Online-Lernen: Planung, Realisation, Anwendung und Evaluation von Lehr- und Lernprozessen online [verbesserte und ergänzte Auflage] 9783486710175, 9783486702637

Online-Lernen ist in. In den letzten 10 Jahren hat es sich mehr und mehr gegenüber dem Lernen mit Multimedia und dem E-L

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Online-Lernen: Planung, Realisation, Anwendung und Evaluation von Lehr- und Lernprozessen online [verbesserte und ergänzte Auflage]
 9783486710175, 9783486702637

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Online-Lernen Handbuch für Wissenschaft und Praxis

herausgegeben von Univ.-Prof. Dr.

Paul Klimsa M.A. und Univ.-Prof. em. Dr.

Ludwig J. Issing M.A.(NY/USA)/Dipl.-Psych.

2., verbesserte und ergänzte Auflage

3., vollständig überarbeitete Auflage

OldenbourgVerlag München

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2011 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0 oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Lektorat: Kristin Beck Herstellung: Anna Grosser Coverentwurf: Kochan & Partner, München Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Gesamtherstellung: Druckhaus „Thomas Müntzer“ GmbH, Bad Langensalza ISBN 978-3-486-70263-7

Widmung Liebe Leserinnen und Leser, das vorliegende Handbuch widmen wir, das sind der Mitherausgeber und die Autorinnen und Autoren dieses Buches, unserem verehrten Kollegen, Herrn Univ.-Prof. em. Dr. Ludwig J. Issing, der als Hochschullehrer und Wissenschaftler seit Beginn der siebziger Jahre wegweisend zur psychologischdidaktischen Fundierung und Praxis des Lehrens und Lernens mit audiovisuellen und computerbasierten Medien in den deutschsprachigen Ländern beigetragen hat. In einer großen Anzahl von Forschungsarbeiten, Fachvorträgen, Fachbüchern und Beiträgen in Fachzeitschriften hat Prof. Issing als ausgebildeter Psychologe und Pädagoge die wissenschaftlichen Grundlagen und die Entwicklung zum heutigen Online-Lernen mitgestaltet. Durch seine Studien- und Forschungsaufenthalte an renommierten Universitäten in den USA seit 1964 konnte er die Vernetzung mit amerikanischen Medien-Experten fördern. Mit seinem Forschungs-und Lehrprogramm hat Prof. Issing an der Freien Universität Berlin über Jahrzehnte Generationen von Studierenden der Psychologie und Pädagogik – insbesondere auch Lehramtsstudierende für die wissenschaftlich fundierte Verwendung von Medien begeistert. Zahlreiche Absolventen seines Qualifizierungsprogramms sind heute als anerkannte Medienexperten an Hochschulen und in der Bildungspraxis tätig. Auch der Mitherausgeber und einige Autoren und Autorinnen dieses Buches rekrutieren sich aus dem Kreis seiner Studenten, Doktoranden oder Mitarbeiter. Dass das wissenschaftliche Wirken von Prof. Issing auch über die Grenzen Berlins hinaus Beachtung gefunden hat, zeigen seine Rufangebote an die Universität Tübingen, München und Kreta sowie eine Gastprofessur an der Universität Darmstadt. Für die Zeit jetzt nach Ihrer Emeritierung wünschen wir Ihnen, Herr Issing, dass Sie neben Ihrer weiteren Tätigkeit als Emeritus an der Freien Universität Berlin Zeit finden, Ihre bisher zu kurz gekommenen wissenschaftlichen Themenbereiche und künstlerischen Interessen zu pflegen. Der Mitherausgeber und die Autorinnen und Autoren dieses Handbuchs

Inhalt Danksagung der Autoren

5

Vorwort zur zweiten Auflage

11

Vorwort zur ersten Auflage

12

Einführung

13

Teil 1: Wissenschaftliche Grundlagen

17

1 2 3 4

Psychologische Grundlagen des Online-Lernens Ludwig Issing

19

Pädagogische Grundlagen für das Online-Lernen Renate Schulz-Zander & Gerhard Tulodziecki

35

Informationstechnische Grundlagen des Online-Lernens Heinz-Dietrich Wuttke

47

Interdisziplinarität als Grundlage des Online-Lernens Paul Klimsa

61

Teil 2: Charakteristika des Online-Lernens 5 6 7 8 9

71

Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen Bernd Weidenmann

73

Online-Lernen mit Texten und Bildern Wolfgang Schnotz & Holger Horz

87

Wissenserwerb mit digitalen Medien Roland Brünken & Tina Seufert

105

Adaptivität und Adaptierbarkeit beim Online-Lernen Detlev Leutner

115

Interaktivität in Online-Anwendungen Helmut Niegemann

125

8

10 11 12

13 14

Inhalt

Blended Learning: Forschungsfragen und Perspektiven Birgitta Kopp & Heinz Mandl

139

Kooperatives netzbasiertes Lernen Daniel Bodemer, Birgit Gaiser & Friedrich W. Hesse

151

Kooperationsskripts – Drehbücher für das computerunterstützte kooperative Lernen Lars Kobbe, Armin Weinberger & Frank Fischer

159

Konnektivität von Online-Anwendungen Thomas Bernhardt, Marcel Kirchner & Oliver Klosa

167

Lernen in Virtuellen Klassenräumen Rolf Schulmeister

179

Teil 3: Design, Organisation und Werkzeuge des Online-Lernens 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24

195

Drehbuchschreiben für Online-Lernangebote Alexander Westphal

197

Learning-Management an Hochschulen Christoph Igel

207

Wissensmanagement beim Online-Lernen Gabi Reinmann

217

Organisation des Online-Lernens Thomas Köhler, Jörg Neumann & Volker Saupe

229

Online-Tutoring Elisabeth Katzlinger

243

Planung und Entwicklung von Online-Lernangeboten in der Praxis Peter Schisler

255

Didaktische Konzeption von Angeboten des Online-Lernens Michael Kerres, Nadine Ojstersek & Jörg Stratmann

263

Potenziale von IPTV, iTV und WebTV für das Online-Lernen Robert Strzebkowski

273

Technologien für das Mobile Lernen Michael A. Herzog & Jürgen Sieck

283

Serious Games: Spielerische Lernumgebungen und deren Design Michael Wagner

297

Inhalt

9

Teil 4: Evaluation des Online-Lernens 25 26 27

Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote Ulrich Glowalla, Meike Herder, Cord Süße & Nina Koch

309

Usability-Testing zur Qualitätssicherung von Online-Lernangeboten Florian Kerkau

329

Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning Ulf-Daniel Ehlers

339

Teil 5: Online-Lernen in der Praxis 28 29 30 31 32 33 34 35 36 37 38 39

307

357

Online-Lernen in der Schule Heike Schaumburg & Thomas Seidel

359

Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule Jesko Kaltenbaek

367

Fremdsprachenlernen online Jörg Roche

389

Design und Entwicklung von Online-Lernangeboten für die Hochschule Thomas Lerche & Hans Gruber

401

Virtuelles Lernen in der Berufsbildung Gerhard Zimmer

411

E-Learning in der Aus- und Weiterbildung Ullrich Dittler & Thomas Jechle

419

E-Learning in Management und Unternehmenskommunikation Dieter Euler & Sabine Seufert

427

E-Learning im Handwerk Sönke Knutzen & Falk Howe

439

E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Unternehmen Lutz P. Michel

447

Online-Lernen in Banken Joachim P. Hasebrook

457

Anwendungen für E-Learning im Versicherungswesen Werner Kohn & Claus Dziarstek

471

Online-Lernen in der Verwaltung: „ViVA – die virtuelle Verwaltungsakademie“ Robert Friedlmayer

481

10

40

Inhalt

Zielgruppenspezifisches E-Learning Lutz Goertz & Julia Flasdick

Teil 6: Ausblick 41

Die zukünftige Bedeutung des Online-Lernens für lebenslanges Lernen Peter Baumgartner

489

503 505

Glossar

515

Sachverzeichnis

549

Literatur

557

Autorenverzeichnis

615

Vorwort zur zweiten Auflage Aus Rückmeldungen von Lesern und Fachkollegen wissen wir, dass die erste Auflage dieses Handbuchs mittlerweile zur Grundlagenliteratur zählt. Darüber freuen wir uns sehr. Eine zweite Auflage bietet immer die Gelegenheit zur Aktualisierung und Überarbeitung eines Werkes. Vor allem die Anwendungspraxis wandelt sich stets, so dass hier die meisten Veränderungen notwendig sind. Einige Beiträge dieser zweiten Auflage sind daher fast ganz neu geschrieben worden. Wir freuen uns, wenn auch die zweite Auflage erneut von den Lesern gut aufgenommen wird. Sowohl die Herausgeber als auch die Autoren sehen dieses Handbuch als eine willkommene Gelegenheit, sowohl die wissenschaftliche Diskussion als auch die praktische Anwendung des Online-Lernens im Sinne der Nachhaltigkeit zu fördern. Da das Handbuch auch in der Aus- und Weiterbildung mit Erfolg verwendet wird, trägt es wesentlich dazu bei, dass der Bereich des Online-Lernens professionalisiert wird. Für diese zweite Auflage haben wir aufgrund der Arbeitsverteilung bei der Überarbeitung die Reihenfolge unserer Namensnennung als Herausgeber vertauscht. Dadurch lässt sich die zweite Auflage des Buches auch leichter identifizieren. Wir danken allen, die an der Gestaltung der zweiten Auflage mitgewirkt haben, vor allem danken wir Frau Anja Koch und den Mitarbeitern des Oldenbourg-Verlages.

Berlin und Ilmenau, November 2011

Paul Klimsa und Ludwig J. Issing

Vorwort zur ersten Auflage Dieses Handbuch beschreibt die Schwerpunktverlagerung, die sich in den letzten zehn Jahren vom Lernen mit Multimedia über E-Learning mit vorwiegender Offline-Nutzung zum Online-Lernen mit Nutzung der Web 2.0-Technologie vollzogen hat und noch weiter vollzieht. Wir als Herausgeber freuen uns, dass wir für dieses Buch eine Reihe bekannter und kompetenter Wissenschaftler aus vielen Fachdisziplinen sowie erfahrene Entwickler und Anwender von OfflineLernangeboten gewinnen konnten. Wir danken ihnen allen für die Bereitstellung ihrer Beiträge und hoffen, dass dieses Handbuch für die Forschung und Lehre an den Hochschulen sowie für die Ausbildung, Entwicklung und Anwendung von Online-Lernangeboten in der Praxis nachhaltige Orientierung und Unterstützung bietet. Unser besonderer Dank gilt Herrn Oliver Klosa und Frau Anja Koch für ihre tatkräftige Unterstützung. Schließlich möchten wir Herrn Dr. Jürgen Schechler vom Oldenbourg Verlag danken, dass er dieses Handbuch relativ rasch in das Publikationsprogramm des Verlags aufgenommen hat.

Berlin und Ilmenau, September 2008

Ludwig J. Issing und Paul Klimsa

Einführung Paul Klimsa, Ludwig J. Issing Die neue Lernwelt wurde bereits in den 1960er und 1970er Jahren angekündigt. Mit dem Aufkommen von Lernmaschinen und Computern im Unterricht schien bereits damals eine Wende in Sicht. Mit der Begriffskombination technologische Wendung in der Didaktik hat Karl-Heinz Flechsig 1970 eine theoretische Begründung für mediale Entwicklungsprozesse geliefert. Dabei sollten „Lehrtechniken, deren aktueller Vollzug in den traditionellen Unterrichtssystemen an die physische Anwesenheit eines menschlichen Lehrers gebunden ist, von eben dieser physischen Präsenz abgelöst, objektiviert und einem Medium übertragen werden.“ (Flechsig, 1970, S. 244). Die Annahme, dass Technologie Lehrende ersetzen und das Lernen effizienter machen kann, ist bis heute präsent, obwohl die „emanzipatorische Medienpädagogik“ Mitte der 1970er Jahre entschieden dagegen ankämpfte. Nach einer Phase der Ernüchterung in den 1980er Jahren, als Medien im Unterricht zwar breit genutzt, aber durch die Wissenschaft kaum reflektiert wurden, erfolgte Anfang der 1990er Jahre eine deutliche Belebung des Diskurses. Digitale Medien und Multimediale Technologie beflügelten die Entwicklung neuer Konzepte des Lehrens und Lernens mit Hilfe digitaler Medien und mit Personalcomputern. Insellösungen wurden entwickelt. Multimediale, ja sogar hypermediale Computerprogramme sollten durch die Kombination von Text, Ton, Bildern und Video die Lernmotivation, das Verstehen und das Behalten fördern. Erst als im Lichte zahlreicher Studien die Multimedialität, Multicodierung und Multimodalität – also die Informationspräsentation mittels mehrerer Medien, in verschiedenen Codierungen, über mehrere Sinneskanäle – keineswegs eindeutig die intendierten Wirkungen brachten, stellte sich eine gewisse Ernüchterung ein. Allerdings zeigte sich, dass digitale Medien neue, kreative Lernszenarien ermöglichen und damit situatives, authentisches und problembezogenes Lernen fördern können. Das konstruktivistische Lernparadigma lieferte hierzu die theoretischen Grundlagen. Als sich Mitte der 1990er Jahre das Internet und vor allem der Dienst „World Wide Web“ sprunghaft entwickelten, wurde das Internet zu einer treibenden Kraft für Innovationen in allen Bereichen des Lehrens und Lernens. Mit dem Internetdienst E-Mail hat sich auch die wissenschaftliche Welt rasch vernetzt und mit den Diensten Newsgroups und Chat haben sich erste weltweite Gemeinschaften (Communities) gebildet. Durch das Internet mit seinen Diensten, vor allem dem WWW und den darauf aufbauenden Suchmaschinen, rückte die Vision einer informativ und kommunikativ zu einem globalen Dorf geschrumpften Welt (McLuhan, 1968) in greifbare Nähe. Konnektion und Kommunikation zwischen den Menschen stehen im Mittelpunkt der Internet-Entwicklung und -Nutzung. Wie lange dafür der von Dale Dougherty und Craig Cline geprägte Begriff „Web 2.0“ (O`Reilly, 2005) inhaltlich ausreichen wird und die

14

Einführung

neuen Entwicklungen noch erfassen kann, ist ungewiss. Die mögliche Entwicklungsrichtung ist nur schwer vorhersehbar, wie beispielsweise der Film EPIC. 2015 (Sloan & Thompson, 2005) andeutet. Vielfach werden bereits neue Begriffe wie „Web 3.0“ und „Mobile Learning“ verwendet. Die aktuellen technischen und inhaltlichen Fortschritte des Internet haben den Einsatz der Lernmedien immens verstärkt. Seit Mitte der 1990er Jahre hat sich für diese Form der Bildungstechnologie allmählich der Begriff „E-Learning“(Abb. 1.1). etabliert. Man versteht darunter alle Formen von Lernen, bei denen digitale Medien für die Distribution und Präsentation von Lernmaterialien einschließlich der Unterstützung zwischenmenschlicher Kommunikation in Lernprozessen zum Einsatz kommen. ELearning wurde vor allem durch die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Initiativen „Schulen ans Netz“, „Neue Medien in der Bildung“ und „Notebook-Universität“ in vielen Bereichen der Bildung realisiert.

E-Learning Digitale Medien als Grundlage der Produktion, des Einsatzes und der Distribution von Lernformen und Lernszenarien

Abb. 1.1:

OfflineLernen

OnlineLernen

Lokale Distribution (DVD, CD etc.)

Netzdistribution (LAN, Internet, LMS etc.)

E-Learning, Offline-Lernen und Online-Lernen

Digitale Medien als Grundlage der Produktion, des Einsatzes und der Distribution von Information und Kommunikation gehören an Hochschulen und anderen Bildungseinrichtungen mittlerweile zum Alltag. Neben zahlreichen Formen des Offline-Lernens, d. h. der Nutzung digitaler Medien und Computern ohne Netzverbindung, sind Nutzungsformen des Online-Lernens, die Netzwerke und vor allem das Internet voraussetzen, dank fortschreitender Ausstattung mit Wireless LAN und LearningManagement-Systemen inzwischen dominierend. Sie erlauben komplexere Lernszenarien und effiziente asynchrone und synchrone Interaktion und Kommunikation zwischen den Teilnehmern von Lernsituationen. Inhalte, die von Teilnehmern am Lernprozess selbst generiert werden, sind inzwischen ein wesentlicher Faktor der breiten Nutzung des Internet. Podcast, Blogs oder Wikis stehen stellvertretend für eine ganze Familie neuer Dienste bzw. Werkzeuge, die Lernen anleiten oder unterstützen können.

Einführung

15

In der aktuellen Bildungspraxis ist heute bereits die Mehrzahl der Lernangebote als Online- Lernangebote gestaltet – vielfach jedoch in Verbindung mit Formen des Präsenzlernens („Blended Learning“). Aus diesem Grund beschäftigt sich das vorliegende Handbuch vorwiegend mit Formen und Angeboten des Online-Lernens, wenngleich in zahlreichen Beiträgen der Oberbegriff „E-Learning“ verwendet wird. Die Herausgeber und die Autoren wollen mit diesem Handbuch sowohl die Kontinuität der Entwicklung von Lehr- und Lernmedien im Allgemeinen aufzeigen als auch im Besonderen die Grundlagen, die Gestaltung und die Anwendungen des Online-Lernens vorstellen und diskutieren. Mit wissenschaftlichen Grundlagen werden die Leser in die Thematik eingeführt. Dabei wird der Blick zunächst auf E-Learning insgesamt gerichtet, da sich Online- und Offline-Angebote als Realisierungsformen in der Praxis oft ergänzen. Aus der Sicht der Psychologie, der Pädagogik und der Informatik werden die Voraussetzungen des Online-Lernens geklärt und in einem anschließenden interdisziplinären Überblick die Perspektive anderer beteiligter Disziplinen aufgezeigt. Die Charakteristika des Online-Lernens stellen die Autoren im nächsten Abschnitt vor. Neben der Multimedialität, der Interaktivität, der Adaptivität bzw. der Konnektivität werden Konzepte wie kooperatives oder situiertes Lernen vorgestellt. Die Phasen der Planung und der Produktion von Online-Lernangeboten werden aus unterschiedlichen Perspektiven diskutiert. Aspekte des Design, Managements, der Didaktik sowie Entwicklung für verschiedene Anwendungskategorien, wie Serious Games oder iTV geben dem Leser Hinweise, eigene Arbeiten im Feld des Online-Lernens fundiert zu planen, zu realisieren und optimal zu verbessern. Evaluationsmethoden, Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement erlauben die Effektivität und Effizienz von Online-Lernangeboten zu steigern. Zahlreiche Anwendungsbeispiele aus unterschiedlichen Bildungsbereichen geben einen Einblick in die gegenwärtige Praxis des OnlineLernens und zeigen Perspektiven auf für künftige Entwicklungen der digitalen Bildungstechnologie.

Teil 1: Wissenschaftliche Grundlagen

1

Psychologische Grundlagen des Online-Lernens

Ludwig Issing

Aus der Lern- und Kognitionspsychologie werden die für das E-Learning relevanten theoretischen Ansätze und wissenschaftlichen Erkenntnisse vorgestellt und analysiert. Es wird unterschieden nach „Lernen als Veränderung von Verhaltensweisen“, „Lernen als aktive Informationsverarbeitung“ und „Lernen als Konstruktion von Wissen“. Dabei werden jeweils die zugrunde liegenden psychologischen Prozesse und Erkenntnisse vorgestellt und ihre Relevanz für das E-Learning bzw. Online-Lernen aufgezeigt. Schlüsselbegriffe: Verhaltenslernen, Beobachtungslernen, Informationsverarbeitung, Lernen als Konstruktion von Wissen, kognitive Repräsentation, multimediales Lernen, duale Codierung, Systematisches Instruktions-Design, problembasiertes Lernen, Selbststeuerung des Lernens, Lernmotivation

20

1.1

1 Psychologische Grundlagen des Online-Lernens

Einführung

Beim Multimedialen Lernen und beim E-Learning einschließlich Online-Lernen werden die Vorzüge der Informations- und Kommunikationstechnologie zur Optimierung des Lernens genutzt. Das technologiegestützte Lernen orientiert sich dabei nicht zuletzt an psychologischen Konzepten und Erkenntnissen. Im Folgenden werden drei psychologische Rahmenkonzepte beschrieben, die für die bisherige Entwicklung des technologiegestützten Lernens von besonderer Bedeutung waren und auch für das Online-Lernen eine theoretische Grundlage darstellen. In der Psychologie wird Lernen definiert als eine relativ dauerhafte Veränderung im individuellen Wissen oder Verhalten, die auf Erfahrung beruht. Änderungen durch Reifungsprozesse und vorübergehende Veränderungen durch Ermüdung, Krankheit etc. gelten nicht als Lernen. Einige lernpsychologische Richtungen untersuchen das Lernen von beobachtbarem Verhalten, andere konzentrieren sich auf den Erwerb von Wissen und die damit verbundenen kognitiven Prozesse.

1.2

Lernen als Veränderung von Verhaltensweisen

Bei diesem psychologischen Konzept steht das beobachtbare Verhalten eines lernenden Organismus im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Interesses. Dieses Lernkonzept wurde von der behavioristischen Lerntheorie (John Watson, 1913) vertreten. Das grundlegende Prinzip dieser Theorie lautet: Beobachtbare Verhaltensweisen (Reaktionen) eines Organismus können mit den situativen Bedingungen (Hinweisreizen) in seiner Umgebung durch nachfolgende Konsequenzen verknüpft (konditioniert) werden; durch Belohnung wird diese Assoziation gestärkt, durch Bestrafung geschwächt. Der Organismus lernt, dass unter bestimmten Umgebungsbedingungen ein bestimmtes Verhalten zum Erfolg führt („Lernen am Erfolg“) mit der Konsequenz, dass er das erfolgreiche Verhalten künftig bevorzugt zeigen wird.

1.2.1

Lernen am Erfolg – Instrumentelles Lernen

Als Schlüsselexperiment für das Lernen am Erfolg sei das Experiment von E.L. Thorndike (1898) erwähnt, bei dem eine in einen Käfig eingesperrte Katze durch „Versuch und Irrtum“ den Öffnungsmechanismus für den Käfig zu bedienen lernte, um in die Freiheit und zum Futter zu gelangen. Das erfolgreiche Verhalten war instrumentell für das Erreichen der angenehmen Konsequenz („Instrumentelles Lernen“) und wurde daher in wiederholten Versuchen immer rascher produziert, d. h. es wurde gelernt („Lernen am Erfolg“). Auch Menschen finden im Alltag für Problemsituationen durch Versuch und Irrtum geeignete Verhaltensweisen, die sie beibehalten, weil sie zum Erfolg führen. Erfolgreiches Verhalten wird häufig zu gewohnheitsmäßigem Verhalten, ohne dass weitere Belohnungen erfolgen, z. B. das Beibehalten eines günstigen Weges zur Arbeitsstätte.

1.2 Lernen als Veränderung von Verhaltensweisen

1.2.2

21

Operantes Konditionieren – Lernen von komplexen Verhaltensabläufen

Im Versuchsdesign von Thorndike musste der Versuchsleiter warten bis durch Versuch und Irrtum das relativ komplexe problemlösende Verhalten gezeigt wurde und verstärkt werden konnte. B.F. Skinner (1953) hingegen wollte das Verhalten steuern, d. h. er wollte komplexes Verhalten kontrolliert herbeiführen. Er hat dies dadurch erreicht, dass er zunächst im Tierexperiment jedes einzelne Verhaltenselement („Operation“) durch Futter verstärkte, das eine Annäherung an das gewünschte Zielverhalten war (z. B. Drehen des Kopfes in die gewünschte Richtung). Dabei wurde das „operante Verhalten“ an gleichzeitig vorhandene differenzierende Umgebungsreize (z. B. gleichzeitig dargebotene Töne) gekoppelt und anhand exakt geplanter Verstärkungspläne unmittelbar verstärkt („Operantes Konditionieren“). Skinner fand heraus, dass Tiere und Menschen durch den sukzessiven Verhaltensaufbau (Bildung von Verhaltensketten) in kurzer Zeit sehr komplexe Verhaltensweisen lernen können (z. B. kann man eine Taube konditionieren, mit dem Schnabel auf einem Klavier eine Melodie zu spielen), wenn die geeigneten Verhaltensschritte sofort verstärkt werden. Bei der Verstärkung wird nach positiver Verstärkung (z. B. Nahrung), negativer Verstärkung (Entfernung eines aversiven Reizes z. B. eines störenden Geräusches) und Bestrafung (Einsetzen eines aversiven Reizes) unterschieden. Allerdings ist Bestrafung wegen damit verbundener negativer emotionaler Wirkungen nicht empfehlenswert. Es werden vier Arten von Verstärkern unterschieden (Edelmann, 2000, S. 76):    

materielle Verstärker (z. B. Süßigkeiten, Geld) soziale Verstärker (z. B. lobende Äußerung, anerkennende Geste) Aktivitätsverstärker ( z. B. ins Kino gehen dürfen, eine Reise machen dürfen) informative Verstärker (z. B. Rückmeldung über die Richtigkeit einer Antwort, über die Lerngeschwindigkeit, über das Erreichen des Lernziels).

Operantes Konditionieren wird nicht nur in der Tierdressur, sondern auch im Bereich des menschlichen Lernens sehr erfolgreich zum Aufbau komplexer Verhaltensweisen angewandt (z. B. im Sport, in der beruflichen Ausbildung, für die Bedienung von Maschinen, für das Training von Kommunikationsverhalten). Entscheidend für den erfolgreichen Einsatz dieser Lernmethode ist die exakte Beschreibung und Zerlegung des Zielverhaltens in seine einzelnen Aufbauelemente und die unmittelbare Verstärkung der erreichten Lernschritte.

1.2.3

Vom Programmierten Lernen zum Systematischen Instruktions-Design

Auf der Grundlage der Arbeiten von Skinner (1956) wurde das Operante Konditionieren in Form des Programmierten Lernens bzw. der Programmierten Instruktion auf das Lernen in der Schule und in der beruflichen Bildung angewandt. Dabei wurde auf den Erkenntnissen von Pressey (1926) aufgebaut, der bereits dreißig Jahre vorher eine Lern- und Testmaschine zum Lernen von Vokabeln etc. entwickelt hatte. Neben linearen Lernprogrammen wurden verzweigte Lernprogramme mit Multiple-ChoiceAntworten entwickelt, die sich an individuelle Unterschiede der Lernenden anpassen konnten (Crowder, 1959).

22

1 Psychologische Grundlagen des Online-Lernens

Die Präsentation der Lernprogramme erfolgte mit Hilfe farbiger Filmstrips auf den Bildschirmen elektromechanischer Lehrmaschinen. Als dann in den 1960er und 1970er Jahren Computer zur Verfügung standen, wurde der Programmierte Unterricht vom Computerunterstützten Unterricht (CUU) abgelöst. Bereits damals wurde im Aptitude-Treatment-Interaction-Ansatz (Cronbach, 1975; Issing, 1975) großer Wert auf die Diagnose und Berücksichtigung individueller Unterschiede (z. B. Vorkenntnisse, Interessen, Fähigkeiten) der Lernenden gelegt. Die Prinzipien für das Programmierte Lernen (z. B. Lysaught & Williams, 1967) wurden nachfolgend als Prinzipien des Instruktions-Designs formuliert (Gagné & Briggs, 1974) und präzisiert (Gagné, Briggs & Wager, 1988). Sie sind zum großen Teil in heutigen Modellen des Systematischen Instruktions-Designs noch enthalten, das für die didaktische Entwicklung von E-Learning-Angeboten empfohlen wird (siehe Abb.1.1).

Abb. 1.1:

Modell des Systematischen Instruktions-Designs (Issing, 2002, S. 158)

1.2 Lernen als Veränderung von Verhaltensweisen

1.2.4

23

Computer-Based-Training, Web-Based-Training, Blended Learning

Die für das Programmierte Lernen entwickelten Design-Schritte werden prinzipiell auch heute bei der Entwicklung von Computer-Based-Training-Angeboten (CBT, Offline-Lernen z. B. per CD) oder von Web-Based-Training-Angeboten (WBT, Online-Lernen per Inter- oder Intranet) beachtet. Die Kommunikation mit einem Lehrer, Tutor oder mit anderen Lernenden kann zeitgleich (synchron) oder zeitversetzt (asynchron) über das Internet erfolgen. CBT und WBT haben sich für das Erlernen von Handlungsabfolgen mit klar definierbaren kognitiven und motorischen Operationen bewährt. In der Praxis der Aus- und Weiterbildung wird CBT und WBT für kürzere Selbstlernphasen eingesetzt und mit anderen Lernformen wie lehrergeleitetem Präsenzunterricht oder Gruppenunterricht kombiniert. Man spricht dann von „Blended Learning“ als Mischform.

1.2.5

Beobachtungslernen

Der behavioristische Ansatz wurde von vielen Psychologen als zu eng kritisiert und durch den sog. neobehavioristischen Ansatz erweitert. Dieser bezieht soziale und kognitive Faktoren in die Erklärung des Verhaltenslernens mit ein. Die Grundzüge der sozial-kognitiven Lerntheorie werden bei der nachfolgenden Beschreibung des Beobachtungs- bzw. Imitationslernen deutlich. Nach A. Bandura (1977) lernen wir nicht nur durch die Konsequenzen, die unsere Verhaltensweisen haben (z. B. Belohnung, Bestrafung), sondern auch durch die Beobachtung des Verhaltens anderer (auch mittels Mediendarbietung) und der Konsequenzen, die diese Modellpersonen auf ihr Verhalten aus der Umwelt – real oder in der Medienpräsentation – erfahren. Durch Beobachtung anderer Menschen lernen wir nicht nur Verhaltensweisen, sondern auch Erwartungen und Emotionen, die mit den beobachteten Verhaltensweisen verknüpft sind. Dabei sind unsere Einschätzung der Modellperson, bei der wir das Verhalten beobachten, und die Identifikation mit der Modellperson entscheidend für unsere Nachahmung. Die Modellperson soll dem Lernenden zwar sympathisch, attraktiv und einflussreich erscheinen, gleichzeitig soll sie aber keine zu große psychische Distanz zu ihm haben. Das Zielverhalten muss vom Lernenden als von ihm erreichbar und als erstrebenswert eingeschätzt werden. Das von Bandura und seinen Mitarbeiterinnen (Bandura, Ross & Ross, 1963) mit Kindern durchgeführte Experiment gehört mittlerweile zu einem der bekanntesten in der Psychologie: Vorschulkinder beobachten eine Frau, die ungefähr zehn Minuten aggressiv auf eine Gummipuppe einschlägt und diese Aktionen mit verbalen Attacken begleitet. Nach diesem Ereignis werden die Kinder einer Frustration ausgesetzt, indem man ihnen in einem Raum attraktive Spielsachen zeigt, sie diese aber nicht berühren lässt. Schließlich gibt man den Kindern in einem dritten Raum unattraktives Spielzeug und die Gummipuppe zum Spielen. In einer Testphase wird das von den Kindern gezeigte Aggressionsverhalten gegenüber der Gummipuppe beobachtet und ausgewertet. Das Experiment wurde in verschiedenen Variationen durchgeführt, z. B. indem die Modellperson auf ihr aggressives Verhalten unterschiedliche Rückmeldung erfuhr (Belohnung, Bestrafung, keine Konsequenzen) oder indem die Kinder statt der realen Beobachtung des Aggressionsmodells dieses nur per Video beobachteten. Kurz zusammengefasst zeigen die Ergebnisse, dass durch die stellvertretende

24

1 Psychologische Grundlagen des Online-Lernens

Verstärkung der beobachteten Modellperson das Verhalten von den beobachtenden Personen gelernt und von ihnen unter geeigneten Bedingungen reproduziert wird. Beim E-Learning wird Beobachtungslernen insbesondere zur Vermittlung von beruflich bezogenen Verhaltensweisen eingesetzt – z. B. zum Erwerb kommunikativer Kompetenzen. Für die Präsentation des Modellverhaltens werden Abbildungen (Stand- und Bewegtbilder) realer menschlicher Modellpersonen und die Präsentation virtueller Modellfiguren (z. B. Avatare) verwendet. Das gezeigte Modellverhalten soll vom Lernenden nicht sklavisch imitiert, sondern mit individuellen Abweichungen persönlich adaptiert werden. Als nützlich für die Aneignung komplexer Verhaltensweisen hat sich das „kognitive Modellieren“ erwiesen, bei dem die Modellperson das Zielverhalten nicht nur präsentiert, sondern zusätzlich die einzelnen Schritte und Begründungen dafür in Form des „lauten Denkens“ begleitend verbalisiert. Auch für den Lernenden selbst kann es hilfreich sein, bei der Nachahmung des Modellverhaltens die Ausführung der einzelnen Verhaltensschritte durch inneres Sprechen zu kommentieren und dadurch besser zu steuern. Mit Hilfe der Online-Technologie kann die Nachahmung von Modellpersonen in realitätsnahen Spielen und in virtuellen Szenarien wie Second Life erworben und im Zusammenspiel mit anderen Personen in der virtuellen Umgebung erprobt und geübt werden.

1.2.6

Selbststeuerung des Lernens als Voraussetzung für erfolgreiches E-Learning

Beobachtungslernen erfordert vom Lernenden die Fähigkeit zur Selbststeuerung des Lernens, um Kontrolle über die eigenen Handlungen und über das eigene Denken und Fühlen zu gewinnen. Dazu gehört die Selbstwirksamkeitserwartung, d. h. das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Motivation, sich erreichbare Ziele zu setzen, und die Fähigkeit, den Lernprozess durch Selbstbeobachtung, Selbstbewertung und Selbstverstärkung zu meistern (Schiefele & Pekrum, 1996; Zimmermann & Schunk, 2001). In der Praxis scheitern viele Lernende beim E-Learning und Online-Lernen, weil sie nicht oder zu wenig über die Fähigkeit zur Selbststeuerung verfügen. Regelmäßige tutorielle Betreuung oder eine starke Einbindung in eine Lerngruppe können dieses Defizit ausgleichen.

1.3

Lernen als aktive Informationsverarbeitung

Während sich die behavioristische Lernpsychologie mit dem Lernen von Verhaltensabläufen – also mit psychomotorischem Lernen befasst, legt die Kognitive Psychologie (auch als „Kognitionspsychologie“ oder als „Psychologie der menschlichen Informationsverarbeitung“ bezeichnet) ihren Schwerpunkt auf die wissenschaftliche Untersuchung kognitiver Prozesse wie Aufmerksamkeit, Wahrnehmung, Begriffsbildung, Denken, Erkennen, Sprache, Vorstellungen, Problemlösen, Erinnern, Vergessen. Kognitive Prozesse stehen in Verbindung mit emotionalen und motivationalen Vorgängen. Sie führen zum Aufbau kognitiver Strukturen und steuern unser Verhalten. Die Kognitive Psychologie basiert auf einem ganz anderen wissenschaftlichen Ansatz als die Gedächtnispsychologie Ende des 19. Jahrhunderts mit ihrer Theorie der assoziativen Verknüpfung von Namen und Begriffen sowie der Bildung von assoziativen sprachlichen Ketten (Ebbinghaus, 1885). Das von der Gedächtnispsychologie erforschte mechanische Auswendiglernen von Wörtern und Texten ist unter dem Einfluss der Kognitionspsycho-

1.3 Lernen als aktive Informationsverarbeitung

25

logie längst auch in der Bildungspraxis durch sinnvolles, auf Einsicht basierendes Lernen abgelöst worden (Mietzel, 2007).

1.3.1

Modell der menschlichen Informationsverarbeitung

Zur Beschreibung der kognitiven Funktionen der menschlichen Informationsverarbeitung verwenden die Psychologen gerne Analogien zu Funktionseinheiten in Computern und orientieren sich am „model of memory“ von Atkinson & Shiffrin (1977). Dieses Gedächtnismodell besteht aus einem sensorischen Register, einem Kurzzeitgedächtnis und einem Langzeitgedächtnis. Im sensorischen Register werden die durch die Sinnesorgane wahrgenommenen sensorischen Reize (z. B. optische, akustische, haptische) weniger als eine Sekunde lang gespeichert. Diejenigen Reize, die Aufmerksamkeit erlangen, werden in das Kurzzeitgedächtnis weitergeleitet. Jedoch können im Kurzzeitspeicher nur etwa 7 plus/minus 2 Einheiten (Zahlen, Buchstaben, Silben, Wörter usw.) präsent gehalten werden. Die Informationen überdauern im Kurzzeitgedächtnis nur etwa 15 Sekunden, wenn sie nicht fortwährend wiederholt oder aktiv verarbeitet, d. h. mit bereits vorhandenem Wissen aus dem Langzeitgedächtnis verknüpft und dadurch encodiert werden. Das Langzeitgedächtnis hat eine große Speicherkapazität und ist sehr dauerhaft. Beim Langzeitgedächtnis werden aufgrund charakteristischer Verarbeitungs- und Speicherungsprozesse funktionsmäßige Teilgedächtnisse unterschieden: (a) das episodische Gedächtnis zur Speicherung erlebter oder mitgeteilter Episoden, (b) das semantische bzw. deklarative Gedächtnis zur Speicherung von Sachwissen und Bedeutungen („was“), (c) das handlungsbezogene- bzw. prozedurale Gedächtnis zur Speicherung von Handlungsabfolgen („wie“) und (d) das kontextuelle bzw. konditionale Gedächtnis zur Speicherung von Bedingungen und Umständen („wann/unter welchen Bedingungen“). Das Erinnern bzw. Abrufen von gespeicherten Gedächtnisinhalten aus dem Langzeitgedächtnis funktioniert umso besser, je breiter das jeweilige Wissen im Gedächtnis durch Verarbeitungsprozesse (Elaboration) vernetzt ist. Gedächtnisinhalte werden – abgesehen von Spurenverfall bei längerem Nichtaufrufen von Informationen und durch Interferenzen mit nachfolgenden Informationen – nicht vergessen, lediglich das Wiederauffinden und Rekonstruieren derselben macht häufig Probleme. Die Bewusstheit, die eine Person über ihre eigenen kognitiven Vorgänge besitzt, um diese zu planen, zu überwachen und zu bewerten, wird als Metakognition (Kognition höherer Ordnung) bezeichnet. Die Fähigkeit zur metakognitiven Selbstkontrolle ist für E-Learning-Aktivitäten sehr förderlich und lässt sich durch Anleitung und Training erweitern.

1.3.2

Lernen als Assimilation und Akkommodation

Kognitive Strukturen sind keine Abbilder der Umwelt, sondern mentale Konstruktionen, die unsere Wahrnehmung und Verarbeitung neuer Informationen steuern und die gleichzeitig selbst durch die Wahrnehmung und Verarbeitung neuer Informationen verändert werden. Jean Piaget (1985) sprach von zwei sich ergänzenden kognitiven Aktivitäten – nämlich von der Assimilation neuer Informationen in die vorhandenen kognitiven Strukturen und von der Akkommodation (Anpassung) der bisher vorhandenen kognitiven Strukturen an die neuen Informationen. Unser Organismus ist fortwährend bestrebt, zwischen diesen beiden Prozessen ein Gleichgewicht („Äquilibrium“) herzustellen. Daher ist es beim Design von E-Learning-Angeboten wichtig, Informationen über den Stand der Vorkenntnisse der Ziel-

26

1 Psychologische Grundlagen des Online-Lernens

gruppe zu haben, um Assimilations- und Akkommodationsprozesse bei den Lernenden durch Verknüpfungshinweise z. B. durch vorstrukturierende Lernhilfen („Advance Organizer“, siehe Ausubel, 1960), zu fördern. Wie wir gesehen haben, wird Lernen in der Kognitionspsychologie nicht als Einlesen von Informationen in einen leeren Speicher gesehen, sondern als Erweitern und Umwandeln des bereits vorhandenen Wissens und Verständnisses der Welt. Lernangebote sollten daher stets an das vorhandene Wissen des Lernenden anknüpfen, damit der Lernende neues Wissen in das vorhandene Wissen integrieren kann. Wissenserwerb gelingt nur, wenn der Lernende aktiv einbezogen wird und wenn ihm Strukturierungshilfen angeboten werden.

1.3.3

Bildung kognitiver Schemata und Mentaler Modelle

Eng verbunden mit Vorgängen der Assimilation und Akkommodation ist die Bildung von Schemata. Ein Schema ist ein individuelles kognitives Muster typischer Merkmale eines Wirklichkeits- oder eines Begriffsbereichs. Mehrere Schemata können zu Schemanetzen verknüpft werden. Schemata helfen uns, konkrete Erfahrungen in der Welt – einschließlich verbal vermittelter Informationen – in unser bereits vorhandenes Wissen einzuordnen und dadurch zu verstehen. Wahrnehmungsprozesse werden zwar zunächst durch Sinneseindrücke im Sensorischen Register von außen angestoßen (bottom up-Prozesse), gleichzeitig aber durch motivationale Faktoren (wie Aufmerksamkeit, Neugier und Interessen) und durch bereits vorhandene Schemata (top down-Prozesse) bei der kognitiven Weiterverarbeitung beeinflusst (Issing, 1988). Neisser (1976) hat diese Wechselwirkung als „Wahrnehmungszyklus“ anschaulich dargestellt (siehe Abb. 1.2).

Abb. 1.2:

Wahrnehmungszyklus nach Neisser (1976)

Ähnlich wie Schemata sind auch Mentale Modelle subjektive Repräsentationen von Wirklichkeitsbereichen. Mentale Modelle sind jedoch anschaulicher und dynamischer als abstrakte Schemata. Sie

1.3 Lernen als aktive Informationsverarbeitung

27

erlauben die innere Simulation äußerer Vorgänge. Die Bildung von Mentalen Modellen wird durch die bildhafte Darbietung von Informationen gefördert.

1.3.4

Chunking von Informationen

Obwohl im Kurzzeitgedächtnis wie oben beschrieben wegen seiner geringen Speicherkapazität nur wenige Informationseinheiten zur selben Zeit präsent gehalten werden können, sind viele Menschen in der Lage, weit größere Informationsmengen zu verarbeiten. Shiffrin und Schneider (1977) haben gezeigt, dass Menschen lernen können, einzelne Informationen zu größeren Sinn-Einheiten, sog. Chunks (Wissenspaketen) zusammenzufassen. Sie erreichen dies durch Gruppierung von Informationen (z. B. Bildung kleiner Zifferngruppen bei einer langen Telefonnummer oder Bildung von Oberbegriffen für einzelne Gegenstände). Beim didaktischen Design von E-Learning-Angeboten sollten die dargebotenen Informationen bereits in kleinere Wissenspakete gegliedert werden, um den Lernenden das Chunking zu erleichtern.

1.3.5

Case-Based-Reasoning und mentale Skripts

Wir speichern die im Alltag erlebten besonderen Ereignisse und Probleme (z. B. eine Autopanne, das Versäumen eines Vorstellungstermins) als so genannte Cases (Fälle/Ereignisse) in unserem Gedächtnis. Wenn wir eine ähnliche Problemsituation wieder erleben, können wir die Erfahrungen aus dem vorausgegangenen Fall für die Bewältigung der neuen Situation nutzen. Die Erfahrung von Fällen führt zu individuellem situativem Wissen, das uns in ähnlichen Problemsituationen einen Kontext und Hinweise zur Vermeidung oder Anwendung von Handlungen bereitstellt. Aus erlebten Fällen entsteht im Laufe des Lebens ein reicher Erfahrungsschatz, von dem wir für die Zukunft zehren können (Schank, 1990). Auch medienvermittelte Geschichten tragen zu unserem Erfahrungsschatz bei. Als Erweiterung der Schematheorie haben Schank und Abelson (1977) eine Skripttheorie vorgeschlagen. Unter Skripts verstehen sie Ereignisschemata, die durch mehrfaches Erleben typischer Situationen und damit verbundener typischer Verhaltensweisen geprägt werden. So lernen wir z. B. ein Skript für die geforderten Verhaltensweisen für einen Gottesdienstbesuch, für eine Arztsprechstunde oder für einen Kneipenbesuch. Diese Skripte erleichtern uns durch ihre kontextbezogene Struktur das Verstehen und adäquate Verhalten in neuen ähnlichen Situationen. Lehrende sollten auf individuelle Erfahrungen der Lernenden zurückgreifen und sie motivieren, aus ihren Erfahrungen Hinweise und Schlussfolgerungen für die Bewältigung neuer Situationen zu ziehen.

1.3.6

Multiple kognitive Repräsentation von Informationen

Präsentierte Informationen werden in Abhängigkeit vom Symbolsystem (auditiv, verbal-auditiv, verbalschriftlich, bildlich), in dem sie codiert sind, und in Abhängigkeit von der Sinnesmodalität (Hören, Sehen), über die sie wahrgenommen werden, im Gedächtnis in spezifischen Repräsentationsformen gespeichert: aussagenartig (propositional), wahrnehmungsähnlich (analog), handlungsmäßig (prozedural) (siehe Abb. 1.3).

28

1 Psychologische Grundlagen des Online-Lernens

Abb. 1.3:

Formen mentaler Repräsentation (nach Edelmann, 2000)

Seit langem weiß man aus psychologischen Untersuchungen, dass Bilder besser behalten werden als Texte. Paivio (1986) erklärte diesen Effekt mit Hilfe seiner Doppelcodierungstheorie (Dual Coding Theory) damit, dass Wörter und Texte in einem verbalen (begrifflichen) System verarbeitet und als Logogene gespeichert werden, während bildhafte Präsentationen in einem non-verbalen, bildhaften (imaginalen) System als Imagene gespeichert werden. Beide Systeme stehen miteinander in Wechselwirkung. Ein Wort kann auch Vorstellungsbilder auslösen, ein Bild kann auch verbal verarbeitet werden. Den Überlegenheitseffekt von Bildern erklärt Paivio dadurch, dass Bilder häufiger spontan dual codiert werden, während die doppelte Codierung bei Wörtern in der Regel eher bei konkreten Inhalten (z. B. „Fahrrad“, „Weihnachtsbaum“) erfolge. Die Doppelcodierungstheorie wird in Teilen angefochten mit der These, dass Wörter wie Bilder nach einer modalitätsspezifischen Codierung letztendlich modalitätsunabhängig – nämlich semantisch (propositional) – repräsentiert würden (Anderson, 1996).

1.3.7

Wirkungen des multimedialen Lernens

Auch die kognitive Theorie des multimedialen Lernens (Mayer, 2001, 2005) konzentriert sich auf die Bildung mentaler Repräsentationen, die beim Lernenden durch Texte (gesprochen und geschrieben) sowie Stand- und Bewegtbilder (Abbildungen, logische Bilder, bildliche Analogien) initiiert werden (Issing & Hannemann, 1983; Issing, 1994; Weidenmann, 2002). Die Haupterkenntnis der Psychologie des multimedialen Lernens lautet: Wir lernen in der Regel besser bei kombinierter Darbietung von Texten und Bildern als von Texten allein. Jedoch sind dabei geeignete Kombinationen von Codierungsformen und Sinnesmodalitäten zu beachten, um störende Überlagerungen zu vermeiden (Kürschner, Schnotz & Eid, 2006; Rummer, Schweppe, Scheiter & Gerjets, 2008). Die heutige Informationstechnologie ermöglicht hervorragende Formen multimedialen Lernens, wie nie zuvor in der Geschichte. Aber positive Lerneffekte stellen sich nicht von selbst durch die bloße Verwendung von Medientechnologien ein. Sie müssen vielmehr durch ein fundiertes mediendidakti-

1.3 Lernen als aktive Informationsverarbeitung

29

sches Design vorbereitet werden. Die multimediale Präsentation an sich kann sogar zu schlechteren Lernergebnissen führen, weil sie die Lernenden in eine durch den Massenmedien-Konsum erworbene unterhaltungsorientierte Rezeptionshaltung versetzt, so dass sie eine geringere mentale Anstrengung (amount of invested mental effort) aufbringen als bei Vorlage nüchterner Texte (Salomon, 1979, 1984). Daher erfordert der Einsatz von Multimedia-Technologie für das Lernen die Abstimmung der Präsentationsformen auf die individuellen kognitiven Eigenschaften der Lernenden (Clark & Feldom, 2005). Die Lerneffekte von Medien sind umso größer, je besser sie dem Lernenden helfen, die mentalen Operationen auszuführen, die für die Erreichung des Lernziels gefordert sind. Salomon und Cohen (1977) haben diese Unterstützungsfunktion der Medien als „Supplantation“ bezeichnet, d. h. als externe Simulation der vom Lernenden intern zu leistenden kognitiven Prozesse. Sie unterscheiden drei Stufen der Supplantation: (a) mediale Modellierung aller vom Lernenden zu leistenden mentalen Operationen, (b) Abkürzung durch mediale Präsentation des Ausgangs- und des Endzustands des Arbeitsprozesses, (c) mediale Aktivierung zur selbständigen Ausführung der Lernaufgabe. Wie man sehen kann, wird das Ausmaß an Supplantation von (a) nach (c) sukzessiv zurückgefahren, um den Lernenden stärker in die Verantwortung zu nehmen. Film, Video und Computer sind durch reale und virtuelle Darstellungsmöglichkeiten einschließlich Simulation für Supplantationsangebote hervorragend geeignet.

1.3.8

Instruktionspsychologisch fundierte Einbettung von multimedialem Lernen

Kognitive Prozesse sind beschreibbar; sie lassen sich psychologisch untersuchen und von außen beeinflussen. In unserem Zusammenhang steht die Beeinflussung des Lernens durch Instruktion mit Hilfe von Medien im Mittelpunkt des Interesses. In der Praxis wird dieser Anwendungsbereich schwerpunktmäßig von der Mediendidaktik bearbeitet (Issing & Knigge-Illner, 1976; Kerres, 1998; Strittmatter & Niegemann, 2000; Niegemann et al., 2004). E-Learning-Angebote werden in der Regel in größere Unterrichtseinheiten bzw. Studienkurse eingebettet, in denen sie didaktische Teilfunktionen des gesamten Unterrichts übernehmen. Die komplette Liste der „events of instruction“ umfasst (Gagné, Briggs & Wager, 1988; Lockard & Abrams, 2001) folgende Aufgaben:             

Aufmerksamkeit erregen, motivieren, problematisieren, an Vorkenntnisse und Erfahrungen anknüpfen, die Lernziele vereinbaren, das Lernen aktivieren und unterstützen, relevantes Vorwissens aktivieren, Informationen anbieten, Hinweise und Hilfen geben, Beispiele geben sowie Fragen und Aufgaben stellen, Rückmeldung und Korrektur geben, das Neugelernte mit dem bereits Vorhandenen verknüpfen, das Gelernte wiederholen, vertiefen, festigen, üben, anwenden, den Lernerfolg ermitteln und an den Lernenden rückmelden, auf weitere Lernmöglichkeiten hinweisen.

30

1 Psychologische Grundlagen des Online-Lernens

Die Kognitionspsychologie empfiehlt für die Planung und Durchführung von Lehr- und Lernprozessen eine Reihe von Hilfstechniken wie Chunking, Anknüpfen an vorhandene Mentale Modelle, Schemata und Skripte, Concept Mapping bzw. Mind Mapping, Vorstrukturieren durch Advance Organizer, Vermittlung von Anschauung durch Abbildungen und Bewegtbilder, Veranschaulichung abstrakter Inhalte durch logische und analoge Bilder, Aufzeigen von Ähnlichkeiten durch Beispiele, Vergleiche, Metaphern, Analogien, Üben von Behaltenstechniken und Anleiten zur Metakognition. Park und Hannafin (1993) haben zwanzig derartige Prinzipien aus der Wahrnehmungs- und Kognitionspsychologie abgeleitet und deren Verwendung für die Entwicklung von Multimedia-Lernsoftware aufgezeigt.

1.4

Lernen als Konstruktion von Wissen

Im Gegensatz zur behavioristischen und zur kognitiven Lernpsychologie handelt es sich bei der konstruktivistischen Psychologie um eine Gruppe sehr heterogener theoretischer Ansätze (Woolfolk, 2008, S. 418ff.).

1.4.1

Konstruktivistische Ansätze

Der radikale Konstruktivismus, der von Philosophen (insbes. Glasersfeld, 1995) vertreten wird, geht von der Annahme aus, dass kognitive Aktivitäten auf individuellen Erfahrungen basieren und kein „wahres“, allgemein gültiges Wissen über die Welt vermitteln können. Wissen kann daher auch nicht gelehrt, sondern nur persönlich erworben werden. Der psychologische bzw. individuelle Konstruktivismus (z. B. Piaget, 1971) befasst sich damit, wie Individuen ihre kognitiven Strukturen entwickeln. Er versteht kognitive Strukturen als hoch individualisierte Repräsentationen, die bei individuellen Erfahrungen mit der Umwelt entstehen. Der soziale Konstruktivismus (v. a. Wigotsky, 1964) vertritt die These, dass soziale Interaktionen und der kulturelle Kontext die individuelle Entwicklung und das Lernen formen. Im Gegensatz zu Piaget, der das Kind als unabhängigen kleinen Forscher sieht, das lernend seine Umwelt exploriert, betont Wigotsky, dass Kinder vor allem durch soziale Interaktionen mit der Umwelt lernen. Auch im Erwachsenenalter werden kognitive Konzepte und ihre Bedeutungen im sozialen Kontext diskutiert und abgeglichen. Der gemäßigte Konstruktivismus (z. B. Mandl, Gruber & Renkl, 1993, 2002) kritisiert die Betonung von Instruktion in der behavioristischen und kognitiven Psychologie, weil Instruktion häufig nur zu „trägem“ Wissen führt, und befürwortet eine Ergänzung des Instruktions-Paradigmas durch ein Problemlösungsparadigma. Wissen soll vom Lernenden in möglichst realitätsnahen (authentischen) Situationen (situiertes Lernen) aktiv erfahren und erworben werden. Das kann am besten durch die Bearbeitung von realitätsnahen Problemen und Projektaufgaben sowie durch kooperatives Lernen erreicht werden (Gerstenmaier & Mandl, 1995).

1.4 Lernen als Konstruktion von Wissen

1.4.2

31

Problembasiertes Lernen

In der Instruktionspsychologie wurden seit Ende der 1980er Jahre Konzepte für die Gestaltung konstruktivistischer Lernangebote entwickelt (Jonassen, 1991; Duffy, Lowyck & Jonassen, 1993; Duffy & Cunningham, 1996). Sie zielen im Wesentlichen auf die Bereitstellung einer reichhaltigen, komplexen Lernumgebung ab, in der die Lernenden im sozialen Austausch selbständig lernen können. Jonassen (1999, 2004) schlug die Entwicklung von Lernumgebungen vor, die problembasiertes, projektorientiertes Lernen herausfordern. Sein Ziel ist die Entwicklung einer Systematik ausgewählter Problemsituationen, um eine Art konstruktivistisches Bildungs-Curriculum abzudecken. Dann könne man in der Bildungspraxis zu einem großen Teil auf Instruktion und rezeptives Lernen verzichten. Im Gegensatz zum Bearbeiten von Aufgaben mit Hilfe von Routinen und Algorithmen sind beim Lösen von Problemen Schwierigkeiten zu überwinden, was durch produktives Denken erreicht wird (Wertheimer, 1964; Dörner, 1979). Im Wesentlichen lassen sich fünf Formen des problemlösenden Denkens unterscheiden (Edelmann, 2000, S. 225):     

Problemlösen durch Versuch und Irrtum Problemlösen durch Umstrukturierung Problemlösen durch Anwendung von Strategien Problemlösen durch Kreativität Problemlösen durch (vernetztes) Systemdenken.

Häufig führt das Eingrenzen der Problemlage, das Zulassen ungewöhnlicher Denkwege, Assoziation, Brainstorming und Entspannung zum Finden der Lösung. Strategien des Problemlösens sind lernbar (z. B. auch durch Modell-Lernen). Beim E-Learning ist die Simulation von realitätsnahen Problemsituationen hervorzuheben, in der sich probeweise Variablen verändern und deren Effekte auf das Gesamtsystem unmittelbar erkennen lassen. Auch durch spiel-basiertes Lernen (game-based learning) lässt sich problemorientiertes Lernen fördern. Hier wird deutlich, dass beim E-Learning weniger das „Lernen aus Medien“ gefördert werden soll, als vielmehr das aktive „Lernen mit Medien“, bei dem die Medien als „Lernwerkzeuge“ (cognitive tools) fungieren. Denn das Ziel konstruktivistischen Lernens ist nicht das Vermitteln von Wissensinhalten, sondern die Unterstützung der Lernenden beim Erwerb der Fähigkeit, selbständig Informationen aus verfügbaren Datenquellen (z. B. aus dem Internet) zu gewinnen und diese kreativ für die Lösung von Problemen im Alltag und Beruf zu nutzen (Jonassen & Reeves, 1996). Folglich kann der Erfolg konstruktivistischen Lernens nicht in üblichen schriftlichen Tests abgefragt, sondern nur bei realitätsnahen Aufgaben und Problemsituationen anhand der Qualität von Transferleistungen überprüft werden. Die Potenziale des Online-Lernens in Verbindung mit Web 2.0-Technologien bieten für das kooperative Lösen von Problemen in realen und virtuellen Szenarien hervorragende Möglichkeiten.

1.4.3

Lernmotivation durch reichhaltige Lernumgebungen

Problembasiertes Lernen ist motiviertes Lernen (Atkinson, 1975). Durch neue, komplexe Situationen wird Neugiermotivation und exploratives Verhalten ausgelöst, mit dem Ziel, die Ungewissheit und den damit verbundenen kognitiven Konflikt aufzulösen, um wieder zu einem mittleren Erregungsniveau zu gelangen. Die Neugiermotivation ist prototypisch für intrinsische Motivation. Durch die Wahrnehmung

32

1 Psychologische Grundlagen des Online-Lernens

neuartiger Phänomene in der Umwelt erlebt der Mensch Anreize und Aufforderungen (affordances), wodurch bei ihm latente Motive (Persönlichkeitsdispositionen) angeregt werden und eine aktuelle Handlungsmotivation entstehen kann. Die ökologische Psychologie (Gibson, 1969) betont die Potenziale der Informationstechnologie für die Kreation reichhaltiger, realitätsnaher, multiperspektivischer Lernumgebungen zur Stimulation intrinsisch motivierten Lernens (Allen & Otto, 1996).

1.4.4

Kooperatives Lernen

Ein grundlegendes Kennzeichen von E-Learning und Online-Lernen sind die Möglichkeiten zur Interaktion – einerseits zur Interaktion mit dem Lernangebot durch die Beantwortung von Fragen und durch die Lösung von Aufgaben – andererseits zur Interaktion (Kommunikation) mit einem Lehrer, Tutor, Experten oder mit anderen Lernenden. Untersuchungen haben gezeigt, dass die computervermittelte Kommunikation (CvK) im Vergleich zur direkten Kommunikation (face-to-face communication) zu veränderten Kommunikationsformen führt (Hesse, Garsoffky & Hron, 2002; Weidenmann, 2004; Döring, 2003). Selbst bei Videokonferenzen wird die soziale Präsenz gefiltert, indem der Kleidung und Körpersprache eine geringere Bedeutung zugemessen wird als in der direkten persönlichen Kommunikation. Das Anonymitätsgefühl kann bei der CvK zunehmen, gleichzeitig kann eine stärkere Involviertheit und Sachbezogenheit der Teilnehmer beobachtet werden (Portmes, Spears & Lea, 1998). Bei der computervermittelten Kommunikation können bei den Teilnehmern Lerninhalte durch unterschiedliche Perspektiven der Teilnehmer ergänzt und dadurch kognitiv vielseitiger verknüpft werden. Schwierigkeiten bei der Bearbeitung von Aufgaben lassen sich rasch durch gegenseitige Hilfe lösen. Bei der asynchronen Kommunikation (z. B. per E-Mail) wird allerdings die inhaltliche Koordination erschwert. Bei der synchronen Kommunikation ist die Regelung der Sprecherreihenfolge (turn taking) ein Problem und sollte durch Regeln oder durch Online-Moderation gesteuert werden. Ein Überangebot von gegenseitigen Mitteilungen der Teilnehmer kann zur Überforderung des Einzelnen führen – insbesondere, wenn die Gruppenmitglieder häufig wechseln und die Wissensunterschiede zu groß sind.

1.5

Ausblick

E-Learning, speziell in der Form des Online-Lernens, wird in den kommenden Jahren durch den weiteren Ausbau von Web 2.0-Technologien und durch Mobiles Lernen (M-Lernen) mit Hilfe drahtloser Netzzugänge zu jeder Zeit und an jedem Ort bedarfsbezogenes, informelles Lernen außerhalb jedes Lehrplans ermöglichen. Aufgrund psychologischer Erkenntnisse kann bei bedarfsbezogenem M-Lernen eher eine intrinsische Motivation und situativ-verwertbares Wissen als Lernergebnis erwartet werden als bei lehrplangesteuertem, formalem Lernen. Aber auch für erfolgreiches M-Learning sind bei den Nutzern geeignete Lernvoraussetzungen und Vorkenntnisse erforderlich, die in Verbindung mit Phasen präsenten Lernens entwickelt oder nachfolgend durch Präsenzlernen ergänzt werden (Hung, Tan & Chen, 2006). Social Software und Web 2.0-Anwendungen wie Wikis, Weblogs, Podcasts, Social Bookmarks usw. ermöglichen die Bereitstellung kommunikationsbezogener Lernumgebungen. Sie bewirken eine Annäherung zwischen realer und virtueller Kommunikation und fördern die Lernmotivation durch situationsbezogene Interaktionen. Die heranwachsende „digitale Generation“ wird bereits in der Schule durch

1.5 Ausblick

33

regelmäßiges Lernen mit Laptops und interaktiven Whiteboards an problembezogene Informationssuche und Online-Lernen herangeführt. Aus unserer Analyse der psychologischen Grundlagen ergeben sich für das E-Learning und speziell auch für das Online-Lernen eine Fülle von wissenschaftlichen Erkenntnissen, die als Basis für die Planung, für die Entwicklung und für den Einsatz von Lernangeboten genutzt werden können (siehe hierzu auch die Beiträge in diesem Buch). Denn nicht die Informations- und Kommunikationstechnologie als solche ist für den Erfolg von E-Learning-Angeboten insbesondere auch in der Form des OnlineLernens entscheidend, sondern deren psychologisch und pädagogisch begründete Gestaltung und Verwendung.

2

Pädagogische Grundlagen für das Online-Lernen

Renate Schulz-Zander & Gerhard Tulodziecki

Online-Lernen steht als eine besondere Form des Lernens u. a. im Kontext pädagogischer Anforderungen. Damit ist es allgemeinen Zielvorstellungen sowie Leitgedanken zum Lernen unterworfen und soll pädagogisch wünschenswerte Merkmale aufweisen. Insgesamt kann das Online-Lernen – wie Lernen überhaupt – unter die Leitidee eines sachgerechten, selbst bestimmten, kreativen und sozial verantwortlichen Handelns gestellt werden. Eine Umsetzung lässt sich in den Formen des individualisierten, des forschenden, des kollaborativen und des produktorientierten Lernens anstreben. Zugleich soll im Zusammenhang mit dem Online-Lernen Medienkompetenz als ein Element von Bildung und als bedeutsame Voraussetzung für ein verantwortliches Handeln in der Wissensgesellschaft gefördert werden. Schlüsselbegriffe: Allgemeine Didaktik, Bildung, Handlungsorientierung, Lernformen, Mediendidaktik, Medienkompetenz, Wissensgesellschaft

36

2 Pädagogische Grundlagen für das Online-Lernen

Online-Lernen kann in vielfältiger Form realisiert werden – von der Internetrecherche im Rahmen personal angeleiteter Lernprozesse über die Nutzung von E-Learning-Angeboten für das Einzel- oder Gruppen-Lernen mit oder ohne Tutor bis zu Formen des verteilten Wissensmanagements unter Nutzung neuer Möglichkeiten des Web 2.0. Dabei geht es jeweils um eine Auseinandersetzung mit bestimmten Inhalten bzw. Fragestellungen oder Problemen und damit zugleich um eine Form der Weltaneignung. Online-Lernen befindet sich so als eine besondere Form des Lernens im Zusammenhang psychologischer, soziologischer und pädagogischer Anforderungen. Die Feststellung, dass Online-Lernen sich u. a. pädagogischen Ansprüchen stellen muss, scheint zwar selbstverständlich, ist mit Blick auf die Entwicklung des Online-Lernens jedoch alles andere als trivial – steht es doch in der Tradition von computerunterstützten Lernformen, die sich zunächst im angloamerikanischen Raum ausgehend von dem Versuch, Lehrmaschinen auf behavioristischer Grundlage zu bauen, entwickelt hatten. Bei allen Weiter- und Neuentwicklungen – auch der zugrunde liegenden Lerntheorien (siehe dazu den Beitrag von Issing in diesem Band) – blieben die entsprechenden Gedanken letztlich einer Educational Technology verhaftet, die im deutschsprachigen Raum unter dem Begriff der Bildungstechnologie zum Teil übernommen, zum Teil im Rahmen einer umfassenderen Mediendidaktik weiterentwickelt und auf andere Grundlagen gestellt wurde (vgl. z. B. Hagemann & Tulodziecki, 1978; Kerres, 2005). Bei allen Versuchen, bildungstechnologische Überlegungen anschlussfähig an die deutschsprachige didaktische und pädagogische Diskussionen zu machen, gibt es gegenüber entsprechenden Ansätzen doch nach wie vor Bedenken, wobei ihnen u. a. unterstellt wird, sie gingen letztlich von dem Gedanken aus, Bildung sei im Sinne von technologischen Anwendungen „machbar“ und „herstellbar“ (vgl. Kerres, 2007, S. 170). Solche Einschätzungen erweisen sich zwar bei genauerer Betrachtung der vielfältigen didaktisch und pädagogisch orientierten Überlegungen im Bereich gegenwärtiger Mediendidaktik als pauschale Vorurteile und sind auch angesichts der weiten Anerkennung konstruktivistischer Auffassungen zum Lernen nicht haltbar, bekommen zum Teil allerdings neue Nahrung dadurch, dass verschiedene E-Learning-Angebote tatsächlich ohne weitergehende didaktische und pädagogische Erwägungen entwickelt und angepriesen werden. Vor diesem Hintergrund geht es in diesem Beitrag darum, auf pädagogische Grundlagen für das Online-Lernen aufmerksam zu machen und Ansätze zu ihrer Umsetzung aufzuzeigen. Aus pädagogischer Sicht erhält Lernen erst dadurch seinen Sinn, dass es der Bildung des Menschen dient. Demgemäß werden im Folgenden zunächst bildungsbezogene Anforderungen an das Online-Lernen thematisiert, ehe ausgewählte Formen vertieft dargestellt werden. Abschließend sollen die Überlegungen zum Online-Lernen in den Kontext der Diskussion um Medienkompetenz – als Voraussetzung für gesellschaftliche Handlungsfähigkeit (vgl. Hurrelmann, 2002, S. 111ff.) – gestellt werden.

2.1

Grundsätzliche Anforderungen an das OnlineLernen aus pädagogischer Sicht

Lernen lässt sich aus pädagogischer Sicht in einem allgemeinen Sinne als Prozess beschreiben, bei dem sich der Mensch „Welt aneignet“ und damit sein Verhältnis zu sich selbst und zur Welt entwickelt. Dies kann durch die direkte Begegnung mit anderen Menschen und durch die unmittelbare Erfahrung mit der belebten oder unbelebten Natur und Artefakten geschehen oder in vermittelter Weise durch

2.1 Grundsätzliche Anforderungen an das Online-Lernen aus pädagogischer Sicht

37

andere Menschen oder durch technisch basierte Medien, u. a. durch das Lernen mit Online-Angeboten. Dabei soll Bildung als ein humanes Selbst- und Weltverhältnis entstehen. Ein solch humanes Selbstund Weltverhältnis wurde und wird in der Bildungsdiskussion durch unterschiedliche Bildungsauffassungen beschrieben (vgl. z. B. Wehnes, 2001, S. 279ff.). Diese reichen zunächst vom antiken Bildungsbegriff der griechischen „paideia“ (wobei Bildung meint, dass der Mensch durch Wahrnehmung, Erfahrung und Erkenntnis Zugang zur Wahrheit und Tugend erhält) bis zum klassischen Bildungsbegriff (bei dem Bildung als Entwicklung zur „vollen Menschlichkeit“ mit der Betonung von Ganzheit und Allseitigkeit, von Autonomie und Freiheit im Sinne einer harmonisch geformten Individualität verstanden wird). Im Anschluss daran war die Bildungsdiskussion des 20. Jahrhunderts u. a. durch den Versuch gekennzeichnet, Anforderungen durch Beruf und Arbeit, durch herkömmliche Technik und neue Informations- und Kommunikationstechnologien sowie durch Widersprüchlichkeiten menschlichen Daseins im Bildungsbegriff zu berücksichtigen (vgl. ebd., S. 285ff.). Trotz aller Kritik an solchen Bildungsauffassungen sowie am Bildungsbegriff überhaupt und trotz verschiedener Ansätze, den Bildungsbegriff durch andere Begriffe, z. B. Schlüsselqualifikation oder Kompetenz, zu ersetzen – bleibt der im Begriff der Bildung aufgehobene Kerngedanke erhalten: Der Mensch ist ein Wesen, das nicht einfach auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet werden darf, sondern zu selbstständigem Denken und Urteilen, zur Verständigung und Kooperation mit anderen, zu kultureller Teilhabe und verantwortlichem Handeln im gesellschaftlichen Zusammenhang aufgerufen ist (vgl. ebd., S. 291). Vor diesem Hintergrund ergeben sich bestimmte Zielvorstellungen und Leitgedanken sowie wünschenswerte Merkmale für Lernprozesse, die auch für das Online-Lernen Gültigkeit beanspruchen.

2.1.1

Allgemeine Zielvorstellungen für das Lernen und Lehren

Aus pädagogischer Sicht ist die Formulierung von allgemeinen Zielvorstellungen für das Lernen Aufgabe der Allgemeinen Didaktik. In der didaktischen Diskussion werden beispielsweise von Schulz (1981) Kompetenz, Autonomie und Solidarität, von Winkel (1983) Demokratisierung und Humanisierung, von Klafki (1985) Selbstbestimmungs-, Mitbestimmungs- und Solidaritätsfähigkeit sowie von Klingberg (1990) Mitentscheidung, Mitgestaltung und Mitverantwortung als Zielvorstellungen gefordert. Darüber hinaus wird in didaktischen Konzepten immer wieder hervorgehoben, dass Gelerntes sich im Handeln bewähren muss bzw. dass Lernen und Lehren auf Dispositionen für gegenwärtiges und zukünftiges Handeln zielen sollen (vgl. z. B. Gudjons, 1994). Solche und ähnliche Zielüberlegungen lassen sich unter den allgemeinen Zielvorstellungen eines sachgerechten, eines selbst bestimmten, eines kreativen und eines sozial verantwortlichen Handelns zusammenfassen (vgl. Tulodziecki, 1996, S. 50). Diese Zielvorstellungen erweisen sich gerade auch in der Diskussion um Online-Angebote und Medien generell als bedeutsam. Die Fähigkeit zu sachgerechtem Handeln setzt u. a. realistische Vorstellungen von der Wirklichkeit voraus und gilt u. a. aufgrund des Problems, dass durch mediale Angebote unter Umständen verzerrte oder gar irreführende Vorstellungen von der Wirklichkeit nahe gelegt werden, als besonders wichtig. Die Befähigung zu selbst bestimmtem Handeln ist angesichts möglicher Fremdbestimmung durch Medieneinflüsse ebenfalls von großer Bedeutung. Die Zielvorstellung kreativen Handelns ist u. a. mit der Intention verbunden, in Handlungssituationen stets auch über neue Möglichkeiten nachzudenken. Zugleich soll gegen die bloße Rezeption von Medien eigene Kreativität – gegebenenfalls auch mit Medien – gesetzt werden. Schließlich wird mit der Zielvorstellung sozial verantwortli-

38

2 Pädagogische Grundlagen für das Online-Lernen

chen Handelns die Idee sozialer Gerechtigkeit hervorgehoben, die angesichts gesellschaftlicher Strömungen wie Nutzen- und Profitorientierung, Individualisierung und Narzissmus, Wertepluralismus und Globalisierung immer wichtiger wird – wobei die genannten Strömungen zum Teil auch von Medien vermittelt werden. Vor diesem Hintergrund stellen sich auch beim Lernen mit Online-Angeboten immer wieder folgende Fragen: Erzeugen die Informationen und Darstellungen ein realistisches Bild der Wirklichkeit als Grundlage für ein sachgerechtes Vorgehens? Inwieweit haben die Informationen einen appellativen Gehalt, der gegebenenfalls auf eine Verhaltensbeeinflussung zielt? Welche Handlungsvorschläge werden gegebenenfalls genannt, welche anderen werden möglicherweise nicht thematisiert? Welches Handeln in dem betreffenden Feld ist aus der Sicht sozialer Verantwortung gerechtfertigt bzw. nicht gerechtfertigt? Diese Hinweise machen deutlich, dass die angeführten Zielvorstellungen nicht nur wichtig sind, um möglichen Problemen bei der Mediennutzung zu begegnen, sondern auch eine bedeutsame Grundlage bilden, um ihre Möglichkeiten im bildenden Sinne auszuschöpfen: Medien können umso angemessener für Information und Lernen, für Problemlösen und Entscheidungsfindung, für Kommunikation und Kooperation verwendet werden, je stärker die genannten Zieldimensionen bei den Nutzern ausgeprägt sind (vgl. auch BLK, 1995, S. 15f.). Damit stehen diese Zielvorstellungen zugleich in Übereinstimmung mit der Forderung, dass Lernen und Lehren in der Wissensgesellschaft auf ein lebenslanges Lernen vorbereiten und dass dabei die Fähigkeit zu einem eigenaktiven, selbst organisierten, aber auch kooperativen Lernen unter Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien sowie die Kompetenz zum Wissensmanagement erworben werden sollen (vgl. Schulz-Zander, 2001, S. 181f.; siehe auch Pelgrum & Anderson, 1999).

2.1.2

Leitgedanken für das Lernen und Lehren

Ein sachgerechtes, selbst bestimmtes und kreatives Handeln in sozialer Verantwortung ist an bestimmte Bedingungen gebunden, die auf pädagogische Leitgedanken für das Lernen und Lehren verweisen. Um zunächst auf solche Bedingungen aufmerksam zu machen, kann man sich z. B. eine Situation vorstellen, in der jemand, der aufgrund seiner Tätigkeit Zugang zu wichtigen und vertraulichen Personendaten hat, von einem Freund gebeten wird, diese zum Zweck wirtschaftlicher Vorteile herauszugeben. Ob jemand die Daten in einer solchen Situation unrechtmäßig herausgibt oder nicht, hängt u. a. von folgenden Bedingungen ab (vgl. Tulodziecki, Herzig & Blömeke, 2004, S. 34ff.): Lebenssituation: Wenn jemand beispielsweise in seiner Lebenssituation dringend auf den Freund oder gar auf Geld angewiesen ist und sich Hoffnungen auf eine Beteiligung am möglichen Gewinn macht, wird er u. U. eher dazu neigen, die Daten herauszugeben, als wenn dies nicht der Fall ist. Bedürfnislage: Jemand, der z. B. ein starkes Sicherheitsbedürfnis hat und fürchtet, dass die Herausgabe der Daten von Dritten entdeckt werden könnte, wird die Daten eher nicht herausgeben. Ist dagegen das Zugehörigkeitsbedürfnis in Bezug auf den Freund dominant, ist es wahrscheinlicher, dass der Wunsch des Freundes erfüllt wird. Wissens- und Erfahrungsstand: Beispielsweise wirken der Stand des Wissens über den Datenschutz und vorherige Erfahrungen in ähnlichen Situationen auf die Erwägungen und die Entscheidung zurück.

2.1 Grundsätzliche Anforderungen an das Online-Lernen aus pädagogischer Sicht

39

Stand der intellektuellen Entwicklung: Falls jemand dazu neigt, bei Entscheidungen eher eindimensional zu denken, wird er sein Verhalten in fixierter Weise von einem ihm nahe liegenden Grund abhängig machen, z. B. von der Möglichkeit eines „Zusatzverdienstes“. Jemand, der dagegen mehrdimensional denkt, wird demgegenüber zwischen verschiedenen Möglichkeiten abwägen und vielleicht sogar neue Möglichkeiten ins Spiel bringen, wie das wirtschaftliche Anliegen des Freundes ohne Verletzung des Datenschutzes erreicht werden kann. Niveau der sozial-moralischen Entwicklung: Je nach Entwicklungsstand wird die Abwägung zwischen der Gefahr einer Bestrafung oder der Chance nicht erwischt zu werden, zwischen einer möglichen Belohnung oder zu erwartenden Schwierigkeiten aufgrund der Verletzung von Interessen anderer, zwischen den Erwartungen des Freundes oder den Erwartungen anderer Betroffener, zwischen der Verpflichtung, gesetzliche Regelungen einzuhalten, oder dem Recht auf eigene Entscheidungen, zwischen dem Grundsatz des Datenschutzes oder seiner möglichen Infragestellung verlaufen. Kommunikationsfähigkeit: Wenn jemand z. B. über gute kommunikative Fähigkeiten verfügt, wird er eher in der Lage sein, seine Meinung dem Freund zu vermitteln oder sich mit ihm auf eine angemessene Lösung zu verständigen, als wenn dies nicht der Fall ist. Diese Bedingungen für ein sachgerechtes, selbst bestimmtes und kreatives Handeln in sozialer Verantwortung zeigen zum einen, dass ein solches Handeln von der Lebenssituation und der Bedürfnislage des jeweils Handelnden abhängig ist und einen angemessenen Wissens- und Erfahrungsstand sowie ein bestimmtes Entwicklungsniveau und Kommunikationsfähigkeit voraussetzt. Zum anderen legen sie nahe, für Lern- und Lehrprozesse generell zu fordern, dass diese unter Berücksichtigung von Lebenssituation und Bedürfnislage einer Erweiterung des Wissens- und Erfahrungsstandes sowie der Förderung der sozial-kognitiven Entwicklung und der Kommunikationsfähigkeit dienen sollen. Dies setzt im Lernprozess entsprechende Analysen und Reflexionen voraus. Demgemäß lassen sich im Zusammenhang mit der Handlungsorientierung als übergreifendem Leitgedanken Situations-, Bedürfnis-, Erfahrungs-, Entwicklungs- und Kommunikationsorientierung als weitere Leitgedanken für zu gestaltende Lernprozesse nennen (vgl. Tulodziecki, 1997, S. 140f.). Situationsorientierung meint dabei, dass gegenwärtige oder zukünftige Anforderungen aus der Lebenswelt der Lernenden zum Ausgangspunkt des Lernens gemacht und im Lernprozess Dispositionen für die Bewältigung solcher Anforderungen erworben werden sollen. Bedürfnisorientierung verweist darauf, dass die Bedürfnislage als eine Ausgangsbedingung für das Lernen zu berücksichtigen ist und im Lernprozess Möglichkeiten bestehen sollen, Bedürfnisse zur Geltung zu bringen. Erfahrungsorientierung heißt, dass der Lernprozess die Möglichkeit bieten soll, vorhandene Erfahrungen einzubringen und neue Erfahrungen zur Erweiterung des Wissenstandes zu machen. Entwicklungsorientierung zeigt sich daran, dass Lernprozesse entwicklungsgemäß angelegt sind und Entwicklungsförderung angestrebt wird. Kommunikationsorientierung ist dadurch charakterisiert, dass der Lernprozess in Kommunikation mit anderen erfolgt und sich die Kommunikationsfähigkeit weiterentwickeln kann.

40

2.1.3

2 Pädagogische Grundlagen für das Online-Lernen

Wünschenswerte Merkmale von Lern- und Lehrprozessen

In Übereinstimmung mit den oben entwickelten Leitgedanken sollten Lern- und Lehrprozesse mit Online-Angeboten bestimmte Merkmale ausweisen. Solche Merkmale sind (vgl. Schulz-Zander, 2005a, S. 234; Tulodziecki & Herzig, 2004, S. 196f.): 1. Bedeutsame Aufgabe mit angemessenem Komplexitätsgrad als Ausgangspunkt: Lernen und Lehren sollen jeweils von einer – für die Lernenden – bedeutsamen Aufgabe ausgehen. Solche Aufgaben können Probleme, Entscheidungsfälle, Gestaltungs- und Beurteilungsaufgaben sein. Die Aufgaben sollen möglichst authentisch, d. h. auf gegenwärtige oder zukünftige Lebenssituationen bezogen sein. Sie sollen einerseits für eine Auseinandersetzung mit einem Thema motivieren und zugleich vorhandenes Wissen und Können als Basis für den folgenden Lernprozess aktivieren. 2. Verständigung über Ziele und Vorgehensweisen: Die Lernenden sollen an der Planung von Lernen und Lehren bzw. an Vereinbarungen zu Zielen und Vorgehen in angemessener Weise beteiligt sein. 3. Selbsttätige und kooperative Auseinandersetzung mit bedeutsamen Aufgaben bzw. Inhalten: Lehren soll eine aktive und kooperative Auseinandersetzung der Lernenden mit einer Aufgabe ermöglichen, indem Informationen selbstständig erarbeitet und Lösungswege eigenständig entwickelt und erprobt werden. 4. Individualisierung und Differenzierung: In Abhängigkeit von den Lernvoraussetzungen sollen individuelle Lernmöglichkeiten durch Differenzierungen ermöglicht werden. Dabei soll es zu einer Korrektur, Ausdifferenzierung oder Erweiterung vorhandenen Wissens und Könnens sowie zu einer Förderung des sozial-kognitiven Niveaus kommen. 5. Vergleich unterschiedlicher Lösungswege und Lösungen sowie Systematisierung: Verschiedene Lösungs- oder Handlungsmöglichkeiten sollen vorgestellt, artikuliert, diskutiert und zusammenfassend eingeordnet werden. 6. Anwendung und Reflexion des Gelernten: Lernen und Lehren sollen auf die Anwendung von Kenntnissen und Vorgehensweisen in unterschiedlichen Kontexten sowie auf deren Reflexion aus verschiedenen Perspektiven zielen. So kann eine Integration von neuen Kenntnissen und Fähigkeiten und ihre kritische Einordnung sowie ein angemessener Wissenstransfer erreicht werden. Solche Merkmale werden nicht nur durch die obigen Überlegungen, sondern auch durch Ergebnisse der empirischen Unterrichtsforschung nahe gelegt. Sie weisen zugleich Bezüge zu Ansätzen problemorientierten Lernens auf (vgl. z. B. Jonassen, 2002; Reinmann-Mandl, 2006; Reusser, 2005). Aus lerntheoretischer Sicht gibt es darüber hinaus viele Gemeinsamkeiten mit kognitionstheoretischen und konstruktivistischen Forderungen an Lern- und Lehrprozesse, wie sie z. B. im Konzept des situierten Lernens formuliert worden sind (siehe auch die Beiträge von Issing und von Mandl in diesem Band).

2.2

Besondere Formen des Lernens und Lehrens mit Online-Angeboten aus pädagogischer Sicht

Entscheidende Merkmale digitaler Medien für das Lernen sind die Multimedialität (Präsentation von Inhalten in unterschiedlicher Codierung und Sinnesmodalität), Interaktivität (Eingriffs- und Steue-

2.2 Besondere Formen des Lernens und Lehrens mit Online-Angeboten aus pädagogischer Sicht

41

rungsmöglichkeiten des Systems durch den Nutzer, Initiierung wechselseitiger Dialoge zwischen Nutzer und System) und Vernetzung (Bereitstellung und Verwendung verteilten Wissens durch global vernetzte Systeme sowie neue Formen der Kommunikation, Kooperation, Betreuung und Unterstützung) (vgl. Schulz-Zander & Tulodziecki, 2002; Weidenmann, 2006). Diese Potentiale können auf sog. webbasierten Lernplattformen bzw. Learning-Management-Systemen (LMS) gebündelt werden. Das gegenüber traditionellen Medien erweiterte Potenzial digitaler Medien kann zu bedeutsamen Veränderungen des Lernens und Lehrens führen. Lernende können sich forschend mit komplexen authentischen Problemen auseinander setzen, ihren Wissenserwerb aktiv gestalten und selbst organisieren sowie Wissen in Lerngemeinschaften ko-konstruieren (vgl. Schulz-Zander, 1998, 2001). So zeigt z. B. die „Second Information Technology in Education Study – Module 2“ (SITES-M2) der International Association for the Evaluation of Educational Achievement (IEA), in der Fälle innovativer pädagogischer Praxis unter Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien in Schulen untersucht wurden, dass sich in einer beträchtlichen Anzahl der Fälle das Lernen und Lehren maßgeblich verändert haben (vgl. Kozma, 2003; Schulz-Zander, 2005b; Schulz-Zander, Büchter & Dalmer, 2002; Kozma & McGhee, 2003). In diesen Fällen waren die Lernenden aktiv, haben selbstständig Informationen recherchiert, Produkte gestaltet, Arbeitsergebnisse präsentiert oder publiziert und häufig mit anderen zusammengearbeitet – sowohl klassenintern, aber auch klassenübergreifend oder mit externen Partnern. In den meisten Fällen haben die Lehrpersonen den Unterricht strukturiert, die Schüleraktivitäten organisiert, die Lernenden bei ihren Aktivitäten beraten sowie den Lernfortschritt überwacht und bewertet. Empirisch gestützt, lässt sich für das Lernen mit digitalen Medien zusammenfassend das didaktische Prinzip des eigenaktiv-konstruierenden und kooperativen Lernens formulieren, das durch eine stärkere Eigenaktivität der Lernenden, durch selbstständige Informationsgewinnung, durch Kommunikation und Zusammenarbeit der Lernenden und durch eine beratende, die Schüleraktivitäten strukturierende, den Lernfortschritt überwachende und bewertende Lehrperson gekennzeichnet werden kann (vgl. SchulzZander, 2005a). Im Folgenden sollen vier verschiedene Formen des Lernens und Lehrens mit Online-Angeboten vorgestellt werden, welche sich in besonderer Weise eignen, die im Abschnitt 2.1.3 entwickelten Merkmale umzusetzen (vgl. Schulz-Zander 2005a, S. 135ff.): individualisiertes Lernen, forschendes Lernen, kollaboratives Lernen mit externen Partnern und produktorientiertes Lernen (vgl. Abb. 2.1). Individualisiertes Lernen: Online-Angebote können den Prozess der individuellen Wissenskonstruktion in vielfältiger Weise fördern, und zwar innerhalb und außerhalb organisierter Kontexte. Die Lernenden können ihren Lernvoraussetzungen und ihren Interessen entsprechend individuelle Lernmöglichkeiten wahrnehmen. Instruktive Elemente lassen sich nutzen, um heterogene Lerngruppen differenziert zu fördern. Das Spektrum reicht von klassischen Übungs- und Trainingsprogrammen bis hin zu Learning Management Systemen (LMS). Das Bereitstellen von Online-Tools in LMS (wie Mind Maps, Präsentationsprogramme, Lexika, Wörterbücher, fachspezifische Software, Glossare) und Tests kann selbstreguliertes Lernen unterstützen. So dienen z. B. Online-Lernangebote wie SelGO (Selbstständiges Lernen mit digitalen Medien in der gymnasialen Oberstufe) (www.selgo.de/selgoportal/index.php) dem Zwecke des Förderns und Forderns von Lernenden. Allerdings kann selbstständiges bzw. selbstgesteuertes Lernen mit digitalen Medien, so zeigen empirische Befunde, leistungsschwachen Lernenden Schwierigkeiten bereiten, sodass gegebenenfalls eine Unterstützung durch die Lehrperson erforderlich ist (vgl. u. a. Schulz-Zander & Preussler, 2005). Des Weiteren besteht bei individualisiertem Lernen die Gefahr,

42

2 Pädagogische Grundlagen für das Online-Lernen

dass soziale und kommunikative Bedürfnisse zu kurz kommen, sodass mindestens die Möglichkeit für sozialen Austausch gegeben sein sollte.

2.2.1

Abb. 2.1:

Formen des Lehrens und Lernens mit Online-Angeboten (Schulz-Zander, 2005a, S. 135)

Forschendes Lernen: Dem Einsatz digitaler Medien kommt im Zusammenhang mit forschendem Lernen ein besonderer Stellenwert zu, da diese das ressourcenbasierte eigenständige Forschen und die KoKonstruktion von Wissen durch kollaboratives Lernen unterstützen oder auch erst ermöglichen. Lernende können wissenschaftliche Vorgehensweisen der Wissensgewinnung kennen lernen, z. B. durch Kommunikation und Kooperation mit Experten beim Projekt GLOBE (http://www.globe-germany.de/). Mit Lernplattformen wie z. B. Co-Lab (Collaborative Laboratories for Europe), CSILE (Computer Supported Intentional Learning Environment) oder WISE (Web-based Inquiry Science Environment) können insbesondere Lernprozesse im naturwissenschaftlichen Bereich angestoßen und durch bereitgestellte Tools und Hilfen unterstützt werden. Die Lernenden sammeln und klassifizieren Informationen, generieren Hypothesen, planen Experimente, führen diese durch, geben Daten ein, analysieren diese, interpretieren die Ergebnisse und überprüfen die Hypothesen. Durch die Unterstützung der Kommunikation und Kollaboration in der Lernplattform kann bei der Bearbeitung authentischer Problemstellungen bzw. eines fallbasierten Vorgehens (naturwissenschaftliches) Argumentieren basierend auf recherchierten Informationen und gewonnenen Daten gefördert werden. Allerdings stellt forschendes Lernens hohe Ansprüche an Lehrende und Lernende. Die Befunde von SITES-M2 zeigen, dass gerade in den Fällen des forschenden Lernens die Lehrperson den Lernprozess in hohem Maße strukturiert: Sie präsentiert Inhalte, begleitet die Lernenden, überwacht deren Lernfortschritte und steht ihnen beratend zur Seite. Darüber hinaus sind Hilfestellungen erforderlich, welche eine Lehrperson allein nicht immer leisten kann, besonders wenn kleinere Lerngruppen ihre individuellen Lernprozesse durchlaufen. Kollaboratives Lernen mit externen Partnern: Das Internet ermöglicht es, Lernen orts- und zeitunabhängig und damit global zu organisieren. Lernende können sich zu Lerngemeinschaften zusammenschließen und eine gemeinsame Wissensbasis und damit geteiltes Wissen herstellen, Arbeitsprodukte kollaborativ entwickeln und publizieren. Oft kommt es zu örtlichen und zeitlichen Veränderungen in

2.3 Online-Lernen im Aspekt der Entwicklung von Medienkompetenz

43

der Lernorganisation. Bei einer Zusammenarbeit mit externen Partnern zeigt sich häufig eine erhöhte Anstrengungsbereitschaft bei den Lernenden (Schulz-Zander, Büchter & Dalmer, 2002). Kompetenzen werden teilweise gebündelt; die Lehrperson kann phasenweise ihre Expertenrolle abgeben und wird partiell selbst zum Lernenden. Durch den Austausch mit anderen Lehrpersonen oder außerschulischen Einrichtungen können die Lehrenden eine Erweiterung ihrer pädagogischen und fachlichen Kompetenzen erfahren. Produktorientiertes Lernen: Digitale Medien bieten vielfältige Möglichkeiten der Unterstützung produktorientierten Lernens. Ihre Nutzung zielt nicht nur auf die Wissenskonstruktion, sondern in erheblichem Umfange auch auf die Präsentation und Veröffentlichung von Arbeitsergebnissen in multimedialer Form, z. B. auf Homepages oder im Web 2.0. Die Lernenden gestalten ihre Ergebnisse multimedial und erwerben eine erweiterte Schreibkompetenz. Produkte können z. B. mit dem Ziel des individuellen Lernfortschritts, der schulischen Nutzung für Lernen und Lehren sowie der externen Verwendung (z. B. für andere Schulen, externe Partner) entwickelt werden. Die Produktorientierung kann sich positiv auf die Motivation und das Arbeitsverhalten und darüber auch auf die Lernergebnisse auswirken. Mit der Veröffentlichung der Arbeitsergebnisse gewinnt der Lern- und Arbeitsprozess an Ernsthaftigkeit. Auch lassen sich Schulen durch Auftragsarbeiten verstärkt in wirtschaftliche Prozesse einbinden. Die dargestellten Formen des Lernens und Lehrens sind oftmals auch in kombinierter Form umzusetzen wie z. B. im Falle eines von der Europäischen Gemeinschaft geförderten Literaturprojekts, in dem Schulen aus Deutschland, Tschechien, Schweden und Ungarn gemeinsam Märchen und Sagen schreiben und gestalten und sowohl in Printform als auch Online publizieren (vgl. Schulz-Zander & Preussler, 2005).

2.3

Online-Lernen im Aspekt der Entwicklung von Medienkompetenz

Aus pädagogischer Sicht ist es wünschenswert, dass das Online-Lernen zugleich einen Beitrag zur Medienkompetenz leistet. Bei einem – dem gegenwärtigen Stand der medienpädagogischen Diskussion entsprechenden – Begriff von Medienkompetenz zeigt sich, dass sich diese nicht automatisch bei der Nutzung von Online-Angeboten für das Lernen ausbildet. Vielmehr bedarf es dazu weiterer Aktivitäten und Reflexionen. Im Anschluss an die BLK-Empfehlungen (BLK, 1995) wurde der Begriff der Medienkompetenz unter Beteiligung unterschiedlicher Fachdisziplinen diskutiert (vgl. u. a. Enquete-Kommission, 1997; Kubicek et al., 1998; Schell, Stolzenburg & Theunert, 1999; Groeben & Hurrelmann, 2002). Medienkompetenz zielt auf eine ergänzende Kulturtechnik und eine veränderte Kommunikationskultur. Beim Umgang mit Multimedia und Netzen muss eine erweiterte Lese- und Schreibfähigkeit mit wahrnehmenden, analytischen, interpretativen, bewertenden und gestalterischen Komponenten erworben werden (vgl. Schulz-Zander, 1998). Unter anderem ist die Wahrnehmung, Analyse und Interpretation von Bildern und dynamischen Vorgängen erforderlich. Angesichts der Manipulationsmöglichkeiten digitaler Medien tritt der Aspekt der Konstruktion von Wirklichkeit deutlicher hervor als je zuvor. Es wird eine Kompetenz zur Entschlüsselung und Bewertung von Informationen und Medienbotschaften vor dem

44

2 Pädagogische Grundlagen für das Online-Lernen

Hintergrund ihrer Entstehungsbedingungen, d. h. eine Fähigkeit zur Rekontextualisierung von Informationen benötigt, nicht zuletzt weil bei den Daten im Internet der soziokulturelle Kontext bzw. der Situationsbezug oftmals nicht oder nur schwer erkennbar ist. Des Weiteren sind soziale, kommunikative und kreative Fähigkeiten gefordert. Auf der Grundlage einer Reflexion von soziokulturellen Veränderungen in unserer Gesellschaft und von Einflüssen der Medien auf die Persönlichkeitsentwicklung geht es u. a. darum, Chancen der Medien für die Persönlichkeitsentwicklung und -entfaltung zu nutzen. Die Artikulation über Medien ist eine wichtige Voraussetzung zur aktiven Beteiligung an gesellschaftlichen Prozessen. Vor diesem Hintergrund kann man Medienkompetenz insgesamt als das Vermögen und die Bereitschaft kennzeichnen, in Medienzusammenhängen sachgerecht, selbst bestimmt, kreativ und sozial verantwortlich zu handeln (vgl. auch BLK 1995, S. 15). Dabei umfasst Medienkompetenz zunächst Kompetenzen in zwei Handlungszusammenhängen (vgl. Tulodziecki & Herzig, 2002, S. 154): •



im Zusammenhang der Nutzung vorhandener Medienangebote, z. B. der Nutzung von OnlineAngeboten für Information und Lernen, für Unterhaltung und Spiel, für Problemlösung und Entscheidungsfindung, für Kooperation und Kommunikation, im Zusammenhang der eigenen Gestaltung medialer Aussagen, z. B. bei der eigenen Erstellung einer Zeitung, eines Hörmagazins, eines Videofilms, einer Computersimulation oder einer Homepage.

Solche Handlungskompetenzen erfordern Kenntnisse und Verstehen sowie Analyse- und Urteilsfähigkeit in drei inhaltlichen Bereichen: •





im Bereich der Gestaltungsmöglichkeiten, die in Medien Verwendung finden: vom realitätsnahen Foto eines berühmten Bauwerks bis zur grafischen Darstellung der Bevölkerungsentwicklung auf unserem Planeten, von filmischen Gestaltungstechniken wie Einstellungsperspektiven und Montage bis zu computerbasierten Techniken der Bildbearbeitung, im Bereich der Nutzungsvoraussetzungen und -wirkungen von Medien: von individuellen Einflüssen auf Gefühle, Vorstellungen und Verhaltensorientierungen bis zur Bedeutung der Massen- und Individualkommunikation für die öffentliche Meinungs- und die politische Willensbildung, im Bereich der Bedingungen von Medienproduktion und -verbreitung: von technischen Voraussetzungen für die Nutzung von Medien bis zu personalen Bedingungen in einem Softwareunternehmen, von rechtlichen Bestimmungen zum Datenschutz bis zu wirtschaftlichen Interessen der Computerindustrie und der Netzprovider bzw. der dahinter stehenden Konzerne.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen lassen sich fünf Aufgabenbereiche der Medienbildung nennen (vgl. auch Schulz-Zander & Tulodziecki, 2002): • • • • •

Auswählen und Nutzung von Medienangeboten auf der Basis sachbezogener, sozialer und ethischer Urteilsfähigkeit, Gestalten und – u. a. netzbasiertes – Verbreiten von eigenen Medienbeiträgen, Verstehen und Bewerten von Mediengestaltungen als Wirklichkeitskonstruktionen, Erkennen und Aufarbeiten von Medieneinflüssen, Durchschauen und Beurteilen von rechtlichen, ökonomischen und institutionellen Bedingungen der Medienproduktion und Medienverbreitung im gesellschaftlichen Zusammenhang.

2.3 Online-Lernen im Aspekt der Entwicklung von Medienkompetenz

45

Entsprechende Aufgaben können im Rahmen eigenständiger Projekte, zum Teil aber auch im Zusammenhang mit dem Online-Lernen wahrgenommen werden. Darauf verweisen bereits die im Abschnitt 2.1.1 genannten Fragen. Insgesamt lässt sich Medienkompetenz im Zusammenhang des Online-Lernens fördern, • • • • •

wenn die Auswahl von Online-Angeboten als Entscheidungsprozess verstanden und ihre Nutzung im Vergleich zu anderen Möglichkeiten der Information und des Lernens reflektiert wird, wenn im Rahmen des Online-Lernens auch eigene Medienbeiträge, z. B. in Form der Darstellung von Arbeitsergebnissen, gestaltet und verbreitet werden, wenn die inhaltliche und formale Gestaltung der verwendeten Online-Angebote analysiert und bewertet wird, wenn über Einflüsse der Online-Angebote auf die Bildung von Vorstellungen und Einstellungen zu dem behandelten Wirklichkeitsbereich nachgedacht wird und wenn rechtliche, ökonomische und institutionelle Bedingungen der Produktion und Verbreitung des genutzten Online-Angebots bewusst gemacht und beurteilt werden.

Auf der Grundlage solcher Reflexionsprozesse kann zugleich die Frage „nach der Erfahrung der Wirklichkeit und der Wirklichkeit der Erfahrung“ (Margreiter, 1999) in das Bewusstsein der Lernenden gebracht werden – und dies vor dem Hintergrund, dass die „Mediatisierung aller Weltbezüge“ ein bestimmendes Merkmal der so genannten nachmodernen Gesellschaft ist (vgl. Hurrelmann, 2002, S. 122). Verbunden mit entsprechenden Aktivitäten und reflexiven Prozessen kann Online-Lernen auf diese Weise einen Beitrag zur Entwicklung von „Medienkompetenz“ als einem Element von Bildung leisten und damit zugleich eine Voraussetzung für ein gesellschaftlich verantwortliches Handeln schaffen.

3

Informationstechnische Grundlagen des Online-Lernens

Heinz-Dietrich Wuttke

Online-Lernen ist aus informationstechnischer Sicht eine komplexe Anwendung vernetzter Rechnertechnik, die auf neuesten Web-Technologien aufbaut und die Möglichkeiten multimedialer Kommunikation extensiv nutzt, um eine möglichst enge und natürliche Kommunikation zwischen Lehrenden und Lernenden, aber auch zwischen Lernenden zu ermöglichen. Hierfür sind technische Grundlagen des Informationsaustausches in Rechnernetzen einerseits und eine gewisse Vorstellung zur notwendigen Leistungsfähigkeit der am Austausch multimedialer Daten beteiligten Hardware und Softwarekomponenten andererseits erforderlich. Der nachfolgende Abschnitt vermittelt hierzu einen Überblick, der für die Thematik sensibilisieren, die wesentlichen Fachbegriffe erläutern und als Anregung für weitere Studien in der Fachliteratur dienen soll. Schlüsselbegriffe: Client-Server-Architektur, Content-Management-System, Datenbank, Digitale Medien, Internetdienst, IP-Adresse, TCP/IP-Protokoll

48

3 Informationstechnische Grundlagen des Online-Lernens

Die Informationstechnik bildet die Basis des Online-Lernens und beeinflusst seine Möglichkeiten im Wesentlichen in zwei Feldern, einerseits bei der Übertragung multimedialer Lerninhalte und andererseits bei der Organisation und Durchführung des Lernprozesses. Entscheidend für beide Felder sind dabei das verfolgte Ziel und der zu erzielende Mehrwert. Nicht alles, was technisch machbar ist, ist auch für den Einsatz im Online-Lernen geeignet. Aus informationstechnischer Sicht ist Online-Lernen eine netzbasierte Rechneranwendung, welche höchste Ansprüche an alle Hard- und Softwarekomponenten stellt, die an der Erstellung, Speicherung, Verteilung und Präsentation (im Folgenden kurz „Verarbeitung“ genannt) der Lerninhalte beteiligt sind. Ziel dieses Abschnittes ist es, einen Überblick über die technischen Grundlagen zu geben, die das Online-Lernen ermöglichen. Online-Lerninhalte werden heutzutage nahezu vollständig als digitale Medien rechnerbasiert erstellt, gespeichert, verteilt und präsentiert (kurz „verarbeitet“). Daher sind alle Verarbeitungsschritte eng mit den üblichen technischen Daten und Verfahren der vernetzten Rechnertechnik verbunden. Es gibt außer der Verwaltungssoftware für Lerninhalte und die Organisation der Lernprozesse nur sehr wenige spezielle Hard- und Softwarekomponenten (z. B. interaktive Präsenter (sog. smart boards)), die auf die Bedürfnisse des Online-Lernens zugeschnitten sind. Insofern sind die informationstechnischen Grundlagen allgemeiner Natur und bauen auf Konzepten auf, die vielfach in der Informationstechnik angewendet werden. Zu beachtende informationstechnische Grundlagen sind in diesem Zusammenhang einerseits die Ressourcenforderungen digitaler Medien (Texte, Graphiken, Fotos, Animationen, Simulationen, Videos) und andererseits die Grundlagen der Rechner- und Netzwerkarchitektur (Prozessoren, Speicher, Schnittstellen (USB, WLAN, Bluetooth etc.)), Betriebssysteme, Protokolle (TCP/IP), Anwendungen (Browser, Werkzeuge), wobei der Begriff „Architektur“ hier als Zusammenwirken struktureller Komponenten und funktioneller Prozesse verstanden werden soll. Digitale Medien unterscheidet man nach diskreten (besser zeitunabhängigen) und kontinuierlichen Medien. Letztere stellen die technisch höchsten Anforderungen an das Gesamtsystem Rechner/Netzwerk und erfordern die kontinuierliche Ressourcenverfügbarkeit von der Quelle (dem „Server“) bis zum Ziel (dem „Client“) der Informationsbereitstellung. Um z. B. digitales Video in einer üblichen Bildschirmauflösung von 1280 x 800 Bildelementen („Pixel“) life zu übertragen, müssen pro Einzelbild 1.024.000 Bildpunkte in ihren 3 Farbkomponenten aufgezeichnet, komprimiert, übertragen, dekomprimiert und innerhalb von 30-40 ms als vollständiges Bild dargestellt werden. Um den Eindruck einer kontinuierlichen Bewegung beim Nutzer zu erzeugen, werden dazu zwischen 25 und 30 Vollbilder je Sekunde benötigt. Dies entspricht einem Datenvolumen von ca. 75 MByte/s netto, d. h. ohne Berücksichtigung der Daten, die zum Zweck der Übertragung und Fehlerkorrektur zusätzlich benötigt werden. Deshalb werden die Daten mit entsprechenden Kompressionsverfahren (MPEG, AVCHD) reduziert. Von der Rechner- und Netzwerkarchitektur hängt es ab, ob diese Anforderungen erfüllt werden können. Besonderes Interesse gilt dabei den Möglichkeiten des Heimanwendungsbereichs, da Lernende in der Regel über diese Technik verfügen. Heute (2010) übliche Prozessoren mit Taktfrequenzen im Gigahertzbereich und einer Arbeitsspeicherkapazität von mehreren Gigabyte (GByte) sowie Schnittstellen zu externen Geräten mit Übertragungsgeschwindigkeiten von 480 MBit/s (USB 2.0) und zu

3.1 Technische Möglichkeiten

49

Netzwerken mit Übertragungsgeschwindigkeiten von 2 bis 11 MBit/s (UMTS, WLAN) und mehreren GBit/s (LAN) bieten die Voraussetzung, oben genannte Anforderungen an digitale Medien zu erfüllen. Als externe Speichermedien stehen bereits im low-cost-Bereich Festplatten mit einer Speicherkapazität von 1500 GByte (1.5 Terrabyte) zur Verfügung und moderne Datenträger (Blue-Ray-Disc) sind in der Lage, 25 bzw. 50 GByte zu speichern. Damit tritt die Beachtung technischer Daten, die noch vor wenigen Jahren bestimmend für die Machbarkeit von Online-Lernszenarien waren, mehr und mehr in den Hintergrund. Trotzdem ist es von Bedeutung, diese technischen Zusammenhänge zu kennen, um im Fehlerfall besser mögliche Ursachen ermitteln zu können. Abhängig von den Zielen und der Durchführung des OnlineLernens sind unterschiedliche Komponenten der vernetzten Rechnerarchitektur von Bedeutung. Da die Ziele und Gestaltungsmöglichkeiten des Online-Lernens in den weiteren Kapiteln ausführlich behandelt werden, sei an dieser Stelle nur ein stichpunktartiger Überblick über die zu beachtenden Aspekte gegeben, die auch Auswirkungen auf die notwendige Informationstechnik haben. Ziele des Online-Lernens  Multimediale Bereicherung von Präsensveranstaltungen  Experimentieren mit interaktiven Materialien/Laboren (Exploration)  Visualisierung von „Unsichtbarem“ (Dinge, Prinzipien, Prozesse, die zu kompliziert, zu schnell, zu selten, zu teuer, zu gefährlich, zu groß, zu klein, zu weit weg usw. sind und sich deshalb einer Präsentation mit traditionellen Mitteln verschließen)  Kostenreduktion (Wiederverwendung von Inhalten, Vermeidung von Reisekosten) Durchführung des Online-Lernens  Verwaltung von Inhalten und/oder Lernenden  mit/ohne automatisierter Bewertung  individuell/in Gruppen  mit/ohne tutorieller Unterstützung  synchrones/asynchrones Unterrichten von Studierenden

3.1

Technische Möglichkeiten

Die technischen Möglichkeiten des Online-Lernens sind eng an die Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnik gekoppelt und unterliegen dementsprechend einem ebenso rasanten Entwicklungstempo. Dieser Abschnitt ist eine Momentaufnahme von 2010 und bedarf der ständigen Anpassung an die technologischen Möglichkeiten. Aber nicht nur die technologischen Möglichkeiten beeinflussen die Gestaltung der informationstechnischen Grundlagen, parallel zu den technologischen Möglichkeiten entwickeln sich auch Trends in den Präsentations- und Kommunikationsformen. Web 2.0 ist hierfür ein aktuelles Beispiel: Neue technische Möglichkeiten führen unmittelbar zu neuen Kommunikationsformen, an die sich Online-Lernen ebenfalls anpassen muss, um seine Haupt-Zielgruppe, die jungen Studierenden, zu erreichen. Dieser Zielgruppe gerecht zu werden, ist die größte Herausforderung für die Gestaltung von Online-Lernszenarien.

50

3 Informationstechnische Grundlagen des Online-Lernens

Natürlich spielt auch das lebenslange Lernen eine wichtig Rolle im Online-Lernen, aber das ist nicht die „cutting edge“ oder die „Killerapplikation“. Hier können bewährte erprobte Methoden viel mehr die Zielgruppe erreichen als modische Wellen. Ein Beispiel ist sicher „Second Life“. War es vor vier Jahren (2006) ein Muss, sich damit zu beschäftigen, so ist die Nachfrage inzwischen bereits wieder im Abklingen, ehe es die Klientel des lebenslangen Lernens überhaupt tangiert hat. Hierin liegt auch ein großes Problem des Online-Lernens: Die hohe Interdisziplinarität zwischen ITSpezialisten, Pädagogen und fachspezifischen Experten erzeugt ein ständiges Spannungsfeld zwischen aktuell technisch Machbarem und pädagogisch/inhaltlich Sinnvollem. Technische Möglichkeiten werden teilweise nicht genutzt, andererseits aber auch unnütz und überzogen eingesetzt. Nicht alles, was technisch machbar ist, wird benötigt, aber andererseits führen technologische Einschränkungen zu pädagogischen Konzepten, die Sklave der Technik werden, somit aber auch entsprechend der Geschwindigkeit der IT-Entwicklung sehr schnell veralten. Die Konzepte sollten daher zunächst davon ausgehen, dass es keine technischen Einschränkungen gibt. Das heißt z. B. von einer ausreichend verfügbaren Bandbreite für Kommunikationszwecke einschließlich Videoübertragung auszugehen, die Inkompatibilität von unterschiedlichen Medienformaten und -playern zu ignorieren und sich auf den Mehrwert zu konzentrieren, der durch den Einsatz von Online-Lernen erreicht werden soll. Entwickler von Online-Lernmaterialien werden gut beraten sein, die jeweilige Zielgruppe stets im Auge zu behalten: Eine besondere Herausforderung sind hier junge Studenten. Sie haben einen Akzeptanz-Horizont von maximal 2 zurückliegenden Jahren, davor liegende Technologien kennen sie nicht. D. h. für 2010: es ist normal, dass auf eine Speicherkarte im SD-Format 8-64 Gigabyte Informationen passen, dass man wireless überall Zugriff auf Ressourcen des Internets hat usw. Warum diskutiert man noch über CD-ROMs??? Wo ist das Problem, 64 Gigabyte Videos zu speichern? Worauf wir uns in Zukunft einzustellen haben, ist die grenzenlose globale Verfügbarkeit von OnlineRessourcen und Ideen. Das Internet und erforderliche Rechen- und Kommunikationsleistung wird permanent mobil, am Arbeitsplatz und zu Hause verfügbar sein. Trotzdem werden uns technische Beschränkungen auch weiter beschäftigen, aber nur aufgrund neuer Standards und Entwicklungen (siehe HDDVD Blue Ray Disc als aktuelles Beispiel). Aus diesem Blickwinkel sind alle technikgebundenen Entwicklungen stets neu zu hinterfragen. Problematisch ist, dass die Herstellung pädagogisch wertvoller Lehrmaterialien 1 bis 2 Jahre in Anspruch nimmt und bei der Entwicklung auf dem jeweils aktuellen technischen Stand der zeitlich noch davor liegenden Planungsphase aufgesetzt wird. Ziel dieses Abschnittes ist es, den Stand des gegenwärtig informationstechnisch Machbaren zu skizzieren und damit Anregungen für die Entwicklung zeitgemäßer Online-Lernmaterialien und -Veranstaltungen zu geben. In diesem Beitrag sollen die informationstechnischen Grundlagen des Online-Lernens überblicksmäßig dargestellt werden, um Möglichkeiten und Probleme für IT-fremde Leser in der gebotenen Kürze aufzubereiten. Für IT-Spezialisten sei auf die entsprechende Fachliteratur verwiesen.

3.2 Architekturkonzept des Online-Lernens

3.2

51

Architekturkonzept des Online-Lernens

Informationstechnische Grundlage des Online-Lernens bildet ein vernetztes Rechnersystem, welches in der Regel als sog. Client-Server-Architektur aufgebaut ist. Das Internet bietet dabei die Basis für die weltweite Vernetzung von Client- und Serverrechnern.

3.2.1

Client-Server-Architektur

Der Server (Dienstanbieter) ist in dieser Konfiguration der Rechner, der für die Kunden (Clients) Dienste bereitstellt. Die Dienste werden durch spezielle Anwendungsprogramme auf dem Server für das vernetzte Rechnersystem realisiert. Derartige Dienste sind z. B. das Suchen und Bereitstellen von Informationen aus Datenbanken, (Datenbankserver) oder das Verwalten von Web-Seiten (WebServer) oder E-Mails (E-Mail-Server). Im Fall des Online-Lernens werden die Dienste eines Learning-Management-Systems (LMS) online bereitgestellt. Hierzu gehören Dienste zur Einrichtung von Lerngruppen, zur Verwaltung von Lerninhalten, Lernenden und deren Aktivitäten, zur Vergabe von Zugriffsrechten und zur OnlineKommunikation. Näheres zu diesen Diensten ist im Abschnitt „Learning-Management-Systeme für das Online-Lernen“ zu finden. Diese Dienste können um Dienste von Content-Management-Systemen (CMS), wie z. B. Dienste zur Archivierung und Versionierung der Lehrmaterialien, ergänzt werden. Man spricht dann von Learning-Content-Management-Systemen (LCMS, siehe Abschnitt 3.3). Auf dem Rechner, der als Client fungiert, laufen Programme zum Darstellen der vom Server übermittelten Daten bzw. digitalen Medien sowie zum Erzeugen entsprechender Dienstanforderungen. Diese Anforderungen werden über Kommandos gesteuert. Um dem Nutzer die mühsame Kommunikation mit Hilfe von Kommandofolgen zu ersparen, werden sog. Browser zur Verfügung gestellt, die in einer Nutzeroberfläche nur die notwendigen Parameter (z. B. Nutzername und Passwort) abfragen und die entsprechenden Kommandofolgen auslösen. Abb. 3.1 zeigt die unterschiedlichen Konfigurationen von Server und Client. Die in der Abbildung dargestellten Schichten verdeutlichen den Weg der Daten vom Prozessor des einen Rechners zum Prozessor des anderen Rechners und zeigen die im Wesentlichen daran beteiligten Hardware/Softwarekomponenten. Aus Sicht der Hardware-/Softwarekonfiguration unterscheiden sich Client und Server einerseits in den Anwendungsprogrammen der oberen Schichten und andererseits in der Leistungsfähigkeit der Hardware. Da der Server ggf. Dienste für viele angeschlossene Clients erbringen muss, verfügt er in der Regel über eine wesentlich größere Leistungsfähigkeit und kann auch als Mehrrechnersystem (Serverfarm) realisiert sein.

52

3 Informationstechnische Grundlagen des Online-Lernens

Internet

Server

Client

(apache, …)

(Browser, HTML, …)

CMS / LMS

Medienplayer-plug-in (Flash, real, …)

(Typo3, moodle, …) Datenbank (mySQL, Oracle, …) Betriebssystem (Windows, MAC-OS, Linux, …)

JVM

Hardware

(Applets, …)

Direktzugriff

Betriebssystem (Windows, MAC-OS, Linux, …)

(DirectX, …)

Treibersoftware

Treibersoftware

(spezifische Geräteansteuerung)

(spezifische Geräteansteuerung)

Schnittstellenhardware

Schnittstellenhardware

(Netzwerkanschluss, Graphik-/ Soundkarte)

(Netzwerkanschluss, Graphik-/ Soundkarte)

Rechnerhardware

Rechnerhardware (Prozessor, Arbeitsspeicher, …)

Abb. 3.1:

Client-Server-Architektur

Im Fall des Online-Lernens wird auf der Seite des Clients in einem Browser die Nutzeroberfläche des Learning-Management-Systems (LMS) dargestellt. Über diese Oberfläche kann der Lernende auf die Dienste des auf dem Server laufenden LMS zugreifen, sich am System anmelden, auf die Lerneinheiten zugreifen und mit weiteren Teilnehmern und Tutoren kommunizieren. Je nach der Art der Gestaltung der Lernszenarien und -inhalte sind dafür ggf. spezielle Plug-Ins für den Browser notwendig, die vom Server heruntergeladen und auf dem Clientrechner installiert werden müssen. Beispiele hierfür sind spezielle Player für digitale Medien (z. B. Real-Player oder Adobe Flash-Player). Sollten als digitale Medien Applets Anwendung finden, so werden diese vom Server geladen und auf dem Clientrechner durch den Browser-internen Java-Interpreter (JAVA Virtual Machine, JVM) lokal abgearbeitet. Die

3.2 Architekturkonzept des Online-Lernens

53

JVM abstrahiert von den darunter liegenden Software- und Hardwareschichten. Dadurch laufen Applets weitestgehend unabhängig vom Betriebssystem und von der Hardwarekonfiguration des Clientrechners. Obwohl für das Online-Lernen prinzipiell jede vernetzte Rechnerarchitektur genutzt werden kann, hat sich das Internet als universelle Vernetzung weltweiter Rechner inzwischen weitestgehend durchgesetzt. Für die Belange des Online-Lernens bietet die nahezu lückenlose weltweite Verfügbarkeit eines Internetzuganges eine ideale informationstechnische Basis. Selbst firmeninterne Rechnernetze sind inzwischen auf dieser Standard-Technologie aufgebaut und blocken lediglich den Datenaustausch über die Firmengrenzen hinaus. Im nächsten Abschnitt werden die Grundlagen der Internettechnologie erläutert.

3.2.2

Internettechnologie

Der Informationsaustausch zwischen Client und Server erfolgt über ein lokales, firmeninternes Rechnernetz, ein sog. Intranet oder über das Internet. Die Verbindung zum Internet wird allgemein als „online“ bezeichnet, während der verbindungslose Zustand „offline“ heißt. Das Internet ist ein weltweiter Verbund von Servern, die über eindeutige Adressen (IP-Adressen) verfügen und ihre Dienste über bestimmte 16-Bit-Zugangsadressen, so genannte Ports, anbieten. Hierzu gehören als bekannteste Dienste E-Mail, News, Telnet und auch das World Wide Web (WWW). Jeder dieser Dienste ist an spezielle Ports gebunden und über entsprechende Protokolle definiert. Der Austausch von Dateien ist z. B. im File Transfer Protokoll (FTP) festgelegt. E-Mails können über das Simple Mail Transfer Protocol (SMTP) ausgetauscht, die Seiten des WWW über das Hypertext Transfer Protocol (HTTP) aufgerufen werden. Die in den Protokollen festgelegten Kommandofolgen mit ihren zugehörigen Parametern zur Inanspruchnahme der Dienste werden dabei für den Nutzer unsichtbar über spezielle Programme (z. B. E-Mail-Programme wie „Mozilla Thunderbird“ oder WWWBrowser wie „Mozilla Firefox“) erzeugt, die auf dem Client laufen und eine benutzerfreundliche Oberfläche bereitstellen. Derartige Programme können auch mehrere Dienstanforderungen kombinieren. Lern-Management-Systeme nutzen z. B. für das Online-Lernen Kombinationen dieser Dienste (Chat, E-Mail, Filetransfer usw.) und vereinen sie unter einer gemeinsamen Nutzeroberfläche.

3.2.3

Protokollschichten

Der Ablauf des Informationsaustausches zwischen zwei Rechnern lässt sich ebenfalls mit einem Hardware-/Software-Schichtenmodell beschreiben. Den einzelnen Schichten sind spezifische Aufgaben im Kommunikationsprozess zugeordnet, deren Ausführung in Protokollen standardisiert ist. Die jeweilige untere Schicht bietet der darüber liegenden Schicht entsprechend ihrer Aufgaben ihre Dienste an. Allgemein wird zur Beschreibung der Kommunikation zwischen Rechnern das aus sieben Schichten bestehende sog. OSI- Modell verwendet. Abb. 3.2 zeigt das Schichtenmodell mit den am Internetzugriff beteiligte Protokollen.

54

3 Informationstechnische Grundlagen des Online-Lernens

Anwendung Hypertext Transfer Protocol (HTTP) Präsentation Sitzung Transport Transmission Control Protocol (TCP) Netzwerk Internetprotokoll (IP) Datenverbindung (ETHERNET, MAC-Adresse) Physikalische Schicht (Kabel, Funk, …)

Abb. 3.2:

Client-Server-Architektur

Für die Internetverbindung werden nur die in Abb. 3.2 fett gedruckten Schichten genutzt. Die Aufgaben der dazwischen liegenden Schichten werden von den benachbarten Schichten übernommen. So sorgt beispielsweise die Netzwerkschicht mit Hilfe des Internetprotokolls (IP) für die Herstellung der Netzwerkverbindung, während die Transportschicht gemäß dem Übertragungsprotokoll (Transmission Control Protocol, TCP) den Weg zwischen Server und Client als sog. virtuellen Kanal sicherstellt. Über diesen Kanal werden dann die Datenpakete in beiden Richtungen verbindungsorientiert transportiert. Im TCP ist u. a. auch festgelegt, wie im Fehlerfall Datenverluste automatisch durch Wiederholung behoben werden und wie Netzwerküberlastung vermieden wird. Als Anwendung kann ein Browser mit Hilfe des Hypertext Transfer Protokolls (HTTP) die benötigten Seiten aus dem World Wide Web aufrufen. Jede dieser Seiten hat zur eindeutigen Identifizierung einen sog. Uniform Ressource Locator (auch URL-Adresse genannt), der die Serveradresse (IP-Adresse) enthält. Die IP-Adresse und die Portnummer bilden gemeinsam einen sog. Socket, den Endpunkt eines virtuellen Kanals. Alle Datenpakete, die über diesen Kanal nach dem TCP/IP-Protokoll transportiert werden, enthalten die Socket-Adresse der Quelle und des Ziels sowie eine fortlaufende Nummer, um im Fehlerfall erneut angefordert werden zu können und sicher den Weg von der Quelle zum Ziel zu finden.

3.2 Architekturkonzept des Online-Lernens

55

Für den Anwender sind diese Einzelheiten nur insofern von Interesse, wie er sie zur Herstellung des Internetzuganges benötigt, um „online“ zu sein. Im nächsten Abschnitt werden deshalb die Zusammenhänge beschrieben, die für die Konfiguration eines Internetzuganges von Bedeutung sind.

3.2.4

Internetzugang

Der Zugang zum Internet kann auf verschiedene Weise erfolgen: In einer Firma oder Hochschule durch Verbindung zu einem lokalen Netz (local area network, LAN, z. B. ETHERNET), welches direkt mit dem Internet verbunden ist oder privat durch Verbindung zu einem Rechner bei einem sog. Serviceoder Internetprovider. Ein Service- Provider (zu Deutsch Dienstanbieter, z. B. t-online, AOL, 1&1) verfügt über einen Internetanschluss und kann über diesen einzelne Internetdienste wie z. B. E-Mail, an seine Kunden vermieten. Üblicherweise werden die Dienste im Paket angeboten (Webseite, E-Mail usw.). Die Verbindung zum Provider erfolgt dabei über eine Telefoneinwahl (Datenfernübertragung, DFÜ-Zugang) mit Hilfe eines Modems, einer ISDN- oder DSL- Verbindung. Je nach Verbindung können dabei unterschiedliche Datenraten erzielt werden (Modem 56kBit/s, ISDN 64 bzw. 128 kBit/s und DSL bis zu 25 MBit/s). Eine Alternative bieten auch Kabel-TV-Netze, über die ebenfalls eine Verbindung zu einem Provider hergestellt werden kann. Ob die Verbindung physikalisch über Funk (Wireless Local Area Network, WLAN) oder Kabel hergestellt wird, ist für die darüber liegenden Protokollschichten unerheblich. Lediglich die maximal mögliche Übertragungsrate ist davon abhängig und beeinflusst die Wiedergabequalität speicherintensiver digitaler Medien wie z. B. Videos. Die Hardwareeinrichtungen zur Netzverbindung (z. B. Modems oder Netzwerkkarten) werden über eine sog. physikalische Adresse (MAC-Adresse) angesprochen, die aus 48 Bit besteht und weltweit eindeutig von den Hardwareherstellern vergeben wird. Für den Zugang zum Internet benötigt ein Rechner eine weltweit eindeutige Netzadresse, die IPAdresse. Diese kann statisch oder dynamisch, d. h. nur für die Zeit der Internetnutzung, vergeben werden. Server benötigen eine statische Adresse, damit die vom Server angebotenen Dienste eindeutig adressiert werden können, permanent verfügbar sind und dadurch u. a. über Suchmaschinen gefunden werden können. Mit Hilfe dynamischer Adressen ist es möglich, das Internet einer größeren Anzahl von Client-Rechnern verfügbar zu machen, da bei Beendigung der Internetnutzung die Adresse frei wird und für einen anderen Nutzer zur Verfügung steht. Die IP-Adresse besteht aus 4 Byte, d. h. 32 Bit, die als 4 Dezimalzahlen, getrennt durch Punkte, angegeben wird. Theoretisch könnten bei Ausnutzung aller Adressen 2564 =232 = 4 294 967 296 Teilnehmer gleichzeitig vernetzt sein. Da diese Anzahl für künftige Entwicklungen zu klein ist, wird künftig mit 16-Byte-Adressen (128 Bit) gearbeitet, womit es keinen Adressmangel mehr geben dürfte. Als Bitmuster sieht z. B. die 4-Byte IP-Adresse 141.24.125.67 folgendermaßen aus: 1000 1101 . 0001 1000 . 0111 1101 . 0100 0011

56

3 Informationstechnische Grundlagen des Online-Lernens

Um die weltweit eindeutige Adressvergabe nicht von einer Zentralverwaltung realisieren zu müssen, sind die Adressen hierarchisch gegliedert, d. h. es können Unternetze, sog. Subnetze aufgebaut werden, in denen die Adressvergabe lokal organisiert wird. Diese lokale Organisation wird entweder manuell beim Einrichten des lokalen Netzwerkes oder automatisch mit Hilfe des Protokolls DHCP (Dynamic Host Configuration Protocol) vom DHCP-Server vorgenommen. Der DHCP-Server stellt neben der dynamischen IP-Adresse auch weitere Informationen über Server im Netz bereit, die für die Kommunikation benötigt werden. Dazu gehören die IP-Adresse des sog. NameServers zur Domain-Namen Auflösung (s. u.) und die IP-Adresse des Standardgateways, über das das Weiterleiten (Routing) in das Internet und, falls erforderlich, die Umsetzung zu anderen Protokollen erfolgt. Die dynamischen IP-Adressen werden vom Client für eine bestimmte Zeit geleast und müssen nach Ablauf dieser Leasingzeit („Lease“) neu beim DHCP-Server angefordert werden. Die Hierarchie wird erzeugt, indem bestimmte Teilbereiche der 32-Bit Adresse abgespaltet und für Subnetze reserviert werden. Das Abspalten geschieht auf Bit-Ebene durch eine logische UNDVerknüpfung mit einer sog. Subnetzmaske. Je nach gewünschter Größe des Subnetzes werden dadurch von rechts beginnend n Bits auf Null gesetzt und damit Subnetze der Größe 2n definiert. Eine Subnetzmaske 255.255.252.0 (11111111.11111111.11111100.00000000) definiert z. B. ein Subnetz der Größe 210 = 1024 für 1024 dynamisch oder statisch zu vergebende IP-Adressen innerhalb dieses Subnetzes, da von rechts beginnend 10 Nullen in der Maske stehen. Das Subnetz verfügt somit über die Adressen 141.24.124.0 (10001101.00011000.01111100.0000 0000) bis 141.24.127.255

(10001101.00011000.01111111.11111111)

Die entsprechenden Bits der IP-Adresse, die in der Subnetzmaske auf 1 gesetzt sind, bilden die sog. Netzwerkadresse, die restlichen Bits (im Beispiel die letzten 10) die Geräteadresse. Die Netzwerkadresse selbst und die jeweils höchste Adresse sind in jedem Subnetz reserviert, die restlichen können frei Geräten zugeordnet werden. Die höchste Adresse wird dabei zum Senden an alle Geräte des Subnetzes („Broadcast“) verwendet (z. B. vom DHCP-Server für die Adressvergabe). Als Schreibweise für die Abtrennung der Netzwerk-Adressbits kann auch die IP-Adresse, gefolgt von einem „/“ und der Anzahl der Bits, die zur Netzwerkadresse gehören, angegeben werden. Dementsprechend beschreibt die Angabe 141.24.126.56 / 22 einen Adressbereich von 32-22=10 Bit für 1024-2 Geräte, und die zugehörige Netzwerkadresse ergibt sich aus der logischen UND-Verknüpfung (engl. AND) der IP-Adresse mit der Subnetzmaske 255.255.252.0 aus obigem Beispiel: 141.24.126.56:

10001101.00011000.01111110.00111000 IP-Adresse

255.255.252.0

11111111.11111111.11111100.00000000 AND Subnetzmaske

141.24.124.0

10001101.00011000.01111100.00000000 = Netzwerkadresse

Die einzelnen Subnetze werden zentral verwaltet, wobei für bestimmte Adressen eine fest vorgegebene Nutzung vereinbart ist. So ist z. B. die Adresse 127.0.0.1 reserviert für den sog. Localhost, der es ermöglicht, auf ein und demselben Rechner sowohl einen Client als auch einen Server zu installieren und den Datenaustausch zwischen Client und (virtuellem) Server zu testen. Dies ist einerseits für Test-

3.2 Architekturkonzept des Online-Lernens

57

zwecke hilfreich, kann aber auch genutzt werden, um im Offline-Betrieb mit Software zu arbeiten, die eine Client-Server-Architektur benötigt. Ein Beispiel hierfür ist ein Learning-Management-System (siehe zugehörigen Abschnitt). Neben der eindeutigen IP-Adresse sind Rechner im Internet auch über sog. Domain-Namen erreichbar, die Bestandteil des zentral verwalteten Domain Name Systems (DNS) sind. Zwischen einem DomainNamen (z. B. www.google.de) und der IP-Adresse des entsprechenden Servers besteht dementsprechend eine eindeutige Zuordnung, sodass beim Aufruf von Diensten im Internet üblicherweise nicht die IP-Adresse, sondern der entsprechende Name angegeben wird. Die Namenswahl ist dabei prinzipiell frei und wird nur zur besseren Verständlichkeit mit Diensten in Verbindung gebracht (z. B. mail.firma.de). Der Aufbau der Domain-Namen erfolgt ebenfalls hierarchisch, die Hierarchie ist jedoch unabhängig von der Subnetzhierarchie der zugehörigen IP-Adresse. Die einzelnen Hierarchieebnen werden ebenfalls durch Punkte zwischen den einzelnen Namen getrennt, wobei die höchste Ebene (Top Level Domain, z. B. „de“ oder „com“) am weitesten rechts steht. Die Zuordnung von Namen zu IP-Adressen wird im Internet von sog. DNS-Servern als Dienst angeboten. Diese verfügen über Tabellen, in denen die im Umkreis erreichbaren Rechner mit zugehörigen Namen und IP-Adressen vermerkt sind. Hier zum Abschluss des Abschnittes ein Beispiel für eine vollständige Internetkonfiguration. Physikalische Adresse:

00-18-DE-9F-C6-E4

IP-Adresse:

141.24.125.67

Subnetzmaske:

255.255.252.0

Standardgateway:

141.24.127.254

DHCP-Server:

141.24.12.2

Lease erhalten:

16.05.2008 09:20:36

Lease läuft ab:

16.05.2008 09:30:36

DNS-Server:

141.24.12.2, 141.24.4.1

3.2.5

Sicherheit

Um unerwünschte Internetverbindungen auszuschließen, können einerseits IP-Adressen gesperrt werden, andererseits können bestimmte Dienste gesperrt werden, indem die zugehörigen Ports geschlossen werden. Derartige Vorsichtsmaßnahmen werden über ein Programm namens „Firewall“ realisiert, welches auf dem Clientrechner läuft und entsprechend konfiguriert werden kann. Die Konfiguration erfordert allerdings eine gewisse Sachkenntnis, um nicht Dienste zu blocken, die für den „normalen“ Internetbetrieb erforderlich sind und vom Nutzer unbemerkt im Hintergrund ablaufen. Einschränkungen können auch serverseitig vorgenommen werden, indem der Zugriff nur über Passwörter erlaubt wird. Dafür wird beim Server eine Liste von Nutzernamen und zugehörigen Passwörtern geführt, die nur vom Administrator geändert werden kann.

58

3 Informationstechnische Grundlagen des Online-Lernens

Weitere Sicherheitsmaßnamen sind verschlüsselte Datenverbindungen über spezielle Protokolle (z. B. https) und die Nutzung von gesicherten Verbindungen mittels eines sog. virtual private network (VPN). Um den Zugang zu drahtlosen Netzverbindungen zu sichern, werden Zugangsschlüssel verwendet (Wired Equivalent Privacy, WEP, Wi-Fi Protected Access, WPA).

3.2.6

Datenbanksystem

Datenbanksysteme (DBS) dienen der strukturierten Speicherung und Wiedergewinnung von Daten. Sie unterteilen sich einerseits in die Datenbank (data base, DB), in der die Daten und deren Struktur gespeichert werden, und andererseits in das Datenbank-Management-System, mit Hilfe dessen die Daten eingegeben und nach bestimmten Kriterien ausgewählt, sortiert, geordnet und weitergeleitet werden können. Der Abruf der Daten erfolgt in einer speziellen Sprache (structured query language, SQL), in der die Anfragen formuliert werden können. Das Management sorgt insbesondere dafür, dass die Daten konsistent sind und Konflikte bei parallelen Zugriffen aufgelöst werden. Beispiele hierfür sind kommerzielle Produkte der Firmen Oracle, Microsoft und IBM, aber auch open source Produkte wie mysql, welche kostenlos zur Verfügung stehen. Das Management kann auch als Client-Server-Architektur realisiert werden. Der Client dient dabei im Wesentlichen als Nutzerinterface zur Ein-/Ausgabe der Daten. Auf dem Server wird der konfliktfreie und möglichst schnelle Zugriff auf die Daten organisiert. Dazu werden die Datensätze indexiert und können so bei Anforderungen direkt, d. h. ohne Suche im gesamten Datenbestand, über den Index adressiert und ausgegeben werden.

3.3

Learning-Content-Management-System

Web-basierte LCMS unterstützen Online-Lernen insbesondere, wenn ein erheblicher Teil des Lernstoffes online erworben werden soll. Sie vereinen Dienste, die von Content-Management-Systemen (CMS, z. B. Typo3) erbracht werden (Laden von Inhalten, Versionspflege, Suche, Webinterface) mit Diensten herkömmlicher Learning-Management-Systeme (LMS, z. B. Blackboard), wie z. B. das Anlegen von Lernergruppen, synchrone und asynchrone Kommunikationsdienste, Quiz- und Test- Auswertungsdienste usw. Kernstück dieser Systeme sind Datenbanken sowie die in den vorigen Abschnitten beschriebenen Internet-Dienste.

3.3 Learning-Content-Management-System

59

Client (Webinterfaces für: Autor, Lerner, Administrator, Tutor)

LMS

CMS

Lerner

Lerninhalte

(Kursteilnahme,

LMS

LCMS

CMS

Lerngruppe,

(Texte, Bilder, Animationen, Videos, …)

Lernfortschritt)

Server (Datenbanksystem für Inhalte und Lernerverwaltung)

Abb. 3.3:

LCMS

Abb. 3.3 zeigt die wesentlichen Bestandteile eines LCMS. Die Kombination der Dienste stellt hohe Anforderungen an die Kompatibilität der einzelnen Komponenten. Ein modularer Aufbau unterstützt dieses Erfordernis, indem einzelne Module (z. B. das Datenbanksystem) über exakt definierte Schnittstellen und Funktionalitäten verfügen und so durch gleichwertige Module ausgetauscht werden können. Detailliertere Ausführungen zur Funktionalität dieser LCMS sind in den entsprechenden weiteren Beiträgen beschrieben. Informationstechnisch gesehen sind es Anwendungsprogramme, die Dienste der Internettechnologie kombinieren bzw. neue Dienste realisieren.

4

Interdisziplinarität als Grundlage des Online- Lernens

Paul Klimsa

Interdisziplinarität ist die wichtigste Voraussetzung für die Planung, Entwicklung, Evaluation und Distribution des Online-Lernens. Die notwendige Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Disziplinen muss aber intensiviert werden, um zu einem transdisziplinären Ansatz zu gelangen, da nur die Verschmelzung der Theorie und Praxis einzelner Disziplinen eine neue Qualität im Feld des OnlineLernens gewährleisten kann. Die Erkenntnisse und Methoden der einzelnen Disziplinen leisten schon heute einen wesentlichen Beitrag zur Optimierung der Produktionsprozesse für Online-Lernen. Die Prinzipien des Online-Lernens als Ergebnis interdisziplinärer Erfahrung schließen den Beitrag ab. Schlüsselbegriffe: Interdisziplinarität, Transdisziplinarität, wissenschaftliche Disziplinen, Elemente Medienproduktion, Produktionsprozess, Organisation, Technik und Content von Online-Lernangeboten, Prinzipien des Online-Lernens

62

4 Interdisziplinarität als Grundlage des Online-Lernens

Interdisziplinarität wird häufig als ein Anspruch bzw. eine Forderung der Zusammenarbeit von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen formuliert. Gemeint wird meist die Nutzung von Theorien, Denkweisen, Methoden und Ergebnissen einer Disziplin durch eine andere. In diesem Sinne kann man von Verschmelzung von Disziplinen sprechen. Die praktische Einlösung der Interdisziplinarität stößt in der Praxis oft an Grenzen. Fachbegriffe, Fragestellungen, verwendeten Methoden als auch der Sozialisationsprozess der Forscher selbst, erschweren eine barrierefreie Zusammenarbeit zwischen Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Geisteswissenschaften und Sozialwissenschaften. Die Geschichte zeigt jedoch, dass gerade die Verschmelzung von Disziplinen – oft nur durch die Person eines konkreten Forschers – nicht nur neue Perspektiven öffnet, sondern enorme Potentiale für die Gesellschaft erschließt. Sie kurbelt Wirtschaftssysteme an oder verändert Politik. In der letzten Zeit entstanden zahlreiche neue hybride Disziplinen, wie bspw. die Biomedizin oder Medieninformatik, die durch ihren spezifischen Fokus neue Akzente in der Forschung und vor allem in der Anwendung gesetzt haben. Eine konsequente Fortführung des Begriffes spiegelt sich in der Transdisziplinarität wider, die methodisch Theorie und Praxis verschiedener Disziplinen vereint.

4.1

Online-Lernen aus der Sicht der Disziplinen

Um Konzepte des Lernens online zu entwickeln und Projekte effizient zu realisieren, ist interdisziplinäres – im Idealfall transdisziplinäres – Vorgehen eine Voraussetzung des Erfolges. In Abb. 4.1 sind die Disziplinen zu finden, die einen sehr hohen Grad an Verknüpfungen zum Feld des Online-Lehrens und -Lernens aufweisen.

Bildungsforschung Didaktik Psychologie Wirtschaftswiss. Gestaltung/ Design

OnlineLernen/ E-Learning

Informatik

Rechtswiss.

Fachdisziplinen

Medienproduktion Abb. 4.1:

An der Entwicklung von E-Learning/Online-Lernen beteiligte Wissenschaften bzw. Disziplinen

Welchen Beitrag tragen die jeweiligen Disziplinen zum Online-Lernen bei? Sehen wir sie uns genauer an, auch wenn nicht alle Bereiche an dieser Stelle ausführlich genug vorgestellt werden können.

4.1 Online-Lernen aus der Sicht der Disziplinen

4.1.1

63

Didaktik/Mediendidaktik

Es gibt keine allgemein akzeptierte Definition der Didaktik (Klimsa, 1993, S. 13). In dem für OnlineLernen wichtigen Sinne ist Didaktik die Theorie des Unterrichts (Heimann, 1979). Im Unterricht werden aber nicht nur Fragen des Lehrens fokussiert, da Unterricht eine Lehr- und Lernsituation – im Online-Lernen ein Lernszenario darstellt. Didaktische Modelle sind für die Aufbereitung von OnlineLern-Szenarios ausschlaggebend. Jedem didaktischen Modell (z. B. Lernen durch Erfahrung, Begriffsbildung, Problemlösen usw.) entsprechen bestimmte Zieltypen des Lernens (Versuch und Irrtum, Aufbau von Sachverhalten, Suchprozesse und Generalisierung). Die didaktischen Überlegungen führen folglich zum didaktischen Konzept und zum Entwurf einer Lernanwendung bzw. eines Lernszenarios. Neben der allgemeinen Didaktik ist speziell die Mediendidaktik für den Einsatz von Medien im Unterricht zuständig. Sie erarbeitet konkrete Lösungsvorschläge aus den theoretischen Modellen. Medien – einschließlich Online-Medien – sind neben Zielen, Methoden und Inhalten eine der didaktisch bedeutenden Größen für die Unterrichtsgestaltung.

4.1.2

Gestaltung/Design

Der Bereich Gestaltung/Design bezieht sich vor allem auf Industrial-Design, das oft als Produkt-Design bezeichnet wird, und auf Kommunikations-Design, das in der Regel als visuelle Kommunikation bezeichnet wird. Industrial-Design vereint die Aufgaben in den Bereichen Konsumgüter (z. B. Kleidung, Möbel, Verpackung oder gestaltendes Handwerk) und Investitionsgüter (z. B. Maschinen, Werkzeuge oder medizinische Geräte bzw. Fahrzeuge). Kommunikations-Design bezieht sich auf die Gestaltung/Design der Kommunikationsmittel, beispielsweise Zeitungen, Zeitschriften, Verpackungen, Displays, Internet, Multimedia. Dazu gehören neben der Herstellung von Druckvorlagen für Werbung, und Presseerzeugnisse auch die Konzeption, Gestaltung und Erstellung von (audiovisuellen) Medien, Internet- und Intranetseiten und Online-Lernen. Insbesondere die Gestaltung von Schnittstellen (User Interface), Interaktionen (Interaction Design) oder Programmoberflächen (Screen Design) gehört zu den Aufgaben eines Gestalters/Designers im Aufgabenfeld des Online-Lernens. Die Theorien beschäftigen sich mit der Systematisierung von Kunst und Gestaltung, die sich u. a. auf die Erstellung von Medienprodukten richtet (vgl. Zeidler, Harison, Wood, 2003).

4.1.3

Informatik

Als Wissenschaft von Daten und Algorithmen erlangte die Informatik im Bereich des Online-Lernens eine besondere Stellung. Mit der Einführung des Computers als einer universellen Maschine im Sinne von A. Turing entstand auch eine Grundlage, um Lernprozesse maschinell abzubilden. Neben den frühen Ansätzen der Künstlichen Intelligenz (KI) und Nutzung der Computer zur praktischen Umsetzung kybernetischer und behavioristischer Theorien in Lernprozessen, entwickelte sich eine Reihe von informationstechnischen Konzepten, die auch die Lernprozesse modifiziert haben: SoftwareEngineering, Netze, digitale Medien und Multimedia oder Internet mit dem Dienst World Wide Web sind in erster Linie zu nennen (Bruns & Klimsa, 2001). Letztendlich haben aber die Informatik und die angrenzenden Disziplinen, wie beispielsweise die Medientechnik, einen direkten bzw. oder einen indi-

4 Interdisziplinarität als Grundlage des Online-Lernens

64

rekt Einfluss auf die Entstehung und die Entwicklung des Online-Lernens. Ohne Content-ManagementSysteme und Lernplattformen, ohne Multimedialität und Web 2.0-Software wären innovative Lernszenarios im Netz nicht vorstellbar. Usability-Testing kann als Methode ebenfalls zur Evaluation von Produkten für Online-Lernen eingesetzt werden.

4.1.4

Psychologie

Psychologie als Wissenschaft von kognitiven und emotionalen Prozessen und vom Verhalten der Menschen wird in zahlreiche Fachgebiete untergliedert (Zimbardo, Gerrig, 2008), die unterschiedlich stark auch Fragen des Online-Lernens behandeln. Besondere Bedeutung haben dabei die Wahrnehmungspsychologie, die Lernpsychologie, die Pädagogische Psychologie und die Medienpsychologie. Da im Bereich des Online-Lernens vor allem Evaluationsmethoden der Sozialwissenschaften genutzt werden, ist die Psychologie und ihre Methodenlehre bei der Ermittlung von Erfolgen im Online-Lernen besonders hilfreich. Neben qualitativen Verfahren der Evaluation sind stets auch experimentelle und quantitative Verfahren sinnvoll.

4.1.5

Medienproduktion

Als wissenschaftlicher Gegenstand ist Medienproduktion selbst interdisziplinär und hat Verbindung zu zahlreichen anderen wissenschaftlichen Disziplinen (vgl. Krömker & Klimsa, 2005, S. 15ff.). Produktionsprozesse der Medienbranchen sowie Steuerung und Optimierung dieser Prozesse (Klimsa, 2006, S. 601ff.) sind ebenfalls für Produktion von E-Learning- und Online-Medien von Bedeutung. Durch neue pragmatische Sichtweisen trägt die Medienproduktion zur wissenschaftlichen Reflexion von Produktionsaspekten des Online-Lernens bei und untersucht E-Learning-Produkte in der Medienproduktforschung.

4.1.6

Rechtswissenschaften

Sie sind eine wichtige Grundlage aller Medien und Medienhandlungen. Medienrecht (insbes. das Urheberrecht) regelt Information und Kommunikation und damit auch die Besonderheiten der neuen Branche digitaler und Online-Medien. Als Teilgebiet des öffentlichen Rechts, des Zivilrechts und des Strafrechts bildet es eine Schnittmenge, die mediale Belange ordnet, aber durch ihre rasche Entwicklung noch zahlreiche Lücken aufweist, die im Prozess der Gesetzgebung erst geschlossen werden müssen (Fechner, 2008).

4.1.7

Wirtschaftswissenschaften

Vor allem die Betriebswirtschaftslehre (Schiendenwolf, 2002) und ihre funktionalen Bestandteile (Produktionswirtschaft mit Qualitätsmanagement, Absatz, Marketing, Finanzen, Unternehmenskommunikation, Unternehmensführung usw.) waren bereits in Bezug auf die Entwicklung von E-Learning sehr aktiv und werden sicher auch bei der Realisierung von Online-Lernen aktiv sein. Sie tragen zwar nicht direkt dazu bei, wie ein Online-Lernsystem intern beschaffen ist (Produkt mit Inhalt und Gestaltung),

4.2 Medienproduktion für Online-Lernen

65

doch sie entscheiden über dessen Einsatz bzw. Produktionsbedingungen (Unternehmen, Führung, Finanzierung, Vermarktung usw.).

4.1.8

Bildungsforschung

Bildungsforschung bedeutet die „Untersuchung der Voraussetzungen und Möglichkeiten von Bildungsund Erziehungsprozessen im institutionellen und gesellschaftlichen Kontext“ (Deutscher Bildungsrat, 1974, S. 16). Bildungsforschung ist selbst interdisziplinär und erfasst nicht nur Bildungsprozesse, sondern geht auch normativ vor. Fragen des Online-Lernens beschäftigen die Bildungsforschung im Kontext der Exzellenz des Unterrichts bzw. der universitären Lehre und waren besonders an der Schnittstelle zwischen Pädagogik und Technik präsent.

4.2

Medienproduktion für Online-Lernen

Didaktik, Gestaltung und Informatik haben auf die Konzeption, Planung, Umsetzung sowie die Usability des Online-Lernens einen entscheidenden praktischen Einfluss. Auch die Fachleute bzw. Experten aus diesen Disziplinen sind in interdisziplinären Teams unentbehrlich. Doch es kommt immer mehr darauf an, Spezialisten heranzubilden, die von Anfang an nicht nur in einer Disziplin verhaftet sind, sondern Disziplin übergreifende Qualifikationen haben und bei der Produktion von OnlineLernangeboten mit Vertretern unterschiedlicher Fächer gut zusammenarbeiten können. Da die Produktion der Medien und der Online-Medien stets die Elemente Technik, Organisation und Content in einem Prozess vereint (Krömker & Klimsa, 2005), ist ihre Analyse und Systematik nur interdisziplinär ausgerichtet sinnvoll. Die Prozesse der Medienproduktion – also auch medialer Produkte für Online-Lernen – sind zudem branchenspezifisch und international unterschiedlich. Sie müssen entsprechend interdisziplinär und international thematisiert werden. Medien verknüpfen stets Inhalte (Content) mit Hilfe der Technik in einem Organisationsprozess, um konkrete Medienprodukte hervorzubringen (siehe Abb. 4.2). Dieser Zusammenhang ist komplex und wird von weiteren Einflussgrößen (Gesellschaft, Politik, Wirtschaft usw.) bestimmt. Nur ein ganzheitlicher Forschungs-Zugang kann hier effektiv sein. Das soll nicht heißen, dass man die Elemente Content, Technik und Organisation alle gleichzeitig bzw. vollständig als Bestandteile eines Modells untersuchen muss. Ausblendungen und Fokussierung sind unvermeidbar, manchmal sogar notwendig. Es ist dank des Modells möglich, die fehlenden Elemente zu erfassen und hinzuzufügen, womit sich eine fruchtbare Fortführung, Ergänzung bzw. Revision der Forschungsbemühungen ergibt.

4 Interdisziplinarität als Grundlage des Online-Lernens

66

Abb. 4.2:

Elemente der Medienproduktion und der Produktionsprozess

Dieser Ansatz knüpft in einigen Aspekten an die Theorie der soziotechnischen Systeme an, die im wissenschaftlichen Diskurs seit den 1950er Jahren (Trist & Bamforth, 1951) immer wieder aufgegriffen wird (vgl. Sydow, 1985). Die Theorie der soziotechnischen Systeme kann als wissenschaftliches Reflexionsmodell immer dann als Hilfe einbezogen werden, wenn Menschen und Technik in einem Prozess zusammengeführt werden. Es kann sich um industrielle Produktionsprozesse handeln, es können aber auch andere Systemkopplungen zwischen Mensch und Technik, wie beispielsweise Techniknutzung im Alltag, im Vordergrund stehen. Zwischen Technik, Mensch, Aufgabe und Struktur ergeben sich vielfältige Interaktionen, deren Analyse als Grundlage der Modifikation von Aktionen des soziotechnischen Systems (Soziotechnik) genutzt werden kann. Änderung der Aktionen soziotechnischer Systeme können aufgrund der Mitwirkung von sozialen Komponenten nicht als deterministisch betrachtet werden. Die Technik setzt ihrerseits immer Organisationsformen oder Verfahrensweisen ihrer Nutzung voraus, um Produkte hervorzubringen. Stets bestimmen sowohl die Organisation des Produktionsprozesses als auch die Technik die Gestalt eines Produktes. Beide Faktoren bestimmen auch die Entwicklung eines Online-Medienproduktes mit konkreten Inhalten (Content). Die Untersuchung von Content, Technik und Organisation setzt jeweils drei Ebenen der Betrachtung voraus – die Mikroebene, Mesoebene und Makroebene. Demnach ergeben sich folgende Perspektiven: Organisation • übergeordnet, z. B. Internet, WWW • institutionsbezogen, z. B. Institution als Organisation, Schule, Universität, Bildungsinstitut usw.

4.3 Prinzipien des Online-Lernens als Ergebnis Interdisziplinärer Erfahrungen •

67

Produktionsprozesse/Workflow, konkrete Arbeitsschritte und -abläufe, z. B. Ablauf der Anwendungserstellung.

Technik • komplexe technische Systeme, z. B. Netzwerke, Content-Management-System (CMS). • Gerätetechnik, Server usw. • technische Bau- bzw. Bestandteile, z.B. Raid-Festplatten usw. Content • übergreifendes Programmangebot, z. B. Online-Lernsystem. • Inhaltscontainer, z. B. Format, Bild usw. • Medienelement, z. B. Text, Pixelbild, Ton in einer binären Repräsentation. Ein Online-Lernsytem als Medienprodukt steht im Spannungsfeld der beteiligten Faktoren und Ebenen. Eine Analyse wäre daher ohne Fokussierung einzelner Bereiche sehr komplex. Medienprodukte entstehen in einem Produktionsprozess, der aber für alle anderen Branchen auf einer entsprechend hohen Abstraktionsstufe zutrifft: • • • •

Preproduktion (z. B. Recherche, Planung oder „medienunabhängige“ Erzeugung von Content). Produktion (Anpassung von Content an das jeweilige Vermittlungssystem, also mediengerechte Transformation des Content). Postproduktion (verfeinern, bearbeiten und testen von Content). Distribution (den Content an die Zielgruppen verteilen).

Inhaltliche Intentionen der Contentproduzenten – z. B. eines Lernsystemherstellers – werden durch die verwendete Technik und die jeweilige Organisation der Medienproduktion (vor allem durch den Workflow) entscheidend beeinflusst. Am Ende entsteht kein Produkt nur nach den ursprünglichen inhaltlichen Intentionen des Autors, sondern ein Produkt, das entsprechend dem Produktionsprozess modifiziert ist. Diese organisatorische Modifikation auf verschiedenen Stufen des Produktionsprozesses kann (muss aber nicht) den Contentproduzenten bewusst sein. In der Produktionspraxis wird sie genauso oft in allen ihren Implikationen unterschätzt, wie später auch in der wissenschaftlichen Reflexion.

4.3

Prinzipien des Online-Lernens als Ergebnis Interdisziplinärer Erfahrungen

In den letzten 30 Jahren haben die beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen viele Erfahrungen über das Lernen mit neuen Technologien gesammelt, die auf die Praxis des E-Learning bzw. des OnlineLernens übertragbar sind. Die wichtigsten Dimensionen der Erfahrungen lassen sich in folgenden Punkten zusammenfassen: •

Institutionelle Verankerung (oft fehlt die konkrete Einbindung in ein umfassendes Curriculum oder es gibt keine institutionalisierte Formen der Abschlüsse usw.);

68 •

• •

• • • • •

4 Interdisziplinarität als Grundlage des Online-Lernens Didaktik/Mediendidaktik (die technische Machbarkeit lässt nicht unbedingt den Gedanken zu, dass nicht nur Medieninformatiker/Informatiker an den Entwicklung beteiligt sein müssen, sondern auch Lern- und Medienpsychologen sowie Allgemein- und Mediendidaktiker); Technologie/Technik (die Innovationen lassen schnell die Kurse veralten, das Problem der Nachhaltigkeit der Entwicklung wird dabei deutlich); Erarbeitung angemessener Schnittstellen (die Mensch-Maschine-Kommunikation beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage der Zugänglichkeit von technischen Systemen und hat wertvolle Ergebnisse erarbeitet, deren Kenntnis eine unbedingte Voraussetzung jeglicher Konzeption von ELearning sein muss); Evaluation (formative – im Verlauf der Entwicklung – und/oder summative – am Ende des Produktionsprozesses und bei Einsatz – Evaluationen sind zu berücksichtigen); Management des Lernangebotes (wer verwaltet und pflegt die Kurse, wer erteilt die Zugänge? usw.); Unterstützung der Lerner beim Umgang mit Lernsystemen (Dozenten und Tutoren sind nach wie vor nicht entbehrlich, auch bei E-Learning-Konzepten nicht); Differentielle Lernvoraussetzungen (nicht zureichend werden Geschlecht, Kultur, Alter etc. bei der Planung und Entwicklung berücksichtigt); Ethische Fragen.

Bei der Planung, Entwicklung und Nutzung von Online-Lernangeboten können ähnliche Probleme auftreten wie z. B. • • • • • •

falsche Erwartungen an Online-Lernen und falscher Einsatz (z. B. Online-Lernen als vollständiger Ersatz für Präsenzunterricht) fehlende Kompetenzen auf der Produzenten- (Beginn bei „0“) und auf der Nutzer-Seite („kompetentes Klicken“) hoher Produktionsaufwand der Lerneinheiten (unerwartet Kosten z. B. für Videosequenzen) fehlende institutionelle Integration und mangelnde Anerkennung außerhalb des meist engen Verwendungsrahmens (Folge: geringe Nutzung) nicht ausreichende Verwendung von Standards (Folge: Beginn jedes Mal wieder bei „0“) Bei der Entwicklung von E-Learning-Anwendungen müssen Kontrollmaßnahmen implementiert werden, die solche Probleme ausschließen.

Der Begriff Online-Lernen bzw. der Oberbegriff E-Learning erlaubt vielfältige Assoziationen, die das Lernen im Kontext moderner Lernformen als besonders effizient erscheinen lassen. Das erweckt rasch den Eindruck, das Lernen sei einfacher, die Lernfortschritte schneller, die Lernergebnisse dauerhafter. Diese populären Annahmen sind jedoch kein Spiegel der tatsächlichen relativen Bedeutung des Lernens mit Medien im Allgemeinen und des Online-Lernen im Speziellen. Eine deutliche Schranke in der Verbreitung der Formen des Online-Lernens stellen die Entwicklungskosten und die Nachhaltigkeit der Entwicklung dar. Insbesondere software-technologische Maßnahmen zur Sicherung der Nachhaltigkeit erlauben es, dauerhaft Kosten zu sparen. Es sind: • • •

Zugänglichkeit (Zugriff auf Inhalte von verschiedenen Orten) Austauschbarkeit (plattformübergreifend, werkzeugunabhängig) Dauerhaftigkeit (unabhängig von Technologieänderungen)

4.3 Prinzipien des Online-Lernens als Ergebnis Interdisziplinärer Erfahrungen •

69

Wiederverwendbarkeit (modifizierbare und wiederverwendbare Inhalte, modifizierbare Funktionalität).

Der Gedanke der Nachhaltigkeit und Wiederverwendung von Online-Lernanwendungen ist keineswegs neu. Es ist ein bewährtes Prinzip des Software-Engineering. Ein einheitlicher, modularer Aufbau und kompatible Standardformate erleichtern die Mehrfachnutzung und Austauschbarkeit standardisierter Komponenten. Der Begriff Nachhaltigkeit als Prinzip einer dauerhaften Nutzung ist selbst interdisziplinär und stammt ursprünglich aus dem Bereich der Forstwirtschaft. Für die Strukturierung und Modularisierung stehen verschiedene Instrumentarien und Strategien zur Verfügung. So kann die Mehrfachnutzung von Quellcodes beispielsweise durch objektorientierte Programmierung, Frameworks, Component Software und Software-Bibliotheken gesichert werden. Eine weitere Förderung der Wiederverwendung von Anwendungskomponenten besteht in der strikten Trennung von Inhalt, Design, Strukturen und Funktionalitäten. Ein Rückblick auf die technologische Entwicklung der Vergangenheit veranschaulicht die Bedeutung von Standards. Die rasche Entwicklung des Farb-Fernsehens in den 1950er und 1960er Jahren wäre ohne einheitliche Standards (NTSC, PAL, Secam) nicht möglich gewesen. Keine TV-Norm hat sich zwar als die einzige durchgesetzt, doch es war ohne weiteres möglich, die jeweiligen Formate zu konvertieren und in einer anderen TV-Norm zu verwenden. Für Online-Lernen gibt es noch keine Standards, wie sie etwa im Softwarebereich etabliert sind. Die Anwendungen sind daher miteinander meist inkompatibel und lassen software-ergonomisch oft die meisten Wünsche offen (vgl. WWW7). Die Herausbildung und Durchsetzung von Standards (wie bspw. SCORM) ist aber für die Zukunft unvermeidbar und nur im interdisziplinären Diskurs wirklich sinnvoll.

Teil 2: Charakteristika des Online-Lernens

5

Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen

Bernd Weidenmann

Der Beitrag referiert naive Annahmen und Forschungsergebnisse dazu, ob und wie sich Multicodierung und Multimodalität von Lernangeboten auf kognitive und motivationale Aspekte des Lernens auswirken. Aus der Diskussion dieser Ansätze werden didaktische Empfehlungen formuliert. Außerdem wird aufgezeigt, dass die Kategorie „Multimedia“ zur Beschreibung multimedialer Angebote wenig geeignet ist. Schlüsselbegriffe: Codes, Illustrationen, mentale Modelle, Modalität, Modalitätseffekt, Multimedia

74

5 Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen

Online-Lernen ist multimediales Lernen. Über verschiedene technische Kommunikationskanäle und Medien werden Informationen in Form von Text-, Bild-, Ton- und Videodateien versendet, heruntergeladen, gespeichert und weiterverarbeitet, damit Lernende daraus Wissen generieren. Allerdings gab es Lehren und Lernen mit geschriebener und gesprochener Sprache sowie mit stehenden und bewegten Bilder schon lange vor Einführung von Computer und Internet. Lehrbücher enthalten Sprache und Bilder. Lehrer und Dozenten schreiben oder zeichnen an die Tafel und reden dabei. Schon die Tonbildschau oder der schwarzweiße Lehrfilm koppelten Bilder und gesprochene Sprache. Das Neue liegt also nicht in der Verschlüsselung von Informationen, auch wenn die neuen Technologien einen immensen Qualitätssprung mit sich bringen, sondern in den Medien, die diese Formate generieren, präsentieren und distribuieren. Diese „neuen“ Medien eröffnen den Lernenden auch andere Möglichkeiten als bisher, mit den Lehrangeboten zu arbeiten: z. B. den schnellen gezielten Zugriff auf ein Datenuniversum im Web (Suchmaschinen, Bookmarks, Foren, Podcasts), das mühelose Kopieren und Weiterverarbeiten von Dateien, die komfortable Interaktion mit anderen Lernenden oder Lehrenden (E-Mail, Virtual Classrooms usw.), die freie Wahl von Lernzeit und Lernort. Lernen mit Multimedia hat sich in der letzten Dekade zu einer veritablen „Bewegung“ entwickelt, mit all den Hoffnungen, der Emphase und den Kampagnen, die für Bewegungen typisch sind. Lernen mit Multimedia scheint für die Multimedia-Apologeten endlich die Einlösung des Versprechens von Comenius (in seiner Großen Didaktik 1657, Übersetzung von A. Flitner) zu sein, „alle Menschen alles zu lehren; und zwar zuverlässig zu lehren, so dass der Erfolg nicht ausbleiben kann; und rasch zu lehren, ohne Beschwerde und Verdruss für Lehrer oder Schüler, vielmehr zu beider größtem Vergnügen; und gründlich zu lehren, nicht oberflächlich und nur zum Schein.“ Auch wenn inzwischen eine realistische Bewertung eingekehrt ist, haben sich beim Lernen mit Multimedia unbestreitbare Vorzüge gegenüber traditionellen Lehr-/Lernmethoden erwiesen. Auch die Wissenschaft hat durch die Verbreitung des Lernens mit neuen Medien belebende Impulse erhalten. Vor allem zwei Fragen rückten (wieder) in den Fokus psychologischer Forschung: „Wie verarbeitet der kognitive Apparat der Lernenden vielfältige Informationsangebote?“ und „Wie sind solche Lernangebote zu gestalten, um den Lernerfolg zu optimieren?“ Erfreulich für diese Forschung ist, dass sich gerade mit den zu analysierenden Medien Computer und Web experimentelle Untersuchungen zu diesen Fragen viel effektiver arrangieren lassen als mit den alten Medien. Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht „Multimedia“ im Kontext von Lernen. Zuerst wird eine Klärung des Begriffs vorgenommen, weil der Begriff „Multimedia“ so schillernd benutzt wird, dass sich damit weder ein wissenschaftlicher Diskurs noch wissenschaftliche Untersuchungen durchführen lassen. Der zweite Abschnitt stellt naive und wissenschaftliche Annahmen sowie Befunde zur Frage vor, wie Lernende mit multimedialen Angeboten umgehen. Im dritten Teil geht es um Anregungen für Entwickler von multimedialen Lernangeboten.

5.1

Multimedia, Multicodierung, Multimodalität

In diesem Abschnitt wird die Brauchbarkeit des Begriffs „Multimedia“ für die Forschung geprüft. Die Analyse führt zu dem Ergebnis, dass anstelle des Breitbandbegriffs „Multimedia“ differenziertere Kategorien für die Beschreibung von Anwendungen im Informations- und Lernbereich benötigt werden (Weidenmann, 2006). Es bieten sich Kategorien an, die in neueren psychologischen und medienwissen-

5.1 Multimedia, Multicodierung, Multimodalität

75

schaftlichen Beiträgen entwickelt wurden, etwa Codierung, Modalität, mentales Format und mediales Angebot. Symbolsysteme und Codes. Die Kategorie „Symbolsystem“ wurde von Goodman (1968) eingeführt und für die Medienpsychologie von Olson (1974) sowie von Clark und Salomon (1986) fruchtbar gemacht. Grundgedanke ist, dass sich Botschaften in verschiedenen Formaten bzw. Symbolsystemen umwandeln und präsentieren lassen. Die prominenten Symbolsysteme in unserer Kultur sind das verbale und das piktoriale sowie das Zahlensystem. Diese Symbolsysteme enthalten diverse Codes und Subcodes. Beispiel: Das piktoriale Symbolsystem umfasst als Subcodes Abbilder, logische Bilder usw. Manche Autoren verwenden zur Kategorisierung einer medialen Botschaft den Begriff Reizmodalität und unterscheiden sprachliche und nichtsprachliche Reizmodalitäten (Rowntree, 1982; Engelkamp & Zimmer, 1990; Spencer, 1991). Reizmodalität bezieht sich darauf, welche Sinnesmodalitäten ein bestimmter Reiz anspricht. Doch „Modalität“ wird üblicherweise nicht als Reizmerkmal, sondern im Zusammenhang mit der Rezeption medialer Angebote benutzt (siehe „Sinnesmodalität“). Sinnesmodalität, Sinneskanal. Diese Begriffe bezeichnen die Sinnesorgane (Augen, Ohren, Tastsinn), mit denen die Rezipienten ein mediales Angebot wahrnehmen und mit ihm interagieren. Der ältere Terminus „Sinneskanal“ entstammt dem Ingenieursparadigma der Kommunikation; für eine psychologische Zugangsweise ist „Modalität“ angemessener. Mentale Repräsentation, mentales Format, Verarbeitungssystem. Mit diesen kognitionspsychologischen Begriffen soll erfasst werden, in welcher Qualität die sensorisch wahrgenommenen Daten im Verlauf der Sinnentnahme, des Wissenserwerbs und der Speicherung verarbeitet werden. Aebli (1981) sowie Strittmatter & Seel (1984) bezeichnen diese mentalen Formate als „interne Medien“. Die kognitive Psychologie hat sich ausführlich mit dem Problem der mentalen Repräsentation beschäftigt. Die meisten Autoren unterscheiden mindestens zwei qualitativ verschiedene, jedoch miteinander interagierende Verarbeitungssysteme: eines für die Verarbeitung von Sprache, ein anderes für bildhafte Sinneseindrücke. Wichtig ist die Erkenntnis, dass es keine eindeutige Beziehung zwischen der „Reizcodierung“ und der „internen Codierung“ dieses Reizes gibt. Ein bildhafter Reiz muss z. B. keineswegs nur „bildhaft“ gespeichert und verarbeitet werden. Er kann auch sprachliche oder sprachnahe (propositionale) Repräsentationen anregen. Das Gehirn verfügt über eine Vielfalt von Codierungsmöglichkeiten und scheint diese je nach Situation und Verwendungszeck flexibel zu verwenden. Anders gesagt, mit einund demselben „Reiz“ können sich mehrere und unterschiedliche Zentren beschäftigen. Medium, mediales Angebot. Die meisten Definitionen beschreiben die Mittlerrolle des Mediums in einem technischen Sinne als Träger oder Vehikel (Clark, 1983) für kommunikative Inhalte. Zu selten wird dabei die enge Verschränkung von Medium und Inhalt einbezogen. Als Medien sollten bezeichnet werden Materialien, technische Geräte oder Konfigurationen, mit denen sich Informationen kommunizieren und speichern lassen. Lerner haben es mit einem „medialen Angebot“ zu tun. Es zeichnet sich aus durch Botschaften, Codierungen und Strukturierungen, die medial kommuniziert werden. Botschaften sind absichtsvoll codierte und strukturierte Inhalte, die von den Rezipienten (z. B. Lernern) als bedeutungsvolle Informationen wahrgenommen und verarbeitet werden. Die Codierung der Inhalte erfolgt in der Regel durch konventionalisierte Symbolsysteme (s. o.). In der Strukturierung der Inhalte realisiert sich die instruktionale Strategie. Das mediale Angebot als Ensemble von Medium und codierter sowie strukturierter Botschaft ist Teil der Rezeptionssituation und wird zusammen mit dieser Situation wahrgenommen und genutzt. Die Nutzung wird jeweils bestimmt durch Lernervariablen, Situati-

76

5 Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen

onsvariablen, materiale Merkmale der beteiligten Medien und die Codierung sowie Struktur der Botschaft. Betrachten wir nun mit diesen Kategorien die übliche Beschreibung von Multimedia als Integration von Text, Bildern bzw. Pixeln, Video und Audio. Es wird deutlich, dass unsystematisch aufgezählt werden: zwei Arten von inhaltlichen Codierungen (Text, Bilder), eine technisch definierte Codierung (Pixelbilder), ein Medium (Videotechnologie) und eine Sinnesmodalität (Audio). Diese gängige Verwendung des Begriffs „Medium“ konfundiert also die Kategorien technisches Medium, Codierung und Modalität. Nach den bisherigen Überlegungen bietet sich folgende Differenzierung bei der Beschreibung multimedialer Angebote an: • • •

Multimedial seien Angebote, die auf unterschiedliche Speicher- und Präsentationstechnologien verteilt sind, aber integriert präsentiert werden. Multicodal seien Angebote, die unterschiedliche Symbolsysteme bzw. Codierungen aufweisen. Multimodal seien Angebote, die unterschiedliche Sinnesmodalitäten bei den Nutzern aktivieren.

Jedes mediale Angebot kann nun auf jeder einzelnen dieser Dimensionen charakterisiert werden.

Mono-...

Multi-...

Monomedial:

Multimedial:



Buch



PC + DVD-Player



PC



PC + WLan

Medium

Codierung Monocodal:

Multicodal:



nur Text



Text mit Bildern



nur Bilder



Grafik mit Beschriftung



nur Zahlen

Sinnesmodalität

Abb. 5.1:

Monomodal:

Multimodal:



nur visuell (Text, Bilder)





nur auditiv (Rede, Musik)

Raster zur differenzierteren Beschreibung medialer Angebote

audiovisuell (Video, Lernsoftware mit Bild und Ton)

5.2 Der Einfluss von Multicodierung und Multimodalität auf Lernprozesse

5.2

77

Der Einfluss von Multicodierung und Multimodalität auf Lernprozesse

Dieser Abschnitt stellt naive Annahmen (z. B. die naive Summierungstheorie der Sinneskanäle und die Realismustheorie) einerseits und wissenschaftliche Beiträge (z. B. zum Bild-Überlegenheitseffekt und zur Wirkung multimodaler und multicodaler Präsentation) andererseits vor. Es zeigt sich, dass die für den Wissenserwerb entscheidende interne Verarbeitung und Repräsentation nur bedingt durch die externe Präsentation des Lernmaterials beeinflusst wird.

5.2.1

Naive Annahmen

Die am meisten verbreitete naive Annahme in diesem Bereich lautet: „Multimedia spricht mehrere Sinneskanäle an; das verbessert das Behalten.“ So begegnet man immer wieder einer Variante von Abb. 5.2. Diese Darstellung ist die wohl populärste in der gesamten Medien- und Instruktionspsychologie. Eine wissenschaftliche Quelle wird man allerdings vergebens suchen. Ähnliches gilt übrigens für die verbreitete Annahme von auditiven und visuellen Lerntypen (siehe auch Looß, 2001; Tulodziecki & Herzig, 2004).

Lesen Hören Sehen Hören und Sehen Nacherzählen Tun

Abb. 5.2:

10% 20% 30% 50% 70% 90%

Naive Annahmen über die Wirkung von Sinnesmodalitäten und Lernaktivitäten auf das Behalten

Begrifflich geraten Sinnesmodalität und Codierung durcheinander. Sehen und Hören sind modalitätsspezifische Aktivitäten, Lesen und Nacherzählen codespezifische Tätigkeiten (verbales Symbolsystem). Im Wesentlichen basiert die Grafik auf einer naiven Summierungstheorie (Ballstaedt, 1990) der Beteiligung von Sinneskanälen (Hören 20 %, Sehen 30 %, Hören und Sehen 20 % plus 30 % = 50 %). Gleichzeitig lässt sich eine ältere naive Realismustheorie erkennen. Es ist die pädagogische Annahme von der Höherwertigkeit des realen Gegenstandes gegenüber seiner Darstellung. Dieses Modell eines

78

5 Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen

Realitätskontinuums (zur Kritik siehe Dwyer, 1978) ist am einprägsamsten im bekannten „Erfahrungskegel“ von Dale (1946) illustriert: Die breite Basis dieses Kegels bildet die „direkte Erfahrung“, an der schmalen Spitze befinden sich die „verbalen Symbole“. Entsprechend dieses Realitätskontinuums beträgt in Abb. 5.2 z. B. die behauptete Behaltensquote für Lesen nur 10 %, für Tun 90 %.

5.2.2

Wissenschaftliche Beiträge

Zwei Theorien werden gerne argumentativ für die naive Summationstheorie angeführt, um eine multimodale und multicodale Präsentation von Inhalten zu rechtfertigen: • •

die Doppelcodierungstheorie von Paivio die Theorie der Hemisphärenspezialisierung.

Sowohl diese wie auch andere Gedächtnistheorien gehen von der Annahme aus, dass Informationen je nach Codierung von spezialisierten kognitiven Systemen verarbeitet werden. Die empirisch umfangreich erforschte Theorie der Doppelcodierung von Paivio (1986) postuliert einen Gedächtnisvorteil, wenn Inhalte sowohl eine verbale wie eine imaginale Codierung im mentalen Repräsentationssystem der Rezipienten erfahren. Diese „interne“ Codierung ist jedoch durch die externe Codierung nicht im Sinne einer Eins-zu-Eins-Entsprechung festgelegt. Der Name eines Gegenstandes kann in einem Lerner neben einer verbalen Repräsentation auch eine (schwächere) bildhafte auslösen, die Abbildung eines Gegenstandes neben der bildhaften eine (schwächere) verbale. Die Theorie der Hemisphärenspezialisierung basiert auf hirnphysiologischen Befunden, wonach die Verarbeitung von Sprache in anderen Großhirnsystemen stattfindet als die Verarbeitung von Bildern. Im Bereich „Lernen mit Medien“ wird dieser Ansatz allerdings gerne dahingehend trivialisiert, dass man durch ein gleichzeitiges Angebot von Sprache und Bildern beide Hirnhälften „einschalten“ und somit die Lern- und Behaltensleistung erhöhen könne (z. B. Ornstein, 1974). Bildüberlegenheitseffekt. Der Einfluss der Codierung medial präsentierter Inhalte auf das Behalten wird durch den sog. „picture superiority effect“ deutlich (Nelson, 1979; Nelson et al., 1976). Listen mit Abbildungen bekannter Objekte werden besser behalten als Listen mit den Namen dieser Objekte. Paivio (1986) erklärt dies mit seiner Theorie der Doppelcodierung, die postuliert, dass bei Bildern von Objekten automatisch auch die entsprechenden Bezeichnungen aktiviert werden; Wörter lösen seinem Modell zufolge in geringerem Maße zugleich bildhafte Vorstellungen aus. Engelkamp (1990; 1994) bezweifelt diese Erklärung für den Bildüberlegenheitseffekt. Nach seinen durch Befunde gestützten Annahmen bewirken Bilder keineswegs automatisch, wie Paivio dies annimmt, auch eine Wortmarkenaktivierung. Die duale Codierung kann also nicht als kritische Bedingung für den Bildüberlegenheitseffekt angesehen werden. Auch sollte z. B. eine Imaginierungsinstruktion beim Lesen von Wörtern („Stellen Sie sich den benannten Gegenstand bildhaft vor“) ebenfalls eine Doppelcodierung induzieren und somit den Bildüberlegenheitseffekt zum Verschwinden bringen; dies ist aber nicht der Fall. Modalitätseffekt und Split-Attention-Effekt. Der Modalitätseffekt bezieht sich auf Lernen mit synchron präsentiertem Text- und Bildmaterial. Er besagt, dass Lernen in diesem Fall besser gelingt, wenn man den Text zum Bild nicht visuell, sondern auditiv darbietet. Text lesen und zugleich ein Bild betrachten, erweist sich demnach als weniger erfolgreich als Text hören und Bild betrachten. Es gibt zahlreiche Studien zum Modalitätseffekt. In einer Metaanalyse von Ginns (2005) wird dieser Effekt bestätigt. Er ist ausgeprägter bei Studien, in denen die Lernenden unter Zeitdruck stehen und geringer,

5.2 Der Einfluss von Multicodierung und Multimodalität auf Lernprozesse

79

wenn sie das Material in selbst gewähltem Lerntempo bearbeiten können. Ginns erinnert daran, dass die erste Situation in der Unterrichtspraxis die übliche ist. Wie lässt sich der Modalitätseffekt theoretisch erklären? Rummer et al. (2008) unterscheiden einen instruktionspsychologischen (IME) und einen gedächtnispsychologischen Modalitätseffekt (GME). Beim IME geht es um die Rezeption und Verarbeitung von Text und Bild in Lernmaterialien, beim GME um deren Speicherung. Nach einer kritischen Diskussion verschiedener Ansätze (vor allem von Mayer, 2001) entscheiden sich Rummer et al. (2008) beim IME für eine ebenso einfache wie plausible Erklärung: wenn Text und Bild beide visuell präsentiert werden (wie z. B. bei einem illustrierten Lerntext oder einer Lernsoftware auf einem PC-Monitor), muss ein Lernender die Aufmerksamkeit zwischen Text und Bild hin und her bewegen und jeweils die Informationen der gerade nicht betrachteten Informationsquelle im Arbeitsgedächtnis behalten. Das ist aufwändiger als wenn er das Bild betrachtet und gleichzeitig den Text hört. Im ersten Fall kommt es zu einem „Split-Attention“-Effekt (Chandler & Sweller, 1992) der visuellen Wahrnehmung. Inzwischen liegen allerdings Befunde vor, die diese Erklärung relativieren. So folgte Mazarikis (2007) dem Rat von Mayer (2001), man könne den SplitAttention-Effekt abmildern, indem man Text und Bild räumlich bzw. zeitlich möglichst nahe zueinander präsentiert („temporal“ bzw. „spatial contiguity“). Lernen mit integrierten Text-Bild-Anordnungen war in dieser Studie jedoch nicht effektiver als Lernen mit separierten Text-Bild-Kombinationen. Auch die Annahme von Mayer (2001), dass besonders Neulinge in einem Fachgebiet von einer integrierten Präsentation profitieren, wurde in der Studie von Mazarakis nicht bestätigt. Der Autor schlussfolgert aus seinen Befunden, dass der Split-Atention-Effekt nicht beliebig reproduzierbar sei und es weiterer Forschung bedürfe. Wenn Text und Bild nicht gleichzeitig (wie auf einer Lehrbuchseite), sondern nacheinander, also sequenziell dargeboten werden (wie oft bei Lernsoftware), sollte der Split-Attention-Effekt keine Rolle mehr spielen. Sollte der Modalitätseffekt auch dann auftreten, wäre eine andere Erklärung zu finden. Tatsächlich gibt es Studien, bei denen der Modalitätseffekt auch bei sequenzieller Darbietung von Text und Bild auftritt. Das heißt, dass auch hier besser gelernt wird, wenn Text auditiv, statt visuell dargeboten wird (Moreno & Mayer, 1999; Mousavi et al., 1995). Rummer et al. (2008) weisen allerdings darauf hin, dass diese Befunde nur auf den ersten Blick gegen das Erklärungspotential des Split-AttentionEffekts sprechen. Die in diesen Studien verwendeten Texte seien nur sehr kurz. Hier komme der Effekt zum Tragen, dass jeweils das letzte Wort – wenn es auditiv präsentiert wird – quasi als akustischer Nachhall besonders im Gedächtnis bleibt (siehe das Konzept des „phonological loop“ in der Gedächtnistheorie von Baddeley, 1986, 1999). Und in den einschlägigen Studien sei gerade am Satzende jeweils ein zentrales Inhaltswort platziert gewesen. Deshalb habe die akustische Präsentation das Behalten gefördert. So wäre der Effekt gedächtnispsychologisch (als GME) und nicht instruktionspsychologisch (IME) zu erklären. Für Rummer et al. (2008) ist der GME unabhängig davon zu beobachten, ob zum Text auch Bilder dargeboten werden oder nicht. Bei längeren Texten sollte der GME eine geringere oder gar keine Rolle mehr spielen. In der Tat zeigen manche Studien (vgl. Rummer et al., 2008), dass in diesem Fall der Modalitätseffekt bei sequenzieller Darbietung von Text und Bild ganz verschwindet, ja sogar die Version mit der visuellen Textdarbietung besser abschneidet. Illustrationen und das Behalten von Text. Empirisch gut belegt ist die positive Wirkung von Illustrationen auf das Behalten von Text (Levie, 1987; Peeck, 1987, 1994; Weidenmann, 1988, 1994b). In Metaanalysen der vorliegenden empirischen Studien wird eine solide Effektstärke (Vorteil der Treatmentgruppe in Standardabweichung) von etwa .75 berichtet (Levin et al., 1987). Mayer (1993, S. 243)

80

5 Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen

erklärt die förderliche Wirkung von Bildern auf das Behalten von Text vor allem damit, dass der Rezipient „referenzielle Verknüpfungen“ zwischen verbalen und visuellen Repräsentationen im Arbeitsgedächtnis herstellt. Bei einem Lehrtext zur Funktion einer Pumpe liest der Lerner z. B. den Satz „das Ventil öffnet sich“ und bildet dazu propositionale Repräsentationen; dann betrachtet er eine Illustration dieses Vorganges und bildet eine passende bildhafte Repräsentation. Diese gleichzeitige Repräsentation – Mayer betont, wie oben ausgeführt, die Wichtigkeit der räumlichen und zeitlichen Kontiguität von Text- und Bildpräsentation (vgl. Mayer & Anderson, 1990, 1991; Mayer & Gallini, 1990) – führt zu einem „mapping“: Die verbalen und bildhaften Repräsentationen werden aufeinander bezogen und integriert. Mit der konzeptnäheren Verarbeitung von Bildern und der aufwendigeren Enkodierungsleistung bei Text-Bild-Kombinationen lässt sich möglicherweise auch der empirisch gut abgesicherte Befund verstehen, wonach sich ein Behaltensvorteil von multicodal präsentierter Information besonders nach einem längeren Behaltensintervall zeigt. Beim Einsatz multicodaler medialer Angebote im Lernkontext kommt als moderierende Variable die unterschiedliche Vertrautheit der Lernenden mit den Codes, die so genannte Literacy, ins Spiel sowohl beim Umgang mit Sprache wie mit Bildern. Zur „visual literacy“, die genauer „pictorial literacy“ heißen müsste, sei verwiesen auf Pettersson (1994), Moore & Dwyer (1994) und Weidenmann (2006). Die Symbolsysteme als kulturell konventionalisierte Zeichensysteme werden umso effektiver verarbeitet, je mehr Erfahrung die Nutzer mit ihnen sowohl in der Rezipientenrolle wie in der Kommunikatorenrolle haben. Während die sprachlichen Kulturtechniken Lesen und Schreiben im Bildungssystem systematisch trainiert werden, ist die Entwicklung der Kompetenz im Umgang mit Bildern in unseren Schulen ausbaufähig. „Overload“ bei Multicodalität und Multimodalität. Nicht nur im pädagogischen Alltagswissen, sondern auch in der Forschungsliteratur wird thematisiert, ob es bei multicodalen und multimodalen Lernangeboten zu einer Überforderung der Lernenden kommt. So sollen zum Beispiel rasche Bildsequenzen, gleichzeitige komplexe Angebote von Sprache und Bildern, Spezialeffekte usw. eine intensive Verarbeitung des Lernmaterials nicht fördern, sondern erschweren. Bei einem so vielfältigen Angebot bleibe nur noch Kapazität für eine „automatische Enkodierung“ (Sturm, 1984; Friedman, 1979). Dazu passen empirische Befunde, wonach einfaches Lernmaterial intensiver verarbeitet und besser erinnert wird (Britton et al., 1978; Thorson et al., 1985). Zu dieser Hemmungsthese in Bezug auf multicodales und multimodales Material gibt es ergänzende Befunde, die speziell das imaginale Verarbeitungssystem betreffen. Einige stützen die Annahme, dass die Entwicklung bildhafter Vorstellungen gehemmt wird, wenn gleichzeitig Bilder betrachtet werden (Kieras, 1978; Finke, 1985). Greenfield (1984) vertritt die Ansicht, dass filmische Erzählungen im Unterschied zu verbalen Erzählungen keine „Leerstellen“ für Bildgenerierungen durch die Rezipienten lassen. Die Autorin erklärt damit den empirischen Befund, dass Kinder zu auditiv präsentierten Geschichten mehr bildhafte Vorstellungen entwickeln als zu Fernsehgeschichten. Mentale Unterschätzung visueller Lernmaterialien. Als Argument für Multimediaanwendungen wird häufig vorgebracht: „Multimedia ist abwechslungsreich; das motiviert die Lernenden.“ Dieses Argument ist verlockend, weil es davon ausgeht, Abwechslung und Vielfalt von Wort und Bild, von Visuellem und Akustischem, von Statischem und Bewegtem würden die Lerner in besonderem Maße zur intensiven Beschäftigung mit dem Lerngegenstand anregen. Verwiesen wird gerne auf Fernsehen und Computerspiele, mit denen sonst Lernunwillige viel Zeit verbringen, sich selbständig Kenntnisse aneignen, sich nicht ablenken lassen, also die typischen Merkmale motivierten Verhaltens an den Tag

5.2 Der Einfluss von Multicodierung und Multimodalität auf Lernprozesse

81

legen. Aufschlussreich für die Analyse des Zusammenhangs von medialen Codierungen und motivationalen Aspekten des Wissenserwerbs ist die Studie von Gavriel Salomon: „Television is easy and print is tough“ (Salomon, 1984). Salomon legt dieser Studie ein theoretisches Modell zugrunde, wonach die investierte mentale Anstrengung eines Lerners in die Auseinandersetzung mit dem Lernmaterial in einer ausgeprägten positiven Beziehung zum Lernerfolg steht (zur Kritik vgl. Cennamo, 1993, S. 37). Das Modell postuliert weiterhin einen Zusammenhang zwischen der „investierten mentalen Anstrengung“ und Einstellungen der Lerner gegenüber den verwendeten Medien und medialen Präsentationsweisen. Manche Medien, wie z. B. Fernsehen/Video, gelten bei Nutzern als „leicht“; diese sind also überzeugt, dass es wenig Anstrengung bedarf, um damit zu lernen. Andere, wie z. B. das Buch, gelten als „schwierig“. Diese Annahmen konnten in der Studie von Salomon (1984) tendenziell bestätigt werden. In anderen Studien zeigte sich außerdem, dass beim Lernen mit Text mehr Inferenzen, d. h. über das unmittelbare Präsentierte hinausgehende Folgerungen, gebildet wurden als beim Betrachten eines Filmes (vgl. Meringoff, 1980; Greenfield, 1982). Erfolge beim Lernen mit Text schreiben Lerner eher der eigenen Begabung oder Anstrengung zu, Erfolge beim Lernen mit Fernsehen/Video eher dem medialen Angebot (Salomon & Leigh, 1984). Die Übersichtsdarstellung von Cennamo (1993) zeigt allerdings, dass zumindest erfahrene Lerner differenzieren. So meinen Studenten, dass intellektuelle Fähigkeiten leichter mit Büchern als mit Fernsehen/Video zu erwerben seien. Dass Einstellungen gegenüber Lernmedien auch bei den Lehrern anzutreffen sind, zeigt eine Studie von Issing (1976); die meisten Lehrer scheinen Schulfunk und Schulfernsehen als „leicht“ zu bewerten und setzen sie deshalb vorwiegend zur Auflockerung des Unterrichts und weniger als Lernmedien ein. Interaktivität. Die eben referierten Beiträge weisen darauf hin, dass multimediale, multicodale und multimodale Lernangebote zwar als angenehm und interessant erlebt, aber unter Umständen weniger intensiv verarbeitet werden, weil zum einen bildhafte Darstellungsformen (besonders wenn sie durch Bewegung, Farbe usw. realitätsnah sind) eher als „leicht“ perzipiert werden und zum anderen der Wechsel bzw. das gleichzeitige Angebot an bildhaften und verbalen Codes eine nur oberflächliche Encodierung zulassen. Simpson (1994) weist jedoch darauf hin, dass es weniger die Vielfalt als die fehlende Möglichkeit zur Interaktivität sei, die etwa beim Fernsehen zum passiven Rezipieren verurteile und „natürliche“ Lernprozesse verhindere. Zur Unterstützung dieser These zitiert er das Ergebnis einer Metaanalyse (Fletcher, 1990), wonach Instruktion per interaktivem Video im Durchschnitt eine halbe Standardabweichung besser abschneidet als dies bei Lernangeboten ohne die Möglichkeit zur Interaktivität der Fall ist. Interesse und Aufmerksamkeit. Die Beliebtheit bestimmter Medien, Multicodierungen und Multimodalitäten bei den Lernern könnte erwarten lassen, dass sich damit auch eher Interesse für den Lerngegenstand wecken lässt (vgl. Krapp & Prenzel, 1992). Kennzeichnend für Interesse ist u. a., dass die intensive Beschäftigung mit dem Lerngegenstand als hochbefriedigend erlebt wird (zum Flow-Erleben vgl. Csikszentmihalyi, 1985) und sich durch die enge Person-Gegenstands-Beziehung eine differenziertere Wissensstruktur herausbildet. Der positive Zusammenhang zwischen thematischem Interesse und Wissenserwerb ist gut dokumentiert (Schiefele, 1990, 1991). Als notwendige Bedingung für eine intensive Beschäftigung mit Lernmaterial muss die Ausrichtung der Aufmerksamkeit auf das Lernmaterial angesehen werden. Zur Rolle von Codierungen und Modalitäten hierbei gibt es Befunde vor allem in der Werbepsychologie, kaum im Bereich der Lehr-Lern-Forschung. Bilder sind demnach besser als Texte geeignet, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Speziell Bilderwechsel und bewegte Bilder stellen Ereignisse im Wahrnehmungsfeld dar, auf die man automatisch, d. h. unbewusst und unwillentlich, reagiert (Kröber-Riel, 1993). Bildmerkmale wie Farbe und Größe, emotionale Inhalte sowie der

82

5 Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen

Faktor Überraschung sind besonders geeignet, Aufmerksamkeit zu wecken (vgl. Berlyne, 1974). Zusammenhänge zwischen Modalität und Codierung eines medialen Lernangebotes einerseits und Aspekten der Lernmotivation andererseits sind aber bislang kaum untersucht. In der Unterrichtforschung gut bekannt ist allerdings der Neuigkeitseffekt, der regelmäßig zu Lernvorteilen führt, wenn Lerner mit einem neuen Lernmedium arbeiten. Clark & Salomon (1986) führen ihn nicht nur darauf zurück, dass ein neues technisches Medium, wie seinerzeit der Computer, die Neugier weckt, sondern dass bei neuen Anwendungen auch das instruktionale Material auf eine neuartige Weise präsentiert wird. Nach den bisherigen Erfahrungen verschwindet dieser Effekt bei längerer Beschäftigung mit dem medialen Angebot.

