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German Pages 478 Year 1978
E RFAHRUNG U ND D ENKEN S c h r i f t e n z u r Fö rd e r u n g d e r B e z i e h u n g e n z w i s c h e n Ph i l o s o p h i e u n d Ei n ze l w i s s e n s c h a f t e n
Band 51
Ontologie, Systemtheorie und Semantik Von
Elisabeth Leinfellner und Werner Leinfellner
Duncker & Humblot · Berlin
ELISABETH LEINFELLNER · WERNER LEINFELLN ER
Ontologie, Systemtheorie und Semantik
E R F A H R U N G
U N D
D E N K E N
Schriften zur Förderung der Beziehungen z wiedien Philosophie und Einzelwieeenschaften
Band 51
Ontologie Systemtheorie und Semantik
Von
Dr. Elisabeth Leinfellner Prof. Dr. Werner Leinfellner
DUNCKER &
HUMBLOT/BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 04077 5
Vorwort Dieses Buch soll ein altes und traditionelles Gebiet der Philosophie, die Ontologie, wieder i n den Mittelpunkt philosophischer und wissenschaftstheoretischer Analysen rücken, vor allem auch aus dem Grunde, weil die Frage nach einer generellen Semantik der Wissenschaften unlösbar m i t der Ontologie wissenschaftlicher (Kon-)Texte verbunden ist. Ontologie und Semantik reichen aber weit über die Wissenschaften hinaus, denn sie beruhen auf allgemeinen ontologischen und semantischen Untersuchungen bereits der vorwissenschaftlichen (Kon-)Texte und Sprachen. Aus dem semantischen und ontologischen Vorverständnis der vorwissenschaftlichen Sprachen kann ein allgemeines System der Ontologie und Semantik entwickelt werden, das i n seiner Anwendung auf wissenschaftliche Theorien als Texte und Kontexte seinen präzisen A b schluß findet, aber auch die vorwissenschaftlichen Sprachen immer noch mit einschließt. Aus diesem Grunde wurden i m ersten Teil Elemente der Ontologie und Semantik i m Rahmen bestimmter philosophischer Grundmodelle behandelt, insofern diese erkenntnistheoretisch-ontologisch oder semantisch orientiert waren. Solche Grundmodelle sind die platonische Lehre von der Repräsentation der Formen, die aristotelische Substanzontologie, die „Sinn"-Semantik der Stoa und die erste wohlausgebaute Semantik, die Suppositionslehre des Mittelalters, weiters Kants erkenntnistheoretisches Modell der Newtonschen Theorie. I n diesen ontologischen und semantischen Grundmodellen finden w i r fundamentale Vorentscheidungen, Problemstellungen und Lösungsversuche, die auch die Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts noch beschäftigen, sowie die Ontologie und Semantik der Wissenschaften. Es sind aber nicht nur die systematischen Ansätze jener philosophischen Grundmodelle, sondern auch ihre paradigmatischen Impulse, die paradigmatischen Impulse des Piatonismus, Aristotelismus, Nominalismus und Konzeptualismus, die Wissenschaftstheorie und Ontologie und Semantik der Wissenschaften entscheidend beeinflussen. I n den Erörterungen des ersten Teils werden nun die systematischen Ansätze und die paradigmatischen Impulse gegeneinander abgewogen und auf ihre Brauchbarkeit i m Rahmen einer Ontologie und Semantik der gegenwärtigen Wissenschaf-
6
Vorwort
ten geprüft. Dabei w i r d sich zeigen, daß gewisse paradigmatische Vorstellungen aufgegeben werden müssen, so die aristotelische Ontologie der Substanzen. Gleichzeitig sollen die Erörterungen des ersten Teiles eine hier vertretene These erhärten, nämlich, daß sich die generelle Methodologie, die Wissenschaftstheorie, die Ontologie und die Semantik der kognitiven, realisierenden und auch der formalen Wissenschaften aus schon vorwissenschaftlichen semantischen (operativen und operationalen) und ontologischen Funktionen der Sprache herleiten lassen, wobei die ontologischen Funktionen repräsentierend und strukturell sind. Es w i r d damit systematisch alles, was man in den Wissenschaften „Deskription", „Beobachtung", „Experiment", „Begriffsbildung", „Abstraktion", „Mathematisierung", und sogar „ L o g i k " nennt, entweder der operativen Semantik, oder der operationalen Semantik, oder der Ontologie wissenschaftlicher Theorien als (Kon-)Texte zugeteilt; dies gilt auch für die grammatikalischen und syntaktischen Funktionen wissenschaftlicher Sprachen. Dabei soll eine operationale Semantik eine Semantik sein, die den Gebrauch und Sinn sprachlicher Ausdrücke innerhalb von gegebenen wissenschaftlichen Kontexten und hinsichtlich bestimmter Gebiete D eineindeutig festlegt. Die operative und die operationale Semantik beschäftigen sich auch m i t der Festlegung sprachlicher Invarianzen, und diese Festlegungen gehen zu dem Auffinden struktureller Invarianzen m i t H i l f e von Theorien parallel. Derart verknüpfen sich Ontologie und Semantik, und zwar sowohl die Ontologie und Semantik der vorwissenschaftlichen, als audi der wissenschaftlichen Erkenntnis. W i r überbrücken also i m Rahmen der hier vertretenen Ontologie und Semantik die Kluft zwischen Wissenschaft und vorwissenschaftlichen Konzeptionen. Auch können gewisse fundamentale semantische Methoden mit bedeutenden Methoden der wissenschaftstheoretischen Analyse, so ζ. B. der mengentheoretischen Formalisierung und Axiomatisierung von Theorien identifiziert werden. Schließlich kann man, wenn man an den gerade angedeuteten A n sätzen festhält, eine „mathematisierte" Semantik der Differential- und Integralgleichungen i n wissenschaftlichen Theorien aufstellen, wobei es gelingt, die theoretischen Begriffe semantisch zu reduzieren. V o m Standpunkt der Wissenschaften, der Wissenschaftstheorie und der Philosophie i m allgemeinen ist die Ontologie wissenschaftlicher (Kon-)Texte (Theorien) eine Disziplin, die sich m i t der Strukturerkenntnis und der Strukturrealisierung beschäftigt, wobei sie sich der Methoden der operativen und der operationalen Semantik bedient. Das Verfahren,
Vorwort
eine (im Grunde rekursive) Semantik der Wissenschaften aufzubauen, beruht auf dem schon erwähnten Auffinden sprachlicher Invarianzen, welche wiederum auf (statistisch) invariante ontische Strukturen zurückgeführt werden. Damit erhalten w i r eine Humesche These, die auch für die Sprache selbst gilt und nicht nur für Gebiete D der Welt. Hume hatte ja gesagt: „First we may observe, that the supposition, that the future resembles the past, is not founded on arguments of any kind, but is deriv'd entirely from habit, by which we are determin'd to expect for the future the same train of objects, to which we have been accustom'd." (David Hume: A Treatise of H u m a n Nature. Oxford, 1964, S. 134) Diesem Gedanken schließen w i r uns also semantisch an, indem w i r sagen, daß i m Sprachgebrauch, i. e. i n Kontexten, und zwar sowohl in wissenschaftlichen wie i n vorwissenschaftlichen, sich (statistisch) invariante Regelmäßigkeiten herausbilden, die die (statistisch) invarianten Regelmäßigkeiten der Welt wiederspiegeln und die letztlich zu Bedeutungen führen, die w i r „operationale" genannt haben, und die in den Wissenschaften auf jeweilige Theorien und Bereiche D relativiert werden müssen. Die „unveränderlichen Gesetzmäßigkeiten des Naturgeschehens", die sogenannten kausalen Abläufe, die behavioristischen Regelmäßigkeiten erweisen sich damit auch als Gegenstand einer Semantik, die w i r eine „Humesche Semantik" nennen können. Z u m Schluß danken w i r unseren Freunden i n aller Welt für die vielen wertvollen Anregungen zu diesem Buch und dem Research Council der Universität Nebraska für die finanzielle Unterstützung des Projektes. Dem Verlag Duncker & H u m b l o t danken w i r für die Geduld und das Entgegenkommen, die uns anläßlich dieses Buches entgegengebracht wurden. Lincoln, Februar 1976
Werner und Elisabeth Leinfellner
Inhaltsverzeichnis 1.
Ontologische und semantische Modelle
1.1.
Das platonische und die platonistisdien Modelle (Ontologie als Lehre von der Repräsentation)
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie 1.2.1. Das aristotelische Substanz-Modell 1.2.2. Das aristotelische στέρησιç-Modell und die deskriptiv-semantische Bedeutung der Negation 1.2.3. Das δύναμις-ένέργεια-Modell als proto-ontologisches Modell 1.2.4. Die Substanz als logisches Subjekt; die ontologische Grundlage der Variable 1.2.5. Substanzen, Universalien und (Proto-)Ontologie bei Aristoteles . . 1.2.6. Die aristotelischen Kategorien: (Proto-)Ontologie, Logik oder Semantik?
11 11 32 34 41 45 46 47 50
1.3.
Bedeutung oder Sinn: das stoische λεκτόν
56
1.4.
Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
64
1.5.
Der Kantsche Schematismus und das Problem der Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 1.5.1. Der Kantsche Schematismus, oder: Wie man Semantik ohne Sprache betreibt (Konzeptualismus und Semantik) 1.5.2. Logisches oder semantisch-ontologisches Theorienschema? 1.5.3. Das spezielle Modell einer Theorie und die Carnap-RamseySemantik 2. 2.1. 2.2.
Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften Die Unmöglichkeit einer allgemeinen Ontologie Allgemeine Vorbemerkungen zur Proto-Ontologie der Wissenschaften
92 92 116 119 147 147 155
2.3.
Vorbemerkung zur systemtheoretischen Behandlung der ProtoOntologie
161
2.4.
Der induktive Charakter der Proto-Ontologie
164
2.5. Proto-ontologische Annahmen 2.5.1. Klassifizierung von Systemen
168 200
2.6.
203
Formale Teilrekonstruktionen der Proto-Ontologie
10
2.7.
Inhaltsverzeichnis
Abschließende philosophische Bemerkungen
Die linguistische Grundlegung der operationalen Semantik und die operative Semantik 3.1. Operative und operationale Semantik als grundlegende Disziplinen 3.2. Operationale Bedeutung in der Umgangssprache 3.2.1. Die Semantik als grundlegende Disziplin und linguistische Systeme der Semantik 3.3. Sprachphilosophischer Exkursus zum Problem von Semantik und Ontologie
208
3.
216 216 228 231 262
4.
Operative Semantik der wissenschaftlichen Sprachen
285
5. 5.1.
Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften Die Definition oder Darstellung der operationalen Bedeutung durch operationale Matrizen Axiomatik und Struktur und die Invarianzthese Extraktion eines Textes Strukturelle Erörterungen
313
5.2. 5.3. 5.4. 6. 6.1.
Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien . . . . Die quantitative oder metrische Repräsentation, ihre Semantik und Ontologie 6.2. Der semantisdi ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen in quantitativen Theorien 6.2.1. Mathematisierung der Semantik-Semantisierung der Mathematik . . 6.3. Die Invarianzbedingung für Meßgrößen in quantitativen Theorien
313 331 351 359 369 369 388 396 407
6.4.
Die Semantik und Ontologie der mathematischen Variablen in den mathematischen Gleichungssystemen oder: Die Mathematisierung der Semantik oder die Semantisierung der Mathematik in quantitativen Theorien 6.4.1. Semantik und Ontologie der sekundären Meßgrößen 6.5. Die Reduktion sogenannter „theoretischer Terme" in quantitativen Theorien als semantisch-mathematisches Problem 6.6. Die mathematisierte Semantik quantitativer Theorien: Konstante und π-Theorem
423
Bibliographie
435
Namenverzeichnis
447
Sachverzeichnis
451
411 413 416
1. Ontologische u n d semantische Modelle 1.1. Das platonische und die platonistisdien Modelle (Ontologie als Lehre von der Repräsentation) I n der platonisch eleatischen Philosophie t r i t t das erste M a l i n der Geschichte der europäischen Philosophie die Uberzeugung auf, daß unser Wissen Repräsentieren sei, nämlich das Repräsentieren durch an sich seiende Formen, die vom Menschen wenigstens teilweise erschaut oder intuitiv erfaßt werden können. Diese Auffassung ist es, die man gewöhnlich meint, wenn man von Piatonismus spricht. Daneben gibt es noch einen platonischen Konzeptualismus, nach welchem die Ideen am Grund der Seele liegen, von w o sie durch Rückerinnerung heraufgeholt werden können. Es sind vor allem zwei platonische Thesen, die für Jahrhunderte die philosophische Frage, woraus denn gewissermaßen diese Repräsentation gemacht sei, in den Hintergrund gedrängt haben: 1. die schon erwähnte These, daß die Ideen (Formen, später: Begriffe, Konzepte) intuitiv und klar erschaubar seien, und 2. die These, daß diese Ideen oder Formen eine unwiderlegbare Existenz besäßen (platonische Existenzbehauptung). Die schon oft beschriebene Konsequenz dieser Thesen für die Ontologie war, daß die Welt entwertet und abgewertet wurde; die Konsequenz der platonischen Thesen für die Auffassung der Sprache und für die Semantik i m besonderen wurde aber kaum dargestellt. Es ist hauptsächlich der Piatonismus und seine Allianz mit jeder A r t von Konzeptualismus, der es verhindert hat, daß man die semantische Funktion der Sprache sah, was wiederum zur Folge hatte, daß man letzten Endes nicht erklären konnte, was Ideen oder Begriffe denn eigentlich seien. Demnach entwertet die platonische Philosophie nicht nur die Welt, sondern auch die Sprache und deren Rolle bei der Repräsentation der empirischen Strukturen. Die platonistische und auch die platonisch konzeptualistische Verdunkelung der Funktion der Sprache hat für die Entwicklung der Ontologie, der Erkenntnistheorie und der Philosophie i m allgemeinen unabsehbare Folgen gehabt. Deswegen wollen w i r i m folgenden den Piatonismus als die historisch einmalige Form einer erstarrten philosophischen Position behandeln. W i r werden dann auch deutlich
1. Ontologische und semantische Modelle
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sehen, daß es trotz allen Bemühens nicht gelingt, ontologische und andere Systeme aufzustellen, die ohne Semantik, oder, generell: ohne die Funktion der Sprache auskommen. I n der frühgriechischen Philosophie vor Piaton treten die Ideen als Formen, Abbilder oder Klassen auf. Für Sokrates und Piaton sind die Ideen (ιδέα, die Idee) reine Wesenheiten, welche separat existieren und teilweise m i t Zahlbegriffen identifiziert werden. Als Musterbilder der Wirklichkeit erscheinen die Ideen als είδη, als dynamische, formabbildende Strukturen, welche i m ganzen Universum gültig sind (Universalien). Bei Piaton haben w i r — in der Ideenlehre — die Vorstellung einer Repräsentation empirischer Formen in und durch die Ideen, allerdings ohne Sprache. Piaton unternimmt einen Anlauf, die Repräsentation der empirischen Formen i n der Sprache zu erklären, i m „ K r a t y l o s " ; doch davon wollen w i r später handeln. Nach Piaton sind 1. die Ideen von der Welt getrennt; dies ist das ontologisch-metaphysische oder onto-metaphysische Modell, wie es strikt durchgeführt i m ersten Teil des „Parmenides" erscheint: Das Eine, die Fülle der Ideen, ist gänzlich von der Welt abgesondert, daher aber auch unerkennbar 1 . Piatons eigentliches Repräsentationsmodell sieht folgendermaßen aus: 2. Die Ideen als είδη sind mit den Dingen der empirischen Welt durch zwei Relationen verbunden, welche bei Piaton ,,μέθεξις", „Teilnahme" — heute würden w i r sagen: „Repräsentation" — und „παρουσία", „Anwesenheit" — heute würden w i r sagen: „Interpretation" — heißen. Dieses Modell der Verbindung von Ideen und Dingen (όντα) ist das erste Modell einer ontologischen Repräsentation der Welt durch oder i n etwas, hier durch oder i n Ideen, U n i versahen 2 . Aber: die Ideen existieren „ v o r den Dingen" und repräsentieren diese (deren Form), nicht umgekehrt, nämlich, daß zuerst die Dinge und dann die Ideen existieren. Dies ist der Standpunkt, der oft m i t dem Ausdruck „universalia ante res" gekennzeichnet wird. Die beiden Relationen μέθεξις und παρουσία bringen die Verbindung (Repräsentation oder Interpretation) zwischen D i n gen und Ideen auf folgende Weise zustande: 1. die μέθεξις ist das Teilnehmen der Dinge an denjenigen Ideen, welche ihre (der Dinge) Form repräsentieren. 2. Ideen qua Form, Struktur, sind in den Dingen anwesend (παρουσία; universalia i n rebus). Wichtig ist, daß weder die Dinge allein und ihre (empirische) Existenz, noch die Ideen allein und ihre 1 2
Parm., 137 c-142 a. Vgl. Parm., 142 b-166 b.
1.1. Das platonische und die platonistischen Modelle
13
platonische und platonistische Existenz das erste ontologische Modell bilden, sondern beide zusammen, wobei die letzteren die ersteren repräsentieren. Das ganze Modell kann folgendermaßen i n einer Skizze festgehalten werden, die — i n abgewandelter Form — auch ein Grundmodell der abendländischen Ontologie, Erkenntnistheorie, Semantik und Sprachphilosophie spiegelt, insofern sich diese mit Repräsentation oder Interpretation beschäftigen. Ideen
(Ιδέαι, εϊδη)
μέθεξις
παρουσία Dinge
(οντα)
I n diesem platonischen ontologischen Modell w i r d die Funktion der Ideen nicht so dargestellt, daß zunächst Sprachzeichen oder geistige Begriffe die Form der Dinge repräsentieren und so das Zwischenglied zwischen Ideen und wirklicher Welt abgeben. Repräsentation durch Sprache, oder i n der Sprache, taucht als ausgebildete Lehre erst später im Konzeptualismus und Nominalismus des Mittelalters auf. Die Welt der Ideen ist sprachlos; und Piaton bedient sich der Vorstellung von universellen Formen, qua Strukturen, die von der Realität unabhängig sind, aber mit dieser durch eine direkte Abbildungsfunktion verknüpft sind. Die Wissenschaft (επιστήμη) besteht i n der Kenntnis dieser Formen, Strukturen; und diese Kenntnis kann nur i n t u i t i v 3 oder dialektisch 4 erfahren oder erworben werden. W i r können uns die Repräsentationsrelation als eine A r t Ähnlichkeitsrelation oder Relation einer ähnlichen Abbildung vorstellen; tatsächlich behauptet Aristoteles i n der „Metaphysik" folgendes: „Was dabei die Bezeichnung: ,Teilnahme" anbelangt, so hat Plato m i t derselben nur ein neues W o r t aufgebracht: die Pythagoreer ließen die Dinge durch ,Nachahmung" der Zahlen sein, Plato durch ,Teilnahme", was nur ein anderes W o r t ist. Welcher A r t jedoch diese Teilnahme oder Nachahmung der Ideen sei, haben beide unermittelt gelassen5." 3 4 5
Menon, 80 d. Soph., 253 b - 2 5 4 a; Parm., 129 e. Met. A, 9, 992 a, 24 f.; vgl. auch Cherniss, S. 179 f.
1. Ontologische und semantische Modelle
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Wie steht es nun mit dem Problem der Semantik bei Piaton? Piaton identifiziert die Ideen auch m i t den Zahlbegriffen, so daß eine Ähnlichkeitsrelation auch zwischen Zahlbegriffen und Dingen bestehen muß. Piaton hat sich — i n einer A r t primitiver deskriptiver Semantik — m i t der Ähnlichkeit von Worten und Dingen beschäftigt, nämlich im „ K r a t y los"; man kann von vornherein sehen, daß es viel schwieriger ist, Ähnlichkeiten zwischen Worten und empirischen Dingen aufzuweisen, als zwischen Zahlen oder Zahlbegriffen und Dingen, empirischen Verhältnissen u. ä., da Zahlen es ja m i t Verhältnisstrukturen zu tun haben. Der Auffassung, daß zwischen Worten und Dingen Ähnlichkeit besteht, stellt sich i m „Kratylos" obendrein noch die Schwierigkeit entgegen, daß Piaton die onomatopoetische Interpretation der Ähnlichkeitsrelation ablehnt 0 . Andererseits gelingt es aber Piaton auch nicht, eine brauchbare deskriptive Semantik zu formulieren. Die Vorstellung von Ähnlichkeitsrelationen zwischen D i n g und W o r t einerseits, und D i n g und Zahl(begriff) andererseits existiert noch heute, und audi die Vorstellung, daß die erstere „schwieriger" sei, als die letztere; noch heute sagen w i r , daß man die Wirklichkeit oder deren Struktur m i t H i l f e der Mathematik, z.B. einer strukturellen Mengenlehre, „genauer" und „adäquater" darzustellen vermöge, als m i t H i l f e der natürlichen Sprachen. W i r verstehen nun auch, warum Piaton i m „Parmenides" zu mengentheoretischen Hilfsmitteln greift 7 . Es geht i m „Kratylos" zunächst um die bekannte semantische Frage, ob die Worte „ v o n N a t u r aus" (φύσει) m i t den Dingen verbunden seien, i. e. ob sie „nachahmen", ähnlich sind, etc., oder ob die Zuordnung auf bloßer Konvention, auf Ubereinkünften der Menschen untereinander (θέσει) beruht. W i r wollen nun kurz den platonischen Ansatz zu einer deskriptiven Semantik erörtern. Es ist klar, daß w i r vom heutigen Standpunkt aus den „θέσει"-Ansatz vorziehen. D . h. w i r nehmen i m allgemeinen nicht an, daß Worte und Dinge, Worte und Eigenschaften, usw. quasi-kausal ( = durch richtige Sprachschöpfung) miteinander verbunden sind. H i e und da scheinen jedoch noch Ansätze einer φύσει-Auffassung durch: 1. vertritt man gewöhnlich die Auffassung, daß onomatopoetische Wörter einen „), dann ist es löslich (q)" ist wahr auch wenn „ p " falsch ist, d. h. N a C l nie in die Lösungsflüssigkeit gegeben wurde. W i r müssen hier, um die Konsistenz und die zugrunde liegende platonistische Ontologie zu retten, sowohl unseren gesunden Menschenverstand, als auch eine vernünftige und brauchbare Erklärung der Beobachtungs- und Experimentiersprachen zum Opfer bringen. Abschließend kann man zu dem Thema Empirismus-Platonismus folgendes bemerken: eine rein platonistische Ontologie und eine rein empiristische Ontologie sind Extremfälle, in demselben Sinne, in dem i n der Wahrscheinlichkeitstheorie die Werte 0 und 1 die Extremfälle der Wahrscheinlichkeit sind, die eigentlich gar nicht mehr zur Wahrscheinlichkeit gerechnet werden dürfen: das absolut sichere Ereignis und das absolut unmögliche Ereignis haben nicht mehr Zufallscharakter. Ebenso könnte man sagen, daß die absolut i n sich abgeschlossene empirische Existenz und die absolut in sich abgeschlossene platonistische Existenz außerhalb der Semantik und Ontologie liegen. W i r werden i m folgenden für existierende holistische Systeme das Realisationskriterium einführen; dieses ist ein solcher empiristischer Extremfall. M a n benötigt für dieses Realisationskriterium nicht das Medium einer vermittelnden wissenschaftlichen Sprache, daher keine Semantik, und daher, gemäß der hier vertretenen These, auch keine Ontologie. Als empiristischer Extremfall scheidet das Realisationskriterium gewissermaßen aus der Ontologie aus, oder steht an den Grenzen der Ontologie. I m p l i z i t haben w i r hier auch ausgedrückt, daß jede konzeptualistische „Vermittlung" früher oder später durch eine sprachlich-semantische ersetzt werden muß. M a n kann also, wie schon angedeutet, die ontologische Situation folgendermaßen beschreiben: es gibt zwischen den beiden ontologischen Extremformen sehr viele Mischformen; man kennzeichnet diese Mischformen gewöhnlich als Mischungen zwischen Piatonismus und Empirismus. Die rationalistisch-platonistische Position und die empiristische Gegenposition, wie sie sich ζ. B. i n Ockhams Philosophie ausdrückt (Minimierung platonistischer Begriffe), haben die abendländische Philosophie als Ganzes gesehen mehr beschäftigt, als die Frage, ob das Medium einer Repräsentation die Sprache (Nominalismus), das Denken (Konzeptualismus) oder etwas anderes sei. W i r haben gesehen, daß jede platonistische Ontologie automatisch „verdoppelt", d. h. eine empiristische nach sich zieht, sowie heute auch Erwägungen über das Medium der Repräsentation, ζ. B. semantische.
1.1. Das platonische und die platonistischen Modelle
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Umgekehrt sind aber auch rein empiristische Ontologien ontologisch unvollständig, wie es das Schicksal des Positivismus des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gezeigt hat. So wandelte sich dieser Positivismus zum logischen Positivismus, indem er gewisse platonistische (rationalistische) Elemente aufnahm, etc. Andererseits haben Mischformen, wie zu erwarten, eine Tendenz, dual oder antinomisch auseinanderzufallen; und diese Tendenz zu Antinomien und Krisen durchzieht die abendländische Philosophie. Sie beginnt mit den Zenonischen Antinomien, setzt sich fort i n der pythagoreischen mathematischen Grundlagenkrise, der aristotelischen Absage an die platonische Philosophie (siehe S. 34); es folgen der Universalienstreit, die Krise bei der Grundlegung der heutigen Wissenschaften, die Grundlagenkrise der Mathematik und der Mengenlehre. Die Relativitätstheorie w i r d platonisiert; die physische Welt selbst erscheint i n ihr als eine vierdimensionale platonistische Idee. Noch immer w i r d die Frage, ob das Leben vitalistisch oder mechanisch interpretiert werden soll, diskutiert. Generell können w i r sagen, daß die heutigen Wissenschaften sowohl rationalistische (platonistische) als audi empiristische Annahmen enthalten. Treffen diese aufeinander, dann erscheinen früher oder später Antinomien, Grundlagenkrisen u. ä. I n der Theologie führten die platonistischen Annahmen über einen an sich seienden Gott zu jahrhundertelangen, unauflösbaren Disputen über den Beweis der empirischen Existenz einer solchen platonistischen Entität. Derselben platonistischen Tendenz entstammen ζ. B. alle A p r i o r i - A n nahmen über einen apriori existierenden altruistischen Sittenkodex, der anstelle der platonischen Idee des Guten Ethik und Moral fundieren sollte. Die platonistische Annahme, daß die menschliche Gesellschaft auf Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Gerechtigkeit fundiert sei, führte bekanntlich zu Arrows Paradoxie der Demokratie; und ebenso ergeht es den platonistischen Ansichten, daß es eine absolute Kausalität, eine Dialektik der N a t u r gäbe, daß der Geist das Prinzip des physischen Körpers sei, das Leben das platonistische Prinzip des Mechanisch-Anorganischen, etc.: sie alle führen zu paradoxen Resultaten, weil es unvermeidlicherweise zu Zusammenstößen mit empiristischen Gegenpositionen kommt. Es ist interessant, daß gerade bei der Grundlegung der Mathematik und Logik die platonistische Ontologie einen Schiffbruch erlitten hat, von dem sie sich w o h l kaum erholen wird. W i r verstehen darunter den Schiffbruch fast aller absolut-platonistischen Ideen, wie: Konsistenz, die Existenz unendlicher Klassen, die Wohlordenbarkeit unendlicher Klassen (ζ. B. aller reellen Zahlen). Darunter fällt auch die Vorstellung, daß die
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1. Ontologische und semantische Modelle
Wahrheitswerte Wahr und Falsch exklusiv zwei unendliche Klassen fundieren, die Klasse aller wahren und die Klasse aller falschen Sätze, und daß damit das klassische platonistische Prinzip des ausgeschlossenen D r i t ten konstituiert werden kann. W i r befinden uns in diesem Falle in einer fiktiven und unendlichen Welt von Wahr und Falsch, ohne daß jemals auf die empirische Anwendung geachtet wird. Was die Wohlordnung der reellen Zahlen betrifft, so w i r d heute noch an ihr festgehalten — trotz der Ergebnisse des zweiten Cantorschen Diagonalverfahrens. I n der Mathematik führten derartige Ansichten zu Antinomien, die man heute kaum als überwunden betrachten kann, und wo die einzige Lösung zu sein scheint, daß man sich des Ockhamschen Rasiermessers bedient. Die Entwicklung i n den Sozialwissenschaften, wo die bis dahin gängigen platonistischen Ansichten durch Arrows Paradoxie entwertet wurden, geht parallel zur Entwicklung in der Mathematik. I n der Linguistik haben w i r die erst m i t den Transformationsgrammatiken auftretende platonistische Vorstellung, daß eine Grammatik unendlich viele Sätze erzeuge oder beschreibe, eine Vorstellung, die Absurditäten, wie unendlich viele Sprachbenützer und ein ewiges Universum postuliert. I m folgenden sei noch eine Liste von platonistischen Prinzipien und deren empiristischen Anti,,prinzipien" angeführt. Der reine Empirismus kann — paradox ausgedrückt — i m Prinzip keine Prinzipien enthalten; erhebt man in einer streng empiristischen Philosophie oder Wissenschaft etwas zum Prinzip, dann kommt diese Verabsolutierung einer Platonisierung gleich.
Liste einiger
beliebter,
ZH
Antinomien (Paradoxien) führenden Antipositionen
Platonistische Positionen und Ideale: Empiristische Gegenpositionen: Allgemeine Ideale: Gott, Seele y Mensch. Antinomien- und paradoxienbildend, so bei Plato, in den Gottesbeweisen, Ideologien und Weltanschauungen unendlicher, allmächtiger, vom Menschen separierter Gott, z. B. in Theologie, Mythologie
endlicher Mensch, z.B. in kognitiven, praktischen Wissenschaften (Medizin)
ausdehnungsloser Geist, z. B. in Idealphilosophie Hegels etc.
endliche Gehirnfunktionen, z. B. in Gehirnphysiologie, Intelligenzforschung
unsterbliche Seele z. B. in theologischer Psychologie
hereditäre, aber vergängliche Genkonstellation des Individuums, z. B. in Molekularbiologie, Genetik etc.
1.1. Das platonische und die platonistischen Modelle
29
Kosmologische Antinomien und Paradoxien , ζ. B. Kants Antinomien unendliche Welt, z.B. in der klassischen Weltansicht
finite, in sich geschlossene Welt, z.B. der Relativitätstheorie
Welt hat Anfang durch Schöpfung, ζ. B. in Theologie, Mythologie
Welt anfangslos, aber creatio continua oder durch Zufall und empirische Notwendigkeit (Monod)
Atomismus der Urbestandteile, ζ. B. in griechischer Philosophie
Allzusammenhang, Feld, System von Systemen, z. B. in Systemtheorie
Gesellschaftliche
oder soziale Antinomien, z. B. Arrows Paradoxien
Idee des Guten z.B. in der platonischen Philosophie, Ethik
Nützlichkeit, Nutzen (Eigen- und Gemeinnutzen), z. B. Neoutilitarismus, Nutzen- und Werttheorien der Ökonomie
Gleichheit aller z.B. als fundamentales demokratisches europäisches Ideal
Ungleichheit bezüglich der gesellschaftlichen Funktion: Klassenstaat und Standardisierung der Gesellschaft
Gerechtigkeit als Ideal, z. B. im Naturrecht, in Konstitutionen
optimale Lösung der Verteilungsprobleme (distribution) aller Güter in der Gesellschaft, z. B. im positiven Recht, bei Sen, Rawls
Mathematisch logische (rationale) Antinomien von Pythagoras bis zu den modernen Antinomien der Mathematik (Russell, Gödel, etc.) absolute Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) z. B. in der klassischen Mathematik und Logik
relative Konsistenz mit latentem Widerspruch z. B. im tower System Feffermans und nachgödelscher Mathematik und Logik
absoluter DeduktionsbegrifF, z. B. Rationalismus, Hilbert, Determinismus
wahrscheinlichkeitstheoretische Folgen und Initialwahrscheinlichkeiten in heutigen wiss. Theorien
Wohlordenbarkeit aller reellen Zahlen in der klassischen Mathematik
rekursiver Aufbau der Mathematik in den Computer Wissenschaften, der finiten Mathematik
Wissenschaftliche
Antipositionen der kognitiven Wissenschaften
Kausalitätsprinzip in klassischen physikalischen Theorien und in der traditionellen Weltauffassung
statistische Wechselwirkungen, gegenseitige Interdependenz der Systeme, z.B. in physikalischen Theorien mit TCP-Verletzung
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1. Ontologische und semantise Modelle
absolute, allgemeingültige Naturgesetze: Klassische Physik, Kant, Materialismus, Determinismus
statistische Regelmäßigkeiten über bestimmten Gebieten D der Welt, die wir auch in der Zukunft erwarten (Hume)
Vitalismus, ζ. B. in Schichtenontologien und vitalistischer Biologie
Medianismus, ζ. B. in mechanistisch materialistischen Systemen und Disziplinen
M a n kann dennoch die sprachlose Welt der platonischen Ideen verteidigen. M a n kann ζ. B. sagen, daß die Welt aller möglichen Ideen diejenige ist, welche alle Strukturen, alle Ordnungsstrukturen einer möglichen Welt enthält, die die wirkliche Welt transzendieren. „Möglich" heißt hier, daß diese „unvergänglichen" Ideen oder Strukturen mit den vorhandenen nicht im Widerspruch sein dürfen. M a n kann sagen, daß die Ansicht, daß die möglichen Ordnungsstrukturen mit den tatsächlich vorhandenen verträglich sein müssen, so interpretiert werden kann, daß w i r dann Ordnungsstrukturen wie Raum, Zeit, Zahl, Wert in die Zukunft oder Vergangenheit projektieren. W i r können jedoch dem Gedanken, daß derartige transzendente, i. e. in die Zukunft oder Vergangenheit projektierbare Strukturen, künftige Realisierungen, künftige Erklärungen, kurz Wissenschaft möglich machen, nicht eine platonische Tragweite verleihen. M a n hat ζ. B. die Gültigkeit künftiger Weltstrukturen, künftiger Ordnungsstrukturen (oder vergangener Strukturen) auf bestimmte Gebiete D der Welt zu beschränken. Klassische euklidische Raumstrukturen sind ζ. B. nur i n klassischen Gebieten der Mechanik, in klassischen Bereichen D sozialer oder ökonomischer Theorien projektierbar, und auch dann nur, wenn die Idealisierungsbedingungen dieser Theorien es gestatten. W i r restringieren also die platonische Welt der Strukturen, so wie die zunächst absolut gedachte Widerspruchsfreiheit theoretisch und empirisch beschränkt wurde. Nicht nur die Ergebnisse der Gödelschen Untersuchungen, sondern auch die Tatsache, daß große mathematische Theorien wie die Mengentheorie und die Zahlentheorie in ihrer Gesamtheit nicht als absolut widerspruchsfrei angesehen werden dürfen, hat die i n allen Welten gültig sein sollende Logik auf dieselbe Stufe gestellt wie jede andere wissenschaftliche Theorie auch: sie sind samt und sonders nur ad hoc widerspruchsfrei, oder, wie w i r hier audi sagen, -^-widerspruchsfrei (von „wissenschaftlich widerspruchsfrei"). Diese platonische Tendenz, über alle jetzt bekannten und bestätigten Strukturen hinauszugehen und ein Netzwerk von Strukturen i n die Vergangenheit und in die Zukunft zu werfen, aber zusammen mit einer
1.1. Das platonise und die platonistischen Modelle
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operationalen Semantik, ist eine unerläßliche Bedingung der Wissenschaft, ζ. B. wenn w i r Voraussagen machen wollen. Während die deskriptive, operative Semantik festlegt, wie w i r uns zu verhalten haben, wenn w i r gegenwärtige, empirisdi nachprüfbare Strukturen beschreiben wollen, so ist es die operationale Semantik, die die Projektion von Strukturen möglich macht. W i r sehen, daß audi in den empirischen, sonst ganz und gar nicht platonistischen Wissenschaften doch ein Rest von Piatonismus erhalten bleibt, wenn auch i n säkularisierter und restringierter Form. Ähnliches trifft auch für die Mengenlehre als formale Wissenschaft zu. Obwohl es bekannt ist, daß man die reellen Zahlen nicht wohlordnen kann, w i r d dies doch in der Mengenlehre als A x i o m gefordert. Dieses A x i o m ist ein transzendenter Satz, der sozusagen die Ordnungsstruktur der reellen Zahlen für alle Zeiten festlegen soll, auch für die Zukunft. Denn auch in der Zukunft w i r d man Differential- und Integralrechnungen anstellen wollen; und dafür muß die Mengenlehre in die Zukunft projiziert werden, auch wenn es sich so verhält, daß der Wissenschaftler stets vom speziellen Fall, ζ. B. von der Stetigkeit von Kurven, welcher eine empirische Regelmäßigkeit ausdrückt, ausgeht. Es ist also bei Piaton die fundamentale Konzeption der Repräsentation klar ausgedrückt, und zwar so, daß die empirischen Formen durch reine Formen, i. e. Ideen repräsentiert werden. Aber es findet sich in der platonischen Philosophie nichts über das Medium der Repräsentation, und kaum etwas darüber, wie diese Repräsentation vor sich gehen soll. Daß man sich in der Geschichte der Philosophie oft nicht erklären konnte, was eine Idee oder ein Begriff sei, rührt daher, daß das Medium der Sprache und ihre Semantik i m Dunkel gelassen wurde. N i m m t man also an, daß Ideen, Begriffe und theoretische Entitäten an sich seiend oder im Geist des Menschen (konzeptuell) existieren, dann benötigt man keine Sprache oder Semantik; man hat aber dann auch keine Möglichkeit zu überprüfen, was ein Begriff sei und ob er die ihm gestellten Aufgaben erfüllt. Später werden w i r Begriffe als semantische Konstruktionen darstellen, die Systeme und Systemereignisse mit Zeichen, Zeichen m i t Zeichen, Zeichen m i t Zahlen usw. zusammensetzen, relativ zu einem bestimmten wissenschaftlichen Kontext Th und einem bestimmten Gebiet D , wodurch Bedeutung geschaffen wird. W i r erhalten damit ein konstruktives, rekursives Ersetzungsverfahren, das die traditionellen Begriffe und Ideen überflüssig macht.
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1. Ontologische und semantische Modelle
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie W i r d die platonische Ontologie nicht durch eine Proto-Ontologie und gewisse semantische Regeln ergänzt, dann kann sie nichts über die W i r k lichkeit aussagen; denn sie enthält keinerlei Kriterien der Übereinstimmung der (Form der) Ideen m i t der (Form der) Wirklichkeit. Dies ist auch der Kern der aristotelischen K r i t i k an Piaton. Aristoteles nun sucht nach solchen Kriterien; er muß dabei das Konzept aufgeben, daß die Ideen abgesondert von den Dingen eine eigene Existenz haben. Weiters — und das ist eine entscheidende Wendung für die Ontologie — entnimmt er den semantischen und syntaktischen Regeln der Umgangssprache, oder der umgangssprachlichen, z. B. faktisch wahren Weltbeschreibung gewisse Vorstellungen, die zu seiner Substanz-Ontologie führen. W i r nennen diese Substanz-Ontologie zusammen mit anderen ontologischen Vorstellungen eine Proto-Ontologie, die die Welt vorordnet, bevor sie weiter wissenschaftlich erkannt wird. Auch entnimmt Aristoteles der U m gangssprache gewisse semantische Bedingungen und arbeitet sie aus; hier haben w i r die Kategorienlehre (z.B.). Es kann auch die aristotelische Logik auf semantische Vorstellungen der Umgangssprache zurückgeführt werden, so daß sie als eine Versteinerung der umgangssprachlichen Semant i k erscheint. Als Vorordnung ordnet die aristotelische Proto-Ontologie — i n unserer Sprache ausgedrückt — die holistischen Systeme S und deren Beziehungen Β innerhalb eines bestimmten Bereiches D. Diese Vorordnung — der Funktion nach zum großen Teil der Umgangssprache entnommen — macht dann, wie leicht einzusehen, möglich, daß die Konfigurationen der Systeme S, ihre Zustände (Eigenschaften bei Aristoteles) in der Sprache selbst dargestellt werden können. Was w i r hier „Systeme" nennen, sind bei Aristoteles die Substanzen. Aristoteles schreibt jedoch diesen Substanzen bloß Eigenschaften zu, keine Beziehungen. Allgemein kann man sagen, daß die Vorordnung der Welt zum Zwecke der Erkenntnis und der technischen Bewältigung eine der wichtigsten Funktionen der Ontologie ist. M i t Aristoteles beginnt die Geschichte der empirischen Ontologien oder Proto-Ontologien, wie w i r sie hier nennen, d. h. die Vorordnung der Welt i m Rahmen einer systematischen philosophischen Disziplin. Eine Proto-Ontologie hat nur hinsichtlich der Repräsentation der Systeme auf ein Medium, die Sprache, Sinn. Als ein anderes Medium könnte man das Denken zulassen; dies ist die konzeptualistische Version i m Gegensatz zur nominalistischen. Der Gedanke der Repräsentation ist es, der, trotz aller Verschiedenheiten, Piaton mit Nominalismus und
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
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Konzeptualismus verbindet. Es ist demnach eine Ontologie ein Tripel, welches aus der Sprache L, den Systemen S (Konfigurationen von Systemen S; später werden w i r sagen: Struktur von Systemen S) und einer Repräsentationsfunktion ρ besteht, mittels derer die Systeme S (die Konfigurationen; Strukturen) auf die Sprache L abgebildet werden: . Es ist klar, daß es hier gewisse Kriterien der Repräsentation geben muß, die sich i m Verlaufe der Geistesgeschichte nach dem Schiffbruch der μέθεξις- und der παρουσία-Konzeption immer deutlicher herauskristallisieren. Es setzt also der ganze Prozeß einer sprachlichen Repräsentation der Struktur der Systeme S gewisse einfache Annahmen über die Ordnung der Welt voraus, die w i r i n der Proto-Ontologie von Kap. 2. vom modernen Standpunkt aus zusammenfassen. Aristoteles' Proto-Ontologie hat eine bestimmte Form, die das abendländische Denken für mehr als zweitausend Jahre bestimmt hat: die Form einer Substanz-Ontologie. W i r sind der Proto-Ontologie schon auf S. 18 begegnet, w o w i r feststellten, daß platonistische Ontologien oft antagonistische Ontologien nach sich ziehen oder sich m i t solchen verbinden; eine ζ. B. empiristische Ontologie kann nominalistisch, positivistisch usw. ausgebildet sein. Eine Proto-Ontologie ist nun — ganz generell gesprochen — jene Disziplin, die denjenigen Teil der empirischen Welt, der erkannt werden soll, i m vorhinein zu einem gewissen Grade ordnet. Eine Proto-Ontologie schwebt nicht i m leeren Raum; sie bezieht sich stets auf ein bestimmtes Gebiet D der Welt und einen ganz bestimmten sprachlichen Rahmen L, z. B. — heute — eine ganz bestimmte Theorie. Die Proto-Ontologie setzt fest, welche minimalen ontischen Existenzannahmen und welche generellen Welt- und Ordnungsstrukturen i n diesem Gebiet D hinsichtlich eines bestimmten sprachlichen Erkenntnisrahmens L notwendig sind, soll Erkenntnis möglich sein. Aristoteles' Ontologie der Substanz ist eine solche Proto-Ontologie: sie ist ein Versuch, für diejenigen Teile der Welt, in denen bewegte und belebte Systeme vorkommen (i. e. physikalische und biologische), festzusetzen, welche Einheiten und welche Zustände für die Erkenntnis als existierend angenommen werden müssen. Auch Aristoteles bezieht sich bereits auf einen sprachlichen Rahmen, wenn auch nicht den einer Theorie: nämlich auf Aussagen, unäre Prädikate und Subjektterme, die der Beschreibung der Welt zugehören. 3 Leinfeilner
1. Ontologische und semantische Modelle
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Wie gesagt, es enthält jede Proto-Ontologie die primitivsten Annahmen über die Existenz und die Zustände empirischer Systeme in D , seien diese nun Objekte, Dinge oder Organismen; sie enthält die primitivsten Annahmen über die Beziehungen, die in und zwischen diesen empirischen Systemen herrschen, über ihre dynamischen Zustände (Bewegung, Veränderung, V e r h a l t e n , . . . ) , und schließlich über ihr gegenseitiges Ordnungsgefüge (z. B. Raum-Zeit). K u r z : eine Proto-Ontologie enthält alle jene primitivsten Annahmen, die im vorhinein gemacht werden müssen, w i l l man die Welt mit H i l f e der Sprache erkennen. I m weiteren werden w i r dann i m Detail zeigen, daß die aristotelische Proto-Ontologie zu einer nominalistischen und deskriptiven Semantik führte, die dann in einer rückläufigen Bewegung wiederum die Proto-Ontologie unterstützt. 1.2.1. Das aristotelische Substanz-Modell Die aristotelische Lehre von der Substanz muß aus seinen verschiedenen Werken zusammengetragen werden; sie ist ein Beispiel einer ProtoOntologie. Die Verdoppelung oder platonische Vervielfältigung bedeutet Aristoteles nichts, und schon gar nichts die Trennung der Ideen von der empirischen Wirklichkeit, der χωρισμός1. Er kritisiert Platon: Piaton habe den logischen Fehler gemacht, die Universalien als Ideen (ausgedrückt durch einen Prädikatterm) als Substanz anzusehen. 1. ist die Substanz stets Gegenstand des Subjektterms, und nicht des Prädikatterms. 2. D a einerseits die Idee allgemein ist, mangelt ihr die Individualität, die der Substanz zukommt, d. h. sie kann auf keinen Fall die Substanz von irgend etwas sein. Die Universalien als Ideen sind mit Piaton andererseits als Substanzen der Dinge — möglicherweise — anzusehen; da sie aber gleichzeitig getrennt sind (wie es an und für sich für Substanzen angenommen werden muß), sind sie nicht mehr universell; und sieht man die Trennung, den χωρισμός, i n seiner ideenrealistischen Form, dann ist es wiederum nicht möglich, daß Universalien als Ideen Substanzen sind. Wie man es auch dreht, nach Aristoteles sind Ideen keine Substanzen. Nach Aristoteles sind Substanzen zunächst Individuen; es können ihnen Eigenschaften (Zustände) zukommen; sie können aber niemals selbst Eigenschaften (Zustände) sein. Schon hier t r i t t deutlich das sprachliche Schema des indo-europäisdien Satzes als Bezugsrahmen L auf. So wie der Prädikatterm dem Subjektterm zukommt, kommt die Qualität der Substanz zu 2 . 1
Cherniss, S. 326, S. 318 f.
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
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Das originellste proto-ontologische Modell Aristoteles' ist zweifellos sein Substanzmodell. Es finden sich i n Aristoteles' Werken verschiedene Bedeutungen von „Substanz" (σύσία); i n den vorhergehenden Bemerkungen ist „Substanz" stets das, was w i r im folgenden „Substanz 1 " nennen. Gemäß dem aristotelischen Substanzmodell ist das einzelne, atomistische Individuum, das Designatum eines Namens Substanz, i. e. erste Substanz (Substanz 1 ) 3 . Aristoteles behandelte aber auch die Spezies als Substanzen; aber Wissen über diese Substanzen — die Substanzen2 — kann nur auf dem Wege über die ursprünglich existierenden individuellen Substanzen1 erworben werden. Nach unserer Auffassung, würden die Substanzen2 universelle, allgemeine Terme, Begriffe und ähnliches sein und als solche einer operationalen Semantik angehören; hingegen die Substanzen1 als Individuen sind Gegenstand entweder einer Proto-Ontologie, oder einer empirischen Theorie, oder auch einer empirisch-deskriptiven Semantik. W i r kommen hier wieder auf die Repräsentationsfunktion zurück, wobei w i r ,,ρ" hier durch „ / " ersetzen. „Substanz/Name" heißt dann episprachlich, daß die Substanz — Substanz 1 in diesem Fall — durch einen Namen repräsentiert (designiert) wird. D a man über Substanzen2 nur etwas erfährt, wenn man sich an Substanzen 1 hält, so folgt daraus, daß es nach Aristoteles keine Universalien oder Ideen, die platonistisch, unabhängig und getrennt von den empirischen Individuen existieren, geben kann. Das, was gemeinhin von einer Gruppe von Individuen ausgesagt werden kann, was allen gemeinsam ist, woran alle Anteil haben, das ist die Universalie (gemeinsame Eigenschaft der Individuen/Universalterm). Während die platonische Ontologie in ihrer ideenrealistischen Form v o m Besonderen, den Individuen unabhängig ist (universalia ante rem), ist es bei Aristoteles gerade umgekehrt; universalia in rem. Aristoteles verwendet für Substanz den Ausdruck „ουσία"; und der ουσία allein — als Substanz 1 — kommt Sein zu 4 . Alles andere, wie Kategorien i m allgemeinen, Qualitäten, Quantitäten usf., hat für sich keine Existenz und kein Sein; sie erwerben Sein und Existenz nur, wenn sie einer Substanz 1 angehören oder von einer Substanz 1 ausgesagt werden 5 . Wie schon angedeutet, gehören sie einer operationalen Semantik oder auch einer konstruktiven Ontologie, wobei die 2 3 4 5
3·
Met., A, 7, 1017 a, 23 f.; Cherniss, S. 316. Met., Z, 3, 1029 a, 28. Met., Ζ, 1, 1028 a, 31. Phys., A, 2, 185 a, 23.
1. Ontologische und semantische Modelle
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hier vertretene strukturelle Ontologie sich aus einer Proto-Ontologie und einer konstruktiven Ontologie zusammensetzen soll, an. Die Substanz 1 w i r d — wie gesagt — durch ein grammatisches Subjekt sprachlich ausgedrückt (SubstanzVgrammatisches Subjekt, Eigenname) 6 . Dieses Subjekt ist entweder ein echter Eigenname, wie „ H a n s " , oder wenn z. B. „Pferd" die Funktion eines Eigennamens übernimmt, wie in „dieses Pferd", usw. Der charakteristische ontologische Zug einer Substanz 1 ist, daß sie ein Individuum ist (τόθε τι), ein einzelnes, individuelles, empirisches Objekt, das benannt werden kann 7 , und das in der empirischen Welt als empirisches System, als D i n g bei Aristoteles, existiert. Die Elemente und alle organischen Körper sind daher σύσίαι 8 . Dies ist die Beschaffenheit der empirisch existierenden Substanzen1, der πρώται ούσίαι. Die σύσίαι δεύτεραι hingegen sind — ontologisch gesehen i n einem „abgeleiteten" Sinne — Substanzen zweiter A r t 9 . M a n muß sich das so vorstellen, daß die gemeinsamen Eigenschaften (Form) der Substanz 1 die Substanz2 ausmachen, daher Substanz 2 /Universalienterm. W i r weisen nochmals darauf hin, daß nach Aristoteles eine Universalie oder Idee niemals eine Substanz 1 sein kann; dies gerade wendet er gegen Piaton ein. D a nur Substanzen1 existieren, haben Substanzen2 keine Existenz. Für das proto-ontologische Modell seiner Theorie der Bewegung benötigt Aristoteles nun i n der Substanz 1 etwas, das sich nicht ändert („an dem" sich die Bewegung vollzieht), und etwas, das sich ändert (das sich Bewegende). Aristoteles faßt nämlich die Bewegung nicht i n unserem Sinne als Beziehung auf. Jede konkrete Substanz (Substanz 1 ) muß daher i n der Proto-Ontologie der Bewegung eine σύσία σύνθετος sein 10 , ein σύνολον, bestehend aus zweierlei: υλη und είδος. Anstelle von σύνολον würden w i r heute vielleicht sagen: holistisches System S 1 1 . D a ein empirisches D i n g weder ohne ΰλη (Materie), noch ohne είδος (Form) bestehen kann, werden beide „ούσία" genannt. Wie aus der „Metaphysik" hervorgeht, lehnt Aristoteles die A u f fassung, daß eine Substanz aus mehreren bestehen könne, ab 1 2 ; dies wendet er gegen die Auffassung, daß Universalien Substanzen seien, ein; und weiter würde damit — ganz allgemein ausgedrückt — der individuelle 6 7 8 9 10 11 12
Kat., 5, 2 a, 11 - 2 b, 1 ; Met., Z, 3, 1029 a, 8 ff. Kat., 5, 4 a, 10-13. De caelo, I I I , 1, 298 a, 29. Kat., 5, 2 b, 7 - 8. Met., H, 3, 1043 a, 30. Vgl. W. Leinfellner (Struktur), S. 228, 231, 234. Met., Z, 13, 1038 b, 10 - 13, 1039 a, 3 - 4.
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
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Charakter einer Substanz 1 verloren gehen. Auch herrscht in der „Metaphysik" ein starker Zug, die Substanz 1 mit einem organischen holistischen System zu identifizieren. Es heißt da z. B., daß die Teile der Tiere in den meisten Fällen nur potentiell Substanzen1 seien 18 ; denn wenn man sie abtrennt, leben sie nicht weiter, sondern gehen i n Materie (Erde, Feuer, Luft) über. D a die von uns hier verwendete Konzeption des holistischen Systems nicht bloß vom Biologischen, vom Organisch-Belebten her bestimmt ist, werden w i r es zulassen, daß auch Teile von holistischen Systemen aktuale holistische Systeme sind, vorausgesetzt, daß gewisse Bedingungen erfüllt sind. Letzten Endes erweist sich die Substanz 1 als formlose Materie; w i r könnten auch sagen als Substanz 1 i m engeren Sinne. Derartige Überlegungen taudien auch heute noch auf, z. B. bei der Erforschung des Überganges von Materie i n (strahlende) Energie, oder bei der Erforschung der Protonen und Neutronen beim Übergang in energetische und formlose Zustände des Kernplasmas. Fassen w i r das alles zusammen, dann erhalten w i r folgende Bedeutungen von „ουσία" : 1. Substanz 1 i m weiteren Sinne: individuelles Einzelding als τόδε τ ι oder σύνολον; 2. Substanz 1 i m engeren Sinne; materielle Grundlage der Existenz; ύποκείμενον; ΰλη; formlose Materie; substantia prima. 3. Substanz 2 ; begriff lidie ουσία; είδος; ή κατά τον λόγο ν ουσία; το τί ην είναι; μορφή; essentia; substantia secunda; i n den „Kategorien" werden auch die Spezies der Substanz 2 zugerechnet 14 . Der bedeutendste Zug der aristotelischen Substanz-Ontologie ist nun die fundamentale Unterscheidung zwischen Substanzen1 und Eigenschaften. Diese Entscheidung, oder Vorentscheidung, ordnet die Welt, bevor überhaupt eine Theorie, ζ. B. die der Bewegung, angewandt w i r d ; sie gehört daher in eine Proto-Ontologie. Diese Eigenschaften können auch als Zustände der Substanzen1 — letzten Endes Substanzen1 i m engeren Sinne — gesehen werden. Eigenschaften, oder Zustände von Substanzen, können niemals getrennt von einer Substanz 1 existieren, so wie i m indoeuropäischen Satz das Prädikat i m allgemeinen nicht getrennt vom Sub13 14
Met., Z, 16, 1040 b, 5 - 6 . Kat., 5, 2 a, 11-14.
1. Ontologische und semantische Modelle
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jekt, nicht ohne Subjekt erscheinen kann; daher werden elliptische Sätze, ζ. B. „ G u t " als A n t w o r t etwa auf die Frage „Wie geht es Ihnen", oft als unvollständig angesehen. D . h. also, einer Substanz 1 kommen bestimmte Eigenschaften oder Zustände zu; und nur dann existieren diese Eigenschaften als Substanzzustände, wobei: SubstanzVEigenname und: Eigenschaft, Zustand/Prädikat, als semantisch operative Beziehungen gelten, die einer deskriptiven Semantik angehören, führen w i r die aristotelischen Ansätze weiter aus. Andererseits läßt sich dagegen halten — und zu dieser K r i t i k gibt Aristoteles mit seinem vielfältigen Gebrauch von „ουσία" selbst Anlaß — daß eine Substanz 1 ohne Qualitäten oder Zustände auch nicht existieren kann. Eine derartige Überlegung führt in Russells Ontologie zur Substanz als Bündel von Eigenschaften. Die formlose Materie als das eigentliche Substrat w i r d damit zur bloßen Möglichkeit, zur möglichen, eigenschafts- und zustandslosen Substanz 1 , ein nihil privativum 1 5 . Die strikte Unterscheidung von Substanz 1 und Eigenschaften oder Zuständen ist eine Vorordnung der empirischen Welt oder der empirischen Systeme; sie basiert, wie gesagt, auf der — deskriptiv semantisch aufgefaßten — Subjekt-Prädikat-Struktur des indoeuropäischen Satzes. W i r sehen deutlich, daß die aristotelische Proto-Ontologie der Welt die indoeuropäische Satzstruktur aufprägt, das heißt, das syntaktische Gefüge einer indoeuropäischen Sprache, des Griechischen, zur Vorordnung der Welt benutzt, wenn und nur wenn es sich nur um einstellige und nicht um mehrstellige Prädikate handelt. W i r können von diesem Sachverhalt eine kleine Skizze entwerfen: empirischer Satz Eigenname
unäres Prädikat
ι Substanz1
ι Eigenschaft; Zustand
Es w i r d hier zugleich aber auch klar, daß dieses aristotelische Modell — so grundlegend und bedeutend es auch ist — ein Modell, nach welchem atomistischen Substanzen1 absolute, diskrete Eigenschaften (Zustände) zukommen, für Beziehungen — und damit für eine moderne Ontologie — nicht ausreicht und nicht mehr angewandt werden kann. Das aristotelische Modell ist zu eng; und mit ihm ist es der ganze, mit einstelligen 15
Met., Z, 3, 1029 a.
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
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(logisdien) Prädikaten arbeitende Prädikatenkalkül. Der Prädikatenkalk ü l ist daher als allgemeine „ L o g i k " der Wissenschaft zu beschränkt; seine Proto-Ontologie ist zu „atomistisch"; er führt unweigerlich in eine aristotelische Substanz-Ontologie und die labyrinthischen Probleme, die mit ihr verknüpft sind. Was geht in einer aristotelischen Substanz-Ontologie vor, wenn w i r anstelle der Eigenschaften Beziehungen setzen? Zunächst müssen w i r die Substanzen1 vermehren, um die Relata der Beziehung (Β ) zu erhalten; diese können aber dann nicht mehr atomistisch-unabhängig voneinander sein, denn sie besitzen Boolesche Eigenschaften, gehören dem „Feld" der Beziehungen oder einer Beziehung Β an, und Ähnliches. D . h., wenn individuelle Substanzen1 als Relata einer Beziehung Β auftreten, d. h. als I n dividuen, zwischen denen eine Beziehung existiert — „existiert" jetzt empirisch verstanden — dann müssen w i r die individuelle, selbständige und atomistische Existenz der Substanzen1 beschränken und sie als Teilsysteme eines übergeordneten Systems betrachten. D a die heutigen Wissenschaften die Zustände der Welt stets relational oder funktional beschreiben, ist es klar, daß eine Ontologie der modernen Wissenschaften nicht m i t dem ontologischen Substanzen-Modell auskommen kann. Denn ein Feld ist nichts anderes als rc-äre Beziehungen, die zwischen individuellen Teilsystemen (den Relata) herrschen, wobei die Teilsysteme außerhalb des Feldes etwas ganz anderes sind als i m Feld, im umfassenden holistischen System. Wollen w i r das aristotelische Substanz^Modell genauer als eine ProtoOntologie charakterisieren, das heißt, eine Vorordnung bewegter Systeme, welche auf „unären" Eigenschaften, resp. auf unären oder einstelligen Prädikaten aufgebaut ist, dann müssen w i r uns m i t dem weiteren Ausbau der Substanz-Lehre bei Aristoteles beschäftigen, ζ. B. seiner Lehre von den Gegensätzen und den gegensätzlichen Eigenschaften. I n der Schrift über die Kategorien (manchmal nicht Aristoteles zugeschrieben) w i r d folgendes ontologisches Kriterium für das Substanz 1 Modell angeführt 1 6 : Während eine Substanz 1 doch numerisch immer dieselbe bleibt, d. h. nie in zwei oder mehrere Substanzen zerfallen kann, kann sie doch verschiedene, und — i m Verlauf der Zeit — sogar gegensätzliche Eigenschaften annehmen, d. h. sich ändern. Dies sei das bedeutendste Kennzeichen einer Substanz 1 . Diese Konzeption entwickelt sich teilweise bei Aristoteles und teilweise bei späteren Philosophen zu 16
Kat., 5, 4 a, 10-13.
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1. Ontologische und semantische Modelle
der Auffassung, daß die Substanz 1 als der Träger die Materie und das Substrat aller Veränderungen ist, während sie selbst sich nicht verändert. I n der aristotelischen Philosophie finden sich folgende parallele ontologische Annahmen, die sich mit unveränderlichen Substanzen und veränderlichen „unären" Eigenschaften befassen, und die seine Proto-Ontologie der Bewegung mit einer deskriptiven Semantik verknüpfen: 1. Konzeption der στέρησις; 2. δύναμισ-ένέργεια-Konzeption; 3. die Substanz als logisches Subjekt (logischer Atomismus). Alle drei Konzeptionen sind außerordentlich bedeutsam; denn sie führten in die Ontologie gewisse Modelle oder Vorurteile ein, die sich bis ins 20. Jahrhundert erhielten und teilweise noch erhalten, obwohl die Wissenschaft von der einstelligen Beschreibung abgekommen ist, und zu einer mehrstelligen und funktionalen überging. Charakteristische Züge solcher Modelle und Ontologien sind, wie erwähnt, daß die unären Prädikate die beherrschende Rolle spielen, und daß die Substanz atomistisch aufgefaßt w i r d , trotz des hier sofort auftretenden regressus ad infinitum, nämlich der Jagd nach dem „letzten" unveränderlichen Träger oder Substrat. Auch die Auffassung, daß „unendlich" ein unäres Prädikat sei, gehört hierher. A l l dies läßt sich auf die Abhängigkeit des Substanzbegriffes vom Schema des griechischen Satzes, insoferne er auf unären Prädikaten aufgebaut ist, zurückführen, und auf die naive Vorstellung, daß da, wo ein Subjekt sei, auch eine Substanz sein müsse, gleichgültig, ob diese empiristisch oder platonistisch gegeben ist. Betrachten w i r aber die unären Prädikate, die mit diesen Subjekten als Prädikate auftreten, vom Standpunkt des heutigen Wissens, dann sehen wir, daß sie bestenfalls Abkürzungen für rc-äre, relationale Prädikate sind; oder sie sind einfach Fiktionen. Ζ. B. „ist groß" in „Hans ist groß" ist eine Abkürzung, die nur dann verständlich ist, wenn w i r Hans' Größe relational auffassen, d. h. i n Beziehung zur Größe oder Kleinheit anderer Individuen. Das heißt nicht, daß man rigoros alle unären Prädikate aus der Umgangssprache entfernen soll, sondern nur, daß man auf ihnen keine Ontologie aufbauen kann, die auch den heutigen strukturell orientierten Wissenschaften gerecht werden soll. Der Carnapsche Ansatz, die Sinnlosigkeit der Metaphysik zu erweisen, indem gewissen Substantiven, wie „das Absolute", „das wahrhaft Seiende", „das Nichts", „das Unbedingte", Sinn abgesprochen wird, weil
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
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für sie keine empirischen Designata angegeben werden können, kann als K r i t i k des naiven Parallelismus, nach welchem jedem Substantiv eine Entität entspricht, gewertet werden. A u f ähnliche Weise gehen w i r in der Physik der Materie verlustig; die Substanz, genannt „Seele", entschwindet aus der Psychologie und die Theologie ist neuerdings zu einer Theologie ohne Gott (die Substanz Gott) geworden. Als nächstes wollen w i r uns mit der aristotelischen Lehre von der στέρησις beschäftigen; diese bildet ein Zwischenstück zwischen der ProtoOntologie und der klassischen deskriptiven Semantik und Logik; auch erweist sie die ontologisch-semantische N a t u r der aristotelischen Logik. 1.2.2. Das aristotelische στέρησις -Modell und die deskriptiv-semantische Bedeutung der Negation I n unserer (indoeuropäischen) Umgangssprache reden w i r gewöhnlich — wenn w i r von Wechsel oder Veränderungen sprechen — vom Wechsel von etwas oder der Veränderung an etwas. So sagt Aristoteles, daß aus dem ungebildeten Menschen ein gebildeter wird, wobei der Mensch dieses Etwas ist, an dem eine Veränderung vorgeht. Der Mensch ist hier das ύποκείμενον, das Zu-Grunde-Liegende und Unveränderte 17 , dem in zeitlicher Abfolge zwei konträre Eigenschaften, die w i r als die ontologischen Grundlagen der Verneinung ansehen können, zukommen. Bewegt oder entwickelt sich etwas, dann beschreibt man nach Aristoteles die verschiedenen Stadien des Prozesses durch Änderungen, welche in den Eigenschaften dieses „unveränderlichen" Etwas, des ύποκείμενον, vor sich gehen. Heute sehen w i r dies umgekehrt: die Änderung der Entfernung (ζ. B.) bei der Bewegung ist keine Zustandsänderung des individuellen Systems, sondern eine Änderung der Distanz, die sich vollzieht, während sich das System vom Ausgangspunkt der Bewegung zum Endpunkt der Bewegung bewegt. Bewegung ist also hier eine Beziehung. Hingegen drückt sich Aristoteles — proto-ontologisch — folgendermaßen aus: i m Anfangsstadium einer Bewegung oder Veränderung fehlt („Fehlen" = ,,στέρησις") eine „unäre" Eigenschaft, welche i m Endstadium hinzutritt. Daher ist nach Aristoteles, jeder Bewegungsprozeß durch άντικείμενα eines Substratums, des ύποκείμενον, proto-ontologisch bestimmt; und als solche bewegte Prozesse können w i r proto-ontologisch Wachstum, Entwicklung, Ortsveränderung, Veränderung von Eigenschaften etc. ansehen. Sprachlich drückt man diesen Sachverhalt durch die Negation aus, 17
Phys., A, 7, 191 a, 190 b, 10 -15.
1. Ontologische und semantische Modelle
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d. h. in Gegensatzpaaren wie „jung" — „nicht jung" ( „ a l t " ) . Man kann sich hier folgende kritische Fragen stellen: 1. Ist das substanz-ontologische Modell der στέρησις durch den privativen Gebrauch der Negation in der Sprache bedingt? 2. Ist das Umgekehrte der Fall? 3. Haben w i r einen Vorgang der Adaption vor uns, bei dem sich die proto-ontologische Vorordnung der Welt und die semantisch-logischen Sprachfunktionen einander annähern? Gebrauchen w i r wieder eine kleine Skizze, so erhalten w i r folgende Situation:
Raum-zeitliches proto-ontologisches Modell der Verneinung Eigenname
©
Prädikat P\ zur Zeit ti = Negation des Prädikates P* zur Zeit t-2
Eigenname
©—
Prädikat Po zur Zeit t'2 = Negation des Prädikates P\ zur Zeit i i
©
Welt-Linie der Veränderung, während die neue Eigenschaft Eo auftritt Es ist intuitiv klar, daß eine genaue Beschreibung der Veränderung oder Bewegung m i t H i l f e des στέρησις-Modells nach Aristoteles nur dann möglich sein kann, wenn man die ontologische Fassung des Satzes vom Nicht-Widerspruch voraussetzt 18 , der damit zu einer proto-ontologischen Voraussetzung der raum-zeitlichen Beschreibung wird. Auch fundiert die στέρησις-Lehre den Satz, daß eine Eigenschaft einem D i n g nicht zur gleichen Zeit und in derselben Hinsicht zukommen und nicht zukommen kann. Aus der Skizze geht folgender paradoxe Sachverhalt hervor: wendet man das Konzept der στέρησις iteriert an, dann kommt man zu einer absoluten oder Urmaterie, der πρώτη ΰλη, die aller Eigenschaften beraubt oder formlos sein müßte. Nach Aristoteles kann sie daher auch nicht existieren, denn alle Materie, die existiert, ist Materie von bestimmter Beschaffenheit, die εσχάτη ΰλη 19 . Diese ist schon immer 18 19
Met., Γ, 3, 1005 b, 19 - 20. Met., Z, 3, besonders 1029 a, 23 - 25.
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
43
das Endprodukt eines vorangegangenen (zeitlichen) Prozesses, in dem die Materie Form erworben hat. Wie nun können w i r dieses merkwürdige Konzept der πρώτη ΰλη von unserem Standpunkt aus erklären. Offensichtlich spielt die πρώτη ΰλη im System Aristoteles' eine ähnliche oder dieselbe Rolle wie Kants Ding an sich; beide sind obendrein gewissermaßen „Undinge", das heißt Dinge, bevor sie Dinge sind. Nach Aristoteles kann ja die πρώτη ΰλη nicht existieren, und Kants D i n g an sich ist unerkennbar. Es scheint, daß Aristoteles hier auf ein ähnliches Problem stieß wie Russell und Lesniewski, als diese sich mit dem Problem von Ding und Eigenschaft befaßten. N u r fanden Russell und Lesniewski andere Lösungen: Russell läßt den Begriff des empirischen Dinges fallen und ersetzt ihn durch den Begriff des Eigenschaftsbündels; und Lesniewski entwickelt ein logischontologisches System, in welchem Subjekt und Prädikat bei der Prädikation nicht mehr unterschieden werden. Wie Russell bemerkte audi Aristoteles offensichtlich, daß, wenn man von einem D i n g alle Eigenschaften entfernt, das D i n g selbst entschwindet. Da aber die indo-europäische Satzstruktur fast immer nach einem grammatischen oder logisdien Subjekt verlangt, muß — gemäß dem aristotelischen Parallelismus WeltSprache — ontologisch immer etwas, und sei es auch noch so vage, aufgewiesen werden, das hier einspringt; und dieses undefinierbare Etwas ist die πρώτη ΰλη, das Ding, das sich selbst nicht enthält; die πρώτη ΰλη ist daher ein in sich widersprüchliches Konzept, in demselben Sinne, wie die Klasse aller Dinge, die sich selbst nicht enthält, widersprüchlich ist. A u d i die στέρησις-Lehre setzt also die Form des indoeuropäischen Satzes voraus, wobei w i r für die zeitlich sich ändernden Dinge einen Platzhalter nach A r t der Variable einführen könnten. Denn nur in dieser kanonischen Satzform ist es möglich, zeitlich ablaufende Veränderungen in dem empirischen Zustand der Dinge der Welt zu beschreiben, indem ein- und demselben grammatischen Subjekt ein Prädikat und ein andermal die Negation dieses Prädikates zugeordnet wird. Vorausgesetzt werden muß hier nur, daß — in einer Proto-Ontologie — eine Regelung eingeführt wird, daß demselben Substrat nicht die gleiche Eigenschaft zu derselben Zeit und in derselben Hinsicht zukommen und nicht zukommen kann. Dies ist die raum-zeitliche Vorbedingung für die semantische Formulierung des Nicht-Widerspruches, welche lautet: Einem Subjekt kann nicht dasselbe Prädikat zur gleichen Zeit und in derselben Hinsicht zugeschrieben und nicht zugeschrieben werden. Es w i r d dadurch sehr einfach erreicht, daß die Designation semantisch eindeutig ist. Aber auch die
1. Ontologische und semantische Modelle
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semantische Formulierung des Nicht-Widerspruches ist proto-ontologisch — in diesem Falle räumlich und zeitlich — indiziert, was dem Satz vom Nicht-Widerspruch seinen rein logischen Charakter nimmt. Jede Veränderung an einem Substrat kann also dadurch beschrieben werden, daß man dem Subjekt ein Prädikat hinzufügt oder eines ausläßt = die Verneinung eines Prädikates anführt 2 0 ; aber es ist unmöglich, daß dasselbe Substrat eine Eigenschaft zu gleicher Zeit und in derselben (räumlichen) Hinsicht besitzt und nicht besitzt. Bröker hat das aristotelische Nicht-Widerspruchsprinzip als kineseologisches Prinzip bezeichnet. Tatsächlich stellt Aristoteles sein Nicht-Widerspruchsprinzip so auf, daß es eine Vorordnung der Welt hinsichtlich der Beschreibung und der Erkenntnis physischer bewegter Systeme liefert, bzw. eine eindeutige raumzeitliche Deskription. I m Grunde ist also das Nicht-Widerspruchsprinzip i n seiner aristotelischen Fassung ein ontologisch-semantisches Kriterium der (ein-)eindeutigen Beschreibung. Es ist für Semantik und Ontologie von größter Bedeutung; später w i r d es jedoch ausschließlich als rein logisches „ P r i n z i p " behandelt, was eine platonistische Ubertreibung ist. Dabei vergißt man — zu Unrecht — die raum-zeitlichen Bedingungen. H i n z u kommt hier, daß man das Nicht-Widerspruchsprinzip nicht auf jeweilige Gebiete D der Welt relativierte, und auch nicht auf bestimmte Texte oder Kontexte. Nach unserer heutigen Auffassung muß man sich folgendermaßen ausdrücken: Das Nicht-Widerspruchsprinzip ist eine ontologisch-semantische Regel und Vorsichtsmaßnahme, die nur auf jeweilige Gebiete D angewandt werden kann. Soweit es nach Gödel noch überhaupt Sinn hat, von Konsistenz zu sprechen, d. h. von Widerspruchsfreiheit, dann nur m i t folgender Einschränkung: Konsistenz und damit die Projektierung der ein-eindeutigen Deskription i n die Zukunft gelten nicht für alle Gebiete D und nicht für alle Welterkenntnis, alle wissenschaftlichen Theorien, d. h. die Welt als Ganzes, sondern nur für ein jeweils ganz bestimmtes Gebiet und einen bestimmten, abgegrenzten (Kon-)Text. I m aristotelischen, proto-ontologischen στέρησις-Modell nun beruht jede Veränderung auf drei ontologischen Grundvoraussetzungen, auf drei άρχαί: στέρησις, Materie und Form. Die στέρησις (privatio) kann auch als Abwesenheit der Endform gesehen werden 2 1 . Dadurch w i r d — wie gesagt — die πρώτη υλη spekulativ und zu einer eigenschafts- und formlosen Materie; sie ist eine Materie, bevor sie eigentlich Materie sein 20 21
Phys., A, 5, 189 b ff. Phys., A, 8, 191b, 27-29.
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologe
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kann, ein hölzernes Eisen; sie ist — empirisch betrachtet — eine bloße Möglichkeit, die Platzhalterin für Verwirklichungen. D a sie nichtempirisch ist, kann sie eigentlich nur reines Konzept sein. Der Platzhalterin für Verwirklichungen entspricht formal (logisch), wie leicht einzusehen, die Variable. 1.2.3. Das δύναμις-ένέργεια-Modell als proto-ontologiscbes
Modell
Wenn ein (Bewegungs-)Prozeß allein auf den sich ändernden Eigenschaften eines Substratums gegründet wird, dann können w i r die στέρησις-Lehre durch die Konzeption δύναμις-ένέρεια, und die στέρησις selbst durch die δύναμις, die Möglichkeit, ersetzen; es ist ja der Ausgangszustand — dem etwas „ f e h l t " , nämlich die Eigenschaften des Endzustandes — die Möglichkeit für den Endzustand. Der Endzustand ist der aktuale Zustand, ist ένέργεια, d. h. der realisierte Zustand 2 2 . Schließlich und endlich können Dinge sowohl aktual als auch potentiell in dem oben angedeuteten Sinne existieren, aber nicht zugleich und nicht in derselben Hinsicht, d. h. nicht widersprüchlich 23 . So aufgefaßt ist Bewegung nach Aristoteles nichts anderes als der Ubergang von potentiellen Zuständen eines Dinges zu dessen aktualem Zustand 2 4 , ganz im Gegensatz zur heutigen Auffassung der Bewegung, nach welcher diese eine zweistellige Beziehung Β ist. Bei allen diesen Erörterungen müssen w i r uns vor Augen halten, daß Aristoteles von vornherein die ontologische Entscheidung getroffen hat, daß die Bewegung selbst existiert. Weiters, wenn Bewegung Ubergang vom Möglichen zum Wirklichen, vom (relativ) Ungeformten zum Geformten ist, dann muß folgendes gelten: Es verhält sich die Substanz 1 als Ausgangspunkt, als ungeformte ΰλη, zu ihrem geformten Endzustand, ihrer Form oder μορφή, wie sich die Möglichkeit, oder die ΰλη als Möglichkeit, zur Wirklichkeit, oder dem verwirklichten Endzustand der ΰλη, verhält. Zwei der fundamentalen ontologischen Verhältnisse werden so mit Aristoteles ontologisch miteinander i n Beziehung gebracht: ΰλη : μορφή = δύναμις : ενέργεια, eine Formulierung, die in ihrer Struktur die ganze aristotelische „Physik" durchzieht und glänzend in seine biologischen Erörterungen paßt, die aber doch auf der Beschreibung durch unäre Prädikate beruht. 22 23 24
W. Leinfellner (Entstehung), S. 154 ff. Met.,T, 3, 1005 b, 19 f. Phys., Γ, 1,201a, 10-11.
1. Ontologische und semantische Modelle
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1.2.4. Die Substanz als logisches Subjekt; die ontologische Grundlage der Variable Letztlich verbindet Aristoteles seine Charakterisierung einer Substanz 1 als ein Substratum, das stets dasselbe bleibt, das aber doch im Laufe der Zeit gegensätzliche Eigenschaften annehmen kann, mit der Idee eines „leeren" logischen (grammatischen) Subjektes. Das Problem entsteht dadurch, daß, wie schon angedeutet, die aller Eigenschaften entblößte Materie letzten Endes nicht einmal eine Substanz 1 sein kann, d. h. nicht existieren kann; Materie existiert nur dann, wenn sie mit einer bestimmten Form, bestimmten Eigenschaften versehen ist; dann erst kann sie rechtmäßig als Substanz 1 auftreten. Erinnern w i r uns dann noch daran, daß Substanzen1 nach Aristoteles das sind, von dem etwas ausgesagt wird, d. h. dem Prädikate zugeteilt werden, dann ist die Sachlage klar 2 5 . Eine aller Eigenschaften entblößte Materie kann jedem Einzelding zugrunde liegen und w i r d damit gewissermaßen „das" Universale i n re; gleichzeitig hört sie damit auf, Substanz 1 zu sein. Dieser Zwiespalt, der Aristoteles deutlich bewußt wurde, kann nur gelöst werden, indem man die aller Eigenschaften entblößte Materie als Individuenvariable interpretiert. Es paßt hier durchaus herein, daß Pap die Individuenvariable als das metaphysische Grundkonzept des logischen Positivismus ansieht, oder auch des modernen unären Prädikatenkalküls. M i t der Einführung der Variable und gleichermaßen der Einführung einer eigenschaftslosen Materie verläßt man den Boden einer effektiven Proto-Ontologie und den Bereich der operativen, deskriptiven Semantik. Die fiktiven, logischen, rein möglichen Kombinationen von Variablen i m Satz begründen die aristotelische Logik. I n rein formal aufgefaßten Sätzen, das heißt Satzfunktionen, wie „qpx", die also ein solches (rein) logisches (grammatisches) Subjekt, i. e. eine Individuenvariable enthalten, determiniert die Negation nur die als gänzlich bedeutungslos gesehene Kopula „ist", d. h. sie bestimmt, ob eine Prädikatenvariable oder ein Prädikat der I n d i v i duenvariable formal angehört oder nicht. Damit löst sich die Logik von Ontologie und Semantik. Aber nur dann, wenn ein proto-ontologisches Modell vorhanden ist — heute würden w i r sagen: wenn alle Variablen durch Konstante ersetzt werden können —, können w i r sagen, daß das Zukommen von „ φ " zu „ x " einen nicht-fiktiven Zustand eines I n d i v i duums repräsentiert. Das heißt, daß die aristotelische Logik nur funktioniert, wenn w i r deskriptiv-semantisch wissen, ob eine empirische Eigenschaft F einem empirischen Substrat a tatsächlich zukommt oder 25
Met., Z, 3, 1029 a, 8.
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
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nicht zukommt. Der deskriptiv-semantische Ursprung, oder, wie man auch sagen kann, der ontologische Ursprung der Logik w i r d hier deutlich sichtbar, aber auch der Punkt, wo sie sich von der Ontologie (und Semantik) trennt. Ähnliches gilt für die Q u a l i f i k a t i o n : auch die Q u a l i f i k a t i o n bezieht sich auf Subjekte, welche Substanzen1 benennen. Liegen zwei kontradiktorische Aussagen, S α Ρ und S ο Ρ, vor, dann muß gemäß dem protoontologischen Modell eine von beiden wahr und eine falsch sein 26 . Zwei konträre Aussagen, S a Ρ und S e P y können nicht zugleich wahr sein; aber aus der Falschheit einer der beiden Aussagen folgt nicht notwendigerweise die Wahrheit der anderen 27 . W i r sehen hier, wie sehr Aristoteles die Logik auf der Ontologie begründet, aber den Syllogismus (Deduktion) nicht auf „die" Welt, und nicht auf seine proto-ontologischen Formulierungen bezieht. Solange i m Grunde auch in seiner Logik nur existierende Dinge zugelassen sind, resp. deren Namen, und er ζ. B. die unären Prädikate dazu benutzt, die verschiedenen Zustände dieser Dinge zu beschreiben, solange ist sie ontologisch und semantisch fundiert, aber nicht mehr beim Gebrauch von Variablen im Syllogismus. Relationen, bzw. rc-äre Prädikate passen nicht in Aristoteles' ontologische Vorstellungen und kommen auch in seiner Logik nicht vor; dies bedeutet eine beträchtliche Verengung der aristotelischen Ontologie. Aristoteles' Erfindung, die Subjekts- oder Individuenvariable, hat aber (logische) Geschichte gemacht; w i r müssen uns nun fragen, welche Rolle die Universalien, die Allgemeinbegriffe, in Aristoteles' Substanz 1 oder Ding-Ontologie und in seiner Philosophie im allgemeinen spielen. 1.2.5. Substanzen, Universalien und (Proto-)Ontologie
bei Aristoteles
I m Gegensatz zur Verdoppelung der Ontologie bei Piaton und in platonistischen Systemen unternimmt es Aristoteles sozusagen, mit einer Minimal-Ontologie auszukommen, einer Proto-Ontologie nämlich, i. e. einer „unären" empiristischen Ontologie. Er läßt Universalien zu, aber nicht als platonistisch existierende Entitäten oder Substanzen1, sondern bloß als vielen gemeinsame unäre Prädikate oder Eigenschaften, i. e. als Substanzen2, welche nicht ohne Substanzen1 existieren können 2 8 . Ohne 26 27 28
De int., 7, 17 b, 26 f. De int., 7, 17 b, 22-23. Vgl. Kat., 5, 3 b, 13-18.
. Ontologische und semantische Modelle
ein proto-ontologisches Modell sind also Substanzen2 gewissermaßen nicht vorhanden. Universalien als generelle Eigenschaften oder Prädikate treten daher stets zusammen mit, oder besser: in den Dingen auf (universalia in re 2 9 ), oder, wie es Cherniss ausdrückt: Universalien sind Konkretisierungen gewisser „Muster", eines gewissen „Wesens", welche universal sind oder i m ganzen Universum gelten 30 . Wiederum ergänzen w i r : universal, das heißt, soweit das proto-ontologische Modell reicht. Die Substanzen2, die Formen, die begrifflichen Eigenschaften u. ä. können nach Aristoteles unmöglich von den Substanzen1 abgetrennt werden. Es gibt also kein „Wesen" und auch kein Sein ohne die Substanz 1 . 31 Man könnte dies als eine A r t proto-ontologischer Reduktion ansehen; und man kann diese proto-ontologische Reduktion als Argument gegen die platonistische Loslösung der klassischen Logik von einem bestimmten Gebiet D , oder bestimmten Gebieten D , der Welt verwenden. Es fehlt nodi die Behandlung eines ontologisch wichtigen Problems der aristotelischen Proto-Ontologie, des Problems der wesentlichen und der akzidentellen (συμβεβηκός) Eigenschaften, welche später i n der Geschichte der Philosophie als primäre und sekundäre Eigenschaften auftreten. Nach Aristoteles sind die akzidentellen Eigenschaften eines Individuums, eines Dinges folgerichtig diejenigen, die sich während eines Prozesses ändern, ζ. B. wenn ein brauner Tisch grün bemalt wird. Die essentiellen, wesentlichen Eigenschaften sind diejenigen, welche sich nicht ändern, es sei denn, die Substanz 1 geht zugrunde oder w i r d neu geschaffen, was nach einer aristotelischen Auffassung möglich ist. (Es gibt bei Aristoteles auch die gegenteilige Ansicht.) Es ist relativ einfach, den Unterschied zwischen akzidentellen und wesentlichen Eigenschaften auf semantische Unterscheidungen beim Gebrauch unärer Prädikate zurückzuführen. Schon C. I . Lewis hatte in „ A n Analysis of Knowledge and Valuation" ausgedrückt 32 , daß sich die Unterscheidung zwischen Wesen und Akzidenz unbedingt auf die Sprache beziehen müsse. Copi, in „Essence and Accident" 3 3 , geht das Problem vom Standpunkt der empirischen Deskription, oder besser: empirisch deskriptiven Semantik, an: Stellen w i r uns eine Sprache vor, die für grüne und braune Tische zwei 29 30 31 32 33
Met.,Z, 6, 1031a, 15-19. Cherniss, S. 328. Met., Z, 3, 1029 a, 21-23. Lewis, S. 41. Copi, S. 290.
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
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Sprache akzidentellen Prädikate „grün" und „braun", respektive die akzidentellen Eigenschaften grün und braun, würden i n der Sprache, in denen „Tosdi" und „Tesch" Vokabel sind, wesentlich oder essentiell sein. Oder nehmen w i r ein anderes Beispiel: dt. „ U h r " entspricht engl, „clock" („Wanduhr", „Standuhr" u. ä.) und „watch" („Armbanduhr", „Taschenuhr"). Die essentiellen Eigenschaften von „clock" und „watch" zusammengenommen ergeben nicht die essentiellen Eigenschaften von „ U h r " . W i r sehen also auch hier, daß das Problem der akzidentellen und essentiellen Eigenschaften ein Problem der Semantik ist, und nicht der Ontologie. W i r wollen aber diese Erörterungen hier nicht als Gegenargument gegen die Unterscheidung akzidentell-essentiell interpretieren, sondern w i r wollen darauf einen Modus der Unterscheidung aufbauen, den w i r 1. auf die Umgangssprache und 2. auf die wissenschaftliche Sprache anwenden können. 1. I n der Umgangssprache ist ein unäres Prädikat — und damit eine Eigenschaft — per conventionem wesentlich, wenn die Hinzufügung oder Entfernung dieses Prädikates von einem Subjekt eine neue semantisch-operationale (oder lexikalische) Bedeutung zur Folge hat, i n der Sprache unserer semantischen Theorie von S. 249: dasjenige semantische Merkmalszeichen (Kategorie) — als Prädikat aufgefaßt — dessen H i n zufügung oder Entfernung eine Bedeutungsänderung zur Folge hat, ist essentiell. W i r können uns das am einfachsten an H a n d von zwei zusammengesetzten Substantiven vorstellen, wobei w i r das Bestimmungswort prädikativ auffassen. I n „Kopfstein-Pflaster" und „Senf-Pflaster" hängt es von „Kopfstein" und „Senf" ab, mit welchem „Pflaster", i. e. mit welcher Bedeutung von „Pflaster" w i r es zu tun haben. 2. I n den Wissenschaften scheint es davon abzuhängen, welchem wissenschaftlichen Kontext, welcher Theorie ein „ D i n g " , resp. ein Subjekt angehört, w i l l man die essentiellen Eigenschaften — ausgedrückt durch unäre (essentielle) Prädikate — von den akzidentellen abtrennen; es hängt auch davon ab, welche Ontologie man für den jeweiligen Bereich D zugrunde legt. Z. B. spielt die in der Umgangssprache essentielle Unterscheidung zwischen H o l z in Form eines Sessels und H o l z i n Form eines Tisches keine Rolle mehr, wenn etwa ein Chemiker das H o l z des Sessels und des Tisches auf seine chemischen Eigenschaften hin untersucht. Die sprachliche Grundlage ist, daß — idealisiert ausgedrückt — in der betreffenden chemischen Sprache, die sich mit den chemischen Eigenschaften von H o l z beschäftigt, die Ausdrücke „Sessel" und „Tisch" nicht ein Teil dieser Sprache sind. 4 Leinfellner
1. Ontologische und semantische Modelle
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Es gibt noch andere Möglichkeiten, das Problem der wesentlichen und der akzidentellen Eigenschaften zu lösen. W i r können den Unterschied zwischen essentiellen und akzidentellen Termen mit H i l f e einer Axiomatisierung bestimmen. Auch in diesem Falle muß die Unterscheidung semantisch begründet und auf einen bestimmten ontologischen Teil der Welt relativiert werden. Nehmen w i r zwei verschiedene Kontexte: A sei die klassische Mechanik, Β die Physik der Elementarteilchen. I n A ist es für einen Körper (Partikel) essentiell, ausgedehnt zu sein; in Β ist es essentiell, daß ein Körper (Mikropartikel, ζ. B. Photon) nicht ausgedehnt ist. Diese Umstände spiegeln sich in einer A x i o m a t i k ; man kann daher sagen, daß eine Axiomatik — welche nach unserer Auffassung ja die operationale Semantik einer Theorie festlegt — die essentiellen (i. e. für die Theorie essentiellen) Terme — und keine nicht-essentiellen — enthält. 1.2.6. Die aristotelischen Kategorien: (Proto-)Ontologie, Logik oder Semantik? Seit Porphyrius die Einleitung zu den „Kategorien" verfaßte, hat die Diskussion darüber, ob die Kategorien Klassifikationen von Dingen oder von sprachlichen Ausdrücken seien, nicht aufgehört. Rolfes ζ. B., der Ubersetzer des „Organon" — dessen erster Teil die „Kategorien" sind — besteht auf einer logischen Auffassung 34 („logisch" i m Sinne der traditionellen Logik genommen). W . und M . Kneale halten die ontologische Deutung der Kategorien für diejenige, welche Aristoteles' Ansichten am meisten entspreche 35. Bochenski — und schließlich auch W . und M . Kneale selbst — entscheidet sich für eine Mittelstellung zwischen Ontologie und Logik. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, daß das Problem der Kategorien i m Grunde genommen ein semantisches Problem ist; dies erklärt die schwankende Interpretation der Kategorien bei den verschiedenen Autoren, und es erklärt auch die Kategorien selbst. Denn wie soll eine sprachliche oder vom Sprachlichen ausgehende Klassifikation von — empirischen — Dingen anders zustande kommen als semantisch, oder zumindest m i t H i l f e einer Semantik? Prinzipiell w i r d die Interpretation der Kategorien dadurch erschwert, daß ζ. B. bei Aristoteles noch keine Anführungszeichen vorkommen, und daß er oft nicht anzeigt, ob er nun über Worte oder über Dinge redet 36 . 34 35 36
Rolfes, S. 28. Kneale, S. 27. Kneale, S. 27.
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
51
Nach Bochenski sind die „Kategorien" wichtig, weil i n ihnen 1. eine Klassifikation der Bedeutungen der Kopula „ist" geliefert wird. 2. ist nach ihm die Kategorienlehre ein Versuch, die Gegenstände vom Standpunkt ihrer Aussagbarkeit zu klassifizieren 87 . Dies ist nun eindeutig ein semantisches Problem; und es w i r d nach Punkt 2, wie angedeutet, die Kategorienlehre als eine „Theorie" der i n den verschiedenen Kategorien prädizierbaren Terme gesehen. Es werden also Dinge an H a n d der ihnen zuschreibbaren Terme i n Gruppen, Klassen eingeteilt; und nicht nur das: auch die Verschiedenheiten zwischen den Kategorien folgen aus den semantischen Gegebenheiten der Sprache. Die Kategorien selbst sind daher semantischer Natur. Es w i r d i m allgemeinen angenommen, daß unter die Kategorien fallende Ausdrücke nur Prädikate sein können, i. e. Terme i n der Prädikatstelle eines Satzes. Tatsächlich ergibt sich aber, daß Aristoteles eine umfassendere Theorie i m Auge hatte, die auch Terme in Subjektstellung einschließt 38 . Aus all dem geht hervor, daß die Kategorien semantische Kategorien (in einer heutigen semantisch-linguistischen Theorie würden w i r sagen: semantische Merkmalszeichen [semantic markers]) von kategorematischen Ausdrücken, wie „blau", „Farbe" (Kategorie der Qualität), „eine Elle lang" (Kategorie der Quantität), usf. sind. Der Gegensatz zu den kategorematischen Ausdrücken sind übrigens die synkategorematischen, wie „oder", „ u n d " , welchen nach einer Auffassung bloß rein syntaktische Funktion zukommt (vgl. jedoch S. 305). I n der Kategorienlehre entfernt sich Aristoteles von der Proto-Ontologie; denn letzten Endes klassifizieren Kategorien kategorematische Terme; und damit stellt sich die Frage, ob Aristoteles an das Problem gerührt hat, wie kategorematische Ausdrücke miteinander i m Rahmen des Satzes (semantisch) verknüpft werden können. W i r geraten damit i n das Problem der Semantik, entweder einer operativen, deskriptiven, oder einer operationalen, je nachdem wie w i r das „ist" deuten. Nehmen w i r an, daß in „Der H i m m e l ist blau" sich das „ist" darauf bezieht, daß zu einem bestimmten Zeitpunkt t der H i m m e l tatsächlich blau ist, dann befinden w i r uns in einer operativen Semantik. Wollen w i r hingegen feststellen, ob „ H i m m e l " und „blau" semantisch verträglich sind, dann haben w i r es mit einer operationalen Semantik zu tun. 37 38
A*
Bochenski, S. 63. Top., 1,9, 103 b, 27- 38.
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1. Ontologische und semantische Modelle
Jedenfalls ergeben uns die möglichen Verbindungen von kategorematischen Ausdrücken Typen von Aussagen oder Propositionen, auf Basis der Kategorien. M i t der Frage, welche Terme miteinander hinsichtlich der Kategorien oder Typen von Kategorien kombiniert werden können, beschäftigt sich Aristoteles ausdrücklich in der „ T o p i k " : „Achten muß man auch auf die Gattungen der Kategorien, denen ein W o r t angehören kann, und sehen, ob sie überall dieselben sind. Denn wenn sie nicht dieselben sind, so ist der Ausdruck offenbar homonym 3 9 ." Zur Erklärung sei hinzugefügt, daß nach Aristoteles Homonymie ζ. B. darin besteht, daß zwei verschiedene Dinge einen gemeinsamen Namen haben; z. B. ein existierender und ein gemalter Mensch werden beide ,,ζφον" genannt 40 . Weiters ist z. B. nach Aristoteles das Weiße (Helle) bei einem Körper eine Farbe, i. e. eine Qualität, beim Ton das leicht Hörbare (Kategorie des „Tuns"), usf. Ton und Körper werden also durch verschiedene Kategorien, nämlich Tun und Qualität, klassifiziert, i. e. auf semantischer Basis klassifiziert oder ontologisch klassifiziert. V o m heutigen Standpunkt aus würden w i r das Verfahren, der semantischen (oder auch syntaktischen) Struktur der Umgangssprache gewisse Kategorien zu entnehmen und diese dann zur ontologischen Klassifizierung der Entitäten zu verwenden, nicht mehr zulassen; oder w i r würden zumindest die Allgemeingültigkeit dieses Verfahrens einschränken. Ζ. B. produziert die semantische Struktur der Umgangssprache Kategorien, wie Qualität und Quantität, die in der Umgangssprache brauchbar sein mögen, die aber i n denjenigen Wissenschaften fehl am Platz sind, in denen jede Qualität sofort in eine Quantität (Zahl, Meßgröße) umgewandelt wird. W i r haben gesehen, daß die aristotelische Logik samt den aristotelischen semantischen Erörterungen nur dann möglich ist, wenn man sie auf einen speziellen, ontologisch vorgeordneten Bereich D der Welt bezieht. Bei Aristoteles w i r d also die Logik nicht von der Ontologie abgetrennt, wobei der Syllogismus teilweise eine Ausnahme ist. Heute ist es hingegen üblich, die Logik — und sogar die (philosophische) Semantik — getrennt und platonisierend zu behandeln. W i l l man aber Ontologie betreiben, dann muß die Welt bis zu einem gewissen Grade vorgeordnet werden, w i l l man sie der Erkenntnis m i t H i l f e der Sprache zugänglich machen. Diese Vorordnung leistet jener Teil der aristotelischen Philo39
Kat. 1, 1 a, 1 f.; Top., I, 15, 107 a, 3 - 17. Kat., 1, l a , 1 ff.; bestätigt durch mehrere unzweifelhaft aristotelische Stellen, z. B. Soph, el., 19, 177 a, 9 ff. 40
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
53
sophie, die w i r „Proto-Ontologie" genannt haben. Dann erst kann man die eigentlichen wissenschaftlichen Methoden der Welterkenntnis anwenden, so daß die Struktur der Welt und die Struktur der Sprache affin werden. Über alle möglichen Welten könnte man i m Sinne Aristoteles nur dann sprechen, wenn auch diese von der Proto-Ontologie erf aßt werden; gilt die Proto-Ontologie, dann gelten auch die aristotelische Logik und seine semantischen Erwägungen. Die aristotelische Substanz-Lehre ist eine solche Proto-Ontologie; es w i r d in ihr das Problem der Affinität von Welt und sie erkennender Sprache „künstlich" zu lösen versucht. Dazu w i r d die Welt auf ein bestimmtes Gebiet D eingeengt und die Sprache auf Subjektterme (Subs t a n t i a ) und unäre Prädikate. Das Gebiet D w i r d aus der übrigen Welt herausgeschnitten und idealisiert. I n der Substanz-Lehre w i r d genau angegeben, welche Systeme, wie Dinge, Objekte, Individuen, Organismen, Substanzen, i n Frage kommen, und auf welche Zustände (Eigenschaften) w i r uns bei der Beschreibung mit unären Prädikaten beziehen dürfen. Weiters bezieht sich Aristoteles auf Bewegung, Veränderung, raum-zeitliche Ordnungen, und er fundiert die Beschreibung auf semantisdi-deskriptiven und logischen Regeln. A l l dies soll dazu dienen, die Zustände (Eigenschaften) der Substanzen1 in einer Sprache zu beschreiben, die sich bloß der Subjektterme und der unären Prädikate bedient, und dadurch zu erkennen, was wahr ist. I m ganzen gesehen kann man sagen, daß die aristotelische und die traditionelle Logik auf einer deskriptiven Semantik und einer Proto-Ontologie beruhen, die primär dazu geschaffen wurde, die Bewegung zu erklären, daß sie aber für z. B. sozialwissenschaftliche Theorien nicht mehr ausreicht. Weiters kann man sagen, daß sich die aristotelische Logik als generalisierte Semantik erweist; dies kommt von ihrem ontologischen Charakter und ihrem engen Zusammenhang mit der Umgangssprache. Aber es können nur diejenigen Gebiete der Welt erkannt und in faktisch wahren Sätzen beschrieben werden, deren Konfigurationen i m vorhinein von der ProtoOntologie ausgewählt wurden. Die Affinität von Welt und Sprache w i r d durch eine schrittweise Annäherung beider zustande gebracht, wobei die Welt an die Sprache angenähert wird, indem sie Aristoteles gewissermaßen durch ein proto-ontologisches Filter filtriert. Die Sprache w i r d angenähert, indem festgehalten wird, daß sich Namen auf Substanzen 1 und Prädikate auf Eigenschaften richten; dies ist eine semantischdeskriptive Regelung. Die aristotelische Logik ist ein Endprodukt dieser
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1. Ontologische und semantische Modelle
Entwicklung; daher ist diese eine Versteinerung einer deskriptiven Semantik, die auf den proto-ontologisch vorgeordneten — Teil D der Welt beschränkt ist. Daher ist, wie gesagt, die aristotelische Logik nur in denjenigen wirklichen und möglichen Gebieten gültig, die sich einer aristotelischen Proto-Ontologie unterwerfen lassen. Die aristotelische Logik und mit ihr die traditionelle Logik sind daher nicht allgemein gültig. M a n kann ohne Ubertreibung sagen, daß heute jede wohlgeformte Theorie oder bestimmte Typen von wohlgeformten Theorien eigene spezielle Proto-Ontologien und eigene operative (deskriptive) und operationale (kontextuale) Semantiken besitzen, zumindest implizit. Jedenfalls hat die aristotelische Ontologie — i m Gegensatz zur platonischen — die ersten ontologischen und semantisch-deskriptiven Bedingungen erforscht, unter denen eine faktisch-wahre und ein-eindeutige Erkenntnis eines bestimmten Gebietes D der Welt möglich ist. I h r Nachteil ist, daß sie nur unäre Prädikate benützt und daß sie von vornherein auf den kinematisch-medianischen Teil D der Welt beschränkt ist, ein Ausschnitt aus der Welt, der bis N e w t o n und Galilei die klassische Mechanik beschäftigte. Die Tatsache, daß Aristoteles in seiner Proto-Ontologie und im allgemeinen in seiner Naturphilosophie von einer Ansicht der Sprache geleitet war, nach welcher bloß Substantiva (Subjekte) und unäre Prädikate entscheidend sind, verweist uns auf einige wichtige Fragen: 1. Hängen Ontologie, und insbesondere die Proto-Ontologie, aber auch Semantik und Logik von einem sprachlichen A p r i o r i ab? 2. Welche Ontologie, Semantik, Logik ist die richtige, die allgemeinste, die beste? W i r haben es ja offensichtlich von allem Anfang an m i t einer Vielzahl von Ontologien, Semantiken und Logiken zu tun. 3. Welche Ontologie gehört zu welcher Semantik und Logik, und welche Ontologie, Semantik und Logik zu welcher Sprache Li I m Verlaufe dieses Buches werden w i r versuchen, die drei Fragen zu beantworten. U m einen Zugang zu den Problemen zu finden, muß der Pluralismus der Ontologien, Semantiken und Logiken genau so hingenommen werden, wie man hinnimmt, daß es viele Sprachen und nicht nur eine gibt. Diese verschiedenen Systeme dienen, so wie die Wittgensteinschen Sprachspiele, verschiedenen Zwecken, und w i r haben bis jetzt keine Ontologie, Semantik oder Logik gefunden, die bis ins letzte Detail allen Anforderungen jedweder Sprache, Theorie, Wissenschaft gerecht
1.2. Die aristotelische Ontologie als Proto-Ontologie
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werden würde. I n diesem Buch werden nur die wissenschaftlichen Sprachspiele, nämlich die Theorien samt ihren Semantiksystemen und protoontologischen Voraussetzungen behandelt werden. Ein nächster Schritt zum Vorverständnis der Probleme ist so die Etablierung einer Toleranz gegenüber den verschiedenen ontologischen, semantischen und logischen Systemen, die verschiedenen Theorien, Sprachspielen, Sprachen etc. zugehören, wenn und nur wenn diese nicht mit der hier vertretenen empiristischen, nominalistischen und auch konzeptualistischen Grundhaltung in Konflikt geraten. Weiters w i r d angenommen, daß die Bewertung von ontologischen, semantischen und logischen Systemen (über das Verhältnis von Semantisch und Logisch siehe S. 167), die jeweiligen Sprachen, Theorien usw. zugehören, ausschließlich vom pragmatischen Standpunkt aus gemacht wird, d. h. ob sie sich für die entsprechenden Sprachen usw. als nützlich erweisen, z. B. für deren kognitive und realisierende Ziele. Abschließend sei gesagt, daß die aristotelische Proto-Ontologie ein gutes Beispiel dafür abgibt, was geschieht, wenn man dogmatisch an einem bestimmten ontologischen System festhält. Es ist klar, daß die aristotelische Proto-Ontologie die erste ihrer A r t war, und eine gelungene Schöpfung obendrein. Sie hat aber die abendländische Entwicklung der Philosophie und auch der Wissenschaften über Gebühr beeinflußt. Durch ihre Einengung auf unäre Prädikate konzentrierte sie die historische Entwicklung der Philosophie und der Wissenschaften auf die Probleme der Materie und des Atomismus', dem Suchen nach „letzten" Urbestandteilen des gesamten Universums, den „Atomen". Aristoteles hat die Axiomatik als Darstellung der ersten Ursachen und die kausale Ursachenlehre ebenfalls gänzlich einseitig atomistisch betrieben. Der Gedanke, daß es einen letzten Urbestandteil geben müsse, hat uns zwei Jahrtausende immer wieder in die Irre geführt: statt der erhofften endgültigen Urbestandteile fand man stets neue dynamische Strukturen, die alle den universalen Feldcharakter eines dynamischen Systems haben. Der Gedanke, daß man, wenn man die letzten atomistischen Bausteine entdeckt hat, dann quasi deduktiv aus diesen alles Übrige, nämlich das restliche Universum ableiten könne, geht letztlich auf die aristotelische Philosophie zurück; er ist aber einseitiges Wunschdenken und sollte nach der zweiten K a n t schen Antinomie als überflüssig beiseite gestellt werden.
1. Ontologische und semantische Modelle
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1.3. Bedeutung oder Sinn: das stoische λεκτόν I n diesem Kapitel behandeln w i r elementare semantische Unterscheidungen, die heute teilweise i m W i r r w a r r der vielfältigen semantischen, logischen und erkenntnistheoretischen Systeme verloren gegangen sind. I n der stoischen Logik t r i t t zum ersten M a l i m Umriß jene semantische Einteilung auf, die sich durch folgende Grundbegriffe umreißen läßt: 1. semantisch-deskriptive (semantisch-operative, empirische) Bedeutung, welche an das Vorhandensein der empirischen Welt, das Vorhandensein empirischer Designata geknüpft ist; 2. operationale (linguistische, kontextuale etc.) Bedeutung oder Sinn; 3. Sprachzeichen oder sprachliche Symbole. Diese Teilung spiegelt sich zunächst in einer von Chrysippos aufgestellten Einteilung der Logik in einen Teil, der es mit Dingen, die bezeichnen = Zeichen = Redeteile (τα σημαίνοντα) zu tun hat, und in einen Teil, der vom Bezeichneten (τα σημαινόμενα) handelt 1 . Die Stoiker nun stellen folgendes Tripel auf: „ D i e aus der Stoa sagen, daß dreierlei zusammenhänge: das Bedeutete [σημαινόμενον] das Bedeutende [σεμαΐνον] und das D i n g [τυγχάνον]. Das Bedeutende soll der Laut selbst [sein], . . . das Bedeutete die Sache selbst, welche durch [diesen Laut] klar gemacht w i r d und welche w i r begreifen als mit unserem Verstand mitbestehend, welche [aber] die Barbaren nicht fassen, obwohl sie den Laut hören; das D i n g aber ist das draußen Bestehende,.. A " Damit w i r d in die Semantik ein grundlegendes Element eingeführt, nämlich ein Tripel, das w i r i m folgenden „Semantem" nennen, und das sich — i n stoischer Terminologie — aus dem Bedeuteten und dem Bedeutenden, sowie einer Relation zwischen beiden zusammensetzt. Z u m Unterschied zu der in diesem Kapitel abgehandelten philosophischen Auffassung werden w i r jedoch auch operative — i m Gegensatz zu operationalen — Semanteme zulassen, i. e. Semanteme der operativen (empirisch deskriptiven) Bedeutung. Der technische Name der Stoiker für das σημαινόμενον ist „λεκτόν", und w i r können diesen Ausdruck wörtlich mit „das, was gemeint ist" wiedergeben. Zeichen und D i n g existieren nach dieser Auffassung körperlich, das λεκτόν hingegen nicht. Auch t r i t t das λεκτόν nur i n der rationa1
Diogenes Laertius (Vitae), V I I , 43, 62; Seneca (Epistulae), 89, 17; Kneale, S. 139; Mates, S. 12. 2 Sextus Empiricus (Adv. Math.), V I I I , 11.
1.3. Bedéutung oder Sinn: das stoische λεκτόν
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len Präsentation hervor 3 . Das λεκτόν sei das nach einer gedachten Vorstellung (φαντασίαν λογικήν) Bestehende, sagt Diogenes Laertius 4 ; dies ist eine konzeptualistische Version. Schon in der Antike stritt man sich darum, ob es λεκτά gebe oder nicht, und, wenn es sie gebe, von welcher Beschaffenheit sie seien. Es w i r d einesteils die Meinung vertreten, daß das λεκτόν ein Zwischenglied zwischen Gedanken und Worten sei (Ammonius), oder — konzeptualistisch — daß λεκτά und Gedanken identisch seien (Simplicius), oder — nominalistisch — daß das λεκτόν nur ein Laut sei (Philoponus) 5 . Aus dem oben Angeführten — z.B. daraus, daß die Barbaren das λεκτόν nicht erfassen können — und auch aus anderen Überlegungen geht hervor, daß, nach einer Auffassung, das λεκτόν in vieler Beziehung dem ähnelt, was Frege „Sinn" nennt, und daß daher das λεκτόν letzten Endes ein erster Umriß dessen ist, was w i r hier „operationale Bedeutung" („kontextuale Bedeutung", „linguistische Bedeutung" etc.) nennen und welche w i r später i m Detail erörtern werden. Es handelt sich beim λεκτόν also, grob gesprochen, um Bedeutung als (sprachimmanenten) Sprachgebrauch. Was die empirische Bedeutung betrifft, so ist dazu zu sagen, daß nach Barwick die empirische Deskription — die ja zum Problemkreis der empirischen Bedeutung gehört (vgl. S. 289) — bei den Stoikern offensichtlich im Sinne des platonischen „Kratylos" behandelt w i r d 6 . Für das λεκτόν als operationale Bedeutung weisen w i r darauf hin, daß Benson Mates in seinem Werk über die stoische Logik einen intensiven Vergleich zwischen „Sinn" bei Frege (und „Intension" bei Carnap) und dem stoischen λεκτόν herstellt, und beide grundsätzlich als einander nahe verwandt ansieht. BocheAski vertritt dieselbe Auffassung: das λεκτόν sei kein Gedankending, kein conceptus subjectivus in scholastischer Terminologie; es ist „ u m mit Frege zu sprechen, der Sinn des Ausdruckes, scholastisch der conceptus objectivus, das objektiv Gemeinte" 7 . N u n entspricht Freges „Sinn" die Wittgensteinsche Bedeutung als Sprachgebrauch; letztere wiederum findet ihren Ausdruck in modernen linguistischen Theorien, die die Bedeutung als sprachimmanenten Sprachgebrauch, i. e. die operationale Bedeutung, m i t H i l f e des sprachlichen Kontextes fest3 4 5 6 7
Sextus Empiricus (Adv. Math.), V I I I , 70. Diogenes Laertius (Vitae), V I I , 63. Vgl. Kneale, S. 143. Barwick, S. 76. Bod^ski, S. 127.
