Offenheit: Die Geschichte eines Kommunikationsideals seit dem 18. Jahrhundert 9783110250749, 9783110250756

In recent decades there has been increased interest and fascination in the concept of openness as a kind of communicatio

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German Pages 356 [360] Year 2011

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Table of contents :
Dank
Inhalt
Einleitung
1 Forschungsstand, Theorie und Methodik
1.1 Überblick über den Forschungsstand
1.2 Begriffliche Klärungen
1.3 Zum Korpus und zu den Methoden
2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen
2.1 Zur kommunikativen Lesart von ,offen‘ und ,Offenheit‘ – ein wort- und wortfeldgeschichtlicher Abriss
2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs
2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung
3 Offenheit als Ideal
3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals
3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal
3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot
3.4 Kommunikative Normen im Umfeld des Offenheitsideals
3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals
4 Offenheit als Wagnis
4.1 Funktionen von Offenheit
4.2 Gefahren von Offenheit
5 Das Offenheitsideal – eine Mentalitätsgeschichte
Schluss
Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Forschungsliteratur
Register
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Offenheit: Die Geschichte eines Kommunikationsideals seit dem 18. Jahrhundert
 9783110250749, 9783110250756

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Juliane Schröter Offenheit

Studia Linguistica Germanica

Herausgegeben von Christa Dürscheid Andreas Gardt Oskar Reichmann Stefan Sonderegger

105

De Gruyter

Juliane Schröter

Offenheit Die Geschichte eines Kommunikationsideals seit dem 18. Jahrhundert

De Gruyter

Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich im Frühjahrssemester 2010 auf Antrag von Prof. Dr. Angelika Linke und Prof. Dr. Andreas Gardt als Dissertation angenommen.

ISBN 978-3-11-025074-9 e-ISBN 978-3-11-025075-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Dank An erster Stelle danke ich Prof. Dr. Angelika Linke, die zum Gelingen dieser Dissertation wesentlich beigetragen hat: mit der festen Überzeugung davon, der unablässigen Bereitschaft zur fachlichen Auseinandersetzung, mit praktischem Rat und pragmatischer Tat ebenso wie mit viel Sinn für das Lebensganze, in dem eine solche Arbeit entsteht. Prof. Dr. Andreas Gardt hat dankenswerterweise als zweiter Referent der Dissertation und des Prüfungskolloquiums fungiert. Auf Angelika Linkes und seine Forschung und Lehre geht meine Entscheidung für eine sprachwissenschaftliche Promotion maßgeblich zurück. Zu großem Dank bin ich gleichfalls der Studienstiftung des deutschen Volkes verpflichtet, die das Forschungsprojekt mit einem Promotionsstipendium gefördert hat. Prof. Dr. Georg-Michael Schulz, Prof. Dr. Werner Frick, Prof. Dr. Markus Hundt, Prof. Dr. Urs Willi und Priv.-Doz. Dr. Jochen A. Bär haben die Arbeit auf ganz unterschiedliche, doch entscheidende Weise wissenschaftlich oder institutionell unterstützt. Hinsichtlich der Publikation gilt dies darüber hinaus für die Herausgeber dieser Reihe, die beteiligten Mitarbeiter von de Gruyter sowie Ladina Tschander und Silvia Meyer-Denzler von der Bibliothek des Deutschen Seminars der Universität Zürich. Schließlich haben Kollegen und Freunde meine Promotion mit Aufmerksamkeit und Anregungen, Ermunterungen und ihrer Erfahrung begleitet: Neben dem ganzen erweiterten Lehrstuhl von Angelika Linke und vielen anderen Zürcher Linguisten und Literaturwissenschaftlern aus dem Mittelbau gehören dazu Noah Bubenhofer, Julia Heigel, Wolfgang Kesselheim, Martin Luginbühl, Joachim Scharloth und Peter Schnyder. Ihnen allen, besonders aber meiner Familie, möchte ich herzlich danken. Zürich, im August 2010

Juliane Schröter

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

Das Erkenntnisinteresse der Studie 3 – Der Ort der Studie im Fach 5 – Der Aufbau der Studie 7

1

Forschungsstand, Theorie und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1.1 Überblick über den Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

Zu Offenheit 9 – Zur Geschichte anderer Kommunikationsideale 11 – Zu relevanten Phasen und Bewegungen in der Sprach- und Literaturgeschichte 17 – Zum Wandel des Verhältnisses zwischen ,Privatsphäre‘ und ,Öffentlichkeit‘ 21 – Zu ,self-disclosure‘ 23

1.2 Begriffliche Klärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Einstellung 26 – Mentalität 29 – Stilistisches und ethisches Kommunikationsprinzip 31 – Kommunikationsideal 34

1.3 Zum Korpus und zu den Methoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 Das Korpus 35 – Die Methoden 41

2

Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.1 Zur kommunikativen Lesart von ,offen‘ und ,Offenheit‘ – ein wort- und wortfeldgeschichtlicher Abriss . . . . . . . . . . . . 43 Die Entstehung der kommunikativen Lesart von ,offen‘ und ,Offenheit‘ 44 – Die Entwicklung der kommunikativen Lesart von ,offen‘ und ,Offenheit‘ vom 18. bis ins 21. Jahrhundert 50 – Das Verhältnis zwischen der kommunikativen Lesart von ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ und den ähnlichsten Bedeutungen anderer Ausdrücke 57

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs. . . . . . . . . . . . . . Offenheit als Ethnobegriff 61 – Offenheit als sprachwissenschaftlich gefasster Begriff 77

61

VIII

Inhalt

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

Kennzeichen der risikoreichen Preisgabe einer Information 88 – Kennzeichen von Wahrhaftigkeit 111 – Kennzeichen von Transparenz 116

3

Offenheit als Ideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals . . . . . . . . . . . . . . . 120 Kommunikative Normen vor der Herausbildung des Offenheitsideals im 17. Jahrhundert 121 – Kommunikative Normen während der Herausbildung des Offenheitsideals im 18. Jahrhundert 134

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal . . . . . . . . . . 148 Die Herausbildung des Offenheitsideals im 18. Jahrhundert 149 – Die Konsolidierung des Offenheitsideals in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts 155 – Die Abschwächung des Offenheitsideals gegen Ende des 19. Jahrhunderts 160 – Die Verstärkung des Offenheitsideals im 20. Jahrhundert 164 – Negative, neutrale und zwiespältige Urteile über Offenheit 167

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot . . . . . . . . . . 169 Offenheit gegenüber Gott und den Vertretern der drei klassischen Professionen (bereits im 17. Jahrhundert) 171 – Offenheit gegenüber sich selbst, Offenheit in der Freundschaft (seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts) 173 – Offenheit in der Liebesbeziehung, Ehe und Familie (seit dem Ende des 18. Jahrhunderts) 179 – Offenheit in der institutionalisierten Geselligkeit und im Staatsleben (seit dem Ende des 18. Jahrhunderts) 190 – Offenheit im Berufsleben (seit dem Ende des 20. Jahrhunderts) 194 – Offenheit in den Massenmedien 196 – Zur Reichweite situativer Offenheitsgebote 200

3.4 Kommunikative Normen im Umfeld des Offenheitsideals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Konstanten des normativen Umfelds 202 – Besonderheiten des normativen Umfelds im 18. Jahrhundert 209 – Veränderungen des normativen Umfelds im 19. Jahrhundert 216 – Veränderungen des normativen Umfelds im 20. Jahrhundert 220

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224

Inhalt

IX

Träger des Offenheitsideals im 18. Jahrhundert 225 – Träger des Offenheitsideals im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts 228 – Träger des Offenheitsideals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart 231 – Der Bezug auf die englischen moralischen Zeitschriften und die englische ,Öffentlichkeit‘ im 18. Jahrhundert 233 – Der Bezug auf die nordamerikanische humanistische Psychologie, ,self-disclosure‘-Forschung und Gruppenbewegung im 20. Jahrhundert 237

4

Offenheit als Wagnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4.1 Funktionen von Offenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 Funktionen der Objektivierung 246 – Exkurs: Offenheit in der Beichte und der Psychoanalyse 251 – Funktionen der Assoziierung 257 – Funktionen der Äquilibrierung 262

4.2 Gefahren von Offenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Gefahr für das taxationale Bonum des Äußerungsproduzenten 267 – Gefahr für das taxationale Bonum des Adressaten 269 – Gefahr für das interaktionale Bonum des Äußerungsproduzenten 272 – Gefahr für das interaktionale Bonum des Adressaten 273 – Gefahr für das informationale Bonum des Äußerungsproduzenten 275

5

Das Offenheitsideal – eine Mentalitätsgeschichte . . . . . . . . . . . 279

Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Verzeichnis der Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Wörterbücher und Enzyklopädien 295 – Anstandsbücher 297 – Primär kommunikationsnormative Texte 300 – Beziehungsratgeber 304 – Beiträge zu Periodika 305 – Sonstiges 315

Verzeichnis der Forschungsliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 Zitierte Nachschlagewerke 320 – Zitierte Forschungsliteratur im engeren Sinn 322

Einleitung Die ersten Menschen haben bey ihren Reden keinen andern Zwek haben können, als einander ihre Gedanken bekannt zu machen, und wenn sie und ihre Kinder die angeschafne [ihnen bei der Schöpfung mitgegebene, J.S.] Unschuld bewahret hätten, so wäre die Rede nach ihrer wahren Bestimmung ein offenherziges Bild dessen, was in eines jeden Herzen vorgegangen wäre, und ein Mittel gewesen, Freundschaft und Zärtlichkeit unter den Menschen zu unterhalten1.

Christoph Martin Wieland setzt es sich 1753 in seiner „Abhandlung vom Naiven“ zum Ziel, den Begriff der „Naivete“2 zu erläutern. Als bewundernswert naiv beschreibt er die Denk- und Kommunikationsweisen der ,ersten Menschen‘, die aus seiner Sicht in schärfstem Kontrast zu den für ihn verabscheuenswürdigen inneren Haltungen und sprachlichen Umgangsformen der meisten seiner Zeitgenossen stehen.3 Der soeben zitierte Beginn der Gegenüberstellung von Vergangenheit und Gegenwart gibt Wielands Enthusiasmus für das Naive allerdings noch nicht zu erkennen. Bei der Lektüre der Textstelle springt vielmehr die Wertschätzung einer ,Rede‘ ins Auge, die ein ,offenherziges Bild‘ des menschlichen Denkens und Fühlens ist, die Positivdarstellung einer Art der sprachlichen Kommunikation, die man heute, wenn nicht als ,Offenherzigkeit‘, am ehesten als ,Offenheit‘ bezeichnen würde, und die sich erst im Verlauf der „Abhandlung“ als Konstituente von Naivität herausstellt:4 Wieland zufolge müssen die ,ersten Menschen‘ im Zustand der ,Unschuld‘ vor dem Sündenfall offen miteinander gesprochen haben, womit er Offenheit als die ursprüngliche menschliche Kommunikationsweise und zugleich als diejenige sittlich unverdorbener Menschen charakterisiert. Indem er bemerkt, dass die ,Rede‘ ihrer ,wahren Bestimmung‘ nach ,offenherzig‘ sei, bringt er zum Ausdruck, dass der mündliche Sprachgebrauch auf Offenherzigkeit hin angelegt sei und seinem Zweck erst durch diese gerecht werde. Ein offenherziger sprachlicher Austausch kann nach Wieland der

1 2 3 4

Wieland 1753/1916: 15. Wieland 1753/1916: 15. Vgl. Wieland 1753/1916: 15–17. Vgl. Wieland 1753/1916: 16–17.

2

Einleitung

,Freundschaft und Zärtlichkeit unter den Menschen‘ dienen: Wäre ihre sprachliche Kommunikation eine offene geblieben, hätte die paradiesische Harmonie zwischen ihnen erhalten werden können. Gut 250 Jahre nach Wielands „Abhandlung“, 2004, erscheint ein Ratgeber mit dem Titel „Die Macht des Vertrauens. Erfolg durch positive Gesprächsführung“, der gemäß dem Klappentext von zwei Psychologen, Nikolaus Enkelmann und Thomas Rückerl, verfasst worden ist.5 Die Autoren empfehlen darin Sicht- und Verhaltensweisen, die das Vertrauen ihrer Leser wie auch das Vertrauen, das andere Menschen zu diesen haben, verstärken sollen. Eine zentrale Stellung innerhalb ihrer Empfehlungen für das kommunikative Verhalten nimmt die Aufforderung zu Offenheit ein, die im folgenden Textausschnitt eine Verkaufssituation zum Ausgangspunkt hat:6 Durch die offene Kommunikation kann eine Synthese aller beteiligten Interessen stattfinden, und nicht selten entstehen dabei zusätzliche Synergie-Effekte. Alle Beteiligten fühlen sich als Gewinner und erhalten einen emotionalen Extra-Bonus. Ein gelungenes Gewinner-Gewinner-Geschäft steigert nicht nur die Lebensqualität, sondern bringt auch gemeinsame Erfolgserlebnisse7.

Die Verfasser rücken die angesprochene ,offene Kommunikation‘ in ein äußerst günstiges Licht: Diese ermögliche eine Vereinbarung, die die Wünsche aller Verhandelnden berücksichtige, sie ermögliche die Entstehung angenehmer Gefühle und könne dadurch das Leben allgemein aufwerten. In beiden wiedergegebenen Textstellen offenbart sich mithin eine enorm positive Einstellung gegenüber einer kommunikativen Qualität oder Eigenschaft, die mit dem Ausdruck ,offen(-)‘ verbunden ist. Abgesehen davon sind die Zitate und ihre Kotexte jedoch denkbar unterschiedlich: Während im ersten Fall aus der essayistischen Abhandlung eines literarischen Vordenkers seiner Zeit zitiert wurde, kamen im zweiten Fall die Autoren eines populären Ratgebers zu Wort. Liegt der kommunikative Idealzustand für Wieland weit in der Vergangenheit, ist er nach Enkelmann und Rückerl für jeden Leser der Gegenwart, der einige simple Ratschläge befolgt, problemlos zu erreichen. Anders als bei Wieland, dessen generelle Einschätzung von ,Offenherzigkeit‘ ethisch fundiert ist, dominiert in der auf Geschäftsverhandlungen bezogenen Beurteilung ,offener Kommunikation‘ der zwei Psychologen eine öko5 6 7

Vgl. Enkelmann/Rückerl 2004: Klappentext. Vgl. Enkelmann/Rückerl 2004: 167. Enkelmann/Rückerl 2004: 167.

Das Erkenntnisinteresse der Studie

3

nomische Kosten-Nutzen-Logik. Damit geht in der „Abhandlung vom Naiven“ ein Bezug auf das Wohl der Gemeinschaft einher, wohingegen das Interesse in der „Macht des Vertrauens“ dem Erfolg und Glück einzelner Interagierender gilt. Angesichts dieser und weiterer markanter Differenzen muss man sich fragen, ob es den Autoren des Ratgebers um eine andere Art der Kommunikation geht als Wieland oder ob sich die impliziten Wertungen, die beide Zitate enthalten, auf denselben kommunikativen Gegenstand beziehen, der allerdings ganz verschieden perspektiviert wird. Sind die beiden so heterogenen Textabschnitte durch den historischen Faden einer Idealisierung von Offenheit direkt miteinander verbunden? Es wäre faszinierend, wenn sich hier ein solcher Faden zeigte, hätte dieser doch eine beeindruckende zeitliche und soziale Lauflänge. Man könnte sich kaum vorstellen, dass ein Faden, der sich so weit durch das dichte kulturelle Gewebe der Neuzeit zöge, nicht mit vielen anderen feinen Fasern wie auch gröberen geschichtlichen Strängen versponnen wäre und in diesem Geflecht ohne Weiteres fehlen könnte. Ließe sich sein Verlauf im historischen Kulturgewebe verfolgen, wäre dessen Struktur zumindest in Details genauer zu verstehen als bisher.

Das Erkenntnisinteresse der Studie Im Anschluss an die Gegenüberstellung der zwei Zitate lässt sich die zentrale Hypothese formulieren, die am Beginn dieser Untersuchung steht: Anders als noch im 17. Jahrhundert ist Offenheit im 18. und in den folgenden Jahrhunderten ein Kommunikationsideal. Mit dieser Hypothese richtet sich das Erkenntnisinteresse auf die kollektiven Bewertungen einer Kommunikationsweise, die man in der Gegenwart als ,Offenheit‘ bezeichnen kann. Es gilt – etwas weiter gefasst – den diesbezüglichen Überzeugungen und ,Wissensbeständen‘, Wertungen und Affekten sowie Verhaltensdispositionen der historischen Kommunizierenden. Die Formulierung ,historische Kommunizierende‘ ist mit Bedacht gewählt: Erfasst werden sollen nicht nur die Überlegungen und Urteile von Avantgarden, diejenigen weniger oder gar einzelner Wissenschaftler, Philosophen und Literaten, in denen sich Bahnbrechendes zeigt, sondern auch und gerade das Denken und Werten, das besonders stark verbreitet ist, d. h. sozial weit reichende, tief gehende und damit – wie sich herausstellen wird – lang überdauernde kollektive geistige Haltungen. Es geht, mit anderen Worten, darum, die Ethnoperspektive auf Offenheit zu rekonstruieren.

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Einleitung

Mit den oben zitierten Textstellen und der danach genannten Hypothese ist das Interesse der Studie auch zeitlich und räumlich abgesteckt: Der Untersuchungszeitraum erstreckt sich unter Berücksichtigung der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, das Untersuchungsgebiet bildet der deutschsprachige Raum. Dass Offenheit – wie später ersichtlich wird – nicht nur sprachlich, sondern auch in anderen Zeichensystemen realisiert werden kann, macht die Begrenzung der Untersuchung auf die Sprecher bzw. Schreiber einer Sprache auf den ersten Blick fragwürdig. Für Kommunizierende ist ihre Alltagssprache jedoch ein besonders wesentliches, vielleicht das wesentlichste Kommunikationsmedium, und im gewählten Untersuchungszeitraum sind umfassende Sprachgemeinschaften vor allem durch die europäischen Volks- bzw. Nationalsprachen definiert. Diese Umstände, wie auch der linguistische Standpunkt, von dem aus Offenheit in dieser Arbeit betrachtet wird, legen eine Beschränkung auf das Gebiet einer Volks- resp. Nationalsprache nahe. Da ich davon ausgehe, dass Kommunikationsideale an Einzelne wie an Kommunikationsgemeinschaften von unterschiedlichem Umfang gebunden sein können, dürfen Differenzen innerhalb der Gemeinschaft der Deutschsprechenden freilich nicht vernachlässigt werden. Das Erkenntnisinteresse der Studie ist in einer weiteren Dimension limitiert: Da Offenheit häufig vor dem Hintergrund ihrer Anwendung in bestimmten Kommunikationssituationen beurteilt wird, beziehen sich die Bewertungen oft auf einen – mehr oder weniger großen – Kommunikationsbereich. Die Untersuchung konzentriert sich darauf, Bewertungen von Offenheit für die ,individuelle Kommunikation‘ zu ermitteln, bei der ein Kommunikationspartner8 den anderen als Individuum wahrnimmt oder beide einander als Einzelperson ansehen, und lässt die ,organisationale Kommunikation‘ weitgehend außen vor, bei der die Interagierenden füreinander als Repräsentant einer Organisation9 auftreten, etwa als Vertreter eines Unternehmens, einer Bildungsinstitution oder einer Behörde. 8

9

Aus ökonomischen Gründen spreche ich hier wie auch in der ganzen weiteren Studie von einem Äußerungsproduzenten und einem Äußerungsadressaten bzw. -rezipienten. Dabei gehe ich jedoch immer davon aus, dass eine Äußerung sich ebenso an mehrere Personen richten kann, von mehreren, auch nicht-adressierten Menschen aufgenommen werden kann und unter Umständen sogar von mehreren Individuen (etwa einem Autorenteam) hervorgebracht wird. Unter ,Organisationen‘ verstehe ich „tendenziell auf Dauer angelegte soziale Einheiten mit institutionellen Regelungen, die das Verhalten der Beteiligten steuern, und mit spezifischen Zielen bzw. Aufgaben, die durch die Mitglieder realisiert werden sollen“ (Voss 1991/1997: 476), etwa „Wirtschaftsunternehmen, öffentliche Verwaltungen, Verbände,

Der Ort der Studie im Fach

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Die Unterscheidung ist keine strenge, vielmehr ist die Grenze zwischen individueller und organisationaler Kommunikation eine fließende. Dennoch ist die Differenzierung genau genug, um die Fragestellung dieser Arbeit auf eine sinnvolle Reichweite beschränken zu können.

Der Ort der Studie im Fach Innerhalb der germanistischen Sprachwissenschaft ist die Studie ihrer diachronen Anlage wegen in der Sprachgeschichtsforschung angesiedelt. Von Vertretern der neueren, sozio-pragmatisch orientierten Sprachgeschichtsforschung ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die Geschichte der „Einstellungen und Bewertungen zu Sprache“,10 die „Sprachbewußtseinsgeschichte“, die „Veränderungen in den kommunikativen Mentalitäten, Einstellungen, Theorien“11 oder einfach der „Spracheinstellungen“12 ein wesentlicher Gegenstand der Sprachgeschichtsforschung sind bzw. sein sollten. Fritz Hermanns hat deshalb für eine „Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte“13 plädiert. Da die vorliegende Untersuchung die kollektiven Überzeugungen, Wertungen und auch Verhaltensdispositionen, die sich auf Offenheit beziehen, zu rekonstruieren versucht, ist sie Teil der Erforschung der Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte. Insofern Offenheit einerseits – wie oben erwähnt – nicht allein im Medium der Sprache in Erscheinung treten kann und

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11 12 13

Parteien, Kirchen, Schulen und Hochschulen, Gefängnisse, Krankenhäuser, Klöster, Bordelle, Verbrechersyndikate, Polizei, Militär“ (Voss 1991/1997: 477). Mattheier 1995: 14 schreibt, dass „Dieter Cherubim auf der Züricher Tagung zur Pragmatischen Sprachgeschichte des Deutschen im Jahre 1979 [1978, J.S.] aus der damals vorliegenden Forschungsliteratur folgende Bereiche [die in einer neuen Sprachgeschichte des Deutschen Berücksichtigung finden sollten] zusammengestellt [hat]: [...] Geschichte der Konversationspostulate, historische Stilistik und Rhetorik, [...] Geschichte der Laienlinguistik, der Einstellungen und Bewertungen zu Sprache“. In der Publikation des Tagungsbeitrags von Cherubim ist diese Zusammenstellung allerdings nicht enthalten (vgl. Cherubim 1980). Mattheier 1995: 15. Neuland 1993: 733. So lautet der Titel eines Aufsatzes Hermanns’ (Hermanns 1995), der für diese Studie programmatisch ist und auf den ich deshalb noch mehrfach zurückkomme. – Einen Mangel „an breiter angelegten ideengeschichtlichen Untersuchungen“ der „Kommunikationstheorie“ hat Göttert 1988: 7 konstatiert. Vergleichbar damit hat Lebsanft 2005: 34 darauf aufmerksam gemacht, dass die bisherige Auseinandersetzung mit der Geschichte der Grice’schen Konversationsmaximen nicht ausreiche und speziell eine „Geschichte der Wahrhaftigkeit oder Aufrichtigkeit“ ausstehe. Ähnlich hat Linke 2008: 46 die Beschäftigung mit der „Ideengeschichte der Kommunikation, das heisst der Geschichte der Norm- und Idealvorstellungen von Kommunikation“ angeregt.

6

Einleitung

sich andererseits nur in sozialer Interaktion manifestieren kann, leistet diese Studie zugleich einen Beitrag zur Erkundung der Sprachgeschichte als Kommunikationsgeschichte. Verortet man die Untersuchung nicht anhand ihres Erkenntnisinteresses bzw. Gegenstandes im Fach, sondern mithilfe der in ihr verwendeten Methoden, ist sie den Disziplinen der Wort-, Begriffs- und Diskursgeschichte bzw. Diskurslinguistik zuzuordnen. Fritz Hermanns weist darauf hin, dass das „Programm der Sprachgeschichte als Mentalitätsgeschichte“ methodisch auf das „Programm einer Begriffsgeschichte als Diskursgeschichte“14 hinauslaufe. Die Korpuszusammenstellung und die Methoden dieser Arbeit entsprechen tatsächlich insbesondere Vorgehensweisen, die in der linguistischen Diskursanalyse üblich sind, welche auch als ,Diskurslinguistik nach Foucault‘ bezeichnet wird.15 Dass hier ein Ausschnitt des Diskurses über Offenheit untersucht werde, lässt sich freilich nur behaupten, wenn man ,Diskurs‘ als eine Menge von Texten oder Äußerungen auffasst, die (auch) durch ein gemeinsames Thema untereinander in Beziehung stehen,16 und damit einen Diskursbegriff vertritt, der sich deutlich von demjenigen unterscheidet, den Michel Foucault in „Archäologie des Wissens“ beschreibt, dem Text, in dem er seine diskursanalytische Methode am ausführlichsten erörtert: Foucault erklärt dort die Vermutung, dass ein Diskurs eine Menge von Aussagen mit demselben Thema oder denselben Themen sei, ausdrücklich für unzutreffend.17 Die Studie erhebt deshalb nicht den Anspruch, eine linguistische Diskursanalyse ,nach Foucault‘ zu sein.

14 15

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Hermanns 1995: 86. Vgl. folgende Beiträge, die Überlegungen zum Diskursbegriff, zur Korpusbildung und zu den Methoden der gemeinten linguistischen Diskursanalyse enthalten: Busse/Teubert 1994, Hermanns 1995, Böke 1996/2005, Jung 1996/2005, Bluhm/Deissler/Scharloth u. a. 2000, Busse 2000, Wengeler 2000, Busse 2003, Busse 2007, Gardt 2007, Hermanns 2007, Konerding 2007, Warnke 2007, Wengeler 2007. Die letztgenannten sechs Beiträge sind in einem von Warnke herausgegebenen Sammelband mit dem Titel „Diskurslinguistik nach Foucault“ erschienen (Warnke (Hrsg.) 2007). Die Ansicht, dass Diskurse aus Texten bzw. Äußerungen mit einem gemeinsamen Thema bestehen, ist in der angesprochenen Diskurslinguistik weit verbreitet. Sie zeigt sich bei Busse/Teubert 1994: 14, Hermanns 1995: 88, Böke 1996/2005: 217, Jung 1996/2005: 179, Bluhm/Deissler/Scharloth u. a. 2000: 15, Hermanns 2007: 195, Konerding 2007: 108, Wengeler 2007: 172, Fußnote 1. Dass die „Annahme“, dass „Texte aufgespannt sind in einem [...] Bezugsnetz thematisch verwandter Texte“, in der linguistischen Diskursanalyse grundlegend ist, stellen auch Bluhm/Deissler/Scharloth u. a. 2000: 4 fest. Dementsprechend beginnt Gardt 2007: 29–30 seine Beschreibung des „Diskursbegriffs in der Fachdiskussion“, die auf der Auswertung zahlreicher diskurslinguistischer Publikationen beruht, mit den Worten: „Ein Diskurs ist die Auseinandersetzung mit einem Thema“. Vgl. Foucault 1969/1981: 54–56.

Der Aufbau der Studie

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Der Aufbau der Studie Die philologisch provokative Konfrontation des Zitats Christoph Martin Wielands mit demjenigen Nikolaus Enkelmanns und Thomas Rückerls erweist sich insofern auch als produktiv, als sie drei Problemdimensionen bzw. Fragekomplexe aufzeigt, die eine Untersuchung von Offenheit als möglichem Kommunikationsideal bearbeiten muss. Historisch sensibilisierte Leser mögen bezweifeln, dass in den Textstellen dieselbe kommunikative Eigenschaft angesprochen wird, dass ,offenherzig‘ und ,offen‘ in den gegebenen Kontexten bedeutungsgleiche oder zumindest -ähnliche Ausdrücke sind, was die Notwendigkeit einer wort- und begriffsgeschichtlichen Auseinandersetzung ersichtlich macht. Die Fragen, welche kommunikationsbezogene Bedeutung der Ausdruck ,offen‘ wann hat und in welches Feld weitgehend bedeutungsgleicher Wörter er dabei eingebunden ist, sodann was kommunikative Offenheit für die Kommunizierenden zu unterschiedlichen historischen Zeitpunkten ist, was, mit anderen Worten, ihren Begriff18 von Offenheit ausmacht, und schließlich woran sich eine offene Äußerung demzufolge sinnlich erkennen lässt, werden im Anschluss an die Ausführungen zu „Forschungsstand, Theorie und Methodik“ im zweiten Kapitel des Buches, das den Titel „Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen“ trägt, nacheinander beantwortet. Die gewählten Zitate werfen gleichfalls die Frage auf, wie Offenheit zwischen dem 18. und frühen 21. Jahrhundert mehrheitlich beurteilt wird, und machen gleichzeitig überdeutlich, dass die sozialen, situativen sowie argumentativen Hintergründe der Urteile nicht ausgeblendet werden dürfen. Die These, dass Offenheit seit dem 18. Jahrhundert ein Kommunikationsideal ist, steht im Zentrum des dritten Kapitels „Offenheit als Ideal“ und wird dort belegt. Damit wird es erforderlich, den normativen Kontext, d. h. den Horizont anderer kommunikativer Normen zu ermitteln, in bzw. vor dem sich das Offenheitsideal entwickelt; es ist zu klären, für welche Lebensbereiche das Offenheitsideal gültig ist, in welchen Kommunikationssituationen Offenheit also umgesetzt werden soll; es sind die Bündel kommunikativer Normen zu bestimmen, denen das Offenheitsideal im Lauf der Zeit angehört, die Arten des Kommuni18

Ich verwende ,Begriff‘ und ,Konzept‘ durchgängig synonym und meine mit beiden Ausdrücken ein mentales Ordnungsmuster, eine gedankliche Kategorie, mit dem bzw. der ein Mensch seine Lebenswelt erfasst und strukturiert. Nach meinem Verständnis ist ein Begriff nicht zwingend, aber in der Regel wortgebunden, d. h. er kann im Normalfall mit einem einzelnen lexikalischen Ausdruck zutreffend bezeichnet werden. In den Bedeutungen von Wörtern zeigen sich dementsprechend wortgebundene Begriffe.

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Einleitung

zierens, die gemeinsam mit Offenheit favorisiert oder desavouiert werden; darüber hinaus ist das Offenheitsideal auf die Kommunikationsgemeinschaften, die es tragen, und auf ihm möglicherweise unterliegende Prozesse von Kulturtransfer hin zu untersuchen. Jedem dieser Aspekte widmet sich ein Teilkapitel. Bei der Kontrastierung der Wieland’schen Würdigung von ,Offenherzigkeit‘ mit der Befürwortung ,offener Kommunikation‘ durch Enkelmann und Rückerl fällt auf, dass in beiden Textstellen mit den wahrgenommenen Chancen argumentiert wird, etwa ,Freundschaft und Zärtlichkeit‘ aufrechtzuerhalten oder die ,Lebensqualität‘ zu erhöhen. Es erscheint daher als lohnenswert, auch dem ,kommunikativen Glück‘ nachzugehen, das Offenheit über die Jahrhunderte hinweg verheißt, – und als Pendant dazu den Risiken nachzuspüren, die in Offenheit gesehen werden, den unliebsamen Folgen, die sie haben kann. Mit den Funktionen und Gefahren von Offenheit, wie sie sich aus der Perspektive der historischen Akteure darstellen, setzt sich das vierte Kapitel unter der Überschrift „Offenheit als Wagnis“ auseinander. Bevor mit der Zusammenführung und erklärenden Deutung der gemachten Beobachtungen im Schlusskapitel „Das Offenheitsideal – eine Mentalitätsgeschichte“ ein Bogen vom 18. bis ins 21. Jahrhundert geschlagen wird, ist der Aufbau der Studie somit kein primär chronologischer, sondern ein in erster Linie sachsystematischer: Das Thema der kommunikativen Offenheit wird nicht Zeitphase für Zeitphase, Jahrhundert für Jahrhundert behandelt, sondern in verschiedene Teilthemen aufgefächert. Hinter dieser Gliederung steht die Überzeugung, dass die Betrachtung synchroner Schnitte für eine diachrone Arbeit zwar eine Voraussetzung ist, dass die vorliegende Untersuchung aber ihr Ziel nicht erreichen könnte, reihte sie vorrangig die Ergebnisse solcher synchroner Betrachtungen aneinander. Sie stellt sich der Aufgabe, den gewählten Zeitraum in den Analysen wie in der Darstellung der Analyseergebnisse als sich entwickelnde Ganzheit (und nicht als Menge von Einzelzuständen) zu begreifen und innerhalb dieser mithilfe verschiedener Perspektiven das Gleiche im scheinbar Ungleichen, das Disparate im vermeintlich Identischen zu entdecken.

1 Forschungsstand, Theorie und Methodik 1.1 Überblick über den Forschungsstand Zu kommunikativer Offenheit als Begriff, Phänomen und Ideal sowie zum unmittelbaren sachlichen Umfeld liegen nur wenige wissenschaftliche Publikationen vor. Hält man hingegen nach Veröffentlichungen Ausschau, die in einer loseren Beziehung zum Thema der Offenheit stehen, sieht man sich mit einer nahezu unüberschaubaren Fülle von Forschungsbeiträgen konfrontiert. Sie stammen nicht nur aus der germanistischen Sprachwissenschaft; relevante Forschungsergebnisse sind aus zahlreichen weiteren wissenschaftlichen Disziplinen hervorgegangen, insbesondere aus der germanistischen Literaturwissenschaft, der Rhetorikforschung, Medienwissenschaft, Soziologie und Psychologie. Dementsprechend sind die Studien, deren Resultate für die vorliegende Untersuchung am wichtigsten sind, hinsichtlich ihrer Fragestellungen, Analyseinstrumente, Quellen bzw. Daten und Methoden äußerst heterogen. Im folgenden Überblick gruppiere ich diese Arbeiten nach ihrem Thema, ohne eine systematische Klassifikation anzustreben, weshalb einzelne Arbeiten mehreren Abteilungen zugeordnet werden könnten. Die thematisch nächstliegenden und fachlich der germanistischen Linguistik zugehörigen Untersuchungen werden zuerst vorgestellt, es folgen thematisch weniger zentrale und fachlich ferner stehende.

Zu Offenheit Zum Hauptgegenstand einer Monographie der germanistischen Sprachwissenschaft ist Offenheit bislang nicht geworden. Es existieren überhaupt nur zwei Publikationen aus dem Radius dieser Disziplin, die Substanzielles über Offenheit aussagen. So fragt Götz Hindelang in einem Aufsatz aus dem Jahr 1975 nach der Funktion von „Offen gesagt“ als „Äußerungskommentierender Gesprächsformel“.1 Er klassifiziert die 1

Hindelang 1975: Äußerungskommentierende Gesprächsformeln. ,Offen gesagt‘, ein

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

Verwendungsmöglichkeiten der Kollokation ,offen gesagt‘ anhand von introspektiv gewonnenen Beispielen. Daraus folgert er, dass man mit der Formulierung ,offen gesagt‘ zeige, dass man einen aktuellen Konflikt zwischen der Norm der Offenheit sowie einer anderen Konversationsnorm erkenne und sich in diesem Konflikt für die Erfüllung der Offenheitsnorm entscheide. Diese hat nach Hindelang den Status einer Grice’schen Konversationsmaxime und ist so zu formulieren: „Wenn du zu einem Gesprächsgegenstand eine relevante Information oder Meinung hast, dann halte damit nicht hinter dem Berg“.2 Ausgehend von ,offen gesagt‘ stellt er die These auf, dass derartige Formeln die Orientierung an konversationalen Normen signalisierten, welche daher mithilfe jener identifiziert werden könnten. Abgesehen davon, dass sich gegen durch Introspektion gewonnenes Untersuchungsmaterial methodische Einwände erheben lassen, sind Hindelangs Verständnis von Offenheit und deren Klassifikation als Konversationsmaxime problematisch, wie später erläutert wird. Dass er Offenheit ohne ausführliche Begründung als Grice’sche Konversationsmaxime kategorisiert, d. h. als generelle Anforderung an Äußerungen,3 reflektiert allerdings, mit welch bemerkenswerter Stärke Offenheit seiner Auffassung nach zum Publikationszeitpunkt verlangt und erwartet wird. Bei der zweiten Publikation, die Offenheit unmittelbar betrifft, handelt es sich um die 1988 unter dem Haupttitel „Kommunikationsideale“ erschienenen „Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie“ Karl-Heinz Götterts.4 Die Monographie, die aufgrund ihrer kulturwissenschaftlichen und komparatistischen Ausrichtung keiner nationalphilologischen Sprach- oder Literaturwissenschaft eindeutig zugeordnet werden kann, stellt in chronologischer Reihenfolge einige zentrale Ideale dar, die sich in bedeutenden theoretischen Texten über das Gespräch vom 16. Jahrhundert an finden lassen. Als eines dieser Ideale wird Offenheit beschrieben. Göttert geht im entsprechenden Kapitel den Konzeptionen sozialer Interaktion in der Philosophie John Lockes, Anthony Ashley

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erster Schritt. – Sofern nicht anders gekennzeichnet, handelt es sich in diesem Kapitel bei allen Formulierungen, die von doppelten Anführungszeichen gerahmt sind, um Bestandteile des Haupt- oder Nebentitels der jeweils angesprochenen wissenschaftlichen Publikation. Auf eine Seitenangabe wird deshalb verzichtet. Hindelang 1975: 258. Vgl. Grice 1975/1979: 248–251. In Kapitel 1.2 diskutiere ich das Konzept der Konversationsmaxime ausführlich. Göttert 1988: Kommunikationsideale. Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie.

1.1 Überblick über den Forschungsstand

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Coopers, des Earls of Shaftesbury, Christian Wolffs und Georg Friedrich Meiers nach. Vor diesem Hintergrund betrachtet er die Vorstellungen und Bewertungen von Offenheit, die sich in moralischen Zeit- bzw. Wochenschriften zeigen, namentlich im englischen „Spectator“ (1711–12, 1714) und im deutschen „Geselligen“ (1748–1750), sowie ihre Weiterführung in den Schriften Jean-Jacques Rousseaus. Die vorliegende Arbeit knüpft an die Thesen Götterts an, dass Offenheit im 18. Jahrhundert angeregt durch englische Einflüsse im deutschsprachigen Raum den Status eines Ideals erlange und dass sich dieses Ideal gerade in moralischen Wochenschriften zeige. Die Ansicht, dass sich das Ideal der Offenheit „[w]ährend der Blüte der Moralischen Wochenschriften in Deutschland“ im Vergleich zu England „noch nicht wirklich durchsetzen [...] konnte“,5 wird jedoch zu revidieren sein. Problematischerweise gehen Götterts Ergebnisse aus der Analyse nur einzelner Texte hervor – „Der Gesellige“ ist die einzige Quelle, mit der er seine Ausführungen zum Offenheitsideal im deutschsprachigen Raum belegt – und betreffen zudem lediglich einige der Aspekte, die in den folgenden Kapiteln behandelt werden. Den historischen Begriff der Offenheit etwa bestimmt er nicht näher.

Zur Geschichte anderer Kommunikationsideale Sowohl aus der Sprach- wie aus der Literaturwissenschaft liegen einige historisch oder auch diachron ausgerichtete Monographien und Aufsätze speziell zur Wertschätzung kommunikativer Phänomene und Prinzipien vor, die Offenheit nahe kommen – zur Wertschätzung von Selbstthematisierung, Wahrhaftigkeit, Natürlichkeit und Naivität, Deutlichkeit und Authentizität. Trotz der Ähnlichkeiten vor allem in ihren Fragestellungen und Methoden sind die Untersuchungen nicht in eine gemeinsame, Kommunikationsideale betreffende Forschungsrichtung integriert, zumal die Bezeichnung ,Kommunikationsideal‘ in ihnen kaum verwendet wird. Dies hat zur Folge, dass das Verhältnis der genannten kommunikativen Phänomene und Prinzipien zueinander wie auch zu Offenheit bislang nicht geklärt ist. Die Arbeiten können daher nur weitgehend unverbunden vorgestellt werden und liefern in erster Linie Hinweise auf Kontexte, in denen sich eine Idealisierung von Offenheit erwarten lässt. Sie legen zusammengenommen die Annahme nahe, dass literarische und primär

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Göttert 1988: 120, vgl. 122 sowie Göttert 1991: 108.

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

kommunikationsnormative Texte (Briefsteller, Rhetoriken usw.) im 18. Jahrhundert, möglicherweise auch danach, ein besonderes Interesse an Offenheit widerspiegeln. So belegt Peter Gays Studie „Die Macht des Herzens“, auf englisch 1995 unter dem treffenderen Haupttitel „The naked heart“ erschienen, die bürgerliche Neigung des 19. Jahrhunderts, sich sprachlich mit dem eigenen Denken und Fühlen auseinanderzusetzen, das eigene Innere zu erforschen und zu enthüllen.6 Gay beschreibt das Phänomen anhand von Selbstthematisierungen in Autobiographien und Romanen sowie Briefen und Tagebüchern dieser Zeit, die hauptsächlich aus dem englischen, französischen und deutschen Bürgertum stammen.7 In seinem Aufsatz „Aufrichtigkeit“ aus dem Jahr 1994 kommt Günter Saße zu dem Schluss, dass sich Wahrhaftigkeit in Christian Fürchtegott Gellerts ,weinerlichem Lustspiel‘ „Die zärtlichen Schwestern“ (1747) als kommunikatives Ideal zeige.8 Er fasst Wahrhaftigkeit als zentrales Ideal der Empfindsamkeit auf und interpretiert das Drama unter diesem Gesichtspunkt. Mit klassisch-antiken, aber ebenso deutsch- und englischsprachigen Quellen des 17., 18., 20. und 21. Jahrhunderts dokumentiert Andreas Gardt in einem 2008 veröffentlichten Tagungsbeitrag, dass „Referenz und kommunikatives Ethos“, womit er den treffenden Bezug auf die Welt sowie Wahrhaftigkeit meint, in der westlichen Reflexion über Sprache immer wieder verlangt werden.9 Aufgrund ihrer weiten Verbreitung vermutet er, dass solche Forderungen universalen Charakter haben.10

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Gay 1995/1997: Die Macht des Herzens. Das 19. Jahrhundert und die Erforschung des Ich. Zur Selbstthematisierung in der Form des Bekenntnisses vgl. weiterhin Wagner 1994: Wie sich Sprechakte historisch verändern. Vorstudien zu einer Typologie des historischen Wandels von Sprechakten am Beispiel von ,Segnen‘ im Althochdeutschen und ,Bekennen‘ im Deutschen, Breuer 1998: Individualisierung durch Verstehen. Zur Phraseologie des Bekennens. Zur Selbstthematisierung in der Form des Geständnisses vgl. aus der Geschichtswissenschaft Foucault 1976/1977: Sexualität und Wahrheit. 1. Bd.: Der Wille zum Wissen. Zur Selbstthematisierung in diesen beiden Formen vgl. aus der Soziologie Hahn/Kapp (Hrsg.) 1987: Selbstthematisierung und Selbstzeugnis. Bekenntnis und Geständnis. Saße 1994: Aufrichtigkeit. Von der empfindsamen Programmatik, ihrem Kommunikationsideal, ihrer apologetischen Abgrenzung und ihrer Aporie, dargestellt an Gellerts „Zärtlichen Schwestern“. Gardt 2008: Referenz und kommunikatives Ethos. Zur Forderung nach Wahrheit im Alltag des Sprechens. Zu Wahrhaftigkeit und Glaubwürdigkeit aus theoretischer und synchron-gegenwartssprachlicher empirischer Sicht vgl. aus der Sprachwissenschaft und der Philosophie Austin 1962/2002: Zur Theorie der Sprechakte, Searle 1969/1983: Sprechakte. Ein sprach-

1.1 Überblick über den Forschungsstand

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Auf die positive Bewertung einer natürlichen, naiven Kommunikationsweise insbesondere im 18. Jahrhundert machen mehrere wissenschaftliche Beiträge aufmerksam.11 Reinhard Nickisch weist 1969 in seiner Untersuchung der „Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts“ nach, dass Natürlichkeit seit dem späten 17. Jahrhundert in Anweisungen zum Briefschreiben empfohlen wird.12 Hella Jäger zeigt in ihrer Dissertation über „Naivität“ als „kritischutopische Kategorie in der bürgerlichen Literatur und Ästhetik des 18. Jahrhunderts“ (1975) die Präferenz für einen naiven Stil und Menschentypus in fiktionalen wie nicht-fiktionalen deutschsprachigen Texten des 18. Jahrhunderts auf.13 Bernhard Asmuth postuliert in seinem Aufsatz über „Stilprinzipien, alte und neue“ (1991), in dem er auf sprachreflexive Quellen verschiedener Art verweist, für den deutschen Sprachraum die Existenz eines Natürlichkeitsideals von der Aufklärungszeit an und unterscheidet für das 18. Jahrhundert mehrere Ausprägungen dessen.14 In seiner soeben erwähnten Studie arbeitet Reinhard Nickisch zusätzlich die Anerkennung von Deutlichkeit in deutschen Briefstellern bereits des 16. sowie des 17. und 18. Jahrhunderts heraus.15 Auf einen

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philosophischer Essay, Grice 1975/1979: Logik und Konversation, Searle 1979/1990: Ausdruck und Bedeutung. Untersuchungen zur Sprechakttheorie, Deppermann 1997: Glaubwürdigkeit im Konflikt. Rhetorische Techniken in Streitgesprächen. Prozeßanalysen von Schlichtungsgesprächen. – Der (sprechakt)theoretischen und empirischen Erfassung der Lüge und anderer Formen der sprachlichen Täuschung ist auffällig mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit gewidmet worden als der der Wahrhaftigkeit: vgl. aus der Linguistik und der Philosophie Weinrich 1966/2000: Linguistik der Lüge, Falkenberg 1982: Lügen. Grundzüge einer Theorie sprachlicher Täuschung, Giese 1992: Untersuchungen zur sprachlichen Täuschung, Reboul 1994: The description of lies in speech acts theory, GalasiĔski 2000: The language of deception. A discourse analytical study, Bettetini 2001/2003: Eine kurze Geschichte der Lüge. Von Odysseus bis Pinocchio, Ausborn-Brinker 2003: Über die Lüge, Dietz 2003: Die Kunst des Lügens. Eine sprachliche Fähigkeit und ihr moralischer Wert, Frankfurt 2005/2006: Bullshit. Ein Überblick über die verschiedenen existierenden wissenschaftlichen Begriffe sprachlicher Natürlichkeit, die nicht auf den Bereich des Stils beschränkt sind, lässt sich gewinnen mithilfe von Schank 1979: Zum Problem der Natürlichkeit von Gesprächen in der Konversationsanalyse, Kaczmarek 1987: Natürlichkeit. Anmerkungen zu einer Geschichte der Sprachtheorie, Auer 1989: Natürlichkeit und Stil, Stempel 2005: ,Natürliches‘ Schreiben. Randbemerkungen zu einer stilkritischen Konjunktur im 16. Jahrhundert. Nickisch 1969: Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts. Jäger 1975: Naivität. Eine kritisch-utopische Kategorie in der bürgerlichen Literatur und Ästhetik des 18. Jahrhunderts. Asmuth 1991: Stilprinzipien, alte und neue. Zur Entwicklung der Stilistik aus der Rhetorik. Nickisch 1969: Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts.

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

herausragenden Stellenwert der „Konzepte von ,Deutlichkeit‘ und ,Eindeutigkeit‘“ im 18. Jahrhundert weist Oskar Reichmann in einem 1995 erschienenen Aufsatz hin, der sich allerdings auf die aufklärerische „rationalistische Sprachtheorie“ in deutscher Sprache bezieht.16 Mit seiner Dissertation über „Funktionen ,deutscher‘ Redlichkeit und Deutlichkeit in der Kommunikation des 18. Jahrhunderts“ (1999) bestätigt Moritz Wullen die besondere Bedeutung von Deutlichkeit in der damaligen Zeit:17 Er belegt darin anhand von moralischen Wochenschriften und Kommunikationslehren, dass Deutlichkeit in der Aufklärung in Abgrenzung von der höfisch-französisch geprägten Barockrhetorik positiv beurteilt wird, dass sie stark mit Wahrhaftigkeit assoziiert wird und dass beide Qualitäten als Charakteristika der Deutschen dargestellt werden. Nach Wullen sind diese Argumentationsweisen Teil einer Anpassung sprachlicher Kommunikation an die Erfordernisse einer funktional differenzierten Gesellschaft.18 Während Lionel Trilling in seinen Vorlesungen „Das Ende der Aufrichtigkeit“ (1980) (englisch „Sincerity and authenticity“, 1972) – ausgehend vor allem von Texten anerkannter Literaten und Philosophen – für westliche Kulturen der Neuzeit einen Wechsel vom Streben nach Auf-

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Reichmann 1995: Die Konzepte von ,Deutlichkeit‘ und ,Eindeutigkeit‘ in der rationalistischen Sprachtheorie des 18. Jahrhunderts. Wullen 1999: Was ist ,deutsch‘? Funktionen ,deutscher‘ Redlichkeit und Deutlichkeit in der Kommunikation des 18. Jahrhunderts. Es handelt sich zwar um eine Dissertation im Fach Kunstgeschichte, von der Auswahl der Quellen her ist die Arbeit jedoch eher als eine literatur- oder sprachgeschichtliche zu verstehen. Zu Deutlichkeit aus theoretischer Sicht vgl. aus der Philosophie nochmals Grice 1975/1979: Logik und Konversation. – Ein eigenes, ausgedehntes Feld bildet die Verständlichkeitsforschung, die danach fragt, was das Verständnis eines Textes einfach oder schwierig macht, wobei die Autoren neuerer Arbeiten darin übereinstimmen, dass die Verständlichkeit eines Textes nicht nur vom Text selbst abhängt, sondern auch von anderen Faktoren, vor allem vom Rezipienten sowie von der Kommunikationssituation, der Textsorte bzw. -funktion, dem Medium usw. An der Verständlichkeitsforschung sind neben der Sprachwissenschaft verschiedene Disziplinen, insbesondere die Psychologie und die Pädagogik beteiligt: vgl. Groeben 1972: Die Verständlichkeit von Unterrichtstexten. Dimensionen und Kriterien rezeptiver Lernstadien, Langer/Schulz von Thun/Tausch 1974/1981: Sich verständlich ausdrücken, Heringer 1979: Verständlichkeit. Ein genuiner Forschungsbereich der Linguistik?, Biere 1989: Verständlich-Machen. Hermeneutische Tradition – historische Praxis – sprachtheoretische Begründung, Neumann 1995: Wodurch wird Verständlichkeit erzeugt? Zur rhetorischen Textoptimierung – ein vernachlässigter Aspekt der Rhetorik, Rickheit 1995: Verstehen und Verständlichkeit von Sprache, Prestin 2001: Textoptimierung. Von der Verständlichkeit zur Intentionsadäquatheit, Göpferich 2002: Ein kommunikationsorientiertes Modell zur Bewertung der Qualität von Texten, Christmann 2008: Rhetorisch-stilistische Aspekte moderner Verstehens- und Verständlichkeitsforschung.

1.1 Überblick über den Forschungsstand

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richtigkeit zu dem nach Authentizität konstatiert,19 geht aus Annette Antons germanistischer Dissertation „Authentizität als Fiktion“ von 1995 hervor, dass sowohl im 18. als auch im 19. Jahrhundert ein Interesse an Authentizität besteht.20 Sie versucht darin zu zeigen, wie in berühmten Briefwechseln dieser Zeit der Eindruck von Authentizität vermittelt wird. Jutta Schlichs Studie über „Literarische Authentizität“ (2002) stellt verschiedene Konjunkturphasen und Ausprägungen einer als umfassende stilistische Eigenschaft verstandenen Authentizität vom 18. Jahrhundert an vor.21 Schlich bezieht sich auf ein großes Spektrum von Texten, das von philosophischen und poetologischen Theorien des 18. Jahrhunderts, insbesondere Johann Georg Sulzers und Friedrich Schillers, über die Werke weiblicher Schriftsteller der Romantik sowie Christa Wolfs bis hin zu zeitgenössischen philosophischen, medien- und literaturwissenschaftlichen Schriften reicht. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die genannten drei Autoren unter dem Stichwort ,Authentizität‘ zumindest annähernd dasselbe verstehen und sich ihre Ergebnisse ergo aufeinander beziehen lassen – eine Frage, die aufgrund der heterogenen Verwendung des Ausdrucks ,Authentizität‘ innerhalb der einzelnen Studien, die nicht durch eine genaue Analyse des so bezeichneten Begriffs aufgefangen wird, schwerlich zu beantworten ist.22 Eine Reihe weiterer Publikationen befasst sich mit der Geschichte einzelner anderer Kommunikationsideale, die begrifflich weniger dicht an Offenheit liegen als Selbstthematisierung, Wahrhaftigkeit, Natürlichkeit und Naivität, Deutlichkeit sowie Authentizität.23 Ein umfassende-

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Trilling 1972/1980: Das Ende der Aufrichtigkeit. Anton 1995: Authentizität als Fiktion. Briefkultur im 18. und 19. Jahrhundert. Schlich 2002: Literarische Authentizität. Prinzip und Geschichte. Zum Streben nach Authentizität in der modernen Literatur vgl. darüber hinaus Trommler 1988: Die Authentizität des verlorenen Ich. Entwicklungen im 20. Jahrhundert. Zum Streben nach Authentizität in der Moderne allgemein vgl. aus der Politologie Berman 1970: The politics of authenticity. Radical individualism and the emergence of modern society, aus der Philosophie Wetzel 1985: Autonomie und Authentizität. Untersuchungen zur Konstitution und Konfiguration von Subjektivität und Guignon 2004: On being authentic. – Parallel zur Entstehung dieser Monographie hat das, was sich als ,Authentizität‘ bezeichnen lässt, ungeheuer viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit erhalten. Auf zwei der Neuerscheinungen, die nicht mehr erschlossen werden konnten, sei zumindest hingewiesen: vgl. Knaller 2007: Ein Wort aus der Fremde. Geschichte und Theorie des Begriffs Authentizität, Amrein (Hrsg.) 2009: Das Authentische. Referenzen und Repräsentationen. Zur Geschichte einzelner anderer Kommunikationsideale vgl. Assmann 1986: ,Opting in‘ und ,opting out‘. Konformität und Individualität in den poetologischen Debatten der englischen Aufklärung, Lerchner 1992: Die historische Formierung von Spielräumen individuellen Sprachverhaltens, Hermanns 1993: ,Mit freundlichen Grüßen‘. Bemerkun-

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

rer Überblick über die Entwicklung kommunikativer Ideale lässt sich mithilfe von Darstellungen der Geschichte der expliziten Reflexion über Sprache und Kommunikation erlangen.24 Über ihre inhaltliche Vielfalt hinweg vermitteln diese Darstellungen gemeinsam die Einsicht, dass nicht nur Individuen in Einzelsituationen, sondern auch und gerade Kollektive in historischen Phasen bestimmte kommunikative Prinzipien bevorzugen.25 Fragen zur Theorie und Methodik der Erforschung von Kommunikationsidealen und ihrer Geschichte sind bislang nahezu nicht erörtert worden. Die umfangreicheren Studien, die man diesem Forschungszweig

gen zum Geltungswandel einer kommunikativen Tugend, Gardt 1995: Das Konzept der ,Eigentlichkeit‘ im Zentrum barocker Sprachtheorie, Härle 1996: Reinheit der Sprache, des Herzens und des Leibes. Zur Wirkungsgeschichte des rhetorischen Begriffs ,puritas‘ in Deutschland von der Reformation bis zur Aufklärung, Leweling 2005: Reichtum, Reinigkeit und Glanz. Sprachkritische Konzeptionen in der Sprachreflexion des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Sprachbewusstseinsgeschichte, Bär/Roelcke/Steinhauer (Hrsg.) 2007: Sprachliche Kürze. Konzeptuelle, strukturelle und pragmatische Aspekte. 24 Vgl. für die Konversationstheorie – neben Göttert 1988: Kommunikationsideale. Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie – Schmölders 1979/1986: Einleitung, Burke 1993/1994: Die Kunst des Gesprächs, für die Kommunikationstheorie Peters 1999/2000: Speaking into the air. A history of the idea of communication, für die Sprachkritik Schiewe 1998: Die Macht der Sprache. Eine Geschichte der Sprachkritik von der Antike bis zur Gegenwart, für die Sprachwissenschaft Gardt 1999: Geschichte der Sprachwissenschaft in Deutschland. Vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert, für die Rhetorik und Stilistik Fix/Gardt/Knape (Hrsg.) 2008–2009: Rhetorik und Stilistik. Ein internationales Handbuch historischer und systematischer Forschung. 25 Informationen zur Geschichte kommunikativer Ideale liefern auch Publikationen, die das Nachdenken über Sprache und Kommunikation in bestimmten Epochen oder Jahrhunderten bzw. in oder bezogen auf einzelne/n Textsorten oder -klassen zu erfassen suchen und damit zwischen den Forschungsbeiträgen zu einzelnen Kommunikationsidealen und den Überblicksdarstellungen der Sprach- und Kommunikationsreflexion angesiedelt sind: vgl. Ettl 1984: Anleitungen zu schriftlicher Kommunikation. Briefsteller von 1880 bis 1980, Bremerich-Vos 1991: Populäre rhetorische Ratgeber. Historisch-systematische Untersuchungen, Fauser 1991a: Das Gespräch im 18. Jahrhundert. Rhetorik und Geselligkeit in Deutschland, Montandon (Hrsg.) 1991: Über die deutsche Höflichkeit. Entwicklung der Kommunikationsvorstellungen in den Schriften über Umgangsformen in den deutschsprachigen Ländern, Gardt 1994: Sprachreflexion in Barock und Frühaufklärung. Entwürfe von Böhme bis Leibniz, Linke 1996b: Sprachkultur und Bürgertum. Zur Mentalitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts, Lerchner 1997: Stilideale literarischer Epochen, Epochenstile und Sprachstilgeschichte. Trivialisierungstendenzen in der deutschen Briefkultur des 18./19. Jhs., Bär 1999: Spachreflexion der deutschen Frühromantik. Konzepte zwischen Universalpoesie und Grammatischem Kosmopolitismus, Bär 2003: Hermeneutische Zeitenwende? Die Sprachtheorie der deutschen Frühromantik zwischen Sprachskepsis und Sprachvertrauen, Schmidt-Wächter 2004: Die Reflexion kommunikativer Welt in Rede- und Stillehrbüchern zwischen Christian Weise und Johann Christoph Adelung. Erarbeitung einer Texttypologie und Ansätze zu einer Beschreibung der in Rede- und Stillehrbüchern erfaßten kommunikativen Wirklichkeit unter besonderer Beachtung der Kategorie des Stils.

1.1 Überblick über den Forschungsstand

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zurechnen könnte, erläutern ihre Analysebegriffe höchstens in Ansätzen und gebrauchen unterschiedliche, zum Teil wenig präzise begriffliche Instrumentarien; analog dazu bleiben Begründungen des analytischen Vorgehens und teilweise auch der vorausgehenden Korpuszusammenstellung weitgehend ausgeklammert.26

Zu relevanten Phasen und Bewegungen in der Sprach- und Literaturgeschichte Eine Vielzahl weiterer Arbeiten zur Sprach- und Literaturgeschichte des Deutschen liefert das notwendige Fundament an Forschungsergebnissen, auf das sich diese Untersuchung stützen muss, um sich über einen Zeitraum von mehreren Jahrhunderten spannen zu können. Anhaltspunkte für die Anerkennung oder Ablehnung von Offenheit gehen vor allem aus Publikationen zur Kommunikationsgeschichte des 17. Jahrhunderts und der Wende zum 18. Jahrhundert hervor, ebenso aus solchen zur Empfindsamkeit sowie in geringerem Maß aus solchen zu den ,Spontis‘ bzw. dem mit ihnen verbundenen links-alternativen Milieu nach 1968, so dass in der Reihe der Hinweise zwischen dem 18. Jahrhundert und der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine große Lücke klafft. Die Kommunikationsgeschichte des 17. Jahrhunderts und der Wende zum 18. Jahrhundert hat die Aufmerksamkeit zahlreicher Wissenschaftler auf sich gezogen. Schon in Wilfried Barners umfassender Monographie über die verschiedenen Stränge der „Barockrhetorik“ von 1970,27 aber auch in der 18 Jahre jüngeren Studie zur „Hofberedsamkeit“ von Georg Braungart28 sowie in Manfred Beetz’ Darstellung vorrangig barocker Höflichkeitsrituale mit dem Titel „Frühmoderne Höflichkeit“ aus 26 Dies gilt etwa für die erwähnten Darstellungen Nickisch 1969: Die Stilprinzipien in den deutschen Briefstellern des 17. und 18. Jahrhunderts, Jäger 1975: Naivität. Eine kritisch-utopische Kategorie in der bürgerlichen Literatur und Ästhetik des 18. Jahrhunderts, Schmölders 1979/1986: Einleitung, Göttert 1988: Kommunikationsideale. Untersuchungen zur europäischen Konversationstheorie, Härle 1996: Reinheit der Sprache, des Herzens und des Leibes. Zur Wirkungsgeschichte des rhetorischen Begriffs ,puritas‘ in Deutschland von der Reformation bis zur Aufklärung, Wullen 1999: Was ist ,deutsch‘? Funktionen ,deutscher‘ Redlichkeit und Deutlichkeit in der Kommunikation des 18. Jahrhunderts, Schlich 2002: Literarische Authentizität. Prinzip und Geschichte, Leweling 2005: Reichtum, Reinigkeit und Glanz. Sprachkritische Konzeptionen in der Sprachreflexion des 18. Jahrhunderts. Ein Beitrag zur Sprachbewusstseinsgeschichte. 27 Barner 1970: Barockrhetorik. Untersuchungen zu ihren geschichtlichen Grundlagen. 28 Braungart 1988: Hofberedsamkeit. Studien zur Praxis höfisch-politischer Rede im deutschen Territorialabsolutismus.

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

dem Jahr 1990 deutet sich an,29 dass Offenheit im Barock, insbesondere in der höfisch-politischen Sphäre, kein Ideal ist. Bekannt ist, dass Kommunikationsprinzipien, die im Gegensatz zu Offenheit stehen, dagegen hoch geachtet werden: Dass eine „Sprache der Verstellung“ im 16. und 17. Jahrhundert für sinnvoll und notwendig gehalten wird, zeigt Ursula Geitner (1992), die zugleich auf die massive Umwertung dieser Sprache zu Beginn des 18. Jahrhunderts eingeht.30 Claudia Benthiens Auseinandersetzung mit dem „Barocken Schweigen“ (2006) macht deutlich, wie sehr das Verschweigen als Form des Schweigens im 17. Jahrhundert gewürdigt wird.31 Einen Überblick darüber, wo bereits im 17. Jahrhundert – entgegen dem dominanten Simulationsideal – eine Vorliebe für Wahrhaftigkeit aufscheint, gibt der von ihr und Steffen Martus im selben Jahr herausgegebene Tagungsband „Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert“.32 Wie sich die im Verhältnis zum 17. Jahrhundert veränderten kommunikativen Normen des frühen 18. Jahrhunderts „im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften“ abzeichnen, thematisiert Wolfgang Martens in seiner Analyse dieses Mediums aus dem Jahr 1968.33 Da die Normen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, die für das hier verfolgte Erkenntnisinteresse relevant sind, wie auch ihr Wandel an der Wende zum 18. Jahrhundert von der Sprach- und Literaturwissenschaft vergleichsweise gut erforscht sind, können die diesbezüglichen Ergebnisse der soeben genannten Monographien, Sammelbände und weiterer Aufsätze34 systematisch in die Argumentation dieser Arbeit eingebaut werden: Ihre Resultate werden in Kapitel 3.1 eingehender referiert.

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Beetz 1990: Frühmoderne Höflichkeit. Komplimentierkunst und Gesellschaftsrituale im altdeutschen Sprachraum. 30 Geitner 1992: Die Sprache der Verstellung. Studien zum rhetorischen und anthropologischen Wissen im 17. und 18. Jahrhundert. 31 Benthien 2006: Barockes Schweigen. Rhetorik und Performativität des Sprachlosen im 17. Jahrhundert. 32 Benthien/Martus (Hrsg.) 2006: Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert. 33 Martens 1968: Die Botschaft der Tugend. Die Aufklärung im Spiegel der deutschen Moralischen Wochenschriften. 34 Nützliche Ergebnisse zu kommunikativen Normen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts liefern weiterhin Gabler 1980: Machtinstrument statt Repräsentationsmittel. Rhetorik im Dienste der ,Privatpolitic‘, teilweise auch Solbach 2001: Der galante Geschmack, außerdem Till 2004: Die Lesbarkeit des Hofmannes. Metaphorologie der Verstellung in frühneuzeitlichen Verhaltenslehren. Zum Schweigen, jedoch nicht auf die deutschsprachige Kommunikation im Barock spezialisiert, vgl. aus der Soziologie die Monographie Bellebaum 1992: Schweigen und Verschweigen. Bedeutungen und Erscheinungsvielfalt einer Kommunikationsform.

1.1 Überblick über den Forschungsstand

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Gerhard Sauders Studie „Empfindsamkeit“ aus dem Jahr 1974 bildet den Auftakt zu einer intensiven literaturwissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Gegenstand.35 Es liegt nahe, das Aufmerksamwerden auf die Empfindsamkeit in den 1970er Jahren als Fingerzeig darauf zu deuten, dass es unter den kommunikativen Bedürfnissen und Vorlieben der 1970er Jahre und denen der Empfindsamkeit manche Parallelen gibt. In den Monographien und dem Sammelband der mittlerweile umfangreichen Forschungsliteratur,36 die für die vorliegende Untersuchung am bedeutsamsten sind,37 wird die Empfindsamkeit insgesamt als eine geistig-literarische Bewegung in der Mitte und zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beschrieben, die durch die Hochschätzung von und die beinahe obsessive Beschäftigung mit Gefühlen – und zwar speziell prosozialen, d. h. durch Zuneigung für einen anderen Menschen bestimmten Gefühlen wie Mitleid, Sympathie und ,zärtlicher‘ Liebe – charakterisiert sei und insofern die Vernunftbetonung der Frühaufklärung ergänze. Die Ergebnisse der einbezogenen Publikationen konvergieren in zwei wesentlichen Punkten: Die Empfindsamkeit trage sowohl zu einer Verstärkung von Selbstreflexion und Selbstbewusstheit als auch zu einer persönlicheren, gefühls- und empathiebetonteren Gestaltung sozialer Nähebeziehungen bei; des Weiteren strebten die Vertreter der Empfindsamkeit eine Kommunikationsweise an, bei der individuelle Gefühlszustände wahrhaftig und transparent vermittelt würden. Damit liefert die Empfindsamkeitsforschung deutliche Anhaltspunkte dafür, dass Offenheit zu den kommunikativen Idealen der Empfindsamen gehört, und regt zugleich dazu an, bei der Auseinandersetzung mit Offenheit den Wandel von menschlichen Selbst-, von Freundschafts- und Liebeskonzepten zu berücksichtigen.

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Sauder 1974: Empfindsamkeit. 1. Bd.: Voraussetzungen und Elemente. Eine Übersicht über den Stand der Empfindsamkeitsforschung zu Beginn der 1990er Jahre, die eine inhaltliche Diskussion der vorgestellten Arbeiten umfasst und zudem über die germanistische Literaturwissenschaft hinausgeht, bietet Hansen 1990. Vollhardt 1999 reflektiert die fachliche Rezeption von Forschungsbeiträgen, rekapituliert dabei aber auch entscheidende Forschungsschritte. Sauder 2001 evaluiert wichtige germanistische Monographien zur Empfindsamkeit und geht ergänzend auf Ergebnisse der Romanistik und Anglistik ein. Bemerkungen zum aktuellen Stand der Forschung enthalten Aurnhammer/Martin/Seidel 2004: 1–5 sowie Becker-Cantarino 2005: 14–16. Neben Sauders Studie sind dies aufgrund ihrer Einschlägigkeit oder inhaltlichen Ausrichtung Pikulik 1984: Leistungsethik contra Gefühlskult. Über das Verhältnis von Bürgerlichkeit und Empfindsamkeit in Deutschland, Wegmann 1988: Diskurse der Empfindsamkeit. Zur Geschichte eines Gefühls in der Literatur des 18. Jahrhunderts, Hansen (Hrsg.) 1990: Empfindsamkeiten, Koschorke 1999: Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts, Reinlein 2003: Der Brief als Medium der Empfindsamkeit. Erschriebene Identitäten und Inszenierungspotentiale.

20

1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

Weit weniger Beachtung als die Kommunikationskultur der Empfindsamen hat die der ,Spontis‘ und des mit dieser sozialen Gruppierung entstehenden links-alternativen Milieus nach 1968 bisher erhalten.38 Zu diesem Bereich der Sprachgeschichte um und nach 1968 sind zunächst vor allem Aufsätze erschienen, deren Autoren oft der Bewegung angehören oder nahe stehen, deren Sprache sie behandeln, und sich der Wertung ihres Gegenstandes nicht enthalten.39 Erst Joachim Scharloth legt jüngst mit seiner Habilitationsschrift „1968“ eine ausführliche, empirisch gut fundierte linguistische Analyse des Sprachgebrauchs und, allgemeiner, der Kommunikationskultur der Kommunegruppen sowie des aus ihnen hervorgehenden links-alternativen Milieus vor, besonders der undogmatischen, lebensstilistische Veränderungen fokussierenden spontaneistischen Gruppen.40 Die wenigen vorhandenen Veröffentlichungen legen einhellig die Annahme nahe, dass Offenheit von den Links-Alternativen nach 1968 favorisiert wird: Unter ihren Autoren besteht ein Konsens über die Vorliebe speziell der ,Spontis‘ für Authentizität, Natürlichkeit, Spontaneität, Emotionalität und die Thematisierung der subjektiven Sicht. Sie gehen folglich davon aus, dass die Bewegung kommunikative Verhaltensweisen bevorzugt, die Offenheit ähneln. Walter Behrendt und die anderen Autoren eines Aufsatzes über die Sprache der ,Spontis‘ von 1982 reklamieren das Ideal der Offenheit sogar explizit für diese Gruppierung.41

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Einen umfangreichen aktuellen Überblick über die linguistische Forschung sowie neuere Entwicklungen der kulturgeschichtlichen Forschung zu den Protestbewegungen von 1968 gibt Scharloth 2007a: 45–62. 39 Zu diesen Aufsätzen zählen Bättig/Hots/Jürges u. a. 1980: Der Zusammenhang von Sprache und Erfahrung am Beispiel der Sprache in der Alternativ-Scene, Schleuning 1980: Scene-Sprache, Behrendt/Galonske/Heidemann u. a. 1982: Zur Sprache der Spontis, Hinrichs 1983–1984: Studentensprache, Spontisprache, Kuhn 1983: Überlegungen zur politischen Sprache der Alternativbewegung. Zur Sprache grüner Politiker als Angehöriger der Alternativbewegung vgl. Schlosser 1986: Sprechen die Grünen eine andere Sprache? 40 Scharloth 2007a: 1968. Eine Kommunikationsgeschichte. Vgl. auch Scharloth 2007b: 1968 und die Unordnung in der Sprache. Kommunikationsstrukturelle und sozialstilistische Untersuchungen. – Frühere, kürzere Beitrage zu den sprachlichen Entwicklungen um 1968, die relevante Beobachtungen zur Sprache der ,Spontis‘ und der Alternativbewegung enthalten, sind Straßner 1992: 1968 und die sprachlichen Folgen sowie Mattheier 2001: Protestsprache und Politjargon. Über die problematische Identität einer ,Sprache der Achtundsechziger‘. 41 Vgl. Behrendt/Galonske/Heidemann u. a. 1982: 147, 149, 159.

1.1 Überblick über den Forschungsstand

21

Zum Wandel des Verhältnisses zwischen ,Privatsphäre‘ und ,Öffentlichkeit‘ Vertreter zahlreicher Disziplinen, etwa der Soziologie, Geschichtswissenschaft, Medienwissenschaft, Politologie und Philosophie, führen seit Langem, angeregt vor allem von Jürgen Habermas’ „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (1962),42 intensive internationale Diskussionen über das Verhältnis von ,Privatsphäre‘ und ,Öffentlichkeit‘ sowie seine Veränderung.43 Weithin anerkannt ist, dass sich in verschiedenen europäischen Ländern im 18. und 19. Jahrhundert ein Typus von ,Öffentlichkeit‘ in Abgrenzung von der ,Privatsphäre‘ entwickelt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass ,öffentliche‘ Angelegenheiten (das, was viele anbelangt) von der ,Öffentlichkeit‘ (von einem größeren Teil der Bevölkerung) in der ,Öffentlichkeit‘ (für viele zugänglich, z. B. massenmedial verbreitet) ver- und ausgehandelt werden. Trotz anderweitiger Differenzen bilden Reinhart Kosellecks Dissertation „Kritik und Krise“ (1959),44 die soeben erwähnte Habilitationsschrift Jürgen Habermas’ sowie Lucian Hölschers „begriffsgeschichtliche Untersuchung“ von „Öffentlichkeit und Geheimnis“ aus dem Jahr 197945 in der deutschsprachigen Forschungsliteratur gemeinsam die zentralen Referenzen für diese Ansicht. Bei Koselleck und Habermas, etwas schwächer auch bei Hölscher deutet sich an, dass einige der Kommunikationsweisen, die den beschriebenen Typus von ,Öffentlichkeit‘ konstituieren, Formen von Offenheit sind. Da die Hinweise der Forschungsliteratur auf die Forderung nach Offenheit in der politischen Kommunikation und auf die Bedeutung von Offenheit für die ,Öffentlichkeit‘ einen integralen Bestandteil der Argumentation in Kapitel 3.3 bilden, werden sie dort im Detail wiedergegeben.46

42

Habermas 1962/1990: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft. 43 Eine ausführliche und inhaltlich strukturierte Bibliographie zum Thema ,Öffentlichkeit‘ bieten Hohendahl/Kenkel/Berman u. a. 2000: 124–179. 44 Koselleck 1959/1973: Kritik und Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. 45 Hölscher 1979: Öffentlichkeit und Geheimnis. Eine begriffsgeschichtliche Untersuchung zur Entstehung der Öffentlichkeit in der frühen Neuzeit. Vgl. darüber hinaus Hölscher 1978: Öffentlichkeit, wobei es sich um einen Artikel der „Geschichtlichen Grundbegriffe“ handelt. Einen Eintrag zum Stichwort ,Offenheit‘ enthalten die „Geschichtlichen Grundbegriffe“ dagegen nicht. 46 Zum Konnex von ,Öffentlichkeit‘, Geheimnis und ,Privatsphäre‘ im 18. und 19. Jahrhundert vgl. weiterhin Brandes 1991: Die Zeitschriften des Jungen Deutschland. Eine Untersuchung zur literarisch-publizistischen Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert, Voigts 1995: Das geheimnisvolle Verschwinden des Geheimnisses. Ein Versuch, Assmann/

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

Einen zweiten für diese Studie bedeutsamen Tenor der Diskussion über das Verhältnis von ,Privatsphäre‘ und ,Öffentlichkeit‘ samt seinem Wandel bildet die These, dass Erwartungen und Verhaltensweisen, die zu früheren Zeitpunkten typisch für die ,Privatsphäre‘ gewesen sind, mittlerweile gehäuft auch in der ,Öffentlichkeit‘ auftreten. Als entscheidender Bezugspunkt dient entsprechenden wissenschaftlichen Publikationen Richard Sennetts „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“, auf Deutsch erstmals 1983 erschienen (englisch „The fall of public man“, 1977).47 Dass die ,Öffentlichkeit‘ seit dem Ende des 18. Jahrhunderts in einem allmählichen Prozess zunehmend mit psychologischen Maßstäben, mit Kriterien zur Erfassung von Intimbeziehungen beurteilt und von ursprünglich ,privatem‘ Verhalten geprägt werde, führt nach Sennett zu ihrer Auflösung. Unter diese die ,Öffentlichkeit‘ zerstörenden Normen und Arten des Verhaltens fallen für ihn auch die Forderung nach Offenheitsformen und die Umsetzung dieser.48 Eine andauernde Tendenz zur unverhüllten Mitteilung persönlicher Informationen und ungenierten Äußerung von Gefühlen vor einem Massenpublikum, zu Kommunikationsweisen, die man dem Begriff der Offenheit subsumieren könnte und die zum Teil tatsächlich darunter gefasst werden, konstatieren zahlreiche Beiträge zu vier Herausgeberschriften, anhand derer sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit ,privaten‘ kommunikativen Aktivitäten in der ,Öffentlichkeit‘ nachvollziehen lässt, die in den vergangenen Jahren im deutschsprachigen Raum stattgefunden hat.49 Der Schwerpunkt Assmann (Hrsg.) 1997–1999: Schleier und Schwelle, Jäger (Hrsg.) 1997: ,Öffentlichkeit‘ im 18. Jahrhundert, Böning 1998: Das Private in der Aufklärung. Unterhaltung, Heirat, Tod in der Hamburger Presse, in den Intelligenzblättern und in der volksaufklärerischen Literatur und Publizistik des 18. Jahrhunderts, Hohendahl/Kenkel/Berman u. a. 2000: Öffentlichkeit. Geschichte eines kritischen Begriffs, Hentschel 2001: „Briefe sind Spiegel der Seelen.“ Epistolare Kultur des 18. Jahrhunderts zwischen Privatheit und Öffentlichkeit. Für die vorausgehende Zeit vgl. Emmelius/Freise/Mallinckrodt u. a. (Hrsg.) 2004: Offen und verborgen. Vorstellungen und Praktiken des Öffentlichen und Privaten in Mittelalter und Früher Neuzeit. Für die Zeit seit der römischen Antike vgl. Ariès/Duby (Hrsg.) 1985–1987/1989–1993: Geschichte des privaten Lebens. 47 Sennett 1977/1986: Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. 48 Das veränderte und sich verändernde Verhältnis von ,Öffentlichkeit‘ und ,Privatsphäre‘ in der Gegenwart behandeln gleichwohl auch andere viel beachtete soziologische Arbeiten, so Beck 1986: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne oder Giddens 1990/1995: Konsequenzen der Moderne. Um ähnliche Veränderungen, allerdings unter dem Stichwort ,(In)Formalisierung‘, geht es bei Elias 1989/1992: Zivilisation und Informalisierung sowie Wouters 1990/1999: Informalisierung. Norbert Elias’ Zivilisationstheorie und Zivilisationsprozesse im 20. Jahrhundert. 49 Dies sind Imhof/Schulz (Hrsg.) 1998: Die Veröffentlichung des Privaten – die Privatisierung des Öffentlichen, Hahn (Hrsg.) 2002: Öffentlichkeit und Offenbarung. Eine

1.1 Überblick über den Forschungsstand

23

dieser Beiträge liegt auf der Beschreibung verschiedener Spielarten des Sich-Zeigens in den Massenmedien, etwa in Hochzeitsshows, Talkshows, Reality-Serien, Radiosendungen und Chatrooms, mithilfe von Webcams und auf Homepages; Erklärungen für diese Verhaltensweisen haben ein geringeres Gewicht in ihnen.50 Dagegen gilt für die gesamte wissenschaftliche Beschäftigung mit ,Öffentlichkeit‘ und ,Privatsphäre‘, dass deskriptive Betrachtungsweisen häufig eng mit normativen, meist kulturpessimistischen verbunden sind – wie beispielsweise Jürgen Habermas den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ sieht Richard Sennett das „Ende des öffentlichen Lebens“ als eine Veränderung zum Schlechteren und deshalb als ein soziokulturelles Problem an.

Zu ,self-disclosure‘ Ein Forschungsfeld ganz anderer Art bilden die psychologischen Studien zu ,self-disclosure‘. Seit den sechziger Jahren untersuchen Psychologen, insbesondere nordamerikanische, das Phänomen der ,self-disclosure‘, d. h. die Mitteilung persönlicher Informationen, auf Deutsch in der Regel ,Selbstöffnung‘ oder ,Selbstoffenbarung‘ genannt. Ein Blick in die Literaturverzeichnisse zusammenfassender Darstellungen wie der aktuellen von Barry Farber (2006)51 oder der bereits älteren von Valerian Derlega und seinen Koautoren (1993)52 zeigt, dass das Gebiet Ausmaße besitzt, die in einem Forschungsüberblick wie diesem schwer zu vermessen sind.53 Heraus ragen die Ergebnisse von Sidney Jourard, der in

interdisziplinäre Mediendiskussion, Weiß/Groebel (Hrsg.) 2002: Privatheit im öffentlichen Raum. Medienhandeln zwischen Individualisierung und Entgrenzung, Burkart (Hrsg.) 2006: Die Ausweitung der Bekenntniskultur. Neue Formen der Selbstthematisierung? 50 Der gegenwärtige Wandel der Relation von ,Öffentlichkeit‘ und ,Privatsphäre‘ wird selbstverständlich auch in der (germanistischen) Linguistik thematisiert. Dies ist zum einen in Forschungsbeiträgen zum Sprachgebrauch in den sogenannten ,neuen Medien‘ der Fall. Daneben sind in diesem Zusammenhang Publikationen erwähnenswert, die auf die sprachlich-kommunikative Darstellung bzw. Herstellung sozialer Nähe und Distanz eingehen: vgl. Linke 2000: Informalisierung? Ent-Distanzierung? Familiarisierung? Sprach(gebrauchs)wandel als Indikator soziokultureller Entwicklungen, Föllmer (Hrsg.) 2004: Sehnsucht nach Nähe. Interpersonale Kommunikation in Deutschland seit dem 19. Jahrhundert. 51 Vgl. Farber 2006: 209–231. Das Buch ist allerdings auf ,self-disclosure‘ in psychotherapeutischen Kontexten spezialisiert. 52 Vgl. Derlega/Metts/Petronio u. a. 1993: 119–131. 53 Eine gute Übersicht über den Forschungsstand geben Derlega/Metts/Petronio u. a. 1993, die ihre Kapitel verschiedenen Teilgebieten der ,self-disclosure‘-Forschung widmen und

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

den 1960er Jahren inspiriert von der humanistischen Psychologie das Forschungsfeld mit eröffnet, und von James Pennebaker, der es seit den 1990er Jahren stark prägt. In einschlägigen Monographien beider Forscher – z. B. in Jourards „The transparent self“ von 196454 und Pennebakers „Opening up“ aus dem Jahr 199755 – scheint hinter Forschungsresultaten, die darauf hinweisen, dass Selbstöffnung zahlreiche Vorteile für Kommunizierende mit sich bringt, eine ausgeprägte persönliche Überzeugung des Autors von ihrem Wert auf. Effekte von Selbstöffnung sind nach Jourard und Pennebaker der Gewinn von Unterstützung durch andere, Selbsterkenntnis, die Intensivierung von Beziehungen bzw. die Aufrechterhaltung intimer Beziehungen sowie besonders die Förderung der psychischen und physischen Gesundheit.56 Eine ausführlichere Thematisierung der psychologischen ,self-disclosure‘-Forschung erübrigt sich in diesem Kapitel aus zwei Gründen: Erstens wird unter ,self-disclosure‘ abgesehen von unterschiedlichen Nuancierungen, wie sie bei viel diskutierten wissenschaftlichen Begriffen üblich sind, die Bekanntgabe von Informationen über die eigene Person verstanden.57 Es wird sich zeigen, dass dies – obwohl Berührungspunkte bestehen – nicht dasselbe wie Offenheit ist. Zweitens liegen den Ergebnissen der ,self-disclosure‘-Forschung Studien mit Probanden zugrunde, die dem späteren 20. oder dem 21. Jahrhundert und zumeist dem anglo-amerikanischen Kulturraum angehören, weshalb die Befunde kaum Aussagekraft für den deutschsprachigen Raum vom 18. bis ins 21. Jahrhundert beanspruchen können.58 Aufgrund der normativen Einschläge, die sich

darin jeweils die wichtigsten Untersuchungsergebnisse vorstellen. Dindia 2000 und Tardy 2000 fassen die Resultate in vier bedeutenden Bereichen der ,self-disclosure‘Forschung zusammen, im Bereich der Geschlechtsspezifik und der Reziprozität von ,self-disclosure‘ sowie der Korrelation dieser mit Sympathie und Gesundheit. Einen knappen Forschungsüberblick über das gesamte Feld bietet jüngst Farber 2006: 9–12. 54 Jourard 1964/1971: The transparent self. 55 Pennebaker 1997: Opening up. The healing power of expressing emotions. 56 Allerdings geht zumal aus neueren Studien anderer Wissenschaftler hervor, dass Selbstöffnung nicht immer (nur) vorteilhaft ist: „[I]n recent years there have been numerous challenges to the idea that ,getting things out in the open‘ is simply the best, or most psychologically healthy, strategy“ (Farber 2006: 17, vgl. 17–18). 57 Selbstöffnung „besteht in der Preisgabe von Selbstaspekten“, heißt es z. B. in einem neueren deutschsprachigen sozialpsychologischen Nachschlagewerk (Wiswede 2004: 487). Auch für Derlega und seine Mitautoren sind es die Informationen über die eigene Person, die ,self-disclosure‘ ausmachen: Sie definieren ,self-disclosure‘ „loosely [...] as what individuals verbally reveal about themselves to others“ (Derlega/Metts/Petronio u. a. 1993: 1), wobei sie etwas später einräumen, dass ,self-disclosure‘ auch mit nichtsprachlichen Zeichen möglich sei (vgl. Derlega/Metts/Petronio u. a. 1993: 5). 58 Psychologische bzw. psychologisch inspirierte Arbeiten aus dem deutschsprachigen

1.2 Begriffliche Klärungen

25

auch in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit ,self-disclosure‘ nicht selten zeigen, müssen im Folgenden allerdings einige der Publikationen zu diesem Thema ebenso wie manche Veröffentlichungen zum Zusammenhang von ,Öffentlichkeit‘ und ,Privatsphäre‘ als Quellentexte berücksichtigt werden.59 Nach diesem Überblick über den Stand der Forschung ist erkennbar, inwiefern die vorliegende Arbeit einen neuen Beitrag leistet und worin ihre Besonderheit besteht: Sie widmet sich einer für eine Monographie der germanistischen Sprachwissenschaft neuen Untersuchungsgröße, gibt der bislang ausstehenden diachronen begrifflichen Bestimmung von Offenheit – auch in Relation zu anderen Kommunikationsprinzipien – Raum und geht dem normativen Status von Offenheit (Konversationsmaxime? Kommunikationsideal?) nicht nur punktuell, sondern über drei Jahrhunderte hinweg nach. Verglichen mit anderen umfassenderen Untersuchungen der Geschichte von Kommunikationsidealen werden die verwendeten Analysebegriffe und -methoden sowie die Korpusbildung ausführlich erläutert und begründet. Bei Letzterer wird eine Beschränkung der Quellen auf einzelne Exemplare, auf solche des ,Höhenkamms‘, auf Schriften aus und für eine/r Schicht sowie auf Texte einer Textsorte oder -klasse vermieden. Schließlich ist die Studie darum bemüht, sämtliche Wertungen des Untersuchungsgegenstandes seiner Beschreibung und Erklärung hintanzustellen.

1.2 Begriffliche Klärungen Da ein ,Wetzen‘ der Begriffe ihrer analytischen Schärfe und damit der Präzision dient, mit welcher der Untersuchungsgegenstand seziert werden kann, werden in diesem Kapitel die wichtigsten Analysebegriffe der Studie erläutert: ,Einstellung‘, ,Mentalität‘, ,stilistisches‘ und ,ethisches Kommunikationsprinzip‘ sowie ,Kommunikationsideal‘. Die begriffli-

59

Raum, in denen zumindest der Ausdruck ,Offenheit‘ eine wichtige Rolle spielt, sind dagegen Goez 1980: Offenheit kann man lernen. Eine Studie zu ,Offenheit‘ als therapeutischer Basiskompetenz in Arzt-Patienten-Interaktionen, Schweiker 1983: Offenheit und Sympathie in Gruppen, Wiegers 1994: Sich miteinander aussprechen. Das Beziehungsklärungsgespräch. Dialoglinguistische Grundlagen psychologisch-pädagogischer Paarberatung. Dass in diesen Studien mit ,Offenheit‘ anderes gemeint ist als in der vorliegenden Untersuchung, weshalb es in ihnen auch um anderes geht, wird in Kapitel 2.2 dargelegt. Dementsprechend werden sie im Verzeichnis der Forschungsliteratur und im Verzeichnis der Quellen aufgeführt.

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

chen Klärungen folgen drei Grundsätzen: Erstens werden die Begriffe strikt funktional bestimmt, d. h. im Hinblick auf ihre Aufgabe in dieser Studie. Es geht nicht darum, die wissenschaftliche Geschichte bestimmter Konzepte zu referieren, sie abschließend zu definieren und ihr Verhältnis zueinander letztgültig festzulegen. Ziel sind lediglich Arbeitsdefinitionen, die den Erkenntnisinteressen der Untersuchung genügen. Zweitens orientieren sich die Arbeitsdefinitionen am fachlichen Konsens, soweit er sich innerhalb oder außerhalb der Forschung zu Kommunikationsidealen entwickelt hat. Sie stehen drittens – in dem Maß, wie es möglich ist – mit dem alltagssprachlichen Verständnis der entsprechenden Ausdrücke im Einklang.

Einstellung Das Konzept der Einstellung ist in den sechziger Jahren aus der Sozialpsychologie in die Sprachwissenschaft übernommen worden.60 Sowohl für Einstellungen allgemein als auch für Spracheinstellungen im Besonderen (d. h. für Einstellungen gegenüber Sprache und Sprachlichem) findet sich eine Fülle von Definitionen.61 Daher kann ich mich im Folgenden auf Aspekte konzentrieren, die in sozialpsychologischen und sprachwissenschaftlichen Begriffsbestimmungen von ,Einstellung‘ und ,Spracheinstellung‘ häufig genannt werden.62 Unumstritten ist, dass eine Einstellung eine mentale Größe ist, die einem menschlichen Individuum (oder mehreren Individuen) zukommt und sich auf etwas bezieht, etwa auf ein Lebewesen, eine Sache, eine Eigenschaft, einen Vorgang oder Zustand bzw. auf eine Klasse oder Kategorie davon. Über die Struktur einer Einstellung besteht jedoch keine 60 Zu dieser Zeitangabe vgl. Lasagabaster 2004: 402, 404, Spitzmüller 2005: 10. 61 Einen ausführlichen Überblick über verschiedene existierende Definitionen enthält Casper 2002: 24–51, eine Dissertation, die sich dem Konzept der Spracheinstellung und der Methodik der Erforschung von Spracheinstellungen widmet. 62 Für die in diesem Kapitel aufgeführten weithin konsensuellen Elemente des Konzepts der (Sprach)Einstellung vgl. die einführenden sozialpsychologischen Darstellungen Bohner 2001/2002 und Bierhoff 2002, die theoretischen sprachwissenschaftlichen Überlegungen in Imhasly 1978, Neuland 1993, Stickel 1999, Riehl 2000, Casper 2002, Hermanns 2002, Hofer 2004, Lasagabaster 2004 sowie ergänzend exemplarisch zwei neuere linguistische Dissertationen, die das Konzept der (Sprach)Einstellung genau wie die vorliegende Arbeit zur Analyse einsetzen und es zu diesem Zweck erörtern, nämlich Scharloth 2005 und Spitzmüller 2005. Im Folgenden weise ich nur diejenigen Aspekte in einer Fußnote nach, die lediglich in einigen (in maximal vier) dieser Publikationen genannt werden.

1.2 Begriffliche Klärungen

27

Einigkeit: Gängig sind sogenannte ,Dreikomponenten-‘ und ,Einkomponentenmodelle‘.63 Die Vorstellung, dass eine Einstellung drei Komponenten beinhalte, wird an der Wende zu den 1960er Jahren von Daniel Katz und Ezra Stotland sowie Milton Rosenberg und Carl Hovland aufgebracht.64 Nach Dreikomponentenmodellen umfasst eine Einstellung üblicherweise – Meinungen, Überzeugungen, ,Wissen‘ (d. h. eine ,kognitive Komponente‘), – Gefühle (eine ,affektive Komponente‘) und – Verhaltensbereitschaften, -absichten oder, allgemeiner, -dispositionen (eine ,konative Komponente‘).65 Die Frage, wie stark diese drei Komponenten miteinander verbunden sind, wird kontrovers beantwortet.66 Einkomponentenmodelle entwerfen eine Einstellung demgegenüber als Einheit, die meist als affektive charakterisiert wird.67 Ich gehe in dieser Studie davon aus, dass eine Einstellung sowohl aus Überzeugungen und ,Wissen‘ als auch aus Wertungen und Gefühlen sowie aus Verhaltensdispositionen bezüglich des Einstellungsobjektes bestehen kann, dass diese drei Komponenten aber eng miteinander verzahnt sind und nur theoretisch getrennt werden können. Ein Konsens zeichnet sich weiterhin dahingehend ab, dass Einstellungen größtenteils erlernt, d. h. durch Interaktion mit der Umwelt erworben werden, dass dieser Erwerb von Umweltfaktoren wie Familie, Freunden, Ausbildung, Beruf, Medien usw. beeinflusst wird68 und dass erworbene Einstellungen veränderbar,69 aber vergleichsweise stabil sind.70 Für den Einstellungsbegriff dieser Studie ist darüber hinaus die Differenzierung von „latenten“,71 also nicht bewussten Einstellungen einerseits und be-

63 Nach Casper 2002: 29 gibt es allerdings auch Zweikomponentenmodelle. 64 Vgl. Katz/Stotland 1959: 423–475, Rosenberg/Hovland/McGuire u. a. 1960: 15–30. Dazu, dass Dreikomponentenmodelle zuerst von Katz und Stotland sowie Rosenberg und Hovland vertreten werden, vgl. Bohner 2001/2002: 267, Casper 2002: 29, Lasagabaster 2004: 400. 65 Hermanns kritisiert die Bezeichnung ,konativ‘ und spricht stattdessen von einer „volitiven“ Komponente (Hermanns 2002: 74, vgl. 76–78). 66 Vgl. Lasagabaster 2004: 400. 67 Vgl. Bierhoff 2002: 43, Casper 2002: 32, Scharloth 2005: 7, Spitzmüller 2005: 68. 68 Zu diesen Einflussfaktoren vgl. Imhasly 1978: 300, Lasagabaster 2004: 399–400. Zu Faktoren, die Einstellungen bestimmen können, vgl. ausführlicher Bohner 2001/2002: 276–296. 69 Vgl. Neuland 1993: 728, Stickel 1999: 17, Lasagabaster 2004: 400. 70 Vgl. Neuland 1993: 727, Stickel 1999: 17. 71 Casper 2002: 90. Der Ausdruck „latent“ findet sich auch bei Neuland 1993: 727, Her-

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

wussten andererseits nützlich, da sie die Vorstellung ermöglicht, dass eine vorhandene Einstellung ihrem Träger situativ bedingt nicht bewusst oder bewusst ist.72 Allgemein akzeptiert ist des Weiteren, dass eine Einstellung Verhalten zu beeinflussen vermag. Diese Sichtweise kann man nicht nur vertreten, wenn man Verhaltensdispositionen als Teil der Einstellung auffasst, sondern auch, wenn man sie als Folge der Einstellung versteht. Als sinnvoll erscheint die zusätzliche Annahme, dass mehrere Einstellungen einer Person sich gemeinsam (unter Umständen in gegenläufiger Weise) auf ihr Verhalten auswirken können und dass der Effekt einer Einstellung auf ihr Verhalten situationsabhängig ist.73 Im Hinblick auf die Erforschung von Einstellungen bleibt zu erwähnen, dass eine Einstellung als nicht direkt wahrnehmbar gilt, vielmehr als nur indirekt anhand eines gezeigten Verhaltens erkennbar – etwa anhand von Äußerungen über das betreffende Einstellungsobjekt. Spracheinstellungen werden als Teilklasse von Einstellungen angesehen. Bei einer Spracheinstellung bildet Sprachliches das Einstellungsobjekt. Generell anerkannt ist, dass sich Spracheinstellungen auf sprachliche Objekte unterschiedlicher Komplexitäts- und Abstraktionsgrade richten können, z. B. auf einzelne Muster des Sprachgebrauchs, auf Varietäten oder sogar ganze Einzelsprachen. So wie von Spracheinstellungen wird in dieser Arbeit gelegentlich von ,Kommunikationseinstellungen‘ gesprochen. Damit ist die Klasse derjenigen Einstellungen gemeint, die kommunikativen Bezugsgrößen diverser Komplexitäts- und Abstraktionsgrade gelten, seien sie sprachlich, gestisch, mimisch oder einem anderen Zeichensystem zugehörig, das zur menschlichen Kommunikation verwendet wird. Betreffs Spracheinstellungen scheint sich die Ansicht durchzusetzen, dass diese nicht nur ein Faktor des Sprachverhaltens, sondern zugleich ein Faktor des Sprachwandels sein können.74 Entsprechend lässt sich annehmen, dass Kommunikationseinstellungen in der

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manns 2002: 73, Scharloth 2005: 6. Vgl. Bohner 2001/2002: 268, Casper 2002: 90. Hermanns 2002: 72–73 trifft eine etwas andere Unterscheidung, nämlich die zwischen einer „virtuellen“ und einer „aktuellen“ Einstellung. Er ist der Ansicht, „dass man eine virtuelle Einstellung immer erst noch aktualisieren muss, damit sie wirksam sein kann“ und sich somit auf Verhalten auswirken kann (Hermanns 2002: 73). Vgl. Neuland 1993: 728, Bohner 2001/2002: 307, Casper 2002: 25, Lasagabaster 2004: 401. Hermanns 2002: 73 ist der Überzeugung, „dass wir in Bezug auf viele Gegenstände mehr als eine mögliche Einstellung haben“, wobei die Situation bestimme, welche dieser Einstellungen aktiviert werde. Vgl. Imhasly 1978: 302, Neuland 1993: 730–733, Casper 2002: 20, Spitzmüller 2005: 10.

1.2 Begriffliche Klärungen

29

Lage sind, zur historischen Veränderung von Kommunikation beizutragen. Betont wird immer wieder, dass die Einstellung gegenüber einem sprachlichen Element, einem Muster oder einer Sprache und die Einstellung gegenüber der Person, die dieses sprachliche Element, Muster bzw. diese Sprache verwendet, eng zusammenhängen, wobei kein Einvernehmen darüber besteht, ob die Einstellung gegenüber dem Benutzer Teil der Spracheinstellung ist oder nicht. Ich unterscheide im Folgenden die Sprach- resp. Kommunikationseinstellung von der Einstellung gegenüber dem Menschen, der das entsprechende sprachliche bzw. kommunikative Einstellungsobjekt realisiert, gehe aber davon aus, dass beide Einstellungen einander oft beeinflussen. Das Gesagte sei zusammengefasst: Als ,Einstellung‘ wird in dieser Untersuchung das mentale Konglomerat von Überzeugungen, ,Wissen‘, Wertungen, Gefühlen und/oder Verhaltensdispositionen eines menschlichen Individuums oder einer Gruppe bezeichnet, das sich auf ein z. B. sprachliches oder kommunikatives Objekt richtet, durch Interaktion mit der Umwelt erworben wird, veränderbar, wenn auch relativ stabil, mehr oder weniger bewusst sowie nicht direkt wahrnehmbar ist.

Mentalität Das wissenschaftliche Konzept von Mentalität, um das es hier geht, hat seine Wurzeln in der französischen Geschichtswissenschaft, in der sogenannten ,histoire des mentalités‘. In der germanistischen Sprachwissenschaft hat sich in den vergangenen Jahren vor allem Fritz Hermanns um dieses Konzept bemüht. Da er es für eine Anwendung auf die Sprachgeschichte theoretisch ausgearbeitet hat, können die folgenden Ausführungen weitgehend seinen Überlegungen folgen. Hermanns definiert ,Mentalität‘ wie folgt: „Eine ,Mentalität‘ im Sinne der Mentalitätsgeschichte ist [...]: 1) die Gesamtheit von 2) Gewohnheiten bzw. Dispositionen 3) des Denkens und 4) des Fühlens und 5) des Wollens oder Sollens in 6) sozialen Gruppen“.75 Eine Mentalität ist demnach – wie die Bezeichnung nahe legt – ein mentales Ensemble kognitiver (,Denken‘), affektiver (,Fühlen‘) und konativer Kompo-

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Hermanns 1995: 77. Das Mentalitätsverständnis von Linke 1996b: 25–26 lässt sich mit demjenigen Hermanns’ in Einklang bringen; sie formuliert es etwas weniger pointiert, da es ihr an erster Stelle um eine Abgrenzung bürgerlicher Mentalität von bürgerlicher Kultur geht.

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

nenten (,Wollen oder Sollen‘), dem relative Dauerhaftigkeit zukommt (,Gewohnheiten‘). Aus der zitierten Definition lässt sich ableiten, dass eine Mentalität nicht direkt beobachtbar ist. Nach Hermanns kann eine Mentalität zudem Verhalten beeinflussen und deshalb ein Faktor des Sprachwandels sein.76 All diese Aspekte sind seinem Mentalitätskonzept und dem Einstellungskonzept, das gerade erläutert wurde, gemeinsam. Doch fallen drei Differenzen zwischen ,Einstellung‘ (im oben bestimmten Sinn) und ,Mentalität‘ (im Hermanns’schen Sinn) auf: Erstens kann eine Einstellung von einem menschlichen Individuum oder mehreren getragen werden, eine Mentalität ist hingegen immer an eine Gemeinschaft gebunden (an ,soziale Gruppen‘),77 wie klein oder groß diese auch sein mag. Zweitens bezieht sich eine Einstellung auf ein einzelnes Objekt, was bei einer Mentalität nicht der Fall ist. Der dritte Unterschied liegt darin, dass eine Mentalität komplexer als eine Einstellung ist, denn Hermanns spricht von einer ,Gesamtheit von Gewohnheiten bzw. Dispositionen‘. Das Verhältnis zwischen Mentalitäten und Einstellungen lässt sich mithin so auf den Punkt bringen: „Eine Mentalität ist die Gesamtheit aller [...] Einstellungen in einer sozialen Gruppe“.78 Analog zu Sprach- bzw. Kommunikationseinstellungen als Teilklasse von Einstellungen kann man sich einen Teil einer Mentalität vorstellen, der auf Sprachliches bzw. Kommunikatives bezogen ist. Eine ‚sprachliche Mentalität‘ wäre die Summe der Spracheinstellungen eines Kollektivs, eine ‚kommunikative Mentalität‘ die Menge der Kommunikationseinstellungen einer Gruppierung. Mit ,Mentalität‘ ist in dieser Studie folglich die mentale Gesamtheit von Überzeugungen, ,Wissen‘, Wertungen, Gefühlen und Verhaltensdis-

76 Vgl. Hermanns 1995: 76. Vgl. außerdem Linke 1996b: 26. 77 Hermanns schreibt, dass eine Mentalität die ,Gesamtheit von ... Gewohnheiten bzw. Dispositionen ... in ... sozialen Gruppen‘ sei. Ich gehe davon aus, dass eine Mentalität die ,Gesamtheit von ... Gewohnheiten bzw. Dispositionen‘ einer ,sozialen Gruppe‘ ist. In einem späteren Aufsatz, in dem Hermanns seine Definition aufgreift, korrigiert er sie dahingehend: „Eine Mentalität im Sinne der Mentalitätsgeschichte ist die Gesamtheit von Gewohnheiten bzw. Dispositionen des Denkens und des Fühlens und des Wollens oder Sollens in einer sozialen Gruppe“ (Hermanns 2002: 80–81, Hervorhebung J.S.). 78 Hermanns 2002: 81. Die Textstelle lautet vollständig: „Eine Mentalität ist die Gesamtheit aller usuellen Einstellungen in einer sozialen Gruppe“. ,Usuell‘ heißt darin so viel wie ,gewohnheitsmäßig‘, ,konstant‘ (vgl. Hermanns 2002: 73). Ich habe ,usuell‘ im obigen Zitat weggelassen, da ich wie beschrieben den Standpunkt vertrete, dass Einstellungen immer relativ dauerhaft sind. – Ähnlich wie Hermanns schreibt Spitzmüller, dass „Mentalitäten [...] umfassender“ als Einstellungen seien, dass „Einstellungen [...] gewissermaßen [...] Teil von ihnen“ seien (Spitzmüller 2005: 69).

1.2 Begriffliche Klärungen

31

positionen gemeint, die die Mitglieder einer menschlichen Gruppe teilen, die relativ stabil sowie nicht direkt wahrnehmbar ist.

Stilistisches und ethisches Kommunikationsprinzip Anders als ,Einstellung‘ und ,Mentalität‘ sind ,stilistisches‘ und ,ethisches Kommunikationsprinzip‘ Begriffe ohne sprachwissenschaftliche Tradition, die an dieser Stelle mit Blick auf den Gegenstand dieser Arbeit neu entwickelt werden. Zunächst zu dem Konzept, das ich mit dem Ausdruck ,Kommunikationsprinzip‘ bezeichne: Die zweite Konstituente des Kompositums, ,Prinzip‘, steht für ein Bildungsschema oder Produktionsmuster. Dieses Verständnis von ,Prinzip‘ ist in den philologischen Wissenschaften im Begriff des Stilprinzips angelegt;79 in Wissenschaft und Alltag gibt es allerdings ein weiteres, das sich mit ,Maxime‘, ,Gebot‘ oder ,Gesetz‘80 umschreiben lässt.81 Mit dem Stichwort ,Kommunikation‘ wird ein Konzept angesprochen, das derart komplex und wissenschaftlich so viel thematisiert worden ist, dass jeder kürzere Definitionsversuch unangemessen wäre. An dieser Stelle muss jedoch nur angegeben werden, welche Komponenten mit diesem Ausdruck zum Begriff des Kommunikationsprinzips hinzugefügt werden: ,Kommunikation‘ kennzeichnet als Determinans von ,Prinzip‘, dass es sich erstens um ein Muster für die Produktion einer verbalen Äußerung oder einer Äußerung in einem anderen Zeichensystem handelt und dass es zweitens um ein Muster für die Produktion einer Äußerung in sozialer Interaktion geht. Demzufolge ist ein Kommunikationsprinzip ein Schema für die Bildung einer zeichenhaften Äußerung in sozialer Interaktion. Wenn eine Äußerung

79

Zum Begriff des Stilprinzips vgl. Riesel 1964/1970: 58–59, 75–84, Sowinski 1973: 275–301, Bußmann/Gerstner-Link/Hellinger u. a. 1983/2002: 654–655, Sowinski 1983: 83, Fix/Poethe/Yos 2001/2003: 51–56, 218. 80 Zum Bedeutungsspektrum in der Alltagssprache vgl. den Eintrag „Prinzip“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1980/1999: 7. Bd.: 3008. 81 Anders als die soeben genannten Autoren fasst Nickisch ,Stilprinzip‘ auch als Gebot auf, denn ihm zufolge kann ein Stilprinzip nicht nur eine „Stiltendenz“, sondern gleichfalls eine „grundsätzliche Forderung“ sein (Nickisch 1969: 15). Nickischs Vorstellung von ,Stilprinzip‘ folgt wiederum Asmuth 1991: 24. Auch Sanders’ Verständnis von ,Stilprinzip‘ als „Richt- und Leitlinie“ beruht auf dem Verständnis von ,Prinzip‘ als Maxime (Sanders 1986: 52). Entsprechendes gilt für Lebsanft 2005: 25, vgl. 25–28, der „Kommunikationsprinzip“ als Oberbegriff für das Grice’sche Kooperationsprinzip und die Grice’sche Konversationsmaxime verwendet.

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

einem Kommunikationsprinzip folgt, weist sie eine entsprechende kommunikative Eigenschaft auf, wobei ich davon ausgehe, dass eine Äußerung einem Kommunikationsprinzip dann entspricht, wenn darüber eine intersubjektive Übereinkunft erzielt werden könnte. Dies gilt nach meiner Auffassung selbst, wenn der Äußerungsproduzent die Umsetzung des Kommunikationsprinzips nicht beabsichtigt hat und sie ihr/ihm evtl. nicht einmal bewusst geworden ist. Auch ,Stil‘ und ,Ethik‘ können und sollen hier nicht an sich bestimmt werden, sondern allein im Hinblick auf ihren Beitrag zu dem Begriff des stilistischen bzw. ethischen Kommunikationsprinzips, zwei von mehreren denkbaren Arten kommunikativer Prinzipien. Ein stilistisches Kommunikationsprinzip begreife ich als eines, das die (Durch)Formung, die Gestaltung einer Äußerung betrifft. Ein solches Prinzip generiert eine unmittelbar sinnlich wahrnehmbare Qualität, es liegt in der Dimension der Ästhetik. Stilistische Kommunikationsprinzipien wären z. B. Natürlichkeit, Zierlichkeit und Lebhaftigkeit.82 Ein ethisches Kommunikationsprinzip ist demgegenüber eines, das der Güte einer Äußerung für das menschliche Zusammenleben gilt. Ein derartiges Prinzip erzeugt an einer Äußerung eine Eigenschaft, die sie auf einer Skala zwischen ,gut‘ und ,böse‘ positioniert, das Prinzip liegt also in der Dimension der Sittlichkeit. Beispiele für ethische Kommunikationsprinzipien wären Wahrhaftigkeit, Lügenhaftigkeit und andere Arten der Täuschung, möglicherweise auch Diskretion und Indiskretion. In jedem Fall ist Kommunikation eine ausgeprägte ethische Dimension eigen, zu deren Erfassung die Sprachwissenschaft über auffällig wenige Konzepte verfügt. Eine Ausnahme bildet das Konzept der Grice’schen Konversationsmaxime.83 Paul Grice entwickelt es bekanntermaßen in seinem Aufsatz

82 83

Diese Begriffe werden bereits als stilistische klassifiziert: in Bezug auf Natürlichkeit vgl. z. B. Asmuth 1991: 27, bezüglich Zierlichkeit und Lebhaftigkeit vgl. etwa Nickisch 1969: 205–206. Grice spricht in seinem Aufsatz oft von ,Gesprächen‘, auf englisch von ,talk exchanges‘ (für den Hinweis des Übersetzers vgl. Grice 1975/1979: 248), so dass es scheint, als gölten seine Konversationsmaximen nur für den mündlichen dialogischen Sprachgebrauch. Grices Diskussion von Beispielen korrigiert diesen Eindruck, da er sich in ihnen auch auf schriftliche, monologische Sprachverwendung bezieht (vgl. Grice 1975/1979: 257). Er geht sogar über sprachliche Kommunikation insgesamt hinaus, wenn er anmerkt, „daß die spezifischen Erwartungen oder Annahmen im Zusammenhang mit zumindest einigen der [...] Maximen ihre Entsprechungen auch in der Sphäre solcher Interaktionen haben, die keine Gespräche sind [die nicht der sprachlichen Kommunikation zuzurechnen sind, J.S.]“ (Grice 1975/1979: 251).

1.2 Begriffliche Klärungen

33

über „Logik und Konversation“ aus dem „Kooperationsprinzip“, das lautet: Wir könnten [...] ganz grob ein allgemeines Prinzip formulieren, dessen Beachtung (ceteris paribus) von allen Teilnehmern erwartet wird, und zwar: Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird84.

Kant folgend leitet Grice aus seinem Kooperationsprinzip vier „Kategorien“ ab, „unter deren eine oder andere gewisse speziellere Maximen und Untermaximen fallen“.85 Die Maximen, die er den vier Kategorien „Quantität, Qualität, Relation und Modalität“86 zuordnet, kommen teilweise den von mir genannten Beispielen für ethische Kommunikationsprinzipien nahe: „Sage nichts, was du für falsch hältst“, „Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen“ (Wahrhaftigkeit) oder auch „Mache deinen Beitrag nicht informativer als nötig“87 (Diskretion). Sowohl die Ableitung der Konversationsmaximen aus dem Kooperationsprinzip als auch einzelne Maximen rechtfertigen die Annahme, dass der Begriff der Konversationsmaxime zumindest auch ein ethischer ist und der Dimension der Sittlichkeit angehört. Zugleich unterscheidet er sich in zwei Hinsichten klar vom Begriff des ethischen Kommunikationsprinzips: Eine Grice’sche Konversationsmaxime formuliert erstens ein Sollen, sie ist, wie die Bezeichnung besagt, ein generelles Gebot.88 Zudem wird eine Konversationsmaxime im Normalfall tatsächlich berücksichtigt. Dieser zweite Aspekt wird häufig übersehen, doch Grice erwähnt ausdrücklich, dass die „Maximen [...] von den Gesprächsteilnehmern normalerweise [...] beachtet werden“.89 84 Grice 1975/1979: 248. Im englischen Original erklärt Grice das „Cooperative Principle“ mit folgenden Worten: „We might [...] formulate a rough general principle which participants will be expected (ceteris paribus) to observe, namely: Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged“ (Grice 1975: 45). 85 Grice 1975/1979: 249. Im Originaltext ist von „categories“ die Rede, „under one or another of which will fall certain more specific maxims and submaxims“ (Grice 1975: 45). 86 Grice 1975/1979: 249. Auf Englisch heißen sie „Quantity, Quality, Relation, and Manner“ (Grice 1975: 45). 87 Grice 1975/1979: 249. In der Originalsprache lauten die Maximen: „Do not say what you believe to be false“, „Do not say that for which you lack adequate evidence“ (Grice 1975: 46) sowie „Do not make your contribution more informative than is required“ (Grice 1975: 45). 88 Vgl. Grice 1975/1979: 249. 89 Grice 1975/1979: 250. Auf Englisch schreibt Grice, dass die „maxims [...] are [...] normally observed by participants in talk exchanges“ (Grice 1975: 47).

34

1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

Ein ,stilistisches Kommunikationsprinzip‘, so ist abschließend festzuhalten, ist hier ein ästhetisches, der Formung geltendes Schema für die Bildung einer zeichenhaften Äußerung in sozialer Interaktion, durch dessen Befolgung die Äußerung eine entsprechende kommunikative Eigenschaft annimmt. Ein ,ethisches Kommunikationsprinzip‘ bildet dagegen ein sittliches, die Güte des menschlichen Zusammenlebens betreffendes Muster für die Produktion einer zeichenhaften Äußerung in sozialer Interaktion, durch dessen Umsetzung die Äußerung eine entsprechende kommunikative Beschaffenheit erhält.