5.3

Didaktische Anregungen für multimediale, multicodale und multimodale Lernangebote

In der instruktionspsychologischen Literatur findet sich eine Vielzahl von Gestaltungsprinzipien zum instruktionalen Design. Sie sind in der Regel nach Codierungen gruppiert. So gibt es spezielle Anregungen zur Gestaltung von Lerntexten (Ballstaedt, 1991), andere zur Gestaltung von Bildern (Weidenmann, 1994a) sowie zur Gestaltung von Text-Bild-Kombinationen (Fleming & Levie, 1993). In ihnen findet man Hinweise darauf, wie spezielle piktoriale und verbale Subcodes genutzt werden können, um die Aufmerksamkeit der Lerner zu steuern, Interesse und mentalen Einsatz zu stimulieren, den Wissenserwerb zu erleichtern und das Lernen interessant zu gestalten. Übereinstimmung besteht darin, dass bloßes „enrichment“ und Effekte um der Effekte willen wirkungslos, bisweilen sogar nachteilig sind. Sinnvoller Einsatz von Multimodalität und Multicodalität. Beim Einsatz multimodaler und multicodaler Lernangebote sollte man Befunde beachten (siehe oben), die zeigen, dass die Sinne und der Arbeitsspeicher anfällig für Überlastung und Interferenzen sind. Wie die Ausführungen zum Modalitätseffekt nahelegen, sollte man das Informationsangebot auf unterschiedliche Sinnesmodalitäten verteilen und auch unterschiedliche Codierungen benutzen. Meistens wird bei Lernmaterialien nur die visuelle Modalität angesprochen (Text, Bilder). Die Einbeziehung der auditiven Modalität in Multimediaanwendungen sollte konsequenter erfolgen. Gesprochene Sprache ist einprägsam (zum phonologischen Speicher vgl. Baddeley, 1986; Engelkamp, 1991), weckt Aufmerksamkeit und wirkt – wegen der paraverbalen Zusatzinformationen (Stimme, Ausdruck usw.) – auch persönlicher als gedruckte Sprache. Die Einbeziehung der auditiven Modalität sollte, wie aus den oben referierten Studien deutlich wird, besonders dann erwogen werden, wenn die visuelle Modalität durch das Lernangebot stark beansprucht wird. Es ist entlastend, wenn die Erläuterung von komplexen Bildern oder Bilderfolgen nicht ebenfalls visuell (durch Text), sondern auditiv (gesprochener Kommentar) präsentiert wird. Die Lernenden müssen dann – wie oben ausgeführt – nicht mit dem Blick zwischen Bild und Text hin- und herspringen (Split-Attention). Außerdem kann der auditiv aufgenommene Kommentar die Blickbewegung bei der Bildbetrachtung steuern und die Betrachtungszeit verlängern. Zu beachten ist allerdings, dass gesprochene Texte von den Lernenden erhebliche Konzentration verlangen. Mehr als 120–150 Worte pro Minute – das liegt deutlich unter der üblichen Sprechgeschwindigkeit – sollten nicht überschritten werden (Rinck & Glowalla, 1996).

5.3 Didaktische Anregungen für multimediale, multicodale und multimodale Lernangebote

83

Multimodalität und Multicodalität wirken sich nachteilig aus, wenn die Informationsangebote schlecht koordiniert bzw. synchronisiert sind. Die Medienwissenschaft benutzt den Begriff „Text-Bild-Schere“, um eine semantische Diskrepanz zwischen gleichzeitig präsentierten verbal und piktorial kodierten Botschaften zu bezeichnen. Mit der Vielfalt an Codierungen und angesprochenen Modalitäten wächst prinzipiell die Anforderung an die Nutzer, ihre begrenzte Aufmerksamkeit optimal zu verteilen und die Informationsangebote semantisch kohärent zu integrieren (Ballstaedt, 1990; Mevarech et al., 1992; Nugent, 1982). Unterstützung der Lernenden bei der Konstruktion mentaler Modelle. Mentale Modelle (JohnsonLaird, 1983; Gentner & Stevens, 1983; Dutke, 1994) sind Mischformen von bildhaften und propositionalen Repräsentationen. Der Vorzug dieser Repräsentation von Realitätsausschnitten liegt darin, dass verschiedene Veränderungszustände vor dem „inneren Auge“ simuliert werden können. Wer z. B. zur Funktion eines Gerätes ein adäquates mentales Modell aufgebaut hat, kann bei einer Störung die möglichen Folgen eines Reparaturversuches mental antizipieren. Je mehr dieses Resultat durch explizites schlussfolgerndes Denken erfolgt (ein Indiz wäre z. B., wenn beim Nachdenken subliminal oder halblaut gesprochen wird), desto eher sind die propositionalen Repräsentationselemente des mentalen Modells zur Geltung gekommen. Meistens werden die dynamischen Zustandsveränderungen und deren Resultate jedoch quasi bildhaft in der Vorstellung „abgelesen“; hierbei manifestiert sich die Bedeutung imaginaler Vorstellungen für mentale Modelle. Für das Design von multimedialen, multicodalen und multimodalen Lernangeboten für den Wissenserwerb ist das Konzept der mentalen Modelle sehr fruchtbar. Bei einem konkreten Lernziel sollte zuerst das erwünschte mentale Zielmodell bestimmt und dann gefragt werden, welche medialen Angebote für den Lernenden bei der Konstruktion welcher Elemente des mentalen Modells hilfreich sein könnten. Die hauptsächlich anzutreffenden Codierungen Text und Bild unterscheiden sich z. B. wesentlich darin, wie sie zu einem mentalen Modell beitragen können. „Ein Text führt zur Konstruktion einer propositionalen Repräsentation, die es dann ermöglicht, ein entsprechendes mentales Modell zu konstruieren. Eine Grafik jedoch, als eine externale analoge Repräsentation, ermöglicht eine relativ direkte Konstruktion eines mentalen Modells, wobei das Individuum ein „mapping“ von Einheiten der Grafik (bzw. der wahrgenommenen Struktur) auf Einheiten des Modells vornimmt ebenso wie ein „mapping“ von visuell-räumlichen Beziehungen auf semantische Beziehungen des Modells“ (Schnotz, 1993, S. 248f., übersetzt durch Verfasser). Die multiplen Repräsentationsformen, die charakteristisch für mentale Modelle sind, legen auch eine multicodale Enkodierung der Informationen für die Konstruktion eines mentalen Modells nahe. Dafür eignet sich computergestütztes Lernen besonders gut. Die dynamischen Charakteristika von mentalen Modellen, der Wechsel zwischen unterschiedlichen Zuständen und ihre Auswirkungen, können durch Präsentationsweisen unterstützt werden, die Dynamik vorführen oder die sich durch die Lerner auf Wunsch dynamisieren lassen. Topografische Informationen (etwa das Aussehen von Elementen eines Gerätes und ihre räumliche Anordnung) lassen sich am besten durch bildhafte Codierungen, also durch Abbildungen und schematisierte Grafiken, präsentieren. Logische und strukturelle Aussagen, also Bezeichnungen, Regeln, Prinzipien, lassen sich bevorzugt sprachlich kodieren. Sprache ist bei multicodalen und multimodalen Lernangeboten auch notwendig, um den prinzipiellen Bedeutungsüberschuss, die Vieldeutigkeit von piktorialen Darstellungen einzugrenzen, um den Blick zu lenken und die Aufmerksamkeit zu steuern.

84

5 Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen

Wichtiger als die Präsentationsweisen ist die Methode. Die aktuelle Diskussion um Multimedia fokussiert auf die Bedeutung medialer Präsentationsweisen für den Lernprozess. Damit wiederholt sich eine Phase der Lehr-Lern-Forschung, die für die 1960er Jahre charakteristisch war. Ein Unterschied ist allerdings festzuhalten: Während seinerzeit die Suche nach „wirksamen“ Medienattributen dominierte und sich dafür eine intensive unterrichtstechnologische Forschung entfaltete (vgl. Dallmann & Preibusch, 1974), ist heute der Optimismus verbreitet, dass die durch neue Technologien ermöglichte Vielfalt an Medien, Codes und Modalitäten das Lernen verbessern werde. Diese Orientierung läuft Gefahr, dass zugunsten der Oberfläche der medialen Angebote deren inhaltliche Struktur aus dem Blickfeld gerät. Die Geschichte der Lehr-Lern-Forschung ist aber als Lektion dafür zu lesen, dass es primär die Struktur, die realisierte didaktische Strategie in Lernangeboten ist, die den Lernprozess maßgeblich beeinflusst. Am konsequentesten vertritt Clark (1983, 1994) diese Position. Empirische Unterschiede beim Vergleich medialer Lernangebote sind demnach auf die inhärente Methode, das „Treatment“, zurückzuführen. Das technische Medium ist laut Clark lediglich Transportmittel und irrelevant für den Lernprozess. Allenfalls kann das eine Medium ökonomischer oder komfortabler sein als ein anderes. Die kognitiven Prozesse, die zum Lernen erforderlich sind, werden dagegen durch die Methode, d. h. durch die Strukturierung des Inhalts im jeweiligen medialen Angebot, beeinflusst. Diese Erkenntnis ist folgenschwer für das Thema dieses Beitrages, weil sie die Bedeutung von Multimedia, Multicodierung und Multimodalität für den Lernprozess relativiert. Für die Gestaltung multimedialer Angebote wären demnach zuerst Struktur-, Strategie-, Methodenentscheidungen zu treffen und erst danach zu fragen, mit welchen Medien, Codierungen, Modalitäten usw. sie sich am besten umsetzen lassen. Dies soll am Beispiel der Anwendung konstruktivistischer Lernprinzipien in ein mediales Angebot (Duffy & Jonassen, 1992) illustriert werden. Die konstruktivistische Orientierung zielt auf eine Lernumgebung, die sich auszeichnet durch Authentizität, Situiertheit, multiple Kontexte, multiple Perspektiven und sozialen Kontext (Gerstenmaier & Mandl, 1994). Solche Merkmale definieren ein Treatment sensu Clark und sind ihm zufolge entscheidend für den Lernprozess. Struktur-Prinzip „Authentizität und Situiertheit“: Die „anchored instruction“, d. h. die Verankerung der Lerninhalte in anregende Episoden (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990; Young, 1993), soll dem Erwerb von nur „trägem Wissen“ entgegenwirken. Durch die Kontextualisierung der Inhalte in realistische, komplexe Situationen erschließt sich für die Lernenden der Bezug zu ihrer Alltagserfahrung und zur Anwendung. Die Umsetzung dieser Prinzipien ist nicht an bestimmte Medien, Codierungen und Modalitäten gebunden. Vehikel (sensu Clark) für Authentizität und Situiertheit kann ein narrativer Lehrvortrag sein ebenso wie ein bebilderter Lerntext, ein Video oder ein Computerprogramm. Es liegt allerdings nahe, bildhafte Codierungen, evtl. auch auditive (Originalgeräusche usw.) einzusetzen, weil ihre Perzeption derjenigen von realen Situationen am nächsten kommt. In besonderer Weise bieten sich auch technische Medien an, die Interaktivität erlauben; der Lerner kann somit in die präsentierte Situation eingreifen und die Folgen beobachten. Ein authentisches und situiertes Treatment lässt sich also durch Multimedia, Multicodierung und Multimodalität besonders gut realisieren. Strukturprinzip „Multiple Kontexte und Perspektiven“: Dieses Prinzip soll vor allem kognitive Flexibilität (Spiro et al., 1991) fördern. Der Lerninhalt soll in vielfältiger Weise vom Lerner kognitiv repräsentiert und gespeichert werden, damit dieser sein Wissen später in unterschiedlichen Aufgabenkontexten und Verwendungssituationen flexibel nutzen kann. Außerdem sollen damit Querverbindungen und Abgrenzungen zu ähnlichen Wissensinhalten erleichtert werden. Multimediale Techniken, wie sie durch den Computer als Leitmedium bereitgestellt werden, z. B. Hypermedia-Anwendungen, weisen

5.4 Zusammenfassung

85

eine Reihe von Möglichkeiten auf, die speziell für das Ziel der kognitiven Flexibilität geeignet erscheinen. Der rasche Zugriff auf gewünschte Informationen, die Möglichkeit, auf dem Bildschirm verschiedene Fenster nebeneinander betrachten zu können sowie die Einrichtung neuer Verknüpfungen durch den Lerner geben in hohem Maße Raum für jene Prozesse, die für diese Methodik zentral sind: vergleichen, überprüfen, elaborieren, explorieren. Hier erweist sich das Lernangebot als „kognitives Werkzeug“ für die Lernenden (Kommers u. a., 1992). Strukturprinzip „Lernen im sozialen Kontext“: Die Zusammenarbeit und Verständigung mit anderen Lernenden sowie mit Experten (zum Ansatz des „cognitive apprenticeship“ siehe Collins et al., 1989) legt Lernumgebungen und Lernformen nahe, in denen soziale Interaktion möglich, ja notwendig ist. Multimedia, Multicodierung und Multimodalität sind hierfür nicht erforderlich, wie die Erfahrungen mit sog. Projektmethoden zeigen, die mit wenigen Hilfsmitteln auskommen. Andererseits haben sich interessante Formen des Online-Lernens entwickelt, bei denen Lernteams gemeinsam ein mediales Lernangebot bearbeiten, Lernmaterialien erstellen sowie Lernergebnisse dokumentieren und mit anderen auszutauschen.

5.4

Zusammenfassung

Aus der Sicht der dargestellten Befunde und Analysen sind die bekanntesten „naiven“ Argumente für Multimedia, Multicodierung und Multimodalität korrekturbedürftig. •





Das Argument: „Multimedia spricht mehrere Sinneskanäle an und verbessert so das Behalten“, wäre zu ersetzen durch: „Multicodierte und multimodale Präsentation kann in besonderer Weise die Verarbeitung von Lernmaterial intensivieren und eine mentale Multicodierung des Lerngegenstandes durch den Lerner stimulieren. Dies verbessert die Verfügbarkeit des Wissens.“ Statt: „Multimedia ist abwechslungsreich. Das motiviert die Lerner“, wäre treffender: „Mit Multicodierung und Multimodalität gelingt es besonders gut, komplexe authentische Situationen realitätsnah zu präsentieren und den Lerngegenstand aus verschiedenen Perspektiven, in verschiedenen Kontexten und auf unterschiedlichen Abstraktionsniveaus darzustellen. Dies fördert Interesse am Gegenstand, flexibles Denken, die Entwicklung adäquater mentaler Modelle und anwendbares Wissen.“ Das beliebte Argument: „Multimedia aktiviert die Lerner“, wäre zu verändern in: „Interaktive multicodale und multimodale Lernangebote eröffnen den Lernenden eine Vielfalt von Aktivitäten. Dies erweitert das Spektrum ihrer Lernstrategien und Lernerfahrungen.“

Rückblickend ist aus dem ersten Abschnitt festzuhalten, dass die Bedeutung von Codierung und Modalität, die ein mediales Lernangebot beim Lerner anspricht, durch die Kategorie „Multimedia“ nicht erfasst, sondern eher verdeckt wird. Man sollte mediale Angebote besser in Bezug auf alle drei Dimensionen - technisches Medium, Codierung und Modalität - beschreiben. Der zweite Abschnitt hat gezeigt, dass es zwar eine Reihe von wissenschaftlichen Beiträgen zur Rolle von Multicodierung und Multimodalität für den Lernprozess gibt, weitere Forschung jedoch notwendig ist. Als Zusammenfassung des Abschnitts „Didaktische Anregungen“ lässt sich resümieren, dass die Gestaltung des medialen Lernangebotes darauf abzielen sollte, die Auseinandersetzung der Lernenden mit dem Lerngegenstand zu optimieren. Das bedeutet vor allem eine optimale mediale Präsentation des Lerngegenstandes und

86

5 Multimedia, Multicodierung und Multimodalität beim Online-Lernen

eine optimale mediale Unterstützung der Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand. Dabei sollen Medien, Codierungen und angesprochene Modalitäten „das Bemühen maximieren, das die Lernenden für die Arbeit mit dem Inhalt aufbringen und die Anstrengung minimieren, die sie benötigen, um den Inhalt zu erfassen“ (Cennamo, 1993, S. 37, übersetzt durch Verfasser).

6

Online-Lernen mit Texten und Bildern

Wolfgang Schnotz & Holger Horz

Online-Medien bestehen im Wesentlichen aus visuell oder auditiv dargebotenen Texten und statischen oder dynamischen Bildern. Statische Bilder lassen sich in realistische Bilder und Diagramme unterteilen. Diagramme enthalten im Unterschied zu realistischen Bildern Bildzeichen, die zwar dem dargestellten Sachverhalt nicht in ihrer konkreten Erscheinungsform ähneln, jedoch mit ihm auf einer abstrakteren Ebene durch gemeinsame Strukturmerkmale verbunden sind. Bei der kognitiven Verarbeitung von Texten, Bildern und Diagrammen kann man präattentive subsemantische Prozesse und attentive semantische Prozesse unterscheiden. Bei der integrativen Verarbeitung von Texten, Bildern und Diagrammen führen automatisierte subsemantische Prozesse zur Wahrnehmung einer bestimmten grafischen Konfiguration (Text- bzw. Bildoberfläche). Die bewusste, konzeptgeleitete semantische Weiterverarbeitung der Text- und Bildoberfläche, führt dann zur Konstruktion eines mentalen und propositionalen Modells des dargestellten Sachverhalts, die sich in ihrer Konstruktion gegenseitig unterstützen. Schlüsselbegriffe: Bild-Text-Verstehen, Multimedia-Lernen, depiktionale Repräsentation, deskriptionale Repräsentation, mentales Modell, propositionale Repräsentation

88

6.1

6 Online-Lernen mit Texten und Bildern

Wissenserwerb mit Texten und Bildern in Online-Medien

Eine Besonderheit von Online-Medien ist, dass sie in der Regel Informationen in hyper- und multimedialer Form anbieten. Von Hypermedien spricht man, wenn verschiedene Medien (Bilder, Texte, Animationen etc.) miteinander durch Hyperlinks verknüpft werden. Dieser Begriff der Hypermedien wurde ebenso wie der Begriff „Multimedia“ durch die rasche Verbreitung des Computers und des Internets in den 1990er Jahren populär. Als multimedial sind jedoch keineswegs nur digitale (Lern-)Medien zu bezeichnen, die multiple Technologien kombinieren, sondern alle Arten der Informationsvermittlung, die verschiedene Präsentationsformen verwenden und/oder die verschiedene Sinnesmodalitäten ansprechen. Multimediale Informationsressourcen enthalten daher Informationen, in denen Sachverhalte mittels verschiedener Kodierungsformen wie z. B. Bildern und Texten (Multikodalität) dargestellt und meist mittels verschiedener Sinnesmodalitäten rezipiert werden (z. B. Texte in gedruckter Form durch die Augen und in gesprochener Form durch das Ohr; Multimodalität). Entsprechend dieser Definition sind nahezu alle Lehrbücher, Lehrfilme oder Unterrichtsformen multimedial. Wenn man aber die Interaktivität von Medien als ein Kennzeichen von Multimedia mit einbezieht, kennzeichnet dieser Begriff insbesondere computergestützte Lernmedien. Online-Medien nutzen unterschiedliche Formen der Informationsdarbietung. Hierzu gehören vor allem Texte, realistische Bilder und logische Bilder. Zu den realistischen Bildern zählen z. B. einfache Strichund Umrisszeichnungen, naturalistische Gemälde sowie Fotografien – also grafische Darstellungen, die eine mehr oder weniger große Ähnlichkeit mit dem dargestellten Gegenstand besitzen. Zu den logischen Bildern zählen z. B. Struktur- und Flussdiagramme, Kreisdiagramme, Säulendiagramme, Liniendiagramme – also grafische Darstellungen abstrakterer Sachverhalte, die zum Teil gar nicht unmittelbar wahrnehmbar sind. Im Folgenden werden realistische Bilder der Einfachheit halber als Bilder und logische Bilder als Diagramme bezeichnet.

6.2

Texte in Online-Medien

6.2.1

Text und Hypertext

Texte sowohl in geschriebener als auch in gesprochener Form (z. B. als Audiofile in einer multimedialen Lernumgebung) stellen in Online-Medien ein „Leitmedium“ (Schnotz, 2006) dar. Texte stellen zusammenhängende Informationsressourcen in gesprochener und geschriebener Sprache dar, die aus per Konventionen festgelegten Symbolen (Phoneme, Silben, Worten, Sätzen) bestehen. In Abhängigkeit der Kultur bestehen sehr unterschiedliche Formen, wie diese Konventionen umgesetzt werden. Während Texte seit Jahrhunderten genutzt werden, um Informationen zu vermitteln und zu archivieren, stellen Hypertexte eine vergleichsweise neue Form der Textrepräsentation dar. Zwar wurden Hypertex-

6.2 Texte in Online-Medien

89

te bereits vor der Erfindung des Computers z. B. mittels „Lesemaschinen“ präsentiert (siehe Foucault, 1989), jedoch wurden erst durch die stark angestiegene Verbreitung von Computern als Informationsmedien Hypertexte in zunehmender Zahl als Lernmedien eingesetzt, da sie in computergestützten Lernumgebungen einfacher realisiert werden können als in anderen Medien. Hypertexte erlauben höhere Freiheitsgrade beim Lernen als konventionelle Texte in ihrer Gestaltung. So können Redundanzen vermieden werden, indem Hyperlinks zu Textteilen an die Stellen gesetzt werden, an denen in konventionellen Texten in der Regel redundante Textabschnitte verwendet werden. Vielfach wird vermutet, dass die netzwerkartige Darstellung von Informationen in Hypertexten einen Lernvorteil an sich darstellt, weil in kognitivistischen Modellen des Langzeitgedächtnisses auch von einem netzwerkartigen Aufbau der Wissensrepräsentationen ausgegangen wird. Diese „kognitive Plausibilitätshypothese“ (Schulmeister, 1997) ist jedoch widerlegt (Rouet & Levonen, 1996).

6.2.2

Verstehen von Texten in Online-Medien

Heute gehen die meisten Kognitionspsychologen davon aus, dass sowohl beim Verstehen von Texten – ebenso wie auch beim weiter unten dargestellten Verstehen von Bildern und Diagrammen – multiple mentale Repräsentationen gebildet werden. Dabei wird vor allem zwischen Repräsentationen in Form von Propositionen und Repräsentationen in Form von mentalen Modellen unterschieden. Propositionen sind komplexe interne Symbole, die ähnlich wie die Sätze der natürlichen Sprache nach bestimmten syntaktischen Regeln aus einfacheren Symbolen zusammengesetzt sind. Eine Proposition besteht aus einem Relationssymbol, dem sog. Prädikat, und aus einem oder mehreren Symbolen für Entitäten, die durch das Prädikat zu einer Einheit verknüpft werden. Beispielsweise wird durch die Proposition „ESSEN (agent: ADAM, objekt: APFEL)” ausgedrückt, dass Adam einen Apfel isst, dass also zwischen der Entität ADAM und der Entität APFEL die Relation ESSEN besteht. Propositionale Repräsentationen sind deskriptionale Repräsentationen. Mentale Modelle sind analoge mentale Repräsentationen – sozusagen interne Objekte, die in einer Struktur- oder Funktionsanalogie zu dem dargestellten Gegenstand stehen (Johnson-Laird & Byrne, 1991). Ein mentales Modell repräsentiert einen Sachverhalt aufgrund seiner inhärenten Struktureigenschaften und ist demnach den depiktionalen intrinsischen Repräsentationen zuzurechnen. Mentale Modelle sind nicht identisch mit bildhaften Vorstellungen des jeweiligen Gegenstands: Wie bei anderen analogen Modellen können repräsentierte und repräsentierende Merkmale auch voneinander verschieden sein. Die Konstruktion mentaler Repräsentationen anhand von Texten basiert auf einem Wechselspiel von auf- und absteigenden Schemaaktivationen: Durch absteigende Aktivation werden bestimmte anforderungs- bzw. zielrelevante Informationen selegiert, und durch die Interaktion auf- und absteigender Aktivationsprozesse bildet sich jeweils eine bestimmte Schemakonfiguration heraus, die am besten zu der vorliegenden Textinformation passt und diese in ein kohärentes Ganzes integriert. Verbale Organisationsprozesse verarbeiten die Sprachinformation nach syntaktischen und morphologischen Gesichtspunkten und führen zu einer strukturierten mentalen Repräsentation der Textoberfläche. Konzeptuelle Organisationsprozesse verarbeiten die Textoberflächenrepräsentation und führen zu einer strukturierten propositionalen Repräsentation und einem mentalen Modell. Das Lesen eines visuell dargebotenen Texts und das Hören eines auditiv dargebotenen Texts scheinen sich hinsichtlich der höheren kognitiven Prozesse, also der Konstruktion einer propositionalen Repräsentation und eines mentalen Modells, nicht wesentlich voneinander zu unterscheiden. Hingegen unter-

90

6 Online-Lernen mit Texten und Bildern

liegt die Konstruktion der Oberflächenrepräsentation jeweils deutlich unterschiedlichen Bedingungen. Ein schriftlicher Text wird normalerweise durch einen permanent verfügbaren, stabilen Zeichenträger (z. B. ein Printmedium) dargeboten. Der Leser kann somit bei Bedarf zurückgehen, um NichtVerstandenes erneut zu verarbeiten, um weitere Bezüge herzustellen usw. Die Informationsverarbeitung erfolgt hier zeitlich relativ selbstgesteuert. Bei einem auditiv dargebotenen Text ist der Zeichenträger – die akustischen Schallwellen – dagegen meist flüchtiger Natur. Eine bei der Informationspräsentation versäumte kognitive Verarbeitung kann später nicht mehr nachgeholt werden, wenn keine gesonderte technische Funktion zum erneuten Aufruf des betreffenden Audiofiles angeboten wird. Ein erneuter Aufruf eines Audiofiles erfolgt in der Regel aber nur in vollem Umfang des betreffenden Textes, so das ein gezieltes Auswählen einer erneut anzuhörenden Textpassage meist nur sehr eingeschränkt möglich ist. Informationsaufnahme und -verarbeitung erfolgen hier meist zeitlich fremdgesteuert und machen in der Regel eine kontinuierliche Aufmerksamkeitszuwendung erforderlich.

6.2.3

Gestaltung von Texten in Online-Medien

Der erfolgreiche Einsatz von (Hyper-)Texten in Online-Medien hängt von ihrer Gestaltung ab. Die Qualität der Gestaltung wird durch eine Vielzahl von Oberflächenmerkmalen wie Schriftart und Schriftgröße, aber auch von inhaltlichen Merkmalen wie Wort- und Satzlänge, Textkomplexität und ordnung, Prägnanz und motivierende Textgestaltung bedingt. Während für Oberflächenmerkmale empirisch gut gesicherte Standards existieren (zsf. Ballstaedt, 1997), gibt es nur wenige, eher globale inhaltlichen Kriterien zur Beurteilung der Qualität eines Textes. Zur inhaltlichen Gestaltung eines Textes werden bis heute die Kriterien des „Hamburger Verständlichkeitskonzeptes“ genutzt (Langer, Schulz von Thun & Tausch, 1974). Aus Sicht dieses Konzepts sollten Texte anhand von vier zentralen Qualitätsdimensionen gestaltet werden: 1. Sprachliche Einfachheit Ein Text sollte kurze, einfache Formulierungen verwenden. Wenn möglich, sollten geläufige, konkret-anschauliche Wörter genutzt werden. Insbesondere für Online-Texte gilt, dass kurze Formulierungen besser geeignet sind, da Texte am Bildschirm langsamer gelesen werden als auf papierbasierten Medien und auch die Leser schneller ermüden (Nielsen, 1997a, b). 2. Gliederung/Ordnung Ein Text sollte eine klar erkennbare äußere Gliederung haben (z. B. inhaltlich aufeinander bezogene Teile werden unter einer Überschrift dargestellt, Wesentliches ist hervorgehoben etc.). Zudem sollte eine logische innere Ordnung vorhanden sein, in der Informationen aufeinander bezogen dargestellt werden, so dass ein roter Faden im Textaufbau erkennbar wird. Speziell bei der kognitiven Verarbeitung von Hypertexten zeigte sich eine rezeptionsförderliche Wirkung von Gliederungen und grafischen Übersichten (u. a. Müller-Kalthoff & Möller, 2005). 3. Kürze/Prägnanz Texte sollten sich auf notwendige Formulierungen beschränken und keine weitschweifigen und/oder redundanten Darstellungen, aber auch nicht ein Übermaß an semantischer Verdichtung enthalten. Vor allem Hypertexte ermöglichen durch Verlinkung von Elementen die Vermeidung von überflüssiger Redundanz in einem Text.

6.3 Bilder in Online-Medien

91

4. Zusätzliche Stimulanz Ein Text sollte stimulierend in seiner Wortwahl verfasst sein, damit die Leser motiviert werden, ihn vollständig zu rezipieren. Weitere Kriterien zur Gestaltung von Online-Texten ergeben sich aus der Tatsache, dass sich im Arbeitsgedächtnis nur eine sehr begrenzte Informationsmenge gleichzeitig befinden kann und somit nur das jeweilige Thema eines Textteils im Fokus der Aufmerksamkeit sein kann. Lernende müssen deshalb wissen, wovon im Augenblick die Rede ist, um im Falle eines Themenwechsels den Fokus entsprechend verschieben zu können (Chafe, 1994; Gernsbacher, 1990). Die hierzu erforderlichen Steuerungssignale werden jeweils durch Topic-Angaben vermittelt. In jedem Satz und jedem größeren Textsegment kann man zwei Informationskomponenten unterscheiden: den Topic und den Comment. Der Topic gibt an, worüber etwas ausgesagt wird; der Comment gibt an, was darüber ausgesagt wird (Halliday, 1970). Der Leser identifiziert jeweils die Topic-Angabe, vergleicht sie mit dem bisher fokussierten Referenten und behält je nach Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung den Fokus bei oder sucht innerhalb der mentalen Repräsentation nach einem neuen Referenten. Dabei wird dem Hörer oder Leser signalisiert, ob ein Topic-Wechsel stattgefunden hat und ob eine kleine oder große Fokusverschiebung notwendig ist. Außerdem wird ihm signalisiert, wo der neue Topic zu suchen ist und anhand welcher Merkmale er identifiziert werden kann (Givón, 1983). Ein weiteres für das Verständnis eines Textes zentrales Merkmal ist der Grad der Textkohärenz. In der Regel bestehen Texte aus Sätzen, die aufeinander bezogen sind, um einen Inhalt kohärent zu beschreiben. Dabei kann man zwischen der lokalen und der globalen Textkohärenz unterscheiden. Während sich die lokale Textkohärenz allein auf den thematischen Zusammenhang zwischen unmittelbar aufeinanderfolgenden Sätzen bezieht, bezeichnet die globale Textkohärenz den thematischen Zusammenhang aller Sätze eines Textes bezüglich dessen Themas. Das Verständnis eines Textes ist einfacher, wenn eine hohe lokale und insbesondere hohe globale Textkohärenz vorliegt und wenn die Themen eines Textes kontinuierlich aufgebaut werden (Schnotz, 1994).

6.3

Bilder in Online-Medien

Neben Texten nutzen Online-Medien im Wesentlichen statische oder dynamische Bilder (Animationen) als Informationsmedien. Im Unterschied zu Texten verwenden Bilder Zeichen, die mit dem bezeichneten Sachverhalt aufgrund gemeinsamer Strukturmerkmale verknüpft sind. In Online-Medien können Bilder sehr verschiedene Funktionen haben. Werden Bilder allein aus ästhetischen, dekorativen Gründen eingesetzt, ist davon auszugehen, dass diese den Lernprozess behindern, da sie bei der Informationsverarbeitung einer Lernumgebung kognitive Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses beanspruchen, ohne dass lernrelevante kognitive Prozesse ausgelöst oder erleichtert werden. Daher werden dekorative Bilder in Informationsmedien auch als „seductive details“ bezeichnet (Harp & Mayer, 1998), da gezeigt werden konnte, dass vielfach die dekorativen Bilder, jedoch nicht die relevanten Informationen behalten wurden (zsf. Fisch, 2004). Inwiefern aber dekorative Bilder eine motivationsstützende Funktion haben, so dass Informationen gründlicher bearbeitet werden, ist bisher nicht eindeutig geklärt.

6 Online-Lernen mit Texten und Bildern

92

Enthalten Bilder jedoch für das Informationsangebot eines Online-Mediums relevante Information, kann der Informationsrezeptionsprozess substanziell durch Bilder unterstützt werden. So können Bilder Inhalte veranschaulichen, konkretisieren und dementsprechend deren Verständnis erleichtern. Zudem kann das Interesse der Rezipienten eines Online-Mediums geweckt und während der Informationsrezeption aufrechterhalten werden. Darüber hinaus können Bilder die Darstellung komplexer Inhalte und Inhaltsstrukturen vereinfachen, so dass diese schneller sachrichtig mental repräsentiert werden können, was auch zu einer verbesserten Behaltensleistung und Verarbeitungstiefe der rezipierten Informationen führen kann.

6.3.1

Bilderarten

Neben der Unterscheidung zwischen dynamischen und statischen Bildern haben sich eine Reihe weiterer Kategorisierungssysteme entwickelt, um verschiedene Arten von Bildern zu unterscheiden. Bilder lassen sich nach dem Grad der realitätsgetreuen Darstellung des dargestellten Objekts unterscheiden. So zeichnen sich Fotografien und realistische Zeichnungen durch eine hohe Realitätsnähe aus. Skizzen und vereinfachte Abbildungen enthalten meist wenig detaillierte, reduzierte Abbildungen zentraler Elemente des abgebildeten Objekts. Schematische Bilder repräsentieren nur noch einzelne Elemente eines Objekts (siehe Abb. 6.1).

Abb. 6.1:

Bilder mit unterschiedlichen Realismusgrad

Bei realistischen Bildern besteht eine konkrete Form der strukturellen Übereinstimmung mit dem repräsentierten Gegenstand, indem Höhe durch Höhe, Breite durch Breite, Farbe durch Farbe usw. dargestellt wird. Bilder sind insofern eine konkrete Form ikonischer Zeichen. Diagramme (logische Bilder) hingegen sind durch eine abstrakte Form der strukturellen Übereinstimmung mit dem Gegenstand gekennzeichnet, die auf einer Analogierelation basiert. Beispielsweise können in einem Säulen- oder Liniendiagramm durch räumliche Distanzen auch nichträumliche Merkmale wie etwa Geburtenzahlen, Einfuhrquoten und dergleichen repräsentiert werden. Das heißt: Repräsentierte und repräsentierende Merkmale können voneinander verschieden sein; die Relationen zwi-

6.3 Bilder in Online-Medien

93

schen diesen Merkmalen innerhalb des Bildes und innerhalb des abgebildeten Sachverhalts müssen jedoch übereinstimmen. Diagramme sind insofern eine abstrakte Form ikonischer Zeichen (vgl. Peirce, 1906). Eine spezifische Form der Interpretation erfordern die sog. Analogiebilder (Issing, 1994). Diese bestehen aus Elementen realistischer Bilder, die in ihrer spezifischen Kombination eine Analogie zu einem bestimmten Sachverhalt visualisieren. So kann z. B. die DNA-Struktur mit einem Reißverschluss verglichen werden und dementsprechend kann das Bild eines Reißverschlusses als Analogiebild für den zu verstehenden Sachverhalt – die DNA – dienen. Ähnlich wie bei logischen Bilder setzt auch die Interpretation von Analogie-Bildern Kenntnisse über Darstellungskonventionen voraus, eben über die Möglichkeit gleichnishafter Darstellungen aufgrund von Analogien. Außerdem sind zum Verständnis von Analogiebildern thematische Grundkenntnisse über den für die Analogie verwendeten Basisbereich notwendig.

6.3.2

Verstehen von statischen Bildern in Online-Medien

Anhand von Bildern ist anders als bei Texten ein relativ direkter Aufbau eines mentalen Modells möglich. Beim Bildverstehen kann man grundsätzlich zwischen einer perzeptiven (wahrnehmungsbezogenen) und einer semantischen (bedeutungsbezogenen) Enkodierung unterscheiden. Die perzeptive Enkodierung basiert auf präattentiven Prozessen (Neisser, 1976), d. h. Prozessen, die unwillkürlich ablaufen. Diese verlaufen parallel, beinhalten automatisierte visuelle Routinen, sind primär datengeleitet und dementsprechend relativ unabhängig vom Vorwissen sowie den Zielsetzungen des Individuums (Ullman, 1984). Um ein Bild nicht nur wahrzunehmen, sondern es auch zu verstehen, ist aber auch eine semantische Enkodierung erforderlich: An der präattentiv konstruierten perzeptuellen Repräsentation müssen attentive Ablese- bzw. Inspektionsprozesse stattfinden, um die Repräsentation zu interpretieren bzw. um ihr bestimmte Informationen zu entnehmen. Diese Prozesse laufen seriell ab und sind sowohl daten- als auch konzeptgeleitet, beinhalten also ein Wechselspiel von aufsteigender und absteigender Aktivierung von kognitiven Schemata. Sie werden dementsprechend sowohl vom Vorwissen als auch von den Zielsetzungen des Individuums beeinflusst. Beim Verstehen realistischer Bilder kann der Betrachter auf kognitive Schemata der alltäglichen Wahrnehmung zurückgreifen. Weidenmann (1988) spricht hier von einem ökologischen Bildverstehen, bei dem der Betrachter erkennt, was auf dem Bild dargestellt ist. Nimmt der Lernende jedoch auch Überlegungen vor, warum der Bildproduzent (der Fotograf, Maler oder Zeichner) den Sachverhalt so und nicht anderes dargestellt hat bzw. warum der Bildredakteur gerade dieses Bild ausgewählt hat, so spricht Weidenmann von einem indikatorischen Bildverstehen. Das Bild wird hier gewissermaßen als Indikator für eine bestimmte Mitteilungsabsicht angesehen und entsprechend analysiert. Ökologisches und indikatorisches Bildverstehen repräsentieren unterschiedliche Verstehenstiefen. Anders als beim Textverstehen ist für die semantische Analyse von Bildern keine bestimmte Sequenzierung vorgesehen. Allerdings bestehen verschiedene Möglichkeiten, Einfluss auf die Reihenfolge der Verarbeitung zu nehmen. Beispielsweise können bestimmte Bildteile durch verstärkten Kontrast zum Hintergrund oder durch Beschriftungen hervorgehoben werden (Beck, 1984). Ebenso können direktive Bildzeichen wie Pfeile, Einrahmungen oder eingebundene Lupen verwendet werden, um auf den zu fokussierenden Bildbereich zu zeigen bzw. ihn visuell einzugrenzen. Die Reihenfolge der Verarbeitung kann auch

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6 Online-Lernen mit Texten und Bildern

durch eine bestimmte Nummerierung der Bildteile gelenkt werden. Darüber hinaus spielen kulturspezifische Verarbeitungsgewohnheiten, wie z. B. das Lesen von links nach rechts, eine Rolle (Winn, 1994). Diagramme repräsentieren einen Sachverhalt nicht aufgrund von Ähnlichkeit, sondern aufgrund von abstrakteren strukturellen Gemeinsamkeiten. Auch beim Verstehen eines Diagramms konstruiert der Betrachter ein mentales Modell des dargestellten Sachverhalts. Die dabei stattfindenden subsemantischen, präattentiven Prozesse bestehen in der Diskrimination und Identifikation sowie der Gruppierung grafischer Komponenten – also von Punkten, Linien und Flächen – entsprechend den sog. Gestaltgesetzen und führen zur Wahrnehmung einer entsprechenden grafischen Konfiguration (Wertheimer, 1938; Winn, 1994). Die semantische, attentive Verarbeitung, mit der zum Verstehen des Diagramms übergegangen wird, besteht in der konzeptgeleiteten Analyse dieser wahrgenommenen grafischen Konfiguration. Dabei werden bestimmte visuell-räumliche Relationen und Attribute abgelesen, semantisch interpretiert und in Form von Propositionen fixiert, die der bereits vorhandenen propositionalen mentalen Repräsentation hinzugefügt werden. Da Diagramme im Gegensatz zu realistischen Bildern keine perzeptuelle Ähnlichkeit mit dem repräsentierten Gegenstand besitzen, kann der Lernende bei deren Interpretation nicht auf kognitive Schemata der alltäglichen Wahrnehmung zurückgreifen. Die Fähigkeit zum Verstehen von Diagrammen ist vielmehr eine spezifische Kulturtechnik, die jeweils erlernt werden muss. Dabei gilt es, spezielle Grafikschemata zu konstruieren, mit deren Hilfe an den grafischen Konfigurationen eines Diagramms bestimmte Informationen abgelesen werden können (Pinker, 1990). Verfügt ein Lernender nicht über entsprechende Schemata, so ist er nicht in der Lage, einem Diagramm die jeweiligen Informationen zu entnehmen. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn an einer solchen grafischen Darstellung Informationen über komplexe Zusammenhänge abgelesen werden sollen. Lernende mit geringeren kognitiven Voraussetzungen können beispielsweise einem Linienzeitdiagramm oft eher einzelne Werte entnehmen als an ihm einen Entwicklungstrend erkennen, obwohl dieser direkt am Kurvenverlauf abgelesen werden könnte (vgl. Kerslake, 1977; Kirsch & Jungeblut, 1986). Empirische Befunde weisen darauf hin, dass Experten bzw. Lernende mit höherem Vorwissen eher in der Lage sind, nach übergreifenden visuellen Mustern zu suchen, während Lernende mit geringerem Vorwissen bevorzugt eine lokal begrenzte Suche nach Einzelinformationen vornehmen. Es ist deshalb zu vermuten, dass Experten bzw. Individuen mit höheren Lernvoraussetzungen über elaboriertere und stärker hierarchisch strukturierte Grafikschemata verfügen (Lowe, 1993).

6.3.3

Verstehen von Animationen in Online-Medien

Häufig wird angenommen, dass Animationen das Lernen über dynamische Sachverhalte in höherem Maße fördern als statische Bilder, da sie Informationen in einer Art und Weise darbieten, die in höherem Maße der Alltagswahrnehmung entspricht im Vergleich zu statischen Bildern. So zeigte eine Metaanalyse von Höffler und Leutner (2007) eine durchschnittliche Überlegenheit von Animationen hinsichtlich des Lernerfolgs gegenüber statischen Darstellungen. Jedoch ist auch nachgewiesen, dass die Effektivität des Lernens mit Animationen und Filmen sowohl von deren Gestaltung abhängt als auch von zentralen Lernermerkmalen (zsf. Lowe & Schnotz, 2008; Höffler & Leutner, 2007). Animationen und Filme können als Lernmedien vor allem dann von besonderem Nutzen sein, wenn die Lernenden ein dynamisches mentales Modell erstellen sollen. In diesem Fall unterstützt die Animation die mentale Modellbildung. Jedoch kann eine Animation oder ein Film auch zu einer mangelhaften Repräsentation

6.3 Bilder in Online-Medien

95

führen, da Animationen im Unterschied zu statischen Bildern flüchtig sind. Beim Vergleich verschiedener Prozesszustände innerhalb eines Ablaufs anhand von Animationen müssen Lernende zuvor gesehene Bilder über eine längere Zeitspanne hinweg im Arbeitsgedächtnis fortlaufend mit zuvor gesehenen Bildern integrieren, was rascher zu einer Überlastung des Arbeitsgedächtnisses führen kann als bei statischen Bildern (Horz & Schnotz, 2008). Aus motivationaler Sicht hingegen können Filme und Animationen sich als weniger günstige Lernmedien erweisen. So wird das Betrachten von Filmen im Vergleich zum Lesen eines Textes durch die Lernenden häufig als „einfach“ beurteilt. Dies kann dazu führen, dass sich Lernende weniger anstrengen, die Inhalte eines Films mental zu bearbeiten und mit ihrem Vorwissen zu verknüpfen als beim Lesen eines Textes („Television is easy-Effekt“, Salomon, 1984).

6.3.4

Gestaltung von Bildern in Online-Medien

Grundsätzlich gilt für Bilder in Online-Medien, dass die Bildelemente an sich klar erkennbar und gut differenzierbar sein sollten. Um dieses Ziel zu erreichen lassen sich Kriterien für eine optimierte Bildgestaltung in Online-Medien auf die bereits 1938 erstmalig postulierten „Gestaltgesetze“ begründen (Wertheimer, 1938). Die beim Betrachten von Bildern und Diagrammen stattfindenden präattentiven Prozesse der Wahrnehmungsorganisation folgen im Wesentlichen diesen Gestaltgesetzen. • •

• •



Nach dem Gesetz der Nähe werden räumlich näher beieinander liegende Komponenten eher zusammengefasst als weiter entfernt liegende. Nach dem Gesetz der Ähnlichkeit werden Komponenten mit ähnlichen visuellen Merkmalen – z. B. ähnlicher Form, Farbe, Orientierung, Textur usw. – eher zusammengefasst als Komponenten mit unterschiedlichen Merkmalen. Nach dem Gesetz der Geschlossenheit bzw. dem Gesetz der guten Gestalt werden visuelle Informationen jeweils auf möglichst einfache Weise organisiert, sodass prägnante Formen entstehen. Nach dem Gesetz der guten Fortsetzung bleiben mehrere sich schneidende Linien durch die implizite Annahme voneinander unterscheidbar, dass die Kurven an den Schnittstellen jeweils kontinuierlich verlaufen. Schließlich werden nach dem Gesetz des gemeinsamen Schicksals mehrere Kurven gleicher Form zu einer Einheit zusammengefasst und als Kurvenschar wahrgenommen.

Die Bedeutung der oben skizzierten subsemantischen Verarbeitungsprozesse soll an einem praktischen Beispiel veranschaulicht werden. Abb. 6.2 zeigt ein unterteiltes Säulendiagramm, das die Nutzung verschiedener Energiequellen zu verschiedenen Zeitpunkten veranschaulichen soll. Das Erkennen der einzelnen Komponenten dürfte hier keine Schwierigkeiten bereiten. Die Identifikation und Diskrimination dieser Komponenten aber stellt bereits gewisse Anforderungen, denn der Betrachter muss jeweils fünf verschiedene Säulenabschnitte anhand ihrer Texturen voneinander unterscheiden und anhand einer Legende hinsichtlich ihrer Bedeutung identifizieren. Eine Berücksichtigung weiterer Energiequellen würde – sofern man im Bereich einer Schwarzweißdarstellung verbleibt – die Diskrimination der einzelnen Komponenten immer schwieriger machen. Zahlenangaben sind in dem Diagramm entsprechend dem Gesetz der Nähe unmittelbar bei den betreffenden Säulenabschnitten angebracht. Allerdings muss hier eine Unterscheidung zwischen Zahlen neben und Zahlen ober- bzw. unterhalb der Säulen vorgenommen werden: Letztere beziehen sich nicht auf den betreffenden Säulenabschnitt, sondern auf die Säule als Ganzes. Diese Differenzierung wird durch die präattentive Verarbeitung nicht weiter unter-

96

6 Online-Lernen mit Texten und Bildern

stützt, zumal bei den Zahlenangaben auch der gleiche Schrifttyp verwendet wurde. Die Unterscheidung wird deshalb erst auf der Ebene der semantischen Verarbeitung deutlich. Würde man die Entwicklungen im Energieverbrauch über mehrere Jahre analysieren wollen, so müssten entsprechend dem Gesetz der Ähnlichkeit jeweils gleichartige Abschnitte verschiedener Säulen aufgrund ihrer gemeinsamen Textur zu einer Einheit zusammengefasst werden.

Abb. 6.2:

Unterteiltes Säulendiagramm zur angenommenen Nutzung verschiedener Energiequellen von 1971 bis zum Jahr 2000 (nach Wainer, 1992)

Grundsätzlich gilt für Diagramme (logische Bilder), dass die gewählte Repräsentationsform den darzustellenden Inhalt möglichst exakt wiedergibt und die Interpretation der zentralen Sachverhalte möglichst unterstützt. Weiterhin sollte nach Schnotz (2006) der Aufbau von Diagrammen so gewählt sein, dass die Syntax, Semantik und Pragmatik der Gestaltung optimiert ist. Die Syntax beschreibt die Beziehungen der Bildelemente zueinander. So sind in Diagrammen Elemente, die zusammengehören, als solche kenntlich zu machen. Dies kann z. B. durch die Farbgebung, die Nutzung unterschiedlicher Texturen, Umrahmungen, Legenden etc. erfolgen. Um die Bedeutung der einzelnen Bildelemente zu verdeutlichen, bedarf es einer klaren Semantik. So werden z. B. unterschiedliche Objektmengen durch entsprechende proportionale Größendarstellungen in logischen Bildern dargestellt, wohingegen unterschiedliche qualitative Merkmale vor allem durch verschiedene Farben, Texturen oder piktoriale Formen repräsentiert werden. Letztlich ist bei logischen Abbildungen darauf zu achten, dass die Darstellungsform auf die vorgesehene Verwendung abgestimmt ist (Pragmatik). So sollten die Rezipienten durch die Gestaltung eines Diagrammes nicht zur Annahme falscher Schlussfolgerungen verleitet werden, indem z. B. Achsen unterbrochen oder nicht beim Nullpunkt angesetzt werden, Proportionen in unzulässiger Weise dargestellt werden oder indem relationale Unterschiede durch Vergrößerung von Flächen statt richtigerweise von Längen dargestellt werden.

6.3 Bilder in Online-Medien

97

Außerdem empfiehlt sich eine inhaltlich und formal sparsame Gestaltung. Eine inhaltlich sparsame Gestaltung bedeutet, die Komplexität solcher Bilder in Grenzen zu halten und sich auf das jeweils Wesentliche zu beschränken. Eine formal sparsame Gestaltung bedeutet, dass die Zahl der datenabhängig variierten visuellen Merkmale nicht größer sein sollte als die Zahl der zu repräsentierenden Merkmale. Beispielsweise sollte man eine zu repräsentierende Größe nicht sowohl durch die Höhe als auch die Breite einer Figur darstellen, da es sonst zu wahrnehmungsbedingten Verzerrungen der Größenunterschiede kommt. Eine formal sparsame Gestaltung von Diagrammen bedeutet außerdem den Verzicht auf visuelle Effekte, die nicht der Informationsvermittlung dienen. Dazu gehört unter anderem, keine dreidimensionalen Darstellungen zu verwenden, bei denen die Tiefendimension keine Repräsentationsfunktion hat. Ein Beispiel hierfür bietet die Abb. 6.2, in der die räumliche Darstellung der Säulen keinen Informationswert hat. Eine einfache, flächige Darstellung hätte hier völlig genügt.

Abb. 6.3:

Beispiel für die Verwendung von Pfeilen als direktive Bildzeichen (nach Beck, 1984)

Lernende meinen oft, Bildern und Diagrammen könnte mit einem Blick genügend Information entnommen werden, und nehmen deshalb eine nur oberflächliche Verarbeitung vor (vgl. Mokros & Tinker, 1987; Weidenmann, 1988). Insofern gilt es, bei der Gestaltung von Bildern und Diagrammen sowie der begleitenden Texte den Tendenzen einer oberflächlichen Verarbeitung entgegenzuwirken. Hierzu können bestimmte Komponenten in den Vordergrund gestellt, durch Einrahmungen, durch Vergrößerung (bei der sog. Lupentechnik) oder durch direktive Zeichen, wie z. B. durch Pfeile, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt werden. Solche direktiven Zeichen repräsentieren nicht den darzustellenden Gegenstand, sondern sollen lediglich die Verarbeitung beeinflussen (Weidenmann, 1994). Abb. 6.3 gibt ein Beispiel für solche direktiven Bildzeichen. Das Bild zeigt eine Fleisch fressende Pflanze mit einem Insekt. Die Pfeile lenken die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die einander entgegengesetzten Fanghaare der Pflanze. Außerdem können dem Lernenden explizite Verarbeitungshinweise im Text oder in der Bild- oder Diagrammüberschrift gegeben werden (Bernard, 1990).

98

6 Online-Lernen mit Texten und Bildern

Für bestimmte Darstellungszwecke haben sich konventionalisierte Formen der Darstellung herausgebildet. Beispielsweise wird für die Visualisierung quantitativer Zusammenhänge im Allgemeinen auf die in Abb. 6.4 gezeigten Darstellungsformen – auf Kreis-, Balken-, Säulen-, Linien- und Streudiagramme – zurückgegriffen (Zelazny, 1986). Aufgrund der häufigen Verwendung dieser Diagrammtypen besitzen Lernende die hier erforderlichen kognitiven Grafikschemata eher als bei anderen Formen der Darstellung. Da Individuen häufig Schwierigkeiten haben, bei der Interpretation eines Diagramms adäquate Grafikschemata zu aktivieren, sollte man nicht ohne triftigen Grund von vorhandenen Darstellungskonventionen abweichen. Ebenso sollten unnötige Wechsel im Darstellungsformat vermieden werden.

Abb. 6.4:

Konventionalisierte Darstellungsformen zur Visualisierung quantitativer Zusammenhänge (nach Zelazny, 1986)

Die Verwendung von Kreisdiagrammen bietet sich an, um die Untergliederung eines Ganzen in unterschiedliche Teile zu veranschaulichen. Allerdings ist diese Darstellungsform nicht gut geeignet, um verschiedene Aufteilungen eines Ganzen miteinander zu vergleichen, da die visuelle Zuordnung gleichartiger Kreissektoren hier Probleme bereiten kann. Beispielsweise wäre es nicht empfehlenswert gewesen, anstelle des unterteilten Säulendiagramms in Abb. 6.4 mehrere Kreisdiagramme zur Darstellung der verschiedenen Anteile an der Energienutzung zu verwenden. Die Verwendung von Balkenund Säulendiagrammen empfiehlt sich zur Visualisierung von quantitativen Merkmalsausprägungen, wenn die Merkmalsträger im Übrigen nur qualitativ voneinander unterschieden sind. Beispielsweise ließe sich so die Umsatzhöhe verschiedener Unternehmen darstellen. Säulendiagramme werden häufig auch zur Veranschaulichung von Entwicklungsverläufen verwendet, wobei verschiedene Säulen verschiedene Zeitpunkte der Entwicklung repräsentieren. Allerdings ist dies nur für einzelne Entwicklungsverläufe problemlos möglich. Bei einer Darstellung mehrerer Entwicklungsverläufe durch unterschiedliche Säulen bereitet die visuelle Zusammenfassung von gleichartigen Säulen nach dem Gesetz der Ähnlichkeit meist Schwierigkeiten, da dem die Tendenz entgegenwirkt, verschiedenartige Säulen visuell nach dem Gesetz der Nähe zusammenzufassen. Grundsätzlich sind Liniendiagramme für die Visualisierung von Entwicklungsverläufen besser geeignet, da die Funktionslinien hier von vornherein als grafische Einheiten wahrgenommen werden. Streudiagramme bieten sich an, um statistische Zusammenhänge zwischen quantitativen Variablen anhand einer begrenzten Zahl von Beobachtungen darzustellen.

6.3 Bilder in Online-Medien

Abb. 6.5:

99

Multiples Liniendiagramm zur angenommenen Nutzung verschiedener Energiequellen von 1971 bis zum Jahr 2000 (nach Wainer, 1992)

Letztlich muss die Wahl der Darstellungsform jeweils im Hinblick auf die beabsichtigte Kommunikationsfunktion erfolgen. Dies wird z. B. auch an Abb. 6.5 deutlich, die die Nutzung verschiedener Energiequellen zu verschiedenen Zeitpunkten in Form eines unterteilten Säulendiagramms zeigt. So lange es nur um die Entnahme einzelner Werte oder um Vergleiche der Energienutzung innerhalb eines bestimmten Zeitpunktes (d. h. um Querschnittvergleiche) geht, mag diese Darstellungsform als geeignet angesehen werden. Geht es jedoch um die Entwicklung bestimmter Arten der Energienutzung (also um Längsschnittvergleiche) oder gar um den Vergleich unterschiedlicher Entwicklungsverläufe, so ist die hier gewählte Form der Visualisierung ziemlich ungeeignet. Der Betrachter muss nämlich – dem Gestaltgesetz der Geschlossenheit entgegenwirkend – die Einheit der Säulen visuell aufbrechen und eine Neugruppierung der Komponenten vornehmen, indem gleichartige Abschnitte verschiedener Säulen nach dem Gesetz der Ähnlichkeit zu einer Einheit zusammengefasst werden. Ein solches Aufbrechen einer als „gute Gestalt“ wahrgenommenen Einheit bereitet jedoch Schwierigkeiten. Zum Vergleich ist in Abb. 6.5 der gleiche Datensatz als multiples Liniendiagramm dargestellt. Die einzelnen Entwicklungsverläufe werden hier durch Funktionslinien dargestellt, die sofort als visuelle Einheiten wahrgenommen werden. Eine bestimmte Darstellungsform kann den Betrachter auch zu inadäquaten Ableseprozessen veranlassen. Abb. 6.6 zeigt ein multiples Liniendiagramm, in dem die Entwicklung der Bildungsausgaben und die Entwicklung der Schulleistungen in den USA von 1978 bis 1990 dargestellt sind. Das Diagramm legt den Schluss nahe, dass trotz einer nur geringfügigen Erhöhung der Bildungsausgaben pro Schüler die Schulleistungen deutlich angestiegen sind. Es bedarf jedoch nur einer anderen Skalierung, um dem

100

6 Online-Lernen mit Texten und Bildern

Betrachter genau den entgegengesetzten Schluss nahe zu legen: Demnach wären die Bildungsausgaben in der fraglichen Zeit deutlich erhöht worden, ohne dass dies zu einer nennenswerten Steigerung der Schulleistungen geführt hätte. Wie Wainer (1992) deutlich gemacht hat, ist anhand der Daten weder die eine noch die andere Schlussfolgerung zulässig. Das Problem liegt hier darin, dass durch die Art der Darstellung dem Betrachter – unbeabsichtigt oder beabsichtigt – ein Vergleich zwischen unterschiedlichen Trends nahe gelegt wird, ohne dass die hierzu erforderlichen Voraussetzungen gegeben wären. Auf multiple Liniendiagramme mit unterschiedlichen Ordinaten für die einzelnen Funktionskurven sollte deshalb grundsätzlich verzichtet werden. Das Beispiel unterstreicht erneut, dass die Gestaltung von Diagrammen immer auch den pragmatischen Aspekt, also die Frage nach der beabsichtigten Mitteilung, reflektieren muss.

Abb. 6.6:

Multiples Liniendiagramm mit zwei Ordinaten, das die Entwicklung der Bildungsausgaben und die Entwicklung der Schulleistungen in den USA von 1978 bis 1990 zeigt (nach Wainer, 1992).

6.4 Integrative Verarbeitung von Online-Medien

6.4

101

Integrative Verarbeitung von Online-Medien

Der Mehrwert von Online-Medien im Vergleich zu konventionellen Medien wird häufig darin gesehen, dass multimediale Lern- und Informationsangebote technisch einfacher und vielfältiger realisiert werden können. Empirisch belegt ist, dass das Lernen mit multimedialen Lernumgebungen im Vergleich zu rein textuellen Lernumgebungen einen höheren Lernerfolg erbringen kann („Multimedia-Prinzip“). Das Multimedia-Prinzip gilt aber nicht uneingeschränkt. Lernen mit multimedialen Online-Ressourcen ist insbesondere dann vorteilhaft, wenn Lernende ein eher geringes thematisches Vorwissen besitzen und über (ausreichend) hohe visuell-räumliche Fähigkeiten verfügen (Mayer, 2001; Mayer & Moreno, 2002). Es ist leicht nachzuvollziehen, dass die Fähigkeit, räumlich getrennte Informationen mental zu integrieren, von der visuell-räumlichen Fähigkeit einer Person abhängt, weil in multimedialen Ressourcen Informationen räumlich verteilt angeboten werden (Plass, Chun, Mayer, & Leutner, 2003). Weniger plausibel scheint zunächst, dass ein hohes Vorwissen für das Lernen mit Multimedia nachteilig sein kann. Lernende mit hohem thematischem Vorwissen bekommen in multimedialen Lernumgebungen Inhalte in verschiedenen Formen dargeboten, von denen sie die eine oder die andere aufgrund ihrer höheren Expertise gar nicht mehr benötigen. Durch die Verarbeitung einer zusätzlichen Informationsquelle, die kein besseres Verständnis mehr bewirkt, verwenden sie Zeit und Energie in teilweise nutzloser Weise und gelangen dadurch zu geringeren Lernergebnissen als bei Verwendung von nur einer oder weniger Informationsquellen („expertise reversal effect“; Kalyuga, Ayres, Chandler & Sweller, 2003). Der Multimedia-Effekt wurde häufig durch die Theorie der dualen Kodierung von Paivio (1986) erklärt. Dieser Theorie zufolge geschieht die Informationsverarbeitung im kognitiven System des Menschen in zwei unterschiedlichen, aber interagierenden Untersystemen – einem verbalen und einem imaginalen (bzw. piktorialen) System – die beide in ihrer Verarbeitungskapazität begrenzt sind. Paivio nimmt an, dass beide Untersysteme zwar interagieren, aber auch unabhängig voneinander aktiv sein können. Werden Texte gemeinsam mit Bildern entsprechenden Inhalts präsentiert, so wird der Lerninhalt in beiden Systemen verarbeitet und gespeichert, was zu einer doppelten Kodierung und damit zu einem höheren Lernerfolg führt. Ausgehend von Paivios Theorie hat Mayer (1997, 2001) eine kognitive Theorie des multimedialen Lernens entwickelt, in der er sich auch auf das Modell des Arbeitsgedächtnisses von Baddeley (1992) bezieht. In Baddeleys Modell wird postuliert, dass das Arbeitsgedächtnis aus einer zentralen Exekutive sowie einer phonologischen Schleife und einem inneren visuellräumlichen „Notizblock“ besteht und eine sowohl inhaltlich als auch zeitlich begrenzte Informationsverarbeitungskapazität aufweist. Mayer kombiniert beide Ansätze, indem er einen auditiv-verbalen und einen visuell-piktorialen Kanal der Informationsverarbeitung beim multimedialen Lernen annimmt. Sein Modell wird durch zahlreiche empirische Forschungsbefunde gestützt. Allerdings geht das Modell davon aus, dass die vorhandenen multimedialen Informationsangebote auch immer tatsächlich genutzt werden und dass Bilder den Wissenserwerb grundsätzlich fördern. Beides ist jedoch nicht notwendig der Fall. Ausgehend von der sowohl kognitionspsychologisch als auch semiotisch begründeten Unterscheidung zwischen beschreibenden (deskriptionalen) Darstellungen und abbildenden (depiktionalen) Darstellungen von Sachverhalten wird in dem integrativen Modell des Text- und Bildverstehens von Schnotz (2005) postuliert, dass auf der Wahrnehmungsebene zwischen verschiedenen Sinneskanälen (z. B. einem auditiven und einem visuellen Kanal) und auf der kognitiven Ebene zwischen verschiedenen Repräsentationskanälen (einem deskriptionalen und einem depiktionalen Kanal) unterschieden werden

102

6 Online-Lernen mit Texten und Bildern

kann (siehe Abb. 6.7; vgl. Schnotz und Bannert, 2003). In dem Modell werden weiter folgende Verarbeitungsschritte multimedialer Informationsverarbeitung angenommen. Zunächst werden durch auditive bzw. visuelle Wahrnehmungsprozesse eine Text- bzw. eine Bildoberflächenrepräsentation des betreffenden Informationsangebots generiert. Anschließend wird durch semantische (bedeutungsgenerierende) Verarbeitungsprozesse aus den auditiv und visuell wahrgenommenen verbalen Informationen eine mentale Repräsentation gebildet, die aus konzeptuellen Sinneinheiten – sog. Propositionen – besteht. Aus den piktorialen Informationen hingegen wird durch thematische Selektionsprozesse und Prozesse der analogen Strukturabbildung ein mentales Modell konstruiert, von dem angenommen wird, dass es Struktur- und Funktionseigenschaften besitzt, die denen des dargestellten Inhalts entsprechen, und damit diesen Inhalt repräsentiert. Durch schemageleitete Modellkonstruktions- und Modellinspektionsprozesse interagieren diese beiden Formen der mentalen Repräsentation ständig miteinander und bilden so gemeinsam ein kohärentes mentales Repräsentationssystem, wobei die beteiligten Repräsentationen gegenseitig zu ihrer Elaboration beitragen. Entsprechend dem Modell ist der Hauptgrund für den Lernvorteil multimedialer Lehrangebote, dass verbale und piktoriale Informationen bei ihrer integrativen Verarbeitung gemeinsam zur Konstruktion eines mentalen Modells beitragen. Allerdings besteht auch die Möglichkeit, dass Lernende im Rahmen eines multimedialen Informationsangebots sich auf eine Informationsquelle konzentrieren und die andere ignorieren, indem beispielsweise das Verstehen des Texts durch das Verstehen des Bildes ersetzt wird und umgekehrt. Auch besteht die Möglichkeit, dass ein Bild aufgrund seiner Visualisierungsstruktur die intendierte Anwendung des gelernten Wissens nicht unterstützt, sondern hemmt (Schnotz & Bannert, 2003). Es besteht also unter bestimmten Voraussetzungen durchaus die Möglichkeit, dass die Kombination von Text und Bild zu einem geringeren Lernerfolg führt als das Lernen mit nur einem Medium.

Abb. 6.7:

Integratives Modell des Text-, Bild- und Diagrammverstehens (nach Schnotz, 2005; Schnotz & Bannert, 2003)

6.5 Ausblick

6.5

103

Ausblick

Um die Inhalte multimedialer Online-Ressourcen, die hauptsächlich aus visuell oder auditiv dargebotenen Texten, statischen und/oder animierten Bildern sowie Diagrammen bestehen, adäquat mental zu repräsentieren, müssen Menschen die verschiedenen Informationsquellen integrativ kognitiv verarbeiten. Die kombinierte Verwendung von Texten, Bildern und Diagrammen in multimedialen Lernumgebungen ermöglicht Individuen mit geringerem inhaltsspezifischem Vorwissen einen höheren Lernerfolg, da diese noch nicht hinreichend in der Lage sind, anhand einer einzigen Form der Informationsdarbietung multiple mentale Repräsentationen zu konstruieren. Gleichzeitig erfordert die Verwendung von Texten, Bildern und Diagrammen vom Individuum aber auch die Fähigkeit, verschiedene Formen der Informationsdarbietung adäquat aufeinander zu beziehen. Hierzu gehören nicht nur Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit schriftlichem Lernmaterial, die allgemein als verbale Lesefähigkeit (engl. „verbal literacy”) bezeichnet werden. Notwendig sind auch Fähigkeiten und Fertigkeiten im Umgang mit Bildern und Diagrammen, die man als piktoriale Lesefähigkeit (im Englischen meist nicht ganz zutreffend „visual literacy” genannt) bezeichnen kann (vgl. Petterson, 1994; Moore & Dwyer, 1994). Jedoch weiß man noch zu wenig über die mentale integrative Verarbeitung multipler Informationsressourcen sowie über die Entwicklung der hier erforderlichen kognitiven Fähigkeiten, was Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten ist (siehe http://www.bite.uni-landau.de/). Angesichts der starken Expansion von multimedialen Online-Informationsangeboten im Rahmen des Web 2.0 gewinnt die Bereitstellung von praxisorientiert aufbereitetem Grundlagenwissen für die Erstellung und Verwendung von Bildern und Diagrammen in Verbindung mit Texten zunehmend an Bedeutung. Wegen der Vielzahl gegeneinander abzuwägender Gesichtspunkte kann eine mechanische Anwendung einfacher Gestaltungs- und Verwendungsregeln hier nicht zum Erfolg führen. Sinnvoller ist es, Orientierungsgrundlagen zu entwickeln, die bei der Gestaltung und Verwendung von Bildern und Diagrammen in Texten helfen, die verschiedenen oben skizzierten Analysegesichtspunkte systematisch aufeinander zu beziehen. Auf diese Weise wird man über rein intuitive Entscheidungen und eine nur an Oberflächenmerkmalen orientierte Scheinprofessionalität hinausgehen und die betreffenden Komponenten von Multimediasystemen so gestalten können, dass diese den psychologischen Gesetzmäßigkeiten des Aufbaus von Wissensstrukturen Rechnung tragen.

7

Wissenserwerb mit digitalen Medien

Roland Brünken & Tina Seufert

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit der Rolle digitaler Medien zur Wissensvermittlung und zur Förderung des Wissenserwerbs. Ausgehend von einer kognitionspsychologischen Auffassung von Wissenserwerb wird zunächst eine Definition des Begriffs digitale Medien vorgenommen. Aufbauend darauf wird aus einer forschungsorientierten Perspektive der Frage nachgegangen, welche Rolle Medien bei Wissenserwerbsprozessen spielen. Dazu werden aktuelle medienrelevante Wissenserwerbstheorien skizziert und relevante Einflussparameter herausgestellt, die Wissenserwerbsprozesse tangieren und gleichzeitig medienbezogenen Relevanz aufweisen. Hierbei wird Bezug genommen auf ein heuristisches Rahmenmodell (Brünken & Leutner, 2005). Schließlich wird der Frage nachgegangen, welche Rolle interindividuelle Unterschiede beim Wissenserwerb mit digitalen Medien spielen. Dieser Abschnitt verweist auch auf den nachfolgenden Beitrag zur Adaptivität und Adaptierbarkeit beim OnlineLernen. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenstellung vorhandener Erkenntnisse zum Wissenserwerb mit digitalen Medien und verweist auf derzeit noch offene Forschungsfragen. Schlüsselbegriffe: Wissenserwerb, Multiple Repräsentationen, Cognitive Load, ATI Forschung.

106

7.1

7 Wissenserwerb mit digitalen Medien

Wissenserwerb und digitale Medien

Der Begriff digitale Medien umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher medialer Darbietungsformen von Information, deren gemeinsames Merkmal im digitalen Format der Datenverarbeitung besteht. Aus wissenschaftlich-theoretischer Perspektive handelt es sich hierbei um einen Sammelbegriff, der in keinem erkennbaren Zusammenhang mit Fragen des Wissenserwerbs steht (Kozma, 1994). Insoweit ist der Begriff digitale Medien ungeeignet zur Klassifikation wissenserwerbsrelevanter medialer Informationsdarbietungen. Allerdings ist der Begriff wie auch eine Vielzahl von Begriffsverwandten wie Neue Medien, Cybermedien etc., in der Praxis so verbreitet, dass er bei einer Beschreibung des Gegenstandsgebietes nicht unberücksichtigt bleiben kann. In pragmatischer Hinsicht ist der Begriff digitale Medien zur Abgrenzung zu analogen Medien sinnvoll. Allerdings ist auch diese Abgrenzung unscharf, wenn man an vielfältige Mischformen wie digitales Fernsehen oder analog-digitale Musikaufnahmen denkt. Abseits seiner wissenschaftlichen Unzulänglichkeit umfasst der Begriff digitale Medien im Zusammenhang mit wissenserwerbsrelevanten Anwendungen eine Vielzahl unterschiedlichster Programme, deren Zweck in der Bereitstellung von Information zur Wissensvermittlung besteht. Das Spektrum reicht von kurzen Informationssequenzen zur Veranschaulichung einzelner Sachverhalte bis hin zu komplexen, vernetzten und interaktiven E-Learning-Anwendungen und hybriden Blended-LearningArrangements (Brünken, Seufert & Leutner, 2008). Gemeinsam ist all diesen Anwendungen, dass sie zum Zweck der Wissensvermittlung konzipiert wurden, ihnen also explizit oder implizit ein instruktionales Ziel zu Grunde liegt: nämlich das, den Aufbau oder die Erweiterung von Wissen fördern zu wollen. Insofern ist es einleuchtend, dass die Frage des Zusammenhangs von Wissensvermittlungssystemen einerseits und Wissenserwerbsprozessen andererseits schon seit vielen Jahren (lange vor der Einführung digitaler Medien) zum Forschungsgegenstand der pädagogisch-psychologischen und medienpädagogischen Forschung gehört (vgl. Brünken, Seufert & Leutner, 2008). Dabei lässt sich zeigen, dass die Auseinandersetzung mit dieser Frage immer geleitet wurde von einer spezifischen Sicht auf den Prozess des Lernens an sich. Mayer (2005) unterscheidet in diesem Zusammenhang drei Metaphern des Lernens: Lernen als Verhaltensformung (learning as response strengthening) im Sinne des Behaviorismus; Lernen als Informationsverarbeitung aus kognitiver Perspektive und Lernen als (aktive) Wissenskonstruktion im Sinne konstruktivistischer Ansätze. Während in den frühen Studien zu Medienwirkungen ein behavioristisches Lernparadigma vorherrscht, kann man im Kontext der modernen empirischen Forschung zum Lernen mit digitalen Medien seit vielen Jahren eine kognitive Orientierung vorfinden. Wissenserwerb wird als aktiver Prozess der Informationsverarbeitung verstanden (Mayer, 1992, 1997). Die Forschung folgt damit einerseits einem generellen Trend der pädagogisch-psychologischen Theoriebildung seit den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts (vgl. Hasselhorn & Gold, 2006). Andererseits zeigt sie aber auch eine gewisse Affinität zum Gegenstandsbereich, indem sie die Metapher des Computers (also der digitalen Datenverarbeitung) selbst nutzt, um den Prozess des Wissenserwerbs zu beschreiben. Erfolgreicher Wissenserwerb wird dabei angesehen als „gute Informationsverarbeitung“ („good information processing“; Pressley, Borkowski & Schneider, 1989). Dabei spielen eine Reihe von System- und Prozessaspekten eine Rolle, die dazu führen sollen, dass (medial) präsentierte Information angemessen wahrgenommen, ausgewählt, verarbeitet und dauerhaft abgespeichert werden kann. Wissenserwerb selbst liegt dabei dann vor, wenn Information dauerhaft gespeichert ist, mental repräsentiert, und adäquat abgerufen werden kann. Um dies zu überprüfen, werden in der Regel Wiedergabeleistungen auf unterschiedlichen kognitiven Niveaus unterschieden: neben reinen Behaltensleistungen sind dies Verstehens- und Transferaufgaben. Im

7.2 Theoretische Modelle des Wissenserwerbs mit digitalen Medien

107

Rahmen der Diskussion empirischer Befunde wird sich noch zeigen, dass sich diesbezüglich differenzielle Effekte medialer Informationspräsentation nachweisen lassen. Allgemein hat sich im Rahmen des Informationsverarbeitungsansatzes ein Wissenserwerbsmodell durchgesetzt, das eine sukzessive, modulare Informationsverarbeitung unter Beteiligung verschiedener Teilsysteme und unterschiedlicher Teilprozesse vorsieht. Hierzu liegen eine Reihe von Konzeptualisierungen vor. Neben solchen, die spezifisch im Kontext des Wissenserwerbs mit Medien entstanden sind (Mayer, 2001; Sweller, 2005; Schnotz, 2006), liegen auch allgemeine pädagogisch-psychologische Konzepte vor, die insbesondere auf die Abhängigkeit erfolgreicher Informationsverarbeitung von den Eigenschaften und Kompetenzen der lernenden Person referierten. Zu den im deutschsprachigen Raum verbreiteten Modellen gehört dabei das INVO-Modell (individuelle Voraussetzungen erfolgreichen Lernens; Hasselhorn & Gold, 2006), eine Adaptation des good information processing-Modells von Pressley et al. (1989). Hasselhorn & Gold unterscheiden dabei 5 Aspekte erfolgreicher Lernprozesse, von denen drei eher dem kognitiven Bereich (Vorwissen; Strategien und metakognitive Regulation; selektive Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis) und zwei dem motivational-volitionalen Bereich (Motivation und Selbstkonzept; Volition und lernbegleitende Emotion) zuzuordnen sind. Die Autoren weisen darauf hin, dass sich in Hinblick auf diese Voraussetzungen sowohl individuelle Unterschiede als auch deutliche Entwicklungsveränderungen nachweisen lassen. Aus pädagogisch-psychologischer und mediendidaktischer Perspektive entsteht daraus die Frage, ob und inwieweit diese Faktoren gezielt durch die instruktionale Gestaltung medialer Informationsangebote gefördert werden können, bzw. in welchem Ausmaß individuelle Voraussetzungen gegeben sein müssen, um erfolgreich mit medial präsentierter Information umgehen zu können (vgl. Brünken, Seufert & Jänen, 2008; Brünken & Leutner, 2005).Wie sich zeigen wird, lassen sich hier zum Teil sehr spezifische Zusammenhänge nachweisen (z. B. Park, Moreno & Brünken, im Druck; Seufert, Schütze & Brünken, 2009; Seufert, Zander & Brünken, 2007).

7.2

Theoretische Modelle des Wissenserwerbs mit digitalen Medien

In der gegenwärtigen pädagogisch-psychologischen und medienpädagogischen Forschung zum Wissenserwerb mit digitalen Medien lassen sich zwei sehr prominente, einander ergänzende theoretische Modell festmachen, die eine große Anzahl Untersuchungen inspiriert haben (Mayer, 2005) und die auch zur Basis eher entwicklungs- und anwendungsorientierter Ratgeber geworden sind: die Cognitive Theory of Multimedia Learning (CTML) von Richard Mayer (2005) und die Cognitive Load Theory (CLT) von John Sweller (2005; Plass, Moreno & Brünken, 2010). Betrachtet man die Vielzahl hochrangiger wissenschaftlicher Publikationen zu diesen beiden Modellen in den letzten 15 Jahren, so kann man sicher sagen, dass diese Theorien zu den einflussreichsten pädagogisch-psychologischen Theorien der letzten Dekade gehören. Sie sollen daher im Folgenden etwas genauer betrachtet werden. Wie das Modell von Schnotz (2006), gehört auch die CTML zur Gruppe der kognitionspsychologischen Repräsentationstheorien. Sie basiert dabei auf der Annahme, dass Wissenserwerb dann stattfindet, wenn die dargebotene Information in Form mentaler Repräsentationen im Gedächtnis gespeichert worden ist. Dieser Forschungsansatz ist in der kognitiven Psychologie verbreitet und geht auf die im

108

7 Wissenserwerb mit digitalen Medien

vorangegangenen Kapitel beschriebenen Forschungen zum Lernen mit Texten, insbesondere auf Arbeiten von Kintsch (1988) und Paivio (1986), zurück. Darüber hinaus integriert die CTML Vorstellungen der Verstehensforschung (Wittrock, 1989) und neuere gedächtnispsychologische Forschungsarbeiten, insbesondere zum Arbeitsgedächtnis (Baddeley, 1997).

Abb. 7.1:

Cognitive Theorie of Multimedia Learning (nach Mayer, 2005)

Wie Abb. 7.1 zeigt, unterscheidet die CTML drei interne Verarbeitungsebenen (sensorische Register, Arbeitsgedächtnis, Langzeitgedächtnis) und zwei parallele, kodierungsformspezifische Verarbeitungsstränge (verbale und piktoriale). Mayer greift hier die Theorie der Dualen Kodierung von Paivio (1986) auf und begründet damit auch die explizite Bezeichnung als Theorie medialer Informationspräsentation: „I define multimedia as presenting both words (such as spoken text or printed text) and pictures (such as illustrations, photos, animation, or video).“ (Mayer, 2005, S. 2). Der Prozess der Wissenskonstruktion, wie die CTML ihn beschreibt, umfasst drei Stufen: Selektion, Organisation und Integration. Die Aufgabe des Lernenden besteht demnach darin, aus der Vielzahl der medial dargebotenen verbalen und piktorialen Information diejenigen Anteile auszuwählen, die für sein jeweiliges Wissenserwerbsziel relevant sind. Diese müssen dann zunächst isoliert verarbeitet und schließlich zu einer kohärenten mentalen Repräsentation integriert werden. Dieser Prozess findet dabei unter den Verarbeitungsrestriktionen des Arbeitsgedächtnisses statt, das nur eine begrenzte Menge an Information (limited capacity assumption) kodierungsformspezifisch (dual coding assumption) aktiv verarbeiten und integrieren kann (active processing assumption) (Mayer, 2005). An diesem Punkt knüpft nun die zweite prominente medienpsychologisch relevante Theorie an, die CLT (Plass, Moreno & Brünken, 2010). Auch wenn sie ebenfalls auf repräsentationstheoretischen Annahmen beruht (der Schematheorie von Bartlett, 1932), stellt die CLT eher eine Prozesstheorie als eine Repräsentationstheorie dar. Ihr Ausgangspunkt ist dabei ebenfalls die begrenzte Verarbeitungskapazität des Arbeitsgedächtnisses. Die CLT geht dabei von der Annahme aus, dass diese begrenzte Verarbeitungskapazität flexibel bestimmten kognitiven Prozessen zugeordnet werden kann. Der Wissenserwerb ist dann besonders erfolgreich, wenn möglichst viele mentale Ressourcen solchen Prozessen zugewiesen werden können, die unmittelbar dem Schemaerwerb oder der Schemaelaboration dienlich sind (diese werden als germane load Prozesse bezeichnet). Gleichzeitig sollten mentale Ressourcen nicht für solche Prozesse vorgehalten werden müssen, die zur aktuellen Informationsaufnahme notwendig, aber nicht verstehensförderlich sind (so genannte extraneous load Prozesse). Die Idee lässt sich anhand

7.2 Theoretische Modelle des Wissenserwerbs mit digitalen Medien

109

folgender Situation veranschaulichen: man befindet sich in einer Bahnhofshalle und versucht, die Verbindungsansage zu verstehen. Der Verstehensprozess fällt umso schwerer, je mehr konkurrierende akustische Reize (z. B. vorbeifahrende Züge oder sich unterhaltende Passanten) vorhanden sind. Je lauter es ist, umso mehr mentale Ressourcen müssen für Selektionsprozesse verwendet werden und stehen für den eigentlichen Verstehensprozess nicht mehr zur Verfügung. Ziel jeder (medialen) Informationspräsentation muss es demnach sein, möglichst solche Prozesse zu vermeiden, die extraneous load verursachen und solche zu fördern, die germane load hervorrufen (vgl. Sweller, 2005).

Abb. 7.2:

Ein Rahmenmodell des Wissenserwerbs mit digitalen Medien (aus Brünken & Leutner, 2005)

Beide Theorien, die CTML wie die CLT, sind nun deswegen für die Frage des Wissenserwerbs mit digitalen Medien so relevant geworden, weil sie die Formulierung klarer, empirisch prüfbarer Hypothesen über den Zusammenhang instruktionaler Faktoren der Wissenspräsentation (also der Art und Weise, wie Information medial dargeboten wird) und individueller Voraussetzungen des Wissenserwerbs in Hinblick auf den Erfolg aktueller Wissenskonstruktionsprozesse erlauben. Dies lässt sich in einem integrierten Rahmenmodell der Forschung zum Lernen mit digitalen Medien darstellen wie Abb. 7.2 (Brünken & Leutner, 2005) zeigt. Das Modell unterscheidet drei Ebenen, auf denen relevante Faktoren für den Wissenserwerb mit digitalen Medien lokalisierbar sind. Auf der Bedingungsebene sind dies der Inhalt (was soll gelernt werden), die Instruktionsform (wie wird der Inhalt vermittelt) und die individuellen Lernervoraussetzungen (wer lernt). Auf der Prozessebene geht es um die Bedingungen, unter denen der aktuelle Wissenskonstruktionsprozess abläuft, u. a. die erwähnten Kapazitätsrestriktionen und die Kodierungsform, aber auch um Fragen der Aufmerksamkeitszuweisung und der Strategien des Aufbaus und der Aktivierung mentaler Repräsentationen. Die Repräsentationsebene schließlich beschreibt die Ergebnisse erfolgreicher Wissenskonstruktionsprozesse, z. B. die Art und Komplexität erworbener Schemata oder die Verfügbarkeit mentaler Modelle.

110

7 Wissenserwerb mit digitalen Medien

Die pädagogisch-psychologische und medienpädagogische Forschung hat sich nun insbesondere mit Aspekten der Bedingungsebene befasst, während Fragen der Prozess- und Repräsentationsebenen eher Gegenstand allgemein- und gedächtnispsychologischer Grundlagenforschung waren. Auch die Bedeutung spezifischer Inhalte für den Wissenserwerbsprozess wird eher selten in den Blick genommen. So ist die Annahme zwar trivial, dass komplexere Sachverhalte schwieriger zu erwerben sind als einfache, grundsätzlich nimmt man aber nicht an, dass sich Wissenskonstruktionsprozesse in Abhängigkeit von der Inhaltskomplexität unterscheiden würden. Vielmehr geht man z. B. im Rahmen der CLT davon aus, dass sich die Inhaltskomplexität (element interactivity, Paas et al., 2003) vor allem im Ausmaß der zur Verarbeitung notwendigen Ressourcen niederschlägt (intrinsic load), was wiederum die Menge der bearbeitbaren Information beeinflusst. Empirische Studien dazu sind aber eher selten. Auffallend ist jedoch, dass in den Forschungsanwendungen ein deutliches Übergewicht bestimmter, insbesondere mathematisch/naturwissenschaftlich/technischer Inhaltsbereiche anzutreffen ist, wohingegen eher seltener geistes- und sprachwissenschaftliche Inhalte vorzufinden sind. Ob für solche, eher textdominierten Inhaltsdomänen ggf. andere als die nachfolgend berichteten Effekte zu erwarten sind, ist derzeit empirisch unklar.

7.3

Instruktionale Faktoren des Wissenserwerbs mit digitalen Medien

Die instruktionspsychologische Forschung der letzten 15 Jahre hat eine große Anzahl von Untersuchungen hervorgebracht, die sich mit der Frage befasst haben, welche Aspekte medialer Informationspräsentation den Wissenserwerb fördern können. Im Blick waren dabei zunächst basale Aspekte der Informationspräsentation wie Kodierungsform (Bild oder Text), Modalität (visuell oder auditiv), Präsentationsdynamik (statisch oder animiert) und Präsentationszeit (systemgebunden oder benutzergesteuert). Einige der zentralen Forschungsergebnisse der empirischen Studien wurden bereits in den vorangegangenen Kapiteln angesprochen. Dies betrifft insbesondere die Frage nach der Lernwirksamkeit kombinierter Text-Bild-Darstellungen, so genannter multikodaler Darbietungen (MultimediaEffekt) und Auswirkungen audiovisueller, so genannter multimodaler Informationspräsentation (Modalitäts-Effekt). Zu beiden Fragen liegen mittlerweile eine Vielzahl von Studien (vgl. Mayer, 2005) sowie erste Metaanalysen (Ginns, 2005) vor, die zeigen, unter welchen Bedingungen eine multikodale und mutimodale Präsentation von Lerninhalten den Wissenserwerb fördern. Weniger eindeutig sind die Forschungsbefunde hinsichtlich der Lernwirksamkeit von Animationen (Höffler & Leutner, 2007). Mit Fragen der Systemsteuerung hat sich insbesondere Tabbers (et al., 2004) befasst. Die Arbeitsgruppe um Sweller schließlich hat sich im Rahmen der CLT insbesondere mit der raum-zeitlichen Organisation bildlicher und textueller Information beschäftigt (zusammenfassend Sweller, 2005). Insgesamt zeigten diese und ähnliche Arbeiten, zu denen es mittlerweile eingeführte Übersichtswerke gibt (Mayer, 2001, 2005), vor dem Hintergrund der theoretischen Vorhersagen von CLT und CTML, dass instruktionale Bedingungen der Informationspräsentation insbesondere dann eine Rolle spielen, wenn komplexe Sachverhalte in begrenzter, vom System vorgegebener Zeit verarbeitet und kognitiv anspruchsvolle Aufgaben bearbeitet werden müssen. Hierbei erweisen sich insbesondere solche Darstellungsformen als vorteilhaft, die im Sinne der CLT extraneous load vermeiden. Dabei kann einerseits der Ressourcenverbrauch minimiert werden, indem z. B. visuelle Suchprozesse durch eine optimierte räumliche An-

7.4 Individuelle Unterschiede beim Wissenserwerb mit digitalen Medien

111

ordnung von Information erleichtert werden oder können andererseits die vorhandenen Ressourcen effizienter genutzt werden, wie z. B. durch eine audiovisuelle Informationspräsentation. Neuere Forschungsarbeiten zur instruktionalen Gestaltung digitaler Medien befassen sich dagegen eher mit der Frage, wie durch eine angemessene mediale Unterstützung im Sinne der CLT germane, verstehensfördernde Prozesse implementiert werden können. Beispielhaft hierfür sind etwa die Arbeiten der Gruppe um Renkl, die sich mit der Wirkung ausgearbeiteter Lösungsbeispiele beim Wissenserwerb befasst haben (Atkinson & Renkl, 2007; Renkl, 2005) oder von Bannert, die sich mit der Unterstützung metakognitiver Prozesse durch instruktionale prompts beschäftigt (Bannert, 2006) sowie unsere eigenen Arbeiten zur Förderung der Kohärenzbildung beim Lernen mit multiplen Repräsentationen (Brünken, Seufert & Zander, 2005; Seufert, Jänen & Brünken, 2007). Studien dieser Art zeigen, dass der Wissenserwerb nicht nur passiv – durch Vermeidung überflüssiger, ressourcenbelastender Prozesse – sondern auch gezielt aktiv gefördert werden kann. Neben der direkten Unterstützung kognitiver Prozesse der Informationsorganisation und -integration stellt auch – im Sinne des INVO-Modells – die Förderung lernstrategischer und metakognitiver Aktivitäten eine sinnvolle und effiziente Möglichkeit dar, Wissenserwerbsprozesse instruktional zu unterstützen.

7.4

Individuelle Unterschiede beim Wissenserwerb mit digitalen Medien

Gerade neuere Untersuchungen zur instruktionalen Förderung des Wissenserwerbs haben aber auch gezeigt, dass die erwarteten fördernden Effekte oft nicht für alle Lerner in gleicher Weise aufzufinden sind. So konnte etwa Kalyuga in mehreren Untersuchungen zeigen (Kalyuga et al., 2003), dass im Sinne der CLT instruktional gut gestaltete Lehrmaterialien zwar bei Lernenden mit geringem domänenspezifischen Vorwissen lernförderliche Wirkung zeigten, diese Effekte sich jedoch für Lernende mit hoher domänenspezifischer Expertise ins Gegenteil verkehrten. So erwies sich etwa eine integrierte Präsentation von Texten und Bildern als lernförderlich für Novizen, Experten profitierten jedoch mehr von einer getrennten Präsentation von Text und Bild. Kalyuga et al. (2003) bezeichnen diesen Effekt als expertise reversal effect. Die Erklärung sehen Kalyuga et al. darin, dass Experten bereits über so elaboriertes Domänenwissen verfügen, dass sie keine instruktionale Unterstützung mehr benötigen (etwa textuelle Annotationen zu Bildern). Da sie diese aber auch nicht ignorieren können, müssen sie diese, obwohl nicht lernförderlich, dennoch mitverarbeiten. Die für Novizen sinnvolle Information wird für Experten damit zu überflüssiger, extraneous Belastung, die den Wissenserwerb behindert. Allerdings konnte auch der für Novizen angenommene, lernförderliche Effekt instruktionaler Unterstützung nicht in allen Studien gezeigt werden. Wir selbst konnten mehrfach nachweisen (Seufert, 2003; Seufert, Jänen & Brünken, 2007; Seufert, Schütze & Brünken, 2009), dass ein gewisses Maß an Vorwissen notwendig ist, um von instruktionalen Hilfen zu profitieren. Diese Ergebnisse erscheinen uns jedoch nicht in Widerspruch zu Kalyugas Befunden zu stehen. Vielmehr liegt hier möglicherweise ein nicht linearer Zusammenhang zwischen Vorwissen und instruktionaler Effizienz vor (siehe Abb. 7.3), der durch die oftmals simplen varianzanalytischen Auswertungen herkömmlicher ATI-Studien nicht entdeckt werden konnte (vgl. Brünken & Leutner, 2005). Demnach sollte es einen sensitiven Bereich geben, in dem die Lerner über genügend Vorwissen verfügen, um von der instruktionalen Förderung zu

112

7 Wissenserwerb mit digitalen Medien

profitieren. Lerner mit zu geringem Vorwissen hingegen können nicht profitieren, da sie von der Komplexität der Aufgabe selbst so belastet sind, dass sie unabhängig von ihrer instruktionalen Gestaltung wenig Wissenserwerb zeigen werden (cognitive overload). Lerner, die hingegen bereits Experten in der präsentierten Wissensdomäne sind, profitieren ebenfalls nicht von der instruktionalen Unterstützung, die für sie im Sinne des expertise reversal effects redundant und überflüssig ist.

Abb. 7.3:

Zusammenhang zwischen individuellen Voraussetzungen und der Wirksamkeit instruktionaler Unterstützung beim Wissenserwerb mit digitalen Medien

Natürlich ist nicht nur das Vorwissen ein relevanter individueller Faktor, der den Wissenserwerb beeinflusst. Hierfür kommen eine Reihe weiterer Personenvariablen in Betracht. In der Tat hat man denn auch der Forschung zum Zusammenhang individueller und instruktionaler Faktoren (AptitudeTreatment-Interaction: ATI) häufig vorgehalten, beliebige Eigenschaften herauszugreifen und schlecht replizierbare Ergebnisse zu liefern (Brünken & Leutner, 2005). Auch hier können aber möglicherweise die Vorstellung von Wissenserwerb als erfolgreicher Informationsverarbeitung und heuristische Modelle wie das INVO-Modell (Hasselhorn & Gold, 2006) eine nützliche Eingrenzung potentiell bedeutsamer Faktoren liefern. Neben dem Vorwissen werden im INVO-Modell als weitere kognitive Faktoren Aspekte von Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis sowie kognitive und metakognitive Lernstrategien genannt. In mehreren empirischen Studien konnten wir zeigen, dass etwa die Arbeitsgedächtniskapazität (Seufert, Schütze & Brünken, 2009) und strategische Fertigkeiten (Seufert, Zander & Brünken, 2007) wichtige Prädikatoren der Wirksamkeit instruktionaler Maßnahmen darstellen (Münzer, Seufert & Brünken, im Druck). Darüber hinaus haben wir zeigen können, dass basale kognitive Fähigkeiten, wie etwa das räumliche Vorstellungsvermögen ebenfalls relevante Einflussgrößen darstellen. Insgesamt lässt sich dabei festhalten, dass gute kognitive Fähigkeiten in der Regel im Sinne einer „ability-as-

7.5 Digitale Medien zur Förderung des Wissenserwerbs: Stand der Forschung und Perspektiven

113

enhancer-Hypothese“ (Mayer & Sims, 1994) wirken: d. h. in aller Regel ist eine gute kognitive Ausstattung Voraussetzung dafür, dass instruktionale Unterstützungen beim Lernen mit digitalen Medien effizient genutzt werden können. Für eine Supplantation im Sinne der Hypothese von Salomon (1979), die erwarten ließe, dass gerade schwächere Lerner von besonders guter medialer Aufbereitung profitieren würden, finden sich hingegen nur wenig Hinweise.

7.5

Digitale Medien zur Förderung des Wissenserwerbs: Stand der Forschung und Perspektiven

In diesem Beitrag wurde der Frage nachgegangen, ob und in welcher Weise digitale Medien Wissenserwerbsprozesse unterstützen können. Ausgehend von kognitionspsychologischen Modellen und basierend auf einer Reihe empirischer Forschungsarbeiten lässt sich die Frage teilweise positiv beantworten: Unter spezifischen Bedingungen können medial vermittelte Informationen den Wissenserwerb fördern. Diese Bedingungen, wie etwa Lernereigenschaften oder gestalterische Merkmale, können anhand des in Abb. 7.2 gezeigten Rahmenmodells veranschaulicht werden. Darüber hinaus dient dieses Modell auch als Forschungsrahmen, um in zukünftigen Arbeiten weitere Einflussfaktoren zu spezifizieren. In Hinblick auf die Analyse von Lernermerkmalen lässt sich beispielsweise beobachten, dass neben den bislang fokussierten kognitiven Merkmalen auch motivationale oder affektive Lernervariablen zunehmend untersucht werden. Auf Seiten des zu lernenden Inhaltsbereichs als Bedingungsfaktor wäre eine solche Ausweitung des Spektrums hin zu geisteswissenschaftlichen und vermehrt sprachorientierten Themen, wie oben erwähnt, wünschenswert. Der Frage, wie Informationen dargestellt werden sollten um den Wissenserwerb zu fördern, wurde bislang am meisten Aufmerksamkeit geschenkt. Dennoch bleiben auch hier weiterhin viele Fragen offen, die sich auch durch die Entwicklung neuer Technologien ergeben: Wie können beispielsweise mobile Lernsysteme sinnvoll genutzt werden und welche Designparameter sind bei immer kleineren Displays oder vermehrten Interaktionsbedürfnissen zu berücksichtigen? Der Analysebereich der Prozessebene erlaubt praktische, aber vor allem theoretische Implikationen und sollte deshalb in zukünftigen Forschungsarbeiten vermehrt Berücksichtigung finden. Wenn die einzelnen kognitiven, motivationalen sowie metakognitiven Prozesse beim Wissenserwerb besser verstanden werden, lassen sich gezielte instruktionale Maßnahmen entwickeln, die diese Prozesse fördern. Hierzu können prozessbezogene Daten beispielsweise Aufschluss über die Beeinflussung der Bereitstellung und Allokation kognitiver Ressourcen geben. Aber auch spezifische Teilprozesse wie die Integration verschiedener Darstellungsformen oder die lernergesteuerte Informationsauswahl, die für den Wissenserwerb mit digitalen Medien kennzeichnend sind, könnten so besser verstanden werden. Bezogen auf die Repräsentationsebene lassen sich, wie gezeigt, ebenfalls unterschiedliche Effekte medialer Wissensvermittlung nachweisen. Diese lassen sich jedoch nicht nur nach der Verarbeitungstiefe, sondern beispielsweise auch nach der Art des konstruierten Wissens, z. B. nach struktur- bzw. prozessbezogener Information, differenzieren. Je nach funktionalen Eigenschaften der dargebotenen Information sind entsprechend unterschiedliche mentale Wissensstrukturen zu erwarten. Diese Zusam-

114

7 Wissenserwerb mit digitalen Medien

menhänge machen deutlich, dass der Wissenserwerbsprozess mit digitalen Medien die Analyse von Faktoren aller genannten Einflussebenen erfordert. Darüber hinaus ist es aber vor allem das Zusammenwirken mehrerer Faktoren über verschiedene Ebenen hinweg, das den komplexen Prozess erfolgreichen medienvermittelten Lernens aufklären kann.

8

Adaptivität und Adaptierbarkeit beim Online-Lernen

Detlev Leutner

Benutzer von online zugänglichen Lehr- und Informationssystemen unterscheiden sich im Ausmaß an Unterstützung, die sie benötigen, um angestrebte Lehr- und Informationsziele erfolgreich und mit vertretbarem Aufwand erreichen zu können. Auf der Basis instruktionspsychologischer Theorien werden in diesem Beitrag empirisch überprüfte Möglichkeiten aufgezeigt, wie dieser Unterschiedlichkeit durch die Implementation adaptiver Lehrfunktionen entsprochen werden kann. Schlüsselbegriffe: Instruktionspsychologie, Lernen & Lehren, Lehrfunktion, Adaptierbarkeit, Adaptivität

116

8 Adaptivität und Adaptierbarkeit beim Online-Lernen

Im Hinblick auf erfolgreiches Online-Lernen gibt es erhebliche interindividuelle Unterschiede. So gibt es Benutzer, die sich sowohl im Umgang mit Informationssystemen allgemein als auch in dem jeweiligen Gegenstandsbereich, um den es aktuell geht, recht gut auskennen und lediglich einige sehr spezifische Informationen nachschlagen wollen. Derartige „Experten“ benötigen wenig Unterstützung, um ihr Informationsziel zu erreichen; im Gegenteil, es kann sogar sein, dass dieser Personenkreis durch zu viel Unterstützung behindert wird (Clark, 1987: „when teaching kills learning“; vgl. auch Lohman, 1986). Andererseits gibt es Benutzer, die sich weder im Umgang mit Informationssystemen noch im jeweiligen Gegenstandsbereich auskennen. Derartige "Novizen" benötigen in der Regel sehr viel Unterstützung, um die zu erreichenden Lehr- oder Informationsziele möglicherweise überhaupt jemals erreichen zu können. „Experten“ und „Novizen“ markieren die Endpunkte einer Dimension des Unterstützungsbedarfs. Dabei ist zu berücksichtigen, dass ein individueller Benutzer sich im Laufe der Zeit vom „Novizen“ zum „Experten“ entwickeln kann und sein Unterstützungsbedarf demzufolge im Laufe der Zeit kontinuierlich abnimmt, und zwar – sofern keine andere Unterstützung gegeben wird – in alleiniger Abhängigkeit vom Erfolg seiner Interaktion mit dem Lehr- oder Informationssystem. Aus diesem Grund muss ein wesentliches Ziel der Gestaltung derartiger Systeme darin bestehen, nicht nur die Benutzerfreundlichkeit (engl. usability), sondern darüber hinaus auch die Lernerfreundlichkeit (engl. learnability) durch angemessene Systemanpassungen (Adaptationen) auf einem möglichst hohen Niveau zu realisieren. Im weiteren Verlauf dieses Kapitels werden zunächst die instruktionspsychologischen Grundlagen für die Gestaltung adaptiver Lehr- und Informationssysteme dargestellt. Es folgen Überblicke über Möglichkeiten zur Gestaltung adaptierbarer Systeme (Makro-Adaptation) und adaptiver Systeme (MikroAdaptation). Abschließend werden einige offene Fragen und Probleme erörtert.

8.1

Instruktionspsychologische Grundlagen

Instruktionspsychologie ist die Psychologie des Lehrens und Lernens bzw. die Psychologie des Lernens unter Einfluss des Lehrens (vgl. Klauer & Leutner, 2007; Leutner, 2006a). In diesem Abschnitt geht es zunächst um die Festlegung einiger grundlegender Begriffe und anschließend um den Sinn und den Zweck der adaptiven Gestaltung multimedialer Lehr- und Informationssysteme.

8.1.1

Lehren und Lernen

Entsprechend gängiger kognitionspsychologischer Auffassung wird im Folgenden unter Lernen der individuelle Prozess des Erwerbs und der Veränderung von Wissen, von Fertigkeiten und von Einstellungen verstanden (vgl. Leutner, 2006a). Der Prozess ist (1) individuell, da er – nicht direkt beobachtbar – innerhalb des jeweils lernenden Individuums lokalisiert ist; soziales Lernen im Sinne des Lernens in der Anwesenheit weiterer lernender Individuen ist ein anderes Thema, bei dem die externe Gestaltung von Lehr-Lernsituationen im Mittelpunkt steht. Es geht (2) nicht nur um den Erwerb, sondern in gleicher Weise auch um die Veränderung von Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen. Dies ist erforderlich, da Lernende in der Regel nicht als „tabula rasa“ zu verstehen sind, sondern als Personen mit

8.1 Instruktionspsychologische Grundlagen

117

einer individuell gegebenen Lerngeschichte, die es in aller Regel zu berücksichtigen gilt. Schließlich bezieht sich Lernen (3) nicht nur auf Wissen, sondern darüber hinaus auch auf Fertigkeiten im Sinne einer hoch-trainierten Anwendung des erworbenen Wissens (Anderson, 1983) und auf Einstellungen im Sinne von positiv bis negativ bewertbaren Orientierungen gegenüber Objekten oder Sachverhalten (Guttman, 1981). Zu beachten ist schließlich (4), dass Lernen als automatisch ablaufender Prozess verstanden wird. Demgegenüber bezieht sich der in der Alltagssprache häufig verwendete Begriff des Lernens im Sinne zielgerichteten Handelns wie z. B. „Studieren“, „Auswendiglernen“, „Büffeln“, „Pauken“ etc. in der hier verwendeten Terminologie auf die Selbststeuerung oder Selbstregulation von Lernprozessen: Wer „studiert“, „büffelt“ oder „paukt“, ist gewissermaßen sein eigener Lehrer (Klauer, 1973; Klauer & Leutner, 2007), wobei der Begriff „Lehrer“ im Folgenden auch für „Ausbilder“ und „Trainer“ steht. Lehren ist in diesem Sinne nichts anderes als eine Tätigkeit, von der begründet angenommen werden kann, dass sie Lernprozesse beeinflusst (vgl. Klauer & Leutner, 2007).

8.1.2

Lehrfunktionen

Die Frage nach dem Sinn und dem Zweck von Lehrtätigkeiten betrifft die Frage nach so genannten Lehrfunktionen (Klauer, 1985; Klauer & Leutner, 2007; Leutner, 2006a). Damit Lernen – bei gegebenen Lehr- oder Qualifikationszielen – überhaupt stattfinden kann, muss zum einen gewährleistet sein, dass die Lernenden motiviert sind (Lehrfunktion 1: Motivation). Dann müssen sie auf die lehrzielrelevanten Informationen zugreifen können und diese in angemessener Weise aufnehmen (Lehrfunktion 2: Information). Dies reicht aber nicht aus; sie müssen die Informationen auch verstehen (Lehrfunktion 3: Informationsverarbeitung), behalten (Lehrfunktion 4: Speichern und Abrufen) und von der spezifischen Lernsituation ablösen können (Lehrfunktion 5: Anwendung; Lehrfunktion 6: Transfer). Schließlich muss dafür gesorgt werden, dass jede dieser sechs Lehrfunktionen tatsächlich auch angemessen realisiert wird (Lehrfunktion 7: Steuerung und Kontrolle).

8.1.3

Adaptives Lehren

Die „Kunst des Lehrens“ (Skinner, 1954) besteht nun darin, für eine optimale Passung zwischen dem (intern) gegebenen Unterstützungsbedarf der lernenden Person und dem (extern) in der LehrLernsituation zur Verfügung gestellten Unterstützungsangebot zu sorgen (Snow, 1992; Leutner, 2004): Im Extremfall von im höchsten Ausmaß selbstgesteuert Lernenden würde es ausreichen, sie mit einer vollständig unbekannten, komplexen Situation zu konfrontieren, die es langfristig und zeitlich überdauernd zu meistern gilt. Alles andere würde dann von den Lernenden selbst geleistet werden, angefangen bei der Festlegung einer Sequenz adäquater Lehr- (bzw. in diesem Fall: Lern-) oder Qualifikationsziele bis hin zur Realisierung adäquater Maßnahmen, die die Übertragung des Gelernten auf andere, neuartige Situationen gewährleisten. Im Extremfall von im höchsten Ausmaß unselbständig Lernenden dagegen wäre es erforderlich, alles dieses als Unterstützungsangebot extern bereitzustellen. Die „Kunst“ besteht letztendlich darin, zwischen diesen beiden Extremen einen geeigneten, d. h. einen an die Lernenden angepassten oder adaptierten „mittleren“ Weg realisieren zu können. Die Frage nach der Adaptivität von Lehr- und Informationssystemen bezieht sich damit auf die Frage, inwieweit das System selbst in der Lage ist, den Unterstützungsbedarf der Lernenden zu diagnostizieren und das Ergebnis der

118

8 Adaptivität und Adaptierbarkeit beim Online-Lernen

Diagnose in geeignete angepasste Lehrtätigkeit umzusetzen. Davon unterschieden wird im Folgenden die Frage nach der Adaptierbarkeit von Lehr- und Informationssystemen. Hierbei geht es um die Frage, inwieweit ein System auf der Grundlage einer extern vorgenommenen Diagnose durch extern vorgenommene Eingriffe so eingestellt werden kann, dass es dem Unterstützungsbedarf der Lernenden möglichst gut entspricht.

8.1.4

Wie und warum adaptiv Lehren?

Mit Salomon (1972) lassen sich drei Zwecke des adaptiven Lehrens unterscheiden (vgl. Leutner, 1992a): (1) Es sollen Lerndefizite auf Seiten der Lernenden beseitigt werden (Fördermodell). In der Regel geschieht dies durch zusätzliche Lehrmaßnahmen, die sicherstellen, dass die erforderlichen Lernvoraussetzungen zum Erreichen eines Lehr- oder Qualifikationsziels geschaffen werden. (2) Es sollen Lerndefizite auf Seiten der Lernenden kompensiert werden (Kompensationsmodell). Dies ist immer dann erforderlich, wenn das Fördermodell nicht realisierbar ist, z. B. bei unzureichenden Lernvoraussetzungen motivationaler oder intellektueller Art, die sich einer kurzfristig erreichbaren Beseitigung entziehen. (3) Es sollen Stärken auf Seiten der Lernenden nutzbar gemacht werden (Präferenzmodell). Dies bietet sich immer dann an, wenn erkenntlich ist, dass die lernende Person über bestimmte günstige Lernvoraussetzungen verfügt, deren Nutzung es erlauben, den Lernprozess qualitativ oder quantitativ zu optimieren.

8.2

Adaptierbarkeit

8.2.1

Makro-Adaptation und Steuerung von Lernprozessen

Ein System ist dann adaptierbar, wenn es durch externe Eingriffe an veränderte Bedingungen angepasst werden kann. Alltägliche Beispiele sind der verstellbare Autositz oder die handventil-gesteuerte Heizung in einem PKW. Manche Anwendersoftware ist z. B. dadurch adaptierbar, dass das Auswahlmenü der Systemfunktionen verändert und an den spezifischen Bedarf des Benutzers angepasst werden kann. In der instruktionspsychologischen Literatur wird diese Art der Adaptation seit Cronbach (1967) als Makro-Adaptation bezeichnet (vgl. auch Lee & Park, 2008). Im Gegensatz zur Mikro-Adaptation (s. u.) wird die Anpassung des Lehrsystems in größeren zeitlichen Abständen vorgenommen, mindestens aber einmal zu Beginn der jeweiligen Lehreinheit. Es handelt sich um den Versuch, Lernprozesse im Sinne eines offenen Wirkungskreises zu steuern (feed-forward, open-loop control), wobei die unmittelbaren Ergebnisse der Lehrmaßnahmen dem Lehrsystem nicht rückgekoppelt werden und somit keine Regelung im eigentlichen Sinne stattfindet (vgl. Leutner, 1992a). Es ist offensichtlich, dass diese Art der Steuerung von Lernprozessen nur dann sinnvoll ist, wenn das Lehrsystem an solche Eigenschaften der lernenden Person adaptiert wird, die im Verlauf des Lernens als wenig veränderlich angenommen werden. In der Regel handelt es sich um Lernvoraussetzungen, die entweder den Charakter von Persönlichkeitseigenschaften wie Intelligenz und Ängstlichkeit oder den

8.2 Adaptierbarkeit

119

Charakter von kognitiven Stilen, Lernstilen, Interessen, Einstellungen etc. haben. Darüber hinaus ist es sinnvoll, qualitative und quantitative Unterschiede des Vorwissens zur Adaptation heranzuziehen. Das Forschungsparadigma zur Identifikation adaptations-relevanter Lernereigenschaften ist die ATIForschung (z. B. Brünken & Leutner, 2005; Cronbach, 1967; Cronbach & Snow, 1977; Jonassen & Grabowski, 1993; Schwarzer & Steinhagen, 1975). „ATI“ steht für „aptitude-treatment-interaction“, für die Wechselwirkung von individuellen Lernvoraussetzungen und eingesetzten Lehrmethoden. So zeigte sich z. B. in vielen Untersuchungen, dass intellektuell schwächer begabte Lernende am meisten von einer hoch strukturierten Lernsituation, während intellektuell höher begabte Lernende auch von wenig strukturierten Lernsituationen profitieren und mitunter sogar durch eine zu hohe Strukturierung in ihrem Lernfortschritt behindert werden.

8.2.2

Beispiele

Jonassen und Grabowski (1993) referieren zusammenfassend Untersuchungen, die nahelegen, dass manche Lernende eher Bilder, während andere eher Texte beim Lernen bevorzugen. Dieser Sachverhalt beschreibt einen so genannten kognitiven Stil, hinsichtlich dessen sich Visualisierer und Verbalisierer unterscheiden lassen (Leutner & Plass, 1998). Im Sinne von Salomons Kompensations- und Präferenzmodell (s. o.) kann man nun annehmen, dass multimediale Lernumgebungen, welche dieselben Lehrinhalte sowohl anhand von Bildern als auch anhand von Texten darstellen, sowohl für Visualisierer als auch für Verbalisierer gut angepasste Lernbedingungen bieten. Diese Hypothese wurde anhand eines multimedialen Hypertextes überprüft (Plass, Chun, Mayer & Leutner, 1998). Der Hypertext enthielt einen deutschsprachigen literarischen Text und wurde im Fach „Deutsch als Fremdsprache“ an einem US-amerikanischen College eingesetzt. Zu unbekannten Wörtern konnten Erläuterungen entweder in Form von Text oder in Form von Text und Bild bzw. Text und Video-Sequenz abgerufen werden. Es stellte sich heraus, dass es tatsächlich interindividuell unterschiedliche und zeitlich stabile Präferenzen in der Bevorzugung von Texten einerseits und Bildern oder Video-Sequenzen andererseits gibt und dass, wie erwartet, Verbalisierer von textuellen und Visualisierer von bildlichen Erläuterungen profitieren. Die Einbindung von Video brachte den Visualisierern jedoch, über die Bilder hinaus, keinen zusätzlichen Vorteil. Zu dieser Untersuchung ist anzumerken, dass es sich um eine sehr spezielle Form der Makro-Adaptation handelt, bei welcher die lernende Person nicht einer extern adaptierten Lernbedingung zugewiesen wird, sondern bei welcher sie sich selbst durch eigene Auswahl die von ihr präferierte Lernbedingung schafft. Damit ist ein Problem angesprochen, das unter dem Stichwort „Lernerkontrolle“ (s. u.) diskutiert wird. Ein eher klassisches Beispiel für Makroadaptation wurde vor Jahren schon für den Einsatz bei Softwaretrainings untersucht. In diesem Bereich ist bekannt, dass viele Personen erhebliche Schwierigkeiten haben, den effektiven und gleichzeitig auch effizienten Umgang mit moderner, komplexer PCSoftware zu erlernen: Gerade zu Beginn des Lernprozesses wird man immer wieder die zu benutzenden Funktionen suchen müssen und sich im „Dschungel“ von Funktionsmenüs verirren, bevor man mit zunehmendem Lernfortschritt eine tragfähige kognitive Struktur der Software aufgebaut hat. Im Rahmen eines so genannten „Training-Wheels“-Ansatzes (vgl. Carroll, 1990; Bannert, 2000; Bannert & Fach, 1996; Weinberg, 1998) werden den Lernenden zu Beginn eines Softwaretrainings sehr einfache Übungsaufgaben gegeben, und die Funktionalität der Software wird so weit reduziert, dass nur diejenigen Funktionen zur Verfügung stehen, die zur Bearbeitung der Aufgaben erforderlich sind. Im Laufe

120

8 Adaptivität und Adaptierbarkeit beim Online-Lernen

des weiteren Trainings werden die Aufgaben dann Schritt für Schritt komplexer, und auch die Funktionalität der Software wird parallel dazu Schritt für Schritt erweitert, so dass den Lernenden am Ende des Trainings die Software in ihrer vollständigen Funktionalität zur Verfügung steht. Diese makro-adaptive Vorgehensweise erwies sich in umfangreichen Trainingsexperimenten mit hochkomplexer ComputerAided-Design-Software als ausgesprochen lernförderlich (Leutner, 2000; Weinberg, 1998).

8.3

Adaptivität

8.3.1

Mikro-Adaptation und Regelung von Lernprozessen

Ein System ist dann adaptiv, wenn es sich selbständig an veränderte Bedingungen anzupassen vermag. Alltägliche Beispiele sind die elektronische Motorregelung moderner PKW oder die gängige thermostat-geregelte bzw. außenfühlergeführte Heizung in Wohn- und Arbeitsräumen. Manche Anwendersoftware ist z. B. im Hinblick auf die Bereitstellung kontext-sensitiver Hilfen adaptiv: Die Software erkennt den augenblicklichen „Standort“ des Benutzers und bietet ihm – bei entsprechender Anfrage oder sogar selbst-initiativ – „standort“-angepasste Hilfen an. In der instruktionspsychologischen Literatur wird diese Art der Adaptation seit Cronbach (1967) als Mikro-Adaptation bezeichnet (vgl. auch Lee & Park, 2008). Im Gegensatz zur Makro-Adaptation (s. o.) wird die zu Beginn vorgenommene Anpassung des Lehrsystems andauernd, d. h. in sehr kurzen zeitlichen Abständen, überprüft und aktualisiert. Es handelt sich um den Versuch, Lernprozesse im Sinne eines geschlossenen Wirkungskreises zu regeln (feed-back, closed-loop control), wobei die unmittelbaren Ergebnisse der Lehrmaßnahmen dem Lehrsystem rückgekoppelt werden und zur weiteren Verwendung zur Verfügung stehen (vgl. Leutner, 1992a). Es ist offensichtlich, dass diese Art der Regelung von Lernprozessen nur dann sinnvoll ist, wenn das Lehrsystem solche Eigenschaften der Lernenden zur Adaptation heranzieht, die im Verlauf des Lernens als veränderlich angenommen werden. Im einfachsten Fall handelt es sich um den augenblicklichen Wissensstand, der sich vergleichsweise leicht und im Verlauf des Lernens auch wiederholt diagnostizieren lässt (vgl. Leutner, 1993a).

8.3.2

Beispiele

Die in diesem Abschnitt dargestellten Beispiele entstammen der zum Teil schon älteren Forschung zu Adaptiven Lehrsystemen. Viele sind bei Leutner (1992a) detaillierter dargestellt (vgl. auch Leutner, 2004); manche können auch bei Vilsmeier (1992) oder Lee & Park (2008) nachgelesen werden. Im Übrigen werden nur solche Adaptationsregeln erörtert, deren Wirksamkeit anhand von LehrLernexperimenten empirisch nachgewiesen ist. Adaptation des Instruktionsumfangs und der Lernzeit: Im Sinne zielerreichenden Lehrens und Lernens sollte so lange unterrichtet oder trainiert werden, bis die Lernenden das zuvor gesteckte Ziel erreicht haben. Zu diesem Zweck muss der augenblickliche Wissensstand in kurzen Zeitabständen wiederholt diagnostiziert werden, und es muss entschieden werden, ob noch weiter gelernt werden soll oder ob das nächste Ziel schon angestrebt werden kann (vgl. Klauer & Leutner, 2007). Es gibt verschiedene und z.

8.3 Adaptivität

121

T. testdiagnostisch sehr komplexe Ansätze, dies zu realisieren (z. B. Tennyson & Rothen, 1977; Vos, 1995). Experimentell konnte aber gezeigt werden, dass es in der Regel völlig ausreicht, festzustellen, ob die lernende Person bei der Bearbeitung von Aufgaben, die das jeweilige Lehrziel repräsentieren, die letzten fünf Aufgaben in Folge richtig bearbeitet hat (Leutner, 1992b, 1993a). In diesem Fall wird die Person z. B. mit 75 % Sicherheit in der Lage sein, mehr als 75 % aller Aufgaben desselben Typs richtig bearbeiten zu können. Adaptation der Instruktionssequenz: Hierbei handelt es sich um eine Adaptationsmaßnahme, die schon ein wesentliches Merkmal der so genannten „Programmierten Instruktion“ der 1960er Jahre darstellt (vgl. Leutner, 2006b). In Abhängigkeit davon, welchen Fehler die lernende Person bei der Bearbeitung einer Aufgabe begeht, wird sie zu einer ganz bestimmten Folgeaufgabe „verzweigt“. Beim Begriffslernen lassen sich empirisch nachweisbar sehr effektive Generalisierungs- und Diskriminationsstrategien einsetzen, anhand derer zunächst der Prototyp eines Begriffs aufgebaut und erst dann die Klassifikation untypischer Beispiele trainiert wird (Park & Tennyson, 1980). Adaptation der Aufgaben-Präsentationszeit und adaptive Antwortzeitbegrenzung/Systemwartezeit: Zur Beschleunigung des Übergangs von deklarativem zu prozeduralem Wissen, d. h. vom Wissen zum Können im Sinne des Erwerbs einer Fertigkeit, ist es angebracht, die lernende Person zu Beginn des Übens möglichst wenig Fehler begehen zu lassen (Anderson, 1983). Dies lässt sich z. B. dadurch erreichen, dass dann, wenn die Bearbeitung einer Aufgabe fehlerhaft war, die für die nächste Aufgabe zur Verfügung gestellte Bearbeitungszeit – entgegen der Intuition – reduziert und erst nach einer richtigen Aufgabenlösung wieder verlängert wird. Die Nützlichkeit dieses Vorgehens konnte anhand zahlreicher Experimente belegt werden (z. B. Tennyson & Park, 1984; Leutner & Schumacher, 1990). Eine interessante Variante der Verwendung von Zeitinformationen (in diesem Fall: Störungen im „taktmäßigen“ Ausführen von Funktionsaufrufen) lässt sich übrigens einsetzen, um Software-Nutzern (in diesem Fall: Computer-Aided-Design) adaptiv Unterstützungsvorschläge zu unterbreiten, ohne dass der Benutzer selbst eine Anfrage an das Hilfesystem richtet (Günther, 1992). Adaptation der Aufgabenschwierigkeit: Litchfield, Driscoll & Dempsey (1990) beschreiben eine Regel, wie die Schwierigkeit von Übungsaufgaben adaptiert werden kann. Gegeben eine Anordnung von Aufgaben in Schwierigkeitsstufen, besteht die Regel darin, die lernende Person bei einer richtigen Antwort unmittelbar zur nächsthöheren Schwierigkeitsstufe zu leiten, während sie bei einer falschen Antwort wieder zur nächstniedrigeren Stufe zurückverwiesen wird. Die Anwendung der Regel führte im Experiment zum – im Vergleich zu einer Kontrollbedingung – beschleunigten Erreichen des Lehrziels bei gleichem Wissensstand (vgl. auch die aktuellen Arbeiten der Gruppe um van Merriënboer und Paas an der Open University in Heerlen, Niederlande, bei denen es insbesondere auch um die Adaptation der Aufgabenschwierigkeit an die aktuelle kognitive Belastung der lernenden Person geht; z. B. Corbalan, Kester & van Merriënboer, 2006; Salden, Paas & van Merriënboer, 2006). Besonders einfach lässt sich die Schwierigkeit von Aufgaben adaptieren, wenn die Aufgaben dem Rasch-Testmodell entsprechen. Für diesen Fall konnte der experimentelle Nachweis erbracht werden, dass vergleichsweise einfach gestaltete computer-adaptive Testverfahren (CAT) beachtliche Lernwirkungen entfalten können, wenn – anders als beim reinen Testen – unmittelbar nach der Bearbeitung einer jeden Testaufgabe eine detaillierte und informative Rückmeldung zu ihrer Lösung gegeben wird (Weinberg, Hornke & Leutner, 1994). Adaptive Hilfen beim entdeckenden Lernen: In einer Reihe von Experimenten konnte nachgewiesen werden, dass beim entdeckenden Lernen mit computersimulierten Planspielen vor allem dann spiel-

122

8 Adaptivität und Adaptierbarkeit beim Online-Lernen

übergreifendes Wissen gelernt wird, wenn die zur Bewältigung der jeweiligen Problemsituation erforderliche Hintergrundinformation den Lernenden explizit verfügbar ist und wenn auf diese Informationsquelle adaptiv aufmerksam gemacht wird. Der Hinweis sollte situativ genau dann erfolgen, wenn erkenntlich ist, dass die Information (1) in der Situation nützlich ist und (2) von den Lernenden bisher noch nicht zur Kenntnis genommen wurde (Leutner, 1992a, 1993b, 1994; Leutner & Schreiber, 1992). Adaptive Definition neu zu lernender Begriffe: Im Sinne vernetzten Lernens (Norman, 1973; Treinies & Eindsiedler, 1993; vgl. auch Klauer & Leutner, 2007) und der möglichst engen Anbindung neuen Wissens an schon vorhandenes Wissen bietet es sich an, neue Wissensinhalte adaptiv unter Verwendung genau derjenigen Begriffen einzuführen, die kurz zuvor erworben wurden. Die Anwendung der etwas älteren Wissensbestände wird damit andauernd trainiert, und die neuen Inhalte werden eng mit den alten verbunden. Anhand eines Experimentes zum Lehren hierarchisch organisierter Begriffssysteme konnte die Wirksamkeit dieser – z. B. zur Gestaltung adaptiver Hypermedia-Systeme einsetzbaren – Vorgehensweise belegt werden (Leutner, 1992c). Adaptiver Informationszugriff in Hypermedia-Systemen: Hier geht es um die Frage des on-linedynamischen Verbindens der Informationseinheiten eines umfangreichen Hypermediums (dynamic linking; vgl. Brusilovsky, Kobsa & Vassileva, 1998) unter Einbeziehung von online-erfassbaren Eigenschaften des Informations-Sucheverhaltens eines Benutzers. Die grundlegende Überlegung ist die, dass dem Benutzer automatisch diejenigen Informationseinheiten zur Einsicht angeboten werden sollten, die, lexikographisch analysierbar, möglichst viel mit dem gemeinsam haben, für das er sich augenblicklich zu interessieren scheint (Brünken, 1998; Leutner et al., 1997).

8.4

Offene Fragen und Probleme

In diesem Abschnitt werden einige offene Fragen und Probleme erörtert, die sich aus der adaptiven Gestaltung von Lehr- und Informationssysteme ergeben. Lohnt sich der Adaptationsaufwand? Diese zentrale Frage ist nicht leicht zu beantworten. Zumindest konnte schon vor Jahren anhand von Metaanalysen nachgewiesen werden, dass ein Lehrsystem, in dem eine adaptiv gestaltete Lehrfunktion implementiert ist, gegenüber demselben System ohne die betreffende adaptive Lehrfunktion einen deutlich erhöhten Lernerfolg erwarten lässt (Leutner, 1992a). Ob dieser erzielbare Nutzen sich in Relation zum Implementationsaufwand allerdings lohnt, muss betriebswirtschaftlichen Überlegungen überlassen bleiben. Lernerkontrolle vs. Systemkontrolle? Hinter dieser Frage steht das in der Literatur zu computerbasierten Lehrsystemen häufig diskutierte Problem, wie viel Freiraum man den Lernenden beim Lernen lassen sollte. Die Antwort ist im Grunde genommen recht einfach: Wenn erkenntlich oder zumindest wahrscheinlich ist, dass die lernende Person allein zurechtkommt, dann sollte man sie nicht mit unerwünschten Eingriffen in den Lernprozess behelligen (vgl. Clark, 1987: „when teaching kills learning“). Im anderen Fall ist Unterstützung erforderlich. Genau dies aber ist der Sinn und Zweck der Implementation adaptiv gestalteter Lehrfunktionen in Lehr- und Informationssystemen. Adaptive Lehrsysteme vs. Intelligente Tutorielle Systeme? Nach verbreiteter Auffassung der 1980er und 1990er Jahre waren sog. „Intelligente Tutorielle Systeme“ solche Lehrsysteme, bei denen Verfahren

8.5 Ausblick

123

der Künstlichen Intelligenz eingesetzt werden – was aber nur in wenigen eng begrenzten Wissensbereichen realisiert werden konnte und dementsprechend nur geringe Verbreitung gefunden hat. Die Implementation adaptiver Lehrfunktionen in „Adaptiven Lehrsystemen“ dagegen kann in der Regel ohne Künstliche Intelligenz auskommen und entsprechend mit vergleichsweise geringem Aufwand in beliebigen Wissensbereichen realisiert werden. Online vs. offline? Auf den ersten Blick könnte man den Eindruck gewinnen, dass die Implementation adaptiver Lehrfunktionen sich auf den Einsatz von Lehr- und Informationssystemen beschränkt, die lokal (offline) auf einem PC installiert sind. Auch wenn sich der überwiegende Teil der Forschung zu adaptiven Lehrsystemen auf Systeme bezieht, die lokal installiert sind, täuscht dieser Eindruck: Auch nur über Inter- oder Intranet online zugängliche Lehr- und Informationssysteme ermöglichen ein hinreichendes Ausmaß an Interaktivität, um den Einsatz von Lehrfunktionen systemseitig adaptiv gestalten zu können (vgl. Leutner, 2004). Neue Anforderungen an die Ausbildung von Lehrern, Ausbildern und Trainern? Im Hinblick auf die zunehmende Verbreitung online zugänglicher Lehr- und Informationssysteme sollten Lehrer, Ausbilder und Trainer die Einsatzmöglichkeiten und die Leistungsfähigkeit derartiger Systeme angemessen einschätzen können. Darüber hinaus fällt ihnen die Aufgabe zu, adaptiv diejenigen Lehrfunktionen zu realisieren, die weder vom System noch von der lernenden Person selbst erbracht werden. Dies zu erkennen und umzusetzen, besteht ein erheblicher Qualifikationsbedarf (vgl. Astleitner & Leutner, 1994).

8.5

Ausblick

Wie bei fast allen neuen Technologien ist auch bei neuen Lehr-Lernmedien regelmäßig zu beobachten, dass sie auf Seiten der potentiellen Nutzer und Nutznießer sehr hohe, manchmal sogar euphorische Erwartungen wecken. Dies gilt insbesondere auch für die hier zur Diskussion stehenden online zugänglichen Lehr- und Informationssysteme. Es ist offensichtlich, dass solche Lehr- und Informationssysteme nicht schon deshalb besonders wirksam sind, weil sie mit modern klingenden Etiketten wie „Online-Learning“ oder „E-Learning“ werben. Will man mehr erreichen als bloßes Ergötzen an immer schöneren und bunteren Bildschirmseiten, dann wird man wohl gut beraten sein, bei der Entwicklung und beim Einsatz von Online-Learning-Systemen instruktionspsychologische Konzepte wie z. B. das der Adaptivität und der Adaptierbarkeit zu berücksichtigen.

9

Interaktivität in OnlineAnwendungen

Helmut Niegemann

Nach einer kurzen Erklärung der Begriffe „Interaktivität“ und Interaktionen werden mögliche Funktionen von Interaktivität diskutiert. Es wird postuliert, dass nur solche Interaktionen, die einen Beitrag zu einer der Klauser’schen Lehrfunktionen leisten, überhaupt zweckmäßig sind. Anschließend werden verschiedene Interaktionsformen als Aktionen Lerner bzw. Aktionen des Lehrsystems unterschieden und dargestellt. Eine Antwort auf die Frage, wann Interaktivität in OnlineLernumgebungen effizient ist, wird versucht, mit Hilfe eines Rahmenmodells (NDH-Modell) zu geben. Abschließend wird schließlich die „Media Equation“-Annahme dargestellt und diskutiert. Schlüsselbegriffe: Elektronische Lernangebote, Evaluationsmethoden, Evaluationsebenen, Evaluationsdimensionen, formative Evaluation, summative Evaluation, Akzeptanz, Lernwirksamkeit

126

9.1

9 Interaktivität in Online-Anwendungen

Interaktionen und Interaktivität

Online-Lernangebote werden häufig mit dem Hinweis beworben, dass sie interaktiv sind. Dabei wird meist implizit oder explizit unterstellt, dass Interaktivität die Motivation der Lernenden und ihren Lernprozess positiv beeinflussen kann. Bevor untersucht wird, ob und inwieweit diese Annahme zutrifft, gilt es die Grundbegriffe zu klären. Als „Interaktion“ bezeichnen wir aus sozialwissenschaftlicher Perspektive das wechselseitig handelnde aufeinander Einwirken zweier Subjekte. Seit digitale Medien Funktionen menschlicher Kommunikationspartner übernehmen können, wird diese Definition (metaphorisch) erweitert auf Fälle, in denen eines der Subjekte durch ein entsprechendes technisches System ersetzt wird. Handeln meint stets ein zielgerichtetes Verhalten und schließt kommunikative Akte ein. Im Bereich des Online-Lernens haben wir es in der Regel mit Interaktionsketten zu tun, deren Idealtyp (außer beim kooperativen bzw. kollaborativen Lernen) der Situation eines einzelnen Lernenden mit einem kompetenten Privatlehrer oder Tutor nahe kommt. In solchen Situationen initiiert eine Aktion des Interaktionspartners A (z. B. des Lehrenden) bestimmte mentale Operationen beim Partner B (z. B. dem Lernenden). Als Ergebnis oder Begleitphänomen dieser Operationen agiert B seinerseits und dieses Agieren hat dann zweierlei Funktionen: Zum einen liefert es A eine Rückmeldung bzw. „Antwort“ zu seiner vorangegangenen Aktion (wurde sie aufgenommen? verstanden? etc.), zum anderen werden durch die Aktion von B nun bei A mentale Operationen ausgelöst. „Interaktivität“ bezeichnet im Kontext technologiebasierten Lernens meist ein Merkmal der medialen Lernumgebung: Das Vorhandensein von Interaktionsmöglichkeiten bzw. Interaktionsangeboten. Auf den ersten Blick könnte es durchaus zweckmäßig erscheinen, Interaktivität in diesem Sinne zu messen. Dies wird auch versucht. Es gibt oder gab Maße für die Interaktivität, die auf einer Zählung der Dateneingaben (Tastenanschläge, Wörter oder Mausklicks) der Lernenden beruhen (US Military Handbook 29612, Definitions; zit. nach Shook, 2002) und dementsprechend z. B. vier oder fünf Niveaus von Interaktivität unterscheiden. Offensichtlich wird dabei die Menge der Eingaben als Maß für die Qualität des Lernsystems betrachtet. Bei herkömmlichem Unterricht entspräche das einer Zählung der Wörter und Zeigehandlungen eines Lehrers als Qualitätsmerkmal. Aber auch komplexere Taxonomien oder Stufenmodelle von Interaktionen bzw. Interaktivität (z. B. Schwier & Misanchuk, 1993) sind für die Konzeption von E-Learning-Angeboten wenig hilfreich, wenn die Beziehung zwischen den Kategorien einerseits und den entsprechenden Lernprozessen andererseits nicht wenigstens hypothetisch deutlich wird. Worauf es in erster Linie ankommt, ist der Beitrag, den die Interaktionen jeweils mittelbar oder unmittelbar zum erwünschten Lernergebnis beitragen können (vgl. Sims, 1997).

9.2 Funktionen von Interaktivität

9.2

127

Funktionen von Interaktivität

Computer- bzw. webbasiertes Lernen wird in der Werbung und in nicht-wissenschaftlichen Publikationen oft von vornherein gleichgesetzt mit „interaktivem“ Lernen. Dabei sind viele der so charakterisierten Lernprogramme etwa so interaktiv wie ein Buch: Man kann an jeder beliebigen Stelle beginnen, man kann von hinten nach vorne lesen, es gibt ein Inhaltsverzeichnis, vielleicht sogar ein Glossar und Querverweise im Text. Den Vorteil, dass man statt zu blättern mit einem Mausklick auskommt, erkauft man mit der deutlich geringeren Mobilität des Datenträgers. Die entscheidende Frage für das Instruktionsdesign ist, welche Funktion diese Merkmale dialogähnlicher Kommunikation haben. Angestrebt werden sicher oft die Funktionen der Kommunikation mit einem menschlichen Tutor oder Trainer: • • • • • •

Motivieren, Informieren, Verstehen fördern, Behalten fördern, Anwenden bzw. Transfer fördern und den Lernprozess organisieren und regulieren.

Dies sind die Grundfunktionen jedes Lehrens (Klauer, 1985; Klauer & Leutner, 2007). Interaktionen, die keine dieser Funktionen unterstützen, sind wahrscheinlich überflüssig, wenn nicht kontraproduktiv. Nicht selten wird eine motivierende Funktion von „Interaktivität“ (ohne nähere Spezifikation) reklamiert. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass es oft weniger effektiv ist, wenn Lernende bloß rezeptiv Informationen aufnehmen, als wenn sie stimuliert werden, aktiv zu werden. Diese Aktivitäten müssen dann aber den Prozess des Wissensaufbaus unterstützen und es muss eine theoretische Vorstellung verfügbar sein, in welcher Art dies geschieht. Im Folgenden werden einige Möglichkeiten genannt, wie „Interaktivität“ zu den einzelnen Lehrfunktionen beitragen kann.

9.2.1

Motivationsfördernde Interaktionen

Eine leicht implementierbare Möglichkeit sind ermutigende Äußerungen, die darauf abzielen, mit dem Lernen zu beginnen oder weiter zu lernen. Wichtig ist vor allem, jede potenziell demotivierende Interaktion zu vermeiden. Dies sind alle Äußerungen, die in irgendeiner Weise geeignet sind, den Selbstwert und die Selbsteinschätzung Lernender zu beeinträchtigen. Interaktionen können auch Emotionen beeinflussen, die dann ihrerseits Motivation oder kognitive Prozesse verändern können (Domagk & Niegemann, 2009).

9.2.2

Informative Interaktionen

Hinweise, z. B. mit Hyperlinks auf die jeweils noch zu bearbeitenden Kapitel oder Abschnitte erleichtern das selbstgesteuerte Lernen. Fehlerdiagnostische Rückmeldungen mit Erläuterungen bezüglich der Fehler liefern wertvolle Hinweise auf Wissenslücken und Denkfehler. Fragemöglichkeiten für Lernende erfüllen diese Funktion in besonderem Maße.

128

9.2.3

9 Interaktivität in Online-Anwendungen

Interaktionen, die das Verstehen fördern

„Verstehen“ bedeutet, dass neue Informationen in bestehende individuelle Wissensstrukturen eingeordnet werden können, dass Bezüge hergestellt werden. Verstehen fördernde Interaktionen können z. B. alternative Erklärungen, adaptiv unterschiedliche Darstellungen oder spezielle Hilfen sein. Zu den wichtigsten Möglichkeiten, das Verstehen zu fördern, gehören sicherlich Fragen, und zwar sowohl seitens des Systems als auch seitens der Lernenden.

9.2.4

Interaktionen, die das Behalten fördern

Außer durch vielfältige Verknüpfungen mit anderen Gedächtnisinhalten wird das Behalten durch Üben (Memorieren) gefördert. Multimediale Lernumgebungen können das Behalten fördern, indem sie Werkzeuge bereitstellen, die geeignete Memotechniken unterstützen und lernerfolgsabhängige Übungsmöglichkeiten anbieten (z. B. eine Lernkartenverwaltung).

9.2.5

Interaktionen, die das Anwenden und den Transfer fördern

Transfer kann insbesondere unterstützt werden durch Aufgaben bzw. Probleme, deren Bearbeitung und Lösung die Verwendung des zuvor vermittelten bzw. angeeigneten Wissens erfordert. Anwendungsund Transferförderung lassen sich praktisch nicht trennen, da jede Abweichung von den Aufgaben, die bei der Vermittlung des Lehrstoffs verwendet wurden, bereits einen (nahen) Transfer beinhaltet. Das Ausmaß eines automatisch auftretenden Lerntransfers wird von Lehrenden oft deutlich überschätzt. Transfer kann explizit gefördert werden, indem auf Anwendungsmöglichkeiten und Besonderheiten der Anwendung des Gelernten in bestimmten Situationen ausdrücklich hingewiesen wird. Im Kontext multimedialen Lernens sind spezielle Verweise (Links) möglich, die z. B. beim Anklicken in einem eigenen Fenster solche Hinweise enthalten. Eine weitere Möglichkeit der Transferförderung besteht in der systematischen Variation von Aufgaben und Problemstellungen. Beim situierten Lernen sollte zu jedem Thema mehr als eine Aufgabenstellung angeboten werden.

9.2.6

Interaktionen, die den Lernprozess regulieren

Möglichkeiten, den Prozess der Selbstregulation zu unterstützen, bieten Übersichten (Sitemaps) zu Inhalten, die Anzeige noch nicht bearbeiteter Kapitel, Rückmeldungen, Empfehlungen für bestimmte Lernwege, Hinweise auf Übungsangebote, Lernhilfen, Tipps und integrierte Werkzeuge zur Lernplanung und zum Zeitmanagement. Lernende wünschen oft aber auch Entscheidungshilfen von Experten zu erhalten. Wer sich auf eigenen Wunsch beraten oder anleiten lässt, fühlt sich in der Regel nicht gegängelt, vorausgesetzt, er kann die Führung jederzeit wieder verlassen.

9.3 Interaktionsformen und ihre Realisierung

9.3

Interaktionsformen und ihre Realisierung

9.3.1

Aktionen Lernender

129

Die Aktionen des Lernenden und die des Lehrsystems müssen zwar aufeinander bezogen sein, sie sind jedoch nicht notwendigerweise symmetrisch. Aus instruktionstechnologischer Sicht lassen sich zumindest nachfolgende Aktionsformen der Lernenden unterscheiden (Niegemann et al., 2008). Die selbstständige Auswahl von Lehrinhalten: Sie darf natürlich nicht fehlen, obwohl es eher lächerlich wirkt, wenn diese Möglichkeit bei der Beschreibung eines Lernprogramms als Beleg für „Interaktivität“ aufgeführt wird und sich später als einzige Aktion erweist. Die Umsetzung erfolgt durch einfache Hyperlinks. Dabei empfiehlt es sich, jeweils die gesamte Überschrift in einem Inhaltsverzeichnis als Link zu definieren und nicht nur ein vorangestelltes Aufzählungszeichen. Wenn Überschriften nicht selbsterklärend sind, empfiehlt sich ein Pop-up-Fenster mit einer kurzen Erläuterung (öffnet sich bei Berührung mit dem Mauscursor). Auch kurze Kapitelzusammenfassungen können auf diese Weise angeboten werden. Auch die selbstständige Wahl einer Reihenfolge (Sequenz) des Lehrstoffs ist für sich genommen trivial. Falls bestimmte Sequenzen für bestimmte Nutzergruppen (z. B. je nach Vorkenntnissen oder Interessen) besonders günstig sind, empfiehlt sich das Angebot von „Guided Tours“. Die Realisierung ist innerhalb einer Website bereits mit sehr einfachen Mitteln möglich. Bei der Entscheidung eines Nutzers für eine bestimmte „Guided Tour“ sollte er die Freiheit zu Abstechern haben, also anderen Links folgen können. „Tour-Maps“, die über den Verlauf der „Guided Tour“ informieren, können solchen Nutzern helfen, gegebenenfalls wieder in die Spur zu kommen. Eine „Tour-Map“ kann z. B. analog einer hervorgehobenen Strecke innerhalb der Darstellung eines städtischen Verkehrsnetzes präsentiert werden. Solche Maps sollten während einer „Tour“ jederzeit verfügbar sein. Auswahlentscheidungen bezüglich Beispielen und Aufgaben betonen das Angebot selbstgesteuerten Lernens: Die Auswahl zwischen unterschiedlichen Schwierigkeitsniveaus dürfte für die meisten Lerner unproblematisch sein, manche benötigen allerdings Aufforderungen oder geeigneten Zuspruch, damit sie sich für höhere Schwierigkeitsgrade entscheiden. Wenn sich die Beispiele und vor allem Aufgaben anders als nach Schwierigkeit unterscheiden, sind die meisten Lerner allerdings überfordert, es sei denn, das Programm liefert Entscheidungshilfen. Zur technischen Umsetzung genügen meist einfache Links und Pop-up-Fenster. Das Treffen stellvertretender Handlungsentscheidungen ist erfahrungsgemäß für Lernende besonders reizvoll, wenn anschließend die Konsequenzen beobachtet werden können. Hier können u. a. interaktive Videosequenzen didaktisch sinnvoll eingesetzt werden. Die Verzweigungen einer Filmstory müssen allerdings aus Gründen des Speicherplatzes und des Umfangs der Dreharbeiten in der Regel eng begrenzt bleiben. Ein interaktives Video, bei dem eine stellvertretende Handlungsentscheidung jeweils Konsequenzen für alle weiteren Handlungsverläufe hat, dürfte auch vom Drehbuch her kaum realisierbar sein: Eine gute Dramaturgie für viele Verlaufsvarianten gleichzeitig zu entwickeln, hat bis heute noch kein Drehbuchautor geschafft (Domagk & Niegemann, 2009).

130

9 Interaktivität in Online-Anwendungen

Das Bearbeiten und Lösen von Aufgaben und Problemen erfordert einigen Programmieraufwand, wenn die Aktivitäten der Lerner aus mehr bestehen sollen als dem Anklicken oder Verschieben von Objekten auf dem Monitor. Problemorientierte Lernumgebungen sind meist sehr aufwendig in der technischen Realisierung, sie erfordern häufig eine größere Zahl Video- und Audio-Assets. Wünschenswert ist eine möglichst „intelligente“ Auswertung komplexer Lerner-Inputs: • • •

Sortieraufgaben, Erstellung von Concept-Maps und (pseudo)natürlichsprachige Eingaben.

Das Anfordern und Nutzen von Hilfen (= „passive Hilfen“) stellt insbesondere ergonomische Anforderungen: Es sollte von einem Benutzer nicht erwartet werden, dass er die genaue Bezeichnung des Gesuchten kennt. Benutzerfreundliche Hilfen sind kontextsensitiv, d. h., es wird in der Regel Hilfe zu dem Inhalt der aktuellen Bildschirmseite angeboten. Hilfe zur Handhabung des Programms generell kann ein spezieller Menüpunkt innerhalb der lokalen Hilfe sein oder es sollte dafür einen eigenen Button geben. Die Möglichkeit des Vervollständigens oder Modifizierens angebotener Lernmaterialien kann genutzt werden, um Lernende zu aktivieren und die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten; z. B. indem beim Teleteaching Schaubilder angeboten werden, die von den Lernenden während der Instruktion grafisch oder textlich zu vervollständigen sind. Besonders interessant ist die Möglichkeit, Lehrtexte mit Annotationen zu versehen, ähnlich wie die Kommentarfunktion in MS Word. Das Stellen von Fragen durch Lernende ist einer der größten Schwachpunkte computer- und webbasierter Lernmedien: Obwohl die „Interaktivität“ von E-Learning in der Werbung stets besonders herausgestellt wird, ist diese elementare Lehrer-Lerner-Interaktion oft nicht einmal ansatzweise vorgesehen. Tatsächlich ist eine echte natürlichsprachige Interaktion bis heute nicht realisierbar. Es gibt jedoch mehrere Möglichkeiten, dass Lernende auch beim Online-Lernen Fragen stellen können: Eine technisch einfach realisierbare Art besteht darin, vorgefertigte Fragen anzubieten, etwa in einem speziellen Fragenfenster. Es kommt darauf an, dass diese Fragen dem Fragebedarf der Lernenden entsprechen, erfahrene Lehrer bzw. Trainer des jeweiligen Fachgebiets sollten hierzu herangezogen werden. Eine etwas aufwendigere Art besteht darin, eine Art „Fragenparser“ zu programmieren, d. h. eine Prozedur, die es erlaubt, aus einer vorgegebenen Menge von Begriffen und fachgebietsbezogenen „Fragestämmen“ Fragen zu generieren. Nicht sinnvolle Kombinationen werden mit der Aufforderung zu einer „Umformulierung“ zurückgewiesen. Beispiele für „Fragestämme“ sind: Wie hängen X und Y zusammen? Was ist die Ursache von X? Wie kann Y verstärkt werden? Für X und Y können durch „Drag and Drop“ oder in Form von Schieberegistern Begriffe aus einer umfangreichen Liste eingesetzt werden; die Flexibilität dieser Form ist etwas größer als bei vorgegebenen Fragen. Eine dritte Form sind pseudo-natürlichsprachige Fragen: Hierbei ist eine freie Eingabe möglich, die Eingaben werden hinsichtlich des Vorkommens von Frage- und Schlüsselwörtern bzw. deren Wortstämmen sowie der Sequenz der Wörter hin ausgewertet; irrelevante Wörter werden ignoriert. Je nach Fachgebiet kann dies sehr vielfältige Fragen ermöglichen. Technisch steht für die Beantwortung der Fragen bei allen Formen eine Matrix im Hintergrund, die alle Begriffskombinationen präsentiert und mit einer geeigneten Antwort verknüpft. Didaktisch interessant ist in diesem Zusammenhang die Idee einer fragebasierten Navigation: Programme können so organisiert werden, dass bestimmte Verzweigungen nur über Fragen zugänglich sind. Lernende müssen sich dann an bestimmten Stellen überlegen,

9.4 Aktionen des Lehrsystems

131

was sie wissen möchten, anstatt einfach einen „Weiter“-Button anzuklicken. Die bewusste Entscheidung für eine Frage kann sich positiv auf das Behalten des Lehrstoffs auswirken. Die Eingabe von Antworten auf systemseitig gestellte Fragen ist in der Regel unproblematisch, wenn es sich um das Markieren korrekter Alternativen von Multiple-Choice-Aufgaben, um Lückentexte oder „Drag and Drop“-Aktionen handelt: Hierzu gibt es in allen guten Autorensystemen vorgefertigte Routinen. Werden ganze Sätze erwartet, kann eine pseudo-natürlichsprachige Verarbeitung (s. o.) verwendet werden. Bei mehreren Sätzen oder Kurzaufsätzen ist eine automatische Verarbeitung derzeit nur sehr eingeschränkt möglich. Hier können dem Lerner Musterantworten zum Vergleich angeboten werden. Möglichkeiten einer automatischen Bewertung von Kurzaufsätzen beim webbasierten Lernen bestehen, sind aber verhältnismäßig aufwendig. Die Steuerung bzw. Regelung von Systemen ist ein Standardfall hoher Interaktivität bei Simulationen und Lernspielen (modellanwendende Simulationen). Aus didaktischer Sicht ist es hierbei wünschenswert, dass die Gründe für ein bestimmtes Systemverhalten transparent gemacht werden, wenn die Wirkung einer Eingabe nicht trivial ist: Es sollte möglichst erkennbar werden, welche Wechselwirkung von Bedingungen den entsprechenden Effekt bewirkt hat. Geeignet dazu sind insbesondere spezielle Diagramme, die den Einfluss der Eingabe erläutern. Ein didaktisch weiter gehender Ansatz besteht darin, die Lernenden selbst Simulationsmodelle erstellen zu lassen (modellbildende Simulationen). Entsprechende Versuche unternahmen Hillen, Berendes und Breuer (2000; auch Hillen, Paul & Puschhof, 2002). Beispiele didaktisch orientierter Software, die vom Kindergarten bis zur Universität solche Modellbildung fördert, sind AgentSheets (Informationen unter: http://www.agentsheets.com) und NetLogo (http://ccl.northwestern.edu/netlogo). Eine bisher nur sehr selten umgesetzte Form von Interaktivität betrifft Hilfen zur Planung und Regelung des eigenen Lernens (Ziele, Zeit): Vor allem bei umfangreichen Lernwebsites wäre es für manche Lerner hilfreich, zu Beginn des Lernprozesses einen Plan aufzustellen, z. B. anhand einer Folge von Fragen nach Zielen und verfügbarer Zeit. Das Programm könnte dann später an die ursprünglich genannten Ziele und Zeitvorstellungen erinnern, z. B. wenn ein Lerner sich im Web weit weg von seinen Zielen bewegt hat. Dabei sollte selbstverständlich stets die Möglichkeit gegeben sein, Ziele und Zeiten anzupassen. Ein derartiges Hilfesystem ließe sich auch um weitere lerntechnische Tools und Tipps erweitern.

9.4

Aktionen des Lehrsystems

Vom Lehrsystem ausgehend, sind insbesondere folgende Aktionen realisierbar (Niegemann et al., 2008): Die Darbietung von Informationen in Form von Texten, Bildern, Tönen, Filmen und Animationen kann dann als interaktiv bezeichnet werden, wenn sie auf der Basis von Informationen über den jeweiligen Lernenden variabel gestaltet wird. Dies war und ist ein wesentliches Ziel „Intelligenter Tutorieller Systeme“ (Wenger, 1987), deren Entwicklungsmöglichkeiten Ende der 1980er Jahre überschätzt wurden. Adaptivität ist jedoch nach wie vor ein wichtiger Faktor der Effektivität von Lehrmedien. Die Informationen für die Anpassung (z. B. Niveau von Aufgaben oder Darbietung von Zusatztexten)

132

9 Interaktivität in Online-Anwendungen

können durch Fragen an den Lerner, durch Input eines Trainers oder durch den Aufbau eines Lernermodells auf der Grundlage einer mehr oder weniger raffinierten Diagnosefunktion des Systems gewonnen werden. Das Stellen von Fragen, Aufgaben und Problemen ist im Allgemeinen technisch unproblematisch. Umso mehr Aufwand kann die Bereitstellung von Eingabemöglichkeiten und eine angemessene Auswertung der Antworten erfordern. Am häufigsten zu finden, sind bisher die Standardformen von Fragen und Antworten: Multiple-Choice, Lückentext, Drag and Drop und Eingabe einzelner Wörter, evtl. auch Sätze. Interessante Möglichkeiten können aber auch Techniken der Begriffsnetzdarstellung bieten (Eckert, 1999). Es ist dabei möglich, ein von Lernenden erzeugtes Begriffsnetz („Concept-Map“) automatisch mit dem Netz eines Experten zu vergleichen. Fehlertolerante Verarbeitung und Rückmeldung auf Eingaben: Es ist immer wieder ärgerlich, wenn ein Lernender die Antwort auf eine Frage oder die Lösung einer Aufgabe eingibt und trotz inhaltlich richtiger Antwort die Rückmeldung „falsch“ bekommt. Die Eingabeprozedur muss zumindest in der Lage sein, vor oder hinter einer Antwort eingegebene Leerzeichen zu ignorieren. Schwieriger ist die Gestaltung (rechtschreib)fehlertoleranter Eingaberoutinen. Fehlertolerant heißt dabei nicht, dass der Rechtschreibfehler unkommentiert hingenommen wird, sondern, dass die Eingabe inhaltlich dennoch korrekt interpretiert wird. Zweckmäßigerweise wird der Lerner dann auf den Fehler hingewiesen, eventuell kann das Programm auch rückfragen, ob die vermeintlich korrekte Schreibweise das vom Lerner Gemeinte wiedergibt. Problematisch ist hier die Abgrenzung dessen, was noch toleriert werden kann und was zurückgewiesen werden muss. Es gilt hier, den erforderlichen Programmieraufwand gegen den Nutzen des Erkennens seltener Falschschreibungen abzuwägen. Das Problem beim aktiven Anbieten von Hilfen („aktive Hilfen“) besteht darin, Indikatoren dafür zu finden, wann eine derartige Hilfe erwünscht sein könnte. Hierzu gibt es seit langem Arbeiten im Bereich der KI-Forschung (Künstliche Intelligenz). Es hat sich allerdings gezeigt, dass hier auch psychologische Aspekte eine wichtige Rolle spielen. Auch objektiv nützliche Hilfsangebote werden aus verschiedenen Gründen nicht selten abgelehnt. Indikatoren für Hilfebedarf können sein: Längeres Verweilen auf einer Bildschirmseite ohne Input (Mausklicks, Tastatureingaben), wiederholte typische Fehler oder ungünstige Handlungsfolgen. Wichtig ist, dass jedes Hilfsangebot vom Lerner sofort abgelehnt werden kann. Ohne Rückmeldungen (Feedback) auf Lerneraktivitäten kann auch in der dreistesten Werbung kein Lernprogramm als „interaktiv“ bezeichnet werden. Entscheidend ist jedoch hier die Qualität. Ein bloßes „Falsch“ oder „Schade“ als Feedback zu einer unrichtigen Aufgabenbearbeitung ist didaktisch unzureichend: Zumindest die korrekte Antwort, möglichst mit Erläuterungen sollte unmittelbar folgen, damit der Fehler Ausgangspunkt eines Lernprozesses sein kann. Wünschenswert ist allerdings, dass Rückmeldungen jeweils auf einer Fehleranalyse basieren. Fehleranalysen zu planen und zu programmieren, kann ziemlich aufwendig sein. Sie sind eher einfach, wenn die Aufgaben feststehen. In diesem Fall kann jeder kategorisierbare Fehler als spezieller „Eingabefall“ vorgesehen werden. Wenn aber, wie z. B. bei einem Rechentrainer, die Aufgaben jeweils zufällig erzeugt werden, muss das entsprechende Programm in der Lage sein, für jede Fehlerkategorie die typische Antwort zur Laufzeit zu generieren, um bei Eingabe einer falschen Antwort entsprechend zu reagieren. Da gelegentlich der gleichen falschen Antwort unterschiedliche Denkfehler zugrunde liegen können, müssen alternative Fehlererklärungen ausgegeben werden. Um geeignete Fehlerkategorien zu finden, können eigene Felduntersuchungen nötig sein, in vielen Fällen genügen zunächst Interviews mit erfahrenen Lehrern, Dozenten

9.4 Aktionen des Lehrsystems

133

und Trainern. Bei webbasierten Lernumgebungen empfiehlt es sich, alle Antworten zu speichern und von Zeit zu Zeit zu analysieren, ob und welche falschen Antworten aufgrund systematischer „Denkfehler“ bzw. unangemessener Vorstellungen vom jeweiligen Lerngegenstand zustande gekommen sind. Bei jeder Fehleranalyse bleibt natürlich eine Restkategorie für Tippfehler und andere nicht kategorisierbare Fehler. Generell ist bei allen wertenden Rückmeldungen darauf zu achten, dass das Selbstwertgefühl der Lerner in keiner Weise beeinträchtigt wird. Gerade weil der Autor den Lernenden nicht kennt, ist äußerste Zurückhaltung bei tadelnden Äußerungen angebracht.

9.4.1

Wann ist Interaktivität effizient? Qualität des lernrelevanten Informationsangebots, das ohne Lerner-Einwirkung nicht zur Verfügung steht.

Qualität der kognitiven Operationen, die durch Einwirkung der Lernumgebung auf den Lerner initiiert werden.

Abb. 9.1:

Rahmenmodell der relevanten Variablen für effiziente Interaktivität in multimedialen Lehr-/Lern-Prozessen (aus Niegemann et al., 2008; Domagk & Niegemann 2009)

Bisher wurden hauptsächlich Funktionen und Formen von Interaktionen beschrieben und Gestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt. Wann ist aber nun Interaktivität besser: Wann sind Interaktionen mit einer multimedialen Lernumgebung effektiv (lernwirksam) bzw. (unter Berücksichtigung des Aufwands) effizient? Die Lernwirksamkeit der Interaktivität multimedialer Lernumgebungen wird zumindest beeinflusst von folgenden Variablen (Abb. 9.1): • •

von der Qualität der lernzielrelevanten Information, die Lernende durch spezifische Einwirkung auf die Lernumgebung gewinnen können und die ihnen ohne diese Einwirkung nicht zur Verfügung steht, von der Qualität der kognitiven Operationen, die durch Einwirkungen der Lernumgebung auf Lernende initiiert werden,

134 • • • •

9 Interaktivität in Online-Anwendungen von Art und Ausmaß der Belastung des Arbeitsgedächtnisses der Lernenden während des Lernprozesses, vom aktivierten Vorwissen der jeweiligen Lernenden, von den in der jeweiligen Lernsituation realisierten metakognitiven bzw. selbstregulatorischen Fähigkeiten des jeweiligen Lernenden sowie von Persönlichkeitsmerkmalen, motivationalen und emotionalen Zuständen der Lernenden während des Lernprozesses.

Akzeptiert man, dass diese Variablen die Effektivität der Interaktionen eines Lernenden mit einer multimedialen Lernumgebung beeinflussen, stellt sich die Frage, wie dies geschieht und wie die Variablen funktionell zusammenhängen. Als ersten Schritt zur Beantwortung der Frage haben Niegemann, Domagk und Hessel ein Modell („NDH-Modell“) entwickelt, das als Grundlage für entsprechende empirische Forschungsarbeiten dient (nach Niegemann et al., 2008; Domagk & Niegemann, 2009). Gegeben ist jeweils ein Lernender mit einem bestimmten Vorwissen sowie bestimmten motivationalen und emotionalen Eigenschaften und Zuständen. Die multimediale Lernumgebung (LU) präsentiert ein bestimmtes Informationsangebot sowie Aktionsmöglichkeiten. In Wechselwirkung mit dem durch das Informationsangebot aktivierten Vorwissen sowie den motivationalen und emotionalen Eigenschaften und Zuständen kann das Informations- und Aktionsangebot der Lernumgebung den Anreiz zu einem Handlungsimpuls liefern (s. auch Rheinberg, 2006). Grundlage können Neugier oder auch die Erwartung bestimmter Handlungskonsequenzen sein. In Abhängigkeit von den metakognitiven Fähigkeiten des Lernenden wird nun vom Lernenden eine Handlung (oder eine Abfolge von Handlungen) geplant und ausgeführt (selbstregulativ). Diese Handlung (technisch realisiert z. B. durch Mausklick oder -bewegung, Eingabe von Text, Bewegung eines Joysticks) resultiert in einer mehr oder weniger komplexen Informationseingabe und -verarbeitung auf Seiten des Lehrsystems. Die Lernumgebung „agiert“ dann ihrerseits, was bedeutet, dass sich ihr Informationsangebot ändert. Wenn das Lernsystem gut konzipiert ist, zielt das neue Informationsangebot bzw. dessen kognitive (mentale) und emotionale Verarbeitung auf die Initiierung oder Veränderung kognitiver Operationen und Wissensstrukturen des Lernenden im Langzeitgedächtnis (LZG). Diese Initiierung bzw. Veränderung kognitiver Operationen und Strukturen (Begriffe und Relationen) ist entscheidend für die Effektivität von Interaktionen. Bei der Modellierung kognitiver Operationen gibt es allerdings erheblichen Forschungsbedarf. Eine für das multimediale Lernen wichtige Kategorie von Operationen hat Salomon (1979) als „Supplantation“ bezeichnet. Die Effizienz des Lernprozesses hängt u. a. vom Ausmaß der Belastung des Arbeitsgedächtnisses (AG) während der Verarbeitung der neuen Informationen ab. Die Belastung des Arbeitsgedächtnisses ist dabei zu einem erheblichen Teil von der Konzeption der Lernumgebung abhängig, nicht zuletzt gerade auch von den Bedingungen, die Interaktionen zwischen Lernumgebung und Lernenden ermöglichen bzw. den Formen der Interaktion selbst. Abb. 9.2 zeigt das erweiterte NDH-Modell, wobei sich die Erweiterung auf emotionale Prozesse bezieht, die bisher nur peripher berücksichtigt wurden.

9.5 Die „Media-Equation“-Annahme

Abb. 9.2:

9.5

135

Erweitertes NDH-Modell zur Erklärung effizienter Interaktivität in multimedialen Lehr-/Lernprozessen (nach Niegemann et al., 2008; Domagk & Niegemann 2009)

Die „Media-Equation“-Annahme

Weitgehend unabhängig von den Inhalten spielen bei der Interaktion mit einem Medium auch sozialemotionale Aspekte eine meist unterschätzte Rolle. Die Kommunikationspsychologen Reeves und Nass (1996) fanden in einer langen Reihe replizierter Experimente die „Media-Equation“-Annahme bestätigt: „Menschen verhalten sich gegenüber Medien genauso, wie sie sich gegenüber anderen Menschen verhalten.“ Auch wenn die These überspitzt klingt: Die Experimente zeigen, dass Menschen unbewusst bzw. unreflektiert soziale Verhaltensmuster auf die Interaktion mit Medien übertragen. Befunde liegen u. a. zu folgenden Aspekten vor: •

Höflichkeitsregeln: Versuchspersonen verhielten sich höflich gegenüber einem Computer. Wenn ein Computer um Bewertung „seiner Leistung“ bat (Bewertung eines Lehrprogramms), so waren die Antworten positiver und homogener als wenn die gleiche Frage zu diesem Lehrprogramm von einem anderen Computer kam. Analog dem Unterschied, ob ein Redner selbst einen Zuhörer fragt: „Wie war ich?“ oder ob jemand anderes fragen würde, wie gut der Redner war. Den Versuchspersonen war die Tendenz zu höflichen Antworten nicht bewusst.

136 •











9 Interaktivität in Online-Anwendungen Zwischenmenschliche Distanz – persönlicher Nah-Raum: Kulturabhängig lehnen wir es ab, wenn uns fremde Menschen physikalisch zu nahe kommen. Leute, die uns weniger sympathisch sind, finden wir noch weniger sympathisch, wenn sie im Gespräch die Grenze des „persönlichen Nahraums“ überschreiten. Bei Medien entspricht dies „Ganznah“-Aufnahmen bzw. Detailaufnahmen auf einem großen Bildschirm. Reaktionen auf Lob und Schmeicheleien: Personen, die einem schmeicheln, werden tendenziell positiver bewertet. Dieses Prinzip gilt auch für Software, die einem Nutzer schmeichelt; die Gesetzmäßigkeit gilt sowohl im realen Leben wie im Umgang mit Medien offenbar auch dann, wenn die Schmeicheleien als solche durchschaut werden. Wirkung von und Reaktionen auf Lob und Kritik: Kritikern wird zum Beispiel eine höhere Intelligenz zugesprochen als lobenden Personen. Wenn Lob oder Kritik von einem Computer kommen, werden analoge Zuschreibungen gemacht. Wahrgenommene „Persönlichkeitsmerkmale“: Bestimmte wahrgenommene Persönlichkeitsmerkmale von Interaktionspartnern führen zu bestimmten Zuschreibungen (Attribuierungen). Dies gilt auch für Medien (Computer), bei denen aufgrund ihres Verhaltens (Formulierungen, Ausdrucksweise) bestimmte Persönlichkeitsmerkmale wahrgenommen werden (u. a. Dominanz vs. Unterwürfigkeit, Offenheit vs. Verschlossenheit, Gewissenhaftigkeit, emotionale Stabilität vs. Instabilität). Wahrnehmung von und Verhalten gegenüber Experten: Informationen über Titel, besondere Kompetenz usw. führen zu Veränderungen im zwischenmenschlichen Verhalten und analog im Verhalten gegenüber Medien. Geschlechtsbezogene Stereotype: Ein Computerprogramm, das mit weiblicher Stimme über Technik spricht, wird, entsprechend dem gängigen Stereotyp, das Frauen weniger technische Kompetenz zuschreibt, als weniger kompetent eingeschätzt als das gleiche Programm, das mit männlicher Stimme spricht.

Dies sind nur einige der sozialpsychologischen Gesetzmäßigkeiten, von denen Reeves und Nass (1996) zeigen konnten, dass sie auf interaktive Medien übertragen werden. Die plausibelste Erklärung bisher ist, dass Menschen über bestimmte schematische Verhaltensmuster verfügen, auf die wir mangels Alternativen auch in Situationen zurückgreifen, die den zwischenmenschlichen ähneln. Trotz der experimentellen Bestätigung der „Media-Equation-Theorie“ stellt sich die Frage, ob bzw. inwieweit diese Befunde zeit- und kulturabhängig sind. Für die Höflichkeit gegenüber dem Computer konnte eine ziemlich genaue Replikation der Studie im Jahre 2003 mit deutschen Studierenden die Ergebnisse nicht bestätigen (Krannich, 2003). Ein Grund könnte sein, dass etwa zehn Jahre nach den Studien in Stanford der PC zu einem so alltäglichen und vertrauten Gebrauchsgegenstand geworden ist, dass der Effekt nicht länger auftritt. Eine alternative Erklärung könnte mit der unterschiedlichen Bedeutung von Höflichkeit in Nordamerika und in Deutschland zusammenhängen: Höflichkeit spielt in der Tat in der amerikanischen Gesellschaft eine andere Rolle und zeigt andere Ausprägungen als hierzulande (Watts, 2003). Hier sind weitere Studien erforderlich und auch die anderen Befunde gehören sicherlich auf den Prüfstand. Wenig untersucht sind bisher die Konsequenzen dieser Befunde für das multimediale Lernen und die didaktische Konzeption multimedialer Lernumgebungen.

9.6 Fazit und Ausblick

9.6

137

Fazit und Ausblick

Interaktivität in Online-Anwendungen ist a priori kein Qualitätsmerkmal. Ob bestimmte Interaktionen bei einem bestimmten Lehrstoff für bestimmte Adressaten den Lernprozess fördern oder behindern, hängt von einer Reihe interdependenter Variablen ab, deren Zusammenhänge es bei der Konzeption multimedialer Lernangebote zu analysieren gilt. Entscheidend sind dabei die kognitiven Prozesse, die durch die Interaktionen initiiert bzw. beeinflusst werden. Emotionen, die durch unterschiedliche interne oder externe Bedingungen aktiviert werden, können die Lernprozesse ebenfalls beeinflussen. Die vorliegenden Forschungsbefunde verweisen insbesondere auf Probleme, die sich dadurch ergeben können, dass Aktionen der Lernenden oder deren Vorbereitung das Arbeitsgedächtnis so belasten, dass Lernprozesse negativ beeinflusst werden. Emotionale Aspekte der Interaktivität sind noch wenig untersucht, im Kontext der Frage nach Möglichkeiten einer Förderung des Lernens durch digitale Spiele besteht hier Forschungsbedarf.

10

Blended Learning: Forschungsfragen und Perspektiven

Birgitta Kopp & Heinz Mandl

In Schule, Hochschule, Fort- und Weiterbildung haben sich in den letzten Jahren zusätzlich zu traditionellen Lehr-Lern-Formen virtuelle E-Learning-Angebote etabliert. Mit dem Einsatz von E-Learning wurden große Erwartungen verbunden, die von Möglichkeiten des flexiblen Lernens, der Zeitersparnis bis hin zu Kostenersparnis reichten. So wurde davon ausgegangen, dass 2005 über 50 % der Studierenden in virtuellen Universitäten eingeschrieben sein würden. Die Annahmen trafen bislang nicht zu. Ausgehend von diesen Gegebenheiten rückte zunehmend das so genannte Blended Learning in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der Begriff wird in der Praxis seither verwendet, ohne ihn genau zu definieren. In der Forschung wird er erst in Ansätzen aufgegriffen. Im vorliegenden Beitrag soll daher zunächst versucht werden, den Begriff „Blended Learning“ näher zu definieren, bevor Forschungsperspektiven aufgezeigt werden. Diese basieren auf einer gemäßigt konstruktivistischen Lehr-LernAuffassung, die vorab erläutert wird. Schlüsselbegriffe: Blended Learning, Didaktik, Evaluationsforschung, Feldforschung, experimentelle Forschung, Design-Based Research

140

10.1

10 Blended Learning: Forschungsfragen und Perspektiven

Begriffliche Differenzierung

Um den Begriff des „Blended Learning“ zu veranschaulichen, werden zwei Beispiele für BlendedLearning-Szenarien vorgestellt: Beispiel 1: Medienpädagogik in Wissenschaft und Praxis (Reinmann-Rothmeier, 2003) Im Rahmen des Studiums der Medienpädagogik wurde eine semi-virtuelle Vorlesung entwickelt, die sich aus fünf Themenblöcken zusammensetzte: Medienforschung, Medienkompetenz, Medien und Lernen, Medien und Organisation, Medien und Qualität. Inhalte dieser fünf Themenschwerpunkte wurden alle vierzehn Tage in einer traditionellen Präsenzvorlesung behandelt und in einer CD-ROM zur selbst gesteuerten Vor- und Nachbereitung sowie insbesondere zur Vertiefung des Gelernten aufbereitet. Sie umfasste neben den über Hypertext aufbereiteten Inhalten zusätzlich Aufgabenstellungen, die regelmäßig individuell und kooperativ bearbeitet werden mussten. Um die Lösungen mit den Studierenden sowie mit dem Dozenten zu kommunizieren, stand ein Online-Element zur Verfügung (BSCW), das der Diskussion, dem Stellen von Fragen bei Unklarheiten, der Interaktion zwischen den Studierenden, aber auch zwischen Studierenden und Dozenten diente. Damit umfasste die semi-virtuelle Vorlesung drei Elemente (siehe Abb. 10.1): die Präsenzvorlesung, in der wichtige Inhalte vermittelt wurden, eine CD-ROM, die der selbst gesteuerten Wissensvertiefung diente, ein Online-Tool zur Kommunikation und kooperativen Aufgabenbearbeitung.

Präsenz-Element Präsenz-Element Vorlesung Vorlesung Beide Beide Elemente Elemente dienen dienen der der Wissensvermittlung/dem Wissensvermittlung/dem Aufbau Aufbau mentaler mentaler Modelle Modelle

Beide Beide Elemente Elemente dienen dienen der der Kommunikation/Interaktion Kommunikation/Interaktion (diskutieren, (diskutieren, fragen fragen etc.) etc.)

Semi-virtuelle Semi-virtuelle Vorlesung Vorlesung

Offline-Element CD-Rom CD-Rom

Abb. 10.1:

Beide Beide Elemente Elemente dienen dienen der der Aufgabenbearbeitung Aufgabenbearbeitung (Instruktionen/Lösungen (Instruktionen/Lösungen etc.) etc.)

Beispiel Aufbau Medienpädagogik

Online-Element Online-Element BSCW

10.1 Begriffliche Differenzierung

141

Beispiel 2: Knowledge Master (Winkler & Mandl, 2003) Das Weiterbildungsprogramm Knowledge Master wurde als Kooperation zwischen der LudwigMaximilians-Universität München und Siemens Qualifizierung und Training konzipiert. Von den Lehrstühlen für Pädagogische Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und Informatik der LMU entwickelt, richtete sich das Angebot an Studierende und Praktiker gleichermaßen. Es wurden Inhalte in den Bereichen Wissenskommunikation und Wissensmanagement-Tools vermittelt, die über eine internetbasierte Plattform, dem Knowledge Map, aufbereitet wurden. Diese ermöglichte auch die virtuelle Kommunikation und Zusammenarbeit der Teilnehmenden. Das Lehr-Lern-Angebot bestand aus drei virtuell vermittelten Modulen (siehe Abb. 10.2): Basismodul, Modul Wissenskommunikation und Modul Wissensmanagement-Tools. Vor und nach jedem Modul fanden fast immer Präsenztreffen statt. Somit bot sich den Teilnehmenden die Gelegenheit, sich inhaltlich auszutauschen, die Inhalte zu diskutieren und darüber zu reflektieren. Auch die virtuelle Zusammenarbeit sollte dadurch verbessert werden. Die Module wurden von Transferphasen unterbrochen, in denen die Teilnehmenden die Möglichkeit hatten, das Gelernte unter Anleitung erneut zu durchdenken und in der Praxis in eigenen WissensmanagementProjekten auszuprobieren. Am Ende des Seminars konnten die Teilnehmenden Mitglieder einer Community über Wissensmanagement werden.

Knowledge Web Kick-off

FeedbackWorkshop

Basis Basis Modul Modul 4 Wochen

Go-on

Virtueller Workshop

Go-on

Transfer TransferPhase PhaseII

Modul Modul WissensWissenskommunikommunikation kation

Transfer TransferPhase PhaseIIII

2 Wochen

6 Wochen

5 Wochen

AbschlussWorkshop

Modul Modul Knowledge Knowledge ManageManagement ment Tools Tools

Zertifikat Zertifikat

LMU LMU & & SQT SQT Knowledge Knowledge Master Master

5 Wochen

Coaching Coaching und und Instruktion Instruktion Fallorientierung Fallorientierung

Community-Bezug Community-Bezug Abb. 10.2:

Beispiel Aufbau Knowledge Master

Das Konzept des Blended Learning besteht in beiden Beispielen darin, dass sich Präsenzphasen und ELearning-Phasen abwechseln. Dienen die Präsenztreffen dem Kennenlernen, der Wissensvertiefung durch Vorträge, kooperativen Diskussionen und dem Erfahrungsaustausch, so fokussieren die ELearning-Phasen den Wissenserwerb durch selbst gesteuertes individuelles und kooperatives Lernen. Diese Konzeption entspricht der häufigsten Definition von Blended Learning als Lehrmethode, bei der die Vorteile von Präsenzveranstaltungen und virtuellem bzw. Online-Lernen auf der Basis neuer Informations- und Kommunikationsmedien systematisch eingesetzt werden (Kerres, De Witt & Stratmann, 2002). Auf diese Weise werden die sozialen Aspekte des gemeinsamen Lernens mit der Effektivität

142

10 Blended Learning: Forschungsfragen und Perspektiven

und Flexibilität von elektronischen Lernformen verbunden. „Blended“ wird dabei mit „vermengt“, „vermischt“, „integriert“, „hybrid“, „ineinander übergehend“ oder „verschnitten“ übersetzt. Die Übersetzungen zeigen zweierlei: zum einen gibt es keinen deutschen Begriff, der „blended“ adäquat abbilden kann, zum anderen liegt ihnen jedoch ein gemeinsames zentrales Prinzip zugrunde. Dieses umfasst die Prämisse, dass Blended Learning nicht per se vorteilhaft ist, sondern dass es im Rahmen eines didaktischen Konzepts zu betrachten ist, in dem verschiedene Elemente methodischer und medialer Aufbereitung miteinander kombiniert werden, um so größtmögliche Qualität und Effizienz des LehrLern-Angebots herzustellen (Kerres & Jechle, 2002). Diese Kombination von Präsenz- und ELearning-Phasen kann unterschiedlich konzipiert sein (Mandl & Winkler, 2004). So kann zu Beginn eines Lernangebots ein Präsenztreffen stehen, bei dem sich alle Teilnehmer kennen lernen, an das eine E-Learning-Phase anschließt. Auch die umgekehrte Reihenfolge ist denkbar: Es kann notwendig sein, dass sich die Teilnehmenden bereits vor einem Face-to-face-Treffen virtuell mit Inhalten auseinander setzen, auf denen die inhaltliche Diskussion schließlich im Präsenztreffen aufbaut. Bislang wurde der Schwerpunkt sehr stark auf die Integration von Präsenz- und Online-Phasen gelegt. Blended Learning bedeutet aber auch, dass die zu vermittelnden Lerninhalte auf verschiedene Medien und Methoden verteilt werden (Arnold, Kilian, Thillosen & Zimmer, 2004). Wichtig ist, dass die einzelnen Komponenten beim Blended Learning nicht nebeneinander stehen, sondern integriert und in ein soziales Umfeld eingebettet werden. Problematisch am Begriff „Blended Learning“ ist seine Uneindeutigkeit. So nennen Oliver und Trigwell (2005) sieben verschiedene Aspekte, die miteinander verbunden werden können: 1. E-Learning mit traditionellem Lernen: Hier stellt sich das Problem einer konkreten und genauen Abgrenzung. Was bedeuten E-Learning und traditionelles Lernen? 2. Online-Lernen mit Face-to-face-Lernen: Dem Internet wird in dieser Definition eine bestimmte Funktion zugesprochen, die es eigentlich erst gewinnt, wenn es das Lernen auch wirklich mediiert. 3. Verschiedene Medien: Da in allen Lernkontexten unterschiedliche Medien zum Einsatz kommen, kann das wenig zu einer konkreten Definition von „Blended Learning“ beitragen. 4. Verschiedene Kontexte: Auch diese Unterscheidung trifft auf das Lernen per se zu, sodass es als Definitionsmerkmal für Blended Learning ungeeignet erscheint. 5. Verschiedene Lerntheorien: Eine Vermischung verschiedener Lerntheorien als Definitionsmerkmal von Blended Learning erscheint ebenfalls nicht möglich, sondern lediglich inkonsequent. 6. Verschiedene Lernziele: Problematisch ist, dass die Ziele des Lehrenden häufig nicht damit übereinstimmen, was der Lernende im Endeffekt erwirbt. Das hängt jedoch stärker mit der Gestaltung als mit einer „Vermischung“ zusammen. 7. Verschiedene pädagogische Ansätze: Auch diese Begrifflichkeit erscheint problematisch, da jede Lernumgebung unterschiedliche pädagogische Ansätze vermengt. Insgesamt betrachtet ist der Begriff „Blended Learning“ schlecht definiert und wird häufig inkonsistent verwendet (Oliver & Trigwell, 2005). Daher muss eine stärkere Fokussierung auf die Wahrnehmung des Lernenden stattfinden. Von ihm hängt es ab, ob das jeweilige Lernszenario als „blended“ betrachtet wird. Das kann am besten mit „Variation“ in Verbindung gebracht werden und bedeutet konkret, dass die Lernenden in einer Blended-Lernumgebung die Variationen bzw. die Wechsel erfahren und erkennen müssen. Die Variationen stimulieren dabei das Lernen; kritische Aspekte können im Wechsel des Lerngegen-standes besser erkannt werden. So ist es notwendig, dass dem Lernenden verschiedene Zugangsweisen zum Lerngegenstand ermöglicht werden. Das kann z. B. über das Lesen eines Buches,

10.2 Didaktische Konzeption von Blended-Learning-Szenarien

143

das Anschauen eines Videos oder die Teilnahme an einer Exkursion geschehen. Wichtig ist, den Lernenden selbst in den Mittelpunkt der Betrachtung zu rücken. Und dies impliziert eine andere Auffassung von Lernen.

10.2

Didaktische Konzeption von Blended-LearningSzenarien

Um Blended-Learning-Szenarien didaktisch auf den Lernenden hin zu konzipieren, ist eine konstruktivistische Auffassung von Lernen wichtig. Darin wird angenommen, dass Wissen nicht von einer Person zu einer anderen „eins zu eins“ weitergereicht werden kann (Mandl, Gruber & Renkl, 2002), sondern selbstständig und aktiv in einem Handlungskontext erworben werden muss. Dabei werden der Lernprozess und die dafür notwendigen Voraussetzungen in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Der Lernprozess besteht aus sechs zentralen Merkmalen (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001): • •



• • •

Lernen ist ein aktiver Konstruktionsprozess. Wissen kann nur über eine selbstständige und eigenaktive Beteiligung des Lernenden im Lernprozess erworben werden. Lernen ist ein konstruktiver Prozess. Wissen kann nur erworben und genutzt werden, wenn es in die bereits vorhandenen Wissensstrukturen eingebaut und auf der Basis von Vorwissen und Erfahrungen interpretiert wird. Lernen ist ein emotionaler Prozess. Für den Wissenserwerb ist es zentral, dass die Lernenden während des Lernprozesses positive Emotionen wie Freude empfinden. Für das Lernen als hinderlich erweisen sich vor allem Angst und Stress. Lernen ist ein selbst gesteuerter Prozess. Die Auseinandersetzung mit einem Inhalt erfordert vom Lernenden die Planung, Kontrolle und Überwachung des eigenen Lernprozesses. Lernen ist ein sozialer Prozess. Wissenserwerb findet in der Interaktion mit anderen statt. Lernen ist ein situativer Prozess. Der Erwerb von Wissen ist an einen spezifischen Kontext oder an eine Situation gebunden, da dieses stets kontextuelle und situative Bezüge aufweist.

