Rundgang unternimmt, begegnet
einer Sennerin im Designerdirndl und Mozart vor einer Seenlandschaft mit Bergkulisse. Auch im realen Pavillon verlässt sich das Ausstellungskonzept vor allem auf Projektionen und Soundscapes, die sich kräftig aus dem Fundus der Tourismuswerbung bedienen. Eingebettet sind diese Inhalte allerdings in ein in jeder Hinsicht einprägsames Objekt, das trotz seiner organischen Konturen mit dem Kürzel „Blob“ nur unzureichend beschrieben ist. Tatsächlich liegt dem von der Gruppe SPAN konzipierten und zusammen mit dem Architekten Arkan Zeytino glou umgesetzten Pavillon eine komplexe, am Computer entwickelte Geometrie zugrunde, die nicht durch „Aufblasen“ und Anschneiden einer Grundform entstanden ist, sondern durch bruchlose Verformung. Der wissenschaftliche Hintergrund dafür ist die Topologie, ein Teilgebiet der Mathematik, unter dessen Blickwinkel scheinbar unterschiedliche Körper als verwandt identifiziert werden, weil sich ihre Formen kontinuierlich ineinander überfüh262 ren lassen. Der Entwurfsprozess für
Perfekte Touristenfalle: Österreich Pavillon von SPAN Architekten. Foto: SPAN
den Pavillon in Shanghai lässt sich mit einem Trick vergleichen, bei dem zuerst eine Seifenblase in Schachtelform in die Luft gezaubert wird und danach Löcher in diese Schachtel geblasen werden, die in ihrem Inneren zu Hohlräumen verschmelzen. Sandra Manninger und Matias del Campo, die 2003 das SPAN-Team gegründet haben, befassen sich seit vielen Jahren mit der Benutzung solcher Verfahren für die Herstellung architektonischer Formen. Die mathematischen Modelle und die Computerprogramme dafür haben sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Man muss sie freilich auch benutzen können. Beim Österreich-Pavillon ist SPAN dabei ein bemerkenswerter Qualitätssprung gelungen, gewissermaßen von Luigi Colani zu Friedrich Kiesler, dessen „Endless House“ immer noch die Sehnsuchtsfigur aller Architekten darstellt, die von der Auflösung von Wänden und Decken in eine kontinuierliche Raumhülle träumen.
Das Ergebnis ist nicht nur ein schönes Objekt, sondern vor allem eine gelungene Verbindung von Raum, Form und Bewegung. Denn der Weg, den die Besucher durch den Pavillon nehmen, hat – gewissermaßen als Leitlinie für die Verformung der Schachtel – die Raumhülle geformt. Er führt zuerst über eine lange Rampe auf das Niveau von 1,5 Metern und von dort in einer S-Schleife wieder abwärts ins zentrale Auditorium. Hier kommt ein zweiter Aspekt des Entwurfs zum Tragen: Ursprünglich hatten die Architekten ihr Projekt unter dem Titel „Topology of Sound“ zum Wettbewerb eingereicht und die Geometrie des Hauptsaals als Verräumlichung von Schallwellen konzipiert. So folgen Decke und Boden des Raums, in dem sich bis zu 300 Menschen aufhalten können, einer leichten, wellenförmigen Bewegung. Hier werden die Besucher mit einem Mix aus Klassik, Pop und elektronischer Musik beschallt und mit Projektionen zu den Themen Berge, Wald, Wasser und Stadt süchtig nach den Schönheiten Österreichs gemacht. Nach Verlassen des Saals verzweigt sich der Weg, entweder ins Freie oder ins Obergeschoß, wo sich ein Restaurant mit Innenhof befindet, der sich zu einem begehrten Ruhepol in der Hektik der Expo entwickeln wird. Auch im Restaurant folgt die Geometrie dem Prinzip kontinuierlicher Übergänge. Säulen gibt es nicht, und wo sie statisch notwendig wären, stützt sich einfach die Decke in einer eleganten Bewegung auf dem Boden ab. Zumindest scheint es so, denn im Inneren der so entstehenden Stalaktiten befinden sich nach wie vor Stahlsäulen, wie überhaupt die kontinuierliche Geometrie nur eine Hülle um ein konventionelles Tragwerk darstellt. Obwohl auch für die Herstellung dieser Hülle computergesteuerte Produktionsverfahren zum Einsatz kommen, bleibt zwischen der digitalen Welt des Entwurfs und jener der Produktion eine Lücke, die sich vielleicht in Zukunft durch neue Materialien und Bautechniken schließen wird. Beeindruckend ist die von der chinesischen Tochterfirma der Alpine-Mayreder errichtete Konstruktion allemal. Die Geometrie wurde in mehreren Ausbaustufen approximiert: zuerst grob über das Stahltragwerk der Primärkonstruktion, dann mit Stahllamellen, die von rechnergesteuerten Maschinen gebogen wurden, 263 und schließlich mit einer Haut aus
gelochten Faserzementplatten, die ebenfalls rechnergesteuert zugeschnitten und über die Lamellen gebogen wurden. Die glänzende Außenschicht besteht aus sechseckigen Keramikplättchen, deren Farbgebung den Baukörper in einem rot-weiß-roten Muster akzentuiert: eine Fahne für Österreich, vielleicht nicht so minimalistisch wie Ernst Jandls Gedicht, aber ähnlich einprägsam. Im Nationenvergleich behauptet sich der österreichische Pavillon gut. Der deutsche sieht ein wenig aus, als hätte man Coop Himmelb(l)au einen Praktikanten abgeworben und dessen Entwurf mit Waren aller Art vollgestopft. Mehr Mut zur Ironie als Österreich – und mehr Nähe zum Thema der Expo, „Better City, better Life“ – beweisen die Niederländer mit ihrer „Happy Street“, einer in der Luft schwebenden Achterschleife mit Miniaturhäusern aller Stilrichtungen. Auch Dänemark zeigt mehr Witz, indem es das Original der „Kleinen Meerjungfrau“ in einer Raumschleife von Radfahrern umkreisen lässt und die Chinesen so an ihr früheres ökologisches Hauptverkehrsmittel erinnern will. Als Touristenfalle ist Österreichs Pavillon aber unschlagbar. Und wir dürfen uns damit trösten, dass „Sinne im Gleichklang“ – so der übersetzte Titel unseres Beitrags – als Kennzeichnung Österreichs nur eine höhere Form der Ironie darstellt.
Visualisierung: SPAN
17. April 2010
Lernen im fliegenden Teppich Ein Gebäude wie eine Dünenlandschaft, ein Innenraum, der nicht durch Wände gegliedert ist: das Rolex Learning Center in Lausanne. Eine Meisterleistung, in der die Benutzer zu Wanderern und Entdeckern werden.
Raum als Katalysator von Beziehungen: Rolex Learning Center von SANAA . Foto: Hisao Suzuki
A
ls Kazuyo Sejima, die Direktorin der heurigen Architekturbiennale in Venedig, im Jänner das Thema dieser architektonischen Großveranstaltung bekannt gab, war die Architekturszene einigermaßen verdutzt. „People meet in architecture“ – ist das nicht das banalste Motto, unter dem die Biennale je gestanden hat? Jedenfalls besaßen frühere Biennalen eindeutig mehr 264 Zug ins Utopische: Aaron Betskys
„Out there – Architecture beyond building“ 2008, Kurt W. Forsters „Metamorph“ 2004, Deyan Sudjic’ „Next“ 2002, Hans Holleins „Sensing the Future – The Architect as Seismograph“ 1996. Immer ging es um die Zukunft, um die Überform, um den nächsten Trend. Und jetzt plötzlich dieser Aussagesatz: „People meet in architecture.“ Auch die Erklärung, die Sejima in ihrem Pressestatement zu ihrem Konzept liefert, klingt nicht
Foto: Asli Aydin
gerade weltbewegend: „Die Idee ist, Menschen zu helfen, eine Beziehung zur Architektur aufzubauen, der Architektur zu helfen, sich auf Menschen zu beziehen, und Menschen zu helfen, Beziehungen untereinander aufzubauen.“ Sejima ist die erste Frau als Direktorin der Biennale und – nach einer Reihe von Theoretikern und Kritikern – wieder eine praktizierende Architektin. Dass sie mit ihrem Thema eine gezielte Herausforderung der männlichen Seismografen und Trendsetter beabsichtigt, darf man mit einigem Recht vermuten, hat sie doch alle früheren Direktoren der Biennale eingeladen, für je einen „Architektursamstag“ zur Verfügung zu stehen. Bei Vorträgen und Diskussionen werden die Herren dabei gewissermaßen selbst zu Ausstellungsstücken. Dass man eine solche Einladung von Kazuy0 Sejima nicht ausschlagen kann, ist spätestens seit Ende März klar, als sie gemeinsam mit ihrem Partner Ryue Nishizawa, mit dem sie seit 1995 ein gemeinsames Büro unter dem Namen SANAA (Sejima and Nishizawa and Associates) betreibt, den Pritzker-Preis zugesprochen bekam, quasi den Nobelpreis für Architektur. Die Jury begründete ihre Entscheidung unter anderem damit, Sejima und Nishizawa seien „cerebral architects“, also Architekten mit Hirn. Das ist auf den ersten Blick etwas überraschend, gibt es doch von den beiden Architekten so gut wie keine theoretischen Äußerungen. Dennoch widerlegen SANAA die verbreitete Meinung, gute Architektur sei eine Sache des Bauchgefühls. Ihre Projekte sind – wiederum ein Zitat aus 265 der Jurybegründung – „das Ergebnis
strenger Recherche und starker, klar ausformulierter Konzepte“. Dass diese Konzepte nicht als Text entwickelt werden, sondern in Dutzenden von Modellstudien und Varianten, macht sie nicht weniger „cerebral“, sie folgen aber ihrer eigenen, jeweils aufs Projekt zugeschnittenen Logik. In ihrer bisherigen Entwicklung hat Sejima einige erstaunliche Wendungen genommen. Noch Anfang der 1990er-Jahre konstatierte ihr Mentor Toyo Ito angesichts eines ihrer Projekte, des Frauenwohnheims in Kumamoto, ihre Architektur sei „ein Diagramm des Lebensstils unserer modernen Zeiten“. Das Wohnheim inszeniert die Widersprüche dieses Lebensstils: Japanische Dichte und der Mangel an individuellem Freiraum im Grundriss des Wohngeschoßes werden in Kontrast gesetzt zu einem luftigen „Überbau“, großzügig in der Vertikalen und differenziert im Raumzuschnitt. In späteren Projekten, etwa ihrem 1994 entworfenen Wohnbau in Gifu, dem Projekt, mit dem Sejima internationale Bekanntheit erlangte, verschwinden alle Polaritäten in einer Großform, deren Feingliederung jedoch durch die raffinierte Zusammenschaltung identischer Grundelemente eine enorme Bandbreite an Wohnformen anbietet. Heute lässt sich die Architektur von Sejima und Nishizawa nicht mehr als Diagramm von Lebensstilen interpretieren. Sie ist zu einem Medium geworden, das vieles offen lässt und damit zu Experimenten herausfordert, an deren Ende vielleicht geänderte Lebensstile stehen. Ein exemplarisches Projekt in dieser Hinsicht ist das Anfang des Jahres eröffnete Rolex Learning
Center der École Polytechnique im Schweizerischen Lausanne, für das SANAA 2004 den Wettbewerb gewannen. Sie setzten sich dabei gegen Rem Koolhaas, Zaha Hadid und Herzog & de Meuron durch, deren Beiträge ausnahmslos als Wahrzeichen konzipiert waren, als weithin sichtbare Großskulpturen mit komplexen Innenwelten für das geforderte Raumprogramm: eine Bibliothek mit Arbeitsplätzen für knapp 900 Studierende, ein Auditorium für 600 Personen, Café und Restaurant, Seminarräume, eine Buchhandlung und ein Forschungszentrum für neue Medien in der Lehre. Statt in die Vertikale zu gehen, haben SANAA alle diese Funktionen auf einer einzigen Fläche untergebracht, die das gesamte Grundstück überdeckt, ein Rechteck im Ausmaß von 166 mal 122 Metern, so groß wie drei Fußballfelder, durchbrochen von runden Lichthöfen. Allerdings ist diese Fläche nicht eben, sondern wie eine leicht gewellte Hügellandschaft angelegt, wodurch der Eindruck eines fliegenden Teppichs entsteht, in und unter dem sich die Nutzer des Gebäudes frei bewegen können. Wo der Teppich vom Boden abhebt, entstehen Durchgänge zu den Lichthöfen, von denen aus das Gebäude betreten wird. Der Innenraum wird nicht durch Wände gegliedert, sondern durch die Topografie
mit ihren Hoch- und Tiefpunkten. Selbst das Auditorium ist ein Teil dieser Dünenlandschaft, kann allerdings mit einer mobilen Trennwand geschlossen werden. Technisch ist das Bauwerk eine Meisterleistung, die sich nicht zuletzt dadurch auszeichnet, was es alles nicht gibt: keine Rasterdecke mit Leuchtstoffröhren, keine Brandschutzwände, keine Sprinkleranlage. Die Benutzer werden in diesem Bau zu Wanderern und Entdeckern. Wo der Hügel zu steil wird, gibt es Aufstiegshilfen, die alle Bereiche auch barrierefrei erschließen. Der Eindruck dieser offenen Lernlandschaft wirkt wie ein Kommentar zu Sejimas Biennale-Thema „People meet in architecture“. Dieser Raum ist ein Katalysator für Beziehungen, ohne sie zu erzwingen. Er schafft eine gemeinsame Welt, die aber nicht vereinheitlicht, sondern zur Differenzierung geradezu einlädt. Vielleicht muss man Sejimas Satz nur ein wenig anders lesen, damit er an Sprengkraft gewinnt: „Wo Menschen sich begegnen, dort ist Architektur.“ Man wird bei der Biennale diskutieren können, ob man mit dieser Definition weiter kommt als mit der Anbetung der spektakulären Form. Wenn sich diese Definition durchsetzt, ist SANAA mit dem Rolex Learning Center jedenfalls ein Meilenstein in der Architektur der 21. Jahrhunderts gelungen.
20. März 2010
Wien spielt Eine Stadtbahn-Überbauung, eine Gürtelspange und eine Holzbrücke: Die Stadt Wien begibt sich am Gürtel in eine Spektakelwelt, in der sie nicht wirklich zu Hause ist. Ein Projekt von Studierenden der Universität für angewandte Kunst versucht, andere Wege zu gehen.
E
chte Großstädte brauchen keine Spektakel, sie sind selbst eines. Zumindest gab es Zeiten, in denen niemand auf die Idee gekommen wäre, durch „Installationen im öffentlichen Raum“
ein bisschen Leben in den grauen Stadtalltag zu bringen. Der 1927 entstandene Film „Berlin: Die Sinfonie der Großstadt“ feierte in einer Abfolge von schnell wechselnden Einstellungen den pulsierenden Rhythmus des Stadtlebens, die Menschenströme und
die Technik, die dieses Leben erst ermöglicht. An die Stadt als Großereignis wird man derzeit auch gleich zu Beginn einer Ausstellung im Wiener Theatermuseum erinnert, die Gustav Mahler gewidmet ist: „Mahlers Wien“ heißt eine Montage aus Fotos und Filmsequenzen aus den Jahren, die der Komponist in Wien verbracht hat, und sie zeigt eine Stadt im Aufbruch, die sich ihre Vorstädte einverleibt, das Wiental überbaut und mit der Stadtbahn als größtem zusammenhängenden Bauwerk der Stadt eine völlig neue funktionale Geografie für die erwartete Bevölkerungszahl von über zwei Millionen Bewohnern schafft. Die Zeiten haben sich geändert. Während es früher als Zeichen der Provinz galt, sich in Szene setzen zu müssen, hat das installierte Spektakel inzwischen sogar Metropolen wie New York erreicht. 2008 inszenierte Olafur Eliasson dort die „New York City Waterfalls“, nachts beleuchtete Wasserfälle, die an mehreren Stellen, unter anderem unter der Brooklyn Bridge, in den East River stürzten. Wie es sich für ein richtiges Spektakel gehört, verschlang es die Summe von 15,5 Millionen Dollar und war nach ein paar Monaten Erinnerung, allerdings eine nachhaltige. Auch kleine Großstädte wie Wien können da nicht nachstehen, 267 und so wurden diese Woche von
Spektakelarchitektur: über der U-Bahn von Vito Acconci … Foto: Studio Acconci
Planungsstadtrat Rudi Schicker einige neue Überlegungen für den Wiener Gürtel präsentiert, die – so die Presseaussendung – „ab 2012 realisiert werden könnten“. Dass hier im anlaufenden Wiener Wahlkampf eine bestimmte Zielgruppe versorgt wird, so wie anderen Zielgruppen Ordnung und Hausmeister im Gemeindebau versprochen werden, gehört zum politischen Geschäft. Trotzdem sind die Projekte symptomatisch für den geänderten Umgang mit dem Stadtraum. Die Rückeroberung des Gürtels für die Wiener Bevölkerung, die Mitte der 1990erJahre mit einer Zielgebietsförderung der EU einsetzte, geht nun in ihre nächste Phase. Begonnen hatte sie mit einer „parasitären“ Nutzung der Stadtbahn, in deren Bögen eine neue, lebendige Lokalszene entstand. Die Architektin Silja Tillner war für das Leitprojekt verantwortlich und entwickelte unter anderem eine standardisierte Lösung für die Verglasung der Bögen. Die nächsten Meilensteine waren die Wiener Hauptbücherei, die als Überbauung der Stadtbahntrasse im Bereich des Urban-Loritz-Platzes ein mächtiges Signal setzte, und die Überdachung dieses Platzes mit Membrandächern.
… und am Gürtel von Heri und Salli.
Nun soll spektakelmäßig aufgerüstet werden. Drei Projekte sind derzeit in Vorbereitung. Eine Fuß- und Radwegbrücke aus Brettschichtholz am Margaretengürtel von Knippers Helbig KHing GmbH, die Überbauung der Stadtbahntrasse hinter der Hauptbücherei mit einer Spiellandschaft von Vito Acconci mit Tillner/Willinger und sogenannte Gürtelspangen in den Bereichen Thaliastraße und Währinger Straße, für die unter anderem von der Architektengruppe Heri und Salli ein Entwurf für den Bereich vor der Volksoper vorliegt. Auffällig ist bei allen drei Projekten die dekorative Erscheinung. So wirkt etwa die Gürtelspange neben Otto Wagners Brückenbauwerk, als hätte sich deren florales Dekor auf einen LSD-Trip begeben, aus dem es leider kein Erwachen gibt. Vito Acconcis Stadtbahnüberbauung scheint auf den ersten Blick ähnlichen Ursprungs zu sein, könnte aber zu einem fantastischen Raumerlebnis werden, eine Skaterbahn, die in Stahlnetzen über der U-Bahn schwebt und sicher begeisterte Nutzer finden wird. Man merkt, dass Acconci aus der Konzeptkunst kommt und als Dichter begonnen hat. Seine Produkte widersetzen sich erfolgreich dem einfachen Konsum, selbst wenn sie formal oft 268 am Kitsch anstreifen.
Foto: Heri und Salli
Die Zeiten, in denen Stadtplanung dann am besten war, wenn sie unsichtbar blieb und einfach dafür sorgte, dass der Verkehr fließt, Einkaufsstraßen nicht veröden, die Mietpreise leistbar bleiben und soziale Spannungen so weit wie möglich vermieden werden, sind offenbar vorbei. Man merkt der im Grunde an dieser klassischen Auffassung von Planung orientierten Wiener Stadtpolitik an, dass sie in der Spektakelwelt – soweit sie nicht temporäre Ereignisse wie Donauinselfeste und Eisträume betrifft – nicht wirklich zu Hause ist. Zu konzept- und zusammenhanglos stehen die Projekte nebeneinander, und keines davon ist so zwingend, dass es auf Biegen und Brechen gegen die nächste Sparrunde verteidigt würde. Vielleicht würde es helfen, sich von weniger spektakulären Formen der Stadtgestaltung inspirieren zu lassen. Studierende der Universität für angewandte Kunst stellen derzeit ihre Arbeiten über den „15. Bezirk als Spielplatz“ im NadaLokal in der Reindorfgasse 8 aus. Hintergrund der Projekte, die von der Professorin für Architekturtheorie an der Angewandten, Liane Lefaivre, und von Niels Jonkhans betreut wurden, ist Lefaivres Forschungsarbeit über die zumindest
720 Spielplätze, die der Architekt Aldo van Eyck – einer der bedeutendsten niederländischen Architekten seiner Zeit – in Amsterdam ab den 1950er-Jahren geplant hat. Nachdem die ersten dieser Plätze auf leerstehenden Bauparzellen und Verkehrsinseln errichtet worden waren, begannen die Bewohner überall solche Plätze zu fordern, und die Stadtplanung beauftragte Van Eyck über Jahrzehnte mit diesen kleinen Installationen, die nie standardisiert, sondern immer
wieder neu für die jeweilige Situation entworfen wurden. Lefaivre, die zum Thema auch mehrere Bücher veröffentlicht hat, charakterisiert diese Spielplätze als polyzentrisch, partizipatorisch und eingewoben in den jeweiligen lokalen Kontext. Vielleicht wäre ein Denken in diesen Kategorien eine Alternative zu den punktuellen Kraftanstrengungen, deren Resultate in einen ansonsten weitgehend unkultivierten urbanen Raum hineinwuchern.
20. Februar 2010
Bauen nach Gebrüdern Grimm Was hat ein Wiener Wohnbau mit den Bremer Stadtmusikanten zu tun? Für ihr Projekt in der Tokiostraße haben Bettina Götz und Richard Manahl, kurz ARTEC, Gruppen von vier unterschiedlichen Wohneinheiten zu einem vertikalen Ensemble verbunden. Vorbildlich.
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er Begriff „Geschoßwohnbau“ ist ein Unwort: Er bezeichnet nicht den mehrgeschoßigen Wohnbau überhaupt, sondern jenen, in dem identische Geschoße so lange horizontal aufeinander gestapelt werden, bis unter dem Strich ein satter Gewinn übrig bleibt. Der Wohnbau, den Bettina Götz und Richard Manahl (ARTEC-Architekten) in der Nähe der U1- Station Kagran entworfen haben, verdankt seinen Spitznamen – „Bremer Stadtmusikanten“ – dem gelungenen Versuch, eine ganz andere Idee des mehrgeschoßi269 gen Wohnbaus zu entwickeln.
So wie sich im Grimmschen Märchen Esel, Hund, Katze und Gockelhahn zu einem „Ungeheuer“ übereinanderstellen, um Räuber zu erschrecken, sind hier Gruppen von vier sehr unterschiedlichen, jeweils zweigeschoßigen Wohneinheiten zu einem vertikalen Ensemble verbunden, das durch eine Vielzahl von Terrassen, Höfen und öffentlichen Passagen aufgelockert ist. Ergänzt werden diese Maisonetten durch einen Trakt mit eingeschoßigen Wohnungen, denen jeweils eine zweigeschoßige Loggia vorgesetzt ist, ein Zaubertrick, der durch abwechselndes Versetzen der Loggien um eine Fensterachse gelingt. Da diese Loggien fünf Meter hoch sind, können sie tief
und damit gut nutzbar ausgebildet werden, ohne dass sie die dahinterliegenden Räume verschatten. ARTEC verstärkt die eigenwillige, vom geschoßweisen diagonalen Versatz bestimmte Geometrie dieser Straßenfront durch ein zusätzliches skulpturales Element: Kantrohre aus verzinktem Stahl, die – schräg über die Fassade geführt – ein einprägsames Bild ergeben und zum Markenzeichen des Projekts werden dürften. Metallgitter als Balkongeländer bilden eine weitere Schicht, zu der im Lauf der Zeit die Begrünung kommen wird. Die zurückhaltende Farbgestaltung nach außen – warmgraue Putzfassaden und Sichtbeton – muss überhaupt in Erwartung üppigen Grüns beurteilt werden: Vorbild in dieser Hinsicht ist für ARTEC die Terrassenhaussiedlung der „Werkgruppe Graz“ aus dem Jahr 1978, die wildere und lebendigere steirische Antwort auf den Wohnpark Alt-Erlaa. Auch ARTEC erzielt bei seinem Wohnbau in der Tokiostraße eine bemerkenswert hohe Dichte, die allerdings durch eine besondere „Lufthaltigkeit“ kompensiert wird. Zwei großzügige, von oben belichtete Hallen dienen, gewissermaßen als überdachte Straßen, der Erschließung der Wohnungen. Dieser Typus ist zwar nicht neu; wie ARTEC diese Räume konzipiert, ist allerdings eine Sensation im eigentlichen Wortsinn, die auf Fotos kaum wiederzugeben ist. Diese Hallen sind tatsächlich nutzbar, mit breiten Wegen und Abstellflächen vor den Wohnungen. Das Farbkonzept setzt „leise“ Farben in der Halle in Kontrast zu einem kräfti270 gen Signalrot in den Treppenhäusern,
Fein abgestuftes Gewebe: öffentlich und privat, innen und außen. Foto: ARTEC
die als halböffentliche Bewegungsräume nicht zur Halle, sondern zum Straßenraum orientiert sind. Was dieses Projekt zu einem der wichtigsten Beiträge zum Wohnbau der vergangenen Jahre macht, ist die subtile Abstufung vom Öffentlichen zum Privaten. Ein guter Teil des überbauten Grundstücks wird der Öffentlichkeit zurückgegeben: als doppelt tiefe Arkade zur Tokiostraße und in Form eines Innenhofs, der parallel zur Straße einen Durchgang durchs Grundstück erlaubt. Das erklärt, warum die Höfe und Terrassen der Wohnungen, die hierher orientiert sind, mit halbhohen Betonwänden vom Hofraum getrennt sind. Die Begrünung dieser privaten Freiflächen wird später nicht nur den Bewohnern, sondern auch den Passanten zugutekommen. Die inneren Hallen sind auf Straßenniveau nur mit Streckmettalgittern vom öffentlichen Raum getrennt. Diese „Erdgeschoßzone“ bleibt damit offen für zukünftige Entwicklungen: Vielleicht siedelt sich hier irgendwann ein kleiner Wochenmarkt an, oder die Bewohner kommen auf die Idee, hier ihre Hausfeste zu veranstalten. Dieser Raumtypus ist ein echter Aneignungsraum, der nur darauf wartet, von neuen Inszenierungen des Alltags in Besitz genommen zu werden. Der Genossenschaft „Neues Leben“ darf man dazu gratulieren, mit diesem Projekt ihrem Namen gerecht zu werden. Swimmingpool und eine begrünte Dachterrasse,
die den Bewohnern der genau 100 Wohnungen zusätzlich zur Verfügung stehen, beweisen, dass architektonische Qualität einen solchen zusätzlichen Luxus nicht ausschließt. Das Wiener System der Wohnbauförderung hat sich hier wieder einmal als Großlabor für Innovation erwiesen. Dieser Bau ist kein plötzlicher Geniestreich. Er baut auf
früheren Erkenntnissen auf, dem eigenen Wohnbau von ARTEC in der Laxenburger Straße, der Hofgartel-Siedlung von Geiswinkler & Geiswinkler und vielen anderen gelungenen Versuchen, die Qualität des Einfamilienhauses im „Geschoßwohnbau“ zu erzielen. Jetzt müsste man diese Erkenntnisse endlich in den Städtebau und seine 163 → Webmuster einfließen lassen.
23. Januar 2010
Das Asyl im Nirgendwo Warum die geplante Erstaufnahmestelle im burgenländischen Eberau miserable Architektur werden musste.