Kommunikationsideal Der Begriff des Kommunikationsideals wird zwar gelegentlich in sprachund literaturwissenschaftlichen Arbeiten verwendet, kann aber bislang nicht als weit verbreitetes und klar definiertes linguistisches Analysekonzept gelten, weshalb ich ihn präzisieren möchte. Karl-Heinz Göttert versteht ,Kommunikationsideal‘ in seiner Habilitationsschrift als „Umkehrung des Begriffs der idealen Sprech- bzw. Kommunikationssituation“90 Jürgen Habermas’ und fasst darunter Charakteristika von Gesprächen bzw. Gesprächsbeiträgen, die die europäische Konversationstheorie nach seiner Untersuchung zu bestimmten Zeiten favorisiert:91 „Anmut“, „Klugheit“, „Höflichkeit“ und „Offenheit“.92 Götterts Angabe, er wolle in seiner „Kommunikationsideale“ genannten Studie Aspekte des „Kommunikationsdenkens“93 vergangener Epochen rekonstruieren, erlaubt den Schluss, dass er ein Kommunikationsideal als Produkt oder Ergebnis dieses Denkens betrachtet. Günter Saße paraphrasiert ,Kommunikationsideal‘ in seinem mit „Aufrichtigkeit“ betitelten Aufsatz über Christian Fürchtegott Gellerts „Zärtliche Schwestern“ beiläufig als „Doktrin“ und „Postulat“ einer „Ausdrucksweise“ sowie als „Wert“.94 In der Herausgeberschrift „Der galante Diskurs. Kommunika-

90 Göttert 1988: 7. Göttert erläutert nicht, was er mit ,Umkehrung‘ meint. Man kann vermuten, dass er ,Idealkommunikation‘ als Synonym für die Habermas’sche ,ideale Sprech- bzw. Kommunikationssituation‘ ansieht und bei der Rede von einer ,Umkehrung‘ die Vertauschung der unmittelbaren Konstituenten von ,Idealkommunikation‘ im Sinn hat, aus der sich die Wortbildung ,Kommunikationsideal‘ ergibt. 91 Vgl. Göttert 1988: 9, 16. 92 Göttert 1988: 20, 44, 68, 101. 93 Göttert 1988: 19. 94 Saße 1994: 108, 114, 113, 110.

1.3 Zum Korpus und zu den Methoden

35

tionsideal und Epochenschwelle“ von Thomas Borgstedt und Andreas Solbach wird in der Einleitung lediglich darauf hingewiesen, dass es sich beim Galanten „primär um ein Verhaltens- und Kommunikationsideal handelt“.95 Ich lege dem Begriff ,Kommunikationsideal‘ eine Auffassung von ,Ideal‘ zugrunde, die von der Alltagssprache ausgeht und sich als ,etwas positiv Bewertetes‘, ,etwas für sinnvoll, wertvoll Gehaltenes‘, ,etwas, das angestrebt wird oder, allgemeiner, der Orientierung dient‘96 beschreiben lässt. Genau wie im Fall von ,Kommunikationsprinzip‘ meint ,Kommunikation‘ als begriffliche Bestimmung von ,Ideal‘, dass dieses eine sprachliche oder nicht-sprachliche zeichenhafte Äußerung in sozialer Interaktion betrifft. Ein Kommunikationsideal, so ist zu spezifizieren, ist ein hoch geschätztes Kommunikationsprinzip. Die positive Bewertung, die für ein Kommunikationsideal konstitutiv ist, kann als Teil einer Einstellung sowie – bei entsprechender sozialer Verbreitung – als Teil einer Mentalität angesehen werden. Ausführlich formuliert ist ein ,Kommunikationsideal‘ somit ein Schema für die Bildung einer zeichenhaften Äußerung in sozialer Interaktion, das positiv bewertet, für sinn- und/oder wertvoll gehalten wird sowie der Orientierung dient und durch dessen Befolgung die Äußerung eine entsprechende und entsprechend beurteilte kommunikative Eigenschaft annimmt.

1.3 Zum Korpus und zu den Methoden Das Korpus Aus den in der Einleitung formulierten Erkenntnisinteressen ergeben sich folgende sechs grundlegenden Anforderungen an das Korpus der Studie: 1. Das Korpus darf nicht nur aus sogenannter ,Höhenkammliteratur‘ bestehen. Es soll vor allem Quellen enthalten, die weder wissenschaftlichen Textsorten noch dem literarischen Kanon zugerechnet werden können. Die soziale Spezifik der Einstellungen gegenüber Offenheit kann nur mit einer Zusammenstellung von Schriften, deren Autoren

95 Borgstedt/Solbach 2001: 10. 96 Vgl. den Eintrag „Ideal“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1977/1999: 4. Bd.: 1903.

36

1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

und Adressaten möglichst unterschiedliche gesellschaftliche Positionen innehaben,97 angemessen berücksichtigt werden. 2. Die Texte müssen zwischen ca. 1650 und der Gegenwart, d. h. dem Beginn der Untersuchung im Jahr 2006, entstanden sein. Um diese lange Zeitspanne leichter handhabbar zu machen, bietet es sich an, besonders viele Quellen aus zwei Phasen in das Korpus aufzunehmen, die relativ dicht am zeitlichen Rand liegen, dadurch im Vergleich die längerfristigen Veränderungen gut erkennen lassen und die sich auch unabhängig davon für die Untersuchung des Offenheitsideals als äußerst aufschlussreich erweisen werden: aus dem Zeitraum von etwa 1750 bis zur Wende zum 19. Jahrhundert und demjenigen von ca. 1965 bis heute. 3. Das Korpus soll nur schriftliche Texte umfassen, weil mündliche Texte erst seit dem 20. Jahrhundert zuverlässig überliefert werden können und somit als serielle Quellen, die Vergleiche über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg ermöglichen, nicht infrage kommen. 4. Die Schriften des Korpus müssen in der Regel in deutscher Sprache verfasst worden sein. 5. Das Korpus ist auf den Bereich der individuellen, nicht aber der organisationalen Kommunikation auszurichten. 6. Bei den Quellen soll es sich um kommunikationsreflexive Texte handeln, Texte also, die (unter anderem) etwas über Sprache und Kommunikation, und zwar speziell über Offenheit aussagen. Zur Erläuterung dieser sechsten grundlegenden Anforderung an das Korpus muss ich etwas weiter ausholen: Wie in der Einleitung dargelegt wurde, richtet sich das Erkenntnisinteresse der Studie auf kollektive Einstellungen gegenüber Offenheit. In Kapitel 1.2 wurde erwähnt, dass eine Einstellung nur indirekt erfasst, d. h. nur aus menschlichem Verhalten erschlossen werden kann. Zwei Arten menschlichen Verhaltens erlauben Rückschlüsse auf Einstellungen gegenüber Offenheit und könnten folglich untersucht werden: Erstens wäre es möglich, Sequenzen kommunikativen Verhaltens zu untersuchen, in denen Offenheit zur Anwendung kommt, z. B. Briefwechsel, in denen sich zumindest jeweils ein Schreiber offen äußert. Solche Sequenzen sind

97 Biographische Informationen über die Autoren (welchem Stand, welcher Klasse bzw. welchem Milieu sie angehören oder nahe stehen, aber ebenso welche Ausbildung und welchen Hauptberuf sie haben, welcher Konfession sie sind, welche Stadt oder Region sie am meisten geprägt hat usw.) können häufig mithilfe von Nachschlagewerken, Forschungsliteratur oder auch – kritisch zu hinterfragenden – Verlagsinformationen ermittelt werden. Soziale Merkmale der intendierten Leser lassen sich dagegen meist direkt dem betreffenden Text (z. B. dem Vorwort oder der Einleitung) entnehmen.

1.3 Zum Korpus und zu den Methoden

37

aber nur dann als Quellen verwendbar, wenn die in ihnen enthaltenen offenen Äußerungen identifiziert werden können, wozu bekannt sein muss, was Offenheit ausmacht. Da in dieser Studie die Ethnoperspektive auf Offenheit rekonstruiert werden soll und somit der Begriff im Zentrum stehen muss, den die historischen Kommunizierenden selbst von Offenheit haben, kann ich einerseits unmöglich im Vorfeld der Untersuchung einen wissenschaftlichen Begriff von Offenheit definieren. Andererseits gibt es bisher keine Forschungsergebnisse, die besagen, worin Offenheit für die Kommunizierenden besteht (vergleiche Kapitel 1.1). Sequenzen offener Kommunikation kann ich folglich vorerst nicht als Quellen einsetzen. Die zweite Art von Verhalten, die man untersuchen könnte, bilden sprachliche Äußerungen, die Offenheit thematisieren. Anhand bestimmter Ausdrücke sind sie ohne detaillierte Kenntnis des Offenheitsbegriffs identifizierbar, wie unten ausgeführt wird. In der Einstellungsforschung ist die Annahme anerkannt, dass Äußerungen über ein Einstellungsobjekt Komponenten der Einstellung reflektieren, sofern die Äußerungsproduzenten nicht wissen, dass ihre Äußerungen auf ihre Einstellung hin analysiert werden.98 Ich gehe dementsprechend davon aus, dass man aus Texten, die Offenheit thematisieren und die nicht speziell zur Erforschung von Offenheitseinstellungen elizitiert worden sind, nicht nur darauf schließen kann, was die Verfasser der Texte zu deren Entstehungszeitpunkt genau für Offenheit halten, sondern gleichfalls erfahren kann, wie sie über diese denken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Äußerung über Offenheit die diesbezügliche Einstellung ihres Produzenten (bzw. Komponenten dieser) nicht eins zu eins abbilden muss. Beim Rückschluss von einem Text auf die Einstellung seines Autors müssen mindestens zwei Aspekte bedacht werden: a) die sprachlichen Fähigkeiten des Autors, deren Begrenztheit dazu führen kann, dass sie/er ihre/seine Einstellung im Text nicht deutlich zum Ausdruck bringt, und b) der Kontext der Äußerungen. Die Textsorte und -funktion, der Ort und die Zeit, vor allem aber die (erwarteten) Rezipienten können die Art und Weise beeinflussen, auf die der Verfasser ihre/seine Einstellung im Text zu erkennen gibt. Es ist z. B. denkbar, dass der Verfasser ihre/seine Äußerungen den vermuteten Ansichten der Rezipienten anpasst.

98

Auf die Anerkennung dieser Annahme weist Casper 2002: 153 hin.

38

1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

Wenn eine Äußerung über Offenheit von der Einstellung ihres Produzenten gegenüber Offenheit abweicht, kann die Differenz jedoch in den meisten Fällen durch eine sorgfältige Quellenkritik erkannt werden. Neben der Prämisse, dass Äußerungen über Offenheit – je nach sprachlichen Kompetenzen und Kontext in der einen oder anderen Weise – die Einstellung ihrer Produzenten zeigen, kann auch die Vorannahme Berechtigung beanspruchen, dass solche Äußerungen mit hoher Wahrscheinlichkeit die Einstellung ihrer Rezipienten gegenüber Offenheit beeinflussen. Dabei sind ganz unterschiedliche Stärken und Arten des Einflusses denkbar. Nachweisbar wird ein Einfluss, seine Stärke und Art, wenn ein Rezipient selbst einen Text verfasst, in dem sie/er sich auf Offenheit und den rezipierten Text bezieht, mit anderen Worten: durch intertextuelle Bezüge. Mit Reinhart Koselleck könnte man zusammenfassend davon sprechen, dass Äußerungen über Offenheit „Indikator“ von und „Faktor“99 für Einstellungen ihr gegenüber sind. Aufgrund dieser doppelten Verzahnung von sprachlichen Äußerungen über Offenheit mit Einstellungen zu ihr eignen sich kommunikationsreflexive bzw. metakommunikative Texte besonders gut zur Erforschung dieser Einstellungen. Für eine Arbeit, die nach der Ethnoperspektive auf Offenheit fragt, sind sie unverzichtbar. Aus mehreren Gründen ist es nicht einfach, Texte für ein Korpus aufzufinden und auszuwählen, das diese sechs grundlegenden Anforderungen erfüllt. Kommunikationsreflexion hat in der textuellen Welt keinen festen Platz, sie ist vielmehr in ganz verschiedenen thematischen Zusammenhängen, Textsorten und Medien anzutreffen. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Affinität kommunikationsreflexiver Äußerungen zu bestimmten Themen, Textsorten und Medien im Lauf der Jahrhunderte wandelt – z. B. sind Sprache, Kommunikation und Umgang im 18. Jahrhundert beliebte Themen der moralischen Wochenschriften, die jedoch in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ihre publizistische Bedeutung verlieren, so dass sich die Suche nach geeigneten metakommunikativen Äußerungen aus der nachfolgenden Zeit in andere Medien verlagern muss. Angesichts dieser Schwierigkeiten bin ich bei der Zusammenstellung des Korpus in folgenden Schritten vorgegangen:

99 Koselleck 1972/1979: 120. Die Ausdrücke tauchen in folgendem Zusammenhang auf: „Ein Begriff ist nicht nur Indikator der von ihm erfaßten Zusammenhänge, er ist auch deren Faktor“.

1.3 Zum Korpus und zu den Methoden

39

1. Zunächst wurden Texte in das Korpus aufgenommen, denen in thematisch benachbarten Studien inhaltliche Eigenschaften nachgewiesen werden, die sie zu nützlichen Quellen für diese Arbeit machen. 2. Ausgehend von Forschungsergebnissen zur Geschichte der Sprachund Kommunikationsreflexion sowie von eigenen Vorstudien habe ich eine Reihe von Textklassen als Quellentypen festgelegt. Es handelt sich um nicht auf den Bereich der Wissenschaft und der Literatur im engeren Sinn beschränkte Klassen schriftlicher Texte, die (wertende) Äußerungen über (sprachliche) Individualkommunikation enthalten und aus dem gesamten Gebiet der deutschen Sprache über den ganzen Untersuchungszeitraum hinweg überliefert sind. Es sind mithin Textklassen, deren Vertreter die oben genannten sechs Anforderungen erfüllen, und zwar: – Lexikonartikel (Wörterbuchartikel und Artikel aus Enzyklopädien), – Anstandsbücher (Verhaltenslehren, Anstandsbücher im engeren Sinn), – primär kommunikationsnormative Texte (Briefsteller, Rhetoriken, Stilistiken, Konversations- und Kommunikationsratgeber), – Beziehungsratgeber (Freundschaftsratgeber und Liebesbeziehungs-, Ehe- bzw. Partnerschaftsratgeber),100 – Beiträge zu Periodika (Beiträge zu moralischen Wochenschriften, Zeitschriftenbeiträge bzw. -artikel und Zeitungsartikel). 3. Von jedem Quellentyp wurde eine Anzahl exemplarischer Vertreter ausgewählt. Die Vertreter der Quellentypen ,Lexikonartikel‘, ,Anstandsbücher‘ und ,primär kommunikationsnormative Texte‘ wurden so selektiert, dass sie den gesamten Untersuchungszeitraum einigermaßen ausgewogen abdecken. Die Repräsentanten der anderen Quellentypen wurden so bestimmt, dass sie sich ungefähr gleichmäßig auf die beiden Zeitphasen von etwa 1750 bis ca. 1800 und von etwa 1965 bis heute verteilen. Die Auswahl der Texte erfolgte nach folgenden zusätzlichen Kriterien: – Die Wörterbücher wurden nach ihrem Umfang ausgewählt. Ferner wurde ihre Zusammenstellung durch den Versuch bestimmt, sowohl zahlreiche Wörterbücher in ihrer Erstauflage zu verwenden, als auch in einigen Fällen dasselbe Wörterbuch in verschiedenen Auflagen heranzuziehen.101 Bei der Festlegung der Enzyklopädien gab nicht 100 Im deutschsprachigen Raum konsolidiert erst die massenhafte Verbreitung von Beziehungsratgebern in den 1970er und vor allem 1980er Jahren die Textklasse. Beziehungsratgeber lassen sich deshalb im Grunde nur für die darauf folgende Zeit als serielle Quellen verwenden. Da die Textklasse jedoch stark kommunikationsnormativ ist, wurde sie in Ergänzung der primär kommunikationsnormativen Texte berücksichtigt. 101 Der Grund dafür ist, dass die Artikel in Erstauflagen mit besonders hoher Wahrschein-

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

nur ihre Ausführlichkeit, sondern auch ihre sachlich-thematische Ausrichtung den Ausschlag. – Die Anstandsbücher, Briefsteller, Rhetoriken, Stilistiken, Konversations- und Kommunikationsratgeber wurden so ausgesucht, dass ihre Verfasser und Adressaten möglichst diversen gesellschaftlichen Gruppierungen angehören. Entscheidend für die Auswahl älterer Anstandsbücher und primär kommunikationsnormativer Texte waren außerdem ihre Überlieferung und Zugänglichkeit. – Die Beziehungs- und Freundschaftsratgeber wurden ebenfalls mit dem Ziel einer möglichst weiten Streuung ihrer Autoren und intendierten Leser über verschiedene soziale Gruppen bestimmt. – Die Wahl der Zeitungen und Zeitschriften orientierte sich an ihren thematisch-inhaltlichen Schwerpunkten und ihrer Auflagenstärke. 4. Alle ausgewählten Texte wurden systematisch nach Äußerungen über Offenheit durchsucht, entweder manuell oder – sofern sie digital verfügbar sind – sowohl mithilfe von Suchausdrücken und -ausdruckskombinationen als auch ergänzend manuell. Wenn die Texte inhaltlich interessante Stellen enthalten, wurden sie ins Korpus aufgenommen. Das Ergebnis ist ein Korpus mit folgendem Umfang und folgender Zusammensetzung: – Artikel aus 36 Lexika, – 60 Anstandsbücher, – 59 primär kommunikationsnormative Texte, – 16 Beziehungsratgeber, – 175 Beiträge zu Periodika,102 – 54 Quellen sonstiger Textklassen (z. B. wissenschaftliche und literarische Texte).103

lichkeit (auch) den jeweils aktuellen Sprachzustand widerspiegeln, nicht aber (allein) aus älteren, übernommenen Angaben bestehen. Die Nutzung verschiedener überarbeiteter Auflagen desselben Wörterbuchs hat demgegenüber den Vorzug, dass etwaige Veränderungen der Artikel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durch Unterschiede im Vorgehen der Lexikographen verursacht sind, sondern einen tatsächlichen Bedeutungswandel reflektieren. 102 Anscheinend dominieren die Periodika-Beiträge das Korpus stark; sie sind allerdings wesentlich kürzer als Anstandsbücher, Rhetoriken, Beziehungsratgeber und dergleichen, die im Normalfall in Buchform vorliegen. 103 Einzelne Quellen könnten mehreren Quellentypen zugeordnet werden: Beziehungsratgeber und wissenschaftliche Texte, die in erster Linie kommunikative Normen formulieren, werden in dieser Übersicht wie auch im Quellenverzeichnis den primär kommunikationsnormativen Texten zugerechnet.

1.3 Zum Korpus und zu den Methoden

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Die Methoden Das Interesse dieser Studie richtet sich nicht auf das Wort ,offen‘, sondern auf das Kommunikationsprinzip, das heute mit diesem Ausdruck bezeichnet wird, und dessen kollektive Bewertung in historischer Dimension. Vieles spricht für die Annahme, dass man diesen Begriff zu jedem Zeitpunkt, zu dem er in der deutschen Sprachgemeinschaft verbreitet ist (zu dem also nicht nur vereinzelte Mitglieder dieses mentale Ordnungsmuster verwenden), auch anders benennen kann als mit dem Ausdruck ,offen‘, dass alternative Bezeichnungen durch (teil)synonyme Wörter und Paraphrasen möglich sind. Wo es in einem Text um Offenheit geht, muss der Ausdruck ,offen‘ nicht zwangsläufig auftauchen. Die Korpuszusammenstellung bedurfte deswegen einer Methode, mit der sich Äußerungen über Offenheit in potenziellen Quellentexten identifizieren lassen: Da solche Äußerungen am Ausdruck ,offen‘, der als Adjektiv oder im substantivischen Derivat in seiner auf Kommunikation bezogenen Bedeutung verwendet wird, deutlich erkennbar sind, wurde zunächst eruiert, was für ein Kommunikationsprinzip der Ausdruck ,offen‘ wann bezeichnet, und eine grobe Vorstellung des Begriffs und seiner Geschichte entwickelt. Auf diesen semasiologischen oder wortgeschichtlichen Teil der Methode folgte ein onomasiologischer, durch den sie zur wortfeldgeschichtlichen vervollständigt wird: Basierend auf der vorläufigen Kenntnis des Begriffs wurden die alternativen Ausdrücke zusammengetragen, die zu verschiedenen Zeitpunkten für ihn existieren. Als Material für beide Arbeitsschritte dienten Wörterbuchartikel (siehe Kapitel 2.1), aber auch andere potenzielle Quellentexte. Mit diesem Wissen konnten die Äußerungen über Offenheit in den ausgewählten Vertretern der festgelegten Quellentypen identifiziert werden. Das zusammengestellte Korpus wurde anschließend mit einem den Erkenntnisinteressen gemäßen Fragenraster hermeneutisch-qualitativ ausgewertet. Der weitere methodische Prozess bestand aus a) der Konkretisierung des Erkenntnisinteresses bzw. der Aus- und Überarbeitung des Fragenrasters, dessen definitive Version Kapitel 2, 3 und 4 widerspiegeln, b) der Analyse und Interpretation der Quellen sowie c) der (Re)Formulierung der Ergebnisse in Thesenform. Dieser Prozess wurde mehrfach durchlaufen und durch Nachjustierungen des Korpus ergänzt. Die Auswertung der Quellen bestand zunächst darin, die identifizierten Äußerungen über Offenheit all den Fragen des Rasters zuzuordnen, zu deren Beantwortung sie beitragen zu können schienen. Die Textstellen zu jeder Frage wurden chronologisch geordnet und in den folgenden

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1 Forschungsstand, Theorie und Methodik

Durchgängen durch den methodischen Prozess auf Wiederkehrendes, auf aussagekräftige Muster hin analysiert. Die Suche nach Mustern richtete sich auf verschiedene sprachlich-kommunikative Einheiten, vor allem auf – Schlag-/Schlüsselwörter (Adjektive, Verben, Substantive) und Kollokationen, – sprachliche Bilder, – Aussagen (Propositionen) sowie – Implikationen und Präsuppositionen. Der Stellenwert, die Bedeutsamkeit eines erkannten Musters wurde diachron aus drei Parametern ermittelt, nämlich 1. aus der Anzahl der Quellentexte, in denen das Muster vorkommt (in wie vielen Texten tritt es auf?), 2. aus der Intensität, mit der das Muster in den Quellentexten erscheint (wie ausgeprägt ist es in den Texten, in denen es sich zeigt – ist es voll ausgeprägt, oder zeichnet es sich nur schwach ab?), und 3. aus dem Einfluss, den die Quellentexte mit diesem Muster bzw. ihre Autoren vermutlich haben (ist anzunehmen, dass sich eher viele oder eher wenige Menschen an den Texten orientieren, in denen das Muster vorhanden ist?).104 Die Interpretation der Muster erfolgte aufbauend auf den oben beschriebenen Annahmen zum Verhältnis zwischen sprachlichen Äußerungen über Offenheit und Einstellungen zu ihr unter der Prämisse, dass musterhafte Äußerungen über Offenheit – musterhaft im Hinblick auf Schlagwörter, Kollokationen, sprachliche Bilder, Aussagen, Implikationen, Präsuppositionen oder Ähnliches – Rückschlüsse auf die diesbezügliche Mentalität der gesellschaftlichen Gruppen ermöglichen, denen die Verfasser der Texte angehören, in denen sich das betreffende Muster zeigt. Die Ausdeutung der Muster wurde außerdem von der Annahme geleitet, dass solche musterhaften Äußerungen die Mentalität der sozialen Gruppierungen beeinflussen können, zu denen die Rezipienten der entsprechenden Texte gehören.

104 Aufgrund der notwendigen Berücksichtigung dieser drei Parameter kann die Relevanz eines Musters in den folgenden Kapiteln nicht numerisch – mittels absoluter oder Prozentzahlen – ausgedrückt werden.

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen 2.1 Zur kommunikativen Lesart von ,offen‘ und ,Offenheit‘ – ein wort- und wortfeldgeschichtlicher Abriss Das aufgeschlagene Kapitel widmet sich drei Fragestellungen, die das Verhältnis der Ausdrücke ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ zum Kommunikationsprinzip betreffen, das im Zentrum dieser Studie steht: Der erste Teil des Kapitels geht der Frage nach, seit wann die Ausdrücke ,offen‘ und ,Offenheit‘ dieses Kommunikationsprinzip bezeichnen, der zweite verfolgt die historische Entwicklung der entsprechenden Lesart. Der dritte Teil stellt schließlich die lexikalischen Ausdrücke vor, die im Lauf der Zeit zu ,Offenheit‘ bzw. ,offen‘ in dieser Lesart am weitestgehenden synonym sind, und versucht, die Nuancen zwischen den annähernd gleichen Bedeutungen zu ermitteln. Damit werden Ergebnisse der semasiologischen und onomasiologischen Vorarbeiten dargestellt, die – wie in Kapitel 1.3 beschrieben – für die Identifikation und Auswertung von Äußerungen über kommunikative Offenheit unumgänglich sind. Da sich Wort(feld)geschichte besonders gut mithilfe von Wörterbucheinträgen schreiben lässt, bilden sie die Hauptquellen dieses Kapitels.1 In einem Wörterbuch unter dem Stichwort ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ nachzuschlagen und die passende Lesart2 zu entdecken, sofern eine solche existiert, ist unter Umständen kein einfaches Unterfangen, da ,Offenheit‘ und insbesondere ,offen‘ seit Langem hochgradig polysem sind. Gesucht wird nach einer auf Kommunikation bezogenen Bedeutung – allerdings 1

2

Obwohl Einträge in Enzyklopädien nicht in den Bereich der Sprach-, sondern der Sachlexikographie fallen, können auch sie als Quellen für wort(feld)geschichtliche Fragestellungen nützlich sein. Angaben zum Kommunikationsprinzip der Offenheit sind in Enzyklopädien jedoch sehr selten zu finden. Ich formuliere hier und im Folgenden der Einfachheit halber so, als ob in jedem untersuchten Wörterbuchartikel maximal eine Lesart relevant sei, auch wenn in manchen Artikeln mit differenzierten semantischen Angaben mehrere Lesarten bedeutsam sind. Die Zahl der angesetzten Lesarten gilt in der Lexikographie als vergleichsweise (!) wenig von der Sprachwirklichkeit (bzw. dem sie repräsentierenden Korpus von Belegen) beeinflusst, sondern als relativ stark von den methodischen Entscheidungen des/der jeweiligen Lexikographen geprägt (vgl. Haß-Zumkehr 2001: 26).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

nicht nach ,Öffentlichkeit‘ bzw. ,öffentlich‘ und ,semantische Vagheit‘ bzw. ,semantisch vage‘, zwei Bedeutungen von ,Offenheit‘ bzw. ,offen‘, die sich ebenfalls auf kommunikative Prozesse und Produkte beziehen können. Ob es sich bei einer Lesart um die gesuchte handelt, ist in den analysierten Wörterbuchartikeln in aller Regel entweder an der semantischen Angabe oder aber – wenn diese zu wenig bestimmt ausfällt – mithilfe der angegebenen Kollokationen bzw. Belege erkennbar.

Die Entstehung der kommunikativen Lesart von ,offen‘ und ,Offenheit‘ Nach den Angaben etymologischer Nachschlagewerke ist das Adjektiv ,offen‘ ein altes deutsches Wort: Es ist im 8. Jahrhundert erstbezeugt und hat bereits im Mittelhochdeutschen die Form ,offen‘, die sich an althochdeutsch ,offan‘ bzw. altsächsisch ,opan‘ anschließt.3 Als Bedeutung der germanischen Grundform nennt Elmar Seebold im von ihm überarbeiteten „Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache“ Friedrich Kluges lediglich „offen“,4 Wolfgang Pfeifer und die anderen Autoren des „Etymologischen Wörterbuchs des Deutschen“ beschreiben dagegen das semantische Spektrum des althochdeutschen ,offan‘ differenzierter als „geöffnet, offenbar, klar, einleuchtend, öffentlich“.5 Noch an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert werden in den Wörterbüchern der deutschen Sprache die Bedeutungen der Lemmata in der Regel in lateinischer Sprache angegeben, so z. B. in den Werken Kaspar Stielers (1691), Christoph Ernst Steinbachs (1734) und noch Johann Leonhard Frischs (1741). Die zentralen wörtlichen Bedeutungen der angegebenen lateinischen Äquivalente bei Stieler, Steinbach und Frisch weisen nicht darauf hin, dass der deutsche Ausdruck ,offen‘ für die infrage stehende Kommunikationsweise verwendet wird.6 Stieler führt beispielsweise folgende lateinische Übersetzungen von ,offen‘ auf: „[a]pertus“, „patens“, „solutus“, „patescens“ und „reclusus“.7 Ob dem deutschen Ausdruck ,offen‘ jedoch auch die selteneren und/oder übertragenen Bedeutungen der angegebenen lateinischen Äquivalente zukommen, geht aus den Wörterbuchartikeln nicht hervor.

3 4 5 6 7

Vgl. Kluge/Seebold 1883/2002: 663. Kluge/Seebold 1883/2002: 663. Pfeifer/Braun/Ginschel u. a. 1989/1993: 2. Bd.: 944. Vgl. Steinbach 1734: 2. Bd.: 152, Frisch 1741: 2. Bd.: 29. Stieler 1691: 1. Bd.: Sp. 66.

2.1 Zur kommunikativen Lesart von ‚offen‘ und ‚Offenheit‘

45

Die Aufmerksamkeit muss sich in diesen Wörterbüchern folglich verstärkt auf die angegebenen Kollokationen bzw. Belege richten: Aus den von Kaspar Stieler (1691) und Johann Leonhard Frisch (1741) verzeichneten Kollokationen lässt sich nicht mit Sicherheit darauf schließen, dass ,offen‘ das interessierende Kommunikationsprinzip benennt.8 Frisch etwa referiert folgende charakteristische Wortverbindungen: „ein offenes Feld“, „ein offener Ort“, „ein offener Schade“, „offener Leib, [...] nicht offener Leib“, „offene Ohren, [...] ein offener Befehl“, „ein offener Kopf eines Kindes“, „ein offener Helm“, „offene Tafel halten“, „zu offenen Zeiten [...], im Gegensatz der geschlossenen Zeiten“, „offen seyn, offen stehen“, „offen halten, als den Leib“, „ein offenes Lehen, oder offenes Haus in Lehens-Sachen“.9 Aufhorchen lassen dagegen die Kollokationen bei Christoph Ernst Steinbach (1734). Gleich die zweite lautet: „[I]ch habe sein offenes Hertz gesehen“.10 Wörtlich verstanden ist diese Formulierung unsinnig, denn nur selten dürfte jemand von sich behaupten können, sie/er habe das entsprechende Organ eines anderen Menschen in aufgeschnittenem Zustand betrachtet. Vermutlich hat ,Herz‘ hier einen metaphorischen Sinn. Nach Johann Christoph Adelung (1775/1796) kann mit ,Herz‘ im übertragenen Sinn der „Sitz der Seele und besonders des Willens und der innern Empfindungen“ oder die „Seele des Menschen und deren besondere Fähigkeiten“ selbst gemeint sein, die „(a) [d]ie Gedanken“, „(b) [d]ie innern Empfindungen“ und „(c) [d]as Gewissen“11 umfasst. Eine Person, die ein ,offenes Herz‘ hat, hat demzufolge den ,Sitz‘ ihrer Gedanken und Gefühle aufgetan, so dass diese der Wahrnehmung eines Zweiten zugänglich sind, und der von Steinbach angegebene Beispielsatz ,Ich habe sein offenes Herz gesehen‘ bedeutet demnach, dass jemand von den Reflexionen oder Emotionen eines anderen Menschen erfahren hat. Somit bezeichnet ,offen‘ in der Kombination mit ,Herz‘ mindestens seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts usuell die Preisgabe von Gedanken oder Gefühlen. Für sich genommen hat ,offen‘ in dieser Kollokation indessen die wörtliche Bedeutung ,unversperrt‘, ,unverschlossen‘. Das älteste Wörterbuch, in dem sich die gesuchte semantische Variante von ,offen‘ nachweisen lässt, ist das „Grammatisch-kritische Wör8 9 10 11

Vgl. Stieler 1691: 1. Bd.: Sp. 66. Frisch 1741: 2. Bd.: 29. Steinbach 1734: 2. Bd.: 152. Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 1144–1148, hier Sp. 1145–1147. Bei Steinbach findet man unter „Hertz“ lediglich die lateinischen Äquivalente „cor, pectus“, die an dieser Stelle nicht weiterhelfen (Steinbach 1734: 1. Bd.: 743).

46

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

terbuch der Hochdeutschen Mundart“ von Johann Christoph Adelung (1777/1798). Die siebte „[f]igürliche“ Bedeutung beschreibt Adelung folgendermaßen: Eine offene Miene, ein offenes Gesicht, ein freyes, unverstelltes Gesicht, welches keine Verstellung, keine Zurückhaltung verräth. Ein offenes Herz, welches seine Gedanken und Empfindungen andern vertraulich bekannt macht. Du verdienest, daß ich mit offnem Herzen zu dir rede. Er scheint nicht mit offnem Herzen gehandelt zu haben12.

Eine Kollokation wie ,offene Rede‘, ,offen gestehen‘, ,offen sprechen‘ oder Ähnliches, die die Verwendung des Adjektivs ,offen‘ zur Charakterisierung von Sprachgebrauch als üblich verriete, verzeichnet Adelung an dieser Stelle allerdings nicht. ,Offen‘ erscheint nur als Adjektivattribut von ,Miene‘, ,Gesicht‘ sowie ,Herz‘. Erst das von Joachim Heinrich Campe herausgegebene „Wörterbuch der Deutschen Sprache“ (1809) indiziert, dass ,offen‘ in dieser Lesart als Attribut einer sprachlichen Äußerung gebräuchlich ist. Es enthält die Kollokation „[o]ffen sprechen“, als deren Bedeutung „ohne Verstellung und Zurückhaltung, der wirklichen natürlichen Empfindung gemäß (naiv sprechen)“13 angegeben wird. Dass ,offen‘ in dieser Lesart nach Auskunft der Wörterbücher historisch zuerst auf nonverbale Kommunikation bezogen wird, ist so auffällig wie aussagekräftig: Auf die langlebige Annahme, dass man sich gestisch, mimisch und vor allem mit dem Blick der Augen generell weniger gut verstellen könne und schlechter etwas verbergen könne als qua Sprache, dass also in nonverbalen Zeichensystemen ein höherer Grad von Offenheit angelegt sei als in der Sprache, komme ich in Kapitel 2.3 zurück. Wie zu erwarten, findet man außerhalb von Wörterbüchern ältere Belege, in denen ,offen‘ in diesem Sinne verwendet wird. Der älteste Beleg aus dem untersuchten Korpus stammt aus dem Jahr 1753 – was keineswegs ausschließt, dass wiederum außerhalb des Korpus Belege noch früheren Datums auffindbar sind:14 Der Journalist und Schriftstel12

13 14

Adelung 1777/1798: 3. Bd.: Sp. 582–584, hier Sp. 583. Dieselbe Angabe findet sich in der ersten Auflage des Wörterbuchs (vgl. Adelung 1777: 3. Bd.: Sp. 889–890, hier Sp. 890). Da die zweite als die inhaltlich und rezeptionsgeschichtlich maßgebliche Auflage gilt, zitiere ich hier und im Folgenden aus ihr. Campe (Hrsg.) 1809: 3. Bd.: 547–548, hier 548. Im Grimm’schen „Deutschen Wörterbuch“ findet sich im Eintrag „offen“ nach der semantischen Erläuterung „unverhüllt, klar, deutlich, ohne rückhalt“ ein signifi kant älterer Beleg aus Jakob Ayrers „Historischem Processus Ivris“ (1597). Er lautet: „[D]as ... [Auslassungszeichen im zitierten Text, J.S.] sei ein offner ongrund“ (Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.: Sp. 1163–1171, hier Sp. 1165). ,Offner ongrund‘ lässt sich jedoch am

2.1 Zur kommunikativen Lesart von ‚offen‘ und ‚Offenheit‘

47

ler Christian Nicolaus Naumann beschreibt in einer Abhandlung „Von der Zärtlichkeit“, wie sich diese bei verschiedenen Menschen ausprägt. Er führt die Differenzen in der Ausprägung unter anderem auf unterschiedliche Temperamente zurück, wie sie die antike Temperamentenlehre kennt: Indessen findet man unter denen, die zärtlich sind, und es für kein Verbrechen halten, es zu seyn, eben sowol gewisse freye und lebhafte, als bescheidene mit einiger Schüchternheit vermengte Zärtlichkeiten; Die ersteren sind mit einer ausgelassenen gesprächsamen Offenherzigkeit verknüpfet und machen ein grösseres Geräusche, wenn die lezteren voll innerlichgeschäftiger Unruhe, bey dem scrupelhaften Ansichhalten, in die Wolke einer tiefen Verschwiegenheit sich einhüllen. Dem sanguinischen Temperamente, bey dem nichts umschlungenes, nichts verstecktes Statt findet, wäre das Vergnügen nicht halb so schmackhaft, wenn es nicht durch oft wiederholte Beschreibungen sein gefühlreiches Andenken sich selbst erneuerte. Die cholerische Blutmischung, ob sie gleich voll Geist und voll Empfindlichkeit ist, handelt nicht so offen, noch so freymüthig, sondern weit behutsamer und nachdenkender15.

Da das ,nicht so offene, noch so freimütige‘ Verhalten des Cholerikers den ,wiederholten Beschreibungen‘ des Sanguinikers gegenübergestellt wird, die in die Kategorie der ,freien und lebhaften ... Zärtlichkeiten‘ mit einer ,gesprächsamen Offenherzigkeit‘ fallen, muss sich ,offen‘ auf kommunikatives, insbesondere sprachliches ,Handeln‘ beziehen und semantisch in die Richtung von ,frei‘, ,lebhaft‘, ,gesprächsam‘, ,offenherzig‘ und ,freimütig‘ weisen. Berücksichtigt man die Verzögerung, mit der Wörterbücher den Wortschatz einer Sprache wiedergeben, lässt sich aus dem Gesagten schließen, dass ,offen‘ die fragliche Bedeutung spätestens seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kontextunabhängig und als eine von anderen Bedeutungen klar abgegrenzte hat. Mindestens seitdem kann der Ausdruck ,offen‘ das Kommunikationsprinzip bezeichnen, das im Zentrum dieser Arbeit steht. Die Kollokation ,offenes Herz‘ hingegen weist Christoph Ernst Steinbach schon 1734 in seinem Wörterbuch als gebräuchlich aus. Die frühe Prominenz dieser Wortverbindung legt die Annahme nahe, dass ,offen‘ aus diesem Verwendungszusammenhang heraus in einem Prozess der Bedeutungserweiterung allmählich die Gesamtbedeutung der syntaktischen Fügung ,mit offenem Herzen‘ übernimmt und dadurch die Be-

15

ehesten als ,offenkundig ungültiger Grund‘ paraphrasieren, ,offen‘ hat hier mithin eine andere Bedeutung. Naumann 1753: 63, Hervorhebung J.S.

48

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

deutung ,frei‘, ,unverstellt‘, ,nicht zurückhaltend‘ erhält, wie Adelung sie umschreibt. Es ist möglich, dass die Bedeutungserweiterung durch das Adjektiv ,offenherzig‘ unterstützt wird, das selbst eine Zusammenbildung der Basis ,mit offenem Herzen‘ zu sein scheint. Justus Georg Schottel(ius) bucht „Offenhertzig“16 bereits 1663 in seiner „Ausführlichen Arbeit Von der Teutschen HaubtSprache“. Wolfgang Pfeifer und die anderen Verfasser des „Etymologischen Wörterbuchs des Deutschen“ geben dementsprechend das 17. Jahrhundert als das des frühesten Belegs für ,offenherzig‘ an,17 obwohl sich im von Jacob und Wilhelm Grimm begründeten „Deutschen Wörterbuch“ (1889) für ,Offenherzigkeit‘ noch ein deutlich älteres Belegbeispiel aus frühneuhochdeutscher Zeit findet.18 Jedenfalls ist das Wort ,offenherzig‘ mit hoher Wahrscheinlichkeit älter als die beschriebene Lesart von ,offen‘. Während Schottel keine Bedeutung für ,offenherzig‘ aufführt, versieht Matthias Kramer das Lemma „Offen-hertzig“ 1702 in seinem Wörterbuch mit den italienischen Äquivalenten „Aperto, Di cuore, Di cuore aperto, cioè Cordiale, Sincero, Leale, Schietto, Candido“ und das Lemma „Offen-hertzigkeit“ mit den Übersetzungen „Apertura di cuore, cioè Cordialità, Schiettezza, Lealità, Sincerità, Candore“.19 Ähnlich erklärt Johann Christoph Adelung (1777/1798) ,offenherzig‘ mit den Worten „ein offenes Herz habend, d. i. seine Gedanken und Empfindungen andern ohne Zurückhaltung entdeckend, und in dieser Eigenschaft gegründet“.20 Unverkennbar sind ,offenherzig‘ und ,mit offenem Herzen‘ annähernd synonym. Die beiden Beobachtungen zum Alter und zur Bedeutung von ,offenherzig‘ sprechen für die These von der vermittelnden Funktion dieses Adjektivs bei der Entwicklung der diskutierten Lesart von ,offen‘. Sie geht demnach nicht nur von der syntaktischen Fügung ,mit offenem Herzen‘ aus, sondern ist zumindest auch die Folge einer Kürzung von ,offenherzig‘. Im Gegensatz zum Adjektiv ,offen‘ nimmt das Substantiv ,Offenheit‘ nach Information der Wörterbücher die Bedeutung des fokussierten Kommunikationsprinzips nicht im Lauf der Zeit als eine übertragene an, sondern entsteht mit dieser und nur dieser Bedeutung überhaupt erst. ,Offenheit‘ wird erstmals 1798 von Johann Christoph Adelung gebucht,21 dem zufolge es nur eine einzige Lesart von ,Offenheit‘ gibt: „die Ei16 17 18 19 20 21

Schottel 1663: 2. Buch: 430. Vgl. Pfeifer/Braun/Ginschel u. a. 1989/1993: 2. Bd.: 944. Vgl. Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.: Sp. 1179–1180, hier Sp. 1179. Kramer 1702: 2. Bd.: 161. Adelung 1777/1798: 3. Bd.: Sp. 585–586. Vgl. auch die Hinweise auf die Buchung durch Adelung in Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.:

2.1 Zur kommunikativen Lesart von ‚offen‘ und ‚Offenheit‘

49

genschaft, da man offen, d. i. frey, ohne Zurückhaltung und Verstellung ist“.22 ,Offenheit‘ ist folglich das substantivische Derivat von ,offen‘ speziell in der hier relevanten kommunikativen Lesart. Karl von Bahder und die anderen Bearbeiter der fünften Auflage von Friedrich Ludwig Karl Weigands „Deutschem Wörterbuch“ (1860/1910) geben Christoph Martin Wielands „Geschichte des Agathon“ (1766– 1767/1773) als ältesten Fundort von ,Offenheit‘ überhaupt, d. h. auch außerhalb von Wörterbüchern, an.23 Im Korpus dieser Studie sind noch frühere Belege zu finden: Der frühste stammt aus dem Jahr 1770, und zwar aus dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und seiner späteren Ehefrau Caroline Flachsland. Herder verwendet das Wort in einem Abschnitt seines Briefs vom 27. und 28.08.1770, in dem er seinen Abschied von Flachsland am Ende einer persönlichen Begegnung kommentiert: „Hätten Sie’s oder ich uns sollen träumen laßen, daß noch die letzte Viertheilstunde vor unsrer Trennung uns eine Offenheit der Seelen und ein Meer von Süßigkeiten schenken sollte, die uns überströmten, ohne zu wißen, wie?“24 Nichts in dieser Textstelle spricht gegen die Annahme, dass mit ,Offenheit‘ ein ,freies‘ Zeigen oder Mitteilen der ,Seelen‘ ohne ,Zurückhaltung‘ und ,Verstellung‘ gemeint ist. Stellt man erneut den Erfassungsverzug von Wörterbüchern in Rechnung, kann man davon ausgehen, dass das Substantiv ,Offenheit‘ spätestens in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts lexikalisiert wird. Es liegt nahe, die Wortbildung als Hinweis darauf zu deuten, dass ,offen‘ währenddessen häufig zur Bezeichnung der entsprechenden Kommunikationsweise verwendet wird, viel sprachliche Aufmerksamkeit erhält und eine Art diskursiver Konjunktur erlebt. Bei der Beantwortung der Fragen, wann und wie die fragliche Bedeutung von ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ entsteht, habe ich ausschließlich Quellen aus dem deutschen Sprachraum betrachtet. Die Einträge der konsultierten Wörterbücher liefern keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Entstehung ein Interferenzphänomen ist. Es lässt sich gleichwohl nicht ausschließen, dass es sich bei dieser semantischen Variante von ,offen‘

Sp. 1179, Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 1053, Weigand/Bahder/Hirt u. a. 1860/1910: 2. Bd.: Sp. 332. 22 Adelung 1777/1798: 3. Bd.: Sp. 585. Auffälligerweise enthält die erste Auflage des Wörterbuchs das Stichwort nicht. 23 Vgl. Weigand/Bahder/Hirt u. a. 1860/1910: 2. Bd.: Sp. 332. Im Eintrag „Offenheit“ belegen Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.: Sp. 1179 die Bedeutung „offenes [...] wesen und das auf diese art mitgetheilte“ ebenfalls mit Wieland. 24 Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 10–11, Hervorhebung J.S.

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

um eine Lehnbedeutung aus dem Lateinischen, Englischen oder einer anderen europäischen Sprache handelt. Analog dazu könnte ,Offenheit‘ eine Lehnübersetzung, Lehnübertragung oder Lehnschöpfung sein. Da das „Oxford English dictionary online“ für die Lesart „unreserved, frank, candid“ des Adjektivs „open“25 Belege angibt, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen,26 und die ältesten Zitate, mit denen dort die entsprechende Teilbedeutung des Substantivs „openness“27 belegt wird, aus dem frühen 17. Jahrhundert stammen,28 wäre es z. B. denkbar, dass deutschsprachige Gelehrte diese Bedeutung vom englischen ,open‘ auf das deutsche ,offen‘ übertragen und angeregt von der englischen ,openness‘ auch im Deutschen von ,Offenheit‘ zu sprechen beginnen. Wer hier Klarheit schaffen will, sieht sich mit einer gewissen Unverhältnismäßigkeit von Aufwand und Ergebnis konfrontiert, da nicht nur die Existenz und das Alter entsprechender Ausdrücke und Bedeutungen in verschiedenen anderen Sprachen zu überprüfen wären, sondern gegebenenfalls ebenso Beweise für den Entlehnungsprozess erbracht werden müssten. Welche Rolle Interferenz spielt, bleibt deshalb vorläufig ungeklärt.

Die Entwicklung der kommunikativen Lesart von ,offen‘ und ,Offenheit‘ vom 18. bis ins 21. Jahrhundert Um der Lesbarkeit willen gliedere ich den Untersuchungszeitraum in diesem Teil des Kapitels in vier zeitliche Phasen, die miteinander verglichen werden: in eine Phase bis 1811, eine Phase von 1811 bis 1900, eine von 1900 bis 1965 und schließlich von 1965 bis heute. Diese Einteilung reflektiert die zeitlichen Untersuchungsschwerpunkte der Arbeit, die auf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts29 und auf den letzten etwa 40 Jahren liegen. Als markanter Einschnitt, der die Zeitetappe da-

25 Die Beschreibung der Lesart lautet ausführlich: „Of a person: not given to concealing thoughts or feelings; free in conversation; unreserved, frank, candid. Of a person’s appearance, manner, etc.: revealing or suggesting such candour“ (Simpson (Hrsg.) 2000/2008: Eintrag „open, adj.“). 26 Vgl. Simpson (Hrsg.) 2000/2008: Eintrag „open, adj.“. 27 Die Teilbedeutung wird als „[a]bsence of dissimulation, secrecy, or reserve; frankness, candour, sincerity“ erläutert (Simpson (Hrsg.) 2000/2008: Eintrag „openness, n.“). 28 Vgl. Simpson (Hrsg.) 2000/2008: Eintrag „openness, n.“. 29 Ich schließe das „Wörterbuch der Deutschen Sprache“, das von 1807 bis 1811 erscheint, in die erste Phase ein, weshalb sich 1811 als Grenze zwischen der ersten und zweiten Zeitphase ergibt (vgl. Campe (Hrsg.) 1807–1811).

2.1 Zur kommunikativen Lesart von ‚offen‘ und ‚Offenheit‘

51

zwischen in zwei nicht ganz ungleiche Hälften teilt, bietet sich die Jahrhundertwende an. Traugott Gotthold Voigtel folgt in der Formulierung der fokussierten kommunikationsbezogenen Bedeutung von ,offen‘ Johann Christoph Adelung (1777/1798) stark. Er beschreibt sie in seinem Wörterbuch von 1798 als „frey, unverstellt, nicht zurück haltend“.30 Im „Wörterbuch der Deutschen Sprache“ (1809) wird die entsprechende Bedeutung dagegen deutlich eigenständig erläutert. Zwar liest man auch in diesem Artikel „ohne Verstellung und Zurückhaltung“, hinzu kommen aber weitere Angaben: ,Offen‘ ist, „in dessen Inneres man, uneigentlich verstanden, leicht eindringen kann“, „welches nach seiner innern und wahren Beschaffenheit leicht erkannt werden kann“, „worin man die Gesinnung, Empfindung erkennen“ oder woraus „man auf die Gesinnung, Empfindung richtig schließen kann“, was „nicht [...] verschlossen“ ist, „seine Empfindungen etc. nicht verheimlichet“, „in welches man gleichsam blicken kann“, was „deutlich und ohne Mühe erkannt, durchschauet werden kann“ oder „der wirklichen natürlichen Empfindung gemäß“, „naiv“31 ist. Sofern ,Offenheit‘ in den genannten drei Wörterbüchern überhaupt verzeichnet wird, sind die Bedeutungsangaben zu diesem Stichwort so stark an diejenigen zu ,offen‘ angelehnt, dass jene zu diesen keine nennenswerten Ergänzungen bieten.32 Theodor Heinsius’ Paraphrase der betrachteten kommunikativen Lesart von ,offen‘ (1820) fällt bereits in die zweite Untersuchungsphase, in den Zeitraum von 1811 bis 1900: ,Offen‘ ist gemäß Heinsius, „was nach seiner innern und wahren Beschaffenheit leicht erkannt werden kann, gleichsam offen da liegt“, „worin man die Gesinnung, Empfindung erkennen kann“, was „seine Empfindung etc. nicht verheimlicht“, „deutlich und [...] ohne Mühe erkannt, durchschaut werden [kann]“, „ohne Verstellung und Zurückhaltung, der wirklichen natürlichen Empfindung gemäß“33 ist. Damit kopiert er einen Teil der semantischen Angabe des „Wörterbuchs der Deutschen Sprache“ (1809), ohne ihm Weiteres hinzuzufügen. ,Offenheit‘ bucht er nicht eigens. Auch Daniel Sanders’ semantische Erörterungen (1863/1876) überschneiden sich mit denen seiner lexikographischen Vorgänger. Sanders ergänzt Heinsius gegenüber „ohne Hinterhalt“, „sich, wie man ist, gebend und zeigend“, „o-[ffen] herzig,

30 [Voigtel] 1798: 452. 31 Campe (Hrsg.) 1809: 3. Bd.: 547–548, hier 548. 32 Vgl. Adelung 1777/1798: 3. Bd.: Sp. 585, Campe (Hrsg.) 1809: 3. Bd.: 549. 33 Heinsius 1820: 3. Bd.: 725–727, hier 726.

52

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

aufrichtig“, „nicht verhehlend“, „als Spiegel des Innern“.34 ,Offenheit‘ erklärt Sanders allein mit dem Hinweis auf ,offen‘ in figürlicher Bedeutung.35 Friedrich Ludwig Karl Weigands semantische Informationen zum Lemma ,offen‘ beschränken sich auf die wörtliche Lesart, und das Stichwort ,Offenheit‘ ist in seinem Wörterbuch (1860/1882) gar nicht enthalten.36 1889 erscheint schließlich der Band des Grimm’schen „Deutschen Wörterbuchs“, der den Buchstaben ,O‘ abdeckt: Unter Beibehaltung zahlreicher Lexeme aus Heinsius’ und Sanders’ Bedeutungsangaben wird die entscheidende Lesart des Adjektivs ,offen‘ auch als „unverhüllt, klar“ erklärt sowie mit „ohne falschheit“, „ehrlich“,37 „zur einsicht [...] oder zum mittheilen und vertrauen geöffnet“38 umschrieben. Die Angaben zum Adverb ,offen‘ wie zum Substantiv ,Offenheit‘ liefern im Anschluss daran nichts Neues mehr.39 Moriz Heyne (1892) findet für die betreffende kommunikationsbezogene Bedeutung des Adjektivs ,offen‘ noch zusätzliche Paraphrasen, nämlich „ohne Hinterlist oder Verstecktes“, „nicht versteckt oder listig“.40 Mit Hermann Paul sei die Liste der Wörterbücher aus diesem Zeitraum geschlossen: Er definiert ,offen‘ 1897 unter anderem als „sich der Beobachtung nicht verschließend“.41 Sowohl Heynes als auch Pauls Umschreibungen von ,Offenheit‘ bieten keine zu zitierenden Erweiterungen.42 Im Zeitraum von 1900 bis 1965 nennen Karl von Bahder und die anderen Überarbeiter der fünften Auflage von Friedrich Ludwig Karl Weigands „Deutschem Wörterbuch“ (1860/1910) für ,offen‘ nur eine einzige übertragene Bedeutung, nämlich „aufrichtig“.43 ,Offenheit‘ hat bei ihnen dementsprechend die alleinige Bedeutung „Aufrichtigkeit“.44 Aus Richard Pekruns lexikographischem Eintrag zum Adjektiv von 1933 geht die Angabe „unverstellt, ehrlich“45 hervor. Die Wortverbindungen „freimütiges Wesen“ und „freimütige Äußerung“46 repräsentieren nach

34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46

Sanders 1863/1876: 2. Bd.: 1. H.: 465–466, hier 465. Vgl. Sanders 1863/1876: 2. Bd.: 1. H.: 466. Vgl. Weigand 1860/1882: 2. Bd.: 264–265, hier 264. Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.: Sp. 1163–1171, hier Sp. 1165. Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.: Sp. 1169. Vgl. Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.: Sp. 1171–1172, 1179. Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 1050–1052, hier Sp. 1052. Paul 1897: 334. Vgl. Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 1053, Paul 1897: 334. Weigand/Bahder/Hirt u. a. 1860/1910: 2. Bd.: Sp. 331. Weigand/Bahder/Hirt u. a. 1860/1910: 2. Bd.: Sp. 332. Pekrun 1933: 699. Pekrun 1933: 699–700, hier 700.

2.1 Zur kommunikativen Lesart von ‚offen‘ und ‚Offenheit‘

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Pekrun die Semantik des Substantivs ,Offenheit‘. Die von Karl Euling aktualisierte vierte Auflage des „Deutschen Wörterbuchs“ von Hermann Paul erklärt die entsprechende Bedeutung von ,offen‘ 1935 mit den Worten „sich der Beobachtung nicht verschließend“, „offenherzig“;47 davon ist bereits in der ersten Auflage die Rede gewesen. Im Wörterbuch Lutz Mackensens (1952/1953) taucht „ungeschminkt“48 als weiteres (Teil)Synonym zu ,offen‘ in der hier interessierenden Lesart auf. Den Erläuterungen von ,Offenheit‘ in den letztgenannten beiden Wörterbüchern lässt sich nichts Neuartiges exzerpieren.49 Auch „Trübners Deutsches Wörterbuch“ führt 1954 lediglich Lexeme und Mitglieder von Wortfamilien auf, die für diesen Zeitabschnitt bereits erwähnt wurden.50 Gerhard Wahrig, Autor eines der Wörterbücher, die über die Phase von 1965 bis heute Aufschluss geben, beschreibt die Kommunikationsweise, die mit ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ bezeichnet werden kann und hier im Mittelpunkt steht, 1966 als „aufrichtig, ehrlich, freimütig“, „unverhüllt“ und „ohne Umschweife“.51 Unter dem Substantiv ,Offenheit‘ listet er außerdem „Rückhaltlosigkeit“52 als gleichbedeutendes Wort auf. Das „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ (1974) deckt sich in seinen Angaben zu dieser Bedeutungsvariante von ,offen‘ teilweise mit Wahrig, erweitert die Reihe von Lexemen aber um „ohne Scheu, geradeheraus, unumwunden“ sowie „unverhohlen“.53 Im „Brockhaus Wahrig“ (1982) vervollständigen die Bedeutungsangaben unter ,offen‘ die genannten Umschreibungen mit „nicht heimlich“ und „offensichtlich“,54 unter ,Offenheit‘ darüber hinaus mit „unverstellt“.55 Der „Duden. Deutsches Universalwörterbuch“ (1983 und 1983/2007) wie auch der „Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“ (1980/1999) bieten des Weiteren „nichts verbergend“ sowie „klar u.[nd] deutlich zutage tretend u.[nd] so für jeden erkennbar“ sowie „vertrauenerweckend“56 als lexikographische Definitionen an. Helmut Henne und seine Kollegen notieren

47 48 49 50 51 52 53 54 55 56

Paul/Euling 1897/1935: 388. Mackensen 1952/1953: 557. Vgl. Paul/Euling 1897/1935: 388, Mackensen 1952/1953: 557. Vgl. Götze/Mitzka (Hrsg.) 1954: 5. Bd.: 18. Wahrig 1966: Sp. 2616. Wahrig 1966: Sp. 2617. Klappenbach/Steinitz (Hrsg.) 1974: 4. Bd.: 2691–2692, hier 2692. Wahrig/Krämer/Zimmermann (Hrsg.) 1982: 4. Bd.: 893–894, hier 893. Wahrig/Krämer/Zimmermann (Hrsg.) 1982: 4. Bd.: 894. Drosdowski (Hrsg.) 1983: 903, Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1980/1999: 6. Bd.: 2784–2785, hier 2785, Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1983/2007: 1228.

54

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in der Überarbeitung des „Deutschen Wörterbuchs“ von Hermann Paul (1897/2002) neben bereits Referiertem noch „umgänglich“.57 Das „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“, die drei Duden-Wörterbücher und die Lexikographen um Henne fügen den genannten (partiellen) Synonymen unter dem Stichwort ,Offenheit‘ keine weiteren hinzu.58 Für Otto Back und seine Mitautoren (1951/2006) gilt dies sowohl mit Blick auf den Eintrag zu ,offen‘ als auch zu ,Offenheit‘.59 Der Vergleich der ausgewerteten Wörterbucheinträge, der hier ausführlich dargestellt wurde, zeigt zweierlei: Erstens bleibt die untersuchte auf Kommunikation bezogene Bedeutung von ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ innerhalb der vier unterschiedenen Zeitetappen jeweils weitgehend stabil, da die lexikographischen Definitionen der Wörterbuchartikel sich stark überschneiden. Diese Bedeutung verändert sich aber gemäß den Wörterbüchern ebenso insgesamt zwischen dem 18. Jahrhundert und der Gegenwart nur wenig. Zwar variiert der Wortlaut der semantischen Angaben, auch wird für die Bedeutung, um die es hier geht, teilweise mehr als eine Lesart angesetzt, doch geben diese Detailunterschiede in der diachronen Übersicht keinen größeren semantisch-begrifflichen Wandel zu erkennen. Anhand der Veränderungen der semantischen Angaben lässt sich nur eine nennenswerte Verschiebung ausmachen: ,Offen‘ bzw. ,Offenheit‘ bezeichnet zunächst eine Kommunikationsweise, bei der primär persönliche Gedanken und Gefühle zum Ausdruck gebracht werden. Ursprünglich betreffen ,offene‘ Mitteilungen grundsätzlich GeistigSeelisches – ,Gedanken‘, ,Gesinnungen‘, ,Empfindungen‘ oder überhaupt ,Inneres‘, wie es die Lexikographen des 18. und teilweise noch des 19. Jahrhunderts nennen. Grund dafür dürfte die geschilderte Entstehung der betreffenden Bedeutung aus der Kollokation ,mit offenem Herzen‘ sein, in der ,Herz‘ als Gefäß von Gedanken und Gefühlen zu verstehen ist. Der Rückgang entsprechend beschränkender Angaben sowie die Abnahme von räumlichen Metaphern in den Wörterbuchartikeln des 19. Jahrhunderts machen sinnfällig, dass sich im Lauf dieses Jahrhunderts die Bindung von ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ an die Fügung ,mit offenem Herzen‘ und damit an subjektive Reflexionen wie auch Emotionen lockert und dass ,Offenheit‘ spätestens seit Anfang des 20. Jahrhunderts 57 58

59

Paul/Henne/Kämper u. a. 1897/2002: 721. Vgl. Klappenbach/Steinitz (Hrsg.) 1974: 4. Bd.: 2693, Drosdowski (Hrsg.) 1983: 903, Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1980/1999: 6. Bd.: 2786, Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1983/2007: 1229, Paul/Henne/Kämper u. a. 1897/2002: 721. Vgl. Back/Fussy/Steiner u. a. 1951/2006: 473–474.

2.1 Zur kommunikativen Lesart von ‚offen‘ und ‚Offenheit‘

55

regulär ebenfalls eine Eigenschaft von Äußerungen ist, die nichts über persönliche Gedanken oder Gefühle aussagen. Zweitens lassen sich aus den Beschreibungen der verfolgten Bedeutung von ,offen‘ und ,Offenheit‘ wesentliche Komponenten jener erschließen. Vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart zirkulieren die semantischen Angaben um dieselben drei Aspekte: Formulierungen wie ,nicht zurückhaltend‘, ,nicht ... verschlossen‘, ,sich ... nicht verschließend‘ oder ,nichts verbergend‘ heben darauf ab, dass Offenheit mit der Preisgabe von Informationen einhergeht. Erläuterungen wie ,der wirklichen ... Empfindung gemäß‘, ,sich, wie man ist, gebend und zeigend‘, ,ohne Falschheit‘ oder ,ehrlich‘ deuten darauf hin, dass Offenheit etwas mit Wahrhaftigkeit oder Ehrlichkeit zu tun hat. Durch Angaben wie ,welches ... leicht erkannt werden kann‘, ,unverhüllt‘, ,klar‘, ,ungeschminkt‘ oder ,unverhohlen‘ wird Offenheit in die Nähe von Transparenz oder Deutlichkeit gerückt. Auf diese drei semantischen bzw. begrifflichen Kernkomponenten, die sich in den Wörterbuchartikeln abzeichnen, geht das folgende, begriffsgeschichtliche Kapitel ausführlicher ein. ,Offen‘ und ,Offenheit‘ haben in der Gegenwart neben der untersuchten unter anderem die Bedeutung ,aufgeschlossen‘ resp. ,Aufgeschlossenheit‘. Zum Abschluss des Kapitelteils soll die Entwicklung dieser beiden Lesarten in Bezug zueinander gesetzt werden, denn man könnte vermuten, dass es sich bei Letzterer um eine Art rezeptives Gegenstück zu Ersterer handelt – während ,offen‘ im Sinne von ,offenherzig‘, ,freimütig‘ ein Prinzip der kommunikativen Produktion bezeichnet (eine Weise, wie jemand etwas mitteilt), scheint es sich bei ,offen‘ verstanden als ,aufgeschlossen‘ um ein Prinzip der kommunikativen Rezeption zu handeln (um eine Art, wie jemand etwas Mitgeteiltes aufnimmt). Des Weiteren drängt sich die Annahme auf, dass sich diese zwei Lesarten historisch parallel entwickelt haben. Doch lässt sich keine dieser beiden Hypothesen verifizieren. Zum einen ist ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ in der Bedeutung von ,aufgeschlossen‘ bzw. ,Aufgeschlossenheit‘ kein Prinzip, das auf die Rezeption von Kommuniziertem – von zeichenhaften Äußerungen in sozialer Interaktion – beschränkt ist, sondern eine Art der Aufnahme von und des Umgangs mit Weltelementen allgemein: Der „Duden. Deutsches Universalwörterbuch“ (1983/2007) erklärt dieses ,offen‘ als „bestimmten Dingen gegenüber aufgeschlossen, zugänglich [...], gegenüber j[e]m[an]d[e]m. aufgeschlossen“,60 diese ,Offenheit‘ als

60 Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1983/2007: 1228.

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

„Aufgeschlossenheit“, „Bereitschaft, sich mit j[e]m[an]d[e]m., etw.[as] unvoreingenommen auseinanderzusetzen“.61 Die semantischen Angaben zeigen, dass sich ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ in dieser Bedeutung auf alle möglichen Gegenstände, Personen, Sachverhalte usw. beziehen kann. Zum anderen bildet sich diese Lesart – sowohl die des Adjektivs als auch die des Substantivs – deutlich später als diejenige heraus, der sich das vorliegende Kapitel widmet. Sie entwickelt sich aus der Kollokation ,offener Kopf‘: Schon Johann Christoph Adelung (1777/1798) führt diese Wortverbindung auf und erläutert sie als „Kopf, der etwas geschwinde und deutlich begreift“, „[i]ngleichen eine Person“,62 die einen solchen Kopf hat. Im „Wörterbuch der Deutschen Sprache“ ist 1809 bereits die Rede davon, einen „offenen Kopf für etwas [zu] haben“,63 und im Grimm’schen „Deutschen Wörterbuch“ (1889) wird die Lesart, bei der ,offen‘ als Attribut zu ,Kopf‘ in den Belegen auftaucht, schließlich als „zur aufnahme geöffnet, zugänglich oder empfänglich (leicht fassend)“64 erklärt. „[A]ufgeschlossen“65 verzeichnet nach meinem Korpus erst das „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ (1974) als mögliche Bedeutung von ,offen‘ und illustriert diese mit „ein o.[ffener] Kopf, Sinn“.66 Der „Brockhaus Wahrig“ (1982) ist hingegen das erste Wörterbuch der hier untersuchten Selektion, das unter dem Lemma ,Offenheit‘ „offenes [...] Wesen, Aufgeschlossenheit“67 notiert. Einen Vorläufer davon, der allerdings einzigartig bleibt, bildet die semantische Angabe Moriz Heynes zu ,Offenheit‘ (1892), nämlich „das Offensein [...]; zumal nach offen 3“.68 Die Beschreibung dieser dritten Lesart von ,offen‘ lautet unter anderem „Eindrücken leicht zugänglich“.69

61 62 63 64 65 66 67 68 69

Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1983/2007: 1229. Adelung 1777/1798: 3. Bd.: Sp. 582–584, hier Sp. 583. Campe (Hrsg.) 1809: 3. Bd.: 547–548, hier 548, Hervorhebung J.S. Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.: Sp. 1163–1171, hier Sp. 1168. Klappenbach/Steinitz (Hrsg.) 1974: 4. Bd.: Sp. 2691–2692. Klappenbach/Steinitz (Hrsg.) 1974: 4. Bd.: Sp. 2692. Wahrig/Krämer/Zimmermann (Hrsg.) 1982: 4. Bd.: 894. Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 1053. Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 1050–1052, hier Sp. 1052.

2.1 Zur kommunikativen Lesart von ‚offen‘ und ‚Offenheit‘

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Das Verhältnis zwischen der kommunikativen Lesart von ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ und den ähnlichsten Bedeutungen anderer Ausdrücke In den soeben vorgestellten semantischen Angaben, die man unter den Lemmata ,offen‘ und ,Offenheit‘ in Wörterbüchern findet, sind einige Lexeme wiederholt anzutreffen. Die entsprechenden Ausdrücke stehen im Verdacht, zu ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ in der hier interessierenden Lesart weitestgehend synonym zu sein und folglich dasselbe Kommunikationsprinzip zu bezeichnen. Überprüft man auch ihr semantisches Spektrum mithilfe von Wörterbucheinträgen, erweisen sich die Ausdrücke ,offenherzig‘ und ,freimütig‘ vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart als annähernd gleichbedeutend zu ,offen‘. Dasselbe gilt für ,frei‘ und ,aufrichtig‘, für sie allerdings nur in einem Teil des Untersuchungszeitraums.70 Die Lehre von der Inexistenz (oder zumindest der außerordentlichen Rarität) vollkommener Synonymie bestätigend, unterscheiden sich die Bedeutungen dieser Ausdrücke trotz ihrer großen Ähnlichkeit in Nuancen. Im Zusammenhang mit der These, dass ,offen‘ nicht nur ausgehend von der syntaktischen Fügung ,mit offenem Herzen‘, sondern zugleich durch eine Kürzung von ,offenherzig‘ eine übertragene Bedeutung erhält, wurde bereits ersichtlich, dass diese derjenigen von ,offenherzig‘ im 18. Jahrhundert stark entspricht. Dass diese Synonymie auch am Ende des 19. Jahrhunderts noch besteht, zeigt sich z. B. in Jacob und Wilhelm Grimms „Deutschem Wörterbuch“. 1889 wird dort unter ,offenherzig‘ vermerkt: „offnen herzens (s.[iehe] offen 3, b, ȕ. Ȗ)“.71 Die Teilbedeutung 3, b, ȕ. Ȗ von ,offen‘ lautet: „zur einsicht und zum erkennen oder zum mittheilen und vertrauen geöffnet, aufrichtig, offenherzig“.72 Ähnlich erklärt der „Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“ (1980/1999) gut hundert Jahre später die Semantik von ,offenherzig‘: „zu freimütiger Äußerung der eigenen Meinung bereit“, „unverhohlen innerste Gedanken mitteilend“.73 ,Offen‘ und ,offenherzig‘ bezeichnen folglich vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart dasselbe Kommunikationsprinzip. Innerhalb dieser Zeit profiliert sich allerdings ein geringfügiger Bedeutungsunterschied: Im 18. und noch in Teilen des 19. Jahrhunderts 70 71 72 73

Der Einfachheit halber nenne ich in diesem Teilkapitel nur adjektivische Ausdrücke. Die Aussagen über sie treffen jedoch auch auf ihre substantivischen Ableitungen zu – auf ,Offenheit‘, ,Offenherzigkeit‘, ,Freimütigkeit‘, ‚Freiheit‘ und ,Aufrichtigkeit‘. Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.: Sp. 1179. Grimm/Grimm 1889: 7. Bd.: Sp. 1163–1171, hier Sp. 1169. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1980/1999: 6. Bd.: 2786.

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

bezieht sich ,offenherzig‘ ganz und ,offen‘ in erster Linie auf die Mitteilung persönlicher Gedanken und Gefühle – auf das im ,Herzen‘ des kommunizierenden Individuums Aufbewahrte. Anders als bei ,offen‘ bleibt die enge Bindung an geistig-seelische Inhalte bei ,offenherzig‘ bestehen: ,Offenherzig‘ kommuniziert noch am Ende des 20. Jahrhunderts nur, wer die ,eigene Meinung‘ oder ,innerste Gedanken‘ auf eine bestimmte Weise zu erkennen gibt. Zu einem ähnlichen Ergebnis führt der semantische Vergleich von ,freimütig‘ und ,offen‘. Unter „Freymüthig“ ist nach Johann Christoph Adelung (1775/1796) Folgendes zu verstehen: frey von dem Zwange im Reden, welchen uns die Furcht oder das Ansehen anderer aufleget, doch nur so fern dadurch eine nöthige oder nützliche Wahrheit bekannt wird; gewohnt, sich durch das Ansehen anderer von dem Bekenntnisse einer nützlichen Wahrheit nicht abhalten zu lassen, und in dieser Eigenschaft gegründet74.

Insofern ,Freimütigkeit‘ nach Adelung die Preisgabe einer wahren – oder zumindest vom Sprecher bzw. Schreiber für wahr gehaltenen – Information beinhaltet, ähnelt die Bedeutung von ,freimütig‘ der beschriebenen kommunikativen Bedeutung von ,offen‘ stark.75 Dementsprechend wird jene im Grimm’schen „Deutschen Wörterbuch“ (1878) für die „jüngere sprache“ mit „ingenuus, offen, frei“76 umrissen. Aktuelle Wörterbücher, etwa der „Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“ (1976/1999), bestätigen die ausgeprägte semantische Nähe von ,freimütig‘ zu ,offen‘: ,Freimütig‘ bedeute so viel wie „ohne Ängste u.[nd] falsche Rücksicht seine Meinung bekennend, offen“.77 Obwohl sich offensichtlich beide Ausdrücke im gesamten Untersuchungszeitraum auf dasselbe Kommunikationsprinzip beziehen, rückt der Ausdruck ,freimütig‘ dabei gegenüber ,offen‘ einen bestimmten semantisch-begrifflichen Aspekt in den Vordergrund: die ungehemmte, furchtlose Preisgabe einer Information.

74 75

76 77

Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 299–300, hier Sp. 299. Dass Adelung betont, es müsse sich um eine ,nötige‘ oder ,nützliche‘ Information handeln, lässt sich mit seinem Bemühen darum erklären, die Bedeutung von ,freimütig‘ hinreichend von der Semantik von ,grob‘ zu unterscheiden. Dass Adelung verhindern will, dass seine Leser diese Adjektive für synonym halten, geht aus seinen weiteren Ausführungen hervor: „Wenn einige freymüthig für grob und Freymüthigkeit für Grobheit gebrauchen, so ist solches ein Mißbrauch“ (Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 300). Zum Verhältnis von Offenheit und Grobheit im 18. Jahrhundert vgl. Kapitel 3.4. Grimm/Grimm 1878: 4. Bd.: Sp. 118. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 3. Bd.: 1310.

2.1 Zur kommunikativen Lesart von ‚offen‘ und ‚Offenheit‘

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„Frey von Furcht, von Sorgen, von einem bösen Gewissen u.s.f. offenherzig, freymüthig“, erklärt Johann Christoph Adelung (1775/1796) eine semantische Variante des Wortes „Frey“,78 die demnach ebenfalls weitgehend mit der untersuchten Lesart von ,offen‘ übereinstimmt. Diese Bedeutungsähnlichkeit ist auch im späteren 19. Jahrhundert feststellbar. So wird im „Deutschen Wörterbuch“ (1878) die erste Bedeutung des Adverbs ,frei‘ mit „offen, zwanglos, ungehemmt, ohne rückhalt“79 wiedergegeben. Noch das „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ verzeichnet 1967 unter ,frei‘ die Bedeutung „ungehemmt, gelöst, unbefangen“, „ohne Scheu, geradeheraus, unumwunden“, „ohne lange zu überlegen, ganz offen“.80 In jüngeren Wörterbüchern wie dem „Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“ (1976/1999) lässt sich dagegen keine vergleichbare Bedeutungsangabe mehr finden. Die semantisch ähnlichsten Angaben lauten „nicht an [moralische] Normen gebunden, von [sittlichen] Vorurteilen unabhängig: hier herrscht ein [frei]-er (natürlicher, nicht konventioneller) Ton“ sowie „nicht behindert, nicht beeinträchtigt: [...] [frei]-e Meinungsäußerung“.81 Demzufolge benennen ,frei‘ und ,offen‘ vom 18. bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein dieselbe Art der Kommunikation. Im Vergleich zu ,offen‘ betont der Ausdruck ,frei‘ allerdings – ähnlich wie ,freimütig‘ – das UngehemmtZwanglose dieser Kommunikationsweise. Von einem weiteren Ausdruck lässt sich behaupten, dass er zumindest phasenweise nahezu synonym zu ,offen‘ im hier diskutierten Sinn ist. Der bereits vielfach zitierte Johann Christoph Adelung (1774/1793) notiert unter ,aufrichtig‘ „der innern Gemüthsfassung völlig gemäß, ohne Verstellung“.82 Nach dieser Beschreibung zu urteilen, bedeutet ,aufrichtig‘ eher ,ehrlich‘ als ,offen‘, ,offenherzig‘ bzw. ,freimütig‘, worauf Adelung eigens aufmerksam macht: „Aufrichtig und offenherzig sind nicht einerley. Die Offenherzigkeit schließt alle Zurückhaltung aus, die Aufrichtigkeit nicht. Ein Offenherziger sagt alles was er denkt; der Aufrichtige redet allemahl so, wie er denkt, ohne eben alles zu sagen, was er denkt“.83 Dass Adelung so dezidiert auf die semantische Differenz hinweist, die seiner Ansicht nach zwischen ,aufrichtig‘ und ,offenherzig‘ besteht, legt freilich die Annahme nahe, dass seine Zeitgenossen 78 79 80 81 82 83

Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 288–291, hier Sp. 291. Grimm/Grimm 1878: 4. Bd.: Sp. 99–100, hier Sp. 99. Klappenbach/Steinitz (Hrsg.) 1967: 2. Bd.: 1370–1372, hier 1371. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 3. Bd.: 1306. Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 519–520, hier Sp. 519. Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 520.

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

diesen Bedeutungsunterschied bei der Verwendung der Ausdrücke mit Vorliebe missachten. Ein Blick in das etwa gleich alte Wörterbuch Traugott Gotthold Voigtels (1798) bestätigt die Vermutung: Eine Lesart von ,aufrichtig‘ wird dort mit den Wörtern „ohne Verstellung, ohne Zurückhaltung“84 umschrieben. Ebenso führen Jacob und Wilhelm Grimm 1854 im „Deutschen Wörterbuch“ unter dem Stichwort ,aufrichtig‘ „gerade, offenherzig“85 auf. Doch geben die meisten Wörterbücher des 20. Jahrhunderts nur noch ,ehrlich‘ und nicht mehr ,offen‘ als Bedeutung von ,aufrichtig‘ an: Z. B. erklärt das „Wörterbuch der deutschen Gegenwartssprache“ (1964) ,aufrichtig‘ allein als „ehrlich, ohne Falsch“,86 und der „Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“ (1976/1999) paraphrasiert ,aufrichtig‘ mit „dem innersten Gefühl, der eigenen Überzeugung ohne Verstellung Ausdruck gebend“.87 Im Gegensatz dazu hält der „Brockhaus Wahrig“ 1980 daran fest, dass ,aufrichtig‘ nicht nur „ehrlich, ohne Falsch“, sondern auch „offen“88 bedeute. Die Lexikographen sind sich somit vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart nicht einig darüber, ob die Nutzer ihrer Werke unter ,aufrichtig‘ und ,offen‘ dasselbe Kommunikationsprinzip verstehen sollen. Die Durchsicht vieler Wörterbucheinträge ergibt, dass die Lexikographen des 18. und 19. Jahrhunderts diese Frage tendenziell bejahen, dass die des 20. und frühen 21. Jahrhunderts sie hingegen eher verneinen. In jedem Fall hebt ,aufrichtig‘ in der umstrittenen Bedeutung stärker als ,offen‘ auf die semantisch-begriffliche Komponente der Ehrlichkeit ab. Man sieht, dass mit den Ausdrücken ,offenherzig‘, ,freimütig‘, ,frei‘ und ,aufrichtig‘ über weite zeitliche Strecken ,offen‘ gemeint sein kann. Jedoch wird mit ,offenherzig‘ semantisch das geistig-seelisch Persönliche, mit ,freimütig‘ sowie ,frei‘ das Unerschrockene und mit ,aufrichtig‘ das Wahrhaftige an Offenheit hervorgehoben. Die Ausdrücke fassen dasselbe Konzept, die Wörter binden denselben Begriff – aber sie ergreifen ihn an unterschiedlichen Punkten.

84 85 86 87 88

[Voigtel] 1798: 55. Grimm/Grimm 1854: 1. Bd.: Sp. 711. Klappenbach/Steinitz (Hrsg.) 1964: 1. Bd.: 270. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 1. Bd.: 343–344. Wahrig/Krämer/Zimmermann (Hrsg.) 1980: 1. Bd.: 378.

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

61

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs Der Vergleich der Wörterbucheinträge im vorigen Kapitel deutet darauf hin, dass der Offenheitsbegriff im gesamten betrachteten Zeitraum um drei Fixpunkte rotiert: den der Preisgabe von Informationen, den der Wahrhaftigkeit und den der Transparenz. Mithilfe von Äußerungen über Offenheit, die nicht aus Wörterbüchern, sondern aus Texten anderer Textklassen stammen, lässt sich die Frage beantworten, ob die genannten drei Komponenten tatsächlich die ganze Zeit konstitutiv für das Konzept der Offenheit sind. Zugleich lassen sich diese begrifflichen Aspekte anhand solcher Äußerungen näher bestimmen. Auch kann mit ihnen überprüft werden, ob das Konzept der Offenheit im gesamten Untersuchungszeitraum oder in einer Phase dessen weitere Kernkomponenten umfasst. So wird der Offenheitsbegriff der historischen Akteure im ersten Teil dieses Kapitels genauer erfasst und beschrieben.89 Der zweite Abschnitt setzt es sich zum Ziel, diesen Ethnobegriff linguistisch zu präzisieren und ihn anschließend mit existierenden linguistischen Auffassungen von Offenheit zu vergleichen.

Offenheit als Ethnobegriff 1. Sieht man eine Vielzahl von Textstellen durch, in denen das Kommunikationsprinzip der Offenheit unter Ausdrücken wie ,Offenheit‘, ,Offenherzigkeit‘ oder ,Freimütigkeit‘ thematisiert wird, bestätigt sich, dass Offenheit vom 18. bis ins frühe 21. Jahrhundert mit der Preisgabe von Informationen verbunden ist. Da sich dieses Ergebnis bei der Länge des betrachteten Zeitraumes nur mit einer größeren Anzahl beispielhafter Textausschnitte glaubhaft machen lässt und seine Plausibilisierung für den Fortgang der Argumentation entscheidend ist, werden im Folgenden 20 Belege in chronologischer Ordnung tabellarisch wiedergegeben. Sie decken nicht nur alle untersuchten Jahrhunderte ab, sondern stammen auch aus verschiedenen Textsorten und stehen zudem in unterschiedlichen thematischen Kontexten, damit textsorten- und themenbedingte begriffliche Verzerrungen ausgeschlossen werden können. Die Ausdrücke, die im jeweiligen Beleg die Referenz auf Offenheit erkennen lassen, 89

Dabei setze ich voraus, dass das Konzept der einzelnen Kommunizierenden von der dargestellten durchschnittlichen Ausprägung abweichen kann und seine Komponenten diesen in der Regel unbewusst bleiben.

62

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

sind fett gedruckt. Die Formulierungen, die darauf hinweisen, dass der Begriff der Offenheit die Mitteilung bestimmter Informationen umfasst, wurden unterstrichen. Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Preisgabe von Informationen

Aus einem Stück einer moralischen Wochenschrift: „Ein Geselliger ist demnach bereit, jederman seine Meinung zu sagen, so ofte es die wahre Liebe erfodert. Hieraus entstehet nun die vortrefliche Tugend der Offenherzigheit“ (F. 1750: 82). Aus einem Stück einer moralischen Wochenschrift: „Aufrichtig oder Offenherzig heist derjenige, der allen Leuten ohne Unterschied saget, wie viel und wo er schuldig, wie viel er Mädgens die Ehe versprochen, und was er sonst in seinem Leben Böses gestiftet habe, oder noch zu stiften gesinnet sey“ ([Anonym.] 1751e: 388). Aus dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Caroline Flachsland (Brief Herders vom 08. bis 10.10.1770): „[W]ollen Sie mir [...] Eine Bitte [...] erlauben? Laßet Uns offen seyn! [...] Wollen wir nicht lieber offen seyn und uns unsre Herzen ausschütten ohne Schminke und Rückhalt, wie sie sind. Wenn wir an einander schreiben [...] immer daran glauben, daß es dieselbe Seele seyn könne, die sich in diesem Augenblicke so und nicht anders zeigen muste, um keine Maske vorzunehmen. Und wenn wir was gegen einander haben [...], so wollen wirs uns einander so offen, als uns selbst sagen!“ (Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 85–86). Aus einer Verhaltenslehre: „[T]hust du, nicht bloß aus Gewissenhaftigkeit, sondern auch aus wahrer Klugheit, Verzicht auf alle die kleinen und unredlichen Verstellungskünste und weiblichen Schelmereien, womit so Manche ihren ehelichen Freund zu täuschen und zu hintergehn sich erlaubt; stehst du vielmehr zu jeder Zeit, mit allen deinen Gedanken, Empfindungen und Handlungen offen vor ihm da, und suchst ihm nichts zu verheimlichen, nichts zu verdrehen, nichts abzulisten [...]: dann, mein liebes Kind, kann und wird der abhängige Zustand, wozu du gebohren bist, nie drückend für dich werden können“ (Campe 1789: 248–249). Aus einer Umgangslehre: „Besser wäre es, man hätte überhaupt keine Geheimnisse in der Welt, könnte immer frei und offen handeln, und alles, was im Herzen vorgeht, vor jedermann sehn lassen“ (Knigge 1788/1790/1977: 114).

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

63

Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Preisgabe von Informationen

Aus einem Anstandsbuch: „Es giebt Menschen, welche die von andern ihnen anvertrauten Geheimnisse sehr gut verschweigen, auch über das Geschäftsleben nicht ein Wort reden, wo es nicht hin gehört, und doch von sich selbst nicht schweigen können; die ihre kleinen Mängel, Schwächen und Thorheiten selbst verkünden, und die Posaunen des Uebelstandes in ihrem Hauswesen sind. Diese gutmüthige Offenherzigkeit sollte eigentlich Vertraun zu solchen Leuten erwecken, denn sie sind ohne Falsch, sie geben sich, wie sie sind“ (Nicolai 1816/1818: 119). Aus einem Briefsteller: „Leere Entschuldigungen und erdichtete Rechtfertigungen sind weit schlimmer, als offenes Geständniß und Abbitte des angethanen Unrechts“ (Schoppe/ Milde 1834/1876: 339). Aus einer Anstandslehre: „Hüte dich, daß du nicht allzu offen / Das, was dich zunächst berührt, enthüllst; / Muß die Welt denn Alles von dir wissen, / Was du thust und denkst, und was du willst?“ (Holtzhey 1875/1879: 88). Aus einem Anstandsbuch: „Wie schon eingangs erwähnt, kommt ein Besuch nicht immer gelegen. Wir haben z. B. eine Verabredung für fünf Uhr; aber eine halbe Stunde vorher kommt eine Bekannte [...]. Wir meinen, bei guten Bekannten können wir unbedingt die Wahrheit sagen, wobei wir vielleicht betonen, daß wir einem so guten Freunde gegenüber den Mut dazu hätten. Keine vernünftige Person wird das übel nehmen. Wir machen ihr dann bald nachher einen Besuch oder laden sie ein […]; zugleich aber haben wir das Beispiel einer Offenheit gegeben, die in unseren geselligen Beziehungen nur allzu oft fehlt“ (Calm 1886: 243). Aus einem Brief unter der Überschrift „Die Correspondenz mit dem Geliebten“ in einem Briefsteller ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 118): „Allein Deinem letzten Briefe gegenüber vermag ich die Wahrheit nimmer zurückzuhalten. Ich hatte die Absicht, […] Dich durch mein unerklärliches Benehmen zu einem raschen Bruche zu drängen. [...] Nach Empfang Deiner letzten Zeilen aber [...] bekenne ich reumütig, daß mich eine Selbsttäuschung fast ein Verbrechen gegen Deine herzliche Liebe hätte begehen lassen. [...] Ich verdiene schon deshalb Deine Vergebung, weil ich von freien Stücken ein offenes Bekenntnis dessen abgelegt, woran Du niemals gedacht hättest [...]. In Anbetracht meines ungeschminkten Geständnisses wirst Du mir mein jedenfalls gut gemeintes Vorhaben gütigst verzeihen“ ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 127).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Preisgabe von Informationen

Aus einem Anstandsbuch: „Auf alle Fälle ist eine offene Darlegung der amtlichen, persönlichen und pekuniären Verhältnisse [desjenigen, der um die Hand einer Frau anhält, J.S.] dringend geboten, da durch verheimlichte oder beschönigte Thatsachen das ganze Glück der Ehe in Frage gestellt werden kann. Manche Eltern verschweigen wohl auch ihre Lage, machen dem Freier Hoffnungen auf später, und selbst in der traurigen und entwürdigenden Knechtschaft des Dämon ,Schein‘, treiben sie ihre Kinder in die gleichen ungesunden Verhältnisse hinein. Die Verlobung ist somit die gegebene Gelegenheit zu gegenseitiger Offenheit“ (Wedell (Hrsg.) [1896/ ca. 1901]: 398–399). Aus einem Anstandsbuch: „Die kurze Art des schriftlichen Verkehrs, die uns fast formlos vorkommt, da sie jede unnötige Phrase und überflüssige Wendung vermeidet, hat den Vorteil, daß man sich klar und ohne Umschweife sagt, was man will, und sich keiner – aus leeren Höflichkeitsrücksichten! – zu etwas verpflichtet, was ihm nicht paßt. Diese selbstverständliche, offene Art der Umgangsformen sollte man auch in Deutschland mehr pflegen“ (Baudissin/Baudissin [1901]: unpag., Kap. 380). Aus einem Anstandsbuch: „Mädchen oder Frau? Gar kein heikles Thema – offen und ehrlich anzufassen – der Wahrheit ins Gesicht gesehen, falsches Schamgefühl abgestreift, Tatsachen gegenübergestellt! Genau so gut kann man fragen: Ehe oder freie Liebe? […] Die Frau hat eine andere Stellung als früher […]. Sie hat das Recht und die Sehnsucht nach mehr Freiheit als früher. Ob sie sie ausnutzt, und wie weit – ist ihre Sache“ ([Stuck] von Reznicek [1927]/1928: 152). Aus einem Anstandsbuch: „Vertrauliche Informationen behält man für sich und deutet sie auch nicht an. Allzugroße Offenherzigkeit kann nur zu leicht als Geschwätzigkeit ausgelegt werden“ (Smolka 1957: 301). Aus einem vermutlich fiktiven Brief in einem psychologischpädagogischen Ratgeber: „Darum meine Neigung, mich zu verschließen; der von meiner Frau so bitter empfundene Mangel an Offenheit. Ich leide selbst auch unter meiner Verschlossenheit“ (Gagern 1977: 10). Aus einem Zeitschrifteninterview: „P.H. [ein Mitarbeiter der Zeitschrift „Psychologie heute“ stellt Ruth Cohn eine Frage, J.S.]: Eines der Prinzipien, daß [sic] von denjenigen, die sich selbst mehr verwirklichen möchten, oft besonders dogmatisch vertreten wird, ist die Forderung nach bedingungsloser Offenheit. Denn zur Selbstverwirklichung gehöre auch, in jeder Situation alle Gefühle möglichst deutlich zum Ausdruck

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

65

Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Preisgabe von Informationen

zu bringen. Nur so sei das Anmelden und Durchsetzen der eigenen Bedürfnisse wirklich zu erreichen, und Unehrlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen zu vermeiden“ (Cohn 1979: 26). Aus einem Zeitschriftenartikel: „In einem Interview hat Sartre 1975 sein Leitbild eines (vollkommen) transparenten Menschen gezeichnet [...]: ,[...] Ich bin der Meinung, statt Geheimhaltung sollte jederzeit Offenheit herrschen […]. Ich versuche, so klar und so wahr zu sein wie möglich, mich ganz auszuliefern, meine Subjektivität preiszugeben […]‘“ (Zurhorst 1983: 29). Aus einem Zeitschriftenartikel: „Offenheit setzt die Übereinstimmung in drei wichtigen Bereichen der Persönlichkeit voraus, nämlich im inneren Erleben (was ich fühle), im Bewußtsein (was mir davon bewußt ist) und in der Kommunikation (was ich davon mitteile) – also Authentizität“ (Moebius 1987: 25). Aus einem Zeitungsartikel: „Die Mama sollte zugeben, dass die Geschenke von ihr kommen. Diese Offenheit ist sinnvoll, weil sich Eltern ohnedies früher oder später outen müssen. Entweder, weil sie von sich aus das Kind für alt genug halten, die Wahrheit zu erfahren, oder weil die Kinder selber dahintergekommen sind, dass es kein Christkind gibt“ (Niel 2000: 5). Aus einem Beziehungsratgeber: „Offenheit entsteht, wenn ich selbst anfange offen zu sein. Wenn ich es riskiere, etwas von meinem Inneren sehen zu lassen. Wenn ich mich mit meinen Gefühlen zeige, wenn ich sage, wie es mir wirklich geht“ (Schaible 2003: 28).

Dass Offenheit in diesen Zitaten als Kommunikation ,ohne ... Rückhalt‘ charakterisiert wird, die im Gegensatz zu ,Verschlossenheit‘ und ,Geheimhaltung‘ steht, bei der ,nichts ... verheimlicht‘, ,nicht geschwiegen‘ und nichts ,verschwiegen‘ wird, offenbart, dass die Preisgabe von Informationen für eine offene Äußerung wesentlich ist. Nach den zitierten Beispielen kann es sich bei diesen um die eigene ,Meinung‘, ,Gedanken‘, ,Empfindungen‘, ,Mängel, Schwächen und Torheiten‘ handeln, um das, was einen ,zunächst berührt‘, ,persönliche und pekuniäre Verhältnisse‘, etwas aus dem Bereich eines ,heiklen Themas‘, ,vertrauliche Informationen‘ usw. – also nur um Informationen, denen eine gewisse Sensibilität eigen ist, deren Mitteilung im jeweiligen Kontext prekär und nicht un-

66

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

gefährlich ist. Richtet man das Augenmerk darauf, wie sich die möglichen Informationen historisch verändern, bestätigt sich tendenziell der Eindruck aus dem vorigen Kapitel 2.1, dass die Bindung offener Mitteilungen an Informationen aus dem geistig-seelischen Bereich im Lauf der Zeit weniger eng wird, wobei sich allerdings Gefühle als ein bis in die Gegenwart besonders typischer Inhalt offener Äußerungen herausstellen. Bezogen auf den gesamten Untersuchungszeitraum kann jedoch zusammenfassend formuliert werden, dass jemand aus Sicht der Sprecher bzw. Schreiber offen kommuniziert, wenn ihre/seine Äußerung einen brisanten Inhalt aufweist, genauer: wenn sie/er eine Information neu mitteilt, deren Preisgabe sich nachteilig auf sie/ihn auswirken kann und daher ein Risiko darstellt – ein Risiko, das unterschiedlicher Art sein kann, wie die detaillierteren Analysen in Kapitel 2.3 und 4.2 zeigen werden. Dieser erste begriffliche Aspekt von Offenheit steht Verschlossenheit, Zurückhaltung, Geheimhaltung diametral gegenüber. Er hat zudem semiotische Implikationen: Dass Offenheit für die Kommunizierenden der vergangenen Jahrhunderte mit der Äußerung eines brisanten Inhalts, mit der risikoreichen Mitteilung einer Information verbunden ist, deutet auf eine klare Unterscheidung zwischen der Information und ihrer Formulierung, ergo zwischen Zeicheninhalt und wahrnehmbarem Zeichenausdruck hin. Im Ethnokonzept der Offenheit ist demnach eine Auffassung von Zeichen angelegt, nach der es ein zweiseitiges Zeichen mit einer informatorisch-immateriellen und einer sinnlich-materiellen Seite geben kann. 2. Bei der Betrachtung einer größeren Menge von Äußerungen über Offenheit, die die Zeit vom 18. Jahrhundert bis heute abdecken, erweist sich auch Wahrhaftigkeit als konstante begriffliche Facette von Offenheit. Dies lässt sich erneut am besten anhand einer längeren Reihe exemplarischer Belege nachvollziehen, die die nachstehende Tabelle in chronologischer Reihenfolge enthält. Sie wurde nach denselben Kriterien zusammengestellt wie die obige Tabelle. So oft wie möglich werden Textstellen bzw. Texte zitiert, die bereits zur Veranschaulichung der ersten konzeptuellen Komponente von Offenheit genutzt wurden, damit einsichtig wird, dass die risikoreiche Preisgabe einer Information und Wahrhaftigkeit Aspekte ein und desselben Offenheitsbegriffs sind. Unterstrichen wurden diesmal die Wörter und syntaktischen Fügungen, die zu erkennen geben, dass das Konzept der Offenheit Wahrhaftigkeit beinhaltet. Die Ausdrücke, die jeweils zeigen, dass es in der ausgewählten Textstelle um Offenheit geht, sind wiederum fett gedruckt.

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Wahrhaftigkeit

Aus einem Stück einer moralischen Wochenschrift: „[W]er offenherzig seyn will, der muß dem andern dasjenige, was er für wahr hält, ohne Verstellung und Unwahrheit sagen“ (F. 1750: 82).

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Aus dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Caroline Flachsland (Brief Herders vom 08. bis 10.10.1770): „[W]ollen Sie mir [...] Eine Bitte [...] erlauben? Laßet Uns offen seyn! [...] Wollen wir nicht lieber offen seyn und uns unsre Herzen ausschütten ohne Schminke und Rückhalt, wie sie sind. Wenn wir an einander schreiben [...] immer daran glauben, daß es dieselbe Seele seyn könne, die sich in diesem Augenblicke so und nicht anders zeigen muste, um keine Maske vorzunehmen. Und wenn wir was gegen einander haben [...], so wollen wirs uns einander so offen, als uns selbst sagen!“ (Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 85–86). Aus einer Verhaltenslehre: „[T]hust du, nicht bloß aus Gewissenhaftigkeit, sondern auch aus wahrer Klugheit, Verzicht auf alle die kleinen und unredlichen Verstellungskünste und weiblichen Schelmereien, womit so Manche ihren ehelichen Freund zu täuschen und zu hintergehn sich erlaubt; stehst du vielmehr zu jeder Zeit, mit allen deinen Gedanken, Empfindungen und Handlungen offen vor ihm da, und suchst ihm nichts zu verheimlichen, nichts zu verdrehen, nichts abzulisten [...]: dann, mein liebes Kind, kann und wird der abhängige Zustand, wozu du gebohren bist, nie drückend für dich werden können“ (Campe 1789: 248–249). Aus einer Umgangslehre: „Besser wäre es, man hätte überhaupt keine Geheimnisse in der Welt, könnte immer frei und offen handeln, und alles, was im Herzen vorgeht, vor jedermann sehn lassen“ (Knigge 1788/1790/1977: 114). Aus einem Anstandsbuch: „Es giebt Menschen, welche die von andern ihnen anvertrauten Geheimnisse sehr gut verschweigen, auch über das Geschäftsleben nicht ein Wort reden, wo es nicht hin gehört, und doch von sich selbst nicht schweigen können; die ihre kleinen Mängel, Schwächen und Thorheiten selbst verkünden, und die Posaunen des Uebelstandes in ihrem Hauswesen sind. Diese gutmüthige Offenherzigkeit sollte eigentlich Vertraun zu solchen Leuten erwecken, denn sie sind ohne Falsch, sie geben sich, wie sie sind“ (Nicolai 1816/1818: 119). Aus einem Briefsteller: „Leere Entschuldigungen und erdichtete Rechtfertigungen sind weit schlimmer, als offenes Geständniß und Abbitte des angethanen Unrechts“ (Schoppe/ Milde 1834/1876: 339).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Wahrhaftigkeit

Aus einer Anstandslehre: „Hüte dich, daß du nicht allzu offen / Das, was dich zunächst berührt, enthüllst; / Muß die Welt denn Alles von dir wissen, / Was du thust und denkst, und was du willst?“ (Holtzhey 1875/1879: 88). Aus einem Anstandsbuch: „Wie schon eingangs erwähnt, kommt ein Besuch nicht immer gelegen. Wir haben z. B. eine Verabredung für fünf Uhr; aber eine halbe Stunde vorher kommt eine Bekannte [...]. Wir meinen, bei guten Bekannten können wir unbedingt die Wahrheit sagen, wobei wir vielleicht betonen, daß wir einem so guten Freunde gegenüber den Mut dazu hätten. Keine vernünftige Person wird das übel nehmen. Wir machen ihr dann bald nachher einen Besuch oder laden sie ein […]; zugleich aber haben wir das Beispiel einer Offenheit gegeben, die in unseren geselligen Beziehungen nur allzu oft fehlt“ (Calm 1886: 243). Aus einem Brief unter der Überschrift „Die Correspondenz mit dem Geliebten“ in einem Briefsteller ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 118): „Allein Deinem letzten Briefe gegenüber vermag ich die Wahrheit nimmer zurückzuhalten. Ich hatte die Absicht, […] Dich durch mein unerklärliches Benehmen zu einem raschen Bruche zu drängen. [...] Nach Empfang Deiner letzten Zeilen aber [...] bekenne ich reumütig, daß mich eine Selbsttäuschung fast ein Verbrechen gegen Deine herzliche Liebe hätte begehen lassen. [...] Ich verdiene schon deshalb Deine Vergebung, weil ich von freien Stücken ein offenes Bekenntnis dessen abgelegt, woran Du niemals gedacht hättest [...]. In Anbetracht meines ungeschminkten Geständnisses wirst Du mir mein jedenfalls gut gemeintes Vorhaben gütigst verzeihen“ ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 127). Aus einem Anstandsbuch: „Auf alle Fälle ist eine offene Darlegung der amtlichen, persönlichen und pekuniären Verhältnisse [desjenigen, der um die Hand einer Frau anhält, J.S.] dringend geboten, da durch verheimlichte oder beschönigte Thatsachen das ganze Glück der Ehe in Frage gestellt werden kann. Manche Eltern verschweigen wohl auch ihre Lage, machen dem Freier Hoffnungen auf später, und selbst in der traurigen und entwürdigenden Knechtschaft des Dämon ,Schein‘, treiben sie ihre Kinder in die gleichen ungesunden Verhältnisse hinein. Die Verlobung ist somit die gegebene Gelegenheit zu gegenseitiger Offenheit“ (Wedell (Hrsg.) [1896/ca. 1901]: 398–399).

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

69

Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Wahrhaftigkeit

Aus einem Anstandsbuch: „Die kurze Art des schriftlichen Verkehrs, die uns fast formlos vorkommt, da sie jede unnötige Phrase und überflüssige Wendung vermeidet, hat den Vorteil, daß man sich klar und ohne Umschweife sagt, was man will, und sich keiner – aus leeren Höflichkeitsrücksichten! – zu etwas verpflichtet, was ihm nicht paßt. Diese selbstverständliche, offene Art der Umgangsformen sollte man auch in Deutschland mehr pflegen“ (Baudissin/Baudissin [1901]: unpag., Kap. 380). Aus einem Anstandsbuch: „Mädchen oder Frau? Gar kein heikles Thema – offen und ehrlich anzufassen – der Wahrheit ins Gesicht gesehen, falsches Schamgefühl abgestreift, Tatsachen gegenübergestellt! Genau so gut kann man fragen: Ehe oder freie Liebe? […] Die Frau hat eine andere Stellung als früher […]. Sie hat das Recht und die Sehnsucht nach mehr Freiheit als früher. Ob sie sie ausnutzt, und wie weit – ist ihre Sache“ ([Stuck] von Reznicek [1927]/1928: 152). Aus einem Anstandsbuch: „Die Briefe brauchen keineswegs immer stilistische Meisterstücke zu sein, viel wichtiger ist, daß sie aus offenem Herzen kommen. […] [M]an soll den Inhalt so gestalten, daß er dem eigenen Empfinden wirklich gerecht wird, soll also alle Übertreibungen und alle unnötigen Schnörkeleien wie übertriebene Versicherungen fortlassen“ (Volkland 1941: 138–139). Aus einem Anstandsbuch: „Die Ehrlichkeit und damit die Höflichkeit verpflichtet jeden, offen zu seiner Meinung zu stehen“ (Smolka 1957: 251). Aus einem Zeitschrifteninterview: „P.H. [ein Mitarbeiter der Zeitschrift „Psychologie heute“ stellt Ruth Cohn eine Frage, J.S.]: Eines der Prinzipien, daß [sic] von denjenigen, die sich selbst mehr verwirklichen möchten, oft besonders dogmatisch vertreten wird, ist die Forderung nach bedingungsloser Offenheit. Denn zur Selbstverwirklichung gehöre auch, in jeder Situation alle Gefühle möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen. Nur so sei das Anmelden und Durchsetzen der eigenen Bedürfnisse wirklich zu erreichen, und Unehrlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen zu vermeiden“ (Cohn 1979: 26). Aus einem Zeitschriftenartikel: „In einem Interview hat Sartre 1975 sein Leitbild eines (vollkommen) transparenten Menschen gezeichnet [...]: ,[...] Ich bin der Meinung, statt Geheimhaltung sollte jederzeit Offenheit herrschen […]. Ich versuche, so klar und so wahr zu sein wie möglich, mich ganz auszuliefern, meine Subjektivität preiszugeben […]‘“ (Zurhorst 1983: 29).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Wahrhaftigkeit

Aus einem Zeitschriftenartikel: „Offenheit setzt die Übereinstimmung in drei wichtigen Bereichen der Persönlichkeit voraus, nämlich im inneren Erleben (was ich fühle), im Bewußtsein (was mir davon bewußt ist) und in der Kommunikation (was ich davon mitteile) – also Authentizität“ (Moebius 1987: 25). Aus einem Beziehungsratgeber: „Um Offenbarungsangst und Fassadentechnik zu überwinden, müssen Sie lernen, mit sich selbst in besseren Kontakt zu kommen. Das, was Sie anderen mitteilen, muß aus Ihrem eigenen inneren Erleben kommen. So zeigen Sie Authentizität. Dann ist Ihre Kommunikation mit Mitmenschen echt“ (Ryborz 1991: 158). Aus einem Zeitungsartikel: „Die Mama sollte zugeben, dass die Geschenke von ihr kommen. Diese Offenheit ist sinnvoll, weil sich Eltern ohnedies früher oder später outen müssen. Entweder, weil sie von sich aus das Kind für alt genug halten, die Wahrheit zu erfahren, oder weil die Kinder selber dahintergekommen sind, dass es kein Christkind gibt“ (Niel 2000: 5). Aus einem Beziehungsratgeber: „Offenheit entsteht, wenn ich selbst anfange offen zu sein. Wenn ich es riskiere, etwas von meinem Inneren sehen zu lassen. Wenn ich mich mit meinen Gefühlen zeige, wenn ich sage, wie es mir wirklich geht“ (Schaible 2003: 28).

Nach diesen Textstellen kommuniziert jemand offen, wenn sie/er die ,Wahrheit sagt‘ bzw. ,wahr ist‘. Ihre Autoren stellen Offenheit als Gegenpol von ,Verstellung‘, ,Unwahrheit‘, ,Falsch‘, ,Schein‘, ,Unehrlichkeit‘ etc. dar. Sich offen zu äußern, bedeutet ihnen zufolge, dass man ,für wahr hält‘, was man mitteilt, es heißt, die ,Seele‘ ohne ,Maske‘ zu zeigen, dem, ,was im Herzen vorgeht‘, was man ,tut‘, ,denkt‘ und ,will‘, dem ,inneren Erleben‘ entsprechend zu kommunizieren. Eine offene Äußerung muss also tatsächlich so gemeint sein, ihr Produzent muss z. B. wirklich von dem überzeugt sein, was sie/er feststellt, oder in der Tat fühlen, was sie/ er zu fühlen bekundet. Offenheit wird folglich in allen infrage stehenden Jahrhunderten als Kommunikationsweise gedacht, die Wahrhaftigkeit bzw. Ehrlichkeit umfasst, und zwar in dem Sinne, dass der Äußerungsproduzent eine innere Haltung zum Ausdruck bringt, die mit der realen inneren Position übereinstimmt. Das Gegenteil dieser zweiten Komponente des Offenheitsbegriffs ist Unehrlichkeit, Unwahrhaftigkeit resp. Lügenhaftigkeit.

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

71

Dass die Kommunizierenden die Äußerung einer tatsächlich vorhandenen inneren Haltung als konzeptuelles Element von Offenheit auffassen, impliziert, dass sie zwischen wirklicher und ausgedrückter psychischer Position deutlich trennen. In ihrem Offenheitskonzept leuchtet somit ein Zeichenverständnis auf, gemäß dem ein geistig-seelischer Zustand eines Subjekts dem Zeichengebrauch vorausgehen und unabhängig von diesem existieren kann. Nicht in allen, aber in einigen Belegen aus den letzten etwa 40 Jahren wird der begriffliche Aspekt der Wahrhaftigkeit in historisch neuartiger Weise akzentuiert: Die Form von Wahrhaftigkeit, die nach diesen Textstellen eine Voraussetzung für Offenheit ist, lässt sich am zutreffendsten als ,Echtheit‘ oder ,Authentizität‘ bezeichnen. In der obigen Tabelle repräsentieren die Zitate von Monica Moebius (1987) und Heinz Ryborz (1991) diese psychologisch inspirierte Variante von Wahrhaftigkeit. Moebius zufolge ist für Offenheit die ,Übereinstimmung‘ von ,innerem Erleben‘, ,Bewusstsein‘ und ,Kommunikation‘ notwendig. So wie sie gehen die meisten Autoren, nach denen Offenheit mit einer authentischen Wahrhaftigkeit einhergeht, von zwei geistig-seelischen Ebenen oder Dimensionen aus: von einer psychischen Oberflächenebene und einer psychischen Tiefenebene, die nicht ohne Weiteres zugänglich ist. Gelegentlich werden diese Ebenen – wie bei Moebius – nach der psychoanalytischen Unterscheidung von Unbewusstem und Bewusstsein modelliert, in anderen Quellen – so auch bei Ryborz – wird eher zwischen einem ,eigentlichen Selbst‘, einem ,wahren Ich‘ und seinem im Alltag präsenten Komplement differenziert. Authentisch ist ein Mensch nach diesen Texten, wenn die von ihm mitgeteilte innere Haltung sich mit der tatsächlichen auf der psychischen Oberfläche und in der psychischen Tiefe deckt, in welcher Form die Psyche im Detail auch entworfen werden mag. 3. Die Auswertung des Diskurses über Offenheit ergibt, dass Transparenz ebenfalls von der Aufklärung bis in die Gegenwart eine Komponente des Offenheitsbegriffs ist. Auch dieses Resultat soll mithilfe einer tabellenförmigen Sammlung typischer Belege, die sich über diverse Textsorten, thematische Zusammenhänge sowie über alle untersuchten Jahrhunderte verteilen und zudem mehrheitlich bereits in den obigen beiden Tabellen zitiert wurden, plausibel gemacht werden. Analog zu diesen verhalten sich die Darstellungskonventionen.

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Transparenz

Aus einer Complimentenlehre: „[W]oferne wir […] mit dem andern so vertrauet, und einiger massen in dem Stand sind daß sich selbiger gute Dienste von uns versprechen kan; so erfordert es die Klugheit ganz freymüthig, ohne alle Umschweife oder Verkünstelung, unsere Dienste [...] anzubieten, auch ein und andere Versicherung von unserer Aufrichtigkeit in diesem Stück anzuhenken“ (Lochner 1730: 113). Aus dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Caroline Flachsland (Brief Herders vom 08. bis 10.10.1770): „[W]ollen Sie mir [...] Eine Bitte [...] erlauben? Laßet Uns offen seyn! [...] Wollen wir nicht lieber offen seyn und uns unsre Herzen ausschütten ohne Schminke und Rückhalt, wie sie sind. Wenn wir an einander schreiben [...] immer daran glauben, daß es dieselbe Seele seyn könne, die sich in diesem Augenblicke so und nicht anders zeigen muste, um keine Maske vorzunehmen. Und wenn wir was gegen einander haben [...], so wollen wirs uns einander so offen, als uns selbst sagen!“ (Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 85–86). Aus dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Caroline Flachsland (Brief Herders vom 17.10.1770): „[W]enn Sie [...] an Ihre und meine Zukunft denken [...] was weißagt alsdenn Ihre Seele? [...] was sagt Ihr Herz für die Zukunft? Frage es doch, werde aus Liebe mit mir zugleich abergläubisch, und entdecke mir, was es sagt, aber so ganz, so offen, so unverholen, als Sie es selbst fühlen“ (Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 110–111). Aus einer Verhaltenslehre: „[T]hust du, nicht bloß aus Gewissenhaftigkeit, sondern auch aus wahrer Klugheit, Verzicht auf alle die kleinen und unredlichen Verstellungskünste und weiblichen Schelmereien, womit so Manche ihren ehelichen Freund zu täuschen und zu hintergehn sich erlaubt; stehst du vielmehr zu jeder Zeit, mit allen deinen Gedanken, Empfindungen und Handlungen offen vor ihm da, und suchst ihm nichts zu verheimlichen, nichts zu verdrehen, nichts abzulisten [...]: dann, mein liebes Kind, kann und wird der abhängige Zustand, wozu du gebohren bist, nie drückend für dich werden können“ (Campe 1789: 248–249). Aus einer Umgangslehre: „Besser wäre es, man hätte überhaupt keine Geheimnisse in der Welt, könnte immer frei und offen handeln, und alles, was im Herzen vorgeht, vor jedermann sehn lassen“ (Knigge 1788/1790/1977: 114).

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

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Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Transparenz

Aus einem Anstandsbuch: „Es giebt Menschen, welche die von andern ihnen anvertrauten Geheimnisse sehr gut verschweigen, auch über das Geschäftsleben nicht ein Wort reden, wo es nicht hin gehört, und doch von sich selbst nicht schweigen können; die ihre kleinen Mängel, Schwächen und Thorheiten selbst verkünden, und die Posaunen des Uebelstandes in ihrem Hauswesen sind. Diese gutmüthige Offenherzigkeit sollte eigentlich Vertraun zu solchen Leuten erwecken, denn sie sind ohne Falsch, sie geben sich, wie sie sind“ (Nicolai 1816/1818: 119). Aus einem Briefsteller: „Dazu [einem Frauenzimmer sich als Liebhaber zu erklären oder einen Eheantrag zu machen] gehört, daß ein redlicher Mann, der die Absicht hat, sich und seine Geliebte durch eine nähere Verbindung zu beglücken, sein ganzes offenes Herz und seinen richtigen Verstand, ohne leidenschaftliche Uebertreibungen, ohne gezierte Ausdrücke, blos im Gefühl einer reinen Zuneigung und Achtung, sprechen lasse. Diese beiden Empfindungen, in dem Herzen eines achtungswerthen und geliebten Mannes, sind in ihrer natürlichen Gestalt für jede edle, weibliche Seele so schön, daß sie gar keines andern Schmucks bedürfen“ (Meili [o. J.]/1829: XXXVII). Aus einem Brief unter der Überschrift „Die Correspondenz mit dem Geliebten“ in einem Briefsteller ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 118): „Allein Deinem letzten Briefe gegenüber vermag ich die Wahrheit nimmer zurückzuhalten. Ich hatte die Absicht, […] Dich durch mein unerklärliches Benehmen zu einem raschen Bruche zu drängen. [...] Nach Empfang Deiner letzten Zeilen aber [...] bekenne ich reumütig, daß mich eine Selbsttäuschung fast ein Verbrechen gegen Deine herzliche Liebe hätte begehen lassen. [...] Ich verdiene schon deshalb Deine Vergebung, weil ich von freien Stücken ein offenes Bekenntnis dessen abgelegt, woran Du niemals gedacht hättest [...]. In Anbetracht meines ungeschminkten Geständnisses wirst Du mir mein jedenfalls gut gemeintes Vorhaben gütigst verzeihen“ ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 127). Aus einem Anstandsbuch: „Bei all solchen Schreiben [Entschuldigungen und Rechtfertigungen] mache man es sich zur festen Regel, offen und wahr zu Werke zu gehen. […] Das wird den Beleidigten ungleich günstiger stimmen […], als Beschönigungen und durchsichtige Bemäntelungen. […] Nur Leute von geringer Bildung und kleinem Charakter werden imstande sein, einem offenen Bekenntnis und einer reuigen Bitte gegenüber sich abwehrend oder gar kränkend zu verhalten“ (Schramm 1892/1898: 361–362).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Transparenz

Aus einem Anstandsbuch: „Auf alle Fälle ist eine offene Darlegung der amtlichen, persönlichen und pekuniären Verhältnisse [desjenigen, der um die Hand einer Frau anhält, J.S.] dringend geboten, da durch verheimlichte oder beschönigte Thatsachen das ganze Glück der Ehe in Frage gestellt werden kann. Manche Eltern verschweigen wohl auch ihre Lage, machen dem Freier Hoffnungen auf später, und selbst in der traurigen und entwürdigenden Knechtschaft des Dämon ,Schein‘, treiben sie ihre Kinder in die gleichen ungesunden Verhältnisse hinein. Die Verlobung ist somit die gegebene Gelegenheit zu gegenseitiger Offenheit“ (Wedell (Hrsg.) [1896/ca. 1901]: 398–399). Aus einem Anstandsbuch: „Die kurze Art des schriftlichen Verkehrs, die uns fast formlos vorkommt, da sie jede unnötige Phrase und überflüssige Wendung vermeidet, hat den Vorteil, daß man sich klar und ohne Umschweife sagt, was man will, und sich keiner – aus leeren Höflichkeitsrücksichten! – zu etwas verpflichtet, was ihm nicht paßt. Diese selbstverständliche, offene Art der Umgangsformen sollte man auch in Deutschland mehr pflegen“ (Baudissin/Baudissin [1901]: unpag., Kap. 380). Aus einem Anstandsbuch: „Die Briefe brauchen keineswegs immer stilistische Meisterstücke zu sein, viel wichtiger ist, daß sie aus offenem Herzen kommen. […] [M]an soll den Inhalt so gestalten, daß er dem eigenen Empfinden wirklich gerecht wird, soll also alle Übertreibungen und alle unnötigen Schnörkeleien wie übertriebene Versicherungen fortlassen“ (Volkland 1941: 138–139). Aus einem Anstandsbuch: „Wenn der Vermieter seine Ansicht darüber sagt, wie er sich das Verhalten seines Untermieters vorstellt, was er tun und lassen darf und lieber lassen sollte, so bedeutet das nicht, daß der Untermieter sie voll und ganz akzeptieren muß. Er wird seinen Lebensstil und die Erwartungen, die er an seinen Vermieter stellt, mit der gleichen Freimütigkeit schildern. Wer sich gegenseitig klaren Wein einschenkt, erspart sich später die Alternative, statt dessen den Giftbecher – wie Sokrates – zu nehmen und sich länger mit Unter- oder Vermieter herumstreiten zu müssen“ (Smolka 1957: 124). Aus einem Zeitschriftenartikel: „Der idealisierte Verlauf einer Encounter-Gruppe sieht für mich so aus: Ich suche eine echte Begegnung mit anderen Menschen, mit möglichst wenig Fassaden und größter Offenheit – ich muß verletzbar sein können. In diese Situation kann ich mich mit fremden Menschen nicht einfach katapultieren. Dazwischen stehen in der Regel routinemäßige Umgangsformen des Alltags, die nach meinem Erleben häufig auf Fassadenhaftigkeit und Indirektheit aufgebaut sind“ (Kremer 1976: 31).