Die konstruktivistische Auffassung liegt auch dem problemorientierten Lernen zugrunde. Allerdings integriert dieses auch instruktionale Aspekte. Die Balance zwischen Instruktion und Konstruktion (Linn, 1990) in Abhängigkeit von den Lernvoraussetzungen und dem Lerngegenstand stellt darin die zentrale Forderung dar (siehe Abb. 10.3). Das bedeutet, dass der Lernprozess als eigenaktiv und konstruktiv angesehen wird. Er kann jedoch durch geeignete Unterstützung durch den Lehrenden angeregt, gefördert und verbessert werden. Der Lernende nimmt damit eine vorwiegend aktive Position ein, die manchmal durch rezeptive Anteile unterbrochen wird. Der Lehrende fungiert vorwiegend als Berater, der anleitet, darbietet und erklärt (Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001).

144

10 Blended Learning: Forschungsfragen und Perspektiven

KONSTRUKTION Lernen als aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver, situativer und sozialer Prozess. Wechsel zwischen vorrangig aktiver und zeitweise rezeptiver Position des Lernenden.

Gestaltung problemorientierter Lernumgebungen INSTRUKTION Unterrichten i.S.v. anregen, unterstützen und beraten sowie anleiten, darbieten und erklären. Situativer Wechsel zwischen reaktiver und aktiver Position des Lehrenden. Abb. 10.3:

Balance zwischen Instruktion und Konstruktion

Aus dieser Prämisse heraus können vier konkrete Gestaltungsprinzipien für Lernumgebungen abgeleitet werden (siehe Abb. 10.4): 1. Authentizität und Anwendungsbezug. Die Lernumgebung soll so gestaltet werden, dass sie den Umgang mit realen Problemstellungen und authentischen Situationen ermöglicht und/oder anregt. Lernende werden darin mit authentischen Aufgaben konfrontiert, die den Erwerb anwendungsbezogenen Wissens fördern. 2. Multiple Kontexte und Perspektiven. Die Lernumgebung soll so gestaltet werden, dass spezifische Inhalte in verschiedenen Situationen und aus mehreren Blickwinkeln betrachtet werden können. Auf diese Weise wird der Transfer von Wissen gefördert: Wissen soll dadurch unter verschiedenen situativen Bedingungen flexibel abgerufen, umgesetzt und weiterentwickelt werden können. 3. Soziale Lernarrangements. Kooperatives Lernen und Problemlösen ist für die Bearbeitung komplexer Probleme und für die Vertiefung von Wissen zentral. Dabei werden auch soziale Kompetenzen der Koordination, Kommunikation und Kooperation erworben. 4. Instruktionale Anleitung und Unterstützung. Da der selbst gesteuerte und soziale Umgang mit komplexen Aufgaben und vielfältigen Informationsangeboten für viele Lernende eine Herausforderung darstellt, sind instruktionale Anleitung und Unterstützung wichtig. Sie umfassen zum Beispiel genaue Aufgabeninstruktionen, kontinuierliche Begleitung der Gruppenprozesse, Vorgabe von Gruppen- und Moderationsregeln oder häufiges Feedback.

10.2 Didaktische Konzeption von Blended-Learning-Szenarien

Multiple Kontexte

Authentischer Kontext

Sozialer Kontext

145

Instruktionaler Kontext

Konzept der Problemorientierung

Balance zwischen Konstruktion und Instruktion

Selbststeuerungskompetenz

Abb. 10.4:

Medienkompetenz

Kooperationskompetenz

Merkmale problemorientierten Lernens

Problemorientierte medienbasierte Lernumgebungen setzen voraus, dass die Lernenden über ein gewisses Maß an Selbststeuerungs-, Medien- und Kooperationskompetenzen verfügen, die jedoch auch zugleich durch die Gestaltung der Lernumgebung gefördert werden. Nur wenn der Lernende weiß, wie er sich Informationen besorgen, sie verarbeiten und für Problemlösungen nutzen kann, wird er anwendungsrelevantes Wissen erwerben. Neben diesen kognitiven Strategien sind metakognitive Strategien der Planung, Überwachung und Steuerung des Lernprozesses ebenso wichtig wie motivationale und volitionale Strategien, mit deren Hilfe die Freude am Lernen aufrechterhalten bleibt (Weinert, 1996). Auch die Kompetenz zum Umgang mit Medien stellt eine wichtige Voraussetzung für BlendedLearning-Szenarien dar. Diese umfasst nicht nur eine sichere technische Handhabung, sondern auch die Fähigkeit, Medien gezielt zur Informationssuche einzusetzen. Dazu gehört auch, das Recherchierte hinsichtlich seiner Adäquatheit und Nützlichkeit zu bewerten, darüber zu reflektieren und für die weitere Arbeit zu nutzen. Des Weiteren ist eine aktive Gestaltung von Medien Bestandteil von Medienkompetenz (Schorb, 2005). Die Fähigkeit, mit anderen zu kooperieren, ist ebenfalls zentral, da die Arbeit in Gruppen nur dann positive Effekte für das Lernen aufweist (Weinert, 1996), wenn die einzelnen Gruppenmitglieder wissen, wie sie miteinander kommunizieren und interagieren müssen, um die Aufgabe zufrieden stellend zu bewältigen. Strategien zur Lösung von Konflikten sind hier ebenso bedeutsam wie prosoziales Verhalten und teamorientierte Werthaltung. Aber auch diese Kompetenzen können durch eine sinnvolle Vorbereitung auf die Kooperation und durch eine adäquate Unterstützung dabei durch Feedback des Lehrenden verbessert werden (Weinert, 1996). Weitere Bedingungsfaktoren dieses didaktischen Konzepts der Problemorientierung sind u. a. Gegenstand bzw. Inhalt, die vermittelt werden sollen, Lernen-

146

10 Blended Learning: Forschungsfragen und Perspektiven

de und Lehrende, eingesetzte Medien/Technologien sowie Rahmenbedingungen, in denen das LehrLern-Geschehen stattfindet.

10.3

Forschungsansätze

Um die Wirkung von Blended-Learning-Lernumgebungen zu untersuchen, sind fünf verschiedene Forschungsansätze zu nennen: Evaluationsforschung bzw. Bildungscontrolling, Feldforschung, experimentelle Forschung, Design-Based Research und der integrative Forschungsansatz. Sie sollen nachfolgend näher erläutert und anhand von Beispielen illustriert werden.

10.3.1

Evaluationsforschung/Bildungscontrolling

In der Evaluationsforschung geht es insbesondere darum, Nutzen und Wert (Hense & Mandl, 2003) von Lernumgebungen zu untersuchen. Sehr häufig werden Fragebogenverfahren eingesetzt, die die Lernenden u. a. zur Akzeptanz des Blended-Learning-Angebots, zur Didaktik, methodischen Vorgehensweise und medialen Umsetzung sowie zum erzielten Lernerfolg und Lerntransfer befragen. Der Lehrende lässt also konkret die Umsetzung des eigenen Lehr-Lern-Arrangements von den Lernenden einschätzen. Dies hat die Weiterentwicklung und Verbesserung des Blended-Learning-Angebots zum Ziel. Wichtige Voraussetzung hierfür ist ein Ist-Soll-Vergleich. Das bedeutet, dass die vorab formulierten erwarteten Zielsetzungen vor dem Hintergrund der Wirkung und Funktionsweise der untersuchten Maßnahme bewertet werden. Damit wird es möglich, die Effektivität des Lehr-Lern-Arrangements zu evaluieren. Die Evaluation eines Blended-Learning-Szenarios wurde im Seminar „Wissensmanagement“ durchgeführt (Nistor, Schnurer & Mandl, 2005; Schnurer, 2005) und richtete sich an Studierende im Hauptstudium aus den Fächern Pädagogik, Psychologie, Informatik und Betriebswirtschaftslehre. Umrahmt von zwei Präsenztreffen am Anfang und Ende des Seminars standen vier Themenkomplexe im Mittelpunkt, die virtuell in Gruppen erarbeitet werden mussten: Wissensrepräsentation, Wissenskommunikation, Wissensgenerierung und Wissensnutzung. Dem Seminar lagen problemorientierte Gestaltungskriterien zugrunde (Nistor et al., 2005). Drei Dimensionen wurden in diesem Kontext evaluiert: Akzeptanz, Lernprozess und Lernerfolg. Die Akzeptanz bestand dabei aus der Bereitschaft der Lernenden zur Nutzung des Angebots und aus der tatsächlichen Nutzung (Bürg, 2005). Der Lernprozess umfasste die Einschätzung der eigenen Motivation, der didaktischen Aufbereitung des Lehr-Lern-Angebots und der sozialen Einbettung des Lernens. Der Lernerfolg setzte sich aus Medienkompetenz und dem Erwerb von Fakten-, Konzept- und Anwendungswissen zusammen. Die Ergebnisse zeigen insgesamt eine sehr positive Einschätzung. So lag die allgemeine Akzeptanz bei einer fünfstufigen Ratingskala von 1 (gering) bis 5 (hoch) bei einem Wert von 4.51. Die Nutzung bzw. Bereitschaft zur zukünftigen Nutzung lag sogar noch höher. Nur 15 % der Studierenden verließen im Laufe des Semesters das Seminar. Auch der Lernprozess wurde über dem Mittel eingeschätzt: So befand sich die Motivation während des Seminars über einem Wert von 4.00 ebenso wie die didaktische Gestaltung und die soziale Komponente. Der individuelle Lernerfolg wurde von den Lernenden in allen Dimensionen (Fakten-, Konzept-, Anwendungswissen sowie Medienkompetenz) subjektiv hoch einge-

10.3 Forschungsansätze

147

schätzt. Objektiv erzielte vor allem das Anwendungswissen hohe Werte, weniger jedoch Fakten-/Konzeptwissen.

10.3.2

Feldforschung

Feldforschung stellt einen weiteren Forschungsansatz dar, um Blended-Learning-Szenarien untersuchen zu können. Konkret bedeutet das, dass sich der Forscher möglichst nahtlos in das bestehende Feld, also den natürlichen Lebensraum eingliedert, um seine Daten zu generieren (Bortz & Döring, 1995). Dies ist notwendig, um das Feld durch die Forschungstätigkeiten nicht zu beeinträchtigen (Bortz & Döring, 1995). Ein Schwerpunkt im Kontext von Blended Learning kann hier die Einführung solcher Lehr-Lern-Konzepte in der Weiterbildung sein. Ein Beispiel für Feldforschung stellt die Studie zur Akzeptanz von E-Learning in einem Pharmaunternehmen dar (Bürg, 2005). Darin wurde die Bedeutung von institutionellen Rahmenbedingungen, von Merkmalen des Individuums und der Lernumgebung für die Akzeptanz von E-Learning untersucht. Konkret sollte ein einwöchiges Weiterbildungsprogramm in Präsenzform in Teilen durch E-Learning ersetzt werden, wodurch ein Blended- Learning-Angebot entstand. Es umfasste zwei Komponenten: einen E-Learning-Teil zu Beginn der Weiterbildung und eine Präsenzveranstaltung zur Vertiefung und Reflexion des Gelernten. Das entwickelte E-Learning-Angebot bestand aus einem Selbstlernprogramm zur Vermittlung der wichtigsten inhaltlichen Details eines neuen Pharmaprodukts und einem Training für ein Verkaufsgespräch über dieses Produkt. Bereits zu Beginn der Einführung wurden die Mitarbeiter beteiligt, indem sie an einer Bedarfserhebung partizipierten. Darüber hinaus wurden sie über die einzuführende Maßnahme ausführlich informiert, um Ängste und Vorurteile abzubauen und eine positive Einstellung gegenüber E-Learning aufzubauen. Die Ergebnisse zeigten, dass Rahmenbedingungen sowie Merkmale des Individuums und der Lernumgebung einen Zusammenhang mit der Akzeptanz von E-Learning aufwiesen.

10.3.3

Experimentelle Forschung

Im Rahmen experimenteller Forschung wird untersucht, inwiefern in kontrollierten Settings bestimmte Variationen einer Lernumgebung Einfluss auf das Lernen nehmen. Hier sind z. B. motivationale oder kognitive Aspekte von besonderem Interesse. Um dies zu erheben, können Fragebogen, aber auch Wissenstests eingesetzt werden. Auch der gesprochene Diskurs kann analysiert werden, um Unterschiede zwischen den verschiedenen Lernbedingungen herauszufinden. So wurde in einer experimentellen Studie untersucht, inwiefern Lernende durch eine inhaltliche und soziale Strukturierung der Aufgabe in ihrer gemeinsamen Wissensanwendung unterstützt werden konnten (Kopp, Ertl & Mandl, 2004). Das Experiment bestand aus drei Phasen: In der ersten Selbstlernphase hatten drei Lernende zunächst die Aufgabe, sich individuell mit einer psychologischen Theorie vertraut zu machen. Jeder der Teilnehmer befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem anderen Raum. Erst in der zweiten, virtuellen Phase wurden die Lernenden über Videokonferenz miteinander verbunden, um mithilfe der angeeigneten Theorie gemeinsam einen Fall zu lösen. Jedem Lernenden stand ein Audiound Videokanal für die Kommunikation zur Verfügung sowie ein Computer, mit dessen Hilfe die Aufgabenlösung erfasst wurde. Die beiden Interventionen bestanden aus einer inhaltlichen Strukturierung (Wissensschema), die über den Bildschirm in Form einer Tabelle umgesetzt wurde und einer

148

10 Blended Learning: Forschungsfragen und Perspektiven

sozialen Strukturierung (Skript), die die Kooperation in alternierende individuelle und kooperative Phasen unterteilte. Das Wissensschema sollte zentrale Aspekte der Aufgabe salient machen (Suthers, 2001), um den Lernenden die Wissensanwendung zu erleichtern. Das Skript zielte darauf ab, die häufig defizitäre Koordination in der Gruppenarbeit zu verbessern, indem jede Phase mit Aufgabenstellungen verbunden war, die für die kooperative Aufgabenbearbeitung von Relevanz waren (Ertl & Mandl, 2005). Es zeigte sich, dass die kooperative Falllösung vor allem durch das Wissensschema positiv beeinflusst wurde. In der letzten individuellen Phase hatten die Lernenden erneut die Aufgabe, ihr Wissen auf einen weiteren Fall anzuwenden. Auch hier erbrachte das Wissensschema einen positiven Effekt (Kopp, 2005). Beide Lernerfolge – kooperativ wie individuell – konnten in Kombination mit dem Skript sogar noch verbessert werden.

10.3.4

Design-Based Research

Der Design-Based Research-Ansatz hat zum Ziel, Lernumgebungen im praktischen Kontext, wie z. B. der Schule, Hochschule oder in der Weiterbildung, zu gestalten, um daraus Ergebnisse für die Theorienentwicklung zu gewinnen (Design-Based Research Collective, 2003). Fünf Merkmale charakterisieren den Design-Based Research-Ansatz (DBRC, 2003, S. 5): 1. Die Ziele, gute Lernumgebungen zu gestalten und Theorien oder „Prototheorien“ des Lernens, werden miteinander verknüpft. Das bedeutet, dass Entwicklung und Forschung verbunden werden. 2. Entwicklung und Forschung finden in einem kontinuierlichen Zyklus von Design, Umsetzung, Analyse und Re-Design statt. Konkret bedeutet dies, dass z. B. ein bestimmter Unterricht gemäß theoretischer Überlegungen verändert wird. Die daraus resultierenden Effekte werden dann im Sinne einer formativen Evaluation registriert und für eine Verbesserung genutzt. Das Zustandekommen der Veränderungen wird theoretisch zu erklären versucht. 3. Designforschung muss zu Theorien führen, die auch für Praktiker Implikationen beinhalten und von ihnen auch verwendet werden können. 4. Diese Forschung untersucht, wie das jeweilige Design in authentischen Situationen funktioniert. Für die Erklärung von Erfolg oder Misserfolg einer Maßnahme sind auch die Rahmenbedingungen zu berücksichtigen. 5. Die Theorien haben praktische Lehr-Lern-Probleme zum Gegenstand. Damit können die Mechanismen, Prozesse und Ergebnisse der eingesetzten Methoden dokumentiert und beschrieben werden. Im E-Learning-Angebot zur Schulentwicklung wurde der Ansatz umgesetzt (Reinmann, 2005). Dabei handelte es sich um eine Lernumgebung, in der sich Lernende anhand von Fallgeschichten aus realen Schulen in konkrete Schulprojekte vertieften, die mithilfe von Materialien und Informationen allein und in Gruppen bearbeitet wurden. Die Lernenden wurden angehalten, bei der Lösung verschiedene Perspektiven einzunehmen. Während der Bearbeitung wurde ein Online-Barometer zur Verfügung gestellt. Dieses diente emotional-motivationalen Problemen beim Lernen insbesondere in drei Bereichen: Es sollte den Lehrenden dazu dienen, Emotionen der Lernenden wahrzunehmen und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Darüber hinaus sollten sich die Lernenden selbst über ihre Emotionen bewusst werden. Des Weiteren diente es für Informationen über die Zufriedenheit und Unzufriedenheit von strukturellen Merkmalen der Lernumgebung. Die Lernumgebung wurde theoriegeleitet aufbereitet und mit zentralen Fragestellungen aus der Praxis angereichert. Sie wurde anschließend einem Zyklus von Implementation

10.3 Forschungsansätze

149

in verschiedenen Kontexten, Analysen und Re-Design unterzogen. Dadurch sollten Probleme der Bildungspraxis mit neuen Medien gelöst und ein theoretischer Beitrag zum Blended Learning geleistet werden. Dabei wurden Ziele der Grundlagenforschung, wie das Verstehen medienbasierten Wissens und Lernens, mit Zielen der Anwendungsforschung, z. B. die Unterstützung von Prozessen des Wissens und Lernens mit Medien, verbunden.

10.3.5

Integrativer Forschungsansatz

Der integrative Forschungsansatz greift Aspekte des Design-Based Research-Ansatzes auf und betrachtet die Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis (Stark, 2004). Komplexe Problemstellungen, die auch in der Praxis Relevanz haben, werden darin als Ausgangspunkt zur Überprüfung theoretischer Annahmen in Form von experimenteller Forschung gewählt. Die darin gestellten Aufgaben werden anschließend in der Praxis, z. B. der Schule, eingesetzt, um die Ergebnisse aus dem Experiment zu verifizieren. Sechs Eigenschaften zeichnen den integrativen Forschungsansatz aus (Stark & Mandl, 2001; Stark, 2004): 1. Systematische Kombination instrumenteller und erkenntnisorientierter Ziele. Instrumentelle Ziele umfassen z. B. die Entwicklung und Evaluation eines instruktionalen Ansatzes zur Förderung von Transferwissen im Bereich des beispielbasierten Lernens. Die Gewinnung von Erkenntnissen über den Einfluss bestimmter instruktionaler Maßnahmen auf den Lernerfolg stellt das zweite übergeordnete Ziel dar. 2. Systematische Kombination von experimenteller Laborforschung mit expliziter Praxisorientierung und Feldforschung. Um die ökologische Validität so wenig wie möglich zugunsten der internen Validität zu beeinträchtigen, sollen Laborstudien explizit anwendungs- und praxisbezogen konzipiert werden. Die aus den Laborstudien gewonnenen Erkenntnisse sollen den Ausgangspunkt für Feldstudien darstellen, die die aus dem Labor gewonnenen Ergebnisse evaluieren. Die Ergebnisse und Erfahrungen dieser Feldforschung stellen wiederum den Ausgangspunkt für weitere Laborstudien dar. 3. Problemorientierte Auswahl, Anwendung und Konstruktion von Theorien. Modelle, Theorien und Konzepte zur Konstruktion eines Lehr-Lern-Angebots sollen möglichst problemorientiert ausgewählt werden. 4. Kognitive und motivationale Perspektiven bei Optimierung und Evaluation. Um Lehr-LernAngebote zu konzipieren, ist die Berücksichtigung von kognitiven und motivationalen Lernvoraussetzungen notwendig. Dazu gehören Vorwissen, Intelligenz, Interesse, intrinsische und extrinsische Motivation. 5. Kooperation von Experten aus Wissenschaft und Praxis (Interdisziplinarität). Die Kooperation von Experten verschiedener Disziplinen aus der Wissenschaft sowie aus der Praxis in Form von Lehrenden und Ausbildungsleitern ist beim integrativen Forschungsansatz von großer Bedeutung. Dies gewährleistet die Integration verschiedener Perspektiven und Sichtweisen auf die Gestaltung der Lehr-Lern-Umgebung. 6. Methodenpluralismus. Neben quantitativen Daten der Test- und Fragebogenauswertung sollen auch qualitative Daten zum Einsatz kommen, wie z. B. strukturierte Interviews oder Fragebogen mit offenen Fragen. Umgesetzt wurden die sechs Richtlinien in einem Projekt zur Statistikausbildung. In einem Experiment mussten Lernende mit einer virtuellen Lernumgebung zur Korrelationsrechnung arbeiten. Variiert

150

10 Blended Learning: Forschungsfragen und Perspektiven

wurde der Bearbeitungsmodus (individuell vs. kooperativ) und das Geben von Feedback (mit und ohne) (Krause, Stark & Mandl, 2003). Die Ergebnisse der Untersuchung wurden anschließend in der Statistikausbildung von Pädagogen eingesetzt. Über eine Präsenzveranstaltung hinaus stand den Studierenden die Lernumgebung zur Korrelationsrechnung zum Üben und zur weiteren Wissensvertiefung zur Verfügung.

10.4

Ausblick

Insgesamt betrachtet, steht die Blended-Learning-Forschung noch am Anfang. Dies betrifft vor allem die Kombination von Präsenz- und virtuellen Phasen sowie die Verknüpfung verschiedener Medien innerhalb der virtuellen Phasen. Auch für die hier vorgestellten Forschungsansätze mangelt es bislang an Studien, die die Ansätze aufgreifen und umsetzen. Im Grunde wird „Blended Learning“ in der Praxis zwar verwendet, es fehlt diesem Bereich jedoch an begrifflicher Abgrenzung und Definition, an lehr-lerntheoretischen Ansätzen und an Studien zu forschungsrelevanten Fragestellungen. Unter anderem gibt es bislang wenig Aussagen darüber, welche Inhalte und didaktische Methoden sich speziell für Präsenzphasen und welche sich für E-Learning-Phasen eignen. Auch zur Sequenzierung der einzelnen Phasen sowie deren Übergänge, Länge und Umfang gibt es noch kaum Erkenntnisse. Die Liste der Forschungsperspektiven zu Blended Learning könnte noch weiter fortgesetzt werden. Die zentrale Aussage ist jedoch, dass es noch viel zu wenig Untersuchungen gibt, die sich speziell mit diesem Aspekt der didaktischen Gestaltung von Lehr-Lern-Angeboten beschäftigen. Da solche Szenarien in der Praxis jedoch zunehmend gefragt sind, ist es notwendig, lehr-lerntheoretisch fundierte Blended-Learning-Szenarien zu entwickeln, zu untersuchen und ihre Wirkung zu analysieren.

11

Kooperatives netzbasiertes Lernen

Daniel Bodemer, Birgit Gaiser & Friedrich W. Hesse

Mit dem Einsatz kooperativer netzbasierter Lernszenarien sind viele Erwartungen verbunden – aber auch spezifische Anforderungen, die von den Lernenden bewältigt werden müssen, um erfolgreich Wissen zu erwerben. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die sozio-emotionalen, inhaltlichen und strukturellen Aspekte dieser Anforderungen. Dazu werden Theorien und Befunde aus Sozial-, Medien-, Kognitions- und Pädagogischer Psychologie herangezogen. Daran anknüpfend werden verschiedene Konzepte und Technologien vorgestellt, die die Lernenden dabei unterstützen können, erfolgreich mit den Anforderungen und Schwierigkeiten kooperativen netzbasierten Lernens umzugehen. Schlüsselbegriffe: computervermittelte Kommunikation, computer-supported collaborative learning (CSCL), computer supported cooperative work (CSCW)

152

11 Kooperatives netzbasiertes Lernen

Die Möglichkeit, mit anderen Personen netzbasiert zu interagieren, ist eines der zentralen Unterscheidungsmerkmale aktueller Online-Lernszenarien gegenüber frühen Ansätzen computerunterstützten Lehrens und Lernens. Dieser Wandel ist nicht nur auf die Möglichkeiten neuer Technologien zurückzuführen, sondern findet sich vor allem auch in den theoretischen Vorstellungen hinsichtlich besonders lernförderlicher Szenarien wieder. Theoretische Ansätze betonen inzwischen nicht mehr isolierte individuelle Lernprozesse, sondern die sozialen Prozesse aktiver Wissenskonstruktion (Stahl, Koshmann & Suthers, 2006). Mit dem Einsatz kooperativer netzbasierter Lernszenarien sind verschiedene Erwartungen verbunden. Neben einer erhöhten zeitlichen und räumlichen Flexibilität und dem Erwerb von Medienkompetenz (Gaiser, 2002) sind dies vor allem potenzielle Einflüsse der sozialen Situation, die sich positiv auf Motivation und Lernerfolg auswirken können. So kann allein die Zugehörigkeit zu einer Gruppe die Motivation steigern (Kaye, 1992) und eine hohe Involviertheit der Lernenden sowie eine aktive Verarbeitung der Lerninhalte zur Folge haben (Dansereau, 1988). Zudem kann das inhaltsspezifische Wissen einer Gruppe über das individuelle Wissen hinausgehen und multiple Perspektiven aufzeigen, die eine aktive Verarbeitung der Lerninhalte unterstützen (Doise & Mugny, 1984). Darüber hinaus kann die Kooperation mit anderen Lernenden soziale Kompetenzen wie Reflexionsvermögen, Kommunikationsfähigkeit, Einfühlungsvermögen, Kooperationsbereitschaft und Konfliktfähigkeit fördern (Hinze, 2004). Eine spezifische Stärke netzbasierter Kooperation ist die Möglichkeit, extern eine gemeinsame Wissensbasis zu konstruieren, die jederzeit veränderbar und allen Mitgliedern einer Gruppe zugänglich ist. Die gemeinsame Erstellung extern repräsentierter Inhalte wird als besonders lernförderlich gesehen, da sie konstruktive soziale Diskursprozesse und eine damit verbundene aktive Verarbeitung von Inhalten anregen kann (Wang & Hannafin, 2005). Ein aktueller Trend, der die genannten Vorteile vereinigen soll, sind Anwendungen des so genannten Web 2.0, die unter dem Ausdruck Social Software zusammengefasst werden. Sie erlauben es einer großen Anzahl an Personen, miteinander über das Internet zu interagieren und Informationen auszutauschen. Typische Beispiele für solche Anwendungen sind Wikis, Weblogs, Social Bookmarking-Dienste wie del.icio.us oder flickr und Community-Netzwerke wie friendster oder XING. Social Software ist vergleichsweise leicht handhabbar und auch deshalb mit der Erwartung einer erhöhten Beteiligung bei der Inhaltserstellung, einer verbesserten Wiederverwendbarkeit der Inhalte sowie einer effektiveren Recherche verbunden (O’Reilly, 2005). Darüber hinaus soll ein offener kommunikativer Austausch, soziales Feedback und der Aufbau sozialer Gemeinschaften unterstützt werden (Avram, 2006). Forschungsergebnisse zeigen allerdings, dass die Bereitstellung sozialer Technologien nicht generell zu verbesserten, konstruktiven Lernprozessen führt (vgl. Buder, 2007). Kooperatives netzbasiertes Lernen ist auch mit spezifischen Anforderungen verbunden, die von den Lernenden bewältigt werden müssen, um erfolgreich Wissen zu erwerben. Diese Anforderungen unterscheiden sich zudem hinsichtlich verschiedener Merkmale, die kooperativen netzbasierten Lernszenarien zu Grunde liegen. Im folgenden Abschnitt werden solche Anforderungen und Merkmale auf der Basis von Theorien und Befunden aus Sozial-, Medien-, Kognitions- und Pädagogischer Psychologie aufgezeigt. Anschließend werden verschiedene Konzepte und Technologien vorgestellt, die die Lernenden dabei unterstützen können, erfolgreich mit den Anforderungen und Schwierigkeiten kooperativen netzbasierten Lernens umzugehen.

11.1 Anforderungen kooperativen netzbasierten Lernens

11.1

Anforderungen kooperativen netzbasierten Lernens

11.1.1

Sozio-emotionale Aspekte

153

Im Rahmen der Forschung zur computervermittelten Kommunikation wurden verschiedene Einschränkungen netzbasierter Kommunikation im Vergleich zur Face-to-Face-Kommunikation identifiziert, die vor allem mit einer reduzierten Wahrnehmung sozialer und emotionaler Kontextinformationen zusammenhängen. Darüber hinaus wurden Bedingungen aufgezeigt, unter denen verschiedene Kommunikationsmedien unterschiedlich gut geeignet sind. Die frühen so genannten Kanalreduktionsmodelle wie die Theorie der sozialen Präsenz (social presence; Short, Williams & Christie, 1976) und die Theorie der reduzierten sozialen Hinweisreize (reduced social cues; Kiesler, Siegel & McGuire, 1984) betonen die Defizite schriftlicher Online-Kommunikation im Vergleich zu reichhaltigeren Kommunikationsszenarien wie Videokonferenzen oder Face-toFace-Interaktionen. Dabei ist die Reichhaltigkeit eines Kommunikationsmediums bestimmt durch die Anzahl der zur Verfügung stehenden Kommunikationskanäle. Steht beispielsweise ein Video- und ein Audiokanal zu Verfügung, so können verschiedene Eigenschaften und Verhaltensweisen des Gesprächspartners (z. B. Alter, Geschlecht, Kleidung, Stimmung, Gestik, Mimik) und Informationen über dessen Umgebung (z. B. Einrichtung, Hintergrundgeräusche) wahrgenommen werden. Bei rein schriftlicher Kommunikation hingegen werden viele dieser sozialen Kontextinformationen nicht vermittelt. Nach Ansicht der genannten Theorien führen solch eingeschränkte Kommunikationsmedien daher zu einem geringeren Maß an sozio-emotionalem Erleben der Anwesenheit des Gesprächspartners und in der Folge unter anderem zu einer verstärkten Wahrnehmung der eigenen Person und einer enthemmten, oftmals antisozialen Kommunikation. Die eingeschränkte Wahrnehmung sozialer Kontextinformationen muss allerdings nicht zwangsläufig nachteilig sein. Bereits im Rahmen der genannten frühen Kanalreduktionsmodelle wurden auch positive Effekte aufgezeigt, die in späteren Ansätzen weiter differenziert wurden. So ist die von der Theorie der sozialen Hinweisreize postulierte Enthemmung nicht unbedingt mit antisozialem Kommunikationsverhalten verknüpft, sondern kann auch zu konstruktiven nonkonformistischen Äußerungen und einer gleichmäßigeren Beteiligung der Gruppenmitglieder führen (Kiesler et al., 1984). Das SIDE-Modell (social identity model of deindividuation effects; Reicher, Spears & Postmes, 1995) identifiziert unterschiedliche Auswirkungen von Bedingungen, die häufig bei der netzbasierten Kommunikation gegeben sind, nämlich visuelle Anonymität, Isolation und mangelnde Identifizierbarkeit. Beispielsweise konnte gezeigt werden, dass, wenn andere Gruppenmitglieder nicht individuell wahrgenommen werden können (Anonymität), sich entweder das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe oder aber die Fokussierung auf die eigene Person verstärkt, je nachdem, ob die soziale Identität einer Person stark oder schwach ausgeprägt ist. Bei vorherrschender sozialer Identität kann somit die Anonymität zu einer homogeneren Wahrnehmung einer Gruppe und schließlich zu einer verstärkten Orientierung an ihren Normen und Werten führen.

154

11 Kooperatives netzbasiertes Lernen

Aus Sicht der Theorie der sozialen Informationsverarbeitung (Walther, 1992) kann visuelle Anonymität sogar zu einer verstärkten Betonung sozio-emotionaler Aspekte führen, da Hinweise auf persönliche Eigenschaften häufig generalisiert werden (z. B. dass eine freundlich formulierte E-Mail von einer generell freundlichen Person geschrieben wurde). Dieses Phänomen kann eine bewusste Betonung persönlicher Eigenschaften zur Folge haben (sog. hyperpersonal communication). Darüber hinaus weist Walther darauf hin, dass sozio-emotionale Informationen auch schriftlich vermittelt werden können. Hierfür sind allerdings spezifische Kenntnisse zum netzspezifischen Sprachgebrauch notwendig. Bei computervermittelter Kommunikation (insbesondere bei schriftlicher) werden somit zwar häufig soziale Kontextinformationen eingeschränkt übermittelt, dies führt aber nicht notwendigerweise zu einem Defizit sozio-emotionalen Erlebens und zu negativen Konsequenzen für die netzbasierte Kooperation. Die zentralen Anforderungen für die kommunizierende Person bestehen in der Fertigkeit, sozioemotionale Kontextinformationen trotz eingeschränkter Kommunikationskanäle zu interpretieren und zu vermitteln sowie – nach Möglichkeit – in der Wahl des richtigen Kommunikationsmediums in Abhängigkeit von Eigenschaften der eigenen Person und der Gruppe.

11.1.2

Inhaltliche und strukturelle Aspekte

Neben dem Umgang mit sozio-emotionalen Spezifika netzbasierter Kommunikation müssen die Lernenden auch Anforderungen bewältigen, die im Zusammenhang mit den Inhalten stehen, die kooperativ ausgetauscht werden. So kann es erforderlich sein, Kommunikationsmedien in Abhängigkeit von der inhaltlichen Zielsetzung auszuwählen, das eigene Wissen zum Wissen des Lernpartners in Beziehung zu setzen sowie kooperative Lernprozesse so zu koordinieren, dass Informationen in strukturierter, lernförderlicher Weise verarbeitet und ausgetauscht werden. Hinsichtlich der Wahl geeigneter Kommunikationsmedien unterscheidet die Theorie der medialen Reichhaltigkeit (media richness; Daft & Lengel, 1986) unterschiedliche inhaltliche Zielsetzungen, die mit dem netzbasierten Austausch von Informationen verbunden sein können. Danach sind reichhaltige Kommunikationsmedien vor allem bei solchen Aufgaben erforderlich, in denen die Kommunikationspartner zu einer gemeinsamen Deutung der Situation gelangen müssen (z. B. in komplexen kooperativen Entscheidungssituationen wie der gemeinsamen Bewertung von Mitarbeitern). Ist die Aufgabe, die der Kommunikation zugrunde liegt, hingegen eindeutig, so wird die Einschränkung der Kommunikationskanäle sogar als förderlich betrachtet. Die media synchronicity theory (Dennis & Valacich, 1999) greift diese Annahmen auf, stellt aber die Synchronizität der Kommunikationsmedien in den Vordergrund (z. B. die Unmittelbarkeit, mit der auf die Aussagen des Kommunikationspartners reagiert werden kann). Sie nimmt an, dass Medien mit einer geringen Synchronizität für das Sammeln von Fakten (Informationsübermittlung) besser geeignet sind, während Medien mit einer hohen Synchronizität für die Integration dieser Fakten (Informationsverdichtung) vorteilhaft sind. Eine zentrale und schwierige Anforderung netzbasierter Kooperation ist das Herstellen eines gemeinsamen Verständnisses. So wird in der Kommunikationstheorie von Herbert Clark (Clark & Brennan, 1991) betont, dass sich Gesprächspartner während der Kommunikation in so genannten GroundingProzessen darum bemühen müssen, eine gemeinsame Wissensbasis (common ground) zu ermitteln. Dabei werden verschiedene Eigenschaften von Kommunikationsbedingungen genannt, die Einfluss auf

11.1 Anforderungen kooperativen netzbasierten Lernens

155

den Aufwand haben, der für erfolgreiches Grounding erforderlich ist: sich im selben Raum zu befinden, sich sehen bzw. hören zu können, gleichzeitig agieren zu können, Botschaften unmittelbar bzw. in der ursprünglichen Reihenfolge zu erhalten sowie auf vorherige Botschaften zurückgreifen bzw. diese revidieren zu können. Bei netzbasierter Kommunikation sind meist mehrere dieser Eigenschaften nicht gegeben und somit – aus Sicht der Theorie – Grounding-Prozesse entsprechend erschwert. Eine weitere Schwierigkeit, die in diesem Zusammenhang entsteht, ist der Aufbau einer Vorstellung bzw. eines Modells über das Wissen des Lernpartners. Wenn keine genaueren Informationen zur Verfügung stehen, nutzen Lernende dafür bestimmte Heuristiken. So wird beispielsweise die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Gruppe, eine gemeinsame Umgebung oder der Inhalt eines gemeinsamen Gesprächs als vorhandenes Wissen vorausgesetzt (Clark & Marshall, 1981). Liegen auch solche Informationen (noch) nicht vor, so wird oftmals das eigene Wissen als Basismodell für das Wissen des Gesprächspartners herangezogen (Nickerson, 1999). Häufige Folge dieser Vorgehensweise ist eine verzerrte Vorstellung des Partner-Wissens. Das Formulieren adressatengerechter Fragen und Erklärungen, die das gemeinsame Verständnis fördern können, ist entsprechend behindert (Dehler, Bodemer, Buder & Hesse, im Druck). Die Koordination sozialer Interaktionen ist eine Anforderung kooperativer Lernszenarien, die bereits in Face-to-Face-Situationen schwierig zu bewältigen ist. Zur Strukturierung kooperativen Lernens wurden daher unterschiedliche Methoden vorgeschlagen, die didaktisch sinnvolle Abläufe des Lernprozesses vorgeben, wie beispielsweise scripted cooperation (O’Donnell & Dansereau, 1992) oder reciprocal teaching (Palincsar & Brown, 1984). Diese Strukturierungsmethoden haben sich einerseits als lernwirksam erwiesen (vgl. Cohen, 1994), andererseits ist die Selbstregulation der Lernenden, die beim kooperativen Lernen als besonders motivations- und lernförderlich gesehen wird, dadurch stark eingeschränkt (vgl. Deci & Ryan, 1993). Beim netzbasierten Lernen ist die Schwierigkeit für die Lernenden, strukturiert und zielführend zu interagieren, aufgrund der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten zusätzlich erhöht. Andererseits bietet der Computer auch zusätzliche Möglichkeiten, Strukturierungsangebote adaptiv an die Lernenden anzupassen. Die Koordination der Interaktionen, der Aufbau eines Modells über das Wissen des Lernpartners und das Herstellen eines gemeinsamen Verständnisses sind nicht nur getrennt betrachtet Anforderungen, die beim netzbasierten kooperativen Lernen bewältigt werden müssen. Gemeinsam belasten sie auch das Arbeitsgedächtnis der Lernenden (Dillenbourg & Bétrancourt, 2006). Dieses ist beim computerbasierten Lernen, in dem häufig komplexe Informationen auf unterschiedliche Weise dargestellt werden, ohnehin bereits stark beansprucht. Zusammengenommen besteht somit die Gefahr nur geringer Lernerfolge aufgrund einer kognitiven Überlastung. Für individuelle Lernszenarien hat sich allerdings gezeigt, dass der Computereinsatz auch die Chance bietet, adaptiv während des Lernprozesses lernirrelevante kognitive Belastung der Lernenden zu reduzieren und bedeutsamen kognitiven Aufwand zu fördern (Bodemer, Plötzner, Bruchmüller & Häcker, 2005).

156

11 Kooperatives netzbasiertes Lernen

11.2

Unterstützung kooperativen netzbasierten Lernens

11.2.1

Sozio-emotionale Aspekte

In Bezug auf die reduzierte Wahrnehmung sozialer und emotionaler Kontextinformationen, die in der Forschung zur computervermittelten Kommunikation insbesondere bei schriftlicher Kommunikation identifiziert wurde, sind verschiedene Maßnahmen entwickelt worden, die zu einer sozio-emotionalen Anreicherung netzbasierter Kommunikation führen können. Eine mittlerweile weit verbreitete Maßnahme ist der Einsatz so genannter Emoticons, die Stimmungsund Gefühlszustände bzw. die soziale Bedeutung einer Aussage durch eine Zeichenfolge oder grafisch darstellen (Walther & D’Addario, 2001). Hierdurch kann beispielsweise Ironie in Aussagen, die bei schriftlicher Kommunikation zwischen wenig bekannten Personen schwierig als solche zu identifizieren ist und in der Folge zu Missverständnissen führen kann, eindeutig gekennzeichnet werden. Auch hier sind allerdings gewisse Kenntnisse hinsichtlich der Bedeutung notwendig, damit es nicht zu Fehlinterpretationen kommt. Beispielsweise unterscheiden sich die japanischen Emojis von den Emoticons westlich sozialisierter Internetnutzer. Ein technologisch anspruchsvollerer Ansatz zur Verminderung sozialer und emotionaler Defizite bei der netzbasierten Kooperation sind so genannte Group Awareness-Tools. Diese Anwendungen, die ursprünglich im Forschungsbereich computer supported cooperative work (CSCW) entwickelt wurden (Gutwin & Greenberg, 2002), erfassen soziale Kontextinformationen während der netzbasierten Zusammenarbeit und stellen sie den Kooperationspartnern – meist in grafischer Form – zur Verfügung. Beispielsweise werden Informationen zum Aussehen der Gruppenmitglieder, zu ihrem Aufenthaltsort, zu ihrem emotionalen Zustand und zu ihren sozialen Rollen und Verantwortlichkeiten erhoben und an die Gruppe zurückgespiegelt. Eine einfache und häufig anzutreffende Group Awareness-Darstellung ist eine „who is online“-Liste, die anzeigt, welche potenziellen Kooperationspartner gerade verfügbar sind. Auch so genannte Avatare, die sich als digitale Repräsentationen realer Personen durch virtuelle Räume und Welten (z. B. Second Life) bewegen und darin miteinander interagieren können, vermitteln viele soziale Kontextinformationen, die ansonsten nur in Face-to-Face-Szenarien beobachtbar wären. Eine Entwicklung, die über die Reduzierung sozio-emotionaler Defizite bzw. die Herstellung von Faceto-Face-Bedingungen bei der netzbasierten Kommunikation hinausgeht, ist das Konzept der transformierten sozialen Interaktion (Bailenson, Beall, Loomis, Blascovich & Turk, 2005). Hierbei geht es um die erweiterte Nutzung von Avataren, die durch eine Trennung von Erscheinungsbild und Verhalten erreicht wird. So kann einerseits eine Person einen Avatar wählen, der nicht den realen Eigenschaften der Person entspricht (z. B. hinsichtlich Geschlecht, Attraktivität, Kleidung), andererseits kann auch das Verhalten des Avatars so manipuliert werden, dass es keine exakte reale Entsprechung hat (z. B. ein situationsspezifisch optimaler Grad an Zustimmung durch Kopfnicken des Avatars). Beide Formen der Veränderung können dazu genutzt werden, Kooperationsbedingungen herzustellen, die einem realen Treffen überlegen sind. So hat sich gezeigt, dass eine Person positiver bewertet wird und mehr Zustimmung erfährt, wenn sie durch einen Avatar repräsentiert ist, der die Bewegungen des Gesprächs-

11.2 Unterstützung kooperativen netzbasierten Lernens

157

partners nachahmt oder der so eingestellt ist, dass alle Kommunikationspartner unabhängig voneinander Blickkontakt mit ihm halten können (Bailenson et al., 2005).

11.2.2

Inhaltliche und strukturelle Aspekte

Das Herstellen eines gemeinsamen Verständnisses wird in der Face-to-Face-Kooperation üblicherweise durch die gemeinsame Verwendung externer Repräsentationen erleichtert, auf die die Kooperationspartner referenzieren können. Solche externen Repräsentationen umfassen Texte, Grafiken oder reale Gegenstände und können von dritter Seite erstellt oder durch die Gruppe selbst konstruiert sein. Durch die kooperative Nutzung externer Repräsentationen können individuelle Beiträge objektiviert und veranschaulicht (Roschelle & Teasley, 1995), aber auch koordiniert und zueinander in Beziehung gesetzt werden (Scardamalia & Bereiter, 1994). Bei netzbasierter Kooperation ist ein solcher gemeinsamer Bezug auf externe Repräsentationen nicht automatisch gegeben. In vielen E-Learning-Szenarien stehen beispielsweise den Lernenden nur ein Kommunikationsmedium und eine Plattform zur gemeinsamen Verwaltung von Dokumenten zur Verfügung. Selbst wenn mehrere räumlich verteilte Lernende dasselbe Dokument geöffnet haben, werden Zeigegesten auf ein bestimmtes Objekt im Dokument nicht von den anderen wahrgenommen. Abhilfe kann hier durch geteilte Anwendungen geschaffen werden, die von allen Lernpartnern gleichzeitig eingesehen und bearbeitet werden können. Solche Anwendungen haben gegenüber Papier und Bleistift in der Face-to-Face-Situation den Vorteil, dass die Inhalte flexibel veränderbar sind und leicht abgespeichert und weiterverarbeitet werden können. Sie können sowohl dazu genutzt werden, gemeinsam Verständnis fördernde Darstellungen der Lerninhalte zu betrachten und zu manipulieren (z. B. Simulationen zu naturwissenschaftlich-technischen Konzepten), als auch dazu, Bestandteile der gemeinsamen inhaltlichen Diskussion grafisch darzustellen (z. B. Diagramme, die Argumente und Gegenargumente zueinander in Beziehung setzen). Um den Aufbau eines Modells über das Wissen des Lernpartners zu unterstützen, wurde in jüngerer Zeit die Group Awareness-Konzeption aus der CSCW-Forschung erweitert und auf den Forschungsbereich computer-supported collaborative learning (CSCL) übertragen. In den hier konzipierten Group Awareness Tools werden kognitive Variablen wie das Wissen und die Meinung der Gruppenmitglieder erfasst und in vereinfachter, visualisierter Form an die Gruppe zurückgemeldet (Bodemer & Buder, 2006). Auf diese Weise kann z. B. das Wissen des Kooperationspartners zu einem Sachverhalt schnell und einfach erkannt und mit dem eigenen Wissen verglichen werden. Es hat sich gezeigt, dass diese Form von Group Awareness Tools den kognitiven Aufwand, der zur Vermittlung des Partnerwissens notwendig ist, auf ein Minimum reduzieren (Bodemer, im Druck) und ein an den Lernpartner angepasstes Kommunikationsverhalten fördern kann (Dehler et al., im Druck). Anwendungen und Maßnahmen, die zur Strukturierung kooperativen netzbasierten Lernens entwickelt wurden, lassen sich danach unterscheiden, wie stark und wie explizit sie die Lernenden anleiten. Beispielsweise enthalten Kooperationsskripts (vgl. den Beitrag von Kobbe, Weinberger und Fischer in diesem Band) relativ explizite und starke Vorgaben zum Ablauf und Inhalt der Interaktion zwischen den Lernenden. Eine explizite Strukturierung stellt einerseits sicher, dass kooperatives Lernen didaktisch sinnvoll verläuft, andererseits schränken starke Vorgaben die Selbststeuerung der Lernenden ein (Hesse, 2007). Im Forschungsbereich CSCL werden zurzeit vor allem zwei Strukturierungsansätze diskutiert, die Lernende bei einer zielführenden Kooperation unterstützen können, ohne ihnen explizite Vorgaben zu machen. Zum einen können die bereits beschriebenen Group Awareness Tools bestimmte

158

11 Kooperatives netzbasiertes Lernen

Denk-, Kommunikations- und Verhaltensweisen nahelegen, indem soziale Kontextinformationen dargestellt werden. So ermöglicht die Information über das Kooperationsverhalten eines Gruppenmitglieds einen sozialen Vergleich, der zur Anpassung des eigenen Verhaltens führen kann. Zum anderen können repräsentationsinhärente Eigenschaften den Lernenden bestimmte Denk-, Kommunikations- und Verhaltensweisen nahelegen (representational guidance; Suthers & Hundhausen, 2003). Beispielsweise legt eine Matrix die Suche und Diskussion fehlender Information stärker nahe als ein Begriffsnetz oder ein Text. Aktuelle Maßnahmen zur Unterstützung kooperativen netzbasierten Lernens gehen somit über die defizitorientierte Sichtweise hinaus, die lange Zeit aufgrund der eingeschränkten Kommunikationskanäle vorherrschend war. Sowohl in Bezug auf das sozio-emotionale Erleben der Lernpartner als auch hinsichtlich der Verarbeitung der Lerninhalte und der Strukturierung des Lerndiskurses können inzwischen sogar Bedingungen geschaffen werden, die eine Unterstützung sinnvoller Lernprozesse auf eine ganz andere Weise ermöglichen als dies in Face-to-Face-Lernszenarien der Fall ist.

12

Kooperationsskripts - Drehbücher für das computerunterstützte kooperative Lernen

Lars Kobbe, Armin Weinberger & Frank Fischer

Kooperative Lernformen sind ein typischer Bestandteil innovativer Ansätze des Lehrens und Lernens. Allerdings zeigen Studien deutlich, dass es nicht genügt, Lernende aufzufordern gemeinsam zu lernen, um diese Ziele kooperativen Lernens zu realisieren. Kooperationsskripts stellen eine Möglichkeit dar, kooperatives Lernen mit anderen Lernformen zu orchestrieren sowie Lernende bei der Übernahme bestimmter kooperativer Rollen und Aktivitäten zu unterstützen. In diesem Beitrag werden erfolgreiche Beispiele von Kooperationsskripts vorgestellt sowie grundlegende Mechanismen und Prinzipien von Kooperationsskripts erörtert. Besonderer Augenmerk wird dabei auf die technische Realisierung von Kooperationsskripts gelegt. Schlüsselbegriffe: Kooperatives Lernen, Kooperationsskripts, Aufgabenverteilung, Gruppenbildung, Sequenzierung

160

12 Kooperationsskripts - Drehbücher für das computerunterstützte kooperative Lernen

Innovative Ansätze des Lehrens und Lernens sind häufig mit dem Einsatz kooperativer Lernformen verbunden. Lernende sollen hierbei eigene Lösungen zu komplexen Problemen entwickeln und diskutieren – ohne fortwährende Unterstützung durch Lehrende. Kooperatives Lernen soll zum einen dazu führen, dass Lernende aktiv und chancengleich an Lernprozessen teilnehmen können. Zum anderen soll kooperatives Lernen sowohl die tiefe Verarbeitung der Lernmaterialien als auch soziale Kompetenzen, wie z. B. Argumentationskompetenzen fördern. Allerdings zeigen Studien deutlich, dass es nicht genügt, Lernende aufzufordern, gemeinsam zu lernen, um diese Ziele kooperativen Lernens zu realisieren. Vielmehr stellen kooperative Lernformen erhebliche Anforderungen an Lehrende und Lernende. Lernende beteiligen sich beispielsweise nicht von selbst gleichmäßig an kooperativen Lernaktivitäten, beziehen sich kaum auf die Äußerungen ihrer Lernpartner und diskutieren die Lerninhalte nur oberflächlich. Wie also können kooperative Lernformen erfolgreich in den Unterricht eingegliedert werden? Und wie können kooperativ Lernende ohne dauernde Eingriffe durch Lehrende unterstützt werden? An diesen beiden Punkten setzt ein Ansatz zur instruktionalen Unterstützung kooperativen Lernens an, der die Interaktion der Lernenden durch so genannte Kooperationsskripts strukturiert. Dieser Ansatz sowie seine Umsetzungsmöglichkeiten in computerunterstützten Lernumgebungen sollen in diesem Artikel vorgestellt werden. Der Begriff des Kooperationsskripts leitet sich im Wesentlichen vom Theaterskript ab und kann somit als eine Art Drehbuch für die Kooperation der Lernenden verstanden werden. Wie Drehbücher können Kooperationsskripts die Handlung(en) kooperativer Lerner im Unterricht einbetten, den Akteuren Rollen zuweisen und den sequenziellen Ablauf der Handlung vorgeben. Je nach Skript bleiben den Akteuren mehr oder weniger Interpretationsspielräume erhalten. Bevor nun auf nähere Feinheiten eingegangen wird, sollen im Folgenden ein paar Beispiele zeigen, wie solche Kooperationsskripts aussehen können.

12.1

Beispiele bewährter Kooperationsskripts

Eine Möglichkeit, wie kooperatives Lernen in den Unterricht eingebettet werden kann, zeigt das Reziproke Lehren (englisch Reciprocal Teaching; Palincsar & Brown 1984). Der Lehrende macht dem Lernenden vor, wie man vier Strategien anwendet, um einen Text besser zu verstehen. Dazu gehören Fragen zum gelesenen Textabschnitt stellen, zusammenfassen, Unklarheiten klären sowie Vorhersagen zum kommenden Abschnitt machen. Diese Textverstehensstrategien werden dialogisch zunächst zwischen Lehrer und Schülern durchgeführt, d. h. zunächst demonstriert der Lehrer die Anwendung der Strategien an einem Textabschnitt und leitet einen Schüler dann Schritt für Schritt dazu an, die Strategien selbstständig anzuwenden. Für den nächsten Textabschnitt übernimmt der Schüler die Lehrerrolle und leitet einen Mitschüler an, die Textstrategien anzuwenden, während der Lehrer eine unterstützende Beobachterrolle einnimmt und sukzessive weniger korrigierend eingreift. Dies geht paarweise so weiter, bis alle Schüler einmal die Lehrerrolle eingenommen haben. Ein relativ weit verbreitetes Lernszenario, das wir heute als Kooperationsskript bezeichnen würden, ist das Gruppenpuzzle (englisch Jigsaw Classroom; Aronson, Blaney, Sikes, Stephan & Snapp, 1978). Das zu bearbeitende Thema wird zunächst in mehrere für sich allein stehende Teilbereiche unterteilt. Zu jedem Teilbereich wird eine Expertengruppe gebildet, dessen Mitglieder sich gemeinsam so gründlich in das Thema einarbeiten, dass jeder einzelne von ihnen anschließend in der Lage ist, sein Wissen

12.2 Computerunterstützte Kooperationsskripts

161

anderen Lernenden zu vermitteln. Anschließend werden die Expertengruppen aufgelöst und neue Gruppen gebildet, in denen jeweils ein Experte aus jedem Themenbereich vertreten ist. Diese gemischten Gruppen arbeiten dann an komplexen Aufgaben, die nur durch „interdisziplinäre“ Zusammenarbeit zu lösen sind oder geben ihr Wissen an die anderen Gruppenmitglieder weiter, so dass schließlich alle Lernenden über in etwa das gleiche Wissen verfügen. Bei der Geleiteten Reziproken Befragung (englisch Guided Reciprocal Peer Questioning; King, 1995) werden die Lernenden mit Hilfe von vorgegebenen Fragestämmen wie z. B. „Was wäre, wenn…“, „Was sind die Stärken und Schwächen von…“ oder „Wie lässt sich erklären, dass…“ dazu angeleitet, zum Vortrag des Lehrenden anspruchsvolle Fragen zu entwerfen, die zum Nachdenken und kritischen Reflektieren anregen und sich nicht einfach durch bloße Erinnerung beantworten lassen. Die Lernenden bilden dann Paare oder Kleingruppen, in denen sie sich beim Stellen und Beantworten der Fragen abwechseln. Anschließend werden die in dieser Runde aufgekommenen Ideen oder Unklarheiten vom Lehrenden im Klassenrahmen aufgenommen und diskutiert. Im Unterschied zum oben beschriebenen Gruppenpuzzle wird bei diesem Kooperationsskript weniger Wert auf die Gestaltung äußerer Rahmenbedingung für kooperatives Lernen gelegt, als vielmehr auf die Interaktion der Lernenden selbst. Aus empirischen Untersuchungen ist bekannt, dass Lernende spontan nur selten Fragen stellen und diese meist nicht anspruchsvoll genug sind, um eine tiefergehende Elaboration zu fördern. Daher werden die Lernenden durch dieses Skript nicht nur zum Stellen von Fragen aufgefordert, sondern bei deren Formulierung noch zusätzlich unterstützt.

12.2

Computerunterstützte Kooperationsskripts

Kooperationsskripts beinhalten oft Rollen und Abläufe, die für Lehrende bzw. Lernende neu sind und daher eine gewisse Einübungszeit benötigen. Zudem erfordert die Anleitung, Koordination und Unterstützung parallel arbeitender Kleingruppen einen nicht zu unterschätzenden Aufwand für den Lehrer. Computerunterstützte Kooperationsskripts können den Lehrer bei diesen Aufgaben entlasten und bieten zusätzlich innovative Möglichkeiten der Gestaltung kooperativer Szenarien, wie die folgenden Beispiele zeigen. Das Gegenpol-Skript (englisch Arguegraph; Dillenbourg & Jermann, 2006) zielt darauf ab, eine möglichst kontroverse Diskussion zwischen den Lernenden zu fördern. Zunächst füllt jeder Schüler individuell einen Online-Fragebogen (Quiz) aus, in dem es weniger um richtige oder falsche Antworten geht, als darum, den Schüler zur Reflektion über seinen eigenen Standpunkt anzuregen. Jede Frage bzw. jedes Statement wird auf einer mehrstufigen Skala von Zustimmung bis Ablehnung bewertet und diese Meinung zusätzlich in einem Textfeld begründet. Aus den Skalenwerten errechnet der Computer dann ein Koordinatenkreuz auf dem die individuellen Meinungen anonymisiert als Punkte aufgetragen sind (s. Abb. 12.1). Dieses Umfrageergebnis wird dann im Klassenverband diskutiert. Anschließend unterstützt der Computer den Lehrer dabei, die Schüler der Klasse so in Paare aufzuteilen, dass jeder Schüler einen Partner mit möglichst gegensätzlicher Meinung erhält (entsprechend den Punkten mit der längsten Distanz auf dem Koordinatenkreuz). Die Paare beantworten den Online-Fragebogen nun erneut, wobei sie sich diesmal immer auf eine gemeinsame Antwort und Begründung einigen müssen. Daraufhin werden die Antworten jeder Gruppe vom Computer zusammengefasst und der Lehrer hilft den Gruppen dabei, ihre Argumentation zu verbessern und sich dabei auf Theorien zu beziehen. Anschlie-

162

12 Kooperationsskripts - Drehbücher für das computerunterstützte kooperative Lernen

ßend werden alle Fragebögen der Klasse vom Computer zusammengetragen und jeder Schüler erhält die Aufgabe, die Antworten aller Kleingruppen zu jeweils einer spezifischen Frage des Fragebogens zusammenzufassen und zu erörtern.

Abb. 12.1:

Im Gegenpol-Skript werden die Positionen aller Schüler auf einem Koordinatenkreuz abgebildet.

Eine weitere Möglichkeit, um Schüler dazu anzuregen, sich mit unterschiedlichen Standpunkten auseinanderzusetzen, zeigt das Konzeptraster-Skript (englisch Concept Grid; Dillenbourg 2002). Hier werden Kleingruppen gebildet, in denen jeder Schüler eine bestimmte Rolle einnimmt, aus dessen Perspektive argumentiert werden soll. Jeder Schüler erhält zur Vorbereitung entsprechendes Hintergrundmaterial zu seiner Rolle. Die Aufgabe der Kleingruppe besteht zunächst darin, eine Liste von Begriffen den jeweiligen Rollen zuzuordnen und die Begriffe zu definieren. Anschließend sollen die Begriffe in einem schachbrettähnlichen Raster angeordnet und die jeweiligen Relationen zu den Nachbarfeldern definiert werden (siehe Abb. 12.2). Jede Definition wird jeweils von den Schülern gemeinsam erarbeitet, die die den Begriffen zugeordnete Rolle innehaben. Nachdem alle Konzeptraster vollständig ausgefüllt sind, werden die Ergebnisse der Kleingruppen miteinander verglichen und im Klassenrahmen diskutiert. Dieses hochkomplexe Skript lässt sich am einfachsten webbasiert mit Hilfe eines Wiki realisieren, in dem das Raster in Form einer Tabelle auf der Startseite vorgegeben wird. Die Begriffe und Relationen lassen sich dann von den Schülern hinzufügen, editieren und mit anderen Seiten verlinken, in denen sie näher definiert werden können.

12.2 Computerunterstützte Kooperationsskripts

Abb. 12.2:

163

Im Konzeptraster-Skript füllen die Schüler gemeinsam alle Felder mit Begriffen, Relationen und Definitionen aus.

Im Analytiker-Kritiker-Skript (englisch Social Script; Weinberger, Ertl, Fischer & Mandl, 2005) bilden immer jeweils drei Lernende eine Fallgruppe, innerhalb derer drei Fälle parallel bearbeitet werden. In jedem dieser Fälle übernimmt einer der Schüler die Rolle des Fallanalytikers und die anderen beiden die Rolle des Kritikers (siehe Tabelle 12.1). Das Skript beginnt damit, dass alle Schüler eine Analyse ihres jeweiligen Falles verfassen. Anschließend wechseln die Schüler zum nächsten Fall, in dem sie nun die Rolle des Kritikers übernehmen. Nachdem eine Kritik zur Fallanalyse geschrieben wurde, wechseln die Schüler zum nächsten Fall, in dem sie wiederum eine Kritik schreiben. Schließlich nehmen alle Schüler wieder ihre ursprüngliche Rolle des Fallanalytikers an, lesen die beiden erhaltenen Kritiken und schreiben ihre abschließende Fallanalyse. Das computerunterstützte Kooperationsskript wird mit Hilfe eines Diskussionsforums realisiert, in dem pro Kleingruppe ein Unterforum angelegt wird. In jedem Unterforum werden dann drei Themen begonnen, deren erster Beitrag jeweils einen der drei Fälle beschreibt. Fallanalysen und Kritiken werden als Antworten auf diesen ersten Themenbeitrag geschrieben. Wenn alle Schüler ihren neuen Beitrag geschrieben haben, werden sie vom Computer zum nächsten Thema geführt und nehmen dort ihre neue Rolle ein. Darüber hinaus erhalten die Lernenden Unterstützung bei der Ausführung ihrer Rolle, indem ihre gerade aktuelle Rolle beschrieben wird und das Textfeld zum Erstellen eines Beitrags zu ergänzende Satzanfänge vorgibt.

164

12 Kooperationsskripts - Drehbücher für das computerunterstützte kooperative Lernen

Gruppe 1

Gruppe 2

Gruppe 3

Schüler 1

1. Analytiker

2. Kritiker

3. Kritiker

Schüler 2

3. Kritiker

1. Analytiker

2. Kritiker

Schüler 3

2. Kritiker

3. Kritiker

1. Analytiker

Tab. 12. 1:

12.3

Rollenverteilung im Analytiker-Kritiker-Skript. Die Nummer vor jeder Rolle gibt die Reihenfolge an, in der der jeweilige Schüler diese Rolle einnimmt.

Wichtige Komponenten und Mechanismen von Kooperationsskripts

Die hier vorgestellten Kooperationsskripts zeigen beispielhaft, wie unterschiedlich aber auch wie ähnlich Kooperationsskripts gestaltet sein können. In den letzten Jahren wurden eine Vielzahl von Kooperationsskripts auf gemeinsame Merkmale verglichen und so ein Rahmenmodell entwickelt, welches die grundlegenden Komponenten und Mechanismen spezifiziert (Kobbe et al., 2007). Nach diesem Modell bestehen Kooperationsskripts aus den Komponenten Teilnehmer, Aktivitäten, Rollen, Ressourcen (Informationsquellen, Hilfsmittel, etc.) und Gruppen sowie den Mechanismen Gruppenbildung, Aufgabenverteilung und Sequenzierung. Diese Komponenten und Mechanismen lassen sich auf verschiedene Arten kombinieren und sind sowohl bei der Analyse als auch dem Design von Kooperationsskripts sehr nützlich. Hier sollen in aller Kürze die wesentlichen Aspekte der Komponenten und Mechanismen dargestellt werden (siehe Abb. 12.3): Die Gruppenbildung erfolgt meist nach bestimmten Zielvorgaben wie der Anzahl und/oder der Größe der zu bildenden Gruppen. In den meisten Fällen hängt die Anzahl bzw. die Größe der Gruppen von anderen Komponenten ab, wie z. B. der Anzahl von Ressourcen, die auf die Gruppen verteilt werden sollen oder die Anzahl verfügbarer Rollen, die die Schüler einnehmen können. Darüber hinaus gibt es aber auch Kooperationsskripts, die eine bestimmte Zusammenstellung der Gruppen definieren, beispielsweise gleichgeschlechtliche Gruppen, ethnisch gemischte Gruppen oder Gruppen in denen jeweils ein guter Schüler mit zwei schwächeren Schülern zusammenarbeiten soll. Die Bildung von Gruppen hat meist das Ziel, optimale Rahmenbedingungen für das kooperative Lernen zu schaffen, beispielsweise möglichst wenig bzw. möglichst kleine Gruppen oder Gruppen mit einer bestimmten Konstellation von Lernenden. Unter Aufgabenverteilung versteht man, dass Aktivitäten, Rollen und/oder Ressourcen auf bestimmte Art und Weise über die Teilnehmer oder auch über Gruppen verteilt werden. Im Gruppenpuzzle werden beispielsweise Informationen über verschiedene Gruppen verteilt, so dass jede Gruppe nur einen bestimmten Teil der Informationen erhält. Eine solche Aufgabenverteilung kann verschiedenen Zwecken dienen. Zum einen ermöglicht es die parallele und damit zeitsparende Ausführung von Aktivitäten und Rollen bzw. die Nutzung von Ressourcen. Zum anderen wird dieser Mechanismus oft eingesetzt, um eine gewisse gegenseitige Abhängigkeit zu schaffen (z. B. wenn die Aufgabe nur durch Einsatz aller

12.3 Wichtige Komponenten und Mechanismen von Kooperationsskripts

165

Ressourcen zu lösen ist) und so die Motivation zur Kooperation zu erhöhen. Darüber hinaus kann die Aufgabenverteilung dabei helfen, soziales Faulenzen zu verhindern, indem allen Teilnehmern eine wichtige Funktion zukommt. Wichtig ist bei der Aufgabenverteilung, dass den Teilnehmern eine angemessene zusätzliche instruktionale Unterstützung zukommt. Wenn davon auszugehen ist, dass den Lernenden die Fähigkeit fehlt, die ihnen zugewiesene Aktivität oder Rolle effektiv auszuführen, sollten die Lernenden durch Beispiele, Erläuterungen, vorgegebene Satzanfänge und dergleichen dabei unterstützt werden. Welche konkreten Aktivitäten und Rollen in einem Kooperationsskript verteilt werden, hängt überwiegend von der jeweiligen Aufgabe und dem erwünschten Lernziel ab. Im Allgemeinen gelten jedoch Aktivitäten wie Argumentieren, Erklären, Elaborieren und Fragenstellen als besonders lernförderlich, bei denen eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den Lerninhalten zu erwarten ist. Einige Kooperationsskripts lassen sich auch durch die Verteilung bestimmter Rollen bereichern. Diese können zum einen thematisch orientiert sein wie z. B. Fürsprecher-Rollen für verschiedene Positionen. Sie können aber auch funktional sein wie beispielsweise Gruppenleiter, konstruktiver Kritiker, Schriftführer oder Zeitmanager. Bei der Sequenzierung eines Kooperationsskripts kann man je nach Anforderungen der Lernumgebung verschiedene Muster erkennen. Hervorzuheben sind die in vielen Skripts vorkommenden Wiederholungen einzelner Abschnitte, die bei einer genauen Wiederholung als Repetition und bei Wiederholungen mit Varationen als Rotation, Traversion oder Fading klassifiziert werden können. Eine Rotation bezieht sich meist auf Aktivitäten und Rollen, die mit jedem Zyklus von einem Schüler zum nächsten weitergegeben werden (bei zwei Schülern wird einfach getauscht), um so jedem Schüler die gleiche Lerngelegenheit zu bieten. Eine Traversion findet meist bei den Ressourcen statt, d. h. eine Ressource (z. B. eine Übungsaufgabe) wird bei jedem Zyklus durch eine andere Ressource (z. B. die nächste Übungsaufgabe) ersetzt, um dieselben Lernaktivitäten in einem jeweils anderen Kontext anzuwenden. Beim Fading wird der Grad der instruktionalen Unterstützung (z. B. Lösungsbeispiele, Satzanfänge, Illustrationen) bei der Ausübung von Lernaktivitäten allmählich reduziert, um mit steigender Erfahrung der Schüler auch mehr Selbstständigkeit einzufordern.

Abb. 12.3: In Kooperationsskripts kommen Mechanismen wie Gruppenbildung, Aufgabenverteilung und Sequenzierung (mit den Spezialformen Wiederholung, Rotation, Traversion und Fading) zum Einsatz.

166

12.4

12 Kooperationsskripts - Drehbücher für das computerunterstützte kooperative Lernen

Ausblick: Ein Autorensystem für kooperative Drehbücher

Kooperationsskripts bieten, wie die vorangegangenen Beispiele und Erläuterungen zeigen, vielfältige Möglichkeiten, um kooperative Lernsituationen zu strukturieren. Obwohl die hier vorgestellten Skripts von Wissenschaftlern entwickelt wurden, bedarf es keiner besonderen Fachkenntnisse, um effektive Kooperationsskripts zu gestalten. Gerade Lehrende mit ihrer wertvollen Praxiserfahrung haben meist das richtige Gespür dafür, welche Art von Kooperationsskript für die jeweilige Zielgruppe und Aufgabe optimal geeignet ist. Die prototypischen Skript-Beispiele können als Anregung und Vorlage für eigene Varianten dienen. Mit Hilfe der hier vorgestellten Komponenten und Mechanismen lässt sich aber auch eine Vielzahl gänzlich neuer Kooperationsskripts entwickeln – der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Obwohl sich die meisten Kooperationsskripts prinzipiell auch ohne technische Unterstützung einsetzen lassen, bieten computerunterstützte Kooperationsskripts gewisse Vorteile (z. B. Entlastung des Lehrenden, parallele Unterstützung mehrerer Lernenden). Leider stehen diesen Vorteilen momentan noch einige technische Hürden gegenüber, die es zu überwinden gilt: Sowohl die Neuentwicklung als auch die Übertragung von computerunterstützten Kooperationsskripts auf andere Lernplattformen ist bislang ein recht aufwendiges Unterfangen, da jedes Skript von Grund auf neu programmiert werden muss und selbst einfache Modifikationen wie die Änderungen des Lerninhalts oder der Gruppengröße nur von Programmierern zu bewerkstelligen sind. Aktuell arbeiten daher verschiedene Forschergruppen gemeinsam an einer Lösung zur Formalisierung von computerunterstützten Kooperationsskripts. Damit wäre es dann beispielsweise möglich, Skripts von einer Lernplattform zu exportieren und woanders wieder zu importieren. Derzeit werden auch Autorenumgebungen entwickelt, in denen sich die Skriptkomponenten und -mechanismen wie in einem Baukasten neu zusammensetzen lassen. Damit könnten Lehrende verschiedene Skripts entwickeln, die je nach Lernszenario ganz bestimmte Interaktionsmuster unterstützen können. Möglicherweise werden die Autorenumgebungen in Zukunft in der Lage sein, flexibel auf Anforderungen und Wünsche des Lehrenden zu reagieren, indem sie erlauben, auch während des kooperativen Lernszenarios noch Änderungen vorzunehmen. Dieser Flexibilitätsgedanke geht sogar soweit, dass Kooperationsskripts sich eines Tages anhand einer computerlinguistischen Analyse der Diskussionsbeiträge dem Kompetenzniveau der Lernenden eigenständig anpassen könnten. Erste Ansätze zur Realisierung dieser Möglichkeiten werden bereits erprobt (Dönmez, Rosé, Stegmann, Weinberger & Fischer, 2005). In computerunterstützten Kooperationsskripts steckt also noch ein großes Potenzial, das es zu nutzen gilt.

13

Konnektivität von OnlineAnwendungen

Thomas Bernhardt, Marcel Kirchner & Oliver Klosa

Austausch und Vernetzung sind Kriterien, die in der heutigen Online-Welt eine zunehmende Rolle spielen. Sie kennzeichnen Formen von Konnektivität und charakterisieren das Internet damit als ein „verbindungsschaffendes“ Medium für jedermann mit besonderen Potenzialen für den Bildungseinsatz. Der vorliegende Beitrag betrachtet zunächst die Herausforderungen bei der Begriffsbestimmung eines Web 2.0 und versucht eine treffende Terminologie zu manifestieren, die einen verständlicheren Zugang für den Bildungskontext liefern soll. Anschließend werden konkrete Online-Anwendungen nach einem Taxonomie-Ansatz für den Lehr- und Lerneinsatz klassifiziert und ihre Potenziale aufgezeigt. Schließlich widmet sich der dritte Teil des Beitrages dem wachsenden Trend der Web-Videos als einem konkreten Anwendungsfall des Web 2.0 und beschreibt erste Applikationen und Fallbeispiele, in denen edukativer Inhalt verarbeitet und abrufbar gemacht wird. Ein zusammenfassendes Fazit zeigt schließlich Perspektiven für den Einsatz von Social Software für das Lehren und Lernen auf. Schlüsselbegriffe: Aktivität, Konnektivismus, Social Software, Vernetzung, Web 2.0, Web-Videos

168

13.1

13 Konnektivität von Online-Anwendungen

Das konaktive Web

Schaut man sich die Darstellung des Begriffes Web 2.0 an, so wird ihm ein oft sehr negativ besetzter Hype- oder Modewort-Charakter nachgesagt. Vor allem die eher „schwammige“ Verwendung in unterschiedlichen Kontexten löst gleichzeitig bei vielen Unverständlichkeit und Erklärungsnot aus. Oftmals wird, bedingt durch das Kürzel, fälschlicherweise auf eine neue (Software-)Version des Internets geschlossen. Aber welche zusätzlichen und ergänzenden Eigenschaften soll diese beinhalten? Das scheint vielen unklar zu sein und kann daher im ersten Moment nur sehr begrenzt Aufschluss über einen möglichen Einsatz im Bildungskontext geben. Web 2.0 berücksichtigt im Wesentlichen sieben Prinzipien für den Umgang mit dem Internet, die von Tim O´Reilly, dem Gründer und CEO des Verlages O’Reilly Media, ursprünglich geprägt und in seinem Leitartikel „What is Web 2.0?“ (O´Reilly, 2005) veröffentlicht wurden (vgl. Szugat, Gewehr, Lochmann, 2006, S. 15). Im Web 2.0 wird das „Internet als Plattform“ verstanden. Auch die Web 1.0Firma Netscape beispielsweise orientierte sich zu Beginn an diesem Leitsatz, doch versuchte sie im Gegensatz zu Google über das Anbieten von Hard- und Software (Webserver und Browser) eine Vormachtstellung im Bereich des Internets zu erreichen. Server wurden aber zur Massenware und Software zunehmend kostenlos (z. B. Firefox als Browser). Seitdem erhielten reine Webservices, wie z. B. Googles Suchdienst, eine immer größere Relevanz. Weiterhin werden Internetdienste nun nicht mehr als fertige Produkte an den Endkunden ausgeliefert, sondern befinden sich in einem ständigen offenen Weiterentwicklungsprozess („ewiges Beta“) mit regelmäßigen Updates oder Erweiterungen und können dabei direkt ausgeführt werden („Software ohne Lebenszyklus“). Dabei spielen insbesondere Datenbanken eine große Rolle, in denen persönliche, terminliche und geographische Informationen als „Schatz des Web 2.0“ von den Nutzern und für die Nutzer gesammelt werden und deren Wert steigt, je mehr und je öfter sie genutzt werden (vgl. Alby, 2006; Holz, 2006; O´Reilly, 2005). Der Content muss in diesem Fall nicht einmal vom Dienstanbieter selbst produziert werden. Im Mittelpunkt des Web 2.0 steht das Prinzip der Nutzung von „kollektiver Intelligenz“. Verlinkungen stellen die Grundlage der Struktur des Netzes dar. Ähnlich der Arbeitsweise der Synapsen des Gehirns werden Seiten untereinander verbunden und repräsentieren so je nach Anzahl der Verknüpfungen die Wichtigkeit jeder einzelnen Seite im Netz. Darauf aufbauend hat der so genannte PageRank-Algorithmus Google schnell zu einem Marktführer für Suchmaschinen avancieren lassen. Die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia z. B. führt dies durch das gemeinsame Erarbeiten von Wissen der Nutzer untereinander weiter. Jeder kann seinen Teil zum Wissen beitragen und aktiv werden, einfach per Mouse-Klick, um gleichzeitig auf diese Weise die Fehlerquote zu minimieren. Des Weiteren führt O´Reilly auf, dass Internetdienste nicht mehr nur an die PC-Plattform gebunden sind („Software über Gerätegrenzen hinweg“), sondern auch zunehmend auf mobilen Endgeräten genutzt werden können (z. B. iTunes-Nutzung oder Google Mail auf dem Handy abrufen). Darüber hinaus erscheinen so genannte „Lightweight Programming Models“ als besonders bedeutsam, die es ermöglichen, Daten besonders einfach zu verteilen und auszutauschen. Es geht also darum, dass Nutzer sich möglichst schnell und unkompliziert innovative Services aus bereits vorhandenen zusammenbauen können. Schließlich entstehen nach dem Prinzip der „Rich User Experiences“ immer mehr individuell anpassbare Internetdienste mit gleichen bzw. sogar erweiterten Eigenschaften bisheriger Desktop-Programme, die sich auf Benutzer und ihre Bedürfnisse einstellen können und die Erstellung gemeinschaftlich erzeugter Daten entscheidend fördern, wie z. B. die kollaborative Textverarbeitung mit Google Docs (vgl. Holz, 2006; O'Reilly, 2005).

13.1 Das konaktive Web

169

Die sieben Prinzipien O´Reilly´s beschreiben eine eher ökonomisch orientierte Herangehensweise, da sie auf den marktwirtschaftlichen Erfolg der Internet-Unternehmen abzielen. Web 2.0 kann aber weniger als softwaretechnische Innovation bezeichnet werden, wie vermeintlich oft angenommen wird, denn die Basis-Technologien wie XML, Ajax, offene API-Schnittstellen und RSS wurden bereits seit Ende der 1990er Jahre eingeführt. Es ist der Versuch zur Beschreibung eines Evolutionsprozesses im Netz, das Aufkommen eines veränderten Netzverständnisses, das zu einer neuen Art der Wahrnehmung und Nutzung des Internet führt. Dr. Helge Städtler beschreibt dies in seinem Blog-Beitrag „Was genau ist 2.0?“ (Städtler, 2007a) noch treffender als neue Perspektive, die Dinge zu sehen, bei der die Entwicklung des WWW unter dem „Bringing people together“-Effekt und dessen Folgen betrachtet wird. Damit ist Web 2.0 nur als Teil eines gesellschaftlichen Entwicklungssprunges bzw. kulturellen Wandels zu betrachten, bei dem digitale Medien lediglich als Werkzeuge dienen, um weltweite Veränderungen in Bildungs-, Arbeits- und Freizeitstrukturen, also z. B. in Unternehmen (Enterprise 2.0), in der Familie (Family 2.0), in der Schule (School 2.0) oder in der Universität (University 2.0) zu erfassen, verarbeiten und darzustellen (vgl. Städtler, 2007a).

Socie

Family

+

2.0 Perspective

= New Ideas!

School/ University

Enterprise

Abb. 13.1:

Friends, Library, Entertainment, News, ...

Cultural possibilities of change and new ways of doing things we've done all the years long the same way now differently.

Source of illustration graphics: http://www.js-games.de/ger/coolstuff

ty

Helge Städtler: http://www.ifeb.uni-bremen.de/thetawelle

Eine neue Perspektive in Gesellschaft und Kultur (Städtler, 2007a).

So könnte z. B. „Family 2.0“ bedeuten, seinen Eltern aktuelle Fotos der letzten Urlaubsreise per FlickrAlbum zuzusenden, mit den Geschwistern, die entfernt studieren, am Wochenende eine Videokonferenz über die Ereignisse der vergangenen Tage durchzuführen und seine Weihnachtswünsche per EMail mit Link auf den Amazon-Wunschzettel an die Verwandten zu verschicken, damit diese frühzeitig ihre Geschenke planen können. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, wenn ein Familienmitglied keinen entsprechenden Online-Zugang besitzt, dass eine Teilnahme an der neu entstehenden Familienkultur nicht möglich ist (vgl. Städtler, 2007a).

170

13 Konnektivität von Online-Anwendungen

Überträgt man nun diese Auffassung im Speziellen auf den Bildungskontext, so kann Web 2.0 sogar dazu beitragen, eine Art Paradigmenwechsel im traditionellen Bildungsverständnis hervorzurufen, die den Lehrenden eher zum „Wegbegleiter“ im Lernprozess und Lernende innerhalb der Beschäftigung mit einem Thema zu Tutoren und damit letztlich selbst zu „Lehrenden“ werden lässt. Eine Verschiebung bzw. sogar Auflösung bisheriger Grenzziehungen im Bildungssystem zeichnet sich ab, zu der darüber hinaus sowohl die steigende permanente Verfügbarkeit des Internet über mobile Medien, die das Lehren und Lernen zunehmend zeit- und ortsunabhängig (ubiquitär) ermöglichen, als auch die verstärkte öffentliche Darstellung des Lernprozesses als mögliche Bewertungsgrundlage und gleichzeitiger eigener Kompetenzaufbau entscheidend beitragen (vgl. Kerres, 2006, S. 4f.). Betrachtet man die genannten Begriffsbestimmungen genauer, so lassen sich für den Bildungskontext grundsätzlich zwei wesentliche Potenziale bzw. Ursachen für einen Perspektivwechsel identifizieren, die letztlich zu einer genaueren Ausdifferenzierung des ursprünglichen Web 2.0-Begriffes hinführen und zunehmend von einer „kritischen Masse“ an Lehrenden und Lernenden erkannt und ausgeschöpft werden. Auf der einen Seite sind dies gesteigerte Aktivitätsmöglichkeiten beim Umgang mit dem Internet. Dies bedeutet, dass Nutzer bzw. Lerner zunehmend zu so genannten „WikiBlog-Castern“ werden, die sich angeregt durch ihre Tutoren bzw. seminar- oder vorlesungsbegleitenden Aufgabenstellungen oder auch aus Eigenmotivation nicht mehr mit ihrer Rezipientenrolle begnügen, sondern zum Produzenten von Lerninhalten avancieren, diese gleichzeitig übersichtlich aufbereiten und somit aktiv am Wissenswachstum teilnehmen, sei es z. B. im persönlichen Blog oder Podcast, im gemeinsamen thematischen Wiki oder bei der Darstellung der eigenen Person in einem persönlichen Profil (vgl. Bernhardt & Kirchner, 2007, S. 19ff.). Dies führt letztlich zur Wort-Bedeutung „Aktives“ oder auch „Mitmach“Web. Das zweite Potenzial bildet der gesteigerte Vernetzungscharakter beim Umgang mit Web 2.0Anwendungen. Dieser ist in einem lerntheoretischen Ansatz konkretisierbar, dessen mögliche Berechtigung als neues Lernparadigma derzeit heftig diskutiert wird. Der Konnektivismus wurde von George Siemens in die wissenschaftliche Diskussion eingebracht, um den Trends bei der Handhabung von neuen digitalen Medien und Technologien Rechnung zu tragen (vgl. Siemens, 2004). Hierbei wird das Lernen als ein Netzwerkbildungsprozess angesehen, bei dem u. a. ein „[…] erhöhter Lernerfolg und eine größere Motivation zum Lernen dadurch erzielt wird, sich in ein bestehendes Netzwerk oder in eine bestehende Gemeinschaft zum entsprechenden Thema zu integrieren und damit das Netzwerk zu erweitern oder gar ein neues Netzwerk aufzubauen“ (Bernhardt & Kirchner, 2007, S. 49; vgl. Siemens, 2006, S. 29). In diesem Zusammenhang kann bei der Bildung so genannter Learning Communities im Internet vom „Konnektiven“ Web gesprochen werden. Schlussendlich lässt sich aus diesen beiden Potenzialen der Terminus „Konaktives Web“ konstruieren, welcher einen “gesellschaftlichen Entwicklungssprung” im Bildungskontext treffend erklären kann und die Idee eines selbstgesteuert-konnektiven Lernens begleitet. Nach dieser Idee entsteht aus einem ursprünglich selbstgesteuerten Handlungsimpuls, z. B. das aktive Anlegen eines eigenen Blogs, ein rein konnektives Lernpotenzial, bei dem der Lernende wichtige neue Informationen einer bisher unbekannten Quelle erhält, das wiederum zu neuen selbstgesteuerten Handlungen führen kann, sodass sich diese beiden Formen letztlich untereinander bedingen (vgl. Bernhardt & Kirchner, 2007, S. 50f.).

13.2 Social Software

171

Zunehmend erfahren Anwendungen des konaktiven Webs, die auch als Social Software bezeichnet werden, ihren Einsatz im Bildungskontext, da sie besondere Potenziale für eine persönliche kompetente Präsentation im Internet, auch kurz als E-Portfolio bezeichnet, offenbaren. Sie gestatten die Zusammenstellung einer persönlichen Lernumgebung (englisch: Personal Learning Environment, kurz PLE) offenbaren, die es zu nutzen und zu fördern gilt. Zudem können sie somit das über den formalen Unterricht hinausgehende, eher alltagsbestimmte informelle Lernen und letztlich das lebenslange Lernen unterstützen. In diesem Zusammenhang zeigt der nachfolgende Abschnitt Anwendungsbeispiele in einem Taxonomie-Ansatz sowie einige Einsatzszenarien auf.

13.2

Social Software

13.2.1

Definition und Abgrenzung

Wie bereits aus dem vorherigen Abschnitt ersichtlich wurde, stellt das Web 2.0 bzw. das konaktive Web keine software-technologische Innovation dar, sondern vielmehr eine Erweiterung der vorhandenen Online-Anwendungen, um so genannte Social Software. In frühen Erscheinungsformen gibt es Social Software bereits seit einigen Jahren, doch gehen die Meinungen zur genauen begrifflichen Einordnung teilweise erheblich auseinander. In Anlehnung an Stephan Mosel (2006) lassen sich all die Anwendungen als Social Software bezeichnen, „[…] die im sozialen Sinn das primäre Anliegen zur Kommunikation und Interaktion mit anderen Personen und/oder das Sichtbarmachen und Pflegen von erweiterbaren Netzwerken im Internet ermöglichen und fördern […]“ (Bernhardt & Kirchner, 2007, S. 54). Der Begriff der Social Software ist in der Fachliteratur nicht ganz übereinstimmend. Im Beitrag von Baumgartner wird eine Systematik von Social Software verwendet, die bei der Charakteristika den Fokus auf eine andere Betrachtungsebene richtet. Die Nutzer von Social Software sind bestrebt, sich mit anderen Nutzern auszutauschen oder zu vernetzen, die gleiche oder ähnliche thematische Interessen verfolgen. Auszugrenzen von dieser Definition ist z. B. das zur Verfügung stellen einer TV- oder Radio-Sendung als Podcast ohne die Möglichkeit zur Kommentierung der Beiträge durch den Nutzer oder ein Weblog, der als geschlossenes Lerntagebuch geführt wird. Auch die reine Mensch-Maschine-Interaktion, wie z. B. die einfache Google Suchanfrage, lässt sich hier nicht hinzuzählen.

13.2.2

Taxonomie-Ansatz

Social Software weist einen großen Umfang an Nutzungsmöglichkeiten und Funktionen auf. Blogs z. B. können zur Informationsveröffentlichung (in Form von Beiträgen), Kontaktaufnahme (via Kontaktdaten im Impressum) und Kommunikation (via Kommentierung von Beiträgen) genutzt werden. Bei der nun folgenden differenzierten Betrachtung von Social Software, die ausführlich bei Bernhardt und Kirchner (2007) nachzulesen ist, fand eine Unterteilung der neuen Online-Anwendungen anhand ihrer

172

13 Konnektivität von Online-Anwendungen

innewohnenden funktionalen Kernkompetenz beim selbstgesteuert-konnektiven Lernen statt (vgl. Bernhardt & Kirchner 2007, S. 54ff. sowie Abb. 13.2). Grundsätzlich muss angemerkt werden, dass Social Software nur der Träger dieser Kernkompetenzen sein kann und die Funktionen zur Verfügung stellt. Es liegt allerdings in der Hand des Nutzers selbst, inwieweit die Anwendungen auch „sozial“ verwendet werden (weiteres hierzu bei Städtler, 2007b).

Soci alSof t ware

S o c i a l C o l l a b o r a t i n g

Abb. 13.2:

K o n t a k t p f l e g e

Hy b r i d s

P r o d u k t i o n&R e f l e x i o n v o nI n h a l t e n

S o c i a l Ne t wo r k i n g

K o n t a k t a u f n a h me

Ar g u me n t a t i v e r Au s t a u s c h

On l i n eC o mmu n i c a t i n g

S o c i a l P u b l i s h i n g

Taxonomieansatz von Social Software (Quelle: Bernhardt & Kirchner, 2007, S. 58)

Online Communicating Die Herstellung und Pflege sozialer Kontakte mit argumentativem Austausch steht bei diesen Tools im Vordergrund, die sich nochmals in synchrone (z. B. Instant Messaging/Chat, VoIP, Audio-/VideoConferencing) und asynchrone (z. B. E-Mail, Forum) Anwendungen untergliedern lassen. Im Bildungskontext bietet speziell das Chatten Potenzial zur Gemeinschaftsbildung durch nahezu synchrone Austausch- und Reaktionsmöglichkeiten. Hierbei eignet sich der Chat besonders als Abstimmungs- und Austauschhilfe sowie zur Nutzung als Beratungsinstrument in Online-Seminaren (vgl. Abfalterer, 2007, S. 52ff.). Darüber hinaus können relativ einfach via VoIP oder Conferencing-Tools Konferenzen mit dem E-Tutor oder mit Experten organisiert werden, die zusätzliche Motivation für die Lernenden schaffen. Social Networking Unterschieden in business (z. B. Xing, LinkedIn) und private (z. B. MySpace, Facebook, StudiVZ), werden die Anwendungen des Social Networking in erster Linie zur Darstellung der eigenen Person sowie zur Herstellung und Pflege von sozialen Kontakten in Netzwerken genutzt, wobei hier die Kontaktaufnahme im Vordergrund steht.

13.2 Social Software

173

Ähnlich wie im informellen Kontext bieten diese Tools im Bildungseinsatz vornehmlich die Möglichkeit, erste Informationen über die Personen einer Learning-Community (Kommunikationsmittel, Fähigkeiten, Netzwerkzugehörigkeit, usw.) herauszufinden und sich in Netzwerken zu organisieren. Als Sonderform lässt sich in dieser Kategorie das Social Bookmarking identifizieren. Bei diesen Tools besteht die Möglichkeit online Lesezeichen von Webseiten anzulegen und diese mit Notizen und Schlagwörtern (Tags) zu versehen (z. B. del.icio.us oder furl). Im Bildungskontext können so umfangreiche, kollaborative Linklisten entstehen. Der Tutor hat hierbei sogar die Möglichkeit, Personen direkt auf bestimmte Quellen hinzuweisen. Social Collaborating Bei den Tools des Social Collaborating steht das „gemeinschaftliche synchrone und asynchrone Arbeiten an Dokumenten und Wissensressourcen“ (Bernhardt & Kirchner, 2007, S. 62) im Vordergrund, wobei der Fokus auf dem Verändern und Redigieren der jeweiligen Quelle liegt. Differenziert wird in Online-Office-Tools und -Pakete (z. B. Zoho, ThinkFree, Google Text & Tabellen) zum kollaborativen Erstellen von Präsentationen, Tabellen oder Text-Dokumenten und Wikis zur kollektiven Produktion von Nachschlagewerken. Erstere Tools eignen sich im Bildungskontext vor allem zur kollaborativen – im Fall von Google Text & Tabellen zusätzlich zur zeitgleichen – Bearbeitung von Aufgabenstellungen in einem Dokument (z. B. Ausarbeitung einer Hausarbeit). Die Potenziale von Wikis reichen von zusätzlicher Motivation der Lernenden durch selbständiges Erstellen von Inhalten über eine vertiefende Auseinandersetzung mit Themen durch wiederholtes Redigieren bis hin zur Förderung vernetzten Denkens durch die Entwicklung einer Link-Struktur zwischen verschiedenen Beiträgen (vgl. Honegger, 2007; weitere Informationen bei Klampfer, 2005 und Bernhardt & Kirchner, 2007). Social Publishing Im Gegensatz zum Social Collaborating geht es beim Social Publishing nicht um gemeinsames Bearbeiten und Verändern von Informationen, sondern um das Veröffentlichen „selbst produzierter medialer Inhalte, aber auch um die Reflexion von medialen Inhalten anderer Nutzer“ (Bernhardt & Kirchner, 2007, S. 66) mit bestimmten thematischen Interessen. Das Social Publishing lässt sich in vier Teilbereiche aufgliedern. •



Blogging ist gekennzeichnet durch chronologisches Publizieren von zumeist textuellen Inhalten mit vorrangig subjektivem Charakter. Hierbei spielt die Reflexion und Bewertung anderer Blogbeiträge in Form von Kommentaren eine große Rolle. Im Bildungskontext können Weblogs als persönlicher oder institutioneller Informationsspeicher, Reflexionsmedium sowie als Diskurs- und Publikationsmedium zum Austausch von Wissen und Erfahrungen Verwendung finden (vgl. Stocker, 2007, S. 101f.). Ergänzend zum Blogging können beim (Audio-/Video-)Podcasting auditive oder audio-visuelle Inhalte einfach und kostenfrei produziert und zur Diskussion gestellt werden. Typische Einsatzszenarien in der Bildung stellen hier die Archivierung von Vorlesungen, Vorträgen und Seminaren auf Podcast-Portalen dar (siehe auch Abschnitt 13.3). Aber auch mehrdimensionale Podcasts, in denen der Dozent zusammen mit den Studierenden z. B. interaktive Hausaufgaben oder Projektbesprechungen durchführt, sind denkbar.

174 •



13 Konnektivität von Online-Anwendungen Bei den Diensten des Media Sharing handelt es sich um web-integrierte Anwendungen, die das Publizieren und den Austausch digitaler Medien im Internet unterstützen (vgl. O’Hear, 2006). An dieser Stelle seien vor allem Fotoplattformen wie flickr empfohlen, wo sowohl Lehrende als auch Lernende unter einer Creative Commons Licence veröffentlichtes Bildmaterial zur Illustration von Präsentationen finden können als auch Videoplattformen wie TeacherTube, auf denen sich Lernvideos bereitstellen lassen (siehe auch Abschnitt 13.3). Really Simple Syndication (RSS) ist keine Online-Anwendung, sondern vielmehr ein Dienst, der gerade in Verbindung mit Web 2.0 an Beliebtheit gewonnen hat. Er ermöglicht es, Inhalte zu verbreiten (engl. to syndicate) bzw. sie zu aggregieren (sammeln). Im Bildungsbereich kann der Dozierende z. B. Studentenblogs abonnieren, um so mit Hilfe eines RSS-Feed-Readers (z. B. Google Reader) den Überblick über die einzelnen Beiträge zu behalten.

Weitere Potenziale der Teilbereiche für den Bildungskontext und Einsatzszenarien lassen sich bei Bernhardt und Kirchner (2007, S. 66ff.) nachschlagen. Speziell für das Blogging seien hier Stocker (2007), Abfalterer (2007) und Richardson (2006), für Audio-/Video-Podcasting Deal (2007) und Dorek (2006) sowie für RSS Nagler und Korica-Pehserl (2007) sowie Richardson (2006) empfohlen. Hybrids Eine besondere Form von Social Software stellen die Hybrids dar. In ihnen vereinen sich Funktionen mehrerer Kategorien, wodurch sich die Potenziale für die Bildung summieren bzw. völlig neue entstehen können. In dieser Kategorie kann man folgende drei Untergruppen identifizieren: •





Webtops „[...] ermöglichen es, auf andere Quellen so zu referenzieren, dass es in der eigenen Anwendung so erscheint, als wäre es real eingebunden“ (OCG, 2006, S. 21). Hierbei unterscheidet man personalisierte Webpages (z. B. iGoogle, Yahoo) und Tools mit einem Funktionsumfang ähnlich dem eines lokalen Betriebssystems (z. B. YouOS, DesktopTwo). Im Bildungseinsatz können diese Tools zur individualisierten Zusammenstellung von täglich frequentierten Informationsquellen genutzt werden. Die E-Portfolios stellen eine noch sehr neue Form von Social Software dar, deren Hauptanliegen sowohl die Darstellung der eigenen Person nach außen (Social Networking) als auch der erbrachten Leistungen (Social Publishing) sind. Einsatz können sie sowohl in der Projektbegleitung (Veröffentlichung von Protokollen, Projektfortschritt, usw.) als auch der Studienbegleitung allgemein finden, mit Potenzial diese auch über das Studium hinaus als wesentlichen Bestandteil seines Informations- und Wissensmanagements fortzuführen. Bei offenen Lernplattformen werden herkömmliche Learning-Management-Systeme um Social Software wie Wikis und Blogs erweitert (z. B. Drupal oder Moodle). Meist werden diese Plattformen an Bildungseinrichtungen jedoch geschlossen geführt, wodurch das selbstgesteuert-konnektive Lernen nur begrenzt möglich ist.

Nähere Informationen zu den Untergruppen sind bei Bernhardt und Kirchner (2007, S. 81ff.) nachzulesen. Im nun folgenden Abschnitt wird speziell auf die Potenziale von Web-Videos für edukative Inhalte eingegangen.

13.3 Fallbeispiel – Edukative Web-Videos

13.3

175

Fallbeispiel – Edukative Web-Videos

Dieser Abschnitt befasst sich mit den Möglichkeiten des Lernens mit Bewegtbildern in Form von WebVideos. Mit Bewegtbildern sind hier grundsätzlich Video- und Audiodaten gemeint, worunter auch Animationen und Screencasts einzuordnen sind. Bildungsinhalte bzw. Lerninhalte über das Fernsehen an den Zuschauer/Lernenden zu bringen, gab es schon zu früheren Zeiten, wenn man sich z. B. an die Sendungen des Telekollegs erinnert. Seit dem rasanten Aufstieg des Internets haben sich nun auch fernsehähnliche Produkte ins Internet verschoben. Aufgrund dieser Veränderung, die jedoch noch relativ am Anfang steht, werden zunächst verschiedene Arten von Web-Videos betrachtet. Anschließend werden ihre Distributionsplattformen im Zusammenhang mit Web 2.0-Werkzeugen erörtert, die das kollaborative Lernen/Arbeiten unterstützen. Darüber hinaus soll ein Ausblick gegeben werden, inwiefern Bewegtbilder den Lernenden einen Zusatznutzen ermöglichen können.

13.3.1

Die Videoinhalte

Bei Web-Videos lassen sich inhaltlich verschiedene Trends beobachten. Momentan findet jedoch – geht man lediglich vom Anschauen der Videos aus – nur eine passive Rezeption statt, die aber durch die Umgebung (Einbettung der Videos in eine mit Web 2.0-Werkzeugen ausgestattete Homepage) mit aktiven Elementen bereichert werden kann. Anhand einiger Beispiele sollen diese nun im Überblick vorgestellt werden. Gestreamte Vorlesungen Der erste Aspekt bezieht sich auf Vorlesungen, die entweder per Live-Stream oder als On-DemandStream dem Lernenden zur Verfügung gestellt werden. Ein Vorteil auf diese Art und Weise Vorlesungen zu präsentieren, ist, dass dem Lernenden dadurch die Möglichkeit gegeben wird, entsprechende Inhalte nachzuarbeiten. Auch die zeitliche und räumliche Komponente spielt hier eine entscheidende Rolle, da die Vorlesung ohne diese Einschränkungen rezipiert werden kann und vom Lernenden immer abrufbar ist. Video-Tutorials Video-Tutorials, die zweite große Gruppe im Bereich der Web-Videos, haben ebenso den Anspruch, Lerninhalte vermitteln zu wollen. In der Regel werden sie auch als Screencasts bezeichnet. Diese Art der digitalen Videos wird hauptsächlich zur Erklärung von Software eingesetzt, indem die Erklärungen direkt mit speziellen Programmen aufgezeichnet werden. Zumeist wird dabei nicht die gesamte Software vorgestellt, sondern lediglich einzelne besondere Funktionalitäten. In diesem Zusammenhang weisen die Videos auch keinen didaktischen Hintergrund auf, weil sie nur einen kleinen thematischen Bereich der Software darstellen bzw. nur Hinweise für eine bestimmte Arbeitsweise liefern. Übungen, an denen sich der Lernende orientieren kann, sind nicht vorhanden. Es bleibt also dem Lernenden selbst überlassen, wie er das erworbene Wissen anwendet bzw. wie der Lehrende diese Videos gezielt einsetzt.

176

13 Konnektivität von Online-Anwendungen

Wissensvideos Wissensvideos lassen sich mit kurzen Sendungsbeiträgen des herkömmlichen Fernsehens vergleichen. Grundsätzlich beinhalten diese Videos einen thematischen Bereich, der vor allem visuell und plastisch darzustellen ist, wenn es sich z. B. um Bereiche der Geographie handelt. Es gibt auch weitere Gestaltungsformen von Wissensvideos, in denen die Inhalte u. a. musikalisch im Sinne eines Musikvideos transportiert werden, wie dies z. B. bei Mr. Duey (vgl. http://www.mrduey.com) zu sehen ist. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass es sich hierbei um ein kleines Angebot von Web-Videos handelt, die zurzeit auf den Online-Plattformen zu finden sind. Eine engere Klassifizierung bezüglich dieser Videos muss in zukünftigen Arbeiten vorgenommen werden.

13.3.2

Die Plattformen

Aufgrund der Vielfalt von Präsentationsformen für Web-Videos werden hier nur einige als Beispiele herangezogen. „yovisto“ ist eine Video-Plattform, die sich auf die Verbreitung von Video-Vorlesungen spezialisiert hat. Der Aufbau dieser Videos sieht in der Regel so aus, dass neben dem abgefilmten Vortragenden auch die Präsentationsfolien zu sehen sind. Darüber hinaus kann der registrierte Nutzer die einzelnen Vorlesungen bewerten sowie Diskussionspunkte an jeder Stelle des Videos einbringen, die wiederum von anderen kommentiert werden können. Die Lernenden haben somit die Gelegenheit, die Vorlesung noch nachträglich zu diskutieren und Unklarheiten zu beseitigen. Sie können sich also zu den veröffentlichten Vorlesungen äußern, was dem im Abschnitt 13.2.2 beschriebenen Social Publishing entspricht. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit die Videos mit Tags zu versehen, um so anderen Nutzern eine einfachere und schnellere Suche zu ermöglichen. Eine Vernetzung der registrierten Nutzer untereinander ist bis zum augenblicklichen Stand nicht vorhanden (vgl. http://www.yovisto.com). Andere Plattformen wie „TeacherTube“ hingegen setzen zusätzlich den Fokus auf die Vernetzung. Hier haben die Nutzer die Gelegenheit, sich eine Community aufzubauen. „TeacherTube“ folgt hinsichtlich der äußeren Erscheinung dem Aufbau von „YouTube“, ist aber ansonsten im Gegensatz zu YouTube auf schulische und universitäre Inhalte ausgerichtet. Auch auf dieser Plattform können die Nutzer die einzelnen Videos kommentieren und bewerten sowie an Freunde schicken oder in eine eigene Webseite bzw. einen eigenen Blog einbetten. Darüber hinaus ist den Nutzern die Möglichkeit gegeben, eigene Videos hochzuladen, während bei „yovisto“ grundsätzlich nur Dozierende ihre Inhalte hochladen können (vgl. http://www.teachertube.com). Prinzipiell ließen sich die Video-Vorlesungen ebenso auf „TeacherTube“ präsentieren, doch durch die eigene Plattform wird die eindeutige akademische Ausrichtung hervorgehoben. Ebenso träfe dies auf die Video-Tutorials zu. Diese haben aber oftmals ebenfalls eigene Plattformen wie z. B. „videotutes.com“. Dieses Angebot ermöglicht allen Nutzern, ihr Fachwissen in Bezug auf Software als Tutorials anderen Nutzern zur Verfügung zu stellen. Dadurch verschiebt sich die herkömmliche Sichtweise hinsichtlich des Lehrenden und Lernenden, da nun auch der Lehrende zum Lernenden und der Lernende zum Lehrenden werden kann (vgl. Abschnitt 13.1). Letztlich sollte noch auf den Punkt hingewiesen werden, dass bei Video-Tutorials zwischen kostenlosen und kostenpflichtigen unterschieden werden muss, denn dies kann u. a. ein wichtiges Qualitätskriterium darstellen (vgl. http://www.video-tutes.com und http://www.video2brain.com).

13.4 Fazit & Perspektiven

177

Die drei kurz vorgestellten Plattformen zeigten hierbei, dass die Nutzer je nach Plattform diverse Aktivitäten vornehmen können. Dadurch werden sie in die Lage versetzt, Communities aufzubauen, sich mit anderen Nutzern zu vernetzen und im Kollektiv/Team über Lerninhalte zu diskutieren. Das Problematische an diesen Videoportalen ist jedoch, dass die Videos im Grunde für sich stehen und in kein didaktisches Konzept eingebunden sind. Hier besteht nun zum einen die Aufgabe des Lehrenden, diese Art der Videos in ein didaktisches Konzept einzubetten, wenn es im schulischen oder universitären Bereich eingesetzt werden soll. Zum anderen können auch die Lernenden je nach Ausrichtung des Unterrichts/Seminars Videos dieser Art selbst mit einbringen.

13.4

Fazit & Perspektiven

Der vorliegende Beitrag hat versucht, den scheinbar nicht greifbaren Begriff des Web 2.0 über zwei wesentlichen Charakteristika, der zunehmenden Vernetzung der User untereinander sowie der gesteigerten User-Aktivität hin zum User Generated Content, zu definieren, wobei der Begriff des „konaktiven Webs“ geprägt wurde. Anschließend konnte anhand eines Taxonomie-Ansatzes umrissen werden, welche Potenziale die so genannte Social Software für den Bildungskontext bereithält, bis am Ende speziell auf Einsatzszenarien von edukativen Web-Videos eingegangen werden konnte. Potenziale von Social Software ergeben sich in Bezug auf die Bildung, also in der Möglichkeit für jeden selbst jeglichen Content auf- und nachbereiten zu können. Hierbei wird vor allem auch die zunehmende Mobilität eine große Rolle spielen. So lassen sich mit mobilen Endgeräten wie Handys heute schon qualitativ hochwertige Videos immer und überall aufzeichnen. Mit entsprechenden Bandbreiten in den mobilen Datennetzen sowie zugehörigen günstigeren Tarifen wird es zukünftig für jedermann möglich sein, Videos just in time zu produzieren und zu publizieren. Ein zeitlich und räumlich unabhängiges Lernen wird hiermit zunehmend unterstützt. Durch das konaktive Web wird letztlich das selbstständige und vernetzte Arbeiten maßgeblich gefördert und bei entsprechender didaktischer Aufbereitung bzw. Eingliederung in didaktische Konzepte kann die Qualität der Lehre gesteigert werden. Für die Zukunft gilt es, durch zunehmenden Einsatz von Social Software weitere Szenarien und Potenziale herauszuarbeiten, die nicht nur den formalen Unterricht, sondern auch informelles und lebenslanges Lernen fördern.

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13 Konnektivität von Online-Anwendungen

13.5

Quellen im Internet



Mr. Duey’s Official Website: http://www.mrduey.com [10.04.2008]



TeacherTube – Teach the World: http://www.teachertube.com [23.03.2008]



video2brain – International – The efficient Video-Training: http://www.video2brain.com [23.03.2008]



Free Video Tutorials from video-tutes.com: http://www.video-tutes.com [05.04.2008]



Yovisto – Academic Video Search: http://yovisto.com [23.03.2008]

14

Lernen in Virtuellen Klassenräumen

Rolf Schulmeister

Der Virtuelle Klassenraum (Virtual Classroom, VC) ist ein Softwaretyp, der im Bekanntheitsgrad weit unter dem der Lernplattformen rangiert, mit dem hochgradig kommunikative und interaktive OnlineSeminare und Blended-Learning-Seminare möglich sind. Dieser Artikel bezieht sich kurz auf die Geschichte des Konzepts, beschreibt dann die technischen Realisierungsformen des VC und erläutert im Anschluss daran einige didaktische Besonderheiten im Einsatz des VC für Online-Seminare und virtuelles Lernen: den Wechsel asynchroner und synchroner Lernphasen, die Kommunikation, die Transparenz der Lernprozesse, Fragen der Disziplin, der Gruppenorientierung und die Eignung des VC für unterschiedliche Wissensarten. Schlüsselbegriffe: Virtueller Klassenraum, Virtual Classroom, Virtuelles Lernen, WebConferencing, WebMeeting, Application Sharing, immersive Umgebung

180

14.1

14 Lernen in Virtuellen Klassenräumen

Zur Geschichte des Konzepts Virtueller Klassenraum

Anfang des neuen Millenniums wurden umfangreiche systematische Untersuchungen und Evaluationen zu Lernplattformen und Content-Management-Systemen durchgeführt und veröffentlicht (Baumgartner, Häfele, Maier-Häfele, 2002, 2004; Schulmeister, 2003). Zu WebConferencing- und WebMeetingSoftware und Virtual Classroom-Systemen hat es ähnliche wissenschaftlich kontrollierte Studien bisher nicht gegeben. Die Zahl der Systeme ist bereits so hoch, dass eine Evaluation und ein Test nur mit demselben Aufwand möglich wäre, wie es die drei erwähnten Untersuchungen am Beispiel der Learning-Management-Systeme und Content-Management-Systeme demonstriert haben. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand zu einer solchen Untersuchung noch einmal aufgefordert und dafür finanziert werden wird, denn zwar wurde bereits eine beträchtliche Anzahl dieser Systeme entwickelt, sodass man die gesamten Software-Varianten nur in Großprojekten untersuchen kann, aber die Virtuellen Klassenzimmer haben nicht dieselbe Bedeutung und Verbreitung erlangt wie die Lernplattformen. Mir ist nur eine Studie von zwanzig Systemen bekannt, die durch eine Befragung der Hersteller zustande gekommen ist, die Studie von Brandon-Hall, dessen Preise für seine PDF-Dateien ($495) man als Wissenschaftler an einer staatlichen Universität nicht oder nur schlechten Gewissens mit Mitteln der Hochschule bezahlen sollte. Einen Anfang zu einer Evaluation von Conferencing-Systemen hat Luigi Canali de Rossi unter seinem Alias mit „Robin Good's Official Online Guide to Web Conferencing and Live Presentation Tools“ gemacht. Er verzeichnet 48 Systeme, von denen er 23 sehr ausführlich nach 32 Kriterien geordnet bespricht. Es erstaunt, dass in den letzten acht Jahren die Lernplattformen den Markt, die Diskussionen in den Hochschulen und die Publikationen zu E-Learning beherrscht haben, während die als Virtuelles Klassenzimmer oder Virtueller Klassenraum bekannten Softwaresysteme, die unter dem Begriff Virtual Classroom™ oder Virtual Classroom® von Murray Turoff und Starr Roxanne Hiltz bereits seit 1985 propagiert und für das New Jersey Institute of Technology (NJIT) als eingetragenes Warenzeichen (Registered Trademark) für ein Computer Conferencing System angemeldet wurden (Harasim, Hiltz u. a., 1995, S. 85), im öffentlichen Bewusstsein und selbst im Bewusstsein der E-Learning-Gemeinschaft völlig vernachlässigt worden sind. Es erstaunt ebenfalls, dass die Zahl der Learning-ManagementSysteme, die unter Open Source entwickelt wurden, stark zugenommen hat, während bei den WebConferencing und Virtual Classroom-Systemen nur ein einziges Open Source-Beispiel zu finden ist. Vergleicht man die Aufsätze von Murray Turoff und Starr Roxanne Hiltz oder die Seiten des NJIT zum Thema Virtual Classroom mit Bildern aus Second Life, dann wird der technische Fortschritt der letzten beiden Jahrzehnte deutlich vor Augen geführt, der seit der Erfindung des Virtuellen Klassenraums durch Turoff und Hiltz bis heute stattgefunden hat. Aber worin bestehen die Unterschiede wirklich? Im moderneren User Interface? Ist es das GUI, das den Unterschied ausmacht? Oder gibt es auch Unterschiede, die lernrelevant sind? Bedarf es einer solchen dreidimensionalen virtuellen Umgebung und der individuell gestaltbaren und anziehbaren Avatare, um das Konzept des virtuellen Seminars populär zu machen?

14.1 Zur Geschichte des Konzepts Virtueller Klassenraum

181

Die Unterstützung der akademischen Lehre durch E-Learning hat in den letzten zehn Jahren deutliche Fortschritte zumindest in der Verbreitung der Mediennutzung gemacht. Jedoch ist sie in ihrer Expansion niveaumäßig an zwei Hürden hängen geblieben: Viele Lehrende nutzen Austauschplattformen wie BSCW, um den Studierenden Dateien zur Verfügung zu stellen, wobei dieser Softwaretyp in der Regel nur einfache Methoden für die asynchrone Kommunikation besitzt. Die anderen nutzen Lernplattformen mit individuell gestalteten Lernmaterialien, die ebenfalls asynchron genutzt werden. Dritte beginnen gerade mit Podcasting, um ihren Studierenden Inhalte anzubieten, ebenfalls asynchron. Kaum jemand nutzt einen Virtuellen Klassenraum mit der Möglichkeit für synchrone Kollaboration und Kommunikation. Aus diesem Grund möchte ich in diesem Beitrag die Potenziale eines VC darstellen. Ein hoher Anspruch an den Virtuellen Klassenraum als Lehrmethode wurde von den Erfindern gestellt. Auf der International Conference on Computer Assisted Instruction ICCAI'95 stellte Turoff die Behauptung auf: „Our objective is not to merely duplicate the characteristics and effectiveness of the face to face class. Rather, we can use the powers of the computer to actually do better than what normally occurs in the face to face class.“ (Turoff 1995). Dies ist allerdings eine reichlich gewagte Hypothese, denn erstens unterstellt sie, dass im Virtuellen Klassenraum dasselbe stattfinden würde wie im Präsenzlernen, und zweitens könne der Computer die Eigenschaften des Präsenzlernens noch verbessern. Turoff fragt nicht danach, was im VC nicht oder nur schlechter zu verwirklichen ist. Er fragt auch nicht danach, ob zwischen VC und Präsenzlernen nicht vielleicht funktionale und methodische Unterschiede bestehen, deren konsequente Realisierung zu anderen Lehr- und Lernprozessen führen müsste. Harasim, Hiltz u. a. (1995) berichten, dass 65 % der Studierenden das Lernen im Virtuellen Klassenraum als „more convenient“ beurteilten, besseren Zugang zu Professoren hatten, die Interaktion als freundlicher und gleicher betrachteten. Die Mehrheit bezeichnete das Online-Lernen als „bessere“ Lernerfahrung. Zwar unterschied sich die durchschnittliche Qualität der Lernergebnisse nicht vom Präsenzlernen, aber die Autoren verweisen auf Unterschiede in der Lernleistung und Motivation zwischen den Studierenden, die sich im Virtuellen Klassenraum deutlicher auswirken: „In sum, Virtual Classroom proved a superior method for well-motivated and well-prepared students with adequate access to the necessary equipment who took advantage of the opportunities provided for increased interaction with their professor and other students.” (ebd., S. 89f.). Betrachtet man die Merkmale der NJIT-Software, die Hiltz und Turoff seinerzeit als Anforderungen an den Virtuellen Klassenraum gestellt haben (Harasim u. a., 1995, S. 91), dann wird deutlich, dass ihr Klassenraum eher einer asynchronen Lernplattform gleicht, die mit dem synchronen Virtuellen Klassenraum von heute keine allzu große Ähnlichkeit aufweist. Das NJIT-System bestand damals aus folgenden Software-Komponenten: Conferences, Messages, Notebooks, Document read activity, Personal TEIES, Exam, Gradebook, Pen names and anonymity, Response activity, Selection activity, Directory. So bezeichnet der Begriff “Conferencing” bei Turoff ein Kommunikationswerkzeug, das in LearningManagement-Systemen meistens als Forum bezeichnet wird und das zweckmäßigerweise asynchron benutzt wird: “A conference is a stored transcript of a discussion. It has a membership list that is controlled by the owner or the instructor and a comment-reply structure.“ Messages sind private Mitteilungen, das Äquivalent zu Flurgesprächen, Notebooks, meinen Notizen. TEIES ist ein Programm für die Erstellung von Diagrammen (analog zu Whiteboard, Concept Map, Mind Map) usw. Später wurde Video mit dem Einsatz des VC kombiniert (ebd., S. 93), als separate Übertragung von „public television courses“ per Satellit, distribuiert auf Videobändern oder präsentiert in den Präsenzvorlesungen.

182

14 Lernen in Virtuellen Klassenräumen

Das System stellt ganz auf asynchrones Lernen und individualisiertes Lernen ab. Bei Hiltz und Turoff ist auch viel von Kooperation die Rede, womit aber in der Regel eine asynchrone Form der Zusammenarbeit über Foren gemeint ist: „The educational methodology utilized for the concept of the Virtual Classroom[™] (a classroom in an electronic space) reflects asynchronous group communications and collaborative approaches to education and training. The student is an active part of a learning group but proceeds to learn and understand on an individual basis independent of the speed of other learners in the group.” (Turoff, 1995).

14.2

Neuere Begrifflichkeiten

Der Begriff Virtueller Klassenraum (VC) ist im letzten Jahrzehnt nicht eindeutiger geworden. Software-Systeme, die in diese Klasse fallen, werden unter ganz verschiedenen Namen angeboten: Web Conferencing, Conference Center, Teleconferencing, Videokonferenz, Web Meeting, eMeeting, (Virtual) Classroom, Web Collaboration. Aber auch diese Begriffe sind nicht klar definiert und daher ist in einigen Systemen nicht das drin, was der Name verspricht oder der Benutzer erwartet. Wir sollten daher versuchen, einer eigenen Definition zu folgen, um zumindest innerhalb dieses Aufsatzes konsistent zu bleiben. Zunächst markieren alle diese Software-Typen als Alternative zu Learning-Management-Systemen (LMS) einen Unterschied: die synchrone Komponente. Während LMS vorwiegend für asynchrone Lernphasen entwickelt worden sind und ein Angebot an HTML-Seiten, residenten Lernmaterialien, Übungen und Tests vorhalten, sind VCs überwiegend für synchrone Sitzungen gedacht, für Vorträge, Präsentationen, Treffen und Diskussionsrunden. Wie ich noch detaillierter darstellen werde, wurden für die Vorbereitung synchroner Sitzungen asynchrone Arbeitsmöglichkeiten in VCs integriert: Viele VCs enthalten statt einer Präsentationsfläche mit einem Kommunikationstool neuerlich mehrere Arbeitsräume und Werkzeuge für das kooperative Lernen und Arbeiten. Umgekehrt wurde erkannt, dass auch beim Lernen in einem LMS ein Bedürfnis nach einem synchronen Austausch besteht und so wurden zunehmend VCs als kleinere „Schwestern“ in die „größeren Brüder“ der LMS inkorporiert (Schulmeister, 2003). Dieser reziproke Trend soll uns allerdings nicht hindern, beide Software-Typen in diesem Aufsatz als separate und in gewisser Weise alternative Software-Familien zu betrachten. Der Definition eines VC kann man sich also weniger durch die Explikation der Begriffe nähern als vielmehr durch die Vergegenwärtigung der verschiedenen technischen Realisierungsformen und Funktionalitäten, die zur Konstruktion der Software genutzt werden. Da sind zunächst die Vortrags- oder Präsentationssysteme: •



Deren einfachste Form ist die Präsentation von Folien in einem Bildschirmfenster, wobei der mündliche Vortrag entweder als Text in einem Chatkanal oder per klassischer FestnetzTelefonkonferenz übertragen wird. Der Text-Chat kann dann auch als Rückkanal genutzt werden, um Fragen an den Vortragenden zu stellen. Diese Form ist zwar inzwischen total veraltet, aber vielfach noch bei betrieblichen Schulungen oder Kundenwerbung im Gebrauch. Die modernere Form verfügt zusätzlich zur Präsentationsfläche über eine integrierte AudioVerbindung oder eine integrierte Video-Verbindung.

14.2 Neuere Begrifflichkeiten •



183

Diese Systeme funktionieren ausschließlich synchron: Die Teilnehmer loggen sich zu einer bestimmten Zeit ein, wenn der Vortrag beginnt, und mit dem Ende des Vortrags ist auch die Übertragung beendet. Diese Systeme haben in der Regel nur die Möglichkeit, eine Sitzung zur Zeit durchzuführen, verfügen nur über einen Raum oder eine Projektionsfläche oder sie müssen mehrere Instanzen derselben Software auf dem Server fahren. Einige andere verfügen über ein vorgeschaltetes Kursmanagement und können mehrere Sitzungen simultan fahren.

Der nächste Typ kann als Konferenzsystem (eMeeting) bezeichnet werden: •





Auch hier steht im Mittelpunkt die Präsentation eines Vortrags oder eines Themas, aber der Raum für die Beteiligung der Teilnehmer ist größer, es können sich mehrere Personen an der Diskussion beteiligen. Anwesende Personen werden als Namen (Text), als Icon (Bild), als Photo oder als Video repräsentiert, können sich per visueller Geste melden, und werden dann vom Moderator aufgerufen. Funktionale Unterschiede bestehen in der Flexibilität für die Moderation, dem Angebot an Kommunikationsmethoden, den Methoden der Teilnehmerbeteiligung und der Nutzung von anderen Dokumenten (Bildern, Filme) als Präsentationen als Anreize für die Diskussion. Ein technisch anspruchsvollerer Typ beherrscht Application Sharing, d. h. statt einer Präsentation kann eine Anwendungssoftware für Trainings oder Schulung auf der Präsentationsfläche geladen und den Teilnehmern zur Verfügung gestellt werden, z. B. Word, Excel, ein Grafikprogramm, ein Programm für Buchhaltung, ein Architekturprogramm etc., je nachdem für welches Ziel die Teilnehmer ausgebildet werden sollen.

Die nächste Entwicklungsstufe der Konferenzsoftware ist diejenige, für die ich gern die Bezeichnung Virtueller Klassenraum reservieren würde: •



• •



Der VC bietet nicht nur einen Raum für eine Präsentation, sondern verfügt über mehrere Räume, in denen sowohl asynchron als auch synchron gelernt und gearbeitet werden kann. Teilnehmer und Arbeitsgruppen können zeitgleich in mehreren Räumen aktiv sein. Ein VC verfügt neben den Funktionalitäten der vorigen Entwicklungsstufen auch über mehrere Werkzeuge: Whiteboard, Textwerkzeuge, Malwerkzeuge, Datenbank, Werkzeuge für Abstimmungen und Terminvereinbarungen, Kalender, URLs, Notizen (Markup, Annotation), Sticky Notes und Application Sharing. Alle Werkzeuge können synchron und asynchron genutzt werden. Von den Werkzeugen existieren in einem guten VC multiple Instanzen, also nicht ein Exemplar pro Seminar, sondern viele Exemplare in allen Räumen (im Extrem unendlich viele Instanzen). Die Werkzeuge in einem VC können von allen zudem simultan benutzt werden. Man muss nicht auf eine Freigabe durch den Moderator warten, um Sticky Notes an die Tafel zu heften, Bilder zu laden, eine Matrix zu füllen. Auf diese Weise kann die Online-Zeit von allen aktiv genutzt werden, es ergeben sich keine Wartezeiten, und gemeinsame Aktivitäten wie schriftliches Brainstorming, Strukturieren von Daten und Pro-Contra-Diskussionen sind möglich. Application Sharing kann auf mehrere Weisen realisiert werden: Durch Freigabe einer vom Moderator geladenen Software für einen anderen Teilnehmer, durch Nutzung einer Software parallel zum VC, wobei der Bildschirm mit beiden Anwendungen übertragen werden muss (Aktives Fenster übertragen oder Desktop Sharing). Als Remote Control wird dabei die Übergabe der Programmfunktionen per Tastatur und Maus an jemand anderen bezeichnet.

184 •



14 Lernen in Virtuellen Klassenräumen Die Kommunikationsmethoden in einem VC wie Chat und Foren stehen in allen Räumen zur Verfügung. Bereits gelaufene Gespräche im Chat können von zu spät kommenden oder aus anderen Räumen hinzu stoßenden Teilnehmern nachgelesen werden. Ein Chat kann gespeichert werden. Die Software einiger VCs ermöglicht evaluative Abfragen (Polling), Tests und eine sofortige Darstellung der Ergebnisse in statistischen Diagrammen.

Die jüngste Entwicklungsstufe markieren die immersiven Umgebungen: Sie haben sich entwickelt aus den „Multi-User Dungeons“ oder „massive immersive multiplayer environments”. Es handelt sich um grafisch aufwändig gestaltete dreidimensionale Umgebungen, in die man per Avatar eintauchen (immersive) kann. Ihre neueste Realisation ist Second Life, das aufgrund seiner Qualität und vermutlich auch seines originellen Geschäftsmodells die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen hat. Es ist für mich noch nicht absehbar, ob immersive Lernumgebungen tatsächlich eine neue Qualitätsstufe für Lehren und Lernen darstellen oder nur eine attraktivere grafisch-interaktive Oberfläche bieten, in der keine anderen Unterrichtshandlungen und Lernformen als in einem zweidimensionalen VC möglich sind. Gegenwärtig ist die Didaktik in Second Life überwiegend durch Vorlesungen geprägt. Die grafische Interaktion bewirkt anfangs einen motivationalen Effekt, der aber bei längerer Gewöhnung vermutlich wieder abnehmen wird, sofern nicht modernere Unterrichtsformen angeboten werden. Technische Besonderheiten: Die meisten Konferenzsysteme und Virtuellen Klassenräume werden heute über einen gängigen Browser betreten. Einige basieren bereits vollständig auf Flash. Es gibt jedoch aus besonderen Gründen auch klassisch programmierte Client-Server-Client-Systeme. In einigen Fällen von Client-Server-Systemen kann sich der Server auf einem Laptop befinden und von jedem Ort aus gefahren werden (z. B. ActiveDialog). Auf diese Weise sind ubiquitäre ad-hoc-Treffen möglich. Nur wenige Systeme ermöglichen es, jeden einzelnen Lernenden innerhalb einer Lerngruppe individuell mit Dokumenten, Bildern und Filmen zu versorgen, eine Funktion, die besonders für Coachingzwecke nützlich ist.

14.3

Motive für den Einsatz eines Virtuellen Klassenraums

Die Motive, sich für den Einsatz eines VC zu entscheiden, sind erstens in der studierenden Klientel zu suchen, zweitens durch die angestrebten Ziele der Ausbildungsmaßnahme vorgegeben oder resultieren drittens aus besonderen Bedingungen einer vorgefundenen Unterrichtssituation oder eines Lehrkontextes. Die studierende Klientel Der wichtigste Grund, sich für den Einsatz eines VCs in der Hochschulausbildung zu entscheiden, ist vermutlich die Zusammensetzung und Diversität der Klientel, mit der man es als Lehrender zu tun hat. Die Studierendenschaft hat sich bereits in den letzten Jahrzehnten gravierend verändert. Die Schere zwischen dem Einkommen und den Kosten für das Studium ist größer geworden. Die Studierenden sind heute zum großen Teil gezwungen, ihren Lebensunterhalt und die Studienkosten zu erwirtschaften und ihre Arbeitszeiten ermöglichen häufig nicht eine jederzeitige Teilnahme an Präsenzseminaren. Deshalb wird wahrscheinlich auch der Anteil der „echten“ und als solche zugelassenen Teilzeitstudie-

14.4 Didaktisches Design im Virtuellen Klassenraum

185

renden zukünftig zunehmen. Zur Diversität tragen auch Studierende bei, die aus sozialen Gründen möglichst viel von zu Hause aus besorgen wollen, weil sie Kinder haben oder einen Angehörigen pflegen müssen und behinderte Studierende, deren Mobilität eingeschränkt ist. Angestrebte Ziele der Ausbildung Neben diesen Gründen für den Einsatz eines VC gibt es auch Konditionen, die von den Hochschulen gewollt sind und die für einen Einsatz eines VC sprechen: Die Bologna-Reform soll die Mobilität der Studierenden erhöhen, sie erwartet Auslandssemester. Studierende, die sich im Auslandssemester oder auf Exkursion befinden, können den Kontakt zum Seminar ihrer Prüfer über einen Virtuellen Klassenraum halten. Die dem Erwerb von Schlüsselqualifikationen gewidmeten Studienanteile verlangen von den Studierenden Praktika in Betrieben und Umwelt. Der Dozent kann über VC-Systeme hervorragend Kontakt zu seinen Studierenden in der Praxis halten, mit ihnen kommunizieren und sie bei Problemen beraten. All diesen und ähnlichen Fällen kommt die Methode des VC sehr entgegen. Besondere Unterrichtssituationen und Lehrkontexte Schließlich mag es gute Gründe oder besondere Bedingungen geben, von vornherein einen VC als Lehrmethode zu wählen, z. B. wenn im Rahmen von Joint Degree-Studiengängen Studierende (aber ebenso Lehrende) aus mehreren Ländern am Unterricht zu beteiligen sind. Ein mit guter Audio-VideoVerbindung ausgestatteter VC eignet sich beispielsweise gut für den Fremdsprachenunterricht, für ein interkulturelles Training, für Seminare zur internationalen Politik und zum internationalen Recht, zur Friedensforschung usw.

14.4

Didaktisches Design im Virtuellen Klassenraum

Schon allein aufgrund der unterschiedlichen technischen Realisierungsformen kann es eine einheitliche methodische oder didaktische Version eines virtuellen Seminars nicht geben. Sind in dem einen Softwaretyp lediglich Vorträge und Präsentationen möglich, können in dem anderen mehrere Lernende individuell und in Arbeitsgruppen zeitgleich lernen, funktioniert die eine Software nur mit Moderator, können in der anderen autonome Lerngruppen aktiv sein, kann man in der einen Software nur zuhören und gelegentlich Fragen stellen, so gibt es im VC die Möglichkeit, mit Werkzeugen Produkte zu erstellen, Lernergebnisse zu dokumentieren und einen lebhaften kommunikativen Austausch zu führen. Abhängig von der Software variieren die Methoden virtueller Lehre für Klassenraum-Konzepte und formen typische didaktische Szenarien: Szenario A Präsentationen, Vorträge, Vorlesungen, Treffen und Konferenzen Dieses Szenario versammelt ausschließlich synchrone (simultan) Formen virtueller Lehrmethoden: Die Kommunikation oder der Datentransfer erfolgen entweder unidirektional (Präsentationsfolien und der Sprecherton werden übertragen) oder bidirektional durch zusätzliche Hilfen (z. B. E-Mail-Rückkanal oder unterstützt durch eine klassische Festnetz-Telefonkonferenz). Ist der Vortrag und die anschließende Fragerunde gelaufen, so ist die synchrone Sitzung beendet.

186

14 Lernen in Virtuellen Klassenräumen

Szenario B Schulungen, Trainings, Tutorien, Übungen Trainings verlangen etwas mehr an Interaktion. Dies kann zum Beispiel in synchronem kollaborativen Arbeiten mit grafischen Werkzeugen und Texteditoren bestehen oder im synchronen application sharing mit einer für den jeweiligen Zweck benötigten Anwendung (Statistikprogramm, Architekturprogramm, Buchhaltungsprogramm etc.). Szenario C Seminare In diesem Szenario sind alle Methoden möglich, auch die eher eingeschränkten Unterrichtsmodelle der beiden anderen Szenarien, Vortrag und Schulung. In einem VC stehen in den Räumen alle Werkzeuge für Kommunikation und Konstruktion zur Verfügung. Das hervorstechende Merkmal dieses SeminarSzenarios besteht in der Mischung von asynchronem und synchronem Arbeiten, also darin, dass in den Zwischenphasen zwischen den Online-Sitzungen individuell und in Gruppen in den virtuellen Räumen des VC gelernt und gearbeitet werden kann, während die synchronen Sitzungen nur in größeren Abständen nach entsprechend optimaler Vorbereitung stattfinden. So können Materialien eingestellt, Abbildungen erstellt, Foren mit Argumenten bestückt werden. Auf diese Weise ermöglicht der Virtuelle Klassenraum einen fortlaufenden Diskurs. Die Arbeitsweisen im VC sind entsprechend vielfältig: Tandemlernen, Partnerlernen, Teamwork, Forschungsgruppe, Projektplanung, Projektarbeit, Referaterstellung, Erstellung gemeinsamer Publikationen, aber selbstverständlich auch wieder Präsentation, Vortrag, individuelles Lernen usw. Beschreibungen von Beispielen für Online-Seminare dieser Art finden sich in Schulmeister (2001). Konkret auf Methoden für virtuelle Seminare geht Merkt (2005) ein. Ich will mich bei den weiteren Überlegungen zur Didaktik des Lernens in virtuellen Räumen im Folgenden auf das didaktisch attraktivere und reichhaltigere Szenario C konzentrieren und die Besonderheiten für das Lernen im VC erläutern.

14.5

Besonderheiten des Lernens in einem Virtuellem Klassenraum

Erste Besonderheit: Das Gewicht der Phasen im Seminarverlauf Eine bemerkenswerte Auffälligkeit des Lernens in einem VC ist der Wechsel von asynchronen und synchronen Lernphasen. Präsenzveranstaltungen kennen diese Phasen ebenfalls. Bei ihnen wird jedoch die Zeit zwischen den Präsenzterminen weniger als Problem betrachtet. Bei wöchentlichen Veranstaltungen trifft man sich ja nächste Woche schon wieder. Manchmal werden Aufgaben gegeben oder Lektüre empfohlen. Für das Lernen im VC jedoch ist eine Vernachlässigung der Phasen zwischen den Synchronsitzungen gravierend. Liegen zwischen den Online-Sitzungen ein bis drei Wochen und es tut sich in den virtuellen Räumen nichts, verlieren auch die aktiveren Mitglieder der Lerngruppe die Bereitschaft, etwas zum gemeinsamen Lernprozess beizutragen. Die Räume leeren sich, die Abbrecherquote steigt. Je nach didaktischem Konzept müssen daher eigene didaktische Methoden für die asynchronen Phasen und für die synchronen Phasen vorgesehen werden. Dafür einige Beispiele:

14.5 Besonderheiten des Lernens in einem Virtuellem Klassenraum

Online-Sitzung

Phase zwischen Online-Sitzungen

Vereinbarung von Themen

Recherche, Einstellen von Dokumenten

Brainstorming

Strukturierungsvorschläge

Bildung von Arbeitsgruppen

Konstituierung der Gruppen

Erläuterung einer Aufgabe (z. B. Fallbeispiel)

Bearbeitung des Fallbeispiels in Schritten

Auswahl eines Themas

Diskussion zum Thema in Foren

Präsentation einer Gruppenarbeit und erste Diskussion

Weitere Kommentierung in Foren

Online-Übung (z. B. Gruppenpuzzle)

Nachbearbeitung durch Kommentare

Rollenspiel

Auswertung

Entwurf eines Fragebogens

Erhebung und Ergebnisdarstellung

Beschreibung eines wissenschaftlichen (theoretischen, methodischen, ethischen) Konzepts und erster Diskurs

Weiterführung des Diskurses durch Kommentare, Schreiben von Abstracts oder Rezensionen

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Es ist wenig sinnvoll, die Arbeit so zu strukturieren wie es in vielen geisteswissenschaftlichen Referateseminaren der Fall ist, in denen die Studierenden im Verlauf des Semesters nacheinander mit jeweils einem anderen Thema drankommen. Dies würde dazu führen, dass die meisten Teilnehmer über mehrere Wochen nicht aktiv sein müssten, wodurch sie bei längeren asynchronen Phasen und wenigen synchronen Sitzungen das Seminar als ganzes aus dem Auge verlieren. Es ist hingegen wichtig, dass alle Teilnehmer sich während des gesamten Seminarverlaufs zuverlässig und regelmäßig beteiligen und austauschen. Das bedarf einer großen Disziplin von allen Beteiligten, aber auch einer Didaktik, die entsprechende Aufgaben vergibt, und einer Moderation, die die Rolle des Austausches beachtet. Nach vielen enttäuschenden Erfahrungen aufgrund mangelnder Mitarbeit haben viele Lehrende Punktbewertungen (credits) als Belohnung für unterschiedliche Leistungen eingeführt, für Präsentationen, Referate, Rezensionen, Beiträge in den Räumen, Kommentare in den Foren, Annotationen etc., um zu einer dauerhaften Mitarbeit anzuhalten. Das Phänomen der „Procrastination“, des Verschiebens notwendiger Arbeiten auf Morgen, wird in Erfahrungsberichten immer mehr angemerkt. Zweite Besonderheit: Alle müssen sich beteiligen – Der Zwang zur Gruppe Während ein spezieller Vorteil der mit Learning-Management-Systemen durchgeführten OnlineSeminare gerade die eigene Zeiteinteilung ist (der „convenience“-Faktor, Schulmeister, 2006), gilt dies nicht für virtuelle Seminare, die mit einem VC-System durchgeführt werden. Natürlich kann der Ein-

188

14 Lernen in Virtuellen Klassenräumen

zelne die Zeiten für seine Beiträge in den asynchronen Phasen selbständig wählen, aber das, was als „self-paced study“ bezeichnet wird, das Lernen nach der eigenen Geschwindigkeit, ist im VC nicht angebracht, das Seminar läuft nach einem für alle verbindlichen Zeitplan ab, und auch in den asynchronen Phasen ist Regelmäßigkeit der Beteiligung und der kurze zeitliche Abstand der Beiträge wichtiger als der eigene Rhythmus. Es muss eine Balance zwischen dem Wunsch zur Unabhängigkeit und den Bedürfnissen der Gruppe gefunden werden, die in der Lage ist, die Seminargruppe als ganze zusammen zu halten. Die Tendenz zur Individualisierung trifft auf den Zwang zur Gruppe. Zur Unterstützung dieser Aufgabe ist die Taktung von Aufgaben, Phasen und Feedback bedeutsam. Hierzu gibt es noch relativ wenig übertragbare oder verallgemeinerbare Erfahrungen. Dritte Besonderheit: Alle können sich beteiligen – Die Kommunikation im VC Lernen in einem VC hat aufgrund der Vielfalt an Kommunikationsmethoden, zu denen nicht nur Chat und Foren, sondern auch Kommentare und Annotationen zählen, deutliche Vorteile gegenüber Lernen mit einem Learning-Management-System. Die Kommunikation im VC hat aber auch Nachteile gegenüber der Kommunikation in Präsenzveranstaltungen aufgrund des Fehlens von nonverbalen, extralinguistischen und paralinguistischen Signalen (Schulmeister, 2006, S. 148), was beispielsweise im Chat durch bildhafte Zeichen ausgeglichen wird. Ganz so einseitig ist die Lage dennoch nicht, denn die Kombination von simultaner Kommunikation im Chat und asynchron genutzten Foren sowie sonstigen gespeicherten Dokumenten bietet zugleich einen deutlichen Vorteil: Während sich in einer Präsenzveranstaltung nur wenige Studierende in beschränkter Zeit beteiligen können, erlaubt der Wechsel von synchroner und asynchroner Kommunikation die Beteiligung aller Studierenden, vorausgesetzt, dass die Moderation dieses zum Ziel hat. Auch wenn in einem Chat wieder nur einige zu Wort kommen, so kann man von den anderen in der Zeit zwischen den virtuellen Sitzungen entsprechende schriftliche Beiträge, Kommentare und Annotationen erwarten, die dann bis zum nächsten Synchrontermin schon allen zur Kenntnis gelangt sind und in den weiteren Lern- und Arbeitsprozess einbezogen werden können. Vierte Besonderheit: Das Prinzip der Sichtbarkeit – Der Sinn der Verschriftlichung Ein häufiges Missverständnis in virtuellen Seminaren, die stark durch Lektüre geprägt sind, besteht darin, dass die Teilnehmer annehmen, wenn sie alles gelesen haben, hätten sie ihre Aufgabe erfüllt. Lesen allein reicht nicht, in einem virtuellen Seminar muss Lesen dokumentiert werden, um sich mitteilen zu können. Ohne Dokumentation wird der wichtige Zirkel von Mitteilung und Rückmeldung durchbrochen, ohne Feedback verlieren viele die Lust am Weitermachen. Das Mitdenken und die Mitarbeit der jeweils anderen muss sichtbar werden. Dieses Prinzip ist für virtuelle Seminare essentiell, das Prinzip der Sichtbarkeit alles Denkens durch Verschriftlichung. Feedback ist nicht nur inhaltliche Rückmeldung, sondern in einem VC auch visuelle Rückmeldung. Das Hinterlassen von sichtbaren Zeichen der Anwesenheit wirkt sich auf die sozialen Prozesse aus. Das bedeutet aber permanente Verschriftlichung. Generell stellt die Persistenz der Beiträge im VC einen enormen Vorteil gegenüber der Liquidität der oralen Kommunikation in einer Präsenzveranstaltung dar, denn die Informationen, Daten und Argumente stehen allen für die Weiterarbeit zur Verfügung. Leider wird in den Erfahrungsberichten zum virtuellen Lernen immer wieder auf das Phänomen des „Lurking“ hingewiesen, auf einen großen Prozentsatz an Teilnehmern, die zwar in die Räume des VC reinschauen, auch vielleicht alle Beiträge lesen und wichtige Informationen zur Kenntnis nehmen, die aber selbst keine Beiträge schreiben und keine Kommentare und Rückmeldungen abgeben.

14.5 Besonderheiten des Lernens in einem Virtuellem Klassenraum

189

Durch den Zwang zur Verschriftlichung der Mitarbeit entsteht bei Teilnehmern virtueller Seminare häufig der Eindruck, sie müssten erheblich mehr arbeiten als in Präsenzseminaren. Das ist aber meistens ein Irrtum, der nur durch die Tätigkeit des Schreibens als Ersatz für die fehlende Mündlichkeit hervorgerufen wird. Das Verhältnis von Oralität und Literalität nimmt in der Literatur über die OnlineKommunikation einen wichtigen Platz ein (Misoch, 2006, S. 12f.; Schulmeister, 2006, S. 163f.; Beißwenger, 2007, S. 140f.). Fünfte Besonderheit: Die vollständige Transparenz der Lernprozesse Aufgrund der Verschriftlichung aller Handlungen und der zeitlich kurzen Taktung aller Handlungen werden in einem VC die Lernprozesse transparent. Wenn die Teilnehmer in einem VC ihre Thesen und Referate entwickeln, werden alle Entwicklungsstufen dokumentiert und für alle Beteiligte nachvollziehbar. Für den Dozenten ergibt sich so eine kontinuierliche Betreuung der Arbeiten und Beiträge der Einzelnen in allen Phasen. Wenn man die Teilnehmer auffordert, erst eine Idee, dann eine oder mehrere Thesen/Hypothesen, dann eine kurze Zusammenfassung der Idee oder des Konzepts, eine Gliederung, und schließlich einzelne Textstücke in den VC einzustellen, wobei jeder Schritt durch Rückmeldung vom Dozenten und anderen Teilnehmern begleitet werden kann, dann hat man die Entstehung der Arbeit verfolgt, ihr Entstehungsprozess wird „durchsichtig“. Die Teilnehmer hinterlassen „Spuren“, „Schritte in der Zeit“, die einen residenten Faden der Entwicklung ergeben, aus denen sich jederzeit die Prozesse und die kognitiven Erkenntnisse in ihrer Entstehung nachvollziehen lassen. In einem solchen Kontext kann es keine Plagiate mehr geben. Durch die Sichtbarkeit und Speicherung (Persistenz) der Beiträge in den asynchronen Phasen sowie der Chats ist die Chance auch für den Dozenten gegeben, die Fähigkeiten eines jeden Studierenden kennen zu lernen und die Partizipationsbereitschaft und den Lernfortschritt aller beobachten zu können. Das bedeutet aber auch möglichst kurzfristige Kommentierung und Feedback seitens des Dozenten. Sechste Besonderheit: Der Bezug zur Art des Wissen ist entscheidend Nicht für alle Fälle von Lehre ist ein Virtueller Klassenraum geeignet. Ein VC ist heute noch ein sehr auf Text und Schriftlichkeit basierendes Lehr-Lernmedium, das durch Kommunikationsmethoden und andere Medien wie Bild, Ton und Video ergänzt werden kann. Es ist durch den technischen Entwicklungsstand noch reichlich beschränkt, so fallen technisch-instrumentelle Handlungen wie Ingenieurarbeiten, physikalisch-chemische Laboraktivitäten, alle Gegenstände, die der messbaren Welt und dem zweckrationalen Wissenschaftskalkül angehören, aber auch formal-sprachliche Tätigkeiten wie Mathematik und Programmierung weitgehend aus. Die Eignung eines VC bestimmt sich demnach erkenntnistheoretisch durch die Art des Wissens, die in den virtuellen Räumen möglich ist. Und dies sind im Wesentlichen geistes- und sozialwissenschaftliche Erkenntnisprozesse, ihr Gegenstand sind die intentionalen Handlungen und die Normen und Werte des kommunikativen Handelns und der wissenschaftliche Diskurs (Schulmeister, 2006). Gut aufgebaute Lernprozesse können den gesamten Erkenntnisprozess abdecken. Man kann mit heuristischen Akten beginnen, Aufgaben erteilen, Methoden vorstrukturieren, aber auch selbständige Prozesse des Entdeckens und Forschens ermöglichen. Die Krönung dürfte es sein, wenn es gelingt, wissenschaftliche Diskurse über Theorien, Methoden und Werte zu führen, ohne den Eindruck zu bekommen, dass man in der Qualität dieser Diskurse Abstriche in Kauf nehmen müsse.

190

14 Lernen in Virtuellen Klassenräumen

Wofür sich ein VC weniger gut

Wofür sich ein VC eher eignet

eignet Lesen, Lektüre

Brainstorming, Recherche

Wissensaneignung

Hypothesen und Theorien diskutieren

Fremdsprachen lernen

Konversation in Fremdsprachen

Üben, Anwenden

Fallbeispiele bearbeiten

Instruktion

Gruppenarbeit

Laborarbeit und -unterstützung

Theoretische Diskurse

Technische Konstruktionen

Designs evaluieren

Mathematik, Logik, Chemie, Physik

Modelle und Simulationen entwerfen

Programmiersprachen lernen

Systeme konzipieren, Kriterien aufstellen

Tab. 14.1:

14.6

Eignung des VC für Arten des Wissens

Unterschiedliche Unterrichtsmodelle im VC

Lernen im VC ist nicht auf ein Unterrichtsmodell beschränkt. Ich hatte in den bisherigen Ausführungen schon angedeutet, dass ganz unterschiedliche Formen von Lehren und Lernen möglich sind. In der Literatur spielt häufig der Gegensatz zwischen lehrerzentriert und lernerzentriert eine Rolle, die Verlagerung des Lehrmodells vom Lehren zum Lernen. Aber diese didaktische Emphase dürfte nicht alles sein. Lehrmodelle können beispielsweise so aussehen: • •

• •

Aufgabenorientiert, es werden Aufgaben ausgegeben, die in einer bestimmten Zeit erledigt werden sollen. Dabei kann es sich um Rechercheaufgaben, Übungsaufgaben u. a. Aufgabentypen handeln. Das Seminar kann die Bearbeitung von Fallbeispielen zum Gegenstand haben (Recht, Sozialpädagogik, Wirtschaft), es kann sich dabei auch um Fälle in der Art des problemorientierten Lernens (Medizin) handeln. Das Seminar kann ausschließlich kommunikationszentriert sein, z. B. als Fallbesprechungsseminar in Pädagogik, Psychologie und Sozialpädagogik. Das Seminar kann sich ganz auf den Diskurs, die wissenschaftliche Verständigung über die Geltung von Theorien, Werten und Methoden konzentrieren.

Je nachdem, welches Konzept dominiert und wie es methodisch-didaktisch umgesetzt wird, ergeben sich unterschiedliche klassische Unterrichtsmodelle vom expositorischen Unterricht über das entdeckende Lernen und forschende Lernen bis hin zum selbstbestimmten autonomen Forschen.

14.7 Anhang: WebConferencing- und Virtual Classroom-Software

14.7

191

Anhang: WebConferencing- und Virtual Classroom-Software1

Software

Anbieter

Adobe Connect, früher Macromedia Breeze

Adobe; http://www.adobe.com

mehrere Varianten Arel Spotlight Application Suite & Integrated Conferencing Platform (ICP)

Arel Communications and Software Inc.; http://www.arelcom.com

Arel Anyware™ plug-in for Microsoft Office Live Meeting (multi-point video) Collaborate WebBoard Academic & Community

Akiva; http://www.akiva.com

Varianten: WebBoard Collaboration Server, WebMeeting Meeting Server, ChatSpace Community Server Centra7

Centra Software; http://www.centra.com

Varianten: Saba Centra for Virtual Classes, for eMeetings, for Web Seminars, Knowledge Center

wurde von SABA übernommen; http://www.saba.com/products/centra

CLIX Virtual Classroom integriert Adobe Connect in CLIX

IMC; http://www.im-c.de/de/produkte/clix/clixenterprise/zusatzkomponenten/virtualclassroom/#anchormain

collab.worx, Virtual Classroom

CollabWorx;

Live Lecture/Seminar/Presentation Capture and Publishing

http://www.collabworx.com/Products/index.html

Communicast Event Center

VCall (PrecisionIR);

jetzt VCall Web Conferencing

http://www.vcall.com/vcall/services/web-conferencingservices.aspx

eLecta Live

Electa Communications LTD;

Virtual Classroom, Web Conferencing

http://www.electa.com/?gclid=COmf6t_lo5ACFSTgXgodYiBmqg

Elluminate Live!

Elluminate, Inc.;

Profiliert sich als Partner für das LMS Moodle

http://www.elluminate.com

Global Classroom

Datenlotsen; http://www.datenlotsen.de/

Gradepoint Live

1

Gradepoint;

Weitere Audio-Video-Produkte für WebConferencing verzeichnet IMCCA (Interactive Multimedia Collaborative Communications Alliance; http://www.imcca.org/organization.htm). Auf masternewmedia (http://www.masternewmedia.org/reports/webconferencing/guide/toc.htm) beschäftigt sich Robin Good, Pseudonym für Luigi Canali De Rossi, mit WebConferencing (www.masternewmedia.org/.webloc; www.masternewmedia.org/r#6A8542). Seine Daten stammen allerdings überwiegend aus 2003. Die letzten Updates sind aus 2004 und 2006. Er bietet neben allgemeinen Bemerkungen auch umfangreiche Listen von Systemen. David R. Wolley verzeichnet auf der Website Real-Time Web Conferencing (http://thinkofit.com/webconf/realtime.htm) Software-Listen und Reviews zu den Stichworten Web Conferencing, Rich Media Conferencing, Data Conferencing, Internet Conferencing, Online Meetings, Web Seminars, Webcasting, Application Sharing, Screen Sharing, Instant Messaging, Chat. Unter der Adresse The Virtualclassroom (http://www.virtualclassroom.net/) finden sich recht allgemeine Inhalte, aber keine Systeme.

192

14 Lernen in Virtuellen Klassenräumen

Instant Messaging (including private chats), Voice, Whiteboard, breakout rooms, testing, polling, surveys, grading

http://www.gradepoint.net

Horizon Live PowerLink für WebCT

Horizon Live;

Siehe WIMBA

http://www.wimba.com/

HP Virtual Rooms

Hewlett-Packard;

(http://www.gradepoint.net/services/dlp.html#5)

http://www.hp.com/info/rooms; http://h10076.www1.hp.com/education/hpvr/) IBT Live Collaboration

time4you GmbH;

Audio-/Videokonferenz, Whiteboard, Application Sharing

http://www.time4you.de

IBM Lotus Virtual Classroom

IBM;

September 2007 eingestellt

http://www-142.ibm.com/software/swlotus/lotus/offering7.nsf/wdocs/homepage

iLinc Enterprise Web & Audio Conferencing Suite

iLinc Communications; http://www.ilinc.com; dt. von Netucate; http://www.netucate.com/

iLive

iLearning

jetzt Interact Now i-qBox Virtual Classroom

Comartis & Netviewer;

Kombination von Netviewer one2meet und Comartis iqBox

http://www.comartis.com

Interact Now

Thompson netg; http://www.netg.com/interactnow/

InterCall Web Meeting

InterCall; http://www.intercall.com

Interwise jetzt AT&T Connect™

Interwise Enterprise; aufgekauft von at&t; http://www.interwise.com/

iPresentation Podium (nicht mehr auffindbar) LBD LearningByDoing eClassroom, LearningByDoing eMeetingRoom

LearningByDoing, Inc.; http://www.learningbydoing.net/

LearnLinc

iLinc Communications, s.o.

Teil der iLinc Suite Lotus LearningSpace Collaboration Module Siehe IBM Lotus Virtual Classroom (eingestellt) Macromedia Breeze Live™

Adobe, Inc.

jetzt Acrobat Connect Professional Mentergy's LearnLinc (eingestellt) Microsoft Office Live Meeting

Microsoft, Corp.; http://www.microsoft.com/uc/livemeeting/

OneTouch Front Row

OneTouch Systems; http://www.onetouch.com/products/

OnSync

Digital Samba;

Products_FrontRowDesktopExperience.php http://www.digitalsamba.com/

14.7 Anhang: WebConferencing- und Virtual Classroom-Software PictureTalk

193

Pixion, Inc.; http://www.pixion.com/home/index.jsp

PlaceWare's Conference Center

PlaceWare; http://main.placeware.com/services/ pw_conference_ctr.cfm

SmileTiger

SmileTiger Software Corp.;

Varianten: web conferencing, video conferencing, virtual classroom

http://www.smiletiger.com;

Sonexis Conference Manager

dt. von bit media, Graz, und Thinkhouse, Mönchengladbach. Sonexis; http://www.sonexis.com/

Vcall Web Conferencing

Vcall, Inc.; Teil der PrecisionIR Group; http://www.vcall.com/vcall/index.aspx

Videum Conference Pro XP (NTSC/PAL)

Winnov L.P.; http://www.winnov.com

Vitero

Fraunhofer IAO und vitero GmbH, Stuttgart;

Virtual Team Room

http://www.vitero.de/deutsch

Vyew

Vyew (Simulāt, Inc., Berkeley); http://vyew.com/content/VyewSneakPeek

Web Conferencing Pro: Seminar Web Crossing's Campus Crossing

Raindance; ab 2006 InterCall Web Crossing; http://www.webcrossing.com/Home/

WebDemo

Linktivity;

WebConferencing

http://www.linktivity.com

WebEx Training Center

WebEx Communications Inc.; 2007 aufgekauft von Cisco; http://www.webex.com

Wimba Collaboration Suite

Horizon Wimba, Inc.;

Wimba Classroom

http://www.HorizonWimba.com

WiZIQ

http://www.wiziq.com/Virtual_Classroom.aspx

Free Virtual Classroom Tab. 14.2:

WebConferencing- und Virtual Classroom-Software

Referenzen Baumgartner, Peter/Häfele, Hartmut/Maier-Häfele, Kornelia: E-Learning Praxishandbuch, Auswahl von Lernplattformen. StudienVerlag: Innsbruck 2002. Baumgartner, Peter/Häfele, Hartmut/Maier-Häfele, Kornelia: Content Management Systeme in eEducation. StudienVerlag: Innsbruck 2004. Beißwenger, Michael: Sprachhandlungskoordination in der Chat-Kommunikation (Linguistik-Impulse & Tendenzen). Walter de Gruyter: Berlin, New York 2007.

194

14 Lernen in Virtuellen Klassenräumen

Bloh, Egon: Grundzüge und Systematik einer Methodik netzbasierter Lehr-Lernprozesse. –In: B. Lehmann/E. Bloh (Hrsg.): Online-Pädagogik Bd 2: Methodik und Content-Management. Schneider Verlag: Hohengehren 2004, S. 7-85. Brandon-Hall (2006): Richard Nantel and the staff of Brandon Hall Research: Live E-Learning KnowledgeBase 2006: A Comparison of 20+ Virtual Classroom, Synchronous Training, and Web Conferencing Systems. August 2006 • One year access • S. 495. Ebner, Martin/Holzinger, Andreas: Lurking: An Underestimated Human–Computer Phenomenon. In: Multimedia at Work. La Sapienza, University of Rome 1070-986X/05/ © 2005 IEEE Harasim, Linda/Hiltz, Starr Roxanne/Teles, Lucio/Turoff, Murray: Learning Networks. A Field Guide to Teaching and Learning Online. The MIT Press: Cambridge, MA und London, UK 1995. Merkt, Marianne: Die Gestaltung kooperativen Lernens in akademischen Online-Seminaren (= Medien in der Wissenschaft 33). Waxmann: Münster 2005. Misoch, Sabina: Online-Kommunikation. UVK/UTB: Konstanz 2006. Schulmeister, Rolf: Virtuelle oder Online-Seminare. Kapitel 10 in: R. Schulmeister: Virtuelle Universität — Virtuelles Lernen. Oldenbourg: München Wien 2001, S. 255-308. Schulmeister, Rolf: Lernplattformen für das virtuelle Lernen. Oldenbourg: München u.a. 2003, 2.Aufl. 2005. Schulmeister, Rolf: Der Diskurs im eLearning. –In: R. Schulmeister: eLearning: Einsichten und Aussichten. Oldenbourg: München u.a. 2006, S. 135-190. Turoff, Murray: Designing a Virtual Classroom. 1995 International Conference on Computer Assisted Instruction ICCAI'95. March 7-10, 1995. National Chiao Tung University Hsinchu, Taiwan [http://web.njit.edu/~turoff/Papers/DesigningVirtualClassroom.html].

Teil 3: Design, Organisation und Werkzeuge des Online-Lernens

15

Drehbuchschreiben für Online-Lernangebote

Alexander Westphal

Das Schreiben eines Drehbuches ist ein wichtiger Schritt im gesamten Produktionsprozess für ein Online-Lernangebot. Dazu müssen frühzeitig Entscheidungen basierend auf Voraussetzungen getroffen werden, die sich zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr kostenneutral ändern lassen. Die Beschreibungen im Drehbuch bilden die Grundlage für alle nachfolgenden Arbeiten. Schlüsselbegriffe: Storyboard, Scribble, linear storytelling, interactive storytelling, active social storytelling, Brainstorming, Change-Request-Liste, Prototyping, Frame, Feedback

198

15 Drehbuchschreiben für Online-Lernangebote

15.1

Das Drehbuch im Wandel der Zeit

Das Drehbuch (storyboard) wurde schon sehr früh als Planungselement bei der Produktion von Filmen verwendet. Es ist ein schriftliches Dokument, in dem der Autor die Einzelszenen des linearen Aufbaus der Handlungen (linear storytelling) in Form von grafischen Skizzen (scribbles) aufmalt. Dazu gehört auch die Formulierung von Sprechertexten und Beschreibung von Bewegungsmustern, um diese Einzelszenen zu einem Film zusammenfügen. Andererseits werden alle technischen Anweisungen für Regie, Schnitt (Aufblende, Abblende, Schnitt) und Kameraeinstellungen (Totale, Halbtotale, Schwenk, Rückfahrt, Zoom) angegeben. Natürlich darf auch die Angabe von Musik, Charakteren, Requisiten, Beleuchtung und Ton nicht fehlen. Bei Lernsoftware für den Computer beeinflussen die Lernenden hingegen den Verlauf des Geschehens durch eigene Entscheidungen und dadurch resultierende Eingaben (interactive storytelling). Die Beschreibung dieser Interaktionen ist fundamentaler Bestandteil des Drehbuchs. Bei Online-Lernangeboten beeinflussen die Lernenden den Verlauf des Geschehens nicht alleine, sondern durch Zusammenarbeit mit anderen Benutzern im Netz (active social storytelling) des World Wide Web. Die Berücksichtigung dieser Komponenten führt zu neuen Elementen im Drehbuch.

15.2

Das Drehbuch im Produktionsprozess

Die Projektinitialisierung, also der Projektbeginn, startet zu dem Zeitpunkt, an dem ein Unternehmen, in Zukunft Auftraggeber genannt, beschlossen hat, eine Bildungsmaßnahme, auch Projekt genannt, in seinem Betrieb durchzuführen. Der Auftraggeber entwickelt eine Idee für ein Online-Lernangebot mit Hilfe eines Brainstorming-Prozesses. Anschließend beschreibt der Auftraggeber diese Idee und betriebliche Voraussetzungen in einem Exposé. Spätestens jetzt sucht der Auftraggeber sich eine Multimedia-Agentur, um sein Online-Lernangebot verwirklichen zu lassen. Die Multimedia-Agentur beruft einen ihrer Mitarbeiter als Projektleiter. Der Projektleiter sichtet das Exposé und stellt aus internen und externen Mitarbeitern ein Projektteam zusammen, bestehend aus Drehbuchautoren, Programmierern, Screendesignern, Grafikern, Tontechnikern und Animatoren. Der Projektleiter muss die verschiedenen Projektbeteiligten mit ihren unterschiedlichen Aufgaben und Interessen im Projektverlauf so steuern, dass das Endprodukt budgetgerecht und zeitgerecht fertig gestellt werden kann. Nach Zusammenstellung des Projektteams übermittelt der Auftraggeber in Form eines Briefings allen Projektbeteiligten die geforderten Lerninhalte und Bedingungen. Nach dem Briefing entwerfen Drehbuchautoren zunächst das Grobkonzept, in dem sie folgende Inhalte definieren: • • • •

Ziel des Online-Lernangebotes Lerninhalte, Lernziele, Zielgruppe Navigation im Online-Lernangebot verwendete Medien im Online-Lernangebot

15.2 Das Drehbuch im Produktionsprozess •

199

Systemvoraussetzungen der Software, Medienformate.

Nach Genehmigung des Grobkonzepts durch den Auftraggeber erstellen Drehbuchautoren ein Feinkonzept des Online-Lernangebotes. In ihm werden alle Punkte des Grobkonzepts detaillierter dargelegt. Zum Beispiel erfolgt eine Beschreibung der Feinlernziele. Nach Genehmigung des Feinkonzepts durch den Auftraggeber starten Drehbuchautoren mit der Arbeit am Drehbuch. Dieses wird nach Fertigstellung durch den Projektleiter oder einen von ihm engagierten Lektor bearbeitet. Der Drehbuchautor korrigiert an Hand der Wünsche des Lektors das Drehbuch. Dabei führt er eine so genannte Change-Request-Liste, damit Änderungen dokumentiert und priorisiert werden können. Der Projektleiter und der Auftraggeber geben das Drehbuch schließlich frei (Mair, 2004).

Abb. 15.1:

Der Produktionsprozess von der Idee zum Drehbuch

Das Drehbuch hat in der Produktion von Online-Lernmaterial den gleichen Stellenwert, wie das Modell für den Architekten. Erst nach Vollendung des Drehbuches können Programmierer, Screendesigner, Grafiker und Animatoren mit ihrer Arbeit starten. Das Drehbuch gibt somit allen Beteiligten die Ziellinie an, die es zu erreichen gilt. Das Drehbuch sollte deshalb auch einen Bauplan des Entwicklungsprozesses enthalten, sodass die komplette Arbeitsorganisation zur Produktion der Lernsoftware für jedes Teammitglied ablesbar ist. Man trifft auch hin und wieder Produzenten, die ohne Drehbuch gearbeitet haben. Eine derartige Vorgehensweise des Prototypings wird bei der Erstellung von Online-Lernangeboten nicht empfohlen. Beim Prototyping wird nur anhand der Idee ein Prototyp des Produktes erstellt, das dann nach und nach im Entwicklungsprozess verbessert wird. Da Änderungen der Funktionalität von Software kosten- und zeitintensiv sind, lassen sich auf diese Art nur einfachste kleinere Softwareprodukte erstellen.

200

15.3

15 Drehbuchschreiben für Online-Lernangebote

Kenntnisse eines Drehbuchautors

Online-Lernangebote werden in der gängigen Literatur auch mit Courseware, Web-Based-Training (WBT) oder Internet Assisted Learning (IT) bezeichnet. Der Beruf Drehbuchautor wird auch mit den Bezeichnungen Medienautor, WBT-Autor, E-Learning-Autor oder Courseware-Designer umschrieben. Wir werden in Zukunft nur kurz vom Autor sprechen. Der Autor muss Kenntnisse verschiedener Disziplinen besitzen, da das Drehbuch im Produktionsprozess eines Online-Lernangebots die Weichen für alle nachfolgenden Arbeiten stellt. Zuallererst ist zu erwähnen, dass Autoren gründliche Kenntnisse von den Lerninhalten besitzen oder fähig sind, sich die Kenntnisse schnell und gründlich anzueignen. Es wäre zum Beispiel undenkbar, dass Autoren ein Drehbuch zu einer Mathematik-Lernsoftware schreiben, aber selbst mit der Mathematik auf dem Kriegsfuß stehen. Grundkenntnisse der Didaktik, also der Wissenschaft vom Lehren und Lernen, sind für Autoren von fundamentaler Bedeutung (Kron, 2008). Es sind schließlich didaktische Entscheidungen, die dazu führen, den Wissensstoff so aufzubereiten, dass man die Zielgruppe dazu motivieren kann, sich mit dem Lerninhalt auseinanderzusetzen. Jeder Wissensinhalt sollte auch multiperspektivisch aufbereitet werden, das heißt, dass der gleiche Wissensinhalt in anderen Darstellungsformen präsentiert werden sollte, um trotz der verschieden ausgeprägten Eingangskanäle der Lernenden alle zu erreichen. Außerdem müssen Unterrichtsmethoden und Medien nach didaktischen Gesichtspunkten ausgewählt werden. Die hauptsächliche Tätigkeit des Drehbuchschreibens besteht in der Aufbereitung von Lerneinheiten in medientechnischer Repräsentation (Niegemann et al., 2003). Dazu müssen Autoren mit allen Möglichkeiten vertraut sein, Lerninhalte multimedial synchron darstellen zu können. Weiterhin müssen lernpsychologische Entscheidungen zur Steigerung der Aufmerksamkeit am Bildschirm getroffen werden. Die Darstellungen im Buch sind nicht 1:1 auf das Medium Software übertragbar, da zum Beispiel Lernende nicht dazu bereit sind, durch Scrollen längere Texte zu lesen. Autoren müssen deshalb Vorund Nachteile der unterschiedlichen Medien kennen und bei ihrer Arbeit bewusst berücksichtigen. Natürlich sind auch Grundkenntnisse der Informatik hilfreich, denn schon manches Drehbuch scheiterte daran, dass die beschriebenen Ideen im Rahmen des gesetzten Budgets nicht zu verwirklichen sind. Autoren sollten auch den Produktionsprozess von Online-Lernangeboten sehr genau kennen, um den realen Zeitbedarf für die Arbeiten der Programmierer, Grafiker, Screendesigner und Animatoren abschätzen zu können. Das ist insbesondere wichtig, um eine valide Honorarkalkulation für das Drehbuch zu gestalten. All diese Voraussetzungen für einen guten Autor bedingen, dass Projektleiter in der Regel bei der Auswahl von Autoren sich zunächst ein Probekapitel von diesen schreiben lassen.

15.4

Inhalte eines Drehbuches

Das Lernen am Computer kann in Abhängigkeit von der Zielgruppe und von den zu lernenden Inhalten eher für das Lernen durch Übung, entdeckendes Lernen, spielerisches Lernen oder tutorielles Lernen geeignet sein. Da diese Arten von Lernsoftware zum computerunterstützten Lernen sehr unterschiedlich arbeiten, würde es den Rahmen dieser Abhandlung sprengen, sie alle hier einzeln zu berücksichti-

15.4 Inhalte eines Drehbuches

201

gen. Die meisten Lernsoftwaremodule arbeiten aber nach einem Prinzip, in dem Einzelbilder (frames) in einer bestimmten Reihenfolge (sequence) ablaufen, die durch die Eingaben der Lernenden bestimmt wird. Man spricht dann von einzelbild-gestütztem (frame-based) Online-Lernen. Dementsprechend sind zwei Teile besonders bedeutsam für die Beschreibungen in einem Drehbuch: Die detaillierte Beschreibung jedes Frames und ein Interaktionsplan zur Präsentation individueller Sequenzen. Natürlich gehört an den Beginn der Planungen für das Drehbuchschreiben die Zielgruppenanalyse. Das Produkt muss zum Beispiel für Studenten einer Universität anders beschaffen sein als für Facharbeiter in einer Weiterbildungsmaßnahme. Ziemlich zu Beginn der Arbeiten am Drehbuch muss auch die räumliche Aufteilung des Screens zur Positionierung von multimedialen Inhalten, Navigationselementen, Texten und Interaktionsmöglichkeiten festgelegt werden. Das hilft auch dabei, das ganze Produkt als stimmige Komposition von Einzelelementen zu begreifen. Für die Zusammenstellung der einzelnen Medien einer Multimedia-Anwendung muss man sich Gedanken über die folgenden Eigenschaften der Medienelemente machen: Auf Grund der Beschränktheit der Inhalte, die auf einem Bildschirm präsentiert werden können, müssen Drehbuchautoren sich Gedanken über die Granulation der Wissensinhalte machen. Diese Wissensgranulate (learning units) müssen einerseits tiefsinnig genug sein, um einen eigenen Frame zu gestalten und andererseits darf die Komposition mehrerer Frames mit Granulaten das Gesamtbild des Wissensinhaltes nicht verfälschen. Lehr-, Aufgaben- und Feedbacktexte sollten deshalb durch verständliche, kurze Sätze charakterisiert sein, die leicht am Bildschirm (screen) lesbar sind. So müssen auch typografische Entscheidungen getroffen werden. Dazu müssen Schriftart, Schriftgrad, Schriftstil, Zeichenhöhe, Zeilenabstände und Spaltenbreite festgelegt werden. Für Autoren ist es eine der größten Herausforderungen, kreativ Texte zu entwickeln, die Lernende motivieren und zum selbständigen Lernen anleiten. Für Audiobeiträge in Form von gesprochenen Texten muss zum Beispiel entschieden werden, ob es sich um eine männliche oder weibliche Stimme handelt oder wie die Art des Sprechens erfolgt (ruhig, aufgeregt). Sprechertexte sollten motivierend, aber auch nur sparsam eingesetzt werden. Diagramme, technische Zeichnungen, Illustrationen, Kurven, Videos, Animationen, Simulationen, Identifikationsfiguren, Avatare usw. müssen durch einfache Freihandzeichnungen (scribbles) vom Autor aufgemalt werden, um Grafikern zu suggerieren, wie sie ihre Illustrationen anzufertigen haben (Schlempp-Ulker, 2006). Außerdem sagen Grafiken häufig mehr als 1000 Worte. Diese Strichzeichnungen dürfen sich nur auf das Wesentliche konzentrieren und müssen die grafische Aussage deutlich machen.

202

15 Drehbuchschreiben für Online-Lernangebote

Abb. 15.2:

Scribble einer Illustration

Es sollten für jedes Produkt zwischen 5 und 10 Aufgabentypen beschrieben werden, mit denen man nach Möglichkeit alle Aufgaben des Produktes gestalten kann. Das trägt zur Ökonomisierung der Programmierung bei, Beispiele hierfür sind Single-Choice-, Multiple-Choice-, Lücken- oder Drag-&Drop-Aufgaben.

15.4.1

Allgemeine Angaben im Drehbuch

Die allgemeinen Informationen des Drehbuches dienen der schnellen Orientierung im Drehbuch. Um zum Beispiel den Überblick in der Korrekturphase zu wahren, sollte streng mit Versionen des Drehbuchs gearbeitet werden. Jeder Frame des Drehbuchs enthält im Kopf (Header) folgende Informationen: • • • • •

Name des Drehbuchautors und Datum der letzten Bearbeitung durch den Drehbuchautor Name des Lektors und Datum, als diese Seite zuletzt vom Lektor begutachtet wurde Nummer des Frames zur Identifikation, Versionsnummer Titel des Produktes, Titel des Kapitels, Titel der Lerneinheit, Titel des Frames Hard- und Softwareanforderungen.

15.4.2

Beschreibung der Frames im Drehbuch

Die Frames im Drehbuch zeigen konkret in Form von Strichzeichnungen, was am Bildschirm präsentiert wird. Zu jedem Frame müssen deshalb alle Elemente beschrieben werden, die dargestellt werden sollen.

Wichtige Elemente sind:

15.4 Inhalte eines Drehbuches • • • •

203

Skizze der Frames Aufgabentext, Lehrtext, typografische Festlegungen Bilder, Ton, Video, Animation, Simulation, Logo des Auftraggebers Navigationselemente.

Abb. 15.3:

15.4.3

Skizze zu einem Frame eines Online-Lernangebots

Beschreibung der Navigation

Die Navigation übernimmt einerseits die Moderation zwischen den einzelnen Frames einer Lernsoftware, andererseits hat sie die Aufgabe Lernenden aufzuzeigen, wo sie sich im Lernpfad gerade befinden. Gleichzeitig soll die Navigation mögliche Wege der Fortsetzung im Lernprozess angeben. Dabei hilft eine Aufteilung der Wissensinhalte in Granulate mit entsprechenden Titeln und Untertiteln. Die Navigation sollte im ganzen Produkt einheitlich sein. Es bietet sich sogar an, aus Rationalitätsgründen und zur Gestaltung eines Corporate Designs, die Navigation in allen Online-Lernprodukten eines Unternehmens einheitlich zu gestalten. Zur Verdeutlichung der Navigation hilft oft ein Strukturbaum aller Frames. Ein Flussdiagramm des Programmgeschehens zeigt den möglichen zeitlichen Ablauf während des Arbeitens mit dem Online-Lernangebot. Zu jedem Frame muss folgendes für die Navigation beschrieben werden: •

Information darüber, welche Navigationselemente aktiv bzw. inaktiv sind

204 • •

15 Drehbuchschreiben für Online-Lernangebote Information darüber, zu welchem Frame welches Navigationselement führt Instruktionstexte, an denen der Lernende sich orientiert.

Intro Login Auswahl Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Lerneinheit

Lerneinheit

Lerneinheit

Frame 1

Frame 2

Frame 3

...

Frame 2.1 Frame 2.1.1

...

Abb. 15.4:

15.4.4

...

Frame 2.2

...

Frame 2.1.2

...

Ausschnitt des Strukturbaums der Frames eines Online-Lernangebots

Beschreibung der Interaktion

Ein wichtiger Punkt beim Drehbuchschreiben ist die Bestimmung des Interaktionsrahmens, dazu zählen unter anderem die genaue Beschreibung der Interaktionsmöglichkeiten, Rückmeldungen (Feedback) bei zu erwartenden Benutzereingaben, Größe und Position der Rückmeldungen, Anzahl der erlaubten Versuche oder die Punkteanzahl (Belohnungssystem) für korrekte Lernerantworten. Zu jedem Frame gehören folgende Informationen zur Interaktivität: • • • • • • • • •

zu erwartende Antwortmöglichkeiten Anzahl der Versuche Feedback, wenn die maximale Anzahl der Versuche überschritten wird Ort des Feedbacks am Bildschirm Text der Rückmeldung, ob die Eingabe korrekt war Ort für einen Hinweis (Tipp, Hilfe) Text für einen Hinweis Punkteanzahl (score) für die korrekte Bearbeitung Schnittstellen zu anderer Software oder Online-Sites.

15.5 Besonderheiten des Drehbuches für Online-Lernangebote

15.5

205

Besonderheiten des Drehbuches für OnlineLernangebote

Neuartige Möglichkeiten des Web 2.0 können den Bildungsprozess durch Kollaboration, Kommunikation und Publikation eigener Inhalte effektiver gestalten. Das entspricht eher dem didaktischen Prinzip des Konstruktivismus, der zu eigenverantwortlichem Lernen führt. Im Folgenden werden einige Elemente des Web 2.0 aufgezeigt, sofern sie in Online-Lernangeboten Verwendung finden könnten. Dazu müssen im Drehbuch gewisse Zugänge beschrieben werden, die im einfachsten Fall einfach durch Navigationselemente geschaffen werden. Es ist aber auch denkbar, dass diese Elemente direkt in Arbeitsaufträge integriert werden oder sogar eigene Bestandteile einer Lernumgebung sind, zum Beispiel einer zum Lernen geschaffenen virtuellen Realität. RSS-Reader: Aktuelle Informationen werden gezielt, im Gegensatz zum Ansurfen von Webseiten, durch die Lehrkraft den Lernenden zugesendet. Blogs: Blogs können im Bildungsprozess dem Erfahrungsaustausch der Lernenden untereinander dienen. Ein Blog kann aber auch dem Erklären von Lerninhalten durch Lernende dienen. Dabei werden die Lernenden durch die selbständige inhaltliche Mitwirkung und Gestaltung motiviert. E-Mail-Verteiler: Benutzer können das Online-Lernangebot abonnieren. Dadurch sind die E-MailAdressen der Benutzer automatisch im E-Mailverteiler des Online-Lernangebots. Durch diesen Verteiler können Dozenten neben E-Mails an alle Benutzer jeden einzelnen Benutzer individuell und selektiv mit Informationen versorgen. Diskussionsforen (Newsgroups): Sie dienen der Kommunikation der Benutzer einer OnlineLehrveranstaltung untereinander. Die Benutzer können also eigene Artikel einstellen oder bereits vorhandene Artikel ergänzen. Das ist sinnvoll, um Meinungen auszutauschen oder Lösungsansätze für Aufgaben zu veröffentlichen und zu diskutieren. Im Drehbuch können mögliche Themen eines Diskussionsforums voraus bedacht werden, um die Eingaben der Benutzer inhaltlich zu strukturieren. Archiv: Über das Archiv können vorhandene Materialien im pdf-Format zeitlich unabhängig den Benutzern zur Verfügung gestellt werden. Denkbar sind zum Beispiel schriftliche Skripte, Präsentationsfolien von Präsenzveranstaltungen, eine Liste aller Lernziele, Zusatzmaterialien, Linklisten oder Podcasts von Vorlesungen. Wikis: Lerninhalte können mit Hilfe eines eigens angefertigten Online-Lexikons oder über die allgemeine Wikipedia vertieft werden. Links: Externe Links bieten die Möglichkeit, eine größere Informationstiefe bei den Wissensinhalten zu erreichen. Da sich Links im Internet laufend ändern, können diese Links gerade über das Internet laufend aktuell gehalten werden. Videoconferencing: Eine Lehrveranstaltung durch ein Videokonferenzsystem erfordert nicht mehr die Präsenz am Ort des Lehrens, da über das Internet prinzipiell von überall darauf zugegriffen werden kann. Man sieht dadurch wahlweise Lehrende oder andere Lernende am Bildschirm in Echtzeit (real time). Im Gegensatz zu den vorher benannten Möglichkeiten ist man aber auf eine feste Uhrzeit eines

206

15 Drehbuchschreiben für Online-Lernangebote

Tages eingeschränkt. Deshalb spricht man von synchronem Online-Lernen (synchronous onlinelearning).

15.6

Werkzeuge zur Drehbucherstellung

Formate und Details eines Drehbuches hängen immer stark von den verwendeten Methoden der Software-Entwicklung, der speziellen Art der Lernsoftware sowie von den verwendeten Autorensystemen ab. Aus diesem Grund ist es schwierig eine Drehbuch-Software zu empfehlen, die allen Ansprüchen genügt. Dies wird auch der Hauptgrund sein, warum die meisten Drehbuchautoren auf allgemeine Office-Software, wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Präsentationssoftware zurückgreifen, um ihre Drehbücher zu verfassen. In diesem Abschnitt werden sinnvolle Eigenschaften einer Software zur Unterstützung der Drehbucherstellung exemplarisch beschrieben. Leider erfüllt keine der heutigen kommerziellen oder frei zugänglichen Computerprogramme diese Forderungen. Diese Beschreibungen könnten also auch für Softwareentwickler von Bedeutung sein, die diesen Zustand ändern wollen. Professionelle Software für das Filmdrehbuch besitzt eine Datenbank, in der viele unterschiedliche Charaktere und Handlungen abgespeichert sind, die bei Bedarf selektiert werden können, um alle möglichen Kombinationen zu erzeugen. Genauso sollte eine Software für das Erstellen eines Drehbuchs von Online-Lernangeboten in einer Datenbank mehrere Aufgabentypen und Web 2.0-Applikationen abgespeichert haben, die in neuen Kombinationen als Grundgerüst eines Frames aufgerufen werden können. Die Software kann Ideen und Texte nicht selbständig generieren, aber beim Arrangieren dieser Elemente kann sie Ihnen helfen. Software ist bei der Strukturierung von Arbeitsprozessen stark. Deshalb benutzt man sie zur Prozessoptimierung, Rationalisierung und Effizienz. Sie könnte zum Beispiel die Einzelelemente, aus denen das Endprodukt besteht, in Listen zur Verfügung stellen, damit Projektbeteiligte des Teams nicht mühsam ihren Anteil im Drehbuch herausarbeiten müssen. Diese Produktionslisten würden auch gleichzeitig die Vorkalkulation für das Produkt erleichtern. Genauso könnte man mit Hilfe der Produktionslisten einen realistischen Zeitrahmen für den Entwicklungsprozess festlegen. Prozessoptimiert könnte auch der automatisierte Zugriff auf die Texte für die einzelnen Szenen des Drehbuches sein, sofern sie in einer Datenbank gespeichert vorliegen. Der Programmentwickler würde dann die einzelnen Szenen bauen und die Texte über eine ID direkt integrieren. Da das Anfertigen von Scribbles eine wichtige Tätigkeit beim Schreiben eines Drehbuchs darstellt, sollte der Prozess durch ein integriertes Grafikprogramm mit einem Grafiktablett unterstützt werden, da mit der Maus nicht vernünftig gezeichnet werden kann. Die Software sollte außerdem eine Schnittstelle zu einem Scanner besitzen, um handgezeichnete Skizzen leicht einfügen zu können.

16

Learning-Management an Hochschulen

Christoph Igel

Der Beitrag fokussiert auf die strategische Bedeutung der Virtualisierung der Hochschulen im Kontext des europäischen Bildungsraums. Ausgehend von einschlägigen Erklärungen und Prognosen der führenden Wissenschafts- und Bildungsorganisationen werden die Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz zum breiten und nachhaltigen Einsatz der Neuen Medien an Universitäten und Fachhochschulen dargestellt. Danach wird der Auf- und Ausbau der Virtuellen Saar Universität als modellhaftes Beispiel strategischer Hochschulplanung im Kontext der Neuen Medien vorgestellt. Neben einer allgemeinen Beschreibung von Ziel und Gegenstand, Struktur, Entwicklung und Perspektive im Kontext des europäischen Bildungsraums wird die Einführung und strukturelle Implementierung des LearningManagement-Systems CLIX Campus skizziert. Schlüsselbegriffe: Hochschulentwicklung, Virtuelle Universität, Implementierung, Learning Management, Autorenwerkzeug, IT-Anwendungsarchitektur, Schnittstellenentwicklung, Europäischer Bildungsraum

208

16.1

16 Learning-Management an Hochschulen

Hochschulentwicklung durch neue Medien

Die strategische Bedeutung der Virtualisierung der Hochschulen wird seit Mitte der 1990er Jahre in weitestgehend übereinstimmenden Erklärungen und Empfehlungen der Bildungseinrichtungen und Wissenschaftsorganisationen des Bundes und der Länder diskutiert. Nicht zuletzt die besondere Relevanz der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien für die strategische Positionierung der Hochschulen in dem im Ausbildungsprozess befindlichen europäischen und internationalen Bildungsraum wird dabei herausgestellt (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2001, 2004; BundLänder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung, 1999, 2000, 2002; Centrum für Hochschulentwicklung, 2000; Hochschul-Informations-System, 2002, 2003, 2004, 2005, 2006; Hochschulrektorenkonferenz, 1996, 2003; Kultusministerkonferenz, 1996, 1999; Wissenschaftsrat, 1998). Diesen Erklärungen und Empfehlungen zufolge stellt die Einbindung der neuen, digitalen Medien in bestehende und zukünftige Aufgaben- und Tätigkeitsfelder der Hochschulen eine der zentralen Herausforderungen für die Gewährleistung der Zukunftsfähigkeit der Hochschulsysteme im europäischen und nicht zuletzt auch im globalen Bildungswettbewerb dar. Als substanzieller Beschleunigungsfaktor der wissenschaftlichen Wertschöpfungskette identifiziert, werden von diesen sowohl die Strukturentwicklung deutscher Universitäten als auch das Lehren, Lernen und Prüfen, das Forschen und Entwickeln in den fachwissenschaftlichen Disziplinen maßgeblich beeinflusst: „eScience“ – die systematische, strukturierte und nachhaltige Implementierung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in alle wissenschaftlichen Aufgaben- und Tätigkeitsfelder – verändert nach Einschätzung der Experten das zukünftige Selbstverständnis und Erscheinungsbild der Hochschulsysteme tiefgreifender und überdauernder als viele bis dato erlassenen Gesetze und Verordnungen. Schulmeister (2001) identifiziert in einer Analyse internationaler Prognosen, globaler Zukunftsszenarien und nationaler politischer Empfehlungen zum Einsatz der neuen, digitalen Medien in Lehre und Forschung und unter Beachtung einschlägiger, seit Mitte der 1990er Jahre veröffentlichter Umfragen und Erhebungen zum Stand der Medienintegration an Hochschulen große Übereinstimmungen, insbesondere in den Prämissen für die Virtualisierung der Ausbildung, in der Veränderung der Studien- und Lebensbedingungen der Studierenden, in der Technologieentwicklung, im Wettbewerb der Hochschulen, in der Effizienzsteigerung sowie in den pädagogischen Zielen. Igel & Daugs (2005) identifizieren weitere Übereinstimmungen in Fragen der strategischen Hochschulplanung: Alle Darstellungen sind von grundlegend unterstützendem Charakter für den verstärkten Einsatz der neuen, digitalen Medien bzw. für eine verstärkte Virtualisierung der Hochschullehre und zeigen dabei zugleich eine weitgehende Übereinstimmung mit den hochschulpolitischen Zielen und Forderungen des Bundes und der Länder. Sie zeigen strategische Notwendigkeiten auf, verweisen andererseits aber auch auf Defizite und Mängel: Vermisst werden vor allem strategische Gesamtkonzeptionen der Hochschulen zur Virtualisierung und zum breiten Einsatz der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in der Lehre. Zugleich wird die oft lustlose Zurückhaltung und Geringschätzung dieser Aufgabe bei vielen Hochschulleitungen problematisiert; gemeinsam gefordert werden strategische Gesamtkonzeptionen, die zur „Chefsache“ gemacht werden.