1. Ontologisch und semantische Modelle
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legen. Schließlich führen w i r zur Unterstützung unserer These noch Kretzmann an, der folgendes in bezug auf das λεκτόν sagt: „Daß zur Erklärung der Bedeutung nicht nur die Dinge, über die w i r sprechen, und die Gedanken, die w i r ausdrücken, herangezogen werden müssen, sondern auch die Leistungen, die die Sprache alleine erbringt, dies scheint eine Entdeckung der Stoiker (und ihr bedeutendster Beitrag zur Semantik) zu sein 8 ." So aufgefaßt, würde sich auflösen, was Benson Mates i n seinem Buch über die stoische Logik als Rätsel erschien — trotz seiner Parallele: Sinn bei Frege-λεκτόν. Er sagt da: „Ich kann nicht verstehen, wie es möglich ist, daß ein λεκτόν, welches dodi vom W o r t verschieden ist, i m Nominativ stehen kann. Aber es gibt viele Dinge in der Metaphysik der λ ε κ τ ά . . . welche ich nicht verstehe. Dies bezieht sich besonders auf die Annahme, daß λ ε κ τ ά . . . Teile haben 9 ." Nach der Theorie der operationalen oder kontextualen Bedeutung gibt es nämlich eine kontextuale Bedeutung (Sinn) des Wortes, und eine des Satzes, einen Sinn des Satzes; beide bedingen sich gegenseitig (vgl. S. 235). Das λεκτόν eines Satzes (das vollständige λεκτόν i n stoischer Terminologie) besteht dann aus Teil-λεκτά (defizienten λεκτά in stoischer Terminologie); letztere decken sich „umfänglich" mit den Redeteilen. Was nun die Konjugation und Deklination der λεκτά betrifft, so hängt die Interpretation dieses Problems davon ab, ob w i r Konjugation und Deklination semantisch oder syntaktisch auffassen. Neigt man, wie w i r auf S. 275 ff. ausführen, einer semantischen Auffassung zu, dann erscheint die Vorstellung, daß λεκτά i m Nominativ stehen können, oder, allgemeiner ausgedrückt, daß sie konjugiert und dekliniert werden können, sehr plausibel, auch wenn w i r heute andere Formulierungen wählen würden, ζ. B. die, daß die Stoiker die semantische Funktion der Syntax berücksichtigen. Was die λεκτά von unserer Auffassung der operationalen (kontextualen) Bedeutung trennt, ist, daß ein Teil der λεκτα (ζ. Β. die άξιώματα) wahr oder falsch sein können, während w i r nicht annehmen, daß Bedeutungen jemals einen Wahrheitswert annehmen. W i r sehen hier, daß in mancher Beziehung das λεκτόν dem ähnelt, was in der Literatur „Proposition" genannt w i r d 1 0 ; w i r weisen darauf hin, daß dies nicht die hier vertretene Interpretation der Proposition ist. Das λεκτόν als Propo8 9 10
Kretzmann, S. 365 a. Mates, S. 17, Fußn. Nr. 41. Vg,. Cherniss, S. 143; Mates, S. 19.
1.3. Bedutung oder Sinn: das stoische λεκτόν
59
sition setzt voraus, daß man die Proposition als eine A r t abstrakte Entität — eventuell in mente — auffaßt, die die Bedeutung eines Satzes ist. Jedenfalls fiel den Philosophen der stoischen Schule offensichtlich auf, daß „das Gemeinte", die Bedeutung es mit Sprachzeichen zu tun hat, ebenso wie w i r heute oft sagen, daß die operationale Bedeutung als Ansammlung von Sprachzeichen aufgefaßt werden kann, entweder im Sinne von — unter anderen — Wilks, oder als Bestandteil einer Definition (vgl. jedoch unsere Auffassung, S. 218). Die Tatsache, daß in stoischer Auffassung das λεκτόν durch den Gebrauch von Worten gegeben ist, leitet uns zu unserem nächsten Kapitel, das sich mit der scholastischen Suppositionstheorie beschäftigt. Es ist einsichtig, daß man an die Stelle des λεκτόν der stoischen Philosophie, oder auch an die Stelle „des Gemeinten", und damit an die Stelle der operationalen Bedeutung, die Bedeutung als Vorstellung, als Intention oder als Gedächtnisleistung setzen kann. W i r haben hier einen analogen Fall wie bei Ockham, wo ein Zeichen sowohl nominalistisch als vox, als auch konzeptualistisch als intentio animae möglich ist. Wie angedeutet, es wurde ja das λεκτόν von Simplicius als Gedanke aufgefaßt. Auch zeigt die operationale Bedeutung vom theoretischen Standpunkt aus große Ähnlichkeit mit dem, was in der Psychologie „assoziative Bedeutung" genannt w i r d : Die operationale Bedeutung eines Wortes ist — nach einer Auffassung (vgl. S. 242) — eine Ansammlung von mit diesem Wort verträglichen Kontexten; die assoziative Bedeutung eines Wortes ist die Menge der mit ihm assoziativ auftretenden, i. e. gewissermaßen „psychologisch verträglichen" Kontexte. Es ist klar, daß sich der semantische „Bereich" der assoziativen und der operationalen Bedeutung nicht decken. Ζ. B. kann man ohne weiters semantisch unverträgliche Worte miteinander assoziieren, etwa „ B l a t t " und „beißen". Verwenden w i r derartige Zusammenstellungen dennoch in der Umgangssprache, dann sagen wir, sie seien metaphorisch, poetisch oder unsinnig, d. h. sie entsprechen nicht mehr dem Sprachgebrauch und der operationalen Semantik der Umgangssprache, zumindest nach den gängigen semantischen Auffassungen. Zumindest vom Standpunkt der antiken Philosophie aus wäre ein Unterschied zwischen den Bedeutungen als λεκτά und den Bedeutungen als Vorstellungen durch folgendes gegeben: λεκτά sind den „Barbaren" nicht verständlich; w i r können hinzufügen: weil sie kontextual sind, d. h. operational, oder, anders ausgedrückt: weil sie dem Sprachgebrauch
1. Ontologische und semantische Modelle
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entstammen. Bedeutungen als Vorstellungen können über die Grenzen der Sprache hinausgehen. So sind etwa nach Aristoteles Vorstellungen von Dingen bei allen Menschen dieselben. Diese die Sprache übersteigende Allgemeingültigkeit w i r d übrigens des öfteren audi von der Proposition behauptet (vgl. S. 239). Λεκτά können auch den Charakter von Universalien annehmen. Diogenes Laertius schreibt 11 , daß Chrysippus und ein gewisser Diogenes von Babylon fünf Arten von λεκτά, entsprechend 5 Redeteilen, unterschieden hätten, darunter auch das λεκτόν als Name (δνομα) und als Gattungsname (προσηγορία). Ein λεκτόν als Gattungsname oder Universale, welches gleichzeitig ein Gedanke ist, entspricht dann — oder wäre identisch mit einer — Universale in mente. Aus der konzeptualistischen Auffassung der λεκτά kann man folgende Konsequenzen ziehen: Der Konzeptualismus ist nicht bloß auf die scholastischen Untersuchungen der N a t u r der Universalien beschränkt; im Rahmen der scholastischen Philosophie befindet er sich zwischen Nominalismus und (Ideen-)Realismus. Sondern der Konzeptualismus kann ζ. B. auch im Rahmen des Intuitionismus oder einer operationalen oder operativen Semantik aufrecht erhalten werden. I n der Semantik ist der Konzeptualismus jedoch nicht grundlegend, sondern ein zusätzliches, m i t ihr verträgliches Moment. W i r lassen dann zu, daß die in Semantemen festgehaltenen Bedeutungen — seien sie nun operativ oder operational — auch gleichzeitig konzeptuell, ζ. B. als intuitive Vorstellungen vorliegen. Handelt es sich um Vorstellungen von nicht-empirischen Entitäten, dann müssen w i r verlangen, daß für sie eine operationale Bedeutung, d. h. ein operationales Semantem i m Sinne von Kap. 3.1. auf gewiesen werden kann, resp. daß sie — sprachlich formuliert — ein Element eines Bedeutungsmorphismus sind. Für die Vorstellungen von empirischen Entitäten und — gewissermaßen — operative Bedeutungen in mente gilt, daß sie als Bedeutungen nur dann zugelassen werden, wenn ihre empirischen Gegenstücke effektiv aufgewiesen werden können, und wenn ein entsprechendes operatives Semantem gebildet werden kann. Auch kann man konzeptuelle Semanteme aufstellen (vgl. S. 91). W i r haben oben — in Anlehnung an die mathematische Kategorienlehre — den Ausdruck „Bedeutungsmorphismus" gebraucht, den w i r nun 11
Diogenes Laertius (Vitae), V I I , 57 - 58.
1.3. Bedutung oder Sinn: das stoische λεκτόν
61
an einem Beispiel erläutern wollen. W i r betrachten im Kontext der euklidischen Geometrie drei Strukturen: 1. Hilberts relationenlogische Axiomatisierung der euklidischen Geometrie, ( Ρ " ; D " ) , welche dem nominalistischen T y p angehört; 2. die intuitive sprachliche Formulierung von euklidischen Gebilden als anschaulich-intuitiven und idealisierten Formen: (P'; D ' ) ; dies sei die konzeptualistische Version von 1 und 3. 3. haben w i r hier die geometrische Beschreibung von Punkt, Linie und Fläche, wie sie sich am Papier vorfinden, (P; D). Dies sei der empirische T y p . W i r können nun folgendes Toleranzprinzip formulieren: Eine konzeptualistische oder intuitive Bedeutungsfestlegung (Bedeutung) ist mit einer nominalistischen und einer empiristischen verträglich, wenn sie demselben Bedeutungsmorphismus angehören; der Bedeutungsmorphismus gründet sich hier auf der Tatsache, daß die drei behandelten Strukturen isomorph sind. Andererseits können wir, zumindest i m Rahmen der Wissenschaften, konzeptualistische oder intuitive Bedeutungen nur zulassen, wenn sie als Element einem solchen Bedeutungsmorphismus angehören. Die drei Formulierungen nun bilden einen strukturellen oder einen Bedeutungsmorphismus hinsichtlich einer generellen Struktur- oder Bedeutungskategorie, die w i r „Euklidizität" nennen können. I m folgenden haben w i r zwei verschiedene Skizzen eines Bedeutungsmorphismus, resp. einer Bedeutungskategorie: (P; D) —» ( P ' ; D ' ) — > ( P " ; D " ) , (P;D)
(P';D')
ι ι (P";D"). Dieselben Verhältnisse liegen vor, wenn w i r von folgendem ausgehen: 1. dem mengentheoretischen Modell der Peano-Axiome Mengen und der Nachfolgerfunktion;
mit
den
2. dem intuitionistischen Modell davon, mit den Zahlen und der Nachfolgerrelation als der zahlenerzeugenden Relation; und schließlich 3. dem empirischen Modell, i. e. dem Modell der Wirklichkeit, in diesem Falle der Urabzählung, wobei empirische Objekte sukzessiv abge-
1. Ontologische und semantische Modelle
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zählt werden. W i l l man hier die operative Bedeutung und die Wirklichkeit hereinbringen, dann läßt man sich von Wittgenstein 12 in ein Gemüsegeschäft führen und läßt sich vom Verkäufer nacheinander fünf Äpfel auf den Tisch legen. Sagt man, „Ich möchte fünf Ä p f e l " , dann hat man auf die Äpfel die operativ semantische Namensrelation angewandt; „ f ü n f " hingegen kann operativ nur dadurch gekennzeichnet werden, d. h. „ f ü n f " kann nur dadurch empirische Bedeutung erlangen, daß sukzessive ein Apfel nach dem anderen herausgenommen und gezählt wird. Bedeutungsmorphismen, i. e. Klassen von Formulierungen, deren Bedeutungen isomorph sind, enthalten also stets zumindest zwei Mitglieder oder Elemente. Letzten Endes w i r d damit ganz allgemein dem Verhalten des Menschen Rechnung getragen. Nehmen w i r z. B. die Orientierung in einem fremden Gelände: man w i r d die Landkarte zugleich mit der Rekognoszierung des Geländes anwenden; das ja nennt man „Orientierung". Ob man die Landkarte intuitiv in der Erinnerung (Gedächtnis) oder als graphisch auf einem Papier festgelegte Abbildung m i t sich herumträgt — welche man mit dem empirischen Gelände zur Deckung bringt — ist i m Grunde gleichgültig. W i r müssen — wollen w i r konzeptualistische Semantiken oder konzeptualistische Formen der Bedeutung zulassen — verlangen, daß die intuitiven Vorstellungen, die Gedächtnisinhalte etc. sprachlich fixiert sind. U m zu unserem Bilde zurückzukehren: Können die Landkarte (als Vorstellung oder als aktuale Landkarte) und die Umgebung, oder die empirische Beschreibung derselben zur Deckung gebracht werden (d. h. ihre Isomorphic erwiesen werden), dann haben w i r uns orientiert. Die Erklärung dessen, was Bewußtseinsinhalte, Vorstellungen, Intuitionen, Konzepte in mente empirisch seien, ist ausschließlich Sache der psychologischen, physiologischen, chemisch-biologischen oder psychoanalytischen Theorien. Betrachten w i r deren spezielle Proto-Ontologien, als deren ontologische Vorordnung, dann können sich diese Proto-Ontologien z. B. i m Falle neurophysiologischer Theorien mit folgendem beschäftigen: K o m m t das Bewußtsein i m Menschen und i m Tier dadurch zustande, daß die Struktur der umgebenden Welt und ihre Geschichte in den Ganglienzellen, bzw. dem holistischen System der Ganglienzellen repräsentiert wird, also durch ein Zusammenwirken von Sensorium, Gedächtnis, den rationalen psychischen Vorgängen, usf.? Die Tatsache, daß ein A b b i l d der Wirklichkeit i n den Ganglienzellen existieren kann — „ A b b i l d " natürlich in einem weiteren Sinne genommen — ist jedoch kein 12
Wittgenstein (Untersuchungen), S. 290, § 1.
1.3. Bedutung oder Sinn: das stoische λεκτόν
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zwingender Grund dafür, Intuitionen, Vorstellungen in mente u. ä. in die Semantik einzuführen. Dazu kommt, daß die konzeptuelle Existenz in mente nach der idealistischen Auffassung des Konzeptualismus nicht empirisch sein soll, was zu weiteren Schwierigkeiten führen kann. Daher lassen w i r Bedeutungen in mente nur zu, wenn schon operationale oder operative vorhanden sind; w i r sagen aber nicht, daß ζ. B. das empirische Sein oder die operative Bedeutung im Bewußtsein als geistiges Sein oder als konzeptuelle Bedeutung repräsentiert werde; w i r würden dann genau das machen, was man an der platonischen Ontologie kritisieren kann: w i r würden alles prinzipiell verdoppeln, wenn audi nicht die Entitäten, sondern nur die Bedeutungen. Die Verhältnisse werden komplizierter, wenn w i r neue Strukturen erfinden, von denen w i r erwarten, daß sie sich einmal empirisch auffinden, oder bestätigen lassen werden. Ein bekannter Fall ist hier das Tachyon, ein Mikropartikel, der sich mit Uberlichtgeschwindigkeit bewegen soll. Man stellt dann praktisch operative Bedeutungen in mente, i. e. konzeptualistisch auf, während die operationale Bedeutung von „Tachyon" durch seinen Kontext garantiert ist. Die operative Bedeutung von „Tachyon", die bis jetzt nur konzeptualistisch existiert, w i r d zu einem gewissen Grade dadurch gestützt, daß die Definition des Tachyons als eines intuitiv angenommenen Mikropartikels mit der Relativitätstheorie als gut bestätigter empirischer Theorie verträglich ist. Natürlich müssen Tadiyonentheorie und Relativitätstheorie auch operational verträglich sein. Die Frage, ob ein solcher Mikropartikel tatsächlich existiert, ist damit natürlich in keiner Weise gelöst. Derartige Probleme treten in allen Wissenschaften auf. Man kann ζ. B. die gesamte Marxsche Arbeitswerttheorie als eine intuitiv aufgestellte und paradigmatisch bestimmte Theorie von der Struktur der monetären Werte ansehen, wobei es bis heute nicht gelungen ist, diese befriedigend empirisch zu interpretieren 13 . W i r sehen also, daß die Stoa ein neues Konzept der Bedeutung einführt, eine Bedeutung, welche w i r hier „operationale" nennen. Diese operationale Bedeutung verhält sich konzeptualistisdien Bedeutungen gegenüber indifferent, d. h. letztere werden weder vorausgesetzt, nodi im nachhinein zur Erklärung benötigt. Konzeptualistisdie Bedeutungen werden zwar zugelassen, aber nur dann, wenn sie Element eines Bedeutungsmorphismus' sind, wobei i m Rahmen dieses Buches nodi auf Kontexte 7h und Gebiete D relativiert werden muß. 13
W. Leinfellner (Marx).
1. Ontologische und semantische Modelle
Aus allen diesen Überlegungen w i r d klar, warum der Intuitionismus als eine gemäßigte Form des Konzeptualismus seit K a n t und besonders seit der intuitionistischen Begründung der Mathematik eine so große Rolle spielt. Denn er eröffnet dem erfinderischen Geist des Menschen i m Rahmen der modernen Wissenschaften ungeahnte Möglichkeiten und dies erklärt zum Teil deren rasche Entwicklung, welche im letzten Jahrhundert einsetzt. Letztlich müssen w i r schon hier davor warnen, Bedeutung als etwas aufzufassen, auf das man gewissermaßen m i t dem Finger zeigen kann, wie ζ. B. eine empirische Entität, eine Vorstellung von einer empirischen Entität u. ä. Bedeutungen sind also für uns keine Entitäten, und wenn w i r i m folgenden von „Bedeutung", „Bedeutung haben" etc. sprechen, dann soll das stets heißen, daß ein Tripel (Semantem) aufgestellt werden kann, das entweder von der Empirie zum Zeichen oder Ausdruck, oder von Zeichen (Ausdrücken) zu anderen Zeichen (Ausdrücken), oder auch von Vorstellungen zu Zeichen u. ä. führt. W i r dürfen dann auch das λεκτόν nicht direkt mit „der" Bedeutung identifizieren, sondern w i r müssen ein Tripel (λεκτόν, / , Term (Satz)) aufstellen; dann können w i r sagen, daß der Term (Satz) Bedeutung „hat".
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe Zur Erklärung sei hier angeführt, daß „Begriff" hier nicht für „conceptus", ζ. B. bei Ockham steht, sondern für Klassenterme, mengentheoretische Begriffe, den Begriff als das, was mehreren Dingen „gemeinsam" ist, usf. I n der Entwicklung von Ontologie und Semantik führt eine direkte „linguistische" Linie von Aristoteles und der Stoa über Porphyrius zu Boethius (480 - 525) und von dort zur Suppositionslehre. Diese einheitliche Entwicklung von Ontologie und Semantik — wobei sich diese gegenseitig beeinflussen — gleichsam zu einer beide umfassenden Disziplin, in welcher die Erkenntnis der Welt von der Entwicklung und Verfeinerung der Sprache abhängt, hört aber trotz aller Bemühungen der „moderni" zunächst einmal mit der Scholastik auf. A n deren Stelle t r i t t die Onto-Theologie; diese ist nicht auf die Sprache bezogen, und es w i r d in ihr versucht, das Universalienproblem in seiner onto-theologischen
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
65
Fassung entweder nominalistisch, konzeptualistisch oder platonistisch zu lösen. Darunter kann man die Bemühungen verstehen, die Ontologie und die Bedeutung aller Begriffe quasi deduktiv zu bestimmen, indem man von der Existenz eines allumfassenden Begriffes ausgeht. Dies ist gerade der umgekehrte Weg, von dem, den man i n einer Semantik oder einer Zusammenfassung von mehreren Semantiksystemen einschlägt. I n der Semantik substituiert man induktiv von unten nach oben; die Bedeutungskonstitution steigt hierarchisch an. I n der mittelalterlichen Suppositionslehre w i r d die suppositio formalis von der „höher" liegenden suppositio materialis gewissermaßen überdeckt; dies gilt i n extenso jedoch nur, wenn man die suppositio materialis so auffaßt, daß sie „abstrakter" ist als die suppositio formalis. Nach unserer Auffassung bewegt sich die Bedeutung ebenfalls von unten nach oben. W i r beginnen mit der deskriptiv empirischen Bedeutung und der operativen Semantik, und gelangen dann zur operationalen Bedeutung und der operationalen Semantik; beide Semantiken bauen sich hierarchisch über einem bestimmten Gebiet D der Welt auf. Obwohl man heute nicht mehr von der Existenz Gottes als dem allumfassenden Begriff ausgeht und die Religionen selbst weitgehend „ent"ontologisiert wurden, d. h. in diesem Fall ihr platonistischer Charakter abgeschwächt wurde, so ist in den Wissenschaften doch, wie schon angedeutet, der Piatonismus noch längst nicht verschwunden. Platonistische Ontologien haben also die Tendenz, an sich seiende begriffliche Entitäten, Prinzipien zu postulieren, aus denen die Phänomene dann quasi deduziert werden. I n der Onto-Theologie ist soldi ein begriffliches Prinzip Gott, in konzeptualistisch „idealistischen" Versionen des Piatonismus ist es der Plan der Welt vor ihrer Erschaffung, der Plan der Welt als objektiver oder subjektiver Geist. I n formalisierten Systemen w i r d der Platz, den sonst der Plan der Welt oder Gott einnehmen, von den Axiomen eingenommen. Die Ableitung oder Quasi-Deduktion der Welt und ihrer Phänomene besonders i n der Idealphilosophie soll man sich dann romantisch unter dem B i l d der Pflanze, die sich aus dem Samen entwickelt, vorstellen. Einen rationalen Konzeptualismus kann man dann damit charakterisieren, daß abstrakte Begriffe, wie Gott, Unendlichkeit, die Menge aller reellen Zahlen, Gerechtigkeit, Gleichheit aller Menschen etc. existieren, soferne diese Begriffe durch die A k t i v i t ä t des menschlich subjektiven, eines objektiven oder eines absoluten (theologischen) Geistes geschaffen wurden. Ζ. B. i m Falle des menschlichen Geistes können solche Begriffe 5 Leinfellner
1. Ontologische und semantische Modelle
durch Abstraktion, Aufmerksamkeitsleistung usw. erzeugt werden. H a t man einmal rein konzeptualistisch — d. h. ohne Sprache und Semantik — diese Begriffe eingeführt, dann w i r d der mentale A k t als existenzverleihend angesehen, genau so, wie der logische Existenzquantor nichts über die tatsächliche Existenz aussagt, aber doch gewissermaßen logische (Pseudo-)Existenz verleiht. M a n hat damit aber nur konzeptualistische Äquivalente von operativen oder operationalen Bedeutungen geschaffen (Bedeutungen i n mente), und auch das nur, wenn w i r diese Gebilde i n mente sprachlich fixieren, und wenn sie gewissen Bedingungen (S. 91) genügen. A l l e diese Probleme finden sich i n den ersten vier Formulierungen platonisch-platonistischer Ontologie i m „Parmenides" 1 ; und es ist erstaunlich, wie lange sie sich auch i n anderen philosophischen Systemen erhalten haben. Eine neuerliche Wendung zur Semantik — nach der scholastischen Philosophie — t r i t t erst wieder i m 20. Jahrhundert auf, zusammen mit einem überaus verfeinerten sprachlichen Apparat, den Theorien. Die Plotinsche Lehre von den Enneaden, die platonistische Form der Scholastik, der Thomismus, ein großer Teil der Philosophie der Neuzeit, nämlich — u. a. — Spinoza, Leibniz, Descartes und der deutsche Idealismus, aber auch die Auffassung des 19. Jahrhunderts, daß N a t u r gesetze platonistisch ewig gültig seien, und weiters die klassische Cantorsche Mengenlehre, die klassische Prädikatenlogik und die klassische Begründung der Mathematik, sie alle sind durch platonistische Prinzipien und Fundamente bestimmt. Erst als sich die sogenannten Grundlagenkrisen der Mathematik einstellten, begann man, sich schrittweise von der Umklammerung der platonistischen Ontologie zu lösen; die erste Auflösungserscheinung waren die berühmten Antinomien der Mengenlehre. W i r zählen an anderer Stelle platonistische Vorstellungen auf, die sich trotz allem in den Wissenschaften des 20. Jahrhunderts erhalten haben, so der absolute Wahrheitswert, die absolute Konsistenz, absolutes Redit, absolute Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit usf. So soll z. B. aus den absoluten Prinzipien Recht, Ordnung, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit etc., also aus unveränderlichen platonistischen Idealbegriffen durch eine geschickte „Deduktion" alles weitere abgeleitet werden, mit Ausnahme natürlich von Unrecht, Unordnung, Unfreiheit, U n gleichheit und Egoismus. Diese Vorstellungen erlitten zunächst in der Mathematik Schiffbruch; dieser Schiffbruch wurde durch die Untersuchungen Gödels und der Intuitionisten verursacht; A r r o w bewies 1
W. Leinfellner (Entstehung), S. 98 - 112.
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
67
theoretisch, daß es nicht möglich ist, eine platonistische und gleichzeitig widerspruchsfreie Gesellschaftsordnung aufzustellen. M a n kann die These aufstellen, daß die gegenwärtige katastrophale Verschlechterung der ökonomischen und sozialen Lebensbedingungen zumindest zum Teil darauf zurückzuführen ist, daß man i n den ökonomischen und sozialen Theorien, die i n diese Lebensbedingungen eingreifen, an starren platonistischen Prinzipien festhielt, d. h. letzten Endes die Wirklichkeit und die ökonomische und soziale Praxis außer Acht ließ. Der Piatonismus drängt stets die „ K o n t r o l l f u n k t i o n " , die die Sprache auf die Wissenschaften ausübt, zurück. Diese „ K o n t r o l l f u n k t i o n " der Sprache beruht auf ihrer Semantik. Platonisten fragen i m allgemeinen nicht, ob diesem oder jenem Ausdruck etwas i n der empirischen Welt entspricht; und i m Reiche der platonistischen Ideen ist die W i l l k ü r König. Erst i m 20. Jahrhundert fing man wieder an, sich m i t solchen Fragen zu beschäftigen. Doch auch heute noch herrscht die Ansicht, daß wissenschaftliche Systeme, Theorien nur sprachlich deduktive Systeme seien, deren wissenschaftliche Funktion allein durch den Prädikatenkalkül als zugrunde liegende deduktive Logik erklärt werden kann (Braithwaite, Ramsey). Dies ist zu wenig. Aber sogar allgemeine semantische Uberlegungen genügen nicht, w i l l man erklären, warum Theorien restringiert sind, d. h. nur über einem bestimmten Gebiet D gültig, d. h. durch die Ontologie in D bestimmt sind. Die Einschränkung aller Naturgesetze und Regelmäßigkeiten, aller theoretischen Begriffe und Aussagen auf ein bestimmtes, durch eine Theorie (als umfassender Kontext) beschriebenes Gebiet, einen Ausschnitt aus der Welt, D , i n dem und durch den allein eine Theorie empirische Bedeutung erhält, kommt einer ontologischen und semantischen Reduktion gleich. D . h. w i r müssen i m weiteren einen semantischen Relativismus vertreten: alle Terme, alle Aussagen, alle wissenschaftlich-formalen Formulierungen sind auf einen umfassenden speziellen Kontext, eine bestimmte Theorie nämlich, bezogen. N u r dann sind diese Ausdrücke verständlich. Aus dieser semantischen Relativierung aller Ausdrücke einer Theorie — und dies betrifft sogar die Methodologie —, wobei die Theorie ontologisch sich auf einen Ausschnitt aus der Welt, D , bezieht, folgt, daß für jeden solchen Ausdruck, jede solche komplexe Struktur-Aussage u. ä. ein jeweiliges bestimmtes semantisches (deskriptives) Modell (Semantem-Modell) aufgestellt w i r d . A l l das zusammengenommen heißt ganz einfach, daß w i r wissenschaftliche Ausdrücke nur i m Kontext, i. e. der Theorie verstehen können, und ferner i n bezug auf ein Gebiet D . Ist es nicht vielleicht in den Umgangssprachen 5*
1. Ontologische und semantische Modelle
auch so? Tatsächlich benötigen w i r audi für die Umgangssprache eine kontextuale Auffassung, und es hat z. B. Firth in seiner kontextualen Theorie („kontextual" bei Firth umfaßt auch Situation, Stimmung, soziologische Gegebenheiten) der Semantik die These aufgestellt, daß man die Umgangssprache nie als Ganzes betrachten solle, sondern immer als i n Teilsysteme, die restringierten Sprachen, wie er sie nennt, aufgespalten 2 . I n der Wissenschaftstheorie scheint es, daß man allzulange einem platonistischen Dogmatismus gehuldigt hat, nämlich der Vorstellung, daß es nur eine, allgemeingültige Logik gäbe, daß ein System möglichst wenig Voraussetzungen, Axiome haben solle, und daß es nur eine Semant i k für alle Theorien geben könne. Offensichtlich ist es aber dodi so — und dies gilt, mutatis mutandis, auch für die Umgangssprache — daß Worte ihre Bedeutung mit dem Kontext wechseln können. Natürlich kann dies letzten Endes oft darauf zurückgeführt werden, daß das empirische Gebiet, auf das sich der entsprechende Ausdrude bezieht, gewechselt hat. Die Auffassung, daß man i n der Wissenschaftstheorie nur die Logik zu untersuchen brauchte, um alles über die Wissenschaften zu erfahren, hat zu einer Wissenschaftstheorie ohne Wissenschaft geführt, auf die der Name „Logischer Positivismus" paßt. Oder war es platonistischer Dogmatismus, der uns zu der Ansicht verführte, daß es nur eine, allgemeingültige Logik, nur eine, allgemeingültige Semantik geben dürfe, daß ein wissenschaftliches System mit möglichst wenig Axiomen oder Voraussetzungen auskommen müsse, und daß dieses wissenschaftliche System i m Grunde nur eine Methode, die logische, besitze? Das Kapitel über die Suppositionslehre behandelt die erste wohlausgebildete Meta-Theorie der (oder: einer) Semantik. Die Suppositionslehre zeigt, daß nicht nur die wissenschaftlichen Systeme der heutigen Zeit, sondern auch die ganze(n) Sprache(n) kontextgebunden und ontologisch orientiert ist. V o n der Suppositionslehre als Semantik (und auch Ontologie) läßt sich die Logik oder die Syntax ableiten, aber nicht umgekehrt. Die Sprache der Welterkenntnis ist — um i n Begriffen der Suppositionslehre zu reden — von allem Anfang an auf der ersten I n tention, der significatio und der suppositio formalis aufgebaut. D . h. 2
Firth (Languages), S. 29; Firth (Translation), S. 87.
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
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Designation, nämlich Namensrelation und Designation der Prädikate, findet gemäß dem Schema Suppositum/Supponens statt, zwischen denen eine allgemeine Suppositionsrelation besteht. Was das Verhältnis von significatio und suppositio betrifft, so sei schon hier festgestellt, daß es manchmal so aussieht, als ob diese identisch seien; dies ist nicht der Fall. Erstens müssen w i r bedenken, daß nach Ockham Supposition nur i m Satz stattfindet 3 ; Supposition ist der Gebrauch des Sprachzeichens entweder als Subjekt (Subjektsnomen) oder als Prädikat (Prädikatsnomen) i n Beziehung zueinander und innerhalb des Satzes; die Supposition besteht ferner darin, daß ein Zeichen für etwas steht. Es ist nun zwar jede Signification, die i m Satz angewandt wird, eine Supposition, aber nicht umgekehrt. Denn Supposition kann auch ohne Signification i m Ockhamschen Sinne, der ein eingeschränkter ist, stattfinden, z. B. in „ H o m o est nomen" 4 . Hierarchisch gesehen kommt zuerst die suppositio formalis, dann die suppositio materialis, wo ein W o r t für ein anderes steht. I n unserer Sprache ausgedrückt: die operative Semantik geht der operationalen voran. Würden w i r vom heutigen Standpunkt aus nach Beispielen für die suppositio materialis suchen, d. h. für Beispiele, wo ein Term für einen anderen supponiert, so würden w i r hier z. B. die Bildung des Klassenterms(-begriffs) betrachten, welche eine semantisch-operationale Supposition (suppositio materialis) ist: Für „alle χ, die die Eigenschaft F haben", oder „(x) (Fx)" supponiert „ χ (Fx)", der Klassenterm, oder: „ A l l e χ, die die Eigenschaft F haben" / / Klassenterm, resp. „(x) (Fx)" / / „x (Fx)". Es w i r d damit letzten Endes die Auffassung aufgegeben, daß die Begriffsbildung eine Abstraktion von etwas ist; Begriffsbildung w i r d zu einem semantisch fundierten Abkürzungsvorgang. I m folgenden werden w i r uns zunächst kurz m i t den Vorformen der Suppositionslehre befassen, und dann m i t den Grundprinzipien der semantisch aufgefaßten Supposition, welche eine Substitution ist, und welche auch als eine A r t Definition aufgefaßt werden könnte. Insbesondere w i r d die relativ schwer zu erfassende Ansicht erläutert werden, daß die Bedeutung weder i m Suppositum, nodi i m Supponens, noch i n der Supposition oder Suppositionsbeziehung allein gesucht werden darf, son3 4
Ockham (Summa), I, 63, 12 - 13. Boehner (Supposition), S. 236.
1. Ontologische und semantische Modelle
dem nur i n allen dreien zusammengenommen, das heißt, in einem geordneten Tripel, welches von ihnen gebildet wird. Dieses Konzept werden w i r in Kap. 3 zum Konzept des Semantems erweitern. Das Schema (Tripel), welches sozusagen der Prototyp eines Semantems ist, (Suppositum, allgemeine Suppositionsrelation, Supponens), ( = semantische Substitutionsfunktion) w i r d dadurch zum wichtigsten semantischen (Substitutions-)Schema. Wie gesagt, es führt eine direkte Linie von Aristoteles über Porphyrius zu Boethius. Boethius übersetzte (und kommentierte) u. a. die „Kategorien" und „ D e interpretatione"; und dies sind die zwei Werke, in denen aristotelische Ontologie und Semantik das frühe Mittelalter erreichten. Außerdem übersetzte und kommentierte Boethius die „Isagoge" des Porphyrius (ca. 232 bis Anfang des 4. Jh.), i. e. Porphyrius' Einleitung zu den „Kategorien". I n dieser „Isagoge" findet sich eine Schlüsselstelle für die ontologische Interpretation des Universalienproblems i m Mittelalter: „Was, um gleich mit diesen anzufangen, bei den Gattungen und Arten die Frage angeht, ob sie etwas Wirkliches sind oder nur auf unseren Vorstellungen beruhen, und ob sie, wenn Wirkliches, körperlich oder unkörperlich sind, endlich, ob sie getrennt für sich oder in und an dem Sinnlichen auftreten, so lehne ich es ab, hiervon zu reden, da eine solche Untersuchung sehr tief geht und eine umfangreichere Erörterung fordert, als sie hier angestellt werden kann 5 ." Die aristotelische Schlüsselstelle zur Semantik als der Lehre von der Repräsentation — der Repräsentation von Vorstellungen allerdings, wobei offensichtlich Vorstellungen wiederum die Empirie repräsentieren können — auf die Sprache findet sich am Anfang von „ D e interpretatione": „Es sind also die Laute, zu denen die Stimme gebildet wird, Zeichen der in der Seele hervorgerufenen Vorstellungen und die Schrift ist wieder ein Zeichen der Laute. U n d wie nicht alle dieselbe Schrift haben, so sind auch die Laute nicht bei A l l e n dieselben. Was aber durch beide an erster Stelle angezeigt wird, die einfachen seelischen Vorstellungen, sind bei allen Menschen dieselben, und ebenso sind es die Dinge, deren Abbilder die Vorstellungen sind 6 ." H i e r fällt etwas Interessantes auf. I n obigem Aristoteles-Zitat w i r d die operative Bedeutung auf der Vorstellung aufgebaut; und an anderer 5
Porphyrius (Einleitung), S. 1. ' De int., 1, 16 a, 4 - 8.
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Stelle sagen wir, daß auch die operationale Bedeutung unter bestimmten Bedingungen in mente konstituiert werden kann, d. h. daß es konzeptuelle Äquivalente sowohl der operativen, wie auch der operationalen Bedeutung gibt (vgl. S. 66). Die Vorstellungen geben also gewissermaßen das Bindeglied zwischen operativer und operationaler Bedeutung ab; und dies erklärt zum Teil, warum sie sich so oft i n Bedeutungslehren finden. Tatsächlich können w i r uns ja ein Einhorn, das seine Existenz bloß operationalen sprachlichen Vorgängen verdankt, ebenso gut vorstellen, wie einen Apfel, den w i r gerade gesehen haben. Das Ganze hat jedoch zwei Schwierigkeiten: 1. können w i r dann die empirische Bedeutung absolut nicht von der nicht-empirischen unterscheiden, ziehen w i r nicht noch andere Kriterien als die Vorstellung heran. 2. muß man — wie Aristoteles — dann postulieren, daß die Vorstellungen bei allen Menschen gleich sind, weil sonst Worte sogar einander widersprechende Bedeutungen annehmen könnten. Tatsächlich sind jedoch nicht nur die Gedanken, sondern auch die Vorstellungen frei, und man kann sich nach Belieben viereckige Äpfel, blaue Sonnen und kochend-heißen Regen vorstellen. Diese aristotelische Ansicht war nun nach Boethius von den Peripatetikern — und auch von Porphyrius i n seinem Kommentar zu den „Kategorien" — zu einer Lehre von den drei Arten der Rede entwickelt worden: geschriebene und gesprochene Rede, und Rede „ i n mente". Letztere ist — ganz aristotelisch — für alle Menschen gleich: denn die Vorstellungen i n mente sind Kopien und daher natürliche Zeichen der empirischen Dinge. Worte sind konventionelle Zeichen für Vorstellungen als natürliche Zeichen 7 . W i r erhalten folgende semantische Substitutionen: Dinge/Vorstellungen/Worte, oder: Dinge/natürliche Zeichen/konventionelle Zeichen. Anhand der Diskussion der Konventionalität von Zeichen taucht nun bei Boethius jene Vor- oder Nebenform der Suppositionslehre auf, welche w i r als Lehre von der ersten und zweiten Intention kennen (schon bei Porphyrius). Demnach bezeichnen Worte erster Intention außersprachliche Entitäten: Dinge/Worte; die Worte zweiter Intention bezeichnen andere Worte: Wortei / / Worte 2 . V o n den zweiten Intentionen handeln nach Boethius allerdings nicht die Philosophen oder Logiker, sondern die Grammatiker. Dies ist plausibel, wenn w i r bedenken, daß Ausdrücke zweiter Intention von der ontologischen Verfassung der Welt isoliert sind, d. h. sie sind Sprache als Sprache genommen. 7
Vgl. Kneale, S. 195.
1. Ontologische und semantische Modelle
Es entwickelte also die mittelalterliche Philosophie systematische und originelle Methoden zur Erforschung der Frage, was da existiere, und wie das, was existiert, zu beschreiben, d. h. sprachlich zu repräsentieren sei. Wie schon angedeutet, handelt es sich hier vornehmlich um das Problem der Supposition und den ontologischen Status der Universalien. Nach einigen einleitenden Erörterungen zum Problem der Supposition wenden w i r uns dann zunächst der Suppositionslehre in ihrer Extremform, nämlich der Ockhamschen, zu. Ockham hat die Suppositionslehre nicht erfunden, aber er hat ihr eine neue und bemerkenswerte Gestalt gegeben. Allgemein gesehen ist Supposition eine Methode, die man als mehrteilige oder mehrschichtige Semantik ansehen kann. Es werden hier anstelle der heute angenommenen Sprachschichtung, z. B. i n Objekt- und Metasprache, aber auch i n empirische und theoretische Sprache i m Rahmen einer Theorie, oder in analytische und synthetische Ausdrücke, verschiedene Suppositionen ein- und desselben Terms gesetzt. Nach Ockham gibt es eine gewisse hierarchische Ordnung der Suppositionen. Suppositionen haben semantische Funktionen; sie geben z. B. den semantischen Gebrauch eines Wortes an, stellen deskriptive Relationen auf, usw. Manche Suppositionen, z. B. die suppositio simplex bei Petrus Hispanus ( = der Gebrauch eines allgemeinen Terms für ein allgemeines „ D i n g " , z. B. „ D i e Fähigkeit zu lachen ist eine Eigentümlichkeit") werden in der Literatur als syntaktisch angesehen8; es scheint aber, daß sie doch eher in den Bereich einer operationalen Semantik in unserem Sinne gehören. Oft w i r d keine suppositio ohne significatio zugelassen — anders jedoch bei Ockham, vgl. S. 83 — d. h. die Terme müssen etwas bezeichnen, operative (auch ideenrealistisch „operative") Bedeutung haben, bevor Supposition stattfinden kann. Nach Ockham gibt es obendrein, wie gesagt, keine Supposition außerhalb des Satzes, d. h. ohne Kontext. Nach manchen Autoren können nur das Substantiv, die Pronomina und substantivierte Partikel supponieren 9 . Generell w i r d hier — wegen der ontologisch-semantischen Identifikation von grammatischem Subjekt und Substanz — das Nomen i n Subjektstellung vorgezogen 10 . W i r benützen die Gelegenheit, um einige Grundbegriffe der scholastischen Philosophie einzuführen, welche w i r zur Darstellung der Ockhamschen Semantik und Ontologie benötigen werden. 8 9 10
Petrus Hispanus (Summulae), S. 4 ff., 57 ff. Vgl. Bochenski, S. 186 ff. Kneale, S. 248.
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Die Supposition ist die „Setzung [ordinario] eines Gemeinten [intellectus] unter ein anderes" 11 . Nach Petrus Hispanus und dem später allgemein gängigen Gebrauch ist Supposition die „aeeeptio termini substantivi pro aliquo" 1 2 . Uber den Unterschied von significatio und suppositio nach Petrus Hispanus siehe unten, S. 74. Schon jetzt können w i r feststellen, daß copulatio, suppositio und appellatio als semantische Einsetzungsschemata angesehen werden können, welche die „proprietates terminorum" in verschiedenen Kontexten, oder hinsichtlich von Kontexten bestimmen; für die appellatio w i r d das vor allem klar, wenn man bedenkt, daß nach manchen Autoren der Subjektterm supponiert, und der Prädikatterm appelliert. Diese Unterscheidung ist nur hinsichtlich des Satzes sinnvoll. Die proprietates terminorum kommen vor allem den kategorematischen Worten zu, wie Substantiva, Pronomina, Verba, Adjektiva, also Wörtern, die fähig sind, als Subjekt- oder als Prädikatterm zu fungieren. Die synkategorematischen Wörter existieren bloß i m Zusammenhang mit den kategorematischen Wörtern, insoferne sie in demselben Satz vorkommen. Die proprietates terminorum sind eine rein semantische Angelegenheit, wobei w i r zu ihnen noch die significatio hinzufügen, die gewissermaßen nicht an den Kontext gebunden ist. Copulatio, suppositio, appellatio und auch significatio als Einsetzungsschema können unzählige Male angewandt werden; es kann unzählige Male in sie eingesetzt werden. Jede bestimmte Einsetzung konstituiert oder stipuliert eine bestimmte Bedeutung; diese Bedeutung kann operativ oder operational sein. Damit ist das erste umfassende Semantiksystem geboren. W i r stellen uns den bedeutungsverleihenden Vorgang der suppositio am besten an H a n d eines Einsetzungsbeispieles vor. Nehmen w i r einmal an, daß ein Term, den w i r der ersten Intention zurechnen, z. B. „Mensch", plötzlich m i t einem Prädikat zweiter Intention verbunden wird, z. B. „ist ein Gattungsname": „Mensch ist ein Gattungsname". Statt nun zu sagen, daß dieser Ausdruck unsinnig ist, schreiben w i r „Mensch" hier eine andere Supposition (Bedeutung i m Kontext) zu, als z. B. in „Der Mensch läuft", etwa — nach Shyreswood — die suppositio materialis. Nach Shyreswood nämlich findet suppositio materialis dann statt, wenn der Term entweder für den isolierten Laut (vox) steht, oder für einen 11 12
Shyreswood (Introductiones), S. 74. Petrus Hispanus (Summulae), S. 2, 24 - 25.
1. Ontologische und semantische Modelle
Ausdruck, der aus dem Laut (vox) und seiner Bedeutung „zusammengesetzt" ist, d. h. einen Ausdruck, der Bedeutung hat 1 8 . Heute setzen w i r an die Stelle der Einführung einer neuen Supposition eine Sprachschichtung; solch eine Sprachschichtung kann z . B . durch A n führungszeichen sichtbar gemacht werden: „,Mensch" ist ein Gattungsname." Oder man verwendet für „Mensch" i n verschiedenen Suppositionen verschiedene Zeichen, wobei die Zeichen entweder der Objektoder der Metasprache angehören. Bei der suppositio formalis übrigens steht nach Shyreswood der Term für das von ihm Bedeutete. Setzen w i r i n das Suppositionsschema so ein, daß w i r (empirisches) Ding/Term erhalten, dann kann der Term hier nur ein Name sein, wobei w i r hier nicht vergessen dürfen, daß — zumindest nach Ockham — Supposition nur i m Satz möglich ist, d. h. i m oder hinsichtlich des Kontextes. Je nachdem, wie man in das Suppositionsschema einsetzt, erhält man verschiedene Bedeutungen, welche sich auch hier in die zwei großen Gruppen der operativen und der operationalen Bedeutungen klassifizieren lassen. Es gibt noch verschiedene andere Einteilungen der Suppositionen; so finden w i r z. B. bei Ockham die personale, die einfache, und die materiale 1 4 . Die personale und die einfache Supposition bei Ockham würden nach Shyreswood als Unterarten der suppositio formalis gelten. Significatio. Nach Shyreswood ist significatio (oder Bedeutung, Bedeuten) die Repräsentation, das Darstellen oder das Übermitteln einer Form eines Dinges durch einen Term, wobei mit Ockham der Kontext nicht berücksichtigt w i r d 1 5 . Daraus kann man schließen, daß die ganze Lehre zunächst nur für allgemeine Ausdrücke, d. i. solche, die die Form repräsentieren, aber nicht das Individuum, gedacht w a r 1 6 . Auch nach Petrus Hispanus besteht die Bedeutung, die significatio eines Wortes in der Repräsentation einer Substanz oder eines Akzidenz; diese werden also durch Worte repräsentiert oder dargestellt, und zwar Substanzen durch Substantiva und Akzidenzen durch Verba oder Adjektiva. Die Signifikation, sagt Petrus Hispanus, ist die Repräsentation von etwas durch die Zuschreibung eines Wortes (per impositionem vocis) 17 . Der Parallelismus Ontologie-Grammatik t r i t t hier klar hervor. Nach Ockham 13 14 15 16 17
Shyreswood (Introductiones), S. 75. Ockham (Summa), I, 64, 1 - 2. Shyreswood (Introductiones), S. 74 f.; Ockham (Summa), I, 63, 1—3. Kneale, S. 247. Petrus Hispanus (Summulae), S. 2, 26.
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
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findet Supposition nur i m Satz statt, d. h. wie w i r nodi ausführen werden: Supposition gibt Bedeutung i m Rahmen des Satzes als Kontext. Die Signifikation hingegen entspricht dem, was w i r heute unter Namensgebung, Denotation und Designation verstehen, wenn w i r letztere nicht durch „empirisch deskriptiv" spezifizieren. Während es die Signifikation also letzten Endes mit der empirischen Bedeutung und der empirischen Welt zu tun hat (inklusive der „empirisch", d. i. ideenrealistisch aufgefaßten Ideenwelt), ist es eines der Kennzeichen der Supposition, daß sie die Bedeutung von Worten — beschränkt auf Substantiva — i m Rahmen des Satzes oder der Proposition klassifiziert. Die suppositio korrespondiert daher in vielen ihrer Züge dem λεκτόν der stoischen Philosophie, der Bedeutung als Sprachgebrauch und — in unserer Terminologie — der operationalen Bedeutung. Alonzo Church schreibt geradezu, die suppositio sei „the kind of meaning in use which belongs to nouns or substantives" 18 . Es gibt aber audi — so bei Ockham — eine operative Form der Supposition. Die Vorstellung übrigens, daß i m Satz die Verba die Substantiva klassifizieren oder umgekehrt, ist auch i n die Linguistik eingedrungen, und zwar mit der Vorstellung der Selektionsrestriktion (selectional restriction). Eine Selektionsrestriktion ist eine Beschränkung, die möglichen Subjekt-Prädikat-Verbindungen i m Satz auferlegt wird, ζ. B. die, daß man nach dem deutschen Sprachgebraudi nicht „Der Apfel ist viereckig" sagen kann. V o n den hier wichtigen Grundbegriffen der scholastischen Philosophie fehlen uns noch zwei, nämlich appellatio und copulatio. Appellation. Es sei bemerkt, daß zwischen appellatio bei Petrus Hispanus und Shyreswood einerseits und ζ. B. Buridan andererseits ein großer Unterschied besteht 19 . W i r halten uns hier an die Form, i n der das Konzept der appellatio bei Petrus Hispanus aufscheint; der Term selbst könnte aus der Grammatik stammen. Es übersetzte ζ. B. der Grammatiker Priscian, der i m europäischen Mittelalter außerordentlich einflußreich war, gr. „προσηγορία" als „appellatio". Es sagt Petrus Hispanus: „ D i e Appellation ist der Gebrauch eines Terminus für ein existierendes Ding. Ich sage nämlich ,für ein existierendes Ding', weil ein Terminus, der ein Nicht-Seiendes bedeutet [significans ,nonens c ], nichts appelliert, ζ. B. ,Cäsar', Antichrist' oder ,Chimäre'. Die Appel18 19
Church, S. 307 a. Buridanus (Sophismata), Kap. 4, nach Bochenski, S. 204 f.
1. Ontologische und semantische Modelle
lation unterscheidet sich von der Supposition und der . . . significatio . . weil die Appellation sich nur auf existierende Dinge bezieht, die Supposition und die Bedeutung aber ebensowohl auf existierende wie auf nicht existierende, wie [etwa] ,Antichrist* den Antichrist bedeutet und für den Antichrist steht [ihn] aber nicht appelliert, wie ,Mensch' ferner gemäß seiner N a t u r den Menschen bedeutet und [für ihn] steht, für den existierenden wie für den nicht existierenden, aber nur den existierenden Menschen appelliert 2 0 ." Nach Shyreswood kommt die Supposition einem Term zu, insoferne er einem anderen untersteht; die Appellation kommt dem Terminus zu, insofern er von seinem ihm untergeordneten D i n g aussagbar ist 2 1 . Auch erscheint nach Shyreswood bei anderen Autoren die Lehre, daß der Subjektterm supponiere, und der Prädikatterm appelliere; er schließt sich jedoch dieser Lehre nicht an. Die Appellation gehört also in eine empirisch-deskriptive Semantik, sehen w i r von den ontologischen Problemen ab. Denn die Appellation ist das, was w i r heute empirische Designation und Denotation, inklusive der Namensgebung, nennen. Die significatio ist ebenfalls Designation, Denotation und Namensgebung, aber ohne das Beiwort „empirisch". W i r erinnern uns, daß bloß Substantiva supponieren, und zwar sowohl in Subjekt- als auch in Prädikatstellung. Wie steht es nun in dieser Hinsicht mit den Adjektiven und Verben? Substantiva werden der suppositio unterzogen, Verba und Adjektiva der copulatio. „Copulatio" erscheint bei Abaelard und es deutet die grammatische Abhängigkeit an. Nach Shyreswood ist die copulatio die Uberordnung eines Gedankens über einen anderen, die suppositio hingegen die Unterordnung 2 2 . Nach Petrus Hispanus ist die copulatio das Annehmen eines adjektivischen Terms für etwas 23 . „Copulatio" heißt eigentlich „Charakterisierung"; der Ausdruck „adjektivisch" braucht uns vom modernen Standpunkt aus nicht zu verwirren. Es können ja auch Verba adjektivisch aufgefaßt werden, wie ζ. B. in „ E r ist gehend" anstelle von „ E r geht". Diese Methode läßt sich noch in der heutigen formalen Logik verfolgen, „cpx" kann gleichermaßen durch „Fa ", ζ. Β. „ E r ist tüchtig", und durch „ G £ " , ζ. B. „ E r läuft" ( = „ E r ist laufend") interpretiert werden. 20 21 22 23
Petrus Hispanus (Summulae), S. 44, 1 -11. Shyreswood (Introductiones), S. 28. Shyreswood (Introductiones), S. 24 f. Petrus Hispanus (Summulae), S. 4, 36-37.
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
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W i r befinden uns hier noch immer i m Rahmen der aristotelischen Substanz-Ontologie, was die Dinge und die Eigenschaften betrifft; Eigenschaften sind Akzidentien, welche den Dingen als Substanzen zukommen, d. h. sie charakterisieren; Adjektive charakterisieren (copulare) die Substantiva. Signifikation, Appellation (als Supposition für ein real existierendes Ding) und Kopulation gehorchen alle demselben semantischen Schema wie die Supposition, d. h. alle basieren auf einer Ersetzung von etwas (Ding, Sprachzeichen) durch etwas (Sprachzeichen). Das Schema der Supposition ist als semantisches Schema 1. von der Ontologie abhängig (vice versa) und zweitens von bestimmten Kriterien. Alle diese proprietates terminorum haben es also m i t der Repräsentation zu tun; diese Ähnlichkeit zeigt sich bei Ockham ζ. Β. darin, daß nach ihm die Appellation offensichtlich unter bestimmten Umständen eine Form der Supposition ist 2 4 . Was nun die Kriterien betrifft, so ist eines der bedeutendsten das Wahrheitskriterium. Ockham gebraucht nicht die „klassische" Definition, nach welcher die Wahrheit i n der „adaequatio rei et intellectus" besteht. Wahrheit und Falschheit sind nach Ockham auch keine Eigenschaften, die den Sätzen oder Propositionen innewohnen und Ockham behandelt sie wie Ausdrücke zweiter Intention 2 5 , oder, wie w i r heute sagen würden, als metasprachliche Ausdrücke. Dementsprechend ist ein Satz wahr einfach dann, wenn das Prädikat und das Subjekt für dasselbe supponieren: „sed sufficit et requiritur, quod subiectum et praedicatum supponant pro eodem 26 ." Es ist daher nach Ockham nicht notwendig, daß in „Sokrates ist ein Mensch" das Menschsein dem Sokrates zukommt oder ihm innewohnt, sondern bloß, daß das Prädikat „Menschsein" auch für Sokrates stehen kann. Dieses Wahrheitskriterium drückt Ockhams Nominalismus sehr stark aus. Zum Inventar der scholastischen Philosophie gehört schließlich noch die Beantwortung der Frage, was Logik und was die Universalien seien. Porphyrius hatte es in der „Isagoge", der Einleitung zu den „Kategorien", offengelassen, was die sogenannten Praedicabilien (κατηγορούμενα) seien, nämlich Gattung, A r t , Unterschied, Eigenschaft, Zustand (Zufälliges). Nach Boethius handeln die „Kategorien" nicht von Dingen, son24 25 28
Ockham (Summa), I, 63, 5 - 8. Vgl. Boehner (Supposition), S. 254. Ockham (Summa), I I , 2, 18 - 20.
1. Ontologise und semantische Modelle
dem von Worten, Zeichen 27 . Dem folgt die Lehre, daß die Logik von Worten, nicht von Dingen handle, d. h. daß sie eine Wissenschaft von den „Gegenständen" der zweiten Intention sei 28 . Auch nach Abaelard hat es die Logik mit der oratio als dem Vehikel des Denkens zu tun 2 9 . M a n darf hierbei jedoch nicht vergessen, daß es nach scholastischer A u f fassung auch gedachte Zeichen gibt, sowie Zeichen, die m i t Sprachzeichen überhaupt nichts zu tun haben, ζ. B. Rauch als Zeichen von Feuer. Den „Kategorien", der „Isagoge" und dem Werk Boethius* entstammt audi das Universalienproblem. Wie allgemein bekannt, sind mehrere grundsätzliche Positionen gegenüber dem Universalienproblem möglich, welche w i r kurz aufzählen wollen: 1. Universalia ante res. Dieser Konzeption sind w i r bereits bei Piaton begegnet: die Ideen existieren getrennt von den Dingen. 2. Universalia in re. Dies ist eine Intensivierung der platonischen παρονσία: die Ideen scheinen nicht bloß — wie bei Piaton — i n den Dingen auf, sondern sie existieren in ihnen, i. e. den ersten Substanzen. Die universalia i n rebus sind von jeder geistigen Tätigkeit oder der Tätigkeit des Verstandes unabhängig. 3. Linguistische oder terministiscbe Version. Universalien sind das, was von vielen ausgesagt wird. Diese Ansicht findet sich bei Aristoteles vorgebildet. Die Extremform dieser Version besteht darin, daß die Universalie bloß als ein flatus vocis angesehen wird. 4. Konzeptualistiscbe Version; universalia in mente. Demnach sind Universalien i m Geist des Menschen und existieren dann, wenn ζ. B. unser Geist in Tätigkeit ist. Was läßt sich nun aus diesem Inventar der scholastischen Philosophie für die Ontologie gewinnen? Bis jetzt haben w i r gesehen, daß es Systeme gibt, die w i r „Proto-Ontologien" genannt haben, d . h . Ontologien, die Vorentscheidungen für bestimmte empirische Bereiche D der Welt treffen; auch sind w i r Ontologien begegnet, welche nur ein repräsentierender Uberbau sind, ein Uberbau, der bloß von Weltstrukturen handelt; ein Beispiel dafür war die platonische Ontologie. Platon hatte den Überbau betont; aber dadurch entstand eine Kluft zwischen der empirischen 27 28 29
Boethius (In cat. Arist.), I, 161 C; vgl. Kneale, S. 194. Vgl. Bochenski, S. 176 ff. Kneale, S. 205.
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
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Welt und der Welt der Ideen, welche nur mühsam mit μέθεξις und παρουσία überbrückt werden konnte. Aristoteles andererseits spezialisierte sich auf die empirische Proto-Ontologie. W i r wissen aber aus der Erfahrung der modernen Wissenschaften, daß sie sowohl einen empirischdeskriptiven — wobei sich die Repräsentation auf Deskription (resp. empirische Denotation etc.) beschränkt — Teil, wie auch einen formalen Überbau besitzen, die semantisch miteinander verbunden sind. Es ist leicht einzusehen, daß eine Ontologie der Wissenschaften sich einer ähnlichen Einteilung bedienen w i r d , welche w i r hier gleich einführen wollen. W i r nennen unsere ganze Ontologie aus leicht einzusehenden Gründen eine „strukturelle". Dem empirisch deskriptiven Teil der Wissenschaften korrespondiert die Proto-Ontologie als Vorordnung des jeweiligen Gebietes D; zu dieser Proto-Ontologie gehört eine operative Semantik. Dem formalen Uberbau der Theorien korrespondiert eine konstruktive Ontologie und eine operationale Semantik. Die scholastische Philosophie beschäftigte sich mit beiden Bereichen, wobei ζ. B. die appellatio unter eine deskriptive Semantik fällt. M a n kann auch mit Bochedski — gewissermaßen von hintenherum — sagen, daß in der scholastischen Philosophie das erste M a l die Verbindung zwischen Logik und Ontologie durchschnitten w i r d 3 0 : die Logik erscheint dann — i n scholastischer Terminologie — als die Theorie der zweiten Intentionen, oder zumindest als ein Teil derselben; mit der Empirie befaßt sich die Lehre von den ersten Intentionen, ζ. B. als deskriptive Semantik. Tatsächlich werden etwa bei Shyreswood oder Petrus Hispanus sowohl die Methoden der aristotelischen Proto-Ontologie, als auch die eines (platonistischen) Uberbaues verwendet. Da beide Philosophen aber (Ideen-)Realisten sind, kommt kein System zustande, das w i r heute noch akzeptieren könnten. Es w i r d auch eine Lösung angeboten, die einer platonistischen Problemstellung entstammt, die aber dennoch der platonischen Lösung diametral entgegensteht. Piaton hatte gewissermaßen versucht, alles zur Idee zu machen; viele scholastische Philosophen verdinglichen nun die Terme der Logik, d. h. betrachten sie als empirisch existierende Dinge. Es gibt einen Versuch der Lösung des ontologischen Problèmes der Mathematik und Logik, der ähnlich aufgebaut ist. Nach diesem betrachtet man Zahlen und die Symbole der Logik ebenfalls als empirische Dinge, nämlich als Tintenhügel am Papier, gedruckte Buchstaben und Ähnliches; i m Hantieren mit diesen Zeichen besteht dann die Mathematik oder die Logik. 30
Bochedski, S. 179.
1. Ontologische und semantische Modelle
Die Tendenz zur Verdinglichung der Terme zeigt sich schon bei Petrus Hispanus, nach dem universale Dinge ebenso existieren wie individuelle. Der ontologische Abgrund zwischen Ober- und Unterbau der Ontologie, zwischen Ding und Begriff, D i n g und begrifflicher Struktur, D i n g und Term w i r d also überbrückt, indem man aus dem Term ein empirisches D i n g unter anderen empirischen Dingen macht. Die meisten Thomisten und Scotisten des frühen 14. Jahrhunderts behandelten Terme als empirische Substanzen, welchen sogar Material- und Formursachen zukommen. John of Salisbury vertritt einen logischen Realismus; er nimmt an, daß die Grammatik eine Imitation der N a t u r sei, daß Grammatik — w i r könnten hier hinzusetzen: „ u n d Logik" — und N a t u r einander parallel, affin seien, und daß die Grammatik die Wiege der Philosophie sei. Damit erhalten die grammatischen und andere Strukturen der Sprache weltspiegelnde, repräsentierende und semantische Funktion, eine Beobachtung, die Wittgenstein zu dem Satz veranlaßt haben mag, daß Logik weltspiegelnd und alle Philosophie Sprachkritik sei. Es bietet sich i m Rahmen der scholastischen Philosophie auch die Möglichkeit an, die Verbindung zwischen Proto-Ontologie und begrifflichem Uberbau semantisch herzustellen, indem ein durchgehendes Substituieren oder Supponieren angenommen wird, eine Hierarchie von Suppositionen gewissermaßen, wo dann z. B. die appellatio ebenfalls als suppositio erscheint. Dieser Schritt nun wurde v o n Ockham vollzogen; und sein philosophisches System ist vielleicht dasjenige, das am ehesten einer modernen Ontologie und Semantik gleichkommt. Es sind vor allem vier Punkte, die Ockhams Philosophie zumindest als Vorform einer modernen Ontologie erscheinen lassen: 1. seine Stellung zum Universalienproblem, 2. die veränderte Auffassung der Supposition, 3. seine Interpretation der Kopula, und 4. die Vorstellung, daß von den allgemeinen Begriffen eine Stufenleiter von semantischen Substitutionen nach abwärts zu den Individualausdrücken führt, vice versa; diese A u f - oder Abwärtsbewegung w i r d durch eine Veränderung der Supposition bewerkstelligt; dies ist eine semantische Version der Carnapschen logischen Reduktion. Diese Stufung verknüpft die ProtoOntologie mit dem begrifflichen Uberbau; die Verknüpfung selbst w i r d durch Ockhams semantische Auffassung der Universalien wesentlich erleichtert. Semantisch ausgedrückt besteht das Universalienproblem darin: wie ist es möglich, daß w i r Universalien gebrauchen können, i. e. Ausdrücke,
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die Allgemeines bezeichnen oder zum Inhalt haben, obwohl in der empirischen Welt alles individuell ist? W i r können hier natürlich nicht alle Gründe anführen, die nach Ockham dazu führen, daß man die Universalie als „existierendes" D i n g und den platonistischen Ideenrealismus aufgeben muß, sowie auch die Existenz der Idee (Universalie) i n den Dingen nach Aristoteles. W i r verweisen auf die entsprechenden Stellen i n Ockhams Schriften 31 . Eine wichtige Bemerkung ist jedenfalls, daß man aus der Tatsache, daß w i r wissenschaftlich m i t H i l f e von Allgemeinbegriffen erkennen, nicht schließen muß, daß Universalien platonistisch existieren. Nach Ockham gibt es dementsprechend Universalien nur i n der Seele (konzeptualistisch) und parallel dazu i n den Worten (nominalistisch). Das Universale in der Seele, das Universale als intentio animae, nennt Ockham „universale naturale"; Universalien als Worte sind konventionelle Zeichen. Auch handeln nach Ockham die „Kategorien" nicht von Dingen, sondern von Worten, resp. Intentionen. Alle diese Zeichen werden Universalien dadurch, daß sie von Mehrerem prädiziert werden können. Das natürliche Universale ist ein natürlicherweise von Mehrerem aussagbares Zeichen in der Seele; und ein natürliches Zeichen i n der Seele muß man sich so vorstellen wie den Rauch als (natürliches) Zeichen des Feuers. Das W o r t als konventionelle Universalie ist ein konventionelles Zeichen für Mehreres. Ockham identifiziert die natürlichen Zeichen in der Seele m i t den „einfachen seelischen Vorstellungen", von denen Aristoteles am Anfang von „ D e interpretatione" spricht (zitiert auf S. 70). Diese mehreren individuellen Gegenstände oder Gegebenheiten, von denen eine Universalie ausgesagt wird, ähneln einander i n gewisser Hinsicht; und die Universalie hinwiederum ähnelt den empirischen Gegenständen oder Gegebenheiten, die unter ihr semantisch zusammengefaßt werden 3 2 . W i r müssen hier bedenken, daß sich Ockham gewöhnlich an die U n i Versalien als natürliche Zeichen i n der Seele hält; das Charakteristikum der Universalien — und dies erklärt sich aus ihrer Zeichenhaftigkeit — ist, daß sie Bedeutung hat. Ontologisch und auch semantisch gesehen beschränkt sich also Ockham auf die Existenz des empirisch Individuellen und der Zeichen als konventionelle Zeichen und als intentiones animae. Welche Schwierigkeiten immer auch Ockhams Lehre von der Ähnlichkeit der Universalien m i t 81 32
Z. B. Ockham (Summa), I, 12; Ockham (In sent.) I d. 2 q. 6 P. Ockham (In sent.), I d. 2 q. 6 P.
6 Leinfellner
1. Ontologische und semantische Modelle
den empirischen Gegenständen oder Gegebenheiten m i t sich bringen mag, ontologisch bedeutet sie, daß er es unternimmt, den ontologischen Überbau beizubehalten, ohne den Unterbau zu verlieren, vice versa. Denn der platonische Versuch, die empirische Welt und die Welt der Ideen durch μέθεξις oder παρουσία zusammenhängen zu lassen, wurde schon vor Aristoteles abgelehnt; und tatsächlich gibt es bis heute keine zufriedenstellende Erklärung, wie μέθεξις und παρουσία Zustandekommen könnten. Das Problem der Universalien besteht also nach Ockham weder darin, daß man erklären muß, wie sich die allgemeinen Entitäten, ζ. B. die Schönheit als platonische Idee, i n den Dingen individuieren, noch, wie der Geist von den individuellen Dingen zu den allgemeinen platonischen oder platonistischen Entitäten abstrahierend aufsteigt; denn es gibt keine universalen Entitäten, die durch Abstraktion erschlossen werden, oder die sich i n den Dingen zeigen; es gibt bloß universale (natürliche und konventionelle) Zeichen. Das Problem besteht nur darin, was die generellen Terme bedeuten, wenn sie sich auf Individuen beziehen. Wiederum zeigt sich hier das Problem der Verquickung von Semantik und Ontologie: das Problem der Existenz der Universalien als ontologisches Problem w i r d durch eine semantische Klassifizierung gelöst, welche sich aus der Ockhamschen Auffassung der Supposition herleiten läßt. Logisch kann das Problem durch quantifizierende Partikel und andere synkategorematische Hilfsmittel gelöst werden; auch dies geht aus einer entsprechenden Interpretation der Suppositionslehre i n der Ockhamschen Gestalt hervor. Dies ist aber, wie gesagt, bloß eine Interpretation; die Ockhamsche Form der Lösung ist semantisch. Generell ist nach Ockham die Logik eine Lehre von der Sprache 33 ; sie ist ontologisch ausgerichtet, wobei die aristotelische Logik neu formuliert und auf eine semantische Basis gestellt w i r d 3 4 . Dies drückt sich vor allem i n Ockhams Suppositionslehre und seiner Lehre von der significatio aus. W i r können hier natürlich nicht auf alle Details eingehen, wollen aber doch diejenigen wichtigen Elemente der Semantik Ockhams aufzeigen, die für das Verständnis seiner ontologischen Position wichtig sind. Ockham liefert eine Einteilung der Suppositionen, die von der Einteilung i n formale und materiale Supposition abweicht. I m Sentenzenkommentar kommt folgende Einteilung vor: suppositio personalis, 33 34
Vgl. Baudry, S. 140 f. Moody (Ockham), S. 310 b.
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
83
simplex, materialis und significativa 35 . Jedoch für Terme, die sich auf Individuen beziehen, sagt Ockham, fällt die suppositio personalis m i t der suppositio significativa zusammen 36 . I n der „Summa totius logicae" findet sich eine bloße Dreiteilung der Supposition in suppositio personalis, materialis und simplex. Die suppositio personalis ist diejenige, w o der Term für das Individuum oder die Individuen steht, das oder die er bezeichnet; „bezeichnet" deutet darauf hin, daß dem Term hier gleichzeitig auch significatio zukommen muß: „Suppositio personalis universalster est illa, quando terminus supponit pro suo significato, sive i l l u d significatum sit res extra animan, sive sit vox sive intentio animae, sive sit scriptum, sive quodcumque aliud imaginabile . . . " 3 7 „ . . . Suppositio personalis est quando terminus supponit pro suo significato et tenetur significative" 38 . I n allen folgenden Fällen können w i r sagen, daß das Prädikat (in Form eines Substantivs = Prädikatsnomen plus der Kopula) in personaler Supposition steht: „Der Mensch ist ein Lebwesen", „Substantiv ist ein W o r t " , „ M a n n ist ein gedrucktes W o r t " . Natürlich kann auch das Subjekt eines Satzes i n personaler Supposition stehen. Es ist klar, daß sich für Ockham die suppositio zumindest teilweise mit der appellatio überschneiden muß; tatsächlich ist für ihn die appellano eine Variante der suppositio, bzw. fällt unter gewissen Umständen mit dieser zusammen 39 . M a n könnte dies auch für das Konzept der appellatio bei anderen scholastischen Philosophen nachweisen. Hier bildet sich eine operative (empirisch deskriptive) Semantik heraus. Materiale Supposition findet statt, wenn keine Signifikation vorliegt, d. h. wenn der Term für sich selbst genommen wird, und wenn er als Zeichen für ein anderes Zeichen (wir könnten auch annehmen: für mehrere andere Zeichen) steht: „Suppositio materialis est, quando terminus non supponit significative, sed supponit vel pro voce vel pro scripto." Beispiele sind hier „ H o m o est nomen" oder „ H o m o scribitur". „ H o m o " steht hier i n keiner Signifikationsrelation 40 . Diese Supposition ist ein Grundstein der operationalen Semantik. 35
Vgl. Baudry, S. 260. Ockham (In sent.), nach Baudry, S. 260. 37 Ockham (Summa), I, 64, 3 - 6. 38 Ockham (Tractatus super libros elenchorum), fol. 98 a, zitiert nach Baudry, S. 259. 39 Ockham (Summa), I, 63, 5 - 8. 40 Ockham (Summa), I, 64, 39 - 40. 36
6·
1. Ontologische und semantische Modelle
Bei der einfachen Supposition liegt ebenfalls keine Signifikation vor; der Term steht als Zeichen für ein Konzept (Konzepte), nämlich eine intentio animae: „Suppositio simplex est, quando terminus supponit pro intentione animae, sed non tenetur significative. Verbi g r a t i a . . . homo est species 41 ." I n „ H o m o est species" hat „homo" suppositio simplex, denn es bezeichnet hier nicht den Menschen, d. h. es hat keine Signifikation. Es bezeichnet aber auch nicht irgendein Individuum, denn abstrakte Individuen, Universalien etc. existieren nach Ockham nicht. Das einzige, wofür „homo" hier supponieren kann, ist die intentio animae. Die Frage, die sich jeder automatisch hier stellt, ist, ob „homo" nicht etwa die intentio animae bezeichne, d. h. m i t dieser durch significatio verbunden sei. Nach Ockham ist dies jedoch nicht möglich; „homo" weist uns auf das Konzept hin oder ist m i t ihm durch Assoziation verbunden, um einen modernen Ausdruck zu gebraudien, aber nicht mehr 4 2 . Sie ist von operationalem Charakter. Die suppositio personalis ist discreta, wenn ein substantivischer Term — i n diesem Falle ein Eigenname (Individualterm) oder Demonstrativpronomen — für ein einzelnes Individuum steht, wie z. B. i n „Sokrates ist ein Mensch" oder „Dieser Mensch ist ein Mensch" (Ockhams Beispiele). Die suppositio personalis ist communis, wenn ein allgemeiner Term (Klassenterm) supponiert, wie z. B. „ E i n Mensch läuft", „Jeder Mensch ist ein Lebewesen". (Ockhams Beispiele). Die suppositio personalis communis hinwiederum kann determinata oder confusa sein. Sie ist determinata, wenn man von ihr zu disjunktiven Sätzen über Individuen her absteigen kann: „Suppositio determinata est, quando contingit descendere per aliquam disiunctivam ad singularia; sicut bene sequitur: ,Homo currit, igitur iste homo currit, vel ille', et sie de singulis 48 ." Jede andere Supposition, die nicht determinata ist, ist confusa, und die confusa wiederum zerfällt i n die Supposition, die bloß confusa ist, und i n die suppositio confusa et distributiva, welche sich wiederum aufspaltet. Es scheint zweckmäßig, hier eine kleine Tabelle der Suppositionen nach Ockham einzuschalten.
41 42 48
Ockham (Summa), I, 64, 27 - 28. Boehner (Supposition), S. 239. Ockham (Summa), I, 70, 20 - 22.
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
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Suppositio
simplex
materialis
personalis
communis
determinata
discreta
confusa
confusa tantum confusa distributiva
confusa distributiva mobilis
confusa distributiva immobilis
Diejenige Supposition, die bloß confusa ist, liegt vor, wenn w i r nicht zu disjunktiven Sätzen herabsteigen können; w i r können jedoch zu Sätzen m i t disjunktiven Prädikaten gelangen; auch hier muß es möglich sein, wieder zum Ausgangspunkt zurückzukehren. Nehmen w i r wiederum ein Beispiel aus Ockham: „Omnis homo est animal, igitur omnis homo est hoc animal vel i l l u d vel i l l u d (et sie de singulis)." Das Wort, dessen Supposition hier betrachtet w i r d , ist natürlich „ a n i m a l " 4 4 . Diejenige Supposition, die confusa und distributiva ist, sieht folgendermaßen aus: man kann v o n ihr zu m i t „ u n d " verbundenen Sätzen herabsteigen, aber man kann nicht auf formalem Wege wiederum zum Ausgangspunkt zurück. I n Ockhams Worten: „sequitur enim: Omnis homo est animal, igitur iste homo est animal, et ille, et sie de singulis; et non sequitur formaliter: Ille homo est animal, quocumque demonstrato, igitur omnis homo est animal." Auch diese letztere Form der Supposition w i r d nach Ockham noch unterteilt; für unsere Erörterungen ist es aber nicht so wichtig, auch diese zwei Formen der Supposition noch zu besprechen. Die Suppositionslehre kann m i t Boehner als eine Lehre von der Prädikation aufgefaßt 44
Vgl. Baudry, S. 260 f.
1. Ontologische und semantische Modelle
werden 4 5 , aber, so fügen w i r hier hinzu, der semantisch aufgefaßten Prädikation. Denn es hängt von der Supposition ab, welche generelle semantische Beschaffenheit der Satz hat. D a Supposition nur i m Satz stattfindet — so Ockham — ist es gleichzeitig klar, daß die Supposition eines Terms die Supposition des anderen beeinflußt. Z. B. i n „ H o m o est nomen" ist es klar, daß es die — semantisch aufgefaßte — Supposition von „nomen" ist, die die Supposition von „homo" beeinflußt, so daß „homo" hier suppositio materialis hat. Tatsächlich ist der Übergang von der Auffassung, daß die Supposition es letzten Endes mit der operationalen, aber auch der operativen Bedeutung (die Funktionen finden sich oft vereint) zu tun hat, zu der Auffassung, daß die Suppositionslehre eine Lehre von der Prädikation sei, nicht zu schwierig: Porzig stellte den Begriff des syntaktischen Wortfeldes auf; und ein syntaktisches Wortfeld ist der Bereich der Wörter, die mit einem gegebenen W o r t sinnvoll verknüpft werden können, und zwar i m syntaktischen Zusammenhang des Satzes. So z. B. gehören „ r u n d " und „ r o t " , welche w i r den Sätzen „Der Apfel ist rund" und „ D e r Apfel ist r o t " entnehmen, beide zum syntaktischen Wortfeld von „ A p f e l " . Die Basis dieses syntaktischen Wortfeldes — der Term „syntaktisch" ist etwas unglücklich, weil das Wortfeld selbst eine semantische Angelegenheit ist — ist natürlich die Prädikation. „(ist) rund" und „(ist) r o t " sind also semantisch zulässige Kontexte von „ A p f e l " und gehören einem und demselben syntaktischen Wortfeld — nach Porzig — an. Es läßt sich nun zeigen — w i r tun dies auf S. 242 — daß alle die semantisch-operationalen Theorien, die vom Sprachgebrauch oder vom Kontext ausgehen, sich i n irgendeiner Form der Prädikation bedienen müssen. Daß es die Supposition auch m i t der operationalen Bedeutung, dem Sinn, zu tun hat, ist offensichtlich schon Ockham aufgefallen. So wie w i r heute sagen, daß der wahre Satz „Es regnet" und der falsche Satz „Es regnet" dieselbe operationale Bedeutung haben, denselben Sinn, so sagt Ockham: „ . . . wenn ein Satz . . .falsch ist, aber dennoch einen wahren Sinn hat, dann müssen, wenn er in diesem Sinn genommen wird, [das] Subjekt und das Prädikat dieselbe Supposition haben wie i n dem Satz, welcher wahr i s t . . . 4 e . " D a die Suppositionen generell verschiedene Funktionen ausüben, gelangen w i r m i t ihnen auch zum Problem der empirischen Bedeutungen. Haben w i r z. B. eine suppositio personalis communis, die auch confusa und distributiva ist, z. B. die von „animal" i n „Omnis homo est animal", 45 46
Vgl. Boehner (Introduction), S. X X X V . Ockham (Summa), I, 70,11-15.
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
87
dann ergibt sich beim semantischen „Herabsteigen", daß das heißt, daß dieser Mensch ein Lebewesen ist, und jener Mensch ein Lebewesen ist, usf. Dadurch w i r d rekursiv festgelegt, was „omnis homo" empirisch bedeutet. A l l dies zusammen erklärt, warum Ockham der Lehre von den Suppositionen so große Bedeutung zuschreibt: Unkenntnis der jeweiligen Supposition ist nach ihm die Quelle einer Unmenge von Irrtümern in der Logik, der Philosophie und der Wissenschaft. Wittgensteins Philosophie als Sprachkritik ist hier vorweggenommen. Es ist nach Ockham überhaupt so, daß der unmittelbare Gegenstand der Wissenschaft nicht die Dinge sind, sondern was für sie semantisch supponiert, nämlich die Zeichen. Erst auf dem Wege der Supposition ist die Erkenntnis der Dinge selbst möglich 47 . Es t r i t t demnach die Semantik als Erkenntnislehre auf. U m die Bedeutung der Suppositionslehre für die Ontologie zu verstehen, müssen w i r noch auf die Interpretation der Kopula „esse" nach Ockham eingehen. Es ist von vornherein klar, daß Ockham die Kopula hauptsächlich oder ausschließlich synkategorematisch sehen muß. Z w a r w i r d „esse" von Ockham i n seinem Kapitel über die kategorematischen und die synkategorematischen Terme i n seiner „ L o g i k " nicht behandelt 48 ; der synkategorematische Charakter von „esse" geht aber aus anderen Stellen hervor 4 9 . Auch Shyreswood, i n seinen „Syncategoremata", behandelt „esse" als synkategorematisches W o r t ; und i m allgemeinen entsprechen den Synkategoremata der scholastischen Philosophie unsere sogenannten „rein logischen" Zeichen. Shyreswood führt diese Interpretation des „esse" auf Aristoteles zurück. Tatsächlich findet sich i n „ D e I n t e r p r e t a t i o n " eine Bemerkung, die so ausgelegt werden kann: „Denn auch wenn man sagt: sein, oder: nicht sein, w i r d kein wirkliches D i n g damit bezeichnet, so wenig wie man bloß für sich sagt: seiend. Denn dieses ist an sich nichts, zeigt aber eine Verbindung m i t an, die man ohne die verbundenen Stücke nicht denken kann 5 0 ." Ockham lehnt es ab, der Kopula eine ontologische Deutung zu geben; die Kopula soll also nach ihm keinesfalls anzeigen, daß einer individuellen Entität, die v o m Subjektterm bezeichnet w i r d , eine Eigenschaft anhängt oder innewohnt. Denn nach Ockham besteht ja — wie schon gesagt — die Wahrheitsbedingung einer affirmativen kategorialen Aussage 47 48 49 50
Ockham (In sent.), I d. 2 q. 4 M. Ockham (Summa), I, 4. Boehner (Signification), S. 224. De int., 3, 16 b, 23 f.
1. Ontologische und semantische Modelle
darin, daß Subjekt und Prädikat für „dasselbe" stehen (supponieren). Die Aussage „Sokrates ist ein Lebewesen" bedeutet nicht, daß Sokrates die Eigenschaft, ein Lebewesen zu sein, zukommt, oder daß sie ihm innewohnt; sondern sie bedeutet, daß das Individuum, für das „Sokrates" steht, ein Individuum ist, für das auch der Term „Lebewesen" steht 51 . Damit ist die Begriffsbildung selbst i n Frage gestellt, wenn sie nicht überhaupt als überflüssig abgetan wird. Sie kann durch einen konstruktiv semantischen Prozeß ersetzt werden. I n gewisser Beziehung ähnelt dieses „dasselbe" bei Ockham, auf das sich sowohl Prädikats- als auch Subjektterm beziehen, dem aristotelischen Konzept des σύνολον, des „Zusammenganzen" von ύποκείμενον und Eigenschaft (en). M i t der Ockhamschen Auffassung, daß i n einem wahren Satz Subjektund Prädikatterm für „dasselbe" supponieren, sowie auch seiner öfters vorgetragenen Ansicht, daß dies nicht impliziert, daß Subjekt und Prädikat identisch sind 5 2 , entfernen w i r uns von der ontologischen Parallelität von Substanz : Akzidenz = Subjekt : Prädikat. Anstelle dessen können w i r nur mehr von einer Affinität Sprache-Welt u. ä. reden. W i r könnten auch sagen, daß das „Herabsteigen" von einer Supposition zu einer anderen i m Rahmen der suppositio personalis ein Versuch ist, die Bedeutung quantifizierter Sätze semantisch zu erklären, resp. den semantisch-ontologischen Einfluß eines Quantors, ζ. B. des Allquantors, auf einen Ausdruck, wenn auch der Quantor selbst rein formal aufgefaßt wird. Ockham selbst ist schon zu der formalen Interpretation z. B. von Quantoren gekommen, sowie zu der Ansicht, daß Quantoren die Bedeutung des nachfolgenden Ausdruckes ändern. I m 4. Kapitel seiner „Summa totius logicae" stellt er fest, daß ein synkategorematischer Term, der für sich genommen keine Bedeutung (significatio) hat, doch die Bedeutung des folgenden Wortes ändert, sowie die Supposition; letzteres bekräftigt unsere primär semantische Auffassung der Supposition. Die Hinzufügung von „omnis" zu „homo" verursacht, daß sich die ursprüngliche Supposition von „homo" ändert und aus ihr eine suppositio personalis communis, die auch confusa und distributiva ist, wird. D . h. „omnis homo" steht dann für alle Menschen (pro omnis hominibus; vgl. S. 85) 5 3 . W i r haben die Auflösung von Sätzen wie „Omnis homo est animal" i n Individualaussagen schon auf S. 85 be51 62 53
Boehner (Supposition), S. 261 f. Boehner (Supposition), S. 262 f. Ockham (Summa), 1,4,15-17.
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
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sprochen und man kann auch sagen, daß die logisch verknüpften I n dividualaussagen die Bedeutung (empirische Bedeutung) oder den ontologischen Gehalt des quantifizierten Ausdruckes festhalten. W i l l man den All-Quantor ontologisch interpretieren, dann löst man ihn noch heute i n eine Menge von mit „ u n d " verknüpften Individualaussagen auf. W i r sehen also, daß sich auch i n Ockhams Philosophie die Idee der Repräsentation vorfindet, und gleichzeitig, daß bei dem Ockhamschen Konzept der Repräsentation die Unzulänglichkeiten der platonistischen Systeme vermieden werden. V o n seiner Philosophie zweigen mehrere Wege ab: der eine führt zu den Wissenschaften, wie ζ. B. Boehner 54 und Carré 5 5 bemerken; ein anderer führt zu einer strukturellen Ontologie. D a es zur Zeit Ockhams noch nicht die vielverzweigten Systeme unserer heutigen Hypothesenhierarchien und Theorien gab 56 , sondern höchstens deduktiv zusammenhängende theologische Systeme, so ist es weiter nicht verwunderlich, daß Ockhams Semantik und die m i t ihr gegebene Ontologie verhältnismäßig einfach strukturiert sind. Aber erst i m 20. Jahrhundert, nämlich i n Carnaps „Testability and Meaning", wurde wieder ein neuartiger Versuch unternommen, komplexe Ausdrücke auf einfache zu reduzieren. Carnaps Bedeutungslehre fußt auf der formalen Logik des 20. Jahrhunderts m i t ihrem strikten Formalismus, einer Logik, die von der Semantik gänzlich unabhängig ist. Dies ist auch der Grund, warum Carnap i n „Testability and Meaning", dessen Zweck es ist, die empirische Bedeutung von Termen innerhalb des Rahmenwerkes einer Theorie zu erklären, Schiffbruch erlitt. Dieses Kapitel über die Suppositionstheorie, insbesondere die Ockhams, soll zeigen, daß die Lehre von den Suppositionen die erste wohlausgebaute Semantik der europäischen Philosophiegeschichte ist. Zweitens sehen w i r , daß Ockhams Suppositionslehre Methoden liefert, das zu vermeiden, was w i r gewöhnlich „Begriffsbildung" oder „Abstraktion" nennen. Es zeigt sich nämlich, daß es bis jetzt nicht gelungen ist, exakt zu erklären, was die Begriffsbildung oder Abstraktion sein soll; dies läßt darauf schließen, daß w i r es m i t einem unpraktikablen Konzept zu tun haben. Wenden w i r Ockhams Suppositionslehre auf das Problem der Begriffsbildung an, dann ergibt sich folgendes: wenn man die spezifischen semantischen Suppositionen eines Satzes kennt, dann kann man 54 55 M
Boehner (Introduction), S. LI. Carré, S. 120. W. Leinfellner (Einführung), S. 97 - 172.
1. Ontologische und semantise Modelle
den Prozeß der Begriffsbildung und den Begriff völlig vernachlässigen. Der Begriff verdunkelt sogar die semantische Supposition; denn man kann ohne weiters alle Begriffsbildungen auf semantische Substitutionen (Suppositionen) zurückführen, und zwar entweder auf operative, oder auf operationale, oder auf Verkettungen von solchen, aber nicht alle möglichen semantischen Substitutionen führen zu Begriffen. Das Konzept der semantischen Supposition oder Substitution ist daher umfassender als das der Begriffsbildung; und w i r werden ζ. B. in Kap. 1.5.2. sehen, daß in den Kontexten der Theorien eine semantische Substitution, die i n Analogie zur Supposition eingeführt wird, allein maßgebend ist, und nicht die so oft bemühte und nie recht erklärte Begriffsbildung. So soll ζ. B. der Prozeß der empirischen Begriffsbildung direkt von der Wirklichkeit zum empirischen Begriff führen; der empirische Begriff soll dann das zusammenfassen, was verschiedenen Dingen in der Wirklichkeit gemeinsam ist, eine Vorstellung, die, wie auf S. 320 ausgeführt w i r d , unhaltbar ist. W i r können nun das Programm der Supposition oder der semantischen Substitution als ein semantisches Ersetzungsprogramm auffassen: überall, w o w i r i n den Wissenschaften sogenannte „Begriffe" vorfinden, sollen w i r diese durch operative oder operationale Gebilde, welche w i r „Semanteme" nennen, ersetzen. (Semanteme seien Tripel, welche Bedeutung konstituieren, und zwar so, daß i m operativen Falle das Ding, System, die Beziehung etc. durch Terme ersetzt w i r d , und i m operationalen Falle Terme durch Terme; für die genaue Behandlung vgl. S. 314). Es w i r d hier nun behauptet, daß man, wenn man i n den Wissenschaften ζ. B. definiert, was ein ideales Gas, eine Kalorie etc. sei, genau solche Schemata, genannt „Semanteme", aufstellt, welche nichts anderes als eine Form von Suppositionen sind. Neben diesen semantischen Prozessen vollziehen sich i n den Wissenschaften die ontologischen Prozesse der Strukturrepräsentation, welche mit den semantischen Prozessen aufs engste verknüpft sind. Für die ontologische Strukturrepräsentation bedienen sich die Wissenschaften teils der Methoden einer strukturellen Mengenlehre, teils anderer mathematischer Methoden, worauf w i r i n den entsprechenden Kapiteln eingehen wollen. W i r wollen hier nicht den Gebrauch von Begriffen verbieten, sondern nur vorschlagen, sie überall dort, wo sie auftreten, i m genannten Sinne semantisch zu analysieren und durch Semanteme zu ersetzen (semantische Rekursion).
1.4. Suppositionen, das System der Semantik und die Auflösung der Begriffe
91
W i r können das i m vorigen Kapitel aufgestellte Toleranzprinzip nun auch i m Sinne einer Suppositionslehre und i m Sinne der Ockhamschen Semantik neu formulieren: „Bedeutung haben" meint, daß jederzeit ein Tripel in Form eines Suppositionsschemas oder Semantems aufgestellt werden kann. Diese Konstitution des Tripels können w i r , mutatis mutandis, auch i n den Geist, den Intellekt, oder das Bewußtsein des Menschen verlegen, wobei w i r uns nach Ockham der sogenannten „natürlichen Zeichen" in mente bedienen könnten. Auch kann man ein derartiges „konzeptuelles" Semantem aufstellen, indem man Zeichen am Papier oder als Laute mit Vorstellungen verknüpft. Aber auch eine konzeptuelle Bedeutung (operativ oder operational) eines Terms oder Ausdruckes soll nur dann vorliegen, wenn ein Tripel obiger A r t gebildet werden kann. Die Konstitution des Tripels i m Geist, Bewußtsein oder Intellekt w i r d aber nur als eine Parallele „ i n mente" zur gewöhnlichen Konstitution angesehen, und obendrein stellten w i r dar, daß die Konstitution i n mente alleine nichts ist. Die Konzeption der semantischen Substitution für Begriffe vermeidet den Piatonismus, der sich unweigerlich ergibt, wenn w i r Begriffe als das ansehen, was verschiedenen Dingen gemeinsam sein soll; denn es muß früher oder später dieses Gemeinsame platonistisch hypostasiert werden. Auch kann eine Suppositionstheorie derart erweitert werden, daß sie sich auf Sätze und Aussagen bezieht. Traditionellerweise können ja nur substantivische Terme i n suppositio stehen, wenn audi — nach Ockham — nur i m Rahmen des Satzes. Auch die Semanteme bauen sich auf Termen und Ansammlungen von Termen auf. M a n kann in einer derartigen erweiterten Suppositionstheorie dann sagen, daß gewisse Sätze in suppositio formalis stehen; diese Sätze können induktiv durch einen Satz substituiert werden, welcher dann i n suppositio materialis steht. (Anmerkung: w i r verwenden hier nicht die Ockhamsche Einteilung der Suppositionen.) Ockham faßt die Bedeutungen der Sätze i n suppositio formalis zusammen. M a n muß hier beachten, daß schon Ockham die Supposition und die Substitution von Sätzen durch Sätze miteinander verknüpft.
1. Ontologische und semantische Modelle
1.5. Der Kantsche Schematismus und das Problem der Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 1.5.1. Der Kantsche Schematismus, oder: Wie man Semantik ohne Sprache betreibt (Konzeptualismus und Semantik) Es geht hier darum, den Kantschen Schematismus auf eine Weise zu interpretieren, die ihn von dem Herderschen A n w u r f , daß er eine Fiktion sei, die sich zwischen zwei anderen Fiktionen befinde, befreit. Herder sagt nämlich: „ D i e priorischen Visionen, als Luftwesen, wollen zu uns herabkommen, und können nicht, da sie hienieden nichts Gleichartiges finden, ohne ein transcendentales Schema. D a aber auch dies Schema ohn alles Empirische seyn soll, mithin jene zum Empirischen nicht hinabbringen kann, so lehnt die Zwischenleiter, auf der sie hinunter müßen, oben und unten an Nichts 1 ." Tatsächlich muß man Herders K r i t i k bis zu einem gewissen Grade zustimmen, besonders derjenigen Herderschen Auffassung, daß der Schematismus abzulehnen sei, weil K a n t ihn nicht i n der Sprache verankert habe. W i r gehen hier verwandte Wege, wenn w i r dem Schematismus einen semantischen Hintergrund verleihen. Das ontologische Problem der Zuordnung oder der stufenweisen Zuordnung von dem, was da ist, zu den traditionellen Begriffen, ζ. B. den Universalien der scholastischen Philosophie, i. e. anders ausgedrückt: der Vereinigung von empirischer Proto-Ontologie und ontologischem Uberbau, w i r d von K a n t i m Schematismus-Kapitel der „ K r i t i k der reinen Vernunft" behandelt und hier semantisch ergänzt. Systematisch gesehen entspricht dem Kantschen Schematismus die Supposition, insoferne „supponieren" „stehen f ü r " bedeutet. H i n z u kommt noch, daß K a n t für diese Zuordnung ausdrücklich Regeln verlangte 2 . Unsere Schlüsselstelle ist: „Also sind die Schemata der reinen Verstandesbegriffe die wahren und einzigen Bedingungen, diesen eine Beziehung auf Objekte, mithin Bedeutung zu verschaffen . . A " Das Schematismus-Kapitel wurde oft als das verwirrendste und das am schwersten interpretierbare Kapitel der „ K r i t i k der reinen Vernunft" angesehen, was zu einem großen Teil davon herrührt, daß K a n t i n ihm Semantik ohne Sprache betreibt, d. h. „Bedeutung" ohne Rücksicht auf die Sprache expliziert. W i r werden das Problem des Schematismus, vom 1 2 3
Herder (Metakritik), S. 113. Kr., B, S. 136, 138, 139. Kr., B, S. 138.
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie
93
semantisdi-ontologischen Standpunkt aus behandeln, gemäß dem oben angeführten Zitat aus der „ K r i t i k " , und w i r werden ihm einen sprachlichen Rahmen geben. Zunächst werden w i r rekonstruieren, was K a n t unter „Schematismus" versteht, nämlich Bedeutungsgebung, aber ohne Sprache. Dabei halten w i r uns an das erste Kapitel der „ A n a l y t i k der Grundsätze", nämlich „ V o n dem Schematismus der reinen Verstandesbegriffe" 4 . Dann werden w i r den sprachlichen Rahmen herstellen; w i r geben dabei dem Kantschen Schematismus als ontologisch-semantischem Verfahren eine moderne sprachliche Deutung, indem w i r ihn m i t den sogenannten Korrespondenzregeln und Bedeutungspostulaten i m Rahmen wissenschaftlicher Theorien vergleichen, m i t besonderer Rücksicht auf moderne Modelle von Theorien und das Carnap-Hempelsche Theorienschema, resp. die semantische Interpretation von Theorien, aber auch hinsichtlich der sogenannten „intendierten Interpretation" der Formalisten 5 . Die Grundidee des Schematismus' ist, daß Begriffe an sich nichts sind, und daß die reinen Begriffe (oder die Kategorien K)> welche über der Empirie (in diesem Falle: dem von der Newtonschen Theorie beschriebenen Gebiet D) gelten, über Intuitionen (intuitive Instanzen, reine intuitive Instanzen) I m i t den von der sinnlichen Erfahrung S erfaßten Objekten Ο m i t H i l f e von Regeln ein-eindeutig verbunden werden können und dadurch (empirische, empirisch-deskriptive, operative) Bedeutung erlangen. Die reinen intuitiven Instanzen I kann man sich, wenn sie nur hinsichtlich der Kategorien betrachtet werden, als Teil eines operationalen und konzeptualistischen Semantems vorstellen, dem auch die Kategorien angehören, wodurch dann die Kategorien operationale Bedeutung erhalten. Die Regeln ergeben zusammengenommen eine festgelegte, konstruktive Prozedur, eben den Schematismus, welche letztlich die operative Bedeutung der Kategorien liefern soll, d. h. die Festlegung von deren operativer Bedeutung. Die erste Frage, die w i r hier behandeln wollen, ist: Ist der Schematismus i m System der Kantschen „ K r i t i k " notwendig? Diese Frage kann nur beantwortet werden, wenn man sich klarmacht, warum K a n t die „ K r i t i k der reinen Vernunft" schrieb. Wie bekannt, soll die „ K r i t i k der reinen Vernunft" die Frage beantworten, wie synthetische Urteile a priori möglich seien, oder, i n heutiger Terminologie, wie eine Semantik und Methodologie der Wissenschaften möglich sei. Wenn w i r voraussetzen, 4 5
Kr., B, S. 133 - 139. Suppe (Theories), S. 45 - 55.
1. Ontologische und semantische Modelle
daß alle synthetischen Urteile a priori zusammengenommen Kants Metaphysik, d. h. die Methodologie (oder Wissenschaftstheorie) der Newtonschen Physik ergeben, dann können w i r dieses Problem audi folgendermaßen formulieren: Wie ist Metaphysik als Wissenschaftstheorie oder Methodologie möglich, d. h. die Meta-Physik eines bestimmten empirischen Gebietes D? Eine derartige Metaphysik, die m i t der Methodologie, oder auch der Ontologie und Semantik für ein bestimmtes Gebiet D der Welt gleichgesetzt werden kann, kann keine allgemeinste Metaphysik, eine Metaphysik schlechthin sein. M a n beginnt hier m i t der Analyse dessen, was K a n t „Elemente" nennt, d. h. der Elemente seiner erkenntnistheoretisch orientierten Methodologie (Wissenschaftstheorie). Die Elemente werden i n zwei Gruppen aufgespalten: 1. die anschaulichen, welche die intuitive Form — oder „Semantik" — der Sinnlichkeit bestimmen, nämlich Raum und Zeit, und 2. die reinen Kategorien, welche den rein begrifflichen Überbau des menschlichen Wissens bestimmen. Die für sich genommenen reinen Kategorien sind demnach ebenfalls Gegenstand einer operationalen Semantik, nicht einer operativen (empirisch-deskriptiven), wie schon angedeutet. W i r wollen hier das Cartesische Problem der transzendentalen Deduktion der Kategorien aus der Einheit des Bewußtseins (Ich) nicht behandeln. Anstelle dessen wollen w i r sofort den Schematismus diskutieren; er ist vom ontologisch-semantischen Standpunkt aus das wichtigste. Denn hier werden Anschauungen und Empfindungen, resp. Objekte einerseits, und die Kategorien andererseits, welche so sorgfältig platonistisch getrennt worden waren, wieder zueinander i n Beziehung gesetzt, und zwar soll dies konstruktiv und regelmäßig vor sich gehen. Dadurch soll weiters nach K a n t die Metaphysik auf eine Meta-Physik oder Meta-Wissenschaft beschränkt werden, oder, wie w i r heute sagen, auf eine Methodologie (Wissenschaftstheorie) oder Semantik. 6 Folgen w i r diesem Gedanken, dann können sich schematisierte Kategorien letztlich nur auf die empirische Welt, die Objekte Ο beziehen, d. h. auch operative Bedeutung erwerben. N u r die Schematisierung der Kategorien und die Restriktion auf einen Teil D der Welt, nämlich das Gebiet der Newtonschen Physik, bewahrt einen vor der AntinomienFalle, die i m Kapitel „Transcendentale D i a l e k t i k " aufgestellt wird. Es ist vor allem die Schematisierung, die die Kantsche Metaphysik von der platonistischen Physik i m Sinne Wolffs unterscheidet. Modern ausgeβ
Kr., B, S. 40 - 46.
1.5. Der K a n t s e Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie
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drückt: die Schematisierung macht die Kantsche Metaphysik der „ K r i t i k der reinen Vernunft" zur ersten Meta-Wissenschaft oder Meta-Theorie (Wissenschaftstheorie, Methodologie) der Naturwissenschaften v o m Newtonschen Typus. Folgerichtig handelt diese Kantsche Metaphysik von Ontologie, Logik (reine Methodologie) und einer — sprachlosen — Semantik. Daher kann die Frage, ob der Schematismus ein notwendiger Bestandteil der „ K r i t i k der reinen Vernunft" sei, nur bejahend beantwortet werden. Weiters muß man sich stets vor Augen halten, daß i m Schematismus-Kapitel die Probleme der Abstraktion und Subsumption von Begriffen, der Begriffsbildung auf Probleme einer — Kantschen — Semantik reduziert werden. Die Bedeutung des Schematismus' für die Philosophie Kants kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: 1. K a n t hatte die Absicht, mit der transzendentalen Ästhetik und A n a l y t i k eine wissenschaftliche Metaphysik (Methodologie, Wissenschaftstheorie) auf einer konzeptuellen Bedeutungskonstitution zu begründen. 2. Wenn w i r aber zugeben, daß K a n t der größte Newtonsche Physiker seiner Zeit war, und daß er wissenschaftliche Erkenntnis so verstand, wie N e w t o n sie verstanden hatte, dann können w i r die transzendentale Ästhetik und A n a l y t i k als die erste Meta-Theorie oder Meta-Wissenschaft der Newtonschen Theorie ansehen7; sie ist, wie gesagt, auf einer konzeptuellen Bedeutungskonstitution aufgebaut. Damit sind allgemein Ontologie, Semantik und Logik auf eine bestimmte Theorie, einen bestimmten wissenschaftlichen Kontext, in diesem Falle die „Philosophiae Naturalis Principia Mathematica" Newtons, zu restringieren. 3. I m Gegensatz zur traditionellen formalen Logik seiner Zeit, i. e. der Syllogistik (welche K a n t als eine analytische Wissenschaft, welche von reinen Formen handelt, betrachtete 8 ), ist die transzendentale Logik für ihn eine „materielle" Disziplin, eine A r t Erkenntnistheorie, von uns aus gesehen eine Semantik ohne Sprache. Diese soll symbolisch sein: „ I n diesem Falle würde es eine Logik geben, i n der man nicht von allem I n halt der Erkenntnis abstrahierte.. A " Andererseits soll diese Logik aber 7 8 9
Scholz, S. 171. Logik, S. 178. Kr., B, S. 77.
1. Ontologische und semantische Modelle
a priori auf den Ursprung unserer Erkenntnis von Gegenständen gehen, soferne dieser Ursprung konzeptuell-semantisch i n den Funktionen des Vorstellens unseres denkenden Ichs begründet ist. Es ist klar, daß der Schematismus als Teil der transzendentalen Logik nicht zur traditionellen formalen Logik gehören kann, d. h. zu demjenigen System, das zur Zeit Kants als formale Logik galt, zur Syllogistik. Wiederum bietet sich ein Vergleich m i t der scholastischen Logik an: die Suppositionslehre, als semantisch-ontologische „ L o g i k " , ist ebenfalls nicht in der Syllogistik enthalten; transzendentale Logik und Suppositionslehre sind beide semantische Disziplinen. 4. Es scheint daher, daß die Idee einer solchen transzendentalen Disziplin, welche als das Hauptkapitel der „ K r i t i k der reinen Vernunft" angesehen werden kann, allein darauf basiert, daß der Schematismus als konzeptuelle Bedeutungskonstitution durchgeführt werden kann. Kants Erklärung, d. h. Meta-Erklärung, handelt daher letztlich, wie schon angedeutet, von der Beziehung oder Korrespondenz zwischen Kategorien und Objekten, vice versa; gerade damit beschäftigt sich das Schematismus-Kapitel. W i r können den Schematismus als eine A r t säkularisierte μέθεξις oder παρουσία sehen, und zwar als deren konzeptualistische Fassung, und auch als eine Fortsetzung der Suppositionslehre i n der systematischen (Newtonschen) Wissenschaft. W i r erhalten folgendes vereinfachtes Diagramm einer „sprachlosen" semantischen Zuordnung: Kategorien Κ Schematismus τ Objekte Ο (Phänomene) Der Regelcbarakter des Schematismus\ Wie schon angedeutet, ist nach K a n t der Schematismus kein Teil der traditionellen formalen Logik (Syllogistik). Daher fällt er auch nicht m i t der bloß logischen Subsumption von Dingen, Elementen usw. unter einen Begriff zusammen 10 . Nach K a n t muß bei der Subsumption vorausgesetzt werden, daß Begriff und D i n g sich i n irgendeiner Weise ähnlich sind; Begriffe, Kategorien ähneln aber nicht den Dingen. Es ist klar, daß K a n t den Begriff hier konzeptualistisch sieht. K a n t verwirft hier die ζ . B. von Ockham vorgetra10
Kr., B, S. 133 f.
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie
97
gene Ansicht, daß ein universaler Begriff als intentio animae und die von ihm umfaßten Dinge einander ähneln, oder audi, daß nach Piaton D i n g und Idee sich auf mysteriöse Weise gleichen sollen. I n heutiger Terminologie können w i r die bloß formale, begriffliche Subsumption nach K a n t folgendermaßen ausdrücken: Die Subsumption eines runden (it) Dinges x> oder von Rx, unter den Begriff = die Klasse y der runden Dinge ist eine logische Subsumption, welche w i r nach dem bekannten naiven Komprehensionsaxiom (oder Axiomenschema) „ K o m prehension" nennen wollen; w i r müssen hier bedenken, daß „ x " eine Variable ist, also daß es sich nicht um ein bestimmtes D i n g a handelt: (Ey) (x)
(xCy^Rx).
Es ist interessant, daß diese logische Subsumption nach K a n t nur ein Bruchteil des ganzen Schematismus' sein kann — und der Schematismus, wie gesagt, daher keinesfalls ein Teil der Syllogistik. Auch müssen w i r stets berücksichtigen, daß der Schematismus von „oben" nach „unten" geht. W i r verstehen diese Überlegungen vielleicht besser, wenn w i r das bloß formale Komprehensionsaxion als bloß formale, „bedeutungslose" Subsumption m i t Cantors Definition der Menge vergleichen: „Unter einer Menge verstehen w i r jede Zusammenfassung M von bestimmten wohlunterschiedenen Objekten m unserer Anschauung oder unseres Denkens (welche die Elemente von M genannt werden) zu einem Ganzen 1 1 ." K a n t würde auch diese weiteste Definition der Mengenbildung als Erklärung des Schematismus' zurückgewiesen haben. Kants Argument nimmt Bernays' vorweg: Bernays lehnt die naive Form der Mengenoder Klassenkomprehension, die zu der Russellschen Antinomie führt, ab. Bernays nun verlangte, daß jede Formulierung der Klassenkomprehension nicht nur die Klasseneigenschaft umfassen solle, sondern auch andere Parameter der Elemente. Nach K a n t sind diese anderen Parameter räumliche und zeitliche Parameter, welche allein die widerspruchslose Herstellung der empirischen Bedeutung der Kategorien, resp. Begriffe garantieren. Naive Mengen- oder Klassenbegriffe sind daher nicht Kategorien (oder, wie man heute sagen würde: reine theoretische Begriffe), auch dann nicht, wenn sich diese wie bei K a n t nicht direkt auf empirische Objekte, Ο ι , O 2 , . . . , O w , beziehen, die dieselbe Klasseneigenschaft besitzen, sondern wie bei Cantor bloß auf intuitiv gegebene Vorstellungen, z. B. daß χχ 11
Cantor, S. 481.
