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German Pages 1368 [1366] Year 2016
Norbert Horn Gesammelte Schriften
NORBERT HORN Gesammelte Schriften
herausgegeben von
Harald Herrmann und Klaus Peter Berger
Dr. Norbert Horn ist em. Univ.-Professor für Bürgerliches Recht, deutsches und internationales Handels-, Wirtschafts- und Bankrecht sowie Rechtsphilosophie an der Universität zu Köln und em. Direktor des dortigen Instituts für Bankrecht; er ist Honorarprofessor der China Universität für Politik und Recht (CUPL) in Peking. Dr. Harald Herrmann ist Rechtsanwalt und em. Univ.-Professor für Privatund Wirtschaftsrecht an der Universität Erlangen-Nürnberg und em. Direktor des dortigen Instituts für Versicherungswissenschaft. Dr. Klaus Peter Berger, LL.M. (Vir.), ist Univ.-Professor für Bürgerliches Recht, Deutsches und internationales Handels-, Wirtschafts- und Bankrecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung an der Universität zu Köln und Direktor des dortigen Center for Transnational Law (CENTRAL).
ISBN 978-3-11-046503-7 e-ISBN (PDF) 978-3-11-047418-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-047392-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2016 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Datenkonvertierung und Satz: Satzstudio Borngräber, Dessau-Roßlau Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort der Herausgeber Norbert Horn vollendet am 18. 8. 2016 sein 80. Lebensjahr. Sein Werk spiegelt charakteristische Entwicklungslinien der Wissenschaft vom Privatund Wirtschaftsrecht, die er mitgestaltet hat. Ins Auge fällt sein Interesse an Grundlagenfragen der Rechtsbildung und -fortentwicklung, an rechtsethischen Fragen, ferner an der Kautelarpraxis als Untersuchungsobjekt sowohl innerhalb als auch außerhalb des AGB-rechtlichen Kundenschutzes, im Recht des internationalen Wirtschaftsverkehrs seine engagierte Teilnahme an der wachsenden Internationalisierung und Verdichtung der Diskussion. Dies vor dem Hintergrund eines weitgespannten Fächers der Arbeitsgebiete, in dem die ökonomische Rechtsanalyse, mittelalterliches römisches Recht und das Naturrecht der Aufklärung ihren Platz ebenso finden wie das islamische Zinsverbot sowie rechtstechnische Fragen der Kreditsicherung oder der Abwicklung von Wertpapiergeschäften an der Börse. Der vorliegende Band umfasst ausgewählte Schriften von Norbert Horn zum deutschen und internationalen Zivil- und Wirtschaftsrecht sowie zur Rechtsphilosophie und Rechtstheorie. Bei der Gruppierung der Texte zum Zivil- und Wirtschaftsrecht ist Hauptkriterium die Frage, ob der Schwerpunkt des Beitrags innerdeutsche Sachverhalte und ihre Regelung im deutschen Recht betrifft (Abteilung I) oder ob es um den internationalen Wirtschaftsverkehr geht (Abteilung II). Die Kategorien Zivilrecht und Wirtschaftsrecht sind jeweils zusammengefasst. Der letztere Begriff meint hauptsächlich Wirtschaftsprivatrecht. Dessen öffentlich-rechtliche Rahmenbedingungen sind aber nicht ausgeschlossen; im Währungsrecht sind sie dominant. Die weitere Unterteilung folgt der Frage, ob der Text eher die allgemeinen Grundlagen des Rechtsgebiets betrifft oder Einzelfragen. Beiträge zur Währungsunion bilden eine eigene Untergruppe (Abt. II.3). Die Abteilung III mit Arbeiten zur Rechtsphilosophie und Rechtstheorie ist nicht weiter unterteilt. Einige rechtstheoretische Arbeiten sind wegen ihrer engen Beziehung zu einem rechtsdogmatischen Themenbereich bei diesem Gebiet eingefügt (z.B. die Texte I.1.1 und II.1.3). Innerhalb jeder Untergruppe sind die Texte in zeitlicher Reihenfolge angeordnet. Im Fließtext des Neudrucks sind die Originalseitenzahlen in Klammern aufgeführt. Auswahl bedeutet die schwierige Kunst des Weglassens angesichts der umfangreichen und anhaltenden Autorentätigkeit von Norbert Horn. Repräsentativ ist die Auswahl insofern, als sie wesentliche Züge der Arbeitsweise des Autors verdeutlichen kann. Bisweilen verbindet Horn rechtsdogmatische Fragen mit solchen der Rechtstheorie, häufiger mit wirtschaftlichen Sachverhalten,
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Vorwort der Herausgeber
immer in klarer Trennung der Kategorien und ohne Methodenvermischung, so in seiner Schrift zur ökonomischen Analyse des Zivilrechts (I.1.1). Die historische Dimension ist häufig präsent (I.1.4–7; II.2.4; III.2, 4 und 9). Aber der Schwerpunkt seiner Arbeiten liegt natürlich in den praktischen Fragen des geltenden Rechts und ihrer theoretischen (dogmatischen) Durchdringung. Nicht selten hat Horn dabei die Diskussion eröffnet, so bei der Bürgschaft auf erstes Anfordern (I.2.1). Seine Thesen zur Neuverhandlungspflicht (I.1.3) haben nicht nur eine breite wissenschaftliche Diskussion angeregt, sondern schließlich auch ihren gesetzlichen Niederschlag in § 313 BGB gefunden. Sein Rat wurde bei der Redaktion des chinesischen Außenwirtschaftsvertragsgesetzes von 1985 herangezogen (II.2.3) und bei der Vorbereitung der deutschen Währungsunion (I.4 u. 5). Seine Arbeiten zum Missbrauch von Bankgarantien fanden Niederschlag in der UNCITRAL-Konvention über unabhängige Garantien von 1995 (II.1.3 und II.2.2). In der Schlussredaktion des neuen Schuldverschreibungsgesetzes von 2009 war sein Aufsatz über die Rechte von Anleihegläubigern (I.2.11) von Einfluss. Bisweilen wurden politische Entwicklungen zum Anstoß für rechtswis senschaftliche Arbeiten von Horn, so bei den großen Themen der deutschen Wiedervereinigung und der Europäischen Währungsunion. In der Rechtstheorie gehört Horn zu den frühen Vertretern der Argumentationstheorie (III.1, 3, 4). In der Rechtsphilosophie hält er – mit den gebotenen methodischen Kautelen, – an der Gerechtigkeitsfrage als der zentralen Sinnfrage unserer Wissenschaft fest, wie er in seinem Lehrbuch zur Rechtsphilosophie (6. Aufl. 2016) und in der Schrift über Menschenrechte aufzeigt (III.10). Diese knappen Hinweise mögen genügen. Der Leser hat sein eigenes Urteil. Neben dem Anlass des 80. Geburtstags gibt es noch einen tieferen Grund dafür, diesen Band gesammelter Schriften ins Werk zu setzen. Im reißenden Strom der Neuveröffentlichungen soll das Bewusstsein dafür gestärkt werden, dass es Konstanten rechtswissenschaftlicher Arbeit im Zusammenklang von Tradition und Innovation gibt, die sowohl für den Autor selbst ein Leben lang Bedeutung haben als auch für die scientific community, der er angehört. Ein herzlicher Dank an den Verlag de Gruyter für die tatkräftige Unterstützung bei der Verwirklichung des Projekts. Ein Dank auch dem Bundesverband deutscher Banken für die finanzielle Förderung unseres Vorhabens. Zudem danken wir allen Verlagen, die freundlicherweise den Wiederabdruck der Beiträge bewilligt haben. Eine alphabetisch geordnete Dankesliste mit den entsprechenden Beitragstiteln ist am Ende des Bandes gesondert auf geführt. Harald Herrmann
Klaus Peter Berger
Inhalt I. Deutsches Zivil- und Wirtschaftsrecht 1. Grundlagen 1. Zur ökonomischen Rationalität des Privatrechts. – Die privatrechtstheoretische Verwertbarkeit der ‚Economic Analysis of Law‘ AcP 176 (1976), 307–333. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2. Aktienrecht und Entwicklung der Großunternehmen 1860–1920. Über Zusammenhänge rechtlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen beim Übergang zum modernen Industriestaat In ORDO Bd. 30 (Festschrift für Friedrich August von Hayek) 1979, S. 313–324 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 3. Neuverhandlungspflicht AcP 181 (1981) 255–288 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 4. Die Freiheit fordert ihr Recht In Frankfurter Allgemeine v. 10.3.1990 (Nr. 59), S. 15. . . . . . . . . . . 77 5. Die Rolle des Zivilrechts im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands AcP 194 (1994), 177–230. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 6. Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch NJW 2000, 40–46. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 7. Allgemeines Handelsrecht In: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band II Handels- und Wirtschaftsrecht, Europäisches und internationales Recht, hrsg. von A. Heldrich u. K. J. Hopt, 2000, S. 3–28. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155
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2. Einzelfragen 1. Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht ZGR 2/1974, 133–178. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2. Bürgschaften und Garantien zur Zahlung auf erstes Anfordern NJW 1980, 2153–2159. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Aktien- und konzernrechtlicher Vermögensschutz der Aktiengesellschaft und der Gang an die Börse ZIP 1987, 1225–1234. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 4. Globalbürgschaft und Bestimmtheitsgrundsatz In Festschrift für Franz Merz 1992, S. 217–227 . . . . . . . . . . . . . . . . 267 5. Culpa in Contrahendo In JuS 1995, 377–387. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 6. Übermäßige Bürgschaften mittelloser Bürgen: wirksam, unwirksam oder mit eingeschränktem Umfang? WM 1997, 1081–1089 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 7. Clear and Clean and not of Criminal Origin – Betrügereien mit einem Phantom-Markt in Bankgarantien WM 1994, 864–865. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 8. Die Haftung des Vorstands der AG nach § 93 AktG und die Pflichten des Aufsichtsrats ZIP 1997, 1129–1139. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 9. Die richterliche Kontrolle von Entgeltklauseln nach dem AGB-Gesetz am Beispiel der Kreditwirtschaft WM Sonderbeilage 1/1997 (23 S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 10. Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken – Rechtsgrundlagen und Anforderungsprofil WM 1999, 1–10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 11. Die Erfüllung von Wertpapiergeschäften unter Einbeziehung eines Zentralen Kontrahenten an der Börse – Sachenrechtliche Aspekte WM Sonderbeilage 2/2002 (23 S.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435
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12. Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen ZHR 173 (2009) 12–66 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 13. Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt BKR 2009, 446–453. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541
II. Internationales Wirtschaftsprivatrecht und Währungsrecht 1. Grundlagen 1. A Uniform Approach to Eurobond Agreements 9 Law and Policy in International Business 753 (1977) Reprint in Spires, Aldi, Mitchell, Corporate Counsel’s Annual-1978, 1359–1386 (1978). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 2. Die Entwicklung des internationalenWirtschaftsrechts durch Verhaltensrichtlinien. Neue Elemente eines internationalen ordre public RabelsZ 44 (1980), 423–454. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 3. Normative Grundprobleme einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung“ In Norbert Horn (Hrsg.) Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart Festschrift für Helmut Coing, 1982, Bd. II, S. 149–166. . . . . . . . . . 619 4. Changes in Circumstances and the Revision of Contracts in Some European Laws and in International Law In N. Horn (Hrsg.), Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, Studies in Transnational Economic (Law vol. 3), 1985, S. 15–29. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 5. The United Nations Convention on Independent Guarantees and the Lex Mercatoria Centro di Studi e ricerche di diritto comparato e straniero, Rom, Saggi, Conference e Seminari 30 ed. M.J.Bonell 1997 . . . . . . 653 6. The Use of Transnational Law in the Contract Law of International Trade and Finance In K. P. Berger (Hrsg.), The Practice of Transnational Law, 2001, S. 67–80. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669
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7. Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit SchiedsVZ 2008, 209–222 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 685 8. Transnationales Handelsrecht: zur Normqualität der lex mercatoria In Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 705–724. . . . . . . . . . . . 717 9. Rechtliche Aspekte der Finanzkrise KSzW 2010, 67–77. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 2. Einzelfragen 1. Die neuere Rechtsprechung zum Missbrauch von Bankgarantien im Außenhandel IPRax 1981, 149–154. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 2. Rechtsfragen internationaler Umschuldungen WM 1984, 713–721. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 781 3. Das chinesische Außenwirtschaftsvertragsgesetz von 1985 RIW 1985, 688–693. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 803 4. Zinsforderung und Zinsverbot im kanonischen, islamischen und deutschen Recht. Eine rechtshistorisch-rechtsvergleichende Problemskizze In Festschrift für Hermann Lange, 1992, S. 99–113. . . . . . . . . . . . . 817 5. Außergerichtliche Streitbeilegung bei internationalen Finanzgeschäften. Eine Bestandsaufnahme In Festschrift für Otto Sandrock, 2000. S. 385–406 . . . . . . . . . . . . . 831 6. Internationale Unternehmenszusammenschlüsse ZIP 2000, 473–485. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853 7. Entwicklungen im internationalen Kapitalgesellschaftsund Fusionsrecht In Gedächtnisschrift für Alexander Lüderitz, 2000, 303–317. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 883 8. Sicherungsrechte an Geld- und Wertpapierguthaben im internationalen Finanzverkehr In Festschrift für Walther Hadding, 2004, S. 893–904. . . . . . . . . . . 897
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9. Arbitration and the Protection of Foreign Investment. Concepts and Means In Horn (ed.), Arbitrating Foreign Investment Disputes (Studies in Transnational Economic Law vol. 19), 2004, S. 3–31. . . 909 10. Die Europa-AG im Kontext des deutschen und europäischen Gesellschaftsrechts Der Betrieb 2005, 147–153 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 937 11. Der Wuchereinwand bei gewerblichen Darlehen und im internationalen Finanzmarkt BKR 2006, 1–7. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 957 12. Current Use of the UNCITRAL Arbitration Rules in the Context of Investment Arbitration Vol. 24/4 Arbitration International, 587–601 (2008). . . . . . . . . . . . . 975 13. Erfüllungsverweigerung wegen Notstandes bei internationalen Staatsanleihen In Festschrift für Gerd Nobbe, 2009, S. 601–618. . . . . . . . . . . . . . . 993 3. Währungsunion 1. Währungsunion als Instrument der Integration? Deutsche Erfahrungen und europäische Perspektiven In Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 381–395. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1011 2. Rechtliche und institutionelle Aspekte der Europäischen Währungsunion im politischen und wirtschaftlichen Kontext ZBB 1997, 314–324 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1029 3. Die Verteidigung des Euro. Ein historischer Rückblick auf die Euro-Krise im Mai 2010 In Festschrift für Georg Maier-Reimer 2010, 245–263. . . . . . . . . . . 1053 4. Die Reform der Europäischen Währungsunion und die Zukunft des Euro NJW 2011, 1398–1404. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1075 5. Das Recht zum Austritt und Ausschluss aus der Europäischen Währungsunion BKR 2015, 353–358. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1091
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III. Rechtsphilosophie und Rechtstheorie 1. Zur Bedeutung der Topiklehre Theodor Viehwegs für eine einheitliche Theorie des juristischen Denkens NJW 1967, 601–608. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1107 2. Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus Philosophus Ius Commune I (1967), 104–149 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1127 3. Rationalität und Autorität in der Juristischen Argumentation Rechtstheorie 2/1975, 145–160. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1169 4. Argumentum ab auctoritate in der legistischen Argumentationstheorie In Festschrift für Franz Wieacker, 1978, S. 261–272. . . . . . . . . . . . . 1185 5. Person und Kontinuität, Versprechen und Vertrauen: die Perspektive des Zivilrechts In R. Schenk (Hrsg.), Person und Kontinuität. Versprechen und Vertrauen, 1996, S. 35–68. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1199 6. Vom jüngeren und jüngsten Naturrecht In Festschrift für Martin Kriele, 1997, S. 889–901 . . . . . . . . . . . . . . 1223 7. Entgrenzung des Rechts durch wirtschaftliche Globalisierung In W. Brugger/G. Haverkate, Grenzen des Rechts als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie (Referate der Tagung der deutschen Sektion der IVR Heidelberg 2000), ARSP-Beiheft Nr. 84, 2002, S. 179–200. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1235 8. Utilitarismus im aufgeklärten Naturrecht von Thomasius und Wolff. Historische und aktuelle Aspekte In Usus modernus pandectarum. Festschrift für Klaus Luig, hrsg. von Haferkamp/Repgen, 2007, S. 45–64. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1259 9. Philosophische und historische Grundlagen des bürgerlichen Rechtsstaates In Festschrift für Jan Schapp, 2010, S. 267–282. . . . . . . . . . . . . . . . . 1277 10. Human Rights: Philosophical Foundations and Legal Dimensions In: M. Marcelo Galuppo et al (ed.), Human Rights, Rule of Law and the Contemporary Social Challenges
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in Complex Societies (Proceedings of the 26th World Congress of IVR in Belo Horizonte 2013), ARSP Beiheft 146, 2015, S. 89–104. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1295 Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn . . . . . . . . . . . . . . 1315 Horn, Gesammelte Schriften. Verlagsnachweise. . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1347
I. Deutsches Zivil- und Wirtschaftsrecht 1. Grundlagen
Zur ökonomischen Rationalität des Privatrechts. – Die privatrechtstheoretische Verwertbarkeit der ‚Economic Analysis of Law‘* AcP 176 (1976), 307–333 Inhaltsübersicht I. Theorie der sozialen Kosten und ‚economic analysis‘. . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkte: Soziale Kosten und Marktgesetze. . . . . . . . . . . 2. Marktrationalität des Rechts als Analyse und Programm . . . . . . . . 3. Mögliche privatrechtstheoretische Verwertbarkeit. . . . . . . . . . . . II. Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eigentumsinhaltsbestimmung und Transaktionskosten. . . . . . . . . . 2. Das Bewertungsproblem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nachbarrecht und Umweltschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Internalisierung durch Konstitution von Eigentumsrechten. . . . . . . 5. Zur Allokationsleistung der Eigentumsordnung. . . . . . . . . . . . . III. Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vertrag als Marktinstrument. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Marktrationalität und das Problem der Inhaltskontrolle. . . . . . . . . 3. Zum marktwirtschaftlichen Kontext des Vertragsrechts. . . . . . . . . IV. Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schadensprävention und Schadenszurechnung. . . . . . . . . . . . . . 2. Auswertungen: Unfallrecht und Marktkräfte; Präventionsgedanke im Zielkonflikt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Unfallhaftungsrecht und Schadenskontrollsysteme . . . . . . . . . . . . V. Gesamtbeurteilung der ‚economic analysis‘. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Keine ökonomische Gesamttheorie des Privatrechts. . . . . . . . . . . 2. Zur Verwertbarkeit des Begriffs der sozialen Kosten . . . . . . . . . . . 3. Rechtliche und ökonomische Bewertungen. . . . . . . . . . . . . . . .
307 308 310 311 313 313 314 315 316 316 319 319 320 322 324 324 326 327 330 330 331 332
* Überarbeitete und erweiterte Fassung eines Vortrags am 20.11.1974 am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld im Rahmen der Forschungsgruppe ‚Recht und Sozialwissenschaften‘.
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Zur ökonomischen Rationalität des Privatrechts
I. Die öffentlichen Funktionen des Privatrechts in einer freiheitlichen und sozialen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sind zunehmend Diskussionsgegenstand der Zivilrechtswissenchaft1; das Verhältnis von Privat- [308] recht und Wirtschaftsordnung ist hier ein Hauptproblem2. In diesem Zusammenhang verdienen neuere amerikanische Ansätze einer wirtschaftswissenschaftlichen Theorie des Rechts, nach dem Werk eines Hauptvertreters hier ‚Economic Analysis of Law‘ genannt3, besondere Aufmerksamkeit. Von ihrer privatrechtstheoretischen Verwertbarkeit ist im folgenden die Rede4. 1. Der marktwirtschaftliche Kontext der Rechtsnormen insbesondere des Privatrechts ist Grundlage der deskriptiven und rechtspolitischen Leistungen der economic analysis. Ausgehend vom Problem der richtigen Verteilung von Kosten und Schäden wird nach der optimalen Allokation von Ressourcen (mit den entsprechenden Wohlfahrtsgewinnen) gefragt. Dabei wird die Hauptaufgabe dem Markt zugewiesen. Zugleich ergeben sich jedoch bestimmte Aufgaben für eine marktkonforme Rechtsanwendung und Rechtspolitik. Einen wesentlichen Impuls verdankt die genannte Richtung der grundlegenden Arbeit von Coase über das Problem der sozialen Kosten5. Ausgangspunkt ist der Tatbestand, daß Wirtschaftssubjekte bestimmte Güter kostenlos in Anspruch nehmen (insbesondere bei der Produktion), die ihnen nicht zustehen und nicht in ihre Kostenrechnung eingehen: es entstehen externe Kosten. Falls diese Güter der Allgemeinheit zustehen (z. B. „Umweltgü1 Vgl. etwa L. Raiser, Die Zukunft des Privatrechts, 1971; Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen. Festschrift für L. Raiser, Tübingen 1974, dort vor allem die Beiträge von Steindorff, Wiethölter, Kübler und Walz. – Vgl. auch Kübler, Über die praktischen Aufgaben zeitgemäßer Privatrechtstheorie, Karlsruhe 1975 (Schriftenreihe d. Jur. Studiengesellschaft, Bd. 119). 2 Dazu insbes. Steindorff, Wirtschaftsordnung und -steuerung durch Privatrecht?, Raiser-Festschrift aaO, S. 621 ff.; Wiethölter, Privatrecht als Gesellschaftstheorie?, RaiserFestschrift, S. 645 ff.; ders., Wirtschaftsrecht, in: Görlitz (Hrsg.), Handlexikon der Rechtswissenschaft 1972, S. 531 ff.; ders., in Festschrift Böhm, Karlsruhe 1965, S. 41–62; Mestmäcker, Über die normative Kraft privatrechtlicher Verträge, JZ 1964, 441–446; ders., Über das Verhältnis des Rechts der Wettbewerbsbeschränkungen zum Privatrecht, AcP 168 (1968, 235–262); jeweils mit Nachw.; ders., Recht, Macht, Wirtschaftsordnung, ZHR 137 (1973), 97–111. Zu einem Problemausschnitt vgl. Horn, Geldwertveränderungen, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, Karlsruhe 1975 (Schriftenreihe d. Jur. Studiengesellschaft, Bd. 122). 3 R. Posner, Economic Analysis of Law, Boston 1973. 4 Einzelaspekte der Frage hat die deutsche Zivilrechtsliteratur bereits aufgegriffen; vgl. insbes. die i. f. zit. Arbeiten von Weyers und Walz, ferner von E. Rehbinder (letztere ohne speziell zivilrechtl. Ausrichtung). – Unter didaktischen Gesichtspunkten demnächst Kötz, Ökonomische Analyse von Rechtsproblemen, in: Horn/Tietz (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. I. Zivil- und Wirtschaftsrecht. 5 R. H. Coase, The Problem of Social Cost, in: J. of Law and Economics 3 (1960), 1–44.
AcP 176 (1976), 307–333
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ter“), entstehen soziale Kosten6. Es findet ein volkswirtschaftlicher [309] Wertverzehr ohne marktförmige Verteilung der Kosten statt7. Hauptproblem ist die Quantifizierbarkeit der externen Kosten oder Schäden, Aufgabe ist die marktrational „richtige“ Kostenzuteilung mit dem Ziel der optimalen Allokation wirtschaftlicher Ressourcen8. Im Anschluß an Coase wurden vor allem Fragen des Nachbarrechts und Umweltrechts sowie des Haftpflichtund Versicherungsrechts unter ökonomischen Gesichtspunkten analysiert9. Auch in der deutschen Zivilrechtsliteratur wurden diese Anregungen aufgegriffen10. Der Ansatz wurde von anderen Autoren zu einer allgemeinen ökonomischen Theorie des Rechts erweitert. Richard Posner führt im didaktischen Gewand eines Einführungsbuchs eine durchgängige Analyse des Rechts in allen wichtigen Rechtsgebieten einschließlich Verfassungs-, Straf- und Prozeßrecht vor11. Resultat ist der Versuch einer Gesamterklärung des Rechts
6 Zum Begriff K. W. Kapp, The Social Costs of Private Enterprise, Cambridge 1950 = Volkswirtschaftliche Kosten der Privatwirtschaft, Tübingen 1958, S. 12 f.; ders., Umweltbelastung und soziale Kosten, in: M. Glasgow (Hrsg.), Umweltgefährdung und Gesellschaftssystem, München 1972, S. 25–37 (= in: Kyklos 23, 1970, 833); E. Rehbinder, Politische und rechtliche Probleme des Verursacherprinzips, Berlin 1973, S. 21 m. weit. Nachw. – Der Begriff wurde demnach vor allem in der Umweltschutzdebatte rezipiert. Ausgangspunkt war hier Umweltbelastung durch Produktion, also der bei der Leistungserstellung beanspruchte externe Wertverzehr; er tritt jedoch auch im Konsum auf; dazu auch Rehbinder aaO S. 29 ff. 7 Der volkswirtschaftliche Wertverzehr soll grundsätzlich die Summe des einzelwirtschaftlichen Wertverzehrs sein. Das Problem der sozialen Kosten läßt sich dann definieren als die Diskrepanz zwischen beiden Größen. So die ältere Wohlfahrtsökonomie; vgl. Pigou, The Economics of Welfare, 4. Aufl. 1932, S. 183 ff. 8 Vgl. Glasgow aaO, S. 10–15; zum schwierigen und in der Mehrzahl der Fälle unlösbaren Problem der Quantifizierbarkeit der sozialen Kosten E. v. Beckerath u. a. (Hrsg.), Probleme der normativen Ökonomik und der wirtschaftspolitischen Beratung, Berlin 1963, mit den Beiträgen einerseits von Jürgensen (S. 245 ff.), andererseits von Lauschmann (S. 267 ff., 273). 9 G. Calabresi, Some Thoughts on Risk Distribution and the Law of Torts, 70 Yale L. J. 499 (1961); ders., The Decision for Accidents: An Approach to Nonfault Allocation of Costs, 78 Harvard L. R. 713 (1965); ders., The Costs of Accidents: A Legal and Economic Analysis, 1970; Michelman, Pollution as a Tort. A Non-Accidental Perspective on Calabresi’s Costs, 80 Yale Law J. 647 (1971); Calabresi/Melamed, Property Rules, Liability Rules, and Inalienability: One View of the Cathedral, 85 Harvard L.R. 1089 ff. (1972); Demsetz (N.21). 10 H.-L. Weyers, Unfallschäden, Praxis und Ziele von Haftpflicht- und Vorsorgesystemen, Frankfurt 1971; R. Walz, Marktbezogener Umweltschutz und privatrechtlicher Immissionsschutz, in: Funktionswandel der Privatrechtsinstitutionen. Festschrift L. Raiser, Tübingen 1974, S. 185, 222. 11 Vgl. N. 3. – Besprechungen: 87 Harvard L. R. 1640 (1974); S. V. Williams, 45 Columbia U.L.R., 437–53 (1974); P. D. Carrington, U. Illinois L. F. 1974, 187–89; vor allem: A. A. Leff, Economic Analysis of Law: Some Realism about Nominalism, 60 Virginia L. R., 451–482 (1974); J. M. Buchanan, Good Economics – Bad Law, 60 Virginia L. R. 483–492
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nach der Grundannahme, daß alle wichtigen Rechtsgebiete von ökonomischer Rationalität geprägt seien12. Diese Rationalität sei unter den Bedin[310] gungen einer Marktwirtschaft in ganz wenigen ökonomischen Gesetzmäßigkeiten darstellbar, die dann als Instrumente zur Analyse des Rechts dienen könnten. Posner nennt neben dem allgemeinen „ökonomischen Prinzip“ der rationalen Wahl bei gegebener Knappheit der Ressourcen drei Sätze: (1) Bei Anhebung eines Preises sinkt die Nachfrage ceteris paribus; (2) der Preis eines Gutes sinkt nicht unter die Kosten, die ihrerseits mindestens dem Preis der Kostengüter bei alternativer Verwendung (opportunity costs) entsprechen; (3) wirtschaftliche Ressourcen tendieren jeweils zu ihrer nützlichsten Verwendungsart innerhalb eines Wirtschaftssystems13. 2. In dieser Lehre steckt nicht nur eine behauptete Analyse, nämlich daß sich die ökonomische Orientierung des juristischen Denkens in der Rechtsentwicklung (des common law) in der Regel durchgesetzt habe, unabhängig davon, ob sie den Akteuren der Rechtsbildung bewußt gewesen sei14. Vielmehr enthält sie auch die rechtspolitische Forderung, das Recht bewußt nach ökonomischer Rationalität zu gestalten. Im wesentlichen geht es um vier miteinander zusammenhängende Aufgaben: erstens um die präventive Minimierung von Kosten, zweitens um die „richtige“ Kostenattribution, vor allem im Weg der Internalisierung sozialer Kosten bei denen, die sie „richtigerweise“ tragen sollten. Auf diese Weise sollen in Kalkulation und Preis die richtigen Kosten der Wirtschaftsgüter hervortreten. Damit ist eine Vorbedingung für die marktförmige Allokation wirtschaftlicher Ressourcen erfüllt entsprechend dem erwähnten Theorem, daß ökonomische Ressourcen stets zu ihrer effizientesten Verwendungsart tendieren, falls ein marktförmiger Güteraustausch möglich ist. Letzteres ist der Fall, wenn dem Austausch keine rechtlichen und faktischen Hindernisse (ökonomisch in Form von Transaktionskosten) entgegenstehen. Hier schließt eine dritte Aufgabe des Rechts an, diese Hindernisse möglichst zu beseitigen oder zu kompensieren und damit die Transaktionskosten niedrig zu halten, um die marktförmige Allokation zu ermöglichen oder zu erleichtern. Bei hohen Transaktionskosten ergibt sich eine vierte Aufgabe des Rechts: die richtige (marktkonforme) Allokation (1974); A. M. Polinsky, Economic Analysis as a Potentially Defective Product: A Buyer’s Guide to Posner’s Economic Analysis of Law, 87 Harvard L. R. 1655–1681 (1974). 12 Posner aaO, S. 6, 99 und passim. Posner beschränkt zwar diese Aussage anfangs auf das Zivilrecht, dehnt sie dann aber in seinem Buch auf alle Rechtsgebiete aus. Eine zweite Einschränkung, nämlich die Beschränkung auf das Common Law, ist ebenfalls wegen des prinzipiellen Allgemeingültigkeitsanspruchs der vorgetragenen Theorie unbeachtlich. 13 S. 1–6. Der letzte Satz ist eine mögliche Umschreibung des sog. Pareto-Optimums; vgl. auch N. 18. – Posner sieht sich durch seine waghalsige Reduktion nicht gehindert, bei Bedarf weitere Teilstücke ökonomischer Theorie in seiner Darstellung zu verwenden; vgl. z. B. zur Wettbewerbstheorie S. 104 ff. 14 AaO, S. 6, 99.
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unmittelbar mit rechtlichen Mitteln vorzunehmen15. Diese Funktion fällt z. T. mit der erstgenannten Aufgabe der richtigen Kostenattribution zusammen. [311] 3. Die ‚economic analysis of law‘ ist aus mindestens drei Gründen eine attraktive Doktrin. Erstens, weil hier ein neuerer (nicht marxistischer) Anlauf einer konsequenten Erklärung des Rechts aus ökonomischen Gesetzlichkeiten – der Marktwirtschaft – vorliegt. Zweitens wird diese Gesamttheorie mit Mikroanalysen und Detailvorschlägen zu einzelnen Rechtsproblemen verbunden. Alte Träume des Rechtstheoretikers von der direkten Umsetzbarkeit genereller Annahmen in die Praxis und des Praktikers von der Reduzierbarkeit der Komplexität seines Arbeitsfeldes auf eine einfache Basistheorie scheinen Wirklichkeit zu werden. Drittens werden Grundbegriffe wie die der ‚sozialen Kosten‘ eingeführt, die sowohl juristisch wie wirtschafts- und sozialwissenschaftlich verwendbar erscheinen, was neue Möglichkeiten interdisziplinärer Zusammenarbeit verspricht. Der Begriff der sozialen Kosten scheint auch bei uns ein Zentralbegriff der wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Diskussion zu werden; er verweist auf ein sozialpolitisch höchst wichtiges, lange vernachlässigtes Problem und besitzt zugleich jene kreative Unschärfe, welche die Langlebigkeit von Begriffen in der Diskussion verbürgt. Als ökonomische Theorie des Rechts i. S. einer Gesamterklärung hat die ‚economic analysis‘ wenig Chancen einer Vollrezeption in der deutschen Rechtswissenschaft oder ihren Nachbarwissenschaften. Denn sie verfolgt, jedenfalls bei Posner, die marktwirtschaftliche Orientierung des Rechts mit jener Einseitigkeit, auf die Mestmäckers Formulierung paßt, daß gerade dadurch „die unerbittlichsten Gegner des marktwirtschaftlichen Systems dessen Eigengesetzlichkeit für ihre Kritik in Dienst nehmen könnten“16. Marxisten andererseits können hier nur dann ein Schulstück bürgerlicher Rechtsideologie erhoffen, falls sie den differenzierteren Stand unserer ordnungspolitischen Diskussion übersehen17. Ernsthaftes Interesse dagegen verdient die ‚economic analysis‘ als Arbeitshypothese und Ansatz für Einzelanalysen und Vorschläge zu bestimmten Rechtsproblemen. Es erscheint daher zu aufwendig, die theoretische Aufarbeitung der ‚economic analysis‘ frontal bei ihren „Grundlagen“ zu beginnen, zumal diese z. T. nur vorausgesetzt und nicht thematisiert werden. Diese seien vielmehr hier nur stichwortartig genannt:
15 Coase aaO, S. 19 ff. – Posner spricht in anderem Zusammenhang von der selbständigen Allokationsleistung des Justizsystems; vgl. aaO S. 320 ff. 16 ZHR 137 (1973), 99. 17 Diese Diskussion wird vor allem zum Verhältnis Privatrecht und Wettbewerb geführt; vgl. dazu die in N. 2 zit. Arbeiten von Mestmäcker, Wiethölter und Steindorff. Dieser Problemaspekt steht i. F. nicht im Vordergrund. – Innerhalb der marxistischen Rechtstheorie wird übrigens die Betonung einseitiger Abhängigkeit des Rechtssystems vom Wirtschaftssystem als „Ökonomismus“ kritisiert.
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Politisch-ökonomische Grundlagen liefert die neuere Wohlfahrtsökonomie, also Vorstellungen einer einheitlichen volkswirtschaftlichen Nutzenfunktion, unter wirtschaftsliberalen Voraussetzungen, [312] d. h. man betrachtet den Markt als ideales Regelungsmodell i. S. der Pareto-Optimalität, erkennt allerdings die Unvollkomenheiten des Marktes unter bestimmten Aspekten (Marktexternalitäten, Transaktionskosten) an und leitet daraus Forderungen an das Recht ab18. Sozialphilosophischer Hintergrund ist der Utilitarismus, hauptsächlich Bentham19. – Bestimmte methodische Schwächen gerade bei Posner sind bereits in der amerikanischen Literatur mit scharfem Witz kritisiert worden: Monokausale Erklärungen, Nominalismus und Vernachlässigung empirischer Methoden20. Hinzuzufügen ist der Einwand einer unpräzisen und häufig metaphorischen Verwendung von Grundbegriffen, insbesondere des Kostenbegriffs21. Aber auch unterhalb des zu hohen Anspruchs einer ökonomischen Gesamttheorie des Rechts können sich aus der economic analysis bestimmte Erklärungschancen und Orientierungsmöglichkeiten speziell für das Zivilrecht ergeben. Sie könnten dann Elemente einer Privatrechtstheorie sein, die den sozialen – hier: den wirtschaftlichen – Kontext des Privatrechts aufzuklären hilft22. Konkret geht es um Teilbeiträge zu zwei Grundfragen: wieweit ist Marktrationalität als Gestaltungsfaktor im Zivilrecht festzustellen und wieweit zu akzeptieren? Wie erfolgt die Vermittlung von Marktgesetzlichkeit und außerökonomischen Gestaltungsfaktoren des Rechts in der Privatrechtsordnung? In dieser Hinsicht soll die Leistungsfähigkeit der economic analysis im Folgenden bei drei zentralen Institutionen des Privatrechts – Eigentum (II), Vertrag (III) und Unfallhaftungsrecht (IV) – skizziert und überprüft werden, soweit dies im Rahmen einer knappen und unvermeidlich kursorischen Übersicht möglich ist. Auf die folgenden drei Eigenarten der economic analysis sei vorweg aufmerksam gemacht: Die Betrachtung rechtlicher Regelungen im Kontext und Dienst des Marktmechanismus, der die übergeordneten Koordinations- und 18 Coase bezieht sich aaO (N. 5), S. 1, 28 ff., 39 ff. auf Pigou, Economics of Welfare aaO, dessen Lösungen (vor allem fiskalische Steuerungen und Umverteilungen) er durch marktkonforme Lösungen ersetzen will. – Pareto-Optimalität liegt vor, wenn vorhandene Ressourcen in einem Wirtschaftssystem den Ort ihrer wertvollsten Verwendung erreicht haben, der Gesamtnutzen also maximal ist und durch weitere Tauschvorgänge nicht gesteigert werden kann. – Zu verschiedenen Aspekten des Begriffs z. B. Calabresi/Melamed, 85 Harvard L. R. 1094 N. 10 (1972). Vgl. auch unten V. 3. 19 Ausdrückliche Bezugnahmen sind die Ausnahme. Zu Bentham z. B. Posner, S. 357. 20 Vgl. die Nachw. N. 11. Zu den beiden genannten Einwänden insbes. Leff, aaO. 21 Vgl. die vorsichtigen Bemerkungen zum Kostenbegriff bei Demsetz, Towards a Theory of Property Rights, 57 American E. R., Papers and Proceedings 347 (1967), S. 348; Calabresi/Melamed, 85 Harvard L. R. 1088 ff., 1094 (1972). 22 Zum Begriff der Privatrechtstheorie in diesem Sinn Kübler aaO (N. 1) S. 23 und passim.
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Verteilungsprobleme lösen soll, läßt zwangsläufig die außer- [313] ökonomischen Zielsetzungen des Rechts zurücktreten23. Das erschwert deren Einordnung und funktionale Bestimmung. Ein zweites: Die economic analysis vernachlässigt die genuin juristische Frage nach der richtigen Entscheidung des Einzelfalls zugunsten von Überlegungen, wie sich in einer Vielzahl ähnlicher Fälle künftig eine Optimierung des wirtschaftlichen Ergebnisses erreichen läßt. Drittens erscheinen unterschiedliche Rechtsinstitute im wirtschaftlichen Kontext funktional zusammengehörig oder austauschbar, traditionelle juristische Distinktionen von untergeordneter Bedeutung24. Wenn demnach i. F. vom Eigentum die Rede ist, so ist dies im weiteren Sinn zu verstehen, d. h. einschließlich einerseits des Teils vertraglicher Privatautonomie, der mit der Verfügung über Eigentum zusammenhängt, und andererseits der mit Eigentumsgebrauch zusammenhängenden Haftpflichten.
II. 1. Die Erörterung der „property rights“ nimmt ihren Ausgang von einer provokanten Modellfeststellung, nämlich der weitgehenden Leugnung der Allokationsleistung der Eigentumsordnung bei freiem Marktspiel. Demonstrationsobjekt ist das Nachbarrecht25, d. h. alle Rechtsnormen, welche die Kollision von Eigentümerinteressen, die sich aus der ‚störenden‘ Nutzung benachbarter Grundstücke ergeben, regeln, indem sie einem der ‚gestörten‘ Eigentümer entweder Unterlassungs- oder Ersatzansprüche geben, oder aber ihm umgekehrt Duldungspflichten auferlegen. Optimale Allokation bei inkompatiblen Grundstücksnutzungen bedeutet die Erhaltung derjenigen (‚störenden‘) Nutzung, die wirtschaftlich wertvoller ist, also auch nach Abzug der Verhütungs- oder Entschädigungskosten der Störung die größere Wertschöpfung darstellt. Coase und zahlreiche ihm folgende Autoren nehmen hier an, daß bei ungestörtem Marktspiel (niedrigen Transaktionskosten) diese Nutzungsart sich stets durchsetzen wird, und zwar unabhängig davon, wem von beiden Eigentümern die Rechtsordnung Ersatz- oder Unterlassungsansprüche gewährt, weil notfalls der Inhaber des wertvoller nutzbaren Grundstücks die Rechte des anderen abkaufen werde26. In den Fällen, in denen das Marktspiel wegen hoher Transak- [314] tionskosten nicht funktio23 Nicht geleugnet, aber nur in salvatorischen Äußerungen erwähnt bei Posner, z. B. S. 100. Differenzierter Calbresi, z. B. in Calabresi/Melamed, 85 Harvard L. R. 1089 ff., 1098 ff. 24 Posner aaO, z. B. S. 21, 98 f.; Calabresi/Melamed S. 1092 ff. 25 Coase aaO (N. 5); Posner, S. 11–39. Zu Coase kritsich Walz aaO (N. 10). 26 Coase aaO S. 5, 7, 15 und passim; im wesentlichen folgend z. B. Calabresi, 11 J. Law and Economics 67 (1968); Nutter, ebendort 503; Posner aaO, S. 18 ff. Vgl. auch Mishan, Pareto Optimality and the Law, 19 Oxford E. P. 255 (1967).
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niert (Schulbeispiel: Immissionen mit einer Vielzahl von Betroffenen), sollte das Recht die wirtschaftlich wertvollere Nutzung begünstigen und den anderen Gestörten keine Unterlassungsansprüche – und allenfalls begrenzte Schadensersatzansprüche – gewähren27. Auf diese Weise sollen Fehlallokationen vermieden werden. Aber auch in den erstgenannten Fällen, wo ein Austausch an sich möglich ist, sollte das Recht in gleichem Sinne gestaltet sein, um überflüssige Transaktionskosten zu vermeiden28. 2. Die immanente Schwierigkeit der economic analysis liegt in der Bestimmung dessen, was jeweils als die überlegene ökonomische Nutzung anzusehen ist. Darüber entscheidet allein die Wertschätzung der beteiligten Wirtschaftssubjekte, ausgedrückt durch ihre Bereitschaft, bei freiem Marktspiel einen bestimmten Preis für die Behauptung ihres Rechts gegenüber dem Recht des anderen zu zahlen. Diese Entscheidung der Beteiligten wird als rational (marktrational) unterstellt, weil sie durch alternative Entscheidungsmöglichkeiten (im Sinne der opportunity costs) bestimmt sei. Sie wirke dadurch im Sinne optimaler Allokation – zum Nutzen aller. Zugrunde liegt das marktwirtschaftliche Modell dezentraler Beantwortung von Bewertungsfragen. Will man daraus Folgerungen für das Nachbarrecht ziehen, so ergeben sich zwei Bündel von Einwänden, erstens gegen das Marktmodell selbst und zweitens gegen seine Übertragbarkeit auf rechtliche Wertungen. Das Marktmodell setzt voraus, daß sich die Marktteilnehmer marktrational verhalten können und wollen und setzt dies mit rational schlechthin gleich. Es verfehlt die soziale Wirklichkeit in dem Maß, in dem faktische Unvollkommenheiten des Marktes, die auch durch rechtliche Berücksichtigung der Transaktionskosten nur z. T. kompensiert werden können, wirksam sind und die Marktteilnehmer sich nicht „rational“ verhalten; dabei sind soziale Einflüsse auf deren Entscheidungsfreiheit einzurechnen, wozu auch ungleiche Einkommensverteilung gehört29. Ferner kann sich das Nachbarrecht, selbst wenn es nicht quantifizierbare ideelle Nutzungsinteressen außer Betracht ließe, nur in seltenen Fällen an Marktbewertungen (Vergleichspreise, Schattenpreise) orientieren. Umge- [315] kehrt wird jede rechtliche Inhaltsbestimmung von Eigentum selbst zum Bewertungsfaktor im Markt, so daß in der Mehrzahl der Fälle der folgende Zirkelschluß unvermeidlich wird: Recht soll die wertvollere Grundstücksnutzung bevorzugen; diejenige Nutzung ist Coase, S. 19 ff.; zusammenfassend Posner, S. 29. Zum Problem der Ersatzansprüche auch Calabresi/Melamed, 85 Harvard L. R. 1088, 1119; sie plädieren für Festsetzung der Schadenshöhe durch das Gericht, damit keine unangemessen hohe Forderungen der berechtigten Partei entstehen. Damit wird die Manipulierung des Marktspiels durch Verteilung von Haftpflichten anerkannt. Vgl. auch Walz aaO S. 212. 28 Posner S. 99 und passim. 29 Das Problem wird berührt bei Calabresi/Melamed aaO, S. 1096. Allg. dazu E. Preiser, Wirtschaftspolitik heute, München 1967, S. 190 f.; H. G. Krüsselberg, in: D. Grimm, Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften 1, München, 2. Aufl. 1976, S. 186. 27
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wervoller, die nur zu einem höheren Preis abgekauft werden kann, weil sie den stärkeren rechtlichen Schutz genießt. Dieser Zirkelschluß ist nur aufzulösen, wenn man autonome, nicht marktrationale Wertungen der Rechtsordnung anerkennt30. Wenn diese etwa „wesentliche“ Beeinträchtigungen verbietet und nur im Rahmen der „Ortsüblichkeit“ zuläßt (§ 906 BGB), so läßt sich dies nicht vollständig auf Marktbewertungen zurückführen, auch wenn solche – vor allem im Rahmen der wirtschaftlichen Zumutbarkeit im Sinne von § 906 Abs. 2 BGB – wirksam werden. 3. Die economic analysis sieht im Nachbarrecht einen wichtigen Ansatzpunkt zur Lösung von Umweltschutzproblemen31. Die Aufgabe besteht dann darin, die durch Umweltbelastungen entstehenden externen Kosten durch das Recht „richtig“ zu verteilen, d. h. durch nachbarrechtliche Unterlassungs-, Duldungs- oder Entschädigungspflichten bei einzelnen Wirtschaftssubjekten zu internalisieren32 und damit zugleich eine präventive Wirkung zu entfalten. Das Nachbarrecht kann hier zweifellos bestimmte Teilfunktionen übernehmen33. Allerdings kann Umweltschutzrecht nur z. T. vom Recht der Eigentumsnutzung und nur zum geringeren Teil speziell vom Nachbarrecht her strukturiert werden34. Die Begrenztheit des Anwendungsgebietes und der rechtlichen Sanktionsmöglichkeiten setzt enge Grenzen: Nur ein geringerer Teil der Umweltbelastungen läßt sich in den Rahmen eines auch weitverstandenen Nachbarrechtsverhältnisse bringen; soweit dies möglich ist, ergeben sich die bekannten Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung bei einer Vielzahl von Geschädigten und geringem [316] Ausmaß der Einzelschädigung35. Ferner ergeben sich bereits hier die erwähnten Bewertungsschwierigkeiten, auf die bereits Walz hingewiesen hat36: Das Problem, den Begriff der externen 30 Im Ergebnis ähnlich Walz aaO. Damit soll nicht schlechthin bestritten werden, daß es überhaupt der rechtlichen Wertung vorausliegende ökonomische Nutzeneinschätzungen geben kann. Ihr Wertvergleich anhand realer oder hypothetischer Marktpreise ist nur möglich, wenn in vergleichbaren Fällen die betr. Nutzungsart rechtlichen Schutz genießt und damit erst Marktgegenstand wird. 31 Coase (N. 5); Posner, S. 24 ff.; Michelman (N. 9); Calabresi/Melamed (N. 9); krit. Überblick bei Walz (N. 10). 32 Zur ausgleichenden Funktion von Entschädigungspflichten bei Unsicherheit über die richtige Allokation Calabresi/Melamed aaO, S. 1119 ff. 33 Roth, NJW 1972, 921–926; Simitis, VersR 1972, 1087; Walz aaO. 34 Zur rechtlichen Problemstruktur des Umweltschutzes E. Rehbinder, Verursacherprinzip aaO (N. 6). Zum Rechtsschutzsystem vgl. auch E. Rehbinder/H. G. Burgbacher/ R. Knieper, Bürgerklage im Umweltrecht, Berlin 1972. Zur Prädominanz öffentlich-rechtlicher Regelungen in diesem Gebiet auch Walz aaO S. 216; Wälde, AöR 99 (1974) 585 ff. Allg. zum Problem des Umweltschutzes vgl. Zweigert/Gessner, Der Umweltschaden. Soziologischer Hintergrund und Wege zur Schadensverhütung und Ersatzleistung, in: Das Parlament, B. 30/75, S. 20–31. 35 Roth aaO, Simitis aaO. Aus der amerikanischen Diskussion im ähnlichen Sinn Michelman, Yale L. J. 80, 647 ff., (666 ff.). 36 Walz aaO, S. 208 ff.; Michelman aaO S. 679.
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(und der sozialen) Kosten zu definieren und durch Gerichte oder Marktteilnehmer zuverlässige Kosten-Nutzen-Rechnungen aufzustellen, und unbefriedigte Ansprüche an Verteilungsgerechtigkeit. 4. Das Weiterdenken des Umweltschutzproblems einer Internalisierung sozialer Kosten veranlaßte die Theorie der property rights, die grundsätzliche Bedeutung des Privateigentums zu verdeutlichen etwa in dem Sinn, in dem sie die utilitaristische Sozialphilosophie für die bürgerliche Erwerbsgesellschaft definiert hat. Die eigentumsrechtliche Zuweisung von Gütern ist Voraussetzung der Internalisierung bestimmter sozialer Kosten. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung bedeutet dies Privateigentum. Dieses ist nicht nur Voraussetzung für marktmäßigen Güteraustausch, sondern auch Bezugspunkt von Kosten- und Nutzenrechnungen37. An Beispielen ausgedrückt: Die Erhaltung von landwirtschaftlichen Nutzflächen, Wäldern, Wildbeständen kann durch die Zuordnung zu Privateigentümern gesichert werden. Denn diese nehmen aufgrund der Eigentumsgarantie für langfristige ökonomische Nutzung auch die Kosten für langfristige Bestandserhaltung in ihre Wirtschaftspläne auf38. In Weiterführung von Coase ergeben sich daraus Überlegungen, durch Konstitution von Eigentumsnutzungsrechten Umweltschutzfragen marktförmig zu lösen39. Dieses Konzept wird konkretisiert durch Vorschläge, privaten Nutzern bestimmte Umweltbelastungsrechte (Verschmutzungsrechte) in bezug auf bestimmte Umweltgüter (z. B. einen Fluß) zuzuteilen und diese Rechte auf einem konzentrierten Markt (Börse) handeln zu lassen40. Diese Lösung ist Einwänden sowohl hinsichtlich der technischen Leistungsfähigkeit des Verteilungssystems als auch hinsichtlich gerechter Verteilungsergebnisse ausgesetzt41. 5. Im Ergebnis liefert die economic analysis keine juristisch operationale oder in juristische Dogmatik übersetzbare ökonomische Theorie der privaten Eigentumsordnung. Aber sie zeigt ökonomische Aspekte auf, die juristisch relevant sind. Sie lassen sich in der Frage nach der Allokations- [317] wirkung der Eigentumsordnung zusammenfassen. Diese schien bei Coase vordergründig auf das Problem der Transaktionskosten reduziert. Im Laufe der Diskussion wurde aber stärker berücksichtigt, daß auch bei perfektem Markt (fehlenden Transaktionskosten) die ursprüngliche Zuteilung von Rechten (z. B. der Eigentumsnutzung) unmittelbare wirtschaftliche Distributionswirkung hat42. Noch wichtiger: Neben dem Ziel der effizientesten Verteilung Demsetz, Towards a Theory of Property Rights aaO (N. 21). Zugleich sind sie Adressaten von Normen des Umweltschutzrechts. Dazu unten bei N. 48. 39 Demsetz aaO. 40 Dazu Rehbinder, Verursacherprinzip, S. 134 f. mit Nachw. 41 Zutr. Rehbinder aaO. 42 Dazu Demsetz aaO mit rechtsethnologischen Demonstrationen; Calabresi/Melamed aaO, S. 1095 ff.; mit starken Einschränkungen Posner, S. 18 N. 1. – Dies ist richtig nicht nur, 37 38
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wurden sonstige, z. B. sozialpolitische Gesichtspunkte der Güterdistribution als konkurrierende Ziele der rechtlichen Eigentumsordnung eingeräumt43. Läßt man einmal die zweifelhafte44 wohlfahrtsökonomische Forderung nach pareto-optimaler Verteilungseffizienz der Eigentumsordnung beiseite, so bleibt die Frage nach der tatsächlichen Allokationswirkung der Eigentumsordnung. Eigentum teilt Ressourcen zu und konstituiert Gegenstände marktmäßigen Austauschs. Die ökonomische Analyse gewinnt hier einen anderen, sehr konkreten Sinn. Die Frage lautet dann: Welche Normen bestimmen die wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten des Privateigentums im einzelnen und welche Allokationswirkungen haben sie? Diese Normen gehören teils dem Privatrecht, teils dem öffentlichen Recht an. Es wird der Zivilrechtswissenschaft zunehmend bewußt, daß Privateigentum als „umfassendes Nutzungs- und Verwertungsrecht an einer Sache“45 nur zum Teil durch Privatrechtsnormen inhaltlich gestaltet oder eingeschränkt wird. Dazu zählt nicht nur Sachenrecht (Nachbarrecht), sondern auch Deliktsrecht und zwingende Normen des Vertragsrechts, z. B. soziales Mietrecht46. In größerem Umfang finden sich diese Normen im öffentlichen Recht. Beispiele bieten das neue Umweltschutzrecht und das Bau- und Bodenplanungsrecht47. Die ökonomischen Fragen lauten hier: Welche Vermögenszuteilungen und -verschiebungen bewirken diese Normen unmittelbar? Zweitens: Welche sekundären Folgen treten ein durch marktmäßige Umverteilungen, [318] welche an die rechtlichen Zuteilungen anschließen und sie als Datum nehmen? Die Antworten sind von Bedeutung nicht nur für eine verfassungsrechtliche Abgrenzung von Eigentumsschranken und Eigentumseingriff, sondern allgemein im Sinne einer Folgenkontrolle unter dem Gesichtspunkt, ob die erwartbaren Allokationswirkungen zu Ergebnissen führen, die den gesetzlichen Zielsetzungen zuwiderlaufen, ihnen entsprechen oder unter dem Gesichtspunkt individueller Freiheit neutral sind. Ein soziales Mietrecht etwa schränkt Eigentumsnutzung durch Vermietung aus primär außerökonomischen Gesichtspunkten (Recht auf Wohnung, Schutz sozial Schwächerer) ein. Hier schließt sich nicht nur die Frage nach der zulässigen Sozialbinweil Nutzungsmöglichkeiten zugeteilt werden, sondern vor allem, weil dem Berechtigten die ökonomisch „irrationale“ Dispositionsfreiheit verbleibt, ggf. seine weniger wertvolle Nutzung zu behaupten. Dazu auch unten V 3. 43 Calabresi/Melamed S. 1099 ff. Ein solches Ziel kann natürlich auch der Bestandsschutz historisch gebildeter Eigentumsverteilungen in der liberalen Erwerbsgesellschaft sein. Zu diesem Problem oben N. 29. 44 Zu Wertungen und Zielen der Privatrechtsordnung unten V. 45 Baur, AcP 176 (1976), 117 m. Nachw. 46 Allg. dazu Baur aaO. vgl. auch Calabresi/Melamed aaO und oben I. 3 a. E. 47 Zur Rolle des öffentlichen Rechts im Umweltrecht Rehbinder aaO; ders., Grundlagen des Umweltrechts, S. 32 ff.; Walz aaO, S. 216. Zur Inhaltsbestimmung des Eigentumsrecht an Grundstücken durch das öffentliche Bau- und Bodenplanungsrecht Badura, AcP 176 (1976), 119 ff.
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dung an, sondern nach den Auswirkungen auf den Investitionsgütermarkt für Mietwohnungen (Rückgang der Investitionen, Ausscheiden mittelständischer Wohnungseigentümer usw.). Die umstrittenen Planungswertgewinne bei Grundstücken verweisen auf die Allokationswirkung öffentlich-rechtlicher Eigentumsgestaltungen. Umgekehrt erscheint der Markt als sekundäres Regelungsinstrument in Teilbereichen des Umweltrechts adäquat. Wenn etwa durch Rechtsnormen dort soziale Kosten internalisiert werden und dies auf die Güterpreise durchschlägt, so wird der Markt durch Konsumentscheidung die endgültige Allokation – ob und wieweit ein gefährliches oder umweltbelastendes Gut weiter nachgefragt wird – vornehmen. Das letzte Beispiel weist auf die zunehmende soziale Funktion des Eigentums und anderer subjektiver privater Rechte: Sie werden zum Bezugspunkt inhaltsbestimmender Normen vor allem des öffentlichen Rechts, welche die Internalisierung externer Effekte bezwecken und Marktprozesse induzieren48. Angesichts dieser Befrachtung des Privatrechts mit öffentlichem Recht muß der Zivilrechtler prüfen, welche Freiräume der privaten Rechtsausübung gegenüber diesen Ansprüchen jeweils rechtspolitisch verteidigenswert sind. Es versteht sich, daß ökonomische Folgenanalyse von Rechtsnormen eher eine Frage der Rechtspolitik als der Rechtsanwendung im Einzelfall darstellt. Dem entspricht die eingangs (I 3) erwähnte Eigenschaft ökonomischer Analysen, nicht auf den (historischen) Einzelfall zu sehen, – den aber gerade das Recht entscheiden muß (!) – sondern auf die künftige Vielzahl von Fällen im Rahmen makroökonomischer Prognosen. Selbst für den Gesetzgeber ist die Berücksichtigung ökonomischer Folgenprognosen nur begrenzt möglich49. Für die Rechtsanwendung bleibt die Frage zu prüfen, wieweit bei der Inhaltsbestimmung von Eigentum Überlegungen der Marktkonformität tatsächlich eine Rolle spielen, sei es im [319] Sinne der Berücksichtigung der Höhe der Transaktionskosten, sei es im Sinne der Orientierung an vergleichbaren Marktbewertungen. In dieser Hinsicht wäre etwa die Rechtsprechung zum Nachbarrecht oder generell der „Wandel der Bindungen, die dem Eigentümer auferlegt sind“50, auf relevante Vorstellungen über ökonomisch richtige Allokation (z. B. im Rahmen der „Ortsüblichkeit“ oder „Zumutbarkeit“) hin zu überprüfen51.
48 Vgl. dazu etwa Wälde, Umweltschutz und Recht AöR 99 (1974), 585 ff.; ders., Rechtstheorie 1975, 227. 49 Vgl. unten N. 111. 50 Baur aaO, S. 118. 51 Diese Untersuchung kann hier nicht geleistet werden. Zweifel an einer rein ökonomischen Interpretation etwa der Kriterien des § 906 bei Walz aaO. – Zur nachbarrechtlichen Rechtsprechung allg. Mühl, Raiser-Festschrift, 159 ff.
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III. 1. In der Theorie des Vertrages rekapituliert die economic analysis klassische liberale Positionen. Der private Vertrag ist das Instrument für den marktwirtschaftlichen Güterverkehr und damit für die Allokation von Ressourcen im Sinne der Pareto-Optimalität. Seine instrumentale Funktion ist es, Parteien zu effizientem Verhalten in Tauschsituationen zu veranlassen. Dabei erbringt eine Vertragsrechtsordnung Rationalisierungseffekte durch Erleichterung der Vertragsverhandlungen (Senkung der Transaktionskosten) und der Wirtschaftsplanungen (Vertrauen auf Vertragsbindungen) der Parteien52. Die inhaltliche Richtigkeit von Verträgen wird – zum Teil unausgesprochen – im Sinne der wirtschaftlichen Effizienz verstanden: Wertsteigernder Austausch zur Nutzensmaximierung der Beteiligten führt zur pareto-optimalen Güterverteilung und -nutzung. Die Gewähr inhaltlicher Richtigkeit des Vertrags wird in der Freiheit der Entscheidung unter den Bedingungen des Wettbewerbs gesehen. Dementsprechend wird dem Zivilrecht neben der erwähnten instrumentalen Funktion eine beschränkte Ordnungsfunktion zugebilligt: es hat die Willens- und Entscheidungsfreiheit der Parteien als Voraussetzungen des Vertragsschlusses sicherzustellen, etwa durch Vorschriften über Geschäftsfähigkeit, Schutz bei Irrtum, Täuschung und Drohung etc.53. Die viel schwierigere Aufgabe der Herstellung und Erhaltung von Wettbewerb diskutiert Posner getrennt vom Problem des Vertragsinhaltes54. Die Instrumente zur Wettbewerbserhaltung sieht er allerdings nicht nur im Kartellrecht und in behördlicher Überwachung, sondern auch z. T. im Privatrecht, z. B. der class action im Dienst des Verbraucherschutzes55. [320] Das Problem der inhaltlichen Richtigkeit von Verträgen stellt sich nicht nur für die Äquivalenz der Leistungsgegenstände (Preisgerechtigkeit), sondern auch für die richtige Verteilung rechtlicher Pflichten und Lasten im Vertrag. Seine Lösung durch Wettbewerb wird gerade auch für das letztere Teilproblem optimistisch beurteilt. Langfristig werde sich unter den Bedingungen der Vertragsfreiheit eine marktrationale Verteilung von Vertragsrechten und -pflichten durchsetzen, auch wenn zunächst durch Parteien oder Gerichte eine unrichtige Verteilung vorgenommen worden sei56. Die primäre Allokationsleistung des Vertragsrechts wird also ähnlich wie die des Eigentums gering veranschlagt. Es entstünden lediglich zusätzliche Transaktionskosten insoweit, als dann die marktrationale Verteilung von Rechten und Pflichten Posner, S. 44 ff. AaO, S. 48 ff. 54 S. 104 ff. 55 S. 156 ff. 56 S. 44. 52 53
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im Vertrag (in Abweichung von vorgegebenem Vertragsrecht oder früheren Verhandlungen) nachträglich erkauft werden müsse. – Posner vertraut den Marktkräften auch bei der Lösung des Problems ungleicher Verhandlungsmacht der Vertragspartner und einseitig aufgestellter Vertragsbedingungen; Schutzprobleme seien dabei durch die allgemeinen privatrechtlichen Normen über Irrtum, Täuschung und Zwang lösbar57. 2. In der deutschen Diskussion hat sich gerade in den damit angesprochenen Problembereichen von AGB und Verbraucherschutz die heute viel beredete „Krise des liberalen Vertragsdenkens“ artikuliert58. Die von Posner geäußerte Hoffnung, funktionierender Wettbewerb löse auch die Probleme des Inhalts von einseitigen Vertragsbedingungen und AGB, wird hierzulande von wenigen geteilt59, die sich damit heftiger Kritik aussetzen60. Zu vermuten steht, daß gerade bei scharfem Preiswettbewerb Anbieter in eine Verschlechterung der Konditionen ausweichen61. Dies schließt nicht aus, daß Konditionswettbewerb zuweilen auch zugunsten der Verbraucher zustande kommt62. Aber in der Mehrzahl der Fälle besteht für den gewerblichen Anbieter kein Anreiz, dem Verbraucher günstige Konditionen anzubieten, die seine Kalkulation belasten und deren Werbewirkung gering wäre63. Empirisch ist dazu wenig bekannt und Posner bezeichnet nicht einmal das Problem, – was dem empirieabgewandten Mo- [321] delldenken der economic analysis entspricht. – Verhandlungsgleichheit zwischen gewerblichen Anbietern und Verbrauchern ist weniger eine Frage abstrakter wirtschaftlicher Machtverhältnisse, sondern beruht wohl vor allem auf Ungleichheit durch fehlende Organisation einer Marktseite (Verbraucher) verbunden mit der Unterschätzung der Risiken aus der Freizeichnung durch den Einzelnen. Es besteht heute fast Einigkeit, daß bei ungleicher Verhandlungsmacht (in diesem Sinn) und einseitig formulierten Vertragsbedingungen in AGB und Formularverträgen dem Konsens der Parteien eine Richtigkeitsgewähr nicht zugeschrieben werden kann64. Daraus ergibt sich die S. 53 ff., 50 ff. Vgl. etwa die Schrift gleichen Titels von Kramer, 1975. 59 Grunsky, Allgemeine Geschäftsbedingungen und Wettbewerbswirtschaft, BB 1971, 1113 ff.; ders., BB 1972, 189 ff. 60 Löwe, BB 1972, 185; M. Rehbinder, AGB und die Kontrolle ihres Inhalts, 1972, S. 72 f.; Emmerich, JuS 1972, 368; Kramer, aaO S. 44 f. m. Nachw. Vgl. aber Weitnauer, Der Schutz des Schwächeren im Zivilrecht, 1975, S. 44. 61 So auch Zöllner, AcP 176 (1976), 238 f. 62 Dazu – zu optimistisch – Grunsky aaO. 63 Zur geringeren Werbewirkung zutr. Kötz, Gutachten zum 50. Dt. Juristentag, München 1974, A 35. 64 Vgl. aus der umfangreichen Diskussion etwa M. Wolf, Rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit und vertraglicher Interessenausgleich, 1970; Kötz, Gutachten aaO; Kramer aaO (N. 58); ferner die Nachw. bei Zöllner aaO, S. 234 ff. – Zur Grundannahme inhaltlicher Richtigkeit des frei zustandegekommenen privaten Vertrags Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff. (149 ff.); ders., Raiserfestschrift (N. 1), S. 3 ff. 57 58
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Forderung nach Inhaltskontrolle durch ius strictum und staatliche Überwachung in Substitution fehlender Marktkräfte. Sie ist die zweite ordnungspolitische Forderung an das Privatrecht neben der aus ordoliberaler Position formulierten Forderung, im Privatrecht die Verwirklichung der Privatautonomie als Voraussetzung für funktionsfähigen Wettbewerb zu sichern65. Wir beschränken uns auf die Frage, ob sich für beide Aufgaben des Privatrechts, insbesondere die Inhaltskontrolle von Verträgen, verwertbare Kriterien aus der economic analysis gewinnen lassen66. Danach wäre eine Vertragsgestaltung dann marktrational, wenn sie die Transaktionskosten minimiert; die vertraglichen Pflichten und Lasten sind dann marktrational verteilt, wenn jeweils derjenige belastet ist, der dies kostengünstiger tragen kann. Marktrationale Inhaltskontrolle von Verträgen müßte also diese Kriterien anwenden in Fällen, in denen Privatautonomie faktisch nicht gesichert ist wegen ungleicher Verhandlungssituation. Wann dieser Fall zu bejahen ist, muß jedoch zuvor anhand selbständiger rechtlicher Wertungen entschieden werden, die u. a. an einem normativen Begriff der Privatautonomie und Treu und Glauben orientiert sind. Darin liegt bereits die Hälfte des Problems. Aber auch danach kann das genannte Kriterium marktrationaler Richtigkeit kein Patentrezept für die vertragliche Ver- [322] teilung von Pflichten und Lasten sein, zumal dieses Kriterium in einer hypothetischen Gedankenoperation (Kalkulation unter gedachter Verhandlungsgleichheit und Wettbewerb) angewendet werden soll. Der Kostenbegriff ist weniger eindeutig als es scheint, insbesondere wenn Risiken quantifiziert werden sollen67 oder wenn ideelle Interessen im Spiel sind. Ob es schließlich gelingt, alle inhaltlichen Gestaltungsfaktoren des Vertragsrechts auf die genannten Kriterien zu reduzieren und sozusagen Treu und Glauben in Marktrationalität zu übersetzen, erscheint auch bei Überdehnung des Kostenbegriffs zweifelhaft68. Nicht bestritten werden soll damit die Verwendbarkeit des genannten Kriteriums als ein juristisch relevanter Bewertungs- und Entscheidungsgesichtspunkt. 3. Die Verwertbarkeit der economic analysis liegt wiederum unterhalb von Gesamterklärungen in Hinweisen auf den ökonomischen Kontext 65 Zur Forderung der Inhaltskontrolle vgl. die Lit. zu den AGB in N. 64, zur Inhaltskontrolle bei Gesellschaftsverträgen H. P. Westermann, AcP 175 (1975) 376 ff., 407 ff. Zur ordnungspolitischen Funktion des Privatrechts als Voraussetzung für Wettbewerb Mestmäcker, JZ 1964, 441; AcP 168 (1968) 235. – Die spezielle Forderung nach organisierter Gegenmacht der Verbraucher kann aus beiden Ansätzen entwickelt werden; über einen Teilaspekt des letzteren Problems Mertens, ZHR 139 (1975), 438–475. 66 Diese Frage wird unabhängig davon gestellt, daß Posner (S. 53 f.) dem Problem unter Hinweis auf Wettbewerb und allgemeinen privatrechtlichen Schutz bei Irrtum und Zwang ausweicht. 67 Durch Diskontierung der zu erwartenden Kosten (Schäden) mit der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts. Zusätzlich sind Risikopräferenzen zu berücksichtigen. 68 Zum Verhältnis ökonomischer und rechtlicher Wertungen allg. unten V. 3.