A
uf die Architektur, erklären die verantwortlichen Beamten und ihre Planer unisono, kommt es bei diesem Projekt wohl am wenigsten an. Wer die Diskussion der letzten Wochen verfolgt hat, ist versucht, ihnen recht zu geben. Wie sich hier Landes- und Bundespolitiker, Bürgermeister und Beamte monatelang, die Landtagswahlen vor Augen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit gegenseitig zu überlisten versucht haben, spottet jeder Beschreibung. Als sich Anfang 2009 Gerüchte über Pläne des Innenministeriums verdichteten, eine – laut Koalitionspakt „im Süden Österreichs“ zu errichtende – zusätzliche Erstaufnahmestelle für Asylwerber ins südliche Burgenland zu legen, brach am rechten politischen Rand stille Freude aus. Korrekt vorbereitet, geplant und abgewickelt, würde ein solches Projekt 2010 ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gelangen. Das Thema Asyl zeitgerecht in die Vorwahlzeit geliefert zu bekommen war aus rechter Perspektive ein Geschenk. 271 Da weder von der SPÖ noch von
der ÖVP, die im Burgenland gemeinsam die Landesregierung bilden, eine offizielle Unterstützung für das Projekt zu erhalten war, begann das Ministerium auf der Ebene der Gemeinden Werbung zu machen und ohne Einbindung der Landesregierung nach einem Standort zu suchen. Als das auf Landesebene bekannt wurde, reagierte die SPÖ im Herbst 2009 mit einem Antrag auf Änderung des burgenländischen Raumordnungsgesetzes, um für die Errichtung von Erstaufnahmestellen eine Sonderwidmung durch das Land zur Voraussetzung zu machen. Am 28. Oktober 2009 beschloss der von der SPÖ mit absoluter Mehrheit dominierte Landtag diese Änderung. Die achtwöchige Frist bis zu deren Inkrafttreten nutzte das Innenministerium seinerseits für eine geheime Kommandoaktion. Es fand im Bürgermeister von Eberau einen Partner, der bereit war, innerhalb dieses Zeitfensters eine Baubewilligung für die gewünschte Nutzung zu erteilen. Ein privater Mittelsmann, der als Grundstückskäufer und Bauwerber in das Unternehmen einstieg, war ebenfalls rasch gefunden. Was noch fehlte, war ein Planer, der in nur drei
Kasernenatmosphäre für Traumatisierte: Asylzentrum Eberau. Wochen einen Einreichplan für das Projekt Archiv Kühn mit knapp über 10.000 Quadratmeter Nutzfläche erstellen konnte. Ein befugter ArchiSchließlich sei auch das architektonische Ertekt fand sich dafür nicht, aber ein Salzburgebnis des planerischen Eilverfahrens, das ger Innenarchitekt, der in Niederösterreich schon mit dem Magna Verwaltungszentrum man nur als dumpf-dreiste Anlage mit formalen Ähnlichkeiten zur Lagerarchitektur in Oberwaltersdorf Spuren hinterlassen autoritärer Systeme bezeichnen könne, nicht hat, traute sich die Aufgabe offenbar zu. In der Aufgabe angemessen, Flüchtlingen eine Arbeitsgemeinschaft mit einem Ingenieurkonsulenten für Bauwesen entwickelte er ein würdige Behausung zu geben. – Tatsächlich ist die scheinbare Unscheinbarkeit des Entmöglichst unscheinbares Projekt im „burwurfs höchst signifikant. Die Aufgabe ist ja genländischen Stil“, auf expliziten Wunsch des Eberauer Bürgermeisters, wie auf Nach- alles andere als simpel. Funktional umfasst sie einen behördlichen Teil mit Polizeistafrage betont wird. Am 18. Dezember 2009 tion, Räumen für die medizinische Versorwurde die Baubewilligung für das Projekt gung und für die Asylbehörden sowie einen erteilt. Wohnteil, in dem bis zu 300 Asylwerber In einem offenen Brief an die Innenunterschiedlicher Nationen, Kulturen und ministerin haben die führenden Vertreter Altersgruppen für einige Wochen unterzuder österreichischen Architekten- und Inbringen sind. Diese Bewohner haben in der genieurkammer, Georg Pendl und Walter Regel eine strapaziöse Reise hinter sich, für Stelzhammer, darauf hingewiesen, dass die sie oft ihre Ersparnisse in einen Schlepeine solche Vorgehensweise den Mindestper investiert haben, und sind in den meisten standards einer guten Planung eklatant wiFällen traumatisiert. Kasernenatmosphäre derspricht. Schon aus der Perspektive der ist das Letzte, was diese Menschen brauchen. Raumplanung führe keine Camouflage als Die Republik als Bauherr hat mit dem von „burgenländische Architektur“ an der Frage Josef Hohensinn entworfenen Bundesjustizvorbei, wie eine solche überall ortsuntyzentrum in Leoben, einer Kombination aus pische Nutzung in die bestehenden Siedlungsstrukturen, aber auch in die „mentalen Gericht und Strafvollzugsanstalt, bewiesen, Landkarten“ der Bürger einzugliedern wäre. dass sie für solche Aufgaben neue Wege beschreiten kann, und dafür auch international Die weiteren Schritte im GenehmigungsAnerkennung erhalten. Auch das Leobener und Bauverfahren mit Tricks zu umschiffen Gefängnis sperrt ein, aber die Architektur ist sei widersinnig, weil sie der Qualitätssicherung und der Einbindung der dort keine Strafe, sondern ein Medium der 272 betroffenen Öffentlichkeit dienten. Resozialisation. Um wie viel mehr müsste
sich eine neu geplante Erstaufnahmestelle, die eben kein Gefängnis ist, selbst wenn die Innenministerin schließlich doch einen Zaun rundherum errichten will, vom Bautypus der Kaserne abheben. Das würde allerdings voraussetzen, dass man auf die Art, wie Österreich Asyl gewährt, auch stolz sein will. Nach dem Ungarnaufstand 1956 und dem Prager Frühling 1968 war das kein Problem. Auch heute könnte man darauf verweisen, dass Österreich etwa 2008, gemessen an der Bevölkerungszahl, mehr Flüchtlingen Asyl gewährt hat als jedes andere europäische Land und dafür auch viel Geld aufwendet. Und dass eine neue Erstaufnahmestelle nicht nur die österreichischen Bewohner von Traiskirchen entlastet, sondern auch die Situation der Asylwerber verbessert. Das Argument, niemand dürfe in Österreich Asyl erhalten, solange es noch einen einzigen Obdachlosen mit österreichischem Pass gebe, müsste man dann jedoch den Populisten am Rand des politischen Spektrums überlassen. Wäre das ein Verlust? Ein neues Erstaufnahmezentrum könnte ein Symbol für eine intelligente, humane und treffsichere Asylpraxis werden. Das zumindest vorerst gescheiterte Projekt in Eberau ist schon heute ein Symbol: für einen armseligen Populismus der Mitte, der in Wirklichkeit nur den Rechten in die Hände arbeitet.
273
2009
24. Dezember 2009
Keine Weihnachtsgeschichte Ein Bau von höchster Qualität hätte es werden sollen, gar ein „Flagship“ der Wiener Kindergärten. Heißt es in der Ausschreibung. Doch keine der 100 Bewerbungen für den Bau im Stadtpark soll die Vorgaben erfüllt haben. Wirklich nicht? Chronik eines Scheiterns.
D
er Weihnachtsfriede in der Wiener Architekturszene ist heuer durch das vorläufige Scheitern eines kommunalen Bauprojekts getrübt, dessen Dimension selbst kleinen Landgemeinden üblicherweise keine Probleme bereitet. Es geht um den Neubau eines achtgruppigen Kindergartens mit 3,5 Millionen Euro Bausumme im Stadtpark, der einen schlichten Bestandsbau aus dem Jahr 1948 ersetzen soll. Die Ausschreibung verlangte vollmundig „ein Gebäude von höchster Qualität, das der Bedeutung des Ortes Rechnung trägt und als ,Flagship‘ der Wiener Kindergärten wirken soll“. 100 Projekte wurden eingereicht. Die Jury unter dem Vorsitz von Elsa Prochazka tagte zwei Tage lang und gab schließlich zu Protokoll, dass zwar mehrere Einreichungen die hohen Anforderungen „in Teilbereichen ausgezeichnet erfüllt“ hätten. In Summe habe jedoch keine einzige diesen Anforderungen „auch nur annähernd“ entsprochen, weshalb kein erster Preis verliehen werde, sondern nur ein zweiter und dritter. Das Preisgericht wolle mit dieser Entscheidung ein Signal an die Planer setzen, „dem Auslober auf ambitionierte Fragestellungen innovative Konzepte anzubieten“. Nach kurzer Ratlosigkeit beschloss die Stadt, den Wettbewerb als geladenes Verfahren mit fünf Teilnehmern zu wiederholen. Der Träger des zweiten Preises, der als bestgereihter ein Anrecht auf Auftragsverhandlungen hätte, wurde abgefunden. Kein einziges Projekt? Unter 100? Die Teilnehmer machen ihrem Ärger in InternetForen, Aussendungen und wütenden Briefen an die Architektenkammer 275 Luft. Realisierbare Projekte habe es
genügend gegeben. Und von einer „ambitionierten Fragestellung“ könne abgesehen von ein paar schönen Worten keine Rede sein. In den konkreten Vorgaben sei nichts anderes als der bisherige Standard gefordert worden. Tatsächlich beginnt das Elend dieses Wettbewerbs bei der Ausschreibung. Wer Außergewöhnliches will, muss es auch zulassen. Ein paar Schlagworte und das Gerede vom „Flagship“-Gebäude reichen nicht aus. Im Detail wurde explizit auf die Raumbücher der Stadt Wien für Kindergärten hingewiesen, ein Gemeinschaftsprodukt von fünf Magistratsabteilungen, 70 Seiten Vorbemerkungen und 130 Seiten Raumblätter, in denen alles geregelt ist, von Details wie der Anzahl der Wandleuchten bis zum kosmischen Maßstab: „Bei Außenbeleuchtungen ist unnötige Lichtimmission (sic!) in das Weltall zu vermeiden.“ Dass es der Stadt nicht gelungen ist, ihre Erfahrung aus dem Betrieb ihrer Hochbauten in etwas Sinnvolleres zu gießen als solche detailversessenen Regelwerke, ist ein beachtliches Versagen. Die Enttäuschung der Jury über das Fehlen außergewöhnlicher Projekte hätte also ruhig verhaltener ausfallen können. Vor diesem Hintergrund sind auch die beiden bestgereihten Projekte durchaus akzeptable Entwürfe. Beide stammen von jungen Büros, swap aus Wien und riccione aus Innsbruck. Das swap-Projekt (dritter Preis) erfüllt die funktionellen Vorgaben exakt und zieht sich formal durch eine amöbenartige Kurvatur aus der Affäre. Der zweite Preis von riccione überzeugte die Fachjuroren vor allem durch seine städtebauliche Antwort, die einen Übergang zwischen Stadt und Park erlaubt und den Kindergarten um einen schönen Gartenhof bereichert hätte.
Dass die Vertreter der Stadt lieber eine Amöbe im Park gesehen hätten und ihre Zustimmung zu einer Gartenmauer, der noch dazu ein paar Bäume weichen müssten, kategorisch ausschlossen, ist politisch verständlich. Der Wettbewerbskultur dient es allerdings nicht. Eine Überarbeitung der beiden Projekte, um ihre Defizite zu korrigieren, wäre in dieser Situation der einzig richtige Schritt gewesen. Offenbar war die
Stimmung in der Jury aber bereits so verfahren, dass man mit dem Verzicht auf den ersten Preis die eigentliche Entscheidung an eine höhere Instanz delegieren wollte. Diese Taktik ist gründlich danebengegangen. Jetzt wurschtelt man sich wie so oft in Wien aus der Affäre. Konsequenzen? Außer Schuldzuweisungen hat man bisher wenig gehört. Wer so agiert, bekommt die Rechnung spätestens bei den nächsten Wahlen.
28. November 2009
Auftauchen und Luft holen! Schon wieder soll es einem Werk Roland Rainers an die Substanz gehen: dem Wiener Stadthallenbad. Wird die Sanierung dem bedeutenden Bau gerecht werden?
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er Aufruhr in der Szene ist groß: Schon wieder soll es einem Werk Roland Rainers an die Substanz gehen. Nach dem ORF-Zentrum am Küniglberg, dessen Zukunft unklar ist, steht als Nächstes die Sanierung des Wiener Stadthallenbades an, das praktisch zeitgleich mit dem ORF-Zentrum in den Jahren von 1971 bis 1974 realisiert wurde. Geplant wurde am Stadthallenbad weit länger, der erste Entwurf stammt aus dem Jahr 1962, gut zehn Jahre vor dem ersten „Ölschock“, und so fehlte es dem Bad – wie vielen Bauten aus dieser Zeit – an Wärmedämmung und Isolierverglasung. Dafür war es eines von Rainers schönsten Projekten, nicht so spektakulär wie seine frühen Hallen, aber unglaublich raffiniert in Konzept und Detail. Die schräg geneigten Träger, die sich aus der Höhenstaffelung der Halle Richtung Sprungturm ableiten, geben dem Raum eine besondere Dynamik. Auch der Grundriss, an sich ein einfaches Rechteck, das der Kontur der beiden Schwimmbecken folgt, wird durch das „störende“ Element des Sprungturms in Bewegung gebracht: Die Verglasung weicht ihm in mehre276 ren, mit der Neigung der Dachträger
synchronisierten Stufen aus, während die Wettkampftribünen leicht schräg in den Raum gestellt sind, um die Blicke der Zuschauer auf die Springer zu fokussieren. Das Ergebnis ist ein pulsierender Hochleistungsraum, weder Spaßbad noch WellnessOase, aber seinem ursprünglichen Zweck, als Trainingsanlage für den Spitzensport zu dienen, in jeder Hinsicht angemessen. Die architektonischen Qualitäten des Bades wurden über die Jahre in vielen Punkten beschädigt, am massivsten durch eine unglückliche Sanierung Ende der 1980er-Jahre, als die Sichtbetonteile in Vollwärmeschutz verpackt und die Verglasung durch neue Profile und Isolierglas ersetzt wurde. Dazu kommen viele weitere Veränderungen, halb zugemauerte Fenster, abgeklebte Scheiben, Anstriche, die das ursprüngliche Farbkonzept – Rot für die tragenden Stahlteile und Edelstahl für die technische Versorgung – ignorierten, und plumpe Überläufe am Hauptbecken. Jede dieser Maßnahmen mag für sich einen guten Anlass gehabt haben, vom exorbitanten Energieverbrauch bis zu neuen hygienischen Vorschriften. Trotzdem steht man heute vor einem Totalschaden, der
In Gefahr: ein Hauptwerk der Wiener Nachkriegsmoderne. laut einem Gemeinderatsbeschluss nun mit Foto: Thomas Ledl einem Aufwand von rund 17 Millionen Euro behoben werden soll. Die Zeit drängt: Die nächste Olympiade findet 2012 statt, und die Körper- und Baukultur vielleicht enger ver50-Meter-Bahnen des Stadthallenbades sind wandt sind, als dort vermutet wird. Wie es die einzigen, die unserer Schwimmerelite in aber so weit kommen konnte, dass die GeWien zur Verfügung stehen. meinde Wien mit ihren vielen Bau- und Als vor wenigen Wochen die GeneralKulturabteilungen erst fünf vor zwölf zu planung für die Sanierung ausgeschrieben überlegen beginnt, wie man mit einem der wurde, stellte sich heraus, dass keineswegs Hauptwerke eines der wichtigsten österreinach einer Expertise gesucht wurde, diechischen Architekten des 20. Jahrhunderts ses Bauwerk entsprechend seinem archiangemessen umgeht, ist unverständlich. tekturhistorischen Rang instand zu setzen. An Gelegenheiten, sich mit der MateVielmehr lag der Ausschreibung bereits ein rie auseinanderzusetzen, hätte es in Wien Vorprojekt eines Ingenieurbüros zugrunde, nicht gefehlt. Die Österreichische Geselldas weitreichende Veränderungen, von einer schaft für Architektur (ÖGFA), die GesellHebung des Hallenbodens bis zu einer Verle- schaft für Denkmalpflege der Moderne und gung des Eingangs vorsieht. Gegenstand der das Architekturzentrum Wien (Az W) haben Ausschreibung war dessen technische Umin den letzten Jahren zahlreiche Veranstalsetzung. Eine Bestandsaufnahme aus bautungen organisiert, in denen die Erhaltung künstlerischer Sicht, um das Potenzial der von prekären Bauten der Moderne zur DeSubstanz auf Veränderung auszuloten, war batte stand. Zum Kongress im Az W im nicht gefragt und auch davor, trotz umfangVorjahr existiert eine unter dem Titel „Schareicher Analysen der technischen Bedingun- densbilder“ im Heft 39 der Zeitschrift „Hingen, nicht erfolgt. tergrund“ erschienene Publikation, in der Dass die Verantwortlichen auf der Nutzer- Bruno Reichlin, einer der kompetentesten seite, das Sportamt der Stadt Wien, das aus Architekturhistoriker auf diesem Gebiet, die ihrer Sicht hässliche, kaputte Bad so Grundzüge eines angemessenen Umgangs schnell wie möglich repariert haben mit der jüngeren Moderne darstellt. Am An277 wollen, ist verständlich, auch wenn fang steht die Bereitschaft, aus dem Meer an
Vorurteilen gegenüber einer für viele nach wie vor ungewohnten Ästhetik aufzutauchen, Luft zu holen, wirklich hinzusehen und in Ruhe das Potenzial solcher Bauwerke zu entdecken. Dazu gehört auch, sich mit manchen Dingen zu versöhnen, die den heutigen Anforderungen nicht mehr entsprechen. Dabei geht es nicht nur ums Bewahren: Das Erbe, schreibt Reichlin „ist ein Projekt, das sich mit uns verändert“. Gerade die Moderne gelte es nicht einzumotten, sondern zu aktivieren, immer ausgehend von der Substanz, aber mit Bezug auf die Gegenwart, um das Neue ins Alte einzuschmelzen und nicht, wie es die klassische Denkmalpflege vorzieht, durch eine Fuge voneinander zu trennen.
Im Moment scheint die unmittelbare Gefahr für das Stadthallenbad gebannt. Der Aufruhr hat bewirkt, dass die Ausschreibung für die Generalplanerleistung modifiziert wurde. Ohne einschlägige architektonische Expertise und entsprechenden Entwurf für den 134, 214 → Umbau sollte kein Konsortium mehr zum Zug kommen können. – Bruno Reichlin und andere Experten zur Denkmalpflege der Moderne sind heute bei einem von ÖGFA veranstalteten, international besetzten Kongress an der Technischen Universität Wien zu hören, der am Abend von einer Podiumsdiskussion mit Stadtrat Rudolf Schicker und dem obersten Denkmalpfleger der Stadt Wien, Friedrich Dahm, abgeschlossen wird. Ob das Sportamt im Publikum sitzt?
31. Oktober 2009
Wenn der Komet einschlägt Der Wiener Stadtentwicklungsplan 2005 nennt unter 13 Zielgebieten auch das Wiental. Geplant sind dezentere Maßnahmen wie ein Wiental-Radweg und Kunstprojekte, aber auch massivere — vom Hochhaus bis zum Einkaufszentrum.
S
tadtplanung ist ein Geschäft für Menschen mit hoher Frustrationstoleranz und einem leichten Hang zur Schizophrenie: Auf der einen Seite steht die Überzeugung, Zukunft gestalten zu können, auf der anderen der nagende Verdacht, dass die Zukunft ganz anders aussehen wird, als man es geplant hat. Als die Wiener der vorletzten Jahrhundertwende begannen, das Wiental vom Naschmarkt stadtauswärts in eine Prachtstraße zu verwandeln, die bis zur kaiserlichen Residenz in Schönbrunn reichen sollte, ahnte niemand, wie bald dieser Plan ein abruptes Ende finden würde. Zwar verdanken wir ihm eine Reihe außergewöhnlicher Bauten, deren prominenteste 278 die Majolikahäuser von Otto Wagner
sind, aber nach 1918 scheint hier kein Bauherr von besonderen architektonischen Ambitionen geplagt worden zu sein. Jede Epoche seither hat beiderseits des kanalisierten Wienflusses, der sich sein Bett mit der U-Bahn-Linie U4 teilt, Bauten von kaum überbietbarer Gleichgültigkeit hinterlassen. Auch am Gürtel, einer anderen Hauptschlagader der Stadt, gibt es hässliche Hotels und gedankenlosen Wohnbau, aber zu jedem negativen Beispiel dort lässt sich im Wiental ein anderes finden, das noch peinlicher ist. Die Gründe dafür liegen nicht zuletzt in einer nach 1918 veränderten Haltung zur städtischen Infrastruktur. Otto Wagner, der selbst die Regulierung des Wienflusses und den Bau der damaligen Stadtbahn mit ihren Brückenbauwerken von der architektonischen Seite her konzipierte, sah in der
Nachbarschaft zu dieser technischen Infrastruktur keineswegs einen Widerspruch zur Idee einer Prachtstraße. Der funktionalistische Städtebau der Moderne setzte dagegen auf die strikte Funktionstrennung von Wohnen, Arbeiten, Erholung und Verkehr. Ein Verkehrsband wie das Wiental galt ihm per definitionem als minderwertiger Standort. Wer hier baute, rechnete mit niedrigen Mieten, sparte bei der Ausführung und holte sich seinen Gewinn durch die günstigen Grundstückskosten. Vor diesem Hintergrund erklärte die Stadt Wien in ihrem Stadtentwicklungsplan 2005 das Wiental zu einem von 13 sogenannten „Zielgebieten“, deren Aufwertung sie sich in den nächsten Jahren besonders widmen würde. Planerisch interessant an dieser Festlegung ist, dass das Wiental die üblichen Einteilungen der Stadtverwaltung sprengt: 14,6 Kilometer fließt die Wien durch die Stadt, berührt oder durchquert dabei acht Bezirke und hat eine halbe Million Anwohner. Auf Initiative einer Arbeitsgruppe, die von den zum Wohnbauressort gehörenden Gebietsbetreuungen der angrenzenden Bezirke 2007 gegründet wurde, fand kürzlich in der Wiener Urania ein Symposium über „Urbane Flusslandschaften“ statt. Neben den zuständigen Vertretern der Stadt waren auch internationale Gäste geladen, die über Projekte zur Transformation städtischer Infrastrukturen berichteten, etwa den Rückbau des Cheonggyecheon- 279 Flusses im koreanischen Seoul und
Technische Infrastruktur und künstliche Landschaft: Wiental mit Hofpavillon. Foto: Archiv Kühn
den 14 Kilometer langen Parque Lineal de Manzanares in Madrid, der nach den Plänen der holländischen Landschaftsplaner West 8 durch die Tieferlegung und Überplattung einer Madrider Stadtautobahn entstanden ist. Das Cheonggyecheon-Projekt ist im Vergleich dazu ein noch radikalerer Eingriff, da hier zu Projektkosten von rund 600 Millionen Euro eine zweigeschossige Autobahn, die einen Flusslauf zugedeckt hatte, abgerissen und der Fluss wiederhergestellt wurde. Begleitend dazu erfolgte eine Umleitung und Reduktion des gesamten städtischen Individualverkehrs. Zu den Maßnahmen, die in Wien bisher zur Aufwertung des Zielgebiets geplant wurden, gehört der Wiental-Highway, ein „rot-grünes“ Projekt, das vor allem Radfahrern den Flussraum erschließen soll. 2010 soll um 4,8 Millionen Euro ein 3,5 Kilometer langes Teilstück vom Hackinger Steg bis zur Kennedybrücke errichtet werden. Auf der Ebene der Stadterneuerung mit Förderungsmitteln hat die erfolgreiche Basisarbeit der letzten 20 Jahre inzwischen einen deutlichen Anstieg des frei finanzierten Wohnbaus in den Bezirken 4, 5 und 6 bewirkt und wird ihren Schwerpunkt in Zukunft stadtauswärts verlagern können. Dazu kommen zahlreiche Events der Gebietsbetreuungen, vom Filmfestival im Bruno-Kreisky-Park bis zu künstlerischen Projekten: Die „Reise der Steine“, ein als
Kunst im öffentlichen Raum gefördertes Projekt, soll nächstes Jahr Dutzende metergroße Steine aus Porenbeton auf eine sechsmonatige Reise von der Stadtgrenze bis zur Einmündung der Wien in den Donaukanal schicken. Während dieses Projekt das Wiental durch Erhöhung der Aufmerksamkeit aufwerten möchte, betreibt das größte Neubauprojekt – eine Kombination von 78 Meter hohem Büroturm, Hotel und Einkaufszentrum auf den „Komet-Gründen“ bei der U4-Station Meidling – Stadterneuerung mit der Brechstange. Hier wird außer dem Bankkonto der Projektbetreiber und Planer wohl nicht viel aufgewertet, dafür ein maßgeblicher Punkt im Wiental mit durchschnittlicher Architektur verstellt. Ebenfalls hoch, aber stadtstrukturell wesentlich besser begründet ist ein Büro- und Wohnhaus bei der Station Kettenbrückengasse, entworfen von Elsa Prochazka. Es sollte mit 34 Meter Höhe der Typologie der Prachtstraßenbauten der Monarchie folgen, die in der Nachbarschaft mit ihren Dachaufbauten dieselbe Höhe erreichen. Im soeben aufgelegten Bebauungsplan wurde die Bauhöhe in vorauseilender Beschwichtigung des zu erwartenden Protests um zwei Geschoße reduziert, was die Proportion des Entwurfs schwächt und die Wirtschaftlichkeit des schmalen Bauwerks in Frage stellt. Dass die Stadt hier Angst vor dem eigenen Mut
Wohnturmprojekt von Elsa Prochazka. Foto: Atelier Prochazka
bekommen hat, ist symptomatisch. Als bürgernah gilt, möglichst nichts am Stadtbild zu verändern, ein bisschen mehr Grün, Events im öffentlichen Raum. Und wenn zwischendurch der Komet einschlägt, schaut man lieber weg: Das Projekt auf dem gleichnamigen Areal fand während des Symposiums in keinem der zahlreichen Vorträge der städtischen Repräsentanten Erwähnung.
5. September 2009
Baustelle Wien Die Stadt boomt wie schon lange nicht. Das ist nicht überall erfreulich: Ein kritischer Rundgang zu einigen aktuellen Baustellen.
N 280
icht alle Baustellen Wiens sind auf den ersten Blick als solche erkennbar: Touristen, die auf dem Flughafen in Schwechat ankommen, ahnen wahrscheinlich nicht einmal, dass sie gerade die größte schlafende Baustelle der Welt passieren, den Skylink, dessen aktuelle Funktion die eines Millionengrabs ist.
Auch jene Gäste, die mit der Eisenbahn aus dem Süden anreisen, können angesichts des desolaten Zustands des Südbahnhofs und einiger Abbrucharbeiten im Umfeld bestenfalls vermuten, dass hier bald der wichtigste Bahnhof Österreichs und ein neuer Stadtteil entstehen werden. Wer sich allerdings nach ein paar Minuten Fußweg hinter dem Bahnhof in den Schweizergarten verirrt, steht plötzlich vor dem freigelegten Skelett des ehemaligen
Museums des 20. Jahrhunderts, das gerade saniert und erweitert wird. Die spektakuläre Idee einer auf nur vier zentralen Stützen schwebenden Schachtel, die 1959 als Österreichischer Pavillon bei der Weltausstellung zum Einsatz kam und dann nach Wien übersiedelt wurde, ist wahrscheinlich jetzt zum letzten Mal in reiner Form zu erleben. Bald werden die durch neue Erdbebenvorschriften nötigen Stahlträger und Aussteifungselemente aus Beton das Bild verunklären. Spektakulär geht es auch im Zentrum der Stadt zu, wo gerade kräftig am Weltkulturerbe geknabbert wird. An der Ecke Johannesgasse/Kärntner Straße bilden sich täglich kleinere Menschenaufläufe, die gleich zwei einander direkt gegenüberliegende Baustellen beobachten dürfen. Auf der Seite zum Neuen Markt entsteht in den unteren Geschossen eines Gründerzeithauses die neue Swarovski-Kristallwelt mit 1 200 m2 Fläche, die im Dezember eröffnet wird. Der Entwurf stammt von den Architekten Schlögl und Süß, zu deren Projekten unter anderem die Hypo Tirol Zentrale und die Galerie im Taxispalais in Innsbruck stammen. Die Inszenierung liegt, wie schon bei der Kristallwelt in Wattens, bei André Heller. Eine neue Stahlbetonkonstruktion stützt das Innere des Gebäudes, und mehrere Tage lang konnte man beobachten, wie die be281 stehenden massiven Stahlträger mit
Umbauen, abreißen, neu bauen. Im Uhrzeigersinn von links oben: Kärntner Straße, Praterstern, Schweizergarten, Donaukanal. Fotos: C. Kühn
Schneidbrennern aus der Fassade geschnitten wurden, während kleine Bagger noch in den Eingeweiden des Kellergeschosses wühlten. Gleich gegenüber entsteht nach den Plänen des britischen Architekten David 223 → Chipperfield das Gebäude für Peek & Cloppenburg, das mit seinen 18 000 m2 Nutzfläche bis zur Himmelpfortgasse reichen wird. Derzeit ist vom Neubau noch nichts zu sehen: Zuerst müssen zwei bestehende Gebäude abgerissen werden. Dem Abriss zuzusehen, ist für viele Passanten ein offensichtliches Vergnügen. Die Abrissbirne hat als Werkzeug längst ausgedient, an ihrer Stelle arbeitet sich ein Bagger mit einer Art überdimensionaler Beißzange langsam durch den Bestand. Mit jeder Raumschichte, die er freilegt, werden neue Spuren des Alltags sichtbar, die wenig später im Staub versinken. Aus den Gesichtern der Zuseher spricht eine Mischung aus Bewunderung und ehrlicher Freude an der Zerstörung, die Stadtplanern zu denken geben sollte. Die Lichtung im Stadtraum, die hier für eine kurze Zeit entsteht, hat etwas Befreiendes, und sie bringt in Erinnerung, dass hier alles einmal ganz anders war, und wieder anders sein könnte.
