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German Pages 315 [368] Year 2000
Offerenteninschriften auf den frühchristlichen Mosaikfußböden Veneüens und Istriens
Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Herausgegeben von Heinrich Beck, Dieter Geuenich, Heiko Steuer Band 26
w G_ DE
Walter de Gruyter • Berlin · New York 2001
Offerenteninschriften auf den frühchristlichen Mosaikfußböden Venetiens und Istriens von Alfons Zettler
w G DE
Walter de Gruyter · Berlin • New York
2001
© Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt.
Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufnahme Reallexikon der germanischen Altertumskunde / von Johannes Hoops. Hrsg. von Heinrich Beck ... — Berlin ; New York : de Gruyter Bis Bd. 4 der 1. Aufl. hrsg. von Johannes Hoops Ergänzungsbände / hrsg. von Heinrich Beck ... Zettler, Alfons: Offerenteninschriften auf den frühchristlichen Mosaikfußböden Venetiens und Istriens / von Alfons Zettler. - Berlin ; New York : de Gruyter, 2000 (Reallexikon der germanischen Altertumskunde : Ergänzungsbände ; Bd. 26) ISBN 3-11-016261-X
© Copyright 2000 by Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, D-10785 Berlin. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Druck: Werner Hildebrand, Berlin Buchbinderische Verarbeitung: Lüderitz & Bauer GmbH, Berlin Einbandgestaltung: Christopher Schneider, Berlin
Vorwort Die vorliegende Studie erwuchs aus der Beschäftigung mit der älteren Geschichte Venedigs und der mittelalterlichen Memorialiiberlieferung während meiner Assistenzzeit am Landesgeschichtlichen Institut der Universität Freiburg. Dankbar gedenke ich der vielfältigen Anregungen, die ich auf Exkursionen und in Seminarübungen in dem Kreis um Karl Schmid und später um Thomas Zotz erhielt. Für den Druck habe ich den Titel der Arbeit, die im Sommersemester 1994 vom Gemeinsamen Ausschuss der Philosophischen Fakultäten I-IV in Freiburg als Habilitationsschrift angenommen wurde, leicht geändert, Text und Apparat wurden durchgesehen und ergänzt. Nach dem Jahre 1993 erschienene Literatur konnte allerdings nur noch in wenigen Fällen eingearbeitet werden. Ausdrücklich zu nennen ist unter den nicht mehr im einzelnen berücksichtigten Veröffentlichungen das Werk von J.-P. Caillet, das mir in der Manuskriptfassung von 1982 trotz wiederholten Bemühungen nicht zugänglich war und erst nach Abschluß meiner Studie Ende 1993 im Druck erschien. Den Herausgebern der „Ergänzungsbände" bin ich für die bereitwillige Aufnahme des Werks in die Reihe zu Dank verpflichtet. Frau Yvonne Klute besorgte die Einrichtung des Manuskripts für den Druck, und Frau Ingeborg Neumann vom Verlag Walter de Gruyter betreute die Drucklegung. Ihnen gilt mein besonderer Dank dafür, daß das Buch nun in solch ansprechender Gestalt vorliegt. Dortmund, im September 2000
A. Z.
Inhalt 1. Problemstellving 2. Prolegomena Der Fußboden als Ort von Bild und Schrift 2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.2.6.
Kurzer Abriß der Geschichte des musivischen Paviments Bilderwelt und Inschriften: Der Fußboden als Schauplatz und Bedeutungsträger Kult, Mythologie und Zauber Historie, Literatur und die Musen Sport und Kampf, Alltag und Geschäftsleben Grab und Totenkult Inschriften Die Bodenmosaike in der 10. Region (Veneria et Histria)
1
12 13 18 19 23 25 28 29 36
3. Bodenmosaike in Kirchen und ihre Inschriften Panorama
38
4. Offerenteninschrifteri in den Kirchen am Adriabogen
59
5. Paviment und Pedatura
70
Α. Bischofskirchen
70
1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.3.1. 2.3.2.
70 75 76 77 82 82 84
Aquileia Parenzo/Porec Nordhalle Südhalle „Basilica preeufrasiana" Mittelschiff Seitenschiffe
νπι 3. 4. 4.1. 4.2.
Inhalt
Concordia Grado - Dom Sant'Eufemia Mittelschiff Seitenschiffe und „Salutatorium"
86 89 89 94
B. Andere Kirchen
97
1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 8.1. 8.2.
97
Aquileia-Monastero Betika Grado - Santa Maria delle Grazie Grado - Kirche auf der Piazza della Corte lesolo Ljubljana (Emona) San Canzian d Isonzo Triest - Kirche „Via Madonna del Mare" Das ältere Paviment Das jüngere Paviment
6. „Stifterbilder" und „Stifterinschriften" in Aquileia? 6.1. 6.2. 6.3. 6.4.
Die Bauten des Bischofs Theodor Die beiden Aulen Die Bodenmosaike der Südaula und ihre Bilderwelt Die Inschriften
7. Rechtliche Grundlagen und memorialer Charakter der Epigraphe - Opfer, Stiftung und Gebetsgedenken 7.1. 7.2.
Rechtliche Grundlagen Memorialer Charakter der Epigraphe
102 103 106 108 110 112 113 114
117 118 124 127 136
145 148 151
Inhalt
IX
Dokumentation der Inschriften
165
Aquileia Betika . . Z Z I " I Z Z I Z Z Z ! I I I Z Z Z i I Z I I Z I I I " " I " Z I I Brescia Celje Classe Concordia Faenza Florenz Grado "Z"ZZZZ'.ZZ ZZZZZZIZZZ Hemmaberg/Globasnitz lesolo Inzino/Val Trompia Ljubljana Padua Parenzo/Porec
166 183 184 186 189 190 192 193 194 212 213 217 218 221 222
Rimini S. Canzian d'Isonzo Stojnik Teurnia/St. Peter im Holz Trient Triest Verona Vicenza
232 232 235 237 238 239 246 249
ZZ"ZZZZZZZ
Pua l
Zugio
zzzzzzzzzz:zzz:zzzzzzzz: 231
zzzzzz:
Personennamen der Inschriften Schrifttum Register Tafeln 1-16
zzzzzzzz::: 252 253
259 299
1. Problemstellung Ein schwer zu beschreibender Reiz geht von den prächtigen Mosaikfußböden der spätantiken Kirchen an der oberen Adria aus. Halbversunken, wie in der wasserüberfluteten Krypta von San Francesco in Ravenna, oder vielbeschrittenes Interieur im belebten Gotteshaus, wie im Dom Sant'Eufemia zu Grado, künden sie vom Glauben und vom Kult der Christen in der Periode, da das Christentum infolge der kaiserlichen Toleranzedikte seit 311 und der „Bekehrung" Konstantins in die Öffentlichkeit trat und Kultbauten und Versammlungslokale nach seinen Bedürfnissen errichten und ausschmücken konnte. Im vierten Jahrhundert hat sich daher im Anschluß an die konstantinischen und vor allem die von Konstantin selbst und seinen Söhnen geförderten Monumentalbauten eine spezifisch christliche Architektur herausgebildet, und auch für den Schmuck der Kulträume ergaben sich christliche Konventionen. Die archäologische Erforschung frühchristlicher Kirchen hat gezeigt, daß diese in vielen Regionen des Römischen Reiches regelmäßig mit Mosaikpavimenten ausgestattet wurden. Die Bodenmosaiken konnten, wie im Dom zu Aquileia, ein theologisches Bildprogramm tragen. Das gilt im Westen und insbesondere an der Adria nur für die älteste Gruppe der Kirchen des 4. Jahrhunderts. Die ikonoklastischen Strömungen, die in diesem Jahrhundert einsetzten, dürften bewirkt haben, daß die christlichen Mosaikpavimente in der Folgezeit ganz überwiegend ornamental gehalten sind. Historisches Interesse verdienen die Pavimente, weil sie Personen beim Namen nennen, die offenbar zur Ausgestaltung der Gotteshäuser beigetragen haben. Das nämlich berichten nicht wenige der in die Fußböden eingelassenen Inschriften. Sie führen an, die Beiträger hätten ein Versprechen eingelöst und einen Abschnitt des Mosaikbodens „machen" lassen - „ille/-a fecit pedes tot" oder „illi fecerunt pedes tot", wie es heißt. Da den Namen gelegentlich nähere Bezeichnungen beigefügt wurden, kann auch sogleich die Aussage getroffen werden, daß hier nicht nur die Bischöfe und der Klerus beteiligt waren. Die Erwähnimg von senatorischen Adelsprädikaten wie des Hlustrats oder des Qarissimats, von militärischen Rängen wie des „magister militum" sowie von „Berufsbezeichnungen", und die Tatsache, daß in den Epigraphen nicht selten weibliche Namen begegnen, zeigt schon auf den ersten Blick einen recht heterogenen Personenkreis an, der seine Mitwirkung an der Ausgestaltung der Kirchen auf diese Weise dokumentierte1. In der kleineren Kirche von Teurnia »
Vgl. Pietri 1982,127 ff.
2
Offerenteninschriften
beispielsweise ließen laut Inschrift ein Ur$(us) v(ir) s(pectabilis), in dem man das norische Pendant des raetischen Dux Servatius und „vielleicht des in Trient wirkenden Censorius"2, nämlich eines Grenztruppengenerals unter Theoderich sieht, und seine Gemahlin Ursina das Bodenmosaik verlegen. Anhand des Namenguts der Inschriften hat man die Präsenz von Goten (in Grado3) erschlossen, aber auch Überlegungen zur frühchristlichen Namengebung allgemein angestellt. Und wenn im Dom zu Grado einige Militärs den Truppenverband angeben, bei dem sie dienten, so hat man daraus Anhaltspunkte für die Stationierung und den Einsatz der Truppen entnommen4. Die Pavimentinschriften dürfen also offensichtlich als beachtliche historische Zeugnisse gelten, denn sie werfen Licht nicht nur auf die Organisation der Kirche, sondern auch auf die spätantike Gesellschaft. Aber ihre Befragung tinter solchen Aspekten stößt schnell auf Grenzen, wie die einschlägigen Arbeiten zeigen. Nimmt man beispielsweise das Buch von Giuseppe Cuscito über das frühe Christentum in Aquileia und Istrien zur Hand, so fällt auf, wie sehr das Studium der Pavimentepigraphe in der Beschreibung der Inschriften und im Vergleich von Namengut stecken bleibt5. Andere Beiträge, wie „Aspetti sociali della comunità cristiana di Aquileia attraverso le epigrafi votive"6 oder „Valori umani e religiosi nell'epigrafia cristiana dell'Alto Adriatico"7, zeigen zwar sozial- und kulturgeschichtliche Fragestellungen an, zielen aber auf den engsten Kreis der jeweiligen frühchristlichen Gemeinde, welche die Inschriften hinterlassen hat. So können natürlich nur sehr punktuelle Ergebnisse erzielt werden, denn die einzelnen Inschriften machen ja nur wenige Angaben. Solche Probleme und Schwierigkeiten grundsätzlicher Art beim Umgang mit diesem Quellenbestand von immerhin einigen Hundert Epigraphen werden schon auf den ersten Blick deutlich. Die Tatsache, daß sogar eine allgemein anerkannte, adäquate Bezeichnung der Inschriften fehlt, spiegelt das dürftige Wissen um die Existenzbedingungen und den Sinn der Inschriften, um die Beweggründe der Menschen, die sie setzen und sich auf ihnen beim Namen nennen ließen, kurz: um den Sitz dieser Epigraphe im Leben. Es erscheint deshalb symptomatisch, wenn Cuscito in den genannten Beiträgen von „epigrafi votive", von Votiv- oder Weiheinschriften spricht - ganz abgesehen 2
Krahwinkler 1992,21; vgl. Wolfram 31990,316; Wolfram 1987,74.