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des Vertragsrechts69. Transaktionskostenminimierung als Gestaltungsfaktor be zeichnet ziemlich genau die ökonomische Unvermeidlichkeit kollektiv und stereotyp gestalteter Massenverträge und AGB70 gerade in einer Wettbewerbswirtschaft, aus der dann die genannten rechtlichen Ordnungsprobleme entstehen. Der ökonomische Leitgedanke für die Inhaltsgestaltung von Verträgen, daß nämlich Pflichten und Lasten stets dem zuzuweisen sind, der sie kostengünstiger tragen kann, mag in der Einzelentscheidung nur ein schwierig anzuwendendes Kriterium sein. Es ist aber zu vermuten, daß es sich in der Tat dabei um einen langfristig wirksamen Gestaltungsfaktor bei der Ausformung des Vertragsrechts durch Gesetzgeber und Gerichte handelt, der bei der Verteilung von Gefahrtragung, Prüfungs- und Rügepflichten, Aufklärungs- und Sorgfaltspflichten wirksam wird71. Dispositives Vertragsrecht hätte demnach gegenüber Freizeichnungen, die oft mit angeblichen ökonomischen Erfordernissen entschuldigt werden, die widerlegliche Ver- [323] mutung größerer Marktrationalität. Dies ist eine beachtliche ökonomische Hilfserwägung zur Rechtsprechung des BGH, der bei der Inhaltskontrolle von AGB auf dispositives Gesetzesrecht rekurriert72. – Daß der genannte ökonomische Gestaltungsfaktor sich im Inhalt von AGB in aller Regel nicht durchsetzt, ist Reflex der erwähnten Verhandlungsungleichheit. Obwohl der Produzent und gewerbliche Anbieter gewisse Risiken z. B. mangelhafter Produkte leichter (durch Qualitätskontrollen) vermeiden und kostengünstiger versichern oder kalkulatorisch auffangen könnte, überwälzt er sie durch Freizeichnungen auf den Verbraucher. Die Ersparnisse des Anbieters sind geringer als die Kosten (Präventionsaufwand, diskontierte Risiken) der Verbraucher. Der gewerbliche Anbieter nimmt sie dennoch in Anspruch, weil er Herr der Gestaltung der AGB ist und lieber seinen geringeren Schaden als den größeren der Kunden vermeidet73. Es kommt zur suboptimalen Allokation. 69 Dies wird in vielen hier nicht referierten Einzelanalysen zum Vertragsrecht bei Posner, aaO deutlich. Die folgenden Überlegungen versuchen eine selbständigerere Auswertung ohne direkte Anlehnung an Posner. 70 A. A. Emmerich, JuS 1972, 368, der meint, dem Unternehmen sei auch bei Massenverträgen das freie Aushandeln des Vertrags zuzumuten. Zu den bedeutenden Rationalisierungseffekten von AGB und Formularverträgen etwa Kötz, Gutachten A 23 ff. m. Nachw. 71 Als beliebiges Demonstrationsobjekt gegenwärtiger Rechtsbildung in diesem Sinn mögen die Verhandlungen von UNCITRAL über die Modernisierung der Haager Regeln von 1924 zum Seefrachtrecht dienen: Dort ist für die Frage, ob auch Haftung für nautisches Verschulden des Verfrachters aufgenommen werden solle, der Gesichtspunkt der kostengünstigeren Versicherungsform maßgebend. Vgl. dazu Herber, AWD 1974, 577 ff. (581). 72 BGHZ 41, 151 ff. (154 f.). Es versteht sich, daß dieser Rekurs oft nicht möglich ist. 73 Einzelheiten führen in das Gebiet des Haftungsrechts. Zu einem Ausschnitt davon (Unfallrecht) i. F. IV. Das Kalkulationsbeispiel von Kötz, Gutachten A 32 N. 51, ist wenig aussagekräftig. Es zeigt nur unter vereinfachten Voraussetzungen die simple Tatsache, daß der Unternehmer an vielen Geschäften mehr auf diese Weise erspart, als der Einzelkunde bei seinen wenigen Geschäften an Aufwand zu tragen hat.
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Wieweit die Übersetzung in Kategorien der economic analysis hier und sonst zu Lösungen führt, mag im einzelnen zweifelhaft sein. In jedem Fall aufschlußreich ist die Untersuchung unserer Rechtsprechung darauf, welche ökonomischen (marktrationalen) Vorstellungen hier – bewußt oder unbewußt – wirksam sind. Eine Analyse der Rechtsprechung des RG und BGH konnte etwa einen gewissen ordoliberalen Lernprozeß nachzeichnen, den die Gerichte bei der Entwicklung der Inhaltskontrolle von AGB, ihren Voraussetzungen und materiellen Kriterien durchlaufen haben, um schrittweise die fehlenden Marktvoraussetzungen und -regulative durch richterliche Kontrolle zu ersetzen74. – Lohnend wäre auch eine Analyse der Marktrationalität der Bereiche des Zivilrechts, in denen zwingende Normen des sozialen Schutzes einer Marktseite die Privatautonomie durch gerichtliche Kontrolle der Kontrahierungsfreiheit und Preisgestaltungsfreiheit einschränken, die zugleich aber marktpreisorientiert sind wie das Wohnraummietrecht, wo Kündigungsschutz und System der Vergleichsmieten kombiniert sind75. [324]
IV. 1. Im Bereich des Haftungsrechts für Unfallschäden ist der leitende ökonomische Gesichtspunkt die Frage der Minimierung der volkswirtschaftlichen Kosten dieser Schäden76. Sie umfaßt die Schadensprävention sowie die volkswirtschaftlich „richtige“ Distribution aller mit Prävention, „Beseitigung“ (Kompensation) und Verteilung von Schadensfolgen zusammenhängenden Kosten. Ihre Beantwortung erfordert erstens eine Feststellung der ökonomischen Auswirkungen rechtlicher Schadenszurechnungen und ihrer präventiven und kompensatorischen Funktionen, und zweitens eine Analyse der übergreifenden Schadensverteilungssysteme (Vorsorge- und Versicherungssysteme). Nach dem Begriffsapparat von Calabresi dienen Haftungsnormen einer „allgemeinen Abschreckung“ (general deterrence); anders als direkte Verbotsnormen (specific deterrence) lassen sie bestimmte gefährliche Tätigkeiten zu, bedrohen sie aber mit der Haftungssanktion. Dem einzelnen bleibt damit die Entscheidung darüber, ob er seine gefährliche Tätigkeit (Autofahren) angesichts der Kosten der implizierten Risiken (Schadensverhütungsaufwand, Versicherung, Schadensersatz) fortsetzen will und ökonomisch
74 D. Hart, Allgemeine Geschäftsbedingungen und Justizsystem, Diss., Frankfurt 1974. Die von Hart konstatierte Unmöglichkeit, das Problem allein durch Wettbewerb und justitielle Kontrolle zu lösen, entspricht der heute überwiegenden Meinung. 75 Vgl. §§ 556a, 564b BGB, Art. 3, §§ 1 und 2, 2. WKSchG v. 18.12.1974, BGBl. I 3603. 76 Calabresi, The Costs of Accidents. A Legal and Economic Analysis, 1970. S. auch N. 77.
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sinnvollerweise fortsetzen kann77. Die economic analysis sieht in diesem Handlungsspielraum einen wichtigen Ansatz für eine marktmäßige Bewertung von Risiken und damit marktförmige Kostenallokation. Allerdings wird insbesondere von Calabresi die vorgängige Allokationsleistung der Rechtsordnung anerkannt: Haftungsrecht nimmt durch Schadenszurechnung die Zuschreibung von Kosten zu bestimmten Tätigkeiten vor („what is the cost of what?“), und die Gerichte entscheiden durch die Bemessung des Schadensersatzes über die Höhe dieser Kosten78. Rechtliche Schadenszurechnung soll Kostenminimierung bewirken. Dabei werden drei Arten von Kosten unterschieden: die „eigentlichen“ Unfallschäden und der zu ihrem Ausgleich erforderliche Aufwand als „primäre“ Kosten und deren weitere sozioökonomischen Auswirkungen als sekundäre Kosten79; tertiäre Kosten sind die Transaktionskosten, die das jeweilige Schadenskontrollsystem (Rechtssystem, Markt) zur Prävention und Verteilung von Schäden verursacht. Für die Schadenszurechnung stellt Calabresi – unter dem Eindruck von [325] Coase – die Regel auf, derjenige solle haften, der den Schaden mit dem geringsten Kostenaufwand verhüten könnte (cheapest cost-avoider)80. Das ist im Sinne des Denkmodells von Coase derjenige, der die Kosten tragen würde, wenn vollständige marktförmige Risikoüberwälzung (ohne Transaktionskosten) möglich wäre. Es ist einer Hilfsüberlegung von Calabresi zufolge zugleich derjenige, bei dem die geringste Gefahr externer Kosten besteht, d. h. einer unkontrollierten Kostenüberwälzung unter Umgehung des Marktes. Beide Überlegungen sprechen z. B. dafür, die Haftung für Schäden aus gefährlichen Erzeugnissen den Herstellern aufzuerlegen, die das Risiko besser kontrollieren, sich leichter versichern und den Präventionsaufwand ggf. im Preis weitergeben können81. Unter dem Gesichtspunkt der Schadensprävention hat die economic analysis in den Streit um die subjektiven Zurechnungskriterien im amerikanischen Haftungsrecht – Gefährdungshaftung gegen Verschuldenshaftung – eingegriffen82. Das dort vorherrschende Prinzip der Verschuldenshaftung, das allerdings durch strenge Sorgfaltsmaßstäbe verobjektiviert ist83, ist vor 77 Calabresi, The Decision for Accidents: An Approach to Nonfault Allocation of Costs, 78 Harvard L. R. 713, 715 ff. (1975). 78 Calabresi, Costs of Accidents, S. 131 f., 198 ff. Dazu Michelman, 80 Yale L. J., 647– 686, 653 f. (1971). 79 Zum Begriff Calabresi, 78 Harvard L. R. 715; ders., Costs of Accidents, S. 27 ff., 39 ff.; Michelmann, S. 647. 80 Calabresi, Costs of Accidents, 140 ff.; Michelmann, S. 654. 81 Calabresi aaO, S. 166 (161 ff.). 82 Posner, Economic Analysis, S. 69 ff., 84 ff. Kritik der Verschuldenshaftung bei Calabresi, Costs of Accidents, Kap. 4–5; ders., Decision for Accidents, 78 Harvard L. R. 713 ff. 83 Übersicht bei von Hippel, Schadensausgleich bei Verkehrsunfällen, Berlin 1968, S. 3 ff. m. Nachw.
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allem durch die berühmte Fahrlässigkeitsdefinition von Learned Hand in eine für ökonomische Betrachtung geeignete Form gebracht worden: fahrlässig handelt der Unfallverursacher, wenn die entstandenen Schadenskosten, diskontiert mit der Wahrscheinlichkeit des Unfalls, den Kostenaufwand überschreiten, den die zur Vermeidung des Unfalls nötigen präventiven Maßnahmen erfordern84. Diese Definition ist nicht quantifizierbar und nicht „ökonomisch“. Aber es ist verständlich, daß man sie ökonomisch zu interpretieren sucht85. Sie ist der Formel vom „cheapest cost avoider“ ähnlich. Die ökonomische Interpretation erlaubt die Modellüberlegung im Sinne der ‚general deterrence‘, daß der von Haftpflicht bedrohte homo oeconomicus abwägt, ob Schadensprävention oder das Schadensersatzrisiko für ihn billiger ist. – Die präventive Wirkung von drohender Haftung wird allerdings gerade für Verkehrsunfälle wohl mit Recht stark in Zweifel gezogen, nicht nur wegen der Haftpflichtversicherung86. Der Gesichtspunkt dürfte aber praktisch wirksam sein für die Unfallhaftung von Unternehmen und vergleichbaren Trägern umfangreicher und gleichartiger Risiken mit entwickelter Kostenrechnung. [326] Bei der Ausgestaltung der rechtlichen Zurechnungskriterien wird ein objektivierender und klassifizierender Maßstab – und damit z. T. eine Überlegenheit der Gefährdungshaftung – vor allem aus drei Gründen vertreten: Eine streng individualisierende Zurechnung (i. S. einer reinen Verschuldenshaftung) ist ungeeignet zur Haftungsrisikoprognose bestimmter Tätigkeiten und kann damit nicht präventiv wirken; zweitens sind Klassifikationen (Risikogruppen, Schadensklassen) notwendig für Versicherungssysteme und erlauben diesen, eine gewisse präventive Wirkung zu entfalten; schließlich würde eine zu stark individualisierende Zurechnung zu einem übermäßigen Aufwand bei der Ermittlung der Haftpflicht im Einzelfall und damit hohen tertiären Kosten (Justizsystem) führen87. Weitere Überlegungen zu Schadenskontrollsystemen betreffen die Frage, ob und wieweit haftungsrechtliche Kostenallokation durch versicherungsrechtliche Schadensverteilungssysteme ergänzt oder abgelöst werden können, die volkswirtschaftlichen Auswirkungen einer weiten Kostendistribution 84 U. S. v. Carroll Towing Co., 159 F. 2d 169 (2d Circuit 1947); vgl. auch Conway v. O’Brien, 111 f. 2d 611, 612 (2d Cir 1940), rev. 312 US 492 (1941). 85 Posner, A Theory of Negligence, 1 J. Leg. Studies 29, 1972. 86 Zur Diskussion außer Calabresi Posner, Economic Analysis, S. 85. 87 Calabresi, Costs of Accidents, S. 286 ff.; Michelman, S. 657. – Ein strenges Verschuldensprinzip gibt dem Verursacher Verteidigungsmöglichkeiten mit der Folge, daß Schäden bei einem Erstbetroffenen verbleiben, der ihn weder optimal vermeiden konnte noch tragen kann. Calabresi aaO, S. 256; Michelman aaO gegen Posner, 37 University of Chicago L. R. 636 ff., 645 (1970). Zur versicherungstechnischen Notwendigkeit einer objektivierenden Typisierung der Haftung z. B. auch Kötz, Gutachten aaO, A 31 m. Nachw. Gleiche Haftungslücken wie eine strenge Verschuldenshaftung enthält natürlich auch eine tatbestandlich zu enge Gefährdungshaftung; vgl. die Forderung von Kötz, AcP 170 (1970) 1, 19 ff.
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(„Pulverisierung“) von Unfallkosten, und die Verträglichkeit dieser Funktionen mit dem Leitgedanken einer volkswirtschaftlichen Kostenminimierung durch Prävention und Kostenattribution an den cheapest cost-avoider88. 2. Weyers hält die aus der Theorie der sozialen Kosten abgeleiteten Überlegungen für den besten Zugang zu den ökonomischen Aspekten der Unfallschäden89, bejaht also insofern deren zivilrechtstheoretische Verwendbarkeit. Für diese war es förderlich, daß in der vor allem von Calabresi geführten Diskussion ein überspitzter „Ökonomismus“ vermieden wurde: Die Allokationsfunktionen des Rechts werden bei ihm besser gesehen ebenso wie die Schwierigkeiten der Bestimmung ökonomischer Größen (Schaden, Kosten). Es wird auch zugegeben, daß eine marktmäßige [327] Verteilung von Schadenstragungsrisiken im Sinne des Modells von Coase nur in engen Grenzen möglich ist, weil künftige Unfallbeteiligte meist in keinem vorgängigen sozialen Kontakt und jedenfalls in keiner Verhandlungsbeziehung stehen90. Dieser Einwand wird jedoch z. T. überschätzt91. Eine Vorstrukturierung möglicher beteiligter Gruppen durch Haftungsrecht und ihre Organisation in Risikogemeinschaften (durch Versicherungen und Vorsorgeeinrichtungen) läßt kollektive Verhandlungssituationen möglich erscheinen92: Daß die marktförmige Allokation von Risiken (aus Autounfällen, Arbeitsunfällen, Tankerkollissionen etc.) überhaupt möglich ist, daß Risiken kalkulatorisch erfaßt werden und dann marktförmig zu dem wandern, der sie am billigsten tragen kann, ist eine versicherungswirtschaftliche Binsenwahrheit93. Andererseits wäre es gerade in den sozialpolitisch wichtigen Fällen absurd, auf Marktmechanismen zur Ermittlung des cheapest cost avoider zu vertrauen. Man hat seinerzeit mit Argumenten der Gleichgewichtsökonomie die gesetzliche Einführung von Arbeiterunfallversicherungen in den USA als wirtschaftlich sinnlos bekämpft, weil die richtige Risikoverteilung bereits durch Lohn- und Preismechanismen plus Möglichkeit der Privatversicherung bewirkt werde. Damit ist ein weiterer wichtiger Einwand gegen den Ansatz 88 Calabresi, Costs of Accidents, S. 3 ff., 55 ff. Zu umfassenden Unfallschadenssystemen vgl. z. B. R. E. Keeton/J. O’Connell, Basic Protection for the Traffic Victim. A Blueprint for Reforming Automobile Insurance, 1965; W. Blum/H. Kalven, Public Law Prospectives on a Private Law Problem – Auto Compensation Plans, Boston 1965; Posner, Economic Analysis S. 86 (krit); in Deutschland vor allem Eike v. Hippel, Schadensausgleich bei Verkehrsunfällen. Haftungsersetzung durch Versicherungsschutz, 1968. 89 Unfallschäden aaO., S. 492. Zur ökonomischen Analyse des Unfallhaftrechts dort S. 481–534, insbes. S. 492 ff. sowie S. 458 ff. 90 Calabresi, Decision for Accidents, S. 731; dazu Weyers, S. 500. 91 Blum/Kalven, The Empty Cabinet of Dr. Calabresi: Auto-Accidents and General Deterrence, 34 U. Chicago L. R. 239, 250 (1966/67). 92 Calabresi, Decision aaO; S. 733 f.; ähnlich mit Einschränkungen Weyers, S. 500. 93 Voraussetzung ist, daß Risiken und mögliche Risikoträger zuvor klar definiert werden, also Marktteilnehmer und Leistungen feststehen; dies geschieht hauptsächlich unter Mitwirkung von Haftpflichtrecht.
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von Coase berührt: die marktförmige Verteilung ist notwendig blind gegenüber außerökonomischen Bewertungsfragen und damit auch sozialpolitisch unannehmbaren Folgen einer marktförmigen Risikodistribution94, insbesondere wenn schutzbedürftige Personenkreise sich nicht marktrational verhalten wollen oder können. 3. Als positiven Ertrag der genannten Theorie für das Unfallrecht bezeichnet Weyers die Gedanken Calbresi’s, Haftungsnormen am Gedanken der Schadensprävention zu orientieren, wobei er die Notwendigkeit der vorgängigen autonomen Bewertung von Risiken und Präventionszielen durch das Recht betont und eine Präventionswirkung von Haftungsrecht nur in begrenztem Rahmen für möglich hält95. Man kann dem im wesentlichen zustimmen. Es lohnt sich jedoch, ergänzend einige positive Anregungen einer ‚economic analysis‘ für das Unfallrecht hervorzuheben. Dabei ist daran zu erinnern, daß eine Betrachtung des Haftungsrechts [328] unter ökonomischen Gesichtspunkten für das juristische Denken bei uns keineswegs selbstverständlich ist und methodisches Umdenken verlangt. Eine ökonomische Betrachtungsweise gleich welcher Schulrichtung eröffnet u. a. die Möglichkeit, einzelne Haftungsnormen im Zusammenhang ganzer „Schadenskontrollsysteme“ (Haftungsnormen und Justizsystem, Vorsorgesysteme, Versicherungen) funktional zu betrachten; dabei können auch die nichtökonomischen sozialpolitischen Probleme verdeutlicht werden. In der deutschen Literatur zum Haftpflichtrecht ist diese globale, d. h. die größeren Zusammenhänge berücksichtigende Betrachtung, mit unterschiedlicher Zielsetzung in den Arbeiten von v. Hippel, Güllemann, Weyers und neuerdings Kötz angewendet worden96. Es scheint, daß künftig Unfallrecht ohne diese Perspektive nicht mehr zureichend diskutiert werden kann. Die Theorie der sozialen Kosten bietet an, Haftungsrecht als Instrument zur Internalisierung externer Kosten zu begreifen. Sie ist hier nur in geringerem Maß den üblichen und naheliegenden Einwänden ausgesetzt, die aus der Unschärfe der Begriffe der externen und der sozialen Kosten abgeleitet werden können. Denn Unfallschäden und Unfallkosten sind abgrenzbare und jedenfalls deutliche Phänomene97. – Unfälle liegen außerhalb des Marktgeschehens und sozusagen generell unter dem Verdacht, eine Externalisierung von Kosten zu bewirken. Man kann daraus – unter wirtschaftlichen wie sozialpolitischen
Weyers, S. 500, 532 ff., 536 ff. AaO S. 505 ff.; vgl. auch S. 501 ff. und zur Möglichkeit der Prävention durch Haftungsrecht grundsätzlich S. 458 ff. 96 v. Hippel, Schadensausgleich aaO; D. Güllemann, Ausgleich von Verkehrsunfallschäden im Licht internationaler Reformprojekte. Untersuchungen zur Einführung einer obligatorischen Unfall- und Sachversicherung, Berlin 1969; Weyers aaO; H. Kötz, Sozialer Wandel im Unfallrecht, Karlsruhe 1975 (Schriftenr. d. J.Stud.Ges. 125). 97 Ähnlich Weyers, S. 513. 94 95
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Gesichtspunkten – die allgemeine Folgerung ziehen, daß möglichst alle Arten von Unfallschäden in Schadensumverteilungssysteme einzubeziehen sind, um neben dem primär Betroffenen (dem ersten Schadensträger) weitere, ggf. „richtigere“ Schadensträger zu bestimmen. Dies kann sowohl durch Ausdehnung des Haftungsrechts als auch durch Ausdehnung der Versicherungs- und Vorsorgesysteme geschehen. Für beides gibt es Vorschläge98. Dies ist hier nicht auszudiskutieren, wohl aber zu zeigen, wieweit sich diese Diskussion mit Begriffen der economic analysis strukturieren läßt. Ausdehnung des Haftungsrechts kann erfolgen durch Erweiterung des Kreises der objektiven Haftungstatbestände und durch Verschärfung der Zurechnungskriterien i. S. der Gefährdungshaftung oder der Objektivierung und kasuistischen Ausdifferenzierung der Sorgfaltsmaßstäbe im Rah- [329] men der Fahrlässigkeitshaftung, was heute sowohl die amerikanische wie die deutsche Rechtsprechung kennzeichnet99. Für den Diskussionsstand ist der Vorschlag von Kötz zur Ausdehnung der Gefährdungshaftung kennzeichnend100. Der allgemeine ökonomische Vorteil im beschriebenen Sinn liegt in der Reduzierung externer Kosten durch Erfassung einer größeren Anzahl von Unfallschadensfällen. Die Objektivierung der Zurechnungskriterien fördert den Präventionsgedanken, wenngleich nicht der im Einzelfall optimale Schadensvermeider haftet. Eine Ausdehnung der Versorgungs- und Versicherungssysteme hat demgegenüber den Vorteil, daß noch mehr Unfallarten erfaßt und noch mehr externe Kosten reduziert werden können. Diese Ausdehnung entspricht der tatsächlichen Entwicklung sowohl in Deutschland wie auch in vielen anderen Ländern101. Ein weiterer Vorteil ist die Reduzierung der Kosten zur Ermittlung des (nach Haftungsrecht) richtigen Schadensträgers, also der Transaktionskosten, wenn man zugleich die Funktion des Haftungsrechts reduziert. Dies ist neuerdings eine, wenngleich vorsichtig formulierte, Forderung von Kötz. Er zieht aus der Tatsache, daß die Funktion des Haftungsrechts im Rahmen von Schadenstragungssystemen ständig zurückgeht, Haftungsrecht also überwiegend nur als Regreßrecht über die Schadensallokation zwischen Risikogemeinschaften (im Verhältnis von Haftpflichtversicherung und Vorsorgesystemen vor allem der Sozialversicherung) entscheidet102, den Schluß, 98 Zu ersterem z. B. Calabresi, Costs of Accidents, S. 311 ff.; Kötz, Haftung für besondere Gefahr, AcP 170 (1970), 1 ff. Zu neuen Sicherungssystemen v. Hippel, Güllemann, Posner, Economic Analysis, S. 84 ff. (krit.); Kötz, Sozialer Wandel im Unfallrecht aaO. 99 Zur Überdehnung der Fahrlässigkeitshaftung durch die Rspr. im deutschen Recht schon Esser, Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, 1941, S. 30 ff.; Kötz, AcP 1970 (1970), 9 ff.; für das amerikanische Recht Calabresi, Costs of Accidents, S. 4 ff. m. Nachw.; v. Hippel aaO (N. 83). 100 AcP 170, (1970) 1 ff. 101 Dazu Kötz, Sozialer Wandel aaO. 102 Dazu Weyers, S. 368 ff., 379 und passim; Kötz, Sozialer Wandel, S. 8 ff., 25 ff.
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daß die Zurechnungskriterien des Haftungsrechts im Verhältnis zu dieser Aufgabe zu kompliziert und zu aufwendig seien103. Anders ausgedrückt: Es entstehen zu hohe Transaktionskosten (tertiäre Kosten i. S. Calabresis). Kötz befürwortet die Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf alle schweren Unfallschäden von Personen bei Reduzierung der Regreßmöglichkeiten. Die Allokationsleistung i. S. Coase/Calabresi ist bei solchen perfektionierten Sicherungssystemen zweifelhaft. Denn der vielfach gepriesene Vorteil besteht gerade in der weitesten Verteilung der Schadensfolgen, der „Pulverisierung“ des Schadens. Man kann sagen: Externe Kosten, die einen Einzelnen (Unfallopfer) trafen, werden in soziale Kosten verwandelt. Es erfolgt bei reinen Versicherungs- und Vorsorgesystemen ohne zwischengeschobene Haftpflicht keine optimale Schadensallokation (best cost avoi- [330] der) und insofern keine Reduzierung der Sozialkosten. Eine Schadensprävention erscheint nicht möglich. Wer in den Gedankengängen von Coase arbeitet, wird globale Sicherungssysteme wegen ihrer Undifferenziertheit und mangelnden Allokationsleistung als volkswirtschaftlich suboptimal betrachten104. Andererseits lassen sich jedoch in solche Systeme Präventionsmechanismen einbauen durch Schadens- und Tarifklassen, Selbstbeteiligung usw., auch präventive Aufklärung, – man denke an die Überwachungs- und Gefahrensaufklärungsarbeit der Berufsgenossenschaften. Ferner wird man in der volkswirtschaftlichen Rechnung positiv verbuchen, daß schon die Entlastung der Unfallopfer soziale Lasten (sekundäre Kosten) beseitigt, die sonst ein mit dem Schaden alleingelassenes Unfallopfer verursachen kann. In der Zivilrechtsdogmatik wird bisher die Problematik außerökonomisch verhandelt unter dem Gegensatzpaar: Hier Selbstverantwortungsprinzip und (Verschuldens-)Haftung, dort Versorgungsdenken, das umfassende Versicherungssysteme fordert105. Festzuhalten bleibt, daß nicht nur in Haftungsrechtssystemen, sondern auch in Versicherungs- und Vorsorgesystemen eine vorgängige tatbestandliche Erfassung von Risiken, Schadensbeteiligten und Schadensträgern erfolgen muß, wobei nach der inzwischen vorherrschenden Erkenntnis die Kriterien dafür auch bei bewußt ökonomisch orientierten Schadenskontrollsystemen auf Wertungen außerökonomischer Natur beruhen. Gleichwohl scheint es im Bereich des Haftungsrechts lohnend, den ökonomischen Kontext künftig stärker zu beachten. Dies gilt sowohl für die Analyse der Rechtsprechung, – etwa wieweit diese im Unfallhaftungsrecht oder in der Produzentenhaftung dem Gesichtspunkt des ‚cheapest cost-avoider‘ folgt, – als auch allgemein für die Relevanz des Argumentes von der Belastung des „besten Schadensträ-
AaO S. 27, 29; vgl. auch Weyers, z. B. S. 401. Calabresi, Costs of Accidents, S. 46 f., 284 f. u. passim. 105 Zu dieser Argumentation krit. Kötz, Sozialer Wandel aaO, S. 50. 103 104
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gers“ im Haftungsrecht106. Ferner: Unterschiedlicher Grad und Umfang der Haftung bedeutet unterschiedliche Externalisierung von Kosten und damit unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen; diese Frage spielt etwa bei der Angleichung der Produkthaftung innerhalb der EWG eine Rolle107.
V. 1. Die economic analysis of law bestimmt die öffentliche Funktion des Privatrechts nach deren Güterverteilungsleistung im Rahmen einer Markt- [331] wirtschaft. Leistungskriterien sind die (pareto-)optimale Allokation von Ressourcen und die Minimierung von sozialen Kosten. Unter diesen Gesichtspunkten werden Aufgaben einer marktrationalen Gestaltung des Rechts formuliert. Die economic analysis kann dabei jedoch nicht die vollständige Übersetzung juristischer Bewertungen in ökonomische Kategorien leisten. Dies wird auch z. T. zugegeben108 und ist in der Literatur bereits mehrmals festgestellt worden109. Die economic analysis gelangt jedoch zu neuen Fragestellungen und gewissen deskriptiven Leistungen, wobei die Theorieaspekte je nach dem Gegenstand wechseln: Im Eigentumsrecht ist Ausgangspunkt die Frage der Internalisierung externer Effekte bei der Inhaltsbestimmung des Eigentums unter Berücksichtigung von Markthemmnissen (Transaktionskosten), beim Vertrag ist leitender Gesichtspunkt die Minimierung der Transaktionskosten, beim Haftungsrecht die Kostenprävention im Hinblick auf rechtliche Zurechnungskriterien und Schadenstragungssysteme. Hier liegen Möglichkeiten privatrechtstheoretischer Auswertung in Theorien „mittlerer Reichweite“, insbesondere Strukturierung der Diskussion nach ökonomischen Gesichtspunkten. Diese Auswertung ist um so fruchtbarer, wenn man die Gefahren der Scheinpräzision bestimmter ökonomischer Terminologien nicht übersieht und nicht um jeden Preis versucht, bewährte Arbeitsbegriffe der juristischen Dogmatik durch des Kaisers neue Kleider aus der Kammer der economic analysis zu ersetzen. 2. Der Begriff der sozialen Kosten ist weder ein operationaler ökonomischer Begriff noch eine bloße Leerformel. Er hat vielmehr eine heuristische Funktion: er weist auf Probleme der Sozialgestaltung durch Recht hin und Vgl. zu den ganz unterschiedlichen Kriterien des „besten Schadensträgers“ in der Diskussion (optimale Schadensrisikokontrolle, Versicherungsmöglichkeit, Möglichkeit der Überwälzung im Preis, Risikogemeinschaft, allgemein größere Finanzkraft – ‚deepest pocket‘ –) Calabresi, S. 39 ff., Weyers, S. 517 ff. 107 G. Meier, RIW/AWD 1976, 201. 108 Nicht bei Posner, Economic Analysis, wohl aber bei Calabresi, z. B. in: Costs of Accidents, S. 18 ff. 109 In diesem Sinne Walz aaO; Weyers z. B. S. 505, 508; Rehbinder, Verursacherprinzip, passim. 106
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bezeichnet insofern in der Tat auch öffentliche Funktionen des Privatrechts: Bestimmten Wertverzehr mit rechtlichen Mitteln in den wirtschaftlichen Umverteilungsprozeß einzubringen (Internalisierung durch Inhaltsbestimmung von subjektiven Rechten und durch Haftung). Damit ist zugleich eine primäre Allokationsleistung des Rechts bezeichnet als Teilaspekt der grundsätzlichen Funktion des Rechts, Marktgegenstände überhaupt erst zu konstituieren. Dieser Vorgang kann seinerseits nicht auf ökonomische Wertungen zurückgeführt werden110. Er ist marktrational nur in dem Sinn, als Rechtsbildung zugleich eine Folgenprognose erfordert, welche Marktprozesse sich an rechtliche Zuteilungen anschließen111. [332] Ein Teil der Internalisierung durch Recht erfolgt heute mit den Mitteln des öffentlichen Rechts: Bestimmte private subjektive Rechte werden zunehmend vom öffentlichen Recht her geprägt; Privatrecht dient als Katalysator für Marktwirkungen des öffentlichen Rechts112. Der von Coase entwickelte Ansatz einer marktrationalen Lösung des Problems der sozialen Kosten stößt an die Grenzen, die grundsätzlich der Leistungsfähigkeit des Marktes gesetzt sind. Güter, von deren Inanspruchnahme niemand ausgeschlossen werden kann – dazu gehören die meisten Staatsleistungen, aber auch wohl zahlreiche Umweltgüter – und die in der Fiskaltheorie als öffentliche Güter bezeichnet werden, widersetzen sich einer Marktinternalisierung mit rechtlichen Mitteln113. Hier sind Eingriffe des öffentlichen Rechts durch direkte Verbote und marktferne Umverteilungen (Abgaben und Subventionen) unvermeidlich. Sofern die Marktinternalisierung gelingt, ist stets zu fragen, ob die Voraussetzungen für die Leistungsfähigkeit des Marktes im Hinblick auf das anstehende Verteilungsproblem (Wettbewerb, Einkommensverteilungen) bejaht werden können114. 3. Recht und Markt sind komplementäre Teilsysteme des gesamtgesellschaftlichen Handlungssystems. Markt setzt voraus, daß die Rechtsordnung überhaupt Freiheitsräume wirtschaftlichen Handelns zuläßt115. Privatrecht ist – soweit es Privatautonomie gewährt und gestaltet – auf diese zugeschnitten. Die economic analysis geht, soweit sie als vollständige Theorie marktrationalen Rechts konzipiert ist (Posner), davon aus, daß alle Bewertungen, die den Handlungen im Gesamtsystem zugrunde liegen, ökonomisch aufgefaßt Vgl. auch unten V 3. Allg. zur Möglichkeit solcher Folgenprognosen etwa Hopt, JZ 1972, 65 ff. und BB 1972, 1017; Wälde, Entscheidungstheoretische Perspektiven für die Rechtsanwendung, Rechtstheorie 1975, 205 ff., 227. 112 Vgl. oben II bei N. 48. 113 Zutr. Walz aaO, S. 206, m. Nachw. 114 E. Preiser, Wirtschaftspolitik heute, München 1967, S. 190 f.; E. J. Mishan, Pareto Optimality and the Law, Oxford Economic Papers 1967, S. 255 ff. 115 Krüsselberg, in: D. Grimm, Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften 1, 2. Aufl. München 1976, S. 182 ff. 110 111
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werden können und daß alle Einzelwertungen der Wirtschaftssubjekte im dezentralen Bewertungssystem der Marktwirtschaft in einer gesamtgesellschaftlichen Nutzenfunktion darstellbar sind. Beides ist zu bezweifeln. Es überschreitet die Kompetenz des Juristen, die in der neueren Wohlfahrtsökonomik diskutierte Möglichkeit einer gesamtwirtschaftlichen Nutzenfunktion, die unter anderem die Möglichkeit eines intersubjektiven Nutzenvergleichs voraussetzt, theoretisch zu widerlegen116. Aber seine Zuständigkeit ist berührt, wenn alle Wertungen des Rechts in ökonomische Wertungen übersetzt werden. Die Suggestion dieser Möglichkeit hängt mit einem von der utilitaristischen Sozialphilosophie ausgewerteten anthropologischen Sachverhalt zusammen: Alle Wertungen, [333] die ökonomischem Handeln zugrunde liegen, sind zunächst außerökonomischer Natur; ihnen liegen – elementare oder sublime, egoistische oder ethisch-motivierte – Bedürfnisse zugrunde, aus denen sich erst über verknappende Nachfrage Wirtschaftsgüter konstituieren. Diese vorökonomische Ununterscheidbarkeit von Wertungen führt bei Posner zu dem falschen zweiten Gedankenschritt, alle Wertungen – auch im Recht – einheitlich ökonomisch zu deuten mit z. T. grotesken Ergebnissen117. Die praktische Verwertbarkeit der economic analysis hängt zum guten Teil davon ab, daß die grundsätzliche Unterscheidung von rechtlichen Entscheidungen und Marktentscheidungen in die Betrachtung wieder eingeführt wird. Marktwirtschaftliche Entscheidungen werden durch Marktstimmen hergestellt, rechtliche Entscheidungen prinzipiell aufgrund formalisierten politischen Konsenses. Dieser entscheidet darüber, wieweit im politischen Gesamtsystem wirtschaftliche Handlungsfreiheit – rechtlich: Privatautonomie – besteht und damit Marktwirtschaft möglich ist. Dieser Freiheitsraum ist in den westlichen Rechtssystemen prinzipiell hoch bewertet, nicht nur weil der Marktwirtschaft die Koordination wirtschaftlicher Verteilungsprozesse im großen Umfang zugewiesen wird, sondern auch wegen der hohen politischen Bewertung der individuellen Freiheit. Privatrecht kann nicht ausschließlich auf marktwirtschaftliche Effizienz ausgerichtet sein, und zwar nicht nur deshalb, weil Privatautonomie durch Gemeinschaftswerte mit den Mitteln des Privatrechts und öffentlichen Rechts begrenzt werden muß. Vielmehr schützt Privatrecht den Gebrauch der Privatautonomie in den ihr zugewiesenen Grenzen auch insoweit, als der einzelne Rechtsinhaber von ihr entgegen Marktbewertungen Gebrauch macht. Privatrecht ermöglicht damit dezentrale Entscheidungen nicht nur 116 Krit. H. Albert, Politische Ökonomie und rationale Politik, in: Festschrift Wessels 1967, S. 59 ff., 66 ff.; vgl. auch Krüsselberg aaO, S. 187. 117 Posner beschränkt sich auf verbale Vorbehalte gegen einen solchen Wertmonismus; vgl. z. B. S. 100 und Vorwort; vgl. andererseits aber z. B. S. 357 ff. (preistheoretische Diskussion der Kriminalstrafen).
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i. S. marktwirtschaftlicher Effizienz, sondern auch dezentrale marktinkonforme Entscheidungen. Es bietet auch insoweit Chancen dafür, daß unser soziales Leben nicht von ökonomischen Effizienzvorstellungen überrannt und deformiert wird. Ob sich die vom Recht vorgenommenen oder sanktionierten marktinkonformen Bewertungen als Mittel der Sozialgestaltung bewähren, ist allerdings auch im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Allokationswirkung und marktwirtschaftlichen Folgen zu überprüfen. Dazu kann eine ‚economic analysis‘ beitragen.
In ORDO Bd. 30, 1979, S. 313–324
Aktienrecht und Entwicklung der Großunternehmen 1860–1920 Über Zusammenhänge rechtlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen beim Übergang zum modernen Industriestaat In ORDO Bd. 30 (Festschrift für Friedrich August von Hayek) 1979, S. 313–324 Die Rechtsordnung des bürgerlichen Rechtsstaates gehört zu den wesentlichen Funktionsbedingungen der Marktwirtschaft. Die ständig neue Ordnungsaufgabe des Rechts, diese Funktionsbedingungen als Grundlage persönlicher Freiheit und allgemeiner Wohlfahrt zu erhalten, ist ein Hauptproblem der modernen Industriegesellschaft, in der einerseits die ökonomischen und sozialen Möglichkeiten der Marktwirtschaft ständig erweitert wurden, zugleich aber auch ständig Kräfte zu ihrer Beseitigung entstehen. Dem bereits von Adam Smith betonten Zusammenhang von Rechtsordnung und Marktwirtschaft hat Friedrich A. v. Hayek in seinem wissenschaftlichen Werk stets große Aufmerksamkeit gewidmet.1 Im folgenden sollen einige Aspekte dieses Zusammenhangs in historisch vergleichender Perspektive skizziert werden.2 Der Übergang zur modernen Industriewirtschaft ist eng verknüpft mit der Entwicklung von Großunternehmen als Strukturelementen des sozioökonomischen Systems. Dieser Vorgang ist historisch relativ jung; er vollzog sich in den westlichen Industrieländern Deutschland, England, Frankreich und den USA ungefähr zwischen 1860 und 1920 in Fortsetzung früherer, nach der Jahrhundertmitte allmählich beschleunigter Industrialisierungspro-
1 Nur als Beispiel, das allerdings zum Folgenden in enger sachlicher Beziehung steht, sei v. Hayeks Plädoyer für eine Stärkung der Rechtstellung der Aktionäre im Interesse einer volkswirtschaftlich richtigen (marktförmigen) Kapitalallokation genannt; ders., The Corporation in a Democratic Society, in: Management and Corporations 1985 ed. Ashen/Bach, 1960, S. 99 ff. Dieses Argument war etwa in der deutschen Aktienrechtsreform 1965 von Bedeutung. 2 Der folgende Text wurde am 29.9.1978 auf dem Deutschen Rechtshistorikertag in Berlin vorgetragen und um Fußnoten ergänzt. – Weiterführende Untersuchungen zum Thema finden sich in dem demnächst erscheinenden Sammelband: Horn/Kocka (Hg.), Recht und Entwicklung der Großunternehmen 1860–1920. Kritische Studien zur Geschichte, Göttingen 1979.
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zesse.3 Zu Beginn dieses Zeitraums sind Großunternehmen mit, sagen wir [314] über 1000 Arbeitnehmern die seltene Ausnahme, die nur in wenigen Wirtschaftszweigen zu finden ist, wie in der eisenverarbeitenden Industrie (Borsig, Krupp). Am Ende des Zeitraums sind industrielle Großproduktion, Großunternehmen und Unternehmensverbindungen prägende Elemente der Volkswirtschaft. Zur typischen und vorherrschenden Organisationsform der Großunternehmen wird die Kapitalgesellschaft in Form der AG, société anonyme, stock company, corporation. Zum Beispiel waren unter den hundert größten Unternehmen in Deutschland 1887 und 1907 rd. 90% als Kapitalgesellschaft organisiert, zumeist als AG, weniger häufig als Gewerkschaft, Kommanditgesellschaft aA oder GmbH.4 Die AG weist hier nach der Jahrhundertwende die größten Betriebseinheiten auf. Das eingezahlte Kapital aller AGs, das 1873 rd. 1,2 Milliarden Mark betrug, war 1913 rd. zehnmal so hoch. Auch in den USA wurde die corporation zur dominierenden Rechtsform der sich ab 1880 entwickelnden Großunternehmen; in England wurde die stock company zu dieser Zeit namentlich für Unternehmenszusammenschlüsse genutzt.5 Der Anteil des Rechts an der Entwicklung der Großunternehmen soll in drei Schritten thesenartig skizziert werden: (I) durch eine rechtsvergleichende Charakterisierung der Aktienrechte in der Ausgangslage des Zeitabschnitts; (II) durch Fragen nach der gesamtwirtschaftlichen Funktion des Aktienrechts im Hinblick auf neuere Theorien zum Verhältnis von Wirtschaft und Recht; (III) durch die rechtshistorische Kommentierung spezieller wirtschaftshistorischer Theorien der Entwicklung der Großunternehmen.
3 Vgl. allg. W. G. Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, Berlin 1965, insbes. S. 62 ff., K. Borchardt, Die industrielle Revolution in Deutschland, München 1972; J. Kocka, Unternehmer in der deutschen Industrialisierung, Göttingen 1975, S. 88 ff.; M. Hacker, The Course of American Economic Growth and Development, New York 1970, S. 172 ff.; S. Landes, Technological Change and Devel opment in Western Europe, 1750–1914, in: The Cambridge Economic History of Europe VI/I. Cambridge 1966, S. 421 ff., D. North, Industrialisation in the United States, ebenda VI/II, S. 693–705. – Die Periodisierung dient primär als zeitliches Raster der Betrachtung. Sie erscheint auch sachlich vertretbar, begegnet allerdings zwei Einwänden: erstens hat sich die Zunahme von Anzahl und Größe der Unternehmen in fließenden Übergängen vollzogen, nur undeutlich akzentuiert durch Gründungs- und später Konzentrationswellen; zweitens ist die wirtschaftliche Ausgangslage der vier betrachteten Länder zunächst noch unterschiedlich; dazu auch i. F. 4 Nach neueren Untersuchungen von Kocka und Siegrist, in: Horn/Kocka a.a.O. Vgl. zum Folgenden auch R. Passow, Die Aktiengesellschaft2, Jena 1922, S. 29. 5 Vgl. für die USA z. B. A. A. Berle/G. C. Means, The Modern Corporation and Private Property, New York 1933; für England B. C. Hunt, The Development of the Business Corporation in England 1800–1867, Harvard 1936; L. Hannah, Mergers in British Manufactoring Industry 1880–1918, in: Oxford Economic Papers 26/1, 1974, S. 1–20.
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I. Die Aktienrechte der vier betrachteten Länder unterliegen namentlich in der Anfangsphase des hier betrachteten Zeitraums (also ca. 1860–1875) ganz gleichartigen Entwicklungstendenzen. Überall schuf eine neue Aktiengesetzgebung die Grundlage für die freie Verfügbarkeit der AG als Organisationsinstrument für Unternehmen: in England die umfassende Regelung des Companies Act von 1862 (unter Einbeziehung gesetzgeberischer Schritte seit 18446); in Frankreich nach halbherzigen Gesetzen von 1856 und 1863 die loi sur les sociétés von 1867 als ausführliche Ergänzung der rudimentären Regelung im Code de Commerce7; in Deutschland die erste einheitliche Regelung des Aktienwesens im ADHGB (1861) und seine Liberalisierung durch die Novelle von 18708; in den [315] USA die etwa 1875 abgeschlossene liberalisierende Aktiengesetzgebung der Einzelstaaten «to incorporate for any lawful purpose».9 Fast gleichzeitig beendete die Gründungsfreiheit die in allen vier Ländern geführte Jahrhundertdebatte um die freie Zulassung der juristischen Person für wirtschaftliche Zwecke. Dieses Ergebnis wurde auf durchaus unterschiedlichen Wegen erreicht. Auf dem Kontinent wurde das in den sechziger Jahren gelockerte System staatlicher Konzessionierung abgelöst. A l’avenir, les sociétés anonymes pourront se former sans l’autorisation du gouvernement.10 In England und den USA war das System der Einzelverleihung (octroi) seit den vierziger Jahren zurückgedrängt worden.11 Haupthindernis der Gründungsfreiheit in England blieb die abschreckende unbeschränkte Haftung der Aktionäre. Diese wurde bereits durch Gesetze von 1855 bis 1857 beseitigt; der Companies Act von 1862 registriert nur dieses Ergebnis, gepriesen als «a masterpiece of legislation ... to throw open to all the coveted privilege of carrying on business with limited liability».12 Auf dem Kontinent war v. 7.8.1862, 25 & 26 Vic., c. 89. Vgl. auch Fußnoten 11 u. 12. Gesetz No. 15.328 v. 24.7. 1867, Bulletin des Lois No. 1513, tome 30 (1867), S. 95. Vorausgegangen war die Regelung im Code de Commerce (Art. 29–40), ein Gesetz über Kommanditgesellschaften auf Aktien v. 1856 und ein Gesetz über die freie Gründung kleiner Aktiengesellschaften von 1863. 8 Novelle v. 11.6.1870, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Nr. 21, S. 376–386. 9 Überblick bei Brandeis, Dissenting Opinion in: Liggett Co. v. Lee, 288 US 516, 548 ff. (555). 10 Art. 21, Lois sur les sociétés v. 1867. In Deutschland Änderung von Art. 208 ADHGB durch die Novelle von 1870. 11 England: Joint Stock Companies Act 1844 (7 & 8 Vic., c. 110); USA: die einzelstaatlichen Verfassungen begannen ab 1846 das octroi-System zu verbieten; G. H. Evans, Business incorporation in the US 1800–1943, New York, 1948, S. 11. 12 S. B. Palmer, Company Law, London 18982, S. 8. Haftungsbeschränkung brachte bereits der Limited Liability Act v. 14.8.1855 (18 & 19 Vic., c. 193) und die Joint Companies Acts von 1856 und 1857 (19 & 20 Vic., c. 47; 20 & 21 Vic., c. 17). 6 7
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umgekehrt die beschränkte Haftung der Aktionäre seit dem Code de Commerce kein rechtstechnisches Problem des Aktienrechts, wenngleich sie lange Zeit Gegenstand wirtschaftspolitischer Bedenken und damit Rechtfertigung des Konzessionssystems geblieben war. Die neuen Aktienrechte stimmen ferner in der Tendenz überein, das Organisationsrecht der AG stärker durch objektive Normen zu regeln, während es zuvor weithin der Satzung oder dem Einzelverleihungsakt vorbehalten war. Der Aktienrechtler Klein hat daher einmal die neuen Aktienrechte als «nachklassisches Aktienrecht» bezeichnet.13 Unter Organisationsrecht i.e.S. sind dabei die Normen zu verstehen, welche die für die Kapitalgesellschaft handelnden Personen und deren Rechtsmacht und Verantwortlichkeit festlegten. Das kontinentale Recht geht in dieser Tendenz allerdings deutlich weiter als das angelsächsische Recht. Der Companies Act von 1862 etwa gibt für viele dieser Fragen nur eine dispositive Regelung im Gesetzesanhang (Table A). Schließlich liegt den Aktienrechten trotz aller rechtstechnischen Unterschiede ein im ganzen ähnliches Organisationsmodell zugrunde. Danach hat die AG erstens ein zentrales, regelmäßig kollegiales Geschäftsführungsorgan: Vorstand, conseil d’administration, board of directors. Zweitens sollen die Mitglieder dieses Organs im Interesse der Gesellschaft und ihrer Aktionäre handeln: als «mandataires», als «Organ» oder als «trustee». Der Versammlung der Aktionäre schließlich sind bestimmte grundsätzliche Entscheidungen Vorbehalten. In Deutschland führt dies zur Betonung der Generalversammlung als oberstes Willensorgan der AG in der Novelle von 188414, während im Bereich des [316] common law eine Kompetenzteilung mit originären Verwaltungsrechten des board of directors anerkannt blieb.15 Die hier skizzierten gleichartigen Entwicklungstendenzen der Aktienrechte in den vier betrachteten Ländern spiegeln ähnliche Industrialisierungsprozesse mit gleichartigen Organisationsbedürfnissen, den allgemeinen Sieg des wirtschaftspolitischen Liberalismus und schließlich rechtsvergleichende Lernprozesse.16 Andererseits traf diese ähnliche Gesetzgebung auf durchaus noch unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungsgrade: in den sechziger Jahren besaß England noch immer einen beträchtlichen Vorsprung
13 F. Klein, Die neueren Entwicklungen in Verfassung und Recht der Aktiengesellschaft, Wien 1904, S. 15. 14 Allg. Begründung zur Aktiennovelle 1884 in: Anlagen zu den Verhandlungen des Reichstags Band 78, 1884, S. 233 ff. (293). 15 Automatic Self-Cleansing Filter Syndicate Company v. Cunninghame (1906), 2 Ch. 34, C. A.: «the directors alone shall manage!» Schon in Foss v. Harbottle ist die Verantwortlichkeit der von der Aktienmehrheit gestützten directors gegenüber einzelnen Aktionären verneint. 16 Zu letzterem demnächst H. Coing, Rechtsvergleichung als Grundlage von Gesetzgebung im 19. Jahrhundert, in: Jus commune VI (1979).
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im Industrialisierungsgrad und in industriewirtschaftlicher Erfahrung; auf dem Kontinent führt dahinter Frankreich; die USA und Deutschland beginnen aber aufzuholen und überflügeln im gesamten Betrachtungszeitraum die anderen Staaten sowohl in den gesamtwirtschaftlichen Zuwachsraten wie in den Industrialisierungsfortschritten.17
II. Die Frage nach den unmittelbaren wirtschaftlichen Vorbedingungen und Auswirkungen der neuen Aktiengesetze, insbesondere der Gründungsfreiheit, führt zu der grundsätzlichen Frage nach dem Verhältnis von Wirtschaftsentwicklung und Bildung von Wirtschaftsrecht. Diese wird von einer neueren Schule der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, die unter dem Stichwort «property rights theory» bekannt geworden ist, neu formuliert.18 Im Gegensatz zum herkömmlichen marxistischen Ansatz, der die Rechtsentwicklung als reine Funktion der Wirtschaftsentwicklung ansieht, betont sie die selbständige Bedeutung der institutionellen Vorgaben, die (auch) das Recht für Wirtschaftsabläufe liefert, und spricht ihnen eine entscheidende Rolle zu. In der Betonung des institutionellen Ansatzes berührt sie sich teilweise mit der historischen Schule der Nationalökonomie, übertrifft diese allerdings in der Betonung der Rolle des Rechts. Die Verifizierung dieses Ansatzes durch Detailanalysen von Gesetzgebungsvorgängen und Gerichtsurteilen steht noch aus. Auch ein Blick auf Wirtschaftsentwicklungen im zeitlichen Zusammenhang mit den Gesetzgebungsvorgängen führt nicht zu einer eindeutigen Antwort i. S. eines Kausalnexus auf die Frage, ob Recht Wirtschaftsabläufe hervorbringt oder umgekehrt Wirtschaftsabläufe sich ihr Recht schaffen.19 Der Companies Act 1862 war von einem Gründungsboom bis 1866 gefolgt20, die deutsche Aktiennovelle von 1870 bekanntlich vom Gründungsfieber und anschließendem Gründungskrach von 1873.21 Gründungsboom und anschließende Krise sind jedoch nur z. T. durch die Sig- [317] nalwirkung der Novelle von 1870 und
Allg. Nachweise dazu oben Fußnote 3. D. C. North/R. P. Thomas, The Rise of the Western World. A New Economic History, Cambridge (Mass.) 1973; K. Borchardt, Der «Property Rights-Ansatz» in der Wirtschaftsgeschichte, in: J. Kocka (Hg.), Theorien in der Praxis des Historikers, Göttingen 1977, S. 140 ff. 19 Zum Zusammenhang von wirtschaftlicher Entwicklung und Spekulation mit der Rechtsentwicklung vgl. schon R. Ehrenberg, Die Fondsspekulation und die Gesetzgebung, Berlin 1883, S. 127 und passim. 20 B. C. Hunt, a.a.O., S. 144 ff. 21 Vgl. Allg. Begründung zur Novelle 1884 a.a.O. 17 18
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ihre unzureichenden Gründungsvorschriften zu erklären. Allgemeiner Wirtschaftsboom und der Sieg von 1871 als politische Mitursache sind einzurechnen und immerhin verläuft in Österreich Gründungsboom und Krise zeitlich parallel trotz fortbestehenden Konzessionssystems.22 Umgekehrt geht bereits dem ADHGB eine in den fünfziger Jahren deutlich verstärkte Gründungstätigkeit von Aktiengesellschaften voraus. In den USA schließlich sind die Gründungs- und Expansionswellen der sechziger und frühen siebziger Jahre wohl aus selbständigen wirtschaftlichen Ursachen zu erklären und daneben im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg zu sehen; Gründungsfreiheit und Entwicklung der Aktienrechte erscheinen also eher als Folge denn als Startsignal wirtschaftlicher Entwicklungen. Ähnliches gilt wohl für Frankreich im Hinblick auf das Gesetz von 1867. Der «property rights-Ansatz» scheint leichter diskutierbar und erfolgversprechender, wenn man statt der Rechtsbildungsvorgänge die Rechtsinhalte und damit die Institutionen analysiert. Relativ leicht lassen sich eine Reihe institutioneller Vorteile der AG feststellen: die Finanzierung risikoreicher Großinvestitionen durch Kapitalzusammenfassung namentlich bei unentwickelten Kapitalmärkten (was schon im Eisenbahnbau von großer Bedeutung war), die Dauerhaftigkeit und differenzierte Organisation der AG, der Zugang zu den sich entwickelnden Kapitalmärkten, die Erleichterung externen Unternehmenswachstums durch Beteiligungserwerb, Konzernierung und Fusion. Andererseits paßt die AG nicht ohne weiteres in das Erklärungsmodell der property rights theory. Danach ist der wirtschaftliche Erfolg der sich entwickelnden liberalen Marktwirtschaft maßgeblich durch seine rechtlichen Grundlagen bedingt, nämlich die Garantie von Privateigentum und die Gewerbefreiheit, die das Innovationspotential und die Risikobereitschaft der Privatwirtschaftssubjekte freisetzte und durch den Markt koordinierte. Dabei kombinierte das Privateigentum Entscheidungskompetenz, Gewinnchancen und Verlustrisiko im individuellen Unternehmer. Gerade dieser durch die property rights theory betonte Internalisierungseffekt durch Verlust- und Haftungsrisiko aufgrund Privateigentums ist jedoch bei der Aktiengesellschaft durch die teilweise und fortschreitende Trennung von Herrschaft und Haftung reduziert. Diese Trennung zeigt sich einmal darin, daß die Kapitalverwendungsentscheidungen in immer stärkerem Umfang vom Management getroffen wurden, ihre Folgen aber die Aktionäre trafen.23 Sie zeigt sich ferner in der Möglichkeit zu aktienrechtlicher Beherrschung von Unternehmen durch Mehrheitsaktionäre oder sogar gegen die Mehrheit bei gestaffelter Beteili-
Ehrenberg a.a.O., S. 143 ff. Dazu auch i. F. III.
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gung und bei Streubesitz.24 Die leichte Übertragbarkeit der Aktie erlaubte schließlich, daß die Gründer oder sonstigen Eigenkapitalgeber ihre persönlichen Gewinninteressen keineswegs mit langfristigen Kapitalerhaltungsinteressen i. S. der property rights theory zu verbinden brauchten, weil sie kurzfristige Spekulations- und Veräußerungsgewinne realisieren konnten. Die Gründungsbooms bieten dafür in allen Ländern reiches Anschauungsmaterial. Die Geschichte z. B. der amerikanischen Eisenbahngesellschaften ist zugleich eine Geschichte des Gründungsschwindels, vor allem durch Überkapitalisierung und Aktienverwässerung, sowie des kurzfristigen Aussaugens von Unternehmen, des «wrecking the company» unter Ruinierung des Anlagevermögens durch Großaktionäre, die anschließend ihre Aktien wieder abstießen.25 Volkswirtschaft- [318] lich entstanden dadurch beträchtliche externe Kosten: geprellte Kleinaktionäre, heruntergewirtschaftete Unternehmen, Vertrauenskrisen auf den Kapitalmärkten, Kapitalzerstörung. Gleichwohl hat sich allenthalben die in Kapitalgesellschaften organisierte Industriewirtschaft über Rückschläge und Krisen hinweg kräftig fortentwickelt. Man kann dies teils mit unabweisbaren organisatorischen Bedürfnissen erklären, teils mit der Professionalisierung der Führungskräfte26, schließlich damit, daß insgesamt die wirtschaftlichen Vorteile der AG die genannten Nachteile überwogen. Daneben ist die selbständige institutionelle Bedeutung der weiteren Aktienrechtsentwicklung in Rechnung zu stellen. In der Aktienrechtsgesetzgebung von den siebziger Jahren an zeigt sich die Bereitschaft und Fähigkeit der Gesetzgeber, in Revision liberaler Vorstellungen Probleme des Schutzes der Anleger und Kleinaktionäre rechtlich zu lösen und damit die geschwächten Internalisierungsmechanismen des Aktieneigentums zu kompensieren. In Deutschland und England ist diese Bereitschaft am stärksten. Die Aktiennovelle von 1884 suchte die Rechte der Aktionäre und die Verantwortlichkeit der handelnden Organe zu stärken und verschärfte die Gründungsvorschriften erheblich: Gebot der Vollzeichnung, Teileinzahlung, Verbot der Unterpariemission und des Erwerbs eigener Aktien, Gründungsprüfung, Gründerhaftung.27 In England werden nach 1862 unter anderem die Gründungsvorschriften verschärft: der Directors’ Liabilities Act von 1890 z. B. verschärfte die Haftung für Prospektangaben, der Companies Act von 1900 schrieb einen Emissionsprospekt bestimmten Inhalts vor.28 In Frankreich 24 Allg. dazu L. D. Brandeis, Other People’s Money and How the Bankers Use it, New York 1914; Berle/Means a.a.O.; R. Liefmann, Beteiligungs- und Finanzierungsgesellschaften. Eine Studie über den Effektenkapitalismus, Jena 1923. 25 Vgl. W. W. Cook, The Corporation Problem, New York 1891. 26 J. Kocka, Unternehmer in der deutschen Industrialisierung, a.a.O., S. 110 ff., 115 ff. 27 Vgl. die Allg. Begründung zur Novelle 1884 a.a.O. (Fn.14). 28 Überblick über die zahlreichen Änderungen des Companies Act 1862 bei L. C. B. Gower, The Principles of Modern Company Law2. London 1957, S. 34 ff. Der Act von 1890
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blieb die Aktienrechtsgesetzgebung zunächst auf marginale Korrekturen beschränkt, griff aber einzelne Schutzprobleme auf, so in dem kurzlebigen Gesetz von 1893 über die beschränkte Marktfähigkeit von Aktien gegen Sacheinlagen (action d’apport) und im Gesetz von 1907 über die Publizität von Aktienemissionen, ferner in der Sicherung der Aktionärsstimmrechte durch die Gesetzgebung von 1913.29 Eine gegenläufige Bewegung ist in den USA festzustellen. Dort ging die einzelstaatliche Gesetzgebung dazu über, im Wettstreit um die Einwerbung von Neugründungen in fiskalischem Interesse die Gründungsvorschriften zu verwässern, wobei New Jersey und Delaware unrühmliche Vorkämpfer waren30. Bei dieser negativen Entwicklung ist die bundesstaatliche Rechtszersplitterung und allgemein die schwächere staatliche Infrastruktur in Rechnung zu stellen; als bundesstaatliche Reaktion ist die Antitrustgesetzgebung ab 1890 zu nennen. Zugleich entwickelte sich die externe Unternehmenskontrolle durch Rechnungslegung, Publizität und allmählich funktionsfähige Kapitalmärkte. Es scheint, daß im internationalen Vergleich diesem externen Kontrollmechanismus des Kapitalmarktes in den USA und wohl auch in England mehr zugetraut wurde als dem Aktienrecht und seiner Anwendung in den Gerichten. [319]
III. Der Beitrag des Aktienrechts speziell zur Ausbildung und Organisation von Großunternehmen kann anhand einiger neuerer wirtschaftshistorischer Erklärungsmodelle diskutiert werden. 1. Das bekannteste Erklärungsmodell ist die These von der Entwicklung des Managerkapitalismus. Sie ist neuformuliert von Chandler und Daems31, die in zeitlicher Abfolge drei Typen der Beziehung der Eigenkapitalgeber zur Unternehmensfunktion, also zur Kapitalverwendungsentscheidung, unterscheiden: (a) Im Typ des «Eigentümerkapitalismus» übte der (wichtigste) Eigenkapitalgeber selbst die Unternehmerfunktion aus; (b) in einem Zwischentyp beschränkten sich die einflußreichen Kapitalgeber, neben die die Banken traten, auf Grundsatzentscheidungen und delegierten die laufenden Entscheidungen an die angestellte Geschäftsleitung; (c) im «Managerkapitalismus» schließlich hat die angestellte Geschäftsleitung alle Unternehmer(53 & 54 Vic., c. 64) und der Act von 1900 (63 & 64 Vic., c. 26) sind in den Companies Act 1908 (c. 80,84) aufgenommen. Die Publizitätsanforderungen führten allerdings z. T. zum Ausweichen auf die (im Companies Act 1908 anerkannte) private company. 29 Überblick bei J. Hamel/G. Lagarde, Traité de droit commercial, Paris 1954, S. 1133 ff. 30 Brandeis a.a.O. (wie Fußnote 9). 31 A. D. Chandler/H. Daems, Introduction, in: H. Daems/H. van der Wee, The Rise of Managerial Capitalism, Den Haag 1974, S. 1–34.
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funktionen an sich gezogen. Die Rechtsform der AG erlaubte die Verwirklichung aller drei genannten Typen und wurde auch tatsächlich so verwendet. Zugleich aber spiegelt die Aktienrechtsentwicklung die Tendenz zum Managerkapitalismus. Dies läßt sich im Recht der Geschäftsleitung deutlich erkennen. Langfristig konnten Großunternehmen nicht in der ursprünglichen, klassischen Form des Eigentümerkapitalismus geführt werden. Dies lag nicht nur an Finanzierungsproblemen, sondern auch in Geschäftsführungsproblemen begründet. Dazu zunächst ein nichtaktienrechtliches Beispiel. 1872 richtete Krupp als oberstes kollegiales Vertretungsund Entscheidungsorgan seiner Werke die sog. «Procura» ein.32 Krupp selbst behielt sich Grundsatzentscheidungen und Weisungsrecht vor. Seine Werke hatten zu dieser Zeit rd. 17000 Arbeitnehmer. Das Beispiel Krupp zeigt Probleme der Organisation der Geschäftsleitung, die in allen Großunternehmen auftraten, ähnliche rechtliche Lösungen verlangten und sich im Ergebnis auch trotz aktienrechtlicher Unterschiede durchsetzten. Erstens ergab sich das Bedürfnis nach Einrichtung eines obersten Kollegialorgans der Geschäftsleitung mit gesammelter Fachkompetenz und entsprechend größerer Kapazität zur Informationsverarbeitung und Kontrolle. Dieses Bedürfnis wurde in allen Aktienrechten befriedigt. Zweitens zwang die Unternehmensgröße und die zunehmende Komplexität und Akzeleration der Wirtschaftsabläufe dazu, den Personen, die mit den täglichen Geschäften des Unternehmens befaßt waren, wichtige Entscheidungsbefugnisse zu überlassen, gleichgültig ob sie de iure die oberste Geschäftsleitung innehatten. Es ergab sich also die Notwendigkeit der Delegation von Entscheidungsbefugnissen von den Kapitaleigentümern oder deren Vertretern auf das top management. Da man diesem nicht die ganze Unternehmerfunktion überlassen wollte, mußte man es materiell kontrollieren und Grundsatzentscheidungen zurückbehalten. Es entstand das Problem zweier Entscheidungsebenen und deren Koordination, wie es im Beispiel Krupp sinnfällig wird und typisch ist für die erwähnte Zwischenform des «Kapitalismus». Die Konzeption der Aktienrechte zu diesem Punkt ist unterschiedlich, die tatsächlichen Ergebnisse sind ähnlich. Nur im deutschen Recht wurde im Doppelsystem von Vorstand und Aufsichtsrat das Modell zweier Entscheidungsebenen rechtlich abgebildet. Man überschätzte jedoch die Möglichkeit klarer Funktionstrennung und vor allem die Kontrollkapazitäten des Aufsichtsrates. Die Einführung des Vorstandes im ADHGB zunächst spiegelt die tatsächlich [320] eingetretene Delegation von Kompetenzen an die obersten Betriebsbeamten. Daneben behielt der alte Verwaltungsrat Unternehmerfunktionen und als 1870 der Aufsichtsrat als Überwachungsorgan zum Ersatz der weggefallenen Staatsaufsicht eingeführt wurde, behielt er zugleich Geschäftsleitungsfunktionen 32
Text bei R. Passow, Die Aktiengesellschaft, a.a.O., S. 512.