16.1 Hochschulentwicklung durch neue Medien

209

Auch weisen Igel & Daugs (2005) darauf hin, dass die strukturelle Geringschätzung der Lehre an deutschen Hochschulen konsequenterweise zu einer strukturellen Geringschätzung des Lehrens und Lernens mit neuen, digitalen Medien führt. Es ist zu erwarten, dass diese weit verbreitete Mentalität an den Präsenzuniversitäten, die interessanterweise im Gegensatz zu der Bedeutung der Lehre an den so oft zum Vorbild erhobenen US-amerikanischen Universitäten steht, mit dem aufkommenden Wettbewerb um Studierende zurückgedrängt wird und bald ganz verschwindet. Der für viele Hochschulen existenzielle Wettbewerb um die Studienanfänger wird die Bedeutung der Lehre im Allgemeinen und der Lehre mit neuen Informations- und Kommunikationstechnologien im Speziellen erheblich steigern. Müller-Böling (2000) deklariert die nachhaltige und umfassende Einbindung der neuen, digitalen Medien in alle Aufgaben- und Tätigkeitsfelder der Hochschulen als strategische Aufgabe von höchster Priorität, will man die nationale und internationale Wettbewerbsfähigkeit und Positionierung des deutschen Bildungssystems im globalen Bildungsmarkt zukünftig gewährleisten. Ob Profilbildung von Hochschulen in der Aus- und Weiterbildung, Zielgruppenadressierung „on Campus“ oder „off Campus“ oder das Angebot internationaler Bildungsprodukte über Education Broker – durch den Einsatz und die Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien können in noch nicht abzusehender Weise strategische Potenziale für Bildung, Lehre, Forschung und Entwicklung der „Alma mater virtualis“ realisiert werden. Was also ist vor dem Hintergrund der einschlägigen Erklärungen und Empfehlungen strategisch an den Hochschulen und Universitäten zu tun? Folgt man den Überlegungen der Analysten, so sind von Hochschulen • •



• • •

die Contents zu identifizieren, die sich zum Online-Learning grundsätzlich eignen; diese Contents mit hoher inhaltlicher, didaktischer und gestalterischer Qualität, aber auch mit einfachen und finanzierbaren Tools und Verfahren in multimediale und interaktive Lehr-Lern-Module umzusetzen; hierbei Lehrsysteme zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen, die sich durch Verfahren der Künstlichen Intelligenz in der Interaktion mit dem Lernenden ein Lernermodell aufbauen und damit Adaptivität und Adaptierbarkeit gewährleisten; die erforderlichen technologischen Voraussetzungen und Infrastrukturen für ein solches „Open and Distance Learning“ zu schaffen; die erforderlichen Maßnahmen im Rahmen der strategischen Hochschulplanung zu ergreifen; auch weiterhin gezielte, umfangreiche Förderprogramme auf allen Ebenen für eine solche Entwicklung aufzulegen, zugleich aber auch Geschäftsmodelle zu entwickeln und rechtlich zu ermöglichen, die eine Refinanzierung gewährleisten.

Es bleibt festzuhalten, dass ein erfolgreicher Prozess zur Virtualisierung der Hochschulen und zum breiten Einsatz der neuen, digitalen Medien an Universitäten nur dann erfolgreich, nachhaltig und letztlich nutzwertig weitergeführt werden kann, wenn die weitestgehend übereinstimmenden Empfehlungen und Erklärungen der Bildungsinstitutionen und Wissenschaftsorganisationen umfassend und nachhaltig umgesetzt werden. Exemplarisch hierfür seien die bis heute aktuellen 10 Punkte der Empfehlungen der Hochschulrektorenkonferenz (2003) angeführt:

210

16 Learning-Management an Hochschulen

1. Hochschulstrategie Jede Hochschule muss eine eigene Strategie zur Integration der neuen, digitalen Medien in das Hochschulkonzept erarbeiten. Hierbei sind die Ausgangslage und die Entwicklungs- und Anpassungspotenziale zu berücksichtigen. Die Entwicklung und die Umsetzung einer solchen Strategie sind von entscheidender Bedeutung, um einen erfolgreichen Einsatz der neuen, digitalen Medien an der jeweiligen Hochschule zu gewährleisten. 2. Anreizsysteme Es sind Anreizsysteme zu entwickeln, die zur verstärkten Nutzung neuer Formen der Wissensvermittlung stimulieren. Kompetenzen im internetgestützten Lehren und Lernen sollten ein Kriterium bei Berufungsverhandlungen sein und bei der leistungsorientierten Mittelvergabe sollten Leistungen von Lehrstühlen, Instituten, Fachbereichen und Fakultäten bei der Entwicklung und Nutzung der neuen, digitalen Medien in Lehre, Forschung und Management Berücksichtigung finden. 3. Dauerhaftigkeit Es müssen an den Hochschulen strukturelle Voraussetzungen für den dauerhaften und nachhaltigen Einsatz der neuen, digitalen Medien in der Lehre geschaffen werden. Kompetenzzentren bzw. Serviceeinrichtungen mit personeller Kontinuität sowie angemessener Ausstattung sind unerlässlich. 4. Qualitätsmanagement Ohne ein systematisches Qualitätsmanagement wird es nicht gelingen, qualitativ hochwertige Angebote mit neuen, digitalen Medien zu entwickeln. Daher müssen nutz- und mehrwertorientierte Evaluationskonzepte sowohl bei der Generierung als auch bei der Anwendung von Lehr-LernAngeboten mit neuen, digitalen Medien entwickelt werden. 5. Kooperationen Möglichkeiten der Kooperation sind bei der Erstellung multi- und telemedialer Produkte und beim Einsatz internetgestützter Lehre zu nutzen und zu fördern. Kooperationen werden erleichtert durch Modularisierung von Inhalten und durch Standardisierung der Technologie. 6. Interdisziplinarität Der Einsatz der neuen, digitalen Medien in Bildung und Forschung ist eine fachübergreifende Aufgabe und erfordert somit neue Formen der Interdisziplinarität. Es empfiehlt sich daher, entsprechende Verbünde (bspw. von Fachwissenschaftlern mit Mediendidaktikern, Designern und Informatikern) zu unterstützen. 7. Unterstützende Maßnahmen Lehrende und Lernende sind dahingehend zu qualifizieren, dass die neuen, digitalen Medien nutzwertig in Bildungsprozessen eingesetzt werden können. Zugleich sollten sie in die Lage versetzt werden, entsprechende Werkzeuge kurzfristig zu nutzen. Mittel- und langfristig müssen technologische Barrieren abgebaut und die individuelle Technologieaffinität gesteigert werden. 8. Anerkennung von Studienleistungen Es müssen tragfähige Konzepte für die Integration von internetgestützten und traditionellen LehrLern-Angeboten gemacht werden („blended learning“, „hybride Lehr-Lern-Arrangements“, „technology enhanced learning“). Dies setzt die Einbindung von internetgestützten, multimedialen und interaktiven Lehr-Lern-Angeboten in den Studien- und Prüfungsordnungen voraus wie auch die gleichwertige Anerkennung entsprechender Testate (u. a. unter Berücksichtigung des studentischen Workload).

16.2 Beispiel: Virtualisierung der Universität des Saarlandes

211

9. Technische Infrastruktur Die Entwicklung und der Einsatz der neuen, digitalen Medien in Bildung und Forschung erfordert eine moderne, serviceorientierte sowie anwenderzentrierte Informationsinfrastruktur. Betrieb und Aktualisierung müssen technisch, personell und finanziell dauerhaft gesichert sein. 10. Rechtsfragen Bei der Erstellung multi- und telemedialer Lehr-Lern-Angebote und bei deren Einsatz in der Hochschullehre entstehen umfassende Rechtsfragen. Daher ist auf eine Klärung der einschlägigen Rechtsfragen zu achten und eine entsprechende Beratung für die Lehrenden zu gewährleisten. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Durchdringungs- und Organisationsgrad des Einsatzes der neuen, digitalen Medien, die mediendidaktische Qualität des damit aufbereiteten multimedialen und interaktiven Content, dessen barrierefreie Zugänglichkeit wie auch rechtssichere Verankerung in den Studien- und Prüfungsordnungen einschließlich der für die Nutzung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien an Hochschulen erforderlichen Services bei der zukünftigen Auswahl von Hochschulstandorten, Studiengängen und -abschlüssen „primus inter pares“ sein wird – und somit konsequenterweise auch mit höchster Priorität in den strategischen Entwicklungsplanungen von Hochschulen berücksichtigt werden muss. Wenngleich der Wettbewerb unter den Hochschulen um die besten Studierenden schon längst begonnen hat, ist aus heutiger Perspektive gleichwohl zu konstatieren, dass noch erhebliche Anstrengungen von Wissenschaft und Hochschule auf allen Ebenen erforderlich sind, damit die neuen, digitalen Medien de facto ein substanzieller Wettbewerbsfaktor in dem sich entwickelnden globalen Bildungsmarkt werden und die Bedeutung erhalten, die ihnen von bildungspolitischer Seite zugeschrieben wird.

16.2

Beispiel: Virtualisierung der Universität des Saarlandes

Mit der Regierungserklärung des Ministerpräsidenten des Saarlandes (1999) und der hochschulpolitischen Grundsatzrede des Ministers für Bildung, Kultur und Wissenschaft (2001) hat die saarländische Landesregierung den Auf- und Ausbau der Virtuellen Saar Universität (VISU) zu einem strategischen Ziel ihrer Bildungspolitik erklärt. Als Bestandteil des Themenclusters „wissen.saarland“ wird der VISU in den Innovationsstrategien für das Saarland der Landesregierung (2001, 2007) die Funktion eines Beschleunigungsfaktors zugewiesen, der den Prozess der Virtualisierung der saarländischen Hochschulen unterstützt und zum Ausbau einer zukunftsfähigen Bildungsregion beitragen wird. VISU wird durch diese politischen Verlautbarungen zum zentralen Bestandteil der hochschulpolitischen Entwicklungen im Saarland und übernimmt eine tragende Rolle bei der strategischen Positionierung der saarländischen Bildungseinrichtungen im europäischen und internationalen Bildungsmarkt. Der Ausbau und die Entwicklung der VISU ist somit Voraussetzung und Notwendigkeit für die konkurrenzfähige Beteiligung der saarländischen Hochschulen an der Entwicklung internetbasierter Bildungsangebote, die dazu beitragen werden, die Präsenzlehre zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschulen im globalen Wettbewerb zu erhalten.

212

16 Learning-Management an Hochschulen

2002 hat das Präsidium der Universität des Saarlandes das Competence Center „Virtuelle Saar Universität“ (CC VISU) eingerichtet, dessen Aufgaben in der Bündelung, strategischen Planung, Unterstützung und Beratung einschlägiger Projekte und Aktivitäten in allen universitären Aufgaben- und Tätigkeitsfeldern besteht. Hierzu gehören der Einsatz, die Entwicklung, die wissenschaftliche Begleitung und die nachhaltige Einbindung der neuen, digitalen Medien in Lehre und Forschung. Besondere Berücksichtigung finden dabei u.a. die Themen Informationsinfrastruktur, Mediendidaktik, Evaluation und Qualitätssicherung, Recht, Fernlehre und Weiterbildung. Um die Weiterentwicklung der VISU im Sinne der politischen Zielstellungen zu gewährleisten, die Nachhaltigkeit auslaufender oder abgeschlossener Projektförderungen zum E-Learning zu sichern und das geschaffene Potenzial bei der Einbindung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien in Lehre und Forschung der Universität des Saarlandes zur Entfaltung bringen zu können, wurden durch die VISU-Leitung nachstehende strategische Maßnahmen als vordringlich eingestuft und priorisiert: • •

• •

Integration von Projektergebnissen in die reguläre Hochschullehre und Anpassung an die laufende wissenschaftliche Weiterentwicklung Bindung von Know-how an die Hochschule, Qualifizierung des Lehrpersonals in der Anwendung und Weiterentwicklung der Lehr- und Lernmaterialien und Bereitstellung von Personal- und Sachressourcen für die Nutzung internetbasierter Lehr-Lern-Angebote Koordination vorhandener Aktivitäten und beteiligter Hochschuleinrichtungen sowie Initiierung weiterer Projektierungen Information der Hochschulen und Stimulation zur Teilnahme an Fördermaßnahmen zur Einbindung der neuen, digitalen Medien in Lehre und Forschung.

Als Voraussetzung für die umfassende Bereitstellung von E-Learning-Angeboten an der Universität des Saarlandes wie auch für die Integration von multi- und telemedialen Lernmodulen in den Lehrbetrieb der Fakultäten wurde die Einrichtung und Implementierung eines zentralen Learning-ManagementSystems angesehen, d. h. eine Software für das Lehren, Lernen und Prüfen mit neuen, digitalen Medien, die etwa der Darstellung von Kursunterlagen dient, die Abwicklung von Online-Seminaren unterstützt und Kommunikations- und Kollaborationswerkzeuge vorhält. Learning-Management-Systeme werden i. d. R. als wesentliches Element virtueller Universitäten durch Portal-Software, ein Kursmanagement-System und Autorenwerkzeuge zur Entwicklung von Inhaltsmaterialien ergänzt (Schulmeister, 2001). Zur Unterstützung der Auswahl eines Learning-Management-Systems für die Universität des Saarlandes wurde das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) beauftragt, eine Vergleichsstudie von Learning-Management-Systemen durchzuführen. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass kein existierendes Learning-Management-System als eindeutig beste Lösung identifiziert werden kann. Zur Gewährleistung einer nachhaltigen Integration sind kommerzielle Systeme existierenden Open-Source-Lösungen vorzuziehen. Insgesamt kann eine Einengung auf eine Spitzengruppe mit den Systemen Blackboard, CLIX Campus, IBT Server und WebCT vorgenommen werden. Eine Auswahlentscheidung kann nur getroffen werden, wenn weitere Argumente herangezogen werden (Jantke, Degel, Ncube & Villano, 2003). Vor dem Hintergrund dieser Vergleichsstudie sprach der VISU-Beirat nachstehende Empfehlung an das Präsidium der Universität des Saarlandes aus:

16.3 Learning Management mit CLIX Campus •



• •



213

Das Competence Center VISU wird mit der Durchführung eines Modellprojektes zur Erprobung und Implementierung des Learning-Management-Systems CLIX Campus an der Universität des Saarlandes beauftragt. Das Modellprojekt soll evaluiert werden; im Falle eines positiven Ergebnisses dieser Evaluation sagt die Universität die Übernahme des Learning-Management-Systems als Angebot für die ganze Universität zu. Eine Übernahme der Kosten des Modellprojektes stellt das Land in Aussicht. Die mitwirkenden Einrichtungen beteiligen sich in angemessener Weise. Die Leitung der VISU wird gebeten, eine entsprechende Projektskizze inklusive Kostenkalkulation zu erarbeiten und eine vertragliche Vereinbarung zwischen Land, Universität und dem Softwareanbieter vorzubereiten. Es wird auf die Notwendigkeit einer engen Abstimmung bei der Entwicklung der ITAnwendungsarchitektur sowie für eine nachhaltige Integration neuer Medien in allen Studiengängen hingewiesen.

16.3

Learning Management mit CLIX Campus

16.3.1

Ziel und Struktur des Einführungsprojektes

Ziel des Modellprojektes ist die Einführung des Learning-Management-Systems CLIX Campus in Studium und Lehre sowie dessen Integration in die IT-Anwendungsarchitektur der Universität des Saarlandes. Das Projekt wird extern evaluiert; die Evaluationsergebnisse sollen das Präsidium der Universität des Saarlandes bei seiner Entscheidungsfindung bzgl. der nachhaltigen Überführung des Learning-Management-Systems an den Fakultäten und Zentralen Einrichtungen der Universität des Saarlandes unterstützen. Das Modellprojekt ist in zwei Teilprojekte unterteilt: 1. Einsatz von CLIX Campus in Studium und Lehre Im diesem Teilprojekt werden die Ziele verfolgt, vorliegenden Content ausgewählter E-LearningProjekte in CLIX Campus zu integrieren und in der Lehre einzusetzen, das Learning-ManagementSystem an ausgewählten Fakultäten der Universität des Saarlandes zur Unterstützung der Lehrorganisation einzusetzen sowie die in CLIX Campus integrierten Werkzeuge zur Generierung von neuem Content zum Einsatz zu bringen. 2. Integration von CLIX Campus in die IT-Anwendungsarchitektur Im zweiten Teilprojekt werden die Ziele verfolgt, den Aufbau einer Architektur für das LearningManagement-System und dessen Einbindung in das Hochgeschwindigkeits-Rechnernetz der Universität des Saarlandes, den Aufbau von Kompetenzen zur fachlichen und technischen Administration von CLIX Campus und zur Gewährleistung des technologischen Supports der Nutzer und die Entwicklung von Schnittstellen zu bestehenden IT-Systemen an der Universität des Saarlandes zu realisieren. Die Leitung und Durchführung des Projektes obliegt der Virtuellen Saar Universität. Zur Begleitung des Projektes wird ein Projektbeirat eingesetzt, dessen Aufgabe u. a. die Kontrolle der Projektentwick-

214

16 Learning-Management an Hochschulen

lung, die Abnahme der Berichterstattung der Projektleitung sowie die Beratung der Projektleitung in strategischen Fragen ist.

16.3.2

Learning Management in Studium und Lehre

Für die Integration von bestehendem Content in CLIX Campus sind vier durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekte ausgewählt: „ActiveMath“ (Informatik), „eBuT“ (Sportwissenschaft), „modulang“(Romanistik) und „WinfoLine“ (Wirtschaftsinformatik). In diesen Projekten liegt Content vor, der in das Learning-Management-System zu integrieren und in der Lehre einzubinden ist. Die Integration bezieht sich auf die Gewährleistung der Interoperabilität der bestehenden E-Learning-Angebote mit CLIX Campus, realisiert u. a. durch Schnittstellen zum Austausch von Wissensobjekten sowie andererseits durch die Anbindung der bestehenden E-Learning-Angebote und der darin enthaltenen Lehr-Lern-Module in die durch CLIX Campus ermöglichte und unterstützte Lehrorganisation. Der Einsatz von CLIX Campus erfolgt modellhaft an vier der acht universitären Fakultäten (Medizin, Philosophische Fakultäten II und III, Naturwissenschaftlich-Technische Fakultät I), was die Realisierung eines Anreizsystems zum Einsatz des Learning-Management-Systems an den Fachrichtungen, die Durchführung von Qualifizierungsmaßnahmen sowie die Überprüfung der Voraussetzung der nutzerseitigen, informationstechnologischen Infrastruktur erfordert. Konkret sollen u. a. nachstehende Funktionalitäten des Learning-Management-Systems geprüft werden: Organisation von Lehrveranstaltungen über zielgruppenspezifische Buchungs- und Genehmigungsprozesse, Verwaltung und zielgruppenspezifische Zuweisung von Content für Lehrveranstaltungen, Erstellung von Testsets für E-LearningSzenarien, Definition von Benutzerrollen und -profilen für Lehrende und Lernende, Einsatz von synchronen und asynchronen Kommunikations- und Kollaborationswerkzeugen. Ergänzend wird die Nutzung der in dem Learning-Management-System integrierten Werkzeuge zur Entwicklung von neuem Content erprobt. Ziel ist die Entwicklung von neuem Content für die Studierenden der Hochschule in verschiedenen Fachrichtungen; als Vorgehensweise wurde ein universitätsinterner Ideenwettbewerb zur Erstellung von Content durchgeführt, zu dem sich Mitglieder der Universität mit einem Konzept bewerben können, wobei die besten Konzepte durch ein Auswahlgremium ausgesucht und mit Personalmitteln zur Entwicklung von neuem Content ausgestattet werden.

16.3.3

Integration in die IT-Anwendungsarchitektur

Die technologische Implementierung sieht den Aufbau von Kompetenzen zur fachlichen und technologischen Administration und für den Support von CLIX Campus vor, die Installation einer performanten Serverarchitektur und deren Einbindung in das Datensicherungsverfahren und Datensicherheitskonzept der Universität des Saarlandes, weiterhin die Anpassung des Learning-Management-Systems an die hochschulspezifischen Bedingungen und die erforderlichen Schnittstellen von CLIX Campus zu den bereits eingeführten Verwaltungs- und Organisationssystemen. Als Hard- und Softwarekomponenten müssen für die Durchführung bei einem Betriebsszenario mit mittleren bis hohen Anforderungen angeschafft und an das universitäre Hochgeschwindigkeitsnetz angebunden werden: Produktiv- und Stagingserver, Datenbankserver, Learning-Management-System.

16.3 Learning Management mit CLIX Campus

215

Die Hard- und Software-Komponenten sind am universitären Rechenzentrum angesiedelt, wo zugleich die technologische Administration und der technologische Support erfolgen. Die Hard- und Softwarekomponenten sind in das Datensicherungssystem sowie Sicherheitssystem der Hochschule integriert. Die erforderlichen Schnittstellen für eine nachhaltige Implementierung des Learning-ManagementSystems CLIX Campus beziehen sich auf die bereits eingeführten Software-Werkzeuge der HochschulInformations-System GmbH und der SAP AG. Hierbei handelt es sich um die HIS-GX-Module SOS, POS, LSF und die SAP-Software R/3 mit den Modulen HR und MM. Strategisches Ziel dieses Teilprojektes ist die Überführung der aufgebauten Kompetenzen in die PostProjekt-Phase, damit das Learning-Management-System nachhaltig als universitäres Gesamtangebot zur Verfügung steht. Hierfür wird neben einer positiven Evaluation ausschlaggebend sein, dass eine umfassende Anpassung von CLIX Campus an die spezifischen Bedingungen der Universität des Saarlandes erfolgt, die Schnittstellen zu den HIS-GX-Modulen sowie zur SAP-Software entwickelt und in deren zukünftige Produktentwicklung integriert werden. Nach Projektende soll eine kostengünstige Lizenz- und Softwarepflegelösung von CLIX Campus möglich sein.

17

Wissensmanagement beim Online-Lernen

Gabi Reinmann

Wissensmanagement ist ein interdisziplinärer Ansatz mit vielen Facetten und einer kurzen, aber wechselvollen Geschichten. Bei genauerer Analyse lassen sich im Hinblick auf die Entwicklung einige Parallelen zwischen E-Learning und Wissensmanagement feststellen. Trotz bestehender Gemeinsamkeiten und Anknüpfungspunkte nehmen sich beide „Lager“ nur vereinzelt zur Kenntnis. Die wenigen Vorschläge dazu, in welchem Verhältnis E-Learning und Wissensmanagement zueinander stehen können, machen deutlich, dass man dieses aus zwei Perspektiven betrachten kann: Aus der organisationalen Perspektive zeigt sich Wissensmanagement als eine probate Möglichkeit, E-Learning-Projekte zu managen und das dabei anfallendem Erfahrungswissen zu explizieren. Aus der individuellen Perspektive dagegen fällt auf, dass E-Learning ein Feld für persönliches Wissensmanagement darstellt – einem „Ableger“ des Wissensmanagements, das besonders große Nähe zu lernpsychologischen Aspekten aufweist. Schlüsselbegriffe: Wissensarbeit, Wissensmanagement, persönliches Wissensmanagement, Qualifikation, Kompetenz, Experte, Selbstorganisation, Entgrenzung

218

17 Wissensmanagement beim Online-Lernen

17.1

Wissensmanagement und E-Learning

17.1.1

Wissensmanagement – ein Ansatz mit vielen Facetten

Für die einen ist Wissensmanagement inzwischen eine eigene Disziplin, für die anderen nach wie vor ein verzichtbarer Begriff. Fakt ist, dass Wissensmanagement ökonomischer Herkunft ist, trotzdem aus mehreren fachlichen Perspektiven bearbeitet wird und infolgedessen eine Art Schmelztiegel für verschiedene Herausforderungen im Umgang mit Wissen ist. Die Diskussion um den Stellenwert des Wissens in ökonomischen Kontexten ist älter als man auf den ersten Blick meinen könnte: Anfang der 1960er Jahre hat Machlup (1962) den ersten Meilenstein für die Wissensökonomie gelegt; wenige Jahre später gab Drucker (1968) das Startsignal für das Konzept der Wissensarbeit wie auch für den Ansatz des Wissensmanagements, das erst Mitte der 1990er Jahre seine erste Blüte erleben sollte. Alle drei Konzepte lassen sich in den Wandel der Wirtschaft einordnen (z. B. Hasler Roumois, 2007): Dieser erstreckt sich von der Landwirtschaft über die Industrialisierung zum Anstieg des Dienstleistungsbereichs bis zur Wissensökonomie, die in enger Verbindung zum Aufstieg der digitalen Technologien steht. Während die 1990er Jahre das Jahrzehnt des Wissensmanagements waren, erfuhr das Thema mit Anbruch des neuen Jahrtausends eine starke Ernüchterung (Howaldt & Kopp, 2005). Seit kurzem zeigt sich ein konsolidiertes Interesse am Wissensmanagement. Zunehmend aber werden spezifischere Themen, Lösungen und Begriffe wie Wissenskommunikation (Reinhardt & Eppler, 2004), Wissensvisualisierung (Tergan & Keller, 2005), Einsatz von Web 2.0-Anwendungen (Hüttenegger, 2006) favorisiert. Dies lässt sich als Signal dafür werten, dass sich die Wissensorientierung in handfesten Managementaufgaben konkretisiert und als selbstverständlicher Bestandteil in die Führung von Organisationen eingeht (North, 2005) (siehe Abb. 17.1). Sichtbarkeit

Wissensmanagement heute

Anfänge Anfang der 1990er Jahre

Abb. 17.1:

Gipfel zu hoher Erwartungen Mitte bis Ende der 1990er Jahre

Ernüchterung ca. 2001/ 2002

Erkenntniszuwachs

ca. 2005

Zeit

Wissensmanagement-Entwicklung (in Anlehnung an Riempp & Smolnik, 2007, S. 2)

Die Definitionen von Wissensmanagement sind zahlreich und lassen sich nicht einfach unter einen Hut bringen, verweisen aber zumindest auf einen gemeinsamen definitorischen Kern: Wissensmanagement bezeichnet den systematischen und begründeten Umgang mit Wissen als Wirtschafts-, Arbeits- oder

17.1 Wissensmanagement und E-Learning

219

Humanressource, wobei Umgang sowohl die Bereitstellung und Gestaltung von Rahmenbedingungen, Methoden und technischen Werkzeugen als auch die Optimierung von technischen, organisationalen und mentalen Prozessen meint (z. B. Schneider, 2001; Lehner, 2006). Wissensmanagement gilt in diesem Sinne nach wie vor als Voraussetzung für eine lernende, ja intelligente Organisation (Willke, 2001). Die Frage nach dem „Wozu“ allerdings hängt wesentlich davon ab, in welchem Kontext Wissensmanagement praktiziert wird: In Unternehmen muss Wissensmanagement an die Geschäftsziele und den Markt gekoppelt werden; im öffentlichen Sektor geben Kunden-, Wirkungs- und Qualitätsorientierung die Zielrichtung vor; Bildungsinstitutionen wiederum müssen die Kompetenz- und Persönlichkeitsentwicklung von Lernenden im Blick haben (vgl. Hasler Roumois, 2007). Man kann im Wissensmanagement mehrere Entwicklungsstränge unterscheiden, die jeweils unterschiedliche Akzente setzen und verschiedene Bedürfnisse abdecken (Roehl, 2000; Lüthy, Voit & Wehner, 2002): Zu den Vorläufern des Wissensmanagements zählt der ingenieurswissenschaftliche Ansatz, der infolge der Digitalisierung nach wie vor integraler Bestandteil jedes modernen Wissensmanagements ist (Technik). Die bis heute stärkste Fraktion im Wissensmanagement ist der betriebswirtschaftliche Ansatz (z. B. Probst, Raub & Romhardt, 2006) mit Modellen und Methoden zur effizienten Bewirtschaftung von Wissen (Organisation). Dazu kommt der soziologische Ansatz, der sich eher abstrakten Themen wie Wissensgesellschaft, Wissensökonomie und Fragen der Kultur in wissensbasierten Organisationen widmet (z. B. Willke, 2001). Die jüngste Entwicklungslinie im Wissensmanagement ist der psychologische Ansatz, der sich explizit auch mit den mentalen Prozessen des Menschen (z. B. Reinmann & Mandl, 2004) und Ausgangspunkt für das persönliche Wissensmanagement ist (siehe Abschnitt 17.3.1). Die folgende Tabelle (vgl. Reinmann & Mandl, 2009) gibt hierzu einen kursorischen Überblick.

Entwicklungsstrang Ingenieurswissenschaftlich

WissensmanagementKomponente Technik

Betriebswirtschaftlich

Organisation

Soziologisch

Kultur/ Gesellschaft

Psychologisch

Mensch

Tab. 17.1:

Konzepte/Technologien/Themengebiete Daten-/Informations-/Kommunikationsmanagement; Groupware- und Workflow-Systeme; Expertensysteme; Social Software (Blogs, Wikis etc.) u. a. Prozess-/Qualitäts-/Asset-/Ressourcenmanagement; Wissensstrategie/-ziele; Wissenscontrolling; Personalentwicklung u. a. Wertemanagement; Wissensökonomie; Wissensarbeit; organisationales Lernen; Organisationsentwicklung; Systemtheorie; systemische Beratung u. a. Selbst-/Beziehungs-/Lern-/Stressmanagement; Kompetenzentwicklung; lebenslanges Lernen; Lernstrategien u. a. (Ausgangspunkt für persönliches Wissensmanagement)

Verschiedene Facetten des Wissensmanagements

220

17.1.2

17 Wissensmanagement beim Online-Lernen

E-Learning – gibt es Parallelen?

Wenn Information und Kommunikation zunehmend mehr relevante Arbeitstätigkeiten prägen, diese ohne digitalen Technologieeinsatz kaum mehr denkbar sind und Wissensarbeit vom Rand- zum Alltagsphänomen wird, dann ändern sich auch die Anforderungen an die Aus- und Weiterbildung – und zwar in allen Bildungsinstitutionen. Und so kommt es nicht von ungefähr, dass Wissensmanagement und E-Learning mehrere Parallelen aufweisen2. Ähnlich wie beim Wissensmanagement haben wir es auch beim E-Learning nicht mit einer linearen Entwicklung zu tun: Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre stürzten sich die ersten Pioniere in Sachen digitale Medien beim Lernen und Lehren vor allem auf deren Potenziale, Information multimedial zu präsentieren und Interaktionsmöglichkeiten mit technischen Lernsystemen zu ermöglichen. Ende der 1990er Jahre verlagerte sich das Interesse auf die speziellen Netzpotenziale und die Chancen des Computer Supported Collaborative Learning, kurz: CSCL. Die Zeit der großen LearningManagement-Systeme (LMS) begann, die bis heute wichtige administrative Werkzeuge für das ELearning sind. Zusammen mit Selbstlernszenarien dank multimedialer und interaktiver Medienangebote (Phase 1) und Kollaborationsszenarien mit Seminarcharakter mittels CSCL-Systemen (Phase 2) bildeten sie die erste E-Learning-Generation. Vor allem im Unternehmenskontext erhoffte man sich mit dieser Art des E-Learning Kosteneinsparungen und andere Effizienzvorteile, die dann aber aus verschiedenen Gründen – ähnlich wie beim Wissensmanagement – enttäuscht wurden. In Hochschulen gestaltete sich die Geschwindigkeit, in der man versuchte, den technischen Neuerungen nachzukommen, äußerst unterschiedlich. Nach wie vor kann man nicht von einer flächendeckenden Versorgung der Hochschulen mit Lern- und Bildungstechnologien der ersten Generation sprechen (vgl. Reinmann, 2008). Beinahe zeitgleich zum Wissensmanagement war auch beim E-Learning in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends die Talsohle erreicht. Der mehr oder weniger (un-)erwartete Aufschwung begann mit dem „Web 2.0“, das erst seit kurzem die zweite Generation des E-Learning einleitete – also eine Art „ELearning 2.0“, das mit folgenden Zielen aufwartet: An die Stelle großer LMS, die in einer Organisation zentral gesteuert werden und wie „Inseln“ alle zum Lernen erforderlichen Ressourcen bereithalten, sollen persönliche Lernportale treten, die von den Lernenden selbst gestaltet werden und als „Tor“ ins weltweite Netz mit seinen vielfältigen Ressourcen dient (vgl. Kerres & Ojstersek in diesem Band). Die neue Qualität wird vor allem in dem Potenzial gesehen, dass Nutzer etwa mit eigenen Weblogs oder durch Partizipation an Wikis selbst zu Autoren werden, dass das soziale Netzumfeld und der gegenseitige Austausch wichtiger werden und eigene Inhalte von der lokalen Festplatte auf virtuelle Speicher wandern (Alby, 2006). Auch E-Learning ist letztlich ein Schmelztiegel verschiedener Disziplinen (vgl. Klimsa, in diesem Band), in dem sich im Vergleich zum Wissensmanagement zwar andere Gewichtungen, aber vergleichbare Komponenten zeigen: Erst durch den Einsatz digitaler Werkzeuge (Technik) wird Lernen zum E-Learning, das dann mühevoll in organisationale Strukturen und Prozesse eingebettet, legitimiert und finanziert werden muss (Organisation), was nicht selten lange gewachsene Gewohnheiten und

2

Zu den nachfolgenden Stichworten siehe z. B. die Beiträge von Weidemann, Niegemann, Hesse und Igel in diesem Band sowie die Beiträge zum E-Learning in Bildung und Wirtschaft.

17.1 Wissensmanagement und E-Learning

221

Haltungen gegenüber Lernen und Lehren ins Wanken bringt, verändert (Kultur) oder auch nicht. Anders als beim Wissensmanagement fällt es zumindest leichter, die zentrale Bedeutung der Komponente Mensch zu verteidigen sowie psychologische und pädagogische Grundlagen für eine sinnvolle Gestaltung von E-Learning heranzuziehen.

17.1.3

Verknüpfung zwischen Wissensmanagement und E-Learning

Wenn Wissensmanagement und E-Learning in mehrfacher Hinsicht vergleichbare Kennzeichen aufweisen, sollte es nahe liegen, die Zusammenhänge dieser beiden Ansätze aufzugreifen. Theoretische Vorschläge dazu, wie man E-Learning und Wissensmanagement verbinden könnte, gibt es allerdings kaum: Von einem (ontologisch begründeten) Reifeprozess des Wissens in Organisationen geht Schmidt (2005) aus und postuliert fünf Stufen in diesem Prozess: Auf Stufe 1 entstehen neue Ideen durch Einzelne, die allenfalls informell weitergegeben werden, ohne dass man auf einen einheitlichen Sprachgebrauch zurückgreifen kann (z. B. Blogging). Auf Stufe 2 bilden sich Netzgemeinschaften (Communities), die zielgerichtet und auf der Basis eines gemeinsamen Vokabulars virtuell zusammenarbeiten. Erst auf Stufe 3 entstehen strukturierte Dokumente (z. B. Fallstudien, Projektberichte), die einen gewissen Formalisierungsgrad aufweisen, aber noch keine Lernmaterialien im engeren Sinne sind. Auf Stufe 4 werden didaktisch aufbereitete Lernobjekte generiert, die sich für Ad-hoc-Fortbildungen (Micro Learning) eignen. Schließlich entstehen auf Stufe 5 Lernobjekte zur formellen Bildung; erst hier handelt es sich um in sich geschlossene (ausgereifte) Kurse (siehe Abb. 17.2).

Entstehung von Ideen

Bildung von Communities

Abb. 17.2:

Formalisierung

Ad hoc Fortbildung

Formelle Bildung

Der Wissensreifungsprozess (nach Schmidt, 2005)

Bönnighausen und Wilkesmann (2005) skizzieren ein Entwicklungsmodell zur Verbindung von ELearning und Wissensmanagement, indem sie den Prozess vom Novizen zum Experten als eine Bewegung von der Qualifikation zur Kompetenz beschreiben. Dabei steht Qualifikation dafür, dass von außen an Personen Erwartungen herangetragen und formale Bildungsabschlüsse angestrebt werden. Kompetenz dagegen meint die meist informell erworbene Fähigkeit eines Experten, Probleme zu lösen und das eigene Wissen bei Bedarf umzustrukturieren. Dem Modell zufolge brauchen Novizen zunächst Qualifikationen, wozu klare Anleitungen und regelgebundenes Wissen notwendig sind; dies solle und könne E-Learning leisten. Kompetenzen dagegen entwickeln sich, wenn sich Menschen eigenverantwortlich mit ihrem Umfeld auseinandersetzen. Hier ist Lernen eher informell; statt um regelgebundenes Wissen geht es dem Experten mehr um praktisches Transferwissen – wie im Wissensmanagement. Der Weg vom E-Learning zum Wissensmanagement entspricht also dem Weg vom Novizen zum Experten bzw. vom formalen zum informellen Lernen oder von der Qualifikation zur Kompetenz (siehe Abb. 17.3).

222

17 Wissensmanagement beim Online-Lernen

Wissenserwerb

Wissensart

Lernform

Experte

informell

Praktisches Transferwissen

Wissensmanagement (Know How)

Novize

formal

Regelgebundenes Wissen

E-Learning (Know That)

Abb. 17.3:

Vom Novizen zum Experten (nach Bönninghausen & Wilkesmann, 2005)

Beide Modelle zur Verbindung von E-Learning und Wissensmanagement bewerten direkt oder indirekt verschiedene Grade von Wissensexplizierung und -aufbereitung – und zwar in gegenläufiger Richtung: Während im Wissensreifungsprozess möglichst gut formalisierte Lernobjekte und damit E-Learning und formale Bildung die Ziele sind, werden im Entwicklungsmodell vom Novizen zum Experten Wissensmanagement und informelle Kompetenzentwicklung angestrebt. Dies könnte allerdings damit zu tun haben, dass beide Modelle unterschiedliche Perspektiven einnehmen: Das Wissensreifungsmodell betrachtet die Verbindung von E-Learning und Wissensmanagement aus einer organisationalen Perspektive (siehe Abschnitt 17.2), das Expertise-Entwicklungsmodell dagegen aus einer individuellen (siehe Abschnitt 17.3).

17.2

Die organisationale Perspektive: Organisation von E-Learning mit Wissensmanagement

Aus der organisationalen Perspektive kann Wissensmanagement eine Möglichkeit sein, Wissen und Erfahrungen bei der Planung und Durchführung von E-Learning systematischer aufzubauen und festzuhalten, für weitere Vorhaben fruchtbar zu machen, Erfolge nachhaltig zu verankern und auf diesem Wege die gesamte Organisation von E-Learning zu professionalisieren. E-Learning ist aus dieser Perspektive Gegenstand des Wissensmanagements. Ob sich gängige Wissensmanagementmodelle hierfür eignen, soll im Folgenden exemplarisch anhand der beiden verbreitetsten Modelle diskutiert werden.

17.2 Die organisationale Perspektive: Organisation von E-Learning mit Wissensmanagement

17.2.1

223

Die Wissensspirale: E-Learning-Wissen explizieren

Die Wissensspirale von Nonaka und Takeuchi (1997) gehört zu den bekanntesten Modellen des Wissensmanagements, die u. a. einen theoretischen Anspruch verfolgen. Das Modell fokussiert die Wissensschaffung und geht dabei von zwei Dimensionen aus: einer ontologischen Dimension, auf der Individuen, Gruppen und Organisationen als mögliche Quellen neuen Wissens ausgemacht werden, und einer epistemologischen Dimension, auf der das explizite vom impliziten Wissen unterschieden wird. Die Bezeichnungen „implizit“ und „explizit“ bilden die Pole eines Kontinuums, das von „stillem Wissen“ über primär nicht bewusst zugänglichem Wissen bis zu bewusstem und artikulierbarem Wissen reicht. Sowohl diese Wissensformen als auch das Kontinuum wird vielfältig und kontrovers diskutiert (z. B. Seiler & Reinmann, 2004; Schreyögg & Geiger, 2005). Die Wissensspirale allerdings kürzt diese Diskussion ab und geht vereinfacht von vier möglichen Kombinationen impliziten und expliziten Wissens aus. Demnach sind Transformationen möglich: • • • •

von implizitem zu implizitem Wissen über Beobachten, Imitieren und Sammeln von Erfahrungen in der sozialen Interaktion (Sozialisation), von implizitem zu explizitem Wissen durch Artikulieren des Beobachteten, Gedachten oder Erkannten (Externalisierung), von explizitem zu explizitem Wissen, indem man es mittels Technologien zueinander in Beziehung setzt und miteinander verknüpft (Kombination), von explizitem zu implizitem Wissen infolge von Informationsaufnahme, Verstehen und Lernen aus primären und medienvermittelten Erfahrungen (Internalisierung). Epistemologische Dimension Kombination

Externalisierung

Explizites Wissen

Implizites Wissen

Sozialisation Individuum Abb. 17.4:

Internalisierung Gruppe

Ontologische Dimension

Organisation

Wissensspirale (nach Nonaka & Takeuchi, 1997, S. 87)

Der entscheidende Prozess zur Wissensschaffung in einer Organisation besteht laut Nonaka und Takeuchi (1997) darin, dass Wissen externalisiert und individuelles (personengebundenes) Wissen konti-

224

17 Wissensmanagement beim Online-Lernen

nuierlich in kollektives (allgemein zugängliches) Wissen transformiert wird und auf diesem Wege eine Wissensspirale (siehe Abb. 17.4) in Gang kommt. Wie kann einem nun die Wissensspirale beim E-Learning helfen? Eine explizite Anwendung der Wissensspirale auf die Weiterentwicklung eines studentischen Videoportals als E-Learning-Beitrag an der Hochschule findet sich beispielsweise bei Sporer (2007): Die studentische Zusammenarbeit (Sozialisation), die dabei stattfindende Dokumentation und Erstellung von Medienprodukten (Externalisierung), deren Bündelung auf einem Portal (Kombination) und das dadurch mögliche Erfahrungslernen der Gruppenmitglieder (Internalisierung) werden vor dem Hintergrund der Wissensspirale beschrieben und interpretiert. An der ETH Zürich wird versucht, Wissen und Erfahrungen aus E-Learning-Projekten systematisch zu dekontextualisieren, als Roadmap zu kodifizieren und Hochschullehrende darin zu unterstützen, diese Roadmap als Hilfsmittel heranzuziehen (Troitzsch, Clases, Sengstag & Miller, 2007). Auch hier ist ein deutlicher Bezug zur Wissensspirale zu erkennen. Gemeinsam ist bei den Bemühungen der Versuch, den Erfolg von E-Learning von Pionieren unabhängiger zu machen und dafür zu sorgen, dass das zur Entwicklung und Implementierung erforderliche Wissen auch von anderen genutzt wird.

17.2.2

Bausteine des Wissensmanagements: E-Learning managen Wissensziele

Wissensidentifikation

Feedback

Wissensbewertung

Wissensbewahrung

Wissensnutzung

Wissenserwerb

Wissensentwicklung

Abb. 17.5:

Wissens(ver)teilung

Baustein-Modell (nach Probst et al., 2006, S. 32)

17.2 Die organisationale Perspektive: Organisation von E-Learning mit Wissensmanagement

225

Das Modell „Bausteine des Wissensmanagements“ von Probst und Mitarbeitern wurde ebenfalls Mitte der 1990er Jahre entwickelt (Probst et al., 20063). Kernannahme des (seit seinen Anfängen weitgehend unverändert gebliebenen) Modells ist, dass Wissensmanagement auf Veränderungsprozesse der organisationalen Wissensbasis gestaltend und lenkend Einfluss nehmen soll (Probst et al., 2006, S. 33). Die operativen Bausteine des Wissensmanagements, nämlich Wissensidentifikation, Wissenserwerb, Wissensentwicklung, Wissens(ver)teilung, Wissensnutzung und Wissensbewahrung, liefern Ansatzpunkte für Analysen und Interventionen und werden als die sechs Kernprozesse des Wissensmanagements bezeichnet. Eingebettet werden diese in den Managementkreislauf bestehend aus den beiden strategischen Bausteinen „Wissensziele“ und „Wissensbewertung“ (siehe Abb. 17.5). Das Baustein-Modell erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit, weil es plausibel ist und eine gute Orientierung über mögliche Probleme wie auch Anker zum Handeln liefert. Vor diesem Hintergrund kann das Modell auch für die Organisation von E-Learning pragmatische Impulse liefern. Die folgende Tabelle listet exemplarisch (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Herausforderungen im Kontext des ELearning auf und ordnet sie den fünf Bausteinen des Wissensmanagements zu. Dabei kann man akzentuierend klassische Management-Aufgaben bei E-Learning-Angeboten in einer Institution (E-Learning 1.0) von solchen Aufgaben unterscheiden, die sich derzeit im Zuge aktueller Web 2.0-Anwendungen entwickeln (E-Learning 2.04).

Wissensidentifikation Wissenserwerb

Wissensentwicklung Wissens(ver)teilung Wissensnutzung

Tab. 17.2:

E-Learning 1.0 Transparenz im E-Learning-Angebot einer Institution schaffen; Gelbe Seiten von Experten für E-Learning pflegen LMS, CMS oder neue technische Tools für E-Learning anschaffen; sich Know-how im E-Learning durch neue Mitarbeiter holen E-Learning-Angebote evaluieren und die Ergebnisse systematisch dokumentieren; zentrale Qualitätsmanagementsysteme aufbauen Best Practice-Datenbanken mit ELearning-Projekten einrichten; Newsletter über E-Learning-Ergebnisse gestalten E-Learning in organisationale Strategien und Curricula integrieren; klassische Innovationsmanagementsysteme aufbauen

E-Learning 2.0 Freie Bildungsressourcen finden, systematisieren und zugänglich machen; qualitativ gute Inhalte über Nutzerbewertungen kennzeichnen Experten-Blogs abonnieren und regelmäßig „auswerten“; FachCommunities nutzen, um an aktuelles Wissen zu kommen Wikis implementieren und Probleme durch kollaboratives Schreiben lösen; Open Innovation-Projekte durchführen und Nutzer einbinden Blogs über E-Learning-Projekte und Erfahrungen führen und Kommentierungsmöglichkeiten zulassen; Marktplatz für Lernobjekte eröffnen Veränderungen von E-Learning durch Nutzer im Prozess ermöglichen; Handlungsnähe durch interaktive Videotechnologien forcieren

Organisation von E-Learning unter Nutzung des Baustein-Modells

3

Die erste Auflage des Buches erschien 1997.

4

Die Bezeichnungen E-Learning 1.0 und E-Learning 2.0 dienen hier ausschließlich der raschen und vereinfachten Kennzeichnung verschiedener Auffassungen, Trends und Strategien in der Nutzung digitaler Technologien im Bildungsbereich (nähere Informationen u. a. bei Reinmann, 2008).

226

17.3

17 Wissensmanagement beim Online-Lernen

Die individuelle Perspektive: Persönliches Wissensmanagement beim E-Learning

E-Learning kann also zum einen Gegenstand von Wissensmanagementmaßnahmen sein. Dabei aber sind es primär nicht die Lernenden selbst, die Wissensmanagement nutzen, sondern deren Macher, auch wenn sich diese Trennung unter der Perspektive des E-Learning 2.0 gar nicht mehr in dieser Form aufrecht erhalten lässt. Genau diese sich aufweichende Grenze kann man nun heranziehen, um der Frage nachzugehen, unter welchen Bedingungen der Lernende beim E-Learning vom Gedankengut des Wissensmanagements profitieren kann. Eine Antwort auf diese Frage ist nur über den Weg der Komponente Mensch beim Wissensmanagement (vgl. Tabelle 17.1) und somit über das persönliche Wissensmanagement möglich.

17.3.1

E-Learning als persönliches Wissensmanagement

Auch hinter dem persönlichen Wissensmanagement steckt ein vielfältiges Bündel von Konzepten, Methoden und Werkzeugen, die dem Einzelnen dazu dienen sollen, systematisch auf Information und Wissen zuzugreifen, handlungsrelevante Informationen auszuwählen, zu reflektieren, in das eigene Wissen zu integrieren und das persönliche Wissen weiterzuentwickeln (Probst, Deussen, Eppler & Raub, 2000; Röll, 2006). Metawissen, Lernstrategien und Problemlösekompetenz gehören zu den Voraussetzungen für persönliches Wissensmanagement; entsprechend wichtig sind die Erkenntnisse, welche die Metakognitions-, die Lern- und die Problemlöseforschung liefern (z. B. Mandl & Friedrich, 2006). Ein aktueller Modellvorschlag geht davon aus, dass eine Reihe grundlegender Unterscheidungen dabei hilft, sich im persönlichen Wissensmanagement zu orientieren (Reinmann & Eppler, 2008). Eine erste Unterscheidung ist die zwischen Innen und Außen im persönlichen Erleben der Person (Seiler, 2008). Forschungen zur Frage, wie wir unser Selbst konstruieren, zeigen (Krampen, 2002): Es ist für den Menschen essenziell, zwischen dem Ich (Innen) und den Anderen/Gegenständen (Außen) zu unterscheiden und sich gleichzeitig mit der Umwelt aktiv auseinanderzusetzen, was auch für das Lernen in virtuellen Umgebungen gilt. Die Wissensumwelt besteht einerseits aus Personen (Wissensträgern bzw. Subjekten), beim E-Learning aus Lehrenden, Tutoren, Mitlernenden oder Experten, und andererseits aus Gegen-ständen (Wissensobjekten bzw. Artefakten), beim E-Learning aus digitalen Lernobjekten aller Art. Die Aktivität der Person in Interaktion mit der Umwelt ist entweder rezeptiv, z. B. wenn sie digitale Dokumente recherchiert, einen Podcast anhört oder sich im Chat von einem Mitlernenden berichten lässt; oder sie ist produktiv, z. B. wenn sie einen Blog-Eintrag verfasst, in einem Wiki arbeitet oder vor der Webcam ein Referat hält. Dazu kommen verschiedene mentale Basisprinzipien, die die Grundlage dafür bilden, dass eine Person zu all diesen Austauschprozessen in der Lage ist (siehe Abb. 17.6).

17.3 Die individuelle Perspektive: Persönliches Wissensmanagement beim E-Learning

Abb. 17.6:

227

Modell zum persönlichen Wissensmanagement (Reinmann & Eppler, 2008)

Mit den Unterscheidungen und Begriffen in diesem Modell lassen sich verschiedene Formen des Umgangs mit Wissen beschreiben, wie sie in Arbeitssituationen auftreten, vor allem wenn der Anteil an Wissensarbeit steigt (vgl. Abschnitt 1.1). Genauso gut aber lassen sich damit auch individuelle Prozesse in E-Learning-Umgebungen nachzeichnen. Doch wozu?

17.3.2

Wissensmanagement als Brücke zum „Sowohl-alsAuch“

Auch wenn man inzwischen eine erste Generation des E-Learning (zentral organisierte OnlineAngebote in Bildungsinstitutionen) von einer zweiten Generation (selbstorganisiertes, partizipatives Lernen in technisch offenen Systemen) unterscheiden kann (vgl. Abschnitt 17.1.2), so heißt das nicht, dass nun ein wie auch immer geartetes E-Learning 2.0 das oft noch gar nicht flächendeckend etablierte E-Learning 1.0 ablöst. Vielmehr kommt es immer mehr zu „Sowohl-als-auch“-Strukturen in der ELearning-Landschaft. Das heißt: Studierende und Auszubildende wie auch erwerbstätige Erwachsene beteiligen sich an formalen E-Learning-Angeboten, loggen sich in LMS ein und lassen sich von TeleDozenten instruieren (E-Learning 1.0). Gleichzeitig nutzen sie freie Bildungsressourcen, beteiligen sich an virtuellen Communities und stellen sich mit einfachen Werkzeugen selbst eine virtuelle Lernumgebungen zusammen (E-Learning 2.0). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesen beiden ELearning-Varianten verläuft in weiten Teilen getrennt voneinander, mitunter auch in verschiedenen Disziplinen und Fachrichtungen, was den derzeit stattfindenden Entgrenzungsprozessen gerade nicht gerecht wird. Der hier vorgestellte Ansatz des persönlichen Wissensmanagements stellt die Person und ihren Umgang mit dem eigenen Wissen und dem, das die Umwelt bietet, ins Zentrum des Interesses: Über diese Personenzentriertheit besteht die Chance, formale und informelle, zentral koordinierte und selbstorga-

228

17 Wissensmanagement beim Online-Lernen

nisierte, technologisch geschlossene und offene E-Learning-Szenarien als gleichwertige Optionen unter dem Gesichtspunkt des Nutzens für die individuelle Kompetenzentwicklung zu sehen. Nicht nur im organisationalen Wissensmanagement steckt folglich ein integratives Potenzial, das grundsätzlich den Mehrwert des Wissensmanagement-Ansatzes ausmacht. Mit anderen Worten: Weder beim organisationalen noch beim persönlichen Wissensmanagement sind es neue Phänomene, Prozesse oder Methoden per se, sondern die konsequente Wissensperspektive (Wissen als personale oder öffentliche Ressource), die neu ist und den Anker dafür bietet, verschiedene (teilweise in unterschiedlichen Disziplinen verankerte) Phänomene aufeinander zu beziehen.

18

Organisation des Online-Lernens

Thomas Köhler, Jörg Neumann & Volker Saupe

Die Organisation des Online-Lernens stellt die Schnittmenge unterschiedlicher Begründungs- und Entwicklungszusammenhänge dar – aus Organisationslehre, Bildungswissenschaft und Medieninformatik – und ist damit nicht konfliktfrei. Der genaueren Lagebestimmung soll an dieser Stelle ein kurzer Exkurs in relevante Organisationstheorien dienen, um so in abstrahierter Form eine Modellierung der Integration von Technologien des Online-Lernens in die akademische Bildung vornehmen und relevante Merkmale herausarbeiten zu können. Beispielhaft wird diese Modellierung anhand der in der deutschen Hochschullandschaft unter dem Begriff der Bildungsportale etablierten Szenarien vertieft. Insgesamt ist der Fokus des Beitrags primär organisationstheoretisch. Schlüsselbegriffe: Bildungsportal, E-Learning, Informations Broker, Lern-Management-System, Medienintegration, Netzwerk, Organisationstheorie, Virtualisierung, Virtuelle Organisation

230

18 Organisation des Online-Lernens

18.1

Medienintegration als Organisationsentwicklung?

Die so genannten neuen Medien, namentlich das Online-Lernen5, haben seit einiger Zeit auch die akademische Ausbildung erreicht, wie im vorliegenden Sammelband im Detail beschrieben wird. Nach einer Reihe zaghafter, eher experimenteller Versuche geht es jetzt um die Integration dieser Technologien mit dem Ziel der Unterstützung aller mit dem Lehrbetrieb verbundenen Prozesse, von der Verwaltung der Studierenden bis hin zum Unterricht selbst. Die Visionen über die Zukunft der Lehre sind dabei sehr unterschiedlich, aus früheren Ängsten ist mittlerweile ein gewisser Respekt für die Dimension der Veränderung hervorgegangen. Durch welche Merkmale zeichnet sich die Situation hinsichtlich der Mediennutzung und -integration in der akademischen Lehre an deutschen Hochschulen aktuell aus? Geht es nach dem Expertenkreis „Hochschulentwicklung durch neue Medien“, so können wir folgendes festhalten:       

die Lehrangebote weltweit agierender Bildungsanbieter sind online zugänglich Studierende nutzen die Möglichkeiten des globalen Bildungsmarktes die klassischen Hochschulen befinden sich in Konkurrenz mit privaten Anbietern, insbesondere mit Corporate Universities um in dieser Konkurrenzsituation bestehen zu können, haben sich Hochschulen in Netzwerken zusammengeschlossen und bieten ein gemeinsames Lernangebot an Universitäten vereinigen ihr klassisches Fächerangebot unter dem Dach einer Virtuellen Universität die Betreuung der Studierenden erfolgt durch Moderatoren und Tutoren, weniger durch klassische Hochschullehrer mehr als 50 % der Studierenden studiert online.

Allerdings handelt es sich hier um eine Prognose aus dem Jahr 1999, die (bisher) an den deutschen Hochschulen nicht oder nur in Ansätzen eingetreten ist. Dennoch kommt das Centrum für Hochschulentwicklung (Hener & Buch, 2006) in seinem Evaluationsbericht zur Initiative des sächsischen Landesprojektes „Bildungsportal Sachsen“ zu dem Schluss, dass „Im Hochschulalltag […] Formen der Nutzung digitaler Medien in Studium und Lehre und der Integration auf Informationstechnologie gestützter administrativer Dienste inzwischen weitgehend etabliert [sind]. Fragen der Zukunft werden vor allem in der Verzahnung unterschiedlicher Dienste gesehen.“

5

Der Begriff des Online-Lernens ist bereits an anderer Stelle dieses Bandes eingeführt. Eine wesentliche Unterscheidung zum Begriff des E-Learning existiert nach Auffassung der Autoren des vorliegenden Beitrages nicht.

18.2 Virtualisierung von Bildung

18.2

231

Virtualisierung von Bildung

Die akademische Forschung setzt sich seit vielen Jahren mit der Nutzug von internetbasierter Technologie für die Lehre auseinander (vgl. z. B. Lievrouw et al., 2000; Issing & Klimsa, 2003). Stand am Anfang ein eher didaktischer Anspruch („Unterrichtstechnik“), so konnte man zunehmend ein Interesse an der Nutzung der medialen Möglichkeiten für die Gestaltung („Multimedia“) beobachten, welches schließlich und erst seit jüngerer Zeit durch eine Hinwendung zu den organisationalen Rahmungen, sprich einer klassischen Managementperspektive, erweitert wurde. Zur Beschreibung wesentlicher Merkmale von und zentraler Erwartungen an Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und Multimedia und zur Dokumentation der Veränderung wird der Begriff der Virtualisierung zunehmend häufiger genutzt. Was verbirgt sich konkret dahinter? Merkmale der Virtualisierung von Bildung können z. B. sein:      

Studierende treffen ihren Seminarleiter nicht mehr persönlich Dozenten leihen kein Buch mehr aus Eltern melden ihr Kind nicht mehr persönlich für die Schule an, nutzen vielmehr eine OnlineAnmeldung Wissenschaftler reichen ihren Konferenzabstrakt über ein Internetportal ein und ggf. ebenfalls ihr Fachgutachten zu einem anderen Beitrag Leiter von Forschungsprojekten haben ihre aktuellen Forschungspartner in einer Datenbank identifiziert – ohne diese zuvor jemals persönlich getroffen zu haben eine Hochschule kooperiert mit einer Virtuellen Akademie des Bundeslandes, wobei die im lokalen Lern-Management-System abgelegten Inhalte durch die Studierenden anderer Hochschulen nutzbar sind.

Eine derart weit reichende Veränderung unserer Bildungslandschaft hat sich innerhalb von weniger als 10 Jahren etabliert bzw. ist dabei, zu einem Standard zu werden. Allerdings ist die Akzeptanz seitens des Lehrpersonals gerade an den Hochschulen eher gering – so streikten in Toronto bereits 1997 Professorinnen und Professoren und erreichten, ihre Lehrveranstaltungen weiterhin offline halten zu können! Auch in der 2004 durch das Centro Nacional de Estadística, Geografía e Informática México (INEGI, 2004) veröffentlichten Studie wird von 70 % der Professoren in Mexiko berichtet, die gegen die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien in der Bildung protestierten. Hauptgrund für die Ablehnung ist die Form der Darstellung der Lehrinhalte bei der Nutzung von IKT. Diese führe – so die vorherrschende Meinung – dazu, dass man die Seminarräume und Hörsäle sehr unpersönlich gestaltet und so die Studenten eventuell ihre Kommunikation und den persönlichen Kontakt untereinander verlieren. Die Befragten sind weiterhin der Meinung, dass der Prozess der Bildung nur noch durch Kommunikation zwischen Daten und nicht mehr durch Kommunikation zwischen Personen stattfinde und halten die Nutzung von IKT in der Bildung nur für einen Trend, sehen darin nicht ein neues akademisches Format, das alternativ bzw. ergänzend zum Präsenzunterricht eingesetzt werden kann. Allerdings gibt es auch andere Meinungen in Mexiko. So ist in den der Mediennutzung nahestehenden Fachbereichen eine starke Verbreitung des Online-Lernens zu beobachten, es wird häufig und umfassend über Themen wie künstliche Intelligenz, Telemedizin und Fernlernen gesprochen, der so genannte Cyberspace wird sogar als eine neue Chance für die Verbesserung der universitären Lehre gesehen. Aus der Bundesrepublik Deutschland sind solche deutlich negativen Äußerungen nicht bekannt, jedoch legen aktuelle Studien auch hier ein vornehm als Zurückhaltung zu beschreiben-

232

18 Organisation des Online-Lernens

des Verhalten des Hochschulpersonals nahe – wie sonst ist eine Äußerung „man muss gute Didaktik betreiben […] und da gehört dieser ganze Computerquatsch dazu“ einer Hochschullehrerin aus dem Bereich der Bildungswissenschaften zu erklären (vgl. Misoch & Köhler, 2005)? Als erstes Fazit lässt sich festhalten, dass sich (akademische) Bildung in der Tat durch den Einfluss der Informations- und Kommunikationstechnologien verändert. Wie die oben zur Illustration angeführten Beispiele zeigen, ist diese Veränderung nicht auf den Unterricht, d. h. das Lehren und Lernen, beschränkt. Damit stellt sich die Frage, was wir exakt unter der Virtualisierung von Bildung verstehen. Landfried, seinerzeit Präsident der Hochschulrektorenkonferenz, hat bereits 1999 definiert, dass es einerseits um den grenzenlosen Zugriff auf Wissensbestände unabhängig von Raum und Zeit geht, wobei andererseits das Wissen von real bestehenden Institutionen und vor allem Personen abgelöst wird. Was ist mit dieser zweifachen Ablösung gemeint? Um dies beantworten zu können, gilt es zu analysieren, was virtualisiert wird – da die Virtualisierung von Bildung sich offenbar nicht nur auf die Lerngegenstände bezieht. In der Tat können wir beobachten, dass sowohl die Beziehungen (mikro- und makro-soziale, aber auch die zu zwischen Lerner und Lernobjekt) als auch die Lern- oder Wissensgegenstände („Wissen als virtueller Bestand“) virtualisiert werden können, mitunter beides gleichzeitig zutreffend ist. Offenbar kann durch diese zweifache Virtualisierung die Organisation des OnlineLernens in neuer Weise erfolgen. Welchen Beitrag aber können klassische und neuere Organisationstheorien zu einer weitergehenden Erklärung liefern?

18.3

Organisationstheorien im Wandel

Die moderne Organisationstheorie unterscheidet sich in dem Maße von klassischer und neoklassischer Theorie, als dass sie eine alleinig zeitliche Dimension zur Abgrenzung darstellt und keinen geschlossenen Denkansatz. Alle Ansätze die nach 1945 entwickelt wurden, und keine Fortschreibung der ersteren beiden Theorienansätze darstellen, fallen unter die moderne Organisationstheorie (vgl. Schreyögg, 1999, S. 30f.).

18.3.1

Die klassische Organisationstheorie

Anfänge der Organisationstheorien gründen sich vor allem auf den Lehren von Max Weber (18641920), Henri Fayol (1841-1925) und Frederick W. Taylor (1856-1915) – bezeichnet als klassische Organisationstheorie – und damit verbunden auf den Bürokratieansatz, den administrativen Ansatz und den arbeitswissenschaftlichen Ansatz. Während Fayol und Taylor auf die Optimierung von Organisationen abzielen, strebt Weber vor allem mit seinem Werk „Wirtschaft und Gesellschaft“ die Erklärung des Funktionierens großer Organisationen Anfang des 20. Jahrhunderts an. Wie gelingt es, das individuelle Handeln Vieler zu einem einzigen Handeln zu verbinden? Dazu bedient sich Weber des Begriffs der Herrschaft, aber auch dessen der Macht6, welche zentrale Bestandteile und Grundlage seiner Erklärungen der bürokratischen Organisation sind.

6

Macht definiert Weber als „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel, worauf diese Chance beruht.“ (vgl. Weber, 1958, S. 28).

18.3 Organisationstheorien im Wandel

233

Im administrativen Ansatz von Fayol wird der Führungsprozess einer zentralen Betrachtung unterzogen. Die 5 „éléments d’administration“, die er unterscheidet, beziehen sich auf die Planung, die Organisation, den Befehl, die Koordination und die Kontrolle. Planung ist hierbei gleichbedeutend mit Zukunftsprognose und Vorbereitung auf die Zukunft. „Organisieren wird gleichgestellt mit dem Entwurf und der Realisierung einer allgemeinen Organisationsstruktur“ (Schreyögg, 1999, S. 36). Auch Fayol verwendet das Maschinenbild für die Organisation, die alle Anweisungen der Führung in vorhersagbarer Weise erledigt. Die dritte Säule der klassischen Organisationstheorie bildet der (oft negativ besetzte) Taylorismus. Taylor strebte vor allem eine rationale Arbeitsteilung und die Optimierung des Arbeitsvollzugs an. Im Kern seiner Methodik stand die Zergliederung der Arbeit in kleinste Teilverrichtungen mit dem Ziel einer hohen Spezialisierung der Arbeit. Erstes Grundprinzip war dabei die Trennung von Kopf- und Handarbeit. Die von Taylor, Gilbreth und Gantt entwickelten Zeit- und Bewegungsstudien fokussierten auf die Analyse Arbeitsvorgänge und bildeten so den zweiten wesentlichen Teil seines Ansatzes.

18.3.2

Die neoklassische Organisationstheorie

Im Gegensatz zu den klassischen Ansätzen orientieren sich die neoklassischen Ansätze an den zwischenmenschlichen Beziehungen sowie der Beziehung zwischen eingesetzten und erbrachten Leistungen als bedeutenden Faktoren. Die zwischenmenschlichen Beziehungen sind Kern des HumanRelations-Ansatzes der sich aus den Hawthorne-Experimenten7 entwickelte. Ausgehend von einer arbeitswissenschaftlichen Fragestellung zum Einfluss der Arbeitsbedingungen auf die Produktivität erhielt man paradoxe Ergebnisse der Versuchs- und Kontrollgruppe. Weitere Experimente führten die Forscher um E. Mayo zu dem Schluss, dass die Gründe für die beobachteten Produktivitätssteigerungen im sozio-emotionalen Bereich liegen. Damit würden, im Gegensatz zur klassischen Sichtweise, die emotionalen Faktoren keine Störgröße, sondern ein Produktivitätsfaktor sein. Anschließende qualitative Untersuchungen (Interviews und teilnehmende Beobachtungen) kennzeichneten die Bedeutung informeller Gruppenbeziehungen und bilden die Grundlage heutiger moderner Teamorganisation (vgl. Schreyögg, 1999, S. 45ff.). Eine zweite Facette der neoklassischen Organisationstheorie ist die Anreiz-Beitrags-Theorie von Chester I. Barnard (1886-1961). Ausgehend davon, dass eine Organisation in einem Gleichgewichtszustand zu halten ist, der unter anderem in einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Anreizen und Beiträgen besteht, kennzeichnet Barnard erstmalig den Umweltbezug als Problem der Organisationsgestaltung. Barnard interpretiert Organisationen in ihrer Allgemeinheit als kooperative Systeme (vgl. Schreyögg, 1999, S. 48), d. h. zwei oder mehrere Individuen (Mitglieder der Organisation) wirken an einem Kooperationsverbund mit, welcher existenziell für das Überleben der Organisation ist. Anreize werden dabei von der Organisation im Rahmen von Effizienz- und Effektivitätsüberlegungen gesetzt. Effektiv ist eine Organisation dann, wenn sie die richtigen Mittel zur Erreichung des Organisationszwecks einsetzt, effizient, wenn sie es schafft, die Ziele der Organisationsmitglieder zu erreichen und die Anreize zu setzen, damit die erforderlichen Beiträge geleistet werden. Beispielhaft wäre an dieser Stelle 7

Mit den Hawthorne-Experimenten ist der methodische Wandel in der Organisationsforschung verbunden. Die Wissenschaftler setzten unstandardisierte Interviews ein, um Authentizität und Relevanz der Ergebnisse zu erhöhen (vgl. Strodtholz & Kühl, 2002).

234

18 Organisation des Online-Lernens

die monetäre Entlohnung erwähnt. Effektiv ist die Unternehmung, wenn die monetäre Entlohnung der Angestellten das richtige Mittel ist, um deren „Loyalität“ zu gewinnen. Effizient ist die Unternehmung, wenn die richtige Höhe der Entlohnung gefunden wird, bei der die Angestellten alles Nötige tun, damit die Unternehmensziele erreicht werden8. Diese Art von Anreiz-Beitrags-Gedanken schafft einen neuen Blick auf die Systemzugehörigkeit, denn das Gleichgewicht einer Organisation hängt nunmehr nicht nur mit den Arbeitnehmern, sondern auch mit der umgebenden Umwelt zusammen (zum Beispiel dem Verhältnis zur Zulieferindustrie, Shareholdern usw.). Der dritte wesentliche Teil Barnards Arbeit besteht im Konzept der „Indifferenzzone“. Dabei geht es um die Akzeptanz von Autorität. Bei Weber niemals in Frage gestellt, haben die Organisationsmitglieder bei Barnard eine gewisse Reizschwelle, bis zu welcher sie den Anweisungen mit einem gewissen Selbstverständnis folgen. Alles, was darüber hinaus geht, führt zu einer Störung des Gleichgewichtes und zu einem Abbruch der Beitragserbringung.

18.3.3

Moderne Organisationstheorien

Zweifellos bedienen sich moderne Theorien klassischer als auch neoklassischer Ansätze und bauen teils auf ihnen auf. Der Human-Ressourcen-Ansatz beispielsweise ist eine Weiterentwicklung des Human-Relations-Ansatzes und der strukturalistische Ansatz, bedient sich Webers Erkenntnissen aus dem Bürokratie-Ansatz. Der Human-Ressourcen-Ansatz unterscheidet sich in einem wesentlichen Detail vom Human-Relations-Ansatz – in der Rolle der Organisationsstruktur. Während im HumanRelations-Ansatz die Organisationsstruktur noch als unantastbar galt, steht sie im Human-RessourcenAnsatz sehr wohl zur Debatte. Eine Organisation kann dabei nur dann effektiv und effizient im Barnard’schen Sinne sein, wenn Organisationsmodelle entwickelt werden, „die den menschlichen Bedürfnissen besser angepasst sind und eine wirtschaftlichere Nutzung der Human-Ressourcen erlauben“ (Schreyögg, 1999, S. 53). Ziel ist es demnach, das Streben des Menschen nach Selbstverwirklichung an den Arbeitsplatz zu bringen und dabei das Zusammenspiel der daraus folgenden individuellen Bedürfnisse und der Zielerreichung der Organisation zu ermöglichen. Argyris, McGregor und Likert führen diesen Forschungszweig an. Likert setzt sich dabei noch stärker mit der Organisationsentwicklung und den daraus folgenden Problemen, u. a. der Angst der Organisationsmitglieder vor dem Neuen, auseinander. Der strukturalistische Ansatz steht im engen Zusammenhang mit Webers klassischem BürokratieAnsatz. Dieser versucht Organisationsstrukturen mit Hilfe empirischer Instrumente zu erfassen und Unterschiede zu erklären. Ausgangspunkt war dabei Webers Idealtypus der Bürokratie der in verschiedene Beschreibungsskalen operationalisiert wurde, um einzelne Merkmale messen zu können. Die Merkmale, die Weber für eine bürokratische Organisation definierte, wurden ferner aus unterschiedlichen Dimensionen interpretiert und nicht mehr als festes Gebilde, so dass unterschiedliche Strukturen differenziert werden konnten. Die von Hall durchgeführte Studie (Hall, 1963) unterschied beispielsweise die Dimensionen Autoritätshierarchie, Arbeitsteilung, Verfahrensweisen, Unpersönlichkeit, fachliche Qualifikation und Regeln. Pugh, Hickson und Hinings (1969) waren in Folge dessen damit be8

Bekommen sie zu wenig, werden sie nicht mehr arbeiten, als unbedingt nötig, und ab einer gewissen Höhe bringt jede weitere Entlohnung nur noch eine geringe Steigerung der Arbeitsleistung (eine Art Grenznutzenfunktion).

18.3 Organisationstheorien im Wandel

235

schäftigt, ein Instrument zu entwickeln, welches Organisationen einheitlich beschreibt und die Unterschiede in der Organisationsgestaltung erkennbar macht. Sie gingen dabei von 5 Strukturdimensionen aus, um die Organisationen näher zu beschreiben (vgl. Schreyögg, 1999, S. 57). Die daraus folgenden Erkenntnisse führten zu sieben Organisationstypen, die von „voll ausgeprägter Bürokratie“ bis hin zu „implizit strukturierten Organisationen“ reichen (vgl. Pugh, Hickson und Hinings, 1969, S. 115f.). Es folgten weitere Entwicklungen und damit neue Forschungsrichtungen, die hier nur namentlich erwähnt sein sollen: die Kontingenztheorie, die Umwelt-Schule, die Technik-Schule9, die Entscheidungsprozessanalyse und der Institutionalistische Ansatz (vgl. Schreyögg, 1999, S. 59ff.). Der Entscheidungstheoretische Ansatz ist bedeutend weniger in den klassischen oder neoklassischen Theorien verwurzelt, als die eben beschriebenen Ansätze der Human-Ressourcen und des Strukturalismus. Im Wesentlichen zerfällt, so beschreibt es Schreyögg, der Ansatz in zwei unterschiedliche Teilbereiche, die abgesehen von der Entscheidungsorientierung und der Rationalität der Entscheidungen keine Schnittmengen haben. Der eine Forschungszweig strebt die Optimierung der Gestaltungsentscheidungen durch quantitative Methoden an, während der zweite Forschungszweig das Entscheidungsverhalten von Individuen bzw. Gruppen in Organisationen untersucht (vgl. Schreyögg, 1999, S. 67). Die zugrunde liegenden Theorieansätze sind die empirische Theorie der organisatorischen Entscheidung (Staehle, 1999, S. 518ff.), entscheidungslogisch-mathematische Ansätze (Schreyögg, 1999, S. 70) sowie die neue Institutionenökonomie, bezeichnet als mikroökonomische Organisationsanalyse (vgl. Edeling et al., 1999; Staehle, 1999, S. 66ff.) zu der u. a. der Prinzipal-Agent-Ansatz (vgl. Staehle, 1999, S. 423ff.) gehört. Ein weiteres großes Feld bildet der kognitiv-symbolische Ansatz, der bei Praktikern als auch Theoretikern viel Beachtung findet (Schreyögg, 1999, S. 84ff). Die Auffassung über die Kernthemen Rationalität, symbolisch konstruierte Organisationswelt und Objektivität versus Subjektivität zeigen bereits die Unterschiede zu den vorangegangenen Beschreibungen anderer organisationstheoretischer Ansätze. Rationalität ist nach der hier vertretenen Auffassung ein Mythos und kann negative Folgen nach sich ziehen. Es werden Versuche unternommen, „die Erfolgswirksamkeit nach herkömmlicher Lesart irrationaler Entscheidungen herauszustellen“ (Brunsson, 1982 in: Schreyögg, 1999, S. 85). Im Feld der symbolisch konstruierten Organisationswelt geht es vor allem um das organisationseigene Symbolsystem, welches im Normalfall nur durch die Organisationsmitglieder verstanden wird – ein Forschungszweig der eng mit der Organisationskultur-Forschung zusammen hängt. Ähnlich der Ansicht über Rationalität erfolgt der Einstieg in das Thema Objektivität versus Subjektivität in der Art, dass eine Objektivität nicht existent ist und Wahrnehmung stets subjektive Aspekte beinhaltet. Abschließend sollen die systemtheoretischen Ansätze vorgestellt werden, die eher indirekter Art sind und somit keine Organisationstheorie im engeren Sinne darstellen. Über die Zeit durchliefen diese Ansätze viele verschiedene Phasen, welche unterschiedlich starken Einfluss auf die anderen Ansätze hatten. Beginnend mit einer Phase, in der eine starke Innenorientierung mit Blick auf den Systemaufbau dominierte, reflektierte man in der zweiten Phase stark die Erkenntnisse der Kybernetik. Der daraus hervorgegangene Regelkreis als Steuerungsprozess erinnerte stark an das klassische Leitbild einer Maschine. In einer dritten Phase verband man sich mit dem funktionalistischen Forschungsansatz, welcher in einer vierten Phase der Theorie offener Systeme weichen musste. In der Theorie offener 9

Die Technik-Schule erfuhr eine erhöhte Aufmerksamkeit mit der Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien in den 1990er Jahren und damit mit der Beschleunigung der Kommunikation.

236

18 Organisation des Online-Lernens

Systeme rückt das Verhältnis der Organisation mit der Umwelt – die Interaktion – wieder ins Zentrum des Interesses. Eine fünfte Phase zielte in Richtung selbstreferenzielle Systeme in der, in Anlehnung an die biologische Herkunft, die Selbsterzeugung von Strukturen und deren Bestandteilen einer Organisation im Zentrum des Interesses steht.

18.4

Das Auftauchen virtueller (Bildungs-) Organisationen

Vor dem Hintergrund der Gesamtorganisation Hochschule und mit Blick auf die verschiedenen Organisationstheorien lassen sich für die Organisation des Online-Lernens mit seinen strukturellen als auch prozessualen Anteilen die folgenden Punkte festhalten. 1. Auf institutioneller Ebene ist Online-Lernen fest in die Organisationsstruktur der Hochschule integriert. 2. Dabei reicht das Integrationsspektrum von externen Dienstleistern bis hin zu dedizierten Einrichtungen. 3. Weiterhin gibt es neben den hochschulinternen Organisationselementen offenbar auch eine hochschulübergreifende Koordination. Die folgende Abbildung zeigt die Integration hochschulinterner wie externer Partner in die Aktivitäten des Online-Lernens an der Technischen Universität Dresden anhand einer Wertschöpfungskette.

Multimedia Fonds

Dezentrale Rechenzentren

Universitätsbibliothek

Audiovisuelles Medienzentrum

ZIH

Fakultäten/ Professuren

Zentrum für Weiterbildung

Intern

Media Design Center Strategie/ Anreize

Konzeption/ Entwicklung

Produktion/ Evaluation

Nutzung/ Support Dienstleister (LMS)

Abb. 18.1:

Marketing/ Transfer Private Universität (Weiterbildung)

Extern

Organisationale Rahmungen des Online-Lernens am Beispiel der TU Dresden (vgl. Neumann & Schütte, 2008)

Welche Konsequenzen hat nun diese virtualisierte Kooperation für Organisationsstrukturen und -abläufe? Eine solche neue, virtuelle Organisationsform zeichnet sich in erster Linie durch einen nur bedingt realen Charakter aus. Dies betrifft alle organisationalen Strukturen: die Lokalisation, die orga-

18.4 Das Auftauchen virtueller (Bildungs-) Organisationen

237

nisationalen Bindungen und die Stabilität der Organisation. Mit den Worten von Snow (et al., 1999) ist eine virtuelle Organisation „multisite, multiorganisational and dynamic”. Wie in Köhler und Schilde (2003) dargestellt, können sich virtuelle Organisationen hinsichtlich verschiedener Merkmale wie Größe, Dauerhaftigkeit, Stabilität etc. stark unterscheiden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass eine Vielzahl unterschiedlicher virtueller Organisations- und Kooperationsformen berichtet werden, einhergehend mit einer ebenso großen Zahl verschiedener Denominationen dafür (Netzwerk, Cluster, virtuelles Team, virtuelle Organisation etc.). Um diese beobachteten Phänomene vergleichbar zu machen und um die Zuordnung von experimentellen Befunden zu ermöglichen, ist eine weitere Differenzierung des Begriffes notwendig. Eine Möglichkeit dazu bietet die von Okkonen (2002) vorgestellte und von Köhler et al. (2003) erweiterte Systematik virtualisierter Organisationsformen (vgl. die folgende Tabelle):

Grad der Involviertheit

Virtuelles Team

Virtuelles Projekt

Temporäre virtuelle Organisation

Permanente virtuelle Organisation

Metanetzwerk

Cluster

Bestandteil einer organisationalen Funktion oder Abteilung

Funktion und Organisation übergreifend

Organisation übergreifend

Organisation übergreifend

Organisation übergreifend

Organisation übergreifend

mittlere Größe

üblicherweise groß

klein, aber skalierbar

groß, vage

üblicherweise groß, skalierbar

Repräsentanten mehrerer Organisationen arbeiten an spezifischen Projekten

multiple Funktionen als Reaktion auf eine Möglichkeit des Marktes

alle Funktionen und volle Funktionalität einer Arbeitsorganisation

multiple Funktionen als Reaktion auf eine Möglichkeit des Marktes

multiple Funktionen als Reaktion auf eine Möglichkeit des Marktes

permanent

permanent

Mitgliedschaft klein, lokal

Ziele

Teams für spezifische, fortdauernde Aufgaben

Dauer der Projekte

Mitgliedschaft temporär variabel, Form ist permanent

temporär

permanent

IT-Nutzung

Konnektivität, Teilung eingebetteten Wissens (E-Mail, Groupware)

geteilte Infrastruktur (Groupware, WANs, Fernzugang)

Kanal für nicht notwendig Marketing & Distribution, ersetzt physische Infrastruktur (WWW, Intranet)

Tab. 18.1:

Sammlung geteilter Daten (Datenbanken, Groupware)

nicht notwendig

Differentielle Merkmale virtualisierter Organisationsformen (Okkonen, 2002; Köhler et al., 2003)

Nachdem der strukturale Aspekt virtualisierter Organisationsformen hiermit in übersichtlicher Form dargestellt wurde, soll es im Folgenden um Fallbeispiele aus dem Kontext der Organisation des OnlineLernens gehen.

238

18.5

18 Organisation des Online-Lernens

Fallbeispiele typischer Konfigurationen

Auf Seiten der Bildungsanbieter (Dozenten u. a.) sollte die einheitliche Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien durchaus konkrete Lösungen für eine qualitativ hochwertige Umsetzung des Online-Lernens garantieren. Dies schlägt sich nicht nur im Kenntnisstand des durchschnittlichen Anwenders nieder, sondern auch bei der Verwendung von mediendidaktischen Mitteln für die Gestaltung der Lernangebote, die zunächst ein äußerst uneinheitliches Bild zeigten (Hausmann, 2002).

18.5.1

Bildungsportal Sachsen: Online-Lernen in der grundständigen Lehre

Seit 2001 wird im Freistaat Sachsen ein Hochschulverbund für die mediale Unterstützung der grundständigen Lehre an den öffentlichen Hochschulen des Landes aufgebaut. Nach einer Startphase unter direkter Beteiligung von vier Hochschulen umfasst dieser Verbund seit 2004 einen eigenen Systembetrieb, die BPS Bildungsportal Sachsen GmbH und seit Ende 2006 alle öffentlichen Hochschulen Sachsens. In seinem Gutachten zum Entwicklungsstand des Online-Lernens an den sächsischen Hochschulen für Hochschulen im Auftrag des Sächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst kommt das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) 2006 zu dem Schluss, dass „trotz einer langjährigen Förderung durch Mittel des Landes und des besonderen Engagements zahlreicher Wissenschaftler … neue Medien noch in relativ geringem Umfang eingesetzt und genutzt [werden]. Insgesamt aber steigt die Akzeptanz sowohl bei Lehrenden als auch bei Studierenden. Woran es aber mangelt, sind die Verbindlichkeit der Nutzung für Studierende, die Nachhaltigkeit in den Hochschulen sowie insgesamt das Management für E-Learning an den Hochschulen“ (vgl. Hener & Buch, 2006). Dies bestätigt Einschätzungen eigener Analysen, wie sie von Ihbe (vgl. Köhler & Ihbe, 2006) vorgelegt wurden und die eine verbesserte Systematik der Integration des Online-Lernen z. B. an der TU Dresden als Deutschlands größte Technischer Universität fordern. Im Jahr 2007 ist die Steuerung des Vorhabens auf den neu gegründeten „Arbeitskreis E-Learning“ der Landeshochschulkonferenz Sachsen übergegangen, dem mittlerweile auch zwei private Hochschulen beigetreten sind. Die folgende Abbildung zeigt die Verbreitung des Bildungsportals in Sachsen 2008:

18.5 Fallbeispiele typischer Konfigurationen

Abb. 18.2:

239

Modell des Bildungsportal Sachsen (Quelle: https://bildungsportal.sachsen.de/)

Seit 2009 wird durch ein eigenes Förderprogramm neben der grundständigen Lehre auch der Übergang zur akademischen Weiterbildung als Entwicklungsziel Beachtung geschenkt. Damit werden in gewisser Weise die Organisationsgrenzen der Hochschule neu definiert.

18.5.2

Bildungsportal Thüringen: Perspektiven für die mediengestützte akademische Weiterbildung

Basierend auf den Analysen des Bedarfs für die mediengestützte akademische Weiterbildung und von organisationalen Strukturen an und zwischen den Hochschulen Thüringens bei der Entwicklung entsprechender Angebote wurde das Bildungsportal Thüringen seit 2001 modellhaft als Lösungsansatz aufgebaut (www.bildungsportal-thueringen.de). Als Konsequenz der o. g. Untersuchungen richtet sich das Angebot des Bildungsportals Thüringen vordergründig an institutionelle Weiterbildungssuchende bzw. deren Mitarbeiter, d. h. Personen, die erwerbstätig sind und nach einer vorangegangenen akademischen oder vergleichbaren Qualifikation nun gezielt ihr Kompetenzprofil ergänzen wollen oder müssen. Bereits zum Zeitpunkt der Portalgründung 2001 bildeten diese ein erhebliches Nachfragepotenzial. So schätzten Experten ein, dass sich allein unter den knapp 60.000 Studierenden der Fernuniversität Hagen ca. 20.000 solcher „verkappten Weiterbildner“ befinden (Stifterverband, 2001). Dabei konkurriert das Bildungsportal Thüringen mit einer Reihe von privaten Anbietern. Das Bewusstsein für diesen Umstand sollte geschärft werden, weil die Erwartungen und Attributionen der Weiterbildungssuchenden durch die Erfahrungen mit diesen Marktführern geprägt wurden. Auf der anderen Seite haben die beteiligten Universitäten sich unter dem Modell einer virtuellen Organisation, bestehend aus einer Kerninstanz im Sinne eines Informations Broker und einem Netzwerk von Partnerhochschulen für die Weiterbildung-Suchenden neu konfiguriert, wie die folgende Abbildung zeigt:

240

18 Organisation des Online-Lernens

Abb. 18.3:

Modell des Bildungsportal Thüringen (Quelle: Schmidt, 2002)

Anders als das Bildungsportal Sachsen hat das Bildungsportal Thüringen bisher nur eine geringe Bedeutung für die grundständige akademische Ausbildung entwickeln können. Im gleichen Maße wie das Bildungsportal Sachsen dient es jedoch der hochschulübergreifenden Kooperation im akademischen Sektor.

18.6

Diskussion und Schlussfolgerungen

Was aus der Wirtschaftswissenschaft und auch aus der betrieblichen Praxis seit langem bekannt ist (vgl. Frindte et al., 2000), scheint nun auch für die akademische Bildung zuzutreffen: die Nutzung von IKT für die Steuerung organisationaler Abläufe gewinnt immer mehr an Bedeutung, einhergehend mit einer permanenten Verfügbarkeit dieser Infrastrukturen. Damit aber verändern sich die Abläufe bei der Herstellung akademischer Bildung entscheidend, die Frage nach einer idealen Konfiguration von Technologie und Organisation rückt in den Vordergrund. Hier gibt es inzwischen erste Forschungsansätze, die der Frage nach der Einführung neuer IKT zur Steuerung betrieblicher Abläufe bei der Wissenskooperation nachgehen. So hat Munkvold (2003) eine Heuristik aufgestellt, die sich ohne weiteres auf den Bildungskontext übertragen lässt. Er unterteilt für die „implementation of collaboration technologies“ die vier Teilbereiche:    

organisationaler Kontext Implementationsprojekt technologischer Kontext Implementationsphase.

In ähnlicher Weise argumentiert Euler (et al., 2004) mit expliziter Bezugnahme auf die Einführung des Online-Lernen an der Hochschule, wenn er als Dimensionen des Wandels die folgenden fünf nennt, dabei aber eine eigenständige Bildungsdimension einführt:   

ökonomische Dimension pädagogisch-didaktische Dimension organisatorisch-administrative Dimension

18.6 Diskussion und Schlussfolgerungen  

241

technische Dimension sozio-kulturelle Dimension.

Geht es bei solcherart Betrachtung um Ökonomisierung oder Technisierung? Weder noch – im Zentrum der Veränderung steht eher ein organisationaler und auch organisationskultureller Wandel. Mit dieser Einschätzung begeben wir uns in eine organisationswissenschaftliche Tradition, die in der deutschen Bildungsforschung zunehmend Anhänger findet, aber insgesamt noch als neu betrachtet werden muss. So erweitert sie die akademische Perspektive auf die Mediennutzung, die bisher vorrangig durch kognitive (Psychologie), didaktische (Pädagogik), bildungsorientierte (Erziehungswissenschaft) oder eben technologische (Informatik u. a.) Herangehensweisen geprägt wurde. Eine organisationale Perspektive fügt dem ein sozial- und managementwissenschaftlich begründetes Moment hinzu, das auch die Entwicklung aus makrosozialer Perspektive im Blick behält. In der Bundesrepublik Deutschland zeigt sich der erhebliche Bedarf an solch einem Vorgehen anhand der vermehrten Ausschreibung von Forschungsprogrammen wie „Neue Medien in der Bildung II“ und auch für Professuren in den Fachgebieten Erziehungswissenschaft und Medienwissenschaft, wo eine organisationswissenschaftlich oder gar bildungs- und medienökonomische Herangehensweise immer häufiger gefördert und gefordert wird. Was also ist der Kern bei der „Digitalisierung der Lehre“ oder dem „Einzug der IuK-Technologien in die Universität“? Wie Bulmahn (2004, S. 5) argumentiert, dringen „die Neuen Medien in der Kombination von Computer und Internet in alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche vor [und lösen] einen fundamentalen Strukturwandel aus“, verbunden mit einer vorher nicht gekannten Geschwindigkeit der Globalisierung der Märkte. Ortner (1999) betont, dass der Erfolg von Fernuniversitäten auch bei konventionelle Universitäten dazu führen wird, Innovationen anzunehmen, die in neuen Organisationsformen des Studienbetriebs wie Fernlehre, On-Campus Studenten als unabhängige Lerner, modulare Kursstrukturen und der Einschreibung von erwachsenen Teilzeitstudenten ihren Ausdruck finden. Dies geht einher mit den sich verändernden mikrosozialen Studienformen, von der Online-Learning-Community (Kahnwald & Köhler, 2005) bis hin zu flexiblen Formen komplexerer Online-Wissensorganisationen (Köhler, Wetzstein & Schilde, 2003). Um den durch die Neuen Medien induzierten Strukturwandel der Hochschulen zu beschleunigen, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gezielt das bestehende Programm „Neue Medien in der Bildung“ spezifiziert und 2004 erneut ausgeschrieben. Während die Förderung in den Jahren 2000 bis 2004 darauf ausgerichtet war, qualitativ hochwertige E-Learning-Inhalte und Konzeptionen für mobiles Lernen zu entwickeln, zu erproben und in den Regelbetrieb insbesondere im grundständigen Studium zu übernehmen, sollten ab 2005 diese in Gang gesetzten Entwicklungen im Rahmen von zwei Förderlinien verstetigt und verbreitert werden. Dabei handelte es sich um eine Förderlinie (A) für Projekte in einem fächerübergreifenden und hochschulspezifischen Kontext, die so genannte „E-Learning-Integration“. Hier geht es um die Entwicklung von organisatorischer Infrastruktur ebenso wie um Change Management mit dem Ziel, die „Ausschöpfung des durch die IuK-Technologien eröffneten Innovationspotenzials im Bereich von Lehre, Lernen und Prüfungen an Hochschulen systematisch und nachhaltig voranzutreiben“. Nicht zustande gekommen ist die Förderlinie (B), wo Projekte in einem hochschulübergreifenden und vornehmlich fächerspezifischen Kontext, bezeichnet als „E-Learning-Transfer“, zu neuen Organisationskonzepten und Geschäftsmodellen für Dienstleistungen führen sollten, die eine Produktion und Nutzung von Online-Lernen vornehmlich fach- und fachbereichsbezogen unterstützen (vgl. BMBF, 2004). Mit Ende 2008 sind die meisten dieser Projekte soeben abgeschlossen. Nun darf man mit Spannung die weitere Veränderung der deutschen Hochschulen infolge der zielgerichteten Re-Organisation des Online-Lernens beobachten.

19

Online-Tutoring

Elisabeth Katzlinger

Die Bedeutung von Betreuungsleistungen für den Erfolg von Online-Lehrangeboten wurde lange Zeit unterschätzt. In der Zwischenzeit ist es aber zu einem Umdenkprozess gekommen. Für die Betreuung von Online-Lehrangeboten hat sich ein neuer „Berufsstand“ herauskristallisiert, der unter verschiedenen Bezeichnungen zu finden ist. Gemein ist all diesen Formen, dass die Tutoren nicht alleinverantwortlich für den Lernprozess sind. Schlüsselbegriffe: Betreuungsleistungen, Tutorenrolle, Tutorenaufgabe, Online-Lernen, selbstgesteuertes Lernen

244

19 Online-Tutoring

Betreuung ist ein zentraler Aspekt im Online-Lernen und Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung. Die Grundidee des betreuten Online-Lernens besteht darin, dass ein Online-Tutor bei Bedarf einen oder mehrere Lernende unterstützt. Die Lernenden erhalten die Möglichkeit, orts- und zeitunabhängig mit einer betreuenden Person, meist über elektronische Medien, in Verbindung zu treten. Präsenzlehrveranstaltungen sind geprägt von einer klaren Rollentrennung zwischen Lehrenden und Lernenden. Bei Online-Lehrangeboten sind eine Vielzahl von Personen beteiligt, die unterschiedliche Aufgaben und Rollen im Lernprozess haben: Experten für die Lehrinhalte, für die didaktische Aufbereitung, für die multimediale Darstellung, für die technische Umsetzung und für die Begleitung des Lernprozesses. Die Bedeutung von Betreuungsleistungen für den Erfolg von Online-Lehrangeboten wurde lange Zeit unterschätzt. In der Zwischenzeit ist es aber zu einem Umdenkprozess gekommen (vgl. Arnold, 2002, S. 107; Kerres, 1998). Die Betreuungsmöglichkeiten werden durch die zunehmende Verfügbarkeit von Kommunikationstechnologien ausgeweitet und erleichtert. Für die Personen, die Online-Lehrangebote betreuen, werden verschiedene Bezeichnungen verwendet, wie: E-Tutor, Tele-Tutor, Tele-Coach, Tele-Trainer, Online-Facilitator, Online-Tutor (Rautenstrauch, 2001). Der Begriff der Tutoren kommt ursprünglich aus der Universitätspraxis, wo höhersemestrige Studierende jüngere Studierende im Studium beraten. Die Tutoren nehmen unterschiedliche Rollen dabei ein, von Begleiter, Berater, Moderator bis Lehrende. Die Tutoren sind nicht allein verantwortlich für den Lernprozess, sondern üben eine unterstützende Tätigkeit aus. Die fehlende Einheitlichkeit der Begrifflichkeiten sowie der Rollen- und Aufgabenbeschreibungen resultiert aus der Vielfalt der OnlineLernszenarien. Diesen liegen unterschiedliche Ausrichtungen der Betreuung und damit auch unterschiedliche Rollen und Aufgabenbereiche zu Grunde. Aus der Zuordnung von Tätigkeiten und Rollenbezeichnungen zu verschiedenen Begriffen kann eine gewisse Klarheit und Vergleichbarkeit der Qualifikationsprofile, Aufgabenbereiche und Verantwortlichkeiten der Betreuenden erreicht werden. Allgemein formuliert ist die Aufgabe der Online-Tutoren, nämlich Tele-Lernende in ihrem Lernprozess zu unterstützen, wobei Tutoren und Lernende räumlich getrennt sind und für die Kommunikation elektronische Medien verwenden.

19.1 Bedeutung der Online-Tutoren

245

Tätigkeit

Rollenbezeichnung

Kurse einrichten und administrieren

Kursbetreuer, Online-Tele-Tutor, Tele-/Online-Coach

Lehrinhalte vermitteln

E-Trainer, Tele-/Online-Coach

Technischer Support

Online-Tele-Tutor, Tele-/Online-Coach, E-Facilitator, OnlineSupport

Lehrinhalte entwickeln und bereit stellen

E-Manager, Kursentwickler

Lernen planen

E-Manager, Kursentwickler

Lernende betreuen (tutoring)

E-Moderator, Online-Tele-Tutor, Tele-/Online-Coach, EFacilitator

Tab. 19.1:

19.1

Aufgabendefinition und Bezeichnung für Betreuer/innen (Zusammenstellung aus: Arnold et al., 2004, S. 141)

Bedeutung der Online-Tutoren

Die Rolle der Lehrenden verändert sich im Zeichen neuerer Entwicklungen vom Instruieren hin zum Arrangieren und Beraten. Es steht nicht allein die Präsentation des Wissens im Mittelpunkt von Lernprozessen, sondern das, was die Lernenden daraus machen. Selbstgesteuertes und selbstorganisiertes Lernen wird durch die Lehrenden gefördert. Lehre im Sinne von „Vermittlung von fachlichen Wissen“ wird dadurch nicht überflüssig, sondern angereichert durch die Aufgabe des Beratens und Unterstützens (Wildt et al., 2006, S. 5f.). Die Funktion von Tutoren lässt sich als Instanz zwischen Lehrenden und Studierenden beschreiben. Sie sind nicht eigenverantwortlich für die Lehre tätig, eine Anleitung und auch eine Qualifizierung ist Voraussetzung für ihre Tätigkeit. Vor allem im universitären Umfeld handelt es sich bei den Tutoren meist um höhersemestrige Studierende, die dadurch eine Sonderrolle erhalten.

19.2

Aufgaben und Rollen

Die Aufgaben und Rollen der Online-Tutoren sind sehr vielfältig und verlangen unterschiedliche Fähigkeiten und Fertigkeiten. Innerhalb eines Online-Lernszenarios können Online-Tutoren verschiedene Rollen in unterschiedlicher Ausprägung einnehmen. Im Rahmen der Betreuungsphasen lassen sich verschiedene Aufgaben- und Kompetenzbereiche erkennen, die sich aber nicht immer klar voneinander trennen lassen.

246

19 Online-Tutoring

Die einzelnen Aufgaben der Online-Tutoren unterliegen einer zeitlichen Dynamik, je nachdem in welcher Betreuungsphase sich die Lernenden gerade befinden (vgl. Ojstersek, 2007):   

Konzeption und Vorbereitung von Präsenz- und Onlinephasen Durchführung von Präsenz- und Onlinephasen Nachbereitung und Evaluierung von Präsenz- und Onlinephasen.

Die traditionellen Betreuungsbereiche erweitern sich durch die Kombination von Präsenz- und Onlinephasen. Innerhalb eines Online-Lernszenarios übernehmen Online-Tutoren verschiedene Rollen, die den Betreuungsprozess zu strukturieren helfen:    

Organisatorisch-administrative Rolle Didaktisch-methodische Rolle Inhaltlich-fachbezogene Betreuung Technische Betreuung.

19.2.1

Durchführung von Onlinephasen

Zu den Aufgaben der Online-Tutoren gehört die planvolle Gestaltung der Arbeitsabläufe. Bei der Betrachtung der Durchführungsphase können verschiedene Unterphasen bzw. -stufen fokussiert werden. Diese Phasen unterscheiden sich neben der zeitlichen Zuordnung im Verlauf des Gruppenprozesses auch hinsichtlich der unterschiedlichen Aufgaben der Online-Tutoren. Gilly Salmon entwickelte ein Modell (vgl. Abb. 19.1), in dem betreute Lernprozesse innerhalb einer Gruppe idealtypisch in 5 Phasen eingeteilt werden (Salmon, 2004). Jede dieser Stufen verlangt vom Lernenden und vom Online-Tutor spezifische Fähigkeiten. In jeder Phase haben die Lernenden unterschiedliche Bedürfnisse und nehmen andere Aktivitäten in Angriff, dadurch sind unterschiedliche pädagogische und mediendidaktische Interventionen sowie technischer Support nötig. Die Mitglieder einer Lerngruppe durchlaufen die fünf Stufen nicht zwingend gleichzeitig, sie können unterschiedlich lang auf einer Stufe verweilen.

19.2 Aufgaben und Rollen

247 V Entwicklung Unterstützen Reagieren

E-Moderation Technischer Support

Hinweise auf Ressourcen ausserhalb geschlossener Foren IV Wissenskonstruktion

e

n

Prozess ermöglichen

r

n

Online diskutieren

e

III Informationsaustausch

L

Aufgaben erleichtern Lernmaterialien nutzen

II Online-Sozialisation Gewöhnungsübungen Brücken zwischen sozialen und kulturellen Lernumgebungen anbieten Beiträge senden und empfangen I Zugang und Motivation Zum Begrüßen ermutigen System einrichten und Zugang schaffen

Abb. 19.1:

19.2.1.1

Intensität der Interaktivität

Suchen Software individualisieren

Modell des Online-Lehrens und Lernens (nach Salmon, 2004, S. 27)

Zugang und Motivation

Die Einstiegs- und Orientierungsphase in ein Online-Lernszenario ist eine besonders kritische Phase. Der technische Zugang und die Motivation zur Teilnahme ist eine grundlegende Voraussetzung für das Gelingen einer Online-Lernaktivität. Voraussetzung dafür ist der barrierefreie Zugang und der intuitive Gebrauch der verwendeten Werkzeuge. Die Lernenden brauchen auf dieser Stufe eine intensive Unterstützung, insbesondere im technischen und sozialen Bereich. Die Online-Tutoren begleiten die Lernenden motivierend, um die „drop-out“-Quote zu senken. Zu Beginn eines Lernangebotes ist es wichtig, den Lernenden einen schnellen und problemlosen Zugang zum System zu ermöglichen und motivierend zu wirken, wenn es zu technischen Hürden kommt. Die Aktivitäten in dieser Stufe werden in Form von ersten „Aufwärmübungen“ gesetzt, die darauf abzielen, sich mit dem System vertraut zu machen und die Teilnehmenden zu ermutigen, erste kleine Aufgabenstellungen zu erfüllen wie beispielsweise persönliche Steckbriefe verfassen oder erste Beiträge im Forum zu posten.

248

19.2.1.2

19 Online-Tutoring

Online-Sozialisierung

Die Lernenden kommen sich näher und bauen eine Beziehung untereinander auf. Auf dieser Stufe entwickeln sie eine eigene Online-Identität und erkunden die Identität der anderen. Die Lehrenden müssen in dieser Phase durch vertrauensbildende Aufgaben das Vertrauensnetzwerk zwischen den Lernenden stärken. Eines der Probleme in dieser Phase ist, dass die Gruppendiskussion meistens von ein oder zwei Personen dominiert wird. Die Aufgabe des Online-Tutors in dieser Phase ist es daher, sicherzustellen, dass alle Gruppenmitglieder in die Diskussion einbezogen werden.

19.2.1.3

Informationsaustausch

Auf dieser Stufe werden Informationen ausgetauscht und kooperative Aufgaben gelöst. Asynchrone Kommunikation erleichtert die Überbrückung von unterschiedlichen Geschwindigkeiten in der Informationsaufnahme und -verarbeitung. Lehrende müssen in dieser Phase Aufgaben stellen, die zur Verarbeitung der Lehrinhalte und zum Austausch von Erkenntnissen anregen. Bevor jedoch interagiert und kooperiert wird, benötigen die Lernenden Strategien für die Informationssuche. Auf der technischen Ebene geben die Online-Tutoren Anleitungen für die Verwendung von Suchfunktionen und zur Personalisierung der Lernumgebung.

19.2.1.4

Wissenskonstruktion

Prozesse der Wissenskonstruktion sind primäres Ziel dieser Stufe. Die Lernenden gehen vom reinen Informationsaustausch zur gemeinsamen Konstruktion von Wissen über. Bezogen auf die Lehrinhalte tauschen sie persönliches Wissen, Erfahrungen und Meinungen aus und reflektieren Teilnehmerbeiträge kritisch. Diese Phase erfordert eine feinfühlige Unterstützung durch die Online-Moderatoren, die das richtige Maß an Strukturierung vorgeben. Sie fassen Beiträge von Zeit zu Zeit zusammen und verknüpfen divergierende Diskussionsstränge. Der technische Support in dieser Phase bezieht sich auf die Durchführung von Online-Diskussionen und zu webbasierter Kooperation.

19.2.1.5

Entwicklung

Auf dieser Stufe werden Einsichten herbeigeführt sowie Erkenntnisse und Wissen kritisch überdacht und beurteilt. Die Lernenden übernehmen die volle Verantwortung für ihren eigenen Lernprozess und den der Gruppe. Die Lernumgebung wird für die Entwicklung der eigenen Ziele eingesetzt, die computerunterstützte Kommunikation wird in andere Formen des Lernens im Alltag integriert. Die Lehrenden müssen in dieser Phase Aufgaben kreieren, die zum selbstgesteuerten Lernen anregen und sie geben Hinweise, wie die Thematik weiter vertieft werden kann. Die technische Unterstützung besteht in Hinweisen auf Ressourcen außerhalb der Lernplattform. Unabhängig von der Stufe, auf der sich die Lernenden gerade befinden, ist es die Aufgabe der OnlineTutoren, laufend Rückmeldung über den Lernprozess zu geben. Die Lerngruppe wird durch den Online-Moderator zur Selbstständigkeit und zur Unabhängigkeit geführt.

19.2.2

Betreuungsmodelle

In den meisten virtuellen Bildungsmodellen sind Betreuungsmodelle vorgesehen. Der Zeit- und Kostenaufwand für eine Betreuung und die Bedeutung eines leistungsfähigen Planungs- und Zeitmanage-

19.3 Qualifikationsanforderungen

249

ments darf dabei nicht unterschätzt werden. Eine sorgfältige Konzeption der Betreuungskomponente im Rahmen des gesamten didaktischen Konzeptes eines Blended-Learning-Angebotes ist deshalb unerlässlich (De Witt et al., 2007). Die Organisation der tutoriellen Betreuung richtet sich nach den Rollen und Aufgaben der betreuenden Personen: 



Help Desk: Angelehnt an das IT-Service-Management wird die Betreuung als Help Desk organisiert. Die Lernenden wenden sich mit ihren Fragen und Problemen an eine zentrale Anlaufstelle. Dort bekommen sie schnelle Hilfe für akut auftauchende Probleme. Vor allem in der Startphase haben Lernende viele Anfragen im technisch-organisatorischen Bereich, die auch von studentischen Online-Tutoren beantwortet werden können. Im Sinne eines Multi-Level-Supports stehen für weitergehende Probleme Experten zur Verfügung. Die erste Ebene übernimmt die Weiterleitung der Anfragen. Die Lernenden haben dadurch den Vorteil, dass sie nur eine Ansprechperson haben und trotzdem der Zugang zu kompetenten Ansprechpartnern bei diffizilen Problemen möglich ist. Für die Lehrenden ergibt sich der Vorteil, dass die erste Ebene eine Filterfunktion übernimmt (Ojstersek, 2007). Gruppenbezogene Betreuung: Der Tutor versteht sich in erster Linie als Coach und Moderator der Lerngruppe. Die Begleitung der Lernenden in den einzelnen Phasen des Lern- und Gruppenprozesses steht im Vordergrund. Das Fördern von Kommunikation und Austausch ist eine zentrale Aufgabe der Gruppentutoren (De Witt et al., 2007).

19.3

Qualifikationsanforderungen

Lernen ist ein komplexer Prozess, der eine intensive Auseinandersetzung mit dem Lerninhalt erfordert. Der Lernprozess wird bestimmt durch unterschiedliche Faktoren wie z. B. Motivation der Lernenden, bisherige Lernerfahrungen, eigene Lernstrategien, Möglichkeit der Auseinandersetzung mit den Lerninhalten. Diese unterschiedlichen Faktoren sind von den E-Tutoren zu erkennen und müssen in ihren didaktischen Handlungen berücksichtigt werden. Voraussetzung dafür ist, dass die Online-Tutoren mit Qualifizierungsmaßnahmen auf ihre unterschiedlichen Aufgaben vorbereitet werden. Die Qualifizierungsmaßnahmen müssen sehr unterschiedliche Bereiche abdecken. Auf der einen Seite ist die Voraussetzung für eine Tätigkeit als Online-Tutor die technische Kompetenz im Umgang mit der eingesetzten Lernplattform, auf der anderen Seite werden sehr hohe Anforderungen an die soziale Kompetenz in der Begleitung des Lernprozesses gestellt. Dazu kommen noch die inhaltliche und die didaktisch-pädagogische Kompetenz. Die unterschiedlichen Aufgaben der Online-Tutoren verlangen deshalb eine Reihe von Basisqualifikationen.

19.3.1

Kompetenz zur Unterstützung von Lernprozessen

Für Online-Tutoren stellt das Wissen um Gegenstand, Voraussetzungen und Probleme des Lernens eine wichtige Voraussetzung dar, um Tele-Lernenden die entsprechende Unterstützung geben zu können. Im Vordergrund stehen dabei die Kenntnisse um den Ablauf von Lernprozessen. Es gilt hier vor allem die Komplexität und die verschiedenen Einflussfaktoren des Prozesses zu begreifen. Bei den Qualifizie-

250

19 Online-Tutoring

rungsmaßnahmen hat sich die Auseinandersetzung mit der eigenen Lerngeschichte als sehr hilfreich erwiesen, um die vielen Facetten und unterschiedlichen Bedingungen des Lernens fassbar zu machen. Auch die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Lerntypen (Kolb, 1984) ist für das Verstehen von Lernen von Bedeutung. Online-Lernen ist geprägt durch einen hohen Anteil an selbstgesteuertem Lernen. Für angehende Online-Tutoren stellt die Unterstützung von selbstgesteuerten Lernprozessen eine hohe Anforderung dar. Gegenüber der Präsenzlehre steht verstärkt der Lernprozess im Mittelpunkt. Das verlangt von den Lernenden ein großes Maß an Selbstorganisation und Eigenverantwortlichkeit. Das kann aber nur gelingen, wenn der Lernprozess betreut wird. Von den Online-Tutoren wird erwartet, dass sie Verständnis für selbstgesteuerte Lernprozesse haben und die Lernenden bei sich daraus ergebenden Problemen unterstützen. Kooperatives Lernen ist Bestandteil von vielen Lernarrangements. Mit dem Ausbildungsziel, die Teamfähigkeit der Studierenden zu fördern, bekommt das kooperative Lernen einen hohen Stellenwert. Für Online-Tutoren bedeutet das, dass sie ihre Rolle als Moderator von Gruppenprozessen wahrnehmen müssen. Sie müssen, vor allem in der Anfangsphase, die Gruppenkommunikation initiieren und unterstützen. Voraussetzung dafür ist die Auswahl geeigneter Aufgabenstellungen, die eine koordinierte Zusammenarbeit erfordern und zum Austausch in der Gruppe anregen. Kenntnisse der Entwicklungsphasen einer Gruppe sind dabei von Vorteil. Damit die Moderation eines Online-Lernangebotes gelingt, müssen einige Regeln beachtet werden:       

Ermutigung der Teilnehmer zur partizipatorischen Teilnahme Zusammenfassung von Argumenten und Ergebnissen Herstellen von inhaltlichen Verbindungen Unterstützung und Ermutigung zur Einnahme multipler Perspektiven Strukturierung und Klärung von Konflikten und Kontroversen Durchsetzung vereinbarter Regeln Hilfestellung bei inhaltlichen Problemen.

19.3.2

Medienkompetenz

Online-Tutoren sollten medienkompetent sein. Nach Baacke (1999) gibt es vier wesentliche Aspekte der Medienkompetenz: 



 

Medienkritik: soll analytisch problematische gesellschaftliche Prozesse angemessen erfassen. Jeder Mensch sollte reflexiv in der Lage sein, das analytische Wissen auf sich selbst und sein Handeln anzuwenden. Medienkunde: umfasst das Wissen über die heutigen Mediensysteme. Die instrumentell-qualifikatorische Dimension meint die Fähigkeit, neue Geräte auch bedienen zu können. Die beiden Aspekte Medienkritik und Medienkunde umfassen die Dimension der Vermittlung. Mediennutzung: ist doppelt zu verstehen: Medien sollen rezeptiv angewendet (Programm-Nutzungskompetenz) und interaktive Angebote genutzt werden können. Mediengestaltung: stellt in Baackes Ausdifferenzierung den vierten Bereich der Medienkompetenz dar. In den Bereich Mediengestaltung fallen die innovativen Veränderungen und Entwicklun-

19.3 Qualifikationsanforderungen

251

gen des Mediensystems und die kreativen ästhetischen Varianten, die über die Grenzen der alltäglichen Kommunikationsroutinen hinausgehen. Elektronische Medien lassen sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Sie besitzen einen technischen, einen semantischen und einen pragmatischen Aspekt. Die Medienkompetenz umfasst:   

Technische Kompetenz: Handhabung von Hard- und Software Semantische Kompetenz: Verstehen der Inhalte Pragmatische Kompetenz: Handlung und Anwendung der Medien.

Die technischen Fähigkeiten und Fertigkeiten sind Grundvoraussetzung für Online-Tutoren. Diese Kenntnisse umfassen sowohl Hardware (wie PC, Webcam, Netzwerk) als auch Software (Betriebssystem, Anwendungssoftware, Content-Management-System, Lernplattform). Mit dem verstärkten Einsatz von webbasierten Lösungen nimmt die hardwaretechnische Betreuung der Lernenden ab, da auf eine Internetverbindung aufgebaut wird.

19.3.3

Leitung und Moderation von Gruppen

Vor allem kooperatives Lernen verlangt von den betreuenden Online-Tutoren ein hohes Maß an Kommunikationskompetenz. Der Online-Tutor übernimmt die Rolle eines Moderators bzw. auch die Rolle eines Gruppenleiters. In der Vermittlung der dazu benötigten Kompetenzen sind Anregungen aus der Leitung bzw. Moderation von Gruppen sehr hilfreich. In der Rolle des Moderators ist es wichtig, die Gruppe mit Fragen zu steuern. Die „Technik des Fragens“ ist das Handwerkszeug für die Betreuung von kooperativen Lernprozessen in Lernchats, Foren usw. Der Online-Tutor fasst zusammen, fokussiert auf bestimmte Themen. Gerade bei Lernchats zeigt sich, dass rasch vom Thema abgeschweift wird. Kompetenzen, die für eine Diskussionsleitung wichtig sind, erweisen sich auch für Online-Tutoren als sehr hilfreich. In der Untersuchung über asynchrone Online-Diskussionen beschreiben Hew & Cheng (2007) sieben Techniken, die studentische Moderatoren in der Online-Diskussion angewendet haben:       

eigene Erfahrungen und Meinungen einbringen, Fragen stellen, um die Lernenden zur Mitarbeit anzuregen, Regeln aufstellen und modifizieren, Anerkennung zeigen, neue Diskussionsthemen einbringen, persönliche Einladung an einzelne Lernende, die sich wenig aktiv an der Diskussion beteiligen, Zusammenfassungen geben.

Vor allem mit dem Einbringen der persönlichen Meinung und dem Fragen stellen, konnten die Diskussionen angeregt werden.

19.3.4

Kommunikationskompetenz

Die Kenntnis über Theorien und Modelle computervermittelter Kommunikation ist hilfreich, um Phänomene einordnen zu können. Die Kenntnis der sozialen Bedingungen und Faktoren asynchroner und

252

19 Online-Tutoring

synchroner Kommunikation ist Voraussetzung dafür, dass die Einsatzmöglichkeiten und Besonderheiten der einzelnen Kommunikationsdienste abgeschätzt werden können. Nur unter der Berücksichtigung der Potentiale und der spezifischen Merkmale der verschiedenen Kommunikationsdienste können gezielte Entscheidungen über einen didaktisch sinnvollen Einsatz getroffen werden. Neben den theoretischen Kenntnissen müssen Online-Tutoren über die praktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen, die Kommunikation innerhalb der virtuellen Gruppen zu steuern und den Überblick nicht zu verlieren. Dazu gehören unter anderem:      

hohes Kommunikationsaufkommen handhaben und den Überblick dabei nicht verlieren, Vertrautheit mit den Regeln der netzbasierten Kommunikation wie Netiquette, gute sprachliche Ausdrucksfähigkeit um Missverständnisse durch unpräzise Formulierungen zu vermeiden, vorausschauend handeln, um die Konsequenzen von Äußerungen und Anweisungen abschätzen zu können, in Krisensituationen gezielte Hilfestellungen gewähren, Beherrschung von Konfliktbewältigungsstrategien.

19.3.5

Didaktisch-Methodische Kompetenzen

Zu den Aufgaben von Online-Tutoren können, je nach Rolle und Funktion im Lernarrangement, auch didaktische Konzeption und Durchführung von Online-Kursen gehören. Analog zu einem Präsenzkurs stimmt ein Lehrender die Lehrinhalte mit den Lehrzielen ab. Eine Lehrstrategie wird entwickelt, die Lehrinhalte aufbereitet und geeignete Methoden für die Vermittlung der Lehrinhalte gewählt. In der Vorbereitung eines Online-Kurses sind daneben die technische Lernumgebung und die dahinter liegende didaktische Struktur von entscheidender Bedeutung. Die Lernumgebung übernimmt wichtige didaktische Funktionen und ist Grundlage für das weitere selbständige Lernen. Dies impliziert die Verzahnung der Phasen von mediengestütztem Einzellernen und Phasen der netzbasierten Kommunikation sowie die Auswahl und Einbindung der Lernmaterialien und die Durchführung der Lernerfolgskontrollen.

19.3.6

Kompetenz im Umgang mit Störungen

Der Umgang mit Störungen im Lernprozess ist Grundqualifikation eines jeden Lehrenden. Im Präsensunterricht dominieren oft schwierige Teilnehmer das Unterrichtsgeschehen. Beim Online-Lernen kommt eine Reihe zusätzlicher Störfaktoren dazu. Nichtverstehen und Missverständnisse können nicht durch unmittelbaren realen Kontakt ausgeglichen werden (z. B. durch Mimik, Tonfall, Körpersprache). Ursachen für die Störungen können vielfältig sein: technische Störungen, akustische und visuelle Störungen, Störungen im Außenbereich des Lerngeschehens, Disziplinstörungen, Provokationen, Lernverweigerung und Passivität. Störungen wirken sich auf den Kommunikations- und Lernprozess aus. Für Online-Tutoren bedeutet das, dass sie auf mögliche Störungen gefasst sein müssen und bereits im Vorfeld Überlegungen anzustellen haben, wie sie Störungen erkennen können und wie sie darauf reagieren. Auf Störungen im Umfeld des Lerners hat der Online-Tutor normalerweise keinen Einfluss. Technische Störungen sind ärgerlich, die Unterstützung durch eine technische Hotline ist deshalb vor

19.3 Qualifikationsanforderungen

253

allem in der Anfangsphase eines Kurses wichtig. Der Umgang mit schwierigen Teilnehmern belastet einen Online-Tutor meist mehr.

19.3.7

Kompetenz zum persönlichen Wissensmanagement

Der Online-Tutor übernimmt die Rolle des Informations-Brokers, der neben der Unterstützung bei der Bearbeitung der Lernaufgaben fachlich-individuelle und vertiefende Anfragen bearbeitet bzw. gegebenenfalls an Experten weiterleitet. Der Hinweis auf weitere Informationsquellen bzw. Informationsrecherchen zählt auch zu den Aufgaben von Online-Tutoren. Folgende Kompetenzen im Umgang mit Informationen werden benötigt:   



Selektion: Damit ist die Fähigkeit gemeint, aus umfangreichem Datenmaterial relevante Informationen herauszufiltern. Organisation: Informationen müssen so organisiert, angeordnet und gespeichert werden, dass sie jederzeit wieder abgerufen werden können. Integration: Neue Informationen sollten in die eigenen Strukturen mit aufgenommen werden und an bestehendes Wissen anknüpfen. Die Integration von Wissen bedeutet auch die Einbindung von Informationen in medientechnische Umsetzungen. Kritische Bewertung: Es ist wichtig, den Wahrheitsgehalt einer Information, ihren Nutzen, die Quelle, etc. zu hinterfragen und kritisch einordnen zu können. Da viele Informationen heutzutage im Internet recherchiert werden, ist diese Kompetenz von großer Bedeutung.

19.3.8

Technikkompetenz

Die E-Tutoren sind bei technischen Problemen immer die ersten Ansprechpartner, sie können aber eine technische Hotline nicht ersetzen. Ein positiver Zugang zur Informations- und Kommunikationstechnik, sowohl was Hardware als auch Software betrifft, ist aber Voraussetzung für die Tätigkeit eines ETutors. Für Fragen bezüglich der eingesetzten Lernsoftware sind sie jedoch verantwortlich. Seit dem Einsatz von webbasierten Lernumgebungen stehen die hardwaretechnischen Anfragen an die OnlineTutoren nicht mehr im Vordergrund.

19.3.9

Fachkompetenz

Wie auch in der Präsenzlehre ist das Fachwissen hinsichtlich der relevanten Lehrinhalte Voraussetzung für eine gute Betreuung der Lernenden. Bei studentischen Tutoren können Lücken in der Fachkompetenz auftreten bzw. muss ein Netz geschaffen werden, wie dies aufgefangen werden kann. Ein Modell dafür ist der Level-Support, wo schwierige fachliche Fragen an den verantwortlich Lehrenden weitergeleitet werden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Verhalten der Online-Tutoren den Lernprozess entscheidend beeinflusst. Auch in asynchronen Lernumgebungen ist die soziale und emotionale Kommunikation wichtig, die durch die Online-Moderation gefördert wird (Smet, 2008). Die Mittlerstellung der Online-Tutoren zwischen den Lehrenden und den Studierenden bietet eine Chance dazu.

20

Planung und Entwicklung von Online-Lernangeboten in der Praxis

Peter Schisler

Die praktische Realisierung eines Online-Lernangebotes mit dem Ziel, den Lernenden den Erwerb von Handlungskompetenzen in einer virtuellen 3D-Umgebung zu ermöglichen, benötigt eine sorgfältige Auswahl der einzusetzenden virtuellen Welt. Bei der Erarbeitung der Fähigkeiten, ein Virtuelles Storyboard als Machinima-Film zu erstellen, werden vom Lernenden genau die kognitiven und praktischen Handlungskompetenzen erworben, die bei der Realisierung von realen Abläufen u. a. am Filmset notwendig sind. Die Umsetzung der Online-Lerneinheit „Virtuelles Storyboarding“ orientiert sich in der Ausgestaltung am Instruktionsdesign-Modell „Goal-Based Scenarios“ von Roger C. Schank. Schlüsselbegriffe: Entwicklung von Online-Lernangeboten, Virtuelles Storyboarding, Goal-Based Scenarios, Avatare, Open-Source-Klon, Second Life

256

20 Planung und Entwicklung von Online-Lernangeboten in der Praxis

Die erfolgreiche Praxiseinführung eines Online-Lernangebotes setzt eine präzise Analyse der konkreten Anforderungen des Betreibers des Online-Angebotes voraus. Hierbei müssen Fragen nach der Zweckmäßigkeit eines Online-Lernangebotes bezüglich des beabsichtigten Lernerfolges ebenso beantwortet werden wie die Klärung der technischen Rahmenbedingungen und der potentiellen Motivation der Lernenden. Zur Unterstützung für die Konzipierer und Entwickler eines neuen Online-Lernangebotes stellt die Literatur inzwischen eine breite Auswahl von Leitfäden zur Einführung von E-Learning-Modulen zur Verfügung, die sowohl eine theoretisch basierte als auch eine für die Praxis geeignete Orientierung an idealen Abläufen für die Planung und Entwicklung gibt. Für die Planung und Entwicklung eines konkreten und damit neuen Online-Lernangebotes besteht die Herausforderung für die „Macher“ stets in der konkreten Umsetzung und in der Anwendung der theoretischen, systematisch geordneten und idealisierten Vorlagen im Hinblick auf die realen Gegebenheiten und Bedürfnisse der beteiligten Akteure. Im Folgenden soll zuerst die praktische Planung und Entwicklung eines konkreten OnlineLernangebotes zur Verdeutlichung der zentralen Verknüpfungspunkte zwischen gegebener theoretischer Analyse und praktischer Umsetzung exemplarisch an einem realen Produkt deskriptiv beschrieben und analytisch kommentiert werden, das nicht nur die nun schon fast klassischen Möglichkeiten webbasierter Lernumgebungen umfasst, sondern auf die Einführung einer Lernumgebung im virtuellen Raum fokussiert. Anschließend werden die ersten praktischen Erfahrungen kommentierend dokumentiert.

20.1

Planung und Entwicklung eines OnlineLernangebotes in einer virtuellen Umgebung

Die Aufgabe für das L4-Institut in Berlin bestand in der Planung und Entwicklung einer Reihe von Online-Lernangeboten unter Nutzung aller für die Erreichung des Lernziels sinnvollen Möglichkeiten bei einer integralen Einbindung in eine virtuelle Welt. Das hier beschriebene Online-Lernangebot beinhaltete unter dem Titel „Virtuelles Storyboarding“ eine Lerneinheit, die die Erarbeitung der kompletten Vorbereitung von realen Filmaufnahmen in einer komplexen Kulisse in eine virtuelle Welt verlegt. In einem ersten Schritt musste geprüft werden, welche der derzeit (Frühjahr 2008) auf dem Markt befindlichen 3D-Welten sich für eine optimale Nutzung eignet. Genutzt werden sollten bei diesem Projekt sämtliche sinnvollen technischen und methodischen Errungenschaften und Erfahrungen bei der bisherigen Konzeption und Implementation von E-Learning-Einheiten sowie die Erschließung der neuen technischen und pädagogischen Chancen in einer virtuellen Lernumgebung. Da die zu entwickelnde Online-Lerneinheit sowohl die Vermittlung von theoretischen Kenntnissen als auch das Training von praktischen Handlungsabläufen innerhalb einer 3D-Simulation von realen Arbeitsprozessen umfassen sollte, kamen nur virtuelle Welten in Frage, die eine sichtbare Konstruktion im virtuellen Raum erlauben.

20.1 Planung und Entwicklung eines Online-Lernangebotes in einer virtuellen Umgebung

257

Virtuelle Welten, die eine Bevölkerung aus Avataren erlauben, unterscheiden sich bei der Frage der Einbringung von neuen Elementen in diese Welt an einer entscheidenden Stelle fundamental. Entweder müssen diese 3D-Elemente zuvor außerhalb der virtuellen Welt mit einem Softwareprodukt konstruiert und dann in diese virtuelle Welt transferiert werden oder in dieser virtuellen Welt kann unmittelbar konstruiert werden und die konstruierten Produkte sind bereits bei der Konstruktion in der virtuellen Welt sichtbar. Dieses Kriterium erfüllte nur die virtuelle Welt von Second Life von Linden Lab aus San Francisco. Second Life als Plattform für Online-Lernangebote bietet systemintegrale Vorteile: • • • • • • •

Die Nutzung ist kostenfrei. An die Endgeräte (PC, MAC) werden keine zu hohen Anforderungen gestellt. Die Verwaltung eines Lernangebots wird durch das implementierte Gruppensystem unterstützt. Sicheres und diskretes Lernen wird durch das vorhandene Rechtemanagement möglich. Kommunikationswege wie Text- und Voice-Chat für den Austausch der Lernenden untereinander innerhalb von Second Life sind bereits vorhanden. Alle traditionellen Unterrichtsmittel stehen auch in Second Life zur Verfügung. Abrechnungen können über das integrierte Wirtschaftssystem mit eigener Währung abgewickelt werden.

Für die vorgesehene Aufgabenstellung ist das virtuelle System „Second Life“ aktuell ohne Konkurrenz. Allerdings kollidiert grundsätzlich die strukturelle Offenheit in Second Life, z. B. die Freiheit für die Avatare, sich überall hin zu teleportieren, mit dem Bedürfnis von Online-Lerneinheiten, ungestörte Lernsituationen zu garantieren. Wenn zum Beispiel ein offenes Seminar oder eine Vorlesung im virtuellen Raum nur für die anwesenden Avatare durchgeführt werden soll, würden „zufällig“ vorbeikommende fremde oder sich störend verhaltende Avatare die Unterrichtssituation erheblich behindern. Dieses Problem kann zwar mit deutlichem Programmieraufwand für Abschirmung in Second Life behoben werden, jedoch wurde im vorliegenden Projekt eine andere Lösung gewählt. Zum Einsatz kommt ein Open-Source-Klon von Second Life, der genauso wie das Original funktioniert, aber als abgeschottete und vor ungewünschten Einblicken geschützte Standalone-Plattform allein für die zu entwickelnde Online-Lerneinheit eingesetzt wird. Damit ist erreicht, dass alle Vorteile und Eigenschaften von Second Life in diesem SL-Klon-System genützt werden können, aber durch die Abgeschlossenheit des Systems beim Betreiber des Projekts Störungen u. a. durch externe Avatare ausgeschlossen werden können. Aber auch für die zugelassenen Avatare müssen Regeln aufgestellt werden, um die Freiheiten so einzuschränken, dass sich eine Situation wie in einem Seminar einstellt – z. B. wer spricht wann, damit nicht alle gleichzeitig sprechen. Weitere technische Eigenheiten der Nutzung von Second Life mit Avataren als Online-Lernumgebung sind in der Praxis für Lernanfänger zu beachten. Hierzu zählt zum einen der erste Einstieg in Second Life und zum anderen die Bedienung der Avatare sowie die sichere Handhabung der Kommunikationsmittel. Für das SL-Klon-System ist ein neuartiger noch zu entwickelnder Browsereinstieg mit automatischer Charaktergenerierung vorgesehen. Der Lernende muss beim ersten Einstieg in die virtuelle Welt weder individuelle Software installieren, sich

258

20 Planung und Entwicklung von Online-Lernangeboten in der Praxis

mühsam im virtuellen System registrieren oder seinen Avatar näher bestimmen, sondern kann über seinen Browser „per Mausklick“ in das SL-Klon-System einsteigen und erhält dabei einen individuellen Avatar. Dieser Avatar kann – auf Wunsch – später auch an Gesichtzügen oder den individuellen Korpus des Lernenden angenähert werden. Die Steuerung der Avatare wird grundsätzlich durch ein vorgesehenes interaktives Tutorial – wie in der Welt der Spiele üblich – dem Lernanfänger verdeutlicht. Die Steuerung der Avatare kann in wenigen Minuten erlernt werden. Darüber hinaus wird für die Lernenden im Online-Lernangebot „Virtuelles Storyboarding“ als Steuerung eine 3D-Maus eingesetzt, die u. a. ruckelfreie Kamerafahrten erlaubt. Zusammenfassend ist festzustellen, dass für die zu planende und zu entwickelnde Online-Lerneinheit in Abgrenzung zu den bisherigen Möglichkeiten des Lernens in virtuellen Räumen insbesondere eine Eigenschaft der virtuellen Lernumgebung von Second Life von zentraler Bedeutung ist: die Möglichkeit des synchronen Kommunizierens, gemeinsamen Entwickelns und quasi haptischen Zusammenarbeitens als Avatare. Während die Gleichzeitigkeit der Kommunikation und der interaktive Austausch von Arbeitsergebnissen – z. B. im virtuellen Klassenraum – bisher über technisch aufwendige bzw. teuere Videokonferenzschaltungen (bei 12 und mehr Teilnehmern) und Application Sharing von Dokumenten auch bisher schon realisiert werden konnten, boten bisher nur Präsenzarbeitsgruppen die Möglichkeit der gleichzeitigen und gemeinsamen haptischen Zusammenarbeit. In der Lerneinheit „Virtuelles Storyboarding“ wird synchrones haptisches Zusammenwirken der Avatare zur zentralen Lernmethode, die nur in einer virtuellen Welt möglich ist.

20.2

Planung und Entwicklung des OnlineLernangebotes „Virtuelles Storyboarding“ in der Praxis

Die Intention des Online-Lernangebotes „Virtuelles Storyboarding“ beinhaltet die Idee, eine Lernumgebung zu schaffen, die es ermöglicht, die Lernenden zu befähigen, aufwändige Film- und Videosequenzen oder Werbeclips mit komplizierten Aufbauten, Szenenfolgen und Kameraeinstellungen als Machinima-Film komplett vorzuvisualisieren und für die reale Film-, Video- oder Werbeaufnahmen als „Virtuelles Storyboard“ zur Verfügung zu stellen. Im Online-Lernangebot soll ebenso die Konzeption des Set-Designs wie der praktische Bau von virtuellen Set-Kulissen für ein solches Storyboard vermittelt werden. Auch die Festlegung der Kamerafahrten, der Perspektive und die Ausleuchtung sowie die Generierung der Charaktere, die sich wie EchtzeitSchauspieler bewegen und agieren, sollen von den Lernenden in der virtuellen Welt simuliert, erprobt, optimiert und danach als Machinima-Film produziert werden können. Die Fähigkeiten der Lernenden zur Konzeption und zum Arrangement virtueller Aufnahmen filmischer Inhalte entsprechen genau den benötigten Fähigkeiten, die auch für die Lösung dieser Aufgaben bei einem Real-Dreh notwendig sind. Im Anschluss an die Lerneinheit sollen die Lernenden in der Lage sein sowohl in einer virtuellen Welt als auch für einen realen Dreh die erlernten Fähigkeiten anzuwenden.

20.2 Planung und Entwicklung des Online-Lernangebotes „Virtuelles Storyboarding“ in der Praxis 259 Die vorgesehene Zielgruppe von Lernenden stellen in einem ersten Schritt die Studierenden der L4Ausbildung zum Film- und Videodesigner. Später können auch andere Studenten einschlägiger Fachrichtungen dieses Online-Lernangebot buchen. Da es in diesem Online-Lernangebot weder um die Vermittlung komplexer kognitiver Fähigkeiten oder primär um kognitiv-prozessuales Lernen geht, sondern die praxisorientierte Vermittlung von theoriebasierten Handlungskompetenzen im Mittelpunkt steht, soll bei der praktischen Entwicklung des Lernangebotes zentral eine Berücksichtigung der konzeptionellen Überlegungen zum „Learning by Doing“ und zum didaktischen Ansatz „Goal-Based Scenarios“ (GBS) erfolgen. Das Instruktionsdesign-Modell “Goal-Based Scenarios“, das von Roger C. Schank am Institute for the Learning Sciences (ILS) an der Northwestern University (USA) entwickelt wurde, konzentriert sich auf die Gestaltung der Lernumgebung, die die Entwicklung von Handlungskompetenz bei den Lernenden durch den Erwerb und die Erprobung von praktisch anzuwendenden Fähigkeiten ermöglicht. Die Orientierung am GBS bei der Entwicklung des vorliegenden Online-Lernangebotes bei der praktischen Umsetzung der Online-Lerneinheit „Virtuelles Storyboarding“ soll im Folgenden exemplarisch illustriert werden. Im GBS wird zwischen prozessualem Wissen (process knowledge) und Inhaltswissen (content knowledge) unterschieden. Das prozessuale Wissen beschreibt dabei die vermittelte Fertigkeit und Handlungskompetenz in den jeweiligen Inhaltsbereichen. Das Inhaltswissen beschreibt die notwendigen kognitiven Kenntnisse, die für den Erwerb und für die flexible Anwendung der zu vermittelnden Fertigkeiten sinnvoll und notwendig sind. In der konkreten Umsetzung wurde der Bereich des Inhaltswissens mit einem Set von traditionellen ELearningprodukten realisiert, die im Wesentlichen folgende Lernangebote umschlossen: •





Video-Vorlesung des Dozenten zu den Grundlagen des „Virtuellen Storyboarding“. Dieses Video kann teilnehmerindividuell jederzeit am PC direkt oder in der virtuellen Lernumgebung allein oder im Team angesehen und in realen Arbeitsgruppen oder als Avatare diskutiert werden. Interaktive Online-Lerneinheit zu den Themenbereichen Grundlagen des Setaufbaus, Licht, Kameraführung, Schnittfolge und Produktion eines Machinima-Films. Bei Bedarf kann diese Lerneinheit teilnehmerindividuell – auch in Teilen – zur Sicherung des Content-Wissens jederzeit und immer wieder abgearbeitet werden. Echtzeitseminar zur Einführung in den 3D-Kulissenbau im virtuellen Raum.

Der Dozent – auch als Avatar repräsentiert – erklärt in einem theoriegeleiteten Seminar die praktische Konstruktion und Erschaffung von 3D-Körper am praktischen Beispiel. Die Teilnehmer sollen als Avatare die Erstellung der 3D-Körper praktisch nachvollziehen und bei Problemen in Interaktion mit dem Dozenten und den Mitlernenden die Fähigkeit entwickeln, 3D-Körper im gegebenen virtuellen Raum zu erschaffen. Auf der Basis des so erworbenen Inhaltswissens – bereits angereichert mit der praktischen Fähigkeit des Kulissenbaus – wird das prozessuale Wissen zum Virtuellen Storyboarding im projektorientierten Unterricht im virtuellen Raum mit sofortigen Feedback-Möglichkeiten zum Dozenten und unter Einschluss von fach- und ergebnisbezogenen Interaktionen auf der Arbeitsebene der Avatare vermittelt. Hierbei erwerben die Lernenden die Fähigkeiten in der virtuellen Welt: •

ein komplexes, für reale Aufnahmen geeignetes Filmset zu erstellen,

260 • • •

20 Planung und Entwicklung von Online-Lernangeboten in der Praxis Beleuchtung und Kamerapositionen zu erproben und zu optimieren, Schnittfolgen auf die gewünschte Dynamik hin zu untersuchen, auszuwählen und im Virtuellen zu fixieren, das Arbeitsergebnis als Machinima-Film zu dokumentieren und als „virtuelles Storyboard“ für eine reale Filmproduktion zur Verfügung zu stellen.

In der Lerneinheit erhalten die Lernenden den Auftrag, gemeinsam ein Virtuelles Storyboard zu entwickeln. Die Story, das heißt die zu visualisierende Filmsequenz, entspricht in der Regel einer Filmsequenz, die später für einen realen Film aufgenommen werden soll. Den Lernenden stehen zur gemeinsamen Erarbeitung ihrer Aufgabe vor dem Hintergrund ihres zuvor erworbenen Inhaltswissens alle Möglichkeiten im virtuellen Raum zur Verfügung. So können erste 3D-Entwürfe, Perspektiven und Schnittfolgen konstruiert und in führerlosen Gruppenbesprechungen als Avatare verworfen, korrigiert oder optimiert werden. Die Erfüllung der Lernaufgabe bzw. des Arbeitsauftrags findet im Rahmen des gewählten Lernumfeldes statt. Die Lernenden können allein die erwartete Produktion des Machinima-Films versuchen, im Team und arbeitsteilig die gestellte Aufgabe erfüllen oder in parallelen Gruppen und in Konkurrenz zueinander alternative Lösungen erarbeiten. In allen Varianten der Organisation der Erledigung der Lernaufgabe besteht die Möglichkeit des fachlichen Austausches der Lernenden in der virtuellen Welt bei gleichzeitiger Demonstration der aktuellen Arbeitsergebnisse. Regelmäßig müssen von jedem Lernenden allen anderen Lernenden sowie dem Dozenten im Plenum der virtuellen Welt die Arbeitsstände präsentiert und diskutiert werden. Hierbei können die Lernenden auch untereinander von ihrem unterschiedlichen Kenntnisstand und Fertigkeitsniveau profitieren. Die Rolle des Lernenden kann in dieser Phase auch partiell zur Rolle des Wissens- und Fertigkeitsvermittler werden. Dem Dozenten kommt in dieser Kernphase des „learning by doing“ insbesondere die Aufgabe zu, als Coach für die einzelnen Lernenden zur Verfügung zu stehen, entweder auf Nachfrage oder bei offensichtlichen Lernmängeln. Die regelmäßigen Präsentationen ermöglichen dem Dozenten, die Zwischenergebnisse fachlich und künstlerisch zu bewerten, Orientierung für die nächsten Arbeitschritte zu geben und – wenn nötig – Arbeiten zurückzuweisen. Auch besteht die Chance für den Dozenten, mögliche strukturelle Defizite zu erkennen, die er durch gezielte Wissensvermittlung umgehend beheben kann. Alle Teilhandlungen in diesem virtuellen Arbeitsraum sind streng auf die Aufgabe orientiert, ein gut durchdachtes, dem filmischen Ziel angemessenes „Virtuelles Storyboard“ zu erstellen. Auch alle vorgelagerten konzeptionellen Problemlösungen wie Kulissengestaltung, Lichteinfall, Perspektiven, Kameraposition, Schnittfolgen usw. dienen ausschließlich der Erstellung eines optimalen „Virtuellen Storyboards“ in Form eines Machinima-Films. Dem Lernenden stehen in der virtuellen Welt jederzeit alle Ressourcen zur Verfügung, die notwendig sind, um seine Lernaufgabe zu erfüllen. Er kann sich z. B. jederzeit über vorproduzierte Videoinformationen oder Lernmodule informieren, auf Whiteboard oder in anderen elektronischen Medien scribbeln, 3D-Modelle und ein komplettes 3D-Set bauen, Bewegungsabläufe erproben und dokumentieren. Nicht nur die vorgesehenen Präsentationstermine während der Lerneinheit geben den Lernenden die Möglichkeit zur Rückmeldung und zur Formulierung von Fragen, sondern durch die besondere Ar-

20.3 Planung und Entwicklung des Online-Lernangebotes in der Praxis

261

beitssituation in der virtuellen Welt in Anwesenheit des Dozenten als Avatar ist ein Feedback der Lernenden „just in time“ möglich – vergleichbar der Situation wie in einem realen Labor oder einem echten Studio. Die im GBS beschriebenen Kriterien für eine Lerneinheit mit Konzentration auf die Vermittlung von transferierbaren Fähigkeiten können also mit dem Online-Lernangebot „Virtuelles Storyboarding“ in besonderer Weise erfüllt werden. Nicht nur, dass die Lernenden durch die neuen Handlungsmöglichkeiten in einer virtuellen Welt besonders motiviert sind, sondern die enge Verbindung der Ergebnisse der Lerneinheit mit der Realität schafft eine hohe Authentizität der Aufgabenstellung. Die Lernenden erleben, dass alle erlernten Teilbereiche ihrer Handlungskompetenz von der Szenenkonzeption bis zum 3D-Bau dem gemeinsamen Ziel dienen, ein „Virtuelles Storyboard“ zu erstellen. Die Lernerfolgskontrolle bezogen auf die praktischen Fähigkeiten findet überwiegend in einem selbstregulierenden Prozess statt, in dem die Lernenden ihre Fähigkeiten mit denen der Mitlernenden vergleichen und die eigenen Lernfortschritte daran messen können. Durch die eingebauten Feedback-Möglichkeiten sowie die Präsentations- und Gruppenarbeitphasen haben die Lernenden im Lernprozess die Möglichkeit der Artikulation und Reflektion über die erstellten Konzepte und Produktionen. Dabei werden sie sich ihrer Handlungskompetenz immer sicherer, so dass ein nachhaltiger Lernerfolg erwartet werden kann.

20.3

Planung und Entwicklung des OnlineLernangebotes in der Praxis

Die praktische Realisierung der notwendigen Lernmittel wie Videolehrfilm, Content für die interaktive modulartige Lerneinheit sowie Lehrmaterialien für das „learning by doing“ zum Erwerb des prozessualen Wissens erfolgen nach den Regeln eines klassischen Online-Lernangebotes, jedoch unter Berücksichtigung der spezifischen Möglichkeiten der virtuellen Welt. Im Mittelpunkt des Videolehrfilms steht ein Mitschnitt eines Live-Lehrvortrags des Dozenten. Dieser Vortrag wird ergänzt durch eingeschnittene exemplarische Virtuelle Storyboards, Illustrationen von typischen Anwendungsfeldern, beispielhaften Realisierungen von Szenen in der virtuellen und realen Welt sowie der Demonstration der Handhabung der eingesetzten 3D-Software. Das Drehbuch für diesen Videolehrfilm orientierte sich an den notwendigen Rahmenbedingungen für Videolehrfilme, die sowohl in der virtuellen Welt und im realen Internet „funktionieren“ sollen. Hierbei war technisch besonders zu beachten, dass die Bildauflösung insbesondere bei der Demonstration der Handhabung von Software, d. h. die hohe Bildqualität die zum guten Verständnis notwendig ist, auf allen Abspielplattformen möglich wird. Auch die interaktive Lerneinheit muss sowohl in der virtuellen Welt individuell als auch im realen Internet abrufbar sein. Das zugehörige Drehbuch muss insbesondere berücksichtigen, dass die Inhalte, deren Anwendung nur in der virtuellen Welt möglich ist – wie 3DBau, virtuelle Kamerafahrten, virtuell Filmen usw. – auch dort unmittelbar erprobt werden können.

262

20 Planung und Entwicklung von Online-Lernangeboten in der Praxis

Da für solche interaktiven Lerneinheiten mit der Möglichkeit der vollen Nutzung der gegebenen virtuellen Welt kaum Erfahrungen vorliegen, wurde hier eine modulorientierte Vorgehensweise gewählt, die eine selbstoptimierende Entwicklung dieser interaktiven Lerneinheit ermöglicht. Die zentrale Phase des „learning by doing“ wird eingeleitet durch ein Echtzeitseminar zur Einführung in den 3D-Kulissenbau im virtuellen Raum. Hierbei und für die folgenden Arbeitsschritte stellt in der konkreten Situation die Bereitstellung der vorproduzierten 3D-Modelle kein Problem dar. Anders sieht es mit der technischen Sicherung der unterschiedlichen Kommunikations- und Arbeitsebenen in der virtuellen Welt aus. Die technische Überwachung und Koordinierung von verbaler und nonverbaler Interaktion zwischen den Lernenden untereinander und dem Dozenten innerhalb der virtuellen Welt und das gleichzeitige Streamen von unterschiedlichen Daten, Video- und Audiosignalen aus dem realen Internet in die Arbeitssituation der virtuellen Welt macht in der Praxis die Koordination der Technik durch einen externen technischen Koordinator notwendig. Die zwischenzeitlich erwogene Idee, diese technische Koordination ebenfalls durch den lehrenden und coachenden Dozenten durchführen zu lassen, wurde endgültig verworfen. Zugleich wird von L4 ein virtueller Präsenter entwickelt, mit dem es dem Dozenten möglich ist, über seinen Monitor Bilder, Video, Text, Sound alles wie in einer Regie bereitzuhalten und bei Bedarf auf die verschiedenen Präsentationsflächen zu projizieren, durch Vorschau- und Nachlauffenster auf dem Monitor des Dozenten auf die Lernfortschritte der Teilnehmer unmittelbar zu reagieren und den Teilnehmern je nach aktueller Lernsituation Rechte zuzuweisen oder zu entziehen. Vor dem ersten Testeinsatz des Online-Lernangebotes „Virtuelles Storyboarding“ wurden die ausgewählten Studierenden nach ihren Einstellungen zur und ihren praktischen Erfahrungen in der virtuellen Welt Second Life befragt. Keiner der vorgesehen Lernenden hatte bereits Erfahrungen mit Second Life und alle standen diesem virtuellen System deutlich ablehnend gegenüber. Diese Einstellung änderte sich nach Abschluss der Lerneinheit. Zwar wurde Second Life immer noch als „Spielewelt“ abgelehnt, aber als wichtiges 3D-Instrument gerade zur Erstellung des „Virtuellen Storyboarding“ geschätzt. Insbesondere die Möglichkeit einer exakten Vorproduktion von Filmszenen in der virtuellen Welt mit konkreten Handlungsabläufen, Schnitten, zeitlichen Abläufen und Darstellern als Avatare erwies sich als ein mächtiges Werkzeug für die Vorbereitung von realen Filmszenen. Den Studierenden wurde durch ihre eigene Erfahrung in dieser Online-Lerneinheit deutlich, dass für bestimmte reale Video- und Filmproduktionen Entscheidungen, die am realen Drehort die Regisseure, Kameraleute und Schauspieler individuell mitgestalten können, bei einer engen Umsetzung des Virtuellen Storyboards nicht mehr möglich sind. Die Filmproduzenten können mit einer Vorproduktion eines Virtuellen Storyboards nicht nur eine exakte Vorgabe für das Agieren der Akteure am Set bereitstellen, sondern haben die Möglichkeit einer genaueren und damit kostensparenden Zeitplanung. Bei einem konsequenten Einsatz des Virtuellen Storyboards werden die wichtigsten, auch künstlerischen Entscheidungen für die konkrete Filmgestaltung schon bei der Produktion des Virtuellen Storyboards getroffen. Am Set gilt es dann nur noch die vorgegebenen Abläufe exakt in reale Abläufe umzusetzen. Wer an der Produktion des Virtuellen Storyboards mit welcher Funktion beteiligt sein wird, ist eine spannende Frage, die durch die zukünftige Praxis in dieser Branche beantwortet werden wird.

21

Didaktische Konzeption von Angeboten des Online-Lernens

Michael Kerres, Nadine Ojstersek & Jörg Stratmann

Der Beitrag thematisiert die didaktische Konzeption von internetgestützten Lernangeboten. Die Qualität eines Lernangebotes entsteht nicht durch das Internet selbst und auch nicht durch eine mehr oder weniger selbst- oder fremdgesteuerte Anlage der Anwendung. Sie entsteht vielmehr durch die richtige Passung des Lernangebotes zur Lernsituation. Hierzu sind bestimmte Analyse- und Spezifikationsschritte vorzunehmen, etwa die Analyse von Zielgruppen, die Spezifikation von Lehr-Lernzielen, die Wahl von didaktischen Methoden und Medien in einem Lernszenario. Schlüsselbegriffe: Mediendidaktik, Medienwahl, Medienkonzeption, Didaktisches Design

264

21.1

21 Didaktische Konzeption von Angeboten des Online-Lernens

Qualität von Lernmedien

Mit neuen Medientechniken wird immer wieder die Erwartung auf ein „besseres Lernen“ und eine „Erneuerung des Bildungswesens“ verknüpft. Radio oder Fernsehen, die CD oder das Internet, immer wieder wird vermutet, dass mit dem Medium an sich ein substantieller Gewinn für das Lernen verbunden sein könnte. Und immer wieder wird deutlich, dass es nicht das Medium an sich ist, dass diese Veränderungen bewirken könnte, sondern nur bestimmte didaktische Konzepte und Nutzungsszenarien. Damit wendet sich der Blick auf die Frage, was „gute“ mediendidaktische Konzepte oder Einsatzszenarien sind und wie diese entstehen? Manche Ratgeber und Checklisten wenden sich an Eltern und Lehrkräfte, um bei der Auswahl von Lernmedien und Computerprogrammen zu helfen. In Tests und Wettbewerben werden Medien geprüft, um Konsumenten eine Orientierung zu bieten. Auf der Grundlage vorliegender Forschungsergebnisse ist dabei zunächst grundsätzlich festzustellen, dass die Frage der Qualität eines Lernmediums nicht von der eingesetzten Medientechnik abhängt. Tom Rusell (1999) führt vorliegende Studien zu Medienvergleichen auf. Dabei wird deutlich, dass die Vermutung, bestimmte Mediensysteme seien anderen als solches überlegen, nicht bestätigt werden kann: Internetbasierte Lernangebote sind nicht besser als Bücher. Ein computergestützter Vokabeltrainer an sich ist nicht weniger wertvoll als eine multimedial angereicherte Software zum Sprachenlernen oder ein didaktisch aufbereitetes adventure game usw. Die Qualität eines Lernmediums lässt sich aus mediendidaktischer Sicht nur daran festmachen, inwieweit eine bestimmte Anwendung dazu beiträgt, ein Bildungsproblem oder -anliegen einzulösen. Mediale Lernangebote können Lern- und Bildungsprozesse anregen – wenn die situativen Bedingungen dies ermöglichen: Es ist damit die Situation, die den Wert des Mediums bestimmt und nicht das konkrete Medienprodukt und sicher nicht das technische Mediensystem („das“ Internet) an sich. Seit den frühen Anfängen des computergestützten Unterrichts in den 1960er Jahren bestand die Überlegung, den Computer selbst zu nutzen, um das Lernangebot möglichst optimal an den Lernenden und den Lernprozess anzupassen und dadurch die Qualität des computergestützten Lernens gegenüber anderen Darbietungsformen (etwa dem Buch oder der Lehrperson) zu erhöhen. In der „programmierten Unterweisung“ prüft der Computer die Antwort der Lernenden auf Testfragen und passt daraufhin das weitere Lernangebot an. Dieser Ansatz wird in der Informatik mit verfeinerten Techniken, etwa der „Künstlichen Intelligenz“, bis heute verfolgt. Dabei soll der Computer die zu präsentierenden Lerneinheiten aus einem Pool von Objekten mit Metadaten auswählen und in die für den Lernenden „richtige“ Sequenz bringen. In den 1990er Jahren tat sich mit dem Erfolg des Hypertext-Ansatzes im Lernkontext eine gegenläufige Position auf. Hypertext-Anwendungen präsentieren Informationen und Lernangebote in einer viel offeneren Form und eröffnen damit den Lernenden einen sehr viel freieren Zugriff auf die Lerninhalte. Wenn die Lerninhalte dabei angemessen und intuitiv verknüpft sind, dann können die Lernenden die für sie richtigen Lerninhalte selbst auswählen. Es zeigt sich, dass diese Form „offener Lernräume“ für Lernende, insbesondere bei vorliegenden Vorkenntnissen und intrinsischer Motivation, eine höhere Akzeptanz aufweisen können, als die eher rigide Form der Engführung des Lernprozesses durch vorgegebene Lernpfade, die sich etwa bei Anfängern oder extrinsischer Motivation als vorteilhaft erweisen kann.

21.2 Konzeption und Gestaltung von Lernangeboten

265

Das gleiche Problem stellt sich bei der Diskussion über den „richtigen“ lerntheoretischen Ansatz: Die aktuelle Diskussion favorisiert etwa durch Überlegungen des Konstruktivismus inspirierte Modelle gegenüber behavioristischen Ansätzen des Lernens, die vielfach als überholt dargestellt werden (vgl. etwa Schulmeister, 2001). Doch aus Sicht des didaktischen Designs fokussieren diese Ansätze lediglich unterschiedliche Aspekte des Lerngeschehens und kommen deswegen zu unterschiedlichen Aussagen. Lernen und Lehren sind jedoch komplexe Phänomene in einem sozialen Kontext. Die vorliegenden lerntheoretischen Modelle sind bei der Planung und Gestaltung von Lernszenarien zu einem sinnhaften Ganzen zusammenzufügen. Insofern hängt die Qualität des Lernangebotes auch nicht davon ab, ob ein bestimmtes lerntheoretisches Modell verfolgt wird und ob das Medium selbstgesteuertes Lernen ermöglicht oder durch den Computer regulierte Lernpfade vorgibt. Auch hier gilt: Es kommt vielmehr darauf an, die richtige konzeptuelle Lösung für genauer zu spezifizierende Anforderungen einer Lernsituation zu finden. Zur Unterstützung eines solchen „instructional design“ sind in den 1990er Jahren Ratgebersysteme erprobt worden (vgl. Tennyson, 1998). Auf der Basis der Analyse von Parametern des didaktischen Felds versuchen diese Systeme, Vorschläge für die Anlage der didaktischen Konzeption eines Lernangebotes zu geben oder gar eine Vorlage für einen entsprechenden Kurs zu generieren. Derartige Versuche einer „Automatisierung“ des didaktischen Designs durch Computer sind angesichts der Komplexität der Entscheidungsalgorithmen über ein experimentelles Stadium jedoch nicht hinausgekommen.

21.2

Konzeption und Gestaltung von Lernangeboten

Im Vordergrund vieler Projekte zum internetgestützten Lernen steht die Erprobung bestimmter technischer Möglichkeiten – nicht jedoch ein Bildungsbedürfnis oder ein Bildungsbedarf. Viele Vorhaben bleiben „technology driven“ und nicht „problem driven“. Der Mediendidaktik geht es dagegen um die Lösung von Bildungsproblemen bzw. Bildungsanliegen mithilfe von technischen Medien. Die didaktische Relevanz eines Mediums ergibt sich erst aus der Passung des Lernmediums zur Lernsituation. Die Herausforderung besteht also darin, diese Passung herzustellen, d. h. der Fokus der Mediendidaktik verschiebt sich von den Merkmalen des Medienproduktes hin zu dem Prozess der Gestaltung solcher Lernangebote: Die Qualität des Lernangebotes hängt dann davon ab, ob es gelingt, die mediendidaktische Analyse, Konzeption und Evaluation angemessen anzulegen und die richtigen Schlussfolgerungen hieraus zu ziehen. Das zentrale Anliegen einer solchen auf Gestaltung ausgerichteten Mediendidaktik ist deswegen nicht die Bewertung von Medienprodukten bzw. die Benennung „guter“ Medien, sondern die Frage, wie man ein mediengestütztes Lernangebot entwickelt, dass ein bestimmtes Bildungsanliegen einlöst. Im Mittelpunkt steht dann die Forderung nach der effektiven Bewältigung von Bildungsproblemen und einem wirkungsvollen, effizienten und nachhaltigen Einsatz der dabei eingesetzten Mittel. Bei der Konzeption von Lernszenarien sollte man sich deswegen nicht an eine bestimmte theoretische Konzeption des Lernens oder Lehrens, nicht an ein bestimmtes didaktisches Modell oder eine bestimm-

266

21 Didaktische Konzeption von Angeboten des Online-Lernens

te („neue“) Medientechnik binden. Die Aussagen und Erkenntnisse verschiedener Ansätze bieten einen Fundus, der im didaktischen Design in seiner Gänze Berücksichtigung finden sollte. Die grundsätzliche Präferenz für bestimmte lerntheoretische Modelle oder didaktische Methoden, wie z. B. einen konstruktivistischen Ansatz, wären demnach infrage zu stellen. Da es nicht möglich erscheint, das eine richtige Modell zu benennen, empfiehlt es sich, verschiedene Optionen bei der Gestaltung von Lernangeboten zu prüfen. Bei der Konzeption entsprechender Medien ist eine „naive“ Sicht verbreitet, wonach es hinreichend sei, Lernenden bestimmte Inhalte über Medien „zugänglich“ zu machen. So wird beispielsweise davon gesprochen, Lerninhalte in das Internet einzustellen oder auf einem Server verfügbar zu machen. Tatsächlich können bestimmte Materialien oder Dokumente Lernprozesse wesentlich unterstützen; um jedoch Lernangebote zu entwickeln, die bestimmte Lernprozesse gezielt anregen, ist eine wesentlich systematischere Aufbereitung erforderlich. Ein didaktisch reflektiertes Lernangebot entsteht erst, wenn Lerninhalte für eine Zielgruppe, für bestimmte Lehr-Lernziele und Lernsituationen methodisch aufbereitet werden. Bei der Konzeption internetbasierter Lernangebote gilt es also zunächst, eine mediendidaktische Analyse durchzuführen, die eine begründete Spezifikation von Parametern des Lernmediums abzuleiten erlaubt. Die gestaltungsorientierte Mediendidaktik (Kerres, 2001) geht davon aus, dass die Qualität eines Lernmediums davon abhängt, ob das Angebot ein zuvor benanntes Bildungsproblem oder Bildungsanliegen zielgerichtet adressiert. Damit folgt sie einem Verständnis von Qualität als fitness for purpose, d. h. kann das Lernangebot ein bestimmtes, genau zu beschreibendes Anliegen einlösen? Um dies zu erreichen, ist in der Planung des Angebotes ein relativ rigoroses Vorgehen erforderlich, bei dem eine Reihe von Analyse- und Prüfschritten erfolgen müssen: 1. Das Vorhaben muss ein Bildungsproblem oder, allgemeiner ausgedrückt, ein Bildungsanliegen ansprechen. Das Ziel, ein digitales Medium herzustellen, ein internetbasiertes Lernangebot zu entwickeln oder Materialien für Lernende bereitzustellen, ist nicht hinreichend. Der Erfolg eines Vorhabens hängt davon ab, ob mit der Lösung ein bestimmtes Bildungsanliegen adressiert wird. 2. Es geht nicht darum, die eine, „beste“ didaktische Methode zu finden und anzuwenden. Die Lösung eines Bildungsanliegens macht es vielmehr erforderlich, die Konzeption und Entwicklung als Gestaltungsaufgabe zu erkennen. Die Herausforderung besteht also darin, die Anforderungen in diesem Prozess zu verstehen und die Konzeption und Entwicklung von Bildungsmedien als vielschichtiges Entscheidungsproblem zu verstehen. 3. Ein Vorhaben ist an Parametern des didaktischen Feldes auszurichten. Es sind dazu die bekannten didaktischen Eckwerte zu spezifizieren wie Zielgruppe, Bildungsbedarf und Bildungsbedürfnisse, Lehrinhalte und -ziele, Lernsituation und -organisation. Hieraus lässt sich ein didaktisches Konzept ableiten und begründen. 4. Die Medienkonzeption muss den Mehrwert gegenüber anderen ggfs. bereits etablierten Lösungen aufzeigen. Zu beachten ist die Effizienz der gefundenen Lösung, d. h. das Verhältnis von Kosten und Nutzen verschiedener Varianten ist abzuwägen. Effiziente Lösungen entstehen oft durch Kombination unterschiedlicher medialer und methodischer Elemente, die in bestimmter zeitlicher Folge zu arrangieren sind (s. a. „hybride Lernarrangements“: Kerres, 2002). Das Anliegen der gestaltungsorientierten Mediendidaktik (Kerres, 2001) besteht darin, Wege aufzuzeigen, wie Potenziale der neuen Medien eingelöst werden können. Sie betont den Prozess von Konzeption, Entwicklung, Einführung, Durchführung und Evaluation und macht diesen Prozess zum Gegens-

21.3 Zielgruppenanalyse

267

tand der Reflexion und Forschung. Es geht darum, den Prozess zu beschreiben, wie Lernmedien gestaltet werden, um bestimmte Zielhorizonte zu erreichen. Die Konzeption von multi- und telemedialen Lernumgebungen ist demnach ein mediendidaktisches Gestaltungsproblem, das von der Analyse des didaktischen Feldes ausgeht. Diese Analyse umfasst folgende Faktoren, die grundsätzlich bei der didaktischen Planung zu berücksichtigen sind: • • • • •

Merkmale der Zielgruppe Spezifikation von Lehrinhalten und -zielen didaktische Methode Merkmale der Lernsituation und Spezifikation der Lernorganisation Merkmale und Funktionen der gewählten Medien und Hilfsmittel.

21.3

Zielgruppenanalyse

Das Online-Lernen kann ein Begleitangebot für eine kleine Lerngruppe sein, die im Präsenzformat, etwa an einer (Hoch-) Schule lernt. Es kann sich um ein Angebot handeln für Menschen, die einer Organisation angehören und die ein gemeinsames Arbeits- bzw. Lernthema haben oder für eine große, inhomogene Zielgruppe, die sich nie vis-à-vis kennen lernen wird. Die Analyse der Zielgruppe ist für die weiteren konzeptionellen Überlegungen von großer Bedeutung: Wie lassen sich die Menschen beschreiben, die mit dem Angebot lernen werden? Alter, Geschlecht, geografische Verteilung, Vorkenntnisse, motivationale Ausrichtung, Erfahrung mit verschiedenartigen Lernangeboten, Lernfähigkeiten, Kaufbereitschaft, Computerzugriff und -fertigkeiten, verfügbare Lernzeit etc.? Zur Beantwortung dieser Fragen sind einerseits Setzungen vorzunehmen wie z. B. Zielgruppe des Lernprogramms Englisch01 sind Schüler in Klasse 5 (Gymnasium/NRW). Andererseits wird man durch Befragungen oder Sichtung vorliegender Studien Aufschluss über Merkmale der Zielgruppe erhalten. Hilfreich können auch Interviews mit Lehrkräften oder Ausbildern sein, die in diesem Bereich arbeiten, um zu eruieren, wie die Zielgruppe am besten angesprochen werden kann.

21.4

Lehrziele

Die Lehrinhalte beziehen sich auf bestimmte Fachdisziplinen und Sachthemen. Deren Benennung oder Auflistung ist jedoch nicht identisch mit den angestrebten Lehr-Lernzielen. Der Lerninhalt „Verbrennungsmotoren“ kann sich etwa auf bestimmte Wissensbestände beziehen, etwa die Bestandteile und Arbeitsweise eines 4-Takt-Hubkolbenmotors zu kennen. Es können kognitive Fertigkeiten gemeint sein, etwa Hubkolben-, Rotationskolben-, Drehhub- oder Freikolbenmotoren anhand von Skizzen zu unterscheiden. Schließlich kann die psychomotorische Fertigkeit gemeint sein, einen Motor auseinander zu bauen und anschließend wieder zusammenzusetzen. Oder es kann auch um das Ziel gehen, die Vorzüge eines bestimmten Motortyps positiv gegenüber anderen hervorzuheben und beiläufig zum Kauf eines bestimmten Produktes zu motivieren.

268

21 Didaktische Konzeption von Angeboten des Online-Lernens

Mit den genannten Zielen sind unterschiedliche methodische Varianten und Optionen der medialen Umsetzung verbunden. Bei reinem Faktenwissen wird man andere Varianten wählen als bei einzuübenden Fertigkeiten. Einstellungen sind anders zu vermitteln als rein kognitive Sachinhalte. Aus diesem Grund ist genau zu spezifizieren und ggfs. mit einem Auftraggeber zu vereinbaren, welche Ziele tatsächlich anzustreben sind. Die Benennung der Lerninhalte reicht dazu nicht aus. Für die Systematisierung möglicher Lehrziele gibt es unterschiedliche Taxonomien, bekannt ist insbesondere die auf die Arbeitsgruppe um Bloom zurückgehende Systematik von Anderson (2000; s. a. Euler & Hahn, 2007). Dabei gilt allgemein, dass rein „deklaratives“ Wissen (Fakten, Begriffe) noch keine Anwendung erlaubt. Der Erwerb von kognitiven wie auch motorischen Fertigkeiten benötigt grundsätzlich wiederholtes Üben und damit Lernangebote, bei denen bestimmte Aktivitäten in der Bearbeitung von Aufgaben erforderlich sind. Durch die methodische Anlage des Lernangebotes entscheidet sich, welche Arten von Kompetenzen die Person in der Auseinansetzung mit dem Medium erzielt werden können.

21.5

Didaktische Methoden

Sind die Rahmenbedingungen – die Merkmale der Zielgruppe und die Lehrziele – bekannt, ist eine didaktische Methode zu wählen, die hierzu passt. Die am meisten eingesetzte Methode ist weiterhin die „Präsentation“: Die Inhalte werden schlicht vorgestellt, etwa als ein Text auf einer Webseite, auch mit Grafiken, als eine Audiodatei, die einen gesprochenen Vortrag beinhaltet, etwa auch zusätzlich zu Folien oder als Videodatei, die den Vortragenden selbst visuell präsentiert. Das Internet bietet hierfür einen ausgesprochen effizienten Rahmen, denn das Einstellen von Text, Grafik, Audio und Video ist einfach. Dies gilt für Lehrende wie Lernende zugleich, so dass auch Varianten des kollaborativen Arbeitens an Lerninhalten, des Annotierens und Kommentierens eine sehr attraktive Variante eines „Mitmach-Webs“ ist. Für rein deklaratives Wissen kann die Präsentation – eine in der Regel wenig aufwändige Variante – durchaus hinreichend sein, wenn bei den Lernenden bestimmte Vorkenntnisse vorliegen. Vielfach existieren jedoch anspruchsvollere Lehr-/Lernziele, die sich mit dieser Methode alleine nicht einlösen lassen. Man spricht von „trägem Wissen“, das für eine Prüfung memoriert und „wiedergegeben“ wird, aber in Anwendungssituationen nicht eingebracht werden kann. Diese Problematik wird in den verschiedenen Bildungskontexten (Schule, Hochschule, Aus- und Weiterbildung) in den letzten Jahren immer eindringlicher diskutiert. Ein spontaner Transfer von gelerntem Wissen auf Anwendungsbereiche findet wesentlich seltener statt als vielfach gedacht. Aus diesem Grund kommt der Wahl der richtigen didaktischen Methode eine zentrale Bedeutung für die Nachhaltigkeit von Lerneffekten zu und deswegen hat sich der Fokus immer mehr zu kooperativen, problem-, fall- oder projektorientierten Methoden verschoben. In solchen „konstruktiven“ Lernszenarien, in denen Lernende z. B. gemeinsam an komplexen Problemstellungen mit realistischen Fällen oder ganzheitlichen Projekten arbeiten, können wesentlich weiterreichende „Kompetenzen“ erworben werden. Kompetenzen integrieren Wissen, Fertigkeiten und auch Einstellungen, die sich auf die Bewältigung bestimmter Anwendungsbereiche beziehen. Mediengestützte Lernangebote können einerseits „traditionelle“ Varianten der Präsentation von Inhalten effizient einlösen, indem z. B. Vorträge aufgezeichnet und in das Internet eingestellt werden. Mit dieser methodischen Anlage sind in der Regel einfachere Lehrziele verbunden. Wenn es darum geht,

21.6 Medienwahl

269

anspruchsvollere Kompetenzen aufzubauen, können z. B. gemeinsame Lernräume für das Bearbeiten von Aufgaben über das Internet bereitgestellt werden, es können realistische Fälle in Simulationen oder Planspielen bearbeitet werden oder umfangreichere Projekte im Internet gemeinsam umgesetzt werden. Computergestütztes Lernen wurde lange Zeit vor allem als Alternative zum „konventionellen“ Unterricht – kontrovers – diskutiert. Gerade bei internetgestützten Varianten des Lernens zeigt sich jedoch, dass sich unterschiedliche Varianten personaler Unterstützung gut in einem Lernarrangement einbinden lassen und sehr wichtig für den Lernfortschritt sein können. Vollständig unbetreutes, selbstgesteuertes Online-Lernen ist hinsichtlich seiner Zielsetzung eingeschränkt. Gerade für die Erreichung von Lehrzielen, die einen interpersonellen Diskurs voraussetzen, ist die tutorielle Betreuung sehr wichtig. Die Herausforderung besteht darin, Aktivitäten des selbstgesteuerten wie auch des kooperativen Lernens anzuregen, zu unterstützen und ggfs. zu lenken. Die Art der Betreuung ist auf die Bedürfnisse der Lernenden auszurichten; unterschieden wird zwischen: • • •

Beratung im technischen, administrativen oder persönlichen Bereich, die vor oder während eines Kursprogramms angeboten wird, Fachberatung zu spezifischen Lerninhalten, die u. a. auch Rückmeldung zur Bearbeitung von Lernaufgaben gibt und Coaching bzw. Gruppenbetreuung, das sich unmittelbar auf den Lernprozess bezieht.

Die Betreuung ist eine der wesentlichen Determinanten des Erfolgs von Angeboten des OnlineLernens, die sich positiv auf die Abbrecherquote auswirkt, allerdings nur dann, wenn die Art der Betreuung auf die Zielgruppe angepasst ist (vgl. Herrmann & Barz, 2002). Die Analyse der Erwartungen von Lernenden an die Betreuung bildet somit auch hier eine wichtige Grundlage für die Anlage des Betreuungskonzeptes. Zu bedenken bleibt: Problembasierte Lernangebote sind nicht a priori besser als rein präsentierende Darstellungen und kooperative Lernszenarien sind nicht in jedem Fall besser als selbstgesteuerte Varianten des individuellen Lernens. Tutorielle Betreuung kann hilfreich sein, wird aber nicht in allen Fällen erforderlich bzw. positiv wahrgenommen. Die Suche nach der „besten“ didaktischen Methode muss nach Terhart (2001) als irreführend bezeichnet werden. Lehr-Lernsituationen zeichnen sich durch einen hohen Grad an Komplexität aus. Die „richtige“ Lösung für solche Lernszenarien lassen sich nur identifizieren, wenn man die Gesamtheit der Faktoren bei der Konzeption einbezieht.

21.6

Medienwahl

Zu beachten ist der Unterschied zwischen didaktischen Methoden und Medientechniken: Internetgestütztes Lernen, multimediales oder mobiles Lernen sind keine didaktischen Methoden, sondern beziehen sich auf bestimmte Medientechniken für die Distribution bzw. Präsentation („delivery“). Ein Vortrag lässt sich als aufgezeichnetes Video auf DVD oder das Internet distribuieren oder als Live-Video im Internet streamen. Didaktisch relevant ist hier die Entscheidung, ob eine synchrone oder asynchrone Kommunikation gewählt wird. Eine synchrone – für Lehrende wie Lernende in der Regel aufwändigere – Variante wird man wählen, wenn eine bidirektionale Kommunikation tatsächlich stattfindet und für

270

21 Didaktische Konzeption von Angeboten des Online-Lernens

das Lernergebnis relevant ist. Andernfalls bietet die asynchrone Variante deutliche Vorteile für die Distribution und den individuellen Abruf. Als Entscheidungsgrundlage kann hierzu etwa die Media Synchronicity Theory (vgl. Dennis & Valacich, 1999) herangezogen werden. Diese macht Empfehlungen, wann sich eher ein synchrones und wann sich eher ein asynchrones Medium zur Unterstützung des Kommunikationsprozesses innerhalb einer Gruppe eignet. Die Theorie unterscheidet zwei Arten von Kommunikationsprozessen: divergente und konvergente Prozesse. Divergente Prozesse zeichnen sich dadurch aus, dass bei diesen die Informationssammlung im Vordergrund steht. Hierbei ist eine geringere Synchronität vorteilhaft, während es bei konvergenten Prozessen um die Entscheidungsfindung geht. Dieser Prozess profitiert von einer hohen Synchronität. Die Auswahl eines synchronen oder asynchronen Mediums ist nach dieser Theorie aber nicht nur von der Art des zu unterstützenden Kommunikationsprozesses abhängig zu machen, sondern auch vom Status der Gruppenentwicklung. Danach profitieren neue Gruppen eher von synchronen, schon etablierte Gruppen eher von asynchronen Medien. Zu beachten ist also, dass die Wahl des Mediums und die Wahl einer didaktischen Methode relativ unabhängig voneinander sind. Das „kooperative Lernen“ in einer Gruppe lässt sich gleichermaßen „face-to-face“ in einem Klassenraum realisieren, wie über eine Telefonkonferenz, ein asynchrones Internet-Forum, einen Arbeitsbereich in einer Groupware-Umgebung oder mit einem InstantMessenger. Damit wird deutlich, dass für die Frage der Medienwahl vor allem das Kriterium der Effizienz entscheidend ist, d. h. wie sieht das Verhältnis von Aufwand und Ertrag – unter den gegebenen Bedingungen der Zielgruppe – aus? Wie gut unterstützt das Medium die in der Gruppe zu bearbeitende Aufgabe? Wie aufwändig ist die Umsetzung eines bestimmten Szenarios und welcher Lernerfolg ist damit verbunden? Bei der Medienwahl ist allerdings zu bedenken: Ein Lernszenario – oder besser: Lernarrangement – ist in der Regel zusammengesetzt aus verschiedenen methodischen und medialen Elementen. Effiziente Lösungen zeichnen sich durch die geschickte Kombination dieser Elemente aus. Mit dem Begriff der „hybriden Lernarrangements“ (Kerres, 2002) bzw. „Blended Learning“ werden Szenarien verbunden, die sowohl Präsenzformate als auch unterschiedliche mediengestützte Elemente auf der Zeitachse anordnen. In der Praxis haben sich verschiedene Varianten etabliert, wie Präsenz- und Online-Elemente zeitlich sequenziert angeordnet werden können, in welcher Weise individuelle und Gruppenaktivitäten vorgesehen werden, wie und welche Art von personaler Unterstützung und Beratung, etwa durch ETutoren, angeboten werden.

21.7

Rolle der Medien

Die Einführung neuer Medien führt als solches keineswegs zu Verbesserungen oder gar Revolutionen im Bildungsbereich. Von einer unmittelbaren Wirkung neuer Medien auf den Lernerfolg kann nicht ausgegangen werden. Es wird vielmehr deutlich, dass die dieser Hypothese zugrunde liegende Vorstellung als solches aufzugeben ist: Medien sind kein Treatment für die Bildungsarbeit, deren Einsatz Effekte auf das Lernen erzielt, sondern ein „Potenzial“, dass bestimmte Innovationen in der Bildung unterstützen kann, die jedoch einer dezidierten Planung und Konzeption bedürfen. Werden Medien derart als Potenzial aufgefasst, rücken nicht so sehr die innovativen, technischen Merkmale der Medien

21.7 Rolle der Medien

271

in den Vordergrund, sondern die Frage, wie diese Merkmale bestimmte innovative, didaktische Ansätze, wie projektorientierte Konzepte oder das kooperative Lernen, im Feld unterstützen können. Eine wesentliche Aufgabe der Mediendidaktik besteht dann darin, diese Potenziale für die Bildungsarbeit tatsächlich einzulösen. Eine Internet-Plattform, die in der Praxis nicht genutzt wird, von Lernenden nicht akzeptiert wird, die nicht hinreichend Einsatz findet, kann überragende technische Leistungsmerkmale aufweisen; der didaktische Nutzen bleibt hierbei minimal. Die Erfahrung zeigt, dass die vielfach aufgezeigten Potenziale der neuen Medien sich in der Anwendung keineswegs von selbst einstellen, sondern vielfach Postulate bleiben ohne dauerhafte Relevanz für das alltägliche Lehren und Lernen. Angesichts mancher Misserfolge zeigt sich, dass die eigentliche Leistung darin besteht, diese Potenziale auch tatsächlich im Feld umzusetzen, für Lehrende und Lernende erfahrbar zu machen und Rahmenbedingungen zu schaffen, die den nachhaltigen Einsatz mediengestützter bzw. internetbasierter Lernangebote sicherstellen. Die Herausforderung an die didaktische Konzeption besteht weniger in der Auswahl des „richtigen“ Mediums, sondern in der zeitlichen und inhaltlichen Verzahnung und Kombination der unterschiedlichen Varianten. Die Bandbreite der medialen Umsetzungsvarianten ist in den letzten Jahren enorm angestiegen. Mit der ubiquitären Verfügbarkeit von Internet und digitalen Medien und deren selbstverständlichen Nutzung und Integration in den privaten und beruflichen Alltag sind Elemente des mediengestützten Lernens zunehmend selbstverständlich. Mit der wachsenden Anzahl der Optionen für die Gestaltung entsprechender „Lernarrangements“ ist jedoch auch ein deutlich professionelleres Bildungsmanagement gefordert, um diese Optionen angemessen auf die sich konkret stellenden Herausforderungen zu gestalten.

22

Potenziale von IPTV, iTV und WebTV für das Online-Lernen

Robert Strzebkowski

Im Aufsatz werden zunächst einige wesentliche Trends der aktuellen Veränderungen in der digitalen Medienlandschaft herauskristallisiert. Der exponentielle Zuwachs von Video- und WebTV-Angeboten im Internet, die Bedeutung von IPTV für die Medienbranche sowie das Web 2.0 Phänomen mit dem Focus auf vernetzte/ Applikationen sind einige Aspekte. Anschließend werden die aktuellen Nutzungsbedürfnisse der Medien Internet und Fernsehen untersucht. Dabei wird festgehalten, dass Fernsehen nach wie vor das bedeutendste digitale AV-Medium ist und dass die Inhalte – hier insbesondere Informationssendungen - sowie die Möglichkeiten der Individualisierung der Programmzusammenstellung für die Nutzer eine besonders wichtige Rolle spielen. Hierzu werden die medientechnischen Möglichkeiten und Rahmenbedingungen vor allem im Umfeld des Broadcast-basierten Fernsehens sowie des iTV und IPTV betrachtet. Unter der Prämisse des informellen Lernens werden abschließend konkret die aktuellen Informations- und Lernmöglichkeiten mit IPTV und WebTV Angeboten beleuchtet sowie die zukünftigen Entwicklungen in Richtung eines ‚TV 2.0’ Ansatzes analysiert. Aspekte der Personalisierung, der Metadaten sowie semantischer Verlinkungen zwischen verschiedenen Medien und Online-Services sind dabei bedeutend. Schlüsselbegriffe: IPTV, iTV, Personalisierung, Interaktivität, informelles Lernen, Individualisierung, TV 2.0, Metadaten, semantische Informationsvernetzung, Web 2.0, WebTV

274

22 Potenziale von IPTV, iTV und WebTV für das Online-Lernen

22.1

Einführung

„The end of television as we know it“ ist eine markante Überschrift eines Forschungs- und Positionspapiers der IBM Business Consulting Services, die sehr treffend die aktuell stattfindenden Veränderungen in der Landschaft der audiovisuellen digitalen Medien beschreibt (IBM, 2006). Durch die Aspekte der Digitalisierung, der permanenten Online-Verfügbarkeit, der Konvergenz unterschiedlicher Medientechnologien sowie einer zunehmenden hypermedialen Vernetzung von Applikationen und Diensten entstehen neuartige mediale und inhaltliche Angebote. Verstärkt durch die Aspekte der Interaktivität und der Mobilität der Medienangebote und Dienste ändern sich die vorhandenen und es entstehen neue Nutzungsweisen der Medien. Web 2.0 – von passiven Konsumenten zu aktiven Vernetzern Noch vor dem Einzug der TV- und Videomedien in das Internet wurde vom Tim O’Reilly (O’Reilly, 2005) das Zeitalter des sog. Web 2.0 ausgerufen. Eines der wesentlichen Aspekte dieser Form der Online-Applikationen für die weitere Betrachtungen in diesem Beitrag ist die hypermediale Vernetzung unterschiedlicher Inhalte und Anwendungen mit Hilfe sog. Web-Services10 zu einer für den Betrachter homogen aussehenden Applikation – sog. „Mashups“.

Abb. 22.1: Beispiel der sog. Web 2.0 Anwendungen. Links: das Community-Portal flickr mit vernetzten Services – Landkarte und zu den Orten dazugehörige Fotos. Rechts: multimediales räumlich-visuelles MeshUp im Musikbereich

Web 2.0 Anwendungen werden heutzutage täglich von knapp 50 % der weltweiten Internet-Nutzer in Anspruch genommen (Smith, 2006). Auf bekannten Web 2.0 Portalen wie MySpace, YouTube, Facebook, Flickr, StudiVZ, MyVideo und vielen anderen schlüpfen die Teilnehmer sehr oft in die Rolle so

10

Mit Web-Services sind Schnittstellen zwischen Online-Applikationen gemeint, die vorwiegend auf XML-Basis miteinander kommunizieren und Daten automatisch austauschen können.

22.2 Aktuelle Nutzungstrends (nicht nur) digitaler AV-Medien

275

genannter ‚Prosumer’, also aktiver Nutzer, die selbst Medienangebote herstellen und in diesen Communities bereitstellen11.

22.2

Aktuelle Nutzungstrends (nicht nur) digitaler AV-Medien

22.2.1

Die Nutzungsbedürfnisse bei TV und Internet

Mehrere Studien zur Mediennutzung in Deutschland bestätigen, dass das Medium Fernsehen trotz des stark gewachsenen Internet-Angebots insgesamt nach wie vor bei vielen Nutzergruppen das wichtigste Medium oder auch das sog. ‚Allround-Medium’ ist (Gleich, 2008; SevenOne Media, 2007). Gleichwohl gibt es im Detail Unterschiede in der Präferenz der Medien Fernsehen und Internet hinsichtlich deren funktionaler Verwendung, der sog. Gratifikationen und der Erlebnisfaktoren (Oehmichen & Schröter, 2007). Für die Erforschung der Bedürfnisse der TV- als auch der Internetnutzer wurde u. a. ein Raster aus fünf sog. Erlebnisfaktoren aufgestellt. Diese sind: 1. 2. 3. 4. 5.

Emotionalität (Spaß, Entspannung, Spannung) Orientierung (Inhalte zur Meinungsbildung zur Denkanregung, Lerninhalte) Ausgleich (vom Tageablauf ablenkende und beruhigende Inhalte) Zeitvertreib (Nutzung des Mediums, um Langeweile zu vertreiben) Soziales Erleben (Teilnahme an Communities, Kommunikativer Austausch) (Oehmichen & Schröter, 2007).

So wird beispielsweise dem Medium Internet eine deutlich höhere Orientierungsleistung zugeschrieben. Insbesondere die jungen und medienaktiven Zielgruppen bedienen sich sehr gerne der interaktiven On-Demand-Technik des Internet zum zeitunabhängigen Abruf von Informationen und Nachrichten, zunehmend jedoch auch die älteren Nutzer ab 50 (Eimeren & Frees, 2007).

22.2.2

„Content is King“ und die Informations-Sparte ist die ‚Queen’

Ein thematisch interessantes Videoangebot ist für die Zuschauer oft wichtiger als dessen technische Qualität. Das beste Beispiel hierfür liefern Video-Portale wie YouTube und ähnliche, auf denen Videound TV-Beiträge im On-Demand Stil in einer minderen Qualität angeboten werden. Trotz dieser technischen Unzulänglichkeiten konsumieren Millionen Menschen tagtäglich und wiederholt solche Angebote. Durch die Digitalisierung der TV-Übertragungswege entstanden zusätzliche Frequenzbereiche, die durch neue Programme gefüllt werden konnten. Als erfolgreiches Beispiel für ein umfangreiches

11

Im Januar 2008 wurden auf der Plattform MyVideo täglich im Schnitt 9.000! neue Videobeiträge eingestellt (MyVideo, 2008)

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22 Potenziale von IPTV, iTV und WebTV für das Online-Lernen

Programmangebot kann das British SKY Broadcasting (BSkyB) Corporation in England genannt werden. Mit mehreren hundert digitalen Kanälen werden dem Kunden vielfältige Inhalte per Satellit angeboten. Für den Empfang dieses Service benötigt der Kunde eine spezielle Set-Top-Box (STB) mit integriertem digitalen Video-Recorder (DVR).

Abb. 22.2: Screenshots des Electronis Program Guides (EPG) von BSkyB. Links: die übergeordneten Kategorien/Sparten, rechts: Ausschnitt der digitalen Kanäle aus der Sparte „Documentaries“.

Die über 500 TV Kanäle bei Sky sind in sog. Spartenkategorien, wie Movies, Lifestyle & Culture, Documentaries, News usw. organisiert. Spartennutzung und Spartenbildung entsprechen dem aktuellen Trend im Fernsehbusiness sowohl im Broadcast- als auch im Internet-Bereich. Diesen Trend belegen die in den letzten Jahren etablierten Broadcast-Spartensender wie CNN, Discovery Channel, History Channel, National Geographic Channel oder The Style Network oder viele Sportartensender usw. Im Internet begegnet man thematischen WebTV Channels wie CyclingTV, SpeedTV, TasteTV oder The Horse TV usw. Unter den vielen Sparten und Genres wächst deutlich die Sparte Information, repräsentiert durch Formate wie Dokumentationen, Berichte oder Reportagen. Insgesamt entfallen im Schnitt täglich über 60 Minuten und damit ca. 36 % der täglichen Sehdauer der deutschen Zuschauer auf die Sparte Information. 60 % der Informationsangebote werden bei den öffentlich-rechtlichen und 40 % bei den privaten Sendern angesehen.

22.2.3

Der Zuschauer als „King“ – die Individualisierung der TV- und Videokonsumption

Die individuelle Zusammenstellung eines eigenen Fernsehprogramms wird heutzutage durch die neuen digitalen TV-Technologien, zunehmend verfügbare Media-On-Demand TV-Dienste im IPTV und WebTV sowie die Medienkauf und -Leihangebote gefördert. Die digitale Videorecorder-Technologie spielt zunehmend eine wichtige Rolle bei der Individualisierung der TV- und Videokonsumption. Mit Hilfe der DVR-Geräte, deren intuitiven interaktiven Benutzeroberflächen sowie der mitausgestrahlten Service-Informationen im DVB-Stream als sog. elektroni-

22.2 Aktuelle Nutzungstrends (nicht nur) digitaler AV-Medien

277

scher Programmguide (EPG – vgl. Abb. 22.2) können die Zuschauer relativ leicht TV-Programme zur Aufnahme mit einem Knopfdruck per Fernbedienung programmieren (IBM, 2007). Damit lassen sich sehr leicht Serienaufnahmen von Magazinen und Informationssendungen durchführen/sammeln.