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

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Vermutete begriffliche Kernkomponente

Exemplarische bestätigende Quellenbelege

Transparenz

Aus einem Zeitschrifteninterview: „P.H. [ein Mitarbeiter der Zeitschrift „Psychologie heute“ stellt Ruth Cohn eine Frage, J.S.]: Eines der Prinzipien, daß [sic] von denjenigen, die sich selbst mehr verwirklichen möchten, oft besonders dogmatisch vertreten wird, ist die Forderung nach bedingungsloser Offenheit. Denn zur Selbstverwirklichung gehöre auch, in jeder Situation alle Gefühle möglichst deutlich zum Ausdruck zu bringen. Nur so sei das Anmelden und Durchsetzen der eigenen Bedürfnisse wirklich zu erreichen, und Unehrlichkeit in zwischenmenschlichen Beziehungen zu vermeiden“ (Cohn 1979: 26). Aus einem Kommunikationslehrbuch und -ratgeber: „Wo […] der Wunsch besteht, jenseits von Manipulation und Geschicklichkeit sich eine Welt der klaren, ehrlichen, herrschaftsfreien Beziehungen aufzubauen, dort gehört der offene Appell, also der direkte Ausdruck von Wünschen und Aufforderungen, zu den tragenden Säulen einer solchen Kommunikation“ (Schulz von Thun 1981: 245). Aus einem Zeitschriftenartikel: „In einem Interview hat Sartre 1975 sein Leitbild eines (vollkommen) transparenten Menschen gezeichnet [...]: ,[...] Ich bin der Meinung, statt Geheimhaltung sollte jederzeit Offenheit herrschen […]. Ich versuche, so klar und so wahr zu sein wie möglich, mich ganz auszuliefern, meine Subjektivität preiszugeben […]‘“ (Zurhorst 1983: 29). Aus einer Sammlung fiktiver Briefe: „[E]s [ist] Zeit für klare, offene Worte, zu denen gegenseitig Stellung genommen werden kann. Diese Direktheit ist besser, als zu hoffen, daß sich alles schon in der Zukunft geben wird“ (Schaffer 1990: 95). Aus einem Beziehungs- und Kommunikationsratgeber: „Dieses indirekte, alles ,durch die Blume Sagen‘ erlebte ich im Alltag, bei meinen Geschäften und nicht zuletzt in einer Zweierbeziehung [in Japan] als so quälend, dass sich in mir eine tiefe Sehnsucht aufbaute nach einem ganz anderen Umgangs- und Gesprächsstil: offen, direkt, schnörkellos reden“ (Fischaleck 2003: 9). Aus einem Beziehungsratgeber: „Wer sich gute Beziehungen zu anderen wünscht, kann dazu etwas beitragen, indem er am eigenen Kommunikationsstil arbeitet. Dabei kann es helfen, [...] das eigene Gesprächsverhalten einmal unter die Lupe zu nehmen. […] Sage ich klar und offen, was ich meine? Oder verstecke ich mein eigentliches Anliegen hinter einer vermeintlichen Sachaussage?“ (Schaible 2003: 82–83).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Aus dieser Aneinanderreihung von Zitaten geht hervor, dass eine offene Äußerung eine ,ohne alle Umschweife‘, ,ohne Schminke‘, ,Beschönigungen‘ bzw. ,Bemäntelungen‘ ist, eine ,unverhohlene‘, nicht ,verdrehte‘, ,deutliche‘, ,klare‘, ,direkte‘, ,schnörkellose‘. Damit Offenheit vorhanden ist, müssen die verwendeten Zeichen als annähernd ,durchsichtiges‘ Medium fungieren, welches das, was der Äußerungsproduzent mitteilen will, unverbrämt zeigt und dem Rezipienten einen unmittelbaren Zugriff darauf erlaubt. Aus Sicht der historischen Sprecher bzw. Schreiber kommuniziert jemand demzufolge offen, wenn sie/er transparent kommuniziert, d. h. den beabsichtigten Sinn der Äußerung unverfälscht und unmissverständlich ausdrückt, so dass der Rezipient diesen zweifelsfrei erkennen kann. Diesem dritten konzeptuellen Aspekt von Offenheit ist Verschleierung genau entgegengesetzt. Die soeben beschriebene Vorstellung von Transparenz, die den Offenheitsbegriff der Kommunizierenden bestimmt, beruht auf der Prämisse, dass sich Zeichen so steuern lassen, dass die gewählten Ausdrücke den intendierten Inhalt – nicht mehr, nicht weniger, nichts anderes – übermitteln, dass mithin das Medium selbst nahezu ,nicht mitspricht‘, sondern beinahe zum Verschwinden gebracht wird. Darin zeichnet sich die Nähe des Offenheitskonzepts zu einem Zeichenverständnis ab, dem zufolge die semantische Eigendynamik eines Zeichensystems weit hintergangen werden kann. Was sich in Kapitel 2.1 andeutete, kann nun als bestätigt gelten. Der Begriff der Offenheit kreist vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart um drei Kernkomponenten: um die risikoreiche Preisgabe einer Information, um Wahrhaftigkeit und Transparenz. Dass es sich nicht etwa um drei verschiedene Offenheitsbegriffe handelt, wird beim Vergleich der exemplarischen Belege in den drei obigen Tabellen sinnfällig: Zahlreiche Texte sind – oft sogar mit derselben Textstelle – mehrfach vertreten, weil in ihnen zwei oder alle drei Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs evident werden. Und auch bei Textstellen und Texten, die nur in einer Tabelle zitiert werden, weil in ihnen nur eine begriffliche Hauptfacette unzweifelhaft nachweisbar ist, ist in der Regel nicht auszuschließen, dass die anderen beiden mitgemeint sind. Der jeweilige Kotext macht sie zwar nicht sichtbar, er lässt ihre Existenz aber durchaus zu. Die drei herausgearbeiteten Aspekte sind konzeptuell offensichtlich miteinander verquickt und gemeinsam für den Begriff der Offenheit konstitutiv. Die zahlreichen Quellenzitate in den obigen Tabellen führen weiterhin vor Augen, dass es keine zusätzliche Komponente gibt, die in irgendeiner Phase des Untersuchungszeitraumes für das Konzept der Offenheit wesentlich wäre.

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

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Das Gesagte ist freilich nicht so zu verstehen, dass der Begriff der Offenheit situativ unflexibel und historisch statisch sei. Es ist im Gegenteil viel zutreffender, sich ihn als sich wiederholende und sich dabei mitunter leicht verschiebende gedankliche Bewegung vorzustellen: Er wird immer wieder geringfügig verändert eingesetzt, zumal er – dies ist mit Blick auf die folgenden Kapitel dieser Studie zu betonen – einen so hohen Abstraktionsgrad besitzt, dass er auf Äußerungen ganz unterschiedlicher Inhalte in sehr heterogenen thematischen und situativen Kontexten bezogen werden kann. Es kommt im Einzelfall vor, dass eine der drei begrifflichen Kernkomponenten gegenüber den anderen im Vorder- oder Hintergrund steht, dass eine oder mehrere dieser Komponenten variiert wird bzw. werden (die historischen Veränderungen der ersten und zweiten Komponente, die sich aus vielen solchen Einzelfällen ergeben, wurden oben angesprochen) und/oder eine oder mehrere weitere begriffliche Facette/n die Hauptkomponenten ergänzen.

Offenheit als sprachwissenschaftlich gefasster Begriff Der Ethnobegriff der Offenheit, der im ersten Teil des Kapitels rekonstruiert wurde, ist als solcher zwangsläufig mit Unschärfen versehen. Er lässt sich jedoch mithilfe linguistischer Kategorien und Theorien beschreiben und dadurch präzisieren. Versucht man dies, kommt man allerdings nicht umhin, seine im vorigen Kapitelteil aufgezeigten semiotischen Prämissen,90 die vom wissenschaftlichen Standpunkt aus angreifbar sind, zumindest teilweise zu übernehmen. 1. Die Höflichkeitstheorie Penelope Browns und Stephen Levinsons ermöglicht es, die erste Kernkomponente des Offenheitsbegriffs linguistisch zu erfassen. Was oben als Äußerung eines Inhalts bzw. als Preisgabe einer Information beschrieben wurde, lässt sich als Sprechakt oder auch – wenn man nicht-sprachliche Äußerungen einbezieht – als kommunikativer Akt verstehen. In ihrem Buch „Politeness“ gehen Brown und Levinson davon aus, dass es unter allen kommunikativen Akten einige gibt, die für den Produzenten und/oder Rezipienten gefährlich

90 Dem Begriff unterliegen die Vorstellungen, dass ein Zeichen ein zweiseitiges Gebilde sein kann, dessen eine Seite informatorisch-immateriell und dessen andere Seite sinnlich-materiell ist, dass ein geistig-seelischer Zustand eines Subjekts dem Zeichengebrauch vorausgehen und unabhängig von diesem existieren kann sowie dass sich die semantische Eigendynamik eines Mediums unterdrücken lässt.

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sind: „[I]t is intuitively the case that certain kinds of acts intrinsically threaten face, namely those acts that by their nature run contrary to the face wants of the addressee and/or of the speaker“.91 Nach Brown und Levinson richtet sich die Bedrohung, die von diesen kommunikativen Akten ausgeht, auf das sogenannte ,face‘ des Produzenten oder Rezipienten. Im Anschluss an Erving Goffmans92 und das alltagssprachliche Verständnis von ,face‘ im Englischen93 definieren sie den Begriff als das „public self-image that every member [of a society] wants to claim for himself“.94 Sie nehmen an, dass jedes Individuum sich wünscht, das eigene ,face‘ aufrechtzuerhalten oder zu stärken, was nur interaktiv möglich sei, weshalb jede Person, insofern sie auf das Gegenüber angewiesen sei, zugleich ein Interesse daran habe, Rücksicht auf dessen ,face‘ zu zeigen.95 Die ,face‘ bedrohenden kommunikativen Akte bezeichnen sie als „face-threatening acts“, abgekürzt „FTAs“.96 Die erste begriffliche Kernkomponente von Offenheit lässt sich in Analogie zum ,face-threatening act‘ als ,bedrohlicher kommunikativer Akt‘ begreifen. Ob sich allerdings mit dem Begriff des ,face‘ optimal erfassen lässt, wen oder was dieser Akt bedroht, möchte ich an dieser Stelle offen lassen und erst im folgenden Kapitel 2.3 diskutieren. 2. Für eine sprachwissenschaftliche Charakterisierung der zweiten Hauptfacette des Offenheitsbegriffs – Wahrhaftigkeit – eignet sich die Sprechakttheorie von John Austin und ihre Weiterführung durch John Searle. In der zweiten seiner berühmten Vorlesungen „Zur Theorie der Sprechakte“ erklärt Austin, welche Bedingungen mindestens erfüllt sein müssten, damit eine „performative Äußerung glatt und ,glücklich‘ [...] läuft“.97 Unter diesen Glückensbedingungen findet sich folgende:

91 Brown/Levinson 1978/1987: 65. 92 Vgl. Brown/Levinson 1978/1987: 61. Nach Goffman 1955/1967/2005: 5 „[t]he term ,face‘ may be defined as the positive social value a person effectively claims for himself by the line others assume he has taken during a particular contact. Face is an image of self delineated in terms of approved social attributes – albeit an image that others may share, as when a person makes a good showing for his profession or religion by making a good showing for himself“. 93 Vgl. Brown/Levinson 1978/1987: 61. 94 Brown/Levinson 1978/1987: 61. 95 Vgl. Brown/Levinson 1978/1987: 60–61, 68. 96 Brown/Levinson 1978/1987: 60. 97 Austin 1962/2002: 37. Im englischen Text geht es um die Notwendigkeiten für das „smooth or ,happy‘ functioning of a performative“ (Austin 1962: 14).

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

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(Γ.1) Wenn, wie oft, das Verfahren [der Handlung, die mit einer performativen Äußerung bezweckt wird, J.S.] für Leute gedacht ist, die bestimmte Meinungen oder Gefühle haben, oder wenn es der Festlegung eines der Teilnehmer auf ein bestimmtes späteres Verhalten dient, dann muß, wer am Verfahren teilnimmt und sich so darauf beruft, diese Meinungen und Gefühle wirklich haben, und die Teilnehmer müssen die Absicht haben, sich so und nicht anders zu verhalten98.

Ist die Bedingung nicht erfüllt, liegt für Austin „Unredlichkeit“99 vor. In diesem Fall „verunglückt“100 die performative Äußerung. Die zugehörige Handlung komme, sofern die anderen Bedingungen erfüllt seien, dennoch „zustande, wenn auch ihr Vollzug unter solchen Umständen [...] einen Mißbrauch des Verfahrens [der Handlung, die mit der Äußerung bezweckt wird, J.S.] darstellt“.101 In den weiteren Vorlesungen argumentiert er, dass diese Glückensbedingung nicht allein für performative Äußerungen gelte, sondern auch für konstative, ja „für alle Typen von illokutionären Akten“.102 In seinem „Sprachphilosophischen Essay“ über „Sprechakte“ wiederholt Searle im Wesentlichen Austins Ideen zur Redlichkeitsbedingung.103 Genauer definiert er sie in „Ausdruck und Bedeutung“:

98

99 100 101 102 103

Austin 1962/2002: 37. Im Original lautet das Zitat: „Where, as often, the procedure is designed for use by persons having certain thoughts or feelings, or for the inauguration of certain consequential conduct on the part of any participant, then a person participating in and so invoking the procedure must in fact have those thoughts or feelings, and the participants must intend so to conduct themselves“ (Austin 1962: 15). Austin 1962/2002: 40. Im englischen Text ist von „[i]nsincerities“ die Rede (Austin 1962: 18). Austin 1962/2002: 36. Austin verwendet im Original – in einer etwas anderen syntaktischen Konstruktion – den Ausdruck „unhappy“ (Austin 1962: 14). Austin 1962/2002: 38. Auf Englisch schreibt Austin, die Handlung sei „achieved, although to achieve it in such circumstances [...] is an abuse of the procedure“ (Austin 1962: 16). Austin 1962/2002: 165, vgl. 71. In der Originalsprache heißt es „with respect to each kind of illocutionary act“ (Austin 1962: 145). Searle fragt dort danach, „[w]elche Bedingungen [...] notwendig und hinreichend [sind], damit der Akt des Versprechens mittels der Äußerung eines gegebenen Satzes erfolgreich und vollständig vollzogen“ wird (Searle 1969/1983: 84). Seine sechste Bedingung lautet: „S beabsichtigt, A zu tun. Der Unterschied zwischen aufrichtigen und unaufrichtigen Versprechen besteht darin, daß der Sprecher bei einem aufrichtigen Versprechen die Absicht hat, das Versprochene zu tun, bei einem unaufrichtigen dagegen nicht“ (Searle 1969/1983: 92–93). Searle nennt diese Kondition die „Bedingung der Aufrichtigkeit“ (Searle 1969/1983: 93). Sei sie nicht erfüllt, könne der illokutionäre Akt dennoch vollzogen werden, sei dann aber „unvollständig“ (Searle 1969/1983: 85, vgl. 95–96). Er ist der Ansicht, dass diese Bedingung des ,erfolgreichen und vollständigen Vollzugs‘ nicht nur für Versprechen, sondern „auch für andere Arten von illokutionären Akten“ gültig ist (Searle 1969/1983: 99).

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Beim Vollzug eines beliebigen illokutionären Aktes mit einem propositionalen Gehalt bringt der Sprecher irgendeine Haltung, Einstellung, usw. gegenüber diesem propositionalen Gehalt zum Ausdruck. [...] Der psychische Zustand, der mit dem Vollzug des illokutionären Akts zum Ausdruck gebracht wird, ist [...] die Aufrichtigkeitsbedingung des Akts104.

Aus dieser Definition ergibt sich, dass jemand, die/der sich ,aufrichtig‘ oder wahrhaftig äußert, eine Illokution vollzieht, dabei eine Proposition ausdrückt, zugleich eine ,Haltung‘, ,Einstellung‘, einen ,psychischen Zustand‘105 gegenüber der Proposition mitteilt und diese ,Haltung‘, diese ,Einstellung‘ wirklich hat bzw. sich tatsächlich in diesem ,psychischen Zustand‘ befindet.106 Aus den verschiedenen Ausprägungen der Aufrichtigkeitsbedingung, die Searle bereits in „Sprechakte“ für eine Reihe von Typen illokutionärer Akte nennt, lassen sich vier Grundtypen der Haltung, Einstellung bzw. des psychischen Zustands gegenüber der Proposition ableiten:107 die Proposition zu glauben/meinen, die Proposition zu empfinden, die Proposition zu wünschen, die Proposition zu beabsichtigen.108 Realistischerweise muss man von fließenden Übergängen zwischen diesen Typen ausgehen109 und kann nicht ausschließen, dass es neben den genannten vier noch andere gibt. Des Weiteren ist denkbar, dass mit einem kommunikativen Akt ein psychischer Zustand ausgedrückt

104 Searle 1979/1990: 21. Auf Englisch lautet die Textstelle: „[I]n the performance of any illocutionary act with a propositional content, the speaker expresses some attitude, state, etc., to that propositional content. [...] The psychological state expressed in the performance of the illocutionary act is the sincerity condition of the act“ (Searle 1979/1985: 4–5). 105 Falkenberg 1982: 73 spricht diesbezüglich von einer „propositionalen Einstellung“, Giese 1992: 53 von einer „Einstellung des Sprechers zur Proposition oder Teilen derselben“, Deppermann 1997: 164 schließlich von einem „mentalen bzw. emotionalen Zustand“. 106 Deppermann schließt sich ebenfalls an Searle an und kommt daher zu einer ähnlichen Auffassung von Wahrhaftigkeit (vgl. Deppermann 1997: 164). 107 Vgl. Searle 1969/1983: 99–107. 108 Falkenberg 1982: 74 geht nur auf „zwei Arten von [propositionalen] Einstellungen“ ein: die „epistemischen“ und die „volitiven“. Die Klasse der volitiven Einstellungen umfasst diejenigen des oben genannten Grundtyps ,die Proposition wünschen‘ sowie ,die Proposition beabsichtigen‘, zu den epistemischen Einstellungen gehören die des Grundtyps ,die Proposition glauben/meinen‘. Ob unter die epistemischen Einstellungen für Falkenberg auch diejenigen fallen, die dem Grundtyp ,die Proposition empfi nden‘ entsprechen, geht aus seinen Erläuterungen nicht hervor (vgl. Falkenberg 1982: 74–75). Giese 1992: 53 unterscheidet im Anschluss an Polenz „epistemische“, „futurische“ und „evaluative [...] Einstellungen“. Die futurischen Einstellungen umfassen bei Giese die des obigen Grundtyps ,die Proposition wünschen‘ und ,die Proposition beabsichtigen‘, die evaluativen überschneiden sich mit denen des Grundtyps ,die Proposition empfi nden‘, und zu den epistemischen gehören die des Grundtyps ,die Proposition glauben/ meinen‘ (vgl. Giese 1992: 53–55). 109 Darauf weist schon Austin 1962/2002: 59 hin.

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

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wird, der mehreren Grundtypen entspricht (dass mit einem Akt gleichzeitig z. B. eine Empfindung und ein Wunsch mitgeteilt werden); damit dieser Akt wahrhaftig wäre, müsste sich der Sprecher bzw. Schreiber hinsichtlich aller aktualisierter Grundtypen in diesem Zustand befinden (sie/er müsste sowohl die Empfindung als auch den Wunsch haben).110 3. Für eine analytische Deskription der dritten Kernkomponente des Offenheitskonzepts – Transparenz – bietet sich die Differenzierung dreier Begriffe an: die Unterscheidung zwischen ,intendierter Äußerungsbedeutung‘, ,Äußerungsbedeutung‘ und ,sinnlich wahrnehmbaren Zeichen‘. Die ,intendierte Äußerungsbedeutung‘ ist in dieser Begriffstrias die Bedeutung, die der Produzent während der Äußerung anstrebt, der von ihr/ ihm beabsichtigte Sinn der Äußerung also. Unter der ,Äußerungsbedeutung‘ ist dagegen der tatsächliche Sinn der Äußerung zu verstehen, der dem Ergebnis der Reduktion des semantischen Potenzials der geäußerten sinnlich wahrnehmbaren Zeichen durch den Kontext entspricht und von der intendierten Äußerungsbedeutung abweichen kann. Die Rede vom ,tatsächlichen Sinn der Äußerung‘ läuft zugegebenermaßen Gefahr, missverstanden zu werden: Gemeint ist keine unmittelbar evidente und auf diese Weise objektive Bedeutung, sondern ein Sinn, der sich intersubjektiv ermitteln ließe – nicht in der Akkuratesse, mit der professionelle Hermeneutiker arbeiten, sondern in der Großzügigkeit, mit der Alltagskommunikation funktioniert. Die ,sinnlich wahrnehmbaren Zeichen‘ schließlich sind als perzipierbare Phänomene zu denken, die mit einem semantischen Potenzial ausgestattet sind. Nutzt man die drei skizzierten Begriffe, kann man formulieren, dass eine Äußerung transparent ist, wenn die sinnlich wahrnehmbaren Zeichen so gewählt worden sind, dass die intendierte Äußerungsbedeutung von der tatsächlichen Äußerungsbedeutung repräsentiert wird und das Verständnis der Äußerungsbedeutung für den Rezipienten einfach ist. Woran sich eine solche Wahl erkennen lässt, wird in Kapitel 2.3 erörtert. Im Anschluss an die konturierende Beschreibung seiner drei Kernkomponenten kann der Ethnobegriff der Offenheit sprachwissenschaftlich folgendermaßen gefasst werden: Wer sprachlich dem Kommunikationsprinzip der Offenheit folgt, – vollzieht einen risikoreichen bzw. bedrohlichen kommunikativen Akt,

110 Vgl. Austin 1962/2002: 59. Er nennt „Ich beglückwünsche Sie“ als Beispiel für einen solchen Akt (Austin 1962/2002: 59).

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drückt dabei eine Proposition aus, teilt zugleich mit, dass sie/er die Proposition glaubt und/oder empfindet und/oder wünscht und/oder beabsichtigt, tut dies tatsächlich und – gebraucht sinnlich wahrnehmbare Zeichen, deren Bedeutung die intendierte Äußerungsbedeutung repräsentiert und für den Rezipienten leicht zu erfassen ist. Insbesondere mit dem konzeptuellen Aspekt der Wahrhaftigkeit ragt Offenheit in das Feld der sittlichen Begriffe hinein. Insofern sie aber auch – vor allem durch den Aspekt der Transparenz – die Formung einer Äußerung betrifft, ist sie ebenso im Bereich der ästhetischen Begriffe angesiedelt. Daher ist es am angemessensten, Offenheit als Doppelprinzip zu klassifizieren: als ethisches und zugleich stilistisches Kommunikationsprinzip.111 Zu den drei zentralen Facetten dieses Offenheitsbegriffs sind zwei abschließende präzisierende Überlegungen anzustellen: 1. Mindestens zwei der drei Hauptkomponenten sind gradueller Natur. Eine Äußerung ist entweder ein risikoreicher kommunikativer Akt, wahrhaftig und transparent, oder sie ist es nicht. Wenn ein risikoreicher kommunikativer Akt vorliegt, kann dieser ein größeres oder kleineres Risiko beinhalten, und wenn es sich um eine transparente Äußerung handelt, kann diese mehr oder weniger transparent sein. Daraus folgt, dass Offenheit ein graduierbares Kommunikationsprinzip ist. Jemand kann offen oder nicht offen kommunizieren. Sofern sie/er offen kommuniziert, kann dies in höherem oder geringerem Maß der Fall sein. 2. Obwohl sich die wesentlichen Komponenten des Offenheitsbegriffs theoretisch voneinander trennen lassen, interagiert die dritte in der kommunikativen Praxis mit den anderen beiden. Der Grad der Transparenz einer Äußerung beeinflusst ihre Wahrhaftigkeit: Wenn jemand sich wahrhaftig äußern will, die intendierte Äußerungsbedeutung jedoch verschleiert formuliert, enthält die tatsächliche Äußerungsbedeutung im Extremfall nicht mehr die Proposition, an die jemand wirklich glaubt,

111 Die Klassifikation als stilistische und ethische Größe steht mit Hinweisen sprachwissenschaftlicher Publikationen im Einklang: Michel 1983: 482 gibt „parteilich“ und „offen, ehrlich, mutig“ als Beispiele für „Stilmerkmale“ an, die sich hinsichtlich des „Ausdrucks moralischer Qualitäten“ unterscheiden ließen. Antos 1982: 76 führt „offen“ neben „aufrichtig, boshaft, ehrlich“ und vielen anderen Bezeichnungen in seiner Liste von „FKA [formulierungskommentierenden Ausdrücken]“ auf, und zwar in der Gruppe der Ausdrücke, die ihm zufolge die „Beziehungs-Dimension“ kommentieren. Antos’ formulierungskommentierende Ausdrücke ähneln Bezeichnungen für Stilprinzipien, wie er selbst impliziert (vgl. Antos 1982: 83).

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

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die sie/er wirklich empfindet, wünscht und/oder beabsichtigt – oder die tatsächliche Äußerungsbedeutung umfasst zwar die angestrebte Proposition, bringt aber eine innere Haltung ihr gegenüber zum Ausdruck, die mit der real vorhandenen nicht übereinstimmt. Der Grad der Transparenz einer Äußerung wirkt sich indes ebenso auf die mit ihr preisgegebene Information und das damit verbundene Risiko aus: Wenn jemand eine sensible Information mitteilen möchte, die intendierte Äußerungsbedeutung allerdings verzerrt und verwickelt ausdrückt, ist die Information unter Umständen nicht mehr voll erkennbar.112 Der solchermaßen linguistisch gefasste Offenheitsbegriff lässt sich nun in Bezug zu existierenden sprachwissenschaftlichen Offenheitsdefinitionen setzen. Die einzige etwas ausführlichere Bestimmung findet sich in Götz Hindelangs Aufsatz „Äußerungskommentierende Gesprächsformeln. ,Offen gesagt‘, ein erster Schritt“. Wie in Kapitel 1.1 beschrieben fällt Offenheit für Hindelang „in die Kategorie der Konversationspostulate, die Grice in ,Logic and Conversation‘ [...] diskutiert“.113 „Sie [die Forderung nach Offenheit] scheint mir eine wichtige Grundmaxime jeder Konversation zu sein“,114 betont er und definiert die Konversationsmaxime der Offenheit so: „Wenn du zu einem Gesprächsgegenstand eine relevante Information oder Meinung hast, dann halte damit nicht hinter dem Berg“.115 Diese Erklärung berührt lediglich die erste Kernkomponente des hier ausgearbeiteten Offenheitsbegriffs, die der risikoreichen Preisgabe einer Information. Da sie beansprucht, vom alltäglichen Offenheitsverständnis auszugehen,116 müsste sie aber alle genannten Aspekte berücksichtigen. An einigen Stellen des Aufsatzes zeichnet sich freilich ab, dass Hindelang jene zumindest in Ansätzen bemerkt hat: Er stellt fest, dass die Kollokation ,offen gesagt‘ den „Widerspruch zu einer in A [im vo-

112 Deshalb stehen die erste und die dritte Kernkomponente des Offenheitsbegriffs in der Praxis in einer Beziehung zueinander, die man als ,Verhältnis der unwahrscheinlichen Koexistenz‘ bezeichnen könnte: Wenn ein Mensch einen bedrohlichen kommunikativen Akt zu vollziehen beabsichtigt, wird er zum Zweck des Selbstschutzes dazu tendieren, sich eher verschleiert zu äußern. Hat jemand dagegen vor, so transparent zu kommunizieren wie möglich, wird sie/er wenig geneigt sein, eine risikoreiche Mitteilung zu machen. 113 Hindelang 1975: 257. 114 Hindelang 1975: 257. 115 Hindelang 1975: 258. 116 Hindelangs Definitionsversuch liegen, wie in Kapitel 1.1 erwähnt, introspektiv gewonnene Beispieläußerungen zugrunde, die den alltäglichen Sprachgebrauch widerspiegeln sollen (vgl. Hindelang 1975: 253–254).

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rausgehenden Sprechakt, J.S.] gegebenen Bewertung“ einleiten könne, ebenso eine „Bewertung“, die „Zustimmung“ zu einer „negativen Bewertung“, ein „Eingeständnis“, die „Ablehnung einer Bitte“, die Entgegnung auf einen „Vorschlag“ oder ein „Angebot“ sowie eine „drastische Ausdrucksweise“, woraus er schlussfolgert: „Verwendet ein Sprecher in einer Äußerung ,offen gesagt‘, so signalisiert er damit, daß er der Meinung ist, diese Äußerung könne sich für ihn in irgendeiner Weise negativ auswirken“.117 Konkreter formuliert er: „Durch die Verwendung von ,offen gesagt‘ will ein Sprecher signalisieren, daß er sich [...] bewußt ist, durch seine Äußerung möglicherweise eine Norm zu verletzen“.118 Den Aspekt der etwaigen ,Normverletzung‘, der potenziellen ,negativen Auswirkungen‘ nimmt er jedoch nicht in seine Offenheitsdefinition auf. Hindelang beobachtet weiterhin, dass die Gesprächsformel ,ehrlich gesagt‘ die Formel ,offen gesagt‘ ersetzen könne – allerdings mit einer „gewissen Bedeutungsdifferenz“.119 In seiner oben zitierten Definition von Offenheit wird Ehrlichkeit aber nicht direkt angesprochen. Das Verhältnis jener zu dieser bleibt bei ihm somit ungeklärt. Schließlich macht er darauf aufmerksam, dass sich Offenheit in manchen Fällen „nicht darin [manifestiert], daß er [der Sprecher] den Hörer etwas Bestimmtes wissen läßt, sondern in der Form und der Ausdrucksweise, die er dazu wählt“.120 Man könnte diese Bemerkung als Beleg dafür ansehen, dass er die Relation zwischen Offenheit und Transparenz ansatzweise erkannt hat. Die Wortwahl und seine zitierte Begriffsbestimmung deuten indessen darauf hin, dass er Offenheit entweder als Mitteilung einer Information oder als ,Ausdrucksweise‘ versteht. Zudem stellt er nicht klar, in welcher ,Ausdrucksweise‘ sich Offenheit ,manifestieren‘ kann. Hindelangs Klassifikation von Offenheit als Konversationmaxime erweist sich bei genauerer Betrachtung gleichfalls als problematisch:121 Um eine Konversationsmaxime im Grice’schen Sinne zu sein, der in Kapitel 1.2 rekonstruiert wurde, müsste Offenheit – wie Hindelang selbst andeutet – von kommunikativen Beiträgen allgemein erwartet werden, und es müsste in der Regel offen kommuniziert werden. In einem Vor-

117 118 119 120 121

Hindelang 1975: 255–257. Hindelang 1975: 258. Hindelang 1975: 261. Hindelang 1975: 260. Gemäß Antos 1982: 68 ist „unbestritten, daß man diese Forderung [offen zu sein] in dem Kontext der Griceschen Konversationsmaximen diskutieren kann“. Der Annahme, dass Offenheit eine solche Konversationsmaxime ist, steht er gleichwohl skeptisch gegenüber (vgl. Antos 1982: 68), wobei er seine Skepsis nicht begründet.

2.2 Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs

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griff auf Kapitel 3.3 lässt sich sagen, dass Offenheit keine der beiden Voraussetzungen erfüllt: Angesichts der Vielzahl der situativen Gebote von Offenheit, die die untersuchten kommunikationsreflexiven Quellen enthalten, kann offene Kommunikation nicht der Regelfall sein. Des Weiteren unterliegen Kommunizierende keineswegs generell der Forderung, offen zu sein, wie die Menge der situativen Ablehnungen von und Warnungen vor Offenheit zeigt, die in den Quellen vorkommen.122 Offenheit wird von Hindelang also irrtümlich als Konversationsmaxime kategorisiert und insgesamt unzureichend definiert, obwohl seine Überlegungen in die richtige Richtung gehen.123

122 Es gibt ein weiteres Problem an Hindelangs Klassifikation, das mit seiner Auffassung von Offenheit zu tun hat. Hindelang behauptet, die Maxime der Offenheit sei „weder aus Grice’ allgemeinem Kooperationsprinzip, noch aus seinen Maximen [...] direkt herleitbar“ (Hindelang 1975: 257). Meines Erachtens ähnelt die Maxime der Offenheit, die Hindelang formuliert, Grices quantitativer Maxime „Mache deinen Beitrag so informativ wie (für die gegebenen Gesprächszwecke) nötig“ allerdings stark (Grice 1975/1979: 249). 123 In Wiegers linguistischer Studie „Sich miteinander aussprechen. Das Beziehungsklärungsgespräch“ findet sich ebenfalls eine Definition von Offenheit. Doch Wiegers interessiert sich nicht für das Konzept der Kommunizierenden, sondern setzt im Vorfeld ihrer Untersuchung einen ihren Forschungsinteressen entsprechenden Begriff fest. Es überrascht insofern nicht, dass sich ihre Auffassung von Offenheit von der in dieser Arbeit entfalteten deutlich unterscheidet: „Unter ,Offenheit‘ ist hier die Spontaneität eines Menschen als BSS, d. h. als Teilsystem eines Beziehungssystems, zu verstehen“ (Wiegers 1994: 38). Eine inhaltliche Verbindung zwischen diesem Offenheitsbegriff und dem hier erarbeiteten lässt sich nur feststellen, wenn man annimmt, dass Spontaneität den Vollzug eines risikoreichen kommunikativen Akts begünstigt. – Weitere wissenschaftliche, allerdings nicht sprachwissenschaftliche Offenheitsdefinitionen sind in den psychologischen Dissertationen Goez’ und Schweikers anzutreffen. Goez bestimmt Offenheit in ihrer „Studie zu ,Offenheit‘ als therapeutischer Basiskompetenz in ArztPatienten-Interaktionen“ nach einer Auseinandersetzung mit den Bedeutungen von ,Offenheit‘ im alltäglichen Sprachgebrauch und mit dem Begriff der ,self-disclosure‘ (vgl. Goez 1980: 17–21, 21–22) gleichfalls, ohne das Ethnokonzept zu fokussieren: „Unter Offenheit verstehe ich, daß der Sprechende in freier Entscheidung – ungehindert durch Unsicherheit, Angst und falsche Rücksichtnahme – relevante Teile seines Phänomenbestandes [des Erlebten, Erkannten, J.S.] einem konkreten Gegenüber mitteilt, so daß der Partner Informationen erhält, die ohne diese Mitteilung nicht zugänglich wären“ (Goez 1980: 158, vgl. 49). Schweiker diskutiert zu Beginn seiner Arbeit über „Offenheit und Sympathie in Gruppen“ ebenfalls einige alltägliche Bedeutungen des Ausdrucks ,Offenheit‘ (vgl. Schweiker 1983: 11–17) und verfährt danach ähnlich wie Wiegers und Goez, indem er Offenheit für die weitere Studie als „Sich-Mitteilen“, d. h. als „self-disclosure“ definiert (Schweiker 1983: 14–15, vgl. 16).

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2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung Wer wissen möchte, ob es sich bei der Äußerung eines anderen Menschen um eine offene handelt, sieht sich unter Umständen mit dem Problem konfrontiert, dies nicht mit Sicherheit entscheiden zu können: An der kommunikativen Sequenz im situativen Kontext allein ist für den Rezipienten nicht erkennbar, dass sie dem Begriff der Offenheit entspricht, der im vorigen Kapitel 2.2 herausgearbeitet wurde. Diese Schwierigkeit ist durch die zweite und dritte begriffliche Kernkomponente von Offenheit bedingt, durch Wahrhaftigkeit und Transparenz. Niemand kann vollkommen sicher sein, dass sich ihr/sein Gegenüber ehrlich äußert, denn dem Erkenntnisvermögen entzieht sich, ob die innere Haltung, die das Gegenüber zum Ausdruck bringt, dessen psychischer Realität entspricht. Um unzweifelhaft zu wissen, ob eine Person wahrhaftig ist, müsste man wahrnehmen können, ob sie an das glaubt, was sie behauptet, fühlt, was sie zu fühlen bekundet, wünscht, worum sie bittet, zu tun beabsichtigt, was sie ankündigt. Auch dass der Interaktionspartner transparent kommuniziert, kann nicht mehr als eine Vermutung sein. Ob sie/er den beabsichtigten Sinn der Äußerung unverfälscht ausdrückt, so dass sich dieser zutreffend erkennen lässt, ist nicht endgültig zu entscheiden. Um ein Urteil treffen zu können, müsste man imstande sein, die intendierte Äußerungsbedeutung zu überprüfen. Lediglich mithilfe zusätzlicher Informationen, die über die Äußerung und deren situative Einbettung hinausgehen, lassen sich deren Wahrhaftigkeit und Transparenz verifizieren oder falsifizieren. Die Unsicherheit, ob der Mensch, der einem schreibt, mit dem man spricht oder auch in einem anderen Zeichensystem kommuniziert, sich offen verhält, ist demzufolge nicht ohne Weiteres hintergehbar. Aus der entgegengesetzten Perspektive gesehen ist Sprechern resp. Schreibern die Möglichkeit verwehrt, ihren Kommunikationspartnern die eigene Offenheit unmittelbar zu beweisen. Dies dürfte ein maßgeblicher Grund dafür sein, dass schon im 18. Jahrhundert, vor allem aber seit dem 19. Jahrhundert manche Autoren der untersuchten Quellen wie auch zahlreiche, meist fiktive Kommunizierende der darin enthaltenen Mustertexte ihren Adressaten ihre Offenheit versichern. Weil die Adressaten diese infrage stellen können, bemühen sich die Sprecher bzw. Schreiber darum, jene durch Metakommunikation zu überzeugen: Sie weisen in Kontexten, in denen Zweifel bestehen oder wahrscheinlich sind, explizit auf ihre aktuelle, frühere oder in der Zukunft beabsichtigte Offenheit hin. Mit Nachdruck gebraucht Otto von Bismarck dieses Hilfsmittel 1846

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

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in einem Brief, der rund siebzig Jahre später in einem Briefsteller mit dem Titel „Privatbriefe, die Eindruck machen“ als Muster zitiert wird. In dem Brief bittet Bismarck Heinrich von Puttkamer um die Hand seiner Tochter Johanna: Ich beginne dieses Schreiben damit, daß ich Ihnen von vornherein seinen Inhalt bezeichne; es ist eine Bitte [...] um die Hand Ihres Fräulein Tochter. Ich verhehle mir nicht, daß ich dreist erscheine, wenn ich [...] den stärksten Beweis von Vertrauen beanspruche, den Sie einem Manne geben können .... [Auslassungszeichen im zitierten Text, J.S.] Was ich selbst dazu tun kann, beschränkt sich darauf, daß ich Ihnen mit rückhaltloser Offenheit über mich selbst Auskunft gebe, soweit ich mir selber klar geworden bin. [...] ich bin natürlich bereit, Ihnen über alles, was Sie zu wissen verlangen werden, genaue und ehrliche Auskunft zu geben124.

Bismarck beteuert die Absicht, über seine Person und seine Lebensverhältnisse ,offen‘ zu berichten, worin sich der Versuch vermuten lässt, Zweifel an seiner Offenheit zu zerstreuen und den adressierten Vater davon zu überzeugen, dass er es mit einem aufrichtigen Bewerber zu tun habe, über den er nach der Korrespondenz genug wisse, um ihm ,den stärksten Beweis von Vertrauen‘ zu geben – die Erlaubnis, seine Tochter zu heiraten.125 Solche metakommunikativen Versicherungen, auf die ich in Kapitel 3.2 zurückkomme, verschieben das Problem des hypothetischen Status von Offenheit jedoch mehr, als dass sie es lösen: Selbst jemandes Behauptung, offen (gewesen) zu sein, gewährleistet dies nicht, da es sich um eine Lüge handeln könnte. Die Frage der Ehrlichkeit stellt sich erneut, nur auf die Ebene der Metakommunikation verlagert. Obwohl Kommunizierende also ohne ergänzende Informationen nicht sicher sein können, dass eine Äußerung offen ist, klassifizieren sie manche Äußerungen dezidiert als solche. In den analysierten kommunikationsnormativen Texten zeigt sich das über den ganzen Untersuchungszeitraum hinweg vor allem darin, dass ihre Autoren manche Beispieläußerungen – meist Gesprächsbeiträge oder Stellen aus Briefen – ihrer geringen Offenheit wegen kritisieren, andere dagegen unter Hinweis auf ihre große Offenheit lobend hervorheben. Die Vielzahl derartiger Klassifikationen macht evident, dass wahrnehmbare Merkmale von Offenheit zum kollektiven Wissen über diese, d. h. zu den üblichen kognitiven Komponenten der Einstellung gegenüber dieser gehören. Sie deu-

124 Petersen [o. J./ca. 1920]: 54. Vgl. Bismarck 1830–1895/[1970]: 56. 125 Der Versuch war allerdings nicht erfolgreich, denn Puttkamer reagierte in der Antwort auf Bismarcks Brief verhalten und stimmte der Heirat erst später zu (vgl. Lenz 1902: 579).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

tet darauf hin, dass sich Offenheit in einer Äußerung sinnlich erfahrbar niederschlägt oder zumindest niederschlagen kann. Die perzipierbaren Kennzeichen von Offenheit lassen sich auf zwei Wegen suchen: 1. Man sammelt Äußerungen, die in den Quellen als offen beurteilt werden, und vergleicht sie im Hinblick auf wahrnehmbare Gemeinsamkeiten. 2. Man sammelt metakommunikative Äußerungen, die in den Quellen auf wahrnehmbare Anzeichen für Offenheit hinweisen, und ermittelt Aussagenmuster. Da das Offenheitskonzept zwischen dem 18. Jahrhundert und der Gegenwart in seinen wichtigsten Teilen unverändert bleibt, überrascht es nicht, dass die Erkennungszeichen individueller Offenheit, die mit diesen beiden Methoden aufgespürt werden können, historisch ähnlich stabil sind.126 Es lassen sich Indizien finden, die mit den Kernkomponenten des Konzepts korrespondieren: Indizien der risikoreichen Preisgabe einer Information sowie der Wahrhaftigkeit und Transparenz.

Kennzeichen der risikoreichen Preisgabe einer Information Im einleitenden Teil des Kapitels wurden die Schwierigkeiten angesprochen, zu entscheiden, ob die Äußerung eines anderen Menschen wahrhaftig und transparent ist. Ihr Rezipient kann hingegen unter Berücksichtigung der Situation am Inhalt und am Sprech- bzw. kommunikativen Akt erkennen, ob eine Information preisgegeben wird, diese Preisgabe mit einem Risiko behaftet ist und der kommunikative Akt somit bedrohlich ist. Wenn dies der Fall ist, liegt ein wichtiger Anhaltspunkt für eine offene Äußerung vor. Bei der Durchsicht der kommunikativen Sequenzen, die in den Quellen als offen bestimmt werden, sowie der dortigen Äußerungen über Offenheit zeigt sich, welche Inhalte bzw. kommunikativen Akte für offene Äußerungen charakteristisch sind und dadurch als Fingerzeig auf eine gefährliche, bedrohliche und ergo auch auf eine offene Mitteilung angesehen werden können. Es ist sinnvoll, sowohl den charakteristischen Inhalten als auch den Akten nachzugehen – wobei man genau genommen von Inhaltstypen und Akttypen sprechen müsste –, da die Klassifikation

126 Einige Erkennungszeichen sind allein auf einem der angegebenen Wege zu entdecken. Weil dies ihren erkenntnistheoretischen Status nicht unberührt lässt, kennzeichne ich diese Fälle.

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

89

offener Äußerungen nach ihrem Inhalt eher dem geistigen Umgang der historischen Akteure mit ihnen entspricht, während die Einteilung nach kommunikativen Akten sprachwissenschaftlichen Denkweisen entgegenkommt. Die Inhalte und Akte sind freilich nicht unabhängig voneinander: Grundsätzlich können offene Äußerungen eines bestimmten Inhalts nicht alle, sondern nur einen oder einige Akte bilden, wie auch offene Äußerungen, die einen bestimmten Akt darstellen, nicht sämtliche, sondern lediglich einen oder manche Inhalte aufweisen können. Die ermittelbaren Inhalte bzw. kommunikativen Akte sind nicht alle an sich heikel oder bedrohlich, haben aber durchweg das Potenzial, es zu sein: Äußerungen, die diese Inhalts- bzw. Akttypen repräsentieren, beinhalten in Abhängigkeit von deren Ausgestaltung und von der Situation eine Gefahr für den Urheber. Damit unterscheiden sich die bedrohlichen kommunikativen Akte, die für Offenheit notwendig sind, von den ,facethreatening acts‘ Penelope Browns und Stephen Levinsons, da solche ,FTAs‘ ihnen gemäß „kinds of acts“ angehören, die „intrinsically threaten face“,127 also per se risikoreich sind. Die Fülle der Inhalte bzw. kommunikativen Akte, die für Offenheit typisch sind, und der Reichtum der Quellen an Belegen für sie lassen sich tabellarisch am besten darstellen. In den folgenden beiden Tabellen werden erst die Inhalte und dann die Akte alphabetisch geordnet in der linken Spalte aufgelistet.128 Sie wandeln sich zwar vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart nur wenig, doch wenn ein Inhalt oder Akt lediglich in einem Teil des gesamten Untersuchungszeitraumes typisch ist, wird dies in Klammern vermerkt. In der rechten Spalte der Tabellen finden sich beispielhafte Quellenbelege, die so ausgewählt wurden, dass sie verschiedene thematische Kontexte und Textsorten abdecken und sich über den Zeitraum verteilen, in dem der Inhalt bzw. Akt typisch ist. Die Ausdrücke, die markieren, dass es im jeweiligen Beleg um Offenheit geht, sind fett gedruckt. Die Formulierungen, aus denen hervorgeht, dass einer offenen Äußerung der genannte Inhalt zukommen bzw. dass sie den angegebenen Akt bilden kann, wurden unterstrichen. Einige Textstellen sind in beiden Tabellen enthalten, um Zusammenhänge zwischen den Inhalten und kommunikativen Akten aufzuzeigen. 127 Brown/Levinson 1978/1987: 65. 128 Sie wurden induktiv durch Abstraktion aus den Quellen gewonnen, ihnen liegt keine deduktiv abgeleitete Typologie zugrunde. Dabei hat der Versuch, die Kategorien den Quellen möglichst dicht folgen zu lassen, zur Konsequenz, dass jene nicht trennscharf sind. – Die alphabetische Sortierung der Akte richtet sich nach dem (zuerst genannten) Verb.

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Typische brisante Inhalte

Exemplarische Quellenbelege

Gefühle des Äußerungsproduzenten

Aus dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Caroline Flachsland (Brief Herders vom 17.10.1770): „[W]enn Sie [...] an Ihre und meine Zukunft denken [...] was weißagt alsdenn Ihre Seele? [...] was sagt Ihr Herz für die Zukunft? Frage es doch, werde aus Liebe mit mir zugleich abergläubisch, und entdecke mir, was es sagt, aber so ganz, so offen, so unverholen, als Sie es selbst fühlen“ (Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 110–111). Aus einer Anstandslehre: „Wähle mit Verstand die Lebensfreundin! / Lerne ganz sie kennen; prüfe scharf! / Prüfe, ob dein Herz sich in der Freude, / Sich in seinem Leid’ ihr öffnen darf“ (Holtzhey 1875/1879: 83). Aus einem Konversationsratgeber: „Anderseits giebt es auch Reisende, welche denen, die sich mit ihnen in ein Gespräch einlassen, mit [...] rückhaltsloser Offenheit entgegenkommen [...]. ,Zuerst,‘ sagt Ernst Ewald von einem solchen mitteilsamen Reisegenossen, ,kommt uns wohl sein rücksichtsloser Mitteilungsdrang nicht uninteressant in seiner naiven Wahllosigkeit vor, aber bald werden wir anders darüber denken. Es scheint uns denn doch, als wenn man uns etwas zu viel zumutete, wenn man uns in jeden Winkel des Herzens schauen läßt und uns förmlich überschüttet mit Auseinandersetzungen und Erklärungen eigener Verhältnisse, eigenen Kummers, stiller Hoffnungen und Wünsche [...].‘“ (Franken 1871/[1908]: unpag., Kap. „Auf der Reise“). Aus einem Kommunikationsratgeber: „Gefühle preiszugeben ist eine Fähigkeit, die nur der zu entwickeln in der Lage ist, der über innere Sicherheit und Stärke verfügt. [...] Wenn Menschen zeigen, daß sie Enttäuschung, Ärger, Schmerz und Furcht empfinden, zeigen sie gleichzeitig damit, daß sie auch den Mut und die Kraft besitzen, damit in der Kommunikation umzugehen. Mit der Offenheit, sich als die Person zu zeigen, die man wirklich ist, auch in dem, worin man sich schwach und abhängig fühlt, zeigt man nicht nur, daß man ein Mensch ist, man löst mit dieser Aufrichtigkeit auch Vertrauen aus“ (Mohl 1994: 157). Aus einem Lebens- und Kommunikationsratgeber: „In der mangelnden Fähigkeit, mit Gefühlen umzugehen oder sie offen auszusprechen, liegt auch die Hauptursache dafür, daß soziale Kontakte immer häufiger scheitern. Wir sind viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt, um anderen Menschen noch etwas von unserer Zeit und Aufmerksamkeit zu schenken. Umgekehrt glaubt man, es gehöre sich nicht, andere mit persönlichen Empfindungen, mit Freude und Kummer zu belästigen. Zugleich aber wächst bei den meisten Menschen gerade das Bedürfnis, sich offen und unbeschwert mitzuteilen und im Gespräch ein Ventil für den emotionalen Überdruck zu finden“ (Siethoff 1996: 134).

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

Typische brisante Inhalte

Exemplarische Quellenbelege

Handlungsabsichten/ -bereitschaften des Äußerungsproduzenten

Aus einem Zeitschriftenbeitrag: „Freymüthigkeit ist [...] eine Aeußerung dieser Tugend [der Aufrichtigkeit] [...]. Aufrichtigkeit ist doch wohl die Tugend, nach welcher ein Mensch [...] immer die Empfindungen, Gesinnungen, Absichten, Entschlüsse und Vorsätze, die er wirklich hat, äußert“ (Starke 1791: 250).

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Aus der Antwort einer Tante auf eine Bitte um die Hand ihrer Nichte in einem Briefsteller: „Indeß gestattet mir die Offenheit und Redlichkeit, die ich mir bei allen Handlungen meines Lebens zur Richtschnur gesetzt habe, nicht, Sie, mein Herr, darüber in Zweifel zu lassen, welche Folgen die mir nicht zusagende Verbindung meiner Nichte mit Ihnen für diese haben würde. Es ist nämlich mein fester, unerschütterlicher Wille, mein Testament an Ihrem Hochzeitstage mit Philippinen [mit der Nichte, J.S.] dahin zu ändern, daß mein gesammtes Vermögen ihrer jüngeren Schwester nach meinem Tode zufällt“ (Schoppe/Milde 1834/1876: 130). Aus einem Brief mit dem Titel „Ein junger Mann bittet die Eltern seiner Geliebten um die Hand ihrer Tochter“ in einem Briefsteller ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 33): „Offen und ehrlich [...] kann ich Ihnen die heilige Versicherung geben, daß ich stets alles aufbieten werde, um das Leben Ihrer geliebten Tochter heiter und glücklich zu machen“ ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 34). Aus einem Abschnitt über das „[e]nglische Landleben“ in einem Anstandsbuch: „,Liebe Frau B.! Ich danke sehr für die gütige Einladung, es lockt mich sehr, einige Tage auf Schloß B. zu sein. Da ich aber noch bis zum 5. in W. bei meinen Freunden bleibe und am 9. schon in F. bei den Allens zugesagt habe, so bliebe mir nur die Zeit vom 6. bis 9. Da ich Sie aber sehr gern wiedersehen möchte, so werde ich am 6., wenn Sie nicht anders beschließen, mit dem 2.20 Mittagszug eintreffen.‘ [...] Diese selbstverständliche, offene Art der Umgangsformen sollte man auch in Deutschland mehr pflegen“ (Baudissin/Baudissin [1901]: unpag., Kap. 380). Aus einem Brief mit dem Titel „Zusagende Antwort“ auf eine „Einladung zur Trauzeugenschaft“ bei einem „Freund“ in einem Briefsteller (Harten [1920]: 79, 78): „Noch eins, lieber Freund, was soll ich Dir in Euren Hausstand schenken? Laß mich offen mit Dir sprechen! Ich möchte nicht gern Unnützes geben. Dazu ist uns beiden das Geld zu rar. Bis zehn Mark soll’s kosten. Schreibst Du mir, was Ihr wünscht, so kaufe ich es; sonst schenke ich Geld, und Ihr habt die Mühe, es umzusetzen“ (Harten [1920]: 79).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Typische brisante Inhalte

Exemplarische Quellenbelege

Inhalte aus dem Bereich gesellschaftlich tabuisierter Themen129 (z. B. Politik, Religion, seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch Körperbezogenes wie Krankheit und Sexualität)130

Aus dem Briefwechsel zweier Freunde über die Freundschaft in einem Zeitschriftenbeitrag: „Gewiß würde das milde Licht der Aufklärung [...] nicht so weit verbreitet seyn, wenn die offenherzige Mittheilung moralischer und politischer Begriffe in freundschaftlichen Unterredungen nicht dazu mitgewirket hätten“ ([Kunhardt] 1797a: 181). Aus einem Anstandsbuch: „Laß Dich auch in geselliger Unterhaltung, wenn Du es irgendwie vermeiden kannst, nicht in Gespräche über Religion und religiöse Gegenstände ein; namentlich nicht mit Unbekannten und Dir bekannten Andersgläubigen; in der Regel wird dadurch der Religion nicht genützt, sondern geschadet. Wirst Du von irgendwem zu solchen Gesprächen herausgefordert, so bekenne offen und männlich Farbe“ (Vogt (Hrsg.) 1894: 16–17). Aus einem Anstandsbuch: „Sprechen wir offen – die Kultur der Unterwäsche war an der Zeit. Eine gut gewachsene Frau in elegantem Kleid und unerfreulichem Dessous ernüchtert“ ([Stuck] von Reznicek [1927]/1928: 43). Aus einem Anstandsbuch: „Besondere Aufmerksamkeit verdient das so gefürchtete, heikle Problem der Aufklärung. Hier können Väter oder väterliche Freunde bei dem heranwachsenden Jungen die gerade heute so große Gefahr des verderblichen äußeren Einflusses bannen. Was hier zu sagen ist, muß rechtzeitig, offen und ohne falsche Scham gesagt werden. Namhafte Psychologen haben übereinstimmend festgestellt, daß die Aufklärung über das Mysterium des Werdens so früh wie möglich erfolgen sollte. [...] Wer als Vater vor dieser Pflicht zurückschreckt, darf sich später nicht wundern, wenn der junge Mensch aus den scheinbar unlöslichen Nöten dieser Sturm- und Drangzeit körperliche und seelische Schäden zurückbehält. Vor diesen Schäden gilt es das heranwachsende Kind an der Schwelle des Lebens zu bewahren: durch ernste Offenheit auch den letzten Fragen gegenüber“ (Graudenz 1956: 121).

129 Ich gehe nicht davon aus, dass über gesellschaftlich tabuisierte Themen kaum oder gar nicht gesprochen bzw. geschrieben wird, sondern verstehe darunter Themen, die spezifischen „Verbotsprozeduren“ unterliegen, wie Foucault im „Willen zum Wissen“ in Bezug auf das Thema Sexualität formuliert (Foucault 1976/1977: 65). Für ein gesellschaftlich tabuisiertes Thema im Sinne dieser Arbeit gilt, was Foucault am okzidentalen Umgang mit Sexualität seit dem 17. Jahrhundert beobachtet: „Man sagt nicht weniger [...]. Aber man sagt es anders“ (Foucault 1976/1977: 40). 130 Erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts sind Krankheiten und Sexualität typische Inhalte offener Äußerungen. Die entsprechenden Themenbereiche müssen zuvor entweder weniger bzw. nicht tabuisiert gewesen sein – was sich vom Themenbereich tödlicher Krankheit annehmen lässt – oder aber sehr stark tabuisiert gewesen sein – wie über den Themenbereich der Sexualität vermutet werden kann. Ihr Tabuisierungsgrad muss so gering oder so hoch gewesen sein, dass Inhalte aus ihnen für offene Äußerungen nicht typisch geworden sind.

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

Typische brisante Inhalte

93

Exemplarische Quellenbelege Aus einem Zeitschriftenartikel: „Nicht bei allen sexuellen Problemen und Störungen ist professionelle Hilfe notwendig. Oftmals reicht es, offen innerhalb der Beziehung oder mit Freunden über die Probleme zu sprechen“ (Fliegel 1990: 24).

Konflikte zwischen Äußerungsproduzent und Adressat (seit Anfang des 20. Jahrhunderts)131

Aus einem Brief mit dem Titel „Der Bräutigam fragt die Braut wegen ihres Unfreundlichseins“ in einem Briefsteller: „Du warst gestern so schweigsam, so kalt und fremd gegen mich, obgleich ich Dir mit der gewohnten Offenheit und Liebe entgegentrat. [...] Erinnere Dich unserer Vereinbarung, keinen Mißton zwischen uns aufkommen zu lassen, uns vielmehr offen und ehrlich das zu sagen, was dazu angetan sein möchte. Du kannst überzeugt sein und weißt es, daß ich gern alles vermeiden werde, was Du unlieb oder tadelnswert an mir finden magst. Hülle Dich nicht in finsteres Schweigen und Trutzen!“ (Harten [1920]: 58). Aus einem Anstandsbuch: „Selbstredend stellen die Zettel, mit denen Frau Kramer ihre Untermieterin bewirft, eine glatte Ungehörigkeit dar. [...] Grundsätzlich gilt im Privatleben die Regel – und nicht nur im Verhältnis zwischen Wirtin und Untermieter: Schreibe nie, wenn du Gelegenheit hättest, dich auszusprechen. Jedes Mißverständnis, jedes Ärgernis und jeder Konflikt läßt sich mündlich leichter aus dem Weg schaffen. [...] Frau Kramer drückt sich vor jeder offenen Aussprache“ (Holm 1971: 202). Aus einem Zeitschriftenartikel: „Wenn Interessenkollisionen nicht offen ausgetragen werden können, ist weder eine konstruktive Konfliktregelung möglich, noch können Fertigkeiten zur gezielten Veränderung frustrierender Lebensbedingungen eingeübt werden“ (Sobez/Verres 1980: 25). Aus einem Kommunikationsratgeber: „Nur wenn Sie bereit sind, Konflikte auch offen auszutragen, können Sie auch reifen“ (Ryborz 1988: 341). Aus einem Kommunikationsratgeber: „Frauen haben [...] Schwierigkeiten, wenn sie Forderungen stellen oder nein sagen müssen. Sie tun sich schwer damit, anderen kritische Rückmeldungen zu geben und Konflikte offen auszutragen“ (Mohl 1994: 50).

131 Dass Konflikte zwischen den Interagierenden erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts zu den typischen Inhalten offener Äußerungen zählen, könnte darin begründet sein, dass Konflikte erst im 20. Jahrhundert im Rahmen des alltäglichen Umgangs sprachlich ausgehandelt werden, zumal es dann genug annähernd gleichberechtigte Kommunizierende gibt, die zur Kooperation in einer stark arbeitsteiligen Gesellschaft gezwungen sind (zu diesen Zusammenhängen vgl. Kapitel 5).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Typische brisante Inhalte

Exemplarische Quellenbelege

Kritik am Adressaten

Aus einem Stück einer moralischen Wochenschrift: „Uns genüget ihnen [den Lesern] die Absichten zu zeigen, warum wir Redliche zu werden und wie wir als Redliche mit ihnen umzugehen, wünschen. [...] Tausend geringscheinende Fehler, Vorurtheile, Verderbniß des Geschmacks die oft ein Geistlicher nicht rügen könnte, ohne lächerlich zu werden, und die die Obrigkeit nicht straft, werden wir als Redliche sagen dürfen“ ([Anonym.] 1751b: 22–23).132 Aus einer Verhaltenslehre: „Und nun vernimm [...], in wiefern ich glaube, daß die Benutzung dieses [des Triebes nach Ehre] und jedes andern menschlichen Triebes mit derjenigen Aufrichtigkeit und Redlichkeit sich vereinigen lassen, die, wie ich hoffe, dir und mir [...] immer heilig bleiben sollen. Diese Vereinigung kann [...] sehr wohl Statt finden, wenn wir [...] keinen Augenblick Bedenken tragen, uns auch über die Thorheiten, Fehler und Laster der Menschen freimüthig und ohne Rückhalt zu erklären“ (Campe 1789: 443). Aus einem Anstandsbuch: „Dem Laster weiche aus und zeige ihm, wenn es Dir auch im gefälligsten Gewande naht, offen Deinen Abscheu“ (Vogt (Hrsg.) 1894: 65). Aus der Antwort auf die Nachfrage von „Onkel Albert und Tante Franziska“, die in einem Fallbeispiel eines Anstandsbuchs nicht zu einem „Familienfest“ eingeladen worden sind (Trauttmansdorff 1977: 107): „,Weißt du, ihr zwei seid so unbeliebt. Dein autoritäres Gehabe und deine Festreden ... [...] Tante Franziska [...] sucht [immer] [...] Streit und geht uns mit ihren eingebildeten Krankheiten einfach auf die Nerven. [...] Nimm mir meine Offenheit nicht übel, Onkel Albert, aber einer muß dir ja einmal die Wahrheit sagen.‘“ (Trauttmansdorff 1977: 107–108). Aus einem Beziehungsratgeber: „– Sie müssen [...] auch lernen, mit den Schwächen und Fehlern Ihres Partners zu leben. – Das heißt nicht, daß Sie schweigend (und leidend) darüber hinwegsehen sollten. – Sprechen Sie sich in aller Offenheit darüber aus“ (Rudorf 1984: 133).

132 Im unmittelbar vorausgehenden Stück, an welches das zitierte Stück argumentativ anschließt, wird ,Redlichkeit‘ als ,edle und wahre Offenherzigkeit‘ definiert: „Aus diesen zwo Quellen, der ächten Einfalt und Liebe des Nächsten entstehet eine edle und wahre Offenherzigkeit gegen den Nächsten; und dieses ist es, was wir Redlichkeit nennen“ ([Anonym.] 1751c: 12).

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

95

Typische brisante Inhalte

Exemplarische Quellenbelege

Meinungen des Äußerungsproduzenten

Aus einem Brief in einer moralischen Wochenschrift, in dem der Schreiber berichtet, wie er von seiner Mutter „zu dem vornehmsten Minister“ gesandt wird, um ihm eine „Bitt-Schrift [zu] überreichen“, mit der die Mutter um die „noch rückständige Besoldung ihres [verstorbenen, J.S.] Mannes“ ersucht: Der Minister war „so gnädig [...], mich unter andern zu fragen: Ob ich über das Absterben meines Vaters noch sehr betrübt sey? worauf ich ihm offenhertzig antwortete: daß auch alle andere Leute ihn zu bedauren Ursache fünden, weil er so ein gottesfürchtiger, liebreicher und redlicher Mann gewesen wäre“ (Ehrlich 1726: 281). Aus einem Stück einer moralischen Wochenschrift: „Ein Geselliger ist demnach bereit, jederman seine Meinung zu sagen, so ofte es die wahre Liebe erfodert. Hieraus entstehet nun die vortrefliche Tugend der Offenherzigheit“ (F. 1750: 82). Aus einem Zeitschriftenbeitrag: „Mit patriotischem Gefühle rühmt der Verfasser dieses Aufsatzes ein Land, wo bürgerliche und gesetzliche Freyheit in Achtung steht; wo kein politisches Inquisizions-Gericht Spione des Glaubens, der Presse, der Gespräche und der Lektüre besoldet; wo freymüthige Meynungen überall in unschädlichem Umlaufe sind“ (Ackermann 1795: 78–79). Aus einem Anstandsbuch: „Eine junge Dame beteiligt sich nur in bescheidenem Tone an einer Unterhaltung, welche den geselligen Kreis belebt. Sie braucht ihre Geistesgaben durchaus nicht in den Schatten zu stellen, darf jedoch kein allgemeines neues Gespräch eröffnen. Wird sie angeredet, kann sie frei und offen ihre Ansichten aussprechen, vorausgesetzt, daß diese nicht gegen den herrschenden Gesellschaftston verstoßen“ (Junker [1887]: 32). Aus einem Anstandsbuch: „Wir werden von einem Freund oder einer Freundin gebeten, sie beim Einkauf zu begleiten. Dann können wir nicht nur, dann müssen wir ganz offen sagen: ,Ich würde den blauen Hosenanzug nehmen, in dem hast du die beste Figur!‘“ (Holm 1971: 261).

Norminkongruenz/ -verstöße des Äußerungsproduzenten (z. B. Probleme, Charakterfehler, Irrtümer, Fehlhandlungen)

Aus einem Anstandsbuch: „Diese edle Natürlichkeit äußert sich gewöhnlich durch Freimüthigkeit und Offenherzigkeit, die freilich der Vorsicht, den eingeführten Verhältnissen der Sittlichkeit und Höflichkeit nicht zuwider seyn darf [sic]. Sie [...] gesteht ihrem Freunde ohne Verstellung ihre Fehler, aber nicht ohne Klugheit“ (Siede 1797: 123).

96

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Typische brisante Inhalte

Exemplarische Quellenbelege Aus der „Antwort“ auf einen Brief mit dem Titel „An die Braut eines Bruders“ in einem Briefsteller (Schoppe/Milde 1834/1876: 49, 47): „Lassen Sie mich ganz offen gegen Sie sein, geliebte Schwester, denn nur wenn Sie meine wunde Stelle kennen, werden Sie durch Vernunftgründe und Vorstellungen zur Heilung derselben beitragen können: ich bin eifersüchtig, bin es in einem ziemlich hohen Grade und mir selbst zur unendlichen Qual“ (Schoppe/Milde 1834/1876: 50–51). Aus einem Anstandsbuch: „Auch zögere man nicht, wenn man im Laufe des Gespräches eines Anderen belehrt wird, oder seine Ansicht ändert, dieses offen einzugestehen und nicht durch unfreundliches Schweigen seinen Unmuth zu zeigen“ (Kistner 1886: 39). Aus einem Anstandsbuch: „Es gehört zum allerbesten Ton, einen Fehler, den man begangen hat, freimütig einzugestehen“ (Holm 1971: 16). Aus einem Führungs- und Kommunikationsratgeber: „Voraussetzungen einer Lernkultur: [...] 2. Es muss ein positiver Umgang mit Fehlern gelernt werden. [...] Schaffen Sie eine offene, freie Kommunikation ohne unnötige Ängste, in der selbstverständlich Fehler genannt und aufgearbeitet werden“ (Reinke-Dieker 2003: 60–61).

Wünsche des Äußerungsproduzenten

Aus einem Briefsteller: „Ohne vorherige Auswahl der Redensarten wird es ein gewöhnliches, insinuantes und faßliches Compliment seyn, wenn ein Frauenzimmer dem andern sagt: ,In Ihrer Gesellschaft bin ich am liebsten. Ganze Tage wünschte ich bey Ihnen zu seyn. Wollen Sie nicht bald wieder zu mir kommen? Ihre Mama wird es gewiß erlauben; ich bitte sie darum.‘ So offenherzig, so freundschaftlich, so ganz ohne Wortgepränge, getrauet man sich aber nicht einander zu schreiben“ ([Anonym.] 1777: 140). Aus einem Beispiel für „[m]ündliche Heirathsanträge“ in einem Anstandsbuch ([Anonym.] 1829/1829: 18): „Ich lernte Sie näher kennen, bewunderte oft im Stillen Ihre Tugenden, wollte Ihnen meine Liebe gestehen und schwieg dann wieder aus Furcht; doch jetzt habe ich Muth gefaßt und frage Sie offenherzig: wollen Sie die Gefährtin meines Lebens werden?“ ([Anonym.] 1829/1829: 18–19).

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

Typische brisante Inhalte

97

Exemplarische Quellenbelege Aus einem Brief mit dem Titel „Einfache Liebeserklärung“ in einem Briefsteller (Harten [1920]: 38): „[I]ch [nehme] heute mir die Freiheit, Ihnen kühn meine geheimsten Wünsche zu offenbaren. Da Sie meine Familie und meine Verbindungen, meine Fähigkeiten und Aussichten, meinen Charakter und mein Wesen kennen, so brauche ich weiter nichts zu offenbaren, als Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe. Mein Schicksal liegt nun mit in Ihrer Hand. [...] Ich schließe in der angenehmen Hoffnung, daß Sie meinen Antrag nicht zurückweisen“ (Harten [1920]: 38–39). Aus einem Zeitschriftenartikel: „Die Teilnehmer [einer Encounter-Gruppe] gehen das Wagnis ein, sie selbst zu sein und offen ihre Gefühle und Bedürfnisse zu äußern“ (Kremer 1976: 30). In einem Beispiel unter der Überschrift „Um den heißen Brei herumreden? Bedürfnisse und Wünsche offen äußern“ in einem Beziehungs- und Kommunikationsratgeber (Fischaleck 2003: 130): „Er [mein selbstbewusster Freund Anderl] läutet an der Tür: ,Hallo, kann ich reinkommen?‘ Nach kurzer Zeit: ,Weißt du, was ich jetzt gerne hätte? Ein Glas Apfelsaft und ein Butterbrot.‘ [...] Ich fühle mich entlastet, weil mein Freund Verantwortung für sich selbst übernimmt“ (Fischaleck 2003: 132).

129 130 131 132

Wie angekündigt gibt die folgende, zweite Tabelle einen Überblick über die kommunikativen Akte, die für offene Äußerungen charakteristisch sind:

129 130 131 132

98

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Typische risikoreiche kommunikative Akte

Exemplarische Quellenbelege

,einen Wunsch des Adressaten ablehnen‘/,einer Handlungsabsicht des Adressaten entgegentreten‘

Aus dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Caroline Flachsland (Brief Flachslands vermutlich vom 11.01.1773): „Hast Du nicht Lust, noch einen Jungen von 10 Jahren zu unseren Neveu [Neffen, J.S.] zu nehmen? es ist ein Sohn vom Landgraf und meiner ältsten Schwester, heißt HErr von Hessenzweig“. Aus einem weiteren Brief Flachslands (Brief Flachslands vom 05.02.1773): „Ueber unsern Hessenzw[eig] bin ich in Zweifel, ob es auch Dein Ernst und guter Wille ist, daß Du ihn nehmen willt. Es sind so viele Abers bey Deiner Einwilligung, die, ich EinfaltsPinsel, in der ersten Freude und Aufwallung nicht so verstanden, wie jetzt. Du wirst also so gut seyn und mir nur blos ein deutliches und vernehmliches Ja oder Nein vernehmen lassen. [...] Deine Offenherzigkeit hätte mir unendlich beßer gefallen“. Aus Herders Antwort (Brief Herders vom 06.02.1773): „Wenn wir zusammen und in Situation sind, verspreche ich Dir, will ich selbst Alles, Alles, Alles thun, ihn [Hessenzweig] bei Uns zu bekommen: so lange aber, muß ich Dir sagen, weiß ich wahrhaftig nicht, was er hier soll. [...] Ich weiß, daß Du alle diese Sachen [seine Ablehnung, Hessenzweig aufzunehmen, samt Erläuterungen, J.S.] aus meinem, dem offensten, treusten, Dir theuersten Herzen nimmst, und es dahin einlenkest, und mir ja keine falsche Seite andichtest, von der ich keinen Schatten kenne“. Aus Flachslands Antwort (Brief Flachslands vom 12.02.1773): „Sieh, das ist jetzt recht, daß Du aufrichtig und offen vom Heßenz[weig] sprichst“ (Herder/Flachsland 1772–1773/1928: 2. Bd.: 330–331, 345, 349–351, 355). Aus einem Brief unter der Überschrift „Die Antwort auf die Liebeserklärung des Mannes“ in einem Briefsteller ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 94): „Ihr Antrag erscheint so aufrichtig und ehrenvoll gemeint, daß selber jedenfalls eine nicht minder offene und anerkennende Erwiederung erheischt. Vor Allem muß ich Ihnen unumwunden gestehen, daß mich kleine Person ein förmlicher Anflug von Stolz überkam, da ich die [...] Aufmerksamkeit Ihrer [...] Persönlichkeit auf mich zu ziehen das Glück gehabt. [...] Demütig muß ich bekennen, ich bin mit meinen siebzehn Jahren noch nicht reif und fähig, den schweren Beruf einer Hausfrau und Gesellschaftsrepräsentantin in Ihrem Hause übernehmen zu können“ ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 99–100). Aus einem Kommunikationsratgeber: „Kennen Sie auch solche Situationen, in denen Sie sich von anderen eine unnötige Handlung haben aufzwingen lassen? Oder in denen Sie vielleicht eine freundliche Bitte zu patzig abgelehnt haben? Um sich hier zu verbessern, können Sie in diesem Buch anhand von vielen praktischen Beispielen offen ,Nein‘ sagen lernen. Denn wer offen ,Nein‘ sagen kann, setzt weder sich noch anderen Grenzen. Vielmehr verhält er sich gemäß der jeweiligen Situation“ (Kastenbauer 2003: Klappentext).

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

99

Typische risikoreiche kommunikative Akte

Exemplarische Quellenbelege

,jemandem eine eigene Handlung ankündigen‘

Aus der Antwort einer Tante auf eine Bitte um die Hand ihrer Nichte in einem Briefsteller: „Indeß gestattet mir die Offenheit und Redlichkeit, die ich mir bei allen Handlungen meines Lebens zur Richtschnur gesetzt habe, nicht, Sie, mein Herr, darüber in Zweifel zu lassen, welche Folgen die mir nicht zusagende Verbindung meiner Nichte mit Ihnen für diese haben würde. Es ist nämlich mein fester, unerschütterlicher Wille, mein Testament an Ihrem Hochzeitstage mit Philippinen [mit der Nichte, J.S.] dahin zu ändern, daß mein gesammtes Vermögen ihrer jüngeren Schwester nach meinem Tode zufällt“ (Schoppe/Milde 1834/1876: 130). Aus einem Abschnitt über das „[e]nglische Landleben“ in einem Anstandsbuch: „,Liebe Frau B.! Ich danke sehr für die gütige Einladung, es lockt mich sehr, einige Tage auf Schloß B. zu sein. Da ich aber noch bis zum 5. in W. bei meinen Freunden bleibe und am 9. schon in F. bei den Allens zugesagt habe, so bliebe mir nur die Zeit vom 6. bis 9. Da ich Sie aber sehr gern wiedersehen möchte, so werde ich am 6., wenn Sie nicht anders beschließen, mit dem 2.20 Mittagszug eintreffen.‘ [...] Diese selbstverständliche, offene Art der Umgangsformen sollte man auch in Deutschland mehr pflegen“ (Baudissin/Baudissin [1901]: unpag., Kap. 380). Aus einem Zeitungsartikel: „Im Laufe der Jahre sind Martine Dornier-Tiefenthaler und Jürgen Schrempp zu idealen Feinden geworden. In ihrer Persönlichkeitsstruktur sind sie sich ähnlich. ,Ich will Ihren Kopf‘, hatte sie Jürgen Schrempp irgendwann offen angekündigt (Grunenberg 1996: 2).

,sich gegenüber jemandem zu einem tabuisierten Thema äußern‘

Aus dem Briefwechsel zweier Freunde über die Freundschaft in einem Zeitschriftenbeitrag: „Gewiß würde das milde Licht der Aufklärung [...] nicht so weit verbreitet seyn, wenn die offenherzige Mittheilung moralischer und politischer Begriffe in freundschaftlichen Unterredungen nicht dazu mitgewirket hätten“ ([Kunhardt] 1797a: 181). Aus einem Anstandsbuch: „Laß Dich auch in geselliger Unterhaltung, wenn Du es irgendwie vermeiden kannst, nicht in Gespräche über Religion und religiöse Gegenstände ein; namentlich nicht mit Unbekannten und Dir bekannten Andersgläubigen; in der Regel wird dadurch der Religion nicht genützt, sondern geschadet. Wirst Du von irgendwem zu solchen Gesprächen herausgefordert, so bekenne offen und männlich Farbe“ (Vogt (Hrsg.) 1894: 16–17). Aus einem Anstandsbuch: „Man kann zwar offen auch über Probleme der Sexualität sprechen, sollte dabei aber ordinäre Ausdrücke unbedingt vermeiden“ (Holm 1971: 258).

100

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Typische risikoreiche kommunikative Akte

Exemplarische Quellenbelege

,jemanden um einen Gefallen bitten‘/,sich von jemandem etwas wünschen‘

Aus einem Briefsteller: „Ohne vorherige Auswahl der Redensarten wird es ein gewöhnliches, insinuantes und faßliches Compliment seyn, wenn ein Frauenzimmer dem andern sagt: ,In Ihrer Gesellschaft bin ich am liebsten. Ganze Tage wünschte ich bey Ihnen zu seyn. Wollen Sie nicht bald wieder zu mir kommen? Ihre Mama wird es gewiß erlauben; ich bitte sie darum.‘ So offenherzig, so freundschaftlich, so ganz ohne Wortgepränge, getrauet man sich aber nicht einander zu schreiben“ ([Anonym.] 1777: 140). Aus einem Anstandsbuch: „Ehe man einen Laden betritt, entschließe man sich, ob man wirklich kaufen will, im andern Falle sage man offen, daß man nur etwas zur Ansicht wünsche, den Preis erfahren wolle u.s.w.“ (Kistner 1886: 74). In einem Beispiel unter der Überschrift „Um den heißen Brei herumreden? Bedürfnisse und Wünsche offen äußern“ in einem Beziehungs- und Kommunikationsratgeber (Fischaleck 2003: 130): „Er [mein selbstbewusster Freund Anderl] läutet an der Tür: ,Hallo, kann ich reinkommen?‘ Nach kurzer Zeit: ,Weißt du, was ich jetzt gerne hätte? Ein Glas Apfelsaft und ein Butterbrot.‘ [...] Ich fühle mich entlastet, weil mein Freund Verantwortung für sich selbst übernimmt“ (Fischaleck 2003: 132).

,sich bei jemandem für etwas entschuldigen‘

Aus einer Umgangslehre: „Doch will ich offenherzig genug sein, noch etwas zur Entschuldigung meiner bisherigen Vielschreiberei anzuführen“ (Knigge 1788/1790/1977: 13). Aus einem Anstandsbuch: „Wer einen Entschuldigungsbrief absendet, muß darin vor allem wahr und aufrichtig sein. Hat man jemand [sic] verletzt oder beleidigt, so vermeide man jede Beschönigung und bitte offen um Verzeihung“ (Berger [ca. 1910/1914]: 186). Aus einem Anstandsbuch: „Daß Fehler menschlich sind, macht sie um nichts liebenswerter und schafft sie schon gar nicht aus der Welt. Einen Fauxpas behebt man daher zunächst selbst. Meist ist eine Entschuldigung fällig. Ein schnelles und offenes Wort kann die Situation sofort bereinigen“ ([Elmayer/Schäfer-Elmayer]/Schäfer-Elmayer [u. a.] 1957/1991: 31).

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

101

Typische risikoreiche kommunikative Akte

Exemplarische Quellenbelege

,jemandem etwas gestehen‘

Aus einer Verhaltenslehre: „Schließe dem zufolge dein Herz mit allem, was du zu jeder Zeit denkest und empfindest, gern und willig vor uns auf; verheele uns nichts, nichts – selbst deine Fehler und Schwächen nicht; fest überzeugt, daß es uns unmöglich ist, dein kindliches Vertrauen jemals auf irgend eine Weise zu misbrauchen, und daß wir deine Offenherzigkeit nie mit Bitterkeit oder Vorwürfen sondern immer mit Güte und Liebe und mit unserm besten väterlichen und mütterlichen Rathe erwiedern werden“ (Campe 1789: 158). Aus der „Antwort“ auf einen Brief mit dem Titel „An die Braut eines Bruders“ in einem Briefsteller (Schoppe/Milde 1834/1876: 49, 47): „Lassen Sie mich ganz offen gegen Sie sein, geliebte Schwester, denn nur wenn Sie meine wunde Stelle kennen, werden Sie durch Vernunftgründe und Vorstellungen zur Heilung derselben beitragen können: ich bin eifersüchtig, bin es in einem ziemlich hohen Grade und mir selbst zur unendlichen Qual“ (Schoppe/ Milde 1834/1876: 50–51). Aus einem Anstandsbuch: „Es gehört zum allerbesten Ton, einen Fehler, den man begangen hat, freimütig einzugestehen“ (Holm 1971: 16).

,jemanden über etwas informieren‘

Aus einem Zeitschriftenbeitrag: „Er [Damon] läßt [...] den Varicus sein ganzes Herz sehen; er verbirgt seine schwache Seite nicht vor ihm; vor ihm hat er keine Geheimnisse [...]. Dadurch, daß er dem Varicus alle seine Geheimnisse entdecket hat, hat er ihm die Waffen wider sein Glück gegeben“ ([Anonym.] 1745c: 568). Aus einem Brief mit dem Titel „Man fragt wegen einer entlassenen Erzieherin an“ in einem Briefsteller: „[I]ch erlaube mir die ergebenste Bitte, mir über besagtes Fräulein nähere und recht aufrichtige Auskunft [...] zukommen lassen zu wollen. [...] Antworten Sie mir [...] recht offen und aufrichtig auf diese Anfrage“ (Schoppe/Milde 1834/1876: 305). Aus einem Kommunikationsratgeber: „Wenn Sie ein gutes Verhältnis im Betrieb schaffen wollen, dürfen Sie nicht in das [...] Extrem verfallen, allen Kollegen gegenüber grenzenlose Offenheit zu zeigen. Es ist ein entscheidender Fehler, ohne wichtigen Grund Ihren Kollegen alles zu erzählen. Die anderen können das ihnen offenbarte Wissen nutzen, um Ihnen zu schaden. [...] Klären Sie [...] weder Ihren Chef noch Ihre Kollegen über das Geheimnis Ihres Erfolgs auf“ (Ryborz 1988: 258–259).

102

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Typische risikoreiche kommunikative Akte

Exemplarische Quellenbelege

,jemandem etwas klagen‘

Aus dem Briefwechsel zwischen Johann Gottfried Herder und Caroline Flachsland (Brief Flachslands vom 17.05.1771): „Wie sehr ich Ihnen aber für Ihre Vertraulichkeit und Offenherzigkeit gegen mich danke, das kan ich Ihnen nicht sagen. Das Zutrauen und sich klagen zu dörfen bindet Freunde oft so fest zusammen“ (Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 219). Aus einem Brief unter der Überschrift „Danksagungen für Anteilnahme“ in einem Briefsteller: „Es war ungemein hart, unsere beiden Lieblinge [zwei Kinder, J.S.] so rasch hintereinander hinsterben zu sehen. [...] Die beiden Ältesten hatten wir glücklicherweise sofort der Ansteckungsgefahr entzogen, indem sie zu den Eltern meiner Frau geschickt wurden. Sie sind nun unser einziger Trost. [...] Es hat mir wohlgetan, auch jetzt in Dir einen teilnehmenden Freund zu finden und Dir mal mein Herz auszuschütten“ (Petersen [o. J./ca. 1920]: 43). Aus einem Beziehungsratgeber: „Vereinbaren Sie, dass Sie sich auch dann zuhören, wenn einer jammert und einfach seinen Kummer mit dem anderen teilen möchte. Verstehen Sie es nicht als Vorwurf, wenn Ihr Partner sein Herz ausschüttet und sich dabei vielleicht auch über Sie beklagt. [...] Offenbaren Sie sich gegenseitig, fühlen Sie mit“ (Küstenmacher/Küstenmacher 2006: 158).

,jemanden für etwas kritisieren‘

Aus einer Verhaltenslehre: „Und nun vernimm [...], in wiefern ich glaube, daß die Benutzung dieses [des Triebes nach Ehre] und jedes andern menschlichen Triebes mit derjenigen Aufrichtigkeit und Redlichkeit sich vereinigen lassen, die, wie ich hoffe, dir und mir [...] immer heilig bleiben sollen. Diese Vereinigung kann [...] sehr wohl Statt finden, wenn wir [...] keinen Augenblick Bedenken tragen, uns auch über die Thorheiten, Fehler und Laster der Menschen freimüthig und ohne Rückhalt zu erklären“ (Campe 1789: 443). Aus einem Anstandsbuch: „Gefühle heucheln, welche nicht in unsrem Herzen liegen, ist des Mannes unwürdig, es giebt aber eine Mittelstraße zwischen dieser Heuchelei und dem offnen Tadel, oder Spott und Vernachlässigung. Diese Mittelstraße nun, ist in diesem Falle [im Falle einer überspannten Dame] nothwendig, indem sie die einzige Hülfe ist, die Verirrte auf den rechten Weg zurückzuführen“ (Hoffmann [o. J./1827]: 147).

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

Typische risikoreiche kommunikative Akte

103

Exemplarische Quellenbelege Aus einem Beziehungsratgeber: „– Sie müssen [...] auch lernen, mit den Schwächen und Fehlern Ihres Partners zu leben. – Das heißt nicht, daß Sie schweigend (und leidend) darüber hinwegsehen sollten. – Sprechen Sie sich in aller Offenheit darüber aus“ (Rudorf 1984: 133).

,jemandem einen Heiratsantrag machen‘ (bis Anfang des 20. Jahrhunderts)133

Aus einem Beispiel für „[m]ündliche Heirathsanträge“ in einem Anstandsbuch ([Anonym.] 1829/1829: 18): „Ich lernte Sie näher kennen, bewunderte oft im Stillen Ihre Tugenden, wollte Ihnen meine Liebe gestehen und schwieg dann wieder aus Furcht; doch jetzt habe ich Muth gefaßt und frage Sie offenherzig: wollen Sie die Gefährtin meines Lebens werden?“ ([Anonym.] 1829/1829: 18–19). Aus einem Brief unter der Überschrift „Der Liebesbrief als erstes Erklärungsmittel“ in einem Briefsteller ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 11): „[I]ch wage jetzt erst zu sagen: behalten Sie mein Herz, aber – geben Sie mir das Ihriae [sic] als Gegengabe denn von dessen Besitz hängt mein künftiges Lebensglück ab. Entschuldigen Sie meine Freiheit, allein ich kann nicht anders, mein Inneres muß offenbar werden – ich liebe Sie von Grund meines Herzens. Gestatten Sie mir, meinen Wunsch um Ihre Hand Ihren Eltern mitteilen zu dürfen?“ ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 31–32). Aus einem Brief mit dem Titel „Einfache Liebeserklärung“ in einem Briefsteller (Harten [1920]: 38): „[I]ch [nehme] heute mir die Freiheit, Ihnen kühn meine geheimsten Wünsche zu offenbaren. Da Sie meine Familie und meine Verbindungen, meine Fähigkeiten und Aussichten, meinen Charakter und mein Wesen kennen, so brauche ich weiter nichts zu offenbaren, als Ihnen zu sagen, daß ich Sie liebe. Mein Schicksal liegt nun mit in Ihrer Hand. [...] Ich schließe in der angenehmen Hoffnung, daß Sie meinen Antrag nicht zurückweisen“ (Harten [1920]: 38–39).

133

,Jemandem einen Heiratsantrag machen‘ gehört vermutlich nur bis Anfang des 20. Jahrhunderts zu den typischen kommunikativen Akten offener Äußerungen, weil sich der Prozess, der zu einer Eheschließung führt, im gesellschaftlichen Durchschnitt ändert: Der Entschluss zur Ehe ist seit Beginn des letzten Jahrhunderts immer seltener das Ergebnis eines einzelnen Aktes, an dem zwei Individuen beteiligt sind, die sich nicht gut kennen, sondern zusehends öfter das Resultat eines oder mehrerer Gespräche zwischen zwei Menschen, die sich bereits sehr nahe stehen.

104

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Typische risikoreiche kommunikative Akte

Exemplarische Quellenbelege

,gegenüber jemandem über etwas urteilen‘

Aus einem Stück einer moralischen Wochenschrift: „Wie beseelt es den Umgang der Freundschaft, wenn keiner von seiner Meinung etwas zurückhält; aber zugleich nicht so sehr von derselben ist, daß er unbiegsam sein sollte, sich von stärkern Gründen, als die seinigen sind, überzeugen zu lassen. Wenn ich mir diese Freimütigkeit, diese Biegsamkeit und die Freude, daß unser Freund unsrer Meinung wird, oder daß wir die seinige annehmen, als Gefährtinnen der Freundschaft vorstelle, so denke ich sie mir unter ihren Grazien“ (Klopstock 1759/1981: 941). Aus einem Brief mit dem Titel „Man fragt wegen der Aufführung eines Sohnes nach“ in einem Briefsteller (Schoppe/Milde 1834/1876: 310): „Seit einem halben Jahre ist mein Sohn Ernst in Ihrem Hause und Geschäft [...]. Beantworten Sie [...] meine Anfrage ganz offen, und fürchten Sie nicht etwa, meine mütterliche Eitelkeit dadurch zn [sic] verletzen, daß Sie mir die Mängel und Gebrechen meines Sohnes aufdecken [...]. Ich wage daher, Sie ganz ergebenst um einige Zeilen zu bitten, die mir offen und unumwunden Ihre Meinung über den Sohn mittheilen“ (Schoppe/Milde 1834/1876: 310–311). Aus einem Zeitungsinterview: „,Wie sagen Sie der kleinen korpulenten Dame, dass ihr das quer gestreifte, hautenge Kleid einfach nicht steht?‘ ,Ich würde sagen: Sie sind zu dick dafür, diese breiten Streifen zu tragen. Die Leute schätzen schonungslose Offenheit. [...]‘“ (Kempe 2001: 66).

133

Die vorgestellten typischen Inhalte und kommunikativen Akte offener Äußerungen lassen sich zu Klassen zusammenfassen, von denen eine ähnliche Gefahr auszugehen vermag. So wird – wie in Kapitel 2.2 angekündigt – spezifizierbar, welcher Art das Risiko ist, mit dem Offenheit einhergeht, auf wen oder was sich die Bedrohung richtet, die für Offenheit konstitutiv ist. Offene Äußerungen können folgende Risiken mit sich bringen und an Inhalten und kommunikativen Akten, die mit folgenden Risiken verbunden sind, erkannt werden: a) Kommunikative Akte wie ,sich gegenüber jemandem zu einem tabuisierten Thema äußern‘, ,sich bei jemandem für etwas entschuldigen‘, ,jemandem etwas gestehen‘, ,jemandem etwas klagen‘ und ,gegenüber jemandem über etwas urteilen‘ können das Ansehen des Äußerungsproduzenten schädigen, d. h. das positive Bild, das andere von ihr/ihm haben. Solche Akte zeigen nämlich unter Umständen Attribute des Produ-

133

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

105

zenten auf, gegenüber denen der Adressat vermutlich negativ eingestellt ist – durch Inhalte wie Gefühle des Äußerungsproduzenten (z. B. Ärger, Angst, Trauer), Aspekte aus dem Bereich gesellschaftlich tabuisierter Themen, Meinungen und Norminkongruenz/-verstöße des Produzenten. Eine junge Frau beispielsweise, die der Schwester ihres zukünftigen Ehemannes schreibt, ,ich bin eifersüchtig, bin es in einem ziemlich hohen Grade und mir selbst zur unendlichen Qual‘, macht dadurch, dass sie einen persönlichen charakterlichen Fehler, eine Norminkongruenz zur Sprache bringt, ein Geständnis. Sie gibt ihre ausgeprägte Eifersucht zu erkennen, die die adressierte Schwester eher ungünstig beurteilen wird und sie zu einer negativeren Sicht der Verlobten veranlassen könnte. An dieser Stelle muss der Begriff des ,face‘ aus der Höflichkeitstheorie Penelope Browns und Stephen Levinsons nochmals aufgegriffen werden, der bereits in Kapitel 2.2 erwähnt wurde. Brown und Levinson unterscheiden im Anschluss an Erving Goffman134 und zurückgehend auf Émile Durkheims Differenzierung von positiven und negativen Riten135 zwei ,face‘-Arten, ,positive‘ und ,negative face‘. Was bisher bewusst mit alltagsnahen, am Denken der Kommunizierenden orientierten Begriffen als Risiko für das Ansehen des Äußerungsproduzenten umschrieben wurde, ließe sich wissenschaftlich als Bedrohung ihres/seines „positive face“ erfassen, d. h. als Gefahr für „the positive consistent [public] selfimage or ,personality‘ (crucially including the desire that this self-image be appreciated and approved of) claimed by interactants“.136 Unter den Akten, die Brown und Levinson zufolge das ,positive face‘ des Äußerungsproduzenten beispielhaft bedrohen, finden sich dementsprechend „apologies“ und „confessions, admissions of guilt or responsibility“,137 unter denen, die das ,positive face‘ des Adressaten exemplarisch infrage stellen, „expressions of disapproval, criticism, contempt or ridicule, complaints and reprimands, accusations, insults“ sowie „contradictions or disagreements, challenges“.138 Das Konzept des ,positive face‘ an dieser Stelle einzusetzen, brächte nur eine geringfügige Komplikation mit sich:139 Brown und Levinson erklären ,positive face‘ zunächst als

134 Vgl. Goffman 1956/1967/1971: 81, Goffman 1971/1982: 97, Brown/Levinson 1978/1987: 285. 135 Vgl. Brown/Levinson 1978/1987: 285. 136 Brown/Levinson 1978/1987: 61. 137 Brown/Levinson 1978/1987: 68. 138 Brown/Levinson 1978/1987: 66. 139 Mögliche Kritikpunkte an Browns und Levinsons Theorie insgesamt stellt Fraser 2001: 1417–1423 zusammen.

106

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

,positive consistent [public] self-image‘ (so im obigen Zitat) und später präzisierend als „want of every member [of a society] that his wants be desirable to at least some others“.140 Aus meiner Sicht sind diese zwei Begriffsbestimmungen nicht vollständig miteinander vereinbar. Auch weicht die zweite von dem ab, was man alltagssprachlich unter ,Ansehen‘ versteht.141 Ich schlage deshalb vor, einen in Details ähnlichen Begriff zu verwenden, der allerdings grundsätzlich – durch seinen Oberbegriff – eine andersartige Perspektive einbringt, die die betrachteten Zusammenhänge besonders erhellt: Die ermittelte Gefahr offener Äußerungen soll als eine für das ,taxationale Bonum‘ des Äußerungsproduzenten beschrieben werden. Der Ausdruck ,Bonum‘ dient dabei – von ,face‘ abweichend – als umfassende Bezeichnung für das Gut, um das es in der menschlichen Kommunikation geht, für dasjenige, was Kommunizierende begehren, was sie aber in der Kommunikation nicht nur gewinnen, sondern auch verlieren können. Ich gehe davon aus, dass es mehrere Arten von Bonum gibt, die als Fundamentalkategorien dessen zu denken sind, worauf es Menschen in ihrer Kommunikation ankommt. Eine Art von Bonum ist das taxationale Bonum: Es handelt sich um das Bonum, das in der Einschätzung oder Taxierung durch andere Personen liegt, und ist als Ansehen, positives Image, als Anerkennung und Wertschätzung durch andere zu definieren. Offenheit kann, so möchte ich formulieren, ein Risiko für das taxationale Bonum des Äußerungsproduzenten mit sich bringen. 140 Brown/Levinson 1978/1987: 62, Hervorhebungen J.S. Für eine Erläuterung des Verhältnisses der beiden Definitionen zueinander vgl. Brown/Levinson 1978/1987: 62–64. 141 Hält man nach anderen etablierten wissenschaftlichen Kategorien Ausschau, die zur Erfassung des Risikos für das Ansehen des Äußerungsproduzenten geeignet wären, sticht Bourdieus ,symbolisches Kapital‘ ins Auge: Bourdieus Kapitaltheorie, die er in diversen Schriften entfaltet und dabei immer wieder abwandelt, setzt voraus, dass Menschen sich im weiteren Sinn ökonomisch verhalten und nach der Ansammlung bzw. dem Erhalt eines möglichst großen ,Kapitals‘ streben (vgl. z. B. Bourdieu 1980/1993: 222). „Kapital“ wird von Bourdieu als „Macht“ aufgefasst (Bourdieu 1983: 184), als „Instrument zur Aneignung von Chancen“ (Bourdieu 1980/1993: 119), als „soziale Energie“ (Bourdieu 1979/1987: 194) bzw. „akkumulierte Arbeit“ (Bourdieu 1983: 183). Für ihn gibt es verschiedene Arten von Kapital, eine davon ist das „symbolische Kapital“ (z. B. Bourdieu 1980/1993: 35, 215–217). Darunter versteht er „Name, Ruf, Prestige, Ehre, Ruhm, Autorität“ (Bourdieu 1979/1987: 391) oder auch „Glaubwürdigkeit“ (Bourdieu 1980/1993: 245). Das symbolische Kapital funktioniere nur „in der Logik des Kennens und Anerkennens“ (Bourdieu 1983: 195, Fußnote 20), es existiere allein durch den und in dem Glauben, den andere Menschen jemandem schenkten (vgl. etwa Bourdieu 1980/1993: 218, 220). Da sich bei Bourdieu jedoch keine Kapitalarten finden, die zur Präzisierung der im Folgenden diskutierten Gefahren offener Äußerungen vergleichbar gut geeignet wären, wird im Verlauf des Kapitels nicht weiter auf die von ihm differenzierten Sorten von Kapital eingegangen.

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

107

b) Kommunikative Akte wie ,jemanden für etwas kritisieren‘ und ,gegenüber jemandem über etwas urteilen‘ können das Ansehen des Äußerungsadressaten angreifen, wodurch sich möglicherweise der Eindruck verschlechtert, den der Adressat vom Produzenten hat. Solche Akte weisen dem Adressaten Attribute zu, die sie/er mit hoher Wahrscheinlichkeit als negativ empfindet, oder können ihr/ihm zumindest solche Attribute zuweisen. Ihr Inhalt besteht in diesem Fall z. B. in Gefühlen des Äußerungsproduzenten gegenüber dem Adressaten (etwa Ärger, Zorn, Hass), in Kritik am Adressaten oder in Meinungen des Produzenten. Wer, um ein Beispiel aus der letzten Tabelle aufzugreifen, einer Frau bei der Auswahl ihrer Garderobe sagt, ,Sie sind zu dick dafür, diese breiten Streifen zu tragen‘, urteilt über die Eignung der Frau für ein Kleidungsstück, indem sie/er die eigene Meinung kundtut. Die-/derjenige attestiert der angesprochenen Frau, keine optimale Figur zu haben, was diese als Zuschreibung eines nachteiligen Merkmals und somit als Abwertung des positiven Bildes empfinden kann, von dem sie glaubt, dass andere es von ihr haben. Es wäre nicht verwunderlich, wenn sich dadurch ihre Einstellung gegenüber dem Sprecher zum Negativen wandelte. Eine offene Äußerung kann offensichtlich ein Risiko für das taxationale Bonum des Adressaten bergen, wodurch sie zugleich eines für das taxationale Bonum des Äußerungsproduzenten enthält. c) Ein kommunikativer Akt wie ,jemandem eine eigene Handlung ankündigen‘ vermag die Handlungsfreiheit des Äußerungsproduzenten, d. h. ihre/seine Möglichkeit zur Selbstbestimmung einzuschränken. Vergleichbare Akte wären z. B. ,etwas versprechen‘ oder ,etwas anbieten‘. Solche Akte können den Willen des Produzenten kundtun, etwas zu tun, das aus der Perspektive des Adressaten vermutlich positiv ist. Inhaltlich teilen sie Handlungsabsichten oder -bereitschaften des Äußerungsproduzenten mit. Versichert etwa ein Mann einem zweiten, dass er ,stets alles aufbieten werde, um das Leben‘ von dessen ,geliebter Tochter heiter und glücklich zu machen‘, kündigt er eigene Handlungen an, er verspricht, sich in bestimmter Weise zu verhalten, macht also persönliche Handlungsabsichten deutlich. Er bringt den Willen zum Ausdruck, der Tochter ein guter Ehemann zu sein, was der Vater begrüßen dürfte, und legt sich im selben Zug darauf fest, sich entsprechend zu verhalten. Für eine genauere Charakterisierung der Gefahr für die Handlungsfreiheit des Äußerungsproduzenten kommt Penelope Browns und Stephen Levinsons Konzept des „negative face“ infrage: Die Gefahr könnte näherungsweise als Bedrohung des „basic claim to territories, personal preserves, rights to non-distraction – i. e. to freedom of action and free-

108

2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

dom from imposition“142 redefiniert werden. Als Exempel für kommunikative Akte, die das ,negative face‘ des Äußerungsproduzenten bedrohen, führen Brown und Levinson passenderweise „unwilling promises and offers“143 an, für Akte, die das ,negative face‘ des Adressaten attackieren, dagegen „orders and requests“ und „suggestions, advice“.144 Gegen die Verwendung des Begriffs des ,negative face‘ für eine der Größen, die Offenheit bedrohen kann, ließe sich allerdings ein Punkt einwenden: Das Konzept wird, zumindest in den expliziten Definitionen, nicht als ,freedom of action and freedom from imposition‘ bestimmt, sondern zuerst als ,basic claim ... to freedom of action and freedom from imposition‘ (wie soeben erwähnt) und später – nach meinem Verständnis wiederum nicht ganz synonym – als „want of every ,competent adult member‘ [of a society] that his actions be unimpeded by others“.145 Deswegen soll das erschlossene Risiko von Offenheit mit dem Konzept des ,interaktionalen Bonum‘ erfasst werden, welches an das des ,negative face‘ angelehnt ist, doch in dem genannten kritischen Punkt und durch den Oberbegriff des Bonum von ihm abweicht: Darunter ist das Bonum zu verstehen, das auf der Ebene der Interaktion angesiedelt ist, ausschließlich dort zum Tragen kommt und als Handlungs- und Planungsfreiheit, Möglichkeit zur Selbstbestimmung sowie Freiheit von Zwängen zu paraphrasieren ist. Manche offene Äußerungen stellen demnach ein Risiko für das interaktionale Bonum des Äußerungsproduzenten dar. d) Kommunikative Akte wie ,einer Handlungsabsicht des Adressaten entgegentreten‘, ,jemanden um einen Gefallen bitten‘, ,sich von jemandem etwas wünschen‘ und ,jemandem einen Heiratsantrag machen‘ können die Handlungsfreiheit des Äußerungsadressaten bzw. ihre/seine Möglichkeit zur Selbstbestimmung angreifen. In diesem Fall sinken die Chancen des Produzenten, selbst von Interventionen des Adressaten unbehelligt zu bleiben. Derartige Akte können den Willen des Produzenten anzeigen, dass der Adressat etwas tut, das vom Standpunkt des Produzenten aus positiv ist. Sie thematisieren Konflikte zwischen den Interagierenden oder Wünsche des Äußerungsproduzenten. Auch Akte

142 143 144 145

Brown/Levinson 1978/1987: 61. Brown/Levinson 1978/1987: 68. Brown/Levinson 1978/1987: 66. Brown/Levinson 1978/1987: 62, Hervorhebung J.S. Für eine Erläuterung des Verhältnisses der beiden Definitionen zueinander vgl. nochmals Brown/Levinson 1978/1987: 62.

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

109

wie ,einen Wunsch des Adressaten ablehnen‘ und ,jemandem eine eigene Handlung ankündigen‘ können die Handlungs- und Planungsfreiheit des Gegenübers tangieren und daran anschließend negative Konsequenzen für die Selbstbestimmungsmöglichkeit des Produzenten haben. Mit ihnen kann der Wille des Produzenten zum Ausdruck kommen, in einer Weise zu handeln, die für den Adressaten vermutlich negativ ist. Ihren Inhalt bilden Handlungsabsichten des Äußerungsproduzenten oder Konflikte zwischen ihr/ihm und dem Adressaten. Wenn jemand z. B., wie in einem der obigen Quellenbelege, auf eine ,freundliche Bitte‘ mit einem ,Nein‘ reagiert, lehnt sie/er – betrachtet man den kommunikativen Akt – den Wunsch der/s Bittenden ab und trägt – inhaltlich gesehen – die Absicht vor, nicht so zu handeln, wie die/der Bittende es möchte. Diese/r kann dies als unliebsame Störung der eigenen Pläne auffassen und erwartet möglicherweise vom abschlagenden Interaktionspartner ein anderweitiges Entgegenkommen. So bildet ein Teil der offenen Äußerungen ein Risiko für das interaktionale Bonum des Adressaten, wodurch das interaktionale Bonum des Äußerungsproduzenten ebenso gefährdet wird. e) Ein kommunikativer Akt wie ,jemanden über etwas informieren‘ ist dazu imstande, einen nützlichen Wissens- bzw. Informationsvorsprung des Äußerungsproduzenten aufzuheben. Andere Akte mit diesem Potenzial wären beispielsweise ,jemanden etwas lehren‘ oder ,jemanden vor etwas warnen‘. Die möglichen Inhalte entsprechender Äußerungen sind äußerst vielfältig. Um nochmals ein oben gegebenes Exempel durchzuspielen: Ein Mann, der seinem Freund oder Bekannten ,alle seine Geheimnisse entdeckt‘, informiert diesen über sämtliche ihn betreffenden und ihm bekannten Vertraulichkeiten. Er reduziert auf diese Weise einen Informationsvorsprung, der insofern nützlich sein kann, als er verhindert, dass der Freund oder Bekannte die betreffenden Informationen gegen den Willen des Mannes an Dritte weitergibt. An diesem Punkt der Argumentation wird vollends ersichtlich, warum es geschickter ist, die abstrahierten Risiken von Offenheit mit dem Konzept des Bonum zu beschreiben als mit Penelope Browns und Stephen Levinsons bekanntem und geläufigem Begriff des ,face‘: Deren Höflichkeitstheorie hält keine dritte Art von ,face‘ bereit, welche auf die Bedrohung eines hilfreichen Wissensvorsprungs abheben würde, und lässt die theoretische Entwicklung einer solchen Kategorie unter dem Oberbegriff des ,face‘ auch nicht zu. Damit wird gleichzeitig erkennbar, in welchem Verhältnis Offenheit zu Höflichkeit im Sinn Browns und Levinsons steht: Ihnen zufolge liegt Höflichkeit vor, wenn ein ,FTA‘, der das ,face‘ des Adressaten bedroht, „on record“ und „with redressive

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

action“146 vollzogen wird, d. h. wenn dabei klar wird, „what communicative intention led the actor to do [the act] A“,147 und wenn zugleich versucht wird, „to counteract the potential face damage of the FTA“,148 indem Rücksicht auf das ,positive‘ bzw. ,negative face‘ des Adressaten gezeigt wird. Obgleich die Autoren in ihrem Buch vor allem auf diese Methode, einen ,FTA‘ durchzuführen, eingehen, erwähnen sie noch andere sogenannte „[s]trategies for doing FTAs“,149 darunter eine, bei der der ,FTA‘ ,on record‘ erfolgt, aber „without redressive action, baldly“150 vollzogen wird. Diese Strategie kommt einigen Formen von Offenheit sichtlich nahe. Sie ist jedoch nicht mit Offenheit identisch, weil Letztere Ehrlichkeit voraussetzt und außerdem etwas bedrohen kann, das sich nicht, auch nicht näherungsweise, dem Begriff des ,face‘ subsumieren lässt. Dafür bedarf es einer neuen Kategorie, die ich ,informationales Bonum‘ nenne: Diese Art von Bonum hat ihren Ort im Bereich des Wissens und Kennens und besteht aus nützlichem Wissen sowie ebensolchen Wissensvorsprüngen. Offene Äußerungen können folglich auch ein Risiko für das informationale Bonum des Äußerungsproduzenten mit sich bringen. Die Spezifizierung der Risiken von Offenheit mit den entwickelten Arten von Bonum bleibt ohne die Explizierung zweier Prämissen unabgeschlossen: 1. Dieselbe offene Äußerung kann mehrere der drei Bonum-Arten gleichzeitig bedrohen. 2. Die Bonum-Arten sind untereinander konvertibel und teilweise voneinander abhängig, so dass die Minimierung des Bonum einer Art zur Verringerung des Bonum einer zweiten führen kann.151 Aus der primären Gefährdung einer Bonum-Art folgt somit bei manchen offenen Äußerungen die sekundäre Gefährdung einer anderen.

146 147 148 149 150 151

Brown/Levinson 1978/1987: 69. Brown/Levinson 1978/1987: 68. Brown/Levinson 1978/1987: 69. Brown/Levinson 1978/1987: 68. Brown/Levinson 1978/1987: 69. Die Idee der Konvertibilität geht auf Bourdieus Kapitaltheorie zurück: Laut Bourdieu sind die Kapitalarten „ineinander konvertierbar“ (Bourdieu 1980/1993: 223, vgl. auch z. B. Bourdieu 1979/1987: 209).

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

111

Kennzeichen von Wahrhaftigkeit Als Anzeichen für Wahrhaftigkeit gelten zwei Arten der Stimmigkeit im Verhalten einer Person: zum einen die Bedeutungskompatibilität des aktuellen zeichenhaften Verhaltens eines Individuums mit dem zeitlich vorausgehenden und nachfolgenden,152 zum anderen die Vereinbarkeit des Bedeutungsspektrums der Zeichen verschiedener Zeichensysteme (Sprache, Körperhaltung, Gestik, Mimik, Blick der Augen usw.), die im Verhalten eines Menschen zeitgleich auftreten. Diese beiden Ehrlichkeits- und damit auch Offenheitsindizien lassen sich lediglich aus metakommunikativen Bemerkungen der Quellenautoren erschließen, die zwar für alle untersuchten Jahrhunderte vorliegen, jedoch nur mäßig frequent sind. Sie können nicht durch den Vergleich von Äußerungen überprüft werden, die in den Quellen als offen beurteilt werden, da in diesen in der Regel nicht angegeben wird, von welchen para- und nonverbalen Zeichen die sprachlichen Äußerungen begleitet werden und in welchem Verhältnis sie zum vorausgehenden und nachfolgenden Verhalten ihres Urhebers stehen. Dass es auf Wahrhaftigkeit hindeutet, wenn das, was jemand zum Ausdruck bringt, zu ihrem/seinem früheren und zeitlich folgenden Auftreten passt, impliziert der anonyme Autor der „Neuen Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes“, der 1745 seine „Gedanken über die Mienen und Geberden der Menschen“153 darlegt: „Doch wenn man gewiß werden will, ob jemand die Person wirklich ist, die er in seinen Mienen vorstellt, so muß man auf den ganzen Umfang seiner Handlungen Achtung geben. Die größten Meister in der Kunst, sich zu verstel-

152 Darauf weist übrigens auch der Befund Deppermanns hin, dass zeitgenössische Sprecher in Konfliktgesprächen die Ehrlichkeit eines Interaktionspartners infrage stellen, „indem auf (frühere) Handlungen verwiesen wird, die als inkompatibel mit [vom Interaktionspartner, J.S.] behaupteten Intentionen dargestellt werden“ (Deppermann 1997: 165, vgl. 165–168). 153 Gemäß Adelung haben sowohl ,Miene‘ als auch ,Gebärde‘ in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein weiteres und anders akzentuiertes semantisches Spektrum als gegenwärtig: Als nicht veraltete Bedeutungen von „Miene“ gibt er „angenommene Gestalt, der äußere Schein“, „Gestalt des Gesichtes“ sowie „[e]inzelne willkührliche Gesichtszüge, Geberden des Gesichtes“ an (Adelung 1777/1798: 3. Bd.: Sp. 199–200). „Geberde“ kann ihm zufolge die „Bewegung des Leibes, oder einzelner Theile desselben, in Ansehung ihrer sittlichen Beschaffenheit“ bezeichnen, aber auch die „Bewegung der Gesichtszüge, und diese Gesichtszüge selbst“ sowie weiterhin „von der ganzen Gesichtsbildung, ja von der ganzen äußern Gestalt gebraucht“ werden (Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 449–450, hier Sp. 449).

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

len, vergessen sich zuweilen, und verrathen alsdann, was sie wirklich sind“.154 Er begründet diese Überzeugung später so: Eine Maske bleibt immer eine Maske; sie wird nicht immer getragen; man legt sie sehr oft ab. Es ist allezeit ein Zwang, den sich die Betrüger anthun, wenn sie andre Mienen annehmen, als sie nach der Beschaffenheit ihrer Herzen haben würden. Sie werden sich zu gewissen Zeiten von ihm frey machen, wenn sie glauben, daß ihnen ihre Freyheit nicht schaden kann155.