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des alten Verwaltungsrates bei. Damit war die Funktionstrennung unklar.33 Zahlreiche Statuten sahen ein Instruktionsrecht des Aufsichtsrates an den Vorstand vor. Die preußische Denkschrift von 1877 zur Aktienreform wies darauf hin, daß der Aufsichtsrat teils untätig bleibe, teils selbst als Vorstand fungiere.34 Die Novelle von 1884 betonte daher die Überwachungsfunktion des Aufsichtsrats (Art. 225) und die Rechtsprechung drängte z. T. Eingriffe in die Geschäftsführung des Vorstandes zurück. – Mit der gesetzlichen Aufgabe der umfassenden Kontrolle der Geschäftsleitung war der Aufsichtsrat vollständig überfordert; es fehlten intime Kenntnisse der Betriebsabläufe, laufende Information und Fachkompetenz. Hinzu trat die Häufung von Aufsichtsratsmandaten – 1901 hatten 70 Personen 1184 Aufsichtsratssitze inne35 – persönliche Abhängigkeit von Vorstand oder von Großaktionären, starker Einfluß der Banken, Mißachtung der Interessen von Kleinaktionären. Dies zeigt die im Anschluß an die Wirtschaftskrise ab 1901 geführte heftige Aufsichtsratsdebatte.36 Deren Ergebnislosigkeit mag nicht zuletzt darauf beruhen, daß die Reduzierung der Funktionen des Vorstandes, also des tatsächlichen Managements, faktisch nicht möglich war. Rathenau bezeichnet 1917 die Restfunktionen des Aufsichtsrates: ein gewisses Gegengewicht gegen die Geschäftsleitung als potentielle Kontrollinstanz («fleet in being»), Beratungstätigkeit, Krisenmanagement und Selektion des Führungsnachwuchses.37 Ergänzend ist hinzuweisen auf die Funktion des Aufsichtsrates, gerade durch Mandatshäufung übergreifende Informationsnetze namentlich der Bankenvertreter auszubilden. Die Unternehmenspolitik wurde dadurch nach Kapitalmarktgesichtspunkten beeinflußt, die Selbstrekrutierung des Managements gefördert. Die Aktienrechte der drei anderen Länder kannten nur ein einheitliches Geschäftsführungsorgan. Gleichwohl zeigt die Rechtsentwicklung auch hier zunächst die Tendenz zur Ausbildung zweier Entscheidungsebenen, anschließend zur Kompetenzhäufung bei der faktischen Geschäftsleitung, dem Management. In Frankreich war der Verwaltungsrat insgesamt weder bereit noch in der Lage, die Geschäftsführung selbst zu übernehmen. Das erforderliche top management wurde aus dem Verwaltungsrat rekrutiert, etwa dessen président oder einem anderen Mitglied als «administrateur délé-
Vgl. Darstellung und Kritik der Gesetzgebung bei Passow, S. 392 ff. Drucksachen zu den Verhandlungen des Bundesrats des Deutschen Reichs, Session 1876, Nr. 89 insbes. S. 68. 35 F. Stier-Somlo, Die Reform des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, ZHR 53 (1903), S. 20–27. 36 Vgl. Fn. 35. Neuere Zusammenfassung bei R. Wiethölter, Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, Karlsruhe 1961, S. 288. 37 W. Rathenau, Vom Aktienwesen, Berlin 1917, S. 15 ff. 33 34
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gué», der die Gesellschaft laufend vertrat.38 Ausnahmsweise bildeten Großunternehmen wie die Compagnie des Chemin de fer du Nord sogar aus den Reihen des Verwaltungsrates einen conseil de direction, der dem deutschen Vorstand genau entsprach. Häufiger aber wurde ein Dritter durch die im Gesetz selbst vorgesehene (unklare) «substitution de mandat» (Art. 22) als ein mit allen Vollmachten ausgestatteter directeur général durch den Verwaltungsrat oder die Aktionärsversammlung bestellt, unterstützt von anderen, angestellten Führungskräften (directeurs techniques). Man war sich um die Jahrhundertwende einig, daß diese eingesetzte Führungskraft, also der administrateur délégué oder der directeur général, die eigentliche unternehmerische Funktion ausübte: «il est lui, dans les sociétés sé- [321] rieuses, l’homme méritant et la cheville ouvrière de l’entreprise».39 Die Funktionstrennung zwischen beiden Ebenen war durchaus unklar und man beklagte in der juristischen Literatur das Fehlen einer «théorie générale de la gestion de l’entreprise». Entsprechend verläuft die Entwicklung im Bereich des common law. Nur indirekt zeichnet sich das zunehmende Gewicht der unterhalb der Ebene des board tätigen tatsächlichen Geschäftsleitung darin ab, daß etwa die amerikanische Rechtsprechung zunehmend Regeln für typische Rechte und Pflichten der corporate officers ausbildete. Das Problem der Koordinierung beider Entscheidungsebenen wurde faktisch durch Personalunion gelöst, und auf die Dauer behielten nur die managing directors innerhalb des board die eigentlichen Entscheidungsfunktionen. Die outside directors wurden funktionsarm wie viele Aufsichtsratsmitglieder.40 Dieses Bild wäre zu ergänzen durch eine Analyse der Entwicklung der Aktionärsrechte gegenüber der Verwaltung (Geschäftsleitung). Hier sei nur vermerkt, daß in allen Ländern die Rekrutierung der Geschäftsleitung zwar nicht dem Willen der Großaktionäre, wohl aber den Entscheidungen der Aktionärsversammlungen teilweise entrückt wurde, in Deutschland durch den Aufsichtsrat unter Bankeneinfluß, in den USA namentlich durch die Kontrolle des Abstimmungsmechanismus aufgrund Stimmrechtsmandats (proxy) an den board selbst. Die Entkoppelung des Managements vom Aktionärswillen ist im Bereich des common law relativ stärker ausgeprägt durch weitgehende Disposition des board über nachgeordnete Satzungsbestimmungen (articles, bylaws) und die damit verbundenen Finanzierungsentscheidungen wie Aktienemission, Schaffung neuer Aktiengattungen usw., was auf dem Kontinent der Generalversammlung vorbehalten war. 38 Vgl. zum folgenden E. Thaller/P. Pic, Traité Général Théorique et Pratique de Droit Commercial, 3 Bde., Paris 1907/1924, no. 1122 ff. 39 E. Thaller, Traité élémentaire de droit commercial à l’exclusion du droit maritime, Paris 19043, no. 655 bis. 40 Einzelheiten zum Vorstehenden und Folgenden bei D. Karjala und N. Horn, in: Horn/Kocka, a.a.O., (wie Fußnote 2).
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Abschließend sei nach der Rolle des Aktienrechts in der starken Unternehmenskonzentrationsbewegung gefragt, die von den achtziger Jahren an namentlich in den USA und in Deutschland zu verzeichnen ist.41 Man hat vermutet, die freie Zulässigkeit der Kartellbildung in Deutschland habe hier die Unternehmenskonzentration verlangsamt. Tatsächlich ist nach neueren Forschungen von Kocka die Konzentrationsbewegung in Deutschland relativ stark. Rathenau rühmt den Aufbau von Großunternehmen geradezu als spezifische deutsche Leistung42 Mannigfache Konzentrationsursachen sind bekannt und werden erörtert: technologische Bedürfnisse nach größeren Unternehmenseinheiten, Kostenvorteile der Großproduktion, der Wunsch oder Zwang, in unübersichtlichen und expandierenden Märkten, bei schärfster Konkurrenz und Preisverfall, die Marktabläufe monopolistisch zu kontrollieren. Auch der Einfluß des Bankensystems auf das Industriesystem namentlich in Deutschland und den USA sowie die Entfaltung der Kapitalmärkte ist zu beachten. Übersehen wird häufig die Bedeutung des Aktienrechts als Konzentrationsmitursache. Die durch Aktienrecht und die sich entwickelnden Kapitalmärkte gegebene bloße Möglichkeit, Unternehmensbeteiligungen rasch zu erwerben und zusammenzufassen, zusammen mit Wettbewerbsfurcht und Wettbewerbsdruck waren wohl die stärksten Mo- [322] tive zur Konzentration überhaupt; deren Dynamik und Ausmaß wäre ohne die aktienrechtlichen Instrumente nicht denkbar. Konzernbildung durch Beteiligung einer Kapitalgesellschaft an einer anderen Kapitalgesellschaft ging auf dem Kontinent ohne rechtliche Einwände vonstatten. In den USA wurde sie durch die Holding-Gesetzgebung ab 1888 gegen den Widerstand der Gerichte erkämpft.43 Häufig wurde bereits die Neugründung einer Kapitalgesellschaft als erster Schritt in diese Rechtsform für den Zusammenschluß zahlreicher kleinerer Einzelunternehmen genutzt: z. B. wurde 1888 in England die Salt Union aus 63 Einzelfirmen gebildet.44 – Für die Bündelung von Beteiligungsrechten wurden besondere Rechtsformen benutzt, so der trust in den USA, der trotz seiner Kurzlebigkeit berühmtberüchtigt wurde wegen der beispiellosen Machtzusammenballung des Stan41 Allgemein dazu die Nachweise in Fußnote 3 und F. Blaich, Kartell- und Monopolpolitik im Kaiserlichen Deutschland, Düsseldorf 1973, Hans Pohl, Die Konzentration in der deutschen Wirtschaft vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis 1945, Z. f. Unternehmensgeschichte Beiheft 11 (1978), S. 4–44; A. S. Dewing, The Financial Policy of Corporations, Bd. 4, 1920, S. 34 ff., abgedruckt bei R. E. Curtis, The Trusts and Economic Control, New York 1931; L. Hannah, Mergers in British Manufacturing Industry 1880–1918, a.a.O. 42 Vom Aktienwesen, a.a.O. 43 Die Rechtsprechung lehnte zunächst die Aktienbeteiligung einer corporation an einer anderen Corporation als «ultra vires» ab. Dagegen eröffnete die einzelstaatliche Gesetzgebung diese Möglichkeit, zuerst in New Jersey (1888) und New York (1890). Überblick bei Curtis a.a.O. (wie Fußnote 41). 44 L. Hannah, a.a.O. (Wie Fußnote 5), S. 6 f.
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dard Oil Trust von 1882, ferner die allgemein verbreitete Form der Interessengemeinschaft. Der Standard Oil Trust stellte zwischen der Auflösung des Trust und der Bildung der Holding eine Bündelung bereits vorhandener gleichgerichteter Aktionärsinteressen dar, eine «community of interests».45 Wettbewerbsbeschränkende Absprachen («Monopole») wurden häufig in Frankreich und Deutschland durch Aktientausch, also wechselseitige Beteiligung, untermauert, so die 1904 geschlossene Interessengemeinschaft zwischen den Hoechster Farbwerken und der Firma Casella.46 Zu nennen ist schließlich die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen in den USA seit den achtziger Jahren, in Deutschland wenig später (Beispiel: Duisburger Kupferhütte), meist in Form der Kapitalgesellschaft. Ihre typische Funktion war die gemeinsame Verkaufsorganisation (Syndikat); ein Beispiel bietet die Gründung des Rheinisch-Westfälischen Kohlesyndikats 1893. Schließlich sind die besonderen Finanzierungsmöglichkeiten auch der einfachen AG in ihrer Bedeutung für internes Unternehmenswachstum zu beachten. Man muß das aktienrechtliche Instrumentarium für die Konzentration im Zusammenhang mit anderen, namentlich ökonomischen Faktoren sehen. Vor dem Hintergrund zahlloser Zusammenbrüche und mißlungener Zusammenschlüsse hat nun die wirtschaftshistorische Forschung nach positiven ökonomischen Faktoren für Unternehmenswachstum gefragt und dabei namentlich spezifische Unternehmensstrategien analysiert, nämlich neben dem allgemeinen Streben nach Expansion von Absatz und Marktanteil die Strategie der Integration vor- und nachgelagerter Marktstufen (also Rohstoffe oder Weiterverarbeitung) und die Produktdiversifikation.47 Diese Unternehmensstrategien konnten insbesondere für die USA und Deutschland, wohl auch für England verifiziert werden48, Untersuchungen zu Frankreich stehen noch aus. Namentlich für die Inte- [323] gration war der Beteiligungserwerb naheliegend, der Aktienerwerb seine bequemste Form. Aktienrechtsgeschichte und Unternehmensgeschichte ergänzen sich insoweit zu einem deutlicheren Bild. Darüber hinausgehend hat Alfred Chandler kürzlich die These aufgestellt, daß die ökonomische Hauptursache für das Wachstum erfolgreicher Großun-
Curtis, The Trusts and Economic Control, a.a.O., S. 32 f. R. Liefmann, Kartelle und Trusts und die Weiterbildung der volkswirtschaftlichen Organisation, Stuttgart 1925, S. 203 f. 47 J. Kocka, Expansion – Integration – Diversifikation. Wachstumsstrategien industrieller Großunternehmen in Deutschland, in H. Winkel (Hg), Vom Kleingewerbe zur Großindustrie, Schriften des Vereins für Socialpolitik, NF Bd. 83, Berlin 1975, S. 203–226. 48 Zu Deutschland Kocka a.a.O. (wie Fußnote 47) und in: Horn/Kocka, a.a.O. (Wie Fußnote 2); zu den USA vor allem die Untersuchungen von Chandler (Wie Fußnote 31 u. 49); zu England P. L. Payne, The emergence of the large-scale company in Great Britain, 1870–1914, EHR 20, 1967, 531 ff.; L. Hannah, a.a.O. (wie Fußnote 5); ders., The rise of the corporate economy, London 1976. 45 46
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ternehmen der Umstand sei, daß die Koordination von Wirtschaftsabläufen durch unternehmerische Organisation sich der Koordination dieser Abläufe durch Marktprozesse als überlegen erwiesen habe.49 Die These ist als Erklärungsversuch für den faktischen Erfolg bestimmter Großunternehmen und Unternehmenskonzentrationen faszinierend. Als allgemeine Konzentrationstheorie erscheint sie jedoch sehr unvollständig; sie kann zudem als Rechtfertigungstheorie für Monopole mißverstanden werden. Die Geschichte des Aktienrechts und seiner Praxis zeigt, daß bei der Bildung und Behauptung von Großunternehmen und Unternehmenszusammenschlüssen nicht nur ökonomische Rationalität am Werk war, sondern ein mächtiger Antriebsfaktor in den bloßen und handgreiflichen Möglichkeiten rascher Kapitalmobilisierung, Beteiligungsumschichtung und Machtzusammenballung lag, die das aktienrechtliche Instrumentarium und die Kapitalmärkte boten. Die wirtschaftshistorische Konzentrationstheorie kann in diesem Punkt durch die Geschichte des Aktienrechts relativiert und korrigiert werden.
49 A. D. Chandler, The Visible Hand. The Rise of Modern Business Enterprise in the United States, Cambridge (Mass.) 1977.
Neuverhandlungspflicht AcP 181 (1981) 255–288 Inhaltsübersicht Einleitung: Definition und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 I. Vertragspraxis der Neuverhandlungsklauseln. . . . . . . . . . . . . . . . . 257 1. Zwecke und Anwendungsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 a) Leistungsanpassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 b) Korrektur von Anpassungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Neuordnung der Kooperation; Gesellschaftsrecht . . . . . . . . . . 258 2. Andere Mechanismen der Vertragsanpassung. . . . . . . . . . . . . . . 259 a) Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 b) Vergleich mit Neuverhandlungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Kennzeichnung der Neuverhandlungsklauseln. . . . . . . . . . . . . . 261 a) Tatbestände der Neuverhandlungspflicht, insbes. Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Abrede eigener Art. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 II. Renegotiation in der Vertragspraxis des internationalen Wirtschaftsverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Hardship-Klauseln und Renegotiation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2. Regeln der IHK zur Vertragsanpassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Verminderte Vertragsbindung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 III. Einzelne Tatbestände gesetzlicher Neuverhandlungspflicht . . . . . . . . . 266 1. Anpassungsverfahren über Miethöhe gem. § 2 MHRG . . . . . . . . . 266 2. Änderungskündigung, insbes. im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Anpassung von Betriebsrenten und Pensionen. . . . . . . . . . . . . . 269 4. Anpassung des Erbbauzinses im Rahmen von § 9 a ErbbauVO. . . . . 269 5. Pflicht zur Ersetzung einer nicht genehmigten Wertsicherungsklausel. 270 IV. Zustimmungspflicht zur Vertragsanpassung im Personengesellschaftsrecht. 271 1. Zustimmungspflicht und andere Wege der Vertragsanpassung. . . . . . 271 2. Fallgruppen: Gesellschafterausschließung; Zustimmung der Mitgesellschafter zur Vertragsänderung. . . . . . . . . . . . . . . . 272 3. Zustimmungspflicht als Element der Neuverhandlungspflicht. . . . . . 274 V. Der allgemeine gesetzliche Tatbestand der Neuverhandlungspflicht. . . . 275 1. Regelmäßige Neuverhandlungspflicht bei Wegfall der Geschäftsgrundlage 276 2. Ausnahmsweise Neuverhandlungspflicht bei Kündigung (Änderungskündigung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Neuverhandlungsanspruch und richterliche Gestaltung. . . . . . . . . 279 4. Fälligkeit der Neuverhandlungspflicht und Fortbestand des unveränderten Vertrages. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 [256] VI. Inhalt und Sanktionen der Neuverhandlungspflicht. . . . . . . . . . . . . 282 1. Inhalt der Neuverhandlungspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282
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a) Vertragspflicht zur Vertragsänderung; Bestimmtheitsgrundsatz. . . b) Verhandlungspflicht i.e.S. als Pflicht zur Findung des Anpassungsziels. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltliche Kriterien der Anpassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ende der Neuverhandlungspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sanktionen einer Verletzung der Neuverhandlungspflicht. . . . . . . . a) Erfüllungsanspruch; Ersetzung der Willenserklärung durch Urteil . b) Rechtsnachteile der Nichtverhandlung im Kündigungsfall . . . . . . c) Vertragslösung durch Rücktritt oder Kündigung. . . . . . . . . . . d) Schadensersatzpflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonstige Sanktionen bei Neuverhandlungsklauseln. . . . . . . . . . 3. Die Funktion einer sanktionierten Neuverhandlungspflicht . . . . . . .
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Einleitung: Definition und Fragestellung Neuverhandlungspflicht ist die Pflicht der Parteien eines bestehenden Vertrages, den Vertrag durch Vereinbarung an veränderte Umstände anzupassen und zu diesem Zweck miteinander Verhandlungen zu führen. Wo eine Neuverhandlungspflicht besteht, hat demnach eine Vertragspartei einen Anspruch gegen die andere Vertragspartei oder die mehreren anderen Vertragsparteien auf einvernehmliche Abänderung des Vertrages im Wege der Verhandlung. Das BGB kennt eine solche Neuverhandlungspflicht nicht. Dafür läßt sich auch eine ganz grundsätzliche Erklärung finden. Im Begriff der Neuverhandlungspflicht scheint eine privatrechtliche Antinomie oder gar deren mehrere enthalten: wie kann es eine Pflicht geben, sich freiwillig zu einigen, sozusagen einen Zwang zur Freiwilligkeit? Ferner: wie kann aus einer bestehenden rechtlichen Verpflichtung (aus Vertrag) die Verpflichtung gefolgert werden, den Inhalt eben dieser bestehenden Verpflichtung zu ändern? Erfahrungsgemäß läßt sich die Rechtspraxis und die aus ihr häufig entspringende Fortentwicklung des objektiven Rechts nicht von – meist nur scheinbaren – begrifflichen Schwierigkeiten aufhalten, wenn sich ein praktisches Regelungsbedürfnis ergibt. Ein solches Bedürfnis ist bei der Neuverhandlungspflicht vorhanden. Dies kann leicht anhand der Neuverhandlungsklauseln der Vertragspraxis gezeigt werden (I). Besondere Aufmerksamkeit verdient in diesem Zusammenhang die Vertragspraxis auch des internationalen Wirtschaftsverkehrs (II). Aber auch der deutsche Gesetzgeber hat in einzelnen Bereichen Neuverhandlungspflichten der Vertragsparteien vorgesehen; hinzutreten von der Rechtsprechung entwickelte besondere Tatbestände (III). Hervorzuheben ist die gesellschaftsrechtliche Zustimmungspflicht zu Vertragsanpassungen (IV). [257] Es ist daher berechtigt zu fragen, ob sich auch aus allgemeinen Grundsätzen unseres Zivilrechts ein Tatbestand der Neuverhandlungspflicht entnehmen läßt (V). Ferner ist zu fragen, wie sich Inhalt und Rechtsfolgen dieser Pflicht allgemein bestimmen lassen (VI). Es wird im Folgenden die These vertreten, daß es auch unabhängig von ver-
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einbarten Neuverhandlungsklauseln eine Neuverhandlungspflicht im deutschen Zivilrecht gibt und daß diese ebenso wie die bereits bestehende Klauselpraxis künftig stärkere wissenschaftliche, forensische und vielleicht auch gesetzgeberische Aufmerksamkeit verdient1.
I. Vertragspraxis der Neuverhandlungsklauseln 1. Zwecke und Anwendungsgebiete In zahlreichen Verträgen mit langer Laufzeit, insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen, finden sich Neuverhandlungsklauseln, in denen sich die Parteien verpflichten, bei Eintritt bestimmter Umstände über eine Abänderung einzelner Bestimmungen des Vertrages Verhandlungen zu führen und sich darüber zu einigen. Meist ist in den Klauseln nicht ausdrücklich von Neuverhandlungen die Rede, wohl aber von einer einverständlichen Vertragsanpassung. Die Parteien wollen durch diese Klauseln gerade im Hinblick auf die lange Vertragsdauer der Möglichkeit Rechnung tragen, daß veränderte Umstände eine weitere unveränderte Durchführung des Vertrages für zumindest eine Partei nachteilig oder unzumutbar werden lassen, eine bloße Vertragsbeendigung aber unerwünscht wäre. a) Meist denken die Parteien an Veränderungen, die sich auf die vertraglich vorausgesetzte wirtschaftliche Äquivalenz des Leistungsaustausches beziehen. Die Neuverhandlungsklausel betrifft hier meist die Höhe vertraglicher Geldleistungen, die fortlaufend geschuldet werden2. Beispiele bieten Mietverträge3, Erbbauzinsvereinbarungen4 sowie Energie- [258] lieferungsverträge5 mit der Klausel, daß die Parteien bei Eintritt besonderer Umstände oder auch nur nach Ablauf bestimmter Perioden die Geldleistung (Miete, Erbbauzins, Stromtarif etc.) einvernehmlich neu festsetzen sollen. 1 Grundgedanken der folgenden Ausführungen habe ich in größerem Zusammenhang in einem Gutachten »Vertragsdauer als schuldrechtliches Regelungsproblem« skizziert, das ich im Dezember 1980 dem Bundesminister der Justiz erstattet habe (veröffentlicht Bonn 1981). 2 Zum folgenden Bilda, Anpassungsklauseln in Verträgen, 2. Aufl. 1973, Rdz. 299 ff. 3 Vgl. z. B. BGH WM 1969, 1281: „Sollten sich die wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich ändern, so wird auch während der Vertragsdauer ein neuer Mietpreis vereinbart werden.“ S. auch Emmerich-Sonnenschein, Mietrecht, 1979, §§ 535, 536 Rdz. 108. 4 Vgl. z. B. BGH WM 1964, 561: „Der Erbbauzins kann während der Dauer des Vertrages alle drei Jahre, zum ersten Mal ... neu festgesetzt werden.“ 5 Zu den hier verwendeten „Wirtschaftsklauseln“ Dally, BB 1977, 726 f: „Ändern sich die allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse gegenüber dem Zeitpunkt des Vertragsabschlusses so erheblich, daß die vereinbarten Preise oder Bedingungen für das EVU oder den Abnehmer nicht mehr zumutbar sind, so bleiben Vereinbarungen über eine Änderung der Preise oder Bedingungen vorbehalten“ (aaO 726). Vgl. auch Futter, BB 1976, 1295–1298.
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b) Bisweilen dient die Neuverhandlungsklausel auch dem Zweck, eine im Vertrag bereits vorgesehene Leistungsanpassungsklausel neu zu fassen, falls durch veränderte Umstände der vereinbarte Anpassungsmechanismus seinen wirtschaftlichen Sinn verloren hat oder undurchführbar geworden ist. Solche Klauseln über die Korrektur von Anpassungsklauseln durch Neuverhandlung finden sich etwa in langfristigen Energielieferungsverträgen6. c) Veränderte Umstände können nicht nur die Leistungsäquivalenz verändern, sondern auch auf andere Weise das vertragliche Programm der Kooperation der Parteien namentlich von Dauerschuldverhältnissen so verändern, daß der Vertrag in seiner ursprünglichen Form undurchführbar oder seine Durchführung für eine Partei unzumutbar wird, eine Abänderung des Vertrags jedoch eine den Vertragsparteien zumutbare und sinnvolle Fortführung der im ursprünglichen Vertrag angelegten Zusammenarbeit ermöglichen würde. Auch in solchen Fällen ist eine Neuverhandlungsklausel sinnvoll und in der Praxis bisweilen anzutreffen. Solche Klauseln finden sich etwa in Verträgen über umfangreiche und komplexe Leistungen, z. B. die Lieferung oder Erstellung technischer Großanlagen, vor allem im internationalen Wirtschaftsverkehr, über den noch (unten II) zu sprechen ist. Ein entsprechender Regelungsbedarf besteht ferner im Gesellschaftsrecht. Verträge über Personenhandelsgesellschaften, die ein Unternehmen betreiben, werden regelmäßig für unbestimmte Zeit geschlossen und sehr lange durchgeführt. Die Kautelarpraxis ist hier im besonderen Maß bemüht, präventiv für die künftige Anpassung des Gesellschaftsvertrages an veränderte Umstände Sorge zu tragen. Dies geschieht in einer Fülle von Klauseln, namentlich Nachfolge- und Abfindungsklauseln7. Hinzutreten Klauseln über Mehrheits- [259] beschlüsse zur Änderung bestimmter Vertragspunkte. Eine Neuverhandlungs- und Mitwirkungspflicht bei solchen Beschlüssen ist meist nicht ausgedrückt. Ein Verhandlungs- und Gestaltungsspielraum ist schon wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes, den die h. M. bei Verträgen über Individualgesellschaften aufstellt, nur in engen Grenzen gegeben8. Üblich und von der Kautelarliteratur empfohlen sind ferner sog. salvatorische Klauseln, daß bei Unwirksamkeit oder Undurchführbarkeit einer Vertragsbestimmung der Vertrag im übrigen Bestand haben soll; der Vertrag soll in diesem Fall oder 6 Kunth, BB 1978, 178–181 mit dem Beispiel (179): „Sollten einmal die Kohlepreise als Maßstab für die Anpassung der Strompreise nicht mehr brauchbar sein, so bleibt eine Umstellung dieser Klausel auf die neuen Verhältnisse vorbehalten.“ Vgl. auch das Beispiel bei Dally, BB 1977, 727. 7 Vgl. allg. Heckelmann, Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, 1973; Michalski, Gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten für die Perpetuierung von Unternehmen, 1980, S. 185 ff. 8 Grundsätzlich BGHZ 68, 212, 215; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, § 7 III 2 und § 8 I 2 a; zur Vertragsanpassung durch Mehrheitsbeschlüsse Uwe Schneider, AG 1979, 57, 62; dagegen mit Recht zurückhaltend Wiedemann aaO § 8 I 2 a (S. 411).
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bei Auftreten einer sonstigen „Vertragslücke“ durch „Beschluß der Gesellschafter ... so ergänzt“ werden, daß der „beabsichtigte wirtschaftliche Zweck erreicht wird“9. Darin ist, wenn auch nur im Ansatz und in unvollkommener Weise, eine Verpflichtung der Gesellschafter ausgedrückt, an einer Anpassung des Vertrages an veränderte Umstände durch Beratung und Verhandlung und Abgabe der erforderlichen Willenserklärungen mitzuwirken. 2. Andere Mechanismen der Vertragsanpassung a) Für das Verständnis der Neuverhandlungsklausein ist es wichtig zu berücksichtigen, daß in der Vertragspraxis auch eine Reihe anderer Vertragsgestaltungen dazu benutzt wird, den Vertragsinhalt im Einklang mit Umständen zu halten, welche die Parteien bei Vertragsschluß noch nicht im einzelnen kennen. Die Funktion dieser Klauseln ist unterschiedlich; z. T. geht es nur darum, die Präzisierung der Leistungsbestimmung auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben. So kann es bei komplexen Werkleistungen dem Besteller vorbehalten sein, noch während der Herstellung einzelne Anweisungen zu erteilen (§ 645 Abs. 1 BGB), dem Unternehmer, Einzelheiten der Leistung (Material, Konstruktion) abzuändern10. Die Parteien können ferner die endgültige Bestimmung der einen vertraglichen Leistung, meist der Höhe des Entgeltes, gem. § 315 BGB der einen Partei oder gem. § 317 BGB einem Dritten übertragen, wobei in der [260] Praxis vor allem Schiedsgutachten eine Rolle spielen11. Hervorzuheben sind schließlich die verschiedenen Anpassungs- und Wertsicherungsklauseln, mit denen sich die Parteien gegen eine Störung der Leistungsäquivalenz z. B. durch Kostensteigerungen oder Wertveränderungen vertraglicher Geldforderungen schützen wollen12. Bekanntlich sind wegen des Prinzips des schuldrechtlichen Nominalismus, das aus § 3 WährungsG hergeleitet wird, und der Genehmigungsgrundsätze der Deutschen Bundesbank13 nur bestimmte Arten dieser Klauseln ohne weiteres zulässig; andere bedürfen der Genehmigung und wieder andere sind schlechthin unzulässig14. Zu den genehmigungsfreien Klauseln gehören 9 Sudhoff, Personengesellschaften, 5. Aufl. 1978, S. 481 ff., 489, 542 f., 582 f.; vgl. auch z. B. BGH DB 1973, 1739 f.; 1976, 2106 f. 10 Das Problem, daß bei Werkverträgen später Änderungen und Zusatzarbeiten notwendig sein können, wird nicht immer in den Vertragsklauseln erfaßt und oft in den Vertragsverhandlungen (Kostenvoranschlägen) nicht berührt; vgl. BGH VersR 1965, 803; (betr.: Risiko von Fehlberechnungen im Leistungsverzeichnis beim Bau). 11 Vgl. Staudinger/Mayer-Maly, BGB 11. Aufl. (1979) § 317 Rdz. 19 ff. 12 Vgl. allg. Dürkes, Wertsicherungsklauseln, 8. Aufl. 1972; Bilda, op. cit. (Fn. 2); Mittelbach, Wertsicherungsklauseln im Zivil- und Steuerrecht, 2. Aufl. 1972. 13 Jetzt i. d. F. der Mitteilung der Deutschen Bundesbank Nr. 1015/78 v. 9.6.1978, BAnz. 109/78 S. 4. 14 Vgl. allg. Fn. 12 u. 13 und den Überblick bei Horn, Geldwertveränderungen, Privatrecht und Wirtschaftsordnung, 1975, S. 11–15.
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die sog. Leistungsvorbehalte, nach denen die Anpassung nicht automatisch erfolgen soll15, sondern aufgrund von Neuverhandlungen oder unter Einschaltung eines Schiedsgutachters. b) Die letztgenannten Leistungsvorbehalte stehen den Neuverhandlungsklauseln am nächsten und gehören je nach terminologischem Geschmack bereits zu dieser Gruppe. Die anderen genannten vertraglichen Anpassungsregelungen unterscheiden sich von Neuverhandlungsklauseln im allgemeinen dadurch, daß sie das Programm der Vertragsanpassung inhaltlich in stärkerem Maß festlegen. Am deutlichsten ist dies bei Anpassungsklauseln mit festem Maßstab und automatischer, d. h. ohne Ermessensspielraum zu berechnender Leistungsanpassung16. Der Vorzug der Eindeutigkeit dieser Anpassungsregelungen ist zugleich ihre Schwäche: bei Änderung der Umstände kann die Klausel undurchführbar werden oder zu unbilligen Ergebnissen führen, so daß eine Korrektur der Anpassungsregelung selbst unter Billigkeitsgesichtspunkten durch Gerichte oder den Gesetzgeber17 notwendig wird, sofern nicht die Parteien vorsorglich Neuverhandlung für diesen Punkt vereinbaren18. [261] 3. Kennzeichnung der Neuverhandlungsklauseln a) Darin wird bereits deutlich, daß Neuverhandlungsklauseln die größte Flexibilität in der Vertragsanpassung eröffnen. Bezeichnend ist, daß der Tatbestand der Neuverhandlungsklauseln meist sehr weit gefaßt ist und sich allgemein auf das Auftreten unvorhergesehener vertragsrelevanter Umstände oder Veränderungen bezieht. Die Klauseln machen insoweit die Berücksichtigung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zum Tatbestand einer vertraglichen Klausel. Dies mag terminologische Skrupel wecken, weil die Geschäftsgrundlage nicht zugleich Vertragsinhalt sein könne und umgekehrt19; praktische Konsequenzen entstehen daraus nicht, weil das Gemeinte klar ist. Nicht jede vertragliche Neuverhandlungspflicht knüpft an einen so umfassenden Tatbestand an. Bisweilen geht es nur um die gemeinsame Beurteilung bereits vorgegebener Anpassungsmaßstäbe. Weit gespannte tatbestandliche Voraussetzungen, die der ersteren Gruppe entsprechen, sind überwiegend bei Neuverhandlungsklauseln im Gesellschaftsrecht anzutreffen. Denn hier geht es um die vertragliche Vorsorge zur Vertragsanpassung über sehr lange Zeiträume hinweg und im Hinblick auf ganz unvorhersehbare Entwicklungen. Ferner geht es nicht nur um quan BGB LM WährG § 3 Nr. 11 u. 13; BGH BB 1963, 793; Dürkes aaO D Rdz. 74 ff. Zu solchen Klauseln, insbes. Indexklauseln z. B., Dürkes D. II. Rdz. 141 ff. 17 Vgl. § 9 a ErbbVO. 18 Vgl. oben Fn. 6. 19 Futter, BB 1976, 1298; zutr. Dally, BB 1977, 727. 15 16
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titative Leistungsanpassungen, sondern viel komplexere Neuregelungen der Zusammenarbeit und der Vermögensinteressen der einzelnen Gesellschafter. b) Die dogmatische Einordnung der Neuverhandlungsklausel ist bisher wenig diskutiert und eine solche Diskussion auch wohl wenig fruchtbar. Teils einem Vorvertrag vergleichbar, teils einer bedingten Abänderungsvereinbarung, stellt sie sich als Abrede eigener Art dar20. Dieser Vertrag ist mit dem der Neuverhandlung unterliegenden Vertrag verbunden. Das Hauptproblem liegt in der Konkretisierung des Inhalts und der Rechtsfolgen der Neuverhandlungspflicht beider Parteien. Darauf ist zurückzukommen21.
II. Renegotiation in der Vertragspraxis des internationalen Wirtschaftsverkehrs 1. Hardship-Klauseln und Renegotiation In den Verträgen des internationalen Wirtschaftsverkehrs mit längerer Laufzeit und umfangreichen Lieferungen oder Leistungen, z. B. über [262] Schiffsbau, Anlagenbau und -lieferung, Abbau von Bodenschätzen oder deren Verarbeitung finden sich häufig Klauseln, die für den Fall, daß eine vertragliche Leistung nachträglich durch äußere Umstände erheblich erschwert wird, Vorsorge treffen. Die Klauseltatbestände erfassen bisweilen nur den Extremfall der „force majeure“ im Unterschied zur verschuldeten Leistungsstörung. Häufiger wird heute ein erweiterter Tatbestand der Leistungserschwerung in den Klauseln normiert, der mit dem Begriff der „hardship“ umschrieben wird. Die Klauseln sind häufig vom französischen Konzept der „imprévision“ oder vom common law-Konzept der „frustration“ beeinflußt22. Bei Eintritt des Klauseltatbestandes ist als Rechtsfolge häufig nur eine Leistungsbefreiung einer Partei vorgesehen23. Da die völlige Leistungsbefreiung ebenso wie die abrupte Beendigung eines umfangreichen Vertrags häufig wirtschaftlich wenig sinnvoll ist, zumal im Fall einer einheitlichen, zusammenhängenden Leistung, wird mit dieser Befreiung einer Partei von ihren vertraglichen Pflichten häufig die Vorstellung verbunden, daß die Parteien auf der Grundlage der neuen Situation über eine Fortsetzung der Kooperation auf neuer vertraglicher Grundlage verhandeln (renegotiation).
Bilda aaO (Fn. 2) Rdz. 136–138. Unten VI. 22 Schmitthoff, Hardship and Intervener-Clauses, J. Bus. Law 1980, 82–91 (86). 23 Überblick bei Delaume, Transnational Contracts, New York (Stand 1980) Bd. I sec. II § 2.06; vgl. auch Gösta Westring, International Procurement, ed. UNITAR 2. Aufl. New York 1977 A 3.1.5; Winter, A Contract for the International Sale of a Plant, 1 J. World Trade Law 632 ff. (1967), S. 640 f. 20 21
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Eben diese Neuverhandlung wird heute in zunehmendem Maß in solchen Verträgen zum Gegenstand einer ausdrücklichen Vertragsklausel gemacht24. Die Klauseln sehen für den Fall, daß der Tatbestand einer meist näher umschriebenen „hardship“ erfüllt ist, zunächst die Pflicht vor, in Neuverhandlungen über die Vertragsanpassung einzutreten25. Für den Fall, daß eine Partei Verhandlungen verweigert oder die Verhandlungen scheitern, sehen die Klauseln meist als weitere Rechtsfolge die Möglichkeit vor, ein Gericht oder ein Schiedsgericht anzurufen; damit ist zugleich in manchen Fällen die Rechtsfolge der Vertragsbeendigung und ggf. eine Schadensersatzpflicht der verhandlungsunwilligen Partei verbunden26. Statt der Anrufung eines Schiedsgerichts wird bei Verträgen, die englischem Recht unterstehen oder sonst von Vorstellungen des common law beeinflußt sind, häufig die Bestimmung der Lei- [263] stung durch einen Dritten vorgesehen (third party intervener clause)27. Der Grund dafür liegt darin, daß ein Schiedsgericht, das nach materiellem englischem Recht nur über die vertraglichen Rechte der Parteien zu befinden hätte, zu einer Anpassung des Vertrages ohne Einwilligung aller Parteien nicht befugt wäre, weil das englische Vertragsrecht diese Möglichkeit nicht kennt28: Das Schiedsgericht könnte also wie das Gericht nur über den bestehenden Vertragsinhalt und ggf. eine Vertragsverletzung durch eine Partei befinden, nicht über eine Vertragsänderung. Unabhängig davon ist aus sachlichen Gründen eine Leistungsbestimmung oder -neubestimmung durch einen Dritten in allen Fällen sinnvoll, in denen die genaue Leistungsbestimmung mit allen Details bei Vertragsschluß noch nicht möglich ist. Dies ist häufig etwa bei komplexen Vertragsleistungen im Anlagenbau der Fall. Nach dem Formularvertrag der Fédération Internationale des Ingénieurs-Conseils (FIDIC) fungiert der Ingenieur als ein solcher Dritter29. Er ist nach diesem Formularvertrag auch in erster Linie zur gütlichen Beilegung von Streitigkeiten während der Vertragsdauer berufen. Das meist zugleich vereinbarte Schiedsgericht soll erst in zweiter Linie entscheiden30.
24 Mürmann in: Horn, Monetäre Probleme im internationalen Handel und Kapitalverkehr, 1976, S. 57 ff.; Fontaine, Hardship-Clauses, D.P.C.I. 1976 II/1, S. 51 ff.; Oppetit, L’adaptation de contracts internationaux aux changements des circonstances: la clause de „hardship“, J. dr. int. 1974, 794–814; Schmitthoff aaO. 25 Schmitthoff aaO. 26 aaO. 27 aaO. S. 87. 28 Vgl. die Entscheidung des House of Lords in British Movietonews Ltd. v. London and District Cinema Ltd. (1952) A. C. 166. 29 Conditions of Contract (international) for Works of Civil Engineering Construction, Clauses 51, 52, 67 (abgedruckt z. B. bei Westring aaO unter CF). 30 aaO clause 67.
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2. Regeln der IHK zur Vertragsanpassung Die Internationale Handelskammer hat 1978 einheitliche Regeln über Vertragsanpassung veröffentlicht31. Sie beschäftigen sich mit der Einsetzung von Schlichtern. Ein Dritter oder ggf. drei Personen können unter Mitwirkung einer ständigen Kommission der IHK als Schlichter eingesetzt werden (Art. 1 ff., Art. 6). Der oder die Schlichter werden je nach Wahl der Parteien damit betraut, entweder eine bindende Entscheidung über eine Vertragsanpassung zu treffen, oder damit, den Parteien eine Empfehlung zu geben. Ihre Bestellung erfolgt durch die Parteien oder die Kommission. Die übrigen Bestimmungen regeln technische Fragen der Bestellung und Ablehnung der Schlichter, Fristen und Kosten. Die Parteien sollen die Regelung durch eine entsprechende Klausel in ihren Verträgen für sich verbindlich machen. Die ganze Regelung ist prozeduraler Art. Die Regeln der IHK enthalten keine materiellen Entscheidungsanweisungen für den Dritten. Man [264] setzt voraus, daß solche materiellen Kriterien aus dem Vertrag, ggf. aus einer darin enthaltenen hardship clause, sowie aus dem Recht, dem der Vertrag unterliegt, gewonnen werden können. Im übrigen wird bewußt ein Ermessensspielraum angestrebt, der eine Anpassung des Vertrages an veränderte Umstände erlaubt. Es geht also nicht um strikte Rechtsanwendung, sondern im Kern um Neuverhandlung mit Hilfe eines Dritten. Dies wird ganz deutlich in dem Fall, daß der Dritte nur eine Empfehlung aussprechen soll. Aber auch für den Fall, daß der Schlichter eine bindende Entscheidung treffen soll, ist nach der Vorstellung der Verfasser der IHK-Regeln kein Rechtserkenntnisverfahren durch Schiedsrichter anzunehmen. Dies folgt aus dem Einfluß der angelsächsischen Rechtsauffassung, daß auf diesem Weg eine Vertragsanpassung nicht möglich wäre32. Maßgebliche Grundlage der Vertragsanpassung ist danach die Parteivereinbarung, den Dritten einzuschalten. Nach deutscher Rechtsauffassung ist in der Regel Leistungsanpassung durch einen Schiedsgutachter anzunehmen und damit eine Alternative zur Neuverhandlung33. 3. Verminderte Vertragsbindung? Die heute sehr weit verbreitete Verwendung von hardship-Klauseln mit Neuverhandlungspflicht aufgrund oft sehr weitgefaßter Tatbestände hat zu der These Anlaß gegeben, im Bereich der Verträge des internationalen Wirtschaftsverkehrs habe man es mit einer neuartigen Konzeption
ICC Brochure No. 326 on Adaptation of Contracts (October 1978). Vgl. oben Fn. 28. 33 Nicht überzeugend Trost, der ohne nähere Begründung eine normale schiedsrichterliche Entscheidung annimmt; ZfRechtsvergleich 1980, S. 290. 31 32
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verminderter Vertragsbindung zu tun34. Diese These wird noch dadurch unterstützt, daß im internationalen Wirtschaftsverkehr die praktischen Möglichkeiten eines sanktionslosen Vertragsbruches größer sind und die rechtliche Vertragsbindung stärker durch Machtfaktoren beeinflußt werden mag. Hinzu kommt, daß in den letzten Jahrzehnten im Zusammenhang mit der Entkolonialisierung und mit dem Bestreben der Entwicklungsländer nach einer selbständigen Rolle im Weltwirtschaftsverkehr zahlreiche langfristige Wirtschaftsverträge, insbesondere Konzessionen zum Abbau von Mineralien, nicht mehr anerkannt und mit dem Ziel günstigerer Bedingungen neu verhandelt wurden35. Auch nach [265] dem Sturz eines Regimes werden in Entwicklungsländern oft die Abmachungen der früheren Regierung mit ausländischen Investoren nicht mehr anerkannt und Neuverhandlungen notwendig36. Es kann daher nicht überraschen, daß auch in Studien der UN die Rechtsansicht auftaucht, bei Verträgen im internationalen Wirtschaftsverkehr, insbesondere bei den zwischen Staaten und ausländischen privaten Partnern geschlossenen (nicht völkerrechtlichen) Verträgen, sei eine eingeschränkte Bindung anzunehmen und die Vertragsanpassung durch renegotiation oder auf andere Weise sei sozusagen natürlicher Bestandteil des Vertragsrechts37. Das große Thema der Vertragsbindung im internationalen Wirtschaftsverkehr kann hier nicht annähernd ausgeschöpft werden. Immerhin muß man zur Kenntnis nehmen, daß sich im Testfeld des internationalen Wirtschaftsverkehrs im Zusammenhang mit „renegotiation“ besorgniserregende Einschränkungen des Satzes ‚pacta sunt servanda‘ abzeichnen. Daher ist der Hinweis angebracht, daß renegotiation zwar faktisch bisweilen in bedenklicher Weise eingesetzt wird, aber prinzipiell den Grundsatz der Vertragstreue nicht aushöhlen kann. Das Faktum, daß die Vertragstreue im internationalen Bereich in besonderer Weise von politischen Rahmenbedingungen abhängt und in historischen Umwälzungen wie denen der Dekolonialisierung besonderen Erschütterungen ausgesetzt ist, erlaubt noch keine normativen Schlußfolgerungen im Hinblick auf die Vertragstreue als Rechtsgrundsatz. Entscheidend sind vielmehr die rechtlichen Voraussetzungen, unter denen 34 Oppetit aaO (Fn. 24) S. 799: „Peut-être assiste-t-on à la formation d’une coutume internationale dans laquelle le principe de la force obligatoire du contrat serait remplacé par le principe de l’adaptation aux situations nouvelles.“ 35 Vgl. z. B. Asante, Restructuring Transnational Mineral Agreements, 73 Am. J. Int. Law 335–371 (1979); Wälde, Revision of Transnational Investment Agreements, 10 LawAm 265–298 (1978). 36 Vgl. z. B. Gantz, The Marcona Settlement: New Forms of Negotiation and Compensation for Nationalized Property, 71 Am. J. Int. Law 474 (1977). 37 United Nations, Transnational Corporations in World Development: A Re-Examination, New York 1978 (UN Doc. E/C. 10/38 (1978) S. 102–122 (§§ 328–404 „Changing Contractual Arrangements“) insbes. §§ 268 ff. Die Studie ist vom UN-Centre on Transnational Corporations verfaßt.
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eine Neuverhandlungspflicht als Einschränkung zum Prinzip unveränderter Vertragstreue anzuerkennen sind. Diese rechtlichen Voraussetzungen müssen sich ihrerseits am Prinzip ‚pacta sunt servanda‘ orientieren. Für das internationale Wirtschaftsrecht kann dies hier nicht näher ausgeführt werden38; für das deutsche Recht ist es im Folgenden zu erörtern39. [266]
III. Einzelne Tatbestände gesetzlicher Neuverhandlungspflicht Eine Neuverhandlungspflicht kann auch ohne ausdrückliche Vertragsklausel nach objektivem Vertragsrecht bestehen. Die folgende Erörterung gesetzlicher oder von der Rechtsprechung anerkannter Einzeltatbestände einer Neuverhandlungspflicht erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dient der Illustration unseres Gegenstandes. Nach der eingangs zugrundegelegten Definition der Neuverhandlungspflicht, kommt es vor allem auf die drei folgenden Kriterien an: es liegt ein gültiger Vertrag vor; die Parteien sind verpflichtet, diesen Vertrag einvernehmlich abzuändern, um ihn an veränderte Verhältnisse anzupassen; die Parteien haben dabei einen gewissen Verhandlungs- und Gestaltungsspielraum. 1. Anpassungsverfahren über Miethöhe gem. § 2 MHRG Eine gesetzliche Neuverhandlungspflicht ist im sozialen Mietrecht im Anpassungsverfahren über die Miethöhe nach § 2 MHRG enthalten. Das Verfahren soll dem Wohnraumvermieter einen Ausgleich für die ihm auferlegte Einschränkung seiner Vertrags(-beendigungs-)freiheit bieten; diese Einschränkung folgt aus dem weitgehenden Bestandsschutz zugunsten des Wohnraummieters (insbes. gem. §§ 554 b, 556 a, 556 b, 564 b BGB) und vor allem aus dem Ausschluß der Kündigung zum Zweck der Mieterhöhung gem. § 1 MHRG. Das Mieterhöhungsverfahren des § 2 MHRG geht vom Modell der privatautonomen Regelung der Vertragsänderung aus: der Vermieter kann „die Zustimmung ... verlangen“ (Abs. 1); die Einigung der Parteien ist maßgeblich (Abs. 4). Der Klage auf Zustimmung zur Mieterhöhung ist ein Neuverhandlungsverfahren gem. § 2 Abs. 2 MHRG zwingend vorgeschaltet40. Diese Neuverhandlung ist allerdings streng formalisiert und zugleich ist die Offerte des Vermieters (Erhöhungsverlangen) inhaltlich bestimmt: das Erhöhungsverlangen muß schriftlich unter Nachweis von Vergleichsmieten 38 Dazu näher Horn, Problemas normativos de un Nuevo Orden Economico Internacional, Referat zum Weltkongreß für Rechtsphilosophie in Mexiko, Juli 1981. Zur Veröffentlichung vorgesehen. (Anm. 2016: Deutsche Fassung in diesem Band II.1.3) 39 Unten V. 40 Vgl. Emmerich-Sonnenschein, Mietrecht (1979) Art. 3 MKSchG, § 2 MHRG Rdz. 99, 104.
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gestellt werden; es ist eine Jahresfrist seit dem letzten Verlangen zu beachten (§ 2 Abs. 2 mit Abs. 1); das Angebot kann in Zweimonatsfrist (Abs. 3) angenommen werden. In dem mangels Einigung sich anschließenden Gerichtsverfahren wird die Berechtigung des Erhöhungsverlangens anhand der genauen formellen und materiellen Gesetzeskriterien überprüft. Es findet also keine allgemeine Billigkeits- oder Angemessenheitsprüfung statt, sondern eine Subsumption41. [267] Wegen der genauen formellen und materiellen Festlegung des Erhöhungsverlangens und des weiteren Verfahrens kann man einwenden, daß eine echte Neuverhandlung gar nicht stattfinde; es fehle an dem erforderlichen Gestaltungsspielraum. Man darf dieses Kriterium aber nicht überspannen. Gewiß dient das Erfordernis der Zustimmung primär dem Zweck, dem Mieter eine eigene Überprüfung der gesetzlichen Kriterien zu ermöglichen; das Einigungsmodell soll zudem die Gerichte entlasten. Aber dies gilt letztlich für jede privatautonome Regelung. Dem Mieter bleibt außerdem durchaus ein Gestaltungsspielraum: er kann dem Erhöhungsverlangen z. B. nur teilweise zustimmen42 und zuwarten, ob der Vermieter wegen des Restes noch klagt. Dies ist in der Praxis sogar überaus häufig. Er kann ferner eine Vereinbarung ganz anderen Inhalts mit dem Vermieter schließen43. Schließlich kann er sich durch eigene (außerordentliche, befristete) Kündigung gem. § 9 Abs. 1 MHRG dem Erhöhungsverlangen entziehen. Man muß im Ergebnis also einen echten Fall gesetzlicher Neuverhandlungspflicht bejahen. 2. Änderungskündigung, insbes. im Arbeitsrecht Eine Neuverhandlungspflicht kann auch in bestimmten Kündigungssituationen gegeben sein; von einer gesetzlichen Pflicht kann man allerdings nur mit dem Vorbehalt sprechen, daß sie wie andere wichtige Bereiche des Kündigungsrechts im Gesetz nur sehr unvollkommen zum Ausdruck kommt. Häufig wird eine Kündigung nur ausgesprochen, weil auch der Kündigende nicht die Lösung, sondern die Abänderung des Vertrages anstrebt und anbietet (Änderungskündigung)44. Damit wird eine Neuverhandlungssituation eröffnet. Von einer Pflicht kann man hier noch nicht sprechen. Wenn aber der Kündigungsgegner einen gesetzlichen Bestandsschutz im Hinblick auf den Vertrag genießt, kann der Kündigende von vornherein verpflichtet sein, statt Zu Einzelheiten s. Emmerich aaO Rdz. 57 ff., 125 ff. AaO Rdz. 113. 43 Auch ein unwirksames Erhöhungsverlangen des Vermieters, das also § 2 MHRG nicht entspricht, enthält i. d. R. einen wirksamen Antrag auf Vertragsänderung den der Mieter annehmen kann; vgl. Emmerich aaO Rdz. 98. 44 Auf die Streitfrage, ob bei der Änderungskündigung eine unbedingte oder bedingte Kündigung vorliegt, wird unten V 4 eingegangen; vgl. allg. Esser- Schmidt, Schuldrecht I.1, 5. Aufl. (1975) § 20 I 2 S. 225. 41 42
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der lösenden Kündigung nur eine Änderungskündigung auszusprechen, also ein Angebot abzugeben, den Vertrag unter veränderten Bedingungen fortzusetzen. Diese Situation finden wir vor allem im Arbeitsrecht45. Die Änderungskündigung ist in den §§ 2, 4, 6 und 8 KSchG erwähnt. Häufig [268] verwendet der Arbeitgeber die Änderungskündigung, um das Arbeitsverhältnis an betriebliche Notwendigkeiten anzupassen, was der Arbeitnehmer unter dem Vorbehalt einer Änderungsschutzklage gem. §§ 2, 4 KSchG annehmen kann46. Der Arbeitgeber kann aber auch ein Interesse an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben und zur Kündigung berechtigt sein. Hier besteht für ihn mit Rücksicht auf den Arbeitnehmer die Pflicht, die Änderungskündigung als das mildere Mittel zu wählen, wenn eine veränderte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses möglich und zumutbar ist; die schlechthin lösende Kündigung bleibt ultima ratio47. Dies gilt auch bei der außerordentlichen Kündigung48. Im Prozeß wird die Frage, ob die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt ist (gem. §§ 1, 2, 4 KSchG) und ob bei der außerordentlichen Kündigung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, unter Einbeziehung der Änderungsmöglichkeit und des Änderungsangebotes des Arbeitgebers entschieden49. Die Parteien haben zuvor Gelegenheit, eine angemessene Lösung freiwillig auszuhandeln. Natürlich ist eine Pflicht zur Neuverhandlung bei einer Kündigung oder Änderungskündigung nur unter der besonderen Voraussetzung gegeben, daß der Kündigungsgegner einen vertraglichen Bestandsschutz genießt. Dies ist in der Regel etwa bei der Kündigung eines Kreditverhältnisses nicht der Fall, wenn z. B. der Darlehensnehmer das Kündigungsrecht des § 247 Abs. 1 BGB ausnutzt, um sich anschließend zu einem niedrigeren Marktzins zu verschulden50, oder wenn umgekehrt die Bank ein vertragliches Kündigungsrecht nutzt, um den Kreditzins zu erhöhen51. In diesen Fällen besteht weder eine Pflicht zur Vertragsfortsetzung noch zur Abgabe eines angemessenen Angebotes. Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise der Kreditnehmer Bestandsschutz genießen kann, ist
Staudinger-Neumann, BGB 12. Aufl. (1979), Vorbem. 58 zu § 620. Einzelheiten bei Hueck, KSchG, 10. Aufl. (1980) § 2 Rdz. 8 ff., § 4 Rdz. 26 ff. 47 BAG BB 1978, 1310 ff.; Kempff, DB 1978, 1400; Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Dauerschuldverhältnissen, 1979, S. 143 ff. 48 BAG DB 1978, 1790 f. = BB 1978, 1310; Neumann aaO. 49 BAG aaO; Staudinger-Neumann aaO. Auf die Streitfrage, ob wegen der milderen Rechtsfolge weniger schwerwiegende Kündigungsgründe ausreichen, braucht hier nicht eingegangen zu werden. 50 Zur Diskussion um § 247 BGB vgl. allg. Luig, Kündigungsrecht bei hohem Zinssatz, AG 1979, 147 ff. 51 Vgl. BGH WM 1977, 834. 45 46
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äußerst umstritten und schwer zu beantworten52. Bejaht man ausnahmsweise einen solchen Bestandsschutz, so ergibt sich auch hier eine Neuverhandlungspflicht bei Kündigung. [269] 3. Anpassung von Betriebsrenten und Pensionen Eine Neuverhandlungspflicht wurde auch zur Anpassung von Betriebsrenten und Pensionen an gewandelte wirtschaftliche Verhältnisse einschließlich des Geldwertschwundes angenommen. Die Rechtsprechung hat eine solche Anpassungspflicht vor Erlaß des Betriebsrentengesetzes von 1974 entwickelt und dabei unter Berufung auf den besonderen Versorgungszweck Bedenken aus dem schuldrechtlichen Nominalprinzip zurückgestellt53. Die Rechtsprechung ging von einem Vorrang der privatautonomen Gestaltung aus: zuerst sollten die Parteien die Anpassungsfrage im Wege von Neuverhandlungen zu klären suchen, dann der Unternehmer nach billigem Ermessen i. S. § 315 BGB entscheiden; daran konnte sich die gerichtliche Überprüfung des billigen Ermessens durch die Gerichte anschließen. Dieser vorgezeichnete Regelungsmechanismus ist von § 16 BetrAVG allerdings nur eingeschränkt übernommen worden: nach § 16 BetrAVG kommt es auf die einseitige Ermessensentscheidung des Arbeitgebers an. Dieses Ermessen ist durch die neuere Rechtsprechung des BAG auf den Anpassungsautomatismus eines vollen Inflationsausgleiches reduziert worden54. 4. Anpassung des Erbbauzinses im Rahmen von § 9 a ErbbauVO Der 1974 in die ErbbauVO eingefügte § 9 a unterwirft die Anpassung des Erbbauzinses aufgrund vereinbarter Anpassungsklausel einer Einschränkung und Billigkeitskontrolle, um dadurch den Erbbauberechtigten bei Wohngebäuden gegen Übermaßvorteile des Erbzinsgläubigers zu sichern. Der Anpassungsmaßstab soll „unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles“ gewonnen werden (Abs. 1 S. 1); regelmäßige Obergrenze ist die „Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse“ (Abs. 1 S. 2). Die bedenkliche Bezugsgröße des Grundstückspreises wird dabei für den Regelfall ausgeschlossen (Abs. 1 S. 3 u. 4). Das Gesetz spricht von einem „Anspruch auf Erhöhung“ (Abs. 1 S. 5), nicht von einem Anspruch auf den erhöhten Erbbauzins. Wie vollzieht sich diese Erhöhung für den 52 Vgl. zur Diskussion die Beiträge von Canaris und Hopt in ZHR 143 (1979) 113 ff., 139 ff. 53 BAG NJW 1973, 959; BGHZ 61, 31. 54 St. Rspr. des BAG im Hinblick auf alle Anpassungen nach 1975 seit den Urteilen vom 1.7.1967, BB 1976, 1029 u. 1129; Überblick bei Ahrend/Förster/Rössler, BB Beilage 6/1980, S. 2 f.
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Regelfall, daß (zunächst) nicht das Gericht angerufen wird? Offenbar geht das Gesetz von der Vorstellung aus, daß dies durch Einigung der Parteien im Rahmen der vorgezeichneten Maßstäbe erfolgt. Gegenstand der Einigung ist die Erhöhung und, soweit notwendig, die Abänderung des ursprünglich vertraglich vereinbarten Anpassungsmaßstabes. Diese Einigung wird durch eine Neuverhandlung [270] erzielt, deren Verhandlungsspielraum durch die genannten Maßstäbe abgesteckt ist55. Die Rechtsprechung hat diese Maßstäbe inzwischen zunehmend präzisiert und dadurch diesen Verhandlungsspielraum stark eingeengt56. Insofern ist die Entwicklung ähnlich wie bei den Betriebsrenten verlaufen: ein massenhaft auftretendes Anpassungsproblem kann vom Gesetzgeber oder der Rechtsprechung mit der Zeit durch allgemeine Anpassungsgrundsätze gelöst werden, so daß für die gestaltende Aufgabe von Neuverhandlungen und notfalls richterlicher Anpassung nur ein kleiner Anwendungsbereich verbleibt. 5. Pflicht zur Ersetzung einer nicht genehmigten Anpassungsklausel Die Feststellung, daß die Parteien einer Erbbauzinsvereinbarung verpflichtet sein können, nicht nur die Erbbauzinserhöhung ad hoc einvernehmlich im Rahmen des § 9 a ErbbauVO festzusetzen, sondern auch, ihre vertragliche Anpassungsklausel generell dieser Vorschrift anzupassen, findet ihre Parallele in einer verwandten Fallgruppe. Wenn die Parteien eines sonstigen Vertrages eine genehmigungsbedürftige Wertsicherungsklausel vereinbaren, die anschließend von der Landeszentralbank nicht genehmigt wird, so sind die Parteien nach ständiger Rechtsprechung des BGH nach Treu und Glauben verpflichtet, eine andere, in der Funktion vergleichbare Klausel zu vereinbaren, für die dieses Hindernis nicht gilt57. Zweifel können hinsichtlich der dogmatischen Grundlage dieser Neuverhandlungspflicht bestehen. Nimmt man Nichtigkeit des Vertrages wegen Nichtigkeit der ursprünglichen Klausel gem. § 139 BGB an, was naheliegt und vom BGH z. T. offengelassen wird58, so kann die Pflicht nur aus culpa in contrahendo hergeleitet werden. Sie ist dann eher als (erstmalige) Abschlußpflicht zu bezeichnen, die sich folgerichtig auf den ganzen Vertrag beziehen muß, und nicht als Neuverhandlungspflicht zur Anpassung eines bereits bestehenden Vertrages. Diese letztgenannte Möglichkeit setzt voraus, 55 Die Parteien können sich natürlich auch auf eine Erhöhung nach §§ 315, 317 BGB einigen. Dazu und allg. zu den Billigkeitsmaßstäben Hartmann, DB 1974, Beil. Nr. 22 Rdz. 30; allg. Ingenstau, Kommentar zum Erbbaurecht, 5. Aufl. 1980, § 9 a Rdz. 18, 38. 56 BGHZ 75, 279 = NJW 1980, 181; BGH NJW 1980, 2243. 57 BGH NJW 1960, 523; 1967, 830; 1973, 1498. 58 So in BGH NJW 1960, 523; Fall des § 139 „an sich“ bejaht bzw. unterstellt und nur wegen Neuverhandlungspflicht verneint in BGH NJW 1967, 830; verneint auch in NJW 1973, 1498.
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daß man den Vertrag im übrigen als wirksam, aber für anpassungsbedürftig und -fähig hält. Diese Lösung wird im Ergebnis vom BGH bevorzugt. Die Begründung beschränkt sich im wesentli- [271] chen aber darauf, gerade wegen einer bestehenden Neuverhandlungspflicht den Vertrag für wirksam zu halten. Dann ist zu fragen, ob hier eine Neuverhandlungspflicht aufgrund und im Hinblick auf einen bereits bestehenden Vertrag vorliegt. Dies läßt sich dogmatisch unter zwei Gesichtspunkten begründen, deren Bejahung von den Umständen abhängt: erstens durch entsprechende Vertragsauslegung, nach der für den Fall der Nichtgenehmigung Nichtigkeit gem. § 139 BGB ausgeschlossen und eine Neuverhandlungspflicht vereinbart sein soll; zweitens aus dem Gesichtspunkt des Fehlens der Geschäftsgrundlage, was bei einem anpassungsfähigen Vertrag primär das Gebot zur Anpassung, nicht Unwirksamkeit zur Folge hat. Darauf ist zurückzukommen59. Allerdings sind beide Gesichtspunkte, insbesondere der letztere, nicht ohne weiteres generalisierbar. Mangels anderer Auslegungsmöglichkeit muß wohl die Nichtigkeit einer wichtigen Klausel regelmäßig zur Nichtigkeit des Vertrages führen. Jedenfalls eine vertragliche Neuverhandlungspflicht besteht hier meist nicht. Auch eine Abschlußpflicht aus culpa in contrahendo ist in einem solchen Fall nicht immer zu begründen. Nun liegt bei Nichtgenehmigung von Wertsicherungsklauseln die Sache insofern besonders, als hier (jedenfalls bei den klauselfähigen Verträgen) meist eine genehmigungsfähige oder genehmigungsfreie Klausel ganz ähnlicher Funktionsweise wie die nichtgenehmigte Klausel zu erlangen ist. Man kann daher hier vom vertraglichen Willen der Parteien ausgehen, daß eine solche Regelung gelten und notfalls durch Neuverhandlung gefunden werden soll.
IV. Zustimmungspflicht zur Vertragsanpassung im Personengesellschaftsrecht 1. Zustimmungspflicht und andere Wege der Vertragsanpassung Im Gesellschaftsrecht stellen sich, wie erwähnt, wegen der oft besonders langen Vertragsdurchführung die Probleme einer Vertragsanpassung an veränderte Umstände mit besonderer Dringlichkeit. Fehlt es an einer zulässigen Anpassungsregelung im Vertrag oder erweist sich dieser als unzureichend, beginnt die Suche nach den Rechtsgrundlagen für eine Anpassung für den Gesellschaftsvertrag. In Betracht kommen vor allem der Wegfall der
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Vgl. unten V.
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Geschäftsgrundlage60, aber auch die ergänzende Vertrags- [272] auslegung61 oder die Möglichkeit, aus einer Veränderung in der Zusammenarbeit der Gesellschafter auf eine konkludente Vertragsänderung zu schließen62. Mit den beiden letzteren Lösungen greift man auf eine bereits vorliegende Willenseinigung der Parteien zurück. Gerade deshalb ist die Leistungsfähigkeit dieser Lösungen dort begrenzt, wo tiefgreifende Veränderungen vertragsrelevanter Umstände auftreten, auf die sich die Parteien weder bei Vertragsschluß noch später eingestellt haben. Dann ist eher auf den sog. Wegfall der Geschäftsgrundlage zurückzugreifen63. Daneben wird in einer Reihe von Fällen die Pflicht der Gesellschafter angenommen, einer sich als notwendig erweisenden Vertragsänderung zuzustimmen. Diese Zustimmungspflicht wird mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht begründet64. Mit Recht ist der enge sachliche Zusammenhang zwischen dieser Treuepflicht und dem allgemeinen Tatbestand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage hervorgehoben worden65. In der Tat ist auch bei Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage schwerlich als Rechtsfolge eine sozusagen automatische Vertragsanpassung anzunehmen, sondern in der Regel eine Anpassung durch Einigung, was auf eine Zustimmungspflicht hinausläuft. Darauf ist zurückzukommen66. Die gesellschaftsrechtliche Zustimmungspflicht ist für unsere Überlegungen von grundsätzlichem Interesse, weil sie Ausdruck einer Neuverhandlungspflicht ist. Das ist näher zu betrachten. 2. Fallgruppen: Gesellschafterausschließung; Zustimmung der Mitgesellschafter zur Vertragsänderung Es ist weder möglich noch notwendig, hier die vielfältige Kasuistik, in der die Zustimmungspflicht diskutiert wird, auszuschöpfen. Pauschal gesehen geht es um zwei Fallgruppen: erstens um die Ausschließung eines Gesellschafters, zum anderen um die Zustimmung von Mitgesellschaftern zur Vertragsanpassung oder zur vorerwähnten Ausschließung eines dritten Mitgesellschafters. – In der ersten Fallgruppe, d. h. beim Konflikt [273] 60 Zöllner, Die Anpassung von Personengesellschaftsverträgen an veränderte Umstände, 1979, S. 53 ff.; dort auch S. 32 f. Überblick zum Folgenden. 61 Coing, Zur Auslegung der Verträge von Personengesellschaften, ZGR 1978, 659–677; Wiedemann, Die Auslegung von Satzungen und Gesellschaftsverträgen, DNotZ 1977 Sonderheft S. 99 ff., 109 ff.; BGH WM 1976, 251 ff. 62 BGH NJW 1966, 826; dazu Coing aaO 667. 63 Zutr. Heinrich Lange, Ausgangspunkte, Wege und Mittel zur Berücksichtigung der Geschäftsgrundlage, FS Giesecke (1958), S. 21–58 (52 f.). 64 Zöllner, S. 34 ff.; vgl. auch U. Schneider, AG 1979, 56 ff., 58 m. w. Nachw. 65 Zutr. H. P. Westermann, FS Hefermehl (1976), S. 240 f. Vorsichtig differenzierend Zöllner aaO S. 53 ff. 66 Zur Kritik an den Anpassungsmöglichkeiten, die ich nicht teile, vgl. im folgenden.
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zwischen dem auszuschließenden Gesellschafter und den Mitgesellschaftern, hat die Rechtsprechung je nach den Umständen die Verpflichtung der einen oder anderen Seite anerkannt, sich auf Vorschlag des Gerichts oder der Gegenseite auf eine Abänderung des Gesellschaftsvertrages als die „mildere“ Lösung gegenüber der Ausschließung einzulassen67. Die Situation entspricht derjenigen, die für die Änderungskündigung erörtert wurde. So kann sich etwa der Auszuschließende mit der Einwendung wehren, eine Vertragsanpassung sei möglich und angemessen. Der BGH läßt allerdings diese Einwendung nach vollständiger Streitaufklärung nur in der Weise zu, daß sie zugleich von einem substantiierten, verbindlichen Angebot zur Vertragsänderung begleitet ist68. Der betreffende Gesellschafter muß demnach ein Angebot abgeben, das inhaltlich so angemessen ist, daß es von der Gegenseite angenommen werden kann und jedenfalls das Gericht die Ausschließung verneint. Die Gegenseite muß sich auf das Angebot insofern einlassen, als sie jedenfalls mit der Ausschließung nicht mehr durchdringt. Umgekehrt muß sich der Gesellschafter, in dessen Person Gründe für eine Unzumutbarkeit der unveränderten Vertragsfortsetzung vorliegen, auf ein Angebot der Mitgesellschafter zu einer zumutbaren Vertragsänderung (z. B. ruhendes Stimmrecht, „Herabstufung“ zum Kommanditisten) einlassen und läuft bei Weigerung Gefahr, daß die Ausschließungsklage – auch mit Rücksicht auf sein Verhalten – begründet ist69. Eine Neuverhandlungspflicht kann schließlich im Zusammenhang mit dem Ausscheiden eines Gesellschafters auch hinsichtlich der zu zahlenden Abfindung bestehen, wenn der Gesellschaftsvertrag nur eine geringe Abfindung vorsieht und dies den Umständen nach unbillig ist, etwa weil der Gesellschafter ohne Schuld aus der Gesellschaft gedrängt wurde70. Die zweite Fallgruppe überschneidet sich mit der ersten. Es geht um die Zustimmung eines Mitgesellschafters, der selbst nicht von der Ausschließung bedroht ist, zu einer Vertragsanpassung oder Ausschließung eines anderen Gesellschafters. Wenn hier weder eine einstimmige Eini- [274] gung erzielt wird, noch der Vertrag in zulässiger Weise einen Mehrheitsbeschluß vorsieht, muß entschieden werden, unter welchen Voraussetzungen der Gesellschafter zur Zustimmung verpflichtet ist. Im Grundsatz stellt die Rechtsprechung hier 67 BGHZ 18, 350 f., 363; BGH WM 1975, 769; Baumbach-Duden-Hopt, HGB, 24. Aufl. (1980) § 140 Anm. 1 F u. 2 E; H. P. Westermann, NJW 1977, 769. 68 BGH WM 1975, 769. 69 Baumbach-Duden aaO. 70 BGH BB 1973, 442, betr. mittelbaren Druck durch vertraglich zulässige „Herabstufung“ des Gesellschafters zum Kommanditisten; dazu Schneider, NJW 1973, 750; StauderComes, DB 1973, 2433. Zur engen Begrenzung vertraglicher Rechte, einen Gesellschafter ohne wichtigen Grund auszuschließen, BGHZ 68, 212, 215; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I (1980) § 7 III 2; zur Unzulässigkeit der Buchwertabfindung in solchen Fällen BGH WM 1978, 1044 f. (str.).