3
Vgl. Krahwinkler 1992, 27 (mit Hinweisen).
4
Vgl. Krahwinkler 1992, 23 (mit Hinweis auf Hoffmann 1961/62).
5
Cuscito 1977, bes. 201 ff. („Aspetti sociali della comunità cristiana di Aquileia fra il IV e il V secolo attraverso le testimonianze epigrafiche").
6
Cuscito 1972,237 ff.
7
Cuscito 1972b, 167 ff.
Problemstellung
3
davon, daß dies zumindest mißverständlich ist, denn Weiheinschriften heißen ja traditionell die unzähligen Epigraphe auf Altären und ähnlichem in der paganen Antike. Oder hören wir Danilo Mazzolali, der diese Inschriften im Sinne eines Terminus technicus meist neutral „iscrizioni musive cristiane", christliche Mosaikinschriften, gelegentlich aber auch „iscrizioni di offerenti" oder „iscrizioni dedicatorie", also Weiheinschriften, nennt: Eine klare Klassifizierung dieser Uberreste, die gleichzeitig auch Textüberlieferung sind, hat noch nicht einmal die Wissenschaft gefunden, die sich zuvörderst mit ihnen befaßt, die Epigraphik8. In der Christlichen Archäologie pflegt man ebenfalls von Votiv-9 oder von Stifterinschriften10 zu sprechen, während die Geschichtswissenschaft diesen Überlieferungssektor bislang nur am Rande gestreift hat11. Die terminologischen Unstimmigkeiten zeigen auf, welche Unsicherheit hinsichtlich der Funktion und des Sinnes dieser Inschriften herrscht. Giovanni Battista de Rossi, der Altmeister der christlichen Archäologie in Italien, registriert einfach einen „uralten Brauch"12 und meint dazu, die Gläubigen hätten sich auf diese Weise in die Finanzierung der Kirchen geteilt. Cattaneo findet die Inschriften „merkwürdig und gewiß wenig vereinbar mit der evangelischen 8
Vgl. beispielsweise Meyer 1973, 18, der den Mosaikinschriften insgesamt nur einen Satz widmet, sie indessen nicht den Weiheinschriften zuordnet. Vgl. ferner Guarducci 1978; Susini 1982; Testini 1958 (21980).
9
Andresen 1971, 12: „Arme Gemeinden waren zwangsläufig darauf angewiesen, das einfache Fußbodenmosaik zum künsderischen Darstellungsmittel des chrisdichen Glaubens und seiner Symbole zu machen; archäologische Belege kommen daher auch aus der Provinz und den ländlichen Bezirken. Gleiche Beobachtungen lassen Grabungsbefunde an palästinensischen Synagogen des 5./6. Jahrhunderts zu. Bezeichnenderweise ging man in Grado, wohin der Metropolit von Aquileia vor den Langobarden fliehen mußte, dazu über, Fußbodenmosaiken mit Votivgeldern privater Spender zu finanzieren, die ihrerseits - aus verständlichen Gründen - ornamentale bzw. geometrische Muster bevorzugten. Umgekehrt sind die kostbaren Monumentalmosaiken an den Wänden hauptstädtischer Kirchen weithin kaiserlicher Freigebigkeit zuzuschreiben".
10
Deichmann 1983, 346: „Uberall im Adriagebiet von Ravenna bis nach Istrien herrschte im kirchlichen Bereich der Brauch, Inschriften in die meist von Gläubigen gestifteten Bodenmosaiken zu setzen, die den Umfang der gestifteten Fläche und den Namen des Stifters fesdegen, ein Brauch, der gelegentlich auch anderswo herrschte, so selbst in palästinensischen Synagogen".
11
Ward-Peikins 1984, 53: „The patronage of the lesser secular and ecclesiastical aristocracy in northern Italy in the fifth and sixth centuries is particularly well documented through the custom of donating a certain number of square feet of mosaic towards a church's floor and of carefully recording this on the floor in a mosaic inscription. Inscriptions of this kind, listing a large number of local donors (both ecclesiastics and laymen), have survived at Porec, Trieste, Grado, Aquileia, Concordia, Ravenna, Vicenza, Verona, Brescia, and Florence". Martin 1987: keine Angaben. Siehe aber Pietri 1982,277 ff.
12
De Rossi 1875, 123: „Queste epigrafi adunque sono dei contributor! dell'opera: ed antichissimo fu l'uso de fare i musaici dei pavimenti delle chiese, dividendone la spesa tra molti fedeli; che segnavono i loro nomi ed anche la misura dell'area dai singoli per voto o libera oblazione adornata". - Die Kirche S. Maria in Castello ist übrigens eines der Beispiele für das gelegentliche Fortleben des altchristlichen Brauches bis ins Hochmittelalter.
4
Offerenteninschriften
Demut" 13 . In den meisten epigraphischen Handbüchern werden sie, wenn überhaupt, nur kurz vermerkt, vor allem natürlich in den Werken zur christlichen Epigraphik14. In jüngerer Zeit hat sich am ausführlichsten der Epigraphiker Mazzoleni zu den Pavimentinschriften im oberadriatischen Raum geäußert15 - und zwar auf der Basis eines von ihm erstellten, indessen nicht gedruckten Katalogs16. Mazzoleni sagt, die oberadriatischen Mosaikinschriften seien im weiteren Rahmen eines im gesamten orbis cbristiams antiquns vom 4. bis 6. Jahrhundert verbreiteten Brauches zu sehen. Die Personen, die zur Errichtung von Kirchen beitrugen, hätten auf den Mosaikpavimenten Votivinschriften anbringen lassen. Zwar weisen die Epigraphe - so Mazzoleni - vorwiegend stereotype Formulare auf, doch begegnen gelegentlich auch Zitate aus der Heiligen Schrift. Besonders massiert treten die Inschriften nach Mazzoleni im Heiligen Land, in Syrien und auf den griechischen Inseln auf, dort allerdings erst im 5. Jahrhundert und in der justinianischen Epoche. Bezüglich Italiens stellt Mazzoleni eine allgemeine Verbreitung fest, die jedoch mit einiger Gewißheit Rom und Latium ausspare, wo die Produktion von Tessellatböden im Zeitalter Konstantins innerhalb weniger Jahrzehnte insgesamt ende17. Da „Votivinschriften" auf Bodenmosaiken ebenso wie funerale Mosaikinschriften nicht ausschließlich in der christlichen Welt begegnen, stammten beide Arten aus der paganen antiken Kultur. Man finde ähnliche Inschriften in Wohnhäusern, in Bädern und in Versammlungsräumen18. Besonders hervorzuheben sei ihr zahlreiches Auftreten in Synagogen des 5. und 6. Jahrhunderts in Syrien und Palästina19. Im Hinblick auf die christlichen „Votivinschriften" auf den Bodenmosaiken führt Mazzoleni sodann an, vor diesem Hintergrund sei es nur folgerichtig, daß die Gläubigen sich gemäß ihren Möglichkeiten an den Kosten der Tessellate in den kirchlichen Kulträumen beteiligten - ähnlich wie schon die Heiden zur Ausgestaltung der Tempel und öffentlichen Gebäude beizutragen pflegten. Manchmal habe es auch geschehen können, daß die Beiträger nicht »
Cattaneo 1888, 49.
14
Beispielsweise Kaufmann 1917, 388 ff., der sie unter den „Bauinschriften" subsumiert; GrossiGondi 1920, 379-380: „Iscrizioni per donativi e votive".
is Mazzoleni 1986, 311 ff. "
Mazzoleni 1979, 278 f.
17
Dort herrschten andere Typen von Schmuckfußböden vor: Guidobaldi - Guiglia-Guidobaldi 1983, 13; unter dem Aspekt späterer Rezeption McClendon 1980, 157-165; Claussen 1992, 87-125 (mit Hinweisen).
18
Beispiele unten Kapitel 2.
19
Zusammengestellt von Lifshitz 1967.
Problemstellung
5
mit einer Inschrift, sondern durch die Anbringung ihres Portraits festgehalten worden seien, wie man das am Boden der Siidaula von Aquileia beobachten könne20. Auch wenn die Portraits in Aquileia für singular gehalten würden und ihre Deutung umstritten sei, gebe es doch auch anderswo gelegentlich Beispiele für Stifterbilder auf Mosaikböden. Mazzoleni nennt die Kirche der hll. Cosmas und Damian in Gerasa, wo zu beiden Seiten der Bauinschrift vor der Stufe zum Presbyterium Theodor und seine Frau Georgia als Vollfiguren jeweils zwischen zwei Bäumen stehend wiedergegeben sind. Georgia hebt beide Hände zum Gebet. Michele Piccirillo, der dieses auf das Jahr 533 datierte Mosaik publiziert hat, bemerkt dazu, Theodor und Georgia seien im Frieden des Paradieses dargestellt21. Die Motive, welche die Gläubigen veranlaßten, zum Mosaikfußboden ihrer Kirche einen Abschnitt beizutragen, konnten - so Mazzoleni - unterschiedlicher Art sein. 56 Epigraphe aus der Regio X, Veneria et Histria, besagten, dem Beitrag habe ein Gelübde, ein Votum, zugrunde gelegen (vcbm solvit, pro voto Jkit, ex vota und ähnlich). Nur eine einzige Inschrift im Dom zu Pola in Istrien falle aus diesem Rahmen, wenn es dort heißt, ein Donatianus habe zweihundert Fuß Mosaikboden pro ammvarcttkine làmie, also zum Gedächtnis seiner vermutlich verstorbenen Frau, Mutter oder Tochter gegeben22. Meistens sei indessen der Beweggrund für das Votum nicht genauer angegeben. Mazzoleni denkt deshalb an einen gemeinschaftlichen Pool, in den die einzelnen Beiträge geflossen seien23, während Testini argumentiert, allen Formeln, mit denen der individuelle Beitrag angesprochen werde, unterliege implizite ein Votum oder Gelübde, das aber nicht der öffentlichen Verkündung bedurfte24. Damit ist aber die Wertschätzung, die bei den Inschriften Venetiens und Istriens auf die Pedaturaangabe, das Fußmaß der beigetragenen Mosaikfläche, gelegt wird, nicht erklärt. Wenn Mazzolenis vorhin angedeutete Sicht, daß es sich um einen Geldbeitrag zu Händen der Kirche gehandelt habe, zutreffen würde, dann wäre es verwunderlich, wenn nie ein Betrag25, sondern eben stets die Pedatura angegeben wird. Ein wesentlicher Gedanke war daher offensichtlich die Verbindung von Inschrift und Paviment - oder, anders gewendet, die individuelle Darstellung des einzelnen Beiträgers. In dieselbe Richtung deutet auch, daß es in der Regel Einzelpersonen oder familiär verbundene kleine 20
Vgl. unten Kapitel 6.