7 Leinfellner
1. Ontologische und semantische Modelle
rund ist, x 2 rund ist, usw. Auch dies w i r d von K a n t bloß als eine Teilkomponente des Schematismus' angesehen und die „reine synthetische Einheit des Mannigfaltigen überhaupt" 1 2 genannt. I m Gegensatz zu Cantors Mengenbegriff und auch dem heutigen rein formalen Mengenbegriff müssen die rein intuitiven Instanzen I nach K a n t jeweils mit einer transzendentalen Zeitbestimmung verknüpft werden; d. h. sie erhalten gemäß einer apriorischen Zeitbestimmung eine Zeitindizierung. I m nächsten und i n den folgenden Diagrammen w i r d die transzendentale Zeitindizierung einfach durch die unteren Indices der „ / " angezeigt: Κ
h
h . . . I n ···
loo
W i r erhalten also eine A r t „sprachlose" semantische Substitution, K l Ihy h> · · ·> /oc, wobei / / gewissermaßen eine konzeptualistische operationale Substitutionsrelation ist. Die Zeit „ist aber andererseits m i t der Erscheinung so fern gleichartig, als die Zeit in jeder empirischen Vorstellung des Mannigfaltigen enthalten i s t " 1 3 . W i r stellen diese Entsprechung her, indem w i r eine empirische Zeitreihe tu t 2y . . t ny . . ., taufstellen, die der transzendentalen korrespondiert. Für K a n t war es undenkbar, daß eine konzeptuelle Bedeutungsgebung als Aufspaltung des reinen Begriffes (Kategorie K ) i n seine intuitiven Elemente oder Instanzen / , d. h. der Anfang des Prozesses, welcher Kategorien empirische Bedeutung verleiht, ohne eine begleitende transzendentale Zeitbestimmung vor sich gehen könne, ebensowenig, wie man sich heute eine Newtonsche Himmelsmechanik ohne die raum-zeitlichen Koordinaten des Repräsentationsraumes denken kann. Z . B . erhält die Zahl 5 (empirische) Bedeutung, indem sie zunächst i n verschiedene intuitive Instanzen I aufgespalten wird, welche zeitlich aufeinander folgen; K a n t nennt diese intuitiven Instanzen übrigens „vermittelnde Vorstellungen" 1 4 . I n der Sprache der Suppositionstheorie würden w i r sagen, daß „ 5 " für die i n einer transzendentalen Zeitreihe angeordneten intuitiven (reinen) Instanzen I l y h> · · ·> h steht. Auch die Aufsplitterung einer Linie i n unendlich viele Punkte muß von dieser transzendentalen (topo12 13 14
Kr., B, S. 134. Kr., B, S. 134. Kr., B, S. 134.
1.5. Der Kantsdie Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie
99
logisdien) Zeitbestimmung begleitet sein 15 . Vergegenwärtigen w i r uns die Situation 5 / / / / S — wobei I u 7 2 , . . . , 7 5 C 7 und 3 * i , 3 * 2 > . . 3 * 5 C 3 — wiederum an einem Diagramm: 5
h
h
h
I
I
Sil
3*2
h
I
h
I
3*3
I
3*4
3*5
Die 3*1 bis 3*5 seien empirische Instanzen, angeordnet entsprechend der empirischen Zeitreihe *i, * 2 , . . * 5 . Das heißt, daß operationale (nichtempirische) oder transzendentale Zeitreihen empirischen Zeitreihen korrespondieren müssen. A n diesem Punkt beginnt die empirische Interpretation, 7/3. W i r sind damit unversehens i n eine intuitionistische Begründung der Mathematik geraten, allerdings eine, die weiter als üblich gefaßt ist. Solch eine Begründung kann als erster Schritt zu einer semantischen Begründung der Wissenschaften angesehen werden, ein Schritt, der nicht unbedingt vor den typischen Formalwissenschaften H a l t macht. W i r haben es also hier, wie schon gesagt, nicht m i t einer bloß logischen Subsummierung des Empirischen unter eine Kategorie zu tun, sondern mit einer nicht-logischen, nicht-sprachlichen Semantik. Dies meint Kant, wenn er vom transzendentalen Schema spricht 16 . Verallgemeinern w i r obiges Diagramm, dann erhalten w i r folgende Darstellung der A u f splitterung der Kategorie, das heißt des Prozesses, welcher der Kategorie (empirische) Bedeutung verleiht; die vollständige Fassung dieses Diagramms geben w i r auf S. 101. Wiederum können w i r in Anlehnung an die Suppositionstheorie sagen, daß Κ folgendermaßen supponiert: K \ \ I und 7/3, oder X / / 7 / 3 — wobei 72, C 7 und 3 * i , 3 * 2 , . . 3*«, G 3 — , oder: Κ
11
15 M
7·
h
I
I
Sil
3*2
Kr., B, S. 135. Kr., B, S. 134.
...
I . . .
In
I 3*»
...
I . . .
Ioo
I 3t«
1. Ontologische und semantische Modelle
W i r weisen hier darauf hin, daß die scholastische Philosophie eine Zeitindizierung sogar gewisser logischer Formulierungen, nämlich der consequentiae zuläßt. Ζ . B. wenn w i r den Satz „ A l l e Menschen laufen, daher läuft auch Sokrates" vorliegen haben, dann kann z . B . nach Burleigh und nach Ockham der Fall eintreten, daß der zweite Teil des Satzes aufhört, wahr zu sein, wenn Sokrates stirbt, d. h. wenn Sokrates aufhört, Mensch zu sein 17 . Auch Diodoros Kronos und in neuerer Zeit Prior haben logische Formen m i t Zeitindices versehen. W i r haben hier einen analogen Vorgang zu Kants Zeitindizierung der intuitiven Instanzen. Das oben aufgestellte Diagramm verdeutlicht das Konzept des Schemas bei Kant, welches eine formale, intuitive Bedingung ist: „ W i r wollen diese formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff i n seinem Gebrauche restringiert ist, das Schema dieses Verstandesbegriffes, und das Verfahren des Verstandes m i t diesen Schematen den Schematismus des reinen Verstandes nennen 18 ." Die Schemata, w o die Kategorie nach einer Regel oder Regeln für I n stanzen supponiert, dürfen nicht mit Bildern verwechselt werden. Die Schemata sind spontane Funktionen der intuitiven Einbildungskraft a priori, während das B i l d ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft ist 1 9 . Die Bilder sind, genau besehen, eine Teilmenge der Menge der empirischen Instanzen 3 . Die Schemata aber sind ein reines B i l d i n der Zeit, und sie sind keinesfalls abbildartig. Die Schemata können daher nur m i t H i l f e von Regeln, welche zeitabhängig (zeitindiziert) sind, und welche die ganze semantische Prozedur rekursiv definieren, konstruiert werden. I n Kants Transzendentalphilosophie ist die Zeit die formale Bedingung der Verknüpfung des Mannigfaltigen des inneren Sinnes zur Bedeutung 20 ; daher ist sie die formale Bedingung der Verknüpfung aller Vorstellungen oder intuitiven Instanzen 7 2 1 . Die Zeit i n der Anschauung enthält die Mannigfaltigkeit a priori, welcher sich „nach unten" die Empirie anschließt, weil nach K a n t auch in jeder empirischen Vorstellung 3 des Mannigfaltigen die Zeit enthalten ist; nach „oben" entspricht dies der „temporalen" Universalität des Begriffes, d. h. seiner konzeptuellen Bedeutung; von der Universalität des Begriffes 17 18 19 20 21
Ockham (Summa), I I I , 1. Kr., B, S. 135. Kr., B, S. 136. Kr.,B,S. 134. Kr., B, S. 134.
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 101
bleibt nur eine Zeit-Progression über; die Analyse aller Begriffe ist demnach Bedeutungsanalyse, d. h. die Analyse von Zeitreihen 22 , zumindest in den kognitiven Wissenschaften. Raum und Zeit sind zugleich Formen der Sinnlichkeit. Dementsprechend können w i r jeder intuitiven Instanz I tatsächlich existierende Bilder als empirische Instanzen 3 — ζ. B. nach A r t der Photographie, A b bilder und Abbildartiges — die das Produkt der produktiven Einbildungskraft sind 2 3 , zuordnen, d. h. genau genommen zeitlich indizieren. So sind fünf Punkte auf dem Papier, i n einer Reihe (Zeitreihe) angeordnet, ein B i l d der Zahl 5; diese Punkte verbinden Objekte m i t empirischen Punkten 2 4 . Die Zahl 5 selber können w i r nach K a n t eher als ein Produkt der sukzessiven Anwendung der synthetischen (im operativen Sinne von „[Bedeutungs-]Synthese") kraft der Zeit oder der reinen Einbildungskraft a priori ansehen, wodurch die Bilder, wie das von fünf Äpfeln, allererst möglich werden. Dagegen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffes, d. h. i n diesem Fall der Begriff Fünf als Quantität operational „etwas, was i n gar kein B i l d gebracht werden kann, sondern nur die reine Synthesis gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt.. . " 2 5 ist. Wie eine Kategorie Bedeutung erhält, kann man sich an H a n d des folgenden Diagramms vergegenwärtigen, das den Prozeß der konzeptuellen und nicht-sprachlichen Bedeutungsgebung deutlich zeigt: Kategorien
Κ transzendentales Schema (Schema der reinen Verstandesbegriffe)
h
In
h
Relationen zu Objekten: Korrespondenz mit Hilfe der Bilder 3*1 3*2 . . . Z t n
Sti St 2 ...
Οίι Οί 22 28 24 25
Kr., B, S. 138. Kr., B, S. 136. Kr., B, S. 135. Kr., B, S. 136.
2
...
St n
reine Vorstellungen (intuitive Instanzen), nadi transzendentalen Zeitbestimmungen geordnet . . . 3 i« empirische Instanzen, ζ. B. (Ab)Bilder, in empirischer Zeitreihe angeordnet Su
Sinnesempfindungen
Ot n . . . Otoo Objekte
1. Ontologise und semantise Modelle
Wiederum erhalten w i r „sprachlose" semantische Substitutionen, wobei die Sti alle Element von S sind, und die O^ alle Element von O : / £ / / / , 7/3, 3 / 5 und S/O, welche w i r i n der schon gezeigten Weise miteinander verketten können. Die transzendentale Zeitordnung oder Struktur w i r d im folgenden durch Axiome topologisch festgelegt werden. Allgemein gesprochen erscheint i m obigen Diagramm die Zeit als ein „begleitender" Begriff, so wie bei Aristoteles das Konzept des Seins; mit K a n t können w i r sagen, daß sie eine transzendentale Struktur ist. Die Zeit ordnet gewissermaßen die Objekte Ο für die Kategorie vor, bzw. die Kategorie für die Objekte O. Die Zeit kann daher auch als fundamentale proto-ontologische Struktur gesehen werden. Nehmen w i r das schon öfters verwendete „ / " zu Hilfe, dann können w i r ζ. B. die Korrespondenz zwischen den empirischen Instanzen 3 und den transzendentalen, rein intuitiven Instanzen I als semantische Substitution darstellen, wobei w i r bedenken müssen, daß der Schematismus nach K a n t i n der umgekehrten Richtung wie die scholastischen Suppositionen verläuft; dies nimmt das moderne Konzept der Interpretation vorweg: 3 i i / / i , usf. Die schrägen Striche symbolisieren also eine Korrespondenz zwischen den empirischen und zeitlich geordneten Instanzen 3 und zwischen den transzendentalen, rein intuitiven Instanzen / , welche entsprechend den transzendentalen Zeitbestimmungen geordnet sind. Die empirischen I n stanzen sind sozusagen die Interpretationen der transzendentalen. Daß der Schematismus Regeln gehorchen soll, nimmt die viel später von der Wissenschaftstheorie eingeführte Konzeption der Interpretationsregeln oder Korrespondenzregeln, welche i m Rahmen der Theorienkonstruktion auftreten, vorweg. Das transzendentale Schema nun kann niemals i n ein Bild verwandelt werden. Es ist eine reine (semantische) Synthesis von gleichartigen Einzelfällen, die mittels einer zeitlichen Regel aufgestellt w i r d 2 6 . Es ist „ein transzendentales Produkt der reinen Einbildungskraft" (im Gegensatz zur produktiven Einbildungskraft, welche das empirische [ A b ] Bild erzeugt), und unterliegt den zeitlichen Bedingungen der transzendentalen Zeitreihe. Es bezieht sich auf alle Vorstellungen, insoferne diese in einem Begriff zusammenhängen 27 . 26
Kr., B, S. 134 - 135.
1.5. Der Kantsche Sematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 103
W i r fassen die wichtigsten Punkte folgendermaßen zusammen: 1. Es gibt ein transzendentales Schema, das von den Kategorien zu den zeitlich (und auch raum-zeitlich; diesen Fall haben w i r noch nicht erwähnt) vorgeordneten vermittelnden Vorstellungen (intuitiven Instanzen) führt. W i r könnten diese vermittelnden Vorstellungen oder intuitiven (reinen) Instanzen auch „Repräsentationen" nennen. Die Schemata sind sozusagen der invariante Inhalt dieser Vorstellungen; und sie sind durch bestimmte Regeln gegeben. Ζ. B. ist das Schema eines Dreiecks dadurch gegeben, daß die Winkelsumme i m Dreieck 180° beträgt. Es ist klar, daß das Invariante, das w i r so erhalten, eine A r t operationale Bedeutung konstituiert. 2. Es gibt eine Abbildung oder Korrespondenz zwischen den empirischen Bildern (als Spezialfall der empirischen Instanzen 3 ) — w i r würden sagen: der empirischen Bedeutung — und den reinen Instanzen I — w i r würden sagen: der operationalen Bedeutung. Diese V o r gänge sind von Zeitindizierungen begleitet. 3. Bilder, als Spezialfälle der empirischen Instanzen 3 , korrespondieren Objekten und die Objekte korrespondieren den Sinneswahrnehmungen 28 . V o n der Sprache ist hier nicht die Rede, wie es i n einem konzeptualistischen System von der A r t des Kantschen auch nicht anders zu erwarten ist. Dies ist der Vorgang, bei welchem die Schemata empirische Bedeutung verleihen. Es ist übrigens interessant, daß schon Herder — den man hinsichtlich der „ K r i t i k der reinen Vernunft" als Sprachkritiker nahezu à la Mauthner auffassen muß — moniert, daß diese nebulos seien; er nennt sie „eine dritte Fiction zwischen zwei verschwundenen Fictionen" 2 9 . D a nach Herder Denken innerliches Sprechen und der Verstand an die Verständlichkeit geknüpft ist 3 0 , so t r i t t beim Schematismus auch bei ihm die Sprache i n den Vordergrund, und nicht konzeptuelle und kaum erfaßbare Verstandestätigkeiten: „Auch erniedre man den menschlichen Verstand nicht so tief, daß man ihm die Gabe, zu schematisieren, d. i. unbestimmte Nebelformen zu schaffen, als eine Leiter andichte, auf der allein er zur Erfahrung gelangen konnte. Denn sind diese Schemen nicht W o r t e ? . . . Der menschliche Verstand hat eine viel höhere Kraft, als dun27 28 29 30
Kr.,B,S. 136. Kr.,B,S. 136. Herder (Metakritik), S. 113. Herder (Metakritik), S. 117.
1. Ontologische und semantische Modelle
kel zu schematisieren; er kann seine erfaßten Merkmale durch Worte ausdrücken, er kann sprechen, daß man die Dinge sehe und ihn vernehme 31 ." Anstelle der sprachlosen Semantik des Kantschen Schematismus setzt Herder Sprachfunktionen von Teilsprachen; die Teilsprachen nennt er „Ausdruck der Verstandesbegriffe", wobei diese Teilsprachen zunehmend klarer oder deutlicher werden. Über das Sein spricht „die sinnliche, gemeine Verstandessprache", über die Eigenschaften der Dinge „die klärere Verstandessprache", über Ursache und Wirkung „die deutlichere Vernunftsprache" und über das Maß „die genaueste, d. i. mathematische Sprache" 32 . Überhaupt — dies in Parenthese — ist Herders K r i t i k an K a n t weder die Verirrung eines (sonst) großen Geistes, noch die Revolution eines Präromantikers gegen die so oft beschworene Verstandeskälte der A u f klärung; sondern sie ist die K r i t i k eines Empiristen an einem konzeptualistisch-idealistischen System. Er führt damit Empirismus und Sprachk r i t i k in die Philosophie ein. Herder war sich dieser Tatsache vollauf bewußt. I n „Verstand und Erfahrung" sagt er m i t Hinblick auf Kants „ K r i t i k der reinen Vernunft" zunächst, daß die Griechen „Vernunft" und „Verstand" durch ein W o r t ausdrücken, nämlich „λόγος"; dann fährt er fort: „ M i t h i n w i r d Metaphysik eine Philosophie der menschlichen Sprache 33 ." A n einer anderen Stelle gibt Herder eine Kategorientafel und eine Tafel, die die den Kategorien entsprechenden Gebiete des menschlichen Wissens (wie: Naturwissenschaft, Ontologie) zeigt. Dazu bemerkt er: „Ontologie liegt allen zum Grunde: denn alle gebraudien ihre Sprache; rechtverstanden ist sie nichts als Philosophie der allgemeinen Verstandessprache . ». Daß man über d i e . . . Ontologie . . . streitet, kommt daher, weil man sie i n Kategorien a priori sucht; und so lange man sie dort sucht, w i r d man über sie streiten. Ihrer N a t u r nach ist sie nichts als die reinste Philosophie der Verstandes- und Vernunftsprache 34 ." Es gibt nun so viele verschiedene Schemata, als es Kategorien gibt; jedes Schema expliziert daher eindeutig die Bedeutung einer Kategorie. Kants Klassifikation der Bedeutungen der Kategorien läuft darauf hinaus, daß derart die verschiedenen Grundbedeutungen der Newtonschen Physik eingeführt werden. 31 32 33 34
Herder Herder Herder Herder
(Metakritik), S. 125 f. (Metakritik), S. 125 f. (Metakritik), S. 125 f. (Metakritik), S. 111.
1.5. Der K a n t s e Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 105
I m Falle der Kategorie der Quantität erhalten w i r : Kategorie
Kategorie der Quantität, ζ. B. 5
Kategorie Zahl 5 = Klasse aller Klassen von 5 Elementen
h
reine vermittelnde Vorstellungen (reine Instanzen) oder Repräsentation; Regel des sukzessiven Aneinanderreihens (in einem intuitiv gegebenen Raum)
transzendentales Schema Zahl h
h
h
h
3*1 3*2 3*8 3*4 3*5
(räum-) zeitliche Serie von Objekten
empirische Instanzen
St ι St 2 Sts Sti St 5
Sinneswahrnehmungen
O i i Ot 2 O i 3 Oh O i 5
Objekte
W i r haben in allen vorhergehenden Diagrammen immer nur die Zeit indiziert; tatsächlich müßte man auch den Raum indizieren, weil man sonst nicht verhindern könnte, daß Zeit nur als innerliche Zeit erscheint. Es ist hier besonders interessant, daß das Kantsche Schema der Quantität zum Modell für die intuitionistische Begründung der Mathematik, besonders der Zahlen- und Mengentheorie wurde. Brouwer, Heyting, Weyl u. a. bezogen sich explizit auf Kant. I n seinen früheren Schriften führt Brouwer die intuitionistische Lehre direkt auf K a n t zurück. Auch stimmt Brouwer in „Intuitionisme en Formalisme" (Groningen 1912) Kants These, daß die mathematischen Urteile synthetisch a priori seien, zu. I n einer Semantik und Ontologie der Mathematik muß man aber über den Intuitionismus hinausgehen. M a n muß dazu die platonische Isoliertheit von Analytizität und Logik aufgeben und diese vielmehr als versteinerte semantische Eigenschaften und eine versteinerte oder eingefrorene Semantik auffassen. M a n hat dann Schritt für Schritt zu zeigen, daß die Logik (zumindest auf weite Strecken) auf eine operationale Semantik und diese wiederum auf eine operative Semantik zurückgeführt werden kann. Historisch gesehen ist Kants Schematismus ein analoges Unterfangen, allerdings, ohne auf die Sprache Rücksicht zu nehmen.
1. Ontologische und semantische Modelle
Als nächstes wollen w i r nun die Kategorie der Qualität i m Diagramm darstellen und damit, wie die Kategorie der Qualität operative (empirisch-deskriptive) Bedeutung erhält, sowie zuvor den Schematismus als geordnetes Tripel darstellen, wobei w i r uns einer Schematismus-Relation Schern bedienen, welche semantisch zwischen I und Κ operational und sonst operativ gesehen werden muß: < « 0 , Schern, 3>, Schern, />, Séem, Κ). Es folgt das Diagramm für die Kategorie der Qualität: Kategorie der Qualität
±
±
h
± I n reine Instanzen, geordnet nach transzendentalen ι Zeitbestimmungen; Grade der Realität, welche I von Plus zu Minus (Negation) wechseln
h
± Sii I I
± 3*2 ι I
· · · ι I
i 3*n empirische Instanzen; Intensitäten von Qualitäι ten sind der Zeitinhalt = Erschaffung der RealiI tät in der Zeit
± S ti ι I
± St2 ι I
... ι I
± St η operative Wahrnehmung; Intensitäten von ι Sinneswahrnehmungen (ausdrückbar durch PräI dikate von Objekten)
Ot2
. . .
Ot n
Oii
Existenz von Objekti, Objekt2, Objekt3,...
Analog liefert das Schema der Substanz letztlich die empirische Bedeutung der Kategorie Substanz, wobei das Schema der Substanz die Beharrlichkeit des Realen i n der Zeit ist; das Reale w i r d hier als das Substrat gesehen. Den unwandelbaren, invarianten Zeitreihen entspricht die unwandelbare empirische Substanz, das unwandelbare Substrat, das vorausgesetzt werden muß, sollen räumliche und zeitliche Veränderungen (i. e. Bewegung, oder sich bewegende Objekte) beobachtet werden 3 5 . Kants Ansicht von der Substanz kann der Lewinschen Lehre von der Genidentität verglichen werden; auch Aristoteles nimmt an, daß Bewegungen, Veränderungen — ζ. B. Wechsel der Farbe — sich an einem Substrat vollziehen. Die Substanz ist Kants ontologische Hauptkategorie, denn sie ergibt das i m empirischen Sinne Existierende als operative Bedeutung. Auch das Schema der Kausalität hängt m i t dem Realen zusammen: Das Schema der Kausalität ist das Reale, worauf stets etwas anderes 35
Kr., B, S. 137.
1.5. Der Kantsdie Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 107 Reales folgt: „Es besteht also in der Succession des Mannigfaltigen, i n so fern sie einer Regel unterworfen ist 3 6 ." Als Diagramm dargestellt: Kausalität
I G(/I,/
Al.
G(Iu / 2 )
2).
G(/ 2 ,1{).
A 3. G(/i, h) & G(/ 2 , h) Tl.
Räumliche Fixierung der Gleichzeitigkeit; Axiom der Verschmelzung von räumlicher und zeitlicher Ordnung. Symmetrie der Gleichzeitigkeit. G(I U h).
Reflexivität der Gleichzeitigkeit.
G{Iuh).
A 4. N(I h h) & N(I 2, h) A 5. Al.
N(I h
h).
Transitivität der Nachfolge. Irreflexivität der Nachfolge.
~N(Iuh).
A 6. N(I U
Transitivität der Gleichzeitigkeit.
Asymmetrie der Nachfolge.
hi-ï-N^h).
N(I l9I 2)^(Eh)(N(I &N(/3,/2)).
uh)
Dichte des Nacheinander.
AS. (Ii) (E/ 2 ) (N(/i, I 2)).
Konstituierung des Zählens der Zeitmomente.
A 9. (/ 2 ) (E/i) (N(I
Alle Zeitmomente sind erste zweite Glieder der Zeitreihe.
h
/ 2)).
A 10. - N(I U I 2) & - N(I 2, h) ->G(/!,/2). All.
G(I l9I 2)-*~N(I hI 2) &~N(I 2ih).
Τ 2. G(/i, / 2 ) & N ( / 2 , / 3 ) ^ N(I U / 3).
und
Exklusion von Ν und G. Exklusion von Ν und G. N-Transitivität von G.
Damit ist auch die operationale Bedeutung von „ Z e i t " festgelegt; diese Bedeutung kann nun m i t anderen Bedeutungen verglichen werden. Strukturell ausgedrückt: die durch die Axiome definierte Struktur einer W. Leinfellner (Einführung), S. 128 f.
1. Ontologische und semantische Modelle
Zeitreihe läßt sich nun m i t jeder anderen mengentheoretischen Struktur vergleichen. Kurze Diskussion der Axiome. W i r wissen aus der Relativitätstheorie, daß dort ζ. B. A x i o m 3 nicht gilt; in der Quantentheorie kann A x i o m 2 niemals erfüllt werden. Aber unser Axiomensystem (Kern) ist i n den Erfahrungen des täglichen Lebens und in der Newtonschen Physik gültig, d. h. interpretierbar. W i r erhalten so ein geordnetes Paar, welches vom „ K e r n " und der Interpretation gebildet w i r d : (K> Int). Diese klassische Zeitordnung ist gewissermaßen der Eckstein der klassischen Physik, ebenso wie der euklidische Raum die fundamentale Raumordnung oder räumliche Repräsentationsform der klassischen Physik ist. W i r beschränken uns hier jedoch auf die Diskussion der klassischen Zeit nach Kant. Es ist eine andere Version dieser Axiomatisierung möglich, wobei A x i o m 1 durch Theorem 1 ersetzt wird. W i r würden damit das Konzept aufgeben, daß w i r unsere zeitliche Ordnung mit H i l f e der „räumlichen" Relation der Koinzidenz, der Verschmelzung fixieren; diese räumliche Relation w i r d i n A x i o m 1 durch „ = " angezeigt, d. h. das mathematische Gleichheitszeichen w i r d als „koinzidiert m i t " , „verschmilzt m i t " interpretiert. Bezüglich der empirischen Deutung von A x i o m 7 erheben sich einige Schwierigkeiten; aber dem Inhalt nach wurde es sowohl i n Newtons „Scholium" als auch von K a n t gefordert 42 . W i r können das geordnete Paar, das v o m Kern Κ und der Interpretation Int gebildet wird, ( Κ , Int), ohne weiters als eine deskriptiv-semantische Festlegung oder Festhaltung der zeitlichen Ordnung und auch des Zählens i n der Psyche oder i n unserer inneren Erfahrung ansehen. Vernachlässigen w i r jedoch die empirische Interpretation und beschränken uns bloß auf die operationale Bedeutung, i. e. das operational gesehene Axiomensystem, dann läßt sich auch Newtons Definition der absoluten Zeit i m Scholium der „Principia Mathematicae Philosophiae Naturalis" rechtfertigen. Die damit gegebene operationale Semantik von „ Z e i t " kann auch umgekehrt als Invariant-Werden oder Einfrierung der empirisch-deskriptiven Semantik von „ Z e i t " angesehen werden. Wie sieht nun diese absolute oder invariante Zeit aus? Sie ist nach N e w t o n die absolute, wahre und mathematische Zeit, welche gleichmäßig aus sich selbst und kraft ihrer eigenen N a t u r fließt und in keiner Relation zu irgendwelchen äußeren Umständen steht 43 . 42 43
Kr., B, S. 137, 149. Newton (Principia), S. 73.
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 113
W i r dürfen auch nicht vergessen, daß das Axiomensystem, wenn es einmal aufgestellt ist, noch eine andere, bedeutende (epitheoretische) Rolle spielen kann, wenn w i r es i m Rahmen des Schemas der Kategorie der Relation betrachten: Das Axiomensystem (der Kern) Κ kann dann dazu benützt werden, 1. die Bedeutungen von „Gleichzeitig" und „Nacheinander" („Nachfolge") operational festzulegen, und nicht nur die von „ Z e i t " ; 2., im Falle, daß w i r eine empirische Interpretation Int vorliegen haben, d. h. daß die Axiome proto-ontologisch gültig sind, können die Axiome plus der Interpretationsregeln als (empirisch-deskriptive) Bedeutungspostulate angesehen werden, d. h. als Postulate für die empirisch-deskriptive (operative) Bedeutung von „ G " , „Gleichzeitig", und „ N " , „Nacheinander". I m Falle der Proto-Ontologie kommt hier noch hinzu, daß die Axiome dann eine vorordnende Funktion hinsichtlich weiterer und wissenschaftlicher Erforschung des betreffenden Bereiches D haben. Es besteht nun ein Übergang von der Zeit zur Zahl — vice versa — den K a n t folgendermaßen ausdrückt: „Das reine Schema der Größe aber (quantitas) als eines Begriffs des Verstandes ist die Zahl, welche eine V o r stellung ist, die die successive A d d i t i o n von Einem zu Einem (gleichartigen) zusammenbefaßt. Also ist die Zahl nichts anders als die Einheit der Synthesis des Mannigfaltigen einer gleichartigen Anschauung überhaupt, dadurch daß ich die Zeit selbst i n der Apprehension der A n schauung erzeuge 44 ." Peano scheint nun von ähnlichen Voraussetzungen ausgegangen zu sein, als er eine Abfolge von positiven Zahlen axiomatisierte: ( Ζ ; N ) ist eine Struktur des Zählens, wenn und nur wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: A 1. Jede positive Zahl η hat einen Nachfolger n . A 2. Wenn der Nachfolger einer beliebigen Zahl, m\ gleich ist dem Nachfolger einer anderen beliebigen Zahl, η , dann müssen die Zahlen identisch sein: m = η' -» m = η. A 3. Es gibt nur eine natürliche Zahl, die wir „ l a nennen, die nicht der Nachfolger irgendeiner anderen Zahl ist. A 4. Jede Menge von positiven Zahlen, die 1 einschließt und auch n' (wenn η in ihr enthalten ist), muß jede andere positive natürliche Zahl enthalten. A 1 und 2 definieren die Nachfolgebeziehung, 3, daß das Zählen anfängt, d. h. ein Anfangsglied besitzt (dies könnte auch die 0 sein). A 4 44
Kr., B, S. 137.
8 Leinfellner
1. Ontologische und semantische Modelle
formuliert eine Progression i m aristotelischen und Kantschen Sinne, eine Progression nämlich, die eine potentielle Unendlichkeit aufbaut. M a n kann sich nun fragen, was „früher" oder grundlegender sei, die Zeitreihe oder das Zählen. Bekanntlich entwickelte Peano aus diesen Axiomen die ganze Arithmetik der positiven natürlichen Zahlen. Heute leistet man dasselbe durch die konstruktive (rekursive) Definition von Addition, Multiplikation und allen anderen mathematischen Operationen. Es können nun die Peano-Axiome (Postulate) leicht aus dem vorher diskutierten Kantschen System der intuitiven Zeit abgeleitet werden. Sieht man von der N u l l ab, dann erkennt man sofort, daß beide Systeme eine „Proto"struktur voraussetzen, nämlich die des empirischen (kontinuierlichen) Bewegungsablaufes, etwas, was schon Aristoteles bemerkte 45 . Nach Aristoteles sind Zahl und Zeit simultan gegeben, wobei die Bewegung ontisch vorausgesetzt werden muß, bzw. die Bewegung existieren muß. Oder, wie Aristoteles es ausdrückte: „ D i e Zeit ist die Zahl der Bewegung nach dem Früher oder Später", wobei „ Ν " „Früher" und „Später" bezeichnet 46 . W i r erhalten folgendes Diagramm: kontinuierliche Zeit \
Zahl; kontinuierliches Zählen
Ontisches Modell: D = gleichförmig bewegte Systeme Der Unterschied zwischen Zeit und Zahl besteht darin, daß die Zeitmomente durch Zahlen (Ziffern) markiert sind. Es ist interessant, daß der Intuitionismus, die rekursive Begründung der Mathematik, die konstruktivistisch-finitistische Begründung der Mathematik, die Turing-Berechenbarkeit und die Computer-Technik alle auf dieser Vorstellung beruhen, daß nämlich die Operationen schrittweise und zeitlich aufeinanderfolgend vor sich gehen. Unter diesem Aspekt gesehen können die Zahlen und die rekursiv mathematischen Operationen nur zeitlich realisiert werden. Als empirische, proto-ontologische Zustände sind diese Schritte oder Operationen nichts anderes als Phasen bewegter Systeme. M a n muß daher festhalten, daß 1. die deskriptiv-semantische oder operative Bedeutung von „ Z e i t " auf der Existenz mindestens eines kontinuierlich bewegten Systems beruht, bei Aristoteles die Erde i n ihrer 45 46
W. Leinfellner (Entstehung), S. 174 - 180. Physik, Δ, 2, 219 b, 1 - 2 .
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen* zur Empirie 115
Umlaufbahn, 2. Die operationale Bedeutung von „ Z e i t " — z . B . „ Z e i t " i m Sinne Kants oder bei Newton, bei dem die Zeit konzeptuell als gleichmäßiger Fluß erscheint — ist das Resultat einer invarianten, eingefrorenen operativen Bedeutung; abgesehen davon kann die Kantsche intuitive Zeit eventuell i n unseren hereditären Gehirnfunktionen als native Zeit psychisch verankert werden. 3. Zählen und Zeitbestimmung sind simultan gegeben, wenn es mindestens ein kontinuierliches System nicht-relativistischer A r t gibt; dadurch können Zählen und Zeitbestimmungen zumindest der Möglichkeit nach realisiert werden. U m alles dies i m Sinne Kants zusammenzufassen: K a n t nahm an, daß jeder Schematismus Bedeutung konstituiert und die Bedingungen der Zeit zu erfüllen habe: „ D i e Schemate sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen nach der Ordnung der Kategorien, auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff i n Ansehung aller möglichen Gegenstände 47 ." Anders ausgedrückt: die operative — und auch die operationale — Bedeutung der Kategorie muß mit der Zeitordnung, oder der — operationalen und operativen — Bedeutung von „ Z e i t " , verträglich sein. V o n diesem Standpunkt aus gesehen besteht die Schematisierung i n folgendem: jedesmal, wenn w i r heute theoretische (theoretisch-deskriptive) Begriffe verwenden, können w i r sofort prüfen, ob sie semantisch-deskriptive Bedeutung besitzen, indem w i r sie schematisieren. Können sie schematisiert werden, dann können sie möglicherweise m i t empirisch-deskriptiven Bedeutungen versehen werden, resp. auch durch rein empirische Terme ersetzt werden, wodurch sie, genau genommen, überflüssig werden. Hier kann man sich die Frage stellen: Wozu brauchen w i r dann eigentlich Begriffe? Diese Frage, die i n der Antike und i m Mittelalter eine rein philosophische und ontologische war, wurde wiederum akut, als die großen wissenschaftlichen Theorien der Neuzeit aufgestellt wurden. Hier zeigte es sich immer deutlicher, daß i n den Wissenschaften die isolierte Begriffsbildung gar nicht vorkommt. U n d so wie bei K a n t die Begriffe (Kategorien) immer schematisiert sein müssen, so müssen auch wissenschaftliche Begriffe, d. h. Begriffe i n den theoretischen Kontexten, wie Theorien, Hypothesen und Hypothesenhierarchien stets entweder operative und/oder operationale Bedeutung haben. I m Rahmen dieses Buches können w i r natürlich nicht auf andere als semantische und ontologische Probleme der Theorien eingehen 48 . Demnach werden w i r uns i m 47
8*
Kr.,B,S. 138.
1. Ontologische und semantische Modelle
folgenden nicht mehr m i t den ontologischen und semantischen Modellen, wie w i r sie i n der Philosophiegeschichte vorfinden, beschäftigen, sondern m i t den gegenwärtigen semantischen und ontologischen Problemen der Wissenschaften. Es ist ja erstaunlich, daß es eine immense Fülle von logischen Untersuchungen gibt, die sich mit den Wissenschaften befassen, aber nur relativ wenig semantische. Es scheint, daß die Wissenschaftstheorie des Wiener Kreises, des Neupositivismus' und auch der Analytischen Philosophie von dem Gedanken beseelt war, daß man, wenn man nur die Logik der Wissenschaften kenne, sozusagen die Semantik der Wissenschaften in gereinigter Form vor sich habe oder mitgeliefert bekomme, oder auch, daß die Semantik ein Anhängsel der Logik sei, und daß man die Sprache der Wissenschaften in Logik umformen müsse, bevor man sie semantisch untersuchen könne. Obendrein wurde „ L o g i k " fast stets m i t „Prädikatenkalkül" identifiziert, obwohl der Prädikatenkalkül i n der wissenschaftlichen Praxis nur eine untergeordnete Rolle spielt. Dies ist sicherlich auf die Grundidee Freges und Russells zurückzuführen, daß man alle Funktionen der Mathematik und der mathematischen Methoden erklären könne, indem man sie auf die Prädikatenlogik und eine aus ihr entwickelte Mengenlehre zurückführt. V o n dieser Tendenz w i r d hier völlig abgegangen. Eine Wissenschaftstheorie oder Methodologie ist nicht mit dem Prädikatenkalkül und seinen eventuellen Anwendungen auf die Probleme der Wissenschaften gleichzusetzen; sondern eine Wissenschaftstheorie schließt eine Semantik der Wissenschaften und eine mathematische Methodologie ein. Gibt es ein relevantes Logiksystem, dann ist es sicherlich das einer Mengenlehre, aber nicht einer prädikatenlogisch aufgebauten, sondern einer strukturellen Mengenlehre (vgl. S. 333). 1.5.2. Logisches oder semantisch-ontologisches Theorienschema? M a n kann also ohne weiters sagen, daß der Kantsche Schematismus eine Semantik und Ontologie ohne Sprache ist. Daß K a n t i n seiner „ K r i t i k der reinen Vernunft" die Sprache vergessen hatte, hatte schon Herder kritisiert. W i r werden i m folgenden zeigen, daß die heutige Wissenschaft und Wissenschaftstheorie den Kantschen Ansatz bestehen lassen kann, wenn man ihn m i t der Sprache, dem wissenschaftlichen Kontext, untermauert. Zweitens muß man auch die ontologische Relevanz des Schematismus', d. h. seine Beziehung zu einem jeweiligen Gebiet D der Welt, beachten. 48
Vgl. W. Leinfellner (Epitheoretical Analysis).
1.5. Der K a n t s e Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 117
W i r haben angenommen, daß Kants A n a l y t i k und Ästhetik der „ K r i t i k der reinen Vernunft" auf den (natur-)wissenschaftlichen Theorien, wie K a n t sie zu seiner Zeit vorfand, basiert, d. h. auf diese beschränkt ist, so besonders auf die „Principia" Newtons. Die „Principia" sind die erste große wissenschaftliche Theorie der Neuzeit; aber erst nahezu 200 Jahre nach ihrem Erscheinen (1687) begann der theoretische A u f schwung der (Natur-) Wissenschaf ten. U n d erst ca. 50 Jahre nach diesem Aufschwung ging die Philosophie als Wissenschaftstheorie — zunächst meist „Wissenschaftslehre" benannt — daran, diese Theorien, d. h. neuen sprachlichen Systeme und ihre logisch-syntaktischen Methoden zu untersuchen. Ihrer Semantik und Ontologie hingegen wandte man kaum A u f merksamkeit zu; Ausnahmen sind hier etwa die Arbeiten Schleicherts und Scheibes49. Die philosophische Situation hatte sich — i m ganzen gesehen — mittlerweile verändert. Es waren i n die Philosophie wieder positivistische und nominalistische Züge hineingetragen worden; es war nicht mehr das Denken allein das Zentrum philosophischer Untersuchungen, sondern auch die Sprache, oder — mit Wittgenstein zu reden — die Reduktion des Denkens auf die Sprache. Die Erforschung der sprachlichen, syntaktischen Funktionen der wissenschaftlichen Sprachen und insbesondere der wissenschaftlichen Theorien begründete die heutige neue Methodologie. I m Rahmen dieser Methodologie tauchen i n allerletzter Zeit auch wieder, allerdings meist indirekt, ontologische Probleme auf, sowie auch die Probleme der Bedeutung von sprachlichen Ausdrücken i n Theorien, w o bei nolens volens auf Ansätze, die auch i m Kantschen Schematismus enthalten sind, zurückgegriffen werden muß. Dabei muß jedoch der Kantsche Apriorismus durch einen Apriorismus der Sprache ersetzt werden, resp. einen Apriorismus der semantischen Regeln einer Sprache u. ä., wobei stets auf ein bestimmtes wissenschaftliches System relativiert werden muß. H i e r taucht eine Reihe semantischer Probleme auf: VerifikationFalsifikation; Konfirmierbarkeit; empirisches Sinnkriterium; Was sind theoretische Terme? Die partielle Interpretation theoretischer Terme; Korrespondenz-, Interpretationsregeln; die Dichotomie von analytisch und synthetisch usw. Diese Probleme werden i n der Wissenschaftstheorie und in der Analytischen Philosophie fast ausschließlich syntaktisch (analytisch) diskutiert. Oft auch ist einfach die Semantik „syntaktisiert" worden, so bei Carnap. Diese Inflation der reinen Logik, besonders in 49
Scheibe (Aussagen), Schleichert (Semantik) in der BRD; in den U.S.A. die Arbeiten von Beth, van Fraassen, Suppes und Suppe.
1. Ontologise und semantische Modelle
Form der Prädikatenkalküls, hat leider die Semantik der Wissenschaften in den Hintergrund gedrängt. W i r können hier nicht i m Detail auf die jüngste K r i t i k am CarnapHempelschen Theorienschema eingehen 50 ; noch können w i r den neuesten wissenschaftlichen Methoden-Anarchismus behandeln. Argumente gegen die K r i t i k am Theorienschema und gegen den Methoden-Anarchismus können jedoch leicht gefunden werden: 1. Trotz aller Angriffe auf die sprachliche Form von Theorien kommt man doch nicht um die Tatsache herum, daß alle wissenschaftlichen Theorien sprachliche Form haben, und daß diese Form, welche von den Zielen, Zwecken und Bedürfnissen der Wissenschaft geprägt ist, sich in allen Theorien ähnelt. U n d auch, wenn die genannte K r i t i k an der sprachlichen Form z. B. des CarnapHempelschen Theorienschemas berechtigt wäre, dann blieben immer noch diejenigen physikalischen Theorien über, denen das physikalisch exaktere sprachlich-mengentheoretische Schema der Konstruktion zugrunde liegt, das von Birkhoff-Neumann, Jauch, Piron u. a. beschrieben wurde 5 1 . Das Carnap-Hempelsche Theorienschema, das nun bereits der Philosophiegeschichte angehört, sieht folgendermaßen aus: es ist dual, d . h . synthetisch-analytisch, und es folgt i n dieser Beziehung dem Kantschen Ansatz, nach welchem all unser Wissen auf der Sinneserfahrung und dem Begriff (Vernunft) beruht. N u r setzen w i r an die Stelle der Vernunft oder des Begriffes die theoretischen Begriffe (Terme) von LT, und an die Stelle der Erfahrung eine empirische Beobachtungssprache LE . Unglücklicherweise wurde so das ontologisch-semantische Problem, wie LT und Empirie (D), oder — nur auf die Sprache bezogen — wie LE und LT zusammenhängen, immer mehr und mehr m i t H i l f e der Logik, z. B. mit Modellen des Prädikatenkalküls erklärt. Das ganze Schema wurde damit den kognitiven und realisierenden Wissenschaften entfremdet. Dies heißt nicht, daß w i r den Gedanken, daß es ein Theorienschema gibt, aufgeben müssen; w i r müssen uns bloß wieder den kognitiven und den realisierenden Wissenschaften annähern, indem w i r das „logische" Theorienschema revidieren. W i r vertreten daher eine Theorienkonzeption, die ontologisch, semantisch und mathematisch-mengentheoretisch orientiert ist. W i r erhalten folgende Hauptpunkte, die das revidierte Theorienschema umreißen. 60
W. Leinfellner (Entstehung); W. Leinfellner (Einführung); Kritik: Putnam (Theories); Quine (Dogmas); Feyerabend. 51 Birkhoff-Neumann; Jauch; Piron.
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 119
1. Theorien sind semantische Konstruktionen oder (Kon-)Texte Τ h über bestimmten Bereichen D. Die Theorien umfassen zwei Sprachniveaus, die ineinander übergehen: das erste Sprachniveau ist durch eine operative, und das zweite durch eine operationale Semantik gekennzeichnet. Die absolute Dichotomie von Analytisch und Synthetisch ist damit von vornherein ausgeschaltet. 2. Theorien sind nur möglich, wenn die Bereiche D der Welt, die sie erfassen, proto-ontologisch entweder implizit oder explizit vorgeordnet sind. 3. Theorien dienen der optimalen Repräsentation und Realisation der empirischen Struktur oder Teilstruktur empirischer Systeme, was durch mengentheoretische Modelle erwiesen werden kann. 4. Die Logik, insbesondere die deduktive Logik, spielt i n den Theorien eine untergeordnete Rolle. Denn i n Theorien w i r d meist nicht i m Sinne der deduktiven Logik geschlossen, sondern es w i r d berechnet oder semantisch umgeformt. Die mengentheoretischen Ableitungen und die statistischen Berechnungen können w i r hier natürlich zu den mathematischen Berechnungen rechnen. Ein typisches Charakteristikum des optimalen theoretischen Wissens und eine Garantie dafür, daß die Struktur optimal erkannt worden ist, ist das Eintreffen von Voraussagen und Realisierungen, die auf Basis der betreffenden Theorie ausgeführt werden. Es ist i m weiteren auch klar, daß in Theorien die Semantik von ontologischen Zwecken bestimmt wird, weswegen w i r auch hier die operative Semantik als eine Ergänzung der Proto-Ontologie und die operationale Semantik als eine Ergänzung der konstruktiven Ontologie (des Uberbaues) betrachten. 1.5.3. Das spezielle Modell einer Theorie und die Carnap-Ramsey-Semantik Ebensowenig, wie man eine Wissenschaftstheorie nicht ohne Wissenschaft betreiben soll, soll man auch nicht eine Ontologie und Semantik der Wissenschaften abhandeln, ohne spezielle, den Wissenschaften direkt entnommene Modelle zu besprechen. W i r wählen i m folgenden aus den vielen möglichen Beispielen das Modell einer Entscheidungstheorie 52 . Unter einer Entscheidungstheorie versteht man 1. eine theoretische Beschreibung, d. h. die Theoretisierung eines Konfliktes, und 2. Anweisungen, wie solch ein Konflikt am besten zu lösen, d. h. zu beendigen sei. 52
Neumann-Morgenstern.
1. Ontologische und semantische Modelle
Einen Konflikt nennt man „offen", wenn die sich Entscheidenden und 9^2 nicht wissen, welche Handlungen sie wählen sollen, um einen Konflikt zu beenden. Dem sich Entscheidenden stehen i Handlungen oder Handlungsfolgen (Strategien) ljî zur Verfügung, dem sich Entscheidenden j Handlungen oder Strategien ί ή I n dieser einfachen Theorie hat jeder sich Entscheidende nur auf seine eigenen Handlungen und nicht auf die seines Partners Einfluß. Jede Handlung, gleichgültig, von wem sie ausgeführt w i r d , hat einen bestimmten Ausgang oder ist m i t einer bestimmten Konsequenz verbunden, die durch einen Wert oder einen monetären Wert mittels der Wertfunktion w für beide verbindlich gekennzeichnet ist. Das heißt, daß die beiden sich Entscheidenden nun beginnen können, sich an den möglichen Konsequenzen oder Ausgängen ihrer Handlungen zu orientieren. W i l l man garantieren, daß beide Handlungspartner gleich orientiert sind, dann muß man den Axiomen eine Maxime M voranstellen, die für beide verbindlich ist und die verlangt, daß beide Handlungspartner Wert-, bzw. Nutzenmaximierer sein sollen. Der Konflikt ist beendet oder w i r d abgeschlossen, wenn die beiden sich Entscheidenden herausgefunden haben, welche Handlungen sie wählen sollen, um den Konflikt zu beenden, d. h. welche für sie optimale Handlungen mit optimalem Ausgang (optimaler Bewertung) vorhanden sind. Die Werte, die den Handlungen zugeschrieben werden, sind entweder Gewinne oder negative Gewinne, i. e. Verluste für die sich Entscheidenden. Die Handlungen Φ* und tf* sind optimale Handlungen oder Konfliktlösungen. W i r wissen, daß die Theorie 77?2, d. h. die Entscheidungstheorie für zwei Personen, i n der einfachheitshalber der eine gewinnt, was der andere verliert, eine sehr gut bestätigte Entscheidungsoder Spieltheorie ist. ( N , S9 W; w) sei eine Entscheidungsstruktur, wenn und nur wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: M 1. Die beiden sich entscheidenden Personen N\ und Ν 2 seien Nutzen-, bzw. Wertmaximierer. A 1. Si und S2 seien finite, nicht-leere Mengen, wobei S ι und S2 c 5, und s\, $2» " · » s n Element von S x und sj, sf, . . . , A 2. W\ und W2 seien finite, nicht-leere Mengen, wobei 1
Element von S2. und W 2 c W.
A 3. w seien reell wertige Wertfunktionen, w für Ν ι und w 2 für Ν 2, deren Wertbereich die Mengen Si X S2 (das cartesische Produkt der Mengen SΛ und S2) und deren Wertbereich die Wertmengen W seien. Diese Funktionen sollen zweimal differenzierbar sein.
1.5. Der K a n t s e Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 121
D 1. Der durch (Ν , S, W; w) gekennzeichnete Entscheidungsprozeß sei ein Konstantsummen-Entscheidungsprozeß genannt, wenn eine Konstante (konstante Zahl) k existiert, so daß k = i=2 . . Σ w 1 (si, ... , sl n), für alle i = 1,2. i= 1 Der Fall k = 0 bezeichnet einen Nullsummen-Entscheidungsprozeß. Τ 1. Angenommen max min w ( s s A s H j existiert, und min max w (s if s.·) s j H existiert, dann ist das eine notwendige und hinreichende Bedingung, daß der Sattelpunkt max min w (s it Sj) = min max w (s it sj) s s s i j j H existiert. Dieser Axiomatisierung geht also eine Maxime voraus, die ein gewisses Sollen für den Benützer einer solchen Theorie darstellt. U m die Konfliktlösung zu rationalisieren, w i r d den Handlungspartnern geboten, nur solche Entscheidungen zu treffen, die die damit verbundenen Werte maximieren, anders ausgedrückt: es sollen die Gewinne maximiert und die Verluste minimiert werden. Diese Maxime legt an sich keine Struktur oder Bedeutung fest; sie ist nur eine conditio sine qua non der ihr folgenden Axiomatisierung: sie regelt, wie alle deontischen Sätze, das Verhalten der sich Entscheidenden. 1. Durch die Axiomatisierung sind also die Axiome, der Kern K> ein Teil der strukturellen Mengenlehre geworden, ζ. B. einer Mengenlehre vom Bourbaki-Typ. 2. D a die Mengenlehre die klassische Mathematik inklusive der Differential- und Integralrechnung einschließt, liefert die Mengenlehre hier zugleich die Methode der Berechnungen und auch die Schlüsse, insoferne sie auf Berechnungen beruhen, die Schlüsse nämlich, die der Theorie Th 2 zugrunde liegen. 3. Werden w i r zeigen, daß die so definierte Struktur die operationale Bedeutung der zusammenhängenden theoretischen Terme über D , hinsichtlich des Kontextes Th 2> ergibt. M a n muß hier verstehen, daß jede
1. Ontologische und semantische Modelle
Axiomatisierung damit beginnt, daß man zunächst die beiden H a u p t gruppen von Termen, die Subjektterme (oder die Nominalphrasen) und die Prädikatterme (oder die Verbalphrasen) der wissenschaftlichen Theorie Th> dem Kontext Tb, ζ. B. der Textbuch- oder Lehrbuchtheorie entnimmt. I n unserem Falle sind „ N " , „ S i " , „ S 2 " etc. Subjektterme (Nominalphrasen) und „ w " der Prädikatterm (Verbalphrase). Nicht erwähnt werden hier Terme, die zum Hintergrundwissen gehören, sowie die Terme etwaiger Oberhypothesen. W i r benützen hier das erste M a l unsere semantischen Konzepte der Theorienkonzeption und gehen analog dem Verfahren der linguistischen Semantik vor (vgl. S. 231). Die Axiomatisierung spannt simultan die theoretische Struktur von D auf und legt die operationale Bedeutung der verwendeten Terme in allen zur Theorie gehörenden Aussagen, Sätzen fest. Einerseits gibt also Κ die Struktur der empirischen Welt wieder, andererseits erfüllt er die semantische Funktion der operationalen Bedeutungsfestlegung hinsichtlich einer bestimmten Theorie. D . h. wenn w i r einen Term haben, dann legt die Axiomatisierung fest, welche operationale Bedeutung zusätzlich zu (abzüglich) seiner sonstigen operationalen Bedeutung dieser Term in der betreffenden Theorie hat. Eine Axiomatisierung ist also hinsichtlich Ontologie und Semant i k wissenschaftlich ökonomisch. Gehen w i r von der Mengenlehre aus, dann kann man sagen, daß die Axiomatisierung festlegt, welche operationalen Prädikate und Subjekte (gewöhnlich „logische Prädikate" und „logische Subjekte" genannt), i m Rahmen der Theorie semantisch verträglich sind. So w i r d für die Mengen Si, S2, W i und W 2 Finitheit gefordert, sowie daß sie nicht leer sein sollen. A x i o m 3 legt fest, wie die Wertfunktion w auf das cartesische Produkt der Si und S2 angewandt werden soll. Siehe auch S. 125, wo dieses Verfahren noch eingehender besprochen werden wird. Wie drücken w i r diese Überlegungen nun semantisch aus? Semantisch muß man die Axiome als Schemata oder Satzschemata sehen. Gemäß A x i o m 1 dürfen i n der Theorie Sätze, die „ S i " oder „ S 2 " enthalten, nicht auch die Ausdrücke „leer" und „unendlich" mit Bezug auf Si oder S2 enthalten. A x i o m 1 fungiert daher semantisch sowohl als Bedeutungsfestlegung, als auch als Selektionsrestriktion ganz i m linguistischen Sinne (vgl. S. 233). D a aus den Axiomen die anderen Sätze der Theorie abgeleitet werden, müssen alle diese abgeleiteten Sätze den Bedeutungsfestlegungen der Axiome genügen, d. h. das Axiomensystem generiert
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 123
operationale Bedeutungen. W i r können aus A x i o m 1 beliebig viele Aussagen über Strategienmengen bilden, aber i n allen diesen Aussagen darf niemals z. B. „ S i " i n Verbindung m i t „unendlich" vorkommen. 4. Z u m Schluß werden an die operational korrekt gebildeten Sätze, i. e. Sätze, die operationale Bedeutung (operational semantische plus operational grammatische, und/oder syntaktische Bedeutung) haben, m i t H i l f e der nachfolgenden Interpretationsregeln die zulässigen empirischdeskriptiven (operativen) Bedeutungen „angeheftet", anders ausgedrückt: es werden derart in die Theorie ihre operativen Bedeutungen eingeführt. Die Interpretationsregeln I sind Funktionen und besitzen daher K o n verse, welche Repräsentationsfunktionen oder -regeln heißen. Beide zusammen könnten „Korrespondenzregeln" genannt werden. Die Interpretation des Kernes von 77?2, Κ 2 , w i r d mit H i l f e von Interpretationsregeln I bewerkstelligt, welche die allgemeine Form der schon i m Kapitel über Suppositionen eingeführten semantischen Substitution haben:
Als Schema einer Interpretationsregel I soll dies heißen, daß „ " durch „ . . . " empirisch substituiert wird. Die Konverse der Interpretationsregel, i. e. die Repräsentationsfunktion oder -regel drückt aus, daß „ . . . " durch „ " repräsentiert wird. Wie man sieht, greifen w i r also zu den semantischen Substitutionen zurück; nur behandeln w i r hier zum Unterschied von den Suppositionen von Kap. 1.4. Substitutionen, die i n beide Richtungen gehen, so daß eine Substitution die Konverse einer anderen sein kann. W i r haben zu zeigen, daß — generell — ein Kern Κ durch eine Interpretation Int interpretiert oder ersetzt werden kann, analog zu der formalistischen Theorienkonzeption (Suppes, Sneed). I n unserem Falle müssen w i r zeigen, daß die Substitution
mit H i l f e der folgenden Interpretationsregeln durchgeführt werden kann, d . h . daß (Κ , Int) gebildet werden kann. Durch diese Interpretation, die zugleich eine Substitution ist, w i r d also die operative Bedeutung hergestellt, weil ja die Interpretation eine empirische Sprache LE ist, welche die empirische Wirklichkeit direkt beschreibt. Diese Herstellung der empirischen Bedeutung verläuft analog zu Kants Schematismus oder
1. Ontologische und semantische Modelle
wie die Konverse gewisser Formen der scholastischen suppositio und appellatio. I (A 1).
sx / © l 5 S2 / S 2 ; sj / f v
«ì/Sis «ϊ/ίϊ.»
—
seien semantische Ersetzungen (Interpretationen), wobei die Buchstaben in Fraktur Handlungen — hier in der Episprache der Interpretation — markieren. ijJ ist die erste nach den Entscheidungsregeln zulässige und i n LE beschriebene Handlung der ersten Person, Sftj, die zu D der Theorie Τh 2 gehört; ^ ist die zweite nach den Entscheidungsregeln zulässige Handlung der zweiten Person, 9 ΐ 2 , usf. Es versteht sich, daß die
wobei der Handlungsspielraum der ersten Person ist, und j 5 2 der der zweiten; die Handlungsspielräume werden durch die Entscheidungs- oder Spielregeln festgelegt. / (A 2).
W/21; WJau W 2fa 2
seien semantische Ersetzungen (Interpretationen) i m Rahmen von A x i o m 2. Die Buchstaben in Fraktur bezeichnen ζ. B. Geldsummen, welche die Gewinne oder Verluste für die Person und 9 ΐ 2 sind. Nach der unten durchgeführten Umformulierung ist dann ζ. Β. αί;· eine bestimmte Konsequenz, e. g. eine Geldsumme, die die Person 1 erhält, wenn dieselbe die Handlung i wählt, und wenn gleichzeitig die Person 2 die Handlung j wählt, wobei i n unserem Fall der Handlungsspielraum & ! der ersten Person, 9^ι, aus zwei Handlungen besteht, und der H a n d lungsspielraum Ä 2 von 9^ 2 ebenfalls aus zwei Handlungen, d. h. t = 1 , 2 u n d ; = 1,2. I m Kantschen Sinne einer kausalen Relation zwischen den Handlungen und den damit verbundenen Gewinnen oder Verlusten α ί; · oder i n der Formulierung von Churchman erhalten w i r so Tripel
was man auch in einer Entscheidungsmatrize zusammenfassen kann. I n Normalform ist diese nichts anderes als eine empirische Liste oder Tabelle:
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 125
ti
ti
°12
ti °12
ti
°22
Zur Erklärung des Verhältnisses von ûi und ct2 zur obigen Schreibweise führen w i r die Matrize auch in einer anderen Form an: ti
ti
ti
α
Λ °1°2
ti
α
2 α ΐ û2, resp. I)> d. h. „ w * kann durdi „tt>" ersetzt (interpretiert) werden, wenn folgende Situation vorliegt, wobei „tt>" ein bestimmtes empirisches Bewertungsverhalten episprachlich bezeichne: Wenn immer eine Person ein Gut oder eine Handlung Οχ einem Gut oder einer Handlung 0 2 vorzieht, oder wenn diese Person dem Gut oder der Handlung gegenüber indifferent ist, I , dann gilt w (Oi) > w (o 2 ) oder w (Οχ) = w (o 2 ). Das heißt, daß die Bewertungen regelmäßig und kontinuierlich sind; die empirische Ordnung (Struktur) der Präferenzen w i r d ein-eindeutig durch die Ordnung der Werte repräsentiert. / ( D l ) . I m Gegensatz zur traditionellen Definitionslehre erfahren hier audi die an und für sich bloß operational festgelegten Definitionen eine operative, empirische Interpretation. Die Nullsummen-Bedingung hat bekanntlich mathematisch zur Folge, daß w 1 (sj, s{) = W1 (4> Sl> =
(s\ t s2); w 1 (sj, s2) = ·
Ersetzt man in diesen operationalen Formulierungen s* durch tf oder den Wert der Funktion w* oder w 1 durch den Gewinn α* oder den Verlust — α', dann erhält man die bekannte empirische Bedeutung dieser Definition, nämlich, daß einer genau so viel gewinnt, wie der andere verliert. Damit hat man einen strikt kompetitiven Entscheidungsprozeß eingeführt, resp. eine Kampfsituation. I ( Τ 1). Theorem 1 folgt, wie man zu sagen pflegt, rein logisch aus A x i o m 1 und 3; w i r hingegen sagen, daß man das Theorem durch operational zulässige semantische Umformungen und mathematische A b -
1-26
1. Ontologische und semantische Modelle
leitungen erhält. D a alle Interpretationsregeln I für die spezifischen deskriptiven Terme unserer Theorie bereits angegeben sind, ergibt sich aus der Interpretation von Theorem 1, daß die sich entscheidenden Personen ihre eigenen Handlungen und die Handlungen ihres Partners durchmustern können. W i r erinnern hier daran, daß der ursprüngliche Sinn der aristotelischen „θεωρία" „das gedanklich Uberschaute" ist. H i e r w i r d der volle Sinn von „Strategie" klar: eine Strategie ist immer dann gegeben, wenn der sich Entscheidende seine Handlungen und die unmittelbar daraus folgenden Handlungen des Partners und die Konsequenzen dieser Handlungen für sich und seinen Gegner i n einem überblickt, also ζ. B. ( $ a12 ) . D a die beiden Handlungspartner an die Maxime 1 gebunden sind und auf lange Sicht spielen, d. h. nicht nur ein einziges Spiel spielen, werden sie entweder nach und nach aus ihren guten und schlechten Entscheidungen lernen, d. h. ohne Theorie, oder sie werden der Theorie das Minimax-Theorem als den besten theoretischen Ratschlag entnehmen. Entsprechend dem vorhandenen Handlungsspielraum, m i t dem eine gewisse Freiheit der Wahl verknüpft ist, w i r d die Person so handeln, daß sie aus den für sie ungünstigen Handlungen des Gegners die für sie am günstigsten, nämlich die am wenigsten ungünstigen Handlungen, , auswählt. Ebenso ist für die Person die Menge derjenigen Handlungen, die sie aus den für sie ungünstigen Handlungen des Gegners ausgewählt hat, weil sie für sie am wenigsten ungünstig sind. ist nun äquivalent m i t φ* , d. h. der theoretische Sattelpunkt ist ein aus der Spiel- oder Entscheidungssituation mitsamt allen Regeln erwachsener mathematisch-rationeller Kompromiß, i. e. die Pareto-Optimalität, welche durch die Theoretisierung der Entscheidungen erreicht wird. M a n kann an diesem vielfach diskutierten Beispiel einer Entscheidungstheorie nun zeigen, was 1. konstruktiv gesehen operationale und operative Bedeutungen sind, und 2., daß die operative Bedeutung in einem semantischen Verfahren i n den Kern eingeführt wird, das der Kantschen zeitlichen Schematisierung, die w i r zu einer raum-zeitlichen erweitern können, äquivalent ist. I n den Sozialwissenschaften t r i t t zu dieser raumzeitlichen „Schematisierung" noch eine Verhaltens- oder Präferenz„Schematisierung" hinzu. 3. Zeigt dieses Beispiel, zumindest in Umrissen, wie operative Bedeutungen innerhalb dieser Theorie und nur für diese Theorie — invariant werden und wie invariante Aussagen zu operationalen Bedeutungen führen. Wie können w i r uns das vereinfacht vorstellen? Nehmen
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 127
w i r etwa einen Ausdruck „die Menge S Die operationale Bedeutung von „Menge" kennen w i r bereits, ζ. B. aus der Mengenlehre oder einem Wörterbuch der Mathematik. Das zusammengesetzte Substantiv „(die) Menge S " dient zunächst der Festhaltung invarianter Mengeneigenschaften, hinsichtlich LE. W i r d nun eine Axiomatisierung aufgestellt, i n der „(die) Menge S " als Term vorkommt, dann w i r d dieser i n der Axiomatik auf seine operationale Bedeutung festgelegt, die aber mit der ursprünglichen operativen nicht in Konflikt geraten darf. Was ist hier vorgegangen? W i r wollen uns das an einem einfachen umgangssprachlichen Beispiel verdeutlichen. Nehmen w i r einmal das Wort „Stern": in der Umgangssprache nennt man „Stern" alle diejenigen Himmelskörper, mit Ausnahme des Mondes, die man am nächtlichen H i m m e l sieht. Es werden (statistisch) invariante empirische Aussagen gebildet, die alle „Stern" enthalten und die den umgangssprachlichen Sprachgebrauch von „Stern" festlegen. H a t man aber einmal (statistisch) invariante Kontexte eines Wortes, dann hat man auch seine operationale Bedeutung, wie auf S. 317 genauer beschrieben. Der invariante, empirisch-deskriptive Sprachgebrauch kann sich nun i n Wörterbuch-Eintragungen niederschlagen, ζ. B. folgendermaßen: „Stern: 1. jeder beliebige Himmelskörper, mit Ausnahme des Mondes, der sich am nächtlichen H i m m e l zeigt". WörterbuchEintragungen aber sind natürlich bereits operational, d. h. alles, was auf „ 1 . " folgt, kann, i m Sinne von S. 314 ff., die operationale Bedeutung von „Stern" konstituieren, wenn diese Eintragung in ein operationales Semantem i m Sinne von S. 318 eingefügt wird. Die operationale Bedeutung ist hier, wie i n obigem Beispiel, mit der operativen verträglich, hat sich aber von dieser getrennt. D . h. anstelle jedesmal auf die Sterne zu sehen, wenn w i r „Stern" sagen, können w i r uns auch operational damit begnügen, daß w i r jedesmal, wenn ζ. B. die Wortreihe „ein Himmelskörper am nächtlichen Himmel, aber nicht der M o n d " auftaucht, wissen, daß hier das Wort „Stern" anstelle dieser Wortreihe am Platz ist. Anders ausgedrückt: die operative Bedeutung ist zu einer operationalen versteinert, was natürlich nicht hindert, daß „Stern" beliebig viele Male weiterhin empirisch deskriptiv angewandt werden kann. Selbstverständlich kommen in den Wissenschaften und i n der Umgangssprache auch Terme vor, die operationale Bedeutung haben, aber nie operative gehabt haben (ζ. B. „Dornröschen", „aktual unendliche Menge"). 4. M a n kann diesen Sachverhalt auch umgekehrt ausdrücken: H a t man einmal die operationale Bedeutung axiomatisch für Tb festgelegt, so daß die operativen Bedeutungen fallen gelassen werden können, dann darf
1. Ontologische und semantische Modelle
man doch nur diejenigen theoretischen Terme „theoretisch deskriptiv" nennen, welche stets mit H i l f e von Interpretationsregeln mit empirischen Bedeutungen versehen werden können. So w i r d etwa die operationale Bedeutung von i m A x i o m 3 festgelegt, aber nicht i m Sinne der traditionellen Definitionstheorie, w o die Bedeutung eines neuen Terms aus den Bedeutungen bekannter Wörter, welche das Definiens bilden, hergeleitet wird. Sondern A x i o m 3 ist gewissermaßen eine „Gebrauchsdefinition" von „ w " , i n 7h 2 und über D; sie gibt den Sprachgebrauch von „ w " an, d. h. der „ w " umgebende Text liefert die operationale Bedeutung von „ w " , wenn beide in ein Semantem eingebaut werden, ganz i m Sinne unserer Ausführungen auf S. 314. Natürlich bedient man sich hierbei auch der Terme der Mengenlehre, resp. der mengentheoretischen Analysis, und derer operationalen Bedeutungen. Kurz, man muß, um „ w " zu verstehen, zuvor die operationale Semantik der klassischen Mathematik beherrschen. N u r der versteht die operationale Bedeutung von „ie>", der auch damit rechnen kann. Ζ . B. w i r d vorausgesetzt, daß man die Differential- und die Integralrechnung in der Schule oder sonstwie gelernt hat; eine annähernde oder ungefähre Kenntnis der betreffenden Rechenverfahren genügt nicht, w i l l man „ w " operational verstehen. Ist, wie gesagt, die operationale Bedeutung fixiert, dann w i r d die operative nur dadurch an „ w " „angehängt", indem man sich der Interpretationsregeln I über D hinsichtlich der Theorie 7h 2 bedient. W i r wollen nun die hier vertretene ontologisch orientierte Semantik mit derjenigen vergleichen, die bis jetzt für am wichtigsten angesehen wurde, der „logischen" Semantik Ramsey s und Carnaps. Alle unsere ontologischen und semantischen Überlegungen zum Problem der Bedeutung und der Struktur setzen grundsätzlich voraus, daß man eine gut bestätigte Theorie vor sich hat, eine Theorie, die auch heute noch gebraucht w i r d und die das beste, momentan verfügbare kognitive Wissen darstellt. Ohne diese Voraussetzung würden alle nachfolgenden Erörterungen hinfällig sein. I n einem nächsten Schritt stellen w i r epitheoretisch ein Modell der Theorie 7h 2 auf, daß w i r m i t dem Tupel (K, Int> kennzeichnen. W i r lassen hier und i m folgenden alle nicht notwendigen Indices weg. W i r schreiben also nicht mehr und „ N i " , sondern „s", „ N " usw. Stellt man (Κ , Int) auf, indem man z . B . eine schon vorhandene Text-
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 129
budi-Theorie axiomatisiert und den so erhaltenen Kern Κ von seiner i m Wissenschaftsgebraudi simultan und ununterschiedlich gegebenen Interpretation (i. e. LE) semantisch abtrennt, dann erhält man durch diesen künstlichen, epitheoretischen und i m traditionellen Sinne analytischen Eingriff obiges Tupel, oder i n der Carnap-Hempel-Version das Tripel ( L T , C, LE ), hier umgeformt zu: (K, C, Int). C seien die Interpretations- und Repräsentationsregeln (-funktionen) zusammengenommen, d. h. Korrespondenzregeln, welche hier als Erweiterungen der Korrespondenzregeln des frühen analytischen CarnapHempelschen Theorienschemas aufgefaßt werden. W i r haben die Interpretationsregeln semantisch aufgefaßt, i m Gegensatz zu Carnap, Hempel, Ramsey u. a. 5 3 . Die anschließend diskutierte „Semantik" der Korrespondenzregeln, die m i t H i l f e der Ramsey-Sätze Rs erklärt werden, führte zu einer rein logischen Auffassung der K o r respondenzregeln; dies war wissenschaftstheoretisch gesehen ein enttäuschendes Resultat und man wandte sich von der Diskussion der K o r respondenzregeln überhaupt ab. W i r wollen aber doch das nun schon bereits historisch gewordene Thema „Ramsey-Sätze und Korrespondenzregeln" wieder aufgreifen, und w i r werden zeigen, daß die CarnapHempelsche Verwendung der Ramsey-Prädikate zu denselben semantischen Ergebnissen führen kann, wie die von uns hier vorgeschlagene semantische Grundlegung der Funktion der Wissenschaften. Beide Lösungen wiederum, die Carnap-Hempelsche i n einer uminterpretierten Form und unsere, ähneln in vieler Beziehung dem Kantschen Schematismus, wie schon gesagt. Dazu muß man sich nur vorstellen, daß jeder theoretisch deskriptive Term eine Kategorie i m Kantschen Sinne ist. Was bei den Kantschen Kategorien fehlt, ist, daß sie nicht wie die theoretisch deskriptiven Terme einer Theorie angehören und axiomatisch verbunden sind, wobei die Axiome alle möglichen Aussagen der Theorie generieren, d. h. die Aussagen der Theorie müssen die Axiome erfüllen. Es ist plausibel, daß, wenn das Modell gebildet worden ist, die von Carnap aufgestellte Folge gilt: « K , Int) - {A} & {C}). Ist also einmal ein Modell einer gut bestätigten und jetzt noch gebrauchten Theorie aufgestellt, dann erhält man aus diesem Modell seman53
Carnap (Hempel).
9 Leinfeliner
1. Ontologische und semantische Modelle
tisch die Menge der Axiome und die Menge der Korrespondenzregeln in der Form von Interpretationsregeln, wobei Κ also einerseits eine spezifische Struktur über D aufspannt und andererseits die operationale Bedeutung als den Gebrauch der Zeichen festlegt. Es w i r d dabei stillschweigend die Existenz einer systematisierten strukturellen Mengenlehre vorausgesetzt, deren operationale Bedeutungen für die Axiomatik gewissermaßen geborgt werden können. Die Korrespondenzregeln i n der Form von Interpretationsregeln i n unserem Sinne ergeben dann auch die empirisch deskriptiven, i. e. operativen Bedeutungen, anders ausgedrückt: den Bereich der effektiven Anwendung der Theorie, d. h. D. Oft w i r d auch ein Bereich der möglichen empirischen Anwendung einer Theorie eingeführt, den w i r hier „DM" nennen wollen. M a n sagt dann, daß D U DM die Referenzklasse der Theorie sei, und weiters, daß der Referenzbereich der Theorie durch die Interpretationsregeln entweder gegeben oder erzeugt sei. W i r werden hier hingegen DM i n den Bereich des Operationalen verweisen. DM ist dann ein Erzeugnis des Sprachgebrauches der Theorie, das aber nicht in Widerspruch zur Theorie stehen darf. W i r wollen hier nun einige Parallelen zwischen unserer und verwandten neueren Auffassungen ziehen: 1. Die Parallele zu den von Carnap und Hempel verwendeten Ramsey-Sätzen und der damit verbundenen Auffassung, daß die Konjunktion von {A} und {C} die Bedeutungen der theoretischen Terme ergibt. Diejenigen Bedeutungen, die nach unserer Auffassung operational und, in einem bestimmten Sinne, widerspruchsfrei sind, und die bei Carnap unter die Kennzeichnung „analytisch" eingereiht werden, folgen aus {A}> {C} hingegen liefert die operativen Bedeutungen. Auch dies w i r d von Carnap als analytisch angesehen, was weiter nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, daß Carnaps Semantik völlig logisch orientiert ist. 2. Eine zweite Parallele w i r d gezogen, indem unsere Auffassung mit dem Kantschen Schematismus-Begriff verglichen w i r d ; w i r vergleichen dann i m besonderen das Konzept eines theoretisch deskriptiven Termes über D mit dem Konzept einer Kategorie über D — beide Male hinsichtlich einer Theorie Th. Die Parallele zwischen der Schematisierung und der Interpretation einer Theorie w i r d so dargestellt, daß die Schematisierung als historischer Vorläufer der Interpretation einer Theorie erscheint. Es muß sowieso jede Interpretation einer modernen Theorie räumlich und zeitlich ausgerichtet sein. Was die Anzahl der Kategorien
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betrifft, so ist es hier günstig, Einsteins Vorschlag zu folgen. Nach Einstein soll man die Zahl der Kantschen Kategorien, nämlich vier mal drei, vergrößern, und zwar so, daß man annimmt, daß es hinsichtlich eines Gebietes D und einer Theorie 7h beliebig viele Kategorien, i. e. theoretische Terme gibt. 3. Sollen Theorien der Linguistik auf das vorliegende Problem angewandt, d. h. zu ihm in Parallele gestellt werden. 1. Die Ramsey -Methode. Carnap hat als erster die Bedeutungsfestlegung durch C-Regeln innerhalb einer Theorie mit der Methode der Ramsey-Prädikate gleichgesetzt. Der von uns schon eingeführte Ausdruck (S. 129), « Κ , /«*>-> M ) & { C } ) , sieht nach Carnap und Ramsey v o l l quantifiziert folgendermaßen aus, wobei w i r uns der Terme unserer Theorie 7h 2 bedienen: Rs = dei (ΕN) (Es) (Ew) (/( (N, s, w), (9Î, %
I))).
Dies ist nun genau der in der Literatur so oft beschriebene RamseySatz Rs und der anfangs erwähnte Ausdruck entspricht dann genau dem folgenden, Rs-*7C, i n der Carnapsdhen Formulierung, wobei „ T " unserem , , M } " entspricht. Carnap hat aber diesen Ausdruck als analytisch angesehen, was sich i n der Folge als unhaltbar erwies. W . Leinfellner 5 4 hat diesen Satz als „analytisch i m weiteren Sinne" gekennzeichnet, weil es einfach unmöglich ist, den Ramsey-Satz generell aufzufassen, d. h. daß er für alle Theorien i n allen möglichen Welten stets logisch wahr sein soll. Daß w i r uns stets auf einen bestimmten Bereich D einer Theorie, auf einen theoretischen Kontext 7h y oder, i m besten Falle, auf Theorien gleichen, ζ. B. klassischen, Typs beschränken müssen, läßt letzten Endes auch die Kennzeichnung „analytisch i m weiteren Sinne" und „analytisch i m engeren Sinne" fraglich erscheinen. W i r ersetzen diese Konzepte daher konsequenterweise durch das Konzept der operationalen Bedeutung, die von vornherein und per se jeweils an einen bestimmten Kontext gebunden ist. W i r basieren unsere Überlegungen auf dem viel fundamentaleren Unterschied von „bedeutungsdefinit i m operationalen Sinne" und „bedeutungsdefinit i m operativen Sinne", oder einfacher auf dem Unter54
9*
W. Leinfellner (Analytizität).
1. Ontologische und semantische Modelle
schied von operationaler und operativer Bedeutung. W i r werden mit diesen zwei semantischen Charakteristiken der wissenschaftlichen Sprachen auskommen. H i e r ergibt sich wissenschaftstheoretisch etwas sehr Wichtiges: M a n hat es dem Carnap-Hempelschen Theorienschema oft angelastet, daß es etwas Künstliches sei, das gewissermaßen dem Gehirn der Wissenschaftstheoretiker entsprungen sei, das aber nirgendwo i m aktualen wissenschaftlichen Betrieb verankert werden könne. Betrachtet man jedoch das Theorienschema von der operativen und der operationalen Semantik aus, dann zeigt sich, daß schon die Umgangssprache, wenn sie auf Erkenntnis ausgerichtet ist, unter dem Gesichtspunkt des Operationalen und des Operativen betrachtet werden muß, wofür das ganze Kapitel 3 ein Beweis ist. Auch die Ontologie der Wissenschaften kommt ohne diese fundamentale Unterscheidung nicht aus; die Ontologie der Wissenschaften resultiert damit aus der erfolgreichen Anwendung der wissenschaftlich-theoretischen und linguistisch-semantischen Methode. Axiomatisierungen verlieren dann ihren rein logischen Charakter; sie werden zu ontologisch und semantisch invarianten Strukturen über D innerhalb einer Theorie und zur Festlegung der operationalen Bedeutungen der theoretischen Terme, wodurch sie sich wiederum, wie schon gesagt, als wissenschaftlich ökonomisch erweisen. Daß w i r simultan die operationalen Bedeutungen der theoretisch deskriptiven Terme und, mit H i l f e der Interpretationsregeln, deren operative Bedeutungen etablieren können, ist eines der Hauptkriterien wissenschaftlicher Theorien. D . h., daß aus einem Carnap-Modell einer wissenschaftlichen Theorie die Konjunktion der Axiome und der Korrespondenzregeln i n der Form von Interpretationsregeln folgt und man dadurch erweist, daß die theoretisch deskriptiven Terme bedeutungsdefinit i m operativen Sinne sind. D . h. daß die operative Bedeutung von allen Aussagen 5, die aus (K, Int) folgen, so daß (K, Int> gilt, das Resultat semantisch zulässiger Umwandlungen ist, und nicht das Resultat rein logischer Prozeduren, wie Carnap angenommen hatte. W i r haben oben bloß von den theoretisch deskriptiven Termen gesprochen; es ist klar, daß w i r ebensogut von den Sätzen, die die theoretisch deskriptiven Terme enthalten, hätten ausgehen können. Das ist es nun gerade, was w i r von einer guten kognitiven wissenschaftlichen Theorie erwarten: sie soll es gestatten, verbindliche empirisch sinnvolle Aussagen die (Teil-)Beschreibungen von statischen und dynamischen Systemen und deren Beziehungen sind, zu generieren.
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 133
Die Interpretationen, z. B. „5i" / ,,^ι", ergeben sich daraus, daß man Ausdrücke, die zunächst bloß operational (semantisch) sind, z.B. „ s i " , durch empirisch operative ersetzt, und zwar ersetzt man sie in allen durch die Axiome generierten Aussagen derart, daß diese Aussagen dann empirisch effektiv wahr werden. M a n benötigt hierzu weder die Quinesche Unterscheidung von analytisch wahr i m engeren und analytisch wahr im weiteren Sinne, noch die Carnapsche Dichotomie, nach welcher die Unterscheidung zwischen analytisch und synthetisch absolut und unüberbrückbar sein soll. Alle diese Konstruktionen erweisen sich als unrealistisch, wenn man die semantische Fundierung der Wissenschaften ernst nimmt. Es werden, wie gesagt, durch die Axiomatisierung die operationalen Bedeutungen der theoretisch deskriptiven Terme innerhalb der Theorie und für die Theorie festgelegt; gleichzeitig kann man auch sehen, daß diese Festlegung eine Spezialisierung der operationalen Bedeutungen der theoretisch deskriptiven Terme von denjenigen Bedeutungen, die dieselben Terme als Terme der Umgangssprache haben, bewerkstelligt; w i r werden dies i m folgenden zeigen. Daß die Axiome gleichzeitig zulässige Strukturen einer strukturellen Mengenlehre u. ä. sind, haben w i r schon gesagt. Daneben gibt es noch axiomatische Terme, die von vornherein ζ. B. von der Mathematik erborgt sind, ζ. B. in unserer vorausgehenden Axiomatisierung die Terme „max" und „Funktion". W i r können auch sagen, daß die in den Axiomen erscheinenden Terme, resp. die Axiome selber als Zusammenstellungen von solchen Termen, m i t einer strukturellen Mengenlehre operational verträglich sein müssen. Die logische Konsistenz w i r d durch eine semantisch-operationale Kompatibilität ersetzt, was schon Kutschera in seinem Antinomienbuch erwähnt hatte. Dies entspricht der relativen Konsistenz, ein Kriterium, das durch die Abschwächung der absoluten logischen Konsistenz zu einer Konsistenz für semantische Systeme entsteht. „Relativ" bedeutet hier „relativ zu einem wissenschaftlichen Kontext", innerhalb dessen die Axiome auf jeden Fall widerspruchsfrei, d. h. semantisch verträglich sein sollen. Es ergibt sich so, daß die Ramsey-Sätze es von vornherein damit zu tun haben, daß die operativen und die operationalen Bedeutungen innerhalb einer kognitiven Theorie und hinsichtlich eines bestimmten Gebietes D zur Deckung gebracht werden können. K u r z : was nicht operational définit ist, kann nicht operativ définit sein, aber nicht vice versa. Ein Ausdruck, eine Aussage, ein theoretischer Term können operational définit sein, ohne operativ définit zu sein. U n d während die Repräsentation der empirischen Struktur von D in Κ innerhalb einer Theorie den
1. Ontologische und semantische Modelle
ontologischen Zusammenhang zwischen dem Gebiet D und den theoretischen Termen i n Κ herstellt, so ist die operationale und die operative Semantik der wissenschaftlichen Sprache die conditio sine qua non einer solchen Strukturrepräsentation in einer wissenschaftlichen Sprache. 2. Kants Schematisierung ist eine „isolierte Antizipation" der theoretischen Repräsentation und der operativen Bedeutungsgebung. Sie kann m i t der Interpretation von theoretisch deskriptiven Termen verglichen werden, bzw. m i t der „Anheftung" von empirischen Bedeutungen an theoretisch deskriptive Terme, bei K a n t : an Kategorien. Was bei K a n t fehlt, ist, daß die Kategorien nicht wie die theoretischen und die theoretisch deskriptiven Terme durch die Axiomatisierung invariant verknüpft sind und eine Struktur bilden. K a n t liefert hier bloß Ansätze, so i n dem System aller Verstandesbegriffe und i n den metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaften. Entscheidend für die Parallele ist, daß der Schematismus zeitlich verankert ist; dieser zeitlichen Verankerung kann man leicht eine räumliche hinzufügen. Auch die Interpretationsregeln — bei Carnap Korrespondenzregeln C — sind raum-zeitlich „schematisiert". Während jedoch beim frühen Carnap, so i n dem A r t i k e l „Theoretische Begriffe der Wissenschaft", der raum-zeitliche Charakter der Carnapschen Korrespondenzregeln (bei uns: Interpretationsregeln 7) klar und deutlich hervortritt, w i r d beim späten Carnap dieser erkenntnistheoretisch-ontologische Zug ganz zugunsten von bloß i m analytischen Sinne durch Ableitung Bedeutung verleihenden Korrespondenzregeln vergessen. Schließlich drehte sich wissenschaftstheoretisch alles nur mehr um die Probleme der Analytizität, mit dem Erfolg, daß das Theorienschema gewissermaßen i n der analytisch-logischen Luft hing, trotz der Arbeiten des frühen Carnap und der Arbeiten von Neumann-Birkhoff, Jauch, Piron, Scheibe, Mittelstaedt, Schleichert und Suppe. N i m m t man Kants „ K r i t i k " tatsächlich als eine Meta- oder Epitheorie der Newtonschen Physik, dann ist die Schematisierung der Kategorien dieser Theorie ein Vorgang, der operative Bedeutung verleiht, ebenso wie es beim frühen Carnap die Korrespondenzregeln sind. Letzten Endes müßte auch der verallgemeinerte Ramsey-Satz «£,
Int)-+{A}&{C})
raum-zeitlich indiziert werden, weil man sonst niemals die operativen Bedeutungen der betreffenden Theorie und die ontologisch relevante Struktur von D auffinden kann.
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3. Linguistische Überlegungen zum Problem der Axiomatisierung. W i r werden i m Kap. 3.2.1. eine Darstellung von linguistisch-semantischen Theorien geben, die m i t der Konzeption des semantischen Merkmals oder Merkmalszeichens arbeiten. Semantische Merkmalszeichen sind nichts anderes, als Namen (oder Klassenterme) von Kontextklassen. Haben w i r die Sätze „Das K i n d läuft", „Das K i n d i ß t " , „Das K i n d schläft", dann separieren w i r zunächst die Subjektterme (oder Nominalphrasen) von den Prädikattermen (oder Verbalphrasen), so daß w i r auf der einen Seite „ K i n d " und auf der anderen Seite { „ l ä u f t " , „ i ß t " , „schläft"}haben. Dieser Wortemenge nun geben w i r einen Namen, welcher gänzlich unanschaulich sein könnte; es ist aber üblich, einen anschaulichen zu wählen, ζ. B. „Belebt". Dieses „Belebt" nun ist das semantische Merkmalszeichen. Das System der semantischen Merkmalszeichen, das jedem W o r t zukommt, w i r d in der gegenwärtigen linguistischen Theorie als dessen operationale Bedeutung angesehen. Für unsere — modifizierte — A u f fassung vgl. S. 218. Die Frage ist nun, ob dieses Verfahren auch auf Terme i m Zusammenhang eines Axiomensystems angewandt werden kann. Nehmen w i r zunächst ein einfacheres Beispiel. W i l l man ζ. B. i n eine mikro-ökonomische Theorie Wertäquivalenzklassen einführen, auf deren Basis dann Quasiklassen von Werten x> y , ζ gebildet werden sollen, dann benötigt man drei Subaxiome, die eine Relation R als Äquivalenzrelation einführen. Gehen w i r semantisch vor, dann sagen w i r , daß die operationale Bedeutung von „ ü " durch die drei Axiome, welche einen idealen Kontext bilden, festgelegt wird. Betrachten w i r die drei folgenden Subaxiome, wobei w i r „ R x x " anstelle von „ R (x, x)" etc. schreiben, SA 1: (*)(Ä*x), SA 2: (x)(y)(Xxy->Xyx), SA 3:
(x)(y)(z)(Rxy8cRyz->Rxz),
und gehen w i r entsprechend der Methode der semantischen Merkmalszeichen vor. W i r müssen dann zunächst die Subjektterme (Nominalphrasen) von den Prädikattermen (Verbalphrasen) separieren, wodurch w i r auf der einen Seite „ Ä " erhalten — dessen operationale Bedeutung ermittelt werden soll — und auf der anderen eine Menge {„.xx", „.xy ->• .yz,,.xy 3c .yz .xz"). I m Einklang m i t der auf S. 218 vorgetragenen Ansicht, kann diese Menge in ein operationales Semantem eingefügt werden; da sie nodi nicht in ein System semantisdier Kategorien eingefügt, resp. durch Merkmalszeichen „geordnet" worden ist, kann man für den Fall, daß das Semantem für „ Ä " aufgestellt w i r d , dann sagen,
1. Ontologise und semantische Modelle
daß „R" eine „ungeordnete" oder unkodifizierte operationale Bedeutung hat. Die erste Gruppe aus der obigen „ungeordneten" Kontextmenge w i r d traditionellerweise mit dem W o r t „Reflexiv" gekennzeichnet, die zweite Gruppe mit „Symmetrisch" und die dritte mit „Transitiv", wenn w i r „ . " gewissermaßen als Variable ansehen. D a diese Kennzeichnungen auch auf andere zweistellige Prädikate angewandt werden können und dort zutreffen (1), oder nicht zutreffen (2), können w i r diese drei Kennzeichnungen als semantische Merkmalszeichen ansehen. W i r erhalten dann in dem Semantiksystem von Abraham und Kiefer eine semantische M a t r i x von folgender Gestalt: Reflexiv
Symmetrisch
Transitiv
1
1
1
Würde auf „ Ä " die Kennzeichnung „ [ I r r e f l e x i v ] " = „[Nicht-Reflex i v ] " = „ [ — Reflexiv]" zutreffen, dann würde man unter „Reflexiv" in der M a t r i x „ 2 " eintragen. Diese M a t r i x (1 1 1 ) ist nun i m System von Abraham und Kiefer die operationale Bedeutung von „ ü " , gewissermaßen i n kodifizierter oder formalisierter Form, i m Gegensatz zur „ungeordneten" oder unkodifizierten Form. W i r müssen hier hinzufügen, daß w i r hier dann — und nur dann — sagen, daß „ Ä " kodifizierte Bedeutung hat, wenn ein entsprechendes Semantem aufgestellt werden kann, z . B ((1 1 1), r ' , „ Ä " ) . I m System von K a t z und Fodor würde diese M a t r i x als Pfad eines Graphen erscheinen. Traditionell ausgedrückt bedeuten obige Überlegungen, daß i m Rahmen der betreffenden Theorie „ Ä " nur dann vorkommen darf, wenn gleichzeitig „Reflexiv (R) & Symmetrisch (R) & Transitiv (R)" gilt. I m folgenden werden w i r etwas ergiebigere Beispiele untersuchen, und zwar die theoretisch deskriptiven Terme „Person", „Strategie", „ W e r t " und „Funktion" aus der Axiomatik. W i r könnten natürlich noch „Menge" als theoretischen Term dazunehmen, etc. „Menge" w i r d hier rein i m Sinne der operationalen Semantik der strukturellen Mengenlehre verstanden, ebenso hat „Funktion" diejenige operationale Bedeutung, die es in der Mathematik hat. W i r betonen, daß w i r uns hier stets auf der Ebene der operationalen Bedeutung befinden; je ein Pfad aus einem der nachfolgenden Graphen ist je ein konstituierendes Element i m Rahmen je eines operationalen Semantems, resp. — im Rahmen des Konzeptes von „Bedeutung haben" — je einer kodifizierten operationalen Bedeutung desjenigen Terms, der sich am Anfangsknotenpunkt des Graphen befindet. Das semantische
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Merkmalszeichen „ [ K o n k r e t ] " ζ. B. weist also nicht darauf hin, daß die von ihm abwärtsführenden Pfade es mit einer empirischen Bedeutung zu tun haben. Sondern „ [ K o n k r e t ] " heißt nur, daß die Terme, wie „Person", „ W e r t " , auch in Kontexten aufscheinen können, die w i r „konkret" i m Gegensatz zu „abstrakt" nennen. V o n diesem Standpunkt aus sind „Däumelinchen schlief auf einem Blumenblatt" und „Wien hat 1,6 Millionen Einwohner" gleichermaßen konkret. „ [ K o n k r e t ] " w i r d also ohne Rücksicht auf eventuelle empirische Bedeutungen angewandt, obwohl w i r i m folgenden sehen werden, daß hier — i m nachhinein — doch ein Zusammenhang aufgestellt werden kann. D a w i r die Grammat i k i n die Semantik einbeziehen, gilt „ [Substantiv] " hier als semantisches Merkmalszeichen; normalerweise w i r d es als grammatisches eingeführt. Für diese Probleme vergleiche man das Bedeutungskapitel. Die semantischen Merkmalszeichen gewinnen w i r auf die übliche A r t und Weise, indem w i r sie aus Wörterbucheintragungen extrahieren. Eigentlich müßten ja derartige semantische Merkmalszeichen auf ihre Brauchbarkeit hinsichtlich des Gesamtvokabulars überprüft werden; w i r haben dies hier aus begreiflichen Gründen nicht getan. M a n weiß aber aus Erfahrung, daß zumindest die obersten Merkmalszeichen, wie „[Menschlich]", „ [ A b strakt]", sehr häufig angewandt werden können. W i r gehen zunächst von der Umgangssprache aus, i. e. einem Wörterbuch der Umgangssprache, das w i r manchmal, wie i m Falle von „ W e r t " , durch ein Fachwörterbuch ergänzen. Die Axiomatisierung nun fügt teilweise einem Pfad dieses Graphen noch weitere Knotenpunkte und semantische Merkmalszeichen hinzu, d. h. sie verlängert ihn. Bei „Person" ζ. B. fügt die Axiomatisierung das Merkmalszeichen „ [ R a t i o n a l Handelnder]" hinzu, wodurch sich eventuell die Notwendigkeit eines semantischen Merkmalszeichen „ [ I r r a t i o n a l Handelnder]" ergibt. „ [ R a t i o n a l Handelnder]" stammt eigentlich aus der Maxime, die unserem Axiomensatz vorangeht; w i r interpretieren die Maxime hier als Axiom, was weiter keine Schwierigkeiten bereitet. H i e r erscheint die Wissenschaftssprache tatsächlich als Präzisierung oder zumindest Verfeinerung der Umgangssprache, ganz i m traditionellen wissenschaftstheoretischen Sinne, wobei man sich fragen muß, wieweit die Merkmalszeichen von der Axiomatik geliefert, d . h . ausgewählt werden. Prinzipiell kann man sagen, daß die Axiomatisierung aus dem ganzen Graphen einen bestimmten Pfad — hier strichliert ausgezogen — für die Theorie auswählt, wobei gewisse umgangssprachliche Merkmalszeichen und solche aus Fachwörterbüchern inkorporiert werden; u. U.,
1. Ontologische und semantische Modelle
wie gesagt, hängt die Axiomatisierung noch eigene, sozusagen interne, Merkmalszeichen an die vorhandenen an. Werden nun die axiomatischen Terme durch empirische interpretiert, so zeigt sich, daß diese empirischen Terme oft als operationale Merkmalszeichen in dem operationalen Graphen auftreten, und zwar als Merkmalszeichen in demjenigen Pfad, der von „ [ K o n k r e t ] " abwärts führt. So w i r d „(abstrakter) Wert" ( „ W " ) durch „Wert als monetäre Auszahlung („et") interpretiert, „Strategie als Handlungsanweisung („5") durch „Handlung(en)" („|>"), usf. W i r müssen hier betonen, daß w i r nicht die Merkmalszeichen nach unseren Zwecken ausgerichtet haben, sondern w i r haben sie aus einem tatsächlichen umgangssprachlichen Wörterbuch und — i m Falle von „Funktion" — auch einem Fachwörterbuch entnommen. Wörterbücher sind ja nichts anderes als Festlegungen des Sprachgebrauches. Z u „Funktion" ist noch zu sagen, daß es in der Axiomatik nur als „Funktion w " vorkommt, i. e. als „Wertfunktion". W i r müssen uns hier vorstellen, daß die zwei betreffenden Pfade von „ W e r t " und „Funktion" mit H i l f e ζ. B. einer Katz-Fodorschen Projektionsregel amalgamiert werden, oder mit H i l f e einer Regel in Form einer M a t r i x von bestimmtem T y p i m System von Abraham und Kiefer (vgl. S. 251 und S. 253). Es folgen nun vier Beispiele: Person I ι Substantiv I 1 Abstrakt
I Theologisch: Hypostasen von Gott
Konkret
, Grammatische Kategorie
! .
Menschlich ] i 1 „ Äußere Person
j
1
Innere Person (Persönlichkeit)
ι ι Rational Handelnder
Irrational Handelnder
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 139
„Person" hat demnach fünf Bedeutungen. Durch die Axiomatik wird festgelegt, daß „Person" (operationale) Bedeutung hat, wenn das Semantem (Pfad des Graphen von „[Substantiv]" bis „[Rational Handelnder]", r', „Person") gilt.
Strategie I I Substantiv I Konkret Ι I Handlungen, ausgeführt nach Handlungsanweisungen
ι Abstrakt I ι Handlungsanweisungen j Militärisch
Andere (allgemein)
!
I .
Element einer nicht-leeren Menge
Element einer leeren Menge
I Element einer finiten Menge
Element einer infiniten Menge
„Strategie" hat also 5 Bedeutungen, aus denen die Axiomatik eine auswählt, wenn, wie schon gezeigt, ein bestimmtes operationales Semantem im Rahmen der Axiomatik gebildet werden kann. Außerdem fügt die Axiomatik selbst zwei Merkmalszeichen, nämlich „[Element einer nicht-leeren Menge]" und „[Element einer finiten Menge] " hinzu.
1. Ontologische und semantische Modelle
Wert I I Substantiv Ι I Abstrakt
Konkret
ι _ Bedeutsamkeit
Größe
Mathematisch
Geldlich
I Wert einer Funktion
Sdiätzwert
Austauschgüter
Auszahlung
„Wert" hat demnach sechs Bedeutungen, aus denen die Axiomatik eine auswählt. „Wert" hat also im Rahmen der Axiomatik Bedeutung, wenn das Semantem (Pfad des Graphen von „[Substantiv]" bis „[Wert einer Funktion]", r', „Wert") gilt. Funktion Substantiv I
Abstrakt j I Faktor, der von einem anderen Faktor abhängt I I Mathematisch (Relation zwischen Mengen)
Ein-eindeutig
Mehr-eindeutig Γ
Konti- Diskonti- Konti- Diskontinuierlich nuierlich nuierlich nuierlidi
Konkret (Eine einer Person gemäße Aufgabe oder Aktivität)
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 141
H i e r fällt auf, daß die Axiomatik zwei Pfade auswählt. W i l l man dies vermeiden, dann kann man auch die zwei Pfade folgendermaßen vereinen: Mathematisch (Relation zwischen Mengen) I I Ein-eindeutig und mehr-eindeutig Kontinuierlich
Diskontinuierlich
„Funktion" hat dann vier Bedeutungen, von denen eine durch die Axiomatik festgelegt wird. Die „Schematisierung" i n den Sozialwissenschaften verläuft ganz ähnlich, gehen w i r ζ. B. von ordinalen Werten aus. Es werden hier die Ordnungsrelationen > (oder < ) und ~ benützt. Diese Relationen lassen sich auf die vielfältigste Weise schematisieren, d. h. auf die Empirie beziehen, d. h. semantisch ausgedrückt: den Prädikaten „ > " (oder „ < " ) und kann auf verschiedene Weise empirische Bedeutung verliehen werden. Heute am gebräuchlichsten und grundlegend ist die Auffassung, wonach die obigen Ordnungsrelationen empirisch als ordinale Präferenzen gesehen werden, wobei dem „ > " ,,°Ρ" und dem Gleichheitszeichen „ ~ " „ I " (für „Präferenz" und „Indifferenz") entspricht. D a die Indifferenz ebenfalls eine Präferenz ist, werden Indifferenzen und Präferenzen hier als Präferenzen prüf zusammengefaßt. Diese Präferenzen prüf werden von einer Person i zu einer Zeit t ausgedrückt, und w i r können prüf als die elementare Dimension des Verhaltens, Wünschens, Vorziehens, Liebens, Hassens, des Gleichgültig-Seins etc. ansehen. Die Präferenzen prüf können i n der Form von Wert- oder PräferenzUrteilen ausgedrückt werden; sie können aber auch aus dem Verhalten einer Person erschlossen werden. Werden die Präferenzen prüf erschlossen, dann spricht man in der Literatur v o m Enthüllen (revealing) der Präferenz. A u f jeden Fall ist das Werten, wenn es auf Präferenzen basiert, die Projektion einer inneren Einschätzung oder Wertordnung auf die Welt; das Wertsystem oder System der Präferenzen prüf w i r d sozusagen wie ein inneres Netzwerk über die Welt geworfen. Es gibt zwei grundsätzliche Formen der Fundierung der Präferenzen: die behaviori-
1. Ontologise und semantische Modelle
stische Fundierung, wie sie von der amerikanischen Schule (NeumannMorgenstern, Marschak) vertreten wird, und die Fundierung, wie sie von der französischen Schule (Allais) dargestellt wird. Die französische Schule arbeitet m i t der Konzeption von intuitiven Wertordnungen und den möglichen Bewertungen der Welt, die das Individuum aufstellt. Axiomatisieren lassen sich die Präferenzrelationen i n beiden Fällen; und es hängt von den Axiomen oder den Verhaltenspostulaten ab, welche Skala man erhält. W i r d das Wertverhalten kognitiv repräsentiert, dann spricht man von Axiomen. W i r d der Axiomensatz jedoch normativ dem Individuum auferlegt, dann gehen die Axiome i n Verhaltenspostulate über. Wie es auch immer sei, w i r d die Ordnung oder Struktur der Präferenzen durch numerische Werte repräsentiert, dann hängt es von der Komplexheit des Axiomensystems (Systems der Verhaltenspostulate) ab, welche Skala man erhält. Dasselbe gilt, mutatis mutandis, übrigens auch für die Zeit- oder die Gewichtsmessung. I m allgemeinen sind „kulturelle" Skalen meist Ordinalskalen; Geld beruht auf einer speziellen Intervallskala oder einer Verhältnisskala. Wie es euklidische Koordinatenräume gibt, innerhalb welcher Distanzen als Koordinatentripel numerisch-quantitativ repräsentiert werden, so gibt es auch Werträume oder Wertmannigfaltigkeiten, welche allgemeine Repräsentationsstrukturen sind, innerhalb derer Werte als Punkte oder Koordinatentupel repräsentiert werden können. Derartige Mannigfaltigkeiten werden durch Axiome hergestellt. Allerdings gelangt man bei Werträumen sehr schnell i n höhere Dimensionen: ist ζ. B. die Zahl der Personen 5, dann benötigt man einen fünfidmensionalen Wertraum. Alle numerischen Wertrepräsentationen, die auch in Kap. 6.1. behandelt werden, können durch eine empirische Sprache, die das empirische Präferenzverhalten darstellt, interpretiert werden. Vereinfacht sagen w i r auch öfters, daß die numerischen oder theoretischen Repräsentationen durch die empirischen Systeme, Beziehungen etc. selbst interpretiert werden. Es gibt folgende semantische Substitutions- oder Interpretationsregel: Wenn ^ (θχ, 0 2 ), oder (o 2 , Oi), oder I (θχ, o 2 ) gilt, dann »w ( o i ) > w (o 2 )" / JP ( o b Og)", oder „ze; (o 2 ) > w (οχ)" / (o 2 , Οχ)", oder „w ( o j ~ w (o 2 )" / „ I (θχ, 0 2 ) " . „ / " bezeichne hier wieder eine allgemeine semantische Substitutionsrelation, die „ersetze durch (operativ)" meint. W i l l man für bewertende Ausdrücke operative Bedeutungen finden, dann muß man sich also auf das effektive Präferenzverhalten des Menschen beziehen, auf sein Begehren, sein Vorziehen, sein Lieben und sein
1.5. Der Kantsche Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 143
Hassen, seine Sympathien, Antipathien, seine Gleichgültigkeit und seine Unentschlossenheit. Die Struktur seiner Präferenzen aber muß immer eine Quasi-Ordnung sein, ganz unabhängig davon, ob die Wertunterschiede qualitativ oder quantitativ ausgedrückt werden. W i r können daher prüf als eine soziale Dimension des Wertverhaltens ansehen, die genau so wichtig ist wie die Dimensionen m, / und t. Sie kann nicht gegen die anderen Dimensionen ausgetauscht werden, ist aber mit diesen u. U . verträglich. Werttheoretische Wissenschaften, wie die Ökonomie, die Soziologie, die Politischen Wissenschaften, sowie diejenigen Wissenschaften, die es zumindest teilweise m i t Werten zu tun haben, wie die Medizin und die Psychologie, d. h. Wissenschaften, die das soziale, das kulturelle und das biologische Leben des Menschen darstellen, sind auf dieser Dimension prüf aufgebaut, zumindest teilweise. M i t K a n t können w i r verlangen, daß die empirischen Präferenzen und die Indifferenzen I raum-zeitliche Indices zumindest für Personen und die bewerteten Objekte aufweisen, also verträglich mit diesen sind. Semantisch gesehen drücken w i r das so aus, daß w i r verlangen, daß die operative Bedeutung von Präferenzurteilen und den sich darauf aufbauenden abstrakteren Überlegungen nur dann garantiert werden kann, wenn gleichzeitig audi Indices für Raum und Zeit angegeben werden. M a n weiß, daß prüf pro Sekunde die Präferenzrate des Menschen ist, d. h. die Häufigkeit des Auftretens von Präferenzen, wenn er sich i n eine neue Situation einlebt oder sich „wertend einfühlt"; auch weiß man, daß sich diese Bewertungen unabhängig vom Bewußtsein abspielen können. Andererseits ist die Konstanz einer und derselben Präferenzrate über eine gewisse längere Zeit hinweg äußerst wichtig. Ζ . B. hat die Präferenz i n kulturellen A n gelegenheiten eine gewisse konstante Häufigkeit. Es w i r d später gezeigt werden, daß diese Wertfundierung andere, ζ. B. die Fundierung durch die Marxsche Arbeitswerttheorie, verdrängt hat. Für die Ontologie des Wertens ergibt sich sofort, daß sowohl die platonistische, als auch die empiristisch materielle Wertbegründung unhaltbare Extreme sind. Werte und Werten sind nur dann möglich, wenn der Mensch imstande ist, eine Quasi-Ordnung in die Wirklichkeit zu projizieren, bzw. i n ihr zu realisieren; diese Quasi-Ordnung w i r d i m Rahmen einer Theorie durch Axiome festgelegt. Natürlich können w i r auch diese Axiome wiederum als die Festlegung von operationalen Bedeutungen einerseits ansehen, und andererseits können w i r die Axiome
1. Ontologische und semantische Modelle
als Spiegelung der Struktur der empirischen Präferenzen betrachten. W i l l man das Werten ontologisch begründen, dann muß man sich am effektiven Verhalten des bewertenden Menschen orientieren. Bewertungen von möglichen Ereignissen, möglichen Objekten (ζ. B. einem noch nicht gebauten Haus) usw. haben bei uns nur operationale Existenz, d. h. sind eigentlich bloße Sprachzeichen oder auch die diesen entsprechenden intuitiven Vorstellungen. Wie gesagt, befaßt sich die amerikanische „ u t i l i t y "-Schule mit dem effektiven Präferenz verhalten und die französische Schule mit den intuitiven Werten. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet, kann man sowohl die Schelersche Ansicht, daß sich die Werte, wie er sich ausdrückt, auf dem Rücken der Dinge befänden, wie auch einen Piatonismus der Werte als Extremformen der Auffassung von Präferenzen und des Präferenzverhaltens sehen. Die traditionelle Schule des Wertformalismus w i r d hier nicht ausgeschlossen, i m Gegenteil: man kann zeigen, daß sie in den heutigen formalistischen Wertbegründungen weiter fortgesetzt wird. Wie aber steht es um andere Fälle, die nicht so leicht mit Raum und Zeit i m Kantschen Sinne, i. e. m i t dem euklidischen Raum und der klassischen eindimensionalen Zeit verbunden werden können? Nehmen w i r etwa den Fall, daß i m Rahmen einer technologischen Chemie eine völlig neue Substanz erzeugt wird, daß eine neue politische Ordnung auf theoretischer Grundlage errichtet wird, u. ä. Geraten w i r hier i n Widerspruch m i t Kants Annahme, daß alle Begriffe oder Kategorien, die empirisch angewandt werden können, raum-zeitlich fundiert werden müssen? Gerade hier jedoch erweist sich die raum-zeitliche Fundierung nicht nur als möglich, sondern sogar als notwendig. Jede Realisierung w i r d im euklidischen dreidimensionalen Raum und i n der klassischen eindimensionalen Zeit ausgeführt; und bis heute hat man keine Ausnahme von dieser Regel gefunden. Gesetzt den Fall, daß andere intelligente Wesen von anderen Planeten mit uns Kontakt aufnehmen wollen, dann müssen diese Wesen, vorausgesetzt, daß sie i n eigenen Raumschiffen kommen, ein „animal faber" sein und daher die Raumschiffe euklidisch hergestellt haben. Eine erste interkosmische Sprache müßte darauf aufgebaut sein, daß sowohl die Bewohner der Erde wie diese anderen Wesen m i t euklidischen Gegenständen vertraut sein müssen, sowie auch m i t einer Zeitkonzeption wie der klassisch eindimensionalen. A u d i hier würden sich Raum und Zeit als bedeutungskonstituierend erweisen, ganz im Kantschen Sinne.