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strenge Anforderungen; in der Sache zeigen die zahlreichen Anwendungsfälle aber ein anderes Bild71. Die Verpflichtung eines Gesellschafters, seine erforderliche Zustimmung zur Ausschließung eines anderen Gesellschafters zu geben, wird in bestimmten Fällen bejaht72. – Probleme der Vertragsanpassung treten potenziert bei den Publikums-KGs auf. Hier erfordert einerseits der Anlegerschutz die Begrenzung der vertraglichen Verkürzung von Individual- und Minderheitsrechten. Andererseits sind der KG Regelungen zur Erhaltung ihrer Existenz und Funktionsfähigkeit gerade auch bei notwendigen Vertragsanpassungen zuzubilligen. Interessant ist in diesem Zusammenhang der neuere Vorschlag, den Anlage-Kommanditisten hier eine zwingende „Selbstgestaltungskompetenz“ zur Mit-Neugestaltung des Gesellschaftsvertrages zuzusprechen73. Darin liegt ein Neuverhandlungsrecht und wohl auch eine Pflicht dazu unter den besonderen Bedingungen kollektiver Willensbildung. 3. Zustimmungspflicht als Element der Neuverhandlungspflicht Sowohl im Fall der Gesellschafterausschließung als auch der (sonstigen) Anpassung des Gesellschaftsvertrages sind Neuverhandlungspflichten zu erkennen. Die (oben III.) dafür genannten drei Kriterien sind erfüllt. Erstens liegt eine wirksame vertragliche Bindung vor, die abgeändert werden soll. Zweifel in diesem Punkt können nur bei Ausschließung durch Kündigung bestehen, die anstelle der Ausschließungsklage nach § 140 HGB aufgrund Vertragsklausel74 durch Beschluß und Erklärung der übrigen Gesellschafter möglich ist. Aber auch hier ist bei zumutbarer Abänderungsmöglichkeit die Kündigung letztlich nur begründet, wenn die Vertragsänderung ohne Schuld der Kündigenden nicht zustande kommt. Zweitens soll die Vertragsänderung durch Einigung der Parteien herbeigeführt werden. In den Ausschließungsfällen ist dies sinnfällig: mangels Einigung kommt es lediglich entweder zur Ausschließung oder deren Verneinung, nicht aber zur Vertragsänderung. Eine „Pflicht“ [275] zur Mitwirkung an der Vertragsänderung ist hier nur insofern zu bejahen, als andernfalls Rechtsnachteile drohen. Auch in der zweiten Fallgruppe (den Zustimmungsfällen) soll die Vertragsänderung auf Einigung beruhen. Die Ersetzung der Zustimmung durch Urteil ist hier die direkte Bestätigung für die Anerkennung einer solchen Rechtspflicht. Schließlich besteht drittens ein gewisser Verhandlungs- und Gestaltungsspielraum. Die rechtlichen Beziehungen innerhalb einer Personengesellschaft Zöllner, S. 25 ff., 62. BGHZ 64, 253; 68, 81. – Zu weiteren Fällen der Vertragsänderung Zöllner aaO. 73 Stimpel, FS Fischer (1979), S. 771, 778 ff.; zust. Wiedemann, Gesellschaftsrecht I (1980) § 9 III. 2. 74 Vgl. BGHZ 31, 295, 301; P. Ulmer JZ 1976, 97; Baumbach-Duden-Hopt, HGB § 140 Anm. 1 B. Für BGB-Gesellschaften vgl. § 737 BGB. 71 72
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sind meist so komplex, daß ein Anpassungsergebnis überhaupt nur gefunden werden kann, wenn die Vorstellungen der Beteiligten einfließen. Selbst wenn man an der Fiktion einer automatischen Vertragsanpassung durch veränderte Umstände festhalten wollte, die das Gericht lediglich feststellt, würde das Gesagte zumindest für den tatsächlichen Ablauf des Rechtsstreites gelten. Mangels Einigung entscheidet das Gericht, dem dabei nach der Natur der zu beurteilenden Rechtsfrage ein weiter Beurteilungsspielraum mit gestaltenden Elementen zukommt. Daran knüpft sich die Befürchtung, daß letztlich die privatautonome Gestaltung der Gesellschaftsrechtsverhältnisse in bedenklicher Weise durch richterliche Gestaltung ersetzt werde75. Die wohl herrschende Meinung teilt im Ergebnis diese Bedenken nicht76. Denn das Anpassungsproblem ist in vielen Fällen unausweichlich, und eine Allesoder-nichts-Lösung, nur die Auflösung oder Ausschließung aus wichtigem Grund zuzulassen mit der Möglichkeit, dann einen neuen Gesellschaftsvertrag zu schließen, überzeugt in den meisten Fällen nicht77, wenngleich bisweilen Zweifel berechtigt sein mögen, ob eine Vertragsanpassung durchweg der „mildere“, besser zumutbare Ausweg ist als die Trennung. Die hier aufgezeigte Neuverhandlungpflicht macht zudem deutlich, daß es die Beteiligten sind, die in erster Linie zur privatautonomen Umgestaltung ihres Vertragsverhältnisses aufgerufen sind. Dies ist ein wichtiger, bisher vielleicht zu wenig beachteter Aspekt der Lehre von der gesellschaftsrechtlichen Zustimmungspflicht.
V. Der allgemeine gesetzliche Tatbestand der Neuverhandlungspflicht Die bisherigen Überlegungen gestatten uns, über die gesetzlichen Einzelregelungen (MHRG, BetrAVG, ErbbauVO etc.) hinaus allgemeine Entstehungsgründe einer Neuverhandlungspflicht ex lege zu bestimmen. [276] Deutliche Anhaltspunkte dafür sind aus den erörterten Fällen im Personengesellschaftsrecht und bei der Änderungskündigung im Arbeitsrecht zu gewinnen, obwohl oder vielleicht gerade weil dort die gesetzlichen Anhaltspunkte nur schwach ausgeprägt sind oder fehlen. Eine Neuverhandlungspflicht ex lege ist immer da gegeben, wo ein Vertrag wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder im Zusammenhang mit einer Kündigung an veränderte Umstände anzupassen ist.
75 Fischer, Anm. zu BGH LM § 114 HGB Nr. 3; Kolhosser, FS Westermann (1974) S. 275 ff.; ders., FS Bärmann (1975), S. 533 f., 548. 76 Vgl. Zöllner, S. 37, 24 ff. m. Nachw. 77 Zutr. Zöllner, S. 20 ff. gegen Kolhosser aaO (Fn. 75).
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1. Regelmäßige Neuverhandlungspflicht bei Wegfall der Geschäftsgrundlage Wegfall der Geschäftsgrundlage bezeichnet in allgemeinster Form die Voraussetzungen einer ausnahmsweisen Vertragsanpassung. Diese ist nach h. M. die primäre Rechtsfolge, während die Vertragsauflösung ultima ratio bleibt78. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sind hier nicht zu erörtern, wohl aber ihre Rechtsfolgen und deren praktische Durchsetzung sowie die Stellung und Funktion der Neuverhandlungspflicht darin. Die Frage, wie die Vertragsanpassung aufgrund Wegfalls der Geschäftsgrundlage sich vollzieht oder praktisch durchzuführen ist, ist kontrovers. Zu unterscheiden sind zwei Teilfragen. Erstens geht es darum, ob die Anpassung ipso iure eintritt und vom Richter im Streitfall nur festgestellt wird, oder ob die Parteien die Anpassung durch eine gestaltende neue Einigung herbeiführen, die im Streitfall der Richter durch seine Gestaltung ersetzt. Geht man von der letztgenannten Möglichkeit aus, so stellt sich zweitens die praktische Frage, ob der Berechtigte im Streitfall zunächst auf die Anpassung, also auf die Abgabe der erforderlichen Willenserklärung, klagen muß oder sogleich auf die Leistung aus dem angepaßten Vertrag klagen kann. Die Bevorzugung der letzteren Möglichkeit aus prozeßökonomischen Gründen verführt dazu, auch die erste Teilfrage i. S. einer Anpassung ipso iure zu entscheiden, obwohl eine Notwendigkeit dazu nicht besteht. Der BGH und die wohl h. M. legen in der Mehrzahl der Fälle die Vorstellung einer Anpassung ipso iure zugrunde79. Im Bereich des Gesellschaftsrechts wird jedoch, wie gezeigt, die Vorstellung einer Vertragsanpassung durch Einigung bevorzugt80. Auch in anderen Fällen hat [277] die Rechtsprechung zur Auslösung der Folgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage eine Willenserklärung der Beteiligten verlangt. So hat der BGH angenommen, daß hier eine Partei ein Lösungsrecht durch Kündigung oder Rücktritt habe, falls eine Einigung über die Vertragsanpassung nicht erzielt werden kann81. Obwohl die Entscheidungen im Ergebnis Fälle der Vertragsauflösung betreffen, nicht der Anpassung, ist die Rechtsprechung insofern bemerkenswert, als hier zunächst eine Pflicht der Parteien zur Einigung über die Anpassung angenommen wird. Noch beachtenswerter für unsere Überlegung ist eine
78 BGHZ 47, 48, 51 f.; 58, 355, 363; Staudinger-Weber, BGB 11. Aufl. § 242 E Rdz. 381; Soergel-Knopp BGB § 242 Rdz. 414; Esser-Schmidt, Schuldrecht AT Bd. I 1 5. Aufl. (1975), § 24 III 1 S. 276. 79 BGH LM § 242 (Ba) BGB Nr. 38; BGH WM 1969, 335 f.; BGH NJW 1972, 152 ff. 80 S. oben IV und BGHZ 10, 44, 51; vgl. auch BGH NJW 1967, 1081 f. 81 BGH LM § 242 (Bb) BGB Nr. 57; BGH WM 1958, 700 f.
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neuere Entscheidung des OLG Karlsruhe, wo ein Recht zur Kündigung und Vertragsanpassung angenommen wird82. Die Überlegung, daß die Rechtsfolgen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nur eintreten, wenn sich zumindest eine Partei darauf beruft83, und daß der Vollzug der Vertragsanpassung erst darin liegt, daß sich die Parteien über das Anpassungsergebnis einigen, findet in der Literatur durchaus Befürworter84. Die gleiche Vorstellung liegt der geschilderten Rechtsprechung zugrunde. Für einen Vollzug der Vertragsanpassung erst durch Einigung der Parteien sprechen in der Tat die besseren Gründe. Denn als Regel gilt der Grundsatz unveränderter Vertragstreue; jede Vertragsanpassung ist die Ausnahme. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß es schon um der Klarstellung der rechtlichen Situation willen zu fordern ist, daß sich die Parteien über die Anpassung einigen85. Die (oben IV) erörterte Lehre von der gesellschaftsrechtlichen Zustimmungspflicht folgt der gleichen Überlegung, daß die neue Rechtslage in der Personengesellschaft grundsätzlich nur durch Willenserklärung der Beteiligten (Vertragsannahme bzw. Gesellschafterbeschluß) erfolgen kann. Hier spielt neben dem Gesichtspunkt der Klarstellung die besondere Zurückhaltung im Gesellschaftsrecht gegenüber jeder nicht einvernehmlichen Änderung der Rechtsposition der Gesellschafter eine Rolle. Für das Erfordernis der Einigung spricht noch ein zweiter Grund. In sehr vielen Fällen ist die Vertragsanpassung eine sehr komplexe Aufgabe, bei der komplizierte Vertragsregelungen, vielfältige schützenswerte Interessen der Parteien und verschiedene vertragsrelevante Umstände zu [278] berücksichtigen sind. Oft läßt sich nur schwer ein eindeutiges Anpassungsziel formulieren. Eine automatische Anpassung, die der Richter lediglich nachträglich feststellt, ist hier kaum vorstellbar. Mit Recht hat der BGH an anderer Stelle darauf hingewiesen, daß das Gericht mit den Parteien die verschiedenen Anpassungsmöglichkeiten gemäß § 139 ZPO erörtern soll86. Es ist grundsätzlich Sache der Parteien, durch Verhandlungen und durch Abgabe angemessener Angebote und gewissenhafte Prüfung von Gegenangeboten zur Findung eines Anpassungszieles beizutragen. Nur auf diese Weise ist die gestaltende Aufgabe der Vertragsanpassung zu bewältigen. Die Mitwirkung an ihr ist Inhalt der Neuverhandlungspflicht.
82 DB 1980, 254 betr. Anpassung eines Energieversorgungsvertrages (durch Abkürzung und Entgelterhöhung) bei Betriebsstillegung. 83 Stötter, NJW 1972, 1191 f. 84 Eingehend Haarmann, Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Dauerschuldverhältnissen (1979), S. 103 ff. m. Nachw.; zur Umstellung von Energieversorgungsverträgen vgl. Ebel, DB 1978, 679 ff. 85 Haarmann aaO S. 105 f. 86 BGH WM 1969, 335, 337.
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2. Ausnahmsweise Neuverhandlungspflicht hei Kündigung (Änderungskündigung) Die Kündigung ist primär ein Instrument zur Vertragsbeendigung (bei Dauerschuldverhältnissen). Ein Vertragsanpassungsproblem entsteht hier nur, wenn dem an sich gegebenen Kündigungsrecht ein rechtlich anerkanntes Bestandsinteresse des Kündigungsgegners entgegensteht. In diesem Fall muß sich der Kündigende ausnahmsweise auf eine Vertragsfortsetzung zu veränderten Bedingungen einlassen, wenn diese möglich ist. Er muß dies ggf. in Form der Änderungskündigung anbieten; der Kündigungsgegner kann die unbedingte Kündigung ggf. durch Abgabe eines Angebots zur abgeänderten Vertragsfortsetzung abwehren. Auch hier ist die Verpflichtung zur Abgabe oder Annahme von Vertragsänderungsangeboten im Zusammenhang einer umfassenderen Neuverhandlungspflicht zu sehen, weil auch hier die Anpassungsaufgabe komplex und nur unter Mitwirkung der Parteien zu bewältigen ist. In genereller Form lassen sich die Entstehungsgründe einer Neuverhandlungspflicht bei Kündigung nur für den Fall der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund bestimmen, weil diese Kündigungsform generell und zwingend bei allen Dauerschuldverhältnissen gegeben ist87. Wichtigstes allgemeines Kriterium eines außerordentlichen Kündigungsrechts ist die Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung für den Kündigenden88. Eine Neuverhandlungspflicht besteht demnach immer dann, wenn trotz des wichtigen Grundes zur Kündigung den Umständen nach der Kündigungsgegner ein anzuerkennendes Interesse an der Ver- [279] tragsfortsetzung hat und diese Fortsetzung dem Kündigenden zumutbar ist. So hat der Arbeitgeber zwar einen wichtigen Grund, seinen Fahrer, der wegen Trunkenheit am Steuer den Führerschein verloren hat, fristlos zu kündigen. Aber der soziale Schutz des Arbeitnehmers verpflichtet den Arbeitgeber zu prüfen, ob er den Fahrer an einem anderen Arbeitsplatz weiterbeschäftigen kann89. Der Arbeitnehmer kann dies verlangen und selbst Vorschläge machen. Arbeitsrechtliche Besonderheiten dieses Verhandlungsvorgangs, wie vor allem die Einschaltung des Betriebsrates, sind hier nicht darzustellen. Auch bei allen anderen Dauerschuldverhältnissen außerhalb des Arbeitsrechts sind Fälle denkbar, wo bei Kündigung aus wichtigem Grund eine Neuverhandlungspflicht entstehen kann90. Gegenüber einer ordentlichen Kündigung kann das Bestandsinteresse des Kündigungsgegners durch einen besonderen gesetzlichen Kündigungsschutz 87 RGZ 78, 385, 389; BGHZ 9, 157, 161 ff.; 41, 104; 50, 312, 314 f.; 51, 79; BGH WM 1978, 234; Larenz, Schuldrecht AT, 12. Aufl. (1979), § 2 VI. 88 Vgl. allg. Fn. 81 und Staudinger-Neumann, BGB 12. Aufl. (1979) § 626 Rdz. 23. 89 Vgl. den Fall BAG BB 1978, 1310 f. 90 Vgl. die Erörterungen zum Gesellschaftsrecht oben IV und oben Text nach Fn. 52.
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anerkannt sein, wie wir ihn etwa im Arbeitsrecht und im Mietrecht finden. Im Zusammenhang mit diesem Kündigungsschutz können Neuverhandlungspflichten bestehen und sogar gesetzlich präzise durchnormiert sein, wie für das Mieterhöhungsverfahren gezeigt91. Eine generelle Kennzeichnung der Neuverhandlungspflicht im Zusammenhang mit gesetzlichem Kündigungsschutz ist jedoch nicht möglich. Denn der Kündigungsschutz ist in den Einzelheiten jeweils vertragsspezifisch ausgestaltet je nach der unterschiedlichen Beurteilung der sozialen Schutzaufgaben durch den Gesetzgeber. Mieter, Arbeitnehmer oder Kreditnehmer sind danach in ganz unterschiedlicher Weise geschützt. 3. Neuverhandlungsanspruch und richterliche Gestaltung Die Neuverhandlungspflicht ist sowohl bei Wegfall der Geschäftsgrundlage wie im Zusammenhang mit der Kündigung die notwendige Entsprechung zum Anspruch auf Anpassung bzw. veränderter Vertragsfortsetzung. Die Geltendmachung des Anspruchs auf Anpassung stößt auf die Schwierigkeit, daß strenggenommen zunächst der Anspruch auf Anpassung und sodann der Anspruch aus dem angepaßten Vertrag zu verfolgen wäre, andererseits aber eine Verdoppelung des Rechtsstreits vermieden werden muß. Es besteht daher ein Bedürfnis, im Streitfall sogleich den Anspruch aus dem (anzupassenden oder angepaßten) Vertrag zu gewähren. Diese Schwierigkeiten erscheinen aber durchaus überwind- [280] bar, ohne daß man deshalb den Anspruch auf Anpassung und die damit verbundene Neuverhandlungspflicht aufgeben müßte. In der Tat hat sich die Rechtsprechung durch die genannten Schwierigkeiten nie abhalten lassen, prozeßökonomisch sinnvolle Ergebnisse zu erzielen. Im soweit vergleichbaren Fall der Wandlung wird sogleich der Anspruch aus Wandlung zugesprochen92. Ähnlich wird bei komplizierten gesellschaftsrechtlichen Konstellationen verfahren: die Klage auf Zustimmung zum Ausschließungsbeschluß gegen den einen Gesellschafter kann mit der Ausschließungsklage gegen den anderen verbunden werden93. Läßt man aber die Klage aus dem umgestalteten Vertrag zu, welchen Sinn hat dann der vorgängige Anspruch auf Einigung über die Umgestaltung? Er macht zunächst deutlich, daß den Parteien die privatautonome Gestaltung bis zur Einigung oder zum Urteil möglich und aufgegeben ist, ähnlich wie bei der Wandlung das ius variandi bis zum Urteil besteht94. Er macht zugleich deutlich, daß Pflichten der Vgl. oben III 1. Überblick bei Staudinger-Honsell, BGB 12. Aufl. (1978) § 465 Rdz. 3–5; vgl. auch Bötticher, Die Wandlung als Gestaltungsakt, 1938. 93 BGH NJW 1977, 1013. 94 Staudinger-Honsell aaO. Rdz. 16 m. Nachw. 91 92
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Parteien bestehen (können), an dieser privatautonomen Gestaltung mitzuwirken. Die Tatsache, daß ein Urteil über den Anspruch aus dem angepaßten Vertrag zugleich eine „verdeckte“ Gestaltung durch Urteil (anstelle der vorausgesetzten Einigung der Parteien) enthält, bildet nach den Erfahrungen mit dem Wandlungsrecht keine unüberwindlichen prozessualen Schwierigkeiten95. 4. Neuverhandlungspflicht und Fortbestand des unveränderten Vertrages Abschließend sind Entstehung und Fälligkeit der Neuverhandlungspflicht in ihrem Zusammenhang mit dem Fortbestand bzw. dem Schicksal des ursprünglichen Vertrages zu erörtern. Dies soll hier unter Vermeidung begriffsontologischer Tüfteleien nur insoweit geschehen, als es zur Aufklärung praktischer Probleme relevant erscheint. Nach der hier (oben V 1) vertretenen Auffassung setzt die Berücksichtigung des Wegfalls der Geschäftsgrundlage in aller Regel voraus, daß sich eine Partei darauf beruft. Ist eine Möglichkeit zur Vertragsanpassung gegeben, so wird die Neuverhandlungspflicht fällig, sobald eine Partei Anpassung verlangt. Die Neuverhandlungspflicht trifft dann beide Parteien. Bis zum Vollzug der Anpassung durch Einigung oder im Streitfall durch Urteil bleibt im Grundsatz der ursprüngliche Vertrag [281] mit seinen Pflichten bestehen. Aus der Neuverhandlungspflicht folgt aber, daß die Parteien auch vor Vollzug der Anpassung verpflichtet sind, ein nach dem ursprünglichen Vertrag vorgeschriebenes oder gestattetes Verhalten insoweit zu unterlassen, als dadurch die ersichtlich notwendige Anpassung erschwert oder vereitelt würde. Umgekehrt enden bei der berechtigten (ordentlichen oder außerordentlichen) Kündigung die Vertragspflichten grundsätzlich mit dem regelmäßigen Wirkungszeitpunkt der Kündigung. Eine Neuverhandlungspflicht entsteht mit der Kündigung (und wird durch den Widerspruch des Kündigungsgegners lediglich aktualisiert) unter der doppelten Voraussetzung, daß eine zumutbare Vertragsfortsetzung zu abgeänderten Bedingungen möglich ist und eine Partei für ihre Vertragsposition einen rechtlichen Bestandsschutz genießt. Dieser Bestandsschutz folgt, wie erörtert, bei der ordentlichen Kündigung aus einem besonderen Kündigungsschutzrecht; bei der außerordentlichen Kündigung wird er bei der Beurteilung des wichtigen Grundes und der Zumutbarkeitsprüfung verhandelt. Die Neuverhandlungspflicht entsteht hier regelmäßig nur für eine Partei, und zwar diejenige, deren Vertragsgegner für seine Vertragsposition einen rechtlichen Bestandsschutz genießt. Dies kann der Kündigende oder der Kündigungsgegner sein. Trifft die Pflicht den Kündigenden (z. B. den Arbeitgeber), muß dieser sich durch Änderungskündigung in Neuverhandlungen 95
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einlassen. Trifft den Kündigungsgegner die Neuverhandlungspflicht, so wird sich der Kündigende durch die Änderungskündigung auf die Neuverhandlungspflicht seines Gegners berufen (z. B. der Arbeitnehmer, der wegen unzumutbarer Verschlechterung seiner Arbeitsplatzverhältnisse kündigt, aber sein Arbeitsverhältnis nicht aufgeben will). Für den Modellfall, daß der Kündigende wegen des Bestandsschutzes des Kündigungsgegners eine Neuverhandlungspflicht hat und er deshalb eine Änderungskündigung ausspricht, ist trotz Kündigung zunächst von einem Fortbestand des Vertrages auszugehen. Die scheinbar doktrinäre Frage, ob bei der Änderungskündigung eine (durch Annahme des Änderungsangebotes) auflösend bedingte Kündigung oder eine (durch Ablehnung des Änderungsangebots) aufschiebend bedingte Kündigung96, ob also der bestehende Vertrag durch die Kündigung sofort aufgelöst ist oder erst bei Scheitern der Neuverhandlung, ist bei Bestehen einer Neuverhandlungspflicht (eines Bestandsschutzes) im zweiten Sinn zu beantworten. Denn hier besteht im Ergebnis ein Kündigungsrecht (z. B. die so- [282] ziale Rechtfertigung i. S. § 1 KSchG oder der „wichtige Grund“) nur, wenn eine mögliche und angemessene Vertragsfortsetzung angeboten und abgelehnt worden ist. Im übrigen richtet sich die Frage des Fortbestandes des ursprünglichen Vertrages nach den Einzelheiten des (vertragsspezifischen) Kündigungsschutzrechts, was hier nicht zu verfolgen ist.
VI. Inhalt der Neuverhandlungspflicht und Sanktionen ihrer Verletzung 1. Inhalt der Neuverhandlungspflicht a) Die bisherigen Überlegungen gestatten es, nunmehr für alle Neuverhandlungspflichten, seien sie durch ausdrückliche Vertragsklausel begründet oder durch spezielle oder generelle Tatbestände des objektiven Vertragsrechts, eine allgemeine Charakterisierung ihres Inhalts zu geben. Vorweg ist festzuhalten, daß auch die gesetzlichen Tatbestände der Neuverhandlungspflicht an den Tatbestand des bestehenden Vertrages anknüpfen und insofern von einer Vertragspflicht gesprochen werden kann. Dies ist insofern wichtig, als für die Konkretisierung der Pflicht im Einzelfall in der Tat auf den ursprünglichen Vertrag nach Möglichkeit zurückgegriffen werden kann und muß. Da die Neuverhandlungspflicht in keinem Fall mit den vertraglichen Hauptleistungspflichten in eins gesetzt werden kann, liegt es nahe, sie als Rahmenpflicht zu bezeichnen, deren schuldhafte Verletzung demnach eine positive Vertragsverletzung darstellt. Entsprechende Vorstellungen finden Vgl. Esser-Schmidt, Schuldrecht I.1, 5. Aufl. (1975) § 20 I.2 S. 225.
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sich in einzelnen Bemerkungen des BGH97. Damit kann aber noch nicht die Frage vorentschieden sein, ob nicht die Neuverhandlungspflicht in bestimmten Fällen eine selbständig durchsetzbare Vertragspflicht darstellt. Darauf ist (unten 2) zurückzukommen. Kern der Neuverhandlungspflicht ist die Abgabe der Willenserklärung, die für die Vertragsanpassung (durch Abänderungsvertrag oder Gesellschafterbeschluß) notwendig ist. Die Verpflichtung zum Abschluß eines Vertrages ist unserem Zivilrecht nicht unbekannt. Sie kann sowohl durch Vorvertrag begründet sein98 als auch durch Gesetz, so beim Kontrahierungszwang99. Sowohl beim Vorvertrag wie beim Kontrahierungszwang muß nach einhelliger Meinung die Vertragsabschlußpflicht einen konkreten oder leicht konkretisierbaren Inhalt haben, um rechtlich faß- [283] bar und damit überhaupt rechtsverbindlich zu sein100. Das Problem der Bestimmtheit besteht auch bei der Neuverhandlungspflicht. Allerdings sind hier gewisse Unterschiede zu den anderen genannten Instituten zu beachten. Bei der Neuverhandlungspflicht sind die Parteien einerseits schon durch einen Hauptvertrag gebunden. Andererseits kann das Anpassungsproblem gerade auf Umständen beruhen, die von den Parteien nicht berücksichtigt und im Vertrag nicht erfaßt werden konnten. Dies spricht dafür, das Bestimmtheitserfordernis hier nicht zu überspannen. b) Grundsätzlich ist bei jeder Neuverhandlungspflicht neben der Abgabe der Willenserklärung für die Vertragsanpassung noch ein zweites Element zu unterscheiden: die Teilnahme an einem vorangehenden Verhandlungsprozeß, in welchem das Anpassungsziel gefunden und damit der Inhalt der abzugebenden Willenserklärung überhaupt erst festgelegt werden muß (Neuverhandlungspflicht im engeren Sinn). Denn nur in wenigen Fällen ist das Anpassungsprogramm inhaltlich bereits genau festgelegt, so etwa bei eng begrenzten Neuverhandlungsklauseln oder im Fall der Mieterhöhung gem. § 2 MHRG. Selbst hier wird oft eine vorherige Verständigung der Parteien über die Anpassungsgesichtspunkte notwendig sein, und in §§ 1 und 2 MHRG ist dementsprechend eine detaillierte Begründungspflicht (Vergleichsmieten) für das Erhöhungsverlangen vorgeschrieben. Bei anderen Anpassungssituationen besteht eine relativ größere Unsicherheit über das Anpassungsziel. Dies gilt sowohl beim sog. Wegfall der Geschäftsgrund-
Vgl. unten Fn. 104, 107. Vgl. Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965. 99 Zum Kontrahierungszwang vgl. die Referate von Bydlinski und Kilian in AcP 180 (1980), 1 ff. und 47 ff. 100 Vgl. für den Vorvertrag Henrich aaO, S. 119 ff.; einschränkend Bucher, Die verschiedenen Bedeutungsstufen des Vorvertrages, in: Berner Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1979, Bern 1979, S. 169 ff. (183 ff. 187 ff.); für den Kontrahierungszwang Bydlinski aaO S. 18. 97 98
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lage und bei Vorliegen eines Kündigungsgrunds als auch bei entsprechend weit gefaßten vertraglichen Anpassungsklauseln. Gerade deshalb kann man nicht von einer bloßen Abschlußpflicht oder Zustimmungspflicht sprechen, sondern nur von einer umfassenderen Neuverhandlungspflicht, die auch die Mitwirkung bei der Herausarbeitung des Anpassungsziels umfaßt. Die einzelnen Elemente dieser vorbereitenden Verhandlungspflicht hängen von den Umständen ab. Gewisse Anhaltspunkte lassen sich aus den Verhaltenspflichten entnehmen, die zur culpa in contrahendo entwickelt wurden, so bestimmte Informations- und Rücksichtspflichten. Allerdings besteht der Unterschied, daß dort jedenfalls in der Regel mit Rücksicht auf die Vertragsabschlußfreiheit keine Pflicht zur Förderung des Vertragsschlusses besteht. Diese ist hier wegen des bereits bestehenden Vertrages aber gegeben, ebenso ist eine weitergehende Rücksichtnahme auf die Interessen des Vertragspartners geboten. Gewisse kon- [284] zeptionelle Anhaltspunkte lassen sich aus Wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Verhandlungstheorien entnehmen101, Konkretisierungen sind allerdings nur kasuistisch zu gewinnen. Hervorzuheben ist die Pflicht, sich überhaupt auf Verhandlungen einzulassen, notwendige Informationen zu geben, eigene Angebote zu machen und die der Gegenseite ernsthaft zu prüfen, die Verhandlungen nicht treuwidrig zu verzögern (einschließlich der Unterlassung von Scheinofferten), aber auch, während der Verhandlungen nicht ohne Not einen fait accompli zu schaffen und dadurch eine zunächst mögliche Vertragsanpassung endgültig unmöglich zu machen. Den Umständen nach kann auch ausnahmsweise die Pflicht bestehen, sich für die Klärung von Streitfragen eines Schiedsgutachters zu bedienen. c) Hinsichtlich des Anpassungsziels und damit des Inhalts der abzugebenden Willenserklärungen kommt es zunächst auf die Anhaltspunkte an, die der Vertrag selbst gibt. Diese können im Fall einer vertraglichen Neuverhandlungsklausel sehr präzise sein; in anderen Fällen sind sie es nicht. Dann ist zu versuchen, aus dem übrigen Inhalt und Zweck des Vertrages Anhaltspunkte zu gewinnen. Bei den sog. Leistungsäquivalenzstörungen ist Anhaltspunkt nicht ein objektives Wertverhältnis, sondern dasjenige, das die Parteien im ursprünglichen Vertrag selbst zugrundegelegt haben102. Bei der Neuordnung komplexer vertraglicher Kooperation wie im Arbeits- und Gesellschaftsrecht ist zunächst das dem Vertrag zugrundegelegte Programm der Kooperation zu ermitteln und zu klären, wieweit der darin beschlossene Interessenausgleich 101 Vgl. Tietz, Der Vertrag aus volkswirtschaftlicher Sicht, in: Horn/Tietz (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Studium des Rechts. Band I. Zivil- und Wirtschaftsrecht, 1977, S. 22 ff. 102 Zur vertraglichen vorausgesetzten Äquivalenz der vertraglichen Leistungen als Teil der Geschäftsgrundlage BGH NJW 1962, 250, dessen Formulierung allerdings eingeschränkt werden muß auf erhebliche Störungen. Richtig ist, daß es nicht um eine objektive Äquivalenz geht, sondern die Einschätzung der Vertragsparteien (in den Grenzen der §§ 119 ff., 138 BGB).
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nach Vertrag oder ex lege im Bestand geschützt sein soll103. Einzelheiten sind hier nicht zu vertiefen, denn es handelt sich um allgemeine, seit jeher namentlich im Rahmen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage erörterte Kriterien der Vertragsanpassung, die nicht im Mittelpunkt dieser Untersuchung stehen und theoretisch auch nicht abschließend konkretisiert werden können. d) Die Neuverhandlungspflicht endet mit der Einigung über die An- [285] passung. Bei Nichteinigung endet sie für die anpassungswillige Partei nicht erst mit der gerichtlichen Entscheidung, sondern schon zu dem Zeitpunkt, in dem eine Fortsetzung der Bemühungen um Neuverhandlung nicht mehr zumutbar ist. Die Neuverhandlungspflicht kann dann durchaus noch für die andere, Obstruktion treibende Partei weiterbestehen. Denkbar ist, daß in einem Vorschlag einer Partei oder auch in einer Teileinigung der Parteien ein angemessener Zeitraum für Neuverhandlungen festgelegt wird, der den Umständen nach zu bemessen ist. Mit Ablauf dieses Zeitraums endet für die vertragswillige Partei die Neuverhandlungspflicht. 2. Sanktionen einer Verletzung der Neuverhandlungspflicht a) Kern jeder Neuverhandlungspflicht bleibt letztlich die Abgabe der erforderlichen Willenserklärung zur Verwirklichung des angemessenen Anpassungsziels. Es hat sich gezeigt, daß in der überwiegenden Zahl der betrachteten Tatbestände das Anpassungsziel voll inhaltlich durchgesetzt werden kann: die fehlende Zustimmung des Mieters zur Mieterhöhung, des Gesellschafters zur Vertragsanpassung wird durch das Gerichtsurteil ersetzt, das zugleich über die Rechtsfolgen der Anpassung entscheidet. Gegenüber diesem praktischen Ergebnis muß es von untergeordneter Bedeutung sein, ob diese Durchsetzung im Wege der Erklärungsfiktion des § 894 ZPO erfolgt oder inzident in einem Urteil, das zugleich über die Rechtsfolgen aus dem angepaßten Vertrag entscheidet. Denn jedenfalls wird das Anpassungsergebnis durch das Urteil herbeigeführt. b) Diese Rechtsfolge steht aber nicht in jedem Fall offen. Bei einer Neuverhandlungspflicht im Zusammenhang mit einer Kündigung besteht die Sanktion regelmäßig nicht in der Erzwingung einer Anpassung. Vielmehr zieht die Nichtverhandlung andere Rechtsnachteile nach sich: die volle Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der (lösenden) Kündigung jeweils zum Nachteil dessen, den eine Neuverhandlungspflicht (oder hier besser: Neuverhandlungslast) trifft. Der gekündigte Gesellschafter, der trotz eines Kündigungsgrundes 103 Zur begrenzten Zulässigkeit vertraglicher Klauseln, in denen die Interessen einer Partei zur Disposition der anderen gestellt werden, etwa durch Mehrheitsentscheidungen oder einseitige gestaltende Erklärungen kraft Gesellschaftsvertrages, vgl. allg. BGHZ 68, 81 und oben IV.
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nicht verhandelt und eine annehmbare Vertragsanpassung nicht anbietet, verliert seine Gesellschafterstellung; umgekehrt können die kündigenden Mitgesellschafter an der unveränderten Vertragsfortsetzung festgehalten werden, wenn sie sich nicht ihrerseits auf eine zumutbare Vertragsänderung einlassen. Ebenso kann der kündigende Arbeitgeber, der eine ihm zumutbare alternative Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht anbietet, im Ergebnis mit der Kündigung gegen den Widerspruch des Arbeitnehmers nicht durchdringen; umgekehrt verliert der gekündigte Arbeitnehmer, der sich auf ein [286] ihm zumutbares Änderungsangebot nicht einläßt, bei im übrigen berechtigter Kündigung endgültig seine Stellung. c) Neben dem Erfüllungsanspruch auf Anpassung (oben a) kann ein Recht gegeben sein, sich vom Vertrag zu lösen. Es wurde bereits (oben 1 d) erörtert, daß für die verhandlungswillige Partei die Neuverhandlungspflicht entfällt, wenn die Gegenseite sich nicht darauf einläßt. Zugleich muß aber die ursprünglich verhandlungswillige Partei nun die Möglichkeit haben, sich vom Vertrag gänzlich zu lösen. Bei Wegfall der Geschäftsgrundlage hat der BGH in Übereinstimmung mit der Literatur anerkannt, daß „der Schuldner, wenn sein berechtigtes Verlangen nach Anpassung des Vertrages vom Gläubiger abgelehnt wird, das Recht (hat), sich vom Vertrag zu lösen“104. Das Lösungsrecht ist vertragsspezifisch als Kündigungsrecht oder Rücktrittsrecht gegeben105, bei Dauerschuldverhältnis also immer als Kündigung. Die genannte Rechtsprechung stellt eine punktuelle, aber durchaus deutliche Anerkennung der hier thematisierten Neuverhandlungspflicht dar. Die genannten Fälle sind zu unterscheiden von denen, wo von vornherein nur eine Vertragslösung in Betracht kam, also keine Abänderungsmöglichkeit und damit keine Neuverhandlungspflicht gegeben war. Vielmehr geht es hier um grundsätzlich anpassungsfähige Verträge, für die bei Wegfall der Geschäftsgrundlage die Anpassung die vorrangige Rechtsfolge vor der Auflösung ist (vgl. oben V). Die Lösungsmöglichkeit gründet also auf zwei rechtlichen Gesichtspunkten, einmal dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, der zunächst nur einen Anpassungsanspruch begründet, und auf der hinzutretenden Verletzung der Neuverhandlungspflicht. Schließlich ist von den hier betrachteten Fällen der bereits erwähnte Fall zu unterscheiden, daß die Kündigung lediglich das Anpassungsverlangen artikuliert, im Kern also eine Änderungskündigung vorliegt106. d) Die Verletzung der Neuverhandlungspflicht kann ferner nach allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts zum Schadensersatz, verpflichten. Wie BGH LM § 242 (Bb) BGB Nr. 57; ähnlich BGH WM 1958, 700 f. BGH LM aaO, betr. Kündigung eines Werkvertrages; BGH WM aaO betr. Rücktritt vom Kaufvertrag. 106 OLG Karlsruhe DB 1980, 254; vgl. oben Fn. 82. 104 105
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gezeigt (oben 1 a), handelt es sich bei der Neuverhandlungspflicht um eine vertragliche Rahmenpflicht. Ihre schuldhafte Verletzung stellt eine positive Vertragsverletzung dar. Der BGH hat dies für Fälle der Weigerung zur Neuverhandlung auch ausgesprochen107, allerdings unzutreffend im Hinblick auf die erörterten Lösungsmöglichkeiten. [287] Richtigerweise ist Verschulden nur für den Schadensersatzanspruch zu fordern. Der zu ersetzende Schaden kann nicht in der mangelnden Abgabe der Willenserklärung zur Vertragsanpassung bestehen, sofern noch eine Anpassung möglich ist. Denn in diesem Fall kann die Willenserklärung durch das Urteil ersetzt werden. Es geht vielmehr um zwei Fallgruppen. Erstens kann durch die Weigerung oder Verzögerung der Gegenseite eine ursprüngliche Vertragsanpassung zum Zeitpunkt des Urteils nicht mehr möglich oder nicht mehr zumutbar sein. Dann ist der aus der Vereitelung der Vertragsanpassung entstandene Schaden zu ersetzen. Zweitens geht es um zusätzliche Kosten oder Schäden, die trotz einer schließlich erreichten Anpassung durch Verschleppung der Neuverhandlung entstanden sind. Solche Schäden beruhen also gerade auf der Verletzung der Verhandlungspflicht im engeren Sinn (oben 1 b). Zu beachten ist, daß die Feststellung der Verletzung von Neuverhandlungspflichten und ein Verschulden einer Partei in vielen Fällen schwer nachweisbar sind. Die Lage kann durch Scheinangebote verschleiert werden. Meist werden die Parteien einander die Schuld am Scheitern der Verhandlungen geben. Bei der Schadensersatzpflicht kann es praktisch nur darum gehen, manifeste Fälle von Weigerung oder Obstruktion mit einer Sanktion zu belegen. e) Schließlich können sich besondere Sanktionen für eine Verletzung der Neuverhandlungspflicht auch aus einer vertraglichen Neuverhandlungsklausel ergeben, etwa Vertragsstrafen oder auch Recht zur Vertragslösung in Fällen, in denen der Vertrag an sich rechtlich fortbesteht und durchführbar bleibt. 3. Die Funktion einer sanktionierten Neuverhandlungspflicht Die aufgezählten unterschiedlichen Sanktionen üben insgesamt einen Druck auf die Parteien aus, sich ohne Anrufung eines Gerichts gütlich zu einigen. Nimmt man die Neuverhandlungspflicht ernst, so kann eine Partei, die vom Gericht Anpassung verlangt, nur durchdringen, wenn sie zugleich dartut, daß sie selbst grundsätzlich verhandlungsbereit war und ist oder ihr jetzt den Umständen nach eine Neuverhandlung nicht mehr zugemutet werden kann. De lege ferenda kann man erwägen, über die allgemeine Pflicht des Gerichts zur Förderung einer gütlichen Einigung hinaus die Möglichkeit vorzusehen, daß auch im Prozeß noch ein Neuverhandlungsverlangen gestellt werden kann und das Gericht daraufhin, falls dieses Verlangen zumutbar ist, aaO Fn. 104.
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eine Neuverhandlungsfrist bestimmt, während der es in der Sache nicht entscheidet. [288] Im Ergebnis verschwindet in allen streitigen Fällen – die allein ins Rampenlicht treten – die Notwendigkeit der Einigung der Parteien im Verhandlungswege hinter dem gestaltenden und Rechtsfolgen zuteilenden Richterspruch. Dies kann dazu führen, daß man im Erfordernis der Einigung der Parteien (oder der Zustimmung eines Beteiligten) doch nur eine gefährliche Fiktion sieht, um letztlich dem Richter eine erhebliche Gestaltungsmöglichkeit im Hinblick auf Privatrechtsverhältnisse zu verschaffen. Dazu ist zunächst zu sagen, daß durch die Annahme einer Neuverhandlungspflicht keineswegs die bereits vorhandenen Tatbestände einer Vertragsanpassung ausgeweitet werden sollen. Vielmehr soll nur die Art und Weise, wie diese Anpassung zu bewerkstelligen ist, in Übereinstimmung mit den in unserem Zivilrecht angelegten Grundsätzen primär als Neuverhandlungspflicht der Parteien verstanden werden. Jede Vertragsanpassung ist ein Ausnahmetatbestand zur unveränderten Vertragstreue. Dies muß auch so bleiben. Es ist aber unbestreitbar, daß Anpassungsprobleme nicht selten, namentlich bei Dauerschuldverhältnissen häufig, auftreten. Gerade langfristige Verträge unterliegen bei dem ständigen Wandel wirtschaftlicher, politischer und sozialer Rahmenbedingungen, aber auch persönlicher Verhältnisse, einem starken Anpassungsdruck. In bestimmten Fällen, die allgemein rechtlich anerkannt sind und denen hier keine neuen hinzugefügt werden sollen, ist daher die Notwendigkeit der Anpassung privater Rechtsverhältnisse gegeben. Ist dies aber so, dann muß im Interesse der Privatautonomie in diesen Fällen eine Neuverhandlungspflicht der Parteien angenommen und mit begrenzten Sanktionen auch durchgesetzt werden, gerade um die Neugestaltung der betreffenden Privatrechtsverhältnisse nicht allein dem Richter zuzuweisen, sondern in erster Linie der Verantwortung der Parteien.
Die Freiheit fordert ihr Recht In Frankfurter Allgemeine v. 10.3.1990 (Nr. 59), S. 15 In der Verfassung der DDR gilt noch immer die Planwirtschaft. Nach den ordnungspolitischen Grundsatzentscheidungen kommt die Stunde des Gesetzgebers. Die Einführung der sozialen Marktwirtschaft auf dem Gebiet der DDR ist als politisches Ziel in Ost und West kaum noch umstritten. Sie ist unverzichtbare Voraussetzung für die Einbeziehung der DDR in das Währungsgebiet der D-Mark. Die entscheidenden Schritte zur Marktwirtschaft werden heute fast einstimmig genannt: Gewerbe- und Vertragsfreiheit, Eigentum an Produktionsmitteln sowie Kreditversorgung der Wirtschaft und Abbau der Überbesteuerung, dazu stabile Währung und ein soziales Netz. Dies ist die Stunde des Gesetzgebers. Nur er kann die genannten Einzelziele in Recht umsetzen und damit die unverzichtbaren Rahmenbedingungen für eine soziale Marktwirtschaft und die Währungsintegration schaffen. Im Wirtschaftsrecht der DDR hat sich aber bisher fast nichts bewegt. Unverändert besteht nach der Verfassung der DDR die sozialistische Planwirtschaft (Artikel 9 Absatz 3 und Artikel 12 Absatz 2) mit einem staatlichen Monopol der Wirtschaftsplanung und des Außenwirtschaftsverkehrs (Artikel 9 Absatz 3 und 5). Ein undeutlicher neuer Artikel 14a erlaubt seit Januar 1990 Gemeinschaftsunternehmen mit ausländischer Beteiligung. Der Ministerrat hat dazu am 25. Januar 1990 die Verordnung über die Gründung und Tätigkeit von Unternehmen mit ausländischer Beteiligung in der DDR erlassen. Sie ist bekanntlich bei westlichen Investoren auf wenig Gegenliebe gestoßen. Gründe dafür sind der Grundsatz der Minderheitsbeteiligung (maximal 49 Prozent, mit Ausnahmen), ein beschwerliches und unklares Genehmigungsverfahren, die Notwendigkeit, DDR-Bürgern in der Geschäftsleitung ein Übergewicht (AG) oder Parität (GmbH) einzuräumen, Devisenbewirtschaftung mit Teilabschöpfung der Devisenerlöse, Auflagen bei der Preisgestaltung und ein drückendes und unübersichtliches System von Steuern und Abgaben. Westliche Investoren verzichten derzeit auf die Gründung einer gemeinsamen Gesellschaft und schließen mit Partnern in der DDR rein schuldrechtliche Kooperationsabkommen. Auf diese Weise kamen bereits Verträge mit beachtlichem Volumen zustande, zum Beispiel über Touristikleistungen, aber auch Verträge als Vorstufe späterer Gemeinschaftsunternehmen. Auch diese
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Verträge stehen derzeit noch auf unsicherer Grundlage, und regionale DDRBehörden haben noch im Februar 1990 die Betriebe darauf hingewiesen, dass bei Westverträgen mangels gesetzlicher Grundlage „der Regress gegen DDRPartner bei abgeschlossenen Verträgen bei deren Nichteinhaltung noch nicht möglich“ sei. Als Schritte zum erklärten Ziel der „vollen Gewerbefreiheit“ hat der Ministerrat zunächst durch Verordnung private Handwerks- und Gewerbebetriebe von Diskriminierungen befreit, nämlich Zulassungsschranken, Beschränkung der Beschäftigtenzahl, Gebühren beim Import von Produktionsmitteln. Ende Februar hat er der Volkskammer dann ein Gesetz zur Verwirklichung der Gewerbefreiheit und zur Gründung privater Unternehmen als Personen- und Kapitalgesellschaften zugeleitet. Schon Ende Januar wurde das Programm einer Marktwirtschaft verkündet, das eine Preisreform und Subventionsabbau vorsieht, eine Steuerreform mit einheitlichen Steuersätzen, Lohnerhöhungen und eine Umgestaltung des Bankensystems mit Unabhängigkeit der Staatsbank der DDR und selbständigen Geschäftsbanken. Nach der Wahl vom 18. März soll und muss das neue Recht geschaffen werden, das die Marktwirtschaft ermöglicht und sichert. Die Frage ist, wie diese gewaltige gesetzgeberische Aufgabe in kurzer Zeit bewältigt werden kann, zumal wenn deutsche Gründlichkeit obwaltet. Man kann diese Frage nicht dadurch umgehen, dass man die Übernahme des bundesdeutschen Rechts aufgrund staatlicher Vereinigung postuliert. Denn es besteht in jedem Fall ein politisches und gesetzliches Überleitungsproblem, und es besteht die Notwendigkeit, sofort durch Gesetz die marktwirtschaftlichen Mindestvoraussetzungen der Währungsunion zu schaffen. Diese Aufgabe ist lösbar. Dafür gibt es zwei einfache Gründe. Erstens beruht jede Marktwirtschaft im Kern auf einfachen rechtlichen Voraussetzungen: Freiheit und Eigentum im Rechtsstaat. Zweitens ist jede sozialistische Wirtschaft nur scheinbar von ihrer Fülle von Gesetzen und Regelungen, die man aufheben oder überleiten muss, geprägt. In Wirklichkeit ist sie entscheidend vom Primat der Politik und der Planungsbürokratie bestimmt. Rechtsnormen sind von geringem Gewicht. Denn die „sozialistische Gesetzlichkeit“ bedeutet auch „sozialistische Parteilichkeit“, und das Wirtschaftsrecht der DDR birgt eine Fülle bürokratischer Entscheidungskompetenzen. Derzeit ist die Planungsbürokratie der DDR gelähmt. Ein volkswirtschaftlicher Gesamtplan für die DDR ist nicht mehr vorhanden. Das faktische Absterben der Planungsbürokratie ist bereits ein Fortschritt. Aber das Entscheidende muss der Gesetzgeber tun. Er kann sich dabei zunächst auf wenige Neuerungen konzentrieren, davon allerdings einige mit Verfassungsrang: Eigentumsordnung, Gewerbe- und Vertragsfreiheit, Unternehmensrecht und Bankensystem. Der freie Gebrauch des Eigentums zu wirtschaftlichen Zwecken erfordert gesetzliche Maßnahmen in drei Richtungen. Erstens muss, wie von
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der DDR-Regierung angekündigt, die Gewerbefreiheit und damit die allgemeine wirtschaftliche Handlungsfreiheit garantiert werden, und zwar möglichst mit Verfassungsrang. Zweitens ist eine freiheitliche Eigentumsordnung zu schaffen, und drittens sind bestehende Eigentumsverhältnisse zu klären. Bisher besteht eine freiheitliche Eigentumsordnung nicht. Der Privatmann verfügt zwar über das sogenannte „persönliche Eigentum“ (Art. 11 DDR-Verfassung). Es kann an Gebrauchsgegenständen, an Hausrat oder an einem Wohnhaus bestehen, darf aber nicht zur Erwerbsquelle werden. Nur in Restbeständen wird Privateigentum an Produktionsmitteln geduldet, etwa bei halbstaatlichen Kommanditgesellschaften. Daneben anerkennt die DDR-Verfassung solches Privateigentum bei kleinen Warenproduzenten mit „überwiegend persönlicher Arbeit“ (Artikel 14 Absatz 2) und erst seit Januar 1990 indirekt wohl auch bei ausländischer Unternehmensbeteiligung (Art. 14a). Der Wirtschaftssektor wird vom Privatsektor in der DDR durch das „sozialistische Eigentum“ abgegrenzt. An Produktionsmitteln darf im Grundsatz nur dieses Eigentum bestehen (Artikel 2 Absatz 2, Artikel 9 und 10 der Verfassung der DDR). Seine höchste Form ist das Volkseigentum, de facto ein Staatseigentum besonderer Art. Zweite Form des sozialistischen Eigentums ist das genossenschaftliche Eigentum zum Beispiel der landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs). Bodenschätze und Verkehrseinrichtungen (Artikel 12 Absatz 1) und allgemein die Kernbereiche der Volkswirtschaft wie Grundstoff- und Schwerindustrie stehen in Volkseigentum. Dieses ist rechtlich privilegiert. Es darf nicht zweckentfremdet, also nicht veräußert werden. „Volkseigentum darf weder verpfändet, noch gepfändet, noch belastet werden“ (Paragraph 20 Absatz 3 Satz 2 Zivilgesetzbuch). Also ist auch eine übliche Kreditsicherung nicht möglich, zum Beispiel die Bestellung einer Hypothek. Gegen die Forderung eines volkseigenen Betriebs darf nicht aufgerechnet werden. Die Zwangsvollstreckung in Volkseigentum ist unzulässig. Dies bedeutet eine einschneidende Beschränkung der Haftung, letztlich der Fähigkeit eines solchen Betriebs, Schuldner zu sein. Umgekehrt sind die Träger von Volkseigentum in der Zwangsvollstreckung gegen ihre Schuldner privilegiert. Dieser hierarchisch gegliederte Eigentumsbegriff und insbesondere das „Volkseigentum“ sind für eine Marktwirtschaft ungeeignet, weil unflexibel und verkehrsfeindlich. Wenn heute Stimmen laut werden, die künftige Marktwirtschaft der DDR solle „eine Vielfalt von Eigentumsformen“ nutzen, so ist nachzufragen, was gemeint ist, nämlich ob es um eine Vielfalt nach östlicher oder westlicher Rechtsauffassung geht. Die DDR-Verfassungsbestimmungen über das sozialistische Eigentum müssen fallen. Eine moderne Verkehrswirtschaft verlangt einen einheitlichen Begriff des Privateigentums.
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Verträge stehen auf unsicherer Grundlage Unser Recht kennt das einheitliche Sacheigentum des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Auch hier gibt es eine Vielfalt (Allein-, Bruchteils-, Gesamthands-, Wohnungseigentum), dazu die Einschaltung juristischer Personen als Eigentumsträger (zum Beispiel AG, GmbH) und das eigentumsähnliche Erbbaurecht. Aber diese Vielheit steht im Dienst privater Verfügbarkeit und wirtschaftlicher Nutzung und kennt keine hierarchische Privilegierung. Auch der Staat kann in diesem System gleichgestellter Eigentümer sein. Gegen staatlichen Eingriff ist wie bei uns das Eigentum in umfassendem Sinn zu schützen, also neben dem Sacheigentum auch sonstige Vermögensrechte, zum Beispiel Aktienbesitz. Die Beseitigung des gegliederten Eigentums und eine genereller Eigentumsschutz durch die Verfassung der DDR werden relativ geringe Übergangsprobleme erzeugen. Denn das bisherige Volkseigentum bleibt dann zunächst Eigentum des Staates, ist aber nicht mehr privilegiert und dem allgemeinen Rechtsverkehr entzogen. Seine weitere Verwendung (Reprivatisierung, Anlage von Sparvermögen, Entschädigungen) kann dann ohne Zeitdruck entschieden werden. Beim genossenschaftlichen Eigentum besteht schon deshalb kein dringliches Überleitungsproblem, weil es auch nach DDR-Recht auf dem fortbestehenden Privateigentum der Genossen beruht, die z. B. ihr bäuerliches Land in Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPGs) eingebracht haben. Hier sind behutsame Lösungen denkbar, die das bisher funktionslose Privateigentum allmählich reaktivieren. Das dritte und schwierigste Problem im Eigentumsrecht der DDR besteht in der Unklarheit vieler Eigentumsverhältnisse, vor allem an Grundstücken. Dies liegt an den verschiedenen Wellen unrechtmäßiger und entschädigungsloser Enteignungen von Bauernland und Privatbetrieben (unter anderem in den Jahren 1945–1948, 1953 und 1972). Viele Eigentumsfragen blieben vor allem beim Hausbesitz auch einfach in der Schwebe, zum Beispiel wenn ein Grundstückseigentümer nach Westen floh und die kommunale Wohnungsverwaltung eingriff. Hier liegt ein gewaltiges Problem. Hier liegt eine gewaltige gesetzgeberische Aufgabe zur Lösung der Restitutions- und Ausgleichsprobleme; dies muss im Bewusstsein der historischen Dimension und gewachsener neuer Besitzstände (Mieter, sonstige neue Grundstücksnutzer) behutsam geschehen. Kurzfristige Lösungen sind dabei schwer vorstellbar. Soweit dadurch spekulative Grundstücksaufkäufe gebremst oder verhindert werden, ist dies kein Nachteil. Das Problem ist nur, dass unklare Eigentumsverhältnisse auch zum Bremsklotz wichtiger Investitionen werden können. Denn es geht auch um Miete oder Pacht oder die Beteiligung an einem DDR-Unternehmen mit Grundbesitz. Der westliche Investor, der sich beteiligt oder einen Laden oder ein Büro mietet, will wissen, mit wem er den Vertrag gültig schließen kann. Unter diesen Umständen ist es hilfreich, dass
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das Grundbuchsystem der DDR im Ganzen noch besteht und in vielen Fällen eindeutige Eigentumstitel ermittelt werden können. In diesen Fällen kann ein zusätzlicher Vertrag mit den derzeitigen Grundstücksnutzern die neue Verwendung rechtlich absichern. Frei vereinbarte Verträge der Unternehmen und Verbraucher als Motor einer Marktwirtschaft erfordern erstens Vertragsfreiheit und zweitens ein technisch brauchbares Vertragsrecht. Vertragsfreiheit fehlt im Recht der DDR, und ein brauchbares Vertragsrecht ist nur teilweise vorhanden. Die DDR hat zwei verschiedene Vertragsrechtsysteme, eines für Unternehmen und eines für die Bürger. Für Unternehmen gilt das Vertragsgesetz von 1965, im Außenhandel ein Gesetz von 1976. Für die Bürger gilt das Zivilgesetzbuch (ZGB) von 1975. Die Vertragsfreiheit ist in beiden Bereichen stark eingeschränkt. Denn für die Unternehmen sind die Verträge nicht Instrument unternehmerischer Entscheidung, sondern sie dienen der Ausfüllung und Durchführung der vorgegebenen Wirtschaftspläne. Auf diesen Zweck ist das Vertragsgesetz zugeschnitten. Für die Bürger gilt umfassende staatliche Bevormundung. Denn die „Entscheidungen der staatlichen Organe bilden die Grundlage für die Tätigkeit der Betriebe und die Versorgung der Bürger“ (Paragraph 5 Absatz 1 Satz 3 ZGB). Die Bürger dürfen nur für diesen Versorgungszweck Verträge schließen und sich damit „zu allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten“ entwickeln (Paragraph 1 Absatz 1 Satz 1 ZGB). Daher muss die allgemeine Vertragsfreiheit in der DDR hergestellt werden, und zwar möglichst mit Verfassungsrang, etwa als Teil der allgemeinen wirtschaftlichen Handlungsfreiheit wie in Artikel 2 des Grundgesetzes. Zugleich muss die verfassungsrechtliche Verankerung der Planwirtschaft fallen. Auch inhaltlich sind die Gesetze nicht auf die vertragsrechtlichen Bedürfnisse einer modernen Verkehrswirtschaft ausgerichtet. Das Zivilgesetzbuch enthält zwar einzelne moderne und brauchbare Normen. Aber viele Normen sind zu eng, und es fehlen zu viele Regelungen, weil das Gesetzbuch auf den unmündigen sozialistischen Bürger zugeschnitten ist. So ist zum Beispiel ein Bankkredit des Bürgers nur bei strikter Zweckbindung zulässig (Paragraph 241 Absatz 1 Satz 2 ZGB). Die Gängelung der Unternehmen bei Bankkrediten (nach der Kreditverordnung von 1982) ist nicht geringer. Das Recht der Kreditsicherheiten ist im Zivilgesetzbuch unterentwickelt. So sind zum Beispiel weder die Grundschuld noch die Briefhypothek bekannt. Dem entspricht es, dass ein Hypothekenmarkt in der DDR praktisch nicht existiert. Bei anderen Sicherheiten fehlt eine ausreichende Regelung, so bei der Bürgschaft (Paragraphen 450 und 451 ZGB). Die Vereinigungsfreiheit der Bürger, zum Beispiel rechtsfähige Vereine oder Gesellschaften zu gründen, ist verkümmert zu einem engherzigen Recht der „Gemeinschaften von Bürgern“ (Paragraphen 266 folgende ZGB), zum Beispiel für Gemeinschaftsgaragen und Spielplätze (amtliche Beispiele).
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Gleichwohl ist eine aufwendige Reform des Vertragsrechts nicht vordringlich, wenn nur der Grundsatz der Vertragsfreiheit mit unmittelbarer Rechtswirkung anerkannt und durchgesetzt wird. Dann können die Normen des ZGB oder des Vertragsgesetzes, die dem nicht widersprechen, weiter angewendet werden. Außerdem ist auf das alte Handelsgesetzbuch (HGB) zurückzugreifen. Es führte lange ein Schattendasein und war von Bedeutung nur für das Speditions- und Frachtrecht sowie für die halbstaatlichen Kommanditgesellschaften. Die DDR-Verordnung über Gemeinschaftsunternehmen hat es wiederentdeckt und zitiert es ebenso wie das alte Aktiengesetz und GmbH-Gesetz. Allerdings setzt das HGB das (1975 abgeschaffte) BGB voraus und ist nur so voll verwendbar. Wünschenswert wäre daher die Wiedereinführung des BGB. Aber für eine Übergangszeit kann man notfalls ohne moderne Kodifikation des Vertragsrechts auskommen. Denn in einer modernen Wirtschaft werden Verträge über große Projekte ohnehin im Einzelnen ausgehandelt, und Verträge des Massenverkehrs werden durch Formulare und Allgemeine Geschäftsbedingungen geschlossen. Für eine Übergangszeit kann dies hingenommen werden. Ein Verbraucherschutz gegen unfaire Klauseln nach dem Vorbild unseres AGB-Gesetzes könnte zunächst auch durch richterliche Vertragskontrolle erfolgen. Hier wie bei der Vertragsgestaltung der Wirtschaft kommt es darauf an, dass die Juristen sich die Kenntnis moderner Vertragstechnik aneignen. Die Unternehmen der DDR müssen Marktteilnehmer werden, das heißt rechtlich selbständige wirtschaftliche Einheiten, bei denen Privateigentum an den Produktionsmitteln mit dem Investitionsrisiko und der Unternehmerfunktion verknüpft ist. Für den Gesetzgeber bedeutet dies eine doppelte Aufgabe. Er muss die Gründung neuer und die Überleitung bestehender Unternehmen regeln. Die Neugründung will das Gesetz über Gewerbefreiheit ermöglichen. Als Unternehmensrecht steht vorerst noch halbvergessenes Recht der DDR zur Verfügung: das HGB für den Einzelkaufmann und die Personengesellschaften OHG und KG, für juristische Personen das Aktiengesetz von 1937 und das GmbH-Gesetz von 1892. Alle diese Gesetze sind rechtstechnisch brauchbar, wenngleich das HGB wegen seiner Bezugnahme auf das BGB lückenhaft ist. Das Handelsregister ist wieder zu beleben. Auch die große Masse der bestehenden volkseigenen und genossenschaftlichen Betriebe muss zu Marktsubjekten werden, um zu vermeiden, dass große Gebiete der Wirtschaft als subventionsbedürftige, bürokratische Fremdkörper weiterbestehen. Volkseigene Betriebe (VEB) und ihre Zusammenfassung in Kombinaten sind organisatorische Einheiten mit begrenzter Befugnis zu planausführenden Vertragsabschlüssen. Ihre Entscheidungen sind an die Vorgaben der Wirtschaftskommission (früher Plankommission) und des vorgeordneten Ministeriums gebunden und werden von ihrer Bank geprüft und kontrolliert. Die Unternehmen sind verpflichtet, auch überflüssige Arbeits-
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kräfte zu beschäftigen. Ihre Kapitalausstattung (Fonds) ist Volkseigentum, nicht Eigentum der volkseigenen Betriebe oder Kombinate. Die Umwandlung der Unternehmen in selbständige Wirtschaftssubjekte erfordert mehrere rasche Schritte. Erstens geht es um die Herauslösung von Planabhängigkeiten. Dies ist schon im Gang, und eine Reihe von Kombinaten und volkseigenen Betrieben sind inzwischen administrativ für selbständig erklärt worden. Dem muss eine rechtliche und vermögensmäßige Verselbständigung rasch folgen. Dazu hat der Ministerrat am 1. März 1990 ein Gesetz angekündigt. Beides geschieht am besten durch Umwandlung in Kapitalgesellschaften. Damit werden Kombinate und volkseigene Betriebe als juristische Personen Eigentümer ihrer Betriebsvermögen, die mit diesem Vermögen haften. Das Betriebsvermögen (Fonds) ist zu aktivieren und ein entsprechendes Grundkapital zu bilden. Da die Aktiva bisher „Volksvermögen“ sind, stehen die Gesellschaftsanteile dem Staat zu. Die Frage der weiteren Verwendung dieser Anteile ist weniger eilbedürftig. Eröffnungsbilanzen mit deprimierenden Zahlen Keine Zeit hat die Kapitalzufuhr und damit die Herstellung der Kapitalmarktfähigkeit der Unternehmen. Diese hängt vom Bilanzbild ab. Die Erstellung der Eröffnungsbilanzen wird mühsam, und bei überalterten Anlagen wird ihr Ergebnis deprimierend sein. Ein Hauptproblem wird die Bewertung der Grundstücke, weil das Bewertungsrecht zu niedrigen Buchwerten führt. Bei Beteiligung von neuem Eigenkapital ist Vorsorge für spätere unangemessene Wertzuwachsgewinne zu treffen, notfalls durch den Gesetzgeber. Ganz allgemein ist die Einführung westlicher Buchführungs- und Bilanztechnik ein Kernstück marktwirtschaftlicher Unternehmensorganisation nach Handels- und Gesellschaftsrecht. Sie entscheidet über die Kreditfähigkeit. Deren Mangel kann für eine Anfangsphase und in bestimmtem Umfang durch staatliche Bürgschaften ausgeglichen werden. Ferner sind Kreditsicherheiten einschließlich Grundpfandrechten (gegebenenfalls vorerst nach ZGB) einzusetzen. Das Bankensystem der DDR ist straff zentralbürokratisch organisiert und derzeit für eine marktförmige Kreditversorgung der Wirtschaft und für privatwirtschaftlichen Handel ungeeignet. An der Spitze steht die Staatsbank der DDR. Sie ist Zentralbank und Geschäftsbank zugleich. Als Zentralbank hat sie die Funktion einer Währungs- und Notenbank, daneben dient sie als Bank und Kassenvollzugsorgan des Staates. Sie ist zugleich oberste Kreditplanungsbehörde und erarbeitet die „Kreditbilanz“ der Wirtschaft. In ihrer Politik und Planung ist die Staatsbank völlig von der Regierung der DDR abhängig (Paragraphen 1, 2 und 4 Staatsbankgesetz von 1974). Erster Schritt zur Reform ist nach einhelliger Meinung die Trennung der Funktionen von Währungsbank und Geschäftsbank und damit die Schaffung
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eines zweistufigen Bankensystems. Bei Ausdehnung des Währungsgebiets der D-Mark auf die DDR ist die Währungshoheit an die deutsche Bundesbank zu übertragen. Der Verlust träfe nicht die Staatsbank, die diese Hoheit nie hatte, sondern die Regierung der DDR. Die Staatsbank der DDR ist bisher gegenüber allen Banken der DDR aufsichts- und weisungsbefugt. Zahl und Aufgabengebiet dieser Banken sind eng begrenzt. Die Deutsche Außenhandelsbank AG (Daba), einige der wenigen Aktiengesellschaften der DDR, wickelt den Außenhandel vor allem mit dem sozialistischen Ausland ab. Die Deutsche Handelsbank AG ist unter anderem für den innerdeutschen Handel tätig. Die Bank für Landwirtschaft und Nahrungsgüterwirtschaft (BLN) betreut die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften und die Nahrungsmittelindustrie. Die Genossenschaftsbanken sind für Handwerker und Produktionsgenossenschaften da. Die Sparkassen sind Kapitalsammler für Privatsparer; diese erhalten einen gesetzlichen Einheitszins. Die wichtigsten Bereiche der Wirtschaft werden von den Industriebankfilialen der Staatsbank betreut. Jeder Betrieb der DDR ist bisher an eine bestimmte Bank beziehungsweise Filiale gekettet, mit der er zusammenarbeiten muss. Hier muss er seine Konten führen. Nur hier kann er die benötigten Kredite in einem verwaltungsähnlichen Verfahren (nach der Kreditverordnung von 1982) beantragen. Die Kredite werden nur zweckgebunden vergeben, und zwar als Investitions- oder Umlaufmittelkredite. Bei der Kreditplanung und -verwendung übt die Bank eine Kontrolle aus. Die bürokratische Schwerfälligkeit der ganzen Kreditversorgung wird so verständlich. Die Wechselfinanzierung von Handelsgeschäften ist abgeschafft. Die Schaffung selbständig operierender Geschäftsbanken kann einmal dadurch erfolgen, dass die Filialen westlicher Banken zugelassen werden. Von Seiten der Bundesbank ist der Weg dazu frei. Zum andern sind die bestehenden DDR-Banken in selbständige Unternehmenseinheiten umzuwandeln unter ersatzlosem Wegfall der Planungsbürokratie. Dazu sind erste Schritte im Gang. Auf eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse kommt es nicht vordringlich an, wohl aber auf eine geeignete Rechtsform. Vor 2000 Jahren bemerkte der römische Jurist Pomponius, dass Recht nur Bestand hat, wenn es Menschen gibt, die sich darin auskennen. Im Wirtschaftsrecht der DDR geht es daher nicht nur um neue Normen, sondern um ein neues Denken und einen Wissenstransfer, damit Recht als eine Sozialordnung freiheitlichen Handelns verstanden wird.