21
Mazzoleni 1986, 318; Piccirillo 1981, 40 f.; vgl. ferner Kleinbauer 1986, 89 ff., zum Bildtyp.
22
„Dokumentation der Inschriften", Pula Nr. 3.
23 Mazzoleni 1986,319. 2
« Testini 1958 (21980), 485.
25
Dafür gibt es Beispiele in palästinensischen Synagogen: Hammat-Gader (erste Hälfte 5. Jahrhundert); Avi-Yonah 1976, Π 472 f.
6
Offerenteninschriften
Gruppen sind, die in den Inschriften genannt werden. Eine Reihe von Epigraphen nennt beispielsweise Frauen. Gelegentlich begegnen in der Regio X Famuli26 als Beiträger - auch diese zählten ja in der Antike zum Haus -, nicht aber Kollektive oder Kollegien27. Ich bin deshalb so ausführlich und im einzelnen auf die Argumentation seitens der christlichen Epigraphik eingegangen, weil sie den desolaten Stand der Forschung aufzeigt. Der rasche Durchgang und die Sichtung der Positionen in der bisherigen Forschung macht zwei für den Gang unserer Untersuchungen wichtige Sachverhalte deutlich: einmal den eigentümlichen Standort der frühchristlichen Pavimentepigraphe in einer Sphäre zwischen Kult, Recht, Kunst, Schrift und Text und die daraus resultierende Unsicherheit, welche Fachwissenschaft sich denn nun mit diesen Zeugnissen zu befassen habe, und die weitgehende Abstinenz der Historie bei ihrer Befragung. Es liegt auf der Hand, daß der hauptsächliche Grund der mangelnden Aufschließung im Quellencharakter dieser Zeugnisse und in der Art ihrer Uberlieferung zu suchen ist. Und es wurde außerdem klar, daß es sich um Dokumente des religiösen Lebens in der Spätantike und der Umbruchzeit zwischen Antike und Mittelalter handelt, doch die individuelle Nennung einer nicht geringen Zahl von Personen und Familienverbänden, gebunden an einen Akt, der im Rahmen der jeweiligen christlichen Gemeinde betrachtet, als außergewöhnlich bezeichnet werden muß, legt nahe, daß die Epigraphe auch in vielerlei anderer Hinsicht aufschlußreich seien. Die notwendigen Grundlagen für die Befragung der Inschriften unter historischen Aspekten fehlen jedoch. Der Bestand ist nicht erschlossen, es liegt noch nicht einmal eine Sammlung der Epigraphe vor, geschweige denn eine kritische Ausgabe. Nicht einmal Rahmendaten für eine historische Durchdringung und Beurteilung sind gegeben. Man kann bislang nur mit einiger Gerwißheit sagen, daß diese Art von Inschriften während des 4. Jahrhunderts aufkommt und irgendwann im Verlauf des 6. oder 7. Jahrhunderts wieder ausgeht. Aber was die Urheber mit ihnen bezweckten, was die Inschriften des näheren mit ihrem Uberlieferungsträger, den Mosaikpavimenten in den Kirchen zu tun haben, durch welche Akte sie begründet wurden, an wen sie sich richteten und andere grundsätzliche Fragen mehr - all dies bedarf der Erforschung. Merkwürdig erscheint vor allem, daß der memoriale und der rechtliche Aspekt der Inschriften bisher kaum thematisiert wurde, obwohl doch mit Händen zu greifen ist, daß die monumentale Schriftlichkeit der 26
„Dokumentation der Inschriften", Celje Nr. 8-9; Parenzo, Südaula Nr. 4. Vgl. dazu unten Kapitel 5.
27
Wie das zum Beispiel der Fall ist bei dem Paviment von Khirbet-el-Maqati in Jordanien, datiert auf 482; hier wird in der zentralen Bauinschrift gesagt, das Paviment sei „auf Kosten des Dorfes" gemacht worden; Piccirillo 1981, 23-25.
Problemstellung
7
Namen nicht Selbstzweck oder Quittung für einen Beitrag zum Bau der Kirchen gewesen sein kann. Zeit ihrer sichtbaren Existenz erinnerten die Inschriften jeden, der die Kirche betrat, an diejenigen Personen, die unter Hinweis auf ihren Beitrag ihre Namen auf den Boden hatten setzen lassen. Wenn die Inschriften über einen längeren Zeitraum hinweg Bestand hatten - wie das bei den meisten Pavimenten in der Regio X der Fall war - gewann die Erinnerung zudem eine Dimension, die über das Leben des jeweiligen „Stifters" hinausreichte. Es ist deshalb klar und braucht nicht weiter begründet werden, daß die in den Inschriften genannten Personen eine auf Dauer angelegte Erinnerung an den vollzogenen Akt erstrebten. Welcher Art die intendierte Erinnerung war, bleibt genauer zu bestimmen. Doch macht schon ein erster Blick auf die Inschriften deutlich, daß der der Inschrift zugrundeliegende Akt, eine Zuwendung, die Erinnerung anstoßen sollte. Die memorialen Aspekte haben bisher kaum Aufmerksamkeit gefunden. In diesem Zusammenhang zitiert Mazzolerà zwar einen Brief des Cyprian von Karthago (ca. 250) an die numidischen Bischöfe, in dem der Kirchenvater einige Personen namentlich erwähnt, die sich durch Schenkungen Verdienste erworben hatten. Diese empfiehlt Cyprian dem Gebet seiner Amtsbrüder an28. Der Gedanke wird von Mazzoleni indes nur kurz angeschnitten und nicht weiter verfolgt. Daß die Inschriften memoriale Funktionen hatten, und diese nicht nur eine nebensächliche Rolle spielten, zeigt ferner die theologische Diskussion um die Formeln des Memento Domine, in welche einige Pavimentepigraphe miteinbezogen worden sind, weil sie - wie man meint - zur ältesten Uberlieferung des diesbezüglichen liturgischen Textguts zählen29. Deshalb kann wenig Zweifel daran bestehen: Die Pavimentinschriften führen zurück zu den Wurzeln des Gebetsgedenkens in der alten Kirche. Aus dem Exposé über Stand und Probleme der Forschung ergibt sich die Strategie, mit der die Inschriften angegangen werden sollen. Da weder ein Corpus noch eine Sammlung der Pavimentepigraphe vorliegt30, war es unabdingbar, diese zunächst im Sinne einer Quellendokumentation zusammenzustellen. Die „Dokumentation" umfaßt sämtliche Pavimentinschriften derjenigen Monumente, die Epigraphe mit der Pedaturaformel „ill. fee. pedes tot" überliefern. Wie aus der Verbreitungskarte hervorgeht, bleibt deren Vorkommen im wesentlichen auf die antike Regio X, Veneria et Histria, beschränkt und überschreitet jedenfalls die Grenzen der Kirchenprovinz des Patriarchats Aquileia nur im Einzelfall. Vollständigkeit des publizierten Materials wurde angestrebt, aber aufgrund der Ausgrabungstätigkeit und laufender »
CSEL 3/2, 699 Nr. 62IV/2.
«
Vgl. Stuiber 1954,127 ff.
30
Siehe oben Anm. 15.
8
Offerenteninschriften
Neufunde kann kein Anspruch darauf erhoben werden31. Wo irgend möglich, wurden die Lesungen am Monument überprüft, gelegentlich konnten neue Ergänzungen vorgeschlagen werden. Angesichts des schier unüberschaubaren Bestandes antiker und mittelalterlicher Inschriften und des ganz unterschiedlichen Publikations- und Bearbeitungsstandes dürfte die Dokumentation einen gangbaren Weg darstellen32. Anders als Lifshitz, der vor Jahren eine Sammlung der Pavimentinschriften von Donatoren und Stiftern in den antiken jüdischen Synagogen vorgelegt hat33, beschränke ich mich auf die Wiedergabe der Texte und kommentiere nur gegebenenfalls problematische Lesungen und die von mir vorgeschlagenen Ergänzungen. Thematisch wird zunächst zu fragen sein nach den kulturellen Voraussetzungen für die Übernahme des Bodenmosaiks in die kirchlichen Kult- und Versammlungsräume34 und nach der Verbreitung kirchlicher Bodenmosaiken sowie der entsprechenden, zugehörigen Inschriften im Imperium Romanum35. Vor diesem Hintergrund kommt die Eigenart des hier zu untersuchenden spezifischen Inschrifttyps zum Vorschein, die anhand einer Kartierung zu erläutern ist36. Denn die vorliegende Arbeit ist quellenorientiert in einer bestimmten Weise. Sie geht von der Betrachtung von durch die Archäologie zutagegeförderten Zeugnissen aus, die eine bestimmte Teilmenge des umfangreicheren Gesamtbestandes christlicher Pavimentinschriften bilden. Die hier ins Auge gefaßte Teilmenge wiederum ist nicht allein durch archäologische Kriterien definiert, sondern anhand eines Sachverhalts, den die Inschriften 31
Nach Toynbee 1976 hat zuletzt Koranda 1990, 109 f., eine Liste zusammengestellt, die allerdings auch nicht vollständig ist. Zu den dort verzeichneten Monumenten konnten einige nachgetragen werden.