Wenn Chipperfields Bau 2011 eröffnet, wird hier zwar keine Lichtung im materiellen Sinn mehr zu sehen sein, allerdings doch so etwas wie eine lichte Stelle im Fassadengewebe der Kärntner Straße: Geschosshohe breitformatige Fenster mit tiefen Laibungen, zusammengehalten von einem mit hellem Naturstein verkleideten Rahmenwerk, das in seiner rationalen Klarheit etwas ganz und gar Unwienerisches hat. Dass die Stadt insgesamt nicht auf diesem ästhetischen Niveau angekommen ist, zeigt sich nicht zuletzt am aktuellen Gezerre um die Gestaltung der Fußgängerzone davor. Der unruhige Pixelboden ist schon in Teilen von Kärntner Straße und Graben verlegt, das Ergebnis wird erst ab November zu beurteilen sein. Dass der Teufel im Detail der Fugenteilung und des Straßenprofils steckt, lässt sich schon jetzt erkennen. Die Suche nach einer zeitgemäßen Beleuchtung hat bekanntlich mit einer Rückkehr zur „Maiglöckerl-Leuchte“ geendet, eine Niederlage, die ein Weltkulturerbe nicht verdient hat. Eine wenig glückliche Hand zeigt die Stadt auch bei der Gestaltung des Pratersterns, eine weitere Baustelle, die sich gerade in der Abschlussphase befindet. Das Stahlgewirr des neuen Vordachs geht auf ein Wettbewerbsprojekt von Boris Podrecca zurück, der einmal den gesamten Platz samt Bahnhof mit einer neuartigen, mit dem Tragwerksplaner Werner Sobek konzipierten leichten Hülle aus Luftkissen
überdachen wollte. Das Rumpfprojekt, ein konventionelles Glasdach, das unsanft ans neue Bahnhofsgebäude von Albert Wimmer andockt und dabei gleich den Blick auf die Bahnhofsuhr versperrt, ist konstruktiv überladen und wird auch durch die Stahlgerüste nicht besser, die als Pergolen in den Platz hinausgreifen und das Tegetthoffdenkmal umrahmen. Mehr Vergnügen bereitet dagegen ein Besuch auf der Baustelle des neuen Geschäftsund Hotelgebäudes von Jean Nouvel, das gerade am Donaukanal entsteht. Dass über seine Fassaden schon gelästert wird, ist immer ein gutes Zeichen für späteren Kultstatus. Mit den Überschneidungen, Schrägen und Zwickelräumen seines Projekts bedient Nouvel diverse Klischees der Wiener Seele, und lässt es auch sonst nicht an ironischen Querverweisen fehlen, vom Muster der Glasdächer, das von der Stephanskirche übernommen ist, bis hin zur Verneigung vor Hans Holleins Media-Tower. Auffällig an allen Baustellen ist im Übrigen das hohe Maß an Rationalisierung: immer weniger Menschen arbeiten mit immer mehr technischen Hilfsmitteln, allerdings an immer komplizierteren Gebäuden. Dieser Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung sollte allen klar sein, die von der Architektur eine Rückkehr zur „neuen Einfachheit“ verlangen. Wenn sie damit simpel und billig meinen, ruinieren sie nicht nur die Baukultur.
8. August 2009
Spät? Post? Nur modern? Eine Ausstellung in Innsbruck führt ein neues Adjektiv in die Architekturgeschichte ein: „konstantmodern“. Über Sinn und Stammbaum eines in die Jahre gekommenen, immer noch schillernden Begriffs — Moderne.
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er gern mit Begriffen spielt, wird am Wort „modern“ seine Freude haben. In seiner einfachsten Bedeutung bezeichnet es alles, was gerade in Mode ist. In der Architekturgeschichte steht „die Moderne“ dagegen für einen Stil,
der um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ansetzt und Ende der 1970er seine maßgebende Bedeutung an eine Reihe von „postmodernen“ Strömungen verliert. Wer feinere Nuancen liebt, darf zwischen verschiedenen Modernen unterscheiden, zuerst der „frühen Moderne“, wie sie in Wien etwa von Otto Wagner repräsentiert wird. Dem war der Begriff bereits so unheimlich, dass
er seine wichtigste Publikation, ursprünglich 1896 unter dem Titel „Moderne Architektur“ erschienen, in einer späteren Auflage auf „Die Baukunst unserer Zeit“ umbenannte. Aufhalten ließ sich der Erfolg des Begriffs nicht. Er steht für die Architektur des 20. Jahrhunderts, wobei zwischen der „klassischen Moderne“ der 1920er-Jahre, verbunden mit „Meistern“ wie Walter Gropius, Le Corbusier, Mies van der Rohe und Alvar Aalto, und der „Nachkriegsmoderne“ zu unterscheiden ist, die in Europa mit der Massenproduktion für den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg verbunden ist und als „Spätmoderne“ bis heute nachwirkt. Die Moderne in der Architektur verstand sich dabei immer als das Gegenteil des Modischen. Sie verfolgte das Ziel, unabhängig von traditionellen Bindungen und unter Berücksichtigung neuer bautechnischer Möglichkeiten eine rationale, allen Menschen gemeinsame und für alle verständliche Welt zu schaffen. Insofern war sie ein Produkt der Aufklärung und teilte mit dieser auch das Schicksal, in den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts die dunkle Seite ihrer Utopie von einer vereinheitlichten Welt realisiert sehen zu müssen. Stilistisch mögen sich Vor- und Nachkriegsmoderne ähneln, und auch die „Meister“ der klassischen Moderne waren nach dem Krieg noch durchaus aktiv, aber dass die Bewegung nach 1945 nicht an die Utopien der 1920er-Jahre und ihr Versprechen, die Welt durch gutes Bauen von allen Übeln zu erlösen, anschließen konnte, wurde mit jedem Jahr des Wiederaufbaus klarer. Die Avantgarden der 1950erund 60er-Jahre suchten nach einer anderen Moderne, die weniger rationalistisch, dafür bunter und rauer sein sollte als die nach dem Krieg dominierende glatte Massenware. Le Corbusiers Spätwerk, das sich durch ausgiebige Verwendung von plastisch gestaltetem rohem Beton – „béton brut“ – von seiner Vorkriegsarchitektur abhebt, wurde zum Bezugspunkt einer Bewegung mit dem wenig sympathischen Namen „Brutalismus“, die auf Körperlichkeit und Rauheit setzt. Im Unterschied zur „klassischen Moderne“ sollte diese Architektur wieder Patina ansetzen können und wollte ganz bewusst nicht perfekt, also abgeschlossen, sondern offen für Veränderungen sein. Die Suche nach einer „anderen“ 283 Moderne wurde spätestens Ende der
1960er-Jahre aufgegeben, als sich postmoderne Bewegungen etablierten, deren Charakteristikum es war, Architektur als Zeichensystem zu praktizieren, entweder zitathaft-ironisch mit klassizistischen Säulen und Elementen der Populärkultur oder dekonstruktiv als Aufbrechen aller Sinnzusammenhänge, um den Bruchstücken ein offenes Spiel neuer Verkettungen zu erlauben. Eine Position hatte man in diesem Kontext, wie es der deutsche Philosoph Odo Marquard in seiner „Apologie des Zufälligen“ formulierte, nur „im nautischen Sinn“. Es gibt in der Architekturszene heute kaum mehr Dissens zur Feststellung, die Moderne sei tot. Diese Überzeugung steht im seltsamen Widerspruch zur Beobachtung, dass die bei Weitem überwiegende Masse der globalen Bauproduktion einer verdünnten, ab und zu auch postmodern dekorierten Spätmoderne zuzurechnen ist, die offenbar auch ohne kulturellen Stammbaum ihr renditeträchtiges Auskommen findet. Die Ausstellung „konstantmodern“, die Arno Ritter für das Innsbrucker „aut“ (Architektur und Tirol) kuratiert hat, versucht auf eine sehr eigenwillige Art zu zeigen, dass die Moderne noch durchaus lebendig, wenn auch fortgeschrittenen Alters ist. Sie stellt, wie es der Untertitel formuliert, „fünf Positionen zur Architektur“ vor, keine nautischen allerdings, sondern eben: konstant moderne. Das Alter der Protagonisten reicht vom 90-jährigen bayrischen Architekten Werner Wirsing über den 84-jährigen Salzburger Gerhard Garstenauer und den 82-jährigen Tiroler Johann Georg Gsteu bis zu dem mit 68 Jahren jüngsten Teilnehmer, Rudolf Wäger aus Vorarlberg. Die fünfte Position wird vom Schweizer Büro atelier 5 aus Bern repräsentiert, dessen Gründergeneration heute in ihren Neunzigern wäre. Gezeigt werden je drei Projekte aus unterschiedlichen Schaffensperioden, begleitet von Videos mit Interviews, die Arno Ritter mit den Architekten geführt hat. Deutlich wird dabei deren Prägung durch die Suche nach einer anderen Moderne in der Zeit von 1950 bis 1970, die schließlich zu sehr individuellen, kontinuierlich beibehaltenen Positionen führt. Neben den Plänen und Fotos aus der Entstehungszeit sind in der Ausstellung Fotoserien von Nikolaus Schletterer, der alle Projekte neu dokumentiert hat, zu sehen. Und hier zeigt sich plötzlich, wie diese Bauten tatsächlich die Zeit überdauert und
durch ihre Patina oft noch gewonnen haben: Werner Wirsings genial einfache Wohnhäuser aus den 1960er-Jahren ebenso wie das Seelsorgezentrum Baumgarten von Johann Georg Gsteu, Gerhard Garstenauers aus dem Berg gehauenes Felsenbad in Bad Gastein und das Würfelhaus von Rudolf Wäger in Götzis, und schließlich die Betonstrukturen des atelier 5, das mit seiner Siedlung in Halen aus dem Jahr 1955 eines der Meisterwerke des Brutalismus geschaffen hat. Im hervorragend gestalteten Katalog zur Ausstellung sind die Interviews, die
Plandokumentation und die neuen Fotoserien von Nikolaus Schletterer nachzustudieren. Was bleibt, ist der Hinweis auf das Potenzial des Einfachen angesichts einer Welt, die auch ohne das Zutun der Architektur kompliziert genug ist. Wie drückt es Werner Wirsing im Gespräch so schön aus: „Ich wollte immer nur das machen, was ich wirklich begriffen habe. Diese Einstellung hat sich dann zum überzeugten Streben nach dem Einfachen verdichtet.“ So viel Gelassenheit würde man der Baukunst unserer Zeit oft wünschen.
10. Juli 2009
Wo schlägt das Herz der Stadt? Staatstragende Kulturarchitektur oder Witz und Leichtigkeit kleiner Projekte: Was macht den Reiz einer Stadt aus? Linz09 oder: Wie eine Stadt über sich selbst nachdenkt.
L
inz als kulturelles Herz Europas: Das hätte vor 20 Jahren kein Bürgermeister zu träumen gewagt. Anders als Graz, das 2003 so sehr in dieser Rolle aufging, dass es bis heute an den finanziellen Folgen seiner Selbstinszenierung laboriert, vermittelt Linz den Eindruck, als würde es ehrlich darüber nachdenken, wie es sich diesen Titel eigentlich verdient hat. Natürlich gibt es die großen Investitionen in Kulturbauten, von der Erweiterung des Ars Electronica Center über die neue Oper bis hin zur Erweiterung des Schlossmuseums, aber Linz 09 lebt wesentlich von der Vielzahl an Einzelprojekten, die sich der Stadt und ihrem Kulturbegriff aus unterschiedlichen Perspektiven 284 annähern.
Ein winziges Beispiel dafür findet sich auf der Terrasse unter dem neuen „Südflügel“ des Schlossmuseums mit ihrem spektakulären Blick über Stadt und Donautal. Hier ist ein Stadtmodell aus Bronze aufgebaut, das die Stadt im Zustand des 18. Jahrhunderts zeigt. Am äußersten Ende des Modells entdeckt man ein mächtiges Bauwerk, die Wollzeugfabrik, im Kern 1726 nach Plänen des Barockbaumeisters Johann Michael Prunner errichtet. Um 1800 waren für das Unternehmen 49 000 Menschen im Umland tätig, bis es zur Tabakfabrik umgebaut und schließlich als wenig einladendes Wohnheim genutzt wurde. Ende der 1950er-Jahre wollte die Stadt das Gebäude nicht mehr erhalten und lancierte die Alternative, entweder
das Stadtschloss oder die Fabrik opfern zu müssen. Wie dieser Kampf zwischen der funktionslosen Herrschaftsarchitektur im Stadtzentrum und der ebenso desolaten, aber noch immer grandiosen Industriearchitektur an der Peripherie ausgehen würde, war abzusehen: 1969 wurde die Fabrik unter Protest der Fachwelt gesprengt, während das Stadtschloss saniert und ab 1966 als Erweiterung des Landesmuseums genutzt wurde. Der soeben eröffnete neue „Südflügel“ des Stadtschlosses schließt dessen historische Figur, wie sie bis zu einem Brand im Jahr 1800 bestanden hatte. In dem 2006 ausgeschriebenen internationalen Wettbewerb war der Spielraum für die Architekten durch die klare Empfehlung, das ursprüngliche Volumen des Schlosses nach außen nachzuzeichnen, einigermaßen beschränkt. Das Siegerprojekt der unter dem Namen HoG – für Hope of Glory – erst 2006 gegründeten Architektengruppe von Martin Emmerer, Clemens Luser und Hansjörg Luser hielt sich an diese Vorgabe und überzeugte die Jury durch ein raffiniertes Erschließungs system und eine große konstruktive Geste: Statt den Vierkanter des Schlosses blockartig zu schließen, ist der Baukörper als mächtiges Brückenbauwerk ausgebildet, das über der Bastei zu schweben scheint und in seinem letzten Drittel frei auskragt. Dabei überdeckt es die Aussichtsterrasse, auf der das kleine Stadtmodell, von dem oben die Rede war, zu bewundern ist. Diese theatralische Konstruktion hat insofern Berechti285 gung, als sie neben dem Vortragssaal
Das Gelbe Haus: Schloss über der Autobahn am Ende des Landschaftsparks. Foto: Pertlwieser / PTU
auch die Techniksammlung des Museums aufnimmt. Von diesem Niveau aus führt eine zarte, verglaste Verbindungsbrücke zum Altbau. Auf den Niveaus unter der Terrasse liegen – in die Bastei eingegraben – die Dauerausstellung zum Thema Natur und eine große Halle für Wechselausstellungen. Verbunden werden diese Ebenen durch eine verglaste Treppenanlage, die den Hofraum sehr großzügig ins Museum einbezieht. Dass sie auf der obersten Ebene etwas abrupt endet, ist schade und Folge einer etwas unsicheren Geometrie, die hier zu einer freieren, aus der Bewegung heraus entwickelten Form finden müsste. Insgesamt ist die Erweiterung aber überzeugend, sowohl in der Verbindung von Alt und Neu als auch im Angebot attraktiver öffentlicher Räume. Die Terrasse wird sich – vom obligaten Museumsrestaurant gastronomisch versorgt – sicher zu einem neuen Treffpunkt im Herzen der Stadt entwickeln. Aber liegt dieser Ort eigentlich noch im Herzen der Stadt? Seit Linz sich von der Donau aus immer weiter nach Süden ausge breitet hat, müsste man dem Schloss eher eine Randlage attestieren. Rein geometrisch liegt der aktuelle Schwerpunkt der Stadt weit im Süden, ungefähr dort, wo ein anderes Projekt von Linz 09 Ende Juni seinen Betrieb aufgenommen hat. Autofahrer, die hier auf der Stadtautobahn unterwegs sind, staunen über ein gelbes Haus aus Holz, das sich
über dem Einfahrtsportal eines Tunnels erhebt. Die Autobahn verschwindet hier seit 2006 unter einer Platte, die die beiden zuvor getrennten Stadtteile Spallerhof und Bindermichl verbindet, ein Gebiet, das nach der dominierenden Wohnbaugenossenschaft auch WAG-Stadt genannt wird. Für die Anrainer hat dieses Verkehrsbauwerk ein kleines Wunder vollbracht: Wer zuvor einen Balkon zur Autobahn hatte, blickt nun auf einen neun Hektar großen Landschaftspark, der nur in der Mitte von einem etwas monumental und humorlos gestalteten Kreisverkehr unterbrochen wird. Was der Park für die angrenzenden Stadtteile mit ihren 40 000 Einwohnern bedeutet, muss sich erst herausstellen. Vorerst als wohltuende Ergänzung des Bestands wahrgenommen, könnte er sich zur neuen Mitte entwickeln, die letztlich das Selbstverständnis des Stadtteils prägt. Genau an diesem Punkt setzt das Projekt an, das Peter Fattinger, Veronika Orso und Michael Rieper für Linz 09 entwickelt haben. Das gelbe Haus ist gewissermaßen das Schloss am Ende des Landschaftsparks, zwischen dessen zwei weit ausladenden Seitenflügeln eine breite Freitreppe nach oben und durch das Haus führt, auf eine Terrasse, von der man einen –
darf man sagen: prachtvollen? – Blick über die Autobahn hat, eine Reminiszenz an die Zeiten, als genau diese Situation für viele Anrainer Alltag war. Das Haus beherbergt ein kleines Restaurant, einen Vortragssaal im Obergeschoß und darüber drei winzige schwebende Zimmer, die gerade von Anrainern zusammen mit den Architekten tapeziert werden. In den schmalen Seitenflügeln liegen Nebenräume und Wohnungen für die „artists in residence“, die als Teil des Gesamtprojekts hier wohnen. Zur Aufgabe der Architekten gehört dabei nicht nur das Haus, dessen Baukosten mit knapp 150 000 Euro gegenüber jenen des Schlossmuseums mit 24,4 Millionen bescheiden sind, sondern auch dessen Bespielung mit einem Rahmenprogramm. Bis das Haus in drei Monaten wieder abgetragen wird, sind hier über 180 Veranstaltungen zu erleben, von Talkshows mit den Anrainern bis zu Workshops und Filmvorführungen. Ob sich die staatstragende Kulturarchitektur irgendwann vom Witz und der Leichtigkeit solcher Projekte anstecken lässt, wird man sehen. Vom „gelben Herz“ ihres Parks werden sich die Anrainer jedenfalls noch in Jahren, wenn es längst wieder der Wiese Platz gemacht hat, Geschichten erzählen.
26. Juni 2009
Was lernt die Schule? Alle reden von der Schulreform. Neue Schulsysteme freilich brauchen auch neue Räume, um sich entfalten zu können. Anmerkungen zum Wechselspiel von Pädagogik und Architektur. Coautorin: Christiane Spiel
U
nter Lernen versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch den Erwerb von körperlichen, geistigen oder sozialen Fähigkeiten. Wir lernen Gehen und Sprechen, wir lernen aus der Geschichte, wir lernen Menschen kennen. Auch Tiere lernen, von Natur aus oder wenn wir sie dressieren. Aber können Institutionen lernen? Oder gar Häuser?
Wer sich mit der Entwicklung der In stitution Schule und ihrer Architektur befasst, kommt um diese Frage nicht herum. Wenn es eine Institution gibt, die von Natur aus selbst lernen sollte, ist es die Schule. Tatsächlich zeigt schon ein oberflächlicher Blick auf die Geschichte der Pädagogik, dass die Schule seit über 200 Jahren, also spätestens seit Pestalozzis Zeiten, zu lernen, also sich zu reformieren versucht. Das ist insofern bemerkenswert, als die allgemeine Schulpflicht kaum älter ist. Man könnte sagen: Seit die Schule Pflicht ist, ist sie mit ihrer Reform beschäftigt.
Das letzte große Reformwerk des Schulwesens liegt in Österreich schon über vier Jahrzehnte zurück. 1962 trat ein Schulorganisationsgesetz in Kraft, das eine Verlängerung der Schulpflicht mit sich brachte und eine Hauptschule mit einem eigenen „Zug“ für begabtere Schüler und Schülerinnen einführte, dessen Lehrstoff mit jenem der AHS-Unterstufe ident ist, um einen Wechsel von der Hauptschule auf die Oberstufe der AHS zu ermöglichen. Während sich andere Länder für eine gemeinsame Schule aller Kinder bis zum 14. Lebensjahr entschieden, wählte Österreich einen Kompromiss, dessen Folgen sich in den Ergebnissen der PISA-Studie spiegeln. Dass es in Österreich exzellente Schulen gibt, steht außer Frage, in Summe holt unser Schulsystem aber durch zu frühe Selektion viel zu wenig aus der vorhandenen Begabung einer viel zu großen Anzahl seiner Schützlinge heraus. Dass die Reform des Jahres 1962 soziale Differenzierung durchaus gezielt aufrechterhalten wollte, zeigt sich auch im Schulbau. Die Verlängerung der Schulpflicht und eine ebenfalls im Gesetz verordnete Reduktion der Schülerhöchstzahl 287 pro Klasse mündeten zwangsläufig in
Der Stand der Dinge? Klasse im Stil Ludwig XIV., Volksschule in Berndorf, Niederösterreich. Foto: Wolfgang Freitag
ein Schulbauprogramm, das den gestiegenen Bedarf bedienen sollte. Auf die Frage, ob es denn nicht möglich wäre, zumindest bei Neubauten Hauptschule und Gymnasium unter einem Dach zu verbinden, antwortete der damalige Unterrichtsminister Heinrich Drimmel in einem Interview in der Zeitschrift „der aufbau“ 1963, er sehe dafür keinen Grund: „Wo beide Schularten nebeneinander bestehen, ist eine gewisse Unterschiedlichkeit schon durch die Verschiedenheit der Schüler unvermeidlich und auch pädagogisch wünschenswert.“ Wenig später begann die so genannte Bildungsexplosion die tradierten Grenzen im Schulwesen zu sprengen. Dass in Österreich der Bevölkerungsanteil von Personen mit einem Schulabschluss der Sekundarstufe II – also Matura-, Lehr- oder vergleichbarem Abschluss, auf 80% steigen würde – war damals zwar ebenso wenig abzusehen wie die Steigerung des Maturantenanteils von 10% auf 39% seit 1960 oder die Verdoppelung der Zahl von Menschen im Lehrberuf auf 120 000 im selben Zeitraum. Aber eines war
klar: Es würde mehr Schulen geben müssen, und diese Schulen würden Menschen für eine neue Phase der industriellen Revolution ausbilden, die schon damals gerne mit dem Begriff der „Wissensgesellschaft“ beschrieben wurde, also einer Gesellschaftsform, in der individuelles und kollektives Wissen zur Grundlage der ökonomischen Entwicklung und des sozialen Zusammenlebens geworden ist. Gefragt sind damit Formen lebendigen Wissens, wie Erfahrungswissen, Urteilsvermögen und Selbstorganisation. Die Jahre um 1970 waren zumindest auf dem Papier die experimentierfreudigsten in der Geschichte des Schulbaus. Architekten verarbeiteten das Repertoire der reformpädagogischen Bewegungen des letzten Jahrhunderts in neue Raumkonzepte, die mit Vehemenz propagiert wurden: Autonomie der einzelnen Schulstandorte, Team-Teaching und Epochenunterricht, flexible und variable Räume statt dem „Einheitsklassenzimmer“, um vom Vortrag über Gruppenarbeit und Diskussion bis zum Theaterspiel unterschiedliche Aktivitäten und „forschendes Lernen“ zu ermöglichen. Damit verbunden war die Abkehr von der 50-Minuten Unterrichtseinheit und von der Schulglocke, letztlich auch von der Jahrgangsklasse, zumindest in der Oberstufe. Die Architekten waren sich naturgemäß einig, dass die äußere und innere Reform der Schule aufs schwerste gefährdet oder gar verhindert würde, wenn sie nicht auf grundsätzlich neue Bauformen im Schulbau trifft. In „Bauen + Wohnen“, einer der damals renommiertesten Architekturzeitschriften, schreibt Gerold Becker 1967 über den „Schulbau für die neue Schule“, es sei zu vermuten, dass „Erziehung und Verhinderung von Erziehung in einem bisher kaum geahnten Maß durch Räume und ihre Ausstattung bewirkt werden“. Das Schulgebäude müsse einerseits „Möglichkeiten zu ungestörter Beratung“ bieten, andererseits aber auch „ein Plenum, das zur öffentlichen Debatte zwingt“. Gerade den scheinbar nur der Erschließung dienenden Zwischenbereichen käme eine große Bedeutung zu: „Müssen Gänge, Flure, Pausenhallen eigentlich so steril sein, daß man darin nichts anderes tun kann als sich langweilen oder Krach machen (oder beides)?“ Und schließlich stellt Becker die rhetorische Frage, ob denn alles „perfekt vorgeordnet, getüftelt, geregelt“ 288 sein müsse, oder ob Schulen nicht
vielmehr „so gebaut sein sollten, daß man in ihnen das Improvisieren und Erfinden lernen muß?“ Aus heutiger Sicht klingen die meisten der Alternativen zum traditionellen Schulbetrieb, die hier ins Spiel gebracht werden, seltsam vertraut. Sind das nicht genau die Wünsche, die noch heute – nach mehr als 40 Jahren – von reformorientierten Pädagogen/innen, von Architekten/innen und Bildungsforschern/innen ausgesprochen werden, wenn sie von der „Schule der Zukunft“ sprechen? Tatsächlich blieb die Realität des Schulbaus in den 1970er Jahren weit hinter den großen Plänen zurück. Die Zahl der Schulen, die nach den genannten Prinzipien errichtet wurden, war zumindest in Deutschland und Österreich verschwindend klein. Bekannt wurden die auf Initiative des Pädagogen Hartmut von Hentig gegründete Laborschule Bielefeld mit ihren gegliederten Großräumen, und die Multischule in Weinheim. Erstere existiert noch in ihrer offenen Form, während die Multischule zu einem normalen Schulbau rückgeführt wurde. Österreich verdankte den Jahren um 1970 ein Forschungsprogramm zur Vorfertigung im Schulbau, das einige Architekten dazu benutzen konnten, neue Raumkonzepte zu erproben. Die Schulen in Wörgl und Imst mit ihren zentralen, mehrgeschossigen Hallen gehören dazu, und die radikal aufs Minimum reduzierte Industriehalle des Gymnasiums in Völkermarkt von Ottokar Uhl, dessen offene Zonierung aber bald einer konventionellen Raumteilung weichen musste. Die beiden Tiroler Hallenschulen beeindrucken zwar nach wie vor räumlich und stehen teilweise unter Denkmalschutz, eine andere Pädagogik und Bildung hätten sie aber nur nach dem im Prinzip möglichen Wegfall von Wänden unterstützt, der aber nie passierte Eine große Zahl von so genannten „open plan“- Schulen mit fließenden Großräumen entstand bis Mitte der 1970er Jahre in den USA. Auch dort wurden in den zuerst errichteten Schulen schon wieder zusätzliche Zwischenwände eingezogen, als die letzten im Bau waren. Die tiefen, oft künstlich belichteten und belüfteten Räume boten eine wenig animierende Atmosphäre, und nur wenige Lehrerinnen und Lehrer hatten die nötige Ausbildung, in diesen anderen Räumen auch einen anderen Unterricht zu bieten. Sie scheiterten beim Versuch, wie bisher zu unterrichten, schon an der Akustik. Die
überwiegende Mehrheit der Schulbauten der Jahre zwischen 1965 und 1975 war überhaupt konventionell im Typ und so billig in der Ausführung, dass ihr heute oft schon die zweite Generalsanierung bevorsteht. Die Bereitwilligkeit, mit der die meisten Architekten ab 1980 ihre reformerischen Absichten ad acta legten und wieder zum Typus der Gangschule zurückkehrten, wurde nur noch von der Resignation einer Beamtenschaft übertroffen, die genug hatte von glücklosen Reformen, undichten Flachdächern und schlecht gedämmten Betonfertigteilen. Der historische Kompromiss der österreichischen Schulentwicklung, die Reformer mit „Schulversuchen“ ruhig zu stellen, um den Kampf um die nötigen Mehrheiten im Nationalrat für eine neue grundlegende Reform zu vermeiden, fand seine frustrierende Grenze beim Schulraum: Da ein „Schulversuch“ von Gesetz wegen keine besonderen räumlichen Voraussetzungen erfordern darf, hatten die Erfahrungen und Wünsche auch langjähriger Betreiber solcher Versuche so gut wie keinen Einfluss bei Neuoder Umbauten. Veteranen der Schulreform, also jene ehemaligen Lehrerinnen und Lehrer Mitte sechzig, die schon in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren von einer radikalen Erneuerung des Schulwesens geträumt hatten, zitieren gern ein altes indianisches Sprichwort, wenn sie nach ihrer Einschätzung der Reformierbarkeit des Systems gefragt werden: Wenn Du bemerkst, auf einem toten Pferd zu reiten, solltest Du besser absteigen und gehen. Alle Versuche, die Dinge durch neue Sättel, den Einsatz stärkerer Peitschen, durchs Zusammenspannen mehrerer toter Pferde zu einem Gespann oder durch die Einsetzung von Kommissionen, die herausfinden sollen, wie anderswo tote Pferde geritten werden, in Bewegung zu bringen, seien schlicht hoffnungslos. Zum Glück haben Länder, die nicht an einem Reformtrauma leiden, längst bewiesen, dass die Institution Schule dazulernen kann. Es sind nicht zufällig dieselben Länder, die in den PISA-Studien am besten abgeschnitten haben. Sie fördern die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen, die von der OECD und der EU proklamiert werden, um die Veränderungsprozesse in einer globalisierten Gesellschaft erfolgreich bewältigen zu können. In einer Studie aus dem 289 Jahr 2003 nennt die OECD folgende
Schlüsselqualifikationen als die wichtigsten für den Arbeitsmarkt der Zukunft: Werkzeuge interaktiv benutzen (use tools interactively), selbstständig handeln (act autonomously) und in heterogenen Gruppen zusammenarbeiten (interact in heterogeneous groups). Die Europäische Kommission hat schon im Jahr 2000 die Förderung von Lebenslangem Lernen (LLL) als zentrale europaweite Strategie proklamiert. Aus der Perspektive der Bildungspsychologie hängt erfolgreiches lebenslanges Lernen von mehreren zentrale Determinanten ab: einerseits von der anhaltenden Motivation und Wertschätzung für Bildung, Lernen und damit Weiterentwicklung, andererseits von der Fähigkeit zum selbstregulierten Lernen. Dazu kommen kognitive Kompetenzen wie etwa kritisches und kreatives Denken und soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit und interkulturelle Kompetenz. Die Forderungen und Konzepte von OECD und EU sind zwar nicht ausschließlich, aber doch primär auf das Funktionieren des Wirtschaftslebens ausgerichtet und damit zu einseitig hinsichtlich der Anforderungen an eine zeitgemäße Schule. Bildung ist jedenfalls mehr als Wissensvermittlung. Unter Bildung als Produkt werden überdauernde Ausprägungen der Persönlichkeit eines Menschen verstanden, die unter einer gesellschaftlich-normativen Perspektive wünschenswert sind. Als Prozess beinhaltet Bildung dementsprechend den Aufbau und die Art und Weise der sozialen Vermittlung dieser wünschenswerten Persönlichkeitsausprägungen, und damit die zentrale Aufgabe von Schule. Mit der Frage, welche Persönlichkeitsausprägungen gesellschaftlich wünschenswert sind, begibt man sich auf die inhaltliche Ebene der Begriffsbestimmung. Wodurch sich ein „gebildeter“ Mensch auszeichnet, unterliegt nicht nur einem historischen Wandel, sondern wird auch von verschiedenen sozialen Milieus unterschiedlich bewertet. Der deutsche Erziehungswissenschaftler Jürgen Baumert nennt folgende Bildungsziele für die allgemeinbildende Schule: erstens die Vermittlung der kulturellen Basiskompetenzen (Beherrschung der Verkehrssprache, mathematische Modellierungsfähigkeit, fremdsprachliche Kompetenz, informationstechnologische Kompetenz sowie Selbstregulation des Wissenserwerbs); zweitens die Vermittlung eines hinreichend breiten,
in sich gut organisierten, vernetzten sowie in unterschiedlichen Anwendungssituationen erprobten Orientierungswissens in zentralen kulturellen Wissensbereichen (diese Wissensbereiche umfassen die verschiedenen Fächer; die elementare Vertrautheit mit jedem von ihnen macht Allgemeinbildung aus); und drittens den Aufbau sozial-kognitiver und sozialer Kompetenzen (Fähigkeit zum Perspektivenwechsel, zum Mitempfinden, zur Hilfsbereitschaft, zur Kooperation, zur Verantwortungsbereitschaft, zum moralischen Urteil). Hartmut von Hentig hat die Ziele von „Bildung“ in seinem gleichnamigen Essay aus dem Jahr 1996 auf eine einfache Formel komprimiert: „Die Menschen stärken und die Sachen klären.“ Als Kriterien von gelungener Bildung nennt er: Abscheu und Abwehr von Unmenschlichkeiten, Wahrnehmung von Glück, Fähigkeit und Willen, sich zu verständigen, Bewusstsein von der Geschichtlichkeit der eigenen Existenz, Wachheit für letzte Fragen und schließlich die Bereitschaft zur Selbstverantwortung und zur Verantwortung in der res publica. Insbesondere mit dem letzten Kriterium folgt Hentig den Ideen John Deweys, der schon 1916 in seinem Buch „Democracy and Education“ die Forderung aufstellte, dass Erziehung in der Demokratie eine spezielle Struktur haben müsse, die insbesondere über all jene nationalistischen Tendenzen hinausweisen müsse, die unter anderem das europäische Schulwesen des 19. Jahrhunderts kompromittiert hätten. Dass es heute auch im deutschsprachigen Raum eine beträchtliche Zahl von gelungenen Beispielen für eine Schule gibt, die erfolgreich versucht diese Anforderungen an Bildung zu realisieren, ist im Lamento um die Ergebnisse der PISA-Studie oft zu wenig beachtet worden. Der deutsche Journalist Reinhard Kahl hat eine Reihe von Beispielen in seinem „Archiv der Zukunft“ dokumentiert, das 2004 mit einem Film über Schulen als „Treibhäuser der Zukunft“ eröffnet wurde. Auf drei hervorragend editierten DVDs sind Schulen aus Deutschland dokumentiert, kombiniert mit 23 Expertengesprächen. Inzwischen ist das Archiv auf über 20 Filme angewachsen, unter anderem eine eigene DVD über den „Raum als 3. Pädagoge“, die speziell auf die Bedeutung der räumlichen Bedingungen für das Leh290 ren und Lernen hinweist.