1.5. Der Kantsdie Schematismus und die Zuordnung von „Begriffen" zur Empirie 145
Dasselbe gilt natürlich auch für die Messung und die sinnliche Beobachtung: alle Meßinstrumente und alle Sinnesorgane sind auf den euklidischen Raum und die klassische Zeit ausgerichtet. Dies ist auch ein äußerst wichtiges Problem für eine Ontologie des Messens — und der Kunst. V o n hier aus gesehen erweist sich der altertümliche Ausdruck „Meßkunst" als gar nicht so unangebracht. Eine Folge der i n diesem K a p i t e l vorgetragenen Ansicht ist, wie schon beim Beispiel der Wesen von anderen Planeten angedeutet wurde, daß die empirische (empirisch deskriptive, operative) Bedeutung, wie sie i n Kap. 3.1. und 4. dargelegt w i r d , an den euklidischen Raum und die klassische eindimensionale Zeit gebunden ist. Sinnliche Beobachtungen und Messungen sind auf die Theorie 77?, der sie angehören, zu relativieren. Dies überträgt sich auch auf die entsprechenden LE-Terme und Aussagen. D . h. einfach, daß ein empirischer Term i n einer Theorie eine andere operative Bedeutung haben kann als i n einer anderen Theorie. Nehmen w i r ein einfaches Beispiel aus dem Englischen, das W o r t „distrophy". I n der Medizin bedeutet „distrophy" eine falsche oder inadäquate Ernährungsweise, oder eine falsche oder inadäquate Entwicklung. I n der Pathologie bezeichnet „distrophy" Krankheiten, die durch Schwächung, Degenerierung oder abnorme Entwicklung der Muskeln gekennzeichnet sind. I n der Ökologie schließlich spricht man von „distrophy", wenn ein See zu wenig gelöste Nährstoffe enthält, weswegen die Vegetation spärlich ist; auch nennt man „distrop h y " jenen Zustand eines Gewässers, w o das Wasser sehr sauer ist und einen hohen Prozentsatz v o n unverwestem Pflanzenmaterial enthält. W i r erinnern i n diesem Zusammenhang für die Umgangssprache nochmals an Firths Konzept der Mikrosprachen. W i r sehen hier, daß der Wechsel v o n einem wissenschaftlichen System zu einem anderen einen Wechsel i m Verhältnis von Ontologie und operativer Semantik hervorruft, sowie auch einen Wechsel i m System der operationalen Bedeutungen. Beobachtung und Messung sind zwar immer, d. h. i n jeder Theorie, räum- und zeitindiziert, u n d Raum u n d Zeit garantieren die empirischen Bedeutungen i n allen Theorien, nicht weniger, aber auch nicht mehr. Das oben schon erwähnte Konzept der Realisierung w i r d noch ausführlicher behandelt werden (S. 152 ff.). Die Realisierung oder Teilrealisierung eines empirischen Systems bezieht sich unmittelbar auf den euklidischen dreidimensionalen Raum und die klassische eindimensionale 10 Leinfellner
1. Ontologische und semantische Modelle
Zeit. Werden Realisierungen wiederholt, dann können sie von der Theorie unabhängig werden. Realisierungen sind das beste Argument dafür, daß etwas wirklich, ontologisch existiert. Dadurch werden sie auch zum besten Garanten der empirischen Bedeutung bestimmter Terme und Aussagen.
2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften 2.1. Die Unmöglichkeit einer allgemeinen Ontologie W i l l man die Frage beantworten, was Semantik und Ontologie seien, dann muß man zunächst zwischen menschlichem Wissen schlechthin und den Wissenschaften unterscheiden. Es w i r d sich i m folgenden zeigen, daß es heute nicht möglich ist, eine allgemeine Semantik und eine allgemeine Ontologie aufzustellen, die Wissenschaften, Kunst, Erkenntnis i m A l l tag, Religion usf. umfaßt, sondern daß w i r für diese verschiedenen Bereiche, ja sogar für Teilbereiche dieser Bereiche verschiedene Ontologien und Semantiken aufstellen müssen, um ihnen gerecht zu werden. M a n braucht hier nur an den semantischen Gegensatz zwischen Umgangssprache und Dichtung, an die verschiedenen ontologischen Annahmen, die den klassischen und den nicht-klassischen Wissenschaften zugrunde liegen, u. ä. zu denken. D a w i r uns hier vorwiegend m i t der Ontologie und Semantik der Wissenschaft beschäftigen, müssen w i r also die Wissenschaften aus dem menschlichen Wissen schlechthin herauslösen. Dieser Aufgabe seien die folgenden Bemerkungen gewidmet. Zunächst sei vorausgeschickt, daß die Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften, seit Aristoteles nahezu ausschließlich v o m kognitiven Standpunkt aus gesehen wurden. Die Funktion der formalen Wissenschaften, wie (reine) Mathematik, (reine) Logik, (reine) Statistik, Wissenschaftstheorie, (reine) Informationstheorie und Kybernetik, (reine) Spiel- und Entscheidungstheorie — um nur einige der heute betriebenen interdisziplinären Formalwissenschaften zu nennen — läßt sich audi leichter in die kognitive Funktion der Wissenschaften einbauen. H i e r dagegen w i r d behauptet, daß die realisierende oder verwirklichende Funktion der Wissenschaften, z. B. der Chemie, Biologie, der Sozialwissenschaften und der Ökonomie, der Politischen Wissenschaften, der Medizin und — seit den verwüstenden Eingriffen des Menschen i n die Landschaft — auch der Geographie heute mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als die kognitive Funktion ist. Das Aufkommen der realisierenden Wissenschaften sollte nun die Ontologie aus dem Schlummer der Tradition reißen: Ist doch das Realisieren und V e r w i r k 10*
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
liehen ein Prozeß, der es mit dem ehrwürdigen ontologischen Problem der Existenz zu tun hat. Denn es werden i m Prozeß des Realisierens holistische Systeme ganz oder teilweise neu geschaffen, d. h. vom Menschen in Existenz gerufen. Es handelt sich hierbei nicht nur um die Erzeugung oder Synthese von diemischen Verbindungen, die noch nie vorher existiert haben, und um die Produkte der Technik. Es handelt sich auch um das „biological engineering" und Manipulationen m i t den Genen und um das Realisieren i n den Sozialwissenschaften, den Politischen Wissenschaften und der Ökonomie. I n diesen Wissenschaften werden dynamische holistische Systeme, wie der Wirtschaftsmarkt, Formen des gesellschaftlichen Lebens und politische Ordnungen, theoretisch entworfen; und diese Entwürfe werden mit H i l f e derartiger Wissenschaften realisiert. H i e r kann die ontologische Frage nach der Existenz nicht mehr einfach ausgeklammert werden. I n den nächsten Seiten w i r d von einer Analyse des menschlichen Wissens ausgegangen, und es w i r d gezeigt werden, daß sowohl die kognitive als auch die realisierende Funktion der Wissenschaften auf drei „anthropologischen" Faktoren beruht: 1. der ontologisch-ontischen Grundannahme. Diese w i r d in die Thesen der Proto-Ontologie eingebaut. 2. haben w i r hier die Realisations-Repräsentationsannahme, die w i r auch die „semantisch-symbolische Annahme" nennen können. Sie w i r d i n den Kapiteln über operative und operationale Semantik und auch in der Proto-Ontologie eingehend diskutiert. Es folgt letztlich die Grundannahme der Sorge, Vorsorge oder Fürsorge, welche eine soziale Grundannahme ist. 1. und 2. fallen unmittelbar i n den Bereich dieses Buches; die dritte Annahme wurde von W . Leinfellner i n anderen Veröffentlichungen behandelt 1 . Der Gegenstand der dritten Annahme ist die unmittelbare Verantwortung des Wissenschaftlers für das, was er realisiert, oder auch die ethische Fundierung der Wissenschaften. W i r behandeln kurz die Herauslösung der Wissenschaft aus dem Wissen schlechthin. Die Herauslösung der Wissenschaft aus dem Wissen schlechthin, oder — wie man auch sagen kann — die Fokussierung des Wissens auf die theoretische Wissenschaft — ist einerseits ein historischer Prozeß und andererseits ein methodologisches Problem; den historischen Prozeß wollen w i r hier nicht behandeln. Wissen ist, i n allen seinen Formen, immer Wissen von etwas. Dies gilt auch für das religiöse, das mythische Wissen, das Wissen, wie es sich i n 1
W. Leinfellner (Foundations), S. 151; W. Leinfellner (Epitheoretical Analysis), S. 27 ff.
2.1. Die Unmöglichkeit einer allgemeinen Ontologie
149
der Literatur darstellt, usf., wenn auch dieses Wissen oft nur minimalen Anforderungen der Exaktheit, der empirischen Voraussagbarkeit u. ä. genügt; und manchmal, wie zum Beispiel i m Falle des mythischen Wissens, kann man überhaupt kaum Anforderungen finden, denen diese Form des Wissens genügt, wenn w i r unter „Anforderungen" Anforderungen verstehen, die an die Wissenschaften gestellt werden. Wissen sei also einfach Wissen von etwas, und w i r schließen hier die Produkte der menschlichen Phantasie, der religiösen Einbildungskraft usw. nicht aus. Dieses Etwas, das der Gegenstand des Wissens ist, können w i r die „Extension" dieses Wissens nennen. Die Extension eines jeweiligen Wissens, ζ. B. eines Romans, einer Mythologie, einer Theorie oder einer Wissenschaft als Ansammlung von Theorien und Hypothesen, das „universe of discourse", ist stets nur ein Teil der Welt, inklusive der Welt der Phantasie. Hinsichtlich von jeweiligen Theorien nennen w i r diesen Bereich „ D " . Wissen kann also umfassend oder weniger umfassend sein, je nachdem, wie groß seine Extension ist, d. h. je nachdem, wie viele verschiedene (ungleichartige) „Objekte" (im allgemeinsten Sinne), Qualitäten und Abhängigkeiten behandelt werden. Weiters kann Wissen exakt oder weniger exakt sein. Unter der Exaktheit des Wissens, i. e. des Mediums i n der Kunst, und der Sprache in den Wissenschaften oder der Religion usf., verstehen w i r die Anzahl der Konventionen, Explikationen, Definitionen und Regeln, die 1. dazu notwendig sind, die Ein-Eindeutigkeit (z. B. der Beschreibung) zu garantieren, z. B. semantische Vagheiten zu eliminieren, und die 2. die optimale strukturelle Erkenntnis und optimale Realisierungen gestatten. Deshalb, je mehr Konventionen, Explikationen, Definitionen und Regeln, desto weniger logische und semantische Unklarheiten, Polysemien etc., und desto mehr Exaktheit. Es ist klar, daß die Wissenschaften unverhältnismäßig viele derartige Regeln etc. enthalten, wenn man sie z. B. mit dem Alltagswissen oder dem religiösen Wissen vergleicht. Wenn ein bestimmtes Wissen in einem bestimmten Material oder Medium objektiviert ist, z. B. in der Sprache, dann ist die Extension sehr oft umgekehrt proportional zur Exaktheit: d. h. je kleiner die Extension des Wissens, desto größer seine Exaktheit. U m eine Metapher zu verwenden: Eine scharf fokussierte Taschenlampe w i r d in einem dunklen Raum nur die i m unmittelbaren Lichtkegel befindlichen Gegenstände klar und deutlich zeigen. N i m m t man die Fokussierung hinweg, so w i r d man vielleicht den ganzen Raum sehen, aber diesen nur sehr vage. Der Mensch w i r d natür-
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
lieh oft ein ungenaueres Wissen, das weiter reicht, i. e. eine größere Extension hat, einem genaueren Wissen, z. B. einer Theorie, das nur eine kleine Extension aufweist, vorziehen. Es ist klar, daß die Dichtkunst uns oft mehr über das gesamte Leben vieler Menschen in einer Gesellschaft sagt, als z. B. eine sozialwissenschaftliche und womöglich formal unterstützte Theorie der Stratifikation. Die W a h l des Wissens hängt völlig v o m Benützer des Wissens und von der Situation ab. Was die Exaktheit und die z. B. semantischen Regeln der Umgangssprache und der Wissenschaften betrifft, so könnte man hier einwenden, daß auch die Umgangssprache Unmengen von semantischen Regeln voraussetzt. Tatsache ist aber, daß diese Regeln in den seltensten Fällen dem Sprachbenützer explizit als Regeln bewußt sind; sie sind meist bloß implizit i m operativen und operationalen Gebrauch der Umgangssprache enthalten. Sie werden oft erst z. B. während der Diskussion mühsam geschaffen. Es w i r d dann die Semantik als Entscheidungsrahmen, i. e. die semantischen Regeln, i m Gespräch durch Konsensus etabliert oder präzisiert. I n wissenschaftlichen Sprachen hingegen muß von vornherein darauf gesehen werden, daß derartige Regeln exakt niedergelegt sind, z. B. welche Wellenlänge „gelb" genannt werden soll, usf. Weitere Regeln werden i m Verlauf der Theorienbildung exakt niedergelegt. Außerdem müssen die wissenschaftlichen Regeln, Definitionen etc. ganz allgemein intersubjektiv überprüfbar sein. Aus der Tatsache, daß alles jeweilige Wissen an bestimmte Bereiche (Extensionen) gebunden ist, folgt, daß man heute keine Ontologie oder Semantik aufstellen kann, die für das Wissen schlechthin, die Welt oder das Universum als Ganzes, inklusive der Phantasiewelt, gültig sein soll. Derart erhalten w i r spezielle Ontologien und Semantiken, relativ auf einen Text oder ein Medium und einen bestimmten Bereich der Welt, die jeweilige Extension. So kann man sagen, daß i n den Wissenschaften jede Theorie ihre eigene Semantik und Ontologie besitzt; manche Theorien, z. B. die klassischen, sind einander so ähnlich, daß man deren Ontologien und Semantiken zu einer Ontologie und einer Semantik der klassischen Theorien vereinen kann. Es sei bemerkt, daß w i r hier die Semantiken als Ergänzungen der Ontologien betrachten; dies w i r d i m folgenden klar werden. H a t t e man früher geglaubt, daß man zumindest regionale Ontologien aufstellen könne, die ein großes Gebiet, z. B. das der gesamten Physik oder den gesamten anorganischen Bereich umfassen, so ist heute nicht einmal dies gegeben. W i r können nur für bestimmte Texte und deren Extensionen Semantiken und Ontologien aufstellen, und es ist
2.1. Die Unmöglichkeit einer allgemeinen Ontologie
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einsichtig, daß sich als Texte hier am besten wohlausgebildete Theorien und deren Extensionen D eignen. M a n kann hoffen, daß sich i n der Zukunft Theorien zu größeren Theorien zusammenschließen werden, z. B. die Quantenbiologie und die Quantentheorie, und daß dann auch einheitliche Ontologien und Semantiken, die für eine derartige „Supertheorie" gelten, gebildet werden können. 1. Die ontisch-ontologische Grundannahme. Wie gesagt, es w i r d diese Grundannahme i m Rahmen der Proto-Ontologie expliziert; hier werden nur allgemeine Erörterungen angestellt. Der Mensch lebt i n der Welt nicht bloß als ein Objekt unter anderen Objekten, sondern auch als ein Organismus, wodurch er über Sinneswahrnehmungen, Empfindungen, Gefühle, Vorstellungen, Intuitionen, abstrakte Gedanken und Erinnerungen verfügt, und wodurch er homo faber ist, d. h. Realisierungen ausführen kann. Durch die Sinneswahrnehmungen (inklusive z. B. der Tastempfindung) und durch den Prozeß der Realisierung t r i t t der Mensch als System m i t anderen Systemen i n temporäre Wechselwirkung (Interdependenz), wodurch er m i t diesen Systemen zusammen temporär ein übergeordnetes System (Supersystem) bildet. Die Existenz des Menschen ist primär; sie ist vor der Existenz aller anderen Systeme und Beziehungen gegeben. Ohne die Existenz des Menschen oder der 50 Trillionen Zellen, die das holistische System des menschlichen Körpers formen, zu diskutieren, ist daher keine Diskussion anderer Existenzen möglich. Die Koexistenz der anderen menschlichen Wesen w i r d aus der eigenen Existenz abgeleitet und die Existenz anderer holistischer Systeme durch Voraussage (Nachhersage) oder Realisation begründet, zumindest i n den Wissenschaften. Es erhalten also alle anderen holistischen Systeme, welche von statischer oder von dynamischer N a t u r sein können, ihre Existenz durch ihre Beziehungen zu unserer Existenz, i. e. dadurch, daß sie zusammen m i t uns temporär ein größeres System (Supersystem) bilden, so bei der Wahrnehmung und bei der Realisierung. Die Tatsache der Existenz anderer Systeme neben dem Menschen kann also bloß daraus gefolgert werden, daß es derartige Supersysteme gibt, denen der Mensch selbst angehört. Es erübrigt sich hier, alle anderen möglichen Arten der Einführung der Existenz zu diskutieren, z. B. die Existenz atomistischer anorganischer Entitäten und ihrer Interdependenz m i t H i l f e der Kausalität (materialistische Ontologie) oder der Existenz Gottes m i t H i l f e des ontologischen Gottesbeweises. Auch benötigen w i r nicht das Modell des Descartesschen „Cogito, ergo sum", i n welchem die personale, ganzheit-
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
liehe Existenz des Menschen aus einer partiellen geistigen A k t i v i t ä t , nämlich dem Denken, und aus der Existenz Gottes gefolgert wird. I m Gegensatz dazu w i r d hier der Mensch als holistische Ganzheit mit seinen fundamentalen Funktionen des Wahrnehmens, des Gedächtnisses, des Denkens, der homo-faber-Funktion etc. als existierend gesetzt. 2. GYundannahme der Realisation und Repräsentation. Nach Cassirer ist die symbolische Repräsentation die bedeutendste Funktion des menschlichen Geistes. Unter Repräsentation verstehen w i r ganz allgemein, daß lebendige Organismen, wie der Mensch und — zu einem gewissen Grade — auch das Tier, aber auch ein System der künstlichen Intelligenz, das zumindest über ein Sensorium, Gedächtnis und eine rechnende Komponente verfügt, imstande sind, raum-zeitlidie Strukturen, bzw. ganz allgemein Strukturen von holistischen Systemen auf z. B. sprachliche Strukturen abzubilden. Es ist aber prinzipiell nicht so wichtig, welches Medium als Medium der Repräsentation dient; w i r haben hier die sprachliche Repräsentation gewählt. I m Anschluß an Cassirer kann man sagen, daß die Spaltung i n Repräsentiertes und Repräsentierendes oder in empirische Strukturen der Systeme und, z. B. sprachliche, Repräsentationsstrukturen nicht die Welt in zwei ontologische Schichten, die absolut voneinander getrennt sind, zerfallen läßt. M a n muß also nicht annehmen, daß die Existenz des Repräsentierenden und des Repräsentierten voneinander verschieden sind. W i r können uns das an einem einfachen Beispiel verdeutlichen: die Landkarte repräsentiert die räumlichen Beziehungen von Objekten i n einer Landschaft; aber ihre Existenz ist nicht grundverschieden von der Existenz der Objekte in der Landschaft. N u r die Tatsache, daß eine Struktur durch eine andere ersetzt wird, welchen Vorgang man „Repräsentation" nennt, errichtet anscheinend einen ontologischen Abgrund. W i r setzen also nicht voraus, daß es ein Bewußtsein jenseits des Sensoriums, des Denkens, Fühlens und des Gedächtnisses gibt, und daß dieses Bewußtsein ein vom Physischen verschiedener Geist sei. Sondern es müssen bloß das Repräsentierende und das Repräsentierte, welche zusammen mit einer Repräsentationsfunktion ρ ein Tripel (Repräsentiertes, ρ, Repräsentierendes) bilden, Zumindestens für einen gewissen Zeitraum Δ ί gleichzeitig existieren. Für die Wissenschaft ist im allgemeinen die sprachliche Repräsentation und die sprachlichen Repräsentationssysteme weit wichtiger als ζ. B. die bildhafte Repräsentation ζ. B. der sinnlichen Erfahrung (Photographie, Diagramm u. ä.). Nach Cassirer haben w i r drei Weisen der symbolischen Repräsentation: 1. die erste und primitivste A r t der Repräsentation w i r d von ihm
2.1. Die Unmöglichkeit einer allgemeinen Ontologie
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die „Ausdrucksfunktion" der symbolischen Repräsentation genannt. Sie findet sich in der Welt des Mythus, aber auch i m Alltag. Das Repräsentierende und das Repräsentierte, z. B. Zeichen und Gegenstand, werden hier nicht vom Menschen bewußt auseinandergehalten: Der Donner, mit dem ein Gott seinen Ärger anzeigt, ist nicht nur bloß Anzeichen seines Ärgers, sondern auch der Ärger selbst; ein Lächeln ist nicht bloß A n zeichen einer freundlichen Haltung, sondern auch die freundliche H a l tung selbst. W i r erinnern hier an ein ähnliches Konzept, das der participation mystique (Lévy-Bruhl). I n der traditionellen Rhetorik und zum Teil auch i m Tanz werden derartige Anzeichen oft weitgehend konventionell festgelegt, z. B. als konventionelle Gestik, wodurch sie zu einer A r t von Sprache gemacht werden. Der zweite Modus der symbolischen Repräsentation ist nach Cassirer die Anschauungsfunktion. Diese erzeugt nach ihm mit H i l f e der U m gangssprache unsere alltägliche Welt. Dies ist die Welt der räumlich und zeitlich geordneten Objekte, denen unäre Eigenschaften anhaften. Die Objekte (oder Substanzen) weisen zwei Arten von Eigenschaften auf, wechselnde oder akzidentelle und dauerhafte oder substanzielle. W i r finden diesen Modus der symbolischen Repräsentation bei Aristoteles; und sie ist die Basis einer trügerischen Beschreibung der Welt, einer Welt von unären Eigenschaften und Substanzen, wobei die ontologischen raum-zeitlichen Bestimmungen dann oft verschwinden und es zur A n nahme von platonistischen Substanzen kommt. Die dritte Weise oder den dritten Modus der symbolischen Repräsentation bezeichnet Cassirer mit „reiner Bedeutungsfunktion". Sie konstituiert die Welt, wie sie sich i n den Wissenschaften darbietet. U n d diese Welt ist eine Welt der Beziehungen, nicht der unären Eigenschaften, d. h. der Strukturen von Systemen i n D. I n den Wissenschaften unterscheiden w i r hier zwei Formen der Repräsentation, nämlich die empirische Beschreibung, für welche w i r eine empirisch deskriptive (operative) Semantik benötigen, und die strukturelle Repräsentation. Diese zwei Formen der Repräsentation scheinen bei K a n t als Erfahrung und Begriff auf; für die strukturelle Repräsentation muß eine Form der Semantik aufgestellt werden, die w i r „operationale" nennen. W i r beschränken uns, wie gesagt, hier auf die sprachliche Repräsentation durch Symbole und Zeichen i m Rahmen eines (Kon-)Textes, i. e. die Repräsentation von Teilen D der Welt. Es sei noch bemerkt, daß Wolff und Baumgarten die Kunst als eine sprachliche oder nicht-sprachliche Repräsentation betrachtet haben; folgerichtig
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
schrieben sie daher auch der Kunst kognitive Aspekte zu, welche Gegenstand einer Erkenntnistheorie sein können. 3. Die soziale Grundannahme. Daß das Wissen und die Wissenschaft auch ein ethisch-soziales Phänomen, ein Phänomen des gesellschaftlichen Lebens sind, war lange Zeit aus dem Blickpunkt verdrängt; denn für lange Zeit beschäftigte man sich nur mit der kognitiven Funktion der Wissenschaft, d. h. es wurden die Voraussagen, die Nachhersagen und die methodische Erklärung, kurz, die Erkenntnis, als das einzige Ziel, als das einzige Kriterium, und als die einzige Rechtfertigung der Wissenschaften gesehen. Die Wissenschaft als die Erfüllung der Neugierde, wie dies Aristoteles ausdrückte, oder die Wissenschaft um der Wissenschaft willen, oder die Wissenschaft als das Suchen nach der Wahrheit — all dies ist Ausdruck eines extrem kognitiven Wissenschaftsideals. Die Wissenschaft als das private Ideal des Wissenschaftlers, der wissenschaftliche Amateur des vorigen Jahrhunderts, der Wissenschaftler i m Elfenbeinturm, der das Menschenideal der traditionellen Universität war (und noch ist) — audi all dies gehört hier mit dazu. Erst als die Folgen der Wissenschaften sichtbar wurden, die von den Chemikern verschmutzten Flüsse, die von den Physikern hergestellte Atombombe und die von den Technikern verunstaltete Landschaft, besann man sich wieder auf die realisierende Funktion der Wissenschaften, und ihre guten und bösen Seiten — zunächst einmal auf die bösen. M a n stellt also wieder die Frage nach dem Wozu der Wissenschaften; und, wie w i r i n der Proto-Ontologie sehen werden, es ist die Realisation nicht nur heute die vielleicht wichtigste Funktion der Wissenschaften, sondern auch ein Kriterium der Existenz holistischer Systeme. Was meint nun die soziale Grundannahme? Sie geht von der realisierenden Funktion der Wissenschaften aus, d. h. dem sozialen Nutzen, den die Wissenschaft für den Menschen hat, und sagt nichts anderes, als daß die Realisierungen der Wissenschaft ein M i t t e l sein sollen, daß der Mensch für sich, seine Familie, seine Gruppe, die Gesellschaft Vorsorgen kann. Die Wissenschaften dienen dann dazu, die Unsicherheit der Zukunft zu verringern. M a n sieht also, daß Realisierungen Verwirklichungen von neuen gesellschaftlichen Ordnungen sein können, und nicht nur chemische Synthesen und von Physikern oder Ingenieuren erfundene Maschinen. V o n diesem Standpunkt aus kann es als die vornehmste Aufgabe des Wissenschaftlers angesehen werden, sich nicht i m Elfenbeinturm häuslich einzurichten, sondern Realisierungen zu schaffen, die der menschlichen
2.2. Allgemeine Vorbemerkungen zur Proto-Ontologie der Wissenschaften
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Gesellschaft nützen. Wie schon gesagt, die Frage nach dem, was existiert, gewinnt durch das Konzept der Realisierung einen neuen Aspekt. Auch die Wie-Frage, i. e. der kognitive Aspekt der Wissenschaften, kann von hier aus i n neuem Lichte betrachtet werden. M a n muß hier w o h l sagen, daß die Fragen, ob etwas existiert und wie etwas existiert, und ob nicht vielleicht nichts existiert, keine rein akademischen Fragen sind, wenn man bedenkt, daß der Mensch kraft der realisierenden Funktion der Wissenschaften neue holistische Systeme i n Existenz rufen kann. Alle diese Fragen sollen genauer i n der strukturellen Ontologie behandelt werden, einer strukturellen Ontologie, die durch die zwei genannten Formen der Semantik ergänzt wird. Denn eine strukturelle Ontologie ohne Semantik würde unbestimmt und vage sein; aber umgekehrt wäre eine Semantik ohne jede Ontologie inhaltsleer.
2.2. Allgemeine Vorbemerkungen zur Proto-Ontologie der Wissenschaften Die Ontologie der modernen Wissenschaften fiel fast immer mit der Ontologie der klassischen Logik und des einstelligen (monadischen) Prädikatenkalküls zusammen. Sie untersuchte die Voraussetzungen, die die Anwendung der klassischen Logik und des monadischen Prädikatenkalküls der Welt auferlegen. Quine hat ein derartiges „ontological commitment" aufgestellt; i m speziellen verstand er darunter, daß die Ontologie der Wissenschaften die des einstelligen Prädikatenkalküls sei, und daß die Ontologie durch den Bereich der gebundenen Subjektsvariablen bestimmt sei. Genau das haben Pap und Bergmann 2 kritisiert, und sie legten eingehend dar, daß die ontologische Voraussetzung des einstelligen Prädikatenkalküls ein metaphysischer „Subjekts"atomismus ist, welcher sich auch auf die mehrstellige Prädikatenlogik überträgt. M a n nimmt also an, daß die Individuenkonstanten des Prädikatenkalküls bestimmte atomhafte Dinge oder Objekte dieser Welt bezeichnen; die Subjektsvariablen beziehen sich auf Klassen von Dingen, die durch „ontologische" Typen vorgeordnet sind. D a m i t hat man prädikatenlogisch eine ontologische Vorentscheidung getroffen, nach welcher Dinge und aristotelische Substanzen bevorzugt werden, i. e. i n der Welt müssen Dinge, Objekte, Substanzen existieren, und die Prädikate designieren dann die essentiellen oder die akzidentellen Eigenschaften, die diesen Dingen auf geheimnisvolle Weise innewohnen oder ihnen anhaften. Was den Prädikaten 2
Quine (Object), S. 238 ff.; Bergmann, S. 211, 288 ff.
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
eigentlich ontologisch entspricht, bleibt in allen traditionellen Ontologien offen. Küng hat i m letzten Teil seiner „Ontologie und L o g i k " 3 die vergebliche Suche nach der Ontologie der Prädikate deutlich und drastisch illustriert. Daß diese Bevorzugung des Atomismus' letzten Endes eine Folge der aristotelischen Substanzkonzeption ist, ist schon angedeutet worden (vgl. S. 55). Aristoteles entwarf ja als erster die traditionelle Ontologie, insofern sie auf einstelligen Prädikaten aufgebaut ist. Dem Schiffbruch der „einstelligen" Ontologie i n den Gottesbeweisen folgte ein ähnlicher Schiffbruch i n der modernen Physik, und man kann w o h l vermuten, daß sie noch i n vielen anderen Wissenschaften, z. B. einer strukturalistischen Linguistik, einer soziologischen Gruppentheorie u. ä. Schiffbruch erleiden würde. Daß die (substanzhafte) Materie — wie dies einmal ein Physiker ausdrückte — von den Wissenschaftlern ins Molek ü l und dann ins A t o m gejagt worden sei, und von dort in die Elektronen und Protonen, und daß sie schließlich i m Wirbel der Elementarteilchen verloren gegangen sei, zeigt deutlich das Labyrinth und das Dilemma des Atomismus' i m traditionellen, uneingeschränkten Sinne. W i r haben hier die Suche nach immer letzten Teilchen, wodurch letztlich jedes Indivisibilium zu einem Divisibilium gemacht werden muß. Sieht man jedoch von der Suche nach einem letzten unteilbaren Teilchen ab, und läßt jedes System aus Subsystemen bestehen, dann kommt man damit zu einer Grundannahme auch der Proto-Ontologie, die mit Konzepten der Systemtheorie inklusive dem der Teilbarkeit arbeitet. Daß der uneingeschränkte traditionelle Atomismus mit seiner A n nahme von der Existenz letzter unteilbarer Teile (die sich dann doch empirisch wieder als teilbar erweisen), welchen Eigenschaften entweder innewohnen oder anhängen, wobei diese Eigenschaften mit unären Prädikaten bezeichnet werden, den heutigen relationalen Beschreibungen von physikalischen und besonders audi sozialen Systemen nicht mehr gerecht werden kann, zeigt besonders das Argument des physikalischen Feldes: soll man sagen, daß das Feld z. B. außerhalb der Atome besteht, oder w i r d es ausschließlich durch die Atome verursacht? Einstein z. B. entschied sich i m Falle des Gravitationsfeldes für die „singularitätsfreie" Lösung: über die einzelnen Massenatome, Sterne, Sonnen usw. w i r d nichts ausgesagt. Auch A r r o w geriet i n das Dilemma des Atomismus', als er versuchte, die menschliche Gesellschaft „atomistisch" auf den freien Präferenzen (der „freien W a h l " ) der unabhängigen Einzelindividuen aufzubauen. Die Unmöglichkeit eines derartigen Vorgehens nannte 3
Küng (Ontology), S. 161-179.
2.2. Allgemeine Vorbemerkungen zur Proto-Ontologie der Wissenschaften
157
A r r o w ein „paradox"; man kann sagen, daß dieses Paradoxon bedeutender ist als Gödels Erkenntnis, daß es unmöglich sei, eine widerspruchslose und gleichzeitig logisch reichere Prädikatenlogik aufzubauen, welche auf der Wahr-Falsch-Entscheidbarkeit von atomistischen Aussagen beruht. Bei Systemen wie der Sprache ist es oft von vornherein klar, daß die bloß atomistische Lösung unbrauchbar ist. Z. B. ist niemandem mit der bloßen atomistischen Aufzählung der jeweiligen Kasus als Eigenschaften von Worten gedient, wenn nicht gleichzeitig angegeben wird, wie diese Kasus i m Satz fungieren. Die Kasus sind also relational aufzufassen, auch wenn w i r sie manchmal atomistisch in Deklinationsmustern zusammenstellen und auswendig lernen. Die Beschreibung und Erkenntnis der Welt mittels einer Sprache, der die einstellige Prädikatenlogik und ihre Semantik zugrunde liegt, i. e. einer Sprache, die am Substanz-Akzidenz-Schema orientiert ist, führte zu den Kantschen Antinomien, den Widersprüchen der traditionellen Metaphysik und zur Grundlagenkrise der Mathematik; darüber hinaus führte sie dazu, daß man weitgehend die Idee eines modernen Systems der Ontologie aufgab, und damit die Möglichkeit einer Entscheidung darüber, was denn eigentlich existiere. M a n kann aber versuchen, eine neue Ontologie zu begründen, die analog der alten aufgebaut ist, aber deren Fallen vermeidet. Als formale Modelltheorie oder Methode, nicht als Logik, die den kognitiven wissenschaftlichen Sprachen „zugrundeliegt", nehmen w i r hier eine „semantische" (strukturelle) Mengenlehre, und w i r suchen nach den ontologischen Voraussetzungen der Mengenlehre, ohne diese auf dem (unweigerlich) platonistischen Idealkalkül einer monadischen Prädikatenlogik zu fundieren. Das Resultat ist dann, wie schon erörtert, eine strukturelle Ontologie und eine Semantik, die in zwei Systeme, eine operationale und eine operative Semantik, zerfällt; ein Nebenprodukt ist hier, daß die zugrunde liegende formale Methode der Wissenschaften weitgehend ihren syntaktischen Charakter verliert und einen semantischen annimmt, den w i r i n einer operationalen Semantik behandeln. Die bisher stets rein syntaktisch aufgefaßte Logik w i r d dadurch eine semantische Methode. Es scheint daher, daß sich die syntaktische Logik mehr und mehr in der Semantik der Wissenschaften verliert und darin aufgeht. Allerdings müssen w i r dann den Traum von einer in allen Welten gültigen Logik und von einer Semantik und Ontologie, die auch den letzten Winkel des Universums umgreift, zu Ende träumen. Eine strukturelle Ontologie und die damit verknüpfte operative und operationale Semantik ist, genau so wie die Wissenschaften auch, auf jeweilige
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2. Die Proto-ntologie der empirischen Wissenschaften
Gebiete D beschränkt, in die sie sich m i t den kognitiven Wissenschaften teilt. W i r vertreten hier also eine ausgesprochen empiristische Tendenz, übrigens auch, was die Logik betrifft, eine Tendenz, die i m Rahmen der Logik schon i m frühen Intuitionismus aufscheint (Brouwer und Weyl), i n den Systemtheorien von Ackoff und Miller, i n der empirischen Logik von Randall und in der Quantenlogik der Heisenberg-Weizsäcker-Mittelstaedt- oder der Jauch-Piron-Richtung. I m folgenden formulieren w i r proto-ontologische Annahmen, i. e. A n nahmen einer empirischen Ontologie, die auf neueren systemtheoretischen Überlegungen aufgebaut sind. Diese Proto-Ontologie soll gleichermaßen für die Mengenlehre als semantische „ L o g i k " der Wissenschaften, wie auch für die Wissenschaften i m allgemeinen gültig sein; auch ist sie, i n einem gewissen Sinne, teilweise für die Alltagserkenntnis gültig. Die empirische oder Proto-Ontologie gerät jedoch unweigerlich i n Konflikt mit den seit Frege und Russell üblichen Fundierungen der Mengenlehre auf dem einstelligen Prädikatenkalkül. Die Mengenlehre i n ihrer strukturalistischen Form bezieht sich — über LE — auf die Wirklichkeit, ohne daß w i r irgendeine logische Sprache dazwischen schalten müßten. W i r müssen uns also von der traditionellen Logik und der unären Prädikatenlogik trennen, oder zumindest ihre dominierende Rolle i n der Semantik, der Wissenschaftstheorie und auch der Ontologie abschwächen. W i r müssen uns das i m Detail so vorstellen, daß die i n den Wissenschaften verwendeten mathematischen Strukturen auf die Mengenlehre, z. B. die Bourbakische, reduziert werden können; daher können w i r auch davon sprechen, daß empirische Strukturen mittels deren Beschreibungen i n LE direkt als mengentheoretische Strukturen i n Lj 1 repräsentiert werden; man betrachtet sie gewissermaßen als spezielle mathematische Strukturen. Die Mengenlehre kann demnach als die direkte theoretische Repräsentation der Teil-Ganzes-Gliederung der Systeme i n D gesehen werden, traditionell ausgedrückt: als deren „logische" oder formale Struktur. Diese formalen Strukturen der Mengenlehre als die Strukturen der kognitiven Wissenschaften kann man besser an der Empirie überprüfen als z. B. die Mereologie Lesniewskis, d. h. man kann nachsehen, ob ihnen tatsächlich empirische Strukturen entsprechen, d. h. ob die Theorie gut bestätigt ist. W i r haben hier noch zu klären, was w i r unter einer strukturellen Mengenlehre verstehen. Unter einer strukturellen Mengenlehre verstehen w i r 1. eine Mengenlehre, i n der die Struktur, resp. der Begriff „Struktur" die Hauptrolle spielt, d. h. also Mengen und die dazugehöri-
2.2. Allgemeine Vorbemerkungen zur Proto-ntologie der Wissenschaften
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gen Relationen. I n unserem Sinne müßten w i r eigentlich stets von Mengentermen und Relationsausdrücken («-stelligen Prädikaten) reden; w i r führen dies hier aber nicht durch, weil es zu Verwirrungen Anlaß geben mag. 2. Eine strukturelle Mengenlehre basiert nicht auf dem prädikatenlogisch fundierten Komprehensions- und Abstraktionsaxiom, nach welchen die Klassenbildung meist auf einstelligen Prädikaten aufgebaut w i r d . 3. I m Rahmen einer strukturellen Mengenlehre sieht man Axiomatisierungen der ganzen Mengenlehre als völlig unwesentlich an, und man ist nur an Teilaxiomatisierungen von Strukturen interessiert. Die nun folgenden Annahmen sind von den proto-ontologischen A n nahmen, die man hinsichtlich der einstelligen Prädikatenlogik machen muß, grundverschieden. Es ergibt sich aus ihnen eine neue Formulierung des Konzeptes der A f f i n i t ä t , welche folgendes besagt: es besteht zwischen der den wissenschaftlichen Sprachen „zugrundeliegenden" strukturellen Mengenlehre, und den empirischen Strukturen eine grundsätzliche A f f i n i tät, die natürlich so erklärt werden kann, daß alle oder zumindest viele formale Strukturen zu einem gewissen Grade Invarianzen oder Versteinerungen von statistisch invarianten, operativ semantischen sind. Diese A f f i n i t ä t w i r d in der philosophischen Tradition die „analogia entis" genannt, welche hier als die Übereinstimmung von Strukturen aufgefaßt wird. Sie ist ein Hauptproblem der Erkenntnis der Welt und Ontologie. Können w i r beantworten, was diese Übereinstimmung oder Affinität ist, dann können w i r die Frage beantworten, warum w i r die Welt mit der wissenschaftlichen Sprache erkennen können. Wie leicht einzusehen, kann der Beweis nicht geführt werden, ohne daß man von dem Konzept einer operationalen und einer operativen Semantik Gebrauch macht. Die strukturelle Ontologie ist demnach umfassender und allgemeiner als die traditionelle Ontologie der Substanzen; sie gilt für alle kognitiven und realisierenden theoretischen Wissenschaften, gleichgültig ob diese Wissenschaften die anorganischen oder organischen Erscheinungen der Natur, die menschliche Gesellschaft oder deren Sprachen und Kulturen betreffen, und gleichgültig, ob diese Wissenschaften deterministischdeduktiv oder statistisch sind. Die Zweiteilung der Semantik i n eine operationale und eine operative ist vom Standpunkt der Erkenntnis aus notwendig; w i r haben davon bereits gehandelt. Aus der Tatsache der Existenz von zwei Semantikformen schon für die Umgangssprache kann man die Dualität des Theorienschemas ableiten, wie w i r es etwa bei Birkhoff-Neumann, Scheibe,
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
Destouches-Février, Carnap-Hempel, Suppes (formalistisches Schema), Suppe (semantisches Schema), W . Leinfellner (semantisches oder „linguistisches" Schema) finden. I n der Systemtheorie finden w i r unabhängig vom Theorienschema dieselbe duale Schichtung, ausgedrückt in der Zweiteilung der Systemtheorie i n eine empirische und eine formale. Die empirische Systemtheorie bedarf der operativen Semantik, die formale der operativen und der operationalen Semantik. Letzteres trifft — aus historischen Gründen — in den meisten Fällen auch auf die Umgangssprache zu (vgl. S. 225). Die erkenntnistheoretisch-semantischen Schichten der theoretischen Sprachen Tb korrespondieren also der Zweiteilung der Systemtheorie. Daher ist es sehr einfach, die Systemtheorie als eine Interdisziplin der theoretischen Wissenschaften zu interpretieren und die fundamentalen und primitiven Konzepte der empirischen Systemtheorie für den Aufbau einer Proto-Ontologie zu verwenden. Eine systemtheoretisch beeinflußte Ontologie zeigt die Welt als ein Netzwerk oder eine Hierarchie von Systemen, deren empirische Strukturen theoretisch (mathematisch), resp. mengentheoretisch abgebildet werden können. Wie Semantik und Strukturabbildung H a n d in H a n d gehen, wollen w i r die Welt erkennen, w i r d noch dargestellt werden. Die empirischen Systeme werden also, soferne sie Gegenstand einer Theorie sind, d. h. zum Bereich D einer Theorie gehören, in der empirischen Basissprache LE beschrieben; möglich ist dies nur, wenn sie die revidierten Ehrenfels-Kriterien, i. e. die auf die Proto-Ontologie zurechtgeschnittenen Ehrenfels-Kriterien (vgl. S. 169) erfüllen, und wenn LE den operativen semantischen Kriterien genügt. Mengentheoretische Modelle von Theorien, bzw. deren Axiomatisierungen zeigen dann klar, daß Theorien tatsächlich die empirische Struktur der Systeme theoretisch repräsentieren, relativ auf einen bestimmten ontischen Bereich D der Theorie. Faßt man eine strukturelle Mengenlehre als eine Sprache auf — i m Gegensatz zu den Ansichten der neuen formalistischen Schule (Suppes, Adams, Sneed), nach welcher w i r sie als etwas Außersprachliches zu betrachten hätten — dann sind die in den axiomatisierten mengentheoretischen Modellen (Kernen K ) einer Theorie vorkommenden Strukturen Strukturabbilder der außersprachlichen oder empirischen Systeme i n einem Segment D. Dies erklärt zwanglos, warum die ProtoOntologie eine Vorordnung der Welt i n D ist. Genau so wie Aristoteles in seiner Substanzontologie die Welt für die Beschreibung durch unäre Prädikate vorordnete, genau so müssen w i r heute die Welt vorordnen,
2.3. Vorbemerkung zur systemtheoretischen Behandlung der Pröto-Ontologie
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ζ. B. in einer systemtheoretisch ausgerichteten Proto-Ontologie, wollen w i r die strukturelle Mengenlehre anwenden.
2.3. Vorbemerkung zur systemtheoretisdien Behandlung der Proto-Ontologie Die Systemtheorie ist eigentlich gar keine Theorie, sondern eine Interdisziplin, die als eine A r t genereller Modelltheorie von der adäquaten Beschreibung, der Erkenntnis und der Struktur zusammenhängender Systeme handelt. Ihre Methoden und ihre bisherigen Ergebnisse werden hier das erste M a l für eine Ontologie der Wissenschaften benützt. Eine derartige allgemeine Systemtheorie 4 umfaßt sowohl holistisch ausgerichtete Disziplinen, wie die traditionelle Ganzheitsphilosophie und die Gestaltpsychologie, als auch Disziplinen, die einen „entschärften" Atomismus vertreten. Z. B. fallen unter den entschärften Atomismus die atomistischen Methoden, die bei der Beschreibung von chemischen Verbindungen (Systemen) verwendet werden. Die Systemtheorie verhält sich daher gegenüber den Kontroversen Mechanismus-Vitalismus, DeterminismusIndeterminismus u. ä. neutral. Die Frage, ob die Gestalt, das System früher sei als die Teile — schon Aristoteles hatte, als Biologe, das Ganze vor die Teile gestellt — oder ob vielmehr atomistisch das U m gekehrte der Fall sei, d. h. daß die Ganzheit aus den atomistischen Teilen erzeugt wird, all dies berührt die Systemtheorie kaum. M a n kann — um ein Beispiel zu bringen — eine natürliche Sprache ohne weiters als ein System ganz im Sinne der Systemtheorie ansehen; trotzdem können w i r darauf bestehen, daß es i n manchen Fällen zweckmäßiger ist, atomistisch vorzugehen, und i n anderen Fällen holistisch. Wie gesagt, ist die Systemtheorie eine umfängliche, um nicht zu sagen riesige, Interdisziplin geworden, welche w i r hier i n zwei fundamentale Schichten oder Teildisziplinen aufspalten: 1. haben w i r die empirische Systemtheorie, die zur proto-ontologischen Fundierung der Wissenschaften benützt w i r d ; man kann sagen, daß sie die empirischen Gegebenheiten vorordnet, sodaß diese als Systeme in Theorien Th beschrieben werden können. 2. enthält die Systemtheorie als Ganzes eine formale oder mathematische Systemtheorie, die zur isomorphen Repräsentation der empirischen Struktur der Systeme mittels formaler mathematischer, e. g. mengentheoretischer Sprachen verwendet w i r d 5 . 4 5
Sutherland, S. 17-87. Rapoport; Suppes-Zinnes, S. 1 - 22.
11 Leinfellner
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
Gleichgültig, ob es sich um die empirische oder die formale Systemtheorie, oder um die verschiedenen Anwendungen der Systemtheorie in den Einzelwissenschaften handelt, alle die verschiedenen Varianten der Systemtheorie haben ein gemeinsames Ziel: die Struktur und die Funktion der empirisch existierenden Systeme — seien diese nun statisch oder dynamisch — m i t H i l f e von empirisch beschreibenden und begrifflich strukturellen sprachlich fundierten Methoden zu erkennen und darzustellen. Wie gesagt, soll hier zum ersten M a l konsequent dargestellt werden, wie die empirische Systemtheorie als eine Proto-Ontologie der Wissenschaften aufgebaut werden kann. Anfänge dazu finden sich in der Kopenhagener Schule der Quantenphysik (Bohr, Heisenberg, Pauli), i n der Biologie und Biochemie (Driesch, Bertalanffy, R. W . Gerard, J. M i l ler), i n der Psychologie bei Köhler, Koffka, Ehrenfels und in K . Lewins Feldtheorie, in der Ökonomie (Ackoff, Churchman), i n den Sozialwissenschaften (Parsons, Rashevsky, Rapoport), in den Politischen Wissenschaften (Parsons, Almond, Kaplan) und auch i n der mathematischen Systemtheorie, z. B. den rein formalen Methoden, wie sie zur Strukturrepräsentation physischer Systeme verwendet werden (Rapoport, Zadeh). Sutherland hat bereits die fundamentale N a t u r der Systemtheorie gesehen und sie als ein „ontological commitment" (ontologische Verpflichtung) betrachtet 6 . Diese ontologische Verpflichtung ist — im Gegensatz zur Quineschen ontologischen Verpflichtung, nach welcher das Sein „prädikatenlogisch" durch das Sein der gebundenen Variablen bestimmt ist — nicht mehr an die einstellige aristotelische Prädikatenlogik als zugrunde liegende Logik gebunden, sondern an eine strukturelle Mengenlehre. M a n kann so eine etwas veränderte empirische Systemtheorie als Proto-Ontologie und als strukturelle Vorordnung der Welt, als Vorordnung für die Anwendung der Methoden der Theorien und einer strukturellen Mengenlehre ansehen, was bis jetzt vernachlässigt worden ist. Es soll hier eingehend untersucht werden, wie dadurch die Wissenschaftstheorie ontologisch, semantisch und methodologisch erweitert wird. Dies kommt einer völligen Neuorientierung der Wissenschaftstheorie gleich und sie w i r d damit von der Enge einer bloß logischen Disziplin befreit. Eine generelle Systemtheorie, z. B. nach Gerard, Miller und Rapoport befreit uns auch vom Atomismus als Paradigma, z. B. von der Annahme, daß all unser Fortschritt in der Erkenntnis an das Auffinden von letzten 6
Sutherland, S. 60 - 62, S. 78 - 87.
2.3. Vorbemerkung zur systemtheoretischen Behandlung der Proto-Ontologie
163
materiellen Urbestandteilen gebunden ist, einer aristotelischen Suche nach den „Gründen". Derart lassen w i r hier zwar zu, daß Systeme i n Teilsysteme zerfallen, und diese wiederum in aridere Teilsysteme, aber w i r lehnen die Auffassung ab, daß es einen „letzten" Teil gibt. Deutsch beschreibt dies folgendermaßen 7 : Das mechanistische, atomistische Ideal beruht auf dem Konzept, daß das ganze System gleich ist der Summe seiner Teile und daß nichts verloren geht, wenn w i r ein System in seine Teile zerlegen. Das Ganze ist die Summe seiner Teile, unabhängig davon, wie w i r das System aufbauen und sogar unabhängig davon, in welcher Reihenfolge sich die Synthese vollzieht. Das atomistische Ideal impliziert auch konsequenterweise, daß sich die Teile niemals gegenseitig beeinflussen, noch daß sie sich in der Vergangenheit beeinflußt haben. Ferner w i r d impliziert, daß jeder Teil, wenn er sich einmal i n der richtigen Position befindet, unveränderlich i n derselben Situation verharrt. Das atomistische, mechanistisch-deterministische Paradigma ist in den letzten Jahrzehnten schwer erschüttert worden; an seine Stelle trat aber nicht ein Neovitalismus, sondern ein holistisches Systemdenken, wobei unter dem Zwang neuer biologischer und soziologischer Erkenntnisse das atomistische Substanzdenken aufgegeben werden mußte. W i r müssen bedenken, daß w i r hier von einem nicht-entschärften Atomismus reden, d. h. einem Atomismus, der keine andere Erklärung der Empirie zuläßt als die atomistische, wie sie gerade charakterisiert wurde. Systeme von nicht-atomistischem Charakter finden w i r besonders, wenn w i r dynamische, ganzheitliche Verhaltenssysteme untersuchen, die sich raum-zeitlich entfalten, oder wenn w i r Organisationen betrachten, die sich in dynamischer Interaktion befinden und die sich zielsuchend verhalten, usf. Jede Definition oder Explikation von Systemen muß weiters so beschaffen sein, daß sie alle möglichen Systeme umfaßt, z. B. biologische, soziale, sprachliche, ja sogar logische und mathematische. W i r müssen aber hier Systeme ausscheiden, die sich jeder Analyse entziehen; z. B. kann es in der Biologie vorkommen, daß der Unterschied zwischen in v i v o und i n vitro so groß ist, daß w i r über das System i n v i v o nichts mehr rechtes aussagen können, d. h. daß die Unschärfe zu groß geworden ist. Man kann sagen, daß neben der Systemtheorie auch eine allgemeine Modelltheorie i m Sinne von Stachowiak zu einer Proto-Ontologie beitragen kann. Stachowiak 8 hat in seiner allgemeinen Modelltheorie einen 7 8
11*
Deutsch. Stachowiak, S. 69, 114.
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
if -Faktor verwendet, der i m Verein mit systemtheoretischen, spieltheoretischen, informationstheoretischen und kybernetischen Komponenten ein entscheidungstheoretisches Modell ergibt, das besonders zur Lösung des Problems von System-Umgebungssystem geeignet ist. Dieses entscheidungstheoretische Modell ist, wie leicht einzusehen, von großer Bedeutung für die Sozialwissenschaften. Stachowiaks Modell umfaßt nicht nur formale Systeme, sondern auch alle problemlösenden Systeme, seien diese nun von physikalischem, biologischem, sozialem oder kulturellem Charakter. Unter dem X-Faktor versteht er einen auf pragmatische Entscheidungen gerichteten Operator oder Operateur, der die Interaktionen von Systemen mit den Umgebungs- oder den Supersystemen aktiv regulieren kann. Der Operateur gehört dem menschlichen Geschlecht an, der Operator dem sächlichen: er ist ein automatisches Regulationssystem. Der X-Faktor entspricht dem schon angeführten sozialethischen Aspekt der Wissenschaften.
2.4. Der induktive Charakter der Proto-Ontologie U m die i m weiteren folgenden Erörterungen besser zu verstehen, geben w i r hier eine Skizze, wie man die Proto-Ontologie und gleichzeitig die strukturelle Ontologie selbst (von der die Proto-Ontologie ein Teil ist) rechtfertigen könne. Eine strukturelle Ontologie, wie w i r sie hier entwerfen, kann keine absolute oder metaphysische Disziplin sein, sondern sie ist induktiv und hypothetisch; sie ist so gut — oder so schlecht — wie die wissenschaftlichen Theorien, auf die sie sich bezieht. Sind die betreffenden Theorien schlecht bestätigt, dann werden auch die Aussagen einer strukturellen Ontologie ungenau sein. Die folgenden proto-ontologischen Annahmen können zum Teil innerhalb der Proto-Ontologie als Lemmata (aus der Systemtheorie) angesehen werden; alle Annahmen werden schrittweise als minimale aber zugleich optimale Annahmen gerechtfertigt werden. Zugleich liefern sie auch die A n t w o r t auf die ontologische Hauptfrage: Was existiert? Diese Frage haben w i r i m Umriß schon zu beantworten gesucht. Alle auf S. 177 aufgezählten Kriterien der empirischen Existenz eines Systems setzen nämlich selbst voraus, daß die Struktur des empirischen Systems bekannt ist; eine Ausnahme macht hier das Realisationskriterium von Strukturen. D . h. die Frage, was existiert, setzt voraus, daß man die Frage, wie etwas existiert, beantworten kann.
2.4. Der induktive Charakter der Proto-Ontologie
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Die Rechtfertigung der proto-ontologischen Annahmen und der ganzen strukturellen Ontologie geschieht in einem Verfahren, das w i r mit Anschluß an Lukasiewicz und BocheAski „ r e d u k t i v " nennen. Dieses Verfahren, welches dem hypothetischen Verfahren der Wissenschaften verwandt ist oder zu Grunde liegt, erhärtet i m Nachhinein die protoontologischen Annahmen Ο durch die Semantik und Struktur der Sprache, 2 , und die Methodologie der Wissenschaften, M . Bekanntlich kann man ja mit Lukasiewicz und B o d ^ s k i alle Schlußverfahren oder Folgerungen in deduktive und reduktive einteilen. Die deduktiven Verfahren sind an den modus ponens, Wenn Α, dann Β ; Nun aber A ; Also Β, gebunden. Bei den reduktiven Verfahren hingegen schließt man umgekehrt von Β auf Ay wobei w i r gleich zu unserer Rechtfertigung der ProtoOntologie übergehen: Wenn A> dann Β; Nun aber Β ; Also A ;
Wenn O, dann 2 und M ; Nun aber 2 und M ; Also O.
Die Deduktion — hier durch den modus ponens exemplifiziert — und die Reduktion können beide i n eine progressive und eine regressive eingeteilt werden. Bei beiden Formen der Reduktion ist der Nachsatz als richtig bekannt, nicht jedoch der Vordersatz. Bei der progressiven Reduktion beginnt man mit dem seinem Wahrheitswert nach nicht bekannten Vordersatz und rückt zum bekannten Nachsatz vor. I n den Wissenschaften nennt man dies die Verifikation. Bei der regressiven Reduktion beginnt man mit dem bekannten Nachsatz und geht zum unbekannten Vordersatz vor. M a n kann auch eine andere Einteilung einführen, nach welcher man den Charakter des Vordersatzes berücksichtigt. Ist der Vordersatz eine Verallgemeinerung des Nachsatzes, dann nennt man eine derartige Reduktion „ I n d u k t i o n " . W i r wollen dieses induktive Rechtfertigungsverfahren zur Rechtfertigung der Proto-Ontologie und auch der strukturellen Ontologie als Ganzes verwenden. Das reduktive Verfahren zur Rechtfertigung der strukturellen Ontologie als Ganzes zerfällt in mehrere Schritte: 1. Werden die Annahmen (oder Obligate) der Proto-Ontologie aufgestellt, welche zum Teil der (empirischen) Systemtheorie entlehnt wer-
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
den und die ganz allgemein die empirischen Systeme vorordnen, sodaß man diese mengentheoretisch-strukturell erkennen kann. Sind diese A n nahmen gerechtfertigt, dann kann man die ganze strukturelle Ontologie, welche ja bloß i m Rahmen der Proto-Ontologie Annahmen benötigt, als gerechtfertigt betrachten. 2. Regressionsstadium. I n diesem muß gezeigt werden, daß die operative und später die operationale Semantik der Wissenschaftssprachen, sowie die Wissenschaftsmethodologie ein-eindeutige Kriterien und Methoden liefern, die alle Aufgaben einer kognitiven Theorie (Beschreibung der empirischen Struktur, Repräsentation der empirischen Struktur) erfüllbar machen. W i r weisen darauf hin, daß die strukturelle Ontologie primär eine Ontologie der Wissenschaften sein soll; Ergebnisse für die Alltagserkenntnis sind gewissermaßen ein Nebenprodukt. 3. Affinitätsnachweis. Es muß gezeigt werden, daß die theoretischen Strukturen, die die empirischen Strukturen in D repräsentieren, mit den Systemereignissen oder Systemzuständen, Systemen strukturell affin sind. Das heißt, daß die mengentheoretischen Eigenschaften, die den Relationen gemäß dem Axiomensystem zukommen, mit den empirischen Eigenschaften der Beziehungen formal übereinstimmen müssen. H a t man z. B. festgestellt, daß gleiche Werte symmetrisch sind, d. h. daß w (Oi) = w (o 2 ) = w (0 2 ) = w (Ol), dann müssen i n D Systemereignisse, bzw. Beziehungen auftreten, die dieselbe Eigenschaft aufweisen, z. B. eine I n differenzbeziehung, die symmetrisch ist: Ein Individuum, das sich gegenüber Οι und 0 2 indifferent verhält, verhält sich auch gegenüber 0 2 und Οχ indifferent. Die Affinität verknüpft also ontologische Strukturen mit theoretischen, die Isomorphie Aussagen in LE mit theoretischen Aussagen in LT. 4. Die operativen und die operationalen Kriterien, i. e. die semantischen Kriterien inklusive der mengentheoretischen Abbildungskriterien u. ä. müssen stets so beschaffen sein, daß sie die optimale Erkenntnis in kognitiven Theorien und die optimale Realisation in technologischen Theorien garantieren. N u r i m Rahmen kognitiver und/oder realisierender Theorien, die in einer optimalen Weise repräsentieren, sind exakte Vorher- und Nachhersagen und Erklärungen möglich; auch totale und partielle Realisierungen sind weitgehend an Theorien gebunden. Vorherund Nachhersagen, Erklärungen und Realisierungen entscheiden letzten Endes über die Güte, ζ. B. den Bestätigungsgrad wissenschaftlicher Theorien. U n d der Wert, die Güte von Theorien, ζ. B. der Bestätigungsgrad,
2.4. Der induktive Charakter der Proto-Ontologie
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mit dem sie gelten, übertragen sich reduktiv auf die Güte der strukturellen Ontologie inklusive der Proto-Ontologie, welche ein Teilgebiet der strukturellen Ontologie ist. Damit w i r d auch reduktiv darüber entschieden, was in unserer Welt existiert. I n den Sätzen oder Annahmen 1 - 3 7 legen w i r daher eine ProtoOntologie fest, welche als ein Teil einer strukturellen Ontologie deren Grundlage bildet, und auf die sich die ganze reduktive Rechtfertigung bezieht. Betrachten w i r die wissenschaftliche Erkenntnis, dann können w i r gewisse Charakteristika festhalten. Z. B. w i r d in einer Theorie die empirische Struktur der Systeme S in D (S D) auf einen Teil der Sprache 7h der Wissenschaften, LT y abgebildet. Dies setzt voraus, daß alle Funktionen von Th durch Regeln erschöpfend gekennzeichnet werden, so die operativ semantischen, die operationalen Regeln, usf. Die Tatsache, daß w i r die Logik — zumindest auf weite Strecken — semantisch auffassen, erklärt, warum auch sie zur Repräsentation herangezogen werden kann. I n der konstruktiven strukturellen Ontologie (dem Überbau) und der sie ergänzenden operationalen Semantik erklärt man dann diejenigen strukturell kognitiven Funktionen der Theorie, die nicht in der Proto-Ontologie und der sie ergänzenden operativen Semantik erklärt worden sind. Die proto-ontologischen Annahmen gehen jeder kognitiven und/oder realisierenden Theorie voraus, wenn diese mathematische und/oder kognitive Methoden besitzt, die entweder strukturell-mengentheoretisch formuliert oder einer strukturellen Mengenlehre äquivalent sind, oder ein mengentheoretisches Modell besitzen. Die proto-ontologischen Grundannahmen oder Obligate sollen also so formuliert sein, daß sie 1. jeder wissenschaftlichen Weltkonzeption vorangehen, 2., daß sie mit dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaften nicht in Widerspruch stehen, d. h. semantisch m i t diesen kompatibel sind. 3. muß es möglich sein, diese proto-ontologischen Annahmen als ein ontologisches Vorverständnis der Welt zu betrachten, auch wenn sie nicht im Zusammenhang mit einer wissenschaftlichen Theorie gebraucht werden. 4. sollen die proto-ontologischen Annahmen für die Begründung der Ontologie und auch der Erkenntnistheorie fruchtbar sein.
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
2.5. Proto-ontologische Annahmen Eine der ersten — oder: die erste — Annahme, die jeder Wissenschaftler, der an Teilabschnitte der Wirklichkeit, D , herangeht, implizit oder explizit macht, ist die Annahme, daß das, was es zu untersuchen gilt (das Feld oder der Bereich D ) , einen inneren Zusammenhang (empirische Roh- oder auch Feinstruktur) zeigt. Der Wissenschaftler t r i t t also an das ontologische „ W i e " heran. Würde der Wissenschaftler diese Annahme nicht machen, dann würde er m i t seiner Arbeit gar nicht anfangen. Die Annahme, daß das zu Untersuchende, ein Teilausschnitt D , einen „inneren" Zusammenhang, eine empirische Struktur zeigen soll, kann protoontologisch folgendermaßen formuliert werden. Annahme 1. Annahme des Zusammenhanges in D. Die fundamentale empirische Struktur aller D's besteht darin, daß sie ein System von (Teil-)Systemen S ι , S 2 , · · ·> Sn sind, welche untereinander i n Wechselwirkung, Interdependenz stehen, d. h. daß sie eine aitiale Struktur (vgl. S. 191) besitzen. D a nun der Wissenschaftler an diesem Punkt noch gar nicht recht weiß, wie sein Bereich D beschaffen, resp. umgrenzt ist, ist es für ihn am besten anzunehmen, daß die ganze Welt ein System von Systemen ist, wie dies in der globalen Zusammenhangsthese, Annahme 2, formuliert wird. Man kann auch vom Standpunkt eines extrem eingestellten Statistikers aus sagen, daß der Wissenschaftler annimmt, daß es Paare von Systemereignissen gibt, die man nach Menges als aitai oder allgemein als voneinander abhängig ansehen kann. Es ist klar, daß der Statistiker sich dann auf statistisch signifikante Paare beschränken w i r d , und daß dadurch ein bestimmtes Gebiet D vom Rest der Welt abgetrennt wird. Annahme 2. Die Welt ist ein System von Systemen oder eine Hierarchie von Systemen. Dies ist strikt als (proto-ontologische) Annahme zu verstehen. Ebenso wie nach Russell keine durchgängigen Kausallinien aufgefunden werden können, und ebenso, wie w i r empirisch nicht erweisen können, daß es durchgängiges Verhalten gibt, ebensowenig können w i r empirisch zeigen, daß die Welt ein System von Systemen ist. Nichtsdestoweniger macht jeder Wissenschaftler diese Annahme, bevor er an die Erforschung eines Gebietes D geht. Würde er diese Annahme nicht machen, dann müßte er annehmen, daß große Teile der Welt sich in (Zufalls-)Unordnung befinden und sich damit jeder eindeutigen Erkenntnis entziehen. Tatsächlich aber setzt er die Welt als System von Systemen oder Hierarchie von Systemen voraus; er schneidet aus diesem
2.5. Proto-ontologische Annahmen
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— proto-ontologisch vorausgesetzten — System von Systemen künstlich bestimmte Systeme oder Teilsysteme heraus, die zusammen den Bereich D bilden, wobei er sich der umgewandelten Ehrenfels-Kriterien oder K r i terien, die diesen äquivalent sind, bedient. Es folgt daher als nächste A n nahme Annahme 3, die Annahme von der Isolierung der Systeme mit H i l f e der veränderten Ehrenfels-Kriterien. Diese können gleichermaßen für die Alltagserkenntnis als auch für die wissenschaftliche Erkenntnis gelten. Annahme 3. Abtrennung Ehren fels-Kriterien.
der Systeme mit Hilfe
der umgewandelten
3.1. Jedes System muß als solches von dem übergeordneten System oder dem untergeordneten System relativ abhebbar und trennbar sein, kurz, es muß angebbare Grenzen besitzen. Für die Wissenschaften müssen w i r hier hinzufügen, daß diese relative Abtrennung hinsichtlich einer wohldefinierten Sprache LE und deren Semantik geschehen muß. 3.2. Das System muß in sich relativ zusammenhängend und raumzeitlich relativ konstant sein. V o m Standpunkt der empirischen Struktur aus heißt das, daß die statischen und dynamischen Beziehungen der Teile des Systems miteinander in konstanter oder periodisch wiederkehrender Weise verknüpft sein sollen; wiederum muß i m Falle der Wissenschaften dieses Kriterium auf LE relativiert werden. 3.3. Jedes System soll transponierbar sein, zumindest i m Prinzip. Diese von Ehrenfels und auch von Wertheimer herausgearbeiteten Qualitäten oder Kriterien, welche bei ihnen als Kriterien der empirischen Gestalt fungieren und bei uns als erste, proto-ontologische K r i terien der Systeme, müssen, wie gesagt, ohne jeglichen theoretischen Oberbau funktionieren. I n den Wissenschaften sind sie auf LE relativ, für die Erfahrungen des Alltags auf die Umgangssprache, sowie deren respektive Semantiken. Alle diese Überlegungen sagen also, daß ein empirisches System als ein raum-zeitlich relativ konstantes Bündel von Beziehungen zwischen materiellen Teilen in D angesehen werden kann, und daß dieses Bündel gewisse wahrnehmbare, beobachtbare oder angebbare Grenzen haben muß, so ζ. B. ein ökonomisches Marktsystem, eine Sprache als System gesehen, periodisch wiederkehrende Schwingungen, etc., das System Erde usw. Ferner muß das Bündel einen inneren Zusammenhang zeigen; es soll i m Prinzip transponierbar sein, es muß in LE oder umgangssprachlich beschreibbar sein, und es muß die Beschreibung des Bündels den Kriterien der operativen Semantik genügen.
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2. Die Proto-Ontologie der empirisen Wissenschaften
Damit haben w i r die Frage beantwortet, welche prinzipiellen unmittelbaren Kriterien man eigentlich besitzt, w i l l man empirische Systeme auseinanderhalten, d. h. w i l l man bestimmen, wo ganze empirische Systeme aufhören und wo sie anfangen. Es ist einsichtig, daß diese A b grenzung und Isolierung der Systeme auf der untersten Ebene, d. h. der Ebene der empirischen Beobachtung, resp. der empirischen Beschreibung in LE durchgeführt werden können muß, d. h. ohne Kenntnis der theoretischen Struktur. Letzten Endes muß man jedoch annehmen, daß hier nicht einmal die Kenntnis der empirischen Struktur nötig ist. W i r müssen also nicht wissen, welche exakte empirische Struktur eine Substanz von gewisser chemischer Beschaffenheit hat, wollen w i r sie als System abtrennen oder isolieren. Dies ist ohne weiters einsichtig: Bevor w i r uns m i t der empirischen — z. B. chemischen — Struktur von etwas befassen, müssen w i r den Gegenstand unserer Untersuchung vor uns hinstellen, d. h. als ganzes System isolieren. Daß hier Irrtümer möglich sind, soll nicht bezweifelt werden; w i r haben daher unten die Formulierung vom „Etwas, das ein System zu sein scheint", verwendet. Diese umgewandelten Ehrenfels-Kriterien gestatten es uns, die (vorläufige) Rohstruktur eines empirischen Systems zu bestimmen, die erst später durch die Feinstruktur, die mit H i l f e der Theorie gewonnen wird, ergänzt oder erweitert wird. So konnte man Schwefelsäure isolieren, lange bevor man ihre chemische Strukturformel (Feinstruktur) kannte, und unter gewissen Umständen kann man sogar ein Lichtquant mit freiem Auge sehen. Doch genügt dies nicht, w i l l man die empirische Struktur eines Systems i m Detail kennen, d. h. seine Feinstruktur. Annahme 4. Trennbarkeit von Teilen und Beziehungen. Ein gegebenes Etwas, das w i r mit H i l f e der Ehrenfels-Kriterien von seiner Umgebung abgetrennt haben und das ein System zu sein scheint, muß prinzipiell in eine konkrete, wenn auch nicht das System erschöpfende Anzahl von Teilen zerlegbar oder analysierbar sein. Diese Teile werden stets als Subsysteme angesehen, und hat man sie gefunden, dann hat man damit auch gleichzeitig die Beziehungen erhalten, die zwischen ihnen bestehen. Hier bietet sich eine gute Analogie aus der Mengentheorie an. Ein Mengenkörper ist bezüglich der Vereinigungs- und Komplementärmengenbildung abgeschlossen (für die Axiome vgl. S. 380). Setzt man nun anstelle des Mengenkörpers das System, anstelle der Teilmengen die Teilsysteme, die Teil-Teilsysteme etc., und anstelle der Operationen der Vereinigungs- und Komplementärmengenbildung die Beziehungen zwi-
2.5. Proto-ontologise Annahmen
171
sehen den Teilsystemen etc., dann erhält man ein einfaches Bild für das Herausschneiden der Systeme zum Zwecke der Erkenntnis. Hier kommt also automatisch ein gewisser beschränkter Atomismus zum Zug. Proto-ontologisch gesehen sind die Teile oft nur potentiell, ganz im aristotelischen Sinne, d. h. sie müssen empirisch postuliert werden. Diese Potentialität der Teile kann man sehr gut an einem Beispiel aus der Chemie erläutern: Betrachten w i r Benzol als isoliert existierendes System, dann hat es bestimmte wohlbekannte Eigenschaften, und ebenso Methan. T r i t t aber Benzol mit Methan zum Toluol zusammen, d. h. daß Benzol methyliert wird, dann verhalten sie sich als Teile i m System Toluol anders als i m isolierten Zustand. Die Teile Benzolkern und Methylsubstituent sind sozusagen potentiell i m Toluol vorhanden und werden als conditiones sine qua non der Strukturformel angesehen. Das alte aristotelische Gegensatzpaar von Potentialität und Aktualität kann hier ohne weiters angewandt werden. Die Teile existieren hier also potentiell; aktual ist nur das System, Toluol. Alle hypothetisch angenommenen Reste, Radikale, Substituenten, wie sie i n der organischen Chemie vorkommen, werden sozusagen als potentielle Teile oder Teilsubstituenten des ganzen Systems angesehen; als solche werden sie i m Verlaufe der chemischen Strukturanalyse empirisch als potentielle Teile des Systems bestätigt. I n der Chemie ist es manchmal möglich, ein freies Radikal zu realisieren, welches sogar kurze Zeit außerhalb des Systems existiert, aber nicht beständig ist. Es ist also eine empirisch ontische Tatsache, daß sich beim Eintreten eines Teiles i n ein System, ζ. B. beim Zusammentreten des Benzolkerns und des Methylsubstituenten zum System Toluol, der Teil selbst ändert. Dies ist etwas, was nach den Vorstellungen eines nicht entschärften Atomismus' eigentlich gar nicht vorkommen dürfte. I m Bereich der sozialen Systeme sind derartige Vorgänge alltäglich, so alltäglich, daß sie ein beliebtes literarisches Thema abgeben. T r i t t ein Einzelindividuum von einer Gruppe zu einer anderen über — ζ. B. wenn jemand vom bloßen Angestellten zum Generaldirektor befördert w i r d , oder vom Dozenten zum Professor — dann w i r d sich seine Funktion, sein Verhalten, sein „image", kurz, seine Rolle, ändern. V o m Rollencharakter, i. e. dem sozialen System, der Gruppe her gesehen, existiert er als Einzelindividuum nur potentiell, und er verhält sich in seiner Rolle anders, als er sich als bloßes Einzelindividuum verhalten würde, d. h. als isoliertes Einzelindividuum. Ein Mann ζ. B., der dem katholischen Priesterstand angehört und daher der Regel des Zölibats unter-
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
worfen ist, würde sich als isoliertes Einzelindividuum vermutlich nicht dem Zölibat entsprechend verhalten. M a n kann sich bei der Zerlegung eines Systems i n Teile auch irren, d. h. es können Teile potentiell als solche angesehen werden, eine nachherige Analyse erweist aber, daß dies falsch war. Es kann auch vorkommen, daß man aus empirischen Gründen nicht feststellen kann, ob etwas ein Teil ist oder nicht. W i r werden i m folgenden Beispiel sehen, daß die sogenannten Phoneme der Linguistik als Teile oder Subsysteme des Systems der gesprochenen Sprache oder des Systems der Phoneme betrachtet werden können. Die Methode zur Ermittlung der Phoneme als Teile des ganzen Systems erfordert i m Rahmen gewisser Theorien, daß für alle Phoneme minimale Paare wie „lassen — fassen", also Worte, die sich nur durch einen Anfangslaut unterscheiden, aufgestellt werden. N u n gibt es aber i m Deutschen ein Wort, für das kein solches minimales Paar aufgestellt werden kann, und das ist das entlehnte Wort „Journal". Es kann daher für „ j " i n dieser spezifischen Aussprache (im Gegensatz zu „ j " in „Jause") nicht entschieden werden, ob es ein Phonem, i. e. ein Teil oder Subsystem der gesprochenen deutschen Sprache oder des Systems der deutschen Phoneme ist, obwohl w i r guten Grund haben, anzunehmen, daß es potentiell ein solcher Teil ist. 4.1. Zwischen den Subsystemen (Teilen) müssen also entweder beschreibbare, bzw. direkt beobachtbare oder theoretisch erschließbare Beziehungen (Relationen) herrschen. Einstellige Prädikate werden nur als Abkürzungen von zumindest zweistelligen Relationsausdrücken angesehen. Diese letzte Forderung kommt ziemlich nahe an ein Verbot der Beschreibung mittels einstelliger Prädikate heran, d. h. Beschreibungen von Strukturen sollen keine einstelligen Prädikate enthalten. M a n muß aber die einstelligen Prädikate zulassen, handelt es sich um eine gewisse A r t von einfachen Zustandsbeschreibungen, z. B. „Wasser ist eine Flüssigkeit, die bei 100° C siedet". Genau betrachtet muß man jedoch folgendes sagen: Gestattet man einstellige Prädikate, wie i n den genannten einfachen Zustandsbeschreibungen, in der Umgangssprache und i n der Sprache der Literatur, i n Textbüchern usw., dann hat man es philosophisch gesehen mit einer ontologischen Kuriosität zu tun, nämlich mit unbezüglichen Eigenschaften, die einem System oder Subsystem alleine und unabhängig von allen anderen Systemen und Subsystemen zukommen. Auch müssen diese Eigenschaften dann unabhängig von allen anderen Vorkommnissen oder Eigenschaften betrachtet werden können. M a n verleiht so den Systemen absolute Attribute.
2.5. Proto-ontologische Annahmen
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Betrachten w i r z. B. Wasser(moleküle) i m Rahmen einer Proto-Ontologie, i. e. einer Ontologie, die allgemeine Voraussetzungen der Strukturontologie aufzählt und die teilweise gewissermaßen die Ontologie dessen ist, was sich unseren Sinnen augenfällig darbietet, dann erhalten w i r zunächst (scheinbar) einstellige Eigenschaften, z. B., daß Wasser eine leicht bewegliche Flüssigkeit ist, die unter Normalbedingungen bei 0° C erstarrt und bei 100° C siedet, die bei 4 ° C Dichte-Anomalie zeigt, usf. Empirisch und proto-ontologisch haben w i r es also hier mit den aktualen Zuständen der Systeme, die eigentlich die Systeme verkörpern, zu tun. V o n den Teilen oder Subsystemen des Wassers, den Sauerstoff- und den Wasserstoffatomen, und den Beziehungen, die zwischen ihnen herrschen, erfahren w i r zunächst nichts. Erst m i t H i l f e der chemischen Strukturtheorie, oder — wie w i r es später definieren werden — durch strukturontologische Methoden ergänzen w i r das System durch seine „innere" (Fein-)Struktur: w i r erkennen, daß zwischen den Teilsystemen, i. e. den Wasserstoffatomen und den Sauerstoffatomen, die ihrerseits wieder i n sich struktuierte Systeme sind, Elektronenpaarbildungen zwischen den Elektronen der 2 ρ Schale des Sauerstoffatoms und den Elektronen der 1 5 Schale des Wasserstoffatoms bestehen. Das B i l d der Zweiwertigkeit steht symbolisch für die komplette theoretische Zustandsbeschreibung mittels der quantenphysikalischen Wellenfunktion des Wassermoleküls, die das Produkt der beiden Valenzeigenfunktionen der das System Wasser konstituierenden Teile, Wasserstoffatom und Sauerstoffatom, ist. M i t H i l f e der Strukturtheorie vermögen w i r dann die empirischen Zustände des Wassers (der Wassermoleküle) vorauszusagen; audi können w i r dann das Wasser (die Wassermoleküle) aus seinen Teilen synthetisieren, d. h. Wasser (Wassermoleküle) realisieren. Erst wenn w i r das Verhalten eines Systems vorauszusagen vermögen, und wenn diese Voraussage eintrifft, und wenn w i r eventuell zusätzlich das System noch realisieren können, dann können w i r die Existenz des Systems als bestätigt ansehen, eines Systems, das w i r bereits proto-ontologisch beschrieben und vorausgesetzt haben. Nehmen w i r ein anderes Beispiel aus der Sprachwissenschaft. W i r beginnen mit einem Zitat, das deutlich zeigt, daß w i r hier gar nicht systemtheoretisch „uminterpretieren" müssen, sondern daß zumindest in gewissen Richtungen der Linguistik automatisch vorausgesetzt wird, daß die Sprache ein System von Teilen oder Subsystemen ist: „ D e r klassische europäische Strukturalismus betrachtet die Sprache als ein System von Systemen, die sich ihrerseits aus Klassen, oppositiven Relationen zwi-
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
sehen den Klassen und Merkmalen als Komponenten von Klassen ergeben 9 . K Sehen w i r uns das an einem Beispiel an, wobei w i r die üblichen linguistischen Schreibkonventionen vernachlässigen wollen: Nehmen w i r die Worte „ t o t " und " r o t " , dann sehen w i r empirisch zunächst, daß dem Anfangslaut als Teil des ersten Wortes verschiedene einstellige, i. e. scheinbar einstellige Eigenschaften zukommen. Das „ t " w i r d an den Zähnen (dental) gebildet; es w i r d an den Zähnen ein Verschluß hergestellt, der sofort wieder geöffnet w i r d ; es klingt beim „ t " ein „ h " mit (Aspiration) usf. „ R o t " hingegen beginnt mit einem Laut, der — je nach Sprecher — entweder an den Zähnen oder uvular gebildet wird, usf. Eine linguistische Untersuchung hingegen w i r d uns den „inneren" Zusammenhang erhellen. Zunächst w i r d sie uns zeigen, daß es viele solche Wortpaare gibt, wo es nur ein Laut ist, der ein W o r t von einem anderen unterscheidet, z . B . „passe — Tasse"; „Tasse — Kasse"; „Kasse — Masse" usw. Man erhält auf diese A r t und Weise eine Liste von Lauten, die man dann „Phoneme" nennt, und ein Phonem ist durch die Gesamtheit der systematischen relevanten Merkmale (Beziehungen), i. e. der Merkmale, die es von anderen Phonemen unterscheidet, gekennzeichnet. Es werden also Merkmale wie „dental" hier nicht mehr einstellig gesehen, sondern im System, i.e. relational. Merkmale, die im System keine Rolle spielen, d. h. die keine Phoneme voneinander unterscheiden, werden einfach ausgelassen, so z. B. die Aspiration. Ob w i r „ t o t " mit mehr oder weniger Aspiration, oder gar nahezu ohne Aspiration aussprechen, das Wort bleibt dasselbe. Diese systematischen sprachlichen Beziehungen sind erst mit H i l f e der Theorie erschließbar; es ist die Theorie, die uns die Phonemstruktur, i. e. die Feinstruktur der gesprochenen Sprache liefert. Dennoch ist diese Feinstruktur etwas Empirisches, das empirisch „wirksam" ist. Z. B. verhindert sie, daß i m Deutschen ein Wort mit „ x t s t " beginnt, obwohl die Kombination in „Axtstiel" auftritt. 4.2. Strukturelle Formulierung von Annahme 4. Die jeweiligen Beziehungen Z?i, B2y . . B m y die zwischen den Teilen (Subsystemen) Sly S 2 , . · ·> Sn bestehen, ergeben zusammen eine empirische Struktur. Seit Aristoteles sagte man, daß das Ganze mehr sei als die Summe seiner Teile. Anstelle dieser mehr oder minder unklaren Formulierung sagen wir, daß es die Teilsysteme zusammen mit den Beziehungen sind, 9
Ebneter, S. 13.
2.5. Proto-ontologische Annahmen
175
die ζ. Β. ein elektromagnetisches Feld als komplexes System ausmachen; w i r sagen aber nicht, daß das elektromagnetische Feld auf mysteriöse Weise mehr sei als die Summe seiner Teile. Die Beziehungen können übrigens sowohl statisch als auch dynamisch sein. M a n sollte daher nicht von den schweren Massen, wie ζ. B. den Planeten, als den „Trägern" des Schwerefeldes sprechen; das Schwerefeld ist aber auch nicht etwas, das neben den Planeten besteht. Dies wäre eine atomistische und dilemmatische Interpretation eines dynamischen Systems. Empirisch ist also das System anfänglich mit seinen Zuständen als Ganzes gegeben; seine Feinstruktur t r i t t meist erst hinzu, nachdem es theoretisch erkannt worden ist. Hieraus geht hervor, daß die empirische Feinstruktur im allgemeinen nicht etwas ist, das w i r sozusagen mit freiem Auge erkennen können; dies w i r d schon bei der Betrachtung der zwei Beispiele aus der Chemie und der Linguistik klar; w i r bedürfen hier der Theorie. Es sind also weder die Planeten allein, noch die Schwerewellen oder Schwerefelder „neben" diesen, die das Planetensystem als System ausmachen. Ein dynamisches System, wie das in Kap. 1.5.3. behandelte Zweipersonenspiel, existiert dann und nur dann, wenn seine Feinstruktur von der Theorie her bewiesen werden kann, d. h. wenn es zwei Personen gibt, die sich strikte den Entscheidungsregeln unterwerfen. M a n kann auch sagen, daß die zwei Personen die von der Theorie erstellten Entscheidungsregeln realisieren. Wiederum ist es die Theorie, die uns die empirische Feinstruktur des Entscheidungsverhaltens der zwei Personen liefert. Hinsichtlich aller Zustände der Gesellschaft oder der Gesellschaft als Institution kann man auch sagen, daß die Spieler des Zweipersonenspieles eine Teilrealisierung eines gesellschaftlichen Entscheidungsrahmens leisten. Dasselbe gilt natürlich, mutatis mutandis, für soziale Systeme, politische Ordnungen und Organisationen, Sitten, Gebräuche und Gewohnheiten. W i r wiederholen hier nochmals, daß die empirische Feinstruktur eines Systems i m allgemeinen nie ganz dem empirisch Augenfälligen entnommen werden kann; vollständig w i r d sie immer erst durch eine wissenschaftliche Theorie erschlossen. Diese empirische Feinstruktur nun kann in einer Theorie theoretisch repräsentiert werden. Ist einmal die Frage gelöst, welche empirische Feinstruktur ein empirisches System hat, dann kann auch an die Frage, ob es existiert, herangegangen werden, indem man eines der Existenzkriterien (oder mehrere) anwendet; teilweise w i r d dann audi die theoretische Struktur benötigt.
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
Diejenigen Beziehungen, die zwischen den Teilen herrschen, dienen als empirische Basis der theoretischen Strukturermittlung, i. e. der Repräsentation der empirischen Struktur durch eine theoretische. Eine empirische Struktur ist demnach allgemein eine Menge von Interbeziehungen, die zwischen den Teilen eines Systems herrschen. Es haben weder die Beziehungen für sich alleine, noch die Teile oder Teilsysteme für sich alleine Existenz; Existenz hat allein das System, dem die Teile und die Beziehungen zwischen ihnen angehören, i. e. die das System unik konstituieren. Diese Vorstellungen oder Konzepte von System, Struktur, Teilen und Beziehungen sind sozusagen dem indoeuropäischen Satzbau, i. e. seiner grammatischen Form affin, wobei man allerdings sagen muß, daß die Umgangssprache den einstelligen Eigenschaften den Vorrang gibt. Natürlich können auch in der Umgangssprache Beziehungen beliebig ausgedrückt werden. I n „ D i e Katze frißt den Käse" ist „ f r i ß t " ein zweistelliges Prädikat; w i r erhalten in logischer Übersetzung den Ausdruck „ f r i ß t (Katze, Käse)". Diese Affinität von Sprache und Welt muß es u. a. gewesen sein, die Meinong zu der Auffassung veranlaßte, daß jedesmal, wenn etwas von etwas prädiziert wird, ein Gegenstand geboren wird. Es kommt hier zu dem berühmten Meinongschen Paradox „Es gibt Gegenstände, von denen gilt, daß es dergleichen Gegenstände nicht g i b t " 1 0 . Während es aber bei Meinong gleichgültig ist, ob ein Gegenstand empirisch existiert oder nicht, verlangen w i r hier, daß ein System empirisch existieren muß; w i r lassen keine abstrakten Entitäten als existierende zu und verwenden den Ausdruck „abstrakte E n t i t ä t " i n unserem Sinne bloß metaphorisch. Daß nun bloß die Systeme und die Zustände der Systeme existieren, ist unweigerlich mit der Frage, wie sie existieren, verknüpft, d. h. m i t der Frage nach ihrer empirischen (Roh- und Fein-)Struktur. Gewöhnlich werden die Fragen, was existiert und wie etwas existiert, getrennt behandelt, während w i r nur dann zulassen, daß von einem System gesagt wird, es existiere, wenn seine empirische (Rohund Fein-)Struktur feststeht. Aus diesen Überlegungen geht hervor, daß w i r einer proto-ontologischen Existenzannahme bedürfen, und w i r führen diese hier an, bevor w i r in weitere systemtheoretisch-proto-ontologische Details gehen. Annahme 5. proto-ontologische Existenzannahme. W i r sagen, daß einem System empirische Existenz zukommt, wenn es eines der folgenden Kriterien 5.1. - 5.4. erfüllt. 10
Meinong, S. 490.
2.5. Protö-ontologische Annahmen
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Die Kriterien erscheinen als relativ strikt; man muß aber hier bedenken, daß w i r es primär mit Kriterien der Existenz i m Rahmen wissenschaftlicher Theorien zu tun haben, und daher mit der empirischen Existenz von oft nur sehr umständlich beobachtbaren und flüchtigen Systemen. Für die alltägliche uns umgebende Welt können die Kriterien gelockert werden. 5.1. Realisationskriterium 1. Darunter verstehen w i r die vollständige Erzeugung eines empirischen Systems, wie ζ. B. in der Physik die Erschaffung des Positrons (1932) aus energiereicher Strahlung, welche von einer Theorie ausging und von einer entsprechenden Technologie begleitet war. Ein anderes Beispiel ist die Erzeugung der Photonen (nach den Feynmann-Diagrammen). Weiters finden w i r vollständige Realisierungen besonders in der Organischen Chemie (chemische Synthesen), i m Rahmen der technischen Produktion, bei der Schaffung neuer sozialer, politischer und ökonomischer Systeme u. ä. Es w i r d hier stets eine Theorie vorausgesetzt, sowie i m allgemeinen, daß die empirische Struktur der betreffenden Systeme bereits festliegt, bevor w i r an die vollständige Realisierung eines gleichartigen Systems gehen. Allerdings kann es in der Chemie, i m Rahmen der Politischen Wissenschaften etc. eintreten, daß noch nie dagewesene Systeme verwirklicht werden sollen, d. h. daß eine Struktur erfunden w i r d . I n diesem Falle muß man zulassen, daß die Realisierung das alleinige Existenzkriterium ist; dies gilt auch für partielle Realisierungen. Tatsächlich lassen sich ja nicht alle geplanten Strukturen verwirklichen, wofür die utopische politische und soziale Literatur beliebige Beispiele liefert. Die Realisation — total oder partiell — kann auch für das alltägliche Leben als Kriterium der empirischen Existenz genommen werden; alles Gemachte existiert demnach empirisch, wenn es auch hier vorkommen kann, daß man sich über die empirische Struktur des Gemachten nicht i m klaren ist. 5.2. Realisationskriterium 2. Die partielle Realisierung empirischer Systeme, ζ. B. die chemische Teilsynthese. 5.3. Die totale Vorhersage oder Nachhersage. Diese kann deterministisch oder indeterministisch sein, und es können die zukünftigen Zustände eines Systems vorhergesagt werden, bzw. dessen historische Zustände nachhergesagt. H i e r muß die theoretische Struktur, i. e. das A b bild der empirischen Struktur zur Zeit t i m Rahmen einer Theorie gegeben sein. Eine Nachhersage haben w i r ζ. B., wenn w i r aus dem Studium der gegenwärtigen kapitalistischen Systeme erschließen, wie der 12 Leinfellner
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2. Die Proto-Ontologe der empirischen Wissenschaften
kapitalistische M a r k t des alten Rom ausgesehen hat, was durch entsprechende historische Dokumente bestätigt werden kann — oder auch nicht. 5.4. Die partielle Vorher- oder Ν adohersage. Dies ist die Vorheroder Nachhersage von Teilzuständen von Systemen; wiederum kann die Vorher- und Nachhersage, resp. die betreffenden Systeme deterministisch oder indeterministisch sein, und wiederum muß die theoretische Struktur i m Rahmen einer (gut bestätigten) Theorie gegeben sein. Nach der Existenzannahme kehren w i r nun wiederum zu den eigentlich systemtheoretisch-proto-ontologischen Annahmen zurück, d. h. A n nahmen, die sich m i t Systemen, Teilsystemen, Beziehungen zwischen ihnen etc. i m speziellen befassen. Übrigens beruht nach Miller die Tatsache, daß Teile ein Ganzes oder ein System bilden, darauf, daß die Teile das sind, was Masse besitzt, wobei Energie als Beziehungen fungiert; w i r müssen hier erweitern, daß für soziale und andere Systeme Energie mit Arbeit identifiziert wird. Miller geht also von dem Dualismus von relativer Masse und Energie aus, wie er i n der gegenwärtigen Physik aufgestellt wird. E i n System muß raum-zeitlich oder behavioristisch gegeben sein, und es kann statisch oder dynamisch sein. Nach Miller ist also ein holistisdies System samt seinen Teilen konkrete MasseEnergie, oder, wie w i r es hier meist ausdrücken, eine Gesamtheit von Teilen und Beziehungen. W i r verstehen unter Energie die Fähigkeit der Masse, Arbeit zu leisten, und es kann eines i n das andere übergeführt werden. Jeder Teil eines Systems ist m i t dem anderen direkt oder indirekt verbunden; keiner ist unbezüglich hinsichtlich der anderen. Annahme 6. Jedes konkrete empirische System besteht aus mindestens zwei Teilsystemen. Annahme 7. Jedes System oder System von Systemen besitzt (zumindest) eine Netzwerkstruktur. Die einf adiste Form der Verknüpfung von Teilsystemen mit anderen Teilsystemen oder von Systemen mit anderen Systemen ist also die des Netzwerkes. W i r führen i n Annahme 7 das Konzept des Netzwerkes als das Konzept einer primitiven empirischen und invarianten Struktur ein, d. h. bevor w i r an eine detaillierte wissenschaftliche Erkenntnis der Welt gehen, müssen w i r annehmen, daß die Verknüpfungen, die Zusammenhänge, von denen Annahme 1 und 2 handelt, Zumindestens die Form eines Netzwerkes annehmen. W i r bedienen uns i m folgenden der Ausdrücke „ S i " etc. für Systeme und Teilsysteme, und der Ausdrücke „ f i i " etc. für Beziehungen zwischen diesen. I m Falle der wissenschaftlichen Er-
m
2.5. Prcto-ontologiscfie Annahmen
kenntnis gilt, daß Su S2y ..., Sn und Bly B2y ..., Bm einem jeweiligen Bereich D angehören. Die Annahme 7 kann für Netzwerke weiters durch die folgenden Axiome spezifiziert werden, wobei Su S2y ..., Sn G S undl Biy B2,..., Bm € B: Axiom 7.1. Die Menge S ist finit und nicht-leer. Axiom 7.2. Die Menge Β ist finit. Das erste A x i o m scheidet leere Welten oder Systemwelten, sowie Welten mit unendlich vielen Systemen aus. Die zweite Annahme vermeidet Welten m i t einer finiten Anzahl von Systemen, aber einer infiniten Anzahl von Beziehungen. Netzwerke können graphisch sehr einfach wiedergegeben werden, ζ. B.:
Fig. 1
O
Ο
Fig. 2
B2 52 Fig. 3
12*
Si
die Teilmenge von U x ist (gilt nicht in der Relativitätstheorie). Das folgende 13.12. ist kein Axiom, sondern ein Satz (Theorem). 13.12. Für verschiedene χ, y gibt es zwei Umgebungen, U x und U y y ohne gemeinsame Systeme oder Teilsysteme. Es seien nur die wichtigsten Axiome (und ein Satz) dieser invarianten klassischen Raumstruktur angeführt, von denen K a n t hätte behaupten können, daß sie nicht der Erfahrung entnommen seien, „denn diese würde weder die strenge Allgemeinheit, noch apodiktische Gewißheit geben. W i r würden nur sagen können: so lehrt es die gemeine Wahrnehmung, nicht aber, so muß es sich verhalten". I m Gegensatz zu unserer Ansicht gelten nach K a n t diese Axiome (oder Postulate), mit H i l f e derer Erfahrung möglich ist, vor aller Erfahrung. W i r hingegen stellen fest, daß auch diese invarianten Strukturen letzten Endes der Erfahrung entstammen, d. h. daß sie statistisch invariant sind und als proto-ontologische Annahmen der weiteren Erkenntnis, insbesondere der theoretischen, vorangestellt werden können oder müssen. Sie sind aber statistisch invariante Strukturen nur i m Bereich G der Welt, der klassisch ist, G f c , so i m Rahmen unserer Alltagserfahrung, in der klassischen Physik und i n der synthetischen Chemie, sowie auch i m Rahmen von technischen Realisierungen. Anders ist es jedoch i n der Relativitätstheorie, oder wenn w i r den taktilen Empfindungsraum der menschlichen H a u t betrachten. Es ist ja bekannt, daß, wenn man zwei Zirkelspitzen auf der H a u t aufsetzt und diese langsam auf der H a u t i n einer Richtung bewegt, diese sich nach kurzer Zeit t a k t i l berühren, ohne sich jedoch tatsächlich auf der H a u t zu berühren. Was für einen klassischen Bereich D oder Gk 11
Hausdorf, S. 213.
2.5. Proto-ontologische Annahmen
187
als die Gesamtheit aller klassischen D gilt, darf daher nicht als analytisch und als Voraussetzung aller Erkenntnis angesehen werden. Analytische Aussagen sind daher letztlich stets statistisch invariante Aussagen, und zwar sowohl vom semantischen, als auch v o m strukturellen Standpunkt aus. M a n kann auch sagen (vgl. S. 337), daß die Axiome als nicht-statistisch angesehen werden können, wenn man sie bloß „ v o n oben" betrachtet — i m Gegensatz zu Proto-Axiomen, die nie ihren statistischen Charakter verlieren — aber daß sie letztlich auf statistisch invariante Aussagen zurückgehen. Es folgen nun weitere proto-ontologische Annahmen i n systemtheoretischer Formulierung. Annahme 14. Ein holistisches empirisches System ist genidentisch, wenn es während eines Zeitintervalles Δ ί aus denselben Teilen besteht, zwischen denen dieselben relevanten Beziehungen herrschen. W i r ersetzen also die Annahme einer Substanz durch die Annahme einer Beharrlichkeit i m Wechsel. Annahme 15. Zwei empirische Systeme überlappen sich — und bilden ein neues System (Supersystem) — wenn sie zumindest einen Teil oder eine Beziehung gemeinsam haben. Ζ . B. können, um zwei einfache Beispiele zu geben, sich an einem Zweig mehrere Früchte befinden; der Zweig ist der Teil, der ihnen gemeinsam ist. Eine Beziehung, die zwei Systeme sich überlappen läßt, ist ζ. B. durch den Satz „ D i e Katze frißt Käse" gegeben. Die zwei Systeme, Katze und Käse, überlappen sich, weil ihnen die Beziehung des Fressens — Gefressenwerdens gemeinsam ist. Annahme 16. Zwei holistische Systeme sind ähnlich, wenn sie zumindest einen gleichen Teil oder eine gleiche Beziehung besitzen. Annahme 17. Der Zustand eines Systems i n einem gewissen Zeitmoment t ist die Menge der relevanten Beziehungen, welche die Teile des Systems untereinander, oder die Systeme selbst miteinander verbinden. Corrolar (Erklärung). Es w i r d angenommen, daß jedes System eine große Zahl von Beziehungen aufweist, daß aber ζ. B. für eine bestimmte Theorie nur einige von diesen Beziehungen relevant sind. Was relevant ist, w i r d pragmatisch, i. e. vom Menschen her bestimmt; er klammert diejenigen Beziehungen aus, die für ihn uninteressant sind. Eine gewisse Anzahl von Systemen, deren Teile und Beziehungen bilden das Segment D der Welt, auf das sich eine Theorie bezieht.
188
2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
Es w i r d auch hier wiederum deutlich, daß die Proto-Ontologie nicht auf einen, wenn audi modifizierten, Atomismus verzichten kann. Der Atomismus ist eine konventionelle Minimalannahme. Ob nun das Molekül, das Atom, die Atombestandteile, das Elementarteilchen, die Zelle, das Phonem, das Morphem usf. als „kleinste" Teile angesehen werden, ist ebenfalls willkürlich und hängt von der jeweiligen Theorie ab. Für den Chemiker ist das A t o m das kleinste Subsystem, weil er an den Ereignissen in der Atomhülle (Schale) interessiert ist, für den Physiker ist es bis dato das Elementarteilchen. Ein Semantiker w i r d im allgemeinen das Morphem als kleinstes Teilchen betrachten, ein Phonologe hingegen das Phonem, das gewissermaßen in der Größenordnung „unter" dem Morphem liegt, usf. Auch die Frage, welches das größte umfassende System (Ekosystem) sei, w i r d willkürlich beantwortet. Systemtheoretisch muß man — zumindest heute — zu der Einsicht kommen, daß w i r einen Allzusammenhang (noch) nicht überblicken können. Annahme 18. Die Umgebung eines Systems, d. h. das Eko- oder U m gebungssystem kann als das „komplementäre" Supersystem des Systems angesehen werden, d. h. ein Umgebungssystem ist die Menge von denjenigen Beziehungen und Teilen des Supersystems, die eine Veränderung i m Zustand des Systems oder der Teilsysteme des Systems verursacht. Erklärung. Die Umgebung eines Systems besteht also aus allen denjenigen Variablen, die den Zustand eines Systems beeinflussen können. Diese Definition oder Annahme deckt sich nicht ganz m i t der Ackoffs oder Millers; sie ist umfassender und gestattet es, die Umgebung i n eine hierarchische Beziehung zum System zu stellen, insoferne sie das „komplementäre" Supersystem ist. Es ist klar, daß der Zustand des Systems und seiner Umgebung etwas objektiv Existierendes sind, das objektiv beschrieben werden kann. Subjektiv daran ist jedoch, daß die Systeme und Ekosysteme willkürlich ausgewählt und zum Teil D einer Theorie gemacht werden. D . h. verschiedene Wissenschaftler können aus ein- und demselben „Stück" empirischer Welt verschiedene Systeme herausschneiden; sie können aber auch obendrein ein- und dasselbe System unter verschiedenen Gesichtspunkten beschreiben und daher auch in verschiedener Weise theoretisch repräsentieren. Ackoff 1 2 bringt das Beispiel eines Architekten, der ein Haus zusammen mit seinen elektrischen Einrichtungen, Klima-Anlage, Wassersystem u. ä. als ein zusammenhängendes System ansieht. Ein Ingenieur 12
Ackoff (Systems), S. 29.
2.5. Froto-ontologisdie Annahmen
189
kann das Heizsystem als das System und das Haus als seine Umgebung betrachten. Ein Sozialpsychologe kann das Haus als die Umgebung einer Familie betrachten. Welcher Ausschnitt aus der Wirklichkeit als System betrachtet wird, und welcher als Supersystem, und welcher als U m gebungssystem („komplementäres" Supersystem), hängt vom Belieben des Wissenschaftlers ab, und ebenso, welche Beziehungen und welche Teile als für die Theorie relevant anzusehen sind, und sogar, welcher allgemeinen Klasse von Systemen ein System angehört. Ein Tisch ζ. B. ist vom Standpunkt des Innenarchitekten aus ein statisches System, vom Standpunkt des Chemikers aus ein dynamisches. Gemäß der ontologischen Annahme, nach welcher gilt, daß die Welt zumindest teilweise hierarchisch geordnet ist, können bestimmte Systeme als Teil eines anderen und größeren angesehen werden; für die bis jetzt bekannten wichtigsten Systeme kann man dies jedenfalls nachweisen. Man kann das Konzept des übergeordneten Systems oder Supersystems natürlich auch auf abstrakte Systeme ausdehnen: ein platonistischer Aussagenkalkül ist das Supersystem eines intuitionistischen Systems; die Episprache ist das übergeordnete System für eine Objektsprache, und die rein theoretische Sprache kann als das übergeordnete System einer empirischen Sprache angesehen werden. Letztere Auffassung verwischt aber den Unterschied zwischen rein theoretischer und empirischer Sprache, und gleichzeitig zwischen empirischer und formaler Systemtheorie, ein Unterschied, an dem w i r hier strengstens festhalten. Annahme 19. Ein System w i r d als geschlossen angesehen, wenn es keine Umgebung hat; ein offenes System hat immer eine Umgebung (Ekosystem, „komplementäres" Supersystem). Diese Abgeschlossenheit ist jedoch etwas Relatives und Willkürliches, d. h. ein System w i r d für einen bestimmten wissenschaftlichen Zweck als abgeschlossen betrachtet. Viele Systemtheoretiker finden, daß abgeschlossene Systeme wenig nützlich sind, und daß sie i m Grunde künstliche Isolierungen darstellen 13 . Von diesem Gesichtspunkt aus kann man die Idealisierungen in den klassischen Wissenschaften als die Einführung von künstlich abgeschlossenen monadologischen Systemen sehen. Es folgen nun einige sehr wichtige Annahmen, die Systemereignisse betreffen. Annahme 20. Ein Systemereignis, i. e. ein Ereignis i n einem beliebigen System, ist der Wechsel oder die Änderung in mindestens einem 13
Ackoff (Systems), S. 30.
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2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
strukturellen Teilzustand oder dem Zustand des Systems, innerhalb eines gewissen und für den einzelnen Fall definierten (spezifischen) Zeitintervalls Δί. Äußerst wichtige Systemereignisse sind die Wahrnehmungs-, Meß- und Beobachtungsereignisse. Diese treten ausschließlich beim Zusammentreten eines beobachteten, gemessenen oder wahrgenommenen Systems m i t einem beobachtenden, messenden oder wahrnehmenden System auf. Dieses beobachtende, messende oder wahrnehmende System kann ein beobachtender, messender oder wahrnehmender Mensch sein oder ein automatisch registrierender Apparat. W i r haben an anderer Stelle gesagt, daß i m Falle des Messens das Meßsystem MS und das zu messende System S zunächst als zwei getrennte Systeme existieren (Zustand vor der Messung), daß sie dann ein vorübergehendes, oft sehr labiles Supersystem, das aus S und MS besteht, bilden, und daß sie sich dann wieder trennen (Schnitt). Es w i r d dann die Einwirkung des Systems S auf MS abgelesen14. Dies gilt, mutatis mutandis, auch für Beobachtung und Wahrnehmung. Die Einwirkung von S auf MS ist symmetrisch i m nicht-klassischen Falle, und asymmetrisch i m klassischen. Ontologisch gesehen heißt das also, daß zwei Systeme, das wahrnehmende, beobachtende oder messende, und das wahrgenommene, beobachtete oder gemessene System vorübergehend ein Supersystem bilden, das also wiederum zerfällt. Es ist demnach auch jede Wahrnehmung oder Sinnesempfindung eine physikalische Interaktion. Annahme 21. Ein statisches System (Ein-Zustand-System) ist ein System, in dem während eines spezifischen Zeitintervalls Δ ί keine Systemereignisse stattfinden. Ein Tisch kann also als ein statisches System, bestehend aus Tischfüßen und einer Platte, Schrauben, Leim usw., angesehen werden, innerhalb eines spezifischen Zeitintervalls Δ ί . Würden w i r statische Systeme nicht auf spezifische Zeitintervalle relativieren, dann müßten w i r annehmen, daß alle statischen Systeme gewissermaßen bis zum Ende der Zeiten i n ein und demselben Zustand verharren, was offensichtlich ein Unsinn ist. Obendrein kann derselbe Tisch ζ. B. von einem Architekten als statisch angesehen werden, und von einem Physiker oder Chemiker als dynamisch, i. e. als ein dynamisches System, das ständig Atome oder Moleküle verliert, d. h. dessen Entropie sich ändert.
14
W . Leinfellner (Einführung), S. 110.
2.5. Proto-ontologische Annahmen
191
Annahme 22. Ein dynamisches System (Multi-Zustand-System) ist ein System, in welchem Systemereignisse vorkommen und dessen Zustand sich innerhalb einer gewissen Zeitperiode At ändert, wobei man i m Falle der wissenschaftlichen Erkenntnis auf eine bestimmte Theorie relativieren muß. Körper, die sich bewegen, Organismen und Zellen sind dynamische Systeme. Solche Systeme können offen und geschlossen sein. Ein System ist geschlossen, wenn seine Teile nur untereinander reagieren. Annahme 23. Ein homöostatisches System ist ein statisches System, dessen Teile und dessen Umgebung (komplementäres Supersystem) dynamisch sind. Ein homöostatisches System ist daher ein System, das auf wechselnde Umgebungseinflüsse mit inneren Adjustierungen reagiert und so seinen Zustand beibehält. Beispiele dafür sind der Organismus, ein Haus mit Klimaanlage, usf. I n den nun folgenden Annahmen 24, 25 und 26 behandeln w i r Systeme, die aitiale Strukturen aufweisen. Annahme 24. Die Reaktion eines Systems (Wirkung) ist ein Systemereignis, welches auf ein anderes Ereignis desselben Systems oder seiner Umgebung in ein-eindeutiger Weise folgt. Sind derartige Beziehungen statistisch invariant und quantitativ erfaßbar, dann stellt man sie als funktionale Abhängigkeit dar, die man „Naturgesetze" nennt, relativ zu 7h und D. W i r erhalten so ein geordnetes Paar von Ursache U und W i r kung W , (U y W). Es ist klar, daß U und W i n einer zeitlichen Folge angeordnet sind, d. h. daß tu < tw, relativ auf eine bestimmte Theorie und D . Man hat damit die ontologische „Kausalität" dargestellt. Erklärung. Die Reaktion (Wirkung) ist also ein Systemereignis, das aitial, oder hier: kausal, durch ein anderes Ereignis, U, verursacht ist, wobei U früher als W, die Reaktion oder Wirkung, ist. M a n muß voraussetzen, daß die zwei Ereignisse auch theoretisch funktional miteinander verknüpft werden können, d. h. daß sie relativ auf eine Theorie sind. W i r weisen darauf hin, daß es noch andere Auffassungen der Kausalität gibt; w i r vertreten hier den Standpunkt der statistischen I n varianz. Annahme 24 stimmt ihrem Gehalt nach m i t dem TCP-Theorem, wie es etwa von Kenneth Ford behandelt wird, überein. Das TCP-Theorem ist eigentlich ein Meta-Theorem, das etwas über Naturgesetze aussagt. K . Ford 1 5 sieht das TCP-Theorem als das fundamentale „conservation law of all interactions" an, das i m Prinzip nicht aus den Gesetzen der 15
Ford, S. 916 ff.