32
Die Inschriften sind an unterschiedlichen Orten publiziert, und alle bisher veröffentlichten Zusammenstellungen beschränken sich auf ein Verzeichnis von mehr oder minder vielen Monumenten, die Mosaikepigraphe überliefern (siehe voraufgehende Anm.). Das Problem ist bekannt von den antiken und frühchristlichen Inschriften insgesamt. Haben doch Antike und frühes Christentum eine immense Menge an Inschriften hinterlassen, mit deren systematischer Publikation und Bearbeitung sich die Wissenschaft schwertut. Die Konzeption des Corpus der Inscriptiones Italiae, dessen Ausgabe 1931 anlief, aber mittlerweile ins Stocken geraten ist, erstreckt sich nur auf die nationalen Gebiete bzw. auf das Staatsgebiet der Zwischenkriegszeit und verzeichnet daher von dem hier untersuchten Bestand vor allem die istrischen Denkmäler, während für Rom, das hier aber nicht relevant ist, ein rasch fortschreitendes Corpus der frühchristlichen Inschriften bis zum 7. Jahrhundert vorliegt (Inscriptiones christianae urbis Romae séptimo saeculo antiquiores, begründet von De Rossi). Ein Dilettant hat „Le iscrizioni dei secoli VI - ΥΠ - VHI esistenti in Italia" in fünf Bänden mit zum Teil haarsträubenden Angaben zusammengestellt (Rugo 1974 ff.). Das neue Corpus der christlichen Inschriften Italiens bis zum 7. Jahrhundert (Inscriptiones christianae Italiae séptimo saeculo antiquiores, Bari 1985 ff.) ist noch nicht sehr weit gediehen.
33
Lifshitz 1967.
34
Kapitel 2.
33
Kapitel 3.
36
Kapitel 4.
Problemstellung
9
überwiegend explizit angeben: durch einen Akt, der gelegentlich als „Stiftung" gedeutet worden ist: die mit Namen bezeichneten Personen hätten - wie es heißt - einen Abschnitt des Tessellats „gemacht", und das entsprechende Flächenmaß der hergestellten Bodenfläche wurde durch die Angabe einer Pedatur genau vermerkt37. Im Anschluß an die Erörterung von Aufkommen und Verbreitung der Epigraphe dieses Typs wird es auch gelingen, abzuschätzen, in wievielen spätantiken Kirchen solche Epigraphe gesetzt worden sind und ob dieser Brauch als allgemeine oder nur gelegentliche Übung in den frühchristlichen Gemeinden anzusehen wäre. Ausgehend von den Pavimenten des früheren 4. Jahrhunderts im Dom zu Aquileia, einem Hauptinonument und Forschungsschwerpunkt der Christlichen Archäologie, soll dann die Frage nach dem Zusammenhang von Bildern und Epigraphen auf dem Fußboden in christlichem Kontext gestellt werden. Dazu ist ein Seitenblick auf die paganen und profanen Pavimentböden als Bild-, Wort- und Bedeutungsträger, als Schauplatz von Bildern und Inschriften nötig, um zu erkennen, welche Bedeutung der Fußboden als Ort künstlerischer und geistiger Artikulation in den christlichen Kultbauten erlangt. Was kann Thema solcher Äußerungen am Kirchenboden sein? Hier soll insbesondere das Problem in den Blick genommen werden, ob Bezüge zwischen den sogenannten „Stifter-Bildern" auf dem Paviment der theodorianischen Südaula von Aquileia aus dem früheren 4. Jahrhundert und den Inschriften bestehen, die ja ihrerseits erst gegen Ende desselben Jahrhunderts aufgekommen zu sein scheinen38. Eine zentrale Frage ist des weiteren die nach dem Akt, der die Anbringung eines Epigraphs nach sich zog oder dieser doch zugrunde lag. Läßt sich der jeweils angesprochene mosaizierte Bereich erkennen, sollte er für den Betrachter erkennbar sein? Und welche Vorstellungen, welche Erwartungen verbanden sich damit? Welchen „Gegenwert", welche „Gegenleistung" erhofften sich die Offerenten? Handelt es sich um eine Gabe, ein Opfer oder gar um eine Stiftung? Und schließlich: An wen richteten sich die Namen und Worte am Boden? An den Klerus, an die Gläubigen, an bestimmte Menschen, an Gott? Nur an Lebende oder auch an die künftigen Generationen? Einer Antwort auf all diese Fragen ist nur näher zu kommen, wenn das Verhältnis der Texte zu den Böden und das Zueinander der einzelnen Epigraphe näher untersucht wird. Denn in der Regel treten diese nicht allein, sondern in Gruppen und in einer wohl nicht zufälligen Anordnung innerhalb der Bodenflächen auf. Ob sich darin auch eine zeitliche Staffelung erkennen läßt, oder ob es ein Akt vieler Offerenten zum gleichen Zeitpunkt, nämlich im Vorfeld der Verlegung "
Kapitel 7.
»· Kapitel 6.
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eines Paviments war, der seitens der kirchlichen Autorität veranlaßt oder doch gebündelt wurde - all das ist unklar39. Ähnlich wie diese Grundfragen, die seitens der Historie an die archäologischen Wissenschaften und auch an die Epigraphik zu richten wären, sind die Formeln bisher noch kaum ins Blickfeld gerückt. Es ist deshalb unerläßlich, deren Gehalt und Aussagen vergleichend zu prüfen. Wenn damit Raum und Zeit - Grundkategorien der Geschichtswissenschaft - umspannt sind, so fragt die Historie außerdem nach den Personen und Gruppen, deren Namen hier bezeugt sind, sowie nach deren Handlungen und deren Denken, das sich in den Pavimentinschriften manifestiert. Der Personenkreis der Inschriften, seine gesellschaftliche Stellung und eine Bestimmung des Ausschnitts der spätantiken Gesellschaft, der hier repräsentiert ist, würde ebenso eine eindringliche Untersuchung verdienen. Ein solches Unterfangen würde angesichts des fortgeschrittenen Forschungsstandes der spätantiken Prosopographie und Personengeschichte40 großen Ertrag versprechen, aber auch sehr viel Raum erfordern. Es würde zudem von der hauptsächlichen Zielrichtung dieser Arbeit abführen, die auf das Verständnis der Inschriften als Zeugnisse der Memoria, des sich in der Antike herausbildenden liturgischen Gebetsgedenkens an Personen und Personengruppen, wie es unter anderem in unseren spätantiken Epigraphen verschriftlicht wird, ausgerichtet ist. In diesem Sinn soll abschließend versucht werden, einige weitergespannte Perspektivlinien ins Mittelalter zu ziehen. Welcher Ort und Stellenwert kommt den Mosaikinschriften im weiten Feld der Schriftlichkeit von Memoria, oder, rückblickend gesagt: der Memorialüberlieferung zu? (Mit dem Begriff „Memorialüberlieferung" meinen wir die tradierten Uberreste des schriftlichen Substrats von Memoria, also des Gedenkens und Erinnerns, sei es im liturgischen oder außerhalb des liturgischen Bereichs41.) Hat es mit der verminderten Bautätigkeit in der unsicheren und wirren Zeit des 6./7. Jahrhunderts zu tun, daß der Brauch, solche Inschriften zu setzen, aufgegeben wird? In diesem Zusammenhang ist es besonders interessant, daß die kirchlichen Mosaikböden in dem byzantinischen Teil des Verbreitungsgebietes, in Seevenetien und im Exarchat Ravenna, während dieser Periode nicht außer Gebrauch gekommen zu sein scheinen - oder daß dieser traditionelle Architekturschmuck doch jedenfalls seit dem 8. Jahrhundert eine beachtliche Renaissance erlebt42. Keine "
Kapitels.
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Prosopography of the Later Roman Empire; vgl. auch die Forschungen von Pietri 1982 und Caillet 1982 bzw. Caillet 1993.
«
Vgl. Oexle 1976, 83; Oexle 1993, Sp. 510 ff.
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Barrai i Altet 1985.
Problemstellung
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frühmittelalterliche Kirche in Venedig-Stadt und der seevenetischen Inselwelt blieb, soweit das trotz des lückenhaften Forschungsstands erkennbar ist, ohne Tessellat. Und in minderem Umfang gilt das auch für die umliegenden Regionen sowie für weite Bereiche Mittel- und Süditaliens43. Doch tragen die Pavimente in der Regel keine Inschriften mehr. Noch bis ins 12. Jahrhundert sind gleichwohl vereinzelt Inschriften überliefert, die freilich nicht den spätantiken Epigraphen entsprechen. Immerhin vermerkt die auf 1141 datierte Inschrift des Fußbodenmosaiks in der Kathedrale von Treviso, daß die Bürger der Stadt gemeinsam die Kosten für dessen Erstellung aufgebracht hätten44. Wenn dies vielleicht noch ein Anklang an frühchristliche Konventionen sein mag, so ist doch auch klar, daß die Formen und der schriftliche Ausdruck derselben sich zwischenzeitlich stark gewandelt und der Brauch trotz gelegentlichen Auftretens keine allgemeine Geltung mehr hatte. Ein hauptsächlicher Grund für das Ausgehen der Pavimentepigraphe im 6./7. Jahrhundert wird deshalb weniger in diesem Bereich zu suchen sein als vielmehr in Wandlungen und Entwicklungen der liturgischen Memoria und deren schriftlichem Niederschlag.
43
Barrai i Altet 1985,93 f. (mit den wichtigsten Monumenten).
44
Barrai i Altet 1985, 93: Christi millenus centesime atque trianus undeàmusque super positus dum cunera annus pestdeGnjfmsiéWdpertoviaBdamM)pl^ 1¿pvisütm.