Für Österreich liegt eine solche Dokumentation bisher nicht vor. Allerdings hat sich um Reinhard Kahls Archiv der Zukunft inzwischen ein Netzwerk etabliert, das sich auch nach Österreich ausbreitet, und es ist zu hoffen, dass die Erfolge lokaler Initiativen auch hier eine Breitenwirkung bekommen. Die Initiative „Neues Lernen“ der Köck Privatstiftung, die seit 2003 einen mit 20 000 Euro dotierten Wissenschaftspreis für kindgemäße Pädagogik vergibt, arbeitet mit dem Archiv der Zukunft zusammen und versucht, das Netzwerk zu erweitern. Eine andere über den lokalen Rahmen hinausgehende Initiative ist das Konzept des „Cooperativen Offenen Lernens“, das unter dem Namen COOL seit 1996 von Georg Neuhauser und seinen Kollegen an der Handelsakademie in Steyr entwickelt wurde und sich inzwischen zu einem Impulszentrum mit Partnern in ganz Österreich entwickelt hat. Die „neue“ Pädagogik, die mit COOL verbunden ist, geht auf den Dalton-Plan zurück, den die Pädagogin Helen Parkhurst bereits in den 1920er Jahren in den USA entwickelt hat. Mit den Leitbegriffen „freedom“, „cooperation“ und „budgeting time“ nimmt dieser Plan vieles vorweg, was die OECD mit ihren Schlüsselqualifikationen einfordert. Ein bekanntes Wiener Beispiel, das sich an einer anderen Mischung reformpädagogischer Ansätze vom Jena-Plan bis zur Montessori-Pädagogik orientiert, ist die Integrative Lernwerkstatt Brigittenau, eine öffentliche Volksschule mit Mehrstufenklassen, die unter ihrem Direktor Josef Reichmayr gerade dabei ist, sich zu einer „Neuen Mittelschule“ zu erweitern. Die beste Grundlage für den Erfolg von Projekten stellt die Kooperation zwischen Bildungspolitik, Bildungspraxis und Bildungsforschung dar; letztere gemeint als weiter Begriff, der nicht nur Erziehungswissenschaften und Bildungspsychologie sondern unter anderem auch Bildungssoziologie und -ökonomie sowie Schularchitektur inkludiert. Ein Beispiel dafür ist das TALK-Projekt, ein vom bm:ukk gefördertes Schulentwicklungsprojekt des Arbeitsbereichs Bildungspsychologie und Evaluation der Universität Wien, das bei Lehrerteams Vermittlungskompetenzen zur Förderung von Bildungsmotivation und selbstreguliertem Lernen trainiert. Die Evaluierung zeigt sowohl bei Lehrpersonen als auch auf Ebene der Schüler sehr positive Effekte.
Ein weiteres Beispiel stellt das WiSK Schulprogramm zur Förderung Sozialer Kompetenz und Prävention von Aggression und Gewalt dar, das im Rahmen der nationalen Strategie zur Gewaltprävention „Gemeinsam gegen Gewalt“ („Weiße Feder“) eingesetzt wird. Dass bauliche Maßnahmen die sozial-präventiven unterstützen können, ist klar. Auf die Raumprogramme des Schulbaus hat diese Frage freilich bisher kaum Auswirkungen. Eine genauere Recherche würde wahrscheinlich eine Reihe weiterer österreichischer Initiativen zum Vorschein bringen. Leider gibt es im offiziellen österreichischen Schulsystem noch keine ausreichende Tradition, solche vernetzten Initiativen anzuerkennen, zu fördern und systematisch zu etablieren. Zumindest im Bundesschulbau gibt es inzwischen aber erste Versuche, der „pädagogischen Basis“ zuzuhören und ihre Kompetenz zu nutzen: Bei einem aktuellen Wettbewerb für eine Schulerweiterung für die HAK in der Wiener Polgarstraße durften die Lehrerinnen und Lehrer, unterstützt vom Landesschulrat und den Beamten des Unterrichtsministeriums in einer mehrmonatigen Konzeptphase an der Gestaltung des
Raumprogramms mitwirken, ein Novum für den Bundesschulbereich. Projekte, die den Nutzern/innen klarmachen, wie sehr die Schularchitektur als „dritter Pädagoge“ zur Unterstützung von Bildungsprozessen beitragen kann, sind eine notwendige Voraussetzung für das Gelingen solcher Versuche. Gerade bei den zahlreichen anstehenden Schulsanierungen ist die Einbeziehung der Nutzer, verbunden mit einem klaren Reformauftrag, unerlässlich, wenn nicht veraltete Strukturen für die nächsten 2o Jahre fixiert werden sollen. Die Balance zwischen zentraler Qualitätssicherung und Autonomie der einzelnen Schulen ist wahrscheinlich überhaupt die Kernfrage jeder erfolgreichen Reform. Dazu wurden in den letzten Jahren unter anderem mit dem „Lehrplan 99“ einige Schritte gesetzt. Zentralmatura und Bildungsstandards stellen wichtige Schritte in Richtung Qualitätssicherung dar; im Gegenzug müssen jedoch andere Kontrollen und die mit ihnen verbundenen Bürokratien abgeschafft werden. Dass die Schule lernen kann, als Organisation und als Gebäude, steht außer Frage. Man muss es nur zulassen und unterstützen.
30. Mai 2009
Pritzker und Freunde Wer soll einen Architekturwettbewerb gewinnen: das beste Projekt oder das beste Büro? – Der Entwurf für die neue Wirtschaftsuniversität in Wien. Ein Wettbewerb als Fahrt in der Achterbahn — mit weicher Landung.
S
elten hat die Architekturwelt mit solcher Spannung auf die Präsentation von Wettbewerbsergebnissen gewartet. Das liegt nicht nur am illustren Teilnehmerkreis, zu dem immerhin drei
Pritzker-Preisträger und eine Reihe weiterer Architektenstars zählten, sondern auch an der recht turbulenten Entwicklung des Verfahrens selbst. Schon im Mai 2008 hatte BUSarchitektur, also das Team um die aus Argentinien stammende Wiener Architektin Laura Spinadel, den Wettbewerb für den
Gesamtplan der neuen Wirtschaftsuniversität (WU) gewonnen. Während die meisten Konkurrenten große, zusammenhängende Strukturen entworfen hatten, plante Spinadel einen locker bebauten Campus mit einer durchlässigen grünen Grenze nach außen und einer geschickt komponierten Abfolge von öffentlichen Plätzen im Innenbereich. Ins Zentrum der Anlage, deren Länge mit 600 Metern ungefähr der Strecke vom Stephansplatz bis zum Schwedenplatz entspricht, setzte sie das geforderte „Library & Learning Centre“ (LCC), mit einem vorgelagerten, zum grünen Prater hin offenen Platz. Zu beiden Seiten schließen die Institutsgebäude und Sonderbauten wie ein Hörsaalzentrum und – als Auftakt des Areals stadteinwärts – das Gebäude für die „Executive Academy“ an. Unter dem zentralen Straßenraum liegt eine Tiefgarage, die
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nicht direkt mit den Gebäuden verbunden ist, sondern über Lichthöfe im Straßenraum erschlossen wird. Auch die per PKW Anreisenden betreten die Gebäude der WU daher auf demselben Weg wie die Benutzer der öffentlichen Verkehrsmittel, mit denen das Areal über zwei Stationen der verlängerten U-Bahn-Linie U2 gut erreichbar ist. Mit diesem Entwurf erhielt BUSarchitektur den Auftrag für die städtebauliche Masterplanung, ein Hörsaalzentrum, die Freiraumplanung sowie die Tiefgarage. Der Masterplan, den das Team als Grundlage für den im Sommer 2008 durchgeführten Wettbewerb für die einzelnen Baufelder entwickelte, bestand aus weit mehr als der Festlegung von Baulinien und Gebäudehöhen. Er enthielt unter anderem eine detailliert entwickelte Freiraumplanung sowie ausführliche Spielregeln für die Architektur, unter anderem darüber, in welchen Zonen mit
Festival der Stars: Modell für den neuen Campus der WU. Foto: Manuela Strasser
einem hohen Grad an Standardisierung zu rechnen sein würde und an welchen Punkten besondere Akzente gewünscht waren. Da für diesen zweiten Wettbewerb, bei dem Laura Spinadel auch als Juror fungierte, die Teilnahme einer großen Zahl von Architektenstars mit prägnanter Handschrift erwartet wurde, sollten diese Vorgaben ein Auseinanderfallen des Projekts in unzusammenhängende Teilbereiche verhindern helfen. Wie gut das gelungen ist, ließ sich nach der Jury-Entscheidung im Dezember 2008 bereits ansatzweise beurteilen, als erste Schaubilder und ein Baumassenmodell präsentiert wurden. Im Modell erinnern das LCC von Zaha Hadid, die Institutsgebäude von Carme Pinós, Peter Cook/CRAB und Hitoshi Abe sowie die Executive Academy von NO.MAD Arquitectos aus Madrid und das Hörsaalzentrum von BUSarchitektur ein wenig an eine Gruppe exotischer Riesentiere, die sich friedlich an einem Wasserloch versammelt haben. Wie die Projekte im Detail aussehen und welche Alternativen die Jury verworfen hat, ist erst seit letzter Woche für die Öffentlichkeit zugänglich. Eine von BUSarchitektur mitgestaltete, vorbildliche Ausstellung zeigt im Architekturzentrum Wien neben den Modellen eine vollständige digitale Dokumentation aller eingereichten Arbeiten in allen Bearbeitungsstufen sowie eine große „Evolutionsgeschichte“ des gesamten Verfahrens in Form eines Stammbaums, dessen Blätter von den diversen Preisträgern und Nachrückern gebildet werden. Eine solche Darstellung ist zum Verständnis des Verfahrens auch dringend notwendig. Denn so logisch der oben geschilderte Ablauf der Projektfindung erscheint, so wenig war er in dieser Form geplant. Der erste, im Mai 2008 entschiedene Wettbewerb war als offener, einstufiger Realisierungswettbewerb ausgeschrieben. Das bedeutet, dass im Prinzip auch ein einziges Büro das gesamte Projekt hätte gewinnen können. Entsprechend umfangreich waren die verlangten Leistungen: eine Planung im Maßstab 1:500 für ein Raumprogramm mit 4 500 Positionen und über 100 000 Quadratmeter Fläche sowie ein Entwurf für das architektonische Highlight des Projekts, das LLC, im Maßstab 1:200. Dass ein solches Verfahren besser in zwei Stufen ausgeschrieben werden sollte, war den Auslo293 bern, einem Konsortium aus WU und
Bundesimmobiliengesellschaft, zwar klar und auch ursprünglich so vorgesehen, scheiterte aber an einer scheinbar kleinen Verfahrensfrage. Während die WU de facto die Anonymität der Teilnehmer nach der ersten Stufe aufheben wollte, verlangte die Architektenkammer, die Anonymität der Projekte bis zum Schluss zu wahren. Man einigte sich schließlich darauf, alle Leistungen in eine anonyme Stufe zu packen. Hinter dieser scheinbaren Spitzfindigkeit verbirgt sich eine Grundfrage des Wettbewerbswesens. Soll es, wie vom Vergaberecht für den öffentlichen Sektor vorgesehen, um die Suche nach dem besten Projekt oder um die Suche nach dem besten – also in der Thematik erfahrensten oder renommiertesten – Büro gehen? Im konkreten Fall sollte der hohe Detaillierungsgrad sicherstellen, dass sich nur große Büros beteiligen würden: Immerhin ist der bürointerne Aufwand für einen solchen Wettbewerb jenseits von 50 000 Euro anzusiedeln. Statt der erhofften 80 Büros nahmen aber trotz internationaler Ausschreibung und hoher Auftragssumme nur 23 Büros teil, und die Entwürfe waren alles andere als berauschend. Die Jury, mit Wolf Prix und Dietmar Eberle prominent besetzt, zog die Notbremse, ließ für die besten drei Projekte die Anonymität aufheben und entschied sich mit dem BUSarchitektur-Entwurf für jenes, das einen weiteren Wettbewerb für einzelne Bauteile ermöglichte. Der lief schließlich mit de facto aufgehobener Anonymität und vorgeschaltetem Bewerbungsverfahren ab, bei dem auch die von der WU gewünschte Prominenz Interesse zeigte. Bei der Auswahl aus 140 Interessenten konnte die Jury aus Projekten mehrerer Pritzker-Preisträger – Hans Hollein, Zaha Hadid und Thom Mayne – und anderer Freunde wählen. Dass Hadid das LCC gewann, ist wenig überraschend und spricht im Grunde für den anonymen Wettbewerb. Selten hat man ein so eitel skulpturales Gebäude gesehen, das außer einem hohen „Wow-Faktor“ nichts zu bieten hat. Was Canyons und das penetrante Luxus-Yacht-Motiv im Inneren mit der Aufgabe zu tun haben, ist schleierhaft. Der Werbeeffekt wird sich wohl trotzdem einstellen. Im Alltag hängt der Erfolg der neuen WU aber viel mehr vom Freiraum und der qualitätvollen Umsetzung der kleinteiligen Archi- 158 → tektur ab, die dem großen Wurf an dieser Stelle sicher vorzuziehen ist.
Sieht so Schule aus? 16. Mai 2009
Der lange Gang, gesäumt von Klassenzimmern, ist ein Modell des 19. Jahrhunderts. Zeitgemäßer Schulbau sieht völlig anders aus. Ein Blick nach Kopenhagen.
S
tillstand auf Pump: So muss man die Taktik bezeichnen, mit der sich die Große Koalition im jüngsten Konflikt um die Finanzierung des Schulsystems aus der Affäre gezogen hat. Die Bundesschulen bekommen ein paar Jahre lang ihre Miete gestundet, die Ruhe in den Konferenzzimmern ist wiederhergestellt, nur die Bundesimmobiliengesellschaft muss hoffen, dass die Regierung diese Schlaraffenlandlösung nicht auch anderen öffentlichen Einrichtungen in Geldnöten, wie zum Beispiel den Universitäten, anbietet. Im aktuellen Konflikt zwischen Lehrergewerkschaft und Regierung ging es aber nur vordergründig um die Verteilung von Arbeitszeit und Geld. Im Hintergrund steht die Frage, wie viel Reform sich die Institution Schule in Österreich zumuten möchte. Dass diese Reform nötig ist, wird kaum mehr bestritten, spätestens seit die PISA-Studie gezeigt hat, dass das österreichische Schulsystem viel zu wenig aus der vorhandenen Begabung einer viel zu großen Anzahl seiner Schützlinge herausholt. Auch über die nötigen Veränderungen besteht im Wesentlichen Konsens, ganz gleich, ob die Konzepte von der Industriellenvereinigung, von Bildungswissenschaftlern oder von Praktikern kommen. Sie betreffen zum einen den organisatorischen Rahmen: verpflichtende Vorschule zur Frühförderung sowie spätere Weichenstellung in der Bildungskarriere durch ein – unter welchem Namen auch immer implementiertes – Gesamtschulmodell. Zum Zweiten geht es um eine Reform pädagogischer Prin294 zipien: Förderung statt Selektion als
Eine Schule ohne Klassenzimmer: Gesamtschule Hellerup, Kopenhagen. Fotos: Christian Kühn
primärer Auftrag, mehr Eigenverantwortung der Schülerinnen und Schüler, mehr fächerübergreifende Kooperation unter Einbeziehung der aktuellen Informations- und Kommunikationstechnologien. Dass dieser veränderte Unterricht am besten in Räumen stattfindet, die mit der Schule, so wie wir sie kennen, nur noch wenig zu tun haben, zeichnet sich international immer deutlicher ab. Die Schule
als Aneinanderreihung von Klassen an einem langen Gang, ergänzt um Sonderunterrichtsräume für den Kunstunterricht und die Naturwissenschaften, ist ein Modell des 19. Jahrhunderts. Die damals entstehende Massengesellschaft brachte mit der Gangschule einen Bautypus hervor, in dem Arbeitskräfte für eine neue, von der industriellen Revolution geprägte Arbeitswelt ausgebildet werden sollten. Diese Schulen waren im Wesentlichen Disziplinierungsanstalten, deren Absolventen möglichst gleichartig funktionieren sollten. Um junge Menschen für die Anforderungen einer globalisierten Wissensgesellschaft fit zu machen, sind solche Räume alles andere als ideal. Vor allem in skandinavischen Ländern wird der Raum als „dritter Pädagoge“ (neben den Lehrern und den anderen Schülern) betrachtet und versucht, dieser Idee entsprechend neue pädagogische Konzepte auch räumlich umzusetzen. Ein Trend dabei ist die Kreuzung von Hallenschule und offener Großraumschule, zwei Schultypen, die bereits in den 1960er- und 1970er-Jahren populär waren. Klassenzimmer im üblichen Sinn kennen diese Schulen nicht mehr, einige – wie die Hellerup-Schule im Kopenhagener Vorort Gentofte, geplant von arkitema – kommen überhaupt ohne geschlossene Räume aus, wenn man von Turnsaal und Werkstätten absieht. Die 2003 eröffnete Hellerup-Schule bietet Platz für 750 Kinder im Alter von fünf bis 14 Jahren, also von der Vorschule bis zum Einstieg in die Oberstufe des Gymnasiums. Organisatorisch gibt es in dieser Schule nach wie vor Stammklassen, denen allerdings kein eigener Raum zugeordnet ist. Stattdessen gibt es kleine sechseckige Paravents, die rund 25 Kinder für Phasen konzentrierten Zuhörens aufnehmen können. Drei solcher Gruppen teilen sich altersgemischt eine größere Lernzone mit frei aufgestellten Tischen und PC-Arbeitsplätzen, einer offenen Küche und einem eigenen Lehrerarbeitsraum. Gelernt wird hier in einer planvollen Abfolge von Instruktions- und selbständigen Arbeitsphasen, ohne Schulglocke, aber mit klaren Vereinbarungen. Wer einen Vormittag an der HellerupSchule verbringt, ist vor allem überrascht von der ruhigen und konzentrierten Atmosphäre, in der kaum ein lautes Wort fällt und auch der Umgang unter den Kindern entspannter ist, als man es aus 295 konventionellen Schulen gewohnt
Zentrales Atrium als informeller Begegnungsraum.
ist. Entwickelt wurde das Konzept in einem langen Planungsprozess gemeinsam von Lehrern und Pädagogen im Auftrag der Gemeinde, die eine neue öffentliche Schule für ein Stadterweiterungsgebiet errichten musste. Betreut von einem Konsulententeam, Hanna Bohn Vinkel und Jens Guldbaek, hat die Gemeinde Gentofte inzwischen auch bestehende Schulen nach denselben Prinzipien saniert. Dass sich das Konzept der offenen Hallenschule auch für Gymnasien eignet, hat die Stadt Kopenhagen mit dem Ørestad-Gymnasium bewiesen, einer Schule für 15- bis 18-Jährige, die 2007 eröffnet wurde. Hier gibt es unterschiedlich große Vortrags- und Laborräume, die um die zentrale Halle mit offenen Arbeitszonen herum angeordnet sind. Die Ausschreibung für den Wettbewerb, zu dem unter anderem Toyo Ito und Dominique Perrault geladen waren, enthielt an quantitativen Vorgaben nur Gesamtkosten, Nutzfläche und die Anzahl der Schüler und Lehrer, dafür ein 50 Seiten starkes pädagogisches Konzept. Gewonnen hat den Wettbewerb Kim Herforth Nielsen von 3XN Architekten mit einem geometrisch raffinierten und räumlich beeindruckenden Projekt, dem man aber etwas mehr echte Rückzugsräume wünschen würde. Denn die „Lounges“ für die Schüler sind zwar bequem, aber von allen Seiten einsehbar. Die Baukosten der Schule lagen, ebenso wie bei der HellerupSchule, im üblichen Bereich, da durch den Wegfall der Gänge ein höherer Nutzflächenanteil erzielt werden konnte.
Auch wenn diese Beispiele heute noch extrem aussehen, stellen sie mit großer Wahrscheinlichkeit den Typus für die Schule des 21. Jahrhunderts dar. Es wird sie in unterschiedlichen Größen und Formen geben und in Kombination mit anderen Nutzungen, wie das heute etwa in Holland im Konzept der „Breiten Schule“ praktiziert wird, die mit Bibliotheken, Büros der öffentlichen Verwaltung und Wohnbau gekoppelt ist. Die Frage,
auf die sich die Bildungsdebatte in Österreich zuletzt reduziert hat – zwei Stunden mehr in der Klasse oder nicht –, stellt sich in solchen Schulen nicht mehr. Nicht nur, weil es keine Klassen gibt, sondern vor allem, weil diese Schulen Orte sind, an denen man sich gern aufhält. Wenn Pädagogen, Schulverwaltung und Architekten an einem Strang ziehen, sollte das auch in Österreich möglich sein.
18. April 2009
Für immer wie gestern Kein Zweifel: Das ORFZentrum auf dem Küniglberg ist ein wichtiges Bauwerk. Doch seine Nutzer möchten sich lieber heute als morgen von ihm trennen. Ist es damit zwangsläufig ein Fall für den Denkmalschutz?
O
b Barock, Jugendstil oder Nachkriegsmoderne: Wenn es hart auf hart geht, läuft die Debatte um den Denkmalschutz stets nach ähnlichen Mechanismen. Anlass ist ein Objekt, dessen Ablaufdatum aus rein wirtschaftlicher oder funktioneller Perspektive überschritten ist. Es ist kein Zufall, dass die Wurzeln des Denkmalschutzgedankens im nachrevolutionären Frankreich des späten 18. Jahrhunderts liegen. Wer den König geköpft und die Religion abgeschafft hat, muss Gründe dafür finden, die funktionslosen Paläste und Kirchen zu erhalten. Und so entstand zeitgleich mit den Verwüstungen, die die Revolution anrichtete, auch die Idee eines nationalen kulturellen Erbes, das es zu erhalten gilt, eine Idee, die sich nahtlos in die restaurativen politischen Bewegungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts einfügen ließ. Während Bauwerke wie Versailles und Schönbrunn heute ohne jede Debatte 296 als Teil dieses Erbes gelten und durch
den Tourismus einen neuen – wenn auch oft über eine „Umwegrentabilität“ dargestellten – ökonomischen Wert erhalten haben, müssen für jüngere Objekte die Kriterien einer Erhaltung neu ausgehandelt werden. Die Besitzer der absehbar nutzlos werdenden Immobilie pochen auf ihr Recht auf zeitgemäße Lebens- oder Arbeitsbedingungen, die sich nur in einem Neubau erreichen ließen. Die Freunde des Alten bringen die Einzigartigkeit des Objekts, seine besondere Geschichte und das Ansehen seines Schöpfers ins Spiel. Während die eine Seite Studien vorlegt, die die enormen Kosten einer originalgetreuen Erhaltung belegen sollen, führt die andere gelungene Beispiele von Sanierungen ins Treffen, deren mühelose Übertragbarkeit auf den aktuellen Fall mit großer Inbrunst behauptet wird. Im Moment läuft eine Debatte nach diesem Muster um das ORF-Zentrum am Küniglberg, im Westen Wiens unweit des Schlosses Schönbrunn gelegen und in den
Eine Festung auf dem Berg: Das richtige Symbol für ein zeitgemäßes Medienunternehmen? Jahren 1968 bis 1974 nach Plänen von RoFoto: ORF land Rainer errichtet. Mit Schönbrunn hat das Gebäude jedenfalls die Dimension gemeinsam. Auf einer bebauten Fläche, die jeim Fall einer Übersiedlung nach St. Marx ner des Schlosses annähernd gleichkommt, eine denkmalgeschützte und für andere umfasst das ORF-Zentrum 150 000 QuadZwecke kaum verwertbare Ruine auf dem ratmeter Nutzfläche. Die Anlage ist dringend Küniglberg zu erhalten bliebe, hat damit eine sanierungsbedürftig: Das Tragwerk erfüllt Sorge mehr. in keiner Weise die heutigen Normen, der Bei einer Diskussion, die das ArchitekturEnergieverbrauch ist mangels ausreichender zentrum Wien aus diesem Anlass veranstalDämmung zu hoch, und auch organisatorisch tete, hatten die Befürworter eines Verbleibs entspricht das Gebäude nicht mehr den aktu- des ORF am Küniglberg, verbunden mit eiellen Bedürfnissen. ner möglichst originalgetreuen Erhaltung, Im Zuge einer 1999 begonnenen Beentsprechend Rückenwind. Das ORF-Zenstandsaufnahme aller im öffentlichen Eigen- trum sei Denkmal einer einzigartigen Auftum stehenden Bauten Österreichs wurde bruchsstimmung der 1960er-Jahre und die Gesamtanlage im Februar 2007 ohne be- überhaupt gleichwertig mit dem Stephanssonderes öffentliches Aufsehen unter Schutz dom und Schloss Schönbrunn. Keiner der gestellt. Eine Überprüfung, Anfang dieTeilnehmer – unter anderem Gerd Bacher, ses Jahres auf Antrag der Gemeinde Wien Peter Huemer und Gustav Peichl – ließ sich durchgeführt, hat diese Entscheidung bestä- durch die Frage irritieren, ob ein Gebäude tigt. Der Einspruch des ORF, der lieber eine dieses Typs, als Industriebau konzipiert und neue, kleinere und effizientere Zentrale auf kostengünstig umgesetzt, nicht nach 35 Jahdem Areal des ehemaligen Schlachthofs in ren auch in Würde sterben und Neuem Platz St. Marx errichten möchte, wird wenig nütmachen dürfe. zen: Die neue Präsidentin des Denkmalamts, Es ist nämlich zu befürchten, dass sich Barbara Neubauer, lässt kaum Zweifel die Unter-Schutz-Stellung des ORF-Zentdaran, dass die Unterschutzstellung rums als Pyrrhussieg für das Denkmalamt 297 aufrecht bleiben wird. Der ORF, dem erweisen wird. Die Denkmalpflege hat –
nachzulesen in Alois Riegls grundlegendem Aufsatz über den „Modernen Denkmalkultus“ aus dem Jahr 1903 – historischen Wert und Alterswert zu berücksichtigen. Der historische Wert besteht nach Riegl darin, dass ein Objekt „die individuelle Stufe der Entwicklung irgendeines Schaffensgebietes der Menschheit“ manifestiert. Er verführt dazu, bei der Erhaltung genau diesen historischen Moment in den Vordergrund zu rücken und einen „Originalzustand“ anzustreben. Der Alterswert lässt das Denkmal dagegen mit allen Gebrauchsspuren als Erzähler seiner eigenen Geschichte gelten. Für Riegl symbolisiert das gealterte Objekt nicht zuletzt die Rückeroberung des vom Menschen Geschaffenen durch die Natur und damit die Vergänglichkeit alles Menschenwerks. Wer diese Werte ernst nimmt, muss in Kauf nehmen, dass ein als Denkmal saniertes ORF-Zentrum am Küniglberg aufwendiger zu betreiben, weniger praktisch und als Bauwerk der Jahre um 1970 weniger energieeffizient sein wird als heute üblich. Und er wird in Kauf nehmen müssen, dass es nicht nur die Aufbruchsstimmung der 1960erJahre repräsentieren wird, sondern auch die Spuren einer 40-jährigen Alterung und ihrer Reparatur, bis hin zu den statischen „Krücken“, die aufgrund geänderter Erdbebenvorschriften nötig werden. All das lässt sich im kleineren Maßstab und bei speziellen Nutzungen argumentieren und realisieren, aber kaum bei 150 000 Quadratmetern und einem unter massivem finanziellen Druck
stehenden Nutzer. Der Kompromiss ist absehbar: Eine neu-alte Lösung, die den Geist des Bestands der Erfüllung aktueller Standards opfert. Bei Roland Rainers BöhlerHaus am Schillerplatz, das vor einigen Jahren saniert wurde, kann man das Ergebnis besichtigen. Auf Distanz erinnert die Fassade noch an Rainers Original, im Detail sind alle Feinheiten verloren gegangen, die in dieser Form nur eine Zeit zustande bringen konnte, für die der Energieverbrauch eines Hauses kein Thema war. Dass Roland Rainer zu den bedeutendsten österreichischen Architekten des 20. Jahrhunderts gehört, steht außer Frage. Der Denkmalschutz für das ORF-Zentrum ist damit aber nicht zu begründen. Er selbst hat es nicht zu seinen wichtigsten Werken gezählt. Die vorgespannte Fertigteilkonstruktion ist mit dem jüngst sanierten Universitätsbau in Klagenfurt dokumentiert und im internationalen Vergleich mit zeitgenössischen Beispielen, etwa von Harry Seidler und Pier Luigi Nervi, wenig bemerkenswert. Was bleibt, ist ein Schlachtschiff am Berg, das an den historisch wichtigen Aufbruch der Ära Bacher erinnert. Diesen angemessen zu würdigen ist aber Aufgabe der Historiker und nicht des Denkmalamts. Dessen Ziel dürfte nur der Substanzerhalt sein. Am Küniglberg sollten aber alle Optionen offenbleiben: vom radikalen Umbau über die Wiederverwendung der Fertigteile – was durchaus den Ideen der 1970er-Jahre entsprechen würde – bis hin zum Abriss.