22.2.4

iTV – erfolgreiche Konzepte des interaktiven Fernsehens für das Informieren und Lernen

Sehr gelungene und gut etablierte Beispiele für iTV-Anwendungen sind in England bei der BBC auf der iTV-Plattform der BSkyB Gruppe vorzufinden. Die interaktiven Nachrichten sind ein exzellentes Beispiel hierfür, bei denen der Zuschauer zeitunabhängig die aktuellen News aus der jeweiligen Sparte auswählen und sich die im Schnitt ca. 3 Minuten dauernden Sequenzen anschauen kann. Dabei kann der Zuschauer flexibel zwischen einer kleinen ‚Thumbnail’-Abbildung und der normalen Videogröße wechseln (vgl. Abb. ). Die Inhalte werden alle 30 Minuten modifiziert. Ein weiteres interessantes iTVBeispiel bietet der National Health Serrvice NHS. Hier können sich die Zuschauer interaktiv zu vielen Gesundheits- und Krankheitsthemen und Symptomen informieren. Die interaktiven TV-Dienste in England erfreuen sich großer Beliebtheit. Etwa 40 % der BSkyB Abonennten nutzen die interaktiven TV-Applikationen der Plattform, und 30 % der gesamten Digital-TVZuschauer in England nutzen wöchentlich die BBC interactive-Services (De Freitas & Bagur, 2007; BBC; 2008a).

Abb. 22.3:

Links: Screenshot der interaktiven TV-Anwendung ‚SKY-NEWS’, rechts: der National Health Service.

Bei den iTV-Anwendungen gibt es eine Reihe von Applikationen, die einen Rückkanal erfordern. Hierzu zählen z. B. Votings, Wetten, Kommunikation mit E-Mail oder Transaktionen/Einkäufe. Im Zuge der exponential wachsenden Breitbandzugänge mit den sog. Flatrates wird ein stets verfügbarer Rückkanal auch für Media-On-Demand Dienste bald eine Selbstverständlichkeit sein.

278

22.3

22 Potenziale von IPTV, iTV und WebTV für das Online-Lernen

Aktuelle und zukünftige Potentiale des Informierens und Lernens mit Digital-TV und IPTV

Etliche Studien belegen, dass informelles Lernen mit Fernsehangeboten – ob inzidentell oder zielgerichtet – gut funktioniert (Fisch, 2005). Die meisten Studien zu diesem Thema sind mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt worden. Die Lernwirkung mit Hilfe des Fernsehens beruht sowohl auf intrinsischer Motivation als auch auf extrinsischen Motivationsaspekten von TV-Angeboten, die die Aufmerksamkeit und Emotionalität der zuschauenden Personen stark binden.

Abb. 22.4:

WebTV-Angebot des BBC speziell aufbereitet für den formalen schulischen Nutzungskontext

Die Bandbreite der Lerninhalte im Fernsehen ist sehr groß: von naturwissenschaftlichen Fachgebieten über historische, politische oder wirtschaftliche Themen bis hin zur Kultur- und Gesellschaftsthemen (vgl Abb. 22.4). Die Programmformate für Informationssendungen sind ebenfalls vielfältig: von klassischen Nachrichten, gefolgt von wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Magazinsendungen, Ratgebern, Bildungsfernsehangeboten über sog. Infotainment-Angebote mit humoristischen und dramaturgischen Elementen bis hin zu unterschiedlichen Talkshowformaten. Mit dieser Gestaltungsvielfalt werden unterschiedliche Zielgruppen und Altersstufen mit ihren Bedürfnissen und Interessen sehr gut angesprochen. Viele der ausgestrahlten Broadcast TV-Informationssendungen werden als Videosequenzen in sog. Mediatheken oder auf Webseiten der TV-Sender als WebTV- oder als Podcast-Angebot für einen OnDemand Abruf bereitgestellt (vgl. Abb. 22.5).

22.3 Aktuelle und zukünftige Potentiale des Informierens und Lernens mit Digital-TV und IPTV

Abb. 22.5:

279

Links: Ausschnitt aus dem WebTV-Angebot des TV-Senders ARTE, rechts: das Videopodcast Angebot des WDR

Außer Videosequenzen bieten die TV-Sender oft zusätzliche Informationsmaterialien zu den Sendungen. Dieses Angebot wird von den Zuschauern und Internetnutzern stark angenommen, beispielsweise besuchen 15 Mio. Nutzer/Zuschauer monatlich die entsprechenden Webseiten von BBC Interactive (BBC, 2008b). Dabei werden oft interaktive Applikationen und Animationen angeboten, die vor allem zum besseren Verständnis komplexer Sachverhalte dienen. Die ersten Broadcast IPTV-Dienste wie T-Home Entertain bspw. bieten über eine Set-Top-Box und eine Fernbedienung Zugang zu einer Vielzahl von Sendungen in kostenfreien Archiven oder als kostenpflichtige Leihangebote in Form von Video-On-Demand (VoD) (vgl. Abb. 22.6). Auch über das offene Internet gibt es neben TV-Sendern zunehmend weitere Anbieter mit WebTV- und VoDDiensten, mit einem reichhaltigen Angebot von Informationssendungen. Als gutes Beispiel kann hier der VoD-Service MAXDOME genannt werden.

280

22 Potenziale von IPTV, iTV und WebTV für das Online-Lernen

Abb. 22.6: Links: ein Screenshot aus dem Archiv-Angebot der T-Home IPTV Plattform (CNN Videoclips der letzten Woche), rechts: das kostenpflichtige VoD Angebot an Informationssendungen/Dokumentationen bei der MAXDOME IPTVPlattform im offenen Internet.

Über sog. Media-Center-Technologien als einer besonderen Ausprägung von Set-Top-Boxen können auf einem Fernseher IPTV-Dienste über das offene Internet genutzt werden. Vorreiter auf dem Markt ist hier das Microsoft Media Center System, das oft bereits auf PC’s mit dem VISTA Betriebssystem von Microsoft mitinstalliert wird. Als gelungene Beispiele solcher Anwendungen kann hier die ZDFMediathek als auch das n-tv-Nachrichtenportal genannt werden (vgl. Abb. 22.7). Zu bemerken ist an dieser Stelle ein wichtiger Aspekt der Aufbereitung der Navigations- und Interaktionsfunktionen für die Nutzung mit Hilfe einer Fernbedienung als Eingabegerät.

Abb. 22.7:

Links die Microsoft Media-Center Version des n-tv plus Portals, rechts die ZDF-Mediathek.

Außer der hier bereits vorgestellten TV-Sender-Mediatheken oder sog. VoD-Portale wie MAXDOME müssen die weltweit ca. 9000 kleineren WebTV- und Internet-Video- Angebote genannt werden, die meist auf ein bestimmtes Themenspektrum spezialisiert sind. Bei diesen WebTV-Angeboten spielt der Inhalt eine enorm wichtige Rolle für die Nutzer-Community, die auch oft selbst eigene Beiträge beisteuert. Das Themenspektrum ist hier unbegrenzt.

22.3 Aktuelle und zukünftige Potentiale des Informierens und Lernens mit Digital-TV und IPTV

22.3.1

281

Die Zukunft des Informierens und Lernens mit TV – TV 2.0

Der Blick in die zukünftige Entwicklung von IPTV, WebTV und iTV Diensten kann mit folgenden Stichworten beschrieben werden: Semantik, Metadaten, Dienste-Vernetzung und Personalisierung. Der Aspekt einer genaueren semantischen Erfassung sowohl der Video- als auch aller weiteren für die Zuschauer und Nutzer relevanten Medienobjekte ist von immenser Bedeutung. Im Zeitalter einer medialen Inhalte-Explosion müssen zum einen den Zuschauern die Zugangsmöglichkeiten zu den gesuchten Informationen geboten werden, zum anderen sollten die Medienanbieter daran interessiert sein, dass ihre Contents gefunden und gekauft werden. Hier spielen bereits jetzt gezielte Empfehlungsmechanismen von Inhalten und Werbung für die Zuschauer eine bedeutende Rolle. Viele der WebTV und einige IPTV-Anbieter erkennen bereits die Bedeutung der semantischen Zusammenhänge zwischen dem inhaltlichen Medienangebot, der Werbung sowie den Vorlieben der Zuschauer/Nutzer (Chen & Magoulas, 2005).

Abb. 22.8: Schematische Darstellung der Komponenten eines IPTV-Empfehlungsystems mit offenen Schnittstellen zu weiteren Internet Online-Diensten und -Inhalten

Genaue semantische Beschreibungen der Inhalte, deren semantische Zusammenhänge sowie die Erfassung der Zuschauerprofile können mit Hilfe von Metadaten realisiert werden. Hier bieten sich Standards wie MPEG-7 (z. B. TV-Anytime) und MPEG-21 an, die für diesen Zweck die entsprechenden und weitgehend ausreichend ausgebauten Frameworks bereithalten. Auf der Basis von metadatenbasierten IPTV-Systeme sind TV-Applikationen realisierbar, die den Zuschauern zu gerade konsumierten Inhalten semantisch verwandte Inhalte anbieten als auch gezielt Produkte und Dienstleistungen hierzu bewerben können.

282

Abb. 22.9:

22 Potenziale von IPTV, iTV und WebTV für das Online-Lernen

Schematische Darstellung der Funktionsweise des Angebots semantisch relevanter Medien beim TV-Konsum

Notwendig für die Nutzung eines möglichst ganzheitlichen Angebots von Informationen wäre die Integration von Internet-TV Angeboten sowie weiterer Online-Inhalte und -Services zu einem integrativen, hybriden und damit auch voll konvergenten TV 2.0 Konzept.

23

Technologien für das Mobile Lernen

Michael A. Herzog & Jürgen Sieck

Die Vielfalt von mobilen Geräten und Präsentationsumgebungen erfordern sehr flexible Lösungen bei der automatischen Contenterstellung und -adaption. Qualitativ hochwertige Produktionen müssen bisher aufwendig manuell an die jeweiligen Verwendungszwecke angepasst werden. Die zunehmende Verbreitung vollwertiger Web- und Medienformat-Standards in mobilen Betriebssystemen ermöglicht die zunehmende Nutzung von Lehrmaterial, das für die stationäre Nutzung entwickelt wurde. Im folgenden Beitrag wird neben der Charakterisierung und Klassifikation des gegenwärtigen Standes des Mobilen Lernens versucht, die Trends der Content- und Medienproduktion für mobile Anwendungen aufzuzeigen. Schlüsselbegriffe: Mobiles Lernen, Lernszenarien, Contentproduktion, Medienproduktion

284

23 Technologien für das Mobile Lernen

23.1

Mobiles Lernen im Education 3.0 Kontext

Elektronisch unterstütztes Lernen für den mobilen Menschen gibt es seit der Einführung der ersten transportablen PCs Ende der 1980er Jahre und ist ständigen Veränderungen sowohl in technischer als auch didaktischer und organisatorischer Hinsicht unterworfen. Der Versuch, eine Systematik zur Entwicklung des Mobilen Lernens aus heutiger Sicht zusammenzustellen, wurde in Tab. 23.1 unternommen. Die Aufstellung bringt zum Ausdruck, wie sich Lehren und Lernen mit den Möglichkeiten des offenen Informationszugangs und der elektronischen Kommunikation verändert. Mittel- bis langfristig ist zu erwarten, dass sich Mischformen des Lernens aus den Kategorien 1 bis 3 bilden und etablieren werden, allerdings mit einem deutlichen Trend zur Individualisierung und zum vom aktiven Lernenden ausgehenden Lernprozess, d. h. einer Verschiebung zum „E-Learning 3.0“ Paradigma und damit zu einer permanenten, ortsunabhängigen Nutzbarkeit von Lernmedien. Durch verschiedene Projekte der Kategorie „E-Learning 3.0“ wurde bereits gezeigt, dass gerade berufsbegleitendes Lernen durch kleinteiligere, zum Arbeits- oder Aufgabenkontext passende Lernangebote mit mobilem Zugang günstig unterstützt werden kann, ohne dass entsprechend breit konzipierter Content aufwändig produziert und didaktisch eingerichtet werden muss. Diese Form liegt offenbar dem „Learning on the job“ Prinzip am Nächsten. Nicht alle Lerninhalte lassen sich in einem solchen Konzept transportieren, aber für viele Bereiche scheint sich dieser Trend klar abzuzeichnen12. Die empirische Forschung zum Vergleich der Wirksamkeit der skizzierten Ansätze steht derzeit noch aus. Von flächendeckender elektronischer Unterstützung der beschriebenen E-Learning-Entwicklungsstufen kann derzeit noch nicht gesprochen werden (Werner, 2006). Selbst Unternehmen setzen E-Learning zumeist noch als Nischenanwendung ein (Michael, 2006). Als Ursache für die Zurückhaltung lassen sich die allgemein als hoch bewerteten Kosten für die Herstellung von interaktiven Lernanwendungen und Nachteile gegenüber der Präsenzlehre ausmachen. Der hohe Motivationsvorsprung der Präsenzlehre gegenüber den elektronischen Lernformen dürfte hier ganz wesentlich sein. Dazu wurden in den meisten Untersuchungen auch Akzeptanzprobleme z. B. bei älteren Rezipienten oder Lernenden mit weniger von IT geprägten Tätigkeitsfeldern angeführt.

12

Im postgradualen, berufsbegleitenden Weiterbildungskurs „Mobile Computing“ an der HTW Berlin konnte beispielsweise in drei Teilnehmergruppen beobachtet werden, dass gerade kleinteilige E-Learning-Lernangebote besonders stark nachgefragt wurden.

23.1 Mobiles Lernen im Education 3.0 Kontext

285

E-Learning 1.0

E-Learning 2.0

E-Learning 3.0

Technische Komponenten

Courseware Learning-ManagementSysteme (LMS), Autorenwerkzeuge

Learning-ContentManagement-Systeme (LCMS), Diskussionsgruppen, Blogs

Akteure

Top-Down Lehrer-getrieben

kollaborativ kooperativ

Gegenstand

Faktenwissen (Know That)

prozedurales Wissen (Know How)

Entwicklung

lang und aufwändig

schnell und effizient

Rezeptionsumfang Nutzungszeit Distribution Zugriff Mobilität

60-90 min vor oder nach der Arbeit in einem Stück LMS ortsgebundene, stationäre Nutzung

Treiber und Contentersteller Inhalt

Lehrer

10-20 min in Pausen in vielen Teilen E-Mail, Forum, Blog stationärer Zugriff, gelegentliche Mobile Nutzung, Mobile Offline Medien partizipativ (mehr Lehrer als Lerner) traditionelles Material und OpenContent

Wiki, Social networking & bookmarking, Add-ins, Mash-ups Bottom-up Lerner-getrieben Peer-learning Kombination aus Fakten-, prozeduralem und sozialem Wissen nahezu kein Entwicklungsaufwand 1-3 min während der Arbeit bei Bedarf Suche, RSS Feed permanent ortsunabhängiger, mobiler ad-hoc Zugang

Rolle des Lehrers Rolle des Lerners

Tab. 23.1:

traditionelles, urheberrechtlich zuzuordnendes Lehrmaterial Wissensquelle Wissenssenke, eher passive Lernhaltung

Rahmengestalter, Arrangeur Mix aus klassischen und kollaborativen, aktiven Lernformen

Lerner, Community OpenContent, User generated Content Kritiker und Helfer Gestalter eigener Wissensräume, selbstbestimmter Lernprozess

13

Genese des E-Learning

Die verstärkte Nutzung von Video für das Lernen, insbesondere auch die Einbeziehung der Lernenden bei der Erstellung von videobasiertem Content, markiert einen weiteren Trend in Richtung E-Learning 3.0. Als Belege dafür dürfen die hoch frequentierten speziellen Lernrubriken in Videoportalen wie Youtube oder Mogulus gelten, die für die mobile Distribution bereitgestellt werden. Neben dem Zugang zu videobasierten Lerninhalten über große Videoportale finden auch speziell auf Lerncommunities zugeschnittene Angebote ihren Platz im E-Learning 3.0 Umfeld, wie die Anfang 2008 in Berlin eröffnete Community „Sofatutor“. Da elektronisches Lehren und Lernen insbesondere durch die technischen und soziologischen Entwicklungen des Internet beeinflusst sind, dürfte die Frage, wie sich das Web weiterentwickeln wird, ein ganz wesentlicher Aspekt der Trendbewertung sein. Während sich das (Mobile) Web in der ersten

13

Systematik und Inhalt dieser Tabelle wurden inspiriert von Tony Karrer und Artikeln von Derek W. Keats und J. Philipp Schmidt (2007) sowie von Peter Baumgartner (2006).

286

23 Technologien für das Mobile Lernen

Phase durch eher statische Inhalte auf HTML-Seiten auszeichnete, deren Autoren sich noch eindeutig zuordnen ließen, hat sich das Web 2.0 entgegen der ursprünglichen Prognosen (Berners-Lee & Fischetti, 1999) zu einem Social Web entwickelt, das überwiegend mit User-Generated-Content, kollaborativen Portalen und Folksonomies in Verbindung gebracht wird. Die bereits für die zweite Generation des Web prognostizierte Wirkungsentfaltung semantischer Funktionen, die durch computerlinguistische Analyse und Algorithmen der Künstlichen Intelligenz eine neue Qualität des Informationszugangs bewirken sollten, prägt nun die Visionen der Technologen für die dritte Generation des World Wide Web. „Der Content vernetzt sich selbst“ (Brody, 2008). Verknüpfungen werden nicht mehr nur durch Menschenhand hergestellt, sondern algorithmisch ermittelt und damit Verbindungen generiert, die den Content in anderen Zusammenhängen neu sichtbar und erkennbar machen. Vor allem das automatische Schlussfolgern wird als technischer Ansatz gegen die Unzulänglichkeiten des Suchens, die Heterogenität der Informationsdarstellung und die Probleme des impliziten Wissens im Web angesehen (Hitzler et al., 2008). Diese Entwicklungsperspektive wurde bei der Beschreibung der Genese des E-Learning in Tab. 23.1 bereits berücksichtigt. Beispielsweise setzt der vornehmliche Informationszugriff auf Lerninhalte über die Suche und RSS-Feeds voraus, dass ein verbesserter Zugang zu Textinformationen und eine entsprechende automatische Content-Aggregation zum Standard gehören.

23.2

Trends in der M-Learning-Medienproduktion

Neben den durch nutzergenerierte Inhalte und Communities gestalteten, eher kleinteiligen Lerninhalten, sind die in den vergangenen Jahren mit großem Aufwand produzierten hochwertigen multimedialen Lerneinheiten in einem wesentlichen Punkt in der Kritik. Das gravierendste ökonomische Hemmnis, das schon seit vielen Jahren immer wieder beklagt wird, ist die mangelnde Austauschbarkeit dieser elektronischen Lernangebote. Gefordert wird eine Art globale Börse, ein elektronischer Handelsplatz für E-Learning-Inhalte14. Die technischen Voraussetzungen für die Austauschbarkeit der Inhalte wurde insbesondere mit der ADL/SCORM Standardisierung verfolgt15, die jedoch aus verschiedenen Gründen noch keine große Marktdurchdringung erreichen konnte: Technische Kritik wird insbesondere an der mangelnden Kompatibilität von Learning-Management-Systemen und Content-Management-Systemen aber auch an der individuellen Flexibilität in didaktischer Hinsicht geäußert. Die Durchlässigkeit zwischen den Formaten bei E- und M-Learning-Anwendungen stellt eine wesentliche Komponente zur Wirtschaftlichkeit dar. So können Contentproduzenten ihre Produkte nur dann austauschen, für ihre Bedürfnisse anpassen und weiterentwickeln, wenn Standardisierungen vorhanden sind und genutzt werden. Die Grenze der Konvertibilität liegt dabei weniger in der didaktisch-/ 14

Realisiert wurde dieses Konzept beispielsweise beim Webkolleg NRW. http://www.webkolleg.nrw.de

15

Die Advanced Distributed Learning (ADL) Initiative wurde 1997 mit dem Ziel gegründet, die Entwicklung von dynamischer und kostengünstiger Lernsoftware zu beschleunigen und einen Markt für E-LearningAnwendungen zu etablieren. Die technische Beschreibung von E-Learning-Content wird mit dem Sharable Content Object Reference Model (SCORM) realisiert. http://www.adlnet.gov/scorm/

23.2 Trends in der M-Learning-Medienproduktion

287

organisatorischen Struktur, wie sie etwa bei SCORM angelegt ist, sondern eine Ebene tiefer in der Austauschbarkeit und Weiterverarbeitung der multimedialen Daten aus der Autorensoftware. Bei der Betrachtung der Produktionsprozesse für E- und M-Learning-Applikationen wurde in den letzten Jahren festgestellt, dass die zeit- und kostenaufwändige Herstellung die eigentlichen Vorteile von Elektronischem Lernen schnell wettmacht (de Vries, 2004). In diesem Kontext gewann die Diskussion um den so genannten Rapid-E-Learning-Ansatz an Bedeutung (vgl. z. B. de Vries, 2004; Mayberry, 2004). Die Zielrichtung ist dabei in erster Linie eine kostengünstige und schnelle Erstellung von E-Learning-Inhalten mit einfachen und prozessorientierten Methoden sowie mit möglichst geringen personellen Ressourcen. Diese Inhalte sollen sich natürlich auch mobil nutzen lassen. Der Einsatz von Werkzeugen, die bei den Learning-Content-Autoren eingeführt sind – z. B. Powerpoint bei Hochschullehrern – erspart erhebliche Einarbeitungszeiten, senkt die Zugangsschwelle für die Produktion der gewünschten Medien und verkürzt den Produktionsprozess. Der inhaltliche Experte16 rückt im Vergleich zum Technischen Editor oder Gestalter als hauptsächliche Ressource in den Mittelpunkt. Eine technische Bewegung, die für die Entwicklung des M-Learning ebenfalls von prägender Bedeutung sein wird, ist die Verstärkung des Trends zur Konvergenz der Medien. So werden Web-Medien heute keinesfalls mehr als Gegensatz zu Print-Medien gesehen, sondern stellen eine sinnvolle Ergänzung dar. Der Medienbruch kann durch QR-Codes17, DataMatrix18 oder Semapedia-Tags19 aufgelöst werden: Ein Leser fotografiert den zu einem Artikel oder einer Anzeige gedruckten Barcode und wird sofort mit zusätzlichen Online-Informationen versorgt. Dafür eignet sich sowohl ein Mobiltelefon mit eingebauter Kamera als auch ein Computer mit Kamera oder Scanner. Die Bedeutung der Mobilität zeigt sich nicht nur in der Entwicklung von Infrastruktur und Leistungsfähigkeit der Endgeräte, sondern auch an der immer flexibleren Medienverwendung (Abb. 23.1).

16

english: Subject Matter Expert, SME

17

Standard ISO/IEC 18004

18

Standards ISO/IEC 16022:2000 und ISO/IEC 24720:2006

19

vgl. http://www.semapedia.org/

288

23 Technologien für das Mobile Lernen

Abb. 23.1:

Mobilität als Trend im Web 3.0

Echte Ortsunabhängigkeit mit einem persönlichen mobilen Gerät, einschließlich einer Vielzahl mobiler Dienste und Anwendungen wie Lokalisierung, Kontexterkennung, Blogging oder Gruppenspiele auf der Basis von ad-hoc Netzwerken öffnen die Tür zu einer neuen Generation von Medienanwendungen.

23.3

Systematik des Mobilen Lernens

Traditionell steht das audiobasierte Medium für mobile Medien im Mittelpunkt und besitzt ein hohes Potential für das effektive Lernen. Analog zu Hörbüchern wird auch den gesprochenen Lehrbüchern künftig mehr Bedeutung zukommen. Als Vorbild für audiobasierte mobile Lernanwendungen können die schon seit Jahrzehnten etablierten Audio-Guides in Museen genutzt werden, die sowohl didaktisch/methodisch als auch inhaltlich zu besonders intensiven Lernerfolgen beitragen20. Mit der Entwicklung von Multimedia-Guides haben sich inzwischen ganz verschiedene multimediale Lernanwendungen in Museen etabliert, die von empirischen Studien begleitet, frühe Erfahrungen in die Diskussion von Mobilen Lernumgebungen eingebracht haben. Wegweisend waren vor allem die Projekte im Exploratorium San Francisco (Semper & Spasojevic, 2002), in der Tate Modern London (Proctor & Burton, 2003), im Smithsonian Center for Education and Museum Washington (Hall, 2004) oder im Franklin Institute Philadephia (Elinich, 2004). Lernen als „Feldversuch“, experimentelles Lernen an Objekten und entdeckendes Lernen im Gelände ist nicht nur für Studierende der Archäologie oder Kunstgeschichte von Interesse, sondern könnte auch in naturwissenschaftlichen oder technischen Fächern zum Einsatz kommen, wenn entsprechende Medien und Umgebungen dafür zur Verfügung stehen.

20

Zu E- bzw. M-Learning-Projekten in Museen, Wissenschaftsseinrichtungen und Galerien ist der ausführliche Online-Artikel von Roy Hawkey (2004) lesenswert.

23.3 Systematik des Mobilen Lernens

289

Erste mobile Trainingsangebote wurden seit etwa 2002 in kommerziellen Einzelanwendungen als CBT für Mobiltelefone entwickelt, sofern sie für einen großen Nutzerkreis ökonomisch herzustellen waren. Prominente Beispiele aus dem deutschen Sprachraum sind Lernanwendungen zum Bootsführerschein oder für das Medizinstudium, mobiles Gedächtnistraining oder die Simulation mathematischer Gleichungen auf Mobiltelefonen21. Während mit mobilen Lernanwendungen im Museumsbereich schon längere Erfahrungen bestehen, sind die Hochschulen etwa im Jahre 2004 vor allem mit der Einführung von lernbegleitenden Podcasts in die Experimentierphase zum Mobilen Lernen eingetreten. Die Entwicklung lässt sich aus einer internationalen Umfrage zum Stand von Mobile Learning der Autoren Zawacki-Richter & Brown auf der MLEARN 2006 gut ablesen (Abb. 23.2).

   

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Abb. 23.2:

Umfrage – „Mobiles Lernen ist an meiner Einrichtung ...“ (Zawacki-Richter & Brown, 2006)

Die vielfach als zögerlich empfundene Verbreitung mobil einsetzbarer akademischer Lernanwendungen hat ursächlich auch damit zu tun, dass die Herstellung eine Auseinandersetzung mit der speziellen Didaktik und den Beschränkungen dieser Medien, aber vor allem auch mit der Technologie dahinter bedeutete. Der Aufwand, mobile Medien zu erstellen, übersteigt zumeist immer noch den Aufwand der klassischen Folienerstellung mit Powerpoint um ein Vielfaches und benötigt spezielle Werkzeuge oder Plattformen. Neue Werkzeuge und Plattformen im Umfeld von Flash oder MPEG4 lassen hier mittelfristig erhebliche Verbesserungen erwarten. Mit dem Aufkommen der RSS Podcasts als Distributionskanal wurden die individuellen Radiosendungen zu Vorbildern für leicht zu handhabende und mobil nutzbare Medien sowohl in der Nutzung als auch für die Produktion und Verteilung. Dieser Technik haben sich weithin die Rundfunkanbieter bedient, allen voran die BBC22 und auch das Deutschlandradio23, die ihren Kunden damit frühzeitig 21

Für die Visualisierung mathematischer Probleme eignete sich besonders die Vektordarstellung mittels SVGTiny, das seit April 2002 zur Verfügung steht und seitdem auch von verschiedenen Anbietern auf mobilen Telefonen unterstützt wird, vgl. http://www.w3c.de/Press/svg11-pressrelease.html

22

http://www.bbc.co.uk/radio/waystolisten/podcasts/

290

23 Technologien für das Mobile Lernen

zeit- und ortsunabhängige individuelle Programmangebote bieten. Mittlerweile sind auch mobile TVAngebote als Vodcasts etabliert. Diese Medien haben auch den M-Learning-Bereich beflügelt, indem immer mehr Lernangebote als Podcast zur Verfügung gestellt werden, entweder als „Mitschnitt von Vorlesungen“, als speziell aufbereitete Lerneinheiten oder als gesprochenes Lehrbuch, meist verbunden mit visuellen Informationen24. Lehrbücher als Hörbücher genießen auch deshalb eine hohe Wertschätzung, weil sie für sehbehinderte Studierende unverzichtbar geworden sind. Besonders hohe Verbreitung und Akzeptanz haben Sprachlernangebote25, für die das mobile Medium ganz besonders geeignet scheinen. Ein Angebot der Deutschen Welle, das anlässlich der Fußball-WM 2006 für fremdsprachige Gäste zum Erlernen der deutschen Sprache und zur Orientierungshilfe kreiert wurde, kombinierte Online-Berichterstattung, Sprachführer und touristisches Nachschlagewerk mit einem Lernangebot. Das Thema Mobiles Lernen mit Podcasts zieht sich mittlerweile fast flächendeckend durch die Programme von E-Learning-Konferenzen26 und ist als nützliches „Audio on Demand Medium“, das man ohne ständige Internet-Verbindung auf der Reise, auf dem Arbeitsweg oder in Wartesituationen nutzen kann, wohl nicht mehr wegzudenken. Auch die Rezeption von Videomaterial auf mobilen Geräten rückt mehr in den Mittelpunkt des pädagogischen Interesses seit Videoportale geeignete Quellen auch für das Lernen bereithalten und durch recht einfache (wenn auch meist zeitaufwändige) Konvertierbarkeit mit Consumer Software (z. B. iTube oder TubeTV) beinahe beliebiges Material auf mobile Mediaplayer befördert werden kann. Da Videoportale zunehmend auch die mobile Distribution unterstützen, wird der zusätzliche Konvertieraufwand für einen großen Teil der Konsumenten perspektivisch keine Rolle mehr spielen. Mit der großflächigen Verfügbarkeit von preiswerter Datenkommunikation und der immer besseren Unterstützung der Web-Darstellung wird das mediale Angebot für Mobiles Lernen auch in dieser Hinsicht weiter an Attraktivität gewinnen. Das Mobile Lernen lässt sich nach verschiedenen Kriterien kategorisieren, beispielsweise nach dem Netzzugang. Mobiles Online-Lernen hingegen ermöglicht durch Einbeziehung vielschichtiger Dienste, Informationsquellen und Technologien noch deutlich weitergehende Szenarien. Die Integration von den als Web 2.0 Technologien bezeichneten kollaborativen Elementen in mobile Lernszenarien firmiert dabei auch schon mal als neue Kategorie M-Learning (bspw. „ubiquitous Learning“, kurz U-Learning (Frazer, 2005)). Andere Protagonisten möchten sich ganz vom E-Learning-Begriff trennen und läuten das Education 3.0 Zeitalter ein (Margaria-Steffen, 2007; Keats, 2007). Verdeutlicht werden soll hierbei die neue Qualität, die mit mobil nutzbaren Wikis27, Weblogs oder auch MoBlogs28, mobilen Chats29, mobile Social Bookmarking30, Shared Calendars31 u. v. m. das Lernen unterwegs unterstützen kann.

23

Bsp. Rubrik Wissenschaft und Forschung beim Deutschlandradio Berlin http://www.dradio.de

24

Verschiedene Podcastvarianten werden beispielsweise seit dem WS 2005 an der HTW Berlin angeboten und durch Studien begleitet. Beispiele sind online abrufbar: http://inka.htw-berlin.de/podcasts.

25

Bsp. English as a second language: http://www.eslpod.com, vom Center for Educational Development Los Angeles, seit 2005 angeboten.

26

Bsp: 8. Learning World Berlin, 15./15.6.2007, http://www.im-c.de/elearning/

27

vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipedia:Unterwegs

23.3 Systematik des Mobilen Lernens

Abb. 23.3:

291

Kategorisierung von Mobile Learning Anwendungen

Auch mobile Laufzeitumgebungen wie Gerätetypen, Betriebssystemsoftware, Medienarchitekturen u. v. m. können zur Einordnung mobiler Lernangebote herangezogen werden. Sinnvoll erscheint eine Korrelation mit dem didaktischen Zweck der mobilen Lernanwendung, wie dies allgemein auch für das ELearning angewendet wird. Als für das M-Learning besonders typische Ausprägungen sind das Lernen im Gelände oder das Lernen als Feldtest in Verbindung mit der Nutzung von Location based Services 28

Bsp.: http://www.kaywa.com/

29

Mobile Chats sind per IP-Kommunikation (wie bspw. mit IRC-Programmen) wegen der Kosten für die mobile Datenkommunikation nicht sonderlich verbreitet. Alternativ dazu greifen SMS-basierte Dienste die ChatMetapher auf, um einen adäquaten Dienst mit lokal gespeicherten Adress-Profilen zu erzeugen, z. B. T-Mobile mit dem Dienst SuperSMS oder Apple/Cingular mit dem iPhone. http://www.t-mobile.de/supersms/ http://www.apple.com/iphone/phone/?feature=feature03

30

Bsp.: http://linkarena.mobi/

31

Bsp.: http://www.google.com/calendar/m

292

23 Technologien für das Mobile Lernen

aufzuführen. Wie sich diese Form des M-Learning erfolgreich an einer Universität realisieren lässt, zeigt etwa das Züricher Projekt MobiGame. Hier ist ein interaktives Erkundungsspiel im Einsatz, das zur Orientierung für Erstsemester-Studierende genutzt wird (Schwabe & Göth, 2005). Diese Art von mobilen Lernsystemen wird unter dem Begriff Kontextbasierte Lernsysteme zusammengefasst, wo in allen Spielarten aus verfügbaren Umgebungsdaten des Lernenden, wie etwa Zeit, Ort, Temperatur, Bewegung, Fortbewegungsmittel oder aus Sensor- und Profildaten, eine Adaption des präsentierten Content oder Feedback auf Aktionen erzeugt wird. Eine besondere Rubrik sind dabei Wearable Lerning Systems, die beispielsweise im EngineeringSektor hohe Potentiale für das Mobile Lernen besitzen, die weit über die Nutzung von Mobiltelefonen oder PDA’s hinausgehen. Mit der rasanten Entwicklung von Head Mounted Displays und der Sensorik entstanden erste Szenarien für kontextabhängige Lernsysteme mit Wearable Computern bereits Ende der 1990er Jahre, die verschiedenste Visionen für adaptive Lernsysteme vorzeichneten (Dyer & Bowskill, 2000). Im WearIT@Work Projekt des TZI Bremen wurde das Erlernen von Montageaufgaben mittels sensorischer Systeme unterstützt, bei denen es auf Schnelligkeit und Sicherheit ankommt. Ziel war es, viele Aufgaben mit großen Unterschieden einzustudieren. Mittels Sensoren in der Arbeitskleidung konnten einzelne Arbeitsschritte eines Montagearbeiters maschinell erkennbar gemacht werden. Mit diesem System wurden in Realzeit Rückmeldungen über Fehler und die Aufgabenerfüllung an den Lernenden gegeben. Es wurde damit ein personenunabhängiges und schnelles Training erreicht (vgl. Herzog et al., 2008). Die Nachteile einer solchen Lösung liegen momentan noch in hohen Ressourcen- und Entwicklungskosten. Die Vorteile von Wearable Systemen für Lernanwendungen liegen vor allem darin, dass in Situationen, in denen der Lernende beide Hände frei haben muss oder die volle visuelle Aufmerksamkeit benötigt wird, mit Eingaben über Gestensteuerung oder Datenhandschuhe, mit Visualisierung über Head-Mounted-Displays eine hohe motorische Unabhängigkeit erreicht wird. Darüber hinaus werden spielbasierte Lernanwendungen auf mobilen Geräten zunehmend attraktiv. Die Varianten reichen hier von mobilen Quizspielen mit Wettbewerbscharakter über die spielerische Unterstützung von Entdeckungsreisen durch Orte oder Zeiten bis hin zu Virtual Reality Games. Gerade beim spielbasierten Lernen stehen viele didaktische Motivationsmöglichkeiten bereit, die in mobilen Umgebungen besonders zum Tragen kommen.

23.4

Produktion von mobilen Lerninhalten

Die Produktion der Medien und die Bereitstellung von Portalen für mobile Lernanwendungen unterliegt sowohl hinsichtlich der Komplexität und Offenheit des Einsatzszenarios als auch hinsichtlich der Contenterstellung immer noch erheblichen Beschränkungen gegenüber dem stationären Medieneinsatz auf Arbeitsplatzrechnern oder Notebooks. Die wichtigsten Engpässe stellen hier die Energieversorgung, Netzwerkbandbreite, Speicherkapazität, Eingabe- und Ausgabebeschränkungen dar. Dennoch sind mobile Lerninhalte durchaus schnell und mit wenig Aufwand für einzelne Plattformen gezielt herstellbar, wenn die Randbedingungen für den Einsatz eingrenzbar sind.

23.4 Produktion von mobilen Lerninhalten

293

In den folgenden Abschnitten werden drei verschiedene Methoden zur Produktion von mobilen Lehrinhalten beschrieben. Das erste Verfahren, die Produktion von Podcasts mit Autorensystemen steht exemplarisch für die Produktion von spezialisierten mobilen Lehrinhalten. Das zweite Verfahren, die Produktion von E- und M-Learning-Inhalten nach dem Content-HUB-Konzept steht für die modulare Erstellung von Inhalten, die beliebig kombiniert und automatisch in das gewünschte Zielformat konvertiert werden können. Das dritte Verfahren steht für die kollaborative, nutzergenerierte Contenterstellung und einen spielerischen Zugang zum mobilen Lernen. Podcast-Produktion mit Autorensystemen In klassischen Medienproduktionsprozessen werden immer dann spezialisierte Autorenwerkzeuge benutzt, wenn die hochwertigsten Produkte für das jeweilige Medium erwartet werden und alle nutzbaren Funktionen des Distributionsformats für den Autor nutzbar sein sollen. Für die Herstellung von mobilen Inhalten sind inzwischen zahlreiche Systeme am Markt verfügbar, angefangen von Autorensystemen für Mediencontainerformate wie Adobe Flash, Windows Media oder Quicktime, aber auch für offene Standards wie etwa SVG-T oder SMIL. Zwei Beispiele für Podcasts auf mobilen Geräten zeigt Abb. 23.4.

Abb. 23.4:

Podcast-Episode zum Kurs „Mobile Computing“

Als Beispiel für einen typischen Lebenszyklus der Herstellung mobiler Lernmedien ist in Abb. 23.55 die Podcast-Produktion beschrieben.

294

23 Technologien für das Mobile Lernen

Abb. 23.5:

Produktions-, Distributions- und Konsumptionsprozess von RSS Podcasts

Allein für die Podcast-Produktion ringen zahlreiche Werkzeuge um die Gunst der Anwender, die teilweise für die Produktion oder Komposition von Audiomaterial, Videos und Bildern oder die schnelle Verwertung von Aufzeichnungen spezialisiert sind. Beispiele für geeignete Autorenwerkzeuge sind hier GarageBand oder Podcast Maker, die auch die Distribution der Episoden gut unterstützen. Auf die direkte Aufzeichnung und Publikation von Vorlesungen oder anderer ad-hoc Lerninhalte ist das Programm Lecturnity spezialisiert, welches ursprünglich an der Universität Freiburg konzipiert und entwickelt wurde. Podcast-Autorensysteme ermöglichen über die reine Verwertung von Audioaufnahmen hinaus erweiterte Formate, so genannte „Enhanced Podcasts“, worin sich etwa Präsentationsfolien oder Bilder passend zum Ton verbinden lassen. Aber auch Videomaterial lässt sich in Podcast-Episoden integrieren. Die Produktion von Videobeiträgen für virtuelle Lerninhalte ist ein didaktisch lohnendes Betätigungsfeld, das mit den immer besseren Darstellungsmöglichkeiten auf mobilen Geräten an Attraktivität gewinnt. Wie sich qualitativ hochwertige Videobeiträge, die sich an den TV-Sehgewohnheiten der Rezipienten orientieren, effektiv und sehr kostengünstig mit eigenen Ressourcen produzieren lassen, ist in Krallmann et al. (2003) konzeptionell aufbereitet und in Herzog (2003) ausführlich beschrieben. Die Nutzung dieser Produktionsbedingungen für den mobilen Einsatz ist dabei – abgesehen von den Restriktionen einer beschränkten Präsentationsumgebung – kaum mehr eine technische Hürde. Produktionsautomatisierung mit dem Content-HUB-Modell Technische Hürden für die Bereitstellung von multimedialem Lernmaterial sind zum einen die immer noch fehlende flächendeckende Unterstützung austauschbarer, standardisierter Medienformate für Autorensysteme, zum anderen die beschränkten Möglichkeiten der Recherche nach Lernmedien, die nicht mit Textbeschreibungen (Metadaten) versehen sind. Auf diesem Gebiet sind in den kommenden Jahren deutliche Erleichterungen für alle Content-Anbieter zu erwarten, wenn sich übergreifende, schlanke Standards für Mediendokumente aus Autorensystemen und automatisierbare Abläufe in der Medienproduktion durchsetzen. Diesen Fragen widmet sich das Forschungsprojekt „MOCCA“ (Herzog, 2010), das ein universelles Content-HUB-Konzept zur Umwandlung von komplexen Medieninhalten aus verschiedensten Auto-

23.4 Produktion von mobilen Lerninhalten

295

rensystemen auf der Basis schlanker, einheitlicher Medienformate umsetzt. Für E-LearningProduzenten ergeben sich mit diesem Konzept beispielsweise neue Möglichkeiten, ihre in Powerpoint oder anderen Autorensystemen aufwändig erstellten Lerninhalte unter Erhaltung der Bearbeitungsmöglichkeiten in die gewünschten Zielformate zu konvertieren, etwa in Podcast- oder Flash-Medien. Die Ausgangsdaten können in einem dafür konzipierten Autorensystem auch beliebig rekombiniert oder in andere Darstellungen überführt werden (auch mittels Templates). Darüber hinaus bietet eine solche Architektur auch die Möglichkeit der vollautomatischen Sammlung vorhandener Dateien aus Autorensystemen und deren Übersetzung in ein einheitliches XML-Datenformat, welches dann in einem Repository gespeichert wird. In dieser Datenbank können die Inhalte sowohl nach Volltexten, aber auch nach Medieninhalten durchsucht werden. Methoden des Content Based Retrieval ermöglichen bspw. das Auffinden von ähnlichen Designs oder gleicher Bilder mit anderer Auflösung oder einem anderen Bildausschnitt. Die Verschränkung mehrerer Suchmethoden erlaubt hier eine neue Qualität des Zugriffs auf Mediendaten aus Autorensystemen. Mit dem Content-HUB-Konzept können E-Learning-Anbieter automatische, halbautomatische oder manuelle Content-Aggregationen zur Distribution mobiler Lerninhalte auf verschiedenen Plattformen durchführen, was bspw. die Bereitstellung von Lernmodulen für ganz verschiedene Mediensysteme und Geräte aus einer (oder auch mehreren) Quellen leicht ermöglicht. Kollaborative Produktion von spielbasierten Lerninhalten Die spielerische Erschließung und Überprüfung der eigenen Bildung ist nicht nur ein Zeitphänomen, das sich in den Wissensshows der Unterhaltungsbranche und ihren zahllosen Derivaten im Internet, auf Spielkonsolen und Mobiltelefonen verbreitet. Der Trend zum Game-based E-Learning greift Raum und stellt neue Anforderungen an Lernszenarien und technische Lösungen. Wie so ein Szenario zum spielbasierten Lernen als Community-Portal umgesetzt werden kann, zeigt die leicht zugängliche WebAnwendung „Quizzer“. Sie ermöglicht es den Nutzern, ein grafisch anspruchsvolles E-Learning-Quiz sehr einfach und mit geringem Aufwand selbst zu erstellen, innerhalb des Portals zu teilen und natürlich zum Spielen bzw. Lernen zu nutzen. Sowohl Lehrer als auch Lernende können gleichberechtigt an der Content-Erstellung mitwirken, angefangen vom Anlegen der Fragen und Antworten über die Erstellung komplexer Feedbacks und Links bis hin zur Kommunikation über die Inhalte. Aus didaktischer Sicht wird neben dem behavioristischen Teil der Lernumgebung auch eine konstruktivistische Facette angesprochen, indem schon die Erstellung von Fragen wie von ausführlichen Feedback-Informationen erhebliche Lerneffekte durch die aktive Auseinandersetzung mit den Inhalten bei den Lernenden bewirkt.

296

23 Technologien für das Mobile Lernen

Abb. 23.6:

Quizzer auf verschiedenen mobilen Geräten

Die entwickelte technische Architektur wurde für die Integration kollaborativer Techniken wie Chat oder Social Bookmarking konzipiert und bietet vor allem extrem flexible Nutzungsmöglichkeiten für Anbieter und Anwender, angefangen von weitestgehender Offline-Unterstützung, über den stationären Einsatz bis hin zum Spielmodus auf mobilen Geräten. Die technische Umsetzung des Portals erfolgte auf der Basis von Adobe Flex, womit eine hochgradig interaktive Benutzeroberfläche im Stile traditioneller Desktop-Anwendungen auf Portal-Ebene erreicht werden konnte. Die Nutzung von Adobe Flash auf der Distributionsseite bietet vielfältige Möglichkeiten zur Bereitstellung multimedialer und grafisch anspruchsvoller Inhalte.

23.5

Fazit

Die Vielfalt der Präsentationsumgebungen erfordert derzeit sehr flexible Lösungen bei der automatischen Contentadaption, basierend auf technischen Standards. Wesentlich begünstigend wirkt sich die zunehmende Unterstützung der vollwertigen Web- und Medienformat-Standards in mobilen Betriebssystemen aus, so dass viele bereits für die stationäre Nutzung entwickelten Lernanwendungen auch gänzlich ohne Anpassungen im mobilen Kontext nutzbar werden. Inwieweit das für jede einzelne Anwendung dann sinnvoll sein mag, ist eine Frage an die Nutzer-Akzeptanz und nicht zuletzt an Usability und Didaktik. Die vielen bereits beschriebenen zusätzlichen Möglichkeiten im mobilen Umfeld (wie Kontexterkennung, Gruppenaspekte usw.) aber auch die Beeinträchtigungen des Rezipienten durch die Umgebung, die Fortbewegung, das kleine Interface, die Einhandbedienung usw. stellen hier zusätzliche Fragen und Anforderungen an die Entwickler und Gestalter der Lernapplikationen.

24

Serious Games: Spielerische Lernumgebungen und deren Design

Michael Wagner

Dieser Beitrag beleuchtet einige wesentliche Aspekte von Computerspielen im Zusammenhang mit pädagogisch-didaktischen Anwendungsszenarien in formellen und informellen Lernkontexten. Dazu wird zunächst eine Bestimmung des Begriffs „Spiel“ vorgenommen und danach auf die Bedeutung der intrinsischen Motivation in digitalen Lernumgebungen eingegangen. Im Rahmen der Beschäftigung mit dem Design von Lernspielen wird darüber hinaus deutlich, dass der im kommerziellen Game Design übliche iterative Designprozess über die Optimierung der intrinsisch motivierenden Elemente einen wesentlichen Anteil an der Sicherung des eigentlichen Spielcharakters eines digitalen Spiels hat. Die Verwendung eines sequentiellen Designprozesses, wie er im Instructional Design üblich ist, wird bei der Entwicklung von Spielen hingegen nur in Ausnahmefällen zum Erfolg führen. Schlüsselbegriffe: Lernspiel, Digital Game Based Learning, Serious Games, Applied Games, Intrinsische Motivation, Iteratives Design, Lernspielentwicklung

298

24 Serious Games: Spielerische Lernumgebungen und deren Design

In den letzten Jahren hat sich die kulturelle Bedeutung des Mediums Computerspiel radikal verändert. Während man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Spielen am Computer in erster Linie als unproduktive Tätigkeit empfand und damit dem Bereich des Kindlichen zuordnete, so gilt das technologisch motivierte Spiel heute als eine der zentralen Interaktionsformen unserer Gesellschaft. Im Spiel produziert der Mensch Kultur (Huizinga, 2004), im digitalen Spiel daher digitale Kultur (Wagner, 2008). Damit gewinnt die Kompetenz im Umgang mit Spielen in vielen Bereichen des Lebens eine immer höhere Bedeutung. So ist es zum Beispiel auch nicht verwunderlich, dass Spielkompetenz von einigen Wirtschaftsexperten inzwischen als wichtige Managementkompetenz eingestuft wird (Beck & Wade, 2004). Mit dieser Bedeutungsveränderung des Spielens im Allgemeinen erhält heute zunehmend auch die Betonung spielerischer Lernprozesse, insbesondere im Zusammenhang mit Online-Lernen (vgl. Gibson et al., 2007), einen vollkommen neuen Stellenwert. Der in den 1990er Jahren geprägte Begriff des „Digital Game Based Learning“ (Prensky, 2001a) erscheint in der Didaktik inzwischen allgegenwärtig. Gleichzeitig gibt es aber auch in weiten Bereichen der Pädagogik ein immer noch ambivalentes Verhältnis zum „Spiel“ oder „Game“ als scheinbar unernste Aktivität ohne praktikablen Sinn und Zweck. Mit der 2002 erfolgten Gründung der Serious Games Initiative im Woodrow Wilson Center for International Scholars in den USA sollte daher die Ernsthaftigkeit bestimmter pädagogischer oder gesellschaftspolitischer Anwendungen von digitalen Spielen deutlich gemacht werden. Dieser Initiative ist es auch zu verdanken, dass sich in den letzten Jahren der Begriff der „Serious Games“ als ein Oberbegriff für alle nicht primär der Unterhaltung dienenden Einsatzszenarien von Spielen durchgesetzt hat. Ziel dieses Beitrags ist es, einige wesentliche Aspekte der Serious Games im Zusammenhang mit pädagogisch-didaktischen Anwendungsszenarien in formellen und informellen Lernkontexten näher zu beleuchten. Dabei soll insbesondere auch auf die Bedeutung der intrinsischen Lernmotivation für das Digital Game Based Learning sowie auf das prozessorientierte Design von Lernspielen eingegangen werden.

24.1

Standortbestimmungen

Bevor hier eine Vertiefung möglich ist, muss jedoch zunächst noch geklärt werden, was wir im Folgenden unter einem „Spiel“ beziehungsweise einem „digitalen Spiel“ verstehen wollen. Denn aufgrund der vielfältigen umgangssprachlichen Verwendung des Begriffs „Spiel“ erweist sich der Versuch einer allgemein gültigen, exakten Definition als überaus schwierig, wenn nicht sogar unmöglich (vgl. SuttonSmith, 2001). Exakte Definitionen des Begriffs, wie etwa jene von Caillois (2001), Salen und Zimmermann (2003) oder Juul (2005), können daher immer nur in der Lage sein, einen Teilbereich des Phänomens „Spiel“ zu erfassen. Allerdings lässt sich auf Basis dieser Definitionen ein beschreibender Interpretationskontext entwickeln, über den sich die allgemeinen grundlegenden Eigenschaften eines Spiels folgendermaßen zusammenfassen lassen (Wagner, 2008): Spiel ist regelbasierte Interaktion, die die Spielerinnen und Spieler emotional bindet und innerhalb eines von der objektiven Realität abgegrenzten Raums stattfindet.

24.2 Intrinsische Motivation

299

Diese Formulierung folgt dabei der aktuellen Tendenz, das Spiel über die emotionale Wirkung bei der Spielerin oder dem Spieler und nicht über seine systemtheoretischen Eigenschaften zu beschreiben. Dabei soll es sich bewusst nicht um eine weitere Definition handeln, das heißt es soll durchaus zugelassen werden, dass es auch analoge Formen von regelbasierter Interaktion geben kann, die man nicht als Spiel verstehen würde. In der Tat geht es im Folgenden mehr um die hier genannten Eigenschaften eines Spiels als um die Bezeichnung „Spiel“ selbst. Wichtig ist hier insbesondere das Element der regelbasierten Interaktion, wobei es sich sowohl um zwischenmenschliche Interaktion als auch um Interaktion mit einem Objekt, dem Spiel(-zeug), handeln kann. Findet diese Interaktion nun ausschließlich über digitale Kommunikationskanäle statt, so sprechen wir von einem „digitalen“ Spiel. Sind wie bei Alternate Reality Games nicht-digitale Interaktionsformen mit beteiligt, so verwenden wir zur Verdeutlichung dieser Tatsache auch den Begriff „hybrides“ Spiel. Damit ergibt sich insbesondere, dass sich jedes digitale Lernspiel aufgrund seiner notwendigen Anbindung an die nicht-digitale Realität bei genauerer Betrachtung als hybrides Spiel darstellen muss. Ist dies nicht der Fall, so kann es zu keinem Kompetenztransfer in die Realität kommen und das Lernspiel verliert seinen Sinn und Zweck. In dieser Beschreibung des Begriffs Spiel wird aber auch eines der zentralen Probleme deutlich, die wir heute im praktischen Umgang mit spielbasiertem Lernen insbesondere in Online-Lernumgebungen haben. Spiel ist primär emotional motiviert und entzieht sich somit weitgehend einer vom Lerner losgelösten abstrakten Betrachtungsweise. Die individuellen Gefühlseigenschaften der Lernenden, aber auch jene der Lehrenden, sind immer unumgehbarer Bestandteil eines Lernspiels. Der Einsatz von spielbasiertem Lernen erfordert somit im Gegensatz zur gegenwärtigen Tendenz der Standardisierung von Online-Didaktik einen Zugang der didaktischen Massenindividualisierung. Damit verbunden, erscheint auch eine notwendige Abkehr von einem lernzielorientieren hin zu einem auf die individuellen emotionalen und kognitiven Bedürfnisse der Lernenden und Lehrenden ausgerichteten didaktischen Designansatz. Diese Neuorientierung kann zum Beispiel dadurch gelingen, dass die auf Massenindividualisierung ausgerichteten Prozesse des industriellen Game Designs mit jenen des traditionellen didaktischen Designs in der Entwicklung von Lernspielen oder allgemeiner von Serious Games gleichberechtigt zur Anwendung kommen. Diese grundlegende Idee wird die folgenden Überlegungen begleiten.

24.2

Intrinsische Motivation

Die emotionale Bindung an die regelbasierte Interaktion im Spiel führt zu einer intrinsisch motivierten und damit auch freiwilligen Teilnahme am Spiel. Diese für die Steuerung von Lernprozessen hochinteressante Eigenschaft von Spielen wurde im Zusammenhang mit digitalen Spielen bereits in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ausgiebig untersucht. Besonders hervorzuheben sind hier die Arbeiten von Lepper und Mallone (1987), in denen die Entwicklung von intrinsisch motivierenden, spielerischen Lernumgebungen über die Optimierung von folgenden vier Kriterien angeregt wird: 1. Challenge (Vorgabe von Herausforderungen): Die Existenz von Herausforderungen ist ein zentrales Element jedes Spiels und wird daher oftmals auch zur Definition des Be-griffs „Spiel“ herangezogen (vgl. Salen & Zimmermann, 2003). Wesentlich ist dabei, dass diese Herausforderungen: a. für den Spieler mit persönlich bedeutsamen Zielen verbunden sind,

300

24 Serious Games: Spielerische Lernumgebungen und deren Design b. diese Ziele mit einem auf die persönlichen Bedürfnisse des Spielers optimierten Aufwand erreichbar sind, c. die Erreichung oder Nichterreichung von Zielen und Teilzielen in einer individuell positiv motivierenden Weise rückgemeldet werden und d. das Selbstbewusstsein des Spielers im Umgang mit dem Spiel durch die kontinuierliche Erreichung von Teilzielen gesteigert wird.

2. Curiosity (Förderung der Neugier): Alle Spiele nutzen den natürlichen Entdeckungstrieb des Menschen. Dies gelingt über die: a. Förderung der sensorischen Neugier durch Anregung der menschlichen Sinne sowie über die b. Förderung der kognitiven Neugier durch Anregung des menschlichen Intellekts. 3. Control (Sicherstellung der Kontrollierbarkeit): Im Spiel hat der Spieler die Kontrolle über die im Spiel vermittelte virtuelle Wirklichkeit. Geht diese Kontrolle verloren, so wird auch die Motivation an der Teilnahme am Spiel sinken. Um dies zu verhindern, ist es notwendig: a. einen erkennbaren Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung von Aktivitäten sicher zu stellen, b. bedeutsame Effekte von Spielhandlungen in den Vordergrund zu stellen und c. ein Gefühl der Entscheidungsfreiheit zu garantieren. 4. Fantasy (Anregung der Fantasie): Im Spiel verlässt der Spieler die Wirklichkeit und begibt sich in eine von der realen Welt abgegrenzte virtuelle Welt. Geht diese Illusion verloren, so leidet auch die Bereitschaft an der Teilnahme am Spiel. Deshalb ist es notwendig in Spielen: a. emotionale fantastische Elemente zur Anregung der Gefühlsebene sowie b. kognitive fantastische Elemente zur Anregung der intellektuellen Ebene mit ein zu beziehen und dabei gleichzeitig c. jene fantastischen Elemente zu betonen, die einen direkten Zusammenhang zu den Lerninhalten besitzen. Leider bleibt hier weitgehend ungeklärt, auf welche Weise die Optimierung dieser Kriterien innerhalb des Designprozesses erfolgen soll. Im klassischen Instructional Design verwendet man einen dem Wasserfallmodell folgenden Entwicklungsprozess, der in der Regel mit einer Bedarfsanalyse beginnt und nach erfolgreicher Abarbeitung mehrerer sequentieller Phasen mit einer Evaluierung des entwickelten Systems endet. Damit verbunden ist die Notwendigkeit, dass alle wichtigen Rahmenbedingungen in der Entwicklung, wie zum Beispiel die Definition der Lernziele, der verwendeten didaktischen Interaktionen, aber auch der intrinsisch motivierenden Elemente, möglichst genau vorausgeplant werden müssen. Zwar ist es möglich, über Feedbackschleifen zwischen den Entwicklungsschritten eventuelle Fehlentwicklungen zu korrigieren, diese Korrekturen sind jedoch in der Regel aufwendig und insbesondere im Rahmen größerer Projekte kostspielig. Im Zusammenhang mit traditionellen Online-Lernumgebungen ist dieser Nachteil akzeptierbar, da die dort über Standardisierungen des Systems zugrunde gelegte Trennung des Lernprozesses von der Gefühlswelt der Lernenden und Lehrenden eine weitgehend exakte Vorausplanung ermöglicht. In der massenindividualisierten Welt der Emotionen und intrinsischen Motivationen im Umgang mit Spielen stößt man mit diesem Ansatz jedoch schnell an die Grenzen des Machbaren. Das Resultat sind in Folge zumeist Lernspiele, deren eigentlicher Spielcharakter entweder wenig bis gar nicht ausgeprägt ist oder in keinem echten Zusammenhang mit den verfolgten Lernzielen steht und damit ungewollt irrelevante Kompetenzen vermittelt. Die ausschließliche Verwendung didaktischer Designmodelle für die Entwicklung von Lernspielen muss daher aus prinzipiellen Gründen in Frage gestellt werden.

24.3 Iteratives Design

24.3

301

Iteratives Design

Im Gegensatz zu dem sequentiellen Prozessmodell des Instructional Design hat sich in der Computerspielindustrie in den letzten Jahren ein iterativer Designprozess zu etablieren begonnen (Fullerton, 2008). Dieser Prozess folgt der Idee der agilen Softwareentwicklung und erlaubt es auf diese Weise, die emotionalen Erfahrungen innerhalb eines Spiels auf die Bedürfnisse einer vorgegebenen Zielgruppe hin gezielt zu optimieren. Für eine erfolgreiche Optimierung der Spielentwicklung sind dazu folgende zwei Praktiken von zentraler Bedeutung: 1.

2.

Partizipatives Design: Spiele sollen auf der Gefühlsebene der Spieler anknüpfen können. Dazu ist es unerlässlich, dass diese an allen Phasen der Entwicklung aktiv beteiligt werden. Game Design erfolgt also weniger auf der Basis der Vorgabe von objektiven Entwicklungszielen, sondern vielmehr ad hoc und subjektiv in Bezug auf die Wünsche einer vorgegebenen Zielgruppe. Es ist zu vermuten, dass dies auch der Grund ist, warum in digitalen Spielen sehr leicht stereotypische Lebenseinstellungen einer bestimmten Zielgruppe sichtbar werden können. Extremprogrammierung: Über die Verwendung von Ansätzen aus dem Extreme Programming wird eine Formalisierung der Vorgehensweise bewusst verhindert, um auf Herausforderungen der Entwicklung flexibel und rasch reagieren zu können. Zentrales Element ist dabei ein sehr schneller iterativer Designprozess in dem kontinuierlich verbesserten Prototyp eines Spiels im Rhythmus von wenigen Tagen implementiert, getestet, evaluiert und verbessert werden. Konkret müssen dabei innerhalb eines derartigen Zyklus folgende Hauptaufgaben erledigt werden (vgl. Fullerton, 2008): a. Prototyping/Implementierung: Zu Beginn des Produktionsprozesses kommt es zu einer immer wiederkehrenden Re-Implementierung eines spielbaren Prototyps. Im weiteren Verlauf des Prozesses nähert sich dieser ursprüngliche Prototyp dem endgültigen Spiel kontinuierlich an. b. Playtesting: Jede neue Implementierung des Spiels wird durch Spieler aus der Zielgruppe sofort nach Fertigstellung im Rahmen eines erweiterten Usability Testing evaluiert. Die daraus resultierenden Evaluationsergebnisse werden dem Entwicklungsprozess unmittelbar zugeführt, um eine weitgehend kontinuierliche Verbesserung der Implementierung zu garantieren. c. Balancing: Auf Basis der Ergebnisse des Playtesting werden sowohl regelbasierte als auch systeminterne Spielparameter immer wieder adaptiert, um das Spielerlebnis für die Spieler der betrachteten Zielgruppe kontinuierlich zu optimieren.

Die Frage, die sich nun stellt, ist, inwieweit sich dieser Prozess auch auf die Entwicklung von Lernspielen anwenden lässt. Dazu sei zunächst einmal darauf hingewiesen, dass der iterative Designprozess des Game Design nicht garantieren kann, dass die im ursprünglichen Prototyp angenommenen Spielziele auch erhalten bleiben. Der Prozess nähert sich daher in evolutionärer Weise einem Endergebnis an, dessen inhaltliche Charakteristika nicht vorher bestimmbar sind, sondern sich erst kontinuierlich über den Einfluss der im Entwicklungsprozess verwendeten Prozessparameter ausbilden. Diese Prozessabhängigkeit des Endergebnisses erschwert die Entwicklung von Serious Games, also Spielen, die einem vorherbestimmten Zweck genügen sollen, mitunter erheblich. Der Ansatz des Iterativen Design lässt sich also ebenso wie jener des Instructional Design nicht unmittelbar, sondern nur mit entsprechendem Adaptierungsaufwand in der Entwicklung von Lernspielen oder Serious Games verwenden. Bevor wir uns mit den Kernproblemen einer möglichen Adaptierung dieser Prozesse näher beschäftigen erscheint es daher sinnvoll, sich noch einmal in Erinnerung zu rufen, warum spielbasiertes Lernen heute als wichtiger Ansatz gilt und daher diesen Aufwand rechtfertigt.

302

24.4

24 Serious Games: Spielerische Lernumgebungen und deren Design

Lernen mit Digital Natives

Unser Bildungssystem ist heute mit dem Problem konfrontiert, dass sich die Schüler in ihrem gesellschaftlichen Selbstverständnis grundlegend von jenen unterscheiden, für die dieses System ursprünglich konzipiert wurde. Insbesondere die steigende Bedeutung der neuen Medien und der damit verbundenen multimedialen Populärkultur haben teilweise erhebliche Auswirkungen auf das außerschulische Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen (vgl. Johnson 2006; Veen & Vrakking, 2006). Aus dieser Veränderung des Alltagslebens leitet sich die von Prensky popularisierte Hypothese der „Digital Natives“ ab (2001b). Demzufolge haben Kinder, die nach der gesellschaftlichen Adaption digitaler Medien aufgewachsen sind, aufgrund frühkindlicher Erfahrungen eine auf digitale Medien ausgerichtete Entwicklung durchlaufen und zeigen daher eine natürliche Affinität zu den Möglichkeiten dieser neuen Technologien. Im Gegensatz zu diesen Digital Natives müssen Personen, die aufgrund ihres Alters diesen Entwicklungsvorteil nicht besitzen, sich als „Digital Immigrants“ erst in die Welt der digitalen Medien und deren Kultur eingewöhnen. Prensky geht noch einen Schritt weiter, in dem er folgende zehn Merkmale von Digital Natives postuliert, die diese von früheren Generationen unterscheiden (2003). 1.

Twitch Speed: Darunter versteht man die Daumengeschwindigkeit, mit der Spielcontroller bewegt werden müssen. Die intensive Benutzung digitaler Medien hat Prenskys Hypothese folgend zur Konsequenz, dass Digital Natives an höhere Geschwindigkeiten in der Informationsverarbeitung gewöhnt sind. 2. Parallel Processing: Der Umgang mit digitalen Medien fördert kognitive Fähigkeiten in der parallelen Verarbeitung von Informationen. 3. Random Access: Über vernetzte Informationssysteme verliert der lineare Zugang zu Wissen zunehmend an Bedeutung. Es entsteht eine Kultur des „clicking around“ in Hypertexten (Prensky, 2003). 4. Graphics First: Die digitale Kultur weist Bildinformationen eine höhere Bedeutung zu als dies in der Vergangenheit der Fall gewesen ist. 5. Connectivity: Über partizipative Mediensysteme entsteht bereits in der Kindheit ein Gefühl der Vernetzung mit Kindern aus anderen geografischen Regionen. Verbunden mit der steigenden Vernetzung ist somit auch eine Globalisierung der Jugendkultur. 6. Activity: Konsumenten von digitalen Medien sind nicht mehr passiv, sie nehmen aktiv an der Medienproduktion teil. Besonders deutlich wird dies in den auch als „Web 2.0“ bezeichneten Anwendungen partizipativer Mediensysteme (vgl. Jenkins, 2006). 7. Immediate Payoff: In einer immer schneller werdenden und auf ständige aktive Teilnahme ausgelegten Umgebung stellt Geduld mitunter keine notwendige Kompetenz mehr dar. Alles ist zunehmend darauf ausgerichtet, dass Ergebnisse unmittelbar zur Verfügung stehen. 8. Fantasy: Fantasie und Kreativität werden zunehmend als kulturelle Kernkompetenzen verstanden. 9. Play: Das Spiel gewinnt in unserer Wahrnehmung an Ernsthaftigkeit. Es steht somit nicht mehr im Widerspruch zur industriellen Konsumgesellschaft. 10. Technology: Technologie wird ubiquitär und beginnt, alle Bereiche des täglichen Lebens zu durchwandern. Dies wird nicht mehr als Bedrohung verstanden, sondern vielmehr als fester Bestandteil des kulturellen Selbstverständnisses akzeptiert.

24.5 Iteratives Didaktisches Design

303

Inzwischen zeigt sich vermehrt, dass die Hypothese der Digital Natives in der von Prensky vorgebrachten extremen Ausformung nicht haltbar sein dürfte. So verweist zum Beispiel Jenkins (2006) auf die Tatsache, dass weite Bereiche der Gesellschaft die Möglichkeiten der neuen Medien nicht nutzen, obwohl sie prinzipiell für sie zugänglich wären. Nicht alle Kinder, die heute aufwachsen, können daher auch als Digital Natives bezeichnet werden. Dieses auch als „Participation Gap“ bezeichnete Phänomen ist darin begründet, dass ein Teil der Gesellschaft an den Möglichkeiten der neuen Medien aus den unterschiedlichsten Gründen aus eigenem Antrieb nicht mit partizipieren will (Jenkins, 2006). Eine wissenschaftliche Beurteilung, inwieweit es sich hierbei um eine neue Form einer „Digital Divide“ handelt, der man aus gesellschaftspolitischen Gründen aktiv entgegenwirken sollte, steht allerdings noch aus. Es wäre also eine zu extreme Sichtweise, eine Gesellschaft der Digital Natives auf Basis obiger zehn Punkte festlegen zu wollen. Schließlich wurde zum Beispiel auch Fantasie bereits in früheren Generationen für durchaus wichtig empfunden. Gleichzeitig handelt es sich dabei aber dennoch um eine hilfreiche Zusammenstellung von genau jenen Merkmalen, die im Verlauf der letzten Jahre an Bedeutung gewonnen haben und wahrscheinlich in den nächsten Jahren noch weiter an Bedeutung gewinnen werden. Ein zeitgemäßes Bildungssystem hat sich daher den daraus resultierenden Herausforderungen zu stellen und dies gelingt insbesondere durch die Betonung von spielbasierten Lehrmethoden. Genau in dieser Schlussfolgerung liegt auch die eigentliche Bedeutung von Prenskys Beitrag. Bisher wurde gezeigt, dass im Rahmen der Entwicklung von Lernspielen weder der Prozess des Instructional Design noch jener des Game Design direkt angewendet werden sollte. Gleichzeitig wurde argumentiert, dass die Verwendung von Lernspielen in einer Zeit der gesellschaftlichen Etablierung digitaler partizipativer Medien eine sinnvolle Reaktion auf den pädagogischen Herausforderungen der Digital Natives darstellt. Damit bleibt die Frage offen, wie ein geeigneter, auf das Design von Lernspielen oder Serious Games spezialisierter Prozess aussehen könnte. Im Folgenden sollen dazu zwei mögliche Ansätze beschrieben werden, wobei die Lösung dieses Problems im ersten Fall durch die Kombination von Elementen der beiden Designprozesse gelingt, während im zweiten Ansatz der didaktische Designprozess durch ein zweistufiges Verfahren in gewisser Weise auf eine Metaebene gehoben und damit vom eigentlichen Game Design Prozess abgekoppelt wird.

24.5

Iteratives Didaktisches Design

Bei näherer Betrachtung erinnert die Methode des iterativen Designs an Verfahren der numerischen Mathematik, insbesondere an die Gradientenmethode. Dabei wird, ausgehend von einem bestimmten Anfangswert, eine Approximation der Lösung dadurch ermittelt, dass man sich in iterativer Weise in Richtung der vermuteten Lösung bewegt. Die Qualität derartiger Verfahren hängt dabei in erster Linie von zwei Faktoren ab. Zum einen der Wahl der Anfangswerte und zum anderen der Wahl der Methode mit der die Richtung der vermuteten Lösung bestimmt wird. Im iterativen Design stellt sich die Situation analog dar. Das hat zur Konsequenz, dass bei einem iterativen Designprozesses für Serious Games die Lern- oder Bildungsziele in diesen beiden Faktoren verankert werden müssen, damit sich der Prozess einem Endergebnis annähert, welches diese Lern- oder Bildungsziele auch erfüllt. Konkret bedeutet dies, dass der Prozess des iterativen Designs für die Entwicklung eines Lernspiels an folgenden zwei Stellen adaptiert werden muss:

304 1.

2.

24 Serious Games: Spielerische Lernumgebungen und deren Design Lernzielorientiertes Prototyping: Die Lernziele sollten bereits bei der Erstellung des ersten Prototypen berücksichtigt werden. Eine Möglichkeit, dies sicher zu stellen, besteht darin, einen verkürzten Instructional Design Prozess zur Erstellung des Prototyps zu verwenden. Es ist allerdings zu beachten, dass es sich hierbei nur um einen spielbaren Prototyp und nicht bereits um ein fertiges Spiel halten sollte. Lernzielorientiertes Playtesting: Im traditionellen Playtesting versucht man jene Elemente zu evaluieren, die den Spielcharakter eines Spiel ausmachen. Dazu gehören insbesondere Benutzbarkeit des User Interface, Konsistenz der narrativen Elemente, Logik des Regelwerks und persönliche Präferenzen und Eindrücke der Spieler (vgl. Fullerton, 2008). Im Rahmen der Entwicklung von Serious Games sollte diese Evaluierung um eine Evaluation der Zielerreichung erweitert werden. Im Fall eines Lernspiels bedeutet dies konkret die Einbeziehung einer Lernzielkontrolle in das Playtesting.

Darüber hinaus ist es im Rahmen des Balancing möglich, über die Steuerung der Betonung der zielrelevanten Spielparameter bei der Adaptierung der Implementierung entweder das Spielerlebnis oder die Zielerreichung in den Vordergrund zu stellen. Für die Methodenwahl zur Lernzielkontrolle im Rahmen des Playtesting ist weiter zu beachten, dass in einem typischen iterativen Designprozess die Evaluierung aus Ressourcengründen oftmals von denselben Spielern durchgeführt wird. Aus diesem Grund bevorzugt iteratives Design die Entwicklung von Spielen, die wiederholt gespielt werden können. Diese auch als „repeat playability“ bezeichnete Eigenschaft gilt bei Spielen als wichtiges Qualitätskriterium, kann aber zum Beispiel bei Lernspielen schwierig oder sogar unmöglich zu erreichen sein, da einmal Gelerntes in der Regel nicht erneut gelernt werden kann. Es ist daher sinnvoll, die Lernziele eines Lernspiels derart zu gestalten, dass sie ebenfalls nur iterativ erreicht werden können und auf diese Weise eine Art „repeat learnability“ eines Lernspiels erlauben. Dies gilt zum Beispiel für behavioristische Lernziele etwa im Rahmen von spielerischen Drill und Practice Übungen. Ist dies nicht möglich, so muss jede Iteration von anderen Playtesting Gruppe evaluiert werden. Dies wird in der Regel jedoch nur dann machbar sein, wenn dabei die Anzahl der Iterationen entsprechend den verfügbaren Personalressourcen reduziert wird.

24.6

Didaktisches Metadesign

Iteratives Design hat den Nachteil, dass es sich in der Umsetzung als verhältnismäßig aufwendig erweist. Im Bereich des industriellen Game Design stellt dies kein vorrangiges Problem dar, da sich die dadurch entstehenden Kosten durch einen guten Verkauf des Spiels um ein Vielfaches amortisieren können. Im Bereich der Serious Games sieht die Situation derzeit allerdings noch etwas anders aus. Insbesondere für didaktische Einzelprojekte wird ein Ansatz über iteratives didaktisches Design daher in den meisten Fällen nicht finanzierbar sein. Darüber hinaus ist auch die Komplexität der Aufgabenstellungen in den Phasen des Playtesting und Balancing erheblich und erscheint daher in der Regel nur innerhalb eines professionellen Entwicklungsumfelds realisierbar. Abschließend soll hier deshalb noch kurz auf einen alternativen Designzugang eingegangen werden, der es jedem interessierten Pädagogen ermöglicht, Methoden des spielerischen Lernens anzuwenden, ohne seinen oder ihren gewohnten didaktischen Planungszugang wesentlich zu verändern.

24.7 Schlussbemerkungen

305

Die grundlegende Idee dieses Ansatzes besteht darin, dass in jedem Spiel gelernt wird. Tatsächlich hat sich in den letzten Jahren die Überzeugung durchzusetzen begonnen, dass digitale Spiele durchaus auch als Indikatoren dafür benutzt werden können, wie Schule und Unterricht in der Welt der digitalen Medien aufgebaut sein sollten (Gee, 2003; Shaffer, 2006). Dieser durchaus bildungspolitisch gemeinte Ansatz basiert auf der Arbeit von Gee, der durch Analyse von populären Computerspielen insgesamt 36 pädagogische Grundprinzipien von qualitativ hochwertigen Spielen identifiziert und näher beleuchtet hat (2003). Diese Prinzipien, deren genaue Betrachtung den Rahmen dieses Beitrags sprengen würde, beziehen sich in erster Linie auf die Eigenschaft von Spielen, forschendes Lernen in domänspezifischen Situationen unter Ausnutzung sozialer Interaktionen zu unterstützen. Dies ist in allen als gut empfundenen digitalen Spielen in unterschiedlicher Ausprägung der Fall. Für den einzelnen Pädagogen ist es daher gar nicht notwenig, eigene Lernspiele zu entwickeln. Es genügt vielmehr, aus der großen Vielfalt der kommerziell erhältlichen digitalen Spiele jene auszuwählen, deren Spielinhalt die jeweilige pädagogische Zielsetzung unterstützt. Dabei muss allerdings ein mit traditionellen Mitteln entwickelter didaktischer Oberbau, also eine Art Metadesign, erstellt werden, welches dieses Spiel methodisch optimal in den Unterricht integriert. Aufgrund der einfachen Machbarkeit stößt dieser Zugang zurzeit bei vielen Pädagogen auf reges Interesse. Besonders ausführlich untersucht wurde dabei die Anwendung des Computerspiels Civilization III im Geschichtsunterricht (Squire, 2006). Eine breite Ideensammlung von möglichen Unterrichtsszenarien findet sich bei Hutchinson (2007) und Kriterien zur optimalen Spielauswahl für den universitären Einsatz wurden etwa von Pivec et al. analysiert (2004).

24.7

Schlussbemerkungen

Der Begriff „Serious Games“ ist eigentlich in sich widersprüchlich, da es aus spieltheoretischer Sicht kein „ernstes“ Spielen geben kann. Dennoch stellt die Serious Games Bewegung einen wichtigen Schritt in Richtung einer allgemeinen Akzeptanz des digitalen Spiels als gesellschaftlich sinnvolle Aktivität dar. In diesem Beitrag wurden in erster Linie Lernspiele als ein Teilbereich der Serious Games untersucht. Es darf jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass es auch andere Strömungen der Serious Games gibt, die sich zum Beispiel mit demokratiepolitischen („Games for Change“) oder gesundheitspolitischen („Games for Health“) Anwendungen auseinander setzen. In der Beschäftigung mit dem Design von Lernspielen wurde darüber hinaus klar, dass der iterative Designprozess in der Entwicklung von kommerziellen Spielen über die Optimierung der intrinsisch motivierenden Elemente einen wesentlichen Anteil an der Sicherung des eigentlichen Spielcharakters hat. Die Verwendung eines sequentiellen Designprozesses wie er im Instructional Design üblich ist, wird hingegen nur in Ausnahmefällen zum Erfolg führen. Daher wird es für die meisten Pädagogen sinnvoller sein, kommerziell erfolgreiche digitale Spiele als Ausgangspunkte für die Entwicklung von spielerischen Lernumgebungen zu verwenden. Dies entspricht auch der aktuellen Sichtweise der Spielforschung, die jedes digitale Spiel als Serious Game oder zumindest als mögliche Grundlage eines Serious Game versteht.

Teil 4: Evaluation des Online-Lernens

25

Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

Ulrich Glowalla, Meike Herder, Cord Süße & Nina Koch

Elektronische Lernangebote gehören heute wie selbstverständlich zum Bildungsangebot von Hochschulen und Unternehmen. Da Entwicklung und Bereitstellung dieser Lernangebote mit erheblichen Kosten verbunden sind, bildeten Evaluation und Qualitätssicherung von Anfang an zentrale Komponenten bei ihrer Erstellung und Nutzung. Ausgehend von einer Begriffsbestimmung stellen wir die verschiedenen Dimensionen und Ebenen einer Evaluation vor, erläutern die wichtigsten Evaluationsmethoden und gehen auf Besonderheiten der Evaluation elektronischer Lernangebote ein. Schlüsselbegriffe: Elektronische Lernangebote, Evaluationsmethoden, Evaluationsebenen, Evaluationsdimensionen, formative Evaluation, summative Evaluation, Akzeptanz, Lernwirksamkeit

310

25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

Es gibt wohl kaum eine andere Entwicklung, die die Bildungslandschaft in den vergangenen zwanzig Jahren so durchgreifend verändert hat wie die Einführung elektronisch gestützter Lernangebote. Heute gibt es in den Industrienationen und auch in den Schwellenländern kaum noch Unternehmen oder Universitäten, die keine Lernplattform betreiben und nicht wenigstens zur Ergänzung ihrer Präsenzlehre auch Online-Kurse anbieten. Treiber dieser Entwicklung waren zunächst die Entwicklung leistungsfähiger Multimedia-Technologie und die rasante Verbreitung des Internet. Heute dürften die fortschreitende Globalisierung wirtschaftlichen Handelns sowie die kontinuierlich steigende Nachfrage nach Bildungsangeboten gerade auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern die wichtigsten Treiber sein. Rund die Hälfte der Weltbevölkerung ist unter 20 Jahre alt und der Anteil von Studierenden an der Gesamtheit der jungen Erwachsenen ist in den Schwellen- und Entwicklungsländern in den vergangenen fünf Jahren um fast 150 % gestiegen (UNESCO Institute for Statistics, 2007). Neben der Wirtschaft hat auch bald die Politik die zentrale Bedeutung von E-Learning für die Bildung erkannt und in erheblichem Umfang öffentliche Mittel für die Entwicklung von E-LearningTechnologien und Online-Kursen bereitgestellt. Das weltweite Investitionsvolumen dürfte eher bei 100 als bei 10 Milliarden Euro liegen. Sehr früh wurde daher nach dem Nutzen dieser Investitionen gefragt, so dass Evaluation und Qualitätssicherung von Anfang an integrale Komponenten des Entwicklungsprozesses bildeten. Damit bekamen die Instruktionswissenschaften neben der Beratung und Unterstützung von Autoren bei der lernförderlichen Gestaltung ihrer Lernangebote den Bereich Evaluation und Qualitätssicherung als zweite wichtige Aufgabe im Hinblick auf die Entwicklung und Nutzung elektronisch gestützter Lernangebote. In diesem Beitrag werden wir neben der Bedeutung der Evaluation aufzeigen, welche Methoden wann geeignet sind, welche Entscheidungen zu treffen sind und welche Besonderheiten bei der Evaluation elektronischer Lehrmaterialien zu beachten sind. Die Szenarien, in denen elektronische Lernangebote eingesetzt werden, sind ausgesprochen vielfältig und auch der Gegenstand der Evaluation ist sehr variabel. Angefangen bei der Gestaltung ganzer Lernmodule und ihren medialen Elementen wie Animationen, ihre Bereitstellung über eine Lernplattform bis hin zur curricularen Integration in bestehende Bildungsangebote können Fragen nach der Lernwirksamkeit und weiteren Beurteilungsdimensionen gestellt werden. Die Frage, welche Evaluationsmethoden wann am besten eingesetzt werden und welche Vorteile sich mittel- und langfristig aus ihrem Einsatz ergeben, sind demnach ausgesprochen spannend für jeden Instruktionswissenschaftler. Wir werden ferner zeigen, dass die korrekte Auswahl und Anwendung von Evaluationsmethoden den Mehrwert und die Nachhaltigkeit elektronisch gestützter Lernangebote substantiell steigern kann. Im Verlauf der Darstellung werden wir unsere Thesen anhand von Beispielen aus unserer Forschung zum Lehren und Lernen mit Medien exemplarisch belegen. Im folgenden Abschnitt werden wir zunächst den Begriff Evaluation sowie die verschiedenen Funktionen von Evaluation näher erläutern.

25.1

Bedeutung und Funktionen von Evaluation

Mit dem Begriff Evaluation bezeichnet man die systematische Kontrolle von Qualität, Funktionalität und Wirkung eines Produktes oder Verfahrens. Insofern entspricht die Evaluation eines elektronischen Lernangebotes der üblichen Qualitätskontrolle bei der Entwicklung neuer Produkte (vgl. hierzu Sanders, 2000). Da der Begriff Evaluation in vielen Kontexten verwendet wird, ist er nicht immer gleich

25.1 Bedeutung und Funktionen von Evaluation

311

definiert (vgl. hierzu Fricke, 2002). Wottawa und Thierau (1998) nennen als wesentliche Aspekte die Bewertung praktischer Maßnahmen oder Handlungsalternativen sowie die Funktion einer Planungsund Entscheidungshilfe. Evaluation ist demnach stets ziel- und zweckorientiert. Nach unseren Erfahrungen aus vielen E-Learning-Projekten besteht Evaluation von elektronischen Lernangeboten immer aus der systematischen Sammlung, Analyse und Bewertung von Daten mit dem Ziel, die Qualität der Lernangebote zu bewerten oder sie sukzessive zu verbessern. Es versteht sich von selbst, dass eine Evaluation stets auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Technik und Forschungsmethodik basieren sollte. Je nachdem, aus welcher Perspektive man auf eine Evaluation blickt, ergeben sich ganz unterschiedliche Funktionen für die Evaluation. Ein Geldgeber möchte beispielsweise erfahren, ob die entwickelte Lernanwendung dem intendierten Zweck wirksam dient. Eine Bildungsinstitution möchte gerne belegen, dass ihre Lehrangebote eine hohe Qualität besitzen. Die Nutzer eines Lehrangebotes können wertvolle Hinweise zur Verbesserung geben und so Einfluss auf das ihnen zukünftig vorgelegte Lehrangebot nehmen. Den Lehrenden wiederum bietet sich die Möglichkeit, detaillierte Rückmeldung zu ihren Lehrbemühungen zu bekommen. Für die Entwickler eines Lernangebotes schließlich kann eine Evaluation die Berechtigung zur curricularen Integration eines innovativen Lehrkonzeptes in den Bildungsprozess geben (vgl. Glowalla, Glowalla & Kohnert, 2002a).

25.1.1

Formative und summative Evaluation

Eine Evaluation kann man zu verschiedenen Zeitpunkten aus unterschiedlichen Gründen durchführen. Aus diesem Grund wird in der Literatur zwischen den Begriffen formative und summative Evaluation unterschieden (z. B. Crowther, Keller & Waddoups, 2004). Im Falle einer formativen Evaluation liegt oftmals ein prototypisches Lernangebot vor, das einer Erstevaluation unterzogen wird. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse können anschließend in Veränderungsmaßnahmen umgesetzt werden. Danach kann in einer weiteren Evaluation überprüft werden, ob die Veränderungen zu einer Verbesserung des Lernangebotes beigetragen haben. Auf diese Weise kann die Qualität eines Lernangebotes Schritt für Schritt optimiert werden. In dem Projekt k-MED (siehe den Kasten auf S. 312) ist die Forschungsgruppe Instruktion und Interaktive Medien (IIM) mit der Beratung und Unterstützung medizinischer Autoren bei der lernförderlichen Gestaltung ihrer Lernkurse und der Evaluation der entwickelten Angebote betraut. Neu entwickelte Lernangebote und Lehrszenarien werden von uns formativ evaluiert. Hierzu ein Beispiel: An der Philipps-Universität Marburg nutzen jährlich etwa 350 Studierende der Humanmedizin die k-MEDLernplattform für das Fach Biochemie. Zur Vor- und Nachbereitung der Vorlesung sowie zur Vorbereitung auf Seminartermine werden den Studierenden verschiedene elektronische Lernkurse und OnlineÜbungsklausuren bereitgestellt. Abb. 25.1 zeigt einen Ausschnitt aus einem Biochemie-Lernkurs.

312

25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

In dem Projekt k-MED (knowledge in medical education) werden seit 2001 elektronische Lernangebote für das Fach Medizin entwickelt und über eine Lernplattform in das humanmedizinische Studium curricular eingebunden. k-MED bietet online durchgeführte Lehrveranstaltungen und inzwischen rund 200 Online-Kurse für über 7.700 Medizinstudierende vor allem hessischer Universitäten an. www.k-med.org

Abb. 25.1:

Ausschnitt aus einem k-MED Lernkurs aus dem Fach Biochemie mit einer Animation als interaktive Komponente

IIM hat über mehrere Semester hinweg wiederholt die Studierenden zu diesem Lehrkonzept befragt. Hierbei zeigte sich eine gleichbleibend hohe Qualität der Online-Kurse. Auch die Vorlesung mit jeweils zwei Dozenten wurde von den Studierenden stets positiv beurteilt. Kritisch bewertet wurden hingegen die Seminartermine, zum Teil aufgrund der hohen Teilnehmerzahlen. Sukzessiv wurden Veränderungen am Seminarkonzept vorgenommen, die sich konsequent aus den jeweiligen Evaluationen ableiten ließen. Insgesamt konnte auf diese Weise eine Verbesserung des Lehrkonzeptes bei einer gleichbleibend positiven Bewertung des elektronischen Lehrmaterials erreicht werden (vgl. Süße et al., 2007). Im Vergleich zu formativen Evaluationen, die häufig wiederholt im Verlauf eines Entwicklungsprozesses durchgeführt werden, führt man eine summative Evaluation einmalig durch, um einen abschließenden Entscheidungsprozess herbeizuführen. Dies ist z. B. sinnvoll, wenn man unterschiedliche elektronische Lernangebote zu demselben Thema einmalig miteinander vergleicht, um anschließend eine Auswahlentscheidung zu treffen. Dabei werden die Lernangebote hinsichtlich zuvor definierter Kriterien

25.1 Bedeutung und Funktionen von Evaluation

313

miteinander verglichen. Das Ergebnis der Evaluation ist eine Empfehlung für eines der Lernangebote basierend auf den Befunden. Praktisch sind formative und summative Evaluationen nicht immer klar zu trennen. Aus unserer Erfahrung aus einer ganzen Reihe von E-Learning-Entwicklungsprojekten wissen wir, dass viele Bildungsangebote kontinuierlich verändert und ergänzt werden, so dass es immer wieder sowohl formativen als auch summativen Evaluationsbedarf gibt.

25.1.2

Dimensionen der Evaluation

Innerhalb eines Evaluationsprozesses kann man ganz unterschiedliche Variablen erfassen. Die wichtigsten Variablen sind Akzeptanz, Lernleistung, Lernzeit, Lernverhalten, Lernwirksamkeit, Gebrauchstauglichkeit und Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Lernangebotes. Für viele Evaluationen gilt, dass selten alle Variablen gemessen werden, häufig aber mehrere Variablen, um zu möglichst tragfähigen Aussagen zu gelangen. Akzeptanz: Daten zur Akzeptanz spiegeln den subjektiven Eindruck wider, den Nutzer von einem elektronischen Lernangebot haben. Da eine hohe Akzeptanz sehr häufig zu einer intensiven Nutzung führt, sind Erkenntnisse zur Akzeptanz sehr ernst zu nehmen. Der Nutzen eines elektronischen Lernangebotes kann freilich nicht allein aus subjektiven Einschätzungen verlässlich ermittelt werden. Entscheidend ist der objektiv gemessene Lernzuwachs, im Folgenden als Lernleistung bezeichnet (vgl. auch Glowalla & Schoop, 1992). Lernleistung: Möchte man Auskunft über die Lernleistung der Nutzer haben, muss einmal das Wissen zu Beginn der Bildungsmaßnahme erfasst werden und mindestens ein weiteres Mal nach ihrer Durchführung. Die Differenz dieser beiden Messungen ist ein Maß für den Umfang des erworbenen Wissens. Um etwas über die Persistenz der Lernleistung zu erfahren, bietet es sich an, den Wissensstand zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu messen. Lernzeit: Vergleicht man zwei verschiedene Lernsysteme hinsichtlich der erzielten Lernleistung, dann stellt man des Öfteren keine Unterschiede fest. Betrachtet man aber zusätzlich die Zeit, die die Nutzer zum Erreichen derselben Lernleistung aufwenden mussten, dann können sich dennoch Bewertungsunterschiede ergeben. Dasjenige Lernsystem, mit dem die Nutzer schneller neues Wissen erwerben konnten, ist aufgrund seiner höheren Effizienz vorzuziehen (vgl. Glowalla, Häfele, Hasebrook, Rinck & Fezzardi, 1992). Lernverhalten: Elektronische Lernangebote können durch die Zeit- und Ortsunabhängigkeit anders als Präsenzlehre sehr variabel genutzt werden: vollständig und linear vom Beginn bis zum Ende oder gezielt zum Schließen von Wissenslücken, verteilt auf mehrere Lernsitzungen, in Kombination mit weiterem Lehrmaterial etc. Darüber hinaus können mediale Elemente wie Animationen und Simulationen wiederholt und intensiv genutzt, aber auch weitgehend ignoriert werden. Schließlich ist es bei der Einführung von elektronischen Lernangeboten interessant zu erfahren, wie sich das Studierverhalten im Vergleich zum Besuch von Lehrveranstaltungen darstellt. Es gibt demnach viele Gründe, das Lernverhalten bei der Nutzung elektronischer Lernangebote genauer zu analysieren, wobei es in vielen Situationen genügt, die Nutzer zu ihrem Lernverhalten zu befragen. In anderen Fällen kann es erforderlich sein, dass Nutzerverhalten genau zu messen (vgl. den Abschnitt 25.2.1 zu den Erhebungsmethoden).

314

25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

In dem Projekt EVALIS (siehe den Kasten auf S. 314) haben wir das Lernverhalten von Studierenden bei der Nutzung zweier ganz unterschiedlich konzipierter Online-Lernprojekte untersucht und mit dem Lernverhalten derselben Studierenden bei dem Besuch von Präsenzveranstaltungen derselben Dozenten verglichen. Dieses Evaluationsprojekt führte zu einer ganzen Reihe von Einsichten in das Studierverhalten. Beispielsweise führte die Nutzung der elektronischen Lernangebote keineswegs zu einer Abnahme der sachbezogenen Kommunikation mit Dozenten und Kommilitonen. Ganz im Gegenteil: die Kommunikation nahm zu. Des Weiteren zeigte sich, dass die elektronischen Lernangebote der Partneruniversitäten ebenso intensiv genutzt wurden wie die Angebote der Heimatuniversität. Einen Überblick über die Befunde geben Glowalla, Glowalla und Kohnert (2002b), eine ausführliche Darstellung findet sich in Glowalla, Glowalla und Kohnert (2001). In dem Projekt EVALIS (Evaluation interaktiven Studierens) untersuchte die Forschungsgruppe Instruktion und Interaktive Medien (IIM) am Beispiel der E-Learning-Projekte Virtus und WinfoLine, wie sich das Studierverhalten durch internetbasierte Lernangebote im Vergleich zur Präsenzlehre ändert. www.iim.uni-giessen.de/evalis

Lernwirksamkeit: Die Wirksamkeit eines Lernangebotes hat viel mit der Lernleistung gemeinsam. Hier liegt der Fokus allerdings auf Außenkriterien. Die wichtigsten sind das Erreichen von externen Zielen und Transferleistungen. Das am häufigsten verwendete externe Kriterium ist das Bestehen von Prüfungen wie beispielsweise eine Abschlussklausur. Bestehen die Nutzer eines elektronischen Lernangebotes wahrscheinlicher die Klausur als Personen, die von dem Lernangebot keinen Gebrauch gemacht haben, dann spricht das für die Lernwirksamkeit des Angebotes. Bei Transferleistungen liegt der Fokus auf der Fähigkeit der Nutzer, das Gelernte auf den jeweils relevanten Aufgabenbereich anzuwenden. Im Projekt k-MED (vgl. den Kasten auf S. 312) konnte zum Beispiel gezeigt werden, dass ein elektronisches Lernangebot mit der Simulation eines Ultraschallgerätes Medizinstudierende gut darauf vorbereitet, einen Patienten mit einem Ultraschallgerät kompetent zu untersuchen (Glowalla, Siegert & Schneider, 2005). Gebrauchstauglichkeit (Usability): Eine weitere bedeutsame Evaluationsdimension ist die Güte der Bedienbarkeit eines elektronischen Lernsystems (vgl. Nielsen, 1993). Da das Thema Usability in dem Beitrag von Kerkau ausführlich behandelt wird, verzichten wir hier auf eine Betrachtung und verweisen auf den Beitrag. Kosten-Nutzen-Verhältnis: Die meisten der in unserem Beitrag berichteten Befunde sind im Kontext von Hochschul- und Weiterbildungskontexten erzielt worden. In diesen Bereichen wird traditionell weniger stark auf ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis geachtet. Ganz anders verhält es sich beim Einsatz von elektronischen Lernangeboten im Unternehmensbereich. Hier wird Faktoren, die das KostenNutzen-Verhältnis beeinflussen, viel Beachtung geschenkt. So integrierten Phillips und Phillips (2002) in ihr hierarchisches, fünfstufiges Evaluationsmodell neben den Variablen Nutzerzufriedenheit, Lernwirksamkeit und Implementation auch die erzielte Produktivitätssteigerung sowie das Kosten-NutzenVerhältnis (Return on Investment).

25.1 Bedeutung und Funktionen von Evaluation

25.1.3

315

Evaluationsebenen

Elektronische Lernangebote sollen wie alle Lernangebote eine möglichst hohe Qualität besitzen. Das genügt aber meist nicht, damit sie auch intensiv genutzt werden. Hierzu müssen auf Seiten des Bildungsanbieters bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Glowalla et al. (2002a) entwickelten hierfür ein umfassendes Modell zur empirisch fundierten und einsatzbegleitenden Qualitätssicherung (EFEQ), das auch solche Ebenen umfasst, obgleich dort mehr die Organisationsentwicklung als die Evaluation im Vordergrund steht. Das betrifft vor allem die Ebene der Institution (z. B. eine Hochschule) und zum Teil auch die Ebene der Plattform, über die die Lernkurse angeboten werden. Der Grundgedanke des EFEQ-Modells lautet, dass bei der Evaluation elektronischer Lernangebote ganz unterschiedliche Betrachtungsebenen berücksichtigt werden müssen. Es liegt auf der Hand, dass je nach Ebene andere Beurteilungskriterien herangezogen werden müssen, um fundierte Aussagen zur Qualität und den Erfolgsaussichten eines E-Learning-Angebotes treffen zu können. Alle Ebenen werden nun der Reihe nach vorgestellt und mit Blick auf die jeweiligen Qualitätsaspekte kurz erläutert. •









Institution: Jedes Bildungsangebot wird von einer Institution getragen. Damit elektronische Lernangebote zu einer Bereicherung des Bildungsangebotes beitragen können, muss die Institution hierfür bestimmte Rahmenbedingungen schaffen. Die vielleicht wichtigste Voraussetzung ist die öffentliche Unterstützung der E-Learning-Aktivitäten ihrer Dozenten. Wichtig ist aber auch die Bereitstellung finanzieller und personeller Ressourcen, beispielsweise zum Aufbau eines Medienkompetenzzentrums und zum Betrieb einer Lernplattform. Vielversprechende E-Learning-Projekte sind letztendlich daran gescheitert, dass dieser notwendigen Organisationsentwicklung zu wenig Beachtung geschenkt wurde. Potentiale von Evaluationen liegen für eine Institution als Auftraggeber beispielsweise darin, regelmäßig die Qualität ihrer Bildungsangebote zu erfassen oder zwischen unterschiedlichen elektronischen Lernangeboten auszuwählen (vgl. 25.1.1 zur summativen Evaluation). Lernplattform: Werden innerhalb einer Institution viele Online-Kurse angeboten, geschieht das meist über eine Lernplattform. Aus der Perspektive der Institution ist dann interessant zu erfahren, ob die Plattform die Administration der Lehrangebote effizient unterstützt. Aber auch aus der Perspektive von Lehrenden und Lernenden kann gefragt werden, wie gut die Lernplattform beide Gruppen bei ihren verschiedenen Aufgaben unterstützt. Wichtig sind hierbei der Funktionsumfang sowie die Ergonomie der Bedienung. Curriculum: Aus einer großen Zahl von Evaluationsstudien wissen wir, wie wichtig die Integration elektronischer Lernangebote in die Curricula der betreffenden Studienfächer ist. Die Bereitstellung der Kurse über eine Lernplattform genügt meist nicht. Zu prüfen ist hier, ob die elektronischen Lernkurse und die Präsenzveranstaltungen sowie weitere Lehrangebote im Rahmen des Curriculums sinnvoll aufeinander abgestimmt wurden. Kurse: Elektronische Studienangebote entsprechen im Extremfall einer Lehrveranstaltung und können dann anstelle eines Präsenzangebotes genutzt werden. Vielfach bestehen Kursangebote aber sowohl aus elektronischen Lernmodulen und Präsenzphasen (Blended Learning). Zu prüfen ist in beiden Fällen, ob es sich insgesamt um ein lernwirksames Angebot handelt und ob flankierende Angebote wie Hotlines und Foren existieren, von denen man weiß, dass sie zum Erfolg des OnlineLernens beitragen. Module: Jedes elektronische Lernmodul sollte hinsichtlich seiner Lernwirksamkeit überprüft werden. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob die Voraussetzungen zur Bearbeitung des Moduls hinreichend präzise spezifiziert wurden und ein Lerner nach dem Lernen im Rahmen einer Wis-

316





25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote sensdiagnostik prüfen kann, ob er den Lehrstoff im intendierten Sinne verstanden hat. Des Weiteren kann untersucht werden, ob verschiedene Medien bei der Gestaltung des Lernmoduls sinnvoll miteinander kombiniert wurden. Für den Fall, dass mehrere Autoren Lernmodule für dasselbe Kursangebot erstellen, muss sichergestellt werden, dass die Autoren dieselbe Begrifflichkeit und Bildersprache verwenden. Modulkomponenten einer Lernanwendung: Lernmodule bestehen in der Regel aus erklärendem Text und verschiedenen medialen Elementen wie statische und dynamische Visualisierungen, Simulationen und Übungsaufgaben. Alle diese Komponenten können hinsichtlich ihrer lernförderlichen Gestaltung und ihrer instruktional sinnvollen Integration in das Lernmodul überprüft werden. Benutzeroberfläche: Lernmodule und Lernplattformen besitzen eine Benutzeroberfläche, die hinsichtlich ihres Funktionsumfangs und der Ergonomie der Bedienung überprüft werden kann. Das geschieht häufig im Rahmen von Usability-Studien, so dass wir erneut auf den Beitrag von Kerkau in diesem Band verweisen.

Zu einer umfassenden Evaluation eines umfangreichen elektronischen Lernangebotes sollten alle der dargestellten Evaluationsebenen betrachtet werden. Wie erläutert, sind aber je nach der Ebene ganz unterschiedliche Kriterien zu beachten und Evaluationsmethoden einzusetzen. Im Tagesgeschäft formativer Evaluationen sind nach unseren Erfahrungen die Modulkomponenten und die Lernmodule sowie ihre curriculare Integration die häufigsten Betrachtungsebenen. Wie wichtig es ist, die verschiedenen Modulebenen zu betrachten, zeigt die Evaluation des virtuellen Karteikastens, eines serverbasierten Online-Lernsystems zur Festigung von Wissen (siehe den Kasten auf S. 317). Die Evaluation fand im Rahmen des Weiterbildungsstudiengangs Psychologische Psychotherapie statt.

Der Virtuelle Karteikasten ist ein serverbasiertes Online-Lernsystem, das analog zu einem realen Karteikasten (Leitner, 1999) konstruiert wurde. Die Idee dahinter war, ein lerntheoretisch fundiertes, zielgruppenspezifisches Prüfungsvorbereitungssystem zu entwickeln, welches die Vorteile der Lerntechnik „Karteikasten“ mit den Vorteilen von E-Learning kombiniert. Evaluiert haben wir den Karteikasten beim Einsatz zur Prüfungsvorbereitung im Weiterbildungsstudiengang Psychologische Psychotherapie sowie in einer großen Vorlesung zum Thema Erziehungspsychologie.

25.1 Bedeutung und Funktionen von Evaluation

Abb. 25.2:

317

Benutzeroberfläche des Virtuellen Karteikastens: Eine Itemansicht und die Rückmeldungsseite

In der Evaluation zeigte sich, dass die Benutzeroberfläche (Abb. 25.2) des Lernangebotes von den Studierenden sehr positiv aufgenommen wurde. Betrachtet man allerdings die Befunde zu den Modulkomponenten, so wurden die Übungsaufgaben der Anwendung in ihrem Schwierigkeitsgrad als zu leicht bewertet. Die verschiedenen Aspekte eines elektronischen Lernangebotes können also sehr differenziert beurteilt werden, wenn man diese Möglichkeiten vorsieht (vgl. Görlich, Glowalla, Herder, Frank & Domma, 2006).

318

25.1.4

25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

Besonderheiten der Evaluation elektronischer Lernangebote

Die Evaluation elektronischer Lernangebote kann je nach Situation in unterschiedlichen Szenarien stattfinden. Zunächst muss entschieden werden, ob eine Feld- oder eine Laboruntersuchung durchgeführt wird und ob eine Vergleichsgruppe erhoben werden soll, die mit einer anderen Lernmethode als der zu evaluierenden lernt. Für welchen Versuchsaufbau man sich in einem konkreten Fall entscheidet, hängt zum Beispiel davon ab, ob es möglich ist, die Probanden einzuladen, um sie vor Ort beim Lernen zu beobachten und zu befragen (Laboruntersuchung) oder ob man darauf angewiesen ist, dies mittels einer Felduntersuchung zu tun. Um Probanden im Labor zu untersuchen, benötigt man entsprechend viele Versuchsrechner mit möglichst der gleichen Ausstattung oder muss über einen längeren Zeitraum verteilte Einzeluntersuchungen in Kauf nehmen. Der Vorteil einer Laborsituation liegt darin, dass für alle Probanden eine kontrollierte Lernsituation gegeben ist, was den Einfluss möglicher Störfaktoren minimiert. Die Untersuchung im Labor ist natürlich orts- und zeitgebunden und die Anzahl der Probanden wird durch den Aufwand limitiert, den ein Versuchsleiter investieren kann sowie durch die Zahl der Versuchspersonen, die im näheren Umkreis zur Verfügung stehen. Im Feld können in der Regel ohne Zusatzaufwand deutlich mehr Befragungen durchgeführt werden, die Rücklaufquoten sind aber häufig geringer. Eine Felduntersuchung ist also ökonomischer, flexibler und ermöglicht realistischere Lernsituationen, kann aber nicht so umfassend kontrolliert werden wie eine Laboruntersuchung. In unserem Projekt E-Psychology (siehe den Kasten auf S. 318) wurden beide Evaluationsszenarien kombiniert. Zum einen nahmen Psychologie-Studierende an Online-Evaluationen teil, mit denen wir die Akzeptanz und die Nutzung verschiedener Lernmedien erhoben haben. Zum anderen wurde jeweils ein Teil von ihnen im Lernlabor bei der Arbeit mit einem ausgewählten elektronischen Lernangebot genau beobachtet. Über diese Beobachtung berichten wir im Abschnitt 25.2.1. In dem Pilotprojekt E-Psychology wurden für ausgewählte Vorlesungen unseres neuen BachelorStudiengangs E-Lectures und Online-Wissenstests entwickelt und im Lernlabor und im Feldversuch hinsichtlich Akzeptanz und Nutzungsverhalten einsatzbegleitend evaluiert.

Im Folgenden werden wir auf einige Besonderheiten und Probleme eingehen, die bei der Evaluation elektronischer Lernangebote auftreten können. Unterschiedliche Arbeitsumgebungen: Oft wurden die Vorteile der Zeit- und Ortsunabhängigkeit elektronischer Lernangebote betont (z. B. Vogt, 1999). Dies kann allerdings dazu führen, dass Nutzer an einem anderen Ort und zu ganz anderen Zeiten lernen als man zuvor als Entwickler des Lernangebotes angenommen hat (siehe Görlich et al., 2006). Dieser nicht kontrollierbare Faktor kann aber entscheidend auf den Lernerfolg und die Bewertung eines Lernangebotes einwirken. Sicher kann sich jeder Leser vorstellen, dass auch ein nachweislich wirksames Lernangebot rasch seine lernförderliche Wirkung verliert, wenn es in einem gut gefüllten PC-Pool mit 50 Rechnern von den Nutzern nicht sonder-

25.2 Evaluationsmethoden und -ergebnisse

319

lich konzentriert bearbeitet werden kann. Ähnliches gilt, wenn die Ausstattung des zum Lernen genutzten Computers den Anforderungen der Software nur knapp genügt. Selektionseffekte: Bei einer potentiellen festen Teilnehmergruppe, die auf eine elektronische Umfrage hingewiesen wird, berichten Batinic und Bosnjak (1999) eine Teilnehmerquote von 30 % bis 40 %. Nach unseren Erfahrungen aus vielen universitären E-Learning-Projekten sind die Rücklaufquoten bei Evaluationen noch deutlich geringer, wenn nicht geeignete Maßnahmen zur Steigerung des Rücklaufs ergriffen werden (vgl. Abschnitt 25.2.1). Das Problem bei der Interpretation der Evaluationsergebnisse ist dann, dass sich die Stichprobe nicht zufällig zusammensetzt. Die einzelnen Personen entscheiden sich aus bestimmten Gründen für oder gegen eine Teilnahme. Denkbar ist zum Beispiel, dass nur die Extrempositionen – Begeisterung für ein Produkt oder Ärger über Probleme damit – genügend Motivation erzeugen, an einer Umfrage teilzunehmen. Offene, internetbasierte Befragungen sollten also vermieden werden, wenn eine Stichprobe benötigt wird, die repräsentativ für die Zielgruppe ist. Zeitpunkt der Umfrage: Befragt man Personen zeitnah, sind deren Eindrücke noch frisch und wenig durch Vergessensprozesse beeinflusst. Allerdings muss man auch andere Ereignisse berücksichtigen, die mit dem Befragungszeitpunkt zusammenfallen. Eine kurz bevorstehende Klausur reduziert im Allgemeinen sehr deutlich die Bereitschaft, an einer Befragung teilzunehmen. Um in einem solchen Zeitraum trotzdem eine vollständige Teilnehmerzahl zu erreichen, haben wir uns in dem Projekt kMED für die Lösung entschieden, unsere Evaluationsbefragungen direkt im Anschluss an die elektronischen Abschlussklausuren durchzuführen. Unsere Erfahrungen damit zeigen, dass auf diese Weise aussagekräftige und vollständige Datensätze gewonnen werden können.

25.2

Evaluationsmethoden und -ergebnisse

Fast alle bekannten Evaluationsmethoden können auch bei der Evaluation elektronisch gestützter Lernangebote eingesetzt werden. Je nachdem, ob eine Laboruntersuchung oder eine internetbasierte Evaluation gewählt wird, haben die einzelnen Methoden Vor- oder Nachteile. Auf den folgenden Seiten werden wir die wichtigsten in Frage kommenden Erhebungsmethoden, Datenquellen und Methodenkombinationen sowie ihre Eignung für die beschriebenen Evaluationsszenarien erläutern.

25.2.1

Erhebungsmethoden

Befragungen Gegenstand einer Befragung ist in der Regel das Erfassen der Meinung oder Einschätzung der Testperson zum Lernangebot. Es handelt sich also um subjektive Daten, die sehr aufschlussreich sein können, aber entsprechend vorsichtig interpretiert werden müssen. So muss eine Einschätzung der Nutzer, ob ein Produkt lernförderlich ist oder nicht, nicht zwingend mit objektiv gemessenen Lernleistungen übereinstimmen.

320

25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

Mündlich oder schriftlich? Befragungen können prinzipiell mündlich (Interview) oder schriftlich (Fragebogen) erfolgen. Der Vorteil von Interviews liegt darin, dass immer wieder Punkte zur Sprache kommen, die beim Erstellen des Fragebogens nicht antizipiert wurden. Interviews kommen aber bei reinen Online-Evaluationen, bei denen sich Untersucher und Versuchsperson nicht begegnen, kaum in Frage; man muss zwangsläufig auf Fragebögen ausweichen. Um auch mit Fragebögen die angesprochenen unerwarteten Informationen zu erhalten, sind Freitextantworten unerlässlich. Bei der Evaluation des computerbasierten DiagnostikTrainers DaViDiF (Herder & Halder-Sinn, 2005) konnte auf diesem Weg eine Unzufriedenheit der Programmnutzer leicht behoben werden, die sonst möglicherweise unentdeckt geblieben wäre. Das Konzept von DaViDiF sieht u. a. eine Rückmeldung durch einen menschlichen Tutor vor. Die Auswertung des Fragebogens ergab, dass die Studierenden das prinzipiell sehr wertvoll fanden. Erst die Sichtung der Freitextantworten zeigte, dass die dadurch entstehende Latenz zwischen Bearbeitung und Rückmeldung als unbefriedigend empfunden wurde. Durch eine zusätzliche Musterlösung für die komplexen Eingaben konnte das Problem behoben werden. Maus oder Bleistift? Entscheidet man sich für Fragebögen, hat man die Wahl zwischen klassischen Papierfragebögen (häufig als Paper-Pencil bezeichnet) und elektronischen Lösungen (Online-Befragungen). Beide Methoden haben Vor- und Nachteile. Ein Vorteil der Online-Befragung ist, dass einige Arbeitsschritte entfallen (Fragebögen drucken, verteilen und einsammeln sowie Daten eingeben). Mittelbar können dadurch mehr Teilnehmer ohne zusätzlichen Aufwand befragt werden. Bei elektronischen Umfragen ist zudem eine automatische Konsistenzprüfung möglich. Es kann z. B. geprüft werden, ob eine Bewertung mit „Schulnoten“ tatsächlich zwischen 1und 6 liegt. Elektronische Fragebögen können außerdem so konfiguriert werden, dass alle Fragen beantwortet werden müssen. Sie können sogar adaptiv gestaltet werden: nur wenn z. B. bei einer bestimmten Frage mit „Ja“ geantwortet wird, werden die passenden weiteren Fragen eingeblendet (vgl. hierzu Glowalla et al., 2001). Vergleicht man die computerbasierte Umfrage mit einem Interview, so ergeben sich deutliche Vorteile zugunsten der Objektivität für die computerbasierte Umfrage (Vogt, 1999). Unter den Nachteilen der Online-Evaluation sind in erster Linie die Rücklaufquoten zu nennen, die häufig geringer ausfallen als bei Paper-Pencil-Fragebögen. Im Projekt mar-ing (siehe den Kasten auf S. 321) sind aufgrund der geringen Anzahl von Studierenden im Bereich Schiffs- und Meerestechnik zwangsläufig auch die Stichproben in den einzelnen Erhebungen sehr klein. Bei unserer ersten Befragung haben immerhin 13 von 32 Veranstaltungsteilnehmern (40,6 %) den Online-Fragenbogen bearbeitet. Nur 11 Fragebögen (34,3 %) waren vollständig ausgefüllt. Die Quote deckt sich mit den unter 25.1.4 „Besonderheiten der Evaluation von elektronischen Lernangeboten“ geschilderten üblichen 30 % bis 40 % (Batinic und Bosnjak, 1999). Bei so geringen absoluten Teilnehmerzahlen ist eine statistische Auswertung aber kaum noch sinnvoll. Da im mar-ing-Kontext kleine Veranstaltungen mit weniger als 20 Teilnehmern die Regel sind, haben wir zwei Lösungsansätze erarbeitet. Der erste bestand darin, die Teilnahme an der Befragung an Ziele der Studierenden zu koppeln. Die Teilnahme an einer Befragung wurde z. B. als Kriterium für den Leistungsnachweis definiert. Der zweite Lösungsansatz bestand im Verzicht auf die Online-Evaluation. Da in mar-ing die Studierenden auch an Präsenzveranstaltungen teilnehmen, konnten wir die Studierenden direkt im Anschluss an die Vorlesung Paper-PencilFragebögen ausfüllen lassen. Damit haben wir nahezu 100 % Rücklauf erreichen können. Ein Rücklauf

25.2 Evaluationsmethoden und -ergebnisse

321

von 100 % erlaubt auch bei geringen absoluten Teilnehmerzahlen Aussagen über die Güte von Lehrmaterialien oder gar Vergleiche zwischen verschiedenen Lehrmethoden. Im Projekt mar-ing konnten wir z. B. feststellen, dass sich der höhere Aufwand bei der Erstellung von Web-based Trainings mit zum Teil aufwändigen interaktiven Komponenten rentiert. Sie wurden im Vergleich zu Vorlesungen und Videoübertragungen von Vorlesungen von anderen Standorten besser beurteilt. Abb. 25.3 zeigt eine solche interaktive Komponente aus einem Web-based Training zum Thema „Harmonische Wellen“, das besonders gut bei der Evaluation abgeschnitten hat. Im Projekt mar-ing: Netzwerk Schiffs- und Meerestechnik haben sich die vier Universitäten in Deutschland mit einer schiffs- und meerestechnischen Spezialisierung zusammengeschlossen. Ziele sind eine ortsunabhängige Bereitstellung der standortspezifischen Kompetenzen in Forschung und Lehre unter Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologien und lernwirksamer E-Learning-Methoden. Die Forschungsgruppe Instruktion und Interaktive Medien (IIM) berät und unterstützt die Autoren aus der Schiffs- und Meerestechnik bei der Konzeption und Entwicklung von E-Learning Anwendungen und führt formative Evaluationen der Lernangebote durch. www.mar-ing.com

Abb. 25.3:

Interaktive Komponente aus dem mar-ing Web-based Training „Harmonische Wellen“

322

25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

Seit es computerbasierte Umfragen gibt, wurde in unterschiedlichen Studien untersucht, ob sich das Ankreuzverhalten der Umfrageteilnehmer in Abhängigkeit von der Darbietungsform unterscheidet (vgl. Richman, Kiesler, Weisband & Drasgow, 1999). Bates und Cox (2008) konnten zeigen, dass bei elektronischen Umfragen Anonymität und Datenschutz von den Teilnehmern als höher eingeschätzt werden. Die Ergebnisse von elektronischen und papierbasierten Umfragen unterscheiden sich jedoch nicht wesentlich voneinander (vgl. auch Vogt, 1999). Beobachtung Gegenstand der Beobachtung ist das Verhalten der Person im Umgang mit dem Lehrmaterial; es handelt sich also um objektive Daten. Die Möglichkeiten der Beobachtung unterscheiden sich deutlich je nach Evaluationsszenario. Einige der klassischen Beobachtungsmethoden lassen sich für computerbasiertes Material im Labor genauso verwenden wie für herkömmliche Lehrmaterialien. Dazu zählen die direkte Beobachtung oder auch die Videoaufzeichnung der Versuchsperson, aber auch die Beobachtung von Denkprozessen (Selbstbeobachtung, Methode des Lauten Denkens) oder die Wissensdiagnostik als spezielle Form der Beobachtung (vgl. Niegemann et al., 2004). Wir werden hier auf diese Methoden nicht näher eingehen, sondern uns auf die Methoden konzentrieren, die durch computerbasiertes Material neu hinzukommen oder bestimmte Vorteile aufweisen. User tracking Über den Umgang mit computerbasierten Lehrmaterialien lassen sich wesentlich einfacher detaillierte und exakte Daten gewinnen als über den Umgang mit herkömmlichem Lehrmaterial. Alle Formen, in denen der Computer das Verhalten des Nutzers im Umgang mit dem Programm protokolliert, nennt man User tracking. Dazu kann wahlweise der Rechner verwendet werden, an dem die Versuchsperson arbeitet oder der Server, auf dem die Programme laufen. Beim Einsatz von Learning-ManagementSystemen werden meist automatisch alle Aktivitäten der Nutzer auf dem Server protokolliert. Noch detailliertere Informationen erhält man, wenn man maßgeschneiderte Trackingprozeduren an die Lernprogramme anbindet. Im Projekt E-Psychology (siehe den Kasten auf S. 318) hat uns im Laborversuch besonders interessiert, welche Wege die Lerner durch eine E-Lecture nehmen. Unser User tracking zeichnete zum Beispiel auf, ob die Lerner die Vorlesung im Ganzen von vorne nach hinten ablaufen lassen, einzelne Stellen wiederholen oder Abschnitte überspringen und ob sie Video und Ton des Dozenten mitunter stoppen, um zwischendurch Zeit für Notizen oder zum Nachdenken zu haben. Das E-Lecture-Präsentationsprogramm wurde dazu um Skripte ergänzt, die jegliche Eingriffe der Nutzer mit Foliennummer und Zeitpunkt in einer Datei auf dem jeweiligen Versuchsrechner protokollierte. Das Beispiel zeigt, dass ein maßgeschneidertes User tracking sehr unterschiedliche Variablen messen kann. Häufig ausgewertet werden außer den genannten Variablen die Nutzungszeiten, Aufrufe der Hilfefunktion (Häufigkeit, Ort des Aufrufs, Suchbegriffe), aber auch Fehlaktionen der Nutzer (z. B. Mausklicks auf Bildern, die gar keine Funktion enthalten). Wenn die Lernanwendung wissensdiagnostische Komponenten enthält, sind neben den Antworten der Lerner auch die Antwortzeiten interessant. Welche Daten man in das User tracking aufnimmt, hängt davon ab, welche Fragen mit Hilfe der Daten geklärt werden sollen.

25.2 Evaluationsmethoden und -ergebnisse

323

Blickbewegungen Auch die Messung von Blickbewegungen ist eine besondere Form der Beobachtung. Sie wird gerne für Usability-Untersuchungen eingesetzt, kann aber auch für ganz andere Zwecke genutzt werden. Im Projekt MultiMediaAtlas (siehe den Kasten auf S. 323) haben wir beispielsweise Blickbewegungen erfasst, um Aufmerksamkeitsprozesse beim Lernen mit einer damals in der Entwicklung befindlichen Lernsoftware zu untersuchen. Der MultiMediaAtlas (MMA) ist eine Unterrichtssoftware, die der Cornelsen Verlag zwischen 2001 und 2004 entwickelt hat. Die Forschungsgruppe Instruktion und Interaktive Medien (IIM) hat den MMA begleitend zur Entwicklung kontinuierlich evaluiert. Unsere Evaluationsergebnisse und Verbesserungsvorschläge sind in die Entwicklung der Lernsoftware eingeflossen. Die Lernsoftware wurde inzwischen mehrfach ausgezeichnet und wird mittlerweile unter dem Namen „Digitaler Atlas – Unterrichtssoftware für Geographie, Geschichte und Politik“ vertrieben. www.iim.uni-giessen.de/Projekte/mma.htm

Eine erschöpfende Schilderung von Blickbewegungsmessungen würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Eine Übersicht geben Jacob und Karn (2003) oder Poole und Ball (2004). Die bereits erwähnte Untersuchung aus dem MMA-Projekt, bei dem die Messung von Blickbewegungen zum Einsatz kam, werden wir im Abschnitt „Experimentelle Untersuchung von Variationen“ unter 25.2.3 skizzieren.

25.2.2

Datenquellen

Versuchspersonen Auch wenn es andere Quellen gibt – siehe die beiden folgenden Abschnitte – führt in der Regel kein Weg an der Befragung und Beobachtung von Versuchspersonen vorbei. Es gibt allerdings Situationen, in denen man nur auf wenige Versuchspersonen aus der Zielgruppe Zugriff hat. In solchen Fällen kann man sich überlegen, zunächst Versuchspersonen heranzuziehen, die nicht zur Zielgruppe gehören. Das bringt natürlich Probleme bei der Übertragung der Ergebnisse auf die Zielgruppe mit sich. Testpersonen mit möglichst hoher Ähnlichkeit zur Zielgruppe minimieren das Problem. Expertenrating Eine weitere Möglichkeit, erste formative Informationen über die Nutzung eines Lernprogramms zu generieren, bevor mit Versuchspersonen aus der Zielgruppe gearbeitet wird, ist das Expertenrating. Inhaltliche oder instruktionswissenschaftliche Experten sind häufig in der Lage, eine große Zahl von Problembereichen zu identifizieren. Durch diesen ersten Evaluationsschritt können mit deutlich weniger Aufwand ebenfalls aufschlussreiche Ergebnisse produziert werden. Je nach Problembereich und Grad der Expertise können die Ergebnisse eines Expertenratings mit den Befunden einer Evaluation mit einer Stichprobe von Versuchspersonen recht gut übereinstimmen.

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25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

Im Projekt „MultiMediaAtlas“ (vgl. den Kasten auf S. 323) haben wir zum Beispiel aus Gründen der Zeit- und Kostenersparnis zunächst mehrfach instruktionswissenschaftliche Expertisen zu Prototypen erstellt, die dann bei der Entwicklung des jeweils folgenden Prototypen berücksichtigt wurden. Themen eines Expertenratings sind inhaltlich-fachliche Fehler, aber auch Usability-Probleme sowie die didaktische Aufbereitung des Lehrstoffs. Methoden, nach denen die Experten vorgehen, gibt es viele. Wir stellen im Folgenden vier zentrale Methoden kurz vor: • • •



Bei der freien Analyse exploriert der Experte das Lernangebot ohne Vorgaben. Ein Kriterienkatalog hilft bei strukturierten Einschätzungen von Funktionen und didaktischen Aspekten sowie bei der Identifikation von Usability-Problemen (vgl. Fricke, 2000). Der Vergleich mit anderen Produkten ist weniger aufwändig in der Vorarbeit, ergibt aber insbesondere in Bezug auf Usability und Didaktik häufig wenig befriedigende Ergebnisse. Derartige Produktvergleiche findet man z. B. in einschlägigen Fachzeitschriften wie der c't oder bei der Stiftung Warentest. Beim Expert Walkthrough bearbeitet ein Experte typische Aufgaben mit dem Lernangebot (vgl. Heuristic Walkthrough, Sears, 1997). Die Methode ähnelt dem Cognitive Walkthrough (Lewis & Wharton, 1997). Der Experte besitzt aber mehr Freiheiten und achtet auf mehr Aspekte als nur die Bedienbarkeit und die Erlernbarkeit des Systems.

Unabhängig davon, welche Methode für die Expertenexploration verwendet wird, steht als Endprodukt eine Expertise, in der der Experte anhand seiner Erfahrungen mit der Lernanwendung und auf Basis seines Expertentums Empfehlungen formuliert. Externe Daten Spätestens wenn ein Lernangebot Marktreife erreicht hat und im realen Kontext eingesetzt wird, gibt es die Möglichkeit, zusätzlich auf Daten zurückzugreifen, die unabhängig vom Evaluationskontext entstanden sind. Aufschlussreiche externe Daten werden im Folgenden kurz erläutert. Externe Daten sollten allerdings nicht als alleinige Quelle verwendet werden. Sie können aber gut ergänzend herangezogen werden. Angefangen von Kundenrezensionen auf den Seiten von Versandhäusern oder Testberichten von Usern in entsprechenden Portalen über Rezensionen in Fachzeitschriften bis hin zu Preisen, die eine Software gewonnen hat, lassen sich hier eine Vielzahl von Quellen identifizieren, in denen subjektive Einschätzungen oder Expertenmeinungen dargestellt werden. Sofern man Zugriff darauf hat, kann man auch objektive Daten wie das Kaufverhalten oder die ökonomische Effektivität (Produktivitätssteigerung, Return on Investment) einbeziehen (Phillips & Phillips, 2002), auf die wir schon im Abschnitt 25.1.2 „Dimensionen der Evaluation“ eingegangen sind. Von besonderem Interesse sind auch Häufigkeit und Art von Supportanfragen. Im Projekt EPsychology (vgl. den Kasten auf S. 318) haben wir den Nutzern angeboten, bei Problemen zu helfen. Aus dieser Quelle haben wir von einigen Problemen bei der Installation erfahren, nach denen wir in den Fragebögen nicht gefragt hatten, da wir hier nicht mit Schwierigkeiten gerechnet hatten. Im Schul- oder Hochschulkontext hat man häufig zusätzlich die Möglichkeit, die Ergebnisse von Prüfungen einzubeziehen. So haben wir zum Beispiel bei der Evaluation der E-Lecture „Instruktionspsychologie für Lehramtsstudierende“ (Glowalla & Glowalla, 2000) erfragt, wer von den Studierenden mit

25.2 Evaluationsmethoden und -ergebnisse

325

der E-Lecture gelernt hat. Von den Studierenden, die mit der E-Lecture gelernt hatten, bestanden 72 % die Klausur. Von denjenigen, die sich ohne E-Lecture vorbereitet hatten, nur 49 % (siehe hierzu auch Glowalla, 2003). Bei allen externen Daten ist immer zu beachten, dass die Hintergründe der Datenentstehung nicht umfassend bekannt sind. Ein E-Learning-Angebot, das nicht als lernförderlich erlebt wird, kann dazu führen, dass bei der Vorbereitung auf eine relevante Prüfung die erlebten Defizite durch erhöhte Lernanstrengungen mit anderen Materialien wie beispielsweise Büchern kompensiert werden. Dennoch lassen sich gewisse Schlüsse aus solchen Ergebnissen ziehen. Die beispielhaft geschilderte Kompensation eines als schlecht erlebten Lernangebots durch erhöhte Lernanstrengungen führt aber sicher nicht kausal zu besseren Ergebnissen als die Vorbereitung ganz ohne E-Learning-Angebot.

25.2.3

Bewährte Methodenkombinationen

In der Regel wird man sich nicht für eine einzelne Methode entscheiden, sondern eine Kombination verschiedener Methoden wählen. So wird man wohl in den wenigsten Fällen Versuchspersonen nur beobachten und nicht auch befragen. Führen verschiedene Methoden zu demselben Resultat, verstärkt das die Zuverlässigkeit des Evaluationsergebnisses (Converging Evidence). Aus unserem Projekt Virtueller Karteikasten (siehe den Kasten auf S. 317) wurde bereits berichtet, dass die Teilnehmer die Aufgaben weniger gut bewertet haben als das Programm selbst. Die Begründung dafür war, die Items seien zu einfach. Wir haben uns daraufhin gefragt, ob diese subjektive Wertung womöglich auf einer Fehleinschätzung beruht. Nach der häufigen Wiederholung eines Items kann es einer Versuchsperson durchaus so vorkommen, als sei auch das einfach, was sie anfangs nicht wusste. Mit Hilfe der Trackingdaten konnten wir die Itemschwierigkeiten berechnen und so zeigen, dass die Items tatsächlich zu leicht waren. Mitunter kommt es auch vor, dass durch eine Kombination von Methoden Widersprüche aufgedeckt werden. Eine Evaluation kann zum Beispiel zeigen, dass das subjektive Empfinden anders ist als die objektive Wirksamkeit. Insbesondere die objektiv erfasste Lernförderlichkeit und die Akzeptanz, genauer die Vorliebe für eine bestimmte Methode, weichen häufiger voneinander ab. Experimentelle Untersuchung von Variationen Wenn man selbst elektronische Lernangebote entwickelt bzw. mit seinen Entwicklungs-Partnern eng zusammenarbeitet, kann man häufig ohne großen Zusatzaufwand verschiedene Varianten herstellen. Dann kann eine Evaluation zeigen, welcher Entwicklungsweg vielversprechender ist. Im Rahmen der entwicklungsbegleitenden Evaluation des MultiMediaAtlas von Cornelsen (vgl. den Kasten auf S. 323) haben wir verschiedene Optionen im Programm verglichen, mittels derer der Nutzer die Kartendarstellung (Zoom, Ausschnitt) beeinflussen kann. Aus theoretischer Sicht konnten wir Argumente für beide realisierten Möglichkeiten finden. Die Evaluation mit Hilfe der Messung der Blickbewegungen zeigte, dass einer der beiden Lernwege bei gleichem Lernzuwachs schneller und damit effizienter ist (Herder, Glowalla & Glowalla, 2006). Abb. 25.4 zeigt, wie der Verlauf von Blickbewegungen beim Bearbeiten dieser Lernsoftware grafisch wiedergegeben werden kann.

326

25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

Abb. 25.4:

Grafische Darstellung der Blickbewegungen eines Nutzers beim Bearbeiten des MultiMediaAtlasses

Auch der Vergleich eines E-Learning-Angebots mit einer Präsenzveranstaltung stellt eine experimentelle Untersuchung dar, wenngleich man hier Abstriche im Hinblick auf die Kontrolle der Lernsituation machen muss. Eine Beschreibung der möglichen Untersuchungsfaktoren und ein Beispiel aus dem Projekt E-Psychology wurden bereits im Abschnitt 25.1.4 „Besonderheiten der Evaluation von elektronischen Lernangeboten“ gegeben. Usability Testing Auch Usability Testing ist eine Kombination von Evaluationsmethoden. Als Versuchspersonen kommen hier Zielgruppenpersonen und Experten in Frage. Erhoben wird in der Regel sowohl das Verhalten (Beobachtung) als auch die Meinung (Befragung) der Testpersonen. Beim Usability Testing kommen häufig spezielle Beobachtungsformen zum Tragen. User tracking bietet sich für diesen Zweck geradezu an. Aber auch die Messung von Blickbewegungen kann hier sehr hilfreich sein. Da Usability Testing das Thema des Beitrags von Kerkau ist, gehen wir hier nicht weiter darauf ein.

25.3 Zusammenfassung und Ausblick

25.3

327

Zusammenfassung und Ausblick

Wir haben Evaluation definiert als die systematische Sammlung, Analyse und Bewertung von Daten mit dem Ziel, die Qualität eines elektronischen Lehrangebots zu überprüfen, zu verbessern oder zu bewerten. Bei der Sammlung der Daten gilt es, im Vorfeld verschiedene Entscheidungen zu treffen, damit Analyse und Bewertung zielführend erfolgen können. Die Dimensionen Akzeptanz, Lernleistung, Lernzeit, Lernverhalten, Lernwirksamkeit, Gebrauchstauglichkeit und Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Lernangebotes können auf verschiedenen Ebenen, zum Beispiel auf der Ebene des Lernmoduls, der Modulkomponenten oder der Lernplattform erhoben werden. Befragungen, verschiedene Formen der Beobachtung oder Methodenkombinationen können unterschiedliche Quellen wie Versuchspersonen, Experten oder externe Daten einbeziehen. Online-Erhebungen und Laboruntersuchungen haben jeweils spezifische Vor- und Nachteile. Bei Online-Erhebungen muss zum Beispiel über Rücklaufquoten und Selektionseffekte nachgedacht werden. Die beiden Ziele Überprüfung und Verbesserung eines Lernangebots durch Evaluation gehen Hand in Hand. Durch die Überprüfung der Qualität eines elektronischen Lehrangebots können Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert und umgesetzt werden. Aus der Kooperation des Cornelsen-Verlags mit der Forschungsgruppe Instruktion und Interaktive Medien (IIM) im Projekt MMA (vgl. den Kasten auf S. 323) ist eine erfolgreiche Lernsoftware hervorgegangen. Sie wird vom Cornelsen-Verlag unter dem Namen „Digitaler Atlas - Unterrichtssoftware für Geographie, Geschichte und Politik“ vertrieben und wurde inzwischen mehrfach ausgezeichnet. In den Begründungen zur Preisverleihung der Giga-Maus und der Comenius EduMedia Medaille werden explizit Stichworte wie „leicht überschaubare Struktur“ und „bedienerfreundliche Menüführung“ genannt. Diese Preise erkennen an erster Stelle die hervorragende Arbeit der fachkundigen Autoren und exzellenten Entwickler des Cornelsen-Verlages an. Unsere Expertisen und Evaluationsergebnisse haben aber sicherlich zu diesem erfreulichen Ergebnis beigetragen. Solche Preise können Kaufentscheidungen von Eltern und Schulen beeinflussen und sich möglicherweise in barer Münze auszahlen. Die Bewertung der Qualität eines elektronischen Lernangebots kann Handlungsentscheidungen vorbereiten. So zeigte sich im Projekt mar-ing, dass die Entwicklung von internetbasiertem Lernmaterial für die Fachautoren zwar einen Mehraufwand bedeutet, das Lernmaterial jedoch als sehr hochwertig und dem traditionellen Lehrmaterial Vorlesung überlegen erlebt wird. Das motiviert die Fachautoren und führt in der Folge zu mehr und besseren Lernmodulen. Auch im Projekt k-MED zeigen Evaluationen im Sinne von Qualitätsbewertungen ihre Stärke: Viele Entscheidungen über Lernmodul-Entwicklungen und ihre Integration in die Präsenzlehre führten über die mittlerweile neunjährige Projektdauer dazu, dass die Lernangebote von den Studierenden inzwischen sehr positiv bewertet und rege genutzt werden. Nutzerzahlen von mehreren tausend Studierenden sprechen im Übrigen für eine erfolgreiche curriculare Integration der k-MED-Lernkurse. Auf den ersten Blick verursacht die Evaluation elektronischer Lernangebote zusätzliche Kosten und Mehrarbeit. Auf den zweiten Blick leuchtet aber ein, dass Lernangebote, die eine geringe Lernwirksamkeit aufweisen oder bei der Zielgruppe keine Akzeptanz finden, teure Fehlinvestitionen darstellen. Professionell durchgeführte Evaluation, die zu einem frühen Zeitpunkt in der Entwicklung einsetzt,

328

25 Methoden und Ergebnisse der Evaluation elektronischer Lernangebote

nutzt also nicht nur denjenigen, die mit dem Produkt lernen sollen. Evaluation lohnt sich auch für die Institution, die das elektronische Bildungsangebot entwickelt und trägt.

26

Usability-Testing zur Qualitätssicherung von OnlineLernangeboten

Florian Kerkau

Der Beitrag Usability-Testing zur Qualitätssicherung von Online-Lernangeboten beschreibt in Grundzügen den theoretischen Rahmen des Usability-Testing und gängige Erhebungsmethoden relevanter Usability-Parameter sowie deren Verwendung zur Evaluation von Online-Lernangeboten. Die Voraussetzungen und die Qualität der zu erwartenden Ergebnisse werden diskutiert. Als besondere und noch wenig bekannte Methode wird die Methode des Retrospective Think Aloud (RTA) unter Verwendung von Eye-Tracking-Daten näher vorgestellt und in Bezug auf die Qualität der Ergebnisse diskutiert. Schlüsselbegriffe: Usability, Usability-Kriterien, Usabilityprofil, Usability-Techniken, ISO-Norm 9241, Eye-Tracking, Pupillometrie, Cognitive Walkthrough, Experteninspektion, Nutzertest, Think Aloud (CTA), Retrospective Think Aloud (RTA)

330

26 Usability-Testing zur Qualitätssicherung von Online-Lernangeboten

„Usability is measured on a simple, two value-scale it’s terrible – or it’s ok.” (Nielsen, 1992)

26.1

Einführung

Im Zuge technischer Innovationen und der Weiterentwicklung sozialwissenschaftlicher Theorien konnte sich das Online-Lernen bereits fest in die Bildungslandschaft integrieren. Döring (2003, S. 1) bemerkt hierzu, dass sich „… die medientechnologischen Entwicklungen und ihre gesellschaftliche Aneignung in einem beispiellosen Tempo vollziehen“. Durch die Verbindung des technisch Möglichen mit modernen Methoden der Didaktik, der Erziehungswissenschaft und nicht zuletzt der Psychologie konnte das E-Learning einen Entwicklungsstand erreichen, der auch einen breiten Einzug in die Bildungslandschaft rechtfertigt. Die Usability eines Lernangebots, also die Bedienbarkeit oder Gebrauchstauglichkeit des Angebots spielt für den Lernprozess eine besondere Rolle. Eigenständiges lebenslanges und selbstreferentielles Lernen sind Schwerpunkte konstruktivistischer Lern- und Lehrauffassungen. Da in konstruktivistischen Lernkonzepten eine Instruktion im engeren Sinne eigentlich nicht möglich ist (vgl. Knuth & Cunnigham, 1991), kommt dem Lerner im Lernprozess eine noch größere Bedeutung zu, denn er selbst konstruiert seine externe Welt. Die Wahrnehmung findet somit nicht nur in den Sinnesorganen statt, sondern als Ergebnis kognitiver Prozesse in den mit den Sinnesorganen vernetzten Hirnregionen (Gerstenmaier & Mandl, 1995, S. 869). Die Förderung der Metakognition ist deshalb auch besonders wichtig (Klimsa, 1993). Usability bietet den Schlüssel und ist Grundvoraussetzung zum Zugang von Wissen. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Umsetzung konstruktivistischer Lerntheorien. Ebner (2005) bemerkt hierzu: „Usability Engineering ist nicht nur ein Aspekt, der bei der Anwendung von ELearning beachtet werden muss, sondern eine Grundvoraussetzung, damit überhaupt an Lernen gedacht werden kann.“ Durch die Verbreitung des E-Learning werden mittlerweile auch jene Menschen erreicht, die nicht unbedingt als technik-affin zu bezeichnen sind. Die Teilnahme an E-Learning-Veranstaltungen ist darüber hinaus auch nicht immer freiwillig, insofern ist eine niedrige Frustrationsschwelle bei der Bedienung von E-Learning-Angeboten zu erwarten (Heidenreich & Raff, 2006). Insbesondere bei diesen Menschen ist die Bereitschaft sich lange mit der Technik auseinander zu setzen, eher gering. Die Bedienbarkeit von Lern-Systemen (Usability) ist ein Aspekt von größter Wichtigkeit für den Erfolg eines Lernsystems. Ziel ist die Minimierung der kognitiven Arbeitslast (Beanspruchung) durch das System (vgl. Rohmert, 1984), wie dies von Nielsen & Molich bereits 1989 postuliert wurde. Möglichst viele kognitive Ressourcen sollen dem Lernprozess gewidmet werden und nicht dem Weg dort hin. Die Übertragung von bereits ausreichend vorhandenen Usability-Kriterien auf den E-Learning-Bereich erscheint jedoch zu kurz gegriffen, wenn hier die Optimierung der E-Learning-Applikation im Mittelpunkt steht (Kempter & Ritter, 2006). Vielmehr müssen individuelle Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozesse im Zentrum der Usabilitybetrachtung stehen. Kempter & Ritter (2006) erweitern den Usabilitybegriff folgerichtig um die zusätzliche Heuristik „Maximize mental performance“. Dieser Aspekt

26.2 Usability und Gestaltung

331

betrifft das User-Interface einer E-Learning-Umgebung in Bezug auf die Unterstützung von Aufmerksamkeits- und Gedächtnisprozessen zum Erreichen des definierten Lernziels.

26.2

Usability und Gestaltung

Es existieren zahlreiche Handreichungen über die Gestaltung digitaler und analoger Medien zur Optimierung des Rezeptionsprozesses (Wirth, 2005; Heller, 2004; etc.). Eine empirische Absicherung der Wirksamkeit dieser Vorschläge bleiben die Autoren doch in der Regel schuldig, sofern es um die Bildung einer umfassenden Theorie geht. Bereits einfache Gestaltungselemente können sich auf die Nutzerleistung (performance) auswirken. So konnte Kerkau (2005) mit einfachen Variationen des Kognitiven Fähigkeitstest (KFT) für 4. bis 12. Klassen schwache Effekte auf die Verarbeitungsleistung zeigen (Heller & Perleth, 2000). Im Rahmen eines Kognitionsexperiments zur Validierung pupillometrischer Messverfahren zur Bestimmung des „mental workload“ wurden verschiedene Subskalen des KFT mit schwarzer Schrift auf weißem Grund (positiv) und systematisch variiert mit weißer Schrift auf schwarzem Grund (negativ) präsentiert. In dem Experiment konnte gezeigt werden, dass die Negativ-Variante tendenziell zu einer längeren Bearbeitungsdauer führt, dass die Ergebnisse mit mehr Fehlern behaftet waren und demzufolge die Lösungswahrscheinlichkeit bei negativ präsentierten Aufgaben geringer ist, als dies bei positiv präsentierten Aufgaben zu erwarten wäre. Neben einfachen Variationen wie Schriftfarben oder Schriftschnitten kann auch die Variation von analogen Grafikelementen Effekte auf die Verarbeitungsleistung der Nutzer hervorrufen. Kempter & Ritter (2006) zählen hierzu Fläche, Größe, Helligkeit, Farbe, Neigung, Breite, Form, Gestalt, und Transparenz, die unabhängig vom eigentlichen Inhalt variiert werden können und dennoch Effekte auf die kognitive Verarbeitung haben. Obwohl Bilder im Rahmen von Multimedia und Internet digital gespeichert werden, sind sie analog codiert, d. h. sie sind als Analogie zur realen Umwelt zu sehen (Weidenmann, 2001). Kempter und Ritter (2006) untersuchten mittels elektrischer Hautleitfähigkeit emotional-vegetative Reaktionen auf verschiedene Versionen analoger Grafikelemente. Sie konnten Effekte der Darstellung analoger GUI-Elemente auf die kognitiv-emotionale Anregung und der damit verbundenen Aufmerksamkeit messen. Der größte Effekt entfiel auf die Schriftfarbe, gefolgt von der Strichstärke, der Schriftgröße und der Hintergrundfarbe. Diese Reiz-Reaktionszusammenhänge werden „(…) durch evolutionäre Anpassung des Ausdrucks an den Eindruck erklärt“ (Kemptner, Weidmann & Roux, 2004). Im Ergebnis konnte gezeigt werden, dass die Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsleistung unter den verschiedenen Bedingungen variierte. Bei der individuellen Anpassung von Grafikelementen in einem Memoryspiel konnten die größten Effekte festgestellt werden. Einen Sonderfall der Usability für E-Learning stellt der Text dar. Hier können einfache Heuristiken, wie Krugs drittes Gesetz zur Usability – „Werfen Sie die Hälfte aller Wörter weg und dann streichen Sie noch einmal die Hälfte“ (Krug, 2006, S. 45) – nicht einfach übernommen werden, sofern der Text die Lehrinhalte substantiell transportiert. Ein Lehrtext unterscheidet sich von anderen Texten (z. B. Werbetexten). Weidenmann (2001) bemerkt hierzu, dass Autoren durch die Einhaltung bestimmter

332

26 Usability-Testing zur Qualitätssicherung von Online-Lernangeboten

Gesichtspunkte bei der Textgestaltung zum Aufbau einer adäquaten Wissensstruktur beim Rezipienten beitragen können. Insbesondere die Aspekte der Verständlichkeit, Kohärenz, Organisationshilfen und Sequenzierung sind dabei von Bedeutung. Neben der inhaltlichen Gestaltung von Text ist die Textdarstellung ein wichtiger Usabilityaspekt. Das Leseverhalten am Bildschirm unterscheidet sich sehr stark vom Leseverhalten bei Print-Texten. Krug (2006) vergleicht das Betrachten einer Website mit dem Betrachten eines Autobahnplakates bei Tempo 100. Darüber hinaus ist das Lesen am Bildschirm weitaus anstrengender als das Lesen auf Papier, da nur wenige Monitore mehr als 100 dpi (dots per Inch) anzeigen können. Bücher hingegen werden in der Regel mit 1200 dpi gedruckt. Auch weil der Monitor eine Leuchtquelle ist, ermüdet der Leser vor einem Monitor schneller (Neumann, 2007). Das Lesen am Monitor benötigt zwischen 20 % und 30 % mehr Zeit (Kerkau, 2003). Für einen besseren Lesefluss sind für die Gestaltung von Bildschirm-Texten 60–80 Buchstaben (8–10 Wörter) pro Zeile, in einer serifenlosen Schrift (z. B. Arial), mit einem Schriftgrad von 12–14 Punkt zu empfehlen. Der Zeilenabstand sollte bei 1,5–2 Zeilen liegen um die Fixationshäufigkeit herabzusetzen und somit die Lesegeschwindigkeit zu erhöhen. Die höhere Fixationshäufigkeit und die größere Anzahl von Rücksprüngen beim Lesen (Re-gressionen) sind beim Lesen von Bildschirm-Texten als wichtigster Grund für die geringere Lesegeschwindigkeit zu nennen (Kerkau, 2007). Nähere Hinweise zur Gestaltung von Print- versus Bildschirm-Texten finden sich auch in Ballstaedt (1997). Darüber hinaus kann man bei einem Buch den Umfang des Inhalts gut anhand der Seitenanzahl des Buches und anhand der Seiten- und Schriftgröße abschätzen. Bei Lernprogrammen oder im Web ist dies nicht ohne weiteres möglich. Nach Krug (2006) hat der Nutzer einer Website kein Gefühl für deren Größe, kein Gefühl für die Richtung der Navigation und keine räumliche Orientierung. Dieses Problem kann bereits bei einzelnen Seiten auftreten. Zum Erfassen einer Website muss häufig gescrollt werden, wodurch nicht nur Teile des Inhalts, sondern auch die Navigation aus dem Blickfeld geraten (Neumann, 2007). Aus diesen Gründen hat sich für das Lesen von Websites ein eigener Lesestil entwickelt, der deutlich ökonomischer ausgerichtet ist, als der traditionelle Lesestiel auf Papier. Eine Website wird auf der Suche nach bestimmten Schlüsselbegriffen erst einmal überflogen (gescannt), um dann die entsprechend identifizierten Stellen nach dem Ausdrucken gründlich zu lesen (Neumann, 2007).

26.3

Usability: Methoden und Probleme der Prüfung

Die Prüfung der Usability einer Website wird i. d. R. anhand eines Usabilityprofils durchgeführt. Die entscheidenden Aspekte von Usability definierte Nielsen (1996) bereits vor über zehn Jahren. Die Hauptaspekte nach Nielsen sind: 1.

Erlernbarkeit (Learnability): Hierbei geht es um die Zeit, die ein durchschnittlicher User benötigt, um mit der Software, dem Tool oder der Umgebung umgehen zu können.

26.3 Usability: Methoden und Probleme der Prüfung

333

2.

Erinnerbarkeit (Memorabiliy): Die Verständlichkeit des Produktes, sodass bestimmte Tasks auch nach einer bestimmten Zeitspanne wieder sicher ausgeführt werden können.

3.

Fehlerrate (Errors): Generelle Vermeidung von Fehlern, Aktionen die nicht zum Ziel führen, sollen minimiert werden und geeignete Fehlermeldungen den Nutzer aufklären.

4.

Zufriedenheit (Subjective Satisfaction): Die subjektive Zufriedenheit des Anwenders ist das wesentlichste Maß, da nur so gute Ausgangsbedingungen für erfolgreiches Lernen geschaffen werden können.

5.

Effizienz (Efficiency of Use): Ein Maß, welches durch die benötigte Zeit für die Durchführung einer konkreten Aufgabenstellung ausgedrückt wird (wie viele Mausklicks bzw. Tastatureingaben sind nötig.

Diese fünf Hauptaspekte sollten auch die wesentlichen Kernpunkte eines Usabilitytests ausmachen, um daraus ein Usabilityprofil abzuleiten. Ähnliche Inhalte gibt auch die so genannten Usabilitynorm (ISONorm 9241) der Internationalen Organisation für Standards (ISO) vor. Zum Testen dieser Aspekte können verschiedene Methoden eingesetzt werden, die sich im Kern auf die in der folgenden Tabelle beschriebenen Methoden zurückführen lassen. Diese Methoden lassen sich grob in den Bereich Experteninspektion und Nutzertests einteilen. In der jüngeren Vergangenheit wurden insbesondere die Methoden der Beobachtung technisch weiterentwickelt. Hierunter sind auch moderne technische Verfahren wie Eye-Tracking, Pupillometrie und Videoanalyse zu rechnen. Neben Prozessdaten aus dem EyeTracking (wer sieht was) und der Pupillometrie (wie tief wird das Gesehene verarbeitet) wird bereits an Computerprogrammen gearbeitet, die aus Videoaufzeichnungen von Testpersonen emotionale Zustände gemäß den Vorarbeiten von Ekman und Friesen (1976) kondensieren und interpretieren (Rust, Peter, Beikirch, 2007). Dabei werden Veränderungen der Mimik durch die Aktivierung bestimmter Muskelgruppen verschiedenen emotionalen Zuständen zugeordnet. Die Expertenevaluation kann sowohl formativ im Entwicklungsprozess als auch summativ als Abschluss einer Entwicklung stattfinden. Die Spannweite des Begriffs Experte ist dabei oft sehr weit gefasst und reicht mitunter vom Kollegen in der Designagentur bis zu hoch qualifizierten Usabilityspezialisten (Schneidermann & Plaisant, 2005). Bei der heuristischen Evaluation findet eine Überprüfung des Produkts anhand vorhandener Heuristiken (Guidelines) statt. Diese Evaluation sollte im idealen Fall von fünf Experten durchgeführt werden, um das Auffinden der wichtigsten Usabilityprobleme zu sichern (Woolrych & Hindmarch, 2006). Es können aber auch bereits drei Experten wesentliche Probleme aufdecken. Der Cognitive Walkthrough beschreibt eine Methode, bei der Experten das Nutzerverhalten bei der Aufgabenbewältigung simulieren. Hierbei wird schnell deutlich, ob eine Software die für die Zielgruppe angenommenen Erwartungen erfüllt. Nachteil der Experteninspektion ist die Tatsache, dass Entwickler die spätere Nutzergruppe und deren Verhalten nur unzureichend verstehen. Somit besteht die Gefahr, dass entsprechende Usabilityprobleme nicht umfassend genug aufgedeckt werden (Schneidermann & Plaisant, 2005).

334

26 Usability-Testing zur Qualitätssicherung von Online-Lernangeboten

Experteninspektion Hueristische Evaluation Einsatz in Phase

CognitiveWalkthroug

Nutzertests Action Analysis

Think Aloud

Beobachtung

Befragung

alle

alle

design

design

final

alle

Zeitaufwand

gering

mittel

hoch

hoch

mittel

gering

Nutzer

keine

keine

keine

3+

20+

30+

Evaluatoren

3+

3+

1-2

1

1+

1

Technischer Aufwand

gering

gering

gering

hoch

mittel

gering

ExpertiseLevel

mittel

hoch

hoch

mittel

hoch

gering

Intrusion

keine

keine

keine

ja

ja

keine

Tab. 26.1:

Usability-Techniken nach Holzinger (2005)

Diesen Nachteil gibt es bei Nutzertests nicht. Hier arbeiten Nutzer aus der Zielgruppe unter kontrollierten Bedingungen an der Software, während Verhaltensdaten aufgezeichnet werden. Schnell wird hier deutlich, ob die Nutzer die Software mögen (Satisfaction) und ob sie diese zum Erreichen der definierten Ziele auch gebrauchen können (Effectiveness and Efficiency). Nutzertests können bereits in der Konzeptphase mit Prototypen oder später mit der fertigen Software durchgeführt werden (Goldberg & Wichansky, 2003). Im Rahmen von Nutzertests können verschiedene Formen von Daten erfasst werden. Dumas und Redish (1999) unterscheiden zwischen subjektiven Maßen (think aloud, Interviews etc.) und PerformanzMaßen (Bearbeitungszeit, Fehleranzahl, Einhalten der Idealspur etc.). Die Messung von Web-Usability stellt in einigen Punkten einen Sonderfall der Usabilityforschung dar. Wichansky (2000) hebt die sehr kurzen Entwicklungszeiten und den relativ kurzen Lebenszyklus von Websites hervor. Um trotzdem Usabilityaspekte nicht zu vernachlässigen, ist in der gesamten Entwicklung ein User-Centered Design (UCD) zu befolgen (Ferre, Moreno & Juristo, 2006). Websites können auch im Betrieb noch begleitend evaluiert werden, indem Onlinebefragungen der Nutzer geschaltet oder Logfiles des Webservers analysiert werden. Standardisierte Fragebögen stehen mittlerweile in ausreichender Anzahl zur Verfügung wie z. B. die bereits lange eingesetzten Klassiker der Standardbefragungen SUMI und WAMMI (Kirakowski, 1994, 1998).

26.4 Retrospektive Methoden im Usability-Testing

26.4

335

Retrospektive Methoden im Usability-Testing

Im Rahmen eines Usabilitytests können verschiedene Methoden eingesetzt werden um die Nutzerfreundlichkeit eines Medienprodukts und entsprechende Optimierungspotenziale zu bestimmen. Eine Expertenevaluation kann zwar bereits in einer frühen Phase der Entwicklung wertvolle Informationen liefern, die dann einfacher umgesetzt werden können als Informationen die erst nach der Fertigstellung des Produkts verfügbar sind. Um den Erfolg jedoch genau vorhersagen zu können, lässt sich die Durchführung von Nutzertests nicht vermeiden. Wie die Tabelle 26.1 zeigt, sind jene Methoden, die Prozessdaten erfassen wie die ‚Think Aloud‘-Methode nur um den Preis der Störung (Intrusion) bei der Bedienung des Testobjekts zu erfassen. Deshalb wird diese Methode auch als ‚Concurrent Think Aloud‘ (CTA) bezeichnet. Sie ist für die Testperson relativ schwierig zu bewältigen und beeinflusst deren normales Verhalten erheblich. Die Leistungsfähigkeit wird beispielsweise deutlich herabgesetzt (Lehtinen, Hyrskykari, Majaranta, Räihä, 2007). Eine reine Beobachtung ist hingegen nicht geeignet, um tiefere Beweggründe für das Nutzerverhalten abzuleiten und die Befragung kann nur sehr eingeschränkt Prozessdaten liefen. Als Königsweg hat sich in jüngster Zeit, begünstigt durch den technischen Fortschritt, die Methode des ‚Retrospective Think Aloud‘ (RTA) herausgebildet. Dabei werden die Blickbewegungen jeder Testperson aufgezeichnet (Eye-Tracking), während diese ungestört an dem zu testenden System arbeiten. Erst im Nachhinein, also retrospektiv werden der Testperson die Blickaufzeichnungen präsentiert. Die folgende Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus einer Blickaufzeichnung, welche an der Freien Universität Berlin im Rahmen eines Usabilitytests der Lernplattform Blackboard mit den Lern-Inhalten der Arbeitsbereichs Medienforschung entstanden ist. Diese, als digitales Video gespeicherte Aufzeichnung, wird der Testperson nach der Arbeitsphase zur Kommentierung in halber Geschwindigkeit präsentiert.

336

26 Usability-Testing zur Qualitätssicherung von Online-Lernangeboten

Abb. 26.1: Video-Playback des Blickpfades als Basis des Retrospective Think Aloud-Verfahrens im Rahmen eines Usability-Tests der Lernplattform Blackboard an der Freien Universität Berlin (Center for Media Research)

Das nun retrospektiv eingesetzte ‚Think Aloud‘ auf der Basis aufgezeichneter und animierter Blickbewegungsdaten erklärt zum einen die Beweggründe, Erwartungen und Motive der Testperson für jede vollzogene Handlung und kompensiert zum anderen einige Nachteile des reinen Eye-Tracking. Besonders folgende drei Fragen können mit reinem Eye-Tracking nicht beantwortet werden: • • •

Was wurde angeschaut, aber nicht gesehen? Warum wurde etwas intensiv betrachtet, Interesse oder Konfusion? Warum wurde etwas nicht betrachtet – versehentlich oder gewollt ignoriert?

Aus den ‚Think Aloud‘-Protokollen lassen sich nach Hansen (1991) drei Klassen von Kommentaren unterscheiden: 1. Manipulative operations (z. B. Ich klicke auf…; Ich fülle dieses Feld aus….) 2. Visual operations (z. B. Ich schaue jetzt auf diesen Button…; Ich suche einen Link…) 3. Cognitive operations (z. B. Ich habe doch vorhin etwas gesehen…; Jetzt verstehe ich ….)

26.4 Retrospektive Methoden im Usability-Testing

337

In einem Methodenvergleich konnten finnische Forscher (Lehtinen et al., 2007) signifikante Qualitätsunterschiede zwischen dem traditionellen ‚Concurrent Think Aloud‘ und dem ‚Retrospektive Think Aloud‘ feststellen, wie die folgende Tabelle verdeutlicht. Wörter

Kommentare

Manipulative

Visual

Cognitive

CTA

1148

214

82 %

14 %

4%

RTA

4163

267

42 %

14 %

43 %

Tab. 26.2:

Qualitätsvergleich zwischen ‚Concurrent Think Auloud‘ (CTA) und ‚Retrospective Think Aloud‘ (RTA) nach Lehtinen et al. (2007)

Die Verteilung der Kommentare auf die verschiedenen Kategorien zeigt deutlich den Effekt der Doppelbelastung des CTA. In der Concurrent-Situation werden zum einen weniger Kommentare abgegeben und zum anderen haben diese auch noch eine geringere Qualität, wobei sich lediglich 4 % der Kommentare auf die kognitiven Operationen beziehen. Hinzu kommt ein bisher wenig beachteter Effekt, die Testpersonen fühlen sich in der weniger formalen Situation des RTA wesentlich entspannter als in einer prüfungsähnlichen Situation des CTA. Auch dieser Umstand trägt zu einer höheren Güte der abgeleiteten Protokolle bei. Aus der Situation Versuchsleiter gegen Testperson wird somit eine gemeinsame Position. Für den Bereich des E-Learning können diese Methoden wertvolle Informationen liefern, die Aufschluss über die Verarbeitung der Inhalte und die eigentliche Usability als Bedienung des Systems geben. Insbesondere die große Menge von Informationen über kognitive Aspekte des Nutzers liefern eine breite und hochwertige Datenbasis für eine Optimierung der benutzerfreundlichen Gestaltung von E-Learning-Angeboten.

27

Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning

Ulf-Daniel Ehlers

E-Learning befindet sich im ständigen Wandel. Aber was steckt wirklich dahinter, wenn bereits über „Next Generation E-Learning“ gesprochen wird – und vor allem: Hat diese Entwicklung Konsequenzen dafür, wie wir Qualität im E-Learning sichern, managen und entwickeln? Diese Fragen stehen am Anfang vieler Debatten, die rund um neue Lernkulturen des ‚E-Learning 2.0’ geführt werden. War die Qualitätsfrage bereits zur E-Learning 1.0 Zeit heiß diskutiert, so existiert für E-Learning 2.0 eine noch größere Unsicherheit. Der vorliegende Beitrag geht diesen Fragen nach. Es wird gezeigt, welche Konsequenzen sich für die Qualitätsentwicklung im E-Learning ergeben und es werden Methoden und praktische Anregungen dazu gegeben, wie Qualitätsentwicklung sich weiterentwickeln muss. Schlüsselbegriffe: E-Learning 2.0, Qualitätsmanagement, Qualität, Mediendidaktik, Lernen

340

27.1

27 Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning

Einführung

Morgens eine Vorlesung als Podcast von der Seminarseite laden, im MP3-Player abspielen, am Nachmittag an einer Onlinesitzung einer internationalen Studierendengruppe zur Prüfungsvorbereitung teilnehmen und sich abends in der virtuellen Welt Second Life in eine vertiefende Seminarübung zum Vorlesungsstoff vom Vormittag einloggen. So oder ähnlich sieht zunehmend häufiger ein Studienalltag aus. In Unternehmen sind solche Onlinefortbildungen bereits ebenfalls keine ferne Zukunftsvision mehr, sondern schon Realität für immer mehr Mitarbeitende. Unter der Bezeichnung „E-Learning 2.0“ befindet sich internetgestütztes Lehren und Lernen im Wandel, neue Lernkulturen halten Einzug in traditionelle Bildungsszenarien. Hinter dem Begriff „E-Learning 2.0“ versteckt sich der Einsatz von Internetwerkzeugen wie Blogs, Wikis oder Podcasts für Lehr- und Lernzwecke – E-Learning der „Next Generation“. Lernende können dabei eigene Inhalte erstellen und sich in Netzwerken wie der Videoplattform YouTube (http://www.youtube.com) austauschen. Bei einem Vortrag auf der Innovations in Learning Conference 2007 benutzte Stephen Downes (2007) die Metapher der „Walled Gardens“. Er beschrieb ‚E-learning 1.0’ als inselhaftes E-Learning, welches sich innerhalb der Gartenmauern abspielt, während nebenan die Tür zur Welt offen steht. E-Learning der „Next Generation“ reißt Löcher in diese Gartenmauern. Es führt zu einer neuen Lernkultur. Diese ist gekennzeichnet durch eine stärkere Autonomie der Lernenden, die weg führt von einem Wissenstransfermodell wie es in vielen Bildungskontexten vorherrscht, hin zu einem Modell der gemeinsamen Wissenskonstruktion und Kompetenzentwicklung. Vielerorts freilich sieht die Realität jedoch (noch?) anders aus und E-Learning heißt, Seminartexte auf einer Lernplattform online zu stellen. Kerres spricht von solchen Lernplattformen als „Inseln im Internet“ (Kerres, 2006), die sich durch E-Learning 2.0 zu „Toren“ weiterentwickeln können, über die die gesamte Welt des Internet als Lernwelt betreten werden kann, Inhalte gefunden, verändert und mit anderen geteilt werden können. In dieser Sichtweise ist das Internet dann die Lernplattform. Stephen Downes, der Schöpfer des Begriffes „E-Learning 2.0“ beschreibt diesen mit Worten wie „learner centered“, „immersive learning“, „connected learning“, „game-based learning“, „workflow (informal) learning“, „mobile learning“ und beschreibt eine Entwicklung von standardisierten Lernumgebungen hin zu „Personal Learning Environments“ (Downes, 2007). Aber was steckt wirklich dahinter? Was macht das neue, innovative Element aus, welches als „Next Generation Learning“, als „neue Lernkultur“, als Web 2.0 (O`Reilly, 2005) oder E-Learning 2.0 beschrieben wird? Und vor allem: Hat diese Entwicklung Konsequenzen dafür, wie wir Qualität im E-Learning sichern, managen und entwickeln? Und wenn ja: Brauchen wir neue Methoden und Konzepte, um zukünftig die Qualität von ELearning 2.0 zu gewährleisten und zu verbessern? Diese Fragen stehen am Anfang vieler Debatten, die rund um den Begriff E-Learning 2.0 geführt werden. Der vorliegende Beitrag geht diesen Fragen nach. In drei Schritten wird zunächst beschrieben, was die Kennzeichen des „Next Generation E-Learning“ sind und was sich dabei verändert. In einem zweiten Schritt wird aufgezeigt welche Konsequenzen sich

27.2 Next Generation E-Learning – Auf dem Weg zu neuen Lernkulturen?

341

für die Qualitätsentwicklung32 des E-Learning ergeben. Drittens werden einige Methoden beschrieben und praktische Anregungen dazu gegeben, wie die Qualitätsentwicklung sich weiterentwickeln muss. In einem Ausblick wird diskutiert, ob eine neue Lernkultur auch zu einer neuen Qualitätskultur führt.

27.2

Next Generation E-Learning – Auf dem Weg zu neuen Lernkulturen?

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das sog. „E-Learning 2.0“ ist kein wissenschaftlicher Begriff. Es geht nicht um eine Höherentwicklung, um ein neues Paradigma oder um eine Ablösung im Sinne eines Releasewechsels. Streng genommen geht es nicht einmal um eine neue Technologie, kein neues spezielles Lernmodell und keine neue, abgegrenzte, innovative Variante des E-Learning. E-Learning 2.0 bezeichnet vielmehr ein Bündel an Entwicklungen, Trends und Sichtweisen die einen Wandel vom Lehren zum Lernen beschreiben. Die neue Sichtweise verbindet mit E-Learning im Wesentlichen fünf Charakteristika: 1. 2. 3. 4. 5.

Dass Lernen immer und überall und in vielen unterschiedlichen Kontexten stattfindet, nicht nur im Klassenraum, dass Lernenden die Rolle des Organisierenden zufällt, dass Lernen ein Leben lang stattfindet, multiepisodisch ist und nicht (nur) an Bildungsinstitutionen gebunden ist, dass Lernen in Lerngemeinschaften (sog. Communities of Practice: Wenger, 1998) stattfindet: Lernende treten Communities bei sowohl formellen als auch informellen, dass Lernen viel informell und non-formal stattfindet, zu Hause, am Arbeitsplatz und in der Freizeit und nicht mehr lehrenden- und institutionenzentriert ist.

E-Learning 2.0 ist die Nutzung von Social Software und Lernservices, die je nach individuellem Bedarf kombiniert werden können. Wichtig ist das Wort „können“, denn die Technologie allein determiniert nicht die Nutzung, sondern erst die Verknüpfung mit einem Lernmodell erweitert die bisherigen Möglichkeiten des E-Learnings über seine Grenzen hinaus. Die Entwicklung von Web 1.0 zu Web 2.0 wirkt sich auch auf die Verwendung des Web zu Lehr- und Lernzwecken aus. Nicht nur das World Wide Web und seine Nutzung verändern sich, sondern auch damit verknüpfte Bildungsmöglichkeiten, insbesondere im Bereich der sog. non-formalen und informellen Bildung.33 Die Art und Weise, wie wir

32

Im vorliegenden Beitrag wird bewusst der Begriff Qualitätsentwicklung gewählt, der entwicklungsorientiert verstanden wird und sich gegenüber von Qualitätssicherung oder -kontrolle absetzt.

33

Overvien (2000) führt aus, dass der Begriff „informelles Lernen“ seinen Ausgangspunkt bei der Organisationsform des Lernens nimmt und diejenigen Lernprozesse als informell bezeichnet, die ihren Platz außerhalb formaler Institutionen oder non-formal organisierter Prozesse haben und auch nicht von dieser Seite finanziert werden (Watkins & Marsick, 1992, S. 288). Manchmal wird weiterhin inzidentelles Lernen vom informellen Lernen abgegrenzt. Für Watkins und Marsick ist es nicht-intentional und lediglich ein Nebenprodukt anderer Aktivitäten, während informelles Lernen vornehmlich erfahrungsgeprägt ist und somit einen gewissen Reflexionsgrad voraussetzt. Nach dieser Definition ist informelles Lernen “self-directed learning, networking, coaching, mentoring, performance planning, and trial-and-error”, während inzidentelles Lernen z. B. “learning from mistakes,

342

27 Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning

heute mit Hilfe von Internet und Computertechnologie lernen, ist dabei, sich fundamental zu wandeln. Dies ist nicht ein bereits abgeschlossener Prozess, sondern vielmehr eine permanent fortschreitende Innovation, die gegenwärtig unter dem Schlagwort „E-Learning 2.0“ diskutiert wird. Was steckt dahinter? Einfach ausgedrückt könnte man feststellen, dass E-Learning 1.0 einer Broadcasting Logik folgt, der oftmals ein transmissives Lehrverständnis zugrunde liegt und in dem es darum geht, Informationen und Materialien zu verteilen, zu präsentieren und Lernenden zur Verfügung zu stellen (siehe Abb. 27.2). Lernen kann mit der Metapher „Akquisition“ von Lehrinhalten umschrieben werden. E-Learning 2.0 stellt eher die Metapher „Partizipation“ in den Vordergrund und Lernen wird als vernetzter sozialer Prozess gesehen, indem Web 2.0 Werkzeuge benutzt werden, um durch Kollaboration und Kommunikation Lernergebnisse zu erarbeiten, eigene Lernumgebungen zusammen zustellen und das gesamte Web als Lernressource zu verstehen – und nicht nur ein vorgegebenes Kursmaterial. Im Verständnis von E-Learning 2.0 ist angelegt, unter Zuhilfenahme der verfügbaren Social Software eine neue Art der Lernplattform zu schaffen: Nicht mehr ein Learning-Management-System (LMS) als Materialinsel im Ozean Internet zu benutzen, sondern ein LMS als Tor zum Web zu verstehen (Kerres, 2006). Der E-Tutor (Lehrende) greift nur noch als Wegweiser ein, indem er kleine Lerninhalte (Microcontent) in einem Portal zur Verfügung stellt, die die Tür zum selbstgesteuerten Lernen aufstoßen. Diese werden mit den Lernenden ausgehandelt und zu Beginn z. B. via Blog-Eintrag oder Podcast festgehalten. Kerres weist darauf hin, dass bestehende E-Learning (1.0) Ansätze oftmals den Nachteil haben, dass Lernprogramme, aber auch moderne Lernplattformen von den Lehrenden mühsam mit Inhalten, viel Zeit und Geld befüllt werden müssen und dann oft zum „Datengrab“ verkommen, während das echte Leben „sich heute nebenan, im Internet“ abspiele (Kerres, 2006). Mit den Werkzeugen des Web 2.0 lässt sich der Inhalt des Internets zur Lehre nützen, dessen Inhalt generiert und regeneriert sich laufend von selbst (ibid: 5). In diesem Modell tritt an die Stelle des Bearbeitens fertiger Kursmaterialien ein aktives und kreatives „rip, mix and learn“ (Richardson, 2005). Anstelle eines LMS könnten E-Portfolios treten, mit deren Hilfe Lernende ihre Lern- und Arbeitsprozesse selbst managen, dokumentieren und mit anderen austauschen (Siemens, 2004). E-Learning 2.0: Eine Chance für informelles Lernen Die Metapher des lebenslangen Lernens macht deutlich, dass Lernende nicht Dauerbesucher von Lehrveranstaltungen werden können, sondern, dass vielmehr neue Lernformen gefragt sind, die selbst gesteuert, schnell, flexibel und problemorientiert aufgebaut sind. Informelles Lernen, „das sich in mittelbaren Lebens- und Erfahrungszusammenhängen außerhalb des formalen Bildungswesens entwickelt“ (Dohmen, 2001), rückt wieder in den Mittelpunkt der Diskussion. Es umfasst – soviel ist heute bekannt – 70 % bis 80 % aller Lernaktivitäten. Jay Cross spricht in seinem neusten Buch „Informal Learning“ davon, dass nur 10 % bis 20 % in formalen Lernszenarien gelernt werden und 80 % durch informelles Lernen. Er fordert eine Formalisierung informellen Lernens und eine Informalisierung formalen Lernens. Trotzdem wird der formalen Bildung heute noch eine weit größere Bedeutung zugeschrieben als der informellen (Cross, 2003).

[...] internalized meaning constructions about the actions of others, hidden curriculum in formal learning” ist (Marsick & Watkins, 1990, S. 7).

27.3 Qualität für „Next Generation“ E-Learning

343

Lerntheoretische und mediendidaktische Grundlagen für E-Learning 2.0 Im E-Learning 2.0 geht es darum, dass Lernende in sozialen Netzwerken selbstbestimmt lernen. Aus (konstruktivistischer) lerntheoretischer Perspektive stellen die Fürsprecher des E-Learning 2.0 Konzeptes eine „Möglichkeit der Belehrung“ menschlichen Lernens grundsätzlich in Frage. Dies wird damit begründet, dass ein selbst gesteuertes System (Lernende) von seiner Umwelt nicht determiniert, sondern allenfalls gestört („perturbiert“) und angeregt werden kann. Zudem wird argumentiert, dass Lernen nicht allein dadurch funktioniert, dass externe Anforderungen gestellt werden – Lernen, so die Vorstellung, kann nicht ohne den Lernenden geplant werden (vgl. Holzkamp, 1993, S. 184). Das Konzept des selbstgesteuerten Lernens bekommt für E-Learning 2.0 – aus bildungstheoretischer Sichtweise – eine enorme Bedeutung. Selbst gesteuertes Lernen wird oftmals als Oberbegriff für alle Lernformen verstanden, in denen die Lernenden ihren Lernprozess bzw. Aufgaben, Methoden und Zeitaufwand selber bestimmen (und/oder mit entscheiden) und verantworten können (Deitering, 1996, S. 45). George Siemens entwickelt eine neue Lerntheorie, die 2004 veröffentlicht wurde (Siemens, 2004): Konnektivismus. Er gibt an, sein Entwurf des Konnektivismus weise in seinen Prinzipien über die bisherigen lerntheoretischen Ansätze des Behaviorismus, Kognitivismus und des Konstruktivismus hinaus und berücksichtigt dabei die zunehmende Tendenz des Lernenden hin zu informellem, vernetztem und elektronisch gestütztem Lernen. Das Lernen wird dabei als zunehmend kontinuierlicher, lebenslanger Prozess gesehen, der in alltägliche Arbeits- und sogar Freizeitaktivitäten eindringt und sowohl den Einzelnen als auch die Organisation und deren Verbindungen untereinander beeinflusst. Siemens führt aus, das Wissen über „Wo“ und „Wer“ sei heute wichtiger, als das „Wie“ und „Warum“. Obwohl Siemens Entwurf sich nicht klar gegen bestehende Lerntheorien abhebt, sondern eher eine netzwerkorientierte Lernphilosophie beschreibt, ist der Ansatz vor allem dahingehend wertvoll, dass er mit großer Klarheit die Entwicklung von E-Learning 2.0 und sozialen Prozessen als Grundlage für die stattfindenden Lern- und Interaktionsprozesse hervorhebt.

27.3

Qualität für „Next Generation“ E-Learning

Qualitätsentwicklung für Bildung und E-Learning wird zunehmend wichtiger. Dabei werden Lerninhalte und Lernprozesse evaluiert und Programme und Institutionen zertifiziert und akkreditiert. Qualitätsmanagement sieht vor, umfassende Organisationsprozesse in einer Bildungseinrichtung zu definieren und Indikatoren für deren Güte festzulegen, Qualitätssicherung untersucht, ob eine zuvor versprochene Qualität tatsächlich eingehalten wird, Qualitätskontrolle soll Fehler aufspüren und verhindern. Was aber passiert in E-Learning 2.0 Lernszenarien? In Fällen, wo Lernmaterialien nicht von vornherein feststehen, Lernprozesse hochgradig unterschiedlich und uneinheitlich beschaffen sein können und individuellen Lernwegen folgen? Und was ist mit denjenigen Bildungsprozessen, die außerhalb von Programmen und jenseits von formalen Bildungsinstitutionen stattfinden? Wer bestimmt die Qualität von solchen Lernszenarien, was kann überhaupt noch qualitativ bewertet werden und welche Methoden können herangezogen werden, um Qualität zu verbessern? Die vorangegangenen Abschnitte zeigen, dass eine starke Autonomie des Lernenden für E-Learning 2.0 zugleich Voraussetzung und Ziel ist. Lernende sind dabei hochgradig selbstgesteuert, Lernen findet nicht ausschließlich in Institutionen, sondern überall statt, ein Leben lang und multiepisodisch, in Lerngemeinschaften und sozialen Netzwerken, unter Nutzung von Social Software und individuell zusam-

344

27 Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning

mengestellten Inhalten. Die Sicherung und Entwicklung von Qualität in solchen Lernszenarien muss sich demnach vor allem auf die individuellen Lernprozesse und die gezeigten Leistungen (Performanz) konzentrieren. Es geht um die Perspektive des Lernenden und weniger um die der organisationalen Prozesse und/oder der sog. Inputfaktoren. Qualitätsbeurteilung findet weniger mit klassischen Methoden des experten- und standardbasierten Qualitätsmanagement, der Qualitätssicherung oder Qualitätskontrolle statt, sondern durch partizipative Methoden und responsiven Designs. Ziel ist es, zu einer individualisierten und lernprozessbezogenen Beurteilung zu kommen. Tabelle 27.1 zeigt die unterschiedlichen Gegenstände, auf die sich Qualitätsbeurteilung für E-Learning 2.0 bezieht.

E-Learning 1.0

E-Learning 2.0

Qualität wird durch Experten beurteilt

Qualität wird von Lernenden und Peers beurteilt

Lernplattform

Personal Learning Environment

Content

User Created Content

Curriculum

Lerntagebücher/ E-Portfolios

Kursstruktur

Kommunikation

Tutorverfügbarkeit

Interaktion

Multimedia (Interaktivität)

Soziale Netzwerke und Communities of Practice

Aneignungsprozesse

Beteiligungsprozesse

Tab. 27.1:

27.3.1

Unterschiedliche Bedingungen und Gegenstände der Qualitätsbeurteilung

Grundlagen der Qualitätsentwicklung für neue Lernkulturen

Zunächst erscheint es paradox, über Qualität von E-Learning 2.0 zu sprechen, da Qualität oftmals vor allem mit einer Überprüfung anhand von extern vorgegebenen Standards verbunden wird. Doch Qualität kann auch entwicklungsorientiert verstanden werden, als die Befähigung von Lernenden, sich in ihren eigenen Lernprozessen weiter zu entwickeln und dadurch qualitativ bessere Ergebnisse zu erzielen. Dann stehen eher Methoden der Selbstevaluation, Reflektion und Peer-Evaluation im Vordergrund. Eine solche Qualitätsmethodik hat zwar nichts mit normativen, allgemeingültigen und übergreifend verbindlichen Standards zu tun, zielt jedoch darauf ab, die Qualität des Lernprozesses zu verbessern. Schaut man in die relevante Literatur über Qualität im Bildungsbereich, wird schnell deutlich, dass Qualität durchaus mehr als „Überprüfung anhand von Standards“ sein kann: Harvey & Green sehen für den Bildungsbereich nicht ein, sondern fünf grundsätzlich unterschiedliche pädagogische Qualitätsver-

27.3 Qualität für „Next Generation“ E-Learning

345

ständnisse und kommen zu dem Schluss, dass Qualität ein philosophischer Begriff ist (Harvey & Green, 2000, S. 36).34 Ähnlich weisen auch Posch & Altrichter darauf hin, dass Qualität ein relativer Begriff ist, der nun im Hinblick auf die Werte der verschiedenen Interessengruppen näher zu bestimmen sei (Posch & Altrichter, 1997, S. 28). Als Folge davon sprechen sie von Qualität als einem relativen Begriff, der im Verhältnis zwischen Stakeholdern als Aushandlungsprozess zu organisieren sei (ibid, ähnlich auch: Harvey & Green, 2000, S. 17). Heid hebt hervor, dass Qualität keine generelle, beobachtbare Eigenschaft eines Bildungsprozesses sei, sondern vielmehr das Resultat einer Bewertung (Heid, 2000, S. 41). Qualität in der Bildung kann somit nicht als eine pauschale Klassifizierung guter Schulen, Programme oder Lernszenarien verstanden werden, sondern muss sich als Resultat eines transparenten Aushandlungsprozesses von Werthaltungen, Anforderungen und Ergebnissen verstehen (vgl. auch Ditton, 2000, S. 73). Posch & Altrichter (1997, S. 130) kommen zu dem Schluss, dass man nicht mehr erreichen kann als „jene Kriterien, die jeder Stakeholder bei seinen Qualitätseinschätzungen benutzt, so klar als möglich zu definieren und diese – zueinander in Wettbewerb stehenden – Sichtweisen zu berücksichtigen, wenn Qualitätsbeurteilungen vorgenommen werden.“ Für Qualität von Bildungsprozessen heißt das, zunächst einmal zu fragen, welche Stakeholder mit welchen Interessen wie am Bildungsszenario beteiligt sind. In dieser Frage zeigt sich bereits ein deutlicher Unterschied zwischen dem broadcasting-orientierten E-Learning 1.0 Verständnis und dem eher beteiligungsorientierten E-Learning 2.0 Verständnis. E-Learning 2.0 rückt die Lernenden nicht nur als Empfänger in den Mittelpunkt, sondern auch als aktiver Akteur, der selber an der Definition und Evaluation von Qualität der Lernressourcen und der Lernprozesse beteiligt ist. Während im E-Learning 1.0 Verständnis Lernmaterialien vielfach von Experten erstellt und bewertet werden, Lernplattformen durch Institutionen und Experten qualitätsgesichert werden, stellen Lernende sich in E-Learning 2.0 Szenarien ihre eigene persönliche Lernumgebungen (PLE) zusammen, kreieren eigenen Content, und lernen zusammen mit und von anderen. Lernmaterialien werden gegenseitig durch die Peers bewertet. In E-Learning 2.0 Lernszenarien fällt dem Lernenden als aktivem Konstrukteur von Lernmaterialien (Co-Creator), Lernumgebungen (PLE) und Impulsgeber für den eigenen Lernprozess eine wichtige Rolle bei der Definition von Erfolgs- und Qualitätskriterien zu. Dies ist übrigens eine Eigenschaft, die oftmals als Barriere für die Integration von E-Learning 2.0 in formale Bildungsprozesse empfunden wird. Denn die Konkurrenz von Lernenden und Lehrenden und/oder anderen institutionellen Akteuren bei der Qualitätseinschätzung scheint oft unüberwindbar und nur über einen Machtverlust auf Institutionsseite auflösbar.

34

Als erstes nennen Harvey & Green Qualität als (1) Ausnahme. Qualität ist in diesem Verständnis eine Ausnahme, übertrifft höchste Standards oder erreicht mindestens vorgeschriebene Mindeststandards. Davon abweichend wird Qualität jedoch auch als (2) Perfektion oder Konsistenz interpretiert. Dieser Ansatz konzentriert sich auf Prozesse, die beim Streben nach Qualität erreicht werden sollen und drückt sich in Fehlerlosigkeit sowie Effektivität und Effizienz aus. Abweichend von den vorherigen Ansätzen bezieht sich (3) Qualität als Zweckmäßigkeit auf die Qualität eines Produktes oder einer Dienstleistung am jeweiligen zugrunde liegenden Zweck. Ein vierter Ansatz (4) schließlich bezieht sich auf die Relation zwischen Qualität und Markt/Preis: den adäquaten Gegenwert. In einem fünften Verständnis wird Qualität als (5) transformativ verstanden. Dieses Verständnis fokussiert hauptsächlich auf Dienstleistungen und stellt die produktorientierte Qualitätsbeurteilung im Bildungswesen grundlegend in Frage.

346

27 Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning

27.3.2

Rahmenbedingungen für Qualität neuer Lernkulturen

Vorweg: Für E-Learning 2.0 bedarf es keiner neuen Philosophie oder Methode der Qualitätsentwicklung – etwa einer neuen und völlig veränderten Qualitätsphilosophie von der Art einer zweiten Generation von Bildungsqualität. Jedoch müssen veränderte Rahmenbedingungen und Kontexte berücksichtig werden. Um diesen veränderten Kontexten gerecht zu werden, müssen bei der Qualitätsentwicklung andere Fragen gestellt werden, andere Gegen-stände bewertet, andere Qualitätsmaßstäbe angelegt und auf spezifische Methoden der Qualitätssicherung, -verbesserung und -entwicklung zurückgegriffen werden. Kurz gesagt: Die Rolle der Qualitätsentwicklung ändert sich. Ist sie vielfach in traditionelleren Lernszenarien noch die einer Prüfung und Kontrolle von Qualität, so wird sie in E-Learning 2.0 Szenarien mehr zur Rolle eines Ermöglichers von Lernfortschritten. Lernmethoden und Qualitätsentwicklung rücken eng zusammen. Methoden wie Feedback, Reflektion und Empfehlungsmechanismen rücken in den Vordergrund. Charakteristische Rahmenbedingungen, die bei der Qualitätsentwicklung für ELearning 2.0 Szenarien beachtet werden müssen, sind im Folgenden aufgeführt: •









Von Rezeption zu Partizipation: Die Metapher für Lernen ändert sich. Im E-Learning 2.0 macht sich Qualität nicht so sehr an der Evaluation einer vorgefertigten Lernumgebung oder eines von Experten produzierten Leninhaltes fest. Nicht die Rezeption, sondern die aktive Beteiligung steht im Vordergrund, also die Frage, inwieweit ein Lernszenario dazu anregt, individuelle, persönliche Lernumgebungen zu kreieren, eigene Lerninhalte zusammen zu stellen und mit anderen zuteilen. Von Kontrolle zu Reflexion: Qualitätsentwicklung für E-Learning 2.0 Szenarien verlagert den Fokus von einem Konformitätsfokus hin zu einer Reflexion des Lernprozesses. Lernende werden dabei unterstützt, eigene Lernfortschritte, Bildungsstrategien, Bedarfe etc. zu reflektieren, zu erkennen und umzusetzen und den Beitrag von Bildungsmedien dabei kritisch zu reflektieren. Ziel ist es, eine persönlich ideale Konfiguration von Bildungsmedien und -strategien zu erlangen, die durch selbständige Reflexion weiter entwickelt wird. Von der Produktorientierung über die Prozessorientierung hin zur Performanz- und Kompetenzorientierung: Weniger die Lernmaterialprodukte, mit denen gelernt wird, stehen im Vordergrund der Qualitätsentwicklung; auch nicht die Prozesse eines Anbieters. Qualitätsentwicklung konzentriert sich auf die Performanz der Lernenden, die von ihnen erstellten Lernprodukte, Entwicklungsschritte u. ä. (etwa in E-Portfolios), die ihren Weg zur Handlungskompetenz kennzeichnen. Von Bildungsplanung für den Lernenden zur Bildungsplanung durch den Lernenden: Qualität von Lernszenarien wird oftmals durch eine sorgfältige Analyse der Bildungsbedarfe, einer umfassenden Konzeptionsphase, rückgekoppelte Lernmaterialdesign- und Entwicklungsprozesse und der Evaluierung von Lernprozessen und Outcomes angestrebt. In E-Learning 2.0 Szenarien werden viele dieser Prozesse vom Anbieter eines Programmes auf den Lernenden verlagert. Qualitätskonzepte müssen daher Lernende in ihrer Fähigkeit zur Qualitätsentwicklung durch Reflexion unterstützen, lernerorientierte Evaluationsformen ermöglichen und Lernenden die notwendigen Werkzeuge zur Qualitätsentwicklung ihrer eigenen persönlichen Lernumgebung an die Hand geben. Vom Empfänger zum Entwickler von Lernmaterialien: Qualitätsbeurteilung in E-Learning 2.0 Szenarien folgt nicht der Logik einer Wirkungsforschung, um zu ermitteln, wie die Materialien und Medieneigenschaften optimal auf den Lernprozess wirken. Es geht nicht um Lernprozesse, die in einem einheitlichen Lernszenario stattfinden. Vielmehr stehen die Prozesse der Entwicklung, der

27.3 Qualität für „Next Generation“ E-Learning





347

flexiblen Nutzung und der Validierung über soziale Austauschprozesse mit anderen Lernenden im Mittelpunkt. Von der „Lerninsel“ LMS zum Internet als Lernumgebung: Kerres (2006) weist darauf hin, dass Lern-Management-Systeme wie eine Insel funktionieren, die im großen Materialozean des Word Wide Web einen abgeschlossenen Bereich darstellen. E-Learning 2.0 Szenarien verstehen LMS nur als Startpunkt, als Wegweiser für die eigene Suche und Verwendung von Materialien aus dem Internet, ihrer Weiterentwicklung und Verknüpfung mit Werkzeugen, die flexibel zu persönlichen Lernportalen arrangiert werden können. Die Qualitätsbeurteilung konzentriert sich daher nicht mehr auf die Materialien auf dem LMS, sondern auf die Lernprodukte, und auf ggf. in einem EPortfolio dokumentierte Lernprozesse. Von Klausuren zur Performanz: Lernfortschritte und Leistungen zeigen sich nicht nur in Prüfungen, sondern sind vor allem in den in Portfolios dokumentierten Lernverläufen (bspw. in Wikis oder Weblogs), Lernprodukten und sozialen Interaktionen nachvollziehbar.