2. Prolegomena Der Fußboden als Ort von Bild und Schrift Thema dieses Kapitels ist der Fußboden als Ort von bildlichen Darstellungen und Inschriften - oder, allgemeiner ausgedrückt: der Fußboden als Bedeutungsträger in der Antike. Die genannten Aspekte sollen im Hinblick auf die christlichen Bodenmosaiken mit ihren Bildern, Zeichen und Inschriften erörtert werden. Denn es existierte bereits in der vorkonstantinischen Periode, da das Christentum sich sozusagen im Untergrund und im privaten Bereich bewegte, eine reiche Tradition des Tessellatpaviments, und es ist klar, daß diese die Gestaltung der Böden in christlichem Kontext, wo sie aus der profanen Kunst übernommen wurden, entschieden vorgeprägt und beeinflußt hat. Der ersten Orientierung dient ein kurzer Abriß der Geschichte musivischen Bodenschmucks, dem dann ein etwas eindringlicherer Blick auf die Bilder, Zeichen und Worte am Boden folgt. Zwar hat das Mosaik als Fußbodenschmuck bereits in der hellenistischen Epoche eine gewisse Bedeutung erlangt und konnte damals auch schon auf eine lange Geschichte zurückblicken. Diese soll hier nur in den Grundlinien geschildert werden, während dann die Entwicklung in der römischen Kaiserzeit näher betrachtet werden muß. Der Schwerpunkt liegt dabei auf dem 3. Jahrhundert, jener Periode, die gewöhnlich der Spätantike zugerechnet wird und in der sich musivische Pavimente einer derartigen Beliebtheit erfreuten, daß man sie als allgegenwärtig im täglichen Leben des antiken Menschen oder jedenfalls der mittleren und gehobenen gesellschaftlichen Schichten ansehen kann. Die kaum zu überschätzende Rolle, die das Tessellat im Rahmen der spätantiken Kultur spielte, bildet den Hintergrund für das Verständnis der frühchristlichen Pavimente mit den hier im Mittelpunkt stehenden Inschriften. In unserem Zusammenhang geht es einmal um die Kenntnis der profanen kulturellen Voraussetzungen für den Einzug der Tessellate in die christliche Sphäre, zum andern aber des näheren um die Bedeutung und Funktion der Bilder und Worte auf den Pavimenten - oder allgemeiner ausgedrückt: um den Fußboden als Ort geistiger Äußerung und Vergegenwärtigung. Wie kommt es, daß die antiken Tessellatfußböden geradezu als Schaubühne der Lebensart und Kultur, von Bildung und Philosophie erscheinen? Vor allem nach dem Sinngehalt der Bilderwelt und der Funktion von Inschriften auf den Bodenmosaiken ist zu fragen, um die profanen und paganen Traditionen
Prolegomena - Der Fußboden als Ort von Bild und Schrift
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sichtbar zu machen, in denen die Kirchenpavimente mit ihren Bildern und Epigraphen stehen, und zu erkennen, welche Gedankenwelt sie vortragen.
2.1. Kurzer Abriß der Geschichte des musivischen Paviments Auf die Geschichte der Technik, auf die Verbreitung und Funktion des Opus tessellatum - wie die Produkte des kunsthandwerklichen Zweiges heißen, in dessen Bereich unsere Pavimente anzusiedeln sind1 - in der Antike soll eingangs in aller Kürze hingewiesen werden. Die ältesten Mosaikfußböden aus unbearbeiteten Kieselsteinen, die zu einfachen geometrischen Mustern angeordnet wurden, sind in Gordion in Kleinasien aufgefunden worden. Sie stammen aus dem 8. oder 7. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung und waren wohl die Vorfahren der griechischen Kieselmosaiken2. Diese Technik erlebte ihre Blütezeit seit dem 4. vorchristlichen Jahrhundert. Bodenmosaiken dieser Art von zum Teil hoher künstlerischer Qualität hat man in den Privathäusern von Olinthos/Nordgriechenland (etwa 400 v. Chr.) und Pella ausgegraben3, was auf eine reiche Tradition bereits in der klassischen Periode Altgriechenlands schließen läßt. Laut Plinius d. A. haben auch die Römer schon seit früher Zeit den geschliffenen Mosaikboden verwandt. Diese Böden kannten bereits szenische Darstellungen4: „Steinmosaik haben die Römer schon unter Sulla5 zu machen angefangen. Wenigstens ist jetzt noch eins aus kleinen Steinen vorhanden, das er im Heiligtum der Fortuna zu Praeneste legen ließ6. Nachher ging das Mosaik, von den Fußböden verwiesen, an die Zimmerdecken über, und zwar bestand es nun aus Glas, was eine neue Erfindung war"7. Übernommen hätten die Römer diese Kunst von den Griechen: „Die mit großer Kunstfertigkeit wie Gemälde gelegten Bodenbekleidungen verdanken ihren Ursprung den Griechen, sind aber von dem Steingetäfel verdrängt worden. Am berühmtesten hat sich durch solche Arbeit Sosos gemacht, der zu Pergamon das sogenannte ungefegte Haus täfelte, indem er allen Abraum von der Mahlzeit und was man 1
Rossi 2 1979,6 ff.
2
L'Orange - Nordhagen I960,39; Neal 1976,241; Rossi 2 1 9 7 9 , 1 1 ff.
3
La mosaïque Gréco-Romain, 41-56; Neal 1976, 240 Abb. 372; Ursprung im Orient: Rossi 2 1979, llff.
4
Rossi 2 1979,16 ff.
s
82-79 v. Chr.
6
Die schon in der Antike berühmten Tessellate des Fußbodens im Heiligtum der Fortuna Primigenia in Palestrina/Praeneste sind großenteils - wenn auch stark restauriert - erhalten geblieben: Rossi 2 1979,25 ff. mit Abb.
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Naturgeschichte XXXVI, 60 f.
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sonst wegzukehren pflegt, aus kleinen buntfarbigen Scherben so kunstvoll nachgebildet hatte, als sei es hier liegengeblieben8. Bewundernswert ist dort namentlich eine trinkende Taube, welche durch den Schatten ihres Kopfes das Wasser dunkel macht; andere dagegen sonnen und federn sich auf dem Rande einer Trinkschale"9. Die Kunst des klassischen und hellenistischen Fußbodenmosaiks verbreitete sich in der römischen Kaiserzeit über das gesamte Imperium und drang bis in die entferntesten Provinzen vor. In den Vesuvstädten, von denen wir sozusagen eine Momentaufnahme des Bestandes im Jahre 79 n. Chr. haben, werden in der Masse der rein ornamentalen Tessellate auch künstlerische Höhepunkte sichtbar10, beispielsweise die sogenannte „Alexanderschlacht" in der „Casa del Fauno" von Pompeji11 oder das in Neapel aufbewahrte Philosophenmosaik12. Solche „Gemälde in Mosaik", Meisterwerke, die nach griechischen und ägyptischen Vorbildern gearbeitet waren, bilden indes die Ausnahme; sie finden sich vereinzelt in Häusern, die zweifellos der Urbanen Oberschicht zuzuordnen sind. Aber nicht nur in geographischer Hinsicht erlebte das Tessellatpaviment mit seinen zum Teil bildlichen Darstellungen seine allgemeine Verbreitung in der Kaiserzeit. Es drang auch in alle Bereiche der Architektur ein. Damals wurden Schmuckfußböden dieser Art üblich in den privaten Wohnhäusern der Städte, in den ländlichen Villen, in den öffentlichen Gebäuden wie Thermen und Heiligtümern ebenso wie in den kaiserlichen Wohnhäusern und Palästen. Die ältere Forschung nahm sogar an, es habe in dieser Epoche beispielsweise in Rom kaum mehr ein Haus gegeben, in dem nicht zumindest ein Raum mit einem Tessellatboden ausgestattet gewesen sei13. Das ist freilich wegen der schwierigen archäologischen Forschungsbedingungen in der Kapitale des Imperiums kaum zu erweisen oder zu widerlegen. Aber die vor den Toren Roms gelegene kleine Hafenstadt Ostia bietet doch einen gewissen Ersatz. Ostia ist schon früh wüstgefallen und konnte daher großflächig archäologisch erforscht werden. Vieles, was Ostia im kleinen preisgegeben hat, dürfte auch für Rom gelten14, zumal in den Vesuvstädten ähnliches zu beobachten ist. Musivische 8
Das war in der profanen Tessellatkunst ein beliebtes Motiv; vgl. Rossi 2 1979, 17; Bertelli 1988, Taf.
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Plinius, Naturgeschichte X X X V I , 64; vgl. Rossi 2 1979,16 ff., und Brödner 1989, 75 ff. - Beispiele für die Aufnahme dieses Themas („Asarotos Oikos") nach dem Vorbild in Pergamon: Aquileia Nr. 61; Donderer 1986,39 ff. mit Taf. 15,1.
10
Vgl. Rossi 2 1979,17 ff. mit Abb. 7, 8 und 10; Bertelli 1988,23.
11
Siehe beispielsweise: L'Orange - Nordhagen 1960,13 ff. mit Taf. 9-11.
12
Siehe beispielsweise: Magna Graecia 3, 240 f. Abb. 298.
»
Rossi 2 1979,28; vgl. Bertelli 1988,25.
6.
i" Becatti 1961, Bd. 4 , 2 4 8 ff.; vgl. Rossi 2 1979,28.
Prolegomena - Der Fußboden als Ort von Bild und Schrift
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„Gemälde" am Boden, wie die „Alexanderschlacht" oder das Napolitaner Philosophenmosaik bleiben aber weiterhin die Ausnahme; sie gehörten offenbar zum repräsentativen Luxus Weniger. In diesem Zusammenhang ist hier auch gleich eine quellenkritische Anmerkung zu machen. Nicht erst die christliche Kunst schmückte ihre Bauten vom Boden bis zur Decke mit Mosaiken und Malerei. Ahnlich dürfte es sich nach den Entdeckungen in den Vesuvstädten und anderswo zu urteilen auch schon in den ersten drei christlichen Jahrhunderten bei vielen privaten und öffentlichen Bauten im römischen Imperium verhalten haben. Das sind jedoch Entwicklungen, die wir vorwiegend anhand von Pavimenten nachvollziehen müssen, denn diese erfreuen sich recht guter Erhaltungsbedingungen, während die Wände und Decken der antiken Gebäude meist längst eingestürzt oder doch ihres ehemaligen Schmucks beraubt sind. In der Palastvilla, der sogenannten „Villa Herculia" bei Piazza Armerina beispielsweise, die mit dem Kaiser Maximian in Verbindung gebracht wird, fand man bei den Grabungen zahlreiche Tesserae aus Glasfluß, wie sie nicht in den dort großflächig erhaltenen Bodenmosaiken verwendet worden sind. Eine extensive Mosaizierung auch der Wände und/oder der Decken ist bei der Palastvilla von Piazza Armerina zweifellos zu erschließen15. So hat die Archäologie Tausende und Abertausende von Pavimenten von Spanien bis nach Syrien, von den Britischen Inseln bis nach Afrika ans Licht gebracht - aber wir wissen kaum jemals Genaueres über das Ambiente der Schmuckfußböden, in welchem Verhältnis sie zum Bildschmuck von Wänden und Decken standen. Mag dieser Sachverhalt noch so banal erscheinen - er ist von gravierender Bedeutung für die Beschäftigung mit Mosaikpavimenten und den Bildern und Inschriften auf solchen Böden, und er muß bei den folgenden Erörterungen stets im Auge behalten werden. Wenn man nach der Funktion der kaiserzeitlichen Mosaikpavimente und ihrem „Sitz im Leben" fragt, so ist zunächst zu unterscheiden zwischen den ländlichen und Urbanen Wohnhäusern sowie öffentlichen Gebäuden. Was den vornehmlich privaten Bereich der Wohnhäuser betrifft, so erfreute sich - wie wiederum in den Vesuvstädten, in Ostia, in Ephesos und in Antiochia augenfällig wird - vor allem das Impluvium, der nicht überdachte Innenhof der Wohnhäuser, und deren repräsentative Empfangs- und Speiseräume des Schmucks von Bodenmosaiken, die allerdings nur gelegentlich Bilder und Inschriften tragen16. Ahnlich verhält es sich bei den ländlichen Villen. Vor allem während des 2. und 3. Jahrhunderts griff die Kunst des Fußbodenmosaiks in großem Maßstab auch auf die monumentale öffentliche Architektur, wie 15
La villa romana del Casale di Piazza Armerina.