22. März 2009
Stadt fährt ab Die größte „innere“ Stadterweiterung Wiens: das Gelände des ehemaligen Nordbahnhofs. Über das langsame Wachsen eines neuen Stadtteils.
D
29, 141 → as Gelände des ehemaligen Nordbahn- Lassallestraße Richtung Reichshofs ist das größte „innere“ Stadterwei- brücke unterwegs ist, hat zwar ein terungsgebiet Wiens. Auf der mentalen relativ klares Bild von der urbanen Landkarte der Stadtbewohner blieb es jedoch Struktur, die sich rechter Hand ausbreitet: Da über die letzten Jahrzehnte ein weißer Fleck. liegen die Venediger Au und der WurstelpraWer, vom Zentrum kommend, über die ter, das Messegelände und irgendwo dahinter
das Praterstadion. Aber zur Linken? Am Beginn der Lassallestraße am Praterstern finden sich seit den 1980er-Jahren ein paar breit hingesetzte Bürohäuser, die mit großen Konzernen wie IBM und der Bank Austria assoziiert werden. Richtung Mexikoplatz schließen weitere Büroblöcke an, als deren einzige Besonderheit ein inzwischen pleitegegangenes Kinocenter zu nennen ist. Aber dahinter? Nur Eisenbahnfans und Anrainer hatten eine Vorstellung von diesem Areal, das sich hier mit seinen Gleisanlagen über zwei Kilometer weit in die Tiefe erstreckte. Geändert hat sich das ansatzweise zu Beginn der 1990er-Jahre, als in der Remise am Nordbahnhof zwei Jahre hintereinander das „Wiener Architekturseminar“ stattfand, geleitet von Boris Podrecca, zuerst gemeinsam mit Albert Wimmer, dann mit Heinz Tesar. Dass international renommierte Architektinnen und Architekten wie David Chipperfield, Betrix/Consolascio oder Juan Navarro Baldeweg von der Wiener Stadtverwaltung eingeladen wurden, sich außerhalb eines Wettbewerbs mit zukünftigen Stadtstrukturen zu befassen, war ein Novum und auch nur eine kurzfristige Begleiterscheinung der Ära des Planungsstadtrats Hannes Swoboda. Begonnen wurden die Workshops noch im Rahmen der Aufbruchsstimmung rund um die für 1995 geplante Wiener Expo. Als diese 1991 per Volksbefragung zu Fall gebracht worden war – ein erster großer „Erfolg“ des Wiener Rechtspopulismus – war auch die Dynamik hinter dem Projekt Nordbahn299 hof verschwunden.
Hier wachsen die Häuser schneller als die Bäume: Der noch schütter begrünte Bednar-Park im Zentrum, begrenzt von neuen Wohnbauten von PPAG, Claudia König und Werner Larch. Foto: C. Kühn
Immerhin entschied man sich 1992 in einem Wettbewerb noch für ein städtebauliches Konzept, das die Handschrift von Heinz Tesar und Boris Podrecca trägt. Es sieht einen Blockraster vor, der an den Bauten in der Lassallestraße Maß nimmt und im Zentrum Platz lässt für einen großen, annähernd quadratisch angelegten Park, eine Art Miniaturausgabe des New Yorker Central Park in der zukünftigen hoch verdichteten Struktur. Nach Süden hin wird das Areal durch einen Gewerbestreifen entlang der Schnellbahnlinie abgeschlossen, der diagonal Richtung Praterstern führt. Diese Diagonale hatte bereits Wilhelm Holzbauer im Zuschnitt des IBM angedeutet. Im anschließenden Bank-Austria-Gebäude, dem gelungensten Projekt Holzbauers in Wien, war diese Diagonale sogar als öffentlicher Durchgang durch den Innenhof geplant. Aus Sicherheitsgründen ist davon leider nicht mehr geblieben als ein diagonaler Blick durch ein Metallgitter. Einen ersten Schritt ins Areal hinein machte die Entwicklung erst wieder im Jahr 2000, als eine nördlich an der Vorgartenstraße gelegene Blockkante mit drei Wohnbauten nach Entwürfen von Coop Himmelb(l)au, Neumann/Steiner und Boris Podrecca bebaut wurde. Die Projekte behandeln die Frage der hohen Dichte auf sehr
unterschiedliche Art. Coop Himmelb(l)au wuchten einen Teil des Volumens nach oben, um dafür nach innen einen offeneren Hof gestalten zu können, während Neumann/ Steiner über einen kleinen Spiegelwald Licht von oben in die engen Höfe holen. Und Boris Podrecca kaschiert mit seiner oft bewährten, irgendwo zwischen Klassizismus und Modernismus angesiedelten Architektursprache geschickt, dass seine Blockrandbebauung eigentlich ein Hochhaus mit bis zu 15 Geschoßen ist. Derzeit steht dem Areal der nächste Entwicklungsschub bevor. Der große Park ist bepflanzt und hat einen Namen bekommen: Er verewigt als Rudolf-Bednar-Park das Andenken an einen Leopoldstädter Bezirksvorsteher der Jahre 1977 bis 1984. Rundum entstehen nun in rascher Folge Wohnbauten, ähnlich dicht und ähnlich heterogen wie die ersten Projekte an der Vorgartenstraße. Bereits fertiggestellt ist die Bike-City, entworfen von Claudia König und Werner Larch, eine speziell auf die Bedürfnisse von Radfahrern abgestimmte Wohnhausanlage. Die Anzahl der KFZ-Stellplätze ist reduziert, dafür gibt es auf den Geschoßebenen eigene Räume für Fahrräder, die nicht wie Abstell-, sondern mit ihren geschoßhohen Glaswänden eher wie Sozialräume wirken. Tatsächlich hoffen die Architekten und der Bauträger Gesiba, dass in diesen Räumen nicht nur Fahrräder gepflegt werden, sondern auch die Hausgemeinschaft. Die Wohnungen sind mehrheitlich als Maisonetten ausgeführt, von einem nördlich zur Vorgartenstraße liegenden Laubengang erschlossen, der sich vor den Wohnungen zu „Parkbuchten“ für die Drahtesel erweitert. Im Schnitt zeigt das Projekt eine sehr effiziente, schon von Le Corbusier bei seinen großen Wohnbauten, den Unités d’Habitation, verwendete Typologie, bei der ein Laubengang nur alle drei Geschoße benötigt wird. Im Unterschied zu den Unités mit ihren dunklen Gängen ist der Gang hier aber seitlich zur Straße hin geöffnet und belichtet. Auch sonst orientiert sich das Projekt an der Architektursprache der klassischen Moderne. Die Grundrisse sind gut geschnitten, die Loggien groß und gut nutzbar. Die Fassaden kombinieren die Farben Dunkelgrau und Weiß mit Lattenrosten aus Holz, wie sie heute en vogue sind. Einen völlig anderen Weg gehen 300 die Architekten des benachbarten,
gerade in Fertigstellung begriffenen Projekts, Anna Popelka und Georg Poduschka, die unter dem Namen PPAG firmieren. Mit den Spielregeln der klassischen Moderne hat ihr Wohnbau dezidiert nichts mehr zu tun. Kein erhabenes Spiel von platonischen „Körpern unter dem Licht“, wie Le Corbusier Architektur einmal definiert hat, sondern ein Bau, der – in den Worten der Architekten – nach „oben und unten abbröselt wie ein altes Keks“. Die große, durchgängig in einem sehr hellen Blau gestrichene Baumasse, die den Rudolf-Bednar-Park an der Nordseite in voller Länge begrenzt, ist aus einer Vielzahl von Raumzellen komponiert, die sich auch an der Fassade durch Vor- und Rücksprünge deutlich abzeichnen. Vorgehängte große Balkone mit rosa Glasbrüstungen prägen hier das Fassadenbild, während nach Norden zur Vorgartenstraße hin ein System von Terrassen entsteht, deren Geländer aus Drahtgewebe ausgeführt sind. Die Vor- und Rücksprünge sind kein reiner Formalismus, sondern das Produkt kombinatorischer Überlegungen, mit denen PPAG sich seit Jahren systematisch befasst. Auch ihre „Enzis“ im Museumsquartier lassen sich ja zu ganz unterschiedlichen Räumen zusammensetzen, von der Liegenlandschaft bis zur Eishöhle. Im Wohnbau am Bednar-Park ist diese Kombinatorik auch im Erschließungssystem zu spüren. Nur im ersten Stock führt ein Gang über die volle Länge des Gebäudes, darüber gibt es eine abschnittsweise Erschließung über Treppenhäuser und Stichgänge, die durch zweigeschoßige Lufträume und Sozialräume aufgelockert sind. Auch wenn alle Stichgänge eher schmal und nur stellenweise natürlich belichtet sind, sind sie doch voneinander unterscheidbar. An wichtigen Punkten finden sich tapetenartige Kunst-amBau-Projekte. Auch in diesem Wohnbau sind viele der Wohnungen Maisonetten, wobei die Typenvielfalt im Vergleich zur Bike-City deutlich größer ist. Ob dieser Wohnbau die Erwartungen einer jüngeren Generation erfüllt, die dezidiert anders wohnen will als ihre Eltern und bereit ist, dafür auch ein paar dunkle Winkel mehr als nötig in Kauf zu nehmen, wird man erst in ein paar Jahren wissen. Und ob hier wirklich Stadt entstanden ist, erst in Jahrzehnten, wenn diese Generation in Pension ist und im Rudolf-Bednar-Park die Tauben füttert.
6. Februar 2009
Schmaler geht’s nicht Was braucht man, um dem Leben und Wohnen auf dem Land eine neue Richtung zu geben? Politische Fantasie und mutige Bürgermeister. Wie etwa im burgenländischen Wulkaprodersdorf.
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Zentren stärken! Neue Haustypen mit Innenhof in der bestehenden Dorfstruktur. Fotos: Siegfried Loos
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ur Vorbereitung für die folgende Lektüre gehen Sie am besten an Ihren Computer, starten Google Earth, geben den Begriff „Wulkaprodersdorf “ ein und lassen sich langsam vom Weltkugelmaßstab ins Burgenländische zaubern, zu einer kleinen, zehn Autominuten von Eisenstadt entfernten Ortschaft mit 2000 Einwohnern. Vielleicht erklären Sie mir nach dieser Übung, dass der Effekt so neu auch
wieder nicht ist, immerhin gab es auch früher Atlanten, Lexika und Globen, mit denen man mit dem Finger auf der Landkarte reisen konnte. Der revolutionäre Unterschied besteht aber darin, dass auf einem Globus Orte wie Wulkaprodersdorf niemals zu finden sein werden und umgekehrt auf einer Karte, die Wulkaprodersdorf zeigt, vom Rest der Welt nicht mehr viel zu spüren ist. In Programmen wie Google Earth sind das
Große und das Kleine aber fugenlos mitein ander verbunden, Distanzen schrumpfen, und Zusatzinformationen in Form von Wikipedia-Einträgen, Fotos und Annotationen von Benutzern lassen die Welt als kugelförmiges Buch erscheinen, in dem alles mit allem verknüpft ist. Man könnte vermuten, dass dieser veränderte Blick auf die Welt auch zu neuen Vorstellungen vom Leben und Wohnen im ländlichen Raum führen sollte. Die ersten Anzeichen dafür sind noch spärlich, aber immer öfter finden sich Projekte, die auf dem Land das bisherige Idealbild des Eigenheims, das freistehende Haus mit seiner kleinen Gartenparzelle, hinter sich lassen. Dieses Ideal hat, flächendeckend umgesetzt, den gravierenden Nachteil einer totalen Abhängigkeit vom Individualverkehr. Dass Landleben heute nicht zuletzt Pendeln bedeutet, ist zwar klar: Wer in Wulkaprodersdorf lebt, lebt zugleich in Eisenstadt, Sopron und Wien, das nur eine knappe dreiviertel Stunde entfernt liegt, und er pendelt nicht nur zur Arbeitsstätte, sondern auch zu vielen kulturellen und sozialen Bezugspunkten. Aber wenn auch für die alltäglichen Besorgungen und Kontakte ein Auto Voraussetzung ist, führt sich das Ideal des naturverbundenen Lebens auf dem Land rasch 302 selbst ad absurdum.
Zugleich führt die Ausbreitung von Siedlungen am Ortsrand zu einer zunehmenden Verödung der Ortskerne, da sich mit den Bewohnern auch die Infrastruktur verlagert. Diese Entwicklung ist längst bekannt, und es fehlt auch nicht an guten Ratschlägen von Architekten und Raumplanern für eine Revitalisierung der Ortskerne. Um solche Konzepte umzusetzen, braucht es allerdings politische Fantasie und Mut auf der Ebene der Bürgermeister. Immerhin geht es um nichts Geringeres, als den Vorstellungen vom idealen Landleben eine neue Richtung zu geben. Wulkaprodersdorf hat mit Rudolf Haller einen Bürgermeister, der die nötige Phantasie dafür aufbringt. Seit einigen Jahren kauft die Gemeinde Grundstücke im Zentrum des Orts und versucht dort, neue Wohntypologien zu realisieren. Das ist in Wulkaprodersdorf nicht so einfach, da der Ort zum großen Teil aus alten, sogenannten Streckhöfen mit Parzellen von rund zehn mal 100 Metern besteht. Diese Bebauungsform hat Architekten schon lange fasziniert, nicht zuletzt Roland Rainer, der sie zum Thema seines Buchs über „Anonymes Bauen im Nordburgenland“ gemacht hat. Nach Wulkaprodersdorf kam der Vorschlag, solche Parzellen neuen Nutzungen zuzuführen, durch den Eisenstädter Architekten Klaus-Jürgen Bauer, der als Vorsitzender des Architekturraums Burgenland Bürgermeister anschrieb, ob sie nicht Interesse daran hätten, Ortskerne auf diese Art zu revitalisieren. Wulkaprodersdorf reagierte als eine von wenigen Gemeinden und veranstaltete einen Ideenwettbewerb mit vier
Architektenteams für eine verfügbare Parzelle im Ortskern. Bemerkenswert an diesem Verfahren ist, dass der Gemeinderat als Jury fungierte. Das entspricht zwar nicht den Konventionen von Architekturwettbewerben, bei denen ja stets eine Fachjury entscheiden sollte, hatte aber den großen Vorteil einer sehr offen geführten Diskussion, an der sich viele Bürger bei mehreren Stufen des Wettbewerbs beteiligen konnten. Zur Ausführung gelangte schließlich das Projekt der Architekten Margot Fürtsch und Siegfried Loos, die gemeinsam unter dem Namen polar÷ firmieren. Es sieht fünf Häuser vor, die in zwei Gruppen jeweils eine Grundfläche von nur 120 Quadratmetern beanspruchen und einen kleinen, nicht einsehbaren Innenhof einschließen. Jedes Haus ist direkt mit dem PKW zu erreichen und verfügt über zwei überdachte Stellplätze. Typologisch bieten die Häuser klar geschnittene Grundrisse in mehreren Varianten, mit einem besonderen Augenmerk auf Freiflächen, die als Hof, Terrasse oder Balkon fast jedem Raum seinen eigenen Außenbereich zuordnen. Die Belichtung des Wohn- und Essraums, der sich zum Hof hin orientiert, ist durch einen Bereich mit größerer Raumhöhe, der über hohe Fenster viel Licht hereinbringt, geschickt gelöst. Die Hoftypen erlauben es auch, den Weg vor den Häusern als öffentlichen Durchgang zu definieren, und ermöglichen so eine zusätzliche Verknüpfung zwischen den Hauptstraßen des Orts. Im Detail ist manches an den Häusern etwas grob umgesetzt, etwa die Geländer der Treppen und einige Elemente der Fassade wie etwa die Jalousiekästen. Die ausführende Genossenschaft „Neue Eisenstädter“ hat im Endausbau der Häuser auf Standards zurückgegriffen, die mit der von den Architekten angestrebten urbanen Wohnatmosphäre nichts mehr zu tun haben. In der Summe sind die Häuser aber auch formal durchaus gelungen, und manche Details lassen sich nachträglich ohne viel Aufwand ändern. Dass bisher erst eines der Häuser verkauft ist, dürfte daher nur zum Teil daran liegen, dass der Bauherr im Finale die eigentliche Zielgruppe aus den Augen verloren hat. Wichtiger sind ökonomische Gründe, da die Häuser nicht weniger kosten als ein konventionelles, teilweise selbst ausgebautes Einfamilienhaus mit deutlich 303 mehr Eigengrund.
Diesen Nachteil hätte ein innovatives Energiekonzept ausgleichen können, dessen noch höhere Kosten aber niemand riskieren wollte: Eine Gasheizung, ergänzt durch Solarpaneele am Dach, ist heute bestenfalls guter Durchschnitt. Käufer werden die Häuser trotzdem finden. Die Zukunft des „ländlichen Bauens“ gehört aber der Verbindung von innovativen Typologien, raffinierter Vorfertigung und Passivhausstandard. Die Fantasie dafür ist in Wulkaprodersdorf jedenfalls vorhanden.
2008
Architektur im Pelz 15. November 2008
Wenn Computer und Roboter sich verbünden, um Architektur zu schaffen: Neue Entwurfs- und Produktionsverfahren machen das Ornament wieder zum Thema.
P
ünktlich zum 100. Jubiläum von Adolf Loos vor 100 Jahren angestoßen hat, Adolf Loos’ Text „Ornament und wieder aufgenommen. Denn Loos hatte in Verbrechen“ scheint das Ornaseiner Kritik das Ornament nicht als falment endgültig ins Zentrum der sche Form kritisiert, sondern als nicht mehr Architekturdiskussion zurückzuzeitgemäße Art der Produktion. Ein handkehren. Abgezeichnet hat sich dieser Trend werklich hergestellter Schuh könne ruhig schon seit einigen Jahren. Er zeigte sich ornamentiert sein, solange das Herstellen primär darin, dass Architekten sich wieder dieses Ornaments dem Schuster Freude bei explizit dazu bekannten, die Oberflächen in der Arbeit bereite. Sobald das Ornament und an ihren Gebäuden zu verzieren. Das aber aus der Maschine käme, hätte es jede war in der Sache nicht neu, denn trotz des Berechtigung verloren. Es sei nur nostalgioffiziellen Verzierungsverbots der Moderne scher Überschuss und daher unökonomisch. ist die Architekturgeschichte des 20. JahrDen Gedanken, dass die Form von Prohunderts voll mit Ornamenten, deren Schöp- dukten ihrem Herstellungsprozess entsprefer diese Bezeichnung aber meist vermiechen müsse, übernahm Loos von Gottfried den. Ornament als rhythmisch-abstrakte Semper, der die Architektur auf einige UrVerhüllung war auch in den 1950er- und formen der Herstellung zurückzuführen ver60er-Jahren zulässig, da es sich auf die zeitsucht hatte: das Legen des Fundaments aus genössischen Tendenzen in der abstrakten Steinen, das Behauen von Balken und PfosKunst stützen konnte. Mit der Pop-Art wurde ten, das Formen von Keramik und schließlich das klassische Ornament wieder salondas Weben von Textilien. Als zentral für die fähig, solange es eindeutig als ironisches architektonische Gestaltung sah Semper das Zitat zu erkennen blieb. Und seit den frühen Weben an: Die Wand habe ihren Ursprung 1990er-Jahren gehört die verzierte Obernicht im Mauerwerk, sondern in der gewebfläche – vom bedruckten Glas und Beton bis ten Decke, die über ein Gerüst gezogen wird. zum Metallguss – überhaupt wieder zum Für das Ornament spielt diese „BekleidungsRepertoire der Architektur, auf die man bei theorie“ naturgemäß eine besondere Rolle, Bedarf zurückgreifen kann, ohne dafür eine da jedes Gewebe ein natürliches Ornament besondere Rechtfertigung zu benötigen. Die bildet. Im Bau konnte auf dieses Gewebe nur Oberfläche wächst dabei über ihre Rolle, Teil noch allegorisch verwiesen werden, und so eines plastischen Gefüges zu sein, hinaus ist etwa die Postsparkasse von Otto Wagner und führt zusätzlich ein Eigenleben als Trä- – in expliziter Anspielung an Semper – in ein ger visueller Reize, die vom übrigen Bauwerk dünnes Kleid aus Natursteinplatten gehüllt. unabhängig sind. Wenn heute von einem „neuen OrnaNeu an der aktuellen Diskussion über das ment“ die Rede ist, wie das der deutsche Ornament ist, dass es nicht mehr Architekturtheoretiker Jörg Gleiter in der allein als formale Frage betrachtet jüngsten Ausgabe der Zeitschrift „ARCH+“ 305 wird. Damit wird die Debatte, die getan hat, bezieht sich dieser Begriff
wieder auf die Frage der Produktion. Anlass, über das Ornament neu nachzudenken, sei die Möglichkeit, die Trennung zwischen Entwurf und Ausführung durch die Kombination neuer, computergestützter Entwurfs- und Produktionsverfahren zu überwinden. Über den Einsatz von Robotern auf der Baustelle hat die Industrie zwar schon vor 20 Jahren nachgedacht. Durch die Verbindung zwischen digital gestütztem Entwurf und digital gestützter Produktion beschränkt sich die Industrialisierung des Bauens aber nicht länger auf die Montage möglichst gleicher Teile. Heute sind die Möglichkeiten, architektonische Entwürfe am Computer nicht mehr zu zeichnen, sondern parametrisch oder algorithmisch zu entwickeln, weit fortgeschritten. Parametrisch bedeutet in diesem Kontext: Der Entwurf wird geometrisch so beschrieben, dass seine Form durch die Änderung weniger Parameter geändert werden kann. Die Elemente einer Serie können sich so 306 deutlich voneinander unterscheiden.
Gezüchtetes Ornament: Projekt für ein Gletschermuseum in Evolène von R&Sie(n). Foto: R&Sie(n)
Algorithmisches Entwerfen verlagert die Entwurfsaufgabe überhaupt von der Geometriebeschreibung hin zur Definition von Programmen, mit denen Entwürfe mehr „gezüchtet“ als gezeichnet werden. Damit ist auch ein Aspekt angesprochen, der für das Ornament immer schon Bedeutung hatte, nämlich die Beziehung zwischen Architektur und Natur. Im Unterschied zum gerahmten Bild hat das Ornament die Tendenz, sich auszubreiten. Es trägt gewissermaßen einen Code in sich, der sein Wachstum regelt. Das Ornament ist insofern bedrohlich, als es wuchern könnte, bis vom „Eigentlichen“ nichts mehr zu sehen ist. Die Loos’sche Behauptung in „Ornament und Verbrechen“, dass „heute nur noch Verbrecher und Degenerierte“ ihren Körper tätowieren, also mit Ornamenten verzieren würden, weist auch auf die Angst hin, dass sich im Ornament etwas Verdrängtes Bahn
brechen könnte. Der Erfolg des Hundertwasserhauses bestätigt diese Ahnung: Die voll ornamentierte Fassade, noch dazu mit Grün überwuchert, verspricht dem Unbehagen in der Kultur Erleichterung. Wo das Hundertwasserhaus eine sentimentale Verklärung von Natur als heiler Welt inszeniert, erlauben die neuen Entwurfsund Produktionsmethoden jedoch eine radikal unsentimentale Haltung. Exemplarisch dafür sind die Projekte der französischen Architekten François Roche – derzeit Gastprofessor an der Universität für angewandte Kunst in Wien – und Stéphanie Lavaux, die gemeinsam unter dem Namen R&Sie(n) firmieren. Aufmerksamkeit erhielten Sie 2003 mit einem Museumsprojekt für Bangkok, dessen Außenhülle aus einem elektrisch geladenen Edelstahlnetz bestehen sollte, in dem der Staub der Atmosphäre sich gefangen und das Museum in einen künstlichen
Pelz gehüllt hätte. Das Projekt, das sich in der Ausführungsplanung befand, wurde nach dem Militärputsch 2006 gestoppt. Ihr aktuellstes Projekt, ein Gletschermuseum für Evolène im Schweizer Wallis, nimmt den äußeren Umriss der traditionellen Blockhäuser auf, füllt ihn aber mit einer robotergefrästen hölzernen Großform. Außen wachsen aus ihr Stacheln, zwischen denen Drähte gespannt sind. Im Winter sammelt sich hier der Schnee und füllt die traditionelle Form wieder auf. Künstliche Beschneiung soll den Effekt verstärken, Abschmelzen und Vereisen die Oberfläche variieren. Ob die Rede von einem „neuen Ornament“, wie es sich hier zeigt, relevant bleibt, ist offen. Dass die neuen Entwurfs- und Produktionsmethoden massiven Einfluss auf die Architektur nehmen werden – von ihrer Geometrie bis zu ihrer kulturellen Bedeutung – steht aber außer Frage.
4. Oktober 2008
Wenn Stümper Städte bauen Ein neuer Stadtteil. Ein Architekturwettbewerb dafür. Ein eindeutiger Sieger. Aber bauen wird ein anderer. Schwaz in Tirol: Ein Skandal nimmt seinen Lauf.
I
n alten Bergbaustädten lebt oft ein besonderer, leicht melancholischer Genius Loci, eine Erinnerung an große Zeiten, die diese Städte schon lange hinter sich haben. Schwaz in Tirol ist so ein Ort: in den Zeiten des Silberbergbaus im 15. Und 16. Jahrhundert größte Bergbaumetropole Europas mit 20 000 Einwohnern und – nach Wien – zweitgrößte Stadt im Reich der Habsburger. Heute hat Schwaz 13 000 Einwohner, und seine Gegenwart ist von Strukturproblemen geprägt, mit denen viele österreichische Kleinstädte zu kämpfen haben. Eines dieser Probleme ist die Verödung der alten Zentren durch neue Angebote an der Peripherie, wo die Parkplätze billiger, die Shops bunter und 307 die Kinos größer sind.