Die Rolle des Zivilrechts im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands* AcP 194 (1994), 177–230 Inhaltsübersicht Einleitung. „Wiedervereinigungsrecht“ als neues Rechtsgebiet . . . . . . . . . . I. Die Wiederherstellung der Rechtseinheit im Zivilrecht. . . . . . . . . . . 1. Rechtseinheit durch Staatsvertrag und Einigungsvertrag . . . . . . . . a) Einigungsvertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staatsvertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Zivilgesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die Entscheidung für die Rechtseinheit. . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Bewertung der Rechtseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beitritt zum Recht der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wegfall des ZGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zur Modernität des ZGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Sozialmodell des ZGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Das Vertragsrecht des Wirtschaftsverkehrs der DDR . . . . . . . . . e) Das Familiengesetzbuch der DDR. . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Die Herstellung der Rechtseinheit als Errungenschaft und fortdauernder Prozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Intertemporales Kollisions- und Überleitungsrecht. . . . . . . . . . . . . 1. Das Kollisions- und Überleitungsrecht des 6. Teils des EGBGB . . . . a) Kollisionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstige Überleitungsnormen; dingliche Nutzungsrechte . . . . . . 2. DDR-Rechtsverhältnisse als interlokale Vorfrage . . . . . . . . . . . . . 3. Die heutige Auslegung des DDR-Rechts. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische und systematische Auslegung. . . . . . . . . . . . . . . b) Wertungsvorbehalt (ordre public-Vorbehalt i.w.S.). . . . . . . . . . c) Berücksichtigung der Zeitumstände bei Altfällen. . . . . . . . . . . d) Beispielsfälle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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* Erweiterte schriftliche Fassung meines Referats auf der Tagung der Deutschen Zivilrechtslehrervereinigung in Dresden am 28.9.1993. Sie lehnt sich teilweise an mein zur gleichen Zeit erschienenes Buch „Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet“, 2. Aufl. 1993 (i.F. zitiert Zivil- und Wirtschaftsrecht2), an, wie durch Fußnoten kenntlich gemacht. Bearbeitungsstand ist der September 1993 mit punktuellen Nachträgen bis Januar 1994.
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4. Vertragsanpassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anpassungsprobleme und Anpassungsgesetze (Bankverträge, Wirtschaftsverträge, Mieten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kreditverträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lieferverträge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Miete und Pacht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Neuverhandlung nach § 32 Abs. 2 DMBilG . . . . . . . . . . . . . . c) Wegfall der Geschäftsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Anwendbarkeit des § 242 BGB auch auf Altfälle. . . . . . . . . bb) Neuverhandlungspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Revision früherer Rechtsgeschäfte und Schädigungen nach allgemeinem Zivilrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziele und Grenzen der Revisionsmöglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . 2. Eigentumsherausgabeanspruch bei Zwangsverkäufen . . . . . . . . . . a) Unwirksamkeit des Veräußerungsgeschäfts. . . . . . . . . . . . . . aa) Die Unwirksamkeitstatbestände. . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausschluß- und Verjährungsfristen. . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkurrenz von Vindikations- und Restitutionsanspruch. . . . . . 3. Der Irrtum über die Wiedervereinigung bei erbrechtlichen Erklärungen. a) Das Problem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergänzende Testamentsauslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Testamentsanfechtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Anfechtung der Ausschlagung; Nachlaßspaltung. . . . . . . . . . . 4. Altschuldenprobleme und Wegfall der Geschäftsgrundlage. . . . . . . IV. Die Transformation der sozialistischen Zustände. . . . . . . . . . . . . . . 1. Transformation als Aufgabe des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . 2. Privatisierung. Die zivilrechtliche Einordnung der Transformation nach dem Treuhandgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Dogmatik der Umwandlung nach § 11 THG . . . . . . . . . . . b) Zur Konzernhaftung der Treuhandanstalt. . . . . . . . . . . . . . . c) Vertragsrecht der Privatisierungsverkäufe. . . . . . . . . . . . . . . 3. Transformationsrecht im Bereich privater Besitzstände . . . . . . . . . a) Schutz von privaten Besitzständen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die neuen Eigentumsrechte der Siedlungsbauern (Art. 233 §§ 11–16 EGBGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Grundsatz der Eigentumsrestitution. . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsgrundlagen und Grenzen gemäß Vermögensgesetz . . . . . . b) Der Restitutionsanspruch als zivilrechtlicher Vermögensgegenstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zivilrechtlicher Schutz des Restitutionsanspruchs. . . . . . . . . . . d) Die sozialen und ökonomischen Funktionen der Restitution . . . . V. Die Rolle des Zivilrechts bei der Herstellung gleicher Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet. . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Zusammenfassung in Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Einleitung. „Wiedervereinigungsrecht“ als neues Rechtsgebiet Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung Deutschlands ist ein neues Rechtsgebiet entstanden. Seine Quellen sind der Einigungsvertrag,1 daneben der Staatsvertrag,2 sowie eine umfangreiche und fortdauernde Spezialgesetzgebung.3 Dieses Wiedervereinigungsrecht dient der Vollendung der Rechtseinheit, der Transformation der vom Sozialismus hinterlassenen wirtschaftlichen und rechtlichen Zustände und der Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im neuen Bundesgebiet. Die deutsche Zivilrechtswissenschaft steht derzeit vor der Aufgabe, für ihr Gebiet dieses riesige rechtliche Neuland zu erschließen. Sie muß die Zivilrechtsfragen der deutschen Wiedervereinigung als eines historischen Umbruchs und noch andauernden Transformationsprozesses verarbeiten und zugleich der Rechtspraxis die dringend benötigte Unterstützung bieten. Diese neue Aufgabe ist schwierig und zugleich erfreulich; sie entspringt einer glücklichen Wendung der deutschen Geschichte. Wir haben es mit Übergangsrecht zu tun und mit Problemen des Übergangs, deren rasche Bewältigung wir alle erhoffen. Man darf aber nicht die Lebensdauer und bleibende Bedeutung dieses Rechtsgebiets unterschätzen. Nicht einmal die Gesetzgebung konnte in den ersten drei Jahren seit der Wiedervereinigung abgeschlossen werden.4 Die Durchführung der Gesetze braucht noch viel Zeit. Die Ergebnisse der Transformation werden dauerhafte Bestandteile unserer Rechts- und Gesellschaftsordnung sein. Die Entscheidungen, die in diesem Übergangsrecht über Grundfragen unserer Rechtsordnung, z. B. des privaten Eigentums, getroffen werden, werden weiterwirken.5 [180]
1 Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom 31.08.1990, BGBl. II, S. 889, abgedruckt auch in Horn (Hrsg.) Das Zivil- und Wirtschaftrecht in den neuen Bundesländern ab 3. Oktober 1990, RWS-Dokumentation 2, Köln 1990, Nr. 1.1.3 (i.F. zitiert RWS-Dok. 2). 2 Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR (Staatsvertrag) vom 18.05.1990, BGBl. II, S. 537; abgedruckt auch in Horn (Hrsg.) Das Zivil- und Wirtschaftsrecht der DDR (RWSDokumentation 1) 1990, Nr. 1.1 (i.f. zitiert als RWS-Dok. 1). 3 Zur Gesetzgebung der DDR im Zusammenhang mit dem Staatsvertrag vgl. Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 1 § 3 Rz. 38 ff.; zur Gesetzgebung nach dem Beitritt dort § 5. 4 Allg. Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2 Kap. 1 § 5; zum Sachenrechtsbereinigungsgesetz unten IV 3 c. 5 Zu den sozialen und ökonomischen Funktionen der Restitution enteigneten Privateigentums unten IV 4 d. Zur Verwendung des Grundbegriffs der sozialen Marktwirtschaft als Rechtsbegriff im Staatsvertrag vgl. Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 1 § 2 Rz. 35–40.
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Das neue Rechtsgebiet ist durch ein besonders enges Ineinandergreifen von öffentlichem Recht und Privatrecht gekennzeichnet. Dies gilt insbesondere für die spezielle Materie des Transformationsrechts, das der Umgestaltung der aus dem Sozialismus überkommenen Wirtschaftsstrukturen und bestimmter Rechtsverhältnisse dient6 und teils mit Mitteln des öffentlichen Rechts, teils aber auch in zivilrechtlichen Formen Zivilrechtsgestaltung betreibt (dazu unten IV). Ferner sind ständig Fragen der wirtschaftlichen, sozialen und allgemeinpolitischen Bedingungen und Wirkungen des Privatrechts zu bedenken. In besonderem Maße wird der Zivilrechtler daher auf diesem Gebiet mit wirtschaftlichen und politischen Argumenten befaßt, die er zwar stets zur Kenntnis nehmen, aber auch eingrenzen und in rechtliche Wertungen übersetzen muß. Die Strukturierung der fachlichen Diskussion wird allerdings dadurch erleichtert, daß die wichtigsten rechtlichen Wertungen und Grundentscheidungen zum Übergangs- und Transformationsprozeß der sozialistischen Verhältnisse bereits durch den Staatsvertrag und den Einigungsvertrag positiv-rechtlich festgelegt und durch höchstrichterliche Entscheidungen, insbesondere des Bundesverfassungsgerichts, präzisiert worden sind.
I. Die Wiederherstellung der Rechtseinheit im Zivilrecht 1. Rechtseinheit durch Staatsvertrag und Einigungsvertrag a) Einigungsvertrag Seit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3.10.1990 gilt das BGB wieder in ganz Deutschland. Der Einigungsvertrag (Art. 8 u. Anl. I) hat im Zivilrecht wie auf anderen Gebieten die Rechtseinheit in Deutschland im wesentlichen wiederhergestellt. Diese war formell mit der Einführung des Zivilgesetzbuches der DDR (ZGB)7 am 1.1.1976 und anderer Gesetze wie des Familiengesetzbuches (FGB) von 1965 zerstört worden, faktisch schon vorher durch die politische Auseinanderentwicklung der beiden deutschen Staaten. Der Einigungsvertrag bestimmt in seinem Art. 8 die Erstreckung des Rechts der Bundesrepublik auf das neue Bundesgebiet und hat einen neuen 6. Teil des EGBGB in Kraft gesetzt.8 Dort ist in Art. 230 Abs. 2 bestimmt, daß ab dem 3.10.1990 das BGB und das EGBGB im Gebiet der früheren DDR gelten. Ausgenommen blieben gem. Art. 230 Abs. 1 nur die §§ 616 Abs. 2 und [181] 3 und 622 sowie die §§ 1706–1710 BGB. Grund für die Nichtübernahme ist bei den erstgenannten Normen die Ungleichbehandlung Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 1 Rz. 8. V. 19.6.1975, GBl. I Nr. 27 S. 465 = Horn, RWS-Dok. 1 Nr. 2.1. 8 Einigungsvertrag Anl. I Kap. III B Nr. 1, BGBl II 1990, 941. 6 7
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von Angestellten und Arbeitern bei der Lohnfortzahlung und bei den Kündigungsfristen, die verfassungswidrig ist.9 Die Vorschriften über die Amtspflegschaft wurden nicht übernommen, weil das DDR-Recht die Amtspflegschaft nicht kannte und das Erziehungsrecht bei getrennt lebenden Eltern allein der Mutter zustand; dieses Recht sollte nicht beschränkt werden.10 Mit dem Einigungsvertrag wurden weitere zivilrechtliche Nebengesetze mit Einschränkungen oder Übergangsregelungen im neuen Bundesgebiet eingeführt, u. a. die Grundbuchordnung, das Produkthaftungsgesetz, das Ehegesetz und das Haftpflichtgesetz.11 Der Einigungsvertrag schließt nur wenige Gesetze von der Erstreckung auf das neue Bundesgebiet aus: das Vertragshilfegesetz als Kriegsfolgengesetz, das durch Zeitablauf seine Bedeutung verloren hatte,12 und die Regelunterhaltsverordnung wegen der Übergangsregelung in Art. 234 § 9 EGBGB. b) Staatsvertrag Schon der Staatsvertrag vom 18.5.1990 zwischen den damals noch zwei deutschen Staaten über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zum 1.7.1990 hatte eine umfangreiche Übernahme westlichen Zivilrechts im weiteren Sinn und die Angleichung fortbestehenden DDR-Rechts an das westliche Recht veranlaßt. Das in Ausführung des Staatsvertrags von der Volkskammer der DDR erlassene sog. „Mantelgesetz“ (Inkraftsetzungsgesetz)13 führte bereits en bloc eine Fülle von Gesetzen des Zivil- und Wirtschaftsrechts der Bundesrepublik in der DDR ein, so Buch 1–4 des HGB in seiner in der Bundesrepublik geltenden Form unter Außerkraftsetzung der alten Fassung des HGB, die in der DDR formell noch gegolten hatte (§ 16), ferner wichtige Gesetze über den Verbraucherschutz (ABGB; HTWG; AbzG; vgl. §§ 23–25 MantelG) und zum Gesellschaftsrecht (§§ 705–740 BGB; GmbHG; AktG; KapEhG; UmwG; vgl. §§ 17–22 MantelG). [182] c) Weitere Zivilgesetzgebung An der Vorbereitung und Vollendung der Rechtseinheit sind zahlreiche weitere Gesetze beteiligt. Die DDR-Gesetzgebung tat ab Anfang 1990 zaghafte Schritte zur Angleichung ihres Wirtschaftssystems durch Modifizie Für § 622 BGB vgl. BVerfG, Urt. v. 30.5.1990, BB 1990, Beil. 27; allg. Erläuterungen der Bundesregierung zu den Anlagen zum Einigungsvertrag, BT-Drucks. 11/7817 v. 10.9.1990 (i.F. zitiert: Erläut.), S. 36 = Horn, RWS-Dok. 2 Nr. II.1.1, S. 12. 10 Erläut., S. 36. 11 Einigungsvertrag Anl. I Kap. III B Abschn. III. 12 Erläut. S. 36. 13 Gesetz über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der DDR v. 21.6.1990, GBl. I Nr. 34 S. 357; abgedruckt bei Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht der DDR, RWS-Dok. 1, 1990 Nr. 1.7. 9
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rung des sozialistischen Eigentums und die Eröffnung der Möglichkeit zu privater Unternehmenstätigkeit.14 In Ausführung des Staatsvertrags wurde dann im Sommer 1990 das Wirtschaftsvertragsrecht der DDR geändert und das zunächst fortgeltende Zivilgesetzbuch wurde modifiziert.15 Nach dem 3.10.1990 wurde der Bundesgesetzgeber auch auf dem Gebiet des Zivilrechts tätig, insbesondere zur Modifizierung des Kollisionsrechts des 6. Teils des EGBGB16 Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz soll drei Jahre nach der Wiedervereinigung offene Fragen dinglicher Rechte klären.17 d) Die Entscheidung für die Rechtseinheit Die eigentliche Entscheidung für die Rechtseinheit im Zivilrecht fiel mit dem Einigungsvertrag. Noch beim Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 wurde die vorsichtigere Position gewählt, bei allen Bestrebungen zur Rechtseinheit die Kernbereiche des Zivilrechts der DDR nicht anzutasten, was zu einem unbefriedigenden, unübersichtlichen Rechtszustand der Übergangszeit (1.7. – 2.10.1990) führte.18 Erst im August 1990 setzte sich bei den Verhandlungen zum Einigungsvertrag einvernehmlich die Position durch, daß mit der staatlichen Einheit auch die Rechtseinheit, und zwar auf der Grundlage des bundesdeutschen Rechts, einhergehen müsse.19 [183] 2. Die Bewertung der Rechtseinheit a) Grundsätzliches Der hohe Wert der Rechtseinheit im Zivilrecht ist so offenkundig und einleuchtend, daß er kaum einer Erläuterung bedarf. Deutschland hatte seine Rechtseinheit im Zivilrecht erst nach großen Anstrengungen, die das ganze 19. Jahrhundert andauerten, zu Beginn unseres Jahrhunderts erreicht. Dabei sind alle Vorzüge der Rechtseinheit, ihre Bedeutung für einen einheitlichen Wirtschaftsraum ebenso wie ihre kulturelle Integrationskraft, seit Thibaut20 14 Insbesondere durch die Joint Venture-VO vom Januar 1990 sowie durch das Gewerbegesetz und das Unternehmensgesetz, beide vom März 1990; Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 1, § 3 Rz. 16 m. Nachw. 15 Horn, aaO, Kap. 1 § 3 Rz. 40; Kap. 2 § 7 Rz. 13. 16 Durch das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz v. 14.7.1992 (BGBl. I, 1257). 17 RegE SachenrechtsänderungsG v. 20.7.1993, BR-Drucks. 515/93 v. 13.8.1993; s. Bericht in ZIP 1993, 1270 ff. Art. 1 dieses Gesetzes enthält das Sachenrechtsbereinigungsgesetz; Überblick bei Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 1 § 5 Rz. 11–15. 18 Überblick bei Horn, aaO, Kap. 2 § 7 Rz. 12 ff. 19 Vgl. auch Kinkel, ZGR 1991, 1 ff., 4 f.; Schäuble, Der Vertrag, 1991, 154 ff.; Pirrung, RabelSZ 1991, 211 ff., 218 ff.; zum Ergebnis der Rechtseinheit auch Magnus, JuS 1992, 456. 20 Anton Friedrich Justus Thibaut, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, Heidelberg 1814, abgedruckt auch bei Hattenhauer, Thibaut und Savigny, 1973. Zur Kodifikationsdebatte in Deutschland im 19. Jahrhundert Überblick
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gründlich durchdacht worden. Daß wir den Verlust der Rechtseinheit so rasch überwinden konnten, ist ein glücklicher Umstand des Wiedervereinigungsprozesses. Gleichwohl mag man fragen, was die Übernahme des BGB für die Bürger im neuen Bundesgebiet bedeutete. b) Beitritt zum Recht der Bundesrepublik Das BGB ist fünfundsiebzig Jahre älter als das ZGB. Die Patina seiner Sprache erinnert daran. Es gibt Reformwünsche. Ob ein Recht modern ist, entscheidet freilich nicht der Gesetzestext allein. Das deutsche Zivilrecht hat im BGB eine normtechnisch solide Grundlage. Über seine Modernität entscheidet die ständige Fortentwicklung des Zivilrechts durch Rechtsprechung, Dogmatik und Kautelarpraxis. In den Augen der DDR-Juristen lag der gravierende Unterschied denn auch in der für sie verwirrenden Regelungsdichte, Ausdifferenziertheit, Komplexität und Dynamik des westlichen Zivilrechts. In der Bevölkerung der DDR gab es wenig Vorbehalte gegen das BGB, am ehesten noch in Einzelpunkten des Familienrechts. Man akzeptierte das BGB pauschal als Teil der erstrebten Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik. Dies kam auch im demokratisch legitimierten politischen Willen der DDR zum Ausdruck. In der Übergangsgesetzgebung der ersten demokratisch gewählten Volkskammer der DDR im Sommer 1990 wurde die rasche Annäherung an das Recht der Bundesrepublik betrieben.21 Die Übernahme dieses [184] Rechts läßt sich schon aus dem Begriff des Beitritts begründen,22 und tatsächlich hat die DDR über den Einigungsvertrag in diesem Sinn verhandelt.23 c) Wegfall des ZGB aa) Zur Modernität des ZGB Verlor man aber nicht im ZGB ein modernes Gesetz? Wie modern war das ZGB? Sein Gesetzgeber war um eine knappe Regelung und volksnahe Ausdrucksweise bemüht. Das Gesetzbuch ist zumindest zum Teil nach Lebensbereichen aufgebaut. Es gab eine moderne Regelung der Leistungsstörungen im Vertrag einschließlich der positiven Vertragsverletzung (§ 47 Abs. 2, §§ 92–93, insbes. § 92 ZGB) und moderne Vertragstypen wie den Konto- und den Sparkontovertrag (§§ 234 ff., 238 ff. ZGB). Die Abstraktion der Übereig-
bei Dölemeyer, in Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der Neueren Europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/2, 1982, 8. Abschn. Kap. 2, S. 1421 ff. 21 Zum Mantelgesetz oben 1 b. Überblick über die Entwicklung bei Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 1 § 3 Rz. 34–43. 22 Kinkel, ZGR 1991, 1 ff., 5; Horn, aaO, Kap. 1 § 4 Rz. 26. 23 Schäuble, Der Vertrag, 1991, S. 155.
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nung von der zugrundeliegenden causa war durch die einheitliche Regelung des vertraglichen Eigentumserwerbs ersetzt (§ 26).24 Das ZGB wurde daher in der Vergangenheit auch im Westen oft als modern und fortschrittlich gepriesen. Bei näherem Zusehen stellen sich aber erhebliche Zweifel ein. Zwar mag man, auch in Hinblick auf andere westliche Rechte, über den Nutzen des Abstraktionsprinzips bei der Übereignung streiten.25 Im Wirtschaftsverkehr kann es zumindest in Verbindung mit einer modernen Kautelartechnik der Kreditsicherung nicht ohne weiteres als unterlegen betrachtet werden. Zahlreiche andere vermeintliche Vereinfachungen von Rechtsinstituten erweisen sich als bloße Verstümmelung. So bestand z. B. das ganze Bürgschaftsrecht nur aus zwei Paragraphen (§§ 450, 451). Auch das Kreditvertrags- und Kreditsicherungsrecht war erheblich verkürzt. Die vereinfachte und volksnahe Normsprache des ZGB war weithin erkauft durch mangelnde Konsistenz in der Begriffsverwendung, durch eine radikale Kürzung der Normbestände, mangelnde Regelungstiefe und mangelnde rechtstechnische bzw. dogmatische Präzision.26 Dies führte dazu, daß in der Praxis der Zivilrechtsanwendung in der DDR inoffiziell häufig das BGB und seine Dogmatik als heimliche Interpretationshilfe diente.27 Den [185] rechtstechnischen Anforderungen eines entwickelten freien Wirtschaftsverkehrs, auch mit und unter Privatpersonen, die z. B. komplexe Hausbaufinanzierungen abschließen, war das ZGB nicht im entferntesten gewachsen. Es war – trotz einzelner brauchbarer Normen – schon im rechtstechnischen Sinn kein modernes Gesetzbuch. bb) Das Sozialmodell des ZGB Antiquiert und gänzlich unannehmbar war das Sozialmodell des Gesetzes. Das ZGB war für die engen Verhältnisse des sozialistisch bevormundeten Bürgers konzipiert.28 Es regelte die Rechtsverhältnisse der Bürger untereinander und vor allem ihre Beziehungen als Konsumenten mit den Wirtschaftseinheiten. Die Privatautonomie im Sinne westlicher Rechtsauffassung war nach der h. M. auch der DDR-Literatur ausgeschlossen.29 Das ZGB eröffnete
24 Dazu Westen/Schleider, Zivilrecht im Systemvergleich. Das Zivilrecht der DDR und der Bundesrepublik Deutschland, Berlin 1984, S. 316. 25 Ferrari, Vom Abstraktionsprinzip und Konsensualprinzip zum Traditionsprinzip, ZEuP 1993, 52 ff. 26 Kittke, ROW 1986, 372; Uebeler, DtZ 1990, 10 f.; Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 2 § 7 Rz. 3. 27 Kittke, ROW 1986, 372, 374. 28 Horn, aaO, Kap. 1 § 3 Rz. 6 f.; Kap. 2 § 7 Rz. 2. 29 Mühlmann, StuR 1974, 80 ff.; Ranke, NJ 1975, 532 ff., 535; allg. Westen/Schleider, S. 227 ff.
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den Bürgern lediglich die Möglichkeit, sich „zu allseitig gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten“ zu entwickeln, wie es in § 1 Abs. 1 ZGB ausdrücklich heißt; dabei bildeten aber „die Entscheidungen der staatlichen Organe ... die Grundlage für die Tätigkeit der Betriebe und die Versorgung der Bürger“, wie § 5 Abs. 1 Satz 3 ZGB verordnet. Die Freiheit zum Aushandeln eines Preises war weitgehend ausgeschaltet; es galt der staatlich gesetzte Preis (§ 62 Abs. 1 ZGB). Man wende nicht ein, solche Formeln wie diejenige von der „allseits gebildeten sozialistischen Persönlichkeit“ seien nur ideologischer Zierat; streiche man ihn weg, so bleibe ein modernes und brauchbares Gesetz übrig. Man täusche sich nicht über Funktion und Auswirkungen der ideologischen Aussagen. Sie geben ziemlich präzise Hinweise auf das zugrunde liegende Sozialmodell, auf seine normative Ausgestaltung im Gesetz und natürlich auf die politische Wirklichkeit der DDR. Dies läßt sich bis in Einzelheiten zeigen. Um beim vorerwähnten Beispiel zu bleiben: Kreditvertrag und Bürgschaft waren normativ völlig unterentwickelt, weil der sozialistisch bevormundete Bürger möglichst überhaupt keine Kreditverträge abschließen und Bürgschaften eingehen sollte. Der Bürger konnte Kredite von den Banken nur für eng bestimmte Zwecke erhalten, z. B. bei Familiengründung.30 Diese Zweckbindung mußte Teil des Kreditvertrages werden (§ 241 Abs. 1 Satz 2 ZGB). Im [186] Mietrecht führten Zwangsbewirtschaftung und Mietstopp zur völligen Aushöhlung der Rechte des Vermieters.31 Von eigenverantwortlicher Wirtschaftstätigkeit war der private Bürger ausgeschlossen. Dabei fiel bekanntlich dem Eigentumsrecht die Schlüsselrolle zu. Die DDR-Verfassung32 schrieb vor, daß an Produktionsmitteln grundsätzlich nur sozialistisches Eigentum bestehen durfte (Art. 10 ff.). Dieses hatte nach ZGB Vorrang vor anderen Eigentumsformen (§§ 17, 18, 20). Es war unveräußerlich, d. h. es konnte von Privatpersonen grundsätzlich nicht erworben werden, abgesehen von Konsumgütern.33 Es war ferner weder verpfändbar noch belastbar noch konnte es gepfändet werden (§ 20 Abs. 3 Satz 1 ZGB). Hier kommt am schärfsten die Trennung von Privatbereich und Wirtschaftsbereich und zugleich die verkehrsfeindliche Ausgestaltung des sozialistischen Eigentums zum Ausdruck. Insgesamt war die Ablösung des ZGB
VO über die Gewährung von Krediten zu vergünstigten Bedingungen an junge Eheleute v. 10.5.1972, GBl. II Nr. 27, S. 316, mit Folgeverordnungen; Nachweise bei Horn, aaO, § 10 vor Rz. 1. 31 Einzelheiten bei Horn, § 9 Rz. 37 ff. 32 Verfassung der DDR v. 6.4.1968 i.d.F. des Gesetzes v. 7.10.1974, GBl. I, Nr. 47, S. 432, abgedruckt in: Fieberg/Reichenbach, Enteignungen und offene Vermögensfragen in der ehemaligen DDR, Bd. I–III, RWS-Dok. 7, 2. Aufl. Köln 1992, Bd. I Nr. 1.2.3. 33 Anders nur bei besonderer gesetzlicher Gestattung (§ 20 Abs. 3 Satz 3 ZGB); Einzelheiten bei Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 3 § 11 Rz. 2–7 und § 12 Rz. 116 ff. 30
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unvermeidlich und ist selbst dann nicht zu bedauern, wenn man den hohen Wert der Rechtseinheit einmal ausklammert. Anders mag es mit dem Familiengesetzbuch stehen. d) Das Vertragsrecht des Wirtschaftsverkehrs der DDR Im Wirtschaftsverkehr der volkseigenen und sonstigen sozialistischen Wirtschaftseinheiten untereinander galt nicht das ZGB, sondern das besondere Vertragsrecht des Vertragsgesetzes von 1982.34 Das Gesetz war auf die sozialistische Planwirtschaft und damit auf den Vertrag als Instrument der Planausfüllung und -ausführung ausgerichtet (vgl. §§ 6 ff. VG). Über Konflikte entschieden die staatlichen Vertragsgerichte in einem administrativen Verfahren. Die Kreditverordnung von 1982 regelte die Kreditversorgung der sozialistischen Wirtschaftseinheiten ebenfalls unter planwirtschaftlichen Gesichtspunkten.35 Im internationalen Wirtschaftsverkehr galten im Bereich [187] des RGW dessen besondere Lieferbedingungen.36 VG und KreditVO als mit der Planwirtschaft eng verbundene Gesetze wurden schon bei der Einführung der Währungs- und Wirtschaftsunion am 1.7.1990 abgeschafft; die Lieferbedingungen des RGW entfielen mit dessen Auflösung.37 Im übrigen suchte die DDR im Außenhandel das Gesetz über internationale Wirtschaftsverträge von 1976 (GIW) zugrunde zu legen. Da man auf internationale Akzeptanz nur rechnen konnte, wenn sich das Gesetz an den Grundsätzen und Anschauungen des internationalen Wirtschaftsverkehrs orientierte, war das GIW im wesentlichen frei von sozialistischer Rechtsideologie. Es enthielt den Grundsatz der Vertragsfreiheit (§ 4) und die Berücksichtigung von Handelsbräuchen (§ 5). Insgesamt handelte es sich um ein modernes Gesetzbuch, das auch anderswo nicht kodifizierte Vertragstypen, wie z. B. den Garantievertrag (§§ 252–255) und das Akkreditiv (§§ 256– 258) sowie den Anlagenlieferungsvertrag (§§ 88 ff.) enthielt. Für die Übergangszeit zwischen Einführung der Währungsunion und Beitritt wurde das GIW als umbenanntes „Gesetz über Wirtschaftsverträge“ (GW) daher auch 34 Gesetz über das Vertragssystem in der sozialistischen Wirtschaft v. 25.3.1982, GBl. I 1982 Nr. 14 S. 293. 35 VO über die Kreditgewährung und die Bankkontrolle der sozialistischen Wirtschaft v. 28.1.1982, GBl. I Nr. 6 S. 126, abgedruckt in Rutke/Ulbrich, Bank-, Kredit- und Grundstücksrecht in den neuen Bundesländern, RWS-Dok. 5, Köln 1991, Nr. 1.4.7; Pleyer, Bankkredite für die sozialistische Wirtschaft – Zur KreditVO der DDR v. 1982, Sozialistisches Wirtschaftsrecht zwischen Wandel und Beharrung, Bd. 22, Osteuropa-Forschung der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, Berlin 1988, S. 83 ff.; ders., in: Zieger/Westen, Das Zivilrecht der beiden deutschen Staaten, Köln 1990, S. 128–140. 36 Vgl. Kemper, WR 1990, 181; Stargardt, ZIP 1990, 471 ff., 473 ff. Standardwerk zu den Warenlieferungsbedingungen ist Enderlein u.a. (Autorenkollektiv), Der Außenhandelskaufvertrag, 1986, S. 103. 37 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 2 § 7 Rz. 12 und Rz. 33.
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anstelle des abgelösten Vertragsgesetzes im inländischen Wirtschaftsverkehr der DDR neben dem HGB zur Grundlage gemacht. Manches am GW wäre, für sich betrachtet, erhaltenswert gewesen und kann durchaus als Anregung für den künftigen Gesetzgeber dienen. e) Das Familiengesetzbuch der DDR Auch das Familiengesetzbuch der DDR (FGB) von 196538 mußte dem Recht der Bundesrepublik weichen. An seine Stelle trat das Vierte Buch des BGB mit Ausnahme der §§ 1706–1710 BGB (Art. 230 Abs. 1 EGBGB), ferner das Ehegesetz39 und das Gesetz über die religiöse Kindererziehung. Von den das Familienrecht ergänzenden Vorschriften sind die Barwertverordnung und das Versorgungsausgleichs-Härtenregelungsgesetz40 sowie die [188] Hausratsverordnung übernommen.41 Nicht übernommen wurden die Regelunterhaltsverordnung und das Unterhaltsvorschußgesetz. Die Herstellung der Rechtseinheit auf diesem Gebiet auf der Grundlage des Rechts der Bundesrepublik bedeutete für die Bevölkerung der DDR auch den Abschied von solchen familienrechtlichen Regelungen, die dem BGB als gleichwertig empfunden wurden, wie z. B. das Ehegüterrecht, oder als überlegen wie das Nichtehelichenrecht.42 Das ältere und wegen mancher Novellierungen nicht sehr homogene Familienrecht der Bundesrepublik wurde in diesem Zusammenhang kritisiert; dies gilt etwa für das Ehegesetz,43 für das Nichtehelichenrecht oder das Verlöbnisrecht.44 Der Einigungsvertrag nimmt auf die andersartige Familienrechtsentwicklung nur in ganz wenigen Punkten Rücksicht. So blieben die Vorschriften über die Amtspflegschaft (§§ 1706– 1710 BGB) ausgenommen, weil das bisherige DDR-Recht keine Amtspflegschaft kannte und das Erziehungsrecht bei Getrenntleben der Eltern allein der Mutter zustand. Dieses Erziehungsrecht sollte nicht beschränkt werden.45 Durch das Gesetz zur Änderung adoptionsrechtlicher Fristen vom 30. 9.1991 wurde die Aufhebung der nach DDR-Recht vorgenommenen Zwangsadop-
38 Familiengesetzbuch v. 20.12.1965, GBl. 1966 I, S. 1, i.d.F. § 12 Nr. 1 EGZGB v. 19.6.1975, GBl. I Nr. 27, S. 512; geändert durch Gesetz zur Änderung des FGB der DDR v. 20.7.1990, GBl. I, S. 1038; dazu Grandke u. a. (Autorenkollektiv), Familienrecht Lehrbuch, 1981; Horn, aaO., Kap. 2 § 6 Rz. 111 ff. 39 Gem. Einigungsvertrag Anl. I Kap. III B Abschn.II Nr. 11. 40 Einigungsvertrag Anl. I Kap. III B Abschn. II Nr. 12 und 13. 41 Gem. Art. 8 Einigungsvertrag; Palandt/Diederichsen, BGB, 52. Aufl. 1993, Art. 234 § 4 EGBGB Rz. 39. 42 Überblick über die Unterschiede bei Grandke, DtZ 1990, 321–325, und ausführlicher Bosch, FamRZ 1991, 749 ff., 878 ff., 1001 ff., 1370 ff.; vgl. ferner Schwab/Reichel (Hrsg.), Familienrecht und deutsche Einigung, 1991. 43 Orth, in: Schwab/Reichel, S. 163. 44 Grandke, DtZ 1990, 321, 323, 324. 45 Erläut. S. 36.
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tionen neu geregelt und gegenüber dem Einigungsvertrag erleichtert, insbesondere durch Verlängerung der Antragsfristen.46 Niemand wird behaupten, daß der gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsgemeinschaft des FGB (§§ 13–16) dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft des BGB unterlegen sei. Hier wie bei anderen gleichwertigen oder vielleicht im Einzelfall vorzugswürdigen Regelungen konnte nur das hohe Gut der Rechtseinheit den Wegfall des DDR-Rechts rechtfertigen. Der Einigungsvertrag wollte dabei den Ehegatten bestehender Ehen in der ehemaligen DDR den Güterstand der Zugewinngemeinschaft nicht aufzwingen. Vielmehr konnte jeder Ehegatte bis zum 2.10.1992 durch einseitige Erklärung bewirken, daß der bisherige Güterstand fortgilt, falls nicht vorher ein Ehevertrag geschlossen oder die Ehe geschieden worden war (Art. 234 § 4 Abs. 2 EGBGB). Zu den vorzugswürdigen Regelungen des Familiengesetzbuchs kann man auch die relativ stärkere Stellung des unehelichen Vaters im Verhältnis zu sei-[189] nem Kind zählen. Auch dem Vater des nichtehelichen Kindes konnte das Erziehungsrecht (§§ 42–53 FGB), das der Sache nach der elterlichen Sorge i. S. § 16 126 BGB entspricht, übertragen werden (§§ 45 Abs. 2 und 3, 46 Abs. 4 und 5).47 Dieses Erziehungsrecht wurde durch Art. 234 § 11 Abs. 1 Satz 2 EGBGB in die Rechtstellung eines Vormundes umgewandelt.48 Zu den nachteiligen Regelungen des Familiengesetzbuchs gehörten die weitaus schwächeren Unterhaltsrechte des geschiedenen Ehegatten nach §§ 29–33 FGB. Danach konnte der geschiedene Ehegatte vom anderen Unterhalt nur unter besonderen Voraussetzungen (z. B. Kindesbetreuung) für maximal zwei Jahre erhalten. Nur ausnahmsweise hatte er, wenn er wegen bestimmter Gründe nicht in der Lage war, sich selbst zu unterhalten, einen unbefristeten Unterhaltsanspruch.49 Als Hinterlassenschaft des Unrechtsstaats auf familienrechtlichem Gebiet sind die Zwangsadoptionen zu erwähnen. In der DDR waren Kinder von politisch mißliebigen Eltern gegen den Elternwillen aus ihren Familien weggenommen und einer Adoption durch Dritte zugeführt worden.50 Dies widersprach auch DDR-Recht, das in solchen Fällen die Einwilligung der Eltern verlangte (§ 69 FGB), und der internationalen Verpflichtung der DDR zur Achtung der Menschenrechte. Art. 234 § 13 EGBGB eröffnete die Möglichkeit zur Überprüfung und Revision dieser Vorgänge. Das Adoptionsfri-
46 BGBl I, 1930; dazu M. Weber, DtZ 1992, 10 ff. Zum Ganzen Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 2 § 6 Rz. 111–136. 47 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 2 § 6 Rz. 129. 48 Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken dieser qualitativen Zurückstufung des Erziehungsrechts des Vaters MünchKomm-Hinz, Zivilrecht im Einigungsvertrag, 1991, Rz. 554. 49 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht, Kap. 2 § 6 Rz. 119 f. 50 Ein Fall dieser Art ist geschildert von AG Kerpen, ZfJ 1991, 475.
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stengesetz51 dehnte die Antragsfrist bis 2.10.1993 aus und verbesserte damit die Möglichkeit, Adoptionen zu überprüfen und in begründeten Fällen ihre Aufhebung zu beantragen. f) Die Herstellung der Rechtseinheit als Errungenschaft und fortdauernder Prozeß Die prinzipielle Wiederherstellung der Rechtseinheit in Deutschland durch den Einigungsvertrag ist im Ergebnis aus allen genannten Gründen uneingeschränkt zu begrüßen, und zwar auch aus der Perspektive der Deutschen, die in der früheren DDR lebten. Dabei sollten wir nicht vergessen, daß dieses glückliche Ergebnis auch gewissen historischen Zufälligkeiten zu verdanken ist, insbesondere dem heilsamen Zeitdruck, den der im Sommer [190] 1990 sich rasant beschleunigende Wiedervereinigungsprozeß erzeugte. Wäre es langsamer gegangen, hätte die ebenfalls im Sommer 1990 diskutierte Alternative einer behutsamen Annäherung der Zivilrechtssysteme wohl die Oberhand behalten. Damit wäre ein zeitweiliges Fortbestehen des (nur wenig modifizierten) ZGB verbunden gewesen, – eine schwerlich akzeptable Situation. Wenig verlockend wäre auch die Aussicht gewesen, dann in jahrzehntelangen Kommissionsarbeiten mühsam den Annäherungsprozeß des 19. Jahrhunderts zu wiederholen und mit deutscher Gründlichkeit eine neue gemeinsame Kodifikation für das Jahr 2030 anzustreben, die dann zugleich den Rechtsvereinheitlichungsansprüchen der Europäischen Union hätte entsprechen müssen. Die innere, geistige und soziale Wiedervereinigung Deutschlands ist ein Prozeß, der noch andauert. Die Herstellung der Rechtseinheit spielt dabei eine wichtige Rolle. Auch dieser Prozeß dauert an. Denn nicht einmal die Übergangsgesetzgebung zum Zivilrecht ist abgeschlossen, wie das Sachenrechtsbereinigungsgesetz zeigt. Neben der Angleichung der Rechtsnormen geht es aber auch um Wissenstransfer und Lernprozesse. Die Herstellung einer funktionsfähigen Justiz erforderte nicht nur neues Recht, sondern auch geschulte und rechtsstaatlich zuverlässige Juristen. Nach einem Wort des römischen Juristen Pomponius kann das Recht nur bestehen, wenn es Juristen gibt, die es kennen und anwenden.52 Für eine Übergangszeit war und ist in großem Umfang die Tätigkeit westlicher Richter erforderlich. Schließlich geht es auch um die Einstellung der Bevölkerung zum neuen Recht, um die Balance zwischen überzogenen Erwartungen und Mißtrauen, um die Festigung des Vertrauens in die Justiz, um die Erkenntnis, daß unser Recht die Stärkung der Eigeninitiative ermöglicht, zugleich aber auch
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Vom 30.9.1991 BGBl I, 1930. „... constare non postest ius, nisi sit aliquis iuris peritus.“; D. 1.2.1.13.
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selbstverantwortliche Interessenwahrung voraussetzt, es geht um Verbraucheraufklärung und um wirtschaftliches Denken, kurz um einen komplexen und höchst wichtigen Lernprozeß.
II. Intertemporales Kollisions- und Überleitungsrecht 1. Das Kollisions- und Überleitungsrecht des 6. Teils des EGBGB a) Kollisionsnormen Der durch den Einigungsvertrag neu eingeführte 6. Teil des EGBGB regelt die intertemporalen Kollisionsfragen, d. h. Zeitpunkt und Modalitäten der Ablösung des DDR-Zivilrechts durch das BGB. Der Gesetzgeber stand [191] hier vor einer ähnlichen Aufgabe wie bei der erstmaligen Einführung des BGB zum 1.1.1900, und er konnte in der Regelungstechnik daher teilweise vorhandene Normen des EGBGB zum Vorbild nehmen. Für Schuldverhältnisse gilt der vertraute Grundsatz der Unwandelbarkeit des Vertragsstatuts (Art. 232 § 1 EGBGB).53 Ein Schuldverhältnis, das vor dem Stichtag 3.10.1990 nach DDR-Recht entstanden ist, unterliegt also weiterhin diesem Recht. Vorausgesetzt ist, daß sämtliche zur Entstehung des Anspruchs erforderlichen Tatsachen vor dem Beitritt eingetreten sind.54 Die Norm gilt sowohl für vertragliche als auch für außervertragliche Schuldverhältnisse.55 Für Altverträge mit Bürgern gilt demnach das ZGB. Im praktisch besonders wichtigen Bereich der Altverträge des Wirtschaftsverkehrs gilt das Vertragsgesetz, sofern nicht der Vertrag in der Übergangszeit nach Einführung der Währungsunion umgestellt wurde,56 und der Bundesgerichtshof hatte mehrfach Gelegenheit, sich mit Altverträgen nach diesem Gesetz zu beschäftigen.57 Für Dauerschuldverhältnisse ist der Grundsatz der Unwandelbarkeit des Vertragsstatuts eingeschränkt. So gilt BGB im Grundsatz seit 3.10.1990 auch für die vor diesem Zeitpunkt geschlossenen Mietverträge, Pachtverträge, Arbeitsverhältnisse und Verträge über wiederkehrende Dienstleistungen
53 Zu diesem Grundsatz schon Art. 170 EGBGB; BGHZ 44, 192, 194; MünchKommHeinrichs, BGB, 3. Aufl., Art. 170 EGBGB Rz. 3; v. Bar, Internationales Privatrecht, Bd. 1 1987, Rz. 307; Kropholler, Internationales Privatrecht 1990, § 27 II 1. 54 Allg. RGZ 76, 374, 396 f.; OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1987, 1256, 1257; Soergel/ Hartmann, BGB, 10. Aufl. 1970 Art. 170 EGBGB Rz. 3. 55 Amtl. Erläuterungen, aaO, S. 38, abgedruckt auch in Horn, RWS-Dok. 2, (vgl. Fn 1) 1990, Nr. II.1.1, S. 14; Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 6 Rz. 41. 56 Zu dieser Umstellungsmöglichkeit nach § 331 Abs. 2 n.F. GW vgl. Horn, aaO, § 7 Rz. 17. 57 BGH ZIP 1992, 1787 = NJW 1993, 259; BGH ZIP 1992, 1797 = WM 1992, 2155 = DtZ 1993, 57; weit. Nachw. bei Horn, aaO.
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(Art. 232 §§ 2, 3, 5, 6 EGBGB). Eine rückwirkende Anwendung des BGB auf die Zeit vor dem 3.10.1990 ist jedoch ausgeschlossen.58 Die sog. obligatorischen Nutzungsrechte an Grundstücken zur Erholung gem. §§ 312–315 ZGB richten sich grundsätzlich weiter nach diesem Gesetz (Art. 232 § 4 Abs. 1 Satz 1). Für das am 2.10.1990 in der DDR bestehende Eigentum an Sachen gilt seit dem 3.10.1990 das BGB (Art. 233 § 2 Abs. 1) ebenso wie für alles nach diesem Zeitpunkt neu entstehende Sacheigentum. Diese knappen Beispiele mögen genügen.59 [192] b) Sonstige Überleitungsnormen; dingliche Nutzungsrechte In einigen Fällen schien es dem Gesetzgeber geboten, beim Übergang vom alten zum neuen Recht auf die Entscheidung der Beteiligten abzustellen. Ein Ehegatte, der im Güterstand nach FGB lebte, konnte die Fortsetzung dieses Güterstandes verlangen (Art. 234 § 4 Abs. 2 EGBGB). Für Bankverträge wurde die Möglichkeit einer Vertragsumstellung und -anpassung durch Parteierklärung vorgesehen (unten 4a). In anderen Fällen konnte sich der Gesetzgeber deshalb nicht auf eine reine Kollisionsnorm beschränken, weil es um Rechtsinstitute des ZGB ging, die dem BGB fremd sind. Dazu gehören vor allem die sog. dinglichen Nutzungsrechte und das auf ihrer Grundlage begründbare selbständige Gebäudeeigentum. Auf dieses selbständige Gebäudeeigentum finden gem. Art. 233 § 4 Abs. 1 EGBGB die Vorschriften des BGB über das Grundeigentum entsprechende Anwendung. Damit bleibt das Gebäude ein vom Grundeigentum getrennter (vgl. auch Art. 231 § 5 Abs. 1), selbständiger Eigentumsgegenstand des Grundstücksrechts. Das dingliche Nutzungsrecht ist wesentlicher Bestandteil des Gebäudeeigentums (Art. 231 § 5 Abs. 2) – und nicht umgekehrt (!) – und geht mit dessen Übertragung über. Der Untergang des Gebäudes läßt den Bestand des dinglichen Nutzungsrechts aber unberührt und aufgrund des fortbestehenden Nutzungsrechts kann ein neues Gebäude errichtet werden (Art. 233 § 4 Abs. 3 Satz 1 u. 2 EGBGB).60 Die Aufhebung des dinglichen Nutzungsrechts vollzieht sich gem. Art. 233 § 4–5 Satz 1 EGBGB nach den Vorschriften des BGB über die Aufhebung eines dinglichen Rechts, also den §§ 875, 876 BGB. Erforderlich ist also die Erklärung des Berechtigten, daß er das Recht aufgebe und die Löschung des Rechts im Grundbuch. Diese Überleitungsnorm (Art. 233 Abs. 5 EGBGB) ist erst BezG Magdeburg, ZIP 1992, 283 betr. Landpacht. Erläuterungen des 6. Teils des EGBGB z. B. in: MünchKomm, BGB, Sonderband Zivilrecht im Einigungsvertrag 1991; Palandt, BGB, 53. Aufl. 1993, EGBGB Art. 230 ff.; Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 2 § 6. 60 Die letztgenannte Regelung wurde – klarstellend – erst durch das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz 1992 eingeführt. Dabei wurde der bisherige Abs. 3 zum Abs. 6 (!). 58 59
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durch das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz 1992 eingeführt worden, um die in der Praxis dringend erforderliche und umstrittene Rechtsgrundlage für die Zusammenführung von Grundeigentum und Gebäudeeigentum klarzustellen.61 Damit ist das endgültige Schicksal des selbständigen Gebäudeeigentums noch nicht hinreichend geklärt. Dies ist Aufgabe des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes, das auch weitere ungeklärte Rechtsverhältnisse an Grundstücken und Gebäuden regeln muß. Darauf ist (unten IV 3c) zurückzukommen. [193] 2. DDR-Rechtsverhältnisse als interlokale Vorfrage Soweit nach den Kollisions- und Überleitungsnormen des EGBGB das Recht der DDR auf alte oder neue Fälle anzuwenden ist, ist jeweils die Vorfrage zu entscheiden, ob der Fall interlokal dem DDR-Recht zuzuordnen ist. Die Antwort richtet sich seit dem 3.10.1990 einheitlich nach dem interlokalen (innerdeutschen) Kollisionsrecht, wie es in der Bundesrepublik Deutschland seit jeher galt.62 Eine starke Gegenmeinung will dagegen die Altfälle nach einem gespaltenen interlokalen Kollisionsrecht beurteilen, wie es vor dem 3.10.1990 in Deutschland galt. Zu dieser Zeit wandte nämlich die DDR auf innerdeutsche Fälle direkt ihr IPR an, also das Rechtsanwendungsgesetz (RAG), weil sie die Bundesrepublik als Ausland behandelte. Dies konnte im Vergleich zum bundesdeutschen interlokalen Kollisionsrecht zu abweichenden Ergebnissen führen. Die genannte Gegenmeinung will das alte RAG der DDR weiter auf solche Altfälle anwenden, die eine bestimmte Beziehung zum ehemaligen Gebiet der DDR haben, etwa weil ein Gericht im neuen Bundesgebiet entscheidet (lex fori)63 oder weil der Schwerpunkt des Falles dort liegt.64 Art. 236 § 1 EGBGB, der die Geltung des IPR der DDR für die vor dem 3.10.1990 abgeschlossenen Altfälle anordnet, kann nicht als Begründung dafür herangezogen werden, weil diese Kollisionsnorm sich nach Wortlaut und Vorstellung des Gesetzgebers nur auf das IPR bezieht, nicht auf das interlokale Privat Horn, aaO, § 6 Rz. 89. So jetzt auch BGH WM 1993, 157; h. M.; Palandt/Helderich, BGB, 53. Aufl., Art. 236 EGBGB Rz. 4; Palandt/Heinrichs, Art. 230 EGBGB Rz. 3; MünchKomm/Sonnenberger, Zivilrecht im Einigungsvertrag Rz. 730; v. Bar, IPR, Bd. 2 1991, Rz. 127; Rauscher, DNotZ 1991, 209, 212; ders., DtZ 1991, 20 f.; Drobnig, RabelsZ 55 (1991), 281; Wasmuth, DtZ 1991, 46, 50; Coester-Waltjen, Jura 1991, 516; Bosch, FamRZ 1991, 1001, 1002; Adlerstein/Desch, DtZ 1991, 193, 197 f.; im Ergebnis auch Mörsdorf-Schulte/Otte, ZIP 1993, 15 ff. 63 So Dörner/Meyer-Sparenberg, DNotZ 1991, 1; Henrich, FamRZ 1991, 873 ff.; Pirrung, RabelsZ 55 (1991), 211, 235 ff.; Siehr, RabelsZ 55 (1991), 240, 257 ff., 263. 64 Mansel, DtZ 1991, 124, 129. 61 62
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recht.65 Die Unterscheidung nach der lex fori würde zu einem forum shopping und zu unzumutbaren Zufallsergebnissen führen.66 Grundsätzlich ist die Spaltung des interlokalen Kollisionsrechts auch für Altfälle (vor dem 3.10.1990) abzulehnen; sie widerspräche Art. 8 Einigungsvertrag und dem darin normierten Gedanken der Rechtseinheit. Falls die [194] Anwendung des bundesdeutschen interlokalen Privatrechts zu überraschenden Ergebnissen führt, kann das Vertrauen der Beteiligten auf die Fortgeltung des früheren Kollisionsrechts (RAG) ausnahmsweise schützenswert sein. Dies hängt von den Umständen ab.67 3. Die heutige Auslegung des DDR-Rechts Das im Bereich des Zivilrechts fortgeltende DDR-Recht muß heute als Teil des geltenden Zivilrechts nach dessen allgemeinen rechtsethischen Maßstäben und Wertungen beurteilt werden. Es ist ein anerkannter Satz des intertemporalen Kollisionsrechts, daß diese Maßstäbe dem geltenden Recht zu entnehmen sind, auch wenn im übrigen altes Recht Anwendung findet.68 Die heutige Auslegung des DDR-Rechts vollzieht sich dabei in drei Schritten. a) Historische und systematische Auslegung Ausgangspunkt ist neben der sprachlich-grammatischen Auslegung die historische und systematische Auslegung.69 Dafür sind die Erläuterungen des DDR-Rechts durch die DDR-Rechtsliteratur, namentlich die offiziösen Kommentare70 und die Entscheidungen der DDR-Gerichte,71 heranzuziehen. Zum Beispiel hat das Oberste Gericht der DDR 1960 die Fortgeltung des Genossenschaftsgesetzes für die Konsumgenossenschaften verneint und das Musterstatut des Verbands Deutscher Konsumgenossenschaften (VDK), das schon durch SMAD-Befehl (Nr. 176 v. 18.12.1945) zur verbindlichen 65 Pirrung, RabelsZ 55 (1991), 211, 220, 233 ff.; Palandt/Heldrich, Art. 236 EGBGB Rz. 4; a. A. bei BayObLG NJW 1991, 1237 = FamRZ 1991, 868. 66 Zutr. AG Charlottenburg, FamRZ 1991, 713 f.; Palandt/Heldrich, Art. 236 EGBGB Rz. 4. 67 Adlerstein/Desch, DtZ 1991, 193, 195; Stoll, in: Festschrift Lorenz, S. 577, 580 ff.; vgl. auch Pirrung, RabelsZ 55 (1991), 211, 220, 236. Weitere Einzelheiten bei Horn, aaO, § 6 Rz. 167. 68 RGZ 144, 378, 380; Horn, DZWir 1992, 45, 46. 69 Zu dieser allg. Staudinger/Coing, BGB, 12. Aufl. Bd. I 1978, Einleitung Rz. 138 ff., 142 ff., 160 ff. 70 Für das ZGB ist dies der Kommentar zum ZGB und EGZGB hrsg. v. Ministerium der Justiz, bearb. von Göhring u. a. (Autorenkollektiv), 2. Aufl. Berlin 1985; vgl. aus der westlichen Literatur Westen/Schleider, Zivilrecht im Systemvergleich, Berlin 1984. 71 Die Entscheidungen des Obersten Gerichts sind abgedruckt in: Entscheidungen in Zivilsachen, hrsg. v. Obersten Gericht, Berlin(Ost) 1951 ff.; vgl. ferner den Rechtsprechungsteil in „Neue Justiz“.
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Regelung erklärt worden war, zur alleinigen Rechtsgrundlage dieser Genossenschaften erklärt.72 Die Kompetenz des Obersten Gerichts, Gesetze für unanwendbar zu erklären, wird heute für die damalige Zeit auch vom BGH [195] anerkannt.73 Aufgrund einer Änderung der Musterstatuten galt statt Gesamtvertretung der Genossenschaft durch den Vorstand die Einzelvertretung. Daher sind die zahlreichen von einzelnen Vorstandsmitgliedern namens der Konsumgenossenschaften abgeschlossenen Verträge rechtswirksam.74 b) Wertungsvorbehalt (ordre-public-Vorbehalt i.w.S.) Ist der Inhalt der anwendbaren DDR-Norm festgestellt, so ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob diese Anwendung mit grundlegenden Wertungen unserer geltenden Rechtsordnung übereinstimmt.75 Ich möchte diesen Wertungsvorbehalt als ordre public-Vorbehalt im weiteren Sinne bezeichnen, und zwar in Anlehnung an den Umstand, daß auch früher im innerdeutschen interlokalen Privatrecht die Anwendung des DDR-Rechts unter dem Vorbehalt des westlichen ordre public erfolgte.76 Der Unterschied zum ordre public-Vorbehalt i.e.S. liegt darin, daß es nicht wie dort um die Abwehr mißbilligter Folgen fremden Rechts in einzelnen Fällen geht, sondern um ein Problem vieler Fälle, die von deutschen Gerichten im Rahmen der deutschen Rechtsordnung und ihrer Wertungen zu entscheiden sind.77 Hinzu kommt, daß jedenfalls ab dem 1.7.1990 das DDR-Recht selbst durch den Staatsvertrag, das dazu vereinbarte Protokoll und durch die Verfassungsgrundsätze eine Umorientierung an den Grundwerten und ethischen Maßstäben unserer westlichen Rechtsordnung erfahren hatte.78 Der Begriff des ordre public-Vorbehaltes ist auch insofern nützlich, als er darauf hinweist, daß wir die Wertungen unserer Rechtsordnung nicht unbegrenzt in alte, abgeschlossene DDR-Rechtsfälle rückprojizieren, sondern die- [196] se Wertungen nur einsetzen, um bei noch nicht abgeschlos OG, Beschluß v. 22.9.1960, NJ 1960, 771. BGH, NJW 1992, 821. 74 LG Schwerin, EWiR 1993, 377 m. zust. Anm. Mook; Horn, aaO, § 20 Rz. 107 f.; a.A. BezG Dresden, EWiR 1992, 479 m. abl. Anm. Holland. 75 Zum folgenden Horn, DZWir 1992, 45 ff.; ders., Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl., § 6 Rz. 7 ff.; vgl. auch Oetker, JZ 1992, 608 ff.; Palandt/Heldrich, BGB, 53. Aufl., Art. 6 EGBGB Rz. 12. Vgl. aus der Rechtsprechung BVerfG DtZ 1993, 203; BGH NJW 1993, 1859 (Wegfall der Geschäftsgrundlage); BGHZ 117, 35 (verfassungskonforme Auslegung des § 39 Abs. 1 FGB); BGH NJW 1993, 2532. 76 Dazu MünchKomm/Sonnenberger, BGB, 2. Aufl. 1990, Art. 6 EGBGB Rz. 42. 77 Horn, DZWir 1992, 45 ff. 78 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 2 § 6 Rz. 8. Eine besondere, auch vom BGH (z. B. in NJW 1993, 261 und 1859) hervorgehobene Rolle spielt dabei die Ablösung bisheriger sozialistischer Wertmaßstäbe in Abschn. A I 2 des Gemeinsamen Protokolls über Leitsätze zum Staatsvertrag, BGBl II, S. 537, 545, abgedruckt bei Horn, RWS-Dok. 1, 1990, Nr. 1.1. S. 9. 72 73
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senen Altfällen (oder bei Neufällen) für uns unannehmbare Wertungen der sozialistischen Rechtsideologie abzuwehren. Ob ein Altfall abgeschlossen ist, bestimmt sich nach DDR-Recht, also z. B. danach, ob vom Standpunkt des DDR-Rechts ein früher abgeschlossenes Rechtsgeschäft unwirksam ist oder ob aus einem bestehenden Vertrag noch Leistungen zu gewähren oder zurückzugewähren sind oder ob Schadensersatz zu leisten ist.79 Erst wenn dies bejaht ist, greift die Bewertung nach unserem Recht ein, um zu beurteilen, ob die Durchsetzung der nach DDR-Recht noch bestehenden Ansprüche mit unserer Rechtsordnung zu vereinbaren ist. c) Berücksichtigung der Zeitumstände bei Altfällen Drittens ist bei jedem Altfall schließlich in der Erfassung und Bewertung des Sachverhaltes zu beachten, daß die Beteiligten seinerzeit unter den Bedingungen und Verhältnissen des Sozialismus gehandelt und sich darauf eingestellt haben. Gerade die Maßstäbe von Treu und Glauben nach unserer Rechtsauffassung gebieten es, auch die tatsächlichen Umstände zur Zeit des Rechtsgeschäfts zu beachten.80 d) Beispielsfälle Diese drei Schritte seien an einem Beispielsfall verdeutlicht, der in Berlin zu entscheiden war.81 Ein DDR-Ministerium hat vor dem 3.10.1990 ein wertvolles Grundstück an politische Freunde zu einem niedrigen Preis verkauft. Sowohl das Landgericht Berlin als auch das Kammergericht verneinen die Wirksamkeit des Veräußerungsgeschäfts sowohl wegen der Verletzung gesetzlicher Vorschriften über solche Vermögensverfügungen (mangelnde Verfügungsmacht, haushaltsrechtliches Verbot) als auch wegen Sittenwidrigkeit. Beide Gerichte wenden § 68 Abs. 1 Nr. 2 ZGB (Unvereinbarkeit mit den Grundsätzen der sozialistischen Moral) in einer § 138 Abs. 1 BGB entsprechenden Auslegung an. Das fragliche Grundstücksgeschäft wurde im August 1990 vorgenommen, also zu einer Zeit, als die vorerwähnte Umorientierung des anwendbaren DDR-Rechts an westlichen rechtsethischen Maßstäben bereits durch den Staatsvertrag und die Verfassungsgrundsätze [197] der DDR vollzogen war. Die von den Gerichten vorgenommene Auslegung des § 68 Abs. 1 Nr. 2 ZGB nach den Maßstäben des § 138 BGB war also berechtigt.
Zum Problem des nicht abgeschlossenen Altfalls auch i.F. d und unten III 1. Gleiches gilt in noch stärkerem Maße für den (öffentlich-rechtlichen) Begriff der Redlichkeit i.S. des Vermögensgesetzes (§ 4 Abs. 2 u. 2), sowie für den schwierigen Begriff der unlauteren Machenschaft i. S. § 1 Abs. 3 VermG; dazu etwa BVerwG ZIP 1993, 1262 = EWiR 1993, 925 (Pée). 81 LG Berlin, DtZ 1992, 27 ff.; KG Berlin, DtZ 1992, 243 ff. 79 80
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Wandelt man den Fall ab und nimmt an, das fragliche Grundstücksgeschäft sei bereits zu einem früheren Zeitpunkt (z. B. 1989 oder im Frühjahr 1990) durchgeführt worden, so muß man die Bewertung in die oben (a–c) genannten drei Schritte aufteilen. Bei einem solchen zurückliegenden Altfall ist also zunächst zu prüfen, ob die Grundsätze der „sozialistischen Moral“ – gemäß einer historischen und (in diesem Sinn) systematischen Auslegung – durch das Geschäft verletzt wurden. Auch dies kann wohl ohne weiteres bejaht werden, weil ein solches Zuschanzen von Vermögensstücken des Volkseigentums an einzelne Funktionäre gegen die sozialistische Moral verstieß, selbst wenn es rein tatsächlich nicht unüblich gewesen sein mag. Ist die Übereignung im Grundbuch eingetragen (§ 297 Abs. 2 S. 1 ZGB) und das Grundstück übergeben worden, so ist der Fiskus gleichwohl Eigentümer geblieben und hatte den Herausgabeanspruch i. S. § 26 Abs. 1 ZGB, ab dem 3.10.1990 die Eigentümeransprüche nach §§ 985 und 894 BGB gem. Art. 233 § 2 Abs. 1 EGBGB. Im Hinblick auf diese schon nach DDR-Recht noch unerfüllten Eigentümeransprüche liegt also ein nicht abgeschlossener DDR-Rechtsfall vor. In einem zweiten Schritt ist dann die Kontrollfrage zu stellen, ob das Unwerturteil der Sittenwidrigkeit auch nach unserer Rechtsordnung, also nach § 138 BGB gegeben ist. Auch das Landgericht und das Kammergericht Berlin haben im Grunde beide Wertungsebenen getrennt geprüft und bejaht, obwohl dies wegen des Zeitpunkts des Sachverhaltes nicht unbedingt notwendig war. Die Antwort ist hier unproblematisch. Natürlich verstößt das Zuschieben von Grundstücken des öffentlichen Vermögens an Private gegen die guten Sitten i. S. § 138 BGB. In anderen Fällen dagegen stimmen die Maßstäbe der Sittenwidrigkeit nach altem und neuem Recht keineswegs überein. Man denke etwa an den Fall eines Vertrags über die Vergütung für einen Fluchthelfer. Ein solcher Vertrag war nach DDR-Recht ohne weiteres sittenwidrig i. S. § 68 Abs. 1 Nr. 2 ZGB, nach unserem Recht war er es nicht.82 Käme also jemand heute auf den Gedanken, eine Fluchthelfervergütung zurückzuverlangen, weil der zugrunde liegende Vertrag nach DDR-Recht sittenwidrig und nichtig war, so würde er wegen des erörterten Wertungsvorbehaltes von einem deutschen Gericht nicht gehört werden. Drittens ist schließlich zu fragen, ob eine Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse zur Zeit des Vertragsabschlusses zu einer Revision dieses [198] Unwerturteils im Rahmen des § 138 BGB führen kann. Dies ist im vorliegenden Fall nicht möglich. Würde sich etwa ein Beteiligter darauf berufen, ein DDR-Gericht oder ein Dritter hätte es zum Zeitpunkt des Rechtsgeschäfts noch nicht gewagt, sich tatsächlich auf einen Sittenverstoß zu berufen, oder solche Schiebereien zwischen Funktionären seien 82 Zur letzteren Frage etwa BGH NJW 1980, 1564; ebenso nach österreichischen Zivilrecht OGH JBl 1981, 273.