Die Argumentation beruht auf der Annahme, dass ,verstelltes‘, d. h. vorgetäuschtes156 Verhalten gegenüber ehrlichem einen kognitiven Mehraufwand verlangt, der den Anstrengungen eines um ein überzeugendes Rollenspiel bemühten Darstellers gleichkommt, wie die Metapher der ,Maske‘ suggeriert. Daraus folgt für den Autor, dass jede Verstellung nur in begrenztem Umfang gelingen könne, sich die/der Täuschende früher oder später aus Bequemlichkeit in Widersprüche verwickeln müsse, so dass im Umkehrschluss der Mensch, der durch die Zeit hindurch keine Unregelmäßigkeiten in seinem Verhalten (im ,ganzen Umfang seiner Handlungen‘) zeigt, wahrhaftig (,die Person wirklich ..., die er ... vorstellt‘) sein muss. Auch sofern sich zwischen gleichzeitigen sprachlichen, gestischen und mimischen Äußerungen keine Widersprüche zeigen, sind sie für die Kommunizierenden, zumindest aller Wahrscheinlichkeit nach, ehrlich. Unstimmigkeiten dagegen werden in der Erörterung „Redliche Gedanken von dem Argwohn“, die 1751 im zwölften und 13. Stück der moralischen Wochenschrift „Der Redliche“ anonym veröffentlicht wird, als eine von mehreren Auffälligkeiten gewertet, welche Misstrauen rechtfertigen: Das dritte Merkmal [woraus ein gerechter Verdacht entstehet] können wir daraus abnehmen: wenn sich ein Mensch äuserlich recht fromm anstellet, und wir können doch aus seinen übrigen Bezeigen sehen, daß nicht viel Gutes an ihm seye, wenigstens, daß seine ganze Aufführung mit seinen Worten und Gebehrden nicht wohl zusammen stimme157.

154 [Anonym.] 1745c: 562. 155 [Anonym.] 1745c: 579. 156 Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 1151–1152, hier Sp. 1152, gibt „sich von außen anders stellen, als man denkt und empfindet“ als Bedeutung von „Verstellen“ an. 157 [Anonym.] 1751g: 182. Der Vollständigkeit halber seien auch das erste und zweite ,Merkmal‘ genannt: „Das erste und allerdeutlichste Merkmal, woraus ein gerechter Verdacht entstehet, ist ein schon öfters begangenes Laster, wenn anderst die Umstände mit den damaligen wieder überein kommen“ ([Anonym.] 1751g: 180). „Das andre Merkmal gibt uns die böse Gemüthsneigung eines Menschen, die wir ihm schon an seinen äu-

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

113

Menschen, deren ,Aufführung‘ – die den Idealen des 18. Jahrhunderts entsprechend etwa Gottesfürchtigkeit und Gutherzigkeit158 bekundet – nicht mit den ,Worten und Gebärden‘ harmoniert, sind für den Verfasser unwahrhaftig: „Sie [Menschen, die das dritte Merkmal aufweisen, J.S.] werden euch die Falschheit [...] in ihrer wahren Beschaffenheit zeigen“.159 Wie die beiden zuletzt zitierten Autoren stellt auch Joachim Heinrich Campe am Ende des 18. Jahrhunderts in seiner Verhaltenslehre für junge Mädchen die Bedeutungskompatibilität der sukzessiven und simultanen Äußerungen eines Individuums indirekt als Indiz für deren Wahrhaftigkeit dar, wobei er den Fokus gleichfalls auf Unehrlichkeit und Täuschung richtet: Um Menschen überhaupt und versteckte Menschen insbesondere kennen zu lernen, muß man niemals aus einzelnen Zügen, Reden oder Handlungen schließen, sondern alles zusammenfassen, was man von ihnen bemerken oder in Erfahrung bringen kann [...]. [...] gegen eine fortgesetzte Aufmerksamkeit auf Blicke, Mienen, Geberden, Gang, Stellung, Kleidung, Stimme, Reden und Handlungen, vornehmlich aber gegen eine sorgfältige Vergleichung aller dieser Characteräusserungen unter einander, und zwar zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Umständen, hält auch die künstlichste Larve nicht lange Stich; sie fällt, ehe man es sich versieht, und die entlarvte Seele steht in ihrer Blöße da160.

Campe geht ebenfalls davon aus, dass kein ,So-Tun-als-ob‘ konsequent durchgehalten werden kann. Mit der Zeit unterlaufe unehrlichen Personen in mindestens einem Zeichensystem (sei es in ,Blicken, Mienen, Gebärden, Gang, Stellung, Kleidung, Stimme, Reden‘ oder ,Handlungen‘) ein Fehler: die ,Larve ... fällt‘, d. h. die erneut als Maskerade gedachte Verstellung wird als solche erkennbar. Dies aber bedeutet zugleich, dass von einem Menschen, in dessen Verhalten sich über längere Zeit hinweg in keinem der genannten Medien Ungereimtheiten zeigen, Unverstelltheit anzunehmen ist. Im 19. Jahrhundert finden sich weniger derartige Textpassagen als im 18. Jahrhundert. Die Abnahme der Aufmerksamkeit für Ehrlichkeitsund insbesondere Täuschungsanzeichen lässt sich im Kontext einer kol-

serlichen Handlungen ansehen, und daraus eine richtige Folge auf seine Laster machen können“ ([Anonym.] 1751g: 180). 158 Folgt man Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 320–321, kann „Fromm“ in der zitierten Textstelle nicht nur „[g]ottesfürchtig“, sondern auch „[a]bgeneigt, andern Böses oder Schaden zuzufügen“, „rein von Verbrechen und groben Fehlern“, „[g]ütig, mitleidig“ bedeuten. 159 [Anonym.] 1751g: 182–183. 160 Campe 1789: 497–498.

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lektiven Zunahme der Zuversicht, den Kommunikationspartner zuverlässig einschätzen zu können, verstehen. Diese – auf den ersten Blick merkwürdige – allgemeine Steigerung des Zutrauens zur eigenen Menschenkenntnis in der Kommunikation wird in Kapitel 4.2 ausführlicher zu diskutieren sein. Das gedankliche Muster, dass Lüge und Schein sich nicht konstant aufrechterhalten ließen und dauerhaft unwidersprüchliches Verhalten deshalb wahrhaftig sein müsse, kehrt jedoch z. B. in einer Umgangslehre aus dem späten 19. Jahrhundert wieder. In ihr fällt sogar das Stichwort der ,Maske‘ noch, das, wie sich zeigte, gemeinsam mit dem der ,Larve‘ für entsprechende Belege des 18. Jahrhunderts typisch ist. Bezeichnenderweise wird allerdings nicht mehr die Vortäuschung christlicher Haltungen, sondern die einer moralisch-sozialen Distinguiertheit angesprochen: Gewiß kann [sic] sich auch hinter feinsten Lebensformen niedere Gesinnung und Erbärmlichkeit bergen, aber nur im gesellschaftlichen Verkehr wird es möglich sein, durch diese Maske zu täuschen. Daheim in der Familie behält niemand diese Maske vor, sicher nicht immer vor. So bricht die wahre Natur eines jeden durch und nur der sittlich gute Mensch wird sich stets und unter allen Umständen der guten Sitte befleißigen161.

In den kommunikationsreflexiven Texten des späten 20. Jahrhunderts erscheint das Muster nicht mehr nur in Gestalt von Äußerungen, nach denen Unehrlichkeit zu äußerlichen Unregelmäßigkeiten führt. In aller Kürze wird die Kontraposition 1998 in einem Zeitschriftenartikel mit dem Thema und der Überschrift „Menschenkenntnis. Wie Sie lernen, andere richtig zu beurteilen“ formuliert: „Konsistenz und Kontinuität [im Verhalten anderer] [sind] der Schlüssel zum ,wahren Ich‘ [der anderen]“.162 Vor dem Hintergrund der bereits kommentierten Zitate versteht man, was hier gemeint ist: Wenn das Benehmen einer Person ,Konsistenz und Kontinuität‘ aufweist, stimmt es mit dem ,wahren Ich‘ dieser überein, ist also ehrlich. Ebenso explizit, aber ausführlicher wird die Bedeutungskonvergenz einer verbalen und gleichzeitiger nonverbaler Äußerungen in einem 2003 veröffentlichten Partnerschafts- und Kommunikationsratgeber als Signal für deren Wahrhaftigkeit beschrieben. Im Teilkapitel „Reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist – echt und situationsgemäß“163 empfiehlt der Autor – ganz im Jargon der zeitgenössischen Ratgeberliteratur – die

161 York (Hrsg.) [1893]: 38. 162 Wolf 1998: 27. 163 Fischaleck 2003: 123.

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

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Verwendung von ,Ich-Botschaften‘, d. h. von Sprechakten, die die Subjektivität des Gesagten unterstreichen,164 und ergänzt im Anschluss: „Je mehr sich die Wortwahl der Ich-Botschaft mit der entsprechenden Körpersprache überlappt, desto echter wird und wirkt mein Reden“.165 Dass ,Echtheit‘ als besondere Form von Wahrhaftigkeit zu verstehen ist, die dieser Textstelle zufolge sogar steigerbar ist, wurde in Kapitel 2.2 bereits dargelegt. Im Zusammenhang mit dem hier angesprochenen Verhältnis von verbalen und nonverbalen Äußerungen ist ein weiterer Topos, der vom 18. Jahrhundert bis heute reicht, erwähnenswert, auch wenn er den thematischen Rahmen dieses Teilkapitels sprengt – der Topos, dass man sich gestisch, mimisch und vor allem mit dem Blick der Augen grundsätzlich weniger gut verstellen könne und schlechter etwas verbergen könne als mit der Sprache: In Blicken, Mimik und Gestik kämen brisante Gedanken und Empfindungen oft deutlicher als in Worten zum Ausdruck. Einzelne Zeichensysteme werden demnach mit unterschiedlichen inhärenten Offenheitsgraden assoziiert. Zwar lügt, bei versteckten Menschen, das Auge so gut, als jeder andere Theil ihres Körpers, aber doch unter allen am wenigsten. Es kann nur momentweise, nicht fortdauernd lügen. Die beiden Augen des Menschen sind gleichsam Fensterthüren zum Maulgemach (Boudoir) der Seele, wo die Verstellung aufhört, und wo sie gesehen werden kann, wie sie ist, mit allen ihren Launen, Grillen und Leidenschaften166.

Indem Joachim Heinrich Campe in seiner bereits zitierten Anstandslehre aus dem Jahr 1789 die ,Augen‘ als ,Fenstertüren‘ zum ,Boudoir‘ der Seele bezeichnet, greift er in einer originellen Formulierung die alte Redeweise auf, nach der die Augen die Seele eines Menschen zeigen. Ihm gemäß kann ein Mensch langfristig nicht verhindern, dass seine ,Seele‘, so ,wie sie ist, mit allen ihren Launen, Grillen und Leidenschaften‘ durch seine Augen ,gesehen werden kann‘, die im Medium angelegte Offenheit bringt also alle Verstellungs- und Verbergensversuche zum Scheitern. Der Topos der besonderen Offenheit des Blickes und anderer non- sowie paraverbaler Zeichensysteme findet sich bis in die Gegenwart in den Quellen, beispielsweise in einem Kommunikationsratgeber, der fast genau zwei Jahrhunderte nach Campes Anstandlehre erscheint: „Gerade aus dem nicht-sprachlichen Verhalten, wie Tonfall, Kopfhaltung, Blickkontakt,

164 Vgl. Fischaleck 2003: 123–124. 165 Fischaleck 2003: 124. 166 Campe 1789: 499.

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2 Offenheit als Wort, Begriff und Phänomen

Gestik usw. können wir viele Hinweise über die tatsächliche emotionale Befindlichkeit unseres Partner [sic] entnehmen, denn: Die Körpersprache lügt nicht!“167

Kennzeichen von Transparenz Im letzten Kapitel, Kapitel 2.2, wurde nachgewiesen, dass Offenheit eine Transparenz voraussetzt, die darin besteht, dass die verwendeten Zeichen als nahezu ,durchsichtiges‘ Medium fungieren, das die beabsichtigte Äußerungsbedeutung unverändert zeigt und dem Rezipienten ein müheloses Erkennen dieser ermöglicht. Zwar kann der Rezipient, wie oben erläutert, ohne Zusatzinformationen nicht sicher sein, dass die tatsächliche Äußerungsbedeutung die intendierte repräsentiert, doch ob die eingesetzten Zeichen so gestaltet sind, dass der Zugriff auf die Äußerungsbedeutung einfach ist, d. h. ob eine Äußerung leicht verständlich formuliert ist, lässt sich sinnlich wahrnehmen. Wenn dem so ist, liegt ein wichtiger Hinweis auf eine offene Äußerung vor. In den Quellen sind kaum Textstellen auffindbar, in denen Merkmale von Verständlichkeit reflektiert werden, doch ergibt eine Untersuchung der Äußerungen, die in den Quellen als offen klassifiziert werden, welche Formulierungen für offene Äußerungen charakteristisch sind. Als erstes Analysebeispiel eignet sich ein Abschnitt der bereits erwähnten, anonym publizierten „Anweisung zum Briefwechsel des Frauenzimmers mit Frauenzimmern“ (1777) besonders gut. Darin werden zwei ,Einladungscomplimente‘ einander gegenüber gestellt, von denen aber nur eines als ,offenherzig‘ und ,fasslich‘, ergo als offen und verständlich,168 bezeichnet wird: Ohne vorherige Auswahl der Redensarten wird es ein gewöhnliches, insinuantes und faßliches Compliment seyn, wenn ein Frauenzimmer dem andern sagt: ,In Ihrer Gesellschaft bin ich am liebsten. Ganze Tage wünschte ich bey Ihnen zu seyn. Wollen Sie nicht bald wieder zu mir kommen? Ihre Mama wird es gewiß erlauben; ich bitte sie darum.‘ So offenherzig, so freundschaftlich, so ganz ohne Wortgepränge, getrauet man sich aber nicht einander zu schreiben. Wie kalt, wie zwangvoll lautet das schriftliche Einladungscompliment: ,Die Ehre, mit Ihnen in Gesellschaft zu seyn, achte ich für so vorzüglich, daß ich mit besonderem Vergnügen ganze Tage lang von Ihnen zu profitiren wünschte. Ist es

167 Bay 1988: 70. 168 Als Bedeutung von „Faßlich“ gibt Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 54 an: „was sich leicht fassen, d. i. begreifen, verstehen lässet“.

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

117

Ihnen gefällig, so befriedigen Sie meine Wünsche so bald, als Ihre Frau Mama für mich die Gewogenheit haben werden, Ihnen wieder einen Besuch bey mir zu erlauben. Empfehlen Sie mich derselben gehorsamst und sagen Sie ihr, wie sehr ich wünschte, meine Erwartung bald erfüllt zu sehen. Die ich bis dahin verharre etc. etc.‘ Wie merkbar ist nicht der Unterschied zwischen iener mündlichen Bitte und diesem schmeichlerischen und gezwungenen Briefchen?169

Die Differenz ist in der Tat auffällig: Das offene Compliment170 besteht aus kürzeren, weniger komplexen Sätzen als das zweite, bedient sich eines umgangssprachlicheren Idioms, verzichtet auf Fremdwörter sowie Floskeln und ist dadurch verständlicher. In derselben Weise kann folgende Textstelle exemplarisch betrachtet werden, die aus dem Kapitel „Schriftliche Heirathsanträge und Liebesbriefe“171 einer Verhaltenslehre für Herren von 1829 stammt: Eine Wüste mit allen ihren Schrecknissen würde die Erde für mich werden, wenn ich ohne Hoffnung lieben sollte; aber in neuer herrlicher Pracht wird [sic] Sonne und Mond für mich aufgehen, wenn meine Wünsche erfüllt, wenn mein Herz erkannt und von Ihnen nicht zurückgewiesen wird. Mit Offenheit erkläre ich Ihnen daher: ,Ich liebe Sie heiß und innig!‘172

Die Bedeutung des als offen beurteilten Ausrufes ,Ich liebe Sie heiß und innig!‘ ist insofern einfacher zu erschließen als die der vorausgehenden Sätze, als in ihm keine literatursprachlichen Bilder zum Einsatz kommen, es sich um einen kurzen Satz handelt und sich dieser nur aus alltagssprachlichen Wörtern zusammensetzt. Das Hendiadyoin ,heiß und innig‘ sowie das Ausrufezeichen veranschaulichen zudem die Intensität der beteuerten Liebe. Ähnliche Besonderheiten der Formulierung, die der Verständlichkeit dienen, finden sich in einer als offen bezeichneten Äußerung aus einem Briefsteller von 1920. Sie ist einem Brief mit dem Titel „Ein Soldat sucht Annäherung an ein Mädchen“ entnommen: Ihre liebenswürdige Erscheinung zog meine Aufmerksamkeit auf Sie, und es freute mich stets, wenn ich einmal einige Worte mit Ihnen wechseln konnte. Bald fand ich eine Neigung zu Ihnen in mir erwachen und wachsen, die nun unlöschbar geworden ist. Mein Herz zwingt mich, Ihnen dieses offen und unumwunden zu gestehen173.

169 [Anonym.] 1777: 140. 170 Da, wie sich insbesondere in Kapitel 3.4 zeigen wird, im 17. und 18. Jahrhundert mit dem Ausdruck ,Compliment‘ etwas anderes gemeint ist, als in der heutigen Alltagssprache unter ,Kompliment‘ verstanden wird, behalte ich für Ersteres die Schreibweise mit ,c‘ bei. 171 [Anonym.] 1829/1829: 22. 172 [Anonym.] 1829/1829: 23. 173 Harten [1920]: 20.

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Die ersten beiden Sätze geben die in ihnen geschilderten Entwicklungen in chronologischer Reihenfolge wieder, die durch Gliederungssignale (,stets‘, ,bald‘, ,nun‘) verdeutlicht wird, und umfassen jeweils nur einen logisch subordinierten Teilsatz (,wenn ich ...‘ und ,die nun ...‘). Wiederum enthält die Äußerung keine Fremdwörter, Neologismen, Archaismen oder andere unüblichere Ausdrücke. Auch in neueren Briefstellern sind Sequenzen zu finden, die als offen bewertet werden und auf ihre sprachliche Gestaltung hin überprüft werden können. In einem Briefsteller von 1999 beispielsweise heißt es im Teilkapitel „Offen sprechen mit Kunden“: Dinge offen anzusprechen ist ein Grundsatz für gute Texte. Häufig umschiffen wir schwierige Klippen mit ,wir würden uns‘, ,ein allfälliges Treffen könnte zur Klärung der Lage beitragen‘. Wenn es um Konflikte geht, sprechen Sie diese an: ,Wir wissen, diese Ausgangslage ist für beide Seiten nicht ideal. Wir schlagen ein Treffen vor. Was halten Sie davon?‘ ,Liegen wir mit diesem Vorschlag richtig?‘ ,Bitte sagen Sie uns Ihre Meinung dazu, danke.‘ ,Ich rufe Sie morgen an, damit wir das Vorgehen besprechen können. Ist das auch in Ihrem Sinn?‘174

Die empfohlenen Äußerungen sind durch den Verzicht auf den Konjunktiv (,würden‘, ,könnte‘) und auf indirekte Sprechakte (,Wir schlagen ein Treffen vor‘ statt ,ein allfälliges Treffen könnte ...‘) weniger vage als die aufgeführten Negativbeispiele. Sie sind durch die Bündigkeit der Sätze und den Wechsel zwischen Aussage- und Fragesatz klar gegliedert. Erneut orientieren sich die verwendeten Lexeme an der Gemeinsprache, und nicht etwa – wie es bei Geschäftsbriefen denkbar wäre – an der Verwaltungssprache. Die Reihe der Exempel sei mit einer mündlichen Äußerung, die als offen klassifiziert wird, abgeschlossen. „Ich bräuchte wegen einer Besprechung morgen dringend das Auto, spätestens um 12 Uhr. Geht das von dir her? Bitte mit ausreichend Benzin im Tank“.175 Der Gesprächsbeitrag, der sich in einem stark kommunikationsnormativen Beziehungsratgeber aus dem Jahr 2003 befindet, wird von dessen Autor im Telegrammstil kommentiert: „B [die angesprochene Person, J.S.] weiß, woran sie ist, da Botschaft offen und eindeutig“.176 ,Eindeutig‘ oder besser: unmissverständlich ist dieser ,turn‘, weil er aus kurzen Sätzen unterschiedlicher Satzarten besteht, aus im Alltag gebräuchlichen Wörtern aufgebaut ist und das vorgetragene Anliegen inhaltlich stark spezifiziert

174 Ramer 1999: 103. 175 Fischaleck 2003: 114. 176 Fischaleck 2003: 114.

2.3 Kennzeichen einer offenen Äußerung

119

(,wegen einer Besprechung‘, ,spätestens um 12 Uhr‘, ,mit ausreichend Benzin im Tank‘). Analysiert man in dieser Art die Äußerungen, die in den Quellen als offen bezeichnet werden, zeigt sich, dass sie regelmäßig folgende Verständlichkeitsmerkmale aufweisen, die auf Offenheit hindeuten: – Eindeutigkeit anstelle von Vagheit (z. B. durch Verzicht auf indirekte Sprechakte, Konjunktivformen, Ironie, ungewöhnliche sprachliche Bilder),177 – Gliederung statt Unstrukturiertheit (etwa durch Verwendung von Gliederungssignalen, nicht zu komplexen Satzgefügen, inhaltlich logischen, beispielsweise chronologischen Reihenfolgen),178 – Gebräuchlichkeit der Einzelzeichen, nicht jedoch Fremdheit (durch Einsatz von Morphemen bzw. Wörtern, deren Bedeutung allgemein bekannt ist, Verzicht auf Fachwörter, Fremdwörter, Neologismen, Archaismen usw.)179 und – Spezifikation bzw. Konkretion statt Abstraktion (durch Angabe von Beispielen, Verzicht auf besondere Knappheit im Ausdruck, stereotype und dadurch nichts sagende Formulierungen, Oberbegriffe etc.).180

177 In der wissenschaftlichen Literatur zu Deutlichkeit und Verständlichkeit werden die hier aufgeführten Merkmale wiederkehrend als Eigenschaften deutlicher oder leicht verständlicher Äußerungen oder Texte genannt, jedoch ohne dass ein Bezug zu Offenheit hergestellt würde: vgl. zu Eindeutigkeit Grice 1975/1979: 250, Heringer 1979: 268, Neumann 1995: 59, Göpferich 2002: 62, Asmuth 2003: Sp. 814, Christmann 2008: 1095. 178 Vgl. Groeben 1972: 118, Langer/Schulz von Thun/Tausch 1974/1981: 11–12, Grice 1975/1979: 250, Heringer 1979: 268, Neumann 1995: 59, Göpferich 2002: 59–60, 62, Asmuth 2003: Sp. 814, Christmann 2008: 1095–1099. 179 Vgl. Langer/Schulz von Thun/Tausch 1974/1981: 11, Heringer 1979: 268, Neumann 1995: 59, Göpferich 2002: 61, Christmann 2008: 1094. 180 Vgl. Langer/Schulz von Thun/Tausch 1974/1981: 12, Heringer 1979: 267–268, Neumann 1995: 60, Göpferich 2002: 54, 57–58, Asmuth 2003: Sp. 814–815, Christmann 2008: 1094.

3 Offenheit als Ideal 3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts verändert sich die kommunikative Mentalität wichtiger sozialer Gruppierungen in einem so hohen Tempo, dass man von einem mentalitätsgeschichtlichen Umbruch sprechen kann.1 Dass im Zuge dieser Veränderungen das moderne Ideal individueller Offenheit entsteht, soll in zwei Schritten belegt werden. Das vorliegende Kapitel bietet eine Tour d’Horizon des umfassenden Wandels: Dem Überblick über das Konglomerat kommunikativer Normen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, das für das Thema ,Offenheit‘ relevant ist, folgt die Beschreibung der Kommunikationsideale, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts neu durchsetzen und aus bzw. mit denen sich das Offenheitsideal entwickelt. Die Erörterung der barocken und aufklärerischen Kommunikationsnormen ergänze ich jeweils soweit um Bemerkungen zur sie fundierenden Auffassung menschlicher Beziehungen, zum ihnen unterliegenden Menschen- und Weltbild, wie die Kenntnis dieser Vorstellungen für das Verständnis der Normen notwendig ist. Da der Übergang vom Barock zur Aufklärung von der germanistischen Sprach- und Literaturwissenschaft relativ gut erforscht ist, kann in diesem Kapitel nicht in allen, aber doch in vielen Punkten auf bestehende Untersuchungsergebnisse zurückgegriffen werden (vergleiche Kapitel 1.1). Im Anschluss an die Darstellung des mentalitätsgeschichtlichen

1

In der Forschungsliteratur ist weithin anerkannt, dass sich die überlieferten kommunikativen Normen mit dem Beginn der Aufklärung durchschlagend wandeln (vgl. exemplarisch Göttert 1988: 101, Beetz 1990: 308, Ueding 2000: 18, Kolmer/ Rob-Santer 2002: 32), wenn auch gelegentlich versucht wird, diese Sichtweise zu relativieren: Benthien/Martus 2006: 1 z. B. kritisieren das Verständnis des Wandels als eines „radikalen Epochenbruchs“ und stellen ihm ihre Auffassung der Veränderungen als eines „sukzessiven Wandels“ entgegen. Dass sich beim Blick auf Details auch Kontinuitäten feststellen lassen, ändert allerdings nichts daran, dass die Rede von einem Bruch aus der Gesamtperspektive angemessen ist.

3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals

121

Hintergrundes in diesem Kapitel konzentriert sich das folgende Kapitel 3.2 ganz auf die Entstehung und weitere Geschichte des Offenheitsideals.

Kommunikative Normen vor der Herausbildung des Offenheitsideals im 17. Jahrhundert Der Zugang zum schriftlichen Diskurs über Sprache und Kommunikation ist im 17. Jahrhundert stark ständisch beschränkt: Nur eine kleine, exklusive Gruppe von Menschen kann sich an ihm beteiligen. Die Texte, die heute Rückschlüsse auf damalige kommunikative Mentalitäten erlauben, sind in der Regel von bürgerlichen oder adeligen Autoren verfasst worden. Sie richten sich vor allem an Leser, die dem Hof zugehören oder zumindest mit Angehörigen des Hofes interagieren – an den Adel, an bürgerliche Beamte und Gelehrte.2 Über die kommunikativen Einstellungen der Menschen, die den unteren Ebenen der Ständehierarchie angehören, speziell über ihre Haltung gegenüber Offenheit, wird die Sprach- und Literaturwissenschaft hingegen nie viel erfahren, da aus diesen kaum alphabetisierten sozialen Gruppierungen nicht genügend kommunikationsreflexive Zeugnisse überliefert worden sind. Allerdings ist zu bedenken, dass der Hof im 17. Jahrhundert noch in viel stärkerem Maß das kulturelle Orientierungszentrum aller Mitglieder eines Herrschaftsbereiches ist als im Verlauf des 18. Jahrhunderts, was auch und gerade in Fragen des ,richtigen‘ und ,guten‘ Verhaltens gilt.3 Die Interaktions- und Kommunikationsnormen des Hofes strahlen über den Hof hinaus aus und wirken bis in nicht-höfische Lebenswelten hinein.4 Die kommunikativen Normen des Barock unterscheiden sich in einigen Grundzügen klar von denen der Aufklärung. Die Gestaltung einer Äußerung orientiert sich in der ausgeprägt hierarchischen Ständegesellschaft der damaligen Zeit im Idealfall außer am Zweck primär an der Position des Adressaten in der Hierarchie, am Ort, an der Zeit und am Äußerungsgegenstand.5 Ob sie den besonderen geistig-seelischen Eigen-

2

3 4 5

Ausführliche Angaben zu den Autoren, Adressaten und Auflagenhöhen verhaltens- und kommunikationsnormativer Schriften des 17. Jahrhunderts finden sich bei Beetz 1990: 71–107 und Schmidt-Wächter 2004: 68–76, 84–86, wobei Letztere dem 18. Jahrhundert die größere Aufmerksamkeit schenkt. Vgl. Beetz 1990: 246, Kolmer/Rob-Santer 2002: 30. Vgl. Martens 1968: 343, Barner 1970: 138, Gabler 1980: 18, Göttert 1988: 45, Beetz 1990: 246–247. Vgl. Braungart 1988: 292, Linke 1996a: 79, Gardt 1999: 162, Wullen 1999: 79, 81,

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3 Offenheit als Ideal

schaften des Äußerungsproduzenten entspricht, dem, was man heute ihre/seine ,Persönlichkeit‘ nennen würde, spielt dagegen kaum eine Rolle. Kommunizierende sollen folglich eine Vielzahl situationsspezifischer Richtlinien kennen und berücksichtigen. Wie viele unterschiedliche es in Abhängigkeit von der Kommunikationssituation, besonders von der gesellschaftlichen Position des Adressaten, für denselben Äußerungszweck geben kann, zeigt sich beim Blick in Rhetoriken und Briefsteller dieser Epoche. Das Kapitel über „Glückwünschungen und Beantwortungen“ in Balthasar Kindermanns „Deutschem Redner“ aus dem Jahr 1660 beispielsweise enthält diverse nach Empfänger und Anlass variierende Instruktionen und Beispieltexte für den Äußerungszweck des Glückwunsches: Vorgaben für eine „Glückwünschung zum Bürgermeister-Amt“, eine „Glückwünschung an einen Priester“, eine „Glückwünschung zur neuen Heyraht im Hochzeit-Hause“, eine „Glückwünschung zu einem jungen Erben“, eine „Glückwünschung zum Doctorat oder Magisterio“, eine „Glückwünschung an einen Doctor / der zum Leib-Artzt bestellet worden“, eine „Glückwünschung zum Geburts- und Namens-Tage“, einen „Wunsch eines neuen Regenten an seinem Namens-Tage“ sowie eine „Glückwünschung nach wieder erlangter Gesundheit“.6 Kindermann ist offensichtlich der Ansicht, dass ein kompetenter Sprecher nicht ein Textmuster, sondern mehrere Textmustervarianten für einen Glückwunsch kennen und anwenden können muss. Texte, die derartig genauen Vorgaben folgen, machen heute oft den Eindruck des „Formelhaften“,7 welches Reinhard Nickisch zwar nicht als Charakteristikum vorgetragener Glückwünsche nennt, doch als Merkmal der Musterbriefe des späten 16. und des 17. Jahrhunderts, die detaillierten Vorschriften für die Disposition, die Anrede, sogar für einzelne Formulierungen vorbildlich entsprechen. Nicht unbeeinflusst von der differenzierten hierarchischen Sozialstruktur und den damit zusammenhängenden zahlreichen Vorschriften für einzelne Situationstypen ist ein weiterer Grundzug der kommunikativen Normen des 17. Jahrhunderts: die Vorliebe für rhetorischen Schmuck, für eine aufwändige sprachliche Ausgestaltung der Aussage, kurz: für dasjenige, was spätere Epochen als barocken ,Schwulst‘ abwerten.8 Als Grundregel lässt sich ausmachen, dass umso mehr sprach-

6 7 8

Pompe 2003: Sp. 195, Heudecker/Wesche 2008: 100. Kindermann 1660: 315–316, 320–321, 323–327, 329. Nickisch 1969: 204, vgl. 207. Dieser Aspekt gehört zu den in der wissenschaftlichen Literatur am häufigsten genannten Merkmalen des barocken Sprachgebrauchs: vgl. exemplarisch Schmölders

3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals

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licher Aufwand betrieben werden soll, je bedeutender der Adressat und der Gegenstand der Äußerung sind, je höher beide in der Hierarchie möglicher Adressaten und Gegenstände rangieren. Als punktuelles, aber erhellendes Beispiel dafür, dass eine einfache Aussage bei einem bedeutenden Adressaten zu einem komplexen sprachlichen Gebilde auszugestalten ist, kann der Beginn einer Musterrede in Christian Weises „Politischem Redner“ (1677/1681) dienen. Weise stellt seinen Lesern zunächst die Kernaussagen einer Rede der Stadt Lübeck für einen Kurfürsten vor und kontrastiert sie dann mit ihrer sehr viel längeren, pompöseren und schmeichelhafteren ausformulierten Version. Die erste von sechs Kernaussagen lautet: „1. Es ist die gantze Nachbarschafft schuldig E.[urer] Chur-Fürstl.[ichen] Durchl.[aucht] glückwündschend auffzuwarten“.9 Daraus ist in der endgültigen Fassung der Rede geworden: Durchlauchtigster Chur-Fürst / Gnädigster Herr. NAchdem E.[ure] Churf[ürst]l.[iche] Durchl.[aucht] mit dero siegreichen Armee biß in diese Gegend hereingedrungen sind / und also die gantze Nachbarschaft bemühet ist dero Heldenmäßiges Haupt mit aller möglichen Ehrbezeigung anzuschauen / hat gleichfalls der Rath und die gesammte Stadt Lübeck ihrer Schuldigkeit erachtet / so wol einen unterthänigen Glück-Wundsch / als auch absonderlich ein Demüthiges Willkommen bey deroselben abzulegen10.

Innerhalb der kommunikativen Normen des 17. Jahrhunderts lassen sich mehrere Normenbündel differenzieren, die von verschiedenen gesellschaftlichen Fraktionen vertreten werden. So unterscheidet Wilfried Barner innerhalb der „Rhetoriktheorie“ dieser Zeit die gelehrte „humanistisch-lateinische Rhetoriktheorie“, die kanzlistischen „artes dictaminis“, die „geistliche Beredsamkeit“ und die „höfische Rhetorik“.11 Die folgenden Ausführungen betreffen die besonders einflussreiche höfische Rhetorik, d. h. die höfisch-politischen Kommunikationsnormen. Der europäische höfisch-politische Normenkanon, der im 16. Jahrhundert in Italien und Frankreich entsteht, verbreitet sich im 17. Jahr-

9 10 11

1979/1986: 35, Asmuth 1991: 24, Fauser 1991a: 234, Ueding 2000: 43, Kolmer/RobSanter 2002: 30, Göttert/Jungen 2004: 23. Weise 1677/1681: 1007. Weise 1677/1681: 1007. Weise spricht nur davon, dass die „Stadt Lübeck“ dem Kurfürsten mit diesen Worten „hätte auffwarten können“ (Weise 1677/1681: 1006–1007). Er spezifiziert nicht, wen er sich als Redner denkt. Barner 1970: 154, 156, 162, 165–166. Ähnlich stellt Nickisch die höfischen und kanzlistischen Sprech- und Schreibnormen einander gegenüber (vgl. Nickisch 1969: 204–205). Auch Braungart differenziert zwischen der „Herrschaftseloquenz“, der „Schulrhetorik“ und der Rhetorik der „Kanzlei“ (Braungart 1988: 16, 290). Heudecker und Wesche trennen ebenfalls zwischen „höfischer Beredsamkeit“ und „gelehrter Rhetorik“ (Heudecker/Wesche 2008: 98).

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hundert auch im deutschsprachigen Raum.12 Seine größte Wirkung übt er hier zwischen etwa 1650 und 1700 aus,13 in den ersten Dezennien des 18. Jahrhunderts verliert er bereits an Bedeutung.14 In den absolutistischen europäischen Staaten des 16. und 17. Jahrhunderts interagieren Höflinge und ,Politici‘ – diejenigen, die mit Staatsangelegenheiten betraut sind, die ein weltliches Amt innehaben15 – beständig und bilden so eine gemeinsame Verhaltenskultur aus.16 Für deren Normen, die sich keineswegs auf das Gebiet der Staatsgeschäfte beschränken, sondern zwar in Einzelheiten modifiziert, im Wesentlichen aber unverändert über zahlreiche Lebensbereiche hinwegreichen, sind vor allem zwei Werke impulsgebend: zum einen Niccolò Machiavellis „Il principe“ (1532) (deutsch „Lebensund Regierungs-Maximen eines Fürsten“, 1714), unter dessen Einfluss sich die Vorstellung verbreitet, dass die Politik ein säkularer Handlungsbereich sei, für den die christliche Ethik nicht fraglos gelte und in dem der Herrscher sich über christliche Verhaltensstandards hinweg setzen dürfe;17 zum anderen Baltasar Gracián y Morales’ „Oracvlo manval y arte de prvdencia“ (1647) (deutsch „L’homme de cour. Oder: Balthasar Gracians Vollkommener Staats- und Welt-Weise“, 1686), das eine strategische Verhaltensorientierung am eigenen Nutzen popularisiert.18 In den deutschen Sprachraum werden die höfisch-politischen Kommunikationsnormen primär über Frankreich vermittelt.19 Unter ihren deutschsprachigen Vertretern sind z. B. Christian Georg von Bessel,20 August Friedrich

12

Vgl. Martens 1968: 348, Barner 1970: 136, 166–167, Göttert 1988: 45–46, Barner 2006: 179. 13 Vgl. Benthien 2006: 176. 14 Er wirkt jedoch im weiteren Verlauf des Jahrhunderts nach (vgl. Göttert 1988: 88, Fauser 1991b: 134). 15 Zu dieser Bedeutung vgl. die Einträge „Politicus“ in Frisch 1741: 2. Bd.: 65 und „Politicus“ in Zedler 1741: 28. Bd.: Sp. 1528–1529, hier Sp. 1528. 16 Nach Kugeler fördert speziell die Einführung ständiger Gesandter gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Ausbildung eines gemeinsamen höfischen und diplomatisch-politischen Normenkanons (vgl. Kugeler 2006: 141). 17 Zur Säkularisierung der Politik vgl. Barner 1970: 136, Barner 2006: 179. Zum großen Einfluss Machiavellis auf die Staatslehre des 17. Jahrhunderts vgl. Barner 1970: 136, Hölscher 1979: 131, Göttert 1988: 44–45, Saße 1994: 110, Kunisch 1997: 34, Till 2004: 153, Benthien 2006: 180. 18 Die enorme Bedeutung Graciáns bestätigen Martens 1968: 348, Barner 1970: 93, Gabler 1980: 23, Braungart 1988: 17, Göttert 1988: 44, Saße 1994: 110, Pompe 2003: Sp. 193, Till 2004: 153, Benthien 2006: 166, Danneberg 2006: 45. 19 Vgl. Gabler 1980: 17. 20 Vgl. Göttert 1988: 65.

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Müller,21 Christian Thomasius22 und Christian Weise23 bekannt, wobei sich in den Schriften der letzten beiden ansatzweise bereits neuere kommunikative Normen zeigen, worauf ich noch zurückkomme. Die für diese Studie wichtigste Besonderheit der höfisch-politischen Kommunikationslehre ist ihre eindeutige Ablehnung von Offenheit.24 Das so einflussreiche „Oráculo manual“ bzw. „Hand-Orakel“ Baltasar Graciáns ist von negativen Bewertungen von Offenheit und weit reichenden Warnungen vor ihr durchzogen: „Mit offenen Karten spielen ist weder nützlich noch angenehm“,25 „Das praktischste Wissen besteht in der Verstellungskunst. Wer mit offenen Karten spielt, läuft Gefahr zu verlieren“,26 „Die Offenherzigen werden geliebt, aber betrogen“27 usw. Unabhängig von den semantischen Nuancen, die ein sorgfältiger Vergleich des Originaltextes mit der Übersetzung zu Tage fördern könnte, ist die Stoßrichtung des „Hand-Orakels“ eindeutig: Verhaltensweisen, die sich mit dem Wissen aus Kapitel 2.2 dem Begriff der Offenheit subsumieren lassen, werden als gefährlich eingeschätzt und deshalb abgelehnt; als sinnvoll werden dagegen Verstellen und Verbergen angesehen. Dieselbe Einstellung geht aus höfisch-politisch geprägten Texten deutschsprachiger Autoren hervor: Christian Georg von Bessel beispielsweise findet in seinem „Neuen Politischen Glücks-Schmied“ (1681/1691) „nicht / daß sich ein Politicus müsse in die Karte sehen lassen / und einem jeden ohne Noth und Nutzen das innerste seines Hertzens / welches die Natur nicht ohne Ursache an einen so verborgenen Ort gesetzet und verschlossen / offenbaren“.28 Dass ein ,Politicus‘ – für Bessel sind das alle Hof- und Staatsleute – nicht ohne besonderen Grund offen sein soll

21 22 23 24 25

Vgl. Göttert 1988: 100. Vgl. Barner 1970: 149, Schmölders 1979/1986: 49. Vgl. Nickisch 1969: 212, Barner 1970: 149, Göttert 1988: 96, Barner 2006: 179. Vgl. Schlich 2002: 53. Gracián [y Morales] 1647/2006: 11–12. Im deutschsprachigen Raum stehen im 17. und 18. Jahrhundert neben dem spanischen Originaltext insbesondere französische und deutsche Übersetzungen zur Rezeption des „Hand-Orakels“ zur Verfügung (vgl. für deutsche Übersetzungen Gracián [y Morales] 1647/1686, 1647/1711, 1647/1715–1719). Da die deutschen Übersetzungen sich zum Teil weit vom spanischen Original entfernen, zitiere ich hier ausnahmsweise anachronistisch aus der heute einschlägigen Übersetzung Schopenhauers von 1862. Das obige Zitat lautet im Original: „Jugar a juego descubierto ni gusta ni es útil“ (Gracián [y Morales] 1647/1993: 2). 26 Gracián [y Morales] 1647/2006: 82. Auch hier sei die Stelle in der Originalsprache angegeben: „El saber más práctico consiste en disimular. El que juega a juego descubierto tiene riesgo de perder“ (Gracián [y Morales] 1647/1993: 57). 27 Gracián [y Morales] 1647/2006: 176. Auf Spanisch heißt es: „Los sinceros son amados, pero también engañados“ (Gracián [y Morales] 1647/1993: 127). 28 Bessel 1681/1691: 358.

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(seine ,Karte‘29 bzw. sein ,Herz‘ zeigen soll), begründet er wie Gracián mit den persönlichen Nachteilen, die daraus folgen könnten: „dann es ist eines Thoren / das Hertze im Munde führen / und was er nur gedencket / sagen / gestalt [...] nicht allemal dienlich / was wahr ist [...] / zu sagen“.30 Wie schon an den wenigen Gracián-Zitaten ersichtlich wurde, geht mit den Vorbehalten gegenüber Offenheit die Wertschätzung all derjenigen kommunikativen Prinzipien einher, die im Gegensatz zu Offenheit stehen. Das Unbehagen gegenüber Offenheit wird mit der Kenntnis der zentralen Funktionen verständlich, die diesen Prinzipien, speziell Prinzipien der Geheimhaltung,31 im höfisch-politischen Leben zukommen: Um die Handlungsfreiheit des Monarchen zu schützen, wird eine Staatsangelegenheit an den absolutistischen Höfen in der Regel umso geheimer gehalten, je größer ihre Bedeutung ist. Dadurch bestimmt der Grad der Partizipation an den Staatsgeheimnissen maßgeblich den Rang einer Person in der höfischen Hierarchie, womit Geheimhaltungsprinzipien zusätzlich eine sozial ex- bzw. inkludierende, distinguierende Funktion erhalten. Wie stark Geheimhaltungsstrategien auf Staatsangelegenheiten angewendet werden, wie sehr sie Bereiche besonderer ,Nähe‘ zum Herrscher und ergo besonderer Macht definieren, zeigt sich darin, dass ,geheim‘ noch 1779 in der „Oeconomischen Encyclopädie“ von Johann Georg Krünitz „[i]n engerm Verstande“ als „was nahe um den Fürsten ist, denselben und die innersten Landessachen betrifft“32 definiert wird. Positiv beurteilen die höfisch-politisch orientierten Autoren folglich Verschwiegenheit, Verschleierung, in manchen Fällen sogar Unehrlichkeit. Die Kommunikationsprinzipien33 in diesem begrifflichen Bereich werden oft mit dem Ausdruck ,Schweigen‘34 bezeichnet, dessen dama-

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Einen Hinweis darauf, dass ,in die Karte sehen lassen‘ schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts so viel wie ,Geheimnisse offenbaren‘ bedeuten kann, liefert Frisch 1741: 1. Bd.: 502. Er übersetzt „einem in die Karte sehen“ mit „detegere alicujus secreta“. 30 Bessel 1681/1691: 358. 31 Schmölders spricht von einem „regelrechten Geheimniskult“ (Schmölders 1979/1986: 30). Zur Bedeutung des Geheimnisses und der Geheimhaltung für Hof und Politik im 17. Jahrhundert vgl. Hölscher 1979: 7, 130–131, Voigts 1995: 70, Kunisch 1997: 34–35, 39, Benthien 2006: 176, Kugeler 2006: 146. 32 Krünitz/Flörke/Flörke u. a. 1779: 16. Bd.: 631. 33 Zur Erläuterung eines Kommunikationsprinzips führe ich hier und im Folgenden jeweils einige Ausdrücke auf, unter denen das Prinzip in den Quellen häufig anzutreffen ist, differenziere jedoch nicht zwischen Substantiv, Adjektiv und ggf. Verb, sondern nenne der Einfachheit halber nur einen Ausdruck pro Wortfamilie. In einer Fußnote verweise ich auf Einträge in historischen Nachschlagewerken, die den Quellenbefund bestätigen. 34 Zu dieser Bezeichnung vgl. exemplarisch die Einträge „Geschwiegen“ in Steinbach

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lige Bedeutung der heutigen vergleichbar ist, als ,dissimulatio‘, ,Dissimulation‘ oder ,Verstellung‘,35 womit ,Verbergen‘ gemeint ist, sowie als ,simulatio‘, ,Simulation‘, ,Stellung‘ oder ebenfalls ,Verstellung‘,36 worunter ,Verstellung‘ zu verstehen ist.37 Im Verhältnis zu Simulation gilt Dissimulation allerdings traditionell als ethisch unbedenklicher, weil sie weniger als Verstoß gegen christlich motivierte Täuschungs- und Lügenverbote angesehen wird.38 Die Zustimmung zum Schweigen und die Kritik an Geschwätzigkeit haben eine lange Tradition, die vom alten Ägypten über die griechische Antike, über das Alte Testament bis in christliche und weltliche Schriften aus dem Mittelalter reicht.39 In der frühen Neuzeit beobachtet Claudia Benthien eine generelle Wertschätzung des Schweigens: „Es ist bemerkenswert, in welcher Breite die frühneuzeitlichen Autoren einer ,ars tacendi‘ ,das Wort reden‘“.40 Eine von zahlreichen Formen des Schweigens ist das Verschweigen von etwas, für das die höfisch-politische Kommunikationslehre des Barock eine besondere Präferenz hat. Es wird als Voraussetzung für die Wahrung der eigenen Position sowie einen weiteren Aufstieg in der höfischen Hierarchie betrachtet. Dementsprechend erklärt Christian Friedrich Hunold Verschwiegenheit in seiner kurz nach der Jahrhundertwende unter dem Pseudonym ,Menantes‘ veröffentlichten Konversationslehre als vorteilhaft, weil sie die betreffende Person als mächtigen Geheimnisträger, als qualifizierten Staatsmann, vertrauenswürdigen Gefährten und undurchschaubaren Kontrahenten erscheinen lasse:

1734: 2. Bd.: 545–546 und „Schweigen“ in Zedler 1743: 36. Bd.: Sp. 244–246, hier Sp. 244. 35 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „Dissimulatio“ in Zedler 1734: 7. Bd.: Sp. 1072, „Verstellung“ in Steinbach 1734: 2. Bd.: 665 sowie „Verstellung“ in Frisch 1741: 2. Bd.: 331. 36 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „Simulatio“ in Zedler 1743: 37. Bd.: Sp. 1543, „Stellung“ in Steinbach 1734: 2. Bd.: 659 und „Verstellung“ in Zedler 1746: 47. Bd.: Sp. 2058–2065, hier Sp. 2058. 37 Die Wichtigkeit von Simulation und Dissimulation für die höfisch-politische Kommunikationstheorie und -praxis ist, soweit ich es ersehe, unbestritten: vgl. Martens 1968: 348, Hölscher 1979: 131, Göttert 1988: 29, Geitner 1992: 1, Saße 1994: 111, Till 2004: 154, Benthien 2006: 180, Stöckmann 2006: 211. Zur Simulation vgl. ebenso Asmuth 1991: 24, Schlich 2002: 53, Barner 2006: 180, Bettrich/Krautter 2007: Sp. 922. Zur Dissimulation vgl. darüber hinaus Gabler 1980: 21, Fauser 1991a: 341, Népote-Desmarres/ Tröger 1994: Sp. 887, Kugeler 2006: 140. 38 Vgl. Benthien 2006: 181–182, Danneberg 2006: 66, Bettrich/Krautter 2007: Sp. 920. 39 Vgl. Bellebaum 1992: 6, 56, 63, 68. Ähnlich Schmölders 1979/1986: 16–21, Fauser 1991a: 340, Benthien 2006: 195. 40 Benthien 2006: 166.

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[E]in Mensch / der wenig redet / [passirt] vor einen gutenPoliticum [sic], und erwirbt sich durch sein Stillschweigen in dem Hertzen geringerer den Ruhm: daß er voller klugen Geheimnisse stecke; und iu [sic] den Gemüthern der Grossen wird er vor einen Mann von rechtschaffenen und zur Welt gehörigen Verstande angesehen. Bey seinem Oberherrn setzet er sich in den Credit, daß ihm sonder Gefahr die wichtigsten Geheimnisse zu vertrauen: Bey seinen Freunden erwirbt er sich / als ein vollkommen bescheidener und vernünfftiger Mensch / Hochachtung und Vertraulichkeit: Bey seinen Feinden aber macht er sich […] furchtsam41.

Das Verschweigen einer Information kann jedoch nicht nur als eine Form des Schweigens angesehen werden, sondern ebenfalls als eine Art des Verbergens. Der Sinn, der am Hof und in der Politik im Verbergen und Sich-Verstellen gesehen wird, ist im Wesentlichen derjenige, den das Verschweigen dort hat: Er besteht darin, die Gunst der anderen, insbesondere der Mächtigeren, nicht zu verlieren oder sogar zu steigern und sich gegen Konkurrenten durchzusetzen.42 Den letztgenannten Aspekt hebt Julius Bernhard von Rohr in der „Einleitung Zu der Klugheit zu leben“, einer Verhaltenslehre aus dem frühen 18. Jahrhundert, hervor: Die Verstellung, daß du dir nicht mercken lässest, was vor actiones du vor hast, und dich anstellest, als ob du zu gantz andern schreiten wollest, ist in Unternehmung der actionen gar nothwendig, theils, daß dir deine Feinde nicht contrecariren mögen, theils auch, daß sich andere über den glücklichen Ausgang desto mehr verwundern, über den unglücklichen aber dich nicht auslachen mögen43.

Was ich bisher über aristokratisch geprägte Kommunikationsideale gesagt habe, betrifft die Perspektive des Äußerungsproduzenten. Ihr/ihm wird grundsätzlich von Offenheit abgeraten, während gegenteilige Prinzipien empfohlen werden. Anders, differenzierter, urteilen die Quellenautoren vom Standpunkt des Rezipienten aus über Offenheit. Sie stellen kommunikative Phänomene, die unter den Begriff der Offenheit gefasst werden können, partiell als negativ für den Rezipienten dar: So gilt es bisweilen als Belastung oder Gefährdung, wenn jemand in ein Geheimnis eingeweiht wird, in Bezug auf das sie/er zum Schweigen verpflichtet ist, wenn ihr/ihm eine Information anvertraut wird, die sie/er nicht weitergeben darf. Auch für diesen Gedankengang findet sich in Christian Friedrich Hunolds Konversationslehre (1707/1713) eine typische Formulierung: „Allein / mit welcher Bescheidenheit ich mir wegen der mir

41 42 43

Menantes 1707/1713: 31. Vgl. Benthien 2006: 158, 193, Danneberg 2006: 64. Rohr 1715/1730: 31–32.

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anvertrauten Geheimnisse schmeicheln kan / so sehe doch lieber / daß ich gar nichts zu verschweigen habe“.44 Hunold will keine ,Geheimnisse‘ erfahren, weil sie zur Belastung werden könnten: „[S]aget mir eure Geheimniß nicht / so ihr eure und meine Ruhe liebet“.45 Im Gegensatz dazu wird ein kommunikatives Verhalten, das man als unbeabsichtigte Offenheit klassifizieren kann, als positiv für den Rezipienten eingeschätzt: Es könne strategische Vorteile verschaffen, wenn eine Person sich zu unüberlegten Äußerungen hinreißen lasse und dadurch durchschaut werden könne – also unbedacht, am besten noch von ihr selbst unbemerkt offen ist. Am Hof und in der Politik wird eine asymmetrische Kommunikationssituation als ideal angesehen, in der es einem gelingt, überzeugend zu simulieren, zu dissimulieren und zu schweigen, selbst undurchschaut zu bleiben, während man den Kommunikationspartner, die/der ebenfalls um Verschwiegenheit, Verschleierung und Täuschung bemüht ist, durch die äußere Erscheinung hindurch erfasst.46 Vom Interesse speziell daran, dass ein anderer sich verrät, sowie allgemein daran, „anderer Menschen Gemüther zu erkennen“,47 zeugt ein Paragraph in Christian Thomasius’ „Kurtzem Entwurff der Politischen Klugheit“ (1705/1707): Endlich hat die tägliche Conversation auch diesen Nutzen / daß man / was uns zu wissen nöthig ist / und vor uns sonst verborgen gehalten wird / gantz unvermerckt erfahren kan. Offt entfähret einem ein unbedachtsames Wort / dadurch das Geheimste seines Hertzens / so er durch tausend Stellungen und Verstellungen verborgen / auff einmahl entdecket wird. Offt pfleget ein Wort / das man als etwas Gleichgültiges mit angenommener Unbedachtsamkeit vorbringet / eine Antwort heraus zu locken / daraus man des andern Geheimnisse ziemlich errathen kan. Oeffters hat ein verstelltes Widersprechen oder angenommene Begierde etwas zu lernen / oder ein erdichtetes Vorgeben / als ob uns dasjenige / davon wir nichts wissen / zur Gnüge bekandt wäre / einen gleichmäßigen Nutzen48.

Indem Thomasius es als ,Nutzen‘ bezeichnet, das zu ,erfahren‘, was ,sonst verborgen gehalten wird‘, stellt er es als erstrebenswert dar, den Kommunikationspartner zu durchschauen. Die Genauigkeit, mit der er anschließend beschreibt, mit welchen Mitteln man den anderen dazu bringen kann, sich unüberlegt zu öffnen, macht deutlich, wie groß der

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Menantes 1707/1713: 157. Menantes 1707/1713: 157. Vgl. Schmölders 1979/1986: 30–31, Till 2004: 149. Thomasius 1705/1707: 101. Thomasius 1705/1707: 138–139. Der Paragraph knüpft inhaltlich an denjenigen an, in dem von der „Kunst / anderer Menschen Gemüther zu erkennen“ die Rede war (vgl. Thomasius 1705/1707: 138–139).

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Wunsch danach ist. So wie Thomasius setzen sich viele weitere Autoren des 17. und frühen 18. Jahrhunderts mit den Möglichkeiten auseinander, andere Menschen zu dechiffrieren. Die Auseinandersetzung reicht von der Angabe einzelner ,Tricks‘ bis hin zu Versuchen, die Kunst der Entzifferung anderer Menschen wissenschaftlich zu fundieren.49 Wer sich nach Maßgabe der beschriebenen Kommunikationsideale verhält, wird in der höfisch-politischen Umgangslehre des 17. Jahrhunderts als ,klug‘ (lateinisch ,prudens‘) bezeichnet: Nicht etwa Christlichkeit, sondern Klugheit – die Geschicklichkeit, zum eigenen Vorteil zu handeln50 – bildet das Ziel und Zentrum dieser Lehre.51 Der große Stellenwert, den der Begriff der Klugheit hat, lässt sich allein daran erkennen, dass die Titel vieler interaktionsnormativer Schriften den Ausdruck ,klug‘ enthalten: „Mr. du Refuge Kluger Hofmann“,52 „Kurtzer Entwurff der Politischen Klugheit“,53 „Die Beste Manier In Honnéter Conversation, Sich höflich und Behutsam aufzuführen / Und in kluger Conduite Zu leben“,54 „Der Politische Philosophvs, Das ist, Vernunfftmäßige Anweisung Zur Klugheit Im gemeinen Leben“,55 „Einleitung Zu der Klugheit zu leben“56 usf. Die Normen, deren Beachtung zur Klugheit führen soll, sind in der Tat unübersehbar instrumentalistisch auf den persönlichen Nutzen ausgerichtet,57 auf Erfolg,58 auf den Erhalt, möglichst sogar die Steigerung der eigenen Macht.59

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Geitner stellt die Bemühungen des 17. und frühen 18. Jahrhunderts um die Fähigkeit, das Verhalten anderer Menschen zu decodieren, ausführlich dar (vgl. Geitner 1992: 107–167). Die Kunst, anderen Menschen ins Herz zu sehen und sie damit zu durchschauen, bezeichnet sie als „Kardiognostik“ (Geitner 1992: 127, Fußnote 71). Für die Zeit seit dem 17. Jahrhundert vgl. ebenso Trilling 1972/1980: 133, für das 18. Jahrhundert vgl. Koschorke 1999: 269. 50 Zu dieser Bedeutung vgl. den Eintrag „Klug“ in Steinbach 1734: 1. Bd.: 876–877. Noch Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 1645–1646, hier Sp. 1646, beschreibt „Klugheit“ als „Fertigkeit, sich in alle Umstände zu schicken und sie zu seinen Absichten vortheilhaft zu gebrauchen“. 51 Die große Bedeutung von Klugheit erwähnen auch Martens 1968: 348, Barner 1970: 138, Till 2004: 153. 52 H.[arsdörffer] 1655/1667, Hervorhebung J.S. 53 Thomasius 1705/1707, Hervorhebung J.S. 54 Menantes 1707/1713, Hervorhebung J.S. 55 H.[eumann]/P. 1714/1724, Hervorhebung J.S. 56 Rohr 1715/1730, Hervorhebung J.S. 57 Vgl. Martens 1968: 348–349, Gabler 1980: 16, Göttert 1988: 57, Beetz 1990: 189, Gardt 1994: 399, Kolmer/Rob-Santer 2002: 31. 58 Vgl. Martens 1968: 348, Gabler 1980: 30, Göttert 1988: 45, Beetz 1990: 189, Saße 1994: 110, Barner 2006: 179, Stöckmann 2006: 211. 59 Vgl. Gabler 1980: 22, Kolmer/Rob-Santer 2002: 30.

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Hier zeigt sich, auf welcher Vorstellung menschlicher Beziehungen und auf welchem Menschenbild die höfisch-politischen Interaktionsund Kommunikationsnormen basieren: Ihnen unterliegt die Annahme, dass soziale Beziehungen von Rivalität und Konkurrenz geprägt sind, dass der menschliche Umgang im Normalfall eine feindliche Auseinandersetzung ist60 – eine Annahme, die von den realen Bedingungen des höfischen Lebens beeinflusst sein dürfte. Sie beruhen auf einer „pessimistischen Anthropologie“, auf „Misanthropie“61 geradezu. Der Leser entsprechender Texte gewinnt den Eindruck, Menschen seien rücksichtsund erbarmungslose, boshafte Wesen. Nicht einig ist sich die Forschung jedoch in der Frage, inwieweit der barocke Höfling und/oder Politicus, dessen soziales Umfeld so negativ entworfen wird, von ethischen, insbesondere christlichen Pflichten entbunden ist: Einerseits wird von verschiedener Seite die Entfernung der Normen von der christlichen Ethik festgestellt,62 andererseits wird immer wieder darauf hingewiesen, dass sich der Höfling bzw. Politicus idealerweise sehr wohl an internalisierte ethische Grundsätze halte.63 Die Präferenz der höfisch-politischen Kultur für Schweigen, Verbergen und Verstellung lässt sich nicht nur vor dem Hintergrund ihrer Auffassung vom Menschen und von menschlichen Beziehungen verstehen, sondern ebenso vor der Folie ihres Weltbildes, der im 17. Jahrhundert verbreiteten Vorstellung des ,theatrum mundi‘: Die Welt – zumal die höfische64 – wird in Analogie zum Theater oder gar als Theater wahrgenommen, der Mensch als Darsteller begriffen, sein Verhalten als Aufführung.65 Wilfried Barner geht so weit, die Sichtweise der Welt als Theater als „eigentlichen Wurzelboden der Barockrhetorik“66 zu bezeichnen. Noch der vierte der „Discourse der Mahlern“ (1721) ist von dieser Sichtweise geprägt. Der Diskurs widmet sich der Dissimulation und Simulation, die im gesellschaftlichen Alltag üblich seien, beschreibt diesen als Schauspiel und die Welt als Bühne:

60 So sehen dies auch Gabler 1980: 20, Göttert 1988: 56, Koschorke 1999: 216, Kolmer/ Rob-Santer 2002: 30, Schlich 2002: 53, Till 2004: 153, Stöckmann 2006: 218. 61 Beetz 1990: 47. Neben Beetz vgl. Till 2004: 153, Benthien 2006: 165, Mourey 2006: 336. 62 Vgl. Barner 1970: 136, Göttert 1988: 30, für das Ende des 17. Jahrhunderts Beetz 1990: 285. 63 Vgl. Schmölders 1979/1986: 23, Gabler 1980: 25, Göttert 1988: 48, Gardt 1999: 163, Danneberg 2006: 46. Ähnlich Till 2004: 156, Kugeler 2006: 146. 64 Vgl. Barner 1970: 118, Pittrof 1991: 164. 65 Vgl. Kolmer/Rob-Santer 2002: 30–31, Till 2004: 154. 66 Barner 1970: 89.

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Die Welt ist ein grosser Schau-Platz voll vermasquerirter Personen / keiner kan den andern kennen / bevor ihm die Masque weggenommen wird. Der Tod allein zeiget den wahrenUnderscheid [sic] zwischen diesen Personen [...]. [...] Die Leute / welche aus den äusserlichen Geberden und Worten eines Menschen auf seine inwendige Beschaffenheit schliessen wollen / handeln nicht vernünfftiger / als wenn einer von der Schönheit eines Comedianten aus seiner Masque urtheilen wollte67.

Die Erscheinung der Menschen im Diesseits wird streng von deren eigentlichem Sein unterschieden, das sich beim Übergang ins Jenseits offenbare: Erst der ,Tod … zeigt den wahren Unterschied‘ zwischen den Menschen. Hier tritt die mit der ,theatrum mundi‘-Vorstellung verbundene, religiös motivierte Denkweise hervor, dass die diesseitige Welt des Scheins der jenseitigen Sphäre des Seins gegenüberstehe, auf die sich das Leben in der diesseitigen Welt hin orientieren solle. Am Ende des 17. Jahrhunderts zeigt sich in der aristokratisch ausgerichteten Umgangsliteratur eine neue männliche Vorbildfigur, ein neuer Idealtypus von Mann: der ,galant homme‘ oder auch ,honnête homme‘.68 Der französische ,galant homme‘ steht in der Tradition des Höflings, den Baldassare Castiglione in „Il libro del cortegiano“ (1528) (deutsch „Hofman“, 1565) als vorbildlich beschreibt.69 Im deutschsprachigen Raum wird die neue Idealfigur vorrangig über französische epistolographische, konversations- und allgemein interaktionsnormative Texte rezipiert.70 Wichtige deutschsprachige Vertreter des galanten Ideals sind z. B. August Bohse (Pseudonym: Talander),71 der bereits erwähnte Christian Friedrich Hunold (Pseudonym: Menantes)72 und Benjamin Neukirch.73 Christian Weise74 und Christian Thomasius75 werden teilweise ebenfalls dazu gerechnet. Der Letztgenannte geht in seiner Vorlesung „Discours, Welcher Gestalt man denen Frantzosen in gemeinem Leben und Wandel nachahmen solle?“ unter anderem der Frage nach: „[W]as ist galant und ein galanter Mensch?“76 Er beantwortet die Frage damit,

67 Carrache 1721: D4r. 68 Vgl. Barner 1970: 139, Gardt 1999: 163–164, Pompe 2003: Sp. 196. 69 Vgl. Göttert 1988: 20, Solbach 2001: 226, Pompe 2003: Sp. 193. 70 Vgl. Pompe 2003: Sp. 196. 71 Vgl. Nickisch 1969: 215, Barner 1970: 179, Pompe 2003: Sp. 193, Till 2004: 165. 72 Vgl. Nickisch 1969: 215, Barner 1970: 179, Pompe 2003: Sp. 193, Till 2004: 165. 73 Vgl. Barner 1970: 179, Pompe 2003: Sp. 193, Barner 2006: 185. 74 Vgl. Nickisch 1969: 215, Göttert 1988: 100, Gardt 1994: 399. 75 Vgl. Gardt 1994: 399. 76 Thomasius [ca. 1690]/1701: 14.

3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals

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daß es etwas gemischtes sey / so aus dem je ne scay qvoy, aus der guten Art etwas zu thun / aus der manier zu leben / so am Hofe gebräuchlich ist / aus Verstand / Gelehrsamkeit / einen guten judicio, Höfflichkeit / und Freudigkeit zusammen gesetzet werde / und deme aller Zwang / affectation, und unanständige Plumpheit zu wider sey. Ja ich meine / daß ich nicht irren werde / wenn ich sage / daß bey denen Frantzosen die Galanterie und la Politesse eines sey77.

Thomasius’ Überlegungen lassen sich wichtige Merkmale des ,galant homme‘ entnehmen: Für den ,galant homme‘ im deutschsprachigen Raum ist eine intensive Orientierung am französischen höfischen Lebensstil und an der französischen Sprache kennzeichnend.78 Dementsprechend diskutiert Thomasius die Galanterie im Kontext der Nachahmung der Franzosen. In seiner Kommunikation bleibt der ,galant homme‘ den Idealen des Verbergens und der Verstellung verpflichtet,79 was sich bei Thomasius andeutet, wenn er darauf hinweist, dass jener sich wie ,am Hofe gebräuchlich‘ verhalte, ,höflich‘ und ,poli‘ sei. Als zusätzliche Ideale bringt der ,galant homme‘ Anmut, (Nach)Lässigkeit (d. h. die souveräne Übertretung bestehender Normen), Leichtigkeit und in diesem Sinne auch Natürlichkeit in die Interaktions- und Kommunikationsnormen des späten 17. Jahrhunderts ein80 – Thomasius spricht vom ,je ne sais quoi‘, von der Abwesenheit von ,Zwang‘, ,Plumpheit‘ und ,Affektation‘. Mit ihrem Einsatz für die zuletzt genannten Prinzipien stoßen die Vertreter der Galanterie die wesentlichen Veränderungen kommunikativer Normen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, speziell den Wandel brieflicher Normen, mit an.81 Nicht nur diese Anstöße werden für das Offenheitsideal bedeutsam, sondern ebenso die Verbreitung einer veränderten Auffassung sozialer Interaktion durch die Galanten: der Auffassung des geselligen Gesprächs und Umgangs nicht (nur) als feindlicher Auseinandersetzung, sondern (auch) als freundlicher Kooperation, in der die Interessen mehrerer Menschen zugleich befriedigt werden können und die daher das Potenzial besitzt, glücklich zu machen.82 Hinter dieser Neuinterpretation scheint ein fundamentaler Wandel der Vorstellung zwischenmenschlicher Beziehungen, des Menschen- und Weltbildes auf.

77 78 79 80 81 82

Thomasius [ca. 1690]/1701: 15. Vgl. Nickisch 1969: 215, Barner 1970: 179. Vgl. Martens 1968: 354, Göttert 1988: 100. Vgl. Nickisch 1969: 213, Göttert 1988: 25, Göttert 1991: 102, Pompe 2003: Sp. 193, Till 2004: 165, Stempel 2005: 144, Barner 2006: 185. Vgl. Barner 1970: 179, Nörtemann 1990: 215, Pompe 2003: Sp. 196–197. Vgl. Göttert 1988: 68.

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3 Offenheit als Ideal

Kommunikative Normen während der Herausbildung des Offenheitsideals im 18. Jahrhundert Im Zuge der Aufklärung erweitert sich das Autoren- und Adressatenspektrum des schriftlichen Diskurses über Sprache und Kommunikation und umfasst vermehrt auch Teile des Bürgertums, für die der Verkehr mit dem Hofadel nicht zum Alltag gehört.83 Insbesondere das Zielpublikum der kommunikationsreflexiven Texte des 17. Jahrhunderts unterscheidet sich deutlich von dem solcher Texte aus dem 18. Jahrhundert, auch wenn sich aus heutiger Perspektive die Briefsteller, Rhetoriken, Verhaltenslehren und vergleichbaren Schriften beider Jahrhunderte an ein elitäres Publikum richten.84 Für die weitere Entwicklung des Diskurses über Sprache und Kommunikation hat die Herausbildung eines bürgerlichen Kanons kommunikativer Normen eine kaum zu überschätzende Bedeutung. Mit der Aufklärung zeigen sich in Texten von und für Personen bürgerlichen Standes Normen, die zusammengenommen der höfisch-politischen Anschauung von guter und richtiger Kommunikation eine eigenständige Konzeption entgegensetzen. Von der gravierenden Veränderung und Konsolidierung der kommunikativen Mentalität bürgerlicher Gruppierungen werden die Mentalitäten anderer sozialer Fraktionen tangiert.85 Als wichtigste Folge des massiven kommunikationsnormativen Wandels seit der Wende zum 18. Jahrhundert gilt traditionell der ,Niedergang‘ der Rhetorik.86 Die These von der Marginalisierung oder gar vom Ende der Rhetorik, die sich auf die Beobachtung einer gegen die bisherige Rhetorik gerichteten, sie entwertenden Entwicklung stützt, ist allerdings in dieser Pauschalität nicht haltbar, worauf in neueren Publikationen hingewiesen wird.87 Tatsächlich finden sich im 18. Jahrhundert zahlreiche Stimmen, die traditionelle Kommunikationsnormen kritisie-

83 Vgl. Beetz 1990: 96. 84 Vgl. nochmals die Übersichtsdarstellung der Autoren, Adressaten und Auflagenhöhen verhaltens- und kommunikationsnormativer Schriften bei Schmidt-Wächter 2004: 68– 76, 84–86, diesmal jedoch hinsichtlich der Angaben zum 18. Jahrhundert. 85 Beetz 1990: 246 vertritt sogar die Ansicht, dass seit Beginn der Aufklärung „bürgerliche und kaufmännische Verhaltensstandards“ die höfischen beeinflussen. 86 Vgl. Schmölders 1979/1986: 34, Asmuth 1991: 24, Geitner 1992: 170, Lerchner 1992: 235, Polenz 1994: 2. Bd.: 28, Saße 1994: 113, Koschorke 1999: 293, Ueding 2000: 58, Kolmer/Rob-Santer 2002: 32, Schlich 2002: 54, Pompe 2003: Sp. 197, Göttert/Jungen 2004: 23, Schnyder 2005: Sp. 1470, Benthien/Martus 2006: 1, Kopperschmidt 2008: 148, Till 2008: 119. 87 Vgl. Lerchner 1992: 235, Ueding 2000: 17, Kolmer/Rob-Santer 2002: 32, Schnyder 2005: Sp. 1470, Kopperschmidt 2008: 148, Till 2008: 119.

3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals

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ren. Die Kritik richtet sich gegen mehrere Traditionsstränge – gegen die humanistisch-lateinisch geprägte Schulrhetorik,88 gegen die Kanzleitradition89 und insbesondere gegen die höfisch-politischen Normen,90 auch in der galanten Variante.91 Der bisher empfohlene rhetorische Schmuck oder ,ornatus‘, die prachtvolle sprachliche Ausgestaltung der Aussage wird nun als ,Schwulst‘ abgelehnt.92 Favorisiert wird der Bruch älterer Regeln, was auf den ersten Blick wie der Versuch einer Abschaffung kommunikativer Normen überhaupt wirken mag. Da bestimmte Abweichungen von älteren Regeln zu neuen Idealnormen erhoben werden, ist die Normlosigkeit jedoch nur eine scheinbare. Gleichzeitig büßt die Disziplin der Rhetorik an Bedeutung ein,93 ein Umstand, der ebenfalls zum Eindruck eines rhetorischen Verfalls beiträgt. Als Wissenschaftszweig verliert die Rhetorik aber hauptsächlich an Signifikanz, weil ihre Fragestellungen und Gegenstände in jüngere Fachrichtungen wie die Poetik, Stilistik und Ästhetik eingehen.94 In diesem Sinne kann man sagen, dass sich die Rhetorik in andere Disziplinen ausdifferenziert. Zudem spielt sie als Fach vor allem im Rahmen der Ausbildung junger Menschen, prototypisch der schulischen Ausbildung, weiterhin eine Rolle.95 Im Rahmen der grundlegenden Umstrukturierung der kommunikativen Normen werden die individuellen geistig-seelischen Eigenarten und Dispositionen des Äußerungsproduzenten als Parameter, nach dem sich die Gestaltung einer Äußerung richten soll, zunehmend wichtiger. „Wie man nun im stilo sich nach der Materie, nach den Personen und Umständen richten muß; also soll auch ein ieder der Neigung seines Gemüths folgen, und so schreiben, wie er von Natur und von dem Affekte getrieben wird“.96 Schon in Friedrich Andreas Hallbauers Rhetorik von 1725 zeigt sich eine Aufwertung der ,Natur‘ und ,Affekte‘ des Schreibers gegenüber der ,Materie‘, d. h. dem Äußerungsgegenstand, den ,Personen‘, den Adressaten also, sowie den ,Umständen‘, etwa dem Ort

88 Vgl. Till 2004: 164, Till 2008: 116–117. 89 Vgl. Nickisch 1969: 205. 90 Vgl. Martens 1968: 347, Nickisch 1969: 205, Asmuth 1991: 24, Fauser 1991a: 234, Geitner 1992: 1, Saße 1994: 110, Wullen 1999: 3–4, Till 2004: 149–150, Kugeler 2006: 127. 91 Vgl. Ueding 2000: 24. 92 Vgl. Martens 1968: 347, Asmuth 1991: 24, Fauser 1991a: 353, Linke 1996a: 83, Koschorke 1999: 225, Ueding 2000: 18, Göttert/Jungen 2004: 99. 93 Vgl. Ueding 2000: 58, Till 2008: 117. 94 Vgl. Ueding 2000: 67, Kolmer/Rob-Santer 2002: 33, Till 2008: 117–118, 123. 95 Vgl. Schnyder 2005: Sp. 1470, Till 2008: 118. 96 Hallbauer 1725: 511.

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und der Zeit. In gewisser Hinsicht kehrt sich das für ideal gehaltene Verhältnis zwischen den Eigenschaften des Äußerungsproduzenten und der Kommunikationssituation als Bestimmungsfaktoren der Äußerungsgestaltung allmählich um: Kommunizierende sollen eine Äußerung gegen Ende des 18. Jahrhunderts – neben ihrem Zweck – zwar auch der jeweiligen Kommunikationssituation anpassen, noch wichtiger ist aber, dass ihre Äußerung einen Individualstil besitzt, d. h. ihrer Persönlichkeit entspricht.97 Dass Karl Philipp Moritz die „Hauptregeln des Styls“ in seinem „Allgemeinen deutschen Briefsteller“ (1793) mit einer Definition von ,Stil‘ als ,Individualstil‘ beginnt, ist hoch signifikant für diesen Wandel: Die Vorstellungsart von einer und eben derselben Sache hat fast bei einem jeden irgend etwas Eigenthümliches, wodurch der Ausdruck zugleich ein besondres unterscheidendes Gepräge erhält. Dieß Eigenthümliche nun in der Vorstellungsart, in so fern es sich beständig im Ausdruck zeigt, nennt man den Styl im genauesten und bestimmtesten Sinne des Worts98.

Moritz würde ,Stil‘ kaum mit ,Individualstil‘ gleichsetzen und nicht im Anschluss an die zitierte Textstelle – ganz am Anfang der stilistischen ,Hauptregeln‘ – erklären, wie man seinen eigenen Stil entwickeln könne,99 wäre er nicht der Ansicht, dass sich die Gestaltung einer Äußerung prioritär an den individuellen Eigenschaften des Produzenten orientieren soll. In den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts lässt sich im Diskurs über Sprache und Kommunikation der Aufstieg einer Reihe von Kommunikationsprinzipien zu zentralen Idealen verfolgen, die zu den höfisch-politischen in eklatantem Gegensatz stehen: der Aufstieg von Wahrhaftigkeit, Deutlichkeit sowie von Zwanglosigkeit, Einfachheit und individuellem Affektausdruck. Die letzten drei bilden gemeinsam das umfassende Prinzip und Ideal der Natürlichkeit. Da Wahrhaftigkeit, Deutlichkeit und Natürlichkeit im Sinne von Zwanglosigkeit bereits vor Offenheit den Status eines wichtigen Kommunikationsideals erlangen

97 Auch wenn diese Anforderung in der Forschungsliteratur unter unterschiedlichen Bezeichnungen firmiert, ist ihre Existenz im 18. Jahrhundert unumstritten: vgl. Nickisch 1969: 205–206, 222–223, Schmölders 1979/1986: 48, Assmann 1986: 134, 139, 141, Göttert 1988: 199, Nörtemann 1990: 218, Asmuth 1991: 35, Bachmann-Medick 1991: 143, Fauser 1991a: 223, Geitner 1992: 1, Polenz 1994: 2. Bd.: 33, Saße 1994: 110, Koschorke 1999: 379–380, 416, Ueding 2000: 43, Hentschel 2001: 188, Asmuth 2003: Sp. 852, Pompe 2003: Sp. 197, Göttert/Jungen 2004: 107, Till 2008: 124. 98 Moritz 1793: 146. 99 Vgl. Moritz 1793: 146.

3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals

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und dieser ähneln, ist zu vermuten, dass sie der Entwicklung von Offenheit zu einem kommunikativen Ideal Vorschub leisten. Wenn dem so ist, lässt sich die Herausbildung des Offenheitsideals als Element einer normativen Gegenbewegung zur höfisch-politischen Kultur beschreiben. Zudem kann man in diesem Fall die Entstehung des Offenheitsideals als Konvergenz älterer Traditionslinien, als Zusammenstreben kommunikativer Ideale mit einer sehr langen Geschichte ansehen, die sowohl Wahrhaftigkeit als auch Deutlichkeit und Natürlichkeit aufweisen (zur weiteren Entwicklung des Verhältnisses zwischen dem Offenheits-, Wahrhaftigkeits-, Deutlichkeitsund Natürlichkeitsideal siehe Kapitel 3.4). Mit Ausnahme des Wahrhaftigkeitsideals, für das die wichtigsten Impulse aus dem deutschen Sprachraum kommen, entfalten sich die aufklärerischen Kommunikationsideale unter französischem Einfluss.100 Dass die galante Bewegung aus Frankreich übernommen wird und an Frankreich orientiert ist, wurde bereits erwähnt. Auf die kommunikativen Normen im deutschsprachigen Raum wirken sich darüber hinaus die französische Salon-101 und Briefkultur aus (exemplarisch repräsentiert durch Marie de Rabutin-Chantal de Sévigné),102 die freilich personell und inhaltlich eng mit der Galanterie verschränkt sind, sowie die französische Ästhetik, besonders ihr Konzept des Erhabenen.103 Für den weiteren Verlauf des 18. Jahrhunderts ist der Einfluss der Schriften Jean-Jacques Rousseaus auf die neuen Ideale, gerade auf das der Natürlichkeit, hervorzuheben.104 Der traditionelle Blick nach Frankreich wird seit dem frühen 18. Jahrhundert durch eine Orientierung an englischen Kommunikationsnormen ergänzt,105 und zwar vorrangig an denen für Briefe und Literatur.106 Wichtige Vermittlungsinstanzen dieser sind die englischen moralischen Zeitschriften, deren Bedeutung speziell für das Offenheitsideal in Kapitel 3.5 zur Sprache kommt.107 Innerhalb des deutschsprachigen Gebietes werden die neuen Kommunikationsideale –

100 Einen französischen Einfluss auf die kommunikativen Normen, die sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum herauskristallisieren, beschreiben Göttert 1988: 88, Beetz 1990: 303, Fauser 1991a: 252, Göttert 1991: 102, Polenz 1994: 2. Bd.: 28, 33. 101 Vgl. Schmölders 1979/1986: 31, Pompe 2003: Sp. 183. 102 Vgl. Jäger 1975: 46, Schmölders 1979/1986: 34, Ueding 2000: 41, Pompe 2003: Sp. 183. 103 Vgl. Pompe 2003: Sp. 194. 104 Vgl. Trilling 1972/1980: 61, Göttert 1988: 129, Geitner 1992: 209–210, 225. 105 Vgl. Göttert 1988: 101, Polenz 1994: 2. Bd.: 28, 33, Ueding 2000: 41. 106 Vgl. Ueding 2000: 41, Pompe 2003: Sp. 200. 107 Vgl. Martens 1968: 352, 364, Schmölders 1979/1986: 37, Göttert 1988: 101, Göttert 1991: 106.

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3 Offenheit als Ideal

naheliegenderweise – zunächst häufig in moralischen Wochenschriften sowie in epistolographischen Texten propagiert und durch sie popularisiert.108 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wird Wahrhaftigkeit zu einem dominanten Kommunikationsideal.109 Die Verfasser kommunikationsreflexiver Schriften weisen mit neuartiger Frequenz und Bestimmtheit darauf hin, wie wichtig ,Aufrichtigkeit‘, ,Ehrlichkeit‘, ,Redlichkeit‘, ,Wahrhaftigkeit‘ bzw. die Äußerung der ,Wahrheit‘110 für das menschliche Miteinander ist. Beispielsweise betont Johann Hieronymus Lochner im „Geschickten Complimentarius“ (1730), einem Text, der noch von galanten Vorstellungen geprägt ist, dass „die Aufrichtigkeit, eben so wol, und gewisser massen noch mehr als die Höflichkeit selbst, ein Endzweck aller Menschlichen Gesellschafft und Unterredungen ist“.111 Die Textstelle mag in ihrer Kürze auf den ersten Blick unscheinbar wirken, dass und wie Ehrlichkeit in ihr als fundamental dargestellt wird, ist jedoch repräsentativ für deren damalige Aufwertung: Ehrlichkeit wird erstens als allen Normen der Höflichkeit gleichwertig, ja im Vergleich mit diesen sogar als höherwertig betrachtet. Zweitens wird sie als ,Endzweck‘ menschlicher Interaktion und Kommunikation bezeichnet; ihr Wert liegt demnach nicht darin, Mittel für einen anderen Zweck zu sein, sondern ist in ihr selbst begründet. Das Ideal der Ehrlichkeit hat freilich eine Tradition, die viel weiter als bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht: Mit den Ausdrücken ,sinceritas‘ und ,veracitas‘ wird schon in der Antike nach Wahrhaftigkeit verlangt,112 ein Ideal ist diese genauso

108 Bezüglich der moralischen Wochenschriften vgl. Rasch 1936: 84, Nörtemann 1990: 218–219, Geitner 1992: 200, Saße 1994: 112, Ueding 2000: 41. In Bezug auf die epistolographischen Texte vgl. Nickisch 1969: 218, Schmölders 1979/1986: 48, Nörtemann 1990: 218, 221, Asmuth 1991: 28, Lerchner 1997: 43, 45–46, Ueding 2000: 42, Hentschel 2001: 185, Kolmer/Rob-Santer 2002: 32, Pompe 2003: Sp. 200, Reinlein 2003: 69–70, Göttert/Jungen 2004: 105, Till 2004: 165. 109 Vgl. Martens 1968: 349, 351–352, Beetz 1990: 288, Fauser 1991a: 228, Geitner 1992: 2, Koschorke 1999: 216, Wullen 1999: 111–112, Benthien/Martus 2006: 14, Martus 2006: 259, Stöckmann 2006: 207. 110 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „Aufrichtigkeit“ in Zedler 1732: 2. Bd.: Sp. 2164, „Aufrichtigkeit“ in Steinbach 1734: 2. Bd.: 283, „Ehrlichkeit“ in Steinbach 1734: 1. Bd.: 345, „Ehrlichkeit“ in Zedler 1734: 8. Bd.: Sp. 448, „Redlich“ in Steinbach 1734: 2. Bd.: 236, „Redlichkeit“ in Zedler 1741: 30. Bd.: Sp. 1639, „wahrhafft“ in Frisch 1741: 2. Bd.: 415, „Wahrhafftigkeit“ in Zedler 1747: 52. Bd.: Sp. 882–896, hier Sp. 882, „Wahrheit“ in Steinbach 1734: 2. Bd.: 940, „Wahrheit“ in Zedler 1747: 52. Bd.: Sp. 896–930, hier Sp. 897. 111 Lochner 1730: 249. 112 Vgl. Schmölders 1979/1986: 12, Göttert 1988: 32, Benthien/Martus 2006: 3, Danneberg 2006: 58, Martus 2006: 260.

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im Christentum.113 So ist sie im 17. Jahrhundert zum einen in christlichen Zusammenhängen, etwa in der Homiletik, hoch angesehen,114 zum anderen setzen sich die Repräsentanten der sogenannten ,altdeutschen‘ Bewegung, welche die Vorfahren der Deutschen zum Vorbild stilisiert und dem Hof- sowie Alamodewesen kritisch gegenübersteht, vehement für Ehrlichkeit ein.115 Die Texte, in denen sich das altdeutsche Engagement für Wahrhaftigkeit niedergeschlagen hat, sind häufig von bürgerlichen Autoren aus dem Kreis oder Umkreis der barocken Sprachgesellschaften verfasst worden, von Autoren wie Johann Michael Moscherosch, Justus Georg Schottel, Johann Rist oder Philipp von Zesen.116 Sie beziehen sich direkt oder indirekt auf Cornelius Tacitus’ berühmte, als „Germania“ bekannte Germanendarstellung „De origine et situ germanorum“ aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert,117 in der er den Germanen attestiert, „gens non astuta nec callida“ zu sein, das beim gemeinsamen Essen und Trinken „aperit adhuc secreta pectoris licentia ioci“, so dass „detecta et nuda omnium mens“.118 Die ,alten Teutschen‘119 seien besonders wahrhaftig gewesen, so behaup-

113 Vgl. Göttert 1988: 32, Danneberg 2006: 46, Martus 2006: 260. 114 Vgl. Benthien/Martus 2006: 11. Trilling 1972/1980: 12, 15, 33 schreibt Aufrichtigkeit für die Neuzeit allgemein eine besondere Bedeutung zu. 115 Vgl. Martens 1968: 353, Barner 1970: 122, Beetz 1990: 135, Geitner 1992: 109, Fußnote 8, Gardt 1994: 398, Gardt 1999: 107, Wullen 1999: 158, 164, Benthien/Martus 2006: 7, Kugeler 2006: 127, Martus 2006: 260, Mourey 2006: 333, Stöckmann 2006: 209. Gelegentlich werden Hofkritik, Alamodekritik und altdeutsche Bewegung in der Forschungsliteratur als getrennte Komplexe behandelt (vgl. Barner 1970: 121, Beetz 1990: 135, Martus 2006: 260). Da diese Literatur jedoch eine klare Abgrenzung schuldig bleibt und die meisten Wissenschaftler von einer starken zeitlichen, personellen und textuellen Überschneidung der Hof- und Alamodekritik sowie der altdeutschen Strömung ausgehen, sehe ich an dieser Stelle von ihrer Differenzierung ab. Barner 1970: 121–122 spricht ihre Überschneidung explizit an. 116 Vgl. Martens 1968: 353, Gardt 1999: 105, Benthien/Martus 2006: 8–9, Stöckmann 2006: 209. 117 Vgl. Gardt 1999: 114, Wullen 1999: 133, Stöckmann 2006: 214. 118 Die ganze Textstelle lautet: „sed et de reconciliandis invicem inimicis et iungendis affinitatibus et asciscendis principibus, de pace denique ac bello plerumque in conviviis consultant, tamquam nullo magis tempore aut ad simplices cogitationes pateat animus aut ad magnas incalescat. gens non astuta nec callida aperit adhuc secreta pectoris licentia ioci; ergo detecta et nuda omnium mens“ (Tacitus 98/1998: 34, 36). In der Übersetzung Städeles liest sie sich so: „Aber auch über die Wiederversöhnung von Feinden, das Knüpfen verwandtschaftlicher Bande und die Wahl von Gefolgsherren, schließlich über Krieg und Frieden beraten sie meistens bei Gelagen, so als ob man zu keiner Zeit für aufrichtige Gedankengänge aufgeschlossener wäre oder sich mehr für wichtige erwärmen könnte. Der weder hinterlistige noch durchtriebene Menschenschlag gibt dann seine geheimsten Empfindungen bei der ausgelassenen Stimmung preis. Also liegen die Gedanken aller aufgedeckt und unverhüllt offen“ (Tacitus 98/1998: 35, 37). 119 Noch Frisch 1741: 1. Bd.: 193 verweist unter dem Lemma „Deutsch“ auf „Teutsch“, wo

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3 Offenheit als Ideal

ten die Gelehrten in der Tradition Tacitus’ und deuten die Wahrhaftigkeit jener als einen generellen Wesenszug der Deutschen.120 Sie unterstellen einen deutschen Nationalcharakter, beschreiben Ehrlichkeit als einen zentralen Bestandteil dessen und bewerten diesen Bestandteil positiv.121 Dieser idealtypischen Argumentation kommt Jesaias Rompler von Löwenhalt, Gründer der „Aufrichtigen Gesellschaft von der Tannen“, in seinem Gedicht „Teütschlands Tob-sucht“ (1647) nahe. Er thematisiert darin den katastrophalen Zustand Deutschlands in seiner Zeit: „Hat Israel in Babilon / von grosem unglück können sagen / so haben wir vil jar her schon / villeicht ein mehrers noch zuklagen“,122 beginnt das Gedicht. Als einen Aspekt des ,Unglücks‘ nennt Rompler das Verschwinden der ursprünglichen deutschen Wahrhaftigkeit: „Die alte Träu und Redlichkeit / die Wahrheit auch mus diser zeit / der Falschheit halben fliehen“.123 Rompler bezeichnet ,Treue‘ und ,Redlichkeit‘ als ,alt‘, was so viel bedeutet wie ,aus alter Zeit stammend‘,124 in diesem Kontext ,seit Langem in Deutschland beheimatet‘. Die Schilderung des Verschwindens von ,Treue‘, ,Redlichkeit‘ und ,Wahrheit‘ als Element eines über die Maßen ,großen Unglücks‘ impliziert deren positive Beurteilung. Für den Leser eines Textes wie desjenigen Romplers, in dem die gegenwärtige Abweichung von der Wahrhaftigkeit der ,alten Teutschen‘ kulturpessimistisch beklagt wird, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass diese in Deutschland

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sich der Haupteintrag zu beiden Ausdrücken findet (vgl. Frisch 1741: 2. Bd.: 370). Bei Steinbach 1734: 2. Bd.: 814 wird in umgekehrter Richtung von „Teutsch“ auf „Deutsch“ verwiesen. Im Eintrag zu „Deutsch“ wird bemerkenswerterweise als Verwendungsbeispiel angegeben: „[E]r ist ein ehrlicher alter Deutscher“ (Steinbach 1734: 1. Bd.: 265–266, hier 266). Die Bezeichnung ,teutsch‘ für ,deutsch‘ sowie die Wortverbindung ,alter Teutscher‘ bzw. ,alter Deutscher‘ sind demzufolge noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts weithin bekannt und gebräuchlich. Dass die Deutschen aufrichtig seien, wird auch von französischer Seite an prominenter Stelle behauptet: ,Madame de Staël‘, Anna Louise Germaine von Staël-Holstein, beurteilt die Deutschen in „Über Deutschland“ (1814) (französisch „De l’Allemagne“, 1810) als „[a]ufrichtig“ und „treu“, worauf Fauser 1991b: 117 hinweist. Vgl. Gardt 1999: 114, Wullen 1999: 133, 136–138, Stöckmann 2006: 214. – Teilweise schreiben die Vertreter der altdeutschen Bewegung auch der deutschen Sprache eine inhärente Wahrhaftigkeit zu, die gleichfalls gepriesen wird (vgl. Gardt 1995: 158, Gardt 1999: 114, Stöckmann 2006: 222). Näheres zur Vorstellung des Deutschen als einer Sprache, deren „Verhältnis [...] zur Wirklichkeit [...] das einer natürlichen Entsprechung [ist]“ und deren „Wörter [...] sie [die Dinge] so [bezeichnen], wie es Substanz und Eigenschaften der Dinge verlangen“, findet sich bei Gardt 1995: 148. Rompler von Löwenhalt 1647: 162. Rompler von Löwenhalt 1647: 163. Zu dieser Bedeutung vgl. die Einträge „Alt“ in Steinbach 1734: 1. Bd.: 16 und „Alt“ in Frisch 1741: 1. Bd.: 21. Steinbach gibt „antiquus“ als eine Bedeutung an, Frisch ebenso „antiquus“ resp. „das von langen Zeiten her ist“.

3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals

141

wieder verstärkt umzusetzen sei. Es ist evident, dass die Würdigung der vermeintlichen Wahrhaftigkeit der Deutschen der Abgrenzung von Frankreich sowie von der französisch geprägten höfischen Kultur und ihren kommunikativen Normen dient.125 Die Argumentationsfiguren der altdeutschen Bewegung sind auch in den Quellentexten des 18. Jahrhunderts anzutreffen, wobei das Offenheitsideal oftmals die Rolle des Ehrlichkeitsideals übernimmt oder es zumindest ergänzt: Von den Deutschen wird behauptet, dass sie lobenswerterweise offen seien, die Franzosen bilden dagegen den Prototyp der fälschlicherweise nicht-offenen Nation:126 „Ich will nur erinnern, daß wir Deutschen nicht nöthig haben, unser offenherziges und redliches Wesen, da wir in unserm Aeusserlichen nicht viele Umstände machen, gegen die leichtsinnigen und flüchtigen Geberden und Ceremonien der Franzosen zu vertauschen“,127 so stellt ein anonymer Autor der „Neuen Beyträge zum Vergnügen des Verstandes und Witzes“ 1745 den offenen, ehrlichen Nationalcharakter der Deutschen als positiv heraus. Durch das Stichwort ,redlich‘ wird die Beziehung der Textstelle zu Texten aus dem 17. Jahrhundert auch in der Formulierung ersichtlich. Dass das Offenheitsideal das Wahrhaftigkeitsideal in den beschriebenen Gedankenfiguren zumindest teilweise substituiert, ist ein Fingerzeig darauf, dass die Entwicklung des Offenheitsideals im 18. Jahrhundert eng mit dem Wahrhaftigkeitsideal verbunden ist. Ein zweites Kommunikationsideal, das in der Aufklärung erstarkt, ist Deutlichkeit,128 ein Prinzip, das unter den Ausdrücken ,Deutlichkeit‘ und ,Klarheit‘129 zwischen gedanklicher Präzision, Übereinstimmung von Gemeintem und Gesagtem sowie Verständlichkeit des Gesagten 125 Stöckmann sieht in dieser Würdigung den patriotisch motivierten Versuch, eine nationale deutsche Identität und Gemeinschaft auf Basis geteilter Einstellungen zu konstruieren (vgl. Stöckmann 2006: 209, 214, 227–228). 126 Vgl. Wullen 1999: 140, der allerdings davon ausgeht, dass den ,alten Teutschen‘ bzw. den Deutschen überhaupt im 18. Jahrhundert neben Ehrlichkeit vor allem Deutlichkeit als positiv bewertetes Attribut zugesprochen wird (vgl. Wullen 1999: 133, 141–142, 147). Montandon 1991: 14 beobachtet Ähnliches: Im Anstandsdiskurs des 18. Jahrhunderts werde dem „französischen von hoch entwickelter, aber flatterhafter Geselligkeit geprägtem [sic] Wesen [...] das ungesellige, träumerische, tugendhafte, tief im Authentischen und Ernsthaften gegründete deutsche Wesen gegenübergestellt“. 127 [Anonym.] 1745c: 591–592. 128 Vgl. Reichmann 1995: 169, Wullen 1999: 81, 84–85, Ueding 2000: 18, Kolmer/RobSanter 2002: 3, Asmuth 2003: Sp. 860, Leweling 2005: 122. 129 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „Deutlich“ in Steinbach 1734: 1. Bd.: 263, „Deutlich“ in Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 1471–1472, hier Sp. 1471, „Klarheit“ in Steinbach 1734: 1. Bd.: 861 und „Klarheit“ in Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 1607.

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3 Offenheit als Ideal

changiert. Sehr auffällig wird das Ideal bei Johann Andreas Fabricius, der 1724 in seiner „Philosophischen Oratorie“ die ,Beredsamkeit‘, die er seine Leser lehren will, so definiert, dass sie beinahe zu einem Synonym für ,Deutlichkeit‘ wird: DIe Oratorie a) ist eine vernünftige anweisung!zur [sic] beredsamkeit, das ist, zu der geschicklichkeit, solche wörter zugebrauchen, welche mit unsern gedancken genau überein kommen, b) und in solcher ordnung mit solcher art seine gedancken fürzustellen, daß in denen die unsere worte hören oder lesen, eben die gedancken und regungen entstehen, die wir ihnen beybringen wollen130.

Die Redekunst ist nach Fabricius die Fähigkeit, sich so zu äußern, dass das Gemeinte (die ,Gedanken‘) mit dem Gesagten (den ,Wörtern‘) übereinstimmt und dass der Adressat das Gemeinte erkennt (dass in ihm die entsprechenden ,Gedanken und Regungen entstehen‘). In diesem Sinne hält Fabricius anschließend nochmals fest: „Also bestehet das wesen der beredsamkeit in dem accuraten ausdruck der gedancken“.131 Wie Wahrhaftigkeit ist auch Deutlichkeit ein traditionsreiches Ideal, das griechisch als ,sapheneia‘, lateinisch als ,perspicuitas‘, ,explanatio‘, später ebenso als ,claritas‘ oder ,planities‘ bezeichnet wird.132 In der antiken Rhetorik ist Deutlichkeit als eine von vier Stiltugenden bekannt – neben Angemessenheit (lateinisch ,aptum‘), Schmuck (lateinisch ,ornatus‘) und Sprachrichtigkeit oder -reinheit (lateinisch ,puritas‘).133 Diese Vierzahl findet sich erstmalig bei Theophrast (4. Jahrhundert v. Chr.), wird anschließend von Marcus Tullius Cicero und Marcus Fabius Quintilian(us) überliefert134 und ist zu Beginn der Aufklärung noch geläufig und anerkannt.135 Seiner langen Geschichte und seiner Zugehörigkeit zu verschiedenen kommunikativen Kulturen entsprechend lassen sich mehrere Ausprägungen des Deutlichkeitsideals unterscheiden. Nach Bernhard Asmuth umfasst der Begriff der ,perspicuitas‘ im Laufe seiner historischen Entwicklung folgende „Elemente“ bzw. – wie ich sagen würde – Facetten: „1. Eindeutigkeit“, „2. gute Anordnung“ der Wörter, Sätze sowie größeren Textbausteine, „3. hinreichende Ausführlichkeit bzw. Detailgenauigkeit“, „4. Anschaulichkeit“, „5. Ungewöhnlichkeit bzw. ästhetischen Glanz“, einen Aspekt, der in der als ,claritas‘ bezeichneten antiken Ausprägung

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Fabricius 1724: 2. Fabricius 1724: 3. Vgl. Gardt 1994: 391, Asmuth 2003: Sp. 814. Vgl. Asmuth 1991: 26, Härle 1996: 6. Vgl. Asmuth 1991: 26–27, Asmuth 2003: Sp. 814. Vgl. Nickisch 1969: 205–206, Asmuth 1991: 26, Gardt 1995: 149, Asmuth 2003: Sp. 852.

3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals

143

des Begriffs eine Rolle spielt, sowie „6. Verständlichkeit“.136 Andreas Gardt macht darauf aufmerksam, dass mit Deutlichkeit (,perspicuitas‘) in der Antike zumindest bei Quintilian sowie später in der humanistischen Tradition primär die Verständlichkeit für den Rezipienten gemeint ist, weniger aber die „Eindeutigkeit der Relation zwischen sprachlichem Ausdruck und außersprachlichem Gegenstand“.137 Seit dem 17., besonders im 18. Jahrhundert gewinne der Aspekt der relationalen Eindeutigkeit jedoch an konzeptuellem Gewicht.138 Seit der Wende zum 18. Jahrhundert setzt sich das Kommunikationsideal der Natürlichkeit weithin durch,139 das in enger Beziehung zur Forderung nach der individuellen Gestaltung einer Äußerung steht. Für Natürlichkeit wird seit der Antike immer wieder plädiert, unter anderem, inspiriert von Castiglione, in der Renaissance sowie von den schon erwähnten Galanten.140 Dabei wird sie in erster Linie als gelingendes Verbergen von Kunst verstanden.141 Im 18. wie auch in den folgenden Jahrhunderten ist sie eine Art Superprinzip und -ideal, das aus verschiedenen mit dem Ausdruck ,Natürlichkeit‘142 belegten einzelnen Kommunikationsprinzipien bzw. -idealen besteht, die über einen gemeinsamen konzeptuellen Kern verfügen: Natürlichkeit steht immer im Gegensatz zur Umsetzung einer kulturellen Gebrauchsnorm, die in der Aufklärungszeit als ,Affektation‘ oder ,Künstlichkeit‘143 geächtet wird. Dieser konzeptu-

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Asmuth 2003: Sp. 814–815. Gardt 1994: 391, vgl. 391–392. Vgl. Gardt 1994: 393. Schon Nickisch 1969: 209 deutet diese Entwicklung an. Vgl. Martens 1968: 359–360, Nickisch 1969: 205–206, 218, Jäger 1975: 13–14, Göttert 1988: 101, Auer 1989: 27, Beetz 1990: 307, Nörtemann 1990: 221, Titzmann 1990: 148, Asmuth 1991: 27, Fauser 1991a: 234, Geitner 1992: 170, Polenz 1994: 2. Bd.: 28, Anton 1995: 24, Linke 1996a: 84, Gardt 1999: 166, Koschorke 1999: 415, Wullen 1999: 121, Ueding 2000: 18, Kolmer/Rob-Santer 2002: 32, Pompe 2003: Sp. 183, Reinlein 2003: 69–70, 75, Göttert/Jungen 2004: 23, Till 2004: 164, Till 2008: 124–125. Vgl. Göttert 1988: 26, Beetz 1990: 304, Nörtemann 1990: 213, Asmuth 1991: 29, Geitner 1992: 171, Pompe 2003: Sp. 183, Danneberg 2006: 59. Vgl. Göttert 1988: 26, Asmuth 1991: 29, Pompe 2003: Sp. 183, Danneberg 2006: 59–60, Till 2008: 124. – Unabhängig davon gilt Natürlichkeit in der frühen Neuzeit als eine wertzuschätzende Eigenschaft der Volkssprachen im Gegensatz zum Lateinischen (vgl. Pompe 2003: Sp. 183, Stempel 2005: 150; ähnlich Schmölders 1979/1986: 47) bzw. speziell des Deutschen im Gegensatz zu anderen Sprachen (vgl. Gardt 1999: 114, Pompe 2003: Sp. 195–196). Zu dieser Bezeichnung vgl. für das 18. Jahrhundert exemplarisch die Einträge „natürlich“ in Frisch 1741: 2. Bd.: 10 und „Natürlich“ in Adelung 1777/1798: 3. Bd.: Sp. 445–448, hier Sp. 447. Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „Affectiren“ in Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 174, „künstlich“ in Frisch 1741: 1. Bd.: 557 und „Künstlich“ in Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 1835.

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3 Offenheit als Ideal

elle Kern ist in den Varianten des Kommunikationsprinzips resp. -ideals der Natürlichkeit jeweils mit zusätzlichen Aspekten angereichert. Die Unterscheidung mehrerer Ausprägungen soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in einigen der untersuchten Quellen abschnittsweise verschiedene dieser Ausprägungen zeigen und sich auch immer wieder Textstellen finden, in denen eine Natürlichkeit angesprochen bzw. befürwortet wird, die begrifflich zwischen diesen Ausprägungen liegt. Die Varianten, die im Folgenden vorgestellt werden, sind gleichwohl relativ heterogen, weshalb einige Wissenschaftler sie unter einer anderen Benennung als eigenständige Kommunikationsprinzipien behandeln. Eine Variante des Natürlichkeitsideals in der Aufklärung ist die Vorliebe für Zwanglosigkeit bzw. Regellosigkeit,144 beschrieben auch mit Ausdrücken wie ,ungezwungen‘, ,leicht‘ oder ,frei‘.145 Anfangs gilt zwanglose Natürlichkeit meist noch nicht als Gegensatz zur Kunst, sondern wird im Gegenteil immer wieder als Kunst erfordernd, jedoch geschickt verbergend angesehen,146 womit dieses Natürlichkeitsverständnis und -ideal in der direkten Verlängerung desjenigen Castigliones und der Galanten steht.147 „Ein Compliment muß natürlich seyn, nicht gezwungen, noch mit einem hohen Stilo hervor gebracht. Und es lassen sich keine Complimenten weniger brauchen, als die man aus Romainen erlernet, ihre schwülstigen Redens-Arten zeigen ein gezwungenes Wesen an“148 – wie in dieser Äußerung, die aus einem „Complimentir- Und Sitten-Buch“ (1728/1736) von Ethophilus stammt, wird ,Natürlichkeit‘

144 Dass Regellosigkeit bzw. Zwanglosigkeit im 18. Jahrhundert bewundert und angestrebt wird, ist in der Forschungsliteratur allgemein bekannt: vgl. Martens 1968: 360, 362, Nickisch 1969: 208, 218, Jäger 1975: 13, Schmölders 1979/1986: 48, Beetz 1990: 304, Asmuth 1991: 30, Geitner 1992: 1, Wullen 1999: 121–126, Pompe 2003: Sp. 202, Barner 2006: 185, Till 2008: 120. Teilweise wird Zwanglosigkeit so wie in dieser Arbeit unter dem Begriff der Natürlichkeit diskutiert: vgl. Nickisch 1969: 218, Jäger 1975: 13, Göttert 1988: 27, Wullen 1999: 121, Solbach 2001: 227, Pompe 2003: Sp. 202, Till 2008: 120. Asmuth betrachtet „Ungezwungenheit“ als „Nebenideal“ des Natürlichkeitsideals (Asmuth 1991: 30). Nach Pompe besteht eine „Verbindung“ zwischen Leichtigkeit und Natürlichkeit (Pompe 2003: Sp. 200). 145 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „ungezwungen“ in Steinbach 1734: 2. Bd.: 1134, „Zwingen“ in Adelung 1786/1801: 4. Bd.: Sp. 1793, „Leicht“ in Adelung 1777/1796: 2. Bd.: Sp. 2002–2004, hier Sp. 2003, „frey, ungezwungen“ in Frisch 1741: 1. Bd.: 293 sowie „Frey“ in Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 288–291, hier Sp. 289, 291. 146 Vgl. Göttert 1988: 101, Beetz 1990: 305, Titzmann 1990: 148, Geitner 1992: 172, Schlich 2002: 54, Pompe 2003: Sp. 200–201. 147 Zum Bezug dieses Natürlichkeitsverständnisses und -ideals auf das der Galanten vgl. Beetz 1990: 307, Asmuth 1991: 29. 148 Ethophilus 1728/1736: 21.

3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals

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in vielen Quellen der Zeit als ,Ungezwungenheit‘ aufgefasst und als wünschenswert in Complimenten und Gesprächen, aber auch in Briefen dargestellt. Letzteres kann das folgende Zitat aus einem anonym veröffentlichten Briefsteller von 1777, der sich speziell an ein weibliches Publikum richtet, ex negativo illustrieren: „[D]och schreiben sie [die Frauenzimmer] insgemein weit schlechter [...], als sie reden. Stellten sie sich vor, daß der Brief eine Nachahmung des guten Gesprächs wäre: so würden sie sich nicht den Zwang anthun, der so oft in einer gekünstelten Schreibart ersichtlich ist“.149 Dass dem schriftlichen bzw. brieflichen weiblichen Sprachgebrauch häufig ein ,Zwang‘ und damit etwas ,Gekünsteltes‘ anhafte, wird als Begründung dafür angeführt, dass er im Allgemeinen weniger gut als der mündliche sei. Die komplementäre Aussage, dass die gesprochene Sprache in Relation zur geschriebenen oft natürlicher sei, hat im 18. Jahrhundert topischen Charakter. Sie dürfte durch die unterschiedlichen Produktionsbedingungen in den beiden medialen Ausprägungen von Sprache verursacht sein, die dem Sprecher tendenziell weniger Planungszeit für eine Äußerung lassen als dem Schreiber, was zu einer höheren Frequenz von Äußerungsverzögerungen und Änderungen begonnener Äußerungen in der gesprochenen Sprache führt, die sich in Partikeln, Anakoluthen, Redeabbrüchen, Reparaturen und ähnlichen Phänomenen manifestieren.150 Die geschriebene Sprache, der Sprachgebrauch im Brief, soll sich folglich an der gesprochenen Sprache orientieren: „So wenig man sich zwingt, seinem Discurs [seiner Rede, seinen Gesprächsbeiträgen, J.S.] einen gekünstelten Anfang und eine wörtliche Verbindung der Perioden zu geben: eben so wenig darf das Frauenzimmer sich zwingen, die Gedanken im Briefe mühsam zusammen zu koppeln“.151 Aufgewertet werden in der Aufklärung auch der niedere und der mittlere Stil (lateinisch ,genus humile‘ und ,genus mediocre‘) bzw. die mit ihnen assoziierten einfacheren Ausdrucksweisen,152 die oft als ,mitt-

149 [Anonym.] 1777: 139. 150 Vgl. Fiehler/Barden/Elstermann u. a. 2004: 84, 95, 98. Nach Koch und Oesterreicher handelt es sich bei den genannten Merkmalen um solche der „konzeptionellen Mündlichkeit“, die sie von der „medialen“ Mündlichkeit unterscheiden, obschon sie eine „ausgeprägte Affinität“ zwischen dem „phonischen Medium und konzeptionell mündlichen Äußerungsformen“ feststellen (Koch/Oesterreicher 1994: 587, vgl. 590–591). Die Autoren konstatieren des Weiteren, dass „,antirhetorische‘ literarische Strömungen im Namen von Natürlichkeit, Spontaneität, Individualität und Authentizität“ der konzeptionellen Schriftlichkeit ablehnend gegenüberstehen (Koch/Oesterreicher 1994: 593). 151 [Anonym.] 1777: 141. 152 Vgl. Martens 1968: 347, Jäger 1975: 14, Asmuth 1991: 29, Linke 1996a: 84, Gardt 1999:

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3 Offenheit als Ideal

lere‘ oder ,niedrige Schreibart‘ sowie auch als ,einfältig‘153 bezeichnet werden. Dieses Einfachheits- oder Simplizitätsideal ist ebenfalls eine Version des Superideals der Natürlichkeit.154 Einen anschaulichen Beleg für die Verknüpfung des Natürlichen mit dem Einfachen sowie dessen positive Bewertung enthält das 55. Stück der moralischen Wochenschrift „Der Patriot“ (1725), das die ,einfältige … Schönheit der Natur‘ zum Maßstab des Formulierens erhebt: [D]ie meisten [...] verfehlen ihrer [der Kunst, wohl zu schreiben] darin, daß sie gar zu sehr zu künstlen suchen, und mit der zwahr prächtigen, aber zugleich einfältigen und ungeschminckten Schönheit der Natur sich nicht begnügen wollen. Gleichwohl ist diese nicht allein die Richtschnur von der Arth zu dencken selbst, sondern auch von dem Entwurff und der Vorstellung unserer Gedancken155.

Eine weitere Ausformung des übergreifenden Ideals der Natürlichkeit ist die Wertschätzung individuellen Affektausdrucks, d. h. einer subjektiv-emotionalen Ausdrucksweise, die sich allerdings eher in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeigt.156 Diese Form von Natürlichkeit wird, wenn sie nicht ,Natürlichkeit‘ oder ,Naiveté‘157 genannt wird, auf diverse Arten umschrieben: Unter allen Briefen vertragen keine weniger eine gekünstelte Ordnung als diejenigen, an denen das Herz den grösten Theil nehmen soll. Sie müssen daher am meisten natürlich seyn. [...] Man folge blos den Bewegungen seines Herzens

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166, Koschorke 1999: 225, Ueding 2000: 18, Schlich 2002: 98, Pompe 2003: Sp. 184, 200–201, Göttert/Jungen 2004: 99, 105. Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „niedrige Schreib-Art“ in Frisch 1741: 2. Bd.: 18, „Schreibart“ in Zedler 1743: 35. Bd.: Sp. 1121–1123, hier Sp. 1121–1122, „Einfälltig“ in Steinbach 1734: 1. Bd.: 373 und „Einfältig“ in Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 1697–1698, hier Sp. 1697. Für die Subsumtion dieser Einfachheit unter den Begriff der Natürlichkeit vgl. Jäger 1975: 14, Asmuth 1991: 29, Linke 1996a: 84, Gardt 1999: 166, Ueding 2000: 18, Pompe 2003: Sp. 184, 200–201, Göttert/Jungen 2004: 99, 105. [Anonym.] 1725c: 16–17. Der Ansicht, dass individueller Affektausdruck in der Aufklärung, tendenziell der späteren, ein Kommunikationsideal ist, sind auch Nickisch 1969: 218, Jäger 1975: 14, Nörtemann 1990: 218, Asmuth 1991: 28, Bachmann-Medick 1991: 143, Fauser 1991a: 235, Pittrof 1991: 169, Anton 1995: 25, Asmuth 2003: Sp. 852–853, Pompe 2003: Sp. 184, 199–200, Till 2004: 164. Die meisten dieser Autoren betrachten individuellen Affektausdruck als Natürlichkeit (vgl. Nickisch 1969: 218, Jäger 1975: 14, Nörtemann 1990: 218, Asmuth 1991: 28, Fauser 1991a: 235, Pompe 2003: Sp. 184, 199–200, Till 2004: 164). Dass Lebendigkeit – eine Kommunikationsweise, die individuellem Affektausdruck ähnelt – im 18. Jahrhundert angesehen ist, erwähnen Martens 1968: 359–360, Nickisch 1969: 205–206, 220–221, Asmuth 1991: 32, Koschorke 1999: 415. Zu dieser Bezeichnung vgl. exemplarisch den Eintrag „Naïv“ in Adelung 1777/1798: 3. Bd.: Sp. 426.

3.1 Kommunikative Normen vor und während der Herausbildung des Offenheitsideals

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unbekümmert um allen Schmuck und Ordnung, und schreibe seine Empfindungen in den Ausdrücken, und in der Ordnung nieder, darin sie sich demselben nach und nach von selbst darbieten. Kunst und Nachdenken erfordert [sic] ein ruhiges Gemüth, das Gegentheil des Affeckts hindert die Sprache der Leidenschaft, und macht den Brief gezwungen158.