In Tirol gibt es seit 2005 ein Raumordnungsgesetz, das diese Entwicklung eindämmen soll. Neue Shopping-Malls auf der „grünen Wiese“ sind seither kaum mehr möglich, womit Einkaufszentren in den Kernzonen wieder zum Thema werden. Schwaz hat dafür am Rand des historischen Stadtzentrums eine große Fläche anzubieten, das ehemalige Areal der Austria Tabakwerke, ein das Ufer des Inns begleitendes Grundstück von 15 000 Quadratmetern. Als der Verkauf dieses Areals anstand, begann die Stadtverwaltung Visionen für dessen zukünftige Nutzung zu entwickeln. Das Ergebnis war zwar etwas vage, aber in der Grundtendenz eindeutig: Hier sollte ein multifunktionaler, lebendiger Stadtteil
entstehen, 35 000 Quadratmeter Nutzfläche, die sich zur Hälfte auf Geschäfte, zur anderen Hälfte auf Wohnungen, ein Hotel, Büros und einen Stadtsaal für die Gemeinde aufteilen sollten. Höchste architektonische Qualität sollte durch einen Wettbewerb gesichert werden, an dessen Kosten sich die Gemeinde zu 50 Prozent zu beteiligen versprach. Dass schließlich kein internationaler Investor, sondern ein angesehener ortsansässiger Unternehmer, Günther Berghofer, das Areal erwarb, erschien der Gemeinde als positive Entwicklung. Der neue Eigentümer verpflichtete sich, den Architekturwettbewerb durchzuführen. Unter den sechs geladenen Büros befanden sich Rüdiger Lainer, Delugan-Meissl und Henke Schreieck, in der Verschenkte Chance: Projekt von Henke und Schreieck für ein neues Zentrum in Schwaz. Jury wirkten Hans Gangoly als Vorsitzender Foto: Henke Schreieck und Much Untertrifaller mit. Die Ausschreibung enthielt allerdings im Detail ein paar wenig erfreuliche Passagen: So fehlte jede Mehrgeschoßige Baukörper sitzen auf dieVerpflichtung des Auslobers, einen Sieger sem kompakten Sockel und bilden eine sitatsächlich zu beauftragen, und die Urheber- gnifikante Stadtkante zum Fluss, die aber rechte waren nur in Bezug auf den Entwurf durch Material und Proportion der Baukörals Ganzes geschützt, während einzelne per in sich differenziert ist. Selbst in den nur Teile vom Auslober ohne weitere Abgeltung ansatzweise im Detail entwickelten Schauverwendet werden durften. Unter diesen Be- bildern zeigen Henke und Schreieck, dass dingungen überhaupt am Wettbewerb teilsie imstande wären, hier tatsächlich die arzunehmen, setzt bei den Architekten hohes chitektonischen Maßstäbe zu erreichen, die Vertrauen in die Seriosität des Auslobers vo- sich die Gemeinde in ihren Visionen gesetzt raus. Gefordert war nämlich nicht nur ein hatte. städtebaulicher Rahmenplan, sondern eine Die Freude währte nur kurz. Im Herbst weitgehende Ausarbeitung der einzelnen 2007 kam es zu einem Konflikt mit der GeNutzungen auch im Grundriss. Die einzig si- meinde. Der Projektbetreiber warf dem chere Gegenleistung dafür bestand in 7000 Schwazer Bürgermeister, Hans Lintner, vor, Euro Aufwandsentschädigung pro Teilnehdurch Widmungen an anderen Standorten mer – ein üblicher Betrag, wenn einem von seine Kalkulationen über den Haufen zu ihnen am Ende der Auftrag zufällt; mit einer werfen. Anlass war die Widmung für ein anunverbindlichen Absichtserklärung wie in deres Hotel gerade zu der Zeit, als er selbst diesem Fall bewegt sich der Auslober aber Verhandlungen mit einem Hotelbetreiber hart an der Grenze zur Sittenwidrigkeit. führte. Marta Schreieck wurde zu einer öfAn den „worst case“ wollte aber vorerst fentlichen Diskussion nach Schwaz gelaniemand denken. Im Gegenteil. Der Wettden, in der sie die Verantwortung der Stadt bewerb endete im Frühjahr 2007 mit einem nachdrücklich einforderte und sich damit ersten und zwei dritten Preisen. Das Projekt beim Bürgermeister nicht unbedingt beliebt von Marta Schreieck und Dieter Henke hatte machte. die Jury sogar derart überzeugt, dass man Beauftragt waren die Architekten zu dieauf die geplante Überarbeitungsphase versem Zeitpunkt noch immer nicht. Zwar fanzichtete. Städtebaulich haben die Architekden Planungsgespräche über Teilbereiche ten tatsächlich so etwas wie eine „Ideallinie“ der Geschäftszonen statt, die von den Archigefunden, indem sie die Bewegungsenergien tekten geforderte generelle Präzisierung des aus dem Ortskern Richtung Inn weiterlenRaumprogramms gab es aber ebenso wenig ken, geschickt auf eine Stadtterrasse wie einen Architektenvertrag. Dieser Schwehinauf- und in eine glasüberdachte bezustand zog sich ein knappes Jahr hin, bis 308 Straße mit Geschäften hineinführen. die Architekten schließlich vor einem Monat
aus der Lokalzeitung erfuhren, dass nicht sie, sondern ein anderer Architekt, ein Wiener Spezialist für Shopping-Centers – dessen Homepage der Slogan „Gelungene Architektur ist objektiv messbar“ ziert – den Auftrag erhalten habe. Auf Nachfrage erklärt der Vertreter des Bauherrn treuherzig, man habe eben kein Vertrauen zu Henke und Schreieck entwickelt. Der Bürgermeister bestätigt, die Anfrage des Bauherrn, ob die Gemeinde ein Problem damit hätte, wenn andere Architekten zum Zug kämen, mit der Aussage beantwortet zu haben, das sei kein Problem, solange die Qualität erhalten bleibe – ohne jede Rückfrage bei Henke und Schreieck und ohne den geringsten Versuch einer Moderation.
Immerhin wäre es darum gegangen, eines der besten österreichischen Architektenteams doch noch für Schwaz zu gewinnen. Der einzige „Fehler“ von Henke und Schreieck dürfte gewesen sein, auf einem angemessenen Honorar zu bestehen und das Prinzip des „Wer zahlt, schafft an“ nicht bedingungslos anzuerkennen. Und so soll in ein paar Wochen ein neues Projekt vorgestellt werden. Vielleicht gelingt es ja tatsächlich, die Qualität zu halten. Viel wahrscheinlicher ist, dass Schwaz um seine Vision betrogen wurde und mit 250 → einer konventionellen Shopping-Mall mit angeschlossenem Stadtsaal abgespeist wird. In alten Bergbaustädten geht es am Ende eben doch nur ums Silber.
31. August 2008
Architektur macht glücklich Vorwahlzeit: Was jetzt kein Thema ist, wird es nimmermehr. Von Architektur hat man im populistischen Rauschen bisher freilich wenig gehört. Dabei braucht sie mehr als je zuvor eine Politik, die ihr günstige Rahmenbedingungen schafft.
A
ls die Europäische Zentralbank Eine mögliche Antwort auf diese Entwickkürzlich bekannt gab, dass sich lung ist, auf Innovation so weit wie möglich für die Errichtung ihres neuen zu verzichten und sich auf das Variieren beHauptsitzes in Frankfurt kein währter Lösungen zu beschränken. Auf mittGeneralunternehmer gefunlere Sicht betrachtet, führt dieser Weg aber den hätte, der das von Coop Himmelb(l)au zum Tod jeder Baukultur. Deren Entwickentworfene Gebäude zu akzeptablen Koslung lebt vom kreativen Ineinandergreifen ten zu errichten bereit sei, war die Übervon technischen und formalen Innovatioraschung unter den Fachleuten gering. Die nen. Heute bestätigt sich dieses Prinzip etwa Entwicklung der Baukosten, insbesondere im Beispiel des amerikanischen Architekder Stahlpreise, wirft derzeit weltweit die ten Frank O. Gehry, dem oft genug der VorKalkulationen über den Haufen, und nicht wurf des praxisfernen Formalismus gemacht nur extravagante Projekte sind davon betrof- wurde. Die Erfahrungen, die sein Büro bei fen. Die Anforderungen, die an die Planer der technischen Umsetzung von Gehrys forin Bezug auf Kosten- und Energiefragen malen Visionen gemacht hat, sind in ein gestellt werden, steigen verständlicherweise Spin-Off-Unternehmen mit dem Namen von Jahr zu Jahr, während gleichzeitig „Gehry Technologies“ geflossen, das inzwidie Honorare für Planungsleistungen schen mehr Mitarbeiter zählt als das Stamm309 in Frage gestellt werden. büro und auch für anspruchsvolle Projekte
anderer Architekten tätig ist, etwa für die Geometriedefinition und die Konstruktion des Olympiastadions in Beijing. Der konsequente Einsatz prozessübergreifender IT-Werkzeuge – von dem in der Architektur bisher viel gesprochen, aber wenig umgesetzt wurde – ist ein unverzichtbares Mittel, dem aktuellen Kostendruck zu begegnen. Trotzdem wird Bauen in absehbarer Zukunft aufwendig bleiben, zumindest wenn man auf ein hohes Niveau in ökologischer, formaler und technischer Hinsicht nicht verzichten will. In Österreich spielt die öffentliche Hand bei der Bemessung dieses Niveaus nach wie vor eine wichtige Rolle, hat doch der Staat trotz aller Ausgliederungen seine Bauherrenrolle genauso wenig aufgegeben wie die Ambition, durch Förderungen, insbesondere im Wohnbau, steuernd einzugreifen. Ein breites Spektrum wichtiger Bauaufgaben – von der Schule über das Krankenhaus bis zu Museen und öffentlichen Verwaltungsbauten – werden nach wie vor zum überwiegenden Teil aus Steuergeldern bezahlt, ganz gleich wie das jeweilige Finanzierungsmodell kon struiert ist. Eine koordinierte Architekturpolitik, wie sie die meisten europäischen Länder formuliert haben, würde der öffentlichen Hand helfen, ihre Verantwortung dabei besser wahrzunehmen. Zu den ersten Schritten, die die auslaufende Bundesregierung in diese Richtung gemacht hat, gehörten die Vorstellung des Österreichischen Baukulturreports im Juli 2007 und dessen parlamentarische Behandlung im folgenden Herbst. Beauftragt wurde der Report, der unter www.baukulturreport. at zugänglich ist, noch von der Vorgängerregierung, allerdings auf der Basis einstimmiger Beschlüsse aller Parlamentsparteien. In der Regierungserklärung der aktuellen großen Koalition war schon im Jänner 2007 zu lesen gewesen, dass die Bundesregierung „ausgehend von diesem Report Maßnahmen zur Verankerung qualitativer Baukultur in allen Bereichen des öffentlichen Lebens setzen und die Vermittlungstätigkeit für Baukultur und zeitgenössische Architektur forcieren“ werde. An anderen Stellen der damaligen Erklärung finden sich Hinweise auf „Vielfalt im Wohnbau“, „umweltschonendes Wohnen“, „thermische Sanierung aller Nachkriegsbauten bis 2020“, „barrierefreies Bauen“ und die „Optimierung der Raumplanungspolitik zwischen Ge310 meinden, Land und Bund“.
Nach einer knapp zur Hälfte abgeleisteten Legislaturperiode ist die Frage, was aus diesen Ankündigungen geworden ist, erlaubt. Ein Herzensanliegen scheint das Thema für die derzeitige Regierung jedenfalls nicht gewesen zu sein. Als politisch signifikantes Thema ist einzig der ökologische Aspekt des Bauens wahrnehmbar, mit dem die Ministerien der Minister Josef Pröll und Werner Faymann zu punkten versuchten, wobei Faymann im Wesentlichen die seit 1999 bestehenden Programmschienen weiterführte, die vor allem Forschungsprojekte unterstützen. Generell hat sich die Forschungsförderung den spezifischen Bedingungen der Architektur in letzter Zeit etwas geöffnet, auch wenn das Volumen noch lange nicht internationales Niveau erreicht hat. Im Bereich des Kulturministeriums hat Claudia Schmied die Vermittlungsaktivitäten, die in Baukulturreport und Regierungsprogramm gefordert wurden, im Rahmen der bisherigen Aktivitäten weitergeführt und um ein Jahrbuch ergänzt, das die Preisträger der renommiertesten österreichischen Architekturpreise international bekannt machen soll. Aufhorchen ließ im Frühjahr die Meldung über ein geplantes Architekturmuseum im Wiener Semperdepot, in dem die Bestände des Architekturzentrums mit der architektonischen Moderne-Sammlung der Albertina zusammengeführt werden sollten. Dem Vernehmen nach sind die Planungen inzwischen fortgeschritten, ein offizielles Projekt hat die Öffentlichkeit von der Ministerin aber noch nicht präsentiert bekommen. Zumindest als Entwurf existiert dagegen die Verordnung für die Einrichtung eines Baukulturbeirats, die derzeit zur Begutachtung aufliegt. Der Beirat wird im Bundeskanzleramt angesiedelt und soll 24 Mitglieder umfassen, teilweise Vertreter verschiedener Ebenen der öffentlichen Verwaltung, teilweise externe Experten. Als Forum für die Diskussion der Querschnittsmaterie Architektur über Ministerial- und Fachgrenzen hinweg wird ein solcher Beirat sicher helfen. Konkrete Ergebnisse kann er aber nur dann liefern, wenn er ausreichend dotiert ist und es auf Regierungsebene das nötige, möglichst nachdrückliche Interesse an der Sache Baukultur gibt. Dieses Interesse darf ruhig – ganz populistisch formuliert – auf dem Gedanken aufbauen, dass gute Architektur glücklich
macht: Glückliche Familien in leistbaren und Schwungmasse ihrer politischen Karriere schönen Wohnungen, deren Kinder einen si- machen können. Architekturpolitik muss cheren Schulweg haben, sind kein geringes aber dort beginnen, wo es den Populisten Ziel. Dass gute Architektur bei jedem Projekt langweilig wird: bei der mühsamen Definiauszuloten versucht, was gerade unter Glück tion von Spielregeln für die Bindung öffentliund Schönheit zu verstehen ist, macht aus cher Gelder an qualitätssichernde Prozesse, diesem populistischen Ziel am Ende doch bei der Verwaltungsreform, bei der spröden wieder ein kulturelles. Materie einer zeitgemäßen Raumordnung, Ob die radikalen Populisten unter den Po- bei der Stärkung der Bauherrenkompetenz litikern bereit sind, der Architektur so viel der öffentlichen Hand, beim allgemeinen Freiraum zu lassen, ist fraglich. Sie profitieAufbau von Qualitätsbewusstsein. Um auch ren ja von möglichst simplen und plakativen hier lohnende politische Ziele zu entdecken, Glücks- und Schönheitsvorstellungen, demuss man nur ein wenig den Kopf über den ren zur Schau gestellte Befriedigung sie zur Tellerrand des Populismus heben. 19. Juli 2008
Wo ist hier das Haus? Sechs Freibereiche, jeder mit eigenem Charakter – und das auf 600 Quadratmetern Grund. Der Beweis, dass ein Haus mehr sein kann als eine geschlossene Box: erbracht in Wien-Penzing, von Erich Hubmann und Andreas Vass.
D
er Wolfersberg in Wien-Penzing ist ein kleiner Hügel im Westen von Wien, der in den 1920er-Jahren zur Bebauung mit Einfamilienhäusern freigegeben wurde. Die Parzellen sind den wirtschaftlichen Umständen der Zeit entsprechend klein, die Straßen schmal und gewunden wie kaum sonst wo in Wien, ein Labyrinth, das mit seinen nach Planeten benannten Straßennamen selbst erfahrene Taxifahrer zur Verzweiflung bringt. Trotzdem befindet sich hier einer der begehrtesten Wohnorte der Stadt mit Blick auf den Wienerwald. Das Haus, das die Architekten Erich Hubmann und Andreas Vass hier errichtet haben, liegt auf einer nur 600 Quadratmeter großen Parzelle eines nach Westen geneigten Hangs. Parzellen dieser Größe sind heute nichts Ungewöhnliches. Mit einem konventionellen Haus bebaut, bleibt auf einem solchen Grundstück an Freiflächen nur ein umlaufender Grünstreifen übrig. Geschützte und gut nutzbare Außenräume wird man so aber nur schwer erzielen. 311 Von seinen beiden Nachbarn hebt sich
der Entwurf von Hubmann und Vass in dieser Hinsicht deutlich ab. Das Haus lebt von gut gegliederten Freiräumen, die über großflächige Verglasungen mit seinem Innenleben in Verbindung stehen. Am besten wird das Konzept im Grundriss erkennbar. Im Zentrum befindet sich ein kleiner, geschützter Hof, der an drei Seiten von Wohnräumen umschlossen ist: Zur Straße im Osten hin liegt das Wohnzimmer, nach Norden die von oben belichtete Küche und nach Westen ein Spielflur, mit dem die beiden Kinderzimmer über Schiebetüren verbunden sind. Der Hof ist nach Süden zum Nachbargrundstück hin offen, eine Bepflanzung verhindert unerwünschte Einblicke. Vor dem Wohnraum liegt nach Osten eine weitere annähernd quadratische Hoffläche, die durch einen Holzzaun von der Straße abgeschirmt wird. Auch hier gibt es große, bis zum Boden reichende Fenster, und wenn die Schiebetüren der Kinderzimmer geöffnet sind, bietet sich ein Blick quer durchs ganze Haus. Im Untergeschoß liegen Wohn- und Schlafräume der Eltern sowie Nebenräume, die in den Hang eingegraben sind. Vom Schlafraum der Eltern aus geht es direkt auf
Licht aus allen Richtungen: Ein offenes Haus, in dem man sich geborgen fühlt.
und die Architekten scheuen sich nicht, ihre Referenzen anzugeben. Da ist einerseits Roland Rainer, von dem sie die Schlichtheit des Baukörpers und die Nutzung von die mittlere der drei Terrassen, mit denen Abbruchziegeln übernommen haben. Bei die Architekten auf die Neigung des GrundRudolph M. Schindler finden sich ähnlich stücks reagieren. Auf der untersten Terrasse komplexe und ein wenig verspielte Überliegen ein Schwimmbecken und eine kleine gänge und Durchblicke. Und ob es nun Mies Holzhütte, die zum Bestand gehört. Zählt van der Rohe oder Frank Lloyd Wright war, man die Terrasse mit dem Schwimmbecken der als Erster mit dem Aufbrechen der Ecke als eigenen Bereich, bietet das Haus sechs Freibereiche mit jeweils eigenem Charakter, eine Revolution in der Grundrisstypologie ausgelöst hat, ist nur für Historiker interesvom Innenhof über die Gartenterrasse bis sant: Das Repertoire ist vorhanden, und es zum schmalen und kühlen Hof an der Nordermöglicht fast unendlich vielfältige Varianseite und dem Vorgarten an der Straße. ten jenseits des Schachtelraums. Passanten stellt sich dort möglicherweise Es geht hier nicht nur um eine Gedie Frage, wo denn auf diesem Grundstück überhaupt das Haus ist. Die beiden Nachbarn schmacksfrage, sondern auch um das Polassen sich begrifflich gut einordnen: ein gie- tenzial, das eine Formensprache für eine belständiges Blockhaus zur Linken, ein trauf- bestimmte Aufgabe bietet. Für die in Österreich tausendfach vorkommende Situation ständiger Vollwärmeschutzbau zur Rechten. der knappen Parzelle ist das Hofhaus mit In der Mitte gibt es aber weder Traufe noch gut geschnittenen Freiräumen eindeutig die Giebel, nur einen Rauchfang, der zumindest häusliche Wärme markiert, und ein Spiel ho- überlegene Lösung. Dass sie nicht öfter gewählt wird, ist unverständlich. Vielleicht rizontaler und vertikaler Flächen, die in unterschiedlichen Materialien ausgeführt sind: liegt das am trägen System der Bauindustrie, das die nötigen Systemkomponenten Sichtbeton, Glas, unverputztes Mauerwerk für eine massenweise Verbreitung des Typs und eine Holzverschalung, die im Lauf der nicht zur Verfügung stellt. Denn obwohl das Zeit einen grauen Farbton annehmen wird. Haus am Wolfersberg wie ein IndustrieproGanz bewusst zur Straßenansicht des Hauses gehören auch die Hügel des Wienerwalds, dukt aussieht, ist hier vieles handwerkliche Einzelanfertigung, bis hin zu den Fenstertüdie über dem Flachdach sichtbar bleiben. ren und ihren Beschlägen. Bauen mit der Landschaft hat die ArchiDas Gebäude ist überdies konstruktiv tekten schon bei ihrem ersten Projekt, dem neuen Eingang für die Alhambra in Spanien, eine Mischung aus Stahlbetonteilen, Decken aus Massivholzplatten und Stahlkonstrukfasziniert. Bei einem aktuellen Projekt, das tionen für Sonderpunkte, die anders nicht nächstes Jahr in Turin eröffnet wird, dürfen zu lösen gewesen wären. Höhere Baukosten sie überhaupt den ganzen Berg unter dem muss das nicht unbedingt bedeuten, der PlaCastello di Rivoli umbauen und mit neuen nungsaufwand ist aber beträchtlich. Zugangswegen versehen. In einem Punkt schert das Haus aus eiIhre Formensprache, die auch beim nem aktuellen Trend aus: Es besitzt weHaus am Wolfersberg zum Einsatz 312 der Sonnen- noch Erdwärmekollektor. Den kommt, hat ihre eigene Tradition, Fotos: Werner Feiersinger
Ehrgeiz, ein Passivhaus zu entwerfen, hatten die Architekten nicht. Sie leisten sich sogar eine große Verglasung an der ansonsten völlig geschlossenen Nordseite, die als Atelierfenster für die Bauherrin fungiert. Technisch sind große Fenster und komplexe Geometrien heute zwar kein Hindernis mehr, Passivhausstandard zu erreichen, die Kosten
dafür sind jedoch beachtlich. Insofern ist das Haus auch eine Aufforderung an die Industrie, Elemente für energetisch verträgliche Lösungen jenseits der geschlossenen Box zu entwickeln. Dass es sich in einem offenen Haus schöner wohnt, haben Hubmann und Vass mit ihrem Projekt jedenfalls einmal mehr bewiesen.
18. Mai 2008
Wohnen mit und ohne Knick Architektinnen und Architekten sehen sich immer öfter mit der Frage konfrontiert, ob es nicht billiger geht. Wenn sie darauf keine Antwort finden, werden sie in einer elitären Marktnische enden. Zur aktuellen Wohnbaudiskussion.
„
Out there: Architecture Beyond Kopf deutlich machte. Statt wieder die Welt Building“ lautet der Titel der komjenseits des Bauens zu verklären, hätte man menden Architekturbiennale in sich zur Abwechslung der Frage stellen könVenedig. Ihr Direktor, Aaron Betsky, stellte nen, ob und wo Architektur unter diesen Besein Konzept kürzlich im Museum für angedingungen noch eine Rolle spielt. wandte Kunst zur Diskussion. Schön wird Dass diese Rolle nicht mehr allein in der Betskys Biennale jedenfalls. Im Arsenal Verschönerung der Welt bestehen kann, hat wird sie „Rauminstallationen“ zeigen, unter eine aktuelle Diskussion um den heimischen anderem von Diller und Scofidio, AsympWohnbau klar gemacht. Ausgelöst wurde sie tote, Greg Lynn, Massimiliano Fuksas, Zaha durch die Äußerung des Obmanns der VerHadid und Coop Himmelb(l)au; und im itaeinigung gemeinnütziger Bauträger Österlienischen Pavillon herrschen die „Masters reichs, Karl Wurm, dass die Wohnbauträger of Experiment“, zu denen neben Hadid und „mehr Spielraum bei der Umsetzung von ArHimmelb(l)au, die hier einen weiteren Aufchitektenplänen“ bräuchten, um weiterhin tritt bekommen, Frank Gehry, Herzog & de günstigen Wohnraum zur Verfügung zu stelMeuron sowie Rem Koolhaas zählen. len. Diese Äußerung einfach als architekturBei aller Schönheit ist dieses Konzept ein feindliches Banausentum abzuqualifizieren, Schritt zurück. Es bietet den Besuchern eigeht am Problem vorbei. Denn angesichts nen Architekturzoo voller wunderbarer Einsteigender Bau- und Bodenpreise und immer zelexemplare, statt Architektur als Teil eines höherer Anforderungen, die dem Wohnbau Ökosystems zu zeigen, das sich in den verin Hinblick auf minimierten Energievergangenen Jahrzehnten dramatisch geändert brauch, Sicherheitsstandards und „Universal hat. Die von Richard Burdett 2006 kuratierte Design“ – also die barrierefreie Nutzbarkeit Biennale hatte in diese Richtung gewiesen, von Bauten – aufgebürdet werden, ist die indem sie den ins Ungeheure wachFinanzierbarkeit des Wohnens für breitere senden globalen Bedarf nach so bana- Bevölkerungsschichten tatsächlich zum Pro313 len Dingen wie einem Dach über dem blem geworden.
Architektinnen und Architekten werden sich in Zukunft immer öfter mit der Frage konfrontiert sehen, ob es nicht „anders“, sprich: billiger geht. Wenn sie darauf keine Antwort finden, werden sie in einer elitären Marktnische enden, die nur wenigen Platz bietet. Für die Kultur des Wohnens wäre das ein fataler Rückschritt: Denn die Architektur hat in den vergangenen 100 Jahren echte Alternativen zum Wohnbau als Addition von Schachteln entwickelt. So haltbar das Klischee vom Architekten, der nicht ans Praktische denkt, auch sein mag: Wer sich ein wenig umsieht, wird selbst im sozialen Wohnbau genug Beispiele für hervorragende Grundrisse finden, raffinierte Abstufungen zwischen öffentlichen und privaten Zonen, intensivere Verbindungen zwischen Innenund Außenraum, gut belichtete Erschließungszonen, die soziale Kontakte fördern. Wenn man dazu noch eine hohe Qualität in räumlicher und formaler Durchbildung und in der Ausführung im Detail vorfindet, hat man das Niveau eingemessen, das Architektur im Wohnbau heute erreichen kann. Dieses Niveau unter den geänderten Rahmenbedingungen zu halten ist schwierig, aber nicht unmöglich. Ein Weg besteht darin, günstigere Grundstücke für den Wohnbau zu erschließen. Der Wohnbau in Innsbruck in der Haller Straße, den Georg Pendl für die Immorent entworfen hat, ist ein Beispiel dafür. Das Grundstück ist vom Inn durch eine stark befahrene, vierspurige Straße getrennt. Das städtebauliche Konzept sieht einen zweigeschoßigen Riegel für Büro- und Geschäftsnutzungen zur Straße hin vor, auf dem vier Quertrakte mit Wohnungen auflagern. Kommerzielle Nutzung und Wohnnutzung sind formal klar differenziert: Im Bürotrakt dominieren orthogonale Geometrien, die Wohntrakte sind beinahe verspielt 314 ausgeformt, mit schrägen Konturen
Wie in mittelmäßiger Lage erstklassiger Wohnbau entsteht: Weyrer Gründe, Innsbruck. Fotos: Birgit Köll
im Grundriss und einer über die Gebäudekontur bis zum Boden gezogenen Dachhülle, die einen organischen Charakter vermittelt. Die leicht geknickten Baukörper erzeugen in der vom Verkehrslärm geschützten Innenzone einen gut geschnittenen Hof mit Blick auf die Berge. Hierher orientieren sich auch die großen Balkone der Wohnungen. Dem Lärmschutz dienen speziell entwickelte, durchlüftete Schleusenräume, die den Wohnungen vorgelagert sind. Die Chance, so trotz „aggressiver“ Umgebung Transparenz herzustellen, blieb in der Ausführung leider ungenutzt: Im Rahmen seines „Spielraums bei der Umsetzung der Architektenpläne“ hat der Bauträger statt verglaster Brüstungen massive ausgeführt. Auch an anderen Stellen bleibt die Detailqualität hinter den Möglichkeiten zurück, was den Gesamteindruck aber nicht schmälert. Einen systematischer auf Innovation angelegten Ansatz, auf die neuen Anforderungen im Wohnbau zu reagieren, kann man derzeit im steirischen Gleisdorf verfolgen. Im internationalen „Pilotwettbewerb für zeitgenössische Wohnarchitektur“ hat sich das Projekt von Manfred Wolff-Plottegg als Sieger durchgesetzt. Es ordnet die rund 70 geforderten Wohnungen in einem flexibel bespielbaren Raster auf drei Geschoßen an. Das Projekt überzeugt durch eine im besten Sinn pragmatische Herangehensweise, die auf visuelle Opulenz verzichtet und stattdessen Großzügigkeit auf anderer Ebene bietet, etwa mit umlaufenden Laubenzonen, deren Schatten spendende Begrünung die Baukörper einhüllen wird. Auch den Dachgärten – einem Element, das oft dem Sparzwang zum Opfer fällt – wünscht man hier ganz besonders eine Realisierung: Als schwebende
Parklandschaft mit halböffentlicher Nutzung könnten sie den Bewohnern so manche Fahrt ins noch Grünere ersparen. Und jeder nicht gefahrene Kilometer ist ein positiver Beitrag zur Ökobilanz. Projekte dieser Art könnten den Wohnbau davor bewahren, sich auf die Produktion gut gedämmter Schachteln zu reduzieren. Die
aktuelle Debatte zu diesem Thema wird sich zumindest im österreichischen Pavillon auf der Biennale fortsetzen: „Wohnen als Anlass“ lautet der Titel des von Bettina Götz verantworteten Beitrags, der kritische Positionen zum Thema dokumentieren und mit einem international besetzten Symposium zur Diskussion stellen wird.