"
Rossi 2 1979,25.
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Thermen und Palastbauten, über, wobei nicht übersehen werden darf, daß es Vorläufer bereits in der hellenistischen Zeit gibt17. Zur Ikonographie der Pavimentbilder gleich mehr. Mit der zunehmenden Beliebtheit und der allgemeinen Verbreitung der Tessellatpavimente ging ein Wandel in der Erscheinungsform einher. Die Mosaike, die sich offenbar bald breite Schichten der Bevölkerung leisten konnten, sind in der Masse einfach gehalten und in der Bilddarstellung rein ornamental; seither löst das Schwarzweiß-Paviment die Polychromie der klassischen „Mosaikgemälde" ab. Diese Entwicklung betrifft auch die öffentlichen Bauten, wie beispielsweise bei den Neptun-Thermen in Ostia deutlich wird18. Die schlichten Bodenmosaiken im privaten Bereich wurden offenbar in der Regel von einfachen Bauhandwerkern ausgeführt, die sich damit begnügten, anhand von Musterbüchern sparsame Ornamente anzubringen19. Nur in besonders luxuriös ausgestatteten und anspruchsvollen Privatbauten begegnen in der Folgezeit gelegentlich figürliche Bodenmosaike und Embleme, also Bildfelder mit szenischen Darstellungen. Noch bevor im 4. Jahrhundert die ersten christlichen Mosaikpavimente geschaffen wurden, hielt nach der SchwarzweißPeriode wiederum die Polychromie auf breiter Front Einzug in die Tessellatkunst. Diese Entwicklung scheint sich vor allem im 2. und 3. Jahrhundert abgespielt zu haben20. Zusammenfassend kann man also hinsichtlich der Entwicklung des antiken Bodenmosaiks sagen, daß diese Art des Architekturschmucks bereits universale Verbreitung im Imperium Romanum gefunden hatte, bevor es in den christlichen Kultbauten Einzug hielt - und wenn man von einer römischen „Reichskultur" in der Kaiserzeit sprechen will, so gehörten die Tessellate sicher ebenso dazu wie beispielsweise die Thermen und die Badekultur. An der Verbreitung des Bodenmosaiks in der ganzen antiken Ökumene hatten zweifellos die privaten Wohnhäuser einen entscheidenden Anteil. Zum einen brachten die römischen Militärs, die Kolonisten und Beamten die Kunst des Mosaikpaviments als wesentliche Ausdrucksform ihrer Kultur und Lebensart mit in die eroberten Provinzen. Dort trugen die Tessellate im Rahmen der militärischen und zivilen Architektur dazu bei, daß die neuen Herren ihr Römertum, ihre kulturelle Identität bewahren, darstellen und zelebrieren konnten. Andererseits betrieb Rom gegenüber den neuen Provinzen eine Bürgerrechtspolitik, die gemäß dem bekannten Wort des Kaisers Claudius vor 17
Brödner 1983, 130 ff.
18
Vgl. beispielsweise das bekannte Mosaik des „Neptun mit Gefolge" in den Terme di Nettuno zu Ostia: Rossi21979, 26 mit Abb. 11.
19
Rossi 21979,28.
20
Rossi 21979,28 ff.
Prolegomena - Der Fußboden als Ort von Bild und Schrift
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dem Senat21 darauf ausgerichtet war, die Eliten der Besiegten zu assimilieren und zu integrieren. Sie erhielten das römische Bürgerrecht und erlangten so Zugang zu den Privilegien und den einträglichen Karrieren des Reichsadels. Die dadurch bewirkte rasche Romanisierung der alten Eliten in den neuen Provinzen, ein außerordentlich wichtiger Faktor hinsichtlich der Stabilität und Konstanz der imperialen Herrschaft Roms, ging einher mit der Annahme der römischen Zivilisation und Lebensart seitens der Provinzialen22. Auch das dürfte die enorme Ausbreitung der Pavimentmosaike gefördert haben, die vollends zum Allgemeingut wurden, nachdem Caracalla (211-217) im Jahre 212 allen freien Reichsbewohnern das Bürgerrecht verliehen hatte. Während des 3. Jahrhunderts verloren die senatorischen Familien endgültig ihre Präponderanz in der Reichsverwaltung an die Ritter, die obere Mittelschicht, deren Zahl und deren politischer Einfluß erheblich anwuchs23. Es waren Angehörige dieses Standes, die nun die Beamtenstellen einnahmen, die bei Hof und als Ratgeber des Kaisers wirkten. Sie und die vermögenden städtischen Oberschichten spielten wohl eine nicht unbedeutende Rolle bei der allgemeinen Ausbreitung der Tessellatböden im Imperium Romanum. Bezeichnend für das Aufblühen der musivischen Kunst seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. ist auch - um das nur in aller Kürze zu sagen - , daß die größten Mosaikfunde eben dieser Periode, der Spätantike, angehören. In einem Saal der schon erwähnten Palastvilla bei Piazza Armerina auf Sizilien bedeckt das Bodenmosaik über 300 qm Fläche; die theodorianischen Aulen in Aquileia aus dem 4. Jahrhundert gelten als das größte zusammenhängend erhaltene Tessellatpaviment überhaupt - abgesehen von den bislang nur zum Teil ergrabenen Mosaiken des Kaiserpalasts in Konstantinopel und einigen großen Kirchen frühbyzantinischer Zeit. H. P. L'Orange hat das Phänomen der allgemeinen Verbreitung musivischen Bodenschmucks in der Spätantike und den Ubergang in die öffentliche Monumentalarchitektur eingeordnet ins Ganze der Kunstentwicklung zwischen Antike und Mittelalter24. Im Zuge der Abkehr von der „Modellierung der plastischen Form", die Kennzeichen der klassischen Antike gewesen war und die gegen das Mittelalter hin verschwindet, werden „Wölbung und Vertiefung der Form... in der Fläche und Linie getilgt, die Figuren verlieren ihre Körperlichkeit. Ein letzter Grenzpunkt dieser Verwandlung, ein äußerstes an körperloser Flächenhaftigkeit und Linearität, scheint in der römischen Kunst des 7. und 8. Jahrhunderts erreicht zu sein, beispielsweise in den gleichsam überirdischen Mosaikarbeiten der römischen 21
Tacitus, Annales 11,24.
22
Dahlheim 1989,239 ff.
»
Vgl. Alföldy 1984,140 ff.
24
L'Orange - Nordhagen 1960,12 ff.
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Kirchenbauten von Papst Paschalis I. Vollkommen stofflos, gewissermaßen durchsichtig, stehen in dieser Kunst die heiligen Männer und Frauen vor unserem Blick. Die Menschen werden verwandelt und verklärt und in einem Reich der Seelen mit dem in einer Goldgloriole um sie verbreiteten ewigen Licht sublimiert"25. Was für die bildende Kunst gilt, vollzog sich auch bei der Architektur und ihrem Schmuck. Im Verlauf der römischen Kaiserzeit tritt an die Stelle des plastischen Ornaments der klassischen Architektur, dem genau definierte und begrenzte Räume zugeordnet waren, eine streng flächenmäßige Verzierung. Die Wände werden zu kontinuierlich glatten Flächen, nur die Fläche und ihre Begrenzung, nicht die Struktur der Wand oder des Bauwerks, ist maßgeblich und bestimmt die Entfaltung des Ornaments. „Deshalb verbreitet sich das Ornament frei über die Fläche. Die dargestellten Muster wirken wie ein Ausschnitt aus einem größeren sich nach allen Richtungen ausbreitenden Teppich". Nun steht der ganze Raumorganismus, vom Boden über Wände und Kolonnaden bis hin zur Decke der künstlerischen Ausgestaltung zur Verfügung, der Bildschmuck schmiegt sich an die Architektur an und vereinigt sich mit ihr. „Er unterwirft sich der Architektur, indem er sich gleichzeitig ihre Formen aneignet und statische Raumbedingungen und dynamische Bauzusammenhänge in seine eigene Sprache übersetzt"26. 2.2. Bilderwelt und Inschriften: Der Fußboden als Schauplatz und Bedeutungsträger Wir hatten gesehen, daß die Schmuckfußböden von der Art des Tessellatpaviments während der Kaiserzeit weite Verbreitung fanden. Neben der großen Zahl von ornamentalen Böden, die zum festen Ausstattungskanon der Wohnhäuser und auch vieler öffentlicher Gebäude gehörten, steht ein nicht ganz unbeträchtlicher Bestand von zum Teil hervorragenden Bildwerken am Boden. Es sind auch schon einige Themen angeklungen, die von den Bildern vorgetragen werden. Da es aufgrund des Forschungsstandes schier unmöglich ist, einen systematischen Uberblick zu gewinnen, sollen die wichtigsten Themenbereiche wenigstens anhand von ausgewählten Beispielen verdeutlicht werden. Anschließend versuche ich am Beispiel der Regio X (Veneria et Histria), dem hauptsächlichen Arbeitsgebiet der hier unternommenen Recherchen, das Zahlenverhältnis zwischen ornamentalen und bildgeschmückten Tessellaten zu ermitteln. Dabei kommt ein glücklicher Umstand zur Hilfe, "
L'Orange - Nordhagen I960, 15.
26
L'Orange - Nördhagen 1960,19.