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im Sozialismus eben üblich gewesen und daher nicht anstößig, so würde er damit nicht durchdringen. Der BGH hat früher einmal in ähnlicher Weise die Berücksichtigung der Zeitumstände verneint in einem Fall, in dem eine Gemeinde in der Nazizeit Göhring ein wertvolles Gemälde aus öffentlichem Eigentum geschenkt hatte.83 Hier zeigen sich naheliegende zeitgeschicht liche Parallelen. 4. Vertragsanpassung a) Anpassungsprobleme und Anpassungsgesetze (Bankverträge, Wirtschaftsverträge, Mieten) Die tiefgreifenden Veränderungen des Wirtschaftssystems im neuen Bundesgebiet aufgrund der Währungs- und Wirtschaftsunion ab 1. Juli 1990 und der Wiedervereinigung am 3.10.1990 haben vielfach ein Bedürfnis nach Anpassung bestehender Verträge an die neuen Verhältnisse begründet. Der Gesetzgeber hat durch Spezialgesetze reagiert. aa) Kreditverträge Insbesondere die bei Einführung der Währungsunion bestehenden Kreditverträge bedurften der Anpassung. Der DDR-Gesetzgeber ermächtigte daher die Kreditinstitute dazu, den Zinssatz für Kredite durch einseitige Erklärung gegenüber dem Schuldner in marktüblicher Höhe festzulegen (§ 14 ÄndAufhVO).84 Ausgenommen von der Anpassungsregelung waren die hoch subventionierten und z. T. zinslosen Wohnungsbaukredite nach der EigenheimVO und die ebenfalls suventionierten Ehestandskredite. Der Bundesgesetzgeber hat durch das Zinsanpassungsgesetz von 1991 die Anpassung derjenigen Altkredite, für die bis dahin noch die niedrigen Zinssätze und Vertragsbedingungen nach DDR-Recht galten, an marktwirtschaftliche Verhältnisse geregelt.85 Bei Ehestandskrediten blieb dabei den Begünstigten [199] allerdings die volle Zinssubvention erhalten (§ 1 Abs. 4 ZinsAnpG). Im Hinblick auf Konto- und Sparkontoverträge, die am 3.10.1990 bestanden, erhielten die Kreditinstitute durch Art. 232 § 7 EGBGB das Recht, durch einseitige Erklärung gegenüber dem Kunden zu bestimmen, daß auf den Vertrag das BGB und die allgemein verwendeten AGB Anwendung finden. Dem Kunden verblieb ein Kündigungsrecht. BGHZ 36, 395, 402. VO über die Änderung oder Aufhebung von Rechtsvorschriften v. 28. Juni 1990, DDR-GBl. I Nr. 38, S. 509, abgedruckt bei Horn, RWS-Dok. 1 Nr. I.10. 85 Gesetz über die Anpassung von Kreditverträgen an Marktbedingungen sowie über Ausgleichsleistungen an Kreditnehmer, aufgrund Art. 2 Haushaltsbegleitgesetz 1991 v. 24.6.1991, BGBl I, 1314. Überblick bei Schubert, WM 1992, 45 ff., und Lellek, DtZ 1991, 368 f. 83 84
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bb) Lieferverträge Ein wirtschaftlicher Schwerpunkt der Vertragsanpassungsprobleme lag naturgemäß bei schwebenden Lieferverträgen der Unternehmen, die bei Einführung der Währungs- und Wirtschaftsunion noch nicht abgewickelt waren und nunmehr auf eine völlig veränderte Markt- und Kostensituation umgestellt werden mußten. § 32 DMBilG trifft dazu eine eng begrenzte Anpassungsregelung. Die Norm ist eine Art schuldrechtlicher Fremdkörper in einem sonst bilanzrechtlich ausgerichteten Gesetz.86 § 32 Abs. 1 DMBilG regelt den Fall, daß ein vor dem 30.6.1990 abgeschlossener, noch nicht vollständig erfüllter Vertrag vorliegt, der Preise vorsieht, die bisher nach staatlichen Preisvorschriften festgelegt wurden, aber einer Preisbindung nun nicht mehr unterliegen. Nach h. M. ist die Vorschrift auf den Fall beschränkt, daß der Vertrag überhaupt keine bezifferte Preisangabe enthält und nur auf die staatlichen Preisvorschriften verweist, die nicht mehr anwendbar waren.87 Es geht also nur um die Ausfüllung einer formalen Vertragslücke. Diese erfolgt dadurch, daß der Geldgläubiger ein einseitiges Recht zur Preisfestsetzung erhält. Dieses ist mit dem Leistungsbestimmungsrecht nach §§ 315, 316 BGB zu vergleichen.88 Die getroffene Bestimmung ist für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht; andernfalls ist sie durch Gerichtsurteil zu treffen. Gleiches gilt bei Verzögerung der Bestimmung. [200] cc) Miete und Pacht Auch im Bereich von Miete und Pacht ergaben sich gravierende Anpassungsprobleme. Sie wurden Gegenstand eines länger dauernden Überleitungsrechts, das sowohl einen Bestandsschutz zugunsten des Mieters durch erschwerte Kündigungsbedingungen als auch eine schonende Anpassung der Miethöhe an Marktbedingungen vorsieht.89 b) Neuverhandlung nach § 32 Abs. 2 DMBilG § 32 Abs. 2 DMBilG behandelt Geldforderungen aus „schwebenden“, d.h. nicht auf beiden Seiten vollständig erfüllten Verträgen. Wenn hier einem Vertragspartner ein Nachteil entstanden ist oder droht, der unmittelbar auf die
BGH ZIP 1993, 710; Horn, aaO, § 8 Rz. 11 und 12. BGH ZIP 1993, 710; BezG Dresden ZIP 1992, 648; dazu EWiR 1992, 475 (Budde/ Flüh) = WM 1992, 708; BezG Magdeburg WM 1992, 1619, 1622 = DtZ 1992, 291 ff.; Horn, aaO, § 8 Rz. 11. 88 So auch Amtl. Erläuterungen, S. 91, abgedruckt auch bei Horn, RWS-Dok. 2 Nr. II.4.1, S. 52. 89 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 2 § 9 Rz. 10 ff., 28 ff. 86 87
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Währungsreform zurückzuführen ist,90 so kann jeder Vertragspartner verlangen, daß der andere seine Leistung nach billigem Ermessen neu festsetzt (Abs. 2 Satz 1). Es geht also um ein Leistungsbestimmungsrecht, aber eingebettet in eine formalisierte Neuverhandlungspflicht im Wechselspiel von Aufforderung und Leistungsfestsetzung.91 Die Leistungsfestsetzung braucht nicht hingenommen zu werden, wenn sie nicht der Billigkeit entspricht (Abs. 2 Satz 2). Letztlich kommt es also auf die Einigung an. Notfalls wird die Bestimmung durch Urteil getroffen (Abs. 2 Satz 3). c) Wegfall der Geschäftsgrundlage aa) Anwendbarkeit des § 242 BGB auch auf Altfälle Mit Recht betrachtet der BGH die Vertragsanpassung gem. § 242 BGB als neben § 32 DMBilG anwendbar.92 Dabei ist allerdings eine generelle und schematische Berufung auf die Währungsumstellung allein nicht ausreichend. Dies wäre mit der währungshoheitlichen Natur dieser Maßnahme und der mit ihr bezweckten Veränderung nicht zu vereinbaren.93 Es kommt vielmehr darauf an, ob im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die sich als wesentliche Veränderung der Vertragsumstände (Wegfall der Geschäftsgrundlage) darstellen. [201] Diese Grundsätze des § 242 BGB sind nach zutreffender Ansicht des BGH auch dann anzuwenden, wenn der betreffende Vertrag noch dem alten Vertragsgesetz der DDR unterliegt.94 Bei der Anpassung eines solchen Vertrages hat der BGH unter Berücksichtigung der Zeitumstände z. B. entschieden, daß die volkseigenen Betriebe der DDR beim Abschluß von Wirtschaftsverträgen im Rahmen der Planwirtschaft das Risiko des Ausbleibens staatlich zugesagter Mittel nicht übernommen haben.95 Auch der mit Einführung der Wirtschaftsunion und Eröffnung der Märkte eingetretene Wegfall der Marktfähigkeit bestimmter Waren, der in normalen Zeiten stets der Risikosphäre des Käufers zuzurechnen ist, konnte unter den besonderen Bedingungen des
BGH ZIP 1992, 1787 =NJW 1993, 259 ff.; BGH ZIP 1993, 710, 713. Zur Neuverhandlungspflicht unten c. 92 BGH ZIP 1992, 1787, 1791 ff. 93 Daher dürfen auch Privatverträge die Wirkungen der Währungsumstellung nicht aufheben. Dazu KrG Gotha DtZ 1992, 90; zust. Bultmann, DB 1993, 669 ff.; BezG Dresden ZIP 1992, 648 f., 652 = WM 1992, 708 ff. =DtZ 1992, 153 ff.; Horn, aaO, § 8 Rz. 1. 94 Zur Anwendbarkeit des § 242 BGB auf Altverträge vgl. BGH ZIP 1992, 1787, 1789 = NJW 1993, 259 ff.; Horn, DZWir 1992, 45 ff.; ders., Zivil- und Wirtschaftsrecht, aaO, § 6 Rz. 7 und § 8 Rz. 18. 95 BGH ZIP 1992, 1787, 1791 ff. = NJW 1993, 259 ff.; Horn, aaO, § 8 Rz. 15. Anders liegt es bei der Betriebsstillegung wegen Umweltbelastung; dies gehört zur Risikosphäre des Verursachers; BGH ZIP 1993, 955. 90 91
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Umbruchs eine wesentliche Veränderung der Vertragsumstände i. S. § 242 BGB darstellen.96 Zufallsgewinne einer Vertragspartei wegen der Umstellung ihrer Geldforderungen auf DM sind normalerweise nicht auszugleichen.97 Treten die besonderen Umstände des Außenwirtschaftsverkehrs der DDR hinzu, bei denen die Außenhandelsbetriebe (AHBs) eine Vermittlerrolle spielten, kann eine andere Lösung geboten sein.98 bb) Neuverhandlungspflicht Bei wesentlicher Veränderung der Vertragsumstände sind beide Parteien auch nach § 242 BGB verpflichtet, durch Neuverhandlung konstruktiv an einer Anpassung des Vertrages durch Vereinbarung mitzuwirken und dabei eine Lösung zu finden, welche die Lasten unter Berücksichtigung der ursprünglichen vertraglichen Risikoverteilung und der eingetretenen Veränderungen angemessen verteilt.99 Diese konstruktive Mitwirkung der Parteien war und ist gerade bei dem umfangreichen Anpassungsbedarf im Zusammenhang mit der Einführung der Wirtschaftsunion und Wiedervereinigung unentbehrlich. [202] Die Verletzung dieser Neuverhandlungspflicht bleibt nicht ohne Sanktion. Wenn es zu keiner Einigung kommt, kann das Gericht bei seiner Vertragsanpassung das Verhandlungsverhalten der Parteien mitberücksichtigen. In einem vom Landgericht Berlin entschiedenen Fall hatte ein Besteller unbedingt an einem sehr günstigen Preis für die Errichtung eines Gebäudes festhalten wollen, obwohl der anderen Partei durch Wegfall von Subventionen die Einhaltung dieses Preises wirtschaftlich nicht mehr möglich war. Alle Kompromißvorschläge zur Lastenverteilung wurden abgelehnt. Das Gericht sah daher die Vertragspflichten als erloschen an. Der halsstarrige Besteller, der bei einer maßvollen Preisanhebung immer noch ein vorteilhaftes Geschäft gemacht hätte, erhielt damit die Quittung für sein obstruktives Verhalten.100
96 Vgl. die Fälle KG DtZ 1992, 358 (betr. angeblich schwer verkäuftliche Konsumartikel); BezG Magdeburg WM 1992, 1619 (betr. Außenwirtschaftsvertrag über technisch überholte Geräte). In beiden Fällen wurde im Ergebnis allerdings die Anpassung nach § 242 BGB verneint; im letzteren Fall wurde ein Anpassung nach § 32 Abs. 1 DMBilG vorgenommen. 97 BezG Dresden ZIP 1992, 648, 649, 652. 98 BGH ZIP 1993, 710 = NJW 1993, 1387, gegen BezG Dresden ZIP 1992, 648; zum Ganzen auch Horn, Zivil- und Wirtschafsrecht2, § 8 Rz. 25. 99 Grundsätzlich zur Neuverhandlungspflicht Horn, AcP 181 (1981), 255 ff. 100 ZIP 1992, 1660, 1662; dazu EWiR 1993, 17 (Kohler); Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 8 Rz. 17.
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III. Die Revision früherer Rechtsgeschäfte und Schädigungen nach allgemeinem Zivilrecht 1. Ziele und Grenzen der Revisionsmöglichkeiten Zahlreiche Privatrechtsgeschäfte in Ost und West vor der Wiedervereinigung sind durch die deutsche Teilung und die rechtsstaatswidrigen Verhältnisse in der DDR beeinflußt worden und haben zu Ergebnissen geführt, die von den Beteiligten im Licht der Wiedervereinigung als fortwirkendes und revisionsbedürftiges Unrecht empfunden werden. Hier ist zu fragen, wie weit eine Revision mit den Mitteln des Zivilrechts möglich ist. Das Gebot der Rechtssicherheit zieht hier enge Grenzen. Der Einigungsvertrag ordnet daher auch an, daß Gerichtsentscheidungen und Verwaltungsakte der DDR Bestand behalten, soweit sie nicht in einem besonderen gesetzlichen Verfahren als rechtsstaatswidrig aufgehoben werden (Art. 18 und 19).101 Ferner gilt der allgemeine Grundsatz des intertemporalen Kollisionsrechts, daß Rechtsgeschäfte, die nach altem Recht wirksam abgeschlossen sind, Bestand behalten, auch wenn dies den Wertungen unseres Rechts nicht entspricht.102 Anders nur dann, wenn das Geschäft schon nach altem Recht einen Mangel aufweist, der es unwirksam oder anfechtbar macht. Denn dann liegt ein noch nicht abgeschlossener Altfall vor und die daraus folgenden privaten [203] Rechte können heute geltend gemacht werden, dabei kommen auch die Wertungen unserer Rechtsordnung zur Geltung.103 Natürlich kann im Einzelfall zweifelhaft sein, ob ein in diesem Sinne abgeschlossener oder noch nicht abgeschlossener Altfall vorliegt. Ist z. B. 1989 in einem Vermögensverteilungsverfahren nach §§ 39, 41 FGB eine gerichtliche Einigung i. S. § 46 ZPO-DDR geschlossen worden, so ist diese im Grundsatz als wirksam hinzunehmen, und zwar auch dann, wenn ihr Inhalt im Licht der späteren Wertentwicklung der Vermögensstücke, insbesondere der Verteilung von Grundstücken, als unbillig erscheint.104 Dieser Altfall ist aber dann noch nicht abgeschlossen, wenn die gerichtliche Einigung i. S. § 46 ZPODDR unwirksam ist, weil an ihr ein staatlicher Treuhänder ohne Rechtsmacht mitwirkte.105 Dabei ist die Unwirksamkeit nach dem zur Zeit des Rechtsgeschäfts maßgeblichen DDR-Recht zu beurteilen. Ein nicht abgeschlossener Fall liegt auch vor, wenn ein nach DDR-Recht geschlossener Vertrag noch nicht erfüllt ist; dann ist die heute zu bewirkende Erfüllung (zumindest) den 101 Zu den Rehabilitationsgesetzen zur Bereinigung straf- und verwaltungsrechtlichen Unrechts vgl. Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 5 Rz. 16 f. und § 13 Rz. 126–128. 102 Horn, DZWir 1992, 45 ff.; ders., Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 6 Rz. 12; Brunner, VIZ 1993, 285 ff. 103 Horn, DZWir 1992, 45 ff.; vgl. auch den Beispielsfall oben II 3 d. 104 Vgl. BezG Cottbus DtZ 1992, 24; vgl. aber zum gleichen Fall BGH DtZ 1993, 179. 105 BGH DtZ 1993, 179, 180 f.
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Wertungen unseres Rechts unterworfen. Nicht abgeschlossen ist auch ein Fall, wenn der Vertrag schon nach DDR-Recht (also nach ZGB) anfechtbar oder nichtig ist.106 Gleiches gilt für schädigende Handlungen unter der Herrschaft des DDR-Rechts, die schon nach dem damals geltenden Recht einen Schadensersatz begründeten, aber seinerzeit nach den Umständen nicht durchgesetzt wurden. Im Ergebnis ist also eine Revision zurückliegender Privatrechtsgeschäfte mit Hilfe der Instrumente des allgemeinen Privatrechts nur in engen Grenzen möglich. Dazu drei typische Fallgruppen (i.F. 2–4). 2. Eigentumsherausgabeanspruch bei Zwangsverkäufen a) Unwirksamkeit des Veräußerungsgeschäfts aa) Die Unwirksamkeitstatbestände Häufig konnten ausreisewillige Bürger der DDR die Genehmigung zur Ausreise nur erhalten, wenn sie zuvor ihr Hausgrundstück oder Eigenheim veräußerten. Eine gesetzliche Pflicht dazu bestand nicht,107 wurde aber bis- [204] weilen vorgetäuscht. Der Druck der Behörden und die Aussicht, andernfalls keine Ausreisegenehmigung zu erhalten, machten oft die Eigentümer gefügig. In anderen Fällen haben die Eigentümer Geschäfte oder Scheingeschäfte mit Privaten getätigt, um diesem Zwang auszuweichen. Der Alteigentümer hat heute den Eigentumsherausgabeanspruch (nach § 985 BGB i.V.m. Art. 233 § 2 EGBGB), falls das Veräußerungsgeschäft unwirksam war. Die Unwirksamkeit kann nach ZGB wegen Scheingeschäfts gegeben sein,108 z. B. wenn die Parteien zum Schein einen Grundstücks- oder Eigenheimverkaufsvertrag beurkunden ließen, um die legale Ausreise aus der DDR zu erreichen, dem Erwerber aber nur die Stellung eines Treuhänders einräumen wollten.109 In Betracht kommt wohl auch Sittenwidrigkeit nach ZGB (§ 68 I 2), wobei aber wohl nur grobe Fälle, z. B. offene Erpressung, so zu bewerten waren. Die Unwirksamkeit der Veräußerung kann weiterhin aus begründeter Anfechtung folgen. Das ZGB sah die Anfechtbarkeit eines „Vertrages“ wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung vor (§ 70 ZGB). Bei Horn, DZWiR 1992, 47 f.; LG Berlin DtZ 1992, 27; vgl. auch i.F. 2. Solche Immobilien waren in staatliche Treuhandverwaltung zu übernehmen; vgl. BGH ZIP 1993, 1187; allg. Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 13 Rz. 271. Diese Verwaltung brachte allerdings erhebliche Nachteile mit sich; die Verfügungsbefugnis des Eigentümers entfiel und der Treuhänder hatte sogar ein Recht, die Immobilie zu veräußern; Horn, aaO, § 13 Rz. 271 f. und 284. 108 Dies folgt daraus, daß auch das ZGB in den §§ 60 ff. eine ernstliche Einigung voraussetzte; BGH WM 1993, 998; lediglich Scheingeschäfte über Grundstückspreise wurden gem. § 305 Abs. 3 ZGB für wirksam erklärt. 109 BGH WM 1993, 998 = EWiR 1993, 611 (Briesemeister). 106 107
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ausreisebedingten Zwangsverkäufen kommt vor allem die Drohung mit der Verweigerung der Ausreisegenehmigung,110 daneben eine Täuschung über die auch nach DDR-Recht bestehenden Alternativen in Betracht.111 bb) Ausschluß- und Verjährungsfristen Allerdings bestanden hier Ausschluß- und Verjährungsfristen. Die Anfechtung mußte unverzüglich nach Kenntnis des Irrtums oder der Täuschung oder der Beendigung der Zwangslage erklärt werden (§ 70 Abs. 2 S. 1 ZGB)112 und bei Widerspruch des anderen Vertragsteils113 war sie binnen zwei Monaten gerichtlich geltend zu machen. Ferner lief eine vierjährige Ausschlußfrist für alle Anfechtungsrechte (§ 70 Abs. 2 S. 2 ZGB). Dies führt zur allgemeinen Frage der Behandlung von Fristen des DDR-Rechts. Der Eigentumsherausgabeanspruch (nach § 33 Abs. 2 S. 2 ZGB, ab 3.10.1990 gem. Art. 233 § 2 Abs. 1 EGBGB nach § 985 BGB) unterlag gem. § 474 Abs. 1 Nr. 5 ZGB einer zehnjährigen Verjährungsfrist. Nur wenn diese am [205] 3.10.1990 noch nicht abgelaufen war, greift gem. Art. 231 § 6 ABs. 1 S. 1 EGBGB die längere Regelverjährungsfrist des § 195 BGB rückwirkend ein. Lag der Zwangsverkauf dagegen am 3.10.1990 mehr als zehn Jahre zurück, hilft diese Regelung nicht weiter. Die Frist begann aber nach ZGB erst dann zu laufen, wenn der Herausgabeanspruch geltend gemacht werden konnte (§ 475 Nr. 3 ZGB), d. h. vorausgesetzt war „die objektiv bestehende Möglichkeit der Geltendmachung“.114 Ferner war der Lauf aller Verjährungsfristen gem. § 477 Abs. 1 Nr. 4 ZGB gehemmt, solange die Rechtsverfolgung nicht möglich war. Beide Voraussetzungen sind erfüllt. Denn solange in der DDR keine rechtsstaatlichen Verhältnisse herrschten, war jede Verfolgung der privaten Ansprüche des Verkäufers aus Zwangsverkauf dort aussichtslos.115 Rechtsstaatliche Verhältnisse wurden in der DDR schrittweise nach den demokratischen Märzwahlen 1990 hergestellt.116 Eine erfolgreiche gerichtliche Geltendmachung der Rechte aus Zwangsverkäufen war dort mancherorts schon im April 1990 möglich,117 anderswo vermutlich erst viel später. Vgl. den Fall BGHZ 118, 34; allg. Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 13 Rz. 117. Horn, aaO, § 13 Rz. 118. 112 Göhring u. a., Kommentar z. ZGB, § 70 Anm. 2.1. 113 Göhring, aaO, Anm. 2.2. 114 Göhring, aaO, § 475 Anm. 3. 115 Dies gilt nicht unbedingt für alle zivilrechtlichen Ansprüche; vgl. auch KG WM 1992, 1473 (wo § 477 Abs. 1 Nr. 4 ZGB allerdings nicht erörtert wird). Es galt aber zweifellos für die politisch heiklen Zwangsverkäufe. Allg zur Hemmung der Verjährung bei Unmöglichkeit der Rechtsverfolgung z. B. BGH ZIP 1988, 34; zur Anwendbarkeit dieses Grundsatzes auf Verjährungsfristen des ZGB BGH ZIP 1993, 1120, 1121 (obiter). 116 Überblick bei Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 3 Rz. 23–33. 117 Vgl. den Fall BGHZ 118,34. 110 111
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Die Ausschlußfristen für das Anfechtungsrecht in § 70 ZGB sind den gleichen Hemmungsgrundsätzen zu unterwerfen. Zwar war z. B. die bei der Drohungsanfechtung vorausgesetzte Zwangslage von der Person des Erklärenden bereits mit seiner Ausreise genommen, so daß er unverzüglich nach Ausreise die Anfechtung hätte erklären müssen. Aber diese Erklärung hätte keine konkret durchsetzbaren Rechtsfolgen gezeitigt, vielmehr ggf. dem Erklärenden oder zurückgebliebenen Angehörigen Mißhelligkeiten eingetragen. Insofern kann man sogar argumentieren, daß die Zwangslage noch fortdauerte. Auf die vierjährige Ausschlußfrist ist die Hemmung nach § 475 Nr. 3 ZGB analog anzuwenden.118 Außerdem kann der für Verjährungsfristen fortgeltende119 Grundsatz des § 472 Abs. 2 ZGB herangezogen werden, daß auch nach Fristablauf gerichtlicher Rechtsschutz für einen Anspruch gewährt werden kann, wenn dafür schwerwiegende Gründe sprechen. [206] b) Konkurrenz von Vindikations- und Restitutionsanspruch Der privatrechtliche Eigentumsherausgabeanspruch ist jedoch nach der Rechtsprechung des BGH dann ausgeschlossen, wenn er sich auf die gleichen Tatsachen stützt, aus denen ein Restitutionsanspruch nach dem Vermögensgesetz folgt. Dieser Anspruch und das Verwaltungsverfahren nach dem Vermögensgesetz sollen einen ausschließenden Vorrang haben.120 Es geht bei Zwangsverkäufen hauptsächlich um die Konkurrenz mit dem Enteignungstatbestand der unlauteren Machenschaften nach § 1 Abs. 3 VermG. Der ausschließende Vorrang des Vermögensgesetzes kann aber nicht überzeugend begründet werden. Das Argument des BGH, der zivilrechtliche Eigentumsherausgabeanspruch dürfe den Schutz des redlichen Erwerbers nach Vermögensgesetz nicht aushöhlen,121 kann nicht überzeugen. Der BGH hat selbst in späteren Entscheidungen ausgeführt, auch der redliche Erwerber müsse das allgemeine Risiko einer zivilrechtlichen Unwirksamkeit des Erwerbsgeschäfts tragen.122 Nicht selten wird freilich dem Erwerber in solchen Fällen auch die Redlichkeit i. S. § 3 VermG fehlen. Von einer Aushöhlung des Redlichkeitsschutzes kann man auch deshalb nicht sprechen, weil das Konkurrenzproblem ohnehin nur eine kleinere Fallgruppe von Enteignungen betrifft, nämlich diejenigen, wo es an einem staatlichen Enteignungseingriff fehlt und stattdessen durch unlautere Machenschaften ein privatrechtliches Veräuße Allg. zur entsprechenden Anwendung der für Verjährungsfristen geltenden Normen auf zivilrechtliche Ausschlußfristen BGHZ 53, 270, 272; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl. 1980, Vorbem. 10 vor § 194. 119 Zur Fortgeltung Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 6 Rz. 36; Palandt/Heinrichs, Art. 231 § 6 EGBGB Rz. 2. 120 BGHZ 118, 34. 121 BGH ZIP 1993, 70, 73 = EWiR 1993, 189 (Briesemeister); BGH ZIP 1993, 793, 796 = EWiR 1993, 713 (Preu). 122 BGH NJW 1993, 388. 118
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rungsgeschäft ohne staatlichen Enteignungseingriff erzwungen wurde. In der Mehrzahl der Fälle dagegen, in denen ein unrechtmäßiger, aber wirksamer staatlicher Enteignungsakt vorliegt, ist ein zivilrechtlicher Eigentumsherausgabeanspruch von vornherein nicht gegeben, so daß das Konkurrenzproblem entfällt. Letzlich entscheidend gegen die Konkurrenzrechtsprechung des BGH aber spricht, daß das Vermögensgesetz an keiner Stelle zu erkennen gibt, daß es die zivilrechtlichen Ansprüche ausschalten oder beschneiden will,123 was auch im Hinblick auf Art. 14 GG bedenklich wäre.124 Der BGH hat seine Konkurrenzrechtsprechung eingeschränkt und den Eigentumsherausgabeanspruch auch bei Zwangsverkäufen zugelassen, wenn dieser sich auf andere, zusätzliche Tatsachen stützt, die außerhalb des Ent[207] eignungstatbestandes nach § 1 VermG liegen. Dies trifft etwa zu, wenn beim Zwangsverkauf zugleich ein Beurkundungsmangel vorlag, weil der Notar bei der Verlesung der Urkunde teilweise abwesend war (§ 66 Abs. 2 ZGB i.V.m. §§ 19 Abs. 2, S. 2, 23 S. 1 Notargesetz),125 oder wenn beim Verkauf ein Bevollmächtigter des bereits abgereisten Eigentümers mitwirkte, der nicht mehr verfügungsbefugt war.126 Der BGH ist bei einigen Fällen freilich zu Unterscheidungen gezwungen, die kaum noch nachvollziehbar sind.127 Die ratio der Abgrenzung ist zudem nicht einleuchtend. Ist etwa ein Scheingeschäft anläßlich der Ausreise geschlossen, ohne daß eine Machenschaft i. S. § 1 Abs. 3 VermG vorlag, ist die Vindikation gegeben.128 Treten Machenschaften, z. B. behördliche Pressionen, hinzu, was i. E. sehr umstritten sein kann, soll der Eigentumsherausgabeanspruch entfallen. Dies ist unbefriedigend und überdies mit Art. 14 GG kaum zu vereinbaren. 3. Der Irrtum über die Wiedervereinigung bei erbrechtlichen Erklärungen a) Das Problem Zahlreiche erbrechtliche Erklärungen in beiden Teilen Deutschlands, die vor der politischen Wende abgegeben wurden, waren durch die irrige Vorstellung beeinflußt, daß die Teilung Deutschlands auf unabsehbare Zeit fortdauern werde.129 Unter den alten politischen Verhältnissen konnten Erben Nachlaßgegenstände, die sich jeweils im anderen Teil Deutschlands befan-
Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 13 Rz. 86, 88; krit. auch Obst, ZAP-DDR Fach 7, S. 111 f.; Grün, ZIP 1993, 170 ff.; BezG Dresden ZIP 1992,1423, 1424 f. 124 Krit. auch BezG Dresden, aaO, und Grün zu BGH, EWiR 1993, 1231, unter Nachweis eingelegter Verfassungsbeschwerden. 125 BGH NJW 1993, 388. 126 BGH ZIP 1993, 70. 127 Vgl. die Fälle BGH ZIP 1993, 946 und 1030. 128 BGH WM 1993, 998, 1001. 129 Zum Problem Adlerstein/Desch, DtZ 1991, 193, 197 ff.; Grunewald, NJW 1991, 1208. 123
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den, nur begrenzt nutzen und wirtschaftlich verwerten.130 Zudem waren die in der DDR belegenen Grundstücke, Gebäude und sonstigen Vermögensgegenstände von weitaus geringerem Wert als heute. Zum Beispiel konnte es vorkommen, daß ein Erblasser in der DDR, der ein kleines Hotel zu Eigentum hatte und selbst betreiben durfte, eines seiner Kinder, das im Westen lebte, von der Erbfolge ausschloß, um befürchtete Nachteile bei einer „Westbeteiligung“ am Hotel zu vermeiden und um den Familienbetrieb zu erhalten. Oder der Erblasser im Westen, der nur über ein be- [208] scheidenes Vermögen verfügte, hatte seine Frau unter Ausschluß seiner Kinder zur Alleinerbin eingesetzt, weil er nur so deren Versorgung sichern konnte; unberücksichtigt blieb, daß die Frau bei Wiedervereinigung bedeutenden Grundbesitz im Osten erhalten werde, der enteignet worden war.131 Oder Eheleute in der DDR haben in ihrem gemeinsamen Testament, das sie 1974 (also noch nach dem BGB) errichteten, diejenigen ihrer Kinder von der Erbfolge ausgeschlossen, die dauernd ihren Wohnsitz außerhalb der DDR nehmen; sie wollten damit vermeiden, daß Teile ihres Vermögens dem Staat anheimfallen.132 b) Ergänzende Testamentsauslegung Hier kann nach BGB (§§ 2066 ff.), wohl aber auch nach ZGB (§ 372), eine ergänzende Testamentsauslegung eingreifen.133 Sie ergänzt das Testament um eine Regelung, die der Erblasser bei Kenntnis der Sachlage getroffen hätte.134 Vorausgesetzt ist eine „Lücke“ im Testament, d. h. eine planwidrige Unvollkommenheit; diese läßt sich nur anhand einer Andeutung im Testament feststellen, aus der sich die Willensrichtung des Erblassers generell erschließen läßt.135 Sind im gemeinsamen Testament etwa diejenigen Kinder von der Erbfolge ausgeschlossen, die ihren Wohnsitz außerhalb der DDR nehmen, und ist der Erbfall erst nach dem 3.10.1990 eingetreten, so ist das in bezug
130 Zu den begrenzten Möglichkeiten von Erben im Westen im Hinblick auf Nachlaßvermögen in die DDR vgl. Gräf, Handbuch der Rechtspraxis der DDR, 1988, Rz. 138 ff., 268 ff. 131 Vgl. Grunewald, NJW 1991, 1208, 1209; OLG Frankfurt/M. DtZ 1993, 216. 132 Vgl. den Fall BezG Meiningen NJ 1992, 416. 133 Allg. RGZ 99, 82; Staudinger/Otte, BGB, 12. Aufl., Vorbem. zu §§ 2064–2086 Rz. 82 ff. Zur ergänzenden Testamentsauslegung im Rahmen des § 372 ZGB vgl. Göhring u.a., Kommentar z. ZGB, zu § 372. 134 Zum hypothetischen Erblasserwillen in diesem Sinne Kipp/Coing, Erbrecht, 14. Aufl. 1990, § 21 III 5 b. 135 Zu diesem Erfordernis allg. Staudinger/Otte, Vorbem. zu §§ 2064–2086 Rz. 18 ff. und 88; Kipp/Coing, § 21 III 5 b. Für die hier erörterten Fälle vgl. OLG Oldenburg DtZ 1992, 290; OLG Frankfurt/M. DtZ 1993, 216; LG Gießen DtZ 1993, 217; Grunewald, NJW 1991, 1208 ff.
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genommene Staatsgebiet der DDR entfallen, aber auch die Gefahr, welche die Erblasser vermeiden wollten. Daher ist die betreffende Testamentsklausel nach der sinngemäßen Auslegung des Testaments nicht mehr anwendbar.136 Bei der Testamentsauslegung können grundsätzlich auch künftige Umstände berücksichtigt werden, auch eine grundlegende Änderung der Rechts- und Wirtschaftslage.137 Diese Umstände können auch nach dem Erbfall eingetre[209] ten sein;138 dies ist freilich umstritten.139 Grundsätzlich ist bei der ergänzenden Testamentsauslegung Zurückhaltung geboten.140 Dies gilt umso eher, je weiter der Erbfall zurückhegt. Dafür spricht einmal das steigende Bedürfnis nach einem Schutz des Vertrauens des im Testament ursprünglich Bedachten.141 Ferner ist der Umstand zu berücksichtigen, daß eine planwidrige Lücke im Testament umso weniger anzunehmen ist, je länger der Zeitraum ist, in dem die Verhältnisse unverändert blieben und den Vorstellungen des Erblasser entsprochen haben.142 c) Testamentsanfechtung In Betracht kommt ferner eine Testamentsanfechtung. Sie kann gem. § 2078 Abs. 2 BGB auch auf einen Motivirrtum des Erblassers gestützt werden, der sich auch auf künftige Entwicklungen beziehen kann.143 Unschädlich ist, daß sich der Erblasser keine konkreten Vorstellungen über die künftige Entwicklung gemacht hat.144 Erforderlich ist freilich, daß die irrige Vorstellung über die künftige Entwicklung in Deutschland zumindest mitbestimmend für die letztwillige Verfügung war.145 Ist der Erbfall erst nach der Wende eingetreten, so ist die bloße Nichtänderung des Testaments noch nicht Grund zur Annahme, daß ursprünglich kein Irrtum des Erblassers vorlag oder er seine ursprüngliche Verfügung bestätigen will.146 Auch nach ZGB
BezG Meiningen NJ 1992, 416 RGZ 108, 83; BGH LM BGB § 242 (A) Nr. 7; MünchKomm-Leipold, BGB, 2. Aufl., § 2084 Rz. 58; Staudinger/Otte, Vorbem. zu §§ 2064–2086 Rz. 96 f., 102. 138 Staudinger/Otte, aaO, Rz. 102. 139 Einschränkend MünchKomm-Leipold, § 2084 Rz. 59; ablehnend Grunewald NJW 1991, 1208, 1210 ff. 140 RGZ 134, 277; MünchKomm-Leipold, BGB, § 2084 Rz. 54; Staudinger/Otte, Vorbem. zu §§ 2064–2086 Rz. 100. 141 Grunewald, NJW 1991, 1208, 1210 ff. 142 So auch BGH WM 1993, 157 im Hinblick auf die Testamentsanfechtung; zu dieser sogleich unter c). 143 BGHZ 4, 91; BGH NJW 1963, 246; Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 12 ff. 144 RG WarnR 1931, Nr. 50; BGHZ 4, 91, 94 f.; Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 20. 145 Anfechtbarkeit gem. § 2078 Abs. 2 BGB bei Irrtum über die künftige Wiedervereinigung bejaht OLG Frankfurt/M. DtZ 1993, 214, 215. 146 Allg. Staudinger/Otte, § 2078 Rz. 25; zweifelnd für die hier betrachteten Fälle Adlerstein/Desch, DtZ 1991, 193, 197. 136 137
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kommt eine Testamentsanfechtung nach § 374 Abs. 1 ZGB wegen Inhaltsirrtums, Täuschung oder Drohung in Betracht. Die offizielle Kommentierung des § 374 ZGB bezeichnet auch die irrige Annahme künftiger Umstände als erheblich.147 Daher ist auch nach ZGB eine Anfechtung wegen ir- [210] riger Vorstellung des Erblassers über die künftige Entwicklung Deutschlands möglich.148 d) Anfechtung der Ausschlagung; Nachlaßspaltung Nicht selten haben Erben eine Erbschaft deshalb ausgeschlagen, weil die Nachlaßgegenstände ganz oder überwiegend in der DDR belegen und damit unzugänglich und wirtschaftlich kaum verwertbar waren. Die Ausschlagung war also durch den Irrtum über die künftige Zugänglichkeit und enorme Wertsteigerung insbesondere von Grundbesitz beeinflußt. Darin allein liegt aber kein relevanter Inhaltsirrtum i. S. eines Anfechtungsgrundes.149 Hat ein Erbe im Westen die Ausschlagung erklärt, so ist er jedoch auf eine Anfechtung meist gar nicht angewiesen. Denn hier fehlt es regelmäßig schon an einer wirksamen Ausschlagung im Hinblick auf die in der DDR belegenen Immobilien. Nach ZGB konnte die Erbausschlagung wirksam nur gegenüber einem staatlichen Notariat der DDR in notariell beglaubigter Form erklärt werden, und zwar bei westlichen Erben binnen sechs Monaten ab Kenntnis der Erbschaft (§§ 403, 402 ZGB). Dies galt hinsichtlich von Grundstücken in der DDR auch dann, wenn der Erbfall dem Recht der Bundesrepublik unterlag; hier kam es also zu einer Nachlaßspaltung.150 Wirksam wurde insoweit nur die gegenüber dem staatlichen Notariat der DDR erklärte Ausschlagung.151 Fehlte es daran, so blieb der Ausschlagende insoweit Erbe und kann nunmehr einen gegenständlich auf die im neuen Bundesgebiet belegenen Grundstücke beschränkten Erbschein beantragen.152
Göhring u. a., Kommentar z. ZGB, § 374 Anm. 1. Zutr. BGH WM 1993, 157, 159 (der aber in casu die Kausalität des Irrtums mit guten Gründen verneint); a.A. Notariat 1 (Nachlaßgericht) Müllheim DtZ 1992, 157, das die Berücksichtigung des Motivirrtums in § 374 ZGB verneint, aber wegen Gesetzeslücke den § 2078 Abs. 2 BGB anwenden will. 149 LG Berlin NJW 1991, 1238; KG ZIP 1992, 208; LG Zweibrücken DtZ 1993, 122. Die Dogmatik der Irrtumsanfechtung ist allerdings in diesem Punkt nicht sehr klar und in den Ergebnissen nicht immer befriedigend. 150 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 6 Rz. 149 und 158. 151 BayOLG NJW 1991, 1237; KG ZIP 1992, 208, 210 = DNotZ 1992, 445 (Trittel); LG Bonn DtZ 1992, 56, 57; Rau DtZ 1991, 19, 20; Adlerstein/Desch DtZ 1991, 193, 198. 152 KG ZIP 1992, 208 = DtZ 1992, 187; OLG Zweibrücken DtZ 1992, 360; Horn, Zivilund Wirtschaftsrecht2, § 6 Rz. 162. 147 148
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4. Altschuldenprobleme und Wegfall der Geschäftsgrundlage Die meisten sozialistischen Wirtschaftseinheiten, die am 1.7.1990 durch § 11 Treuhandgesetz in Aktiengesellschaften und GmbHs umgewandelt wurden, waren mit erheblichen Kreditschulden belastet. Diese Altschulden- [211] last war als Ergebnis der sozialistischen Planwirtschaft oft trotz wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit entstanden. Denn dieses System sah eine umfassende Abschöpfung der Betriebsgewinne und die Zwangskreditierung von Neuinvestitionen vor. Nach der Wende geriet die Altschuldenlast unter Kritik. Teils wurde ihre bilanzielle Behandlung kritisiert,153 teils wurde ihre generelle Übernahme durch den Staat gefordert.154 Dies führt zur allgemeinen Frage, ob der Übergang vom Sozialismus zur neuen Wirtschaftsordnung sich als grundlegende Veränderung der Vertragsumstände i. S. § 242 BGB, gemeinhin als „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ bezeichnet, qualifizieren läßt. Dies ist, wie erörtert, im Einzelfall durchaus zu bejahen. Eine generelle Aussage dieser Art ist aber nicht möglich. Bei Altkrediten stößt die Subsumption zudem auf grundsätzliche Schwierigkeiten. Anders als bei nicht erfüllten Leistungsaustauschverträgen, die ein Kooperationsprogramm für die Zukunft enthalten, oder anders als bei wiederkehrenden Leistungen (Renten usw.), ist der Wegfall der Geschäftsgrundlage bei Geldschulden, die auf der früheren Auszahlung eines Kredits beruhen (Rückzahlungsschulden) im allgemeinen nicht zu begründen. Die Verschlechterung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eines solchen Geldschuldners ist kein Wegfall der Geschäftsgrundlage.155 Auch in der internationalen Schuldenkrise ab Beginn der achtziger Jahre wurde die Berufung auf solche und ähnliche Argumente wie höhere Gewalt kaum gebraucht und im Ergebnis nicht anerkannt.156 Rechtspolitisches Ziel der Forderung nach genereller Altschuldenbefreiung war es, den umgewandelten sozialistischen Unternehmen einen schuldenfreien Start zu ermöglichen und die Altschuldenlast beim Staat zu konzentrieren. Beide Ziele überzeugen letztlich rechtspolitisch nicht. Schon das Bild der Altschuldenlast der Unternehmen war uneinheitlich. Volkswirtschaftlich wäre ein genereller Schuldenerlaß nicht durch kongruente Forde-
Sonnemann/Lohse, BB 1991, Beil. 8, S. 14, 20 Fußn. 45. Hankel, DZWir 1992, 32, 35. 155 Zust. KG DZWir 1994, 23, 26; generell ablehnend Prölss/Armbrüster, DtZ 1992, 203 ff. (m.E. zu weitgehend). Die Gegenmeinung weist auf die (unbestreitbaren) funktionellen Unterschiede von Krediten in der Planwirtschaft hin; Vogler, DZWir 1991, 303 ff.; Harms DZWir 1993, 123 ff. Diese Unterschiede sind aber letztlich nicht als rechtlich relevant anzuerkennen und vom Gesetzgeber nicht anerkannt; vgl. auch Hommelhoff/Habighorst ZIP 1992,665 ff. 156 Horn, WM 1984, 713, 717. 153 154
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rungsverzichte des Staates zu neutralisieren, weil fortbestehendes, d. h. unzureichend abgewertetes Sparvermögen in dieser Altschuldenlast steckt.157 Die Dezentralisierung der Altschulden bei den Unternehmen ist, rechtsund wirtschaftspolitisch betrachtet, gegenüber der zentralisierten Altschul[212] denlast des Staates vorzuziehen. Denn sie konnte Ausgangspunkt für eine besser abgestimmte, den Verhältnissen und Chancen der einzelnen Unternehmen angepaßte Altschuldenbefreiung sein. Diese Feinabstimmung ist auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Die Altschuldenbefreiung erfolgte sozusagen automatisch jedenfalls zu dem Zeitpunkt, zu dem ein Unternehmen durch Privatisierungsverkauf seitens der Treuhand in private Hände überging. Sie wurde teilweise auch bei der Rückgabe an Alteigentümer nach dem Vermögensgesetz gewährt, hier vor allem im Rahmen einer Kapitalhilfe zur Wiederherstellung einer befriedigenden Ertragslage nach § 6 Abs. 4 VermG.158
IV. Die Transformation der sozialistischen Zustände 1. Transformation als Aufgabe des Gesetzgebers Das Altschuldenproblem illustriert, daß das Zivilrecht mit globalen rechtlichen Lösungen der Systemtransformation überfordert ist und daß hier Treuhandgesetz und Vermögensgesetz eingreifen müssen. Damit befinden wir uns auf dem Gebiet des besonderen Transformationsrechts. Dieses liefert die besonderen rechtlichen Instrumente der aktiven Systemveränderung. Kern der Transformationsaufgabe ist die Umgestaltung bestehender Eigentumsverhältnisse. Dabei sind im wesentlichen die folgenden vier Aufgaben zu unterscheiden: (1) Die Umwandlung des sozialistischen Eigentums und seine Unterstellung unter die allgemeinen Regeln des Privatrechts über das Eigentum. Diese Umwandlung war notwendig, um die verkehrsfeindliche Ausgestaltung des sozialistischen Eigentums zu beseitigen.159 (2) Die zweite Aufgabe des Gesetzgebers war die Zuordnung des transformierten Eigentums zu einem bestimmten Eigentümer. Für öffentliches Verwaltungs- und Finanzvermögen wird diese Zuordnung hauptsächlich durch Art. 21 und 22
Zu diesem Problem auch Hankel, DZWir 1992, 32 ff. Zum Ganzen Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 2 § 10 Rz. 6–15; Kap. 4 § 18 Rz. 174 ff. und § 19 Rz. 125–131. 159 Die Umwandlung wurde etwa für die sozialistischen Wirtschaftseinheiten durch die Umwandlung und Vermögensübertragung nach § 11 Treuhandgesetz vollzogen (dazu i.F. 2), hinsichtlich der LPGs durch Aufhebung des umfassenden Nutzungsrechts der LPG (nach Landwirtschaftsanpassungsgesetz), im übrigen durch Einführung des BGB. 157 158
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Einigungsvertrag normiert;160 Wirtschaftsunternehmen wurden nur vorläufig der Treuhandanstalt zugeordnet. (3) Die Treuhandanstalt muß dann für die Pri- [213] vatisierung i. e. S. sorgen, d. h. für die Überführung der Unternehmen in die Hand privater Unternehmensträger durch Verkauf. (4) Die Alternative dazu war die Rückgabe von Unternehmen und sonstigem Eigentum an enteignete Alteigentümer nach dem Vermögensgesetz (Restitution).161 Das Transformationsrecht erinnert uns daran, daß das bürgerliche Recht eine bürgerliche Gesellschaft mit privatem Eigentum voraussetzt. Bei der Ablösung des Sozialismus konnte das bürgerliche Recht diese wesentliche Voraussetzung seines eigenen Funktionierens nicht allein schaffen. Es war darauf angewiesen, daß der Gesetzgeber sie durch Privatisierung herstellte. Dies geschah und geschieht überwiegend mit Mitteln des öffentlichen Rechts, durch gesetzliche Begründung von Eigentumsrechten und durch Hoheitsakte zur Gestaltung der Eigentumsordnung, wie z. B. Restitutionsbescheide. Der größere Teil der Transformationsgesetze ist dem Gebiet des öffentlichen Rechts zuzuordnen. Dies folgt aus den Normadressaten, der Regelungsmaterie und dem zugeordneten Verfahrensrecht, ohne daß hier die verzweigte Diskussion zur Abgrenzung von privatem und öffentlichen Recht voll ausgebreitet werden müßte.162 Die öffentlichrechtliche Natur des Vermögensgesetzes etwa folgt schon daraus, daß es die Rückgängigmachung staatlicher Enteignungsakte durch öffentliche Behörden in einem Verwaltungsverfahren regelt; freilich sieht das Gesetz auch eine Restitution durch direkte Einigung des Verfügungsberechtigten (d. h. des derzeitigen Eigentümers) mit dem Alteigentümer vor.163 Auch das Treuhandgesetz regelt die Tätigkeit einer staatlichen Behörde, der Treuhandanstalt, im Hinblick auf bisher sozialistisches, also staatliches Eigentum.164 Immerhin war die Treuhandanstalt bestrebt, ihre Privatisierungstätigkeit in privatrechtlichen Formen abzuwickeln und eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung dieser Tätigkeit möglichst zu vermeiden; die Frage des Rechtswegs ist umstritten.165 Andererseits gibt es Gesetze wie die neuen Bestimmungen des EGBGB zum Eigentum an Bodenreformland oder das Sachenrechtsbereinigungsgesetz (unten 3), die zumindest nach ihrer Regelungsmaterie dem Privatrecht zuzuordnen sind.
160 Ergänzend greift das Vermögenszuordnungsgesetz (VZOG) ein, eingeführt aufgrund Art. 7 Hemmnisbeseitigungsgesetz v. 22.3.1991, BGBl I, 766, 784; geänd. d. Art. 9 des 2. Vermögensrechtsänderungsgesetzes v. 14.7.1992, BGBl I, 1257, 1280. 161 Überblick bei Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 12 Rz. 1–4. 162 Zu dieser Abgrenzung allg Erichsen/Martens, Allgemeines Verwaltungsrecht, 9. Aufl. 1992, § 2 Rz. 12 ff. 163 Überblick bei Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 3 § 13. 164 Überblick bei Horn, aaO, Kap. 4 § 18; zur Natur des Volkseigentums und seine Ähnlichkeit mit Staatseigentum dort Kap. 3 § 11 Rz. 3. 165 Zum Streitstand Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 4 § 18 Rz. 267 ff.
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Auch bei den Transformationsgesetzen, die dem öffentlichen Recht zuzurechnen sind, ist Gestaltungsziel die Herstellung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse und ihre Einfügung in die allgemeine Privatrechtsordnung. Dabei ist jeweils der Punkt zu bestimmen, wo die öffentlichrechtliche Gestal- [214] tung endet und das allgemeine Privatrecht die Herrschaft über die Gestaltungsergebnisse übernimmt. Bei der Auslegung der Transformationsgesetze ist zu beachten, daß alle diese Gesetze leges speciales für die historisch einmalige Transformationsaufgabe sind und als solche Vorrang vor den allgemeinen Gesetzen beanspruchen, soweit der Transformationszweck dies erfordert. Der Transformationszweck ist also bei der Auslegung als ratio legis zu respektieren. Die Auslegungsprobleme des Transformationsrechts und vor allem die Fragen der zivilrechtlichen Einordnung der Transformationsergebnisse werden i.F. exemplifiziert. Dabei werden einige Kernfragen der drei Schwerpunkte des Transformationsrechts – Privatisierung (i.F. 2), Schutz privater Besitzstände (i.F. 3) und Restitution (i.F. 4) – erörtert. 2. Privatisierung. Die zivilrechtliche Einordnung der Transformation nach dem Treuhandgesetz a) Zur Dogmatik der Umwandlung nach § 11 THG Die gesetzliche Umwandlung der sozialistischen Wirtschaftseinheiten gemäß § 11 Treuhandgesetz ist ohne historisches Vorbild. Die Vorschrift ist primär aus sich selbst und dem von ihr verfolgten Transformationszweck zu verstehen.166 Die Umwandlung nach § 11 THG umfaßt zwei Vorgänge: Erstens eine Rechtsformänderung des sozialistischen Betriebs mit gestufter Gründung einer Kapitalgesellschaft gem. Abs. 1 und zweitens einen gesetzlichen Vermögensübergang gemäß Abs. 2. Die Entstehung der neuen Kapitalgesellschaften weist gravierende Abweichungen vom allgemeinen Kapitalgesellschaftsrecht auf. Erstens sind die Kapitalgesellschaften (entgegen § 41 Abs. 1 AktG und § 11 Abs. 1 GmbHG) bereits vor der Eintragung in das Handelsregister ex lege zum 1.7.1990 entstanden.167 Zweitens folgt dieser 166 Das Umwandlungsgesetz, das aufgrund § 22 Mantelgesetz bereits ab 1.7.1990 in der damaligen DDR in Kraft getreten ist, kann keineswegs im vollen Umfang, sondern allenfalls ergänzend herangezogen werden. Für uneingeschränkte Anwendung des Umwandlungsrechts Timm, ZIP 1991, 413, 416 Fn. 34. 167 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 18 Rz. 108; ders., Festschrift Kellermann, 1991, S. 201 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 1992, 570, 571; Lachmann, DtZ 1990, 238; Dornberger/Dornberger, DB 1990, 3042, 3044; Jürgens, DB 1990, 3162; Priester, DB 1991, 2373; zweifelnd Ulmer, in: RWS-Forum 7 (Treuhandunternehmen im Umbruch), 1991, S. 39, 47; a.A. Timm, ZIP 1991, 413, 416 ff. (GmbH im Aufbau sei Vorgesellschaft), Weimar, BB 1991, Beil. 13, S. 12, 18; ders., GmbHR 1991, 507, 509 (GmbH im Aufbau sei weniger als eine Vor-GmbH).
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Entstehung ex lege der Gründungsvorgang, der für Kapitalgesellschaften [215] erforderlich ist (u.a. Gesellschaftsvertrag oder Satzung, Organbestellung, Gründungsbericht), gern. §§ 19–21 ThG nach. Nach den Kategorien des Umwandlungsgesetzes erfüllt der Vorgang die Merkmale sowohl der rechtsformändernden wie der übertragenden Umwandlung. Denn zuvor bestanden sozialistische Wirtschaftseinheiten, die im Rahmen des sozialistischen Wirtschaftsrechts eine begrenzte rechtliche Selbständigkeit besaßen.168 Dies spricht für eine bloße Rechtsformänderung. Dazu paßt, daß der Gesetzgeber von einer Haftungskontinuität für die bestehenden Altschulden ausging.169 Andererseits wurden die Kapitalgesellschaften nach § 11 Abs. 2 ThG mit dem Betriebsvermögen ausgestattet, an dem sie bisher nur Fondsinhaberschaft und sogenannte Rechtsträgerschaft hatten. Dies stellt eine Vermögensübertragung aus dem Volkseigentum in Privateigentum dar und entspricht einer übertragenden Umwandlung. Nur mit dieser doppelten Deutung läßt sich der Vorgang vollständig erfassen.170 b) Zur Konzernhaftung der Treuhandanstalt Eine intensive Diskussion wurde um die Frage geführt, ob Konzernrecht auf das Verhältnis der Treuhandanstalt zu ihren Treuhandunternehmen, deren Gesellschaftsanteile sie mittelbar oder unmittelbar hält, anzuwenden sei.171 Die Befürworter einer Anwendung des Konzernrechts konnten sich vor allem auf die Rechtsprechung des BGH zum faktischen Konzern stützen, in der die Schlüsselbegriffe des Unternehmens, der Leitungsmacht und der qualifizierten Abhängigkeit sehr weit aufgefaßt worden waren.172 Diese Tendenz wurde bekanntlich in der TBB-Entscheidung des BGH vom März 1993 revidiert.173 Das Kreisgericht Erfurt hat im Juli 1991 in einer vielbeach- [216] Horn, aaO, § 18 Rz. 107 m. Nachw. Horn, aaO, § 18 Rz. 116 und 117. 170 Horn aaO § 18 Rz. 110; ders., Festschrift Kellermann aaO. 171 Für Anwendung des Konzernrechts Weimar/Bartscher, ZIP 1991, 69–79; Kerber/Stechow, DZWir 1991, 49, 50 f.; Timm, ZIP 1991, 413–425; Weimar/Alfes, ZIP 1991, 1529–1543; Haarmeyer/Wutzke/Förster, Kommentar zur Gesamtvollstreckungsordnung, 2. Aufl. 1992, Einl. Rz. 87, 97. Gegen die Anwendung des Konzernrechts Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht, ab der 1. Aufl. (S. 330 f.); 2. Aufl. § 18 Rz. 68 ff.; Priester, Bericht der IDW-Fachtagung Berlin 1991, S. 81, 94 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 1992, 570, 573; Balz, Musterargumentation der Treuhandanstalt, ZIP 1992, 446, 447; Hirte, Der qualifizierte faktische Konzern, RWS-Dok. 12, S. 11 f. 172 BGHZ 95, 330 (Autokran) = ZIP 1985, 1263 = NJW 1986, 188; BGHZ 107, 7 (Tiefbau) = ZIP 1989, 440; dazu EWiR 1989, 431 (Fleck); BGHZ 115, 187 (Video) = ZIP 1991, 1345 = NJW 1991, 3142; dazu EWiR 1991, 945 (Altmeppen); Überblicke bei Timm, NJW 1992, 2185; Hommelhoff/Stimpel/Ulmer (Hrsg), Heidelberger Konzernrechtstage: Der qualifizierte faktische GmbH-Konzern, 1992. 173 Danach setzt eine Konzernhaftung voraus, daß die Leitungsmacht ohne angemessene Rücksicht auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft ausgeübt wird und es an 168 169
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teten und nicht überzeugenden Entscheidung eine Durchgriffshaftung der Treuhandanstalt für Sozialplanzusagen eines Treuhandunternehmens bejaht und konzernrechtlich zu begründen gesucht.174 Eine Konzernhaftung der Treuhandanstalt barg die Gefahr, daß die einzelnen Treuhandunternehmen durch ihr Handeln, z. B. das Aushandeln von Sozialplänen, die Treuhandanstalt quasi unbegrenzt verpflichten könnten und damit jedes selbstverantwortliche Verhalten der Treuhandunternehmen im Wirtschaftsverkehr ausgehöhlt worden wäre. Der Gesetzgeber hat daher 1992 den § 28a EGAktG eingeführt; danach sind die Vorschriften des Aktiengesetzes über herrschende Unternehmen auf die Treuhandanstalt nicht anzuwenden (Satz 1). Um die Konzernhaftung auszuschließen, hat der Gesetzgeber hier einen rechtstechnisch nicht ganz glücklichen Weg gewählt, bei der Treuhandanstalt des Merkmal des herrschenden Unternehmens (§ 17 AktG) auszuschließen, das für den Tatbestand des Unterordnungskonzerns unentbehrlich ist. Gegen die Anwendung des allgemeinen Konzernrechts sprechen im übrigen schon Subsumptionsschwierigkeiten. Das Merkmal der einheitlichen Leitungsmacht ist durchweg durch die bloße Privatisierungstätigkeit der Treuhandanstalt und die damit z. T. verbundenen Sanierungsbemühungen noch nicht erfüllt.175 Man kann also sagen, daß die Treuhandanstalt durch die bloße Verfolgung des Gesetzeszwecks schon rein tatsächlich die Merkmale der Konzernbildung in der Regel nicht erfüllt. Man kann aber weiterhin auch sagen, daß das Treuhandgesetz als lex specialis wegen der genannten ratio legis Vorrang vor den allgemeinen Grundsätzen des Konzernrechts beanspruchen kann und zwar insofern, als dadurch der Privatisierungszweck in der geschilderten Weise gefährdet wäre. Dies wird durch § 28a EGAktG in freilich unvollkommener Weise klargestellt. c) Vertragsrecht der Privatisierungsverkäufe Instrument der Privatisierungstätigkeit der Treuhandanstalt, d. h. der Überführung der umgewandelten Treuhandunternehmen in die Hände privater Unternehmer, sind Kaufverträge. In ihnen spiegeln sich die Erwägungen, welche die Treuhandanstalt bei ihrer Privatisierungsentscheidung zu berücksichtigen hat. Dies führt zu typischen Gestaltungen. Die Privatisierungsziele werden durch Investitionszusagen der Erwerber, durch Arbeits[217] platzgarantien und das Verbot der Einzelverwertung von Gegenständen des Unternehmensvermögens gesichert. Die Kaufpreisfindung setzt die Lösung schwieriger Fragen der Unternehmensbewertung und die Berückeinem Nachteilsausgleich durch Einzelmaßnahmen fehlt. BGH ZIP 1993, 589; dazu Karsten Schmidt, ZIP 1993, 549; H. P. Westermann, ZIP 1993, 554. 174 ZIP 1991, 1233 = VIZ 1991, 71. 175 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 4 § 18 Rz. 72 f.
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sichtigung der Altschuldenlast voraus. Die Übernahme ökologischer Altlasten ist zu regeln.176 Die anschließende Kontrolle der Vertragsdurchführung, insbesondere der zugesagten Investitionen und Arbeitsplatzgarantien, gehört zu den immer wichtiger werdenden Aufgaben der Treuhandanstalt; dabei ist abzusehen, daß unvorhergesehene wirtschaftliche Schwierigkeiten auch einen Bedarf an Vertragsanpassungen erzeugen.177 3. Transformationsrecht im Bereich privater Besitzstände a) Schutz von privaten Besitzständen Wenden wir uns nun dem Transformationsrecht im privaten Bereich zu. Die Aufgabe war hier eine ganz andere. Der Gesetzgeber war bemüht, die in der DDR gewachsenen privaten Besitzstände nach Möglichkeit zu schützen. So schützt das Vermögensgesetz den redlichen Erwerber auf enteignetem Grundstück (§ 4 Abs. 2 und 3 VermG). Mehr noch: vielen Menschen, die bis dahin nur unklare oder nur kümmerliche Besitzstände hatten, wurden klare private Rechte zugesprochen und damit leere Versprechungen des Sozialismus nachträglich erfüllt. Dies gilt vor allem für Bodenreformland und für unklare Nutzungsverhältnisse. b) Die neuen Eigentumsrechte der Siedlungsbauern (Art. 233 §§ 11–16 EGBGB) Als Bodenreform bezeichnete man die von der sowjetischen Besatzungsmacht ab 1945 veranlaßten entschädigungslosen Konfiskationen land- und forstwirtschaftlichen Grundbesitzes aller Eigentümer, die mehr als 100 ha hatten. Das Land wurde in öffentliche Bodenfonds überführt.178 Nur ein be- [218] grenzter Teil des Bodenreformlandes wurde Bauern zugeteilt. Die Rechtstellung der Neubauern am Boden wurde z. T. als Besitz bezeichnet, z. T. als persönliches Eigentum. Sie blieb aber hinter vollem Eigentum im westlichen Rechtsverständnis zurück und war eher einem feudalen Abhängigkeitsverhältnis zu vergleichen. Denn der Neubauer war zur Bewirtschaf-
176 Zu Unternehmenskaufverträgen mit der Treuhandanstalt vgl. Wächter, ZAP-DDR Fach 15, S. 81; Rodegra/Gogrewe, DtZ 1991, 353–359; zu typischen Vertragsklauseln Wächter/Kaiser/Krause, WM 1992, 293–303 und 337–347. Zu praktischen Erfahrungen beim Unternehmenskauf Scheifele, BB 1991, 557–563 und 629–636; Überblick bei Horn, Zivilund Wirtschaftsrecht2, § 18 Rzn. 219 ff. 177 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 18 Rz. 264. 178 Zur Bodenreform vgl. BezG Dresden DZWir 1990, 247 ff.; Krüger, DtZ 1991, 385 ff.; Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 12 Rz. 53 ff.; § 13 Rz. 8. Aus der DDR-Literatur vgl. Rohde u.a. (Autorenkollektiv), Bodenrecht (Lehrbuch), 1976, S. 367; Schüsseler, Theoretische Probleme des Volkseigentumsrechts, in: Staat und Recht 1976, S. 32–41 (zum Bewirtschaftungsrecht der Fonds).
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tung seiner Neubauernwirtschaft verpflichtet. Eine Aufgabe der Bewirtschaftungspflicht, die nur aus zwingenden Gründen erlaubt war und andernfalls nach Wirtschaftsstrafrecht geahndet wurde, führte zum Rückfall des Bodenreformbesitzes an den Bodenfonds, ohne daß dem Neubauern Rechte daran verblieben.179 Der Bodenfonds konnte bei der Neuzuteilung geeignete Erben, aber auch Dritte berücksichtigen.180 Erst ein Gesetz vom März 1990181 über die Rechte der Eigentümer von Grundstücken aus der Bodenreform verschaffte den Neubauern die Eigentumsrechte nach dem ZGB, die ihnen die Bodenreform vorenthalten hatte, und hob entgegenstehende Verfügungsbeschränkungen auf (§ 1). Diese Eigentümer erhielten demnach das Recht zum Besitz, zur Nutzung und zur Verfügung. Sie gewannen also auch das Recht zur Grundstücksveräußerung. Das Gesetz diente zugleich dem Zweck, umfangreiche, an den Staat zurückgefallene Bodenreformflächen aus dem besonderen Status des Bodenreformlandes zu entlassen und zugleich als Staatseigentum (d. h. Volkseigentum) festzustellen, um es in dieser Form weiterhin für die Nutzung durch die LPGs zu sichern.182 Die von den Siedlungsbauern 1990 endlich erworbenen Eigentumsrechte wurden gem. Art. 233 § 2 EGBGB in die neue Privatrechtsordnung des BGB übergeleitet.183 Gleichwohl blieben zahlreiche regelungsbedürftige Fragen. Schon die Folgerung des vollen privaten Eigentumserwerbs wurde mancherorts bezweifelt und bedurfte der Klarstellung. Ferner hatte das Gesetz vom März 1990 nur die kleinere Zahl von tatsächlich wirtschaftenden Siedlungsbauern erfaßt. Erben der vor diesem Zeitpunkt verstorbenen oder aus der Bewirtschaftung ausgeschiedenen Bauern hatten kein Eigentumsrecht erhalten.184 Endgültige Klarheit brachte erst 1992 die „Abwicklung der Bodenreform“ durch die neuen §§ 11–16 des Art. 233 EGBGB. Danach wurden die eingetragenen Siedlungsbauern und ihre Erben Volleigentümer, nachrangig die [219] nicht eingetragenen Siedlungsbauernanwärter, letztrangig die Inhaber bloßer Grundbuchpositionen. Zur Durchführung dieser Konzeption unterscheidet das Gesetz danach, ob einer bestimmten Person das Nutzungsrecht an einem bestimmten Grundstück mit der vollen Rechts- und Pflichtenstellung eines Siedlungsbauern übertragen ist (§ 11 Abs. 1 Satz 1), oder ob er nur, ohne eine solche Stellung noch zu haben, im Grundbuch als Eigentümer eingetragen ist (§ 11 Abs. 2). Die erstere Rechtsstellung ist die stärkere; in Konflikt geht sie Dazu Krüger, DtZ 1991, 385, 392. Arlt/Rohde, Bodenrecht, 1967, S. 354 ff. 181 Gesetz v. 6.3.1990, GBl-DDR I Nr. 17 S. 134, abgedruckt in: Horn, RWS-Dok. 1 (vgl. Fn. 2) 1990, Nr. III.10. 182 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 12 Rz. 55. 183 Vgl. dazu auch BezG Dresden ZIP 1992, 866. 184 BezG Dresden ZIP 1992, 358 und 359; z. T. a. A. BezG Dresden ZIP 1992, 866. 179 180
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vor, so daß derjenige, der die Rechte als Siedlungsbauer hat, einen Herausgabeanspruch geltend machen kann (§ 11 Abs. 3). Gleiches gilt für die Anwärter, denen Rechte als Siedlungsbauern zugesprochen waren (§ 12). Bodenreformland dagegen, das nicht oder nicht mehr an Siedlungsbauern ausgegeben ist, unterliegt den allgemeinen Regeln über die Verwertung volkseigener Grundstücke (§ 11 Abs. 1 Satz 2). Das Gesetz gewährt den Siedlungsbauern volles Eigentum gem. Art. 233 § 11 Abs. 1 Satz 1 EGBGB.185 c) Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz186 soll verworrene Rechtsfragen auf dem Gebiet des Grundstücks- und Gebäudeeigentums und der Bodennutzung klären.187 Dabei geht es um drei Regelungsaufgaben: (1) die Umwandlung der bestehenden dinglichen Nutzungsrechte nach ZGB in Erbbaurechte und die Möglichkeit ihrer Vereinigung mit dem Grundstückseigentum durch Kauf; (2) die rechtliche Anerkennung unklarer tatsächlicher Nutzungen und ihre Gleichstellung mit den bestehenden dinglichen Nutzungsrechten in der Weise, daß auch diese tatsächlichen Nutzungen zu Erbbaurechten werden und die Möglichkeit der Zusammenführung mit dem Grundstück durch Kauf besteht, bei kleineren Grundstückswerten sogar vorrangig vorgeschrieben wird; (3) den Interessenausgleich zwischen Nutzungsberechtigtem und Grundeigentümer durch Teilung der Wertsteigerung des Grundstücks bei der Preisfindung. (1) Die sog. dinglichen Nutzungsrechte nach ZGB, deren Inhaber Gebäudeeigentum auf fremden Grund erwerben konnten und die gem. Art. 233 [220] § 4 EGBGB vorläufig dem Immobiliarsachenrecht des BGB unterstellt wurden, sollen in die allgemeine Privatrechtsordnung eingefügt werden. Zu diesem Zweck kann der Rechtsinhaber verlangen, daß entweder das Nutzungsrecht durch Bestellungsvertrag mit dem Grundeigentümer in ein Erbbaurecht umgewandelt wird, oder daß er das zugehörige Grundstück erwirbt. (2) Wer bauliche Investitionen auf fremden Grund und Boden getätigt hat, ohne daß ihm ein Nutzungsrecht verliehen worden war, soll ähnlich dem Inhaber eines dinglichen Nutzungsrechts rechtlich geschützt werden. Hier wird also eine rein tatsächliche Besitzposition ohne hinreichende oder mit nur unklarer Rechtsgrundlage in eine feste rechtliche Position überführt.
185 Weitere Einzelheiten im Überblick bei Gollasch/Kroeger, VIZ 1992, 421, 423 ff.; Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 12 Rz. 58–72. 186 Gesetz zur Sachenrechtsbereinigung im Beitrittsgebiet (SachenRBerG) gem. Art. 1 des Gesetzes zur Änderung sachenrechtlicher Bestimmungen (SachenRÄndG), Regierungsentwurf v. 20.7.1993, BR-Drucks. 515/93; auszugsweise abgedruckt in ZIP 1993, 1270 f. 187 Zum folgenden vgl. Bundesminister der Justiz, Eckwerte-Papier zur großen Sachenrechtsbereinigung, DtZ 1993, 49 f.; Leuthäusser-Schnarrenberger, DtZ 1993, 34 f.; Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 5 Rz. 11–15.