12. April 2008
Zeit für PPP? Wieder einmal ist in Wien eine Sanierung erfolgt, die einem Totalschaden nahekommt. Die Wiener Würfeluhren gleichen seit Kurzem überdimensionalen, billigen Küchenweckern. Oder: Wenn beim „Public Private Partnership“ der Blick aufs Wesentliche verloren geht.
A
lles schien perfekt zu laufen. Seit Jahren plagte sich die Stadtverwaltung mit dem Problem der „Wiener Würfeluhren“, deren erste Exemplare auf das frühe 20. Jahrhundert zurückgehen, kubische Gehäuse mit abgeschrägten Ecken und hinterleuchtetem Ziffernblättern, auf denen sich ein kleines Wappen der Stadt Wien und der Schriftzug „Normalzeit“ befand. Diese Uhren waren ein wichtiges Element der städtischen Infrastruktur, die es der Industriegesellschaft der späten Gründerzeit ermöglichte, im Gleichtakt zu funktionieren. Der Typus der Normaluhr mit vier Ziffernblättern, die rundum das Ablesen der Zeit erlauben, findet sich in vielen europäischen Städten. Ermitteln ließ man die Uhrzeit damals von den jeweiligen Sternwarten, in Wien von der Urania. 1905 wurde die Würfeluhr auch auf der Ringstraße heimisch: Das erste Exemplar befand sich direkt neben der Oper, wo es noch heute – allerdings auf die Außenseite des Rings versetzt – zu bewundern ist. Wer diese Uhr entworfen hat, ist nicht bekannt. Ihre Form ist zeitlos und wurde über die Jahrzehnte nie verändert, obwohl manche der Uhren in der Substanz völlig erneuert und aus Edelstahl315 blech nachgebaut wurden. Nicht
geändert hatte sich über die Jahre auch die Form des hinterleuchteten Ziffernblattes und der Zeiger. Während das Gehäuse an die Formen der „Neuen Sachlichkeit“ der Zwischenkriegszeit erinnert, wiesen die Rautenformen der Zeiger und der Stundenmarkierungen eher ins 19. Jahrhundert, was aber keineswegs ihre Lesbarkeit schmälerte. Im Gegenteil: Gerade die spitz zulaufenden Formen erlaubten es dem Auge auch auf Distanz, die Zeit gut wahrzunehmen. Ihren ursprünglichen Zweck, die „Normalzeit“ anzuzeigen, haben diese Uhren eingebüßt. „Schön“ im herkömmlichen Sinn sind sie sicher auch nicht: Würde es die Stadt heute wagen, ein ähnlich spartanisches Stadtmobiliar im Bereich des Weltkulturerbes vorzuschlagen, wären Bürgerproteste und Klagen der UNESCO-Welterbehüter unausweichlich. Aber die Würfeluhren sind nun einmal da, und was da ist, ist in Wien gut, und deshalb hat noch jeder Versuch, eine von ihnen zu entfernen, zu einem Aufschrei geführt. Als nun die nächste Sanierungswelle für die Uhren anstand, weigerten sich die zuständigen Bezirke aber, die Kosten für die Sanierung aufzubringen. Wenn die öffentlichen Kassen leer sind, heißt die rettende Idee heute: „Public Private Partnerhsip“. Warum soll die Stadt sich
nicht einen privaten Partner nehmen, der ihre öffentliche Aufgabe, in diesem Fall die Zeitanzeige, unterstützt und dafür entschädigt wird? Platz ist auf einem Ziffernblatt genug, hinschau’n tun die Leut’ auch – so wird man sich gedacht haben – und schon war die Lösung gefunden: Die Wiener Städtische Versicherung darf ihr Logo zehn Jahre lang mitten im Ziffernblatt platzieren und bezahlt dafür die Sanierung der Uhren, in Summe 550 000 Euro, ein stolzer Betrag, der sich aber relativiert, wenn man ihn aufs Jahr und die Einzeluhr herunterbricht: 733,33 Euro pro Jahr und Uhr mit Vierfachwerbefläche sind durchaus bescheiden. Das einzige, das bei diesem Konzept aus Werbesicht stört, sind naturgemäß die Zeiger. Die kreisen ja zwangsläufig über dem Logo, und das schmälert den „Impact“, wie der Werber sagt. Kein Problem, erklärte der Graphiker der Wiener Städtischen, ich mach’ Euch ein Ziffernblatt mit Zeigern, die sind in der Mitte ganz dünn und verbreitern sich erst über den Stundenmarkierungen. Das sieht elegant aus, und unser Logo bleibt frei. Da freuten sich der Bürgermeister und der Stadtrat und der Generaldirektor, und im November 2007 enthüllten Michael Häupl, Rudi Schicker und Günter Geyer das erste Exemplar im neuen Design vor der Zentrale der Wiener Städtischen. Der historische Wert der alten Uhr war mit diesem Design aber ruiniert. Das neue Ziffernblatt gab sich modernistisch-elegant, womit der Kontrast zwischen der scheinbaren „Neuen Sachlichkeit“ des Gehäuses und dem spätgründerzeitlichen Ziffernblatt verschwunden war. Aus der alten Uhr hatte man dagegen eine kleine Kulturgeschichte der späten k. u. k. Monarchie und ihrer inneren Spannungen ableiten können. Das neue Design erwies sich freilich bald als veritabler Schildbürgerstreich. Die Zeiger waren so dezent, dass es für viele Passanten kaum mehr möglich war, die Zeit abzulesen. Der Bürgermeister bekannte sich zwar mit einer entwaffnend ehrlichen Erklärung zum neuen Design: „Ich finde es vor allem deshalb gut, weil die Stadt nicht mehr dafür zahlt.“ Aber nachdem die ersten dieser Uhren in Betrieb gegangen waren, häuften sich die Proteste, und schließlich blieb es dem „Referat für die Projektierung von Lichtinstallationen und Uhren“ im Wiener Magistrat überlassen, das Ziffernblatt 316 noch einmal so zu überarbeiten, dass
Vom Wahrzeichen zum Küchenwecker in drei Schritten: Die Wiener Würfeluhr, im Bild mit Bürgermeister, Versicherungsdirektor und Planungsstadtrat. Foto: PID Wien
die Uhrzeit auch aus der Ferne zu erkennen ist: Die Zeiger sind tüchtig verbreitert, die Stundenmarkierungen verlängert, und die Überlagerung mit dem Logo ist so unschön, dass sie selbst ästhetisch unempfindlichen Naturen weh tut. Dem vorangegangenen Designerentwurf würde ich dabei keine Sekunde nachtrauern. Aber von der Funktionalität und Klarheit des über 100 Jahre alten Vorgängers kann man nur noch träumen. Wieso es im Rathaus nirgendwo einen Reflex gab, dieses sich abzeichnende Desaster rechtzeitig zu erkennen, ist das eigentlich Beunruhigende an der Geschichte. „Public Private Partnership“ ist keine Zauberformel. Das gilt nicht nur für Uhren, sondern auch Großprojekte: Wenn die Gemeinde Wien und ihr Krankenanstaltenverbund ein 500 Millionen Euro teures Krankenhaus wie das Sozialmedizinische Zentrum Nord an ein
Konsortium von Porr, Vamed und Siemens beauftragt, die dann als „Totalübernehmer“ für alle Leistungen von der Ausführungsplanung über den Bau bis zum Betrieb auftreten, ist das keine Partnerschaft, sondern die Auslieferung öffentlicher Interessen an die Großunternehmen der Privatwirtschaft. Deren Gewinne sind umso höher, je unpräziser die Planung ist. Ein vorgeschalteter Architekturwettbewerb ändert daran nichts. In Kärnten wird gerade das vergleichbare
Projekt des Landeskrankenhauses mit 700 Betten höchst erfolgreich mit einem Generalplaner in Einzelvergaben abgewickelt. Das setzt freilich Beamte auf Bauherrenseite voraus, die den Überblick bewahren und das Wesentliche nicht aus dem Auge verlieren. Nur so kann langfristig sparsam gewirtschaftet werden. Die Zukunft der Städte entscheidet sich – auch im Zeitalter des PPP – nicht zuletzt an der Kompetenz ihrer Planungsabteilungen. Ob Wien da mithalten kann?
24. Februar 2008
Präsenz und Seifenblase Es muss nicht immer Calatrava sein: Der Skywalk an der Wiener Spittelau ist hervorragend gelungen – und Ergebnis eines Architekturwettbewerbs.
I
Stadtrats eine Einschränkung. Kunst – und m Grunde sollten wir uns ja freuen: Selbst Fußgängerbrücken und Bahnhöfe, daher von den üblichen Vergabeverfahren ausgenommen – sind Brücken und Bahnhöfe so behaupten seit kurzem Wiens Plafür ihn nur, wenn sie von Santiago Calanungsstadtrat und seine Beamten, sind Kunstwerke. Dem wird man nicht wider- trava stammen. Der spanische Bildhauer und Ingenieur hat in seinem Frühwerk, etwa sprechen wollen, knüpft sich doch daran die dem Bahnhof Stadelhofen in Zürich aus den Hoffnung, dass an die Planung und Aus1980er-Jahren, eine Formensprache entwiführung solcher Werke dieselben Maßstäbe angelegt würden wie sonst auch in der Kunst. ckelt, die direkt auf Antoni Gaudí zurückgeht und dessen Ideen innovativ weiterentwiUnd das hätte Folgen: Wer bestellt etwa ckelt. Seit Mitte der 1990er-Jahre eroberte er bei einem Künstler eine Skizze, um dann sich mit filigran wirkenden Strukturen einen von einem gewerblichen Maler auf dieser Platz unter den internationalen MarkenarGrundlage ein Ölbild malen zu lassen, das nur noch grob der Idee des Künstlers ähnelt? chitekten und ist spätestens seit dem Auftrag für die New Yorker U-Bahn-Station auf dem Und verkündet dann stolz, so den Preis des Ground Zero endgültig an der Spitze angeKunstwerks tüchtig gesenkt zu haben? In kommen. Seine Sprache veränderte sich im der Architektur sind solche Zustände nichts Zuge dieser Entwicklung jedoch zunehmend Ungewöhnliches, wenn etwa Ausführungsins Manierierte, sodass er manchen Kollegen und Detailplanung von Ingenieurbüros für heute als Richard Clayderman der ArchitekHonorare übernommen werden, zu denen tur gilt, der mit den immer gleichen Akkorniemand mehr Qualität liefern kann, oder den blütenweißen und kommerziell höchst gleich der gesamte Auftrag an den Billigstbieter geht. Die Ergebnisse sehen ent- erfolgreichen Kitsch produziert. Warum Calatrava ausgerechnet jetzt in sprechend aus. 317 Wien mit zwei Direktaufträgen zum Zug Leider gibt es bei den Aussagen des
kommen soll, ist ein Rätsel. Brücken und Bahnhöfe aus seiner Werkstatt finden sich auf der ganzen Welt, und es ist kaum zu erwarten, dass er gerade in Wien zu neuer Form auflaufen wird. Um für das blutleere Stadterweiterungsprojekt auf dem Flugfeld Aspern ein architektonisches Wahrzeichen zu finden, hätte es andere Wege gegeben als das Hofieren eines Stararchitekten. Innsbruck darf sich beispielweise mit zwei wichtigen Bauten von Zaha Hadid schmücken, ohne in der Projektfindung auf das Mittel eines Architekturwettbewerbs verzichtet zu haben. Dass der Wettbewerb gerade bei heiklen Bauaufgaben die Methode der Wahl ist, beweist ein Projekt, das die Gemeinde Wien selbst 2004 als Vorzeigeprojekt für ein gutes Auswahlverfahren in die Wege geleitet hat: der Skywalk, der die U-Bahnstation Spittelau mit der Guneschgasse am Döblinger Gürtel verbindet und dabei ein denkmalgeschütztes Bauwerk Otto Wagners glatt durchquert. Als „coolste Brücke Wiens“ bezeichnet die Stadt das Bauwerk in ihrer Werbung, und das durchaus zu Recht. Zumindest auf Distanz löst das Resultat ein, was das Wettbewerbsergebnis vor vier Jahren erhoffen ließ, nämlich eine intelligente und formal überzeugende Antwort auf ein höchst komplexes Problem. An einem der verzwicktesten Ver318 kehrsknoten Wiens, an dem sich ein
Starke Präsenz im Stadtraum statt konstruktiver Hochseilakte: Skywalk Spittelau von Bulant / Wailzer und Karlheinz Wagner Foto: Ruppert Steiner
Autobahnzubringer und zwei ehemalige Stadtbahnlinien kreuzen, überhaupt an eine solche Fußgängerverbindung zu denken, war eine mutige Entscheidung der Stadtplanung. Funktionell ist sie zwar naheliegend: Immerhin erspart sie den Bewohnern eines großen Wohngebiets einen mühevollen Ab- und Wiederaufstieg auf dem täglichen Weg zur U-Bahn. Stadtgestalterisch bestand allerdings die Gefahr, das visuelle Chaos an dieser Stelle noch zu erhöhen und das Ensemble der beiden denkmalgeschützten Brücken der Wagner’schen Stadtbahn zu ruinieren. Das Architektenteam Aneta Bulant und Klaus Wailzer, das bereits mit einer Fußgängerbrücke über den Gürtel neben der Hauptbibliothek eine ähnliche Aufgabe bewältigt hatte, setzte sich in einem europaweiten, offenen Wettbewerb – in Kooperation mit dem Tragwerksplaner Karlheinz Wagner – gegen 46 Konkurrenten, darunter Zaha Hadid und Klaus Bollinger, durch. Ihr Entwurf sieht als Konstruktion einen wannenförmigen Durchlaufträger vor, dessen Seitenwände entsprechend den geforderten Duchfahrtshöhen und statischen Notwendigkeiten unterschiedlich hoch ausgeführt sind. Das Niveau des Bodens folgt im leichten Gefälle seiner eigenen Logik, wodurch
Im Detail ist freilich vieles anders geworden als geplant. Statt der rahmenlosen Verglasung auf ovalen Tragprofilen findet sich eine vergleichsweise primitive Lösung mit kantigen Profilen und Gläsern in Aluminiumrahmen. Wo heute kleine Klappen für die Lüftung sorgen, hätten sich ursprünglich ganze Glaselemente leicht nach außen geklappt. Der Boden ist schlecht ausgeführt und kaum zu reinigen, und manche Details wie die Handläufe wirken überhaupt wie vom SchlosFoto: Rupert Steiner serlehrling erfunden. (Wer über den Sinn des dritten, obersten Handlaufs rätselt: Der wurde als Anprallschutz für Radfahrer vorgesich unterschiedliche Parapethöhen ergeben, schrieben, die im Sturzflug das Sicherheitswährend die Dachebene über die gesamte glas aus dem Rahmen sprengen könnten.) Länge der Brücke von rund 120 Metern auf Die Stadt Wien hätte also viel lernen köneiner horizontalen Linie verläuft. Zusammen nen aus diesem Projekt: Was ein gut vormit den leicht gegeneinander verschwenkbereiteter und angemessen honorierter ten Seitenwänden erzeugt diese Anordnung Wettbewerb leistet; wo die Kompetenzen perspektivische Effekte, die dem Durchder Beteiligten an ihre Grenzen stoßen und gang eine besondere Spannung verleihen. mehr Kooperation nötig wäre; und dass WeltNach außen verzichtet die Brücke auf anstadtniveau bedeutet, Qualität bis zum Detail gestrengte konstruktive Hochseilakte, die durchzuhalten. in diesem Kontext völlig unangebracht wäStattdessen lehnt sie sich zurück und ren. Trotzdem besitzt sie mit ihrer elegannimmt eine große Dosis Calatrava. Sollte sie ten Linienführung, die von kleinen, aber dessen beide Brücken tatsächlich realisieren, präzisen Gesten lebt, eine starke Präsenz im wird Wien um zwei schillernde Seifenblasen Straßenraum. reicher sein. Baukultur entsteht so nicht. 20. Januar 2008
Ein Stadtbild kommt ins Rollen Die Niederflur-Straßenbahn „ULF“: ein rollendes Stadtmöbel beweist, dass Wien mehr Innovation verträgt, als man vermutet.
D 319
as Stadtbild liegt dem Wiener am Herzen. Kaum hört er von einem geplanten Neubau, keimt in ihm der Verdacht auf Bildstörung. Veränderungen bekannter Veduten steht er grundsätzlich skeptisch gegenüber, wie überhaupt der Zukunft, denn „es kommt ja nichts Besseres nach“.
Entgegen diesem Klischee hat Wien in den letzten Jahren eine erstaunlich radikale Veränderung des Stadtbilds erlebt, die als solche aber kaum bewusst wahrgenommen wird. Statt der alten rot-weiß-roten Straßenbahnen schieben sich vermehrt neue Straßenbahnzüge ins gewohnte Bild, die auf den Namen ULF hören, ein Akronym für das „Ultra-Low-Floor“-Konzept, nach dem diese Züge konstruiert sind.
Ein großstädtisches Stadtmöbel, das sich nicht anbiedert: der ULF. Als die ersten von ihnen vor fast 15 JahFoto: C. Kühn ren noch als Prototypen durch die Stadt rollten, war der Schock groß. Mit der guten alten Straßenbahn hatten diese Bandwürmer, bei Neues nur in kleinen Schritten zumuten denen man Vorne und Hinten kaum unterkönne, entschied man sich für die radikale scheiden konnte, wenig zu tun. Wenn schon und damit riskantere Alternative. modern, dann hätte man sich eher eine verDie Idee dafür stammte von einem Ingekleinerte Kreuzung aus TGV, Shinkansen nieur der Simmering-Graz-Pauker-Verkehrsund ICE gewünscht, wie sie in anderen Städ- technik, Leopold Lenk. Er entwickelte für ten auf die Schiene kamen. Dass ausgerechden ULF ein Portalfahrwerk, das von außen net Porsche-Design diesen Wurm gestaltet als vertikales, geschlossenes Trennelement hätte, musste wohl ein böses Gerücht sein. sichtbar wird und konstruktiv als umgekehrKomfort war den neuen Wagen aber von tes „U“ ausgeführt ist. Da die geringe BoAnfang an nicht abzusprechen. Weltweit gibt denhöhe keine Achsen erlaubt, werden die es bis heute keine Straßenbahn mit einer Räder des ULF einzeln von senkrecht steniedrigeren Einstiegshöhe. Nur 19 Zentime- henden Elektromotoren angetrieben, die ter liegt der Boden des ULF über Straßenseitlich in diesen „U“s untergebracht sind. niveau, eine Höhe, die sich bequem mit der Um das Niveau unabhängig von der Anüblichen Gehsteighöhe in Einklang bringen zahl der Fahrgäste halten zu können, verfügt lässt. Die nächsten Niederflur-Konkurrender ULF über eine hydraulische Federung, ten kommen auf 28 bis 30 Zentimeter oder wie man sie etwa von Citroën kennt. Völlig haben im Wageninneren zusätzliche Stufen, neu konzipiert wurde in Zusammenarbeit was den Komfort deutlich reduziert. von SGP und Elin die Steuerung der RäDie Idee für den ULF entstand Ende der der, so dass man heute im ULF weniger mit 1980er-Jahre, als die Wiener Linien die Speder „Elektrischen“ unterwegs ist als mit der zifikation für die nächste Generation ihrer „Elektronischen“. Straßenbahnen entwickelten, wobei zwei Die ersten Versuchsversionen des ULF Wege zur Debatte standen: einerseits eine rollten 1992, angedockt an alte StraßenVerbesserung des bisherigen Konzepts mit bahnzüge, durch die Stadt. 1995 gab es einen Niederflurelementen beim Einstieg, andefunktionsfähigen eigenständigen Prototyp, rerseits der Plan, die Straßenbahn ab 1997 wurde mit der Serienlieferung beüberhaupt „neu zu erfinden“. Gegen gonnen. In der ersten Tranche erwarb die 320 alle Klischees, dass man den Wienern Stadt bis 2006 150 ULFs, die Auslieferung
der zweiten, klimatisierten Tranche hat letztes Jahr begonnen und wird bis 2014 abgeschlossen sein. Dann werden 300 der rund 500 Wiener Straßenbahnzüge aus diesen Serien stammen. Seit einer Woche ist auch ein Exportvertrag für eine erste ULF-Serie ins rumänische Oradea fixiert. Produziert wird nach wie vor in Wien, allerdings unter der Flagge von Siemens, das Ende der 1990erJahre mit der SGP einen Konkurrenten ihrer eigenen, etwa gleichzeitig entwickelten Niederflurtram, des „Combino“, übernahm. Dass dessen Ruf nach massiven technischen Problemen angekratzt ist, dürfte dem ULF in nächster Zeit etwas Auftrieb geben. Das Design des ULF stammt tatsächlich von Porsche-Salzburg, wobei der Verzicht auf ein „schnittiges“ Äußeres als Qualität zu werten ist. Besonders aerodynamisch muss ein Fahrzeug, das kaum je mit mehr als 50 Stundenkilometern unterwegs ist, nicht sein. Stattdessen stand für den verantwortlichen Designer bei Porsche, Bernd Mayerspeer, die Gelenkigkeit des Fahrzeugs im Mittelpunkt, die durch die vertikalen Schilde betont wird, hinter denen sich die Portalfahrwerke befinden. Das Ergebnis ist ein ungemein großstädtisches Objekt, das sich nicht anbiedert, aber auch in 30 Jahren noch einen ästhetischen Eigenwert besitzen wird. So erfreulich der Einstieg in den ULF ist – als würde man von einem statischen Gehsteig einfach auf einen rollenden wechseln – so ernüchternd ist das Ambiente, das sich dem Fahrgast bietet. Bei einem Preis von 2,4 Millionen Euro pro Wagen hätten hochwertigere Materialien möglich sein müssen. Alles wirkt ein wenig billig, von der Verkleidung über die grau lackierten Griffstangen und die plüschigen Sitze bis zu den Handschlaufen aus gelbem Plastik. Das kantenlose Design reduziert vielleicht die Verletzungsgefahr, aber in einem derart kontur- und spannungslosen Raum hat man nirgends das Gefühl, einen Platz gefunden zu haben. Und anders als von außen, wo die Portalfahrwerke deutlich abgesetzt sind, zieht sich innen die beige Oberfläche über die gesamte Länge des Raums. Trotzdem: Der ULF ist die gelungenste Maßnahme zur Verbesserung des Stadtbildes, die der Gemeinde Wien in den letzten 20 Jahren gelungen ist. Kein Stadtmöbel, keine Platzgestaltung, keine Beleuchtung – man denke nur an 321 die absurde Diskussion über die
Kulturerbe-konformen neu-alten Kandelaber am Ring – reicht annähernd an ihn heran, zumindest, wenn man großstädtische Maßstäbe ansetzt. Er beweist, dass man den Wienerinnen und Wienern weit mehr Innovation zumuten kann, als sie angeblich vertragen. Man muss nur selbst den Mut dafür haben.
Personenregister 0-9
3XN Architekten (Kim Herforth Nielsen)
A
295
Abe, Hitoshi 160, 293 Abraham, Raimund 259ff. Acconci, Vito 259, 267f. Achleitner, Friedrich 22, 73, 169 Adler, Dankmar 24 Agence TER 30 Aicher, Gerhard 37 Aichwalder, Ursula 228 Alberti, Leon Battista 85 Alsop, William 137 Altenberg, Theo 249 Andreu, Paul 179 Appel, Carl 169 Aravena, Alejandro 72, 81 archipel (Johannes Kraus, Michael Lawugger) 188 Architecture Studio 45 arkitema 295 ARTEC 82ff., 138, 163ff., 176f., 209, 212f., 269ff. Arup Ass. 138 ARWAG 152 Asplund, Gunnar 230 assemble 31ff. Asymptote 313 Atelier Espace Léopold 44 Atelier 4 108 atelier 5 283f. ATP 254 Auböck und Kárász (Maria Auböck, János Kárász) 67, 84, 90, 109, 176, 213, 238, 258 Auböck, Carl 95 awg – Alles Wird Gut 104, 255 Axis 125
138, 318
Bulfon, Anton 22 Burden, Chris 103 Burdett, Richard 71, 313 Burnham & Root 24 BuroHappold 46 BUSarchitektur (Laura Spinadel)
159f., 291ff.
C
Calatrava, Santiago 51, 317, 319 Caramel 73 Caramelle, Ernst 158 Caviezel, Nott 15 Češka Priesner 95 Chipperfield, David 21, 37, 69, 196f., 223f., 255, 281f., 299
Christiaanse, Kees 238 Colani, Luigi 262 Contal, Marie-Hélène 36 Cook, Peter / CRAB 138, 160, 293 Coop Himmelb(l)au (Wolf D. Prix, Helmut Swiczinsky) 81, 111f., 116f., 178ff., 208, 241,
B
B.A.I. 192f. Bacher, Gerd 297 Baldeweg, Juan Navarro 299 Bauer, Erwin 9, 105 Bauer, Klaus-Jürgen 302 Bauer, Leopold 111 Bauer, Peter (Werkraum Wien) Baumann, Ludwig 75, 168 Baumert, Jürgen 289 Baumgartner, Franz 22ff. Baumschlager Eberle 37, 199, 231 Behne, Adolf 211 Behrens, Peter 156 Beneder, Ernst 125
Beneder/Fischer 180 Benko, René 255 Berger und Parkkinen 100, 138 Berghofer, Günther 251, 308 Berktold/Kalb (Philipp Berktold, Christoph Kalb) 132f. Betrix Consolascio 299 Betsky, Aaron 264, 313 Bevk Perović 105 Bitter, Sabine 218 BKK-2 141 Boch und Capdeferro 196 Boeckl, Matthias 122 Boeri, Stefano 238 Bohn Vinkel, Hanna 295 Bollinger, Klaus 111, 318 Boucquillon, Michel 44f. Boudry, Pauline 104 Bourgeois, Louise 194 Bradic, Sascha (s. a. NMPB) 189 Brancusi, Constantin 212 Brauner, Renate 118 Brodsky, Alexander 228ff. Brus, Günter 240, 248f. Bulant Wailzer (Aneta Bulant, Klaus Wailzer)
263, 299f., 309, 313
84
Cruz y Ortiz 238 Czech, Hermann
59, 85f., 155, 209ff., 213, 261
D
Dahm, Friedrich 14, 278 Delugan, Elke 73 Demand, Thomas 197 Destailleur, Gabriel-Hippolyte
94
Foster, Norman 102, 197, 230 Frampton, Kenneth 259 Frank, Josef 60, 70, 84, 85ff., 122, 131 Frank, Sepp 199 Frank und Partner 107 Franken, Alexis 95 Franz Ferdinand 61, 64 Franz Architekten 78 Fraß, Rudolf 116 Frey, Konrad 137 Friedman, Yona 207 Frohner, Adolf 240 Fuksas, Massimiliano 71, 313
Deutsch, Gustav 28 de Vestel, Lucien 44 Dewey, John 290 Dichand 172 Diener.Diener 37 Dietrich|Untertrifaller 57 Diller und Scofidio DMAA (Delugan Meissl Associated Architects) 33ff., 184f., 308 DnD (Anna Detzlhofer) 55, 211 Domenig, Günther 224f. Dreibholz, Wolf-Dieter 167 Driendl, Georg 135f., 214f. Drimmel, Heinrich 287 Duelli, Konrad 92
G
E
Eames, Charles und Ray 207 Eberhardt, Julius 151 Eberle, Dietmar (s. a. Baumschlager Eberle) 238f., 293
EBG 176 Eck & Reiter 255f. Eichholzer, Herbert 68ff. Eichinger, Gregor 200 Einszueins (Katharina Bayer, Markus Zilker) 78, 143
Elb, Benno 93 Eliasson, Olafur 258, 267 Elsaesser, Martin 111 Embacher, Michael 122, 140 EOOS 73, 140f. Erskine, Ralph (Team Ten) EVA & ADELE 31
Gadanho, Pedro 104 Gangoly, Hans 308 Gantenbein, Köbi 37 Garstenauer, Gerhard 283 Gaudí, Antoni 317 Gehl Architects 100 Gehry, Frank O. 224, 241, 309, 313 Geiswinkler & Geiswinkler (Kinayeh und Markus G.) 65ff., 108f., 271 Gelitin 258 Gerkan, Marg und Partner 199 Gerner˚Gerner (Gerda und Andreas G.) 138, 157f.