192
2. Die Proto-Ontologe er empirischen Wissenschaften
klassischen Physik folgt, sondern diesen vorangestellt werden muß, so wie w i r hier am Beginn der strukturellen Ontologie die proto-ontologischen Annahmen anführen. Das TCP-Theorem ist nichts anderes als die ontologische und klassische Annahme, daß klassische Interaktionen, d. h. Paare (£/, W) zeitabhängig sind. Z. B. fällt die Entropie-Annahme nicht unter das TCP-Theorem, weil i n ihr die Zeitrichtung festgelegt wird. Das TCP-Theorem besagt aber für klassische physikalische Phänomene, daß für Paare wie Ursache-Wirkung auch eine Umkehrung der Zeitindices möglich ist, d. h. daß w i r von der Wirkung zur Ursache zurückfinden können (z. B.), daß zwischen der Welt und ihrem Spiegelbild vollkommene Raumsymmetrie herrscht, und daß sich die positiv geladenen Partikel und die negativ geladenen Partikel gleich verhalten, i. e. austauschbar sind, relativ zu bestimmten physikalischen Theorien und zum Gebiet G \ Was die Umkehrung der Zeitindices betrifft und damit die Umkehr von Ursache-Wirkung zu Wirkung-Ursache, so kann man dies auch so interpretieren, daß hier eine Symmetrie von Vorhersage und Nachhersage herrscht. Die Beziehung zwischen U und W ist demnach ein-eindeutig. Die TCP-Annahme (-Theorem) gilt also nur i n G \ i. e. für klassische oder „starke" Interaktionen; wie es hier mit den schwachen Interaktionen bestellt sei, kann nicht erörtert werden. Jedenfalls wissen wir, daß für komplexe und zielgerichtete Systeme, wie z. B. Organismen, die zeitliche Richtung aller Ereignisse durch eine Entropie-Abnahme bestimmt ist; das heißt also, daß w i r die Zeitindices nicht vertauschen können. I m ganzen gesehen sind jedoch Entwicklungen, die an die Entropie-Zunahme geknüpft sind, viel wahrscheinlicher, als diejenigen, die mit einer Entropie» Abnahme verbunden sind, wie z. B. alle ordnungsstiftenden Entwicklungen. Mann kann dann die Entwicklung i n eine Zeitrichtung z. B. die „biologische" nennen; ist die Zeitrichtung gleichgültig, dann kann man von klassischen Vorgängen oder Entwicklungen reden. Alle Systeme, bei denen die Zeitindices von Interaktionen nicht mehr vertauscht werden können, sind nicht-klassisch; dasselbe gilt für andere Systeme, wo eine der Symmetriebedingungen, die das TCP-Theorem ausmachen, verletzt wird. Hierunter zählt z. B. die von Lee und Yang entdeckte Tatsache, daß „schwache" physikalische Interaktionen keine Spiegelsymmetrie oder Parität aufweisen. Den beiden Forschern wurde für diese Entdeckung, die Untersuchungen am Kobaltatom 60 entsprang, der Nobelpreis verliehen.
2.5. Proto-ontologisdie Annahmen
193
Ein Beispiel für eine Reaktion ist ζ. B. das Anschalten einer elektrischen Anlage. Das Drehen des Schalters ist mit dem Fließen des Stromes ein-eindeutig verknüpft. W i r sehen aus diesen Erörterungen, daß nach Annahme 24 kausale oder deterministische Vorgänge durch eine ein-eindeutige Verknüpfung von Ursache und Wirkung gekennzeichnet sind. Der Psychologe Watson nahm übrigens an, daß dies auch für das unter der nächsten Annahme, Annahme 25, behandelte Stimulus-Respons-Verhalten gilt: Ist der Stimulus gegeben, dann kann die Psychologie nach Watson voraussagen, was der Respons sein w i r d ; ist der Respons gegeben, dann kann die Psychologie den Stimulus spezifizieren 16 . Demnach herrscht nach Watson zwischen Stimulus und Respons eine Kausalbeziehung. Was nun akausale physikalische Ereignisse betrifft, so müssen diese als statistische Erweichungen von kausalen angesehen werden. Der Etablierung des Ursache-Wirkung(Reaktion)-Paares die Etablierung des Stimulus-Respons-Paares.
folgt nun
Annahme 25. Der Respons eines Systems ist ein Systemereignis R> das auf ein anderes Ereignis des Systems oder aus dessen Umgebung mehreindeutig oder ein-eindeutig folgt. Den Fall der (kausalen) ein-eindeutigen S-ii-Beziehung haben w i r schon unter Annahme 24 behandelt. Das bedeutet, daß nach Annahmen 24 und 25 ein System nicht auf einen Stimulus reagieren muß, wohl aber (mit statistischer Invarianz) auf eine Ursache. Solange Beziehungen ein-eindeutig oder mehr-eindeutig sind, können sie leicht durch Funktionen erfaßt werden, ansonsten bedürfen w i r statistischer Methoden. Betrachten w i r zwei einfache Beispiele: der unbedingte und der bedingte Stimulus rufen denselben Respons hervor. Z w a r pflegt man i n der Psychologie dann auch die Response durch „bedingt" und „unbedingt" zu unterscheiden, aber dies ist bloß eine theoretische Angelegenheit. W i r haben hier eine mehr-eindeutige Beziehung vorliegen. N u n findet man ζ. B. in der Sprachpsychologie Fälle, wo die Stimulus-Respons-Beziehung ein-mehrdeutig ist, z . B . : Ein Experiment, in dem das W o r t „needle" als Stimulus dargeboten wurde, resultierte darin, daß von 1000 Versuchspersonen 160 darauf m i t „thread" reagierten, 158 m i t „pin(s)" usf. 17 . Nach Annahme 25 und 26 bezeichnen w i r dies hier nicht mehr als ein Stimulus-ResponsVerhalten, sondern als einen Handlungsablauf u. ä. nach Annahme 26, 16 17
Watson, S. 10. Hörmann, S. 122.
13 Leinfellner
194
2. Die Proto-Ontologie der empirischen Wissenschaften
vorausgesetzt, w i r lassen die Autonomie-Bedingung fallen. M a n kann umgekehrt auch sagen, daß Handlungsabläufe sowohl Stimulus-Responsals auch kausal-determiniertes Verhalten umfassen. Dieses ein-mehrdeutige handelnde Verhalten („Verhalten" i m allgemeinen Sinn) t r i t t natürlich auch auf, wenn eine Person auf denselben Stimulus verschiedene Response zeigt. Annahme 26. Eine Handlung eines Systems ist ein Systemereignis, für dessen Initiierung keine Veränderung i m Umgebungssystem verantwortlich gemacht werden kann, relativ auf eine Theorie. Eine Handlung entspringt daher dem System selbst, i. e. sie ist autonom. Aus dem vorher Gesagten ergibt sich, daß audi ein Respons-Verhalten eine Handlung sein kann, insoferne der Stimulus nicht von außen an das System herangetragen wird. M a n könnte für Handlungen auch kausale Beziehungen zulassen, soferne die Ursache der Handlung im System selbst verankert ist. V o n diesem Standpunkt führt auch ein Robot-Computer, der kraft seiner Vorprogrammierung seinen eigenen Zustand und den seiner U m gebung ändert, eine Handlung aus. Allgemein können w i r also die Systeme in kausale, behavioristische und autonome einteilen, plus Mischtypen. Die kausalen Paare (£/, W) konstituieren die Kausallinien der beteiligten Systeme, die Verhaltenspaare (behavioristische Paare) (5, R) die Verhaltensweisen i m behavioristischen Sinne; die Handlungspaare ( H l y H 2 ) letztlich konstituieren Handlungsabläufe. Diese Konstitutionen sind folgenden ontologisdien Bedingungen, die man „Aitialbedingungen" nennen kann, unterworfen 1 8 : 1. Sie sind an Systemereignisse gebunden. 2. Kausallinien, Verhaltensweisen und Handlungsabläufe sind zeitlich, aber audi räumlich geordnet. 3. Die ein-eindeutigen und die mehr-eindeutigen Relationen zwischen den Gliedern der Paare können leicht durch Funktionen erfaßt werden. Alle streng deterministischen Naturgesetze (klassische Naturgesetze, kausale funktionale Abhängigkeiten) können durch mathematische Funktionen wiedergegeben werden. Ob dies tatsächlich der Fall ist, weiß man natürlich nicht von allem Anfang an, sondern — allgemein — durch die ontologische Analyse der Situation, während die theoretischen Wissenschaften die genauen mathematischen Formen der Funktionen be18
Menges, S. 14 ff.
2.5. Proto-ontologische Annahmen
195
stimmen. Dasselbe gilt für Verhaltenspaare, mutatis mutandis; dodi sind Verhaltenspaare komplexer. Z w a r können sie ein-eindeutig und durch kausale Relationen verknüpft sein, aber, wie schon gesagt, es gibt auch den mehr-eindeutigen Fall, der noch durch Funktionen gekennzeichnet werden kann. Der ein-mehrdeutige Fall schließlich kann nur mehr statistisch (Korrelationsrechnung, lineare Kombinationen konvexer Körper) untersucht werden, z. B. die gemischten Strategien in der Spieltheorie. Handlungspaare umfassen alle drei Hauptformen; obendrein gibt es noch den Fall der Mehr-Mehrdeutigkeit. Diese Mehr-Mehrdeutigkeit kann der Ausdruck von chaotischen Handlungsabläufen sein, ein Fall, der sich natürlich immer wieder ereignet. D a chaotische Handlungsabläufe unerwünscht sind, werden i m wissenschaftlichen, kulturellen, künstlerischen und i m alltäglichen Bereich die Handlungen gewissermaßen reguliert. D . h. es werden nur gewisse Handlungsfolgen erlaubt, welche dann „Strategien" genannt werden. Welche Handlungsfolgen rationalisiert oder erlaubt sind, hängt von — geschriebenen oder ungeschriebenen — wissenschaftlichen Regeln, kulturellen Normen, ästhetischen Kriterien oder allgemein Spiel- und Entscheidungsregeln ab. D . h. es sind also nicht alle möglichen Handlungsabläufe erlaubt. Führt z. B. eine Person eine Handlung Ηχ aus, dann kann eine andere Person nur mit bestimmten Handlungen, Zügen, die durch die Spielregeln festgelegt sind, antworten. I m allgemeinen können also Personen nur aus bestimmten Handlungsmengen eine bestimmte Handlung auswählen. Theoretisch kann man die Handlungsfolgen einer Person (Ein-PersonEntscheidungstheorie), von zwei Personen (Zwei-Personen-Entscheidungstheorie) und von mehreren Personen (Mehr-Personen-Entscheidungstheorie), die mehr-mehrdeutig sind, nur statistisch bestimmen. 4. Die Systeme und Systemereignisse müssen dem Basisgebiet D einer Theorie angehören; w i r d diese Bedingung nicht erfüllt, dann kann die ihnen zugeschriebene proto-ontologische Struktur nicht akzeptiert, überprüft und gerechtfertigt werden. 5. Die Systeme, resp. die geordneten Paare zeigen verschiedene Freiheitsgrade, welche vom Nicht-Existieren von Freiheit i m kausalen A b lauf zur vollständigen Freiheit i m Chaos reichen. 6. M a n kann für Kausallinien, Verhaltensweisen und Handlungsabläufe gewisse invariante Aitialstrukturen aufstellen, die über verschiedenen D{ gelten und die, wie Raum und Zeit, von allgemeiner N a t u r sind. Für Handlungsabläufe haben w i r hier ζ. B. auch konvexe lineare 13*
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2. Die Proto-Ontologe er empirischen Wissenschaften
Räume (Werträume) als Repräsentationsräume, die i n verschiedenen Entscheidungstheorien verwendet werden. Diese lassen sich mit metrischen Strukturen, z. B. g-cw-5ec-Strukturen kombinieren. Die A i t i a l strukturen für jeweils bestimmte Gebiete D müssen jedoch für jede Theorie gesondert festgelegt werden, z. B. die Angebot-Nachfrage-Struktur in einer Markttheorie. Annahme 27. Unter dem Verhalten eines Systems — „Verhalten" hier i m uneingeschränkten, nicht bloß i m behavioristischen Sinne genommen — verstehen w i r ein Systemereignis (se), welches ein anderes Systemereignis oder Ereignis i n der Umgebung des Systems hervorruft, relativ zu einer Theorie Th. Die nun folgenden Annahmen klassifizieren Systeme vom Standpunkt ihres Verhaltens aus („Verhalten" i m uneingeschränkten Sinne). Sie ergänzen teilweise Annahmen, die schon gemacht wurden. Annahme 28. Ein zustandsstabiles System, i. e. ein System, das seinen Zustand aufrecht erhält, ist ein System, das 1. auf ein bestimmtes internes oder externes Ereignis (Systemereignis oder Ereignis i n der Umgebung des Systems) nur auf eine einzige Weise (kausal) reagieren kann. 2. reagiert dieses System (kausal) auf verschiedene interne oder externe Ereignisse auf verschiedene Weise. 3. produzieren diese verschiedenen Reaktionen (Wirkungen i m System) denselben internen oder externen Zustand. Solch ein System reagiert also (kausal) auf Veränderungen. Diese Reaktion ist aber kein Respons i m Sinne von Annahme 25, weil das System kausal determiniert ist. Beispiele sind hier z. B. durch Thermostaten kontrollierte Heizungssysteme. Der Thermostat schaltet das System aus, wenn eine bestimmte Zimmertemperatur überschritten wird, und er schaltet das System an, wenn die Temperatur unterschritten wird. Der Zustand, der auf diese Weise erhalten wird, ist durch einen gewissen kleinen Temperaturbereich gekennzeichnet. Andere zustandsstabile (und kausal determinierte) Systeme sind Systeme, die sich i m thermodynamischen Gleichgewicht befinden, oder pareto-optimale Gesellschaften nach der Theorie von Rashevsky. Annahme 29. Ein zielsuchendes System ist ein System, das, wenn verschiedene interne oder externe Zustände auftreten, auf ein oder mehrere verschiedene interne oder externe Ereignisse verschieden respondieren (im Sinne von Annahme 25) kann; auch kann ein zielsuchendes System auf ein bestimmtes Ereignis i n einer sich nicht verändernden U m gebung respondieren, bis ein bestimmter Zustand erreicht ist. Das Ziel
2.5. Proto-ontologische Annahmen
197
des Systems ist die Erreichung dieses bestimmten Zustands. W i r sehen hier deutlich, warum w i r es hier m i t einer Stimulus-Respons- und nicht mit einer Ursache-Wirkung-Situation zu tun haben. Ein zustandsstabiles System kann ζ. B. nicht auf ein Ereignis i n einer sich nicht verändernden Umgebung verschiedene Reaktionen zeigen; es kann nur eine zeigen, i. e. es ist kausal. W i r haben ja „Reaktion" von vornherein als kausales K o n zept eingeführt, so daß die unmittelbar vorangehende Formulierung schon von vornherein semantisch ausgeschaltet ist. Werden die Bedingungen konstant gehalten, dann kann ein zielsuchendes System das Ziel auf verschiedene Weisen erreichen. H a t es ein Gedächtnis, dann kann es seine zielsuchende Fähigkeit durch Lernen verbessern. Automatische Systeme mit Autopiloten sind z.B. solche zielsuchende Systeme, aber auch Organismen usf. Die Verhaltensweise oder der Ablauf des Verhaltens (im behavioristischen Sinne), i n welchen das zielsuchende System verwickelt ist, ist ein Beispiel eines Prozesses. Annahme 30. Ein Prozeß ist eine Folge von Verhalten (im allgemeinen Sinne) eines zielsuchenden Systems. Ein Prozeß kann kausal, behavioristisch und vom Standpunkt der autonomen Handlung her gesehen werden. Man sieht, daß w i r diese proto-ontologischen Annahmen noch weiter fortführen könnten, ebenso wie in den Systemtheorien von Ackoff und Miller hier noch weitere Annahmen folgen. W i r führen hier noch einige an, die für uns wichtig sind. Annahme 31. Ein multi-zielsuchendes System ist ein System, das von mindestens zwei verschiedenen internen oder externen Anfangszuständen ausgeht, wobei mindestens zwei verschiedene Endzustände produziert werden, welche durch die Anfangszustände bestimmt sind. Annahme 32. Ein zweckgerichtetes System ist ein multizielsuchendes System, dessen verschiedene Ziele eine ihnen gemeinsame Eigenschaft aufweisen. Der Zweck des Systems besteht i n der Erzeugung dieser gemeinsamen Eigenschaft. Derartige Systeme können also verschiedene Ziele verfolgen, aber sie wählen ihr Ziel nicht selbst aus, weil dieses durch den Initialzustand ausgewählt wird. Die M i t t e l allerdings, m i t welchen das Ziel erreicht wird, werden vom System selbst gewählt. Ein Beispiel ist etwa ein Computer, der dazu programmiert ist, mehr als ein Brettspiel auszuführen, ζ. B. Dame und Halma. Welches Spiel gespielt wird, hängt jedoch nicht vom System selbst ab, sondern von I n struktionen, die von außen an das System herangetragen werden. Ein
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2. Die Proto-Ontologe er empirischen Wissenschaften
derartiges multi-zielsuchendes System ist gleichzeitig zweckgerichtet, wobei das Gewinnen eines Spieles die gemeinsame Eigenschaft ausmacht, die von Annahme 32 gefordert wird. Anahme 33. Ein System mit Absicht ist ein System, welches ein- und dasselbe Ergebnis auf verschiedene Weisen produzieren kann. Oder es kann verschiedene Ergebnisse i m Rahmen gleichbleibender oder nichtgleichbleibender Zustände produzieren. Ein System m i t Absicht kann also seine Ziele selbst ändern, wenn die Bedingungen konstant sind; es wählt die Ziele aus, und die Mittel, diese zu erreichen; d. h. ein solches System hat eine Eigenschaft, die man gewöhnlich „ W i l l e n " nennt. Der Mensch ist das beste Beispiel eines Systems m i t Absicht. I m Gegensatz zum Ziel kann man nach Ackoff noch das Objektiv und das Ideal definieren. Annahme 34. Während das Ziel eines Systems m i t Absicht ein bevorzugtes Ergebnis ist, das innerhalb einer bestimmten Zeitperiode erreicht werden kann, ist ein Objektiv ein bevorzugtes Ergebnis, das nicht innerhalb einer bestimmten Zeitperiode erreicht werden kann, sondern nur auf längere Sicht. Das Objektiv des Studiums kann z. B. die Erlangung des Doktorgrades sein; jeder Schritt dazu (Bestehen von Prüfungen, Schreiben der Dissertation etc.) kann als ein Ziel betrachtet werden; eine Aneinanderreihung von Zielen führt demnach zum Objektiv. Annahme 35. Ein Ideal schließlich ist ein Objektiv, das nie verwirklicht werden kann und dem man sich nur annähern kann. Ideale sind i n der Praxis unerreichbar, und ein solches Ideal ist z. B. das einer fehlerfreien Beobachtung i n den Wissenschaften. Das Suchen nach dem Ideal ist also das Suchen nach Perfektion. Schließlich kann man noch gewisse generelle Beziehungen zwischen den Systemen und ihren Teilen anführen. W i r nehmen i m generellen an, daß das Ganze, das System mehr ist als seine Teile, weil hier noch die Beziehungen zwischen den Teilen hinzukommen. I n einem ganz spezifischen Sinne kann man jedoch zwischen Systemen, die die Vielfalt erhöhen, und solchen, die sie erniedrigen, unterscheiden. Annahme 36. E i n System, das die Komplexität oder die Vielfalt erhöht, ist ein System, welches eine größere Vielfalt und ein höheres Niveau zeigt als irgend eines seiner Teile. Z. B. können w i r zwei oder mehr zielsuchende Systeme vereinen, so daß sie ein multi-zielsuchendes und zweckgerichtetes System bilden.
2.5. Proto-ontologische Annahmen
199
Annahme 37. Ein System, das die Komplexität oder die Vielfalt erniedrigt, ist ein System, welches eine geringere Vielfalt und ein niedrigeres Niveau des Verhaltens zeigt als zumindest einige seiner Teile. Ein einfaches Beispiel ist hier eine Gruppe von m i t Absicht handelnden Personen (ein Komittee), welche sich über nichts einigen können und daher keine kollektive Handlung ausführen können. Ein System, das die Komplexität oder die Vielfalt weder erhöht noch erniedrigt, muß aus identischen Teilen bestehen. Die A k t i o n eines Teiles des Systems kommt hier der A k t i o n des ganzen Systems gleich. Das heißt, das Verhalten (im uneingeschränkten, nicht nur behavioristischen Sinne) des ganzen Systems kann nicht additiv aus dem Verhalten der Teile hergeleitet werden; es ist daher überflüssig, daß das ganze System in A k t i o n tritt. Auch sind in diesem Falle die Beziehungen z w i schen den Teilen nicht relevant. W i r schließen damit die proto-ontologischen Annahmen ab. Sie fußen auf dem Gedanken, daß eine Ontologie — vor allem eine Ontologie der Wissenschaften — nicht auf dem Substanz-Akzidenz-Schema, nach welchem es Substanzen gibt, welchen unäre Eigenschaften zukommen, aufgebaut werden kann. Sondern w i r bedienen uns hier der Vorstellung von Netzwerken, hierarchischen Systemen, Teilsystemen und deren internen und externen Relationen. Soferne von Eigenschaften gesprochen wird, ist dies nur als ein abkürzendes Sprechen über Beziehungen zu verstehen. Die Systeme werden i n empirischen Sprachen widerspruchsfrei beschrieben, empirischen Sprachen, die eine empirisch deskriptive Semant i k besitzen. Weiters nehmen w i r an, daß spezielle Proto-Ontologien, ζ. B. für biologische Theorien usw., zu den hier angeführten Annahmen noch zusätzliche Annahmen benötigen. Dies kann hier nicht diskutiert werden. I n einer rein theoretischen Sprache, bzw. deren mengentheoretischer Formalisierung w i r d dann die Struktur der Systeme mengentheoretisch repräsentiert. Die Proto-Ontologie als Teil einer strukturellen Ontologie und als deren Fundament leistet dann das, was Lesniewskis Mereologie oder, i n der Systemtheorie, die Theorie der empirischen Systeme leisten soll. Die Annahmen selbst sind nur die wichtigsten proto-ontologischen A n nahmen, die sich auf alle möglichen Systeme beziehen sollen, auf thermodynamische Systeme, auf Viren, Zellen und Komittees. D a die Annahmen bloß proto-ontologisch sind, setzen sie keine genaue Kenntnis der speziellen Inter- und Intrarelationen der Systeme voraus.
200
2. Die Proto-Ontologe er empirischen Wissenschaften
Z. B. ist die genaue Formulierung, daß bei idealen Gasen Druck Volumen konstant ist, das Ergebnis eines Erkenntnisvorganges, das etwas über spezielle Beziehungen i n Gasen aussagt. Hier machen w i r Voraussetzungen, welche von allgemein empirisch-ontologischer, proto-ontologischer N a t u r sind.
mal uns nur i. e.
Bevor w i r einige abschließende Bemerkungen anführen, wollen w i r noch zeigen, wie man Systeme klassifizieren kann. Diese Klassifikationen sind eigentlich nicht der Gegenstand proto-ontologischer Annahmen und w i r wollen sie auch nicht als solche behandeln. 2.5.1. Klassifizierung
von Systemen
I n Übereinstimmung mit Gerard und Rapoport 1 9 kann man eine Standardklassifizierung der Systeme durchführen, die von der A r t ihrer Beziehungen und Zustände ausgeht. Demnach unterscheiden w i r z. B. statische und dynamische Systeme, kausal determinierte und statistische, zielgerichtete Systeme, teleologische Systeme usf. Der Biologe R. W. Gerard nimmt i m Grunde nur eine Hauptdimension von Systemen an, das lebendige System, schreibt diesem aber verschiedene Aspekte zu, welche zum Teil zu getrennten Arten von Systemen führen könnten. Einer dieser (drei) Aspekte lebendiger Systeme ist das Verhalten: „Verhalten" — so Gerard — nennt man die kurzzeitigen und reversiblen Veränderungen i n oder an lebendigen Systemen, wie: unmittelbare Reaktionen (Response) auf Umgebungsstimuli, nervöse Prozesse, Vorgänge des Metabolismus, das nach einem Verhaltensmuster ausgerichtete Verhalten der höheren Tiere und die kurzzeitigen Aktionen von sozial organisierten Gruppen. Ein zweiter Aspekt ist dadurch gegeben, daß Systeme langzeitige und irreversible Veränderungen zeigen können: es verändert sich der Embryo, das Individuum wächst, eine biologische Gattung entwickelt sich und eine Gesellschaft geht durch verschiedene geschichtliche Stadien. Das letzte Problem, das w i r hier i m Zusammenhang mit der Systemklassifikation streifen wollen, ist das Problem der Komplexität. Boulding 2 0 hat eine Ordnung der Systeme eingeführt, die darauf beruht, daß Systeme einen verschiedenen Grad von Komplexität zeigen, und auf Grund dieser Gradation hierarchisch geordnet werden können. Das K r i terium der Komplexität ersetzt die traditionellen Kriterien des tra19 20
Gerard, S. 197-206. Boulding, S. 45 - 57.
2.5. Proto-ontologische Annahmen
201
ditionellen ontologischen Stufenbaues oder der traditionellen Dimensionsontologien. Daß Systeme von verschiedener Komplexität sind, kann man sich ganz leicht an folgendem klar machen: Nehmen w i r zwei Systeme, jedes mit einer bestimmten Anzahl von Beziehungen. Treten nun diese zwei Systeme zu einem neuen System zusammen, so daß sie potentielle Teile (Subsysteme) dieses neuen Systems werden, dann treten neben ihren schon vorhandenen Beziehungen — von denen manche allerdings amalgamiert werden können — neue Beziehungen auf, so daß w i r annehmen können, daß neue Systeme oft reicher, i. e. komplexer sind, als die Systeme, die zur Bildung des neuen Systems zusammengetreten sind. Man muß hier aber z.B. von Systemen absehen, deren Interrelationen sehr schwach sind, so daß die Teile deutlich erkennbar sind, und, obwohl sie ein System bilden, doch relativ unabhängig vom System sind. Derartige Systeme nennt man „Aggregate"; ein einfaches Beispiel ist ζ. B. ein Steinhaufen. Es herrschen zwischen dessen Teilen Beziehungen, nämlich Schwerebeziehungen, d. h. die Steine ziehen sich gegenseitig an und bilden dadurch ein Schwerefeldsystem. I n einem Aggregat sind also die Teile nicht recht als potentiell anzusehen; sie sind weitgehend selbständig und es treten bloß vernachlässigbare neue Beziehungen auf. Betrachten w i r hingegen ein Wassermolekül, dann erscheinen neue Beziehungen, die dem Wasserstoff atom und dem Sauerstoff atom gesondert nicht zukommen, d. h. die beiden Teile haben sich verändert. Als Teile des neuen Systems Wasser weisen sie starke Interbeziehungen auf, teilen Hüllenelektronen usf. Das relative „Verschwinden" der individuellen Eigenart der Teile i m System w i r d oft als Kennzeichen des Menschen in einer Organisation oder Gruppe angesehen. Ein Soldat i n einer Kompanie reagiert ganz anders als dieselbe Person als Einzelindividuum in Z i v i l . D a der hierarchischen Einordnung von Systemen in andere Systeme, in „Super"systeme, und von diesen wiederum in „Super-Super"systeme keine Grenzen gesetzt sind, steigt der Reichtum, die Komplexität der Beziehungen zwischen den (potentiellen) Teilen oder Teilsystemen nach den Regeln der Kombinatorik ins Ungeheure. Daher kommt das plötzliche Auftreten völlig neuer Systemzustände. Dies ist aber absolut nichts Mystisches, und man sollte den nun folgenden hierarchischen Stufenbau nach Boulding ebenfalls nicht als etwas Mystisches auffassen. 1. Die niederste Stufe oder die Stufe der einfachsten Systeme ist die der statischen Systeme mit statischer Struktur. Hierunter zählen w i r die Kristalle mit ihren Anordnungen von Atomen, die Zellen vom anatomi-
202
2. Die Proto-Ontologe er empirischen Wissenschaften
sehen Standpunkt her gesehen, Dinge wie Stühle, Steine, Häuser, wenn man bloß ihre Statik betrachtet, u. ä. 2. Einfache dynamische Systeme mit im voraus determinierter Bewegung (Dynamik). Dies w i r d die „Stufe der Uhrwerke (clockworks)" genannt. Solche Uhrwerke sind z. B. das Sonnensystem, der Flaschenzug, Dampfmaschinen, Dynamos. 3. Kybernetische Systeme sind durch automatische Rückkoppelung (automatisches feedback) gekennzeichnet, z. B. der Thermostat. 4. Offene Systeme. Diese erhalten sich selbst und sind praktisch m i t gewissen lebendigen Systemen, wie der einfachen Zelle, identisch. 5. Genetisch soziale Systeme. Diese zeigen eine Arbeitsteilung zwischen den Teilsystemen; die Teilsysteme sind voneinander wechselseitig abhängig und jedes ist auf eine bestimmte Aufgäbe spezialisiert. Beispiel: Wurzeln-Blätter, Samen-Pflanze. 6. Animalische Systeme. Diese sind durch zunehmende Mobilität, teleologisches, zielgerichtetes Verhalten und Repräsentation (d. h. die Systeme bilden die U m w e l t auf und i n sich ab) gekennzeichnet. Sich orientierende Systeme wie das Nervensystem und das Gehirn sind solche repräsentierende animalische Systeme. 7. Menschliche Systeme. H i e r finden w i r Selbstbewußtsein, Repräsentation mit H i l f e von Raum und Zeit, Repräsentation durch Begriffe, i. e. Repräsentation der U m w e l t m i t H i l f e von Raum, Zeit und Sprache; weiters finden w i r hier Kommunikation, Orientierung und Erkenntnis — Der Mensch erkennt nicht nur, sondern er erkennt auch, daß er erkennt. 8. Soziale Systeme mit typisch sozialen Organisationen. Kennzeichnend sind hier wiederum die Kommunikation, und darüber hinaus Gruppenentscheidungen auf der Basis von Wertsystemen. 9. Abstrakte oder transzendentale Systeme. Sie sind durch das A u f treten von höchsten Werten und Idealen, von Absolutsetzungen wie i n platonistischen, metaphysischen oder religiösen Systemen u. ä. charakterisiert. Nach Boulding hat diese Klasse die höchste Komplexität, eine Vorstellung, die man gewissermaßen als utopisch charakterisieren kann. Boulding nimmt an, daß sich die Wissenschaften bestenfalls bis zur zweiten Stufe, den „clockworks", vorgearbeitet haben, d. h. von uns aus gesehen, daß die mathematische, formale oder die methodisch kritische
2.6. Formale Teilrekonstruktionen der Proto-Ontologie
203
Repräsentation noch nicht weiter gekommen ist als bis zur Repräsentation von empirischen Strukturen der 2. Stufe 21 . Sozialwissenschaften sollten aber die komplexen Systeme der Stufe 8 bewältigen, den Austausch von Informationen (Sprache), das Wesen und die N a t u r von Wertsystemen, und zwar von sozialen sowohl wie von ethischen oder ästhetischen, die Symbolwelt von Malerei und Plastik, die Harmonien und Disharmonien der Musik und die verwickelten Semantiksysteme des literarischen Kunstwerkes, kurz, den ganzen Reichtum des sozialen Lebens des Menschen. Boulding führt dazu aus, daß die Sozialwissenschaften nicht nur Stufe 8 noch nicht erreicht haben, sondern auch nicht einmal über Stufe 2 hinausgekommen sind. M a n müßte hier eine Ontologie berücksichtigen, die auf der Systemtheorie aufgebaut ist; denn eine solche Ontologie führt uns die Komplexität der sozialen Systeme vor Augen. Diese Bedingung der Komplexität und die sich darauf aufbauende hierarchische Ordnung der Systeme ist eine Lösung des Problems der ontologischen Schichten, die nicht von dem Konzept einer an sich existierenden ontologischen Ordnung, wobei zwischen den verschiedenen Dimensionen unüberbrückbare Unterschiede bestehen sollen, aufbaut. Es soll also der Grad der Komplexität von aktual existierenden Systemen als einziges Kriterium genommen werden, w i l l man ihre „Stufe" feststellen und doch nicht eine traditionelle Stufenontologie betreiben.
2.6. Formale Teilrekonstruktionen der Proto-Ontologie W i r fügen nun einige mengentheoretische Formalisierungen von K o n zepten der Proto-Ontologie, sowie eine Formalisierung einer Proto-Zeitreihe an; diese Formalisierungen zeigen 1., wie man mengentheoretische Formalisierungen i n der Proto-Ontologie verwenden kann, 2. sollen sie den Gedanken einer mengentheoretischen Repräsentation klarer machen, und 3. sollen sie die Affinität von mengentheoretischen Formalisierungen zu den proto-ontologisch vorgeordneten Systemen erläutern. Nach der in diesem Buch vertretenen induktiven Invarianzthese (siehe S. 265) hat sich die Mengenlehre selbst aus der Beschreibung und Betrachtung invarianter empirischer Strukturen entwickelt, wodurch sie zu einer allgemeinen Strukturlehre i m Sinne von Bourbaki wurde und gänzlich auf eine prädikatenlogische Fundierung, unäre Prädikate und eine logische Axiomatisierung, i. e. eine totale Axiomatisierung, verzichten kann. 21
Boulding, S. 52.
204
2. Die Proto-Ontologe er empirischen Wissenschaften
W i r betrachten also die folgenden Sätze ebenfalls als Annahmen und bezeichnen sie daher m i t „ P " ; aber i m Unterschied zu den Annahmen 1 - 3 7 sind sie alle formal formuliert. Als erstes wiederholen w i r die schon auf Seite 179 erörterten Annahmen über die Netzwerkstruktur: Ρ 1. Jedes System besitzt zumindest eine Netzwerkstruktur: (5; B) besitzt (ist) eine Netz werkstruktur, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Ρ 1.1. Die Menge S ist finit und nicht leer. Ρ 1.2. Die Menge Β ist finit. Beide Annahmen legen dem Netzwerk keinerlei Bedingungen bezüglich einer Feinstruktur auf. Wenn „ x " , „y" und „ z " Variable für Systeme oder Teilsysteme sind, kann man folgende formale proto-ontologische Definitionen aufstellen: Definition 1.3. Binäre Beziehungen sind durch das Verknüpfungszeichen „ o " symbolisiert; jedes System soll bezüglich der Verknüpfungsrelation ο abgeschlossen sein, wobei ο die Beziehung der Wechselwirkung oder Interdependenz ist. Definition! Α.: Reduktion. Alle n-ären Relationen können durch binäre, o, ausgedrückt werden: . . . » Xn-1> , Xn> , usf. Pl.: Teilsystemannahme. Wenn χ, y , ζ Systeme sind, dann ist 1. ζ aus mindestens zwei Teilsystemen, χ und y , zusammengesetzt, wenn ζ = χ o y y d. h. x c z und y c z . 2. w i r d festgestellt, daß es kein z gibt, das nicht mindestens aus zwei Teilsystemen zusammengesetzt ist. (Es werden hier die unären Prädikate, die Eigenschaften beschreiben sollen, überflüssig). Jede binäre Relation ist eine Menge geordneter Paare, die empirisch durch die Systeme gegeben sind. Ρ 3.: Separabilitätsannahme. Wenn χ und y Systeme sind, dann ist χ nicht Teilsystem von y y wenn χ o y = y. y ist dann das neutrale Element, oder das System, das, verknüpft mit x y dieses i n keiner Weise beeinflußt oder verändert. Das heißt, neutrale Elemente oder N u l l systeme sind auch solche Systeme, deren Aktion-Reaktion-Beziehungen
2.6. Formale Teilrekonstruktionen der Proto-Ontologie
205
(„Aktion-Reaktion" i m allgemeinsten Sinne verstanden) sich gegenseitig aufheben, statistisch ausgedrückt: deren gegenseitige Einwirkungen so geringfügig sind, daß man sie vernachlässigen kann. Ρ 3. führt also i n die Welt die Existenz von relativ neutralen Systemen ein; das aber ist es, was i n der proto-ontologischen Annahme 3 (den modifizierten Ehrenfels-Kriterien) verlangt wird. Ρ 4.: Supersystemannahme. Es existiert ein klassisches Supersystem W k y das alle anderen klassischen Systeme als Teilsysteme beinhaltet. D . h.: Ρ 4.1.
(x) (Ey) (xeW k&yC
W k-+x
c y ν y c χ & χ, y c W k) .
Als Ρ 4.2. führen w i r ein, daß das neutrale Element ζ nicht zu dieser klassischen Welt, W*, gehört, und Ρ 4.3. lautet: Wenn ein System die Komposition von allen Teilsystemen ist, dann nennen w i r das so charakterisierte Teilgebiet „klassisch". Ρ 5. Die Struktur eines klassischen Interaktionsraumes über G f c , wobei DpDg, . . D ^ c G*. Die Struktur eines klassischen Interaktionsraumes R (S) ist für (5, 5°; o) gegeben, wenn x, y y zCS gegeben ist, und wenn die folgenden Bedingungen der Idempotenz und Separation, der Konservation (Erhaltung) und der Aggregation erfüllt sind: Ρ 5.1. xoS° = S° ο χ =x;yoS° zoS° = S°oz = z.
= S°oy = y;
Ρ 5.2. Wenn x, y G S und χ Φ 5°, y Φ 5° und ζ Φ 5°, dann ist χ ο {y ο ζ) Φ 5°. Ρ 5.3. χ ο (y ο ζ) = (χ ο y) ο ζ. M a n kann dadurch Sy zusammen m i t seinem Interaktionsraum, R (S) y als eine invariante klassische Struktur auffassen, d. h. sie gilt genau über allen Teilen Dly D2y . . D n der Welt, die dem klassischen Gebiet Gk angehören. (5, R (S)) ist daher ein Paar, das die klassischen Interaktionen der Kausalität und das nicht-statistische Handeln und Verhalten inbegreift. R (5) ist der Interaktionsraum eines Moleküls, eines Dinges, eines Organismus' oder eines Staates, die i m klassischen Falle keine neutralen Teilsysteme besitzen sollen. Der Interaktionsraum R (5), zusammen m i t 5, ist einer der primitivsten invarianten Strukturen bezüglich G f c und bezüglich wissenschaftlicher Theorien, ζ. B. klassischer naturwissenschaftlicher Theorien. Aber auch die Alltagserfahrung ist klassisch orientiert. I n der klassischen Physik werden die invarianten Strukturen oft in Form des TCP-Theorems ausgedrückt (vgl. S. 191).
2. Die Proto-ntooge
er empirischen Wissenschaften
W i r nennen die oben formulierte Struktur einen „ R a u m " , weil sie genau die Struktur einer kommutativen Halbgruppe ist, in der es zu jedem x-beliebigen Element (System) höchstens ein neutrales gibt, wodurch sich das System von seiner Umgebung abhebt. Es ist ontologisdi interessant, daß man ein System nur i m Zusammenhang m i t seinem Nicht-System, dem neutralen System, sehen kann, etwas, das auch i m Zusammenhang mit Halbgruppen vorkommt. M a n kann sich nun fragen, woher dieses neutrale Element i n der Halbgruppe kommt. Die einfachste A n t w o r t darauf ist: aus der Ontologie. Es folgen nun einige Theoreme. T l . Jedes klassische System ist die Komposition von Teilsystemen. Ζ . B. ist die klassische Newtonsche Welt ein System von Systemen, und ebenso eine Rashevsky-Gesellschaft oder ein Pareto-optimaler M a r k t . Ein Pareto-optimaler M a r k t ist eine Ökonomie, die auf Interdependenz oder durchgängiger Wechselwirkung aufgebaut ist. Τ 2. Kein System oder Teilsystem kann das andere vernichten. Wenn χ Φ 5°, dann gibt es kein y C S, so daß χ o y = S° oder y ο χ = 5°. D . h. die Zusammensetzung von klassischen Systemen i m Rahmen eines größeren (übergeordneten) Systems kann nicht zu neutralen Systemen führen; auch kann kein Supersystem durch die Aggregation oder K o m position von Nichts oder von neutralen Systemen entstehen. W i r wissen aber auch, daß Τ 2. ein Satz einer klassischen Ontologie ist und daher i n einer Ontologie, die die Paritätsverletzung i n der Elementarteilchenphysik einschließt, nicht gilt. Τ 3. Jedes klassische System oder Teilsystem ist ein Teil der klassischen Welt, und es gibt nur eine klassische Welt W*. Τ 4. Die Struktur der klassischen Welt kann als ein Halbverband m i t einer oberen Grenze W k und einer unteren Grenze angesehen werden, d. h. es kann immer ein kleinstes Element hinsichtlich der Teil-GanzesRelation, vice versa, aufgefunden werden. Ρ 6. Es gibt eine nicht-klassische Welt, die die klassische enthält, i. e.
W" c W. Es folgt nun die Definition einer Proto-Zeitreihe i m Rahmen der Formalisierungen der Proto-Ontologie i n Axiomenform. W i r entnehmen der Proto-Ontologie Systemzustände e l y e 2 f die alle entweder demselben System oder verschiedenen Systemen angehören können. W i r definieren nun für diese eu e 2y es eine Struktur, wobei w i r uns einer Rela-
2.6. Formale Teilrekonstruktionen der Proto-ntologie
tion Τ bedienen. Diese Struktur soll nicht Raumcharakter haben, d. h. w i r nehmen an, daß sie durch Τ verknüpften Systemzustände nicht identisch sind. Ρ 7. (ei) ~ (T (eu ei)), oder Nicht-Reflexivität von T, i. e. Refi (Γ).
Non-
W i r können für „ Τ " drei verschiedene operative (empirisch deskriptive) Bedeutungen finden. „ T " kann die empirische Veränderung bedeuten. Ρ 7. meint dann, daß, wenn ei sich verändert, nicht wiederum e\ entstehen kann. 2. kann „ T " i m Sinne einer Proto-Zeitreihe verstanden werden; dann heißt es, daß et nicht auf e\ folgen kann. 3. können w i r Ρ 7. auch auf die Zahlenreihe i m Sinne einer empirischen Auffassung des Zählens anwenden; es verbietet dann, daß der Nachfolger von e± wiederum ei ist. W i r müssen daher annehmen, daß die Relation Τ ein e t in ein e2 verwandelt: Ρ 8. (ei) (Ee 2) (T(e
h
e2))> d. h. e± + eg.
D . h., wenn sich etwas verändert, dann muß ein e2 vorhanden sein, das von ei verschieden ist, und dasselbe gilt, mutatis mutandis, i m Rahmen einer proto-zeitlichen Folge und beim Zählen. Es kann aber der Fall eintreten, daß bei einer Veränderung ein System wiederum zu seinem ursprünglichen Zustand zurückkehrt. Es fallen dann Ρ 7. und Ρ 8. aus, und es t r i t t an deren Stelle: Ρ 9.1. (e 2)(Eei)(T(e
2fei)) 9
d. h. auf den Systemzustand e2 folgt der schon erwähnte Systemzustand eu W i r haben dann i n der Veränderung selbst eine Schlinge (loop), d. h. die Rückkehr zum alten Systemzustand. I n der Proto-Zeitfolge und beim Zählen können w i r aber nicht mehr zurück; Zählen und Proto-Zeitfolge sind daher nicht mehr Netzwerke, sondern gerichtete Graphen oder strikte Serien. Für diese erhalten w i r als nächstes A x i o m die Verneinung von Ρ 9.1.: Ρ 9.2.
(e 2)(Ee 3)(T(e
2ie 3)).
I n Proto-Zeitfolgen muß also dem e2 stets ein neuer Zustand e 3 folgen, wobei e 3 ψ e2 und e2± eu Daraus folgt: Τ 9.2.1. (ei) (e 2) (e3) (T(e
u
e2) & T(e 2 , es)
T(e
u
e 3 )), oder Trans(T).
Fassen w i r zusammen, dann erhalten w i r die folgenden drei Axiome, die eine unendliche Progression i m aristotelischen oder Kantschen Sinn ausdrücken, wobei w i r die Schreibweise vereinfachen:
208
2. Die Proto-Ontologe er empirisen Wissenschaften
A 1.
(x)~(Txx);
A 2. (x)(Ey)(Txy); A 3. (x) (y) (z) (Txy 8c Tyz
Txz).
Der bedeutendste proto-ontologische Unterschied zwischen Veränderung (Bewegung, prozessuale Änderung, Wechsel, Altern u. ä.) und der Zeit besteht demnach darin, daß die Veränderung Schlingen (und Kreise) bilden kann, d. h. daß w i r bei der Veränderung nicht ausschließen, daß der ursprüngliche Systemzustand wieder auftritt. I n A l . — A 3 , haben w i r die Kantsche und auch die intuitionistische Begründung des Zählens vorliegen, wofür w i r zusätzlich natürlich nodi die operative Semantik benötigen. M a n könnte hier die proto-ontologischen Strukturen beliebig erweitern, ζ. B. indem man statistische Strukturen einführt, oder die nichtstatistischen Strukturen i n statistische auflöst. M a n könnte etwa auch Carnaps Exposition von Kausalstrukturen und -ketten mengentheoretisch umformen und i m Rahmen dieses Kapitels behandeln, sowie deren statistische Erweiterung. Unter den behavioristischen Strukturen könnte man Suppes' deterministisches und probabilistisches Automaton anführen, und dessen Erweiterung, das ganze Gesellschaftsstrukturen umfaßt 2 2 . M a n könnte Sens fundamentale Überlegungen i n „Collective Choice" für die proto-ontologische Behandlung von Gesellschaftsstrukturen verwenden 23 , usf. Allerdings muß man sich darüber i m klaren sein, daß man dann immer mehr in das Gebiet der Feinstrukturen gerät, d. h. derjenigen Strukturen, die mittels wissenschaftlicher Theorien erhalten werden, z. B. Marktstrukturen, Entscheidungsstrukturen 24 und spiel- und entscheidungstheoretische Wertstrukturen, wie sie bei Luce-Raiffa behandelt werden 2 5 .
2.7. Abschließende philosophische Bemerkungen W i r beschließen nun die strukturelle Proto-Ontologie, i. e. die Erörterung des Fundaments der strukturellen Ontologie mit einigen allgemeinen Erwägungen und abgrenzenden Erörterungen. 22 23 24 25
Suppes (Automata), S. 418, 421 ; siehe Köhler, S. 119 ff. Sen. W. Leinfellner (Einführung), S. 145 - 160; W. Leinfellner (Marx). Luce-Raiffa.
2.7. Abschließende philosophische Bemerkungefl
209
Die hier beschriebene Proto-Ontologie und die strukturelle Ontologie i m allgemeinen, wobei erstere natürlich i n letzterer enthalten ist, soll 1. auf keinen Fall traditionelle Metaphysik oder erste Philosophie des Seienden qua Sein (ens qua ens) sein, aber auch nicht eine Lehre vom Auffinden der ersten Ursachen oder Prinzipien, wie z. B. Aristoteles' Aitiologie. Die ersten Ursachen und die ersten Prinzipien der aristotelischen Philosophie haben sich weder als allgemeiner, noch als von höherem Rang erwiesen als die sonstigen Ursachen und Prinzipien i n den Natur- und Sozialwissenschaften. 2. Eine strukturelle Ontologie kann aber auch keine Unterdisziplin der Metaphysik sein, in dem Sinne, in dem die traditionelle Kosmologie und die traditionelle rationale (metaphysische) Psychologie Unterdisziplinen der Metaphysik sind. Kosmologie und Psychologie haben sich schon längst zu theoretischen Naturwissenschaften entwickelt und sind der traditionellen Metaphysik entwachsen. Es ist einsichtig, daß eine Ontologie wie die hier aufgebaute, die vor allem eine Ontologie der Wissenschaften sein soll, nicht in den Schoß der Metaphysik zurückkehren kann. 3. Eine strukturelle Ontologie kann auch nicht m i t einer streng deduktiven Disziplin vom Sein als Seienden, wie sie von Suarez, Wolff und Baumgarten entwickelt wurde, identisch sein. Solche universelle Ontologien bauen sich auf dem Nicht-Widerspruchsprinzip und dem Prinzip des zureichenden Grundes auf, aus welchen dann streng notwendige Wahrheiten abgeleitet werden, d. h. logisch wahre Urteile darüber, welche Substanzen i n der Welt existieren und welche nicht. Solch eine Ontologie ist nicht mehr als eine apriorische platonistische Spekulation. M a n setzt i n einer derartigen Ontologie dogmatisch fest, daß gewisse Wesenheiten absolut existieren, weil sie nicht widersprüchlich sind, d. h. daß sie erste Substanzen sind. Es ist klar, daß eine derartige dogmatische Festsetzung oft einer platonistischen Annahme gleichkommt, bzw. eine platonistische Annahme ist. V o n hier ausgehend erweist man leicht und unabhängig von aller empirischen Erfahrung die Existenz noch anderer Substanzen, und diese Existenz w i r d als erwiesen gesehen, wenn sie widerspruchslos gedacht werden kann. Daß die empirische Existenz und die empirische Welt hier zu kurz kommen muß — so als ob sie gar kein Sein hätte — ist augenfällig. Dies soll nun nicht heißen, daß die Widerspruchslosigkeit ein wertloses Konzept ist, wenn w i r an die Beschreibung der Wirklichkeit gehen; davon w i r d auf S. 30 gehandelt. 14 Leinfellner
210
2. Die Proto-Ontologe er empirischen Wissenschaften
Haben w i r Ontologien vor uns, die i n der beschriebenen Weise verfahren und betrachten w i r sie genauer, dann w i r d ihr onto-theologischer Charakter offenbar. Denn traditionellerweise ist die erste, die unbedingt existierende Substanz Gott. M a n behauptet dann, daß w i r für die platonistische Existenz Gottes unmittelbare, intuitive Evidenz (z. B. i m Glauben) besäßen. Wie es mit der empirischen Existenz dieser ersten Substanz beschaffen sei, sagen diese Ontologien gewöhnlich nicht. Es ist ein gemeinsamer Zug der scholastischen platonistischen Ontologie und der Ontologie von Wolff und Baumgarten — ein Zug, der oft von anderen ontologischen Systemen übernommen wurde — daß die wahre Existenz oder das platonistische Sein unabhängig von den Einzelwissenschaften, insbesondere den Naturwissenschaften, bestimmt werden kann. Diese negative Haltung gegenüber den Wissenschaften überträgt sich dann auf die ontologische Behandlung der Probleme der empirischen Existenz, und Beispiele dafür lassen sich bis in die jüngste Zeit finden. Immer noch w i r d mittels der Logik entschieden, was denn da existiert; nach Quine etwa ist der Bereich des Seins der Bereich der gebundenen logischen Variablen. Es wiederholt sich dann die dem Piatonismus entlehnte Grundhaltung: die Ontologie, und die Frage, was existiert, haben nichts m i t den N a t u r - und Sozialwissenschaften zu tun, oder sollen nichts mit den N a t u r - oder Sozialwissenschaften zu tun haben. 4. Eine strukturelle Ontologie kann auch nicht dogmatisch empiristisch oder eine empiristisch materialistische Ontologie sein. Demnach müßte nämlich die Materie das allein real Existierende sein. Der Materialismus und der Atomismus seit Epikur, der französische Materialismus und der englische Empirismus gehen H a n d i n H a n d m i t der ontologischen Behauptung, daß die Materie, oder die Materie i n Bewegung, oder die Energie die alleinige und fundamentale Konstituente des Universums sei. Real und real existierend ist also bloß die Materie — oder die Energie — i n der Form von sinnlich erfahrbaren Dingen, Entitäten oder Prozessen. Weder das Universum noch Teile des Universums sind von intelligenten Kräften, von Absichten oder — teleologisch — von Zielen geleitet; alles ist streng (kausal) durch materielle (nicht-intelligente) Prozesse oder Mechanismen verursacht. D a geistige und kulturelle Prozesse und alle unsere Gedanken nur durch materielle Ursachen bewirkt sind, kann nichts Geistiges i n irgendeiner Form existieren. Die alleinigen Objekte der Wissenschaften sind die physikalischen Objekte und Prozesse. V o n unserem Standpunkt aus ist unsere Proto-Ontologie, ob sie nun physikalische oder organische Systeme behandelt, empiristisch, freilich mit
2.7. Abschließende philosophische Bemerkungen
211
Ausschluß des uneingeschränkten Atomismus\ Es w i r d aber nicht verlangt, daß z . B . soziale Systeme auf physikalische reduziert werden müssen, w i l l man sie verstehen. 5. Die strukturelle Ontologie stimmt der vernichtenden K r i t i k , die K a n t an der rationalen Ontologie und Metaphysik geübt hat, zu; sie folgt aber nicht der phänomenalistischen Wendung besonders der nachkantschen Ontologie, die einen Realitätsverlust und eine Reduktion der Ontologie zur Phänomenologie zur Folge hat. Kants Lösung der zweiten Antinomie der „ K r i t i k der reinen Vernunft" ist für seine K r i t i k und Zurückweisung der traditionellen Ontologie und des Atomismus' typisch. I m Banne der klassischen griechischen und der platonistisch scholastischen Philosophie hatte Wolff angenommen, daß die Welt aus einfachen Substanzen (Atomen) aufgebaut sein müsse. Diese einfachen Substanzen könnten zwar an sich weder wahrgenommen werden, noch haben sie Ausdehnung und Gestalt; aber Wolff postulierte doch, daß die „ausgedehnten" physikalischen Substanzen aus ihnen bestünden. K a n t zeigte nun i n der zweiten Antinomie, daß sich sowohl für die These des Atomismus', wie auch für dessen Antithese, nämlich, daß kein zusammengesetztes D i n g i n der Welt aus einfachen Atomen aufgebaut sei, gleichstarke Gründe anführen lassen. K a n t spielt hier atomistische und nicht-atomistische Spekulationen gegeneinander aus. W i r müssen dabei verstehen, daß die Beweise für die These sowohl wie für die Antithese spekulativ sind; es ist beim Atomismus aber gerade diese Spekulativität interessant. Spekulativ sind die Beweise für These und Antithese deshalb, weil sie indirekt geführt werden und daher weder praktische noch allgemein logische Beweise sind. Die Auflösung der zweiten Antinomie, die K a n t anbietet, zeigt deutlich, daß er i n der Ontologie weder eine extrem platonistisch rationale Position, noch eine dogmatisch empiristische Position gelten läßt; vielmehr lehnt er beide Positionen ab, spielt sie gegeneinander aus und führt sie dadurch ad absurdum, d. h. neutralisiert sie. Das Ausspielen dieser Positionen gegeneinander war i n der Geschichte der Ontologie ein praktisches und zugkräftiges Verfahren die Tatsache zu verschleiern, daß beide Positionen falsch sein können. K a n t war der erste, der These und Antithese als falsch ansah, insbesondere, wenn sie dogmatisch und i n ihrer Extremform aufgestellt werden. Kant selbst neigte eher einem seiner Grenzen bewußten und gemäßigten Empirismus zu. Tatsächlich ist ja der Gegensatz Platonismus-Empirismus der Hintergrund der ganzen Antinomie; sie w i r d von K a n t aus der Erkenntnistheorie entfernt und i n die Wertphilosophie, d. h. die Lehre von der Urteilskraft, von der Moral und von der Religion, verlagert. 14*
212
2. Die Proto-Ontologìe 2
Ausschnitte aus der Welt mit empirischen Systemen mit empirischen Strukturen
3. Die linguistische Grundlegung der operationalen Semantik und die operative Semantik 3.1. Operative und operationale Semantik als grundlegende Disziplinen LE PROFESSEUR. — Comment se fait-il que, parla sans savoir quelle langue ils parlent, ou même croyant en parler chacun une autre, les gens du peuple s'entendent quand même entre eux ? L'ÉLÈVE. — Je me le demande. LE PROFESSEUR. — C'est simplement une des curiosités inexplicables de l'empirisme grossier du peuple — ne pas confondre avec l'expérience ! — un paradox, un non-sens, une des bizarreries de la nature humaine... (Eugene Ionesco: La Leçon1) Betrachten w i r die vielen Theorien, die zum Problem der Bedeutung aufgestellt worden sind, dann ist die Verwunderung unseres Professors gar nicht so unerklärlich. Weiters fällt bei der Betrachtung der semantischen Theorien auf, daß sie in zwei einander nahezu ausschließende Gruppen zerfallen: die philosophischen und die linguistischen. Die Entwicklung der philosophischen Semantiken beginnt i m Rahmen der abendländischen Philosophie ungefähr mit Piatons „Kratylos", setzt sich in der stoischen und scholastischen Philosophie fort, und mündet schließlich in die Semantiksysteme Carnaps, des späten Wittgenstein und der Analytischen Philosophie, Quines, Davidsons, van Fraassens und Ziffs, um nur einige zu nennen. Die linguistische Semantik ist eine relativ junge Disziplin, wenn man sie gegen die philosophische Semantik hält, und es ist keine Frage, daß sie Anregungen aus der philosophischen Semantik empfangen hat. Ihre Ergebnisse aber, besonders diejenigen, die w i r i m folgenden systematisch darstellen wollen, wurden i m allgemeinen bei der Analyse wissenschaftlicher Sprachen nicht verwendet. Es w i r d sich jedoch i m folgenden zeigen, daß ζ. B. die Axiomensysteme der wissenschaft1
Ionesco, S. 83.
3.1. Operative und operationale Semantik als grundlegende Disziplinen
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liehen Theorien vom semantischen Standpunkt aus betrachtet viel besser m i t linguistisch semantischen Methoden bewältigt werden können, als m i t anderen Methoden, ζ. B. einer auf der Prädikatenlogik aufgebauten logizistischen Semantik. Auch zeigt sich, daß der Abgrund, den man so oft zwischen den Sprachen der Wissenschaften und der Umgangssprache errichtet, semantisch überbrückt werden kann: Jede Theorie wiederholt nämlich i m kleinen die semantische Entwicklung der Sprache, eine Entwicklung, die über das Benennen zur operativen Bedeutung und von der operativen zur operationalen führt. I m Rahmen dieser Arbeit nun werden w i r prinzipiell bloß zwei Arten von Bedeutung unterscheiden, die operative oder empirisch deskriptive, und die operationale oder Bedeutung als sprachimmanenter Sprachgebrauch. Letztere w i r d auch oft „Sinn" genannt. Identifiziert man die (operationale) Bedeutung mit dem sprachimmanenten Sprachgebrauch, dann kann man die naive, aber nicht unberechtigte Frage stellen, ob es denn nicht auch einen grammatischen Sprachgebrauch und eine grammatische operationale Bedeutung gebe. W i r werden i m folgenden tatsächlich zeigen, daß die sogenannten grammatischen Züge der Sprache letztlich sich als semantische erweisen, wenn auch in einem ganz bestimmten Sinn. Zusätzlich muß auch stets die Semantem-Bedingung eingehalten werden. Das Konzept der empirischen Bedeutung erklärt, warum und wie w i r die Sprache zur Beschreibung und Erkenntnis der Welt verwenden können; die operationale Bedeutung erklärt u. a., wie Nachrichten übermittelt werden können, ohne daß ein empirischer Stimulus, ζ. B. das Haus, über das man gerade spricht, präsent ist. U m einen Ubergang von den üblichen semantischen Auffassungen zu unserer vorzubereiten, werden w i r zunächst einmal drei Arten der Bedeutung unterscheiden, 1. die semantisch deskriptive, empirische, operative oder empirisch operative, 2. die semantisch operationale, welche — besonders i n bezug auf Worte — oft „kontextuale" oder „lexikalische" genannt wird, oder auch, wie gesagt, für Worte und Sätze zusammen, „Sinn", 3. die grammatisch operationale zusammen m i t der logischen und der mathematischen Bedeutung. Der zunächst etwas unhandliche Begriff einer grammatischen oder grammatisch operationalen Bedeutung ist zunächst auch eine historische Konzession an die bekannte, oft absolut aufgefaßte Trennung von Syntax (als Teil der linguistischen Grammatik) und Semantik; dies w i r d i m folgenden noch näher erläutert werden. Z u m Gebrauch der Worte „operational" und „operativ" ist folgendes zu sagen. Es gibt i m englischen Sprachraum das Konzept des operational
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3. Die p r t i o a l e S e m t i k und die operative Semantik
meaning, das teilweise auf Bridgmans Operationalismus zurückgeht. „Operational" heißt i m Zusammenhang dieses Buches einfach, daß w i r uns auf der Sprachebene, der Ebene der Zeichen befinden, oder auf der Ebene der zweiten Intentionen, um den Ausdruck der scholastischen Philosophie zu gebrauchen. W i r operieren hier also bloß m i t Zeichen und Ansammlungen von Zeichen, ζ. B. wenn w i r die (unkodifizierte) operationale Bedeutung von Worten auf einer Menge von Zeichen aufbauen. Definitionen sind daher i n vielen Fällen eine bloß operationale Angelegenheit. W i r sehen, daß der generelle Ausdruck „operational" auch denjenigen Bereich umgreift, der in der Philosophie m i t „analytisch" (im engeren und i m weiteren Sinne) bezeichnet wird. „Operativ" meint, daß es sich um empirische Bedeutungen oder — allgemein — um Überlegungen, die das Empirische betreffen, handelt, ζ. B. um meßtheoretische Probleme. W i r lehnen uns hier wiederum an den englischen Sprachgebrauch an, nach welchem „operativ" auf „ A r b e i t " hindeutet, d. h. auf den Umgang mit der empirischen Welt. Eine ostensive Definition ζ. B. ist demnach eine operative Angelegenheit. Es ist hier am Platz, ganz grundlegend über die Bedeutung folgendes zu sagen: W i r lehnen die Auffassung, daß es gewissermaßen etwas gebe, auf das man mit dem Finger zeigen und „Bedeutung" nennen könne, ab. W i r können bloß feststellen, daß ein Ausdruck Bedeutung hat (oder nicht). Wenn w i r ζ. B. sagen, daß der operationalen Bedeutung diese oder jene Eigenschaft zukommt, dann ist das nicht so zu verstehen, als ob es eine Entität oder Entitäten namens „Bedeutung" gebe. Ein Ausdruck nun hat Bedeutung, wenn für ihn ein Tripel von bestimmter Form, welches w i r „Semantem" nennen, aufgestellt werden kann. Ein operatives Semantem bestehe aus dem benannten System, der bezeichneten Eigenschaft etc. als erstem Glied, einer operativen Designationsrelation r oder / und dem bezeichnenden Ausdruck. Für Näheres verweisen w i r auf S. 288. Ein operationales Semantem bestehe ζ . B. aus einer operationalen einreihigen M a t r i x nach S. 250, einer operationalen semantischen Relation r oder / / und dem Ausdruck, der operationale Bedeutung hat. E i n derartiges operationales Semantem kann ζ. B. folgendermaßen aussehen: ((2 2 1 1 2 2 2 2 . . . ) , / , „ B a l l " ) . Die empirische Bedeutung ist für viele philosophische Richtungen (ζ. B. die Analytische Philosophie) außer Mode gekommen oder zu einem Skelett im Kasten geworden; sie w i r d daher gar nicht bei ihrem Namen genannt, sondern verbirgt sich unter Decknamen, ζ . B. unter dem Termi*
3.1. Operative und operationale Semantik als grundlegende Disziplinen
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nus „(empirische) Referenz"; w i r müssen hier gleich hinzufügen, daß empirische Referenz und empirische, operative Bedeutung sich nur teilweise decken. Einer der beliebtesten Gegeneinwände gegen das Konzept der empirischen Bedeutung ist, daß es nicht gestattet, das Problem der Synonymität zufriedenstellend zu lösen. Zwei Ausdrücke, wie „Sessel" und „Stuhl" oder „Tomate" und „Paradeis", die operational total oder nahezu total synonym sind, wären nur dann operativ synonym, wenn sie dieselben Raum- und Zeitindices haben. Das ist aber kein Einwand gegen die empirisch operative Bedeutung; er zeigt bloß, daß das Konzept der Synonymität von vornherein auf die operationale Bedeutung zugeschnitten und nicht von operativer (empirisch deskriptiver) N a t u r ist. Dieses Zurückscheuen vor der empirisch deskriptiven oder zumindest einer deskriptiven Bedeutung — diese Unterscheidung w i r d unten klar werden — hat i n der angelsächsischen analytischen Literatur zu einer kuriosen Verfälschung der Fregeschen Philosophie geführt, oder hat ihn zumindest m i t einer Terminologie belastet, die nicht seine eigene ist, und die zu einer völlig mißverständlichen Auffassung seiner Lehre führen kann. Frege unterscheidet bekanntlich zwischen Sinn und Bedeutung, wobei dem Sinn unsere operationale Bedeutung (das λεκτόν der Stoiker) entspricht, und Bedeutung dem, was w i r empirisch-deskriptive oder operative Bedeutung nennen. Frege allerdings läßt hier auch platonische, also nicht-empirische Entitäten zu, so daß w i r hinsichtlich Frege besser bloß von „deskriptiver Bedeutung" sprechen. Statt nun für „Sinn" ζ. B. „sense" zu verwenden, und für „Bedeutung" „descriptive meaning", w i r d in der englischsprachigen Literatur von Freges „sense-reference"Unterscheidung gesprochen 2; so übersetzten Peter Geach und M a x Black Freges Titel „Sinn und Bedeutung" m i t „ O n Sense and Reference", und „sense" und „reference" finden sich bei den meisten Autoren, die sich m i t Frege befassen, so auch bei den Verfassern der A r t i k e l „Meaning" und „Frege" i n der „Encyclopedia of Philosophy" 3 . A m besten geglückt scheint noch Carnaps Ubersetzung, nämlich „Sense and Denotatum" zu sein. A u f die Schwierigkeiten der Ubersetzung der Fregeschen Terminologie weist übrigens auch Wilks hin 4 . Wie können w i r nun, entgegen der jetzt gerade vorherrschenden philosophischen Ansicht, wie sie sich besonders i n der Nachfolge des späten 2
Cohen, S. 174; „sense" und „denotation" bei Mates, S. 19. Alston, S. 234 a; Dummett, S. 227 b; vgl. auch die Übersetzung von Freges „Sinn und Bedeutung" von P. Geach und M. Black. 4 Wilks, S. 86. 5
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3. Die p r t i o a l e S e m t i k und die operative Semantik
Wittgenstein, d. h. in der Analytischen Philosophie, entwickelt hat, die Einführung einer deskriptiv empirischen Bedeutung rechtfertigen? Zunächst eine einleitende Beobachtung: Wenn w i r unvorbereitet jemanden fragen: „Was bedeutet der Satz: ,Gestern um drei U h r nachts war ein Gewitter?' " , dann w i r d jeder Physiker, Botaniker, jeder normale Mensch, ja vermutlich sogar jeder Anhänger der Referenz und Gegner der empirischen Bedeutung antworten, er bedeute, daß gestern um drei U h r nachts tatsächlich ein Gewitter niedergegangen ist. Dieser Standpunkt ist natürlich i n vieler Hinsicht naiv; ζ. B. geht er davon aus, daß nur der empirisch wahre Satz empirische Bedeutung hat, wohingegen w i r annehmen müssen, daß auch der empirisch falsche Satz empirische Bedeutung hat: er bedeutet das typengebundene empirische Gegenteil von dem, was er aussagt, wobei, wie für den empirisch wahren Satz, auch noch einige andere Bedingungen erfüllt sein müssen (siehe unten). Wittgensteins mokante Frage, was der Satz „Es regnet" bedeute, kann also auch anders als m i t „Es regnet" beantwortet werden. Bedeutung ist demzufolge nach unserer Auffassung nicht stets Austausch von Zeichen gegen Zeichen; nur die operationale Bedeutung w i r d zu Recht so gekennzeichnet. Die Linguistik hat sich inzwischen des Terms „Referenz" bemächtigt, allerdings ohne sich allzuviel um seine philosophische Vorbelastung zu kümmern. Eigentlich liegt die empirische Referenz von vornherein außerhalb der Reichweite der Linguistik. Aber in der Linguistik meint „Referenz" das Sich-Beziehen auf Terme, die bereits vorgekommen sind, ein Prozeß, der i m Englischen auch „anaphora" heißt. ( D t . „Anapher" hat eine andere Bedeutung). Beispiele sind etwa „ D e r Kuchen war für meinen Geburtstag. Er hat m i r sehr geschmeckt". H i e r w i r d vorausgesetzt, daß ein identisches „ O b j e k t " für „Kuchen" und „er" existiert, das die Grundlage der linguistischen Referenz sein soll. Tatsächlich ist, sehen w i r von der Einführung platonischer Objekte ab, dies ein Problem, das letzten Endes nur empirisch, d. h. operativ gelöst werden kann. Betrachten w i r die empirisch-deskriptive Folge: „ D e n Braten habe ich gerade gegessen. Der Kuchen war für meinen Geburtstag. Er hat mir sehr geschmeckt." H i e r hilft uns keine Linguistik der Welt mehr weiter, sondern nur die Kenntnis der empirischen Umstände, welche ζ. B. der Befragung des Sprechers entnommen werden kann. Tatsächlich besteht i n der gegenwärtigen Linguistik eine Tendenz, sich wieder m i t der Verknüpfung von Sprache und Wirklichkeit zu beschäftigen, eine Tendenz, die unter dem Einfluß der Philosophie des späten Wittgenstein zumindest i n den englischsprachigen Ländern gänzlich verschwunden war. Es w i r d also
3.1. Operative und operationale Semantik als grundlegende Disziplinen
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heute bereits wiederum die Forderung erhoben, daß die linguistische Semantik neben den operationalen Funktionen der Sprache auch deren operative zu behandeln hätte 5 . Soll die Linguistik diese Aufgabe bewältigen, dann müßte sie um Bereiche erweitert werden, die gewöhnlich der Erkenntnistheorie, der Wissenschaftstheorie, der Ontologie und verwandten philosophischen Disziplinen zugerechnet werden. D . h. die Linguistik müßte sich dann neben der Sprache auch mit physikalischen, physiologischen, mathematischen (Koordinatensystemen) und ähnlichen Problemen beschäftigen. Denn die Linguistik hätte ja dann zu zeigen, wie die Sätze in der Wirklichkeit verankert sind: das linguistische K o n zept der Deixis etwa gestatte eine räumliche und zeitliche Charakterisierung, die den Satz auf einen bestimmten Raum- und Zeitpunkt festlegt. W i r sind hier der Meinung, daß es eine operationale und eine operative Deixis gibt, wobei erstere der Gegenstand der Linguistik ist, und letztere der Gegenstand der erwähnten philosophischen Disziplinen. Linguistisch, i. e. operational — aber nicht ontologisch — ist die Deixis der zwei folgenden Sätze dieselbe: (1)
Als Dornröschen 18 Jahre alt war, stach sie sich m i t einer Spindel und fiel i n einen tiefen Schlaf.
(2)
Als Mozart 18 Jahre alt war, schrieb er u. a. die Symphonien K . 183, 200, 201, 202, zwei Messen (K. 192, 194) und die Klaviersonaten K . 279 und 280 - 283.
Die gegenwärtige Linguistik ist weit überfordert, wenn sie sich auch mit operativen Bedeutungen beschäftigen soll. Nichtsdestoweniger, die Tendenz dazu ist vorhanden und zeigt sich auch in anderen Problembezügen. Es ist ζ. B. manchmal üblich, die semantischen Merkmalszeichen ontologisch zu deuten, ein Problem, das w i r näher auf S. 273 behandeln. Auch besteht gegenwärtig großes Interesse, die sogenannten Präsuppositionen eines Satzes zu behandeln. Die Vorstellung ist hier, daß man operational Bedingungen angeben könne, die jedem Satz vorangestellt werden können, ζ. B. für „Heinz ist Junggeselle" wäre die Präsupposition, daß Heinz erwachsen und männlichen Geschlechtes ist. Wiederum zeigt sich die Linguistik oft überfordert; Bellert ζ. B. zählt unter die V o r aussetzungen des folgenden Satzes (1) die Sätze (2) und (3) e : (1) 5 6
Annas ältester Sohn hat Warschau verlassen und studiert an der Sorbonne. Kiefer (Semantik), S. X V I I I . Bellert, S. 3.
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3. Die p r t i o a l e S e m t i k und die operative Semantik
(2)
Annas ältester Sohn hat das Gymnasium beendet.
(3)
Annas ältester Sohn arbeitet nicht als Weber in einer Fabrik.
Z u (2) ist zu sagen, daß Annas ältester Sohn die Hochschulreife auch auf andere A r t und Weise erworben haben kann, und zu (3), daß Annas ältester Sohn immerhin Werkstudent sein könnte. Das heißt, w i r kommen hier ohne Überlegungen, die die Empirie betreifen, nicht aus, falls Annas ältester Sohn tatsächlich existiert. Operational können w i r nur sagen, daß Annas ältester Sohn entweder nicht als Weber i n einer Fabrik arbeitet, oder Werkstudent ist, und daß es noch ein paar andere Möglichkeiten gibt, diese von Bellert aufgestellte Präsupposition hinfällig zu machen. Die Linguistik kehrt hier zum Standpunkt Bloomfields zurück, nach welchem Bedeutung voraussetzt, daß man m i t dem empirischen Universum des Sprechers vertraut sein muß, w i l l man ihn verstehen. Auch w i r behaupten ja, daß es neben der operationalen Semantik der Linguistik audi eine operative oder empirisch deskriptive geben müsse. N u r sind w i r der Meinung, daß die operative Semantik kein Gegenstand der Linguistik — zumindest i n ihrem heutigen Zustand — sein kann. Es ist eine wissenschaftsgeschichtliche Tatsache, daß die linguistische Semant i k in den englischsprachigen Ländern stagnierte, solange man am Bloomfieldschen Standpunkt festhielt. Die empirisch deskriptive Semantik ist letzten Endes eine philosophische Disziplin, und solange die Linguistik das Problem der operativen Semantik auf eigene Faust lösen w i l l , werden sich diese Versuche vermutlich recht ungenügend ausnehmen. Nach diesen mehr speziellen Erörterungen kehren w i r nun wieder zum Problem des Verhältnisses von operativer und operationaler Bedeutung zurück. Die vielen Einwände, die gegen Frege und die Annahme einer deskriptiven Bedeutung gemacht werden, können ad acta gelegt werden, indem man erstens „deskriptiv" immer m i t „empirisch deskript i v " gleichsetzt, i. e. keine platonistischen Modelle und keine platonistische Referenz zuläßt. M a n erspart sich dann Einwände wie: Synkategoremata können dodi keine Referenzklasse haben; „Schönheit" muß eine ideenrealistische Referenz haben, usf. Schon hier fällt ein Unterschied zwischen empirisch deskriptiver (operativer) und operationaler Bedeutung ins Auge: I n einem Satz m i t empirischer Bedeutung müssen bestimmte Worte symbolisieren, d. h. einfach für empirische Dinge, Tatsachen, oder, wie w i r hier sagen, Systeme und deren Beziehungen stehen, ganz i m Sinne der Suppositionslehre. Für die operationale Bedeutung per se ist hingegen die Annahme einer Sym-
3.1. Operative und operationale Semantik als grundlegende Disziplinen
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bolisierung unnötig. Ob „Dornröschen" oder „ M o z a r t " etwas symbolisieren, ist vom Standpunkt der operationalen Semantik aus völlig gleichgültig. Übrigens ist von dem Standpunkt aus, daß die Sprache symbolisieren kann, der oft absolut gesehene Unterschied zwischen tierischer und menschlicher Sprache überbrückbar, eine Ansicht, die auch von Chafe vertreten w i r d 7 . W i r weisen darauf hin, daß w i r hier nur von der Symbolisierung i n der Umgangssprache und den empirischen Sprachen LE der Wissenschaften reden. Zweitens können andere Einwände gegen das Konzept einer empirischen Bedeutung entkräftet werden, indem man feststellt, daß es nicht die Referenz alleine ist, die die empirische Bedeutung ausmacht. Letzten Endes basiert die Referenz auf gewissen semantischen Relationen, die zwischen der Empirie — den empirischen Objekten etc., i. e. Systemen und deren Beziehungen — und den Zeichen aufgespannt werden. Diese Relationen sind relativ konstant, schon deshalb, weil w i r sie als Kinder beim Erlernen der Sprache i n Form von Regeln („Das ist ein Apfel und nicht eine Birne") einüben. Wie viele Male w i r d einem K i n d ein Apfel gezeigt, bis es alle Äpfel — und nur Äpfel — „ Ä p f e l " nennt. Wiewohl w i r i m Rahmen dieser Arbeit das Konzept einer Stimulus-Bedeutung als alleiniges Bedeutungskonzept ablehnen, so muß man doch sagen, daß hier so etwas wie eine Quinesche Stimulus-Bedeutung etabliert wird. W i r werden dieses Problem i m folgenden noch erläutern. Ein anderer Einwand gegen das Konzept der operativen Bedeutung kann folgendermaßen gemacht werden: Bezieht sich das W o r t „ A p f e l " — z. B. — nun auf einen, jeweiligen, Apfel, oder auf die Klasse aller empirischen Äpfel, i. e. die empirische Extension von „ A p f e l " . Zunächst kann man hier schon einwenden, daß Sätze, die sich mit allen Äpfeln dieser Welt befassen, umgangssprachlich gar nicht vorkommen; diese gehören i n die Botanik, die Landwirtschaftskunde, etc. und sind bereits von theoretischem Status, i. e. müssen zunächst mit rein empirisch deskriptiven Sätzen verbunden werden, sollen sie empirische Bedeutung erlangen. Weiters lehnen w i r das Konzept einer empirischen Klasse ab. Hier könnte man einwerfen, daß i n dem — empirisch wahren — Satz „Heute kaufte ich zehn Ä p f e l " von einer Klasse von Äpfeln die Rede sei. Ein Plural zeigt aber noch nicht eine Klasse an. A m einfachsten lösen w i r das Problem, indem w i r , wie bei der operationalen Bedeutung, vom Satz ausgehen. Gehen w i r von dem empirisch wahren und empirisch deskrip7
Chafe, S. 62.
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3. Die òpéràtiorìale Semâfttik und die operative Semantik
tiven Satz „Ich habe heute (in Lincoln, am 25. M a i 1975, um 1 U h r mittags) einen Apfel gegessen" aus, dann ist es ganz klar, was die empirische Bedeutung von „ A p f e l " i n diesem Falle ist. Es ist also zweckmäßig, sich auch für die empirische Bedeutung der Worte vom Satz leiten lassen; aber letztlich muß man doch annehmen, daß die empirische Bedeutung der Worte vorrangig ist, d. h. daß die empirische Bedeutung des Satzes atomistische Züge zeigt. Während w i r nämlich die operationale Bedeutung eines Wortes nur aus dem Kontext (Kontextmenge [ n ] ) aufbauen können, beruhen die empirischen Bedeutungen der Worte letzten Endes auf dem nicht mehr weiter zerlegbaren operativen A k t des Zeigens und Nennens, hic et nunc, d. h. die empirische Bedeutung von „ A p f e l " ist „jeweils" und hat es m i t dem jeweils aufzuweisenden empirischen Apfel und der jeweiligen empirischen Referenz zu tun. Ein anderer Einwand mündet in die Frage, ob mit der Vernichtung eines empirischen Systems auch die empirische Bedeutung desjenigen Satzes, der dieses System deskriptiv und empirisch beschreibt, verschwindet. D a empirisch deskriptive Sätze jedoch i n Raum und Zeit verankert sein müssen, ist diese Frage eigentlich sinnlos. Der empirisch wahre Satz „Gestern aß ich einen A p f e l " hat nicht deshalb heute keine empirische Bedeutung mehr, weil der Apfel nicht mehr existiert. Oder w i r d die empirisch deskriptive Bedeutung hier zu einer möglichen empirischen Bedeutung? Aus praktischen Gründen muß man diese Lösung ablehnen; denn es kommt keine empirische Wissenschaft ohne empirisch deskriptive Semantik aus. Was aber ist nun der Gegenstand dieser empirisch deskriptiven Semantik? Ist es vielleicht doch die empirische Referenz? W i r müssen uns darüber i m klaren sein, daß die m i t Wittgenstein auftauchende Lehre, daß es bloß eine Form der Bedeutung gebe, nämlich die Wittgensteinsche (Bedeutung als sprachimmanenter Sprachgebrauch), und die daraus folgende Ansicht der Analytischen Philosophie, daß es keine empirische Bedeutung gebe, sondern bloß empirische Referenz, letzten Endes eine philosophische D o k t r i n ist, die erstens wieder umgestürzt werden kann, und die zweitens fast immer nur an der Alltagssprache (daher w i r d die Analytische Philosophie auch „ordinary language philosophy" genannt) erprobt wurde. Schon für die Alltagssprache scheint es außerordentlich zweifelhaft, ob man stets bloß m i t der operationalen Bedeutung auskommt — w i r lehnen diese Auffassung aus historischen und aus systematischen Gründen ab (vgl. S. 244) — und wieviel mehr muß das für die empirischen Wissenschaften gelten. Kein empirischer Wissenschaftler, der einmal nach der empirischen Basis seiner Aussagen gesucht hat,
3.1. Operative und operationale Semantik als grundlegende Disziplinen
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der das Eintreffen seiner Voraussagen überprüft hat, oder der generell eine Theorie aufstellen w i l l , w i r d davon abgehen, daß letzten Endes die empirische Bedeutung die wichtigste Konzeption ist, d. h. daß die Theorie um der Empirie willen da ist. Der empirische Wissenschaftler, und w i r mit ihm, w i r d lapidar darauf bestehen, daß ein Satz oder eine Aussage, z . B . eine Beobachtungsaussage, dann i m effektiven Sinne empirische (operative) Bedeutung haben, wenn folgende Bedingungen eingehalten werden: 1. müssen die Namens-, Designations- und Denotationsregeln korrekt gebraucht werden, d. h. es muß irgendwann einmal die empirische Referenz etabliert werden; 2. müssen die Bedingungen der empirischen Wahrheit erfüllt sein; 3. soll — aus praktischen Gründen — jeder Satz grammatisch intakt sein, i. e. den Regeln der Grammatik der Umgangssprache folgen, wenn es sich um verbale Beschreibungen i n LE handelt; d. h. die Sätze (Aussagen) aus LE müssen das haben, was w i r auf S. 229 „grammatisch operationale" Bedeutung genannt und als Teilaspekt der operationalen Bedeutung betrachtet haben. H i e r fällt auf, daß man für die Umgangssprache — aber nicht für die Sprache LE der Wissenschaften — voraussetzen muß, daß jeder Satz m i t operativer Bedeutung i m allgemeinen audi operationale (in jeder Hinsicht) hat, d. h. daß er nicht gegen den Sprachgebrauch verstößt, mit der Ausnahme, wenn er neue Worte oder neue Metaphern enthält, wenn sich neue Bedeutungsabschattungen bilden, u. ä. Als ζ. B. „ A u t o m o b i l " oder „Bergrücken" das erste M a l i n der Geschichte der Sprache gebraucht wurden, hatten die Sätze, in denen sie vorkamen, vermutlich bloß operative, aber keine operationale Bedeutung. Natürlich kann auch i n der Umgangssprache ein Wort auf bloß operationalem Wege etabliert werden, wie ζ. B. „Zeus". Diese Situation ist nun einfach das Ergebnis der historischen Entwicklung der Umgangssprache, w o die operativen Bedeutungen i n den allermeisten Fällen zur Etablierung operationaler Bedeutungen geführt haben (für diesen Prozeß vgl. S. 262). Für die Wissenschaften werden aber die operativen Bedeutungen für jede Theorie jeweils neu festgelegt; d. h. jede Theorie muß i n LE eine Liste von operativen Semantemen oder damit äquivalenten Festlegungen von empirischen Bedeutungen enthalten. Dies heißt weiters, daß die operationalen Bedeutungen erst etabliert werden müssen, m i t Ausnahme von deren grammatischem Aspekt. U n d auch dieser könnte für jede Theorie jeweils neu eingeführt werden, wenn dies nicht zu umständlich wäre. Die operationalen Bedeutungen werden i n Theorien erst beim Ubergang von LE zu LF sichtbar. Tatsächlich wiederholt also jede Theorie die Geschichte der Sprache i m kleinen, wie w i r schon gesagt haben. 15 Leinfellner
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3. Die p r t i o a l e S e m t i k und die operative Semantik
Einem isolierten Satz wie „ A l l e Äpfel gehören der species malus pumila an" kann man hingegen nicht so ohne weiters empirische Bedeutung zuschreiben. Gehört er einer botanischen Theorie an, dann handelt es sich bei ihm bereits um eine theoretisch deskriptive Aussage i n LT und w i r bedürfen der semantischen Interpretationsregeln, um zur empirischen Bedeutung von „ A l l e Äpfel gehören der species malus pumila an" zu gelangen. Wenn w i r also gestern den empirisch wahren Satz „Dieser Apfel schmeckt gut" während des Essens dieses Apfels geäußert haben, und heute den empirisch wahren Satz „Dieser Apfel schmeckt gut" während des Essens eines anderen Apfels, dann haben w i r es jedesmal mit einem anderen Satz zu tun; d. h. es handelt sich um zwei „utterances", wie man das i n der englischen Literatur nennt, oder, in einer anderen Terminologie, um zwei „token"-Sätze, deren empirische Bedeutung jeweils verschieden ist, weil sie verschiedene Zeit- und Raumindices haben und sich auf verschiedene Objekte oder Systeme beziehen. W i r werden dem Problem der empirischen Bedeutung noch öfters begegnen; teilweise sind w i r ihm schon begegnet, so i m Kant-Kapitel. Denn das Problem der empirischen Bedeutung i n den Wissenschaften ist mit den ontologischen Problemen der Wissenschaften aufs innigste verknüpft. Allerdings ist es, wie gesagt, beim heutigen Zustand der Philosophie, ζ. B. der Analytischen Philosophie und gewissen Richtungen der Wissensdiaftstheorie, der Wissenschaftstheorie ohne Wissenschaft, schon ungewöhnlich, daß man die empirische Bedeutung überhaupt diskutiert. Offenbar hängt dies m i t dem Scheitern des Konzeptes des empirischen Signifikanzkriteriums zusammen. Der Linguist Bloomfield ging allerdings noch rigoroser als die Autoren dieser Arbeit, die ja neben der empirischen Bedeutung noch die operationale zulassen, vor. Bloomfield nämlich schrieb: „Wollen w i r eine wissenschaftlich genaue Bedeutungsdefinition für jede Form einer Sprache geben, dann sollten w i r eigentlich eine wissenschaftlich genaue Kenntnis von allem i n der Welt des Sprechers haben 8 ." Weiters muß man folgendes bedenken: Als ein Hauptargument gegen die empirische Bedeutung könnte man einfach die Tatsache anführen, daß es möglich ist, alle Bedeutungen operational, d. h. auf der operationalen Ebene zu definieren und zu isolieren. M a n vergißt dabei aber — wie noch an einem Gedankenexperiment gezeigt werden w i r d — daß man 8
Bloomfield, S. 139.
3.1. Operative und operationale Semantik als grundlegende Disziplinen
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dann in eine Situation kommen kann, wo man trotz aller operationaler Semantik und aller operationaler Bedeutungen eine Sprache nicht versteht. D . h., daß zumindest ein Teil der operationalen ( W o r t b e d e u tungen auf etwas anderes zurückgeführt werden muß, und dieses Andere nennen w i r die empirisch deskriptive oder die operative Bedeutung. Derartige Vorgänge lassen sich an der Sprache jederzeit beobachten: so ζ. B. rufen Veränderungen i n der empirischen Beschreibung der Welt Veränderungen i m operationalen lexikalischen System der Sprache hervor. Gute Beispiele sind hier neue Worte für neue Sachen (wie „Automobil"), das Hinzufügen von neuen Wortsinnen zu schon vorhandenen („Feder" i m Sinne von „Füllfeder", „stählerner Schreibfeder" einerseits und „Vogelfeder" andererseits, ebenso engl, „pen" von spätlat. „pinna" = „Vogelfeder"), usw. Das heißt, daß viele semantisch-operationale Bedeutungen letzten Endes auf operative zurückgehen müssen, manchmal direkt und manchmal indirekt. A l l dies kann vorteilhaft sprachgeschichtlich gezeigt werden. Das Konzept der empirischen Bedeutung w i r d auch dazu verwendet, um den prinzipiellen Unterschied zwischen Ausdrücken wie „Einhorn" und „Elefant" auszudrücken: „Einhorn" hat (gegenwärtig) bloß operationale Bedeutung, „Elefant" hat operationale Bedeutung und in bestimmten, empirisch aufzuweisenden Fällen, operative, empirische Bedeutung. Operational können w i r nämlich mögliche Welten von der empirischen, wirklichen Welt nicht unterscheiden, wie man sich am Beispiel der alten „Bestiarien" überzeugen kann, w o wirkliche und Phantasietiere friedlich nebeneinander über die Seiten geistern. W i r könnten das Problem auch von hintenherum angehen und die Arten der Bedeutung nach der A r t ihrer Auffindung unterscheiden. W i r d eine Bedeutung mit H i l f e des Sprachgebrauches herausgefunden, dann ist sie operational. Dies kommt viel häufiger vor, als man denkt, und es kommt sogar i m Zusammenhang m i t naturwissenschaftlichen Beschreibungen vor. Wie oft lernt man Tiere, Pflanzen, Mikroben, und was es auch immer sei, nur sprachlich kennen, d. h. aus definiten Beschreibungen i n Büchern, denen oft nicht einmal Abbildungen beigegeben sind. Diese Beschreibungen haben natürlich empirische Bedeutungen, aber w i r verfügen gewissermaßen nicht über diese und verlassen uns auf das W o r t des Autors, daß dieses oder jenes Tier, Pflanze oder Mikrobe tatsächlich existiert. Würde ein Naturwissenschaftler, der nebenbei auch Sprachexperimente betreibt, i n eines seiner Bücher oder Abhandlungen ein nichtexistierendes Lebewesen — es muß ja nicht gleich eine neue A r t Elefant 15*
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3. Die p r t i o a l e S e m t i k und die operative Semantik
sein — einschmuggeln, dann ist es sehr fraglich, ob alle seine Leser draufkommen würden. Benützen w i r jedoch die Methoden einer deskriptiven Semantik, um herauszubekommen, was ein Satz (Aussage) oder ein Wort bedeutet, dann handelt es sich um empirische Bedeutungen. „Deskriptive Semant i k " muß dann so weit gefaßt sein, daß es die Diskussion von Methoden aus den Wissenschaften, ζ. B. meßtheoretischen, einschließt. Die empirische Referenz ist also demnach nicht m i t der empirischen Bedeutung gleichzusetzen, ist aber doch unerläßlich für sie. Nehmen w i r ein Beispiel aus der Physik: V o r einiger Zeit wurde ein Teilchen vorausgesagt, das schneller als Licht sein soll. M a n nannte dieses Teilchen „Tachyon". Aber bis heute ist es nicht geglückt, solch ein Tachyon zu finden, d. h. die empirische Referenz von „Tachyon" zu etablieren. Tachyonen existieren daher nur operational, d. h. kraft des (wissenschaftlichen) Sprachgebrauches, und kraft der Tatsache, daß sie mit den empirischen Erkenntnissen anderer Theorien nicht i n Konflikt geraten, sowie generell auch nicht m i t derem theoretischen System, i. e. hier der Relativitätstheorie. 3.2. Operationale Bedeutung i n der Umgangssprache „Operational" heißt hier, wie schon öfters angedeutet, daß w i r uns auf der Ebene der Zeichen befinden und die empirische Bedeutung gewissermaßen ausklammern oder abtrennen. W i r gehen hier grundsätzlich vom Satz aus, oder auch von (Kon-)Texten, die länger als ein Satz sind. W i r haben einleitend zwischen zwei Hauptformen der operationalen Bedeutung unterschieden, der grammatisch (syntaktisch) operationalen und der semantisch operationalen, wobei w i r i n den anderen Kapiteln dieses Buches, aus Gründen, die i m folgenden sichtbar werden, allgemein nur „operationale Bedeutung" verwenden. Auch haben w i r festgestellt, daß diese Einteilung eine Konzession an die traditionelle Einteilung Grammatik-Semantik ist. Wollten w i r für Mathematik und Logik eine grammatische Bedeutung, die w i r dann besser „syntaktisch-semantische" nennen würden, einführen, dann müssen w i r annehmen, daß auch die Ausdrücke der Mathematik und Logik i n irgendeiner Form die Struktur des indoeuropäischen Satzes zeigen, d. h. daß sie i n einen Subjektteil und i n einen Prädikatteil zerfallen. Es sei hinzugefügt, daß diese Auffassung des indoeuropäischen Satzes nicht allen Fällen ganz gerecht wird. „Venio" kann eigentlich
3.2. Operationale Bedeutung in der Umgangssprache
229
nicht recht i n einem Subjektteil (Nominalphrase) und i n einen Prädikatteil (Verbalphrase) zerlegt werden, und i m Althochdeutschen des 10. Jahrhunderts steht „stuont" nodi gleichwertig neben „er stuont". I m gewissen Sinne nimmt es die Mathematik und die Logik m i t der Trennung von Subjekt- und Prädikattermen oder Nominal- und Verbalphrasen genauer als die Umgangssprache. Letzten Endes besteht nämlich eine Axiomatisierung in nichts anderem, als daß sie einerseits die Struktur eines empirischen Bereiches D festlegt, und andererseits verbindlich festsetzt, was Verbalphrase oder Prädikatterm sei und was Nominalphrase oder Subjektterm, und welche Verbalphrase m i t welcher Nominalphrase verbunden werden könne. Vgl. auch S. 336 ff. und S. 343 ff., wo w i r diese Probleme i m Detail besprechen. Für die Umgangssprache bedeutet die Existenz einer grammatischen Bedeutung, daß auch Sätze wie „ Z w e i Gitarren tanzen Tango" und „ Z w e i Tangos tanzen Gitarre" Bedeutung haben, aber eben bloß grammatische, traditionell ausgedrückt. Ein Satz hat also grammatische Bedeutung, wenn er den Regeln der betreffenden Grammatik entsprechend gebildet ist. W i r könnten natürlich auch sagen, daß die beiden Sätze eine A r t metaphorische oder poetische Bedeutung haben; aber mit diesem Problem wollen w i r uns hier nicht beschäftigen. Was die grammatische Bedeutung der einzelnen Satzteile betrifft, so können w i r sagen, daß sie i n der grammatischen Funktion besteht, die die einzelnen Worte oder Satzteile i m Satz ausüben. Traditionellerweise werden von manchen Autoren (so von Fries) drei Arten von grammatischer Bedeutung unterschieden, 1. hinsichtlich des Satzes: Ist der Satz ein Fragesatz, ein Aussagesatz, ein Befehlssatz etc.? Je nachdem hat er verschiedene grammatische Bedeutung. 2. hinsichtlich der Worte: w i r befassen uns hier m i t der Bedeutung gewisser grammatikalischer Satzteile, z. B. der Pronomina, der Partikel, die Tempus oder grammatisches Geschlecht anzeigen, etc. 3. ebenfalls hinsichtlich der Worte: die Bedeutung, die m i t grammatischen Funktionen wie Subjekt-von, Objekt-von etc. verbunden ist. Was Fries und anderen Wissenschaftlern hier nicht aufgefallen ist, ist, daß nach dieser Auffassung praktisch die ganze Grammatik von grammatischen Bedeutungen handelt und nichts anderem, und daß sie somit zur Semantik gerechnet werden kann. W i r können z. B. folgendes Tripel aufstellen: (Grammatische Struktur von 5, r ' , S). Bestehen w i r auf der traditionellen Unterscheidung von Grammatik und Semantik, dann stellen w i r damit nur generell fest, daß umgangssprachlich ohne die grammatisch operationale Bedeutung weder eine
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3. Die p r t i o a l e S e m t i k und die operative Semantik
semantisdi operationale noch eine empirisch deskriptive (operative) Bedeutung des Satzes möglich ist; denn die grammatische oder grammatisch operationale Bedeutung unterscheidet ja erst einen Zeichenhaufen von einem Satz. Wie vereinen w i r aber obige Erörterungen mit der später vorgetragenen Ansicht, daß Grammatik (oder Syntax) letztlich Semantik ist? W i r sehen, daß i n der heutigen Umgangssprache die Grammatik ein relativ selbständiges Leben führt; w i r werden aber auch sehen, daß viele Formen, die w i r heute als rein grammatische ansehen, ursprünglich semantische waren. Weiters sehen w i r , daß die Grammatik auch noch heute eine grobe semantische Ordnung erzeugt, oder daß sie — wie w i r mehr i m Einklang m i t der Tradition sagen könnten — die Sprache für die Semant i k vorordnet; sie reicht aber alleine nicht aus, um einem Satz das Prädikat „sinnvoll", „hat Bedeutung" i m traditionellen Sinne zu verleihen. Die öfters vorgetragene Ansicht, daß Sätze wie „ D u schreibst einen Brief" und „Schreibst du einen Brief?" dieselbe semantisch-operationale Bedeutung haben, weil Transformationen von der Tiefen- zur Oberflächenstruktur keine Bedeutungsänderungen hervorrufen sollen, ist daher nach unserer Auffassung v o n vornherein inkorrekt. Diese zwei Sätze unterscheiden sich durch ihre grammatische Struktur und sie sind damit verschieden semantisch vorgeordnet. Wenn aber die Aufgabe der Grammatik darin besteht, einen Zeichenhaufen semantisch vorzuordnen, dann ist es nicht einzusehen, warum w i r nicht gleich die ganze Grammatik zur Semantik rechnen sollen, abgesehen davon, daß dafür auch historische Gründe angeführt werden können. Diese Position ist natürlich extrem, w i r d aber dennoch gar nicht so selten eingenommen, so ζ. B. von Wilks (vgl. S. 257) und Putnam (vgl. S.282). I m Hinblick auf die Umgangssprache erscheint also die Semantik nicht als die Interpretation eines K a l küls, i. e. der Grammatik, sondern w i r fassen beide zu einem System zusammen, das w i r operationale Semantik nennen. Diese Vorstellung der Interpretation eines reinen Kalküls durch ein semantisches System — eine Vorstellung, die man auch auf die Umgangssprache anzuwenden versucht hat — stammt aus der Logik, ζ. B. der Prädikatenlogik, w o einem formalen logischen K a l k ü l eine semantische Interpretation zugeordnet wird. Die Logik mag eventuell der O r t sein, wo ein derartiger Purismus am Platz ist; aber sowie Logik und Erkenntnistheorie oder Ontologie einander unterstützen sollen, führt er i n Schwierigkeiten.
3.2. Operationale Bedeutung in der Umgangssprache
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3.2.1. Die Semantik als grundlegende Disziplin und linguistische Systeme der Semantik W i r bringen nun Überlegungen zum Problem der operational-semantischen Bedeutung i m obigen Sinne, die der heutigen Linguistik entstammen. W i r werden aber i m folgenden auch auf Probleme der grammatischen Bedeutung hinweisen, so daß das ganze Kapitel auch „Operationale Bedeutung" übertitelt werden könnte. Das i m folgenden dargestellte System von Wilks ist — ganz i n unserem Sinne — sowieso eine allumfassende operationale Semantik, weil für Wilks die Grammatik eine Fiktion ist. Wittgensteins Konzept der Bedeutung als Sprachgebrauch ist ein erster Schritt zu diesen linguistischen Systemen. Allerdings ist schon hier nicht einzusehen, warum nicht, wie gesagt, der grammatische Gebrauch der Sprache ebenfalls als Sprachgebrauch und daher als operationale Bedeutung fungieren soll. Wittgenstein selbst hat allerdings nie ein semantisches System entwickelt, das seine Bedeutung als Sprachgebrauch genau expliziert hätte 9 . Bei der operational semantischen Bedeutung ist also, wie schon erwähnt, der Satz oder die Sätze minus des „bedeutenden" Wortes als Kontext vorrangig, weil die operationalsemantische Bedeutung des Wortes — und die operationale Bedeutung des Wortes i m allgemeinen — nicht ohne Kontext konstituiert werden kann. Das folgende Zitat aus Lyons „Theoretical Linguistics" faßt den Wittgensteinschen Ansatz anschaulich zusammen, wobei jedoch 1. nur von Wortbedeutungen die Rede ist, und 2. nur allgemein v o m „ V o k a bular" und nicht von Sätzen als Kontexten. „Sinn" („sense" bei Lyons) entspricht hier unserer operational-semantischen Bedeutung; w i r gebrauchen „Sinn" auch für die operationale Bedeutung per se. Es folgt nun das Z i t a t : „Unter dem Sinn eines Wortes verstehen w i r seinen Platz i n dem System der Relationen, den es i m Zusammenhang mit anderen Worten des Vokabulars einnimmt. M a n kann beobachten, daß der Sinn keine Voraussetzungen über die Existenz von Objekten und Eigenschaften außerhalb des Vokabulars der betreffenden Sprache benötigt, weil er nur auf der Basis der Relationen, die sich zwischen Bestandteilen des Vokabulars aufspannen, definiert w i r d 1 0 . " Der nominalistische Zug derartiger Semantiksysteme t r i t t deutlich i n folgendem Zitat hervor, das Wilks' „Grammar, Meaning and the 9 10
E. Leinfellner (Begründung), S. 231. Lyons (Introduction), S. 427.
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3. Die p r t i o a l e S e m t i k und die operative Semantik
Machine Analysis of Language" entstammt; es handelt von jenen Wortbedeutungen (word-senses), die dadurch gegeben sind, daß w i r andere Worte betrachten: „Wenn w i r jemanden nach der Bedeutung von „Psoriasis" fragen, und der Befragte weiß, was es ist, dann werden w i r eine Wortkette — z . B . : „eine chronische Hautkrankheit" — hören. Wenn man nun sagt, daß diese W o r t e . . . die Bedeutung von „Psoriasis" . . . sind, dann scheint m i r das bei weitem die einfachste A r t und Weise zu sein, das, was manchmal „Das Problem der Bedeutung" genannt wird, zu betrachten, zumindest vorläufig. Für experimentelle Zwecke ist dies sicher eine nützlichere Betrachtungsweise als die anderen, so oft erörterten philosophischen Ansichten darüber, was die Bedeutung sei: eine Entität i m Gehirn oder i n der Vorstellung, oder das physikalische Objekt, das von einem W o r t bezeichnet w i r d . Denn keine dieser Entitäten kann i n irgendeiner Weise direkt i n einer Rechenmaschine repräsentiert werden, i m Gegensatz zu Worten 1 1 ." Es muß hier gleich hinzugesetzt werden, daß auch derartig aufgefaßte Bedeutungen nicht als „die" Bedeutungen, i. e. absolut aufgefaßt werden dürfen. Erstens sind alle i m folgenden behandelten linguistischen Theorien bestimmt mancher Erweiterungen oder Verbesserungen fähig; und 2. können derartige semantische Theorien wegen der steten U m änderungen, die i m Vokabular vor sich gehen, vielleicht nie vollständig und vollkommen sein. Es ist ja wohlbekannt, daß Wörterbücher auch jüngsten Datums gewisse Ausdrücke sogar der Standard-Umgangssprache nicht enthalten. Der Platz i m Vokabular, von dem Lyons spricht, und der nach ihm die operational semantische Bedeutung des Wortes ausmacht, kann nun auf verschiedene Weise bestimmt werden, entweder indem man vom Wörterbuch selbst ausgeht, oder indem man zwischen Wörterbuch und operational semantische Bedeutung die Grammatik gewissermaßen als Filter, oder, wie w i r vorhin gesagt haben, als semantische Vorordnung, einschaltet. Schon hier w i r d also eigentlich die Grammatik in die Semant i k eingebettet, und w i r könnten i m folgenden einfach von „operationaler Bedeutung" anstelle von „operational semantischer" sprechen. Diejenige Semantik ζ . B., die man „Wortfeldtheorie" nennt, beruht auf paradigmatischen Relationen von semantisch verwandten Worten. Paradigmatische Relationen beruhen darauf, daß zwei Worte derselben grammatischen Wortklasse angehören; semantisch verwandte Worte sind ζ. B. die Ausdrücke für Verwandtschaftsbeziehungen, Farbnamen etc. Diese 11
Wilks, S. 18; vgl. auch Wilks, S. 8, S. 87.
3.2. Operationale Bedeutung in der Umgangssprache
233
durch paradigmatische Relationen zusammengehaltenen semantisch verwandten Ausdrücke könnte man natürlich — mit K u h n — als Ansatzpunkte wissenschaftlicher Systeme ansehen12, wenn sie einem Kuhnschen Paradigma angehören. M a n muß hier natürlich beachten, daß „paradigmatisch" i m obigen Sinne nicht mit „paradigmatisch" i m Kuhnschen verwechselt werden darf. Es gibt natürlich einige semantische Beziehungen, von denen man mit Lyons u. U . sagen könnte, daß sie bloß auf der Basis des Vokabulars oder des Wörterbuches aufgestellt werden können, so ζ. B. die Hyponymie (Bedeutungseinschluß), die K o n verse (wie: kauf en-verkauf en; EhemannEhefrau) und die Synonymität. Schon bei der Synonymität ist dies jedoch zweifelhaft, denn wann sind zwei Worte synonym? Zwei Worte sind absolut synonym, wenn sie in allen Kontexten gegeneinander ausgetauscht werden können, d. h. i n allen Sätzen, in denen sie vorkommen können. Dies ist die gewöhnlichste Form, Synonymität zu definieren; es gibt eine andere Fassung von Lyons, die ebenfalls, und zwar i n noch stärkerem Maße, vom Satz ausgeht: Zwei (oder mehrere) Worte sind synonym, wenn die Sätze, i n denen das eine W o r t durch das andere ersetzt w i r d , dieselbe (operational semantische) Bedeutung haben 13 . Auch die semantische Kompatibilität ist etwas, das nur i m Rahmen des Satzes oder zumindest eines Syntagmas entschieden werden kann. Bei Chomsky und anderen Autoren verbirgt sich das Konzept der semantischen Kompatibilität unter dem Konzept der Selektionsrestriktionen, welche sich immer nur auf Sätze beziehen. Eine Selektionsrestriktion besteht einfach darin, daß i m Satz Verbal- und Nominalphrase — wobei die Nominalphrase entweder ein grammatisches Objekt oder ein grammatisches Subjekt ist — nicht miteinander unverträgliche semantische Merkmalszeichen aufweisen dürfen. Z. B. kann „trinken" nur m i t solchen Nominalphrasen, die gleichzeitig grammatische Subjekte sind, verbunden werden, die das semantische Merkmalszeichen „ [ + Belebt]" aufweisen. Wiederum erscheint hier, gehen w i r von der traditionellen Trennung von Grammatik und Semantik aus, die Grammatik als Vorordnung der Semantik. Bevor die einzelnen Worte nicht zu einem Satz zusammengestellt sind, können die Selektionsrestriktionen nicht angewandt werden. Derartige fundamentale Typisierungen, ohne die man hoffnungslos in die Inkompatibilität, i. e. Antinomien und Paradoxien gerät, spielen in wissenschaftlichen Systemen eine enorme Rolle. Bekanntlich wurden 12 18
Kuhn, S. 446 ff. Lyons (Introduction), S. 446 ff.
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3. Die p r t i o a l e S e m t i k und die operative Semantik
die rigorosen Formulierungen der „Principles of Mathematics" von Russell durchgeführt, ohne sich um Typisierungen zu kümmern; aber der „semantische Rückschlag" ließ nicht lange auf sich warten: es tauchten Antinomien auf, die erst aus dem System entfernt werden konnten, als man eine strenge (und letztlich semantisch-ontologische, vgl. S. 293) T y p i sierung einführte. M a n sieht schon hier, wie sehr die operationale Bedeutung i m allgemeinen und die operational semantische Bedeutung i m besonderen an das sprachliche System oder die speziellen Kontexte gebunden sind, und zwar schon die Wortbedeutungen. Dies w i r d auch aus folgender Explikation der Wortbedeutung klar, die w i r aber i m Rahmen dieser Arbeit nicht anwenden wollen: Die semantisch operationale Bedeutung eines Terms ist die Wahrscheinlichkeit seines Auftretens in bestimmten Kontexten. W i r haben bis jetzt nur von der Bedeutung des Wortes gesprochen, w i r könnten auch sagen: von der Bedeutung des Lexems. W i r wollen uns aber auf die Unterscheidung von W o r t und Lexem nicht einlassen; w i r erwähnen hier bloß, daß ein Lexem ein W o r t ist, wie es i m Wörterbuch oder Vokabular erscheint, i. e. eigentlich eine Klasse von Worten, oder, i n einer anderen Terminologie, ein type-Wort. I n Umrissen haben w i r auch davon gehandelt, wie diese operational semantische Bedeutung der Worte aus deren Kontexten, nämlich einem Satz, oder besser Sätzen, hergeleitet wird. Für Näheres vgl. S. 242. I m Bereich der operational semantischen, oder generell der operationalen Bedeutung der Worte nehmen w i r daher einen Humboldtschen und anti-Herderschen Standpunkt ein. Es sagt nämlich H u m b o l d t : „ M a n kann sich unmöglich die Entstehung der Sprache als von der Bezeichnung der Gegenstände durch Wörter beginnend und von da zur Zusammenfügung übergehend denken. I n Wirklichkeit w i r d die Rede nicht aus ihr vorangegangenen Wörtern zusammengesetzt, sondern die Wörter gehen umgekehrt aus dem Ganzen der Rede hervor 1 4 ." Für die operationale Bedeutung ist dies tatsächlich zutreffend; für die operative hingegen muß man — ganz i m Sinne Herders — annehmen, daß das bezeichnende W o r t vorrangig ist. Der ganzheitliche Standpunkt à la H u m b o l d t findet sich heute auch i n der Systemtheorie (Ackoff, Miller usw.) wieder und w i r d i m Rahmen dieses Buches eingehend diskutiert. Für den Humboldtschen Ansatz der Sprachbetrachtung ließen sich noch andere Stellen aus der sprachphilosophischen und linguistischen Tradition anführen (Hamann, Pott, Mauthner, Brug14
Humboldt (Sprachbau), S. 72.