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Denn in der DDR wurden nicht selten volkseigene Grundstücke an Eigenheimerbauer überlassen, ohne daß es zur Bestellung des Nutzungsrechts kam, oder es wurden Gebäude lediglich aufgrund einer Baugenehmigung188 oder aufgrund von Überlassungsverträgen errichtet, die der staatliche Verwalter privater Grundstücke abschloß. (3) Der Interessenausgleich zwischen dem Nutzungsberechtigten und dem Grundstückseigentümer soll nach Gesetz in der Weise erfolgen, daß beide hälftig an der inzwischen eingetretenen Wertsteigerung des Grund und Bodens beteiligt werden. Im Ergebnis verspricht das Gesetz zwei bedeutende wirtschaftliche Effekte: Erstens teilt es private Rechte zu, wo vorher eine greifbare private Rechtsposition nicht bestand, und es knüpft dabei an einen tatsächlichen Besitzstand an. Zweitens führt die Sachenrechtsbereinigung dazu, daß die in diesen Fällen weithin noch fehlende Verkehrsfähigkeit und Beleihbarkeit der Grundstücke hergestellt wird. 4. Der Grundsatz der Eigentumsrestitution a) Rechtsgrundlagen und Grenzen gemäß Vermögensgesetz Im Vermögensgesetz vom 29.9.1990 ist ein Anspruch auf Restitution enteigneten Eigentums in engen tatbestandlichen Grenzen anerkannt. Der Restitutionsanspruch ist ein öffentlich-rechtlicher, gegen den Staat gerichteter Anspruch auf Rückübereignung enteigneten und Rückgabe beschlagnahmten Privateigentums.189 Er ist in einem Verwaltungsverfahren vor den Vermögensämtern (§§ 22–38a VermG) durchzusetzen und wird durch be[221] hördlichen Rückgabebescheid oder gütliche Einigung der Beteiligten verwirklicht.190 Der angemeldete Restitutionsanspruch geht nicht dadurch unter, daß der derzeit Verfügungsberechtigte als Eigentümer oder Verwalter den Gegenstand anderweitig veräußert; der Restitutionsanspruch wandert vielmehr wie eine öffentlich-rechtliche Belastung des Gegenstands mit.191 Dies ist zwar umstritten. Die Treuhandanstalt hat aber mit Recht bei ihren Privatisierungsverkäufen dann, wenn ein Restitutionsanspruch angemeldet war, das Unternehmen vorsorglich unter Vorbehalt des Restitutionsanspruchs veräußert.192
Vgl. BGH ZIP 1993, 794. Zur öffentlich-rechtlichen Natur des Rückgabeanspruchs KG ZIP 1992, 211 (mit allerdings bedenklicher Ablehnung eines zivilrechtlichen Rechtsschutzes; dazu i. F.). 190 Einzelheiten Horn, aaO, Kap. 3 § 13 Rz. 345 ff. 191 Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, Kap. 3 § 13 Rz. 192 ff.; sehr str. 192 Horn, aaO, § 13 Rz. 206 f. 188 189
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b) Der Restitutionsanspruch als zivilrechtlicher Vermögensgegenstand Der Restitutionsanspruch ist zwar öffentlich-rechtlicher Natur, zielt aber auf die Wiederherstellung bzw. Gewährung privater Vermögensrechte. Dies führt zu der Frage, in welcher Weise und ab welchem Zeitpunkt dieser Anspruch als privater Vermögensgegenstand behandelt werden kann. Hier sei nur die Frage nach dem Entstehungszeitpunkt dieses Vermögensgegenstandes herausgegriffen. Der Restitutionsanspruch ist mit dem Inkrafttreten des Vermögensgesetzes am 29.9.1990 entstanden. Die Enteignungstatbestände des § 1 VermG knüpfen freilich an zurückliegende Enteignungsvorgänge an und wollen altes Unrecht bereinigen. Daraus ist vielfach die Vorstellung erwachsen, daß der Restitutionsanspruch bereits früher entstanden ist oder jedenfalls ein bereits präexistentes Recht lediglich präzisiert. Aber altes Unrecht bedeutet noch nicht, daß die sehr viel später geschaffenen Ansprüche zu seiner Bereinigung auch im normtechnischen Sinn alte Ansprüche sind. Hat jemand etwa privatrechtlich vor dem 29.9.1990 über einen Restitutionsanspruch verfügt, so handelte es sich um die Verfügung über einen künftigen Gegenstand, nicht etwa um ein bereits bestehendes Anwartschaftsrecht. Bei einem Erbfall vor dem 29.9.1990 gehörte der Restitutionsanspruch nicht zum Nachlaßvermögen.193 Vielmehr ist der Restitutionsanspruch erst am 29.9.1990 originär in der Person des Erben entstanden. Einen Sonderfall bildet die nachträgliche Korrektur des Wertes des Nachlasses bei der Pflichtteilsberechnung analog § 2313 BGB; der Restitutionsanspruch wird vom BGH als ein von einer aufschiebenden Bedingung abhängiger Vermögens- [222] gegenstand i.S. dieser Vorschrift behandelt.194 Dies läßt sich durch den Ausnahmecharakter der Vorschrift, die auch für „ungewisse oder unsichere Rechte“ gelten will, rechtfertigen und entspricht im Ergebnis den oben (III 3) erörterten Fällen der nachträglichen Korrektur letztwilliger Verfügungen zur Erzielung erbrechtlicher Gerechtigkeit. Auch in diesem Fall hat der BGH betont, daß der Anspruch erst durch das Vermögensgesetz begründet wurde.195 Die gleiche Folgerung muß man bei Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Enteignungsopfers oder seines Erben vor dem 29.9.1990 ziehen. Vor diesem Zeitpunkt sind die Rechte nach dem Vermögensgesetz und die daraus erlangten Vermögensgegenstände nicht Teil der Masse. Zwar können zur Masse auch bedingte und betagte Ansprüche und Anwartschaften gehören.196 Der Restitutionsanspruch war aber bei diesem zeitlich zurückliegenden Konkursverfahren unter keinem Gesichtspunkt gegenwärtiges Ver193 So aber Märker, VIZ 1992, 174; Stamm, HB v. 30.9.1992, S. 8; wie hier Adlerstein/ Desch, DtZ 1991, 193, 199; OLG Celle DtZ 1992, 355 = VIZ 1992, 416. 194 BGH NJW 1993, 2176. 195 AaO, S. 2177. 196 Vgl. allg. Kuhn/Uhlenbruck, Konkursordnung. Kommentar, 10. Aufl. 1986 Rz. 100 f.
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mögen. Vielmehr ist ein Nachkonkurs durchzuführen.197 Ist ein bestätigter Vergleich vor dem Inkrafttreten des Vermögensgesetzes abgeschlossen, so bleibt der Schuldner von weiteren Ansprüchen der Vergleichsgläubiger frei. Denn es handelt sich um neuen Vermögenserwerb, der den alten Vergleichsgläubigern gerade nicht zur Verfügung stehen soll. c) Zivilrechtlicher Schutz des Restitutionsanspruchs Der Restitutionsanspruch genießt auch zivilrechtlichen Schutz. Die in § 3 Abs. 3 Satz 1 VermG dem derzeitigen Eigentümer (Verfügungsberechtigten) auferlegte öffentlich-rechtliche Pflicht, zum Schutz des Restitutionsanspruchs bestimmte Verfügungen zu unterlassen, ist zugleich auch eine zivilrechtliche Pflicht gegenüber dem Restitutionsberechtigten. Dieser kann sie daher mit einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage durchsetzen.198 Zugleich liegt ein Schutzgesetz i. S. § 823 Abs. 2 BGB vor. Pflichtwidrig können nicht nur Rechtsgeschäfte sein, sondern auch Realakte, z. B. der Umbau oder Abriß von Gebäuden und andere Handlungen, durch die in die spätere Dispositionsfreiheit des Alteigentümers (Berechtigten) in erheblicher Weise eingegriffen wird.199 Gegen solche Eingriffe des Verfügungsberechtigten oder [223] eines Dritten, z. B. Pächters, kann sich der Berechtigte dadurch wehren, daß er Erlaß eines gerichtlichen Verfügungsverbotes nach § 938 Abs. 2 ZPO beantragt.200 d) Die sozialen und ökonomischen Funktionen der Restitution Kein Grundsatz des Transformationsrechts war und ist rechtspolitisch so umstritten wie der Grundsatz der Restitution. Diese Diskussion ist von grundsätzlicher Bedeutung für das Verständnis der ganzen Transformationsaufgabe und des Eigentums als Grundlage des Privatrechts. Nach einer in der politischen Öffentlichkeit weit verbreiteten, aber auch von Ökonomen und Juristen vertretenen Meinung beruht der Restitutionsanspruch auf einer „unseligen Entscheidung“201 und stellt das „Investitionshemmnis Nummer eins“202 dar. Als bessere Lösung wurde in der politischen Diskussion durchweg der Grundsatz „Entschädigung statt Rückgabe“ propagiert. Allerdings ist diese kurzsichtige Forderung heute verstummt, schon weil man die Schmidt-Räntsch, ZIP 1992, 593 f.; Marotzke, ZIP 1993, 885 ff., 889 f.; a.A. Bork, ZIP 1991, 988. 198 BVerfG ZIP 1992, 1025, 1026; BezG Dresden ZIP 1992, 733. 199 KG DtZ 1991, 191; BezG Magdeburg ZIP 1991, 546 = DtZ 1991, 251 f.; zust. BVerfG ZIP 1992, 1020, 1022 f.; a. A. Busche, DtZ 1991, 294 f. 200 Kohler, NJW 1991, 465, 470. 201 Sievert, in: Dichmann/Fels (Hrsg.), Gesellschaftliche und ökonomische Funktionen des Privateigentums, 1993, S. 206 ff., 214. 202 Möschel, JZ 1992, 489 ff., 491. 197
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immensen finanziellen und rechtspolitischen Schwierigkeiten einer akzeptablen Entschädigungslösung sieht.203 Die Rolle des Restitutionsrecht als Investitionshindernis wird überschätzt. Seine Funktion als Investitionsantrieb wird unterschätzt und seine Bedeutung für den Eigentumsgedanken wird oft übersehen. Zwar hat das Vermögensgesetz eine Masse von rund 1,2 Mio. vermögensrechtlichen Anträgen enteigneter Alteigentümer mit rund 2,5 Mio. Einzelansprüchen ausgelöst.204 Dieser Antragsstau wirkt sich auch nachteilig auf Investitionsvorhaben aus. Gleichwohl sind die genannten Zahlen wenig aussagekräftig, ja irreführend. Denn Ende 1992 waren bereits 53 % der gewerblichen Unternehmen (außerhalb der Landwirtschaft), bei denen Restitutionsansprüche gestellt waren, zurückgegeben.205 Bei dringenden Investitionsvorhaben wird eine vorrangige Klärung der Restitutionsansprüche durch die Vermögensämter vorgenom[224] men. Der Restitutionsanspruch kann im übrigen durch Gewährung eines Investitionsvorrangs zugunsten eines Drittinvestors, der ein überlegenes Investitionskonzept anbietet, überwunden werden.206 Nur ein kleiner Teil konkret geplanter Investitionen scheiterte an ungeklärten Restitutionsansprüchen; eine Erhebung in Sachsen ergab einen Anteil von 12 %.207 Andere Schwierigkeiten haben für Investitionsvorhaben größere oder gleiche Bedeutung, etwa eine oft langsame oder auch unwillige Verwaltung oder die fehlende Bau- und Flächennutzungsplanung. Soweit Eigentumsfragen Probleme aufwerfen, liegt die Schwierigkeit oft woanders, etwa bei unklaren Grundbuchverhältnissen, fehlender Grundstücksvermessung, unklaren Nutzungsrechten und anderen Symptomen der allgemeinen Verwahrlosung der Eigentumsrechtsverhältnisse in der alten DDR.208 Andererseits sprechen auch ökonomische Gründe für den Restitutionsanspruch. Denn auf diese Weise konnte das Interesse und nicht selten die Opferbereitschaft von Alteigentümern und ihren Erben mobilisiert werden, ihre Häuser oder Unternehmen zu sanieren und dabei die Rentabilität nicht zur 203 Zu den Problemen des Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetzes Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 15. 204 Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen, Pressemitt. v. 23.2.1993: 1 155 980 Anträge (zuzüglich einer noch unbekannten Zahl noch nicht EDV-erfaßter Anträge) mit 2 509 841 Einzelansprüchen. Davon waren Ende 1992 erst 15 % erledigt, und man rechnet mit einer Gesamtbearbeitungszeit für alle Anträge von rund 10 Jahren, falls nicht noch einmal eine erhebliche Verstärkung der Vermögensämter vorgenommen wird. 205 Treuhandanstalt, Pressemitt. v. 24.2.1993. 206 Maßgeblich ist jetzt das Investitonsvorranggesetz, eingeführt durch Art. 6 des 2. Vermögensrechtsänderungsgesetzes v. 14.7.1992, BGBl I, 1257, 1268, in Kraft seit 29.7.1992. Zum Ganzen Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 14. 207 Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen, Sachsen, Dresden, Auskunft vom September 1992 aufgrund einer Erhebung. 208 Vgl. auch Wobst, MDR 1991, 697; Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht2, § 11 Rz. 7 und § 13 Rz. 29.
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alleinigen Richtschnur ihres Handelns zu machen. Es wäre auch illusorisch zu glauben, daß die öffentliche Hand oder dritte Investoren überall die Initiative ergreifen wollten und nur durch das Vermögensgesetz daran gehindert würden. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt große Bereiche und Regionen, wo sich in den ersten drei Jahren nach der Wiedervereinigung wenig Initiative gezeigt hat und wo die Restitutionsverfahren das wichtigste belebende Element waren. Außerdem darf man die außerökonomischen Aspekte der Eigentumsordnung nicht übersehen. Diese setzt Respekt vor dem Eigentumsgedanken voraus. Nur dann kann sie als dauerhafte Grundlage der Privatrechtsordnung und auch der Wirtschaftsordnung dienen. „Eindeutigkeit, Dauerhaftigkeit, Verläßlichkeit“ werden daher auch von Ökonomen als wichtigste ökonomische Eigenschaften des Eigentums genannt.209 Dazu gehört auch die Beseitigung krassen Unrechts bei der früheren Wegnahme von Eigentum, jedenfalls dort, wo dies möglich ist, ohne neues Unrecht zu schaffen. Die Alternative wäre gewesen, die freie Wirtschaftsordnung auf die Zufallsergebnisse der [225] Güterverteilung durch das alte politische System zu gründen und dabei auch die Zufallsgewinne der alten politischen Klasse in Kauf zu nehmen. Diese Alternative ist nur scheinbar durch eine ökonomisch-funktionale Betrachtung zu rechtfertigen. In Wirklichkeit hätte sie den Eigentumsgedanken ausgehöhlt und daher langfristig auch zu wirtschaftlich schlechten Ergebnissen geführt.210
V. Die Rolle des Zivilrechts bei der Herstellung gleicher Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet Anhand der bisherigen Erörterungen läßt sich zusammenfassend die Rolle charakterisieren, die das Zivilrecht bei der großen Aufgabe übernimmt, gleiche Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet herzustellen. Es ist eine meist aktiv gestaltende, teils aber auch eine eher rezeptive Rolle. Das Zivilrecht ist also teils gestaltende Kraft, teils Ziel der Gestaltung. Ein aktiver Beitrag des Zivilrechts zur genannten Aufgabe ist die Vollendung der Rechtseinheit im Zivilrecht. Die hier auftretenden Übergangsprobleme werden (1) durch das neue Kollisionsrecht des EGBGB, (2) durch die inhaltliche Anpassung bestehender Verträge und (3) dadurch gelöst, daß unklare Rechtspositionen, etwa der Siedlungsbauern und bestimmter Grund-
209 Sievert a. O., S. 210; der Autor lehnt gleichwohl ohne stichhaltige Begründung die Restitutionsregelung ab. 210 Zur wirtschaftlichen und sozialen Rationalität der Restitutionsregelung ausführlich Willgerodt, in: Dischmann/Fels (Hrsg.), S. 139–184, S. 154 ff.
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stücksnutzer, geklärt, transformiert und in die Zivilrechtsordnung eingefügt werden. Bei der Transformation der sozialistischen Zustände fiel dem öffentlichen Recht der größere Teil der Umgestaltungsaufgabe zu. Kern dieser Aufgabe ist die Zuteilung privater Rechte und in diesem Sinne bleibt das Privatrecht des Hauptziel der Umgestaltung. Die Leitgedanken dieser Zuteilung sind einmal die Wahrung und Festigung von Besitzständen von Bürgern der ehemaligen DDR, nämlich der Siedlungsbauern, LPG-Bauern, redlichen Erwerber und Inhaber unklarer Nutzungsverhältnisse, zum anderen die Restitution enteigneten Eigentums an die Enteignungsopfer in Ost und West, im übrigen der Privatisierungsverkauf an neue Investoren. Das Zivilrecht begleitet diese Transformationsprozesse und fügt ihre Ergebnisse in die allgemeine Zivilrechtsordnung ein. Der Erfolg der Transformation und die Akzeptanz ihrer Leitgedanken werden die künftige Rolle des Privateigentums als Grundlage der Zivilrechtsordnung maßgeblich mitbestimmen. Durch das Zivilrecht werden ferner Marktprozesse in Gang gesetzt. Denn indem es z. B. die Umwandlung dinglicher Nutzungsrechte in Erbbaurechte [226] oder die Vereinigung von Grundeigentum und Gebäudeeigentum vorsieht, sowie durch die vielfältige Bereinigung unklarer Rechtsverhältnisse, wird die Verkehrsfähigkeit zahlreicher privater Vermögensgegenstände hergestellt. Der Grundstücksmarkt und der Grundkreditmarkt können sich entfalten. Auf anderen gestörten Märkten wie dem Wohnungsmarkt muß das Zivilrecht die notwendigen Anpassungsprozesse begleiten, z. B. die unvermeidliche Verzögerung der Mietanpassung an die Wirtschaftlichkeit durch entsprechende Beschränkungen der Kündigungsrechte des Vermieters. Die wichtigste Aufgabe bei der Herstellung gleicher Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet fällt schließlich dem allgemeinen Zivilrecht des BGB zu – jenseits aller Überleitungs- und Transformationsnormen. Denn es stellt die Rechtsordnung bereit, in der die Bürger ihre wirtschaftliche und private Handlungsfreiheit im Sinne einer freien Wirtschaft und Gesellschaft entfalten können. Damit leistet des Zivilrecht des BGB einen wichtigen Beitrag zu dem noch andauernden Prozeß der inneren Wiedervereinigung Deutschlands.
VI. Zusammenfassung in Thesen 1. Ein neues Rechtsgebiet Im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung wurde durch den Einigungsvertrag und weitere Gesetzgebung ein neues Rechtsgebiet geschaffen. Es dient der Herstellung der Rechtseinheit, der Transformation der vom Sozialismus hinterlassenen Zustände und der Herstellung gleicher Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet. Dieses neue Rechtsgebiet ist durch ein
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enges Ineinandergreifen von öffentlichem und privatem Recht gekennzeichnet und wichtiger Forschungsgegenstand auch der Zivilrechtswissenschaft. 2. Die Wiederherstellung der Rechtseinheit im Zivilrecht 2.1. Die durch den Einigungsvertrag wiedererlangte Rechtseinheit im Zivilrecht weist dem BGB eine zentrale Rolle bei der wirtschaftlichen und kulturellen Integration des neuen Bundesgebiets zu. 2.2. Der gleichzeitige Untergang des DDR-Rechts ist durch den Beitritt der DDR politisch und rechtlich legitimiert. Er wird durch das hohe Gut der Rechtseinheit mehr als aufgewogen, ist aber auch im übrigen für die Bürger im neuen Bundesgebiet überwiegend kein Verlust. Jedenfalls das ZGB war als Zivilrechtsordnung einer freien Gesellschaft und modernen Verkehrswirtschaft ungeeignet. [227] 3. Intertemporales Kollisions- und Überleitungsrecht 3.1. Bei der Herstellung der Rechtseinheit im Zivilrecht war die dreifache Aufgabe zu lösen, (1) die bestehenden Privatrechtsverhältnisse durch die intertemporalen Kollisionsnormen des neuen 6. Teils des EGBGB in die neue Rechtslage zu überführen, (2) die inhaltliche Anpassung von Verträgen und anderen Rechten an die veränderten Vertragsumstände vorzunehmen und (3) unklare private Rechte, insbesondere der Siedlungsbauern und bestimmter Grundstücksnutzer, zu transformieren und in die Zivilrechtsordnung einzufügen (s. auch 5.3). 3.2. Im Rahmen des Kollisionsrechts ist die Frage, ob ein DDR-Rechtsverhältnis vorliegt, einheitlich nach dem interlokalen bundesdeutschen Kollisionsrecht zu entscheiden. Soweit nach Kollisionsrecht weiter DDR-Recht anzuwenden ist, steht dessen Anwendung unter dem Wertungsvorbehalt unserer Rechtsordnung (ordre public-Vorbehalt i.w.S.), so daß z. B. eine Berufung auf die sozialistische Moral ausscheidet. Abgeschlossene Altfälle können aber nicht aufgrund der Wertungen unserer Rechtsordnung neu aufgerollt werden. 3.3. Bei der Anpassung von Verträgen kommt neben den Spezialgesetzen (z. B. ZinsanpassG; § 32 DMBilG) auch § 242 BGB zur Anwendung. Nach beiden Rechtsquellen bestehen Neuverhandlungspflichten der Parteien. Ihre Verletzung durch eine Partei kann bei der richterlichen Anpassung im Anpassungsergebnis berücksichtigt werden.
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4. Die Revision früherer Rechtsgeschäfte nach allgemeinem Zivilrecht 4.1. In begrenztem Umfang können frühere Privatrechtsgeschäfte aus der Zeit der deutschen Teilung, die zu ungerechten Ergebnissen geführt haben, mit Mitteln des Privatrechts revidiert werden, sofern es sich nicht um abgeschlossene Vorgänge handelt. Dies gilt für unwirksame (bzw. anfechtbare) Zwangsverkäufe im Zusammenhang mit einem Verlassen der DDR; es gilt ferner für bestimmte Fälle erbrechtlicher Erklärungen, die durch einen Irrtum über den Fortbestand der deutschen Teilung beeinflußt waren. Es gilt nicht für Altschulden von Unternehmen. 4.2. In den Fällen der Zwangsverkäufe wird der Vindikationsanspruch nach § 985 BGB entgegen der Auffassung des BGH nicht, auch nicht teilweise, durch den Restitutionsanspruch nach Vermögensgesetz verdrängt. 4.3. Bei letztwilligen Verfügungen können im Wege der ergänzenden Auslegung auch künftige Entwicklungen wie die deutsche Wiedervereini- [228] gung berücksichtigt werden. Diese Auslegung wird andererseits durch Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes eingeschränkt. Für die Anfechtung von Erbausschlagungen fehlt oft ein Anfechtungsgrund; bei DDR-Grundstücken blieb aber das Erbenrecht oft erhalten, weil es wegen Nachlaßspaltung an einer gültigen Ausschlagung fehlte. 4.4. Eine generelle Befreiung der Unternehmen von Altschulden aus Rechtsgründen, insbes. wegen § 242 BGB, ist nicht möglich. Die Lösung erfolgt fallweise im Rahmen der Privatisierung und Reprivatisierung. Bei Genossenschaften bestehen ungelöste Probleme. 5. Die Transformation der sozialistischen Zustände 5.1. Die notwendige Transformation der vom Sozialismus hinterlassenen Wirtschaft und Eigentumsverhältnisse bedurfte einer besonderen Gesetzgebung. Die Transformationsaufgabe betrifft primär das sozialistische Eigentum und umfaßt Umwandlung, Zuordnung, Privatisierung und Reprivatisierung. Daneben waren unklare und verwahrloste private Rechtsverhältnisse zu klären und zu bereinigen (z. B. unklare Grundbuch- und Vermessungsverhältnisse; Grundstücksnutzungen ohne klare Rechtsgrundlage etc.). Die Transformation erst schafft in ausreichendem Maß die tatsächlichen Voraussetzungen für eine funktionierende Zivilrechtsordnung. 5.2. Bei der zivilrechtlichen Einordnung der Wirkungsweise und Ergebnisse des Transformationsrechts ist dessen Charakter als lex specialis und der Transformationszweck zu beachten. Dies bedeutet etwa am Beispiel des Treuhandgesetzes: Die Umwandlung der sozialistischen Wirtschaftseinheiten in Kapitalgesellschaften nach § 11 THG erfolgte ex lege und weist entgegen den
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herkömmlichen Kategorien des Umwandlungsrechts Eigenschaften sowohl der übertragenden wie der rechtsformändernden Umwandlung auf. – Eine Konzernhaftung der Treuhandanstalt ist nicht nur wegen § 28a EGAktG zu verneinen, sondern mangels Subsumierbarkeit unter die Merkmale der Konzernhaftung und wegen des vorrangigen Transformationszwecks des THG. Gleiches gilt für andere Formen der Durchgriffshaftung. 5.3. Das Transformationsrecht berücksichtigt Besitzstandsinteressen im neuen Bundesgebiet, so durch den Schutz des redlichen Erwerbers nach Vermögensgesetz und durch die Wiederherstellung des vollen Privateigentums der LPG-Bauern am eingebrachten Land und vor allem durch die Einlösung sozialistischer Versprechungen, indem es den Siedlungsbauern am Bodenreformland endlich klare Eigentumsrechte gewährt (Art. 233 §§ 11–16 EGBGB) und im Sachenrechtsbereini- [229] gungsgesetz den Inhabern ungeklärter Grundstücksnutzungen feste Rechtspositionen zuweist. 5.4. Im Vermögensgesetz ist der Anspruch auf Restitution enteigneten Eigentums in engen tatbestandlichen Grenzen anerkannt. Der Restitutionsanspruch ist öffentlich-rechtlicher Natur und in einem Verwaltungsverfahren zu verfolgen. Er ist aber zugleich auch zivilrechtlicher Vermögensgegenstand des Berechtigten. Dies gilt ab Inkrafttreten des Vermögensgesetzes am 29.9.1990. Präexistente Rechte sind nicht anzuerkennen. Bei Erbfällen vor dem 29.9.1990 gehört der Restitutionsanspruch nicht zum Nachlaß. Bei Konkursen vor diesem Zeitpunkt gehört er nicht zur Konkursmasse. Er wird auch nicht von einem Zwangsvergleich vor diesem Zeitpunkt erfaßt. 5.5. Der Restitutionsanspruch genießt auch zivilrechtlichen Schutz. Die im Vermögensgesetz vorgesehene Verfügungsbeschränkung des derzeitigen Eigentümers (Verfügungsberechtigten) nach § 3 Abs. 3 VermG ist zugleich Schutzgesetz i. S. § 823 Abs. 2 BGB. Der Berechtigte kann einstweiligen Rechtsschutz auch durch die Zivilgerichte gem. § 738 Abs. 2 ZPO erlangen. 5.6. Die verbreitete Kritik an der Restitutionslösung zugunsten einer Entschädigungslösung scheitert nicht nur an Art. 14 GG, sondern ist auch volkswirtschaftlich und rechtspolitisch verfehlt. Die Rolle des Restitutionsrechts als Investitionshindernis wird überschätzt, seine Funktion als Investitionsantrieb unterschätzt und seine Bedeutung für den Eigentumsgedanken wird oft übersehen. 6. Die Rolle des Zivilrechts bei der Herstellung gleicher Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet 6.1. Der Prozeß der Herstellung gleicher Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet wird maßgeblich vom Erfolg des Transformationsrechts und seiner Zuteilung privater Rechte beeinflußt. Die Leitgedanken dieser Zutei-
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lung sind einmal die Wahrung und Festigung von Besitzständen von Bürgern der ehemaligen DDR (der Siedlungsbauern, LPG-Bauern, redlichen Erwerber, Inhaber unklarer Nutzungsverhältnisse), zum anderen die Restitution enteigneten Eigentums an die Enteignungsopfer in Ost und West. Die Akzeptanz dieser Leitgedanken und der Transformationsergebnisse wird maßgeblich die künftige Rolle des Privateigentums als der Grundlage der Zivilrechtsordnung beeinflussen. 6.2. Dem Zivilrecht fällt die Aufgabe zu, die zugeteilten privaten Rechte in die allgemeine Zivilrechtsordnung einzufügen, also z. B. die Umwand- [230] lung dinglicher Nutzungsrechte in Erbbaurechte oder die Vereinigung von Grundeigentum und Gebäudeeigentum. Dadurch sowie durch die vielfältige Bereinigung unklarer Rechtsverhältnisse, z. B. unklarer Nutzungsverhältnisse, oder die Ablösung alter Grundpfandrechte, wird die Verkehrsfähigkeit zahlreicher privater Vermögensgegenstände hergestellt, und es werden Marktprozesse in Gang gesetzt, z. B. auf dem Grundstücksmarkt oder Grundpfandkreditmarkt. Ferner muß das Zivilrecht auf gestörten Märkten Anpassungsprozesse begleiten und unterstützen. Dies gilt etwa für den Wohnungsmarkt, wo die Anpassung bestehender Mietverträge über Altwohnungen an wirtschaftliche Mieten dringend erforderlich ist, aber vom Gesetzgeber nur schrittweise durchgeführt werden kann. Hier sind die Verfügungsrechte des Eigentümers, namentlich seine Kündigungsrechte als Vermieter, zeitweilig beschränkt. 6.3. Die wichtigste Aufgabe bei der Herstellung gleicher Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet fällt schließlich dem allgemeinen Zivilrecht des BGB zu – jenseits aller Überleitungs- und Transformationsnormen. Denn es stellt die Rechtsordnung bereit, in der die Bürger ihre wirtschaftliche und private Handlungsfreiheit i. S. einer freien Wirtschaft und Gesellschaft entfalten können.
Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch NJW 2000, 40–46 Am 1.1.1900 ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in Kraft getreten und hat die Deutschen bis heute begleitet. Blicken wir auf das 20. Jahrhundert zurück, so lohnt ein Blick auch auf dieses zentrale Gesetz unserer Rechtsordnung. Das BGB brachte Deutschland die Rechtseinheit im materiellen Zivilrecht. Schon der erste Deutsche Juristentag 1860 hatte diese Rechtseinheit gefordert. Nach der Reichsgründung 1871 waren es die national-liberalen Abgeordneten Lasker und Miquel, die mit ihren wiederholten Anträgen im Reichstag für eine Gesetzgebungszuständigkeit des Reichs auf dem Gebiet des Zivilrechts den Weg für eine nationale Kodifikation am 20.12.1873 bahnten. 14 Jahre lang, von 1874 bis 1888, arbeitete eine Kommission den ersten Entwurf des BGB aus. Eine zweite Kommission begann 1890 mit der Überarbeitung; sie schloss ihre Arbeit 1895 ab1. Der Reichstag verabschiedete nach Beratung das Gesetz am 1.6.1896; der Bundesrat stimmte am 14.7.1896 zu, und am 24.8.1896 verkündete es: „Wir Wilhelm, von Gottes Gnaden deutscher Kaiser, König von Preußen etc. ... im Namen des Reiches ...“ im Reichsgesetzblatt von 1896, Seite 195. Die deutschen Juristen hatten also über drei Jahre Zeit, sich auf das neue Gesetz einzustellen. Das BGB fand international starke Beachtung. Schon 1898 erging in Japan ein Zivilgesetzbuch, das weitgehend die drei ersten Bücher des BGB übernahm. In den 20er Jahren finden sich starke Einflüsse des BGB in Ungarn, der Tschechoslowakei, in den baltischen Staaten und Griechenland, aber auch in China. Auf unsere Nachbarländer wirkte das BGB vor allem dadurch, dass sich die ausländische Rechtswissenschaft davon anregen ließ.
I. Ein Grundgesetz der bürgerlichen Gesellschaft 1. Der freie Wirtschaftsbürger Das BGB ist Ausdruck der Grundwerte des bürgerlichen Rechtsstaats: Freiheit und Gleichheit aller Bürger unter der Herrschaft des Rechts, Schutz und freie Verfügbarkeit des privaten Eigentums. Jedermann sollte frei Ver1 Zu den Materialien zusammenfassend Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB, 1899. Neuere Edition von Jakob und Schubert, Die Beratung des BGB, 1978 ff.
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träge schließen und über sein Eigentum verfügen können. Diese Grundwerte waren in der neuzeitlichen Staatstheorie des 17. und 18. Jahrhunderts vorgedacht, in der Aufklärung des 18. Jahrhunderts allmählich zum politischen Programm geworden und in der amerikanischen und französischen Revolution zum Durchbruch gekommen, um sich dann im Laufe des 19. Jahrhunderts in allen Ländern des westlichen und mittleren Europas schrittweise durchzusetzen. Das im BGB normierte Sozialmodell des freien Wirtschaftsbürgers, der privatautonom seine persönlichen Verhältnisse durch Rechtsgeschäfte gestaltet, ist noch immer modern insofern, als es die Existenzbedingung einer jeden freien Wirtschaftsordnung ist. Allerdings wird dieser Wirtschaftsbürger heute als Arbeitnehmer und als privater Kunde vom Gesetzgeber stärker geschützt als zu Beginn des Jahrhunderts. 2. Die verspätete Kodifikation Das BGB ist ferner Ausdruck des Kodifikationsgedankens, d. h. der Vorstellung, dass man in einem einzigen, systematisch gegliederten Gesetz die Rechte der Bürger klar und verständlich zusammenfasst, so dass jeder seine Rechte kennt und von ihnen selbständig Gebrauch machen kann. Tatsächlich gehörte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Ausgabe des BGB neben Schiller und Goethe zum eisernen Bestand jeder Hausbibliothek – und hat dort auch heute bisweilen noch ihren Platz. Modellhaft realisiert war die Kodifikationsidee schon 100 Jahre vor dem BGB in den Kodifikationen der Aufklärung, insbesondere im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, und – mit großer internationaler Resonanz – im französischen Code Civil von 1804. In Deutschland hatte nach den napoleonischen Kriegen der bekannte Heidelberger Rechtslehrer Thibaut 1814 die Forderung erhoben, eine Kodifikation des deutschen Zivilrechts nach französischem Vorbild zu schaffen. Diese Forderung konnte damals keinen Erfolg haben, weil nach dem Zerfall des alten Reichs die politische Zersplitterung Deutschlands bestehen blieb und die beiden rivalisierenden deutschen Vormächte Preußen und Österreich jeweils über ein neues Zivilgesetzbuch verfügten2. Die politischen Rahmenbedingungen änderten sich erst im Bismarck-Reich. Insofern kann man von einer verspäteten Kodifikation sprechen.
2 Das berühmte Plädoyer von Savigny gegen Thibaut in seiner Schrift „Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“, 1814, fällt daneben als Ursache für das Unterbleiben der Kodifikation wenig ins Gewicht. Die Bedeutung der Schrift lag in ihrer rechtswissenschaftlichen Programmatik der historischen Rechtsschule. Text in der Ausgabe von Jacques Stern, Thibaut und Savigny, 1914, Neudruck 1959.
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3. Die gemeineuropäische Zivilrechtstradition Die Regelungsinhalte des BGB, z. B. zur Frage, welche Rechte ein Käufer bei Mängeln der Kaufsache hat, sind freilich meist weitaus älter als Aufklärung und Kodifikationsidee. Sie stammen, wie bei allen anderen Zivilrechtskodifikationen des europäischen Kontinents, aus dem antiken römischen Recht. Dieses wurde seit dem Mittelalter an den europäischen Universitäten gelehrt und als hilfsweise geltendes „gemeines“ (d. h. allgemeines) Recht (ius commune) anerkannt. Textquelle war die große Rechtsaufzeichnung des Kaisers Justinian aus dem 6. Jahrhundert, das Corpus Juris Civilis. Dessen Hauptstück sind die Digesten (griechisch: Pandekten), eine systematische Zusammenstellung von Textabschnitten aus den Schriften römischer Juristen zu den einzelnen Rechtsgebieten, z. B. Kauf, Miete, Schenkung, Auftrag, Eigentumserwerb, Testament usw.3 Die deutsche Rechtswissenschaft hatte im 19. Jahrhundert als moderne Wissenschaft vom Gemeinen Recht (Pandektistik) ein begrifflich präzises Lehrsystem des Privatrechts geschaffen. Jeder Jurist wurde an den Universitäten pandektistisch geschult. Er trat mit diesem Vorverständnis an die geltenden Privatrechtsgesetzbücher der Einzelstaaten heran, etwa das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794. Zudem lebten 1890 noch knapp 30% der Bevölkerung in Gebieten, wo das Gemeine Recht unmittelbar geltendes Privatrecht war. Die führenden Vertreter der Pandektistik wie Bernhard Windscheid4 hatten also großen Einfluss [41] auch auf die Praxis der Gerichte und waren sozusagen Ersatzgesetzgeber, solange es an einem einheitlichen Zivilgesetzbuch in Deutschland fehlte. 4. Wirtschaftsverkehrsrecht und Statusrecht Das BGB sollte ein verkehrsgerechtes Vermögensrecht schaffen. Ihm sind die drei ersten Bücher des BGB gewidmet. Sie sind in ihrer Systematik und sachlichen Aufgliederung an der Pandektistik orientiert. Buch 4 über Familienrecht und Buch 5 über Erbrecht dagegen stellen soziale Institutionen, Familie und Erbgang, und die damit zusammenhängenden Statusrechte von Personen in den Mittelpunkt der Regelung. Die Voranstellung eines „Allgemeinen Teils“ in Buch 1 entspricht der Abstraktionsfreude der Pandektistik und betont die allgemeine Verwendbarkeit zivilrechtlicher Grundkategorien. Buch 1 nimmt die römisch-rechtliche Einteilung in „Personen, Sachen,
3 Corpus Iuris Civilis, Bd. I: Institutiones, Digesta (hrsg. v. Mommsen/Krüger), 18. Aufl. (1965), Bd. II: Codex (hrsg. v. Krüger), 13. Aufl., Bd. III: Novellae (hrsg. v. Scholl/ Kroll), 8. Aufl. [beide 1963] (m. häufigen Nachdrucken). Neuere deutsche Übersetzung: Behrends/Knütel/Kupisch/Seiler (Hrsg.), Corpus Juris Civilis, Text und Übersetzung, Bd. I, Institutionen 1990, Bd. II, Digesten 1–10 1995. 4 Lehrb. des PandektenR, 3 Bände, 1862–1870, 9. Aufl. (1906).
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Rechte“ (personae, res, actiones) auf, die um das Jahr 160 n. Chr. im berühmten Institutionen-Lehrbuch des Gaius entwickelt worden war. Buch 1 enthält zugleich moderne Fortentwicklungen im Zivilrecht des 19. Jahrhunderts, z. B. im Vertretungsrecht. Kernstück des BGB (und bis heute schwierigster Gegenstand des Jurastudiums) ist das zweite Buch über Schuldverhältnisse. Hier geht es um die rechtlichen Eigenschaften von Leistungsbeziehungen, ohne die eine Verkehrswirtschaft nicht auskommt. Der Kern im Kern, das Schuldvertragsrecht, findet sich teils schon in Buch 1, teils in Buch 2; es legt die Bedingungen fest, unter denen Privatpersonen und Unternehmen solche Leistungsbeziehungen untereinander in freier Entscheidung rechtsverbindlich begründen können. Diese Privatautonomie ist die Basis jeder Marktwirtschaft. Die freie Entscheidung ist Vorbedingung und Grund der rechtlichen Bindung. Der Einzelne ist gegen die eigene unfreie Entscheidung geschützt. Daher erklärt das BGB Willenserklärungen, die unter Irrtum, Täuschung oder Drohung zustande gekommen sind, für anfechtbar, und diejenigen von Geschäftsunfähigen für unwirksam. Der moderne Gesetzgeber zieht den Kreis freilich weiter: Schon die „Haustürsituation“ genügt, daß der Kunde ein Geschäft binnen Wochenfrist frei widerrufen kann (§ 1 I HWiG). Und der moderne Richter tut es auch, wenn er gegebenenfalls wegen Verletzung vorvertraglicher Aufklärungspflichten einen Vertrag aufhebt5. Das zweite Buch normiert zugleich gesetzliche Rückgewähr- und Ersatzansprüche zur Korrektur missbilligter Eingriffe in die Vermögensordnung durch auftragslose oder angemaßte Führung der Geschäfte anderer, durch ungerechtfertigte Bereicherung und unerlaubte Handlung. Im Deliktsrecht ging der Gesetzgeber zurückhaltend zu Werke: Nach der Grundnorm des § 823 BGB macht nur die Verletzung absoluter Rechte und bestimmter Schutzgesetze haftbar. Ein allgemeiner Haftungstatbestand der Vermögensschädigung wurde bewusst vermieden; nur für den (vermeintlichen) Ausnahmefall der sittenwidrigen Schädigung wurde die Haftung in § 826 BGB zugelassen. Vermögen war freilich nach den allgemeinen Vorstellungen der Zeit vor allem Sacheigentum (und damit deliktsrechtlich geschützt). Diese bürgerliche Vorstellung wurde später in zwei Weltkriegen und Geldentwertungen durch die „Flucht in die Sachwerte“ bestätigt. Sacheigentum und sonstige Rechte an beweglichen Sachen und Grundstücken, die im dritten Buch geregelt sind, machten insofern den Kern der Vermögensordnung aus. Weniger Aufmerksamkeit des Gesetzgebers fanden die beträchtlichen sachenrechtslosen Vermögensgegenstände in Geldguthaben, Aktien und anderen Gesellschaftsanteilen. Aktien und Schuldverschreibungen waren freilich durch Verbriefung in Wertpapieren dem Sachenrecht angenähert. 5 BGH, NJW 1985, 1771 (1773); NJW 1993, 2107 = ZIP 1993, 1089; NJW 1999, 2032 = ZIP 1999, 574 (577).
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Leitgedanken der Sachenrechtsnormen sind Klarheit und Rechtssicherheit. Daher ist die private Gestaltungsfreiheit hier auf gesetzliche Geschäftstypen beschränkt (Typenzwang). Die technisch-formale Kühle der Sachenrechtsnormen verdeckt eine bedeutende soziale Dynamik, die in ihnen steckt: die Mobilisierung des Sacheigentums in der Verkehrs- und Kreditwirtschaft, die sich im 19. Jahrhundert vollzogen hatte. Erster Schritt war die Lösung des Grundeigentums aus feudalen Bindungen und seine freie Übertragbarkeit gewesen (der bürgerliche Unternehmer konnte das Rittergut erwerben). Zweiter Schritt die Entfaltung des Grundkredits durch die Beleihbarkeit der Grundstücke mit Hilfe von Hypothek und Grundschuld. Diese Nutzung des Sacheigentums als Kreditgrundlage wurde drittens auf das Mobiliareigentum an Waren und Forderungen mittels Pfandrechts ausgedehnt. Das dritte Buch des BGB spiegelt diesen modernen Entwicklungsstand. Für den Mobiliarkredit wurde freilich nicht die richtige Lösung gefunden. Die Verpfändung von Sachen erfordert nach § 1205 BGB die Übergabe an den Gläubiger; bei der Forderungsverpfändung ist die Anzeige an den Gläubiger gem. § 1280 BGB notwendig. Zur Vermeidung dieser Lästigkeiten ging der Verkehr zum Sicherungseigentum und zur Sicherungsabtretung über. 5. Pandektistisches Fachdeutsch und ein Tropfen sozialen Öls Zur Zeit seines Inkrafttretens war das BGB in rechtstechnischer Hinsicht ein sehr modernes Gesetzbuch. Es ist vorbildlich in seiner begrifflich logischen Durchdringung des Stoffs und in seiner regelungstechnischen Präzision. Aber seine Sprache ist nicht volkstümlich, sondern pandektistisches Fachdeutsch. Und was den Juristen selbstverständlich war, wird im BGB erst gar nicht erklärt. Nirgends findet der Laie etwa eine Definition des Vertrags. Von den Kritikern des Gesetzes wurde auch die geringe Berücksichtigung der sozialen Frage kritisiert. Man forderte einen deutlicheren Schutz des wirtschaftlich Schwächeren, namentlich im Bereich des Vertragsrechts, und eine ausdrückliche Regelung des Arbeitsvertrags. Die letztere Forderung wurde von der SPD, die dem ganzen BGB-Projekt reserviert gegenüberstand, in den Beratungen des Reichstags aufgegriffen. Die Verteidiger des Entwurfs wiesen demgegenüber darauf hin, dass Bestimmungen zum Schutz der Arbeiter im Wesentlichen öffentliches Recht seien und daher keinen Platz im BGB finden sollten. Immerhin kamen aufgrund der Kritik deutlichere Normen sozialen Schutzes in das Dienstvertrags- und Mietrecht, und man sprach damals vom „Tropfen sozialen Öls“, mit dem das BGB gesalbt sei.
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II. Der Wandel des BGB als Spiegel der deutschen Geschichte Das BGB war in den rund 100 Jahren seines Bestehens starken Veränderungen unterworfen, und diese Veränderungen sind zugleich ein Spiegel der deutschen Geschichte dieses Jahrhunderts, insbesondere seiner wirtschaftlichen und sozialen Wandlungen, aber auch der Katastrophen, die sich mit dem Ersten und Zweiten Weltkrieg und der Nazizeit verbinden. Bei den Veränderungen sind zu unterscheiden: erstens Eingriffe in den Gesetzestext des BGB, die teils „normale“ rechtspolitische Fortentwicklungen sind, teils Nebenwirkung dramatischer Kapitel der politischen Zeitgeschichte, während andere tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen spie- [42] geln, insbesondere im Familienrecht (nachfolgend II 1, 2); zweitens zivilrechtliche „Nebengesetze“, die den Text des BGB unberührt ließen, aber seine Rolle und Bedeutung beeinflussten (nachfolgend II 3). Die deutsche Teilung schrieb daneben ein ganz eigenes Kapitel (nachfolgend III). Viertens und letztens sind die Rechtsänderungen ohne Eingriffe in den Gesetzestext zu betrachten, die sich aus der anwachsenden Bedeutung von Rechtsprechung und Lehre für die Rechtsanwendung ergeben haben (nachfolgend IV). 1. Über 150 Änderungsgesetze Das BGB konnte seine Rolle als Kodifikaton des deutschen Privatrechts im 20. Jahrhundert nur um den Preis von über 150 Änderungsgesetzen behaupten. Der umfangreiche Staudinger-Band „BGB-Synopse 1896–1998“ von Hans Wolfgang Strätz dokumentiert auf 1736 Seiten 143 Änderungsgesetze und Eingriffe des BVerfG bis Mai 1998. Hier ein paar Kostproben vom Anfang des BGB-Textes. Unverändert blieb § 1: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.“ Schon § 2 ist geändert; er sah die Volljährigkeit mit Vollendung des 21. Lebensjahres vor; jetzt liegt sie beim 18. Geburtstag. Die §§ 3–5 über die Volljährigerklärung des Minderjährigen über 18 Jahre sind daher ersatzlos aufgehoben. Statt § 6 über die Entmündigung gilt heute das Betreuungsgesetz. Unverändert bestimmt bis heute § 7 I: „Wer sich an einem Orte ständig niederlässt, begründet an diesem Orte seinen Wohnsitz.“ § 10 bestimmte in seiner ursprünglichen Fassung: „Die Ehefrau theilt den Wohnsitz des Ehemannes. Sie theilt den Wohnsitz nicht, wenn der Mann seinen Wohnsitz im Ausland an einem Orte begründet, an den die Frau ihm nicht folgt und zu folgen nicht verpflichtet ist. Solange der Mann keinen Wohnsitz hat, oder die Frau seinen Wohnsitz nicht theilt, kann die Frau selbständig einen Wohnsitz haben.“ Die Vorschrift wurde durch das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 aufgehoben. Die heftigsten Texteingriffe fanden während der Nazizeit statt. Sie betrafen das Familienrecht und das Erbrecht und waren Ausdruck des politischen Willens, das als zu konservativ und unpopulär eingeschätzte BGB schrittweise durch ein neues Volksge-
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setzbuch abzulösen. 1938 erging das „Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts für Eheschließung und der Ehescheidung im Lande Österreich und im übrigen Reichsgebiet“. Es wurde nach dem Zusammenbruch sofort durch das Gesetz Nr. 60 des Alliierten Kontrollrats über die Ehe vom 20.2.1946 abgelöst, das in Teilen bis 1998 galt. Erst seitdem ist das Recht der Eheschließung wieder im BGB zu finden. Der Eingriff ins Erbrecht erfolgte durch das „Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen“ vom 31.7.1938. Diese Materie ist seit 1953 wieder im 5. Buch des BGB geregelt.
2. Abschied von der patriarchalischen Familie Kein Rechtsgebiet spiegelt so sehr die Umwälzung der Lebensverhältnisse und Anschauungen im vergangenen 20. Jahrhundert wie das Familienrecht. Die gesetzlichen Änderungen des vierten Buchs häuften sich in immer dichterer Folge, zuletzt 1997 durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz und das Erbrechtsgleichstellungsgesetz, 1998 durch das Kindesunterhaltsgesetz und das Eheschließungsrechtsgesetz. Die Väter des BGB waren zu ihrer Zeit insofern modern, als sie nicht mehr die Großfamilie (der mehreren Generationen), sondern die Kleinfamilie zum Bezugspunkt nahmen: Die Familie besteht aus den verheirateten Eltern und ihren (minderjährigen) ehelichen Kindern. Selbstverständliche Grundlage war die Ehe der Eltern. Das nichteheliche Kind war mit dem Vater nicht verwandt (§ 1589 II a. F.) und nicht erbberechtigt; es hatte nur einen Unterhaltsanspruch (§ 1708 a. F.). Mit der Emanzipation der Frau hatten die Väter des BGB ausdrücklich nichts im Sinn6. Der Ehemann war das Oberhaupt der Familie; er war Inhaber der elterlichen Gewalt (§ 1627 a. F.). Die Familie war um 1900 ein viel engerer wirtschaftlicher Verband als heute, von dem alle Mitglieder abhingen. Wirtschaftliche Basis war in der geringeren Zahl der Fälle das Familienvermögen, sodann die Produktionsgemeinschaft der Ehegatten, z. B. im bäuerlichen Betrieb und im Übrigen die Berufsarbeit des Vaters als des typischerweise einzigen Ernährers. Doppelverdienerehe, zukunftssichernde Berufsausbildung auch der Töchter und im Übrigen die Sicherung des Individuums durch Sozialversicherungssysteme und staatliche Fürsorge haben die existenzsichernde Funktion der Familie stark zurückgedrängt, freilich keinesfalls aufgehoben. In der jungen Bundesrepublik ging es zunächst um die familienrechtliche Gleichstellung der verheirateten Frau und vor allem um ihr Elternrecht. Der Weg dahin war mühsam. Das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 gab zwar im neuen § 1627 beiden Eltern die elterliche Gewalt, die zuvor nur der Vater hatte. Bei Meinungsverschiedenheiten sollten sie sich einigen. Der geänderte § 1628 bestimmte aber sogleich: „Können sich die Eltern nicht einigen, so entscheidet der Vater; er hat auf die Auffassung der Mutter Rücksicht zu nehmen.“ Das BVerfG erklärte 1959 erwartungsgemäß diese Norm für verfas Mugdan IV (o. Fußn. 1), S. 737.
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sungswidrig7. Falls es nicht zur Einigung kam, sollte das Vormundschaftsgericht entscheiden. So der Gesetzestext von 1979, der zugleich den Begriff der elterlichen Sorge an die Stelle des Begriffs der elterlichen Gewalt setzte. Die seit 1997 geltende Fassung des § 1628 findet wiederum eine andere Lösung: Das Familiengericht kann im Streitfall auf Antrag einem Elternteil die Entscheidung übertragen. Die Stellung der nichtehelichen Kinder ist derjenigen ehelicher Kinder vollständig angeglichen. Schon zum 1.7.1970 hat das Gesetz über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder den Absatz 2 des § 1589 aufgehoben, der die Verwandtschaft mit dem Vater ausschloss. Die familienrechtlichen Bande zwischen Eltern und Kindern werden nur noch durch Abstammung begründet. Bei der Mutter machte das Problem der „Leihmutterschaft“ freilich eine weitere Klärung notwendig. § 1591 bestimmt daher in der Fassung von 1957: „Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat.“ Das ist die Leihmutter als „biologische Mutter“, nicht die „genetische Mutter“. Das nichteheliche Kind ist, seitdem es mit dem Vater verwandt ist, natürlich auch erbberechtigt (§ 1924 I). Es blieb aber bis zum 31.3.1998 neben ehelichen Abkömmlingen auf einen Ersatzanspruch in Geld zurückgesetzt (§§ 1934 a–c); erst zum 1.4.1998 wurde diese Regelung ersatzlos gestrichen. – Der Fortschritt der genetischen Nachweismöglichkeiten in einem Maß, der dem Gesetzgeber von 1900 noch unvorstellbar war, hat dem Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung, das Teil seines Persönlichkeitsrechts ist8, neues Gewicht verliehen. Der leidigen Frage, wieweit der uneheliche Vater oder der geschiedene oder getrennt lebende Elternteil sein Kind sehen und mit ihm Umgang pflegen darf oder wieweit ihn der sorgeberechtigte Elternteil durch Umgangsboykott abstrafen kann, sucht das Kindschaftrechtsreformgesetz von [43] 1997 ein Ende zu machen: jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt (§ 1684 I Halbs. 2). Die modernen Lebensverhältnisse führen dazu, daß immer mehr Menschen in unvollständigen Familien leben oder keine Familie gründen. Gleichwohl ist kaum zu erwarten, daß die Familie als elementarer Sozialverband absterben wird. Auch ihre Bedeutung als Wirtschaftsverbund wird bei Nachlassen der Leistungsfähigkeit der globalen Sozialsicherungssysteme vielleicht wieder wachsen. Vor allem aber bleibt sie auch unter gewandelten Bedingungen das Ideal der engen Lebensgemeinschaft, – so sehr, dass auch nicht ehefähige gleichgeschlechtliche Paare immer drängender nach ihrem rechtlichen Etikett verlangen. Ob man dabei auch den verfassungsrechtlichen Schutz der Ehe und Familie (Art. 6 GG) so erweitern bzw. verwässern kann, dass künftig „alles“ geschützt ist, ist zweifelhaft.
BVerfGE 10, 59 = NJW 1959, 1483. BVerfGE 79, 256 = NJW 1989, 891.
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3. Zivilrechtliche Nebengesetze Zahlreiche Gesetze sind nach dem Erlass des BGB auf dem Gebiet des Zivilrechts ergangen, ohne in dessen Text einzugreifen. Sie haben den Regelungsbereich des BGB teilweise unberührt gelassen und nur seine Rolle als Gesamtkodifikation indirekt reduziert, wie z. B. das UWG. Teils haben sie Sonderbereiche vom allgemeinen Zivilrecht teilentkoppelt wie das Arbeitsvertragsrecht, oder sie haben Regelungsgebiete des BGB modifiziert und überlagert wie im Bereich des Mietrechts. Dazu nur einige knappe Hinweise. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von 1909 sollte nicht nur Mängel seines Vorgängergesetzes von 1896 ausgleichen, sondern auch einen deliktischen Konkurrentenschutz in Fällen bieten, wo ihn auch das neue Deliktsrecht des BGB nicht zu bieten schien. Die subjektiven Voraussetzungen des § 826 BGB etwa wurden dabei enger verstanden als in der späteren Rechtsprechung; heute sind die Unterschiede zur Generalklausel des § 1 UWG in diesem Punkt gering. In der Republik von Weimar entstand das Arbeitsvertragsrecht als Sonderprivatrecht der Arbeitnehmer, dessen normative Grundlagen aber noch zum großen Teil im BGB liegen. Die Normen des BGB sind freilich vielfältig durch das Arbeits- und Sozialrecht modifiziert, nicht nur durch das Kündigungsschutzrecht, sondern z. B. auch durch Beschränkung der Haftung des Arbeitgebers (§ 618 III BGB), soweit Sozialversicherungsschutz eingreift. Art. 30 I des Einigungsvertrags von 1990 hat den Gesetzgeber verpflichtet, das Arbeitsrecht „möglichst bald einheitlich neu zu kodifizieren.“ 4. Schutz in Not und Überfluss In den Notzeiten der beiden Weltkriege und Nachkriegsjahre wurde die Vertragsfreiheit für lebenswichtige Güter wie Lebensmittel, Kleidung und Wohnungen durch staatliche Zwangsbewirtschaftung stark eingeschränkt. Die Vorschriften der BGB wurden dabei meist nicht verändert; aber die beherrschende Rolle hatten Lebensmittelkarten, Kleiderpunkte und amtliche Bezugsscheine. Das Dilemma jeder Zwangswirtschaft liegt darin, dass sie zwar in höchster Not unabweisbar sein mag, dann aber Marktkräfte und Aufschwung lähmt. Ludwig Erhard hat daher bei Einführung der DM im Sommer 1948 handstreichartig Lebensmittelkarten und andere Bezugsscheine abgeschafft, gegen den Willen der Militärregierung, aber mit nachhaltigem Erfolg. Das genannte Dilemma zeigte sich auch im Gebiet des Mietrechts, wo für mehrere Generationen weithin Zwangswirtschaft herrschte, beginnend mit der MieterschutzVO von 1917, gefolgt von der umfassenden Lenkung des Wohnungsmarkts, die ab 1923 auf dem Reichsmietengesetz, dem Mieterschutzgesetz und dem Wohnungsmangelgesetz beruhte. Die ungeheure Wohnungsnot nach dem Zweiten Weltkrieg machte wiederum
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eine umfassende Wohnungszwangswirtschaft notwendig. Mit deren schrittweisem Abbau vollzog sich die Einführung des „Sozialen Mietrechts“ in das BGB, zunächst (1960) durch Einführung der so genannten Sozialklausel des § 556 a, der dem Wohnraummieter einen gewissen Bestandsschutz gegenüber dem Kündigungsrecht des Vermieters gewährt, und durch die Mietrechtsänderungsgesetze von 1963, 1964 und 1967. Die Not als Regelungsproblem wurde später durch den Überfluss abgelöst. Der Schutz des privaten Kunden vor den Verlockungen und Verwirrungen moderner Marketing- und Werbemethoden, die Sicherung der Kundeninformation und die Transparenz der Angebote sind heute ein Leitgedanke der Zivilrechtspolitik in allen westlichen Ländern. Eine Reihe besonderer Gesetze zum Schutz der Verbraucher und Anleger wurde geschaffen, zum Teil nach Vorgaben der EG. Dem Schutz der Kunden vor einseitig gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen dient das AGB-Gesetz von 1977, mehrfach geändert und 1996 um einen erweiterten Verbraucherschutz in § 24 a AGBG ergänzt. 1986 erging das Haustürgeschäftewiderrufsgesetz zum Schutz gegen unerbetene und zudringliche Arten der Vertragsanbahnung, 1990 das Verbraucherkreditgesetz zur Sicherung der Transparenz der Kreditbedingungen, und 1994 das Wertpapierhandelsgesetz, das unter anderem für angemessene Information des Anlegers sorgen soll. Da den Bürgern einer Wohlstandsgesellschaft inzwischen das Reisen zu einer besonders wichtigen Tätigkeit geworden ist, hat der Gesetzgeber 1979 ein besonderes Reisevertragsrecht ins BGB eingefügt (§§ 651a–651l). Es stärkt die Stellung des Reisenden bei der Buchung von Pauschalreisen durch Rechte gegenüber dem Reiseveranstalter. 5. Sozialbindung des Eigentums Über die Rechte des privaten Eigentümers heißt es in § 903 BGB seit 1900: „Der Eigentümer einer Sache kann, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“ Eigentum ist „ein elementares Grundrecht, das in einem inneren Zusammenhang mit der Garantie der persönlichen Freiheit steht“9. Dies war schon im 19. Jahrhundert ein Kernstück der Vorstellungen vom bürgerlichen Rechtsstaat. Geschützt durch die Verfassung sind nicht nur das in § 903 BGB angesprochene Sacheigentum, sondern auch andere zivilrechtliche Vermögensrechte. Andererseits wird das Eigentumsrecht in den Grenzen seines Gebrauchs durch umfängliche öffentlich-rechtliche und privatrechtliche Normen näher bestimmt und begrenzt, und zwar wohl mehr, als es sich der Gesetzgeber von 1900 vorgestellt hat. Im Grundsatz sind diese Grenzen nicht nur durch den Geset BVerfGE 24, 367 (389) = NJW 1969, 309.
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zesvorbehalt des Art. 14 I 2 GG, sondern auch das Sozialbindungsgebot des Art. 14 II GG legitimiert. Der Eigentümer kann eben nicht mit seinem Eigentum stets „nach Belieben verfahren“, und er konnte es freilich früher auch nicht. Das Baurecht schreibt ihm vor, ob und wie er bauen kann, das Nachbarrecht und das Umweltrecht beschränkt ihn in der Art der Nutzung. Auch das soziale Mietrecht schränkt das Eigentum des Vermieters ein. Man ist daher sogar auf die Idee verfallen, auch der Mieter sei nach Art. 14 I 1 GG geschützt10. [44]
III. Das ZGB der DDR Die Geschichte des BGB kann nicht erzählt werden, ohne den Kontrapunkt zum BGB, das Zivilgesetzbuch (ZGB) der DDR, zu erwähnen, das dort von 1975–1990 galt. Es war Ausdruck der gewollten Zerstörung der Rechtseinheit. Man wollte die staatliche Selbständigkeit der DDR betonen und die Vorzüge des Sozialismus. Die Grundwerte des bürgerlichen Rechtsstaats, Freiheit einschließlich der Vertrags- und Gewerbefreiheit und der freie Gebrauch des Eigentums, waren im ZGB nicht gewährleistet. Das Gesetz war für die engen Verhältnisse des sozialistisch bevormundeten Bürgers konzipiert. Es galt nicht für die Wirtschaftsbetriebe, für die ein eigenes Vertragsgesetz geschaffen war, und umgekehrt konnte der Bürger keine unternehmerischen Verträge abschließen. Seine Freiheit zum Abschluss von Verträgen (§ 8 II ZGB) beschränkte sich weitgehend darauf, über die Inanspruchnahme der begrenzten staatlichen Versorgungsangebote zu entscheiden. Eine Privatautonomie war auch nach Rechtsauffassung der DDR nicht anerkannt. Die Bürger durften sich lediglich „zu allseits gebildeten sozialistischen Persönlichkeiten“ entwickeln, wie es in § 1 I ZGB heißt, aber „die Entscheidungen der staatlichen Organe bilde(te)n die Grundlagen für die Tätigkeiten der Betriebe und die Versorgung der Bürger“ (§ 5 I 3 ZGB). Preise waren weitgehend staatlich vorgeschrieben und damit maßgeblich (§ 62 I ZGB). Für bestimmte Verträge galten staatlich zwingend verordnete Vertragsbedingungen (§ 46 ZGB). Der Bürger konnte zwar persönliches Eigentum an seinen Gebrauchsgegenständen und auch an einem Eigenheim haben, nicht aber an Produktionsmitteln, mit engen Ausnahmen für kleine Handwerksbetriebe. Grundeigentum zwischen Unternehmen konnte nur in umständlichen bürokratischen Verfahren übertragen werden. Die Verkehrsfeindlichkeit des Eigentumsrechts führte dazu, daß Grundeigentum geradezu vergeudet wurde, wie man an sinnloser Bauplanung oder an riesigem Tageraubbau ohne Rekultivierung beim Zusammenbruch der DDR 1990 leicht ablesen konnte. Dies alles hinderte manche westliche Beobachter nicht, das ZGB der DDR für ein modernes So BVerfGE 89, 1 = NJW 1993, 2035; zutr. Kritik bei Depenheuer, NJW 1993, 2561.
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Gesetz zu halten. Die in der Tat modernere Sprache des ZGB war dafür ein oberflächliches Argument. Die ebenfalls gepriesene Knappheit des Gesetzbuchs wies eher auf die Verkümmerung der Regelungstechnik hin, weil man bestimmte Rechtsgebiete in einer sozialistischen Gesellschaft nicht zu benötigen glaubte, wie z. B. ein ausgebildetes Kredit- und Kreditsicherungsrecht. Mit dem Vollzug der deutschen Einheit am 3.10.1990 trat das ZGB außer Kraft. So war es in dem mit der DDR ausgehandelten Einigungsvertrag vorgeschrieben. Die dadurch bewirkte Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts in Deutschland war und ist ein bedeutender rechtspolitischer Erfolg dieses Vertragswerks11.
IV. Gesetzesrecht und Richterrecht 1. Die Dynamik der Gesetzesauslegung und die Generalklauseln Große Veränderungen im Zivilrecht haben sich schließlich dadurch ergeben, daß seit 1900 Rechtsprechung und wissenschaftliche Lehre zum BGB gewaltig angeschwollen sind. Die Bedeutung vieler Rechtsvorschriften und die Art ihrer Anwendung haben sich in mancher Hinsicht stark verändert. Ein Ansatzpunkt für diese Veränderungen wurden vor allem die „Generalklauseln“ der §§ 242 und 138 BGB und andere Normen (z. B. § 315 BGB), die auf allgemeine Rechtsgrundsätze wie Treu und Glauben oder das Verbot sittenwidriger Geschäfte verweisen und damit auf sittliche Grundsätze, die dem Gesetz zugrunde liegen. Schon 1923 hatte das RG unter Berufung auf Treu und Glauben den Grundsatz eingeschränkt, dass man eine Geldschuld stets zum Nennbetrag zurückzahlen kann12. Vielmehr sei in der großen Inflation eine Anpassung der Verträge erforderlich, um die Lasten der totalen Geldentwertung zwischen Schuldner und Gläubiger zu verteilen. Aus dieser so genannten Aufwertungsrechtsprechung entwickelte man dann allgemeinere Grundsätze über die Anpassung von Verträgen bei Veränderung vertragswesentlicher Umstände („Wegfall der Geschäftsgrundlage“). Unter der Herrschaft des Grundgesetzes hat die Rechtsprechung die „Drittwirkung“ der Grundrechte der Verfassung auf das Zivilrecht praktiziert. Deren Wertungen sind auch im Zivilrecht zu beachten. Aus dem Gebot der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 GG) und dem allgemeinen Freiheitsrecht (Art. 2 GG) wurde etwa der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Recht i. S. des § 823 I BGB gefolgert13. 1993 hat das BVerfG in seiner bekannten Bürgschaftsentscheidung Generalklauseln des BGB und Grundrechtswertung verknüpft und die
11 Zum Ganzen: Horn, Das Zivil- und WirtschaftsR im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl. (1993). 12 RGZ 107, 78 (85 ff.); vgl. auch RGZ 103, 177. 13 BGHZ 13, 334 (337) = NJW 1954, 1404; BGHZ 24, 72 (76 ff.) = NJW 1957, 1146; BGHZ 26, 349 (354) = NJW 1958, 827; BGHZ 35, 363 (367 f.) = NJW 1961, 2059.
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Zivilgerichte ermahnt, bei der Anwendung von § 138 und § 242 BGB die Privatautonomie (in casu: des mittellosen Bürgen) zu schützen, weil diese durch Art. 2 GG garantiert sei14. Die Auswirkungen der Generalklauseln im Privatrecht wurden noch in den dreißiger Jahren von Hedemann als „Verweichlichung“ beschimpft15. Freundlicher kann man es Flexibilität und Entwicklungsfähigkeit nennen. Eigentlich war es immer so, daß ein Blick in den Gesetzestext nicht genügte, wenn man ein bestimmtes Rechtsproblem lösen wollte. Aber die Gewichte haben sich in hundert Jahren Rechtsprechung und rechtswissenschaftlicher Literatur verschoben. Die erste Auflage des ab 1898 erscheinenden Großkommentars Staudinger zum BGB umfasste rund 3600 Seiten. Die derzeit erscheinende 13. Bearbeitung wird, wenn sie vollständig vorliegt, rund 60 000 Seiten haben. 132 Autoren aus Wissenschaft und Praxis bearbeiten derzeit dieses größte Erläuterungswerk zum BGB. 2. Rechtsfortbildung durch Gerichte und Rechtswissenschaft Rechtsinstitute des Zivilrechts von zentraler Bedeutung sind im BGB nicht geregelt, sondern beruhen auf gefestigter Rechtsprechung: culpa in contrahendo (in § 122 BGB nur angedeutet), positive Forderungsverletzung, die Eigengesetzlichkeit der Dauerschuldverhältnisse, und der so genannte Wegfall der Geschäftsgrundlage. Gerichte und Rechtswissenschaft wirkten hier zusammen; die genannten Rechtsinstitute sind in der Literatur behandelt und dann von den Gerichten anerkannt worden16. Die seit langem vorbereitete Reform des Schuldrechts soll im Rahmen eines übersichtlicheren Leistungsstörungsrechts auch hier eine Kodifizierung bringen17. [45] Andererseits gibt es Normen im BGB, die nur geringe Bedeutung erlangten, wie das (zu eng gefasste) Schikaneverbot des § 226 BGB oder die Verweisung auf Gesellschaftsrecht für den nichtrechtsfähigen Verein in § 54 BGB. Trotz der vielen Änderungen des BGB sind Text und geltendes Zivilrecht nicht deckungsgleich. Über Gesetz und Recht lässt Goethe den Mephisto spötteln, sie „rücken sacht von Ort zu Ort. Vernunft wird Unsinn, Wohltat Plage ...“ Wenn man die Interpretationsgeschichte mancher BGB-Normen und die Anwendungsgeschichte der gesamten Kodifikation ins Auge fasst, scheint es tatsäch BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36. Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln. Eine Gefahr für Recht und Staat, 1933, S. 66. 16 v. Jhering, culpa in contrahendo, JherJB 4 (1861), S. 1 ff.; Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, 1904; v. Gierke, Dauernde Schuldverhältnisse, JherJB 64 (1914), S. 355 ff.; Oertmann, Die Geschäftsgrundlage. Ein neuer Rechtsbegriff, 1921. 17 BMJ (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. 1-III (1981–83); Abschlussbericht der Kommission 1992. 14 15
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lich so, dass ihre Bedeutung „sacht von Ort zu Ort rückt.“ Aber Goethe/ Mephisto kritisiert den umgekehrten Fall: die Normen bleiben unverändert (sie „erben sich fort“) und sollen in immer neuen Situationen dienen, – für die sie nicht gemacht sind, weshalb sie unsinnig werden. Um eben dies zu vermeiden, müssen die Normen bei ihrer Anwendung auf neue Probleme in ihrer Bedeutung modifiziert, eingeschränkt oder erweitert werden, und für Fragen, die im Gesetz nicht beantwortet sind („Lücken“), ist eine analoge Anwendung zu versuchen. Im deutschen Zivilrecht geschieht dies seit jeher in engem Austausch zwischen Gerichten und Rechtswissenschaft. Beide Seiten nehmen einander intensiv zur Kenntnis, was im internationalen Vergleich keine Selbstverständlichkeit ist. Die dabei erzeugte Rechtsfortbildung durch Gerichte und „herrschende Meinung“ ist ein allen Juristen vertrautes Phänomen, wenngleich normtheoretisch noch nicht abschließend geklärt. Mit Gewohnheitsrecht ist die Sache kaum zutreffend bezeichnet, wie Coing bemerkt hat18. Fest steht, dass die Aufgaben des Zivilrichters heute anders gesehen werden als um 1900. Ursprünglich steckte in der Kodifikationsidee die Illusion der Vollständigkeit der Normen. Wenn aber alles im Gesetzbuch geregelt ist, so besteht Rechtsanwendung und Rechtswissenschaft nur noch in logischen Ableitungen aus dem Gesetz, und der Richter ist, wie Montesquieu es gefordert hatte, nur „la bouche qui prononce les paroles de la loi“. So glaubte es in Frankreich nach Schaffung des Code Civil die so genannte école de l‘exegèse, und in Deutschland herrschten nach Einführung des BGB ähnliche Vorstellungen, begleitet von wütender Kritik der so genannten Freirechtsschule19. Verständnis für die notwendige Flexibilität der Auslegung und Anwendung des Gesetzes weckten schon bald die Arbeiten von Philipp Heck und anderen, die auf den Spuren von Rudolph von Jhering die „Interessenjurisprudenz“ propagierten20. Sie bereitete diejenige Methodentheorie der Rechtsanwendung vor, die wir heute als teleologische Wertungsjurisprudenz umschreiben und die dem Normzweck (telos) und dem Wortlaut der Norm gleichermaßen gerecht zu werden sucht21.