In der „Kurzen Anweisung zum Briefschreiben nach den Grundsätzen des H[er]rn. Prof.[essor] Gellerts für die niedern Schulen“ (1764/1766), aus der das Zitat stammt, empfiehlt der Autor ,W.‘ eine Natürlichkeit, die er als ,Sprache der Leidenschaft‘ paraphrasiert: ,Natürlich‘ sind ihm zufolge die Briefe, in denen der Schreiber die eigenen Gefühle (die ,Bewegungen seines Herzens‘, ,seine Empfindungen‘) möglichst unvermittelt (,unbekümmert um allen Schmuck und Ordnung‘, wie ,sie sich … von selbst darbieten‘) zum Ausdruck bringt. Neben der Existenz ausgeprägter Emotionen gehört, wie sich hier zeigt, auch der Verzicht auf die Kontrolle von Impulsen zu den Voraussetzungen einer solchen Natürlichkeit.159 Insgesamt fällt auf, dass für die interaktions- und kommunikationsnormativen Schriften der Aufklärung die sittliche Qualität ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung von Verhalten ist. Kommunikationsprinzipien, die das Barock befürwortet hat, werden seit dem frühen 18. Jahrhundert oft mit moralischen Argumenten abgelehnt; was neu als Ideal präsentiert wird, legitimieren nicht selten Behauptungen positiver Folgen für das menschliche Zusammenleben. Die Zeitgenossen der Aufklärung, speziell die bürgerlichen, verpflichten Kommunikation stärker der Ethik als die

158 W. 1764/1766: 44–45. Dieses Natürlichkeitsideal zeichnet sich bereits in Gellerts „Praktischer Abhandlung von dem guten Geschmacke in Briefen“ ab: „Obgleich alle Briefe natürlich sein sollen: so müssen es doch die am meisten sein, in welchen ein gewisser Affekt herrscht. [...] [Man] lasse [...] sein Herz mehr reden, als seinen Verstand; und seinen Witz gar nicht. Man wisse von keiner Kunst, von keiner Ordnung in seinem Briefe. Der Beweis dieser Regel liegt in den Affekten selber. Wer recht gerührt, recht betrübt, recht froh, recht zärtlich ist, dem verstattet seine Empfindung nicht, an das Sinnreiche, oder an eine methodische Ordnung, zu denken. [...] Es ist also in solchen Briefen nichts unnatürlicher, als das, was Nachdenken, Kunst und Mühe verrät. Es wird eine gewisse Stille und Ruhe des Geistes erfordert, wenn wir unsre Vorstellungen wohl verbinden wollen“ (Gellert 1751/1979: 169). 159 Asmuth 1991: 28 weist auf ein weiteres Natürlichkeitsverständnis und -ideal hin: Natürlichkeit als Angemessenheit dem Äußerungsgegenstand gegenüber, als Entsprechung von Ausdruck und unterstelltem Wesen des Referenten. Diese Auffassung von Natürlichkeit „stand im frühen 18. Jh. bisweilen sogar im Vordergrund“, schreibt er (Asmuth 1991: 28). Nach dem hier untersuchten Korpus ist sie jedoch von untergeordneter Bedeutung. Dessen ungeachtet ist diese Natürlichkeit kein Teil des beschriebenen Superprinzips der Natürlichkeit, weil dessen Varianten alle einen Bruch mit einer kulturellen Gebrauchsnorm vorsehen. Dies ist bei Natürlichkeit als Angemessenheit gegenüber dem Äußerungsgegenstand nicht der Fall.

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3 Offenheit als Ideal

Vertreter der höfisch-politischen Kultur des Barock.160 Diese Veränderung geht mit einem Wechsel der Hauptbezugsebene kommunikativer Nützlichkeit einher: Während der kommunikative Austausch aus höfischpolitischer Sicht an erster Stelle dem Einzelnen dienen soll, etabliert sich seit Anfang des 18. Jahrhunderts die Auffassung, dass jener auch und gerade für die Gemeinschaft von Vorteil sein soll.161 Die Rahmenbedingungen dieser Auffassung bilden nicht nur eine optimistischere Einstellung zu menschlichen Beziehungen und ein positiveres Menschenbild,162 sondern auch ein größerer Stellenwert des Lebens vor dem Tod, von dem sich vermuten lässt, dass er ein stärkeres Interesse an diesseitigem Glück bedingt. Da die intensivere Orientierung kommunikativer Normen an ethischen Gesichtspunkten, die veränderte Bezugsebene kommunikativer Nützlichkeit, das gewandelte Bild sozialer Beziehungen, des Menschen und der Welt das Offenheitsideal fundieren und begleiten, kommen sie in den folgenden Kapiteln an verschiedenen Stellen erneut zur Sprache.

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal Vor dem Horizont des mentalitätsgeschichtlichen Umbruchs, der im vorigen Kapitel skizziert wurde, können nun die Herausbildung des Offenheitsideals in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts und dessen weitere Entwicklung bis heute nachgezeichnet werden. Im Zentrum steht die Frage, wie individuelle Offenheit vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart beurteilt wird, welche grundsätzliche Bewertung von Offenheit, welche affektive Einstellung ihr gegenüber zu welchem Zeitpunkt dominiert, wenn man den gesamten hier gewählten Ausschnitt des Offenheitsdiskurses betrachtet. Damit wird der Blick bewusst noch nicht auf situationsspezifische Normen für die Anwendung von Offenheit, die Korrelation des Offenheitsideals mit anderen Kommunikationsidealen und die sozialen Gruppen gelenkt, in denen es zu verorten ist, obgleich gelegentlich bereits Differenzierungen erkennbar werden, die in diesen Dimensionen zu erfassen sind. Sie sollen in den folgenden Kapiteln 3.3, 3.4 und 3.5 systematisch behandelt werden.

160 Vgl. Göttert 1988: 102, Wegmann 1988: 100, Beetz 1990: 285, Nörtemann 1990: 217, Polenz 1994: 2. Bd.: 24, Saße 1994: 110, Wullen 1999: 111–112, Till 2004: 150. 161 Vgl. Martens 1968: 348–349, Göttert 1988: 104, Wegmann 1988: 48–49, Beetz 1990: 288, Gardt 1999: 167. 162 Vgl. Martens 1968: 350, Göttert 1988: 102, Koschorke 1999: 216, Mourey 2006: 340.

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

149

Grundsätzliche Bewertungen werden in vielen, jedoch nicht in allen Quellen ausformuliert. Wo Autoren ihr prinzipielles Urteil über Offenheit nicht explizit machen, lässt es sich häufig aus dem Gesamt der situationsspezifischen Normen erschließen, die sie für die Umsetzung von Offenheit aufstellen: Rät ein Autor in vielen oder allen Kommunikationssituationen zu Offenheit, impliziert dies eine positive Beurteilung des Kommunikationsprinzips, lehnt sie/er die Realisierung von Offenheit hingegen in zahlreichen Situationen oder gar generell ab, weist dies auf eine negative Einstellung gegenüber Offenheit hin.

Die Herausbildung des Offenheitsideals im 18. Jahrhundert In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts verbreitet sich eine Haltung gegenüber Offenheit, die zu derjenigen der einflussreichen höfisch-politischen Kommunikationslehre in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts in deutlichem Kontrast steht. Erste, vorsichtige Ansätze zu einer Neubewertung von Offenheit zeigen sich bereits unmittelbar nach der Jahrhundertwende. Schon ,Menantes‘, d. h. Christian Friedrich Hunold, der in seiner 1707 erstmalig erschienenen Konversationslehre in vieler Hinsicht traditionelle Normen vertritt, stellt im Kapitel „Von der Conversation“163 an manchen Gesprächen vorteilhafte Besonderheiten fest, die auffällig in Richtung Offenheit weisen: „IN einem aufrichtigen Vertrauen redet man mit mehr Freyheit / man ist nicht gebunden / man erkläret sich von beyden Theilen wohlmeynend / man läßt die Neigung seines Hertzens aus / und setzet also [in dieser Weise, J.S.] die süsse und angenehmeConversation [sic] so aufrichtig als vergnügt fort“.164 Hunold beschreibt hier, wodurch die Unterredungen von Personen gekennzeichnet sind, die einander vertrauen: durch ,Freiheit‘, deren Bedeutung in diesem Kontext zwischen ,Offenheit‘ und ,Zwanglosigkeit‘165 oszilliert; dadurch, dass man ,nicht gebunden‘, d. h. in seiner Handlungsfreiheit nicht eingeschränkt166 ist,

163 Menantes 1707/1713: 1. 164 Menantes 1707/1713: 8. 165 Dazu, dass der Ausdruck ,Freiheit‘ im 18. Jahrhundert eine Bedeutung haben kann, die sich als ,ungehemmt-zwanglose Offenheit‘ beschreiben lässt, vgl. neben den Ergebnissen des Kapitels 2.1 den Eintrag „Frey“ in Steinbach 1734: 1. Bd.: 503–504, hier 504. 166 Zu diesem Verständnis von ,nicht gebunden‘ vgl. den Eintrag „Binden“ in Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 1022–1023, hier Sp. 1023, wo folgende Bedeutung für das Verb angegeben wird: „In noch weiterer Bedeutung, die Freyheit eines vernünftigen Geschöpfes hemmen. Ich bin gebunden, ich kann nicht so handeln wie ich will“.

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3 Offenheit als Ideal

sich ,wohlmeinend erklärt‘, also zum Besten des Gegenübers die eigene Meinung klarstellt,167 die ,Neigung seines Herzens auslässt‘ und somit seine Wünsche, Absichten oder auch seine Zuneigung168 bekannt macht; sowie schließlich dadurch, dass man ,aufrichtig‘ ist. Die Gespräche unter Vertrauten sind Hunold zufolge durch eine zwanglos-unbeschwerte Offenheit charakterisiert, die durch eine Suspendierung sonst geltender Normen möglich wird. Er beurteilt diese Gespräche – und damit implizit auch ihre Offenheit – bereits merklich positiv: ,süß‘, ,angenehm‘ und ,vergnügt‘ sind die Stichwörter, die das Urteil zu erkennen geben. Dass Hunolds Anerkennung von Offenheit in einem Textabschnitt aufleuchtet, der die Kommunikation unter Vertrauten thematisiert, ist überaus typisch für seine Zeit, wie die folgenden Zitate bestätigen werden. Sie erscheint just dort, wo der menschliche Umgang nicht als Auseinandersetzung von Rivalen konzipiert wird, die argwöhnisch auf den eigenen Erfolg bedacht sind, sondern als konzertierte Aktion einander wohlwollend gesinnter Beteiligter, die nach gemeinschaftlichem Glück streben. Hunolds Wertschätzung gilt folglich einer Offenheit ,von beiden Teilen‘, wie er formuliert, und beschränkt sich nicht auf die unbeabsichtigte Offenheit eines anderen Menschen, wie im 17. Jahrhundert üblich (siehe Kapitel 3.1). In der Folge zaghafter günstigerer Einschätzungen wie der Hunolds wird Offenheit immer öfter ein immer größerer Wert zugesprochen. Seit den 1720er Jahren überwiegen im hier untersuchten Diskursausschnitt die Frequenz und Intensität der positiven Bewertungen die der negativen. Wie beiläufig und geradezu schleichend Offenheit in Quellen aus der Zeit zwischen etwa 1720 und 1750 weiter aufgewertet werden kann, zeigt das 72. Stück der moralischen Wochenschrift „Der Gesellige“ aus dem Jahr 1748. In einer der vielen zeitgenössischen Reflexionen über Freundschaft, in diesem Fall speziell über „freundschaftliche Reisen“ und „freundschaftliche Briefe“,169 würdigt der anonyme Autor170 die Begegnungen, die durch Freundschaftsreisen zustande kommen:

167 Zu dieser Bedeutung von ,sich erklären‘ vgl. den Eintrag „ich erkläre (mich)“ in Steinbach 1734: 1. Bd.: 862–863, hier 862. Auch am Ende des Jahrhunderts hat „sich erklären“ noch die Bedeutung „seine Gesinnung, seine Meinung deutlich bekannt machen“ (Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 1910). 168 Zu diesen Lesarten von ,Neigung‘ vgl. die Einträge „Neigung“ in Steinbach 1734: 2. Bd.: 116 und Adelung 1777/1798: 3. Bd.: Sp. 463. 169 [Anonym.] 1748a: 584. 170 Es könnte sich um Samuel Gotthold Lange handeln (vgl. Martens 1987: 404–405).

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

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Diese Besuche haben ungemein viel vor dem täglichen Umgange voraus. Denn, da [...] der, der uns besuchet, den Werth unsers Umgangs so hochschätzet, daß er wirklich wenige Tage durch die Reisekosten und Unbequemlichkeiten mit dem grösten Vergnügen sehr theuer bezahlet, und dadurch die Grösse seiner Neigungen unleugbar an den Tag leget: so überzeuget er uns auf das nachdrücklichste von seiner Freundschaft. Wir bemühen uns alsdenn [...] durch die Eröfnung unserer Herzen ihm dieses alles nach Möglichkeit zu ersetzen171.

Der Autor stellt die ,Eröffnung‘ der ,Herzen‘, den offenherzigen Umgang also,172 als einen Weg dar, den Besucher für die finanziellen Aufwendungen und die Einbußen an Komfort zu entschädigen, die mit seiner Reise verbunden sind. Diese Argumentation ist nur denkbar, wenn das offene Anvertrauen persönlicher Gedanken und Gefühle in einer Beziehung als kostbare Gabe erlebt und, allgemeiner, als ein erwünschtes Gut betrachtet wird; sie setzt voraus, dass Offenheit ein Wert ist, der gegen Geld und Unannehmlichkeiten aufgewogen werden kann. Man kann die zitierte Textstelle darüber hinaus so verstehen, dass die ,Eröffnung‘ der ,Herzen‘ zur besonderen Qualität der Begegnungen im Rahmen von Freundschaftsreisen beitrage. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts avanciert Offenheit zu einem in höchstem Grade geschätzten Kommunikationsprinzip. Ihre Anerkennung ist zu diesem Zeitpunkt so weit vorangeschritten, dass sie bisweilen ein zentrales Textthema bildet, wie etwa in Friedrich Gottlieb Klopstocks Abhandlung „Von der Freundschaft“, die 1759 im 95. und 98. Stück des „Nordischen Aufsehers“ erscheint. Dass in diesem Kapitel schon zum zweiten Mal auf einen Text aus einer moralischen Wochenschrift verwiesen wird, ist kein Zufall, sondern eine Folge der Tatsache, dass sich die Entwicklung des Offenheitsideals im 18. Jahrhundert vor allem in Publikationen abzeichnet, die vom und für das gebildete Bürgertum verfasst worden sind.173 Auch Klopstocks Erörterung betrifft – wie der Titel besagt – das Thema der Freundschaft. Klopstock versucht darin, seine

171 [Anonym.] 1748a: 584–585. 172 Mit den Ergebnissen des Kapitels 2.1 kann man ausschließen, dass der Autor mit ,Eröffnung‘ der ,Herzen‘ ,Aufgeschlossenheit‘ oder ,Zugänglichkeit‘ meint. Für die Annahme, dass er vertrauensvoll-offene Mitteilungen persönlicher Gedanken und Empfindungen im Sinn hat, spricht zudem der Eintrag „Eröffnen“ in Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 1928–1929. Dort heißt es: „Im Hochdeutschen gebraucht man es [Eröffnen] nur in engerm Verstande von einer mit Zutrauen verbundenen vertraulichen Bekanntmachung einer Sache. Seinem Freunde sein Geheimniß, sein Anliegen eröffnen. Einem seine Gedanken, sein Vorhaben, seine Meinung eröffnen. Eröffne mir dein Herz, die Empfindungen deines Herzens“. 173 Dazu, dass moralische Wochenschriften vom und für das gebildete Bürgertum verfasst werden, vgl. Martens 1968: 128–130, 147.

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3 Offenheit als Ideal

Leser davon zu überzeugen, dass eine freundschaftliche Beziehung „eine Glückseligkeit [ist]“,174 und geht dabei ausführlich auf die Spezifika der freundschaftlichen Kommunikation ein, unter anderem mit der rhetorischen Frage: „Es sollte meinen Freund und mich nicht wirklich glücklich machen, daß [...] wir nichts Geheimes für einander haben, sondern [...], daß wir uns Alles mit der offensten Aufrichtigkeit anvertrauen?“175 Für Klopstock zeichnet sich der freundschaftliche Austausch demnach durch Offenheit aus, und gerade diese versetzt die Beteiligten in einen freudigen, erfüllten Gemütszustand. In diesem Sinne führt er seine rhetorische Frage fort: [Es sollte meinen Freund und mich nicht wirklich glücklich machen, d]aß mein Freund oft nicht wartet, bis ich seine Fehler entdecke, sondern daß er sie mir eher sagt? Daß er haben will, daß ich so strenge gegen ihn sein soll, als er gegen sich selbst ist? [...] Daß er überzeugt ist, daß ich auch alsdann, wenn ich ihm meine Neigung am lebhaftesten ausdrücke, die heilige Freundschaft nicht durch das Geringste von dem, was zur Schmeichelei gehört, entweihe? [...] Und daß wir uns besonders deswegen gern oft sehen, weil wir gern oft von Gott und der Religion miteinander sprechen? [...] Wer die Heiterkeit, diese Ruhe und oft diese Hoheit der Seele nicht kennt, die bei solchen Unterredungen die Freundschaft gibt, wie wenig Glückseligkeit kennt der!176

Als Charakteristika der freundschaftlichen Kommunikation und als Ursache des freundschaftlichen Glücks nennt Klopstock das Eingeständnis von Verfehlungen, das Üben von Kritik, die Bekundung von Zuneigung und die Diskussion von Glaubensfragen – Inhalte und kommunikative Akte, die zu den für offene Äußerungen typischsten gehören (vergleiche Kapitel 2.3). Die Aufzählung besteht mit anderen Worten aus Beispielen für die ,offenste Aufrichtigkeit‘ unter Freunden. Dass es diese ist, die beglückt, wiederholt und bekräftigt Klopstock im weiteren Verlauf der Abhandlung noch mehrfach.177 Bezeichnenderweise präsentiert er diese Ansicht als Gegenposition zu derjenigen eines (fiktiven) Lesers, der seiner Zuschrift zufolge den ,Umgang der großen Welt‘ im Grunde dem freundschaftlichen Kontakt bevorzugt178 und damit einer aristokratischen französisch inspirierten Höflichkeit anhängt, d. h. höfisch-politische Normen vertritt: „Wenn ich vom Umgange der großen Welt rede“, schreibt der Leser in seinem Brief, „so verstehe ich alles dasjenige darunter, was

174 175 176 177 178

Klopstock 1759/1981: 934. Klopstock 1759/1981: 937. Klopstock 1759/1981: 937–938. Vgl. Klopstock 1759/1981: 940–942. Vgl. Klopstock 1759/1981: 938–940.

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

153

die Politesse nur Einnehmendes haben kann; und ich nehme dieses Wort zugleich in dem ganzen Umfange, in dem es ein Franzose braucht, der selber poli ist, und also von der Sache urteilen kann“.179 Klopstock unterlegt seiner Argumentation mithin eine Folie, die dem historischen Hintergrund der neuen Achtung von Offenheit genau entspricht. Von der Zeit, aus der Klopstocks Überlegungen stammen, von etwa Mitte des 18. Jahrhunderts,180 bis in die Gegenwart181 ist Offenheit ein Kommunikationsideal. Welche Stärke das Offenheitsideal im 18. Jahrhundert erreicht, lässt sich nicht nur mit den obigen Beispielen aus dem „Geselligen“ und dem „Nordischen Aufseher“ verdeutlichen, sondern auch mit dem Beitrag „Ueber Freymüthigkeit“, den der Theologe und Schriftsteller Gotthelf Wilhelm Christoph Starke 1791 in der „Deutschen Monatsschrift“ veröffentlicht. „Unter die mancherley Gegenstände, von welchen sich immer noch gar viele [...] unrichtige und also schädliche Vorstellungen machen, gehört auch die Freymüthigkeit“,182 beginnt Starke seinen Versuch, die verbliebenen Vorurteile gegenüber ‚Freimütigkeit‘ auszuräumen. Deren Apologie bildet das Hauptanliegen des Textes. Unter „Freymüthigkeit“ versteht der Autor die „wechselseitige, 179 Klopstock 1759/1981: 938. 180 Eine Neigung zu Offenheit und/oder nah verwandten Kommunikationsprinzipien im bzw. seit dem 18. Jahrhundert wird gelegentlich – meist beiläufig – in der Forschungsliteratur erwähnt. Dies geschieht unter dem Stichwort „Offenheit“ bei Rasch 1936: 95, ebenso bei Martens 1968: 351–352, unter „Authentizität“ bei Trilling 1972/1980: 21, 91–92, 96–97, der sich allerdings hauptsächlich auf Kunst bezieht und eine allmähliche Entwicklung der Neigung annimmt, unter „Offenheit“, jedoch mit Vorbehalten in Bezug auf den deutschsprachigen Raum bei Göttert 1988: 101 (für das ganze Kapitel „Das Ideal der Offenheit in der Aufklärung“ vgl. Göttert 1988: 101–135) sowie Göttert 1991: 108, unter dem gleichen Stichwort bei Montandon 1991: 14, unter „offen“ bei Geitner 1992: 2, unter „Authentizität“ und „Sprache“ als „Offenbarungsmedium“ bei Saße 1994: 110, 113, unter „Offenheit“ und „empfindsamem Bloßlegen der Seelen“ bei Koschorke 1999: 216, 226, 231, unter „starkem Authentizitätsbedürfnis“ und „Sprache des Herzens“ bei Schlich 2002: 24, 54, unter „Selbstthematisierung“ bei Reinlein 2003: 54, unter „Offenheit“ bei Benthien/Martus 2006: 12 sowie bei Kugeler 2006: 146. Da die Autoren der genannten Texte nicht oder nicht genügend klären, was sie darin mit Ausdrücken wie ,Offenheit‘, ,Authentizität‘ usw. meinen, wurden die von ihnen gewählten Formulierungen mit angegeben. 181 Dass das 20. Jahrhundert, speziell die Gegenwart, eine Präferenz für Offenheit und/ oder sehr ähnliche Kommunikationsweisen besitzt, konstatieren unter Verwendung der Bezeichnung „die eigene Persönlichkeit [...] offenbaren“ Sennett 1977/1986: 24, unter „Ehrlichkeit der Gefühlsäußerung“, „Echtheit“ sowie „Authentizität“ Bruder 1990: 241, 250, unter „Sich-Selbst-Offenbarung“ und „Selbsttransparenz“ Jung/Müller-Doohm 1998: 138, unter „enthemmtem Sich-Ausleben von Gefühlen“ Fürstenberg 2002: 101, unter „Unmittelbarkeit“ und „Authentizität“ Weiß 2002b: 47, 50 sowie unter „Aufrichtigkeit“ Frankfurt 2005/2006: 72. Auch bei diesen Autoren fehlen hinreichende begriffliche Klärungen. 182 Starke 1791: 247.

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3 Offenheit als Ideal

offene, ehrliche Mittheilung der Meinungen, Ueberzeugungen, Urtheile und Einsichten“.183 Diese begrifflich die Preisgabe von Einschätzungen und Erkenntnissen akzentuierende Offenheit bewertet er enorm positiv: „Aufrichtigkeit hält jeder Vernünftige für eine unumgänglich nöthige gesellschaftliche Tugend, und Freymüthigkeit ist ja eben eine Aeußerung dieser Tugend“.184 Seine Referenzen auf ,Vernunft‘ und ,Tugend‘ zeigen, dass Starke sich vor einem typisch aufklärerischen Werthorizont für Offenheit einsetzt. Dem entspricht nicht nur die Fokussierung seines Offenheitsbegriffs auf die Mitteilung potenziell aufklärender Einschätzungen und Erkenntnisse, sondern auch seine Auffassung von ,Freimütigkeit‘ als einer notwendigen Bedingung der gesellschaftlichen Vervollkommnung: Freymüthigkeit ist dieselbe Tugend [die Tugend der Aufrichtigkeit], nur daß sie nicht so überall [...] Statt finden kann, sondern schon gebildetere Gesellschaften voraussetzt, [...] Gesellschaften, die schon so weit veredelt sind, daß sie geistige Vollkommenheiten gehörig würdigen, und die immer weitere Ausbildung, Stärkung und Verschönerung der geistigen und moralischen Natur als ihren erhabensten Zweck ansehn, zu dessen Erreichung [...] Freymüthigkeit! nöthig ist185.

Der Autor spricht im Verlauf des Beitrags ebenso von „ihrem [der Freymüthigkeit] Werth und ihrer großen Schätzbarkeit“186 sowie vom „Nutzen [...], den die Gesellschaft von ihr hat“187 – die Wertschätzung, die freimütige Offenheit in seiner Abhandlung erfährt, ist also kaum zu überbieten. Es fällt auf, dass sein Offenheitslob nicht mehr in eine Thematisierung der Kommunikation unter Vertrauten eingebunden ist, sondern unabhängig davon auftritt, und dass er Offenheit einen Sinn und Wert sowohl für einzelne Interagierende als auch für größere Gemeinschaften, für ,Gesellschaften‘ beimisst. All dies verdeutlicht, dass der Text nicht zu den frühesten Schriften gehört, die vom barocken Negativurteil über Offenheit abweichen, dass sich die Anerkennung von Offenheit zum Zeitpunkt seiner Entstehung vielmehr bereits ein Stück weit etabliert hat. Angesichts dessen überrascht Starkes Einleitung: ,Immer noch‘ dächten ,gar viele‘ Menschen ,unrichtig‘ über ,Freimütigkeit‘. Offensichtlich ist die Ablehnung von Offenheit sozial so weit verbreitet oder in der Mentalität mancher Kollektive so tief verwurzelt gewesen, dass der Einstellungswandel, der sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts 183 184 185 186 187

Starke 1791: 251. Starke 1791: 250. Starke 1791: 251. Starke 1791: 251. Starke 1791: 252.

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

155

gegenüber Offenheit angebahnt hat, zu seiner gesellschaftlichen Durchsetzung viel Zeit braucht.

Die Konsolidierung des Offenheitsideals in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Die eindeutig positive Bewertung von Offenheit, die sich seit ca. 1750 feststellen lässt, setzt sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts unvermindert fort. „[D]ie Höflichkeit [muß] frey und zwanglos seyn“,188 heißt es z. B. in einem Anstandsbuch aus dem Jahr 1804. „Der höfliche Mann äußert [...] überall gegen Jedermann, zu jeder Zeit, die angenehmen Eigenschaften seines gebildeten Geistes und Herzens, seine Talente und Kenntnisse, Gefühle und Gesinnungen der Achtung und des Wohlwollens, mit Freymüthigkeit und Unbefangenheit“.189 Vergleicht man diese Textstelle mit dem eingangs gegebenen ,Menantes‘-Zitat, springt ins Auge, dass Offenheit und Zwanglosigkeit erneut enggeführt werden. Dies geschieht nicht nur durch die Doppelform ,mit Freimütigkeit und Unbefangenheit‘, die als Paraphrase von ,frei und zwanglos‘ im ersten zitierten Satz gelesen werden kann, sondern auch durch die Ausdrücke ,frei‘ und ,Freimütigkeit‘, die das Ungehemmt-Zwanglose als konzeptuellen Teilaspekt von Offenheit190 hervorheben. Diese erscheint hier – das ist das Neue und Bemerkenswerte – als grundlegendes Element der ,Höflichkeit‘, die als Gesamtmenge generell als richtig und gut anerkannter Umgangsformen aufgefasst wird:191 Damit wird Offenheit in den Begriff des Anstandes integriert. Dementsprechend stellt der Autor Offenheit als eine situationsübergreifende Verhaltensanforderung dar – wer ein ,höflicher Mann‘ sein will, muss ,überall gegen jedermann, zu jeder Zeit‘ mit ,Freimütigkeit‘ auftreten. Das Spektrum dessen, was nach der zitierten Textstelle zum Gegenstand dieser ,freimütigen und unbefangenen‘ Kommunikation werden darf, ist allerdings limitiert – z. B. darf der ,höfliche Mann‘ nicht 188 H.[ermann] 1804: 25. 189 H.[ermann] 1804: 25. 190 Zu dieser Bedeutung von ,frei‘ vgl. außer Kapitel 2.1 auch Campe (Hrsg.) 1808: 2. Bd.: 155–157, hier 157, wo für „Frei“ die Lesart „[f]reimüthig, offen, ohne Furcht und Zurückhaltung“ verzeichnet wird. Alternativ dazu könnte ,frei‘ in der zitierten Stelle gemäß Campes Wörterbuch allenfalls „[v]on ängstlicher Beobachtung der Regeln der Kunst etc. entfernt“ bedeuten (Campe (Hrsg.) 1808: 2. Bd.: 157). 191 Dass der Autor ein solch umfassendes Verständnis von ,Höflichkeit‘ hat, kann man im Text nachweisen: vgl. H.[ermann] 1804: 5–13. Für seine Auffassung von „Anstand“ vgl. dagegen H.[ermann] 1804: 30–36.

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alle ,Gefühle und Gesinnungen‘ zum Ausdruck bringen, sondern nur solche ,der Achtung und des Wohlwollens‘. Überhaupt hat die gebotene Offenheit Schranken zu wahren: Mit seiner gewohnten, immer gespannten Aufmerksamkeit und richtigen Beurtheilung wird er [der höfliche Mann] diese Freymüthigkeit und Zwanglosigkeit richtig zu leiten und zu modifiziren und die Gränzlinien zu ziehen wissen, daß dieselbe nicht in Anmaßung ausarte; allein er wird diese Wachsamkeit, diese Zurückhaltung nicht merken lassen, er wird immer ganz offen, ganz sorglos und unbekümmert handeln; er wird, z. B., alles zu sagen scheinen, was er denkt und fühlt, und wird nur das sagen, was er für gut und schicklich hält192.

Offenheit wird in diesem Anstandsbuch zwar zu einer Maxime des Umgangs, doch ist sie dies noch unter der einschränkenden Bedingung, dass wirkliche offene Äußerungen in Zweifelsfall durch vorgespiegelte ersetzt werden. Der Appell, Offenheit gegebenenfalls vorzutäuschen, spricht dafür, dass der Autor ein zwiespältiges Verhältnis zu ihr hat; der Aufruf dazu setzt indessen auch die Annahme voraus, dass die Interaktionspartner günstig auf sie reagieren. Aus der Beschreibung von Offenheit als zentralem Bestandteil des Anstandskanons sowie der allgemeinen Aufforderung zu Offenheit, notfalls zu einer gestellten, kann man somit auf deren weithin geteilte, wenn auch nicht über alle Vorbehalte erhabene Wertschätzung schließen. Es gibt eine besondere Klasse von Textstellen, die in ähnlicher Weise indirekt indizieren, wie sehr Offenheit geschätzt, gewürdigt und geachtet wird: Selbstzuschreibungen von Offenheit. Stellen, an denen der Autor der Quelle oder der meist fiktive Sprecher bzw. Schreiber eines darin enthaltenen Mustertextes explizit behauptet, in der Vergangenheit, aktuell oder in der Zukunft offen (gewesen) zu sein, finden sich vereinzelt schon im 18. Jahrhundert, mit mäßiger Frequenz auch im 20. und 21. Jahrhundert, ihre Blütezeit erleben sie jedoch im 19. Jahrhundert. In Kapitel 2.3 wurde bereits erwähnt, dass einige Autoren und viele (erdachte) Sprecher bzw. Schreiber von Mustertexten ihren Adressaten in Situationen, in denen Zweifel bestehen oder wahrscheinlich sind, die eigene Offenheit ausdrücklich versichern. Beteuerungen, offen zu sein, sind eine von mehreren Formen, sich selbst Offenheit zuzuschreiben. Eine andere illustriert das Kapitel „Absagebriefe und Widerrufe“193 eines Briefstellers, der 1876 in der überarbeiteten sechsten Auflage erscheint. In einem dort anzutreffenden musterhaften „Widerruf einer gegen Jemand aus-

192 H.[ermann] 1804: 25. 193 Schoppe/Milde 1834/1876: 397.

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

157

gesprochenen Beschuldigung“194 richtet eine Dame folgende Zeilen an einen Herrn: Verzeihen Sie mir also, daß ich Sie verkannte, mißdeutete, ja sogar tadelte und Sie einen Augenblick zu den treulosen Männern zählte [...]. Zur Offenheit in dieser Angelegenheit forderte mich mein Charakter und unsere Freundschaft auf; aber eben so furchtlos, als ich Sie früher tadelte, gestehe ich jetzt auch meinen Irrthum ein195.

Die schreibende Frau spricht sowohl ihrer früheren Anschuldigung Freimütigkeit zu (,Zur Offenheit in dieser Angelegenheit forderte mich‘ usw.) als auch, zumindest andeutungsweise, ihrer Zurücknahme dieser (,ebenso furchtlos ... gestehe ich jetzt‘ etc.). Selbstzuschreibungen wie diese erfolgen sicherlich nicht grundlos, sondern ausgehend von der – eher bewussten oder eher intuitiven – Vermutung, dass es vorteilhaft ist, für offen gehalten zu werden.196 Sie offenbaren somit die Überzeugung, dass der Adressat gegenüber Offenheit positiv eingestellt ist und es möglich ist, dass sie/er die positive Einstellung auf eine Äußerung und von dort auf den Äußerungsproduzenten überträgt. Gezielt zu versuchen, mit dem Hinweis auf die eigene Offenheit eine Verbesserung der Einstellung zur eigenen Person beim Kommunikationspartner zu erreichen, bietet sich speziell im Kontext des Zugebens von Fehlern ihr/ihm gegenüber und der Bitte um Verzeihung an. Ein zweites gutes Beispiel für einen derartigen Versuch liefert ein Musterbrief aus einem „Liebesbriefsteller“ des späten 19. Jahrhunderts. In dem Brief, der sich im Kapitel „Die Correspondenz mit dem Geliebten“197 befindet, räumt eine junge Frau ein, dass ihr abweisendes Verhalten mit dem Ziel einer Aufhebung der Verbindung ein Fehler war: „Ich hatte die Absicht, [...] Dich durch mein unerklärliches Benehmen zu einem raschen Bruche zu drängen. [...] [Ich] bekenne [...] reumütig, daß mich eine Selbsttäuschung fast ein Verbrechen gegen Deine herzliche Liebe hätte begehen lassen“.198 Die Schreibende beendet ihren Brief mit einer Selbstattribution von Offenheit: „Ich verdiene

194 Schoppe/Milde 1834/1876: 399. 195 Schoppe/Milde 1834/1876: 400. 196 Das gilt auch für die in Kapitel 2.3 diskutierte Spezialform der Selbstzuschreibungen von Offenheit. Wie dort dargelegt wurde, ist das Unvermögen, der/dem anderen die eigene Offenheit unmittelbar zu beweisen, eine Ursache für ausdrückliche Offenheitsversicherungen. Nach dem soeben Gesagten muss ein weiteres Element in diesen kausalen Zusammenhang einbezogen werden: Die Unmöglichkeit, die eigene Offenheit ohne Weiteres zu belegen, wird nur dann zu einer expliziten Offenheitsbeteuerung führen, wenn der Sprecher bzw. Schreiber für offen gehalten werden möchte. 197 [Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 118. 198 [Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 127.

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schon deshalb Deine Vergebung, weil ich von freien Stücken ein offenes Bekenntnis dessen abgelegt [...]. In Anbetracht meines ungeschminkten Geständnisses wirst Du mir mein [...] Vorhaben gütigst verzeihen“.199 Die Erwartung, dass die angesprochene Person gegenüber Offenheit so positiv eingestellt ist, dass die von ihr wahrgenommene Offenheit den eigenen Fehler kompensiert, wird hier sogar ausformuliert: ,ich verdiene ... deine Vergebung‘, ,wirst du mir ... gütigst verzeihen‘. Selbstzuschreibungen von Offenheit sind in den kommunikationsnormativen Quellen des 19. Jahrhunderts nicht nur hoch frequent, sondern werden zusätzlich immer wieder in die gleichen oder wenigstens in sehr ähnliche Worte gefasst. Ich nenne die typischsten Muster in jeweils einigen Ausprägungen: – „[n]ach diesem offenherzigen Bekenntnisse“,200 „[n]ach diesem offenherzigen Geständnisse“,201 „nach diesem offenen Geständnisse“,202 „meinem offenen Geständnisse“203 oder – eben zitiert – „[i]n Anbetracht meines ungeschminkten Geständnisses“,204 – „wie ich aufrichtig versichern kann“,205 „mit aller Aufrichtigkeit versichere ich Sie“206 oder „[g]lauben Sie meiner aufrichtigen Versicherung“,207 – „[i]ch muß Ihnen also offen gestehen“,208 „ich hatte den Muth, [...] Alles offen zu gestehen“, „[l]assen Sie mich Ihnen aufrichtig gestehen“, „[l]aß es mich Dir aufrichtig gestehen“, „[l]assen Sie mich Ihnen mit der Offenheit, die Sie einmal an mir kennen [...], gestehen“,209 „erlauben Sie mir, Ihnen offen [...] gestehen zu dürfen“,210 „[i]ch gestehe Ihnen offen“211 oder „[i]ch [...] kann Ihnen [...] offen zugestehen“212 sowie

199 200 201 202 203 204 205 206 207 208 209 210 211 212

[Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 127. Meili [o. J.]/1829: 223. Meili [o. J.]/1829: 239. Schoppe/Milde 1834/1876: 344. [Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 20. [Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 127. Klopstock 1759/1981: 935. – Bei diesem Muster ist fraglich, ob man ,aufrichtig‘ eher als ,ehrlich‘ oder eher als ,offen‘ zu verstehen hat. Nach den Erläuterungen in Kapitel 2.1 sind beide Lesarten möglich. Meili [o. J.]/1829: 224. Schoppe/Milde 1834/1876: 49. Meili [o. J.]/1829: 231. Schoppe/Milde 1834/1876: 130, 279, 296, 356. [Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 74. [Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 97. [Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 105.

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

159

„verzeihen Sie es meiner Offenherzigkeit“,213 „[v]erzeihen Sie meiner Offenherzigkeit“214 oder „verzeihen Sie mir diese Offenherzigkeit“.215 Die Häufigkeit, mit der solche Zuweisungen in den Quellen anzutreffen sind, lässt erkennen, wie gängig die Unterstellung einer positiven Haltung gegenüber Offenheit geworden ist. Dass Bekundungen der eigenen Offenheit im 19. Jahrhundert Redewendungen bilden, die sich bisweilen zu Floskeln verfestigt haben, zeugt gar von einer Veräußerlichung und Trivialisierung des Offenheitsideals.216 Die starke Musterhaftigkeit in Frequenz und Form, die schließlich zur pragmatischen Entwertung der Bekundungen und damit zu ihrem Rückgang im 20. Jahrhundert führt, verrät aber ebenso, dass offene Kommunikation keineswegs eine Selbstverständlichkeit ist. Auch Textstellen, gemäß denen Offenheit ein fundamentales Element des Anstandes oder eine prinzipielle Verhaltensanforderung ist, durchziehen das ganze 19. Jahrhundert. Im „Anstandsbüchlein für das Volk“ von 1894 beispielsweise findet sich das Gebot, offen zu kommunizieren, unter den „[d]rei Forderungen [...], welche ein für allemal die Grundbedingungen für die Unterhaltung sind und sein sollen“.217 Dies sind nämlich: „a) Schweigen und Zuhören. b) Genaues Ueberlegen dessen, was man sagen will. c) Aufrichtigkeit und Offenheit“.218 Die ,Forderung‘ nach ,Offenheit‘, deren Erfüllung der Verfasser als eine ,Grundbedingung‘ aller Gespräche darstellt, schränkt er anschließend nicht etwa ein, sondern weitet sie vom Gespräch auf jeglichen (mündlichen) Sprachgebrauch aus: „Der Grundton aller Deiner Reden sei Wahrheit, Aufrichtigkeit und Offenheit“.219 Die Pauschalität, in der in diesen Äußerungen auf Offenheit gedrängt wird, rückt sie in die Nähe positiver grundsätzlicher Bewertungen des Kommunikationsprinzips. Sieht man den ganzen Text durch, stößt man zwar auch auf Aufrufe zu einer Begrenzung der eigenen Offenheit,220 gegenüber den Geboten von Offenheit221 sind diese –

213 214 215 216

217 218 219 220 221

[Kunhardt] 1797a: 178. Meili [o. J.]/1829: 236. Schoppe/Milde 1834/1876: 277. Vergleichbare Redewendungen existieren auch heute noch: etwa „o.[ffen] gesagt“ (Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1980/1999: 6. Bd.: 2784–2785, hier 2785) oder „o.[ffen] gestanden“ (Klappenbach/Steinitz (Hrsg.) 1974: 4. Bd.: 2691–2692, hier 2692). Vogt (Hrsg.) 1894: 86. Vogt (Hrsg.) 1894: 86–87. Vogt (Hrsg.) 1894: 88. Vgl. etwa Vogt (Hrsg.) 1894: 66, 88. Vgl. zusätzlich z. B. Vogt (Hrsg.) 1894: 16–17, 53, 62–63, 66, 94, 107, 161.

160

3 Offenheit als Ideal

jedoch schwächer ausgeprägt und haben den Charakter von Ausnahmen gegenüber einer Grundregel, d. h. sie stellen die deutliche Zustimmung zu Offenheit insgesamt nicht in Frage.

Die Abschwächung des Offenheitsideals gegen Ende des 19. Jahrhunderts Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis etwa 1920 erstreckt sich eine Phase, in der verhältnismäßig viele Quellen Offenheit lediglich mäßig positiv oder ambivalent sehen. Man könnte annehmen, dass sie in dieser Phase ihren Status als Kommunikationsideal verliert. Angesichts der Vielzahl parallel entstandener Schriften, die Offenheit positiv oder sogar sehr positiv beurteilen – das gerade zitierte „Anstandsbüchlein für das Volk“ ist ein Exempel dafür –, muss man indessen feststellen, dass sie ein Kommunikationsideal bleibt, wenn sie dies auch in geringerem Maß als zu anderen Zeiten ist. Dafür spricht desgleichen, dass die meisten Texte, in denen keine (sehr) positive Einstellung ihr gegenüber zum Ausdruck kommt, die Umgangsnormen des (Groß)Bürgertums sowie des Adels, mithin bestimmter Klassen fokussieren, an denen sich freilich Angehörige anderer Schichten orientieren. Auch thematisieren diese Quellen Offenheit in der Regel speziell im Hinblick auf Kommunikationssituationen mit einer größeren Anzahl von miteinander mitunter wenig vertrauten Teilnehmern: Die ,Konversation‘222 bei (groß)bürgerlicharistokratischen Tees, Diners, Bällen und gemeinsamen Opernbesuchen, allgemeiner formuliert, das Verhalten in der ,Gesellschaft‘, bildet den Horizont, vor dem das Kommunikationsprinzip evaluiert wird.223 Wie eine begrenzte Achtung von Offenheit in einem solchen Text ausfallen kann, zeigt ein 1859 erschienenes Anstandsbuch, das bezeichnenderweise „Maximen der wahren Eleganz und Noblesse in Haus, Gesellschaft und Welt“ heißt, den Nebentitel „Belehrungen über Tact, Ton, Tournüre,

222 Linke zufolge bedeutet ,Konversation‘ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts „gesellschaftliches Gespräch“ (Linke 1996b: 135, für die Zeitangabe vgl. 138, zur Bedeutung und zum Bedeutungswandel von ,Konversation‘ vgl. auch 132–138, 142–150). 223 Darauf, dass Offenheit in diesem kommunikativen Kontext weniger willkommen ist, weisen auch Linkes Befunde hin, dass die Themen des gesellschaftlichen Gesprächs zumal am Ende des 19. Jahrhunderts „nicht allzu individuell-persönlich“ sein sollen, dass darin nicht über „Krankheiten“, die „eigene Person“ und insbesondere nicht über „Politik und Religion“ gesprochen werden soll sowie dass keine „Ratschläge“ gegeben werden sollen (Linke 1996b: 196–197, 203, 205, 206).

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

161

Gewohnheiten und Manieren der heutigen feinen Gesellschaft, zur Erlangung des savoir vivre im Umgange mit der großen Welt“ trägt und als dessen Autor „Frau Baronesse de Fresne“224 angegeben wird. Wie nicht nur der Titelei, sondern auch dem Vorwort zu entnehmen ist,225 setzt sich die Verhaltenslehre zum Ziel, Interaktions- bzw. Kommunikationsnormen der oberen Schichten zu vermitteln. Charakteristisch an Fresnes Text ist, dass Offenheit auf der einen Seite prinzipiell als gut und richtig apostrophiert wird, denn über die „Lebensart im Allgemeinen“226 wird ausgesagt: „Die Lebensart besudelt ihren Mund nie durch die Lüge. Sie ist freimüthig, aber sie mißbraucht die Freimüthigkeit nicht. Sie ist eben so wenig ein Heuchler mit zwei Larven und zwei Gesichtern“.227 Die ,Lebensart‘, mit der hier so viel wie der zu erlernende feine Umgangsstil228 gemeint ist, ist demnach – zumindest bis zu einem gewissen Grad – durch Ehrlichkeit und Offenheit gekennzeichnet. Auf der anderen Seite wird nachdrücklich erklärt, dass Letztere einzuschränken oder zu vermeiden ist: Es ist ganz natürlich, seine Fehler zu verbergen und die Offenherzigkeit oder die Freimüthigkeit dürfen nicht so weit gehen, aus dem Gesellschaftssaale einen Beichtstuhl zu machen. Ja, noch mehr, ein Mensch, der seine Fehler verbirgt, beweis’t eben dadurch, daß er sie erkennt, und diese Erkenntniß ist der erste Schritt zu ihrer Ablegung229.

Auch in anderen Textabschnitten wird zu einer Beschneidung der eigenen Offenheit geraten: „Man verletze nie durch zu große Offenherzigkeit oder Wahrheitsliebe die Eigenliebe eines Menschen; man macht sich sonst denselben zu einem unversöhnlichen und erbitterten Feinde“.230 Oder wenige Zeilen darauf: „Besser ist es, aus Höflichkeit zu lügen, als

224 Weder große Bibliothekskataloge noch die gängigen biographischen Nachschlagewerke und Pseudonymlexika geben Aufschluss über ,Baronesse de Fresne‘. 225 Danach ist das Buch auf die „deutschen gesellschaftlichen Gebräuche, besonders der höheren und gebildeteren Stände“ ausgerichtet (Fresne 1859: V). – Im Vorwort wird außerdem darauf hingewiesen, dass der Text auf einem Manuskript beruhe, welches Fresne bei ihrem Tod hinterlassen habe (vgl. Fresne 1859: IV–V). Die Ausführungen zur Konversation seien jedoch ergänzt worden (vgl. Fresne 1859: V). Folglich kann man davon ausgehen, dass die diesbezüglichen Normen dem Stand des Jahres 1859 entsprechen. 226 Fresne 1859: 20. 227 Fresne 1859: 21, vgl. für ein pauschales Gebot offener Kommunikation auch 15. 228 Zu dieser Bedeutung vgl. den Eintrag „Leben“ in Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 584–587, hier Sp. 585, in dem es heißt: „Lebensart, [...] Art und Weise zu leben [...]; in bedeutendem Sinne, = feine Lebensart“. 229 Fresne 1859: 71. 230 Fresne 1859: 89.

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3 Offenheit als Ideal

eine verletzende Wahrheit zu sagen. Indeß läßt sich mit einiger Umsicht und Gewandtheit Beides vermeiden“.231 Gegenüber ihren positiven grundsätzlichen Aussagen über Offenheit haben Fresnes Anweisungen, Offenheit einzuschränken – und zwar sowohl diejenige, die den Adressaten bedroht, als auch die umgekehrt perspektivierte, die nur der/dem Offenen selbst gefährlich wird –, ein vergleichsweise großes Gewicht. Repräsentativ für den genannten Zeitabschnitt ist Fresnes Anstandsbuch nicht nur durch diese Abschwächung des Offenheitsideals, sondern auch durch die Aufwertung kommunikativer Selbstkontrolle:232 „Rücksichtnahme“ sei „das Grundgesetz jeder Conversation“.233 Man solle sie nicht nur gegen das weibliche Geschlecht beobachten, sondern gegen alle Theilnehmer eines gesellschaftlichen Kreises, und sogar nicht bloß gegen die Personen selbst, sondern auch gegen deren Ansichten, Meinungen und Gefühle, kurz, gegen Alles, was irgend einen unangenehmen, peinlichen oder gar schmerzlichen Eindruck hervorbringen könnte234.

Ein ähnliches dreiteiliges Urteilsmuster begegnet dem Leser des Anstandsbuchs „Das feine Benehmen in Gesellschaften“ aus dem späten 19. Jahrhundert. Wiederum ist bereits am Titel der Zuschnitt des Buchs auf die Normen der höheren Klassen ablesbar. Auch in ihm lässt sich eine generelle Zustimmung zum Prinzip der Offenheit feststellen, die von Passagen ergänzt wird, in denen dezidiert von dieser abgeraten, Selbstkontrolle hingegen dringend empfohlen wird. In diesem Fall steht jedoch nicht die sprachliche Offenheit, sondern die Offenheit in Blick, Mimik und Gestik im Zentrum der Diskussion: Erstens argumentiert der Verfasser für einen „freien, offenen Blick“.235 Mimische Simulation und Dissimulation – Gegenstücke von Offenheit – lehnt er dagegen grundsätzlich ab: „Der Gedanke, seinen Gesichtsausdruck nach den Erfordernissen der Umgebung einzurichten, enthält [...] etwas Widernatürliches,

231 Fresne 1859: 89. Für weitere Textstellen, in denen von offenem Verhalten abgeraten wird, vgl. Fresne 1859: 18, 89. 232 Dementsprechend betont Linke 1996b: 211, dass die Teilnehmer des gesellschaftlichen Gesprächs „Gesprächsarbeit“ zu leisten, eine „Unterhaltungspflicht“ zu erfüllen und „bürgerliches Arbeitsethos“ zu zeigen hätten. Die Normen des gesellschaftlichen Gesprächs zielten zusammengenommen auf eine „Disziplinierung der Interaktion“ (Linke 1996b: 230). Eine Verschärfung der „Konversationsregeln“ für die bürgerliche „häusliche Geselligkeit“ im 19. Jahrhundert konstatiert gleichfalls Föllmer 2004: 22. 233 Fresne 1859: 108. 234 Fresne 1859: 108. 235 Junker [1887]: 4, vgl. auch 5.

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

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Heuchlerisches“.236 Zweitens rät er eindringlich zu einer Beschränkung der Offenheit in Blick, Mimik und Gestik: [D]och ist es in der Gesellschaft geboten, nicht jede Seelenstimmung zur Schau zu tragen, denn ein Gesicht, das Trauer, Schmerz, Zorn, Verachtung, Eifersucht etc. ausdrückt, zieht nicht an, sondern stößt ab. Die Ausbildung des Blickes, die Herrschaft über Miene und Geberde sind bei eiserner Willenskraft und unermüdlichem Eifer wohl erreichbar237.

Der Autor warnt davor, die tatsächlich vorhandenen Gefühle, auf die der Kommunikationspartner negativ reagieren könnte, deutlich werden zu lassen. Indem er die ,Herrschaft über Miene und Gebärde‘ als notwendig darstellt, pocht er drittens auf mimische und gestische Disziplin. Diese Forderung wird an späterer Stelle präzisiert und auf Sprache ausgedehnt: „Es kann [...] jungen Leuten nicht genug anempfohlen werden, daß sie sich in Gesellschaften mehr als anderswo in acht nehmen und jede Bewegung, jedes Wort, jede Miene und jeden Blick strengstens kontrollieren“.238 Der Verfasser betont zudem wie Fresne das Erfordernis der Rücksichtnahme auf andere, welche auf einer Restriktion von Verhaltensimpulsen beruht: „In der Unterhaltung sei man freundlich und zuvorkommend“.239 Oder: „Jedes Mitglied der Gesellschaft hat berechtigten Anspruch auf seine Höflichkeit und Zuvorkommenheit [die des Kommunikationspartners, J.S.]“.240 Es liegt nahe, eine Erklärung dafür, dass in vielen entsprechenden Quellen eine weniger günstige Einstellung zu Offenheit mit einer deutlich positiven Haltung gegenüber kommunikativer Selbstkontrolle korreliert, in der Funktion der gesellschaftlichen Kommunikation zu sehen, heterogene und miteinander teilweise wenig vertraute Menschen durch Eintracht zu einem weitläufigen sozialen Geflecht zu verbinden. Dass gesellschaftliche Gespräche im 19. Jahrhundert diese Aufgabe haben, arbeitet Angelika Linke heraus: „[V]iele der Verhaltensregeln, die [in den Anstandsbüchern] immer wieder genannt werden, zielen darauf ab bzw. werden darin begründet, dass auf zwanglose Weise möglichst viele Personen in ein Gespräch integriert werden können“.241 Die Integrations- und „Harmonisierungstendenzen“ dienten letztlich dem Bedürfnis

236 237 238 239 240 241

Junker [1887]: 4. Junker [1887]: 5. Junker [1887]: 29. Junker [1887]: 27. Junker [1887]: 28. Linke 1996b: 207.

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insbesondere der bürgerlichen Teilnehmer, sich ein „soziales Netz“242 zu schaffen und es zu erweitern. Während ein kontrollierter und zuvorkommender Umgang miteinander dieser „Vergesellschaftung“243 förderlich ist, gefährdet die ehrliche und deutliche Äußerung von Gefühlen, von Meinungen in politischen oder religiösen Fragen, von Kritik am Gegenüber, von eigenen Fehlern und dergleichen den Neuaufbau vielfältiger Kontakte, Bekanntschaften und anderer eher loser Beziehungen sowie deren Erhalt in relativer Unverbindlichkeit. Allerdings mag die oben angesprochene Etablierung bzw. Trivialisierung des Offenheitsideals ein noch wichtigerer Grund für das gemäßigte bzw. geteilte Urteil sein, das gerade großbürgerlich-aristokratisch ausgerichtete Quellen über Offenheit abgeben: Im Rahmen ihrer Bemühungen, sich von weniger privilegierten (Teil)Klassen abzugrenzen, geraten die bürgerlichen Oberschichten in die Versuchung, sich an die alte aristokratische Abneigung gegen Offenheit anzuschließen. Dass sie dies letzten Endes nicht tun und ihre Zurückhaltung gegenüber Offenheit ein historisches Intermezzo bleibt, deutet darauf hin, dass die Idealisierung von Offenheit nicht in erster Linie durch die Auseinandersetzung gesellschaftlicher Schichten bedingt ist, sondern dass dahinter vorrangig andere Kräfte stehen.

Die Verstärkung des Offenheitsideals im 20. Jahrhundert Nach dem Ersten Weltkrieg rücken kommunikationsreflexive Texte, in denen Offenheit nur verhalten positiv oder skeptisch beurteilt wird, abermals in den Hintergrund. Viele Quellen propagieren Offenheit dagegen in einer Form, die der im zitierten Anstandsbuch von 1804 gewählten ähnelt, und setzen damit diese argumentative Tradition fort. So schließt der Autor einer Verhaltenslehre, die 1941 im nationalsozialistischen Deutschland erscheint, seine kritischen Anmerkungen zum überkommenen Verständnis von Anstand, insbesondere zur ,konventionellen Lüge‘, mit den Worten: Konventionellen Zwang, wie ihn sich früher bestimmte Gesellschaftskreise selbst vorschrieben, brauchen und wollen wir nicht mehr, denn Taktgefühl ist etwas ganz andres, und Herzensbildung kann auf die konventionelle Lüge durchaus verzichten. Setzen wir an die Stelle des überlebten Begriffs liebens-

242 Linke 1996b: 228, vgl. 191–212, 224–230. 243 Linke 1996b: 170.

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

165

würdige Offenheit mit dem bewußten Körnchen Lebensklugheit, dann haben wir das, was uns not tut und einer fortschrittlichen Kulturnation würdig ist244.

Offenheit ist hier so bedeutsam, dass sie – ergänzt um ein wenig Freundlichkeit und Umsicht – die höfliche Täuschung als Kern der allgemein anerkannten Umgangsformen vollständig ersetzen soll: Für denjenigen, der ,Taktgefühl‘ und ,Herzensbildung‘ zeigen möchte, sind nicht gefällige Lügen, sondern offene Äußerungen wesentlich. An ältere diskursive Muster knüpft der Autor auch an, insofern er Offenheit andeutungsweise zum einen als Angelegenheit des ,Herzens‘, zum anderen als Komplement von ,Klugheit‘ darstellt. Seiner Zeit eigentümlich ist demgegenüber das Argument, dass Offenheit in der Gegenwart besonders angebracht sei. Häufiger als im 19. Jahrhundert legitimieren die Autoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre Hochschätzung von Offenheit mit dem Verweis auf die Bedingungen des zeitgenössischen Lebens und grenzen sich gleichzeitig von älteren Normen ab: vom ,konventionellen Zwang, wie ihn sich früher bestimmte Gesellschaftskreise selbst vorschrieben‘. Die erneute Steigerung der Achtung und Beachtung von Offenheit, die um 1920 begonnen hat, setzt sich nach dem Zweiten Weltkrieg fort und wird in den 1970er Jahren diskursiv besonders auffällig. Ein Text, der die außerordentliche Präferenz für Offenheit in dieser Zeit gerade durch seine Absonderlichkeit illustrieren kann, ist „Vertrauen und Offenheit. Wege der Erziehung und Selbsterziehung“, eine 1977 selbstständig erschienene Schrift, die sich als eine Kreuzung von Essay, psychologischem und pädagogischem Ratgeber charakterisieren lässt. Wie schon am Titel ersichtlich bildet ,Offenheit‘ einen ihrer beiden thematischen Schwerpunkte: Friedrich von Gagern, der mit mehreren ,Lebenshilfe‘Büchern publizistisch hervortretende Autor, geht davon aus, dass viele Erwachsene an sich selbst Vertrauen und Offenheit vermissen. Er stellt dem Haupttext einen Brief voran, dessen Verfasser dieses Gefühl beschreibt: „Ich leide [...] unter meiner Verschlossenheit. Sie ist wie eine Mauer, die nicht nur zwischen mir und der Welt steht, sondern sogar zwischen mir und mir selbst“.245 Gagern rät deshalb dazu, Kindern Offenheit beizubringen: „Es ist gut, wenn sich die Erziehenden fragen und Rechenschaft geben, in welcher Atmosphäre ihre Kinder aufwachsen. [...] Erziehen wir zur Offenheit oder zur Verschlossenheit? Wie verhalten wir uns, um das gewünschte Ziel – doch wohl die Offenheit [...] – zu

244 Volkland 1941: 98. 245 Gagern 1977: 10.

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erreichen?“246 Die familiäre Vermittlung von Offenheit setzt dem Autor zufolge allerdings voraus, dass zunächst die Eltern offener werden: Es sei notwendig, „daß die Erziehung der Kinder bei uns Eltern anfängt. [...] Wie lernen wir, aus der Verschlossenheit in die Offenheit zu treten?“247 Auch nach Gagerns Überzeugung ist Offenheit fundamental für den menschlichen Umgang. Zwei Aspekte unterscheiden seine Positivdarstellung dieser allerdings in zeittypischer Weise von den zuletzt zitierten: Er stellt Offenheit erstens nicht als eine der anerkannten Umgangsformen dar, d. h. nicht als gesellschaftliches Erfordernis, sondern als Beitrag zum individuellen Wohlbefinden, als subjektives Bedürfnis also. Zweitens betrachtet er sie nicht als Prinzip, das man, sofern man seine Bedeutung intellektuell erfasst hat, unmittelbar in die Praxis umsetzen kann. Er geht von zwei psychischen Ebenen oder Dimensionen aus (vergleiche Kapitel 2.2), von ,mir und mir selbst‘, und erst wenn eine psychische Dimension sich der anderen geöffnet hat, kann ein Mensch für ihn der ,Welt‘, d. h. anderen Menschen gegenüber offen sein.248 Offene Kommunikation muss deshalb aus Gagerns Sicht geübt werden: „[D]ie schwerste Aufgabe, vielleicht die eigentliche Aufgabe des Lebens ist: das ,Sich-Öffnen‘ zu lernen“.249 Das Erlernen von Offenheit wird bei ihm zur Persönlichkeitsentwicklung, mehr noch: es wird zu einer Lebensaufgabe. Dass die ausgeprägte Wertschätzung von Offenheit bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts nicht abreißt, sei mit Beispielen aus zwei aktuellen Texten veranschaulicht. Der Autor eines Gesprächsratgebers aus dem Jahr 2002 geht so weit, offene Kommunikation als ,höchste Form des Miteinanders‘ zu bezeichnen: Wenn Menschen [...] miteinander wirklich ganz offen, direkt, ohne Scheu und ohne Vorbehalte miteinander [sic] im Kontakt sind, dann kann man es gleichsam ,knistern‘ hören zwischen ihnen. [...] Wenn auch der andere/die anderen diese unmittelbare Nähe zulassen, erleben die Betreffenden ein Gefühl von Freude und Wohligkeit, von Frieden und Glück. Denn eine höhere Form des Miteinanders gibt es nicht250.

Hier wird nicht weniger behauptet, als dass reziproke Offenheit die Beteiligten in einen Ausnahmezustand versetze, ein Hochgefühl in ihnen

246 247 248 249 250

Gagern 1977: 18. Gagern 1977: 42. Vgl. Gagern 1977: 42–47. Gagern 1977: 21. Seifert 2002: 31.

3.2 Offenheit als modernes Kommunikationsideal

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entstehen lasse, wie es sonst als Folge von außergewöhnlicher Verliebtheit oder Drogenkonsum beschrieben wird. Genau wie die Verfasser der beiden zuletzt zitierten Texte sieht der Autor eines Freundschaftsratgebers von 2003 Offenheit als etwas an, das der subjektiven Befindlichkeit der/des Offenen zugute kommt: „Wer sich gute Beziehungen zu anderen wünscht, kann dazu etwas beitragen, indem er am eigenen Kommunikationsstil arbeitet. Dabei kann es helfen, [...] das eigene Gesprächsverhalten einmal unter die Lupe zu nehmen. Was will ich eigentlich sagen? Sage ich klar und offen, was ich meine?“251 Offenheit befördert in diesem Fall allerdings weder die Überwindung einer Abgeschlossenheit von der Umwelt noch einen Zustand der Glückseligkeit, sondern erfüllende Verhältnisse zu anderen Menschen: „Wer wünscht sich das nicht: Ganz offen und ungeschützt mit einem anderen reden können, sich jemanden [sic] ganz anvertrauen und Verständnis finden?“252 In Übereinstimmung mit Gagern betrachtet der Autor die Umsetzung von Offenheit als eine Fähigkeit, die trainiert werden muss. Der Leser erhält entsprechende stichwortartige Handlungsanweisungen: „Lernen, offen von sich selbst zu sprechen“ und „[p]ersönliche Offenheit einüben“.253

Negative, neutrale und zwiespältige Urteile über Offenheit Dass Offenheit vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart hinein ein Kommunikationsideal ist, schließt selbstverständlich nicht aus, dass eine kleinere Zahl von Autoren nicht die Begeisterung für sie teilt, die das Korpus insgesamt reflektiert. In den Quellen aus der Zeit zwischen etwa 1750 und der Gegenwart sind immer wieder einzelne Äußerungen anzutreffen, in denen Offenheit als nicht (sehr) gut, selten als schlecht ausgewiesen wird. Drastische explizite allgemeine Negativbewertungen von Offenheit bzw. weit reichende Gebote, nicht offen zu kommunizieren, werden jedoch durchgängig durch den sie umgebenden Text relativiert. Neutrale und geteilte Urteile durchziehen auch ganze Texte, welche allerdings – jenseits der Dezennien um die Wende zum 20. Jahrhundert – rar sind. Eine der ablehnendsten Haltungen gegenüber Offenheit, die geradezu an höfisch-politische Standpunkte erinnert, manifestiert sich in einem Beziehungsratgeber aus dem Jahr 1981, in dem es hauptsächlich darum

251 Schaible 2003: 82–83. 252 Schaible 2003: 27. 253 Schaible 2003: 40.

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geht, wie man zum Zwecke des eigenen Erfolgs Kontakte, Bekannte und Freunde gewinnt. Der Autor heißt es weder gut, Rezipient ,offenherziger‘ Mitteilungen zu sein, noch, selbst ,Geständnisse‘ abzulegen: Es kann [...] leicht sein, daß sich jemand nach einem Stündchen der Offenherzigkeit ärgert, einen so tiefen Einblick in seine Person erlaubt zu haben. Er ärgert sich dann meist nicht nur über sich, er ärgert sich auch über den Beichtvater. [...] Man sollte nie der Kumpan der schlechten und schwachen Stunden eines Freundes sein, nicht einmal als Zuhörer. Und schon gar nicht sollte man sich für Geständnisse mit eigenen Geständnissen ,revanchieren‘254.

An anderer Stelle wird Offenheit in noch deutlicheren Worten verworfen: „Wenn es Ihnen gleichgültig sein kann, was man morgen über Sie spricht und denkt, dann machen Sie aus Ihrem Herzen keine Mördergrube“.255 Da der Verfasser auch in anderen Abschnitten des Ratgebers von Offenheit und nah verwandten Kommunikationsweisen abrät256 und jene nur in wenigen Äußerungen als sinnvoll anerkennt,257 unterliegt dem Text zwar keine vollkommen negative, aber doch eine zweifelnd-kritische Einstellung zu ihr. Eine derartige Haltung wird im 19., 20. und 21. Jahrhundert in der Regel mit Bezug auf den Begriff der Offenheit, nicht aber mit Bezug auf ihre begrifflichen Gegenstücke formuliert. In diesem Fall beispielsweise werden Bedenken gegenüber ,Offenherzigkeit‘, ,Geständnissen‘ und gegenüber einem ,Herzen‘ artikuliert, das ,keine Mördergrube‘ ist, die Vorzüge von Heimlichkeit, Verbergen, Verstellung, Täuschung usw. werden hingegen nicht ausbuchstabiert – was ja auch denkbar wäre. Dieses Diskursmuster lässt sich dahingehend deuten, dass die Bejahung von Offenheit den diskursiven ,Normalfall‘ bildet, von dem sich alternative Positionen abgrenzen und dem gegenüber sie sich rechtfertigen müssen. Der Durchgang durch drei Jahrhunderte, der in diesem Kapitel unternommen wurde, hat ergeben, dass Offenheit von etwa Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die Gegenwart mit variierender Stärke ein Kommunikationsideal ist. Stellt man sich die diachrone Wertschätzung von Offenheit als Graphen vor (Wertschätzung auf der vertikalen Achse, Zeit auf der horizontalen Achse), verliefe dieser wellenförmig. Der Graph

254 Bierach 1981: 57. 255 Bierach 1981: 70. Die Bedeutung der idiomatischen Wendung „aus seinem [Herz]-en keine Mördergrube machen“ kann mit „offen aussprechen, was man denkt u.[nd] fühlt“ umschrieben werden (Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1977/1999: 4. Bd.: 1776–1777, hier 1777). 256 Vgl. insbesondere Bierach 1981: 56, 140–142. 257 Vgl. vor allem Bierach 1981: 84, 127.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

169

befände sich seit ca. 1750 durchgängig auf hohem Niveau, wiese aber in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Senkung auf. Offenheit verliert zwar über Jahrhunderte hinweg ihren Status als Kommunikationsideal nicht; wie sich im Folgenden zeigt, wird die Konstanz des Offenheitsideals aber von einem umfassenden Wandel seines Kontextes flankiert.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot Viele der untersuchten Texte enthalten Aussagen darüber, wem gegenüber, wann und wo man offen kommunizieren soll, wem gegenüber, wann und wo dagegen nicht. Sie formulieren situationsspezifische Normen für die Realisierung individueller Offenheit. Dass alle Normen für deren Umsetzung in kommunikationsreflexiven Schriften thematisiert werden, ist nicht anzunehmen, doch kann man davon ausgehen, dass ein Autor eine solche Norm kodifiziert, wenn sie/er synchron zwischen Norm und Praxis (der Praxis, die der Autor im sozialen Umfeld beobachtet, und/ oder der Praxis, die der Autor den intendierten Lesern unterstellt) eine relevante Diskrepanz erkennt. Besonders wahrscheinlich ist dies, wenn die Norm sich diachron wandelt, weshalb sich gerade die historischen Veränderungen der Normen rekonstruieren lassen. Sprachlich treten diese Normen in den Quellen oft in Gestalt von Empfehlungen, Forderungen, Ermahnungen und Warnungen auf, allerdings werden sie nicht immer präskriptiv formuliert. Es gibt Textstellen, die dem Wortlaut nach deskriptiv sind und dennoch normativen Charakter haben, z. B.: „Enge Freunde reden offen miteinander“.258 Dass dieser Satz ein Sollen und kein Sein ausdrückt, lässt sich nur unter Berücksichtigung der Textsorte (es handelt sich um einen Freundschaftsratgeber) sowie des Kotextes erschließen (in ihm wird erklärt, wie man einer Freundschaft angemessen kommuniziert). Bei der Analyse der Quellen reicht es folglich nicht aus, die Illokutionsindikatoren des einzelnen Satzes oder Abschnitts zu beachten, vielmehr müssen die Textsorte und der Kotext jeweils mit bedacht werden. Zahlreiche situationsspezifische Normen für die Realisierung von Offenheit lassen sich mit dem Konzept der ,Domäne‘ gut beschreiben. Unter einer ,Domäne‘ verstehe ich in Anlehnung an Joshua Fishman eine

258 Ryborz 1991: 213.

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3 Offenheit als Ideal

Klasse von Kommunikationssituationen, in denen zwischen den Kommunizierenden die gleiche oder eine sehr ähnliche Beziehung besteht, deren örtlicher und zeitlicher Rahmen sich oft ähnelt und die häufig auch eine Präferenz für einen Themenbereich gemeinsam haben.259 Selbstverständlich finden sich zu jedem Zeitpunkt unterschiedliche Ansichten darüber, ob Offenheit in einer Domäne geboten, nicht geboten, aber möglich, oder verboten ist. Trotz der Existenz gegenläufiger Auffassungen zeichnet sich für viele Domänen eine eindeutige Verteilung jener ab. So lassen sich die Domänen, in denen Offenheit gemäß den meisten Quellenverfassern umgesetzt werden soll, von denen unterscheiden, für die dies nicht gilt. Die Menge der Domänen, in denen Offenheit geboten ist, d. h. all die Klassen ähnlicher Kommunikationssituationen, in denen Offenheit unbedingt oder zumindest eher realisiert werden soll, könnte man ,Gebotsbereich‘ nennen; vom ,Verbotsbereich‘ könnte man sprechen, wenn man die Domänen meint, in denen Offenheit verboten ist, also auf keinen Fall oder zumindest eher nicht angewandt werden soll; als ,Indifferenzbereich‘ ließe sich schließlich die Menge der Domänen bezeichnen, in denen Offenheit weder ge- noch verboten ist: Gebotsbereich

Indifferenzbereich

Verbotsbereich

Domänen, in denen Offenheit geboten ist

Domänen, in denen Offenheit weder ge- noch verboten ist

Domänen, in denen Offenheit verboten ist

Während sich der Offenheitsbegriff und das Offenheitsideal in Kapitel 2.2 und 3.2 als relativ konstant erwiesen haben, ist über die Jahrhunderte hinweg ein drastischer Wandel des Verhältnisses zwischen dem Gebots-, Indifferenz- und Verbotsbereich von Offenheit festzustellen. Wenn er in diesem Kapitel, der Perspektive der Studie entsprechend, fokussiert auf den Gebotsbereich dargestellt wird, soll damit nicht der

259 Vgl. Fishman 1965: 72–77. Fishman entwirft sein Konzept der Domäne zur Erfassung von „patterns of language choice in multilingual settings“ (Fishman 1965: 78). Er begreift „domains“ als „major clusters of interaction situations that occur in particular multilingual settings“ (Fishman 1965: 73) und spezifiziert dieses Verständnis so: „[D]omain is a socio-cultural construct abstracted from topics of communication, relationships between communicators, and locales of communication, in accord with the institutions of a society and the spheres of activity of a culture“ (Fishman 1965: 75). In einer tabellarischen Übersicht über „Yiddish-English Maintenance and Shift in the United States: 1940–1960“ listet er „Family“, „Friends“, „Acquaintances“, „Mass Media“, „Jewish Organizations“ und „Occupations“ als Domänen auf (Fishman 1965: 81).

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

171

Eindruck erweckt werden, die situative Unangemessenheit offener Äußerungen würde in den Quellen nicht reflektiert; die Veränderungen ließen sich im Gegenteil analog als Geschichte der Offenheitsverbote erzählen. Wie ich im Folgenden genauer ausführen möchte, wird Offenheit schon im 17. Jahrhundert gegenüber Gott und den Vertretern der drei klassischen Professionen – Geistlichen, Medizinern und Juristen – gefordert. Seit dem 18. Jahrhundert gilt es außerdem als wünschenswert, in der Auseinandersetzung mit sich selbst sowie in der Freundschaft offen zu sein. Noch vor der Wende zum 19. Jahrhundert weitet sich das Offenheitsgebot auf die Liebesbeziehung, Ehe sowie Familie aus und bezieht zudem die institutionalisierte Geselligkeit ein, von der aus es auch für das Staatsleben gültig wird. Im 20. Jahrhundert ragt der Gebotsbereich von Offenheit schließlich bis in die Domäne des Berufslebens hinein. Indessen wird bis heute nicht empfohlen, in den Massenmedien offen zu kommunizieren.

Offenheit gegenüber Gott und den Vertretern der drei klassischen Professionen (bereits im 17. Jahrhundert) Christian Georg von Bessel gibt den Lesern seines „Neuen Politischen Glücks-Schmiedes“ (1681/1691) folgenden Rat: In Glaubens-Sachen aber muß man die Simulation und Dissimulation gantz bey seit setzen / dann / [...] mit GOtt lässet sichs übel vermaßquerirt oder vermummet handeln / als der / teste Scriptura S. [gemäß der Heiligen Schrift, J.S.] in das Innerste siehet / und sich durch die Larven nicht verführen oder betriegen lässet / sondern [...] ist ihm die Auffrichtigkeit angenehm / und [er] lässet sich [...] nicht teuschen / wie man einem Menschen wohl zu thun pfleget260.

Bessels Aufforderung, sich Gott gegenüber nicht zu verstellen und ihm nichts zu verbergen, steht in auffälligem Gegensatz zu seiner Befürwortung von Simulation und Dissimulation im Umgang mit Menschen.261 Aus seiner Sicht unterscheiden sich die Normen für das Verhalten gegenüber Gott kategorisch von denen für das Handeln in der profanen Welt. Bessel begründet seinen indirekten Aufruf zu ,Aufrichtigkeit‘ im Verhältnis zu Gott damit, dass diese göttliches Wohlgefallen errege und jeder Versuch zu verheimlichen, zu verschleiern, zu lügen bei Gott ohnehin vergeblich sei: Gott blicke hinter jede ,Maske‘, ,Vermummung‘ und 260 Bessel 1681/1691: 370–371. 261 Vgl. auch und gerade Bessel 1681/1691: 359–360.

172

3 Offenheit als Ideal

,Larve‘, wie der Autor mithilfe zeittypischer Metaphern der theatralen Kostümierung beschreibt. Er legt seinen Lesern folglich eine spezielle Form der Offenheit gegenüber Gott nahe: freiwillige, vorsätzliche, forcierte Offenheit. Anweisungen wie diese werden in Texten aus dem 17. und 18. Jahrhundert gelegentlich gegeben. Obwohl sich für das 19. und 20. Jahrhundert kaum noch vergleichbare Belege finden lassen, ist anzunehmen, dass die Norm bestehen bleibt. Dem Bedeutungsverlust der christlichen Religion im alltäglichen Leben entsprechend verliert sie aber offensichtlich an Relevanz – für die untersuchten Textklassen wenigstens. Man kann begründet vermuten, dass Offenheit auch in der Interaktion mit Geistlichen, Medizinern und Juristen schon vor dem 18. Jahrhundert erwünscht ist. Dass das Korpus hier wenig deutlich spricht, könnte dadurch verursacht sein, dass die Quellenautoren zu keinem Zeitpunkt des Untersuchungszeitraums eine wesentliche Divergenz zwischen Norm und Praxis beobachten oder unterstellen. Dass sich Mandanten, Patienten und Gläubige gegenüber ihrem Anwalt, Arzt bzw. Pfarrer offen äußern sollen, lässt sich lediglich aus einzelnen neueren Textstellen wie der folgenden ableiten, die aus Carl Friedrich von Rumohrs „Schule der Höflichkeit“ (1834) stammt und das Verhältnis der „praktischen, oder uneigentlichen Gelehrten“262 zu ihren Klienten betrifft: Den Juristen führet sein Geschäft tief in das Innere der Familienverhältnisse. Früher, als jeder Andere, entdeckt er häusliche Zerrüttungen; die Keime bedrohlicher Rechtsstreitigkeiten; Fehltritte und Vergehungen [...]. Was ihm entgangen, holet der Arzt nach. Um deren krankhafte Nachwehen richtiger abzuleiten, erspähet er frühere Unordnungen und Versehen seines Patienten; um seinen gegenwärtigen Krankheitsstand zu beurtheilen, sucht er den Schweiß, den Abgang und alles Uebrige herauszulugen, zu horchen, und auf alle Weise zu erkunden. Allein noch immer behält der Mensch von seinem Daseyn doch irgend Etwas für sich selbst [...]. Doch schmeichle er sich nicht, dieses privative Eigenthum [...] auf lange zu behalten. Denn schon klopft der Theologus an seine Thüre, um lebend oder sterbend, auch dieses letzte Geheimniß ihm zu entreißen263.

Der Autor schildert auf humoristisch überspitzte Weise, wie sich Juristen, Mediziner und Geistliche Zugang zu persönlichen Informationen ihrer Klienten verschaffen, die diese lieber nicht preisgäben. Daraus lässt sich schließen, dass sie jene für eine gelingende Ausübung ihres Berufes benötigen, dass die ehrliche und unverhüllte Mitteilung der erforderlichen

262 Rumohr (Hrsg.) 1834: 1. Bd.: 117. 263 Rumohr (Hrsg.) 1834: 1. Bd.: 117–118.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

173

persönlichen Informationen den Erfolg ihrer Arbeit begünstigen würde und ihnen gegenüber mithin angezeigt ist. Da sich der Arbeitsalltag der ,praktischen ... Gelehrten‘ in seiner kommunikativen Grundkonstellation jahrhundertelang kaum verändert hat, ist stark anzunehmen, dass Offenheit ihnen gegenüber schon vor Beginn des Untersuchungszeitraumes die Idealnorm gewesen ist (dass Offenheit gegenüber dem Geistlichen traditionell in der Beichte erwartet wird, kommt ergänzend in Kapitel 4.1 zur Sprache). Das Offenheitsgebot für die Interaktion zwischen Klient und Pfarrer, Arzt bzw. Anwalt weist wie dasjenige für die Beziehung zwischen Mensch und Gott eine strukturelle Besonderheit auf: Es richtet sich lediglich an eine der beteiligten Parteien. Mehr noch als diese Beschränkung offenbart der Umstand, dass Offenheit ausgerechnet gegenüber Gott und seinen irdischen Sachverwaltern als sinnvoll gilt, den exzeptionellen Charakter der Offenheitsgebote vor dem 18. Jahrhundert.

Offenheit gegenüber sich selbst, Offenheit in der Freundschaft (seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts) Vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart wird an den Leser appelliert, sich selbst gegenüber offen zu sein. Wenn die Appelle im Lauf der Zeit auch unterschiedliche inhaltliche Aspekte akzentuieren und in verschiedenen sprachlichen Formen auftreten, zielen sie doch im Wesentlichen immer darauf, dass die/der Einzelne sich unliebsame Wahrheiten ohne Beschönigung eingesteht. Insofern ist zu erwägen, ob sie die Mahnungen zu Offenheit in der Hinwendung zu Gott zumindest teilweise ersetzen. Repräsentativ für das 18. Jahrhundert ist eine Textstelle aus dem „Redlichen“ (1751), in dessen ersten Stücken die Eigenschaft der ,Redlichkeit‘ erläutert wird, deren Förderung Programm dieser moralischen Wochenschrift ist. Im ersten Stück wird die propagierte „Redlichkeit“ als „edle und wahre Offenherzigkeit“264 definiert, gemäß dem zweiten Stück beinhaltet sie Offenheit gegenüber sich selbst: „[Ein Redlicher] wird [...] des besten Weges um so weniger verfehlen, je weniger er sich selbst zu schmeicheln fähig ist; er geht aufrichtig mit sich selbst um; er kennt sich: und dieses sind Eigenschaften wahrer Weisen“.265 Man soll, mit anderen

264 [Anonym.] 1751c: 12. Der ganze Satz lautet: „Aus diesen zwo Quellen, der ächten Einfalt und Liebe des Nächsten entstehet eine edle und wahre Offenherzigkeit gegen den Nächsten; und dieses ist es, was wir Redlichkeit nennen“. 265 [Anonym.] 1751b: 21.

174

3 Offenheit als Ideal

Worten, auch problematische Seiten seiner selbst anerkennen und in diesem Sinne offen und ehrlich mit sich selbst sein. Man könnte annehmen, dass der Aufruf, sich selbst gegenüber offen zu sein, gerade mit Bezug auf das Tagebuch erfolgte, einer seit dem 18. Jahrhundert bedeutsamen Textsorte der Selbstreflexion.266 Die verwendeten Quellen gehen allerdings nur selten auf das Tagebuch ein. Eine der wenigen Ausnahmen bildet das Buch „Ueber Selbstkunde, Menschenkenntniß und den Umgang mit Menschen“ aus dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts, dessen Autor, der Jurist und Schriftsteller Carl Nicolai, seine Adressaten im Kapitel „Kenntniß seiner selbst“267 zu innerer Offenheit anhält: „Nicht minder wichtig [als sich ein Vorbild zu nehmen, J.S.268] ist die Aufrichtigkeit gegen sich selbst“.269 Um die Regelmäßigkeit der offenen Auseinandersetzung mit sich selbst zu gewährleisten, „[u]m die Aufmerksamkeit auf uns selbst, und die daraus herfließende Aufrichtigkeit gegen uns selbst zu einer unbemerkten Gewöhnung zu machen“, empfiehlt Nicolai, ein „Tagebuch über uns selbst [...] zu führen“.270 Er stellt sich dieses Tagebuch als Ort einer Selbstthematisierung vor, die das Eingeständnis von Verfehlungen umfasst: Ein solches Tagebuch muß nicht sowohl eine Postille, eine Chronik der Begebenheiten des vergangenen Tages, ein Zeitungsblatt sein, als vielmehr eine Auseinandersetzung dessen, was wir bei unsern kleinen Begebenheiten dachten, empfanden, wie wir uns benahmen, und welche Folgen davon wir entweder schon hatten, oder noch erwarten. Fanden wir uns nun dabei auf Leichtsinn, Unanständigkeit, unrichtiger Behandlung anderer Leidenschaft, und überhaupt auf linkischem Betragen, so müssen wir das getreulich niederschreiben. Das will man denn nun freilich nicht gern, aber es muß geschehen, wenn der gute Zweck nicht verfehlt werden soll271.

Dass so selten zur offenen Selbstkonfrontation im Tagebuch geraten wird, kann dadurch bedingt sein, dass die Autoren kommunikationsreflexiver Texte eine allgemeine Empfehlung als ausreichend erachten und keinen Anlass sehen, diese für das Tagebuch zu spezifizieren. Alternativ dazu ist denkbar, dass das Gebot, sich selbst gegenüber offen zu sein, gar nicht uneingeschränkt für das Tagebuch gilt – weil Tagebücher als schriftliche

266 Zum Tagebuch als Textsorte der Selbstreflexion vgl. allgemein Hahn 1987: 12, für das 18. Jahrhundert Koschorke 1999: 183, 243 und Reinlein 2003: 54, für das 19. Jahrhundert Gay 1995/1997: 390, 416–437, für die „Moderne“ Schroer 2006: 51–52. 267 Nicolai 1816/1818: 2. 268 Vgl. Nicolai 1816/1818: 9–12. 269 Nicolai 1816/1818: 12. 270 Nicolai 1816/1818: 13. 271 Nicolai 1816/1818: 14–15.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

175

Texte wahrgenommen werden, welche die Gefahr bergen, von Unbefugten gelesen zu werden, oder insofern das Tagebuch als Textsorte nicht primär der Selbsterkenntnis, sondern vorrangig etwa der Überlieferung biographischer Informationen an die Nachwelt aufgefasst wird.272 Die Norm innerer Offenheit wird im 20. Jahrhundert häufiger verbalisiert als zuvor und rückt dabei zunehmend aus moralischen in identitätsreflexive Zusammenhänge. In einer charakteristischen Gestalt zeigt sich ihre Verbindung mit dem Nachdenken über die persönliche Identität in dem bekannten Kommunikationslehrbuch und -ratgeber „Miteinander reden“ (1981) von Friedemann Schulz von Thun: Das antike ,Erkenne dich selbst‘ erscheint uns auch in der modernen Psychologie als letzte Weisheit. Selbstoffenbarung in diesem Sinne (des Sich-selbst-offenbar-Seins) bedeutet, sich selbst nichts vorzumachen und hellhörig zu werden für die eigene Innenwelt. Dies ist nicht mit einem einfachen Vorsatz getan. Die Antwort auf die Frage ,Wer bin ich?‘ braucht Nachforschung bis zum letzten Augenblick273.

Schulz von Thun betrachtet den Imperativ der Offenheit sich selbst gegenüber als ,Weisheit‘, er erkennt ihn also als hilfreichen Leitsatz an. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich unter dem Einfluss der Psychoanalyse die Annahme unterschiedlicher Bewusstseinsschichten durchgesetzt hat, stellt er Selbstoffenheit allerdings – anders als die Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts – als ein verhältnismäßig kompliziertes Unterfangen dar, das der kontinuierlichen Beschäftigung mit dem eigenen Inneren bedarf. Parallel zur Entwicklung des Offenheitsideals in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ermuntern die Autoren kommunikationsnormativer Schriften ihr Publikum immer öfter und deutlicher dazu, im Umgang mit einem Freund, dem für die damalige Zeit idealtypischen Vertrauten, die traditionellen höfisch-politischen Normen zu ignorieren und offen zu kommunizieren274 – sei es im Gespräch, sei es in Briefen.275 Bereits Christian Thomasius stellt die Freundschaft im „Kurtzen Entwurff der

272 Zu den verschiedenen Textfunktionen, die der Textsorte des Tagebuchs im Untersuchungszeitraum zukommen, vgl. Polenz 1999: 3. Bd.: 54. 273 Schulz von Thun 1981: 116. 274 In einigen Forschungsbeiträgen wird beiläufig darauf hingewiesen, dass im 18. Jahrhundert in Freundschaften Offenheit angestrebt wird: vgl. Kluckhohn 1922/1966: 181, Rasch 1936: 95, Schmölders 1979/1986: 48, Pikulik 1984: 246, Giddens 1990/1995: 149, Jäger 1990: 72. 275 Zum Brief als Textsorte der Selbstreflexion und persönlicher Mitteilungen vgl. für das 18. Jahrhundert Koschorke 1999: 177, 183, 213–214, 217 und Reinlein 2003: 54, für das 19. Jahrhundert Gay 1995/1997: 390, 392–416.

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3 Offenheit als Ideal

Politischen Klugheit“ (1705/1707) als eine Domäne dar, für die besondere kommunikative Normen gelten. Für die Unterhaltung unter Vertrauten, die „vertraute Conversation“, legt er fest: Die „Art und der Zweck der Ersten [der vertrauten Conversation] [erfodert] / daß man sich etwas freyer und vertrauter auffführen müsse / weil sonst zwischen derselben und der täglichen Conversation kein Unterscheid seyn würde“.276 Noch eindeutiger bezieht sich die Zusammenfassung des entsprechenden Paragraphen auf die freundschaftliche Interaktion: „Conversation mit Special-Freunden hat mehr Vertraulichkeit als tägliche Conversation“.277 Dass Thomasius, wenn er von ,freien‘, ,vertrauten‘ und ,Vertraulichkeit‘ aufweisenden Gesprächen spricht, an einen Austausch denkt, der auf Vertrauen basiert und ausgehend davon durch die offene Mitteilung von Gedanken und Empfindungen gekennzeichnet ist, lässt sich einer späteren Erläuterung des Begriffs ,Vertraulichkeit‘ entnehmen: „Wie nun Vertrauligkeit insgemein aus einer sonderbahren / auch wohl allzugrossen Zuversicht entstehet / also erwecket sie auch eine sonderbahre oder allzugrosse Offenhertzigkeit / daß keiner vor dem andern etwas geheim hält / sondern frey heraus saget / was er dencket / und wie es ihm ums Hertze ist“.278 Wie die Formulierung andeutet, dass ,Vertraulichkeit‘ eine ,allzu große Offenherzigkeit‘ hervorbringen könne, ist Thomasius bei seiner Aufforderung zu Offenheit unter Freunden noch ängstlich darauf bedacht, seine Rezipienten vor einer zu starken Ausprägung dieser zu bewahren: „Doch darff man auch hier [in der vertrauten Conversation] nicht sein gantzes Hertz ausschütten. [...] Allzugrosse Vertrauligkeit [...] würde zeigen / daß man die Klugheit nicht beobachte“.279 Die verlangte Begrenzung von Offenheit auch in der Freundschaft begründet er – Baltasar Gracián nahezu wörtlich folgend280 – mit dem Topos der Instabilität von Freundschaften: Weil aber [...] ein Freund in höchster Vollkommenheit auff der Welt nicht zufinden noch zuhoffen sey / so hat ein kluger Mann auch in vertraulicher Conversation das Sprichwort zubeobachten: Traue / aber schaue wem. Das ist / er trauet wohl / aber nicht allzuviel / daß diejenigen die er vor Freunde hält / wenn sie dermahleins seine Feinde werden solten / ihme dadurch nicht schaden können281.

276 277 278 279 280 281

Thomasius 1705/1707: 155. Thomasius 1705/1707: 140. Thomasius 1705/1707: 156. Thomasius 1705/1707: 155. Vgl. Gracián [y Morales] 1647/2006: 174. Thomasius 1705/1707: 157.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

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Wie Thomasius halten viele Autoren der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor einer offenen Äußerung ein genaues Abwägen, eine kritische Prüfung des Kommunikationspartners für unbedingt notwendig. Viel vorbehaltloser als Thomasius ruft der Autor mit dem Pseudonym ,Arist‘ Freunde im 45. Stück der moralischen Wochenschrift „Der Freund“ in den 1750er Jahren dazu auf, offen miteinander umzugehen: „Ein zärtlicher Freund weiß, daß das Herz seines Freundes die sicherste Zuflucht für das seinige ist. Mit Freuden eröfnet auch er [Letzterer, J.S.] sein eigenes Herz seinem Freunde“.282 Durch die deskriptive Formulierung darf man sich nicht täuschen lassen: Der Autor beschreibt hier sein Freundschaftsideal.283 Dass Offenheit in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunehmend als unentbehrlich für eine Freundschaft gilt, muss vor dem Hintergrund der damaligen Veränderungen dieses Beziehungstyps betrachtet werden. Es ist bekannt, dass sich in der Aufklärung, insbesondere in der Mitte des Jahrhunderts, in literarischen und nichtliterarischen Texten vor allem bürgerlicher Autoren ein neuartiges Konzept von Freundschaft herauskristallisiert, welches bis in die Gegenwart dominiert: Neuartig ist daran zum einen die große Bedeutung, die dieser nicht-verwandtschaftlichen, freiwilligen, nicht-erotischen Beziehung beigemessen wird. Die damit verbundene Aufwertung von Freundschaft zu einem der wichtigsten Nähebeziehungstypen wird in der Forschungsliteratur immer wieder auf den Begriff des „Freundschaftskultes“284 gebracht. Zum anderen wird Freundschaft personenbezogener und dadurch auch emotionaler konzipiert:285 Eine Freundschaft ist im Idealfall in der Einzigartigkeit zweier Menschen begründet, sie greift die Eigentümlichkeiten dieser beiden Individuen auf. Dies bedeutet zugleich, dass die Beteiligten füreinander unersetzbar sind und zwischen ihnen eine enge gefühlsmäßige Bindung besteht. Freunde können somit nicht mehr ohne Weiteres zu Feinden werden, wie es Thomasius noch für möglich hält. Als geeignetstes Mittel, um persönliche Besonderheiten in eine Freundschaft einzubringen und die emotionale Verbundenheit mit dem Freund

282 Arist [1754–1756]/1773a: 621–622. 283 Zur Bedeutung des Ausdrucks ,sein Herz eröffnen‘ vgl. die Angaben in Kapitel 3.2. 284 Bei Rasch 1936 ist bereits im Titel von einem „Freundschaftskult“ die Rede. Das Stichwort fällt auch bei Luhmann 1982/1994: 147, Pikulik 1984: 297, Jäger 1990: 72, Koschorke 1999: 238. Kluckhohn 1922/1966: 181 spricht von „leidenschaftlichem Freundschaftsenthusiasmus“. Zur Aufwertung der Freundschaft im 18. Jahrhundert vgl. auch Giddens 1990/1995: 149, Montandon 1991: 13–14, Voigts 1995: 120, Hermand 2006: 11. 285 Vgl. Rasch 1936: 80, Tenbruck 1964: 437, Giddens 1990/1995: 149, Jäger 1990: 71–72.

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3 Offenheit als Ideal

zu stärken, gilt Kommunikation, vornehmlich sprachliche Kommunikation. So ist Freundschaft nach dem neuen Konzept ein Beziehungstyp, dessen optimale Ausprägung eines intensiven – und ergo offenen – kommunikativen Austausches bedarf (vergleiche Kapitel 4.1). Voll entfaltet erscheint das Gebot der Offenheit in der Freundschaft im späten 18. Jahrhundert in der berühmten Umgangslehre „Über den Umgang mit Menschen“. Adolph von Knigge ist der Ansicht, dass „Freundschaft uns zu völliger Offenherzigkeit verpflichtet“.286 Für ihn steht außer Frage, dass für die Freundschaft andere Normen gelten als für das ,gemeine Leben‘, dass in ihr Vertrauen und Offenherzigkeit angebracht sind: „Aus dem Umgange mit Freunden muß alle Verstellung verbannt sein. Da soll alle falsche Scham, da soll aller Zwang, den Konvenienz, übertriebene Gefälligkeit und Mißtrauen im gemeinen Leben auflegen, wegfallen. Zutraun und Aufrichtigkeit müssen unter innigen Freunden herrschen“.287 Die Anstandsbücher und Kommunikationsratgeber des 19. Jahrhunderts folgen den Vorgaben des 18. Jahrhunderts. Mit dem „Anstandsbüchlein für das Volk“ von 1894 lässt sich dies besonders gut illustrieren, da es nicht nur die Kernaussage Adolph von Knigges und seiner Zeitgenossen wiederholt, sondern sogar den Knigge’schen Wortlaut kaum verändert wiedergibt: „Aus dem Umgang mit Freunden sei alle Verstellung verbannt; unter intimen Freunden muß [sic] Zutrauen und Aufrichtigkeit herrschen. Ebenso falle jede Schmeichelei weg, man muß das Herz haben, die Wahrheit zu sagen und anzuhören, auch dann, wenn diese Wahrheit hart und bitter ist“.288 Die Gedankenfigur, dass Freunde, zumal ,enge‘, ,gute‘, ,wahre‘ Freunde, offen zueinander sein müssten, lässt sich mühelos bis in die Gegenwart verfolgen: Wird man nach seiner Meinung gefragt, gilt es zu unterscheiden, ob der andere ein eventuell ungünstiges Urteil wirklich hören möchte. Häufig dienen solche Fragen lediglich der Selbstbestätigung. Hier wiederum unterscheiden sich Bekannte von Freunden. Einem guten Freund die wahren Ansichten verhehlen [sic] käme einem Vertrauensbruch gleich289.

286 287 288 289

Knigge 1788/1790/1977: 342. Knigge 1788/1790/1977: 215. Vogt (Hrsg.) 1894: 62–63. Trifels 1974: 98.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

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Den Lesern des „Guten Tons heute“ (1974) wird im Kapitel „Kritik am rechten Platz“290 ans Herz gelegt, einem Freund Unangenehmes (ein ,ungünstiges Urteil‘) ehrlich (,wahr‘) und unkaschiert zu sagen (es nicht zu ,verhehlen‘). Wie der 1991 erschienene Freundschaftsratgeber bestätigt, aus dem die eingangs zitierte Textstelle – „Enge Freunde reden offen miteinander“291 – stammt, bezieht sich die Aufforderung zu freundschaftlicher Offenheit im gesamten Untersuchungszeitraum am häufigsten auf die Mitteilung von (abweichenden) Meinungen und Kritik am Freund wie auch auf Empfindungen aller Art, auf Probleme und Schwierigkeiten: In der engen Freundschaft können Sie sich dem anderen mitteilen, ohne Angst zu haben, sich zu blamieren. Sie können Ihre Gefühle zeigen und Gedanken offen äußern. [...] Sie können über Ärger sprechen, den Sie erlebt haben, oder über freudige Erlebnisse. [...] Offenheit im Umgang mit Freunden erfordert aber auch, sich unumwunden auszusprechen, wenn eine Mißstimmung eingetreten ist292.

Offenheit in der Liebesbeziehung, Ehe und Familie (seit dem Ende des 18. Jahrhunderts) In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstehen Entwürfe von Liebe und Ehe, die einige Gemeinsamkeiten mit dem skizzierten neuen Konzept von Freundschaft aufweisen. Insbesondere in empfindsamen Texten tritt der Gedanke hervor, dass eine Liebesbeziehung (hier allgemein als eine nicht-verwandtschaftliche, freiwillige Nähebeziehung verstanden, die auch durch sexuelles Begehren bestimmt ist) im geschilderten Sinn freundschaftlich sein soll:293 Sie wird als Beziehung gedacht, die optimalerweise zwischen zwei einzigartigen, füreinander unersetzbaren Persönlichkeiten besteht und auf den Gefühlen dieser Menschen füreinander basiert; erotische Anziehung spielt dagegen nur im Hintergrund eine Rolle.294 Die Verhaltensanforderungen, die sich aus dem neuen Konzept von Freundschaft ergeben, werden mithin auf die Liebesbeziehung

290 291 292 293

Trifels 1974: 98. Ryborz 1991: 213. Ryborz 1991: 213–214. Darauf, dass Freundschaft und Liebe in der Empfindsamkeit als sehr ähnliche Beziehungstypen aufgefasst werden, machen Kluckhohn 1922/1966: 190 und Saße 1994: 106 aufmerksam. 294 Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 150, 190, Luhmann 1982/1994: 55, 102, Leupold 1983: 306, Jäger 1990: 72, Titzmann 1990: 143, Saße 1994: 106, Koschorke 1999: 22–24, 26.

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3 Offenheit als Ideal

und – wenn eine Liebesbeziehung als Fundament der Ehe angesehen wird – ebenso auf die Ehe übertragen. So dehnt sich auch das Gebot offener Kommunikation von der freundschaftlichen auf die Liebesbeziehung und teilweise auf die Ehe aus. Sichtbar wird diese Übertragung im eben zitierten 45. Stück des „Freundes“, gemäß dem ,zärtliche‘ Freunde offen miteinander umgehen: „Alles, was ich von der Zärtlichkeit in der Freundschaft gesagt habe, gilt auch von der Zärtlichkeit in der Liebe“.295 Dass der Text empfindsam geprägt ist, signalisiert das Stichwort ,Zärtlichkeit‘, welche als Lieblingsausdruck und -begriff der Empfindsamen einem sprachlichen Trigger gleichkommt, der die Textstelle dieser geistig-literarischen Bewegung zuordnet. Die Ansicht, dass Liebende sich einander in Gesprächen und Briefen öffnen sollen, manifestiert sich im Lauf der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts textuell mit zunehmender Frequenz und Intensität. Johann Gottfried Herders Erwartung, dass Liebende einander offen begegnen, ist bereits so stark, dass er im empfindsamen Briefwechsel mit seiner späteren Frau Caroline Flachsland deren vermeintliche Zurückhaltung als Zeichen schwindender Liebe auffasst. Am 02.10.1770 schreibt er ihr: [L]iebten Sie mich noch [...]! o so hätte ich von Ihnen etwas anders verdient: Ihr beunruhigtes Herz würde geeilt haben, sich in meinen Busen auszuschütten! Ihre Ängstlichkeiten, Besorgniße und Verdruß mir treumeinend mitzutheilen! zu sagen: Sie mein H[erder], das ist mir begegnet! das kränkt mein Herz! [...] Aber Nichts von Allem! Ihr ganzer Brief ist hart, ist verschloßen, ist mit seiner Verschloßenheit peinigender als mit einem Ausbruch von Vorwürfen und Erniedrigungen!296

Das empfindsam inspirierte Konzept der freundschaftlichen Liebesbeziehung wird im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts vor allem in Texten radikalisiert, die vom Sturm und Drang angeregt sind: In einer Liebesbeziehung sind heftige, leidenschaftliche Gefühle nun erlaubt oder sogar erwünscht.297 Zugleich wird sexuellen Interessen ein größerer Stellenwert eingeräumt als bisher.298 Die Frühromantiker schließlich bilden diese Ansätze zu einem neuen Modell von Liebesbeziehung aus: Danach sind in einer idealen Liebesbeziehung ausgeprägte körperliche und geistig-seelische Zuneigung untrennbar miteinander verbunden.299 Die Lie-

295 296 297 298 299

Arist [1754–1756]/1773a: 622. Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 78–79. Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 208, Titzmann 1990: 162–163. Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 210–211, Luhmann 1982/1994: 147. Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 361–362, 429, 606–607, Luhmann 1982/1994: 53, Frevert 1986: 59.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

181

benden werden als unverwechselbare Individuen gedacht, die gemeinsam in gegenseitiger Ergänzung eine neue Einheit bilden,300 wodurch Liebe als bildende, entwicklungsfördernde Kraft gedeutet wird, die den Blick und Bezug der liebenden Individuen auf die Welt verändert.301 Dem Modell unterliegt die Annahme, dass die Vermittlung der Einzigartigkeit der Beteiligten und deren Annäherung an eine geistig-seelische Einheit durch eine intensive kommunikative Auseinandersetzung möglich sind, weshalb von den Liebespartnern Offenheit erwartet wird.302 Die Frühromantiker konzipieren eine Liebesbeziehung zudem als dauerhaft und damit als zwangsläufig auf eine Ehe hin angelegt;303 sie betrachten jene als (quasi)religiös.304 Als Entwurf dieses (früh)romantischen Konzepts lässt sich Friedrich Schlegels Roman „Lucinde“ (1799) lesen, der die Liebe zwischen den Figuren Julius und Lucinde schildert. Nach einer Phase der Annäherung bittet Julius Lucinde „um alles, was man eine Geliebte bitten kann“.305 Lucinde, so heißt es anschließend, konnte keinen Entschluß fassen, und überließ es nur den Umständen, die es so fügten, wie es gut war. Sie waren nur wenige Tage allein, als sie sich ihm auf ewig ergab und ihm die Tiefe ihrer großen Seele öffnete, und alle Kraft, Natur und Heiligkeit, die in ihr war. Auch sie lebte lange in gewaltsamer Verschlossenheit, und nun brachen zwischen den Umarmungen in Strömen der Rede das zurückgedrängte Zutrauen und die Mitteilung mit einemmale hervor aus dem innersten Gemüt. In einer Nacht wechselten sie mehr als einmal heftig zu weinen und laut zu lachen. Sie waren ganz hingegeben und eins und doch war jeder ganz er selbst, mehr als sie es noch je gewesen waren, und jede Äußerung war voll vom tiefsten Gefühl und eigensten Wesen306.

Wählt man unter den verschiedenen möglichen Lesarten des Romans die genannte, geht man also davon aus, dass in dieser Textstelle nicht nur die

300 Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 380, 430, 507, Tenbruck 1964: 437, Hausen 1976: 372, Luhmann 1982/1994: 30, 168, Frevert 1986: 59. 301 Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 607–608, Luhmann 1982/1994: 172, Jäger 1990: 71–72. Nach Titzmann 1990: 164 gilt dies schon für die Vorstellungen idealer Liebe im Sturm und Drang. 302 Vgl. Leupold 1983: 307, Giddens 1990/1995: 153, Jäger 1990: 72, schon für die Liebesbeziehung in der Empfindsamkeit Pikulik 1984: 246, für die „Intimbeziehung“ in der „modernen Gesellschaft“ Luhmann 1982/1994: 14, 13. Vgl. für die romantische Liebe des Weiteren Gay 1995/1997: 126, der die Romantiker allgemein als „Propheten, Poeten und Propagandisten der [...] Suche nach dem unverhüllten Inneren, dem nackten Herzen“ beschreibt (Gay 1995/1997: 49). 303 Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 405, 430, 507–508, Hausen 1976: 372, Luhmann 1982/1994: 178, Leupold 1983: 300–301, Frevert 1986: 59. 304 Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 427, 444, 503, 607. 305 Schlegel 1799/1962: 54. 306 Schlegel 1799/1962: 54.

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3 Offenheit als Ideal

Erlebnisse zweier literarischer Charaktere erzählt werden, sondern im selben Zug das Ideal einer Liebesbeziehung dargestellt wird, besagt die Stelle, dass die Involvierten offen miteinander kommunizieren, offene Kommunikation und körperliche Intimität für sie vergleichbare Formen der gegenseitigen Durchdringung sind und diese dazu führt, dass die beiden zu einer Einheit verschmelzen, in der sie sich in ihrer Einzigartigkeit bestätigt fühlen.307 Das romantische Konzept von Liebe wird im Lauf des 19. Jahrhunderts in simplifizierter Form von immer weiteren gesellschaftlichen Kollektiven übernommen308 – und mit ihm die Auffassung, dass Liebende im Idealfall offen zueinander sind. Im Popularisierungsprozess löst sich die Ansicht freilich vom Bewusstsein der Problematik und von der Reflexion über die Grenzen sprachlicher Kommunikation, welche sie bei Romantikern wie Friedrich Schlegel theoretisch fundieren.309 Auf der einen Seite werden Verliebte stereotyp auf die offene Äußerung ihrer Zuneigung verpflichtet, wovon die untersuchten Briefsteller dieser Zeit eindrücklich Zeugnis geben. Z. B. wird dem männlichen Leser im anonym veröffentlichten „Vollständigen Liebesbriefsteller“ aus dem späten 19. Jahrhundert im Kapitel „Die Korrespondenz nach erklärter und zustimmender Liebe“310 mitgeteilt: Die Aufgabe einer wohlabgefaßten Korrespondenz zwischen einem Liebespaare ist keine leichte; sie soll den lebendigen Händedruck, den lebendigen Kuß, den lebendigen Odem vertreten, sie soll die volle wechselreiche Skala der Sehnsucht, der Hoffnungen und Befürchtungen, wodurch der Verliebten Herz bewegt wird, anschaulich und empfindsam vorführen. Zugleich sollen beide Teile ein förmliches Tagebuch der gegenseitigen Empfindungen einander darlegen311.

307 Rezeptionsgeschichtlich bemerkenswert ist die Reaktion des Publikums auf die Veröffentlichung des Romans: Passagen wie die zitierte, in der die körperliche Dimension der außerehelichen Liebe zwischen Julius und Lucinde angesprochen wird, erscheinen nicht wenigen zeitgenössischen Lesern als unangemessen – sofern sie den Roman als autobiographischen lesen, auch als unangemessen offen. Ihre Empörung, zu der die formalen Besonderheiten des Textes zusätzlichen Anlass bieten, lässt die „Lucinde“ zu einem regelrechten Skandal werden (vgl. Eichner 1962: XLVI–LII). 308 Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 639–640, Luhmann 1982/1994: 186, Leupold 1983: 301, Gay 1995/1997: 111. 309 Vgl. Bär 1999: 95, Bär 2003: 309. 310 [Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 37. 311 [Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 37–38. Dementsprechend liest die Dame im Kapitel „Die Correspondenz [sic] mit dem Geliebten“: „Die Correspondenz hat übrigens keine leichte Aufgabe; sie soll die Stelle des Händedruckes und Kusses ersetzen, sie soll das wechselvolle Bild der Sehnsucht und Hoffnung, die Farbennüancen der Eifersucht und des Vertrauens, die vielgestaltige Skala der Liebes-Empfindungen lebendig vorführen. Sie

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

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Liebespartner werden dazu angehalten, in ihren Briefen aneinander offenherzig aufzutreten, nun jedoch, um körperliche Intimität zu substituieren, um Körperströme durch Schriftverkehr312 zu ersetzen: Sie sollen möglichst plastisch und unvermittelt starke Gefühle der Verliebtheit zeigen – wie in einem ,Tagebuch‘. Da die Art und Intensität der Gefühle ebenfalls normiert werden, bleibt dem Leser, der die passenden Emotionen nicht hat, nur die Inszenierung diesbezüglicher Offenheit. Demnach wird das ,Liebespaar‘ hier genau genommen weniger dazu aufgerufen, offen zu schreiben, als vielmehr, die Schablone offener Kommunikation auszufüllen, die Empfindsamkeit und Romantik gestanzt haben. Auf der anderen Seite wird Offenheit im 19. Jahrhundert als notwendige Bedingung der vertrauensvollen geistig-emotionalen Nähe zwischen Ehepartnern postuliert: Kein Geheimniß unter Ehegatten! / Da darf keinerlei Verstellung sein! / Ein Vertraun, daß Einmal ward betrogen, / Stellt sich nie vollkommen wieder ein. / [...] / Sah’ ich doch wie das, was man aus Schonung, / Was man sich verschwieg aus Lieb’ sogar, / Anlaß gab zu einem Mißverständniß, / Dessen Folge tiefes Elend war. / Offenbart euch lieber Ein’s dem Andern, / Eure Fehler selbst gesteht euch ein; / Mag auch das Entdecken einer Sache / Anfangs unlieb euch, ja schrecklich sein. / Rottet aus in seiner letzten Wurzel / Alles Mißtraun, das entstehen mag; / Eure Seele, euer ganzes Leben / Liege vor euch, wie ein heller Tag313.

Mit diesen Worten geißelt der Autor einer in Versen verfassten Anstandslehre für Mädchen und junge Frauen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Dissimulation und Simulation in der Ehe. Die angeratene gegenseitige ,Offenbarung‘ soll nicht etwa überschwängliche Zuneigung, sondern lebenspraktische Informationen vermitteln und so dem Vertrauen der Ehepartner zueinander sowie der Funktionstüchtigkeit ihrer Lebensgemeinschaft dienen. Es ist bezeichnend, dass sich die zitierte Textstelle an ein weibliches Publikum wendet: Wie noch gezeigt wird, richtet sich der Appell, dem Ehepartner gegenüber offen zu sein, letztlich stärker an Frauen als an Männer. Für die Gegenwart wird verschiedentlich eine Koexistenz unterschiedlicher Liebesbeziehungs- und Ehekonzepte konstatiert. Neben

soll gleichsam ein Tagebuch der Gedanken des einen Theiles [sic] dem andern darlegen“ ([Anonym.] [ca. 1890/o. J.]: 118). 312 „Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts“ lautet der Titel von Koschorke 1999. 313 Holtzhey 1875/1879: 150.

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3 Offenheit als Ideal

den Konzepten, die in der Tradition der Romantik stehen,314 sehen auch neuere, die sich wie etwa das der Partnerschaft erst im 20. Jahrhundert entwickeln, Offenheit zwischen den Beteiligten vor.315 So erklärt sich die große Einigkeit der vergangenen Jahrzehnte, dass jene für eine glückliche Liebesbeziehung innerhalb oder außerhalb der Ehe längerfristig unverzichtbar sei: „Liebesglück auf Dauer – das funktioniert nur, wenn beide Partner offen, lebendig und konstruktiv miteinander reden“,316 bringt ein Beziehungs- und Kommunikationsratgeber diesen Konsens im Jahr 2003 auf den Punkt. Nur kurze Zeit, nachdem Offenheit für neue Liebesbeziehungs- und teilweise auch Eheformen relevant geworden ist, zeichnet sich ein Verlangen nach ihrer Umsetzung in der Familie ab. Schon Adolph von Knigge stellt sich in „Über den Umgang mit Menschen“ (1788/1790) ein gelungenes Familienleben analog zur Freundschaft so vor, dass die Kinder ihren Eltern offenherzig gegenübertreten: „Was kann [...] entzückender sein, als der Anblick eines geliebten Vaters mitten unter seinen erwachsenen Kindern, die nach seinem weisen und freundlichen Umgange sich sehnen, keinen Gedanken ihres Herzens verbergen vor ihm, der ihr treuester Ratgeber, ihr nachsichtsvoller Freund ist“?317 Der Wunsch nach Offenheit in der familiären Domäne ist wiederum im Kontext eines neuen Beziehungskonzepts zu sehen; er entsteht mit dem Modell der Kleinfamilie, das sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in bildungsbürgerlichen Kreisen entwickelt, im 19. Jahrhundert aber zusehends auch von anderen sozialen Gruppen übernommen wird:318 Mit der Verbreitung einer räumlichen Trennung von Erwerbsarbeit und verwandtschaftlicher Lebensgemeinschaft sowie der immer eindeutigeren Zuweisung der Erwerbstätigkeit zum Mann und der Reproduktionsarbeit zur Frau wird die familiäre Gemeinschaft zunehmend von der Welt der Erwerbsarbeit abgeschottet und zu ihr in Gegensatz gesetzt.319 Es entsteht ein Typus von verwandtschaftlicher Lebensgemeinschaft, der nur Eltern und Kinder, allenfalls noch Großeltern, nicht aber andere Verwandte oder gar

314 Zur gegenwärtigen Existenz solcher Modelle vgl. Luhmann 1982/1994: 197, Leupold 1983: 298, Giddens 1990/1995: 153. 315 Vgl. Sennett 1977/1986: 19, 21, Luhmann 1982/1994: 192, Leupold 1983: 298, 314–315, 319, Jäger 1990: 80, Burkart 2006: 13–14. 316 Fischaleck 2003: 2. 317 Knigge 1788/1790/1977: 149. 318 Vgl. Frevert 1986: 24. 319 Vgl. Hausen 1976: 370–371, 383–384, 391–392, Leupold 1983: 323, Frevert 1986: 17–18, Fürstenberg 2002: 101.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

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nicht-verwandte Mitwirtschaftende umfasst – die Kleinfamilie.320 Ihre spezielle Aufgabe ist neben der körperlichen Reproduktion die geistigseelische Rekreation ihrer Mitglieder. Zu diesem Zweck soll eine Familie den beteiligten Individuen erlauben, sich als ganze Menschen mit ihren jeweiligen Besonderheiten einzubringen und bestätigt zu werden. Dies ist nur möglich, wenn die Eigentümlichkeiten jedes Familienangehörigen für die anderen Angehörigen positiv besetzt sind, weshalb die Kleinfamilie als Netz deutlich personenbezogener, enger emotionaler Beziehungen entworfen wird.321 Die historischen Hintergründe der Offenheitsgebote für die Freundschaft, Liebesbeziehung und Familie ähneln sich folglich sehr. Es ist die Offenheit ganz bestimmter Mitglieder der Kleinfamilie, die im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in erster Linie als Ausweis der Qualität des Familienlebens betrachtet wird. Die Norm innerfamiliärer Offenheit gilt für Frauen und Kinder stärker als für Männer. Ein Anstandsbuch von 1859 etwa schreibt Kindern vor: „Man muß sich nicht nur achtungsvoll und aufmerksam gegen seine Eltern benehmen, sondern auch aufrichtig, natürlich und vertrauensvoll gegen sie sein. Was sie an ihren Kindern gewöhnlich am Meisten lieben, das ist die kindliche Offenherzigkeit und Zutraulichkeit“.322 Mit derselben Stoßrichtung stilisiert ,Tante Lisbeth‘ kindlich-naive Offenheit Anfang des 20. Jahrhunderts in ihrem „Anstandsbüchlein für junge Mädchen“: „Eine gute Tochter wird vor einer guten Mutter kein Geheimnis haben wollen, und ich finde nichts so schön und rührend als ein ganz offenes, inniges Verhältnis zwischen Mutter und Kind“.323 Der Kontext des Zitats lässt erkennen, dass die Aufforderung der Mädchen zu Offenheit nicht allein durch das Interesse an einer familiären Vertrauens- und Liebesgemeinschaft bedingt ist, sondern ebenso durch das Anliegen, Kinder zu kontrollieren. Unmittelbar zuvor bemerkt ,Tante Lisbeth‘ nämlich: „Noch möchte ich dir raten, keine Korrespondenz ohne Wissen der Eltern zu führen. Die Mutter wird nicht von der erwachsenen Tochter verlangen, daß sie ihr gestatte, ihre Briefe zu öffnen und zu lesen; dennoch ist es eine kindliche Pflicht des Vertrauens, der Mutter die empfangenen Briefe anzubieten“.324 320 Vgl. Hausen 1976: 370–371, Frevert 1986: 17–18, Koschorke 1999: 21. 321 Vgl. Hausen 1976: 390, Frevert 1986: 20, 61, Wegmann 1988: 27, Jäger 1990: 76, Linke 1996b: 52–53, Fürstenberg 2002: 101. 322 Fresne 1859: 24. 323 Lisbeth [1908/ca. 1915]: 106. 324 Lisbeth [1908/ca. 1915]: 106.