3.2. Operationale Bedeutung in der Umgangssprache
235
mann, Stenzel etc.); w i r verweisen hier jedoch auf die Literatur 1 5 . Tatsache ist, daß für alle gegenwärtigen linguistischen Semantiksysteme (Katz-Fodor, Katz, Abraham-Kiefer, Lyons, Wilks, Chafe etc.) ein ganzheitliches Gebilde oder System, der Satz, bei Wilks der Textabsatz, der Ausgangspunkt bei der Betrachtung der operational semantischen Bedeutung der Worte ist, i n Ubereinstimmung m i t den hier vertretenen Auffassungen. Denjenigen Teil der Semantik, der sich m i t den operational semantischen Bedeutungen der Worte befaßt, nennt man oft auch „Lexis" oder „Semasiologie"; „Semasiologie" übrigens erscheint auch manchmal als Synonym für „Semantik". Die operational semantische Bedeutung der Worte selbst heißt auch „lexikalische" oder „kontextuale". Die Überlegungen, die w i r hier anstellen, gelten gleichermaßen — mutatis mutandis — für die natürlichen Sprachen wie für die Wissenschaftssprachen; es geht die Wissenschaft hier aber, wie nicht anders zu erwarten, strenger vor als die Umgangssprache. Es gibt nämlich nicht nur Fachwörterbücher für die verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, sondern es führt bereits jede Theorie ihre eigenen kontextgebundenen Definitionen mit sich, die einen neuen Term — der der Umgangssprache entstammen kann — und seine Bedeutung operational semantisch m i t H i l f e eines bekannten idealen Kontextes, der Theorie, einführen. Tatsächlich enthält z . B . die Mathematik eine ganze Reihe von Ausdrücken, die zunächst umgangssprachlich waren, wie „ R i n g " , „Gruppe", „Paar", „geordnet", „Verband" etc. 1 6 ; dasselbe gilt etwa für die Spieltheorie und „Strategie", „Person" usw. (vgl. S. 138). Andererseits: welcher Umgangssprache soll das chemische „Hexamethylentetramin" angehört haben? Es ist jedoch ohne weiters möglich, daß derartige Worte im nachhinein Bestandteile der Umgangssprache werden. „Hexamethylentetram i n " ζ. B. erscheint oft auf Medikamentenpackungen und mag daher auch dem chemischen Laien geläufig sein, oder auch der i n den U . S. daraus abgeleitete Trivialname „Methylenamin". Einerseits w i r d also die operationale Wortbedeutung aus dem K o n text, resp. einer Menge von solchen, d. h. einer Ansammlung von Sätzen, gewonnen, andererseits bilden w i r aus den einzelnen Worten stets neue Sätze. Was hat es nun m i t der Bedeutung solcher neu gebildeter Sätze auf sich? Gewöhnlich nimmt man i n der Linguistik an, daß die Satzbedeutun15 19
Luther, S. 40 ff. Vgl. Kasner-Newman.
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3. Die p r t i o a l e S e m t i k und die operative Semantik
gen aus den Bedeutungen der Worte zusammengesetzt werden, wobei der Satz entsprechend den Regeln der jeweiligen Grammatik gebildet, i. e. semantisch vorgeordnet sein muß. Demnach ist ein Satz „ M i r hat meines Kaffeeschale gebrochen" zwar u. U . verständlich — ζ. B. durch Assoziation m i t einem korrekten Satz wie „Meine Kaffeeschale ist gebrochen" — aber er hat keine operational semantische Bedeutung. W i r könnten u. U . zulassen, daß er empirische Bedeutung hat, zumindest eine A r t Quinesche Stimulus-Bedeutung, wenn es die experimentellen Bedingungen gestatten. W i r lassen jedoch diese künstliche Interpretation beiseite und verlangen von jedem Satz, der operational semantische Bedeutung hat, daß er auch operational grammatische hat, zumindest für den Zeitraum, während dessen sich die Regeln der Grammatik nicht ändern. Obendrein verlangen w i r , daß ein Satz nur dann operationale Bedeutung hat, wenn für ihn ein operationales Semantem gebildet werden kann. I m obigen Falle kann man auch sagen, daß die operationale Reststruktur Bedeutung verleiht. Es w i r d also, wie gesagt, oft angenommen, daß die semantisch operationalen Einzelbedeutungen der Worte die Satzbedeutung ergeben, so von Weinrich 1 7 . M a n darf aber diesen Vorgang nicht, wie Weinrich es tut, bloß additiv oder atomistisch auffassen. Es sind nämlich die möglichen Kombinationen durch Selektionsrestriktionen beschränkt, d. h. durch das System des gesamten Sprachgebrauches. Die Selektionsrestriktionen garantieren also, daß nicht Sätze wie „Das Buch i ß t " und „ D i e Katze enthält Zahnräder" (es sei denn, es handle sich um „mechanische Katze", „Spielzeugkatze" etc.) gebildet werden. Darüber hinaus treten aber noch weitere Verfeinerungen auf, die ebenfalls struktureller N a t u r sind, und die nicht unbedingt i n Form von Selektionsrestriktionen oder semantischen Merkmalszeichen ausgedrückt werden müssen. Betrachten w i r den Ausdruck „schön", dann sehen w i r , daß „schön" sowohl m i t Ausdrücken, denen das semantische Merkmalszeichen „ [ + Belebt] " zukommt, im Rahmen des Satzes verbunden werden kann, als auch m i t Ausdrücken, denen „ [ — Belebt] " zukommt. Bilden w i r nun den Satz „Das Buch ist schön", dann fallen hier von „schön" alle semantischen Bestimmungen ab, die sich auf „schön" i m Zusammenhang mit Ausdrücken, denen „ [ + Belebt] " zukommt, anwenden lassen. Aus derlei Überlegungen können w i r folgenden Schluß ziehen: die semantisch operationale Bedeutung des Satzes beruht auf den semantisch operationalen Bedeutungen der Worte plus einer gewissen semantischen Struktur; die Satzbedeu17
Weinreich (Explorations), S. 44.
3.2. Operationale Bedeutung in dèr Umgangssprache
237
tung ist dann gegeben, wenn z. B. eine distinktive semantische M a t r i x nach Abraham-Kiefer oder ein System der „ f u l l templates" bei Wilks in ein operationales Satzsemantem eingebaut werden kann. Es ist oft naheliegend, die operational semantische Bedeutung des Wortes und des Satzes als eine A r t konzeptualistische oder eine psychische Vorstellung aufzufassen, z. B. nach A r t der assoziativen Bedeutung i n der Psychologie. Die assoziative Bedeutung ist nach dieser psychologischen Auffassung die Menge aller Worte, die mit einem gegebenen W o r t assoziiert werden kann. W i r müssen hier folgendermaßen vorgehen: ein W o r t „a" hat assoziative Bedeutung, wenn für es das Semantem (Menge der mit „ystemereignissen m i t Symbolen stets operativ, i. e. empirisch deskriptiv zulässige Subjektssemanteme, Prädikatsemanteme und Aussagensemanteme entstehen; dies gilt auch für die molekularen Kombinationen von Aussagesemantemen, resp. Aussagen durch „ u n d " , die effektive I m plikation usf. Faßt man die operativen (empirisch deskriptiven) Regeln zu Folgen von Regeln zusammen, wie es hier vorgeschlagen wird, dann erhält man Strategien. Diese operativen Strategien kann man in den Wissenschaften so auffassen, daß sie zur optimalen Lösung von Entscheidungsverfahren führen, wenn sie i m vorgeschriebenen Sinne ausgeführt werden, d. h. zur optimalen wissenschaftlichen Erkenntnis und zu optimalen Realisationen. Für die Sprache LE genügen die operativen Regeln plus grammatischer Regeln (weichte mit Wilks hier als semantische aufgefaßt werden, vgl. S. 257). Für die Umgangssprache, die sich ja nicht wie LE auf den deskriptiven Gebrauch der Sprache beschränkt, muß auch gleichzeitig die Existenz einer operationalen Semantik angenommen werden; in den Wissenschaften setzt diese operationale Semantik (mit Ausnahme der Grammatik) erst beim Ubergang von LE zu LT ein. 3. Die proto-ontologischen Annahmen 1 - 3 7 sollen in vollem Umfang gelten; die Prädikats- und Subjektssymbole (-phrasen), sowie die Aus3
Lyons (Introduction), S. 172 f.
4. Operative Semantik der wissenschaftlichen Sprachen
sagen und deren zulässige Verknüpfungen durch Konnektive sollen sich ausschließlich auf Systeme, Teilsysteme, Systemzustände und -ereignisse in einem bestimmten Gebiet D und hinsichtlich eines Textes oder K o n textes 7h beziehen. 4. Unter dem Bereich D versteht man die relevanten Systemzustände und Systemereignisse plus der Systeme und Teilsysteme, die der Wissenschaftler für den Zweck der Erkenntnis, der Untersuchung und der Realisierung ausgewählt hat; D umfaßt also, anders ausgedrückt, die Systeme und Teilsysteme und die zwischen ihnen herrschenden Beziehungen. Es ist wichtig, daß w i r , wenn w i r Erkenntnis gewinnen wollen, nur die Systemzustände und Systemereignisse der Systeme betrachten, wahrnehmen, messen oder experimentell untersuchen. Die irrelevanten Beziehungen der Systeme, i. e. diejenigen, die nicht den Systemzustand ausmachen, werden in nur kognitiven Theorien ausgeklammert. Bei der Realisierung treten audi irrelevante Beziehungen in Erscheinung, ζ. B. die Beziehung, daß eine chemische Synthese in einem chemisch neutralen Behälter durchgeführt wird. Es gilt auch die Annahme der Proto-Ontologie, nach welcher man zwischen einer empirischen Rohstruktur und einer empirischen Feinstruktur — für letztere benötigt man LT — unterscheiden muß. Kurz, es sollen alle bisher angeführten Annahmen der Proto-Ontologie gelten, inklusive 5. daß es keine absolute Regel dafür gibt, welche Systeme, Teilsysteme, Systemzustände und Systemereignisse als Ausgangspunkt für eine Theorie genommen werden sollen, d. h. daß der Wissenschaftler in der Wahl von D , das er erkennen und eventuell realisieren w i l l , frei ist. W i r weisen nochmals darauf hin, daß w i r die operative Semantik von LE als eine Ergänzung der Proto-Ontologie betrachten. Weiters gilt für die operative Semantik der Wissenschaften: 6. Systeme des Bereiches D treten mit wahrnehmenden, beobachtenden und messenden Systemen MS in Interaktion. Diese Systeme MS können in menschliche Beobachter und automatisch registrierende Instrumente eingeteilt werden. Es gilt daher 6.1. Systeme 5 und Systeme MS existieren vor der Messung, Wahrnehmung oder Beobachtung getrennt und unabhängig voneinander. 6.2. Bei der Messung, Beobachtung oder Wahrnehmung treten S und MS in kurze, temporäre Wechselwirkung und bilden zusammen ein
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4. Operative Semantik der wissenschaftlidien Sprachen
dynamisches übergeordnetes System oder Supersystem S-MS; S-MS besteht ausschließlich zum Zwecke der Messung, Beobachtung oder Wahrnehmung, ferner zum Zwecke des Experimentierens und Realisierens, aber auch zum Zwecke des Benennens oder Bezeichnens. M a n unterscheidet zwei Formen von Supersystemen S-MS: 1. S und MS stehen i n symmetrischer Wechselwirkung; diese Wechselwirkung ist irreduzibel statistisch. 2. S und MS stehen i n nicht-symmetrischer Wechselwirkung; dies ist der klassische Fall der Einwirkung. I m klassischen Falle w i r d die Rückwirkung von MS auf S statistisch vernachlässigt und es w i r d — für die Dauer der Wahrnehmung, Messung etc. — angenommen, daß nur das System S auf das System MS einwirkt, und nicht umgekehrt. Derart erhalten w i r eine Idealisierung der Beobachtung, Messung etc. für die klassischen Wissenschaften. 6.3. Die beiden Systeme trennen sich wieder; dies nennt man nach Mittelstaedt und Süssmann den „Schnitt" 4 . 6.4. Es w i r d nun das Produkt der Wechselwirkung registriert; i m klassischen Falle w i r d angenommen, daß diese Wechselwirkung beliebig oft i n der gleichen Weise auftritt. Qualitativ registriert man z. B. bestimmte Beziehungen, die einem System empirisch zukommen, d. h. man stellt auf, was man schematisch als „Aussagensemantem" kennzeichnen kann. Das Produkt der Wechselbeziehung kann aber auch bloß die Benennung z. B. eines Systems sein, wodurch w i r ein Subjekts- oder substantivisches Semantem erhalten, usf. Quantitativ erhalten w i r eine i n einem System von Meßeinheiten dimensionierte Maßzahl. Wie man sieht, werden also regelmäßige Interaktionen, deren statistischer Charakter im klassischen Falle vernachlässigt wird, i n Form von Semantemen registriert, i. e. die Interaktion leitet einen A k t der Benennung oder Denotation ein, oder ist die Wiederholung eines derartigen Aktes. Derartige operative Semanteme sind z . B . ((spezielles) H a u s / „ H a u s " ) , oder ((spezielles) Haus, r, „ H a u s " ) , wobei „ / " allgemein „ersetze durch (operativ)" bedeute und wie r eine operative semantische Relation oder Funktion ist. W i r müssen also in der systemtheoretischen Proto-Ontologie zulassen, daß die Interaktionen zwischen MS und S auch symmetrisch und statistisch sind. Beispiele dafür lassen sich genügend finden. So ist es z. B. wohlbekannt, daß in den Sozialwissenschaften Meinungsumfragen die Meinungen der befragten Gruppe ändern können. Was jedoch die opera4
Süssmann, S. 93.
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tive Semantik der Wissenschaften (von LE) betrifft, so müssen w i r strikt darauf bestehen, daß die Namens- und Designationsrelationen nichtstatistisch aufgebaut sind, außer u. U., wenn sie gewissermaßen noch in statu nascendi sind. Historisch und genetisch können also — und besonders natürlich in der Umgangssprache — operative semantische Unklarheiten auftreten, ζ. B. daß fälschlicherweise ein Name für ganz verschiedene Systeme auftritt, bzw. einfach, daß ein umgangssprachliches W o r t polysem ist. I m Rahmen einer einzigen Theorie 7h lassen w i r dies jedoch nicht zu, außer eventuell genetisch, d. h. vorübergehend. Dies schließt natürlich nicht aus, daß in LE ζ. B. zwei Namen für ein System existieren, wenn und nur wenn die operative Äquivalenz dieser zwei Namen festgehalten ist, etwa die von „pressure" und „Drude". 7. W i r nehmen also an, daß die operative Semantik von LE 1. i n der proto-ontologischen systemtheoretischen Vorordnung der Welt verankert ist, und 2. in der temporären Ausbildung von Systemen S-MS, so daß bei der effektiven Aufstellung von Prädikats- und Subjektssemantemen jederzeit auf das Paar: beobachtetes (gemessenes, . . . ) System S — beobachtendes (messendes,...) System MS, zurückgegriffen werden kann, wobei das beobachtende System ein Mensch oder ein vom Menschen geschaffenes künstliches Instrument (als verlängertes Sinnesorgan), aber auch ein Robot sein kann. Das ist es, was man meint, wenn man „ostensives Aufweisen" sagt. Es w i r d nodi gezeigt werden, daß die Zuordnung von Zahlen, i. e. Meßresultaten, zu empirischen Systemen, Teilsystemen, Zuständen und Zustandsänderungen auf denselben proto-ontologischen und operativen Annahmen gründet, welche durch gewisse strukturell mathematische Annahmen vermehrt werden müssen (Meßtheorie). Es folgen nun operative semantische Regeln. Regel 1. Einführung von primitiven Semantemen. Sind Punkt 1 - 7 , welche w i r als Annahmen ansehen können, erfüllt, dann kann einem bestimmten System, Systemzustand oder Systemereignis etc. ein konstantes Symbol (Term) hinsichtlich D und i m Kontext 7h zugewiesen werden. r ist hier, wie schon angedeutet, die operative semantische Funktion des ostensiven Aufweisens bei der Denotation (vgl. auch das über definite Deskriptionen Gesagte, S. 304). A u f dieser Stufe w i r d ontologisch und operativ (empirisch deskriptiv) kein Unterschied zwischen Substantiv und Verb (Subjekt und Prädikat) gemacht, ganz i m Sinne von Ockham und Lesniewski; und audi weiterhin w i r d daran festgehalten werden, daß Subjekt und Prädikat sich, wie Ockham dies ausdrückte, auf „dasselbe" beziehen5. W i r nehmen also weder an, daß Subjektterme Substanzen be1
Leinfellner
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zeichnen müssen, und Prädikate stets Eigenschaften, noch, daß das Prädikat im Subjekt enthalten sei, u. ä. Es ist merkwürdig, daß sich die wenigsten bei der Formulierung, daß das Prädikat i m Subjekt enthalten sei, gefragt haben, wozu dann das Prädikat eigentlich da sei! Regel 2. Ein primitives operatives Semantem ist ein-eindeutig und konstant, wenn für (statistisch) gleiche (in einem hohen Grad ähnliche) Systemzustände, Systemereignisse, Teilsysteme und Systeme dasselbe konstante Symbol (Term) verwendet wird, innerhalb einer gewissen Zeit Δ ί , in einem bestimmten Bereich D und innerhalb eines bestimmten Kontextes 7h. Aus Regel 2 geht hervor, daß die strikte Effektivität — ein Konzept, das auch i m folgenden noch verwendet werden w i r d — voraussetzt, daß das System etc., auf das ein bestimmtes Symbol zutrifft, immer wieder tatsächlich und ostensiv aufgewiesen werden kann und muß. Wenn man aber ausdrücken w i l l , daß dasselbe Symbol i n einer Theorie operativ immer dieselbe Funktion haben soll, dann ist es besser, das definite Semantem (Regel 3) zu H i l f e zu nehmen, in dem an die Stelle des ostensiv aufgewiesenen Systems etc. eine unike, definite Beschreibung desselben tritt. I n den Naturwissenschaften ist es so, daß ein Name (ζ. B.) für viele Entitäten eintreten kann, ζ. B. „Ammoniakmolek ü l " für alle gasförmigen Ammoniakmoleküle mit der Strukturformel NH3. Aber ζ. B. in den Sozialwissenschaften und besonders i n den Historischen Wissenschaften ist gewöhnlich ein Personenname plus des A u f weisens der Person nicht ausreichend. I m alltäglichen Leben sehen w i r das ganz einfach daran, daß w i r ζ. B. i m Umgang mit Behörden angeben müssen, wo und wann w i r geboren sind, ob w i r verheiratet, verwitwet etc. sind, welcher Religion w i r angehören usf., oder, wie es ein populärer Stoßseufzer ausdrückt: V o n der Wiege bis zur Bahre: Formulare, Formulare! Es sei hier nochmals an die drei proto-ontologischen Annahmen 8, 9 und 10 erinnert, aus denen folgendes hervorgeht: Systemzustände sind (statistisch) gleich, wenn die Teilsysteme und die Beziehungen (statistisch) gleich sind. Systemereignisse sind (statistisch) gleich, wenn die Anfangs- und Endzustände (statistisch) gleich sind. Regel 3. Definite Semanteme. Ein primitives Semantem ist définit, wenn anstelle des aufgewiesenen, wahrgenommenen etc. Systems, Systemereignisses, Teilsystems, Systemzustandes eine definite und unike, aber 5
Lusdiei, S. 32 ff.
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auch erschöpfende oder hinreichende Beschreibung hinsichtlich Δ ί , Th und D verwendet wird. Diese Beschreibung muß effektiv wahr sein. Die definiten Semanteme sind besonders für die Geschichtswissenschaften wichtig. Regel 4. Aussagensemanteme, Prädikats- und Subjektssemanteme. Primitive konstante Semanteme, die Systemzustände eines bestimmten Systems, Teilsysteme oder Beziehungen, die demselben bestimmten System angehören, etc. enthalten, sind operativ semantisch verträglich und können ein Aussagensemantem bilden, relativ zu Th und D und relativ zu Δί. Da diese Semanteme auf Th, D und At relativiert werden müssen, ist es klar, daß die Wortsemanteme für Systemzustände, Beziehungen etc. nicht wahllos zu Aussagensemantemen zusammengestellt werden können, audi wenn diese Systemzustände, Beziehungen etc. demselben System angehören. Dies ist die ontologische Fundierung des Satzes als in sich abgeschlossene Einheit. Regel 5. Das System, die Teilsysteme und deren Zustände (als die Menge aller relevanten Beziehungen) in einem Ausschnitt D können i n Le (Th) empirisch durch die Namen der Systeme oder Subsysteme (Teile) und durch zumindest binäre Prädikate, die die zwischen den Systemen oder Subsystemen auftretenden Beziehungen festhalten, beschrieben werden. Es treten also hier Namen und Prädikate zu Zustandsbeschreibungen oder Aussagen zusammen, i. e. sie gehören demselben Aussagensemantem im Sinne von Regel 4 an. Diese Zustandsbeschreibungen zu einer gewissen Zeit Δ ί sind auf einen Ausschnitt D bezogen und i n einem Kontext Th (oder LE ) enthalten. Regel 5 gilt, mutatis mutandis, natürlich auch für die Beschreibung von Systemereignissen. Regele. Namen der Teilsysteme nennen w i r „partiell", Namen der ganzen Systeme „holistisch". Relevante Prädikate des ganzen Systems nennen w i r ebenfalls „holistisch", und relevante Prädikate der Teilsysteme „partiell". Alle diese Ausdrücke liefern uns empirische Zustandsbeschreibungen empirischer Systeme, i. e. Aussagen, in denen nicht, wie bei Strukturdaten, alle Namen auf der einen Seite und alle Prädikate auf der anderen Seite stehen, ζ. B. wie in „ ( 5 ; 5 ) " . Erklärung. Es ist klar, daß jedes System eine große Anzahl von holistischen und partiellen Beziehungen aufweist. Es sind aber, wie gesagt, nur einige von diesen für eine gewisse Theorie relevant oder charakteristisch, i. e. Bestandteile von Systemzuständen oder -ereignissen. Es 19*
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ist bekannt, daß in der Newtonschen Physik nur O r t und Geschwindigkeit betrachtet werden, in der Thermodynamik nur Druck, Volumen und Temperatur, und in einer mikro-ökonomischen Theorie des Marktes nur die Präferenzen, die Güter und die auf die Präferenzen definierte utility (Wert) für Preise, Kosten und Profite. Regel 7. Eine Zustandsbeschreibung w i r d „partiell" genannt, wenn sie sich nur auf einige Teilsysteme (Teile) und deren Beziehungen bezieht; sie w i r d „holistisch" genannt, wenn sie sich auf alle Teile und deren Beziehungen, i. e. das ganze System bezieht. Regel 7 gilt, mutatis mutandis, auch für die Beschreibung von Systemereignissen. Es versteht sich von selbst, daß zwischen partieller und holistischer Beschreibung eine hierarchische ontologische Typendifferenz besteht. („Partiell" hat hier übrigens nichts m i t dem bekannten Konzept der partiellen Interpretation zu tun.) Damit beschäftigt sich Regel 8. Jeder Name und jedes Prädikat kann mit einem spezifischen ontologischen Typenindex i n Form einer Hierarchie-Zahl versehen werden. Regel 9. Jeder holistische Name und jedes holistische Prädikat muß einen höheren ontologischen T y p als ein partieller Name oder ein partielles Prädikat haben, wenn sich die holistischen und die partiellen Terme auf dasselbe System beziehen. Die Typisierung ist ordinal. Es ist unmöglich, absolut festzulegen, wann verschiedene, z. B. holistische Namen für verschiedene Systeme denselben hierarchisch-ontologischen Typus haben. Z. B. kann man nicht absolut sagen, daß, wenn komplexere Systeme nicht-komplexere einschließen, alle Systeme von derselben Komplexität holistische Namen tragen, die demselben hierarchisch-ontologischen T y p angehören. Alle partiellen Prädikate eines holistischen Systems, i. e. Prädikate, die sich nur auf die Subsysteme und deren Beziehungen beziehen, sind von demselben ontologisch-hierarchischen T y p . Sie müssen aber von höherem ontologisch-hierarchischem T y p sein wie Prädikate des Teils des Teiles, i. e. des Sub-Subsystems. Was die Unterscheidung v o n holistisch und partiell, oder von System und Teilsystem (Subsystem) betrifft, so finden w i r die formalen Parallelen dazu in der Typentheorie, die in die Logik und Mengenlehre eingeführt wurde, um Antinomien und Grundlagenkrisen zu vermeiden. Es zeigt sich aber deutlich, daß die Typentheorien von Ramsey, Russell (Verzweigte Typentheorie), Goedel, Carnap, Hao Wang und Quine (liberalisierte Stratifikation) alle auf der ontologischen Annahme von
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hierarchisch geordneten Systemen (Subsystem — System — Supersystem usf.), wie physikalisches System biologisches System Organismus
ζ. B. Molekül ζ. B. Zelle ζ. B. tierischer Körper
basieren. Die rein logische Typentheorie erscheint dann als formales, von der Ontologie abgetrenntes Skelett oder Schema dieser Annahme. Die Grundlagenkrise der Mathematik rührt demnach von einer Unterdrükkung der Ontologie her. Die Rettung soll von folgender Typisierung bewerkstelligt werden: Individuen Klassen Klassen von Klassen (Mengen) Mengen von Mengen. Es ist klar, daß in keiner Typentheorie eine absolute Typendefinition vorkommt; statt dessen werden nur formale Typenunterschiede definiert und eingehalten. Es zeigt sich hier sehr deutlich, daß die Loslösung der formalen Logik und der Mengenlehre von der Ontologie hier wieder zu einem gewissen Grade rückgängig gemacht werden muß, nämlich durch die Typisierung der Subjekts-(Individuen-), Prädikats- und Mengenvariablen. Daher ist es nicht möglich, Variablen unbegrenzt füreinander zu substituieren; es können nur Variablen vom gleichen T y p füreinander substituiert werden. Ansonsten gerät man unweigerlich in die bekannten semantischen und logischen Antinomien, die das Fundament der gesamten Mathematik und Logik selbst erschüttern. Es muß also auf die „ontologische Herkunft" der Variablen Rücksicht genommen werden. Wiederum erweist sich eine logische Prozedur, die Typisierung der Variablen, letzten Endes als ontologisch und semantisch. M a n kann sich absolut keine reine Logik oder Mengenlehre vorstellen, die uns die ontologischen Typen von Variablen liefern würde; daher müssen sie letztlich ontologischen Ursprungs sein. M a n muß demnach die Logik ontologisch oder deskriptiv semantisch begründen, wenn man erklärt, daß die Substitution von Variablen in formalen Kalkülen nur dann durchgeführt werden kann, wenn man die Typen, und das heißt: die Ontologie, bereits berücksichtigt hat. M a n verfällt zu leicht in den Fehler, die Typisierung, die Schichtung und die typisierende Axiomatisierung der Mengenlehre bloß als präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Antinomien anzusehen. M a n vergißt dabei, daß es das Fehlen der ontologischen Fundierung der formalen Logik und das Fehlen der Semantik ist, das diese Paradoxien und
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4. Operative Semantik der wissenschaftlichen Sprachen
Antinomien verursacht, kurz: die Folge des Leerlaufs eines platonistischen Formalismus. Es zeigt sich aber, daß diese Überlegungen nur für den Fall hierarchischontologischer Typen gelten. I n den empirischen Sprachen, i. e. bei der Anwendung der Sprache auf die Wirklichkeit, treten leicht Fälle auf, wo zwar die ontologisch-hierarchischen Typenbedingungen eingehalten werden, und wo dennoch paradoxe und antinomienhafte Aussagen gebildet werden können, wie ζ. B. „Der Stein ist ein Butterbrot". W i r müssen also neben den ontologisch-hierarchischen Typen noch andere Typen einführen, die w i r auch als ontologische oder als empirisch deskriptive (operative) ansehen können. Es ist übrigens klar, daß auch die ontologischhierarchischen Typen als empirisch deskriptive ausgedrückt werden können, wie aus der Betrachtung der Matrizen auf S. 298 hervorgeht. Alle unsere Überlegungen gelten, mutatis mutandis, auch für die Umgangssprache. Tatsache ist, daß die Typisierung, wie sie ζ. B. zur mengentheoretischen Fundierung der Mathematik benötigt wird, nicht zur Erklärung aller Typenprobleme der empirischen Sprachen ausreicht. Russell zog sich gänzlich auf innersprachliche, i. e. nicht-ontologische Typen zurück 6 . Für die Mengenlehre heißt das also, daß man überall dort, wo man die Klassen- und Mengenbildung mit H i l f e von C, i. e. der Elementschaftsrelation ausdrückt, ζ. B. im mengentheoretischen Komprehensionsaxiom, den Typenunterschied zwischen dem Einzelindividuum, dem individuellen Ding, ζ. B. dem Buch, und der Klasse der Dinge, ζ. B. der Klasse der Bücher, unterscheiden muß, wie z . B . in „(x) (Fx G y), wo „ χ " eine Individuenvariable und „ y " eine Mengenvariable ist. Es ist klar, wie gesagt, daß diese hierarchische Ordnung ontologischen U r sprungs ist, wie Quine von allem Anfang an feststellt. Die C-Relation w i r d somit zum A b b i l d einer ontologischen Stufung der realen Welt, und die strukturelle Mengenlehre zum abbildenden Medium der empirischen Strukturen. Es zeigt sich aber (siehe oben), daß die ontologisch-hierarchische T y p i sierung nicht ausreicht. Auch ist die logische Annahme, daß das Prädikat stets von höherem T y p sein soll, als das Subjekt, in empirischen Sprachen und der Umgangssprache nicht immer recht sinnvoll. Ζ. B. haben w i r die Aussage „ D i e Temperatur beträgt 20° C " , dann müßte man sie entsprechend der obigen logischen Regel so umformen, daß die Temperatur zur Klasse der Dinge gehört, die 20° C aufweisen. Zweitens, auch wenn die ontologisch-hierarchischen Typenregeln der Logik befolgt werβ
Bar-HiJlel (Types), S. 17,
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den, so genügt das doch nicht, eine empirische Beschreibung der Welt zu garantieren, die nicht zu semantischen Paradoxien, Antinomien u. ä. führt. Zum Beispiel können unäre, binäre, ternäre und n-àre Prädikate vom selben ontologisdi-hierarchischen T y p sein; dennoch kann man sie, wie bekannt, in einer empirischen Beschreibung nicht füreinander einsetzen. Es bietet sich nun die Möglichkeit, ontologische oder semantischdeskriptive Matrizen aufzustellen, wodurch semantisch operative Typen, resp. ontologische Typen genau festgelegt werden. Diese semantisch deskriptiven Matrizen dürfen nicht mit den operationalen Bedeutungsmatrizen aus Kap. 3.2.1. verwechselt werden. W i r können uns hier die Frage stellen, ob w i r hier nicht audi mit einer operationalen Semantik und operational semantischen Matrizen allein auskommen könnten. Für Theorien gilt, daß LE prinzipiell bloß eine deskriptive Semantik benötigt, und operationale Überlegungen spielen nur in der Form von grammatischen eine Rolle. Die Umgangssprache ist aber das Resultat einer langen historischen Entwicklung, während der es zur Ausbildung von operationalen Bedeutungen für praktisch die ganze Umgangssprache gekommen ist; und außerdem w i r d in der Umgangssprache nicht immer empirisch deskriptiv i m Sinne der Wissenschaften vorgegangen. Daher muß man für die Umgangssprache die operationale und die operative Semantik nebeneinander herlaufen lassen, wobei sich die operationale Typeneinteilung nicht stets mit der operativen deckt. Für das Verhältnis von operativer und operationaler Semantik i n den Wissenschaften verweisen w i r auf S. 215. Es liefern uns die ontologischen oder semantisch deskriptiven Matrizen also ontologische oder semantisch deskriptive Typen, welche die Typen, wie sie uns die Typentheorie liefert, ergänzen oder integrieren; es enthalten also, wie schon angedeutet, die ontologischen oder empirisch deskriptiven Matrizen zumindest implizit auch die ontologisch hierarchische Typeneinteilung, die die Typentheorie liefert, resp. das ontologische (oder auch: empirisch deskriptive) Fundament der Typentheorie. Z. B. werden solche Matrizen verhindern, daß man anorganischen Molekülen das Prädikat „lebend" zuspricht. I m p l i z i t oder indirekt w i r d dadurch garantiert, daß erst gewisse Ansammlungen von Molekülen, i. e. gewisse aus Molekülen (als Elementen, i. e. Teilen oder Teilsystemen) bestehende Systeme, welche w i r z. B. „biologische" nennen, als „lebend" bezeichnet werden. Empirisch deskriptive oder ontologische Matrizen liefern uns also, relativ zu D , Th und Δί, eine exakte Definition dafür, wann zwei
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4. Operative Semantik der wissenschaftlichen Sprachen
Terme vom gleichen ontologischen T y p sind. Diese Matrizen sind einreihig, und die Spalten geben an, wie man effektiv vorgehen soll, w i l l man Denotation und Designation i m Rahmen des Satzes durchführen. Die Reihenaufschriften werden von den ontologisch zu klassifizierenden Worten gebildet, welche natürlich Th angehören. Regel 10. Eine operative oder ontologische M a t r i x definiere die empirisch deskriptiven oder ontologischen Typen mittels des deskriptiven Gebrauches der Namen und Prädikate. Der deskriptive Gebrauch der Namen und Prädikate soll bereits eingeführt sein, ζ. B. durch ostensiven Aufweis, relativ zu Th, D und Δί. Der ontologische oder empirisch deskriptive T y p ist das Cartesische Produkt von ontologisch gegebenen Bestimmungen, wie w i r sie Systemzuständen etc. entnehmen können, welche als Spaltenaufschriften (ontologische Merkmalszeichen) dienen, und von zu klassifizierenden Termen als Reihenaufschriften. M a n kann auch sagen, daß die ontologische oder semantisch deskriptive (operative) M a t r i x den deskriptiven Gebrauch der Prädikate und Subjekte in Th über D regelt. Diese Matrizen hängen i m Rahmen der Wissenschaft von 1. der Sprache LE c T h und ihrem gegenwärtigen deskriptiven Gebrauch über D , 2. den Denotations- und Designationsrelationen, 3. den on tischen Systemen, Systemzuständen, Systemereignissen und Teilsystemen i n D , und 4. dem Zeitpunkt ihrer Anwendung und einem raum-zeitlichen Bezugssystem (Indices) ab. W o l len w i r eine ontologische oder semantisch deskriptive M a t r i x aufstellen, dann müssen zumindest raum-zeitliche Bestimmungen, wie „zur selben Zeit", „nacheinander", „räumliche Koinzidenz" usf. als bekannt vorausgesetzt werden, d. h. einfach: eine empirisch deskriptive Beschreibung kann nicht ohne raum-zeitliche Ordnung stattfinden. W i r wollen hier einige Explikationen anführen: 1. Ein Subjekt und ein Prädikat sind semantisch deskriptiv oder ontologisch verträglich, wenn auf sie keine operative Selektionsrestriktion angewandt werden kann. Eine solche operative Selektionsrestriktion sieht ζ. B. — schon in Bezug auf die folgenden Matrizen — folgendermaßen aus: Eine M a t r i x (Vektor) (1 1 1 2 2 2 2 2 2 2 2 2) ist m i t einer Matrix (Vektor) (2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 1 ) operativ nicht verträglich. W i r könnten natürlich anstelle von Selektionsrestriktionen, also Regeln, die feststellen, wann ein Subjekt und ein Prädikat nicht operativ verträglich sind, auch Regeln einführen, die angeben, wann operative Verträglichkeit herrscht. W i r schließen hier von vornherein den metaphorischen Sprachgebrauch aus; denn in den Wissenschaften w i r d eine
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Metapher stets sofort in eine tote Metapher, i. e. eine Nicht-Metapher umgewandelt, ζ. B. durch Definition. 2. Jede M a t r i x kann um Spalten vermehrt werden, d. h. sie kann verlängert werden oder es können Spalten eingeschoben werden. Die Anzahl der Reihen ist natürlich automatisch auf eins beschränkt. 3. Eine Matrix für ein bestimmtes Wort, resp. für einen T y p ist desto feiner, je mehr Spalten sie besitzt. 4. Zwei Individuenausdrücke sind vom selben Typ, wenn ihre Matrizen gleich sind, ebenso zwei Prädikate. D a aber Matrizen beliebig verfeinert, d. h. um Spalten vermehrt werden können, müssen w i r annehmen, daß man gewisse Verfeinerungen außer Acht lassen kann, wenn dies durch die Theorie Th über D gerechtfertigt werden kann. Ζ . B. können w i r ontologische oder semantisch deskriptive Matrizen für „blau" und „gelb" so verfeinern, daß „blau" und „gelb" unter verschiedene (Sub-)Typen fallen würden. I n einer Theorie der Farben aber würde dies nicht günstig sein. Wieweit man also ein Matrix verfeinert, hängt gänzlich vom Wissenschaftler und den ontologischen und semantisch deskriptiven Anforderungen, die er an Th und D stellt, ab. Solch ein für eine Farbenlehre nicht mehr geeignetes System von (Sub-)Typen würde ζ. B. die Wellenlängen zur Klassifizierung benützen. 5. Der T y p einer Aussage hängt vom T y p des Individuen- und Prädikatenausdruckes (Subjekt und Prädikat, Subjekts- und Prädikatphrase) ab. 6. Eine ontologische oder operative (semantisch deskriptive) Matrix enthält also eine Reihe und beliebig viele Spalten. Es müssen jedenfalls genügend viele Spalten vorhanden sein, um denjenigen Feinheitsgrad zu erreichen, der es gestattet, den ontologischen oder deskriptiv empirischen T y p eines empirischen Terms relativ zu einem anderen Typ(en) für eine Theorie Th und einen Bereich D festzuhalten, bzw. ihn von einem anderen zu unterscheiden. Es folgen nun 11 Matrizen für Prädikat- und Subjektterme, wobei w i r annehmen, daß der Leser den Reihenaufschriften entnehmen kann, was Prädikat und was Subjekt ist. Es ist natürlich prinzipiell klar, daß auch ein Substantiv (Individuenausdruck) als Prädikat fungieren kann, zusammen mit der Kopula, wie in „ M ü l l e r ist der Präsident des Geflügelzuchtvereins Altschwendt"; w i r klammern solche Fälle aus Einfachheitsgründen hier aus. Es ist klar, daß w i r nur eine kleine Anzahl von möglichen Spaltenaufschriften anführen können; die Matrizen sollen
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bloß illustrieren, wie eine ontologische oder empirisch deskriptive Matrix aussehen kann. W i r sehen von vornherein, daß w i r keine metaphysischen oder religiösen Entitäten (ausgedrückt etwa in Spaltenaufschriften wie „fiktives D i n g " , „göttliche Wesenheit") zulassen können. Die metaphysischen oder religiösen Terme können nun nicht einfach aus der Sprache entfernt werden, wie dies manche allzu eifrige Empiristen vielleicht vorschlagen würden; aber es zeigt sich, daß sie im Rahmen einer empirisch deskriptiven Sprache nicht anwendbar sind: ihre Matrizen enthalten bloß „ 2 " . Das heißt also, daß sie keinem ontologischen oder empirisch deskriptiven T y p angehören; sie gehören aber sehr wohl ζ. B. im Rahmen der Umgangssprache einem operationalen T y p an. I n der folgenden operativen oder ontologischen Matrix für L haben w i r folgende Spaltenaufschriften, d . h . ontologische Merkmalszeichen: „ A " = „ E n t i t ä t " , „ B " = „unbelebtes D i n g " , „ C " = „unbelebtes sichtbares D i n g " , „ D " = „unbelebtes hörbares ,Ding* (physikalische Erscheinung)", „ E " = „Organismus", „ F " = „Mensch", „ G " = „ T i e r " , „ H " = „Pflanze", „ I " = „(biologisch:) Selbstbewegung", „ J " = „farbliche ,Qualität'", „ K " = „hörbare ,Qualität 1 ", „ L " = „Relation der Nahrungsaufnahme". ontologischer Bereich L i
A
Β
C
D
E
F
G
H
I
J
K
L
Haus
1
1
1
2
2
2
2
2
2
2
2
2
I. Kant
1
2
2
2
1
1
2
2
2
2
2
2
Dornröschen
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
Zahl (nominalistisch als Zeichen am Papier)
1
1
1
2
2
2
2
2
2
2
2
2
gelb
2
2
2
2
2
2
2
2
2
1
2
2
blau
2
2
2
2
2
2
2
2
2
1
2
2
laut
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
1
2
laufen
2
2
2
2
2
2
2
2
1
2
2- 2
essen
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
1
unendlich
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
2
allmächtig
2
2
2
2·
2
2
2
2
2
2
2
2
...
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„ L " in obiger Matrix bedeute eine empirisch deskriptive Sprache i m allgemeinen; man kann sich kaum ein LE vorstellen, das alle die empirischen Subjekte und Prädikate enthält, die hier als Reihenaufschriften dienen. Dies drückt die Relativität zum Kontext, hier Z,, deutlich aus. L könnte ζ. B. die empirisch deskriptive Umgangssprache sein. W i r sehen leicht, wie solche Matrizen verfeinert werden können. Ζ . B. kann die ontologische Bestimmung „ T i e r " in „Niedere Tiere" und „Höhere Tiere" geteilt werden, usf., je nachdem, was der Wissenschaftler gerade benötigt. Es ist ζ. B. vom sprachpsychologischen Standpunkt aus manchmal unnötig, zwischen verschiedenen Sprachen wie Deutsch, Englisch, Suaheli etc. zu unterscheiden; vom linguistischen Standpunkt aus ist dies meist höchst notwendig. Es ist klar, daß es die zunehmende ζ. B. wissenschaftliche Kenntnis und Erkenntnis der empirischen Welt ist, die uns dazu befähigt, die ontologischen oder operativen Matrizen zu verfeinern. Was nun hier die Typisierung betrifft, so sieht man, daß nach den obigen Matrizen „gelb" und „blau" vom selben T y p sind, während alle anderen Prädikate anderen oder keinem T y p angehören. Eine M a t r i x kann abgebrochen oder unterbrochen werden, wenn sie lang genug ist, um die Feststellung von Typenunterschieden oder Typengleichheit zu gestatten. Man kann auch annehmen, daß derartige Matrizen grammatische (operationale) Klassifikationen zusätzlich zu den ontologischen enthalten, usf. Oder w i r wenden Regel 11 an: Eine Aussage hat die grammatikalischen Regeln, wie sie traditionellerweise genannt werden (vgl. S. 229), zu erfüllen, d. h. sie muß, zumindest als Aussage in LEi ein Subjekt und ein Prädikat (Subjekts- und Prädikatphrase) enthalten, oder — allgemein — den grammatikalischen Regeln der betreffenden Sprache, die für den Satz gelten, gehorchen. Gegeben die systemtheoretischen A n nahmen der Proto-Ontologie und die operativ semantischen Regeln 1 - 1 0 , so folgt daraus, daß der Satz ontologischen und semantisch deskriptiven Ursprungs ist. Er verbindet in der empirischen Sprache i m allgemeinen und in LE i m besonderen das, was auch proto-ontologischsystemtheoretisch verbunden ist, eine Ansicht, die letzten Endes auf Aristoteles zurückgeht und die sogar durch die jüngsten Versuche m i t Primaten bestätigt worden ist. Es folgen nun Erklärungen und Anmerkungen. Systeme und ihre charakteristischen Zustände oder Ereignisse sind, zumindest für ein bestimmtes Zeitintervall Δί, koexistent, wobei Δ ί das Zeitintervall ist, in der die Namens- und Designationsbeziehung(en) auf ostensiver Basis
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gelten. D . h. ζ. B., daß, wenn w i r einen Systemzustand beschreiben und dabei Subjekt und Prädikat verwenden, der Systemzustand mit dem System koexistieren muß, i. e. während des Intervalls der Wahrnehmung, Messung, Beobachtung, Benennung, Δί, muß das klassische holistische System genidentisch sein. Dieses und verwandte Probleme fallen unter die ontologische Fundierung der operativen Semantik. W i r weisen auch nochmals darauf hin, daß (statistisch) gleiche Systemereignisse, Beziehungen, Systeme etc. durch dieselben konstanten Symbole (Termsymbole) bezeichnet werden müssen (dies schließt natürlich nicht aus, daß sie nicht auch i n Aussagen empirisch beschrieben werden können), wodurch diese Symbole Glieder primitiver Semanteme (vgl. Regel 1) werden, hinsichtlich Δί, T h und D (Sprachkonvention). Ein Satz kann als eine — i m traditionellen Sinne — grammatisch zulässige Kombination oder verkettete Sequenz von Zeichen, Worten oder Morphemen betrachtet werden, i m Falle des indoeuropäischen Satzes (meist) als Kombination von Subjekt und Prädikat (Subjekt- und Prädikatphrase). Die Prädikatenlogik und ebenso die aristotelische Termlogik benützen diese indoeuropäische Form des Satzes und abstrahieren Prädikat und Subjekt zu Begriffen. Dazu kommt die traditionelle Auffassung, daß der Prädikatbegriff i m Subjektsbegriff enthalten sei; dies w i r d benötigt, wenn man annimmt, daß es Substanzen gibt, die m i t unären Prädikaten gekennzeichnet werden; dieses Konzept lehnen w i r hier als zu eng ab. Nach unserer Auffassung (und ζ. B. der Lesniewskis) ist der Unterschied zwischen Prädikat und Subjekt nur ein relativer; beide können Systemzustände, Systeme etc. bezeichnen. N u r wenn die proto-ontologischen Annahmen gelten, dann können w i r einschränkend einführen, daß die Namen Systeme oder Teilsysteme bezeichnen, und die Prädikate Beziehungen. Dies ergibt sich aber erst aus der Theorie selbst und der dazugehörigen Axiomatik. M i t der Form des Satzes w i r d also bloß gemeint, daß der Satz i m traditionellen Sinne grammatisch korrekt ist, und daß er daher Subjekt(-sphrase) und Prädikat(-sphrase) enthalten muß. Nach der hier vertretenen Auffassung hat ein Satz, der bloß grammatikalisch korrekt ist, nur eine sehr vage operationale Bedeutung, die nicht ausreicht, um ihm i m normalen Leben das Prädikat „sinnvoll" zu verleihen (vgl. S. 229). Es ist jedoch, wie man hier sehen kann, die grammatikalische Form der Aussage die weiteste Vorbedingung ihres semantischen und ontologischen Gebrauches, ihre grobe semantische Vorordnung, wie w i r anderswo gesagt haben.
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Eine Aussage muß daher die Form eines Satzes haben; w i r verwenden daher oft „Satz" als allgemeinen Ausdruck auch für Aussagen und Propositionen. Aussagen werden von einer Person (Beobachter) zu einer gewissen Zeit ty unter bestimmten Bedingungen, hinsichtlich eines bestimmten (Kon-) Textes Th und über empirische Systeme in D geäußert. Aussagen müssen also effektiv wahr oder falsch sein. Sie sind test- oder wahrheitsdefinit, wie Lorenzen dies ausdrückte 7 , d. h. ihre effektive oder faktische Wahrheit kann nur behauptet werden, wenn diese intersubjekt i v überprüft werden kann. Eine Proposition hat die Form eines Satzes und die Eigenschaften einer möglichen Aussage. „Möglich" heißt hier, daß unter bestimmten Bedingungen eine Proposition jederzeit in eine Aussage übergehen kann; ζ. B. w i r d eine Zukunftsaussage (Voraussage) eingelöst, dann geht diese propositionale Zukunftsaussage in eine Aussage über. D . h. einfach, wenn die Zukunftsaussage, die vom deskriptiv semantischen Standpunkt aus bloß möglich ist, eintrifft, dann erwirbt sie deskriptiv semantischen Status und w i r d damit eine Aussage. So war der Satz „ A u f der Rückseite des Mondes sind Berge" bis 1959 eine Proposition; 1959 umkreiste eine russische Sonde den M o n d und fotografierte auch die Rückseite des Mondes. Eine empirische Sprache LE enthält demnach Aussagen, d. h. Sätze, für die w i r einen effektiven Test der empirischen Wahrheit durchführen können, und Propositionen, für die das nicht möglich ist. Die Voraussagen sind also ζ. B. solche Propositionen. Eine empirische Sprache LE über D enthält daher Propositionen in Form von Vorhersagen und auch Nachhersagen. Propositionen sind audi diejenigen Sätze, die i n die nicht mehr durch Tests prüfbare Vergangenheit reichen. Propositionen sind bloß möglicherweise effektiv wahr (oder falsch); nur für sie kann man erwarten und u . U . annehmen, daß die Regeln des klassischen Prädikatenkalküls, ζ. B. das tertium-non-datur, die doppelte Negation und die materiale Implikation gelten (Humesche Annahme) 8 . Es ist zu beachten, daß faktisch-wahr und faktisch-falsch es mit empirischen Testmethoden zu tun haben, d. h. daß faktisch-wahr, faktischfalsch Gegenstand einer deskriptiven oder operativen Semantik sind. Die Regel 4, die Aussagen i m Rahmen von Aussagensemantemen ein7 8
Lorenzen, S. 15. Hume, S. 134, 137, 183.
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führt, trifft genau das, was nach Frege als „Bedeutung" im empirischen Sinne definiert werden kann. Werden Prädikate und Namen (Individuenausdrücke) in die Prädikats- und Subjektssemanteme eingegliedert, dann drückt dies den Prozeß der Namensgebung und der Designation aus. „Referenz" dagegen ist gewöhnlich weiter; unter einer Referenzklasse, ein Konzept, das hier nicht benützt wird, weil es zu platonistischen Interpretationen führt, versteht man dann nach Strawson die gegenwärtigen Designata, aber auch die zukünftigen. Dies würde für uns heißen, daß die Semanteme, die hier die Rolle von untrennbaren Einheiten spielen, in Designata und Symbole, welche durch eine Referenzrelation verknüpft sind, aufgespalten werden müßten, weil dann ja auch hypothetische Designata zugelassen sein würden. Bei Strawson geht dies soweit, daß nach ihm die Referenz gar nichts mehr mit der empirischen Bedeutung zu tun hat, wohingegen Quine eher dazu neigt, Referenz und empirische Bedeutung zu verbinden (vgl. z. B. sein Konzept der Stimulus-Bedeutung, S. 268). W i r hingegen vertreten den Standpunkt, daß man immer nur dann sagen kann, daß ein Ausdruck empirische Bedeutung hat, wenn alle drei Konstituenten des Tripels simultan gegeben sind. Daher lassen w i r auch nicht zu, daß die empirische Bedeutung (und auch nicht die operationale Bedeutung) allein einem bedeutungsgebenden A k t nach Husserl entspringt. Die fiktive Referenzklasse, die Strawson benötigt, kann man hier nur so einführen, daß man sagt, daß bis jetzt ein-eindeutiger Name, z. B. „ M o n d " , für den M o n d gebraucht wurde, i. e. daß ein entsprechendes Namenssemantem existiert. Man nimmt nun an, daß dieses Semantem audi in Zukunft gültig sein wird. W i r nehmen hier aber nicht an, daß es fiktive und daher platonistische Designata gibt, sondern nur, daß man aller Voraussicht nach das Semantem auch in Zukunft w i r d gebrauchen können, und daß man wahre empirische Aussagen bilden wird, die „ M o n d " enthalten (Humesche Annahme). Regel 12. Faktisches Wahrheitskriterium und effektive Negation. Eine atomare Aussage in LE über D ist effektiv wahr, wenn sie 1. die Form eines korrekten Satzes hat, wenn 2. alle vorhergehenden Regeln etc. erfüllt worden sind, und wenn 3. die Systemzustände etc., die durch das Subjekt und das Prädikat bezeichnet werden, in Wirklichkeit demselben System zugehören. Aussagen wie z. B. „Systeme sind voneinander durch neutrale Elemente getrennt", die Aussagen über zwei Systeme enthalten, werden nicht als atomare Aussagen angesehen; solche Aussagen müssen zuerst in atomare Aussagen zerlegt werden, bevor sie nach Regel 12 behandelt werden können. Es ist klar, daß Subjekt- und Prädikat (Sub-
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jekt- und Prädikatsemantem) operativ verträglich sein müssen (vgl. Regel 10, Punkt 1), und daß die Negation typengebunden ist. Z . B . kann man einem physischen System wie einem Tisch alle Farben zuschreiben, weil „Tisch" und „Farbe", resp. die entsprechenden operativen Semanteme operativ verträglich sind. U m aber nun feststellen zu können, daß „grau" effektiv, i. e. durch Beobachtung testbar, am 1. Januar 1976 dem Haus N r . 56 in der Mozartstraße in Linz zukommt, müssen w i r die effektive Verneinung einführen. Durch die Verneinung w i r d eine K o m plementär- oder Restmenge gebildet, d. h. der verneinte Satz „Das Haus ist nicht grau" heißt, daß eine Farbe aus der Restmenge oder Komplementärmenge zutrifft. So heißt ζ. B. „ D i e Temperatur in diesem Z i m mer beträgt nicht 20° C " , daß eine der konventionellen Raumtemperaturen (ζ. B. 10° C — 40° C) zutrifft. Das Kriterium der Negation ist also das effektive Vorliegen eines Zustandes aus der Komplementärmenge, d. h. wenn das Haus nicht grau ist, dann muß es irgendeine andere Farbe haben, i. e. blau, grün, etc. Die empirische Bedeutung des verneinten Satzes kann aber nicht darauf aufbauen, daß das nicht-graue Haus viereckig ist. Dieser semantische Gebrauch der Negation erscheint in der intuitionistischen Logik, in der Lorenzenschen effektiven Dialoglogik, in der Quantenlogik und neuerdings in der Entscheidungstheorie 9. W i r verlangen also, daß in einer wissenschaftlichen empirischen Sprache LE die Aussage „Wasser ist nicht brennbar" effektiv wahr ist, d. h. daß eine Reihe von Tests oder Experimenten durchgeführt worden ist, die sich auf der diemischen Strukturtheorie aufbauen. Fällt ζ. B. der Versuch, Wasser durch eine Flamme zum Brennen zu bringen, effektiv negativ aus, dann ergibt sich daraus die effektive Wahrheit von „Wasser ist nicht brennbar, relativ zu D, TH und Δ ί " . Aus diesen Erörterungen geht hervor, daß die doppelte Negation nicht immer, wie dies i n der Formalen Logik angenommen wird, zur ursprünglichen Affirmation zurückführen muß. Denn die einfache Negation, z . B . „ D i e Raumtemperatur beträgt nicht 20° C " , kann etwa heißen, daß die Raumtemperatur 23° C beträgt; die Verneinung „ D i e Raumtemperatur beträgt nicht 23° C " hinwiederum kann meinen, daß die Raumtemperatur 24° C beträgt, usf. N u r in einer fiktiven Welt, wo alles dichotomisch i n Paare nach der A r t schön—häßlich, gut—böse, weiß—schwarz zerfällt, führt die doppelte Negation stets zur Affirmation zurück. Diese klassische platonistische Annahme w i r d auch von der dialektischen Logik nicht geteilt 10 . Die Intuitionisten bezweifelten 9
W. Leinfellner (Values).
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daher, daß das Theorem von der doppelten Negation in der Prädikatenlogik gelte. Es ist also nicht möglich, die Negation als Wahrheitsfunktion und den den Wahrheitswert verschiebenden Charakter der Negation zu betrachten, ohne sich auf deren operative und ontologische Fundierung, einen Kontext 77? und einen Bereich D zu beziehen. Es ist demnach fraglich, ob der Aussagen- und der Prädikatenkalkül in ihrer gegenwärtigen platonistischen und fiktiven Form in den Wissenschaften überhaupt angewandt werden können (und sollen). Lehnt man die Anwendung des Aussagen· und Prädikatenkalküls in den Wissenschaften ab, dann deshalb, weil der Formalismus dieser Kalküle zu einem großen Verlust an ontologischem und semantisch deskriptivem Gehalt führt. Der Prädikatenkalkül kann aber als platonistischer Idealkalkül auf Zahlenprädikate angewandt werden, d. h. zur Fundierung der reinen Mathematik dienen. W i r beschränken dann die Mathematik auf das Gebiet „ D " der Idealzahlen, hinsichtlich mathematisch formaler Systeme. Aus den bisherigen Regeln folgt nun eine operative semantische Formulierung des Nicht-Widerspruchsprinzipes: Regel 13. Wenn die operative (empirisch deskriptive) Bedeutung von Subjekt und Prädikat ein-eindeutig festgelegt ist, dann kann nicht einund dasselbe Subjekt oder Prädikat zur gleichen Zeit und i n derselben Hinsicht auf dieselben Systemzustände (-ereignisse, Systeme) zutreffen und nicht zutreffen. Holistische Systeme 5 und ihre Systemereignisse und Systemzustände sind hinsichtlich eines effektiven Wahrheitstestes, hinsichtlich Th und D , und hinsichtlich eines Zeitintervalles Δί, innerhalb dessen der Wahrheitstest durchgeführt wird, koexistent. Regel 14. Jedes holistische System S muß hinsichtlich und während des Wahrheitstestes genidentisch (genidentisch mit sich selbst) sein, d. h. es soll sich während des Wahrheitstestes nicht so verändern, daß ein neues, von dem ursprünglichen System verschiedenes System entsteht. Dann kann nämlich der Wahrheitstest nicht durchgeführt werden. Durch Differentialgleichungen beschriebene Gleichgewichtssysteme bilden hier nur eine scheinbare Ausnahme. Regel 15. Empirische definite Beschreibungen. I n Subjekts- und Prädikatssemantemen kann, wie gesagt, das ostensive Aufweisen durch definite und unike Beschreibungen ersetzt werden. Aber statistisch signi1
W. Leinfellner
( a ) .
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fikante definite Beschreibungen beschreiben die invarianten Systemereignisse etc., i. e. diejenigen Systemereignisse etc., die m i t höchster statistischer Wahrscheinlichkeit gleich sind, und zwar beschreiben sie diese erschöpfend und hinsichtlich Th und Ζλ W i r folgen hier wieder der Humeschen These (in statistischer Formulierung), wonach die Gewöhnung an immer Wiederkehrendes das Wissen fundiert. Ansammlungen von solchen definiten (aber auch anderen) Beschreibungen führen zu invarianten Beschreibungen; und diese invarianten Beschreibungen wiederum etablieren die operationale Bedeutung eines Terms als sprachimmanenten Sprachgebrauch, wobei w i r i n den Wissenschaften auf Th und D relativieren müssen. Auch dürfen w i r nicht vergessen, daß operative Semanteme episprachliche Fixierungen operativer Bedeutungen sind. Definite Beschreibungen müssen durch einen effektiven Wahrheitstest in Th über D überprüfbar sein. Regel 16. Empirische definite Beschreibungen sollen unik, also einmalig oder individuell sein, i. e. auf den jeweiligen empirischen Fall zutreffen; sie sind auch nicht invariant. Regel 17. Die Verbindung von zwei Aussagen durch „ u n d " ist dann und nur dann operativ (empirisch deskriptiv) zulässig, wenn beide Aussagen dem Kontext Th und dem Bereich D angehören (Ausschluß von Pseudotexten, vgl. S. 257), und wenn beide effektiv wahr sind. Durch die Bedingung, daß beide Aussagen Th und D zugehören müssen, verhindern wir, daß ζ. B. zwei Aussagen wie „ D i e Versuchsperson 1 zog das Gut a dem Gut b v o r " und „ D i e Größe eines Protons beträgt ungefähr 10~ 13 cm" durch „ u n d " zu einer einzigen empirischen Aussage verknüpft werden. Für die Logik genügt es, daß beide Aussagen wahr sind, aber nicht für die Wissenschaften, und auch nicht für die Umgangssprache. W i r sehen hier deutlich, wie auch ein sogenanntes logisches Konnektiv wie „ u n d " sich operativen (empirisch deskriptiven) Bedingungen beugen muß. Haben w i r nun zwei Aussagen korrekt, i. e. entsprechend Regel 17, durch „ u n d " zu einer molekularen Aussage verbunden, dann können w i r auch aus den zwei ursprünglichen Aussagensemantemen ein molekulares Aussagensemantem formen, das konjunktive Aussagensemantem. Regel 18. Die Verbindung von zwei Aussagen durch „oder" ist dann und nur dann operativ (empirisch deskriptiv) zulässig, wenn die zwei Aussagen dem Kontext Th und dem Bereich D angehören (Ausschluß von Pseudotexten), und wenn mindestens eine der beiden effektiv wahr ist. Leinfellner
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A u d i die disjunktive Verknüpfung resultiert i n einem molekularen Aussagensemantem, dem disjunktiven Aussagensemantem. Regel 19. Der Gegenstand von Regel 19 ist die effektive Implikation oder Subjunktion. Die Verbindung von zwei Aussagen durch „impliziert" ist dann und nur dann operativ (empirisch deskriptiv) zulässig, wenn die zwei Aussagen dem Kontext Th und dem Bereich D angehören (Ausschluß von Pseudotexten), und wenn beide effektiv wahr sind. Der Unterschied zur Konjunktion besteht darin, daß die effektive Implikation (Subjunktion) eine Kausalfolge, eine behavioristische Folge oder eine Handlungsfolge, oder, generell, eine Interdependenz i m Sinne der A n nahmen 24, 25, 26 der Proto-Ontologie darstellt; dies zeigt sich besonders, wenn man das molekulare Aussagensemantem für die Konjunktion mit dem molekularen Aussagensemantem für die Implikation vergleicht. D a die effektive Implikation Interdependenzen symbolisiert, muß sie zeitliche Indices aufweisen. Aus Regel 19 folgt, daß auch der modus ponens, die wichtigste Ableitebeziehung i n der klassischen Deduktion, empirisch deskriptiven Bedingungen unterworfen ist. Der modus ponens folgt ja dem Schema Wenn A, dann ß (A impliziert Β ); Nun A ; Daher B. D a das letzte Glied hier das Resultat ζ. B. eines Kausalablaufes darstellt, kann es von dem Ablauf selbst getrennt werden. W i r müssen nun i m Rahmen des Konzeptes der Ableitung i m klassischen Aussagenkalkül nodi die berühmte Substitutionsregel, nach welcher man Wahres (eine wahre Aussage) durch Wahres (eine andere wahre Aussage) ersetzen kann, behandeln. W i r ersetzen diese Substitutionsregel durch eine viel engere Regel, Regel 20, die Regel der operativen (semantisch deskriptiven) Ersetzbarkeit, welche w i r vielleicht besser die „Regel der operativen oder semantisch deskriptiven Ubersetzung" nennen. W i r gestatten, daß in einem gegebenen Kontext Th über D ζ. B. die Aussage „ D i e Person a zieht Tee Kaffee v o r " i n „The person a prefers tea to coffee" übersetzt werden kann, oder, im Rahmen einer formalisierten Sprache, i n ζ. B. „a pref (i, k)" y oder wie audi immer man das f o r m a t i e r e n mag, ohne daß sich die empirische Bedeutung ändert, vorausgesetzt, daß für alle Paare, Tripel etc. von Termen wie „Person a", „person a", „ a " oder „Tee",
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,jtea", „£" etc. die gleichen operativen Denotations- oder Designationsregeln eingehalten werden. D a m i t haben w i r nicht das Problem der Ubersetzung in seinem ganzen Umfang gelöst; aber Regel 20 ist eine der Voraussetzungen der Ubersetzung empirischer Sprachen. Es muß also ζ. B. die Denotation von „Tee", „tea" und „ i " gleich sein. Betrachten w i r zu diesem Problem ein umgangssprachliches Beispiel: I n den U S A meint man, wenn man „lettuce" sagt, den sogenannten iceberg lettuce, der für europäische Begriffe mehr dem Kraut als dem Salat ähnlich ist. Für „lettuce" nun liefert jedes Wörterbuch die Ubersetzung „Salat". W i r d die oben angeführte Bedingung nicht eingehalten, dann kann der in den USA = Bereich D% empirisch wahre Satz „Lettuce resembles cabbage" (wobei „cabbage" obendrein neben „ K r a u t " auch noch m i t „ K o h l " übersetzt werden kann) i n den i m deutschen Sprachgebiet = D 2 empirisch falschen Satz „Salat ähnelt K r a u t " umgewandelt werden. I m Gegensatz zu den Kalkülen der Formalen Logik kann hier nicht ohne weiters die Einführung von Variablen (Aussagen-, Prädikaten- und Individuenvariablen) gestattet werden. Es ist ja auch bekannt, daß i n der Logik, wo die Ersetzung von Variablen durch andere gang und gäbe ist, doch nur Variablen bestimmten Typs ersetzt oder gegeneinander ausgetauscht werden können, wodurch man, wie gesagt, auf die operative Semantik zurückverwiesen wird. Auch gestatten w i r die operative Ubersetzung von Aussagen durch andere derselben Sprache, wenn die zwei Aussagen operativ äquivalent (nicht: synonym) sind; ζ. B. können w i r „Ich sitze auf dem Stuhl" durch „Ich sitze auf dem Sessel" übersetzen. Finite All-Aussagen betrachten w i r als „große" Konjunktionen, nach dem Muster „ A l l e Körper fallen zum Erdmittelpunkt" = „Dieser K ö r per fällt zum Erdmittelpunkt und jener Körper fällt zum Erdmittelpunkt und . . . " Finite Existenzaussagen seien „große" Disjunktionen: „Es gibt einen roten A p f e l " = „Dieser Apfel ist rot, oder jener Apfel ist rot, . . . " , wobei man mit „dieser" und „jener" „jeder einzelne" meint. Es ist i m Rahmen der Wissenschaften und auch i n der Umgangssprache einfach unrichtig zu sagen, daß man alle beliebigen Aussagen ζ. B. durch „ u n d " verknüpfen kann, vorausgesetzt, sie genügen gewissen Wahrheitsbedingungen, ζ. B. i m Falle der Konjunktion, daß beide Aussagen wahr sein müssen. Der Erfinder der Wahrheitswerttabellen, Wittgenstein, hat diese ausschließlich i m Zusammenhang mit der wissenschaftlichen Sprache der klassischen Theorien gesehen; tatsächlich können w i r ζ. B. in der Newtonschen Theorie nur Orts- und Impulsaussagen mit „ u n d " ver*
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knüpfen, aber nicht ζ. B. Aussagen über O r t und Drude. A u d i in der Umgangssprache beschränkt man sich auf bestimmte Kontexte, entweder, indem man sich auf einen Bereich, ein universe of discourse, einigt, oder indem pragmatisch die Gesprächssituation — mit einem etwas unglücklichen Wort manchmal der „context of situation" genannt — (mit-) herangezogen wird, um das universe of discourse zu umgrenzen. Wittgenstein hat dieses Konzept mit seinem Gedanken der Sprachspiele zu umreißen versucht, Firth führte die restringierten Sprachen ein 1 1 , aber schon Mauthner hatte sich vor ihnen mit dem Problem beschäftigt: Wenn einen bei Tisch die Hausfrau fragt, sagt Mauthner, ob man noch Burgunder nehme, dann benötigt man keine weiteren Erklärungen, ob die Hausfrau vielleicht einen Burgunder Ritter gemeint hätte 1 2 . Daß der klassische Aussagen- und Prädikatenkalkül gänzlich ihrer ontologischen und semantisch operativen Aspekte beraubt wurden, was durch die Einführung von Variablen, insbesondere der Aussagenvariablen, verstärkt wurde, ist eine Folge der Platonisierung dieser Logiksysteme. N u r so kann man erklären, warum es ζ. B. zu einer materialen Implikation kam, die weder kausale, noch behavioristische, noch H a n d lungsfolgen erklären kann. W i r haben schon gesehen, daß auch das „ u n d " strikten ontologischen oder semantisch deskriptiven Bedingungen unterworfen werden muß, soll es den Ansprüchen einer empirischen Sprache LE genügen. Spezifischer kann man sagen, daß „ u n d " sich oft auf ein Nebeneinander i m Raum und ein Nacheinander in der Zeit bezieht. Ähnliche Überlegungen gelten auch für das „oder". Die Implikation beschränkt sich hauptsächlich auf i n der Zeit ablaufende Folgen, ζ. B. Kausalfolgen. V o n der materialen Implikation aber gilt, daß die von ihr ausgedrückten Folgen zeitlos sind, weil sie audi dann wahr ist, wenn das erste Glied falsch und bloß das zweite wahr ist. Dies ist in der „Zeitlosigkeit" der klassischen Beweistheorie, der Mathematik und der klassischen Logik audi durchaus berechtigt; aber in den empirischen Sprachen kann man weder Regeln, noch Dispositionen, noch Naturgesetze mit H i l f e der materialen Implikation formen. Carnap sah sich daher gezwungen, zu verbieten, daß das erste Glied der Implikation falsch sein könne, als er die Dispositionsprädikate auf Basis der materialen Implikation aufstellen wollte. Ansonsten würde man i n den Wissenschaften z. B. das Dispositionsprädikat „löslich" auch für den Fall definieren, daß nichts i n das Lösungsmittel gegeben wurde, weil das erste Glied der Implika11 12
Firth (Translation), S. 87. Mauthner, S. 299, vgl. auch 210 ff.
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tion, etwa „Wenn man den Stoff a ins Wasser gibt", falsch sein kann. Auch betrachten w i r mit Weyl den finiten Allquantor und den finiten Existenzquantor als „große" Konjunktion und als „große" Disjunktion, wie gesagt, oder auch als bloße finite Instruktionen, wie eine „große" Konjunktion und eine „große" Disjunktion effektiv einzulösen seien. I n der Logik selbst hat der Existenzquantor überhaupt nichts m i t empirischer Existenz zu tun; i m Laufe der Zeit wurde er verplatonisiert, und er zeigt dann nur fiktive Existenz an. Es ist sehr wichtig, daß auch das Nicht-Widerspruchsprinzip hier als ontologische und semantisch deskriptive Regel gesehen w i r d (vgl. Regel 13). Es genügt, um ein-eindeutige operative Aussagensemanteme herzustellen, aber nur, wenn die vorherigen Regeln befolgt worden sind. I m folgenden behandeln w i r wahrscheinlichkeitstheoretische Erweiterungen. 1. Wahrscheinlichkeitstheoretische Erweiterung der operativen Semanteme. Man kann sich vorstellen, daß ein operatives Semantem statistisch aufgefaßt werden kann, r oder / w i r d dann nicht mehr ein-eindeutig sondern von statistischer N a t u r sein, d. h., daß dann für ein System etc. zwei oder mehr Terme existieren, oder umgekehrt, daß ein Term verschiedene Systeme etc. symbolisiert; letzteres ist der Fall der Wortambiguität oder Polysemie. Es ist klar, daß die operativen Regeln 1 und 2 dieses verhindern. Auch i n der Umgangssprache t r i t t es nicht allzu häufig auf, daß ein polysemes W o r t Verwirrung stiftet, dank des Kontextes, i n dem es sich gewöhnlich befindet, oder dank der pragmatischen Situation, in der es ausgesprochen wird. Dessenungeachtet können ganz allgemein Wahrscheinlichkeitsmaße auf r und „verschwommene" ( „ f u z z y " ) Mengen und Abbildungen dazu herangezogen werden, um die Genesis der operativen Bedeutung eines Wortes innerhalb eines Zeitraumes Δ ί oder die Geschichte der Veränderung der operativen Bedeutung eines Wortes zu erfassen. Dies gilt, mutatis mutandis, auch für die operationale Bedeutung von Worten. Man darf nicht vergessen, daß alle operativen semantischen Regeln nur unter der stillschweigenden Voraussetzung gelten, daß sich der empirisch deskriptive Gebrauch der Worte durch den häufigen Gebrauch (Gebrauch gewissermaßen in 9 9 . 9 % der Fälle) eingespielt hat. Diese Überlegung gilt für die Umgangssprache; i n einer Theorie w i r d von vornherein festgesetzt, welche Ausdrücke was denotieren oder designieren (symbolisieren). Letzten Endes führt dieses statistische Sich-Einspielen auch zur operationalen Bedeutung. T r i t t ζ. B. mit statistischer Häufigkeit das Wort „Sonne" i n einem Kontext „ist
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heiß" auf, sowie in anderen Kontexten, dann w i r d dies letztlich zu einer operationalen Bedeutung von „Sonne" führen, in die „heiß" auf irgendeine Weise (vgl. S. 242) inkorporiert ist. Die operationale Bedeutung eines Wortes hängt also davon ab, daß für eben dieses W o r t gewisse Kontexte mit großer Häufigkeit auftreten, relativ zu einem bestimmten Bereich der Welt. Auch Naturgesetze müssen die Eigenschaft aufweisen, daß sie als Aussagen mit einer bestimmten Häufigkeit auftreten. I n gewissen Kontexten kann man dann sagen, w i r erwarten, daß sie stets auftreten, i. e. klassisch i m Humeschen Sinne sind. So ist die Aussage oder das Naturgesetz „Druck mal Volumen ist konstant" i m Kontext der klassischen Thermodynamik und für ideale thermodynamisdie Systeme, w o der Druck auf einen Kolben ausgeübt w i r d und man sich auf die Temperatur idealer komprimierter Gase bezieht, klassisch, d. h. man vernachlässigt ihren statistischen Charakter. Aus dem Text der Thermodynamik entnehmen w i r , daß dieses Naturgesetz aber dodi bloß ein Grenzfall eines klassischen Gesetzes ist, weil es nur für ideale Gase und niedrige Drucke gilt. W i r wissen aber auch, daß sogar ideale Gase, wie Sauerstoff, beim Wert von einer Atmosphäre 0.1 % von ihm abweichen, und Salzsäure und Ammoniak sogar 1 - 2 % . W i l l man solche Abweichungen feststellen, dann muß man voraussetzen, daß zunächst einmal alle Semanteme ein-eindeutig sind, d. h. daß r in diesem Falle nicht ein Wahrscheinlichkeitsmaß (von 0.99%) auferlegt werden darf. I m allgemeinen muß man sagen, daß zumindest die Semanteme der Terme in diesem Sinne stets ein-eindeutig sein müssen, und daß i m allgemeinen auch die Semanteme der atomaren Aussagen ein-eindeutig sind. Es ist aber auch bekannt, daß man den Konnektiven, wie „ u n d " , Wahrscheinlichkeitsmaße auferlegen kann. Die bedeutendste statistische Erweiterung eines Konnektivs — welche auch als logische Erweiterung betrachtet w i r d — ist die von Carnap und Jeffrey vorgeschlagene Einführung eines Wahrscheinlichkeitsmaßes auf die materiale Implikation. Dies entspricht der allgemeinen ontologischen Tatsache, daß die zwei Glieder einer Kausalfolge genau genommen m i t Hume nie mit absoluter Sicherheit, sondern nur mit höchster Wahrscheinlichkeit verknüpft werden können, daß behavioristische Stimulus-Respons-Paare nur mit signifikanter Häufigkeit zusammen auftreten (vgl. Suppes' statistische Automaten 1 3 ), und daß auch schließlich Handlungspaare bloß mit hoher statistischer Wahrscheinlichkeit einander zugeordnet werden können. Derartige statistische Erweichungen der Konnektive, inklusive der statisti1
e ( t o a ) ,
S.
.
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311
sehen Erweichung der klassischen Deduktion, sind ganz i m Interesse der empirischen Wissenschaften und der (induktiven) Ontologie der empirischen Wissenschaften. Man kann auch, wie dies Grofman und H y m a n 1 4 vorgeschlagen haben, auf beide Arten des „oder" (das ausschließende und das nicht-ausschließende „oder") ein Wahrscheinlichkeitsmaß legen, das zwischen ihnen Übergänge schafft. Dies scheint dem Gebrauch des umgangssprachlichen „oder" angepaßter zu sein, w o zwischen ausschließendem und nicht-ausschließendem „oder" kein genauer Unterschied gemacht wird. Auch die Negation kann statistisch erweicht werden, zum Beispiel i m Sinne Reichenbachs. H i e r läßt man eine Skala von Abstufungen zu, die hinsichtlich der Repräsentation durch Zahlen kontinuierlich sein kann. Ζ . B. kann man in derselben Weise, in der man die Abstufung k a l t — warm durch ein Kontinuum von Wärmegraden, ζ. B. von 0° C - 40° C, erweitern kann, Glaubenswerte einführen. Beide Fälle können meßtheoretisch formuliert werden. Alle diese Beispiele ändern aber nichts an den grundlegenden semantischen Regeln und Festlegungen. Führen w i r anstelle von „heiß" und „ k a l t " 41 Wärmegrade von 0° bis 40° C ein, dann heißt das, daß prinzipiell anstelle von bloß zwei operativen Semantemen 41 möglich sind. W i r verweisen hier nochmals auf die Erörterung der Negation i n Regel 12. Z u m Vergleich seien am Ende dieses Kapitels die bekannten, von Carnap, Hempel u. a. aufgestellten Forderungen für L0, die Carnapsche Beobachtungssprache, angegeben und mit den Forderungen der ProtoOntologie und der operativen und operationalen Semantik verglichen. Nach Carnap soll eine empirische Sprache L0y die Teil einer Theorie ist, folgenden Bedingungen genügen: 1. Die empirischen Terme (Namen und Prädikate) sollen empirisch deskriptive (operative) Bedeutung haben, d. h. — in unserer Ausdrucksweise — sie sollen operativen Semantemen angehören. Es müssen also demzufolge die empirischen Systeme, Systemzustände und Systemereignisse direkt beobachtbar und/oder realisierbar sein und einem gewissen Kontext Th über D angehören. 2. Nicht-primitive deskriptive Terme sollen explizit durch primitive explizierbar, definierbar oder auf diese reduzierbar sein, z. B. durch Definitionen oder durch Reduktionssätze. 1
r o a n y ,
S.
.
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3. Stellt Carnap gesondert eine nominalistische Forderung auf; diese ist hier automatisch erfüllt, da w i r nicht sagen können, daß ein Term oder eine Aussage aus 77? empirische Bedeutung habe, wenn w i r nicht konkret beobachtbare und/oder realisierbare Systeme, Systemzustände und Systemereignisse i n D aufweisen können. 4. Finitismus. Diese Forderung ist für etwaige Formalisierungen wichtig: Die Regeln einer Sprache Lo, aber auch die Regeln einer theoretischen Sprache 77?, der L0 angehört, verlangen nicht, oder besser: sollen nicht verlangen, daß der Bereich aktual infinit ist. Die Theorie soll zumindest ein finîtes empirisches Modell besitzen, oder es hat die Theorie nur finite Modelle, oder: kein Modell soll über mehr als η Individuen oder holistische Systeme verfügen. Diese drei finitistisdien Forderungen steigen bezüglich ihrer Striktheit an. 5. Extensionalität. D i e Sprache Lo soll nur wahrheitsfunktionale Konnektive, aber keine platonistischen (infiniten) Quantoren, Terme für Modalitäten, deontische oder intensionale Ausdrücke etc. besitzen, außer wenn letztere i n erstere umgewandelt werden können. M a n sieht deutlich, daß diese Forderungen nur erfüllt werden können, wenn man Systeme der Ontologie und der Semantik aufstellt, die wie unsere aufgebaut sind. Dies betrifft besonders die Carnapschen Forderungen 1, 3 und 4. Die Forderung 4, welche einen Teil des Reduktionsprogrammes des Wiener Kreises umfaßt, w i r d hier auf ganz andere Weise behandelt (vgl. Kap. 6.5.). Forderung 5 ist i m Rahmen der hier vertretenen Semantik, die ja auch die Logik einschließt, soweit sie i n den Wissenschaften vorkommt, von vornherein gegeben. M a n kann Forderung 5 aber weitgehend liberalisieren, indem man verlangt, daß modale oder deontische Ausdrücke sich epitheoretisch mit den hier aufgestellten Regeln vereinen lassen müssen 15 .
15
W . Leinfellner (Epitheoretical Analysis), S. 9.
5. Ontologie u n d operationale Semantik der Wissenschaften 5.1. Die Definition oder Darstellung der operationalen Bedeutung durch operationale Matrizen Aus dem allgemeinen Kapitel über die Bedeutung, Kap. 3., können w i r für die operationale Semantik der Wissenschaften folgenden Schluß ziehen: die wichtigste Voraussetzung einer operationalen Semantik der Wissenschaften ist, daß w i r über einen wissenschaftlichen Text verfügen, der als Kontext fungiert. Derartige wissenschaftliche (Kon-)Texte sind die wissenschaftlichen Theorien, Hypothesenhierarchien und Hypothesen. W i r beschäftigen uns i n der i m folgenden entworfenen operationalen Semantik der Wissenschaften jedoch nicht etwa mit der Genesis operationaler Bedeutungen i n den Wissenschaften, sondern nur damit, wie sie sich i m Rahmen der heutigen Wissenschaften darbieten. Auch setzen w i r ganz allgemein die formalen Disziplinen, wie reine Mathematik, reine Statistik etc. voraus, und insbesondere die Mengenlehre in ihrer Bourbakischen Formulierung als strukturelle Mengenlehre. Es war die Grundidee der operativen Semantik, operative Semanteme aufzustellen, d. h. Tripel aufzustellen, die angeben, wann ein Term oder ein Satz operative Bedeutung hat. I n diesen operativen Semantemen werden Worte oder Aussagen m i t Systemen, Systemereignissen etc. konstruktiv und effektiv verbunden, wenn bestimmte Regeln und Annahmen erfüllt sind. Es muß hier nochmals darauf hingewiesen werden, daß die empirische Bedeutung weder i m Bedeuteten, noch i m bedeutenden Symbol, noch i n der Relation oder Funktion r (/) zu suchen ist, wie dies i n verschiedenen Semantiksystemen abwechselnd vorgeschlagen wurde. Operative Bedeutung liegt nur dann vor, wenn die Glieder des Tripels zusammen auftreten, wobei, wie gesagt, das ostensiv aufgewiesene System etc. durch eine definite Beschreibung ersetzt werden kann. Wollen w i r die empirische Sprache LE vom Standpunkt des Vokabulars aus umreißen, dann müssen w i r eine erschöpfende (episprachliche) Liste ihrer operativen Semanteme aufstellen. Auch muß nochmals betont werden, daß die Verknüpfungen von Aussagen durch die „logischen" Konnektive
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zu molekularen Aussagen audi zu komplexen oder molekularen Semantemen und mithin operativen Bedeutungen führt. Eine Grundidee der operationalen Semantik besteht darin, auf diesen operativen Semantemen aufbauend operationale Semanteme aufzustellen, welche ebenfalls Tripel sind. Solche Tripel oder operationale Semanteme enthalten als drittes Glied das Wort (oder auch: Lexem), Zeichen, die Zeichenreihe oder auch ein Symbol in einer bestimmten Form, nämlich die operativen Prädikat- oder Subjektsymbole, die durch den fortwährenden, i.e. statistisch signifikanten Gebrauch i n denselben Kontexten diejenige Invarianz erreicht haben, die zur operationalen Bedeutung führt. Haben w i r operationale Semanteme für Prädikate und Subjekte aufgestellt, dann können w i r an die Bildung von Semantemen für längere Ausdrücke, ζ. B. Sätze, gehen. Als zweites Glied enthalten die operationalen Semanteme die operationale Funktion oder Relation r (/ /), auf die besondere Bedingungen vor allem der Ein-Eindeutigkeit und ganz allgemein der Rekursivität auferlegt werden. Als erstes Glied enthalten die operationalen Semanteme i m Falle, daß es sich um Terme handelt (also nicht Sätze), entweder Ansammlungen von Worten, i. e. die invarianten Kontexte ( „ K o n t e x t " i m engeren Sinne), oder gerichtete Graphen als Ausdruck der Kontexte i m Sinne von S. 245, oder einreihige Matrizen, oder auch Bestandteile von Axiomatiken, Axiome, kurz, all das, was den operationalen, i. e. sprachimmanenten Sprachgebrauch oder Sprachgebrauch nur vom Standpunkt der Sprache aus festlegen kann. Wie bei „ / " nehmen w i r auch bei „ / / " , welche beide eine semantische Ersetzung ausdrücken ( „ / " die operative und „ / / " die operationale), an, daß diese Ersetzung i n beide Richtungen verlaufen kann, wohingegen r und r nur i n einer Richtung verlaufen, d. h. daß bei r und r das letzte Glied des Tripels (Semantems) stets das Wort sein muß, von dem man sagt, daß es Bedeutung hat. I m folgenden beschäftigen w i r uns mit der Verkettung von operativer und operationaler Bedeutung in den wissenschaftlichen Theorien; diese Verkettung nennt man üblicherweise „Begriffsbildung" oder „Abstraktion". W i r wollen aber die Verkettung nicht als Begriffsbildung oder Abstraktion sehen, sondern als einen Prozeß der semantischen Ersetzung. W i r wollen hier also ein semantisches Ersetzbarkeitsprogramm aufstellen, und der Grundgedanke dieses Ersetzbarkeitsprogrammes besteht darin, daß operative und operationale Semanteme miteinander verkettet werden, wobei operative Semanteme durch operationale ersetzt werden können, i. e. die operativen Bedeutungen durch die operationalen,
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wobei man aber stets wieder zum Ausgangspunkt, den operativen Semantemen und Bedeutungen, zurückkehren kann. Obwohl w i r historische Fragen hier nicht behandeln wollen, so könnte dieses Ersetzbarkeitsprogramm doch auch auf diese angewandt werden, ζ. B. wenn w i r auf die operativen Wurzeln oder Bedeutungsgrundlagen von Ausdrücken, die heute nur mehr operational betrachtet werden, zurückgehen wollen. Ein klassisches Beispiel ist das Einmaleins, das man heute einfach auswendig lernt, i. e. operational erlernt. M a n greift dabei nicht auf die Reduzierung der Multiplikation auf die Addition, i. e. auf deren operatives Fundament zurück; nur manchmal werden heute die Schulkinder mit den operativen Wurzeln der Multiplikation vertraut gemacht. Man kann aber auch für sehr komplizierte Fälle der Differential- und Integralrechnung zeigen, daß die Berechnung eines Differentials und damit seine operationale Bedeutung ohne eine operative Bedeutung in Form einer geometrischen Kurveninterpretation nicht möglich ist. Die rekursive Begründung der Mathematik, bei der die Berechenbarkeit auf die schrittweise Berechenbarkeit ζ. B. mit H i l f e einer Rechenmaschine zurückgeführt wird, ist nichts anderes als ein Programm, durch das operationale Bedeutungen durch operative ersetzt werden. Ebenso fußt die gesamte Meßtheorie auf operativen Bedeutungen, welche durch das Hantieren mit Meßinstrumenten gegeben sind, wobei der Mensch ebenfalls als Meßsystem MS fungieren kann. Aber auch die Festlegungen der Meßeinheiten stehen auf operativ semantischer Basis: so ist z . B . ein Meter der 40 OOOste Teil des Erdumfanges etc. Besonders in der Meßtheorie (siehe Kap. 6.1.) kann man zeigen, daß weder die operative, noch die operationale Semantik allein dazu ausreicht, Wissenschaft möglich zu machen. Z . B . sind die „rein" dimensionierten Quantitäten (vgl. S. 396) operational; hingegen gehören Maßzahlen, die in einem System von Meßeinheiten dimensioniert sind, semantisch gesehen einer operativen Semantik an. Das Ersetzbarkeitsprogramm, das vertikal vom Ontologischen und Operativ Semantischen zum Operationalen aufsteigt, aber auch umgekehrt wiederum den Abstieg zum Ontologischen und Deskriptiv-Semantischen möglich macht, ist sozusagen das semantische Rückgrat der Repräsentation und der Interpretation, wobei die Repräsentation von unten (L E) nach oben ( L T y K) verläuft, und die Interpretation umgekehrt von oben nach unten. Die operative und die operationale Semant i k legen die Kriterien für eine ein-eindeutige Strukturabbildung der empirischen Systeme, Systemzustände etc. i n D ζ. B. auf eine strukturelle Mengenlehre fest, welche der eigentliche formal-mathematische Kern der
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Wissenschaft ist. Die hier vertretene Semantik macht also, i m Verein mit der strukturellen Ontologie, das Konzept der Begriffsbildung überflüssig. Der Gegenstand einer operationalen Semantik sind auch diejenigen Definitionen und Bedeutungsfestlegungen, welche man am besten als Abkürzungen charakterisiert. Solche Definitionen und Bedeutungsfestlegungen gestatten es, Ausdrücke, die beide auf der operationalen Ebene stehen, gegeneinander auszutauschen. Es genügt hier, diese Ausdrücke als Zeichen oder Zeichenmengen anzusehen. Für den besonderen Fall der sogenannten „ostensiven" Definition, die natürlich eigentlich gar keine Definition ist, verweisen w i r auf S. 218. Erkenntnistheoretisch und logisch steht hier fest, daß das semantische Ersetzbarkeitsprogramm der eigentliche Kern auch der sogenannten Abstraktion, der Begriffsbildung und der Reduktion abstrakter Terme auf empirische ist. Was w i r i n den Wissenschaften „Abstraktion", „Begriffsbildung" usf. nennen, ist also bloß ein meist inhaltsleerer Schematismus dessen, was w i r hier als „semantische Ersetzbarkeit" bezeichnet haben. (Vgl. Kap. 6.5.) Dazu kommt noch, daß gewöhnlich angenommen wird, daß die Abstraktion oder die Begriffsbildung Vorgänge sind, i n deren Verlauf Termvariable eingeführt werden, nach dem Vorbild der aristotelischen Termlogik, und heute besonders nach dem Vorbild der Prädikatenlogik. Die Einführung von Termvariablen nun richtet sich direkt gegen jede Semantik, und es w i r d dabei i n den Wissenschaften der semantische Aufbau der Wissenschaften zugunsten rein begrifflicher Variablen aufgegeben. Es ist nun, genau besehen, i n der operationalen und in der operativen Semantik das Umgekehrte der Fall. Es können ζ. B. beliebig viele operative Semanteme gebildet werden, die das W o r t „Tisch" als gleichbleibendes drittes Glied enthalten. Als erstes Glied aber enthalten sie jeweilige und voneinander unterschiedene Tische. Der Term bleibt also gleich, während der „ I n h a l t " variiert. I m Falle des operationalen Semantems könnte man dann sagen, daß „Tisch" nicht ein Wort, sondern ein Lexem ist, wobei ein Lexem gewöhnlich als eine A r t „Variable" aufgefaßt wird, i n die die „token"-Wörter, i. e. die Einzelvorkommnisse des Lexems eingesetzt werden. Genau besehen ist aber ein Lexem doch keine Variable, zumindest nicht i m logischen Sinne, denn ein Lexem kann äußerlich nicht von einem W o r t unterschieden werden. Das Schema der Abstraktion w i r d ja folgendermaßen gesehen: zunächst w i r d 1. ein Objekt durch einen konstanten Namen bezeichnet; bei der Begriffsbildung w i r d aber über die Individualvariablen, die einem bestimmten T y p angehören, abstrahiert. Der Begriff benützt sozusagen
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die Variable, um das allen Objekten Gemeinsame aufzuzeigen. Abgesehen davon, daß w i r hier bloß eine graduelle oder statistische Gleichheit zwischen Systemen etc. annehmen — was soll dieses Gemeinsame sein? Das Gemeinsame ist offensichtlich die Bedeutung, d. h., i m operativen Falle, daß stets operative Semanteme gebildet werden, die als drittes Glied das gleiche Wort enthalten, und als erstes Systeme etc., die sich untereinander i n hohem Maße gleichen. Die hier vorgeschlagene Methode der semantischen Ersetzung hingegen arbeitet überhaupt nicht mit Variablen. Eine Namensgebung ist ζ. B. die unike Zuschreibung eines Namens ζ. B. zu einem System, wodurch die operative Bedeutung des betreffenden Namens entsteht, wenn das entsprechende operative Semantem gebildet werden kann. Wollen w i r einen Klassennamen einführen, dann müssen w i r uns dazu nicht der Abstraktion bedienen, sondern nur der genetisch und ontologisch fundierten Invarianzthese (siehe S. 262), nach welcher „Raucher" als Klassenterm die (statistisch) invariante operative Bedeutung zukommt, daß alle Personen, die unter „Raucher" fallen, rauchen. Dies ist als das Resultat einer semantischen Einfrierung oder Versteinerung zu betrachten, ebenso wie die Ausgedehntheit, die allen Newtonschen Körpern zukommt. M a n hatte also i m Rahmen der Newtonschen Physik und der klassischen Physik i m allgemeinen herausgefunden, daß in klassischen Gebieten der Welt Körper eine (statistisch) invariante Struktur haben, nämlich ausgedehnt zu sein; dies schlägt sich in invarianten Kontexten von „ K ö r p e r " nieder, so daß w i r m i t überwältigender statistischer Signifikanz zum Schluß sagen „ A l l e Körper sind ausgedehnt". „ K ö r p e r " hat hiermit operationale Bedeutung erworben. M a n nennt Sätze wie „ A l l e Körper sind ausgedehnt" gerne „analytisch" und schreibt ihnen Gültigkeit in allen möglichen Welten zu; doch hierüber vgl. das auf S. 264 Gesagte. W i r benötigen also nicht mehr als diese ontologische, auf der statischen und der dynamischen Struktur der Systeme beruhende Invarianz, welche aber stets statistisch und induktiv gesehen werden muß; dies genügt, um letztlich operationale Bedeutungen aufzustellen. Wenn ζ. B. ein Physiker von „ D r u c k " spricht, so denkt er nicht an die Abstraktionsklasse aller Dinge oder Systeme, die die Eigenschaft (Beziehung) Druck aufweisen, sondern er denkt an das Anwendungsgebiet D der klassischen Thermodynamik, d. h. an die operativen Bedeutungen, welche an bestimmte empirische Systeme, ζ. B. an einen Zylinder m i t reversiblem Kolben, auf welchen ein Gewicht gelegt wird, und an ein (statistisch) invariantes Systemereignis, nämlich, daß auf den Kolben und die Wände des Zylinders ein beobachtbarer Druck ausgeübt wird, etc., geknüpft sind. Diese Systeme, Systemereignisse etc. können
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durch definite Deskriptionen festgehalten werden. Statistisch invariante Kontexte entstehen, wie man sieht, also dadurch, daß gewisse Strukturen der Welt, wie z. B. das Kolben-System der Thermodynamik, statistisch invariant sind und daher stets gleich beschrieben werden, wodurch der — engere — invariante Kontext entsteht, hinsichtlich Th und D. A u f diese Weise macht das semantische Ersetzbarkeitsprogramm die Begriffsbildung durch Abstraktion weitgehend überflüssig, es sei denn in gewissen meta- oder episprachlichen formal-methodologischen Formulierungen als Skelett oder Schema. Das, was gewöhnlich i n der Umgangssprache und in der Sprache der Wissenschaften ein „Begriff" genannt wird, w i r d i m weiteren als ein operationales Semantem oder als eine invariante Bedeutung dargestellt, welche durch bestimmte operative Semanteme oder Bedeutungen hinsichtlich Th und D ersetzt werden kann. Diese Methode ist eine formale und wissenschaftliche Rekonstruktion der ersten und zweiten Intention, wie sie uns in den verschiedenen der Philosophiegeschichte angehörenden Bedeutungslehren entgegentritt, dabei aber strikt anti-platonistisch ist. Anstelle unveränderlicher platonistischer Entitäten u. ä. w i r d hier die ontologische und semantische statistische Invarianz eingeführt. Die semantische Invarianz beruht u. a. darauf, daß sich die Sprache gewissermaßen einspielt, ein Prozeß, der Jahrtausende dauern kann und der sichtbar wird, wenn man die Entwicklung der Wissenschaft aus ihren mythischen Anfängen betrachtet. Wissenschaften verkürzen diesen Prozeß, z. B. durch Definitionen; aber jede Theorie wiederholt i m Grunde den genetischen Prozeß der Bedeutungsverleihung. Zum Unterschied zur Umgangssprache gehen die Theorien jedoch präzise vor und halten sich strikt an ihren Bereich D . Wie sieht nun ein operationales Tripel aus? Nehmen w i r den allereinfadisten Fall, den w i r z. B. „lexikalische Definition" nennen können. W i r entnehmen einem Lexikon, z. B. dem Random House Lexikon, daß „Monogamie" heißt, daß man zu einer bestimmten Zeit nur mit einer Person verheiratet sei. D a das Random House Lexikon der Niederschlag des (englischen) Sprachgebraudis ist, wobei nicht nur die Umgangssprache, sondern z. B. auch die juridische Sprache herangezogen wird, erhalten w i r auf Grund des statistisch invarianten Sprachgebrauches das Tripel (operationale Semantem) ( „ m i t nur einer Person verheiratet", r ' , „Monogamie"). Die Frage ist hier allerdings, ob eine Befragung des Durchschnittsbürgers nicht eher ( „ m i t nur einer Frau verheiratet", r ' , „Monogamie") liefern würde. Dies wäre dann ein gutes Beispiel dafür, wie die operative Bedeutung den operationalen Sprachgebrauch pro-
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duziert. Denn die Erfahrung hat uns gelehrt, daß es i n den allermeisten Fällen oder fast ausschließlich Männer sind, die polygam sind und die mehrere Frauen zur selben Zeit als Ehefrauen haben; daher w i r d „Monogamie" i m alltäglichen Sprachgebrauch vielleicht nur auf Männer angewandt, obwohl längeres Nachdenken vermutlich auch die „logischere" und juridisch korrektere Eintragung des Random House Dictionary produzieren würde. W i r können aber annehmen, daß sich die „maskuline" operationale Bedeutung von „Monogamie" unter dem Einfluß ζ. B. von „women's liberation" ändern kann, so daß tatsächlich dann das Random House Dictionary mit dem aktualen Sprachgebrauch übereinstimmt. Generell muß man überhaupt mit der Ansicht, daß Wörterbücher stets den aktualen Sprachgebrauch des Alltags registrieren, manchmal vorsichtig umgehen. Sowohl die operative als auch die operationale Semantik werden also streng induktiv und statistisch betrieben. Das historisch-genetische SichGewöhnen an die operative Bedeutung von Symbolen (Termen) kann als Musterbeispiel einer verallgemeinerten Humeschen These angesehen werden. A u d i die Entwicklung von (engeren) invarianten Kontexten, welche die operationalen Bedeutungen liefern, w i r d statistisch gesehen. W i r verweisen hier auf die Invarianzthese, siehe die nachfolgende Erörterung. Die semantische Fassung der Invarianzthese kann man als die Begründung einer Humeschen Semantik ansehen. Die Invarianzthese in den Wissenschaften. Die Invarianzthese behauptet 1. zunächst, daß gewisse ontologische Strukturen, d . h . Strukturen von Systemen in D in bestimmten Bereichen und hinsichtlich gewisser Kontexte (im weiteren Sinne), wie Hypothesen, Hypothesenhierarchien und Theorien mit einer statistisch signifikanten Häufigkeit auftreten. Unter den ontologischen Strukturen verstehen w i r die i n der Proto-Ontologie eingeführten empirischen Strukturen der Systeme in D , wobei diese Struktur statisch oder dynamisch (Systemzustand, Systemereignis) sein kann. Die Struktur der Systeme besteht in der Anordnung der Teile und Beziehungen, wobei die Interdependenzen eine Form solcher Beziehungen sind. Es ist nun eine Tatsache, die sowohl i m Alltag als auch in den Wissenschaften beobachtet wird, daß Interdependenzen, wie z. B. Kausalfolgen und behavioristische Folgen, statische Systemstrukturen etc. mit statistischer Häufigkeit stets in der (statistisch) gleichen Weise in bestimmten Gebieten wiederkehren. Hierunter fallen z. B. das Licht-Suchen der Motten, der Kniereflex des Menschen, die Maximierung des Nutzens am Markt, etc. Dies zieht nun 2. (statistisch)
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invariante Beschreibungen i m Kontext (z. B. in einer Theorie) nach sich, wobei diese Beschreibungen immer die gleichen (zu einem hohen Grad ähnlichen; nicht: dieselben) operativen Bedeutungen haben. Nehmen w i r ein einfaches Beispiel: „Haus" hat operative Bedeutung, wenn w i r jeweils auf ein bestimmtes empirisches System hinweisen können, das eine gewisse statistisch invariante Struktur zeigt. D a i m deutschen Sprachbereich fast alle Häuser viereckig sind, w i r d z. B. „Haus" mit „viereckig" mit statistischer Invarianz verknüpft. Angesichts der Existenz runder H ü t t e n i n manchen Teilen Afrikas werden w i r vielleicht modifizierend „rund oder viereckig" in die deutsche Sprache einführen, etc. A u f diese Weise eliminieren w i r das Problem der Abstraktion und der Bildung empirischer Begriffe i n der schon angegebenen Weise und reduzieren es psychologisch auf die Lernfähigkeit und auf das Gedächtnis des Menschen, oder allgemein: auf das Sich-Gewöhnen des Menschen, so, wie nach Hume auch das Konzept der Kausalität nur die Folge eines Sich-Gewöhnens ist. Dadurch werden gleichzeitig „Haus" und „viereckig" auf einen bestimmten Bereich (z. B. Europa) beschränkt. (Statistisch) invariante Beschreibungen erzeugen aber operationale Bedeutungen. U m nun die operationale Bedeutung i n Theorien zu definieren, bedienen w i r uns der schon i n Kap. 3.2.1. vom umgangssprachlichen Standpunkt aus behandelten Methode der operationalen Matrizen und adaptieren sie für wissenschaftliche Theorien. Es ist also, wie schon öfters gesagt, die Menge der mit (statistischer) Invarianz wiederkehrenden Kontexte, die die operationale Bedeutung aufbauen, und die aus dieser Menge gewonnene Matrix, Graph usf. I m Falle der Wissenschaften müssen die folgenden Regeln beachtet werden, wobei auch die proto-ontologischen Annahmen und die operativen (semantisch deskriptiven) Regeln 1 - 2 0 gelten sollen. V o n den proto-ontologischen Annahmen weisen w i r nochmals auf diejenige hin, die betont, daß der Wissenschaftler i n der W a h l von D frei ist. Für die operationalen Semanteme oder die operationalen Bedeutungen hat dies zur Folge, daß auch diese über D gelten und i n einen (weiteren) Kontext Th eingebettet sein müssen. So muß z. B. i n Theorien die operationale Plus-Operation streng auf ein bestimmtes D bezogen werden; die A d d i t i v i t ä t von schweren Massen (Gewichten) i n der Physik ist anders aufzufassen als die A d d i t i v i t ä t von wahrscheinlichen Werten, welche zusammen Prospekte oder Erwartungswerte bilden, i n der Nutzentheorie, i. e. die operationale Bedeutung von „ + " i n der Physik ist anders als die
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i n der Nutzentheorie, und zwar wegen der ontologischen Verfassung der jeweiligen Bereiche D. Regel 1 expliziert daher die Bereichsgebundenheit audi der operationalen Bedeutung, und sie braucht hier nicht gesondert angeführt zu werden, weil sie implizit in obiger Erörterung enthalten ist. Regel 2: Kontextgebundenheit. W i r fassen hier in Regelform eine Bemerkung aus Kap. 3.2. (S. 228) zusammen. Unter einem Kontext verstehen w i r ganz allgemein ein abgeschlossenes semantisches System von Ausdrücken. Ein Kontext i m weiteren Sinne sei eine ganze Theorie 77?, inklusive der Episprache (technischen Sprache) einer Theorie, aber auch eine Hypothese oder Hypothesenhierarchie. Ganz genau genommen müßte man eigentlich sagen, daß der weitere Kontext die Theorie etc. minus des „bedeutenden" Wortes ist; der engere Kontext ist demzufolge derjenige Textbestandteil, der ein Wort, resp. ein Pronomen, das für dieses W o r t steht, unmittelbar umgibt, ζ. B. ein Satz minus des gerade in Frage kommenden „bedeutenden" Wortes. Definition. Unter einer operationalen semantischen M a t r i x versteht man eine Konstituente einer formalen Bedeutungsfestlegung i n Form eines operationalen Semantems. Die M a t r i x w i r d auf der Basis der Menge der invarianten (statistisch invarianten) Kontexte erstellt. Die Bedeutungsfestlegung soll so vor sich gehen, daß sie es gestattet, für Terme (und letztlich auch für Sätze) festzustellen, ob diese dieselbe oder eine ähnliche operationale Bedeutung haben. A u d i können auf die W o r t matrizen Regeln angewandt werden, die es gestatten, diese zu Satzmatrizen zusammenzustellen. Anmerkung. Matrizen dieser A r t haben also ähnliche taxonomische Eigenschaften wie finite Kategorialsysteme für Begriffe. Auch wenn eine operationale M a t r i x genügend Spalten(-aufsdiriften) enthielte, um alle Wörter einer Sprache zu akommodieren, so würde sich doch i n ihr die Relativität zu D zeigen (Häufungen von Ja- oder Nein-Entscheidungen bei gewissen Serien von operationalen Kategorien). W i r können demnach auf Basis einer Matrize operational semantische Typen (nicht i m Sinne der Typentheorie, obwohl die operationale M a t r i x letztlich auch derartige Typen implizit enthalten würde, vgl. S. 295) in Th und über D aufstellen. Wortmatrizen können natürlich nicht aufgestellt werden, bevor nicht genügend invariante Kontexte (im engeren Sinne) gefunden worden sind, resp. das entsprechende operationale Semantem, das als erstes Glied die Menge der Kontexte enthält, aufgestellt worden ist. 21 Leinfellner
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Operationale Semanteme, die als erstes Glied eine M a t r i x (aber auch einen Graphen) enthalten, setzen also Semanteme obiger A r t voraus. Für die Umgangssprache kann man das Vorhandensein von mit statistischer Häufigkeit auftretenden Kontexten, i. e. das Auftreten von operationalen Bedeutungen mit der vorwissenschaftlichen Sammlung von Erfahrung und Wissen erklären. Nebenher ist die Umgangssprache natürlich noch dadurch gekennzeichnet — zum Unterschied zur Sprache der Wissenschaften — daß via invariante Kontexte auch Worte wie „Einhorn", „Zeus" etc. operationale Bedeutung erhalten, audi wenn „Einhorn" und „Zeus" nie operative oder empirisch deskriptive Bedeutung gehabt haben. Die Bildung von invarianten Kontexten oder Texten ist audi in der Wissenschaft unerläßlich. Diese invarianten Kontexte und damit auch die operationalen Bedeutungen, die diesen invarianten Kontexten entstammen, werden in den Wissenschaften dann in metrische oder mengentheoretische Strukturen übergeführt, wo der Gebrauch der mathematischen oder mengentheoretischen Zeichen dann die operationale Bedeutung herstellt. W i r erinnern hier nochmals daran, daß w i r weder i m Falle der operativen, noch im Falle der operationalen Bedeutung auf eine Entität, welcher A r t auch immer, zeigen und sagen, daß dies die Bedeutung sei. Sondern w i r sagen, daß ein Ausdruck operative oder operationale Bedeutung hat, wenn für ihn ein operatives oder operationales Semantem aufgestellt werden kann. Es ist klar, daß dann das mathematische Rüstzeug, etwa i n Form der Funktionentheorie, oder eine strukturelle Mengenlehre bereits vorhanden sein soll. W i r sehen, daß w i r hier letztlich Struktur und operationale Bedeutung miteinander verknüpfen; w i r drücken dies durch einen Äquivalenzsatz aus, wonach eine mengentheoretische Axiomatisierung gleichzeitig die operationalen Bedeutungen einer Theorie in allgemeinster A r t und Weise festlegt und eine formale Struktur ist. Es ist also wichtig, zu sehen, daß die Festlegung invarianter Bedeutungen mit H i l f e der Kontexte i m obigen Sinne der mengentheoretischen oder mathematischen Strukturrepräsentation vorausgehen kann. W i r behandeln nun weitere Regeln, welche einer operationalen Semantik der Wissenschaften angehören. Hierzu einige allgemeine Bemerkungen über Regeln. Es ist zum Beispiel die Frage, wie man die Logik systematisch aufbauen kann, seit Aristoteles immer auf zwei Arten gelöst worden: 1. kann man die Logik auf Axiomen aufbauen, und 2. auf Regeln. Aristoteles bediente sich eines axiomatischen Aufbaues, aber i m ganzen Mittelalter wurde die Logik, zusammen mit der Grammatik, als eine ars, eine Kunstfertigkeit betrachtet und in Regeln formuliert. Die Formale
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Logik und die Mengenlehre kehrten im vorigen Jahrhundert wieder zu den Axiomen zurück, wobei man aber interessanterweise die Deduktion niemals völlig in Axiomen ausdrücken konnte. Gentzen wandte sich in seiner Logik, dem Natürlichen Schließen, wiederum der Regellogik zu; bekanntlich lautet das einzige A x i o m des Natürlichen Schließens ja „F impliziert F"; dies ist ein eher zweifelhaftes A x i o m oder das Residuum eines Axioms. Es meint eigentlich nur, daß für Zeichen eine A r t „Genidentität" gefordert werden muß; man kann sagen, daß dies semantisch berechtigt ist und ζ. B. die semantische Invarianz der Identität ausdrückt; aber logisch ist es bloß ein Leerlauf der Zeichen. W i r vertreten hier die Ansicht, daß Semantik und Grammatik durch Regeln gegeben sein sollen, Regeln, welche uns instruieren, wie die Sprache in den kognitiven und/oder realisierenden Wissenschaften zu handhaben sei. Regeln können, im günstigen Falle, Funktionen sein, und sie können dann in den Wissenschaften rekursiv geordnet werden, was man durch Nummerierung anzeigt. Solche rekursiven Regeln geben dann lückenlos an, wie man vorgehen soll, w i l l man eine wissenschaftliche Sprache operational semantisch und grammatisch aufbauen. W i r weisen hier wieder darauf hin, daß w i r die Grammatik als Teil der operationalen Semantik auffassen, bzw. auch — mehr traditionell ausgedrückt — die grammatischen Strukturen als grobe semantische Vorordnung. Werden Regeln rekursiv geordnet, dann können sie i m Prinzip auch von einer Rechenmaschine ausgeführt werden, und es ist hier interessant, daß die Semantiksysteme sowohl von Abraham-Kiefer als audi von Wilks für Rechenmaschinen gedacht sind. Regelsysteme, deren Regeln Funktionen sind, sind berechenbar, wenn die Funktionen rekursiv und finit sind. Dagegen w i r d in der Ontologie und in der strukturellen Mengenlehre, in der schließlich und endlich die Strukturrepräsentation abgeschlossen wird, Gebrauch von Axiomen als Festlegungen von Bedeutungen und der Struktur über D in Th gemacht. Dies stimmt mit der aristotelischen Praxis in der „Physik" überein, deren Axiome inhaltsbezogen sind. W i r wissen ja, daß nach der aristotelischen Definition Axiome die ersten A n fänge von willkürlich gewählten Gebieten, ζ. B. der Zoologie, der Lehre von der Bewegung etc. sind; dies stimmt im Umriß mit unserer Annahme, daß der Wissenschaftler in der Wahl des Gebietes D frei ist (vgl. S. 189), überein. Die nun folgenden Regeln dienen der Taxonomie von operationalen Bedeutungen und gestatten es, operationale Bedeutungen zu vergleichen. Sie sind, wie gesagt, in den Wissenschaften relativ zu D und Th. 21*
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Regelt: Aufstellung von Matrizen m?· für Subjektterme, resp. Subjektsemanteme. Bei der Aufstellung dieser Matrizen verfährt man so, daß der Subjektterm, der die Reihenaufschrift einer einreihigen operationalen Bedeutungsmatrix (Vektors) bildet, durch kontextuale und „prädikativische" operationale Kategorien oder Merkmalszeichen, die die Spaltenaufschriften bilden, positiv oder negativ bestimmt ist. Daß die Merkmalszeichen für Subjektterme „prädikativisch" sind, rührt daher, daß der Kontext eines Subjektterms i m allgemeinen prädikativisch ist, wobei natürlich — i n Verbindung m i t der Kopula — auch ein Substantiv oder ein A d j e k t i v prädikativisch sein kann. Prädikatterme werden, wie es Regel 3 ausdrückt, demnach von „subjektivischen" Kategorien bestimmt sein, und es kann vorkommen, daß eine Kategorie gleichzeitig subjektivisch und prädikativisch ist. Nehmen w i r z. B. die zwei Sätze „ D i e Arbeit war schwer" und „ W i r arbeiten", dann trifft sowohl auf „ A r b e i t " wie auch auf „arbeiten" das Merkmalszeichen „ [ T ä t i g k e i t ] " zu. Die Spaltenaufschriften enthalten — um das Aufstellen von Satzmatrizen M* möglich zu machen — sowohl subjektivisdie als auch prädikativische Kategorien, soferne diese nicht zusammenfallen. Da diese Merkmalszeichen Kategorien sind, ist es so, daß sie einfach gewisse Kontexte unter einem „ K e n n w o r t " zusammenfassen; die Kategorien können aber auch manchmal den häufigsten (statistisch) invarianten K o n texten selbst entnommen werden, ein Fall, den w i r noch nicht explizit erwähnt haben. Regel 4 : Reihenfolge der operational semantischen Merkmalszeichen. Die Reihenfolge der semantischen Merkmalszeichen (semantic markers) oder Kategorien zeigt Analogie zum Porphyrschen Baum; dodi werden die Unterteilungen nicht entsprechend dem sogenannten Begriffsumfang, resp. entsprechend dem genus proximum und der differentia specifica, vorgenommen, sondern entsprechend der Feinheit (Weite und Enge) der operationalen Bedeutungen. M a n beginnt also m i t dem häufigsten invarianten Kontext, resp. einem Kennwort dafür, i. e. einem Merkmalszeichen, das nicht eine Verfeinerung eines anderen Merkmalszeichens ist, z . B . „[Wesen]". Dann folgen diejenigen Merkmalszeichen, die „[Wesen]" verfeinern, z . B . „[Mensch]", „ [ T i e r ] " . Merkmalszeichen, die nicht die Verfeinerung eines anderen Merkmalszeichens sind, nennt man „unabhängige". Sind genügend Verfeinerungen eines Merkmalszeichens aufgestellt, dann folgt ein neues unabhängiges Merkmalszeichen und seine Verfeinerungen, usf. Es ist klar, daß jedes W o r t nur unter ein unabhängiges Merkmalszeichen fallen kann, d. h. pro W o r t kann nur
5.1. Die Definition der operationalen Bedeutung durch operationale Matrizen
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unter einem unabhängigen Merkmalszeichen die Zelle der M a t r i x mit „ 1 " gefüllt werden. Anmerkung. Die anderen unabhängigen Merkmalszeichen sind daher für das betreffende W o r t redundant. W i r benötigen sie aber, wenn w i r die Satzmatrize aufstellen wollen (vgl. S. 251). W i r werden uns hier nicht so sehr mit grammatischen Erwägungen befassen (aber vgl. Regel 12 unten). Regel 5 : Matrizeneintragungen. M a n trage unter die Spaltenaufschriften „ 1 " ein, wenn diese für das betreffende Wort (die Reihenaufschrift) zutreffen, und „ 2 " , wenn diese nicht zutreffen (und eventuell „ 0 " , wenn keine Entscheidung getroffen werden kann). Regel 6: Toleranzregel für operational semantische Entscheidungen. Jede M a t r i x kann verfeinert (vereinfacht) werden, indem Spalten eingeschoben oder angehängt (weggenommen) werden. Wenn vorhandene Matrizen keine ein-eindeutige Entscheidung gestatten, ob ζ. B. zwei Worte synonym sind, dann kann man die Matrizen verfeinern, aber eventuell audi vereinfachen (vgl. S. 250), bis dies entschieden werden kann. D a i n den Wissenschaften Synonymität deflatorisch eingeführt wird, ist dies weiter kein Problem. Nach Regel 9 sind dann zwei Ausdrücke vollständig synonym, wenn ihre Matrizen gleich sind. Gehen w i r davon aus, daß für zwei Worte nur zwei Matrizen m{*f aufgestellt werden; diese zwei Worte sind vollkommen synonym, wenn diese zwei Matrizen gleich sind. Betrachten w i r jedoch die operativen Matrizen von S. 298, dann sehen wir, daß w i r dort bloß behaupten, daß, wenn zwei Matrizen für zwei Worte gleich sind, diese zwei Worte vom selben ontologischen oder empirisch deskriptiven T y p sind. I m Sinne von Regel 6 — und unter Einbeziehung von Regel 9 — können w i r dann für den Fall, daß für zwei Worte zwei operationale Matrizen aufgestellt werden können (und nicht mehr), folgendes sagen: Matrizen m^ die bis zu einer gewissen, von der Theorie Th bestimmten Spalte gleich sind, legen fest, daß zwei Worte demselben operationalen T y p angehören. Bei den operativen Matrizen sind w i r über diesen Punkt nicht hinausgegangen, weil w i r das Konzept einer operativen Synonymität ablehnen. Für die operationalen Matrizen können w i r mit Regel 9 weiters festhalten, daß zwei Worte völlig synonym sind, wenn ihre Matrizen mfi- völlig gleich sind, unter Anwendung von Regel 6. A u f S. 307 führen w i r eine operative semantische Äquivalenz ein. Regel 7: Eindeutigkeit. Ein Subjektterm ist eindeutig, wenn für ihn nur eine M a t r i x mξ. aufgestellt werden kann. Beispiele aus der U m -
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5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
gangssprache: „Bäcker", „Gitarre". I n einer Theorie werden bloß eindeutige Worte zugelassen. Regel 8: Mehrdeutigkeit oder Polysemie. Ein Subjektterm ist i-fach mehrdeutig oder polysem, wenn für ihn i verschiedene Matrizen m t * aufgestellt werden können. Beispiele aus der Umgangssprache: „Feder" (wegen „Vogelfeder", „Füllfeder", „Feder als Maschinenbestandteil" u. ä.), „ B a l l " (wegen „Tanzveranstaltung", „Spielzeug"). Polysemie w i r d in ein- und derselben Theorie nicht gestattet. Regel 9: Vollständige Synonymität. Zwei Subjektterme sind vollständig synonym, wenn alle Matrizen des einen Subjektterms mit allen Matrizen des anderen Subjekttermes übereinstimmen. I n den Wissenschaften muß die Synonymität zweier Terme definitorisch festgelegt werden, wobei die Terme eindeutig sein müssen, d. h. nicht polysem sein dürfen. I n der Umgangssprache können ζ. B. „Tomate" und „Paradeis" als vollständig synonym angesehen werden. Vgl. auch das unter Regel 6 Gesagte. Regel 10: Partielle Synonymie. Diese t r i t t in zwei Formen auf: 1. Zwei Subjektterme sind partiell synonym, wenn zumindest ein Term polysem ist, und wenn zumindest eine Matrize des einen Subjekttermes mit einer Matrize des anderen Subjekttermes übereinstimmt. Nehmen w i r als umgangssprachliches Beispiel das Beispiel einer (operational semantischen) Ubersetzungssynonymität. Wenn w i r engl, „spider" durch dt. „Spinne" übersetzen, dann kann man „spider" und „Spinne" hier als synonym betrachten. Engl, „spider" nennt man in manchen Gebieten der USA aber auch eine Bratpfanne, ursprünglich eine auf Füßen; Untersetzer werden ebenfalls oft „spider" genannt. Diese operativen Benennungen spiegeln sich natürlich auch in den operationalen (operational semantischen) Bedeutungen von „spider", ζ. Β. im Lexikon. I m Deutschen hinwiederum findet sich — operativ — „Spinne" als Bezeichnung für eine bestimmte Stickereiverzierung beim Weißnähen, mit korrespondierenden operationalen (operational semantischen) Lexikoneintragungen. 2. Die nun behandelte Form der partiellen Synonymität können w i r auch „semantische Ähnlichkeit" nennen. H i e r haben zwei Subjektterme einen bestimmten Matrizenteil der M a t r i x m*· gemeinsam. Umgangssprachliche Beispiele sind etwa „Tageszeitung" und „Wochenzeitung" und die Farbnamen. Man kann ζ. B. sagen, daß Farbnamen wie „ G r ü n " , „Blau" semantisch ähnlich sind.