27.3.3

Konzepte und Methoden der Qualitätsentwicklung für neue Lernkulturen

Die Qualitätsbeurteilung von E-Learning 2.0 fokussiert sich auf den Lernprozess. Nicht externe Maßstäbe und inter-individuelle Vergleiche werden herangezogen (etwa über Klausuren, Tests oder Assessments), sondern Verfahren der Selbtsbewertung intra-individueller Entwicklungsprozesse stehen im Vordergrund, weniger durch Klausuren und Tests als vielmehr durch Reflexion und Begutachtung von Lernprodukten und E-Portfolios. Zwar ist E-Learning 2.0 als Trend eine neue Entwicklung, jedoch gibt es mit den zugrunde liegenden Lernmodellen autonomes Lernens und des Lernens in Communities of Practice bereits substantielle Erfahrungen und Methoden wie Beurteilungen und Qualitätsbewertungen von Lernprozessen vorgenommen werden können. Diese Methoden können von Lehrenden genutzt werden, um sie zusammen mit Lernenden dazu einzusetzen, die Lernfortschritte zu evaluieren und individuelle Lernplanungen zu ermöglichen. Lehrende haben dabei die Rolle des Mentors, der Feedback und Rückmeldung gibt und bei der Reflektion von Lernerlebnissen hilft oder E-Portfolioeinträge beurteilt.

348

27 Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning

Methoden der Qualitätsbeurteilung

Qualitätsbeurteilung durch

1.

Selbstevaluation

Lernende mit Hilfe/Feedback von Lehrenden

2.

Beurteilung von E-Portfolios

Lehrende

3.

Social Recommendation

Qualitätsbeurteilung durch Mitlernende, Lerngruppen

4.

Zielgruppenorientierte Evaluationsmethoden

Lehrende

Tab. 27.2:

Methoden der Qualitätsentwicklung für E-Learning 2.0

Im folgenden Abschnitt werden wichtige Aspekte der in Tabelle 27.1 genannten Methoden zur Qualitätsbeurteilung vorgestellt. Selbstevaluation Eine wichtige Methode, die enorme Potenziale für die Qualitätsbewertung von Lernprozessen in ELearning 2.0 Szenarien bietet, ist das Konzept der Selbstbewertung. Dabei geht es nicht um eine abschließende (summative) Beurteilung der Lernleistung, sondern vor allem um eine Verbesserung der Lernfähigkeiten. “Self-evaluation is defined as students judging the quality of their work, based on evidence and explicit criteria, for the purpose of doing better work in the future. When we teach students how to assess their own progress, and when they do so against known and challenging quality standards, we find that there is a lot to gain. Self-evaluation is a potentially powerful technique because of its impact on student performance through enhanced self-efficacy and increased intrinsic motivation. Evidence about the positive effect of self-evaluation on student performance is particularly convincing for difficult tasks (Maehr & Stallings, 1972; Arter et al., 1994), especially in academically oriented schools (Hughes et al., 1985) and among high need pupils.“ (Henry, 1994). In der Literatur finden sich positive Effekte für Selbstevaluationsprozesse auf die Lernleistung (Maehr & Stallings, 1972; Arter et al., 1994; Hughes et al., 1985). Studierende können sich dabei mit dem Profil der eigenen Stärken- und Schwächen auseinander setzen. Rolheiser & Ross (2001) führen aus, dass Studierende, die ihre Leistungen positiv evaluieren, sich höhere Ziele stecken, sich persönlich mehr für den Lernprozess einsetzen und mehr persönliche Ressourcen mobilisieren. Ein Selbstbeurteilungsprozess vollzieht sich in vier Schritten folgendermaßen: •

Schritt 1: Lernende werden in die Definition der Kriterien, die zur Beurteilung herangezogen werden, involviert. Dies geschieht zumeist in Form von Aushandlungsrunden. Es zeigt sich, dass weder Kriterien, die vorgegeben werden, noch Kriterien, die vollständig von Studierenden entwickelt werden, so effektiv sind wie solche, die gemeinsam entwickelt werden. Studien zeigen, dass Kriterien, die in Zusammenarbeit mit Lernenden entwickelt werden, Zustimmung und Zielmotivation erhöhen. Lernende werden zudem gleichzeitig bei der Entwicklung von eigenen Ziele gecoacht und machen Erfahrungen bei der Wahl der Schwierigkeitsstufe. Es entwickelt sich zudem eine Beratungshaltung zwischen Lehrenden und Lernenden, die in E-Learning 2.0 Lernprozessen von hoher Bedeutung sein kann.

27.3 Qualität für „Next Generation“ E-Learning •





349

Schritt 2: In diesem Schritt wenden Lernende die selbst gewählten Kriterien auf ihren eigenen Lernprozess an. Dabei kann es wichtig sein, dass ihnen Beispiele zur Verfügung stehen, wie solche Bewertungen aussehen. Schritt 3: In einem dritten Schritt bekommen Lernende Feedback zu ihrer Selbsteinschätzung. Ziel ist es die eigenen Einschätzungen durch diesen Feedbackprozess zusammen mit Lehrenden zu kalibrieren. Eine Trianglulation von eigener Einschätzung, der des Lehrenden und der des Peers, wird dabei mit einbezogen. Schritt 4: Im vierten Schritt werden Studierende aufgefordert, auf Basis der eigenen Einschätzung Kompetenzentwicklungspläne zu entwickeln und mit Lehrenden Strategien zu beraten, um diese Ziele zu erreichen.

Qualitätsbeurteilung mit E-Portfolios E-Portfolios – netzbasierte Sammelmappen – integrieren verschiedene Medien und Services. Studierende sammeln in ihrem E-Portfolio diejenigen Lernprodukte, die im Verlauf einer Veranstaltung oder auch während des gesamten Studiums erstellt werden. Das elektronische Portfolio können Studierende benutzen, um Kompetenz auszuweisen und ihren Lernprozess zu reflektieren. Es werden Arbeitsergebnisse, verbunden mit Anmerkungen von Tutoren, Lehrenden und Kommilitonen, Feedbacks und persönlichen Reflexionen gesammelt. E-Portfolios eignen sich zur Qualitätsbeurteilung („Sind E-Portfolios ein Assessment des Lernens oder für das Lernen?“ siehe dazu Barrett & Carney, 2005; Ainsworth & Viegut, 2006). E-Portfolios können dabei zur abschließenden Bewertung (summativ) oder zur fortlaufenden Verbesserung (formativ) herangezogen werden. Wie in Tabelle 27.2 ersichtlich, unterscheiden sich Zweck, Ausgestaltung und Inhalte der Portfolios bei summativer Bewertung des Lernerfolgs bzw. formativer Bewertung zur Lernunterstützung deutlich.

350

27 Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning

Portfolio für summative Beurteilungen

Portfolio für formative Beurteilungen

Zweck des EP wird vorgeschrieben.

Der Zweck des Portfolios wurde mit dem/der Lernenden abgestimmt.

Es ist festgelegt, welche Lernprodukte im EP für eine Bewertung vorhanden sein müssen.

Artefakte wurden vom Lerner ausgewählt, um damit die Geschichte ihres Lernens zu erzählen.

Portfolios werden üblicherweise am Ende eines Schuljahres, Semesters oder Programms angefertigt, mit Zeitbeschränkung.

Portfolios werden laufend gepflegt, über ein Schuljahr, Semester oder Programm hinweg, mit flexibler Zeiteinteilung.

Die Portfolios und/oder Artefakte werden üblicherweise benotet, basierend auf einer Matrix und quantitativen Daten für ein externes Publikum.

Die Portfolios und Artefakte werden mit den Lernenden begutachtet und benutzt, um Rückmeldung zur Verbesserung des Lernens zu geben.

Das Portfolio ist üblicherweise durch die vorgegebenen Ergebnisse, Ziele oder Standards strukturiert.

Die Organisation des Portfolios ist durch den Lernenden bestimmt oder mit dem Mentor/ Berater/Lehrer ausgehandelt.

Manchmal werden sie benutzt, um wichtige Entscheidungen zu treffen.

Sie werden kaum genutzt, um wichtige Entscheidungen zu treffen.

Summativ: Was wurde bis heute gelernt? (Vergangenheit – Gegenwart)

Formativ: Welche Lernbedürfnisse gibt es in der Zukunft? (Gegenwart – Zukunft)

Extrinsische Motivation ist notwendig.

Intrinsische Motivation mobilisiert den/die Lernenden

Publikum: extern, geringe Auswahlmöglichkeiten

Publikum: Lernende, Familie, Freunde

Tab. 27. 3:

Funktionen eines E-Portfolios zur Beurteilung (basiert auf Hornung-Prähäuser et al., 2007)

Die Arbeit mit Portfolios hat eine Doppelfunktion, einerseits als innovatives Lehr-/Lern-instrument und andererseits als alternatives Beurteilungsinstrument. E-Portfolio gestützte Lernszenarien stellen den Lernprozess stark in den Mittelpunkt und ermöglichen so für alle Beteiligten ein tieferes Verständnis von Lernprozessen. Hinsichtlich der Qualitätsbeurteilung wird das Portfolio als Weg von ausschließlich fremd bestimmter, testorientierter Leistungsfeststellung durch die Lehrenden, hin zu einer stärker selbstbestimmten Leistungsdarstellung durch die Lernenden verstanden. E-Portfolios sind kompetenzorientiert. Es wird dabei nicht betont, was Lernende falsch gemacht haben, sondern was sie können. Portfoliobefürworter betonen häufig die natürliche Brückenfunktion des Portfolios, d. h. die Verbindung, die es zwischen Lehren, Lernen und Beurteilen herstellt (Häcker, 2005, S. 4). Ein E-Portfolio ist daher eine Methode der Leistungsbeurteilung, die eine Kombination aus Fremd- und Selbstevaluation bietet. Tabelle 27.3 gibt einen Überblick über e-portfolioorientierte Charakteristika der Bewertung im Vergleich zu testorientierten Onlineprüfungen. E-Portfolios können dabei sowohl zur Beurteilung/Bewertung von Fach- als auch von Selbstkompetenz herangezogen werden. Werden E-Portfolios als Beurteilungsinstrument eingesetzt, sind dabei die folgenden Aspekte zu beachten:

27.3 Qualität für „Next Generation“ E-Learning

• • • • •

351

Die neue Art des Lernens, Darstellens und der Reflektion braucht Betreuung und eine „Sozialisationsphase“. E-Portfolios sind eher ein Entwicklungs- als ein Kontrollinstrument. Eine qualitative Beurteilung unterstützt die Individualität des Leistungsnachweises. Die hohe Subjektivität in der Bewertung verringert sich durch mehrere Evaluatoren (siehe auch Peer-Review). Der Datenaustausch und die Datenveröffentlichung müssen im Vorfeld geklärt werden.

Charakteristika

Onlineprüfungen

E-Portfolio

Vorbereitung

aufwändig für den Prüfer

aufwändig für den Kandidaten

Formen

- Online-Multiple-Choice-Test - Online-Aufgaben - Simulationen (Pilotenprüfung)

- projektbezogene E-Portfolio-Arbeit - E-Portfolios zur Studienplanung

Bewertete Materialien

- Antworten

-

Studien-/Lernziele, Lernpläne Artefakte (Materialien, Zeugnisse) Reflexionen über das Lernen Feedback/Kommentare anderer Evaluationen

Bewertungskriterien

- Korrektheit (Übereinstimmung mit Musterlösung) - Vollständigkeit - Kriteriums- oder Normorientierung

-

Erfüllung von Bewertungskriterien (Raster) Blick auf Kompetenzen Orientierung am Individuum

Prüfungsbewertung

- schnell - objektiv

- aufwändig - subjektiv (bei mehreren Begutachtern abgeschwächt)

Verhalten des Kandidaten

- eher passive Wissensabfrage

- aktive Entwicklung der Portfolioinhalte - Einbezug von Selbstevaluation

Tab. 27.4:

Gegenüberstellung E-Assesment-Bewertungsformen „E-Portfolio vs. Onlineprüfungen“ (Quelle: Hornung-Prähäuser et al., 2007)

Beispiele für E-Portfolio-Arbeit • Ein Beispiel für die Arbeit mit E-Portfolios ist der ePortfolio-Blog von Studierenden der Pädagogischen Hochschule des Kantons St. Gallen (CH) (http://phrblog.kaywa.ch/).

352 •

27 Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning Das E-Portfolio Portal der Pädagogischen Hochschule des Kantons St. Gallen ist ein Weblog, das eine Vielzahl von E-Portfolios per Hyperlink zugänglich macht. Es finden sich dort sowohl Angebote von Dozierenden als auch studentische Portfolios, die z. B. zur Dokumentation von Projekten genutzt wird (http://www.eportfolio-phsg.ch/).

Social Recommendation and Community Participation In E-Learning 2.0 Lernszenarien spielt die Kommunikation, das Feedback und der Austausch innerhalb einer Lerngemeinschaft eine große Rolle. Mit Social Software Werkzeugen können Kollaborationen durchgeführt werden, Informationen ausgetauscht – und auch gemeinsam bewertet werden. Drei Methoden kommen dabei besonders zum Tragen, zu denen mittlerweile erste Erfahrungen vorliegen: 1. 2. 3.

Social Recommendation Mechanisms Peer-Review Verfahren Peer-Assist Verfahren

1. Social Recommendation Mechanisms Social Recommendation Mechanisms werden bereits als diejenigen Verfahren bezeichnet, mit denen die „wahre Qualität“ von Lernmaterialien ermittelt werden können (Duval, 2006), entgegen den expertenorientierten Verfahren. Dabei schätzen Mitglieder einer Lerngemeinschaft die Materialien ein, die im Web vorhanden sind. Dies geschieht bspw. in Lernmaterialdatenbanken, in denen für die dort gespeicherten Lernmaterialien eine Einschätzung über die Nützlichkeit und Qualität abgegeben wird oder – in einer weniger strukturierten Form – indem Lernende auf eigenen Webseiten Linklisten zu Materialien, Kursen und Resourcen des Internet anlegen, die sie als besonders wertvoll und qualitativ hochwertig einschätzen. Einserseits kann diese Methode als „Qualitätsbewertung“ verstanden werden, indem jedes Lernmaterial von Lernenden bewertet wird. Andererseits ist es auch möglich á la Amazon (http://www.amazon.com) vorzugehen und Lernenden Empfehlungen darüber zu geben, welche Lernmaterialien zu einem bestimmten Thema von anderen Lernenden in der gleichen Lage als besonders nützlich eingeschätzt werden – sog. social recommendations. Eric Duval, ein Professor aus Belgien, schlägt hierfür ein Konzept vor, welches er als „LearnRank“ bezeichnet und in dem es darum geht, ein Ranking von Lernmaterialien, auf Basis der Einschätzung von Lernenden vorzunehmen und es zusammen mit ihren „Kontexten“ und Absichten als Grundlage für Lernempfehlungen zu verwenden (Duval, 2006). Natürlich ist das keine Garantie für einen besonders guten Fund, aber es erhöht die Wahrscheinlichkeit, nützliche gute Inhalte zu finden. 2. Peer-Review und Peer-Reflexion Peer-Review ist ein bereits vielfach eingeführtes Konzept, gerade im akademischen Bereich. Es geht darum, Qualität dadurch zu bewerten, dass Peers, also Kollegen und/oder Mitlernende, sich untereinander ein Feedback geben. Im Bereich der Wissenschaft geht es dabei oftmals um Forschungsanträge oder Veröffentlichungen. Für den Bereich des Lernens, gerade in E-Learning 2.0 Szenarien, kann das Peer-Review jedoch angewendet werden, um für Ergebnisse, Lernwege und Lernziele ein Feedback und eine Qualitätssicherung zu erfragen, welches von Mitlernenden oder anderen Mitgliedern der Lerngemeinschaften gegeben wird. Eine einfache Anwendung des Peer-Review-Verfahrens zur Qualitätsverbesserung in E-Learning 2.0 Szenarien ist es, unterschiedliche Lerngruppen oder Mitglieder

27.3 Qualität für „Next Generation“ E-Learning

353

unterschiedlicher Lerngemeinschaften einzuladen, ihnen die Lernvorhaben, die Lernverläufe, die zu bearbeitenden Probleme und Lösungen zu präsentieren und sie zu einem Review einzuladen. Peer-Reflexion ist ein Prozess, der darauf abzielt, Reflexionsmöglichkeiten zu gestalten, bei denen die Peers dazu aufgefordert werden, anhand ihrer eigenen Erfahrungen Fragen und Anregungen zur Reflexion von Lernprozessen zu geben. Eine Gruppe könnte so bspw. mit einer anderen darüber in Kontakt treten, wie sie ihre Projektarbeit strukturiert hat, warum sie gerade diese Materialien dazu herangezogen hat, usw. 3. Peer-Assist (Peer-Learning und Bench-Learning) Eine Möglichkeit, die Qualität von Lernprozessen zu überprüfen und zu verbessern, ist es, von den Lösungen anderer zu lernen bzw. zusammen mit anderen in einen Peer-Lern-Prozess einzutreten. Ein in jüngster Zeit aufkommendes Model ist das Peer-Assist Model35. Es ist eine strukturierte Reflexion im sozialen Netzwerk, die über Social Software durchgeführt werden kann. Die Methode grenzt sich klar vom Peer-Review ab (siehe Tabelle 27.5), und möchte primär Lernprozesse stimulieren. Indem die Methode für E-Learning 2.0 Szenarien eingesetzt wird, wird soziales Kapital für die Weiterentwicklung eigener Lösungen genutzt oder für die Lösung von Lernschwierigkeiten, die sich beim Lernverlauf ergeben. Ein Lernprozess kann strukturiert reflektiert werden, indem der Lernprozess, die Ergebnisse und dokumentierten Outcomes an sich zum Thema im Peer-Assist-Prozess gemacht werden können.

Peer-Review

Peer-Assist

Ziel: Bewertung

Ziel: Lernen, Wissenszuwachs

evaluativ

kollaborativ

Aufgabe ist es, eine Arbeit zu kritisieren

Aufgabe ist es, mit einem und durch ein Team zu lernen

Reviewers werden durch andere ausgewählt

Die Assistants werden selber ausgesucht

oftmals eine „krampfhafte“ Bemühung um konstruktive und auf jeden Fall positive Evaluationsergebnisse

Problemlöseprozess

Manche Akteure sind immer in der Rolle der Reviewer.

Der Rollenwechsel wird unterstützt, diejenigen die heute assistieren, können morgen selber ein PeerAssist Verfahren einberufen.

Der Bericht wird zumeist dem Management zur Verfügung gestellt.

Das Verfahren richtet sich nur an diejenigen, die es einberufen haben.

Tab. 27.5:

35

Unterschiede zwischen Peer-Review- und Peer-Assist-Verfahren (basiert auf Common Knowledge, 2007)

Die Modelle Peer-Assist, Peer-Learning und Bench-Learning sind gewissermaßen die logischen Fortführungen von Peer-Review Prozessen.

354

27 Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning

Der Peer-Assist-Prozess ist ein strukturierter Ablauf, der in E-Learning 2.0 Szenarien eingesetzt werden kann unter Verwendung von Social Software. Es geht um eine Vernetzung und Stärkung der Lerngemeinschaft mit dem expliziten Ziel, eigene Lösungsstrategien und Lernansätze zu thematisieren, zu reflektieren und zu verbessern. Tabelle 27.6 zeigt, wie Peer-Assist in E-Learning 2.0 Szenarien eingesetzt werden kann:

Phase

WEB (2.0) Werkzeuge

Vorbereitung „Peer-Assistee“ verschickt Einladung an (sechs) Peer-Assistants

E-Mail

einen Peer-Assist Moderator finden und einladen

E-Mail

einen Peer-Assist Wki oder Blog anlegen

Wiki, Blog, Protopage, etc.

Durchführung Runde 1: Präsentation des Problems (10 Min.)

Stichpunkteinträge über Peer-Assist Wiki/Blog/Application Sharing, Collaboration Platform Beispiele: Ein Konzept wird stichwortartig präsentiert, welches von dem Lernenden zur Lösung eines Problems entwickelt wurde; ein Konzept für eine Diplomarbeit, Seminararbeit etc, wird kurz vorgestellt; ein Problem aus dem Arbeitskontext wird dargestellt.

Runde 2: Peer-Assistants können Verständnis- und Detailfragen stellen (30 Min.)

Onlinechat, Collaboration Platform

Runde 3: Peer-Assistants machen Vorschläge zur Lösung und geben Einschätzungen (45 Min.)

Vorschläge werden in einem Diskussionsforum eingetragen, jeder liest die Vorschläge der anderen Teilnehmer/innen

Runde 4: Moderator lädt alle Teilnehmer ein, einen abschließenden Vorschlag abzugeben (30 Min.)

abschließende Runde als Eintrag im Diskussionsforum

Runde 5: Peer-Assistee entscheidet sich für ein weiteres Vorgehen und teilt es der Gruppe mit (10 Min.)

In einem Onlinechat teilt der Peer-Assistee mit, welchen Vorschlag er/sie auswählt.

Tab. 27.6:

Online Peer-Assist-Verfahren

27.4 „Löcher in der Gartenmauer“: Neue Lern- und Qualitätskultur für E-Learning

355

Zielgruppenorientierte Evaluationsverfahren Evaluation wird heute vielfach zur Beurteilung von Lernprozessen und -ergebnissen herangezogen. Eine Vielzahl an Beiträgen in der wissenschaftlichen und praxisbezogenen Literatur mit vielfältigen bewährten Verfahren kann mittlerweile herangezogen werden. Im Bildungsbereich sieht die gängige Evaluationspraxis zumeist vor, dass eine Gruppe anhand von einem Evaluationsinstrument (bspw. einem Fragebogen) die Lehr-/Lernsituation bewertet. Problematisch in E-Learning 2.0 Szenarien ist dies, da die Lernverläufe und Lernumgebungen (PLE) potenziell unterschiedlich sind – selbst in ein und derselben Lehrveranstaltung. Daher kann bzgl. der Evaluation sinnvoller Weise nur auf eine stark zielgruppenbezogenen Evaluationspraxis zurückgegriffen werden. Die kann auf die Weise realisiert werden, zielgruppenspezifische Profilierungen der Evaluationsinstrumente zuzulassen. Dies geschieht bspw. so, dass Lernende nicht nur die Frage aus einem Evaluationsfragebogen beantworten müssen, sondern, dass zugleich erfragt wird, wie wichtig bzw. relevant sie dieses Evaluationsitem für ihren Lernprozess halten. Hat ein Item gar keine Relevanz für einen Lernprozess, dann wird es mit nur geringer Wichtigkeit eingeschätzt und geht dementsprechend auch nur mit geringem Gewicht in die Gesamtbewertung ein. „Künstliche“ Einschätzungen von Dimensionen, die für den Lernverlauf keine Wichtigkeit besitzen, werden so vermieden. Ein weiterer Vorteil ergibt sich dadurch, dass Lernende zugleich mit der Bewertung, auch eine Reflektion dazu vornehmen, was in ihrem persönlichen Lernverlauf von Bedeutung war. Der Fragebogen, der für eine solche Evaluation verwendet wird, sollte also ausreichend alle relevanten Bereiche abdecken. Ein solches zielgruppenorientiertes Verfahren lehnt sich konzeptuell an Erfahrungen an, die im Bereich der responsiven Evaluation gemacht wurden. Teilnehmer bewerten dabei nicht lediglich die ihnen vorgegebenen Gegenstände, sondern sind in die Definition der Evaluationsgegenstände mit einbezogen. In E-Learning 2.0 Lernszenarien kann dies potenziell dazu führen, dass alle Evaluationsteilnehmer einen unterschiedlichen Evaluationsfragebogen „konstruieren“, indem sie unterschiedliche Gewichtungen vornehmen. Die Ergebnisse dieser Evaluationsverfahren können nicht auf dieselbe Art und Weise verwertet und gehandhabt werden, wie die Ergebnisse einer „normalen“ Evaluation. Eine Lerngruppe wird nicht als eine homogene Einheit aufgefasst, sondern zielgruppenspezifische Vorschläge und Lösungen für die auftretenden Evaluationsergebnisse der jeweiligen individuellen Präferenzprofile werden gefunden. Erste Onlinewerkzeuge für solche Evaluationsverfahren werden bereits entwickelt (bspw. http://www.sevaq.com).

27.4

„Löcher in der Gartenmauer“: Neue Lern- und Qualitätskultur für E-Learning

Die Metapher des „Walled Garden“ von Stephen Downes (2007) betrifft das, was Kerres (2006) als inselhaftes E-Learning bezeichnet, wenn er das sog. „E-Learing 1.0“ beschreibt. E-Learning 2.0 reißt Löcher in diese Gartenmauern. Es führt zu einer neuen Lernkultur. Diese ist gekennzeichnet durch eine stärkere Autonomie der Lernenden, die weg führt von einem Wissenstransfermodell wie es in vielen Bildungskontexten vorherrscht, hin zu einem Modell der gemeinsamen Wissenskonstruktion und Kompetenzentwicklung. Lernende für eine ungewisse Zukunft fit zu machen, steht im Vordergrund, sie bei ihrer Entwicklung zu „reflektierten Praktikern“ (Schön, 1983) zu unterstützen und sie mit einem Port-

356

27 Qualität für neue Lernkulturen des „Next Generation“ E-Learning

folio von Handlungskompetenzen auszustatten, mit dem sie ihre jeweiligen Arbeits- und Lebenskontexte gestalten und innovativ weiter entwickeln können. Natürlich wird Lernen an sich dadurch nicht neu erfunden. Lernen als Grundkonzept bleibt gleich. Wir erkennen vielmehr neue pädagogische Verständnisse und didaktische Formen wie Lehr-/Lernszenarien gestaltet sein können. Und damit sind wir bei einer neuen Kultur des Lernens angelangt. Sie fordert Bildungsorganisationen dadurch heraus, dass sie sich nicht mehr in „walled gardens“ abspielt, sondern über – sowohl physische als auch konzeptuelle – Institutionsgrenzen hinaus geht und viele traditionelle Regelungen und Verständnisse, wie in Stein gemeißelte Curricula, traditionelle Prüfungen, das „organisationsweit einzusetzende LMS“ etc. herausfordert. Eine neue Kultur des Lehrens und Lernens, wie im Beitrag beschrieben, stellt auch die Auffassungen davon in Frage, wie Qualität beurteilt, entwickelt und gesichert wird. Mehr Verfahren, die auf Beteiligung des Lernenden und den Lernprozess direkt abzielen und weniger organisationszentrierte Prozesse stehen dabei im Vordergrund. Eine Qualitätskultur für E-Learning, die Verfahren und Methoden für ELearning 2.0 beisteuern möchte, zielt auf beteiligungsorientierte Verfahren ab, schafft Räume und Möglichkeiten zur Reflektion und bindet Lernende in Feedbackprozesse ein. Lerngemeinschaften werden in Review-Prozesse und Bewertungsverfahren für Materialien, Konzepte und Problemstellungen involviert und Qualitätsbeurteilungen sind zielgruppenbezogen und nicht orientiert an externen Standardvorgaben. Eine solche Konzeption davon, wie Qualitätsinstrumente, -konzepte und -methoden aussehen müssen, fordert Bildungsinstitutionen auf allen Ebenen heraus: institutionell müssen neue Rahmenendbedingungen festgelegt werden, die es bspw. ermöglichen, e-portfoliogestützte Bewertungsprozesse als Prüfungsleistungen zu akzeptieren. Auf Programmebene ist es wichtig, Lernmethoden und Curricula so zu konstruieren, dass sie Raum für Steuerungen durch Lernerfeedbacks lassen. Auf der Ebene von Lernaktivitäten müssen Lernende zunehmend mehr mit Reflektions- und Peer-Review-Prozessen vertraut gemacht werden, die ihnen eine Rückmeldung über die Qualität ihrer Lernprozesse ermöglicht. Für Lehrende sind hierbei völlig neue Kompetenzen erforderlich, die es ihnen ermöglichen, den Einsatz von Social Software Werkzeugen für die beschriebenen Qualitätsentwicklungsprozesse in Lehrveranstaltungen umzusetzen.

Teil 5: Online-Lernen in der Praxis

28

Online-Lernen in der Schule

Heike Schaumburg & Thomas Seidel

In diesem Kapitel wird mit dem Lernumgebungskonzept zunächst ein aktuelles pädagogisches Konzept des Online-Lernens in der Schule dargestellt. Anschließend werden Forschungsergebnisse zum Internet-Einsatz im schulischen Bereich zusammengefasst, wobei besonders auf die Frage eingegangen wird, ob und welche Veränderungen des Unterrichts sich durch die Nutzung des Internet ergeben. Abschließend wird auf die Bedeutung schulischer Rahmenbedingungen eingegangen, die einer Innovation des Unterrichts durch die Nutzung des Internet bisher entgegenstanden und Empfehlungen für die erfolgreiche Einbeziehung des Internet in der Schule formuliert. Schlüsselbegriffe: Online-Lernen, Lernumgebungskonzept, konstruktivistisches Lernen, World Wide Web, Informationsrecherche, Schüler-Computer-Verhältnis, Unterrichtsveränderung, Lehrertypen, Schulentwicklung, Innovation

360

28.1

28 Online-Lernen in der Schule

Ein Blick zurück …

Der Einsatz von Informationstechnologien in der Schule wird nunmehr seit fast 40 Jahren propagiert. Anfang der 70er Jahre war es zunächst der programmierte Unterricht, mit dem die Hoffnung verbunden wurde, die damalige Bildungskrise zu überwinden und schulisches Lernen durch den Einsatz des Computers grundlegend zu reformieren. Der erhoffte Erfolg blieb jedoch aus. Schulische Lernprozesse ließen sich auch mithilfe exakt geplanter und erprobter Programme nicht im erwarteten Maß optimieren. Schon nach wenigen Jahren musste eingestanden werden, dass der programmierte Unterricht weder zu einer Steigerung der Lerneffizienz von Schule noch zu einer Kostensenkung im Bildungswesen beigetragen hatte. Zehn Jahre später erfasste eine neue Technologie-Welle die Schulen. Mit der Entwicklung des Mikrocomputers brach das „Informationszeitalter“ an. Der Personal Computer wurde als Auslöser tiefgreifender gesellschaftlicher Veränderungen gesehen. Der Computer-Einsatz in Schulen wurde von nun an nicht nur gefordert, um schulisches Lernen zu rationalisieren und effektivieren, obwohl auch hier in Folge der kognitiven Wende in der Psychologie vielversprechende neue Ansätze entwickelt wurden. Der Vormarsch des Computers in vielen gesellschaftlichen Bereichen ließ darüber hinaus den Ruf nach einer umfassenden Medienbildung als Teil der schulischen Ausbildung laut werden. Anfang der achtziger Jahre wurde in Deutschland die informationstechnische Grundbildung in der Sekundarstufe I eingeführt. Der Computer sollte damit als Gegenstand und Werkzeug im Schulunterricht fest verankert werden. Die Maßnahme war unterstützt von zahlreichen Modellversuchen, sowie Initiativen zur Curriculum- und Software-Entwicklung aber auch zur Lehrerweiterbildung (Schulz-Zander & Hendricks, 2000). Auch wenn seither Computerräume zur Ausstattung vieler Schulen gehören, blieb die angestrebte Breitenwirkung jedoch ein weiteres Mal aus. Wiederum gelang es nicht, den Computer zum selbstverständlichen Lernwerkzeug im Unterricht zu machen und zwar weder in Deutschland noch in zahlreichen anderen Industrienationen, in denen ähnliche Initiativen wie in Deutschland gestartet worden waren (Collis, 1996). Die bislang letzte Welle der Computerintegration in den Schulen begann Mitte der neunziger Jahre und weist Ähnlichkeiten zur zweiten Welle auf Auch sie wurde ausgelöst, als eine neue informationstechnologische Entwicklung, nämlich das Internet oder genauer das WWW, auf breiter Basis gesellschaftliche Akzeptanz fand. Auch dieses Mal wurde eine Verbesserung des Lernens postuliert, aber diesmal in Kombination mit Medienkompetenz, die in einer Zeit der Globalisierung und der gesellschaftlichen Veränderung durch das Internet eine wachsende Bedeutung erfährt. In vielen Industrienationen war diese dritte Welle der Computerisierung an große Reformen des Schulsystems gekoppelt. In Deutschland wurde ein neues Verständnis von Schule mit der Profilbildung der Schule, den Evaluationen und Vergleichen auf allen Ebenen gefordert. Im Unterricht gab man auf didaktischer Seite eine konstruktivistisch orientierte Schülerzentrierung sowie eine Outputorientierung anhand von Standards und Kompetenzen vor. International gab es in vielen Industrienationen sehr ähnliche Entwicklungen. In den USA und auch in Canada sprach und spricht man vom Educational Change und koppelte an die Reform gleich massive Computer-Ausstattungsinitiativen und Fortbildungsangebote für Lehrer. Das tat man in Großbritannien auch und baute zusätzlich das Curriculum so um, dass die Computernutzung voll integriert ist. Weltweit wurden in den 1990er Jahren und Anfang

28.2 Nutzung von Computern und Internet in der Schule

361

des neuen Jahrtausends Investitionen in Milliardenhöhe getätigt. In vielen Ländern war das die kostenintensivste und größte Reform, die es je im Bildungssystem gab (Aviram, 2004). In einer aktuellen Studie von Schulz-Zander et al. (2008) stellte sich heraus, dass die aktuellen Reformen im deutschen Schulsystem sogar hemmend auf die Integration von Computer und Internet in den Unterricht wirken. Die treibenden Kräfte für die Integration neuer Medien in den Unterricht sind, wie bei den vorausgegangenen Wellen der Computerintegration, staatliche und private bildungspolitische Initiativen, die auf nationaler und internationaler Ebene sowohl für die technische Ausstattung der Schulen sorgen, als auch die Entwicklung von Lernsoftware und Unterrichtskonzepten sowie die Qualifizierung von Lehrkräften im Bereich neuer Medien, vorantreiben. Die wohl prominenteste Förderinitiative in Deutschland ist „Schulen ans Netz“. Der Verein wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, seit Mitte der 1990er Jahre gefördert und sorgte für die großflächige Ausstattung von Schulen mit Internetzugängen. Er bietet seit dem zahlreiche Dienstleistungen zur Unterstützung der Vernetzung von Schulen und der Integration des Internet in den Unterricht an.

28.2

Nutzung von Computern und Internet in der Schule

In den Jahren 2001 bis 2006 ist der Anteil vernetzter Computer an allgemein bildenden Schulen von 48% auf 69% gestiegen (BMBF, 2006). Im internationalen Vergleich liegt Deutschland mit einem Schüler-Computer-Verhältnis von 11:1 (BMBF, 2006) jedoch nach wie vor hinter anderen Industrienationen, wie z. B. den Vereinigten Staaten, England, Australien, Österreich, Dänemark oder Norwegen, wo sich fünf oder weniger Schüler einen Computer teilen (OECD, 2007). Auch wenn sich die Ausstattung verbessert hat, werden Computer nach wie vor nur von einer Minderheit der Lehrpersonen regelmäßig im Unterricht eingesetzt. In einer aktuellen Studie von Harris (2008) sind es immerhin 37% der US-amerikanischen Lehrer, die täglich Computer in ihren Klassen nutzen. Im Vergleich hierzu sind es in Deutschland etwa 20% der Lehrer, die angeben, Computer häufig oder sehr häufig einzusetzen (Bofinger, 2007). Herzig und Grafe (2006) geben in ihrer Metastudie einen Prozentsatz von 10-30% der Lehrer an. Auch in der PISA-Studie 2006 bildet Deutschland hinsichtlich der Nutzungshäufigkeit von Computern im Unterricht das Schlusslicht unter den untersuchten Nationen (Prenzel et al., 2007). Nachdem erste Evaluationen noch zu einer eher pessimistischen Einschätzung der Nutzung des Internet im Unterricht kamen (Hunneshagen, Schulz-Zander & Weinreich, 2001), zeichnet sich in den letzten Jahren eine stetige Zunahme der Internetnutzung im Unterricht ab. So stellen Herzig und Grafe (2006) fest, dass die Internetnutzung in den Jahren von 2003 bis 2005 über alle Fächer und Schulformen hinweg zugenommen hat. Dabei zeigen Analysen, wie die von Bofinger (2007), Schaumburg et al. (2007), Schaumburg und Issing (2002) oder Schulz-Zander, Schmialek & Stolz (2007), dass das Internet vor allem zur Informationsrecherche genutzt wird. In den genannten Studien gehört dies neben unterschiedlichen anderen computer- aber nicht netz-basierten Tätigkeiten jeweils zu den häufigsten computerunterstützten Unterrichtstätigkeiten. Die Nutzung des Internet zu Kommunikationszwecken, die Nutzung von Lernplattformen oder die Veröffentlichung von Informationen im Internet kommen im Unterricht

362

28 Online-Lernen in der Schule

allen drei Studien zufolge selten bis gar nicht vor. Zu ähnlichen Ergebnissen hinsichtlich der Nutzung des Internet kommen auch internationale Studien (Gibson & Oberg, 2004; Hinson, 2005, Law, Pelgrum & Plomb, 2008).

28.3

Computer und Internet im Unterricht

Die pädagogische Diskussion um die Nutzung des Internet in der Schule fällt zusammen mit einem „Paradigmenwechsel“ in der pädagogischen Lerntheorie, nämlich der Abwendung von kognitiven hin zu konstruktivistischen Lerntheorien. Diese nehmen den Lernenden als aktiv-konstruierendes Subjekt zum Ausgangspunkt ihrer didaktischen Überlegungen und entwickeln daraus die Forderung nach einer grundlegenden Reform des schulischen Lernens hin zu mehr Selbststeuerung, Kooperation und Authentizität. Computern und insbesondere dem Internet wird dabei eine Katalysatorfunktion für die Veränderung von Unterricht zugeschrieben, da den Schülern z. B. mit dem World Wide Web authentische, komplexe und multiperspektivische Informationen in einem bisher nicht gekannten Ausmaß zur Verfügung stehen (Kerres, 2000; Pelgrum, 2001; Tulodziecki, 1999). Kommunikationswerkzeuge erlauben den Einbezug von Personen (z. B. Experten) über die Grenzen das Klassenraums hinaus, Anwendungen des Web 2.0 wie Wikis und Blogs stellen völlig neue Werkzeuge für die Zusammenarbeit, den Wissensaustausch und die Veröffentlichung von schulischen Arbeitsergebnissen bereit (Kerres, 2000; Seitzinger, 2006; vgl. Schulz-Zander in diesem Buch). Das sich dahinter verbergende didaktische Konzept der Medienintegration kann mit Tulodziecki (2006) als „Lernumgebungskonzept“ charakterisiert werden. Die zur Verfügung gestellten Medien und Werkzeuge unterstützen die Auseinandersetzung des Lerners mit den komplexen Aufgaben, um z. B. Informationen, die für die Analyse und Lösung der Probleme notwendig sind, zu recherchieren und zu erarbeiten, aber auch, um die Ergebnisse ihrer Arbeit zu dokumentieren und zu präsentieren. Eine weitere Eigenschaft des Lernumgebungskonzepts besteht darin, dass Lernprozesse von Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern gemeinsam geplant werden. Angelehnt an das Konzept des handlungsorientierten Unterrichts (Tulodziecki, 2004), kommt der Lehrperson die Aufgabe zu, die Lernumgebung durch die Formulierung geeigneter Aufgabenstellungen und die Bereitstellung von Medienangeboten vorzubereiten sowie die Lernenden in ihren Lösungsversuchen zu beraten und zu unterstützen. Dennoch sollte die Umgebung offen für unterschiedliche Lernwege sein und den Schülern bei der Bearbeitung der Aufgaben ein größtmögliches Maß an Selbstständigkeit abverlangen. Auch die verwendeten Medien sind in der Regel nicht auf die von den Lehrern vorgeschlagenen beschränkt, sondern können und sollen von den Schülern erweitert werden. Das Internet entspricht durch die Bündelung von Diensten und Funktionen in vieler Hinsicht den Merkmalen einer Lernumgebung. Es kann bei der Bearbeitung komplexer, alltagsnaher Fragestellungen zur Informationsrecherche und -beschaffung dienen, sowie Werkzeuge für die Auswertung, Dokumentation und Präsentation von Lernergebnissen bereitstellen. Allerdings würde es dem Lernumgebungskonzept widersprechen, allein das Internet im Unterricht einzusetzen. So wird das Internet meist eines von verschiedenen zu nutzenden Medien im Unterricht sein. Beispielhaft zeigt Abbildung 1 (folgende Seite) Ergebnisse einer Befragung an 214 Lehrern der Sekundarstufe (Gymnasien, Haupt-, Real- und Gesamtschulen), an deren Schulen Notebook-Klassen einge-

28.3 Computer und Internet im Unterricht

363

richtet worden waren (Schaumburg et al., 2007). Wie aus der Graphik ersichtlich, zeigen sich in Notebook- und traditionell unterrichteten Klassen ähnliche Häufigkeiten bei internetbezogenen Tätigkeiten, wobei Notebook-Schüler (NB) tendenziell etwas öfter am Computer arbeiten als Nicht-NotebookSchüler (NNB). Projektarbeit unter Einbezug des Internet kommt mit zwischen 10-30% der Unterrichtsstunden am häufigsten vor. Dabei scheint auch die Arbeit an komplexen, offenen Problemstellungen sowie die Auseinandersetzung mit authentischer Information eine Rolle zu spielen. Die Kommunikation mit schulexternen Personen oder die Publikation von Arbeitsergebnissen im Internet kommt so gut wie nie im Unterricht vor. 7

NB (N~120)

NNB (N~60)

6 5 4 3

2,66 2,09

2

1,93

1,74

1,85

1,58

1,31 1,24

1,26 1,12

1 Für die Bearbeitung ihrer Schüler nutzen die Schüler nutzen die Schüler arbeiten über Fragestellungen Computer zur Sammlung Computer zur mehrere Stunden hinweg kommunizieren und und Weiterverarbeitung Bearbeitung selbst an Projekten, in denen kooperieren die Schüler "realer" Daten für die entwickelter Sie die vielfältigen per Computer mit Auseinandersetzung mit Fragestellungen, bei Möglichkeiten von schulexternen Personen authentischen denen sie eigene Computer und Internet und/oder Institutionen. Positionen darstellen und Problemstellungen aus nutzen, um ihrer Lebenswelt.* eigene Lösungen und Problemstellungen Entscheidungen finden umfassend zu müssen. bearbeiten.*

Abb. 1:

Die Arbeitsergebnisse werden auch für Interessierte außerhalb der Schule publiziert.

Internet-Nutzung in Notebook- und traditionell unterrichteten Klassen (1=nie, 2=1 von 10 Stunden, 3=2-3 von 10, 4=4-5 von 10, 5=6-7 von 10, 6=8-9 von 10, 7=10 von 10)

Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass die Nutzung des Internet mittlerweile einen festen Platz unter den im Unterricht vorkommenden Computereinsatzformen hat. Dies muss jedoch dahingehend eingeschränkt werden, dass das Internet beinahe ausschließlich in seiner Funktion als Informationsquelle genutzt wird und dass der Einsatz von Computern im Unterricht insgesamt in Deutschland nach wie vor eher die Ausnahme als die Regel darstellt. Das Recherchieren im Internet ist meist eng verbunden mit dem Arbeiten mit Office-Programmen. Zu dem Anstieg der Nutzung des Internet stieg in den letzten Jahren auch, wenn auch geringer, das Arbeiten mit Office-Programmen. Besonders hervorzuheben sind hier Textverarbeitungs- und Präsentationsprogramme (Bofinger, 2006; S. 102). Verglichen zu Arbeiten ohne Computernutzung steigt die Qualität der verfassten Texte vor allem durch leichtes Editieren der Texte am Rechner, aber auch durch hilfreiche Werkzeuge bei der Informationssuche und –strukturierung oder für den Schreibprozess selbst. Häufig wird die Rechtschreibkorrektur genutzt, aber auch Wörterbuch, Thesaurus oder Mindtools zum

364

28 Online-Lernen in der Schule

Strukturieren der Gedanken, sowie bestimte Internetseiten („Scaffolding Tools“ Warschauer, 2006). Gerade beim kollaborativen Arbeiten in Kleingruppen werden immer häufiger frei verfügbare Werkzeuge aus dem Internet verwandt (Google-Tools oder Windows live, vgl. auch Web2.0 in diesem Buch). Ebenso steigt die Lesekompetenz bezogen auf die Lesegeschwindigkeit und das „Sinnentnehmende Lesen“ (Lei, Conway, Zhao, 2008; Warschauer, 2006). Zu beachten ist hierbei, dass immer häufiger die Quellen am Bildschirm gelesen werden, wobei dies von den Schülern nicht als Nachteil empfunden wird. Computerprogramme bieten hier die Möglichkeit, Informationen zu markieren, zu verlinken oder zu kopieren und in Textverarbeitungsprogrammen weiter zu verarbeiten.

28.4

Innovation des Unterrichts durch Online-Lernen?

Verschiedene Studien belegen, dass die Integration von Computer und Internet den Unterricht nur in Ansätzen gemäß der eingangs vorgestellten Annahmen verändert, und zwar selbst in Laptopklassen, wo die Ausstattungsdichte mit einem Computer-Schüler-Verhältnis von 1:1 ideal ist (Häuptle & Reinmann, 2006; Schaumburg & Issing, 2002; Schaumburg et al., 2007). Untersuchungen belegen auch, dass die Interaktion von Lehrpersonen und teilweise auch Schülerinnen und Schülern als „gleichberechtigter“ empfunden wird. Lehrkräfte berichten, dass sie ihren Unterricht schülerzentrierter gestalten und selbstgesteuertes, entdeckendes Lernen stärker gefördert wird, wenn sie Computer und Internet einsetzen. Fächerübergreifendes Lernen sei mithilfe von Computer und Internet leichter zu realisieren (Fairman, 2004). Wie konsequent dieses Potenzial im Unterricht realisiert wird, ist jedoch fraglich. Die Studien kommen in der Regel zu dem Ergebnis, dass Veränderungen des Unterrichts stark lehrerabhängig sind. Hinzu kommt, dass Lehrerinnen und Lehrer in Interviews auch eher über Veränderungspotenziale als über tatsächliche Veränderungen berichten. In begleitenden Unterrichtsbeobachtungen konnten die berichteten Veränderungen auch nur teilweise bestätigt werden (z. B. Schaumburg et al., 2008). Schaumburg (2003) identifizierte in diesem Zusammenhang verschiedene Lehrertypen, die auf die Einführung der Notebooks unterschiedlich reagierten. Demnach kann nicht von einem generellen Innovationseffekt gesprochen werden. Drei der identifizierten Lehrertypen wurden durch die Notebook-Nutzung zu einer Veränderung ihres Unterrichts angeregt. Die Veränderungen unterschieden sich jedoch in ihrer Tiefe. Veränderungen waren entweder primär auf technische Aspekte, nicht jedoch auf fachliche Inhalte, bezogen (Typ 2) oder wurden nur für einzelne, in sich geschlossene Phasen berichtet (Typ 3). Lediglich Typ 4 zeigte eine umfassendere Veränderung seiner Unterrichtsmethoden. Zwei weitere Typen veränderten ihren Unterricht nicht. Einer davon blieb einem eher lehrerzentrierten Unterrichtsstil treu (Typ 1), während ein anderer schon vor Beginn des Projekts eher konstruktivistisch gearbeitet hatte (Typ 5). Von entscheidender Bedeutung für Veränderungen der Unterrichtspraxis scheinen die schon vor Projektbeginn bestehenden Überzeugungen der Lehrerinnen und Lehrer zum Lehren und Lernen zu sein. So zeigen auch Newhouse und Rennie (2001), dass die Integration der Notebooks bei den Lehrern am erfolgreichsten ist, die eine eher konstruktivistische Auffassung von Unterricht vertreten. Lehrer, die sich stärker in der Rolle des Wissensvermittlers sehen, machen dagegen deutlich weniger Gebrauch von den Computern. Häufig ist aber auch ein organisatorischer Wandel zuerst nötig, um die Lehrer zu

28.5 Ausblick

365

unterstützen und anzuregen. (Fullan, 2007). Law et al. (2008) kommen im Schlussbericht einer international vergleichenden Studie zu dem Ergebnis, dass sich technische und administrative Unterstützung für die Lehrer sowie eine Schulleitung, die Visionen für den Einsatz neuer Medien in der Schule entwickelt und durchsetzt, besonders förderlich auf eine konstruktivistische Unterrichtspraxis auswirkt. Auf die entscheidende Bedeutung von technischer und pädagogischer Unterstützung sowie einer aktiven Schulleitung weisen auch verschiedene andere Studien hin (z. B. Breiter, 2001, Schaumburg et al., 2007; Prasse, 2007). Es ist seitens der Schulleitung als Steuerungsgremium ist darauf zu achten, dass alle Parteien mit in die Veränderungsprozesse involviert werden, ein gleiches Zielbild haben und sich gemeinsam dafür engagieren (Fullan, 2007). Als Promotoren im „Change-Prozess“ sieht Fullan auf Lehrerseite die Übernahme der Argumente und das nötige Know-How als fundamentale Grundlage, um die nötige Energie aufzubringen, den Status Quo zu ändern. Kontraproduktiv sind unklare Situationen, zu viel Arbeit und geringe Effektivität. Weitere Hemmnisse für eine Innovation der schulischen Praxis stellen schulorganisatorische Rahmenbedingungen, wie die Fächertrennung und der 45-min-Takt dar, weil sie sich mit einer konstruktivistischen Unterrichtspraxis nur schwer in Einklang bringen lassen (Schaumburg, 2003).

28.5

Ausblick

Wie wird es mit dem Internet in der Schule weitergehen und welche Empfehlungen lassen sich für die Integration des Internet in den Unterricht aus dem bisherigen Forschungsstand ableiten? „Media will never influence learning“ war die These von Richard Clark (1994) in der berühmten Debatte mit seinem Kollegen Robert Kozma um die Bedeutung von Medien für die Veränderung von Lernprozessen. Wir teilen die Position von Richard Clark nicht, sondern schließen uns Bob Kozma an, dass Computer und Internet das Potenzial zur Veränderung von Lernprozessen in Richtung auf aktives und kommunikatives Lernen innewohnt. Wir sind der Auffassung, dass dieser Veränderungsprozess bereits begonnen hat. Computer und das Internet sind aus dem Alltag heutiger Schüler nicht mehr wegzudenken und werden in Zukunft auch immer stärker Eingang in die Schule finden. Allerdings sehen wir eher einen schleichenden Wandel, als einen radikalen Bruch mit althergebrachten Unterrichtskonzepten und -praktiken. Damit dieser Wandel vorangebracht und vor dem Versanden bewahrt wird, müssen – darauf deuten die Ergebnisse unserer eigenen und vieler anderer Studien hin-, jedoch einige Bedingungen gegeben sein: Das Vorhandensein und Funktionieren der Technik ist eine Grundvoraussetzung für die erfolgreiche Integration von Computer und Internet in den Unterricht. Gibt es zu wenige Computer und Internetzugänge, bzw. funktionieren diese nicht zuverlässig, führt dies zu mangelnder Akzeptanz und Frustration bei Schülern und Lehrern und schließlich dazu, dass Computer und Internet kaum oder gar nicht mehr genutzt werden. Deswegen müssen Schulen in ausreichender Zahl mit Hardware ausgestattet und für ein zuverlässig funktionierendes, leistungsstarkes Netzwerk gesorgt werden. Treten doch einmal Probleme auf, ist zeitnahe und kompetente Hilfe unabdingbar. Hierfür hat sich eine verzahnte externe und interne Support-Struktur bewährt, bei der Wartungs- und Supportaufgaben auf mehrere Schultern verteilt werden. Ein solches gestuftes Supportsystem wurde bereits von Breiter et al. (2003) für die Wartung der IT-Infrastruktur von Schulen vorgeschlagen.

366

28 Online-Lernen in der Schule

Neben dem Funktionieren der Technik ist eine weitere Voraussetzung für die Integration neuer Medien, dass sie in der Schulorganisation und Unterrichtsgestaltung verankert wird und von allen Beteiligten die notwendige Unterstützung erhält. Hier spielt die Schulleitung eine Schlüsselrolle, die sich z. B. dafür einsetzen muss, dass die Schule pädagogische Grundsätze für die Medienarbeit und ein Medienkonzept erarbeitet, technische und pädagogische Fortbildungen anbietet und die Lehrkräfte zur Kooperation, z.B. durch Lehrerarbeitsgruppen untereinander anregt. Schließlich brauchen Lehrerinnen und Lehrer Zeit, um Ideen und Konzepte für den Medieneinsatz unter den jeweils an ihrer Schule gegebenen Rahmenbedingungen zu entwickeln und Freiräume, um den Medieneinsatz mit ihren Schülern zu erproben, um den Unterrichtsstil möglichst gemeinsam mit den Kollegen zu verändern. Nur wenn die Lehrkräfte die Erfahrung machen, dass sich der Einsatz von Medien – speziell des Internet – im Unterricht im Verhältnis von Arbeitsaufwand und pädagogischem Erfolg „lohnt“, werden sie diese auf Dauer in ihre Unterrichtsgestaltung integrieren. Dabei wächst mit zunehmender Einsatzdauer das Vertrauen in ihre eigene Kompetenz und in die Kompetenzen der Schüler. Erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann die Medienintegration eine tiefgreifende und nachhaltige Innovation von Unterricht bewirken.

29

Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

Jesko Kaltenbaek

Im nachfolgenden Artikel werden die Veränderungen in der Hochschullehre in Abhängigkeit von medientechnischen Revolutionen dargestellt und die Kennzeichen einer modernen „eUniversity“ sowie die spezifischen Anforderungen an einen Hochschuldozenten im Web 2.1 expliziert. Auf eine Erläuterung der Begriffe E-Organisation, E-Information, E-Distribution, E-Kommunikation und E-Kooperation folgen Beispiele für Blended Learning- und E-Tutoring-Szenarien. Zusätzlich wird der derzeitige Medieneinsatz in Hochschulen, Hochschulverbünden und bei Fernunterrichtsanbietern skizziert. Abschließend findet der Leser Internetadressen von überwiegend kostenfreien online Informations- und Lernangeboten sowie von Web-Portalen für weitere aktuelle Informationen zur Online-Entwicklung der Hochschulen. Schlüsselbegriffe: Blended Learning, Change-Management, E-Distribution, E-Information, EKommunikation, E-Kooperation, E-Learning, E-Organisation, E-Tutor, eUniversity, Fernstudium, Fernunterricht, Geschichte, Hochschule, Hochschulverbünde, Lehren, Lernen, Online, Open Educational Resources, Präsenzlernen, Printlernen, Video, Web 2.0, Web 2.1

368

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

29.1

Hochschulen im Wandel

29.1.1

Einführende Überlegungen

Die globale wissenschaftliche Informationsproduktion beschleunigt sich zusehends. Demgegenüber steht eine kontinuierliche Verkürzung der Halbwertszeit des persönlichen Wissens verbunden mit einem zunehmenden Wechsel von Lern- und Arbeitsphasen. In den öffentlichen Medien begegnen uns Begriffe wie lebenslanges Lernen, learning-just-in-time, learning-just-in-place oder learning-ondemand. Die evidente, oft regelrecht erschlagende Fülle an akademisch bedeutsamen Informationen, die über traditionelle Print-Publikationen, Vorträge und Diskussionen, aber gerade auch über ein sich dynamisch-explosiv entwickelndes Internet transportiert wird, als auch die rasante Entwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien sowie von Software- und Webapplikationen spiegelt sich wider in einem Strukturwandel an den Hochschulen sowie den allgemeinen Lehr-, Lern- und Arbeitskulturen (Aceto, Delrio & Dondi, 2007). Joel Smith, Leiter der Informationstechnologie der Carnegie Mellon Universität der USA, beschreibt diesen Wandel folgendermaßen: „[…] this kind of change in higher education is unprecedented. We should not be surprised to find management strategies and structures that have endured for hundreds of years in academe to be less than optimum under these circumstances“ (Smith, 2007, S. 134). Zwei Zustände kennzeichnen die momentane Bildungssituation: Erstens ist ein Großteil des Wissens der Menschheit mittlerweile elektronisch fixiert und durch Vernetzung sowie über mobile Endgeräte weltweit abrufbar. Zweitens wird von Bildungsexperten seit Jahrzehnten gefordert, Lernangebote lernerzentriert, selbstbestimmt, bedarfsgerecht, situiert-komplex, konstruktivistisch, perturbativ, authentisch, handlungsorientiert, problem- und projektbasiert, praxisnah, sozial, diskursiv, kommunikativ, kooperativ, multiperspektivisch, gecoacht etc. zu gestalten. Dennoch ist unsere Lern- und Bildungskultur weiterhin „geprägt durch die Vorstellung der Bildung des Individuums durch den Dialog mit einem Lehrer, der als umfassend gebildete Person der Vermittler des gesellschaftlich akkumulierten Wissens ist, während der Lernende aus einer eher passiven Position heraus die präsentierten Wissensinhalte unter sachkundiger Anleitung und Erfolgskontrolle kritisch aufnimmt und bearbeitet“ (Zimmer, 2002, S. 302). Der Interneteinsatz im Bildungsbereich kann „bereichernd und faszinierend, aber auch […] unbefriedigend und frustrierend“ (Döring, 2002, S. 247) sein. Jedoch führen verfügbare Informationen alleine weder zum Lernen noch zu Wissen, sondern stellen lediglich eine (wenn auch sehr wertvolle) Ressource hierfür dar.

29.1.2

Hochschulen von der Antike bis heute

Wie hat sich die Hochschule in Abhängigkeit von der Medienentwicklung verändert? An dieser Stelle soll ein skizzenhafter Überblick erfolgen. In der vorschriftlichen Zeit war in den Hochkulturen das Mentoren-System weit verbreitet. Zu Beginn der Hochschulentwicklung in der Antike vor über 2000 Jahren („akademische Bildungszentren“, z. B.

29.1 Hochschulen im Wandel

369

Akademie von Plato in Athen; das Museion in Alexandria) war man fast ausschließlich auf die mündliche Distribution von Informationen angewiesen. Für Notizen und Übungen (z. B. Hausaufgaben) wurde jedoch schon damals oft eine Wachstafel (Diptychon) verwendet. In der Renaissance der Hochschulen ab dem 8. Jahrhundert (z. B. die Universität von Konstantinopel, die Azhar-Universität in Kairo und die Universität von Bologna, die als erste „richtige“ Universität Europas gilt) standen handgeschriebene Bücher und Manuskripte zur Verfügung. Zur gleichen Zeit kam es zu einer gewissen Öffnung der Kloster- und Domschulen, die als „scholae publicae“ zahlreiche auswärtige Schüler an sich zogen. Die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern durch Gutenberg um 1450 ermöglichte die relativ kostengünstige Vervielfältigung von Informationen. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts kam, angestoßen von der Gründung der Berliner Universität durch Wilhelm von Humboldt, als zweiter Schwerpunkt von Universitäten neben dem Sammeln, Ordnen und Vermitteln von Wissen der Bereich Forschung verstärkt hinzu. Weltweite Nachahmung fand Humboldts Ansatz, dass Hochschullehrer nicht mehr „unterrichten“, sondern in Freiheit von Lehrplanzwängen mit ihren Studenten „forschen“ sollten. Seit dieser Zeit erfreuten sich Seminare in Ergänzung zu Vorlesungen immer größer werdender Beliebtheit (Voss, 2002). Eine erste mediendidaktische Revolution der Lehre stand mit der Einführung von einfachen Kopiergeräten in Hochschulen in den 1980er Jahren an. Nun war die Anfertigung von Manuskriptkopien und Overhead-Folien auf schnelle und relativ kostengünstige Art und Weise möglich. Die davor fast 100 Jahre lang populären „Lichtpausen“/„Blaupausen“ mittels Hektographie/Ormig dienten aufgrund des aufwändigen Verfahrens meist lediglich der Vervielfältigung von Übungsblättern und Kurzzusammenfassungen. Dia- und Filmvorführungen wurden durch Videopräsentationen ersetzt. Das ZDF schmiedete sogar Pläne für die Gründung einer Fernsehhochschule. In dieser Zeit verdrängten Videopräsentationen zunehmend auch Dia- und Filmprojektorvorführungen. Anfang der 1990er Jahre begann schließlich der Einzug von Multimedia und E-Mail an den Hochschulen; ab 1994 kam das WorldWideWeb hinzu. Auch in Deutschland wurden einige virtuelle Hochschulen gegründet. Seit Mitte der 1990er Jahre wurden auch verstärkt Computerprogramme zur Präsentation von Texten und Bildern eingesetzt; allen voran MicrosoftTM PowerpointTM. Die Gründung etlicher virtueller Hochschulen um die Jahrtausendwende stimulierte die Diskussion, ob der Einsatz von Multimedia und Internet zu Innovationen und Effizienzsteigerungen innerhalb der traditionellen Hochschule führen oder die Alma Mater durch Virtuelle Hochschulen verdrängt werden würde (vgl. Issing & Stärk, 2002). Etwa ab 2002 begannen die Hochschulen ihr WLAN-Netz auszubauen, ehe im Jahr 2003 schließlich der Web 2.0-Hype startete. Was bedeutet die zwischenzeitliche Entwicklung der Web 2.0-Technologie nun für die deutschen Hochschulen mit derzeit etwa 2 Millionen Studierenden und ca. 250.000 Hochschuldozenten (Daten: Statistisches Bundesamt, Stand 2008) sowie für die ca. 8800 grundständigen Studienangebote (v. a. Bachelor, Diplom, Lehramt und Magister) und die über 4000 weiterführenden Studienangebote (v. a. Diplom und Master) (Daten: Hochschulkompass, Stand 2008)? Klaus Haefner, emeritierter Universitätsprofessor für angewandte Informatik an der Universität Bremen und einer der Pioniere für computerunterstütztes Lernen, prognostizierte 2002 für die Zukunft des Bildungswesens: „Die Zukunft von Bildung und Ausbildung wird nicht vom Bildungswesen selbst, sondern ausschließlich im Diskurs mit einer sich zunehmend informationstechnisch und multimedial ausrüstenden Gesellschaft bestimmt werden!“ (Haefner, 2002, S. 492). Bernd Kleimann von der Hochschul-Informations-Systems GmbH (HIS) sowie Ulrich Schmid von der Multimedia Kontor Hamburg GmbH (MMKH) konstatieren im Fazit einer groß angelegten Studie, in der im Jahr 2006 Rektorate und Präsidien aller deutschen Hochschulen befragt wurden, dass sich die deutschen Hochschulen „auf dem Weg zur E-Readiness“ befän-

370

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

den (Kleimann & Schmid, 2007, S. 194). So hat bspw. im April 2008 die Universität Hamburg als erste deutsche Hochschule eine eigene Insel in der virtuellen 3D-Welt Second Life eröffnet.

29.2

Kennzeichen der eUniversity

Die eUniversity zeichnet sich durch eine vielfältige Nutzung elektronischer Medien zur Unterstützung administrativer, informationeller, distributiver, kommunikativer, kooperativer sowie lern- und forschungsspezifischer Prozesse aus (vgl. Keil, Kerres & Schulmeister, 2007). Aber was bedeutet das „e“ inhaltlich eigentlich? Die Begriffsvielfalt hat im Bereich des Lernens mit Computer und Internet geradezu beeindruckende Dimensionen erreicht (Back, Bendel, Stoller-Schai, 2001; Kaltenbaek, 2003). Mittlerweile sind weit über 100 – von einigen Autoren teils synonym, teils antonym verwendete – Begriffe im Umlauf. So wird manchmal E-Learning mit Online-Lernen gleichgesetzt. Für eine wissenschaftlich differenzierte Analyse wird folgende Unterscheidung vorgeschlagen: • • •

E-Learning: Lernen unterstützt durch elektronische Medien (v. a. Computern) in Offline- und Online- (netzgestützten) Settings Präsenzlernen: Lernen in direktem face-to-face (f2f) Kontakt Printlernen: Lernen mit Hilfe von gedruckten Texten.

Lernen, Wissensaufbau und -strukturierung lässt sich durch eine Triangulation von Medien, situativen und personalen Rahmenbedingungen (inkl. extrinsischer und intrinsischer Lernmotivation) sowie den eigentlichen Lerninhalten optimal fördern (vgl. etwa Fricke, 2002; Strittmatter & Mauel, 1997). Den Schnittpunkt des so aufgespannten „E-didaktischen Dreiecks“ bilden die jeweiligen Ziele und die damit verbundene Didaktik: So eignen sich bestimmte Medien zur Erreichung von bestimmten didaktischen Zielen besser als andere. Dies trifft sowohl für offizielle Bildungsziele und die Lehrziele der Dozenten als auch auf die Ziele der Lerner zu. Schließlich sind zur Zielerreichung auch Entscheidungen über Art, Umfang, Struktur, Qualität, Aufbereitung und Bearbeitung der Lerninhalte zu treffen. Bei lern- und medienkompetenten Studierenden liegt dem im Idealfall ein diskursiver dynamischer Prozess zu Grunde. Gegenüber dem traditionellen „Didaktischen Dreieck“ (Schüler, Lehrer, Inhalte) stehen im Edidaktischen Dreieck Lernende und Dozenten (Tutoren, Guides) näher beisammen, die Medien bilden hierbei einen explizit wichtigen Bestandteil und die jeweiligen Lern-Inhalte sind weiter ausdifferenziert (Abb. 29.1).

29.2 Kennzeichen der eUniversity

Abb. 29.1:

371

E-Didaktisches Dreieck: Student-Dozent, Inhalte, Medien

Was dies für das Lernen und Lehren bzw. die „Lern- und Informationsumgebung“ an Hochschulen bedeutet, soll im Folgenden näher erläutert werden (vgl. Schott, Grzondziel & Hillebrandt, 2002). Dabei wird von der Prämisse ausgegangen, dass ohne passende Applikationen/Tools sich bestimmte Lern- und Informationsformen entweder gar nicht oder zumindest nicht optimal umsetzen lassen. Auf der anderen Seite helfen die modernsten und besten Technologien nicht, wenn deren Einsatz keine auf lernpsychologischen, inhaltsdidaktischen und betriebswirtschaftlichen Prinzipien und Forschungsergebnissen aufbauenden didaktischen Konzepte zu Grunde liegen (Multimedia-/Online-Didaktik, siehe die Artikel von Issing sowie Schulz-Zander und Tulodziecki, in diesem Band). Für die effiziente und bereichernde Ausschöpfung der sich bietenden vielfältigen Gestaltungsspielräume in Hinblick auf die Erzielung eines didaktischen und ökonomischen Mehrwerts wird von einem Interdependenzverhältnis von technischen, inhaltlichen und personalen Voraussetzungen und Zielen ausgegangen. E-Learning ist jedoch lange nicht das einzige Feld, in dem sich Online- und Offline-Medien in Hochschulen gewinnbringend einsetzen lassen. Der „didaktische Vorteilskreis“ bildet fünf didaktisch wertvolle Attribute des Internet ab: die Möglichkeit einer multimodalen und multicodalen Reichhaltigkeit (unterschiedliche Darstellungsformen von Informationen und Prozessen); die Nutzung von technischen, inhaltsbezogenen und sozialen Interaktivitätspotenzialen; die generelle Flexibilität (Adaptions- und Adaptabilitätsfähigkeit) und Re-Usability (Wiederverwendbarkeit, Modularität) in Bezug auf Inhalte sowie die globalen Distributions- und Zugriffsmöglichkeiten (vgl. Issing & Kaltenbaek, 2006). Diese „big-five“-Eigenschaften der modernen „E-Science“ bieten die Basis für die Anwendungsbereiche EOrganisation, E-Information, E-Distribution, E-Learning-Inhalte, E-Kommunikation und -Kooperation

372

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

sowie Blended Learning auf der Makroebene (Hochschul-Politik, -Management, -Administration, generelles Studiums- und Weiterbildungsangebot, Forschung, Service), der Mesoebene (einzelne Kurse, Veranstaltungen) sowie der Mikroebene (Studierende, Dozenten, Verwaltungs- und Servicemitarbeiter).

Anwendungsbereich E-Organisation

E-Information

E-Distribution

E-Learning-Inhalte

E-Kommunikation und -Kooperation

Einsatzbeispiele für die Nutzung des Internets auf den 3 Ebenen Erfüllung administrativ-logistischer Anforderungen • Makroebene: Studierenden-, Personal-, Haushalt- und Drittmittelverwaltung, Raum- und Veranstaltungsmanagement, Bibliotheksdienste, CMS (Dokumentserver, Video/Streaming-Server), LMS, Immatrikulation, Rückmeldung, Prüfungsanmeldungen • Mesoebene: Einschreibung in Kurse, Anmeldung zu Prüfungen, Beschränkung von Zugriffsrechten, Bildung von Gruppen, Sammlung von Materialien und Links (bspw. über social bookmarking tools oder community-/peer-tagged content collections), Vernetzung von Inhalten (bspw. über social mindmapping tools) • Mikroebene: persönliche Materialien- und Linksammlungen, MindMaps; persönlich relevante Informationen, Organisation, Zeitplanung, E-Portfolios Informationen und Ankündigungen • Makroebene, wissenschaftliche Disziplinebene: Vorlesungsverzeichnis, Fachportale, Aktivitäten im Arbeitsbereich, im Fachbereich, in der Fakultät und in der Hochschule z. B. mit der Zielgruppe Studiumsaspiranten und Alumni (bspw. über RSS), Marketing & PR • Mesoebene: Semesterplan, Teilnahmevoraussetzungen, Teilnehmerlisten, Erwartungen, aktuelle Ankündigungen, kursrelevante Nachrichten, Hinweise, Surveys (Umfragen) • Mikroebene: aktuelle individuelle Informationen per E-Mail/Newsletter, RSSFeed, Podcast, Vidcast schnelle und kostengünstige Verteilung und Verbreitung • Makroebene: lizenzierte Volltexte, Sammlung und Strukturierung von Lern- und Informationsangeboten im CMS/LMS, Tagungs-/Workshop-Beiträge • Mesoebene: Kurs-Materialien in Form von Skripten und sonstigen Texten („EReserve“), Grafiken, Präsentationen, Übungen, Applets; eingescannte Artikel aus Büchern, Zeitungen oder Zeitschriften (gemäß §52a UrhG vgl. Kreutzer, 2007; Schulze & Gruber, 2007) • Mikroebene: Aufgabenbeantwortung, individuelles Feedback didaktisch aufbereitete Lerninhalte (Experten unterscheiden hier unterschiedliche Formen der Interaktivität und spalten diesen Bereich weiter auf. Einfache Formen sind Drill- und Practice-Programme, Videos von Experimenten, Vorgängen oder Vorlesungen (sog. „Lecture-on-Demand (LoD)“ oder „eLecture“) soweit diese didaktisch präsentiert oder aufbereitet sind. Komplexer sind bspw. tutorielle Systeme mit hoher technischer und sozialer Interaktivität) • Makroebene, wissenschaftliche Disziplinebene: Sammlung von grundlagenwissenschaftlichen Inhalten (Literaturrecherche, wissenschaftliches Arbeiten, Statistik, Aufbau und Struktur von Hochschulen etc.), OER, E-Knowledge-Management • Mesoebene: Lernmodule passend zu den Kursinhalten zur Vor- und Nachbereitung, Assessments, Prüfungen • Mikroebene: tutorielle Unterstützung, individuelle Zusammenstellung von Lerneinheiten, Online-Lerneinheiten mit Übungen, Interaktionen und Tests sozialer Austausch über asynchrone und synchrone Tools • Makroebene, wissenschaftliche Disziplinebene: Forschungsprojekte, Planung, Informations-Webblogs der Hochschule, Lehrveranstaltungsevaluation, interdiszi-

29.3 Blended-Learning-Szenarien

Blended Learning

29.3

373

plinäre und hochschulübergreifende Zusammenarbeit, peer-reviewing, community/peer-tagging • Mesoebene: Veranstaltungsplanung, Televorlesungen (livestream oder als LoD), problem- und projektorientierte Seminare (bspw. unterstützt durch Newsgroups, Foren, Wikis), CSCL/CSCW (bspw. über Rich Internet Applications, online groupware office suites, virtual classroom systems) • Mikroebene: Fragen, Diskussionen, Feedback (bspw. über Web-Foren, WebChats, Instant Messaging, Audio/Video-Konferenzen) Verknüpfung von E-Learning mit Präsenzlernen und Printlernen, wobei die Anteile frei bestimmt werden. Ein gängiger Alternativterm ist hierfür auch „hybrides Lernen“. • Makroebene, wissenschaftliche Disziplinebene: hochschulübergreifende Einführungskurse, Kurse zu wissenschaftlichem Arbeiten, Mitarbeiterschulungen, Graduiertenförderung • Mesoebene: Kombination von gedruckten Büchern/Skripten mit Online-Lernmedien und/oder CBTs • Mikroebene: persönlicher Mix von individuell passenden Lernangeboten (LoD, Live-Besuch von Präsenzveranstaltungen, gedruckte Bücher, Lesen am Computer, etc.)

Blended-Learning-Szenarien

Die Bereitstellung von Lernanreizen und die Durchführung von Wissenskontrollen stellen Kernaufgaben von Hochschulen dar. Welche medialen Möglichkeiten zur Informationsdistribution stehen dem Dozenten von heute zur Verfügung? 1.

2.

3. 4. 5. 6.

Gesprochene Sprache im face-to-face Kontakt stellt zwar die älteste, wenngleich aber wirkungsvollste und am weitesten verbreitete Art für Informationsübermittlung und Diskussionen an Hochschulen dar. Sie wird eingesetzt in Vorlesungen, Seminaren, Diskussionsgruppen, Workshops, Übungen und Praktika. Besonders Sprache im direkten persönlichen Kontakt unterstützt durch Mimik, Gestik und Körperhaltung ist in der Lage, extreme emotionale Bindungen zu erzeugen (Involvement). Besonders in naturwissenschaftlichen und mathematischen Studiengängen wird noch auf die traditionelle Kreidetafel (die sich auch noch in nahezu allen Vorlesungs- und Seminarräumen an Hochschulen befindet) zurückgegriffen. Zuweilen ist sie durch Whiteboards ersetzt worden, die aber im Vergleich zur Kreidetafel teurere Spezialstifte erfordern. Whiteboards und Kreidetafeln sind einfache passive Systeme, die sich durch Spontaneität, didaktische Transparenz (über die schrittweise Entwicklung von Informationen) sowie ein hohes Kontrastverhältnis auszeichnen (Apperley & Masoodian, 2000). Der Dozent kann auf Bücher hinweisen oder gedruckte Skripte bzw. Kopien ausgeben. Neben Texten spielen hier auch Zeichnungen, Diagramme und Bilder eine große Rolle. Als Alternative stehen Overhead-Folien zur Verfügung. Diese können entweder schon fertig vorbereitet sein oder aber in der Veranstaltung per Hand entwickelt bzw. vervollständigt werden. Eine weitere Variante besteht im Vorführen von Dias oder Videos mit lernrelevanten Inhalten. Mittlerweile hat sich ein System an Hochschulen etabliert, das aus einem Computer, einem DatenProjektor („Beamer“) und einer Präsentationssoftware (wie z. B. Microsoft PowerPointTM oder OpenOffice ImpressTM) besteht. Mit Hilfe dieser Apparatur werden vorbereitete Folien präsentiert.

374

7.

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule Im Vorfeld, parallel oder auch im Anschluss an die Veranstaltung können Kopien der Folien ausgegeben oder aber im Internet zur Verfügung gestellt werden. Seit Anfang des Jahrtausends wurde mehrfach versucht, Interactive Whiteboards (mit einem Computer verbundene weiße Spezialtafeln, in denen die Schrift ähnlich wie auf einem panel display elektronisch erzeugt, aber in Tafelgröße projiziert wird) sowie Tablet-PCs in die Hochschullehre zu integrieren.

Im Hochschulkontext bietet Blended Learning als Sammelbegriff für unterschiedliche Modelle der Integration von Präsenz-, Print- und E-Learning (vgl. etwa Bonk & Graham, 2006) so eine Vielzahl an Kombinationsmöglichkeiten (Abb. 29.2).

Abb. 29.2:

Blended-Learning-Würfel: Kombinationsmöglichkeiten von Präsenz-, Print- und E-Learning

Aber nicht nur bei der Medienauswahl, sondern auch bei der Kurs- und Studienkonzeption können verschiedene Blended-Learning-Modelle zum Einsatz kommen. Als Beispiel seien sieben Modelle zur Abbildung des sich hieraus entfaltenden Kontinuums aufgeführt: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

reine Präsenzangebote Präsenz-Lernangebote mit rein organisatorischen Online-Informationen Präsenz-Lernangebote mit optionalen, ergänzenden E-Learning-Materialien Präsenz-Lernangebote mit obligatorischen E-Learning-Materialien (z. B. zur direkten Vor- und Nachbereitung) Blended-Learning-Szenarien mit Präsenz- und Online-/E-Learning-Phasen teil-virtuelle Lernangebote mit Präsenz-Abschlussprüfung voll-virtuelle Lernangebote

Das Modell 2 kommt beispielsweise beim Einschreiben in Kurse und zur Online-Stellung von Seminarplänen und Literaturlisten zum Einsatz. Kursangebote, die die Modelle 3 und 4 verfolgen, sind an Präsenzhochschulen mittlerweile reichlich vorhanden. In der Regel verfolgen 10–80 % der Kurse an

29.4 Aktuelle Situation an deutschen Hochschulen

375

Hochschulen derzeitig diese Ansätze. Modell 5 und 6 finden sich hingegen bislang an deutschen Universitäten noch relativ selten (eine Ausnahme bildet die Virtuelle Universität Bayern, vhb). Fachhochschulen zeichnen sich vergleichsweise durch eine weitaus größere Aktivität aus. Diese zwei Modelle eigenen sich jedoch nicht für Studieninhalte, die besondere, d. h. im Privathaushalt normalerweise nicht vorhandene, Gegenstände oder Bedingungen erfordern (z. B. echte natur- oder sozialwissenschaftliche Experimente und Versuche, physische Übungen und Untersuchungen, Bearbeitung von physischen Materialien, komplexe soziale Prozesse etc.). Nachfolgend soll eine kleine Auswahl an möglichen Einsatzszenarien für Online-Medien im LehrLern-Kontext beschrieben werden. Dabei geht es nach Kerres und Jechle (2002) „letztlich darum, die Vorteile möglicher Varianten so zu verknüpfen, dass pädagogische Ziele ebenso wie Kriterien der Effizienz so weit wie möglich erreicht werden können“ (ebd., S. 281). Eine Vielzahl von konkreten Praxisbeispielen findet man bspw. bei www.e-teaching.org. 1.

Der Computer wird in der Lehrveranstaltung zu Demonstrations- und/oder Präsentationszwecken (z. B. PowerPoint-Präsentationen) verwendet. 2. Über das Internet/Intranet werden die in der Lehrveranstaltung gezeigten Folien und Präsentationen zum Download angeboten. 3. Den Studierenden stehen Zusatzmaterialien im Internet/Intranet (z. B. Texte) zur Verfügung, die die Lehrveranstaltung inhaltlich ergänzen. 4. Ergänzend zur Lehrveranstaltung wird ein E-Learning-Programm angeboten. 5. Am Anfang des Semesters bearbeiten die Studierenden Lernmodule am Computer, in denen inhaltliche Grundlagen präsentiert werden. Danach findet die Lehrveranstaltung vor Ort statt, wobei auf den gelernten Grundlagen aufgebaut wird. 6. Es findet keine Lehrveranstaltung vor Ort statt. Den Studierenden stehen Lernmaterialien gedruckt oder elektronisch zur Verfügung. Die Studierenden werden über Computer durch Tutoren und Dozenten online betreut. 7. In der Lehrveranstaltung werden Lerninhalte abwechselnd in Sitzungen vor Ort und in OnlineSitzungen präsentiert. 8. Die Lehrveranstaltung wird auf Video aufgenommen. Die Studierenden können die Veranstaltung von überall her über das Internet mitverfolgen oder sich später anschauen (Teleteaching, LoD). 9. Im Internet werden prüfungsrelevante Aufgaben und Fragen veröffentlicht. 10. Die im Rahmen der Lehrveranstaltung abzulegenden Prüfungen finden unter Aufsicht am Computer statt.

29.4

Aktuelle Situation an deutschen Hochschulen

29.4.1

Medieneinsatz in der Lehre an Präsenzhochschulen

Seit der Kritik durch Glowalla und Häfele (1997) über die unzureichende Computerausstattung an deutschen Hochschulen vor über 10 Jahren hat sich viel getan. Mittlerweile stehen in allen Hochschulen gewöhnlich ausreichend viele Computer für Studierende zur Verfügung. Von 1995 bis 2003 wurden einzelne technisch und didaktisch oft äußerst aufwändige E-Learning-Großprojekte gefördert, die als

376

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

„Leuchttürme“ dienen sollten. Zusätzlich wurden eine Großzahl von Einzelaktivitäten zur ContentErstellung mit dem Ziel einer sich verselbstständigenden „kritischen E-Learning-Masse“ unterstützt (Kerres & Stratmann, 2007; vgl. auch die im Beitrag von Igel in diesem Band genannte Literatur). Lern-Management-Systeme fanden ihre Verbreitung in Hochschulen kurz nach der Jahrtausendwende. 2006 war ein Funknetzwerk in 53 % der Hochschulen bereits in einzelnen Bereichen installiert. 32 % verfügten sogar schon über ein hochschulweites Netz (Kleimann & Schmid, 2007). Mittlerweile besitzen und nutzen nahezu 100 % der Hochschuldozenten und -studierenden eine eigene E-Mail-Adresse. Etwa 60 % der Dozenten stellen Informations- und Lernmaterialien ergänzend zu ihren Präsenzveranstaltungen zur Verfügung. Nahezu jede Hochschule in Deutschland, wie auch in den übrigen Industrienationen, verfügt sowohl über eine Lernplattform (mit einem deutlichen Trend zu Moodle) als auch ein E-Learning-Zentrum, das für die Implementierung und Administration von technischen Systemen, Lern- und Kurs-ManagementSystemen sowie weiteren Webapplikationen, den Support und die e-didaktische Beratung zuständig ist. Nach einer Befragung des Multimediakontors Hamburg und der Hochschul-Informations-System GmbH 2006 haben bereits 27 % der befragten Hochschulen computergestützte Prüfungen im Einsatz, 22 % planen eine Implementierung. Auch die Alumni-Kontaktpflege wurde nach US-Amerikanischem Vorbild in den letzten Jahren weiter ausgebaut. Nach eigenen Angaben verfügten 2006 44 % der Hochschulen über webbasierte Alumni-Services; 30 % planten entsprechende Dienste (Kleimann & Schmid, 2007). In jüngster Zeit sind im Zuge des Erfolgs der Videoplattformen und des internetgestützten Fernsehens eine große Anzahl an Initiativen für Lecture on Demand (LoD) ins Leben gerufen worden. Dabei können mehrere Ansätze unterschieden werden: 1.

2.

3.

Plattformen zur Präsentation der Inhalte (z. B. die youtube University Channels, die itunes U, die Rapid-E-Learning-Tools Apreso Classroom in Verbindung mit der Plattform echo360, lecturnity in Verbindung mit slidestar) Verlinkungsportale, die das Internet nach vorhandenen Bildungsvideos scannen und eine durchsuch- und sortierbare Linkdatenbank anbieten (z. B. yovisto, listeningtowords, world lecture project) Hochschulportale, die eine zentrale LoD-Sammlung bestimmter Hochschulen bzw. Hochschulverbünde anbieten (z. B. podcampus der Hamburger Universitäten, tele-task des Hasso-PlattnerInstituts der Universität Potsdam, das Video-Archiv der digitalen Bibliothek Thüringen, die TeleTeaching Initiative der Universität Trier)

Televorlesungen im Sinne von Live-Übertragungen zwischen mehreren Veranstaltungsorten (meist als broad-cast video) wurden 2006 etwa von 30 % der Hochschulen eingesetzt. Dabei war die Nutzung an Universitäten mit 56 % gegenüber Fachhochschulen (19 %) deutlich ausgeprägter (Kleimann & Schmid, 2007). Internetbasierte Angebote zeichnen sich im Wissenschafts- und Bildungsbereich im Allgemeinen durch eine außerordentliche Kurzlebigkeit aus. In den vergangenen Jahren wurde in eine Vielzahl von Projekten viel Zeit, Geld und Engagement investiert. Aufgrund von eingesetzter unflexibler, veralteter Technik sowie auslaufenden Mittelallokationen fanden die teilweise hervorragend aufbereiteten Inhalte leider selten nachhaltigen Einsatz in Lehre und Forschung. Oft handelte es sich dabei um Projekte, die von einzelnen Personen im Rahmen besonderer Förderungen maßgeblich getragen wurden, bei denen

29.4 Aktuelle Situation an deutschen Hochschulen

377

eine hinreichende Institutionalisierung jedoch ausblieb. Wechselte die Person ihren Interessen- bzw. Arbeitsschwerpunkt oder lief die Projektförderung aus, so war dies auch meist gleichbedeutend mit dem Ende des Einsatzes der entwickelten Lehr-Lernmaterialien. Bei aller Kritik sollte jedoch nicht vergessen werden, dass gewonnene Ergebnisse und Erfahrungen in vielen Universitäten als Basis für neue Projekte dienten (Kleimann, 2008). Diese zum Teil zumindest enttäuschende Entwicklung ist jedoch nicht nur in Deutschland zu verzeichnen, sondern kann durchaus weltweit verallgemeinert werden. Als prototypisches Beispiel für den abrupten Abbruch eines Projektes sei das MediaMOO herangezogen. Dabei handelt es sich um ein MOO-MUD, welches 1993 durch Amy Bruckman vom Media Lab des Massachusetts Institute of Technology (MIT) ins Leben gerufen wurde und zu seinen Hochzeiten 1996 über 1000 Experten aus dem Medienbereich zählte (Döring, 1997). Diese Plattform bildete die Grundlage für eine Vielzahl von Kolloquien und Konferenzen. Der letzte Eintrag auf der Web-Seite stammt jedoch von 200136. Eine Begründung für das plötzliche Ende kurz nach dem achten Geburtstag des Projekts findet sich nicht.

29.4.2

Fernunterricht (Fernstudium, Fernlehrgang) und Hochschulverbünde

Das Fernunterrichtsschutzgesetz (mit Stand 2005) definiert Fernunterricht („Distance Learning“) als „die auf vertraglicher Grundlage erfolgende, entgeltliche Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten, bei der der Lehrende und der Lernende ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt sind und der Lehrende oder sein Beauftragter den Lernerfolg überwachen“ (FernUSG § 1 Abs. 1). Nicht internetgestützt, aber noch immer weit verbreitet sind Studien-/Lehrbriefe, Funkkolleg (über Radio), Telekolleg (über Fernsehen) sowie Telecampus (Übertragung von Hochschulvorlesungen z. B. bei alpha-campus des Bayrischen Fernsehens). Als große traditionelle universitäre Fernstudienanbieter in Europa sind lediglich die FernUniversität Hagen (FU-Hagen) und die Open University zu nennen. Die FU-Hagen (aktiv seit 1975) ist die einzige staatliche Fernuniversität in Deutschland. Sie hat ca. 50.000 eingeschriebene Studierende, davon sind etwa 80 % berufstätig, 30 % absolvieren an der FU ein Zweitstudium. 1996 wurde die Virtuelle Universität der FU-Hagen ins Leben gerufen. In ihrer Datenbank sind derzeit über 2.300 Kurse hinterlegt. Die überwiegende Mehrzahl der Fakultäten nutzt Moodle. Die meisten studienrelevanten Materialien sind online verfügbar und werden nicht zugesandt. Die Open University (aktiv seit 1971 mit Sitz in England) zählt 150.000 internationale undergraduate und 30.000 postgraduate Studenten. 70 % der Studierenden im Grundstudium der Open University studieren berufsbegleitend neben einer Vollanstellung. 50.000 Studierende werden durch ihren Arbeitgeber beim Studium finanziell unterstützt. Sowohl die Open University wie auch die Fernuniversität Hagen verfügen über regionale Studienzentren, in denen Präsenzveranstaltungen stattfinden und die Prüfungen abgenommen werden. Als führend in postgradualen Angeboten gilt das seit 1992 aktive Distance and International Studies Center (DISC) der Technischen Universität Kaiserslautern. Die 16 Angebote (darunter 10 mit Masterabschluss) folgen einem Blended-Learning-Konzept mit einer Mischung aus Print- und E-Learning (unter Einsatz von

36

http://www.cc.gatech.edu/~asb/MediaMOO/, 7.5.08

378

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

Moodle und BlackboardTM) gekoppelt mit Präsenzveranstaltungen, welche in der Regel ein Mal pro Semester stattfinden. Lange Zeit haben sich Präsenzuniversitäten kaum am Markt der Fernstudienanbieter beteiligt. Sie traten allenfalls als Kooperationspartner auf. In den letzten Jahren ist jedoch eine stetig wachsende Anzahl an Fernstudienkurs- und Weiterbildungsangeboten zu verzeichnen. Nicht selten haben sich diese aus ELearning-Förderprojekten entwickelt. Fachhochschulen und Privatanbieter engagieren sich hingegen schon seit vielen Jahren intensiv und erfolgreich in diesem Feld. Insgesamt boten 2006 16 % der Hochschulen Online-Studiengänge an; bei genauso vielen waren diese in Planung (Kleimann & Schmid, 2007). Mittlerweile verfügen viele der größeren Universitäten und Fachhochschulen in Deutschland über ein eigenes Weiterbildungsangebot bzw. organisieren sich in (meist regionalen) Studienverbünden. Verbund Deutsche Gesellschaft für wissenschaftliche Weiterbildung und Fernstudium e.V. (DGWF) vormals Arbeitskreis Universitäre Erwachsenenbildung (AUE)

aktiv seit 1971

Institut für Verbundstudien der Fachhochschulen Nordrhein-Westfalens (IfVNRW)

1993

Zentralstelle für Fernstudien an Fachhochschulen (ZFH)

1996

oncampus

1997

Virtuelle Hochschule Bayern (vhb)

2000

Virtueller Campus Rheinland-Pfalz (VCRP)

2000

Tätigkeitsfelder und Besonderheiten Mit über 130 institutionellen und etwa 120 persönlichen Mitgliedern die relevante Interessenvertretung der wissenschaftlichen Weiterbildung in Deutschland besonders mit den 3 Sektionen: • seit 1994 Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaftliche Weiterbildung für Ältere (BAG WiWA) • seit 1995 Arbeitsgemeinschaft für Fernstudien an Hochschulen (AG-F) als Interessenverband von Fernstudienanbietern an Hochschulen in Deutschland und dem benachbarten Ausland • seit 2001 Arbeitsgruppe der Einrichtungen für Weiterbildung an Hochschulen (AG-E) zur Initiierung und Förderung von Forschung und Entwicklung zur Weiterbildung an Hochschulen Administration und Organisation des gemeinsamen Verbundstudienangebots, Studienberatung, Hochschulberatung sowie technischer und didaktischer Support für die beteiligten 7 Fachhochschulen; intensive Verknüpfung von hauptsächlich printbasiertem Selbststudium (Studienbriefe), Online-Kooperation und Präsenzstudium (z. B. jeden 2. Samstag 8 Stunden Vertiefung des Gelesenen) Förderung und Koordination der Entwicklung, Implementierung, Durchführung und Vermarktung von Fernstudiengängen an 13 Fachhochschulen der drei Länder Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland; Priorität des Einsatzes von Printmaterialien; hochschulspezifische Lernplattformen Angebot, Koordination, Weiterentwicklung und Vermarktung der im Rahmen des Projekts Virtuelle Fachhochschule (vfh) entwickelten Studiengänge der beteiligten 11 Fachhochschulen; kein Versand von Printmaterialien; allmählicher Umstieg von BlackboardTM auf Moodle Förderung, Beratung, Begleitung und Koordination von Entwicklung, Angebot, Einsatz und Vermarktung multimedialer Lehr- und Lernelemente an 20 Fachhochschulen und 11 Universitäten in Bayern sowie von Fernstudiumsangeboten; entwickelte Kurse stehen allen Studierenden an Bayrischen Hochschulen kostenlos zur Verfügung Initiierung, Koordination und Unterstützung von hochschulübergreifenden E-Learning-Aktivitäten an den beteiligten 5 Universitäten und 8 Fachhochschulen; Kombination von zentralen und dezentralen Supportstrukturen (Technik, Didaktik); zentraler Ansprechpartner für lokale Fernstudienzentren; keine Content-Produktion; neben dem zentralen LMS BlackboardTM kommen auch noch andere Systeme an

29.4 Aktuelle Situation an deutschen Hochschulen Verbund

aktiv seit

Multimedia Hochschulservice Berlin GmbH (MHSG) des Institut für Aus- und Weiterbildung gGmbH (itw) Virtuelle Saar Universität (VISU)

2000

Bildungsportal Thüringen

2002

eLearning Academic Network Niedersachsen (ELAN)

2002

MultimediaKontor Hamburg GmbH (MMKH)

2002

Agentur für wissenschaftliche Weiterbildung und Wissenstransfer (AWW)/Hochschulverbund Distance Learning (HDL) früher FVL Bildungsportal Sachsen GmbH (BPS)

2004

2001

2004

379

Tätigkeitsfelder und Besonderheiten den einzelnen Hochschulen zum Einsatz (u. a. Moodle) Unterstützung der beteiligten 4 Universitäten und 5 Fachhochschulen bei der Herstellung und Vermarktung von multimedialen Lehrinhalten, daneben eigene Entwicklungsprojekte und Hosting-Service der Lernplattform CLIXTM Unterstützung der Virtualisierung der saarländischen Hochschulen, Unterstützung bei der Entwicklung von Online-Bildungsangeboten, zentrale Lernplattform CLIXTM Bündelung und Vermarktung der wissenschaftlichen Weiterbildungsangebote (Weiterbildungskurse, Masterstudiengänge) der beteiligten 4 Universitäten und 5 Fachhochschulen und Unterstützung von Initiativen und Projekten im Bereich E-Learning Weg zwischen dem zentralen Ansatz der virtuellen Hochschule Bayern und dem dezentralen Ansatz aus Nordrhein-Westfalen: landesweite Vernetzung E-Learning-mitgestaltender Hochschulen unter einer übergreifenden Organisationsstruktur Koordination, Beratung und Unterstützung (technisch, didaktisch, finanziell) bei der IT-basierten Modernisierung der 6 Hamburger Hochschulen sowie Unterstützung bei der Produktion und Vermarktung von E-Learning-Angeboten (BlackboardTM wird vom zentralen Rechenzentrum allen Partnern angeboten, aber auch andere wie z. B. Stud.IP sind im Einsatz) Koordinierungs-, Betreuungs- und Beratungsservice zur Unterstützung der 27 Verbundhochschulen (Schwerpunkt Neue Bundesländer) und assoziierten Weiterbildungseinrichtungen bei der Initiierung, Entwicklung, Erprobung, Implementierung und Überarbeitung von Fern-Studienangeboten; hauptsächlich printbasierte Selbststudienangebote unterstützt durch E-Learning und Online-Betreuung Informations- und Serviceportal für 5 Universitäten und 5 Fachhochschulen in Sachsen; fachliche und strategische Beratung bei der Initiierung und Durchführung von E-Learning-Projekten; Hosting der Lernplattform OPAL (OLAT)

Daneben bieten weit über 300 staatlich zugelassene Anbieter Fernlehrgänge an. Diese müssen nach dem Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht (FernUSG) über eine Zulassung durch die staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) verfügen (ZFU & BIBB, 2008). Nahezu alle Anbieter von Fernstudien und -lehrgängen setzen auf eine Mischung aus gedruckten Lehrbriefen, Lehrbüchern, in Lernplattformen hinterlegten Inhalte, DVDs mit audiovisuellen Lehrsendungen und umfangreichen Studienmaterialien. Daneben wird auf persönliche Betreuung und auf den Kontakt zu anderen Studienkollegen großen Wert gelegt. Nach einer Befragung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) aus dem Jahr 2007 gehören netzgestützte Angebote für knapp 63 % der befragten Anbieter von Fernlehrgängen zum Kursprogramm (Fogolin & Schmitz, 2007). Dabei sind Präsenzphasen bei 86 % dieser Anbieter Teil des didaktischen Arrangements. Als Abschluss der Fernstudiengänge werden Bachelor, Master und Zertifikat angeboten. Fast alle Fernunterrichtsanbieter setzen Lernplattformen zur Organisation der Kurse und Distribution von Inhalten ein. Bezüglich der relativen räumlichen und zeitlichen Unabhängigkeit sowie des Lerntempos innerhalb der jeweiligen Kursabschnitte handelt es sich um offene Angebote. Ziele, Inhalte, Methoden und Erfolgskontrollen sind hingegen meist rigider vorgegeben als in klassischen Präsenz-Angeboten.

380

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

Nachfolgend einige Nutzungszahlen von Fernstudien- und Fernlehrgangsangeboten: Das Institut für Lernsysteme der Klett-Gruppe (ils) berichtet von rund 60.000 Teilnehmer jährlich. Die Angebote der Studiengemeinschaft Darmstadt (sgd) nutzen pro Jahr ca. 40.000 Fernschüler. Die beiden Letztgenannten bieten je über 200 Fernkurse an. In die Fachhochschule für Ökonomie und Management (FOM) sind nach eigenen Angaben über 10.000 Studierende eingeschrieben. Die AKAD-Fachhochschulen berichten von rund 8.500 Studierenden. Die Hamburger Fern-Hochschule (HFH) hat ca. 6.000 Studenten. In der Wilhelm-Büchner-Hochschule (Private Fernhochschule Darmstadt) studieren über 5.000 Fernstudenten. An der Europäischen Fernhochschule Hamburg (Euro-FH) sind etwa 2.500 Personen immatrikuliert.

29.5

Die (neuen) Rollen des Hochschullehrers im Web 2.1

Seit über 30 Jahren wird von Bildungsexperten gefordert, das traditionelle Bildungsverständnis von „einem Lehrer und seinen Schülern“ aufzugeben. Mutige, an konstruktivistischen Idealen orientierte Versuche führten jedoch in der Vergangenheit nicht selten zu Lernern, die sich durch das gigantischen Informationsangebot, die komplexen Rechercheanforderungen und die notwendige Organisations- und Strukturierungskompetenz überfordert sahen. Aus diesem Grund wurden bereits Ende der 1980er Jahre neben situationalen Ansätzen Instruktionsdesignmodelle der zweiten Generation entwickelt (Niegemann et al., 2004). Bei diesen Modellen fungieren Dozenten als Experten in spezifischen Wissensbereichen und müssen über ein herausragendes Überblickswissen in ihrer Domäne verfügen. Auf Grundlage dieses Wissensvorsprungs agieren sie dann als Guides, Lernberater, Moderatoren oder Tutoren (Macdonald, 2005; Salmon, 2004; Ojstersek, in diesem Band). Zu ihren Funktionen gehört es, Wege aufzuzeigen, wie die Informationsmenge, die Komplexität von Zusammenhängen sowie die Positionspluralität in der jeweiligen Wissensdomäne für Novizen handhabbar wird (vgl. etwa den cognitiveapprenticeship-Ansatz). Dozenten übernehmen hierbei die Aufgabe, auf die Ausbildung von inhaltlichen Kern-Konzepten und Meta-Kompetenzen (Strukturierung, Recherche-, Selektions- und Prioritätsstrategien) ihrer Studierenden zu achten. Für den Kursaufbau ist je nach Motivation, Engagement und Selbstlernkompetenz ein unterschiedlich gewichteter Mix aus Push- und Pull-Strategien zu wählen. In Push-Strategien werden Materialien und Aufgaben durch die Dozenten und Tutoren aktiv beworben bzw. an die Lernenden distribuiert. Das Funktionieren von Pull-Strategien ist auf das aktive Handeln der Lernenden angewiesen. Hierbei werden die Lern- und Informationsinhalte im Idealfall in Zusammenarbeit mit den Lernenden definiert. Der Abruf erfolgt jedoch selbstbestimmt durch den jeweiligen Lerner (Kerres & Jechle, 2002). Nicht-technische Indikatoren von „Web 2.0“ bzw. „E-Learning 2.0“ sind nutzergenerierter Inhalt („user-generated“), personalisierte Darstellung („personalized“) sowie soziale organische Interaktionen („social software“). Im „Web 2.1“ bzw. „E-Learning 2.1“ muss der Hochschullehrer alleine bzw. unterstützt durch einen Tutor die oben genannten Anforderungen erfüllen und unter Einsatz seiner Erfahrungen und seines Wissens die Web 2.0-Interaktionen der Studierenden in Richtung einer gemeinsamen Informations- und Wissenserarbeitung begleiten (Abb. 29.3).

29.5 Die (neuen) Rollen des Hochschullehrers im Web 2.1

Abb. 29.3:

381

Web 2.1 Dreieck Dozent/Tutor – Studierende

Die folgende Tabelle verdeutlicht einige Aufgabenbereiche von Instruktoren/Experten und Tutoren im Web 2.1, wobei es nicht selten vorkommt, dass sich die verschiedenen Rollen in einer „Lehrperson“ vereinen. Instruktor/Experte

Tutor









• •

Planung und Konzeption von Strukturen, Prozessen (workflow), Zielen und Aufgaben lerneradäquate Inhaltsauswahl, -aufbereitung und -anpassung hinsichtlich vorliegender und sich entwickelnder Lernereigenschaften und situativer Bedingungen Einrichtung eines „shared workspace“ (z. B. in einem CMS/LMS, einer online groupware office suite oder einem virtual classroom system) Beantwortung von Fachfragen Kontrolle des Lernfortschritts

• •



• • • •

technische, organisatorische und inhaltliche Betreuung und Lernberatung, Hinweis auf Netiquette und Urheberrechte Schaffung von Kommunikationsanlässen Anregung, Unterstützung, Moderation und Abschluss von Gruppenarbeiten, Diskussionen und virtuellen Konferenzen über sog. Kooperationsskripte bzw. offene Strukturangebote (Vermeidung von „drop-outs“ und „lurking“) (vgl. Hesse, Bodemer und Gaiser in diesem Band) Initiierung von „grounding“-Prozessen (wechselseitiges Verständnis der Teilnehmer auf Grundlage einer gemeinsamen Basis) inhaltliche und organisatorische Ankündigungen konstruktive Bewertungen und Tipps Motivierung der Teilnehmer Modifikation, Korrektur und Bewertung der Lernaufgaben und Rückmeldung der Ergebnisse (Feedback)

382

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

In der konkreten Kursgestaltung kommt es durchaus vor, dass sich die Teilnehmer den Dozenten bezüglich der Bedienung der eingesetzten Tools als überlegen erweisen. Durch eine aktive Einbindung der jeweiligen studentischen Experten kann einem möglicherweise befürchteten Autoritätsverlust jedoch gewinnbringend begegnet werden („win-win-Situation“). Bei vorhandenen inhaltlichen Kompetenzen lassen sich den studentischen Software-Experten Tutoraufgaben übertragen (Döring, 2002). Diese wiederum haben die Möglichkeit, durch eigene kleine Lehrtätigkeiten wertvolle Erfahrungen zu gewinnen („supervidiertes Online-Peer-Mentoring“, „Mentoring“). Als äußerst wertvoll haben sich auch Lehr/-Lern-Tandems von studentischen Software- und Inhalts-Exerten erwiesen. Generell sollten sich die Dozenten (auch im Sinne der Bologna-Erklärung) folglich intensiver der Vorbereitung von Selbststudiums- und Gruppenlernanteilen (Jaques & Salmon, 2006) widmen, als einer Vermittlung detaillierter Inhalte.

29.6

Vor- und Nachteile der Virtualisierung in den Hochschulen

29.6.1

Vorteile

Nach Döring (2002) werden mit dem Einsatz von Online-Lernen vier Zielbündel verfolgt: ökonomisch (Kosteneinsparungen durch Orts- und Zeitflexibilität sowie einfacher Inhaltsdistribution), politisch (Bildung für alle), didaktisch (effizienteres Lernen über Reflexions-, Rezeptions-, Produktions-, Kommunikations- und Kollaborationsprozesse) und inhaltlich (Erwerb von technischer und sozialer Medienkompetenz). Zur Verdeutlichung des mit E-Learning verbundenen Mehrwertes (Kaltenbaek, 2006) sei an dieser Stelle exemplarisch das „E-Learning-Strategie-Papier“ der Universität Hamburg herangezogen: Mehrwert von E-Learning Die Integration von E-Learning in die Präsenzlehre in Form von Blended Learning •

bereichert die Präsenzlehre und das Selbststudium der Studierenden durch den Zugriff auf Informations-Ressourcen und Lernobjekte, auf Daten und Medien;



verbessert die Kommunikation zwischen Lernenden und Lehrenden sowie von Lernenden untereinander;



verbessert die Betreuung der Studierenden auch in den Phasen zwischen Lehrveranstaltungen durch computergestützte Kommunikationsmethoden;



steigert durch Einbeziehung des Internets in die Lehre die Aktualität und die Verfügbarkeit der Lerngegenstände;



verbessert die Chancen für Studierende, die durch besondere Bedingungen am Präsenzstudium nur eingeschränkt teilnehmen können: in ihrer Mobilität behinderte, temporär erkrankte, halb oder voll berufstätige und familiär gebundene Studierende sowie studierende Mütter mit klei-

29.6 Vor- und Nachteile der Virtualisierung in den Hochschulen

383

nen Kindern und Studierende mit Auslandsstipendien können orts- und zeitunabhängig an Lehrveranstaltungen teilnehmen und müssen auf diese Weise kein Semester versäumen; •

bietet eine Chance für gemeinsame Veranstaltungen mit Studierenden und Lehrenden anderer Länder;



erlaubt es, Visualisierungen und Animationen von theoretischen oder formalen und meist statischen Objekten herzustellen, die durch Anschaulichkeit und Dynamisierung zu einer Verbesserung des Lernens beitragen können;



kann langfristige Prozesse mit hoher Geschwindigkeit darstellen und in Simulationen langwierige Prozesse wie im Zeitraffer thematisierbar machen;



ermöglicht den interaktiven Umgang mit Lernobjekten, die auf Tafeln oder in Büchern nur statisch zur Verfügung stehen;



ermöglicht die Visualisierung komplexer, unsichtbarer, abstrakter oder numerischer Vorgänge und macht durch die Virtualisierung von Lernobjekten reale Objekte zugänglich, die nicht oder nur mit großen Einschränkungen zugänglich sind, wie z. B. in der Ökologie oder bei virtuellen Patienten der Medizin;



ermöglicht, dass Experimente mit Tieren oder Menschen durch Programme abgelöst werden können, wie in der Biologie und Medizin.

Der didaktische Mehrwert des E-Learning besteht somit sowohl in einer Qualitätsverbesserung des Präsenzstudiums als auch in der Ergänzung des Präsenzstudiums durch virtuelle Studienanteile. Quelle: Auszug aus dem „E-Learning-Strategie-Papier“ der Universität Hamburg (Schulmeister, 2006, S. 4f.)

Im Zuge der Virtualisierung von Hochschulen in organisatorischer und administrativer Hinsicht kommen v. a. die oben ausgeführten Möglichkeiten des Interneteinsatzes im Rahmen von E-Organisation und E-Information noch hinzu. So erwarten über 50 % der 2006 befragten Hochschulen mittelfristige Kosteneinsparungen vom IT-Management (Kleimann & Schmid, 2007). Erzielt werden können diese bspw. im Zuge von Einsparungen durch Standardisierung, vereinfachte Distributionen und OnlineOrganisationsmanagement. Für den Einsatz von Neuen Medien im Hochschulstudium spricht schlichtweg auch, dass dies den Ansprüchen und Erwartungen der „Generation Google“ entspricht (Kleimann & Schmid, 2007).

29.6.2

Nachteile und Probleme

Nun sind aber mit der Virtualisierung der Hochschulen zu „eUniversities“ nicht nur Vorteile verbunden. Es müssen immer auch Gefahren, auftretende Probleme und Schwierigkeiten mitbetrachtet und im Idealfall gelöst werden. Die Eignung des Einsatzes der „big-five“ ist in hohem Maße abhängig von den Lern-inhalten. Zuweilen werden hohe, nicht erfüllbare Erwartungen an Inhalte, Materialien, Betreuung und mediale Integration gestellt. Daneben ist die generelle Akzeptanz, Motivation und Medienkompetenz der beteiligten Akteure zu beachten. Die Betreuung, Entwicklung und notwendige Aktualisierung von hochwertigen Kurs-

384

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

materialien ist je nach Inhalt immer mit unterschiedlich hoher nicht zu unterschätzender Mehrarbeit und mit Mehrkosten v. a. im Bereich Video und Audio verbunden (Schulmeister, 2007). Daneben stellt der verstärkte Einsatz von elektronischen Medien auch hohe Anforderungen an Dozenten, Studierende und Verwaltungsmitglieder hinsichtlich Medienkompetenz und Arbeitsbelastung. Zum Beispiel ist die mittlerweile zum Standard gehörende E-Mail-Kommunikation für Dozenten nur noch schwer handhabbar. Viele Dozenten klagen darüber, dass sie von Anfragen, Ankündigungen und Informationen durch Studierende, Kollegen, Verwaltungspersonal sowie gewollte und nicht gewollte Angebote (SPAM) regelrecht überschwemmt werden. Zusätzlich führen Oraliteralität (Mischung aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit), unpräzise Formulierungen, Verletzungen der Netiquette sowie die Durchbrechung von etablierten Normen oft zu Irritationen und Verstimmungen. Einige wichtige soziale Komponenten des Präsenz-Lernens lassen sich über reines Online-Studium nicht abdecken. Obgleich sie trivial erscheinen, besitzen sie doch eine große Bedeutung (z. B. Mimik, Gestik, Körpersprache aller Beteiligten, Lokomotion, Distanzveränderung, gemeinsames Mittagessen etc.). Ein „pixeliges“, „ruckendes“, 10x10cm großes Webcam-Video ist nicht in der Lage, die gleiche Authentizität und emotionale Nähe (Involvement) wie ein direkter f2f-Kontakt zu vermitteln (vgl. zum Einsatz von Video-Konferenzen Effelsberg & Gaiser, 2005). Zusätzlich bietet das Präsenzlernen auch ein ganz eigenes Setting, das sich durch relative Ablenkungsfreiheit und eine besondere Atmosphäre auszeichnet („Lernen im Lernraum Hochschule“). Auch die sozialpsychologische und ökonomische Besonderheit des „direkten realen Kontaktes“ darf nicht vergessen werden. Ein klassisch Vortragender im f2f-Kontakt genießt die Aufmerksamkeit, die er an der Mimik und besonders an den Augen seiner Zuhörer ablesen kann. Online-Lernen selbst mit ausgeprägten asynchronen und synchronen Kommunikations- und Kooperationsanteilen fehlt es in der „physikfreien Welt“ des Cyberspace an sozialer Präsenz und ganzheitlicher Kommunikation (Kaltenbaek, 2003). Schließlich darf jedoch auch die Arbeitssituation der Dozenten nicht außer Acht gelassen werden. Stellt ein Experte sein Wissen gut strukturiert der Gemeinschaft über das Internet zur Verfügung, so kann dies zum Sinken seines „persönlichen Marktwerts“ führen. Schließlich bekommen die produzierten Inhalte durch die Medialisierung auch eine Permanenz und verlieren die Volatilität der Präsenz. Damit macht der Experte sich leichter kritisierbar und unter Umständen ersetzbar. Dies sind einige der Motive, die der unter einigen Dozenten verbreiteten mangelnden Bereitschaft zu Grunde liegen, möglichst viel von ihren Lehrinhalten im Netz zur Verfügung zu stellen bzw. ihre Vorträge auf Video aufnehmen zu lassen (LoD). Einige Studierende und Dozenten lehnen E-Learning aus emotionalen Gründen auch vollständig ab.

29.7

Fazit auf dem Weg zur eUniversity

Heute blickt man auf eine lange Reihe von Großprojekten zur Evaluation von medienunterstützten Studienangeboten zurück. In den letzten Jahren sind dies beispielsweise das EVALIS-Projekt (Glowalla, Glowalla & Kohnert, 2002), die durchgeführten Evaluationen im Rahmen der BMBFFörderprojekte „Neue Medien in der Bildung“ sowie „Notebook-University“ aus den Jahren 2000 und 2002 sowie eine Reihe weiterer Forschungs- und Überblicksarbeiten (vgl. z. B. Carstensen & Barrios, 2004; Dondi, Mancinelli, Moretti, 2006; Euler & Seufert, 2004; Kaltenbaek, 2005, 2006; Kerres, Kalz,

29.7 Fazit auf dem Weg zur eUniversity

385

Stratmann & De Witt, 2004; Kerres, 2005; Merkt, Mayrberger, Schulmeister, Sommer & van den Berk, 2007; Schönwald 2007; Seiler Schiedt, Kälin & Sengstag, 2006) sowie die diversen Studien der Hochschul-Informations-System GmbH HIS (vgl. Kleimann, 2003, 2008; Kleimann & Wannemacher, 2005, 2006; Wannemacher, 2004). Einige Ergebnisse dieser Arbeiten lassen sich wie folgt zusammenfassen und kommentieren: •





• •







• •

• •

Die Akzeptanz und der Einsatz von Medien in der Hochschullehre folgt in fünf Phasen der bekannten „Ogive technologischer Adaptionen“. Benannt nach ihren Vertretern sind dies: die Erfinder (Innovators), die Früheinsteiger (Early Adopters), die frühe Mehrheit (Early Majority), die späte Mehrheit (Late Majority) und die Zögerer (Die-hards, Leggards). Als Desiderat einer Change-Management-Strategie an Hochschulen wird die Schaffung von kohärenten Strukturen und Zentralstellen angesehen, in denen Multimedia-, Online- und Web 2.0/2.1Didaktik-, IT-, Management- und Hochschulstruktur-Experten unter der Führung eines CIO (Chief Information Officer) zusammenarbeiten. Viele Studierende verfügen nur über sehr eingeschränkte Medien- und Selbstlernkompetenzen im Bereich Online-Lernen. Insgesamt sind kostenlose adäquate, den Lehr- und Lernanforderungen entsprechende Beratungs- und Qualifizierungsangebote für Studierende und Dozenten einzurichten (Lern-, Lehr- und Medienkompetenzentwicklung, „e-competence“). Viele Studierende und Dozenten vermissen beim Online-Studium (inhaltsirrelevante) soziale Begleitkomponenten des Präsenzstudiums. Viele Dozenten stehen dem mit dem Einsatz des Internets verbundenen Mehraufwand sowie dem freien Angebot ihres Wissens kritisch gegenüber, insbesondere wenn über die Verbesserung der Lehre hinausgehende Anreizsysteme fehlen wie z. B. Fördermittel, Publikationsmöglichkeiten etc. Die Widerverwendbarkeit (Re-Usability) von Lernmodulen stellt sich bislang als äußerst problematisch dar. Zumal aufwändige Content-Produktionen an Hochschulen kaum mehr gefördert werden, hat sich mittlerweile ein regelrechtes Meer von viel versprechenden, aber aktualisierungsbedürftigen E-Learning-Programmen gebildet. In forschenden Seminaren nach dem Humboldtschen Ideal sollten Dozenten nicht komplett durchstrukturierte Inhalte anbieten, sondern Freiräume für die Entwicklung in Zusammenarbeit mit den Studierenden einplanen. In den nächsten Jahren wird die „Mobile Education“ weiter zunehmen. Da Skripte, Mitschriften und Lehrbücher jedoch auch „mobile Medien“ sind, muss mit dem Einsatz moderner Trägermedien jedoch immer auch eine relevante individuelle Gratifikation verbunden sein (z. B. Verbesserung in den Bereichen Kosten, Gewicht, Empfindlichkeit, Nutzungsdauer, Usability, Aktualität, Anschaulichkeit, inhaltlicher Umfang, Interaktivität etc). Die eingesetzten LMS und CMS müssen an die Entwicklung und Erfordernisse des Web 2.0/2.1 in Verbindung mit dem ECTS-Sytem angepasst werden. Im Zuge von Bachelor und Master nimmt die begleitende Überprüfung von Lernfortschritten zu. Zum Einsatz kommen können hierbei z. B. einfache computergestützte Multiple-Choice-Tests, aber auch E-Portfolios. Elektronische Notiz- und Organisationsfunktionen beim Bearbeiten von Online-Lernmaterialien sind noch erheblich verbesserungsbedürftig. Videokonferenzen, Virtual-Classroom-Systeme und Virtual-Reality-Systeme werden in Lehre und Forschung bislang kaum genutzt.

386

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

29.8

Online-Ressourcen

29.8.1

Informations- und Lernangebote im Internet

Im Bereich der Effizienzsteigerung von Literaturrecherche und Quellenabruf hat sich in den letzten fünf Jahren an Hochschulen viel getan. So hebt z. B. Michael Keller von der Stanford Universität hervor, dass durch die Kooperation mit dem Google-Booksearch-Projekt eine Volltext-Indizierung der 9 Millionen Bücher der Präsenzbibliothek ermöglicht wurde (Keller, 2007). Allerdings ist festzustellen, dass viele der Studierenden, aber auch der Beschäftigten über die reichhaltigen Angebote, die ihnen potentiell zur Verfügung stehen, kaum informiert sind. Mittlerweile können Angehörige vieler Hochschulen über das Internet auf Standardwerke wie Allgemeine Lexika, Fachlexika, Wörterbücher, aber auch Fachzeitschriftartikel kostenlos im Volltext zugreifen. Dies kann beispielsweise über die Einstellung des hochschuleigenen Proxy-Servers im lokalen Browser, die Verbindung über VPN oder über ShibbolethTM erreicht werden. Die nachfolgende Liste beinhaltet Angebote, die entweder allgemein frei verfügbar oder von vielen Hochschulen im deutschsprachigen Raum voll- oder teillizenziert sind, d. h. für Hochschulangehörige Zugriff auf die Inhalte bzw. die Abstracts erlauben. Bereich

Anbieter

URL

Literaturrecherche

Öffentlich zugängliche digitale Bibliothekskataloge (Online Public Access Catalogue, OPAC) Digitale Bibliotheken mit VolltextIndizierung

z. B. FU-Berlin opac.fu-berlin.de

Digitale Dissertationen Karlsruher Verbund Katalog (KVK) ISI Web of Science Scopus Datenbank Library of Congress Online Catalog

z. B. FU-Berlin digibib.fu-berlin.de z. B. Berliner und Brandenburgische Bibliotheken (KOBV) www.kobv.de www.dissonline.de www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html www.isiknowledge.com/wos/ www.scopus.com catalog.loc.gov

Wissensdatenbanken

Wikipedia Google Buchsuche Google Schoolar Creative Commons

wikipedia.org books.google.de scholar.google.de search.creativecommons.org

Verlagsangebote (Zugriff auf Volltexte von Büchern und Zeitschriften)

Springer Verlag Hogrefe & Huber Verlag Digitale Bibliothek der Directmedia Publishing GmbH

www.springerlink.com www.psycontent.com (in vielen Hochschulen direkt über Citrix Presentation ServerTM möglich)

Lernmodulsammlungen (Open Educational Resources, OER)

ABCentral

www.my-edu2.com

Free Education Online der Berkeley Universität Bildungsportal Thüringen Bereich Neue

education.jimmyr.com

Verbundkataloge, die mehrere Bibliotheken integrieren

www.bildungsportal-thueringen.de

29.8 Online-Ressourcen

387

Medien OER des Internet Archives Carnegie Mellon’s Open Learning Initiative Connexions Multimedia Educational Resource for Learning and Online Teaching M.I.T. OpenCourseWare OpenLearn LearningSpace der Open University OpenCoursewareConsortium (OCWC) TeLearn von Kaleidoscope World Lecture Hall Projektdatenbanken

Vorlesungsvideos und -audios (LoD)

29.8.2

BMBF-Förderung Neue Medien in der Bildung Forum Neue Medien MEDIDA-PRIX Swiss Virtual Campus echo360 von Apreso Video-Archiv der Digitalen Bibliothek Thüringen iTunes U von Apple listeningtowords podcampus slidestar tele-task TeleTeaching Tool timms Tübinger Internet Multimedia Server youtube university channels yovisto world-lecture-project (wlp)

www.archive.org/details/education www.cmu.edu/oli/ cnx.rice.edu www.merlot.org ocw.mit.edu openlearn.open.ac.uk www.ocwconsortium.org www.telearn.org web.austin.utexas.edu/wlh/ www.medien-bildung.net www.fnm-austria.at/Content-pool/Start/ www.medidaprix.de www.virtualcampus.ch www.apreso.com www.db-thueringen.de www.apple.com/itunesu/ www.listeningtowords.com www.podcampus.de www.slidestar.de www.tele-task.de teleteaching.uni-trier.de timms.uni-tuebingen.de www.youtube.com www.yovisto.com www.world-lecture-project.org

Web-Portale für weitere aktuelle Informationen

Die folgenden Quellenangaben verweisen auf Webportale, in denen aktuell über den Stand und die Entwicklung von Online-Lernen an Hochschulen berichtet und diskutiert wird. Portal

URL

Bildungsspiegel CampusSource Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) CHECK.point-eLearning Deutscher Bildungsserver elearningeuropa.info e-teaching.org Forum DistancE-Learning

www.bildungsspiegel.de www.campussource.de www.che-concept.de www.checkpoint-elearning.de www.bildungsserver.de www.elearningeuropa.info www.e-teaching.org www.forum-distance-learning.de

388

29 Hochschule online – Online Lehren und Lernen in der Hochschule

Gedankensplitter – Peter Baumgartner zu eLearning Golem – IT-News für die Profis Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) Multimedia Kontor Hamburg GmbH (MMKH) Studieren im Netz

www.peter.baumgartner.name www.golem.de www.his.de www.mmkh.de www.studieren-im-netz.de

30

Fremdsprachenlernen online

Jörg Roche

Obwohl im Bereich der Sprachvermittlung traditionell recht viel mit Medien experimentiert wird, werden die Online-Medien noch eher sporadisch und vorwiegend instruktionistisch genutzt. Erst langsam entstehen umfangreiche, interaktive und modulare Lernumgebungen. Bei der Fremdsprachenvermittlung verbinden moderat konstruktivistische Konzeptionen die Vorteile orientierenden und autonomen Lernens und erlauben so auch Lehrkräften einen vergleichsweise leichten Einstieg in die Mediennutzung. Erfolgreich sind vor allem die Programme, die nach den modularen Prinzipien der neuen (dritten) Lernplattformgeneration konzipiert und erweiterbar sowie in verschiedene Lern-ManagementUmgebungen integrierbar sind. Stark an Bedeutung gewinnen wird in Zukunft die Entwicklung und Nutzung von intelligenten elektronischen Lernwerkzeugen zur Modellierung von Lexika, zur Verfeinerung der grammatischen Analyse in Programmen, die offene schriftliche Texte verarbeiten sowie die Spracherkennung mündlicher Sprache. Dies setzt jedoch vernetztes interdisziplinäres Arbeiten von Didaktikern, Erwerbslinguisten, Computerlinguisten und IT-Spezialisten sowie eine Ausrichtung der Sprachlehr- und -lernforschung auf kognitionslinguistische Fragestellungen voraus. Schlüsselbegriffe: Spracherwerb, Konstruktionismus, Konstruktivismus, moderater Instruktionismus, Intelligente tutorielle Systeme, Handlungsorientierung, Evaluationskriterien, Arbeitswerkzeuge, LernManagement, Theorie multimedialen Lernens, dynamische Lexika, Grammatikanimation, Interkulturalität

390

30.1

30 Fremdsprachenlernen online

Medien im Fremdsprachenunterricht

Unter den Mediennutzern in der Lehre gehören die Fremdsprachenlerner sicher zu den experimentierfreudigsten. Schon Pioniere des Fremdsprachenlehrens wie der tschechische Gelehrte Comenius wiesen lange vor unserem Medienzeitalter (1658) auf die Bedeutung der Medien hin und versuchten, sie mittels didaktischer Empfehlungen nutzbar zu machen. Ihren bisherigen Höhepunkt erlebten die Medien im Fremdsprachenunterricht jedoch in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, als auf der Basis behaviouristischer Lerntheorien zunächst militärstrategisch und später flächendeckend medial gestützte Lehrverfahren eingeführt wurden. Diese sind unter den Begriffen audiolinguale und audiovisuelle Methoden bekannt geworden und bezeichnen damit die medialen Schwerpunkte und den Vorrang des Mediums vor anderen Aspekten des Lehrens und Lernens. Diese behaviouristischen Methoden manifestierten sich in Kassettenrekordern und Sprachlaboren mit den dazugehörenden Übungsprogrammen, die Sprache im Wesentlichen ohne Inhalte oder Handlungskontexte zu drillen versuchten (vgl. hierzu die Darstellungen in Roche, 2008b). Die von diesen Methoden ausgelöste Medienwelle ist ein bisher unerklärtes Phänomen, denn nie haben die Methoden den Nachweis von Erfolg erbracht und dennoch werden sie auch heute noch in Lehrbüchern und in der Unterrichtspraxis sowie in der kommerziellen Sprachlernsoftware eingesetzt. Im Unterschied zu der Zeit ihrer systematischen Einführung seit der Mitte des letzten Jahrhunderts werden diese Methoden heute meist eklektisch und unreflektiert als „Übungen“ verwendet. Bedauerlich und geradezu verhängnisvoll ist es, wenn es so genannten Fachzeitschriften oder Verbraucherorganisationen an der Kompetenz mangelt, verlässliche Referenzkriterien für die Bewertung von Sprachlernsoftware heranzuziehen, und ihre wissenschaftlich nicht belastbaren Einschätzungen für große, Rat suchende Schichten der Bevölkerung meinungsbildend sind (vgl. etwa die Bewertung der Stiftung Warentest vom September 2007; vgl. im Kontrast hierzu die Vorschläge für systematische Kriterienlisten in Hufeisen/Leitner, 2007 und Roche, 2008b). Nur weil ein Lernprogramm bunt ist, blinkt, vielleicht mehr Wörter als ein anderes enthält und mit gutem Marketing versehen ist, bewirkt es noch lange kein effizientes Sprachenlernen. Darum muss es jedoch beim Einsatz der Medien in der Sprachvermittlung gehen: die Erzielung eines quantitativen oder qualitativen Mehrwertes durch den Einsatz moderner, offener Lernmedien.

30.2

Handlungsorientierung in der modernen Fremdsprachendidaktik

Um diesen Mehrwert bestimmen zu können, muss man die Zielsetzungen der modernen Fremdsprachendidaktik betrachten. Diese bestehen in erster Linie in einer konsequenten Inhalts- und Handlungsorientierung in der Sprach- und Kulturvermittlung. Der moderne, handlungsorientierte Sprachunterricht basiert auf der Erkenntnis, dass die Vermittlung von Inhalten (Wissenstransfer) den Spracherwerb stärker befördert als die traditionelle Orientierung auf die Vermittlung von Formen, Strukturen und Grammatik (inhaltsbezogener Sprachunterricht, content-based learning, Immersionslernen im SachFachunterricht, content and language integrated learning/CLIL, Fachsprachenunterricht). Allerdings zeigt sich auch, dass die Inhaltsorientierung vor allem dann den Spracherwerb befördert, wenn sie zu

30.3 Die Rolle der Online-Medien beim Sprachenlernen

391

einer Auseinandersetzung (Interaktion, kommunikative Zielsetzung, Handeln) mit den Inhalten führt. Diese Zielsetzung findet sich bereits in der Ausrichtung der kommunikativen Sprachdidaktik der 1970er Jahre wieder, die als Abkehr von den strukturbasierten und behaviouristischen Vorgängermethoden konzipiert und in der Folge zunehmend spezifiziert wurde (aufgabenbasiertes, fallbasiertes Lernen, Szenariendidaktik, interkulturelle Sprachdidaktik, konstruktivistisches Lernen; vgl. Roche, 2008a; Hölscher, Piepho & Roche, 2006; Hölscher, 2003, 2004, 2005; Piepho, 2003; Beers, 2001; Goldman-Seagall, 1998; Papert, 1980). Zur Vermittlung und Bearbeitung komplexer Inhalte, und gerade solcher, die einer medialen Realisierung bedürfen, also medienadäquat sind, gehören daher im Sinne handlungsorientierten, konstruktivistischen Lernens (Issing, 1997) vor allem digitale Arbeitswerkzeuge. Da deren Nutzung oft zu den Schlüsselqualifikationen für Lehre, Studium und Beruf gehört, eignet sich der Fremdsprachenunterricht gleichzeitig in authentischer Weise zur Vermittlung allgemeiner Medienkompetenzen. In die medialen Ausbildungsmodule des Unterrichts einzuschließen, sind folglich vor allem solche Inhalte, Textsorten und Quellen, die bereits als digitalisierte vorliegen, weniger die künstlich in elektronische Formate umgesetzten (wie z. B. eingescannte Texte oder gedruckte Übungen). Dieser medienadäquate Nutzungsmodus schließt natürlich die modernen E-Kommunikationsmedien mit ein.

30.3

Die Rolle der Online-Medien beim Sprachenlernen

Der grundsätzlich offene Aufgabencharakter kann sich zwar auch in geschlossenen Medien (etwa auf CD-ROMs) realisieren lassen, die Interaktion und kreative Gestaltung erlauben und damit eine gewisse Offenheit simulieren (vgl. hierzu etwa Textverarbeitungsressourcen wie digitale Wörterbücher, E-Korrektoren, Thesauri oder Spielprogramme, Fahrpläne), aber nur ein offenes Medium ermöglicht eigenständiges, interessengeleitetes und weitgehend autonomes Arbeiten und Lernen sowie die Aktualisierung der Inhalte und eine offene Verzweigung nach individuellen Interessen. Daher sind OnlineMedien für moderne Sprachlernprogramme grundsätzlich das Medium der Wahl. Diese Ausrichtung der modernen Sprachdidaktik existiert jedoch stets neben traditionellen instruktionistischen Verfahren unterschiedlicher und meist eklektischer Zusammensetzung und schützt daher nicht davor, dass auch statische und geschlossene Inhalte in instruktionistisch geprägten Lehrprogrammen online transportiert werden. Hierzu gehören vor allem tutorielle und situative Übungsprogramme für den Unterricht sowie für touristische und geschäftliche Vorbereitungszwecke (vgl. Roche, 2003). Handlungstheoretisch relevant für das Online-Lernen im Spracherwerb ist das im deutschen Sprachraum bisher wenig bekannte Modell des konstruktionistischen Lernens nach Seymour Papert (1980). Dieses Lernmodell spezifiziert konstruktivistische Ansätze in Bezug auf die Rolle des konkreten Handelns und Produzierens im öffentlichen Raum. Es geht davon aus, dass effektives Lernen ergebnisorientiert, wenn auch ergebnisoffen, ist oder sein sollte. Lernen findet handelnd in der Auseinandersetzung mit der Umwelt statt. Die Lernergebnisse stellen sich den Reaktionen (der Rückmeldung) der Umwelt. Da all diese Prozesse auch sprachhandelnd verlaufen, entsteht eine intensive und vielfältige Beschäftigung mit authentischer Sprache.

392

30 Fremdsprachenlernen online

So verfolgte bereits das Wiki-ähnliche Programm Web Constellations (Goldman-Seagall, 1998) eine authentische (konstruktionistische) Produktionsorientierung, allerdings in einem offenen Programm, das Wissenstransfer und Kommunikation diente und nicht speziell für den Fremdsprachenunterricht entwickelt wurde. Dabei sollen die Nutzer das Programm als Werkzeug einsetzen, um damit bereits existierende Wissensplaneten, Satelliten oder Galaxien beliebig auf ihren eigenen Wissenshorizont auszurichten und zu modifizieren. Daraus ist ein dynamischer Wissenskosmos entstanden, der jedem weiteren Nutzer zur Weiterbearbeitung offen steht. Leider ist dieses Universum wegen technischadministrativer Probleme heute nicht mehr öffentlich zugänglich. Aber es ist ein Pionierprogramm, das der Ausrichtung des Fremdsprachenunterrichts auf authentische Ressourcen und Werkzeuge wichtige Impulse gegeben hat. Sprache ist hier ein Mittel zum Zweck, nicht der Zweck selbst. Das Verfahren ist von Goldman-Seagall (1998), Beers (2001) und Fischhaber (2002) gut dokumentiert. Es zeigt sich aber auch immer wieder, dass Lehrerinnen und Lehrer nur zögerlich an offene Formen des Sprachunterrichts herangehen und daher offene Online-Medien bei Lehrkräften auf Widerstände treffen, die auch aus anderen Bereichen der Mediennutzung bekannt sind. Vor allem technische und didaktische Unwägbarkeiten (zum Beispiel die Frage der Progression) werden verbreitet als Grund zur Verweigerung angegeben. Lerner selbst nehmen die offenen Möglichkeiten der Medien dagegen auch im Sprachunterricht unkompliziert und ertragreich an und sie nutzen die medialen Instrumente zunehmend auch selbstständig, um untereinander zu kommunizieren und sich an der Erstellung von Lern- und Arbeitsmaterial zu beteiligen. Das gilt offenbar selbst dann, wenn (interessante) Lernprogramme den Lerntraditionen zuwiderlaufen (Todorova, 2009). Als praktikable Zwischenlösung, die Lernern Orientierung und Freiräume bietet und gleichzeitig indirekte Lehrerfortbildung bereithält, haben sich Programme erwiesen, die die Vorteile der Instruktion mit denen des autonomen Lernens kombinieren. Zu diesen Programmen des „moderaten Konstruktivismus“ (oder ‚Instruktionismus der zweiten Generation’, Issing, 1997) gehören unter anderem das moderierte Jetzt.de der Süddeutschen Zeitung mit didaktisierten Bearbeitungshinweisen für Lerner des Deutschen als Fremdsprache und die verschiedenen Online-Programme der Deutsch-Uni Online.

30.3.1

Ressourcen und Lernwerkzeuge

Ganz ähnlich wie die Arbeitswerkzeuge fördern auch Lernwerkzeuge die Möglichkeiten des Lerners, sich authentische Quellen selbstständig zu erschließen. Lernwerkzeuge sind Arbeitswerkzeuge, die primär dem Erlernen der Sprache dienen. In Berufsfeldern wie dem Journalismus, in denen vielfältige Formen der Verarbeitung von Sprache eine große Rolle spielen, erfüllen sie gleichzeitig die Funktion authentischer Arbeitswerkzeuge, etwa als Redaktionsinstrumente in einer Zeitungs- oder Rundfunkredaktion. Zu den bekanntesten Lernwerkzeugen, die Hilfsmittel für selbstständiges (Weiter-) Lernen sein können, gehören: 

digitale Wörterbücher wie das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften mit 130.000 Einträgen37, das mit einem verbesserten Suchmechanismus für flektierte Verben in den Programmen der Deutsch-Uni Online integriert ist,

37

http://www.dwds.de

30.3 Die Rolle der Online-Medien beim Sprachenlernen



 



393

und Leo für Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Chinesisch mit mehreren hunderttausend Einträgen und dem tutoriellen Vokabeltrainer Lion38 ; online Grammatiken, wie grammis39, die propädeutische Grammatik ProGr@mm40 und andere Angebote des Instituts für Deutsche Sprache; für Französisch: Le Point Grammatik41 und Grammaire française42 oder die kostenpflichtige Grammatik: Manuels de grammaire française en ligne43; für Englisch: The Internet Grammar of English44 oder Guide to Grammar and Writing45; Textkorrekturprogramme und Thesauri und Ähnliches in Textverarbeitungsprogrammen wie Word; Schreibtrainingsprogramme, die online angeboten werden, inklusive so genannter Online Writing Labs (OWL); eines der bekanntesten OWLs für die Vermittlung von fremdsprachigen Kenntnissen in Deutschland ist das Online-Angebot an der TU Darmstadt; elektronische Korrekturprogramme wie etwa der (offline) Duden-Korrektor oder die OnlineSprachlernassistenten wie uni-deutsch.de, Französisch, Englisch und Portugiesisch/Brasilianisch mit hinterlegter intelligenter Lernergrammatik und didaktisierten Rückmeldungsoptionen.

Ähnliche Funktionen erfüllen auch lernstrategische und landeskundliche Ressourcen, die in modernen Lernprogrammen als konstante Ressourcen bei allen Bearbeitungsschritten zur Verfügung stehen und unbegrenzte und stets aktualisierbare Hilfen anbieten. Diese Konstanten umfassen Lernstrategien, Lern- und Arbeitstechniken sowie Links zu relevanten Organisationen und Themen.

30.3.2

Stoff- und Lern-Management im Sprachunterricht

Wenn man sich den möglichen Mehrwert der Online-Mediennutzung in der Sprachvermittlung unter den Aspekten des Klassen- und Stoffmanagements ansieht, dann ergeben sich gegenüber traditionellen Verfahren und Medien folgende Möglichkeiten der Mehrwerterzielung: 

Distanzüberbrückung. Für das Sprachenlernen ergeben sich durch die Distanzüberbrückung administrative Möglichkeiten, flexiblere Angebote zu gestalten und Lernergruppen zu erreichen, die ansonsten keinen Zugang zu Sprachkursen finden könnten. Didaktisch ist aber vor allem interessant, dass sich durch die Überbrückung von Distanzen besonders günstige immersionsartige Bedingungen für das Sprachenlernen herstellen lassen. Das Immersionsprinzip wird dabei umgekehrt: nicht der Lerner bewegt sich in die Zielkultur, sondern die Zielkultur bewegt sich zu dem Lerner. Ersteres gilt zwar als Idealzustand, ist aber auch mit entsprechendem Aufwand und dem Risiko verbunden, von der Fremde überwältigt zu werden. Die Zielkultur kann mit Online-Medien zumindest be-

38

http://dict.leo.org

39

http://hypermedia.ids-mannheim.de/grammis/

40

http://hypermedia.ids-mannheim.de/programm

41

http://www.lepointdufle.net/index.html

42

http://www.etudes-litteraires.com/grammaire.php

43

http://www.synapse-fr.com/grammaire/GTM_0.htm

44

http://www.ucl.ac.uk/internet-grammar/

45

http://grammar.ccc.commnet.edu/grammar/

394









46

30 Fremdsprachenlernen online dingt, einfacher und kostengünstiger als mit anderen Medien in den Unterricht und das Lernumfeld der Lerner integriert werden. Portabilität. Die Distanzüberbrückung ist zudem mobil. Transportable Lernprogramme sind „auf Bestellung“ verfügbar, sofern die technischen Probleme des Zugangs (Zugang zu fremden Servern und Netzen, Verfügbarkeit von elektrischer Betriebsenergie trotz unterschiedlicher Netzspannungen und Stecker etc.) und die zeitlichen Probleme (Zeitzonen) gelöst sind. Die erhöhte Portabilität kann durch die Erhaltung der Lernbereitschaft, die Schaffung von Kontinuität und eine effizientere Nutzung beschränkter Ressourcen quantitative und qualitative Mehrwerte bewirken. Flexibilität. Neuere Programme basieren auf flexiblen Lernplattformen, die (im Gegensatz zu medialisierten Konserven) ständige Aktualisierung und Erweiterung ermöglichen. In Hinsicht auf die Erschließung wachsender Ressourcen und die Aktualisierung landeskundlicher Kenntnisse lassen sich die Lernumgebungen erweitern und die Anbindung an die Zielkultur verbessern. Diversifizierung des Lernens. Es lassen sich medial Möglichkeiten verschiedener Lernwege für verschiedene Lernertypen, Interessen und Anlagen realisieren, die aus logistischen und administrativen Gründen im traditionellen Sprachunterricht so nicht zu realisieren sind, zumindest nicht in großen Klassenverbänden, weil Zeit, Materialien und Lehrkapazitäten nicht ausreichen. Allerdings verlangt die Diversifizierung meist eine erhebliche Investition in die Ausarbeitung der Materialien. Einfache Lerner- und Hausaufgabenverwaltung. Neuere Lernprogramme wie etwa uni-deutsch.de46 und eine Reihe weiterer Programme für Englisch, Französisch, Portugiesisch und Japanisch der Deutsch-Uni Online (www.deutsch-uni.com) bieten einfach zu steuernde Möglichkeiten der Klassenverwaltung wie die Individualisierung von Lernplänen, die Automatisierung von Korrekturen, die automatische Archivierung von Hausaufgaben und -korrekturen und Ähnliches und setzen dadurch Lehrkapazitäten für wirksamere Tätigkeiten der Lehrkräfte frei.

www.uni-deutsch.de

30.3 Die Rolle der Online-Medien beim Sprachenlernen

Abb. 30.1:

30.3.3

395

Beispiel für Aufgabenkorrektur, -verwaltung und -archivierung in uni-deutsch.de, geeignet nicht nur für die Verwaltung dezentraler Lernverbände, sondern auch des Präsenzunterrichts. Die Arbeitsressourcen für Lerner sind in der Konstantenleiste oben, die Inhalte und Aufgaben in der linken Leiste des Lernprogramms angebracht.

Kommunikationsinstrumente

Über E-Mail, Chats, Foren, ICQs, Blogs, virtuelle Klassenzimmer mit Ton und Bild, interaktive Tafeln, Tandemprogramme und andere Kommunikationsmedien lassen sich Lerner technisch leicht und kostengünstig in Kontakt bringen und im Prinzip alle Kommunikationsmöglichkeiten der Präsenzkommunikation realisieren. Die Vielfalt authentischer Kommunikationsmedien ist Voraussetzung für den Erwerb kommunikativer Kompetenzen, die sich in der realen fremdsprachlichen Welt bewähren sollen. Im Sinne der Handlungsorientierung gilt das Prinzip, die im Alltag vorkommenden Medien und deren Nutzungsregeln auch im Sprachunterricht abzubilden. Zu beachten sind dabei jedoch auch interkulturelle Unterschiede in der Bedeutung, Bewertung und Nutzung verschiedener Medien für verschiedene Funktionen. So wird der Öffentlichkeitsgrad von Lehrmedien wie Foren und E-Mails in Lernkulturen unterschiedlich bewertet (Reeder et al., 2001). Elektronische Partnerschaften, bei denen sich die Lerner gegenseitig beim Erwerb der Sprache des Partners helfen, integrieren Kommunikation und individuelle Gestaltung des Lernwegs. Einschlägig hierfür sind die folgenden: die E-Tandem Vermittlung der Ruhr-

396

30 Fremdsprachenlernen online

Universität Bochum47, das Französisch-Programm cultura des MIT48, sowie das eTwinning-Portal für europäische Schulen49. Mit virtuellen Klassenzimmern sind die technischen und administrativen Grundlagen für offene Lernplattformen geschaffen, die durch interaktives Lernen und dadurch entstehendes selbstständiges Arbeiten eine höhere Nachhaltigkeit des Kompetenzerwerbs bewirken wollen.

30.4

Forschungsbereiche

Das Lernen und Lehren von Fremdsprachen sind komplexe Prozesse, die sich wie beim Lernen generell (vgl. Fischer et al., 2007) bisher nur mit aufwändigen Instrumenten, nur partiell und oft nicht ohne den Verdacht der Beeinflussung durch die Instrumente beobachten ließen. Mit Online-Medien lassen sich dagegen auf „nicht-invasive“ Weise Lernverhalten aufzeichnen, Akzeptanzen evaluieren sowie Wirkungsforschung betreiben. Relevant ist das etwa für die Erforschung der Systematik von Lernsequenzen zur empirischen Absicherung von Erwerbstheorien (siehe Überblick in Roche 2008a, S.104-128), für die Sprachstandsdiagnose (Haller, 2007) und für die Erforschung der Wirkung bestimmter didaktischer Verfahren und Fehlerkorrekturen (Scheller, 2008; Todorova, 2007). Somit kommt den OnlineMedien eine Service- und Forschungsrolle zu, die im Prinzip mit der eines Wettersatelliten zu vergleichen ist: die Online-Programme geben aktuelle Rückmeldungen an die Nutzer (Lehrer und Lerner) und sammeln gleichzeitig für die Forschung Analysen und Fehlerdaten, die bestehende Datenbanken erweitern und in angelegten Forschungsprojekten ausgewertet werden können. Durch eine Rückspeisung der Ergebnisse kann der Entwicklungsstand der Programme ständig verbessert und erweitert werden. Zudem lassen sich durch die unmittelbaren Eingriffsmöglichkeiten in die Online-Programme quasiexperimentelle Forschungskonstellationen mit regulären Nutzern herstellen, ohne dass diese davon in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden. Das grundsätzliche Einverständnis der Nutzer zur anonymen Auswertung der Daten ist selbstverständlich im Vorhinein einzuholen. Forschungsschwerpunkte ergeben sich derzeit vor allem in den folgenden Bereichen.

30.4.1

Spracherwerbsforschung

Durch Lernsysteme, die eine Freitexteingabe ermöglichen, können die Fehlerhäufigkeit, die Art der Fehler, die Rolle der Erstsprache und die Wirksamkeit von Korrekturversuchen bei grammatischen Strukturen untersucht werden. Die Analyse erfolgt dabei zunächst durch eine grammatische Analyse (Parsing) des Textes, eine Zuordnung zu bedeutungstragenden und bedeutungsunterscheidenden Elementen (Morphemen), eine Zuordnung zu grammatischen Regeln einer hinterlegten Gesamtgrammatik der Sprache und einen Vergleich mit Einträgen in einer Lernerfehlerdatenbank. In verschiedenen didaktischen Schleifen werden dem Lerner schließlich Hilfen bei der Korrektur seiner Fehler angeboten. Das Funktionieren solcher intelligenter Systeme im Gegensatz zu einfachen Programmen, die lediglich Oberflächenstrukturen mit vorgefertigten Mustern abgleichen (string matching), wird von Haller (2007)

47

http://www.slf.ruhr-uni-bochum.de

48

http://web.mit.edu/french/culturaNEH/cultura/indexfrench.html

49

http://www.etwinning.net/ww/de/pub/etwinning/index.htm

30.4 Forschungsbereiche

397

anschaulich dargestellt. Die Ergebnisse aus dem Betrieb Intelligenter Tutorieller Systeme dienen sowohl der Grundlagenforschung als auch der Konzeption besser abgestimmter Lernmaterialien und lerneradaptiver Lernprogramme, die eine individuelle Förderung je nach Lernniveau erlauben. Diese Möglichkeiten Intelligenter Tutorieller Systeme sind von der Sprachlernforschung bisher jedoch nur ungenügend erkannt oder bisher vor allem in dem relativ begrenzten und umstrittenen Bereich des formorientierten Paradigmas der Inputsteuerung verwendet worden (vgl. hierzu die Darstellung solcher Systeme und ihrer Funktionsweise in Amaral/Meuers, 2008).

30.4.2

Entwicklung dynamischer Lexika

Das mentale Lexikon besteht aus einem mehrdimensionalen Netz semantischer Verbindungen, die je nach Kontext unterschiedlich stark und in unterschiedlich weiten Feldern aktiviert werden. Diese Verbindungen können je nach Bedarf aktiviert werden und sind nicht fest verkabelt. Das mentale Lexikon ist demnach ein dynamisches System, das ständig neu- und umorganisiert wird. Im Fremdsprachenerwerb wird das Lexikon um die Begriffe der neuen Sprache durch direkte Zu- oder Unterordnung erweitert, bei fortgeschrittenem Spracherwerb auch durch koordinierte (parallele) Einträge, die selbstständig aktiviert werden können. Dabei ist davon auszugehen, dass auch Elemente verschiedener Sprachen nicht in verschiedenen mentalen Lexika, sondern in einem gemeinsamen Lexikon gespeichert und verarbeitet werden. Bei ausgeglichener Mehrsprachigkeit, das heißt bei sehr guter Beherrschung von zwei oder mehreren Sprachen, gelingt es Sprechern daher, die Systeme, ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufeinander zu beziehen, sie zu vergleichen und zwischen ihnen hin- und herzuwechseln. Das mentale Lexikon hat also eine dynamische Organisationsstruktur und es kann im Fremdsprachenerwerb dynamisch erworben und erweitert werden (Entwicklungshypothese). Der visuelle Thesaurus (www.visualthesaurus.com), ein Werkzeug zur Organisation von lexikalischen Einträgen, versucht, diese kognitive Dynamik medial zu modellieren. Er stellt damit ein gutes Lern- und Arbeitswerkzeug dar, das künftig auch in bilingualen Systemen und im Fremdsprachenerwerb nutzbar gemacht werden könnte. Die Zuordnung von Lexika unterschiedlicher Sprachen könnte in etwa folgendermaßen aussehen. Durch Ansteuern der dargestellten Knoten eröffnen sich jeweils neue Felder. Durch die farbliche Markierung der Knoten erfolgt eine grammatische Kategorisierung nach Nomen, Adjektiven und Verben.

398

30 Fremdsprachenlernen online

Abb. 30.2:

30.4.3

Das dynamische Wortfeld von ‚hören’ in einer Pilotstudie zur Koordination mit englischen Äquivalenten (Visual Thesaurus).

Bild- und Textverarbeitung

Ein markantes Zeichen von Online-Medien ist der Anteil visueller Information und ihre Verknüpfung mit sprachlichen Nachrichten. Vermehrt übernehmen visuell übermittelte Informationen die Übermittlung sprachlicher Informationen. Für die Vermittlung von Fremdsprachen entsteht dabei die Frage, wie durch die optimale Abstimmung der Präsentationsmodi ein Mehrwert entstehen kann. Das ist ein wesentlich weniger triviales Problem, als das es die meist einfachen Illustrations- und Unterhaltungsfunktionen in bestehenden (Online-) Lehrmaterialien erscheinen lassen. Insbesondere aus der kognitiven Theorie multimedialen Lernens (Mayer, 2005), der Dual Coding Theory (Paivio, 1986), der Cognitive Load Theory (Sweller, 2005), der multimodalen Gedächtnistheorie (Engelkamp & Zimmer, 2006) und dem Strukturmodell des integrierten Bild- und Textverstehens (Schnotz, 2005) ergeben sich deutliche Hinweise auf die Notwendigkeit einer sorgfältigen Abstimmung der zum Teil getrennt laufenden Modi, damit Verstehen und Nachhaltigkeit des Lernens gefördert werden können. Die bisher spärlichen Wirkungsstudien im Bereich des Sprachenlernens zeigen, dass sich Programmentwickler bisher kaum mit

30.4 Forschungsbereiche

399

der Thematik befasst haben (vgl. den Forschungsüberblick in Rösler, 2004 und die Beiträge in Roche, 2007). Eine rühmliche Ausnahme sind die eingehenden Untersuchungen von Scheller (2008) zur Wirkung von Grammatikanimationen, die auf der Basis eines konzeptuellen Modells von Grammatik nach den Parametern der wesentlichen Theorien des multimedialen Lernens entwickelt wurden. Hieraus lassen sich bereits einige didaktische und pädagogische Kriterien für den gezielten Einsatz von Animationen ableiten (Scheller, 2008; vgl. auch die Beiträge in ZIF, 2004): 









Im Rahmen des multimedialen Spracherwerbs stellen Grammatikanimationen eine medienadäquate Präsentationsform dar: Text, Ton und Bild können zu einem reichhaltigen multimedialen Angebot verknüpft werden, das dem Lerner mehrere Zugänge erlaubt. Dies kann jedoch nicht wahllos, sondern müsste gut überlegt und koordiniert geschehen. Animationen erlauben, als zusätzliche Semantisierungshilfe Informationen zu veranschaulichen, die sonst nur mit größerem textlichen Aufwand geliefert werden könnten, zum Beispiel die Veranschaulichung sprachlicher Bauprinzipien von Äußerungsstrukturen. Die Kombination von bildlichen und sprachlichen Informationen führt darüber hinaus zu einer tieferen Verarbeitung und Herausbildung mehrerer Abrufwege (Ballstaedt, 1997; Sutcliffe, 1999). Bedingung ist aber die genaue Abstimmung von Bild- und Textverarbeitung im Sinne der dualen Kodierungstheorie. Die Visualisierung von Strukturen kann mit Hilfe von Animationen lernfreundlich und verständlich erfolgen: Die phasenweise (animierte) Präsentation ist in vielen Fällen besser nachzuvollziehen als eine statische, weil die Lerner nicht die fertigen Äußerungen sondern deren sukzessiven Aufbau vor sich sehen. Animationen können eingesetzt werden, um kognitiv-grammatische Umstrukturierungsprozesse zu verdeutlichen und dynamisch darzustellen. Dynamische Elemente in der Darstellung wie Bewegung, Platz-, Farb-, Formwechsel schaffen vielfältige Visualisierungsmöglichkeiten für kognitive Prozesse. Für die jeweilige Bearbeitung durch die Lerner sollten genügend Zeit (auch für Wiederholungen und Modifikationen/Variationen) und individuelle Steuerungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.

Auch die Nutzung von Hypertexten zur Vermittlung von Lesestrategien in der Fremdsprache im Sinne des Prinzips der kognitiven Plausibilität erweist sich in jüngster Zeit als ein produktives Forschungsfeld. Dabei zeigt sich einerseits, dass hypertextspezifische Probleme wie die strukturelle und die konzeptuelle Desorientierung durch Kohärenzhilfen wie graphische Übersichten reduziert werden kann, andererseits die Präsentation eines Sachverhalts in Form eines Hypertextes nur dann sinnvoll ist, wenn der Text eine gewisse Komplexität aufweist, die anhand allgemeiner kognitiver Strukturierungsprinzipien auf eine lernförderliche Weise dargestellt werden kann. Außerdem zeigt sich, dass der Lernmehrwert eines multimodal aufbereiteten, d. h. auf verschiedene Sinneskanäle ausgerichteten Hypertextes im Spracherwerb, im Gegensatz zu einem multimedial aufbereiteten, bei statischen Bildern und längeren Texten nicht in jedem Falle zum Vorschein kommt (Suňer, 2011).

30.4.4

Interkulturalität und Medien

Online-Medien sind wie alle Medien und Technologien ein soziales Produkt, das von den kulturellen Werten ihrer Produzenten geprägt ist (Castells, 2001). So waren die Entwickler des Internets zum großen Teil angloamerikanische Ingenieure und Wissenschaftler „seeking quick and open access to others like themselves“ (Anderson, 1995, S. 13). Die Nutzung der elektronischen Medien ist in kultu-

400

30 Fremdsprachenlernen online

reller Hinsicht also nicht indifferent, wie es die internationale Uniformität der Technik suggeriert, sondern vom Design der Geräte bis hin zur Entwicklung bestimmter Lernsoftware stark von kulturell geprägten Annahmen zur Informationsverarbeitung und zum Wissenserwerb abhängig. Die interkulturellen Aspekte der Nutzung von Online-Medien für die Kommunikation und Lehre sind bisher nur rudimentär und oberflächlich untersucht (vgl. die Übersicht in Roche & Macfadyen, 2004). In der Vermittlung von Fremdsprachen spielen diese Aspekte eine besonders wichtige Rolle, da diese Medien hier in authentischen fremdkulturellen Kommunikationssituationen verwendet werden, also für die Kommunikation konstituiv sind (siehe die Ausführungen in 30.3.3 oben). Andererseits zeigen neuere Vergleichsstudien, dass der Einfluss kultureller Dispositionen auf das Lernen möglicherweise durch interessante Lernumgebungen ausgeglichen werden kann. So konnte Todorova (2009) in einer Vergleichsstudie von bulgarischen und litauischen Deutschlernern zwar deutliche Differenzen in der kulturellen Lerndisposition feststellen, es ergaben sich aber trotz der Verwendung des gleichen (eines offen strukturierten) Online-Lernprogramms ähnliche (signifikante) Lernzuwächse und sehr hohe Zufriedenheitswerte in beiden Gruppen.

30.5

Perspektive

Obwohl im Bereich der Sprachvermittlung traditionell recht viel mit Medien experimentiert wird, werden die Online-Medien noch eher sporadisch und vorwiegend instruktionistisch genutzt. Auch in Online-Lernprogrammen finden sich daher verbreitet traditionelle Lehransätze, die die interaktiven und kreativen Möglichkeiten der Online-Medien wenig nutzen. Erst langsam entstehen umfangreiche Lernumgebungen auch mit intelligenten tutoriellen Komponenten, deren Akzeptanz unter motivierten und fokussierten Lernern stark zunimmt. Moderat konstruktivistische Konzeptionen verbinden die Vorteile orientierenden und autonomen Lernens und erlauben auch „konservativen“ Lehrkräften einen vergleichsweise leichten Einstieg in die Mediennutzung. Erfolgreich sind vor allem die Programme, die nach den modularen Prinzipien der neuen (dritten) Lernplattformgeneration konzipiert und erweiterbar sowie in verschiedene Lern-Management-Umgebungen integrierbar sind (vgl. Hampel, 2007). Langfristig stark an Bedeutung gewinnen wird die Entwicklung und Nutzung von intelligenten elektronischen Lernwerkzeugen, etwa 1. zur Modellierung von Lexika, 2. zur Verfeinerung der grammatischen schriftsprachlichen Analyse und der Erkennung mündlicher Sprache sowie 3. zur besseren Modellierung kognitiver Prozesse der Spracherarbeitung, wie beim Erwerb grammatischer Regeln und der Vermittlung von Verstehensstrategien. Dies setzt jedoch vernetztes interdisziplinäres Arbeiten von Didaktikern, Erwerbslinguisten, Computerlinguisten und IT-Spezialisten sowie eine Ausrichtung der Sprachlehr- und -lernforschung auf kognitionslinguistische Fragestellungen voraus.

31

Design und Entwicklung von Online-Lernangeboten für die Hochschule

Thomas Lerche & Hans Gruber

Für die erfolgreiche Implementierung von E-Learning in Organisationen gibt es bereits weitreichende Erfahrungen. All diesen Lösungen ist gemein, dass im Vorfeld des Einsatzes eine gründliche Evaluation und Planung in den drei Bereichen Mensch, Organisation und Technik stattgefunden hat. Design und Entwicklung von Online-Lernumgebungen hängen demnach stark davon ab, ob (1) die notwendigen didaktischen Szenarien mit Hilfe der Lernumgebung umgesetzt werden können, (2) die organisationalen Voraussetzungen für einen flächendeckenden Einsatz gegeben sind, und (3) die technischen Voraussetzungen den unproblematischen Einsatz der Lernplattform unterstützen. Das Hauptaugenmerk von Online-Lernangeboten für die Hochschule liegt auf dem Aspekt der Unterstützung des Kompetenzerwerbs. Dabei bilden die geänderte Rolle der Lehrenden, die Strukturierung und Veranschaulichung der Inhalte sowie die Unterstützung der Motivation und des eigenständigen, bewussten Übens die didaktische Grundlage für das Design und die Entwicklung der Lernabgebote. Schlüsselbegriffe: Online-Lernangebote, Design, Entwicklung, Implementation, Lehrerrolle, Strukturierung, Veranschaulichung, Motivation, Übung

402

31 Design und Entwicklung von Online-Lernangeboten für die Hochschule

31.1

Implementation virtueller Lehre in die Hochschulen

Spätestens seit der Umordnung der Studiengänge gemäß den Vereinbarungen des so genannten Bologna-Prozesses sind nur noch wenige universitäre Lehr- und Forschungseinheiten von der relativ neuen Form des Lehrens und Lernens mit E-Learning- oder Online-Lernangeboten unberührt. Bildungspolitisch angedacht ist, dass etwa 10 % der Lehrangebote der Hochschulen künftig als Selbstlern-Module konzipiert und umgesetzt werden. Die Erfahrungen im Hochschulbereich in den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts zeigen jedoch, dass viele Umsetzungsversuche auf dem Stand von Einzelprojekten stehen blieben und dass eine komplette Implementation in den Lehrbetrieb nur in wenigen Fällen stattfand (Back, Bendel & Stoller-Schai, 2001; Bremer, 2004; Euler & Seufert, 2005; Kerres, 2005; Kohl, 2004; Seufert & Euler, 2005). Gerade unter dem Aspekt der steigenden Studierendenzahlen und der zunehmend knappen öffentlichen Mittel erscheint es notwendig, dass verstärkte Anstrengungen zur Schaffung von hochschulübergreifenden Seminarangeboten unternommen werden. Ein Beispiel dafür ist die Virtuelle Hochschule Bayern (Virtuelle Hochschule Bayern, 2005). Zur Förderung und Koordination multimedialer Lehr-Lern-Angebote an bayerischen Hochschulen wurde im Mai 2000 die Virtuelle Hochschule Bayern (VHB) als Verbundprojekt gegründet. Im Jahr 2006 belegten über 44.000 Studierende einen oder mehrere Seminare aus dem Kursangebot der VHB. Derzeit werden zu folgenden Bereichen Kurse angeboten (Anzahl der Angebote in Klammern): • • • • • • • •

Medizin (27) Schlüsselqualifikationen (26) Ingenieurswissenschaften (25) Wirtschaftswissenschaften (24) Jura (20) Computer/Informatik (17) Training für Lehrerinnen und Lehrer (16) Geisteswissenschaften (12)

Neben dem allgemeinen Seminarteil bietet die VHB zusätzlich Kurse für Hochschullehrer zum Erwerb von Kompetenzen zum Administrieren und Leiten virtueller Veranstaltungen an. Trotz der in den letzten Jahren steigenden Teilnehmerzahlen ist eine sich selbst tragende Finanzierung dieses oder ähnlicher Verbundprojekte noch nicht in Sicht (Uhl, 2003; Virtuelle Hochschule Bayern, 2005). Der aktuelle Evaluationsbericht über die VHB aus dem Jahre 2005 vergleicht die VHB mit ähnlichen Verbundprojekten im europäischen Ausland und kommt zu der Empfehlung, die staatliche Förderung dieses Verbundprojektes fortzusetzen (Virtuelle Hochschule Bayern, 2005). Die Kritik der Gutachterkommission bezieht sich dabei vor allem auf zwei Punkte: Zum einen verläuft die Kooperation der einzelnen Trägerhochschulen noch nicht optimal. So wird beispielsweise die unsichere Anerkennung von Leistungsnachweisen an manchen Trägerhochschulen kritisiert. Zum anderen wurde in den ersten Jahren des Bestehens der VHB zu wenig darauf geachtet, dass die Förderung einzelner Kurse die Präsenzlehre entlastet und dass diese in schlüssiger Weise in die einzelnen Curricula integriert werden.

31.1 Implementation virtueller Lehre in die Hochschulen

403

Aus diesen Gründen empfehlen die Gutachter, die VHB als Projektträger zu optimieren. Dazu müssen vor allem die Bereiche Nachfrageorientierung und Qualitätsmanagement weiterentwickelt werden, um die VHB und einzelne Kursangebote nachhaltig in die Strukturen der einzelnen Hochschulen zu implementieren (Virtuelle Hochschule Bayern, 2005). Dieser Implementationsprozess stellt in erster Linie eine Herausforderung für die einzelnen Lehr- und Forschungseinrichtungen dar. Dieser Beitrag beleuchtet daher Design und Entwicklung von Online-Lernangeboten unter dem Aspekt einer nachhaltigen Implementation in hochschulübergreifende Einrichtungen. Aus der aktuellen Implementationsforschung wird deutlich, dass bei der Konzeption von Entwicklungsund Implementationsstrategien vor allem darauf zu achten ist, wie das System, das umstrukturiert und weiterentwickelt werden soll, aufgebaut ist. Ein Veränderungsprozess innerhalb eines komplexen Systems wie der Institution Hochschule muss ganzheitlich ansetzen und den Ausgangzustand und das individuelle und organisationale Entwicklungspotenzial berücksichtigen. Allen gelungenen Lösungen ist gemein, dass im Vorfeld des Einsatzes eine gründliche Evaluation und Planung in den drei Bereichen Mensch, Organisation und Technik stattfand. Das für die Ausführungen in diesem Beitrag verwendete theoretische System für das Design und die Entwicklung virtueller Lehre im Kontext der beschriebenen Herausforderung orientiert sich an dem Modell der drei Standbeine des Wissensmanagements (Reinmann-Rothmeier, Mandl, Erlach & Neubauer, 2001). Danach hängt der Erfolg einer Implementation von Online-Lernen in einer Organisation von der Berücksichtigung zentraler Aspekte aus den Bereichen Personen, Technik und Organisation ab. •





50

Der Begriff Personen meint in diesem Zusammenhang die Kompetenz im Bereich Online-Lernen aller beteiligten Personen, also Lehrende, Lernende und natürlich auch Hochschulverwaltung und Technik. Die Erfahrungen und Erwartungen dieser Personen bestimmen zu einem großen Teil die Potenziale für Design und Entwicklung von E-Learning- und Online-Lernangeboten in der Hochschule. Konkret heißt das, dass der Lernprozess und die Organisation von Lernumgebungen im Kern bekannte hochschuldidaktische Strukturen und Prozesse abbilden und die einzelnen Präferenzen der Beteiligten so gut wie möglich aufnehmen sollten. Der Begriff Technik steht für die Möglichkeiten, die neue Medien (Computer und Internet) zur Verfügung stellen. Dabei muss das Lernsystem die didaktischen Intentionen und das Seminarmanagement unterstützen, darf den Gestalter beim Design und bei der Entwicklung der Inhalte nicht zu stark einschränken und sollte natürlich stabil und fehlerfrei funktionieren. Mittlerweile gibt es zahlreiche Plattformen, mit denen unterschiedliche didaktische Konzeptionen umgesetzt werden können50. An vielen Universitäten gibt es zudem campusweite Tools, die Lehrende bei der Erstellung virtueller Seminare unterstützen. Der Begriff Organisation bezieht sich auf die Entwicklung einer Kultur, die den Einsatz und den Umgang von E-Learning erleichtern soll. Im Gegensatz zu Einzelprojekten werden Implementationsprozesse weitestgehend von der Organisation bestimmt und müssen individuell mit allen Beteiligten abgestimmt werden, um die für die gegebene Organisationsstruktur beste Lösung zu finden.

Einen Überblick findet man beispielsweise unter http://e-teaching.org/technik/produkte/ oder unter http://www.campussource.de/.

404

31 Design und Entwicklung von Online-Lernangeboten für die Hochschule

Unter dem Aspekt der Nachfrageorientierung bedeutet dies zunächst einmal die Abstimmung zwischen den einzelnen Hochschulen, um die curriculare Einbettung der Angebote an allen Hochschulen zu gewährleisten und damit die Präsenzlehre zu entlasten. Die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen sowie die Modularisierung vieler Studiengänge bietet in diesem Zusammenhang eine herausragende Chance, dieses Ziel zu erreichen (Virtuelle Hochschule Bayern, 2005). Die alleinige Schaffung von gemeinsamen Kursangeboten ist jedoch noch nicht ausreichend, um eine qualitativ hochwertige wissenschaftliche Ausbildung der Studierenden zu sichern. Das Hauptaugenmerk der Qualitätssicherung sollte daher, neben den genannten organisationalen und technischen Aspekten, in den Bereichen Wissensvermittlung sowie Gestaltung und Unterstützung von Lernprozessen liegen. Wegen der veränderten Voraussetzungen für alle am Lernprozess beteiligten Personen (Kommunikationswege, soziale Präsenz, Informationsaufbereitung, Selbststeuerungsanteil, Wissensverarbeitung usw.) müssen die didaktischen Aspekte bei der Gestaltung von Online-Lernangeboten im Hochschulbereich besonders berücksichtigt werden. Schwetz (2001) kritisiert, dass in vielen medienbasierten Lernszenarien oftmals zuerst die Angebote der Hard- und Software analysiert und berücksichtigt werden und erst danach didaktische Überlegungen folgen. Baumgartner (2003) lehnt es ab, dass Lernen mit neuen Medien eine eigene Didaktik notwendig macht, und plädiert dafür, bisherige Theorien des Lehrens und Lernens unter den geänderten Ausgangsbedingungen zu überprüfen und weiterzuentwickeln. Lehr-Lern-Szenarien können wegen ihrer Heterogenität und Komplexität keinen deterministisch geplanten Wegen folgen, sondern haben sich an den Gegebenheiten des Kontextes, der Inhalte, der Lernziele und der Voraussetzungen der beteiligten Personen zu orientieren (Kiel, 2007). Zudem stellten sich in den letzten Jahren viele dem Online-Lernen und dem Online-Lernen zugeschriebenen Potenziale empirisch als nicht nachweisbar heraus; Kerres (2002) nennt beispielsweise die Steigerung der Lernmotivation, der Effizienz und des Lernerfolgs durch den Einsatz technischer Tools in Lernprozessen. E-Learning und Online-Lernen bilden also keine Revolution des Lernens, ihr Einsatz hat aber, wenn didaktische Grundlagen die Basis des Einsatzes bilden, durchaus das Potenzial, in definierten, lernzielabhängigen Szenarien das Lernen zu unterstützen. Bei der Planung des Lernens mit Unterstützung der neuen Medien sind in erster Linie didaktische und lernpsychologische Aspekte und Besonderheiten der neuen Medien zu berücksichtigen, um fallabhängig zu entscheiden, für welche Problemstellung der Einsatz von E-Learning und OnlineLernen geeignet ist. Dabei bilden die geänderte Rolle der Lehrenden, die Strukturierung und Veranschaulichung der Inhalte, die Unterstützung der Motivation sowie die Unterstützung des eigenständigen und bewussten Übens die didaktische Grundlage für das Design und die Entwicklung der Angebote.

31.2

Die Rolle der Lehrenden

Bei der Planung und Gestaltung von Online-Lernumgebungen ändert sich die Rolle der Lehrenden; sie werden, mehr noch als in traditionellen Seminaren, Gestalter und Lernbegleiter, die die Studierenden beim Lernen bestmöglich unterstützen. Dabei werden die Handlungen des Dozierenden von dem generellen Ziel determiniert, die Lernumgebung für die Studierenden so zu gestalten, dass deren Konstruktion von Wissen möglichst gut unterstützt wird; für den Lernerfolg sind im Wesentlichen die Lernenden selbst verantwortlich.

31.2 Die Rolle der Lehrenden

405

In einer Metaanalyse fassen Seidel und Shavelson (2007) die Ergebnisse der empirischen TeacherEffectiveness-Forschung der letzten zehn Jahre zusammen. Dabei analysieren sie die durch die Lehrkräfte beeinflussbaren Variablen des Unterrichts (Instruktion, Unterrichtsgestaltung, Lehrerverhalten) und prüfen deren Effektivität hinsichtlich der Dimensionen Förderung des Lernprozesses, Förderung des Lernerfolgs und Förderung der Motivation. Sie stellen fest, dass der Erfolg beim Lernen vor allem von der wohldurchdachten und intensiven Auseinandersetzung der Lernenden mit der Wissensdomäne abhängt. Diese Auseinandersetzung muss differenziert gesehen werden: Unerfahrene Lernende benötigen mehr Strukturierung und Anleitung, erfahrene Lernende sind erfolgreich, wenn Lernen stärker selbstgesteuert und im sozialen Kontext stattfindet. Die Unterrichtsführung, die Kontrolle des Lernprozesses sowie die Gestaltung von Bewertung und Beurteilung der Leistungen der Lernenden haben laut dieser Metaanalyse für die Unterstützung des Kompetenzerwerbs nur eine geringe Bedeutung. Zudem fordern Hasanbegovic, Gruber, Rehrl und Bauer (2006) eine Neuorientierung der Hochschullehrenden bezüglich der Thematik Lehren und Lernen mit neuen Medien. Neben dem technischen Kompetenzerwerb stellen sie dabei vor allem die Etablierung neuer, konstruktivistisch geprägter epistemologischer Überzeugungen in den Vordergrund. Epistemologische Überzeugungen sind individuelle Einstellungen und Werte über die Natur des Lehrens und Lernens (Schommer, 1990). Auf Seiten der Lehrenden zeigt der aktuelle Stand der Forschung, dass diese Einstellungen sowohl die Konzeption der Lernumgebung als auch die Gestaltung der Instruktionen beeinflussen können. Dies zeigt sich oft als unerwünschter Nebeneffekt auch für den Bereich Online-Lernen in der Hochschullehre: Es ist zu beobachten, dass traditionelle didaktische Modelle unverändert in den virtuellen Bereich übertragen werden (Astleitner, 2000; Schulmeister, 2004). Die Herausforderung des Erwerbs von Handlungskompetenzen und der Vermeidung trägen Wissens fordert jedoch eine stärker konstruktivistisch geprägte Auffassung vom Lernen. Betrachtet man Lernen unter einer konstruktivistischen Perspektive, so unterscheiden sich die epistemplogischen Überzeugungen des Lehrens in drei Punkten von der traditionellen Sichtweise (Harteis, Gruber & Lehner, 2006): • • •

Unterricht stellt lediglich ein Angebot von Informationen und Werkzeugen zur Verfügung, die Lernenden sind jedoch für ihren Lernerfolg selbst verantwortlich. Wissenserwerb erfolgt durch soziales Aushandeln. Die Rolle der Lehrenden ändert sich von einer Wissensautorität hin zur Moderation, mit der der selbstgesteuerte Wissenserwerb der Lernenden begleitet und unterstützt wird.

Die verminderte soziale Präsenz bei der Kommunikation mit den Studierenden erschwert es den Lehrenden jedoch, die Wissenskommunikation zu strukturieren und zu moderieren. Dies macht eine stärkere Fokussierung der E-Moderation (Berge & Collins, 2000) sowie den Einsatz spezieller reflexionsfördernder Problemstellungen notwendig (Döring, 2001). Hierfür wurden in den letzten Jahren forum- und chatbasierte Plattformen zur Kommunikation der Inhalte verwendet, allerdings mit unterschiedlichen Ergebnissen. Evaluationsberichte zeigen eine zum Teil mangelhafte Wissenskommunikation, 50 % der Inhalte in Foren und Chats kamen von der Lehrperson. An der Oxford Brooks University wird seit vier Jahren erfolgreich eine Weblog-basierte Lernumgebung eingesetzt: Studierende erhalten zugleich mit ihrer Immatrikulation einen eigenen Weblog, der in virtuellen und teilvirtuellen Seminaren als Lerntagebuch zur Präsentation des eigenen Wissenszuwachses und größtenteils auch für Leistungsnachweise verwendet wird. In den einzelnen Seminaren veröffentlichen die Teilnehmenden regelmäßig eigene Ausarbeitungen und Lösungsvorschläge zu den gestellten Problemen, die in den darauf folgenden Tagen von den Studierenden und Dozierenden kommentiert werden. Da sich die Studierenden bei der

406

31 Design und Entwicklung von Online-Lernangeboten für die Hochschule

Bearbeitung der Problemstellungen intensiv mit den Inhalten auseinandersetzen, wird die Wissenskommunikation in der Phase der Kommentierung erleichtert, nachdem hinreichend Vorwissen aufgebaut wurde, um eigene Kommentare und Ergänzungen hinzuzufügen.

31.3

Strukturierung der Inhalte

Gerade Lernende mit geringem domänenspezifischem Vorwissen können durch ein hohes Maß an Autonomie und Eigenständigkeit in den Lernprozessen überfordert werden (Reiter, 2001). Die Erfahrung mit der Gestaltung online-basierter Lernumgebungen zeigt zudem, dass aufgrund des höheren Maßes an Ungewissheit und Neuheit eine etwas stärkere Strukturierung der Lernprozesse angeraten ist als bei gleichen Voraussetzungen der Lernenden in klassischen Präsenzseminaren. Die konkrete Selektions- und Strukturierungsentscheidung hängt für die Gestalter der Inhalte von einer Reihe von Vorbedingungen ab, wie den Voraussetzungen der Lernenden, den Inhalten oder den zur Verfügung stehenden Materialien. Merrills First Principles of Instruction (2002), eigentlich als Vorgaben für den klassischen Unterricht gedacht, können auch für die Gestaltung von Online-Materialien herangezogen werden: • • • • •

Learning is promoted when learners are engaged in solving real-world problems. Learning is promoted when existing knowledge is activated as a foundation for new knowledge. Learning is promoted when new knowledge is demonstrated to the learner. Learning is promoted when new knowledge is applied by the learner. Learning is promoted when new knowledge is integrated into the learner’s world. (Merrill, 2002, S. 45ff.).

Neue Inhalte sollten demzufolge problem- oder phänomenbasiert eingeführt werden. Dabei ist es wichtig, dass diese Probleme aus der Lebensumwelt der Studierenden kommen. Das bedeutet nicht, dass nach Problemen gesucht werden muss, die die Studierenden aktuell – mehr oder minder zufällig – selbst haben. Wichtiger ist es, Herausforderungen zu finden, bei denen die Ausgangsbedingungen und die Umstände bekannt sind und keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Das Problem sollte sich lediglich aus der Kombination bekannter Eigenschaften und Phänomene der verwendeten Objekte definieren, sodass möglichst wenig kognitive Kapazität auf das Verstehen der Begleitumstände verwendet werden muss. Bei der Generierung von Problemstellungen und Phänomenen empfiehlt es sich, von den jeweiligen Lernzielen auszugehen und den Kontext der Wissensanwendung zu berücksichtigen (Hawelka, 2003). Die Präzisierung eines Lernziels (Gagné, Briggs & Wager, 1992) erfolgt durch Angabe von fünf Komponenten zur Spezifikation: • • • • •

Situation, in der Leistung gezeigt werden soll; zu erlernende Fähigkeit (nicht direkt beobachtbar); Objekt, an dem die Leistung gezeigt werden soll; beobachtbare Aktion, die der Lernende vornehmen soll; Hilfsmittel, Beschränkungen oder spezifischen Bedingungen.

31.4 Veranschaulichung

31.4

407

Veranschaulichung

Lernen als Verarbeitungsprozess wird im Wesentlichen von den Erfahrungen und Vorkenntnissen der Lernenden determiniert. Zum einen lenken die vorhandenen Vorwissenskonstrukte die Aufmerksamkeit der Lernenden auf neue Informationen und bestimmen den Bewertungsprozess von neuen Inhalten. Zum anderen formt das Vorwissen die Verarbeitung der Inhalte, indem es kognitive Schemata für die Assimilation und Akkommodation von Phänomenen schafft (Weiß & Liebenwein, 2008). Für das Gelingen der kognitiven Verarbeitungsprozesse ist es daher wichtig, die Vorkenntnisse und Präferenzen der Lernenden zu kennen und zu berücksichtigen, da gerade die wohldurchdachte Auseinandersetzung mit unbekannten Inhalten und Phänomenen ein mental anstrengender Prozess ist. Neben der Verknüpfung der neuen Inhalte mit dem Vorwissen der Lernenden bietet die Veranschaulichung das Potenzial, neues Wissen in der von den Lernenden präferierten Modalität zu präsentieren. Die Modalitätspräferenz kann als individueller situationsübergreifender kognitiver Orientierungsstil verstanden werden, der sowohl bei Aufnahme- als auch bei Verarbeitungsprozessen eine Rolle spielt (Tiedemann, 2001). Neben diesen eher kognitivistischen Überlegungen basiert die Annahme der Modalitätspräferenz auch auf der Notwendigkeit von Selbststeuerungsmöglichkeiten in Lernsituationen (Krapp, 1993; Schiefele & Pekrun, 1996). Die handelnden Lernenden erwarten von ihrer Lernumwelt spezifische Eigenschaften und nehmen in ihr unterschiedliche Rollen ein, die von den Gegebenheiten, aber auch von ihren individuellen Intentionen bestimmt werden. Dabei organisieren sie sich und ihr Handeln weitgehend selbst. Jede Unterstützung von Lernprozessen durch eine präferierte Veranschaulichung der Inhalte kann auch als Anregung der individuellen Selbstkonzepte der Lernenden verstanden werden. Dies legt die Hypothese nahe, dass Anregungen, die auf die von den Lernenden präferierte Weise angeboten werden, Auswirkungen auf deren Bedeutungszumessung und Verarbeitung haben. Diese Vermutung wurde von Hauck (2005) empirisch überprüft. Für den kognitiven Orientierungsstil „Modalitätspräferenz“ untersuchte er, welchen Einfluss die auditiven oder visuellen Wege der kognitiven Informationsverarbeitung auf die Leistung individueller Lernenden haben. Der Fokus lag dabei auf Prozessen, die bei der Konstruktion der internen Repräsentation stattfanden. Hauck (2005) fand, dass vor allem bei höheren Verstehensprozessen und anspruchsvollen Inhalten das Lernen mit der präferierten Modalität zu einem höheren Verständnis führt. Bezüglich der Behaltens- und Transferleistung ergaben sich keine positiven Effekte, jedoch auch keine negativen. Werden diese Ergebnisse ernst genommen, führen sie zu erheblichem Mehraufwand in der didaktischen Gestaltung von E-Learning- und Online-Lernangeboten. Da Lernende die Möglichkeit haben müssen, den Darstellungsmodus selbst auszuwählen, müssen die Inhalte multimodal aufbereitet werden. Das heißt, die Lerninhalte, die der Unterstützung des Kompetenzerwerbs dienen sollen, müssen vollständig in verschiedenen Varianten erstellt werden (Lerntexte, audiobasiertes Material, gegebenenfalls multimediale Animation), was den Produktionsaufwand deutlich erhöht.

408

31.5

31 Design und Entwicklung von Online-Lernangeboten für die Hochschule

Motivation

Das Thema Motivation gehört zu den theoretisch und empirisch gut untersuchten Gebieten der Erziehungswissenschaft. Neben dem Vorwissen und den kognitiven Orientierungsstilen gehört die Motivation zu den zentralen Voraussetzungen für erfolgreiches Lernen: Motivierte Lernende investieren mehr Anstrengung und lernen dadurch mehr (Wild, 2000). Verschiedene theoretische Modelle bieten Erklärungsansätze und Handlungsempfehlungen, wie die Motivation der Lernenden unterstützt und gefördert werden kann (Deci & Ryan, 1993; Heckhausen, 1974; Keller, 1987; Schiefele & Schiefele, 1997; Weidenmann, in diesem Band; Wild, Hofer & Pekrun, 2006). Es herrscht weitgehende Einigkeit darüber, dass die Förderung der Motivation über die Faktoren Gegenstandsinteresse, Autonomie, Kompetenzerleben und soziale Integration angestoßen wird (Deci & Ryan, 2000; Prenzel, Krapp & Schiefele, 1986), wobei anzumerken ist, dass Autonomie nicht als Synonym für Autarkie zu verstehen ist, sondern das Einbeziehen der Einflüsse der sozialen Umwelt auf das eigene Handeln mit enthält. Dass das Lernen mit neuen Medien dank des „Neuigkeitsbonus“ die Lernenden motivieren soll, ist seit mehreren Jahren empirisch nicht mehr nachweisbar (Paechter, Schweizer & Weidenmann, 2000; Weidenmann, 2006). Laut Prenzel (1997) ist vor allem bei externaler Lernmotivation die Gefahr der Demotivation sehr groß. Hier wirken Aspekte wie mangelnde Selbstkontrolle über den Lernprozess, ein nicht konkretes Lernziel, die Fokussierung auf Faktenwissen, mangelndes Vertrauen oder fehlende soziale Integration stark demotivierend. Schiefele (1996) argumentiert, dass bei der Entwicklung multimedialer Lernangebote der Fokus auf dem gegenstandsbezogenen Interesse liegen sollte. Neben der Motivation spielen auch die epistemologische Überzeugungen für die individuelle Gestaltung des Lernprozesses eine wichtige Rolle. Sowohl bei der Bewertung neuer Informationen und Inhalte als auch bei Akkommodationsprozessen beeinflussen subjektive Einstellungen zur Objektivität und Wertigkeit von Wissen die Informationsverarbeitung und die Lernmotivation (Gruber, Harteis, Hasanbegovic & Lehner, 2007): Eine intensive und wohldurchdachte Auseinandersetzung mit den Lerninhalten kann durch wenig elaborierte epistemologische Überzeugungen wie „Der Lernprozess kann beschleunigt werden“ oder „Das neue Wissen ist objektiv und richtig“ negativ beeinflusst werden (Schommer, 1993, 1998). Hinzu kommt das oft zu beobachtende Phänomen, dass manche Medien (z. B. das Fernsehen) sowohl von Lehrenden wie von Lernenden als eingängig und weniger herausfordernd als andere Medien (z. B. das Buch) wahrgenommen werden, dass also multimedial aufbereitete Inhalte das Lernen zu erleichtern scheinen. Salomon (1984) konnte zeigen, dass die aufgebrachte Anstrengung der Lernenden in der Auseinandersetzung mit den Inhalten umso geringer ist, je niedriger die Anforderungen sind, die das Medium an die Lernenden stellt. In den meisten Fällen ist die Lernleistung jedoch proportional zur mentalen Anstrengung (siehe Weidenmann in diesem Band). Allerdings verlangt gerade Online-Lernen von Lernenden einen höheren Selbststeuerungsanteil sowie die Übernahme von Verantwortung für den eigenen Lernerfolg. Dies macht einen Perspektivenwechsel der Lernenden über die Natur des Lernens notwendig. Die Änderung epistemologischer Überzeugungen ist für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Es handelt sich schließlich um individuelle Konzepte, die – nimmt man das Beispiel Studierender – bereits seit vielen Jahren erfolgreich funktionieren. Die offizielle Zielsetzung der meisten Studienordnungen trägt ebenfalls nicht den Anreiz in sich, die bislang gezeigten Lernprozesse zu verändern oder

31.6 Übungen

409

Wissen als fluid wahrzunehmen: Schließlich steht am Ende des Studiums das Examen, in dem vor einer als Autorität wahrgenommenen Person Wissen und Können gezeigt werden müssen, die im Kontext des Studiums zu erwerben sind. Ein „conceptual change“ erfordert laut Sinatra und Mason (2008) eine umfassende Bestimmung der Barrieren für einen Perspektivenwechsel, eine Thematisierung der Neugestaltung von Lernprozessen sowie intensive Interaktionsprozesse und aktives Experimentieren mit neuen Vorgehensweisen beim Wissens- und Kompetenzerwerb. Dies führt zu der eingangs gestellten Forderung der Auseinandersetzung der Lehrenden mit den eigenen epistemologischen Überzeugungen.