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3 Offenheit als Ideal

Im weiteren 20. Jahrhundert und in der Gegenwart bestehen zwar verschiedene Modelle von verwandtschaftlichem Zusammenleben nebeneinander, doch sind individualisierte und emotionalisierte Beziehungen zwischen den Beteiligten, für die Offenheit als wesentlich angesehen wird, ein Element vieler von ihnen.325 Die erwünschte Offenheit in der Familie wandelt sich allerdings im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einer gleichmäßig zwischen Kindern, Müttern und Vätern verteilten. Ihr Gebot scheint weniger durch das Bedürfnis nach einer Kontrolle der Kinder als vielmehr durch das Ansinnen motiviert zu sein, diese zur Selbstständigkeit und Kooperativität zu erziehen. Um derentwillen sollen Eltern mit ihren Kindern probeweise wie mit gleichberechtigten Verhandlungspartnern umgehen, deren Ansichten, Absichten und Wünschen sie die divergierenden eigenen mit dem Ziel einer Konsens- bzw. Kompromissfindung offen entgegenstellen. Eine typische Textstelle, in der elterliche Offenheit zu diesem Zweck empfohlen wird, findet sich in einem Artikel über den Umgang mit Teenagern (2004) im „OnlineFamilienhandbuch“, einem Webangebot des bayerischen Staatsinstituts für Frühpädagogik: Der junge Mensch entwickelt sich mit Hilfe der innerfamiliären Konflikte zur Persönlichkeit. Konfliktbewältigung setzt ein offenes kommunikatives Verhalten der Eltern voraus, die mit ihren Kindern das Gespräch suchen und ihre Meinung artikulieren, begründen und belegen können, ohne dass sie die Meinung des Kindes verwerfen Nur [sic] so gewinnt der junge Mensch neben seiner ,physischen Autonomie‘ auch die ,soziale Autonomie‘326.

Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts werden außer Kindern vornehmlich Frauen zu Offenheit in der Familie angehalten. Die Vorläufer dieses diskursiven Musters sind älter als das Konzept der Kleinfamilie: Schon im 18. Jahrhundert werden gerade Frauen für ihre Natürlichkeit bewundert.327 Die Assoziation von Weiblichkeit mit vorbildlicher Natürlichkeit wird gegen Ende des Jahrhunderts tendenziell zur Erwartung weiblicher Natürlichkeit (vergleiche Kapitel 3.4). Eigenschaften wie Natürlichkeit, Spontaneität und Emotionalität werden als im weiblichen Geschlecht angelegt und ihm angemessen dargestellt,328 zunächst von

325 Dass Offenheit gegenwärtig in der familiären Kommunikation angestrebt wird, stellt auch Weiß 2002b: 42–43 fest. 326 Faix 2004. 327 Vgl. Nörtemann 1990: 221–222, Schlich 2002: 23, Pompe 2003: Sp. 194, Reinlein 2003: 56. 328 Vgl. Kluckhohn 1922/1966: 306–307, Hausen 1976: 367–368, 383, 386, Frevert 1986: 20, Geitner 1992: 162, Frevert 1995: 157, 161–162, Geitner 1997: 85.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

187

bürgerlichen Gruppierungen, insbesondere dem Bildungsbürgertum, später auch von anderen gesellschaftlichen Fraktionen.329 Dem Ideal entsprechen Frauen, die ausgehend von diesen Eigenschaften im familiären Bereich – vor allem gegenüber ihrem Ehemann und anderen erwachsenen männlichen Verwandten – auch offen sind.330 „Wenn ihm [einem Mann] [...] die sanfte und offne Gefälligkeit eines weiblichen Geschöpfs gegenüber mit der süßen Anmuth der Unschuld und schöner Menschlichkeit zuspricht; [...] dann thaut [...] der kalte trotzige Ernst in seiner Seele auf; die Blume freyer Heiterkeit entfaltet sich in ihr“.331 Solche Formulierungen – hier aus dem Beitrag „Ueber die Kunst zu gefallen. Zur Bildung des schönen Geschlechts“ zum „Neuen Teutschen Merkur“ von 1796 – zeigen, dass Merkmale wie ,Anmut der Unschuld‘, ,Menschlichkeit‘ und ,Gefälligkeit‘332 allmählich mit Offenheit zu einem von der Figur der ,schönen Seele‘ inspirierten Weiblichkeitsideal verbunden werden, das dem männlichen Bedarf an einer Kompensation der einseitigen beruflichen Anforderungen und an geistig-seelischer Rekreation entspricht. Das Pochen auf weibliche Offenheit scheint jedoch gleichfalls durch das männliche Interesse angeregt zu werden, die Frauen der Familie ähnlich wie die Kinder zu überwachen und sich unterzuordnen. Dieses Motiv leuchtet beispielsweise durch Joachim Heinrich Campes Versuch hindurch, die weiblichen Leser seines 1789 erschienenen „Vaeterlichen Raths für meine Tochter“ zu Offenherzigkeit gegenüber ihrem Ehemann zu veranlassen: [S]tehst du [...] zu jeder Zeit, mit allen deinen Gedanken, Empfindungen und Handlungen offen vor ihm [dem ehelichen Freund] da, und suchst ihm nichts zu verheimlichen, nichts zu verdrehen, nichts abzulisten [...]: dann, mein liebes Kind, kann und wird der abhängige Zustand, wozu du gebohren bist, nie drückend für dich werden können; dann wird das Herz deines Gatten, mit allen seinen Eigenheiten und Launen, wenn es dergleichen hat, ganz in deiner Hand seyn, und du wirst es biegen und lenken können, wie und wohin du willst; dann wird er an dir, wie du an ihm hangen, und die schreckhaften Ideen von

329 Vgl. Frevert 1986: 24–25. Die Auffassung, dass Frauen generell besonders natürlich seien oder der Natur besonders nahe stünden, hält sich vermittelt durch das 19. Jahrhundert mindestens bis in die 1970er Jahre, in der sie auch und gerade von Feministen vorgetragen wird (vgl. Schlich 2002: 23). 330 Nicht beschränkt auf Haus und Familie, sondern allgemein vgl. Geitner 1997: 85. 331 Rückert 1796: 52. 332 Nach Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 472 lässt sich „Gefälligkeit“ in der obigen Textstelle als „Neigung, sich andern gefällig zu machen, ihnen das möglichste Vergnügen zu erwecken“ verstehen.

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3 Offenheit als Ideal

Herrschaft und Abhängigkeit werden sich ganz von selbst in die süßesten Gefühle einer gegenseitigen zärtlichen und vollkommenen Sympathie auflösen333.

Campe bemüht sich, die vermeintlichen Vorteile der Offenherzigkeit gegenüber dem Ehemann herauszustreichen. Doch just das angestrengte Bestreben, diese als Mittel zu präsentieren, den ,abhängigen Zustand‘ zu mildern und der ,Herrschaft‘ des Ehemannes zu entkommen, lässt den Leser – zumindest den heutigen – erahnen, dass die Textstelle letztlich auf das Gegenteil zielt: darauf, die weibliche ,Abhängigkeit‘ vom Mann durch die Empfehlung von Offenheit zu verstärken. Für die Annahme, dass der Appell an Frauen, offen zu sein, auch auf den männlichen Wunsch nach Überlegenheit zurückzuführen ist, spricht ein weiterer Topos: In den Quellen des 18. und zum Teil noch des 19. Jahrhunderts wird vielfach behauptet, dass vor allem Frauen sich gelegentlich zum Nachteil der Männer gegenüber diesen verstellten, etwas vor ihnen verbärgen bzw. über eine besondere Fähigkeit dazu verfügten. Der bereits zitierte Adolph von Knigge geht in „Über den Umgang mit Menschen“ (1788/1790) ausführlich auf die speziellen (Dis)Simulationskünste und -praktiken ,der Frau‘ ein und liefert eine sozialhistorisch nicht uninteressante Interpretation jener: Das weibliche Geschlecht besitzt in viel höherm Grade als wir [wir Männer, J.S.] die Gabe, seine wahren Gesinnungen und Empfindungen zu verbergen. Selbst Frauenzimmer von weniger feinern Verstandeskräften haben zuweilen eine besondre Fertigkeit in der Kunst, sich zu verstellen. Es gibt Fälle, wo diese Kunst ihnen Schutz gegen die Nachstellungen der Männer gewährt. Der Verführer hat gewonnenes Spiel, wenn er bemerkt, daß das Herz der Schönen oder ihre Sinnlichkeit mit ihm gegen ihre Grundsätze gemeinschaftliche Sache macht. Also rechne man es ihnen nicht zum Vorwurfe, wenn sie zuweilen anders scheinen, als sie sind, aber man nehme darauf Rücksicht in dem Umgange mit ihnen334.

In „Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und Gegenwart“ (1835/1860) wird der Topos, dass Frauen einen Hang und ein Talent dazu hätten, etwas zu verbergen und sich zu verstellen, schließlich lexikographisch zementiert. Unter dem Stichwort „List“ ist zu lesen: Fertigkeit, auf versteckte Weise einen Zweck zu erreichen. Die L.[ist] geht aus Klugheit hervor, setzt auch Verstand voraus u.[nd] beruht wesentlich auf Verhehlung der Wahrheit, wird daher von einem rechtlichen Charakter verschmäht. Im Leben ist sie die natürliche Waffe des Schwächeren gegen den Stärkeren, welcher ihr nicht selten unterliegt, so Kriegslist [...] u.[nd] Weiber-

333 Campe 1789: 249. 334 Knigge 1788/1790/1977: 204.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

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list, die dem weiblichen Geschlechte eigenthümliche Neigung zu einem listigen Verfahren u.[nd] die Geschicklichkeit darin335.

An der Erwähnung der ,Weiberlist‘ und der Erläuterung dieser wird ersichtlich, dass zielführende Täuschungen als charakteristisch für Frauen angesehen werden. Der Hinweis, dass die List die ,Waffe des Schwächeren gegen den Stärkeren‘ sei, ähnelt Knigges Deutung des weiblichen Doppelspiels als einer Art Notwehr gegen Männer. Offensichtlich unterstellen die männlichen Autoren, dass Frauen versuchen, sich durch die Praxis von Nicht-Offenheit ihrer Gewalt zu entziehen, und bemühen sich deshalb im Gegenzug darum, sie durch die Norm der Offenheit unter ihrer Kontrolle zu halten. Das für Frauen gültige Offenheitsgebot des langen 19. Jahrhunderts ist somit zweifach motiviert. In kommunikationsreflexiven Texten aus dem späteren 20. Jahrhundert finden sich Anhaltspunkte dafür, dass es im weiblichen Habitus Spuren hinterlassen hat, denn Frauen werden – besonders im Hinblick auf ihre Gefühle, Sorgen und Nöte – als tendenziell offener als Männer beschrieben. Ein Kommunikationsratgeber „für Frauen“ diagnostiziert 1994: Frauen reden über persönliche Dinge und persönliche Erfahrungen. [...] Männer reden nicht über persönliche Angelegenheiten oder Probleme. Sie diskutieren über technische Dinge, Geschäftliches, über den Aktienmarkt, über ein Fußballspiel oder über Einzelheiten aus der Politik. [...] Reden über persönliche Erfahrungen, speziell über eigene Probleme, wird von einem Mann als Offenbarung von Schwächen erlebt, die ihn im Gespräch selbst zum Unterlegenen macht und darüber hinaus die Gefahr beinhaltet, daß solche Informationen weitergegeben werden können. [...] Zwar ist auch Frauen bewußt, daß ihre Offenheit ein Risiko bedeutet, verraten und verletzt zu werden. Aber da sie eher am Beziehungsgewinn interessiert sind als an Respekt und Status, nehmen sie dieses Risiko in Kauf336.

Es liegt nahe, diese Schilderung typisch männlichen und weiblichen Gesprächsverhaltens als späten Reflex einer Ausrichtung der Männer auf die außerhäusliche Welt sowie der Frauen auf Familie und Haus zu interpretieren. Es hat den Anschein, dass die diskursive Festlegung auf innerfamiliäre Offenheit vom späten 18. Jahrhundert an die Frauen immer weiterer Kreise der Bevölkerung über Generationen hinweg in ihren Einstellungen wie in ihrem Verhalten geprägt hat und daraus entstandene

335 Pierer/Pierer (Hrsg.) 1835/1860: 10. Bd.: 422. 336 Mohl 1994: 15–16.

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3 Offenheit als Ideal

reale Verhaltensunterschiede zwischen Frauen und Männern zeitversetzt den Weg zurück in den Diskurs über Offenheit gefunden haben.

Offenheit in der institutionalisierten Geselligkeit und im Staatsleben (seit dem Ende des 18. Jahrhunderts) Eine weitere Domäne, in der Offenheit bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts als nützlich oder gar notwendig beurteilt wird, ist die der institutionalisierten Geselligkeit: der Gesellschaften, Bünde, Vereine, Klubs und anderen Gruppen, deren Mitglieder bzw. Teilnehmer aufgrund gemeinsamer Interessen außerhalb ihrer Erwerbstätigkeit periodisch zusammenkommen und die nicht immer, aber zumeist über ein Reglement verfügen, das die Interaktion strukturiert. Obwohl die kommunikativen Richtlinien für diese Formen der Geselligkeit nur in den untersuchten Texten aus dem 18. und 19. Jahrhundert nennenswerte Aufmerksamkeit erhalten, besteht kein Anlass zu der Vermutung, dass das Offenheitsgebot für diese Domäne aufgehoben wird. Dass es im 20. und 21. Jahrhundert kaum mehr ausgesprochen wird, kann durch verschiedene Faktoren verursacht sein: durch einen hohen Bekanntheitsgrad der Norm, eine Angleichung der kommunikativen Praxis an diese oder eine geringere Bedeutung der institutionalisierten Geselligkeit. Die Ansicht, dass die Mitglieder einer Gesellschaft offen miteinander umzugehen haben, bringt ein Beitrag zum „Neuen Teutschen Merkur“ von 1793 für das 18. Jahrhundert mustergültig zum Ausdruck. Der Autor stellt darin die aufgelöste ,Gesellschaft freier Männer‘ vor, um sie zu würdigen und zur Gründung ähnlicher Vereinigungen anzuregen.337 Er zitiert aus der Satzung: I. Unsere Gesellschaft heißt die Gesellschaft freyer Männer. Die Freymüthigkeit, mit welcher jeder in unsern Versammlungen laut sagt, was ihm wahr scheint, ohne Furcht deshalb verketzert zu werden; und der Vorzug, daß wir nicht – wie vielleicht in manchen Gesellschaften – von den willkührlichen Befehlen eines andern Mitgliedes, sondern blos von freywillig angenommenen Gesezzen abhängen, berechtigt uns zu diesem Nahmen338.

Da ,Freimütigkeit‘, die mit der Satzung zur Norm für die Kommunikation unter den Gesellschaftsmitgliedern erhoben wird, der Sozietät ihren Namen gibt, muss sie für diese von außerordentlicher Wichtigkeit sein. 337 Vgl. [Demme] 1793: 105–106, 109. 338 [Demme] 1793: 129.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

191

Dass in einer Textstelle wie dieser, die das Kommunikationsprinzip der Offenheit unter besonderer Berücksichtigung der ungehinderten, mutigen Preisgabe von Erkenntnissen, Überzeugungen und Argumenten betrifft, nicht von ,Offenheit‘, sondern von ,Freimütigkeit‘ gesprochen wird, ist im späten 18. Jahrhundert üblich. Doch nicht nur in dieser Hinsicht ist die lexikalische Gestalt des Zitats von Interesse: Hoch bedeutsam ist die offensichtlich bewusste sprachliche und dadurch auch gedankliche Verknüpfung von ,Freimütigkeit‘ und Souveränität in der ,Gesetz‘-Gebung im Wort ,frei‘. Durch seine Doppeldeutigkeit bringt das Attribut ,frei‘ die Konzepte ,offen‘ und ,politisch unabhängig‘339 im Namen der Vereinigung auf engstem Raum zusammen. Hier kündigt sich die Vorstellung an, dass offene Kommunikation und Demokratie etwas miteinander zu tun haben – oder umgekehrt formuliert: dass die Verhinderung resp. Vermeidung von Offenheit und feudalabsolutistische Zustände miteinander verbunden sind. Nicht zu übersehen ist dieser gedankliche Konnex in einer Rede, die Georg Wedekind, einer der intellektuellen Protagonisten der Mainzer Republik, im selben Jahr in einer Sitzung der „Gesellschaft der Republikaner zu Mainz“ hält.340 Die Rede ist ein Diskussionsbeitrag zu einem der Tagesordnungspunkte, nämlich zu der Frage „Was können Volksgesellschaften leisten [...]?“:341 „Die Republik will Freiheit und Gleichheit; [...] sie will jedem Individuum seine Menschen- und Bürgerrechte garantieren. Wie kann sie das besser als durch jede Begünstigung der Freimütigkeit und durch strenge Gerechtigkeit“?342 Nachdem Wedekind auf diese Weise den Wert von Offenheit für eine demokratisch-rechtsstaatliche Gesellschaftsordnung hervorgehoben hat, stellt er ,Volksgesellschaften‘ als soziale Räume dar, die die Umsetzung von ,Freimütigkeit‘ institutionalisieren könnten: Obrigkeiten sind unzureichend, diese Hauptstützen der Freiheit und der Gleichheit, die Freimütigkeit und die Gerechtigkeit, in republikanischen Staaten aufrechtzuerhalten. [...] Es muß deswegen zwischen die eigentlichen Obrigkeiten und zwischen die Familien- und Privatgesellschaften der Bürger etwas in die

339 Zu diesen beiden Bedeutungen von ,frei‘ vgl. neben den Angaben in Kapitel 2.1 den Eintrag „Frey“ in Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 288–291, hier Sp. 289, 291. 340 Zu Wedekinds Aktivitäten in der Mainzer Republik vgl. Bockenheimer 1896: 396–397. 341 Der Bezug auf diese Frage, ihr Wortlaut und ihre Verhandlung in einer Sitzung dieser Gesellschaft gehen aus dem Titel hervor, unter dem Wedekinds Rede publiziert wurde. Er lautet: „Beitrag zur Beantwortung der von der Gesellschaft der Republikaner zu Mainz zur Tagesordnung gebrachten Frage: Was können Volksgesellschaften leisten, welches sind die Fehler, in welche sie leicht verfallen, und wie ist denselben abzuhelfen und vorzubeugen?“ (Wedekind 1793/1998). 342 Wedekind 1793/1998: 88.

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3 Offenheit als Ideal

Mitte treten – es muß Orte geben, wo man über öffentliches Wohl, über Politik, Gesetzgebung, Sitten etc. beratschlagt; wo man ohne allen Nachteil heute eine Sache gut finden und morgen nach reiferer Prüfung verwerfen kann; Orte, wo man den Gemeingeist bildet, wo man unter sich eins wird und so dem Gesetze vorarbeitet, und diese Orte sind – die Volksgesellschaften. [...] [Sie] sind [...] zur Sittenverbesserung so heilsame Einrichtungen, wie sie für die Freimütigkeit des Republikaners eine notwendige Nahrung abgeben343.

Wie im Beitrag zum „Neuen Teutschen Merkur“ ist auch in dieser Rede vorgesehen, dass die Mitglieder einer ,Gesellschaft‘ offen miteinander diskutieren. Anders als die ,Gesellschaft freier Männer‘ sind Wedekinds ,Volksgesellschaften‘ jedoch klar auf politische Angelegenheiten ausgerichtet und lassen insofern die institutionalisierte Geselligkeit hinter sich. An dieser Stelle drängt sich der Verdacht auf, dass die Forderung nach Offenheit von der Domäne der institutionalisierten Geselligkeit aus nach und nach – trotz kurz- und mittelfristig gegenläufiger Tendenzen, wie sie die wechselhafte politische Geschichte Deutschlands bedingt – auf die des Staatslebens, d. h. auf die ,politische Kommunikation‘344 ausgeweitet wird. Des Weiteren liegt die Annahme nahe, dass Formen von Offenheit die politische ,Öffentlichkeit‘ im Habermas’schen Sinn mit konstituieren. Diese Thesen greifen über den Bereich der individuellen Kommunikation hinaus, auf den das Korpus der vorliegenden Untersuchung zugeschnitten ist. Sie lassen sich jedoch unter Rückgriff auf existierende Forschungsresultate plausibilisieren – insbesondere mit vielfach aufgegriffenen Erkenntnissen Reinhart Kosellecks und Jürgen Habermas’, auf die ich deshalb, wie in Kapitel 1.1 angekündigt, etwas ausführlicher eingehe. Beide Wissenschaftler weisen auf die große Bedeutung der institutionalisierten Geselligkeit für die Entwicklung einer politischen ,Öffentlichkeit‘ in Abgrenzung von der ,Privatsphäre‘ im 18. und 19. Jahrhundert hin: Koselleck schildert in „Kritik und Krise“ die Herausbildung einer „für den absolutistischen Staat außerstaatlichen Interessensphäre“, nämlich der „Gesellschaft“, welche sich an der „Börse“, in „Kaffeehäusern“, aber ebenso in „Akademien“, „Clubs“, „Salons“, „Bibliotheken und literarischen Gesellschaften“, in den „Logen der Freimauerei“ sowie überhaupt in der „République des lettres“345 343 Wedekind 1793/1998: 88. 344 Mit ,politischer Kommunikation‘ ist hier und im Folgenden die Kommunikation der Angehörigen des Staatsvolkes (in ihrer Rolle als Staatsbürger) und der Vertreter der Staatsgewalt (in ihrer Rolle als Repräsentanten z. B. der Regierung oder Verwaltung) untereinander und miteinander gemeint. 345 Koselleck 1959/1973: 52–53, 49, vgl. 53. Koselleck behandelt in „Kritik und Krise“ nicht nur deutsche Entwicklungen, sondern nimmt eine europäische Perspektive ein.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

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formiere. Mit der Aufklärung erwachse aus diesem „Privatraum [...] Öffentlichkeit“.346 Ähnlich beschreibt Habermas in „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ „geheime“ und andere „Gesellschaften“, insbesondere die „gelehrten Tischgesellschaften“, als die in Deutschland wichtigsten „Institutionen“ der „literarischen Öffentlichkeit“,347 aus der im 18. Jahrhundert (in Deutschland allerdings erst an dessen Ende und selbst dann nur ansatzweise) die politische ,Öffentlichkeit‘ hervorgehe.348 Das Ergebnis, dass Offenheit bereits in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in der institutionalisierten Geselligkeit umgesetzt werden soll, harmoniert mit Kosellecks und mit Habermas’ Darstellung außerordentlich gut. Ihnen zufolge wird in den aufgezählten Geselligkeitsformen (in den ,gelehrten‘ bzw. ,literarischen Gesellschaften‘, ,Klubs‘, ,Logen‘ usw.) ein kommunikatives Verhalten angestrebt, ausprobiert und eingeübt, das aus der Perspektive dieser Arbeit als offener Austausch kritischer Meinungen erscheint: Koselleck begreift die ,Gesellschaft‘ als einen Ort der „Kritik“349 und der „moralischen Gerichtsbarkeit“,350 Habermas fasst analog dazu die ,literarische Öffentlichkeit‘ als „Übungsfeld eines öffentlichen Räsonnements“351 auf. Die sich etablierende Norm geselliger Offenheit wird jedoch gemäß beiden Wissenschaftlern von einer Pflicht zur Geheimhaltung der ausgetauschten Informationen gegenüber der Umwelt 346 Koselleck 1959/1973: 44, vgl. 41. Diese These vertritt auch Kunisch 1997: 40, 43. Der Gedanke zeigt sich ebenso bei Hahn 1997: 28, jedoch nur bezogen auf geheime Gesellschaften. 347 Habermas 1962/1990: 96, 95, 89. Auch Habermas richtet seinen Blick in „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ auf europäische Veränderungen, er spezifiziert seine Beobachtungen aber für Deutschland. Vgl. ferner Imhof/Schulz 1998: 9. 348 Vgl. Habermas 1962/1990: 90, 116, 140–142. Vgl. ebenso Imhof/Schulz 1998: 9. Vergleichbar damit betrachtet Polenz „exklusive Zirkel, [...] Tischgesellschaften, Salons, Kaffeehäuser, Leseclubs usw.“ als Schauplätze der „bürgerlichen Öffentlichkeit“ (Polenz 1994: 2. Bd.: 369–370). Er sieht die „Ansätze zu einer neuartigen bürgerlichen ,Öffentlichkeit‘“ zwischen 1750 und 1800 als „Vorform der allgemeinen politischen Öffentlichkeit“ in Deutschland an, die nicht vor dem 19. Jahrhundert entstanden sei (Polenz 1994: 2. Bd.: 369). 349 Koselleck 1959/1973: 54, vgl. 81–85. 350 Koselleck 1959/1973: 66. Vgl. weiterhin Fauser 1991a: 348. Nach Hölscher 1978: 436 ist die intellektuelle Auseinandersetzung des Bildungsbürgertums im 18. Jahrhundert zunächst durch das Ideal des Austauschs von Urteilen, dann auch durch ihren tatsächlichen Austausch gekennzeichnet; er bezieht sich jedoch nicht speziell auf institutionalisierte Formen der Geselligkeit. Hölscher 1979: 140–141 schreibt in diesem Sinne, dass in der „aufklärerischen Gelehrtenrepublik“ die „völlige Öffentlichkeit des Meinungsaustausches zwischen den Mitgliedern“ die kommunikative Norm bilde. 351 Habermas 1962/1990: 88. Auch Polenz 1994: 2. Bd.: 369 charakterisiert die ,bürgerliche Öffentlichkeit‘ des 18. Jahrhunderts als eine diskutierende. Imhof/Schulz 1998: 9 beschreiben die „Salons“, „gelehrten Tischgesellschaften“, „Kaffeehäuser“, „Geheimgesellschaften und Klubs“ dieser Zeit gleichfalls als Orte der „literarischen [...] Kritik“.

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3 Offenheit als Ideal

ergänzt, wie besonders Koselleck am Beispiel des Logengeheimnisses zeigt.352 Übereinstimmend sind die Autoren der Ansicht, dass sich die kommunikativen Normen und Praktiken der genannten Geselligkeitsformen, die man als solche der Offenheit auffassen kann, allmählich auf Politisches ausdehnen, damit zur Entstehung der politischen ,Öffentlichkeit‘ beitragen und also wesentlich für diese sind: Nach Koselleck schießt die ,Kritik‘ mit der Zeit über den abgeschlossenen, ,privaten‘ gesellschaftlichen Raum hinaus, sie wird allgemein zugänglich und zielt auch auf den „Staat“.353 Laut Habermas wird das ,Räsonnement‘ ein „öffentliches“, das die „öffentliche Gewalt“354 der Kritik unterziehe. Gleichwohl bewerten die Autoren diesen Ausdehnungsprozess unterschiedlich: Während Koselleck ihn als Element von Veränderungen sieht, deren Kehrseite eine „politische Krise“ sei, die bis zur „gegenwärtigen Weltkrise“355 reiche, stellt er sich für Habermas als Teil der Entstehung einer historisch vorbildlichen ,Öffentlichkeit‘ dar, deren Weiterentwicklung er als Verfall beschreibt.356

Offenheit im Berufsleben (seit dem Ende des 20. Jahrhunderts) Auch im Berufsleben gewinnt Offenheit innerhalb des Untersuchungszeitraums an Attraktivität – allerdings erst, nachdem sich die Gebote ihrer Anwendung in anderen Lebensbereichen im 19. Jahrhundert und in den ersten zwei Dritteln des 20. Jahrhunderts in der geschilderten Weise gefestigt und weiterentwickelt haben. Die Domäne des Berufslebens umfasst größtenteils Situationen, in denen die Kommunikationspartner einander als Repräsentanten einer Organisation wahrnehmen. Dessen ungeachtet wird der Bereich der individuellen Kommunikation etwa da berührt, wo Kollegen – hier verstanden als Personen, die für dieselbe Organisation tätig sind – miteinander kommunizieren und einander si-

352 Vgl. Koselleck 1959/1973: 55, 58, 60–61, 72. Auf eine Geheimhaltungspraxis und/oder -pflicht gegenüber der Umwelt weisen außerdem Habermas 1962/1990: 95–96 sowie zusätzlich Hölscher 1979: 141, Fauser 1991a: 348, Polenz 1994: 2. Bd.: 369 hin. 353 Koselleck 1959/1973: 87, vgl. 96–97, 102. Hölscher 1978: 436–437 ist ebenfalls der Auffassung, dass sich der intellektuelle Urteilsaustausch des Bildungsbürgertums auf Politisches ausweitet. 354 Habermas 1962/1990: 86, vgl. 88. Vgl. Imhof/Schulz 1998: 9. Auch gemäß Polenz 1994: 2. Bd.: 369 führen die „sozialkommunikativen Aktivitäten“, die die ,bürgerliche Öffentlichkeit‘ ausmachten, zur politischen ,Öffentlichkeit‘ hin. 355 Koselleck 1959/1973: 1, vgl. insbesondere 5–9. 356 Vgl. vor allem Habermas 1962/1990: 267–274.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

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tuativ nicht primär als Vertreter der Organisation ansehen, sondern in erster Linie als Individuen. Die Ansicht, dass Offenheit zwischen Kollegen essenziell ist, gewinnt in den letzten ca. 30 Jahren als kollektive Gedankenfigur immer klarere Konturen.357 Es ist fast unmöglich, die ökonomische Rationalisierung der Zeit nicht als einen Grund dieser Figur zu deuten: Die Rationalisierung leistet einerseits mit der Streichung von Arbeitsplätzen einem quasihöfischen Konkurrenzverhältnis unter Kollegen Vorschub, das die Umsetzung von Offenheit reduziert, andererseits mit erhöhten Leistungserwartungen einem Interesse an effizienten Arbeitsabläufen, das den Wunsch nach Offenheit stärkt. Am häufigsten werben die Autoren kommunikationsnormativer Schriften dafür, mit Kollegen höherer Hierarchiestufen offen zu kommunizieren, was seine Ursache darin haben könnte, dass ihnen bei dieser Beziehungskonstellation die größte Differenz zwischen der von ihnen vertretenen Norm und der von ihnen beobachteten oder angenommenen Praxis auffällt: „Sprechen Sie mit Vorgesetzten höflich, aber ,frei von der Leber‘“.358 Im selben Anstandsbuch von 1977 wird an die „Vorgesetzten“ appelliert, diese Offenheit zu tolerieren: „Ein Mensch, der offen sagt, weshalb er Ihnen böse ist, ist weitaus besser als einer, der Sie in scheinheiliger Demut verläßt und hinter Ihrem Rücken das Gerücht ausstreut, Sie seien ein unfähiger Despot“.359 Die Bedeutung intraorganisationaler Offenheit wird zum einen im Hinblick auf ein menschlich angenehmes, nicht von Rivalität geprägtes Klima am Arbeitsplatz betont, zum anderen für eine effiziente Bewältigung der Arbeitsaufgaben hervorgehoben. Zwecks Verbesserung der Arbeitsatmosphäre und der kollegialen Beziehungen versucht ein 1985 veröffentlichter „Managerknigge“ seine Leser zu hierarchieübergreifender Offenheit zu motivieren: [N]eben der Aufrichtigkeit, die man an den Tag legen sollte, [ist] die Offenheit außerordentlich wertvoll, um Entspannung und Entkrampfung im beruflichen Alltag zu erreichen. Dabei hilft sehr, daß man dem Vorgesetzten, dem Kollegen und dem Mitarbeiter offen gegenübertritt, ihn bittet, Schwierigkeiten beim Namen zu nennen und über seine Sorgen ehrlich und vertrauensvoll zu reden.

357 In dieselbe Richtung weist Burkarts Beobachtung, dass gegenwärtig auch im Berufsleben eine Neigung zur „Selbstthematisierung“ bestehe (Burkart 2006: 14). 358 Trauttmansdorff 1977: 427, vgl. auch 124. – Für die idiomatische Wendung „frisch/frei von der L.[eber] weg sprechen/reden“ verzeichnet der „Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“ die Bedeutung „ganz offen, ohne Hemmungen sprechen, seine Meinung sagen“ (Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1978/1999: 5. Bd.: 2380). 359 Trauttmansdorff 1977: 427.

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3 Offenheit als Ideal

Dazu gehört auch der Mut, endlich einmal offen über das zu sprechen, was man seit Tagen, Monaten oder Jahren in sich hineingefressen hat360.

Demgegenüber rät der Autor des Ratgebers „Führen mit Offenheit und Intuition“ (2003) Führungskräften dazu, sich für eine ,neue Gesprächskultur‘ im Unternehmen einzusetzen, die durch Offenheit, speziell durch den offenen Austausch gegenläufiger Ansichten, zur Überwindung insbesondere sachlicher Schwierigkeiten beitragen soll: „Der Erfolg einer neuen Gesprächskultur ist daran zu messen, inwieweit Scheinkommunikation verhindert wird und Problemklärungen auf der Basis von Offenheit erfolgen. Augenfälligste Merkmale der offenen Kommunikationsform sind die Anwesenheit und Willkommenheit des (teuflischen [einem Advocatus Diaboli gemäßen, J.S.]) Gegenstandpunktes“.361 Solche Rufe nach Offenheit, die im Dienste der ökonomischen Bewältigung fachlicher Herausforderungen stehen, sind in den letzten Jahren hauptsächlich dort zu hören, wo die Zugänglichkeit von Informationen als zentraler Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg einer Organisation verstanden wird. Die Auffassung von ,Wissen‘ als ,Ressource‘ einer Organisation, deren Nutzung ,gemanagt‘ werden müsse, und die Überzeugung, dass Offenheit für die sinnvolle Nutzung des vorhandenen Wissens wesentlich sei, haben sich aus der betriebswirtschaftlichen Forschungsliteratur bis in populäre Ratgeber verbreitet. „Der wichtigste Baustein für das Wissensmanagement ist Offenheit“, heißt es in einem neueren Artikel über ,Wissensmanagement‘ im Online-Lebensratgeber „Zeit zu leben.de“: Idealerweise ist jeder [Mitarbeiter] jederzeit bereit, jedem [Kollegen] sein Wissen weiterzugeben. [...] Es liegt an Ihnen als Führungskraft oder Verantwortungsträger, dafür zu sorgen, dass ein offener Wissensfluss honoriert wird. [...] Deshalb sollte es in Ihrem Unternehmen auch so wenig Zugangsbeschränkungen wie möglich zu Informationen oder Wissen geben362.

Offenheit in den Massenmedien Bis in die Gegenwart gehört die massenmediale Kommunikation nicht zum Gebotsbereich von Offenheit. Über das optimale Maß an individueller Offenheit bzw. Zurückhaltung in dieser Domäne wird seit etwa 15

360 Commer 1985/1985: 72. 361 Reinke-Dieker 2003: 89. 362 Konnerth [ca. 2006].

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

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Jahren intensiv diskutiert. Die Teilnehmer der Diskussion, die in verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, aber auch in den Massenmedien selbst geführt wird, stehen der unverhohlenen tatsachengetreuen Preisgabe von Einzelheiten des persönlichen Lebens und von starken Gefühlen in Medien wie dem Fernsehen oder Internet (etwa in Talkshows, Reality-Serien und -shows, in Blogs, internetbasierten Freundschaftsnetzwerken, Videoportalen usw.) überwiegend skeptisch gegenüber. „Die intimsten Augenblicke, die persönlichsten Details werden im Internet ausgebreitet. In Wort, Bild und Video“,363 beginnt ein Zeitungsartikel aus dem Jahr 2008, der auf Beispiele ausgeprägter Offenheit im Internet eingeht. Die anschließende Frage, welche die möglichen negativen Folgen dieser ins Bewusstsein rückt, impliziert eine Warnung vor zu viel Offenheit: „Wie gefährlich ist diese neue Offenheit?“364 Unter Hinweis auf die nicht kalkulierbaren, eventuell fatalen Konsequenzen hinterfragt auch der Verfasser eines Zeitschriftenartikels, der bereits 1996 erscheint, unvorsichtige Offenheit in Fernseh-Talkshows kritisch: Das Outing eines womöglich langegehüteten [sic] Geheimnisses mag im ersten Augenblick vielleicht befreiend sein [...], die Auswirkungen sind jedoch überhaupt nicht absehbar. Es gibt keinerlei Unterstützung für Talkgäste, denen langsam dämmert, viel zu viel oder viel zu Intimes preisgegeben, sich und andere aufs Beschämendste entblößt oder zum Narren gemacht zu haben365.

Der Autor fürchtet um das seelische Wohlergehen der Gäste, die mit der unverhüllten ehrlichen Mitteilung persönlicher Informationen (mit dem ,Outing eines ... Geheimnisses‘, der ,Preisgabe‘ von ,Intimem‘) ihr Ansehen sowie das anderer vor einem Millionenpublikum beschädigt haben. Die Angemessenheit offener Kommunikation in den Massenmedien wird indes nicht nur wegen der für möglich gehaltenen Schäden für die Akteure selbst, sondern auch aufgrund der in Betracht gezogenen makrosozialen Auswirkungen, vor allem für das traditionelle Verhältnis von ,Öffentlichkeit‘ und ,Privatleben‘ bezweifelt. Die Soziologen Thomas Jung und Stefan Müller-Doohm beispielsweise werfen in ihrem Tagungsbeitrag „Das Tabu, das Geheimnis und das Private. Vom Verlust der Diskretion“ (1998), der für einen wissenschaftlichen Text ungewöhnlich normativ ausfällt, einen kulturpessimistischen Blick auf die „indiskre-

363 Neudecker 2008: 8. 364 Neudecker 2008: 8. 365 Goldner 1996: 25.

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3 Offenheit als Ideal

te Mediengesellschaft“366 der Gegenwart. Die Autoren schildern Beispiele für „Sich-Selbst-Offenbarung“, für „ins Subjektive gewandte Selbsttransparenz“,367 für „Exhibitionismus“368 in den Massenmedien, wie sie das dort gezeigte kommunikative Verhalten bezeichnen. Sie stellen die suggestive Frage: „Führen diese Phänomene einer Enttabuiisierung [sic] nicht zu Konsequenzen, die einerseits die soziale Bindungsfähigkeit innerhalb der Gesellschaft auflösen und die andererseits damit auch den Sozialcharakter der Subjekte fundamental verändern?“369 Wie der weitere Verlauf des Beitrags zeigt, lautet die Antwort der Verfasser: Ja.370 Sprachlich fällt am Text die Verwendung des Wortpaares ,Indiskretion – Diskretion‘ auf, die für thematisch ähnlich gelagerte Quellen dieser Zeit typisch ist. Da der Begriff der Indiskretion – anders als der Begriff der Offenheit – eine negative Wertung enthält,371 verurteilen Jung und Müller-Doohm die festgestellten Extreme offener Kommunikation bereits dadurch, dass sie diese dem Begriff der Indiskretion subsumieren. Die Erwägung nachteiliger gesellschaftlicher Folgen veranlasst auch den Autor eines 2007 in der „Zeit“ abgedruckten Artikels dazu, massenmediale Offenheit infrage zu stellen. Sein argumentativer Ausgangspunkt ist das „Ende der Geheimnisse“, wie der Titel des Artikels lautet: [W]ir [erleben] derzeit, wie unser privates Leben in bislang ungewohntem Ausmaß ausgestellt, [...] veröffentlicht wird. Auf Myspace, einer Kontaktbörse im Internet, stehen nicht nur die Lieblingsbands unter den Fotos der sich Offenbarenden, sondern auch ihre Konfektionsgröße und die sexuelle Orientierung. Vorbei die Zeit, da man diskret, per Chiffrenanzeige, seine Identität in Zeitungsannoncen kunstvoll verbarg. Millionen privater Videofiles stehen im Internet auf YouTube zum Download bereit, häufig verwackelte Aufnahmen aus heimischen Wohnzimmern, in denen angeheiterte Protagonisten Liebeserklärungen verbreiten372.

Das Maß, in dem Menschen im Internet Empfindungen und persönliche Informationen, etwa aus dem Themenbereich der Sexualität, ,ausstellen‘

366 367 368 369 370 371

Jung/Müller-Doohm 1998: 137. Jung/Müller-Doohm 1998: 138. Jung/Müller-Doohm 1998: 139. Jung/Müller-Doohm 1998: 140. Vgl. insbesondere Jung/Müller-Doohm 1998: 145. Der „Duden. Das große Wörterbuch der deutschen Sprache“ erläutert „Indiskretion“ als „Mangel an Verschwiegenheit“, d. h. als Überschreitung der Grenze des zur Mitteilung Zugelassenen, als Normverstoß (Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1977/1999: 5. Bd.: 1926, Hervorhebung J.S.). Auch in Klappenbach/Steinitz (Hrsg.) 1969: 3. Bd.: 1946 wird die Bedeutung von „Indiskretion“ mit „Mangel an Verschwiegenheit“ sowie „Vertrauensbruch“ umschrieben. 372 Soboczynski 2007: 64.

3.3 Offenheit als situatives Kommunikationsgebot

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und ,offenbaren‘, hält der Verfasser für bedenklich: „Die Veröffentlichungswut im Internet mutet [...] nur auf den ersten Blick als ein demokratischer Zugewinn an. Denn unser Privatleben, das Geheimnisse bislang schützte, ist ein Korrektiv gegenüber einer Öffentlichkeit, die auch totalitäre Züge annehmen kann. Eine Welt ohne Geheimnisse wäre blanker Terror“.373 Die beschriebene Form von Offenheit ermögliche die Entwicklung einer despotischen ,Öffentlichkeit‘, deren Kontrolle man sich nicht entziehen könne, so lässt sich die Textstelle lesen. Wie dieses und die anderen gegebenen Beispiele illustrieren, liegt der Skepsis gegenüber Offenheit in den Massenmedien die Beobachtung einer ,neuen Offenheit‘, d. h. einer ungewohnt ex- und intensiven Umsetzung dieser zugrunde.374 Zumal im populären und populärwissenschaftlichen Diskurs wird in der Regel nicht angenommen, dass es sich bei den bemerkten kommunikativen Phänomenen um Offenheitsinszenierungen handelt.375 Historisch neuartig ist in den letzten 15 Jahren jedoch nicht nur das Ausmaß der wirklichen oder vermeintlichen Offenheit in Kommunikationssituationen, in denen sich Menschen als Einzel- bzw. Privatpersonen technisch vermittelt vor einem Massenpublikum präsentieren, sondern auch die Situationen an sich sind es: Erst seit der Verbreitung neuer Radio- und TV-Formate sowie der Durchsetzung des Internets als Massenmedium in den 1990er Jahren besteht für weite Teile der Bevölkerung die Gelegenheit, sich gegenüber zahllosen, meist anonym bleibenden, nicht unmittelbar respondierenden Rezipienten medial zu äußern, deren Distanz die Risiken offener Kommunikation vergessen lässt. Sowohl das wahrgenommene hochgradig offene Auftreten in den Massenmedien als auch die Kritik an diesen radikalen Praktiken und die Diskussion über massenmediale Offenheit insgesamt müssen demnach als Elemente der Aneignung der neuen Kommunikationssituationen durch verschiedene Generationen und Milieus sowie als Beiträge zur kollektiven Aushandlung kommunikativer Gebrauchs- und Idealnormen für diese Situationen gedeutet werden. 373 Soboczynski 2007: 64. 374 Eine ausgeprägte Realisierung von Offenheit in den Massenmedien diagnostizieren innerhalb der Wissenschaft z. B. Breuer 1998: 369, Ross 1998: 151, 154, Weiß 2002b: 66. 375 Davon gehen allerdings einige wissenschaftliche Beiträge aus. Burkart 2006: 24–25 etwa schreibt: „Allerdings [...] geht es bei der medialen Selbstdarstellung nicht mehr um Authentizität, sondern allenfalls um die Illusion von Authentizität, nicht um ehrliche Selbstdarstellung, sondern um mediale Inszenierung. Es geht also gerade nicht um Echtheit, sondern um das raffinierte – echt wirkende – Spiel mit einer Rolle“. Vgl. auch Fürstenberg 2002: 105, Reichertz/Iványi 2002: 209–210, Schroer 2006: 63, Willems/ Pranz 2006: 85–86, 92.

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3 Offenheit als Ideal

Zur Reichweite situativer Offenheitsgebote Fragt man danach, wem gegenüber, wann und wo Offenheit praktiziert werden soll, ist im diachronen Überblick nicht zu übersehen, dass sich ihr Gebot von Domänen der individuellen Kommunikation auf solche der organisationalen ausweitet: Während ein Mensch in der Auseinandersetzung mit Gott und sich selbst, in der Kommunikation mit einem Vertreter der drei klassischen Professionen, einem Freund, geliebten (Ehe)Partner oder Familienmitglied sowie im institutionalisierten geselligen Austausch als Individuum erscheint, wird er in der politischen und beruflichen Interaktion in vielen Fällen als Repräsentant einer Organisation erlebt. Betrachtet man die Veränderung der Domänen, in denen Offenheit realisiert werden soll, nicht qualitativ, sondern quantitativ, lässt sich in der Übersicht über die letzten 300 Jahre eine signifikante Ausdehnung des Gebotsbereiches auf Kosten des Indifferenz- und Verbotsbereiches feststellen. Der Bereich, in dem Offenheit befürwortet wird, besteht zunächst aus eng begrenzten kommunikativen Enklaven, die sich nach und nach vermehren, vergrößern und ihren Status als Enklaven, ihren Ausnahmestatus verlieren. Wie sich am Beispiel der Diskussion über Offenheit in den Massenmedien zeigt, ist der Gebotsbereich allerdings auch am Ende der Untersuchungszeit nicht vollständig entgrenzt. Freilich kann man sich fragen, ob die Domäne der Massenmedien lediglich noch nicht zu ihm gehört. Unabhängig von diesen mentalitären Veränderungen setzt die ethische Maxime der Rücksichtnahme auf andere Menschen der Umsetzung von Offenheit durch alle untersuchten Jahrhunderte hindurch eine Limite, die nicht überschritten werden darf: Gelegentlich untersagen die Quellenautoren Offenheit wegen ihrer nachteiligen Folgen für den Rezipienten bzw. eine dritte Person. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Kommunikationssituation, auf die sie sich beziehen, einer Domäne angehört, in der Offenheit angewandt werden soll. Das Offenheitsverbot im Dienste der Rücksichtnahme auf andere ist demzufolge gegenüber dem Offenheitsgebot für eine Domäne höherrangig und suspendiert Letzteres im Fall des Normenkonflikts. Dass dem so ist, lässt sich aus zwei kontinuierlich aufgestellten spezielleren Richtlinien schlussfolgern: Erstens ist eine offene Äußerung durchweg unerwünscht, wenn sie dem Gegenüber eine Information zugänglich machte, die es zwar beunruhigte, ihm aber keine Möglichkeiten eröffnete, die Lage positiv zu verändern. Die am häufigsten angesprochene Situation dieses Typus besteht darin, dass ein Arzt, Pfleger oder

3.4 Kommunikative Normen im Umfeld des Offenheitsideals

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Besucher von der Schwere der Krankheit eines anderen Menschen weiß, diese jedoch ihm oder seiner Familie nicht bekannt ist und von ihm bzw. ihr auch nicht vermutet wird. In solchen Situationen wird Offenheit abgelehnt und eine Notlüge als zulässig beurteilt oder sogar angeraten, wie in einem Anstandsbuch von 1977: „Die Lüge kann warmherzig und notwendig sein. […] Retter [belügen] den Verunglückten über das Ausmaß seines Unfalls. Ärzte ihre Patienten über die Chancen ihrer Heilung. Hier ist Lügen kein Falsch“.376 Eine offene Mitteilung wird zweitens immer dann missbilligt, wenn durch sie eine Information an den Adressaten gelangte, die eine dritte Person in ungünstigem Licht erscheinen ließe und/oder auf Wunsch einer dritten Person diskret zu behandeln ist: „Sie [die wahre Offenherzigkeit] verschweigt die Untugenden ihres Nächsten bey andern, wo die Entdeckung derselben nichts helfen, oder dem Bruder gar Schaden bringen würde“.377 Nach dem ersten Stück der moralischen Wochenschrift „Der Redliche“ (1751) darf Offenheit weder in üble Nachrede ausarten, noch zu Indiskretion bzw. zu einem Geheimnisverrat werden: „Die Geheimnisse, die ihr [der wahren Offenherzigkeit] anvertrauet worden, werden in der Tiefe eines liebreichen Herzens vergraben“.378

3.4 Kommunikative Normen im Umfeld des Offenheitsideals Nachdem in Kapitel 3.1 der Kontext kommunikativer Normen dargestellt wurde, in dem sich das Ideal individueller Offenheit entwickelt – die Abwertung höfisch-politischer Ideale und die Aufwertung von Wahrhaftigkeit, Deutlichkeit und Natürlichkeit –, fokussiert dieses Kapitel den normativen Zusammenhang, in dem das Offenheitsideal seit Mitte des 18. Jahrhunderts steht: Die Autoren, die in den untersuchten Schriften für Offenheit Partei ergreifen, äußern sich darin oft auch wertend über andere Kommunikationsprinzipien. Manche von diesen werden besonders häufig gemeinsam mit Offenheit in einem Text befürwortet, wohin-

376 Trauttmansdorff 1977: 63. Vgl. für das 18. und 19. Jahrhundert exemplarisch F. 1749: 324, Adelfels 1888: 18. 377 [Anonym.] 1751c: 12. 378 [Anonym.] 1751c: 13. Vgl. sowohl zu übler Nachrede als auch zum Geheimnisverrat für das 19. und 20. Jahrhundert z. B. Holtzhey 1875/1879: 87, Vogt (Hrsg.) 1894: 52–53, Haluschka 1938: 167, Commer 1985/1985: 43.

202

3 Offenheit als Ideal

gegen andere in den Quellen, in denen Offenheit positiv beurteilt wird, stetig abgelehnt werden. Bei den erstgenannten Prinzipien handelt es sich um Kommunikationsideale, mit denen das Offenheitsideal korreliert, bei den letzteren Prinzipien spreche ich dagegen von ,kommunikativen Antiidealen‘, die mit dem Offenheitsideal einhergehen. Gemeinsam lassen sie – zumindest in Ansätzen – die Bündel kommunikativer Einstellungen der historischen Akteure erkennen, zu denen diejenige gegenüber Offenheit gehört, ihre Einbindung in kommunikative Mentalitäten also. In der Zeit vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart sind jenseits einiger überdauernder normativer Korrelationen allmähliche Veränderungen und Verschiebungen zu beobachten. Deshalb kommen zunächst die wichtigsten Normen zur Sprache, die im gesamten Untersuchungszeitraum mit dem Offenheitsideal einhergehen, bevor die Normen, die sich im Umfeld des Offenheitsideals am auffälligsten wandeln, gestaffelt nach Jahrhunderten vorgestellt werden.

Konstanten des normativen Umfelds Wahrhaftigkeit und Deutlichkeit haben sich bereits als Kommunikationsideale erwiesen, aus bzw. mit denen das Offenheitsideal in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entsteht. Mit dem Ideal der Wahrhaftigkeit und/oder dem Antiideal der Unwahrhaftigkeit koexistiert das Offenheitsideal bis in die Gegenwart.379 Durchgängig wird jenes Ideal vor allem als ,Aufrichtigkeit‘, ,Ehrlichkeit‘, ,Wahrhaftigkeit‘ oder als Äußerung der ,Wahrheit‘ bezeichnet, einzig der Ausdruck ,Redlichkeit‘380 erfreut sich 379 Z. B. ist der „Versuch eines Leitfadens für Anstand, Solidität, Würde und männliche Schönheit“ aus dem späten 18. Jahrhundert von günstigen Urteilen über Offenheit durchzogen (vgl. Siede 1797: 33, 53–54, 123–124), enthält aber auch mehrere positive Bewertungen von Wahrhaftigkeit (vgl. vor allem Siede 1797: 10–11, 19). In ähnlicher Weise beharrt der Autor einer Anstandslehre knapp 90 Jahre später auf der Bedeutsamkeit von Ehrlichkeit (vgl. besonders Calm 1886: 270), setzt sich allerdings gleichfalls für Offenheit ein (vgl. Calm 1886: 27, 65, 243–244, 268). Im 20. Jahrhundert schreibt beispielsweise das „Gute Benehmen von A–Z“ das diskursive Muster fort, sowohl Offenheit (vgl. Smolka 1957: 37–38, 124, 251) als auch Ehrlichkeit als gut und richtig darzustellen (vgl. in erster Linie Smolka 1957: 132). Genauso wird in einem Freundschaftsratgeber am Ende des Jahrhunderts das Ideal der Wahrhaftigkeit (vgl. speziell Ryborz 1991: 94–95) von dem der Offenheit begleitet (vgl. Ryborz 1991: 158, 160, 199, 221). 380 Zu diesen Bezeichnungen vgl. neben den Angaben in Kapitel 3.1 exemplarisch die Einträge „aufrichtig“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 185, „aufrichtig“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 1. Bd.: 343–344, „ehrlich“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 664, „ehrlich“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.)

3.4 Kommunikative Normen im Umfeld des Offenheitsideals

203

nur im 18. und 19. Jahrhundert der Beliebtheit dafür. Unehrlichkeit wird meist mithilfe von Lexemen wie ,Lüge‘ und ,Falschheit‘ abgelehnt oder in Verbindung mit den Ausdrücken ,Täuschung‘, ,Verstellung‘ (im 18. Jahrhundert oft auch ,simulatio‘ genannt) und ,Schein‘381 beanstandet. Neben Wahrhaftigkeit wird Deutlichkeit über die letzten drei Jahrhunderte hinweg gemeinsam mit Offenheit als sinn- und wertvoll beurteilt; zugleich oder stattdessen wird häufig Undeutlichkeit kritisiert.382 Während Stichwörter wie ,deutlich‘ und ,klar‘, seit dem 20. Jahrhundert auch

1976/1999: 2. Bd.: 925–926, hier 925, „Wahrhaft“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 1325, „wahrhaftig“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 10. Bd.: 4411, „Wahrheit“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 1325, „Wahrheit“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 10. Bd.: 4411, „Redlich“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 56–57, hier Sp. 56. 381 Zu diesen Bezeichnungen vgl. neben den Angaben in Kapitel 3.1 exemplarisch die Einträge „Lüge“ in Adelung 1777/1796: 2. Bd.: Sp. 2127, „Lüge“ in Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 695, „Lüge“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1978/1999: 6. Bd.: 2470, „Falschheit“ in Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 35, „Falschheit“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 860, „Falschheit“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 3. Bd.: 1167, „Täuschen“ in Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 547, „täuschen“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 947–948, hier Sp. 947, „täuschen“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 3865, „Verstellen“ in Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 1151–1152, hier Sp. 1152, „verstellen“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 1257–1258, „verstellen“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 4288–4289, „Schein“ in Adelung 1780/1798: 3. Bd.: Sp. 1399–1400, hier Sp. 1400, „Schein“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 295–297, hier Sp. 296–297, „Schein“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1980/1999: 7. Bd.: 3337–3338, hier 3338. 382 Zu den Autoren des 18. Jahrhunderts, die Deutlichkeit einen großen Stellenwert geben, gehört ,W.‘ (vgl. insbesondere W. 1764/1766: 19–20, 22–25), der in seiner „Kurzen Anweisung zum Briefschreiben nach den Grundsätzen des H[er]rn. Prof.[essor] Gellerts für die niedern Schulen“ außerdem wiederholt Offenheit propagiert (vgl. W. 1764/1766: 9, 45, 52, 76, 80). In einem Briefsteller, der 1829 in der überarbeiteten fünften Auflage erscheint, ist mit einer Positivdarstellung von Deutlichkeit (vgl. primär Meili [o. J.]/1829: XVII, XX–XXII) ebenfalls eine Positivdarstellung von Offenheit verbunden: Der Autor fordert Offenheit für verschiedene briefliche Textsorten, ohne in jedem Fall den Ausdruck ,offen‘, ,offenherzig‘ oder ,freimütig‘ zu verwenden (vgl. Meili [o. J.]/1829: XXXII–XXXIII, XXXVI–XXXVII). Die fiktiven Verfasser vieler Musterbriefe schreiben sich Offenheit allerdings unter Verwendung der Bezeichnungen ,offen‘, ,offenherzig‘ resp. ,freimütig‘ selbst zu, was insbesondere für die Briefe des Kapitels „Briefe, welche Freundschaft, Liebe, Eheanträge u.[nd] d.[er] gl.[eichen] zu Gegenständen haben“ gilt (Meili [o. J.]/1829: 222, vgl. 222–223, 236–239). Nicht nur für Briefe, sondern ebenso für den mündlichen Sprachgebrauch wird Deutlichkeit in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der „Anstandslehre für den jungen Landwirt“ eingeklagt (vgl. vornehmlich Roeder 1929/1930: 14, 27), wobei auch Offenheit im Verlauf des Textes Zustimmung erfährt (vgl. Roeder 1929/1930: 15). Ein Führungs- und Kommunikationsratgeber kann als Beispiel für die Kombination einer Befürwortung von Offenheit (vgl. Reinke-Dieker 2003: 60–61, 65, 68) mit einer Befürwortung von Deutlichkeit in der Gegenwart dienen (vgl. vor allem Reinke-Dieker 2003: 63).

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3 Offenheit als Ideal

,direkt‘ und ,transparent‘383 auf das Prinzip der Deutlichkeit referieren, werden undeutliche Äußerungen z. B. ,dunkel‘, ,verdeckt‘, ,verschleiert‘, mit ,Umschweifen‘ oder ,Schminke‘ versehen genannt. Undeutlichkeit ist mitgemeint, wenn im 18. Jahrhundert von ,dissimulatio‘, auch später noch von ,Verbergen‘384 die Rede ist. Es überrascht nicht, dass die Ideale der Wahrhaftigkeit und Deutlichkeit das der Offenheit durch alle untersuchten Jahrhunderte hindurch begleiten: Sowohl Wahrhaftigkeit als auch Deutlichkeit – und zwar Deutlichkeit speziell im Sinn von Transparenz – bilden Kernkomponenten des Offenheitsbegriffs, wie sich in Kapitel 2.2 herausgestellt hat. Wahrhaftigkeit, Deutlichkeit und Offenheit sind folglich konzeptuell denkbar eng miteinander verwandt. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob auch der dritte konzeptuelle Kernaspekt von Offenheit, der in Kapitel 2.2 herausgearbeitet wurde, als eigenständiges Kommunikationsideal an der Seite des Offenheitsideals auftritt: Die risikoreiche Preisgabe einer Information wird jedoch nicht regelmäßig zusammen mit Offenheit gelobt oder empfohlen, und das entsprechende Gegenteil, Verschlossenheit, Zurückhaltung bzw. Geheimhaltung, wird nur gelegentlich klar abgelehnt. Dies ist insofern verständlich, als die risikoreiche Preisgabe einer Information – wie die Bezeichnung besagt – eine Gefahr für den Äußerungspro-

383 Zu diesen Bezeichnungen vgl. neben den Angaben in Kapitel 3.1 exemplarisch die Einträge „deutlich“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 567, „deutlich“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 2. Bd.: 797–798, „Klar“ in Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 359–360, „klar“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1978/1999: 5. Bd.: 2128, „direkt“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 2. Bd.: 824, „transparent“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 3948–3949, hier 3949. 384 Zu diesen Bezeichnungen vgl. neben den Angaben in Kapitel 3.1 exemplarisch die Einträge „Dunkel“ in Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 1574–1575, hier Sp. 1574, „Dunkel“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 618–619, hier Sp. 619, „dunkel“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 2. Bd.: 880–881, hier 881, „Verdecken“ in Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 1009–1010, hier Sp. 1009, „verdecken“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 1182, „verdecken“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 4193, „Schleyer“ in Adelung 1780/1798: 3. Bd.: Sp. 1527, „verschleiern“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 1241, „verschleiern“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 4269, „Umschweif“ in Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 817, „Umschweif“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 1130, „Umschweif“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 4070, „Schminken“ in Adelung 1780/1798: 3. Bd.: Sp. 1577, „schminken“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 424–425, hier Sp. 425, „schminken“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1980/1999: 8. Bd.: 3400, „Verbergen“ in Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 992–993, hier Sp. 992, „verbergen“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 1176, „verbergen“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 4182.

3.4 Kommunikative Normen im Umfeld des Offenheitsideals

205

duzenten beinhaltet und daher begriffsbedingt nicht so positiv wie die anderen beiden Hauptkomponenten beurteilt werden kann. Eine große Zahl von Teilnehmern am Diskurs über Sprache und Kommunikation favorisiert in den vergangenen 300 Jahren, besonders im 18. Jahrhundert, neben Offenheit auch Natürlichkeit und/oder die Absenz von Künstlichkeit. Die Konzepte der Natürlichkeit und Künstlichkeit sind vielschichtiger als die der Wahrhaftigkeit, Deutlichkeit sowie die ihrer Gegenstücke und wandeln sich stärker als diese. Im 18. Jahrhundert korreliert das Offenheitsideal mit den Varianten des Ideals der Natürlichkeit bzw. Antiideals der Künstlichkeit, die in Kapitel 3.1 bereits vorgestellt wurden.385 Im 19. und 20. Jahrhundert verschiebt und verkleinert sich das begriffliche Variantenspektrum des befürworteten ,Natürlichen‘ wie des kritisierten ,Künstlichen‘:386 Am Ende des 19. Jahrhunderts lassen sich nur noch zwei idealtypische Ausprägungen von Natürlichkeit bzw. Künstlichkeit unterscheiden. Eine Ausformung Ersterer, die bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts Anklang findet, ist eine emotionalimpulsive, auch ,arglos‘ oder ,naiv‘387 genannte Ausdrucksweise. Analog zu den Befunden des vorigen Kapitels 3.3 ist ihre Würdigung allerdings dahingehend situativ beschränkt, dass sie primär für die Kommunikation einer Frau mit einem möglichen Ehemann, ihrem tatsächlichen Gatten oder einem anderen erwachsenen männlichen Verwandten gilt. Als Gegenstück wird vor allem Gehemmtheit missbilligt, die mit Ausdrücken

385 So trifft man etwa in einem anonym erschienenen Briefsteller aus den 1770er Jahren sowohl auf Formulierungen, die auf eine positive Einstellung des Autors gegenüber Offenheit schließen lassen (vgl. [Anonym.] 1777: 139–141), als auch auf solche, die eine Ablehnung von Künstlichkeit im Sinn gezwungener Regelbefolgung zu erkennen geben (vgl. hauptsächlich [Anonym.] 1777: 139–141). Hingegen verwirft Johann Andreas Fabricius in seiner „Philosophischen Oratorie“ aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts einen künstlich-komplizierten Stil (vgl. speziell Fabricius 1724: 235–236) und deutet in anderen Abschnitten seine Wertschätzung von Offenheit an (vgl. Fabricius 1724: 534, 536). ,W.s‘ Briefsteller aus der zweiten Jahrhunderthälfte lässt sich schließlich als Exempel für einen Text anführen, in dem sich eine positive Einschätzung von Offenheit (vgl. nochmals W. 1764/1766: 9, 45, 52, 76, 80) in Verbindung mit einer Präferenz für Natürlichkeit als individuellen Affektausdruck zeigt (vgl. vorrangig W. 1764/1766: 44–45). 386 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „Natürlich“ in Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 962, „natürlich“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1978/1999: 6. Bd.: 2709, „künstlich“ in Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 515, „künstlich“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1978/1999: 5. Bd.: 2313. 387 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „A[rg]-los“ in Heinsius 1818: 1. Bd.: 175, „arglos“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 1. Bd.: 288, „Naiv“ in Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 943, „naiv“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1978/1999: 6. Bd.: 2698.

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3 Offenheit als Ideal

wie ,verlegen‘, ,ängstlich‘, ,befangen‘ und ,schüchtern‘388 belegt wird. Gut illustrieren lässt sich diese Variante des Natürlichkeitsideals mit einer Passage aus einem Anstandsbuch des späten 19. Jahrhunderts: Hier, in dem Fall besonders, wo das Herz sie [die feingebildete Jungfrau] treibt, sich dem Mann liebenswert zu zeigen, den sie gewinnen möchte, vermeide sie jeden Schein von Koketterie, gebe sie sich in seinem Beisein so harmlos, so natürlich wie möglich; sie verscheuche ihn auch nicht durch unzeitige Schüchternheit oder versuche es, unter kalt abweisender oder wohl gar mürrischer Außenseite die Gefühle des Herzens zu verbergen. All diese unnatürlichen Versuche werden ihn eher von ihr entfernen als anziehen389.

„Der Jungfrau feines und taktvolles Benehmen“ – so der Titel des Buchs – besteht darin, im Umgang mit einem potenziellen Ehepartner ,natürlich‘ und ,harmlos‘ zu erscheinen. Der angeratenen Natürlichkeit werden in diesem Zitat zwei abgelehnte Formen von Künstlichkeit gegenübergestellt: Mädchen und junge Frauen sollen ihr Verhalten erstens nicht offensichtlich auf Effekte hin kalkulieren,390 sondern spontan auftreten, und sie sollen zweitens keine Hemmungen zeigen, sich emotional zu offenbaren. Indem der Verfasser das ,Verbergen‘ der ,Gefühle des Herzens‘, welches sich als Verzicht auf Offenherzigkeit auffassen lässt, als ,unnatürlich‘ bemängelt, wird der Begriff der Offenheit implizit so dicht an den der Natürlichkeit gerückt, dass die Grenze zwischen beiden verwischt. Bei der Lektüre von Textstellen wie dieser kann man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass die Idealisierung emotional-impulsiver Natürlichkeit bei Frauen zumindest teilweise dem Bedürfnis geschuldet ist, die Annäherung zwischen Frau und Mann zu vereinfachen, die insofern erschwert ist, als allein den Männern das Recht bzw. die Pflicht zu initiierenden Akten zufällt. Eine andere Ausformung des Natürlichkeitsideals im späteren 19. und 20. Jahrhundert lässt sich in der Neigung zu Äußerungen erkennen, die flexibel ohne Phrasen formuliert sind, zu einer bisweilen gleichfalls ,ungezwungen‘ oder ,einfach‘391 genannten Art der Kommunikation.

388 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „Verlegenheit“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 1215, „verlegen“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 4245, „ängstlich“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 91, „ängstlich“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 1. Bd.: 218, „befangen“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 306, „befangen“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 2. Bd.: 483, „Schüchtern“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 482, „schüchtern“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1980/1999: 8. Bd.: 3447. 389 Ernst (Hrsg.) [ca. 1880]: 183. 390 Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 419 gibt für „kokett“ die Bedeutung „gefallsüchtig“ an. 391 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „zwingen“ in Paul 1897: 576,

3.4 Kommunikative Normen im Umfeld des Offenheitsideals

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Wenn die Verfasser kommunikationsnormativer Texte das Gegenteil, die umständliche Verwendung stereotyper Formulierungen, verurteilen,392 sprechen sie von ,künstlicher‘ oder von ,gezwungener‘ Kommunikation, vom Gebrauch von ,Phrasen‘ oder ,Floskeln‘.393 Diese Ausprägung des Natürlichkeitsideals bzw. -antiideals scheint aus einer Fusion von zwei der erwähnten Ausprägungen des 18. Jahrhunderts entstanden zu sein (Zwanglosigkeit plus Einfachheit bzw. starre Regelbefolgung plus Schwulst). In Kombination mit einer Hochschätzung von Offenheit ist sie in einem Anstandsbuch von 1886 anzutreffen:394 „Einfach, natürlich schreiben, das ist die erste Bedingung eines guten Briefes. Nur keine Phrasen, keine geschraubten Redensarten! Nur nicht schreiben, ,wie ein Buch‘“.395 Ein ,guter Brief‘ ist demnach immer ein ,einfacher‘ und – da im weiteren Verlauf des Satzes nur von einer, nicht von zwei ,Bedingungen eines guten Briefes‘ die Rede ist – in diesem Sinne ein ,natürlicher‘ Brief.396 Diese schlichte Natürlichkeit wird im folgenden Satz als Abwesenheit von Floskeln näher bestimmt und, ganz in der Tradition des 18. Jahrhunderts, vom typisch schriftlichen Sprachgebrauch abgegrenzt. Dasselbe Natürlichkeitsideal zeigt sich bis in die Gegenwart in Verbindung mit dem Offenheitsideal:

392

393

394 395 396

„ungezwungen“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 4108, „Einfach“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 684, „einfach“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 2. Bd.: 943. Es wäre nicht richtig, allen kommunikationsnormativen Texten, die eine floskelhafte Unnatürlichkeit aburteilen, einen Widerspruch vorzuwerfen: Es gibt zwar Briefsteller, Konversationslehren, Anstandsbücher usw., die ihren Lesern wenig originelle Formulierungen als Versatzstücke für die eigenen Texte empfehlen und im Widerspruch dazu auf einem Verzicht auf Floskeln bestehen. Insgesamt konzipieren kommunikationsnormative Texte die Verwendung ihrer Mustertexte aber unterschiedlich; das Spektrum reicht von der Aufforderung, die Muster mehr oder weniger unverändert zu kopieren, bis hin zum Vorschlag, sie als Inspirationsquelle für neue Kreationen zu nutzen. Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „Zwingen“ in Sanders 1865/1876: 2. Bd.: 2. H.: 1812–1814, hier 1812, „gezwungen“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1977/1999: 4. Bd.: 1516, „Phrase“ in Sanders 1863/1876: 2. Bd.: 1. H.: 547, „Phrase“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1980/1999: 7. Bd.: 2922, „Floskel“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 941, „Floskel“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 3. Bd.: 1267. Für Textstellen, in denen sich eine positive Einstellung gegenüber Offenheit zeigt, vgl. Calm 1886: 27, 65, 243–244, 268. Calm 1886: 374. Das Zitat stammt aus einem Kapitel über „Freundschaftsbriefe“ (Calm 1886: 374), das günstige Urteil über Natürlichkeit gilt allerdings mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für ,Höflichkeitsbriefe‘, denn der Autor schreibt: „Gehen wir [...] zu den Höflichkeitsbriefen über, so ist das meiste von den Freundschaftsbriefen Gesagte auch auf sie anwendbar“ (Calm 1886: 383).

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3 Offenheit als Ideal

Nicht in alle modernen Geschäfts- und Bürohäuser ist auch ein zeitgemäßer Briefstil eingezogen. Doch im allgemeinen ist das schriftliche oder persönliche Gespräch zwischen Lieferanten und Kunden heute wesentlich aufgelockerter und natürlicher als in den Gründerjahren, aus denen noch immer längst überholte Floskeln der schmeichlerischen oder gar unterwürfigen Art von damals durch manche Geschäftsbriefe geistern397.

Diesem Anstandsbuch von 1974 zufolge ist in der Gegenwart für Briefe und Unterredungen selbst im beruflichen Kontext ein ,aufgelockerter‘ und ,natürlicher‘ Stil ohne stereotype Formulierungen wünschenswert, wobei noch hier dem mündlichen Austausch im Vergleich mit der schriftlichen Korrespondenz der höhere Natürlichkeitsgrad zugewiesen wird. Auch in diesem Text wird Offenheit neben Natürlichkeit als erstrebenswert apostrophiert.398 Als Grund für die Verknüpfung des Offenheits- und des Natürlichkeitsideals im gesamten Untersuchungszeitraum lässt sich die konzeptuelle Ähnlichkeit der beiden Kommunikationsprinzipien vermuten: Sie besteht zwischen der risikoreichen Preisgabe einer Information, die für Offenheit konstitutiv ist (siehe Kapitel 2.2 sowie – namentlich zum Begriff des Bonum – 2.3), und der Abweichung von einer kulturellen Gebrauchsnorm, die für Natürlichkeit notwendig ist (vergleiche Kapitel 3.1). So basiert emotional-impulsive Natürlichkeit auf spontanen Gefühlsbekundungen, die das übliche Maß überschreiten; ungezwungen-einfache Natürlichkeit beruht auf Formulierungen, die mit eingespielten Redeweisen brechen. Wann immer Offenheit ein Bonum bedroht, zu dessen Pflege eine kommunikative Konvention existiert – z. B. wenn eine offene Äußerung das taxationale oder interaktionale Bonum des Adressaten gefährdet, dieses aber normalerweise aus Höflichkeit protegiert wird –, steht Offenheit im Gegensatz zur Umsetzung dieser Gebrauchsnorm. Sie hat dadurch in vielen Fällen genau wie Natürlichkeit einen antikonventionellen Impetus. Zum Verhältnis zwischen Offenheit und Höflichkeit, einer synchron facettenreichen und diachron wechselvollen konzeptuellen Relation, die in Kapitel 3.2 bereits angerissen wurde, ist damit freilich noch nicht genug gesagt worden.

397 Trifels 1974: 339. Für ,private‘ Briefe vgl. Trifels 1974: 338. 398 Vgl. Trifels 1974: 14–15, 98, 305.

3.4 Kommunikative Normen im Umfeld des Offenheitsideals

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Besonderheiten des normativen Umfelds im 18. Jahrhundert Ein besonders zuvorkommendes und unterwürfiges kommunikatives Verhalten, das als ,Höflichkeit‘,399 aber auch mit vielen anderen Ausdrücken bezeichnet werden kann, zieht im 18. Jahrhundert beständig den Argwohn der Autoren auf sich, die Offenheit favorisieren.400 Ein Positivurteil über Offenheit ist im 90. Stück des „Patrioten“ aus dem Jahr 1725 besonders eng an Vorbehalte gegenüber dieser devoten Höflichkeit gekoppelt. Das Positivurteil und die Vorbehalte treten in ein und demselben Satz hervor, in dem der Herausgeber bzw. – in der Fiktion der moralischen Wochenschrift – der ,Patriot‘ einem Leser für seine kritische Zuschrift dankt: „Ich [der ,Patriot‘, J.S.] dancke ihm [dem Verfasser des Briefes, J.S.] [...] für seine Offenhertzigkeit, und versichere, daß ein Schreiben von seiner Ahrt mir unweit gefälliger ist, als falsche Complimente und schmeichlerische Lobes-Erhebungen nur immer seyn können“.401 ,Offenherzigkeit‘ wird hier zu ,Complimenten‘ und ,Lobeserhebungen‘ in Kontrast gesetzt, welche ihrem Adressaten Attribute zuweisen, die sie/er mit hoher Wahrscheinlichkeit als positiv empfindet, und dadurch ihr/sein taxationales Bonum steigern. Gegenüber dieser devoten Höflichkeit wird Offenheit vom ,Patrioten‘ klar bevorzugt, weil jene aus seiner Sicht unehrlich, nämlich ,falsch‘ und ,schmeichlerisch‘ ist. Die Frontstellung von Offenheit und devoter Höflichkeit kehrt samt der Anerkennung Ersterer und der Ablehnung Letzterer im folgenden Jahrgang des „Patrioten“ in ausführlicherer und elaborierterer Form wieder. In einem vermutlich fingierten Leserbrief, enthalten im 139. Stück, schreibt ein junger Mann mit dem bezeichnenden Namen ,Ehrlich‘ dem ,Patrioten‘, wie er von seiner Mutter „zu dem vornehmsten Minister“ gesandt wird, um ihm eine „Bitt-Schrift [zu] überreichen“, mit der die Mutter um die „noch rückständige Besoldung ihres [verstorbenen, J.S.] Mannes“402 ersucht. Ehrlich berichtet: [D]er [Minister war] denn so gnädig [...], mich unter andern zu fragen: Ob ich über das Absterben meines Vaters noch sehr betrübt sey? worauf ich ihm offenhertzig antwortete: daß auch alle andere Leute ihn zu bedauren Ursache fünden, weil er so ein gottesfürchtiger, liebreicher und redlicher Mann gewe-

399 Zu dieser Bezeichnung vgl. exemplarisch den Eintrag „Höflich“ in Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 1245–1246. 400 Ähnlich beobachtet Linke 1996a: 83 eine generelle „Ablehnung ,höfischer‘ Höflichkeit“ im 18. Jahrhundert. 401 [Anonym.] 1725e: 314. 402 Ehrlich 1726: 281.

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sen wäre. Ich erzählte solches nachher meiner Mutter, und [...] muste [...], zu meiner Befremdung, hören, daß man dieses, leider! nach dem heutigen WeltLauf für eine kindische Einfalt halten würde, und ich wider den Wohlstand gehandelt hätte403.

Ehrlichs ,offenherziges‘ Benehmen wird von seiner Mutter als Verstoß gegen den Anstand404 verurteilt. Welches Verhalten der Mutter im Gegensatz dazu vorschwebt, zeigt sich, als sie den Minister in derselben Angelegenheit aufsucht: Auf eine andere Zeit nahm sie mich selber mit sich, um in meiner Gegenwart ihr Anliegen mündlich vorzubringen, und ich konnte mich nicht darin finden, daß ich, an statt einer vermeynten Schuldigkeit, nichts als lauter Gnade von ihr nennen hörte. Aber meine Verwunderung über das folgende war noch grösser. Sie erlangte keine gewissere Zusage, als mit welcher sie bis dahin immer vergeblich aufgehalten war: nichts destoweniger bestund das Ende ihres, meinem Bedüncken nach, fruchtlosen Gespräches in einer demühtigen Dancksagung, und als ich bey unserer Zuhausekunft mich erkundigte, wofür sie sich bedanket hätte; gab sie mir mit thränenden Augen zur Antwort: daß solches der Wohlstand erfodere405.

Ehrlichs Mutter spricht die rechtmäßige Forderung nach dem ungezahlten Gehalt ihres verstorbenen Ehemannes nicht aus, welche die Handlungsfreiheit des Ministers bedrohen würde. Dies, aber auch die häufige Verwendung von Höflichkeitsfloskeln, die dem Ansehen des Gegenübers zugute kommen (,lauter Gnade‘, ,demütige Danksagung‘), machen ihre Umgangsformen höflich-servil. Sie dienen dem interaktionalen und taxationalen Bonum des Interaktionspartners.406 Der Brief, den Ehrlich an den „Patrioten“ schickt, macht dessen Lesern – durchaus aufklärerisch-pädagogisch – klar, wohin eine derartige Untertänigkeit den Bürger

403 Ehrlich 1726: 281. 404 Zu dieser Bedeutung von „Wohlstand“ vgl. die Angaben in Adelung 1786/1801: 4. Bd.: Sp. 1598–1599, hier Sp. 1598. 405 Ehrlich 1726: 281–282. 406 Diese Höflichkeitsform weist Ähnlichkeiten mit Goffmans Konzept der „Ehrerbietung“ auf: „Mit Ehrerbietung soll die Handlungskomponente [die Komponente einer Handlung, J.S.] bezeichnet werden, durch die symbolisch die Wertschätzung des Empfängers dem Empfänger regelmäßig übermittelt wird oder die Wertschätzung dessen, wofür dieser Empfänger als Symbol oder Repräsentant gilt“ (Goffman 1956/1967/1971: 64). Goffman unterscheidet zwei Hauptklassen der Ehrerbietung: „Ehrerbietung kann viele Formen annehmen, doch sollen hier nur zwei große Gruppen betrachtet werden: Vermeidungsrituale (avoidance rituals) und Zuvorkommenheitsrituale (presentational rituals)“ (Goffman 1956/1967/1971: 70). Die Vermeidungsrituale überlappen sich mit dem, was ich als Berücksichtigung des interaktionalen Bonum des Gegenübers beschreibe (vgl. Goffman 1956/1967/1971: 70–74), die Zuvorkommenheitsrituale mit dem, was bei mir die Pflege seines taxationalen Bonum ist (vgl. Goffman 1956/1967/1971: 79–81).

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führt, der seine Interessen gegenüber Adel und Obrigkeit durchzusetzen versucht: nirgendwohin. Sowohl diese ,Moral der Geschichte‘ als auch die Tatsache, dass die Figur des ,Patrioten‘ ausdrücklich Sympathie mit dem jungen Ehrlich bekundet,407 implizieren eine Aufwertung von Offenheit und Abwertung devoter Höflichkeit. Dass diese zur Subordination der (typischerweise bürgerlichen) Person niedereren Standes unter die (typischerweise adelige) Person höheren Standes führe, die für jene eher unwürdig denn zielführend sei, ist neben dem Vorwurf der Unehrlichkeit ein zweiter Haupteinwand, den Offenheitsbefürworter gegen diese Art von Höflichkeit vorbringen. Wie im ersten Zitat aus dem 1725er Jahrgang des „Patrioten“ ersichtlich ist, kann sich die Beanstandung dieser Höflichkeit mit dem Stichwort ,Compliment‘ verbinden. Im 17. und 18. Jahrhundert ist das Compliment entweder eine Verbeugung, ein Gruß oder eine umfassendere Interaktionseinheit, in der normalerweise sprachliche Äußerungen und Körperbewegungen kombiniert werden, um devote Höflichkeit umzusetzen und so die Beziehung des Äußerungsproduzenten zum Adressaten zu erhalten oder zu verbessern.408 Wer sich im 18. Jahrhundert für Offenheit einsetzt, ist oft ein entschiedener Feind dieser kommunikativen Gattung.409 „Ich werde jetzo nur eine ganz besondere Art der Heucheley untersuchen, vermöge welcher ein Mensch dienstfertig, freundschaftlich und ehrerbietig gegen andere zu seyn scheinen will, und daher eine sehr schöne Lüge bey aller Gelegenheit vorbringt, welche man ein Compliment zu nennen 407 Vgl. [Anonym.] 1726b: 288. 408 Die Bedeutungen, die Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 1345 für das Lemma „Compliment“ verzeichnet, bestätigen diese Erläuterung: Ein ,Compliment‘ sei „eigentlich eine Verbeugung aus Ehrfurcht oder Hochachtung. [...] In weiterer Bedeutung, ein Gruß mit einer Verbeugung. [...] In noch weiterem Sinne, ein jeder Gruß. [...] Ferner, eine kurze Anrede bey feyerlichen Gelegenheiten, zur Bezeigung seines Antheiles. [...] In noch weiterer Bedeutung werden alle äußerliche Bezeigungen der Hochachtung und Höflichkeit im gesellschaftlichen Leben Complimente genannt“. – Die große Bedeutung des Compliments insbesondere für das 17. Jahrhundert, seine Zusammensetzung aus sprachlichen und nicht-sprachlichen Elementen sowie seine Funktion der sozialen Bestätigung des Adressaten sind bekannt: vgl. dazu Barner 1970: 166, Braungart 1988: 225–228, Beetz 1990: 131, Fauser 1991a: 245, Linke 1996b: 104–108, Kolmer/RobSanter 2002: 30–31. 409 Dass das Compliment im 18. Jahrhundert allgemein in Verruf gerät, spiegeln Adelungs semantische Angaben ebenfalls wider: „In noch weiterer Bedeutung werden alle äußerliche Bezeigungen der Hochachtung und Höflichkeit im gesellschaftlichen Leben Complimente genannt; da denn das Wort zuweilen auch in einem nachtheiligen Verstande von dem Überflusse solcher Bezeigungen gebraucht wird. [...] Ja oft ein Gegensatz der thätigen Erweisung seiner Achtung“ (Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 1345). – Von der Kritik am Compliment im 18. und 19. Jahrhundert berichten Fauser 1991a: 248, Göttert 1991: 107, Linke 1996b: 108–120, 129, Wullen 1999: 94–98, Till 2004: 149–150.

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pflegt“,410 so beginnt ,F.‘411 im 45. Stück des „Geselligen“ (1748) seine Kritik am Compliment. Mit der Aussage, dass man mit Complimenten ,dienstfertig‘ und ,ehrerbietig‘ erscheinen wolle, weist der Autor diese als Interaktionseinheiten zuvorkommend-unterwürfiger Höflichkeit aus. Wiederholt wendet er gegen sie ein, dass ihnen Wahrhaftigkeit fehle: „Es ist ärgerlich und lächerlich, daß es heute zu Tage so weit gekommen ist, daß man mehrentheils ein Compliment für eine Lügen halten muß, oder für eine Rede, die gar keinen Verstand hat“.412 Gegenüber dem Austausch solcher Complimente ist für den Verfasser ein Umgang, der auf wahrer Zuneigung und Anteilnahme sowie auf offener Äußerung dieser beruht, wirklich ,gesellig‘, d. h. dem Miteinander zuträglich:413 Ein geselliger Mensch muß nothwendig den andern lieben [...]. So wenig ein Feuer die nahen Gegenden der Luft nicht erwärmen und erleuchten solte, so wenig kan die Geselligkeit in dem Herzen verschlossen bleiben. Wessen das Herz voll ist, des geht der Mund über. Folglich muß ein geselliger Mensch die geselligen Empfindungen seines Herzens [...] ausdrucken414.

Die Beschwerde über devote Höflichkeit, speziell über das Compliment, ist allerdings älter als das Offenheitsideal.415 Schon Christian Friedrich Hunold alias ,Menantes‘, der in der „Besten Manier In Honnéter Conversation, Sich höflich und Behutsam aufzuführen“ (1707/1713) noch ältere, höfisch-politische und galante Kommunikationsnormen vertritt, nimmt darin das Compliment aufs Korn. Mit der ersten Maxime des zehnten Kapitels weist er seine Leser zu einem moderaten Einsatz von Complimenten an: „Die Gewohnheit leget denen Complimenten einen Werth bey; Also muß man sich selbiger nicht mehr bedienen / als es

410 F. 1748: 369. 411 Als Autor des Stücks lässt sich Georg Friedrich Meier vermuten (vgl. Martens 1987: 404). 412 F. 1748: 370. Der Autor karikiert die Praxis des Complimentierens folgendermaßen: „Wenn Johann Höflich jemanden besucht, so lernt er erst ein Compliment auswendig, welches er aufgeschrieben hat. Unterwegens grüßt er niemanden, weil er sein Compliment beständig wiederholt. Trit er nun in das Zimmer, so räuspert er sich erst, macht Handgeberden, und fängt seine Rede an. Manchmal bleibt er stecken, und fängt eine Periode wieder von forne an. Der Schluß der Periode reimt sich nicht zum Anfange, und er sagt mit vielen demüthigen Geberden endlich nichts weiter, als: er bäte gütigst, man möge ihm gehorsamst erlauben, daß er seine Aufwartung mache“ (F. 1748: 373–374). 413 Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 622 verzeichnet unter „Gesellig“ die Bedeutung „geneigt mit andern in Verbindung zu leben, zum Umgange, zur Gesellschaft geneigt“. 414 F. 1748: 372–373. 415 Darauf, dass bereits vor dem 18. Jahrhundert Kritik am Compliment geübt wird, weisen Linke 1996b: 108 und Gardt 1999: 163 hin.

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die Gewohnheit erfodert“.416 In Hunolds Erörterung der Maxime kommen deutliche Vorbehalte gegenüber dem Compliment zum Vorschein: [Es] ist nicht zu läugnen / daß es verdrießlich / wenn man verpflichtet ist / so viele Worte zu sagen / die so wenig mit dem Innersten übereinstimmen: Denn welche Eitelkeit und welcher Verlust der Zeit ereignet sich nicht bey den Visiten / Begrüssungen / Umarmungen und Conversationen, die auf die Höfflichkeit / Ceremonien, Anerbietungen / Versprechungen / und Lob-Reden hinaus lauffen! Wie viel sich selbst übersteigende Redens-Arten / wie viel Gleißnerey / wie viel Schmeicheley / wie viel Falschheit / und wie viele Betrügereyen trifft man nicht bey allen an / die sie geben / die sie annehmen / und die sie hören? dergestalt / daß es ein stillschweigender Handel und Complot ist / sich über einander zu moqviren / einander zu belügen und zu betrügen417.

Aus zwei Gründen erregen Complimente den Unmut Hunolds: zum einen, weil man sich mit ihnen um der ,Eitelkeit‘ willen ,belüge‘ und ,betrüge‘, zum anderen, weil sie zu einem ,Verlust der Zeit‘ führten. Dass devote Höflichkeit bzw. die für sie zentrale kommunikative Gattung des Compliments zeitlich unökonomisch sei, ist im 18. Jahrhundert ein weiterer Standardkritikpunkt. Anders als bei Unwahrhaftigkeit und Wahrhaftigkeit, Undeutlichkeit und Deutlichkeit sowie Künstlichkeit und Natürlichkeit begleitet das begriffliche Gegenstück zu devoter Höflichkeit das Ideal der Offenheit jedoch nicht als ein solches, im Gegenteil: Zahlreiche Autoren, die sich im 18. Jahrhundert für Offenheit engagieren, greifen im selben Text ,Grobheit‘ an, ein ,beleidigendes‘, ,ungeschliffenes‘,418 mit anderen Worten rücksichtsloses und schroffes kommunikatives Verhalten, welches das taxationale und/oder interaktionale Bonum des Gegenübers beeinträchtigt. Es kommt sogar vor, dass das Offenheitsideal in einer Quelle sowohl vom Antiideal der untertänigen Höflichkeit als auch vom Antiideal der Grobheit flankiert wird. Dies ist im zitierten 45. Stück des „Geselligen“ (1748) der Fall: „[K]einem wohlgezogenen Menschen von gutem Geschmacke [kan] das Plumpe, Grobe, Ungezogene in den Reden gefallen“.419 Nachdem der Autor sowohl das traditionelle Compliment als auch Grobheit diskreditiert hat, rehabilitiert er das Compliment in einer argumentativen Volte durch eine Redefinition: Die „Kunst, auf die gehörige Art zu complimentiren“, die ein „geselliger Mensch [...] verste416 Menantes 1707/1713: 68. 417 Menantes 1707/1713: 69. 418 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „Grob“ in Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 806–808, hier Sp. 807, „Beleidigen“ in Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 842 und „Ungeschliffen“ in Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 863. 419 F. 1748: 373.

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hen und in seiner Gewalt haben müsse“,420 besteht für ihn im offenen Ausdruck tatsächlicher Zuneigung, dessen Befürwortung oben bereits vernehmlich wurde.421 Die Kritik an Grobheit kann als Kritik an einem bestimmten Offenheitsverständnis formuliert werden. Das 197. Stück des „Geselligen“ aus dem Jahr 1750 beginnt mit einem Plädoyer für die „vortrefliche Tugend der Offenherzigkeit“.422 Da der Verfasser, der wiederum unter der Sigle ,F.‘ schreibt,423 der Ansicht ist, „daß die allerwenigsten [Menschen, J.S.] die rechte Natur dieser so geselligen Tugend verstehen“,424 versucht er, seinen Lesern diese zu erläutern. Die Gleichsetzung von Offenheit mit Schroffheit und Rücksichtslosigkeit – seines Erachtens indiskutablen Verhaltensweisen – erklärt er für falsch: „[E]in Offenherziger macht seine Entdeckung auf die artigste, gefälligste, höflichste, und freundlichste Weise“, er beträgt sich anders als „manche, die sich für offenherzig halten, und welche gerade zu gehen, und mit der Thür ins Haus fallen“.425 Diese Leute „entdecken uns die Wahrheit auf eine ungeschliffene, rauhe, plumpe und grobe Art. [...] Gerade als wenn ein Offenherziger ein Tölpel seyn müste“.426 In Quellen wie den beiden zuletzt zitierten wird ersichtlich, dass devote Höflichkeit, Offenheit und Grobheit für die Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts auf einer Skala liegen. Deren eines Ende bildet devote Höflichkeit, die vor allem das taxationale und interaktionale Bonum des Interaktionspartners pflegt. Am anderen Ende der Skala befindet sich Grobheit, welche das interaktionale und/oder taxationale Bonum des Gegenübers reduziert. Zwischen beiden Polen, dichter aber am Grobheitspol ist Offenheit angesiedelt, genauer: die Offenheitsform, die das interaktionale und/oder taxationale Bonum des Interaktionspartners bedroht. Mit dem Wissen um diese historische Konzeptualisierung wird die dargestellte Konstellation kommunikativer Normen begreiflich: Als Antiideal gilt zahlreichen Autoren devote Höflichkeit. Offenheit steht konzeptuell im Gegensatz zu ihr427 und wird deshalb aufgewertet. Grobheit aller-

420 421 422 423 424 425 426 427

F. 1748: 373. Vgl. für die Redefinition auch F. 1748: 370–371, 373–374. F. 1750: 82. Es besteht Anlass zur Vermutung, dass es sich um Georg Friedrich Meier handelt (vgl. Martens 1987: 404). F. 1750: 82. F. 1750: 87. F. 1750: 87. Eine ähnliche Sichtweise ist in der zeitgenössischen linguistischen Höflichkeitsfor-

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dings wird gerügt, weil sie als unzulässige Übertreibung von Offenheit betrachtet wird. Aus den herausgearbeiteten drei zentralen Einwänden gegen diese Höflichkeit (Unwahrhaftigkeit, kontraproduktive Unterordnung, Umständlichkeit) kann man auf die sozialgeschichtlichen Gründe dafür schließen, dass sie gerade seit dem 18. Jahrhundert abgelehnt wird: Funktional ist sie für eine Gesellschaft, in der die Person mit dem jeweils niedrigeren Status den bestehenden Rangunterschied zum Interaktionspartner bekräftigen oder zumindest bestätigen soll, im Zweifelsfall auf Kosten der Wahrhaftigkeit und zu Lasten der Effizienz der interaktionalen Handlungen, die nicht die Beziehungsebene betreffen. Solange ein kollektives Einverständnis darüber besteht, dass die gesellschaftliche Hierarchie und der Platz, den jeder Mensch mit seiner Geburt darin erhalten hat, gottgewollt sind, wird zuvorkommend-unterwürfige Höflichkeit als sinnvoll empfunden, insofern sie die existierende Ordnung stabilisiert. Im 18. Jahrhundert verliert dieser Konsens an sozialer Bindungskraft, denn immer mehr Einzelne und Gruppen nähern sich vorsichtig und schrittweise der modernen Grundüberzeugung an, dass alle Menschen gleichwertig sind und jedes Individuum im Lauf seines Lebens seine gesellschaftliche Position verändern kann, zumal diese nicht von Gott vorbestimmt ist. Damit wird das Ziel der interaktiven Festigung vorhandener Statusdifferenzen fragwürdig, weshalb zuvorkommend-unterwürfige Höflichkeit von Interagierenden niedereren Standes zunehmend als dysfunktional erlebt wird. Dass die Korrelation des Offenheitsideals mit dem Antiideal dieser Höflichkeit im 19. Jahrhundert an Bedeutung verliert, dürfte damit zu erklären sein, dass Letztere dann aufgrund der angedeuteten gesellschaftlichen Veränderungen bereits einen Teil ihrer normativen und praktischen Relevanz eingebüßt hat. Dass die textuelle Kopräsenz des Offenheitsideals mit dem Antiideal der Grobheit im 19. Jahrhundert nachlässt, kann dagegen mit der Etablierung des Offenheitsideals begründet werden: Je geläufiger das Offenheitsideal den Kommunizierenden ist, desto weniger Anlass besteht, falsch verstandene Offenheit – Grobheit – anzuprangern.

schung verbreitet: die Sichtweise, dass Deutlichkeit und Höflichkeit einen latenten Gegensatz bilden (vgl. Fraser 2001: 1409, 1412–1413).

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Veränderungen des normativen Umfelds im 19. Jahrhundert Nach 1800 wird die wertende Auseinandersetzung mit devoter Höflichkeit und Grobheit allmählich durch diejenige mit Herzlichkeit und Freundlichkeit abgelöst. Für offene und ,herzliche‘, später auch ,warm‘428 genannte Äußerungen, die ein Wohlwollen demonstrieren, das durch innere Empfindungen gedeckt ist, wird bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts immer wieder gemeinsam geworben. Autoren, die Offenheit gutheißen, setzen sich außerdem von der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts an oftmals zugleich für Freundlichkeit, d. h. für die Bekundung von Geneigtheit ein. Statt von ,Freundlichkeit‘ sprechen sie ebenso etwa von ,wohlwollendem‘ Verhalten sowie bis Anfang des 20. Jahrhunderts (allerdings mit einem etwas abweichenden Sinn) von ,Gefälligkeit‘.429 Nur selten urteilen sie negativ über Kommunikationsprinzipien, die Herzlichkeit und Freundlichkeit diametral gegenüber stehen. Ein 1797 erschienenes Anstandsbuch enthält eine frühe Textstelle, in der die Anerkennung ,aufrichtiger‘, ,herzlicher‘ und ,gefälliger‘ Kommunikation zusammentreffen: „Der Ton des soliden Mannes ist herzlich, freundschaftlich, gefällig, aufrichtig, bieder. Sachtheit, die aber nicht Undeutlichkeit werden darf, geben [sic] ihm Anstand, Delikatesse, Nachgiebigkeit und Höflichkeit“.430 Ob der Autor hier mit dem Ausdruck ,aufrichtig‘ eher ,ehrlich‘ oder eher ,offen‘ meint, lässt sich nicht mit Gewissheit entscheiden, sicher ist aber, dass er in anderen Abschnitten des Buchs für Offenheit eintritt.431 An der zitierten Textstelle fällt auf, dass er unmittelbar nach den drei genannten Prinzipien auf ,Höflichkeit‘ zu sprechen kommt. Diese wird kurz darauf mit ,Gefälligkeit‘ assoziiert: „Der Solide ist auch im hohen Grade der höfliche artige Mann; er sagt nie etwas, was den Wohlstand beleidigt; er ist zuvorkommend, dienstfertig, gefällig; aber Alles dieses mit einer ge-

428 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „herzlich“ in Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 144–145, wo der Ausdruck „warm“ bereits mehrfach in der Bedeutungsangabe auftritt, „herzlich“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1977/1999: 4. Bd.: 1780, „warm“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 10. Bd.: 4425–4426, hier 4426. 429 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „freundlich“ in Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 978, „freundlich“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 3. Bd.: 1318, „Wohlwollen“ in Heyne 1895: 3. Bd.: Sp. 1401, „Wohlwollen“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 10. Bd.: 4546. Unter dem Stichwort „Gefällig“ verzeichnet Heyne 1890: 1. Bd.: Sp. 1055 „ein gefälliger mann, der gern Dienste erweist“ sowie „sich passend und angenehm zeigend“. 430 Siede 1797: 17–18. 431 Vgl. Siede 1797: 33, 53–54, 123–124.

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wissen Würde, die ihn nicht herabsetzt und nicht wohlfeil macht“.432 Der Verfasser ist sichtlich darum bemüht, die von ihm gewünschte freundliche Höflichkeit von der traditionellen devoten Höflichkeit abzusetzen. Wo Offenheit im 19. Jahrhundert geachtet wird, werden Herzlichkeit bzw. Freundlichkeit häufiger vom herkömmlichen devoten Auftreten positiv abgehoben und/oder als zeitgemäße Art von Höflichkeit entworfen. Letzteres geschieht beispielsweise im ersten Band der von Carl Friedrich von Rumohr herausgegebenen „Schule der Höflichkeit“ (1834):433 „Ohne die geringste Spur von Herzlichkeit poli und civil seyn, macht den langweiligsten und schalsten Eindruck der Welt, ist demnach mit dem eigentlichen Begriffe der Höflichkeit ganz so unverträglich, als deren schon beleuchtete Erheuchelung“.434 Das scheinbare Paradox, dass man nicht nur höflich (,poli‘ und ,civil‘435), sondern auch ,herzlich‘ sein müsse, um ,höflich‘ zu sein, löst sich auf, wenn man sich klar macht, dass der Verfasser zwei Höflichkeitsbegriffe gegeneinander ausspielt: einen traditionellen, französisch konnotierten Höflichkeitsbegriff (bezeichnet mit den Adjektiven ,poli‘ und ,civil‘) und einen anderen, vom Verfasser vertretenen (bezeichnet als ,eigentlicher Begriff der Höflichkeit‘), der Herzlichkeit umfasst. Eine vergleichbare Textstelle, in der es um das Kommunikationsprinzip der Freundlichkeit geht, findet sich im späten 19. Jahrhundert im „Feinen Benehmen in Gesellschaften“, einem Anstandsbuch, in dessen Kapitel über „Besuche“436 es heißt: „In der Unterhaltung sei man freundlich und zuvorkommend [...]. Man halte für seine Aufgabe, den Gast und nicht sich selber zu unterhalten, sage ihm freundliches und angenehmes, ohne in Schmeichelei und Lobhudelei zu verfallen“.437 Eine positive Einstellung kommt in dem Buch nicht nur – zumindest partiell – gegenüber Offenheit zum Ausdruck,438 sondern, bezogen auf das gesellige Gespräch, auch gegenüber ,Freundlichkeit‘, die jedoch von der untertänigen Höflichkeit der ,Schmeichelei‘ und ,Lobhudelei‘ abgegrenzt wird.

432 Siede 1797: 18–19. 433 Für Textstellen, in denen der Autor Offenheit propagiert, vgl. Rumohr (Hrsg.) 1834: 1. Bd.: 96, 142–143, 170 sowie Rumohr (Hrsg.) 1835: 2. Bd.: 12–13, 19–20, 60–61. 434 Rumohr (Hrsg.) 1834: 1. Bd.: 54. 435 Schweizer 1803/1823: 101 verzeichnet für den Ausdruck „civil“ unter anderem die Bedeutung „höflich, wohlgesittet“. Als Bedeutung von „Politesse“ gibt Schweizer 1803/1823: 440 „Höflichkeit, Artigkeit, Feinheit der Sitten“ an. 436 Junker [1887]: 20. 437 Junker [1887]: 27. 438 Vgl. Junker [1887]: 4–5.

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Die beschriebene Koppelung einer Zustimmung zu Offenheit mit einer Bejahung von Herzlichkeit und/oder Freundlichkeit lässt sich über das 19. Jahrhundert hinaus verfolgen, wobei Herzlichkeit bzw. Freundlichkeit und Höflichkeit noch immer enggeführt werden: „Ist Höflichkeit mit natürlicher Herzlichkeit verbunden, so entsteht daraus jene bezaubernde Liebenswürdigkeit, welche auf jedermann beim ersten Begegnen einen so vorteilhaften Eindruck macht“,439 hält ein Anstandsbuchautor im frühen 20. Jahrhundert fest, der darüber hinaus versucht, seinen Lesern das angebrachte Maß an Offenheit zu vermitteln.440 Ergänzend oder alternativ dazu wird nach wie vor gelegentlich der Unterschied zwischen Herzlichkeit bzw. Freundlichkeit und der älteren zuvorkommendunterwürfigen Höflichkeit betont, so etwa in einer Verhaltenslehre aus den 1970er Jahren: „[W]ir [können] darauf vertrauen, daß Freundliche Unfreundlichen stets überlegen sind. Wir sprechen hier von einer ganz natürlichen Freundlichkeit, nicht von der Scheinheiligkeit des Unterwürfigen, sondern von positivem Selbstbewußtsein“.441 In seinen Anweisungen zum Briefeschreiben stellt der Verfasser, der verschiedentlich auch für Offenheit eintritt,442 Freundlichkeit erneut im Kontrast zu selbsterniedrigendem Gebaren als positiv dar: „Nicht schmeichelnde Worte, nicht einmal die Verwendung des Wörtchens ,höflich‘, kennzeichnen den Brief, den wir heute an eine Firma oder an eine Behörde richten, sondern ganz einfach die gegenseitige Achtung von Mensch zu Mensch. Sag es freundlich! Das ist die Forderung im Briefstil unserer Tage“.443 Textstellen wie die vorgestellten legen die Vermutung nahe, dass Herzlichkeit und Freundlichkeit im 19. Jahrhundert zu Bestandteilen eines neuen zentralen Höflichkeitskonzepts werden,444 zu einer Art von Höflichkeit, die, anstatt primär in der Pflege des taxationalen und interaktionalen Bonum des Adressaten zu bestehen, vor allem auf der Bekundung positiver Gefühle gegenüber dem Interaktionspartner basiert und insofern – so könnte man versuchsweise behaupten – zu ihrem/seinem ,emotionalen Bonum‘ beiträgt.445 Der Eindruck, dass sich die Vorstel439 440 441 442 443 444

Berger [ca. 1910/1914]: 62–63. Vgl. Berger [ca. 1910/1914]: 63, 198. Trifels 1974: 90. Vgl. nochmals Trifels 1974: 14–15, 98, 305. Trifels 1974: 341. Für diese These spricht desgleichen der Schluss, dass Freundlichkeit im 19. und 20. Jahrhundert als Ausdruck und Kommunikationsweise „immer mehr in Kurs gekommen“ ist, den Hermanns 1993: 84 aus dem Vergleich einiger Wörterbucheinträge folgert. 445 Das (bürgerliche) Höflichkeitskonzept des 19. Jahrhunderts, das Linke 1996a: 85–88 beschreibt, ist dagegen besonders durch die innere Deckung höflichen Verhaltens mit

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lung von Höflichkeit insgesamt wandelt, verstärkt sich beim Blick in historische Wörterbücher. Johann Christoph Adelung (1775/1796) verzeichnet zwei Lesarten von „Höflich“, die im ganzen deutschen Sprachraum üblich seien: [N]ach Art der Hofleute, doch nur in dem Betragen gegen andere. 1) Geneigt, Fertigkeit besitzend, andern in seinem Betragen gegen sie, Achtung zu erweisen, sein Urtheil von ihren Vorzügen thätig zu beweisen, und darin gegründet; im Gegensatze des grob. [...] 2) In engerer Bedeutung, geneigt und Fertigkeit besitzend, in der thätigen Erweisung seiner Hochachtung gegen andere den nöthigen Unterschied zu beobachten, und darin gegründet446.

Demnach ist die wichtigste (Unter)Art von Höflichkeit dadurch charakterisiert, dass die jeweils vorhandene Statusdifferenz, der bestehende ,Unterschied‘ zwischen den Beteiligten, interaktiv gefestigt wird, was in Richtung devoter Höflichkeit weist. Im späteren 19. Jahrhundert notiert Daniel Sanders dagegen als einzige aktuelle Bedeutung des Ausdrucks „fein im Benehmen gegen Andre“.447 Moriz Heyne beschreibt die zeitgenössische Semantik von „höflich“ 1892 ähnlich wie Sanders: „in neuerer Spr.[ache] nur noch = fein, artig im Betragen gegen Andere“.448 Man kann daraus nicht nur, aber auch den Schluss ziehen, dass devote Höflichkeit langfristig durch eine andere vorherrschende Höflichkeitsart abgelöst wird, deren Merkmale – Herzlichkeit und Freundlichkeit – aus Sanders’ und Heynes Wörterbucheinträgen allerdings noch nicht hervorgehen. Da Herzlichkeit und Freundlichkeit konzeptuell nicht im Widerspruch zu Offenheit stehen, können Autoren innerhalb desselben Textes sowohl herzlich-freundliche Höflichkeit als auch Offenheit positiv beurteilen und sogar beide dem Begriff des Anstands als der Gesamtmenge allgemein als richtig und gut anerkannter Umgangsformen subsumieren, wie in Kapitel 3.2 deutlich wurde. Als Frage bleibt, warum dieses Höflichkeitskonzept gerade im 19. Jahrhundert dominant wird. Es lässt sich annehmen, dass der Bedeutungsverlust der älteren devoten Höflichkeit den Bedarf an einer neuen Art von Höflichkeit zur Folge hat. Jene hinterlässt eine Leerstelle, die mit einer Höflichkeit besetzt wird, welche mit ihrer Gefühlsbetonung der Zeit entspricht: Im 19. Jahrhundert konsolidiert sich mit der Vorstellung, dass an sich gleichwertige Menschen

entsprechenden Absichten, die Ausrichtung auf die Interaktion unter weitgehend statusgleichen Personen sowie auch auf den ,privaten‘ Umgang gekennzeichnet. 446 Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 1245–1246. 447 Sanders 1860/1876: 1. Bd.: 774. 448 Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 185.

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ihre soziale Position verändern können, das Interesse daran, interaktiv die emotionale Verunsicherung zu überwinden, welche gesellschaftliche Positionswechsel und, allgemeiner, die Auflösung traditioneller sozialer Bindungen sowie die zunehmende Konfrontation mit unbekannten oder kaum vertrauten Personen mit sich bringen.

Veränderungen des normativen Umfelds im 20. Jahrhundert Nur in der zweiten Hälfte des 20. und im 21. Jahrhundert koexistiert die Achtung von Offenheit mit der Verachtung eines autoritären kommunikativen Verhaltens, mit dem jemand ihre/seine tatsächliche oder vermeintliche größere Macht im Verhältnis zum Kommunikationspartner herausstreicht. Ein solches Verhalten wird meist als ,überheblich‘, ,herablassend‘, ,arrogant‘ oder eben ,autoritär‘449 bezeichnet und insbesondere im Kontext der beruflichen Interaktion diskutiert. Es gibt kein gegensätzliches Kommunikationsprinzip, das die Quellen würdigten, die Offenheit idealisieren. Dass ,autoritäre‘ Menschen sich wenig partnerschaftlich verhalten und andere einen wirklichen oder zumindest beanspruchten Machtvorteil deutlich spüren lassen, erhellt ein Kommunikationsratgeber aus dem späten 20. Jahrhundert, der die Bedeutsamkeit von Offenheit mehrfach hervorhebt:450 Autoritär ist ... – wer immer selbst den ,Ton angeben‘ will, – wer anderen keinen ,Freiraum‘ für eigene Entscheidungen läßt, – wer nur seine eigenen Wertmaßstäbe gelten läßt [...] – wer andere stark kontrolliert [...] – wer sich bei Konflikten als ,der Mächtigere‘ durchsetzt und/oder Konflikte überhaupt unterdrückt, – wer ,Einbahnkommunikation‘ betreibt, so daß Informationen zwar ,von oben nach unten‘, nicht aber ,von unten nach oben‘ gelangen, – wer die Meinungen anderer erst gar nicht erfragt451.

Kommentiert wird diese Überheblichkeit, die das interaktive und kommunikative Verhalten betrifft, mit den Worten: „Nach oben buckeln, nach unten treten, das ist [in einem derart autoritären Umfeld] die Devise!“452 449 Zu diesen Bezeichnungen vgl. exemplarisch die Einträge „überheblich“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 4020, „herablassend“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1977/1999: 4. Bd.: 1736, „arrogant“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 1. Bd.: 295, „autoritär“ in Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1976/1999: 1. Bd.: 433. 450 Vgl. Deibl [ca. 1990]: 20, 67, 71. 451 Deibl [ca. 1990]: 65. 452 Deibl [ca. 1990]: 65.

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Unter der Prämisse, dass ein solcher Zustand unerwünscht ist, impliziert der Kommentar eine negative Bewertung von Überheblichkeit. „Chronische Konflikte verbrauchen wertvolle Energie, besonders wenn sie unterschwellig gären, weil der autoritäre Chef keinen offenen Widerspruch duldet“,453 so kritisiert der Autor eines psychologisch orientierten Kommunikationsratgebers von 1997 ,autoritäre‘ Kommunikation gleichfalls unter Hinweis auf deren nachteilige Folgen. Er fährt fort: „Auch wenn viele Mitarbeiter in der offenen Auseinandersetzung den Schwanz einziehen, weil sich der autoritäre Chef auf seine Positionsmacht beruft und mit Sanktionen droht, wird der Schuß meist nach hinten losgehen“.454 Trotz der eigenwilligen Kombination sprachlicher Bilder wird auch hier augenfällig, dass eine ,autoritäre‘ Person, in diesem Fall der Vorgesetzte, ihren höheren Status gegenüber den Kommunikationspartnern ausspielt. Die Zurückweisung autoritären Verhaltens wird im Verlauf des Textes durch mehrere positive Bewertungen von Offenheit ergänzt.455 Im historischen Überblick zeigt sich, dass das Ideal der Offenheit mehrfach mit der Ablehnung eines Prinzips verbunden ist, das die Machtdifferenz zwischen den Interagierenden akzentuiert: Es ist zum einen mit der Verurteilung devoter Höflichkeit verbunden (die/der devot Höfliche ordnet sich dem Adressaten unter), zum anderen mit der Missbilligung autoritären kommunikativen Verhaltens (die/der Autoritäre erhebt sich über den Interaktionspartner). Aus den zuletzt diskutierten Zitaten lässt sich ableiten, warum Offenheitsbefürworter dieses Prinzip nicht gutheißen können: weil es das Gegenüber von Offenheit abbringt, nämlich ,Einbahnkommunikation‘ fördert, die ,Meinungen anderer‘ nicht zum Ausdruck kommen lässt, ,keinen offenen Widerspruch‘ erlaubt und dafür sorgt, dass andere ,in der offenen Auseinandersetzung den Schwanz einziehen‘. Dass die Korrelation des Offenheitsideals mit dem Antiideal der Überheblichkeit gerade in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auffällig wird, könnte damit begründet werden, dass in dieser Zeit die langfristige gesellschaftliche Egalisierung bereits weit vorangeschrittenen ist und die Behandlung aller Menschen als gleichwertig wie auch als gleichberechtigt zu einem so zentralen Wert geworden ist, dass die

453 Rückerl 1997: 190. 454 Rückerl 1997: 190. Was Rückerl hier mit ,wird der Schuss ... nach hinten losgehen‘ meint, lässt sich dem Kontext des Zitats nicht entnehmen. Vermutlich ist gemeint, dass der Umgang mit Konflikten auch unproduktiv ist, ,wenn viele Mitarbeiter in der offenen Auseinandersetzung den Schwanz einziehen, weil sich der autoritäre Chef auf seine Positionsmacht beruft‘. 455 Vgl. Rückerl 1997: 111, 172–173, 178, 196.

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3 Offenheit als Ideal

Betonung eines Rangunterschieds selbst tatsächlich oder vermeintlich mächtigeren Personen, die dadurch ihre Interessen leichter durchsetzen könnten, nicht mehr als funktional erscheint. Seit den 1970er Jahren werden in vielen Texten, in denen sich das Offenheitsideal zeigt, sogenannte ,Ich-Botschaften‘ als hilfreich und sinnvoll, ,Du-Botschaften‘ dagegen als ungünstig und unbrauchbar dargestellt. Unter diesen Bezeichnungen sind die Konzepte durch den amerikanischen Psychologen Thomas Gordon bekannt geworden. In einem Kapitel seines 1972 erstmals auf Deutsch erschienenen Buchs „Familienkonferenz“ (englisch „Parent effectiveness training“, 1970) erklärt er Eltern, „[w]ie man sprechen muß, damit Kinder einem zuhören“.456 Seiner Ansicht nach bedarf es dazu „Ich-Botschaften“, ,Botschaften‘, die „aufrichtig“ sowie „unmißverständlich und genau“ die „Empfindungen, die der Elternteil verspürt“457 vermitteln. Aus den Ausführungen und Exempeln der untersuchten kommunikationsreflexiven Texte lässt sich abstrahieren, wie Gordons Konzept der Ich-Botschaft im deutschsprachigen Raum mehrheitlich rezipiert worden ist. In einem soeben bereits zitierten Kommunikationsratgeber458 der Gegenwart wird vorgeschlagen, „Rückmeldungen [...] in Ich-Form“459 zu geben, und für solche Ich-Botschaften unter anderem folgendes Beispiel gebracht: „Wenn Sie sagen: ,Du gehst mir heute auf die Nerven!‘, so wird dieser Ausspruch eine Debatte nur aufheizen, aber keine Lösung bringen. Förderlich wäre es zu sagen: ,Du wirkst auf mich heute so hektisch, was ist mit dir los?‘“460 In einem Freundschaftsratgeber aus dem Jahr 2003 werden ,Ich-Botschaften‘ ebenfalls – wiederum an der Seite von Offenheit461 – als zentral herausgestellt: „,Ich‘-Botschaften sind gerade im Konfliktfall sehr wichtig“.462 Als Exempel für „,Du‘-Botschaften“ nennt der Verfasser „,Du erfüllst mir nie einen Wunsch.‘“463 und „,Du bist unmöglich!