5.1. Die Definition der operationalen Bedeutung durch operationale Matrizen
327
Der F a l l i kommt in den Wissenschaften, i.e. i m Rahmen einer Theorie, nicht vor. Fall 2 kommt natürlich vor; aber in einer Theorie werden w i r dann dodi nicht immer von partieller Synonymität sprechen, sondern die Terme oft als Terme mit verschiedener operationaler Bedeutung behandeln. „Funktion" und „Treppenfunktion" hingegen können w i r z. B. als partiell synonym ansehen. Regel 11: Aufstellung von Matrizen für Prädikatterme, resp. Prädikatsemanteme. Bei der Aufstellung dieser Matrizen verfährt man so, daß der Prädikatterm, der die Reihenaufschrift einer einreihigen operationalen Bedeutungsmatrix (Vektors) bildet, durch kontextuale und „substantivische" operationale Kategorien oder Merkmalszeichen, die die Spaltenaufschriften bilden, positiv oder negativ bestimmt ist. Der Rest von Regel 11 folgt, mutatis mutandis, Regel 3; die anderen Regeln für Prädikatterme folgen sinngemäß Regel 7, 8, 9. Regel 13: Satzmatrizen Ait* Die einreihigen Matrizen m t * können zu einer Satzmatrix m» aneinandergefügt werden, wenn es entweder keine Regel (Selektionsrestriktion) gibt, die dies verbietet, oder wenn eine Regel existiert, die eine Anweisung zum Zusammenfügen bestimmter Wortmatrizen ist. (Für Details vgl. S. 251). Es w i r d hier vorausgesetzt, daß man sich über die grammatische Struktur des Satzes als grobe semantische Vorordnung im klaren ist. Eine Mindestforderung ist z. B., daß die Phrasenstruktur des Satzes bekannt ist. H a t ein Satz z. B. die Phrasenstruktur (Konstituentenstruktur) ((Das (große Haus)) (gehört (meinem Bruder))), dann kann man eine Regel 12 einführen, welche besagt, daß man mit der am weitesten links stehenden Konstituente beginnen soll, die zwei Worte (Morpheme) enthält. Man prüft dann, ob die Matrizen für „große" und „Haus" aneinandergefügt werden können und fährt dann mit der Prüfung von „meinem" und „Bruder" fort, usw. Ganz zum Schluß kommt die Prüfung, ob die Matrizengruppe der Subjektphrase „Das große Haus" m i t der Matrizengruppe der Verbalphrase „gehört meinem Bruder" vereint werden kann. Man sieht hier deutlich, wie die grammatische Struktur der Sprache de facto eine grobe semantische Vorordnung ist. Es ergeben sich folgende Regeln: Regel 14: Operational semantische Eindeutigkeit. K a n n für einen Satz nur eine Matrix m?j. aufgestellt werden, dann ist er eindeutig.
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5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
Regel 15: Operational semantische Mehrdeutigkeit oder Ambiguität. Können für einen Satz i verschiedene Matrizen M-j aufgestellt werden, dann ist er /-fach mehrdeutig. Es ist klar, daß die Polysemie eines Wortes zur Satzambiguität führt; z. B. „Ich ließ die Feder fallen" ist mehrdeutig. D a i n der Umgangssprache Sätze entweder i n einen Text eingebettet sind oder in einer bestimmten pragmatischen Situation (context of situation) geäußert werden, ist diese Satzambiguität i m allgemeinen keine große Tragödie. Regel 16: Kann für einen Satz keine M a t r i x dann ist er semantisch anomal.
aufgestellt werden,
Regel 17: Vollständige Synonymität. Zwei Sätze sind vollständig synonym, wenn alle Matrizen des einen Satzes m i t allen Matrizen des anderen Satzes übereinstimmen. Regel 18: Partielle Synonymität. Zwei Sätze sind partiell synonym, wenn zumindest einer der beiden Sätze mehrdeutig ist, und wenn zumindest eine M a t r i x des einen Satzes mit einer M a t r i x des anderen Satzes übereinstimmt. W i r könnten auch eine partielle Synonymität als semantische Ähnlichkeit i m Sinne von Punkt 2 von Regel 10 für Sätze aufstellen; die partielle Synonymität als operational semantische Ähnlichkeit von zwei Sätzen würde dann von der operational semantischen Ähnlichkeit der Terme (zumindest eines Termes aus einem Satz m i t einem Term i n dem anderen Satz) der beiden Sätze herrühren. Z. B. könnte man dann sagen, daß „Ich lese die Tageszeitung" und „Ich lese die Wochenzeitung" sich operational semantisch ähneln. Regel 19: Regel der Interpretation und Repräsentation. Ontologische oder semantisch deskriptive (vgl. S. 297 f.) Matrizen für deskriptive Terme und operationale Matrizen ml· die gleich sind oder i n den für eine Theorie wesentlichen Teilmatrizen übereinstimmen, i. e. die i n einem von der Theorie bestimmten Sinne ähnlich sind, können untereinander ersetzt werden. W i r d die ontologische (semantisch deskriptive) M a t r i x durch eine operationale M a t r i x ml· ersetzt, dann nennt man das „Repräsentation". Den umgekehrten Vorgang nennt man „Interpretation". Es ist klar, daß beide Matrizen demselben (weiteren) Kontext, nämlich Thy zugehören sollen, daß sie sich 2. auf dasselbe Gebiet D beziehen sollen, und daß 3. ein axiomatisierter Kern Κ vorhanden sein soll, der es i n quantitativen Meßtheorien gestattet, ein Repräsentationstheorem RT ab-
5.1. Die Definition der operationalen Bedeutung durch operationale Matrizen
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zuleiten, das die isomorphe Strukturabbildung möglich macht. Regel 19 ist eine präzise Ausarbeitung des Konzeptes des gleichen Typs und des „semantical meaningful" bei Suppes und Zinnes 1 . Regel 20: Ein Kontext ist operational semantisch abgeschlossen, wenn es 1. zu jedem Subjekts-, bzw. Prädikatterm mindestens einen operational semantisch verträglichen Prädikatterm, resp. Subjektterm gibt, und wenn 2. alle Propositionen oder aus ihnen entstandene Aussagen (ζ. B. eingetroffene Voraussagen) zu einem Kontext Th und einem Bereich D gehören. Anmerkung. „Operational semantisch verträglich" (in der Literatur oft „ [semantisch] kompatibel" genannt) meint i m Rahmen von Regel 20 einfach, daß für Subjekt- und Prädikatterm zusammen eine Satzmatrix M - aufgestellt werden kann. Regel 20 gibt also an, daß jeder Subjektund Prädikatterm i n mindestens einer Proposition oder Aussage vorkommen muß. Es ist klar, daß alle durch die Axiome generierten Propositionen oder aus diesen entstandenen Aussagen Bedingung 1 und 2 genügen müssen. M a n muß hier betonen, daß die Invarianzthese eine induktiv statistische These ist, die darauf beruht, daß gewisse Kontexte von gewissen Termen invariant werden, wodurch diese Terme operationale Bedeutung erhalten. Diese Stabilisierung von Termen i n Kontexten t r i t t selbstverständlich schon i m vorwissenschaftlichen Stadium auf und ist ein grundsätzlicher Vorgang i n jeder Sprache (vgl. S. 262 f.). W i r haben dies für Theorien dadurch ausgedrückt, daß w i r das Konzept der Proto-Axiome eingeführt haben, die sozusagen die Vorläufer der Axiome sind. ProtoAxiome sind entweder invariante Aussagen oder werden aus solchen gewonnen. Ein letzter oder endgültiger Beweis der Invarianzthese ist der Hauptsatz über die Äquivalenz von (theoretischer, abstrakter) Struktur und operationaler (invarianter) Bedeutung in Th und über D (vgl. S. 341), samt den dazugehörigen Erklärungen. Dazu benötigen w i r wieder die strukturelle Ontologie. Zusammenfassung. Eine operationale Semantik einer wissenschaftlichen Theorie enthält u. a. eine Aufzählung von invarianten Kontexten bestimmter Terme, resp. operationale Semanteme als Bedeutungsfestlegungen auf Basis der invarianten Kontexte. Diese Kontexte können, wie 1
Suppes-Zinnes, S. 64 - 66.
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5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
gesagt, verschiedentlich umgeformt oder kodifiziert werden. Weiters enthält eine operationale Semantik der Wissenschaften Regeln für die operational zulässige semantische Kombination der operationalen Semanteme oder der Worte, i. e. der Endglieder der operationalen Semanteme, im Satz, oder auch der Anfangsglieder im Rahmen der — traditionell ausgedrückt — grammatischen Struktur des Satzes. Auch hier bleibt die Relativierung auf D und Th erhalten, obwohl man linguistisch die Relativierung auf D vernachlässigen kann. W i r haben gesehen, daß auch Definitionen letztlich auf Versteinerungen oder Einfrierungen empirischer (Kon-)Texte zurückgeführt werden können. Was macht man aber in den Fällen, wo in eine empirische Theorie definitorisch Terme eingeführt werden, denen man (noch) keine operative Bedeutung zuschreiben kann, die aber einer solchen bedürfen? Soldi ein Term ist ζ. B. „quark". Quarks sind definitorisch subatomare Mikro-Partikel, die in vier „Geschmäcken" (flavors) mit je drei „Farben" (colors) auftreten, und die im Rahmen der gegenwärtigen Physik die Elementarstruktur der subatomaren Partikel bilden sollen 2 . Auch „color" und „flavor" haben hier natürlich (noch) keine operative Bedeutung und ihre operationalen Bedeutungen haben nichts mit den operationalen Bedeutungen, die „color" und „flavor" i m Rahmen der Umgangssprache oder der Sinnesphysiologie haben, zu tun. Wie steht es hier mit der operativen Invarianz der Kontexte von „color", „flavor" und „quark" und deren Relativierung auf D , wenn diese drei Terme und die um sie befindlichen Kontexte gar keine operative Bedeutung haben? H i e r genügt einfach, daß die operationalen und heuristischen Festlegungen von „quark", „color" und „flavor" mit den übrigen operationalen und operativen Bedeutungen der Terme der Theorie nicht in Widerspruch geraten dürfen; insoferne sind audi „color", „flavor" und „quark" auf D relativiert. Man kann sich für die Lösung entscheiden, daß „color", „flavor" und „quark" mögliche operative Bedeutungen haben; man kann audi sagen, daß sie bloß Produkte der operationalen Semantik und der mathematisch strukturellen Formulierungen der „Gauge Theory" sind. Schließlich und endlich enthält eine operationale Semantik einer wissenschaftlichen Theorie die genaue Festlegung oder Definition der semantisch zulässigen Aussagen und Propositionen in Form der mengentheoretisch formulierten Axiome einer Theorie, i. e. in Form von K . Diese wichtigste Methode einer systematischen Bedeutungsfestlegung in Theorien wurde bisher immer nur als strikt logisches Verfahren angesehen. 2
Weinberg, S. 255 - 277; Rujuk, S. 147 - 162.
5.2. Axiomatik und Struktur und die Invarianzthese
331
Hier jedoch fassen w i r die Axiome 1. als operationale Bedeutungsfestlegungen und 2. als Definition der Struktur über D auf. Wie man Axiome semantisch auffaßt und nicht logisch, w i r d im folgenden behandelt.
5.2. Axiomatik und Struktur und die Invarianzthese Für das Folgende ist es wichtig, sich der Unterscheidungen, die i m Bedeutungskapitel, Kapitel 3., zwischen operativer und operationaler Bedeutung gemacht wurden, zu erinnern. W i r greifen einerseits auf die Wittgensteinsche Ansicht, daß die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache, d. h. sein operationaler Gebrauch sei, zurück; andererseits w i r d aber doch statt „Sprache" „wissenschaftlicher (Kon-)Text" verwendet werden. V o n den vielen möglichen Zitaten aus Wittgenstein sei hier eines ausgewählt: „Jedes Zeichen scheint allein tot. Was gibt ihm Leben? — I m Gebrauch lebt es. H a t es dann den lebenden Atem in sich? — Oder ist der Gebrauch sein Atem 3 ?" Wittgenstein spricht aber auch von derjenigen Form der Bedeutung, die hier „operative" oder „empirisch deskriptive" genannt wurde, z . B . : „ M a n meint, das Lernen der Sprache bestehe darin, daß man Gegenstände benennt. U n d zwar: Menschen, Formen, Farben, Schmerzen, Stimmungen, Zahlen etc. Wie gesagt — das Benennen ist etwas Ähnliches, wie, einem D i n g ein Namentäfelchen anheften. Man kann das eine Vorbereitung zum Gebrauch eines Wortes nennen. Aber worauf ist es eine Vorbereitung 4 ?" Diese Frage w i r d hier eindeutig beantwortet. Das Benennen und Bezeichnen ist sowohl eine Vorbereitung auf die operationale Bedeutung, als auch auf die Strukturrepräsentation in den erkennenden und realisierenden Wissenschaften. Wittgenstein spielte, wie bekannt, als er die erkenntnistheoretische Funktion der Sprache aufgegeben hatte, i. e. als er von der Philosophie des „Tractatus" abging, die operationale Bedeutung gegen die operative aus, wobei er die operationale gewinnen läßt. Wie w i r jedoch gesehen haben, kann zwar die operative Bedeutung ohne die operationale auskommen, solange es sich ζ. B. um die Akte des Namensgebens oder um die Sprache LE ohne Voraussagen handelt. Aber die operationale Bedeutung kann, zumindest in der Umgangssprache und in kognitiven und realisierenden Theorien, einfach nicht ohne die operative bestehen, aus 3 4
Wittgenstein (Untersuchungen), § 432, S. 435. Wittgenstein (Untersuchungen), § 26, S. 302.
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5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
Gründen, die w i r bereits angeführt haben (vgl. S. 262 und S. 319). Es muß also tatsächlich z. B. in kognitiven wissenschaftlichen (Kon-)Texten Th die operationale Bedeutung auf die operative zurückführbar sein, vice versa. Cassirer hat dies auch so ausgedrückt, daß w i r von der Sinnlichkeit zum Sinn fortschreiten. Die operative Bedeutung kann daher i n den kognitiven und realisierenden Theorien nicht umgangen werden, aber letztlich auch nicht in großen Teilen der sogenannten formalen Theorien, wie Logik und Mathematik. Man braucht hier nur an die Quantenlogik, den ontologischen Ursprung der (logisdien) Typentheorie etc. zu denken. Es ist aber nicht so, daß rein theoretische Terme oder Ausdrücke auf empirische reduzierbar — i m Sinne Carnaps und anderer Wissenschaftstheoretiker — sein sollen. Dieses Programm scheiterte daran, daß man annahm, daß gewisse Terme der rein theoretischen Sprache deskriptive Grundterme sind, während andere Terme rein logische sind. Die rein logischen Terme nun widersetzten sich hartnäckig jeder Reduktion und empirischen Interpretation. Dieses Ergebnis wurde zwar von den empirischen Positivisten nicht ohne weiters hingenommen; es scheint aber, daß das Problem darin beschlossen liegt, daß es sich um eine Term- oder Sprachreduzierung handelt, während es uns hier um eine Reduzierung von operationalen Bedeutungen auf empirische geht. Es konnte also, trotz der jahrzehntelangen Bemühungen der Philosophen des Wiener Kreises und trotz Craigs Ersetzbarkeitsprogramm — beide streben eine sprachliche Reduktion an — , doch die unglückselige Trennung der Terme i n rein logische (analytische) und synthetische (empirisch deskriptive) nicht überwunden werden. Die Philosophen des Wiener Kreises und Craig haben aber niemals das Konzept einer operationalen Bedeutung i n Betracht gezogen, wobei man nicht vergessen darf, daß diese Konzeption eigentlich erst i n den letzten 15 Jahren in den Blickpunkt getreten ist. Auch wurde oft angenommen, daß es eine umfassende theoretische Sprache gebe; heute sieht man dagegen, daß „die" theoretische Sprache der Wissenschaften gar nicht existiert, sondern nur Bruchstücke, z. B. die theoretische Sprache der Quantentheorie, der Thermodynamik, einer ökonomischen Theorie, welche als Kontexte fungieren. Es existiert aber eine klare Schichtung der Bedeutungen (Semanteme). W i r erwähnen nun zwei Voraussetzungen, ohne die das Nachfolgende nicht verständlich ist: Voraussetzung!. Oie theoretischen Wissenschaften, das sind also kognitive und realisierende Wissenschaften, aber, unter gewissen Gesichtspunkten, auch die formalen Wissenschaften, bestehen heute aus vie·
5.2. Axiomatik und Struktur und die Invarianzthese
333
len Texten oder Kontexten ( „ K o n t e x t " bezüglich der Bedeutung), welche untereinander nur lose oder gar nicht zusammenhängen. Solche theoretische Wissenschaften bestehen also aus Theorien, Hypothesenhierarchien, Hypothesen, Kalkülen, formalen Systemen wie axiomatisierten Mengenlehren etc. A u f diese Texte, resp. Kontexte w i r d bei unseren Analysen immer zurückgegriffen. Voraussetzung 2. Als zweites setzen w i r eine strukturelle Mengenlehre, ζ. B. die von Bourbaki, Suppes, Hermes und Schmid, voraus. Diese w i r d in diesem Buch jedoch nicht als Logik angesehen, sondern als eine Strukturlehre, die sich historisch nach und nach aus der Mathematik entwickelt hat und die hier als sprachliches Medium der Strukturabbildung in Modellen und axiomatisierten, formalisierten Theorien benützt werden kann, wenn die Annahmen der Proto-Ontologie gelten. I n diesem Kapitel w i r d nun i n einem ersten Schritt ein allgemeines Schema konstruiert oder definiert, das w i r „sprachliches Repräsentationssystem" u. ä. nennen können. Dieses Schema zeigt modellartig, wie die empirischen Strukturen aus den Bereichen D mengentheoretisch repräsentiert werden. Z u diesem Zweck w i r d der Zusammenhang von A x i o matisierung und operationaler Bedeutung und, in einem zweiten Schritt, der Zusammenhang von operationaler Bedeutung und Struktur analysiert. W i r beginnen mit der Diskussion des sprachlichen Repräsentationssystems, i.e. des schematischen Modells,-das die erkenntnistheoretische Funktion der Strukturrepräsentation in wissenschaftlichen (Kon-)Texten darstellt. M a n vgl. hier auch die Darstellung bei W . Leinfellner 5 , die hier aufrecht erhalten bleibt, die aber durch die völlig neue semantische Auffassung der Axiomatisierung als operationale Bedeutungsdefinition und -festlegung ergänzt wird. W i r sprechen übrigens i m folgenden sowohl von der Repräsentation z. B. der empirischen Systeme, als auch der von Sprache auf Sprache. W i r setzen die Proto-Ontologie und die operative Semantik voraus und beginnen mit der Definition der Termtrennung, welche bei der strukturellen Repräsentation eine wichtige Rolle spielt. Auch werden w i r i m folgenden zeigen, daß die empirischen Theorien spezialisierte Einsetzungen i n das hier entworfene Repräsentationssystem sind. Definition 1. Ein einfaches Strukturdatum „ ( M ; Ρ ) " = d e f „ ( M u M 2, . . M n ; Pi, P 2 , . . P m ) " ist eine erschöpfende Aufzählung aller 6
W. Leinfellner (Struktur), S. 200 - 228.
334
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
Mengen-, Teilmengen- und Elementterme und aller Prädikatterme (Terme für Relationen, binäre und rc-äre Prädikate), wobei die Relationen P u P 2 , . . . , P m sich auf die Mengen, Teilmengen und Elemente beziehen sollen. W i r merken hier an, daß das Auslassen der Anführungszeichen bei der Angabe der Relationen Ρχ, P 2 , . . . , P m etc. auf der operationalen Ebene eine Konzession an die übliche logische Schreibweise und mit den hier vorgetragenen Ansichten eigentlich nicht vereinbar ist; dies gilt sinngemäß audi für andere Fälle in der vorliegenden Arbeit. Da auch das Auftreten der operationalen Bedeutung mit einer Zerlegung (der invarianten Aussagen) verbunden ist, müssen w i r das Konzept der Termtrennung derart erweitern, daß es nicht nur Subjekt- und Prädikatterme, sondern u. U . audi Subjekt- und Prädikatphrasen, welche länger als ein Term (Wort) sind, umfaßt. Definition 2. Ein komplexes Strukturdatum enthält neben „Mu ..., M n" zumindest noch eine andere Aufzählung von Mengen-, Teilmengen- und Elementtermen, etwa „ T i , T 2 , . . . , T Ä " . Auch dieses Strukturdatum ist durch eine Aufzählung aller Mengen-, Teilmengen- und Elementterme, sowie aller Prädikate gegeben, wobei die Relationen entweder zwischen den Mengen, zwischen den Teilmengen, oder zwischen deren Elementen gelten sollen. Definition 3. Ein Strukturdatum w i r d „empirisch" genannt, wenn es zumindest einen empirischen und binären Prädikatterm und, dementsprechend, zumindest zwei empirische Subjektterme gibt, die zusammen einem operativen Aussagesemantem angehören, welches wiederum LE angehört; d. h. diese Terme müssen empirische Bedeutung haben und sich auf D beziehen. Anmerkungen. Der schematische Charakter des Strukturdatums beruht darauf, daß es, ζ. B. i m Falle, daß es vollständig empirisch ist (vgl. Definition 5), eine Zerlegung der Aussagen aus LE in die empirischen Terme dieser Aussage ist; d. h. es werden alle Symbole der Aussagen in Subjekts- und Prädikatssymbole getrennt. Dies w i r d vom strukturellen Standpunkt aus ausschließlich deshalb getan, daß man die von den empirischen Systemen oder Teilsystemen und den empirischen Beziehungen gebildete Struktur auf die Terme einer strukturellen Mengenlehre abbilden kann. Grundsätzlich enthalten vollständig empirische Strukturdaten (Definition 5) nur die Aufzählung der Prädikats- und Subjektssymbole, ζ. B. „(5!, S 2 , · · ·> Sn; 2?i, B2,. · ·) Bm)", welches definitionsgemäß gleich „ ( 5 ; B)" gesetzt wird. W i r wissen aber hier nicht, welcher Prädikatterm mit welchen Subjekttermen verknüpft ist: Strukturdaten kann man also keine
5.2. Axiomatik und Struktur und die Invarianzthese
335
Struktur entnehmen. Dazu benötigt man Aussagen, ζ. B. invariante Aussagen (welche letztere als Proto-Axiome angesehen werden können, oder die zur Aufstellung von Proto-Axiomen führen). W i r müssen auch bei den empirischen Strukturdaten beachten, daß diese streng an den (weiteren) Kontext Th gebunden und auf D bezüglich sind. Definition 4. H a t ein Strukturdatum keine empirischen Terme nach Definition 3 aufzuweisen, dann kann man es als ein formales Strukturdatum ansehen, das nur operationale Bedeutung besitzt, oder auch als eines, das deskriptiv möglich ist; solch ein Strukturdatum soll mit den bereits vorhandenen semantisch verträglich sein. I m allgemeinen ist hier zu bemerken, daß Definition 3 „gemischte" Strukturdaten zuläßt. Wenn z. B. die Behauptung aufgestellt wird, daß das Unbewußte einer Person diese zu bestimmten Handlungen veranlaßt, dann sind als Zustandsänderungen empirischer Systeme bloß die Handlungen der Personen beobachtbar, nicht aber das Unbewußte. „ U n bewußtes" ist also hier nur mit operationaler Bedeutung versehen; seine empirisch deskriptive (operative) Bedeutung ist eine Möglichkeit. Solche Mischformen kommen in den Wissenschaften nicht so selten vor; ein Versuch, sie zu umgehen, ist z. B. in der Psychologie der Behaviorismus und das behavioristische Konzept der „black box". Man muß aber doch verlangen, daß derartige operationale Terme, wie „Unbewußtes", „quark" etc. früher oder später in operative übergeführt oder aus der Theorie eliminiert werden. Definition 5. Ein Strukturdatum ist vollständig empirisch, wenn alle Individuen- und Prädikatterme empirische Bedeutung haben, d. h. Symbole sind. Strukturdaten, die z. B. einer strukturellen Mengenlehre angehören, können ebenfalls als operationale oder formale betrachtet werden; audi sie können unter gewissen Umständen als semantisch operativ mögliche gesehen werden. W i r sehen, daß man zwei verschiedene Gruppen von Theorien voneinander abheben kann; solche, die repräsentieren, wobei die Repräsentation via die empirische Strukturdaten geht, i. e. die empirischen Theorien (kognitive und realisierende), und solche, die nur operationale oder formale Strukturdaten besitzen, welche aber mögliche operative Bedeutung haben, z. B. rein formal aufgefaßte mathematische Theorien. Jedes vollständig empirische Strukturdatum kann in eine Carnapsche Zustandsbeschreibung umgewandelt werden, i. e. eine Konjunktion von
336
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
wahren oder falschen empirisch deskriptiven atomaren Sätzen, wenn man die Carnapschen Zustandsbesdireibungen auf Th und D relativiert. M a n muß hier darauf achten, daß Carnapsche Zustandsbesdireibungen nicht mit den Beschreibungen von Zuständen i m systemtheoretischen Sinne identisch sind, obwohl auch diese i n den Carnapschen Zustandsbesdireibungen eingeschlossen sein können. Carnapsche Zustandsbesdireibungen können auch Propositionen enthalten. M a n kann allgemein aus manchen Carnapschen Zustandsbesdireibungen Strukturdaten erhalten, wenn man sie auf Th und D relativiert und eine Termtrennung hinsichtlich der mindestens binären Prädikate und der entsprechenden Subjektterme ausführen kann. Die Carnapsche 6 Zustandsbesdireibung ist also oft ein Gemisch von Propositionen und Aussagen. Z. B. erscheint in der Carnapschen induktiven Logik die Zustandsbesdireibung i n folgender Form: es werden Propositionen dazu verwendet, um den logischen Spielraum (sample space) darzustellen, und Aussagen zur Beschreibung der tatsächlichen Verfassung der Welt. Dann w i r d die statistische Verteilung der Aussagen hinsichtlich des sample space, i. e. der Propositionen, als ein Wahrscheinlichkeitsmaß für das Verhältnis der wirklichen zur (prädikatenlogisch) möglichen Welt eingeführt. Es ist interessant, daß Carnap hier die Propositionen und Aussagen auf einen bestimmten Teil der Welt beschränkt 7 , z. B. einen Teil, zu dessen Beschreibung zwei Prädikate und vier Individuenausdrücke ausreichen. Die Termtrennung setzt hier (aber nicht überall, vgl. Kap. 3.2.1.) die systemtheoretischen proto-ontologischen Annahmen voraus; sie ist der erste Schritt zur Axiomatisierung wissenschaftlicher Theorien, i. e. der Festlegung der Struktur und der operationalen Bedeutungen; denn eine Axiomatisierung ist, vom Standpunkt der Termtrennung aus gesehen, nicht anderes, als daß die durch die Termtrennung getrennten Terme, d. h. eigentlich deren operationale Entsprechungen, wieder zusammengesetzt werden und dabei i n LT eine Struktur aufspannen. Denn erst i n den Axiomatisierungen, welche auf den induktiv gegebenen Invarianzen und invarianten Aussagen aufgebaut sind, erfahren w i r , welche Prädikatterme (resp. deren operationale Gegenstücke) zu welchen Subjekttermen (resp. deren operationalen Gegenstücken) gehören. Eigentlich erfahren w i r überhaupt erst aus der Axiomatisierung, was — semantisch gesehen — i n einem bestimmten Kontext Subjekt- und was Prädikatterm ist, und was als Proposition und Aussage hinsichtlich Th und D zulässig ist. 6 7
Carnap-Stegmüller, S. 59, 143, 148, 222, 235. W. Leinfellner (Struktur), S. 133.
5.2. Axiomatik und Struktur und die InvarÎanztfiesé
5Î7
Damit w i r d auch offenbar, daß Prädikat und Subjekt nicht „ontologisch absolut" sind, ζ. B. i n dem Sinne, daß Subjektterme oder Substantiv^ stets Dinge oder Substanzen bezeichnen, und Prädikate stets Eigenschaft ten oder Beziehungen; hier vergleiche man „ W i r gehen" versus „Das Gehen ist gesund": „Gehen" bezeichnet i m zweiten Satz nicht ein D i n g oder eine Substanz, sondern wie i m ersten Satz eine Tätigkeit. W o h l aber sagen w i r , daß die Einteilung in Prädikat- und Subjektterme relativ ontologisch oder deskriptiv semantisch relevant ist, i n dem Sinne, daß die Grammatik eine grobe semantische Vorordnung ist, i. e. daß, p r i m i t i v ausgedrückt, zwei empirischen Bestimmungsstücken zwei Elemente i m Satz entsprechen, eine Einteilung, die sich auch auf die operationale Semantik überträgt. Der wichtigste Unterschied zwischen der Carnapschen Zustandsbeschreibung einerseits und der systemtheoretischen Beschreibung eines Zustandes und dem Strukturdatum andererseits ist, wie schon angedeutet, daß infolge der proto-ontologischen Annahmen i n den letzteren keine unären Prädikate aufscheinen dürfen; w i r haben es bei den systemtheoretischen Beschreibungen eines Zustand es und den Strukturdaten also mit Strukturen oder Relativen i m Bourbakischen oder Tarskischen Sinne zu tun. Daraus kann man sehen, daß i n den Wissenschaften die Logik der unären Prädikate keine bedeutende Rolle spielen kann. Definition 6. Die Extension eines (Kon-)Textes, i. e. einer Theorie, Hypothesenhierarchie, Hypothese (welche w i r der Bequemlichkeit halber alle mit „Tb" bezeichnen wollen), besteht demnach aus der Menge der Systeme und Teilsysteme und der Beziehungen zwischen den Teilsystemen und Systemen, welche in Strukturdaten ausgedrückt werden können. Anmerkung. Nach Annahme 18 der Proto-Ontologie ist die Extension eine willkürliche, für einen bestimmten Zweck getroffene Auswahl aus der Empirie. W i r kommen nun zur Definition von Strukturen i m Rahmen einer Axiomatik, und für diesen Zweck führen w i r zunächst die Konzeption eines Proto-Axioms ein. Unter Proto-Axiomen verstehen w i r Aussagen, die w i r induktiv auf Basis der Invarianzthese (S. 319) erhalten haben. Infolge ihres induktiven und statistischen Charakters sind diese ProtoAxiome solange vorläufig (und Proto-Axiome), bis sie zusammen mit bestimmten mengentheoretischen Strukturen einen Morphismus (vgl. S. 360) bilden können. 22 Leinfellner
338
5. Ontologe und operationale Semantik der Wissenschaften
Regeln zur induktiven folgendermaßen vor:
Aufstellung
von Proto-Axiomen.
M a n gehe
1. M a n stelle eine Liste der Subjektssymbole (Namen, Individuenausdrücke) auf, resp. deren operative Semanteme als Festlegung der empirischen Bedeutung, relativ zu D und Th. 2. M a n stelle eine Liste der Prädikatsymbole auf und verfahre entsprechend Regel 1. 3. M a n stelle eine Liste der invarianten Kombinationen von Subjektund Prädikatsymbolen i n Form von invarianten Aussagen über D und i m Kontext Th auf. D a diese Aussagen invariant sind, erhalten ihre Terme — und i m weiteren die Aussagen selbst — operationale Bedeutung; diese Aussagen nun sind die Proto-Axiome, oder es werden die Proto-Axiome aus ihnen gebildet. Erklärung. Proto-Axiome werden also an H a n d von induktiv-statistisch ermittelten Häufigkeiten von Aussagen m i t bestimmten operativen Bedeutungen über D i n Th ermittelt. Es ist klar, daß man hier m i t der in Kap. 3.2.1. diskutierten Charakterisierung der operationalen Bedeutung durch Matrizen i n Semantemen arbeiten kann. Auch muß man hier einen Unterschied machen, ob der Wissenschaftler einen völlig neuen (Kon-)Text aufstellen muß, wie dies bei der Neumann-Morgensternschen Spieltheorie der Fall war, oder ob er auf schon vorhandene wissenschaftliche (Kon-)Texte, z. B. Theorien, zurückgreifen kann; letzteres ist der N o r malfall. Auch die Proto-Axiome und schließlich die Axiome selbst unterliegen dem Konzept, daß sie einem willkürlich gewählten Bereich D zugehören. Dieses Verfahren eignet sich besonders für Sozialwissenschaften, z. B. wenn man eine Gesellschaftsphilosophie in eine Theorie der Gesellschaft umwandeln w i l l . W i r wollen diese Regel oder Bedingung hier nicht wiederholen, dafür aber eine andere als Regel 4 anführen: Die W a h l der Subjekts- und Prädikatssymbole ist dem Belieben des Wissenschaftlers anheimgestellt; i n kognitiven und realisierenden Theorien sollen für ihn die Annahmen der Proto-Ontologie gelten. Was die Restriktion auch der Proto-Axiome und Axiome auf bestimmte, willkürlich gewählte Bereiche D betrifft, so können w i r uns das an einfachen Beispielen vergegenwärtigen. So ist z. B. „ D i e Sonne ist heiß" sicher ein invarianter Ausdruck und man kann ihm den Rang eines Proto-Axioms verleihen. D a aber die Wärme nicht i m Bereich D z. B.
5.2. Axiomatik und Struktur und die ïnvarÎanztfiesë
$39
der Newtonschen Physik liegt, so ist „ D i e Sonne ist heiß" kein ProtoA x i o m der Newtonschen Physik. Hingegen kann man „ A l l e Körper sind ausgedehnt" als ein Proto- Axiom der Newtonschen Physik ansehen, das übrigens wegen seiner Allgemeinheit auch i n anderen klassischen Theorien gilt. Es scheint daher die ganze Methode der Axiomatisierung, wenn sie proto-ontologisch und semantisch untermauert und mengentheoretisch gehandhabt wird, auf der arbiträren Selektion der Extension, i. e. des Bereiches D , und, was sich daraus ergibt, auf der arbiträren Selektion von Subjekt- und Prädikatsymbolen zu beruhen. Daß wissenschaftliche Theorien, Hypothesen und Hypothesenhierarchien einen eng gewählten Bereich haben, ist schon i n der Umgangssprache vorgebildet; die Gründe dafür sind offensichtlich i n einer gewissen Ökonomie der Erkenntnis und des Sidi-Verständlich-Machens zu suchen. Zusammenfassend stellen w i r fest, daß die gesamte Methode der Axiomatisierung auf folgenden operativ und operational semantischen Schritten beruht: 1. auf der arbiträren Selektion von Subjekt- und Prädikatsymbolen; 2. auf der Humeschen induktiven (statistischen) Invarianz i n 77?, über Z), gewisser Aussagen, i. e. von Aussagen, die stets i n gleicher Weise wiederkehren, welche Invarianz gleichzeitig eine Invarianz der betreffenden empirischen Bedeutung anzeigt (statistische Invarianz); 3. auf der Entstehung von operationalen Bedeutungen aus den (statistisch) invarianten Aussagen; 4. auf der sie begleitenden Termtrennung. Prinzipiell kann man sagen, daß jede beliebige Aussage i n Terme zerlegt werden kann, wie w i r dies schon feststellten. Für die operationale Bedeutung und die Axiomatisierung hingegen hat die Termzerlegung nur von der Stufe der invarianten Aussagen (welche w i r deswegen hier oft auch als Proto-Axiome auffassen) an Sinn. 5. Muß die Axiomatisierung und die Strukturabbildung i n einer mengentheoretischen Sprache vor sich gehen. D a w i r nun von einem Term a sagen, daß er operationale Bedeutung hat, wenn es für i h n gewisse (engere) invariante Konetxte b> c, d> . . . gibt, i. e. Kontexte, die stets in gleicher Weise wiederkehren — etwa „fallen zur Erde" für „ K ö r p e r " (und vice versa) — was einer Termzerlegung i n a und (invarianten) Kontext, b, a und (invarianten) Kontext c etc. gleichkommt, so können w i r auch sagen, daß die operationale Bedeutung auf die Mengenlehre abgebildet w i r d . M a n muß hierzu bedenken, daß man eine Mengentheorie, wie sie sich uns heute darbietet, auch i n eine mehr umgangssprachliche und nicht-formale Form bringen könnte; z . B . könnte man die Symmetrie und Transitivität von Relationen auch umgangssprachlich ausdrücken. Tatsache ist, daß die Formalisierungen der Mengentheorie i n ihrer heutigen Form die „kognitive Mathematisierung" 22*
340
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
vor allem dynamischer Strukturen, so ζ. Β. der Funktionentheorie, möglich gemacht haben. Die Mathematik wurde so in den letzten hundert Jahren in die Mengenlehre übergeführt; und es ist die Mengenlehre, die Strukturabbildungen i m Sinne dieses Buches möglich macht. 6. I n einem letzten Schritt w i r d die Axiomatisierung als eine Festlegung sowohl der invarianten operationalen Bedeutungen im Rahmen einer Theorie, als auch der strukturellen Invarianz, i. e. der invarianten Strukturen über D in Th angesehen. H i e r und nur hier w i r d die Invarianz nicht mehr statistisch gesehen, d. h. sie ist konventionell verbindlich hinsichtlich D und Th, aber nicht absolut hinsichtlich anderer Tb's und Dys, für die sie nicht gilt. Die axiomatische Methode ist daher sowohl eine operational semantische Methode als auch eine Methode der strukturellen Repräsentation und sie hat es mehr m i t dem strukturellen Aspekt der Geometrie als mit Logik zu tun. Dies ist bisher übersehen worden. Es ist nach all dem Gesagten klar, daß eine strukturelle Mengenlehre, die so umfassend ist, daß die gesamte Mathematik i n ihr ausgedrückt werden kann, dazu benützt werden kann, um den konstruktiven Oberbau einer strukturellen Ontologie zu formulieren, vorausgesetzt, daß die proto-ontologischen A n nahmen gelten. I n den Wissenschaften existieren für die strukturelle Repräsentation sprachlich-mathematische Repräsentationssysteme. N a t u r - und sozialwissenschaftliche, aber zum Teil sogar mathematische und logische Theorien haben von allem Anfang an statische und dynamische Strukturen empirischer Systeme mathematisch repräsentiert, wobei besonders die funktional-dynamischen Strukturen, wie die der klassischen Mechanik, der Quantenmechanik, der Thermodynamik und der klassischen M i k r o Ökonomie i m Vordergrund gestanden sind. Benützt man die Mengenlehre als Medium und als lingua universalis der Strukturrepräsentation, dann kann man leicht sehen, daß es auf dieser Stufe keinen prinzipiellen Unterschied zwischen ζ. B. semantischen und naturgesetzlichen Strukturen gibt, und daß auch statische Systeme m i t ihren invarianten Strukturen — besonders raum-zeitlichen — mengentheoretisch abgebildet werden können. Daneben gibt es für statische Systeme auch die bewährte Methode der geometrischen Repräsentation. W i r weisen darauf hin, daß w i r i m folgenden sowohl von der Repräsentation ζ. B. der empirischen Systeme als auch von der Repräsentation ζ. B. von Strukturdaten SD sprechen. W i r werden hier das Resultat erhalten, daß es m i t H i l f e mengentheoretischer Formalisierungen und der Axiomatisierung von Theorien
5.2. Axiomatik und Struktur und die Invarianzthese
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möglich ist, die Strukturabbildung und die Repräsentation ein-eindeutig zu machen, wobei w i r dieses Konzept der Ein-Eindeutigkeit m i t der These von der Invarianz der operativen Bedeutungen der Aussagen und der These von der Entstehung der operationalen Bedeutungen über jeweiligen Gebieten D und hinsichtlich jeweiliger (Kon-)Texte Th verschmelzen. Weiters können w i r auch sagen, daß audi die typisch logisdien tautologischen Umformungen auf operationalen Operationen, i. e. U m formungen operationaler Bedeutungen über den jeweiligen Gebieten D der jeweiligen Theorien Th, begründet werden können, und schließlich, daß die operationalen Bedeutungen in den Wissenschaften eine ontologisch begründbare Strukturinvarianz über den jeweiligen D der betreffenden Theorie anzeigen. Hauptsatz über Struktur und operationale Bedeutung. I n bestimmten festgelegten Sprachsystemen, die der Strukturrepräsentation dienen, nämlich in Theorien, welche über bestimmten Bereichen D gelten, können die Axiome derart formuliert werden, daß sie mittels des sprachimmanenten Gebrauches der Zeichen der Theorie Th deren operationale Bedeutungen und gleichzeitig die (theoretische [ n ] ) Struktur(en) über D festlegen. Unter die Invarianzthese (S. 319) und den obigen Hauptsatz, welche Ontologie und Semantik hinsichtlich Th und D verknüpfen, fallen ζ. B. raum-zeitliche Strukturen, resp. Axiome, ζ. B. die klassische Raum- und Zeitstruktur, die Kantsche Raum- und Zeitkonzeption etc. Andere solche Fälle sind kausale und behavioristische Strukturen, Handlungs- und Entscheidungsstrukturen, naturgesetzliche und regelartige Gesetzmäßigkeiten, aber letztlich auch die klassischen Booleschen Strukturen der Prädikatenlogik und, i m obigen Sinne, der Mengenlehre, wenn letztere einem bestimmten Th zugehören. Eine Folge der Invarianzthese und des Hauptsatzes über Struktur und operationale Bedeutung, i. e. der Äquivalenz von Struktur und operationaler Bedeutung ist es, daß sich historisch-genetisch, aber auch methodologisch die zwei semantischen Ebenen, die der operativen und die der operationalen Bedeutung, ausbilden müssen, was sinngemäß auch für die Umgangssprache gilt; diese zwei Ebenen können nun auch mittels der Axiomatisierung über D getrennt werden. W i r befinden uns hier jedoch jenseits des Gegensatzes von analytisch-synthetisch oder empirisch-logisch. Würde man nicht so vorgehen und z. B. nicht auf Th und D relativieren, dann würde man sofort dem Dogma des Empirizismus (Quine) verfallen, ein Dogma, das man auch ein Dogma des Piatonismus nennen könnte. Relativiert man z.B. im Rahmen einer Ontologie der Wissenschaften strukturelle oder seman-
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5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
tisdie Invarianzen nicht auf bestimmte Th's und D's, dann werden Logiksysteme, Naturgesetze, sogenannte analytische Ausdrücke usf. sehr leicht platonistisch aufgebläht und erweitert, d. h. als gültig i n allen möglichen Welten und zu allen Zeiten angesehen. Allerdings setzte schon i m vorigen Jahrhundert eine erfolgreiche Entplatonisierung (Entmythologisierung) der Naturgesetze ein, d. h. ihre Relativierung auf Tb's und D's. Es folgte in diesem Jahrhundert die Entplatonisierung der Logik, ein Prozeß, der jedoch noch nicht abgeschlossen ist. So ist es wohlbekannt, daß die einst als ausnahmslos gültig angesehenen klassischen Naturgesetze heute auf klassische Gebiete, i n denen das TCP-Theorem 8 gilt, eingeschränkt wurden. I n der Logik ist eines der überzeugendsten Beispiele für eine Entplatonisierung die Umwandlung der von Cantor und Frege i m platonistischen Geiste erbauten Mengenlehre i n ein Hilfsmittel der Strukturrepräsentation (Bourbaki). Mathematische und logische Entwicklungen wie die Typentheorie (Russell, Ramsey, Chwistek), die Stratifikation (Quine), die selektiven Beschränkungen, welche durch eine einschränkende Axiomatik der Mengenlehre auferlegt wurden, z. B. Zermelos, Neumanns, Fränkels, Bernays' und Hermes' Axiomatisierungen der Mengenlehre, die finite und rekursive Begründung der Mathematik sind alle Entplatonisierungen, die zur stets besseren Repräsentation empirischer Strukturen geführt haben, sei es i n klassischen oder statistischen Gebieten, i n der Quantentheorie oder i n der Entscheidungstheorie. H i e r w i r d diese Tendenz durch die proto-ontologische Vorordnung der empirischen Systeme vollendet. Demnach sind die Ergebnisse von Mengenund Klassenabstraktionen keine Begriffe i m herkömmlichen Sinn, sondern bloß (statistisch) invariante Strukturen über bestimmten D's und hinsichtlich bestimmter Th ys, welche zusätzlich von den Axiomen als invariant (ohne „statistisch") festgelegt werden können. M a n kann sagen, daß die diversen Grundlagenkrisen das Resultat von periodisch auftretenden Verplatonisierungen sind, die nichts anderes als ein Verlust an ontologischem und damit auch an semantischem Gehalt sind. Die Rückkehr zu den ontologischen und semantischen Fundamenten der Mengenlehre macht aus einer platonischen Mengenlehre eine, die der Repräsentation der Wirklichkeit dienen kann, und zwar am besten dann, wenn die Wirklichkeit proto-ontologisch mit H i l f e der Systemtheorie vorgeordnet wird. Schon die Typentheorie und die Theorie der Stratifikation können als Strukturabbildungen der ontologischen Teil-Ganzes- oder der Subsystem-System-Supersystem-Hierarchie gesehen werden. 8
Ford, S. 916 f.
5.2. Axiomatik und Struktur und die Invarianzthese
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W i r wenden uns nun der Erörterung des Hauptsatzes zu, nach welchem Axiome derart formuliert werden können, daß sie mittels des sprachimmanenten, ζ. B. mengentheoretischen Gebrauches der Zeichen deren operationale Bedeutung und gleichzeitig die (theoretische[n]) Struktur(en) über D festlegen. Ζ . B. legt die Axiomatisierung eines metrischen Raumes dessen invariante euklidische Struktur über De i n 7h* mittels des Prädikates „d" („Abstand") und des Subjekttermes „ P " , bzw. „ x " , „ y , „ z " fest, wobei x, y, z G Ρ, und zugleich die operationalen Bedeutungen von „ d " , „x" usf. W i r können damit sagen, daß ein Axiomensystem u. a. auch als die operationale Semantik einer Theorie angesehen werden kann. Eine Axiomatisierung als die Bedeutungsfestlegung für Terme eines Kontextes 7h ist durch das Vorhanden-Sein einer Cartesischen semantischen Funktion für Paare, Tripel und n-tupel von Subjekts- und Prädikatstermen (-phrasen) aus der jeweiligen Theorie gegeben, welche die operationale Verträglichkeit von Subjekt und Prädikat i n 7h über D definitorisch ausdrückt. Es muß folgende Bedingung erfüllt sein: Bedingung. Die Axiome legen i n ein-eindeutiger Weise fest, welcher Subjektterm (-phrase) zu welchem Prädikatterm (-phrase) gehört, vice versa, und weiters, i n welcher Weise Subjekt und Prädikat verknüpft werden sollen (Cartesische semantische Funktion der Axiome). W i r sehen aus dem folgenden einfachen Beispiel, daß auch Terme verwendet werden, deren operationale Bedeutung als bekannt vorausgesetzt wird, ζ. B. „ 0 " . Die Axiome geben uns also an, welche Subjekte m i t welchen Prädikaten zu Propositionen öder Aussagen zusammentreten können. Diese semantische Funktion ist offensichtlich außerordentlich wichtig, viel wichtiger als die angeblich so wichtige logische Funktion der Axiome. Es geht also, linguistisch gesehen, einfach darum, den Subjektterm oder die Subjektphrase als Kontext für den Prädikatterm oder die Prädikatphrase zu etablieren, vice versa. Es folgt nun als ein Beispiel die Axiomatisierung des metrischen Raumes, d. h. die zulässigen Kombinationen von „d" und „ x " , „ y " , „ z " ( „ P " ) , etc. 1. d(x,y) >0;d(x >x) = 0; 2. d(x,y) = d(y,x); 3. d (x 9 z) .y χ " vorkommen; es werden molekulare Aussagen und Propositionen nach A x i o m 2 i n Th p über Dp zugelassen, wobei auch A x i o m 2 operativ
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5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
(semantisch) invariant ist und die operationalen (Teil-)Bedeutungen der in ihm vorkommenden Terme definiert. Die Äquivalenz von (semantisch) operational und strukturell folgt aus der Festlegung des Gebrauchs der Terme in A x i o m 2. 3. Vxy & Vyz
Vxz.
Strukturell: Γ sei eine transitive Gleichheitsrelation, oder Trans(V). (Semantisch) Operational gelte, mutatis mutandis, das oben über den Kontext Gesagte; und es seien molekulare Propositionen und Aussagen, die obigem Schema folgen, über Dp i n Th p zugelassen. A x i o m 3 sei operativ (semantisch) invariant und lege die operationalen (Teil-)Bedeutungen der i n ihm vorkommenden Terme definitorisch fest. Die Äquivalenz von (semantisch) operational und strukturell folgt aus dem in A x i o m 3 festgelegten Gebrauch der Terme. 4.
P'xyòcP'yz-+P'xz
.
Strukturell: Ρ ' sei eine transitive, reihenbildende Relation oder Trans(P') über Dp i n Th p. Semantisch operational: Es gelte sinngemäß das über A x i o m 1 und 2 Gesagte; es seien molekulare Propositionen und Aussagen, die obigem Schema folgen, über Dp i n 7h p zugelassen. A x i o m 4 sei operativ (semantisch) invariant und definiere die operationalen (Teil-)Bedeutungen der in ihm vorkommenden Terme. Die Ä q u i valenz von (semantisch) operational und strukturell folgt aus dem in A x i o m 4 festgelegten Gebrauch der Terme. 5. P fxy ν P'yx ν Vxy. Strukturell: P ' und Γ seien exklusiv. Semantisch operational: es gelte sinngemäß das über A x i o m 1 und 2 Gesagte; es seien molekulare Propositionen und Aussagen, die obigem Schema folgen, über Dp i n 7h p zugelassen. A x i o m 5 sei operativ (semantisch) invariant und lege die operationalen (Teil-)Bedeutungen der in i h m vorkommenden Terme fest. Die Äquivalenz von (semantisch) operational und strukturell folgt aus dem in A x i o m 5 festgelegten Gebrauch der Terme. Außerdem muß hinsichtlich der Bedeutung bei allen Axiomen die Semantembedingungen eingehalten werden. Tautologisches Umformen und deduktive Ableitungen sind matisch der These von der semantischen Invarianz unterworfen, und nur wenn für die theoretischen Wissenschaften gilt, daß i n ausschließlich mathematisch auf Basis funktionaler Abhängigkeiten
autowenn ihnen dedu-
5.2. Axiomatik und Struktur und die Invarianzthese
347
ziert wird. H i e r fällt auf, daß ja audi schon die Proto-Axiome operativ invariant sind, und daß sie daher operationale Bedeutungen erzeugen. Der Unterschied liegt hier darin, daß die semantische Invarianz der Axiome nicht statistisch ist, sondern daß die Axiome konventionell diejenigen operationalen Bedeutungen festlegen, die — zumindest zum Teil — auch aus statistisch invarianten Aussagen induktiv gewonnen werden können, über D, i n Th. A n H a n d der vorhergehenden und der folgenden Beispiele kann man nun die Funktion des Repräsentierens durch ein sprachliches Repräsentationssystem oder -schema erklären. W i r werden es hier nur m i t einem schematischen Modell zu tun haben, das aber doch alle Züge und alle Arten von Strukturrepräsentationen, wie z . B . qualitative und quantitative (numerische) Messungen, wie w i r sie i n den kognitiven und realisierenden Wissenschaften finden, aufzeigt. W i r setzen hier die Annahmen der Proto-Ontologie und die Regeln der operativen und operationalen Semantik voraus, und besonders auch den Satz über die Termtrennung (S. 334), nach welchem Strukturbeschreibungen SB in Strukturdaten SD umgewandelt werden. W i r definieren nun: Definition 7. E i n wissenschaftliches sprachliches Repräsentationssystem, oder, i n unserem Falle, ein schematisches Modell eines sprachlichen Repräsentationssystems für empirische Strukturen, bestehe aus mindestens zwei sprachlichen Subsystemen, der empirischen Sprache LE, die die Strukturdaten SD, welche aus empirischen Aussagen oder Strukturbeschreibungen SB durch Termtrennung gewonnen wurden, enthält, und aus LT, resp. K, dem axiomatisiertem Kern einer Theorie. Es ist klar, daß man die Strukturdaten, die durch Axiome repräsentiert werden sollen, den invarianten (statistisch invarianten) empirischen Aussagen oder Proto- Axiomen entnimmt. Der axiomatisierte Kern, K , w i r d vom strukturellen Standpunkt aus als eine komplexe Struktur STR gesehen. STR oder Κ gehören also der rein theoretischen Sprache LT an. SD (oder eine Menge von solchen, resp. ein komplexes Strukturdatum, das aus dieser Menge gebildet w i r d [Definition 2 ] ) und STR bilden daher ein geordnetes Paar, (SD, STR). SD und STR formen zusammen einen Morphismus; i n unserem Falle heißt das, daß SD auf STR strukturell abgebildet wird, oder daß SD durch STR repräsentiert wird, oder daß STR durch SD interpretiert wird. W i r fassen also unter „Morphismus", einer Verallgemeinerung von komplexen Semantemen, homomorphe und isomorphe Abbildungen zusammen. Die Repräsentationsfunktionen können w i r m i t ,,ρι, ρ 2 , . . . , Q n " und ,,ρ' 1 } ρ ' 2 , · . . , ρ Υ ' , resp. einfach m i t ,,ρ" und „ ρ " '
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5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
bezeichnen. ,,ρ" beziehe sich auf Repräsentationen der Empirie auf die Sprache, und ,,ρ' κ auf Repräsentationen von Sprache auf Sprache, d. h. hier auf homomorphe oder isomorphe Abbildungen ζ. B. von LE auf Z^. Es ist klar, daß „ ρ " eine operativ semantische Entsprechung hat, nämlich „ / " oder „ r " , und ,,ρ'" eine operational semantische Entsprechung, nämlich „ / / " oder „ / " . Die Interpretationsfunktionen nennen w i r entsprechend „Oi, o 2 , . . . , o n " und ,,σ'ι, o' 2 , . . o ' n " . Es ist klar, daß man das obige geordnete Paar auch als Tripel schreiben könnte, „ ( S D , ρ', STR)". D a gewisse Repräsentationen Abbildungen sind, können w i r ζ. B. auch schreiben: „ S D — • STR". W i r können m i t Suppes, Adams und Sneed daher eine Theorie auch als ein Tupel (Κ , Int) ansehen, wobei „Int" für „Interpretation" stehe. Definition 8. Es gibt ein Schema oder schematisches Modell eines sprachlichen Repräsentationssystems, (SD, STR), wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. STR ist eine einfache oder komplexe Struktur, die ganz aus Termen einer strukturellen Mengenlehre besteht, wobei STR hier nichts anderes als der strukturell betrachtete Axiomensatz ist. 2. SD sind empirische Strukturdaten, die entsprechend den Annahmen der Proto-Ontologie und der ihr zugehörenden operativen Semantik geformt sind. Ζ . B. ist „(Si, S 2 , . . . , Sn; Bu B2, ..., Bm)" ein Strukturdatum SD. D a die invarianten Aussagen und Proto-Axiome LE angehören, so ist es klar, daß auch die aus ihnen durch Termtrennung gewonnenen Strukturdaten SD LE angehören müssen. 3. Falls Axiome und aus ihnen abgeleitete Theoreme als in der W i r k lichkeit gültig erwiesen werden können, dann müssen i n LE Aussagen vorhanden sein, deren operativ semantische (ontologische, empirisch deskriptive) Matrizen den operationalen Matrizen der Axiome und Theoreme ähnlich sind, d. h. die entsprechenden operativen und operationalen Matrizen müssen verträglich sein. 4. Strukturell gesehen muß zwischen den axiomatischen Eigenschaften der Relationen i n LT und den Beziehungen in den Systemen, resp. den Systemereignissen und -zuständen eine direkte Strukturaffinität bestehen, welche in den Axiomen zum Ausdruck kommt. So haben ζ. B. dann Relationen und (empirische) Beziehungen dieselben Eigenschaften. 5. Die Axiome müssen so formuliert sein, daß, wenn die Bedingungen 1 - 4 erfüllt sind, die Interpretation von LT durch LE, resp. von Κ
5.2. Axiomatik und Struktur und die Invarianzthese
349
durch Int als eine Konsequenz der Bedingungen 1 - 4 aufscheint, und daß sie optimal Erkenntnis vermitteln. Anmerkungen. Die Bedingung 1 trennt rein formal die mengentheoretische Sprache des axiomatisierten Kernes, Κ , von der empirischen Sprache LE . Daher kann man i n axiomatisierten, mengentheoretisch formulierten Theorien scharf zwischen den operationalen Bedeutungen des axiomatisierten Kernes, Κ , und den operativen Bedeutungen der empirischen Basissprache unterscheiden. Bedingung 2 führt die Termtrennung als Vorbedingung der Strukturrepräsentation ein, Bedingung 3 stellt fest, daß die Interpretation auf der Ähnlichkeit von operationalen und operativen (ontologischen, empirisch deskriptiven) Matrizen beruht. Bedingung 4 schließlich führt die Affinität von Strukturen als Basis ζ. B. des ontologischen Strukturvergleiches ein. Die sonst üblichen Kriterien der Wissenschaftstheorie, ζ. B. daß eine Theorie gut bestätigbar sein soll, sind implizit in obigen Bedingungen enthalten; sie können später spezialisiert werden, ζ. B. indem man auch Voraussagen, die nur zu 99 %> bestätigt sind, als akzeptabel zuläßt, ζ. B. nach Hintikkas „acceptance"-Theorie. Ein sprachliches heuristisches Repräsentationssystem, wie es hier schematisch und modellartig entworfen worden ist, sieht folgendermaßen aus, wenn man es zum Gegenstand einer Anweisung zur Theorienkonstruktion macht: 1. beschreibt man in der empirischen Sprache LE die empirische Rohstruktur, wobei alle proto-ontologischen und alle operativen semantischen Regeln eingehalten werden müssen. So erhält man Aussagen SB, die man i n Strukturdaten SD verwandeln kann, wenn dies im Interesse des Wissenschaftlers liegt. 2. sammelt man invariante Aussagen und stellt Proto-Axiome auf; diese müssen wegen ihrer mengentheoretischen Formulierung in Strukturdaten SD zerlegt werden. M a n kann hier ζ. B. eine Gesellschafts- oder Sozialphilosophie semantisch analysieren, d. h. in ihr nach invarianten Aussagen und Proto- Axiomen suchen. H a t man diese aufgefunden, dann kann man darangehen, aus dem philosophischen System eine Theorie zu entwickeln, die natürlich dann an der Empirie überprüft werden muß 9 . Bei der Theorienkonstruktion folgt Schritt 2 ein dritter Schritt, in welchem die mengentheoretisch umformulierten Proto-Axiome (oder auch die invarianten Aussagen) dazu benützt werden, ein mengentheoretisches Modell, den Kern Κ , zu entwerfen. Die so erhaltene mengentheoretische Struktur muß man an 9
W. Leinfellner (Marx).
350
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
der Wirklichkeit i n D überprüfen, d . h . man muß eine isomorphe Abbildung zwischen SD und STR herstellen, welche mengentheoretischmathematisch garantiert werden muß. Die Interpretation Int des A x i o mensystems — ausgedrückt i n LE — muß empirisch garantiert werden, indem man die Interpretation Int gemäß den Regeln der operativen Semantik und unter Berücksichtigung der proto-ontologischen Voraussetzungen kritisch an der Empirie überprüft. Es mag auffallen, daß w i r hier nur von Axiomen sprechen, aber nicht von LT. Dies rührt daher, daß w i r hier von qualitativen Theorien handeln. Qualitative Theorien enthalten i n LT bloß Axiome, und nicht noch zusätzliche mathematische Gleichungen etc., wie dies bei quantitativen Theorien der Fall ist. Ganz allgemein w i r d i n der Praxis die Güte einer Theorie meist dadurch charakterisiert, daß man feststellt, ob gewisse ausgezeichnete Aussagen (Gesetze), an denen der Wissenschaftler von Anfang an interessiert war, gut bestätigt sind. Diese Aussagen können von allem Anfang an auch die Auswahl der Systeme aus D beeinflußt haben. Es sei betont, daß die kognitive Repräsentation von empirischen Strukturen hier nicht so gesehen w i r d , daß sie etwas ist, das sich in unserem Bewußtsein abspielen muß; sondern sie ist etwas, das sich i n der wissenschaftlichen Sprache abspielt. Das Bewußtsein kann diese sprachliche Repräsentation begleiten, reicht aber zur wissenschaftlichen Repräsentation alleine nicht aus. Anstelle von empirischer Erfahrung und begrifflicher konzeptualistischer Komponente, die K a n t als die zwei Wurzeln unseres Wissens ansah, haben w i r hier die empirische Erfahrung, niedergelegt i n LEy und LT und zwei Semantiken oder Ebenen der Semantik, die operative und die operationale. Zusammenfassung. M a n kann dieses Kapitel als die Explikation einer Humeschen Semantik ansehen. Haben w i r uns auf ein Gebiet der Welt, D, und auf einen Kontext Th, bzw. die Aufstellung eines solchen geeinigt, dann sammelt man strukturelle Beschreibungen SB und findet heraus, welche Aussagen strukturell und operativ (semantisch) invariant sind. Weiters stellt man u. U . Proto-Axiome auf, die entweder invariante Aussagen sind oder aus solchen gebildet werden. Dies ist die typische Humesche Phase der induktiven Aufstellung des Wissens, die — mit Aristoteles — auf das „Meistens" geht. Die Humesche Semantik t r i t t dadurch i n A k t i o n , daß die statistisch invarianten Aussagen die operationalen Bedeutungen der in ihnen enthaltenen Terme aufbauen. Die
5,3. Extraktion eines Textes
351
theoretische Nachkonstruktion des Aufbaues der operationalen Bedeutungen erfordert eine Termtrennung und eine Termtrennung w i r d audi gefordert, sollen die invarianten Aussagen und Proto-Axiome aus LE mengentheoretisch als Axiome formuliert werden. Diese Termtrennung hat ontologisch jedoch nur dann Sinn, wenn das Gebiet D proto-ontologisch i n unserem Sinne vorgeordnet worden ist. Die Axiome definieren i n ein-eindeutiger Weise sprachimmanent, ζ. B. mathematisch oder mengentheoretisch, wie die durch Termtrennung getrennten Terme, bzw. deren Substitute i n Ly, als operationale und (nicht-statistisch) invariante Aussagenschemata wieder zusammengesetzt werden können (zusammenfügende semantische Funktion der Axiome). H i e r t r i t t die schon genannte wissenschaftliche Ökonomie der Axiome hervor: die Axiome definieren einerseits theoretisch die Struktur über D — vorausgesetzt, daß w i r tatsächlich invariante Aussagen aufstellen konnten — andererseits legen sie die operationalen Bedeutungen der Theorie fest, d. h. sie sind de facto die operationale Semantik der Theorie. Ohne die Invarianz bestimmter Aussagen, oder, wie man dies wissenschaftstheoretisch ausdrückt: ohne gut bestätigte Aussagen gerät das ganze System ins Schwanken. (Vgl. auch S. 263 für den Fall von falschen statistisch invarianten Aussagen.)
5.3. E x t r a k t i o n eines Textes Ein Hauptproblem der strukturellen Ontologie, wie auch der Wissenschaftstheorie ist die Frage, was eine Struktur sei. W i r wollen hier nicht auf die Strukturphilosophie von W . Wundt, E. Titchener, W . James, F. Galton und der Gestalttheoretiker M . Wertheimer, W . Köhler, K . Koffka und K . Levin eingehen, noch auf den Strukturalismus. Sondern als eine Struktur sehen w i r hier eine Anordnung von Teilen an, die, vom empirischen Standpunkt aus, eine (statistisch) invariante empirische Anordnung von empirischen Teilen ist. Systemtheoretisch ist eine empirische Struktur eine Konfiguration von Systemen, Teilsystemen, Elementen und zwischen ihnen herrschenden Beziehungen. Die Aufstellung der theoretischen Strukturen beginnt damit, daß man invariante empirische Aussagen sammelt, i. e. Aussagen, die in derselben Weise wiederkehren und die dadurch die operationalen Bedeutungen der in ihnen enthaltenen Terme erzeugen. W i r nennen solche invariante (statistisch invariante) Aussagen i m Rahmen dieses Kapitels „ProtoAxiome", resp. nehmen an, daß solche Aussagen die Basis von ProtoAxiomen abgeben können.
352
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
M a n kann das Entstehen der operationalen Bedeutungen aus (statistisch) invarianten Aussagen, i. e. Aussagen, die immer wieder auftreten und die die gleichen (zu einem hohen Grade ähnlichen) empirischen Bedeutungen aufweisen, sehr leicht an einem Beispiel zeigen, das sich anderen Beispielen dieses Buches anschließt. W i r nehmen hier das Beispiel der Verwandtschaftsbeziehungen, wie es von Woodger und Carnap 1 0 formalisiert worden ist. W i r fügen hier gleich hinzu, daß unsere A u f fassung von derartigen Axiomensystemen, die w i r i n unserem Sinne als „empirische" bezeichnen könnten, von der Carnapschen logischen A u f fassung abweicht, wie dies i m folgenden noch diskutiert werden wird. W i r verwenden i m folgenden die Prädikate „Elter α für die Elternrelation, „Ml" für „männlich (in bezug auf Menschen)". Weiters verwenden w i r „Mensch", „Wl" für „weiblich (in bezug auf Menschen)", „ V " für „ V a t e r " , „M" für „ M u t t e r " , „Vf " für „Vorfahre" und „Nk" für „Nachkomme", „Gatte" und „Gattin" (beide i m biologischen Sinne, i. e., daß sie Eltern eines Kindes sind) und „Kind". I n den folgenden Formulierungen finden sich auch einstellige Prädikate, welche w i r als Abkürzungen von zumindest zweistelligen betrachten. W i r behalten daher unsere Relativ-Schreibweise bei und stellen fest, wobei a, b,c G N: (Ν; M, Elter, Wl, Vf, Nk, Kind, Gatte, Gattin, Ml, Mensch , V ) sei (habe) eine Verwandtschaftsstruktur i n T h über D , wenn folgendes gilt: Dl. M (a, b) = def Elter (a, b) & Wl (a). D2. Vf (a, b) = def Elter >° (a, b), d. h. es besteht eine endliche (positive) Potenz von Elter zwischen a und b, und w i r nennen diese „Vf". D 3. Nk (a, b) = def Kind >°\a, b). D 4. Gatte (a, b) = def (Ec) (V (a, c) & M (b, c)). D 5. Gattin (a, b) = def Gatte (b, a). H i e r findet sich nun bei Carnap der interessante Passus, der eigentlich gar nicht vorkommen dürfte: „Einige Theoreme ergeben sich schon aus den genannten Definitionen, noch bevor w i r Axiome aufstellen; diese Theoreme sind somit beweisbar durch die Regeln der Grundsprache... und daher L - w a h r . " Derartige Theoreme sind: Τ 1. Mensch (a) = Ml (α) ν Wl (a). 10
Carnap (Logik), S. 221 -223.
353
5.3. Extraktion eines Textes
Jeder Mensch ist also nach Τ 1. entweder männlich oder weiblich, und umgekehrt. W i r müssen hier hinzufügen, daß die obigen Definitionen nicht vollständig sind; der Rest der benötigten Definitionen findet sich bei Carnap a. a. Ο., sie sind aber für unsere Erörterungen unwichtig. Τ 2. Elter (a y b) = V (a y b)vM
(a y b).
Nach Τ 2. ist also ein Elter von jemandem entweder dessen Vater, oder dessen Mutter, und umgekehrt. Τ 3. ~ (Ed) (Ml (a) & Wl (a)) y d. h. männlich und weiblich schließen sich aus, und daher auch Vater und Mutter: T4. ~ (Ed) (E b) (V (a y b)ôcM (a, b)). Τ 5. Gatte ( a, b)
~ Gatte (b y a)y
d. h. Gatte ist asymmetrisch; dies gilt auch für Gattin, beide Relationen auch irreflexiv.
und daher sind
Bei Carnap folgen jetzt erst die Axiome, und zwar: Al.
V(a }c)&V(b,c)->a
= b.
Die Relation Vater hat also zu jedem Zweitglied nur ein Erstglied, d. h. sie ist voreindeutig, d. h. jeder hat nur einen biologischen Vater. A 2. M ( a, c) & M (b y c)
a = b,
d. h. die Relation Mutter hat zu jedem Zweitglied nur ein Erstglied, d. h. sie ist voreindeutig, d. h. jeder hat nur eine biologische Mutter. A3. ~Vf (xx), d. h. Vf ist irreflexiv, d. h. niemand ist sein eigener Vorfahre. Aus A 1. und A 2. folgt, daß jeder höchstens zwei Eltern hat, und daß, wenn jemand zwei Eltern hat, diese sein Vater und seine Mutter sind. Aus A 3. folgt, daß die folgenden Relationen irreflexiv und symmetrisch sind: Vorfahre, Elter, Vater, Mutter, Nachkomme, K i n d , Sohn, Tochter und die Potenzen der genannten Relationen, wie Großeiter, Großgroßeiter, Großvater usf. Die sich nun unmittelbar ergebenden Fragen sind: Ist die Stelle aus Carnap, die w i r zitiert haben, korrekt? Sind die Axiome wirklich, wie es allgemein angenommen wird, rein logischer Natur? Benötigen w i r wirklich die Kenntnis der Beweistheorie, um die Theoreme zu folgern, und letztlich dazu, um zu wissen, was eine Verwandtschaftsbeziehung ist? 23 Leinfellner
354
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
Ist es also wahr, daß, gemäß der logisdien Auffassung, die Ableitung der Theoreme eine rein logische Deduktion sein muß, und daß keine Kenntnisse aus einem empirischen Bereich D einer Theorie oder einem empirischen Bereich i m allgemeinen verwendet werden dürfen, außer denen, die in den Axiomen ausgesprochen werden? Dürfen w i r erst dann axiomatisieren, wenn w i r die zugrundeliegende Logik und die Regeln des Schließens formal erlernt und bewältigt haben? Wenn die reine Logik wirklich eine von allen empirischen Elementen und Einflüssen freie Logik ist, wie kommen w i r dann mit H i l f e einer solchen Logik zur Erkenntnis der empirischen Welt? Sind w i r hier unvermutet auf eine „black box" gestoßen, wo man auf der einen Seite die Informationen einfüttert und auf der anderen Seite die Erkenntnis der Wirklichkeit fertig verpackt herauskommt? Ist es wahr, daß die Logik, und nach Einstein auch die Mathematik, bloß aus tautologischen Umformungen besteht? Ist man hier in eine ähnliche Situation geraten, wie sie Gentzen beschreibt: „ M e i n erster Gesichtspunkt war folgender: Die Formalisierung des logischen Schließens, wie sie insbesondere durch Frege, Russell und Hilbert entwickelt worden ist, entfernt sich ziemlich weit von der A r t des Schließens, wie sie in Wirklichkeit bei mathematischen Beweisen geübt w i r d 1 1 . " U n d was sollen w i r von der auffälligen Carnapschen Formulierung halten, daß einige Theoreme bereits aus den Definitionen folgen, so z. B. das Theorem T l . , nach welchem jeder Mensch entweder männlich oder weiblich ist? Dies soll also logisch wahr, d. h. in allen Welten gültig sein, wo es dodi schon, wie aus der Medizin bekannt, nicht einmal für diese unsere Welt immer vollständig entschieden werden kann, ob ein Mensch weiblich oder männlich ist. Müssen w i r dann die Logik den empirischen Umständen anpassen, oder sollen w i r sagen, daß nicht sein kann, was logisch nicht sein darf? V o n dem hier vertretenen Standpunkt aus wäre es wesentlich günstiger, derartige „empirische" Axiomensysteme als Systeme von Proto-Axiomen aufzufassen, das sind Axiome, die m i t unseren invarianten Aussagen über D gleichzusetzen oder aus solchen gebildet sind. M a n kann dann auch gewisse Definitionen und Theoreme als solche Proto-Axiome oder (statistisch) invariante Aussagen betrachten. W i r lassen Axiomensysteme erst zu, wenn bereits eine Theorie vorhanden ist, und wenn das Axiomensystem mengentheoretisch formuliert werden kann. W i r brauchen dann audi nicht an der Forderung festzuhalten, welche Carnap folgendermaßen formuliert: „Eines der wesentlichen Merkmale einer Axiomati11
Gentzen, S. 166, vgl. auch S. 166 ff.
5.3. Extraktion eines Textes
355
sierung i m modernen S i n n . . . besteht darin, daß die Deduktion der Theoreme nicht von der Deutung der axiomatischen Zeichen Gebrauch macht. Jedes Theorem ist von den Axiomen L - i m p l i z i e r t 1 2 . " Der hier vertretene semantische Standpunkt löst das Problem viel einfacher: W i r benötigen bloß die Kenntnis der invarianten Aussagen und deren operativen Bedeutungen über den Gebieten D i n den jeweiligen Kontexten, sowie Kenntnis davon, wie diese Bedeutungen zustande gekommen sind. Dann genügen die Regeln der operativen und auch der operationalen Semantik. Die Semantik ist demnach die grundlegende Disziplin, und nicht die Logik. Beim Carnap-Woodgerschen Axiomensystem kommt noch hinzu, daß es auch einstellige Prädikate enthält, welche nach unseren systemtheoretisch proto-ontologischen Annahmen nicht zugelassen sind, oder als Abkürzungen von zumindest zweistelligen betrachtet werden müssen, wie gesagt. Was geschieht nun, wenn man ζ. B. das Carnap-Woodger sehe A x i o mensystem semantisch betrachtet, d. h. es — i m Rahmen von entsprechenden Semantemen — als etwas betrachtet, in dem sich aus invarianten Aussagen operationale Bedeutungen gebildet haben, die derart festgehalten werden — immer hinsichtlich der Bildung entsprechender Semanteme. Sehen w i r uns einmal das Theorem 1. an, das aus gewissen Definitionen deduktiv folgen soll. D a „Ml", das für „männlich in bezug auf Menschen", oder, wie Carnap sagt, für die Klasse der männlichen Menschen stehen soll, ein Undefiniertes Grundzeichen sein soll, genügt die operationale Bedeutung von „nicht männlich" i n D 6., plus einer „oder"Verbindung, wie w i r dies im folgenden noch sehen werden: D 6. Wl (a) =
def
Mensch (a) & - Ml (a).
Sehen w i r uns das Grundzeichen und D 6. an, dann sehen w i r , daß w i r T l . eigentlich gar nicht brauchen, resp. nicht eine logische Ableitung von Τ 1. Denn aus der Bedeutung des Grundzeichens plus der Bedeutungsfestlegung in der Definition ergibt sich, daß schon hier die menschliche Rasse in weibliche und männliche Mitglieder zerfällt, und obendrein, daß sich diese ausschließen, was bei Carnap in Τ 3. abgeleitet wird. Viel natürlicher ist die semantische Lösung: Es gibt gewisse invariante Aussagen, die w i r „Proto-Axiome" nennen, und die w i r i n diesem Falle entweder der Umgangssprache oder dem Carnapschen Text entnehmen. Man kann dann obige Definition von „W7" als ein solches Proto- Axiom ansehen, aber es kann auch ohne weiteres ein eigenes korrespondierendes 12
23*
Carnap (Logik), S. 174.
356
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
Proto- Axiom für „ M l " geben. W i r bezeichnen nun i m folgenden operativ invariante Semanteme m i t „Sem", wobei die einzelnen primitiven operativen Semanteme (vgl. S. 289) semly sem2, ..., semn G Sem. Durch Termtrennung erhalten w i r aus der als Proto- Axiom gesehenen Definition 6 und einem äquivalenten Proto-Axiom für „Ml" (z. B.) zwei Hauptgruppen von invarianten operativen Semantemen, Sem („Mensch") einerseits, und die sich ausschließenden Sem ( „ [ i s t ] weiblich") und Sem ( „ [ i s t ] männlich") andererseits; w i r könnten auch noch die negierten Formen „nicht männlich", „nicht weiblich" anführen. Es ist zu beachten, daß w i r hier vom Standpunkt der operativen und operationalen Semantik aus sprechen, nicht v o m Standpunkt der Logik. D a w i r nun hier an der Schwelle des Überganges vom invariant Operativen zum Operationalen stehen, können die zwei obigen Gruppen von operativ invarianten Semantemen Sem gegeneinander ausgetauscht werden, was einer semantischen Äquivalenz gleichkommt, relativ zu T h und D; Sem („Mensch") = Sem ( „ [ i s t ] weiblich") Sem („Mensch") = Sem ( „ [ i s t ] männlich"). Es ist dann klar, daß Sem („Mensch") = Sem ( „ [ i s t ] weiblich") U Sem ( „ [ i s t ] männlich"). Dies kann man umformen zu Sem („Mensch") = Sem ( „ [ i s t ] weiblich") ν Sem ( „ [ i s t ] männlich"), womit w i r auf semantischem Wege bei T l . angelangt sind. A u f ähnlichem Wege erhalten w i r ζ. B. Sem („Elter") = Sem („Vater") U Sem ( „ M u t t e r " ) , resp. Sem („Elter") = Sem („Vater") ν Sem ( „ M u t t e r " ) , wobei Sem („Elter") c Sem („Mensch"). W i r weisen darauf hin, daß auch i n linguistischen Semantiken unter den obigen Umständen Formulierungen mit „oder" verwendet werden. Ist nun dieses Stadium der operativen Invarianz i n Th über D erreicht, dann steht der Bildung eines operationalen Semantems — w i r können es „Sem!" nennen — nichts mehr i m Wege: („männlich" ν „weiblich", r „Mensch"), wobei „männlich" und „weiblich" semantische Merkmalszeichen sein können. Tatsächlich kann man derart alle Theoreme aus invarianten Aussagen, resp. Proto- Axiomen erhalten, wenn und nur wenn
5 . Extraktion eines Textes
357
die operativen Bedeutungen der Grundterme i n operativen Semantemen festgelegt worden sind, und wenn auf Basis der (statistisch) invarianten Aussagen die operationalen Bedeutungen i n Th über D gebildet und in operationalen Semantemen festgehalten worden sind. W i r wollen nun eine formale, graphentheoretisch-mengentheoretische Teilaxiomatisierung einer speziellen Nachkommenrelation i n LT geben, welche deren Baumstruktur axiomatisch festlegt. ( Ν; Nk) weist die Teilstruktur einer speziellen Nachkommenrelation auf, wenn für a0, a,b9... aus Ν folgende Bedingungen gelten: Al. ist finit. A 2. Nk ist irreflexiv, d. h. ~ Nk ( α, a). A 3. Nk ist konnex. A 4. Es gibt nur einen Punkt in Ν, sagen wir a0i so daß sein „Eingangs"grad (indegree) 0 ist, i (a 0 ) = 0. A 5. Für jeden Punkt a,b,... Φ a0 ist i ( a), i (b),... = 1. A 6. Für jeden Punkt a0, a, b, . . . ist der „Ausgangs"grad (outdegree) 2: ο (a 0 ), ο (α), ο (b),... = 2. Es ist klar, daß w i r hier nur stets von je einem Nachkommen sprechen und daß die je zwei Kanten, die von einem Nachkommen wegführen, die Relation Vater und die Relation Mutter sind (V und M). Würde es ein „cloning" auch für Menschen geben, dann wäre der Ausgangsgrad stets 1. Würde man das Axiomensystem rein logisch auffassen, so müßte man dann die Logik ändern, wodurch ihre Gültigkeit in allen möglichen Welten aufgehoben wird, d. h. sie w i r d bereichsgebunden. U n d was sollen w i r mit unserem Axiomensystem anfangen, wenn noch andere Formen des „biological engineering" auftreten werden, die sich mehr wie science fiction als wie wissenschaftliche Tatsachen anhören? M a n kann gewisse Tiere durch Hormone so beeinflussen, so daß sogenannte falsche männliche und falsche weibliche Tiere entstehen. Falsche weibliche Tiere können mit echten männlichen Tieren Nachkommen produzieren, und, vice versa, falsche männliche m i t echten weiblichen. Genetisch sind die Nachkommen dann entweder das Produkt von zwei Vätern oder zwei Müttern. Diese Aussichten mögen für den Menschen nicht gerade erfreulich sein; sie sollen aber nur zeigen, wie sehr man sich hüten muß, Axiomensysteme als rein logisch und i n allen Welten gültig anzusehen. Unsere graphentheoretisch-mengentheoretische Formulierung ist also in einem gewissen Sinne eine strukturelle Spezialisierung der Carnap-
358
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
Woodgerschen Axiomatisierung (welche w i r als Proto-Axiomatisierung aufgefaßt haben). W i r können auch unspezifisch einfach von „Nachkommen" reden und auf die Bedingung, daß der Ausgangsgrad stets 2 sein soll, verzichten. Das heißt dann nicht, daß w i r ein „cloning" annehmen, sondern daß w i r gleichzeitig die Bedingung ausschalten, daß die je zwei Kanten, die von einem Punkt wegführen, die Relationen V und M sind. Alle Kanten werden dann einfach als Relationen Nk gesehen und nicht mehr weiter strukturiert. Man sagt dann bloß, daß a0 der Nachkomme von ζ. Β. a ist, und a der Nachkomme von b> usf., d. h. Serie (Nk)
=
def
Irrefl (Nk) & Trans (Nk) & Konn
(Nk)
ist dann ein Axiom. Man kann auch einführen, daß die männlichen und die weiblichen Nachkommen Serien bilden. Die mengentheoretische Formulierung erlaubt nun 1., daß man die mengentheoretischen Formalisierungen gleich als theoretische Strukturen ansehen kann; 2. erlaubt sie, daß man die mengentheoretischen Festlegungen (oder Strukturen) als die Festlegung des operationalen Gebrauches von mengentheoretischen Zeichen in T h über D ansehen kann; 3. kann man die mengentheoretischen Strukturen direkt am Bereich D bestätigen, wozu man einen Nachweis der Affinität (siehe unten) aufstellt. M a n vergleicht dabei einfach die (mengentheoretischen) Eigenschaften der mengentheoretischen Relationen m i t den entsprechenden Eigenschaften der Beziehungen der Systeme in D , usw. W i l l man nun die Affinität des obigen Axiomensystems oder von Serie (Nk) zu den empirischen Systemen und Beziehungen aufweisen, dann muß man i m Falle von Serie (Nk) ζ. B. überprüfen, ob es tatsächlich Menschen gibt, ob die Geburt von Nachkommen stattfindet, etc. und ob es eine Beziehung Β gibt, die folgende Eigenschaften aufweist oder nicht aufweist, wenn Serie (Nk)
=
def
Irrefl (Nk) & Trans (Nk) & Konn
(Nk)
als A x i o m gelten soll, d. h. es muß eine empirische Beziehung Β der Nachkommenschaft oder eine empirische Nachkommenschaftsbeziehung geben, so daß ζ. B. 1. es nicht gilt, daß Β symmetrisch in D ist, d. h. B (a, b) & B (b 9 a) trifft empirisch (effektiv) nicht zu. 2. Es trifft effektiv zu, daß Β irreflexiv in D ist, d. h, ~ Β ( c)-> B (a, c). 4. Es trifft effektiv zu, daß Β konnex in D ist, d. h. α Φ b ν B (b, α) trifft effektiv zu.
B (a, b)
5.4· Strukturelle Erörterungen H a t man, wie w i r es i m vorhergehenden Beispiel gezeigt haben, eine mengentheoretische Struktur erhalten, dann hat man gleichzeitig damit 1. ein Repräsentationssystem, einen (Kon-)Text konstruiert. Ist dies geschehen, dann muß man nachweisen, daß 2. die mengentheoretische Struktur eine Abbildung ist, die alle relevanten Beziehungen zwischen den Systemen und Teilsystemen in D getreu abbildet; nur dann kann man natürlich sagen, daß die empirische Struktur und die mengentheoretische gewissermaßen „dieselbe" sind. W i r nennen einen derartigen Nachweis einen „Affinitätsnachweis". W i r weisen dann in unserem Falle nach, daß das empirische System, welches aus Menschen als Teilsystemen und den zwischen ihnen herrschenden Verwandtschaftsbeziehungen, insbesondere der Nachkommenbeziehung, besteht, und das mengentheoretische System, welches aus Elementen (Elementtermen) und Relationen (binären Prädikaten) besteht, strukturell-mengentheoretisch dieselben Eigenschaften aufweisen; ζ. B. daß die Nachkommenbeziehung die Eigenschaft transitiv zu sein besitzt, muß sich in der Transitivität einer mengentheoretischen Relation spiegeln. W i r haben in den vorhergehenden Erörterungen die Proto-Axiome stets auf D und Th relativiert. I m folgenden wollen w i r die Proto-Axiome heuristisch betrachten, i. e. unter dem Aspekt des Entstehens einer Theorie. Die Proto-Axiome oder die invarianten Aussagen sind dann ein Stadium auf dem Weg zu einer vollständigen Theorie; sie gehören gewissermaßen einer Proto-Theorie, wie w i r das nennen können, an. Erst nach diesem zweiten Schritt, der Aufstellung von empirischen Axiomen oder Proto-Axiomen, w i r d das Repräsentationssystem weiter entwickelt und ζ. B. i n eine vollständige Theorie T h umgewandelt. W i r erhalten die folgende Skizze, bei der vorausgesetzt wird, daß die Annahmen der Proto-Ontologie und die Regeln der operativen und operationalen Semantik erfüllt sind. Auch die (ontologische) Affinität kann (ontologisch) isomorph sein; w i r nehmen aber nicht an, daß es eine Affinität zwischen Sprachen, ζ. B. zwischen LE und LT, gibt. Die Affinität sei dem ontologischen Bereich, ζ. B. für den Fall der ontologischen Isomorphic, vorbehalten.
360
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
Heuristisches Schema der Konstruktion eines qualitativen Repräsentationssystems (qualitatives Theorienmodell) I sprachliche somorp îe I I ontologische I Affinität I [
Theorienkonstruktion; axiomatisierte Struktur STR in LT = Κ i n v a r i a n t e Aussagen und Proto-Axim j t ( s t a t j s tisch) invarianten operativen Bedeutungen in LE ; Entstehung der operationalen Bedeutungen; Strukturdaten SD in LE I
o m e
Effektiv wahre Strukturbeschreibungen SB der empirischen Systeme in D, d. h. Aussagen in LE ; SD in LE
..
I
Empirische Systeme in D Für eine verwandte Darstellung, die auch die Semantik einschließt, vgl. S. 215. Wenn also die Proto-Axiome aufgestellt worden sind, dann beginnt die Konstruktion der „idealen" Theorie, und dieser Konstruktion folgen die mehr dynamischen Phasen der Bestätigung des theoretischen Repräsentationssystems, i. e. der Theorie, oder auch der Hypothesenhierarchie oder Hypothese. I n dieser Phase muß nachgewiesen werden, daß die i m axiomatisierten Kern, K> aufgestellte Struktur die Struktur der empirischen Systeme i n D getreu wiedergibt. Bei der Konstruktion von Theorien w i r d dies dadurch erzielt, daß die Proto-Axiome i n mengentheoretisch formulierte Axiome STR umgewandelt werden, wodurch folgende Morphismen entstehen können: 1. STR —SD; 2. SD—• STR; oder: 3. „(M; R)" — • „(S; Β)"; 4. „(S; 5 ) " — • „(M; R)\Dabei drücken 1 und 3 die Interpretation, 2 und 4 die Repräsentation aus. Dazu ist erklärend zu sagen, daß „ S D " der Name eines empirischen Strukturdatums ist, und „STR" der Name einer axiomatisierten Struktur. Weiters besteht auf der sprachimmanenten Ebene der axiomatisierten Strukturen kein Unterschied zwischen Struktur und strukturellem Ausdruck; denn es sind die mengentheoretischen Zeichen selbst, die die Struktur formen, und es ist hier die Struktur nichts Piatonistisches, das gewissermaßen neben den Zeichen besteht. W i r können daher bei „(Af; R)" die Anführungszeichen angeben oder fortlassen; es w i r d dadurch nichts geändert. Die Morphismen sind sozusagen Spiegelungen der Struktur.
5.4. Strukturelle Erörterungen
361
Die Grundidee ist sehr einfach. Die Abbildung, wie sie hier dargestellt und durch „ — a n g e z e i g t wird, i. e. die Interpretation und die Repräsentation, müssen isomorph sein. Gehen w i r über die sprachliche A b bildung hinaus, dann können w i r sagen, daß — i m Falle der Interpretation — die empirischen Systeme die Struktur aufweisen müssen, die die mengentheoretische Axiomatisierung angibt; das Umgekehrte gilt für die Repräsentation. Es ist wichtig, daß bei der Umwandlung der Proto-Axiome i n Axiome die Proto-Axiome mengentheoretisch formuliert, d. h. formalisiert werden, und daß 2. sofort der Morphismus STR —• SD gebildet wird. 3. werden dann die Strukturdaten SDy die aus den Proto-Axiomen gewonnen wurden, i n Aussagen über Systemstrukturen in D , die nunmehr nach den Axiomen zulässige Aussagen i n Th über D sind, verwandelt. Diese müssen nun durch die Systemereignisse, -zustände etc. bestätigt werden, d. h. sie müssen empirisch wahr werden; wenn w i r das Präferenz-Beispiel von S. 346 betrachten, dann muß sich herausstellen, daß die Beziehungen in den Systemen die Eigenschaften der Irreflexivität, der Transitivität und der Konnexität aufweisen, d. h. empirische Beziehungen und mengentheoretische Relationen müssen als strukturell affin erwiesen werden. W i r gehen hier nur von Strukturdaten SD aus, die aus invarianten Aussagen oder Proto- Axiomen gewonnen werden, obwohl w i r natürlich jede Aussage in ein Strukturdatum SD umwandeln könnten. Es ist einsichtig, daß der Wissenschaftler sich zuerst an Aussagen halten muß, die mit statistischer Häufigkeit wiederkehren, i. e. invariante Aussagen oder Proto-Axiome, die invariante Aussagen sind oder aus diesen gewonnen werden. Der Nachweis der Affinität ist ein ontologischer Nachweis, daß die geometrisch-mathematischen (pythagoreischen) Eigenschaften, die die mengentheoretische Axiomatisierung anführt, auch auf die Beziehungen in den empirischen Systemen oder zwischen den empirischen Systemen und Teilsystemen zutreffen. W i r können eine Skizze der Bestätigungsschritte entwerfen, in welcher w i r keinen Unterschied zwischen invarianten und gewöhnlichen Aussagen machen; sie ist hauptsächlich für qualitative Theorien gedacht. I m allgemeinen kann man nicht mehr erwarten, als daß jede Bestätigung statistisch ist, z. B. daß die verschiedenen pythagoreischen Eigenschaften, die die Axiomatisierung erbringt, i n hohem Maße zutreffen. Selbstverständlich verlangt man auch von den quantitativen, numerischen strukturellen Sätzen i n LT, daß sie zutreffen (siehe Kap. 6.). I m ersteren Falle heißt das also, daß ein hoher Prozentsatz von effektiv wahren
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
362
Axiomatisierung; axiomatisierte Struktur STR, oder (M ; R) = Κ CLT
1 Interpretation durch Strukturdaten SD, „(S; B)"; Zusammenstellung der zulässigen Aussagen aus SD; Überprüfung, ob die Aussagen auf die Systemereignisse zutreffen, d. h. effektiv wahr sind.
Aussagen genügt, u m eine Struktur (in LT) als gültig, wahr und die Strukturrepräsentation als richtig, oder wie immer man das bezeichnen mag, anzusehen. Wenn ζ. B. die Struktur i n LT verlangt, daß Relationen irreflexiv, transitiv und konnex sein sollen, dann müssen z . B . 9 9 . 9 % der relevanten Aussagen aussagen, daß bestimmte Beziehungen empirisch transitiv, konnex und irreflexiv sind. Aber auch dies mag variieren. Bei qualitativen Theorien besonders i n den Sozialwissenschaften, wenn sie erstmalig aufgestellt werden, oder wenn keine bessere Theorie gefunden werden kann, w i r d man sich auch m i t einer niederen Bestätigung zufriedengeben. Es ist ein Unterschied, ob man sagt, daß — ζ . B. — „Pab & Pbc Pac" empirisch wahr ist, oder daß die Beziehung i n einem System, P, transitiv ist. I m ersten Falle beobachtet man ein Präferenzverhalten v o n Individuen, und i m zweiten Falle stellt man die geometrischen, mengentheoretisch ausdrückbaren Eigenschaften v o n Ρ fest, d. h. man bezieht sich auf die empirische Struktur des Systems i n D . Wie gesagt, ob die A b b i l d u n g STR—•
SD, und, vice versa, die A b -
bildung SD —• STR ein-eindeutig festgelegt ist, hängt v o n der E r f ü l l u n g des Kriteriums der isomorphen (und homomorphen) A b b i l d u n g ab. W i r weisen darauf hin, daß hier und i m folgenden SD oft eine Menge ist, z . B . wenn w i r sagen, daß SD —>STR,
dann ist es klar, daß w i r eine
Menge v o n SD meinen können. Bevor w i r auf dieses K r i t e r i u m eingehen, werfen w i r noch einen kurzen Blick auf die Entwicklung v o n Hypothesen, Hypothesenhierarchien und Theorien. I m allgemeinen verläuft die Entwicklung v o n H y p o thesen, Theorien und Hypothesenhierarchien nicht so sensationell, wie dies i n letzter Zeit v o n den Wissenschaftstheoretikern hingestellt worden ist. Ist eine Theorie einmal etabliert, dann mag diese vergrößert oder ver-
5.4. Strukturelle Erörterungen
363
kleinert und hier und da verändert werden; aber normalerweise w i r d sie keinen drastischen oder revolutionären Änderungen unterworfen sein, es sei denn, sie w i r d aus weltanschaulichen, politischen oder religiösen Gründen verworfen oder weltanschaulichen, politischen oder religiösen D o k trinen angepaßt. W i r werden i m Rahmen dieses Buches nicht auf die Dynamik von Theorien und die damit eventuell verbundenen ontologischen Probleme eingehen, weil w i r der Meinung sind, daß sich Theorien, Hypothesen und Hypothesenhierarchien meistens stetig und nicht revolutionär entwickeln. Ζ . B. ist keine der großen naturwissenschaftlichen Theorien des 20. Jahrhunderts bis jetzt prinzipiell verändert worden, obwohl sich diese um ein Beträchtliches vergrößert haben. Oft ist es bloß ein Mangel an historischer Perspektive, die den Eindruck von wissenschaftlichen Revolutionen hervorruft. Es ist ζ. Β. heute üblich, von einer Revolution in der Linguistik zu sprechen, wenn man die neueren Grammatiksysteme, ζ. B. die Transformationsgrammatik, erwähnt. Tatsache ist aber, daß auch die Transformationsgrammatik nicht ohne den vorhergehenden Strukturalismus und die linguistischen Analysen Z. Harris' zu denken ist. Eine Eigenheit der hier vertretenen Theorienkonzeption ist folgende: Wie schon aus dem allgemeinen Bedeutungskapitel hervorgeht, kann es vorkommen, daß auf Basis schlechter oder ungenügender empirischer I n formation invariante Aussagen oder sogar Proto-Axiome aufgestellt werden, die sich nachher als empirisch falsch herausstellen, d. h. deren operative Bedeutung genau das Gegenteil von dem ist, was sie sein sollte. Paradebeispiele sind hier vorwissenschaftliche Konzeptionen, Mythologeme, Paradigmata, aber auch wissenschaftliche Unternehmungen nach A r t der Phlogiston-Theorie. Unbeschadet der Tatsache, daß diese invarianten Aussagen oder Proto-Axiome empirisch falsch sind — weswegen w i r sie auch als Pseudo-Aussagen und Pseudo-Proto-Axiome kennzeichnen könnten — werden dennoch auch aus diesen operationale Bedeutungen erzeugt, die oft von unglaublicher Lebenskraft sind. Dies erklärt die Tatsache, warum man falsche Theorien ebensogut versteht, wie richtige. Ein gutes Beispiel ist hier die Phlogiston-Theorie (die allerdings nie eine Theorie in unserem heutigen Sinne war); w i r verstehen sie vollständig, obwohl sie empirisch falsch ist. Eine Repräsentation von „(S; Β)" durch „(Af; R)" wie sie hier diskutiert wurde, ist ganz allgemein das, was man eine „Abbildung" nennt, eine Abbildung auf oder in die mengentheoretische Sprache. W i l l man eine sprachlich formulierte Struktur auf die andere abbilden, dann muß
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5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
eine abbildende Funktion ρ' vorhanden sein, die den Argumentbereich dem Wertbereich zuordnet. Fassen w i r ρ' als Relation auf, dann sagen w i r , daß sie den Vorbereich dem Nachbereich zuordnet. Durch eine rechtseindeutige Relation w i r d jedem Element χ aus dem Vorbereich genau ein Element y aus dem Nachbereich zugeordnet. Die rechtseindeutigen Relationen sind nun die, die i n der Mathematik „Funktionen" oder „Abbildungen" genannt werden. W i r können ζ. B. — mengentheoretisch gesehen — die Menge S aus (5; B) und die Menge M aus (M ; R) durch eine rechtseindeutige Relation verknüpfen, und dies heißt, daß jedem Si aus S genau ein Mj aus M entsprechen muß. Wenn man ζ. B. die Punkte der Erdoberfläche auf die entsprechenden Längenund Breitegrade abbildet, dann handelt es sich um die Abbildung eines physischen Bereiches in die Menge der reellen Zahlen, bzw. Tupel derselben. W i l l man Aussagen auf STR abbilden, so ist es klar, daß diese in Strukturdaten SD, „ ( 5 ; Β)", verwandelt werden müssen, wozu man die Annahmen der Proto-Ontologie akzeptieren muß. Bei einer Abbildung von „(S; Β)" auf „(M; beachten:
R)" muß man folgendes
1. Die Struktur von „ ( M ; R)" muß definiert sein, d . h . sie muß mengentheoretisch formuliert und durch den Axiomensatz gegeben sein. Die Axiome prägen also S und damit D eine bestimmte Struktur auf, wenn die Abbildung ein-eindeutig oder isomorph ist. Der hier besprochene Morphismus ist nichts anderes als eine komplizierte operationale Substitution, wobei die Struktur erhalten bleibt. 2. Das Paar ( „ ( 5 ; £ ) " , „(M; R)") oder (SD, STR) oder auch (Int, K) muß hinsichtlich der Struktur einen Morphismus bilden, d. h. entweder einen Homomorphismus oder einen Isomorphismus, d. h. es muß eine homomorphe oder isomorphe Abbildung möglich sein. 3. Die Strukturabbildung muß semantisch möglich sein, d. h. SD und STR müssen semantisch ähnlich sein. Eine Abbildung ρ' der Trägermenge 5 in (auf) die Trägermenge M — mengentheoretisch ausgedrückt — heißt ein Homomorphismus i n wissenschaftlichen Theorien genau dann, wenn 4.1. SD und STR, wie gesagt, semantisch ähnlich sind, oder, wie man auch sagen könnte, einen semantischen Morphismus bilden. W i r wollen
5.4. Strukturelle Erörterungen
365
dies übrigens auch i m folgenden mathematisch-mengentheoretisch formulieren. 4.2. Wenn für alle Beziehungen S gilt: {SU S2,..
SN) € BI
aus Β und für alle Si, S2,..Sn
aus
(ρ' (Si), ρ' ( S 2 ) , . . ρ ' (Sw)) C RI.