31.6

Übungen

Ericsson, Krampe und Tesch-Römer (1993) konnten zeigen, dass eine konsequente, längerfristige und wohldurchdachte Auseinandersetzung des Individuums mit dem Gegenstandsbereich den stärksten Faktor für erfolgreichen Kompetenzerwerb darstellt: „The effects of extended deliberate practice are remarkably far-reaching and include physiological adaptions and qualitative changes in performance mediated by acquired cognitive skills“ (Ericsson, 1998, S. 75). Den Stellenwert, den bewusstes Üben bezüglich erfolgreichen Lernens einnimmt, zeigen aktuelle Ergebnisse der Lehr-Lern-Forschung. Lernen ist erfolgreich, wenn genügend Zeit für die intensive Auseinandersetzung vorhanden ist (Helmke, 2003; Seidel & Shavelson, 2007) und wenn sich die Lernenden konsequent und wohldurchdacht mit dem Gegenstandsbereich auseinandersetzen (Ericsson et al., 1993; Lehmann & Gruber, 2006). Dabei steht das Ziel im Vordergrund, das Gelernte durch Wiederholung gegen Vergessen abzusichern und den Wissenstransfer auf verwandte Problemstellungen zu fördern. Allerdings macht Üben in der Regel keinen Spaß, da hierfür hohe mentale oder physische Anstrengung notwendig ist. Um aber effektiv zu üben, ist eine hohe Anstrengungsbereitschaft bzw. eine entsprechende Arbeitshaltung notwendig, wobei dieser Begriff nicht in erster Linie „Pauken und Auswendiglernen“ impliziert, sondern vielmehr die Bereitschaft anspricht, neue Ideen und Perspektiven aktiv zu erarbeiten und die Motivation zu finden, auch Aufgaben zu bearbeiten, die zunächst nicht interessant erscheinen und keinen einfachen Lösungsweg verheißen. In der Praxis sind Lehrende oft versucht, der Abwechslung und dem Spaß im Unterricht den Vorzug vor der Unterstützung der Anstrengung zu geben (Wydra, 2004), was in Hinblick auf den Kompetenzerwerb keine hinreichende Unterrichtsgestaltung darstellt. Dies impliziert bei der Gestaltung von Lernumgebungen, speziell für die Gestaltung von OnlineLernen, eine Förderung der Selbsttätigkeit und der Gestaltung des eigenen Lernprozesses. Übungen sind so zu konzipieren, dass Lernende zur bewussten Auseinandersetzung mit den Inhalten angeregt werden. Zudem sollte das Feedback – auch in Hinblick auf motivationsrelevante Aspekte – primär die Anstrengung, den Lernprozess und den Lernfortschritt der Lernenden ansprechen. Weiss und Lerche (2008) nennen sechs Aspekte für die Gestaltung von Übungen im Lernkontext: •

Bei den Lernenden muss das Verständnis für den Sinn und die Notwendigkeit des Übens geweckt werden. Dazu können und sollten Lernende am Zusammenstellen und Entwickeln von Übungen aktiv beteiligt werden.

410 •









31 Design und Entwicklung von Online-Lernangeboten für die Hochschule Ein hoher Grad an Selbsttätigkeit erhöht den Erfolg des Übens. Hierzu sollten verschiedene Methoden des Lernens vermittelt und eingeübt werden, um die Erfolgszuversicht der Lernenden beim Lösen neuer, unbekannter Problemstellungen zu unterstützen. Dies erfordert unter Umständen beträchtliche Zeit, deren Ertrag jedoch rentabel ist. Den Lernenden sollte Gelegenheit zur Entdeckung der eigenen Stärken und Schwächen gegeben werden, und sie sollten im Umgang damit beraten werden. Dazu sollten Übungen so aufgebaut sein, dass möglichst oft die Freude des „Gut-Könnens“ erlebt werden kann. Der Gegenstand der Übung sollte aus dem Kontext der Lernenden stammen und für sie subjektiv bedeutsam sein. Bei erfahrenen Lernenden empfiehlt sich eine authentische Problemstellung mit mehreren Lösungswegen (beispielsweise Optimierungsprobleme), bei denen es keine festgelegte Lösung gibt, sondern nur ein für den jeweiligen Kontext oder die individuelle Überzeugung optimales Ergebnis. Bei Übungen sollte den Lernenden die Möglichkeit gegeben werden, Lösungswege selbst bzw. in einer Gruppe zu entdecken. Hierzu sollten die Aufgaben so gestellt werden, dass die Verwendung möglichst vieler Ressourcen und Kompetenzen das Ergebnis reichhaltiger und wertvoller machen. Das Feedback auf Übungen sollte neben dem Ergebnis vor allem die Anstrengung und den Lernprozess der Lernenden thematisieren. Wer der Meinung ist, dass der eigene Erfolg vor allem ein Resultat der eigenen Begabung ist, wird sich weniger anstrengen als eine Person, die überzeugt ist, dass vor allem die eigene kognitive oder physische Anstrengung ausschlaggebend für ein gutes Ergebnis ist.

32

Virtuelles Lernen in der Berufsbildung

Gerhard Zimmer

Der Erwerb ganzheitlicher beruflicher Handlungskompetenzen ist oberstes Ziel jeder Berufsbildung. Dies erfordert eine handlungs- und aufgabenorientierte Ausbildung, die an den Geschäfts- und Arbeitsprozessen ausgerichtet ist und die Aufgaben eines Berufes in das Zentrum der Ausbildung zum Erwerb der Kompetenzen für kooperativ selbstgesteuertes Lernen und Handeln stellt. Die digitalen Bildungsmedien und die Computervernetzung ermöglichen es, Betrieb, Schule und Bildungszentrum übergreifend virtuelle Lernorte aufzubauen. Grundlagen dafür sind die aufgabenorientierte Aufbereitung der Lernmaterialien und Gestaltung der Lernphasen, eine virtuelle pädagogische Infrastruktur sowie mediendidaktische Kompetenzen der Lehrenden und Lernenden. Schlüsselbegriffe: Berufsbildung, Didaktik, Lernaufgaben, Lernmaterialien, Medienkompetenzen, Pädagogische Infrastruktur, Virtueller Lernort

412

32.1

32 Virtuelles Lernen in der Berufsbildung

Aufgabenorientierte Didaktik

Die exemplarischen Aufgaben eines Berufes in Geschäfts- und Arbeitsprozessen sind in der aufgabenorientierten Didaktik der Ausgangspunkt beruflicher Lehr- und Lernprozesse (vgl. Zimmer, 1998, 2004). Zur effizienten Bearbeitung von Berufsaufgaben sind spezifische Ensembles von Berufshandlungen notwendig, die sich im Laufe der Entwicklung der Arbeitsprozesse, Arbeitsteilungen und Arbeitsverhältnisse herausgebildet haben und den Arbeitenden zugeordnet bzw. von diesen ergriffen werden. Da Arbeit ein aktiver Prozess zwischen Mensch und Natur sowie zwischen Mensch und Mensch ist, können systematisch sechs Dimensionen in Berufshandlungen unterschieden werden: Beherrschung der Technik, Organisation der Arbeit, Kommunikation und Kooperation, Kompetenzentwicklung, Nachhaltigkeit und Entwicklung der Gesellschaft. Die Dimensionen können bei den einzelnen Berufen entsprechend den technologischen Entwicklungen, den Organisationskonzepten der Arbeitsprozesse, den gesellschaftlichen Arbeitsverhältnissen und den jeweiligen Wirtschaftsstrukturen sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Je nach Spezialisierung und Komplexität einer Berufsaufgabe haben die Dimensionen sehr unterschiedliche inhaltliche und formale Ausprägungen, was die unübersehbar große Zahl unterschiedlicher beruflicher Handlungsprofile in ihren horizontalen und vertikalen Anordnungen in Unternehmen und Institutionen begründet. So sind bei arbeitsteilig zu bewältigenden Aufgaben die Dimensionen je nach Position und Funktion in der Arbeitsteilung anders ausgeprägt (z. B. bei Führungskräften anders als bei ausführenden Fachkräften). Für die beruflichen Bildungsprozesse werden aus den Berufsaufgaben durch didaktische Handlungen der Lehrenden und Lernenden die Lernaufgaben in einem dialogischen Prozess ausgegliedert. Für diese Lernaufgaben müssen in virtuellen Lernumgebungen alle relevanten Lernressourcen für das selbstgesteuerte Lernen zur Verfügung gestellt werden. Durch die individuelle und/oder kooperative Bearbeitung der Lernaufgaben durch die Lernenden mit begleitender Unterstützung der Ausbilder und Lehrer werden von ihnen die Handlungskompetenzen für die spätere kompetente Bewältigung der Berufsaufgaben erworben. Bei den Lernhandlungen, die den Erwerb der Handlungskompetenzen ermöglichen, können systematisch sieben Dimensionen unterschieden werden: Bedeutungswissen, Handlungsinteressen, Entscheidungskompetenzen, Fachkompetenzen, Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen und Bewertungskompetenzen. In ihren unterschiedlichen Ausformungen und inhaltlichen Vertiefungen beschreiben sie das von den Lernenden erworbene subjektive Arbeitsvermögen. Je nach Strukturen und Anforderungen der zu bearbeitenden Lernaufgaben werden berufsspezifisch und auch individuell unterschiedliche Kompetenzprofile und -potenziale erworben. Die erworbenen Kompetenzen werden durch einen didaktisch-methodisch strukturierten Transferprozess (z. B. Einarbeitung, Mitarbeit in Fachabteilungen etc.) in die laufende Bearbeitung von Berufsaufgaben eingegliedert. Die in virtuellen Lernräumen bereitgestellten Lernressourcen müssen immer zu allen Dimensionen der Berufshandlungen Materialien und Aufgaben bereitstellen, damit die Lernenden entsprechend den Bildungszielen und Lernbedarfen gute Chancen zum Erwerb ganzheitlicher beruflicher Handlungskompetenzen erhalten.

32.1 Aufgabenorientierte Aufbereitung der Lerninhalte

32.1 1.

2.

3.

4.

5.

6.

413

Aufgabenorientierte Aufbereitung der Lerninhalte

Bedeutung der Berufsaufgabe darstellen: Aus einem beruflichen Handlungsfeld müssen exemplarische Berufsaufgaben sowohl anschaulich in ihrer Ausführung und organisatorischen Einbettung als auch erklärend in ihrer betrieblichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedeutung sowie ihren Kompetenzanforderungen dargestellt werden. Die Lernenden müssen alle Aspekte einer exemplarischen Berufsaufgabe in ihren Voraussetzungen, Kontexten, Wirkungen und Perspektiven selbstständig explorieren können. Diskrepanzerfahrungen ermöglichen: Die präsentierten exemplarischen Berufsaufgaben müssen den Lernenden zum Aufbau von Lernmotivation und für die Übernahme und Herausbildung von individuellen Lernzielen, z. B. durch Simulationen, Erkundungen, Tests etc., die Erfahrung von Diskrepanzen zwischen ihren vorhandenen und den geforderten beruflichen Handlungskompetenzen ermöglichen. Dazu müssen die Lernenden auch über die von ihnen explorierten bzw. zu explorierenden Handlungsanforderungen der Berufsaufgaben in einen telekommunikativen Diskurs mit anderen Lernenden, Mentoren, Ausbildern und Lehrenden und auch mit Fachexperten treten können. Lernaufgaben eigenständig bestimmen können: Die multimedialen Lernmaterialien müssen es erlauben, aufgrund der gemachten Diskrepanzerfahrungen individuelle Lernaufgaben zum Erwerb der geforderten Handlungskompetenzen eigenständig im Diskurs mit den Lehrenden und den anderen Lernenden auswählen und definieren zu können. Darin müssen sie durch Lernhinweise sowie durch Hinweise auf weitergehende Lernressourcen, z. B. im Internet oder in Bibliotheken, unterstützt werden. Dazu muss den Lernenden während der Bearbeitung ihrer selbst definierten Lernaufgaben eine mentorielle Beratung und Betreuung über asynchrone oder synchrone Telekommunikation, z. B. über E-Mail, Chat, Videokonferenz etc., unterstützend zur Verfügung stehen. Erwerb autodidaktischer Lernkompetenzen unterstützen: Das Lernen in virtuellen Lernräumen erfordert autodidaktische Lernkompetenzen. Die multimedialen Lernmaterialien müssen daher methodisch so strukturiert und mit Hinweisen und Arbeitsvorschlägen ausgestattet sein, dass die Lernenden in der Herausbildung der für ihr kooperativ selbstgesteuertes Lernen notwendigen autodidaktischen Fähigkeiten unterstützt werden. Exploratives und expansives Lernen ermöglichen: Die Lernmaterialien müssen durch ihre interaktiven multimedialen Strukturen (Simulationen, Hypertext, Video) so strukturiert sein, dass die Bearbeitung der selbst ausgewählten Lernaufgaben den Lernenden ein weitgehend exploratives und expansives Lernen ermöglichen, das zu eigenständigen und präsentierbaren Ergebnissen führt. Dies ist für die Entwicklung der Befähigung zu ergebnisorientiertem kooperativem und kommunikativem Lernen und Arbeiten wichtig. Kooperatives und partizipatives Lernen unterstützen: Die virtuellen Lernräume, in die die Lernmaterialien eingebettet sind und in denen sie bearbeitet werden, müssen Funktionen bereitstellen, die es den Lernenden erlauben, virtuelle Lerngruppen – auch mit Teilnahme von Tutoren, Mentoren, Ausbildern, Lehrern und Fachexperten – zu organisieren, damit sowohl kooperativ selbstorganisiertes Lernen als auch partizipatives Lernen stattfinden kann. Am Besten kann eine solche lernende Zusammenarbeit gestartet werden durch die Einrichtung moderierter Communities of Practice.

414

32 Virtuelles Lernen in der Berufsbildung

7.

Persönliches Kennenlernen ermöglichen: Neben einer einführenden und einer abschließenden Präsenz- oder Telepräsenzveranstaltung sollte ein virtueller Lernraum auch Räume bereitstellen, die den Lernenden und Lehrenden ein telemedial vermitteltes ‚persönliches’ Kennenlernen ermöglichen, z. B. durch Kurzbiografien, Fotos, Video Clips, damit sie sich ein Bild von allen Beteiligten machen können, mit denen sie es während der Bearbeitung von Lernaufgaben zu tun haben. 8. Eigene Ergebnisse präsentieren können: Für den Lernerfolg ist es wichtig, dass die Lernenden die Ergebnisse ihrer individuellen oder kooperativen Bearbeitung einer Lernaufgabe in multimedialer Darstellung zur fachlichen Diskussion und weiteren Nutzung in den Lernraum einstellen können. Das setzt voraus, dass die eingangs im Dialog mit den Lehrenden und auch den anderen Lernenden ausgegliederten Lernaufgaben so definiert werden, dass jeweils originäre Ergebnisse entstehen, die den anderen Lernenden bei der Rezeption Lerngewinne bringen. Dies fördert zum einen die Fähigkeit zur verständlichen Präsentation eigener Arbeitsergebnisse, zum anderen fördert die Präsentation und Diskussion dieser Ergebnisse die kommunikativen und kooperativen Kompetenzen sowie die Breite des Wissens. 9. Synchrone und asynchrone Kommunikation ermöglichen: Virtuelle Lernräume müssen für das kooperativ selbstorganisierte Lernen mit den anderen Lernenden wie für die Kommunikation mit den Ausbildern, Lehrern und Experten Abteilungen und Funktionen bereitstellen, in denen Nachrichten asynchron, z. B. per E-Mail, ausgetauscht und auch synchron, z. B. in Chats, Foren, Audio- oder Videokonferenzen etc., diskutiert werden können. 10. Hinreichendes Zeitbudget einräumen: Der Erwerb vollständiger beruflicher Handlungskompetenzen hat immer eine individuelle Eigenzeit. Daher muss jedem Lernenden ein hinreichendes Zeitbudget zum selbstorganisierten und kooperativen Lernen eingeräumt werden, weil sonst alle Mühen und nicht unerheblichen Aufwendungen für die Bereitstellung virtueller Lernressourcen ins Leere laufen. Die wieder anzutreffende, mehr oder weniger offen vertretene Auffassung, dass nach dem Muster kybernetischer Regelkreise und strikter Zeitvorgaben sich in kürzester Zeit die größten Lernerfolge erzielen lassen würden, hat sich bereits in der Vergangenheit als Illusion erwiesen. Zudem wird durch solche Einengungen die individuelle Herausbildung der für die Bewältigung der komplexen Berufsaufgaben in informatisierten Arbeitsprozessen erforderliche Flexibilität und Kreativität behindert oder gar verhindert.

32.2

Phasen virtueller Lernprozesse

Durch eine aufgabenorientierte Aufbereitung der multimedialen Lernmaterialien sollen Chancen für expansives Lernen (vgl. Arnold et al., 2004; Holzkamp, 1993, S. 190ff.; Zimmer, 2003, 2004) eröffnet werden, um die Lernenden zu befähigen, Berufsaufgaben eigenständig kompetent bearbeiten zu können und aus eigener Initiative weitergehende berufliche Handlungskompetenzen zu erwerben. Aufgabenorientierte virtuelle Lernprozesse können in drei Phasen gegliedert werden: 1. Startphase: In der Startphase muss die Ausgliederung von Lernaufgaben mit den Lernenden besprochen werden. Lernaufgaben dürfen nicht definitiv vorgegeben werden, sondern die Lernenden müssen durch Tests, Probeaufgaben, Simulationen, Problemexplorationen, Praxiserkundungen etc. im Dialog mit dem Lehrenden oder Ausbilder und den anderen Lernenden ihre Lernproblematik aus der exemplarischen Berufsaufgabe ausgliedern und als ihren individuellen Lernbedarf formulieren. Anschließend müssen sie ihren individuellen Lernplan nach Inhalten, Zeitablauf, Kommunika-

32.3 Pädagogische Infrastruktur virtueller Lernräume

415

tions- und Kooperationsschnittstellen und Erfolgskriterien im beratenden Dialog mit dem Lehrenden oder Ausbilder aufstellen und entscheiden. 2. Hauptphase: In der Hauptphase, dem ‚eigentlichen’ Lernprozess, müssen die Lernenden ihre geplanten Lernschritte in den vorwiegend in Hypertextstrukturen aufgebauten Lernmaterialien selbstständig oder auch in Kooperation mit anderen Lernenden vollziehen können. Theoretische Grundlagen, Praxisbezüge, Übungsaufgaben, Zwischentests, Simulationen, Präsentationen erarbeiteter Lernergebnisse etc. müssen in vielfältiger Weise sachlogische, aber auch lernlogische Verknüpfungen haben, die in hohem Maße selbstorganisiertes Lernen erlauben. Optional empfohlene Lernschritte sollten von den Lernenden jederzeit gewählt oder verlassen werden können. Die Lernenden müssen auch jederzeit die Möglichkeit haben, auf elektronischem Wege mit Tutoren, Lernenden, Lehrenden, Fachexperten etc. in einen Diskurs bzw. eine Kooperation eintreten zu können. 3. Transferphase: Beim Transfer ihrer Lernergebnisse in die im Praxisfeld anstehenden Aufgabenbearbeitungen müssen die Lernenden durch die Lehrenden, Ausbilder oder Fachexperten unterstützt werden. Dies kann in unterschiedlichen Formen geschehen: beispielsweise durch Simulationen oder durch die kontrollierte Vorführung der Bearbeitung komplexer Aufgaben in der konkreten Praxis.

32.3

Pädagogische Infrastruktur virtueller Lernräume

Virtuelle Lernräume brauchen eine pädagogische Infrastruktur mit sechs ‚Funktionsabteilungen’ um den zentralen Arbeitsbereich herum (Zimmer, 2000): 1. Angebot und Auskunft: Lernangebote müssen in kurzen Beschreibungen mit Angaben zu Voraussetzungen, Ablauf, Lerngegenständen, Ergebnissen, Zertifikaten, Zielgruppen, Zeitaufwand und Kosten vorgestellt werden. Hier müssen auch alle weitergehenden Informationen und Hinweise zu finden sein, die auf erwartbare Fragen der Lernenden Auskunft geben. 2. Planung und Verwaltung: Den Lernenden müssen Hinweise und Instrumente zur Planung ihrer individuellen oder gemeinsamen Lernaktivitäten zur Verfügung gestellt werden. Hierher gehören auch Kursverwaltung, Teilnahmelisten, persönliche Hinweise der Lernenden, Lehrenden und Experten sowie geschützte Informationen zum Lernverlauf und zu den erzielten Lernerfolgen. 3. Mediathek und Ergebnisse: Für eine zeitflexible Nutzung müssen die Lernmaterialien in Datenbanken verwaltet werden können, insbesondere auch wegen der laufenden Aktualisierungen, Ergänzungen und Erweiterungen. Diese müssen einerseits gegen unbefugte Eingriffe und Veränderungen geschützt sein, andererseits aber den Lernenden auch das Einstellen eigenständig erarbeiteter Lernergebnisse zur fachlichen Diskussion und Nutzung durch andere Lernende und Lehrende ermöglichen. 4. Schnittstellen zu Anwendungssoftware: Damit Lernende schon während der Bearbeitung der Lernaufgaben Zwischenergebnisse in möglichen Anwendungsfeldern – soweit sie auf dem Computer darstellbar sind – überprüfen können, müssen Schnittstellen zu der jeweils relevanten Anwendungssoftware vorhanden sein. 5. Kommunikation und Kooperation: Für die Raum und Zeit übergreifende Kommunikation und Kooperation müssen Funktionen und Räume zur Verfügung stehen. Zukünftig wird es nicht mehr hinreichend sein, wenn virtuelle Lernräume nur E-Mail, Chat und Diskussionsforen unterstützen.

416

32 Virtuelles Lernen in der Berufsbildung

Vielmehr wird die Unterstützung von Audio- und Videokonferenzen sowie von geteilten Anwendungen zunehmend wichtiger (vgl. Gaiser, 2002). 6. Prüfung und Evaluation: Lernende möchten eine Bestätigung ihrer Lernleistungen und Lernerfolge erhalten und den Lehrenden, Ausbildern und Experten eine Bewertung ihrer Unterstützung mitteilen und Verbesserungen vorschlagen. Dazu müssen geschützte Bereiche für das Einstellen von Prüfungen und Prüfungsergebnissen vorhanden sein ebenso wie für das Durchführen von Evaluationen und die Evaluationsergebnisse zur Verbesserung der Qualität laufender und zukünftiger Bildungsangebote.

32.4

Konzeption eines virtuellen Lernortes

1. Einrichtung: Die Defizite in der Kooperation der Lernorte in der Berufsbildung erschweren die Herausbildung ganzheitlicher beruflicher Handlungskompetenzen. Nicht nur die sehr unterschiedlichen didaktisch-methodischen Ansätze und Möglichkeiten der beteiligten Lernorte Betrieb, Schule und Bildungszentrum, sondern auch deren räumliche Distanz und zeitlich getrennte Aufeinanderfolge behindern die Entwicklung der Lernortkooperation. Die Einrichtung eines gemeinsamen virtuellen Lernortes kann einen neuen Beitrag zur Überwindung der räumlichen und zeitlichen Distanz und damit auch zu einer Integration oder zumindest besseren Abstimmung der Lerninhalte und der didaktisch-methodischen Konzepte leisten (vgl. Zimmer et al., 2004). 2. Organisation: Für erfolgreiche berufliche Bildungsprozesse sind Communities of Practice von großer Bedeutung (vgl. Arnold, 2003). In virtuellen Lernräumen können sie als orts- und zeitunabhängige branchenbezogene oder berufs(feld)bezogene Foren organisiert werden. Sie können den Aufbau von Kompetenzentwicklungsnetzwerken (vgl. Elsholz, Dehnbostel, 2004) von Betrieben, Fachverbänden, Bildungszentren und Berufsschulen unterstützen und so sowohl zur beruflichen Erstausbildung wie zur beruflichen Fort- und Weiterbildung einen wichtigen Beitrag leisten. 3. Betrieb: Institutionen übergreifende ‚virtuelle Lernorte’ existieren nicht ohne einen institutionellen Ort. Sie werden aus Netzwerken von Betrieben, Institutionen und Personen gebildet. Ihr Aufbau und Betrieb wird daher am Besten bei außer- oder überbetrieblichen Bildungseinrichtungen, bei Fachverbänden oder bei öffentlichen Bildungseinrichtungen institutionalisiert.

32.5

Mediendidaktische Kompetenzen

Für das Arbeiten und Lernen in virtuellen Lernräumen sind mediendidaktische Kompetenzen aller Beteiligten notwendig. Auch wenn die Auszubildenden mit Computer und Internet umgehen können, so benötigen sie für das Arbeiten und Lernen in den auch für sie offenen virtuellen Lernräumen weitergehende mediendidaktische Kompetenzen. Dabei geht es nicht nur um medientechnische Fertigkeiten, sondern vor allem um die in virtuellen Lernräumen erforderlichen didaktisch-methodischen und personalen Kompetenzen, die von den Mentoren der virtuellen Lernräume zu vermitteln sind: 1.

Didaktisch-methodische Unterstützung: Zur Entwicklung der mediendidaktischen Kompetenzen ist eine didaktisch-methodische Beratung der Lehrenden und Ausbilder wie der Auszubildenden in der

32.5 Mediendidaktische Kompetenzen

2.

3.

4.

5.

417

didaktischen Nutzung der Funktionalitäten virtueller Lernräume in verschiedenen organisatorischen und beruflichen Kontexten und Lernszenarien notwendig. Online-Betreuung der individuellen Lernprozesse: Gerade weil es in virtuellen Lernumgebungen nicht mehr um kollektiv gleiche, sondern vielmehr um individualisierte Lernprozesse geht, muss eine tutorielle Online-Betreuung der Lernenden bzw. Auszubildenden sichergestellt werden. Online-Moderation von kooperativ selbstorganisierten Lerngruppen: Communities of Practice bilden sich in der Regel als kooperativ selbstorganisiert arbeitende und lernende Gemeinschaften, die allerdings der Anregung und Moderation bedürfen. Die Anregungen können von den Auszubildenden selbst kommen, vielleicht angestoßen durch die Lehrenden, sollten dann aber durch die Auszubildenden eigenständig moderiert werden. Die Lehrenden und Ausbilder sollten dann als kompetente Partner daran teilnehmen. Qualitätssicherung der virtuellen Lernprozesse: Für die Qualitätssicherung der Lernprozesse in virtuellen Lernräumen sind Kriterien und Leitfäden für die Gestaltung der Lernmaterialien und der Lernprozesse zu entwickeln. Basis der Qualitätssicherung ist die Administration der Nutzung der virtuellen Lernräume durch die verschiedenen Nutzergruppen. Administration der virtuellen Lernumgebung: Die Administration eines virtuellen Lernorts ist eine neue Aufgabe, die neben den jeweils erforderlichen berufsfachlichen insbesondere mediendidaktische und kommunikative Kompetenzen sowie zusätzlichen Zeitaufwand erfordern.

33

E-Learning in der Aus- und Weiterbildung

Ullrich Dittler & Thomas Jechle

Der Einsatz von E-Learning-Elementen spielt in der Aus- und Weiterbildung seit den 1990er Jahren eine zunehmend wichtigere Rolle. Der vorliegende Beitrag stellt zunächst die Hintergründe und die historische Entwicklung anhand des E-Learning-HypeCycle dar, ehe unter dem Stichwort „Kehrtwende zur Qualität“ die heute für die Aus- und Weiterbildung zentralen Aspekte des Blended Learning, der tutoriellen Betreuung, des sozialen und des aktiven Lernens sowie der Motivation beim E-Learning herausgearbeitet und detailliert vorgestellt werden. Zur Verdeutlichung werden einige der genannten Punkte dann am Weiterbildungskurs „Praxis der virtuellen Teamarbeit“ exemplarisch aufgezeigt. Schlüsselbegriffe: Ausbildung, Weiterbildung, Blended Learning, Tutorielle Betreuung, Soziales Lernen, Aktives Lernen, Motivation beim E-Learning, Arbeitsprozessorientiertes Lernen

420

33 E-Learning in der Aus- und Weiterbildung

In den 1980er und 1990er Jahren war die Aus- und Weiterbildung durch verschiedene allgemeine Entwicklungen geprägt: 





Die Erfahrung, dass das während der Ausbildung erworbene Wissen in immer kürzeren Abständen aktualisiert und ergänzt werden muss (Halbwertzeit des Wissens), führte zur Einsicht in die Notwendigkeit lebenslangen Lernens. Die Einschätzung, dass ein hoher Qualifizierungsgrad der Mitarbeiter eines Unternehmens eine wichtige Ressource und häufig ein entscheidender Wettbewerbsvorteil für Unternehmen darstellt, führte zu verstärkten Bemühungen, diese Ressource systematisch durch Aus- und Weiterbildung zu entwickeln (Personalentwicklung) und zu verwalten (Wissensmanagement). Die wirtschaftliche Notwendigkeit für viele Unternehmen über nationale Grenzen hinaus zu expandieren, um in einem zunehmend globaler werdenden Wettbewerb bestehen zu können, brachte die Herausforderung mit sich, Wissen und Fähigkeiten räumlich und zeitlich unabhängig zu vermitteln (z. B. mit Hilfe von Business TV, Bildplatten, CD-ROM).

Parallel zu diesen Entwicklungen, die das Thema Aus- und Weiterbildung in einem völlig neuen Licht erscheinen ließen und einen rasanten Zuwachs an Weiterbildungsbedarf zur Folge hatten, vollzog sich auch im Bereich der Informationstechnologie ein dramatischer Wandel: Die Entwicklung immer leistungsfähigerer PCs bei gleichzeitig sinkenden Kosten, die rasante Verbreitung des Internet und breitbandiger Zugänge dazu, führten zu einer raschen Verbreitung von PCs mit Internetanschluss in Unternehmen und privaten Haushalten. So schien Ende der 1990er Jahre die Informationstechnologie, insbesondere das Internet, eine Lösung für den wachsenden Bedarf an flexiblen Formen der Aus- und Weiterbildung zu bieten.

33.1

Von überzogenen Erwartungen in das Tal der Enttäuschungen

Bis Mitte der 1990er Jahre war die Entwicklung von E-Learning-Maßnahmen meist geprägt von dem Gedanken, die Grenzen des technisch Machbaren auszuloten – beispielhaft sei in diesem Zusammenhang an die Entwicklung und die parallel einhergehende Diskussion um die Möglichkeiten Intelligenter Tutorieller Systeme (ITS) erinnert; ein erster ausführlicher historisch/technischer Rückblick findet sich bei Seidl & Lipsmaier (1989). Gekennzeichnet war die Zeit bis in die 1980er Jahre auch durch das Fehlen größerer Einsatzgebiete für elektronische Lernformen bzw. für – um in der Terminologie der Zeit zu bleiben – „computerunterstütztes Lernen“ (CL) oder „computerunterstützten Unterricht“ (CUU). Vor dem Hintergrund steigender Weiterbildungskosten, die zum einen durch eine Erhöhung der durchschnittlichen Teilnehmergebühren und zum anderen durch einen steigenden Anteil der jährlich weitergebildeten Mitarbeiter eines Unternehmens verursacht wurden, prüften in den 1990er Jahren (zunächst meist Groß-) Unternehmen die Einsatzmöglichkeiten von E-Learning zur Mitarbeiterqualifizierung. Treibende Kraft war hierbei der Wunsch die Kosten für den wachsenden Bedarf an Aus- und Weiterbildung deutlich zu senken und die sich abzeichnende Kostenexplosion zu vermeiden.

33.1 Von überzogenen Erwartungen in das Tal der Enttäuschungen

421

Wie in Abb. 33.1 verdeutlicht, sind beim Einsatz von E-Learning zur Aus- und Weiterbildung deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Branchen zu erkennen: Für Finanzdienstleistungsunternehmen (Versicherungen, Banken) war es, bedingt durch die ausgeprägte dezentrale Filialstruktur und die hohe Durchdringung der Arbeitsplätze mit PCs naheliegend, Seminar- und Reisekosten ebenso wie Kosten, die durch die Abwesenheit vom Arbeitsplatz entstehen, einzusparen und den Mitarbeitern neue Produktinformationen und Schulungen zu neuen Produkten per CD-basiertem Computer-Based-Training (CBT) zukommen zu lassen. Bedingt durch die Medien- und IT-Kompetenz der Mitarbeiter war es auch für Unternehmen der EDV-, Kommunikations- und Medien-Branche naheliegend, schon früh auf elektronische Lehr- und Lernformen zu setzen. Ganz anders stellt(e) sich die Situation für die Bereiche Ernährung und Einzelhandel dar (siehe Abb. 33.1): Obwohl die stark dezentrale Filialstruktur den Einsatz von E-Learning in Supermarktketten nahegelegt hätte, war die Ausstattung mit PCs so gering, dass es den Mitarbeitern schlicht an der Möglichkeit fehlte, die Lernmaßnahmen zu bearbeiten (und eine Aufstellung eines zusätzlichen PCs im Sozialraum oder im Marktleiterbüro verbietet sich aus unterschiedlichen Gründen). Auch die inhaltlichen Grenzen elektronischer Lehr- und Lernformen wurden zu dieser Zeit ausgelotet: Während die Vermittlung von Hardskills sich als weitgehend problemlos erwies, war die Vermittlung von Softskills alleine durch CBTs und WBTs deutlich schwieriger (einige interessante Beispiele hierzu sind in Dittler (2003) zu finden; neue Ansätze finden sich auch in Bosch (2006)).

Abb. 33.1:

E-Learning-Anwender nach Branchen

422

33 E-Learning in der Aus- und Weiterbildung

Mit dem Platzen der dot.com-Blase gerät um den Jahrtausendwechsel auch E-Learning in der Aus- und Weiterbildung in die Krise: Es wird deutlich, dass die hohen Erwartungen an das finanzielle Einsparpotential in vielen Fällen nicht realisiert werden können. Darüber hinaus gibt es teilweise erhebliche Akzeptanzprobleme und der zeitliche Vorlauf einer CBT-/WBT-Produktion ist erheblich länger als der eines Workshops oder Seminars. Das „kommerziell-industrielle content-fokussierte E-Learning steckt“, wie es Beat Döbeli Honegger, Anja Ebersbach, Marco Kalz und Helmut Leitner (2006, S. 357) formulieren „in der Krise. Einerseits ist es kostspielig, professionelle Lerninhalte zu erstellen und zu warten. Andererseits bietet die Interaktion eines Lernenden mit einem technischen System nicht denselben Anreiz wie das Lernen in einer sozialen Umgebung und als Teil einer sozialen Gruppe.“ Mit Blick auf den von Gartner veröffentlichten E-Learning-HypeCycle (Abb. 33.2) wird deutlich, dass nach dem Gipfel der überzogenen Erwartungen nach dem Jahrtausendwechsel der Weg in das Tal der Enttäuschungen folgen musste. Die in einigen Unternehmen diskutierte komplette Einstellung aller Präsenztrainings zugunsten vermeintlich preiswerterer und ebenso effektiver E-Learning-Maßnahmen war spätestens zu diesem Zeitpunkt als Illusion entlarvt.

Abb. 33.2:

E-Learning-HypeCycle

33.2 Kehrtwende zur Qualität

33.2

423

Kehrtwende zur Qualität

Mit dem Pfad der Erleuchtung und dem Weg zum Plateau der Produktivität änderte sich die Zielsetzung des E-Learning-Einsatzes in der Aus- und Weiterbildung: Der bis dahin dominierende Kostenaspekt wird verdrängt durch den Anspruch mit dem Einsatz von E-Learning die Qualität eines Lehr- und Lernprozesses zu verbessern. Ansätze wie die des Blended Learning (siehe bspw. Sauter & Sauter, 2002), Einbindung von Tele-Tutoren (siehe bspw. Rautenstrauch, 2001 oder Böhm, 2006), die stärkere Integration von sozialem Lernen (siehe bspw. Jaques & Salmon, 2007), die Gestaltung aktiver Lernszenarien (siehe bspw. Salmon, 2004) und die Entwicklung neuer motivationaler Ansätze (siehe bspw. Marx, 2007) werden seit Beginn des neuen Jahrtausends zu den treibenden KeyFeatures von ELearning. Dies mündet in einer Rückbesinnung auf Qualität und die Entwicklung einer neuen Didaktik (siehe bspw. Arnold & Lermen, 2006 oder Thissen, 2003). Auf diese genannten zentralen Aspekte der medienunterstützten Aus- und Weiterbildung soll im Folgenden kurz eingegangen werden.

33.2.1

Blended Learning

Die euphorische Aufnahme des E-Learning Ende der 1990er Jahre wurde oft mit der Einschätzung verknüpft, andere Lernformen – wie das traditionelle Präsenzlernen – würden über kurz oder lang ersetzt werden. Unter der Bezeichnung „hybride Lernarrangements“ wurden aber bereits Mitte der 1990er Jahre didaktische Szenarien für die Weiterbildung entwickelt, in denen beide Lernformen gezielt so kombiniert wurden, dass ihre jeweils spezifischen Vorteile genutzt und Nachteile vermieden werden konnten (vgl. Kerres & Jechle, 1999). Wenige Jahre später wurden solche Kombinationen unter der Bezeichnung „Blended Learning“ zum Standard in der Aus- und Weiterbildung (vgl. z. B. Reinmann-Rothmeier, 2003; Weber & Werner, 2005; Littlejohn & Pegler, 2007). Präsenzlernen

E-Learning/Online-Lernen

unmittelbarer Kontakt und gemeinsamer Wahrnehmungskontext zwischen Lehrenden und Lernenden bescheunigt und vereinfacht Kommunikation

individuell (z. B. Berücksichtigung unterschiedlicher Lernvoraussetzungen, Lerngewohnheiten und Lernbedürfnisse)

entspricht der gewohnten Form zu Lernen

flexibel (z. B. Lernorte, Lernzeiten, Lerngeschwindigkeit)

bestimmte soziale Lernformen sind einfacher zu realisieren (z. B. Rollenspiel)

Lernmaterialien können zentral aktualisiert werden

bestimmte Interaktionsformen sind nur in Präsenz realisierbar (z. B. Vormachen – Nachmachen)

räumlich und zeitlich unbegrenzte Verfügbarkeit des Lernmaterials

Pausengespräche Tab. 33.1:

Spezifische Vorteile von Präsenzlernen und E-Learning

424

33 E-Learning in der Aus- und Weiterbildung

33.2.2

Tutorielle Betreuung

Unter dem Kostenaspekt erschien mediengestütztes Selbstlernen, wie eingangs skizziert, in der Weiterbildung ausgesprochen attraktiv. Dem stand und steht allerdings die Erfahrung gegenüber, dass auch erwachsene Lernende nicht automatisch über die für diese Form des Lernens erforderlichen Selbststeuerungsfähigkeiten verfügen. Hinzu kommt, dass E-Learning einen Grad der Medienkompetenz erfordert, der zumindest derzeit noch nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Auch von Seiten der Lernenden wird der Wunsch nach Unterstützung und Betreuung beim E-Learning deutlich artikuliert (vgl. Ehlers et al., 2005). Bei E-Learning-Angeboten in der Aus- und Weiterbildung wird daher zunehmend eine Betreuung durch entsprechend geschultes Personal integriert (vgl. hierzu Dittler & Jechle, 2004; Jechle, Markowski & Nunnenmacher, 2007).

33.2.3

Soziales Lernen

So lange E-Learning mit mediengestütztem Selbstlernen gleichgesetzt wurde, stand soziales Lernen eher im Hintergrund. Mit der Nutzung des Internet für E-Learning eröffnen sich aber auch hier neue Möglichkeiten. Bei dem räumlich verteilten, kooperativen Lernen werden synchrone und asynchrone Kommunikations- und Kollaborationswerkzeuge genutzt, um das Lernen in Lerntandems, Arbeits- oder Projektgruppen zu ermöglichen (vgl. Übersicht in Tabelle 33.2). Bei der Gestaltung des mediengestützten sozialen Lernens kann auf vielfältige Erfahrungen aus der Didaktik des Lernens in Gruppen Bezug genommen werden (vgl. z. B. Jaques & Salmon, 2007). asynchron

synchron

E-Mail

Chat

Mailingliste

Messenger

Newsgroups, Foren

yoice over IP

Shared Workspace

Videokonferenz

Wiki

virtuelles Klassenzimmer

Weblog

virtual team room

Tab. 33.2:

33.2.4

Synchrone und asynchrone Kommunikations- und Kollaborationswerkzeuge im Internet

Aktives Lernen

Der aktiv handelnde Umgang mit Lerninhalten ist eine wichtige Bedingung für den Aufbau und die spätere Nutzung von Wissen und Fähigkeiten. In frühen Formen des E-Learning wurde der multimediale und interaktive Charakter von Lernmedien in den Vordergrund gerückt. Zweifellos fördert die richtige Kombination von Medien den Aufbau von Wissen (vgl. z. B. Mayer, 2001; Clark, Mayer & Harendza, 2003) und ist die Verwendung interaktiver Elemente geeignet, die Aufmerksamkeit von Lernenden aufrecht zu erhalten und zu fokussieren. Aktives Lernen zielt aber darüber hinaus auf eine

33.3 Fallbeispiel

425

tiefere Auseinandersetzung mit dem Lernstoff, wie sie beispielsweise bei der Bearbeitung von Fallbeispielen oder dem Arbeiten in Projekten typisch ist.

33.2.5

Motivation beim E-Learning

Die Schaffung von Akzeptanz (sowohl Einstellungsakzeptanz als auch Nutzungsakzeptanz siehe Bürg & Mandl, 2004 sowie Harhoff & Küpper, 2002) sowie Motivation (vgl. Schiefele, 1996) gegenüber einer E- oder Blended-Learning-Maßnahme sind notwendige Voraussetzung deren Erfolgs, denn die hohe Bedeutung der Lernmotivation für den Lern- und Transfererfolg mediengestützter Aus- und Weiterbildung ist unbestritten (vgl. Hochholdinger, Meister & Schaper, 2008). Ansatzpunkte zur Steigerung der Motivation ergeben sich, so Astleitner (2008) auch durch die Möglichkeit, an den verschiedenen und multiplen Zielen anzuknüpfen, die Lernende in einer Lernsituation verfolgen (siehe auch Boekaerts, de Koning & Vedder, 2006).

33.3

Fallbeispiel

Am Beispiel des Kurses „Praxis der virtuellen Teamarbeit“ können typische Merkmale von ELearning-Angeboten in der Aus- und Weiterbildung verdeutlicht werden. Der Kurs wird gemeinsam von der tele-akademie der Hochschule Furtwangen und einem dem auf Teamarbeit spezialisierten Beratungsunternehmen Fassnacht Consulting & Training für Leiter und Mitarbeiter in verteilten Teams angeboten. Der Kurs wird berufsbegleitend durchgeführt und erstreckt sich über vier Monate mit einer durchschnittlichen wöchentlichen Lernzeit von ca. 8 Stunden.

Abb. 33.3:

Ablauf des Kurses

Am Anfang des Kurses steht eine Online-Phase, in der zunächst die technischen Grundlagen für die Zusammenarbeit abgesichert werden und die Teilnehmer Gelegenheit erhalten, sich virtuell kennen zu lernen. Darauf folgt eine erste Lernphase, in der die Teilnehmer Grundlagen der verteilten Zusammenarbeit erarbeiten und dabei von den Trainern (tutorielle Betreuung) in eine Reihe von verschiedenen Lernaktivitäten verwickelt werden (beispielsweise Diskussion in einem Forum, kleinere Arbeitsergebnisse in einem Shared Workspace ablegen, synchrones Treffen in einem virtuellen Klassenzimmer etc.).

426

33 E-Learning in der Aus- und Weiterbildung

Um die Besonderheiten virtueller Teamarbeit intensiv kennen zu lernen, arbeiten die Kursteilnehmer selbst in virtuellen Teams (soziales Lernen) nacheinander an zwei Gruppenaufgaben (aktives Lernen). Dabei können die Teilnehmer auf die Online-Werkzeuge zurückgreifen, deren Handhabung sie in den ersten Wochen erlernt haben. Am Ende der ersten Gruppenaufgabe steht eine zweitägige Präsenzveranstaltung (Blended Learning), in der die eigenen Erfahrungen mit Teamarbeit in Präsenz und virtuell reflektiert werden und außerdem die erste Gruppenaufgabe abgeschlossen und die zweite vorbereitet wird. Parallel zu dieser zweiten virtuellen Gruppenarbeit werden in der Online-Phase weitere Inhalte erarbeitet (z. B. Management bzw. Führen verteilter Teams, virtuelle Kommunikation und interkulturelle Zusammenarbeit, verteiltes und internationales Projektmanagement etc.). Die Lerninhalte werden über eine Lernplattform in Form von didaktisch aufbereiteten elektronischen Skripten zur Verfügung gestellt oder in Form von Webinaren im virtuellen Klassenzimmer präsentiert. Für die virtuelle Teamarbeit und die tutorielle Betreuung stehen asynchrone (E-Mail, Foren, Shared Workspace) und synchrone (Chat, virtuelles Klassenzimmer) Werkzeuge zur Verfügung.

34

E-Learning in Management und Unternehmenskommunikation

Dieter Euler & Sabine Seufert

Ziel des Beitrages ist es, Einsatzpotenziale und ausgewählte Fallbeispiele von E-Learning in den beiden Anwendungsbereichen „Management“ und „Unternehmenskommunikation“ aufzuzeigen. Unter Management werden dabei sowohl die Unternehmensführung als auch die Teilbereiche wie Projekt- oder Risikomanagement verstanden. Des Weiteren steht die soziale Gruppe der Führungskräfte im Vordergrund, um insbesondere der Frage nachzugehen, inwieweit E-Learning auch bei dieser Zielgruppe eine Verbreitung findet. Der Anwendungsbereich der Unternehmenskommunikation beleuchtet darüber hinaus die Zusammenhänge zwischen E-Learning und Unternehmenskommunikation, welche im Zuge von Web 2.0 zu beobachten sind. Der nachfolgende Beitrag geht auf die Verbindungslinien zwischen E-Learning und Unternehmenskommunikation auf der Ebene der Produkt-, Prozess- und Sozialinnovation ein. Schlüsselbegriffe: Management, Unternehmenskommunikation, Web 2.0, informelles Lernen, Produktinnovation, Prozessinnovation, Sozialinnovation

428

34 E-Learning in Management und Unternehmenskommunikation

34.1

Einführung

In Unternehmungen hat sich der Stellenwert der Bildung verändert und in der Folge zu einer Neupositionierung des Bildungsmanagements geführt (Euler, 2004). Bildung wird zunehmend ein Bestandteil und Erfolgsfaktor für die strategische Gestaltung des Unternehmens an veränderte Umwelt- und Wettbewerbsbedingungen. Technische und ökonomische Veränderungen korrespondieren mit einem dynamischen Bildungs- und Personalmanagement, das die Mitarbeitenden nicht mehr als Anweisungsempfänger, sondern als „Mitunternehmer“ (Wunderer, 2003) versteht. Mit dieser Ausrichtung verlieren Bildungsaktivitäten im Unternehmen den Charakter einer eingespielten Pflichtübung, bei der es um das ‚Abspulen‘ etablierter Seminarangebote geht, die in einem Katalog erfasst werden, der sich von Jahr zu Jahr nur unwesentlich ändert (Euler, 2004). Vielmehr wird es notwendig, in den Bildungsprozessen die Interessen der Mitarbeiter mit denen des Unternehmens abzustimmen, das Spannungsfeld von individueller Persönlichkeitsentwicklung und Marktanforderungen zu gestalten – kurz: Bildung als ein komplexes Managementproblem zu konzeptualisieren (Euler, 2004). Für die Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter bedeutet dies eine Abkehr von einer „Konsumentenmentalität“ beim Lernen und dem „Entsenden“ in Qualifizierungsprogramme hin zu einer höheren Eigenverantwortlichkeit für die eigene Kompetenzentwicklung. Ein strategisch ausgerichtetes Bildungsmanagement verfolgt somit das Ziel, die Unternehmensstrategie „…aktiv und effizient durch problemlösendes, sozialkompetentes und umsetzendes Denken und Handeln möglichst vieler Mitarbeiter aller Hierarchie- und Funktionsbereiche mit hoher Eigeninitiative und -verantwortung zu unterstützen“ (Wunderer, 2003, S. 362). Aus diesem Kontext heraus werden Lernkonzepte, die auf dem handlungsleitenden Prinzip der Eigenverantwortung basieren, zunehmend im Bildungsmanagement favorisiert. Technologiegestützte Lernformen sollen dabei das selbstgesteuerte und eigenverantwortliche Lernen bei den Mitarbeitern unterstützen. Nicht zuletzt aufgrund von Web 2.0 als Weiterentwicklung des Internets werden neue Hoffnungen an die Kompetenzentwicklung der Mitarbeiter im Internet geknüpft (Erpenbeck & Sauter, 2007). Der vorliegende Beitrag soll auf dieses breite Spektrum an E-Learning-Einsatzmöglichkeiten eingehen. Darüber hinaus fokussiert der Artikel den Einsatz und die Verbreitung von E-Learning in Management und Unternehmenskommunikation. Die folgenden Merkmale kennzeichnen die beiden Anwendungsbereiche, die diesem Beitrag zugrunde liegen: 



Management: Dieser Bereich bezieht sich zunächst auf die Managementfunktionen, Managementaufgaben und Managementprozesse, im Sinne von Gestalten, Lenken und Entwickeln sozialer Systeme (Ulrich, 1984). Management kann sich dabei sowohl auf die Unternehmensführung als auch auf Teilbereiche wie Projekt- oder Risikomanagement beziehen. Des Weiteren steht die soziale Gruppe der Führungskräfte im Vordergrund, um insbesondere der Frage nachzugehen, inwieweit E-Learning auch bei dieser Zielgruppe eine Verbreitung findet. Unternehmenskommunikation: Darunter sind alle Kommunikationsinstrumente und Kommunikationsmaßnahmen eines Unternehmens zu fassen, die eingesetzt werden, um das Unternehmen und seine Leistungen bei allen relevanten Anspruchsgruppen darzustellen (Piwinger & Zerfaß, 2007). Dabei kann zwischen der externen und internen Unternehmenskommunikation unterschieden werden. Während die externe Kommunikation aus der Kommunikation zwischen einem Unternehmen und seiner Umwelt besteht (nach außen orientierte Kommunikationsmaßnahmen), richtet sich die interne Kommunikation nach innen. Die interne Kommunikation hat zum Ziel, mittels klar definier-

34.2 E-Learning in Management

429

ter, regelmäßig oder nach Bedarf eingesetzter und kontrollierter Medien die Vermittlung von Informationen sowie die Führung des Dialogs zwischen der Unternehmensleitung und den Mitarbeitern sicher zu stellen. Ziel des Beitrages ist es folglich, Einsatzpotenziale und ausgewählte Fallbeispiele von E-Learning in diesen beiden Anwendungsbereichen „Management“ und „Unternehmenskommunikation“ aufzuzeigen.

34.2

E-Learning in Management

34.2.1

E-Learning-Anwendungen für Management-Themen

Unterscheidet man Management- bzw. Führungskompetenzen zunächst in Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten, dann wird sehr schnell deutlich, dass in formalen Lernumgebungen, wie Seminaren und Workshops, Führungsthemen sowie gewisse Fertigkeiten, wie Zeitmanagement und Präsentationstechniken, entwickelt und erweitert werden können. Einstellungen und Fertigkeiten, wie strategisches oder analytisches Denken, sind ungleich schwieriger zu fördern. Denn sie stellen häufig das Ergebnis einer langfristigen Entwicklung und von mannigfaltigen Erfahrungen dar. Dies ist mitunter einer der Hauptgründe dafür, warum eine dauerhafte Veränderung der Führungskompetenzen durch punktuelles Lernen nur begrenzt greifen kann. Bildungsangebote für Management-Themen und insbesondere die systematische Führungskräfteentwicklung werden daher häufig in der Praxis als Blended-Learning-Szenarien gestaltet, die anstelle punktueller Veranstaltungen vielmehr arbeitsintegrierte, prozessorientierte Lernkonzepte aufweisen. Der Einsatz von E-Learning-Elementen ist dabei vielfältig, wie die Beispiele aus der nachfolgenden Abbildung aufzeigen:

430

34 E-Learning in Management und Unternehmenskommunikation

Individuum

Gruppe

Social Business Networks

Simulationen, game-based Learning

Peer Learning mit Wikis

E-Assessments, E-Tutoring

Virtuelle Lernpartnerschaften

Reflexives Lernen mit Blogs

Web-based Trainings (WBTs)

Virtuelles Coaching

Informelles Lernen mit Podcasts, Internetressourcen

Hoch

Grad der Fremdsteuerung

Niedrig

Abb. 34.1:

Beispiele von E-Learning-Anwendungen in der Führungskräfteentwicklung

Weit verbreitet sind in Unternehmen E-Learning-Anwendungen, welche das individuelle Lernen mit EMedien, wie beispielsweise Web-based Trainings oder E-Assessments zur Überprüfung des eigenen Wissens, unterstützen und einen relativ hohen Grad an Fremdsteuerung zur Aneignung von Lerninhalten besitzen. Ein Klassiker für Web-based Trainings stellt das Themenfeld Projektmanagement dar, da es auf eine große Zielpopulation stößt und sich eher um standardisier- sowie modularisierbares Wissen handelt, sich somit Entwicklungskosten schnell amortisieren bzw. genügend Angebote auf dem Markt existieren. Als weiteres Beispiel haben sich mittlerweile die Produkte des Harvard Manage-Mentors51 etabliert, welche internetbasierte Ressourcen für Management-Themen aufbereiten, mit Tipps, Management-Tools und Selbsttests. Der Trend in der Führungskräfteentwicklung geht zunehmend in die Richtung, auch Formen der eCollaboration stärker in Bildungsmaßnahmen einzusetzen. Formen des virtuellen Coachings und Lernpartnerschaften, welche begleitend zu Modulen oder zur Betreuung von Praxisprojekten initiiert werden, können hierbei als Beispiele aufgeführt werden. Für diese Lernformen sind Kommunikationstechnologien zur Verfügung zu stellen, wobei in synchrone (ortsunabhängig und zeitgleich, z. B. über Virtual Classroom Systeme, Videoconferencing) und asynchrone Technologien (ortsunabhängig und zeitunabhängig, wie z. B. über Diskussionsforen, Wikis oder Blogs) unterschieden werden kann. Da es sich bei Management-Themen häufig um das Denken in Gesamtzusammenhängen handelt, haben auch computergestützte Simulationen einen hohen Stellenwert in vielen Management-Trainings, wie beispielsweise Unternehmensplanspiele oder Verhaltenssimulationen. Eine zukunftsträchtige Entwicklung schreibt Reeves (2007) den „serious games“ zu, um Leadership Kompetenzen in einer zunehmend

51

Weitere Informationen hierzu unter: http://www.harvardmanagementor.com.

34.2 E-Learning in Management

431

virtuellen, räumlich verteilten Führungsstruktur zu fördern. So prognostiziert Reeves (2007, S. 5) dass sog. „massively multiplayer online role-playing games (MMORPGs)”, wie World of Warcraft „…offer a glimpse at how leaders develop and operate in environments that are highly distributed, global, hypercompetitive, and virtual. Three out of every four players surveyed in the IBM study believe that the techniques and approaches found in online games could enhance their leadership effectiveness in the workplace”. Ein weiteres Spektrum an Einsatzmöglichkeiten im Bereich Management ergibt sich aus dem Kontext E-Learning 2.0. Der Begriff E-Learning 2.0 ist in Anlehnung an den Terminus Web 2.0 (O'Reilly, 2005) entstanden. Dabei gehen die Autoren davon aus, dass es sich bei E-Learning 2.0 eher um eine Erweiterung bestehender Möglichkeiten und weniger um einen radikalen Wandel handelt (Robes, 2006). Häufig werden dabei Ansätze des persönlichen Wissensmanagement oder „Informelles ELearning“ verknüpft, womit hochgradig selbstorganisierte Lernprozesse unterstützt werden können. Ein Beispiel stellt hierbei das Wissensportal BRIDGE2KNOW52 dar, das Führungskräften einen schnellen Zugriff auf Management-relevante Wissensquellen online zur Verfügung stellt. Damit sollen Führungskräfte Informationen erhalten, die ihre Entscheidungsfindungen erleichtern, sie auf kritische Aufgaben vorbereiten und ihre Management-Fähigkeiten auffrischen und erweitern. Die Zurverfügungstellung von E-Medien, wie beispielsweise Podcasts, Blogs, Austauschmöglichkeiten mit Peers über ein Wiki, welche auch für reale Projekte im Arbeitsprozess Anwendung finden, oder neue Vernetzungs- und Kontaktmöglichkeiten über Business Networks und Communities im Zuge der Social Software-Entwicklungen können überdies in diesem Bereich als Beispiele aufgeführt werden.

34.2.2

E-Learning-Verbreitung bei Führungskräften

Das Lernverhalten von Führungskräften und insbesondere deren Verwendung von Lernmedien wurde mittlerweile in mehreren empirischen Studien untersucht. So befragte beispielsweise Habermann (2004) in seiner Studie „Wie lernen Manager?“ ca. 500 Führungskräfte in großen und mittleren Unternehmen europaweit nach ihrem Lernverhalten. Aus den Ergebnissen wird deutlich, dass Führungskräfte häufig nicht zwischen Informieren und Lernen unterscheiden. Die Vorgehensweise der Manager ist sehr problemorientiert und pragmatisch: ein Thema, ein Projekt oder eine Sitzung muss vorbereitet werden und dafür wird schnell und effizient nach Antworten gesucht – sei es im Intranet, Internet, bei Kollegen oder Vorgesetzten. Lernen findet primär durch Erfahrungen statt, durch die Selbstreflexion von eigenen Erfolgen und Misserfolgen bzw. von gescheiterten Projekten. Dieses Erfahrungslernen wird zudem angeregt durch Feedbacks der Vorgesetzten sowie der Mitarbeiter über das eigene Führungsverhalten. Aber auch das Erfahrungslernen aus 2. Hand, durch Vorbilder oder im Rahmen von Lernpatenschaften, durch die Reflexion der Erfolge und Misserfolge anderer, wird bei Führungskräften sehr geschätzt. Auch nach einer Studie, die 2007 von der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft GmbH durchgeführt wurde (o. V., 2007), sind Präsenzveranstaltungen im Rahmen „formeller“ Lernformen nach wie vor die bevorzugte Variante, um nicht zuletzt auch den zuvor hervorgehobenen Erfahrungsaustausch zu

52

Weitere Informationen finden Sie unter: http://www.bridge2think.de.

432

34 E-Learning in Management und Unternehmenskommunikation

intensivieren und Networking betreiben zu können. Geht es um die Bedeutung von selbstgesteuertem und medienbasiertem Lernen, ergibt die Einschätzung der Führungskräfte ein interessantes Paradoxon: 



zum selbstgesteuerten Lernen sagen Führungskräfte nach der 2007 durchgeführten Studie der Akademie der Führungskräfte mehrheitlich „ja“; 56 % der Manager sind der Meinung, dass jeder Mitarbeiter für Lernen und Weiterbildung selbst verantwortlich ist, der Einsatz von Medien genießt nach Ansicht der Führungskräfte anscheinend dahingegen immer noch keinen hohen Stellenwert bei der Fortbildung: 68 % beklagen, dass das Internet für die betriebsinterne Weiterbildung in ihren Unternehmen nicht genutzt wird. Auch für ihr eigenes Lernverhalten spielen Lerntechnologien oder neue Informations- und Wissensmedien, wie z. B. Podcasts oder Blogs, nur eine untergeordnete Rolle. So nutzen beispielsweise lediglich 3,6 % der von der Akademie befragten Manager regelmäßig Blogs.

Dieses klare „Ja“ zu selbstgesteuertem Lernen und das bisweilen klare „Nein“ zur regelmäßigen Verwendung von Lern- und Wissensmedien sind insofern überraschend, als dass diese beiden Konzepte eigentlich eng beieinander liegen. Mediengestütztes Lernen im Zeitalter Lernen ist effektiv und effizient zu unterstützen. Aus diesen Zusammenhängen lässt sich die These ableiten, dass entweder die Führungskräfte eine traditionelle Einstellung zum Lernen pflegen oder dass die mediengestützten Lernumgebungen noch nicht hinreichend auf die Bedürfnisse dieser Lerngruppe abgestimmt sind. Die Integration von Informieren und Lernen ist für die Führungskräfte von großer Bedeutung. Manager lesen sehr viel, um ihr Wissen mit Informationsupdates ständig auf dem Laufenden zu halten. Dabei überwiegen die Printmedien in der regelmäßigen Nutzung. Auditive Lernmedien wie Hörbücher oder Podcasts, spielen momentan kaum eine Rolle für die Weiterbildung. Auch hier stellen sich zahlreiche Fragen, deren Beantwortung weiteren Forschungsarbeiten vorbehalten bleiben muss. Das Blatt könnte sich allerdings in den nächsten Jahren wenden. Nach den Zukunftsaussichten gefragt, urteilen Führungskräfte demnach anders. Ca. 35 % der von der Akademie befragten Führungskräfte schätzen, dass die Bedeutung von Podcasts in Zukunft deutlich steigen werde. Für die meisten gehören Internet-Beiträge (84 %) und Internet-Foren (80 %) zu den wichtigsten Wissensmedien der Zukunft. Präsenzseminare, Fachbücher und Konferenzen werden hingegen nach Ansicht der meisten Manager ihre derzeitige Bedeutung behalten. Dennoch ist auch hier zu berücksichtigen, dass geäußerte Einstellungen und reales Handeln im Kontext des Lernens häufig divergieren.

34.2.3

Ausgewähltes Fallbeispiel IBM

Das IBM Führungskräfteentwicklungsprogramm ist ein weltweites Programm zur Entwicklung von IBM Führungskräften. Die Zielsetzung des Programms besteht darin, ein weltweit gültiges, gemeinsames Verständnis von Führung zu entwickeln und hierfür Führungskompetenzen basierend auf den IBM Values zu implementieren. Das Führungskräfteentwicklungsprogramm beginnt idealerweise bereits mit der Nominierung eines Mitarbeiters als potentielle Führungskraft. In monatlichen Besprechungen mit seinem Manager wird erarbeitet, an welchen Kompetenzen er arbeiten möchte und wie er diese erreichen kann. Für das First Line Management werden hierzu eintägige Workshops mit Führungskräften und potenziellen Kandidaten zur Kompetenzentwicklung durchgeführt, durch welche die Mitarbeiter sich bewusst machen, was sie tun müssen und wie sie dabei durch die Führungskraft unterstützt werden

34.2 E-Learning in Management

433

sollen. Eine übergreifende Aufgabe ist es für den Bildungsbereich, die Führungskräfte für Lernen zu begeistern, zu motivieren und Überzeugungsarbeit in ihrer Vorbildfunktion zu leisten. Für das selbstgesteuerte E-Learning stehen neben „klassischen Web-based Trainings“ auch weitere Online-Ressourcen und E-Learning-Angebote zur Verfügung. Diese werden häufig auch als „Learning Nuggets“ bezeichnet, wie beispielsweise Quick Views für bestimmte Themen (Hinweise, Checklisten zum Beispiel für Themen wie Collaborative Fluence). Darüber hinaus können die Mitarbeiter unbeschränkt auf eine Online-Bibliothek zugreifen („Books 24x7“). Im Learning-Management-System werden dem Mitarbeiter verschiedene E-Learning-Module angeboten. Unterstützt wird er bei der Durcharbeitung durch die zu Beginn des Moduls festgeschriebenen Lernziele. Bei Fragen kann er sich an einen Tutor wenden, der direkt über einen „Ask the Instructor“Knopf erreichbar ist. Die Fragen werden entweder per E-Mail oder – sofern der Tutor zeitgleich online ist – über ein Instant Messaging System, das direkt mit dem E-Mail-Programm von IBM verknüpft ist, beantwortet. Hinzu kommen E-Meetings oder Diskussionsforen, die das selbstgesteuerte Lernen weiter unterstützen sollen. Deren Einsatz hängt aber von der jeweiligen Lernergruppe sowie vom Thema ab. Aus einer Management-Ausbildung gehen zugleich auch Community of Practise bzw. sog. Communities of Experts hervor, die sich zu bestimmten Themen vernetzen. Im Rahmen der Ausbildung wird zudem ein Peer-to-Peer-Coaching eingeführt, welches den Aufbau direkter Beziehungen zwischen zwei Führungskräften unterstützen soll. Durch die dreijährige Ausbildung wird zusätzlich ein Netzwerk aufgebaut, aus welchem sich dann eine Community of Experts verstetigen kann. Abschließend dient das sog. 4-Ebenen-Modell von IBM zur Orientierung der E-Learning- Einsatzmöglichkeiten, nach denen typische Blended-Learning-Szenarien für Bildungsmaßnahmen gestaltet werden. Über die Stufen des selbstgesteuerten Lernens mit entsprechenden Ressourcen, interaktivem Lernen, Simulationen und game-basiertem Lernen sowie kollaborativem Lernen mit Kommunikationsmedien, haben Präsenzveranstaltungen weiterhin ihre Berechtigung für erfahrungsbasiertes Lernen, um das für einen intensiven Austausch erforderliche Vertrauen in persönlichen Kommunikationsbeziehungen aufbauen zu können.

434

34 E-Learning in Management und Unternehmenskommunikation

Abb. 34.2:

E-Learning-Einsatzpotenziale: 4-Ebenen-Modell von IBM

34.3

E-Learning in Unternehmenskommunikation

34.3.1

E-Learning und Unternehmenskommunikation: Web 2.0 schafft die Verbindung

Bei dem Anwendungsfeld der Unternehmenskommunikation handelt es sich ebenfalls um eine Managementfunktion, sodass die zuvor geschilderten Einsatzpotenziale von E-Learning auch für diesen Themenbereich geeignet erscheinen. Darüber hinaus ergeben sich neue Zusammenhänge zwischen ELearning und Unternehmenskommunikation, welche im Zuge von Web 2.0 zu beobachten sind. Durch die Interaktionsmöglichkeiten des Web 2.0 wird das klassische Kommunikationsmodell abgelöst (Piwinger & Zerfaß, 2007). Gab es früher den Sender, der seine Botschaft an definierte Empfänger richtete, ist heute jeder Empfänger gleichzeitig auch Sender. Im Zuge des Web 2.0 wird im Internet das alte „one-to-many”-Kommunikationsprinzip immer mehr durch ein „many-to-many“-Modell abgelöst. Die lineare Massenkommunikation wird durch die bidirektionale Kommunikation ergänzt oder abgelöst. Auf dieser Grundlage bauen spezifisch interessierte Communities im Netz ihre eigenen Themenwelten auf, die an klassischen Informationswegen vorbei ihre Diskurse führen und für die „Öffentlich-

34.3 E-Learning in Unternehmenskommunikation

435

keit“ zugänglich machen. Die Gesetze der bislang geltenden Unternehmenskommunikation werden mit dem Web 2.0 auf den Kopf gestellt (Piwinger & Zerfaß, 2007). Galt bis vor kurzem noch die Maxime, dass bei der Unternehmenskommunikation nur das Unternehmen und offiziell benannte Unternehmenssprecher mit der Öffentlichkeit kommunizieren, rücken im Zeitalter von Web 2.0 die Einzelpersonen in den Vordergrund, wie beispielsweise die Blogs von CEOs in der IT-Branche aufzeigen.

zunehmende Reichweite der Veränderung

Die Verbindungslinien zwischen E-Learning und Unternehmenskommunikation können dabei auf drei verschiedenen Ebenen gezogen werden, wie die nachfolgende Abbildung verdeutlicht:

Sozialinnovationen: Neue Kulturen Gestaltung neuer Lern-, Führungs- und Kommunikationskulturen, auf der Basis von Partizipation und Eigenverantwortung Prozessinnovationen: Neue Prozesse Gestaltung neuer Prozessabläufe zwischen Bildungsmanagement und Unternehmenskommunikation, wie die Nutzung gemeinsamer Kommunikationskanäle und –medien, Ressourcensteuerung Produktinnovationen: Neue Technologien Web 2.0 Technologien für eLearning und Unternehmenskommunikation

Abb. 34.3:

Verbindungslinien zwischen E-Learning und Unternehmenskommunikation

Mit Web 2.0 werden zum einen neue Technologien in ein Unternehmen eingeführt, die für Bildungsangebote sowie zu Zwecken der Unternehmenskommunikation eingesetzt werden können. Für die Plattformstrategie einer Unternehmung ist daher zunehmend der fließende Übergang zwischen Informieren, informellen und formellen Lernangeboten zu überdenken. Auch auf der Prozessebene sind substanzielle Synergieeffekte zu erzielen, wenn Abstimmungsprozesse zwischen Lern- und Kommunikationsmedien stattfinden. Ein bereits weit verbreitetes Beispiel sind Podcasts, die Mitteilungen aus der Unternehmensleitung (z. B. Auswirkung eines neuen Gesetzes als Kernbotschaft des CEO) enthalten. Originär sind diese der Unternehmenskommunikation zuzuordnen. Darüber hinaus können sie jedoch auch zu Lernzwecken verwendet werden, um den Kontext und die Relevanz der Lerninhalte aufzuzeigen und somit die Mitarbeiter zum Lernen zu motivieren. Auf der höchsten Stufe der Verbindungslinien stehen kulturelle Veränderungen, die mit Web 2.0 einhergehen. Der Bildungsbereich und die Unternehmenskommunikation sind dabei eng miteinander verzahnt. Eine neue Lern- und Führungskultur, welche auf Eigenverantwortung und Selbstorganisation beruht, braucht eine offene und transparente Kommunikationskultur, welche die Partizipation von Mitarbeitern im Unternehmen zulässt, und umgekehrt.

436

34.3.2

34 E-Learning in Management und Unternehmenskommunikation

Ausgewähltes Fallbeispiel HP

Im Technologieunternehmen Hewlett-Packard wurde vor zwei Jahren das 70-20-10 Modell eingeführt, wie Anke Hirning, Business Development Manager, Learning Solutions EMEA bei HP Education Services schildert (Diesner et al., 2008). Dieses Modell liefert ein gutes Beispiel dafür, wie formelles und informelles Lernen sowie interne Unternehmenskommunikation miteinander verbunden werden können. 10 % stehen für „Trainings“ d. h. formelle Bildungsmaßnahmen wie Präsenz-Trainings oder Virtual Classrooms. Der formelle Fähigkeitenerwerb soll begrenzt sein, da HP in „Richtung Kompetenzen denkt“: Es geht nicht darum, dass die Leute nur „irgendetwas wissen“, sondern dass die Mitarbeitenden ihr Verhalten ändern, dass „etwas herauskommt bei einer Bildungsmaßnahme“ (Diesner et al., 2008). 20 % stehen für „Relationship“ d. h. Beziehungsthemen. Hierzu zählt die Förderung der Mitarbeiter durch ihre Manager, Coaching, Mentoring, Peer-to-Peer-Maßnahmen, Communities, Foren und Gremienarbeit. Der Austausch mit Anderen, die gegenseitige Unterstützung und das Lernen über Feedback d. h. das Lernen „im Beziehungsgeflecht mit anderen“ wird sehr stark gefördert und sollte idealerweise 20 % der Lernaktivitäten ausmachen. 70 % stehen für „Experience“ d. h. das Erfahrungslernen. Diesem Bereich kommt deshalb eine große Bedeutung zu, da innerhalb des Unternehmens die Erfahrung gemacht wurde, dass „die Mitarbeiter zwar gerne Bücher lesen, gerne auf Trainings gehen, das Gelernte aber nie anwenden“ (Diesner et al., 2008). Das Ziel des Erfahrungslernens ist es daher, die tatsächlichen Kompetenzen zu entwickeln und Dinge, die gelernt werden, auch direkt anzuwenden. Dabei ist es wichtig, dass das Gelernte auch tatsächlich ausprobiert wird. Das Unternehmen ist sich bewusst, dass Fehler möglich sind und sieht dies als weitere Lernchance. So werden beispielsweise ausgewiesenen Experten Freiräume eingerichtet, ihr Wissen und Erfahrungen anderen in ihren Blogs zur Verfügung zu stellen und in eine offene Diskussion zu treten (siehe nachfolgende Abbildung).

34.3 E-Learning in Unternehmenskommunikation

Abb. 34.4:

437

Beispiel eines Blogs bei HP an der Schnittstelle zwischen Kommunikations- und Lernmedium

Darüber hinaus wurden im Zusammenhang mit dem Lernen aus Erfahrung so genannte „Stretch Assignments“ eingeführt. Dabei handelt es sich um Aufgaben, die „eine Nummer zu groß für den Mitarbeitenden sind“. Beispielsweise zählt hierzu die Betreuung eines weltweiten Projekts für einen Mitarbeitenden, der bisher nur lokale Projekte betreute. Der Mitarbeitende hat die Möglichkeit, durch und an dieser Aufgabe zu wachsen. Weitere Formen des Erfahrungslernens sind neben Knowledge Briefs/Blogs (Erfahrungen niederschreiben) sowie Task Forces, auch über Organisationsgrenzen hinweg, und Expertenforen bzw. Communities, insbesondere durch eine aktive Teilnahme an den Foren, in dem sich Mitarbeitende als Experten zur Verfügung stellen. Dieses Konzept soll den Reiz, der von „Social Communities“ wie MySpace oder StudiVZ ausgeht, auf das Unternehmen übertragen. HP bietet seinen Mitarbeiter dabei alle Funktionalitäten, die es in den freien Internet-Communities gibt: Persönliche Profile mit Foto und Angaben zu besonderen Interessen, Blogs, Bookmarks, Tags, RSS53, etc. Ein wichtiger Unterschied ist jedoch, dass sich die Mitarbeiter 53

RSS steht für Really Simple Syndication oder Rich Site Summary. Unter RSS(-Feed) ist eine Technologie zum Abonnement von Webseiten-Inhalten zu verstehen.

438

34 E-Learning in Management und Unternehmenskommunikation

nicht anonym, sondern mit ihrem vollen Namen präsentieren. Der Zugriff auf solche Business-Profile soll Mitarbeiter im Unternehmen zu neuen Projekten zusammenführen und ihre Kreativität fördern. Mit diesen neuen Möglichkeiten der internen Unternehmenskommunikation kann man am Beispiel von HP einen Trend zu einem sehr partnerschaftlichen, kommunikativen Umgang im Unternehmen beobachten (Diesner et al., 2008).

35

E-Learning im Handwerk

Sönke Knutzen & Falk Howe

Mit der Arbeitsprozessorientierung als Leitbild für die curriculare und didaktische Gestaltung der dualen Ausbildung steht das Handwerk vor der Herausforderung, selbstständiges und eigenverantwortliches Lernen der Auszubildenden in beruflichen Arbeitszusammenhängen zu realisieren. Das Konzept der Kompetenzwerkst@tt bietet Ausbildern und Lehrern hierfür Instrumente, Hilfestellungen und Anregungen. Der vorliegende Beitrag skizziert, wie mit der Kompetenzwerkst@tt in Anlehnung an den Ansatz des Rapid E-Learning eine arbeitsprozessbezogene Lernsoftware erstellt und als integratives Element in Lern- und Arbeitsaufgaben eingesetzt werden kann. Schlüsselbegriffe: Rapid E-Learning, Arbeitsprozessorientierung, Handwerk, Berufsausbildung, Lernsoftware, Lern- und Arbeitsaufgaben, Kompetenzwerkst@tt

440

35.1

35 E-Learning im Handwerk

Einführung

Eine Gruppe von Jugendlichen sitzt vor einem Computer. Sie diskutieren angeregt. Einige blättern in Unterlagen, andere recherchieren mit Hilfe des Computers, wieder andere sind damit beschäftigt, die an den Computer angeschlossene Anlage in Betrieb zu nehmen. Die Jugendlichen sind Auszubildende im Elektrohandwerk und haben ein komplexes berufliches Problem zu lösen. Den Auftrag, eine Kommunikationsanlage zu planen, zu installieren und in Betrieb zu nehmen, haben sie vor zwei Tagen erhalten. Gestern haben sie sich mit der Auftragsplanung beschäftigt, das heißt, sie haben die benötigten Materialien zusammengestellt, die technische Umgebung vorbereitet und die anfallenden Arbeiten in der Gruppe eingeteilt. Heute beginnen sie, den Auftrag durchzuführen, am Ende der Woche wird die funktionsfähige und dokumentierte Anlage abgenommen. Diese Handlungen sind Teil einer umfassenden Lern- und Arbeitsaufgabe. Die Lehrenden führen die Auszubildenden durch die Aufgabe und beraten sie bei auftretenden Problemen. Die benötigten Informationen und Unterlagen entnehmen die Auszubildenden einer speziell zu dieser Aufgabe passenden Lernsoftware. Das Szenario klingt vielversprechend und verweist auf neue Leitbilder und Rahmenbedingungen in der gewerblich-technischen handwerklichen Berufsausbildung. Ausbildungsrahmenpläne und Rahmenlehrpläne als Grundlage für die duale Ausbildung orientieren sich an den für den Ausbildungsberuf typischen Arbeitsprozessen. Diese als „arbeitsorientierte Wende“ (Fischer, 2004) bezeichnete Entwicklung in der Berufsbildung bedeutet für das Handwerk allerdings keinen Bruch. Der betriebliche Teil der Ausbildung erfolgt hier traditionell ohnehin vielfach beim Kunden oder auf der Baustelle. Neue Herausforderungen stellen sich in erster Linie für die Akteure der schulischen Berufsbildung. Lehrer organisieren ihren Unterricht nicht mehr in Fächern, sondern in Form arbeitsprozessorientierter Lernsituationen (KMK, 2007). Genau wie die Ausbilder müssen sie stärker als früher die Rolle eines Ratgebers und Moderators übernehmen. Für die Auszubildenden steht folgerichtig das selbstständige und eigenverantwortliche Lernen im Vordergrund. Die rasante Entwicklung im Bereich Software, Multimedia und Internet eröffnet in zunehmendem Maße Möglichkeiten zur Unterstützung solcher beruflichen Lehr-Lernprozesse. Interaktionen können die Auszubildenden individuell und aktiv in die zu bearbeitende Aufgabe involvieren. Videos, Animationen usw. können Zusammenhänge und Abläufe anschaulich illustrieren und auf diese Weise eine hohe Authentizität schaffen. Mit Hyperstrukturen ist es möglich, komplexe und stark vernetzte Themen nachvollziehbar zu systematisieren (vgl. z. B. Strzebkowski, 2002, S. 10ff.; Schenkel, 2002, S. 382; Gerwin, 2003, S. 256). Dabei stellt sich allerdings zum einen die grundsätzliche Frage, wie eine Lernsoftware so kostengünstig entwickelt werden kann, dass sie sich auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in Ausbildungskonzepte integrieren lässt. Zum anderen ist zu klären, wie eine Lernsoftware technisch umgesetzt werden sollte, damit sie ohne große medientechnische Kompetenzen von Ausbildern, Lehrern und Auszubildenden an deren spezifischen Bedarf angepasst werden kann. Eine Antwort auf diese Anforderungen bzw. Fragen bietet der Ansatz des Rapid E-Learning. Rapid ELearning-Lernprogramme zeichnen sich dadurch aus, dass direkt durch Fachexperten (und nicht durch Medienexperten!) und ohne teure technische Ausstattung innerhalb kurzer Zeit leistungsfähige und effektive Anwendungen erstellt werden können. Die besondere Herausforderung besteht allerdings

35.2 Rapid E-Learning mit der Kompetenzwerkst@tt

441

darin, diese Anwendungen didaktisch zu fundieren und in den Zusammenhang komplexer Aufgaben einzubetten. Im vorliegenden Beitrag wird gezeigt, wie Rapid E-Learning-Lösungen für die gewerblich-technische handwerkliche Ausbildung erstellt und eingesetzt werden können.

35.2

Rapid E-Learning mit der Kompetenzwerkst@tt

Der Begriff „E-Learning“ steht für das Lernen und Lehren mit Hilfe von elektronischen bzw. digitalen Medien sowie den mediengestützten Umgang mit Wissen. E-Learning hat sich inzwischen als Oberbegriff für alle Arten dieses mediengestützten Lernens durchgesetzt und schließt lokale Lernprogramme auf CD-ROM, webbasierte Lernangebote, Lernplattformen im Internet sowie alle IT-gestützten kommunikativen und kooperativen Aktionen von Lernenden mit ein (vgl. z. B. Euler, Wilbers, 2002; Jäncke, 2005; Reinmann, 2007). Nachdem die erste E-Learning-Euphorie der 1990er Jahre verflogen war, setzte sich in der Diskussion über die didaktisch-methodische Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien – auch in der gewerblich-technischen Berufsausbildung und im Berufsschulunterricht – die Erkenntnis durch, dass Phasen des mediengestützten Lernens mit Phasen der selbstständigen Arbeit und des Lernens in sozialen Kontexten miteinander zu verbinden sind. Heinz Mandl verweist auf eine neue Lernkultur, in der Lernende mit authentischen Problemen konfrontiert und bei deren Bearbeitung vom Ausbilder oder Lehrer angeleitet, unterstützt und beraten werden. In einem Interview mit der „Welt“ am 20.03.2004 fasst er zusammen, „nicht die technische, sondern die menschliche Seite müsse beim E-Learning an erster Stelle stehen. Es nütze halt nichts, wenn das Studienmaterial technisch brillant, didaktisch aber miserabel aufbereitet ist und der Lernende am PC frustriert vereinsame“. Die Kompetenzwerkst@tt (Howe, Knutzen, 2007), ein umfassendes, berufswissenschaftlich begründetes Lehr-Lernkonzept, greift genau diesen Hinweis auf. Sie bietet Ausbildern und Lehrern Instrumente, Hilfestellungen und Anregungen für die Gestaltung von projektförmiger gewerblich-technischer Ausbildung. Das berufliche Lernen wird dabei als aktiver, individueller und konstruktiver Prozess aufgefasst, der durch die Bereitstellung von anwendungsbezogenen Inhalten und Materialien, Bearbeitungsund Lösungsstrategien, Strukturvorgaben sowie weitergehenden Lernangeboten zu unterstützen ist. Einen zentralen Bestandteil der Kompetenzwerkst@tt, der dies als Content aufnehmen kann, bildet deshalb eine selbst konzipierte Lernsoftware. Sie ist keine Stand-Alone-Software im Sinne des CBT, sondern eine interaktive, multimediale Lernumgebung, die sich in Lern- und Arbeitsaufgabe einbinden lässt (vgl. Abb. 35.2). Um den Anforderungen an eine lernortübergreifende arbeitsprozessbezogene Ausbildung gerecht zu werden, wurde für sie ein entsprechender Kriterienkatalog definiert:

442

35 E-Learning im Handwerk

1.

Für ein situiertes Lernen muss sich die Lernsoftware auf berufstypische Aufgaben, Aufträge und Arbeitsprozesse beziehen.

2.

Die Lernsoftware muss die relevanten Aspekte des jeweiligen Arbeitsprozesses beinhalten und typische Arbeitsprozessabläufe (multi)medial nachbilden.

3.

Die Lernsoftware muss die Inhalte und Materialien klar strukturiert zur Verfügung stellen, die zur Bewältigung der Aufgaben bzw. Aufträge notwendig oder hilfreich sind.

4.

Die Lernsoftware muss der technologischen Vielfältigkeit in den gewerblich-technischen Anwendungsfeldern gerecht werden.

5.

Wegen der hohen technischen Innovationsgeschwindigkeit im gewerblich-technischen Bereich müssen neue oder geänderte Inhalte in der Lernsoftware leicht nachgepflegt werden können.

6.

Die Lernsoftware muss an die spezifischen Bedingungen des jeweiligen Lernortes, insbesondere hinsichtlich der technischen Ausstattung, angepasst werden können.

7.

Die Lernsoftware muss so offen konzipiert sein, dass Ausbilder, Lehrer und Auszubildende sie individuell gestalten können.

8.

Die Lernsoftware muss den Auszubildenden Raum bieten, um Verlauf und Ergebnisse der Lehr-Lernprozesse zu dokumentieren.

Tab. 35.1:

Anforderungen an eine arbeitsprozessbezogene Lernsoftware

Dass die Idee des Rapid E-Learning hier hochinteressant ist, zeigen die sie charakterisierenden Aspekte. Rapid E-Learning-Anwendungen     

können schnell entwickelt werden, können kostengünstig erstellt werden, erfordern eine geringe Einarbeitungszeit für den Autoren, gewähren dem Anwender einen einfachen Zugang und können multimediale und interaktive Elemente aufnehmen (Payome, 2006, S. 2.8–1).

Wegen des hohen Verbreitungsgrads, der einfachen Bedienung und der weit reichenden Möglichkeiten zur Gestaltung, Medieneinbindung und Verlinkung werden Rapid E-Learning-Lernprogramme oftmals mit MS-PowerPoint umgesetzt (vgl. ebd., S. 2.8–3). Neben der Tatsache, dass sich mit PowerPoint die Anforderungen an Rapid E-Learning einlösen lassen, besteht ein weiterer Vorteil darin, dass Ausbilder und Lehrer oft auf einen großen Fundus von Folien zurückgreifen können, die sie im Laufe ihrer Tätigkeit angefertigt haben. Technische Beschreibungen, Diagramme, Erläuterungen usw. liegen damit bereits in elektronischer Form vor und können dementsprechend unkompliziert ausgetauscht bzw. eingefügt werden. In der mediendidaktischen Diskussion ist derzeit allerdings noch umstritten, inwieweit sich nach dem Rapid E-Learning-Verfahren hochwertige Lernmaterialien erstellen lassen (Reinmann, 2007, S. 187).

35.2 Rapid E-Learning mit der Kompetenzwerkst@tt

443

Die Kompetenzwerkst@tt-Lernsoftware setzt an dieser Stelle an. Sie nutzt auf der einen Seite die Vorteile des Rapid E-Learning, durch das erprobte und evaluierte Gesamtkonzept (Evaluationsergebnisse finden sich z. B. bei Howe, Knutzen, 2005, S. 166ff.) wird auf der anderen Seite die Gefahr der unzureichenden didaktischen Gestaltung vermieden.

Abb. 35.1:

Struktur der Kompetenzwerkst@tt-Lernsoftware

Abb. 35.1 zeigt die Struktur der Kompetenzwerkst@tt-Lernsoftware: Der Start-Bildschirm „Home“ bietet eine schnelle Übersicht über die dem Softwaremodul zu Grunde liegende berufliche Aufgabe und stellt einen Bezug zu den jeweiligen Ordnungsmitteln der Ausbildung her. Durch Mausklick auf die Schaltflächen der Hauptnavigation gelangt der Nutzer zum gewünschten Hauptelement. Das Hauptelement „Arbeitsprozess“ bietet die Darstellung eines repräsentativen Arbeitsprozesses. Diese Präsentation dient einem ersten Überblick über die beruflichen Herausforderungen und der Schaffung einer Vorstellung, wie sich diese Herausforderungen grundsätzlich meistern lassen. Der „Material- und Infopool“ enthält die Dokumente, Dateien, Literaturhinweise und Internetlinks, die für die Bewältigung der beruflichen Aufgaben relevant sind. Mit seinen Untermenüs „Überblick“, „Funktion und Struktur“ sowie „Vertiefung“ ist er so aufgebaut, dass er den Auszubildenden darüber hinaus hilft, prozessförmig Erlerntes fachlich zu strukturieren und umgekehrt fachlich Strukturiertes in einem Arbeitsprozess anzuwenden. Das vierte Hauptelement ist der Bereich der Lern- und Arbeitsaufgabe (vgl. auch Abschnitt. 35.2). Hier erhält der Auszubildende Informationen zu Zielen, Inhalten und Ablauf der Aufgabe sowie zu den Teilaufgaben.

444

35 E-Learning im Handwerk

Das fünfte und letzte Element bildet das „persönliche Portfolio“. Im Portfolio kann der Auszubildende die bei seiner Lern- und Arbeitsaufgabe gewonnenen berufspraktischen Erfahrungen und theoretische Kenntnisse beschreiben und ablegen. Das Portfolio unterstützt so die Reflexion und Zusammenführung des betrieblich, überbetrieblich und schulisch Gelernten. Eine Blanko-Version der Software, die frei mit Inhalten gefüllt werden kann, steht unter www.kompetenzwerkstatt.net zum kostenlosen Download zu Verfügung. Hinweise zur Gestaltung der Kompetenzwerkst@tt-Lernsoftware und zur Pflege der Inhalte sind detailliert publiziert (Howe, Knutzen, 2007, S. 127ff.).

35.3

Softwaregestützte Lern- und Arbeitsaufgaben

Der Einsatz der Kompetenzwerkst@tt-Lernsoftware erfolgt in Anlehnung an den in der gewerblichtechnischen Berufsbildung etablierten Ansatz der Lern- und Arbeitsaufgaben. Lern- und Arbeitsaufgaben stellen ein didaktisches Konzept dar, das auf eine arbeitsprozessbezogene berufliche Bildung abzielt (Howe, Berben, 2006). Die Lernsoftware kann hier eine interaktive, multimediale Erweiterung der Lernumgebung bilden. Nach dem Ansatz der Anchored Instruction (Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1990) wird mit dem Kundenauftrag und dem daraus resultierenden beruflichen Arbeitsprozess ein realitätsnaher Ankerreiz gesetzt. Dieser „Anker“ ist der Ausgangs- und Bezugspunkt von Lern- und Arbeitsaufgaben.

Abb. 35.2:

Struktur einer softwaregestützten Lern- und Arbeitsaufgabe (Abb. in Anlehnung an Berben, 2008)

Abb. 35.2 illustriert den prinzipiellen Ablauf einer Lern- und Arbeitsaufgabe und zeigt, wie sich die Kompetenzwerkst@tt-Lernsoftware einbinden lässt: Der Einstieg in eine Lern- und Arbeitsaufgabe erfolgt mit der Übernahme des Kundenauftrags. Das Arbeitsprozessbezogene Projekt bezieht sich grundsätzlich darauf, im Sinne dieses Auftrags ein Produkt zu fertigen oder eine Dienstleistung zu erbringen. Prinzipiell durchläuft die Lern- und Arbeitsaufgabe dafür die Phasen „Auftragsannahme“, „Auftragsplanung“, „Auftragsdurchführung“ und „Auftragsabschluss“. Die arbeitsprozessorientierten Phasen gewährleisten, dass die wesentlichen Handlungsschritte und Gestaltungsdimensionen des Ar-

35.4 Erfahrungen und Ausblick

445

beitsprozesses in der Lern- und Arbeitsaufgabe berücksichtigt werden. Da die Kompetenzen zur erfolgreichen Bewältigung der einzelnen Arbeitsprozessphasen bei den Auszubildenden erst zu entwickeln sind, erfolgen zusätzlich, eingebettet in bzw. angekoppelt an die unmittelbare Bearbeitung des Auftrags, explizite Phasen der Förderung der Fachkompetenz (z. B. Programmierkenntnisse, Installationsfertigkeiten), der Methodenkompetenz (z. B. Verwendung von Planungstools, Methoden der Fehlersuche) sowie der Sozialkompetenz (z. B. Abstimmung mit Kollegen, Kundenberatung). Alle Phasen können dabei als Vermittlungs- oder Selbsterarbeitungsphasen geplant und realisiert werden. Bei der Systematisierung und Reflexion der Lern- und Arbeitsaufgabe geht es vorrangig darum, das an einem spezifischen Arbeitsprozess Erlebte und Gelernte zu abstrahieren, zu strukturieren, zu verallgemeinern und kritisch zu reflektieren. Die Bilanz betrifft schließlich das Dokumentieren, Präsentieren und Bewerten der Aufgabe (softwaregestützte Lern- und Arbeitsaufgaben sind ausführlich beschrieben in Howe & Knutzen, 2007, S. 87ff.). Die Kompetenzwerkst@tt-Lernsoftware unterstützt die Umsetzung von Lern- und Arbeitsaufgaben, indem Bezüge zum Ausbildungsberuf hergestellt, eine Einbettung in den betriebliche Geschäftsprozesse vorgenommen und Arbeitsprozesse einschließlich der einzelnen Arbeitsprozessschritte visualisiert werden. Die für die Bewältigung der Aufgabe erforderlichen oder hilfreichen Inhalte sind in der Software gegliedert und multimedial aufbereitet. Die Reflexion des Lernens wird durch das persönliche Portfolio unterstützt und strukturiert.

35.4

Erfahrungen und Ausblick

Das einleitend skizzierte Szenario, in dem Auszubildende mit Hilfe von Computer, Lernsoftware und Internet eine komplexe berufliche Aufgabe bearbeiten, ist keine Vision, sondern eine zusammenfassende Schilderung von Ausbildungs- und Unterrichtspraxis. Die Kompetenzwerkst@tt-Lernsoftware und der Ansatz der softwaregestützten Lern- und Arbeitsaufgaben ist mittlerweile in verschiedenen Anwendungszusammenhängen erfolgreich erprobt worden, so z. B. in der Elektroerstausbildung oder in der Berufsvorbereitung im Bereich Recycling (Abrolat et al., 2005a, 2005b). Die dabei gewonnenen Erfahrungen zeigen, dass die Möglichkeit, eine Lernsoftware integrativ in Ausbildung und Unterricht einzusetzen, von Ausbildern, Lehrern und Auszubildenden sehr positiv eingeschätzt wird. Als Problem hat sich allerdings erwiesen, dass weder Ausbilder noch Berufsschullehrer in der Regel über ausreichende zeitliche Ressourcen verfügen, um eine Lernsoftware, selbst wenn sie den Kriterien des Rapid E-Learning entspricht, umfassend zu gestalten. Eine Lösung kann darin liegen, einzelne arbeitsprozessorientierte Softwaremodule zu entwickeln und als Basisversion im Internet als Download anzubieten. Zielgruppe für den Download sind dann in erster Linie Bildungseinrichtungen wie Betriebe, Überbetriebliche Ausbildungsstätten oder Berufsschulen. Ausbilder und Lehrer können die Lernsoftware nach ihren spezifischen Anforderungen und Rahmenbedingungen anpassen. Ihre modifizierte Version der Lernsoftware wird anschließend, z. B. in Form eines USB-Sticks, an die einzelnen Auszubildenden weitergegeben, die für sich jetzt wiederum individuelle Anpassungen oder Ergänzungen an der Lernsoftware vornehmen können. Eine weitere große Herausforderung, aber auch eine große Chance besteht in diesem Zusammenhang darin, durch die Lernsoftware lernortübergreifendes Denken bei den Auszubildenden zu unterstützen.

446

35 E-Learning im Handwerk

Da Lern- und Arbeitsaufgaben an allen Lernorten, also Betrieb, Berufsschule und Überbetriebliche Ausbildungsstätte, umgesetzt werden können, lassen sich die hier gewonnenen Erfahrungen und Erkenntnisse in der Lernsoftware in einem gemeinsamen (!) Portfolio zusammenführen: Lernortkooperation wird also nicht institutionell gedacht, sondern soll als „Lernortkooperation im Kopf der Auszubildenden“ stattfinden. Um die skizzierten Konzepte umzusetzen, werden von der Technischen Universität Hamburg-Harburg (Institut für Technik, Arbeitsprozesse und Berufliche Bildung iTAB) und der Universität Bremen (Institut Technik und Bildung ITB) in Kooperation mit Handwerksbetrieben, Handwerkskammern, Berufsschulen und Überbetrieblichen Ausbildungsstätten Lernsoftwaremodule, die das berufliche Spektrum des handwerklichen Elektronikers der Fachrichtung Energie- und Gebäudetechnik abdecken, entwickelt und sukzessive zum kostenlosen Download im Internet bereitgestellt (www.kompetenzwerkstatt.net).

36

E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Unternehmen

Lutz P. Michel

Wirtschaftsunternehmen sind weiterhin die wichtigsten Kunden bzw. Auftraggeber der deutschen ELearning-Anbieter. Wie sich die Nachfrage nach „Corporate E-Learning“ in deutschen Unternehmen in den letzten Jahren entwickelt hat und welchen Stellenwert hier die kleinen und mittleren Unternehmen einnehmen, wird in diesem Beitrag auf Basis empirischer Untersuchungen dargestellt. Die Ergebnisse liefern ein aktuelles Bild der E-Learning-Nutzung in KMU und schreiben zugleich die Befunde einschlägiger früherer Studien fort. Wegen der zunehmenden Verschränkung des IT-gestützten Lernens mit Technologien und Konzepten des Wissensmanagements widmet sich der Beitrag auch diesem Aspekt der betrieblichen Lernkultur. Schlüsselbegriffe: E-Learning, IT-gestütztes Lernen, Marktpotenzial, E-Learning-Nutzung, Lernformen, Wissensmanagement

448

36.1

36 E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Unternehmen

E-Learning – nur etwas für Großunternehmen?

In der Startphase des betrieblichen E-Learning waren Großunternehmen die Vorreiter. Hier wurden auch die ersten integrierten Anwendungen entwickelt, die IT-gestütztes Lernen mit traditionellen Formen der Personalentwicklung verknüpfen. Doch auch zwischen den Großunternehmen mit ihren professionellen HR-Abteilungen gibt es beim E-Learning noch erhebliche Unterschiede. Neben Pionieren des digitalen Lernens wie Bayer oder SAP, die inzwischen bereits große Teile der betrieblichen Weiterbildung über E-Learning realisieren, findet sich eine immer noch große Gruppe von Konzernen, die neuen Lernformen insgesamt sehr skeptisch gegenüberstehen und das computergestützte Lernen allenfalls in begrenzten Projekten, etwa zur Unterstützung der IT-Migration, einsetzen. Und wie ist die Situation in kleinen und mittleren Unternehmen? Bekanntlich stellen KMU in Deutschland das Gros der Arbeitsplätze, mit steigender Tendenz. Dies macht sie potenziell zu einem attraktiven Markt für E-Learning-Anbieter. Aus zahlreichen strukturbedingten Gründen hat IT-gestütztes Lernen in KMU bislang jedoch keine große Verbreitung gefunden. Zugleich zeigt eine wachsende Zahl von Pionierunternehmen sowie erfolgreichen Förderprojekten, dass E-Learning für kleine Unternehmen weder zu teuer noch zu personalaufwändig sein muss. Von diesen Beispielen können andere Unternehmen profitieren. Um fundierte Prognosen über die Zukunft des E-Learning-Marktes in Deutschland abzugeben, sind repräsentative Studien und methodisch zuverlässige Trenderhebungen unerlässlich. Im vorliegenden Beitrag werden die Ergebnisse zweier groß angelegter Marktstudien vorgestellt, die in den Jahren 1999 und 2007 durchgeführt wurden (MMB/Psephos, 2000; MMB/Universität Duisburg-Essen, 2008). Beide Studien entstanden im Kontext des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie unterstützten Leitprojekts LERNET, das sich in zwei Stufen der Förderung von E-Learning in KMU widmete.

36.2

E-Learning in deutschen KMU: Auf dem Weg zur Selbstverständlichkeit

Ein Blick auf die aktuellen Nutzerzahlen des computerbasierten Lernens zeigt, dass die Entwicklung der vergangenen Jahre maßgeblich durch zwei Trends geprägt ist: Einerseits durch eine starke Konsolidierung des Marktes, wobei sich aus dem großen Kreis temporärer „Probe-Nutzer“ inzwischen eine Anwendergruppe herausgebildet hat, für die E-Learning bereits zum Alltag der betrieblichen Weiterbildung gehört. Gleichzeitig, so eine weitere zentrale Erkenntnis der aktuellen Studie, hat bei vielen Anwendern eine Intensivierung der E-Learning-Nutzung stattgefunden. Mit 21 % liegt der Anteil der Unternehmen, die E-Learning in der betrieblichen Weiterbildung einsetzen, leicht unter den Nutzerquoten aus vorherigen Studien (LERNET-Studie, 1999: 24 %). Die meisten E-Learning-Nutzer fanden sich erwartungsgemäß unter den größeren Unternehmen, die 500 bis 1.000 Mitarbeiter am Standort beschäftigen (29 %), gefolgt von kleinen (21 %) und mittleren Firmen (17 %).

36.3 Marktpotenzial für digitales Lernen deutlich gestiegen

Abb. 36.1:

449

E-Learning-Nutzung in Unternehmen (in %) (Quelle: MMB-Studie „LERNET_2007“; 837 Befragte, August 2007)

Besonderes stark ist der Einsatz computergestützter Lernformen in der Dienstleistungsbranche verbreitet: Knapp jede dritte Dienstleistungsfirma (31 %) setzt E-Learning in der betrieblichen Weiterbildung ein. Zum Vergleich: Im verarbeitenden Gewerbe sind es 16 %, im Handel 8 %.

36.3

Marktpotenzial für digitales Lernen deutlich gestiegen

Wie die Studienergebnisse zeigen, weisen Betriebe sämtlicher Größen sowie einzelne Branchensegmente noch ein großes Ausbaupotenzial für das computerbasierte Lernen auf. Dieses wird offenbar von den Weiterbildungsverantwortlichen zukünftig auch genutzt werden: Von denjenigen Unternehmen, die E-Learning (noch) nicht einsetzen, planen rund 5 % konkret die Einführung digitaler Lernangebote innerhalb der nächsten zwölf Monate, ein weiteres Drittel (33 %) zieht dies in Erwägung (vgl. Abb. 36.1). Insbesondere bei Unternehmen mit bis zu 500 Mitarbeitern sowie im verarbeitenden Gewerbe dürfte sich den Angaben der Befragten zufolge die Anwenderquote in den kommenden Jahren erhöhen. Gemessen an dem eindrucksvollen Marktpotenzial von insgesamt 38 % nehmen sich die Vergleichswerte aus der frühen LERNET-Studie geradezu bescheiden aus: Im Jahr 1999 betrug der Anteil der Planer und Erwäger von E-Learning insgesamt lediglich 17 %.

450

36.4

36 E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Unternehmen

E-Learning wird in den Unternehmen intensiver genutzt

Doch nicht nur der Anteil potenzieller Anwender, auch die Zahl aktueller E-Learner in den Nutzerunternehmen hat sich – bei nahezu konstanter Anwenderzahl – deutlich erhöht: Während in den Anfangsjahren des computerbasierten Lernens hochgerechnet 4,3 Mio. Beschäftigte entsprechende Lernangebote nutzten, bilden sich heute rund 9,6 Mio. Mitarbeiter mithilfe des Computers weiter. Auch dieser Befund macht deutlich: Einmal eingeführt, wird E-Learning in vielen Unternehmen zu einer selbstverständlichen Anwendung für eine Vielzahl von Beschäftigten.

Abb. 36.2: Anzahl von E-Learnern in Unternehmen (in Mio.) (Quelle: MMB-Studie „LERNET_2007“; 837 Befragte, August 2007 und „Zukunftsperspektiven multimedialen Lernens in kleinen und mittleren Unternehmen“; 800 Befragte, Januar 2000)

Darüber hinaus wird das digitale Lernen von der Belegschaft positiv aufgenommen: In mehr als zwei Drittel (72 %) aller Fälle schätzen die Firmenvertreter die Beurteilung durch die Mitarbeiter als „eher gut“ ein, und in rund jedem sechsten (16 %) der befragten Unternehmen stößt E-Learning bei den Beschäftigten sogar auf eine „sehr gute“ Akzeptanz. Die Studienergebnisse verdeutlichen außerdem, dass E-Learning mittlerweile für das Gros der Nutzer keine flüchtige Modeerscheinung darstellt, sondern fester Bestandteil des Weiterbildungsangebots ist: Nahezu drei Viertel (72 %) der Anwenderunternehmen beabsichtigen, E-Learning zukünftig auszubauen, während nur ein verschwindend geringer Teil daran denkt, vorhandene Angebote zu reduzieren (1 %). Diejenigen Unternehmen, die ihr E-Learning-Angebot ausbauen möchten, wollen dabei konsequent vorgehen und die Expansion sowohl durch einen Nutzerzuwachs als auch durch zusätzliche Angebote

36.5 „Multimediales Lernen“ gestern und heute

451

realisieren. Die Kombination dieser beiden Optionen wird am häufigsten benannt (72 %); nur rund ein Viertel der Unternehmen denkt lediglich an eine Ausweitung des digitalen Lernangebots (24 %), ein noch geringerer Teil an die alleinige Erweiterung des Nutzerkreises (4 %). Im Zuge seines Ausbaus in der betrieblichen Weiterbildung wird das computerbasierte Lernen neben der rein quantitativen auch eine qualitative Aufwertung erfahren: Nach Einschätzung der Befragten wird sich das Gewicht des digitalen, selbstgesteuerten Lernens in den meisten Unternehmen zu Lasten des klassischen Lernens in nächster Zeit „etwas“ (65 %), in gut jedem zehnten Betrieb sogar „stark“ erhöhen (12 %).

36.5

„Multimediales Lernen“ gestern und heute

Der im Vergleich zu 1999 leicht abgeschwächte Anteil der Unternehmen, die E-Learning einsetzen, ist nicht zuletzt durch die unterschiedlichen E-Learning-Definitionen zu erklären, die im Laufe der vergangenen Jahre in einschlägigen Studien verwendet wurden: Während die frühe LERNET-Erhebung das ganze Spektrum multimedialer Anwendungen, darunter auch Videokassetten oder Videokonferenzsysteme, erfasste, wurden für die aktuelle Studie all jene Elemente, die lediglich zur Unterstützung von Präsenzveranstaltungen dienen (wie z. B. Power-Point-Präsentationen), explizit ausgeschlossen. Als ELearning erfasst wurden ausschließlich „computerbasierte Lernangebote, deren Inhalte oder Software speziell zu Lernzwecken konzipiert bzw. eingesetzt wurden bzw. werden“. Mit dieser vergleichsweise engen Definition des computerbasierten Lernens konnte sich im Sommer 2007 rund jedes fünfte Unternehmen in Deutschland identifizieren – doch wie viele Unternehmen hätten einer solchen Umschreibung im Jahr 1999 zugestimmt?

Ein Vergleich der jeweils genutzten Lernformen verdeutlicht, wie unterschiedlich das Verständnis multimedialen bzw. computerbasierten Lernens zu den beiden Erhebungszeitpunkten war (vgl. Abb. 36.3): Während in der Anfangsphase des E-Learning Einzelplatzlösungen – hier erfasst als CBT – die dominierende Lernform waren (84 %), hat sich der Nutzeranteil entsprechender Lernarrangements seitdem auf die Hälfte verringert (41 %).

452

36 E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Unternehmen

Abb. 36.3: Genutzte E-Learning-Formen (in %) (Quelle: MMB-Studie „LERNET_2007“; 837 Befragte, August 2007 und „Zukunftsperspektiven multimedialen Lernens in kleinen und mittleren Unternehmen“; 800 Befragte, Januar 2000)

Lernprogramme auf Diskette und Videokassetten, die im Jahr 1999 von jedem fünften bzw. vierten Unternehmen im Rahmen der „multimedialen“ Weiterbildung eingesetzt wurden, spielen in der heutigen E-Learning-Welt keine Rolle mehr. Umgekehrt haben in den letzten Jahren neben dem stark nachgefragten Blended Learning (50 %) auch verschiedene Web 2.0-Tools Eingang in das IT-gestützte Lernen gefunden, wo sie sich einer wachsenden Beliebtheit erfreuen: So gaben 2007 bereits 15 % der Unternehmen an, Wikis und Weblogs in der Mitarbeiterqualifizierung einzusetzen; Planspiele und Simulationen spielen heute sogar für jeden vierten betrieblichen Weiterbildungsverantwortlichen eine Rolle (24 %). Obwohl informelle Lernformen wie auch Tools des Web 2.0 (noch) deutlich seltener als „klassische“ E-Learning-Arrangements eingesetzt werden, lassen die Ergebnisse eine deutliche Tendenz zum kooperativen und kollaborativen Wissenserwerb erkennen.

36.6

Auch Themenvielfalt spiegelt gewachsene Relevanz des E-Learning wider

Der zu erwartende Relevanzzuwachs von E-Learning in der betrieblichen Weiterbildung sowie die starke Diffusion entsprechender Lernformen in den Anwenderunternehmen lassen sich außerdem anhand des erweiterten Spektrums der Themen nachweisen, die durch E-Learning abgedeckt werden: Wie die nachfolgende Grafik zeigt, werden virtuelle Lernangebote heute von deutlich mehr Firmen für eine größere Breite von Weiterbildungsthemen eingesetzt als vor acht Jahren (vgl. Abb. 36.4).

36.7 E-Learning-Unternehmen favorisieren nach wie vor Standard-Produkte

453

Abb. 36.4: E-Learning-Einsatz nach Themen (in %) (Quelle: MMB-Studie „LERNET_2007“; 837 Befragte, August 2007 und „Zukunftsperspektiven multimedialen Lernens in kleinen und mittleren Unternehmen“; 800 Befragte, Januar 2000)

Angeführt wird die Themenliste nach wie vor von IT-Standardanwendungen (60 %), gefolgt von Produktschulungen (52 %). Doch auch die Soft Skills der Mitarbeiter, also etwa kommunikative Kompetenzen oder Teamfähigkeit, werden inzwischen weitaus häufiger über E-Learning geschult: Knapp jedes dritte befragte Unternehmen (27 %) gibt dies zu Protokoll.

36.7

E-Learning-Unternehmen favorisieren nach wie vor Standard-Produkte

Bei der Auswahl von E-Learning-Arrangements verlässt sich das Gros der befragten Anwender immer noch auf fertige Produkte, die auch von anderen Unternehmen eingesetzt werden (60 %) (vgl. Abb. 36.5). Verglichen mit früheren Studien erfreuen sich jedoch auch maßgeschneiderte Produkte, die in Koproduktion mit Produzenten (37 %) oder anderen Branchenvertretern (33 %) erstellt wurden, wachsender Beliebtheit. Immerhin rund jedes fünfte Anwenderunternehmen in der Stichprobe (20 %) gibt an, selbst erstellte Produkte für das computergestützte Lernen im Unternehmen zu verwenden.

454

36 E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Unternehmen

Abb. 36.5: Herkunft der E-Learning-Arrangements (in %) (Quelle: MMB-Studie „LERNET_2007“; 837 Befragte, August 2007)

Um die Qualität der digitalen Lernangebote zu beurteilen, setzen die Unternehmen ein breites Spektrum von Beurteilungsverfahren ein. Das größte Vertrauen genießen allgemein anerkannte Qualitätsstandards und Gütesiegel (51 %), eigene Evaluationen nach Einführung neuer Lernangebote (49 %) sowie Tests und Produktvergleiche in der Fachliteratur (48 %). Aber auch unternehmensspezifische Qualitätsrichtlinien (42 %) sowie entsprechende Vorgaben im Verantwortungsbereich der Mitarbeiter (40 %) werden häufig zur Beurteilung von E-Learning-Arrangements herangezogen.

36.8

Wissensmanagement – breites Spektrum von Anwendungen im Einsatz

Um in ihrem Unternehmen Wissen und Erfahrungen der Mitarbeiter sowie Arbeitsergebnisse systematisch zu speichern und verfügbar zu machen, verwenden die Unternehmen ein breites Spektrum ITgestützter Methoden. Die Liste der genutzten Formen des Wissensmanagements wird von Datenbanken mit diversen Funktionen angeführt (93 %); mit erheblichem Abstand folgen Tools zur Geschäftsprozessmodellierung (50 %) und Groupware-Systeme (41 %) (vgl. Abb. 36.6).

36.9 Fazit

455

Abb. 36.6: Genutzte Formen des Wissensmanagements (in %) (Quelle: MMB-Studie „LERNET_2007“; 837 Befragte, August 2007)

Aber auch Social Software – also Anwendungen des Web 2.0 – ist beim Wissensmanagement auf dem Vormarsch: Je rund ein Drittel der E-Learning-Anwender und -Planer setzen bereits Wikis, Weblogs (33 %) sowie Communities of Practice (32 %) ein, um Wissen und Erfahrungen der Mitarbeiter sowie Arbeitsergebnisse zu verwalten und verfügbar zu machen. Vergleicht man die Akzeptanzwerte für ELearning und Wissensmanagement, so zeigt sich: Beide werden von den Mitarbeitern der befragten Unternehmen ähnlich gut angenommen. In rund 90 % der Fälle wird eine hohe Akzeptanz von Wissensmanagement in der Belegschaft dokumentiert; nur 4 % der befragten Unternehmensvertreter glauben, dass ihre Mitarbeiter die dafür eingesetzten Anwendungen „eher schlecht“ akzeptieren.

36.9

Fazit

Drei Schlussfolgerungen aus den hier präsentierten Studienergebnissen zum Stand des E-Learning in deutschen Unternehmen drängen sich auf: Erstens: IT-gestütztes Lernen ist mehr als eine technologische Innovation. „E-Learning“ als Technologie-getriebenes Thema (nach dem bekannten Muster „Lösung sucht Anwendung“) hat sich überholt. Zwar sind offenbar viele Unternehmen, die in der euphorischen Phase bereits erste Erfahrungen mit digitalem Lernen gemacht haben – die so genannten „Innovatoren“ also – dieser neuen Lernform treu geblieben. Der Begriff „E-Learning“ und die mit ihm konnotierte technologische Innovation allein sorgt aber nicht mehr für Akzeptanz. Entscheidend ist, dass der kurz- und mittelfristige Nutzen für die Kernziele des Unternehmens herausgestellt und glaubhaft gemacht wird – und dass der spezifische Beitrag zur Erreichung dieser Ziele auch nachweisbar ist. Die Themen „Controlling“ und „Effizienzmessung“ rücken damit ins Zentrum der Argumentation. Zweitens: KMU beginnen die Potenziale des E-Learning zu erschließen. Kleine und mittlere Unternehmen stellen eine besondere Herausforderung für den E-Learning-Markt dar. Der Zusammenhang

456

36 E-Learning und Wissensmanagement in deutschen Unternehmen

zwischen Unternehmensgröße und Verbreitung digitalen Lernens ist in den zitierten Studien zweifelsfrei nachgewiesen worden. Auf der anderen Seite bilden KMU sowohl für den Arbeitsmarkt als auch für technologische und Produkt-Innovationen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Neben neuen Geschäftsmodellen, die der Unternehmensgröße Rechnung tragen, wie Content Sharing oder Application Service Providing, ist auch die Unterstützung durch Politik und Verbände weiterhin unverzichtbar. Das betrifft Förderprojekte zur Implementierung von E-Learning in KMU (z. B. LERNET) ebenso wie regionale Konzepte (Kompetenzzentren, Portale etc.) zur gezielten Unterstützung von KMU. Drittens: Informelles Lernen wird die betriebliche Bildungsarbeit bestimmen. Die zurzeit viel diskutierten neuen Formen des informellen Lernens werden nach Ansicht der Experten in drei Jahren eine bedeutende Rolle spielen. Dabei geht es nicht nur um die Einführung von Werkzeugen des Wissensmanagements wie Wikis oder Weblogs, sondern um ein neues Selbstverständnis des On-demand-Lernens am Arbeitsplatz. Dies bedeutet für den Lerner nicht nur, die richtigen Informationen zu finden und auf die eigene Arbeitssituation zu übertragen. Jeder Lerner kann so auch zum Lehrer werden. Dieser Trend wird den klassischen Weiterbildungsmarkt grundlegend verändern.

37

Online-Lernen in Banken

Joachim P. Hasebrook

Durch das schnelle Wachstum der Web-Nutzung weltweit und der technisch einfachen Möglichkeiten, selbst Texte, Bilder und Videos ins Web zu stellen, entstand ein „soziales Web“, das Web 2.0. Insbesondere die technisch versierte junge Generation konsumiert Internet-Angebote nicht mehr passiv, sondern nutzt das Web vielfach aktiv als „Prosumenten“. Die Akademie der Sparda Banken hat zusammen mit dem Beratungsunternehmen zeb/ ein Konzept entwickelt, wie Techniken des Web 2.0 in der kaufmännischen Bildung eingesetzt werden können, um gezielt den nachhaltigen Erfolg von vertriebsorientierten Anteilen der Weiterbildung zu fördern. Diese Anteile sind besonders wichtig, da immer weniger Arbeiten im so genannten „Backoffice“ und immer mehr Aufgaben im direkten Kundenkontakt, im „Frontoffice“, zu leisten sind. Dazu werden drei Lernszenarien detailliert beschrieben. Weitere Beispiele zeigen, wie Bildungsportale für Auszubildende aussehen können und wie E-Learning zunehmend in komplexe Personaldienstleistungen integriert wird. Dazu haben die Frankfurt School of Finance & Management sowie die Akademie der Genossenschaften (ADG) gemeinsam mit zeb/ Konzepte entwickelt, die kurz dargestellt und diskutiert werden. Schlüsselbegriffe: E-Learning-Trends, 3D-Internet, Media Rich Internet, Video-Blog, Produkt-Wiki, Vertriebstraining, Personalcontrolling, Bildungscontrolling

458

37 Online-Lernen in Banken

37.1

E-Learning-Trends

Die Gedanken der Väter und Mütter des heutigen World Wide Web, allen voran Tim Berners-Lee (2001), richten sich auf das Internet als „Semantisches Web“, das Inhalte im Internet für Maschinen besser lesbar und interpretierbar macht. Bekanntermaßen ist das neue „Web 2.0“ aber ein „Social Web“ (vgl. Kolbitsch & Maurer, 2006), das durch die von rund eineinhalb Milliarden Internet-Nutzern beigesteuerten Inhalte, Meinungen und Kommentare geprägt ist: Aus dem Internet der Fakten und Marketingbroschüren ist ein Netz der Anschauungen und Gerüchte geworden. Versucht man nun das Verhalten der Nutzer in einen Gedanken zusammenzufassen, so kann man zwar im Nachhinein erklären, warum das Web 2.0 aus dem typischen Nutzerverhalten, der „Ökologie des Webs“ (Hubermann, 2003) gleichsam zwangsläufig entstehen musste. Weit schwieriger ist es, ein Bild der derzeitigen Entwicklungen und ihrer Konsequenzen zu bekommen, wie die Bewertung von Bildungsangeboten im Web zeigt (alle Zitate entnommen aus dem LearnTec Newsletter Nr. 2 vom Dezember 2006): „Es bedarf eines konfrontativen, sozialen Lernens. E-Learning ist hier ähnlich unwirksam wie Vorträge“, meint Prof. Rolf Arnold von der Technischen Universität Kaiserslautern. „Im Internet werden Lern Communities entstehen, die teilweise die Bedeutung von Universitäten annehmen“, schreibt Axel Föry von Cisco Systems und der Wissenschaftsjournalist Joscha Remus, der vor kurzem ein Buch zur „Infonautik“ (Remus, 2005) geschrieben hat, erklärt: „Das Internet hat mobile Endgeräte erreicht – „Microlearning“ heißt das neue Zauberwort“. Versucht man diese drei prominenten Meinungen zusammen zu fassen, so erhält man als Kurzform: „Konfrontative, mit Universitäten vergleichbare Lerngemeinschaften, die immer nur ein ganz bisschen lernen (micro learning)“ – was natürlich unsinnig ist.

37.1.1

Searchware

Vielleicht markiert die Übernahme des Videoportals „YouTube“ durch die Such- und Werbemaschine Google für rund 1,65 Milliarden US-Dollar am besten den aktuellen Wandel im Internet: Zugang zu Informationen im Internet wird nicht mehr allein von Stichwortsuche und -verzeichnissen der „WebDrachen“ wie Google und Yahoo dominiert (vgl. Witten, Gori & Numerico, 2007) – und das hat seine Gründe: •



Suchmaschinen sind zu langsam. Der Google Searchbot braucht 2–4 Wochen zur Indizierung eines Eintrags in einem Internet-Tagebuch, einem Weblog (kurz: Blog). Darauf spezialisierte Portale wie Technorati oder Blogger nur etwa eine Stunde (Mishne & Glance, 2005). Einfache Textsuche reicht nicht mehr aus, weil sie zuviel Expertenwissen zur Eingabe von Suchbegriffen und zur Bewertung und Kombination von Suchergebnissen erfordert (Jansen & Spink, 2005). Spezielle Suchmaschinen finden auf viele einfachere und bessere Weise Bilder, Videos, Musik, aber auch Meinungsbilder, Orte und ehemalige Schulkameraden: Google selbst stellt ein preisgekröntes Suchwerkzeug zum Auffinden von Kinofilmen nach persönlichem Geschmack, Sympathiewerten für Schauspielern kombiniert mit Bild- und Tonsuche vor (Fink, Covell & Baluja, 2006) – und dies ist nur ein einfaches Beispiele dafür, was man vielleicht am besten als „soziale Suche“ (social search; vgl. Teevan et al., 2004) bezeichnen könnte.

37.1 E-Learning-Trends •

459

Im Web 2.0 ersetzt die Vernetzung von Spezialisten vielfach die allgemeine Indexierung durch Suchmaschinen. Die in so genannten Mashups (Internetdienste, die durch die Mischung von anderen Internetdiensten entstehen) gespeicherten Nutzerprofile und Nutzerdaten werden zunehmend automatisch ausgewertet, erweitert und verknüpft: Statt ein Mashup für das Speichern von Lesezeichen, eines für berufliche Kontakte, eines für private Kontakte, eines für Videos und wieder ein anderes für Fotos zu nutzen, stellen „Meta-Mashups“ zentrale Sammelstellen für unsere sozialen Kontakte und von uns verwalteten oder verantworteten Inhalte zur Verfügung.

Während also das Geschäftsmodell der jetzigen Web-Drachen ins Wanken gerät, sind die neuen WebDrachen bereits im Anflug – wiederum angeführt von Google: Diese Web-Drachen sammeln nicht mehr Kopien von bestehenden Internet-Seiten und weisen ihnen einen Index und eine Bewertung zu; die neue Generation von Web-Drachen sammelt neue Stammdaten im Internet, die sie dann ganz für sich allein besitzen. Gerade eben wird Google Earth Besitzer fast aller wichtigen Geodaten und baut damit das „Geo-Spatial Web“ (McCurley, 2001). Google wurde durch den Aufkauf von YouTube auch Besitzer von digitalen Amateurvideos, und durch einen Vertrag mit dem Nutzerportal „MySpace“ kann Google nun auch detaillierte Nutzerprofile und persönliche Dateien durchsuchen. Das Internet beginnt sich in unsere gesamte Lebenswelt auszubreiten, indem etwa kleine 2D-Barcodes (Markierungen wie auf den selbst ausgedruckten Fahrscheinen der Deutschen Bahn), von Handy-Kameras erkannt und als Einstieg in Internet-Informationen genutzt werden: Semapedia bietet die Möglichkeit, Einträge aus dem Internet-Lexikon „Wikipedia“ mit Hilfe des Handys geographisch zu verorten und durch Lesen einer Markierung, die beispielsweise an einem Gebäude oder Denkmal klebt, direkt mit dem Handy abzurufen (www.semapedia.org). Die Open Universiteit der Niederlande nutzt in ihrem Projekt „Campus Memories“ eine ähnliche Technik, um Lerninhalte, Stundenpläne und Kommentare von Studierenden überall auf dem Campus speicherbar und abrufbar zu machen (Zimmermann, Lorenz & Specht, 2005).

37.1.2

Selfware

Prominent ist im Internet nicht, wer eine hohe Trefferrate in Google hat, sondern wer an den richtigen Netzwerken teilnimmt. Und diese Netzwerke werden in enormer Geschwindigkeit zusammenwachsen und vereinheitlicht. Sie dringen zudem mit dem Internet in unsere gesamte Lebensumwelt vor. Den Begriff „Selfware“ habe ich von einer Ausstellung junger Künstler zur Eröffnung der neuen Kunsthalle im Jahr 2003, als Graz europäische Kulturhauptstadt war (www.selfware.at). Der Begriff macht deutlich, wie sehr wir es bereits nach wenigen Jahren gewohnt sind, uns als software-artigen Teil eines umfassenden Computernetzwerks zu sehen. Norbert Bolz (1998) sieht uns Menschen bereits als den empfindungsfähigen Teil des weltumspannenden Computernetzwerks oder die „Sexualorgane des Computers“, wie er sagt. Die massenhafte Nutzung von Avataren zur Bildung sozialer Treffpunkte, etwa in „Faceparty“ (www.faceparty.com für die britische Jugend) oder „habbo“ (www.habbo.com für die finnische Jugend) scheint dies ebenso zu belegen wie der enormen Zustrom von Nutzern und nun rund drei Millionen Avataren, die die dreidimensionale Bilder- und Simulationswelt „Second Life“ (SL) im Internet bevölkern. Während die Möglichkeiten zur Selbstabbildung in Faceparty und Habbo noch begrenzt und gebührenpflichtig sind, bietet SL bereits vielfältige Möglichkeiten das Avatar-Selbst vor einem virtuellen Spiegel auszustatten und ins virtuell-reale Leben zu schicken, in welchem man beispielsweise die schwedische Botschaft besuchen kann – oder eben das riesige Trainingszentrum von Thompson NETg, einem der größten Trainingsanbieter der Welt. Schon integrieren sich herkömmliche Lernplattformen, wie das weltweit am häufigsten eingesetzte Lern-Management-System (LSM), die

460

37 Online-Lernen in Banken

Open Source Plattform „moodle“ (www.moodle.org) mit SL und werden zu „Sloodle“ (www.sloodle.com).

37.1.3

Brainware

Viele Autoren haben bereits gemutmaßt, dass in Zukunft nicht mehr so sehr Gene vererbt werden, sondern eher die eigene Persönlichkeit konserviert werden wird (z. B. Kurzweil, 2000). Erste Anzeichen dafür gibt es bereits: 3D-Scans des eigenen Gesichts und menschlicher Bewegungen (motion tracking) ersetzen zunehmend einfache Avatare und erlauben zumindest in großen Filmproduktionen bereits den Einsatz künstlicher Figuren als dem Menschen gleichwertige Schauspieler. Komplexe Modelle von Ideen und Gefühlen werden bereits im Computer simuliert (Dörner, 2000) und machen Avatare ihren Schöpfern immer ähnlicher. Es entsteht also eine Co-Evolution von „Genes, technologies and minds“, wie Baldi, Frasconi und Smyth (2003) meinen. Im Projekt „eDrama“ der Universität Birmingham beispielsweise stellen Avatare in einem grafisch „Faceparty“ oder „Habbo“ ähnlichen Spiel die Schüler unterschiedlicher Herkunft in einer britischen Grundschulklasse dar. Der Computer lenkt einen der Avatare, der von den Kindern problemlos als Mitschüler akzeptiert wird, und trainiert so Grundschüler im Umgang mit Konflikten zwischen verschiedenen Kulturen54. „Niemand kann gelernt werden. Man kann nur selber lernen.“, gab Prof. Götz Werner, CEO der dm Drogeriemarktkette, der LearnTec 2007 ihr Motto (aus LearnTec Newsletter 1). Dieses so einleuchtende Zitat wird jedoch jeden Tag weniger wahr: Nicholas Negroponte träumte in seinem bekannten Buch „Being Digital“ noch von Computern, die sich einem menschlichen Partner gleich an ihre Benutzer anpassen (vgl. Hasebrook, 1999). Heute aber passt sich das Gehirn an den Computer an – nicht umgehrt: Cochlea-Implantate für Schwerhörige machten den Anfang, Kommunikationsdienste für Schwerstkranke machen Gedanken sichtbar und Gehirn-Interfaces sind bereits käufliche, alltägliche Produkte (vgl. Lebedev et al., 2005). Schon heute haben Millionen von Menschen mehr Leben im Internet als außerhalb. In Zukunft werden wir ohne die Existenz im Internet nicht mehr auskommen. Vom Computer erzeugte Personen werden nicht nur reale Personen abbilden, sondern eine eigene Rolle im digitalen Leben spielen. Die Grenze zwischen „virtuell“ und „real“ wird völlig aufgehoben werden (vgl. Keil-Slawik, 2001; Hasebrook & Maurer, 2004). Searchware hilft uns, immer und überall zu suchen – und gefunden zu werden. Selfware macht uns Nutzer selbst zu einem Teil des Internets, und Brainware wird dazu führen, dass sich Teile unseres Gehirns an den Computer anpassen werden, was uns immerhin den Trost gewährt, der klügere Part in dieser Mensch-Computer-Partnerschaft zu sein, der ja bekanntlich immer nachgibt.

54

www.cs.bham.ac.uk/research/projects/edrama weiterführende Informationen unter www.socialimpactgames.com

37.2 E-Learning in Banken

37.2

461

E-Learning in Banken

Die Trendstudie „Banken und Zukunft“ des Fraunhofer IAO macht deutlich, dass deutsche Banken sich zunehmendem Wettbewerbs- und Preisdruck ausgesetzt sehen (Spath, Engstler, Praeg & Vocke, 2008): Ausländische Wettbewerber drängen auf den Markt, Margen und Kundenbindung sinken und das Eigengeschäft der Banken leidet unter der Finanzkrise. Klassische Filialbanken mit stationären Vertriebsmitarbeitern reichen da nicht mehr aus. Darum experimentieren viele Banken mit neuen Vertriebs- und Filialformen: Laut secondlifeinsider.com gibt etwa es 20 Banken in Second Life, davon sind etwa die Hälfte aus der realen Welt, die anderen gibt es nur virtuell. Als erster deutscher Finanzdienstleister eröffnete Ende 2006 die Wirecard Bank AG in Second Life eine virtuelle Filiale, in der sich Kunden über Produkte und Dienstleistungen beraten lassen oder direkt auf die Bezahldienste zugreifen können. Die Deutsche Bank folgte im Juli 2007 mit ihrer mehrfach ausgezeichneten Filiale Q110 und bietet virtuelle Themenwelten wie „Hochzeit“, „Zukunftsplanung“ und „Immobilienkauf“ mit Anregungen, Informationen und Hinweisen zu Finanzlösungen an. Die realen Abbilder der Avatare finden sich der Filiale Q110 in Berlins Friedrichstraße (vgl. Abb. 37.1).

Abb. 37.1:

37.2.1

Die preisgekrönte „Bank der Zukunft“(www.q110.de) der Deutschen Bank macht deutlich: Klassisches Filialbanking mit stationärem Vertrieb ist aus Sicht der Banken nicht mehr zukunftsweisend.

Praxisbeispiel SALT 2

Neue Formen des Vertriebs und der Kundenansprache sind auch das Thema des folgenden Projektbeispiels für neues E-Learning in Banken. Die Genossenschaftsbanken haben im Zeitraum vom 2002 bis 2006 rund 2 % ihrer Kunden verloren und ihre Mitarbeiterzahl um rund 5 % auf rund 167.000 Mitarbeiter verringert. Gleichzeitig haben die ebenfalls genossenschaftlich organisierten Sparda-Banken ein jährliches Kundenwachstum von rund 5 % zu verzeichnen und sind damit eine äußerst erfolgreiche

462

37 Online-Lernen in Banken

Organisation innerhalb der genossenschaftlich organisierten Banken, die sich auch gegen aggressive Mitbewerber auf dem Markt der Finanzberatung und Finanzdienstleistung durchsetzen konnten. Genossenschaftsbanken und Sparkassen, die im Rahmen des Tarifs öffentlicher Dienste (TVöD) Gehälter zahlen, können oft nicht mit den Gehalts- und Bonusangeboten privater deutscher und ausländischer Institute mithalten. Auf der Kundenseite steigen die Ansprüche an eine ganzheitliche Beratung und sinkt die „Kundentreue“. Gleichzeitig geht das Potenzial möglicher, geeigneter Bewerber durch die demografische Entwicklung, durch aktuelle Entwicklungen im Bildungswesen sowie durch eine sinkende Arbeitgeberattraktivität der Bankenbranche zurück. Die Internationalisierung der Finanzmärkte, die aktuelle Finanzkrise und zunehmende Regulierung der Beratertätigkeit (z. B. MIFiD) erhöhen die Ansprüche an erfolgreiche Kundenberatung und schränken Gewinnmöglichkeiten durch Eigengeschäfte (sog. Strukturbeiträge) ein. In Zukunft werden genossenschaftlich organisierte Banken ihre Mitarbeiterzahl nur dann halten oder ausbauen können, wenn vertriebliche Erfolge erzielt werden. Die erfolgreichen Sparda-Banken sind dafür ein hervorragendes Beispiel: Als „Discountbanken“ erzielten sie in den letzten Jahren teilweise zweistellige Zuwachsraten beim Neukundengeschäft. Diesen Erfolg zu erhalten, gegen den aggressiven und sich verschärfenden Wettbewerb auszubauen sowie eine „Leit- und Innovationsfunktion“ unter den genossenschaftlichen Banken einzunehmen, müssen in der beruflichen Weiterbildung besondere Herausforderungen bewältigt werden: • •





Es besteht hoher Bedarf an maßgeschneiderten, bezahlbaren Lernlösungen im Bereich der vertrieblichen Weiterbildung und der fortlaufenden Aktualisierung der Berufsausbildung. Lernlösungen müssen vor allem eine hohe Transfer- und Erfolgsorientierung aufweisen, die Abwesenheit vom Arbeitsplatz verringern und zu einer nachhaltigen Unterstützung und Verbesserung der Lernleistung beitragen. Lernangebote müssen sich an den geänderten Lern- und Mediengewohnheiten jüngerer Mitarbeiter ebenso orientieren wie an den sich vergrößernden Unterschieden in der Medienkompetenz jüngerer und älterer Mitarbeiter. Lernumgebungen und Lernsysteme müssen die hohen Standards an Sicherheit und Nutzbarkeit von Anwendersoftware in Banken erfüllen und sie müssen sowohl vom Arbeitsplatz als auch von zu Hause abrufbar sein.

Es gibt zwar eine Reihe vielversprechender Ansätze für flexible und kooperative Lernszenarien mit Web 2.0-Technologie. Diese Beispiele sind oft im mehr oder weniger im öffentlichen Raum angesiedelt (z. B. staatliche Hochschulen), die nicht so hohe Sicherheitsanforderungen und eine meist technisch fortgeschrittene Ausstattung haben. Andere Erfolgsbeispiele stammen aus dem Marketing (z. B. „Corporate Blogging“) oder der internen Mitarbeiterkommunikation (z. B. Comunities of Practice, Communities of Excellence). Wirklich erfolgreiche und in der Praxis unmittelbar einsetzbare Lösungen fehlen jedoch – besonders in Branchen, die durch hohen Wettbewerb, hohe Sicherheitsstandards und enge Regulation gekennzeichnet sind. Die Akademie der Sparda-Banken und das Beratungsunternehmen zeb/rolfes.schierenbeck.associates haben daher das Konzept SALT 2 (Sparda Sales Training 2.0) entwickelt, das sich in vier Arbeitspakete gliedert: • • • •

Arbeitspaket 1: Ermittlung von Weiterbildungsbedarf in Vertriebsprojekten der Sparda-Banken Arbeitspaket 2: Ableitung von Lernlösungen in ausgewählten Sparda-Banken Arbeitspaket 3: Prototypische Umsetzung und Dokumentation geeigneter Web 2.0-Lernszenarien Arbeitspaket 4: Evaluation, Transfer- und Erfolgscontrolling der ausgewählten Lernszenarien.

37.2 E-Learning in Banken

463

Zur Umsetzung des Projekts haben Sparda Akademie und zeb/ drei besonders vielversprechende Lernszenarien ausgewählt: 1: Interaktive, transparente Marktforschung, 2. Kommunikationslösungen im Innovationsmanagement sowie 3. Multimediale, kooperative Trainingslösungen. Zusammenfassend ergibt sich die Gesamtkonzeption in Abbildung 37.2. Gru nd lage n/a lle Zie lgru pp en: Ve rk äuferau sbild un g

Fach b ildu ng / F achk rä fte: Fach wirtau sb ildu ng 3

F ü hru ng skräfte: Sp ezialan ge bo te

Web 2.0 zu m Wis sen sman ag eme nt I nhal ts- und E xperten-Entdecku ng Them en vern etzun g

2

Wiki als Co P*

Wiki als Co P*

Bei spiel : X Wiki

Bei spiel : X Wi ki

Beispi el: Newsgator

Web 2.0 zur Ma rktforsc hu ng Onli ne-Mei nun gsforschun g, Bei spiel : Markt- un d TrendOpi nm ind Beo bachtung on li ne

Wird dire kt im Internet ge nutzt

1 Vide o- Blo g als mu ltim ed iale T rain in g spla ttform Vi deocl ip s, eBo oks, Umfragen , Beiträge, Kom m entare, Tags & Bewertung en

W ird im LMS der Sparda Akademie fest installiert

Beispi el: Sal esPractice

L earn ing Man gam en t System (L MS) d er Sp arda Akad em ie

* C oP = C omm unity of Practice

1 = N umme r des Le rnsze narios

Abb. 37.2: Die Gesamtkonzeption des Einsatzes von Web 2.0 Komponenten in verschiedenen Maßnahmen und Zielgruppen deckt weite Bereiche der kaufmännischen Ausbildung ab.



Lernszenario 1: Multimediale, kooperative Trainingslösungen. Gemeinsam Lernen und Erfahrungen austauschen, wird unkomplizierter und multimedialer, ob stationär am PC, zu Hause und am Arbeitsplatz oder mobil mit dem Handy. Diese Möglichkeiten sollen der breitesten Zielgruppe in einer ganzen Reihe von Weiterbildungen zur Verfügung gestellt werden. Es handelt sich dabei um das Kompetenzentwicklungsprogramm für Sparda-Verkäufer. Das Programm integriert alle Elemente zur Kompetenzentwicklung eines erfolgreichen Sparda-Verkäufers abgestimmt auf die Stufen: 1. Sparda-Azubi-Verkäufer, 2. Sparda-Verkäufer im Servicebereich, 3. Sparda-Verkäufer im Retailgeschäft, 4. Sparda-Verkäufer im standardisierten Privatkundengeschäft und 5. SpardaVerkäufer in der individuellen Beratung von Privatkunden. Das Programm richtet sich an alle Mitarbeiter der Sparda-Bank, die vertriebsorientierte Aufgaben wahrnehmen und darin systematisch gefördert werden sollen. Trainings und Impulse im Rahmen von Verkäufer-Workshops, vielen Übungen und Beispielen, „Training-on-the-Job“ sowie eine permanente tutorielle Betreuung über die bereits bestehende Lern- und Kommunikationsplattform der Sparda Akademie unterstützen den jeweiligen Entwicklungsprozess zum Sparda-Verkäufer. Als Web 2.0-Komponenten kommen ein Video-Blog mit Mustergesprächen, Vorträgen und von den Kursteilnehmern teils selbst erstellten Praxisberichten zum Einsatz (z. B. www.salespractice.com/sales-training-blog). Zudem werden regionale „Communities of Practice“ gebildet, die ein speziell für solche Kommunikationszwecke

464





37 Online-Lernen in Banken entwickeltes Wiki verwenden (www.xwiki.com). Eine geeignete Plattform zur gemeinsamen Bearbeitung und zum Austausch von Office-Dokumenten (Texte, Bilder, Präsentationen und Rechenblätter z. B. mit vyew.com) wird geschaffen. Diese drei Komponenten werden auf der Basis bestehender Web 2.0-Software selbst entwickelt und in das Learning-Management-System (LMS) der Sparda Akademie integriert. Lernszenario 2: Interaktive, transparente Marktforschung. Millionen Verbraucher hinterlassen ihre ehrliche Meinung über Produkte und Firmen im Internet. Neue Auswertungsmethoden des Web 2.0 nutzen dies für die Ermittlung von Markttrends und die Entwicklung von Vertriebskonzepten. Dies wird exemplarisch umgesetzt im Curriculum „Bankbetriebswirt Management (GenoPE, Sparda-BankCOLLEG II)“ für die Zielgruppen Fachwirt BankCOLLEG und Bankfachwirt (IHK). Web 2.0 Komponenten kommen zum Einsatz, Online-Kundenbefragung als Marktforschungsmethode sowie als Projektarbeit die Umsetzung der Befragungsergebnisse in einer Web 2.0 Werbekampagne durch Kursteilnehmer. Dabei werden sowohl erste erhältliche kommerzielle Instrumente wie „BlogPulse“ von Nielsen BuzzMetrics (www.blogpulse.com) als auch themenspezifische Web 2.0 Communities wie „Opinmind“ (www.opinmind.com) eingesetzt. Kursteilnehmer werden dadurch mit den neusten Methoden der Marktforschung und der Marktbearbeitung im Web 2.0 vertraut. Durch die Projektarbeit erwerben sie nicht nur theoretisches Wissen sondern wenden Web 2.0-Technologie aktiv an. Lernszenario 3: Entwicklung innovativer Produkte und Dienstleistungen. Ständig werden Informationen im Internet gesucht, kopiert, in eigene Dateien eingefügt, aktualisiert und verschickt. In Web 2.0 Portalen können sie in einer Form gesammelt und bewertet werden, die die Möglichkeiten bisherigen Wissensmanagements bei Weitem übersteigen. Im Curriculum „GenoPE: Steuerung Marketing (Modul III)“ werden Vorstände und Mitarbeiter, die im Bereich Marketing in leitender Position eingesetzt sind oder zukünftig eingesetzt werden sollen, mit diesen neuen Werkzeugen als Grundlage ihres Wissens- und Innovationsmanagements vertraut gemacht. Die in diesem Bereich verwendeten Web 2.0 Komponenten bieten Zugang zu beispielhaften Business- (z. B. www.xing.com) und Innovationsplattformen (z. B. www.innocentive.com). Insbesondere sollen Beispiele für mögliche Plattformen zur Mitarbeiterkommunikation in Sparda-Banken vorgestellt und durch die Teilnehmer erprobt werden. Dabei werden neuere kommerzielle Produkte vorgestellt, wie die Verbindung aus firmeninternem sozialen Netzwerk und RSS-Feeds für Firmendokumente (z. B. www.newsgator.com). Ziel ist es, die Kursteilnehmer auf die enorm gewachsenen Möglichkeiten des Wissensmanagements durch Web 2.0 hinzuweisen und eine solche Plattform (z. B. Newsgator) zur Kurskommunikation einzusetzen.

37.2 E-Learning in Banken

465

Abb. 37.3: Die zentralen Komponenten des SALT 2 Projekts sind: 1. Nutzung bestehender Web-Portale (oben links, opinmind), 2.Vernetzung von Personen und Inhalten durch RSS-Feeeds (oben rechts), 3. Praxis- und Produktwikis (unten links, XWiki) und 4. Thematische Video- und Dokumentensammlungen in einem Video-Blog (unten rechts, SalesPractice).

Die drei Lernszenarien werden an bestehende Weiterbildungen der Sparda Akademie angepasst und mit Sparda-Banken durchgeführt. Die Durchführung wird evaluiert und die Ergebnisse in einem Praxishandbuch für die Einführung von Web 2.0 in der kaufmännischen Bildung dokumentiert. Web 2.0Technologien wird in der Sparda Akademie für rund 7.000 Mitarbeiter verbindlich eingeführt. Eine unmittelbare Übertragbarkeit auf die ca. 170.000 Mitarbeiter genossenschaftlicher Banken ist ebenso gegeben wie die leichte Anpassbarkeit und Umsetzbarkeit in anderen kaufmännischen Berufe.

37.2.2

Trendbeispiel: Azubiportal „pawe“

Im internationalen Vergleich liegen deutsche Jugendliche bei der Online-Nutzung vorne, wie eine Studie des Verbandes BITKOM aus dem Jahr 2007 (mit Zahlen von Eurostats aus dem Jahr 2006) zeigt. Deutsche belegen Platz 1 im Online Shopping, denn schon jeder Zweite (48 %) der 16- bis 24Jährigen kauft privat im Internet ein – 54 % bei jungen Männern und 42 % bei jungen Frauen. Vor

466

37 Online-Lernen in Banken

allem Musik wird online gekauft. Fast jeder zweite Käufer digitaler Musik ist dabei jünger als 30 Jahre. Die seit vielen Jahren jährliche durchgeführte Studie „Kinder- und Medienstudie“, KIM, wies nach, dass der Einstieg der Kindern in die Computernutzung immer früher erfolgt: 81 % der Kinder zwischen 6 und 13 Jahren zählen zu den Computernutzern (Jungen 85 %, Mädchen 76 %). Bei den 6- bis 7Jährigen sind 57 % Computernutzer, bei den 12- bis 13-Jährigen dann schon fast alle mit 96 %. Daher ist der Computer Teil des Alltags geworden: 32 % der Kinder beschäftigen sich fast täglich mit dem Computer, 54 % ein- oder mehrmals pro Woche, 16 % noch seltener. In derselben KIM-Studie wurde ein deutlicher Anstieg der Internet-Nutzung bei Kindern festgestellt. 2006 konnten 81 % der 6- bis 13Jährigen von zu Hause aus das Internet zu nutzen, ein Jahr vorher waren es noch 74 %. Das Internet dient vor allem als Kommunikationsplattform. Fast alle Jugendlichen verwenden Chats, Messaging oder Foren als Austauschmöglichkeit, rund die Hälfte setzen dabei auf Web 2.0 Angebote wie MySpace oder Facebook. Bei der Erledigung von Hausaufgaben wird häufig auf weitere Web 2.0 Angebote zurück gegriffen, besonders das Online-Lexikon „Wikipedia“, das weitgehend die zuvor beliebten Lexika auf CD-ROM, wie Brockhaus multimedial oder Microsoft Encarta, abgelöst hat. Das Mediennutzungsverhalten hat sich also in den letzten Jahren durch die Allgegenwart des Internets tiefgreifend gewandelt: Die ab Mitte 1990er geborene Generation ist die erste, die vollständig mit Digitalgeräten und -netzen aufwächst. In den U.S.A. wurde daher der Begriff „Generation Y“ geprägt als Folgegeneration der „Generation X“, den in den 1980er geborenen Kindern der „Babyboomer“ aus den 1960er Jahren. In den der englischen Sprache entlehnten Ausdrücken dieser Generation kann sie so beschreiben: • • • • •

Plugged In: stets in Kontakt mit Digitalgeräten (Laptop, Handy, MP3-Player...) TV Isn't King: mehr Zeit im Internet als vor dem Fernseher No Ads but Friends: Vertrauen in Werbeaussagen sinkt, persönliche Empfehlungen werden wichtiger, 55 % nutzen Web 2.0 Angebote (z. B. Facebook, MySpace) Work Isn't Everthing: Work-Life-Balance wird wichtiger Socially Correct: Ethik und Umwelt sind wichtig, Nachrichten werden im Web gelesen, 35 % sehen Filme und Nachrichten im Web (1970-1990 geborene nur zu 20 %).

Die Erwartungen an Bildungstechnologie sind mithin: 1. ausgeprägte Multimedialität mit Fotos, Filmen und Animation (Media Rich Internet); 2. sozial offene, meist auch öffentliche und wenig kontrollierte Treffpunkte; 3. Verschmelzung von Bürosoftware und Web Tools (Enterprise 2.0), 4. immer kürzere Aufmerksamkeitsspannen bei sehr schnellem Aufmerksamkeitswechsel sowie 5. Zugang zu Information und Kommunikation nicht nur punktuell, sondern immer und überall. Mit diesen Ansprüchen, oder besser: Nutzungsgewohnheiten, können die verwaltungsorientierten und schwerfälligen Lernverwaltungssysteme (Learning-Management-System = LMS) nicht mithalten. Ein gemeinsam von der Frankfurt School of Finance & Management und zeb/ entwickelter Entwurf für ein Azubi-Portal der Postbank zeigt, das es auch anders geht: •

Das Postbank Azubi Web, „pawe“ (entlehnt aus der SMS-Kurzsprache, gesprochen wie das engl. „power“), ist ein Interaktionssystem, das auf aktive Mitarbeiter der Ausbildenden und Ausbildungsleiter setzt. Es vereint Funktionen von Business-Anwendungen des Web 2.0 wie Clubs (z. B. XING) und Netzwerke (z. B. LinkedIn) mit eher jugendnahen Kommunikationsplattformen (z. B. facebook). Alle Nutzer stellen sich mit ihrem eigenen Profil vor, können zu anderen Kontakte knüpfen, zu Kontakten einladen und Kontakte empfehlen. In ähnlicher Weise können Inhalte er-

37.2 E-Learning in Banken

467

stellt, verknüpft und empfohlen werden. Auszubildende lernen ihre Bank so als lebendiges soziales Netzwerk kennen und entwickeln und bewerten fortlaufend Ausbildungsinhalte. pawe – [Postbank Azubi Web] Sicherheit | Inhaltsverzeichnis | Hilfe | Häufige Fragen | Kontakt

|

PAW Azubi-Portal

|

Postbank intern

|

Postbank.de

pawe now: Dein aktuelles Profil

>>>

Deine Kontakte

>>>

Deine Messages

>>>

Suche

>>>

Angemeldet als: Aktives Profil: Aktuell online davon Kontakte

[Klaus Beinke] [Azubi] [121] [18]

>>> >>> >>> >>>

Chris

toni

[Köln] Suche Pizza in Köln

Frankfurt School

|

Nitschewan mit einer spontanen BeatboxEinlage >>>

[Bonn] Habe Heftklammern gefunden

sabrina

|

Top-Video der Woche:

problogger

[Münster] Lernvideo Geldwäsche Ì

pawe i W eb Azub

[Frankfurt] empfiehlt problogger

Postba

Die pawe-Angebote Deiner Postbank Trends

Topics

Tips

Tools

Talks

nk

Vlogmap

Aktivität: 0%

50%

100%

>>> Antworten: Neue Nachrichten: Neue Dokumente: Aktive Projekte:

[1] [5] [2] [2]

>>> >>> >>> >>>

Finde Presse-und Projektberichte mit Fotos und Videos

Immer aktuell

Höre Interviews, finde Checklisten und Übersichten

Immer richtig

Lese und erstelle Kleinanzeigen, Links und Tipps

Immer online

Tools und Hilfe für Video-/ Podcasts und Dein Handy

Immer gut

ÌÌÌÌÌFilialvideo der Azubis der Postbank in Köln

>>>

ÌÌÌÌ Micro-Blogging per SMS in pawe jetzt aktiviert >>> ÌÌÌ Weitere Meldung

>>>

Viele Gute Gründe, beim Postbank-Azubi-Wettbewerb mitzumachen

Immer dabei

Schau nach, woher die Videos kommen

Immer da

PAW Trendwolke

Ausgezeichnet! Top-Beiträge 28.05.08, 13:30

Blogge per PC oder per Handy

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Echt stark: Postbank-Azubis in Köln für Bestnoten von der IHK ausgezeichnet

>>>

Echt cool: Postbank-Azubi-Portal PAW vom Bundesforschungsministerium gefördert

>>>

Handy-Video | SMSBlogs | Prüfungsvorbereitung | IHK-Prüfung | Ausbildung | Bank | Vertrieb | Geldanlage | Kleinanzeigen | Stress mit Chef |

Abb. 37.4: Ein Entwurf der Frankfurt School of Finance & Management und dem zeb/ zeigt, wie aktuelle Bildungsportale für Jugendliche aussehen können (hier im Layout der Postbank): Hitlisten, Nutzerprofile und Echtzeitkomponenten kommen der Nutzungsgewohnheiten der „Generation Y“ entgegen.









Auszubildende der Generation-Y wollen den Eindruck haben, dass sie immer dabei und „online“ sind. Die neusten Werkzeuge im Web 2.0 (z. B. www.lijit.com) erlauben eine Übersicht über Aktivitäten aller angemeldeten Nutzer in Echtzeit: Suchen, Fragen, Bewerten und Empfehlen werden in einem Fenster dann angezeigt, sobald sie entstehen. Namen von Personen, Städten und Themen können direkt angeklickt und damit aufgerufen werden. Azubis bekommen so eine Vorstellung von der Komplexität und Vielfalt der Aktivitäten, die miteinander koordiniert und abgestimmt werden. Die Informationsbereiche des Portals sind thematisch übersichtlich gebündelt und leiten in die weiteren Bereiche des Portals weiter. Der Bereich „Tools“ stellt Werkzeuge zur eigenen Medienentwicklung bereit. Azubis werden dadurch aktiv in die Gestaltung ihres eigenen Portals eingebunden und finden zahlreiche vorbereitete und freigegebene Hilfestellungen. Ausbildungsleiter und Akademie der Bank haben einen eigenen Bereich für Meldungen und Hinweise, die alle Auszubildenden betreffen. Dieser Bereich kann auch zur Ankündigung besonderer Aktionen genutzt werden: Preise, Auszeichnungen und Teilnahme an Wettbewerben. Alle Hinweise sind mit Beiträgen auf folgenden Nachrichtenseiten verbunden oder leiten zu anderen Webseiten der Bank weiter. Die Beiträge sollen Auszubildende motivieren, an Ausbildungsaktivitäten selbstständig und selbstverantwortlich mitzuwirken. Azubis erfahren auf diese Weise Wertschätzung und Unterstützung durch die Geschäftsleitung und werden zur aktiven Mitarbeit herausgefordert. Blogs sind „Tagebücher“ mit kurzen Text- und Bildbeiträgen, die im Internet leicht erstellt und veröffentlicht werden können. Blog-Einträge enthalten Titel, Datum, Autorennamen, Verweise auf

468



37 Online-Lernen in Banken andere Webseiten – und Schlagworte, die in einer „Trendwolke“ nach Häufigkeit sortiert angezeigt werden. Die Leser haben die Möglichkeit, jeden Eintrag zu kommentieren, zu markieren und mit anderen zu verknüpfen. Blogeinträge aus verschiedenen Städten können auf einer Karte dargestellt und direkt auswählbar werden (vgl. www.vlogmap.org und twittervision.com). Azubis nutzen somit neueste Medien auf sinnvolle Weise und erwerben dadurch berufsnahe Medienkompetenz. Blogeinträge werden meistens per Tastatur am PC erstellt. Blogeinträge können aber auch per SMS direkt mit dem Handy geschrieben und ins Internet geschickt werden (Micro Blogging). Blogeinträge können nicht nur Text, sondern auch Fotos und Videos enthalten (z. B. Handy-Fotos und -Videos). Handy-Videos können zu kleinen Filmen weiter bearbeitet werden (z. B. Berichte aus einer Filiale). Azubis werden auf diese Art selbst aktiv und nutzen ihre „Spaß-Medien“ (Handy, Video) auf beruflich sinnvolle Weise.

37.3

E-Learning Trends in Banken

Web 2.0 ist in den Personal- und Bildungsabteilungen der Banken nicht beliebt. Die Herausforderungen an Personalmanagement und -entwicklung in Banken sind heute größer denn je: Deutschland gilt immer noch als 'overbanked', die Konsolidierungswelle rollt. Gleichzeitig stagniert der Anteil hochqualifizierter Schul- und Universitätsabgänger und die Anzahl junger Erwerbstätiger sinkt dramatisch. Schon gibt es Vorboten für den kommenden Nachwuchsmangel: Viele Banken klagen über Probleme beim Nachwuchs im Vertrieb und der Führung. Doch trotz aller Bemühungen in der Personalarbeit sind die Erfolge eher mager: Zu groß die Konkurrenz um Vertriebstalente, zu gering die Gestaltungsspielräume in den Banken und Sparkassen und zu alt die Erfolgsrezepte, mit denen Personal gewonnen und gebunden werden soll: 80 % aller Bewerbungen und 60 % aller erfolgreichen Einstellungen kommen heute schon online in die Bank; junge Nutzer suchen gezielt nach Informationen und Bewerbungsmöglichkeiten im Internet, die Stellenanzeige hat vielfach ausgedient. Kurz: Komplexität, Interaktivität und gegenseitige Abhängigkeiten von Personalprozessen steigen enorm an. Wir werden diese gestiegene Komplexität nicht lösen können, und wir werden die Nutzer der „Generation Y“ nicht mehr bei ihren Mediennutzungsgewohnheiten abholen können, wenn wir auf starre Lernlösungen und -systeme setzen. Viele Banken, vor allem die kleineren und mittleren Banken mit weniger als 1.000 bis 5.000 Mitarbeitern, verfügen aber weder über eine spezielle Personalabteilungen noch über das nötige Fachwissen sowie die zugehörigen Personalkennziffern und Vergleichsdaten. Sie sind gar nicht in der Lage Personalentwicklung auf der Basis der geplanten Unternehmensentwicklung systematisch abzuleiten, durchzuführen und zu kontrollieren: Bildungsplanung und Durchführung passiert im „Blindflug“, unmittelbare Lernergebnisse werden zwar noch erfasst, aber die Auswirkungen auf den Geschäftserfolg bleiben unklar (Übersicht in: Barthel, Erpenbeck, Hasebrook & Zawacki-Richter, 2007). Erste Banken und Bankverbände beschreiten nun neue Wege, zum Beispiel die Akademie der Genossenschaften (ADG) in Montabaur, die gemeinsam mit zeb/ ein Personal-Service- und Steuerungssystem plant, das Hilfestellungen und Austausch zu allen Kernprozessen des Personalmanagements bietet. Dazu gehören auch Vergleichsdaten und Kennziffern, die eine sinnvolle Planung überhaupt erst möglich machen (vgl. Abb. 37.5). Erkennt eine Bank durch das Personalsystem aktuellen Handlungsbedarf, dann kann es gemeinsam mit der ADG maßgeschneiderte und zielgenaue Entwicklungsmaßnahmen planen und durchführen – und deren Erfolg im selben System auch kontrollieren.

37.3 E-Learning Trends in Banken

469

ADONIS – [ADG HR Online System] HRHR-Daten ADONIS Hitlisten

Mein ADONIS | NachrichtenCenter | ThemenCenter | MarktPlatz | DisskusionsForum |

Stand Dateneingabe

Sehr geehrter Herr Hasebrook,

••••• Gewinnung >>

Ihr aktuelles HR-Dashboard für die Volks- und Raiffeisenbank Münster enthält 1 Warnung.

Eingabe

[Stand: 01.04.2008]

••••• Entwicklung >> Eingabe [Stand: 10.04.2008] [Stand: 11.02.2008]

••••• Steuerung >>

Mein Profil |

ADONIS HR Dashboard HR-Warnungen: ADONIS HRHR-Warnungen

••••• Beurteilung >> Eingabe Eingabe

[Stand: 30.04.2008]

ƒ Erfolgsquote bei Neueinstellungen liegt deutlich unter dem Durchschnitt >> Vergleichdaten ansehen

Stand Datengrundlage • Gewinnung

Upload

[Stand: 01.01.2008] Neue Demographische Daten für Region Münsterland >>

• Entwicklung

Upload

[Stand: 01.01.2008]

• Beurteilung

>> Verlaufsdaten ansehen >> Mögliche Maßnahmen suchen

• Personalentwicklungskosten sind im Vorjahresvergleich stark gestiegen >> Vergleichdaten ansehen

Keine neuen Daten

Abmelden |

>> Verlaufsdaten ansehen Upload

[Stand: 01.01.2008]

Mein Kontakte | Angemeldet als: - [Joachim Hasebrook] Aktives Profil: - [Personalleiter] Aktive Kontakte: - [29] Kontakte Ihrer Kontakte: - [448] Aktivitätsanzeiger: 0%

50%

100%

Neue Nachrichten: [5] Neue Dokumente: [2] Aktive Projekte: [3] HR-Warnungen: [1] Aktuell Online: 122 Nutzer online Kontaktanfrage: Herr Marx will mit Ihnen Kontakt aufnehmen >>

Keine neuen Daten

• Steuerung

Suchen:

Upload

[Stand: 01.01.2008] Neue Benchmarks für Personalkosten des BVR >>

Kostenquoten PE: VR Münster – VR Durchschnitt für 12 Monate

Dokumente Nachrichten Personen Tags Alles

Wiki

Abb. 37.5: Die Planskizze eines Personal-Steuerungssystems (HR Dashboard) der Akademie der Genossenschaften(ADG) zeigt, dass sich moderne Bildungssysteme zu integrierten und offenen Personalsteuerungssystemen entwickeln.

Web 2.0 Werkzeuge werden – wie schon das Web-Based-Training zuvor – nicht die Hauptrolle übernehmen oder das Präsenztraining verdrängen. Web 2.0 Komponenten werden aber zum normalen Bestandteil von Bildungslösungen und helfen, Transfer und Umsetzung des Gelernten am Arbeitsplatz nachhaltig zu sichern. Das alles wird aber bei weitem nicht reichen, denn Personalentwicklung in Banken soll nicht einfach effizienter werden (im Sinne von ressourcenschonend), sondern effektiver. Der Effekt zielt auf den wirtschaftlichen Erfolg, also den Transfer am Arbeitsplatz und den messbaren Anstieg des Geschäftserfolgs durch die Bildungsmaßnahme. Dazu aber müssen Personaler wissen, wie viele Mitarbeiter zu welchem Zeitpunkt welche Kompetenzen entwickelt haben müssen, um ihre zukünftigen Aufgaben erfüllen zu können. Sie müssen wissen, wie viele Mitarbeiter das Potenzial dazu haben, wie viele neu gewonnen werden müssen. Schließlich müssen sie wissen, welche Kosten und Erträge mit der erfolgreichen Umsetzung der Bildungsmaßnahmen verbunden sind (Übersicht in: Hasebrook, Zawacki-Richter & Erpenbeck, 2004). E-Learning als integrierte und doch offene Bildungsund Personalplattform bietet dazu die besten Voraussetzungen.

38

Anwendungen für E-Learning im Versicherungswesen

Werner Kohn & Claus Dziarstek

Aufgrund der kontinuierlichen Änderungen der gesetzlichen Vorgaben auf nationaler und EUweiter Ebene sowie der großen Zahl der zu qualifizierenden Mitarbeiter hat die Versicherungsbranche einen permanent hohen Aus- und Weiterbildungsbedarf, der bereits seit längerer Zeit von vielen Unternehmen der Branche mit Blended-Learning-Konzepten bedient wird. Unser Beitrag zeigt anhand eines konkreten Ausbildungskonzeptes, wie den branchenspezifischen Anforderungen begegnet wird und stellt ein aktuelles E-Learning-Angebot vor, welches flexibel an unterschiedliche Zielgruppen sowie verschiedene Nutzungsszenarien angepasst werden kann. Schlüsselbegriffe: Blended Learning, Versicherung, Zielgruppen, Adaptation, Nutzungsszenarien

472

38 Anwendungen für E-Learning im Versicherungswesen

38.1

Zielgruppen und Anforderungen

In der Versicherungswirtschaft ist es in den letzten Jahren zu gravierenden Veränderungen gekommen. Das betrifft nicht nur den innerbetrieblichen Umstrukturierungsprozess, sondern auch den Verkäufer im Außendienst. So kann ein Vermittler in einem auf Multichannel-Vertrieb ausgerichteten Unternehmen nur durch Beratungsqualität, Sozial- und Verkaufskompetenz erfolgreich sein. Das bedingt eine professionelle und qualitative Ausbildung. Auch mit der Umsetzung der EU Vermittlerrichtlinie sind neue Anforderungen für den Versicherungsvermittler entstanden: • •

Ungebundene Vermittler müssen eine Sachkundeprüfung vor der IHK ablegen, die Voraussetzung für die Berufszulassung ist. Diese IHK Prüfung zum Geprüften Versicherungsfachmann/-frau IHK mit schriftlichen und mündlichen Prüfungsteil kann nur durch eine leistungsorientierte Qualifizierung bestanden werden.

Der scheinbare Widerspruch zwischen folgenden Anforderungen der Branche und der notwendigen hohen Qualität der Ausbildung ist nur durch ein gutes Blended-Learning-Konzept lösbar. Diese Anforderungen sind: • • • •

zeit- und kosteneffizient (wenig Präsenztage/kurze Dauer), flexibles Lernen, orts- und zeitunabhängig, Lernmedien und -konzept für heterogene Lerner mit verschiedenen Vorkenntnissen, hohe Bestehensquote bei der IHK Prüfung.

Um auf den sehr heterogen Markt (Direktversicherer, Online-Versicherungen etc.) bestehen zu können, muss im Mittelpunkt der Außendienstausbildung nicht mehr die Vermittlung von Fachwissen, sondern die von Handlungskompetenz und der Fähigkeit zu problemorientiertem Lernen stehen. Zur Handlungskompetenz zählen folgende Teilbereiche (siehe Abb. 38.1).

38.1 Zielgruppen und Anforderungen

473

Medienkompetenz

Verkaufskompetenz

Selbstlernkompetenz

Handlungskompetenz

Personalkompetenz

Fachkompetenz

Soziale Kompetenz Methodenkompetenz

Abb. 38.1:

Relevante Bereiche von Handlungskompetenz bei der Ausbildung des Versicherungsfachmann/-fachfrau (IHK)

Die Vermittlung von Handlungskompetenz soll auch den Transfer des Gelernten in die Praxis erleichtern. Aussagen wie „Wir lernen ja nur für die Prüfung!“ waren früher häufig zu hören. Im Frontalunterricht vermitteltes Wissen ist „träge“ und daher im Arbeitsalltag nicht so systematisch anwendbar. Eine handlungsorientierte Ausbildung erleichtert den Prozess, Erworbenes in verschiedenen Kontexten anzuwenden. In der Wissenskonstruktion muss es zu einer Verbindung des neuen Wissens mit den realen Interessen und Bedürfnissen der Lernenden durch die Präsentation von realitätsnahen Situationen aus der Arbeitswelt kommen. Die Lernziele, Studienanleitungen, die Aufgabenstellungen des Tutors, die WBT-Inhalte, die Themen der Online-Seminare oder die Bibliotheksinhalte müssen so gestaltet sein, dass der Lernende Lösungsansätze für seine alltäglichen Arbeitsprobleme findet. Authentizität und Akzeptanz korrelieren intensiv miteinander. Kompetenzen bilden sich grundsätzlich dadurch, dass der Lerner in konkreten, lernförderlich gestalteten Handlungssituationen, in denen eben diese Schlüsselqualifikationen (Handlungskompetenzen) gefordert werden, bestehen muss. Dabei ist aber auf eines besonders zu achten: Es ist wenig effektiv und trägt nicht zu einer Wende in der betrieblichen Aus- und Weiterbildungskultur bei, wenn in den Schulungsmaßnahmen Eigeninitiative und Selbständigkeit gefördert wird, diese Kompetenz aber im alltäglichen Umgang des Mitarbeiters mit dem Unternehmen konterkariert wird. Der Wandel in der Informations- und Lernkultur wird zunehmend zur Voraussetzung und zum Steuerungselement für betriebliche Umstrukturierungen und Konzentrationsprozesse in der Versicherungswirtschaft (Kohn, 2004).

474

38 Anwendungen für E-Learning im Versicherungswesen

38.2

Ausbildung als Blended-Learning-Konzept (Deutsche Versicherungsakademie)

Nachfolgend wird das erfolgreiche DVA-Ausbildungskonzept zur Durchführung der Ausbildung 55 zum/zur Geprüften Versicherungsfachmann/-fachfrau IHK dargestellt . Das Konzept umfasst vier Module mit insgesamt 14 Präsenztagen (insgesamt 18 Trainertagen pro Kurs) und dauert ca. 4 Monate. Ein Modul besteht jeweils aus einer Selbstlern- und einer Präsenzphase. •

Modul 1: (4 Präsenztage / Selbstlernphase 4 Wochen) kaufmännische und rechtliche Grundlagen – Hausratversicherung – Wohngebäudeversicherung – Haftpflichtversicherung – Kraftfahrtversicherung – Rechtsschutzversicherung –



Modul 2: (3 Präsenztage / Selbstlernphase 4 Wochen) gesetzliche Rentenversicherung (GRV) – Altersvermögensgesetz (AVmG) – Lebens- und private Rentenversicherung – Grundzüge der Betrieblichen Altersversorgung (BAV) –



Modul 3: (4 Präsenztage / Selbstlernphase 4 Wochen) – Unfallversicherung – Kranken- und Pflegeversicherung – Vorbereitung verkaufspraktischer Prüfungsteil (2 Tage)



Modul 4: (3 Präsenztage / Selbstlernphase 4 Wochen) – Vorbereitung Verkaufspraktischer Prüfungsteil anhand von Rollenspielen – Fachliche Prüfungsvorbereitung (1 Tag)

38.2.1

Einige Erläuterungen zum Ablauf der Ausbildung

Selbstlernphase In der Selbstlernphase lernen die Teilnehmer weitgehend selbstständig bei freier Zeiteinteilung. Ziel ist die Vorbereitung auf die jeweils folgende Präsenzveranstaltung. Hierzu werden den Teilnehmern insbesondere die WBTs (Web Based Trainings) und ein Testsystem zur Verfügung gestellt.

55

Das nachfolgende Konzept wird aus dem Vortrag von Ronny Schröpfer DVA München zitiert.

38.2 Ausbildung als Blended-Learning-Konzept (Deutsche Versicherungsakademie)

475

Weiterhin erhalten die Teilnehmer umfangreiche Teilnehmerunterlagen in Form von Folien, Übungsaufgaben und Skripten. Während der gesamten Selbstlernphase werden die Teilnehmer kontinuierlich durch E-Tutoren in einem Internetforum betreut. Die E-Tutoren beantworten aufkommende Fragen und steuern das Lernen auf der zentralen DVA Lernplattform. Die Lernplattform dient dem Informationsaustausch unter allen Teilnehmern. Es können Erfahrungen beim Lernen ausgetauscht und Inhalte diskutiert werden. Präsenzphase Auf die jeweilige Selbstlernphase eines Moduls folgt immer eine Präsenzphase, in welcher die einzelnen Inhalte der Selbstlernphase wiederholt und vertieft werden. Für eine gezielte inhaltliche Schwerpunktsetzung dienen die Testergebnisse aus den vorangegangenen Tests. Die inhaltliche und zeitliche Struktur sowie die Trainingsunterlagen der Präsenzphasen sind auf die entsprechenden Selbstlernphasen abgestimmt und bauen auf dem hier erworbenen Wissen auf. Im Modul 3 und 4 werden die Teilnehmer insbesondere auf den verkaufspraktischen Teil anhand von simulierten Verkaufsgesprächen vorbereitet. Das Modul 4 dient weiterhin einer effektiven und zielgerichteten Prüfungsvorbereitung. Die Teilnehmer werden auf den fachlichen Prüfungsteil, insbesondere durch die Bearbeitung von Tests und komplexen Problemstellungen, vorbereitet. Testverfahren Die Teilnehmer bearbeiten während der Selbstlernphase verschiedene online gestützte Tests. Der Schwierigkeitsgrad der Tests ist unterschiedlich und wird von relativ leicht bis zum Niveau der „echten“ IHK-Prüfung gesteigert. Das auf der DVA-Lernplattform integrierte Test- und Analysesystem mit ca. 1.000 Fragen ermöglicht die Durchführung individuell von den Tutoren generierter Tests und Übungen bis hin zur Prüfungssimulation. Die Tests werden zur Online-Bearbeitung auf der Lernplattform der DVA eingestellt. Damit wird ein effektives und zielorientiertes Lernen der Teilnehmer sichergestellt.

Dauer: 3-4 Monate mit 14 Präsenztagen Modul 1

Modul 2

Modul 3

Modul 4

Kick off Präsenz- Selbstlern- Präsenz- Selbst- Präsenz- Selbst- Präsenzphase phase phase lernphase phase lernphase phase

Tutorielle Begleitung insgesamt ca. 3-4 Monate Transfer am Arbeitsplatz Abb. 38.2:

Blended-Learning-Ausbildung

IHK Sachkundeprüfung

476

38 Anwendungen für E-Learning im Versicherungswesen

Erfolgskriterien für dieses Konzept • ausgewogenes Lernkonzept mit einem Mindestumfang an Präsenzphasen (Anpassung an Zielgruppe), • Information an die Vorgesetzen über die Ausbildung – Motivation und Kontrolle auch über Vorgesetze, • erfahrene und engagierte Trainer und E-Tutoren, • detaillierte Abstimmung mit dem Auftraggeber, • Einführung in die E-Learning-Instrumente, • Lernsteuerung (Lernleitfaden und E-Tutoring), • Lernkontrolle (Bildungscontrolling über Lernplattform), • typgerechte Lernmedien und Lehrmethoden. Zu den digitalen Methoden und Medien, die das Blended-Learning-Konzept unterstützen können, zählen wir: • • • • •

die synchronen Kommunikationsmethoden (Virtuelle Klassenzimmer, Online-Test, OnlineUmfrage). die asynchronen Kommunikationsmethoden (E-Mail, Foren, News-Groups, Pinnwände, FAQ). die unterschiedlichen Contentformen sowie deren inhärenten Kommunikationsformen (WBT, Testfragen, Pdf-, Word- u. a. Dokumente und Dateien wie PowerPoint, Excel etc.). zu den relevanten Bestandteilen von Lernplattformen gehören die Inhaltsverwaltung, die Lernerverwaltung, das Kommunikationsmanagement und Mediatheken. mit Unterstützung dieser virtuellen Kommunikationskanäle und -methoden kann der interaktive Beratungs- und Betreuungsprozess sowohl auf der Inhalts- als auch auf der Beziehungsebene unterstützt werden.

38.3

Beispiel: WBT-Reihe „Versicherungsfachwissen“

Die eingangs genannten Anforderungen an ein Ausbildungskonzept für die Mitarbeiter des Außendienstes in der Versicherungsbranche zeigen, dass ein E-Learning-Angebot möglichst flexibel auf die verschiedenen Vorkenntnisse und unterschiedlichen Intentionen der Mitarbeiter bei der Nutzung eines Lernangebots anpassbar sein muss. Erforderlich sind dabei unter anderem: • • • • •

adäquate Nutzungsmöglichkeit für den „Erstlerner“, Unterstützung der Prüfungsvorbereitung, Nachschlagemöglichkeiten für Lerner mit bereits abgeschlossener Ausbildung, Weiterqualifikation durch zielgenaues, selbstgesteuertes Lernen, selbstgesteuertes, modulares Lernen zur Berufsbegleitenden Ausbildung.

Aus diesen Anforderungen ergibt sich, dass ein für diese Zielgruppen entwickeltes Lernangebot wie die WBT-Reihe „Versicherungsfachwissen“, welche das Grundwissen zu allen Versicherungssparten vermittelt sowohl im Nutzungsmodus (d. h. der Art der Darbietung und Nutzungsmöglichkeit der

38.3 Beispiel: WBT-Reihe „Versicherungsfachwissen“

477

Inhalte) als auch in Bezug auf den Inhalt (d. h. der Auswahl der dargebotenen Inhalte) anpassbar sein muss, um möglichst optimal den Anforderungen des Lerners gerecht zu werden.

38.3.1

Inhaltliche Adaptation

Voraussetzung für die Anpassung der ausgewählten Inhalte an die Vorkenntnisse und Zielsetzungen des Lerners ist ein strikt modularer Aufbau der Lernangebote aus in sich geschlossene Lerneinheiten, die frei von Kontextbezügen („Home-Stories“ u. ä.) untereinander sind. Damit die Zusammenstellung der Lerninhalte automatisch von einer Lernplattform vorgenommen werden können, ist außerdem eine Einordnung der einzelnen Lerneinheiten in einem Referenzsystem (z. B. Lernzielkatalog) erforderlich.

Abb. 38.3:

Lernzielkatalog als Basis individueller Lernempfehlungen

Die einzelnen Lernsequenzen der WBT-Reihe „VFW“ sind hierzu auf Basis des Lernzielkatalogs des Berufsbildungswerks der Deutschen Versicherungswirtschaft (BWV) e. V. mit Metadaten ausgezeichnet. Dies erlaubt dann z. B. die gezielte Prüfungsvorbereitung durch individuelle Zusammenstellung von Lerneinheiten auf Basis von Defiziten, die zuvor in Selbsttests ermittelt wurden. Wie in Abb. 38.3 dargestellt, kann ein Prüfungssimulationssystem aus der Test-Performance des Lerners die noch nicht erreichten Lernziele (karierte Elemente im Lernzielkatalog) ermitteln. Durch die Verortung der einzelnen Lerneinheiten im Lernzielkatalog können daraus wiederum individuelle Lernempfehlungen generiert werden.

478

38.3.2

38 Anwendungen für E-Learning im Versicherungswesen

Anpassung des Nutzungsmodus

Durch die Anpassung des Nutzungsmodus soll dem Lerner passend für seine aktuelle Nutzungssituation ein geeigneter Zugang zu den Lerninhalten ermöglicht werden. So wird der Lernprozess für den „Erstlerner“, der sich zum ersten Mal mit einem Thema beschäftigt, in der Regel durch eine Einführung und Motivation des Themas erleichtert, wogegen diese Elemente beim Nachschlagen zur Prüfungsvorbereitung mitunter störend wirken können. Einleitung

Grundwissen

Übung

Zusammenfassung

Zusatzbausteine

Erstlernen Gesamt Üben Kompakt Zusammenfassen

Lernbausteine im Lernweg

Abb. 38.4:

Optionale Lernbausteine

Verfügbare Modi für verschiedene Nutzungsszenarien

Um verschiedene Zugangsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, sind die einzelnen Lerneinheiten der VFW-Reihe systematisch aus den fünf Bausteinen Einleitung, Grundwissen, Übung und Zusammenfassung sowie Zusatzbausteinen (vertiefende Information, Beispiele, etc.) aufgebaut. Durch diese Struktur lassen sich theoretisch 25 = 32 verschiedene Nutzungsmodi definieren, wovon die in Abb. 38.4 dargestellten als die für den praktischen Einsatz relevanten Modi definiert wurden. Durch Variation der beiden Dimensionen Nutzungsmodus und Inhalt können die Lernsequenzen des VFW sowohl manuell als auch automatisch an das jeweilige Nutzungsszenario des Lerners angepasst werden.

38.4 Zusammenfassung und Ausblick

Abb. 38.5:

479

Bedienungsoberfläche der WBT-Reihe "VFW"

Die Elemente der Kursstruktur (links) verweisen jeweils auf in sich abgeschlossene Lernsequenzen, die entweder manuell ausgewählt oder vom System automatisch zusammengestellt werden können. Auf die Inhalte (rechter Bereich) kann über verschiedene Nutzungsmodi zugegriffen werden. Im Modus Gesamt sind alle Hauptbausteine im Lernweg enthalten, die Zusatzinformationen (Gesetzestexte, Beispiele, Praxis) sind hier optional wählbar. Auf diese Weise hat jeder Lerner die Möglichkeit, einen für seine Nutzungssituation adäquaten Zugang und auf seinen Informationsbedarf abgestimmte Lerninhalte angeboten zu bekommen.

38.4

Zusammenfassung und Ausblick

Unser Beitrag hat die Anforderungen der Aus- und Weiterbildung in der Versicherungsbranche als beratungsintensiver dargestellt und gezeigt, wie diesen mit Blended-Learning-Konzepten begegnet wird. Im Beispiel wurde dargestellt, wie E-Learning-Einheiten im praktischen Einsatz flexibel eingesetzt werden. Aufgrund der großen Anzahl an Auszubildenden fanden E-Learning-Angebote frühzeitig Eingang in die Ausbildungskonzepte der Unternehmen der Versicherungsbranche, so dass hier bereits von einer langen E-Learning-Tradition gesprochen werden kann. Ein Ergebnis der umfangreichen Erfahrung aus dem praktischen E-Learning-Einsatz ist dabei der im November 2007 verabschiedete (branchenspezifi-

480

38 Anwendungen für E-Learning im Versicherungswesen

sche) Standard SAVE 1.056, auf den noch abschließend hingewiesen werden soll. Dieser versteht sich als Best-Practice-Modell für Content- und System-Hersteller zur Vereinfachung des Zusammenspiels der verschiedenen Komponenten und findet innerhalb der Branche zunehmend Unterstützung. Als Standard aus der Praxis für die Praxis entwickelt sich SAVE an den praktischen Anforderungen kontinuierlich weiter, so dass hier künftig mit interessanten Möglichkeiten für die Entwicklung von Lernprogrammen zu rechnen ist.

56

SAVE 1.0 - SCORM-Anwendung in der Versicherungswirtschaft, eine Empfehlung der Initiative „E-LearningStandards“ des Expertenteams E-Learning in der Versicherungswirtschaft der Deutschen Versicherungsakademie (DVA), November 2007

39

Online-Lernen in der Verwaltung: „ViVA – die virtuelle Verwaltungsakademie“

Robert Friedlmayer

Die Gruppe Verwaltungsakademie und Personalentwicklung des Geschäftsbereichs Personal und Revision der Magistratsdirektion der Stadt Wien setzt bereits seit 2001 erfolgreich Online-Lernen bei der Aus- und Weiterbildung von bis zu 30.000 Mitarbeitern ein. Dazu wurde ein untypischer Ansatz für den Einsatz einer Lernplattform realisiert. Die Contents werden in enger Zusammenarbeit mit der Ausbildungsabteilung von didaktisch versierten Fachmitarbeitern erstellt. Unternehmensspezifisches Wissen kann dadurch besser konserviert werden und stellt einen wertvollen Beitrag zum Wissensmanagement dar. Schlüsselbegriffe: „ViVA – die Virtuelle Verwaltungsakademie“, soziale Faktoren beim Einsatz, anonymes Lernen, nachträgliche Bestätigung vs. strenger Registrierung, Online-Lernen als Beitrag zum Wissensmanagement

482

39.1

39 Online-Lernen in der Verwaltung: „ViVA – die virtuelle Verwaltungsakademie“

Aufgabenstellung, Umfeld

Mit ca. 65.000 Mitarbeitern ist die Verwaltung der Stadt Wien eine der größten Arbeitgeberinnen in Österreich. Die Magistratsdirektion Geschäftsbereich Personal und Revision, Gruppe Verwaltungsakademie und Personalentwicklung ist unter anderem für die zentrale und strategische Ausrichtung der berufsbegleitenden Aus- und Weiterbildung für ca. 30.000 Mitarbeiter verantwortlich. In dieser Funktion wurden bereits im Jahre 1998 erste konkrete Überlegungen zur Einführung von Methoden des mediengestützten Lernens in der Wiener Stadtverwaltung angestellt.

39.2

Definition

Unter mediengestütztem Lernen verstehen wir die Nutzung moderner Informations- und Telekommunikationstechnologien (IKT) um selbstgesteuerte Lernprozesse zu ermöglichen. Optimalerweise sollten diese Prozesse möglichst interaktiv und multimedial gestaltet sein, um den Lerngewinn zu optimieren. Durch den Einsatz von mediengestütztem Lernen sollte daher die klassischen Aus- und Weiterbildungsformen (Vortrag, Kurs, Seminar, Training-on-the-Job) nicht ersetzt, sondern ergänzt oder unterstützt (Blended Learning) werden.

39.3

Besonderheiten der öffentlichen Verwaltung – Soziale Faktoren

Grundsätzlich sind für die Einführung von Online-Lernen im Bereich der öffentlichen Verwaltung dieselben Kriterien und Überlegungen, wie für die Ausbildungseinrichtungen von Betrieben mit ähnlicher Beschäftigtenzahl wirksam. Für die öffentlichen Bediensteten gelten in modernen Verwaltungseinrichtungen längst die gleichen Regeln zur Erreichung und Erhaltung der persönlichen „Employability“ (Beschäftigungsfähigkeit), wenngleich strenger auf die Einhaltung der (gesetzlichen) Regeln für die Vermittlung von arbeitsplatzbezogenem Wissen geachtet wird. Um Online-Lernen erfolgreich in der Wiener Stadtverwaltung einzuführen, bedurfte es der Erstellung und Einhaltung transparenter Rahmenbedingungen und ein klares Bekenntnis zu dieser Lernform von der Konzernspitze. Die Eigenverantwortung der Mitarbeiter für den Lernprozess musste genauso betont werden wie die Verantwortung der Führungskräfte diese Lernform am Arbeitsplatz als wichtig und wertvoll anzuerkennen und dafür auch Arbeits-(Lern-)Zeit einzuräumen. Der nötige Kulturwandel konnte und kann nur durch umfassende Information aller Beteiligten auf allen Hierarchieebenen erfolgen, Online-Lernen musste – und muss weiterhin laufend – in speziellen (Werbe)Veranstaltungen „erlernt“ werden. Online-Lernprogramme und -Plattformen sind keine „Selbstläufer“ wie es oftmals erhofft wird. Einstellungen und Verhalten verändern sich schrittweise und werden durch Erfahrung gelernt. Erlebbarer Nutzen, Erfolgsstorys und Notwendigkeiten prägen die (Lern-)Kultur mehr als Appelle und Plakate.

39.4 Kosten/Nutzen

483

Erste Evaluierungen haben gezeigt, dass Lernende bei der Einführung von Online-Lernen befürchten, künftig keine entsprechende Lernzeit während der Normalarbeitszeit zu finden, keine Möglichkeiten zur Abschottung gegenüber den täglichen Aufgaben zu haben und mangelndem Interesse der Vorgesetzten an der Weiterbildung während der Arbeitszeit ausgesetzt zu sein. Sie befürchten ferner, mit Problemen im technischen und sozialen Bereich alleine gelassen zu werden und dass das Dringende (das Tagesgeschäft) vor das Wichtige (das Lernen) gesetzt wird. Ihre Angst geht auch dahin, dass die Ausbildung zunehmend von der Arbeitszeit in die Freizeit gedrängt wird. Die Überforderung – sowohl was die Lerninhalte, als auch die Lernzeit und die notwendigen IKT-Kenntnisse betrifft – wird bei mangelnder Qualität und Strukturierung der Contents oder bei technischen Pannen unmittelbar wahrgenommen. Andererseits ist die Gefahr des Schablonen- und Auswendiglernens vor elektronischen Wissensüberprüfungen ebenso gegeben, wie ein gewisser Banalisierungseffekt. Die seitens der Lernplattformanbieter zur Verfügung gestellten Evaluierungsinstrumente steigern das Unbehagen, da sie hauptsächlich Aufzeichnungen über Anzahl und Dauer der Einstiege bzw. Aufzeichnungen über absolvierte Module und Wiederholungen an die Ausbildungsverantwortlichen liefern. Das Unbehagen („Zeige ich mich als besonders schwach, wenn ich häufiger wiederhole?“) reduziert oft den positiven Effekt der Eingliederung von Online-Lernprogrammen als Lernbibliotheken ins Wissensmanagement. Es muss festgehalten werden, dass das reine Zurverfügungstellen von Online-Lernelementen zum Selbststudium nicht zu einem Abschieben der Ausbildungsverantwortung an die Lernenden führen darf, wenn ein entsprechender Lernerfolg erzielt werden soll. Die Selbstaus- und Weiterbildung mit Hilfe von Online-Lernprodukten erfordert einen hohen Grad an Selbstdisziplin, nicht zuletzt deswegen wird Online-Lernen zur Ausbildung der Managementebene erfolgreich eingesetzt, was auch gerne zur Rechtfertigung des hohen Investitionsgrades benutzt wird. Online-Lernen darf aber nicht zum Elitebildungsweg reduziert werden, da gerade die hohen Teilnehmerzahlen aus wirtschaftlichen Gründen für die Einführung sprechen.