Prolegomena - Der Fußboden als Ort von Bild und Schrift
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denn soeben sind die frühkaiserzeitlichen Bodenmosaike eben dieser Region bis zum Ausgang der Antonine zusammengestellt und untersucht worden27. 2.2.1. Kult, Mythologie und Zauber Als vornehmster Lebensbereich, der in der Fülle der Bildthemen auf den Pavimenten vertreten ist, kann die Sphäre des Kultes und der Götterwelt gelten. Schon unter Sulla (82-79 v. Chr.) - wir hörten es eben von Plinius - hätten die Römer „Steinmosaik", also Tessellatpavimente „zu machen angefangen". Plinius nennt als Beispiel unter anderem das Bodenmosaik im Heiligtum der Fortuna zu Praeneste, das er Sulla zuschreibt28. Schon früh, noch in republikanischer Zeit, hat demnach solch bebilderter Bodenschmuck Einzug in den Heiligtümern und Tempeln gehalten - in Gebäuden, die dem Kult gewidmet waren29. Aber auch in den ländlichen Villen und in den Stadthäusern, ebenso in Thermengebäuden, begegnen immer wieder Pavimente, die Themen aus diesem Lebenskreis darstellen. Man könnte hier die offenbar besonders in den nördlichen Provinzen beliebten „Mysterienmosaike", beispielsweise das Paviment vom Kornmarkt in Trier mit einer Darstellung Jupiters, des obersten Gottes der kapitolinischen Trias, nennen30. Es ist also nicht der altrömische Ahnenkult, wie er zu den Obliegenheiten des Hausvaters zählte und sich unter anderem an den Bildnissen der Vorfahren festmachte, der auf den Böden des römischen Privathauses thematisiert worden wäre. Nicht Bilder oder Namen der Ahnen erscheinen auf den Pavimenten. Und ebensowenig fand der Laren- und Penaten-Kult, der im römischen Hause gepflegt wurde, hier seinen Ausdruck, obwohl diese „Hausgötter" traditionell für den Schutz der Familie, von Haus und Hof zuständig waren. Ihnen und den Ahnen war deshalb in vielen Häusern nahe der Herdstelle ein Altar (lararimi) bereitet, auf dem der pater familias allmorgendlich opferte. Vielmehr geht es um die hergebrachte bäuerliche und staatstragende Götterwelt und um die mediterranen Mythen und Sagen, welche die Römer außerhalb des engeren häuslichen Bereiches kulturell verband. Aus diesem Kreis sind die Themen meist genommen. Hierher gehört das bekannte DionysosMosaik von Köln (um 225 n. Chr.), das neben dem Gott selbst im zentralen 27
Vgl. Donderer 1986.
28
Oben Anm. 6 und 9.
29
Vgl. Dunbabin 1978, 136, wo die afrikanischen Beispiele vermerkt sind: Viele Heiligtümer und Tempel waren zwar mit Tessellaten geschmückt, doch sind diese stets rein ornamental gehalten, lassen also keine ikonographische Verbindung mit dem jeweiligen Kult erkennen.
50
Parlasca 1959,54 ff. und Taf. 54; Die Römer in Rheinland-Pfalz, 201 ff. mit Abb. 113.
20
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Bildfeld dessen Gefolge und Szenen dionysischen Treibens wiedergibt31. Das Mosaik bildete den Fußboden eines zum Peristyl hin geöffneten, zentralen Speise- oder Empfangsraumes eines großen Hauses in der Nordostecke des römischen Kölns, das auch sonst eine überaus reiche Ausstattung zeigt32. Um den trunkenen Gott, der sich auf einen Satyr stützt, erscheinen Gruppen von musizierenden und tanzenden Mänaden und Satyrn, weitere Begleiter des Dionysos sind in den Bildern um das Mittelfeld dargestellt, während die Eckund Randfelder Motive aus dem Jahreskreis zeigen, nämlich mit Früchten gefüllte Kratere und Körbe sowie Vogelgespanne, deren zweirädrige Wagen mit Erntegeräten und Weintrauben beladen sind. Damit ist einerseits auf den Ursprung des Dionysos-Kults im bäuerlichen Lebensbereich, aber auch auf die Funktion des mosaizierten Raumes als repräsentativen Speisesaals im Hause verwiesen33. Dem wären thematisch ähnliche Mosaike in analogem Raumzusammenhang, wie das Fausenburg-Mosaik aus Trier, anzufügen34. Im Falle eines Mosaiks aus Münster-Sarmsheim bei Bingen, das den Sonnengott in Gestalt eines Feldherrn auf dem Wagen mit Viergespann und im Tierkreis darstellt35, wird dieser Aspekt noch deutlicher. Es stammt vom Fußboden des repräsentativen Speisesaals (ca. 14 auf 19 m) einer via rustica. Ein weiteres Beispiel wäre das Herakles-und-Deianeira-Mosaik von Budapest aus dem 2./3. nachchristlichen Jahrhundert36. Vielleicht darf man auch die Tessellate mit Okeanos-Darstellungen37 unter „Kult und Mythologie" subsumieren, die in einiger Zahl selbst in den römischen Provinzen gefunden worden sind, die keinen unmittelbaren Zugang zum Meer hatten38. Bekannt ist das Meermosaik aus einer Palastvilla in Bad Kreuznach, das zu den bedeutendsten neueren Mosaikfunden in Deutschland zählt. Es stammt aus derselben Peristylvilla, in der schon 1893 das berühmte Gladiatorenmosaik entdeckt und gehoben wurde39. Auch das Kreuznacher Okeanos-Mosaik, inschriftlich datiert auf das Jahr 234 n. Chr., bildete den Bodenschmuck eines repräsentativen Trikliniums mit Apsis. In dieser erscheint die Büste des Meergottes, während im Hauptbildfeld das von Fischen, Muscheln, Krustentieren und anderen Lebewesen bevölkerte Meer dargestellt ist. An drei Seiten finden sich Hafenszenen mit regem Trei31
Zum Dionysos-Kult und seinen Bildern ausführlich Dunbabin 1978,173-187; Daszewski 1985a.
32
Parlasca 1959, Taf. 66-80; Die Römer in Nordrhein-Westfalen, 477 und Taf. 7; vgl. ebd. 270.
33
Zur Einordnung vgj. H mosaico antico 1, 345 ff.
34
H mosaico antico 1,336 ff. („um 250 n. Chr.").
35
Die Römer in Rheinland-Pfalz, 201 mit Taf. 14b, wo allerdings wenig dazu gesagt wird; vgl. ferner: Die Römer in Nordrhein-Westfalen, 382 mit Taf. 8.
36
The Archaeology of Roman Pannonia, 38 mit Taf. 18.
37
Vgl. beispielsweise: H mosaico antico 2,393-400.
38
Vgl. Π mosaico antico 1, 344 f.; Die Römer in Rheinland-Pfalz, Taf. 3 (Okeanos).
39
Die Römer in Rheinland-Pfalz, Taf. 2.
Prolegomena - Der Fußboden als Ort von Bild und Schrift
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ben. Dazu gehören Gebäude und Schiffe, die sich dem Hafen nähern oder auslaufen, am Kai werden Geschäfte abgewickelt40. Abschließend sei noch ein Blick auf die Götterwelt am Boden der Wohnhäuser in den Provinzen Afrikas geworfen, die für ihre besonders reiche Mosaiküberlieferung bekannt sind. Katherine M. D. Dunbabin hat die Monumente neulich unter thematischen Gesichtspunkten zusammengestellt und vor allem ikonographisch und ikonologisch untersucht. Neben den dionysischen und Okeanos-Motiven, die sich der größten Beliebtheit erfreuten, begegnen vor allem der „Triumph der Meervenus" sowie Götter des Jahres- (Annus, Frugifer, oder Genius saeculi) und des Tierkreises (Zodiacus)41. Seltener wurden Sol, Minerva und Diana gewählt42. Vergleichsweise häufig erscheint allerdings Mythologisches, wobei die Ubergänge zwischen Götterwelt und Mythologie natürlich fließend sind: Apollo und Marsyas, Odysseus und die Sirenen, Selene und Endymion, um eine kleine Auswahl zu nennen43. Da das mythologische Repertoire der Tessellate sich in auffälliger Weise mit dem Bilderschatz der kaiserzeitlichen römischen Sarkophag-Werkstätten überschneidet, hat man in Parallele dazu, daß hinter der Darstellung mythologischen Stoffs in der Funeralkunst allgemein eine symbolische Interpretation dieser Themen stecke, eine solche audi bei den Tessellaten postuliert44. Fast noch wichtiger in unserem Zusammenhang erscheint die Beobachtung, daß die Tessellate nicht selten magische Symbole abbilden. Unter diesen könnten natürlich unter funktionalem Aspekt letztendlich auch die vorhin erwähnten Götter subsumiert werden, zumal sie auf den Bildern manchmal maskenartig oder in Form von Emblemen wiedergegeben sind. Dunbabin unterscheidet zwei hauptsächliche Arten solcher Zauberbilder: abwehrende und schützende Zeichen zum einen und positive Zeichen, die einen wohltätigen Zauber ausüben und Gutes herbeirufen sollten, zum andern45. Als Apotropäen gegen die Kräfte des Bösen, gegen irwidus und inadia, bildlich gelegentlich repräsentiert als Böses Auge, wirkten spitze Waffen wie Dreizack, Schwert und Dolch, Tiere wie Rabe, Skorpion, Schlange, Hund, Leopard und Tausendfüßler, Phantasiewesen wie Meerungeheuer, phallische Zwerge, Masken, Gorgonenhäupter, Gegenstände und Zeichen wie Gabeln, Zweige
40
H mosaico antico 1, 344; zur Interpretation Dunbabin 1978, 149-154.
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Dunbabin 1978,154-161.
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Dunbabin 1978,145 f.
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Dunbabin 1978,146 ff.
44
Dunbabin 1978,147.
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Dunbabin 1978,161 ff. und 165 ff.
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(giftiger?) Pflanzen, Kantharoi, Hakenkreuze u. ä., nicht selten flankiert von entsprechenden Inschriften46. Positiv besetzte „Zauberzeichen" und Symbole sollten Glück, Wohlstand und Erfolg herbeirufen. Auch sie begegnen nicht selten in den Hauptwohnräumen bzw. in den Triklinien. Als anschauliches Beispiel sei ein SpeisesaalMosaik aus Karthago gewählt (3./4. Jahrhundert). Das Bildfeld füllen sechs lorbeerbekränzte Medaillons und zwei Halbmedaillons. Sie umschließen Büsten der Vier Jahreszeiten, kenntlich an deren konventionellen Attributen, sowie einen Pfau, der das Rad schlägt, und eine Ente, umgeben von Hirseähren. Zwischen den Medaillons drängen sich drei szenische Bilder: eine Figur mit Füllhorn im Tierkreis, darum Pflanzen der Vier Jahreszeiten; dann eine nimbierte Venus zwischen einem Eroten namens Vernadus mit Spiegel und einem Mädchen namens Primàka mit Schmuckkästchen, außerdem zwei Enten; drittens schließlich erscheint in der dritten Szene eine nádete Figur, die ein Brandopfer auf einem Altar darbringt, hinter dem Hirseähren und eine trompetenförmige Muschel sichtbar sind. Die übrigen Zwickel zwischen den Medaillons sind gefüllt mit kleinen Vögeln und den Früchten der Felder und Bäume zwischen Hirseähren - das alles weist auf Fruchtbarkeit und Wohlstand, auf die reichen Gaben der Natur hin, aber dem beschriebenen Symbolismus fehlt die Kohärenz, alle Bilder und Zeichen stehen einzeln, für sich. Noch nicht einmal die Zeremonien, die in den zentralen Szenen dargestellt sind, und auch nicht die Gottheit, der auf dem Altar geopfert wird, ist bezeichnet. Von solchen Bildkompositionen aus, die einfach einen reichgedeckten Tisch und Wohlergehen beim Genuß der reichen Früchte der Natur heraufbeschwören sollten, führt mit dem Pfau47 und den Hirsestengeln eine ikonographische Fährte in die Bilder- und Zeichenwelt des frühen Christentums. Beides ist nämlich in vielen Beispielen sowohl in funeralem Kontext wie auch auf den spätantiken kirchlichen Tessellatböden zu beobachten48. Oft spielen die Themen der Bilder, wie die genannten Dionysos-Mosaiken schon zeigten, auf die Funktion der Räume an. So verhält es sich auch bei öffentlichen Gebäuden wie den Bädern, beispielsweise bei den sogenannten „Thermen des Neptun" in Ostia, wo Poseidon/Neptun auf vierspännigem Gefährt und umgeben von Meerwesen und Meerungeheuern dargestellt ist (Mitte 2. Jahrhundert n. Chr.)49, oder in den Caracalla-Thermen in Rom, wo neulich in der östlichen Palaestra Reste eines ähnlichen Bildprogramms an das
46
Beispiele: Dunbabin 1978, 162.