Ein Homomorphismus von „(M; R)" auf „ ( M ; R)" — z. B. — heißt ein Endomorphismus. Selbstabbildungen sind i n der Strukturlehre und i n der Philosophie i m allgemeinen äußerst wichtig; denn sie ersparen uns platonische Existenzbehauptungen. Isomorphismen oder isomorphe Abbildungen sind spezielle Homomorphismen. Eine Abbildung von S i n (auf) M ist ein Isomorphismus genau dann, wenn sie injektiv (bijektiv) und nebst ihrer Umkehrung ein Homomorphismus ist. Dazu sollen jetzt einige Definitionen folgen: 1. Ist / eine Abbildung von X auf Y, so nennt man f „surjektiv"; 2. Ist / ein-eindeutig, so heißt / „ i n j e k t i v " , und es ist dabei ihr Wertbereich in Y enthalten; 3. ist / injektiv und surjektiv, so heißt / „ b i j e k t i v " . Injektive Abbildungen (Einbettungen) sind i n der mathematischen Strukturlehre und i n der Mathematik i m allgemeinen besonders häufig. So läßt sich der Bereich der natürlichen Zahlen isomorph i n den Bereich der ganzen Zahlen einbetten oder injizieren. M a n kann auch Abbildungen hintereinanderschalten und erhält so die für Strukturen äußerst wichtigen Morphismen der mathematischen Kategorienlehre, die Teil einer strukturellen Mengenlehre oder die eigentliche strukturelle Mengenlehre sind. Ist z. B. / eine Abbildung von X i n Y , und g eine Abbildung von Y i n Z , so ist das Produkt h = / o g eine Abbildung von X i n Z. Haben dabei / und g eine und dieselbe der drei Eigenschaften, entweder surjektiv, injektiv oder bijektiv zu sein, so hat auch h diese Eigenschaft. W i r werden i m weiteren, wie schon vorher, „(S; 5 ) " für empirische Strukturdaten SD verwenden; „(M\ R)" seien rein theoretische Strukturdaten SD', oder einfach theoretische Strukturen i m Sinne von S. 362, die stets axiomatisch festgelegt sein sollen. Strukturdaten werden aus empirischen Strukturbeschreibungen, relationalen Zustandsbeschreibungen, Proto-Axiomen etc. gewonnen, oder auch aus Interpretationen von Axiomensystemen, denen die Axiomatisierung die Struktur der Axiome aufgeprägt hat. Ein repräsentierendes System setzt sich also ζ. B. aus „(S; Β)" (oder Mengen von solchen) und „(A/; R)" zusammen. Eine Repräsentation drücken w i r , wie gesagt, auch folgendermaßen aus: „(S; B)a — > „ ( M ; R)", und eine Interpretation folgendermaßen: „ ( M ;
366
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
R)" — B ) " , wobei ρ' die Repräsentationsfunktion und σ' die Interpretationsfunktion sei. Es ist klar, daß Repräsentation und Interpretation allgemeine Fälle von Strukturabbildungen sind, wenn man folgende erkenntnistheoretische, ontologische und semantische Einschränkungen berücksichtigt: 1. Strukturrepräsentationen sind in den theoretischen Wissenschaften oft injektiver Natur, d. h. sie sind Einbettungen in reichere (numerische) Strukturen; STR ist also oft reicher als das, was repräsentiert wird. Dies hat zur Folge, daß nur ein Teil von STR interpretiert werden kann. Anders ausgedrückt: „ ( 5 ; B)u —>„(M; R)" ist oft injektiv. Auch kann es vorkommen, daß STR mit anderen Strukturen, die ζ. B. dem Hintergrundswissen entstammen, assoziiert ist; oder es w i r d STR um andere Strukturen aus einer strukturellen Mengenlehre erweitert, so daß eine lose assoziierte Menge, ζ. B. {S77Î, S T Ä ' } , entsteht, wenn und nur wenn diese Erweiterung, STR', mit den Strukturen STR über D semantisch operational verträglich ist, aber auch mit der schon vorhandenen empirischen Interpretation nicht in Konflikt gerät. Solch ein lose assoziiertes Paar w i r d ζ. B. von dem euklidischen und dem Gausssdien Koordinatensystem gebildet. Die Einbettung der natürlichen Zahlen in die rationalen oder reellen Zahlen, die Einführungen von Quantitäten und deren Multiplikation, Division und aller höheren Rechnungsarten können als nicht-platonistische Erweiterungen angesehen werden, wenn sie der oben angeführten Bedingung genügen. Konkrete Beispiele sind hier die Einbettung des finiten Hilbert-Raumes der Quantenphysik in den infiniten und der euklidischen Geometrie in den Riemann-Raum. Das, was hier „semantische Verträglichkeit" genannt wird, und die Auffassung, daß eine Erweiterung von STR nicht mit der schon vorhandenen empirischen Interpretation in Widerspruch geraten soll, ist u. a. der Gegenstand einer gemäßigten, nach-Gödelschen Konsistenzforderung. Diese Konsistenzforderung lautet, allgemein ausgedrückt, wie folgt: Der axiomatisierte theoretische Teil einer Theorie, Κ , zusammen mit den ihn erweiternden Strukturen, ζ. B. dem Hintergrundswissen Η , soll relativ konsistent sein. D . h. man kann alle Sätze aus Κ und Η (ζ. Β.) ableiten, m i t Ausnahme von „ A & ~ A " . T r i t t aber dennoch „ A & ~ A " auf, und kann weiters kein Fehler gefunden werden, dann muß man annehmen, daß bei der Aufstellung der Denotation und der Designation etc. Fehler gemacht wurden.
5.4. Strukturelle Erörterungen
367
W i r sehen also, daß eine empirisch ganz oder teilweise interpretierbare Struktur STR, also eine axiomatisierte Struktur, mit anderen (möglicherweise ebenfalls axiomatisierten) Strukturen lose assoziiert sein kann. Die Taxonomie, die Kategorisierung, die Katalogisierung und die Feststellung der gegenseitigen Abhängigkeiten solcher Strukturen ist ein legitimes Feld mathematischer und mengentheoretischer Untersuchungen. 2. Eine Struktur — auch eine empirische — ist nichts Absolutes, etwas das an und für sich existiert. Sondern eine Struktur zeigt sich erst i m Vergleich mit anderen Strukturen. Ζ . B. können w i r feststellen, daß empirische Strukturen und theoretische oder mengentheoretische affin sind. Oder w i r können feststellen, daß Strukturdaten SD, die empirische Strukturen betreffen, isomorph auf theoretische abgebildet werden können. Eine gewisse Ausnahme bildet hier bloß die empirische Rohstruktur, wie w i r sie genannt haben. Welcher A r t die Strukturen auch sein mögen, sie zeigen sich erst i m Vergleich mit anderen Strukturen. Was nun eine axiomatisierte Struktur betrifft, so kann man einerseits sagen, daß audi eine Axiomatisierung die Axiomatisierung von etwas ist, ζ. B. von Strukturdaten, die aus Proto-Axiomen gewonnen wurden. Zweitens können w i r bei einer Axiomatisierung sagen, daß hier das, was w i r die empirische Anordnung der empirischen Teile nennen, also die „geometrische" Struktur, dem mengentheoretischen Gebrauch der Zeichen äquivalent ist. Erkenntnistheoretisch-ontologisch t r i t t also der Strukturcharakter der Axiome dadurch hervor, daß sie einerseits die Strukturdaten isomorph abbilden, und andererseits auch die empirische Struktur theoretisch wiederspiegeln (Affinität). W i r skizzieren nun noch kurz die Repräsentation und Interpretation. Eine Repräsentation, i. e. ein Morphismus SD—• STR y gilt i m Rahmen von Theorien nur dann, wenn die operativen Regeln erfüllt sind, wenn die invarianten Aussagen oder die Proto-Axiome, die die für die Theorie wichtigen Strukturdaten SD liefern, effektiv empirisch wahr sind, und wenn die Kriterien für die isomorphe oder homomorphe Abbildung befolgt worden sind. Ist dies der Fall, dann kann die Umkehrung der Repräsentation als Interpretation betrachtet werden: STR—>SD. Vergleichen w i r die Struktur STR über einem Gebiet D mit den operationalen Bedeutungen über einem Gebiet D — relativ zu Th — dann sehen wir, daß das Interpretieren und der Austausch der operationalen Bedeutungen gegen die operativen demselben Substitutionsschematismus folgt. Eine Interpretation heißt, daß STR durch SD (oder auch Aussagen, resp. Proto-Axiome) ersetzt wird, (STR y σ', SD); bei dieser Gelegenheit
368
5. Ontologie und operationale Semantik der Wissenschaften
werden auch operationale Bedeutungen durch operative ersetzt. Dies heißt dann auch, daß die axiomatisierte Struktur zu der empirischen Struktur der Systeme, Systemereignisse etc. affin ist. Erklärend fügen w i r noch hinzu, daß „semantisch ähnlich" heißt, daß die entsprechenden semantischen Matrizen ähnlich sind oder sich nicht als imkompatibel erweisen.
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien 6.1. Die quantitative oder metrische Repräsentation ihre Semantik und Ontologie Die meisten Theorien, die w i r bis jetzt behandelt haben, haben w i r nur vom topologischen und qualitativen (nicht-metrischen) Standpunkt aus behandelt; unter die mehr topologisch oder qualitativ orientierten Theorien fallen viele Theorien der Sozialwissenschaften, der Sprachwissenschaft, der Botanik usf. Der qualitative oder topologische Aufbau überträgt sich natürlich auch auf die Modelle dieser Theorien und deren mengentheoretische Modelle. Neben dieser qualitativen oder topologischen Strukturrepräsentation, wo w i r gewissermaßen das Skelett einer (empirischen) Struktur repräsentieren und — mathematisch gesehen — nur die allerallgemeinsten Eigenschaften der Relationen empirisch überprüfen, gibt es i n einem großen Teil der Naturwissenschaften, i n den quantitativen Theorien der Sozialwissenschaften noch andere Repräsentationsformen, die durch metrische oder quantitative Meßstrukturen gekennzeichnet sind. Solche Meßstrukturen zeigen Distanzen zwischen empirischen Systemen an, die Zeiten und Geschwindigkeiten von Bewegungsabläufen und die Masse von starren Körpern und M i k r o partikeln, d. h. sie repräsentieren diese i n Form von quantitativen numerischen Verhältnissen und sozusagen maßstabsgetreu. Es t r i t t an die Stelle der einfachen Beobachtung ein wesentlich komplizierterer V o r gang, das Messen, an die Stelle der Beobachtungssprache LE eine Meßsprache LM mit Skalenablesungen anstelle der Aussagen, resp. Meßaussagen anstelle der qualitativen oder topologischen Aussagen. Statt des Beobachters haben w i r ein Meßsystem MS, das sowohl natürlich wie auch künstlich sein kann und das u. U . automatisch registriert. Das empirische, zu beobachtende System w i r d zum gemessenen System 1 . Weder das Messen in seiner einfachsten Form, ζ. B. als das Operieren m i t einem Metermaßstab, noch i n seiner kompliziertesten abgeleiteten Form, ζ. B. als das Ablesen eines Ampèremeters oder einer Torsionswaage bei der Bestim1
Leinfellner (Einführung), S. 129—139.
24 Leinfellner
370
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
mung des Gewichtes der Erde, ist ein einfaches Addieren von Meßgrößen. Schon bei einfachen ordinalen Messungen beginnt ein maßstabsgetreues (ontologisch) isomorphes Repräsentieren der Kleiner-, Größer- und Gleich-Beziehungen oder -Verhältnisse der Strukturen der statischen und dynamischen Systeme auf Zahlenrelationen, Verhältnisse von Zahlen oder Zahlenstrukturen ZSTR. Die Meßtheorie ist in letzter Zeit eingehend ζ. B. von Suppes-Zinnes und von Pfanzagl 2 behandelt worden, aber mehr vom logischen Standpunkt aus. Der ontologisch-semantische Standpunkt, nach welchem ζ. B. das Messen eine Repräsentation von Verhältnissen, Beziehungen oder empirischen Strukturen auf Zahlenverhältnisse, -relationen oder -strukturen ist, wurde aber dabei vernachlässigt. Ζ. B. ist das ordinale Messen eine numerische Repräsentation empirischer Verhältnisse, Beziehungen, Strukturen, welche ζ. B. i n Strukturdaten „ ( 5 ; B ) " eingehen, auf Zahlenverhältnisse, etc., oder, anders ausgedrückt: auf (reelle) Zahlen und die zwischen ihnen herrschenden — mengentheoretisch ausdrückbaren — Relationen, wie > , = ; audi können empirische Vereinigungsoperationen auf die Plus-Operation ( + ) zwischen Zahlen i m Rahmen einer Kardinalskala abgebildet werden. Schematisch gesehen: w i r repräsentieren innerhalb von Theorien T h und relativ zu Gebieten D homomorph folgendermaßen, wobei „ Z " für „reelle Zahlen" stehen soll:
(Z; > , = , + ) Ì ( S; Größer, Gleich, Vereinigung)
Die empirische Struktur soll also bei der numerischen Repräsentation homomorph — oder ismomorph, als spezieller Fall von homomorph — erhalten bleiben. I n der schon erwähnten formalistischen Schule der Meßtheorie w i r d das schon diskutierte Problem der homomorphen und isomorphen empirischen Repräsentation so gelöst, daß für alle Fälle von strukturerhaltenden Abbildungen 1. Formalisierungen, d . h . mengentheoretische Modelle und 2. Axiomatisierungen aufgestellt wurden. Aus einer Axiomatisierung w i r d nach Suppes ein Repräsentationstheorem RT abgeleitet. Dieses garantiert, daß — vorausgesetzt, daß die Axiome über einem bestimmten Bereich D semantisch und strukturell invariant sind — folgende Repräsentationen stattfinden können: eine empirische GrößerBeziehung kann durch die mengentheoretische oder die zahlentheoretische Größer-Relation repräsentiert werden, eine empirische Gleich-Beziehung 2
Pfanzagl.
6.1. Die quantitative oder metrische Repräsentation
371
durch die mengen- oder zahlentheoretische Gleich-Relation, eine empirische Zusammenfügung durch die mengentheoretische Vereinigungs-, resp. die zahlentheoretische Plus-Operation, vice versa, wobei die empirische Struktur, und vice versa die mengentheoretische oder zahlentheoretische Struktur vollkommen erhalten bleiben soll. Ontologisch formuliert man diese Tatsache am besten, indem man sagt, daß empirische strukturelle Verhältnisse, Verhältnisse von Strukturen auf Zahlenstrukturen repräsentiert werden. Neben dem ontologischen Aspekt wollen w i r i m folgenden auch den semantischen behandeln. W i r stellen uns das am einfachsten am Beispiel einer Landkarte vor: Eine Landkarte repräsentiert die Verhältnisse von empirischen Strukturen, i. e. empirische strukturelle Verhältnisse. Dies alles ist natürlich nur möglich, wenn D proto-ontologisch vorgeordnet wird, wie w i r dies m i t H i l f e der Systemtheorie getan haben, und wenn der wissenschaftliche (Kon-)Text, die Theorie 7h, oder, in diesem Falle, auch die Meßtheorie ThM gegeben ist, mitsamt dem Hintergrundswissen, i n das sie eingebettet ist. I n der wissenschaftlichen Praxis ist dementsprechend das Messen einerseits das formale und semantische Repräsentieren von Verhältnissen von empirischen Strukturen, resp. auch von entsprechenden Strukturdaten auf zahlentheoretische Verhältnisse via Meßgrößen. Es w i r d hier, wie auch an anderen Stellen klar, daß w i r für das Verständnis der Semantik der Wissenschaften Verständnis der wissenschaftlichen (Kon-)Texte Th — oder Th M — voraussetzen; dies ist weiter nicht verwunderlich, wenn w i r bedenken, daß man auch eine Semantik einer beliebigen Umgangssprache nicht begreifen w i r d , wenn man nicht diese Umgangssprache in irgendeiner Form beherrscht. Andererseits ist, weder formal, noch semantisch, sondern ontologisch das Messen ein operatives Eingreifen vermittels Meßsystemen MS in den Bereich D der zu messenden Systeme 5, und zwar so, daß als Resultat der Interaktion von S und MS eine Meßgröße erhalten wird. W i r wollen hier nicht eine detaillierte Meßtheorie aufstellen, sondern die Meßtheorie nur insoferne behandeln, als sie für eine Semantik und Ontologie der Wissenschaften relevant ist. Man kann nun Meßtheorien als exakte wissenschaftliche Theorien oder, wie schon angedeutet, als Subtheorien wissenschaftlicher Theorien Th ansehen ; solche Meßtheorien repräsentieren die strukturellen Verhältnisse empirischer Systeme via Meßgrößen, wobei w i r uns einer Repräsentationsfunktion ρ, welche durch eine Axiomatisierung festgelegt ist, bedienen. W i r müssen hier bedenken, daß w i r bei der ordinalen Messung nicht via standardisierte Meßgrößen repräsentieren können, sondern bloß 24*
372
. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
auf zahlentheoretische Größer-, Kleiner- und die Tatsache aus, daß Prädikate zulassen soll semantisches Tripel
Strukturen ZSTR, d. h. die zahlentheoretischen Gleich-Relationen. Es drückt sich hier sehr schön man bei der Erkenntnis der Welt keine unären (vgl. S. 55). W i r erhalten demnach ein numerisch((S;B),
ρ, ZSTR>.
H a t man ein solches Tripel, dann kann man die i n ihm enthaltenen zahlentheoretischen Verhältnisse auf andere zahlentheoretische Verhältnisse übertragen, i. e. man erhält eine Transformation (ZSTR,
φ, ZSTR').
Solche Tripel führen also eine Skala in eine andere über; und man kann solch eine Transformation audi als eine semantische Substitution von bestimmter A r t betrachten. So sprechen w i r ζ. B. i n den Wissenschaften von der Transformation der Celsius-Skala i n eine Fahrenheit-Skala und von Transformationen für Gewichts-, Zeit- und Wertskalen, etc. W i r vertrauen unseren Skalenablesungen, d. h. dem Gebrauch von Uhren, Waagen etc., und w i r nehmen an, daß sie absolut verläßlich sind, d. h. daß sie uns verläßlich über Temperaturschwankungen, Distanzen, die Preise von Waren usf. informieren, d. h. diese getreu wiedergeben. W i r sind auch damit vertraut, daß es ζ. B. zwischen Celsius- und Fahrenheitgraden, resp. den entsprechenden Skalen eine feststehende Umrechnung gibt, d. h. eine lineare Transformation φ (x) = px + q. Wollen w i r ζ. B. Celsius i n Fahrenheit umrechnen, dann bedienen w i r uns der Formel °F = 9/5 (°C) + 32. Ebenso nehmen w i r an, daß man M a r k i n Dollar umrechnen kann, oder— i n der Werttheorie — daß man die Wertskalen jedes einzelnen Individuums interpersonal vergleichen kann. Kurz, w i r nehmen an, daß zwischen Skalen, die derselben A r t der Messung angehören, Transformationen φ möglich sind, wobei die ursprünglichen Zahlenverhältnisse invariant erhalten bleiben: (ZSTR,
φ, ZSTR'>.
Die entsprechenden Meßgrößen, so vorhanden, müssen dann semantisch gleich sein, d. h. Transformationen konstituieren semantisdie Gleichheit zwischen Meßgrößen, ebenso wie man sagen kann, daß in der Umgangssprache semantische Gleichheit durch Ubersetzung angezeigt wird. Die operative semantische Gleichheit darf natürlich nicht als Synonymität betrachtet werden (vgl. S. 307). Solche Tripel führen also — einfach ausgedrückt — Skalen ineinander über. Gleichzeitig w i r d eine Skala durch ihre Transformationseigenschaften definiert.
6.1. Die quantitative oder metrische Repräsentation
373
W i r wollen hier den wissenschaftstheoretisch formalen Aufbau der Meßtheorie ontologisch und semantisch untermauern. Eine Meßtheorie Th M ist also nur möglich, wenn es ein empirisches Gebiet D gibt, das Systeme S auf weist, die mit dem Meßsystem MS (ζ. B. bei der Wertmessung: dem wertenden Individuum) i n eine durch Regeln festgelegte Interaktion treten. Es zeigt sich, daß ζ. B. beim Messen von Längen gewisse invariante Strukturen auftreten, ζ. B. daß Längen aneinandergereiht (addiert) werden können, usf., welche sich i n invarianten Aussagen und schließlich auch in Proto-Axiomen und Axiomen niederschlagen. Haben w i r also die Längenmessung empirisch untersucht, i. e. die empirischen Beziehungen Länger und Gleichlang, dann kann letztlich ein Axiomensatz aufgestellt werden, der dies festlegt, und dann kann nach Suppes ein Repräsentationstheorem RT — je eines pro Theorie — abgeleitet werden, das es gestattet, ζ. B. die Länger-Beziehung isomorph und numerisch zu repräsentieren, d. h. das uns gestattet, getreu zu messen. Genau besehen muß man freilich sagen, daß das Repräsentationstheorem eigentlich nicht bloß ein aus den Axiomen abgeleitetes Theorem, sondern eine ontologische und semantische Annahme ist. W i r müssen uns nun mit dem Gedanken vertraut machen, daß w i r überall dort, wo w i r natürliche oder künstliche Meßsysteme MS verwenden — seien es nun die Hände beim abschätzenden Vergleich von Gewichten, eine — künstliche — Waage, etc. — Meßtheorien realisieren. Wie die Realisierung einer Meßtheorie Thj^ technisch aussieht, ist eine andere Frage, die hier nicht i m Detail behandelt werden kann; sie gehört in die Technologie des Apparatebaus. Die exakte und getreue Messung beruht nun tatsächlich darauf, daß 1. überall dort, wo w i r messen — seien es nun fundamentale (Masse, Länge, Zeit, Präferenzen) oder sekundäre (Dichte, Volumen, Nachfrage am Markt) Messungen — w i r über einen wissenschaftlichen (Kon-)Text T h Μ, resp. T h und über einen Anwendungsbereich D verfügen, wobei das Repräsentationstheorem RT für jede Theorie speziell formuliert werden muß. 2. müssen w i r exakt nachweisen, daß eine isomorphe Repräsentation stattfindet, und w i r müssen dafür Kriterien erbringen. Dies geschieht i m Rahmen einer jeweiligen formalisierten Meßtheorie Th M, welche als Subtheorie einer Theorie Th betrachtet werden kann, wobei mengentheoretische Formalisierungen und eine Axiomatisierung vorhanden sein müssen. Dies ist — i n groben Zügen — das Programm einer Meßtheorie, wie es zuerst von Scott, Suppes und Zinnes entworfen wurde.
beliebige Einheiten
beliebige Einheiten lineare Transformation : und Nullpunkt φ (x) = px + q; p > 0
beliebige Einheiten
Verhältnisskala (»Verhältnis" im engeren Sinn)
Intervallskala
Differenzskala
Nominalskala
Zuordnung völlig beliebig: Bezeichnung
Verhaltensmessung
Zeit, Temperatur, Nutzen
Masse, Gewicht, Distanz (Geld)
Kardinalzahlen
Beispiel
keine metrischen Transformationen sondern nur lexikalische
(Coombs)
Namen, Autonummern, Wehrdienst-Lotterie
Psychologie
Windstärkenach Beaufort, Härteskala nach Mohs, kulturelle, ethische, moralische Werte
Hyperordinale beliebig, mit Aushypermonotone Transformationen: Skala nähme der Diffezunehmend: renzen; keine Meß- x — y < u — v, dann einheiten φ (x) — φ (y) < φ (u) — φ (τ;)
Ordinalskala beliebig, mit Ausmonotone Transformationen: (Topologische nähme der Ord1. zunehmend: Skala) nung; keine Meß- x < y, dann φ (χ) < φ (y) einheiten 2. abnehmend: f: x φ (y)
Translationstransformation: Φ (x) = x + q
Ähnlichkeitstransformation: φ (χ) = px; p > 0
identische Transformation: φ (χ) = χ
absolut eindeutig
Absolute Skala
Zulässige Transformationen
Eigenschaften
Skala
374 6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
6.1. Die quantitative oder metrische Repräsentation
375
3. Wie schon gesagt, ist es das Ziel aller Meßtheorien, die empirischen Beziehungen, Verhältnisse, Strukturen möglichst genau auf quantitative und zahlentheoretische Relationen, Verhältnisse oder Strukturen ZSTR zu repräsentieren, so daß man, wenn möglich, von nicht so feinen Skalen zu feineren aufsteigt. W i r geben i m folgenden eine Ubersicht über Skalen von verschiedener Feinheit: Wie gesagt, wäre es also das ideale Ziel alles Messens, zu immer besseren Skalen und zur immer feineren Repräsentation von Beziehungen, Verhältnissen, resp. Strukturen, ζ. B. der Präferenzstrukturen, auf die vorhandenen idealen numerischen Strukturen, ζ. B. Wertstrukturen, zu gelangen. N u n ist dies aber i m allgemeinen aus ontologischen Gründen nicht möglich. Ζ. B. bleibt die Wertmessung ontologisch bei der Ordinalskala, bzw. bei der topologischen Skala stehen und nur i m besonderen Falle der ökonomischen Präferenzsysteme mit monetären Werten können w i r zur Intervallskala aufsteigen. Masse und Distanz hingegen können aus ontologischen Gründen, i. e. wegen der absolut klassischen Eigenschaften der mit ihnen verbundenen Bereiche D , m i t Verhältnisskalen gemessen werden. M i t welcher Skala gemessen werden kann, hängt demnach von der ontologischen Verfassung des Bereiches D , i n dem gemessen wird, ab. Ζ . B. können kulturelle oder künstlerische Werte i m allgemeinen nur mit einer ordinalen Skala gemessen werden; aber immerhin zeigt das, daß man auch in den K u l t u r - und Geisteswissenschaften messen kann, d. h. ordinale Verhältnisse, ζ. B. Größer-Sein, auf Zahlen repräsentieren kann. N u r darf man bei solchen Messungen ζ. B. nicht erwarten, daß man den künstlerischen oder kulturellen Wert eines Picasso-Bildes zu dem eines Kandinsky-Bildes addieren kann, so wie man ζ. B. Längen addieren kann. Dies ist also i n scharfem Gegensatz zu den monetären M a r k t preisen derartiger Bilder. Es ist ja nun sehr gut bekannt, daß in den am meisten mathematisierten oder metrisierten Wissenschaften, nämlich den Naturwissenschaften, die Zahlen, welche das Ergebnis von Messungen sind, niemals rein vorkommen, sondern Meßgrößen sind. Eine Distanz beträgt ζ. B. nicht bloß 5, sondern 5 cm; 30 Meter pro Sekunde sei die Geschwindigkeit i m Rahmen einer betreifenden Theorie usf. Die Dimensionierung einer Meßgröße in einem System von Meßeinheiten ist daher eine operative, semantische Abkürzung oder Kurzformel; z.B. sei l g die Meßgröße des Gewichts eines Systems oder Teilsystems, wobei „g" eine semantische
376
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
Kurzinformation verkörpert, ebenso „5ec" für die Zeit usw. I m allgemeinen werden die Messungen von Länge, Zeit und Gewicht i n den Wissenschaften als die fundamentalen Messungen angesehen, und andere Messungen als sekundäre Messungen (manchmal, so bei Suppes3, „abgeleitete Messungen" genannt). Das sogenannte g-cm-sec-System der Wissenschaften ist demnach ein operativ (semantisch) v o l l ausgebildetes System, was in diesem Falle gleichzeitig bedeutet, daß es auch operational vollständig ist. Die operationale Komponente des g-cm-sec-Systems ist — i n Übereinstimmung m i t Bridgman, Birkhoff und Gukhman — das m-l-t-System der, wie w i r sie nennen, „reinen" Dimensionen. Ζ . B. liefert uns / die operationale Bedeutung einer Maßzahl, ganz gleichgültig, ob w i r die Länge von etwas i n cm, foot oder Meilen messen. Dasselbe gilt singemäß für t und Zeitmessungen. Natürlich muß hier die SemantemBedingung (S. 218) eingehalten werden, prüf liefert uns die operationale Bedeutung des Ergebnisses einer Wertmessung, wobei aber zusätzlich noch immer die Skala angegeben werden muß. W i r werden i m nächsten Kapitel zeigen, wie man mit H i l f e der Dimensionsanalyse dimensionslose Zahlenverhältnisse erhält, welche empirische Verhältnisse invariant repräsentieren, gegeben die jeweiligen Meßtheorien ThM ^ Th über D. Wenn w i r also das Verhältnis von Gewichten zweier empirischer Systeme oder Teilsysteme auf Zahlenverhältnisse (wir könnten hier auch Formulierungen mit „Struktur", „Beziehung", „Relation" u. ä. verwenden) repräsentieren wollen, dann ist „ g " eine operative semantische Kurzinformation, und „m" liefert uns die operationalen Bedeutungen der betreffenden Maßzahlen, vorausgesetzt die Bildung eines operativen und eines operationalen Semantems. Die operationale Bedeutung ist i m Detail durch folgendes Axiomensystem für m gegeben, das eine Verhältnisskala für die Gewichtsmessung fundiert, wobei w i r uns zum Teil einer abgekürzten Schreibweise — ohne Kommas und Klammern für zweistellige Prädikate — bedienen: Eine metrische Struktur ( M ; R, o), resp. eine Meßtheorie Th M für m, wobei R eine binäre Relation und ο eine binäre Operation, die über der Menge M gelten, seien, sei definitionsgemäß gegeben, wenn x, y, z G M folgende Bedingungen (Axiome) erfüllen: A 1. Rxy & Ryz -» Rxz (Transitivität von R). A 2. R (((* o y) ο ζ), (χ ο (y ο ζ))) (Assoziativität von ο). Α 3. Rxy -» R ((χ ο ζ), (ζ ο y)) (abgeschwächte Monotonie-Forderung). 3
Suppes—Zinnes, S. 17—22.
6.1. Die quantitative oder metrische Repräsentation
A4.
~ Rxy rung).
377
(Ez) (R (x, ( y ο ζ)) & R ((y o z), x)) (Kommensurabilitätsforde-
A 5. ~ (R ((λ o y ), *)) (Forderung nach Nidit-Negativität von χ, y , ζ). Λ 6. Wenn dann gibt es eine Zahl η, so daß Ä w · a) ; w kann man rekursiv definieren: 1 - α = α; η · a = ((η — 1) ' a) + a. A 6. wird auch „Teilbarkeitsaxiom" oder „Archimedisches Axiom" genannt. Z u dieser Struktur ( M ; R, o) — w i r könnten auch sagen, daß ( M ; Ä , o) eine metrische Struktur hat, welche durch die Axiome definiert w i r d — soll nun ein empirisches System (S; V , G, · ) gefunden werden. S sei eine Menge von physikalischen Körpern (Systemen) von bestimmtem Gewicht. „R" w i r d durch folgende empirische Operation interpretiert: Wenn zwei Objekte oder physikalische Körper (Systeme) gegeben sind, dann bedeutet „Rxy", daß x y überwiegt, d. h. daß χ schwerer als y ist, oder daß χ gleich schwer mit y ist. Ζ . Β.: I a , I c seien die auf einer automatischen Neigungswaage abgelesenen Gewichte der Körper (Systeme) a, b, c, wobei natürlich angenommen w i r d (vgl. S. 190), daß diese Körper zusammen mit dem messenden System MS temporär zu einem Supersystem zusammentreten, so daß a, b, c und MS (die Neigungswaage) Teilsysteme werden. „ R a b " heißt dann, daß entweder I a > I b oder I a = I b . Die A d d i t i vitätsoperation w i r d mathematisch m i t „ + mengentheoretisch mit „ o " und empirisch mit „ · " bezeichnet. „ · " bedeutet ζ. B. operativ, daß a und b auf einer Waagschale zusammengegeben werden. Dem entspricht χ o y und I a + /&, wenn obige Axiome und die noch folgenden Bedingungen D l . — D 3. erfüllt sind. Rein praktisch muß (a · b) · c nicht dasselbe sein wie a · (b · c). Die Kombination von a und b zuerst m i t nachfolgender Kombination m i t c könnte auch schwerer oder leichter sein, als die Kombination von a m i t der Kombination von b und c. Daß dem nicht so sein soll, muß durch A x i o m 2 gefordert werden. Schwierigkeiten bereitet besonders das Archimedische A x i o m (Axiom 6). Pfanzagl hat bei der Konstitution einer metrischen Skala das Mittenbildungsaxiom als Stetigkeitsaxiom verwendet, das fordert, daß die Repräsentation auf die Menge der reellen Zahlen stetig sei. Dieses Stetigkeitsaxiom ist von empirischen Systemen schwierig zu erfüllen. H i e r t r i t t das Archimedische A x i o m sozusagen als abgeschwächtes Stetigkeitsaxiom auf. Das Archimedische A x i o m verlangt i n seiner einfachen Form, daß folgende Operation stets möglich sein soll: es soll stets möglich sein, Distanzen und Gewichte zu teilen. Dies ist jedoch nur i n klassischen Bereichen D möglich. Bei unstetigen und unteilbaren Elementargrößen (Längen) i n der Quantenphysik könnten diese vom obigen A x i o m verlangten Operationen nicht
378
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
mehr ausgeführt werden. Für Gewichte kann man das Archimedische A x i o m in folgende Operationsanweisung umformulieren: Teile ein beliebig schweres Gewicht gi n-mal. Vervielfache ein beliebig kleines Gewicht g 2 wz-mal. Dann sollen η und m positive Zahlen sein, so daß der n-te Teil von gi stets kleiner ist als g2, und das ra-fache Gewicht von g2 stets größer als gi. U m nun für unsere mengentheoretische Struktur eine numerische zu finden, führt man zunächst eine G-Relation der Indifferenz, bzw. des Gleich-Aufwiegens ein; „R" sei bereits empirisch interpretiert. S w i r d demnach in Äquivalenzklassen zerteilt; die Menge der Äquivalenzklassen werde mit „S*" bezeichnet. Die Elemente der Äquivalenzklassen, die Relationen und die Operationen zwischen den Elementen werden i m weiteren durch einen Stern gekennzeichnet. Es gelten folgende Definitionen: D 1. Gab =
def
Rab & Rba.
D 2. R*a*b* = def Rab. D 3. a*m*b* = defa*b. N u n sucht man ein zu (S*; Ä * , · * ) isomorphes numerisches System oder eine numerische Struktur {M z\ > , + ) , wobei M z eine nicht-leere Menge positiver reeller Zahlen sei, für die die A d d i t i o n und die Subtraktion (kleinerer Zahlen von größeren) definiert ist, d. h. wenn χ, y G M z, und wenn χ > y> dann sind (x + y) und (x — y) ebenfalls Elemente von M z. Das Repräsentationstheorem RT und eine Adäquatheitsforderung lauten dann zusammen: Wenn ein empirisches System, eine empirische Struktur (S; V , G, · ) gegeben ist, dann ist (S*; R * , · * ) isomorph zu einem numerischen System, einer numerischen Struktur (M z; > , + ) . Je zwei numerische Systeme (Strukturen), die zu einem empirischen isomorph sind, sind eindeutig bis auf eine multiplikative Transformation. W i r definieren nun zusätzlich operativ die Einheit g als StandardEinheit: Das Verhältnis des Gewichtes dieses Gegenstandes..., den ich vor mir habe und den i d i gerade abwiege, zum Gramm-Gewicht meiner Standard-Serie ist genau 1.6009. Der Erzeuger meiner Standard-Gewichtsserie hat genauestens überprüft, daß das Verhältnis meines Grammgewichtes, das ich eben benützte, zum Standard-Kilogramm, das aus einer Platin-Iridium-Legierung besteht und das i m Internationalen Büro für Gewichte und Maße in Sèvres, Frankreich, aufbewahrt wird, 0.0010000 beträgt.
6.1. Die quantitative oder metrische Repräsentation
379
Man sieht aus allen vorhergehenden Erörterungen deutlich, was sich semantisch (operativ und operational) und ontologisch hinter g und m verbirgt. U m zu zeigen, daß man auch in den Sozialwissenschaften mit ähnlichen Verhältnissen rechnen kann, soll nun die komplexe Bedeutung von „prüf" durch ein Axiomensystem definiert werden. Das folgende Beispiel beschäftigt sich m i t einer metrischen Intervallskala für die Sozialwissenschaften, wobei die semantische, operationale Kurzinformation („reine" Dimension) mit „prüf I ( t bezeichnet werde. Eine metrische Intervallskalenstruktur ( M ; W , > , resp. eine Meßtheorie Th M, für präf\ wobei > und ~ binäre Relationen, die über der Menge M gelten, seien, und W ein Wahrscheinlichkeitsmaß sei, sei definitionsgemäß gegeben, wenn: A 1. Das System (Struktur) ( M ; > , oder das Tripel ( i l f , > , ist quasi- geordnet, wenn für alle x l9 x 2, - . x n die Relation ~ 1.1. reflexiv ist:
X\\
1.2. symmetrisch ist: Wenn Χι ~
dann Xj ~ χχ\ und
1.3. transitiv ist: Wenn Χχ ~ χ,·, und x } ~
dann Χι ~
x k.
Ferner gilt: 1.4. Für alle x\, x 2, ..., oder Xi ~ Xj. 1.5. Die Relation > dann Χχ > x k.
x n gilt entweder Χχ >
oder Xj > Xu
ist transitiv: Wenn Χχ > Xj, und Xj >
x k,
Anmerkung: Es ist zu beachten, daß hier natürlich nichts mit der Negation zu tun hat, sondern eine Gleichheits- oder Indifferenzrelation ausdrückt. Für die Interpretation dieser Axiome siehe S. 125. A 2. Die mengentheoretische Struktur ( £ , F, W ) ist eine finite, additive Wahrscheinlichkeitsstruktur, wenn und nur wenn für jedes Element E ly E 2,...,
E n in F folgendes gilt:
2.1. F ist ein Mengenkörper über E. 2.2. ψ {Ed > 0. 2.3. W(E)
= 1.
2.4. Wenn E 1 Γ)Ε 2 = 0 , dann W (E t \j E 2) = W (E t) + W (E 2).
380
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
A 2. führt also eine Wahrscheinlichkeitsstruktur i n die Theorie ein, wobei F ein Mengenkörper über E ist, d. h. die Menge aller wahrscheinlichen Ereignisse. F ist, gemäß der Wahrscheinlichkeitstheorie, eine nicht-leere Menge von Teilmengen, wobei Summe, Durchschnitt und Komplementärmengen ebenfalls F angehören. A?>. Es gibt eine lineare konvexe Kombination von x 2> ..., x n) und (αϊ, a 2 , . . . , a n ) , welche definitionsgemäß gleich ( α ι * ι , α 2 χ 2 , . . a n x n ) ist wobei natürlich i-H
Σ }=1
ι
Eine einfache Interpretation zeigt, daß unsere Untersuchungen nicht eine Fiktion der Wissenschaftstheoretiker oder Statistiker ist, sondern eine Formalisierung oder formale Charakterisierung des menschlichen Verhaltens unter Unsicherheit und Risiko. Ζ . B. (axu
( 1 — ce)
x 2)
= def
beschreibe die Risikosituation beim Überkreuzen einer Straße, wenn die Verkehrsampel Rot zeigt. χχ sei der Wert des Lebens, und x 2 der Wert eines tödlichen Unfalles, a ist (bei zivilisiertem Verkehr) 0.98 (Uberlebenschance); daher ist (1 —α) = 0.02 die Chance, einen tödlichen U n f a l l zu haben. Unsere Theorie gibt nun an, daß Ai* eine wahrscheinliche Wertmenge ist, die w i r vor uns haben, wenn w i r die Straße überkreuzen wollen. Unsere Theorie sagt aber noch mehr aus. Wenn w i r eine Straße bei Grün überqueren, dann existiert eine wahrscheinliche Wertmenge v o n der Form (ßx l9 (1 - ß) x 2), wobei β (bei zivilisiertem Verkehr) 0.99 ist. W i r wägen nun sogar eine Situation gegen die andere ab, d. h. w i r haben i n unserem Geiste die Bewertung der zwei wahrscheinlichen Wertmengen vor uns:
welche w i r auch folgendermaßen ausdrücken können: («*!, (1 - «)xj ^ (ßx x, (1 - ß)x 2).
6.1. Die quantitative oder 'metrische Repräsentation
381
Man muß annehmen, daß w i r konzeptualistisch dies irgendwie im K o p f überlegen und zu dem Ergebnis kommen, daß β dem α vorzuziehen sei. W i r sind also offensichtlich imstande, M* und M\ zu einer zusammengesetzten wahrscheinlichen Wertmenge CM py wobei M* und i n folgender Weise mit Wahrscheinlichkeiten γ versehen werden, zu vereinen. (7Ml t(i-r)Ml)
=
defCM p.
Derartige wahrscheinliche Wertmengen sind ein bis heute nicht recht erforschtes Gebiet des wahrscheinlichen Überlegens des Menschen. Sie sind individuelle konzeptualistische Vorstellungen, welche sich, wenn sie formalisiert werden, auf eine einzige Wahrscheinlichkeit, welche einem Wert zukommt, reduzieren lassen. A4.
Liegt x
y* xic
i ^
vor, dann auch das „einschätzende" Wahrscheinlichkeitsmaß α: Xj ~ (axu (1 - a) xjc),
wobei Xi das erste und x k das letzte Glied einer wahrscheinlichen Wertmenge Μ ρ ist. Die Interpretation von A 4. ergibt folgende experimentelle Situation. Wenn zwei Dinge, Handlungen etc., αχ und a2, möglich sind, und gibt es zwei Zufallsereignisse e\ und e2y von denen w abhängt, i. e. w (ei) = a und w (e 2) = (1 — α), dann können w i r M* als die hypothetische Erwartung (Prospekt) (iaxiy (1 - a) Xk), welche in der ersten Reihe einer Spielmatrix steht, ansehen, und als die hypothetische Erwartung (Prospekt) (axjy (1 — α) Xj), welche nach A 3 . der sichere Wert ist. W i r erhalten nun ein Spiel als die empirische Interpretation von A 4.: e
i
κ Κ
e
2
x
i
x
i
X
i
382
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
Wenn ein Individuum unter diesen Umständen zwischen M* und M wählen soll, und das Individuum wählt M* dann ist das die Realisierung von (αχ. , (1 -
x j.
Wenn das Individuum jedoch, andererseits, sich für M* entschließt, dann ist das eine Realisierung von
Wenn sich das Individuum gegenüber M* und dann w i r d die folgende Situation realisiert: Xj =
. (1 -
indifferent verhält,
·
Wenn wir, per definitionem, festlegen, daß = 0 und Xk = 1, dann erhalten w i r eine Skalierung für die x iy xj, χa, weil das Verhältnis der beiden Intervalle (Xj — Xk) I (Xi — Xk) = α, wenn x t = 0
x h dann ( a x h (1 — α) xf)>( nur wenn α > β.
ßxt, (1 — ß) Xj), wenn und
V o m rein theoretischen Standpunkt aus führt dieses A x i o m eine monotone Skalierung ein, vom praktischen Standpunkt aus — zusammen mit A ò . — die Wahrscheinlichkeit als ein kontinuierliches Wertmaß. Weiters kann man feststellen, daß ein Individuum, das vor die Wahl zwischen zwei wahrscheinlichen Wertmengen, M* und , gestellt wird, sich so verhalten wird, wie es A x i o m 7 ausdrückt. Es folgen nun zwei Axiome, die die Kohärenz der Theorie garantieren: A 8. Für alle x G M v gibt es definitionsgemäß minimale und maximale Werte x iy Xj, so daß Xj > χ > Xj. (Die Transitivität und A 6. vermeiden zirkuläre Wertordnungen.) A 9. Für alle α, β, γ G [0, 1 ] ; wenn δ = ay + β (1 — γ), dann gibt es ein CM P, wobei ζ. B. CMy = (y^Mp, y 2Mp. · · ·» y n^p) ' Hier kann man nach A 3. eine Reduktion vornehmen, ζ. B. (riM J,y2M|)~Mp, oder (; γ (axu (1 - a) xj), (1 - γ) (ßxu (1-ß)
xj)) ~ (ôx h (1 - Ô) xj).
Nach A 9. kann man zusammengesetze Wahrscheinlichkeiten berechnen. Aus diesen Axiomen folgt nun ein mathematisch-mengentheoretisch ausgedrücktes Repräsentationstheorem RT ( = T l . ) RT. Wenn Ρ 0tu aj) oder / (a h aj),
384
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
dann existiert eine Wertfunktion ψ, so daß ψ (a{) > ψ (dj) oder ψ (α{) -
.
Da definitionsgemäß gilt, daß ψ (at) = x i und ψ (α;) = Xj, können wir, unter Benützung von A 4. und A 8. folgendermaßen umformulieren: Xi > Xj oder x { ~ Xj. Weiters, wenn es gilt, daß Ρ (a u aj) oder / (a h a·), dann gibt es eine utility-Funktion u, so daß, wenn ψ = u, u (ai) > h (aj) oder u (afi = u (aj). D a u (ai) und u (aj) per Definition reelle Zahlen sind, ist hiermit das Repräsentationsproblem gelöst. W i r führen noch zwei weitere Theoreme an: Τ 2. u
02X2,..
anx n)
=
= u (a x) w (ex) + u (λ 2) w (e 2) + ...
+ u (a n) w (e n) =
t=n
t»l Dieses Theorem drückt den ganzen totalen Erwartungswert einer Erwartung (Prospekt) aus. Es folgt nun ein weiteres Theorem: Τ 3.
u (χ) = s (χ) + t, wobei s > 0 und t eine beliebige Zahl, oder ψ (χ) = s (χ) + t.
Wenn w i r verschiedene u t i l i t y - oder Wertfunktionen haben, so daß jedes Individuum seine eigene utility- oder Wertfunktion besitzt, dann können w i r die Werte, die eine Person den Objekten, Handlungen etc. zuschreibt, in diejenige Werte verwandeln, die eine andere Person den Objekten, Handlungen etc. zuschreibt, vorausgesetzt, daß unsere Funktionen kontinuierlich sind und Τ 2. erfüllen. W i r haben derart eine Intervallskala für relative Werte konstituiert 4 , wobei t = c. 4
Leinfellner (Generalization), S. 196—207.
6.1. Die quantitative oder metrische Repräsentation
385
W i r können nun i n der schon bekannten Weise sagen, daß das gerade angeführte Axiomensystem uns die (komplexe) operationale Bedeutung von „prüf 1" angibt, und daß uns „präf 1" i n Verbindung mit einem Ergebnis einer Wertmessung die operationale Bedeutung dieses Ergebnisses liefert (die Bildung eines operationalen Semantems vorausgesetzt). Gleichzeitig legt das Axiomensystem fest, wie Meßaussagen i m Rahmen der Wertmessung aussehen müssen, und auch bestimmte invariante Strukturen als Voraussetzungen für eine ideale Intervallmessung (Repräsentation) von Präferenzen auf Zahlenstrukturen (Werte). Fragt man nun, wie es mit der Standardisierung von präf 1 und der damit verknüpften Einführung einer Standardmeßeinheit steht, dann stößt man sofort auf einen bedeutenden Unterschied zwischen dem Messen in den N a t u r wissenschaften und dem Messen in den Sozialwissenschaften. Haben w i r ζ. B. in den Naturwissenschaften drei Temperaturskalen, dann können diese durch Konvention oder durch diktatorische Maßnahmen weltweit auf eine einzige Skala reduziert werden. Bei der sozialwissenschaftlichen Wertmessung ist dies nicht möglich. Kein „ F i a t " kann ζ. B. für unsere Intervallmessung der Werte eine Standardeinheit einführen. Diese muß vielmehr durch den speziellen empirischen Wert- und Entscheidungsrahmen jeweils pragmatisch festgelegt werden. Das heißt, jedesmal, wenn ein Wert- oder Entscheidungsproblem auftritt — und besonders bei den dualen und pluralen Entscheidungen, wo zwei oder mehrere Personen bewerten und sich entscheiden — werden die niederste und die höchste Einheit, hier Χι und x i 9 als der minimale und der maximale Standardwert pragmatisch und konventionell eingeführt, wenn die Bewertenden und Sich-Entscheidenden die Absicht haben, innerhalb eines Entscheidungsrahmens eine gemeinsame (kollektive) Bewertung durchzuführen. Die Unterteilung dieses Intervalls in Standardeinheiten mag dann von jedem Bewertenden und Sich-Entscheidenden willkürlich durchgeführt werden, was den einen Bewertenden und Sich-Entscheidenden nicht stört, w i l l er die Bewertungen des anderen verstehen, wenn und nur wenn er die linearen Skalentransformationen zum interpersonalen Wertvergleich benützt. M a n muß hier betonen, daß der interpersonale Wertvergleich nur so lange möglich ist, als eine gemeinsame (kollektive) Bewertung dauert und bis eine Lösung für ein Spiel, das von diesem bestimmten Kollekt i v gespielt wird, erreicht worden ist. Außerhalb dieses Entscheidungsrahmens können die Personen Wertordnungen haben, die gänzlich unvergleichbar sind. Daraus folgt generell, daß soziale und ökonomische 25 Leinfellner
386
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
Werte, mit Ausnahme des standardisierten Geldes, überhaupt nur das Produkt des gemeinsamen Wertens und Entscheidens sind, und nur für die Dauer des kollektiven Entscheidungsprozesses gelten. Es ist natürlich hier eine wichtige Frage, ob w i r nicht ethische, kulturelle, moralische und religiöse Bewertungsverfahren besitzen, deren Regeln so tief in den Sich-Entscheidenden verankert sind, daß ein permanenter Wertvergleich i m Rahmen entsprechender Skalen möglich ist. Es ist ja zur Genüge bekannt, daß das Arrowsche Paradoxon, welches rationale kollektive Entscheidungen als fraglich hinstellt, durch die Blacksche Bedingung 5 wieder aufgehoben wird. Black zeigte, daß, wenn eine Gesellschaft eine einheitliche politische, kulturelle etc. Struktur zeigt, die permanent ist, dann diese Gesellschaft nicht vom Arrowschen Paradoxon heimgesucht wird, d. h. daß rationale und sinnvolle interpersonale Wertvergleiche und Entscheidungen möglich sind. I n diesem Kapitel wurde eine Meßtheorie für naturwissenschaftliche Theorien und eine für sozialwissenschaftliche Theorien behandelt. Es soll nun kurz gezeigt werden, wie die zweite Meßtheorie, Thw, in eine mikroökonomische Theorie eingefügt werden kann. Z u diesem Zweck w i r d auf die Smith-Ricardosche Marktstruktur (vgl. W . Leinfellner: Marxian Paradigms) zurückgegriffen. Diese Struktur K M w i r d als Kern einer mikroökonomischen Theorie ( K M , Int) aufgefaßt, wobei der Kern alle mathematischen „einheitsstiftenden" Axiome enthält, die i m nächsten Kapitel semantisch analysiert werden. Hier soll nur gezeigt werden, wie sich die Axiome der Meßtheorie Thw i n die Struktur des Kernes der MikroÖkonomie, KM, einfügen lassen, so daß Tb M> c KM gilt. Gleichzeitig erhält der mathematische Kern der mikroökonomischen Theorie seine charakteristische Interpretation durch das Präferenzverhalten der Teilnehmer auf dem Markt. KM sei der strukturelle Kern einer mikroökonomischen (Duopol-)Theorie, i. e. der Kern ( Ν , X , W ; c, / ) , wenn und nur wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: Al.
Ν sei eine finite, nicht-leere Menge; i,
k seien Elemente von Ν.
Al.
X sei eine finite, nicht-leere Menge; ihre Elemente χι, Xj, xj c seien durch obere Grenzen Ii, lj bestimmt, so daß 0 < Xi < Ii und 0 < Xj < lj.
A3.
W sei eine finite Menge; CI, PI ,
Cy, PJ 9 WJ seien Teilmengen von W.
A 4. Ci = c (xì) und C,· = c (Xj) seien monoton ansteigende, zweimal differenzierbare Funktionen. 5
Black, S. 48.
6.1. Die quantitative oder metrische Repräsentation
387
A 5. Pi = Xif (Xi + Xj), Pj = Xjf (x% + Xj) seien monoton abnehmende, zweimal differenzierbare Funktionen.
A 6. Wi (x iy Xj) = Xif (xi + Xj) - c (χ*); Wj (x U Xj) = Xjf (Xi + Xj) - C (Xj). W i r geben hier nur kurz die bei W . Leinfellner (1967, 1976) behandelte Interpretation Int der Ricardo-Smith-Shubik-Marktstruktur wieder. Danach sind Ν die Teilnehmer Τ am M a r k t , wobei i m allgemeinen Modell diese Konsumenten Produzenten, Arbeiter etc. sein können. Interpretiert sind X die Güter G am M a r k t ; W , die Werte, werden ζ. B. durch die Kostenfunktion c als Kosten C erhalten. Die Kostenfunktion w i r d hier einfachheitshalber mit der Angebotsfunktion identifiziert. / ist die Nachfragefunktion und A x i o m 6 legt die Gewinne oder Profite am M a r k t fest. Wie hier deutlich zu sehen ist, sind insbesondere die Axiome 4 - 6 von ausgesprochen mathematischem Charakter. Sie legen die formalen Bedingungen der Anwendung von Differentialgleichungen fest; so kann man ζ. B. in altbekannter Weise rein mathematisch folgern: Wenn Xj konstant ist, dann ist die erste Ableitung (der erste Differentialquotient) dWi/dxi = 0. Dem entspricht in der Interpretation daß, wenn der Produzent j eine konstante Produktion am M a r k t beibehält, der Produzent i seinen Gewinn maximieren kann, ohne sich um den Produzenten j zu kümmern. Man kann nun leicht zeigen, daß die in diesem Kapitel dargestellte Meßtheorie für einen Intervallnutzen, Th M>, leicht dem Axiomensystem K M eingefügt werden kann und dadurch die nutzentheoretische Untermauerung der Axiome liefert. Es gilt dann, daß Th M> c KM- Die Nutzenoder Wertmeßtheorie ThM' gestattet es 1., die Werte W durch das Präferenzverhalten zu interpretieren, und zwar genau so, wie es das Repräsentationstheorem formuliert: Ρ (Xh Xj) ν Ρ (Xj, xi) ν I (Xi, Xj) -» W (xi) > > W (Xj) ν W (xj) > W ( X i) ν W (Xi) = W (Xj). 2. Was ζ. B. in den mathematischen Axiomen von K M> insbesondere in den Axiomen A 4. und A 5. einfach vorausgesetzt wird, nämlich die zweimalige Differenzierbarkeit, w i r d durch die meßtheoretischen Axiome von Th M> behavioristisch fundiert; so w i r d ζ. B. die strenge Kontinuität der Nutzenfunktion durch A 3. und A 7. der Nutzenmeßtheorie Th M> behavioristisch dem Präferenzverhalten des Wertenden auferlegt, und A x i o m 5 der Nutzenmeßtheorie führt ζ. B. die additive Konstante der Intervallmessung von Nutzen behavioristisch ein. Dadurch w i r d die 25*
388
6. Semantische un ontologische Modelle quantitativer Theorien
quantitative Intervallskala der Nutzen- und Wertmessung als Messung des empirischen Präferenzverhaltens unter Unsicherheit und Risiko auf dem M a r k t festgelegt. Rein theoretisch und strukturell kann man sich folgendermaßen ausdrücken: das A x i o m A 3. der Nutzentheorie (Meßtheorie Tb M') führt mit der linearen Kombination von Werten konvexe Strukturen i n unsere mikroökonomische Struktur des Kernes KM ein, die genau einem Übergang von klassischen Booleschen Strukturen (Verbänden) zu nicht-klassischen, modularen Strukturen (Verbänden) entsprechen. Es sei noch hinzugefügt, daß W i dem u (X\) von S. 384 entspricht.
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen in quantitativen Theorien Eine semantisch-ontologische Analyse wissenschaftlicher quantitativer Theorien, wie der Mechanik, der Thermodynamik, der Relativitätstheorie, mikro-ökonomischer Theorien, der Spiel- und Entscheidungstheorie, der Quantentheorie etc. wurde bis jetzt meist als eine Analyse der theoretischen Begriffe (constructs) und deren logischer Funktion gesehen. I n Wirklichkeit sind aber das, was man „theoretische Begriffe" nennt, in quantitativen Theorien gar keine Begriffe, sondern mathematische Funktionen, Differential- und Integralgleichungen, die dynamische Strukturen von D repräsentieren und in denen die Variablen für Gruppen von Meßgrößen oder für primäre (fundamentale) oder sekundäre Meßgrößen stehen. Der schematische Zusammenhang von derartigen Theorien ist daher mathematisch-semantisch, und sie enthalten Meßtheorien Th M als Subtheorien. N u n werden aber die Variablen in den Gleichungen als reine (reelle) Zahlen behandelt, und als solche werden sie addiert, multipliziert etc. M i t Größen, denen auch semantische Charakteristiken, zukommen, wie ζ. B. den Meßgrößen, kann man das aber nicht so ohne weiters durchführen; ζ. B. kann man eine Meßgröße für Temperatur und eine für die Länge nicht addieren, denn sie sind nicht vom selben Typ. Die wichtigste semantische Frage ist nun: wie werden aus solchen Meßgrößen reine Zahlen? Denn nur als reine Zahlen können sie mathematischen Umformungen unterworfen werden und erhalten den generellen Charakter von metrisch invarianten Strukturen, von Naturgesetzen usf., wie ζ. B., daß das Produkt aus Druck und Volumen konstant ist, die Kostenfunktion monoton steigend, usf. Dazu kommt, daß i n den Gleichungssystemen Strukturen, d. h. also die von Bewegungsprozessen, Entwicklungen, gegenseitigen Abhängigkeiten, dynamischen Interdepen-
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen
389
denzen, allgemein gesprochen als funktionale Abhängigkeiten der Variablen, resp. der Zahlen ausgedrüdtt werden müssen. Bis jetzt haben w i r uns i m Rahmen dieser Arbeit, inklusive der Meßtheorie von Kap. 6.1. mehr oder weniger m i t der Repräsentation von statischen Strukturen auf Zahlen und Zahlenverhältnisse (numerische Strukturen) beschäftigt, aber haben diesen wichtigen dynamischen Aspekt vernachlässigt. W i r konzentrieren uns nun auf das Problem der Repräsentation von zeitabhängigen und dynamischen Prozessen von Systemen in D und das Problem der quantitativen Abhängigkeitsverhältnisse dieser dynamischen zeitabhängigen Prozesse. Erst wenn w i r die zeitabhängigen Parameter dynamischer physikalischer Systeme ( = die primären und sekundären Meßgrößen und die Konstanten) in Gleichungen vereinen, beginnt der Ausbau von Euklidischen Räumen, Zustands- und Phasenräumen, des Hilbertraumes usw., welche dann der Repräsentation von sich bewegenden und entwickelnden Systemen, resp. von dynamischen Prozessen dienen. Diese Repräsentation bedient sich oft komplizierter Zuordnungen (Operatoren), wie i n der Quantenphysik. Die Repräsentation von quantitativ erfaßbaren Bewegungsabläufen und Prozessen physikalischer, chemischer, biologischer, sozialer etc. Systeme erfordert 1. die Festlegung von Raumstrukturen, die sich nicht ändern, i. e. statisch sind; diese Raumstrukturen sollen metrisch sein und es werden die Zustände sich verändernder Systeme mathematisch i n diesen repräsentiert. Dynamische Strukturen setzen daher statische Strukturen voraus und die dynamischen Strukturen verändern sich i m Vergleich zu diesen statischen oder in diesen. Die Änderungen der gegenseitig abhängigen Parameter sind typische Verhältnisstrukturen, deren Invarianz quantitativ nur m i t H i l f e von Differential- und Integralgleichungen dargestellt werden kann. Die einfache ontologische und deskriptiv semantische Tatsache, daß man die konstanten Verhältnisse, die Proportionen von Veränderungen, die Bewegungen von Systemen etc. nur dann festhalten kann, wenn man sie gegen statisch feststehende und invariante Strukturen (Umgebungsstrukturen) hält, führt zur Ausbildung der verschiedenen metrischen euklidischen und nicht-euklidischen Räume, zu Raum-Zeitstrukturen, aber auch zur „Geometrisierung" der theoretischen Wissenschaften selbst. Unter der „Geometrisierung" w i r d die Tatsache verstanden, daß i m Falle von dynamischen Systemen, von Bewegungen, Veränderungen etc. die Mathematik selbst nicht mehr gänzlich auf mengentheoretischen, topologischen oder algebraischen Strukturen, die ihrem Charakter nach statisch sind, begründet werden kann. Es scheint überhaupt, als ob die
390
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
Mengentheorie überwiegend zum Zwecke der Begründung der Analysis und der Zahlentheorie aufgestellt worden sei; die mengentheoretische Begründung der Mathematik muß aber durch eine andere „Grundlage" ergänzt werden, die w i r die „geometrische" oder „pythagoreische" nennen; diese geometrische Grundlage beruht auf dem intuitiven Verständnis von Raumstrukturen. Es ist leicht einzusehen, daß w i r hier eine Konzession an den Konzeptualismus machen; w i r lehnen aber die konzeptualistische Auffassung, daß die Wissenschaften rein rational und begrifflich aufgebaut werden könnten, ab. I m folgenden werden w i r uns nicht mit theoretischen Begriffen oder mit Zahlenvariablen beschäftigen, sondern nur mit Zahlentermen (Zahlen), oder genauer: mit der Semantik und Ontologie von Zahlen und ihrer metrischen Invarianz. Dies ist die pythagoreische Grundlage der modernen quantitativen Wissenschaften: w i r repräsentieren invariante Verhältnisse von empirischen Strukturen durch Zahlenverhältnisse. W i r werden i m folgenden unsere Überlegungen aus den vorhergehenden Kapiteln benützen, um die operative und die operationale Semantik und die strukturelle Ontologie auch auf die mathematischen Gleichungssysteme und die funktionellen Zusammenhänge (Schemata nach Heisenberg) 6 auszudehnen. Aus diesen Erörterungen ergibt sich, daß Hilberts Einordnung der Geometrie in die moderne Algebra ein zu radikaler Formalismus war; er steht in Gegensatz zur Kantschen und zur intuitionistischen Auffassung, daß Raum- und Zeitstrukturen vorerst konzeptualistisch in unseren intuitiven Vorstellungen repräsentiert werden müssen, bevor sie algebraisiert werden können. Die einseitige Auffassung, daß allein die mengentheoretischen Axiomensysteme für die Mathematik kennzeichnend seien, und daß die Mathematik mit der Algebra (Gruppen, Verbände, Ringe, Körper, Vektorräume) identisch sei, steht i m Widerspruch zu der Tatsache, daß nicht alle Axiomensysteme mengentheoretisch formuliert werden können und daß nicht alle mathematischen Formulierungen der Wissenschaften mengentheoretisch ausgedrückt werden können. W o h l kann man aber sagen, daß alle Axiomensysteme Festlegungen semantischer und struktureller Invarianzen sind. Hilberts 7 Axiomensystem der Geometrie ist daher eine rein abstrakte Struktur, ein von der empirischen Wissenschaft abgetrenntes Modell der dreidimensionalen euklidischen Geometrie. Nach der hier vertretenen Ansicht ist jedoch sogar dieses abgetrennte Modell letztlich der Ausdruck einer invarianten Struktur, die i n einem bestimmβ
Heisenberg (Quantentheorie), S. 48.
7
Hilbert.
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen
391
ten Gebiet der Welt, G f c , d. h. der klassischen Welt, vorliegt, wobei „ i n variant" „empirisch invariant" (im schon diskutierten Sinne, vgl. S. 183) meint. D . h. auch die Hilbertsche Geometrie geht letzten Endes auf empirische Aussagen zurück, die (statistisch) invariant geworden sind, i. e. Aussagen, die synthetisch und a posteriori sind. Diese statistische I n varianz verleiht den betreifenden Aussagen i n der schon beschriebenen Weise operationale Bedeutung hinsichtlich klassischer (Kon-)Texte 7h und hinsichtlich G \ Es ist bloß diese Invarianz, die die Philosophen dazu verführt hat, ζ. B. von der logischen Gültigkeit (Analytizität) der Geometrie u. ä. zu sprechen, und nicht Hilberts abstraktes Modell der Geometrie als solches. Unser Hauptargument ist, daß invariante, ζ. B. stetig zunehmende oder stetig abnehmende Verhältnisse (Proportionen) von Strukturen, die demnach eine dynamische Invarianz der Zu- oder Abnahme besitzen, nur durch die Differential- und Integralrechnung und ihre geometrische Kurveninterpretation mathematisch repräsentiert werden können. Ist die Differentialrechnung nicht ohne eine anschauliche Kurve mit ζ. B. Steigung, Wendepunkt, Minima und Maxima und deren mannigfaltigen Interpretationen möglich, dann heißt dies einfach, daß sich stetig ändernde Verhältnisse (die Fluxionen nach Newton) ebenfalls auf eine geometrische, pythagoreische Grundlage gestellt werden müssen, und nicht auf die Grundlage der Hilbertschen Algebraisierung der Geometrie. Als „pythagoreisch" seien hier alle jene Repräsentationen bezeichnet, bei denen Verhältnisse von empirischen Strukturen, d. h. strikte Proportionen oder sich stetig ändernde Proportionen durch mathematische Verhältnisse zwischen Zahlen repräsentiert werden. Dies kann man als eine Grundannahme ansehen, die durch das Konzept der metrischen I n varianz der mathematischen Gleichungssysteme bestätigt wird. Es ist daher die anschauliche Geometrie, die die einfachen Grundlagen dafür liefert, daß w i r von dynamischen Strukturen und Systemen i n „Räumen" sprechen können, und sie liefert die praktischen Voraussetzungen der Differential- und Integralrechnung. Ohne die anschauliche Geometrie wäre es kaum möglich, die mathematischen Gleichungen der quantitativen wissenschaftlichen Theorien quantitativ zu lösen. N u n handelt die Geometrie aber nicht nur von Punkten und Linien, wie sie i n der Empirie vorkommen, sondern audi von ausdehnungslosen Punkten u. dgl. Wollen w i r nun vermeiden, anzunehmen, daß die Objekte der Geometrie, wie ζ. B. ausdehnungslose Punkte, platonistische Existenz haben, dann müssen w i r eine konzeptualistische Parallelvariante der anschaulichen geometri-
392
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
sehen Repräsentation zulassen, ganz i m Sinne von S. 91, wo w i r den Konzeptualismus als mögliches — wenn auch i m allgemeinen überflüssiges — Bindeglied zwischen der operativen und operationalen Bedeutung auffassen. W i r nehmen also an, daß bestimmte geometrische Ausdrücke operativ invariant sind, d. h. invariant über bestimmten Gebieten D , daß ihnen aber nachträglich konzeptualistischer Status verliehen werden muß. Derart ist es möglich, bestimmte Strukturen empirischer Gebiete, besonders dynamische, quantitativ mit H i l f e der Differentialund Integralgleichungen zu berechnen. Das heißt, daß w i r zusätzlich zu den bisher behandelten mengentheoretischen Axiomatiken audi Axiomensysteme einführen, die ζ. B. Differentialgleichungen enthalten, jene Differentialgleichungen, die dazu da sind, die dynamisch sich ändernden Systemzustände oder die Verhältnisse stetig zunehmender oder abnehmender Systemzustände mathematisch-geometrisch zu repräsentieren. Dies erfordert eine ontologische und semantische Fundierung, die w i r bisher noch nicht erörtert haben. I n solchen Axiomen taudien also direkt Integralgleichungen und Differentialgleichungen auf, und diese können nicht durch mengentheoretische Terme ersetzt werden. N u r derartige „geometrische" Axiome können die invariante Zu- oder Abnahme oder die invariante Konstanz von sich ändernden und voneinander abhängigen Prozessen i n empirischen Systemen aus D , die gegenseitige quantitative Abhängigkeit von Parametern, i. e. Meßgrößen, bei der dynamischen Änderung von Systemen i n der Zeit quantitativ ausdrücken. Es ist zwar möglich — so bei der Heisenbergschen Matrizenformulierung in der Quantenmechanik oder bei der finiten Spieltheorie, die ebenfalls m i t Matrizen arbeitet — die Differentialgleichungen zu ersetzen; diese Ersetzung ist aber nur ein auf spezielle Fälle eingeschränktes statisches Zwischenstadium der Strukturrepräsentation von Systemen, die an sich dynamisch sind; derartige Ersetzungen erlauben diskrete Beschreibungen von Zuständen. Zur Orientierung geben w i r hier folgendes Schema bestimmter quantifizierter Theorien Th inklusive von deren Subtheorien Th M, d. h. den jeweils verwendeten Meßtheorien. W i r haben nun i m vorigen Kapitel i m Detail festgelegt, welche A x i o mensätze notwendig sind, um i m Rahmen von Meßtheorien Th M, die nunmehr Subtheorien einer Theorie Th sind, ζ. B. der klassischen Partikel-Mechanik 8 , zu messen. Es ist eine Eigenheit dieser Meßtheorien, 8
Leinfellner (Struktur), S. 193—199.
4
Subtheorie 1: Längenmessung
î
I
Subtheorie 2: Gewichtsmessung
î
:
Subtheorie 3: Zeitmessung
î
*
^
Subtheorie i : Messung
t
Semantisch (invariant-operativ und operational) und daher mathematisch formal zulässige Kombination der Parameter mit Hilfe der semantisch-mathematischen Exponentialformel
Vergleiche hierzu auch das mikroökonomische axiomatisierte Modell am Ende des vorigen Kapitels.
operatives Messen im Anwendungsgebiet D mit Hilfe von Standardmeßeinheiten
(Sub )Axiome der Meß theorien^T/?116 ^ ^
Parameter: Konstante und Meßgrößen
• Λ* Axiomensystem, in dem mathematische Gleichungssysteme, Differentiale, Integrale, Funktionen Mathematische Schemata, explizit vorkommen, und die invariente Verhältnisse (metrische Invarianz) von sich in der eichungen Zeit verändernden Systemen in Zustandsräumen metrisch und strukturell repräsentieren
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleiungen 393
394
6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
daß sie auch unabhängig von der Theorie Th, der sie als Subtheorien angehören können, existieren können. Hier jedoch werden die meßtheoretischen Axiome Subaxiome von Th. Diese Axiome oder Subaxiome sind für die semantische und ontologische Analyse der quantifizierten Theorien grundlegend, denn sie liefern die fundamentalen oder primären Meßgrößen, resp. Maßzahlen, die wiederum i n die Variablen der Gleichungen und Gleichungssysteme eingesetzt werden. Als semantische Grundforderung gilt hier, daß alle Zahlen, die i n Variablen auftauchen, nur durch die numerische Repräsentation mittels der Meßtheorien erhalten werden dürfen, und durch nichts anderes. Die numerische Repräsentation in Meßtheorien umfaßt daneben die Urabzählung als einfachste Messung, die Aufstellung von statistischen Maßen, etc. Die Frage, die sich nun stellt, und die man als die wichtigste Frage hinsichtlich der semantischen Analyse quantitativer Theorien ansehen kann, ist folgende: Mathematische Gleichungen sind Schemata, die Variablen für Zahlen enthalten. Meßgrößen sind nun, wie schon erwähnt, nicht einfach Zahlen, sondern Zahlen, die in einem System von Standardeinheiten dimensioniert sind, und die nicht beliebig in die Variablen der Gleichungen eingesetzt werden können. So ist ζ. B. „Bevölkerungsdichte mal Ampère" ein völlig sinnloser Ausdruck. Wie ist es nun möglich, daß Gleichungen i n Theorien einerseits wie Gleichungen für reelle Zahlen gehandhabt werden, andererseits sollen die i n sie eingesetzten Zahlen Meßgrößen sein. Die Abstraktheit der mathematischen Gleichungssysteme einer Theorie Th muß sozusagen durch die semantische und ontologische Analyse dessen, was man in die Variablen einsetzen darf — und warum man in die Variablen einsetzen darf — aufgelöst werden. Quines Versuch, die ontologische Frage zu lösen, indem er vorschlug, daß der Bereich der gebundenen Variablen die Ontologie (des Prädikatenkalküls) bestimmen solle, erweist sich von unserem Standpunkt aus als akzeptabel, aber auch als eine allzu große Vereinfachung, die den komplexen quantitativen Theorien nicht gerecht werden kann. M a n kann annehmen, daß das gesamte Verständnis der modernen „abstrakten" Theorien vom Verständnis ihrer Semantik und Ontologie abhängt, d. h. vom Verständnis der Substitution für Variablen i n den mathematischen Gleichungen (Schemata) durch Meßgrößen und Konstanten, wobei diese Gleichungen semantisch (metrisch-operational) und metrisch-strukturell invariant über D und hinsichtlich Th sein sollen. Das Problem, das hier behandelt werden soll, ist also teilweise ein semantisches, teilweise ein mathematisches und
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen
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natürlich ein ontologisches Problem; es ist aber nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, ein deduktiv-logisches. Es ist aber eine Spezialisierung des Problems der operativen (und demnach operationalen) Invarianz, wie w i r es vom nicht-quantitativen Standpunkt aus schon behandelt haben. N u n kann man aber in die Variablen eines Gleichungssystems oder Schemas nicht ohne weiters die Meßgrößen, i. e. die durch Messungen gewonnenen Zahlen einsetzen. W i r müssen hier betonen, daß Gleichungssysteme, die w i r auch „Schemata" nennen, keine rein mathematischen Angelegenheiten sind, sondern sie sind semantisch-ontologisch bestimmt. Das folgende Differential ôxjôy dx = 0
ist ein typisches Schema v o m Range eines mengentheoretischen strukturellen Axioms; es gilt für den Fall eines dynamischen mechanischen Gleichgewichtes einer in einer Schale hin und her rollenden Kugel in mechanistischen Theorien usw. I n diesem Falle repräsentiert das Differential die stetige Rechts- und Linksabweichung um den tiefsten Punkt. I m Falle thermodynamischer Theorien und des thermodynamischen Gleichgewichtes müssen w i r aber so interpretieren, daß χ der Druck eines Stempels auf einen Kolben ist, und aus obiger Formel w i r d durch Ersetzung: ôg/ôp dp = 0
für einen reversiblen adiabatischen thermodynamischen Prozeß. D a ôg/ôp gleich dem Volumen ν des im Kolben befindlichen idealen Gases ist, so erhält man daraus vdp. Natürlich muß man auch hier die Kenntnis des (Kon-)Textes Th und von D voraussetzen. Es ist hier die semantische und ontologische, und auch die erkenntnistheoretische Situation durch das Konzept der logisch-mathematischen Variable, die in allen Welten gültig sein soll, die es aber nicht gibt, verdunkelt. M a n nimmt ja meistens an, daß die mathematischen Gleichungen mit ihren Variablen an sich und a priori existieren, gewissermaßen als leere Muster oder leere Schemata, ähnlich wie die logischen Gebilde, und daß diese dann beliebig mit W i r k lichkeit erfüllt werden, um (empirisch) wahr zu werden. Die Situation ist aber umgekehrt: Historisch-genetisch und genetisch i m Rahmen von Theorien gesehen entwickelt sich die Differentialrechnung aus der Geometrie, aus der Strukturrepräsentation wirklich existierender Systeme, vor allem dynamischer Systeme. Mathematik und Geometrie insbesondere sind also semantisch und ontologisch fundiert; so ζ. B. hat N e w t o n die
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6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
Differentialrechnung im Hinblick auf seine physikalische Theorie „erfunden". Erst i m nachhinein hat sich die Differentialrechnung von ihrer Ontologie und Semantik abgelöst und ist platonistisch, abstrakt und kalkiilisierend geworden. Mathematik ist also zumindest genetisch stets Mathematik für etwas, wie schon Klein über die griechische Mathematik bemerkt 9 , nämlich Mathematik zur Berechnung empirischer Phänomene. M a n kann leicht zeigen, daß auch i m abstraktesten Falle, wie ζ. B. der Erklärung eines Differentials wie des oben stehenden, der Mathematiker zu einem geometrischen, i. e. empirischen Beispiel greifen muß, wenn es auch nur eine Kurve i m Koordinatensystem und die sich an sie anschmiegende Tangente ist. W i r haben i m vorigen Kapitel festgestellt, was einfache, fundamentale oder primäre Messungen und die ihnen entsprechenden einfachen, fundamentalen oder primären Meßgrößen sind. W i r haben aber noch nicht analysiert, wie die Meßgrößen miteinander in den Gleichungssystemen der Theorien verwendet werden, d. h. in Gleichungssystemen wie Zahlen behandelt werden, obwohl sie nicht Zahlen im üblichen Sinne, sondern semantisch typisierte Zahlen, i. e. nach m> l und t (ζ. B.) „rein" dimensionierte Zahlen sind.
6.2.1. Mathematisierung der Semantik — Semantisierung der Mathematik Parameter seien entweder primäre oder sekundäre Meßgrößen oder Konstante einer Theorie. Parameter sind die i n Frage kommenden Substitute für die Variablen in den Gleichungen, die i n quantitativen Theorien vorkommen. Jeder Parameter, i. e. jede Meßgröße oder Konstante besteht aus einer Maßzahl, welche eine rationale oder reelle Zahl ist, und aus einer operativen Angabe, welche zusammen in der schon verwendeten semantischen Matrixform dargestellt werden können. Die operative Angabe w i r d i n den Naturwissenschaften die „Dimensionierung i m g-cm-5ec-System" (natürlich gibt es auch andere Systeme von Meßeinheiten) genannt. W i r müssen bei der Dimensionierung aber streng zwischen zwei Fällen unterscheiden: 1. der „reinen", operationalen Dimensionierung einer Maßzahl nach Länge /, Zeit i, Masse m etc., und 2. der operativen Dimensionierung einer Maßzahl i m g-ow-sec-System oder einem anderen System von Meßeinheiten. N u r i m Falle 2 haben w i r eine Meßgröße vorliegen; wenn es eine primäre Messung war, dann kommt der Maßzahl direkt operative, empirische Bedeutung zu. Dies • Klein, S. 7 f., S. 16.
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen
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soll nicht heißen, daß nicht „rein" dimensionierte Maßzahlen, dimensionslose Quantitäten und sekundäre Meßgrößen auch empirische Bedeutung haben können; aber diese kann nur auf Umwegen erreicht werden. Bei den „rein" dimensionierten Maßzahlen ist es so, daß die „reine" Dimensionierung bloß die operationalen Bedeutungen liefert, die operationalen Bedeutungen von Maßzahlen. Auch die operationale Bedeutung kann m i t H i l f e einer semantischen Matrix, einer operationalen nämlich, dargestellt werden. W i r können uns nun fragen, wieso die „reine" Dimensionierung als operational semantisch betrachtet werden kann. Es ist natürlich intuitiv klar, daß sie uns nicht die empirische Bedeutung einer Maßzahl liefern kann. Denn wenn w i r auch wissen, daß etwas lang ist oder Masse hat, so wissen w i r damit doch nicht, wie lang es ist oder wieviel Masse es hat, d. h. einfach ausgedrückt, wieviel Gewicht dieses Etwas i n der Wirklichkeit beansprucht. W i r sehen weiters, daß in einer semantischen Matrix, die die Bedeutung einer Quantität auf der „reinen" Dimensionierung aufbaut, die Spaltenaufschriften von ganzen Axiomensystemen (zumindest einem) gebildet werden; und Axiomatisierungen sind der Ausdruck operativ semantischer Invarianzen, d. h. sie halten die operationale Semantik von Theorien Th inklusive Meßtheorien Tb M fest. Eine Meßgröße muß aber selbstverständlich eine unmittelbare operative Bedeutung haben, wenn sie primär ist. I m Falle von Meßgrößen muß dann die „reine" Dimensionierung nach /, m, t etc. durch die Standardisierung in die Dimensionierung i m g-cm-iec-System (ζ. B.) umgewandelt werden. Die Axiomensysteme, die die Spaltenaufschriften bilden, müssen dann als Handlungsanweisungen angesehen werden, wie Messungen auszuführen sind, bzw. allgemein: die Axiome müssen empirisch gültig sein. Daß Axiome auch empirisch gültig sein können und empirische Bedeutung haben können, haben w i r ja schon öfters bemerkt. Die i n H a n d lungsanweisungen umgewandelten Axiome reichen aber alleine noch nicht aus, soll die empirische Bedeutung einer Maßzahl ermittelt werden; es muß der Matrix noch in irgendeiner Form eine Standardisierung hinzugefügt werden, bzw. Standardisierungen, wenn es sich um sekundäre Meßgrößen handelt. Für eine primäre Meßgröße haben w i r bloß ein Axiomensystem und eine Standardisierung; für eine sekundäre haben w i r mehrere Axiomensysteme und Standardisierungen, entsprechend der A n zahl der primären Meßgrößen, auf die die sekundäre zurückgeführt werden muß. Daher sagten w i r , daß eine sekundäre Meßgröße keine „direkte" empirische Bedeutung habe. Die so erhaltene operative Matrix, welche mit H i l f e der Standardisierung(en) gebildet w i r d , liefert die operative Bedeutung einer Maßzahl. I m Sinne von Kap. 3. (S. 218) dürf-
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6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
ten w i r eigentlich nicht sagen, daß die verschiedenen Matrizen die Bedeutungen darstellen oder liefern, sondern w i r müßten diese in Semanteme eingliedern. Nehmen w i r eine allereinfachste physikalische, ökonomische etc. quantitative Gleichung von der Form Χ = γ, welche also nicht eine rein mathematische Gleichung wie 5 = 5 sein soll, sondern heißen soll, daß eine, ζ. B. physikalische, Quantität einer anderen physikalischen Quantität gleich ist, d. h. daß X denselben numerischen Wert wie Y haben soll. Soll diese Gleichung ζ. B. i m Rahmen der Physik operativ invariant sein, i. e. operationale Bedeutung haben, dann muß diese Gleichung unabhängig von den Meßeinheiten sein. Nehmen w i r nun an, daß X und Y zwei verschiedenen „reinen" Dimensionen angehören, z. B. / und und nehmen w i r weiters an, die ganze Gleichung sei i m g-cwz-5ec-System dimensioniert. X würde dann i n cm ausgedrückt werden, und Y in sec. Ein Wechsel zum Meter-Kilogramm-SekundenSystem würde den numerischen Wert von X ändern, aber nicht den von Y . Die Gleichung X = Y würde dann nicht mehr numerisch korrekt sein, und zwar aus semantischen, operativen Gründen. Betrachten w i r ζ. B. die Gleichung für die Geschwindigkeit ν , wo w i r auf der rechten Seite zwei verschiedene Quantitäten stehen haben: d = vt. Die „reine" Dimension von d> der Distanz, ist die Länge /, oder, anders ausgedrückt: die operationale Bedeutung der Maßzahl von d ist durch die Dimensionierung / gegeben. Die „reine" Dimensionierung der Zeit t ist die Zeit £, die „reine" Dimensionierung der Geschwindigkeit ist l j t . Die dimensionale, i. e. semantische, operationale Korrektheit der Gleichung d = vt kann durch eine andere „Gleichung" von semantisch-mathematischer N a t u r geprüft werden: [Länge/] =
Länge/ Zeit t
[Zeit t]
Fügen w i r hier die Dimensionierung i m g-cm-sec-System hinzu, dann erhalten w i r natürlich die operative Bedeutung. Die Korrektheit obiger „Gleichung" ergibt sich daraus, daß man durch die Zeit t kürzen kann. Die „semantische Gleichung" gibt gleichzeitig an, was man mit den Maßzahlen mathematisch machen kann. Sie kann leicht in eine „dimen-
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen
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sionslose" Exponentialgleichung (siehe S. 422), die die vollständige metrische (metrisch-operationale, metrisch-strukturelle) Invarianz ausdrückt, umgeformt werden. Es kann aber vorkommen, daß inkorrekte dimensionale „Gleichungen" dennoch i m Falle von bestimmten Meßeinheiten korrekt sein können; d. h. daß diese Gleichung gewissermaßen zwar operativ aber nicht operational korrekt ist. Nehmen w i r an, daß ein Pfund Fleisch in den U S A einen Dollar kostet. Wenn c die Kosten sind, und m das Gewicht des Fleisches, dann erhalten w i r die Gleichung c = m. Diese Gleichung ist, wie gesagt, dimensional nicht korrekt, denn die „reine" Dimension von c ist Geld, und die von Gewicht die Masse. Die Gleichung ist jedoch operativ korrekt, solange w i r i n Pfunden und D o l lars rechnen. Aber i n Deutschland, wo ein Pfund Fleisch (wir vernachlässigen jetzt den Unterschied zwischen US-Pfunden und deutschen Pfunden) z. B. 10 M a r k kostet, ist die Gleichung c = m nicht nur „rein" dimensional sondern auch operativ inkorrekt. Es liegt also bei c = m keine operativ semantische Invarianz, und damit auch keine operationale Bedeutung vor. Jedermann weiß nun, wie eine derartige Gleichung i n eine operativ invariante und eine mit operationaler Bedeutung umgewandelt werden kann. W i r müssen ein neues Symbol, z. B. „/?" für den Preis per Pfund einführen. W i r erhalten dann c = pm. Die entsprechende dimensionale „Gleichung" lautet: [Geld] =
Geld [Masse m\ . Masse m
D a ein Preis fundamental auch als monetärer Präferenzwert, i. e. als monetäre u t i l i t y angesehen werden kann, können w i r auch schreiben: [Geld] =
utility [Masse m] Masse m
W i r werden nun diese „semantische A r i t h m e t i k " oder „algebraische Behandlung der Bedeutungen", wie w i r sie auch nennen können, als Grundprinzip der Semantik quantitativer Theorien und als eine Methode auffassen und darstellen, die eine operational-metrische oder strukturellmetrische Invarianz (basierend natürlich auf operativen Invarianzen) für alle messenden quantitativen Theorien liefert und garantiert. W i r er-
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6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
halten hier eine Parallele zu der operationalen Invarianz i n topologisch ausgerichteten Theorien; hier aber handeln w i r von Zahlen, Meßgrößen, Quantitäten und Konstanten. W i r werden von der oben gezeigten Form semantischer „Gleichungen" und operationalen „Kürzungen" der „reinen" Dimensionen und der damit verknüpften Einführung von N u l l Dimensionierungen noch vielfach Gebrauch machen. Es sei bemerkt, daß w i r von nun an Dimensionierungen häufig in Exponentialform anschreiben werden, so daß die ursprünglich i m Zähler stehende „reine" Dimension einen positiven und die ursprünglich i m Nenner stehende Dimension einen negativen Exponenten hat. Ζ . B. kann die Rate, mit der Radios in einem Geschäft gekauft werden, als 14 h' 1 angeschrieben werden, wenn 14 Radios pro Stunde verkauft werden. D a die (Maß-)Zahl der Radios dimensionlos ist — weil sie aus einer Urabzählung gewonnen wurde — steht hier nur die Dimensionierung der Zeit, wobei die Meßeinheit eine Stunde ist. Eine mathematische Gleichung, ζ. B.
y + y 2y kann einfach als eine rein mathematische Angelegenheit betrachtet werden, der keinerlei Bedeutung zukommt. H a t sie aber empirische Bedeutung, dann kann z. B. y dimensionslos sein; dann ist auch y 2 dimensionslos und die Gleichung ist dimensional korrekt. Würde man allerdings annehmen, daß y nicht dimensionslos ist, wie ζ. B. die Zahl der Radios in obigem Beispiel, welche eine dimensionslose Maßzahl ist, sondern nach der Länge l „rein" dimensioniert ist, dann würden Schwierigkeiten entstehen, weil dann y und y 2 verschiedene Dimensionen haben würden. Die A d d i t i o n kann dann nicht durchgeführt werden. Die Probleme der Semantik von Quantitäten, Meßgrößen, dimensionslosen Maßzahlen ζ. B. als dem Resultat von Urabzählungen usw. sind natürlich komplex. Was w i r hier benötigen, sind Definitionen der „reinen" Dimensionen, wie /, m, und damit davon, wie die operationalen Bedeutungen der Maßzahlen zustande kommen, resp. auch der Dimensionierungen i m g-cm-sec-System oder anderen Systemen von Meßeinheiten. Auch benötigen w i r Definitionen für die sekundären Quantitäten und Meßgrößen, i.e. solche, die aus primären zusammengesetzt sind. Es ist klar, daß eine sogenannte dimensionslose Quantität, welche ζ. B. das Resultat einer semantischen „Kürzung" oder einer U r abzählung ist, eine bestimmte operative Bedeutung haben kann, sowie auch eine operationale. Haben w i r solche dimensionslosen Meßgrößen
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen
401
oder Quantitäten erhalten, so daß nur die Maßzahlen übrig bleiben, dann können diese in den mathematischen Gleichungen wie reine reelle Zahlen behandelt werden. W i r halten also zunächst fest, daß es i m Rahmen unserer bisherigen Erörterungen zwei Gründe für dimensionslose Quantitäten gibt: der erste Grund ist, daß eine Urabzählung m i t einer dimensionslosen Maßzahl als Resultat stattgefunden hat, der zweite, daß ein Bruch, ein Verhältnis von „rein" dimensionierten Maßzahlen gebildet wurde, wo Zähler und Nenner dieselbe Dimension haben und semantisch „gekürzt" werden kann, oder, exponential ausgedrückt: weil jeder Ausdruck zur Oten Potenz 1 ergibt. Aber dies ist noch nicht die genaue Explikation einer dimensionslosen Größe oder Gleichung. Nichtsdestoweniger sehen w i r sofort, daß sich die metrische Invarianz auf Verhältnissen von Strukturen aufbaut, so daß diese strukturellen Verhältnisse zu reinen Zahlenverhältnissen isomorph sind (vgl. Kap. 6.1.). M a n muß hier aber vorsichtig sein: es könnte ζ. B. jemand das Argument anführen, daß auch die Maßzahl, die die Länge einer Schnur angibt, sich in einem Verhältnis befindet, nämlich sie steht in Proportion zu der Standardmeßeinheit, ζ. Β. 1 cm, die auf dem Maßstab aufgetragen ist. Man darf also keine derartigen Proportionen einführen und darauf semantische „Kürzungen" aufbauen, was in der Praxis des Messens durch den sogenannten Schnitt (vgl. S. 288) gewährleistet wird. Die praktische Definition einer dimensionslosen Maßzahl oder Größe besagt nun, daß ihr Wert sich nicht ändert, wenn die Meßeinheit geändert wird. Es ist klar, daß es sich oben nicht um „reine" Dimensionierungen handeln kann. Die Anzahl der Bürger i n den USA ζ. B. ist von vornherein dimensionslos, weil sie weder von Längeneinheiten, noch von Zeiteinheiten, noch von anderen Einheiten abhängt. Die Zahl der Längeneinheiten (cm), die w i r auf einer Schnur auftragen können, ist jedoch nicht dimensionslos, weil sich mit der Änderung der Meßeinheit (cm) auch die Zahl der Längeneinheiten, die die Länge der Schnur ausmachen, ändert. Das Verhältnis der Längen zweier Schnüre ist hingegen dimensionslos. Das heißt also, dieses Verhältnis der Länge zweier Schnüre ist metrisch invariant. Z u den semantischen Problemen der Meßgrößen und Quantitäten treten noch die semantischen Probleme der Konstanten hinzu. Solche Konstante sind ζ. B. die Erdanziehung, die Plancksche Konstante, in den Sozialwissenschaften ζ. B. die Konstante, daß der Mensch symmetrisch gebaut ist und zehn Finger hat, etc. Diese Konstanten haben natürlich operative Bedeutung und stehen oft auf dem Niveau der sekundären Messungen. Konstanten sind gegen den Wechsel der Meßeinheiten sehr 26 Leinfellner
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6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
empfindlich, und es ist sehr schwierig, sie dimensionslos zu machen. Während es das Ziel aller wissenschaftlichen quantitativen Formulierungen sein kann, dimensionslos, i. e. absolut quantitativ (metrisch-strukturell) invariant zu werden, ist die Invarianz einer Konstante auf eine Theorie 7h beschränkt. D a w i r hier von vornherein die Invarianz nicht über den Rahmen des Textes einer Theorie ausdehnen, spielt diese Eigenschaft der Konstante, nämlich daß sie gegen den Wechsel der Meßeinheiten sehr empfindlich ist, für uns weiter keine Rolle. Konstanten informieren uns also über die ontologische Situation i n D ebensogut wie die Meßgrößen; sie sind aber von Systemereignissen unabhängig. W i r wollen nun im folgenden darstellen, wie operative Quantitäten, d. h. Parameter, besonders Meßgrößen, i n operationale übergeführt werden können, so daß sie in einem nächsten Schritt metrisch invariant werden. Zuvor erwähnen w i r noch ein Toleranzprinzip der Messung: Welche Einheiten man als fundamentale Grundeinheiten verwendet, hängt vom Belieben des Wissenschaftlers, bzw. den wissenschaftlichen Konventionen ab. Daß die klassischen Einheiten g, cm, sec bevorzugt werden, hat praktische Gründe, ζ. B. den, daß sie auch für den A l l t a g wichtig sind. Es ist audi arbiträr, wie viele primäre (oder fundamentale) Meßeinheiten w i r i n einer Theorie benützen. So kann man ζ. B. i n der Relativitätstheorie Länge und Zeit voneinander abhängig machen. Die Einsteinsche Definition der Lichtgeschwindigkeit macht es möglich, entweder Länge oder Zeit und damit die entsprechende Meßeinheit zu eliminieren, d. h. daß dann Länge und Zeit i n einer einzigen Meßeinheit ausgedrückt werden können. Wie man die Zahl der Dimensionen reduzieren kann, können w i r dann an folgendem Beispiel sehen: W i r stellen eine natürliche Verbindung zwischen Meßeinheiten für die Zeit und Meßeinheiten für die Länge her, wozu w i r die Lichtgeschwindigkeit benützen. W i r können dann Zeit und Länge durch eine einzige Meßeinheit ausdrücken. Die Lichtgeschwindigkeit erhält den Wert 1. Der Erdumfang beträgt dann ein Zehntel Sekunde (ca.) und die Distanz von der Erde zur Sonne ist 500 sec. Die Zeit, die die Erde benötigt, um einen Umlauf um die Sonne zu beschreiben, beträgt 3 mal 10 7 sec (ein Jahr), aber die Distanz, die sie zurücklegt, beträgt nur 3.2 mal 10 3 sec. Wenn diese A r t , Zeit und Länge auszudrücken, einmal akzeptiert ist, dann gibt es keine operativen Vagheiten mehr, vorausgesetzt, w i r halten i m Rahmen einer Theorie an dieser Meßeinheit fest. A u f diese Weise ist die Zahl der Dimensionen, die als fundamental angesehen werden, nämlich 3, zu 2 reduziert worden. A u f eine ähnliche Weise könnte die Plancksche Konstante, wenn sie als
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen
4Ö3
Meßeinheit akzeptiert würde, die Zahl der Dimensionen zu 1 reduzieren. Letztere Reduktion würde dem hier vertretenen (proto-)ontologischen Standpunkt, nach welchem einem Systemereignis eine Wirkung, Respons etc. zukommt, am besten entsprechen. Z u diesen einleitenden Bemerkungen muß noch hinzugefügt werden, daß w i r die Lösung der nächsten Probleme, nämlich der quantitativen (metrisch-strukturellen) Invarianz dimensionsloser Quantitäten und der metrischen Invarianz ganzer mathematischer Gleichungen als Beweis für unsere These von der operativen Invarianz, der daraus folgenden operationalen Invarianz und der strukturellen Invarianz auffassen. Es erscheinen nämlich die dimensionslosen Gleichungen als die letztmögliche Extension der These von der semantischen Invarianz, aber zu einem gewissen Grade auch sozusagen als ihre „Aufhebung". Denn dimensionslose Gleichungen sind das Ergebnis einer algebraisierten Semantik einer Theorie. W i r erinnern uns hier aus der Geschichte der Philosophie an die Pythagoreer, für die sich das Universum in Proportionen von Zahlen auflöst. Doch es sollen hier — i m Gegensatz zur pythagoreischen Auffassung — auch dimensionslose Gleichungen nicht als in allen Welten gültig betrachtet werden, sondern nur als allerletzte Generalisierungen und als metrisch, i. e. operational und strukturell invariant über bestimmten Gebieten D . Es ist wichtig, daß man hier folgendes versteht: W i r haben die Semantik der wissenschaftlichen Theorien, wie w i r sie in den vorigen Kapiteln dargestellt haben, teils auf linguistische, teils auf wissenschaftstheoretische Analysen ζ. B. der Axiomatiken aufgebaut. I n diesem Kapitel greifen w i r auf eine semantische Methode zurück, die den Naturwissenschaften (seit Newton) selbst entstammt 10 und die i n den letzten Jahren durch rein logisch orientierte Semantiken zurückgedrängt worden war. Auch versuchen wir, alle die angeführten Methoden — m i t Ausnahme der rein logisch orientierten Semantiken — miteinander i n Einklang zu bringen. Die rein logisch orientierten Semantiken genügen nicht, um die semantischen Probleme der Wissenschaften zu lösen. Die dimensionale Analyse der Naturwissenschaften 11 hingegen bestätigt die operativ und operational semantischen Analysen und die hier vertretene Ontologie der Wissenschaften i n vollem Umfange. I n Analogie zu den semantischen (operativen und operationalen) Matrizen führen w i r nun Matrizen für „reine" Dimensionen und Dimen10
Newton (Principia), Bd. 2, Kap. 7. Vgl. Bridgman; Birkhoff, S. 77—92; Ellis, S. 127—151; Gukhman, S. 219—254. 11
26*
404
. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
&ionierungen i m g-cra-5ec-System ein, welche die operationale und die operative Bedeutung der Maßzahlen liefern, unter Einhaltung der Semantem-Bedingung. Definition 1. Jeder Parameter (primäre, sekundäre Meßgröße, Konstante, P) und jede „rein" dimensionierte Quantität besteht aus einer Maßzahl r* und einer Dimensionsangabe, die die Bedeutung der Maßzahl liefert. Diese Dimensionsangabe kann die Form einer M a t r i x annehmen. Die Zeilenaufschriften „ ä ü " , „ d i 2 " entsprechen jeweils einem Axiomensystem, ganz i m Sinne unserer Erörterungen auf S. 111 und S. 181, wo w i r sagten, daß gewisse Axiomensysteme die (zusammengesetzte) operationale Bedeutung von z. B. „ Z e i t " festlegen. Für einen Fall, den der Kraft, führen w i r audi die operative (empirisch deskriptive, ontologische) M a t r i x an; statt der „reinen" Dimensionierung Kraft haben w i r dann die Meßeinheit dyn. Es ist klar, daß die folgenden Matrizen, die w i r auch als Vektoren ansehen könnten, für sekundäre Messungen, Meßgrößen und „rein" dimensionierte Quantitäten gelten; für primäre Meßgrößen würden die Matrizen nur eine Spalte enthalten.
Kraft:
rît
1
F1
F2
an ψ
1 dyn:
Ui2 cnf 1
I m folgenden eliminieren w i r die Plus-Zeichen, sowie die Spaltenaufschriften. Geschwindigkeit: Preis:
ll utility
t' 1 1
m' 1
I n die entsprechenden operativen Matrizen müßten w i r im Falle der Geschwindigkeit „ / " durch „ c m " und „ i " durch „5ec" ersetzen — w i r bedienen uns hier stets der g-cm-5ec-Dimensionierung, wenn es um Meßeinheiten geht. Beim Preis würde statt „utility " „monetäre Einheit" und statt „ m " „ g " stehen. Die Matrize für die Geschwindigkeit kann nun erweitert werden: Beschleunigung:
ll
t~ 2
Impuls:
m1
ll
f1
Arbeit:
m1
l2
t' 2
W i r lassen nun einige Konstante folgen. H i e r müssen w i r natürlich die Maßzahl r* anführen, sowie in einem Meßsystem dimensionieren,
6.2. Der semantisch ontologische Charakter der mathematischen Gleichungen
405
ganz i m Sinne unserer vorhergehenden Ausführungen. Dementsprechend gibt es natürlich auch für Konstante Dimensionsformeln.
η Gravitationskonstante G: 6.658 X IO"8
X^ etc. von Quantitäten. Dementsprechend unterscheidet Erenfest zwischen materialen und formalen Transformationen. I n obiger Formulierung (der ersteren) sei MSJ eine sekundäre Messung, die darin besteht, daß eine Funktion F gefunden wird, die auf die primären Messungen, denen alle verschiedene „reine" Dimensionen und dementsprechende Standardmeßeinheiten zukommen, iterativ angewandt werden kann. Das Problem ist, eine solche Funktion zu finden, die es erlaubt, den Aufbau der sekundären Meßgrößen aus den primären sowohl operativ semantisch als auch mathematisch, und auch operational (semantisch) befriedigend zu bewerkstelligen. Die Invarianz des Verhältnisses von primären Meßgrößen muß dabei natürlich streng erhalten bleiben. W i r gehen hier umgekehrt vor wie Parkinson 17 , wie schon gesagt. Parkinson geht an das Problem axiomatisch heran. Parkinsons Ergebnisse können aber aus den Lösungen des Problems, wie sie aus den einzelnen Theorien gewonnen werden, induktiv ermittelt werden. Parkinson nimmt 17
Parkinson, S. 201.
6.5. Die Reduktion sogenannter „theoretischer Terme"
417
an, daß ein Hauptaxiom der metrischen Invarianz, nämlich: I n quantitativen Theorien bleiben die Gesetze dieselben, ganz gleichgültig, welche Standardmeßeinheiten w i r benützen, allen übrigen Erörterungen vorangesetzt werden muß. Daraus geht hervor, daß nach ihm / (X iy X 2, .. X m) = 0 eine metrisch invariante Struktur kennzeichnet und (semantisch) vollständig sein muß (vgl. S. 407). Parkinson setzt also voraus, was für uns ein induktiv zu erreichendes Ziel ist. W i r haben nun gesehen, daß primäre Meßgrößen gegenüber Veränderungen der Standardmeßeinheiten invariant werden, wenn sie ein Verhältnis, i. e. eine Proportion bilden, und daß sie gleichzeitig dadurch dimensionslos und semantisch und strukturell invariant werden. Es beruhen dann auch die Veränderungen von Y ganz auf den zulässigen Transformationen der primären Meßgrößen, und auf invarianten „pythagoreischen" Verhältnissen derselben. W i r kehren nun zu unseren zwei eingangs angeführten Gleichungen zurück. Diese drückten ontologisch-semantisch und mathematisch aus, wie eine sekundäre Messung funktional von primären abhängt, bzw. sekundäre Quantitäten von primären. Analog ist der numerische Wert Y einer sekundären Quantität durch eine mathematisch näher zu bestimmende Funktion / gegeben, wobei die Xu X 2y . . X m die numerischen Werte (Maßzahlen) primärer Quantitäten sind: Y = / (Xu
· · ·> Xm)*
Wenn zwei verschiedene Mengen von Standardmeßeinheiten benützt werden, so daß X
10 * X20 » · · · > Xm0
folgendermaßen transformiert w i r d :
"
x
/« τ» ' · Ύ» ' '
Λ Ύ· ' ·
« m· Treffen w i r nämlich unsere Wahl, wie gesagt, auf Grund der ersten Gleichung ÇY = A . . . ) , dann ist durch die Gleichsetzung von A = 1 die zweite Gleichung nicht mehr invariant gegenüber dem Wechsel von Meßeinheiten für die primären Quantitäten. Man erhält damit numerische Werte von Quantitäten oder Meßgrößen (d. h. Maßzahlen), die den Skalentransformationen gegenüber nicht mehr invariant sind, die aber doch operationale Bedeutung besitzen; ζ. B. besitzt die Gaskonstante R die „reine Dimensionierung ml 2t~ 2 Q" 1 , so daß w i r die Gaskonstante mit 2.053 Χ 10"16 ml 2t 2 Q ' 1 angeben können. Operativ erhalten w i r 2.053 X X 10~1*gcm 2sec~ 2°C~ 1. Der Name „Konstante" w i r d verwendet, weil derartige Größen von den tatsächlichen Änderungen in den physikalischen Systemen in D vollständig unabhängig sind; sie bestimmen diese vielmehr ontologisch und mathematisch. Es ist nun manchmal möglich, derartige Konstante aus dem Kontext Th zu entfernen. 1. M a n kann z . B . die zweite Gleichung ( Υ = Β . . . ) so umformen, daß eine der primären Quantitäten, ζ. B. x m., durch die übrigen primären Quantitäten und die Quantität y festgelegt wird, vorausgesetzt, daß die Theorie 7h dies gestattet. x m w i r d dadurch per definitionem eine sekundäre Quantität. 2. M a n kann nun die Meßeinheiten von x m derart formulieren, daß die K o n -
6.6. Die mathematisierte Semantik quantitativer Theorien
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stante Β einheitsstiftend wird. 3. I n derselben Weise kann man eine Naturkonstante eliminieren, indem man sie als quasi primäre Quantität zu einer sekundären macht und für diese Quantität eine sekundäre Meßeinheit konstruiert. Das klassische Beispiel ist die Wärme, gemessen in Kalorien. I n kalorimetrischen Theorien kann man sie als primäre Quantität ansehen, die zugleich eine Naturkonstante, nämlich das mechanische Wärmeäquivalent mit der „reinen" Dimensionierung (aus welcher die operationale Bedeutung sich ergibt) von m / " 2 r 2 Q _ 1 einschließt. Andererseits kann man die Wärme als sekundäre Quantität betrachten; dann muß man die Kalorie durch medianische Arbeit, mit der Meßeinheit Joule, definieren. I n diesem Falle kann die Naturkonstante leicht eliminiert werden, und das Gesetz oder Prinzip des mechanischen Wärmeäquivalents garantiert für die Beziehung zwischen den Quantitäten Arbeit und Wärme, in einer neuen Theorie, welche die beiden alten Theorien umfaßt. Das Wärmeäquivalent w i r d sozusagen als die Basis für die semantisch bestimmende Gleichung der Wärme genommen, wobei diese Quantität von einer primären in der kalorimetrischen Wärmetheorie zu einer sekundären in der mechanistischen Wärmetheorie wird. Ontologisch ist diese Situation dadurch erklärbar, daß eine Meßeinheit von mechanistischer Natur, die für Arbeit, in eine kalorimetrische Theorie eingeführt wird, was sich auf alle sekundären Meßeinheiten für Wärmekapazität, Wärmeleitfähigkeit etc. auswirkt. Die Mathematisierung der Semantik einer quantitativen Theorie erlaubt aber die Lösung eines der wichtigsten semantischen und mathematischen Probleme dieser Theorien, das Auffinden metrisch invarianter Strukturen, nämlich was für eine Anzahl bzw. welche Gruppe von Quantitäten (π-Gruppe nach Buckingham) als dimensionslos angesehen werden kann. Es ist klar, daß eine derartige Gruppe alle wichtigen Terme — man kann sagen: alle wichtigen deskriptiven Grundterme — der i n Frage kommenden Theorie T h inklusive ihrer Meßtheorien ThM enthalten soll, also Terme für primäre und sekundäre Quantitäten und für Naturkonstante, welche w i r aber i m folgenden nicht behandeln wollen. Es erhebt sich nun die Frage, ob die bisher praktizierte Mathematisierung der Semantik einer Theorie nicht derart erweitert werden kann, daß sie auch dieses Problem einschließt. M a n beginnt hier mit einer bereits vorhandenen und empirisch gut bestätigten Theorie Th und wendet die mathematisierte Semantik in der folgenden Weise an: Die ge-
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6. Semantische und ontologische Modelle quantitativer Theorien
suchte Gruppe v o n Quantitäten, die also dimensionslos gemacht werden soll, bestehe aus primären und sekundären Quantitäten, so daß vt-Gruppe = xpxp
. . . x^y&i
2
. . . y£ m ,
wobei au a 2 , . . . , am u n d ßu ß2,..ßm Unbekannte sind. M a n kann nun die Lösung des Problems, wie dieser Ausdruck gefunden werden soll, zum Ziel der kognitiven Theorien machen, oder, anders ausgedrückt: das Ziel sei, die metrisch invarianten Strukturen in Th über D , d. h. also die Strukturen, die man als Naturgesetze bezeichnen kann, zu finden, relativ zu Th und den Meßtheorien Th M und einem bestimmten Anwendungsgebiet D. Das Problem besteht gleichzeitig darin, die bereits vorhandenen Quantitäten mathematisch zueinander i n Beziehung zu bringen, ohne die semantische und strukturelle Invarianz zu zerstören. Es ist klar, daß hier, wie schon öfters betont, eine Mathematisierung (oder Algebraisierung) der Semantik einer Theorie und eine Pythagoreisierung der W e l t vorliegt, denn nur derart können Meßgrößen oder Quantitäten als reine reelle Zahlen i n Gleichungen behandelt werden. Der wichtigste Punkt ist, metrische Invarianz gegenüber metrischen (Skalen-)Transformationen zu erreichen, was durch die Einhaltung der Bedingung Κ = 1, 1. e. Κπ = 1 erreicht werden kann. M a n kann sich der bereits verwendeten Faktoren k\ u n d Κ bedienen und erhält dann
für die primären Quantitäten und κ^κξζ ...
Ky r
für die sekundären Quantitäten. Es ist klar, daß die k"i und die κ ^ ' unsere bereits eingeführten Proportionalitätsfaktoren sind, wobei i = 1, 2, . . . , m und ; = 1, 2, . . . , r. D i e Faktoren kp können w i l l k ü r l i c h angenommen werden, da die linke Seite äquivalent zu Κπ = 1 ist. W i r erhalten für die semantische Festlegung der Gruppe die Exponentialgleichung fcjifcja...
. . . Kfr = 1.
Die semantischen Beziehungen zwischen den Faktoren sind so, daß jeder Faktor der numerischen Werte der sekundären Quantitäten m i t den Faktoren der numerischen Werte der primären Quantitäten semantisch durch eine Gleichung folgenden Typs verbunden ist:
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K 2 = k j M k j M . . . k^m
Kr
= kl*k*