456 Gordon 1970/1979: 104. Er erörtert, „How to Talk So Kids Will Listen to You“, wie das Kapitel im Originaltext heißt (Gordon 1970/1975: 103). 457 Gordon 1970/1979: 114, 117, 115. Im englischen Text ist von „I-messages“ die Rede, die „honest“, „clear and accurate“ das „feeling the parent is experiencing“ mitteilen (Gordon 1970/1975: 117–118). 458 Für Stellen, an denen darin eine positive Einstellung gegenüber Offenheit zum Ausdruck gebracht wird, vgl. nochmals Deibl [ca. 1990]: 20, 67, 71. 459 Deibl [ca. 1990]: 20. 460 Deibl [ca. 1990]: 21. 461 Vgl. Schaible 2003: 13, 27–31, 84, 107. 462 Schaible 2003: 76. 463 Schaible 2003: 76.

3.4 Kommunikative Normen im Umfeld des Offenheitsideals

223

Wie du mich vor den anderen abgekanzelt hast! [...]‘“.464 Ein Beispiel für eine Ich-Botschaft wäre demgegenüber gemäß dem Ratgeber: „,Mich ärgert es, wenn du mich vor anderen kritisierst. [...]‘“.465 Geht man von diesen und ähnlichen Quellen deutscher Sprache aus, ist eine Ich-Botschaft ein Sprechakt, der im Unterschied zur Du-Botschaft die Subjektivität des Gesagten betont: Erstens referiert eine Ich-Botschaft auf die Innenwelt des Äußerungsproduzenten. Sie sagt etwas über deren/dessen persönliche Ansichten, Gefühle, Wünsche oder Absichten aus, nicht aber über die außersubjektive Welt; im ersten vorgestellten Beispiel ist dieser psychische Inhalt der Eindruck des Sprechers vom Interaktionspartner, im zweiten das Gefühl, das der Partner auslöst. Zweitens markiert die Formulierung einer Ich-Botschaft die Referenz auf das Innenleben des Sprechers bzw. Schreibers nachdrücklich – in der ersten Ich-Botschaft durch ,du wirkst auf mich ...‘ statt ,du gehst ...‘, in der zweiten durch ,mich ärgert es ...‘ anstelle von ,du bist ...‘. Dies kann in vielen Fällen durch die Verwendung des Pronomens ,ich‘ als Subjekt des Satzes (statt z. B. ,du‘, ,man‘ oder ,es‘) erreicht werden, was den Anstoß dazu gegeben haben mag, solche Sprechakte ,Ich-Botschaften‘ zu nennen. Nach dieser Erläuterung des Konzepts der Ich-Botschaft im deutschsprachigen Raum ist evident, dass die Schnittmenge zwischen IchBotschaften und offenen Äußerungen groß ist. Wenn jemand brisante persönliche Ansichten, Gefühle, Wünsche oder Absichten ehrlich und transparent äußert – transparent unter anderem dadurch, dass sie/er den Bezug auf Inneres an der sprachlichen ,Oberfläche‘ kennzeichnet –, liegt sowohl eine offene Äußerung als auch eine Ich-Botschaft vor. Dies dürfte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass Ich-Botschaften und Offenheit oft im selben Text Zustimmung erhalten. Über weitere, sozialgeschichtliche Gründe für die Signifikanz dieser Korrelation seit den 1970er Jahren kann man nur spekulieren – in Betracht zu ziehen wäre etwa die These, dass die Popularisierung der Auffassung, dass die Wirklichkeit relativ zum subjektiven Standpunkt der Wahrnehmung ist, zur Bevorzugung von Formulierungen führt, die diese Subjektivität hervorheben.

464 Schaible 2003: 77. 465 Schaible 2003: 77.

224

3 Offenheit als Ideal

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals Dass Offenheit seit etwa Mitte des 18. Jahrhunderts ein Ideal der individuellen Kommunikation ist, bedeutet weder, dass alle Kommunizierenden eine positive Einstellung ihr gegenüber aufweisen, noch heißt es, dass diejenigen mit einer positiven Einstellung diese in gleicher Stärke besitzen. Um die Träger des Offenheitsideals zu bestimmen, sind die gesellschaftliche Zugehörigkeit der Autoren, die sich für Offenheit einsetzen, sowie die ihrer vermutlichen Leser zu beschreiben.466 Wenn viele der Autoren, die Offenheit in ihren Texten befürworten, derselben gesellschaftlichen Gruppierung angehören, ist anzunehmen, dass eine positive Einstellung jener gegenüber zur kommunikativen Mentalität dieser gehört, wie in Kapitel 1.3 erläutert wurde. Ähnliches gilt für die Rezipientengruppen der Quellen, in denen Offenheit bejaht wird: Sie nehmen nicht mit Sicherheit, aber mit erhöhter Wahrscheinlichkeit eine zustimmende Haltung zu ihr ein, da Texte die Einstellungen ihrer Leser beeinflussen können; auch diese Prämisse wurde in Kapitel 1.3 bereits angesprochen. Bei primär interaktions- und kommunikationsnormativen Texten ist sogar davon auszugehen, dass sich ein Großteil der Leser an ihren Vorgaben orientieren will, dass er beim Griff zum Anstandsbuch, Konversationsratgeber oder Kommunikationstraining geneigt ist, sich in seinen Ansichten darüber, was gut und richtig ist, beeinflussen zu lassen. Anders als die Autoren sind die tatsächlichen Leser freilich schwer zu eruieren. Einen wichtigen Hinweis auf sie geben die sogenannten ,intendierten‘ oder ,impliziten Leser‘, die oft anhand von Adressierungen, insbesondere im Vorwort oder in der Einleitung, ermittelbar sind. Welche sozialen Fraktionen wegen mangelnder Lesefähigkeiten und/oder fehlenden Zugangs zu kommunikationsreflexiven Texten auf keinen Fall Leser stellen können, ist aus der historischen Lese- bzw. Leserforschung bekannt. Das vorliegende Kapitel zielt allerdings nicht nur darauf, den sozialen Ort des Offenheitsideals zu bestimmen, sondern versucht darüber 466 Natürlich bedingen die Textklassen, die als Quellentypen des Korpus festgelegt wurden, bestimmte Autorengruppen und Leserkreise. Da sie jedoch so ausgewählt wurden, dass sie für den Diskurs über Sprache und Kommunikation möglichst repräsentativ sind, verzerrt die Affinität bestimmter Textklassen zu bestimmten Autoren und Lesern die Bestimmung der Träger des Offenheitsideals nicht zu sehr. Als grundlegendes Problem bleibt, dass man die Offenheitseinstellungen der sozialen Gruppen, aus denen keine oder nur wenige geeignete Texte überliefert worden sind, nicht rekonstruieren kann.

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

225

hinaus, es – zumindest in zwei Zeitphasen – interkulturell zu lokalisieren. Sowohl im 18. als auch im 20. Jahrhundert schließen sich zahlreiche deutschsprachige Autoren, die Offenheit unterstützen, explizit und/oder implizit an Elemente oder Bereiche der englischen bzw. amerikanischen Kultur sowie mit ihnen verbundene Denkweisen an: Im 18. Jahrhundert berufen sich die Quellenverfasser im Rahmen der aufklärerischen ,Anglophilie‘ zustimmend auf englische moralische Zeitschriften sowie die englische Meinungs- und Pressefreiheit samt deren Ausnutzung durch Medien. Im 20. Jahrhundert knüpfen sie an die nordamerikanische humanistische Psychologie sowie die mit ihr verquickte ,self-disclosure‘Forschung und ,Gruppenbewegung‘ an. Untersucht man diese Bezugnahmen näher, erscheint das Offenheitsideal im deutschsprachigen Raum partiell als ein Resultat von Kulturtransfer.

Träger des Offenheitsideals im 18. Jahrhundert Die Autoren, die Offenheit gutheißen, sind im 18. Jahrhundert in der deutlichen Mehrzahl bürgerlichen Standes. Sie gehören zu dem Teil des Bürgertums, den man ,Bildungsbürgertum‘ oder bürgerliche ,Elite‘ nennen kann und dessen Kultur im 19. Jahrhundert immer weitere Schichten der Gesellschaft prägt. Nahezu ausnahmslos verfügen die Autoren über eine akademische Ausbildung, sind in vielen Fällen Gelehrte und gehören nicht selten zur philosophischen und/oder literarischen Avantgarde ihrer Zeit. Eine ganze Reihe der philosophisch-literarischen Vordenker unter ihnen klassifiziert die Literaturgeschichtsschreibung als Vertreter der Empfindsamkeit. Das Kommunikationsideal der Offenheit tritt z. B. in Schriften von Johann Gottfried Herder, Friedrich Gottlieb Klopstock, Christoph Martin Wieland und Sophie von La Roche zu Tage, die Teilnehmer oder Freunde des empfindsamen Darmstädter Kreises sind, auch etwa bei Johann Martin Miller, einem Mitglied des Göttinger Hains, sowie in Werken Christian Fürchtegott Gellerts und Joachim Heinrich Campes. Was die in Kapitel 1.1 referierte Empfindsamkeitsforschung andeutet, kann damit konkretisiert werden: Das Offenheitsideal findet einen frühen Höhepunkt im Kreis und Umkreis der Empfindsamen.467 Wer im 18. Jahrhundert Offenheit befürwortet, verbringt das Leben eher

467 Ob Offenheit möglicherweise das zentrale Kommunikationsideal der Empfindsamkeit ist, wäre in einer literaturwissenschaftlichen Untersuchung der Bewegung zu überprüfen.

226

3 Offenheit als Ideal

in einer Stadt als in einer ländlich-dörflichen Gemeinschaft. Wie für die damalige Zeit erwartbar, überwiegen die männlichen Autoren die weiblichen bei Weitem. Besonders repräsentativ für sie ist Johann Gottfried Herder, der, als Sohn eines Glöckners, Kantors und Lehrers in Mohrungen geboren, Theologie sowie auch Medizin und Philosophie studiert und nach Aufenthalten in Königsberg, Riga, Paris, Hamburg, Darmstadt, Straßburg und Bückeburg in das damalige kulturelle Zentrum Weimar berufen wird.468 Im 1770 bis 1773 entstandenen Briefwechsel mit seiner späteren Ehefrau Caroline Flachsland gibt Herder, dessen sprach- und geschichtsphilosophische, literatur- und kulturgeschichtliche Schriften richtungsweisend für seine Zeit sind, vielfach seine Überzeugung vom Sinn und Wert von Offenheit zu erkennen: „Ich mag Sie weiter nicht mit dem Gemälde des Hofes unterhalten“, beendet er in einem Brief vom 30.08. und 01.09.1770 seinen Bericht über den Karlsruher Hof des Markgrafen Karl Friedrich von Baden-Durlach,469 „ich versichre, daß ich deßen so ziemlich satt bin [...]. An Unterhaltung, Zerstreuung, Aufnahme und Gesellschaft fehlt es mir zwar nicht; aber noch habe ich mit allen keinen Augenblick der Freundschaft oder einer Offenheit des Herzens gefunden, die mich Darmstadt so sehr bedauren macht“.470 Herder spielt an dieser Stelle der emotional überschwänglichen Korrespondenz – eines herausragenden Zeugnisses der Offenheitsidealisierung im 18. Jahrhundert, das deshalb in dieser Arbeit häufiger herangezogen wird – die Offenherzigkeit,471 die er bei seinen empfindsamen Darmstädter Freunden erlebt hat, gegen die Annehmlichkeiten des höfischen Lebens aus. So zeigt das Zitat in nuce die sozio-normative Konstellation des 18. Jahrhunderts, in der empfindsam geprägte bürgerliche Gelehrte, die dem neuen Ideal der Offenheit anhängen, Angehörigen des Hofadels gegenüberstehen, die an den älteren Normen des Verschweigens, Verbergens und Sich-Verstellens festhalten (vergleiche Kapitel 3.1).472 Die Zielgruppe der untersuchten aufklärerischen Schriften, in denen Offenheit aufgewertet wird, bildet nicht allein der gesellschaftliche Aus468 469 470 471

Zu den biographischen Informationen über Herder vgl. Jäger 1969: 595–603. Vgl. Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 427. Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 18. Nach den Ergebnissen des Kapitels 2.1 kann Herder mit ,Offenheit des Herzens‘ nicht ,Aufgeschlossenheit‘ oder ,Zugänglichkeit‘ meinen. 472 Für weitere Textstellen, in denen Herder eine positive Einschätzung von Offenheit zum Ausdruck bringt, vgl. Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 10–11 (Brief Herders vom 27. und 28.08.1770), 67 (Brief Herders vom 01.10.1770), 129 (Brief Herders vom 01.11.1770), Herder/Flachsland 1772–1773/1928: 2. Bd.: 54–55 (Brief Herders vom 11.03.1772), 160 (Brief Herders vom 11.07.1772), 249 (Brief Herders vom 17.10.1772).

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

227

schnitt, dem die Autoren angehören – die Zielgruppe ist immer schon umfassender. Das Spektrum der Adressaten reicht vom niederen Adel über die bürgerliche Oberschicht bis zum bürgerlichen Mittelstand, wobei nicht nur gelehrte, sondern gleichfalls nicht-studierte Angehörige dieser Stände als Leser intendiert sind. Es wird vor allem ein groß-, mittelund kleinstädtisches Publikum angesprochen.473 Manche Texte, primär diejenigen, die in moralischen Wochenschriften erscheinen, wenden sich nachweislich auch an Frauen. Ein anderer Teil der Quellen – besonders Anstandsbücher und Rhetoriken – ist an erster Stelle auf junge Menschen und/oder ihre Ausbilder zugeschnitten. Ein in dieser Weise gegenüber der Autorschaft sozial erweitertes Zielpublikum lässt sich aus Formulierungen wie der folgenden erschließen, die dem Vorwort der moralischen Wochenschrift „Der Redliche“ (1751) entstammt: „Denn unsere Absicht [die der Verfasser, J.S.] ist gar nicht, für Gelehrte alleine zu schreiben, sondern auch den Unstudirten, und vornemlich dem Frauenzimmer einen nützlichen Zeitvertreib zu verschaffen“.474 Ausgehend von der Charakterisierung der Adressaten können einige Vermutungen über die empirischen Leser der Quellen angestellt werden: Berücksichtigt man, wie wenige Menschen auch noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts des Lesens fähig sind,475 rezipiert sie in dieser Zeit faktisch wohl nur eine vorrangig bürgerliche, urban orientierte, gemischtgeschlechtliche Elite – selbst wenn man einkalkuliert, dass schriftliche Texte vorgelesen werden476 und die in ihnen enthaltenen Ideen von Lehrern an zahlreiche junge Menschen weitergegeben werden. Fasst man diese Befunde und Überlegungen zusammen, stellt sich die Trägerschaft des Offenheitsideals im 18. Jahrhundert als kleiner, bildungsbürgerlich geprägter Personenkreis dar (für Angaben zum Autoren- und Adressatenspektrum des gesamten Diskurses über Sprache und 473 Ein regionaler Schwerpunkt der impliziten Leser- wie auch der Autorenschaft lässt sich jedoch nicht ausmachen, wenn man die Verlagsorte der Texte als Anhaltspunkt nimmt – sie verteilen sich über das ganze Gebiet der deutschen Sprache. Neben dem Parameter der Region kann derjenige der Konfession vernachlässigt werden: Zwar sind zahlreiche Autoren erwiesenermaßen Protestanten, doch spezifizieren sie die Konfession ihrer Adressaten nicht. Ebenso geben ihre Äußerungen über Offenheit keine konfessionelle Bindung zu erkennen. 474 [Anonym.] 1751h: 4–5. 475 Vgl. für die historische Lese- bzw. Leserforschung Schenda 1970: 443–445, Engelsing 1973: 46–47, 61–64, 84–87, Wittmann 1995/1999: 425–427, Schneider 1999: 588, Schneider 2004: 62, 167, Stein 2006: 269. Engelsing 1973: 56, Wittmann 1995/1999: 426 und Schneider 1999: 587–588 gehen allerdings bereits für das 18. Jahrhundert von einer beachtlichen Zunahme der Leser aus. 476 Vgl. Schenda 1970: 465, Wittmann 1995/1999: 428–429, Stein 2006: 260–261.

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3 Offenheit als Ideal

Kommunikation im 18. Jahrhundert und zur Bedeutung des Bürgertums für ihn siehe hingegen Kapitel 3.1).

Träger des Offenheitsideals im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Die Autoren, die Offenheit favorisieren, sind auch im 19. Jahrhundert und noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Regel bürgerlicher Herkunft und oft akademisch gebildet. Ihre Nähe zu avantgardistischen literarisch-philosophischen Zirkeln und Strömungen lässt indes mit Beginn des 19. Jahrhunderts nach. Autoren, denen man danach die Zugehörigkeit zu einer Bewegung attestieren kann, die aus heutiger Perspektive ihrer Zeit voraus ist, gehören meist einer der politischen Gruppierungen an, die sich im Vormärz und in der Revolution von 1848/1849 für eine Sicherung und Stärkung der Rechte des Volkes einsetzen. Die Lebenswege der Offenheitsverfechter des 19. und früheren 20. Jahrhunderts führen häufig in oder durch das Berufsfeld des Journalismus und/oder der Pädagogik. Mit der allmählichen Veränderung der Stellung der Frau seit Ende des 19. Jahrhunderts und der dadurch bedingt steigenden Zahl von Frauen, die in lehrenden, pflegenden und anderen sozialen Berufen erwerbstätig sind, wächst der Anteil der weiblichen Autoren, besonders im Bereich der Anstandsbücher.477 Als Beispiel eines solchen weiblichen Verfassers kann Marie Calm dienen:478 Calm, Tochter eines hessischen Kaufmanns, arbeitet zunächst als Erzieher und Lehrer in England und Russland, leitet später eine Mädchenschule und beteiligt sich an der Gründung zweier Lehranstalten für Frauen und Mädchen, bevor sie sich ganz auf das Schreiben von fiktionaler Literatur und Sachbüchern sowie ihr Engagement in der Frauenbewegung konzentriert. In ihrem Anstandsbuch „Die Sitten der guten Gesellschaft“ (1886) hebt sie – der Textsorte und ihrem erzieherischen Beruf entsprechend – in mehreren konkreten Handlungsempfehlungen die Bedeutsamkeit von Offenheit für die Vereinfachung des Umgangs hervor,479 so etwa in dem Rat, einem potenziellen Besucher zu offenbaren, welche Unterbringung er zu erwarten hätte: „Es ist

477 Nach Linke 1996b: 213 erscheinen seit Mitte des 19. Jahrhunderts Anstandsbücher, die von Frauen geschrieben worden sind. 478 Zu den biographischen Informationen über Calm vgl. Brinker-Gabler/Ludwig/Wöffen 1986: 51–52. 479 Vgl. Calm 1886: 65, 243–244, 268.

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

229

eine ganz falsche Höflichkeit, dies [dem Gast zu schreiben, welche Bequemlichkeit wir ihm gewähren können] zu unterlassen in der Befürchtung, der Freund könnte das für eine Andeutung halten, daß man seinen Besuch nicht wünscht. Spricht man sich offen aus, so kann ein solches Mißverständnis schon vermieden werden“.480 Die intendierten Leser der Quellen, in denen Offenheit in günstigem Licht erscheint, wandeln sich in der Zeit bis ca. 1945 insofern parallel zu deren Autoren, als beide Gruppen weniger exklusiv werden. Der Adressatenkreis dehnt sich nach unten aus, so man sich die gesellschaftliche Hierarchie vertikal organisiert vorstellt. Die Schriften wenden sich an den niederen Adel, das obere und mittlere Bürgertum sowie zunehmend ebenso an Kleinbürger. Selbstverständlich richten sich die meisten von ihnen nicht an alle diese sozialen Schichten auf einmal, auch wenn im ganzen 19. und frühen 20. Jahrhundert in Titeln und Einleitungen behauptet wird, dass der betreffende Text für ,alle Stände‘ oder einfach ,jedermann‘ gedacht sei. Z. B. beanspruchen die „Sitten, Gebräuche und Narrheiten alter und neuer Zeit“ (1806) im Nebentitel, ein „Lesebuch für alle Stände“481 zu sein. Vergleichbar damit lautet der Nebentitel von „Spemanns goldenem Buch der Sitte“ (1901) „Eine Hauskunde für Jedermann“.482 Größtenteils handelt es sich bei derartigen Behauptungen um eine Werbestrategie, denn bei der Lektüre stellt sich der implizite Leser doch als ein bürgerlicher dar. Ein Text, der schwerpunktmäßig Kleinbürger anspricht und von daher die Ausweitung des angestrebten Publikums exemplarisch belegen kann, wäre demgegenüber das „Anstandsbüchlein für das Volk“ (1894): „Das gegenwärtige Anstandsbüchlein ist zunächst und in erster Linie für das Volk geschrieben“,483 heißt es dort zu Beginn. Zum ,Volk‘ gehören für den Autor Handwerker, Kaufund Landleute: Es ist ja eine nicht zu leugnende Thatsache, daß unsere Zeit [...] auch an das gewöhnliche Volk, z. B. an die Handel- und Gewerbetreibenden ganz andere und viel höhere Anforderungen stellt, als frühere Zeiten. Gerade der Handelsund Gewerbestand, wie nicht minder der Landmann, hat heutzutage mit einer riesigen, den Einzelnen beinahe erdrückenden Konkurrenz zu kämpfen484.

480 481 482 483 484

Calm 1886: 27. [Anonym.] 1806. Baudissin/Baudissin [1901]. Vogt (Hrsg.) 1894: 3. Vogt (Hrsg.) 1894: 4.

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3 Offenheit als Ideal

Mit der Ausweitung in Richtung der unteren Stände bzw. Klassen geht – wie hier ersichtlich – eine Ausdehnung der Zielgruppe aufs Land einher. Zudem steigt der Anteil der Texte, die sich gezielt oder zumindest auch an weibliche Rezipienten wenden.485 Nach dieser Beschreibung der Adressaten ist anzunehmen, dass die reale Leserschaft im 19. Jahrhundert stark expandiert. Dafür spricht gleichermaßen die sogenannte ,Leserevolution‘, d. h. die Alphabetisierung großer Bevölkerungskreise einerseits,486 die zunehmende Vielfalt der Druckerzeugnisse und die Erhöhung ihrer Auflagen andererseits,487 die nicht ohne Effekt auf die Aufnahme der Quellen geblieben sein kann. Überschaut man die Gesamtentwicklung im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ist eine Erweiterung der Trägerschaft des Offenheitsideals festzustellen, die, sofern sie Stände und Klassen betrifft, zugleich eine ,trickle-down‘-Entwicklung ist.488 Dass die ursprünglich vor allem im Bildungsbürgertum anzutreffende positive Einstellung gegenüber Offenheit im Lauf des 19. Jahrhunderts von immer weiteren, auch weniger privilegierten gesellschaftlichen Gruppierungen übernommen und somit von immer größeren Teilen der Gesamtbevölkerung vertreten wird, entspricht den Verbürgerlichungstendenzen in anderen Lebensbereichen. Die Übernahme hat an der Wende zum 20. Jahrhundert zur Folge, dass gerade in den oberen Schichten des Bürgertums aus dem Streben nach Abgrenzung heraus zwischenzeitlich auch moderate und skeptische Haltungen gegenüber Offenheit eingenommen werden, wie in Kapitel 3.2 gezeigt wurde.

485 Dass sich Anstandsbücher im 19. Jahrhundert immer öfter (ebenso) an Frauen und Mädchen richten, erwähnt Linke 1996b: 212–213. 486 Vgl. Schenda 1970: 444–445, Engelsing 1973: 96–101, Wittmann 1995/1999: 427, Schneider 1999: 589, Schneider 2004: 167, 176–177, Stein 2006: 262–263, 269, 271– 272. 487 Vgl. Schenda 1970: 34–35, 173–174, Engelsing 1973: 53–55, 92–95, 117–121, Wittmann 1995/1999: 442–443, Schneider 1999: 589, Schneider 2004: 54, 168–169, Stein 2006: 220–222, 262, 293–294, 296–298. 488 Gay 1995/1997: 15 beobachtet – allerdings aus einer europäischen Perspektive –, dass die „Verpflichtung zu einer inneren Aufrichtigkeit“ im 19. Jahrhundert Teil der „Ideologie“ sei, die das heterogene Bürgertum eine (vgl. Gay 1995/1997: 13–14). Somit stellt er die diversen bürgerlichen Fraktionen dieser Zeit als Träger einer Norm dar (,innerer Aufrichtigkeit‘), welche offenes kommunikatives Verhalten, das „Entblößen des Herzens“ hervorrufe (Gay 1995/1997: 12, vgl. 12–15). An späterer Stelle beschreibt er das Bürgertum des 19. Jahrhunderts in aller Deutlichkeit als Träger des Offenheitsideals: „Die unverhüllte Ostentation des eigenen Herzens war im bürgerlichen Leben [des 19. Jahrhunderts] [...] ein Ideal“ (Gay 1995/1997: 141).

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

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Träger des Offenheitsideals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Attribut ,bürgerlich‘ viel von seiner sozialen Distinktionskraft verloren und ist daher zur Beschreibung der Autoren, die für Offenheit plädieren, kaum noch hilfreich. Eine akademische Bildung – die den sozialen Status einer Person mitbestimmt – bleibt über die Mitte des 20. Jahrhunderts hinaus der Normalfall. In den siebziger Jahren macht sich ein links-alternativer Einschlag im Kreis der Autoren bemerkbar. Offenheit lässt sich damit als Kommunikationsideal des links-alternativen Milieus nach 1968 ausweisen, welches gemäß dem aktuellen Forschungsstand Authentizität, Natürlichkeit, Spontaneität, Emotionalität und die Thematisierung der subjektiven Sicht bevorzugt, wie in Kapitel 1.1 vermerkt wurde.489 Nach wie vor sind viele Quellenverfasser im journalistischen oder publizistischen Bereich aktiv, auch biographische Bezüge zur Pädagogik und zu Beratungstätigkeiten lassen sich oft nachweisen. Neu ist die Rolle der Psychologie: Zahlreiche Autoren sind studierte Psychologen und/oder psychotherapeutisch tätig. Das Verhältnis der weiblichen und männlichen Fürsprecher von Offenheit ist in der Gegenwart annähernd ausgeglichen. Dem skizzierten Autorenprofil entspricht etwa der Verfasser mehrerer psychologischer und kommunikativer Ratgeber Thomas Rückerl, der, nach der Umschlagrückseite seines 1997 erschienenen Buchs „NLP [Neurolinguistisches Programmieren, J.S.] in Action. Die Kunst des NLP als angewandte Psychologie im täglichen Leben und in der professionellen Kommunikation“ zu urteilen, als „Diplom-Psychologe“ neben „Workshops und Seminaren“ ebenso berufliches „Coaching“490 anbietet. In seinem Ratgeber betont er mehrfach den Nutzen von Offenheit,491 während er deren Fehlen zumal bei Missstimmungen und Streitigkeiten als fatal für menschliche Beziehungen darstellt: Da die meisten Menschen nicht darin geübt sind, Verletzungen auf der Beziehungsebene offen zu thematisieren, werden derartige Konflikte oft im Gewande einer scheinbaren Sachlichkeit ausgetragen. [...] Solch unterschwel-

489 Im Rahmen einer Untersuchung, die sich auf dieses Milieu konzentriert, wäre die Bedeutung des Offenheitsideals für dessen kommunikative Mentalität genauer zu bestimmen. 490 Rückerl 1997: Klappentext. 491 Vgl. Rückerl 1997: 160, 188, 196.

232

3 Offenheit als Ideal

lig-aggressives Verhalten kann sich gegenseitig hochschaukeln und zu einer Generalisierung des verdeckten Konfliktes führen492.

Rückerls Beruf korrespondiert mit der Perspektive, aus der er Offenheit thematisiert: Seine Aufmerksamkeit gilt vornehmlich den seelischen Voraussetzungen und Konsequenzen kommunikativen Verhaltens. Die Adressaten der Texte, die Offenheit als ein gutes Kommunikationsprinzip beschreiben, lassen sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer weniger eingrenzen. Einzig die Bereitschaft zur Selbstreflexion und das Interesse an einer persönlichen Entwicklung charakterisieren die intendierten Leser vieler Quellen, woraus jedoch keine Personengruppen abgeleitet werden können, die sich mit klassischen soziologischen Parametern wie Bildung, Geschlecht oder Alter erfassen ließen. Ein solch umfassendes Zielpublikum geben die einleitenden Worte eines Ratgebers von 1997 zu erkennen, in dem es um ,Breitenrhetorik‘ gehen soll, wie der Autor in Analogie zu ,Breitensport‘ formuliert: Dieses Buch ist [...] ein ,Do-it-yourself-Service‘ für Einsteiger, welche an Basisinformationen über Breitenrhetorik interessiert sind; das heißt, nicht nur Unternehmer [...] sind angesprochen, sondern auch führende Mitarbeiter, Persönlichkeiten, die in der großen und kleinen Öffentlichkeit stehen, Gewählte und zu Wählende, Leute, welche sich gerne zu Wort melden – kurzum alle, die sich mündlich für oder gegen etwas engagieren wollen493.

Diese Beobachtungen wie auch die nahezu ausnahmslose Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht sowie die leichtere Zugänglichkeit gedruckter Texte durch günstigere Verkaufspreise, den insgesamt steigenden durchschnittlichen Lebensstandard und eine sozialstaatliche Infrastruktur mit flächendeckendem Bibliotheksangebot rechtfertigen die Annahme, dass sich die Erweiterung der empirischen Leserschaft zwischen etwa 1945 und der Gegenwart fortsetzt.494 Zu bedenken bleibt allerdings, dass selbst in der Gegenwart in sogenannten ,bildungsfernen‘ Milieus oft kaum mehr gelesen wird als das, was zum Bestreiten des Alltags unbedingt notwendig ist.495 Dass die Faszination von Offenheit bis in diese sozialen Gruppierungen reicht, lässt sich weniger mit der Behauptung

492 Rückerl 1997: 178. 493 Urban 1997: VIII. 494 Zur annähernd vollständigen Alphabetisierung im 20. Jahrhundert vgl. Schenda 1970: 444–445, Engelsing 1973: 149, Wittmann 1995/1999: 427, Schneider 2004: 167, 289, Stein 2006: 269–306. Schneider 2004: 295 konstatiert für das 20. Jahrhundert, dass die „deutsche Wissens- und Wohlstandsgesellschaft [...] es erstmals praktisch allen Schichten erlaubte, an einer literarischen Buchkultur zu partizipieren“. 495 Vgl. Stein 2006: 313, 315–316.

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

233

plausibilisieren, dass deren Angehörige ebenfalls bestimmte schriftliche Texte rezipierten, als mit dem Hinweis auf die Verwunderung zeitgenössischer Autoren über das Ausmaß der Offenheit, mit der sich auch Menschen in unterdurchschnittlichen sozio-ökonomischen Positionen freiwillig auf massenmedialen Plattformen präsentieren (vergleiche Kapitel 3.3). Der Trend zu einer immer größeren Trägerschaft des Offenheitsideals – im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung des deutschen Sprachraums – bleibt folglich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhalten. Für die letzten Jahre ist von einer weiten sozialen Verbreitung des Offenheitsideals auszugehen.

Der Bezug auf die englischen moralischen Zeitschriften und die englische ,Öffentlichkeit‘ im 18. Jahrhundert Vielen deutschsprachigen Texten des 18. Jahrhunderts, in denen Offenheit als wertvoll beurteilt wird, bietet die englische Kultur Anknüpfungspunkte. Die Orientierung an England, die sich bei den Vertretern des Offenheitsideals, aber ebenso anderer aufklärerischer Kommunikationsideale zeigt (vergleiche Kapitel 3.1), kann als Teil der Anglophilie der Epoche aufgefasst werden. Nach Michael Maurers einschlägiger Studie lässt sich jene als „(undifferenzierte) Vorliebe für England, die Engländer und alles Englische“496 definieren, die schon von den Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts bemerkt und als ,Anglophilie‘ bezeichnet werde.497 Als Höhepunkt der Neigung zu Englischem im 18. Jahrhundert sowie als Phase ihrer breitesten Wirkung gilt der Zeitraum von ca. 1770 bis 1790.498 Der bewundernde Blick richtet sich auf durchaus heterogene Bereiche der englischen Kultur: Als „Dimensionen“499 der Anglophilie nennt Maurer die englische Philosophie, Verfassung, Theologie, Religionstoleranz und ,Öffentlichkeit‘, die englischen moralischen Zeitschriften, die englische Literatur, den englischen Landschaftsgarten, die englische Agrikultur und Ökonomie.500 Die Schriften, die Offenheit in der Aufklärung aufwerten, würdigen hauptsächlich zwei dieser ,Dimensionen‘ – die moralischen Zeitschriften sowie die ,Öffentlichkeit‘. 496 Maurer 1987: 18. Die Studie gilt der Anglophilie der deutschen Aufklärung. 497 Vgl. Maurer 1987: 18. 498 Vgl. Maurer 1987: 16. Angeregt durch die Romantik verstärke sich das Interesse an England allerdings zu Beginn des 19. Jahrhunderts erneut (vgl. Maurer 1987: 16). 499 Maurer 1987: 60. 500 Vgl. Maurer 1987: 63–64, 68, 71, 73–74, 80, 85, 90.

234

3 Offenheit als Ideal

Ihre Verfasser sind insbesondere vom „Spectator“ beeindruckt, einer englischen moralischen Zeitschrift, die Joseph Addison und Richard Steele 1711 bis 1712 sowie 1714 herausgeben. Nach einer Teilübersetzung des „Spectator“ vom Französischen ins Deutsche im Jahr 1719 erscheint Luise Adelgunde Gottscheds Übertragung aus dem Englischen zwischen 1739 und 1744. Mehrere deutschsprachige moralische Wochenschriften, in deren Stücken positive Urteile über Offenheit in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts öfter und deutlicher hervortreten als in anderen Textsorten, wie in Kapitel 3.2 evident wurde, loben den sogenannten ,englischen Zuschauer‘ explizit oder räumen gar ein, ihn zu imitieren.501 So findet sich in den 1721 bis 1723 von Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger publizierten „Discoursen der Mahlern“ vor dem ersten Diskurs eine Adresse „An den Erlauchten Zuschauer der Engeländischen Nation“, in der zu lesen ist: „DIeses Werck [„Die Discourse der Mahlern“, J.S.] hat euch seinen Ursprung / einen Theil seiner Methode / und vielleicht alles dasjenige zu dancken / was es artiges hat“.502 Die Autoren betonen die Vorbildlichkeit des „Spectators“: „[W]ir können kein vortrefflicherOriginal [sic] zum Objecte unsrer Nachahmung nehmen“.503 Die Verfasser des „Geselligen“ wiederum, einer 1748 bis 1750 von Samuel Gotthold Lange und Georg Friedrich Meier herausgebrachten moralischen Wochenschrift, verleihen im ersten Stück sowohl ihrer Achtung vor dem „Spectator“ als auch vor den Publikationen Bodmers und Breitingers Ausdruck: „Wir empfehlen unsern Lesern zum voraus den englischen Zuschauer und den Zürchischen Sittenmahler“.504 Der ,englische Zuschauer‘ befürwortet auffälligerweise in mehreren Stücken Wahrhaftigkeit, Natürlichkeit und teilweise auch Offenheit.505 501 Dass sich die deutschsprachigen moralischen Wochenschriften an den englischen moralischen Zeitschriften orientieren, ist bekannt (vgl. Maurer 1987: 73, Göttert 1991: 108). Für Martens ist diese Orientierung sogar ein Gattungsmerkmal jener. In einem Kapitel mit dem Titel „Weitere Kriterien zur Gattungsbestimmung“ schreibt er (Martens 1968: 22): „Die Moralischen Wochenschriften folgen in den bereits festgestellten Eigenheiten [den anderen Gattungsmerkmalen, J.S.] generell dem Modell der drei großen englischen Zeitschriften vom Anfang des 18. Jahrhunderts, ,Tatler‘, ,Spectator‘ und ,Guardian‘, – insbesondere dem Vorbild des ,Spectator‘“ (Martens 1968: 23). 502 Die Mahler 1721: 2r. 503 Die Mahler 1721: 4v. 504 [Anonym.] 1748c: 15. Die Rede vom ,Zürchischen Sittenmaler‘ ist nicht ganz eindeutig. Neben den „Discoursen der Mahlern“ (1721–1722), die als „Die Mahler. Oder: Discourse Von den Sitten Der Menschen“ (1723) fortgesetzt werden, könnte ihre Umarbeitung und Weiterentwicklung unter dem Titel „Der Mahler der Sitten“ (1746) gemeint sein. 505 Zu den Kommunikationsidealen in den von Addison und Steele herausgegebenen moralischen Zeitschriften vgl. Berger 1978: 191–201, Göttert 1988: 101, 107–115, Göttert

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

235

Beispielsweise versucht ,T.‘ – nach dem Vorwort der Gottsched’schen Übersetzung schreibt Richard Steele unter dem Pseudonym ,T.‘506 – die Leser im 352. Stück (1712) davon zu überzeugen, dass Ehrlichkeit durch nichts zu ersetzen ist. Er trägt die Ansicht vor, daß nichts, als die Wahrheit und Redlichkeit eine dauerhafte Wirkung, auch so gar auf eines Menschen Glück und Vortheil haben. Wahrheit und Ehrlichkeit führen alle diejenigen Vortheile, ja noch mehrere bey sich, als der Schein. Ist der Schein irgend einer Sache zu irgend etwas gut, so bin ich versichert, daß dieses von der Aufrichtigkeit noch viel mehr gilt507.

Schon im 119. Stück (1711) bringt der Autor mit dem Kürzel ,L.‘ – dem Gottsched’schen Vorwort zufolge Joseph Addison508 – zum Ausdruck, dass die neue Hochschätzung zwangloser Natürlichkeit, die er in seinem Umfeld beobachtet, ganz in seinem Sinne ist: Der Umgang war [...] mit so vielem Gepränge und Ceremonien beschweret, daß er einer Reformation bedurfte, um allen Ueberfluß davon abzusondern, und ihm wieder zu seiner natürlichen Vernunft und Schönheit zu verhelfen. Daher ist denn itzo eine ungezwungene Aufführung und ein gewisses offenherziges Bezeugen, der höchste Gipfel einer guten Erziehung. Die artige Welt ist ganz frey und natürlich. Unsere Sitten kommen uns leichter an, und nichts ist so modisch, als eine angenehme Nachläßigkeit509.

506 507

508 509

1991: 107. – Aus der Forschungsliteratur gehen Hinweise darauf hervor, dass Offenheit in England bereits vor den moralischen Zeitschriften wertgeschätzt und relativ stark praktiziert wird: Trilling geht davon aus, dass im 17. Jahrhundert in England tendenziell offener als in anderen europäischen Ländern kommuniziert wird (vgl. Trilling 1972/1980: 29). Nach Bohrer wird in englischen Autobiographien aus dem 16. und 17. Jahrhundert „das Prinzip des ,offenen Wortes‘, der englischen Freimütigkeit festgelegt“ (Bohrer 1987/1989: 24), was meines Erachtens bedeuten soll, dass Offenheit schon in diesen Lebensbeschreibungen angestrebt und umgesetzt wird. Vgl. [Gottsched] 1739/1750: 2v–3r. T. 1712/1751: 163. Im Original lautet die soeben zitierte Stelle, „that nothing but Truth and Ingenuity has any lasting good Effect, even upon a Man’s Fortune and Interest. TRUTH and Reality have all the Advantages of Appearance, and many more. If the Shew of any thing be good for any thing, I am sure Sincerity is better“ (T 1712/1720: 133). Vgl. [Gottsched] 1739/1750: 2v–3r. L. [1711]/1751: 183–184. Im Original heißt es: „Conversation [...] was so encumbered with Show and Ceremony, that it stood in need of a Reformation to retrench its Superfluities, and restore it to its natural good Sense and Beauty. At present therefore an unconstrained Carriage, and a certain Openness of Behaviour, are the height of good Breeding. The Fashionable World is grown free and easie; our Manners fit more loose upon us: Nothing is so modish as an agreeable Negligence“ (L 1711/1720: 134). – Wie sehr ,L.‘ die neue Natürlichkeit in der Interaktion begrüßt, zeigt sich gleichfalls in seiner mokanten Schilderung ländlicher Umgangsformen, in denen ,Gepränge und Zeremonien‘ nach wie vor eine wichtige Rolle spielten (vgl. L. [1711]/1751: 184): „Diese Landhöflichkeit ist Leuten von meiner Art sehr beschwerlich, der ich insgemein den nächsten Stuhl nehme, und zuerst oder zuletzt, an der Spitze oder hintennach gehe,

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3 Offenheit als Ideal

In der Äußerung zeichnet sich auch ein von ,L.‘ unterstützter Trend zu Offenheit ab: Mit dem ,gewissen offenherzigen Bezeugen‘, das hoch im Kurs stehe, scheint ein ,Umgang‘ gemeint zu sein, der statt traditionellen Normen dem inneren Empfinden folgt und deshalb nicht ganz unriskant ist. Da sich eine Reihe moralischer Wochenschriften in deutscher Sprache in der beschriebenen Weise auf englische moralische Zeitschriften als Modell beruft und zumindest der „Spectator“ Offenheit früher zugewandt ist als jene, ist anzunehmen, dass er, möglicherweise gemeinsam mit anderen englischen Zeitschriften, das Offenheitsideal der deutschsprachigen Autoren inspiriert. Die Möglichkeit zur freien ,öffentlichen‘ Äußerung und den darauf beruhenden Informationsaustausch in England stellen die deutschsprachigen Offenheitsverfechter ebenfalls als vorbildlich heraus.510 Auch dieser Bereich der englischen Kultur, der besonders im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts bewundert wird, besitzt eine Affinität zu Offenheit: Wahrhaftige und transparente ,öffentliche‘ Äußerungen, die den Interessen anderer, namentlich der politischen Machthaber zuwiderlaufen, können als offene gelten – und werden im 18. Jahrhundert in der Tat als solche angesehen. Als Beleg dafür lässt sich ein Artikel der „Deutschen Chronik“ von 1774 anführen, dessen anonymer Urheber – vermutlich der Herausgeber Christian Friedrich Daniel Schubart – sich darüber wundert, wie englische Journalisten ihre Überzeugungen mitteilen dürfen: Erstaunend ists, mit welcher Freyheit der Verfasser einer Abendzeitung jetzt in Engelland schreibt! Er sagt Sachen laut, die man in Deutschland kaum denken darf. Wir Deutsche haben keine so freymüthige Schriftsteller, wie die Engelländer! – Glaubs wohl, Hunger, Schmach, öffentliche Schande erwarten den, der’s wagt, frey von der Brust zu schreiben511.

Die Bezeichnungen ,Freiheit‘ und ,Freimütigkeit‘ signalisieren, dass die ausgedrückte Überraschung die Offenheit der englischen Presse betrifft,

wie sichs von ungefähr trifft. Ich habe bemerket, daß des Herrn Rogers Mittagsmahl meistentheils kalt geworden, ehe die Gesellschaft mit dem Ceremoniel fertig werden und zum Sitzen gebracht werden können“ (L. [1711]/1751: 184). 510 Zur deutschen Bewunderung der englischen ,Öffentlichkeit‘ allgemein vgl. Maurer 1987: 70–73. 511 [Anonym.] 1774b: 612. Schubarts Versuch, ,frei von der Brust zu schreiben‘, bringt ihm tatsächlich ,Hunger, Schmach, öffentliche Schande‘: Er wird 1777 – wesentlich verursacht durch seine Publikationen – auf Befehl des Herzogs von Württemberg gefangen genommen und erst zehn Jahre später frei gelassen. Zu diesen biographischen Details vgl. Wohlwill 1891: 594–597.

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

237

und zwar besonders die Unbefangenheit in der Mitteilung brisanter Inhalte, die Teil dieser Offenheit ist. Die „Deutsche Chronik“ bildet ein Musterbeispiel für ein deutsches Periodikum, in dem die englische ,Öffentlichkeit‘ samt ihrer Offenheit gepriesen wird. 1774 ist dort unter der Überschrift „Engelland“ zu lesen: „Dieses Land liefert uns von Zeit zu Zeit sehr wichtige Nachrichten. Und wie kann es anders seyn? – Ein Land, wo der Patriot noch rufen darf: O Freiheit, Freiheit! / Silberton dem Ohre! / Licht dem Verstande! / Dem Herzen groß Gefühl! / Und freier Flug zu denken!“512 Derselbe Enthusiasmus spricht aus einer Ausgabe von 1775: Leser, streiffe mit mir in die Insel der Freyheit. Hier strömen die Neuigkeiten, wie die Reichthümer, aus allen Welttheilen zusammen. Keine Nation ist gründlicher von dem unterrichtet, was um sie her vorgeht, als die brittische. Will also heute nicht mit dir im verzagten Ton’ einer deutschen Chronik, sondern im freymüthigen Ton’ eines brittischen Annalisten sprechen513.

Der begehrliche Blick, den naheliegenderweise gerade deutsche Publizisten auf die englische Meinungs-, Pressefreiheit und deren Nutzung richten, ist zugleich einer auf die Zulässigkeit sowie die Umsetzung bestimmter Offenheitsformen und stärkt somit das Offenheitsideal, das sich im deutschen Sprachraum bereits etabliert hat. Er dürfte die deutschsprachigen Autoren maßgeblich dazu anregen, sich – wie in Kapitel 3.3 erläutert – für das Recht auf und die Pflicht zu Offenheit in der politischen Kommunikation einzusetzen.

Der Bezug auf die nordamerikanische humanistische Psychologie, ,self-disclosure‘-Forschung und Gruppenbewegung im 20. Jahrhundert Der Anklang, den Offenheit im 18. Jahrhundert findet, ist somit auch als Ergebnis kultureller Transferprozesse von England in das Gebiet der deutschen Sprache zu verstehen. Ähnlich massiv wirken sich solche Prozesse erst wieder in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf das Offenheitsideal aus. Seit den siebziger Jahren referiert ein nennenswerter Teil der deutschsprachigen Schriften, in denen Offenheit Zustimmung erfährt, bestätigend auf drei psychologische oder psychologisch fundierte Bereiche bzw. Elemente der nordamerikanischen Kultur, die stark

512 [Anonym.] 1774c: 73. 513 [Anonym.] 1775g: 33.

238

3 Offenheit als Ideal

miteinander verwoben sind: die humanistische Psychologie, die ,selfdisclosure‘-Forschung und die sogenannte ,Gruppenbewegung‘. Die humanistische Psychologie lässt sich am zutreffendsten als Konglomerat verschiedener psychologischer Theorieansätze und Therapierichtungen beschreiben. Sie entwickelt sich in den 1950er Jahren in den USA und formiert sich dort zu Beginn der 1960er Jahre zu einer psychologischen Bewegung, bevor sie Ende der 1960er Jahre in Europa aufgegriffen wird.514 Obwohl die humanistische Psychologie in den USA entsteht, wurzelt sie in doppelter Hinsicht in Europa: zum einen übernehmen ihre Vertreter zentrale Annahmen des Existenzialismus, der Phänomenologie und der Psychoanalyse,515 zum anderen gehören europäische, vielfach deutsche Immigranten, die Europa aufgrund des Nationalsozialismus bzw. Zweiten Weltkrieges verlassen mussten, zu ihren wichtigsten Repräsentanten.516 Besonders viel rezipierte Ausprägungen der humanistischen Psychologie sind die von Carl Rogers begründete Gesprächspsychotherapie, die von Fritz Perls ausgebildete Gestalttherapie, die Transaktionsanalyse, die auf Eric Berne zurückgeht, sowie die von Ruth Cohn entwickelte themenzentrierte Interaktion.517 Die verschiedenen Ansätze und Richtungen der humanistischen Psychologie sind durch gemeinsame Axiome verbunden:518 Ihr namensgebender Imperativ ist, den Menschen uneingeschränkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, ihn ganzheitlich und gleichzeitig als Element eines Beziehungssystems zu betrachten.519 Es wird unterstellt, dass Menschen dazu imstande sind, sich positiv zu entwickeln,520 und sich selbst bewusst werden müssen,521 um einen solchen Prozess der Persönlichkeitsentwicklung gestalten zu können.522 Als Ziel der Entwicklung gelten Selbstfindung und

514 515 516 517

518 519 520 521 522

Vgl. Quitmann 1985/1996: 12, 24, Aanstoos 2003: 754, Whitton 2003: 25. Vgl. Quitmann 1985/1996: 12, 19, Aanstoos 2003: 757. Vgl. Quitmann 1985/1996: 12, 19. Vgl. Quitmann 1985/1996: 12, 21, Whitton 2003: 11, 13. Zu den bekanntesten Vertretern der humanistischen Psychologie zählen des Weiteren Kurt Lewin, Erich Fromm, Abraham Maslow, Rollo May, Thomas Gordon, William Schutz und Sidney Jourard (vgl. Quitmann 1985/1996: 12, 21, Arons 1999: 334–346, Burston 1999: 276–286, Moss 1999: 74, Rice 1999a: 385–393, Rice 1999b: 314–322, Schneider 1999: 347–354, Shane 1999: 355–373, Aanstoos 2003: 756, Whitton 2003: 9–11, 13, 16). Jedes dieser Axiome unterliegt, wenn nicht allen, so doch vielen Ansätzen bzw. Richtungen. Vgl. Quitmann 1985/1996: 14–15, 28–29, Aanstoos 2003: 754–755, Whitton 2003: 38–39, 43. Vgl. Whitton 2003: 42. Vgl. Quitmann 1985/1996: 14, Aanstoos 2003: 755, Whitton 2003: 40. Vgl. Quitmann 1985/1996: 15, Aanstoos 2003: 755, Whitton 2003: 40–41. Zur Beto-

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

239

-verwirklichung, die von gesellschaftlichen Konventionen unabhängige Übereinstimmung der Lebenspraxis mit einer supponierten psychischen Oberflächen- und Tiefenebene, d. h. Authentizität in einem umfassenden Sinne.523 Offenheit schließlich wird als Weg zu und als Teil dieses Ziels aufgefasst. Um einen konkreten Eindruck von den hier sehr knapp dargestellten Grundvorstellungen der humanistischen Psychologie zu vermitteln, deren von den links-alternativen Milieus nach 1968 beförderte Entwicklung zum anthropologischen ,common sense‘ in Nordamerika und Westeuropa meines Wissens bislang mentalitätsgeschichtlich kaum aufgearbeitet worden ist, werfe ich Schlaglichter auf zwei viel beachtete Texte der humanistischen Psychologen Eric Berne und Sidney Jourard: In Bernes „Spielen der Erwachsenen“ (1967) (englisch „Games people play“, 1964), einem seinen transaktionsanalytischen Ansatz fundierenden Werk, ist ,Autonomie‘ der Zielzustand der angeregten persönlichen Entwicklung.524 „Die Erringung der Autonomie manifestiert sich in der Freisetzung oder Wiedergewinnung von drei Fähigkeiten: Bewußtheit, Spontaneität und Intimität“,525 erklärt Berne. ,Bewusstheit‘ erläutert er als die „Fähigkeit, auf unverwechselbar eigene Art“526 wahrzunehmen, „unmittelbar zu sehen und zu hören“.527 ,Spontaneität‘ ist für ihn dagegen die „Freiheit, seine Empfindungen aus dem verfügbaren Assortiment [...] auszuwählen und auszudrücken. Sie bedeutet auch Befreiung: Befreiung von dem Zwang, Spiele zu spielen, und nur die Empfindungen zum Tragen zu bringen, die einem von anderen beigebracht worden sind“.528 ,Intimität‘ definiert Berne endlich als „spontane, nicht spielanfällige Offenheit eines bewußten Menschen, die Freisetzung des [...] Kindheits-

523 524 525 526 527 528

nung der Eigenverantwortlichkeit des Klienten in der humanistischen Psychotherapie vgl. Whitton 2003: 17, 45. Vgl. Quitmann 1985/1996: 24–25. Zum Interesse an Authentizität in den 1970er Jahren, allerdings nicht beschränkt auf die humanistische Psychologie, vgl. Berman 1970: 325. Vgl. Berne 1964/1967: 249–251. Berne 1964/1967: 244. Im Original heißt es: „The attainment of autonomy is manifested by the release or recovery of three capacities: awareness, spontaneity and intimacy“ (Berne 1964: 178). Berne 1964/1967: 244. Auf Englisch lauten die Textstelle und ihr Kontext: „Awareness means the capacity to see a coffeepot and hear the birds sing in one’s own way“ (Berne 1964: 178). Berne 1964/1967: 245. Im englischen Text ist von „seeing and hearing directly“ die Rede (Berne 1964: 178). Berne 1964/1967: 247–248. Auch hier sei der Wortlaut des Originals angegeben: Spontaneität bedeute „option, the freedom to choose and express one’s feelings from the assortment available [...]. It means liberation, liberation from the compulsion to play games and have only the feelings one was taught to have“ (Berne 1964: 180).

240

3 Offenheit als Ideal

Ichs, das mit seiner ganzen Naivität im Hier und Heute lebt“.529 Er entwirft damit ein bewusst erlebendes, um Konventionen unbekümmertes, der eigenen Persönlichkeit folgendes, offenes Individuum als Ideal. Ähnlich ist auch für Jourard die Übereinstimmung der Lebenspraxis mit dem ,wahren Ich‘ das Ziel der persönlichen Veränderung, zu der er den Leser ermuntert. In „The transparent self“ (1964/1971), einem seiner bekanntesten Texte, firmiert es unter der Bezeichnung ,authentic being‘: This entire book can be regarded as an invitation to ,authentic being‘. Authentic being means being oneself, honestly, in one’s relations with his [sic] fellows. It means taking the first step at dropping pretense, defenses, and duplicity. It means an end to ,playing it cool,‘ an end to using one’s behavior as a gambit designed to disarm the other fellow, to get him to reveal himself before you disclose yourself to him530.

Obwohl bewusstes Erleben hier anders als bei Berne keine Rolle spielt, hingegen der Verzicht auf Abwehr und Rivalität im Vordergrund steht, wird es erneut als Optimum dargestellt, jenseits herkömmlicher Normen ganz man selbst zu sein (,being oneself, honestly‘). Jourards Begriff von Authentizität liegt im Hinblick auf ihre kommunikative Manifestation dicht am Begriff der Offenheit, der in Kapitel 2.2 herausgearbeitet wurde: Dem Autor zufolge ist Authentizität in der Kommunikation durch die Abwesenheit von Täuschung (,pretense‘, ,duplicity‘) sowie durch die Bereitschaft gekennzeichnet, persönliche Informationen bekannt zu geben (to ,disclose‘). Bernes und Jourards Texte zeigen somit exemplarisch, welch positive Haltung die Exponenten der humanistischen Psychologie mehrheitlich gegenüber Offenheit einnehmen. Bemerkenswerterweise ist ihre Idealisierung von Offenheit mit genau den kommunikativen Normierungen alliiert, die schon im deutschsprachigen Raum des 18. Jahrhunderts deren Kontext bilden, nämlich mit der Würdigung von Formen der Natürlichkeit und Wahrhaftigkeit sowie mit der Geringschätzung von Simulation und Dissimulation, was die diachrone Kraft dieses Zusammenschlusses kommunikativer Einstellungen spürbar macht. Mit Sidney Jourard wurde nicht nur ein Vertreter der humanistischen Psychologie zitiert, sondern ebenso einer der wichtigsten Repräsentanten der ,self-disclosure‘-Forschung. Wie er gelten auch andere Wissenschaft529 Berne 1964/1967: 248. Berne verwendet auf Englisch die Formulierung „spontaneous, game-free candidness of an aware person, the liberation of the [...] Child in all its naiveté living in the here and now“ (Berne 1964: 180). Da Berne von ,candidness‘ spricht, darf ,Offenheit‘ in der deutschen Übersetzung nicht als ,Aufgeschlossenheit‘, sondern muss als ,Freimütigkeit‘ gelesen werden. 530 Jourard 1964/1971: 133.

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

241

ler auf dem Gebiet der ,self-disclosure‘, etwa James Pennebaker, zugleich als humanistische Psychologen.531 In Kapitel 1.1 wurde bereits über den psychologischen Forschungszweig, der sich mit ,self-disclosure‘ beschäftigt, berichtet und angemerkt, dass wichtige Studien dieser Forschungsrichtung die positiven Auswirkungen von Selbstöffnung unterstreichen. Zwar ist Selbstöffnung im Sinn der Bekanntgabe von Informationen über die eigene Person nicht dasselbe wie Offenheit, doch bestehen inhaltliche Ähnlichkeiten zwischen beiden Konzepten, insofern die Bekanntgabe persönlicher Informationen oft mit einem Risiko verbunden ist. So lassen sich viele Ergebnisse der ,self-disclosure‘-Forschung zu Argumenten für den Nutzen von Offenheit wenden. Auch die ,Gruppenbewegung‘ überschneidet sich personell und inhaltlich mit der humanistischen Psychologie, zumal die Sozialform der Gruppe zunächst von Vertretern der humanistischen Psychologie in Therapien und Angeboten zur Persönlichkeitsentwicklung eingesetzt wird.532 Ausgehend davon erfreuen sich Gruppen mit ganz unterschiedlichen Zusammensetzungen und Zwecken (Therapiegruppen, Gruppen zur Persönlichkeitsentwicklung, Selbsthilfegruppen, Minderheitengruppen usw.) insbesondere in den späten 1960er, den 1970er und 1980er Jahren zuerst in den USA, dann gleichfalls in Europa so großer Beliebtheit,533 dass man von einer ,Gruppenbewegung‘ sprechen kann.534 Auf der Agenda der meisten Gruppen innerhalb dieser schwer zu überblickenden psychosozialen Strömung, der ein klares personelles und institutionelles Zentrum fehlt, stehen neben der menschlichen Begegnung die Selbstreflexion und positive Weiterentwicklung der Teilnehmer. Die Kommunikation vieler Gruppen wird als besonders offene geschildert, so beispielsweise von Carl Rogers, einem humanistischen Psychologen und Initiator der Gruppenbewegung, der in seinem Buch über „Encounter-Gruppen“

531 Vgl. Derlega/Metts/Petronio u. a. 1993: 2, Moss 1999: 70–72, Whitton 2003: 16, 314. Moss spricht in einer Überschrift gar von der „Humanistic psychology of self-disclosure“ und stellt diese in einer von ihm herausgegebenen Publikation mit dem Titel und Thema „Humanistic and transpersonal psychology“ vor (Moss 1999: 66, vgl. 70–74); er beschreibt die ,self-disclosure‘-Forschung mithin als Teil der humanistischen Psychologie. 532 Vgl. Bruder 1990: 242, Moss 1999: 70, 74, Whitton 2003: 9–11, 19–24. 533 Vgl. Bruder 1990: 242–243, Moss 1999: 70, Whitton 2003: 19–24. Vgl. auch schon Rogers 1970/1974: 9–13. 534 Bruder spricht von einer „Selbsterfahrungsgruppenbewegung“ (Bruder 1990: 242), Moss von einer „encounter-group movement“ (z. B. Moss 1999: 74), Rogers – in der deutschen Übersetzung – ebenso von einer „Bewegung“ (z. B. Rogers 1970/1974: 9).

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3 Offenheit als Ideal

(1974) (englisch „On encounter groups“, 1970) auf die typische Entwicklung einer Gruppe, den regulären „Gruppenprozeß“,535 eingeht: [N]ach und nach wird offensichtlich, daß es das Hauptziel fast aller Mitglieder [einer Gruppe] ist, Mittel und Wege zu finden, um Beziehungen zu anderen Gruppenmitgliedern und zu sich selbst aufzunehmen. Je mehr sie zunächst zögernd und ängstlich ihre Gefühle und Einstellungen zueinander und zu sich selbst erforschen, desto deutlicher wird es, daß sich jeder zuerst hinter Fassaden und Masken versteckt hatte. Die wahren Gefühle und die wahren Personen zeigen sich nur ganz vorsichtig [...]. Allmählich baut sich eine echte Kommunikation auf, und die Person, die bislang durch eine Mauer von der anderen getrennt war, kommt plötzlich mit Teilen ihrer tatsächlichen Gefühle heraus. Gewöhnlich ging sie von der Einstellung aus, daß ihre wirklichen Gefühle für die anderen Mitglieder der Gruppe nicht akzeptabel sind. Aber dann stellt sie mit Erstaunen fest, daß man sie um so mehr akzeptiert, je wirklicher sie wird. [...] Teilnehmer einer Gruppe fühlen eine Nähe und eine Intimität, die sie nicht einmal ihren engsten Freunden oder den einzelnen Familienmitgliedern gegenüber empfinden, weil sie sich in der Gruppe tiefer und vollständiger offenbart haben als gegenüber ihren eigenen Angehörigen536.

Rogers betont das Interesse der Gruppenteilnehmer sowohl an der menschlichen Begegnung als auch an Selbsterkenntnis und stellt ihre Kommunikation als eine dar, die zunehmend auf ,Fassaden und Masken‘ verzichtet, ,die wahren Gefühle und die wahren Personen‘ immer deutlicher hervortreten lässt und so zu deren ,Offenbarung‘ führt. Folglich legen die humanistische Psychologie, die ,self-disclosure‘-Forschung sowie die Gruppenbewegung jeweils auf ihre eigene Weise die Aufwertung von Offenheit nahe. Ein affirmativer Bezug auf diese drei Bereiche bzw. Elemente der nordamerikanischen Kultur ist seit den 1970er Jahren vor allem in deutschsprachigen populärpsychologischen Quellen, in denen Offen-

535 Rogers 1970/1974: 15. 536 Rogers 1970/1974: 15–16. Der englische Originaltext lautet: „[G]radually does it become evident that the major aim of nearly every member is to find ways of relating to other members of the group and to himself. Then as they gradually, tentatively, and fearfully explore their feelings and attitudes toward one another and toward themselves, it becomes increasingly evident that what they have first presented are façades, masks. Only cautiously do the real feelings and real persons emerge [...]. Little by little, a sense of genuine communication builds up, and the person who has been thoroughly walled off from others comes out with some small segment of his actual feelings. Usually his attitude has been that his real feelings will be quite unacceptable to other members of the group. To his astonishment, he finds that he is more accepted the more real he becomes. [...] Participants feel a closeness and intimacy which they have not felt even with their spouses or members of their own family, because they have revealed themselves here more deeply and more fully than to those in their own family circle“ (Rogers 1970: 8–9).

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

243

heit bejaht wird, nachweisbar. Die Autoren psychologisch ausgerichteter Kommunikations- und Beziehungsratgeber wie auch die Beiträger des einschlägigen populärpsychologischen Periodikums „Psychologie heute“ nennen Schriften wichtiger Repräsentanten der humanistischen Psychologie, ,self-disclosure‘-Forschung und/oder Gruppenbewegung im Haupttext, im Verzeichnis der verwendeten oder empfohlenen Literatur, nehmen Konzepte und Argumentationsweisen aus diesen Schriften auf oder erwähnen gar Resultate der ,self-disclosure‘-Forschung. Angela Seifert etwa, eine „geprüfte Transaktionsanalytikerin für Psychotherapie“,537 wie im Klappentext ihres Kommunikationsratgebers aus dem Jahr 2002 zu lesen ist, schließt sich darin an die humanistische Psychologie an, indem sie verschiedene Überlegungen Eric Bernes, unter anderem seinen Begriff und seine Bewertung von ,Autonomie‘ aufgreift: „Unter Autonomie verstand Berne [...] innere Freiheit, die so frei von irgendwelchen vermeintlichen Zwängen ist, dass sie sich bewusst, spontan und offen auf die anderen beziehen kann. Diese Art von Autonomie ist das große Ziel, das wir anstreben können“.538 Mit Bernes ,Autonomie‘-Ideal539 übernimmt Seifert dessen positives Urteil über Offenheit.540 Wie Resultate der ,self-disclosure‘-Forschung in den deutschsprachigen Diskurs pro Offenheit überführt werden, lässt sich anhand eines Artikels mit dem Titel „Trauma. Wer nicht drüber spricht zerbricht [sic]“ nachvollziehen, der 1986 in „Psychologie heute“ erscheint. Der Autor Rolf Degen, Psychologe und Wissenschaftsjournalist, betont die Nützlichkeit der „Offenbarung [...] eines Seelenkummers“541 unter Verweis auf Forschungsergebnisse James Pennebakers: „[T]atsächlich verlieren seelische Belastungen viel von ihrer Brisanz für den Körper, wenn man über sie spricht. [...] Für diese erlösende Kraft der Mitteilsamkeit plädiert – aufgrund umfangreicher Forschungsarbeiten – der texanische Psychologe James W. Pennebaker in der Zeitschrift ,Canadian psychology‘“.542

537 Seifert 2002: 2. 538 Seifert 2002: 80. 539 Seifert gibt Bernes Autonomieverständnis leicht verändert wieder: Sie beschreibt ,Autonomie‘ zunächst als ,innere Freiheit‘ und nicht als ,Fähigkeiten‘ (,capacities‘); sie spricht von „Innigkeit“ (Seifert 2002: 80) und davon, ,offen‘ zu sein, statt von ,Intimität‘ (,intimacy‘). Darüber hinaus bezieht sie die drei von Berne genannten Fähigkeiten ,Bewusstheit‘, ,Spontaneität‘ und ,Intimität‘ (,awareness‘, ,spontaneity‘ und ,intimacy‘) auf den Umgang mit anderen Menschen. 540 Für weitere Textstellen, in denen sie Offenheit befürwortet, vgl. Seifert 2002: 31, 57–58, 76, 107. 541 Degen 1986: 19. 542 Degen 1986: 18.

244

3 Offenheit als Ideal

Als Beispiel für einen Text, dessen Autor für Offenheit eingenommen ist und zugleich seine Sympathie für die Gruppenbewegung zu erkennen gibt, kann ein Artikel von Jürgen Kremer dienen, der 1976 ebenfalls in „Psychologie heute“ zu lesen ist. Nach den Angaben des Artikels hat der Autor „persönliche Erfahrungen mit dem La Jolla-Programm“543 gemacht – La Jolla in Kalifornien ist eine Wirkungsstätte Carl Rogers’ – und promoviert bei Reinhard Tausch,544 einem der frühesten und renommiertesten Anhänger der Gesprächspsychotherapie nach Rogers im deutschsprachigen Raum. Der Artikel referiert lokal und global auf die Gruppenbewegung: Erstens nennt Kremer eine Publikation Rogers’ über Encounter-Gruppen explizit als eine seiner Quellen,545 zweitens argumentiert er streckenweise wie dieser: Der idealisierte Verlauf einer Encounter-Gruppe sieht für mich so aus: Ich suche eine echte Begegnung mit anderen Menschen, mit möglichst wenig Fassaden und größter Offenheit – ich muß verletzbar sein können. In diese Situation kann ich mich mit fremden Menschen nicht einfach katapultieren. Dazwischen stehen in der Regel routinemäßige Umgangsformen des Alltags, die nach meinem Erleben häufig auf Fassadenhaftigkeit und Indirektheit aufgebaut sind. [...] Habe ich aber mit den anderen diese Gerüste [der Umgangsformen des Alltags] beiseite geräumt, dann merke ich, [...] daß ich mich mit all meinen Spielchen und indirekten Ausdrucksformen dennoch so annehmen kann wie [sic] ich bin und [sic] auch so von anderen angenommen werde546.

Beim Vergleich dieses Zitats mit dem obigen aus Rogers’ Buch über Encounter-Gruppen springen einige Parallelen ins Auge: Sie zeigen sich im Hinweis auf den Wunsch der Gruppenmitglieder nach Beziehungen zu anderen, in der Rede von ,Fassaden‘ und deren Abbau, in der Behauptung der Zunahme von ‚Offenheit‘ in der Gruppe und der Erfahrung der Akzeptanz durch andere. Drittens ist der Artikel insgesamt – als ganzer Text – ein äußerst günstig ausfallender Bericht über Gruppen eines bestimmten Typus: „Nach allem, was bisher an Untersuchungen über personen-zentrierte Encounter-Gruppen vorliegt, kann behauptet werden: Encounter-Gruppen haben einen therapeutischen Effekt; d. h. sie wirken sich positiv auf die Entfaltung der Persönlichkeit aus. Destruktive Effekte, unliebsame Änderungen kommen praktisch nicht vor“,547 lautet Kremers Fazit. Als erwünschte Folgen der Beteiligung an einer solchen

543 544 545 546 547

Kremer 1976: 34. Vgl. Kremer 1976: 34. Vgl. Kremer 1976: 30. Kremer 1976: 31. Kremer 1976: 31.

3.5 Zum sozialen und interkulturellen Ort des Offenheitsideals

245

Gruppe zählt er „größere Offenheit, Echtheit und Spontaneität“548 auf – seine Begeisterung für Gruppen korreliert also unter anderem mit einer Begeisterung für Offenheit. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts muss das Offenheitsideal in den deutschsprachigen Ländern demzufolge auch als Produkt eines Kulturtransfers aus Nordamerika begriffen werden. Die Orientierung an der humanistischen Psychologie, der ,self-disclosure‘-Forschung und der Gruppenbewegung, die Offenheit bzw. Selbstöffnung eine außerordentliche Bedeutung beimessen, gibt dem Offenheitsideal im Gebiet der deutschen Sprache Auftrieb und bereichert die Diskussion über jene mit neuen, psychologischen Sichtweisen und Argumenten: Offenheit rückt immer weiter in den Kontext der Selbstreflexion und Persönlichkeitsentwicklung.

548 Kremer 1976: 32.

4 Offenheit als Wagnis 4.1 Funktionen von Offenheit Die Verfasser der Quellen bewerten individuelle Offenheit so positiv, weil sie davon ausgehen, dass Offenheit Chancen eröffnet: Durch den ganzen Untersuchungszeitraum hindurch beschreiben sie Wirkungen von Offenheit, die ihnen erstrebenswert erscheinen. Quellenkritisch und erkenntnistheoretisch sind solche Funktionsaussagen als bloße Behauptungen zu betrachten: Wenn in den analysierten Texten formuliert oder impliziert wird, dass Offenheit eine bestimmte Wirkung hervorbringe, ist keineswegs sicher, dass dem so ist. Den wiederholt erwähnten Funktionen muss allerdings der Status kultureller Faktizität zuerkannt werden: Wenn zahlreiche Quellenautoren auf denselben Effekt von Offenheit hinweisen, ist zwar keine Kausalbeziehung zwischen dieser und jenem bewiesen, doch wird offensichtlich kollektiv an ein Ursache-Folge-Verhältnis geglaubt, welches in diesem Sinne zur kulturellen Realität gehört. Die Chancen, die in Offenheit gesehen werden, wandeln sich vom 18. bis ins 21. Jahrhundert weniger stark, als man es erwarten könnte. Die ihr musterhaft zugeschriebenen Leistungen wirken auf den ersten Eindruck heterogen, lassen sich aber bei genauerer Analyse über die Jahrhunderte hinweg zu den im Folgenden vorgestellten drei Gruppen von Funktionen zusammenfassen, die jeweils auf eine gemeinsame Grund- oder Hauptfunktion zurückführbar sind: zu Funktionen der ,Objektivierung‘, der ,Assoziierung‘ und der ,Äquilibrierung‘.

Funktionen der Objektivierung In allen untersuchten Jahrhunderten wird Offenheit die Funktion attestiert, einem anderen Menschen bedrängende subjektive Gedanken oder Gefühle wahrnehmbar zu machen und sie dadurch zu mindern. Dieser Effekt zugunsten des Äußerungsproduzenten kommt etwa in der Abhandlung „Ueber Offenheit und Verschlossenheit im Umgange“ zur Sprache, die 1795 im „Neuen Hannöverischen Magazin“ erscheint:

4.1 Funktionen von Offenheit

247

„[L]iegt es nicht in unserer Natur offenherzig zu seyn? mögen wir uns nicht so gern mittheilen und unser Herz erleichtern?“1 Dass ,Offenheit‘ im Gegensatz zu ,Verschlossenheit‘ das ,Herz erleichtern‘ könne, geht auch aus späteren Bemerkungen des anonymen Autors hervor: „[V]iele Menschen können die Angelegenheiten anderer verschweigen, aber wenn es ihre eigene anbetrift, so sind sie gar nicht verschlossen [...]. [...] sie fühlen sich nicht eher ruhig, bis sie alles, was sie angehet und ihnen begegnet ist, vom Herzen haben“.2 Beide verwendeten bildlichen Redeweisen, ,sein Herz erleichtern‘ sowie ,etwas vom Herzen haben‘, bezeichnen eine Reduktion unangenehmer Gefühle3 und konzipieren jene als Entfernung eines Gegenstandes aus dem menschlichen Inneren, als Entlastung, Befreiung, Reinigung oder Katharsis also, was vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart äußerst üblich ist. Eine ganz ähnliche, aber semantisch noch aufschlussreichere Formulierung wählt – um ein beliebiges Beispiel zu geben – der Ägyptologe Heinrich Brugsch-Pascha in seiner Autobiographie (1894), als er von seiner ersten Begegnung mit einem Maler berichtet:4 „Er schüttete mir zwei Stunden lang sein übervolles Herz aus, glücklich, wie er mich versicherte, seine Seele erleichtert und in mir einen verständnisvollen Zuhörer gefunden zu haben“.5 Die idiomatische Wendung ,sein Herz ausschütten‘, die Brugsch und viele andere Autoren nicht nur des 19. Jahrhunderts gebrauchen, bringt ebenfalls eine Minderung bedrückender Vorstellungen oder Empfindungen zum Ausdruck und entwirft diese als Transport von Gütern, bedeutet jedoch gleichzeitig so viel wie ,sich offen äußern‘.6 Dass sich Offenheit in der Semantik von ,sein Herz ausschütten‘ mit

1 2 3

4 5 6

[Anonym.] 1795a: Sp. 1342. [Anonym.] 1795b: Sp. 1346. Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 1144–1148, hier Sp. 1145, erklärt die idiomatischen Wendungen „Nun ist mein Herz leichter“ und „Nun da ist mir ein rechter Stein vom Herzen“ im Eintrag „Herz“ mit den Worten: „wenn diese [die jeweils gemeinten, J.S.] Empfindungen gehoben oder vermindert werden“. Vgl. Brugsch[-Pascha] 1894/1894: 359. Brugsch[-Pascha] 1894/1894: 359–360. In Kapitel 2.1 wurde beschrieben, wie ,offen‘ die für diese Arbeit relevante Bedeutung von der syntaktischen Fügung ,mit offenem Herzen‘ bzw. dem Adjektiv ,offenherzig‘ übernimmt. Idiomatische Wendungen wie ,sein Herz (er)öffnen‘ oder ,sein Herz ausschütten‘ überschneiden sich deshalb in ihrer Semantik weitgehend mit ,sich offen äußern‘. In diesem Sinne verwendet bereits Luther ,sein Herz ausschütten‘ in seiner 1545 erschienenen Bibelübersetzung: „Nein / mein Herr / Ich bin ein betrübt Weib / wein vnd starck getrenck hab ich nicht getruncken / Sondern hab mein hertz fur dem HERRN ausgeschut“ (Biblia: 1. Samuel 1, [15]) sowie „Schüttet ewer Hertz fur jm aus / Gott ist vnser Zuuersicht“ (Biblia: Psalter 62, [9]). Zur Bedeutung des Ausdrucks ,sein Herz eröffnen‘ vgl. auch die Angaben in Kapitel 3.2.

248

4 Offenheit als Wagnis

der ihr zugewiesenen Funktion vereinigt, zeigt, wie stark sie mit dieser assoziiert wird.7 In der Autobiographie Brugschs wird die Ansicht, dass Offenheit besänftigend wirken könne, allerdings nicht nur in dieser Wendung greifbar: Das ,Ausschütten‘ des ,Herzens‘ hat, so erfährt man, die ,Seele erleichtert‘. Dass eine offene Äußerung es erlaube, Gedanken oder Gefühle abzuschwächen, deren Stärke als zu groß empfunden wird, kann selbstverständlich auch unter Verzicht auf Phraseologismen mit dem Kernlexem ,Herz‘ vorgetragen werden: „Einmal offen mit jemandem zu reden, ist zu einer der wichtigsten Institutionen unseres Lebens geworden: Eine andere Abhilfe scheint bei Sorgen und Bedrängnissen jedweder Art kaum denkbar“,8 heißt es 1985 in einem Zeitschriftenartikel, dessen Autor einen Trend zu Offenheit und Geständnissen ausmacht. In dieser Textstelle wird eine gängige Vorstellung explizit gemacht, die sich in manchen Belegen nur andeutet: die Vorstellung, dass man ,mit jemandem‘ sprechen bzw. an jemanden schreiben muss, dass man einen potenziell mitfühlenden oder gar helfenden menschlichen Adressaten braucht, um sich durch Offenherzigkeit innerlich beruhigen zu können. Einige Autoren sind darüber hinaus der Auffassung, dass der durch Offenheit zu erreichende innere Ausgleich die psychische und/oder physische Gesundheit eines Menschen zu fördern vermöge oder sogar unverzichtbar für sie sei. Vereinzelt lässt sich dieser Gedanke schon im 18. und 19. Jahrhundert finden. Besonders deutlich reflektiert ihn das 24. Stück der moralischen Wochenschrift „Der Redliche“ (1751), in dem die Geschichte von Titus und Gissippus erzählt wird. Der „junge Römer“9 Titus verliebt sich in die Verlobte seines Freundes Gissippus und wird durch den Konflikt zwischen der Zuneigung zu seinem Freund und zu dessen Verlobter schwer krank:10 7

8 9 10

Neben ,sein Herz ausschütten‘ gibt es in allen untersuchten Jahrhunderten weitere idiomatische Wendungen, die (teil)synonym zu ,sich offen äußern‘ sind, eine Reduktion überzähliger Gedanken oder Gefühle bezeichnen und jene als Beförderung einer Materie aus dem ,Herzen‘ darstellen, z. B. ,(sich) etwas vom Herzen (weg) reden/sprechen‘ (vgl. Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 1144–1148, hier Sp. 1146, Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 141–142, hier Sp. 141, Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1977/1999: 4. Bd.: 1776–1777, hier 1777) oder ,seinem Herzen Luft machen‘ (vgl. Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1977/1999: 4. Bd.: 1777). Für das Sprichwort ,Wes das Herz voll ist, des gehet der Mund über‘ nach Matthäus 12, 34 vgl. des Weiteren Adelung 1775/1796: 2. Bd.: Sp. 1146, Heyne 1892: 2. Bd.: Sp. 141, Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1977/1999: 4. Bd.: 1777. Schneider 1985: 34. Die Redlichen 1751: 374. Vgl. Die Redlichen 1751: 374–375.

4.1 Funktionen von Offenheit

249

[N]achdem er [Gissippus] von den Aerzten vernommen, daß Titus unfehlbar sterben müste, wenn er die Ursache seines so gefährlichen Zustandes nicht offenbaren sollte, dieweil es eine blosse Gemüths-Krankheit wäre, welche ihm den Garaus machen würde: so beschwor Gissippus seinen Freund, daß er ihme doch die Ursache seines Uebels entdecken möchte11.

Titus teilt Gissippus schließlich sein Problem mit, überlebt, erhält später die Verlobte des Freundes zur Frau und versöhnt sich mit diesem.12 In dieser Geschichte erweist sich fehlende Offenheit als lebensbedrohlich, Offenheit dagegen als unbedingt notwendig für die Gesundheit, gar für das Leben eines Menschen: Titus überlebt, weil er dem Freund seinen wahren seelischen Zustand, seine Verliebtheit, enthüllt – trotz der Gefahr, die diese Mitteilung für ihre Freundschaft darstellt. Dieselbe Funktionsannahme ist im 20. Jahrhundert und in der Gegenwart vor allem außerhalb der fiktionalen Literatur häufig anzutreffen. Innerhalb dieser lässt sie sich freilich genauso nachweisen, so etwa in der autobiographischen Erzählung „Mars“ von Fritz ,Zorn‘ (eigentlich: Fritz Angst) aus den 1970er Jahren, die in dieser Hinsicht ein Pendant zur Krankheitsgeschichte von Titus bildet. Den ausführlichen Schilderungen der kommunikativen Gewohnheiten seiner Familie ist zu entnehmen, dass der Erzähler in einem Milieu größtmöglicher Nicht-Offenheit aufwächst. Vor risikoreichen Äußerungen wie der Mitteilung der eigenen Meinung scheuen die Familienmitglieder zurück: Wenn es galt, ein Urteil darüber abzugeben, wie einem etwas gefallen hatte, etwa ein Buch, so mußte man [als Mitglied der Familie, J.S.], wie beim Kartenspiel, zuerst die möglichen Reaktionen der anderen erwägen, bevor man seine Karte ausspielte, um nicht Gefahr zu laufen, etwas zu äußern, das des allgemeinen Beifalls nicht sicher war. Oder wir hielten mit dem Urteil so lange zurück, bis wir hoffen konnten, daß ein anderer sich zuerst vorwage und seine Meinung zum besten gebe, der wir uns dann beifällig anschließen konnten13.

Um Risiken aus dem Weg zu gehen, äußern sich die Eltern des Erzählers so indirekt und verschleiert, dass sie geradezu unehrlich sind: Wie oft war ich nicht staunender Zeuge der immer wieder gleichen Szene, daß meinen Eltern ein Vorschlag oder ein Angebot unterbreitet wurde, bei dem ich genau wußte, daß es ihnen von vornherein nicht in den Kram paßte, zu dem sie sich aber aus Höflichkeit nicht getrauten, nein zu sagen, und für das sie darum

11 12 13

Die Redlichen 1751: 375. Vgl. Die Redlichen 1751: 376–379. Zorn 1977/1979: 29–30.

250

4 Offenheit als Wagnis

immer mit der allergrößten Zuvorkommenheit und dem Versprechen dankten, sie würden es sich ,gerne‘ überlegen14.

Der Erzähler berichtet davon, dass er die nicht-offene Kommunikationsweise seiner Familie übernimmt15 und letztlich selbst zu einem wenig offenen Menschen geworden ist: „[I]ch [hatte] Angst davor [...], ich könnte einmal mit jemandem verschiedener Meinung oder es könnte sonst etwas nicht ,richtig‘ sein. Um diesen Eiertanz durchhalten zu können, durfte ich nie ehrlich sein“.16 Brisante Informationen mitzuteilen und wahrhaftig zu sein, vermeidet er ebenso wie deutliche Äußerungen: „[I]ch war tatsächlich in der Kunst des Ausweichens sehr gut geschult, und wenn ich auf unangenehme Fragen nicht einfach eine Stellungnahme verweigerte, standen mir eine Menge Umgehungstechniken zur Verfügung“.17 Seine spätere Krebserkrankung betrachtet der Erzähler als direkte Folge dieser Art der Kommunikation: „So wie ich die Normalität [...] verstand, bestand sie daraus, daß man nicht die Wahrheit sagen, sondern höflich sein soll. Ich war mein ganzes Leben lang lieb und brav, und deshalb habe ich auch Krebs bekommen“.18 An anderer Stelle betont er – wiederum mithilfe von Metaphern, die Gedanken und Empfindungen als transportable Substanzen erscheinen lassen –, dass es gerade der fehlende Abbau negativer Empfindungen sei, der ihn krank gemacht habe: „Das ganze angestaute Leid, das ich jahrelang in mich hineingefressen hatte, ließ sich auf einmal nicht mehr in meinem Inneren komprimieren; es explodierte [...] und zerstörte bei dieser Explosion den Körper“.19 Das kommunikative Verhalten des Erzählers, das zu Offenheit im Gegensatz steht, verhindert demnach eine Reduktion unguter Gefühle und verursacht dadurch eine psychosomatische Krankheit, was im Umkehrschluss so zu lesen ist, dass die körperliche und seelische Gesundheit eines Menschen dieser Reduktion und folglich eines gewissen Maßes an Offenheit bedarf. Anders als in der Krankheitsgeschichte von Titus kommt Offenheit jedoch in diesem Fall als ,Heilmittel‘ zu spät: Auch das Verfassen einer Autobiographie kann Fritz Angst nicht mehr retten. Er stirbt 1976.

14 15 16 17 18 19

Zorn 1977/1979: 38. Vgl. für besonders sprechende Textstellen Zorn 1977/1979: 80, 106. Zorn 1977/1979: 33–34. Worauf sich ,dieser Eiertanz‘ genau bezieht, geht aus dem Text nicht hervor. Zorn 1977/1979: 34. Zorn 1977/1979: 134–135. Zorn 1977/1979: 132.

4.1 Funktionen von Offenheit

251

Exkurs: Offenheit in der Beichte und der Psychoanalyse Wie Eugenia Georges bemerkt, haben „confession“ und „disclosure of deeply personal topics“ in der westlichen Kultur eine lange Tradition als „therapeutic technique“.20 Innerlich beruhigende, harmonisierende Effekte werden einem kommunikativen Verhalten, das unter den modernen Offenheitsbegriff fällt, schon weit vor dem 18. Jahrhundert unterstellt. So ist ihre Annahme bereits in der Institution der christlichen Beichte angelegt,21 obgleich sie nicht zu den zentralen Vorstellungen gezählt werden kann, die der Beichtpraxis und -theorie unterliegen.22 Für die Beichte ist konstitutiv, dass die/der Beichtende ihre/seine Sünden gesteht und sich zu ihrer/seiner Schuld bekennt. Sie beruht insofern auf der Ansicht, dass die ehrliche Äußerung eigener Normverstöße der seelischen ,Entlastung‘ dient, als mit ihr die Vergebung, die Los-

20 Georges 1995: 11, vgl. 15–16. Georges zeichnet diese Tradition von den Stoikern über das Christentum bis zur Freud’schen Psychoanalyse und medizinischen Behandlung im 20. Jahrhundert nach (vgl. Georges 1995: 13–15). Sie weist darauf hin, dass „confessionas-therapy“ zwar in verschiedenen Kulturen anzutreffen sei, jedoch keineswegs in allen (Georges 1995: 11, vgl. für Beispiele 18–21). – Ähnlich stellt Foucault im „Willen zum Wissen“ fest, „[i]m Abendland“ sei „der Mensch ein Geständnistier geworden“ (Foucault 1976/1977: 77). Er bezweifelt allerdings, dass das „Geständnis befreit“ (Foucault 1976/1977: 78, vgl. 77–81). 21 Zu den theologischen Informationen, die den folgenden Ausführungen über die Beichte zugrunde liegen, vgl. Loew 1957: Sp. 972–974, Sucker 1957: Sp. 969–971, Gerlitz 1998: Sp. 1220–1221, Hennig 1998: Sp. 1224–1225, Müller 1998: Sp. 1922–1923, Ohst 1998a: Sp. 1221–1222, Ohst 1998b: Sp. 1910–1918, Root 1998: Sp. 1223–1224, Sattler 1998: Sp. 1222–1223. 22 Die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Maß diese Annahme den Umgang mit der Beichte und die Schriften über sie prägt, stößt auf Schwierigkeiten. Zum einen existieren gegenwärtig unterschiedliche Beichtbegriffe: Im weiteren Sinn ist jedes Schuldbekenntnis, das auf Vergebung zielt, eine Beichte. Im engeren Sinn handelt es sich bei einer Beichte um ein solches Bekenntnis, das sprachlich (und nicht etwa mit Opfergaben), von einer Einzelperson (nicht von einer Gruppe), gegenüber einer/m Geistlichen (nicht allein), unter Ausschluss weiterer Zuhörer (nicht ,öffentlich‘) vollzogen wird und wiederholbar (nicht nur einmal im Leben möglich) ist. Zum anderen haben sich im Lauf der Geschichte diverse Arten und Verständnisse der Beichte ausgebildet: Die Beichte wird seit dem frühen Mittelalter im Christentum praktiziert, in Texten beschrieben und normiert. Besonders unterschiedliche, ja unvereinbare Auffassungen der Beichte treffen im Zuge der Reformation aufeinander und begründen eine spezifisch katholische und evangelische Theorie und Praxis der Beichte. Ausgehend von der grundlegenden reformatorischen Neubestimmung der Beichte, die unter anderem in der Wendung gegen den Beichtzwang, der Anzweiflung des sakramentalen Charakters der Beichte und der Ausweitung der Lossprechungsfähigkeit vom Priester auf alle Gläubigen besteht, wird die Beichte in den evangelischen Kirchen im 18. Jahrhundert zunehmend unüblich. In Anbetracht dieser Komplexität beziehe ich mich im Folgenden auf langlebige Kernelemente der christlichen (für die Zeit nach der Reformation: katholischen) Auffassung der Beichte im engeren Sinn.

252

4 Offenheit als Wagnis

sprechung von Sünden und Schuld angestrebt wird. Seit dem 20. Jahrhundert wird in der theologischen Reflexion über die Beichte überdies ein Wirkungszusammenhang zwischen aufrichtigem Sündengeständnis und psychischer Gesundheit festgestellt – allerdings nicht unter Bezug auf die christliche Tradition, sondern auf die Psychotherapie. So heißt es bereits 1957 unter dem Stichwort „Beichte“ in „Religion in Geschichte und Gegenwart“: „Außerkirchliche Strömungen legen die B.[eichte] nahe. Die seit der Jahrhundertwende aufkommende Psychoanalyse hat ein allgemeines Vertrauen zur Heilwirkung der Aussprache geschaffen“.23 Unter demselben Lemma wird 1998 in der folgenden Auflage des Nachschlagewerkes vermerkt: „Die gegenwärtige kath.[olische] Theol.[ogie] versucht, [...] im Gespräch mit der Psychotherapie-Forschung die Bedeutung der B.[eichte] neu zu bestimmen: [...] die Selbstthematisierung des Schuldempfindens kann heilsam wirken“.24 Drei Gründe sprechen jedoch dafür, die Bedeutung des Glaubens daran, dass das wahrhaftige Sündengeständnis bedrängende Vorstellungen und Empfindungen mindern könne, für die Beichtpraxis und -theorie zumindest vor dem 20. Jahrhundert nicht zu hoch zu veranschlagen: Erstens ist in der Theorie nicht allein die Vergebung der Sünden das Ziel der Beichte, sondern auch die Wiederherstellung der vollen Mitgliedschaft in der kirchlichen Gemeinschaft, und in der Praxis nicht nur das Wohl der/des Beichtenden der Zweck, sondern gleichfalls ihre/seine Kontrolle und Disziplinierung im Interesse der Kirche. Zweitens ist das ehrliche Schuldbekenntnis nur ein Teil des Verfahrens, das zu diesen Ergebnissen führen soll. Nach christlicher, später christlich-katholischer Lehre ist die Beichte Teil des Bußsakramentes, zu dem – zurückgehend auf Thomas von Aquin – neben der Beichte auch die Reue und die Genugtuung (die Bußwerke) gehören, welche gemeinsam die ,Materie‘ des Bußsakramentes bilden, sowie die Lossprechung durch den Priester, in der die ,Form‘ des Sakramentes besteht. Drittens verbindet sich nach christlichem Verständnis im Bußsakrament wie in der Beichte die Selbsttätigkeit des Menschen mit der Kraft Gottes, wobei der Stellenwert dieser beiden Elemente im Verhältnis zueinander kontrovers ist. Wie sich bereits andeutete, popularisiert die Psychoanalyse im 20. Jahrhundert die Überzeugung, dass Offenheit der psychischen Konstitution eines Menschen zuträglich ist. Obwohl ,Offenheit‘, ,Offenherzigkeit‘ und ,Freimütigkeit‘ nicht zu den Termini der Freud’schen Psychoanalyse 23 Loew 1957: Sp. 972. 24 Sattler 1998: Sp. 1222.

4.1 Funktionen von Offenheit

253

gehören, kann man durchaus sagen, dass Sigmund Freud von seinen Patienten in erster Linie fordert, sich in den analytischen Sitzungen offen zu äußern. Besonders klar kommt diese Erwartung in den zusammen mit Josef Breuer verfassten „Studien über Hysterie“ (1895), in dem kurzen Text „Die Freudsche psychoanalytische Methode“ (1904), der dritten von fünf Vorlesungen „Über Psychoanalyse“ (1910) sowie den Bemerkungen „Zur Einleitung der Behandlung“ (1913) zum Ausdruck. Wie relevant die Offenheit des Analysanden für die Psychoanalyse ist, zeigt sich darin, dass Freud die Anweisung dazu als „psychoanalytische Hauptregel“25 oder auch „Grundregel der psychoanalytischen Technik“26 bezeichnet. „Mit dieser [der Grundregel] macht man ihn [den Patienten] von allem Anfang an bekannt“, schreibt er in „Zur Einleitung der Behandlung“: Noch eines, ehe Sie beginnen. Ihre Erzählung soll sich doch in einem Punkte von einer gewöhnlichen Konversation unterscheiden. [...] Sie werden beobachten, daß Ihnen während Ihrer Erzählung verschiedene Gedanken kommen, welche Sie mit gewissen kritischen Einwendungen zurückweisen möchten. [...] Geben Sie dieser Kritik niemals nach und sagen Sie es trotzdem, ja gerade darum, weil Sie eine Abneigung dagegen verspüren. [...] Sagen Sie also alles, was Ihnen durch den Sinn geht. Benehmen Sie sich so, wie zum Beispiel ein Reisender, der am Fensterplatze des Eisenbahnwagens sitzt und dem im Inneren Untergebrachten beschreibt, wie sich vor seinen Blicken die Aussicht verändert. Endlich vergessen Sie nie daran [sic], daß Sie volle Aufrichtigkeit versprochen haben, und gehen Sie nie über etwas hinweg, weil Ihnen dessen Mitteilung aus irgendeinem Grunde unangenehm ist27.

Neben absoluter Ehrlichkeit verlangt Freud seinen Patienten ab, auch und gerade dasjenige zu äußern, was ihnen heikel erscheint. Noch unmissverständlicher formuliert Freud diesen Anspruch in „Die Freudsche psychoanalytische Methode“: „Mit besonderem Nachdrucke aber wird von ihnen [den Kranken] verlangt, daß sie keinen Gedanken oder Einfall darum von der Mitteilung ausschließen, weil ihnen diese Mitteilung beschämend oder peinlich ist“.28 Nach dem Eisenbahn-Vergleich im vorletzten Zitat zu urteilen, sollen die Patienten das, was ihnen durch den Kopf geht, zudem möglichst eins zu eins verbalisieren, ihre Äußerungen sollen also ein möglichst transparentes Medium sein, das die Sicht auf ihre bewusste geistige Aktivität freigibt. Betrachtet man Freuds Grund-

25 26 27 28

Freud 1910/1943: 31, vgl. 30–31. Freud 1913/1943: 468. Freud 1913/1943: 468. Freud 1904/1942: 6, vgl. 5–6.

254

4 Offenheit als Wagnis

regel aus der Perspektive dieser Studie, schreibt sie den Analysanden mithin Offenheit vor. Die Grundregel geht auf das „kathartische Verfahren“29 zurück, das Sigmund Freud im Anschluss an Josef Breuer zeitweilig in der Therapie einsetzt.30 Dabei werden die Patienten hypnotisiert und sollen sich dann an die Situation erinnern, in der ihre Krankheitsanzeichen erstmalig aufgetreten sind.31 Der Ausdruck ihrer „Erinnerung“ und des diese begleitenden „Affekts“32 behebt nach Auffassung der Anhänger des Verfahrens ihre Symptome. Dem kommunikativen Verhalten, das Freud später mit der Grundregel fordert, unterstellt er in allen vier oben genannten Texten ebenfalls eine heilende Wirkung, wenn er auch nicht mehr davon ausgeht, dass diese allein durch das Abreagieren negativer Gedanken und Empfindungen zustande kommt. Vielmehr nimmt er an, dass seine Patienten mit einer oder mehreren ihnen unerträglichen „Vorstellungen“33 konfrontiert worden sind, die sie ins Unbewusste verdrängt hätten,34 was krankhafte Symptome hervorrufe.35 Ihre „Einfälle“36 während der Analyse hält er für „Abkömmlinge der verdrängten psychischen Gebilde“,37 d. h. sie stehen für ihn in Beziehung zu den verdrängten ,Vorstellungen‘.38 Über die ,Einfälle‘ wie auch über Träume, beiläufige Handlungen und Fehlleistungen könne sich ihr Bewusstsein, unterstützt durch diesbezügliche Gespräche mit dem Psychoanalytiker, dem ins Unbewusste Verdrängten nach und nach annähern, bis dessen Aufarbeitung möglich sei, welche die Verdrängung rückgängig mache.39 Ist die Verdrängung aufgehoben, zeigen die Patienten gemäß Freud keine Krankheitsanzeichen mehr – und sind geheilt.40

29 Freud 1904/1942: 3. In Freuds Texten finden sich auch andere Bezeichnungen, z. B. „Breuersche Methode“ (Freud/Breuer 1895/1952: 253), „kathartische Methode“ (Freud/ Breuer 1895/1952: 259) oder „kathartische Therapie“ (Freud 1904/1942: 3). 30 Vgl. Freud/Breuer 1895/1952: 270, 297, Freud 1904/1942: 3–6. Freud 1904/1942: 3 schreibt, dass seine psychoanalytische Methode „aus dem sogenannten kathartischen Verfahren hervorgegangen“ sei. 31 Vgl. Freud/Breuer 1895/1952: 252–253, Freud 1904/1942: 3. 32 Freud/Breuer 1895/1952: 85, 252, vgl. Freud 1904/1942: 3–4. 33 Z. B. Freud/Breuer 1895/1952: 269, 288, Freud 1910/1943: 28. 34 Vgl. Freud/Breuer 1895/1952: 269, 288, 290, Freud 1904/1942: 6–7. 35 Vgl. Freud/Breuer 1895/1952: 269, 288. 36 Z. B. Freud/Breuer 1895/1952: 270, Freud 1904/1942: 5, Freud 1910/1943: 30, Freud 1913/1943: 468. 37 Freud 1904/1942: 6. 38 Vgl. Freud 1910/1943: 28. 39 Vgl. Freud/Breuer 1895/1952: 267, 271, 291–292, 302, Freud 1904/1942: 7–8, Freud 1910/1943: 30–31, 38–39, Freud 1913/1943: 476–477. 40 Vgl. Freud 1910/1943: 38–39, Freud 1913/1943: 476–478.

4.1 Funktionen von Offenheit

255

Offensichtlich ist die Annahme, dass Offenheit seelische Spannungen zu lösen imstande sei, sowohl in der Beichte als auch in der Psychoanalyse verankert und damit Teil von zwei mächtigen, vielleicht den zwei mächtigsten gesellschaftlichen Institutionen, die innerhalb des Untersuchungszeitraums für das menschliche Seelenleben zuständig sind. Erst wenn man diese Einbindung berücksichtigt, lässt sich die gewaltige mentalitätsgeschichtliche Bedeutung der Annahme ermessen. Dass eine offene Äußerung einem anderen Menschen subjektive Vorstellungen oder Empfindungen zugänglich machen könne, gilt vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart nicht nur als nützlich für ihren Produzenten, sondern ebenso für ihren Adressaten: Die angesprochene Person könne bislang Unbekanntes aus dem Geist oder der Seele der/des Offenen erfahren und sich dadurch deren/dessen Perspektive auf die Wirklichkeit annähern. Besonders viel diskursive Aufmerksamkeit erhält der Fall, in dem sie erfährt, wie sie wahrgenommen und eingeschätzt wird. Diese Offenheit wird als etwaige Ergänzung und Korrektur der Sichtweise des Adressaten auf sich selbst beurteilt, die es ihr/ihm gestatte, sich zum Positiven zu verändern. Im 18. Jahrhundert werden derartige Überlegungen nicht selten mit sprachlichen Bildern aus dem medizinischen Feld formuliert: „Wohl uns, wenn [...] ein offenherziger Freund unser Seelenarzt ist, wenn er geflissentlich, um den eingewurzelten Schaden [der durch Schmeicheleien anderer entstanden ist, J.S.] zu heilen, uns empfindliche Schmerzen verursacht“.41 Wie ein ,Arzt‘ mit seiner Therapie unter Umständen ,Schmerzen verursacht‘, kann ein ,Freund‘ nach diesem Beitrag zur „Deutschen Monatsschrift“ (1797) mit seiner ,Offenherzigkeit‘ unangenehm werden; analog zu einer medizinischen Behandlung, welche die ,Heilung‘ des Patienten ermöglicht, erlaubt offene Kritik – so besagt dieser Briefwechsel zweier Freunde über die Freundschaft – die Besserung des Adressaten. Dass die ,empfindlichen Schmerzen‘, von denen die Rede ist, tatsächlich durch Kritik entstehen, bestätigt der Kontext: Freunde „[können] die geheimen Triebfedern unsrer Handlungen erkennen, was tadelnswürdig darin ist, ohne Hehl uns offenbaren, was sie gut befinden, ohne Schmeicheley loben“.42 Dass Offenheit die Selbstwahrnehmung eines Menschen vervollständigen bzw. berichtigen könne und ihm damit die Möglichkeit zur Selbstverbesserung eröffne, wird im 18. Jahrhundert primär bezogen 41 42

[Kunhardt] 1797a: 183. [Kunhardt] 1797a: 183.

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auf ein freundschaftliches Verhältnis artikuliert. Bereits im frühen 19. Jahrhundert erörtern die Autoren kommunikationsreflexiver Texte diesen Wirkungszusammenhang gleichermaßen am Beispiel anderer Beziehungstypen: „Aufrichtigkeit der Ehegatten unter einander kann sehr viel dazu beitragen, uns selbst genauer kennen zu lernen und eine wahre, unverfälschte Kunde von uns selbst über uns zu erhalten“,43 notiert Carl Nicolai in seinem Anstandsbuch. Ihm zufolge ist eine realistischere Selbstsicht aber auch dadurch erreichbar, dass ,Freunde‘, ,Bekannte‘ oder ,Verwandte‘ ehrlich und unmissverständlich darlegen, welche Schwächen sie beobachten: „[E]s ist schlimm, daß es so wenige aufrichtige Freunde, Bekannte und Verwandte giebt, die uns gerade hin sagen: da und darin fehltest du, da und darin mußtest du so dich benehmen, das und das urtheilt die Welt von dir, wenn du so fortgehst als jetzt, wirst du auf die und die Abwege gerathen u.s.w.“44 Der Topos, dass man durch offene Einschätzungen Erkenntnisse über sich selbst gewinnen und sich in der Folge wandeln könne, wird bis heute fortgeschrieben, seine typische lexikalische Ausbildung wandelt sich allerdings beträchtlich. Gegenwärtig ist eine sprachliche Form wie diese üblich, die in einem Lebens- und Kommunikationsratgeber aus dem Jahr 2004 vorzufinden ist: Echte Freundschaften zeichnen sich dadurch aus, dass man sich gegenseitig offen und ehrlich Feedback gibt, auch wenn die kritischen Anteile das Selbstkonzept des anderen in Frage stellen oder seine Eitelkeit kränken. Konstruktive Kritik zeigt uns, wo wir etwas lernen können. Sie beleuchtet unsere blinden Flecken und gibt uns Impulse für unsere persönliche Entwicklung45.

Wenige Seiten danach betonen die Verfasser die Bedeutung von Offenheit für eine positive Selbstveränderung noch einmal: „Nur wer andere Menschen aktiv ermutigt, auch kritische Rückmeldungen offen anzusprechen, darf davon ausgehen, dass er ausreichend mit Informationen zu seiner Außenwirkung versorgt wird. [...] Für eine bewusste Persönlichkeitsentwicklung brauchen wir andere Menschen als Spiegel“.46 In vielen vergleichbaren Textstellen der letzten Jahre und Jahrzehnte wird das Urteil, das jemand über sich zu hören bekommt, als ,Feedback‘ bezeichnet, welches, wenn es eine ,Persönlichkeitsentwicklung‘ erlaubt, ,konstruktiv‘ genannt wird. Inhaltlich erhält der Topos mit dieser veränderten Beschreibungs-

43 44 45 46

Nicolai 1816/1818: 20–21. Nicolai 1816/1818: 3. Enkelmann/Rückerl 2004: 83. Enkelmann/Rückerl 2004: 86.

4.1 Funktionen von Offenheit

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sprache insofern einen neuen Akzent, als die Selbstverbesserung nun weniger als Übernahme von Tugenden, d. h. ethisch ,guten‘ Verhaltensweisen, denn als Entfaltung individueller Fähigkeiten konzeptualisiert wird. Die Offenheit zugeschriebenen Funktionen, die bislang vorgestellt wurden, sind – wie angekündigt – durch Abstraktion auf ein und dieselbe Grundfunktion zurückführbar. Den Behauptungen, dass Offenheit seelisch ausgleichen könne, der Gesundheit diene sowie Selbsterkenntnis und -verbesserung ermögliche, unterliegt die gemeinsame Idee, dass Offenheit die Gedanken oder Gefühle eines Menschen zu einem wahrnehmbaren Objekt zu machen vermöge, auf das sich sowohl innere Aktivitäten als auch äußere Handlungen richten könnten: Heftige innere Bewegungen ließen sich zu einem zeichenhaften Gegenstand bilden, welcher dem Äußerungsproduzenten eine Distanzierung, mithilfe des Adressaten ebenso eine Neupositionierung erlaube und auf den eine professionelle Behandlung in der Beichte oder Psychoanalyse zielen könne; die subjektive Sicht auf den Kommunikationspartner lasse sich als semiotisches Gebilde formulieren, welches ihr/ihm die Möglichkeit zur Annäherung und Auseinandersetzung gebe. In diesem Sinne stellt Offenheit für die Kommunizierenden ein Instrument der ,Objektivierung‘ dar.

Funktionen der Assoziierung Für die Autoren des ganzen Untersuchungszeitraums ist der Ausdruck von Vertrauen zum Kommunikationspartner eine hervorstechende Leistung von Offenheit. Dass sich dieser Gedanke meist beiläufig und in heterogenen Kotexten zeigt, lässt darauf schließen, dass es sich um einen das Nachdenken über Offenheit fundierenden handelt. In Joachim Heinrich Campes „Vaeterlichem Rath für meine Tochter“ (1789) scheint er beispielsweise in einer Aufforderung zu Offenheit gegenüber den Eltern auf: „Schließe [...] dein Herz mit allem, was du zu jeder Zeit denkest und empfindest, gern und willig vor uns auf“, rät der Verfasser jungen Mädchen, „verheele uns nichts, nichts – selbst deine Fehler und Schwächen nicht; fest überzeugt, daß es uns unmöglich ist, dein kindliches Vertrauen jemals auf irgend eine Weise zu misbrauchen, und daß wir deine Offenherzigkeit nie mit Bitterkeit oder Vorwürfen [...] erwiedern werden“.47 Das ,Aufschließen‘ des ,Herzens‘ wird en passant durch den

47

Campe 1789: 158.

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Ausdruck ,Vertrauen‘ und dieser wiederum durch ,Offenherzigkeit‘ substituiert; demzufolge bekunden die gewünschten offenen Äußerungen für Campe Vertrauen. Auf die Möglichkeit, durch Offenheit Vertrauen anzuzeigen, kommt Carl Nicolai in dem bereits erwähnten Anstandsbuch (1816/1818) in einem ganz anderen Zusammenhang zu sprechen, nämlich im Rahmen der Empfehlung, einen außerhalb der Familie, „in dem wirklichen Weltleben“ gemachten Fehler beizeiten zuzugeben: „Hat man da [in dem wirklichen Weltleben] einen dummen Streich gemacht, so handelt man schon dadurch, daß man ihn unverhohlen seinen Obern entdeckt, ehe sie hinter die Wahrheit kommen, für sich selbst klüger, denn diese Aufrichtigkeit beweiset Vertraun zu ihnen, und Vertraun nimmt ein jeder gern auf“.48 Wie bei Campe und vielen anderen Autoren sind es allerdings auch bei Nicolai speziell unverhüllte ehrliche Geständnisse eigener Normverstöße, die ,Vertrauen‘ belegen – oder, mit anderen Worten, die Überzeugung, dass der Interaktionspartner nicht zu negativ auf das Mitgeteilte reagieren wird. Textstellen, in denen diese Offenheitsfunktion direkter thematisiert wird, sind in der Regel jüngeren Datums. Eine davon begegnet dem Leser eines Freundschaftsratgebers aus dem Jahr 2003: „Ich muss mich [für eine gute Beziehung] auf einen anderen Menschen einlassen. Ich muss auch etwas von mir hergeben, mich öffnen, Vertrauen investieren“.49 Offenheit, die in diesem Zitat inhaltlich nicht auf Fehler, Schwächen oder Probleme des Sprechers bzw. Schreibers beschränkt wird, bringt danach ,Vertrauen‘ in eine Beziehung ein, führt dieses also gleichsam als Signifikat mit sich. Mit den Ergebnissen des Kapitels 2.2 lässt sich eine Erklärung für diese langlebige Ansicht vorschlagen: Das alltagssprachliche Verständnis von ,Vertrauen‘50 gestattet es, sich dieses als Bedingung zu denken, unter der ein Mensch das Risiko eingeht, das Offenheit zwangsläufig beinhaltet. Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Überlegung gleichfalls plausibel. Nach Niklas Luhmann etwa, der eine der meist beachteten soziologischen Vertrauenstheorien entwickelt hat,

48 Nicolai 1816/1818: 184. 49 Schaible 2003: 13. 50 Gemäß Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 1162 bedeutet „Vertrauen“ „mit dem Hülfsworte haben, seine Wohlfahrt zuversichtlich von dem andern erwarten“. Nach Wissenschaftlicher Rat der Dudenredaktion (Hrsg.) 1981/1999: 9. Bd.: 4298 lässt sich das alltagssprachliche Verständnis von „Vertrauen“ mit „festes Überzeugtsein von der Verlässlichkeit, Zuverlässigkeit einer Person, Sache“ umschreiben.

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259

ermöglicht Vertrauen eine „riskante Vorleistung“,51 d. h. risikoreiches Handeln. Wenn Offenheit für die historischen Akteure in manchen oder sogar den meisten Fällen auf Vertrauen beruht, liegt es nahe, dass jene sie als Zeichen für Vertrauen auffassen. Indes wird Offenheit vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart nicht nur das Potenzial zugeschrieben, Vertrauen zum Adressaten auszudrücken, sondern ebenso, dessen Vertrauen zum Äußerungsproduzenten zu wecken.52 Adolph von Knigge etwa setzt sich am Ende des 18. Jahrhunderts in seiner berühmten Verhaltenslehre mit dem Typus des „empfindlichen“, leicht zu kränkenden Menschen auseinander und stellt Offenheit im Umgang mit ihm als vertrauensbildende Maßnahme dar: „Er [der empfindliche, aber redliche und verständige Mann] wird nach und nach seinen besten Freunden trauen lernen und vielleicht zuletzt, wenn man immer edel und offen mit ihm verfährt, von seiner Schwachheit zurückkommen“.53 Einen Eindruck davon, wie weit auch diese Attribution über diverse thematische Zusammenhänge verstreut ist, können einige Ratschläge für das Schreiben „[f]reundschaftlicher Briefe“ aus einem Briefsteller des mittleren 19. Jahrhunderts vermitteln, wenn man sie neben das Zitat Knigges hält: „Sie [freundschaftliche Briefe] müssen eben so freimüthig als herzlich und lebhaft abgefaßt sein [...]. [...] [in freundschaftlichen Briefen] soll allein das Herz zum Herzen sprechen und [...] Vertrauen Vertrauen erwecken“.54 Mit dem erarbeiteten Hintergrundwissen lässt sich die Textstelle so paraphrasieren: In Briefen an Freunde soll man sich offen äußern und dadurch Vertrauen ausdrücken, auf welches der Briefpartner im Idealfall mit Vertrauen reagiert. 51

Luhmann 1968/2000: 27, 53. Nach Luhmann besteht Vertrauen in der Unterstellung, dass das „Verhalten [eines anderen Menschen, J.S.] sich in den eigenen Lebensführungsplan sinnvoll einfügen wird“ (Luhmann 1968/2000: 95). Eine Situation, in der Vertrauen vorliegt, ist laut Luhmann folgendermaßen zu beschreiben: Einem System stehen nicht alle Informationen zur Verfügung, die es für ein „erfolgssicheres“ Handeln benötigt (Luhmann 1968/2000: 38). Es greift auf gemachte Erfahrungen zurück und überträgt diese auf die Zukunft (vgl. Luhmann 1968/2000: 23–24, 31), „es überzieht die Informationen, die es aus der Vergangenheit besitzt“ (Luhmann 1968/2000: 23–24). So schließt das System ungünstige zukünftige Entwicklungen aus (vgl. Luhmann 1968/2000: 9, 24), es „neutralisiert gewisse Gefahren“ (Luhmann 1968/2000: 30), wofür jedoch keine rationale Reflexion notwendig ist (vgl. Luhmann 1968/2000: 29). In diesem Zustand trifft das System eine Handlungsentscheidung für eine ,riskante Vorleistung‘ (vgl. Luhmann 1968/2000: 28). 52 Der Meinung, dass Offenheit Vertrauen aufbauen könne, ist auch Giddens 1990/1995: 152. 53 Knigge 1788/1790/1977: 95. 54 Schoppe/Milde 1834/1876: 20.

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Erst seit etwa 30 Jahren gehen die Verfasser kommunikationsreflexiver Texte genauer darauf ein, dass und wie Offenheit Vertrauen generieren oder intensivieren könne. So wird in einem Kommunikationsratgeber für Frauen aus den 1990er Jahren spezifiziert, dass gerade die offene Äußerung negativer, devianter Gefühle Vertrauen schaffe: Wenn Menschen zeigen, daß sie Enttäuschung, Ärger, Schmerz und Furcht empfinden, zeigen sie gleichzeitig damit, daß sie auch den Mut und die Kraft besitzen, damit in der Kommunikation umzugehen. Mit der Offenheit, sich als die Person zu zeigen, die man wirklich ist, auch in dem, worin man sich schwach und abhängig fühlt, zeigt man nicht nur, daß man ein Mensch ist, man löst mit dieser Aufrichtigkeit auch Vertrauen aus55.