99
F
f2p (Formann, Puschmann) 14 Farrell, Yvonne (s. a. Grafton) 79f. Fasch & Fuchs (Hemma Fasch, Jakob Fuchs) 26ff., 138
Fattinger, Peter 33, 286 Faymann, Werner 259, 310 Feichtinger, Dietmar 184, 245 Feiersinger, Martin 217 Feiersinger, Werner 195, 217f., 312 feld72 19ff., 78 Fellerer Vendl 95 Fellerer, Max 124f. Fellner und Helmer 94, 168 Feyerabend, Paul 85 Fina, Jakob 109 Fingerhuth, Carl 100 Fischer von Erlach, Johann Bernhard Fitz, Angelika 30, 33 Flöckner/Schnöll 201f. Forster, Kurt W. 264
Gerngroß, Heidulf 59, 138 Gessner, Hubert 116 Geyer, Günter 316 Gilbert und George 31 Girard, Dominique 258 Girette, Jean 94 Gleiter, Jörg 305 Glück, Harry 19, 108f. Gnaiger, Roland 36 Gotthilf-Miskolcz, Ernst 151 Götz, Bettina (s. a. ARTEC) 315 Grafton Architects (Yvonne Farrell, Shelley McNamara) 79f. Grohmann, Manfred 111 Größinger, Alice 100 Gruber, Johann 164 Gründl, Harald 104 Grüner, Christopher 222 Gsteu, Johann Georg 283f. Guldbaek, Jens 295 Guttmann, Eva 167
H
60
Habeler, Josef 256 Hadid, Zaha 55, 80f., 159, 162f., 184, 197, 241, 254f., 260, 266, 293, 313, 318
Haerdtl, Oswald 62 Halbrainer, Heimo 70
Haller, Rudolf 302 Hansen, Theophil 123, 219f. Haselsteiner, Peter 184 Hasler, Otmar 204f. Häupl, Michael 155, 193, 316 Heinrich, Lothar 138 Helen & Hard 105 Heller, André 281 Henke Schreieck (Dieter Henke, Marta Schreieck) 61f., 89f., 110, 193f., 211, 213, 226ff., 246f., 251, 308f.
Hentig, Hartmut von 288, 290 Heri und Salli 268 Heringer, Anna 80 Hermann und Valentiny 108f. Herzog & de Meuron (Jacques Herzog, Pierre de Meuron) 81f., 197, 231, 266, 313 Hessel, Stéphane 105 Hiesmayr, Ernst 138 Hilberseimer, Ludwig 74 Hild und K 105 Hildebrandt, Lukas von 258 Hirst, Damien 31 Hoch, Adolf 156ff. Hofbauer, Fred 28 Höfer, Candida 218 Hoffmann, Ernst 76, 128 Hoffmann, Josef 104, 121f. Hofmann, Sandra 135f. Hofstätter, Michael (PAUHOF) 65 HoG (Martin Emmerer, Clemens und Hansjörg Luser) 285 Hohensinn, Josef 272 Holabird & Roche 25 Holabird & Root 168 Holl, Steven 231 Hollein, Hans 104, 240, 264, 282, 293 Höllwart, Hans 17 Holzbauer, Wilhelm 29, 55, 201, 299 Hotz, Theo 76, 128, 238 Hubmann Vass (Erich Hubmann, Andreas Vass) 194f., 311, 313 Huemer, Peter 297 Hundertwasser, Friedensreich 85, 87
I
Ilg, Albert 220 Ingels, Bjarke 101ff. Ingenhoven, Christoph Ito, Toyo 265, 295 Itten/Brechbühl 199
J
238
Jabornegg & Pálffy 123ff., 155, 195 Jakoubek, Thomas 193 Jandl, Ernst 261
Jarosch, Rudolf 95 Jonkhans, Niels 268 Jungmann, Peter 244
K
Kapfinger, Otto 36, 122, 217 Kapoor, Anish 31 Kaufmann, Hermann 92, 245 Kawamata, Tadashi 140 Kempe Thill 105 Kerez, Christian 71, 73 Kiesler, Friedrich 262 Klein, Eva 70 Klocker, Hubert 250 Knippers Helbig 268 Knoflacher, Hermann 192 Kogler, Peter 256 Kohlbauer, Martin 98 Kollhoff, Hans 197 Kolowratnik, Nina 92 König, Carl 61, 220 königlarch (Claudia König, Werner Larch) 155, 299f.
Konrad, Christian 91 Konrad, Verena 37 Koolhaas, Rem 79, 85, 87, 101ff., 198, 232, 266, 313 Kopeinig, Gerhard 23 Krasny, Elke 30, 33 Kreisky, Bruno 240 Krier, Rob 138 Krischanitz, Adolf 147ff., 155, 176f., 183, 209ff., 213, 228, 248, 250
Kubelka, Peter 240 Kuhn, Gustav 183 Kuma, Kenga 185
L
LAAC (Katrin Aste, Frank Ludin) 222 Lacaton & Vassal 105 Lainer, Rüdiger 62, 99, 108f., 176f., 308 Lampugnani, Vittorio Magnago 197 Lang, Helmut 218 Laska, Grete 236 Lautner, John 198 Le Corbusier 60, 82, 86, 207, 283, 300 Lefaivre, Liane 268f. Leitl, Alfons und Florian 64 Lenk, Leopold 320 Leskoschek, Axl 70 Lewerentz, Sigurd 230 Lewitt, Sol 84 Libeskind, Daniel 134, 238 Lichtblau Wagner (Andreas Lichtblau, Susanne Wagner) 252f. Lind, Maria 104 Lintl und Lintl 192
Lintner, Hans 251, 308 Lippert, Georg 62 Liquid Frontiers WW Loos, Adolf 25, 60, 69f., 87, 104, 121, 125, 223, 305 Lorenz, Renate 104 Loudon, Michael 256 Luchsinger, Christoph 118, 155 Ludescher-Lutz 37 Lynn, Greg 313
M
Mäckler, Christoph 64 Mahler, Gustav 22, 267 Malaguzzi, Loris 132 Mangiarotti, Angelo 217 Manzl, Ritsch und Sandner 256 Marinetti, F. T. 178 Märkli, Peter 230 Marquard, Odo 283 Marte.Marte 57, 72, 184 Mayerspeer, Bernd 321 Mayne, Thom 259, 293 Mayr, Fritz Gerhard 14f. Mayr, Hans 117 Mayr-Keber, Gert M. 233 Max Emanuel v. Bayern 258 McCarthy, Paul 250 Medicus, Florian 261 Mendes da Rocha, Paulo 80 Meurant, Georges 46 Mies van der Rohe, Ludwig 26, 35, 60, 195f., 218, 283, 312
Miller & Maranta 98 Mischek 176 Mörth, Franz 95 Moss, Eric Owen 198, 259 MSA 35 Muehl, Otto 248f. Murdoch, James 102
N
Nervi, Pier Luigi 136, 217, 298 Neubauer, Barbara 297 Neuhauser, Georg 290 Neumann und Steiner 192, 234, 299f. Neumann, Heinz 193 Neurath, Otto 85 Neuwirth, Werner 155, 165, 209, 210, 213 Next Enterprise 73, 188 Niemeyer, Oscar 86 Nitsch, Hermann 240, 248, 250 NL architects 35 NMPB 95, 100, 189 Noever, Peter 140, 218, 241, 259 NO.MAD 293 Nonconform 40f.
Nouvel, Jean
282
O
Ohmann, Friedrich 130 Olgiati, Valerio 198 Onur, Füsun 140 Orso, Veronika 286 Ortner, Laurids und Manfred Orwell, George 102 Ottillinger, Margarethe 13
192f.
P
Padutsch, Johann 201 Pálffy, András (s. a. Jabornegg & Pálffy) 90 Parkhurst, Helen 290 Peichl, Gustav 29, 297 Pelli, César 89 Pendl, Erwin 181 Pendl, Georg 181, 272, 314 Perktold, Martin 208 Pernthaler, Markus 16 Perrault, Dominique 202, 254, 295 Peter d. Große 258 Piano, Renzo 72, 137 Pichler, Walter 208, 240 Pinós, Carme 160, 293 Podrecca, Boris 29ff., 238f., 282, 299f. Podsedensek, Peter 108 Pointl, Johannes 92 Polak, André und Jean 44 Polak, Michel 44 polar ÷ (Margot Fürtsch, Siegfried Loos) 301, 303
Pölzl, Georg 20 Pool 155 Popp, Alexander 156 Popper, Karl 138 Pöschl, Wolfgang 245 Postner, Andreas 92 Potyka, Hugo 116 PPAG (Georg Poduschka, Anna Popelka) 100, 129ff., 133, 155, 235ff., 299f.
Prammer, Barbara 125, 219 Priebe, Johanna Maria 55 Prix, Wolf D. (s. a. Coop Himmelb(l)au) 159, 228, 241, 259ff., 293
Prochazka, Elsa 59, 165, 241, 275, 280 Pröll, Josef 310 Prunner, Johann Michael 284 Purin, Hans 36 pxt (Christoph Pichler, Johann Traupmann) 53, 55, 138, 161f., 201
Q
Querkraft 12, 96, 100, 105ff., 118, 138 Quiring, Karl-Bernd 185
R
R&Sie(n) (François Roche, Stephanie Lavaux) 306f. Rainer, Arnulf 135, 240 Rainer, Roland 14, 36, 95, 125, 135f., 192, 211, 214f., 276, 297f., 302, 312
Rajek/Barosch 100 Rees, Simon 218 Reichlin, Bruno 277f. Reichmayr, Josef 290 Reischer, Peter 81 Reitter, Helmut 255 riccione 275 Richter, Helmut 55, 59, 136ff. Rieder, Max 77f., 116, 201f. Rieper, Michael 286 Rittel, Horst 154 Ritter, Arno 207, 283 Ritter+Ritter 157 Roche, François (s. a. R&Sie(n)) Rogers, Richard 137 Rönicke, Pia 218 Rossmann, Dieter 256 Rothschild, Albert von 94 Rothschild, Nathaniel 95 Rotor 30 Rudofsky, Bernard 208 Runser/Prantl 180
S
307
Sailer, John 240 Samyn, Philippe 46 SANAA (Kazuyo Sejima, Ryue Nishizawa) 265f.
Sarnitz Silber Soyka 180 Saunder, Doug 72 Schabus, Hans 95 Scharoun, Hans 187 Schedler, Robert (FCP) 55, 191 Schenker Salvi Weber 19, 21 Scheren, Ole 232 Schicker, Rudolf 60, 267, 278, 316 Schimek, Hanna 28 Schindler, Rudolph M. 312 Schinkel, Karl Friedrich 243 Schletterer, Nikolaus 283 Schlögl und Süß 281 Schmid, Willi 217 Schmied, Claudia 196, 310 Schönthal und Hoppe 233 Schopenhauer, Arthur 257 Schuller, Robert 183 Schumacher, Patrick 197 Schütte-Lihotzky, Margarete 70 Schwanzer, Karl 208 Schwarzkogler, Rudolf 248
Schweighofer, Anton 253 Seidler, Harry 298 Seiß, Reinhard 114f., 180 Sejima, Kazuyo (s. a. SANAA)
55, 131, 196. 228,
264f.
Semper, Gottfried 305 Senarclens de Grancy, Antje 69f. SEP-Architekten 201f. Sergison and Bates 165 Shulman, Julius 217 Sicard von Sicardsburg, August 151 Siegel, Franz 116 Siza Vieira, Álvaro 201 Sobek, Werner 282 Soma 104 Sonne, Wolfgang 64 Soravia 152f. Spalt, Johannes 85 SPAN (Sandra Manninger, Matias del Campo) 262f. Spinadel, Laura (s. a. BUSArchitektur)
159,
291, 293
Steindl, Bernhard 170 Steiner, Dietmar 105, 107, 228 Steiner, Norbert 199 Stelzhammer, Walter 272 Stiefel/Kramer (Johannes Stiefel, Thomas Kramer) 222 Stocker, Esther 194 Strobl, Martin Strouhal, Ernst 122 Studio Valle 46 StudioVlay (Bernd Vlay, Lina Streeruwitz) 30, 78
Stumpf, Georg 107 Sudjic, Deyan 264 Sugimoto, Hiroshi 218 Sullivan, Louis 24 Superblock 143 swap 275 Swarovski Optik 245 Sweeney, Robert 218 Swoboda, Hannes 116, 299 Synthesis 117 Szauer, Matthias 161
T
Tabor, Jan 116 Taschner, Rudolf 225 Taut, Bruno 116 Terzic, Mario 15 Tesar, Heinz 29, 255, 299 Theiss und Jaksch 116 Thun-Hohenstein, Christoph Tillner und Willinger 108f., 138 Tillner, Silja 267
103f., 140, 218
Tojner, Michael 144, 146, 170, 172 Tovatt Architects and Planners (Johannes Tovatt) 99f. Tschapeller, Markus 244 Tschapeller, Wolfgang 198, 207
U
Uhl, Ottokar 288 Untertrifaller, Much (s. a. Dietrich|Untertrifaller) Utkin, Ilya 229
308
V
Valle, Gino 217 van Berkel, Ben 238 van der Nüll, Eduard 151 van Eyck, Aldo 269 Vana, Heinrich 95 Vana, Kurt 95 Vasko+Partner 138, 157, 160, 214 Vassilakou, Maria 115, 155, 237 Veltman, Rens 208 Viganó, Vittorio 217 Viollet-le-Duc, Eugène 158 Voggenhuber, Johannes 201f. Vogt, Günther 112 von Ballmoos Krucker 105, 165 von Boog, Carlo 181
W
Wäger, Rudolf 36, 283f. Wagner, Karlheinz 318 Wagner, Otto 26, 29, 61f., 101, 111, 116, 121f., 130, 155, 168, 181f., 220, 268, 278, 282, 305, 318
Wagner, Richard 183 Wagner-Pinter, Michael 116 Walland, Johann 69 Wallnöfer, Eduard 221 Webber, Melvin 154 Weber, Helmut 218 Wehdorn, Manfred 259 Wei Wei, Ai 231 Weibel, Peter 104, 240, 241 Weinfeld, Isay 121ff., 145 Werkgruppe Graz 270 West 8 279 West, Franz 141 Whiteread, Rachel 31 Wiener, Oswald 121 Wiesflecker, Johannes 256 Wilson, Jane und Louise 218 Wimmer, Albert 76, 128, 152, 155, 182, 282, 299 win4wien 176 Wirsing, Werner 283f. Wirth, Marlies 105 Witt-Döring, Christian 122
Wittgenstein, Ludwig 138 Wlach, Oskar 60 Woods, Lebbeus 259 Wolff-Plottegg, Manfred 314 Wörle, Eugen 125 Wörndl, Hans Peter 116 Wotruba, Fritz 14 Wright, Frank Lloyd 24, 25, 247, 312 Wurm, Erwin 152 Wurm, Karl 313
Z
Zanuso, Marco 217 Zechner-Zechner 37 Zeytinoglou, Arkan 262 Zilk, Helmut 77, 117, 192 Zilony, Tobias 218 Zinner, Michael 40f. Zobernig, Heimo 73 Zucchi, Cino 105, 238 Zumthor, Peter 230 Zunke, Rudolf 234
Sachregister
C
0–9
2000-Watt-Gesellschaft
147f.
A
Akzidentismus 84, 87, 131 algorithmisches Entwerfen 306 Architekturbiennale 71f., 80f., 196, 207, 264, 313
Architekturfestival Turn On 78 Architekturfotograf(ie) 217f. Architekturpolitik 237, 310, 311 Architekturstiftung Österreich 70, 167, 244 Architekturtage 68, 70, 202, 203 Architekturwettbewerb 16, 38f., 45, 48, 89, 118f., 123, 126, 128, 140, 144ff., 148, 170, 236, 251, 256, 291, 307f., 317
Asyl 5, 271, 273 aut – Architektur und Tirol 58, 167, 217, 283 Avantgarde 5, 72, 240, 241 Az W (Architekturzentrum Wien) 30f., 33, 60, 105, 121f., 167, 172, 228f., 237, 277, 293, 297
B
Bahnhof 127f., 193, 211, 234, 251, 280, 282, 317 Barock 233, 258, 296 Baugemeinschaften 141ff. Baukostenrisiko 113 Baukultur 4, 7, 16f., 22, 36f., 38ff., 81, 165ff., 202ff., 234, 237, 277, 309f., 319
Baukulturelle Leitsätze 48 Baukulturreport 202, 204, 310 Bausperre 22, 24 Bauträger 77f., 99, 174 Beijing 102, 179, 230f., 310 Bekleidungstheorie 305 Belvedere 48, 73ff., 89, 94, 122, 145f., 169, 174, 257f. Bergisel-Schanze 254 Berlaymont-Gebäude 44, 46 Biennale in Venedig 228, 235 BIG (Bundesimmobiliengesellschaft) 28, 101, 102, 103, 113, 160, 162, 191, 205, 293f.
Bike-City 238, 300 Bilding 3, 56, 58 Bildung 3, 12, 26f., 40, 56, 93, 104, 133, 189, 204, 288ff. Bildungsbau 12, 57f. Bildungscampus 12, 100, 132, 235, 236 BMW-Welt 34, 243 Borealis 245ff. Bozen 237ff. Brüssel 35, 42–47, 110, 122, 201 Brusselization 44 Bundesvergabegesetz 38f. BUWOG 213
Campus Attemsgasse 12 Campus-Modell 96 Canaletto-Blick 169 Caprice des Dieux 44f. CCTV 102, 232 China 49, 80, 178ff., 230ff., 239 Cluster 4, 27, 58, 96, 131, 133, 236 Clusterprinzip 133
D
Dalian 178ff. Dänemark 101, 103, 263 Denkmalamt (Bundes-)
14, 41f., 58ff., 125, 151, 153,
157f., 163, 171, 188, 297f.
Denkmalpflege 15, 58, 125, 151, 277f., 297 Denkmalschutz 19, 41, 59f., 62, 135, 158, 168, 188, 288, 296, 298
Detail 12, 55, 135, 138, 185 Dichte 29, 44, 51, 67f., 78, 99, 163f., 174–177, 189, 255, 265, 270, 299
Donawitz 40f. Dornbirn 56f. dritter Pädagoge Dubai 26, 49, 50f.
132, 291, 295
E
Eigenheim 302 Einfamilienhaus 25f., 213, 311 Einkaufszentrum 307 Einliegerwohnung 209f. Eisenstadt 161, 256, 301f. Erler Passionsspiele 183 Erstaufnahmestelle Eberau 271ff. Erste Campus 20, 55, 77, 89f. Essen 129, 141 ETFE-Folie 247 EU 3, 20, 35, 38, 42–46, 110, 113, 123, 195, 205, 267, 289
EU-Euphorie 46, 110 EU-Parlament 44 Europäische Zentralbank 43, 46, 110, 309 Existenzminimum 66, 81 Expo 49ff., 102, 117, 192, 263, 299
F
Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung 47f. Fassadenakrobatik 31 Finanzkrise 90, 81, 110f., 191, 203 Flüchtlingskrise 72 Flughafen 51, 198ff., 231, 280 Fortschritt 26f., 29, 178, 245 Frankfurt 46, 110f., 180, 309 freie Mitte 29, 31 Friedrichshof 248f.
G
Gelbes Haus 285 Geometrie und Geschichte 93f. Gesamtkunstwerk 215 Gesiba 155, 182, 300 gläserne Fabrik 243 Glaskuppel 125 Google 63ff., 301 Granit 55, 90 Graz 15ff., 36, 68ff., 131ff., 137f., 165, 167, 175, 270, 284, 320
Großraum 20, 90, 246f. Großraumschule 295
H
168, 172
Hightech 28, 59, 118, 137f., 190 Historic Urban Landscape 232 Historismus 123, 220, 233 Hochhaus 19, 25f., 50, 54, 74, 77, 82f., 89f., 102, 107, 111f., 115, 116–119, 127, 190, 217, 231, 234, 239, 278, 300 Hochhauskonzept 114, 116, 118f. Höhere Technische Lehranstalt 204 Hundertwasserhaus 307 Hutong-Viertel 231 Hypotopia 104 Hyundai 34
I
ICOMOS 145, 171, 172 Ideenwerkstatt 40ff. Industriebau 36, 111, 243f., 297 Inklusion 56, 132 Innsbruck 56ff., 82ff., 202, 217, 221, 224, 254f., 275, 281f., 314, 318
J
K
klassische Moderne 227, 283, 300 Klima- und Energiefonds 17 kooperatives Verfahren 75, 77, 144, 146, 153 Korruption 38, 45, 47, 199, 202 Krankenanstaltenverbund 155, 180, 316 Krankenhaus 157, 182, 252f., 310, 316 Kulturpolitik 240 Kulturzentrum Eisenstadt 161f. Landleben 302 lebenslanges Lernen 289 Lebenszykluskosten 39 Linz 41, 157, 211, 244ff., 284ff. Liverpool 32 Lufthaltigkeit 270
M
Maiglöckerl-Leuchte 282 MAK (Museum für angewandte Kunst) 60, 88, 103ff., 122, 139ff., 217f., 241, 259, 313
Mariahilfer Straße 226f., 234 Mies-van-der-Rohe-Preis 195 Moderne 22, 26, 35f., 70, 81, 103ff., 116, 121f., 138, 144, 166, 217, 227, 243, 258, 277ff., 282f., 300, 305, 310
MoMA 24 MOMA Linked Hybrid 231 Montessori-Pädagogik 290 Museum 4, 24, 26, 34f., 60, 62, 87, 101, 103, 113f., 121, 139f., 184f., 194, 196, 217, 230, 241, 249, 259, 285, 307, 313
MuTh
46
Karlskirche 60ff., 74f., 104 Karlsplatz 60, 62, 112, 140, 156, 168 Karlsplatzpassage 156, 158 Kärntner Straße 21, 223f., 233 Kaufhaus Tyrol 224, 255
187ff.
N
Nationalbank 111 Netzwerke 167, 234 Neue Heimat 176 Neues Leben 108, 164f., 176, 270 Nordbahnhof 30, 33, 117, 165, 299
O
217f.
Jena-Plan 290 JP Immobilien 144, 170 Jugendstil 181, 233, 296 Justus-Lipsius-Gebäude
11, 40, 56f., 96f., 109, 116, 132f.,
235f., 245, 275
L
Hallenschule 295 Haus am Michaelerplatz 223f. HDA (Haus der Architektur) 36, 167 Heimbau 65 Hellerup-Schule 295 Helsingør 101, 103 Heumarkt (s. a. Eislaufverein) 38, 48, 122, 146,
Italomodern
Kindergarten
ÖAMTC 53f. ÖBB 76ff., 117, 127, 192, 199 ÖGFA (Österreichische Gesellschaft für Architektur) 70, 166f., 277f. Olympisches Dorf 82 ÖNORM B1600 12 Opernpassage 156ff. ORF-Zentrum am Küniglberg 214, 276, 296, 298 Ornament 21, 25, 87, 305ff. ORTE 167 Ortskerne 302 Otto-Wagner-Kirche 181 Otto-Wagner-Spital 153, 155
P
Palais Résidence 44, 46f. Palmers AG 228 Parlament 38, 40, 43ff., 74, 110, , 178f., 202, 219f. Patchwork-City 238 Pendler 203 PISA 56f., 287, 289f., 294 Plößlgasse 94f. POK Pühringer Privatstiftung 188 Populismus 273, 311 Post AG 19f. Postmoderne 45, 138, 161, 217, 229, 282f. Pritzker-Preis(träger) 72, 159, 265, 291, 293 PTFE-Folie 239 Public-Private-Partnership 8, 11, 112f., 315f.
Staatspreis für Industrie- und Gewerbearchitektur 244 Stadt als Objekt 65 Stadtbaukunst 64f. Städtebau 16, 48, 76, 90, 114, 118, 146, 175f., 197, 271, 279
Stadtentwicklungsplan 118, 175, 278f. Stadthallenbad 134ff., 214f., 276ff. städtische Infrastruktur 54, 278, 315 Stadtmöbel 319ff. Stadtmöblierung 64, 233, 256 Stadtplanung (-planer) 15, 44, 47ff., 61, 63ff., 73, 78, 100, 108, 114f., 117f., 135, 144f., 154, 170f., 204, 237f., 268f., 318
Stararchitekt(ur)
80ff., 134, 159, 228,
254, 318
Q
Qualität 39, 47ff., 97f., 112ff., 165, 309 Qualitätenkatalog 236 Quartiershäuser 78
R
Rationalisierung 282 Rechtspopulismus 299 Reininghaus-Gründe 15 Rolex Learning Center 264ff.
S
Sachzwänge 41, 63ff., 70, 113, 144, 149, 194, 238 Salzburg 126, 128, 167, 185, 200ff., 258, 321 Sargfabrik 141f. Schanghai 230, 261 Schulbau 41, 132f., 188, 235f., 254, 287f., 294 Schule 9, 11, 17, 25–29, 40ff., 56ff., 80, 96ff., 131ff., 137f., 204ff., 235ff., 253f., 256, 286–291, 294ff., 310 Schulkomplex 205 Schulorganisationsgesetz 131, 287 Schulsanierungen 97, 291 Schulsystem 42, 287, 291, 294 Schwaz 250ff., 307ff. Seestadt Aspern 26f., 96, 98, 105, 117, 143, 203, 238
Seoul 33ff., 279 Sieben Organe der EU 42 Siegesdenkmal 222 Simmering 108 Skylink 198ff., 280 Smart City Graz 15ff. Smart-Wohnen 66f. Sofiensäle 151f. Sohm Holzbautechnik 245 Solidaritätsfonds 143 Soravia-Gruppe 152 soziale Infrastruktur 12 soziokratisch 142 Spektakel 250, 266f.
Steinhof 154f., 180ff. Steirereck 129 Stephansdom 69, 297 Straßburg 43ff., 110 Streckhöfe 302 Stumpf AG 107 Svenskt Tenn 85 Symbole des Stillstands
125
T
Tirol 28, 167, 217, 251, 254ff., 281, 283, 307 Totalübernehmer 317 Tourismus 22, 37, 49, 296 Transfer Wohnen Vorarlberg 92f. TU Wien 15, 33, 55, 92, 118, 138 Turin 194f., 312 Turner-Preis 31ff.
U
ULF 319ff. Unbehagen in der Kultur 307 UNESCO 48, 73, 75, 146, 170f., 193, 232ff., 315 Uni Innsbruck 58 Unicredit 89 Universitäten 64, 166, 189, 191, 232, 294 UNO-City 117 urbane Dichte 175 urbane Flusslandschaften 279 Utopie 237f., 283
V
vai (Vorarlberger Architektur Institut) Velden 22f. Vienna Biennale 33, 103ff. Villa Beer 58, 60 Villa Betonia 181 Vogelnest 231 Volksbefragung 15, 117, 154f., 182, 299 Volksschule 41, 57, 96, 131ff., 236, 287, 290 Vorsorgewohnung 175
36
W
Wasserleitungskunst 257ff. Welt(kultur)erbe 47f., 59, 75, 118, 145f., 171, 193, 281f., 315
Werkbund 166 Werkraum Wien 28, 84 Wertinvest 146, 170ff. Westbahnhof 234, 238 Wettbewerb 12, 20, 30f., 34, 37, 44, 46, 53, 58, 61f., 77, 83, 99f., 105, 108, 110–113, 116, 125, 128, 130, 137, 143, 147, 158f., 161ff., 174, 184, 189, 192f., 195, 199, 202, 205, 208, 222, 229, 234, 237ff., 246, 251, 258, 263, 266, 275, 285, 291ff., 295, 299, 308, 318f.
Wien
12, 20, 54, 62, 75, 117, 119, 122, 126, 137, 156, 174, 177,
180, 192, 200, 204, 214, 226, 237, 252f., 257, 280, 296, 298, 317f.
Wien-Mitte 108, 171, 193f. Wien Museum 26, 62, 112, 114, 140 Wiener Aktionismus 248ff. Wiener Eislaufverein (WEV) 47, 73, 75, 119, 121f., 144, 168ff.
Wiener Gürtel 267 Wiener Memorandum 232, 234 Wiener Parlamentsgebäude 218 Wiener Sängerknaben 187ff. Wiener Stadtplanung 65, 114, 238 Wiener Wohnbau 65, 68, 163, 213, 269 win4wien 176 WIP 97f. Wirtschaftsuniversität 55, 89, 117, 158, 291f. Wissensgesellschaft 288, 295 Wohnbau 17, 19, 29, 33, 35, 37, 44, 65f., 68, 78, 91, 93, 95, 103, 107, 116, 138, 141ff., 154, 163, 174, 176f., 210, 212f., 231, 243, 255, 265, 269ff., 278, 296, 300, 310, 313ff.
Wohnbauförderung 17, 107, 142f., 152, 174, 271 Wohnen 65-68, 76ff., 82, 92f., 98ff., 141ff., 155, 173ff., 176f., 209, 301f., 310, 313ff.
Wohnprojekt Wien 142 Wörthersee 22, 23 Wulkaprodersdorf 301ff. Würfeluhr 315f.
Z
Zentralsparkassa 224 Zielgebiete 278f. Zurich Versicherung 147 Zurndorf 248
Impressum Christian Kühn, geboren 1962, studierte Architektur an der TU Wien (Dipl.Ing.) und an der ETH-Zürich (Dr.sc.tech.). Er ist Professor für Gebäudelehre und Studiendekan für die Studienrichtungen Architektur und Building Science an der TU Wien sowie Vorsitzender der Architekturstiftung Osterreich. Er schreibt Beiträge für Architekturzeitschriften und Tageszeitungen und war 2014 Kommissär und – zusammen mit Harald Trapp – Kurator für den Österreichischen Beitrag zur Architekturbiennale in Venedig. Seit 2015 ist er Vorsitzender des Beirats für Baukultur im österreichischen Bundeskanzleramt. In memoriam Peter Kühn, 1982 – 2018
Acquisitions Editor
David Marold, Birkhäuser Verlag, A-Wien Project & Production Editor
Angelika Heller, Birkhäuser Verlag, A-Wien Gestaltung
buero bauer, www.buerobauer.com, A-Wien Erwin K. Bauer, Christian Konrad, Michael Niedermair, Clemens Schrammel Lektorat
Claudia Mazanek, A-Wien Druck
Holzhausen Druck GmbH, A-Wolkersdorf
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2018961922
ISBN 978-3-0356-1684-2 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-1704-7
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