47
Vgl. Toynbee 1983,240-245.
«
Vgl. Dunbabin 1978,166-172 und 189-195.
49
Brödner 1989, Taf. 40b.
Prolegomena - Der Fußboden als Ort von Bild und Schrift
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Licht gekommen sind (211-216 n. Chr.)50. In den Bädern, die ein Sammelpunkt des öffentlichen, Urbanen Lebens waren51, bildeten die musivischen Fußbodenbeläge, nebenbei gesagt, auch eine vorzügliche Schutzschicht für die Böden der Naßräume und der Sporthallen52, aber es wird hier doch besonders die Funktion der Bilder auf den Böden klar: Sie führen die guten Kräfte des Wassers vor Augen und bannen die bösen Kräfte, die der Wirkung der Badezeremonie abträglich sein könnten. Poseidon/Neptun beherrscht diese Kräfte: In Ostia ist die Gottheit in der nach ihr benannten Therme dargestellt als triumphierender Feldherr oder Imperator, der über die Meerwesen, die Genien und Ungeheuer des Wassers gebietet. Schließlich seien die bekannten Bodenmosaiken der Mithräen in Ostia antica53 erwähnt. Sie zählen zu den Tessellaten, die eine unmittelbare Verbindung zu konkreten Kulthandlungen aufweisen, indem sie solche oder doch zugehörige Gerätschaften abbilden. Sonst aber - wir haben es gesehen - ist der religiöse Kult an sich kein Thema des Bodens. Eher würde man von einem Ort der magischen Kräfte sprechen können, wo - gelegentlich mit Hilfe von Gottheiten - Gutes heraufbeschworen und Böses abgewendet werden soll. 2.2.2. Historie, Literatur und die Musen Uber die anderen ikonographischen Themen, die am Boden erscheinen, braucht nur kurz gesprochen werden. Immerhin scheint es für das Verständnis der frühchristlichen Kirchenpavimente und ihrer Inschriften von Bedeutung zu sein, daß der Fußboden über das Opus tessellatum, das ja am Beginn der Entwicklung der Mosaizierkunst steht, schon früh auch zum Schauplatz historisch-mythischer Erinnerung geworden ist. Die schon erwähnte Alexanderschlacht in der Casa del Fauno zu Pompeji - dargestellt ist der persönliche Zusammenstoß Alexanders mit dem Perserkönig Darius, wohl nach einem Gemälde des Philoxenos aus dem Jahre 318 v. Chr. - steht als klassisches römisches Beispiel in der Tradition griechischer Pavimente54. Leider ist über das soziale und architektonisch-funktionale Setting dieses Bildes nicht viel in Erfahrung zu bringen. Ist es mehr als Demonstration der Zugehörigkeit zum griechisch-hellenistischen Kulturkreis gedacht gewesen, oder diente es tatsächlich der Erinnerung und Vergegenwärtigung von Geschichte? 50
Π mosaico antico 1, 51-60; vgl. Heinz 1983, 124-141 (zusammenfassend zu den CaracallaThermen).
5' Brödner 1983; Heinz 1983. 52 Brödner 1989,76 f. 53
Becatti 2,1954; Mithraism in Ostia, 24 (Übersicht) mit Karte und Abb. S. 5.
M LOrange - Nordhagen 1960,13 f.
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Seit republikanischer Zeit begegnen auf den Böden des Oecus/Trikliniums in den städtischen Wohnhäusern und den ländlichen Villen Bilder, die in die Welt der Literatur, der Musen und der Philosophie führen. Bekannt ist beispielsweise das Bild Vergils in einem Haus von Hadrumeta/Sousse (Africa proconsularis). Vergil thront zwischen Melpomene und Clio; er hält auf seinen Knien ein geöffnetes Buch, in dem die ersten Worte der Aenaeis lesbar sind (könnte es nicht auch der Hausvater sein, der die Vergil-Lektüre pflegt?)55. Daneben begegnen Szenen aus der Welt des Theaters56 - Themen, die klassische Bildung zur Schau trugen - , öfters auch Darstellungen der Musen57, in Antiochia Euripides, Homer und Menander58. Das Monnus-Mosaik aus Trier, das den Künstler (oder Auftraggeber?) inschriftlich nennt, zeigt unter anderem Büsten von Ennius und Hesiod, jeweils mit Namenbeischrift59, das „Literatenmosaik", wiederum aus Trier, Vollfiguren von Philosophen oder Dichtern60. Ein Mosaik aus Köln wurde bekannt unter dem Begriff „Philosophenmosaik"; es zeigt um das mit Diogenes besetzte Mittelfeld die Büsten der griechischen Denker und Dichter Aristoteles, Sophokles, Kleobulos, Sokrates, Piaton und Gelon, jeweils mit Namenbeischrift in griechischen Lettern61. Bei diesem Themenfeld ist besonders wichtig, daß hier klassische bzw. hellenistische Vorbilder, berühmte Bilder und Themen, wie sie in Griechenland beispielsweise in allgemein bekannten öffentlichen Gebäuden angebracht waren, rezipiert wurden, wie wir das schon bei der „Alexanderschlacht" sahen. Zu nennen wären beispielsweise Pavimente mit der Darstellung der Tötung des Pythagoras oder das Philosophenbild von Neapel62. Von letzterem Bild sind weitere Kopien aus Torre Annunziata und Sarsina bekannt63. Eine neuere Untersuchung trägt vor, daß auf diesem Bild wahrscheinlich die „Akademie des Piaton" im Museion von Alexandria nachgebildet ist und erklärt die Beliebtheit des Motivs mit der wachsenden Verbreitung platonischen Gedankenguts während des 1. Jahrhunderts n. Chr. Das isoliert gefundene Napolitaner Exemplar könnte den Fußboden einer privaten Bibliothek geziert haben und 55 Dunbabin 1978,131. 56 Dunbabin 1978,132 ff. 57
Dunbabin 1978, Taf. 52 Nr. 132-133; vgl. auch das bekannte „Musenmosaik" von Trier (Die Römer in Rheinland-Pfalz, Taf. 13).
58 Weitzmann 1941,233-247; Friend 1941,248-251. s? Parlasca 1959, 41-43 und Taf. 42-47; Die Römer in Rheinland-Pfalz, Taf. 14a. 60
Wie man annimmt, denn Namen sind nicht beigegeben: Parlasca 1959,27 f. mit Taf. 4,26-27.
61
Parlasca 1959, 80 ff. mit Taf. 80; Die Römer in Nordrhein-Westfalen, 223 f. mit Abb. 154. - Die griechischen Tituli kehren sicherlich die klassische Bildung des Hausherrn hervor.
62
Heute in Neapel, Museo Archeologico Nazionale; vgl. Magna Graecia 3,240 f. Abb. 297-298.
«
Vgl. Gaiser 1980,104 ff. mit Taf. 1-8.
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mag dort den Benutzer bei der Lektüre mit dem Segen der griechischen Denker beflügelt haben. „Mosaikgemälde" dieser Art, die griechische Bildung und Kultur zur Schau stellen, bleiben jedoch auf dem Fußboden eher die seltene Ausnahme. Interessant in unserem Zusammenhang ist hier besonders die bildliche und inschriftliche Vergegenwärtigung und Erinnerung von historischen Persönlichkeiten: Der Boden konnte also auch Ort von Memoria sein bzw. solche initiieren ähnlich wie es sich im Bereich „Grab und Totenkult" verhält. 2.2.3. Sport und Kampf, Alltag und Geschäftsleben Das klassische und hellenistische Repertoire tritt während des 2. Jahrhunderts n. Chr. zurück hinter neuen Motiven und Bildinhalten. Nun entdecken die Auftraggeber und Mosaizisten das alltägliche Leben als Sujet, und besonders seit der Zeit der Antonine finden wir nicht wenige Bilder auf den Böden, die in die Welt der Jagd, des Amphitheaters, des Circus und der Palaestra, in die Welt der Handwerker, der Händler und Geschäftsleute führen64. Dieser Umschwung geht einher mit der bereits beschriebenen enormen Verbreitung der Tessellate und ist gewiß auch, sozialgeschichtlich betrachtet, eine Folge der politischen Aufwertung der mittleren gesellschaftlichen Schichten infolge der allgemeinen Ausdehnung des Bürgerrechts durch Caracalla. Ich nenne hier nur einige Beispiele, um das Spektrum der Themen im Hinblick auf die christlichen Fußbodenmosaike zu vervollständigen. Inschriftlich benannte Personen oder Persönlichkeiten begegnen vielleicht in den bekannten Athletendarstellungen aus den Caracalla-Thermen in Rom, die heute im neuen Flügel der Vatikanischen Museen aufbewahrt werden. Das framentarisch zu etwa einem Drittel erhaltene Paviment stammt aus der Exedra der westlichen Palaestra und wurde früher ins 4. Jahrhundert datiert65. Inzwischen denkt man eher an die Erbauungszeit der Thermen, also an die Jahre 211 bis 217 n. Chr. oder wenig später66. Dargestellt sind alternierend Vollfiguren und Büsten - etwa Lebensgröße - von nackten Athleten und einigen bekleideten Kampfrichtern; insgesamt waren es ursprünglich rund 10067. Nach Meinung von Heinz beweisen die vereinzelten Namenbeischriften (wie Ióbianu¿>% oder
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Einen guten Uberblick über den afrikanischen Bestand an Tessellaten mit Bildern aus diesen Lebensbereichen bietet Dunbabin 1978,47 ff.
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Blake 1940, 81 ff.
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