Hier ist zu erahnen, wie es zur kontinuierlichen Annahme einer Vertrauensbildung durch Offenheit kommt: Wer mittels einer offenen Äußerung zugibt, dass sie/er von der emotionalen Idealnorm des glücklichen, ausgeglichenen und furchtlosen Menschen abweicht, erzeugt beim Interaktionspartner die Zuversicht, dass auch sie/er solche Norminkongruenzen gestehen dürfte. Formuliert man diese Deutung des Zitats allgemeiner, erweckt ein Mensch, der das Risiko einer offenen Äußerung eingeht, beim Gegenüber die Überzeugung, dass es ein vergleichbares Risiko eingehen könnte, und in diesem Sinne Vertrauen. Sofern Offenheit aus Sicht der historischen Kommunizierenden gelegentlich oder sogar regelmäßig eine solche Überzeugung hervorruft, ist es wahrscheinlich, dass sie Offenheit eine vertrauensschaffende Wirkung zusprechen. Zwei weitere Effekte von Offenheit werden über die Jahrhunderte hinweg wahrgenommen und wertgeschätzt: Freundschaft und eine Liebesbeziehung zu ermöglichen bzw. zu fördern.56 Historisch zuerst mit Bezug auf den Beziehungstyp der Freundschaft konstatiert,57 wird die sozial annähernde Wirkung von Offenheit vom Ende des 18. Jahrhunderts an auch für Liebesbeziehungen expressis verbis geltend gemacht.58 Mit einem Hinweis auf die freundschaftsstärkende Kraft offener Mitteilungen, der sich schon als eine Andeutung ihrer liebesstiftenden Fähigkeit verstehen lässt, reagiert Caroline Flachsland in einem am 17.05.1771 55 56

57 58

Mohl 1994: 157. Dass „Aufrichtigkeit“ bereits im 17. Jahrhundert „Vergemeinschaftungsenergien“ zuerkannt werden, beschreibt Stöckmann 2006: 212, vgl. 213. Ähnlich machen Koselleck 1959/1973: 61 und Hahn 1997: 27 darauf aufmerksam, dass ein Geheimnis bei seinen Trägern eine gemeinschaftsfördernde Dynamik entwickle. Simmel betont umgekehrt, dass ein Geheimnis auf Dritte ausschließend wirke (vgl. Simmel 1907/1993: 318). Vgl. z. B. [Anonym.] 1748b: 50 sowie für die Zeit seither Rumohr (Hrsg.) 1834: 1. Bd.: 143, Hecht 2006: 35, 38. Vgl. etwa Immermann 1839/1972: 692–693, Gontard [1904]: 34, Nuber 1992: 22.

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261

verfassten Brief an ihren späteren Ehemann Johann Gottfried Herder auf dessen Bericht über Schwierigkeiten: „Wie sehr ich Ihnen [...] für Ihre Vertraulichkeit und Offenherzigkeit gegen mich danke, das kan ich Ihnen nicht sagen. Das Zutrauen und sich klagen zu dörfen bindet Freunde oft so fest zusammen“.59 An Flachslands Äußerung ist zum einen ersichtlich, dass der Topos der möglichen Intensivierung von Freundschaft durch Offenheit in Texten, die der Empfindsamkeit zugeordnet werden können, bereits voll entwickelt ist. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich in diesem Briefwechsel eine Liebesbeziehung und Ehe anbahnen, sowie in Anbetracht der unscharfen Grenzen zwischen Freundschaft und Liebe in vielen anderen empfindsamen Texten wird man Flachsland zudem einen weiten, zur Liebesbeziehung hin offenen Begriff von Freundschaft unterstellen müssen. Zum anderen macht das Zitat deutlich, dass der Konnex zwischen Offenheit und sozialer Annäherung über den Begriff des Vertrauens60 verläuft. Nach dem, was in Kapitel 3.3 zu den geschichtlichen Veränderungen der Vorstellungen von Freundschaft und Liebe gesagt wurde, zählt gegenseitiges Vertrauen mindestens seit dem 18. Jahrhundert zu den Voraussetzungen und Verstärkern einer Freundschaft wie auch einer Liebesbeziehung. Unter dieser Prämisse gestattet die Annahme, dass Offenheit Vertrauen anzeigt und schaffen kann, – unterstützt von derjenigen, dass Offenheit in der Lage ist, subjektive Gedanken oder Gefühle zu objektivieren – den Schluss, dass reziproke Offenheit zum Nutzen beider Beteiligter dazu imstande ist, zwischen ihnen eine Beziehung dieser Typen zu ermöglichen bzw. zu fördern. Dass offene Kommunikation im 18. Jahrhundert zuerst für eine Freundschaft, dann auch für eine Liebesbeziehung zunehmend als essenziell angesehen und dementsprechend seither in jener wie in dieser geboten wird, wurde im Kapitel über „Offenheit als situatives Kommunikationsgebot“ bereits ausführlich belegt. Die Offenheit zugewiesenen Funktionen, die in diesem Kapitelteil diskutiert wurden, lagern sich offenkundig alle an eine Kernfunktion an: Die Behauptungen, dass Offenheit Vertrauen ausdrücken und bilden sowie Freundschaft und eine Liebesbeziehung möglich machen bzw. unterstützen könne, schließen die Vorstellung ein, dass Offenheit dazu

59 Herder/Flachsland 1770–1771/1926: 1. Bd.: 219. 60 Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 1163 erläutert „Vertraulich“ als „Vertrauen zu jemandes Liebe, Freundschaft oder Verschwiegenheit ohne Zurückhaltung thätig erweisend, und darin gegründet“. Flachsland dankt Herder demnach für seine offenen, Vertrauen ausdrückenden Mitteilungen.

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imstande sei, die Beziehung zwischen den Interagierenden zu stärken, diese ergo fester miteinander zu verbinden. Demnach ist Offenheit für die Kommunizierenden ein Mittel der ,Assoziierung‘.

Funktionen der Äquilibrierung Anhand von Quellen vor allem des 18. und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts lässt sich die Überzeugung rekonstruieren, dass Ideen und Ansichten in einem offenen Gespräch so aufeinander abgestimmt werden können, dass sich die Teilnehmer gegenseitig aufklären. „Wenn wir zusammen sind, so haben wir einen sehr vertraulichen und ergötzenden Umgang; es herrschet unter uns eine solche unschuldige Freymüthigkeit: wir gerathen augenblicklich in solche lehrenden Unterredungen, die unsern Verstand schärfen, die Sitten bessern, und uns mit neuer Hochachtung gegen einander erfüllen, daß die Herren Freymäurer gegen uns keine Ehre zu reden haben“.61 Nach den fiktiven Verfassern des „Geselligen“, die sich 1748 im sechsten Stück den Lesern vorstellen,62 ist es auch und gerade die unter ihnen übliche ,Freimütigkeit‘, die sie zu gemeinsamen rationalen und moralischen Einsichten führe. Dieselbe Stoßrichtung hat eine Bemerkung aus den bereits zitierten „Briefen über die Freundschaft“, die 1797 und 1798 in der „Deutschen Monatsschrift“ erscheinen: „Gewiß würde das milde Licht der Aufklärung [...] nicht so weit verbreitet seyn, wenn die offenherzige Mittheilung moralischer und politischer Begriffe in freundschaftlichen Unterredungen nicht dazu mitgewirket hätten“.63 Die Funktion von Offenheit, Erkenntnisrückstände aufzuheben, wird hier mit zwei Stichwörtern – ,Licht‘ und ,Aufklärung‘ – beschrieben, die für die Epoche so typisch sind, dass sie dieser im Englischen und Deutschen ihren Namen gegeben haben, und dadurch die historische Prägung der Aussage sinnfällig machen. Der erreichte Ausgleich der Ideen und Ansichten hat in den „Briefen über die Freundschaft“ genau wie im „Geselligen“ und in anderen Quellen der Zeit zwei Dimensionen: eine ethische und eine intellektuelle. Als charakteristisch für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und die Gegenwart erweisen sich demgegenüber zwei Funktionszuweisungen,

61 62 63

[Anonym.] 1748b: 50–51. Nach Martens 1987: 404–405 könnte das Stück in Wirklichkeit von Samuel Gotthold Lange verfasst worden sein. [Kunhardt] 1797a: 181.

4.1 Funktionen von Offenheit

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die etwas anders konturiert sind. In ihnen spielt die gegenseitige freimütige Mitteilung von Einfällen und Urteilen nur im Hintergrund eine Rolle, wohingegen die reziproke Offenlegung divergenter Einzelinteressen der Beteiligten im Vordergrund steht, die es erlauben soll, jene so weit wie möglich in Einklang zu bringen.64 Zum einen wird Offenheit als ein Kommunikationsprinzip betrachtet, mit dem sich gegenläufige Wünsche und Absichten, die sich bereits zu einem Konflikt verhärtet haben, koordinieren und in einem ausgewogenen Verhältnis erfüllen bzw. umsetzen lassen.65 Eine besondere Fähigkeit zur Konfliktlösung wird Offenheit in einem Zeitschriftenartikel aus dem Jahr 1980, der sich mit der „Kunst, sich richtig zu ärgern“ beschäftigt, sowohl „für den Bereich privater Interaktionen“ als auch „für den Bereich größerer gesellschaftlicher Systeme“ bescheinigt: „Wenn Interessenkollisionen nicht offen ausgetragen werden können, ist weder eine konstruktive Konfliktregelung möglich, noch können Fertigkeiten zur gezielten Veränderung frustrierender Lebensbedingungen eingeübt werden“.66 An Belegen wie diesem wird deutlich, wie leicht die Behauptung einer konfliktlösenden Wirkung von der sozialen Mikroebene auf die Makroebene übertragen werden kann, womit Freimütigkeit indirekt als demokratieförderlich ausgewiesen wird. Andere Aktualisierungen dieses Aussagenmusters beziehen sich dagegen ausschließlich auf die Ebene der einzelnen sozialen Akteure. So schlägt der Autor einer Anleitung zur beruflichen Kommunikation von 1996 unter der Überschrift „Wirksam Konflikte lösen“ unter anderem „[o]ffene Bedürfnisnennung“ vor: „Hier legen sich die Konfliktparteien ihre Anliegen vollumfänglich dar und wägen sie gegeneinander ab. Auf-

64 Der Unterschied zwischen der älteren und den zwei neueren Funktionszuschreibungen ist signifikant für eine grundlegende Veränderung, die sich in den untersuchten kommunikationsreflexiven Texten abzeichnet, für einen Wechsel ihrer Hauptbezugsebene kommunikativer Nützlichkeit nämlich: Nachdem seit Anfang des 18. Jahrhunderts die Leistungen, die Kommunikation für die Gemeinschaft erbringt, fokussiert worden sind (vgl. Kapitel 3.1), rücken seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erneut die Funktionen speziell für die Person, die sich äußert, ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dies bedeutet jedoch keinen Rückfall in die höfisch-politischen Orientierungen des 17. Jahrhunderts, da dem Interesse am Wohl der/s Einzelnen nun die Annahme unterliegt, dass dieses nicht auf Kosten anderer zu erreichen ist. Die Erfüllung oder zumindest Berücksichtigung der Bedürfnisse anderer wird als Voraussetzung für das Wohlergehen des Äußerungsproduzenten dargestellt. 65 Gelegentlich manifestiert sich dieser Gedanke auch in Schriften früherer Jahrhunderte. Kugeler zeigt z. B., dass Ehrlichkeit und Offenheit schon in der internationalen „diplomatischen Theorie des 15. bis 18. Jahrhunderts“ als Mittel zur Vereinfachung und Verbesserung einer „diplomatischen Verhandlung“ angesehen werden (Kugeler 2006: 135, vgl. 135–136). 66 Sobez/Verres 1980: 25.

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grund von Einsichten und durch den Erwerb neuer Gesichtspunkte wird [...] in Verhandlungen eine Lösung angestrebt, die oft eine integrativ wirkende Synthese darstellt“.67 Die ,offene Bedürfnisnennung‘ kann demnach zu einer ,Lösung‘ zwischen den ,Konfliktparteien‘ führen, die deren Interessen ,integriert‘. Dass der Verfasser sie als ,Synthese‘ bezeichnet, ist symptomatisch für die Art, wie sich viele seiner Zeitgenossen die gleichmäßige Berücksichtigung divergierender Interessen vorstellen, die Offenheit ihrer Ansicht nach in Aussicht stellt: die Autoren denken dabei weniger an einen simplen Kompromiss, der auf beiderseitigen Zugeständnissen basiert, als an eine ausgeklügelte Übereinkunft, die (fast) allen Vorstellungen zugleich gerecht wird. In den siebziger Jahren bildet sich ein Standardargument heraus, das in diesem Zusammenhang Beachtung verdient, weil es der Offenheitsfunktion der Konfliktlösung die Grundfunktion der Assoziierung unterlegt: das Argument, dass die Überwindung eines Konfliktes die Qualität einer Beziehung steigere. „Häufig sind es in Offenheit und Ehrlichkeit geführte Auseinandersetzungen, die konstruktiven Streitgespräche, die eine Freundschaft lebendig erhalten und weiterbringen“,68 erfährt der Leser eines Freundschaftsratgebers von 1996, dessen Autor insistiert, dass sich eine Beziehung durch ausgetragene Kontroversen weiterentwickle: „Ein überstandener Streit, offen, ehrlich und ohne den andern zu verletzen geführt, vertieft jede Freundschaft. Lernen Sie zu streiten“.69 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart ist zum anderen die Anschauung verbreitet, dass konträre Wünsche und Absichten durch Offenheit einander angepasst und gleichberechtigt realisiert werden können, bevor sie sich zu einem Konflikt zuspitzen. Diesen konfliktvermeidenden Effekt stellt der Autor eines neueren Ratgebers mit dem bezeichnenden Titel „Lass uns miteinander reden. Offenheit und Fairness in der Partnerschaft“ heraus: „Oft unausgesprochenen [sic] Vorstellungen und Bedürfnisse lassen sich im partnerschaftlichen Gespräch klären und besser verstehen. So können Missverständnisse vermieden werden. [...] Einander zu verstehen, Lösungen zu suchen und diese auch umzusetzen erfordert eine offene, klare und faire Kommunikation“.70 Nach einem Beziehungsratgeber aus dem Jahr 2006 kann Offenheit sogar eine regelrechte „Beziehungskrise“ in der Partnerschaft verhindern:

67 Kiechl 1996: 68. 68 Nordhoff 1996: 21. 69 Nordhoff 1996: 33. 70 Fischaleck 2003: 2.

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„Wenn Sie jetzt [wenn Ihre Partnerschaft im Stau steckt] anfangen, Ihren Partner durch einen Wutanfall, ärgerliche Kritik, kühlen Rückzug oder beleidigtes Schmollen abzustrafen, provozieren Sie eine ernsthafte Krise. Jetzt hilft nur radikale Offenheit“.71 Die drei in diesem Abschnitt dargestellten Funktionen, die Offenheit attribuiert werden, können als Affiliationen einer Hauptfunktion verstanden werden. Die Aussagen, dass Offenheit Aufklärung begünstige, dass sie Konflikte zu lösen und zu vermeiden erlaube, gehen allesamt von der Prämisse aus, dass offene Äußerungen, welche Ideen, Auffassungen, Wünsche und Intentionen wahrnehmbar machten, die Beteiligten in die Lage versetzten, diese auszugleichen: Verschiedene Überlegungen und Meinungen könnten einander angeglichen und zur Übereinstimmung mit den ausgereiftesten unter ihnen gebracht werden; divergierende Vorlieben und Vorhaben ließen sich abstimmen und zu einem Konsens führen. Demzufolge ist Offenheit aus Sicht der Kommunizierenden auch ein Mittel der ,Äquilibrierung‘. Wie sich in diesem Kapitel gezeigt hat, beobachten die historischen Akteure zahlreiche positive Folgen von Offenheit. Manche dieser sind partiell als Gewinn von Bonum der in Kapitel 2.3 erläuterten Arten beschreibbar: So kommt Vertrauensbildung einem Erwerb von taxationalem Bonum gleich, laufen Konfliktlösung sowie -vermeidung in gewisser Weise auf eine Zunahme von interaktionalem Bonum hinaus und wird im Fall von Selbsterkenntnis sowie Aufklärung informationales Bonum erlangt. Die diskutierten Leistungen basieren jedoch nicht ausschließlich auf einem Gewinn von taxationalem, interaktionalem und/oder informationalem Bonum, vielmehr scheint bei ihnen – in einem weiten Sinn – die Verminderung negativer und/oder Vermehrung positiver Gefühle eine große Rolle zu spielen. Die genannten Arten von Bonum müssen deshalb um eine weitere Art ergänzt werden, die probeweise bereits in Kapitel 3.4 eingeführt wurde: um die des ,emotionalen Bonum‘.72

71 72

Küstenmacher/Küstenmacher 2006: 222. Obwohl dieser skizzenhafte Entwurf der Kategorie des emotionalen Bonum hier ausreicht, sei darauf hingewiesen, dass sie an anderer Stelle idealerweise so ausgearbeitet würde, dass sich mit ihr die vielen verschiedenen Formen von Zuneigung und Liebe, Ausgleich und Erholung sowie auch Vergnügen und Heiterkeit theoretisch bündeln ließen, um die es Menschen in ihrer Kommunikation geht.

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4.2 Gefahren von Offenheit Wie in Kapitel 2.2 gezeigt wurde, äußert sich ein Mensch nach Ansicht der historischen Kommunizierenden nur dann offen, wenn seine Äußerung eine Information neu mitteilt, deren Preisgabe sich nachteilig auf ihn auswirken kann. Offenheit stellt somit immer ein Risiko dar, sie birgt zwangsläufig eine Gefahr, was sie in Verbindung mit den zahlreichen Chancen, die in ihr gesehen werden, zu einem kommunikativen Wagnis macht, das ein glückliches oder unglückliches Ende nehmen kann. Um sinnlich wahrnehmbare Kennzeichen von Offenheit zu ermitteln, wurden in Kapitel 2.3 die Äußerungen, die in den Quellen als offen beurteilt werden, sowie die in ihnen enthaltenen Behauptungen über Offenheit auf typische Inhalte bzw. kommunikative Akte offener Äußerungen hin analysiert. Nach diesen Inhalten und Akten zu urteilen, bedroht eine offene Äußerung entweder a) das taxationale Bonum des Äußerungsproduzenten (definiert als Ansehen, positives Image, Anerkennung, Wertschätzung durch andere) oder b) das taxationale Bonum des Adressaten, wodurch auch das taxationale Bonum des Äußerungsproduzenten beeinträchtigt werden kann, oder c) das interaktionale Bonum des Äußerungsproduzenten (definiert als Handlungs- und Planungsfreiheit, Möglichkeit zur Selbstbestimmung, Freiheit von Zwängen) oder d) das interaktionale Bonum des Adressaten, wodurch das interaktionale Bonum des Äußerungsproduzenten ebenfalls geschädigt werden kann, oder e) das informationale Bonum des Äußerungsproduzenten (definiert als nützliches Wissen, nützliche Wissensvorsprünge). Was die bisherige Auseinandersetzung mit den Gefahren von Offenheit noch nicht berücksichtigte, steht im Zentrum dieses Kapitels: die Reflexion der historischen Akteure über diese Gefahren. Im ganzen Untersuchungszeitraum diskutieren die Autoren metakommunikativer Texte Risiken individueller Offenheit, auch wenn deren Chancen sie häufiger und intensiver beschäftigen. Die negativen Auswirkungen von Offenheit, die wiederholt ex- oder implizit in den Quellen erwähnt werden, entsprechen vom 18. bis ins 21. Jahrhundert vier der fünf Bedrohungen, die aus der Analyse in Kapitel 2.3 hervorgegangen sind, bestätigen und legitimieren damit deren Unterscheidung. Gleichwohl verändert sich das Nachdenken über die Gefahren offener Kommunikation im Detail, denn die Ängste der Sprecher bzw. Schreiber prägen sich historisch unterschiedlich aus.

4.2 Gefahren von Offenheit

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Gefahr für das taxationale Bonum des Äußerungsproduzenten Darauf, dass ein Mensch durch seine Offenheit das positive Bild schädigen könne, das andere von ihm hätten, wird schon im frühen 18. Jahrhundert aufmerksam gemacht. Mit einem Hinweis darauf begründet etwa Julius Bernhard von Rohr in der „Einleitung Zu der Klugheit zu leben“ (1715/1730) die Notwendigkeit von Simulation und Dissimulation: „Wir stellen und verstellen uns in dem Beyseyn unserer Vorgesetzten, und der höheren Personen, vor die wir Furcht und Respect haben, damit wir uns nicht, wenn wir in ihrer Gegenwart unserm Naturel freyen Lauff liessen, bey ihnen in übeln Credit setzten“.73 Sich nicht zu verstellen und nichts zu verbergen, kann Rohr zufolge zu einem schlechten ,Kredit‘ bei anderen führen, ihnen also einen unguten Eindruck74 vermitteln. Dieselbe Gefahr beschreibt ,Hannibal Carrache‘75 im vierten der „Discourse der Mahlern“ aus dem Jahr 1721, der jedoch anders als der höfisch-politisch argumentierende Rohr nicht die (Dis)Simulation im Umgang mit Ranghöheren thematisiert. An das barocke Konzept des ,theatrum mundi‘ anknüpfend, bezieht er sich auf das Verstellen und Verbergen, das im alltäglichen Leben üblich sei. Nach ,Carrache‘ ist es dem Menschen wichtig, die Gewogenheit seiner Mitgliedern [Mitmenschen, J.S.] zuverdienen / er läßt es sich sauer werden ihnen einen favorablen Begriff von seinen Verdiensten beyzubringen; im fall es ihm an solchen fehlet / und ihn sein Temperament von den Gesetzen abführet / welche die Societet aufgerichtet hat / so wird er genöthiget / seine Schalckheit hinder die Masque der Verstellung zuverstecken76.

Reformuliert man die Kernaussage in heutigem Deutsch, müssen Menschen, deren Verhaltensweisen oder Gedanken nicht untadelig sind, diese Mängel kaschieren und Makellosigkeit vortäuschen, damit andere positiv von ihnen denken können,77 was zugleich besagt, dass das Gegenteil von Simulation und Dissimulation – Offenheit – dem Ansehen schaden kann. Auch Adolph von Knigge rekurriert am Ende des 18. Jahrhunderts in „Über den Umgang mit Menschen“ auf diesen Topos, variiert ihn aller-

73 74 75 76 77

Rohr 1715/1730: 504. Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 1353 verzeichnet unter „Credit“ die Bedeutung „Ansehen, Macht, überhaupt“. Das Pseudonym referiert auf den italienischen Maler Annibale Carracci (1560–1609). Carrache 1721: D2r. Zu dieser Lesart des Zitats vgl. den Eintrag „Begriff“ in Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 807, wo es heißt: „Eine jede Vorstellung in der Seele“, „Vorstellung, die ich mir von der Sache mache“.

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4 Offenheit als Wagnis

dings in einer historisch aussagekräftigen Weise: „Zwei Gründe hauptsächlich müssen uns bewegen, nicht gar zu offenherzig gegen die Menschen zu sein: zuerst die Furcht, unsre Schwäche dadurch aufzudecken“.78 Knigge spricht zwar nicht davon, dass eine Person sich durch Offenheit in einen ,üblen Kredit‘ setzen oder einen ,favorablen Begriff‘ anderer von ihr verunmöglichen könne, er weist aber darauf hin, dass Offenheit eventuell ihre negative Seite bekannt mache, was einer Beeinträchtigung ihres Rufes gleichkommt. Obwohl er folglich im Grunde dieselbe Gefahr an Offenheit wahrnimmt wie Julius Bernhard von Rohr und ,Hannibal Carrache‘, legitimiert er Simulation und Dissimulation nicht wie Rohr und konstatiert auch nicht kulturkritisch deren allgemeine Verbreitung wie ,Carrache‘. Er empfiehlt lediglich, ,nicht gar zu offenherzig‘ zu sein. Die drei gewählten Zitate berichten damit dem heutigen Leser nicht nur von einem Risiko, sondern erzählen daneben in Kurzform die Geschichte der massiven Aufwertung von Offenheit, die – verbunden mit einer Umwertung ihrer Risiken – zwischen dem letzten und dem ersten Viertel des 18. Jahrhunderts stattgefunden hat. Äußerungen, die die Möglichkeit eines Imageschadens durch Offenheit implizieren und in der Formulierung derjenigen Knigges ähneln, ziehen sich durch das ganze 19. bis ins frühe 20. Jahrhundert. Kurz vor der Jahrhundertwende heißt es z. B. in einem Anstandsbuch: „Sei vorsichtig in Deinen Mitteilungen. Oeffne nicht jedem Dein Herz, Du würdest ihm dadurch schnell Deine Schwächen bemerkbar machen“.79 Welche sprachliche Gestalt der Gedanke typischerweise im späteren 20. Jahrhundert annimmt, kann eine Textstelle aus Friedrich von Gagerns Lebens- und Erziehungshilfe „Vertrauen und Offenheit“ (1977) verdeutlichen: „Warum verschließt sich ein Mensch? Da ist immer Angst am Werk. [...] Ich traue mich nicht: [...] mich zu zeigen, wie ich bin; ich habe Angst vor Ablehnung; darum die Maske; darum die Verkrampftheit. Ich zeige meine Gefühle nicht [...]. Ich zeige meine Gedanken nicht – aus Angst vor Blamage“.80 Der Verzicht auf Offenheit (sich zu ,verschließen‘, nicht ,zu zeigen, wie ich bin‘, eine ,Maske‘ zu tragen, ,Gefühle‘ und ,Ge-

78

Knigge 1788/1790/1977: 44. Der zweite ,Grund‘, aus dem Knigge dazu rät, nicht ,zu offenherzig‘ zu sein, ist in diesem Zusammenhang irrelevant, soll aber der Vollständigkeit halber erwähnt werden. Er besteht darin, „daß, wenn man die Leute einmal daran gewöhnt hat, ihnen nichts zu verschweigen, sie zuletzt von jedem unsrer kleinsten Schritte Rechenschaft verlangen, alles wissen, um alles zu Rate gezogen werden wollen“ (Knigge 1788/1790/1977: 44). 79 Vogt (Hrsg.) 1894: 66. 80 Gagern 1977: 17.

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danken‘ nicht zu ,zeigen‘) wird erneut als Maßnahme des Imageschutzes dargestellt. Nach der diskursiven Aufmerksamkeit zu schließen, die sie offensichtlich erhält, wird die Gefahr, durch Offenheit persönliche Anerkennung zunichte zu machen, im ganzen Untersuchungszeitraum als grundlegende wahrgenommen. Im Lauf der Zeit wird sie freilich nicht nur in unterschiedlichen Texten und Kontexten – hier bezeichnenderweise einem psychologisierenden – kommentiert, sie wird auch inhaltlich umakzentuiert: Wie die sprachliche Form andeutet, die Gagern wählt, fürchten sich die Kommunizierenden der Gegenwart besonders davor, in den Augen anderer als unattraktive Persönlichkeit zu erscheinen, während es die Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts in erster Linie ängstigt, für unmoralisch gehalten zu werden. Trotz der erkannten Gefahr plädiert der Autor des Zitats stark dafür, „aus der Verschlossenheit in die Offenheit zu treten“.81 Vergleicht man seine Verhaltensempfehlungen mit denen Julius Bernhard von Rohrs, scheint das Risiko eines Imageschadens zwischen dem frühen 18. und dem späten 20. Jahrhundert den Großteil seiner Relevanz verloren zu haben, selbst wenn man in Rechnung stellt, dass Rohr sich auf eine andere soziale Gruppe bezieht als Gagern.

Gefahr für das taxationale Bonum des Adressaten Mit vergleichbarer Frequenz und Intensität sowie ähnlich weiter thematischer Streuung wird in den Quellen aus allen drei letzten Jahrhunderten darauf hingewiesen, dass eine offene Äußerung die soziale Anerkennung des Interaktionspartners infrage stellen könne. 1745 beschreibt ein anonymer Autor in den „Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes“ verschiedene seiner Ansicht nach „Falsche Begriffe von der Aufrichtigkeit“ – so der Titel seiner Ausführungen. Er schildert anhand einer kleinen Geschichte, wie eine Person namens „Oront [...] gegen [...] Freunde [...] aufrichtig [ist]“:82 Oront ist des Clinias guter Freund. Clinias ist durch Verführungen auf Abwege gekommen. Oront fühlt eine aufrichtige Betrübniß darüber, und sucht ihn wieder auf den rechten Weg zurückzubringen. […] Er [Oront] glaubt durch die Freundschaft ein Recht bekommen zu haben, bey seinen Vorstellungen alle Behutsamkeit aus den Augen zu setzen, unbesonnen, hitzig, verdrüßlich, un-

81 82

Gagern 1977: 42, vgl. 21. [Anonym.] 1745b: 200.

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höflich, und beschwerlich zu werden, ohne zu besorgen, daß er seinen Freund beleidigen werde83.

Oronts Form der ,Aufrichtigkeit‘ bzw. Offenheit besteht darin, dass er seinem Freund unüberlegt und unwirsch dessen moralische Fehler vorhält.84 Sein Verhalten lässt ausnehmend wenig Achtung vor dem Freund erkennen und wird ihn dem Autor zufolge dadurch kränken.85 Wer, so muss der Leser schlussfolgern, den richtigen ,Begriff von der Aufrichtigkeit‘ hat, ist sich dieser möglichen negativen Folge bewusst und provoziert sie nicht, wie Oront es tut. Die Reflexion der Gefahr, durch Offenheit das Ansehen des Adressaten zu beeinträchtigen, lässt sich mühelos ins 19. Jahrhundert hinein verfolgen. Ein anders geartetes, aber ebenso illustratives Beispiel für sie zeigt sich in einem Briefsteller (1834/1876), der unter den Musterbriefen für „Anfragen“86 ein Exempel mit der Überschrift „Man fragt wegen der Aufführung eines Sohnes nach“ bereithält: „Seit einem halben Jahre ist mein Sohn Ernst in Ihrem Hause und Geschäft“,87 schreibt die Mutter. „Ich wage daher, Sie ganz ergebenst um einige Zeilen zu bitten, die mir offen und unumwunden Ihre Meinung über den Sohn mittheilen“.88 Ihre Zusage, eine etwaige offene Kritik an ihrem Kind nicht als Angriff auf ihre Ehre zu verstehen und negativ zu reagieren, beruht auf der Prämisse, dass offene Mitteilungen ihren Adressaten brüskieren können: „Beantworten Sie [...] meine Anfrage ganz offen, und fürchten Sie nicht etwa, meine mütterliche Eitelkeit dadurch zn [sic] verletzen, daß Sie mir die Mängel und Gebrechen meines Sohnes aufdecken“.89 Dass der Briefsteller es als vorbildlich darstellt, einem potenziell offenen Kommunikationspartner zu versichern, dass dieser Effekt nicht eintreten werde, verrät das Ausmaß der kollektiven Angst vor ihm. Die historischen Akteure sind sich im Klaren darüber, dass das Risiko offener Äußerungen, am positiven Image des Gegenübers zu kratzen

83 [Anonym.] 1745b: 198. 84 Nach Adelung 1780/1801: 4. Bd.: Sp. 1304 ist eine „Vorstellung“ unter anderem eine „Rede, wodurch man bey jemanden eine thätige Erkenntniß der Umstände und Folgen einer Handlung zu bewirken sucht“. 85 Vgl. den Eintrag „Beleidigen“ in Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 842. Adelung verzeichnet dort die Bedeutung: „ein Leid zufügen, doch nur in engerer Bedeutung, wider seine Pflichten gegen jemanden handeln; besonders wenn dadurch eine unangenehme Empfindung bey dem andern erwecket wird“. 86 Schoppe/Milde 1834/1876: 305. 87 Schoppe/Milde 1834/1876: 310. 88 Schoppe/Milde 1834/1876: 311. 89 Schoppe/Milde 1834/1876: 310.

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und es damit zu beleidigen, gleichzeitig eines für ihren Produzenten ist: „Man verletze nie durch zu große Offenherzigkeit oder Wahrheitsliebe die Eigenliebe eines Menschen; man macht sich sonst denselben zu einem unversöhnlichen und erbitterten Feinde“.90 Aus einer ,Verletzung‘ entstehe ,Feindschaft‘, heißt es in diesem Anstandsbuch aus dem Jahr 1859: Offenheit kann demnach nicht nur das Bild trüben, das andere vom Adressaten haben (bzw. von dem der Adressat glaubt, dass andere es von ihr/ihm haben), sondern im Gegenzug auch den Eindruck verschlechtern, den die/der Angesprochene vom Äußerungsproduzenten hat. So werden die Leser eines Anstandsbuchs aus dem ersten Viertel des 20. Jahrhunderts gleichfalls darauf aufmerksam gemacht, dass eine Offenheit, die das Gegenüber herabwürdige, auf ihren Urheber zurückfallen und auch für deren/dessen Renommee nachteilige Konsequenzen haben könne: „Manche Menschen tun sich viel zu gute [sic] auf ihren Freimut, der sich in der Weise äußert, daß sie anderen fortwährend Grobheiten und sich selbst Schmeicheleien sagen. Diese Art von Freimut ist ebenso billig als geschmacklos und wird ihrer gesellschaftlichen Karriere nicht förderlich sein“.91 Dass Autoren wie den beiden zuletzt zitierten, die zwischen etwa 1850 und 1920 die Konversationsnormen der Oberschichten fokussieren, Störungen der positiven Bilder, die sich die Teilnehmer am gesellschaftlichen Gespräch voneinander machen, ein besonderer Gräuel sind, ist in Anbetracht der Funktion der gesellschaftlichen Kommunikation verständlich, miteinander teilweise kaum vertraute Menschen mit unterschiedlichen biographischen Hintergründen, Fähigkeiten und Interessen durch Harmonie zu einem ausgedehnten sozialen Netz zu verbinden (vergleiche dazu Kapitel 3.2): Je geringer die gegenseitige Wertschätzung der Teilnehmer ausfällt, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass ein gesellschaftliches Gespräch seiner Aufgabe gerecht wird. Die negative Wirkung von Offenheit, den anerkannten Wert eines Menschen herabzusetzen und ihn damit persönlich zu treffen, beschäftigt allerdings auch die gegenwärtigen Kommunizierenden noch, wie sich in einem Freundschaftsratgeber von 1991 bemerken lässt: „Es gibt Menschen, die meinen, alles müsse sich nach ihnen richten. Solche Menschen sagen Ihnen schon, wenn ihnen der Sitz Ihrer Krawatte nicht gefällt. Sie [...] sagen Ihnen [...] mit brutaler Offenheit die verletzendsten Dinge“.92 Die mögliche Stärke des Effekts wird hier mit Metaphern aus

90 Fresne 1859: 89. 91 Gratiolet 1918: 18. 92 Ryborz 1991: 161.

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dem Bildfeld der körperlichen Gewalt veranschaulicht: Gewisse offene Äußerungen ,verletzten‘ und seien ,brutal‘. Dass eine diskreditierende offene Äußerung das Missfallen des ,Sitzes‘ einer ,Krawatte‘ zum Inhalt haben könne, wie der Text humorvoll überspitzend nahe legt, deutet im Vergleich mit der Offenheit Oronts, die im obigen Zitat beschrieben wurde, eine Verschiebung an, die sich zwischen Aufklärung und Gegenwart ergeben hat: Im Gegensatz zum 18. Jahrhundert, in dem offene Mitteilungen das Ansehen des Gegenübers am stärksten angreifen, wenn sie sich auf dessen Moralität beziehen und somit auf den Grad, in dem es gemeinschaftlich geteilten Normen genügt, stellen sie in den letzten Jahrzehnten die Anerkennung des Interaktionspartners besonders heftig infrage, wenn sie den Grad thematisieren, in dem der Interaktionspartner den ganz persönlichen (und daher bisweilen willkürlich wirkenden) Vorstellungen, d. h. den individuellen Normen des Äußerungsproduzenten entspricht. Diese Schwerpunktverlagerung ähnelt derjenigen, die das historische Nachdenken über die Gefahr für das taxationale Bonum des Äußerungsproduzenten zeigt; beide könnten auf eine langfristige Schwächung traditioneller Beziehungsgefüge – etwa religiöser, dörflicher und kleinstädtischer Gemeinschaften – samt ihrer Moral, allgemeiner, ihrer kollektiven Normen zurückzuführen sein. Darüber, dass eine fundamentale Gefahr offener Kommunikation darin besteht, das Ansehen der/des Angesprochenen zu beschädigen, sind sich jedoch die Kommunizierenden aller untersuchten Jahrhunderte einig.

Gefahr für das interaktionale Bonum des Äußerungsproduzenten Gemäß der in Kapitel 2.3 vorgestellten Klassifikation der Inhalte bzw. kommunikativen Akte, die für offene Äußerungen typisch sind, schränken manche offenen Äußerungen, etwa Versprechen und Angebote, die Handlungsfreiheit ihres Produzenten ein. Eigentümlicherweise finden sich indessen keine Textstellen, in denen eindeutig auf das Risiko eingegangen wird, sich durch eine offene Äußerung zu verpflichten. Will man diesen Befund nicht als ,Irrtum‘ des gewählten Korpus abtun, kann man vermuten, dass in den Quellen keine Auseinandersetzung mit dieser Gefahr stattfindet, weil ihre Verfasser der Überzeugung sind, dass die Leser sich jener – im Gegensatz zu den anderen Gefahren – in der Regel bewusst sind: Wenn die Autoren annehmen, dass ihre Rezipienten sich kaum je durch ein unbedachtes offenes Angebot, Versprechen oder einen vergleichbaren Akt festlegen, muss es ihnen unnötig erscheinen

4.2 Gefahren von Offenheit

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hervorzuheben, dass eine offene Äußerung unter Umständen die Handlungsfreiheit ihres Urhebers bedroht.

Gefahr für das interaktionale Bonum des Adressaten Vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart wird der Blick der Leser hingegen darauf gelenkt, dass Offenheit mitunter die Handlungsfreiheit des Adressaten bzw. ihre/seine Möglichkeit zur Selbstbestimmung einengt. Einen unscheinbaren Hinweis darauf, dass man jemanden mit einer offenen Äußerung bedrängen, behelligen oder belästigen könne, enthält das obige Zitat aus den „Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes“ von 1745. Die Offenheit der Figur Oront werde dessen Freund Clinias „beschwerlich“,93 steht dort, was bedeutet, dass Clinias die moralischen Vorhaltungen seines Freundes als unliebsame Verpflichtung94 zu einer Veränderung empfindet. Von den Autoren des 19., 20. und 21. Jahrhunderts wird dieses Risiko ausführlicher thematisiert. Charakteristisch für ihre Zeit ist eine Bemerkung, die ein Konversationsratgeber (1871/1908) im Kapitel „Auf der Reise“ wiedergibt: [Es] giebt [...] Reisende, welche denen, die sich mit ihnen in ein Gespräch einlassen, mit so rückhaltsloser Offenheit entgegenkommen, daß diese in kürzester Zeit mit ihrem ganzen Lebenslauf von der frühesten Jugend an samt allen freudigen und betrübenden Ereignissen vollständig orientiert sind. ,Zuerst,‘ sagt Ernst Ewald von einem solchen mitteilsamen Reisegenossen, ,kommt uns wohl sein rücksichtsloser Mitteilungsdrang nicht uninteressant in seiner naiven Wahllosigkeit vor, aber bald werden wir anders darüber denken. Es scheint uns denn doch, als wenn man uns etwas zu viel zumutete, wenn man uns in jeden Winkel des Herzens schauen läßt und uns förmlich überschüttet mit Auseinandersetzungen und Erklärungen eigener Verhältnisse, eigenen Kummers, stiller Hoffnungen und Wünsche, unser Interesse und unsere Geduld ganz ungeniert für sich in Anspruch nehmend [...].‘95

93 [Anonym.] 1745b: 198. 94 Adelung 1774/1793: 1. Bd.: Sp. 909 beschreibt die Bedeutung von „Beschwerlich“ als „zu unangenehmen Verbindlichkeiten verpflichtend, Beschwerde, Mühe verursachend“. 95 Franken 1871/[1908]: unpag., Kap. „Auf der Reise“. ,Franken‘, die eigentlich Stökl heißt, zitiert im ganzen Ratgeber „aus beliebten Lustspielen, aus modernen Romanen, aus geistvollen Novelletten und Feuilletons, die dem Geschmack unserer Tage entsprechen“ (Franken 1871/[1908]: unpag., Kap. „Einleitung“). Bei Ewalds Bemerkung handelt es sich um ein solches Zitat, dessen Quelle Stökl allerdings nicht angibt. Da sie es nicht kommentiert, kann man davon ausgehen, dass sie den darin enthaltenen Aussagen zustimmt.

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Danach vermag ,Offenheit‘ von einer unterhaltsamen Abwechslung zu einer Anmaßung zu werden, weil sie der/dem Angesprochenen Anteilnahme und Zeit abverlangt. Wie sich die Auseinandersetzung mit der Schwierigkeit weiterentwickelt, dass Offenheit in manchen Fällen in die Handlungs- und Planungsfreiheit des Gegenübers eingreift und von ihm insofern als Aufdringlichkeit empfunden wird, lässt sich anhand des „Guten Tons“ (1918/1932) nachvollziehen: „[B]rutales Anbiedern [geschieht], indem Leute, welche eine Sache gar nichts angeht, ins Vertrauen gezogen werden, intime Angelegenheiten anhören müssen, von naivem Redestrom belästigt und in Verlegenheit gebracht“.96 Eine solche Behelligung soll unbedingt vermieden werden: „Der gute Ton gebietet, [...] niemand [sic] durch geschwätzig indiskrete Vertraulichkeit zu belästigen“.97 Das thematisierte kommunikative Verhalten – die unverblümte Mitteilung persönlicher Informationen – könnte zwar, sofern es ehrlich ist, ohne Weiteres als ,offen‘ bezeichnet werden, es erhält jedoch stattdessen das ächtende Etikett ,geschwätzig indiskret‘,98 das die Aversion des Autors gegen eine mögliche ,Belästigung‘ überdeutlich macht. Aus einer signifikant verschobenen Perspektive geht ein Lebens- und Kommunikationsratgeber aus dem Jahr 1996 auf dieselbe Gefahr ein. Die Befürchtung, zudringlich zu werden, wird darin als Motiv für die Vermeidung von Offenheit beschrieben: In der mangelnden Fähigkeit, mit Gefühlen umzugehen oder sie offen auszusprechen, liegt [...] die Hauptursache dafür, daß soziale Kontakte immer häufiger scheitern. [...] [Man] glaubt [...], es gehöre sich nicht, andere mit persönlichen Empfindungen, mit Freude und Kummer zu belästigen. Zugleich aber wächst bei den meisten Menschen gerade das Bedürfnis, sich offen und unbeschwert mitzuteilen und im Gespräch ein Ventil für den emotionalen Überdruck zu finden99.

Anders als in den bisher zitierten Textstellen ist hier nicht der Autor der Ansicht, dass Offenheit stören kann; er unterstellt jene vielmehr seinen Lesern: ,Man glaubt ..., es gehöre sich nicht, andere ... zu belästigen‘. Aus Sicht des Verfassers – und vieler anderer Autoren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – wird das Risiko, durch offene Kommunikation die

96 Gleichen-Rußwurm/[Meyer-]Harnecker 1918/1932: 50. 97 Gleichen-Rußwurm/[Meyer-]Harnecker 1918/1932: 51. 98 Pekrun 1933: 893 verzeichnet „plaudern : viel und töricht reden“ als Bedeutung von „schwatzen, schwätzen“. Die Semantik von „indiskret“ beschreibt er mit den Worten „unvorsichtig : rücksichtslos : nicht verschwiegen : unbescheiden“ (Pekrun 1933: 466). 99 Siethoff 1996: 134.

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Selbstbestimmungsmöglichkeit des Adressaten einzuschränken, überbewertet: Es rechtfertigt für ihn nicht den Verzicht auf Offenheit, der wesentlich zum Abbruch von Beziehungen und zu seelischer Unausgeglichenheit beitrage. Dass die offene Äußerung speziell der eigenen Interessen den Handlungs- und Planungsspielraum des Kommunikationspartners einengen könne, wird in der Gegenwart häufiger und intensiver diskutiert als je zuvor, was durch die große Rolle bedingt sein mag, welche die sprachliche Verhandlung von Interessen in einer ausgeprägt egalitär-demokratisch und arbeitsteilig-kooperativ organisierten Gesellschaft spielt: „Wer sich vage [wenig detailliert, J.S.] äußert, hat es meist nur mit Hängen und Würgen geschafft, seinen Wunsch überhaupt offen anzumelden. Jetzt reicht der Mut nicht mehr dafür, noch weitere, genauere Ansprüche zu stellen. Dem anderen könnte es zu viel werden“.100 Auch nach diesem zeitgenössischen Partnerschafts- und Kommunikationsratgeber argwöhnen manche Menschen, dass sie dem Gegenüber durch ihre Offenheit zu nahe treten – doch nicht, indem sie Anteilnahme und Zeit von ihm beanspruchen, sondern dadurch, dass sie es zur Erfüllung eines ,Wunsches‘ drängen. Die Gefahr fällt aber für den Autor dieses Buchs wie schon für den zuletzt zitierten kaum ins Gewicht, da er ihr zum Trotz dazu rät, dass man die eigenen „Bedürfnisse und Wünsche […] offen und klar ausspricht“.101 Folglich wird das prinzipielle Risiko von Offenheit, die Handlungs- und Planungsfreiheit des Adressaten zu schmälern, – in diversen Zusammenhängen und mit verschiedenen inhaltlichen Schwerpunkten – vom 18. bis ins 21. Jahrhundert bedacht. Die Bedeutung, die die historischen Akteure dieser Gefahr zumessen, nimmt allerdings ab, auch wenn sie im 19., 20. und 21. Jahrhundert ausgiebiger besprochen wird als im 18. Jahrhundert.

Gefahr für das informationale Bonum des Äußerungsproduzenten Im ganzen Untersuchungszeitraum wird der Verlust eines nützlichen Informationsvorsprungs als zentrale Gefahr offener Kommunikation dargestellt. Ein solcher Verlust ereignet sich, wenn der Informationsvorsprung, den ein Mensch gegenüber einer anderen Person aufhebt, diesem bislang Handlungen gestattet hat, die ihm zum Vorteil gereichen, und/oder ihn 100 Fischaleck 2003: 136. 101 Fischaleck 2003: 133.

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vor Aktivitäten anderer geschützt hat, die nachteilig für ihn sind. Eine nachteilige Handlung, die immer wieder angesprochen wird, aber im 18. Jahrhundert in besonderem Maße erörtert wird, ist die unerwünschte Weitergabe der betreffenden Information an eine dritte Partei: der Verrat. Die Möglichkeit, sich durch Offenheit für einen Verrat anfällig zu machen, beunruhigt beispielsweise Christian Friedrich Hunold, der unter dem Pseudonym ,Menantes‘ Anfang des 18. Jahrhunderts in einer Umgangs- und Kommunikationslehre notiert: Das heist sich freywillig zu einen [sic] Sclaven eines andern zu machen / wenn man ihm ein wichtiges Geheimniß offenaaret [sic]. [...] Man muß demnach seine Geheimnisse nicht anders als mit überaus grosser Vorsicht / und allein in einer hohen Angelegenheit offenbahren. Und gewiß / mich deucht / daß man nicht mißtrauisch gnug seyn / noch Messures genug nehmen könne / wenn man einer particulair Person Sachen anvertrauen will / wovon man Schaden empfinden könte / wenn deren Känntniß public und offenbar würde102.

Durch die offene Mitteilung eines ,Geheimnisses‘ wird man nach Hunolds Erachten abhängig von deren Empfänger, gibt man diesem doch die Gelegenheit, das gewonnene Wissen ,öffentlich‘ zu machen und dadurch Komplikationen herbeizuführen. Da Hunolds Menschenbild der höfisch-politischen Tradition entsprechend ein negatives ist, empfiehlt er, mit derartigen Mitteilungen äußerst behutsam zu sein. Neben solchen Handlungsanweisungen, in deren Kontext auf die Gefahr hingewiesen wird, durch Offenheit einen wertvollen Wissensvorsprung zu verlieren, finden sich in den Quellen des 18. Jahrhunderts bisweilen längere Geschichten, die diesen Wirkungsmechanismus veranschaulichen. So ist in den „Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes“ von 1745 die Geschichte von Damon und Varicus zu lesen, die davon erzählt, wie jemand seine bisherige Immunität gegenüber der Böswilligkeit eines anderen durch seine Offenherzigkeit verliert: „Er [Damon] läßt [...] den Varicus sein ganzes Herz sehen; er verbirgt seine schwache Seite nicht vor ihm; vor ihm hat er keine Geheimnisse [...]. Dadurch, daß er dem Varicus alle seine Geheimnisse entdecket hat, hat er ihm die Waffen wider sein Glück gegeben“.103 Der Fortgang der Geschichte illustriert, welch verheerende Handlungsweisen Varicus nun möglich sind: Dieser [Varicus] fährt fort gegen ihn [Damon] zärtlich zu scheinen, und heimlich arbeitet er an seinem Unglücke. Er verleumdet ihn. [...] Damon wird seines

102 Menantes 1707/1713: 158. 103 [Anonym.] 1745c: 568.

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Amtes entsetzt, und Varicus erhält es. Der ehrliche Damon bildet sich ein, daß es sein Freund seiner Verdienste wegen erhalten habe, und diese Einbildung erleichtert sein Unglück. Er will dem Varicus seine Freude darüber bezeigen; er will zu ihm; allein [...] Damon wird abgewiesen. Nein, Varicus hat ihn niemals gekannt104.

Die Geschichte ist insofern typisch für ihre Epoche, als sie die Schwierigkeit thematisiert, zwischen einem wahren Freund und einem Betrüger zu unterscheiden. Indem sie die gravierenden Folgen einer Fehleinschätzung herausstellt, ruft sie ähnlich wie Hunold zu Misstrauen und Zurückhaltung auf. Solche Einschätzungsschwierigkeiten rücken im Lauf des 19. Jahrhunderts aus dem Blickfeld der Quellenautoren. Dafür, dass gerade das Aufklärungszeitalter unsicher ist, wer Vertrauen und Offenheit verdient, und folglich den Verrat fürchtet, lassen sich mehrere Ursachen annehmen: Zum einen ist an die allmähliche Ablösung des negativen barocken Menschenbildes durch ein positiveres zu denken, zum anderen – nicht unabhängig davon – an die neuartigen Vorstellungen von Freundschaft, die neue kommunikative Normen einschließen (siehe Kapitel 3.3), und die Ungeübtheit in deren Umsetzung. Die diskursive Präsenz der Aussage, dass man durch Offenherzigkeit vertrauliche Informationen mit vermeintlichen Freunden teilen und anschließend von ihnen verraten werden könne, vermindert sich bis zum Ende des Jahrhunderts kaum, wovon eine Beobachtung, die Adolph von Knigge in „Ueber Eigennutz und Undank“ (1796) anstellt, einen Eindruck vermitteln kann: Personen, denen wir unser Herz ohne Rückhalt eröfneten, wenn sie als Hausfreunde, täglich um uns waren [...], verrathen uns, um andre Freunde zu gewinnen, misbrauchen unser Zutraun, verlästern uns, stiften uns Feindschaften, oder plaudern die kleinen Schwachheiten und häuslichen Geheimnisse aus, die sie, bey vertraulichem Umgange, uns abgelockt haben105.

Eine in Versen verfasste Anstandslehre für Mädchen und junge Frauen, die erstmals 1875 erscheint, liefert einen späten Beleg für diese Ansicht: „Wähle mit Verstand die Lebensfreundin! / Lerne ganz sie kennen; prüfe scharf! / Prüfe, ob dein Herz sich in der Freude, / Sich in seinem Leid’ ihr öffnen darf; / Ob vielleicht nicht Eigennutz die Quelle / Der zur Schau getrag’nen Freundschaft ist; / Und du da, wo offen du vertrautest, / Nur das Opfer des Verrathes bist“.106 Nicht nur aufgrund ihres Bezugs

104 [Anonym.] 1745c: 568–569. 105 Knigge 1796/1978: 393–394. 106 Holtzhey 1875/1879: 83.

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auf das Risiko des Vertrauensbruchs, auch insoweit die Textstelle von der Herausforderung ausgeht, eine wahre von einer falschen Freundschaft zu unterscheiden, steht sie in der Tradition des 18. Jahrhunderts. Der Effekt von Offenheit, eine relevante informatorische Differenz zwischen dem Äußerungsproduzenten und dem Adressaten aufzuheben, wird – meist unabhängig vom Verrat – auch im 20. und 21. Jahrhundert noch problematisiert, zumal in Kontexten, die das Berufsleben betreffen. Unter Verweis auf diese Wirkung rät ein Kommunikationsratgeber von 1988 wohlgemerkt nicht zur Vermeidung oder drastischen Beschränkung von Offenheit, er warnt aber vor einer bedingungslos-radikalen Anwendung dieser: Sie [dürfen] nicht in das [...] Extrem verfallen, allen Kollegen gegenüber grenzenlose Offenheit zu zeigen. Es ist ein entscheidender Fehler, ohne wichtigen Grund Ihren Kollegen alles zu erzählen. Die anderen können das ihnen offenbarte Wissen nutzen, um Ihnen zu schaden. [...] Klären Sie [...] weder Ihren Chef noch Ihre Kollegen über das Geheimnis Ihres Erfolgs auf. [...] So machen Sie sich nicht so schnell entbehrlich107.

Der Nutzen des Informationsvorsprungs, der durch vorbehaltlose Offenheit verloren ginge, ist nach diesem Zitat ein doppelter: Er liegt sowohl darin, vor unliebsamen Handlungen anderer zu schützen, als auch darin, besondere berufliche Leistungen zu ermöglichen. Dass offene Äußerungen zum Verlust eines nützlichen Wissensvorsprungs führen können, beschäftigt die historischen Kommunizierenden demzufolge in den letzten 300 Jahren kontinuierlich, irritiert sie jedoch im 18. Jahrhundert am stärksten. Auf die Frage, wieso dem so ist, versucht das folgende Kapitel eine Antwort zu geben.

107 Ryborz 1988: 258–259.

5 Das Offenheitsideal – eine Mentalitätsgeschichte Das Ideal individueller Offenheit ist zwar in den vorausgehenden Teilen der Studie unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet worden, doch ist bislang ungeklärt, warum Offenheit seit etwa 1750 ein Kommunikationsideal ist. In diesem letzten Hauptkapitel möchte ich die Geschichte des Offenheitsideals, eine Mentalitätsgeschichte, erzählen, indem ich dessen herausgearbeitete konstante und sich verändernde Aspekte zusammenführe, deren Verflechtung mit fünf größeren, ineinander greifenden Entwicklungssträngen des neuzeitlichen Kulturgewebes aufzeige, die in mehreren Kapiteln bereits hervorgeblitzt sind, und damit die verbliebene Frage nach den Gründen für das Offenheitsideal beantworte. Die Geschichte wird es funktional erklären, und zwar aus doppelter Perspektive: Offenheit ist aus der Sicht der historischen Akteure ein Kommunikationsideal, weil ihre Chancen ihre Risiken überwiegen. Aus kommunikationsstrukturellem Blickwinkel gesehen hat Offenheit den Status eines Kommunikationsideals, da sie als solches im kommunikativen Gefüge der Moderne eine Aufgabe erfüllt. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts ist Offenheit noch kein Kommunikationsideal: Eine klare Abneigung gegenüber Offenheit und ein unübersehbarer Hang zu diametral entgegengesetzten kommunikativen Prinzipien sind Teil der höfisch-politischen Kommunikationsnormen des 17. Jahrhunderts, denen unter allen gruppenspezifischen Normenbündeln dieser Zeit die weiteste soziale Ausstrahlung und gleichzeitig die diskursive Vorherrschaft zukommt. Das moderne Offenheitsideal entsteht erst nach 1700 im Zuge einer bedeutenden Veränderung der kommunikativen Mentalität wichtiger sozialer Gruppierungen: Seit den 1720er Jahren dominieren im Diskurs über Sprache und Kommunikation, zumal im bürgerlich geprägten Ausschnitt dessen, die positiven Beurteilungen von Offenheit, und von etwa 1750 an bis in die Gegenwart kann Offenheit als Kommunikationsideal bezeichnet werden. Auffälligerweise setzt sich der Ausdruck ,offen‘ bzw. ,Offenheit‘ just in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, also unmittelbar, nachdem Offenheit zum Ideal geworden ist, als Bezeichnung für dieses Kommunikationsprinzip durch. Obwohl auf Offenheit, für welche die risikoreiche Preisgabe einer Information,

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Wahrhaftigkeit und Transparenz im ganzen Untersuchungszeitraum gemeinsam konstitutiv sind, auch danach noch mit anderen Ausdrücken – vor allem ,offenherzig‘ und ,freimütig‘, zunächst ebenso ,frei‘ und ,aufrichtig‘ – referiert werden kann, wird ,offen‘ zügig zur zentralen Bezeichnung für die nächsten zwei Jahrhunderte, was auf eine verstärkte sprachliche Thematisierung, eine Stabilisierung und einen insgesamt erhöhten Stellenwert des Offenheitskonzepts hinweist. Die veränderte Bewertung und Bedeutung von Offenheit lässt sich damit begründen, dass sich das Verhältnis zwischen ihren Chancen und Risiken aus der Sicht der Kommunizierenden zugunsten der Ersteren verschiebt. Vieles spricht für die Annahme, dass die Risiken, die offene Äußerungen bergen, geringer werden. Abstrahiert man von historischen Äußerungen über Offenheit sowie von kommunikativen Sequenzen, die in der Geschichte als offen kategorisiert werden, bedroht eine offene Äußerung durchgängig das taxationale Bonum des Äußerungsproduzenten (definiert als Ansehen, positives Image, Anerkennung, Wertschätzung durch andere), das taxationale Bonum des -adressaten, wodurch zugleich das des Produzenten infrage gestellt wird, das interaktionale Bonum des Produzenten (definiert als Handlungs- und Planungsfreiheit, Möglichkeit zur Selbstbestimmung, Freiheit von Zwängen), das interaktionale Bonum des Adressaten, wodurch das des Produzenten ebenfalls gefährdet wird, oder schließlich das informationale Bonum des Produzenten (definiert als nützliches Wissen, nützliche Wissensvorsprünge). Zwar ist nicht davon auszugehen, dass sich die Wahrscheinlichkeit ändert, mit welcher der Produzent einer offenen Äußerung taxationales, interaktionales oder informationales Bonum verliert, doch scheint sich die Bedeutung zu wandeln, die ein kommunikativer Verlust von taxationalem, interaktionalem und zumindest teilweise auch informationalem Bonum für sie/ihn hätte. Darauf deuten einige sozial- und mentalitätsgeschichtliche Tendenzen der Neuzeit hin, die sich mit Beginn der Moderne im 18. Jahrhundert deutlich verschärfen. Da sie hinlänglich bekannt sind, umreiße ich ihre durchschnittliche Ausprägung im deutschen Sprachraum nur grob und fasse sie um der Prägnanz der folgenden Ausführungen willen unter den zwei Bezeichnungen ,Anonymisierung‘ und ,Egalisierung‘ zusammen.1

1

Die Entwicklungen, die ich in diesem Kapitel unter den Stichwörtern ,Anonymisierung‘ und ,Egalisierung‘ sowie – später – ,Subjektivierung‘, ,Dissoziierung‘ und ,zunehmende Interdependenz der Gesellschaftsmitglieder‘ zusammenfasse, kommen in der geisteswissenschaftlichen Literatur außerordentlich oft zur Sprache. Die folgenden Verweise in den Fußnoten beschränken sich deshalb auf Texte, die eine oder mehrere dieser Ent-

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Die Annahme einer langfristigen ,Anonymisierung‘ und ,Egalisierung‘ unterstützt und detailliert manche der gemachten Beobachtungen zum Offenheitsideal, welche umgekehrt die Behauptung dieser zwei Großtendenzen plausibilisieren und differenzieren. Von einer ,Anonymisierung‘ kann man insofern sprechen, als durch mehrere Jahrhunderte hindurch der Anteil der alltäglichen Interaktion steigt, die zwischen Personen erfolgt, welche nur selten miteinander zu tun haben, lediglich über einen relativ kurzen Zeitraum hinweg periodisch aufeinander treffen oder einander überhaupt nur ein einziges Mal begegnen.2 Je arbeitsteiliger und urbaner3 ein soziales Gefüge ist, je diastratisch und diatopisch mobiler4 seine Teilnehmer sind, desto größer ist dieser Anteil. Immer häufiger, vor allem im Verarbeitungs- und Dienstleistungssektor der Wirtschaft, in großen Städten mit starker sozialer und geographischer Fluktuation der Einwohner, interagieren Individuen miteinander, die sich kaum oder gar nicht kennen, geschweige denn kennen lernen. Wenn ein Mensch mit einem anderen kommuniziert, den er nie, nur noch wenige Male oder nur selten wieder sieht, ist es für Ersteren verhältnismäßig wenig wichtig, welche Auswirkungen die aktuelle Kommunikationssequenz auf das Ansehen sowie die Handlungs- und Planungsfreiheit hat, das bzw. die ihm bei Letzterem zukommt. Sofern das Gegenüber in der Zukunft keine oder nur eine marginale Rolle im eigenen Leben spielt, ist ein Verlust an taxationalem und interaktionalem Bonum ihm gegenüber eher zu verwinden. Auch ist in Gesellschaften mit vergleichsweise stark anonymisierter Interaktion ein Verrat leichter zu verkraften als in anderen, da es weniger wahrscheinlich ist, dass die/der Verratene etwas mit der dritten Partei zu tun hat, die gegen ihren/seinen Willen Informationen erhalten hat. Eine Reduktion des informationalen Bonum, die mit einem Verrat gepaart ist, ist relativ unerheblich, solange sich keine Rückwirkungen auf das verratene Individuum ergeben, weil

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wicklungen ansprechen, die das Thema der vorliegenden Arbeit aber noch anderweitig berühren. Als Hinweis auf die Zunahme der Interaktion von einander (eher) unbekannten Personen lässt sich Giddens Feststellung einer „Entbettung“ auffassen: Er versteht darunter ein „,Herausheben‘ sozialer Beziehungen aus ortsgebundenen Interaktionszusammenhängen und ihre unbegrenzte Raum-Zeit-Spannen übergreifende Umstrukturierung“ (Giddens 1990/1995: 33, vgl. auch 175, 177). Zur Urbanisierung vgl. Trilling 1972/1980: 27, Sennett 1977/1986: 31, Beck 1986: 137–138, Linke 1996b: 51–52. Zum Zusammenhang zwischen Urbanisierung und Anonymisierung vgl. Sennett 1977/1986: 25, 28. Zur Mobilisierung vgl. Tenbruck 1964: 438, Trilling 1972/1980: 27, Beck 1986: 125– 127, Linke 1996b: 29, 51, Koschorke 1999: 195.

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zwischen ihm und der dritten Partei keine direkte oder über weitere Personen verlaufende Verbindung besteht. Als ,Egalisierung‘ lässt sich demgegenüber die Erhöhung des Anteils der alltäglichen Interaktion bezeichnen, die zwischen Individuen stattfindet, zwischen denen kein gravierender Machtunterschied und keine daraus resultierende einseitige Abhängigkeit besteht.5 Je stärker sich in einer Gesellschaft der Gedanke durchgesetzt hat, dass alle Menschen von Natur aus gleichwertig sind, je ähnlicher sie juristisch behandelt werden6 und je besser sie durch die Möglichkeit, sozialstaatliche Transferleistungen in Anspruch zu nehmen, gegen Existenzrisiken abgesichert sind,7 umso größer ist dieser Anteil. Zusehends gehen annähernd gleichgestellte soziale Akteure miteinander um. Interagiert ein Individuum mit einem anderen, von dessen Wohlwollen sein eigenes Wohlergehen nicht einseitig abhängt, ist es für jenes – relativ gesehen – wenig bedeutsam, ob dieses nach Abschluss der Interaktion weniger von ihm hält als vorher oder sich gekränkt, beleidigt, verletzt fühlt, sowie auch, ob die eigene Selbstbestimmungsmöglichkeit oder die des anderen beschränkt worden ist. Schädigungen des taxationalen und interaktionalen Bonum sind dagegen etwa für Leibeigene, Bedienstete, Land- und Industriearbeiter, allgemein für Personen unterer Schichten im Umgang mit dem Adel, der Herrschaft, den Vorgesetzten, generell mit Angehörigen der Oberschicht tendenziell von besonderer Schwere. Anonymisierung und Egalisierung verringern somit die Relevanz der Risiken, die mit offenen Äußerungen einhergehen. Zugleich liegt die These nahe, dass sich die Chancen vergrößern, die Offenheit verspricht. Vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart werden ihr Funktionen zugeschrieben, die analytisch abstrahiert darin bestehen, subjektive Gedanken oder Gefühle wahrnehm- und behandelbar zu machen und somit zu objektivieren, Personen fester miteinander zu verbinden und ergo zu assoziieren sowie unterschiedliche Überzeugungen und Interessen auszugleichen und damit zu äquilibrieren. Obschon nicht zu vermuten steht, dass sich die Wahrscheinlichkeit ändert, mit der offene Äußerungen diese Effekte erbringen, lässt sich annehmen, dass sich das Bedürfnis der Kommunizierenden verstärkt, qua Kommunikation Objek-

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Zur Nivellierung von Machtunterschieden vgl. Elias 1989/1992: 36–37, 43 und Wouters 1990/1999: 50, 182. Zur rechtlichen Gleichstellung vgl. Habermas 1962/1990: 143–144. Zur sozialstaatlichen Absicherung vgl. Habermas 1962/1990: 231–233, 242–243 sowie Beck 1986: 131, 133.

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tivierung, Assoziierung und Äquilibrierung zu erreichen. Diese Behauptung kann angesichts weiterer oft thematisierter und deshalb an dieser Stelle lediglich zu skizzierender Entwicklungen, die mit dem Ausgang des Mittelalters einsetzen und im 18. Jahrhundert in ein neues Stadium eintreten, Plausibilität beanspruchen. Von der hier nicht reflektierbaren Mannigfaltigkeit der historischen Wirklichkeit absehend, kategorisiere ich sie als ,Subjektivierung‘, ,Dissoziierung‘ und ,zunehmende Interdependenz der Gesellschaftsmitglieder‘. So wie die These einer ,Subjektivierung‘, ,Dissoziierung‘ und ,zunehmenden Interdependenz‘ einige der gewonnenen Einsichten in das Offenheitsideal bestätigt und erweitert, stützen und spezifizieren diese wiederum die Rede von diesen drei Entwicklungssträngen. Unter dem Stichwort ,Subjektivierung‘ können verschiedene Prozesse der psychischen Vereinzelung zusammengefasst werden: eine immer eigenständig-individuellere Weltwahrnehmung und -anschauung,8 ein zunehmendes Bewusstsein der eigenen Einzigartigkeit,9 ein sich erhöhendes Maß an innerer Auseinandersetzung und Selbstreflexion.10 All

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Vgl. Trilling 1972/1980: 31, Luhmann 1982/1994: 17, 24–25, 135, 167, 173–175, 222, Leupold 1983: 299, Wetzel 1985: 7, Beck 1986: 206–207, 216–218, Bohrer 1987/1989: 11, Asmuth 1991: 34, Gay 1995/1997: 437, Koschorke 1999: 173, 424, Ueding 2000: 27, Weiß 2002a: 527, Reinlein 2003: 46. Andere Autoren weisen auf Ähnliches hin: Habermas 1962/1990: 87 konstatiert die Entwicklung einer „freien Innerlichkeit“ aus der „kleinfamilialen Intimsphäre“ heraus, Hausen 1976: 371 ein „seit Humanismus und Reformation immer lebhafter werdendes Interesse für das Individuum und dessen innere und äußere Autonomie“, Sennett 1977/1986: 16, dass „die Psyche privatisiert“ wird, Jäger 1990: 70, vgl. 80–82, eine „Ausdifferenzierung von Individualität“, Schulze 1992: 75 eine „Pluralisierung von [...] Ansichten“ und Voigts 1995: 125 eine „Individualisierung und Autonomisierung“. 9 Vgl. Tenbruck 1964: 439, Trilling 1972/1980: 50, Luhmann 1982/1994: 17, 135, 167, 173–175, Bohrer 1987/1989: 23–24, 36, Schroer 2006: 46. Von einer zunehmenden „Einzigartigkeit und Unvergleichbarkeit“ ist bei Leupold 1983: 299 die Rede, von einer „Diversifizierung von Lebenslagen und Lebensstilen“ und einer „Suche nach der eigenen Identität“ bei Beck 1986: 122, 156, von der Entwicklung einer „merkmalsreichen Eigentümlichkeit“ bei Jäger 1990: 72, von einem „Hervortreten persönlicher Eigenarten“, einer „Pluralisierung von Stilen, Lebensformen, [...] Tätigkeiten“ bei Schulze 1992: 75, von einer „Individualisierung von Lebenslagen“ bei Nassehi 2003: 91, von einer zunehmenden „Einzigartigkeit“ bei Burkart 2006: 9–10. 10 Vgl. Habermas 1962/1990: 113–114, Trilling 1972/1980: 31, Luhmann 1982/1994: 173– 175, Beck 1986: 129, 156, 216–218, Bohrer 1987/1989: 7, 12, 36, Giddens 1990/1995: 153, 155, Burkart 2006: 9–11, Schroer 2006: 51, Willems/Pranz 2006: 74. Eine „immer differenziertere Regelung der gesamten, psychischen [sic] Apparatur“, eine „Verstärkung der automatischen, inneren Ängste, der Zwänge, die der Einzelne [...] auf sich selbst ausübt“, und die Evolution einer „,psychologischen‘ Betrachtung des Menschen“ thematisiert Elias 1939/1976: 2. Bd.: 317, 399–400, 374, vgl. 328–331, 372–373, die Entstehung einer „psychologischen Einstellung zum Leben“ und eine Steigerung des „Interesses an der Frage nach dem Selbst“ Sennett 1977/1986: 17, 24, eine „Subjektivierung“

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diesen Prozessen ist zu unterstellen, dass sie die Orientierung auf das persönliche geistig-seelische Innere hin und dadurch das Empfinden einer Trennung von der Außenwelt steigern sowie im selben Zug das Anliegen einer kommunikativen Objektivierung des eigenen Innenlebens und des anderer Menschen zentral werden lassen. Unter der Bedingung einer ausgeprägten psychischen Vereinzelung sind die Minderung bedrängender Gedanken und Gefühle, psychisches Wohlbefinden wie auch Selbsterkenntnis und -verbesserung, die als positive Effekte von Offenheit verstanden werden und auf einer Objektivierung basieren, besonders begehrenswert. Von einer ,Dissoziierung‘ lässt sich mit Blick auf die Entbindung von Personen aus traditionellen Beziehungsnetzen sprechen, etwa aus der Großfamilie, der Nachbarschaft, dem Dorf oder der Kleinstadt und der religiösen Gemeinschaft.11 Die Leistung dieser Beziehungsnetze, ihre Teilhaber gegen fundamentale Lebensrisiken abzusichern, wird von sozialstaatlichen Strukturen übernommen, eine ihrer anderen Aufgaben, nämlich zwischenmenschliche Vertrautheit zu bieten, bleibt indessen unerfüllt. So ist es immer weniger selbstverständlich, über starke Beziehungen, insbesondere Nähebeziehungen, zu anderen Menschen zu verfügen. Mit dieser Desintegration wächst der Bedarf an einer Assoziierung mit anderen durch Kommunikation:12 Im Zustand sozialer Individualisie-

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allgemein Wegmann 1988: 23, eine „Ausbildung von Innerlichkeit“ Koschorke 1999: 183, vgl. 203, 265, der die damit gemeinte Zunahme von Selbstreflexion als Kehrseite der Durchsetzung einer Schriftkultur auffasst. Vgl. Rasch 1936: 9, bezogen auf die Familie Habermas 1962/1990: 244, des Weiteren Trilling 1972/1980: 27, systemtheoretisch formulierend Luhmann 1982/1994: 16, 167, 193, Luhmann folgend Leupold 1983: 299, außerdem Beck 1986: 122–124, 131, 139, 175, 205–209, Schulze 1992: 75, Koschorke 1999: 173, 188, ebenso bezogen auf Luhmann, und zwar speziell auf seinen Begriff der „Exklusionsindividualität“ Nassehi 2003: 98–99 und schließlich Burkart 2006: 9–10. Eine „Entbettung“ im beschriebenen Sinn stellt Giddens 1990/1995: 33, vgl. 147, 175 fest, eine Befreiung „aus traditionellen Abhängigkeiten“ Schroer 2006: 44, eine „Desintegration“ bemerken Willems/Pranz 2006: 74. Auf einen „Drang nach persönlicher Bindung und nach dem Du“ weist Rasch 1936: 99 hin, auf die Entwicklung einer „Ideologie der Intimität“ Sennett 1977/1986: 293, auf einen „Bedarf für eine noch verständliche, vertraute, heimische Nahwelt“ Luhmann 1982/1994: 17, vgl. 195–196, darauf, dass „Sozialbeziehungen und Kontaktnetze [...] individuell selegiert, hergestellt und erhalten werden“ müssen, Beck 1986: 138, vgl. 187–188, auf ein „starkes psychisches Bedürfnis, andere zu finden, denen man vertrauen kann“, angesichts eines Mangels an „institutionell organisierten persönlichen Verbindungen“ Giddens 1990/1995: 150, auf die Entwicklung von „Nähe“ zu einem „emotionalen Wert“ Koschorke 1999: 235, auf ein „Bestreben“ nach „menschlicher Nähe“ und den Versuch, diesen Wunsch durch Kommunikation zu befriedigen, Föllmer 2004: 27, vgl. 43. Darüber hinaus sehen Tenbruck 1964: 439, Leupold 1983: 298, Frevert 1986: 61,

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rung erscheinen Vertrauen, Freundschaft und Liebe, die nach verbreiteter Überzeugung durch Offenheit begünstigt werden und einer Assoziierung gleichkommen, als ungleich attraktivere Güter. Die Rede von einer ,zunehmenden Interdependenz der Gesellschaftsmitglieder‘ bezieht sich auf die fachliche Spezialisierung13 und Arbeitsteilung,14 systemtheoretisch betrachtet: die funktionale Differenzierung des sozialen Systems.15 Der Kreis der Personen, die eine eng begrenzte Aufgabe in der Gemeinschaft erfüllen und parallel dazu die spezialisierten Leistungen anderer in Anspruch nehmen, erweitert sich. Die damit verbundene progressive gegenseitige Abhängigkeit der Teilnehmer des sozialen Gefüges16 erhöht den Stellenwert, den eine kommunikative Äquilibrierung ihrer Ideen, Auffassungen, Wünsche und Intentionen für sie hat. Sofern zwei Individuen aufeinander angewiesen sind, müssen sie ein verstärktes Interesse daran haben, durch gegenseitige Aufklärung einen Konsens zu erreichen, ihre Konflikte zu lösen und weitere zu vermeiden, an den Formen der Äquilibrierung also, die Offenheit erlauben soll. Subjektivierung, Dissoziierung und die zunehmende Interdependenz der Gesellschaftsmitglieder vergrößern folglich die Bedeutung der Chancen, welche die Kommunizierenden in Offenheit erkennen. Sie sehen in Offenheit ein Instrument zur Erfüllung von Bedürfnissen, die sich aus den angesprochenen Veränderungen ergeben. Es lassen sich demnach gute Argumente dafür finden, dass Offenheit aufgrund eines Wandels der Relation zwischen den möglichen positiven und negativen Effekten, die an ihr wahrgenommen werden, und der daraus hervorgehenden Dominanz Ersterer zu einem Kommunikationsideal wird. Wie oben angedeutet macht im 18. Jahrhundert zunächst nur eine Minderheit – mehr oder weniger intuitiv – in Offenheit ein ihr zunehmend dienliches Kommunikationsprinzip aus. Es ist die Bevölkerungsgruppe, deren Lebensbedingungen sich der Tendenz nach zuerst

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Jäger 1990: 71–72 einen Zusammenhang zwischen Dissoziierung und einem Interesse an neuen Nähebeziehungsmodellen. Vgl. Tenbruck 1964: 438, Hausen 1976: 387, Linke 1996b: 51. Giddens 1990/1995: 40–42 geht auf die Herausbildung von „Expertensystemen“ ein. Vgl. Linke 1996b: 51. Vgl. Elias 1939/1976: 2. Bd.: 316, 336, 422, Luhmann 1982/1994: 9, 16, Leupold 1983: 299, Beck 1986: 218, Wegmann 1988: 23, Nassehi 2003: 159. Zur progressiven gegenseitigen Abhängigkeit vgl. Elias 1939/1976: 2. Bd.: 314, 316–317, 336, 422, Luhmann 1982/1994: 16, 54, Beck 1986: 210–212, 214, 218–219, Wouters 1990/1999: 50, 196, Koschorke 1999: 188–189. Von einer Abhängigkeit des Einzelnen von „Expertensystemen“ bzw. „abstrakten Systemen“ spricht Giddens 1990/1995: 40–42, 142, vgl. 179–181.

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umstrukturieren, die soziale Fraktion, auf die die geschilderten neuzeitlichen Veränderungen zuerst voll durchschlagen: nicht nur, aber vorrangig das Bildungsbürgertum. Die Entwicklung des Offenheitsideals stellt sich deshalb bei oberflächlicher Betrachtung primär als Teil einer ständischen Auseinandersetzung, nämlich der Auflehnung des Bürgertums gegen den Adel dar, obwohl sie sich bei genauerer Untersuchung in erster Linie als Element viel umfassenderer Modernisierungsprozesse erweist. Weil sich die Kommunikationsideale der höfisch-politischen Kultur in einer sich modernisierenden Lebenswelt zusehends als dysfunktional erweisen, können die dieser Welt Zugehörigen sie nach 1700 immer weniger unterstützen und verleihen schließlich ihrer Kritik an den älteren Normen, besonders an den Idealen der Simulation, Dissimulation und devoten Höflichkeit, deutlichen Ausdruck. Fast zeitgleich werten sie andere, nach ihrer Denk- und für ihre Lebensweise funktionale Kommunikationsprinzipien auf: Wahrhaftigkeit, Deutlichkeit und Natürlichkeit, mit geringer Verzögerung auch das konzeptuell ähnliche Prinzip der Offenheit. Durch ständische Interessensgegensätze jedoch bildet sich auf dieser Basis ein fester, geschlossener bürgerlicher Kanon kommunikativer Normen aus, der den gesamten Diskurs über Sprache und Kommunikation massiv verändert. Da die skizzierten sozialen und mentalen Umwälzungen – Anonymisierung, Egalisierung, Subjektivierung, Dissoziierung und zunehmende Interdependenz durch Aufgabenteilung – innerhalb der letzten 300 Jahre immer weitere Teile der deutschen Sprachgemeinschaft erfassen und mitreißen, übernehmen diese in diversen Lebensbereichen Verhaltensweisen und Einstellungen, die im 18. Jahrhundert vor allem von Angehörigen des Bildungsbürgertums gezeigt worden sind, und eignen sich in diesem Rahmen auch den bürgerlichen Kanon kommunikativer Normen einschließlich des Offenheitsideals an. Immer mehr Menschen nehmen eine positive Einstellung gegenüber Offenheit ein, die infolgedessen Bestandteil der Mentalität einer immer umfassenderen gesellschaftlichen Gruppe ist. So kann Offenheit schlussendlich gar dem Begriff des Anstands als der Gesamtmenge weithin als richtig und gut anerkannter Umgangsformen subsumiert werden – gemeinsam mit anderen, später entwickelten Kommunikationsidealen wie Herzlichkeit und Freundlichkeit, welche aus Sicht der von den Umwälzungen betroffenen Kollektive ebenfalls funktional sind. Die Popularisierung der Präferenz für Offenheit ruft in den letzten Dekaden des 19. und den ersten des 20. Jahrhunderts allerdings Ansätze zu einer Gegenreaktion der bürgerlichen Oberschichten hervor, zu einer Umwertung von Offenheit zwecks sozialer Abgrenzung

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von weniger gut gestellten Schichten und Klassen, die sich aber weder auf Dauer noch in anderen Gruppierungen durchsetzt, weil sie den kommunikativen Bedürfnissen insgesamt nicht entspricht. Vielmehr vervielfältigt und vervielfacht sich die Trägerschaft des Offenheitsideals, bis sie in der Gegenwart nahezu die gesamte Gesellschaft durchzieht. Die komplexen Entwicklungstendenzen, welche die gewählten fünf Stichwörter bündeln, wirken sich weder auf alle sozialen Fraktionen und Gruppenkulturen noch auf alle Lebensbereiche und Typen menschlicher Beziehungen gleich schnell aus. Da sie im Lauf der Zeit mehr und mehr Kommunikationssituationen betreffen, vergrößert sich allmählich die Menge der Domänen, für die Offenheit mehrheitlich geboten wird. Zunächst dem Kontakt zu Gott sowie Gesprächen mit Geistlichen, Medizinern und Juristen geltend, erlangt der Ruf nach Offenheit im Verlauf des 18. Jahrhunderts die Auseinandersetzung mit der eigenen Person und die Freundschaft, später ebenso die Liebesbeziehung, Ehe und Familie wie auch die institutionalisierte Geselligkeit, von der aus die Forderung nach bzw. Empfehlung von Offenheit in einem längeren, wechselvollen Prozess auf das Staatsleben übergeht. Im 20. Jahrhundert bezieht der Bereich, in dem Offenheit praktiziert werden soll, zusätzlich die Domäne des Berufslebens ein, nicht jedoch die Situationen der individuellen Kommunikation in den Massenmedien. Nach wie vor können freilich alle Offenheitsgebote für Domänen durch die Maxime der Rücksichtnahme auf andere Menschen außer Kraft gesetzt werden. Neben dieser doppelten, nämlich sozialen und situativen Extensivierung des Offenheitsideals lässt sich eine langfristige Intensivierung annehmen, von der in den vorausgehenden Kapiteln nur am Rande die Rede war. Da die angesprochenen Prozesse der Entfremdung und Gleichstellung, der psychischen und sozialen Individualisierung sowie der Verpflichtung zur Kooperation innerhalb des hier untersuchten Zeitraumes zwar keineswegs kontinuierlich verlaufen, doch insgesamt graduell fortschreiten und sich in diesem Sinne verschärfen, müsste Offenheit nach dem bisher Gesagten über die Jahrhunderte hinweg als immer sinn- und wertvoller empfunden werden, d. h. ungeachtet zwischenzeitlicher Abschwächungen insgesamt mit progressiver Intensität ein Kommunikationsideal sein. Eine Verstärkung des Offenheitsideals ist tatsächlich in der Folge der Orientierung deutschsprachiger Autoren an der englischen Meinungs- und Pressefreiheit samt deren Ausnutzung durch die Presse im 18. Jahrhundert sowie nach der positiven Aufnahme der nordamerikanischen humanistischen Psychologie, ,self-disclosure‘-Forschung und Gruppenbewegung im 20. Jahrhundert auszumachen. Die Aufmerksam-

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keit für diese Besonderheiten der englischen bzw. nordamerikanischen Kultur kann wiederum auf die diskutierten Modernisierungsprozesse zurückgeführt werden: Während der erstgenannte Fall von Kulturtransfer vornehmlich durch die zirkulierenden Ideen vom gleichen politischen Entscheidungsrecht aller männlichen Bürger inspiriert worden sein dürfte, ist der letztere vermutlich maßgeblich durch die verbreitete Fokussierung auf das eigene Geistes- und Seelenleben stimuliert worden. Diese These von der Intensivierung des Offenheitsideals wird des Weiteren dadurch gestützt, dass die Quellenautoren in den letzten 300 Jahren die Gefahren von Offenheit tendenziell zusehends weniger als ernst beschreiben, obwohl sie durchgehend erwähnen, dass das Ansehen, die Handlungs- und Planungsfreiheit des Äußerungsproduzenten bzw. -adressaten und die nützlichen Wissensvorsprünge der/des Ersteren geschmälert werden können. Die positiven prinzipiellen Bewertungen von Offenheit – die meist mit Hinweisen auf ihre Funktionen der Zugänglich-Machung von Gedanken oder Gefühlen, der festeren Verbindung von Personen sowie des Ausgleichs von Überzeugungen und Interessen verbunden sind – reißen dagegen vom 18. Jahrhundert an nicht ab, und die Forderungen nach ihrer Umsetzung in den verschiedenen Domänen werden immer wieder neu gestellt. Nach den Überlegungen in Kapitel 3.3 ist davon auszugehen, dass im Diskurs über Sprache und Kommunikation vor allem dann nach Offenheit verlangt wird, wenn eine relevante Differenz zwischen Norm und Praxis wahrgenommen wird: wenn die Autoren kommunikationsreflexiver Texte eine stärkere Realisierung von Offenheit wünschen, als sie in ihrem Umfeld bemerken und/oder ihren Lesern unterstellen. Nun ist kaum vorstellbar, dass die massive Artikulation des Offenheitsideals seit dem 18. Jahrhundert ganz ohne Auswirkungen auf das tatsächliche Verhalten der Kommunizierenden geblieben ist.17 Wenn im Diskurs anhaltend auf die große Bedeutung von Offenheit hingewiesen wird, obwohl zunehmend offen kommuniziert wird, muss sich parallel dazu die Norm verstärken, muss sich das Offenheitsideal

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Darauf, dass Offenheit innerhalb des analysierten Zeitraumes zunehmend öfter und stärker umgesetzt wird, deuten die Untersuchungsergebnisse Gays hin: Im 19. Jahrhundert „wuchsen Autobiographien und Selbstporträts, Biographien, Geschichtswerke und viele als Charakterstudien angelegte Romane urplötzlich zu einer Heimindustrie an, und privateste Briefwechsel und Tagebücher wurden alltäglicher und offenherziger als je zuvor“ (Gay 1995/1997: 15). Ähnlich beschreibt Schroer „Tagebuch, Autobiografie, Roman“ als „Medien der Selbsterkundung in der Moderne“ (Schroer 2006: 51–52) und spricht mit Bezug auf die „spät- bzw. postmoderne Gesellschaft“ von einer „Demokratisierung und Veralltäglichung der Selbstthematisierung“ (Schroer 2006: 41).

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intensivieren, und zwar so, dass aus Sicht der Diskursteilnehmer das erwünschte Maß an Offenheit das beobachtete umgesetzte Maß jeweils übersteigt. Allerdings ist zu bedenken, dass die diskursive Tradition mit dafür verantwortlich sein könnte, dass Offenheit kontinuierlich positiv dargestellt wird. Die Eigendynamik des Diskurses über Sprache und Kommunikation trägt möglicherweise zu einer Fortschreibung zustimmender Urteile über Offenheit bei. Offensichtlich kann die Geschichte des Offenheitsideals schlüssig erzählt werden, indem man seine Entstehung, seine Konstanz und seinen Wandel als Konsequenzen von fünf umfassenden, zusammenhängenden geistigen und gesellschaftlichen Veränderungen der Neuzeit schildert. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Chancen von Offenheit aus der Perspektive der Akteure die Risiken übersteigen, dass Offenheit sich ihnen nach und nach als hochgradig funktionales Kommunikationsprinzip darstellt und folglich zum Kommunikationsideal für sie wird. Sofern die Idealisierung die Umsetzung von Offenheit steigert und diese in der Tat die positiven Effekte hervorbringen kann, die in den Quellen immer wieder beschrieben werden und sich mit den Begriffen der Objektivierung, Assoziierung und Äquilibrierung zusammenfassen lassen, hilft das Offenheitsideal letztlich dabei, mit Erfahrungen der geistig-seelischen Vereinzelung, der Entbindung aus überkommenen Beziehungsgeflechten und der vermehrten gegenseitigen Abhängigkeit zurechtzukommen. Letzteres gilt sogar auch, wenn die Idealisierung die Realisierung von Offenheit nicht verstärkt und/oder wenn diese nicht die Leistungen erbringt, die die Kommunizierenden ihr attribuieren: Selbst dann macht das Ideal ihnen den erlebten Wandel erträglicher, weil es ihnen die hoffnungsvolle Vorstellung vermittelt, dessen Nachteile ausgleichen zu können, in der Lage zu sein, die Probleme zu lösen, die sich aus ihm ergeben, den Herausforderungen gewachsen zu sein, die er mit sich bringt. Insofern ist das Kommunikationsideal der Offenheit in jedem Fall der psychischen Bewältigung der beschriebenen Prozesse zuträglich, verhindert damit Widerstände gegen diese und erlaubt deren Fortbestand. An dieser Stelle wird unübersehbar, dass das Offenheitsideal denjenigen langfristigen Entwicklungen zuarbeitet, die es in den Augen seiner Träger ausgleicht – allgemeiner noch: durch die es verursacht ist, zumal seine Kraft aller Wahrscheinlichkeit nach über die Kommunikationssituationen hinausschießt, die von diesen Entwicklungen merklich betroffen sind: Mit seiner situationsübergreifenden Gültigkeit bringt das Ideal Menschen dazu, so zu sprechen und zu schreiben, als fühlten sie sich auf ihre geistig-seelische Innenwelt zurückgeworfen, aus Nähebeziehungen

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herausgelöst und auf die Kooperation mit anderen Menschen angewiesen; das Ideal treibt sie dazu an, selbst kaum oder gar nicht vorhandenen Subjektivierungs-, Dissoziierungs- und Interdependenzphänomenen kommunikativ entgegenzuarbeiten, diese gewissermaßen ,herbeizukompensieren‘, also im Kommunikationsprozess zu akzentuieren oder gar zu konstruieren.18 Es verleitet sie zudem dazu, so zu kommunizieren, als sei ihre Interaktion wenig verbindlich und als existiere kein gravierender Machtunterschied zwischen ihnen und ihren Kommunikationspartnern; es veranlasst sie dazu, kommunikativ auch auf nicht oder nur schwach ausgeprägte Anonymisierungs- und Egalisierungserscheinungen aufzubauen und dadurch die für die anonymisierte Interaktion typische Unverbindlichkeit und die Ähnlichkeit ihres Status herzustellen oder zumindest hervorzuheben. Aus kommunikationsstrukturellem Blickwinkel gesehen wird Offenheit somit zu einem Kommunikationsideal, da sie als solches im kommunikativen Gefüge der Moderne die Funktion erfüllt, die fundamentalen sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Tendenzen der Anonymisierung, Egalisierung, Subjektivierung, Dissoziierung und der zunehmenden Interdependenz der Gesellschaftsmitglieder zu unterstützen.

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In der Forschungsliteratur ist gelegentlich die Ansicht vertreten worden, dass die Äußerung bzw. Thematisierung persönlicher Gedanken und Gefühle Subjektivität verstärkt: vgl. etwa Foucault 1976/1977: 76, 78, Breuer 1998: 357, 367–369, Koschorke 1999: 183.

Schluss Am Ende der Untersuchung kann das Offenheitsideal in doppeltem Sinne als ein modernes bezeichnet werden: zum einen, da es in den vergangenen ca. 250 Jahren kontinuierlich existiert, zum anderen, weil seine Existenz aufs Engste mit neuzeitlichen, in der Moderne verschärften sozialen und mentalen Entwicklungen verwoben ist, für welche die Stichwörter ,Anonymisierung‘, ,Egalisierung‘, ,Subjektivierung‘, ,Dissoziierung‘ und ,zunehmende Interdependenz der Gesellschaftsmitglieder‘ als kulturanalytische Abbreviaturen stehen können. Einerseits rufen sie das Offenheitsideal hervor, andererseits werden sie durch dieses verstärkt. Wie man zur Idealisierung von Offenheit steht, hängt demnach wesentlich davon ab, wie man diese von ihr bewirkte Verstärkung einschätzt – ein Umstand, der ein abschließendes Gesamturteil schwierig, wenn nicht gar unmöglich macht. Nach so bekannten und zugleich so normativen Publikationen wie etwa Jürgen Habermas’ „Strukturwandel der Öffentlichkeit“, Sidney Jourards „Transparent self“ oder Richard Sennetts „Verfall und Ende des öffentlichen Lebens“ dürfte eine solche Stellungnahme erwartet werden, obgleich man kaum umhin kann, dabei die Distanz zu allen Offenheitsbewertungen aufzugeben, die ihre wissenschaftliche Beobachtung und Deutung voraussetzt, und ihnen eine weitere hinzuzufügen. Jeder der Entwicklungsstränge, die das Ideal der Offenheit unterstützt, ist derart weit reichend und vielschichtig, dass er einzelnen Personen und Gruppen im Lauf der Zeit ganz unterschiedliche Seiten zeigt und sich dadurch in zahlreichen Hinsichten positiv und negativ interpretieren ließe. Eine begründete Kritik des Offenheitsideals kann folglich nur im Hinblick auf einzelne Kommunikationssituationen vorgetragen werden. Um zu einem fundierten Urteil über den Wunsch nach einer offenen Äußerung zu gelangen, wäre in erster Linie nach den Optionen, zum Guten zu handeln, zu fragen, welche die Mitteilung einem oder beiden Kommunikationspartnern eröffnen würde. Insofern die Antwort die Kenntnis der jeweiligen situativen Besonderheiten voraussetzt, entzieht sie sich dieser Arbeit. Das außerwissenschaftliche, alltägliche Nachdenken über Kommunikationsideale und Kommunikation wie auch das kommunikative Han-

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Schluss

deln selbst können indes unmittelbar an die gewonnenen Erkenntnisse anknüpfen: Diese ermöglichen es, in Abhängigkeit von der Situation gegenüber dem Offenheitsideal Position zu beziehen, mit Forderungen nach und Erwartungen von Offenheit reflektiert umzugehen, die Chancen und Risiken der eigenen Offenheit klarer zu beurteilen, offene Äußerungen anderer besser einzuschätzen und sich gemäß diesen Einsichten zu verhalten. Die Resultate der Untersuchung sind somit lebensweltlich anschlussfähig, sie lassen sich jedoch gleichermaßen wissenschaftlich weiterführen: Mit der Entwicklung des Offenheitsideals vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart ist ein kleiner Teil der Sprachgeschichte als Mentalitäts- und Kommunikationsgeschichte rekonstruiert worden. Die dabei verwendete Methode könnte zur diachronen Erforschung anderer Kommunikationsideale (und -antiideale) genutzt werden, beispielsweise zur Beschäftigung mit Natürlichkeit, Deutlichkeit, Freundlichkeit, Diskretion oder Ehrlichkeit. Viel verspricht gerade die Betrachtung anderer ethischer Kommunikationsideale, deren Geschichte und gegenwärtige Existenz bisher kaum ge- bzw. beschrieben worden sind. Durch methodisch ähnliche Untersuchungen würde es möglich, die Wandlungen von Bündeln kommunikativer Einstellungen samt ihrer Bindung an verschiedene Kommunikationsgemeinschaften darzustellen, was für die Schreibung der Sprachgeschichte als Geschichte kommunikativer Mentalitäten und damit auch kommunikativer Gruppenkulturen wesentlich wäre. Die Kenntnis der Geschichte des Offenheitsideals rückt darüber hinaus die Veränderung von Textsorten bzw. kommunikativen Gattungen in ein neues Licht: Die Geschichte etwa des Tagebuchs, des freundschaftlichen und des Liebesbriefs, der politischen Presseerklärung, aber auch z. B. der Vereinssitzung, des Vorstellungsgesprächs oder des TalkshowInterviews erscheint anders als bisher, berücksichtigt man den Einfluss von kommunikativen Normen wie dem Offenheitsideal. Allgemeiner formuliert: Das Offenheitsideal lässt sich nun als Faktor des Sprachgebrauchswandels in dessen Untersuchung einbeziehen. Die Ergebnisse der Studie werfen schließlich eine größere Frage auf, die die Perspektivierung von Sprache und Sprachwandel betrifft: Ich habe versucht, die Entstehung und Existenz des modernen Offenheitsideals funktional zu erklären, und zwar sowohl unter Rückgriff auf die Bedürfnisse der historischen Akteure als auch mit Blick auf die Leistung des Ideals für das, was ich provisorisch das ,kommunikative Gefüge der Moderne‘ genannt habe. Hinter dieser Konzeption steht die Vorstellung, dass sozial weit verbreitete kommunikative Idealnormen und Handlungs-

Schluss

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muster nicht nur für einzelne Sprecher bzw. Schreiber funktional sein können – in Bezug auf die Handlungsmuster ist das die Grundannahme der Pragmatik –, sondern ebenso eine Funktion für eine umfassendere kommunikative Struktur, für das kommunikative Gefüge einer Gesellschaft erfüllen können, welches wiederum als Ganzes bestimmte, kulturell variable Aufgaben in dieser Gesellschaft bewältigt. Ob eine solche strukturell-funktionale Perspektive auf Sprache und Kommunikation in anderen Zusammenhängen sinnvoll ist und, falls ja, wie sie sich theoretisch fundieren ließe, ist an diesem Punkt noch – offen.

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Register Abhängigkeit 282, 285, 289 Adel; Aristokratie 121, 128, 132, 134, 152, 160, 164, 211, 226–227, 229, 282, 286 Äquilibrierung 246, 262, 265, 282–283, 285, 289 Äußerungsbedeutung 81–83, 116 Äußerungsbedeutung, intendierte 81–83, 86, 116 Affektation s. Künstlichkeit Affektausdruck, individueller; emotionalimpulsive Natürlichkeit; Emotionalität; Lebendigkeit; Naivität 1, 11, 13, 15, 20, 136, 146–147, 185–186, 205–206, 208, 231 Akt, kommunikativer; bedrohlicher kommunikativer Akt; risikoreicher kommunikativer Akt 77–78, 80–82, 85, 88–89, 97–104, 107–109, 266, 272 Alamodewesen 139 Anglophilie 225, 233 Anmut 133 Anonymisierung; Anonymität 199, 280–282, 286, 290–291 Ansehen 104–107, 210, 267, 270, 272, 280–281, 288 Anstand 155–156, 159, 164, 210, 219, 286 Anstandsbuch; Umgangslehre; Verhaltenslehre 39–40, 62–64, 67–69, 72–74, 90–96, 99–103, 113–115, 117, 128, 134, 155–156, 160–162, 164, 178, 185, 195, 201–203, 206–208, 216, 218, 224, 227–228, 230, 256, 258–259, 268, 271, 276–277, 297 Anwalt 171–173, 200, 287 Arbeitsteiligkeit; Spezialisierung 93, 275, 281, 285 Aristokratie s. Adel Arzt 171–173, 200, 255, 287 Assoziierung 246, 257, 262, 264, 282–285, 289 Aufgeschlossenheit 55–56, 151, 226, 240 Aufklärung 13–14, 19, 71, 120–121, 134, 137, 141–147, 154, 177, 193, 210, 225–226, 233, 262, 265, 272, 277, 285 Aufrichtigkeit s. Wahrhaftigkeit

Aufrichtigkeitsbedingung s. Redlichkeitsbedingung Authentizität; Echtheit 11, 15, 20, 71, 231, 239–240 Barock 14, 18, 120–122, 127, 131, 139, 147, 154, 267, 277 Bedeutungskompatibilität s. Stimmigkeit Begriffsgeschichte 6–7, 55 Beichte 173, 251–252, 255, 257 Berufsleben 171–172, 194–195, 200, 278, 287 Bewegung, altdeutsche 139–141 Beziehungsratgeber; Freundschaftsratgeber; Partnerschaftsratgeber 39–40, 65, 70, 75, 94, 97, 100, 102–103, 114, 118, 167, 169, 179, 184, 202, 222, 243, 258, 264, 271, 275, 304 Blick der Augen 46, 111, 113, 115, 162–163 Bonum 106, 108–110, 208, 218, 265 Bonum, emotionales 218, 265 Bonum, informationales 110, 265–266, 275, 280–281 Bonum, interaktionales 108–109, 208, 210, 213–214, 218, 265–266, 272–273, 280–282 Bonum, taxationales 106–107, 208–210, 213–214, 218, 265–267, 269, 272, 280–282 Briefsteller 12–13, 39–40, 63, 67–68, 73, 87, 91, 93, 96–104, 117–118, 122, 134, 136, 145, 156, 182, 203, 205, 207, 259, 270 Bürgertum 12, 29, 121, 134, 139, 147, 151, 160, 162, 164, 177, 184, 187, 193–194, 210–211, 218, 225–231, 279, 286, 288 Compliment 72, 116–117, 145, 211–213 Demokratie 191, 263, 275 Deutlichkeit; Transparenz; Verständlichkeit 11, 13–15, 19, 37, 55, 61, 72–76, 81–84, 86, 88, 116–119, 136–137, 141–143, 201–205, 213, 215, 223, 236, 253, 280, 286, 292

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Register

Differenzierung, funktionale 14, 285 Diskretion 32–33, 198, 201, 292 Diskursanalyse; Diskursgeschichte; Diskurslinguistik 6 Dissimulation s. Verbergen Dissoziierung; soziale Individualisierung 280, 283–287, 290–291 Disziplin; Selbstkontrolle 147, 162–164 Domäne 169–171, 176, 184, 190, 192, 194, 196, 200, 287–288 Du-Botschaft 222–223

Freimütigkeit 47, 55, 57–61, 154–155, 191, 203, 236, 240, 252, 280 Freundlichkeit 133, 165, 216–219, 286, 292 Freundschaft 19, 150–152, 169, 171, 173, 175–180, 184–185, 197, 200, 249, 255–256, 260–261, 277–278, 285, 287, 292 Freundschaftsratgeber s. Beziehungsratgeber Frühromantik s. Romantik ,FTA‘ s. ,face-threatening-act‘

Echtheit s. Authentizität Egalisierung 221, 275, 280–282, 286, 290–291 Ehe 103, 171, 179–184, 187–188, 200, 205–206, 261, 287 Ehrlichkeit s. Wahrhaftigkeit Eigentümlichkeit s. Individualität Eindeutigkeit 119, 143 Einfachheit; Simplizität 123, 136, 145–146, 206–208 Einstellung 2, 25–31, 35–38, 42, 80, 87, 107, 121, 125, 141, 148–149, 154, 157, 160, 163, 168, 189, 202, 205, 207, 217, 222, 224, 230, 240, 286, 292 Einzigartigkeit s. Individualität Emotion s. Gefühl Emotionalität s. Affektausdruck, individueller Empfindsamkeit 12, 17, 19–20, 179–181, 183, 225–226, 261 Entlehnung 50 Entschuldigung 100, 104, 157–159 Enzyklopädie 39, 43, 295 Ethik 2, 25, 31–34, 82, 124, 127, 131, 147–148, 200, 257, 262–263, 292 Ethno- 3, 37–38, 61, 66, 77, 81, 85 Etymologie 44

Galanterie; ,galant homme‘; ,honnête homme‘ 35, 132–133, 135, 137–138, 143–144, 212 Gebotsbereich 170–171, 196, 200, 287 Gebräuchlichkeit der Einzelzeichen 119 Gefüge, kommunikatives der Moderne 279, 290, 292–293 Gefühl; Emotion 2, 19, 22, 27, 29–30, 45, 54–55, 58, 66, 90, 105, 107, 147, 151, 163–166, 177, 179–180, 183, 185–186, 189, 197, 206, 208, 218–220, 223, 226, 246–248, 250, 257, 260–261, 265, 282, 284, 288, 290 Geheimhaltung; Verschlossenheit; Zurückhaltung 66, 126, 180, 193–194, 196, 204, 277 Geheimnis 21, 126–128, 193–194, 201, 260 Geselligkeit, institutionalisierte; Gesellschaft 133, 160, 162–163, 171, 190–194, 200, 212, 217, 271, 287 Geständnis 12, 46, 101, 104–105, 152, 157–159, 173–174, 248, 251–252, 258, 260 Gestik 28, 46, 111–112, 115, 162–163 Gesundheit 24, 248–250, 252, 257, 284 Gliederung 118–119 Gott 113, 171–173, 200, 215, 252, 287 Grobheit 58, 213–216 Gruppenbewegung 225, 237–238, 241–245, 287

,face‘ 78, 105–106, 109–110 ,face‘, ,negative‘ 105, 107–108, 110 ,face‘, ,positive‘ 105, 110 ,face-threatening-act‘; ,FTA‘ 78, 89, 109–110 Familie 27, 166, 171, 179, 184–187, 189, 200–201, 249–250, 258, 284, 287 Fehler 95, 105, 113, 152, 157–158, 164, 174, 254, 258, 270, 277 Fernsehen; TV 197, 199 Freiheit; Meinungsfreiheit; Pressefreiheit 47, 57, 59–60, 107–109, 126, 144, 149, 155, 191, 195, 210, 225, 236–237, 266, 272–275, 280–281, 287–288

Heirat; Heiratsantrag 87, 103, 108 Herz 45–48, 54, 57, 130, 151, 177, 226, 247–248 Herzlichkeit 216–219, 286 höfisch-politisch 18, 123–131, 134–137, 148–149, 152, 167, 175, 201, 212, 263, 267, 276, 279, 286 Höflichkeit 17, 77, 105, 109, 138, 152, 165, 208–219, 221, 286 ,homme‘, ,galant‘; ,honnête homme‘ s. Galanterie

Register Ich-Botschaft 115, 222–223 Indifferenzbereich 170, 200 Indiskretion 32, 198, 201, 274 Individualisierung, psychische s. Subjektivierung Individualisierung, soziale s. Dissoziierung Individualität; Eigentümlichkeit; Einzigartigkeit 19, 135–136, 143, 166, 177, 179, 181–182, 185–186, 257, 272, 283 Informationsvorsprung s. Wissensvorsprung Interdependenz der Gesellschaftsmitglieder 280, 283, 285–286, 290–291 Interferenz 49–50 Internet 197–199 Intertextualität 38 Katharsis 247, 254 Klugheit 130 Kommunikation, individuelle 4–5, 36, 39, 88, 120, 148, 169, 192, 194–196, 200–201, 224, 246, 266, 279, 287 Kommunikation, organisationale 4–5, 36, 194–195, 200 Kommunikation, politische 21, 192, 200, 237, 292 Kommunikationsgeschichte 6, 17, 292 Kommunikationsprinzip 11, 16, 18, 25, 31–32, 35, 41, 43, 45, 47–48, 55, 57–58, 60–61, 82, 126, 128, 133, 136, 141, 143–144, 147, 149, 151, 153, 159–160, 162, 166, 191, 201–202, 204, 208, 216–217, 220–221, 232, 263, 279, 285–286, 289 Kommunikationsprinzip, ethisches 25, 31–34, 82 Kommunikationsprinzip, stilistisches 25, 31–32, 34, 82 Kommunikationsratgeber 39–40, 75, 90, 93, 96–98, 100–101, 114–115, 175, 178, 184, 189, 203, 220–222, 231, 243, 256, 260, 274–275, 278 Kommunikationsreflexion; Metakommunikation 16, 36, 38–39, 85–88, 111, 114, 121, 134, 138, 164, 169, 174, 189, 222, 224, 256, 260, 263, 266, 288 Konflikt 10, 93, 108–109, 111, 200, 221, 248, 263–265, 285 Konfliktlösung; Konfliktvermeidung 263–265, 285 Konkretion s. Spezifikation Konversation 10, 132, 160–161, 271 Konversationsmaxime 5, 10, 25, 31–33, 83–85

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Konversationsratgeber 39–40, 90, 127–128, 149, 207, 224, 273 Konversationstheorie 16, 34 Konvertibilität 110 Kooperationsprinzip 31, 33 Korpus 6, 17, 25, 35–36, 38–41, 43, 46, 49, 56, 147, 167, 172, 192, 224, 272, 310 Kritik 94, 102, 107, 139, 152, 164, 177, 179, 193–194, 255, 270, 291 Künstlichkeit; Affektation 143, 205–206, 213 Kulturtransfer 8, 225, 237, 245, 288 Lebendigkeit s. Affektausdruck, individueller Leichtigkeit s. Zwanglosigkeit Lexikon 39–40 Liebe; Liebesbeziehung 19, 117, 171, 179–185, 200, 260–261, 265, 285, 287, 292 Lüge; Lügenhaftigkeit; Unehrlichkeit; Unwahrhaftigkeit 13, 32, 70, 87, 113–114, 126–127, 165, 171, 201–203, 209, 211, 213, 215, 249 Massenmedium 21, 23, 171, 196–200, 233, 287 Meinung 27, 95, 105, 107, 150, 164, 179, 249, 265 Meinungsfreiheit s. Freiheit Mentalität 25, 29–31, 35, 42, 120–121, 134, 154, 200, 202, 224, 231, 279, 286, 291–292 Mentalitätsgeschichte 5, 8, 29, 120, 148, 239, 255, 279–280, 290, 292 Metakommunikation s. Kommunikationsreflexion Methode; Methodik 6–7, 9–11, 16, 25–26, 35, 41–43, 88, 110, 254, 292 Milieu, links-alternatives 17, 20, 231, 239 Mimik 28, 46, 111–112, 115, 162–163 Minderung bedrängender subjektiver Gedanken oder Gefühle 246–247, 252, 257, 265, 284 Mobilisierung 281 Moderne 15, 120, 148, 215, 251, 279–280, 290–292 Modernisierung 286, 288 Mündlichkeit 1, 32, 36, 118, 145, 159, 203, 208 Muster 7, 28–29, 31, 34, 41–42, 86–88, 114, 122–123, 156–159, 162, 165, 168, 186, 202–203, 207, 246, 263, 270, 292–293

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Register

Nachrede, üble s. Verleumdung Naivität s. Affektausdruck, individueller Natürlichkeit 11, 13, 15, 20, 32, 133, 136–137, 143–147, 186–187, 201, 205–208, 213, 231, 234–235, 240, 286, 292 Natürlichkeit, emotional-impulsive s. Affektausdruck, individueller Norm und Praxis; Praxis und Norm 169, 172, 189–190, 195, 288 Objektivierung 246, 257, 261, 282, 284, 289 ,Öffentlichkeit‘ 21–23, 25, 44, 192–194, 197, 233, 236–237, 251, 276 Offenherzigkeit 1, 7, 47–48, 55, 57–61, 151, 203, 206, 226, 247, 252, 280 Onomasiologie 41, 43 Partnerschaftsratgeber s. Beziehungsratgeber Periodikum 39–40, 237, 243, 305 Persönlichkeitsentwicklung 166, 238, 241, 245, 256 Perspektive, Akteurs-; kommunikationsstrukturelle Perspektive 8, 61, 89, 265–266, 279, 289–290, 292–293 Pfarrer 171–173, 200, 251–252, 287 Politik s. Staatsleben Praxis und Norm s. Norm und Praxis Preisgabe einer Information; risikoreiche Preisgabe einer Information 45, 55, 58, 61–66, 76–77, 83, 88, 154, 191, 204, 208, 266, 279 Pressefreiheit s. Freiheit ,Privatsphäre‘; ,Privatleben‘ 21–23, 25, 192, 197, 219 Profession, klassische 171, 200, 287 Psychoanalyse 71, 175, 238, 251–255, 257 Psychologie, humanistische 24, 225, 237–243, 245, 287 Quellenkritik 38, 246 Quellentyp 39–41, 224 Radio 23, 199 Redlichkeitsbedingung; Aufrichtigkeitsbedingung 79–80 Religion 92, 132, 164, 172, 181, 233, 272, 284 Rhetorik 9, 12, 14, 16, 39–40, 122–123, 134–135, 142, 227, 232 Romantik; Frühromantik 15, 180–184, 233 Rücksichtnahme 163, 200, 287

Schriftlichkeit 32, 36, 39, 121, 134, 145, 174, 207–208, 227, 233 Schweigen 18, 126–129, 131 Schwulst 122, 135, 207 Selbsterkenntnis 24, 175, 242, 255–257, 265, 284 Selbstkontrolle s. Disziplin Selbstöffnung s. ,self-disclosure‘ Selbstthematisierung 11–12, 15, 174 Selbstverbesserung 255, 257, 284 Selbstzuschreibung von Offenheit 86–87, 156–158 ,self-disclosure‘; Selbstöffnung 23–25, 85, 225, 237–238, 240–243, 245, 287 Semasiologie 41, 43 Sexualität 92, 179–180, 198 Simplizität s. Einfachheit Simulation s. Verstellen Spezialisierung s. Arbeitsteiligkeit Spezifikation; Konkretion 118–119 Spontaneität 20, 85, 186, 206, 208, 231 ,Sponti‘ 17, 20 Sprachgebrauchsgeschichte; Sprachgebrauchswandel 292 Sprachgeschichte 5–6, 14, 17, 20, 29, 292 Sprachgesellschaft 139 Sprachkritik 16 Sprechakt 77, 79–81, 88, 115, 118–119, 223 Sprechakttheorie 13, 78 Staatsleben; Politik 92, 124, 126, 128–129, 171, 190, 192, 200, 287 Stil 13, 15, 20, 31–32, 82, 118, 133, 136, 142, 145, 161, 205, 208 Stilistik 16, 39–40, 135 Stimmigkeit; Bedeutungskompatibilität 111, 113 Sturm und Drang 180–181 Subjektivierung; psychische Individualisierung 280, 283, 285–287, 290–291 Tabu 92, 99, 104–105 Täuschung 13, 32, 112–114, 127, 129, 156, 165, 168, 189, 203, 240, 267 Tagebuch 12, 174–175, 292 Text, primär kommunikationsnormativer 11–12, 39–40, 224, 300 ,theatrum mundi‘ 131–132, 267 Transparenz s. Deutlichkeit Trivialisierung 159, 164 TV s. Fernsehen Umgangslehre s. Anstandsbuch Unehrlichkeit s. Lüge Ungezwungenheit s. Zwanglosigkeit

Register Unwahrhaftigkeit s. Lüge Urbanisierung 281 Vagheit 44, 118–119 Verbergen; Dissimulation 46, 115, 125, 127–129, 131, 133, 143–144, 162, 168, 171, 183, 188, 204, 226, 240, 267–268, 286 Verbotsbereich 170, 200 Verein 190, 292 Verhältnis der unwahrscheinlichen Koexistenz 83 Verhalten, autoritäres kommunikatives 220–221 Verhaltenslehre s. Anstandsbuch Verleumdung; üble Nachrede 201 Verrat 129, 201, 276–278, 281 Verschleierung 76, 82–83, 126, 129, 171, 204, 249 Verschlossenheit s. Geheimhaltung Verschwiegenheit 18, 126–129, 226 Verständlichkeit s. Deutlichkeit Verstellen; Simulation 18, 46, 112–113, 115, 125, 127–129, 131, 133, 162, 168, 171, 183, 188, 203, 226, 240, 267–268, 286 Vertrauen 2, 127–128, 149, 151, 165, 176, 178, 183, 185, 257–261, 265, 277–278, 285 Wahrhaftigkeit; Aufrichtigkeit; Ehrlichkeit 11–15, 18–19, 32–33, 55, 57, 59–61, 66–71, 76, 78, 80–82, 84, 86–88, 110–

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115, 136–142, 158, 161, 174, 201–205, 212–213, 215–216, 223, 234–236, 240, 251–253, 263, 280, 286, 292 Wissensmanagement 196 Wissensvorsprung; Informationsvorsprung 109–110, 266, 275–276, 278, 280, 288 Wochenschrift, moralische; moralische Zeitschrift 11, 14, 38–39, 62, 67, 94–95, 104, 112, 137–138, 146, 150–151, 173, 177, 201, 209, 225, 227, 233–236, 248 Wörterbuch 39–41, 43–49, 51–61, 155, 218–219, 295 Wortfeldgeschichte 41, 43 Wortgeschichte 6–7, 41, 43 Wunsch 2, 80–83, 86, 96, 98, 100, 108– 109, 122, 150, 186, 223, 263–265, 285 Zeichen 4, 24, 28, 31, 34–35, 46, 55, 66, 71, 76–77, 81–82, 86, 88, 111, 113, 115–116, 119, 257, 259, 266 Zeitschrift 39–40, 64–65, 69–70, 74–75, 91–93, 95, 97, 99, 101, 114, 197, 248, 263 Zeitschrift, moralische s. Wochenschrift, moralische Zeitung 39–40, 65, 70, 99, 104, 197 Zurückhaltung s. Geheimhaltung Zwanglosigkeit; Leichtigkeit; Ungezwungenheit 59, 133, 136, 144, 149–150, 155, 206–208, 235 1968 17, 20, 231, 239