39.4

Kosten/Nutzen

Online-Lernen ist wegen der Überschaubarkeit vieler seiner Komponenten gut geeignet, sich mit dem Kosten-Nutzen-Faktor von Lernprozessen auseinanderzusetzen. Der Nutzen von Ausbildungsmaßnahmen wird dadurch aber nicht leichter qualifizier- und quantifizierbar. Seitens der Anbieter von OnlineLernlösungen wird immer wieder vor allem der wirtschaftliche Nutzen als Argument für die Einführung von Elementen des Online-Lernens gegenüber den zumeist hohen Einführungskosten ins Treffen geführt. Geht man von der Annahme aus, dass die effektive Lernzeit – und damit der Ausfall an Arbeitszeit – bei klassischen Ausbildungsformen in gleichem Ausmaß wie bei elektronischen Lernformen anfällt, ergeben sich lediglich durch die Reduktion der Wegzeiten und die damit verbundenen geringeren Arbeitszeitausfälle der Teilnehmer Einsparungsmöglichkeiten. Betrachtet man jedoch die Strukturen der Aus- und Weiterbildung bei der Stadt Wien, so liegen die Anreisekosten zu den jeweiligen Veranstaltungsorten der Verwaltungsakademie bei den meisten Veranstaltungen lediglich in der Höhe eines Fahrausweises für den innerstädtischen Kommunalverkehr. Bei Seminaren vom gleichen Typus, die außerhalb Wiens stattfinden, liegt die Teilnehmeranzahl stets weit unter 100 Personen, was die Relation zwischen Seminar- und Online-Lernkosten ebenfalls stark zu ungunsten der elektronischen Lernform verschiebt. Selbst die mehrfache Anreise zu mehrtägigen Veranstaltungen in Wien steht in

484

39 Online-Lernen in der Verwaltung: „ViVA – die virtuelle Verwaltungsakademie“

keinem Verhältnis zu den bei den Berechnungen der Anbieter von Online-Lernlösungen angewendeten Reisesätzen. Nächtigungs- und Verpflegungskosten fallen bei den in Betracht kommenden Veranstaltungen in Wien keinesfalls an. Bei ganztägigem Blockunterricht entstehen nicht einmal zusätzliche Anoder Abreisezeiten, da der Veranstaltungsbeginn und das -ende mit dem Dienstantritt und dem Dienstende zusammenfallen. Die von den Anbietern ins Treffen geführte Reduktion der effektiv benötigten Lernzeiten ist nur auf Grund der Einsparungen durch individuelle Lernpfade erreichbar. Die Möglichkeit, ein Stoffgebiet zu späteren Zeitpunkten beliebig oft zu wiederholen, wird zwar als Vorteil herausgestrichen (Online-Lernen als unterstützende Komponente des Wissensmanagement), der damit verbundene Zeitaufwand wird aber in die Berechnungen nicht miteinbezogen. Zweifellos ist aber Online-Lernen geeignet die Effektivität von Präsenzveranstaltungen zu steigern, indem Grundwissen vermittelt und zur Bildung homogener Lerngruppen beigetragen wird. So können die Präsenztrainingszeiten reduziert werden. Gerne wird die Verlagerung von Trainingszeiten durch Online-Lernen aus den Kernarbeitszeiten heraus in Zeitfenster der täglichen Arbeitszeit ins Treffen geführt, so dass Ausbildung „nahezu ohne Verlust an Arbeitszeit“ erreicht werden kann. Die Gefahr der Verlagerung der Ausbildungszeiten in notwendige Regenerationsphasen oder gar in die Freizeit wird allerdings von nahezu allen Teilnehmern als Hauptkritikpunkt am Online-Lernen angegeben. Wartezeiten auf Seminarzeiten entfallen zwar gänzlich, werden aber durch Wartezeiten auf freie Zeitfenster abgelöst. Der unbestrittene Vorteil von Online-Lernen liegt daher aus Sicht der Stadt Wien in der schnellen Informationsweitergabe an einen großen Adressatenkreis. Die räumliche und zeitliche Trennung vom Arbeitsplatz im Zuge von face-to-face-Ausbildungsformen erlaubt im Gegensatz zum reinen Online-Lernen die bestmögliche Konzentration auf den Lernprozess. Der persönliche Kontakt mit dem Vortragenden gewährt die optimale Form des Lerntransfers durch die Möglichkeit von Rückfragen und ergänzende Erklärungen. Der Mehrgewinn durch die Möglichkeiten eines interdisziplinären Erfahrungs- und Informationsaustausches sowie die Optionen zur persönlichen Netzwerkbildung im Zuge von Pausen- oder Kamingesprächen der Teilnehmer von Classroom- oder Seminarveranstaltungen reduziert dabei die Bedeutung von Einsparungsmöglichkeiten bei Seminarund Wegzeiten durch reines Online-Lernen.

39.5

make or buy

Auf Grund der hohen didaktischen und technischen Komplexität von Online-Lernprogrammen und Inhalten war von Anfang an einer breiten Plattform der Vorzug gegenüber Insellösungen zu geben. Die Erstellung eigener Inhalte oder die Evaluierung der Angebote musste durch die Zusammenarbeit der Schulungsabteilung mit der EDV-Abteilung unter Berücksichtigung der technischen und didaktischen Komponenten erfolgen. Die strategische Steuerung dieses Mediums und seiner Inhalte (Feststellung der zentralen Notwendigkeiten, Lernzielfestlegung, Gestaltung, Auswertung des Bildungscontrollings) wurde als eine wichtige Aufgabe einer zentralen Bildungseinrichtung wie der Wiener Verwaltungsakademie erkannt. Bei der externen Vergabe der Erstellung von Lernprogrammen durch Anbieter am freien Markt wären entsprechende Kosten ebenso zu berücksichtigen wie die Tatsache, dass die externen Medienspezialisten nicht über das verwaltungsspezifische Fachwissen und die innerdienstlichen Informationen verfü-

39.6 „ViVA – die virtuelle Verwaltungsakademie“ oder „Der Wiener Weg zur Lernplattform“

485

gen. Ein wesentlicher Teil der Erstellungsarbeiten bei Fremdvergabe würde weiterhin auf jeden Fall auf die Mitarbeiter der Stadt Wien entfallen. Es wäre daher unökonomisch, das bei der Stadt Wien vorhandene Potenzial, vor allem auf dem Gebiet des technischen und didaktischen Know-Hows, nicht zu nutzen. Die Eigenentwicklung von einfach gehaltenen Lernmodulen war somit der Fremdvergabe von Aufträgen zur Erstellung komplexer Lernsysteme vorzuziehen, deren technische und fachliche Updates zusätzlich sehr kostenintensiv wären.

39.6

„ViVA – die virtuelle Verwaltungsakademie“ oder „Der Wiener Weg zur Lernplattform“

Als Transportmedium hat sich das Intranet als das für den größten Teil der Mitarbeiter bereits gut vertraute Arbeitsmedium angeboten, das mittlerweile von ca. 16.000 Arbeitsplatz-PCs ohne weitere Berechtigungsvergabe abgerufen werden kann. Ein Ziel bei der Einführung von Methoden des OnlineLernens in der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter der Wiener Stadtverwaltung war von Anfang an die Weitergabe von Informationen und Wissen an alle Mitarbeiter gleichermaßen und leicht zugänglich zu ermöglichen. Online-Lermen sollte nicht als singuläre und elitäre Bildungsmaßnahme, sondern als Standardlehr- und lernform realisiert werden. Wie schon eingangs erwähnt, ist ein Hauptkritikpunkt seitens der Lernenden aber auch seitens der Personalvertretungen an angebotenen Lernplattformen (LMS = „learning management systems“) die penible Aufzeichnung und Auswertung der Lernzeiten. Einer der Hauptvorteile von elektronischen Lernprogrammen, das angstfreie und anonyme Lernen, wird damit oftmals aufgehoben. Die LMSEigenentwicklung „ViVA – die virtuelle Verwaltungsakademie“ geht dabei von einem umgekehrten Ansatz aus. Die erfolgreiche Absolvierung der jeweiligen Teilkapitel eines Lernprogrammes kann – muss aber nicht – online bestätigt werden. Nach vollständigem Durchlaufen des elektronischen Ausbildungsvorganges, kann dieser in der persönlichen Ausbildungsaufzeichnung (Bildungspass) der Teilnehmer eingetragen werden. Dabei kann im Gegensatz zu einem LMS auf eine Registrierung der Teilnehmer vor Beginn des Lernvorganges zugunsten einer freiwilligen Eintragung nach Beendigung des Lernvorganges verzichtet werden. Bei den Lernprogrammen der Verwaltungsakademie ist es somit möglich, nach Abschluss des Lernprozesses freiwillig durch Ausfüllen eines elektronischen Feedbackformulares und durch Bestätigung mit der eigenen Personalnummer den Lernerfolg zu dokumentieren. Damit wird einerseits die Bedeutung von elek-tronischen Lerneinheiten unterstrichen (Eintragung im Bildungspass), andererseits bildet der Nachweis die Grundlage zur Teilnahme an eventuell nachfolgenden Workshops. Außerdem ist eine intensive Evaluierung des Online-Lernprogrammes durch OnlineFeedback möglich. Gleichzeitig erlaubt diese Form weiterhin anonymes und angstfreies Lernen, beispielsweise beliebige Wiederholungen oder Nachlernen zu einem späteren Zeitpunkt nach bereits erfolgter Ausbildung, da keine Registrierung erforderlich ist.

486

39.7

39 Online-Lernen in der Verwaltung: „ViVA – die virtuelle Verwaltungsakademie“

Contenterstellung und Autoren

Der Bereich der IKT-Ausbildung stellt naturgemäß ein beliebtes Anwendungsgebiet für Online-Lernen dar. Zum einen ist sichergestellt, dass alle Zielpersonen entsprechenden Zugang zum Lernmittler PC besitzen, zum anderen sind die Zielpersonen im Umgang mit dem Medium vertraut. Vor allem im Bereich der IKT-Anwendungen gibt es – neben Standardsoftware – aber viele Produkte, die nicht nur magistratsintern entwickelt wurden, sondern auch ausschließlich magistratsintern zur Anwendung kommen. Hier wäre ein Outsourcing der Lehrmittelerzeugung geradezu paradox. Die logische Konsequenz war es daher, nur dort Fachwissen zu erwerben, wo es nicht bereits in ausreichendem Maße innerbetrieblich zur Verfügung steht. Auf Grund oftmals privater Interessen von Mitarbeitern gibt es magistratsintern eine Vielzahl von ausgezeichneten Fachleuten. Aber auch in vielen Bereichen der Fachmaterie, selbst im Bereich der Sprachausbildung haben Mitarbeiter der Stadt Wien, bedingt durch oft jahrelange Vortragstätigkeit im Zuge der Veranstaltungen der Verwaltungsakademie, ihre Fähigkeiten durch Kenntnisse der einschlägigen Didaktik erweitert. So rekrutieren sich schon traditionell mehrere Hundertschaften an Trainer und Skriptenautoren aus dem Kreis der Mitarbeiter der Stadt Wien. Gerade im Bereich legistischer Ausbildungen ist es allerdings besonders schwierig, Fachleute zu finden, die es verstehen trockene Fachmaterie mediengerecht aufzubereiten. Besonders schwer fällt es dabei zugunsten einer didaktischen Reduktion auf Kosten einer fachbezogenen Diktion themen- und arbeitsplatzrelevant darzustellen. Contents können also dort effizient selbst hergestellt werden, wo Mitarbeiter gewonnen werden können, die sowohl über entsprechendes Fachwissen als auch über didaktische Ausbildungen verfügen. Als contentübergreifende Aufgabe verbleiben die Tätigkeitsfelder Ziel- und Auftragsdefinition, technische Beratung, didaktische Vorgaben und Begleitung bei der Erstellung sowie Lektorat und Implementierung im Netzverbund ebenso im zentralen Referat für IKT-Anwenderausbildung und Online-Lernen, wie die Auswahl, Anwendung und Schulung eines praktikablen Autorensystemes, etwaige Filmaufnahmen und -Schnitt, Tontechnik, Layoutierung und Programmierung. Online-Lerneinheiten können somit kostengünstig und zielgruppengerichtet entwickelt werden, wobei das vorhandene unternehmensspezifische Wissen durch die Umwandlung von Trainern zu (Co)Autoren und in der Folge zu Tele-Tutoren, die mithelfen, Online-Betreuungsprozesse zu gestalten, konserviert und eingebunden werden kann.

39.8

E-Tutoren

Die Lernform Online-Lernen bevorzugt überdurchschnittlich Teilnehmergruppen mit technischem Interesse und angstfreiem Zugang zu modernen Informations- und Kommunikationstechnologien. Die Ausbildungsmaßnahme wird rechtzeitig („just in time“) sowie erst bei Bedarf („on demand“) zur Verfügung gestellt und konsumiert, und die Erarbeitung des Contents geschieht im persönlichen Lerntempo und blamagefrei, weil beliebig viele (Teil)Wiederholungen möglich sind. Trotzdem sollte die Möglichkeit zur persönlichen Kontaktaufnahme mit Lehrverantwortlichen (Trainern oder Moderatoren) vor allem für Teilnehmer mit schwächer ausgeprägter Schreibkompetenz gewährleistet sein. Der Vereinsamung und Isolation im Lernprozess kann nur durch entsprechende Unterstützung entweder in Form von Workgroupsequenzen, durch Tutoren oder elektronische Pendants in Form von moderierten Chat-

39.9 Angebot und Nachfrage

487

rooms, Newsgroups oder Hotlines entgegengewirkt werden. Auf keinen Fall darf der Lernprozess vollkommen automatisiert ablaufen. Neben einer auf E-Mail-Basis aufgebauten Rückfragemöglichkeit wurde seitens der Verwaltungsakademie zusätzlich eine zentrale Telefon-Hot-Line angeboten, um schnell und unbürokratisch erste Hilfestellungen – zumeist technischer Art – zu gewährleisten. Im Falle komplexerer Content-spezifischer Anfragen wird auf die Contentersteller als Fachkräfte zurückgegriffen.

39.9

Angebot und Nachfrage

„ViVA – Die Virtuelle Verwaltungsakademie“ bietet seit 2003 den Mitarbeitern der Stadt Wien Zugang zu den unterschiedlichsten Online-Lernprogrammen. Derzeit sind 18 Contents aus den Bereichen IKT-, Sprach- und Rechtsausbildung online zugänglich. Über Anfrage können die Inhalte für schmalbandig angebundene Außendienststellen auch auf offline Datenträgern (CD-ROM) distributiert werden. Im Durchschnitt konnten seit Eröffnung – bei saisonalen Schwankungen – monatlich jeweils über 1600 Besuche von ca. 1000 unterschiedlichen Kunden, als Spitzenwert nahezu 7500 Besuche von über 3900 Kunden in lediglich einem Monat verzeichnet werden. Diese Informationsdichte wäre im Präsenzunterrichtsverfahren nur mit erheblichem Aufwand erreichbar. Anlässlich einer Kundenbefragung im Jahre 2005 wurde nachdrücklich der Ausbau des Online-Lernangebotes gefordert. Augenblicklich stehen 3 weitere Contents vor der Fertigstellung, für den Soft-Skill-Bereich des „Mitarbeiterorientierungsgesprächs“ ist zusätzlich ein Relaunch wegen inhaltlicher Änderungen geplant. Auf Grund des großen Erfolges wurde neben der Online-Edition die Auflage von Contents in Kleinserien auf CD-ROM für kleinere Zielgruppen realisiert.

40

Zielgruppenspezifisches E-Learning

Lutz Goertz & Julia Flasdick

Wie lässt es sich erreichen, dass neue Lernformen wie E-Learning in Unternehmen von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern akzeptiert werden? Eine Antwort auf diese Frage lautet: Bei der Einführung neuer Lernwerkzeuge und -methoden sollten die Lerngewohnheiten und Dispositionen von LernZielgruppen angemessen berücksichtigt werden. Die vorliegende „Eichmessung“ bei 403 unselbstständig Beschäftigten in Niedersachsen gibt einen Überblick über die Lernpräferenzen von unterschiedlichen demographischen Gruppen und verschiedenen Berufsgruppen. Beschrieben werden u. a. die bevorzugten Lernformen und Lernorte. Nur wenige der Befragten nutzten im Erhebungsjahr 2004 Formen des E-Learnings. Immerhin kann knapp die Hälfte der Interviewten den Begriff „E-Learning“ einordnen. Viele von ihnen können sich auch vorstellen, Weiterbildungsangebote am Computer zu nutzen. Aus den Variablen zu Lerngewohnheiten wird abschließend eine Lerner-Typologie erstellt, deren vier Cluster Lerntypen beschreiben, die unterschiedlich intensiv Lernangebote nutzen und die unterschiedliche Lernformen bevorzugen. Diese Cluster weisen starke Zusammenhänge mit demographischen Variablen auf. Schlüsselbegriffe: E-Learning, Nutzertypen, Lerngewohnheiten, kollaboratives Lernen, Blended Learning, Learning on demand, informelles Lernen

490

40 Zielgruppenspezifisches E-Learning

Erstklassige didaktische Werkzeuge, gute Lerninhalte und hervorragend motivierte Trainer können manchmal trotzdem nicht verhindern, dass die Einführung von E-Learning in einem Unternehmen scheitert. Es kommt immer wieder vor, dass Lerninhalte und Tools von den Mitarbeitern nicht akzeptiert werden, dass deren Lernmotivation gering ist und dass sie schon nach kurzer Zeit ganz aufgeben. Die Ursache hierfür kann in der Wahl der falschen didaktischen Methoden liegen, d. h. das E-LearningArrangement passt nicht zu den Lerngewohnheiten der Zielgruppe. Was in der Medienwirtschaft längst selbstverständlich ist, ist beim Einsatz von E-Learning bisher noch „terra incognita“. Ähnlich wie in Verlagen und Sendern beispielsweise Zeitschriften oder Fernsehprogramme auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten werden, können auch in der Bildungswirtschaft bei der Planung von Weiterbildungsstrategien die Lerngewohnheiten und Lernbedürfnisse der Zielgruppe erfasst und im didaktischen Konzept berücksichtigt werden. Die Voraussetzungen hierfür sollen mit den Ergebnissen einer Untersuchung geschaffen werden, die dieser Beitrag präsentiert.

40.1.1

Forschungsleitende Fragestellungen

Eine Grundlage für die Berücksichtigung von Zielgruppendispositionen im E-Learning ist eine Art Eichmessung, die allgemein für Mitarbeiter in Unternehmen deren Lerngewohnheiten erfasst und sie nach einzelnen demographischen Merkmalen differenziert. Ausgehend von den auf diese Weise gewonnenen Ergebnissen lässt sich bei der konkreten Planung leichter bestimmen, welches Lernarrangement für welche Zielgruppe am ehesten geeignet ist und welche Rolle hierbei E-Learning spielen kann. Eine solche Eichmessung wurde im Jahr 2004 unter dem Titel „eLearning-Anwendungs-potenziale bei Beschäftigten“ vom MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung im Auftrag des Kompetenzzentrum eLearning Niedersachsen (KEN) durchgeführt57. Forschungsleitende Fragen waren:  

Welche individuellen Lernstile lassen sich für die Befragten identifizieren? Lässt sich aus den Einzelbefunden eine Typologie bilden, mit der sich verschiedene Lerntypen klassifizieren und beschreiben lassen?

40.1.2

Methodisches Vorgehen

Für diese Untersuchung wurden 403 unselbstständig Beschäftigte in Niedersachsen in eine repräsentative CATI-Telefonbefragung einbezogen. Durchgeführt wurde die Befragung von der Psephos GmbH im Januar 2004. Die Arbeitnehmer wurden bewusst in ihrem Privathaushalt und nicht direkt am Arbeitsplatz angesprochen, da frühere Studien gezeigt haben, dass Unternehmen bei der Vermittlung von Ansprechpartnern im Unternehmen sehr zögerlich sind.

57

Die folgenden Ergebnisse wurden dem Bericht „eLearning-Anwendungspotenziale bei Beschäftigten“ entnommen. Unter http://www.mmb-institut.de/2004/pages/projekte/e_learning/e18.pdf ist der vollständige Bericht verfügbar.

40.2 Ergebnisse der Befragung

491

Befragt wurden unselbstständig Beschäftigte im Bundesland Niedersachsen mit einer minimalen Wochenarbeitszeit von durchschnittlich 20 Stunden. Die Teilnehmer der Befragung wurden per Zufallsstichprobe ausgewählt. Berücksichtigt wurden für die Auswertung die folgenden demographischen Merkmale:    

Geschlecht Bildung Altersgruppen Berufsgruppen.

Mittels einer Clusteranalyse wurden Fälle mit einem ähnlichen Antwortprofil zusammengefasst. So konnte eine Lernertypologie erstellt werden, die unter anderem Aufschluss über verschiedene Lernstile sowie das E-Learning-Potenzial der Befragten gibt. Die vorliegende Studie ist repräsentativ für die abhängig Beschäftigten im Bundesland Niedersachsen, muss aber aufgrund der geringen Fallzahl als Pilotstudie angesehen werden, die erste Trends für Lerngewohnheiten aufzeigen kann.

40.2

Ergebnisse der Befragung

In den folgenden beiden Abschnitten werden die zentralen Erkenntnisse aus der repräsentativen Telefonbefragung dargestellt. Neben der Deskription des Weiterbildungsverhaltens der gesamten Stichprobe (univariate Analyse) werden insbesondere Unterschiede thematisiert, die beim Vergleich der Subgruppen evident wurden. Die folgenden Ergebnisse geben einen Einblick in die Präferenzen der unterschiedlichen Zielgruppen für bestimmte Weiterbildungsangebote sowie in die bestehenden Lerngewohnheiten dieser Gruppen. Weiterhin wird erläutert, inwieweit schon jetzt Mitarbeiter in Unternehmen E-Learning kennen und nutzen.

40.2.1

Die beliebtesten Weiterbildungs-Angebote

Auf die Frage nach den genutzten Weiterbildungsformen nennt der größte Teil der Befragten Gespräche mit Kollegen und Vorgesetzten (75 %), gefolgt von Weiterbildung im Unternehmen (62 %), Lesen von Fachzeitschriften und Fachbüchern (62 % bzw. 49 %). Gemeinsam ist diesen Formen, dass sie keinen besonders hohen Aufwand erfordern und arbeitsplatznah zu nutzen sind. Bevorzugt werden außerdem kurzfristige Weiterbildungen. Umschulungen sowie Schulungen per Video/TV spielen indes nur eine untergeordnete Rolle. Ein Blick auf die Medien, die im Rahmen beruflicher Qualifizierung genutzt werden, zeigt eine Dominanz der Printmedien, die von 62 % bzw. 49 % der Befragten verwendet werden. Einer breiten Nutzung erfreut sich auch der Computer, während Video und TV vor allem im Handel als Schulungsmedien fungieren.

492

40 Zielgruppenspezifisches E-Learning

Abb. 40.1:

Genutzte Formen beruflicher Weiterbildung

Eine genauere Betrachtung der Subgruppen deckt zudem verschiedene Schwerpunkte in der Nutzung beruflicher Weiterbildungsformen auf. So sinkt beispielsweise die Teilnahme an langfristigen Weiterbildungsmaßnahmen mit steigendem Alter; auch nehmen Befragte höherer Altersgruppen seltener an Umschulungen teil und verzichten häufiger auf das Lesen von Fachbüchern. Als wichtiger Einflussfaktor erweist sich außerdem ein hoher Bildungsgrad, der insbesondere die Nutzung des Computers zu Recherchezwecken positiv beeinflusst. Von einem breiten Spektrum an Weiterbildungsmaßnahmen profitieren vor allem die Beschäftigten in leitenden Positionen; sie nutzen außerdem häufig kommunikativere Schulungsformen wie Gespräche mit Kollegen und Vorgesetzten sowie Messen und Kongresse. Arbeitnehmer mit ausgeprägter Computerkompetenz58 bedienen sich dieses Mediums auch deutlich häufiger zu Weiterbildungszwecken und schreiben computergestützten Lernformen eine hohe Relevanz zu. Interessanterweise lehnt diese Gruppe Video- und TV-Schulungen sehr deutlich ab. Trotz der hohen Verbreitung des Computers in der beruflichen Weiterbildung kann auf diesem Gebiet keine Verdrängung alter durch neue Medien konstatiert werden – das Feld wird immer noch von den Printmedien dominiert. Unterschiede im Weiterbildungsverhalten lassen sich außerdem in Abhängigkeit von der Branchenzugehörigkeit feststellen: Während kurzfristige Weiterbildungen insbesondere im Dienstleistungssektor verbreitet sind (75 %), werden TV- und Videoschulungen überwiegend im Handel genutzt (24 %) – ein Befund, der unter Berücksichtigung der Arbeitsplatzsituation in dieser Branche leicht erklärt werden kann.

58

Im Rahmen der Analyse wurde außerdem zwischen beruflicher und privater Computer- und Internetnutzung unterschieden. Da es sich jedoch bei den Befragten mit hohen Werten in diesen Kategorien gleichzeitig um computerkompetente Personen handelt, wird an dieser Stelle keine nähere Differenzierung vorgenommen.

40.2 Ergebnisse der Befragung

40.2.2

493

Lernorte und Lernformen

Welche Lernorte nutzten die Befragten in den Jahren 2002 und 2003? Der häufigste Ort der Weiterbildung ist der Arbeitsplatz. Knapp zwei Drittel der niedersächsischen Arbeitnehmer geben an, ihr Wissen am Arbeitsplatz zu erweitern. Daraus kann geschlossen werden, dass das Gros der Untersuchungsteilnehmer häufig informelle Lernformen nutzt und Lernprozesse zumindest teilweise in betriebliche Arbeitsabläufe integriert sind. Ein Blick auf die eingangs skizzierten Formen betrieblicher Weiterbildung bestätigt dies: Gespräche mit Kollegen und Vorgesetzten, Computerrecherchen und das Lesen von Fachzeitschriften sind die am häufigsten genutzten Weiterbildungsformen.

Abb. 40.2:

Genutzte Lernorte

Auf dem zweiten Platz rangiert – mit einer Quote von rund 45 % – das Lernen in einem Schulungszentrum oder Seminarraum. Dieser Lernort wird vor allem von Beschäftigten in leitenden Positionen sowie jüngeren Befragten genutzt. Immerhin rund ein Drittel der Untersuchungsteilnehmer gibt zudem das eigene Zuhause als Lernort an. Hinter dieser Zahl stehen insbesondere jüngere Beschäftige sowie Vertreter der Altersgruppe 40 bis 49 Jahre. Besonders deutlich wird die unterschiedliche Verteilung beim Blick auf die Bildungsgrade: Die Nutzung des Lernortes „zu Hause“ steigt signifikant mit der Höhe des Bildungsgrades. Mobiles Lernen unterwegs konnte sich 2004 indes noch nicht in breiten Beschäftigtenschichten durchsetzen; knapp 9 % der Befragten lernen mobil. Unter den Arbeitnehmern mit Verantwortung, bei den

494

40 Zielgruppenspezifisches E-Learning

Höhergebildeten sowie in der Gruppe der 40- bis 49-Jährigen finden sich die meisten mobilen Lerner – ein Ergebnis, das auch mit der hohen Kongruenz dieser drei Subgruppen erklärt werden kann.

Abb. 40.3:

Beurteilung sozialer Lernformen

Bei der Bewertung unterschiedlicher Lernformen erhält das Lernen in kleinen Gruppen die höchste Zustimmung: Knapp drei Viertel der Untersuchungsteilnehmer geben an, sehr gerne oder gerne ihr Wissen auf diese Art zu erweitern. Mit deutlichem Abstand – aber immer noch positiver Bewertung – folgen das Lernen in einem Seminar und das Lernen alleine: Sie werden von rund der Hälfte der niedersächsischen Arbeitnehmer gerne oder sehr gerne genutzt. Vergleicht man die Präferenzen für verschiedene Lernformen miteinander, so zeigt sich, dass dem Lernen in kleinen Gruppen über alle Subgruppen hinweg der Vorzug gewährt wird. Bei der Analyse der Altersgruppen wird deutlich, dass jüngere (16 bis 29 Jahre) und ältere (60 Jahre und älter) Untersuchungsteilnehmer für das Lernen in kleinen Gruppen die deutlichste Vorliebe äußern. Gleichzeitig lehnen jüngere und ältere Beschäftigte das Lernen alleine am häufigsten ab. Obwohl sich auch die Befragten aller Bildungsgruppen bei der Präferenz ihrer Lernform einig sind, möchten Personen mit geringerem Bildungsgrad am wenigsten gerne alleine lernen. Interessanterweise lässt sich dieses Muster für die Berufshierarchie nicht feststellen: Hier sind es insbesondere die Angestellten mit Verantwortung, die das eigenständige Lernen ablehnen, während Beschäftigte mit einfachen wie leitenden Tätigkeiten diese Lernform in ähnlichem Maße akzeptieren. Ein Blick auf die Bran-

40.3 Bekanntheit und Nutzungspotenzial von E-Learning

495

chenzugehörigkeit zeigt außerdem, dass diese Lernform bei Arbeitnehmern aus dem Wirtschaftszweig Industrielle Fertigung auf die geringste Akzeptanz stößt.

40.3

Bekanntheit und Nutzungspotenzial von E-Learning

Welchen Stellenwert nimmt E-Learning in der beruflichen Weiterbildung der niedersächsischen Angestellten ein? In der von uns untersuchten Stichprobe gaben 5 % der Arbeitnehmer an, E-Learning bereits genutzt zu haben. Die Mehrheit der niedersächsischen Arbeitnehmer (95 %) hatte im Jahr 2004 bisher noch keine Erfahrung mit computergestütztem Lernen gemacht, und über die Hälfte der Befragten (54 %) kann sich unter den Begriffen „E-Learning“ oder „Telelearning“ nichts vorstellen.59 Rund 40 % dieser Gruppe haben hingegen beide oder zumindest einen dieser Begriffe schon einmal gehört; allerdings hat weniger als die Hälfte von ihnen eine konkrete Vorstellung davon, was mit diesen Begriffen genau bezeichnet wird. Es lässt sich beobachten, dass der Anteil der Bekanntheit und konkreten Vorstellung von E-Learning mit abnehmendem Bildungsgrad deutlich sinkt. Einem vergleichsweise geringen Teil von einem Fünftel der Abiturienten und Hochschulabsolventen, denen die Begriffe „E-Learning“ und „Telelearning“ unbekannt sind, stehen rund zwei Drittel der Volks- bzw. Hauptschulabgänger gegenüber, für die diese Termini keine Bedeutung besitzen.

59

Der Anteil der „E-Learning-Kenner“ dürfte sich im Jahr 2008 erhöht haben.

496

40 Zielgruppenspezifisches E-Learning

Abb. 40.4:

Bekanntheit und Potenzial von E-Learning

Eine weitere Beziehung mit den hier diskutierten Variablen lässt sich für die Berufshierarchie konstatieren: Insbesondere die Bekanntheit von E-Learning steigt mit höherer beruflicher Position. Betrachtet man die Größe der Unternehmen, bei denen die meisten E-Learning-Kenner und -Nutzer beschäftigt sind, so macht man die überraschende Entdeckung, dass Mitarbeiter von Kleinstunternehmen (1–9 Mitarbeiter) in der Nutzergruppe deutlich überrepräsentiert sind (15 zu durchschnittlich 5 %). Der Anteil derjenigen, die mit den abgefragten Begriffen gar nichts anfangen können, verteilt sich hingegen ähnlich über die Unternehmensgrößen. Die Wirtschaftszweige unterscheiden sich ebenfalls hinsichtlich des Bekanntheits- und Nutzungsgrads computerbasierten Lernens: Während in Dienstleistung und Verwaltung jeweils knapp 60 % der Beschäftigten die Begriffe „E-Learning“ oder „Telelearning“ zumindest bekannt sind, weisen Handel und Industrielle Fertigung dafür die niedrigsten Werte aus. Verglichen mit diesen Branchen haben Beschäftigte in handwerklichen Berufen mit 20 % den geringsten Anteil an E-Learning-Kennern und sind somit in dieser Gruppe stark unterdurchschnittlich vertreten.60 Im Anschluss an die Erhebung der generellen Nutzung und Bekanntheit von E-Learning wurden die ELearning-Kenner unter den Nicht-Nutzern nach ihrer Bereitschaft zur Teilnahme an einer computerge-

60

Über den Anteil der Untersuchungsteilnehmer, deren Arbeitgeber computergestützte Weiterbildungsmaßnahmen anbieten, wurden keine Angaben erhoben.

40.4 Typologie der Lerner

497

stützten Weiterbildungsmaßnahme befragt (=Potenzialfrage). Rund 53 % beantworteten diese Frage positiv. Das höchste E-Learning-Potenzial weisen in der vorliegenden Studie folgende Gruppen auf:    

höherer Bildungsgrad, insbesondere Abitur und Studium Tätigkeit in Verwaltung und Handel61 Arbeitnehmer in Kleinstunternehmen eigenes Weiterbildungsbudget von 100 bis 200 Euro.

Interessanterweise hängt die Bereitschaft, an E-Learning-Maßnahmen teilzunehmen, nur in geringem Maße mit der beruflichen Stellung zusammen: Die leitenden Angestellten sind in der Gruppe der potentiellen E-Learning-Nutzer lediglich schwach überrepräsentiert.

40.4

Typologie der Lerner

Im bisherigen Verlauf der Studie wurden viele Lernformen und Lernstile in der beruflichen Weiterbildung – und welche Bevölkerungsgruppen hiervon Gebrauch machen – detailliert dargestellt. Auf der Basis dieser Erkenntnisse wird nun das Nutzerverhalten durch die Bildung einer „Lernertypologie“ fokussiert. Hierfür werden die Variablen, die den Lernstil der Arbeitnehmer charakterisieren, zusammengezogen und gleichzeitig ermittelt, welche Befragten ein ähnliches Lernverhalten zeigen. Dies geschieht rechnerisch mit Hilfe einer so genannten „Clusteranalyse“. Am Ende ergibt eine solche Clusteranalyse eine überschaubare Anzahl von „Lernertypen“, die sich in ihrem Lernverhalten deutlich unterscheiden.

40.4.1

Lernergruppierung

Verwendet wurden für die Clusteranalyse62 31 künstliche Variablen, so genannte Indices, die wiederum aus rund 120 Variablen des Fragebogens gebildet wurden. Ein Beispiel: Alle Nennungen zur Nutzung der Lernformen „allein am Computer recherchieren“, „Bücher“, „Zeitschriften“, „Gespräche mit Kollegen und Vorgesetzten“ wurden zusammengezogen zum Index „Informelles Lernen“. Die Variablen, die in die Clusteranalyse eingehen, beziehen sich sämtlich darauf, aus welchem Anlass, auf welche Weise, mit welcher Lernform ein Mitarbeiter lernt – oder gerne lernen würde. Unberücksichtigt bleiben in der Clusteranalyse hingegen demographische Variablen und Variablen zu persönlichen Kompetenzen oder zum persönlichen Weiterbildungsbudget, aber auch zur Bewertung von E-Learning. Sie werden in einem zweiten Schritt den Clustern zugeordnet.

61

Obwohl die Beschäftigten im Handel überdurchschnittlich oft mit den Begriffen „E-Learning“ und „Telelearning“ nichts assoziieren können, äußern sie eine außerordentliche Bereitschaft, sich computergestützt weiter zu bilden.

62

Berechnet wurde die Clusteranalyse mit dem Programm „CONCLUS“.

498

40 Zielgruppenspezifisches E-Learning

40.4.2

Beschreibung der einzelnen Typen

Wie lassen sich die Lerner nach ihrem bevorzugten Lerninhalten, -orten, -stilen und -formen zu Typen zusammenfassen? Die Clusteranalyse ergab vier Cluster, die sich deutlich voneinander unterscheiden63:

Abb. 40.5:

Gruppen, die in Clustern überdurchschnittlich vertreten sind

Cluster 1: Die „Viellerner“ (78 Fälle, 19 %) Die Angehörigen dieses Clusters zeichnen sich dadurch aus, dass sie alle Lernformen gleichermaßen nutzen. Sie absolvieren langfristige Weiterbildungen im Unternehmen und bei externen Bildungsträgern, wobei sie die selbstbestimmten Formen in einem geringeren Umfang nutzen. Sie legen Wert auf persönliche Betreuung beim Lernen und sind sowohl intrinsisch als auch extrinsisch motiviert. Mehr als die übrigen Befragten lernen sie in Seminarräumen und unterwegs. Inhaltlich bevorzugen sie Lerninhalte zu „Soft Skills“ und zu Themen des eigenen Arbeitsgebietes.

63

Die vier Cluster erklären insgesamt 34 % der Varianz. Es gibt also eine ganze Reihe von weiteren Einflüssen, die die Unterschiede zwischen den Clustern erklären können, die aber in dieser Erhebung nicht gemessen wurden. Dass aber durch die erhobenen Variablen immerhin ein Drittel der Varianz erklärt wird, ist für eine Clusteranalyse ein positives Ergebnis.

40.4 Typologie der Lerner

499

In diesem Cluster befinden sich überproportional viele Befragte aus folgenden Gruppen:           

40- bis 49-Jährige Angestellte Beschäftigte in Handel und Dienstleistung Mitarbeiter mit Leitungsfunktionen Mitarbeiter aus Großunternehmen Personen mit Realschulabschluss, Abitur und Studium Personen mit hoher oder mittlerer Computerkompetenz Personen, die beruflich und privat häufig den Computer nutzen Personen, die beruflich und privat häufig das Internet nutzen Personen, die viele Medien häufig nutzen E-Learning-Nutzer und solche, die eine konkrete Vorstellung von E-Learning haben.

Es zeigt sich, dass die „Viellerner“ vor allem in großen Unternehmen arbeiten, die offenbar eine ausgeprägte Weiterbildungsstruktur besitzen. Sie zählen eher zu den Führungskräften und haben bereits ein längeres Berufsleben hinter sich. In ihrer Position sind sie mit Computern und Internet gut vertraut und kennen daher auch verschiedene Formen des E-Learnings. Sie machen von den Angeboten des Unternehmens Gebrauch, kümmern sich aber auch selbst um ihre Weiterbildung und halten dafür überwiegend ein Jahresbudget von 50 bis 200 Euro bereit. Cluster 2: Die Weniglerner (83 Fälle, 21 %) Diese Gruppe bildet den Gegenpol zu Cluster 1. Die Angehörigen dieses Clusters nutzen keine Lernform besonders ausgeprägt und sind auch sonst in ihren Themenpräferenzen und gewünschten Lernformen äußerst zurückhaltend. In diesem Cluster befinden sich überproportional viele Befragte aus folgenden Gruppen:             

30- bis 39-Jährige 50- bis 59-Jährige Männer Arbeiter Beschäftigte in der Industriellen Fertigung Mitarbeiter mit einfachen Aufgaben Mitarbeiter aus Großunternehmen Personen mit Volks- und Hauptschulabschluss Personen mit geringer Computerkompetenz Personen, die beruflich und privat selten den Computer nutzen Personen, die privat und beruflich selten das Internet nutzen Personen, die eher wenige Medienformen nutzen Personen, die noch nie von E-Learning gehört haben und die sich nicht vorstellen können, ELearning zu nutzen.

In diesem Cluster befinden sich überwiegend Industriearbeiter mit geringer Schulbildung und ohne eigenes Weiterbildungsbudget. Wie die Mitglieder des ersten Clusters arbeiten sie eher in Großunternehmen, haben dort aber seltener einen Computerarbeitsplatz und nutzen das Internet deshalb selten

500

40 Zielgruppenspezifisches E-Learning

oder gar nicht. Die Nutzung von E-Learning liegt damit für sie in weiter Ferne, da sie diese Lernform nicht kennen und auch nicht nutzen wollen. Cluster 3: Die informellen Lerner (98 Fälle, 24 %) Eine dritte – etwas größere – Gruppe lernt lieber in Eigeninitiative und bevorzugt das informelle, selbstgesteuerte Lernen. Sie gehen dabei eher planvoll vor und nicht unsystematisch. Wie die Mitglieder des Clusters 1 nutzen und schätzen sie Lernformen wie die Gespräche mit Kollegen und Vorgesetzten, das Lesen von Zeitschriften und Büchern, besuchen Messen und recherchieren am Computer. Anders als die Angehörigen von Cluster 1 nutzen sie jedoch nicht organisierte Lernformen wie den Besuch von Kursen im und außerhalb des Unternehmens. Als einzige Gruppe zeigen sie eine Präferenz, zu Hause zu lernen. Sie legen weniger Wert auf soziale Kontakte und Betreuung als andere Befragte. Das Gros der informellen Lerner verfügt über ein jährliches Weiterbildungsbudget in dreistelliger Höhe. In diesem Cluster befinden sich überproportional viele Befragte aus folgenden Gruppen:        

Personen mit Abitur und teilweise Studienabschluss Angestellte und Beamte Beschäftigte in Dienstleistung und Verwaltung Mitarbeiter in Kleinstunternehmen Personen mit sehr guter Computerkompetenz Personen mit hoher bzw. mittlerer beruflicher und privater Computernutzung Personen mit hoher bzw. mittlerer beruflicher Internet-Nutzung Personen, die von E-Learning eine konkrete Vorstellung haben und die sich auch vorstellen können, E-Learning zu nutzen.

In diesem Cluster finden sich vor allem Personen mit höherer Bildung, die auch gelernt haben, selbstständig zu lernen. Sie sind gut vertraut mit Computern und dem Internet und haben offensichtlich auch hier gelernt, ihre Probleme am Arbeitsplatz selbst zu lösen und den Rechner am Arbeitsplatz hierfür zu nutzen. Bei ihren Arbeitgebern handelt es sich zum Teil um sehr kleine Unternehmen, die nur selten eine strategische Personalentwicklung besitzen und aufgrund ihrer Größe auch kaum spezielle Lernangebote machen können. Cluster 4: Die Betreuungsorientierten (144 Fälle, 36 %) Die Angehörigen von Cluster 4 entsprechen in den meisten Punkten dem Durchschnitt der Befragten. Mit 144 Befragten bilden sie auch die größte Gruppe. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie seltener informelle Lernformen nutzen und Betreuung beim Lernen als wichtig erachten. Sie bilden damit einen Gegenpol zu den Mitgliedern von Cluster 3. In diesem Cluster befinden sich überproportional viele Befragte aus folgenden Gruppen:      

16- bis 29-Jährige Personen mit Volks- und Hauptschulabschluss Mitarbeiter mit Verantwortung Beschäftigte in der Industriellen Fertigung Mitarbeiter in KMU Personen mit geringer Computerkompetenz

40.5 Resümee: Einführungsstrategien auf die Zielgruppen abstimmen   

501

Personen, die den Computer beruflich und privat nur selten nutzen Personen, die das Internet beruflich nur selten nutzen Personen, die noch nie von E-Learning gehört haben.

In diesem Cluster sammeln sich überproportional viele Jugendliche und junge Erwachsene sowie Personen mit einem geringeren Bildungsgrad. Sie arbeiten überwiegend in kleinen und mittelständischen Unternehmen und nutzen dort durchaus formelle und informelle Lernangebote, allerdings nicht in großem Umfang. Es ist anzunehmen, dass viele von ihnen nicht an einem Computerarbeitsplatz arbeiten, da die Computerkompetenz dieser Gruppe geringer ausgeprägt ist. Dementsprechend ist ihnen die Lernform des E-Learnings eher unbekannt.

40.5

Resümee: Einführungsstrategien auf die Zielgruppen abstimmen

Die Ergebnisse zeigen, dass sich bei der Einführung von E-Learning-Maßnahmen im Unternehmen eine genaue Zielgruppenanalyse lohnt. Hierbei ist nicht nur eine Berücksichtigung von demographischen Variablen wichtig. E-Learning-Entscheider sollten etwas über die individuellen Lernbedürfnisse erfahren und die bislang genutzten Informationsquellen der Zielgruppe kennen. Insbesondere bei Lernern, deren Lerngewohnheiten fast ausschließlich durch die Schulzeit geprägt wurden – mit Präsenzunterricht in großen Gruppen, kurzen Lerneinheiten und intensiver Betreuung – darf der Sprung zu neuen Lernmethoden nicht zu groß werden. Die neuen Lernkonzepte müssen an die bereits bekannten Formen anknüpfen. Lerner, die sich seit der Schule und der Ausbildung eher selten weitergebildet haben, benötigen ein hohes Maß an Betreuung und überwiegend Präsenzschulungen. Auf der anderen Seite kann man davon ausgehen, dass Akademiker seit jeher gewohnt sind, sich ihre Informationen in Bibliothekskatalogen und Internetquellen selbst zu suchen. Sie sind auch für die neueren Lernformen des „E-Learning 2.0“64 sehr offen und setzen diese schnell in ihrer täglichen Arbeit ein. Natürlich können sich die Lerngewohnheiten von Generationen im Laufe der Zeit auch ändern. Jetzt, im Jahr 2008, erreichen Alterskohorten das Segment „50 plus“, die schon seit längerer Zeit mit dem Computer arbeiten und über eine hohe Computerkompetenz verfügen. Deshalb ist es sinnvoll, eine „Eichmessung“ zur Feststellung von Lerngewohnheiten und E-Learning-Affinität in regelmäßigen Abständen zu wiederholen.

64

vgl. hierzu Goertz & Heddergott (2007).

Teil 6: Ausblick

41

Die zukünftige Bedeutung des Online-Lernens für lebenslanges Lernen

Peter Baumgartner

Im Beitrag wird argumentiert, dass die Bedeutung des Online-Lernens bereits in naher Zukunft enorm anwachsen wird. Sowohl die demografische Entwicklung in Europa als auch ein bereits deutlich sichtbarer Strukturwandel der Bildungsanforderungen verlangt Maßnahmen außerhalb formaler Bildungssettings in der Grundausbildung. Die Entwicklung und Implementierung geeigneter Blended-LearningSzenarien kommt im Bereich des lebenslangen Lernens dabei eine zentrale Bedeutung zu. Der Beitrag stellt als Ausgangspunkt dafür eine Reihe strukturellen Überlegungen zur Gestaltung der Lernziele, Lernzeit, Curriculum und Modularisierung im Rahmen des zukünftigen europäischen Bildungsraums an. Es werden acht grundsätzliche Strukturtypen von Blended-Learning-Szenarien inklusive praktischen Tipps zur Umsetzung aus der eigenen (universitären) Weiterbildungspraxis vorgestellt. Ein eigener Abschnitt geht auf die besondere und ständig wachsende Bedeutung von „Social Software“ für informelles Lernen ein. Schlüsselbegriffe: Blended-Learning-Szenarien, Modularisierung, Kompetenzorientierung, Social Software, informelles Lernen

506

41.1

41 Die zukünftige Bedeutung des Online-Lernens für lebenslanges Lernen

Erste Annäherung – fünf Thesen

Wenn wir über zukünftige Bedeutung von Online-Lernen nachdenken, so kann einer der Zugänge darin bestehen, dass wir aktuelle gesellschaftliche Trends in ihren Auswirkungen auf die (technologieunterstützte) Aus- und Weiterbildung untersuchen. Ich möchte diese Entwicklungstendenzen thesenartig in fünf Bereiche zusammenfassen: 1. Demografischer Wandel: Eine wichtige strukturelle Veränderung für die Bildungslandschaft ist mit dem starken Wachstum des Anteils älterer Personen an der Gesamtbevölkerung der meisten EU-Länder gegeben (vgl. die Eurostat Bevölkerungsprojektion - Basisvariante der European Commission, o. J.). So werden die jüngeren und mittleren Altersgruppen (bis 49-Jährige) sowohl quantitativ als auch anteilsmäßig abnehmen, der Anteil älterer Erwerbspersonen (50- bis 64Jährige) jedoch drastisch zunehmen. In Österreich wird beispielsweise bis 2020 die Gruppe der 55- bis 64-Jährigen um 32 %, die Gruppe der über 65-Jährigen um 22 % wachsen (Forum Nachhaltiges Österreich, 2007, S. 10; Europäische Kommission, 2003, S. 51). Es ist daher bereits heute abzusehen, dass die Aus- und Weiterbildung von älteren Arbeitnehmern sowie Bildungsangebote für Senioren zukünftig enorm an Bedeutung gewinnen werden. 2. Kompetenzorientierung: Auf der Basis einer geringen und weiter sinkenden Halbwertszeit des Wissens wird es immer wichtiger von einer bloßen Vermittlung von (Fakten-) Wissen abzugehen. Die Bildungsstrategie muss sich stattdessen auf die Aneignung von solchen Fähigkeiten und Fertigkeiten d. h. (Schlüssel-)Kompetenzen orientieren, die es Lernende ermöglichen, sich an wechselnde Erfordernisse anzupassen um den notwendigen Wissensaufbau selbständig vornehmen zu können (Jütte, 2008; Erpenbeck & Rosenstiel, 2007; Gnahs, 2007; Heyse, Erpenbeck & Max, 2004). 3. Informelles Lernen: Nach übereinstimmender Experten-Meinung findet nur 30 % des menschlichen Lernens in Bildungsinstitutionen statt. Bisher hat sich aber darauf das Hauptaugenmerk der bildungspolitischen Anstrengungen gerichtet, während der Umgang mit dem im Lebens- und Arbeitsalltag praktizierten Erfahrungslernen vernachlässigt wurde. Sowohl der demografische Wandel (These 1) – wonach der Bildungsbedarf nicht mehr durch die (institutionalisierte) Erstausbildung abgedeckt werden kann – als auch die Kompetenzorientierung (These 2) – wonach es nicht um abstrakte Wissensvermittlung, sondern um die Wahrnehmung bzw. den Aufbau individueller Kompetenzpotentiale geht – lenken das Augenmerk auf den bisher vernachlässigten Umgang mit informellen Lernprozessen ( Jütte, 2008; Zürcher, 2007; Cross, 2006; Overwien, 2004; Dohmen, 2001). 4. Technologieunterstützte weltweite Zusammenarbeit in großem Stil: Eine weitere Tendenz, die durch Web 2.0 (dem sog. „Mit-mach-Web“) und insbesondere „Social Software“ (Hildebrand & Hofmann, 2006) unterstützt wird, zeigt sich in einem Trend zur massenhaften globalisierten Kooperation (Tapscott & Williams, 2007). Diese gleichberechtigte produktive Zusammenarbeit, die nach einer Begriffsschöpfung „Peer Production“ (Benkler, 2007) genannt wird, verschmelzt Informationsaustausch und Produktionsmittel. Das Internet integriert neben bloßen Informationsfunktionen nun auch Produktionsaufgaben; die Nutzer sind nicht mehr bloß Konsumenten von Informationen, sondern nehmen an der Produktion von Informationen und Wissen aktiv teil: aus Consumer und Producer wird der „Prosumer“ (Riley, 2007). 5. Strukturwandel der Bildungsanforderungen: Wir erleben eine langfristig angelegte strukturelle Veränderung der Arbeits- und damit beruflichen Bildungserfordernisse: War früher der größte Be-

41.2 Blended-Learning-Szenarien

507

völkerungsanteil mit Industriearbeit beschäftigt, so gab es inzwischen eine zweimalige strukturelle Verschiebung der Arbeitsstrukturen, der über die Zwischenstation des angewachsenen Dienstleistungssektors zur enorm gesteigerten Rolle von kreativer Arbeit („Wissensarbeit“) geführt hat. Nahezu die Hälfte des nationalen Bruttosozialprodukts – und damit etwa soviel wie Industrie- und Dienstleistungssektor zusammen – wird heute durch die so genannte „kreative Klasse“, die bereits einen Bevölkerungsanteil von 25–30 % ausmacht, generiert (Florida, 2002). Zur „kreativen Klasse“ zählt Florida alle Professionalisten in Wissenschaft und Entwicklung, Lehre und Unterricht, Architektur und Design, Musik und Unterhaltung, Management und Finanzen, Judikatur und Politik sowie der Gesundheitsberufe. Aus Platzgründen untersuche ich bloß zwei Aspekte von Online-Lernen, worin sich diese neuen Trends abzeichnen: Blended-Learning-Arrangements und Informelles Lernen. Sie stellen jene Punkte dar, die sich prototypisch am jeweiligen Ende einer Skala der neueren Entwicklungen befinden: Während das didaktische Design von Blended-Learning-Umgebungen bereits zum aktuellen Handwerkzeug gehört, befindet sich die Nutzung von E-Learning für Informelles Lernen erst am Beginn seiner Entwicklung.

41.2

Blended-Learning-Szenarien

„Blended Learning“ kann mit „Vermischtes Lernen“ (Reinmann-Rothmeier, 2003, S. 19) übersetzt werden. Für das didaktische Design von Blended-Learning-Szenarien müssen sowohl Phasen der Präsenz, des Online-Lernen (= betreutes E-Learning) und Selbstlernphasen „gemischt“ werden. Um aber die von der Europäischen Kommission geforderte Durchlässigkeit (= transnationale Mobilität) der nationalen Lernsysteme sicher zu stellen, müssen zusätzliche entsprechende einschlägige Bestimmungen beachtet werden: • • • • • •

das Europäische System zur Anrechnung von Studienleistungen (ECTS) (Directorate-General for Education and Culture, 2004) das Europäische Leistungspunktesystem für die Berufsbildung (ECVET) (European Commission, 2008a) Europass (Cedefop, 2004; European Commission, 2006) Europäische Qualitätscharta für Mobilität (EQCM) (EG, 2007) Europäischer Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQR) (European Commission, 2008b) Europäische Grundsätze für die Ermittlung und Validierung von nicht-formalen und informellen Lernprozessen (Rat der Europäischen Union, 2004).

41.2.1

Strukturelle Überlegungen

Für die didaktische Gestaltung von Blended-Learning-Szenarien sind es vor allem vier Aspekte, die für strukturelle Überlegungen maßgeblich sind: 1. Lernziele: Die Erreichung der Lernziele wird, entsprechend der im EQR festgelegten 8 Qualifikationsniveaus, in Lernergebnissen gemessen. Es werden dabei Kenntnisse (Wissen), Fähigkeiten

508

41 Die zukünftige Bedeutung des Online-Lernens für lebenslanges Lernen

und Kompetenzen unterschieden. Sowohl das didaktische Arrangement als auch die Prüfung des Lernerfolgs müssen diesen Lernzielen entsprechen. 2. Lernzeit: Hier ist die zur Erreichung des Lernziels geplante bzw. notwendige Lernzeit gemeint. Als Umrechnung gilt dabei, dass für Vollzeitlernende pro Jahr maximal 60 Punkte (ECTS oder ECVET) vergeben werden können. Bei der Umrechnungsquote 1 Leistungspunkt = 25–30 Lernstunden entspricht das 1500–1800 Lernstunden pro Jahr. Gerechnet werden dabei alle für die Erreichung des Lernziels notwendigen Aktivitäten wie Lesen, Teilnahme an Präsenzveranstaltungen, Vorbereitung für Prüfungen, die Prüfungszeit selbst und natürlich auch die Zeiten für Hausarbeiten, Übungen und Online-Aktivitäten wie die Beteiligung an Foren, Chats, Entwicklung von Inhalten in einem Wiki, etc. 3. Curriculum: Das Lehrprogramm legt nicht nur die Lernziele und Lernzeiten fest, sondern auch das dafür gewählte Mischungsverhältnis zwischen Präsenz-, Online- und Selbstlernphasen. Das gewählte Zeitverhältnis der verschiedenen Lernmodi zueinander (d. h. die Anteile von Präsenz-, Online- und Selbstlernzeiten bezogen auf die notwendige Lernzeit des gesamten Moduls) prägt ganz wesentlich die didaktische Gestaltung der Lerneinheit. 4. Modularisierung: Um Mobilität mittels gegenseitiger Anrechenbarkeit zu erhöhen, muss die Lernzeit in Bezug auf die Lernziele ausgewiesen werden und zu einem entsprechenden modular aufgebauten Curriculum integriert werden. Das Beispiel 0 in der Abb. 41.1 zeigt die Organisation eines Lernmoduls von 3 ECTS (75 Lernstunden oder Unterrichtseinheiten). Die in der Mitte des Moduls liegende Präsenzphase wird von betreutem Online- und individuellen Selbstlernphasen umrahmt. Für die didaktische Struktur des BlendedLearning-Arrangements ist sowohl die (relative) Größe des Präsenzanteils als auch seine zeitliche Positionierung innerhalb des Moduls entscheidend. In der Praxis meines Departments beachten wir bei der Entwicklung des Curriculums an der DonauUniversität Krems folgende Abfolge von Entscheidungsschritten: 1.

Festlegung einer durchschnittlichen Modulgröße, z. B. 3 ECTS = 75 Lernstunden. Zwar ist es durchaus möglich, die Module unterschiedlich groß zu gestalten (z. B. von 2–6 ECTS) aber eine einheitliche Modulgröße erleichtert den „Zusammenbau“ des Curriculums und die Wiederverwendung von Modulen in anderen Lehrplänen. 2. Festlegung einer durchschnittlichen Mischungsrate von Präsenz- zu Online- und zu Selbstlernzeiten. Diese Entscheidung stellt eine wichtige Information für die Lernenden zur „Studierfähigkeit“ des Curriculums dar und ist gleichzeitig auch ein Eckpunkt für die Kostenkalkulation. Das gewählte Mischungsverhältnis ist natürlich unter anderem vom Inhalt des Curriculums abhängig. Bei unserem Masterlehrgang eEducation haben wir beispielsweise einen geringeren Anteil an Präsenzzeiten (1 Tag = 10 Lerneinheiten, das entspricht etwa 15 % in einem 3 ECTS-Modul) als bei anderen Lehrgängen (ca. 30 %). 3. Festlegung des didaktischen Designs der einzelnen Module inkl. der zeitlichen Positionierung der Präsenzphasen. Je nachdem, wie die Präsenzzeiten im Laufe der notwendigen Lernzeit angeordnet sind, lassen sich am Beispiel von eEducation 6 Strukturvariationen von Blended-LearningSzenarien (Beispiele 1–6 in der Abb. 41.1) unterscheiden (Sankofi & Szucsich, 2007).

41.2 Blended-Learning-Szenarien

Abb. 41.1:

41.2.2

509

Beispiele der Verteilung der Präsenzphasen innerhalb eines Blended-Learning-Moduls

Mischungsformen von Blended-Learning-Szenarien

Wenn wir wie Michael Polanyi davon ausgehen, dass Lernen immer mit einem individuellen subjektiven Lernerlebnis verknüpft ist (Polanyi, 1974, 1985), dann ist verständlich, dass in den meisten Mischungsformen immer ein gewisser – häufig sogar recht hoher – Anteil individuelles Selbstlernen notwendig ist. Die nachfolgende Tabelle stellt einige prototypische Mischungsformen von BlendedLearning-Szenarien zusammen: Nr.

Präsenz

Online

Selbstlernen

Bemerkung, prototypische Mischungsformen

1

33 %

33 %

33 %

Gleichverteilung

2

20 %

40 %

40 %

hoher Anteil von Online mit geringem Präsenzanteil

3

40 %

20 %

20 %

hoher Anteil Präsenz mit geringem Anteil individuellem Selbstlernen

4

20 %

20 %

60 %

Prototyp von Blended Learning

5

20 %

60 %

20 %

hoher Anteil Online-Lernen

6

50 %

0%

50 %

Präsenzstudium

7

60 %

20 %

20 %

Präsenzstudium mit unterstützendem Online-Lernen

8

0%

20 %

80 %

Fernstudium: Distance Education

9

0%

0%

100 %

Fernstudium: Korrespondenzstudium

Tab. 41.1:

Prototypische Blended-Learning-„Mischungs“-Szenarien

510

41 Die zukünftige Bedeutung des Online-Lernens für lebenslanges Lernen

In diesem Abschnitt habe ich versucht zu zeigen, wie betreutes E-Learning mit traditionellem Präsenzlernen verschränkt wird. Die Gestaltung von Blended-Learning-Szenarien gewinnt damit eine neue Qualität, weil es nicht genügt, wenn – wie bisher – bloß didaktische Settings für das Präsenzlernen entwickelt und durchgeführt werden, noch es ausreichend ist, wenn auf das Design von Online-Lernen fokussiert wird. Es geht vielmehr darum, dass die Schnittstellen dieser beiden Modi in den Blickpunkt der Gestaltung gerückt werden.

41.3

Informelles Lernen mit „Social Software“

41.3.1

Kompetenzorientierung

Obwohl ich davon ausgehe, dass das Design von Online-Szenarien in den nächsten Jahren nach wie vor eine wichtige Bedeutung hat – schon alleine deshalb, weil laufend neue bildungstechnologische Werkzeuge entwickelt werden, deren pädagogisch-didaktische Potenziale es zu erkennen und auszuloten gilt – wird in Zukunft der Fokus der Aufmerksamkeit sich zunehmend auf das ganzheitliche Design von Blended-Learning-Arrangement verlagern. Die integrative Sichtweise zur Gestaltung von Blended-Learning-Szenarien ist jedoch nicht ausreichend. Es sind vor allem zwei wesentliche Punkte, die von der Weiterbildungsforschung betont werden und in der obigen Betrachtung von Blended-Learning-Arrangement noch nicht angesprochen sind: 1. Lernen ist nicht in erster Linie von der Angebotsseite, d. h. von der anbietenden Institution (Schule, Universität, Betrieb, Erwachsenenbildungseinrichtung) zu sehen, sondern ist vor allem ein Bestandteil des Lebenslaufs und der eigenen, individuellen Kompetenzentwicklung. Die lebensgeschichtliche Verankerung und damit auch die Entwicklung biographischer Gestaltungskompetenz sind daher stärker in den Blick zu nehmen. Das erfordert ein neues Verständnis von Bildungsinstitutionen, die stärker auf die Lern- bzw. Lebensbedürfnisse ihrer Teilnehmer, deren Lernbiografien, Lebenslaufstrategien, Lebenslagen und Erfordernissen zur Entwicklung individueller Kompetenzen eingehen müssen (Jütte, 2008). 2. Es wird immer deutlicher, dass Lernen überwiegend nicht in vorbereiteten formalen Bildungsarrangements wie Schule, Universität etc. stattfindet, sondern praktisch nebenbei in Settings, die weder für Lernprozesse entwickelt, noch wegen ausdrücklicher Lernziele aufgesucht werden (Dohmen, 2001; Cross, 2006; Zürcher, 2007). Damit gewinnen zwei neue Überlegungen an Bedeutung: •



Wie sollen Kompetenzen, die nicht in formalen Bildungsinstitutionen erworben worden sind, anerkannt werden? AP(E)L = „Accreditation of Prior (Experiential) Learning” ist ein internationaler Trend, der an Bedeutung gewinnen wird (Quality Assurance Agency for Higher Education, 2004; Corradi, Evans & Valk, 2006). Wie soll die individuelle Kompetenzentwicklung außerhalb formaler Lernsituationen unterstützt, erfasst und bilanziert werden? (vgl. dazu die umfassende Diskussion bei Gnahs, 2007).

41.3 Informelles Lernen mit „Social Software“

511

Individualisierte Kompetenzorientierung außerhalb formaler Lernsettings kann durch Werkzeuge wie Wikis, Blogs, E-Portfolio und „Social Software“ wesentlich unterstützt werden. Ich möchte diese Tendenz am Beispiel von „Social Software“ demonstrieren.

41.3.2

„Social Software“

Manchmal wird unter der Bezeichnung „Social Software“ ganz allgemein eine Kategorie von Software verstanden, die menschliche Interaktion und Zusammenarbeit unterstützt. Ich halte diese Definition jedoch zu weit gefasst, weil danach „alte“ Werkzeuge wie Gruppenkalender, Instant Messaging etc. ebenfalls unter „Social Software“ zu inkludieren wären. Der Begriff Social Software ist in der Fachliteratur nicht ganz übereinstimmend. Im Beitrag von Bernhard, Kirchner und Klosa wird eine Systematik von Social Software verwendet, die bei der Charakteristika den Fokus auf eine andere Betrachtungsebene richtet. Ich möchte für meine nachfolgende Argumentation eine eingeschränkte und spezifischere Sichtweise von „Social Software“ vorschlagen: Während Web 1.0 durch HyperLinks Daten miteinander verknüpft, setzt Web 2.0 durch „Social Software“ Personen zueinander in Verbindung. Und zwar – im Unterschied zu den traditionellen Groupware-Anwendungen – in einer ganz spezifischen Art und Weise, nämlich von „unten“ nach „oben“. Ausgehend von den eigenen individuellen Interessen hilft „Social Software“ Personen mit gleichen inhaltlichen Vorlieben zueinander in Kontakt zu bringen (Baumgartner, 2006). Nach Hippner (2006, S. 7f.) zeichnet sich „Social Software“ durch die folgenden 6 Eigenschaften aus: • • • • • •

Im Mittelpunkt der „Social Software“ steht das Individuum bzw. die Gruppe. „Social Software“ unterliegt der Grundidee der Selbstorganisation. Es wird eine soziale Rückkopplung (Social Feeback) in Form von Social Ratings (Zahl der Querverweise, Kommentare, Punkte etc.) unterstützt. Der Fokus liegt weniger auf der einzelnen Information, sondern vielmehr auf der Struktur, die aus der Verknüpfung der Information erwächst. Das Individuum integriert sich in die Gruppe, d. h. eine reine „One-to-one“-Kommunikation wird nicht gewünscht. Personen, Beziehungen, Inhalte und Bewertungen sollen sichtbar gemacht werden.

Wenn wir „Social Software“ in formalen Bildungssettings einsetzen wollen, dann müssen wir diesen speziellen Softwaretypus – gemäß seiner zentralen Charakteristik – zum „Verknüpfen“ von Menschen mit gleichen Interessen einsetzen. Das ist aber in mehrfacher Hinsicht nicht einfach: Erstens steuern wir in formalen Bildungsarrangements nicht nur die zeitlichen Abläufe, sondern kontrollieren auch welche Personen Zutritt zum Bildungsangebot haben. Zweitens widerspricht schon das Wort „Bildungsangebot“ und das dahinter stehende und zu erfüllende Curriculum der Idee des informellen, zwanglosen, freiwilligen und en passant Lernens. Eine Lösung dieses Problems könnte darin bestehen, dass wir „Social Software“ als Methode zur Lösung von Fragestellungen anwenden. Die Fragestellung selbst wird von der Bildungsinstitution (formales Lernen) vorgegeben; die Methode der Umsetzung jedoch verwendet „Social Software“ und „sprengt“ damit den von der Institution betreuten Rahmen. Wir haben hier als Lehrende (im traditionel-

512

41 Die zukünftige Bedeutung des Online-Lernens für lebenslanges Lernen

len Verständnis) bei Sozialkontakten einen ähnlichen Kontrollverlust wie wir ihn bezüglich von Inhalten (Content) durch das Internet bereits längere Zeit kennen. Ein möglicher Rettungsanker für eine Kontrolle der Inhalte und Sozialkontakte wird häufig in der Nutzung eines Lern-Management-System (LMS) gesehen, auf das wir bereits vorgefertigten, nur für unsere Lernenden bestimmten Inhalt hinauf laden und wo wir das Knüpfen sozialer Kontakte durch Registrierung und eine vom System verwaltete Gruppenbildung kontrollieren können. Nicht zu unrecht, macht sich Kerres (2006) über diese falsche Fürsorge von Lehrenden angesichts der in den Weiten des Internets vorhandenen Inhalte lustig und bezeichnet die Lern-Management-Systeme als „Lerninseln“. Wenn wir das Netz offen halten, dann können wir nicht mehr den Zugang zu den Inhalten steuern, haben also keine inhaltliche Kontrolle mehr. Wenn wir „Social Software“ in vollem Umfang ihrer Funktionen zulassen, dann können wir die sozialen Kontakte, die bei ihrer Nutzung entstehen, ebenfalls nicht mehr steuern. Das ist ein didaktisches Setting, das nicht für alle Bildungsinstitutionen (z. B. Grundschule) gleichermaßen geeignet ist; zumindest aber für die Erwachsenenbildung durchaus Sinn macht. Ein Beispiel soll diesen Perspektivenwechsel (und Kontrollverlust) verdeutlichen: So können z. B. „Social Software“-Websites wie CiteULike65, BibSonomy66 oder Connotea67 zum Bibliografieren im Rahmen einer Seminararbeit dazu verwendet werden, um mit Menschen in Kontakt zu kommen, die an Literatur zum gleichen Thema interessiert sind. Statt aber wie früher (= ohne „Social Software“) von einem zentralen Buch („Advances Organizer“) auszugehen und in dessen Literaturliste nach anderen relevanten Bücher zu suchen (Baumgartner & Payr, 2001) wird von einer Literaturreferenz nach Personen mit gleich gelagerten Interessen gesucht. Statt von Publikation zu Publikation, wird von Publikation zu Person, bzw. von Person mit gleichartigen Interessen (Literaturquellen) zu Publikation recherchiert. Charakteristisch für diese Verwendung von „Social Software“ ist es, dass der Rahmen traditioneller Bildungsarrangement und damit des formalen Lernens teilweise verlassen wird. Zwar bleibt noch der Ausgangspunkt (die Fragestellung) als auch der Endpunkt (die Lösung) innerhalb der Bildungsinstitution, die eigentlichen Bildungsprozesse finden jedoch zum Teil als informelles Lernen außerhalb der Einrichtung statt.

41.3.3

Zusammenfassung

Die in diesem Beitrag angeführten fünf Trends bedeuten einen absehbaren Bedeutungszuwachs von Online-Lernen für das lebenslange Lernen, •

weil andere Zielgruppen außerhalb formaler Bildungsinstitutionen bedient werden wollen,

65

CiteULike: A free online service to organise your academic papers. http://de.citeulike.org/

66

BibSonomy: A blue social bookmark and publication sharing system. http://www.bibsonomy.org/ [Zugegriffen Mai 28, 2008]

67

Connotea: free online reference management for clinicians and scientists. http://www.connotea.org/

41.3 Informelles Lernen mit „Social Software“ • •

513

weil eine Verkürzung der Erstausbildungszeiten mit einer gestiegenen Bedeutung von professioneller Weiterbildung bzw. lebenslangen Lernen einhergeht, aber auch weil neue Möglichkeiten durch technologieunterstützte Lernprozesse wie z. B. Mobile Learning (Wagner, 2005), (Keegan, 2003) für neue Bevölkerungsschichten wie z. B. OLCP = One Laptop Per Child Bewegung68 wahrgenommen werden können.

Die Zukunft von Online-Lernen hängt generell mit einem Perspektivenwechsel zusammen, den ich an zwei Beispielen aufzuzeigen versucht habe: •



Statt bloß die Aufmerksamkeit auf die didaktische Gestaltung der einzelnen Online-Szenarien zu richten, müssen wir in einer integrativen Sichtweise unseren Blick auf das gesamte BlendedLearning-Arrangement richten. Statt bloß formale Lernsettings zu untersuchen, müssen wir unsere Forschung auf informelle Lernprozesse im Arbeits- und Lebensalltag erweitern.

Online-Lernen wird gerade wegen der zunehmenden Differenzierung und Individualisierung von Lernprozessen im Alltag an Bedeutung gewinnen. Die lebensgeschichtliche Verankerung der Lernenden muss dabei stärker in den Fokus der Betrachtung kommen. Es geht um die Gestaltung der eigenen Lernbiografie und damit um die Entwicklung von biographischer Gestaltungskompetenz statt um die bloße Aneignung fachlichen Wissens.

68

One Laptop Per Child News. http://www.olpcnews.com/. One Laptop per Child (OLPC), a low-cost, connected laptop for the world's children's education. http://laptop.org/

Glossar Active social storytelling Bei Online-Lernangeboten beeinflussen die Lernenden den Verlauf des Geschehens nicht alleine, sondern durch Zusammenarbeit mit anderen Benutzern im World Wide Web. Die Beschreibung des Handlungsablaufes im Drehbuch erfolgt durch Angabe möglicher Online-Angebote, zum Beispiel eines Forum oder RSS-Reader, und daraus resultierende mögliche Konsequenzen. ACT -Theorie (Adaptive Control of Thought) 1983 von John R. Anderson entwickelte Theorie. Sie beinhaltet die Architektur für ein Produktionsmodell, das die menschliche Kognition simulieren soll. Seine Theorie unterscheidet Wissen nach deklarativen [Æ deklaratives Wissen] und prozeduralen [Æ prozedurales Wissen] Aspekten. Adaptierbarkeit ein Lehr- und Informationssystem ist dann adaptierbar, wenn es (auf der Grundlage einer extern vorgenommenen Diagnose durch extern vorgenommene Eingriffe) so eingestellt werden kann, dass es dem Unterstützungsbedarf der Lernenden möglichst gut entspricht. Adaptives Lernsystem ist ein Lernsystem, das sich während des Lernprozesses selbst an den Lernenden anpasst. [Æ Intelligentes Tutorielles Systeme (IST)] Adaptivität ist die Eigenschaft eines Lehr- und Informationssystems, selbst den Unterstützungsbedarf der Lernenden zu diagnostizieren und als Ergebnis der Diagnose seine Lehrtätigkeiten an die Bedürfnisse der Lernenden anzupassen. Affektive Lehrziele Affektive Lehrziele beschreiben die Ausbildung von Interessen, Einstellungen, Werten, die Bildung von (moralischen) Werturteilen sowie ein danach ausgerichtetes angemessenes Verhalten. Akkommodation nach Piaget Veränderung bestehender kognitiver Schemata oder die Bildung neuer Schemata als Reaktion auf neue Informationen.

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Akzeptanz ist ein positiver subjektiver Eindruck, den Nutzer von einem elektronischen Lernangebot haben. Die Akzeptanz wird mittels psychologischer Methoden wie Beobachtung und Befragung ermittelt und ist entscheidend für die Zuwendung zum bzw. Anwendung des Lernangebots durch die Nutzer. Alias ein anderer Name („Künstlername“) eines Nutzers. Anchored Instruction – Ansatz (Geankerte Lehre) In den Jahren 1990-1994 von der Cognition and Technology Group at Vanderbilt University entwickelter pädagogisch-methodischer Ansatz. Mit dem Anchored Instruction-Ansatz kreierte Lernumgebungen zielen vornehmlich auf explorierendes, offenes Lernen [Æ exploratives Lernangebot] ab. Zur Erhöhung der Anwendbarkeit des Wissens werden unterschiedliche Problemsituationen und Anwendungskontexte angeboten, wodurch die Dekontextualisierung des situiert erworbenen Wissens sichergestellt werden soll. Kennzeichnend für den Ansatz sind die möglichst multiplen Kontexte [Æ multiple Perspektiven] aus denen das Wissen gewonnen wird. Der Lernende erfährt schon während des Wissenserwerbs, ob es sich um übertragbares oder situationsspezifisches Wissen handelt und wie dieses angewendet werden kann. AP(E)L - Accreditation of Prior (Experiential) Learning steht für eine festgelegte Prozedur, die auf Anerkennung und Zertifizierung von Kompetenzen abzielt, die auch nicht-formales Lernen [Æ Lernen, nicht-formales] – und in Zukunft vielleicht auch informelles Lernen [Æ Lernen, informelles] – mit einschließt. Applet ist ein kleines Computerprogramm, das im Kontext eines anderen Programmes läuft (z. B. eines Webbrowsers). Meistens bietet es direkte Interaktionsmöglichkeiten mit dem Nutzer. Application, Applikation steht für ein Computerprogramm (Anwendungsprogramm) mit einer für den Anwender nützlichen Funktion. Äquilibration nach Piaget, kognitiver Prozess der Herstellung eines psychischen Gleichgewichts (Äquilibrium) zwischen ÆAssimilation und ÆAkkommodation als Reaktion auf Informationen aus der Umwelt. ARCS-Modell Anfang der 1980er Jahre von John Keller und seinen Mitarbeitern entwickeltes Modell, das insbesondere Aussagen über die Motivierung des Lernenden trifft. Keller unterscheidet vier Hauptkategorien der Motivierung: Attention, Relevance, Confidence und Satisfaction, nach deren Anfangsbuchstaben das Modell benannt ist.

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Assimilation nach Piaget; ist ein Prozess der Annahme bzw. Einfügung neuer Informationen in vorhandene kognitive Schemata. ATI-Forschung Forschung zur Aptitude-Treatment-Interaction, zur Wechselwirkung (interaction) zwischen individuellen Lernvoraussetzungen (aptitude) und eingesetzten Lehrmethoden (treatment). Attachment Anhang einer Datei (meist an eine E-Mail-Nachricht oder einen Forumsbeitrag). Authentischer Anwendungskontext ist die möglichst realistische Präsentation einer Problemstellung bzw. eines Aufgabenkontextes, wie man sich in der realen Praxis darstellen würde. Damit wird das Ziel verfolgt, dass der Lernende vielfältige und realistisch eingebettete Lernerfahrungen sammeln kann. Das Training praxisrelevanter Handlungsabläufe steht hierbei im Vordergrund. Der Grad der Komplexität und Authentizität, des zur Lösung angebotenen Wissensbestandes, wie der Einsatz von Erläuterungen, Hinweisen, Hilfen etc., ist jedoch an den Wissens- und Erfahrungsstand des Lernenden anzupassen, bzw. dem Lernenden ist eine solche Anpassung der Lernumgebung an seine Bedürfnisse zu ermöglichen. Autorensprache Autorensprache wird meistens in Form von sog. Scripts (angelehnt an Programmiersprachen) realisiert und ist auf die Besonderheiten von Autorensystemen ausgerichtet. Autorensystem Software für die interaktive Entwicklung von Nutzungsangeboten (z. B. Lernsystemen). Avatar virtuelle Figur/Person, mit der sich ein Nutzer identifizieren und deren Interaktionen mit anderen Avataren er in einer virtuellen Realität offline oder online steuern kann. Barrierefreiheit Webseiten, die so gestaltet sind, dass sie für Menschen mit eingeschränkten Wahrnehmungsfähigkeiten (z.B. Sehbehinderungen) mit technischen Hilfsmitteln zugänglich sind. Befragung Erfassen der Meinung oder Einschätzung eines Nutzers zu einem Nutzungsangebot (z. B. Lernprogramm). Die Befragung kann mündlich meist mit Hilfe eines Leitfadens (z. B. strukturiertes Interview) oder schriftlich mit Hilfe eines Fragebogens erfolgen.

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Behaviorismus Der Behaviorismus als lerntheoretischer Ansatz orientiert sich an beobachtbarem Verhalten. Demzufolge sind auch die unter diesem Gesichtspunkt formulierten Lernziele auf die Nachweisbarkeit des Verhaltens der Lerner ausgerichtet. Nach dem behavioristischen Ansatz muss das zu erreichende Zielverhalten genau beschrieben werden, um Verstärkungsmechanismen festlegen zu können, die den Aufbau des gewünschten Verhaltens gewährleisten. Die Operationalisierbarkeit von Lernzielen, d. h. beispielsweise ihre mediale Umsetzung, stellt damit einen entscheidenden Faktor innerhalb des didaktischen Designs behavioristischer Ansätze dar. Beobachtung Erfassen des Verhaltens einer Testperson z. B. bei der Bearbeitung eines Lernangebot, direkt oder medienvermittelt. Ziel ist die Optimierung der Gestaltung von Lernangeboten. Beobachtungslernen [Æ Modelllernen] Bild, analoges bzw. Analogie-Bild Mit Hilfe einer bildlichen Analogie bzw. Metapher soll die Übertragung der Erkenntnisse aus einem vertrauten Wissensbereich (Basis-Domaine) in einen weniger bekannten Wissensbereich (ZielDomaine) unterstützt werden. Bild, logisches (s. Diagramm) Bild, realistisches Bild, das einen Gegenstand aufgrund von Ähnlichkeit mehr oder weniger wirklichkeitsgetreu repräsentiert z. B. Zeichnung, Gemälde, Foto). Bildungsportal Unter einem Bildungsportal versteht man eine Online-Plattform, über die in einheitlicher Weise Bildungsinformationen (Metadaten) und Bildungsinhalte (Lernobjekte) abgerufen werden können. Es handelt sich um einen Ort, an dem Anbietern und Nachfragern das Auffinden von (Weiterbildungs-) Angeboten ermöglicht wird. Das Bildungsportal ist nicht unbedingt ein elektronischer Marktplatz für die direkte Vermarktung, also für das elektronische Buchen, Bestellen und Abrechnen von (Weiterbildungs-) Angeboten oder aber die elektronische Bewertung und Zertifizierung erworbener Leistungen. Solche Funktionen werden meist in einem über das Bildungsportal zugangsgeschützt erreichbarem Lern-Management-System angeboten. Bildungssoftware Ganz allgemein alle Arten von Software, die bildend wirken können. Der Begriff umfasst sowohl Informationssoftware (z. B. elektronisches Lexikon), allgemeinbildende Software (z. B. Mozart und seine

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Werke), Lernsoftware (z. B. Sprachlernprogramme) als auch Anwendungssoftware (z. B. Tabellenkalkulationsprogramme). Die didaktische Komponente von Bildungssoftware ist für deren Wirksamkeit sowohl auf die Inhalte als auch auf die Nutzer abzustimmen. Blended Learning Kombination von Präsenzlernen im face-to-face-Kontakt mit E-Learning (und Print-Learning). Blickbewegungsmessung/Eye tracking Mit Hilfe spezieller Hard- und Software werden die Blickbewegungen von Versuchspersonen beim Betrachten von Präsentation auf dem Bildschirm aufgezeichnet und ausgewertet. Blickbewegungen werden in der Evaluation (s. Usability Testing) vorrangig eingesetzt, um Aufmerksamkeits- und Verarbeitungsprozesse bei der Rezeption von Informations-, Lern- und Werbeangeboten zu analysieren und daraus Rückschlüsse auf eine optimale Gestaltung zu ziehen. Blog s. Weblog Brainstorming Brainstorming dient als Kreativitätsmethode der Ideenfindung. Man sitzt dabei in Gruppen zusammen, um Ideen zur Lösung eines Problems assoziativ und ohne Wertung zusammen zu tragen. Erst nach dem Brainstorming wird eine Analyse und Bewertung der Ideen vorgenommen. Browsing Explorieren (im Sinne von „Herumstöbern“) in einer Hypertextbasis, die aus elektronisch miteinander vernetzten Informationsknoten besteht. Man kann gerichtetes und ungerichtetes Browsing unterscheiden, je nachdem ob es zielorientiert bzw. ohne eine bestimmte Zielsetzung erfolgt. Von assoziativem Browsing spricht man, wenn beim Lesen eines Textes, beim Betrachten einer Grafik oder bewegter Bilder bestimmte Aspekte, z. B. Wörter oder Details der Graphik, so attraktiv werden, dass man mehr darüber wissen möchte und deshalb auf die betreffende Information zugreift. Case-Based-Reasoning Bewältigung neuer Probleme durch kognitives Rückgreifen auf vorausgegangenen Erfahrungen in ähnlich gelagerten Fällen (cases). CBT (Computer Based Training) eine Bezeichnung für computerunterstützte Lernprogramme, die didaktisch aus den Ansätzen des Programmierten Unterrichts und des Instruktionsdesigns der 1970er Jahre (Instruktionsdesign der ersten Generation, ID1) abgeleitet werden. CBT ist für bestimmte Lernformen (Informationsvermittlung, Drill & Practice) gut einsetzbar und bezeichnet im Unterschied zu WBT [Æ Web Based Training] das Lernen offline am lokalen Computer.

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CD-ROM (Compact Disc Read Only Memory) eine Compact Disc für die Aufzeichnung von ca. 650 MByte digitaler Daten (vgl. Yellow Book). Aufgezeichnete Daten lassen sich nicht mehr modifizieren. CD-ROM/XA (Compact Disc Read Only Memory Extended Architecture) Diese erweiterte Form von CD-ROM kann in einem Sektor neben zeitunabhängigen Computerdaten (Text, Bild) auch zeitbasierte Daten (Audiosignale) enthalten. Change-Request-Liste Change-Request-Listen dokumentieren Änderungen am Drehbuch und priorisieren Wünsche für weitere Änderungen am Drehbuch. Chat bezeichnet die Online-Kommunikation zwischen Personen in nahezu Echtzeit. Für Web-Chats wird lediglich ein Browser benötigt. IRC-Chats und Instant-Messaging benötigen spezielle Software oder Web-Applets. Chunking Gruppieren einzelner Informationen zu größeren Sinneinheiten, sog. Chunks (Wissenspaketen), um diese kognitiv leichter verarbeiten und behalten zu können. CMS s. Content-Management-System Coaching Förderung spezifischer Fähigkeiten und Kompetenzen eines Lernenden unter Anleitung und Rückmeldung eines geübten Experten. Allgemein: Individuelle Beratung eines Coachee durch einen Coach mit dem Ziel der optimalen Nutzung seiner Ressourcen. Codes bzw. Symbolsysteme Codierung nach Colin ist die Kennzeichnung, Verkürzung oder Umwandlung häufig wiederkehrender Informationen. Der Grundgedanke der Kategorie Symbolsysteme ist, dass sich Botschaften in verschiedenen Formaten codieren und präsentieren lassen. Die prominenten Symbolsysteme in unserer Kultur sind das verbale und das piktoriale sowie das numerische System. Cognitive Apprenticeship-Ansatz 1989 von Collins, Brown & Newman entwickelter pädagogisch-methodischer Ansatz. Der Cognitive Apprenticeship-Ansatz orientiert sich am traditionellen Meister-Lehrling-Verhältnis, wobei der Lernprozess in einem direkten sozialen Kontext stattfindet, an dem Meister und Lehrling gleichermaßen beteiligt sind. In der computergestützten Lernumgebung sollen dabei die Prozesse, die traditionell in

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der Lehrlingsausbildung praktisch vollzogen werden, kognitiv simulativ stattfinden. Dem Ansatz werden viele Vorteile zugeschrieben. So soll die Beobachtung des Meister-Modells und eigene praktische Ausführung (Externalisierung) bestimmter Fertigkeiten, die Bildung des kognitiven Modells unterstützen. Dieses soll wiederum eine interpretative Struktur bereitstellen, damit Rückmeldungen, Hinweise und Korrekturen auf fruchtbaren Boden fallen. Letztendlich soll sich daraus die autonome Fähigkeit zur Reflexion entwickeln. Cognitive Map [Æ Kognitive Landkarte ] Community-tagged Content Collection von einer Gemeinschaft (z. B. aller aktiver Internetnutzer) aufgebaute Inhaltesammlung, wobei alle Inhalte mit sog. tags (Anmerkungen, Stichworte) versehen sind. Component Display Theory (CDT) 1983 von M. David Merrill in Anlehnung an Robert M. Gagnés entwickeltes Modell mit dem Ziel, die Instruktionstheorie [Æ Theory of Instruction] um eine Operationalisierungsebene zu ergänzen, die es ermöglicht, Unterrichtsentscheidungen direkt abzuleiten. Merrill stellte dafür eine Matrix aus drei Leistungsniveaus auf: Erinnern, Anwenden, Entdecken und Lehrinhalten; geordnet nach Fakten, Konzepten, Prozeduren und Prinzipien. Computerkonferenz synchrone (gleichzeitige) oder asynchrone (zeitversetzte) Interaktion von Gruppenmitgliedern über ein Computernetz, entweder am gleichen Ort (sog. electronic meeting room) oder örtlich verteilt. Hauptformen sind herkömmliche Computerkonferenzen (Übertragung von Text und Grafik), VideoKonferenzen sowie „Desktop Conferencing“ (Übertragung von Text/Grafik als auch VideoInformation). Computer-Supported-Cooperative-Learning (CSCL) computerunterstütztes gemeinsames Lernen Computer-Supported-Cooperative-Work (CSCW) computerunterstütztes gemeinsames Arbeiten Content Bezeichnung für digitale Inhalte Content-Management-System (CMS) Datenbankgestützte Verwaltung von Inhalten und Zugriffsrechten, wobei die Darstellung der Inhalte über sog. Templates (Vorlagen) beliebig angepasst werden kann.

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CSCL s. Computer-Supported-Cooperative-Learning CSCW s. Computer-Supported-Cooperative-Work Curriculare Einbindung Unter curricularer Einbindung versteht man die Integration eines einzelnen Lehrangebotes in den Kontext eines gesamten, verschiedene einzelne Lehrangebote umfassenden Lehrplanes (Curriculum). Bei multimedialen Lernsystemen wird häufig versäumt, mögliche Formen curricularer Einbindung zu bedenken, was sowohl die Akzeptanz als auch die lernfördernde Wirkung solcher Lehrangebote vermindert. Data-Ink-Ratio ist der bei einem Diagramm auf die Datendarstellung entfallende Anteil an der verwendeten Druckerschwärze. Datenkompression Reduktion des Speicherbedarfs für digitale Daten. Deklaratives Wissen Gedächtnisinhalte, die sich auf Informationen (Fakten, Ereignisse) beziehen („Wissen was“). Sie werden im Bildungskontext als Kenntnisse bezeichnet, die der Lernende erwirbt. Depiktionale Repräsentation abbildende Repräsentation, die keine expliziten Relationszeichen enthält, sondern ihren Gegenstand aufgrund inhärenter Struktureigenschaften repräsentiert (z. B. analoge Modelle, Diagramme und realistische Bilder). Deskriptionale Repräsentation: beschreibende Repräsentation, die explizite Relationszeichen enthält (z. B. die natürlichsprachliche Beschreibung eines Gegenstandes mit Hilfe von Verben, Präpositionen usw. Desorientierung s. Konzeptuelle Desorientierung Diagramm Bildzeichen („logisches Bild“), das dem dargestellten Sachverhalt nicht in seiner konkreten Erscheinungsform ähnelt, jedoch mit ihm auf einer logisch-abstrakten Ebene durch gemeinsame Strukturmerkmale verbunden ist.

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Dialektische Konstruktivisten, lerntheoretische Position der ~ Dialektische Konstruktivisten liegen zwischen der endogenen [Æ endogene Konstruktivisten] und exogenen [Æ exogene Konstruktivisten] Position. Der Lernprozess wird durch Fragen und Hinweise unterstützt. Auf eine Vermittlung von fertig aufbereiteten Inhalten und Strategien wird jedoch verzichtet. Didaktische Transformation ist die Aufbereitung von Lehrinhalten in Form einer Sammlung und Gliederung sowie der anschließenden Gewichtung und Reduktion. Daraus folgt die Ableitung des angestrebten Leistungsniveaus bzw. des Wissenstyps nach deklarativem, prozeduralem und kontextuellem Wissen [Æ deklaratives Wissen] [Æ prozedurales Wissen] [Æ kontextuelles Wissen] und der didaktischen Umsetzung. Doppelkodierungstheorie von Paivio unterscheidet zwei Kodierungssysteme für die menschliche Informatonsverarbeitung von Text- und Bildinformationen: ein verbales und ein nonverbales (imaginales) Kodierungssystem. Bilder werden dieser Theorie zufolge in größerem Umfang sowohl imaginal als auch verbal kodiert und daher in der Regel besser erinnert als Texte. Drop-out Abbrecher Dual Code Theorie (Æ Doppelkodierungstheorie) ECTS Das European Credit Transfer (and Accumulation) System soll die gegenseitige Anrechenbarkeit von Studienleistungen innerhalb des Europäischen Hochschulraumes sicherstellen. ECVET Das European Credit System for Vocational Education and Training soll die Anrechenbarkeit von Qualifikationen innerhalb Europas sicherstellen und sich zu einem einheitlichen europäischen System für die berufliche Aus- und Weiterbildung entwickeln. Edutainment aus den Worten Education (Bildung) und Entertainment (Unterhaltung) zusammengesetzter Begriff als Bezeichnung für unterhaltsames Lernen mit Multimediaanwendungen. Elaboration Theory 1983 erweiterten Reigeluth und Stein die CDT [Æ Component Display Theory] unter der Bezeichnung Elaboration Theory auf die Makroebene. Ihre Theorie soll die Instruktionsplanung erleichtern und

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besteht aus sieben Komponenten, unter denen das verfügbare Handlungswissen über den Aufbau und die Sequenzierung von Kursen und Curricula zusammengefasst ist. E-Learning Darunter versteht man alle Formen von Lernen, bei denen digitale Medien für die Distribution und Präsentation von Lernmaterialien einschließlich der Unterstützung zwischenmenschlicher Kommunikation in Lernprozessen zum Einsatz kommen. E-Learning ist in zwei – oft verzahnten – Varianten anzutreffen: als Offline-Lernen, z. B. DVD, CD usw. [Æ Offline-Lernen] und als Online-Lernen, z. B. WLAN, Internet, LMS usw. [Æ Online-Lernen]. E-Lecture Videoaufzeichnung von Lehrveranstaltungen (zumeist Vorlesungen), gelegentlich auch als Lecture-onDemand (LoD) oder recorded lecture bezeichnet. Endogene Konstruktivisten, lerntheoretische Position der ~ Es sind nur die Lernvoraussetzungen in Form einer Lernumgebung zu schaffen. Die Erarbeitung des Wissens soll im Wesentlichen ohne Steuerung durch eine Lehrkraft (bzw. ein Lernprogramm) allein durch den Lernenden erfolgen. E-Portfolio Ein E-Portfolio ist eine digitale Sammlung von durchgeführten Leistungen und Erfolgen. Häufig dient sie als Werkmappe, Projektdokumentation oder Kompetenz-Profil. Dabei wird ein E-Portfolio aber nicht nur zur Darstellung von Lernergebnissen oder -produkten genutzt, sondern soll auch den Lernprozess widerspiegeln und zur Reflexion über das Gelernte beitragen, weshalb vor allem Weblogs als einem möglichen Bestandteil sehr große Potenziale zugewiesen werden. Ein vom Lerner persönlich geführtes E-Portfolio bietet damit auch besondere Chancen für lebenslanges und informelles Lernen. Evaluation Systematische Sammlung, Analyse, Bewertung von Daten zu einem Informations- bzw. Lernangebot mit dem Ziel, die Qualität dieses Lernangebots zu ermitteln, beurteilen oder zu verbessern. Evaluationskriterien Die Lernwirksamkeit eines multimedialen Lernsystems kann nur an Hand bestimmter Kriterien erfolgen. Hierzu gehören (1) die Akzeptanz des Lernsystems bei den Nutzern, (2) der Umfang des erworbenen Wissens, (3) die hierzu benötigte Studierzeit und (4) die genaue Erfassung des Studierverlaufs. Zusätzlich sollte die Lernwirksamkeit verschiedener plausibler Varianten desselben Lernsystems miteinander verglichen werden.

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Expertenrating Sammelbegriff für Evaluationsmethoden, bei denen Experten ein Lernprogramm nach bestimmten Kriterien basierend auf ihrer Erfahrung beurteilen, s. a. Kriterienkatalog, freie Analyse, Expert Walkthrough. Expert Walkthrough Evaluationsmethode, bei der ein oder mehrere Experten ein Informations- oder Lernangebot ganz oder in ausgewählten Teilen bearbeiten und dabei aufgrund ihrer Erfahrungen mit Lernenden beurteilen.. Exploratives Lernangebot In explorativen Systemen erfolgt die Sequenzierung des Lernangebotes durch den Lernenden selbst. Da aus kognitivistischer Sicht Wissenserwerb in ständiger Auseinandersetzung mit der Umwelt erfolgt und nicht nur aus temporal vorstrukturierten Unterrichtssequenzen besteht, ist es wenig zweckmäßig den Lernzuwachs als stetige Funktion über der Zeit zu erfassen. Stattdessen ist der Vorteil der Nichtlinearität zu betonen, da gerade Sackgassen und Rückschläge qualitativ neue Sichtweisen und Einschätzungen eröffnen und zu wiederholtem Bearbeiten eines Sachverhaltes anregen. Dennoch ist eine logische Strukturierung des Lernangebotes notwendig. Expositorisches Lernangebot Expositorische Lernangebote sind durch eine schrittweise Präsentation der Lehrinhalte und eine zeitliche Vorstrukturierung und damit instruktionale Lenkung des Lernenden gekennzeichnet. Extrinsische Motivation die Intention zu lernen, speist sich aus dem Wunsch, durch den Lernerfolg außerhalb des Lerninhalts liegende Ziele wie z. B. gute Noten, Belohnung, Anerkennung zu erreichen. D. h. die Lernmotivation ist außengesteuert. [ÆIntrinsische Motivation] Extrinsische Repräsentation Repräsentation, die explizite Relationszeichen enthält (z. B. die natürlichsprachliche Beschreibung eines Gegenstandes, die jeweils Verben, Präpositionen usw. beinhaltet). Eye tracking s. Blickbewegungsmessung Face-to-face (f2f) direkte Interaktion, von Angesicht zu Angesicht Feedback Rückmeldung zu gezeigten Leistungen

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Formales Lernen Lernen in einem institutionellen bzw. formalen Rahmen, in der Regel nach einem Curriculum mit einem formalen Bildungsabschluss(Zeugnis). Formative Evaluation Entwicklungsbegleitende Evaluation (oder Entwicklungs-Evaluation,) bedeutet das Überprüfen und Revidieren eines Lernangebots während der Entwicklungsphase zur schrittweisen Optimierung eines vorläufigen Produkts (Prototyps). Sie minimiert das Risiko eines totalen Misserfolgs des Gesamtprodukts. Frame in einer Lernsoftware wechselnde Einzelbilder, auch Szenen bzw. Bildschirme genannt, in einer bestimmten Reihenfolge. Diese Einzelszenen bezeichnet man als Frames. In Webseiten: (veraltete) Technologie zur Strukturierung von Webseiten. Insbesondere unter Aspekten der Barrierefreiheit ungünstig zu interpretieren. Freie Analyse Evaluationsmethode; ungeleitete Exploration eines Experten zur Evaluation eines Lernangebots (s. a. Expertenrating). Geführte Unterweisung (engl. Guided Tour) im Zusammenhang mit Hypertext/Hypermedia: Navigationsmittel zur systemgesteuerten Exploration einer Hypertextbasis entlang eines vorgesehenen Pfades. General Systems Design (GSD) Ist ein Grundmodell für das systematische Instruktionsdesign, welches die Arbeitsschritte Analyse, Planung und Entwicklung, begleitet von Evaluation und Revision beinhaltet. Dabei werden innerhalb der Analyse die Lernziele definiert sowie die Lernereigenschaften identifiziert. In der Planungsphase erfolgt die Auswahl und Vorbereitung des Lernstoffes und die Auswahl der Instruktionsmethode sowie deren geeigneten Visualisierung. Danach werden die Instruktionseinheiten entwickelt. Die Entwicklung wird von einer formativen Evaluation [Æ formative Evaluation] begleitet. Dann erfolgt die eigentliche Produktion der Lernsoftware, an die sich die summative Evaluation [Æ summative Evaluation] anschließt. Graphik-Schemata Kognitive Schemata, mit deren Hilfe beim Verstehen eines Diagramms räumliche Relationen zwischen graphischen Entitäten identifiziert und auf semantische Relationen der jeweiligen Inhaltsdomäne abgebildet werden.

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Groupware Softwaretyp und gleichzeitig Konzept einer computergestützten kooperativen Arbeitsweise, die ein breites Spektrum von Anwendungen sowohl im kommerziellen als auch Ausbildungsbereich umfassen mit jeweils unterschiedlichen Schwerpunkten zur Unterstützung von Kommunikation, Information und Koordination von Gruppen. Guide leitet den Lerner an und hilft bei der Bewältigung von Schwierigkeiten beim Lernprozess (s. Tutor). Hosting Bereitstellung von Hard-/ Software über das Internet/ Intranet durch ein externes Unternehmen. Im Speziellen können dies über Server angebotene Dienste (z.B. e-mail, CMS, LMS ) oder Speicherplatz für Medien sein. Hypermedia Auf der Hypertext-Technologie gründende Form der Repräsentation unterschiedlich kodierter Informationen. Die Unterscheidung zwischen Hypertext- und Hypermedia-Systemen bezieht sich – technologisch gesehen – primär nur auf Unterschiede in der Form der Kodierung der in der Datenbasis repräsentierten Informationen. Hypertext Von Vannevar Bush (1945) geprägter Begriff zur Beschreibung der nicht-linearen Repräsentation von Texten. Der Begriff „Hypertext“ wird heute in unterschiedlicher Bedeutung verwendet. Im Zusammenhang mit der computerbasierten Informationsrepräsentation versteht man hierunter zum einen die Technik der nicht-sequentiellen Repräsentation von Informationen in einem Netzwerk von Informationsknoten und elektronischen Verknüpfungen, zum anderen die Hypertext-Datenbasis (auch Hypertextbasis), in der die Informationsrepräsentation erfolgt. Information Broker Ein Information-Broker ist ein Makler im Bereich von Online-Technologien. Diese Rolle kann durch Personen oder technische Systeme übernommen werden. Informationsvermittler stellen fachspezifische Informationen auf der Basis von Recherchen zusammen (Information-Retrieval). In einigen Fällen konfigurieren sie aus diesen Informationen eine frei nutzbare Online-Datenbank (z. B. den Katalog eines Bildungsportals). Informationsknoten (engl. Node) Hypertextspezifischer Begriff zur Bezeichnung von Verzweigungspunkten zu inhaltlich verwandten Informationen auch in anderen Repräsentationsformen. Informationsknoten können unterschiedlich kodierte Informationen (z. B. Text, Graphik, Video) unterschiedlichen Umfangs enthalten.

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Informationsverarbeitung alle kognitiven Prozesse beim Wahrnehmen, Verstehen, Speichern, Behalten, Erinnern und Anwenden von Informationen. Informelles Lernen Lernen außerhalb eines institutionellen bzw. curricularen Rahmens. Es kann beabsichtigt und zielgerichtet oder auch spontan und beiläufig erfolgen. Instructional Design (ID) Modell ein Struktur- und Arbeitskonzept für die Realisierung des Systematischen Instruktionsdesigns für die Planung und Entwicklung von Lehr-Lernprozessen insbesondere von Lernsoftware und Medien. Es gibt inzwischen hunderte von ID-Modellen, die zum größten Teil dem instruktionistischen LehrLernparadigma folgen. Instruktion intentionale Bereitstellung von Angeboten zum Lernen bzw. zur Erreichung von bestimmten Zielen (z. B. von Lehr-, Lern-, Informations-, Unterrichts-, Erziehungs-, Trainings-, Bildungszielen). Instruktionsdesign (ID) Das Instruktionsdesign (ID) konzentriert sich darauf, innerhalb einer stärkeren Varianz die optimalen Methoden für das Erreichen bestimmter Lernziele unter Berücksichtigung der Bedingungen des Lernens und der Lernergebnisse vorzuschlagen und Planungsanleitungen anzubieten. Unter den Bedingungen des Lernens werden dabei die Faktoren oder Variablen verstanden, die die Effizienz der gewählten Methoden beeinflussen. Außerdem werden die Methoden hinsichtlich der Effektivität und der Attraktivität des Lern-/Lehrprozesses beurteilt. Das Instruktionsdesign strebt durch die Klassifizierung von Lernzielen und einer Zuordnung von Methodenvorschriften eine Automatisierung der Produktion von Lerneinheiten an. Instruktionsdesign der zweiten Generation (ID2) Die Kritik von M. David Merrill u. a. an vorhandenen Modellen des [Æ Instruktionsdesigns] Instruktionsdesign der ersten Generation (ID1), u. a. in Bezug auf die geringe Komplexität der Ziele, die Passivität der Lehrmodelle und den Aufbau von kleinen zu großen Zielen, brachte 1990 eine Modifikationen des Instruktionsdesigns hervor, bezeichnet als Instruktionsdesign der zweiten Generation (ID2). Unter anderen wurde eine Erweiterung bzw. Verbesserung durch Komponenten der Arbeitsersparnis, Hilfe durch Nutzung einer Wissensbasis sowie der Einsatz von Expertensystemen und eines Tutors, der die Lernziele automatisch in Unterrichtsmethoden umsetzen kann, vorgesehen. Instruktionsmedien sind Instrumente zur Optimierung der Wissensvermittlung im Unterricht. Sie übernehmen „objektivierbare“ Lehrfunktionen und haben sich insbesondere für Trainingsaufgaben als wirkungsvoll erwiesen (s. CBT, WBT).

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Instruktionsparadigma Lernen wird nach diesem alten didaktischen Konzept im Wesentlichen als Funktion von Lehren verstanden; dabei steht die lerneradäquate Vermittlung von Lehrinhalten durch einen Lehrenden bzw. durch ein Lehrsystem im Vordergrund. Fundierung in der Behavioristischen Psychologie, aber z. T. auch in der Kognitiven Psychologie (z. B. David Paul Ausubel) Rezeptives Lernen. Instruktionspsychologie Psychologie des Lehrens und Lernens; Psychologie des Lernens unter Einfluss des Lehrens. Instruktionstheorie Die Instruktionstheorie, die sich aus dem Behaviorismus entwickelte, stellt die Frage der Vermittlung von Wissen in den Vordergrund. Gegenstand der Betrachtung ist das WAS, d. h. die Lerninhalte in Form einer Menge von Fakten [Æ deklaratives Wissen], Regeln [Æ prozedurales Wissen], Konzepten, Prinzipien und Anwendungsbedingungen [Æ kontextuales Wissen], den daraus abgeleiteten Lehrzielen sowie dem WIE, d. h. der didaktischen Vermittlung durch geeignete Lehr- und Lernmethoden. Intelligentes Tutorielles System (ITS) ist ein Softwareangebot, das sich in hohem Maße an die kognitiven Prozesse des indviduellen Lernenden anpassen kann, indem es die Lernfortschritte und -defizite permanent analysiert und dementsprechend die didaktischen Aktionen während des Lernprozesses fortlaufend modifiziert. Die Realisierung solcher Systeme hat sich als sehr schwierig erwiesen. Interactive storytelling Bei Lernsoftware beeinflussen die Lernenden den Verlauf des Geschehens durch eigene Entscheidungen. Deshalb können die Einzelszenen im Drehbuch nicht linear beschrieben werden. Die Beschreibung des Ablaufs der Handlungen erfolgt über die Beschreibung der Interaktionsarchitektur. Interactive Whiteboards mit einem Computer verbundene weiße Spezialtafeln, in denen Schrift und Graphik, teilweise auch Formeln ähnlich wie auf einem >Tablet PC eingegeben und elektronisch weiterverarbeitet und in Tafelgröße projiziert wird. Interaktionsdesign anwendungsorientierte Disziplin, die sich mit der Entwicklung von Design-Modellen und ihrer praktischen Umsetzung bei der Entwicklung interaktiver Computersysteme befasst. Hinsichtlich der Gestaltung hypermedialer- und multimedialer Lernumgebungen greift sie auf das Grundlagenwissen der Lern- und Instruktionspsychologie, der Human-computer interaction-Forschung und der künstlerischen Designwissenschaften zurück.

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Interaktivität umfassender Begriff für solche Eigenschaften eines Computer-Systems, die dem Benutzer Eingriffsund Steuermöglichkeiten eröffnen, im Idealfall auch die wechselnde Dialog-Initiative von Mensch und Computer sowie die Interaktion zwischen Menschen via Computer-Netzwerk. Interface Bezeichnung sowohl für Benutzungsschnittstelle als auch Benutzungsoberfläche eines Computersystems. Die Benutzungsschnittstelle verkörpert die Funktionalität eines Systems, also die Eignung für bestimmte Aufgaben, während die Benutzungsoberfläche der am Bildschirm repräsentierte Teil der Benutzungsschnittstelle ist. Internet Klein geschrieben bedeutet internet eine Gruppe verknüpfter Netzwerke. Mit dem Internet (groß geschrieben) ist das größte Netzwerk von Netzwerken gemeint, dessen Rechner (Netzwerkknoten) über das Protokoll TCP/IP kommunizieren. Intrinsische Motivation Bei intrinsisch motivierten Lernenden ist besonders eine explorative Konzeption der Lernanwendung erfolgreich [Æ exploratives Lernangebot], da sich für diese Lernergruppe der Prozess des Entdeckens und Erforschens besonders motivierend auswirkt. Sie beschäftigen sich gern mit dem jeweiligen Lerngegenstand. Das Erreichen von externen Bewertungen (z. B. Benotung, Anerkennung) [ÆExtrinsische Motivation] interessieren diese Lerner weniger als die Lerninhalte und Lernprobleme an sich. Intrinsische Repräsentation Repräsentation, die keine expliziten Relationszeichen enthält, sondern ihren Gegenstand aufgrund inhärenter Struktureigenschaften repräsentiert (z. B. analoge Modelle, Diagramme und realistische Bilder) Involvement persönliche emotionale Miteinbezogenheit/ Beteiligung IRC (Inter Relay Chat) Internetdienst, der synchrone Online-Konferenzen ermöglicht. IRQ (Interrupt Request) Der Prozessor fragt über IRQ-Kanäle regelmäßig ab, welche Peripheriegeräte berücksichtigt werden müssen. Die Vergabe einer Kanalnummer legt auch eine Abfragehierarchie fest. Oft sind Konflikte der Multimediaerweiterungen eine Folge falsch zugeteilter Kanäle (Industrie PC).

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ISDN (Integrated Services Digital Network) E in universelles, dienstintegrierendes digitales Fernmeldenetz. Ein ISDN-Basisanschluss (S0) ermöglicht einen gleichzeitigen Betrieb von zwei Geräten mit Transferraten von je 64 KBit/s. Just-in-place (jip) genau dort, wo man gerade ist Just-in-time (jit) genau dann, wenn man es braucht Knoten s. Informationsknoten Knowledge-Management Wissensmanagement. Als E-Knowledge-Management meist unter Zuhilfenahme eines CMS. Kognitive Flexibilität Von Spiro, Coulson, Feltovich & Anderson (1988) entwickeltes Konstrukt zur Beschreibung der Anforderung an kognitive Strukturen und kognitive Prozesse bei der Verarbeitung von Informationen aus wenig strukturierten Gegenstandsbereichen. Wissensstrukturen werden entsprechend der Theorie der kognitiven Flexibilität als flexible mentale Strukturen verstanden. Diese bestehen aus einzelnen Wissenseinheiten, in denen unterschiedliche Bedeutungen von Wissen in unterschiedlichen Kontexten sowie unterschiedliche Perspektiven der Wissensnutzung repräsentiert sind. Kognitive Landkarte Unter einer kognitiven Landkarte versteht man ein mentales Modell, das ein Individuum über einen räumlich-geographischen oder einen begrifflichen Gegenstandsbereichs besitzt. Bezogen auf eine Lernsoftware bezeichnet man damit die Darstellung der sachlogischen Struktur. Kognitive Lehrziele Kognitive Lehrziele beschreiben das Erlangen und Verändern von Wissen über Fakten, Konzepte, Regeln, Prozeduren oder Prinzipien. Kognitive Medien Mit Hilfe Kognitiver Medien wird der Benutzer befähigt, die Steuerung und die Kontrolle des Lernprozesses selbst zu übernehmen und problemlösend, kreativ tätig zu sein. Man spricht daher auch von kognitiven Werkzeugen (cognitive tools). Die Lernaktivität der Benutzer ist sowohl eine Voraussetzung als auch eine Folge des Einsatzes von Kognitiven Medien. Kognitive Medien können technisch insbesondere auf der Basis von Multimedia realisiert werden und unterscheiden sich in ihrem Gestaltung deutlich von herkömmlichen didaktischen Medien (z. B. CBT).

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Kognitive Überlastung (engl. Cognitive Overload) von Conklin geprägter Begriff, der die übermäßige mentale Belastung eines Nutzers durch den Umfang eines Informationsangebots (z. B. die geforderte Unterscheidung zwischen besuchten und noch nicht besuchten Informationsknoten im Internet sowie deren Verknüpfungsstruktur) zum Ausdruck bringen soll. Kognitivismus, Lernprozess im ~ Entscheidend für den Prozess des Lernens aus kognitivistischer Sicht ist, wie der Lerner mit dem Lernangebot umgeht, d. h. welche kognitiven Operationen ausgeführt werden und ob diese geeignet sind, sich Wissen anzueignen. Charakteristisch für kognitivistische Ansätze ist, dass von der Klassifikation und Analyse der Lehrinhalte ausgegangen wird. Lehren soll sich immer zuerst an der Art der zu vermittelnden Inhalte orientieren. Begründet wird dieses mit der Annahme, dass verschiedene Arten von Lehr- und Lerninhalten in unterschiedlichen Subsystemen des Gedächtnisses verarbeitet und gespeichert werden. Um Wissen in diesen Subsystemen dauerhaft zu verankern, sind unterschiedliche kognitive Verarbeitungsprozesse erforderlich. Kompilat Sammlung von Gestaltungsempfehlungen für die Entwicklung von hypermedialen – und multimedialen Lernumgebungen, die auf empirisch psychologischem Grundlagenwissen beruht. Beispiel: Park & Hannafin (1993). Komplexes Ausgangsproblem Interessante, intrinsisch motivierende Aufgaben- bzw. Problemstellung [Æ intrinsische Motivation], die dem Lernenden mit der Aufforderung zur Lösung angeboten werden. Sie wecken die Neugier und dienen der Aktivierung des lernenden Handelns innerhalb der Lernumgebung. Konnektivismus Der Konnektivismus ist eine selbsternannte „Lerntheorie für das digitale Zeitalter“, die im Jahre 2004 von George Siemens, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Learning Technologies Center der University of Manitoba, entwickelt wurde und auf maßgebliche Veränderungen des Lernens als einem lebenslangen, zumeist informellen und zunehmend vernetzten Prozess hinweisen möchte. Das Lernen tritt demnach vor allem in vernetzten Strukturen oder Organisationen als etwas Verbindungsschaffendes auch außerhalb des Lernenden auf, entsteht aus dem Netzwerk durch Wissensaustausch und -ergänzung, ohne dass jeder sofort alles weiß. Siemens schließt Gemeinsamkeiten mit anderen Lernparadigmen nicht aus. Konstruktivismus, Wissen im ~ Aus konstruktivistischer Sicht wird Wissen im Akt des Erkennens konstruiert. Es existiert nicht unabhängig vom erkennenden Subjekt. Wissen wird dynamisch generiert und nicht fest gespeichert. Demzufolge kann es jemand anderem auch nicht ohne eigene Rekonstruktion „übermittelt“ werden. Die Repräsentationen des Wissens sind damit ständig neu interpretierte Darstellungsformen des Erkannten und keine statisch erstarrten Symbole. Innerhalb einer Aufgabenstellung gibt es immer mehrere Möglich-

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keiten der Konstruktion, die zu einer Lösung führen. In einer auf konstruktivistischen Konzepten beruhenden Didaktik wird deshalb besonders die aktive Auseinandersetzung des Lernenden mit der Aufgabenstellung betont. Bei der didaktischen Planung von Lernanwendungen steht die Rückbindung an die Kontextgebundenheit der Lerninhalte im Vordergrund. Konstruktivistische Ansätze Radikaler Konstruktivismus (auch philosophischer Konstruktivismus. vertreten z. B. von v. Glasersfeld), psychologischer bzw. individueller Konstruktivismus vertreten z. B. von Piaget, sozialer Konstruktivismus vertreten z. B. von Wigotsky, gemäßigter Konstruktivismus vertreten z. B. von Mandl) Konstruktivistische Lernumgebung Lernbedingungen bzw. Lernsituationen, die die Lernenden anregen, explorierend und problemlösend weitgehend selbständig zu lernen. Konstruktivistisches Lernen Lernen, bei dem die Eigenaktivität des Lernenden und eine das selbständige Lernen fördernde Lernumgebung im Vordergrund steht. Die Lernumgebung soll offen, situativ, authentisch und problemorientiert gestaltet sein. Kontextuelles Wissen Wissen, das Konzepte und Prinzipien vermitteln soll, unter welchen situationalen Bedingungen Kenntnisse [Æ deklaratives Wissen] und Fertigkeiten [Æ prozedurales Wissen] geeignet einzusetzen sind. Konzeptuelle Desorientierung Konzeptuelle Desorientierung entsteht, wenn Hypertext/Hypermedia-Nutzer nicht in der Lage sind, die semantische Bedeutung der aufgesuchten Informationen in die eigene Wissensstruktur zu integrieren und eine kohärente Wissensrepräsentation aufzubauen. Man beschreibt dieses Phänomen des Verlorengehens im Wissensraum auch mit dem Begriff „lost in hyperspace“ Korrespondenzhypothese Die Korrespondenzhypothese beruht auf der Vorstellung des Gedächtnisses als Speichersystem und geht davon aus, dass definiertes Wissen in diesem direkt gespeichert werden kann. Kriterienkatalog Evaluationsinstrument; Liste von Kriterien zur strukturierten Einschätzungen von Funktionen und didaktischen Aspekten von elektronischen Lernangeboten sowie zur Identifikation von UsabilityProblemen. Learning-just-in-place s. Just-in-place

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Learning-just-in-time s. Just-in-time Learning-Management-System Content-Management-System mit expliziter Ausrichtung auf Lernprozesse. Als Lernplattform oder Learning-Management-System (LMS) werden, im Unterschied zu einfachen Kollektionen von Lehrskripten oder Hypertexten auf Web-Servern, Software-Systeme bezeichnet, die über folgende Funktionen verfügen: (1) eine Benutzerverwaltung (Anmeldung mit Verschlüsselung), (2) eine Kursverwaltung (Kurse, Verwaltung der Inhalte, Dateiverwaltung), (3) eine Rollen- und Rechtevergabe mit differenzierten Rechten, (4) Kommunikationsmethoden (Chat, Foren) und Werkzeuge für das Lernen (Whiteboard, Notizbuch, Annotationen, Kalender etc.), (5) die Darstellung der Kursinhalte, Lernobjekte und Medien in einem netzwerkfähigen Browser. Learning on Demand (LoD) Lernen, zu dem Zeitpunkt, an dem es verlangt, benötigt bzw. nachgefragt wird. Lehren Tätigkeit, von der begründet angenommen wird, dass sie Lernprozesse positiv beeinflusst. Lernen, computerunterstütztes kollaboratives Bezeichnung für gemeinsam getragene Lernaktivitäten von Gruppenmitgliedern in computervernetzten Lernsituationen (siehe z. B. Computerkonferenzen); bezeichnet im Sinne von computer supported collaborative work (CSCW) außerdem einen Forschungsansatz, der sich auf damit zusammenhängende psychologische, pädagogische und technologische Fragestellungen richtet. Lernen, distribuiertes Bezeichnung für Bedingungsrahmen und Aktivitäten bei computerunterstützten kooperativen Lernformen mit Akzent auf örtlicher Verteilung (räumliche Distanz) der Lernenden. Lernen, formales Lernen, das typischerweise von einer Bildungsinstitution durch ein Curriculum (Lehrplan) zielgerichtet organisiert und betreut wird und bei erfolgreichem Abschluss zu einem Zeugnis führt. Aus der Sicht der Lernenden findet formales Lernen absichtlich und auf Grundlage einer bewussten Entscheidung statt. Lernen, informelles Lernen, das typischerweise im Rahmen von Aktivitäten des täglichen Lebens (Arbeit, Familie, Freizeit) unsystematisch und nicht in einer Bildungseinrichtung stattfindet, von keinem Curriculum strukturiert wird und auch zu keinem abschließendem Zertifikat führt. Gleichwohl kann es vom Lernenden systematisch (in Bezug auf Lernziele, Lerndauer und Lernmittel) gestaltet werden. In der Regel erfolgt es eher zufällig oder beiläufig, also ohne vorhergehende Absicht.

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Lernleistung Differenz des Wissens bzw. der Fertigkeiten zu Beginn einer Bildungsmaßnahme und nach ihrer Durchführung – also der Umfang des Lernzuwachses. Lernsoftware Software, die speziell für Lehr- und Lernzwecke konzipiert und programmiert wurde. Die didaktische Komponente liegt vor allem im Produkt, d. h. in der Software selbst und zeigt sich im Programmdesign, in der Gestaltung und Gliederung der Benutzeroberfläche, den vorgesehenen FeedbackMechanismen und Interaktionsmöglichkeiten der Benutzer. Lernumgebung Lernmaterialien und Lernaufgaben sowie situationale Bedingungen, wodurch erwünschte Lernprozesse ausgelöst werden sollen. Lernverhalten Parameter der Nutzung eines Lernangebots – Zeit und Ort, Intensität, Chunking, Kommunikationsverhalten etc. Lernwirksamkeit Einfluss von definierten Faktoren auf das Lernen und auf die Lernergebnisse. Lernzeit Zeit, die zum Erreichen definierter Lernziele benötigt wird. Weniger Zeit für gleichen Lernzuwachs bedeutet höhere Effizienz. Lernzuwachs s. Lernleistung Linear storytelling Bei Filmen steht der Verlauf des Geschehens fest und kann nicht durch eigene Entscheidungen beeinflusst werden. Deshalb werden im Drehbuch die Einzelszenen der Handlung hintereinander weg, also linear, beschrieben. Livestream meist Audio- bzw. Video-Inhalte, wobei Produktion, Senden (z.B. verteilen über das Internet), Empfang und Wiedergabe gleichzeitig stattfinden. Logisches Bild (s. Diagramm)

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Lokomotion Ortsveränderung von Individuen Lurking passive, also nur rezipierende Teilnahme Medienintegration Im Hochschulalltag ist die Nutzung digitaler Medien in Studium und Lehre in unterschiedlichen Formen integriert. Konkret erfolgt eine Integration von Informationstechnologien sowohl in die administrativen Dienste (z. B. bei der Verwaltung der Studierenden bei der Anmeldung für eine Prüfung) wie auch bei der Verzahnung unterschiedlicher Formate und Dienste für das Lehren und Lernen (z. B. bei der Integration von Wort und Film in einem multimedialen Lernmodul). Medium, mediales Angebot Medien sind Objekte, technische Geräte oder Konfigurationen, mit denen sich Informationen speichern und kommunizieren lassen. Lerner haben es mit einem „medialen Angebot“ zu tun. Es zeichnet sich aus durch Botschaften, Codierungen und Strukturierungen, die medial kommuniziert werden. Das mediale Angebot ist Teil der Lernumgebung und wird zusammen mit dieser Situation wahrgenommen und genutzt. Mentale Repräsentation, mentales Format Mit diesen kognitionspsychologischen Begriffen soll erfasst werden, in welcher Qualität die sensorisch wahrgenommenen Daten im Verlauf der Sinnentnahme, des Wissenserwerbs und der Speicherung verarbeitet werden. Die meisten Autoren unterscheiden zumindest zwei verschiedene, jedoch miteinander interagierende Verarbeitungssysteme: eines für die Verarbeitung von Sprache, ein anderes für bildhafte Sinneseindrücke. Das Gehirn verfügt über eine Vielfalt von Codierungsmöglichkeiten und verwendet diese je nach Verwendungszeck flexibel. Mentales Modell Mentale Repräsentation eines Gegenstands durch ein hypothetisches internes (Quasi-)Objekt, das in einer Struktur- oder Funktionsanalogie zu dem repräsentierten Gegenstand steht. Mentoring informelle, nicht überwachende Unterstützung von Lernenden durch Studierende (oder Lehrende) mit hoher Fach-, Methoden- bzw. Medienkompetenz („Insiderwissen“). Allgemein: Die auf gewisse Dauer angelegte Begleitung einer unerfahrenen Person (Mentee oder Protegé) durch eine erfahrene Person (Mentor). Metakognition implizites oder explizites Wissen über eigene kognitive Prozesse (z. B. über eigene Lernprozesse, Schlussfolgerungen, Gedächtnisleistungen).

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Mindmap Gedankenkarte zur grafischen Darstellung der Beziehungen zwischen verschiedenen Begriffen, Konzepten oder Elementen. Modell der Internoperation 1979 von König und Riedel als Planungsverfahren zur Konstruktion von Unterricht konzipiertes Modell. Im Zentrum des Modells steht die Annahme, dass der Lernerfolg von bestimmten Operationen abhängig ist. Der Planende bzw. Lehrende hat danach die Aufgabe eine Folge von Situationen zu schaffen, in denen sichergestellt ist, dass der Lernende die für die Erreichung des Lehrzieles notwendigen Operationen ausführt. Modell der Supplantation Modell der Supplantation von Gavriel Salomon (1979), das sich besonders auf das mediengestützte Lernen bezieht, indem es kognitive Lernaktivitäten mit Merkmalen von Medien in Beziehung setzt. Das Modell unterscheidet drei Stufen – Modellierung, Abkürzung und Aktivierung. Diese definieren die Intensität, mit welcher die kognitiven Aktivitäten des Lernenden über das Medium gesteuert werden. Während bei der Modellierung die Lenkung der kognitiven Aktivitäten durch das Medium erfolgt, wird dieses über die Stufen Abkürzung und Aktivierung zunehmend ausgeblendet. Modelllernen Das Lernen von neuen Verhaltensweisen durch das Beobachten und Nachahmen von anderen Personen („Modellen“) – auch als Beobachtungslernen oder Imitationslernen bezeichnet. Multimedia Multimedia wird charakterisiert durch folgende Aspekte: Medienaspekt (die Verknüpfung von zeitabhängigen und zeitunabhängigen Medien), Integrations- und Präsentationsaspekt (Multitasking, d. h. mehrere Prozesse laufen gleichzeitig ab, Parallelität – Medien werden parallel präsentiert – und Interaktivität – eine Interaktion findet statt). Diese technische Dimension des Multimediaverständnisses muss um die Dimension der Anwendung ergänzt werden. Multimedia ist ein Konzept, das technische und anwendungsbezogene Dimensionen integriert. Multimodalität In der Psychologie wird dieser Begriff für die Informationsaufnahme über verschiedene Sinneskanäle (Sehen, Hören, Fühlen usw.) verwendet. Es wird oft unterstellt, dass sich die Lern- und Behaltensleistungen verbessern, je mehr Sinne beteiligt sind. Nicht alle empirischen Befunde stützen diese Annahme. Multiple Perspektiven Multiple Perspektiven dienen der Sicherstellung, dass der Lernende das erworbene Wissen abstrahieren und danach in ähnlichen Problemsituationen anwenden kann. Neben der Verfeinerung von Teilfertigkeiten in unterschiedlichen, komplexeren Arbeitsabläufen, indem beispielsweise eine schwierigere

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Aufgabe gestellt wird, für die, die bereits in einem einfacheren Arbeitsablauf erworbene Fertigkeiten erneut, aber nun komplexer einzusetzen sind, lassen sich multiple Perspektiven auf den Lehrgegenstand, auch durch das Kennenlernen unterschiedlicher Theorien und Fragestellungen zum jeweiligen Thema vermitteln. Der Lernende wird dabei befähigt zu einem Problem oder einem bestimmten Inhalt selbst unterschiedliche Standpunkte einzunehmen, diese auf ihre Eignung und Relevanz hinsichtlich unterschiedlicher Kontexte zu prüfen und Empfehlungen für deren geeignete Umsetzung abzuleiten. Multitasking Mehrere Prozesse/Programme (tasks) werden (vom Computer) gleichzeitig bearbeitet. Abweichend davon hat sich der Begriff auch als parallele Nutzung mehrerer Medien etabliert. Navigation Aus dem Bereich der Nautik entlehnte Metapher zur Beschreibung der Orientierungs- und Suchaktivitäten der Benutzer von Hypertext/Hypermedia-Systemen. Bei praktischen Anwendungen von Hypertext und Hypermedia-Systemen stehen Benutzern in aller Regel implementierte hypertextspezifische Orientierungs- und Navigationsmittel, wie z. B. graphische Übersichten über die Organisationsstruktur der Hypertextbasis, zur Verfügung. Netiquette Sammelbezeichnung für Verhaltensregeln in der Netzkommunikation. Die erste und grundlegende Empfehlung der Usenet-Netiquette ist „Vergessen Sie niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!“ Netzwerk 1. Im Zusammenhang mit Hypertext/ Hypermedia: Metapher zur Beschreibung der nicht-linearen Form der elektronischen Verknüpfung von Informationsknoten in der Hypertextbasis. 2. Gemeinsame Bezeichnung für Datennetze, Computernetze oder Kommunikationsnetze. Offline-Lernen alle Lernformen und -szenarien, die keine Netzverbindung bzw. Internetverbindung voraussetzen und lokal auf einem PC/Laptop usw. stattfinden. On Demand dann, wenn es verlangt, benötigt bzw. nachgefragt wird. Online mit dem Internet verbunden.

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Online Groupware Office Suite erlaubt die Online-Zusammenarbeit einer Gruppe an einem Office-Dokument. Wird zumeist mit Hilfe von Rich Internet Applications ermöglicht. Online-Lernen Alle Lernformen und -szenarien, die eine Netzverbindung bzw. Internetverbindung voraussetzen. Open Educational Resources (OER) frei zugängliche Lern-/Bildungsinhalte bzw. –software. Operantes Konditionieren durch unmittelbare Rückmeldung und Verstärkung von außen kontrollierter systematischer Aufbau von Verhaltensketten (Verstärkungslernen). Anwendung z. B. in der Tierdressur, auch beim Sport- und Kommunikationstraining. Oraliteralität typische Mischung aus Mündlichkeit und Schriftlichkeit in der Chat-Kommunikation. Organisationstheorie Organisationstheorien erklären die Funktionsweise von Organisationen (z. B. Betrieb oder Schulen), deren Entstehen und Entwicklung. Obschon es Organisationstheorien erst seit ca. 100 Jahren gibt, lassen sich diese verschiedenen Schulen zuordnen, von Webers Bürokratiensatz über den Taylorismus á la Henry Ford bis zur vernetzten, virtualisierten Fabrik nach Warnecke und Bullinger (2003). Im Kontext der Digitalisierung verändern sich Organisationen erheblich, die Organisationstheorie trägt dieser Entwicklung durch neue Modellierungen Rechnung. Paradigma Ein Paradigma bedeutet ein Komplex von Annahmen und Vorstellungen, die einen Phänomenbereich erklären. Ein Paradigma ist ein Leitbild für die Theoriebildung, die empirische Forschung und spezifische Methoden. Parallelität In Bezug auf Multimedia bedeutet Parallelität die gleichzeitige Medienpräsentation. Außerdem wird diese Eigenschaft vor allem in Verbindung mit Doppelrechnersystemen (parallel computer) aber auch mit Parallelprogrammbetrieb (vgl. Multitasking) gebraucht. Peer-tagged Content Collection Im Unterschied zur community-tagged content collection sind sich die Beteiligten hier unter bestimmten Aspekten ähnlicher (z. B. Teilnehmer desselben Seminars).

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Peer-Review Beurteilung von Inhalten durch Gleichrangige mit dem Ziel der Qualitätssicherung. Personal Learning Environment (PLE) Ein/e PLE ist eine persönliche Lernumgebung eines jeden Lerners, die aus einem Browser in Verbindung mit der Nutzung individuell zusammengestellter Social Software besteht (=Lernportal) und im weiteren Sinne auch herkömmliche Software zur Produktion und Veröffentlichung eigener Lerninhalte im Internet mit einschließt. Perturbation ein in der Systemtheorie und im Konstruktivismus verwendeter Begriff für Störungen (z. B. Diskrepanz von Erwartungen und Situationen) mit positiven Auswirkungen auf die beteiligten Systeme (z. B. Personen). Pfad in Hypertext/Hypermedia-Systemen vorgesehener bzw. vom Nutzer online generierter „Weg“ beim Explorieren einer Hypertextbasis. Podcast, (Audio-/Video-) Serie von Medienbeiträgen, die über einen Feed (meist RSS codiert) automatisch bezogen werden können. Daneben wird die Bezeichnung Podcast jedoch auch „fälschlicherweise“ mittlerweile für Streaming- und reine Download-Angebote verwendet. Dies sind somit keine „echten“ Podcasts. Ursprünglich beinhalteten Podcasts ausschließlich Toninhalte. Heute unterscheidet man zwischen AudioPodcasts und Video-Podcasts (manchmal auch als Vidcast bzw. Vodcast bezeichnet). Print-Learning Lernen unter Zuhilfenahme von gedruckten Materialien. Problemlösungsparadigma, problembasiertes Lernen Lernen wird im Wesentlichen als interessengeleitete, aktive, auf die Lösung von Problemen gerichtete Tätigkeit des Lernenden verstanden. Fundierung in der Kognitiven Psychologie (z. B. Bruner); neuerdings besonders vertreten durch konstruktivistische Ansätze (z. B. Jo-nassen). Propositionale Repräsentation mentale Repräsentation eines Gegenstands durch interne, nach bestimmten syntaktischen Regeln zusammengesetzte Symbole, durch die der Gegenstand in einer hypothetischen mentalen Sprache beschrieben wird.

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Propositionale Repräsentationsmodelle dienen vornehmlich der Darstellung sprachlich-begrifflichen Wissens in einer symbolischen Struktur. Hierzu gehören die bereits in den 1970er Jahren entwickelten Netzwerkmodelle, die Wissen in Form von gerichteten Graphen mit Knoten und Kanten darstellen. Prototyping ist eine Alternative zur Æ Formativen Evaluation. Bei dieser Methode wird zuerst ein Prototyp (Rohling) der Lernsequenz entwickelt und erprobt. Anschließend werden sukzessive Verbesserungen am Prototypen vorgenommen. Prozedurales Wissen stellt Lerninhalte als Menge von Regeln dar. Sie beziehen sich auf die Fertigkeiten, die der Lernende erwirbt, seine Kenntnisse [Æ deklaratives Wissen] anzuwenden. Psychomotorische Lehrziele sind auf das Beherrschen von Bewegungsabläufen und komplexen Tätigkeiten ausgerichtet, die eine unterschiedliche psychomotorische Regulation im grob- und feinmotorischen Bereich erfordern. Angestrebt wird dabei eine Beherrschung (Routinierung, Automatisierung) des Bewegungsverlaufs, die den Aufwand an psychomotorischer Leistung verringert. Pupillometrie Messverfahren der im Millesekundenbereich ablaufenden Veränderungen der Pupillenweite in Abhängigkeit von der mental workload (kognitive Leistung eines Nutzers z. B. bei der Betrachtung und Bearbeitung von Bildschirminhalten) Realistisches Bild Bildzeichen, das einen Gegenstand aufgrund von Ähnlichkeit mehr oder weniger wirklichkeitsgetreu repräsentiert. Regelbasierte Repräsentationsmodelle eigenen sich zur Darstellung operativer Fähigkeiten, üblicherweise in Form von Wenn-Dann-Regeln. Die ACT-Theorie nach Anderson beinhaltet ein solches, auch als „Produktionssystem“ bezeichnetes Repräsentationssystem. Rich Internet Applications (RIA) Programme im Internet, für die lediglich ein gängiger Webbrowser erforderlich ist, die aber in Funktionsumfang und Design etablierter Desktop-Software ähneln

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RSS (=Really Simple Syndication) XML-Service auf Webseiten, mit dem Inhalte abonniert werden können, sodass es nicht mehr notwendig ist, ständig auf der Webseite selbst nach Veränderungen zu schauen. Die abonnierten Inhalte werden zumeist in bestimmten RSS-Readern/Feedreadern gesammelt und angezeigt. Durch die Zusammenstellung der Inhalte aus verschiedenen Webseiten lassen sich persönliche thematische Feeds generieren. Rücklaufquote Prozentsatz der zu einer Studie eingeladenen Teilnehmer, die tatsächlich teilgenommen haben. Im speziellen Sinne meist Verhältnis von ausgefüllten zu ausgeteilten Fragebögen. Screencast Screencasts sind digitale Bewegtbilder, die zur Erklärung von Software eingesetzt und mit speziellen Programmen aufgezeichnet werden. Scribble Ein Scribble ist eine Skizze, meist Freihandzeichnung, in einem Drehbuch. Second Life Seit 2003 der Öffentlichkeit zugängliche Online-3D-Welt, in der die Teilnehmer durch Avatare interagieren. Im Zuge der Popularisierung durch die Medien haben mittlerweile auch einige Unternehmen und Bildungsinstitutionen ihre eigene Präsenz in Second Life aufgebaut. Selbstgesteuertes Lernen Der Lernende bestimmt seine Lernziele und überwacht seine Lernprozesse eigenständig. Semantische Verarbeitung eines Bildes Konstruktion eines mentalen Modells aufgrund einer konzeptgeleiteten Analyse der Wahrnehmung des Bildes. Im Rahmen der Modellkonstruktion wird dabei auf (ökologische) Schemata der alltäglichen Erfahrung rekurriert. Semantische Verarbeitung eines Diagramms Konstruktion eines mentalen Modells aufgrund einer konzeptgeleiteten Analyse der an einem Diagramm wahrgenommenen graphischen Konfiguration. Im Rahmen der Modellkonstruktion wird mit Hilfe von Graphik-Schemata ein System von externen räumlichen Relationen auf ein System von internen semantischen Relationen abgebildet. Sinnesmodalität, Sinneskanal Diese Begriffe bezeichnen die Sinnesorgane (auditiv, visuell, haptisch usw.), mit denen die Rezipienten ein mediales Angebot wahrnehmen oder mit ihm interagieren. Der noch verbreitete Terminus „Sinnes-

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kanal“ entstammt dem Ingenieurs-Paradigma der Kommunikation; für eine psychologische Zugangsweise ist der Begriff "Modalität" angemessener. Situierte Kognition Die Vertreter konstruktivistischer Ansätze betonen seit den 1980er Jahren die Schaffung kontextbezogener, kooperativer und kommunikativer Lernumgebungen und sehen die Hauptaufgabe des Lehrens darin, Situationen zu schaffen, die Lernen stimulieren und den Lernenden dazu anregen, selbst neue Konzepte und Prozeduren zu suchen bzw. zu kreieren. Situierter Anwendungskontext Eine situierte Lernumgebung bindet die Aufgabenstellung oder das Problem in einen Anwendungskontext ein, der dem Lernenden eine mögliche Anwendungssituation für das erworbene Wissen schildert. Authentische Kontexte [Æ authentischer Anwendungskontext] spiegeln die komplexe Realität wieder. Bei einem situierten Anwendungskontext muss dieses jedoch nicht unbedingt der Fall sein. Die Anwendungssituation in einem situierten Kontext kann auch fiktiv sein. Situiertes Lernen Entsprechend dem theoretischen Ansatz des Situierten Lernens nach Brown, Collins und Duguid erfolgt die mentale Repräsentation eine Konzepts nicht isoliert und in abstrakter Form, sondern unter Berücksichtigung des sozialen und physikalischen Kontexts, in der das Konzept relevant ist und angewendet wird. Dadurch wird „träges“ Wissen vermieden. Skript, mentales ein durch Erfahrung erworbenes mentales Schema einer bestimmten Verhaltens- bzw. Handlungsweise unter bestimmten Umgebungsbedingungen z. B. Besuch eines Restaurants. Social Bookmarks Internet-Lesezeichen, die von verschiedenen Benutzern durch gemeinschaftliches Indexieren erschlossen werden. Social Mindmap gemeinsam mit anderen (online) erstellte Æ Mindmap. Sozialer Kontext Der soziale Kommunikationsprozess ist unverzichtbarer Bestandteil einer konstruktivistischen Lernumgebung, da er dem Lernenden eine Orientierung und Einordnung seiner situiert erworbenen Wissenskonstruktion innerhalb einer Wissensgemeinschaft ermöglicht. Je weniger face-to-faceKooperations- und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Lernenden und zwischen Experten und Lehrenden in der Lernumwelt bestehen, desto mehr Möglichkeiten der Kommunikationsaufnahme über das Medium sind einzuplanen.

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Storyboard Englische Bezeichnung für das Drehbuch einer Online-Anwendung. Streaming kontinuierliche Übertragung von Daten, wobei Empfang und Wiedergabe gleichzeitig stattfindet. Structural Learning Theory (SLT) 1973 von Scandura entwickelte Theorie, in welcher die Selektion der Unterrichtsmethoden und die Sequenzzierung der Inhalte über Regeln erfolgen. Regeln sind hierbei mit Lernzielen gleichzusetzen. Diagnostik und Instruktion basieren auf diesen Regeln. Über eine Strukturanalyse des Lehrinhalts, sind die Regeln herauszufinden, die gelernt werden sollen. Die Inhalte sind nur in Form von Regeln repräsentiert; auch der Lernende wird ausschließlich durch Regeln höherer und niedrigerer Ordnung, sowie einigen Universalien, wie Verarbeitungskapazität und Geschwindigkeit repräsentiert. Subsemantische Verarbeitung eines Diagramms automatisierte (nichtbewusste) Prozesse des Erkennens, der Diskrimination, der Identifikation sowie der Gruppierung von Komponenten eines Diagramms. Diese Prozesse führen ausgehend von den visuellen „Rohdaten“ zur Wahrnehmung einer bestimmten graphischen Konfiguration. Summative Evaluation bewertet den Einsatz eines Programms bzw. einer Anwendungssoftware im Feld (Vermarktung, Implementation) und dient der möglichst exakten Erfassung der Effektivität unter Einsatzbedingungen. Sie liefert einen Nachweis für den Auftraggeber und ist mit einem erheblichen Aufwand und hohen Kosten verbunden. Die Untersuchung soll an einer repräsentativen Nutzerstichprobe erfolgen. Sie dient der abschließenden Bewertung eines fertigen Produkts und der Entscheidungsfindung über dessen weiterer Verwendung bzw. Revision. Systems Approach (Systematisches Verfahren) Der Systems Approach ist ein systematisches wissenschaftliches Verfahren zur Entwicklung von Systemen. Wobei unter einem System ein Satz von Komponenten oder Elementen verstanden wird, die zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels zusammenarbeiten. Das Verfahren ist durch regelhafte Ablaufstrukturen gekennzeichnet, jedoch mit Alternativen, Verzweigungen und Feedbackschleifen und kann deshalb als heuristisches Problemlösungsverfahren bezeichnet werden. Systematisches Instruktionsdesign (Instructional Systems Design, ISD) Ein systematisches didaktisches Verfahren, abgeleitet vom allgemeinen Verfahren des Systems Approach, für die Analyse, Planung, Entwicklung, Evaluation und Revision von Instruktionsprozessen und Lernsoftware.

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Tablet PC tragbarer Computer mit berührungsempfindlicher (touch sensitive) Oberfläche, der mit speziellen Stiften oder dem Finger bedient und u. a. wie ein Notizblock verwendet werden kann. TCP/IP (Transmission Control Protocol/Internet Protocol) Aus den zwei Netzwerkprotokollen TCP und IP kombiniertes Datenübertragungsprotokoll im Internet. TCP/IP ist ein fester Bestandteil wichtiger Betriebssysteme (u. a. OS/2, Windows 95, MacOS 7.5). Telnet Ein Softwarewerkzeug, das den Zugriff auf einen entfernten Rechner ermöglicht und erlaubt, dort Applikationen zu starten. Theory of Instruction 1965 von Gagné in seinem Werk „Conditions of Learning and Theory of Instruction“ veröffentlichte Theorie. Gagné gliedert kognitive, affektive und psychomotorische Lehrziele in fünf Lernzielkategorien, nach denen die zu erwerbenden Fähigkeiten zu Beginn jeder Planung und Entwicklung von Instruktion einzuordnen sind. Für jede Lehrzielkategorie wiederum wird eine Sequenz von fünf didaktischen Schritten („events of instruction“) empfohlen, die die inneren (beim Lernenden) und äußeren Lernbedingungen (in der Lernumgebung) berücksichtigen. Tool Werkzeug (s. Applikation) Tutor unterstützt und berät bei auftretenden technischen, organisatorischen und inhaltlichen Lernproblemen. URL (Uniform Ressource Locator) Adresshinweis für Dokumente, Server oder Rechner im Internet. Usability Gebrauchstauglichkeit, Benutzerfreundlichkeit. Sie beschreibt, wie effektiv und zufriedenstellend mit einem Produkt die vorgesehenen Ziele erreicht werden können. Im Fall von Software-Produkten spielen Bedienbarkeit und Benutzerfreundlichkeit eine entscheidende Rolle. User tracking Evaluationsmethode, bei der der Computer das Verhalten des Nutzers im Umgang mit einem Programm protokolliert. Verarbeitungssystem, kognitives s. mentale Repräsentation

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Verknüpfung (engl. link) im Zusammenhang mit Hypertext/Hypermedia-Systemen wird hierunter die elektronische Vernetzung der Informationsknoten in der Hypertextbasis verstanden. Videocast s. Podcast Virtual Classroom Systems (VCS) Groupware in der häufig die folgenden Komponenten unter einer gemeinsamen Oberfläche integriert sind: Chat, Voting-Tool, Audio-/Videokonferenz, Application-/Desktop-Sharing, Whiteboard Virtualisierung von Bildung Unter der Virtualisierung von Bildung versteht man einerseits den grenzenlosen Zugriff auf Wissensbestände unabhängig von Raum und Zeit, und andererseits, die Loslösung der Bildungsvermittlung (insbes. von Wissen, Fertigkeiten,) von real bestehenden Institutionen und Personen. Virtuelle Lernumgebung computerunterstütztes, netzbasiertes Lernarrangement, auf das der Lernende zugreifen und in dem er in der Regel selbständig lernen kann. Virtuelle Organisation Mit dieser Organisationsform schließen sich Institutionen/Unternehmen mit Hilfe von Informationsund Kommunikationsmedien – vor allem Internet – zu einem Verbund zusammen und treten nach außen meist einheitlich auf. Die jeweiligen tatsächlichen geografischen Standorte sind nachrangig. VR (Virtual Reality) im Computer erzeugte dreidimensionale virtuelle Wirklichkeit, in die man mit Hilfe eines Datenhandschuhs (auch einer Datenbrille und einem Datenanzug) eintauchen kann. Webapplikation Programm mit starker Internetkomponente, direkt über eine Webseite bedienbares Programm oder innerhalb einer Webseite laufendes Programm (>Applet). Weblog Content-Management-System zur Sammlung und Bereitstellung von Daten (Informationen, Bilder, Software, Audio, Video), wobei die meist recht kurzen Beiträge eines Blogs in umgekehrt chronologischer Reihenfolge angeordnet und üblicherweise mit Datums- und Autorenangabe sowie kennzeichnenden Schlagworten (=Tags) zum besseren Auffinden versehen sind.

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Wiki Website, die clientseitig (d. h. von Nutzern) lediglich mit Hilfe eines Web-Browsers aufgebaut und editiert wird. Ein Wiki wird oft in Zusammenarbeit mit anderen Nutzern entwickelt und verfügt im Allgemeinen über eine Verlaufsprotokollierung. Somit wird insbesondere kollaboratives Arbeiten und Lernen gefördert. Bekanntestes Beispiel ist Wikipedia. WLAN Wireless-LAN bezeichnet ein drahtloses local aerea network, d. h. ein lokales Funknetzwerk zur drahtlosen Verbindung von Computern. WWW (World Wide Web oder kurz Web) auch W3 genannt. Ein über Internet abrufbarer Informationsdienst mit grafischer Benutzerführung und Einbindung multimedialer Daten. WWW-Browser Hilfsprogramme, die das Anschauen von mit der Sprache HTML erfassten Dokumenten im WWW ermöglichen (auch HTML-Viewer oder WWW-Client).

Sachverzeichnis 3D-Internet

457

Banken

A

Beobachtungslernen

Adaptation Adaptierbarkeit

B

471 105, 115, 118, 123, 209

Adaptivität15, 105, 115, 117, 120, 123, 131, 209 Adresse physikalische

55

461 19, 23, 24

Berufsausbildung

439

Berufsbildung

411

Betreuung tutorielle

419

Betreuungsleistungen

243

Betreuungsmodelle

249

Bilder statische

91 93

Akkommodation

25, 26, 407

Aktionen des Lernenden

Bild-Text-Verstehen

87

129

Bildüberlegenheitseffekt

78

167

Bildung

Aktivität Akzeptanz Allgemeine Didaktik Animationen

125, 309

35

Bildungscontrolling

457

35, 37

Bildungsportal

229

94

Bildungsprozes beruflicher

412

Application Sharing

179

Applied Games

297

Arbeitsaufgaben

439

Blended Learning139, 140, 367, 419, 471, 490, 507

Arbeitsprozessorientierung

439

Blended-Learning-Szenarien

Arbeitswerkzeuge

389

Bologna-Prozess

402

Brainstorming

197

Assimilation ATI Forschung Aufgabenverteilung Ausbildung

25, 26, 407 105

Browser

373, 505

51

159 419, 420

Autorenwerkzeug

207

Avatare

255

C Case-Based-Reasoning

27

Change-Management

367

Change-Request-Liste

197

550

Sachverzeichnis

Chunking Client

27, 30 47, 48, 51, 53, 54, 55, 56, 58, 184

Client-Server-Architektur

47, 51, 54, 57, 58

CLIX Campus CMS

213

Siehe Content-Managment-System

Codes Codierung duale

73 19, 78

Cognitive Load

105

Cognitive Load Theory

107

E E-Distribution

367

EFEQ-Modell

315

E-Information

367

E-Kommunikation

367

E-Kooperation

367

E-Learning 14, 229, 367, 419, 447, 490 in Management 429 rapid 439, 441

Cognitive Theory of Multimedia Learning 107

E-Learning 2.0

Cognitive Walkthrough

E-Learning-Nutzung

447

E-Learning-Trends

457

Content

329 67

339, 341, 345

Content-Management-System 47, 58, 67, 251

Elemente Medienproduktion

Contentproduktion

283

Entgrenzung

217

CSCL

151, 157

Entwicklung

256, 401

CSCW

151, 156

E-Organisation

D 97

Datenbank47, 51, 58, 183, 206, 231, 295, 377, 386, 527 Design Design-Based Research DFÜ Didaktik aufgabenorientierte

401 139, 148 55 63, 65, 139, 411 412

Didaktische Methoden

268

Didaktisches Design Metadesign

263 304

Digital Game Based Learning

297

Dimensionen der Evaluation Disziplinen wissenschaftliche Doppelcodierungstheorie Drehbuch

313, 324

367

Erhebungsmethoden

319

Erlebnisfaktoren

275

E-Tutor

367

eUniversity Darstellungsformen

61

Europäischer Bildungsraum Evaluation formative summative Evaluationsdimensionen Evaluationsebenen

367, 370 207 125, 310, 389 125, 309, 311 125, 309, 311 125, 309 125, 309, 315

Evaluationsforschung

139, 146

Evaluationsmethoden

125, 309

events of instruction

29

Experte

217

Experteninspektion

329

Eye-Tracking

329

F

61 28, 78 198

Feedback

197

Feldforschung

139

Fernstudium

367

Sachverzeichnis

551

Fernunterricht

367

Format mentales

75

I Illustrationen

73, 79

Forschung experimentelle

139

Implementation

401

Frame

197

Implementationsforschung

403

Führungskräfte

431

Implementierung

207

Individualisierung

273

Funktionen der Kommunikation

127

Information Broker

229

Informationsrecherche

359

Informationsverarbeitung menschliche

G Generation E-Learning

341

Gestaltgesetzen

95

Goal-Based Scenarios

255

Grammatikanimation

389

Gruppenbildung

159

Infrastruktur pädagogische

411

Innovation

359

instructional design

265

Instruktionismus moderater

389

Instruktionspsychologie 31, 77, 115, 116, 324 Interaktion

14, 126, 204, 298, 344

Interaktivität

H

Interdisziplinarität

126, 273 50, 61, 62, 149, 210

Interkulturalität

Handeln aktives individuelles kreatives reales sachgerechtes selbst bestimmtes

380 232 37, 38, 39 432 37, 39 37, 39

Hemisphärenspezialisierung

78 367, 368

53

Intrinsische Motivation

297, 299

INVO-Modell IPTV

439

13, 47, 530

Internettechnologie

Handlungsorientierung Handwerk

51, 191

Internetdienst

Handlungskompetenz 259, 261, 346, 472, 473 35, 39, 389, 390, 396

389, 399

Internet

IP-Adresse

Hochschule

19 24

107 47, 54, 55, 56, 57

ISO-Norm 9241 IT-Anwendungsarchitektur Iteratives Design

207

Iteratives Didaktisches Design

Hochschulplanung

208

iTV

Hybrids

174

iTV-Anwendungen

Hochschulentwicklung

273, 276 329 207 297, 301 303 273, 277 277

552

Sachverzeichnis

K

Lehrziele

Karteikasten virtueller

Lernangebote elektronische

125, 309

317

Lernaufgaben

411, 439

Klassenraum virtueller

179

Lerneffekte von Medien

29

KMU

448

Kommunikation computervermittelte

151

Kompetenz

217

Kompetenzorientierung

505

Kompetenzwerkst@tt

439

Konnektivismus Konstruktion von Wissen

167, 170, 343 19, 30, 42, 248, 404

Konstruktion von Wissen

19

Konstruktionismus

389

Konstruktivismus gemäßigter individueller moderater psychologischer radikaler sozialer

205, 265, 343, 389 30 30 392 30 30 30

Konzeptraster-Skript Kooperationsskripts

162 159, 160

Lernen 115, 117, 339, 359, 367, 448 aktives 419 anonymes 481 arbeitsprozessorientiert 419 informelles 273, 427, 490, 505 instrumentelles 20 IT-gestütztes 447 kollaboratives 490 konstruktivistisches 359 kooperatives 159 mobiles 283, 284 motiviertes 31 multimediales 19, 74 problembasiertes 19 programmiertes 21 selbstgesteuertes 243 soziales 419 virtuelles 179 Lernen im VC Lernformen

LAN Langzeitgedächtnis LCMS

25, 108, 134 58

35, 447 490

Lernkulturen

344

Lern-Management Lernmaterialien

55

190

Lerngewohnheiten

Lern-Management-System

L

267

389 Siehe LMS 411

Lernmotivation13, 19, 31, 82, 298, 370, 404, 408, 413, 425, 490, 525 Lernort virtueller

411

Lernsoftware

439

Learning Management

207

Lernspiel

297

Learning on demand

490

Lernspielentwicklung

Learning-Management-System

433

Lernszenarien

Lehren Lehrerrolle Lehrertypen Lehrfunktion Lehrinhalte

115, 117, 367

Lernumgebungskonzept

297 283, 345 359

401

Lernwirksamkeit

125, 309

359

Lexika dynamische

389, 397

115, 117 267

LMS

58

Sachverzeichnis

553

Lösen von Problemen

31

N Navigation

M

NDH-Modell Netzwerk

203 125, 134, 135 229

Management

427

Nutzertest

329

Marktpotenzial

447

Nutzertypen

490

Media Rich Internet

457

Nutzungsszenarien

471

Media-Equation

135

Medien digitale

13, 43, 47, 48, 106

Mediendidaktik29, 35, 36, 63, 68, 212, 263, 265, 266, 271, 339 Medienintegration

229

Medienkompetenz 35, 43, 145, 250, 411, 462 Medienkonzeption

263

Medienproduktforschung

64

Medienproduktion44, 64, 65, 66, 67, 283, 286, 294, 302 Medienwahl

263, 269

menschlichen Informationsverarbeitung Merkmale von Lern- und Lehrprozessen

25 40

Metadaten

273

M-Learning

286

Modalität

73, 78

Modell mentales

73, 87

Motivation

OLCP

513

Online Communicating

172

Online-Lernangebote Online-Lernen Online-Tutoren

401 243, 359, 481 245

Open Educational

367

Open-Source-Klon

255

Operantes Konditionieren Organisation virtuelle Organisationstheorie Overload

21 66 229 229, 232 80

73

Modalitätseffekt

Modularisierung

O

505 401, 408, 419

P Personalcontrolling

457

Personalisierung

273 256

Multicodalität

82

Planung

Multimedia

73

Präsenzlernen

367

87

Printlernen

367

82

Prinzipien des Online-Lernens

Multimedia-Lernen Multimodalität

61

Produktinnovation

427

Produktion der Medien

292

Produktionsprozess

61

554 Produkt-Wiki Protokoll

Sachverzeichnis 457

Sequenzierung

159

53

Serious Games

297

Prototyping

197

Server

Prozessinnovation

427

Sicherheit

Pupillometrie

329

SIDE-Modell

153

Sinnesorgane

75

Skripts mentale

27

Q

Social Collaborating

47, 51 57

173

217

Social Networking

172

Qualifikationsanforderungen

249

Social Publishing

173

Qualität

339

Qualitätsmanagement

339

Social Software152, 167, 171, 219, 341, 342, 343, 352, 353, 354, 356, 455, 505, 506, 510, 511

Qualifikation

R Reizmodalitäten Repräsentation depiktionale deskriptionale kognitive mentale multiple propositionale Retrospective Think Aloud

427

Spiel

299

Split-Attention-Effekt 75 87 87 19, 27 75 105 87 329

S Schnittstellenentwicklung

207

Schulentwicklung

359

Schüler-Computer-Verhältnis

359

Scribble

197

Searchware

458

Second Life

255

Selbstorganisation

217

Selbststeuerung des Lernens

19

Selbststeuerung des Lernens

24

Selfware

Sozialinnovation

459

Spracherwerb SQL

78 389 58

Storyboard

197

Storyboarding virtuelles

255

storytelling active social interactive linear

197 197 197

Strukturierung

401

Summierungstheorie naive

77

Symbolsystem

75

System soziotechnisches Systematisches Instruktions-Design

66 19, 22

T TCP/IP-Protokoll Technik Text Theorie der sozialen Präsenz

47, 54 67 88 153

Sachverzeichnis Think Aloud Transdisziplinarität

555 329 61, 62

Verwaltung

482

Video

367 457

Tutorenaufgabe

243

Video-Blog

Tutorenrolle

243

Virtual Classroom

179, 180

TV 2.0

273

Virtualisierung von Bildung

208, 229 231

U

Virtuelle Hochschule Bayern

402

VISU

211

ViVA

481

Übung

401

Umgebung immersive

179

W

Universität virtuelle

207

Wahrnehmungszyklus

Unternehmenskommunikation Unterrichtsveränderung URL Usability Usability-Kriterien

26

427, 434

Web 2.0

167, 168, 273, 367, 427

359

Web 2.1

367

WebConferencing

179

54 329, 331, 332

WebMeeting

179

329

WebTV

Usabilityprofil

329

Web-Videos

167, 175

Usability-Techniken

329

Weiterbildung

419, 420

Wissensarbeit

217

Wissenserwerb

V Veranschaulichung

Wissensgesellschaft 401, 407

Wissensmanagement persönliches

Verarbeitungssystem

75

Wissensspirale

Verhaltenslernen

19

WLAN

Vernetzung semantische

167 273

Versicherung

471

Versicherungswirtschaft

472

Verstehen von Texten Vertriebstraining

89 457

World Wide Web

273, 276

105 35, 38, 219 217, 218, 447, 481 217, 226 223 55 359

Z Zielgruppen Zielgruppenanalyse

471, 501 267

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Autorenverzeichnis Baumgartner, Peter Prof. Dr., Professor für Technologieunterstützes Lernen und Multimedia an der Donau-Universität Krems (DUK), der ersten europäischen Weiterbildungsuniversität, Leiter des Departments für Interaktive Medien und Bildungstechnologien. Arbeitsschwerpunkte: E-Learning, E-Education, Blended Learning, Distance Education, Hochschuldidaktik, Implementierungsstrategien von E-Learning, Evaluationsforschung im Bereich interaktiver Medien und virtueller Lernumgebungen. Adresse: Donau-University Krems (DUK) Universität für Weiterbildung Dr. Karl-Dorrek-Straße 30, A-3500 Krems [email protected] Bernhardt, Thomas Dipl.-Medienwiss., wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für ErwachsenenBildungsforschung der Universität Bremen. Arbeitsschwerpunkte: Wissensmanagement, Einsatz von Social Software und Web 2.0 Technologien. Adresse: Universität Bremen Institut für Erwachsenen-Bildungsforschung – IfEB, Fachbereich 12 Postfach 33 04 40, 28334 Bremen [email protected] Bodemer, Daniel Dr. phil, Dipl.-Psych., wissenschaftlicher Assistent an der Universität Tübingen, Psychologisches Institut, Abt. Angewandte Kognitionspsychologie und Medienpsychologie. Arbeitsschwerpunkte: Wissenserwerb und Wissensaustausch mit neuen Technologien, Individuelles und kooperatives Lernen mit Multimedia, Lernen im Museum. Adresse: Universität Tübingen Angewandte Kognitionspsychologie und Medienpsychologie Konrad-Adenauer-Str. 40, 72072 Tübingen [email protected] Brünken, Roland Prof. Dr. Dipl. Psych., Professor für Empirische Bildungsforschung, Universität des Saarlandes. Arbeitsschwerpunkte: Lernen mit Medien, Arbeitsgedächtnisbelastung, Instruktionspsychologie, ATI Forschung. Adresse: Universität des Saarlandes, Fachrichtung 5.1. Erziehungswissenschaft, Campus A4.2, D-66123 Saarbrücken [email protected]

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Autorenverzeichnis

Dittler, Ullrich Prof. Dr., Hochschule Furtwangen, Fakultät Digitale Medien. Wissenschaftlicher Leiter der Abteilung Learning Services im Informations- und Medienzentrum der Hochschule Furtwangen. Arbeitsschwerpunkte: Medienpsychologie, Mediendidaktik, Konzeption von Lernmedien. Adresse: Hochschule Furtwangen, Fak. Digitale Medien Robert-Gerwig-Platz 1, 78120 Furtwangen [email protected] Dziarstek, Claus Senior Developer von Authoring Tools bei der VIWIS GmbH, München. Adresse: VIWIS GmbH Thomas-Dehler-Str. 2, 81737 München [email protected] Ehlers, Ulf-Daniel Dr., außerordentlicher Mitarbeiter der Hochschule für Aufbaustudien im Bereich Management und Technologien der Universität Maryland und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Wirtschaftsinformatik der Produktionsunternehmen der Universität Duisburg-Essen. Arbeitsschwerpunkte: Qualität im E-Learning. Adresse: University of Duisburg-Essen Campus Essen Universitaetsstrasse 2, 45141 Essen [email protected] Euler, Dieter Prof. Dr., Direktor des Instituts für Wirtschaftspädagogik und Inhaber des Lehrstuhls für „Wirtschaftspädagogik und Bildungsmanagement“ an der Universität St. Gallen, wissenschaftliche Leiter des Swiss Centre for Innovations in Learning (SCIL) an der Universität St.Gallen. Arbeitsschwerpunkte: E-Learning, Förderung von Sozialkompetenzen. Adresse: Swiss Centre for Innovations in Learning Dufourstrasse 40a, CH-9000 St.Gallen [email protected] Fischer, Frank Prof. Dr., Ludwig-Maximilians-Universität München, Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie, Department Psychologie. Arbeitsschwerpunkt: Lernen in Gruppen, Computerunterstütztes kooperatives Lernen, Selbstgesteuertes Lernen: Academic Help Seeking, Problemorientiertes Lernen und fallbasiertes Lernen, Nutzeninspirierte Grundlagenforschung im Bildungsbereich. Adresse: LMU München Leopoldstr. 13, 80802 München [email protected] Flasdick, Julia M.A., Projektleiterin beim MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung. Arbeitsschwerpunkte: Standort- und Arbeitsmarktanalysen, Wandel von Qualifikationsanforderungen und Berufsbildern. Adresse: MMB Michel Medienforschung und Beratung, Folkwangstraße 1, 45128 Essen [email protected]

Autorenverzeichnis

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Friedlmayer, Robert Mitarbeiter des Geschäftsbereichs Personal und Revision, Gruppe Verwaltungsakademie und Personalentwicklung der Magistratsdirektion der Stadt Wien, verantwortlich für den Bereich der IKTAnwenderausbildung und E-Learning im Rahmen der Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter/innen der Wiener Stadtverwaltung. Adresse: Magistrat der Stadt Wien MD-Geschäftsbereich Personal und Revision Gruppe Verwaltungsakademie und Personalentwicklung Rotensterngasse 9-11, 1020 Wien [email protected] Gaiser, Birgit Dr. phil., Referentin für Mentoring-Programme an der Geschäftsstelle der Helmholtz-Gemeinschaft. Arbeitsschwerpunkte: Personalentwicklung, Qualifizierungskonzepte, E-Learning, Hochschulentwicklung. Adresse: Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren Anna-Louisa-Karsch-Straße 2, 10178 Berlin [email protected] Glowalla, Ulrich Prof. Dr. rer. nat. habil., Dipl.-Psych., o. Universitätsprofessor für Pädagogische Psychologie an der Universität Gießen, Leiter der Forschungsgruppe Instruktion und Interaktive Medien (iim). Arbeitsschwerpunkte: Angewandte Kognitionspsychologie, Webbasierte Lernsysteme, Usability-, Online- und Evaluationsforschung. Adresse: Justus-Liebig-Universität Gießen, Otto-Behaghel-Str. 10/F, 35394 Gießen [email protected] Goertz, Lutz Dr., Leiter der Abteilung Bildungsforschung beim MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung in Essen. Arbeitsschwerpunkt: Digitales Lernen, Weiterbildung allgemein. Adresse: MMB Michel Medienforschung und Beratung Folkwangstraße 1, 45128 Essen [email protected] Gruber, Hans Prof. Dr., Lehrstuhl für Pädagogik III an der Universität Regensburg. Arbeitsschwerpunkte: Expertiseforschung, Professional Learning, Komplexe Lehr-Lern-Umgebungen, Hochschuldidaktik. Adresse: Universität Regensburg 93040 Regensburg [email protected] Hasebrook, Joachim Prof. Dr., Senior Manager beim münsteraner Beratungsunternehmen zeb/rolfes.schieren-beck.associates sowie als Professor für Informationsmanagement an der Wissenschaftlichen Hochschule Lahr. Adresse: zeb/rolfes.schierenbeck.associates gmbh Hammer Straße 165, 48153 Münster [email protected]

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Herder, Meike Dipl.-Psych., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Psychologie der Universität Gießen. Adresse: Justus-Liebig-Universität Gießen, Otto-Behaghel-Str. 10/F, 35394 Gießen [email protected] Herzog, Michael A. Unternehmensberater und Dozent für Medien- und Wirtschaftsinformatik an der FHTW und der TU Berlin; Arbeitsschwerpunkte: Wirtschafts-/Medieninformatik. Adresse: FHTW Berlin Treskowallee 8, 10318 Berlin [email protected] Hesse, Friedrich W. Prof. Dr. phil., Dr. rer. nat. habil., o. Universitätsprofessor für Angewandte Kognitionspsychologie und Medienpsychologie an der Universität Tübingen, Direktor des Instituts für Wissensmedien (IWM). Arbeitsschwerpunkte: Lernen mit neuen Medien, netzbasierte Wissenskommunikation, Computer Supported Collaborative Learning (CSCL). Adresse: Institut für Wissensmedien (IWM), Konrad-Adenauer-Str. 40, 72072 Tübingen [email protected] Horz, Holger Dr. rer. soc. habil., Dipl.-Psych., wissenschaftlicher Angestellter an der Arbeitsstelle Multimedia an der Universität Koblenz Landau. Arbeitsschwerpunkte: Lehren und Lernen mit Multimedia, instruktionales Design computerbasierter Lernumgebungen, Evaluation von E-Learning. Adresse: Universität Koblenz-Landau, Arbeitsstelle Multimedia Thomas-Nast-Str. 44, 76829 Landau [email protected] Howe, Falk Prof. Dr., Institut Technik und Bildung (ITB), Leiter der Abteilung „Informationstechnik und Bildungsprozesse“. Arbeitsschwerpunkte: Didaktik beruflicher Bildung, Didaktik der Arbeitslehre, ELearning in der beruflichen Bildung und in der Arbeitslehre, Arbeitsprozessorientierte dual-kooperative Berufsbildung, Arbeits- und Berufsorientierung, Historische Berufsforschung. Adresse: Universität Bremen Am Fallturm 1, 28359 Bremen [email protected] Igel, Christoph Priv. Doz. Dr., Direktor des Centre for e-Learning Technology der Universität des Saarlandes und des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). Arbeitsschwerpunkte: eLearning, Learning Management, eAssessment, Mobile Learning, ePortfolio, 3D Learning Environment Adresse: Centre for e-Learning Technology der Universität des Saarlandes und des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) Postfach 15 11 50, 66041 Saarbrücken [email protected] www.celtech.de

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Issing, Ludwig J. Univ.-Prof. Dr., Dipl.-Psych./M.A.(NY/USA), Freie Universität Berlin, Arbeitsbereich Medienforschung (Medienpsychologie und Medienpädagogik). Adresse: Freie Universität Berlin, Arbeitsbereich Medienforschung, Malteserstraße 74-100, 12249 Berlin [email protected] Jechle, Thomas Dr. phil., Studienleiter der HFU Akademie, Wissenschaftliche Weiterbildung an der Hochschule Furtwangen. Arbeitsschwerpunkte: Wissenschaftliche Weiterbildung; Mediendidaktik; Konzeption und Entwicklung von Online- und Blended-Learning-Szenarien Adresse: Hochschule Furtwangen, Fak. Digitale Medien Robert-Gerwig-Platz 1, 78120 Furtwangen [email protected] Kaltenbaek, Jesko Dipl.-Psych., vormals wissenschaftlicher Mitarbeiter am Center for Media Research der Freien Universität Berlin, derzeit Organisations- und Unternehmensberatung. Arbeitsschwerpunkte: E-Learning, Blended Learning und Wissensmanagement in Hochschulen und Unternehmen; Gestaltung virtueller Informations-, Arbeits- und Kommunikationsumgebungen. Adresse: Westfälische Str. 53, 10711 Berlin [email protected] Katzlinger, Elisabeth Mag. Dr. rer. soc. oec., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Datenverarbeitung in den Sozialund Wirtschaftswissenschaften der Johannes Kepler Universität Linz. Arbeitsschwerpunkte: E-Learning, Ausbildung in Informationsverarbeitung und E-Business. Adresse: Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Datenverarbeitung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften Altenberger Straße 69, A-4040 Linz [email protected] Kerkau, Florian Dr., geschäftsführender Gesellschafter der Goldmedia Custom Research GmbH in Berlin. Adresse: Goldmedia Custom Research GmbH Oranienburger Str. 27, 10117 Berlin-Mitte [email protected] Kerres, Michael Prof. Dr., Dipl.-Psych., Universitätsprofessor für Erziehungswissenschaft (Mediendidaktik und Wissensmanagement) an der Universität Duisburg-Essen. Adresse: Universität Duisburg-Essen Forsthausweg 2, 47057 Duisburg [email protected] Kirchner, Marcel Dipl.-Medienwiss., Doktorand am Fachgebiet Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Ilmenau; Arbeitsschwerpunkte: E-Portfolios, E-Learning 2.0. Adresse: Technische Universität Ilmenau, FG Kommunikationswissenschaft Ernst-Abbe-Zentrum Ehrenbergstr. 29, 98693 Ilmenau [email protected]

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Klimsa, Paul Prof. Dr., M.A., Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau. Arbeitsschwerpunkte: Digitale Medien in Informations- und Kommunikationssystemen, E-Learning. Adresse: Technische Universität Ilmenau, FG Kommunikationswissenschaft Ernst-Abbe-Zentrum Ehrenbergstr. 29, 98693 Ilmenau [email protected] Klosa, Oliver Dipl.-Medienwiss., wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Fachgebiet Kommunikationswissenschaft an der Technischen Universität Ilmenau. Arbeitsschwerpunkte: Internet-Fernsehen, Video-/ Filmproduktion, E-Learning. Adresse: Technische Universität Ilmenau, FG Kommunikationswissenschaft Ernst-Abbe-Zentrum Ehrenbergstr. 29, 98693 Ilmenau [email protected] Knutzen, Sönke Prof. Dr., Institut für Technik, Arbeitsprozesse und Berufliche Bildung (iTAB). Arbeitsschwerpunkte: Didaktik beruflicher Bildung, E-Learning in der beruflichen Bildung, Berufsschullehrerausbildung in den Fachrichtungen Elektrotechnik-Informationstechnik und Medientechnik, Arbeitsprozessorientierte dual-kooperative Berufsbildung. Adresse: Technische Universität Hamburg-Harburg Eißendorfer Str. 40, 21073 Hamburg [email protected] Kobbe, Lars M.A., Doktorand am Institut für Wissensmedien (Tübingen). Arbeitsschwerpunkte: Computerunterstütztes kooperatives Lernen. Lernen durch Gestalten, Informelles Lernen. Adresse: Institut für Wissensmedien Konrad-Adenauer-Str. 40, 72072 Tübingen [email protected] Koch, Nina Dipl.-Psych., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Psychologie der Universität Gießen. Adresse: Justus-Liebig-Universität Gießen, Otto-Behaghel-Str. 10/F, 35394 Gießen [email protected] Köhler, Thomas Prof. Dr., Professor für Bildungstechnologie am Institut für Berufspädagogik der TU Dresden, Direktor des Medienzentrums der TU Dresden und Sprecher des Arbeitskreises E-Learning der Landeshochschulkonferenz Sachsen. Adresse: TU Dresden Fakultät Erziehungswissenschaften, Institut für Berufspädagogik Professur für Bildungstechnologie 01062 Dresden [email protected]

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Kohn, Werner Dr., Leitung der Stabsstelle „Neue Ausbildungsmedien“ bei der D.A.S. Im Jahr 2001 erhielt er Prokura für die D.A.S. Arbeitsschwerpunkte: Fort- und Weiterbildung mit neuen Medien. Adresse: VIWIS GmbH Thomas-Dehler-Str. 2, 81737 München [email protected] Kopp, Brigitta Dr. phil., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie der Universität München. Arbeitsschwerpunkte: Kooperatives Lernen, Argumentation, Gestaltung von Lernumgebungen, Lernen mit neuen Medien, Blended Learning. Adresse: Ludwig-Maximilian-Universität München Leopoldstr. 13, 80802 München [email protected] Lerche, Thomas Dr., wissenschaftliche Mitarbeiter am Lehrstuhl für Schulpädagogik der Universität München. Arbeitsschwerpunkte: Kompetenzerwerb mit Unterstützung multimedialer und netzwerkbasierter Medien, Benutzerinitiierte Adaption von Lernumgebungen, Integration medienbasierter Lehre in den Unterricht, Konzeption und Entwicklung situierter Lehr-/Lernumgebungen, Kommunikative und konstruktive Prozesse in Lehr-Lern-Situationen. Adresse: Ludwig-Maximilian-Universität München Leopoldstr. 13, 80802 München [email protected] Leutner, Detlev Prof. Dr., Dipl.-Psych., Lehrstuhl für Lehr-Lernpsychologie, Univ. Duisburg-Essen. Arbeitsschwerpunkte: Lehr-Lernforschung (insbesondere Selbstreguliertes Lernen und Lernen mit Multimedia), Kompetenzdiagnostik und Evaluation. Adresse: Universität Duisburg-Essen, Lehrstuhl für Lehr-Lernpsychologie Weststadttürme, Berliner Platz 6-8, 45117 Essen [email protected] Mandl, Heinz Prof. Dr., Dipl. Psych., Professor für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie an der Universität München. Arbeitsschwerpunkte: Lehr-Lern-Forschung mit neuen Medien, insbesondere selbstgesteuertes und kooperatives Lernen, Wissensmanagement, Blended-Learning, Bildungscontrolling. Adresse: Ludwig-Maximilian-Universität München, Department Psychologie Leopoldstr. 13, 80802 München [email protected] Michel, Lutz P. Dr. M.A., Inhaber und Geschäftsführer MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung; Essen und Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Qualifikations- und Berufsforschung, Bildungs- und Kompetenzforschung, Arbeitsmarktforschung, Standortanalysen, Medienforschung, Politikberatung. Adresse: MMB-Institut für Medien- und Kompetenzforschung Folkwangstraße 1, 45128 Essen [email protected]

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Neumann, Jörg Dr. phil., Dipl.-Berufspäd., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Medienzentrum (MZ) der TU Dresden sowie an der Professur für Bildungstechnologie der Fakultät Erziehungswissenschaften. Arbeitsschwerpunkte: Organisationsentwicklung, E-Learning, Medieneinsatz in der Beruflichen Aus- und Weiterbildung. Adresse: Technische Universität Dresden, Medienzentrum (MZ) 01062 Dresden [email protected] Niegemann, Helmut M. Univ.-Prof. Dr. habil., Lehrstuhl für „Lernen und neue Medien“ sowie Direktor des Zentrums für Lehr-/ Lern- und Bildungsforschung (ZLB) der Universität Erfurt. Arbeitsschwerpunkte: Instructional Design (psychologisch-didaktische Konzeption) und Bildungstechnologie, Interaktivität und Emotionen beim Lernen sowie Fragenstellen und Rückmeldungen. Adresse: Universität Erfurt Nordhäuser Str. 63 PF 900 221, 99105 Erfurt [email protected] Ojstersek, Nadine Dr., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Mediendidaktik und Wissensmanagement der Universität Duisburg-Essen. Adresse: Universität Duisburg-Essen Forsthausweg 2, 47057 Duisburg [email protected] Reinmann, Gabi Dr. phil., Professur für Lehren und Lernen mit Medien an der Universität der Bundeswehr München. Arbeitsschwerpunkte: E-Learning/Blended Learning und (persönliches) Wissensmanagement in Schule, Hochschule und Wirtschaft. Adresse: Universität der Bundeswehr München, Fakultät für Pädagogik Werner-Heisenberg-Weg 39, 85577 Neubiberg [email protected] Roche, Jörg Matthias Prof. Dr., Professor für Deutsch als Fremdsprache und leitet das Multimedia Forschungs- und Entwicklungslabor („Werk-Stadt“) an der Ludwig-Maximilans-Universität München. Er ist wissenschaftlicher Direktor der Deutsch-Uni Online (DUO) und assoziierter Professor an der German-Jordanian University in Amman. Arbeitsschwerpunkte: Theorie und Medien der Sprach- und Kulturvermittlung, der Spracherwerb und die interkulturelle Kommunikation Adresse: Multimedia Forschungs- und Entwicklungslabor Institut für Deutsch als Fremdsprache Universität München Prinzregentenstr.7, 80538 München [email protected] Saupe, Volker Prof. Dr.-Ing.-habil., Professor für Elektroniktechnik an der Deutsche Telekom Hochschule für Telekommunikation Leipzig (FH) und Leiter des Instituts für duales Studium und Wissenstransfer. Adresse: Hochschule für Telekommunikation Gustav-Freytag-Str. 43-45, 04277 Leipzig [email protected]

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Schaumburg, Heike Dr. phil., wissenschaftliche Assistentin am Institut für Erziehungswissenschaften der HumboldtUniversität zu Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Unterrichtsforschung, Lernen mit Medien, E-Learning, Mobiles Lernen. Adresse: Humboldt-Universität zu Berlin Institut für Erziehungswissenschaft Unter den Linden 6, 10099 Berlin Schisler, Peter Dr., geschäftsführender Gesellschafter des Berliner L4 – Institut für Digitale Kommunikation; privater Bildungsanbieter für innovative Medienausbildungen (z. B. Visual Design, 3D-Design, Film- und Videodesign). Produktion diverser Medienprodukte wie z. B. 3D-Animationen, Videoclips. Aktuell betreibt L4 mit TV-Journalisten den TV-Sender „LIFE 4-U“ in Second Life – auch zur Ergänzung der Videojournalisten-Ausbildung bei L4 im virtuellen Raum. Adresse: L4 - Institut für Digitale Kommunikation GmbH Heinrich-Roller-Str. 16/17, D-10405 Berlin [email protected] Schnotz, Wolfgang Prof. Dr., Leiter der Arbeitseinheit Allgemeine und Pädagogische Psychologie, Leiter der Arbeitsstelle Multimedia und Leiter der Graduiertenschule. Gegenwärtige Arbeitsschwerpunkte: Wissenserwerb mit Multimedia; Lernen mit Texten, Bildern und Graphiken; Wissenserwerb mit Hypermedien; Aufbau und Umstrukturierung von Wissen; Unterrichtsprozesse der Universität Koblenz-Landau. Adresse: Universität Koblenz-Landau Campus Landau, Thomas-Nast-Str. 44, 76829 Landau [email protected] Schulmeister, Rolf Prof. Dr., Leiter des Zentrums für Hochschul- und Weiterbildung (ZHW) in der Fakultät 4 für Erziehungswissenschaft, Psychologie und Bewegungswissenschaft der Universität Hamburg und Professor am Institut für Deutsche Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser in der Fakultät 5 für Geisteswissenschaften. Arbeitsschwerpunkte: Methoden des Lernens, Multimedia Entwicklung, Einsatz der Neuen Medien in der Lehre, auf den psychologisch-didaktischen Grundlagen. Adresse: Universität Hamburg, Zentrum für Hochschul- und Weiterbildung (ZHW) Vogt-Kölln-Str. 30, Haus E, 22527 Hamburg [email protected] Schulz-Zander, Renate Prof. Dr., zuständig für Bildungsforschung mit dem Schwerpunkt Informations- und Kommunikationstechnologische Bildung, Leiterin des Instituts für Schulentwicklungsforschung der Technischen Universität Dortmund, Fakultät der Erziehungswissenschaft und Soziologie. Arbeitsschwerpunkte: Lehren und Lernen mit digitalen Medien, Online-Lernen‚ Schulentwicklung mit digitalen Medien und Genderforschung, digitale Medien. Adresse: Institut für Schulentwicklungsforschung (IFS) Technische Universität Dortmund, 44221 Dortmund [email protected]

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Seidel, Thomas Projektkoordinator E-Learning (Gruppe Projektmanagement Digitale Produkte beim Cornelsen Verlag) und Dozent für Computereinsatz im Unterricht mit den Schwerpunkten: Unterrichtskonzepte, Akzeptanzschwierigkeiten, Schulorganisation/Leadership, Mobiles Lernen und Internationale Studien. Arbeitsschwerpunkte: Konzeption und Interfacedesign webbasierter Lern- und Kollaborationssoftware. Adresse: Cornelsen Verlag GmbH & Co. oHG Mecklenburgische Straße 53, 14197 Berlin [email protected] Seufert, Sabine Prof. Dr., Geschäftsführerin des Swiss Centre for Innovations in Learning (SCIL) am Institut für Wirtschaftspädagogik an der Universität St. Gallen. Arbeitsschwerpunkte: Bildungsmanagement, Bildungsinnovation. Adresse: Swiss Centre for Innovations in Learning Dufourstrasse 40a, CH-9000 St.Gallen [email protected] Seufert, Tina Prof. Dr. Dipl. Psych., Professorin für Medienpädagogik und Mediendidaktik, Universität Ulm. Arbeitsschwerpunkte: Lernen mit multiplen Repräsentationen, Förderung von Lernstrategien, ATIForschung. Adresse: Universität Ulm, Fakultät für Ingenieurwissenschaften und Informatik Institut für Pädagogik, Albert-Einstein-Allee 47, D-89069 Ulm [email protected] Sieck, Jürgen Prof. Dr., Professor für Informatik an der FHTW Berlin und Leiter der Forschungsgruppe INKA. Arbeitsschwerpunkte: mobile Anwendungen, Multimediale Systeme, Algorithmen, Datenstrukturen. Adresse: FHTW Berlin Treskowallee 8, 10318 Berlin [email protected] Stratmann, Jörg Dr. phil., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Hochschul- und Qualitätsentwicklung (Geschäftsbereich E-Learning) an der Universität Duisburg-Essen. Adresse: Universität Duisburg-Essen Standort Duisburg Zentrum für Hochschul - und Qualitätsentwicklung Lotharstr. 65, 47048 Duisburg [email protected] Strzebkowski, Robert Prof. Dr., Professor für 'Autoren- und Rich-Media-Systeme' an der Technischen Fachhochschule Berlin im Fachbereich VI Informatik und Medien und Leiter des Labors für Computergrafik und Animation das Multimedia-Labor. Arbeitsschwerpunkte: interaktive Rich-Media Online-, Mobile- und Offline Anwendungen, interaktives Fernsehen (iTV), Fernsehen über das Internet (IP-TV) als Hypermedia-TV, Interface-Agenten, eLearning in KMUs und in der beruflichen Bildung, Multimedia-Didaktik. Adresse: Technische Fachhochschule Berlin FBVI Informatik und Medien Luxemburger Straße 10, 13353 Berlin [email protected]

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Süße, Cord Dipl.-Psych., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Psychologie der Universität Gießen. Adresse: Justus-Liebig-Universität Gießen, Otto-Behaghel-Str. 10/F, 35394 Gießen [email protected] Tulodziecki, Gerhard Prof. Dr., emeritierter Universitätsprofessor für Allgemeine Didaktik und Schulpädagogik an der Universität Paderborn mit den Schwerpunkten Unterrichtswissenschaft und Medienpädagogik. Adresse: Universität-GH Paderborn, Fakultät für Kulturwissenschaften Warburger Straße 100, 33098 Paderborn [email protected] Wagner, Michael Univ.-Prof. Dr., Universitätsprofessor am Department für Interaktive Medien und Bildungstechnologien der Donau-Universität Krems. Arbeitsschwerpunkte: partizipativen Mediensystemen sowie deren Einsatz im bildungstechnologischen Umfeld, Demokratisierung der Medienproduktion innerhalb der Jugendkultur, Bildung kollektiver Intelligenz in digitalen Medienwelten, Untersuchung des Mediums „Computerspiel“ als neues Leitmedium von Kindern und Jugendlichen. Adresse: Donau-Universität Krems Department für Interaktive Medien und Bildungstechnologien Dr.-Karl-Dorrek-Straße 30, A-3500 Krems [email protected] Weidenmann, Bernd Prof. Dr., Dipl. Psych., Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie an der Universität der Bundeswehr München. Arbeitsschwerpunkte: Neue Medien und Lernen mit Bildern. Adresse: Universität der Bundeswehr München, Fakultät für Sozialwissenschaften, Werner-Heisenberg-Weg 39, 85579 Neubiberg [email protected] Weinberger, Armin Dr., Ludwig-Maximilians-Universität München, Akademischer Rat am Lehrstuhl für Empirische Pädagogik und Pädagogische Psychologie, Department Psychologie. Arbeitsschwerpunkte: Computerunterstütztes kooperatives Lernen, Kooperationsskripts, interkulturelle Pädagogik. Adresse: LMU München Leopoldstr. 13, 80802 München [email protected] Westphal, Alexander Dr., vormals wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Mathematikdidaktik an der TU-Berlin, jetzt Projektmanager für neue Medien im Cornelsen Verlag. Adresse: Cornelsen Verlag Mecklenburgische Str. 53, 14197 Berlin [email protected]

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Wuttke, Heinz-Dietrich Dr.-Ing., leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter im Fachgebiet „Integrierte Hardware- und Softwaresysteme“ an der Technischen Universität Ilmenau; Arbeitsschwerpunkte: formale Validierungsmethoden digitaler Systeme und E-Learning-Technologien. Adresse: Technische Universität Ilmenau, Fakultät für Informatik und Automatisierung, PF 10 05 65 [email protected] Zimmer, Gerhard Univ.-Prof. em. Dr., Professor für Berufs- und Betriebspädagogik, Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften. Adresse: Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg Holstenhofweg 85, 22043 Hamburg [email protected]