Dass Gesetzesanwendung nicht ein Kleben am Buchstaben des Gesetzes bedeutet, wussten freilich auch die Väter des BGB schon aus dem römischen Recht und aus den Erfahrungen, die man zu ihrer Zeit mit den älteren Zivilrechtskodifikationen (Preuß. ALR, Code Civil, AGBGB, sächs. BGB) gesammelt hatte. Der Gesetzgeber des BGB vermied aber nach einigem Hin und Her in den Beratungen letztlich jede Regelung der Gesetzesauslegung und jeden Hinweis auf die Rolle des Richters dabei22. Die hier notwendigen Gestaltungsspielräume hat sich dann die Rechtsprechung fallweise in unzähligen Normauslegungen zurückerobert, unterstützt von der Rechtswissenschaft. Es wäre freilich ein Missverständnis, die Richter (der obersten Staudinger/Coing, BGB, 12. Aufl. (1980), Bd. I, Einl. Rdnr. 228. Heinz Hübner, Kodifikation und Entscheidungsfreiheit des Richters in der Geschichte des PrivatR, 1980, S. 55 ff. 20 Das Problem der Rechtsgewinnung, 1912; ders., AcP 112 (1914), 1 ff. 21 Überblick zum Vorstehenden bei Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 1996, S. 91–97. 22 Hübner (o. Fußn. 19). 18 19
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Gerichte) zu einer Art Ersatzgesetzgeber zu erklären. Gerichtsurteile haben zwar großes praktisches Gewicht, aber (abgesehen vom BVerfG) nicht die gleiche bindende Wirkung wie ein Gesetz, und der Richter lehnt auch nach seinem Selbstverständnis die Rolle des Gesetzgebers ab. In der Praxis wirkt freilich eine gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung ähnlich wie ein Ersatzgesetzgeber, vor allem in den Detailfragen der Rechtsanwendung, welche die Regelungskapazität des Gesetzgebers übersteigen. 3. Vertragsgerechtigkeit Es gehört zum Grundverständnis der Privatautonomie, dass der geschäftsfähige Erwachsene selbst seine Angelegenheiten regelt, also auch die Verträge abschließen kann, die er für richtig hält, und dass der frei ausgehandelte Vertrag eine Gewähr seiner inhaltlichen Richtigkeit bietet23. Wo das Verbraucher- und Kundenschutzrecht Mängel dieser Entscheidungsfreiheit sieht, sucht es sie dadurch wiederherzustellen, dass es ein Widerrufsrecht und damit eine Überlegungsfrist gibt (§ 1 HWiG; § 7 VKG) und die Klarheit von Konditionen bei Verbraucherkrediten (§ 4 VKG) und allgemein bei AGB (§§ 3 und 9 AGBG) einfordert. Darüber hinaus hat gerade die Kontrolle von AGB die Gerichte veranlasst, auch umfangreiche inhaltliche Vorgaben zu machen, also eine Kasuistik materieller Vertragsgerechtigkeit zu entwickeln. Jedes Jahr fährt die Rechtsprechung zu den AGB eine reiche Ernte unwirksamer Klauseln ein24. Das meiste davon leuchtet dem Gerechtigkeitsgefühl unmittelbar ein. Anderes weniger. Warum darf eine Bank für Zahlungsvorgänge am Schalter keine Gebühr nehmen, obwohl dort Betriebskosten anfallen, wohl aber für Buchungvorgänge auf dem Konto, obwohl dabei kaum Kosten entstehen?25 – Das BVerfG hat in seiner Bürgschaftsentscheidung teils inhaltliche Anforderungen gestellt (keine wirtschaftliche Überforderung des Bürgen), teils Respekt der Entscheidungsfreiheit eingefordert (keine Ausnutzung der Drucksituation naher Angehöriger). Das Gericht will seine Entscheidung nicht als Einschränkung der Vertragsfreiheit verstanden wissen, sondern umgekehrt soll die Anwendung der Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB gerade die Privatautonomie sichern26.
Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130 ff. (156, 162, 165). S. die Kommentare zum AGBG von Ulmer/Brandner/Hensen, 8. Aufl. (1997), und Wolf/Horn/Lindacher, 4. Aufl. (1999). 25 BGHZ 124, 254 = NJW 1994, 318; BGH, NJW 1996, 2032 = WM 1996, 1080 = ZIP 1996, 1079. 26 BVerfGE 89, 214 = NJW 1994, 36 (Leitsatz). 23 24
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V. Ein europäisches Zivilgesetzbuch? Das BGB ist trotz oder wegen seiner Veränderungen noch immer die Grundlage des deutschen Privatrechts. Die Schaffung einer europäischen Privatrechtskodifikation, die neuerdings immer stärker gefordert wird, ist eine langfristige Aufgabe. Eine allgemeine Kompetenz der EU zur Zivilgesetzgebung besteht nicht. Derzeit arbeitet die EU mit punktuellen Rechtsangleichungen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes; die Ergebnisse sind recht unübersichtlich und nicht immer leicht in das Zivilrechtssystem zu integrieren. Die Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rats über grenzüberschreitende Überweisungen (95/5/EG) hat uns gegen Ende des ersten Jahrhunderts des BGB endlich eine Teilkodifikation des Bankvertragsrechts beschert. Die Ergebnisse sind von entwaffnender Holprigkeit. Der erstaunte Bürger liest: „Durch den Girovertrag wird das Kreditinstitut verpflichtet, ... abgeschlossene Überweisungsverträge abzuwickeln“ (§ 676 f I [46] BGB). Den Vätern des ursprünglichen BGB wäre das nicht passiert. Der Wunsch und Ehrgeiz zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Zivilgesetzbuchs wächst. Das Europäische Parlament hat schon 1989 und 1994 die Angleichung des Privatrechts der Mitgliedstaaten gefordert27. Teils im Auftrag der Kommission, teils auf persönliche Initiative arbeiten Rechtswissenschaftler in verschiedenen Ländern an Teilaspekten der Vereinheitlichung des Vertragsrechts. Dabei sollte nicht übersehen werden, dass die internationale Zusammenarbeit und wirtschaftliche Verflechtung („Globalisierung“) nicht an den Grenzen Europas endet. In einem Kerngebiet des Zivilrechts, dem Kaufrecht, hat das BGB seit 1991 seine Rolle teilweise an internationales Einheitsrecht abgetreten. Deutschland als eine im Welthandel führende Nation ist der Wiener UN-Konvention über Einheitliches Kaufrecht von 1980 beigetreten, die inzwischen in 40 Ländern gilt, z. B. in Frankreich, den USA, Russland und China. Ist auf einen Vertrag im Außenhandel deutsches Recht anzuwenden, gilt nicht mehr das BGB, sondern das UNKaufrecht als deutsches Recht. Die internationale Institution für die Vereinheitlichung des Privatrechts Unidroit in Rom hat 1994 allgemeine Vertragsregeln des internationalen Handels veröffentlicht, die zunehmend Verwendung bei internationalen Institutionen, aber auch bei Privatunternehmen finden. Der Weg zur vollen Rechtseinheit im Zivilrecht ist noch weit und in manchen Materien vielleicht auch kein vordringliches Ziel. Auf dem Weg zu einer Teilvereinheitlichung fällt der Praxis und Wissenschaft die Aufgabe zu, die Bedürfnisse nach Rechtsharmonisierung zu präzisieren. Die Wissenschaft hat ferner die Aufgabe, die jungen Juristen auf die europäischen und internatio27 ABlEG Nr. C 158 v. 26.5.1989, S. 400, Text auch in ZeuP 1993, 613; ABlEG Nr. C 205 v. 25.4.1994, S. 94.
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nalen Perspektiven der Rechtsentwicklung vorzubereiten und die geistigen Gemeinsamkeiten der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen bewusst zu machen, die schon aus der historischen Grundlage der Wissenschaft vom römischen Recht folgen, ganz allgemein aus der gemeinsamen Geschichte der westlichen Staaten und ihrer Auffassungen über Staat und Recht und aus ihren engen wirtschaftlichen Beziehungen. Diese Gemeinsamkeiten können auch irgendwann zu einem gemeinsamen Zivilgesetzbuch führen. Bis dahin wird das BGB noch lange seine zentrale Rolle behalten.
50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band II
Allgemeines Handelsrecht In: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band II Handels- und Wirtschaftsrecht, Europäisches und internationales Recht, hrsg. von A. Heldrich u. K. J. Hopt, 2000, S. 3–28 I. Das Recht des Kaufmanns 1. BGHZ 2, 38: Ein Stück Zeitgeschichte Am 27. Februar 1945 wurde ein Dampfbagger bei der Reichsbahn als Frachtgut vom Hersteller zur Versendung an den Besteller aufgegeben. Der Bagger blieb im März des Jahres auf einem Verschiebebahnhof stecken, den ein Fliegerangriff lahmgelegt hatte. Am 21. Juni 1945 verkaufte ihn die Bahn an einen Dritten. Jahre später verlangt der Besteller von diesem Herausgabe, und am 23. April 1951 erging dazu das Urteil des IV. Senats des BGH.1 Es ist eines der frühesten Urteile zum Kaufmannsbegriff, also des Zentralbegriffs des Handelsgesetzbuchs, der zusammen mit dem Begriff des einzelnen Handelsgeschäfts (§§ 343 ff. HGB) den Anwendungsbereich des HGB bestimmt. Das Urteil illustriert die Wegstrecke, die Deutschland und das deutsche Handelsrecht in den ersten 50 Jahren der Rechtsprechung des BGH zurückgelegt hat, in mehrfacher Weise. Zunächst spiegelt es natürlich ein Stück Zeitgeschichte, nämlich sowohl das Chaos des Zusammenbruchs von 1945 als auch die vorsichtigen Schritte der jungen Bundesrepublik und ihrer Gerichte, sich aus der Bevormundung der Besatzungsmächte allmählich zu lösen. Im Rechtsstreit ging es nämlich auch um die Vorfrage, ob angesichts der chaotischen Umstände vor und nach Kriegsende die Bahn bei der Räumung der Gleise hoheitlich gehandelt habe, insbesondere auf entsprechende besatzungsrechtliche Anordnungen. Unbeeindruckt von Nachkriegsnöten und Besatzungsweisungen beharrt der IV. Zivilsenat darauf, die Bahn habe hier rein privatrechtlich gehandelt, und die Veräußerung sei kein Hoheitsakt gewesen.2 Letzteres leuchtet ein, ersteres nicht, ist aber aus der Abneigung erklärlich, andernfalls den Fall den Besatzungsbehörden überweisen zu müssen. Zweitens gehört das Urteil zu den IV ZR 158/50, BGHZ 2, 38 ff. AaO., S. 43.
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frühesten Äußerungen des Gerichts zum Kaufmannsbegriff. Der IV. Senat bestätigt die Rechtsprechung des Reichsgerichts,3 daß die Reichsbahn wegen [4]des Reichsbahngesetzes von 1939 nicht mehr Kaufmann i. S. von § 1 Abs. 2 Nr. 5 HGB sei, ein Standpunkt, den auch das Bundesbahngesetz von 1951 aufrecht erhielt.4 Gleichwohl sei auf die Geschäfte der Bahn das HGB analog anzuwenden5 mit der Folge, daß der Dritterwerber das Eigentum an dem Dampfbagger gutgläubig nach § 366 HGB erwerben konnte. 2. Zur Entwicklung des Kaufmannsrechts seit 1950 Dieses frühe Urteil des BGH zu § 1 HGB, das für Generationen von Jurastudenten zum Standardwissen gehörte (oder gehören sollte), ist gleich in dreifacher Hinsicht von der Rechtsentwicklung überholt, die der BGH teils vorbereitet, teils begleitet hat. Die Stichworte lauten: (a) Privatisierung der öffentlichen Wirtschaft, (b) Generalisierung des Kaufmannsbegriffs und (c) Schutz der Kunden, Verbraucher und Anleger. a) Privatisierung der öffentlichen Wirtschaft Der Sektor der öffentlichen, teilweise aus dem Kaufmannsbegriff oder dem ganzen Handelsrecht herausgelösten Wirtschaft ist heute stark reduziert, Bahn und Post sind privatisiert. Die Rechtsprechung hat den komplexen Privatisierungsprozeß, der sich in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts vollzog,6 begleitet; so hatte sich der BGH verschiedentlich mit der Einbeziehung der neuen Post-AGB in die Kundenverträge zu befassen.7 Die gedankliche Vorbereitung einer Privatisierung der Bahn spiegelt sich schon in einem Urteil des BGH von 1985, in dem der X. Senat auf die Vergleichbarkeit der Bundesbahn mit einem Privatunternehmer hinwies. Die Bundesbahn wurde in den Fällen, in denen sie Beschaffungsgeschäfte tätigte, als [5] Gewerbebetrieb i. S. des § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB qualifiziert.8 Der BGH rückte die Bahn als Gewerbebetrieb in die Nähe des Kaufmannsbegriffs und zitierte die dazu bestehende Literaturmeinung, ohne sich in der letzteren Frage der Kaufmannseigenschaft abschließend festzulegen.9 Das Urteil setzt frühere Entscheidungen fort, in denen der BGH im Hinblick auf die verlängerte Verjährungsfrist nach § 196 Abs. 2 BGB die Möglichkeit bejahte, daß öffentlich RG,Urt. v. 6.10.1939 – III ZR 3/39, RGZ 161, 341, 344. Dazu auch BGH, Urt. v. 2.7.1985 – X ZR 77/84, BGHZ 95, 155, 161. 5 AaO., S. 49 ff. (s. Fn. 1). 6 Überblick bei Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, 4. Aufl. 1999, § 23 Rdn. 104 (Bahn) und Rdn. 120 f. (Post). 7 BGH, Urt. v. 17.11.1994 – III ZR 59/94, NJW 1995, 875; Urt. v. 1.2.1996 – I ZR 44/94, NJW 1996, 2374. 8 BGH, Urt. v. 2.7.1985 – X ZR 77/84, BGHZ 95, 155, 159 ff. 9 AaO., S. 157 ff., 160. 3 4
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rechtliche Unternehmen trotz öffentlich-rechtlicher Zielsetzung zugleich Gewerbebetriebe i. S. dieser Vorschrift sein können.10 Für das öffentlichrechtliche Fernsehen hat der BGH eben dies aber noch 1971 verneint,11 und 1956 war die Kaufmannseigenschaft der öffentlich-rechtlich organisierten Einfuhr- und Vorratsstellen verneint worden.12 Das Benutzerverhältnis mit der Post war bis zur erwähnten Postreform (ab 1989) vom BGH aufgrund einer ausdehnenden Auslegung der Rechtslage ganz dem öffentlichen Recht zugewiesen,13 und es klingt ein wenig wie aus einer fernen Welt, wenn der BGH in einem Urteil von 1956 feststellt: „Die Personenbeförderung durch die Bundespost ist Ausübung öffentlicher Gewalt“.14 Fast zeitlich parallel zur vorerwähnten Privatisierungswelle lief ein Prozeß von historischer Dimension ab: die Privatisierung der zusammengebrochenen sozialistischen Wirtschaft der DDR ab 1990, vor allem aufgrund des Treuhandgesetzes.15 Sie hat auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs mit zahllosen Detailfragen beschäftigt, was hier nicht zu verfolgen ist.16 b) Der Kaufmann als Unternehmensträger Der Status als Kaufmann hängt seit jeher mit seiner Rolle als Rechtsträger eines Unternehmens zusammen. Dies ist eine nicht ganz neue Erkenntnis,17 die aber heute wieder große Beachtung findet. Dieser Zusammenhang steckt von Anfang an im HGB und in seinem aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammenden, ständischen Vorstellungen verhafteten Kaufmannsbegriff.18 Allerdings umschreibt das HGB seit jeher und allen Reformen zum Trotz den Begriff des Unternehmens mit dem des Gewerbebetriebs (vgl. § 1 Abs. 2 a. F. und n. F. HGB). Der BGH hatte sich immer wieder mit dem Zusammen10 BGH, Urt. v. 18.1.1968 – VII ZR 101/65, BGHZ 49, 258, 260 (städt. Wasserwerk); Urt. v. 12.2.1970 – VII ZR 168/67, BGHZ 53, 222, 223 (städt. Abwasserbetrieb). 11 BGH, Urt. v. 28.10.1971 – VII ZR 15/70, BGHZ 57, 191, 199; ebenso Urt. v. 22. 4. 1982 – VII ZR 191/81, BGHZ 83, 382, 387 für einen Wasserverband. 12 BGH, Urt. v. 16.2.1956 – II ZR 30/55, BGHZ 20, 77, 78 ff. 13 BGH, Urt. v. 14.1.1954 – III ZR 334/52, BGHZ 12, 96 (Zustellung im Postdienst); Urt. v. 14.1.1954 – III ZR 217/52, BGHZ 12, 89 (Telegrammzustellung); Urt. v. 10.1.1955 – III ZR 153/53, BGHZ 16, 111 (Paketbeförderung). 14 BGH, Urt. v. 23.2.1956 – III ZR 324/54, BGHZ 20, 102. 15 Überblick bei Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl. 1993, insbes. Kap. 1 und Kap. 4. 16 Zur Fortgeltung des alten und Einführung des neuen HGB im neuen Bundesgebiet Horn, aaO., § 18 Rdn. 1 ff. 17 Vgl. nur Horn, Das Unternehmen als Gegenstand des Rechts und der Wirtschaftsund Sozialwissenschaften, in: Horn/Tietz (Hrsg.), Sozialwissenschaften im Studium des Rechts, Bd. 1, 1977, S. 117 ff., 122 ff.; ders., in: Horn (Hrsg.), Pro und Contra Arbeitspartizipation, 1978, S. 67 ff., 84 ff. 18 Vgl. §§ 1 bis 6 Abs. 1 HGB alter und neuer Fassung. Auch beim Formkaufmann des § 6 Abs. 2 HGB, wo dieses Kriterium im Gesetz nicht gefordert wird, geht der Gesetzgeber von der Unternehmensträgerschaft als dem typischen Sachverhalt aus.
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hang [6] von Kaufmannsbegriff und Gewerbebetrieb unter den verschiedensten Aspekten zu befassen. Allerdings hat er in einer Entscheidung von 1960 zu einer gewissen Begriffsverwirrung beigetragen, indem er einen älteren Sprachgebrauch der Handelsrechtsliteratur aufgriff und das Unternehmen als „eine äußere Veranstaltung, die auf einen Gewerbebetrieb schließen läßt“ verstand, also eine Art Rechtsscheinveranstaltung, und dies vom Gewerbebetrieb unterschied.19 Richtigerweise ist das Unternehmen die Bezeichnung einer selbständigen, auf Gütererzeugung und Gewinnerzielung gerichteten Wirtschaftseinheit.20 Gewerbebetrieb und Unternehmen sind nach heutigem Sprachgebrauch weitgehend gleichbedeutend.21 Wer keinen Gewerbebetrieb hat, kann nach der letztgenannten Entscheidung des BGH nicht einmal Scheinkaufmann i. S. von § 5 a. F. HGB sein.22 Auch wer nicht in Gewinnerzielungsabsicht handelt und damit ein wichtiges Kriterium des Gewerbebetriebs (des Unternehmens) verfehlt, ist nicht Kaufmann.23 Wer nicht selbst Unternehmensträger ist, sondern nur Gesellschafter des Unternehmensträgers, ist noch nicht Kaufmann. So fehlt die Kaufmannseigenschaft nach einer frühen Entscheidung des BGH sowohl den Gesellschaftern als auch den Geschäftsführern einer GmbH,24 aber auch den Kommanditisten der KG.25 Wohl aber ist der persönlich haftende Gesellschafter der OHG und der KG Kaufmann. Die personalistische Struktur dieser Gesellschaften verbunden mit der unbeschränkten persönlichen Haftung lassen sie als die „eigentlichen“ Unternehmensträger an der Kaufmannseigenschaft partizipieren.26 Dem ist die Literatur freilich nicht ungeteilt gefolgt.27 Die Enge des alten Kaufmannsbegriffs mit seiner Liste der Grundhandelsgewerbe in § 1 Abs. 2 a. F. HGB und der ergänzenden Möglichkeit, die Kaufmannseigenschaft durch Eintragung nach § 2 a.F. HGB zu erlangen, spiegelt sich natürlich auch in Urteilen des BGH. Der nichtkaufmännische, weil nicht eingetragene Bauunternehmer wird immerhin der für Gewerbetreibende geltenden kürzeren Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 1 BGB unterworfen.28 [7] Aber die KG, deren Komplementär-GmbH ein Bauunternehmen und
BGH, Urt. v. 19.5.1960 – II ZR 72/59, BGHZ 32, 307, 313 im Anschluß an Wieland. Allg. Heymann/Horn, HGB, Bd. 1, 2. Aufl.1995, Einl.V vor § 1 Rdn. 1 ff. 21 Ähnlich K. Schmidt, ZIP 1997, 909, 911. Vgl. auch Henssler, ZHR 161 (1997), 13 ff. 22 BGH, Urt. v. 19.5.1960 – II ZR 72/59, BGHZ 32, 307. 23 BGH, Urt. v. 11.1.1962 – VII ZR 188/60, BGHZ 36, 273, 275 f. (Einfuhr- und Vorratsstelle), Vgl. auch BGHZ 32, 307 (s. Fn. 22). 24 BGH, Urt. v. 13.2.1952 – II ZR 91/51, BGHZ 5, 133, 134. 25 BGH, Urt. v. 2.6.1966 – VII ZR 292/64, BGHZ 45, 282. 26 BGH, Urt. v. 16.2.1961 – III ZR 71/60, BGHZ 34, 293, 296 f.; BGHZ 45, 282, 284 (s. Fn. 25). 27 Wie der BGH Flume, Personengesellschaft, 1977, S. 58 f; Heymann/Emmerich, HGB, § 1 Rdn. 15; a. A. u. a. Lieb, DB 1967, 759; K. Schmidt, ZIP 1986, 1510 ff. 28 BGH, Urt. v. 2.5.1963 – VII ZR 74/62, BGHZ 39, 255, 257 ff. 19 20
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damit einen nicht unter § 1 Abs. 2 a. F. HGB fallenden Betrieb einbringt, entsteht gem. § 2 a. F. HGB erst mit der Eintragung in das Handelsregister; die Gesellschafter haften nicht für einen vor Eintragung namens der GmbH & Co. KG gezeichneten Wechsel.29 Diese und andere künstliche Unterscheidungen waren Gründe genug für den Gesetzgeber des Handelsrechtsreformgesetzes von 1998,30 mit der historisch überholten Liste der Grundhandelsgewerbe im § 1 Abs. 2 a. F. HGB Schluß zu machen und einen generalisierenden Begriff des Gewerbebetriebs zu verwenden. Seit jeher gehörte zum Kaufmann als Unternehmensträger die (öffentlichrechtliche) Pflicht zur Führung von Handelsbüchern, wie in §§ 38 ff. a.F. HGB normiert. Zivilrechtliche Rechtsprechung über materielle Buchführungs- und Bilanzregeln ist zum alten Rechtszustand vor der HGB-Reform von 1985 freilich kaum zu finden; die Rechtsentwicklung wurde ganz von der Steuerrechtsprechung geprägt. Dies hat sich mit dem Bilanzrichtliniengesetz vom 19.12.198531 und der Aufnahme des neuen Dritten Buches (Handelsbücher) geändert. Nunmehr nehmen auch die Zivilsenate des BGH Gelegenheit, zu inhaltlichen Einzelheiten der Buchführungs- und Bilanzierungspflichten des Kaufmanns detailliert Stellung zu nehmen.32 Das Bilanzrecht ist auch heute zwar noch „allgemeines“ Handelsrecht, aber ein eigenständiges Gebiet des Handelsrechts und schon nach seinem Umfang und seiner ständig wachsenden Bedeutung beim Kaufmannsbegriff nicht adäquat zu behandeln. c) Der Kaufmann und der Schutz des Kunden, Verbrauchers und Anlegers In dem Maße, in dem im Zivilrecht im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts der Gedanke des Schutzes des Kunden, Verbrauchers und Anlegers vordrang und – häufig durch EG-Recht veranlaßt – in Spezialgesetzen Ausdruck fand (AGB-Gesetz, Verbraucherkreditgesetz, Wertpapierhandelsgesetz), wandelte sich die Normsituation für den Kaufmann außerhalb der Regelungsmaterie des HGB. Der Kaufmann ist zunächst einmal Normadressat dieser Gesetze, wenn er als Verwender dem Kunden AGB stellt, Verbraucherkredite vergibt oder Wertpapierdienstleistungen anbietet. Er ist aber zugleich auch in mancher Hinsicht unter den Schutz dieser Gesetze gestellt. Das AGB-Gesetz hat [8] von Anfang an einen allgemeinen Kundenschutz bezweckt und daher auch den Kaufmann in § 24 unter seinen Schutz gestellt. Dieser Schutz ist aber abgeschwächt, so daß der Rechtsprechung die Aufgabe zufällt, teils dem 29 BGH, Urt. v. 13.7.1972 – II ZR 111/70, BGHZ 59, 179, 181 ff. Überholt auch durch die Anerkennung der Scheckfähigkeit der GbR seit BGHZ 136, 254 (Urt. v. 15.7.1997 – XI ZR 154/96). 30 V. 22.6.1998; BGBl. I, S. 1474. 31 BGBl. I, S. 2355. 32 Vgl. nur Urt. v. 19.9.1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168; Urt. v. 7.11.1988 – II ZR 46/88, BGHZ 106, 7; Urt. v. 28.10.1993 – IX ZR 21/93, BGHZ 124, 28.
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Kaufmann gleichen Schutz wie anderen Kunden zu gewähren,33 teils ihn aber in geringerem Maße als andere Kunden zu schützen.34 Die Rechtsprechung des BGH hat den Kaufmann als Kunden in zahlreichen Fällen gegen überraschende und unangemessene AGB geschützt.35 Der BGH hat dabei auch mit dem Gebot in § 24 S. 2 AGBG ernst gemacht, daß die Ausnahme vom Schutz durch die speziellen Klauselverbote der §§ 10 und 11 AGBG nicht den Schutz des Kaufmanns nach § 9 AGBG verkürzen dürfe.36 Vom Anlegerschutz gegen die riskanten Börsentermingeschäfte ist der Kaufmann seit jeher ausgenommen. Die Unterscheidung vom Nichtkaufmann ist aber auch nach neuem Recht (seit 199037) insofern relevant, als der Letztere nur börsentermingeschäftsfähig wird, wenn er die nach § 53 Abs. 2 BörsG vorgeschriebene Unterrichtungsschrift vor der Erteilung seines Auftrags unterzeichnet hat. Einschlägige Fragen haben den BGH in den 90er Jahren häufig beschäftigt.38 3. Handelsregister und Firma a) Handelsregister Die Rechtsprechung des BGH zu Handelsregister und Firma ist wiederum nur mit einem Blick auf die einschneidenden gesetzgeberischen Veränderungen zu würdigen: 1969 wurde durch das Gesetz vom 15.8.196939 zur Durchführung der Ersten Gesellschaftsrechtsrichtlinie des Rates der EG (Publizitätsrichtlinie)40 die in § 15 HGB verankerte Publizität des Handelsregisters verstärkt und teilweise auf die Bekanntmachung (statt der Eintragung) als [9] Anknüpfungspunkt verlagert; die Regelung gilt über die Absicht der EG-Richtlinie hinaus nicht nur für Kapitalgesellschaften, sondern für alle Kaufleute. Die Rechtsprechung des BGH ist zu Grundfragen der Registerpublizität nicht sehr reichhaltig.
33 In diesem Sinn z. B. BGH, Urt. v. 5.6.1997 – VII ZR 324/95, BGHZ 136, 27 betr. Benachteiligung des Bauunternehmers durch 5jährigen Einbehalt von 5 % der Auftragssumme. 34 BGH, Urt. v. 3.11.1994 – I ZR 100/92, BGHZ 127, 275 ff. betr. die Beweislastregelung in § 51 lit. b S. 2 ADSp, wonach der (kaufmännische; vgl. § 2 ADSp) Anspruchsteller die Tatsachen vortragen muß, aus denen ein grob fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten des Spediteurs folgt; diese Beweislastregelung wird für rechtswirksam erklärt. 35 Überblick bei Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 24 Rdn. 16 ff., 26 ff. 36 Vgl. z. B. BGH, Urt. v. 16.10.1984 – X ZR 97/83, BGHZ 92, 312, 316, betr. Aufrechnungsverbot in AGB; vgl. auch den Überblick bei Horn, aaO., § 24 Rdn. 41 f. 37 Dazu Horn, ZIP 1990, 2 ff. 38 Dazu BGH, Urt. v. 19.5.1998 – XI ZR 216/97, BGHZ 139, 36 ff; vgl. auch Urt. v. 12.5.1998 – XI ZR 180/97, BGHZ 139, 1 ff. 39 BGBl. I, S. 1146. 40 V. 9.3.1968, 68/151/EWG – ABl EG Nr. L 65/8 v. 14.3.1968.
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Auf das Schweigen des Handelsregisters kann sich ein Dritter auch dann verlassen, wenn es an der gebotenen Voreintragung fehlt; der gutgläubige Dritte wird gegen die Folgen nicht eingetragener Tatsachen auch in diesem Fall geschützt. Dieser Satz, dessen Rolle als Standardproblem in HGBKlausuren Generationen von Studenten schmerzlich bewußt wurde, wurde schon vom Reichsoberhandelsgericht formuliert,41 vom Reichsgericht fortgeführt42 und vom BGH seit 1965 in ständiger Rechtsprechung anerkannt;43 ein bemerkenswertes Beispiel für Kontinuität. Seit 1970 hatte der BGH auch mehrfach Gelegenheit, an den Satz zu erinnern, daß der Dritte sich auf eine vom Inhalt des Handelsregisters abweichende tatsächliche Rechtslage zu seinen Gunsten immer berufen kann.44 Der BGH hat bei einem Fall eines geschäftsunfähigen GmbH-Geschäftsführers Gelegenheit genommen, auf die begrenzte Aussagekraft von Handelsregistereintragungen hinzuweisen: die Eintragung des Geschäftsführers bekunde dessen Organstellung und die damit übertragene Vertretungsmacht; über die Geschäftsfähigkeit des Organs sage sie nichts. Wenn die Organstellung durch Geschäftsunfähigkeit ende, so könne sich die GmbH zwar nicht auf die Beendigung berufen, wohl aber auf die Geschäftsunfähigkeit. Anders, wenn sie bei Sorgfalt die Geschäftsunfähigkeit hätte erkennen können; dann hafte sie ggf. aus Rechtsschein.45 Die Masse der neueren Entscheidungen betrifft nicht Grundfragen der Publizität, sondern die zahlreichen Anwendungsfälle vor allem im Gesellschaftsrecht und ist in diesem Zusammenhang zu behandeln. Einige verbleibende Grundsatzfragen stehen im engen Zusammenhang mit dem Firmenrecht. Die elektronische Datenverarbeitung und das Internet ermöglichen heute raschen Datenzugriff in einem Maß, der dem Gesetzgeber des HGB unvorstellbar war, und damit endlich den intensiven Gebrauch der mit dem Handelsregister bezweckten Publizität. Da die Handelsregister auf diese neue [10] Technik noch nicht umgestellt sind, bietet sich der Aufbau entsprechender Datenbanken durch private Anbieter an. Der BGH hat 1989 entschieden, daß das Einsichtsrecht des § 9 HGB auch für solche Firmen gilt. Er hat aber einschränkend hinzugefügt, daß damit noch kein Recht auf Gestattung zur Mikroverfilmung des ganzes Bestandes des Handelsregisters zum Aufbau einer eigenen Datei verbunden sei, um diese „in Konkurrenz zum Handels ROHG, Urt. v. 3.4.1878 – Rep. 345/78, ROHGE 23, 227. RG, Urt. v. 4.12.1885 – Rep. III 205/85, RGZ 15, 33, 35; Urt. v. 13.1.1930 – VI 242/29, RGZ 127, 98, 99. 43 BGH, Urt. v. 24.6.1965 – III ZR 219/63, LM Nr. 2 zu § 15 HGB; Urt. v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267; Urt. v. 21.3.1983 – II ZR 113/82, WM 1983, 651. 44 BGH, Urt. v. 21.12.1970 – II ZR 258/67, BGHZ 55, 267, 271; Urt. v. 1.12.1975 – II ZR 62/75, BGHZ 65, 309, 310; Urt. v. 20.5.1987 – VIII ZR 282/86, WM 1987, 1013; Urt. v. 5.2.1990 – II ZR 309/88, WM 1990, 638. 45 BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78 = NJW 1991, 2566. 41 42
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register gewerblich zu verwerten“. Die Gestattung eines solchen Vorhabens stehe vielmehr im Ermessen der Justizverwaltung.46 Es bleibt zu hoffen, daß auf diesem Wege künftig die Handelsregister effektiver erschlossen werden können. b) Firma Auch im Firmenrecht ist zunächst an die gesetzgeberischen Eingriffe von 1980 und von 1998 zu erinnern. Ein wichtiger Fortschritt in der Gesetzgebung von 1980 ist durch die Rechtsprechung des BGH zur GmbH & Co. KG vorbereitet worden. Wer diese Rechtsform benutzt, täuscht u. U. den Rechtsverkehr auch dann über das Fehlen einer voll haftenden natürlichen Person als Gesellschafter, wenn er zwar den Umstand im Handelsregister bekundet, aber eine Firma ohne den Zusatz „GmbH & Co. KG“ führt.47 Dieser Zusatz ist seit 1980 in § 19 Abs. 4 HGB, seit 1998 in § 19 Abs. 2 HGB vorgeschrieben. Durch die Reform des HGB von 1998 ist das als sehr formalistisch empfundene Recht der Firmenbildung48 liberalisiert und den Unternehmen künftig eine große Wahlfreiheit eingeräumt worden, da die Firma des Unternehmens nur noch zur Kennzeichnung geeignet sein und Unterscheidungskraft besitzen muß (§ 18 Abs. 1 HGB). Da nunmehr auch Einzelkaufleute den Firmenkern frei als Sach- oder Personenfirma oder als Kombination hieraus gestalten können, schreibt § 19 Abs. 1 HGB im Informationsinteresse des Rechtsverkehrs die Führung eines Rechtsformzusatzes zwingend vor. Der BGH hatte sich im Firmenrecht mehrfach mit Fällen zu befassen, bei denen die Grundsätze der Firmenwahrheit (§ 18 Abs. 2 HGB) und der Firmenbeständigkeit (§§ 22, 24 HGB) kollidierten. So hat der BGH eine unveränderte Firmenfortführung auch bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 HGB für unzulässig gehalten, wenn eine Personengesellschaft von einem Einzelkaufmann fortgeführt wird.49 Durch die Beibehaltung der [11] Rechtsformzusätze (OHG, KG) werde die unrichtige Vorstellung erweckt, daß das Unternehmen von mindestens zwei Gesellschaftern getragen werde und daher besonders kreditwürdig sei.50 Nach der Rechtsprechung zum früheren Recht durfte jedoch umgekehrt eine OHG oder KG die bisherige Firma des erworbenen einzelkaufmännischen Unternehmens unverändert, d. h. ohne Hinzufügung eines Gesell BGH, Urt. v. 12.7.1989 – IVa ARZ (VZ) 9/88, BGHZ 108, 32. BGH, Urt. v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216 = NJW 1974, 1191; Urt. v. 8.5.1978 – II ZR 97/77, BGHZ 71, 354 = NJW 1978, 2030 (in Ergänzung zu BGHZ 62, 216). 48 Vgl. etwa K. Schmidt, NJW 1998, 2161, 2167. 49 BGH, Urt. v. 2.4.1959 – II ZR 163/58, BB 1959, 462. 50 BGH, Urt. v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 217, 225; Urt. v. 10.11.1969 – II ZR 273/67, BGHZ 53, 65, 68 f. 46 47
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schaftszusatzes fortführen.51 Da § 38 Abs. 1 EGHGB für vor dem 1.7.1998 im Handelsregister eingetragene Firmen die Fortführung einer bislang zulässigen Firmierung nur noch bis zum 31.3.2003 erlaubt, ist jedenfalls nach diesem Zeitpunkt die Beifügung eines Rechtsformzusatzes gemäß § 19 Abs. 1 HGB erforderlich. 4. Der Übergang des Unternehmens a) Übertragung des Unternehmens unter Lebenden und Erwerberhaftung (§ 25 Abs. 1 S. 1 HGB) Über den Normzweck des § 25 Abs. 1 S. 1 HGB herrscht Unklarkeit.52 Der BGH sieht seit 1956 die Vorschrift als einen Fall der Vertrauenshaftung an;53 er hat vereinzelt aber auch Argumente der Erklärungstheorie aufgegriffen, die die Haftung des Erwerbers auf die Kundgabe seines Willens, er wolle für Altschulden einstehen, stützt.54 Die Anwendbarkeit des § 25 Abs. 1 S. 1 HGB setzt die Übernahme eines vollkaufmännischen Handelsgeschäfts voraus,55 so daß die gesetzliche Schuldenhaftung einer KG bei Übernahme einer GbR nicht in Betracht kommt.56 Für die Haftung nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB ist die Art des Vertrages, der dem Unternehmensübergang zugrunde liegt, unerheblich. Die Erwerberhaftung greift neben Schenkung und Kauf auch dann ein, wenn das Unternehmen lediglich verpachtet wird.57 Die Firmengleichheit, an die § 25 Abs. 1 S. 1 HGB anknüpft, wird nicht durch Hinzu- [12] fügung oder Weglassung eines auf eine Gesellschaft deutenden Zusatzes ausgeschlossen.58 Auch eine Änderung der Firma vermag an der Haftung nichts zu ändern, wenn der Verkehr die neue Firma dennoch mit der alten identifiziert.59 Unerheblich ist auch, ob der Erwerber die Firma mit
51 BGH, Urt. v. 9.12.1976 – II ZB 6/76, BGHZ 68, 12, 15 f.; Urt. v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 217, 224 f. 52 Vgl. hierzu eingehend Staub/Hüffer, HGB, 4. Aufl. 1995, § 25 Rdn. 3 m. w. N. 53 BGH, Urt. v. 29.11.1956 – II ZR 32/56, BGHZ 22, 234, 239; Urt. v. 10.1.1962 – VIII ZR 185/60, BGHZ 36, 265, 272; Urt. v. 1.12.1958 – II ZR 238/57, BGHZ 29, 1, 3. 54 Vgl. BGH, Urt. v. 13.10.1955 – ZR 44/54, BGHZ 18, 248, 250; Urt. v. 24.9.1962 – VIII ZR 18/62, BGHZ 38, 44, 47. 55 BGH, Urt. v. 13.10.1955 – ZR 44/54, BGHZ 18, 248, 250; Urt. v. 16.9.1981 – VIII ZR 111/80, WM 1981, 1255, 1256. 56 BGH, Urt. v. 17.9.1991 – XI ZR 256/90, WM 1991, 1915, 1917. 57 BGH, Urt. v. 29.3.1982 – II ZR 166/81, NJW 1982, 1647; Urt.v. 16.1.1984 – II ZR 114/83, NJW 1984, 1186, 1187. 58 BGH, Urt. v. 2.4.1959 – II ZR 163/58, LM Nr. 1 zu § 22 HGB; Urt. v. 29.3.1982 – II ZR 166/81, WM 1982, 555, 556. 59 BGH, Urt. v. 4.11.1991 – II ZR 85/91, WM 1992, 55, 56 f.
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Zustimmung des Erwerbers fortführt und sogar die Zulässigkeit der Firmierung, sofern nur eine entsprechende Firma denkbar ist.60 Die Haftung nach § 25 Abs. 1 S. 1 HGB greift auch dann ein, wenn im Innenverhältnis die Haftung des Erwerbers für Altschulden ausgeschlossen worden ist. Ein solcher Ausschluß hat nach § 25 Abs. 2 HGB im Außenverhältnis nur Wirkung, wenn er unverzüglich ins Handelsregister eingetragen und bekanntgemacht oder dem Dritten mitgeteilt worden ist. Die Regelung des § 25 Abs. 2 HGB verdrängt § 15 Abs. 1 HGB, so daß sich der Erwerber auf anderweitig als durch Mitteilung eingetretene Kenntnis des Gläubigers von der vereinbarten Haftungsfreistellung nicht berufen kann.61 b) Erbenhaftung bei Firmenfortführung (§ 27 HGB) Für die Anwendung des § 27 HGB ist es unerheblich, ob lediglich ein Erbe vorhanden ist oder ob eine Erbengemeinschaft das Unternehmen fortführt. Wird das ererbte Handelsgeschäft indes nur von einem der Miterben fortgeführt, liegt nach Urteilen von 1959 und 1960 darin eine Fortführung durch alle Miterben i. S. von § 27 HGB nur dann, wenn die übrigen Miterben den tätigen Miterben zur Fortführung des Geschäfts ausdrücklich oder stillschweigend bevollmächtigt haben.62 Bei Fortführung eines zum Nachlaß gehörenden Handelsgeschäfts unter der bisherigen Firma durch Vor- und Nacherben haftet der Nacherbe über § 27 HGB auch für die vom Vorerben begründeten Geschäftsverbindlichkeiten, wobei es abweichend von der erbrechtlichen Haftung nicht darauf ankommt, ob die Eingehung der Verbindlichkeit im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses lag.63 § 27 HGB ist analog anwendbar auf einen Kommanditisten, der die Beteiligung des einzigen, persönlich haftenden Mitgesellschafters erbt und dadurch zum Alleininhaber des Gesellschaftsvermögens wird.64 [13] Zu der umstrittenen Frage, ob der Erbe über § 27 Abs. 2 HGB hinaus auch durch § 25 Abs. 2 HGB seine handelsrechtliche Haftung beschränken kann, hat der BGH bislang noch nicht Stellung genommen.65 Die herrschende Meinung bejaht ausgehend vom Wortlaut des § 27 HGB eine entsprechende
60 BGH, Urt. v. 29.11.1956 – II ZR 32/56, BGHZ 22, 234, 237. Zur Erstreckung der Haftung nach § 25 Abs. 1 auf eine versprochene Vertragsstrafe BGH, Urt. v. 25.4.1996 – I ZR 58/94, ZIP 1996, 1608, 1609. 61 BGH, Urt. v. 1.12.1958 – II ZR 238/57, BGHZ 29, 1, 4. 62 BGH, Urt. v. 24.9.1959 – II ZR 46/59, BGHZ 30, 391, 394 f.; Urt. v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, BGHZ 32, 60, 67. 63 BGH, Urt. v. 10.2.1960 – V ZR 39/58, BGHZ 32, 60, 66 f. 64 BGH, Urt. v. 10.12.1990 – II ZR 256/89, BGHZ 113, 132, 132 f. 65 Vgl. zum Streitstand eingehend Münchener Kommentar/Lieb, HGB, 1996, § 27 Rdn. 50.
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Anwendung des § 25 Abs. 2 HGB, so daß der Erbe auch durch rechtzeitige Eintragung einer Nichthaftungserklärung und deren Bekanntmachung der handelsrechtlichen Haftung entgehen kann.66 c) Haftung bei Eintritt in das Geschäft des Einzelkaufmanns (§ 28 HGB) Im Januar 2000 hatte der BGH zu entscheiden, ob § 28 HGB anwendbar sei, wenn ein nichtkaufmännisches Einzelunternehmen in eine neu gegründete GmbH eingebracht werde.67 Der BGH hat diese Frage verneint. Nach gefestigter Rechtsprechung setzt die Vorschrift des § 28 HGB die Kaufmannseigenschaft des Einzelunternehmers voraus; sie findet daher keine Anwendung, wenn durch den Eintritt eines oder mehrerer Gesellschafter in den bisherigen Gewerbebetrieb keine OHG oder KG, sondern lediglich eine BGB-Gesellschaft entsteht.68 Der BGH vertritt die Ansicht, daß aufgrund des eindeutigen Wortlauts § 28 HGB keine Anwendung finde, wenn ein Einzelunternehmen in eine neu gegründete GmbH oder AG eingebracht werde; diese Entscheidung des Gesetzgebers gelte in gleicher Weise auch für die Vor-GmbH, die weder Personengesellschaft noch juristische Person, sondern eine Personenvereinigung eigener Art sei.69 5. Kaufmännische Hilfspersonen a) Prokurist Auch wenn § 48 Abs. 1 HGB von einer Trennung zwischen Vertretenem und Prokuristen ausgeht, hat der BGH 1955 die Bestellung eines Kommanditisten, der nach § 170 HGB von der Vertretung ausgeschlossen ist, zum Prokuristen für zulässig erklärt.70 Demgegenüber ist es nach Auffassung des BGH [14] nicht zulässig, einen Miterben einer das Handelsgeschäft fortführenden Erbengemeinschaft zum Prokuristen zu bestellen.71 Da die Erbengemeinschaft lediglich die Zusammenfassung der einzelnen Erben darstelle und im Rechtsverkehr nicht wie die Personenhandelsgesellschaft als geschlossenes Ganzes auftrete, vertrete der Stellvertreter nicht die Erbengemeinschaft
66 KG, Beschl. v. 3.10.1940 – 1 Wx 437/40, DR 1940, 2007; vgl. auch die Nachweise bei K. Schmidt, Handelsrecht, 5. Aufl. 1999, § 8 IV 3 Fn. 253. 67 BGH, Urt. v. 18.1.2000 – XI ZR 71/99, ZIP 2000, 411, 412. 68 BGH, Urt. v. 7.1.1960 – II ZR 228/59, BGHZ 31, 397, 400 f.; Urt. v. 29.11.1971 – II ZR 181/68, WM 1972, 21, 22; Urt. v. 25.6.1973 – II ZR 133/70, WM 1973, 896, 899. 69 BGH, Urt. v. 18.1.2000 – XI ZR 71/99, ZIP 2000, 411, 412. 70 Vgl. BGH, Urt. v. 27.6.1955 – II ZR 232/54, BGHZ 17, 392, 394. Sieht bereits der Gesellschaftsvertrag die Bestellung des Kommanditisten zum Prokuristen vor, ist entgegen § 52 HGB die Prokura nicht jederzeit, sondern nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes widerruflich, vgl. BGH, aaO. 71 BGH, Urt. v. 24.9.1959 – II ZR 46/59, BGHZ 30, 391, 397.
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als solche, sondern immer nur die einzelnen Erben. Der zum Prokuristen bestellte Erbe würde bei seinem rechtlichen Handeln daher nicht nur kraft abgeleiteten Rechts auf Grund der ihm erteilten Vertretungsmacht, sondern infolge seiner Miterbenstellung zugleich auch auf Grund eigenen Rechts tätig werden. Eine solche rechtliche Gestaltung sei aber mit § 48 Abs. 1 HGB nicht zu vereinbaren.72 Der Umfang der durch § 49 HGB dem Prokuristen erlaubten Geschäfte ist weit gezogen. Der Prokurist ist aber nicht zur Änderung der Firma ermächtigt, da es sich hierbei nicht um eine Vertretung im laufenden Betrieb des Unternehmens, sondern um ein Grundlagengeschäft handelt.73 Auch eine Veräußerung des Handelsgeschäfts ist durch die Prokura nicht gedeckt.74 Eine Ausdehnung des gesetzlichen Umfangs der Vertretungsmacht ist demgegenüber bei einer gemischten Gesamtvertretung gegeben, bei der ein organschaftlicher Vertreter der Gesellschaft nur in Gemeinschaft mit einem Prokuristen vertretungsberechtigt ist. In diesem Fall ist der Umfang der Prokura bis zu den Grenzen der Vertretungsmacht des Gesellschafters erweitert.75 § 50 HGB befreit den Dritten von Nachforschungspflichten über den Umfang der Vertretungsmacht; der Mißbrauchseinwand ist aber dann zu berücksichtigen, wenn dem Dritten der Mißbrauch der Vertretungsmacht durch den Prokuristen infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist.76 Hat der Prokurist bewußt zum Nachteil des Vertretenen gehandelt, gewährt der BGH seit 1968 den Mißbrauchseinwand bereits dann, wenn dies dem Dritten auch nur infolge leichter Fahrlässigkeit nicht bekannt geworden ist.77 Der Schutz des Vertretenen soll aber dann wieder entfallen, wenn es zu [15] dem Mißbrauch der Vertretungsmacht nur deshalb kommen konnte, weil er die gebotene Kontrolle des Prokuristen unterlassen hatte; es kommt dann zur Schadensverteilung nach § 254 BGB.78
BGH, aaO., S. 398. BGH, Urt. v. 2.12.1991 – II ZB 13/91, BGHZ 116, 190, 193. 74 Vgl. BGH, Urt. v. 28.6.1965 – III ZR 10/64, BB 1965, 1373, 1374. Wegen der weitreichenden Bedeutung von Registereintragungen hat der II. Senat auch die Anmeldung einer Grundlagenentscheidung zum Handelsregister als Grundlagengeschäft qualifiziert; BGH, Urt. v. 2.12.1991 – II ZB 13/91, BGHZ 116, 190, 193. 75 BGH, Urt. v. 14.2.1974 – II ZB 6/73, BGHZ 62, 166, 170; Urt. v. 31.3.1954 – II ZR 57/53, BGHZ 13, 61, 64 f.; vgl. auch RG, Beschl. v. 22.12.1931 – II B 30/31, RGZ 134, 303, 306. 76 BGH, Urt. v. 3.10.1989 – XI ZR 154/88, NJW 1990, 384, 385. 77 BGH, Urt. v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 114. 78 BGH, Urt. v. 25.3.1968 – II ZR 208/64, BGHZ 50, 112, 114 f.; vgl. ferner Urt. v. 6. 3. 1975 – II ZR 165/73, BGHZ 64, 79, 85. 72 73
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b) Handlungsbevollmächtigter Der Umfang der Handlungsvollmacht ist nach § 54 Abs. 1 HGB im Gegensatz zur Prokura auf branchenübliche Rechtsgeschäfte beschränkt. Nach Ansicht des BGH ist ein Schuldanerkenntnis über DM 1,5 Mio. bei einer mit der Errichtung einer Erdölraffinerie befaßten GmbH noch durch die Handlungsvollmacht als gedeckt anzusehen.79 Auch die Zusicherung einer verbindlichen Reparaturzeit durch einen Beschäftigten in der Reparaturannahme eines Großunternehmens unterfällt § 54 Abs. 1 HGB,80 nicht aber die Einziehung des kreditierten Kaufpreises durch den Abschlußvertreter, da § 55 Abs. 3 HGB ein Verbot zur Entgegennahme von Zahlungen enthält, das nur durch eine besondere Inkassovollmacht beseitigt wird.81 c) Ladenangestellte § 56 HGB soll, wie der VIII. Zivilsenat 1975 ausführte, den Besucher des Ladens von Nachforschungspflichten freisteilen, ob und in welchem Umfang den angestellten Personen eine Ermächtigung zum Abschluß von Geschäften zukommt, die dort gewöhnlich anfallen.82 § 56 HGB kommt auch dann zur Anwendung, wenn der für die Anbahnung und Abwicklung von Großhandelsgeschäften im ersten Obergeschoß eingestellte Mitarbeiter im Lagerraum im Erdgeschoß Waren veräußert und den Erlös für sich behält.83 Die Beschränkung des § 56 HGB auf Verkäufe ist nicht als Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes zu verstehen. Dem Gesetzeszusammenhang und der Verwendung des Ausdrucks „Verkäufe“ ist vielmehr ein beredtes Schweigen des Gesetzgebers in dem Sinne zu entnehmen, daß der Ladenangestellte zu Ankäufen als nicht bevollmächtigt gelten soll und § 56 HGB auf solche Geschäfte auch nicht entsprechend anwendbar ist.84 [16] 6. Rechtsscheinhaftung Der Gedanke der Rechtsscheinhaftung findet sich im HGB an verschiedenen Stellen und unter verschiedenen Aspekten, so in § 4, § 15 und § 56 HGB, und seine Fortentwicklung war seit jeher Sache der Rechtsprechung und Rechtswissenschaft. Der BGH hat hier vor allem in der Rechtsprechung zu § 5 HGB Akzente gesetzt, während die Rechtsprechung zu § 56 HGB unter
BGH, Urt. v. 8.5.1978 – II ZR 209/76, DB 1978, 2118 f. BGH, Urt. v. 25.2.1982 – VII ZR 268/81, NJW 1982, 1389 f. 81 BGH, Urt. v. 14.4.1976 – VIII ZR 283/74, WM 1976, 715, 716. 82 BGH, Urt. v. 24.9.1975 – VIII ZR 74/74, NJW 1979, 2191. 83 BGH, aaO. 84 BGH, Urt. v. 4.5.1988 – VIII ZR 196/87, NJW 1988, 2109, 2110. 79 80
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allgemeineren Gesichtspunkten eher unergiebig ist85 und im Umkreis des § 15 HGB bereits das Reichsgericht ergänzende Sätze der Rechtsscheinhaftung entwickelt hat, die überwiegend durch die Reform dieser Vorschrift von 1969 überholt sind.86 Allerdings hat auch der BGH Rechtsscheintatbestände im Zusammenhang mit § 15 HGB behandelt. So hat er die unbeschränkte persönliche Haftung von Gesellschaftern einer früheren OHG für möglich gehalten, nachdem die OHG in eine GmbH & Co. KG und die Rechtstellung der Gesellschafter in die von Kommanditisten umgewandelt worden war; trotz Eintragung im Handelsregister könnten sie sich u. U. gegenüber gutgläubigen alten Geschäftspartnern nicht auf ihre Haftungsbeschränkung berufen.87 In der schon oben (I.3.a) erwähnten Entscheidung von 1991 zum Fall des geschäftsunfähigen Geschäftsführers hat der BGH eine Rechtsscheinhaftung der GmbH für dessen Handeln erwogen.88 Eine Haftung nach § 15 Abs. 3 oder § 25 Abs. 3 HGB wurde 1999 erwogen und abgelehnt im Fall der Nachfolgegesellschaft einer LPG, deren Umwandlung unwirksam war, wobei sich die Nachfolgegesellschaft aber auf die Wirksamkeit berufen hatte.89 Wichtigster gesetzlicher Anknüpfungspunkt für die Rechtsscheinhaftung ist in der Rechtsprechung des BGH der § 5 HGB. Die unmittelbare Bedeutung dieser Norm ist zwar durch die Handelsrechtsreform von 1998 und die Neufassung des § 2 HGB bis zur Unkenntlichkeit geschrumpft. Aber die an § 5 HGB anknüpfende Rechtsprechung kann fortdauernde Bedeutung beanspruchen. Es geht dabei um durchaus heterogene Fälle.90 1955 entschied der I. Zivilsenat, daß jemand persönlich für Geschäfte haftet, die er für ein Unternehmen abschließt, wenn er dabei durch sein Auftreten den Rechtsschein erweckt, er sei [17] persönlich haftender Gesellschafter des Unternehmens, und der Dritte im Vertrauen darauf den Vertrag abschließt.91 Die gleiche Haftung trifft den, der im Rechtsverkehr unter der Firma einer GmbH auftritt, dabei aber den auf die Haftungsbeschränkung hinweisenden Zusatz „GmbH & Co. KG“ oder „GmbH“ nicht verwendet. Die bloße Eintragung im Handelsregister reicht nicht aus; § 4 GmbH (früher: § 4 Abs. 2) verlangt die Verwendung im Rechtsverkehr und hat Vorrang vor § 15 HGB. Dies ist ständige 85 Vgl. aus der spärlichen Rspr. BGH, Urt. v. 24.9.1975 – VIII 74/74, NJW 1975, 2191 betr. Anwendbarkeit des § 56 auf Einzelhandelsgeschäfte; BGH, Urt. v. 4.5.1988 – VIII ZR 196/87, WM 1988, 1061 zur Unanwendbarkeit des § 56 auf Ankaufgeschäfte durch Ladenangestellte. 86 Vgl. dazu Staub/Hüffer, HGB, § 15 Rdn. 41 m. Nachw. 87 BGH, Urt. v. 8.5.1972 – II ZR 170/69, NJW 1972, 1418. 88 BGH, Urt. v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78 = NJW 1991, 2566. 89 BGH, Urt. v. 26.10.1999 – BLw 3/99, ZIP 1999, 2096. 90 Zutr. K. Schmidt, Handelsrecht, § 10 VII 2. 91 BGH, Urt. v. 11.3.1955 – I ZR 82/53, BGHZ 17, 13, 15 f. Zur Verbindung dieser Frage mit dem Problem der fehlerhaften Gesellschaft s. Urt. v. 8.11.1965 – II ZR 267/64, BGHZ 44, 235, und K. Schmidt, aaO.
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Rechtsprechung des BGH seit 1974.92 1973 behandelte der II. Zivilsenat eine GbR als wechselrechtsfähig, weil sie im Rechtsverkehr wie eine KG aufgetreten sei; an diesem Rechtsschein müsse sie sich festhalten lassen.93 Allerdings gehe diese Haftung nicht weiter als der veranlaßte Rechtsschein, so daß sich die Gesellschafter nur wie Kommanditisten behandeln lassen müssen.94 24 Jahre später tat der XI. Zivilsenat den Schritt vom Schein zum Sein und erklärte die GbR in Übereinstimmung mit der inzwischen überwiegenden Meinung für scheckfähig.95
II. Das allgemeine Recht der Handelsgeschäfte 1. Gesetzesrecht und Richterrecht Wenn eine Kodifikation altert, entfernt sich das von der Rechtsprechung getragene und von der wissenschaftlichen Diskussion begleitete geltende Recht immer mehr vom Gesetzeswortlaut. Die Masse der Interpretationen durch Judikatur und Lehre überdeckt ihn und löst sich an manchen Stellen als Richterrecht ganz von ihm.96 Die „Allgemeinen Vorschriften“ über Handelsgeschäfte zu Beginn des 4. Buches des HGB (§§ 343–372) sind trotz mancher Änderung ein solches Stück alter Gesetzgebung. Sie bilden einen bunten Flickenteppich von Einzelnormen ganz unterschiedlichen Gewichts, die das allgemeine Zivilrecht des BGB im Hinblick auf den Handelsverkehr abändern oder ergänzen. Manche dieser Normen sind heute fast ohne praktische Bedeutung.97 Andere Normen von großer grundsätzlicher Bedeutung, zu denen ich entgegen K. Schmidt auch § 347 HGB über die Sorgfaltspflicht des ordent- [18] lichen Kaufmanns rechnen möchte,98 sind dogmatisch und rechtspraktisch bereits durch die Rechtsprechung des Reichsgerichts präzisiert.99 Gleichwohl ist zu dieser Norm und zu zahlreichen anderen allgemeinen Fragen der Handelsgeschäfte eine bedeutende Fortentwicklung durch die Rechtsprechung seit 1950 unter Führung des BGH zu verzeichnen. Freilich ist in manchen dieser Entwicklungen die formale Beziehung zu einer bestimmten Norm nur noch schwach vorhanden oder ganz verschwunden, und in man92 BGH, Urt. v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 220 f.; Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 15; Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600. 93 BGH, Urt. v. 25.6.1973 – II ZR 133/70, BGHZ 61, 59, 62 ff. 94 BGH, aaO., S. 68 ff. 95 BGH, Urt. v. 15.7.1997 – XI ZR 154/96, BGHZ 136, 254 = ZIP 1997, 1496. 96 Zum Richterrecht allg. Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 1996, Rdn. 188 ff. 97 Vgl. dazu auch K. Schmidt, Handelsrecht, § 18 III 1. 98 K. Schmidt, aaO., hält die Norm neben § 276 BGB für eine „Banalität“. Das ist eine kodifikatorische Geschmacksfrage. 99 Vgl. Heymann/Horn, HGB, Bd. 4, 1990, § 347 Rdn. 27 f.
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chen Bereichen macht sich der Einfluß anderer Gesetze (z. B. AGB-Gesetz, Verbraucherkreditgesetz, Wertpapierhandelsgesetz) auf das Recht der Handelsgeschäfte bemerkbar. 2. Begriff und Abgrenzung der Handelsgeschäfte Der Begriff des Handelsgeschäfts (§§ 343–345 HGB) zur objektiven Abgrenzung des Anwendungsbereichs des HGB wurde in Übereinstimmung mit der gesetzgeberischen Absicht bereits vom Reichsgericht weit ausgelegt.100 Der Bundesgerichtshof führt diese Linie fort, wenn der III. Zivilsenat 1976 alle Geschäfte des Kaufmanns dazu rechnet, „die sich auch nur mittelbar auf sein Handelsgewerbe beziehen, mit ihm in einem auch nur entfernten, lockeren Zusammenhang stehen“.101 Die Vermutung des § 344 HGB ist nach dieser Entscheidung erst widerlegt, „wenn feststeht, daß das Geschäft auch für den Geschäftsgegner erkennbar nicht dem Betrieb des Handelsgewerbes dienen sollte“. Dem weiten Begriff des Handelsgeschäfts folgt der BGH auch in neueren Entscheidungen.102 Die Kaufmannseigenschaft des Kunden ist auch für die Frage wichtig, ob diesem der Schutz des AGB-Gesetzes nach dessen § 24 nur eingeschränkt zugute kommt; auch hier gilt die Vermutung des § 344 HGB.103 Die Rechtsprechung des BGH hat ferner Kriterien des „unternehmensbezogenen Handelns“ entwickelt, um Fragen des wirksamen Geschäftsabschlusses für den Kaufmann (die Handelsgesellschaft) zu beantworten.104 [19] Entscheidend ist der erkennbare Unternehmensbezug des Geschäfts ohne Rücksicht auf dessen korrekte firmenrechtliche Bezeichnung. Daraus ergibt sich, ob der Vertrag für und gegen den Unternehmensträger (Kaufmann) abgeschlossen wurde; bei inkorrekter Firmenbezeichnung kommt daneben persönliche Rechtsscheinhaftung des Handelnden in Betracht.105 Diese Kriterien ergänzen diejenigen der §§ 343–345 HGB in einem wichtigen Punkt. 100 Vgl. nur RG, Urt. v. 23.11.1915 – Rep. III 181/15, RGZ 87, 329, 331; Urt. v. 12.11.1930 – I 208/30, RGZ 130, 233, 235; Urt. v. 9.7.1904 – I 158/04, JW 1904, 496; Urt. v. 23.4.1932 – I 19/32, HRR 1932, 1645, 1646. 101 BGH, Urt. v. 8.1.1976, III ZR 148/73, WM 1976, 424. 102 BGH, Urt. v. 4.4.1990 – IV ZR 340/88, BGHR BGB § 196 Abs. 1 Zivilmakler 1 (T) betr. Provision für Kundenwerbung; Urt. v. 21.12.1995 – V ZB 4/94, BGHZ 131, 347 ff.: gewerblicher Charakter einer Wohnungsverwaltung begründet Kaufmannspflichten. 103 BGH, Urt. v. 18.12.1985 – VIII ZR 47/85, NJW 1986, 842. 104 BGH, Urt. v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 219 ff.; Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 14 ff.; Urt. v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 152; Urt. v. 8.10.1984 – II ZR 223/83, BGHZ 92, 259, 268; Urt. v. 12.12.1983 – II ZR 238/82, NJW 1984, 1347; Urt. v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, NJW 1990, 2678 ff. = WM 1990, 600 ff. Vgl. auch K. Schmidt, Handelsrecht, 1. Aufl. 1980, § 16 IV 1a; Krebs, ZHR 159 (1995), 635 ff. 105 Vgl. nur BGH, Urt. v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 14 ff.; Urt. v. 15.10.1990 – 2 ZR 311/88, NJW 1990, 2678 ff., und oben I.6.
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3. Handelsbrauch Das erste Urteil des Bundesgerichtshofs zum allgemeinen Recht der Handelsgeschäfte betrifft den § 346 HGB. Am 4. April 1951 entschied der IV. Zivilsenat, daß das Schweigen auf ein Preisangebot als Annahme gilt, wenn dieses Angebot aufgrund einer zuvor vereinbarten Preisklausel abgegeben worden ist.106 Seitdem sind bis zum Ende des Jahrhunderts zu § 346 HGB allein 94 veröffentlichte Entscheidungen des BGH ergangen.107 Dabei spielt auch das vom Reichsgericht bereits vielfach behandelte Thema, unter welchen Umständen im Handelsverkehr Schweigen Zustimmung bzw. Annahme bedeutet,108 eine Rolle.109 § 346 HGB transformiert tatsächliche Verhaltensweisen und Anschauungen im Handelsverkehr, die als Handelsbrauch qualifiziert werden können, in Auslegungsregeln und Rechtsfolgenbestimmungen.110 Für beide Funktionen des Handelsbrauchs, die eng beieinander liegen, liefert die Rechtsprechung des BGH Beispiele. Zum ersten Aspekt sei die Selbstbelieferungsklausel genannt, zum zweiten die sog. Tegernseer Gebräuche. Wird als Handelsbrauch festgestellt, daß ein Kaufmann, der sich als Verkäufer die Selbstbelieferung vorbehält, regelmäßig einen kongruenten Deckungskauf abschließt und dies auch nach Verkehrsanschauung tun soll, so folgt daraus gem. § 346 HGB die einschränkende Auslegungsregel, daß eine Selbstbeliefe- [20] rungsklausel unter Kaufleuten auf den Fall beschränkt ist, daß der Kaufmann einen kongruenten Deckungskauf abschließt. Diese Grundsätze hat der BGH in mehreren Entscheidungen seit 1957 herausgearbeitet.111 Ein Beispiel einer Rechtsfolgenbestimmung anhand von Handelsbrauch liefert eine Entscheidung von 1986 über den wirksamen Ausschluß der Delkredere-Haftung des Holzmaklers aufgrund Geltung der Tegernseer Gebräuche, die als schriftliche Fixierung von Handelsbräuchen im Holz-
BGH, Urt. v. 4.4.1951 – II ZR 52/50, BGHZ 1, 353. Gemäß einer Internet-Recherche. 108 Vgl. nur RG, Urt. v. 18.2.1919 – II 355/18, RGZ 95, 117, 120: Preisnachlässe und andere Vorteile, die nachträglich in einer Rechnung erklärt werden, können durch Schweigen angenommen werden. 109 Überblick bei Heymann/Horn, HGB, § 346 Rdn. 39 ff.; K. Schmidt, Handelsrecht, § 19 II. Zum Beispiel des kaufmännischen Bestätigungsschreibens i. F. 4. 110 Zu dieser Transformationswirkung des § 346 Heymann/Horn, HGB, § 346 Rdn. 2. 111 BGH, Urt. v. 19.3.1957 – VIII ZR 74/56, BGHZ 24, 39 betr. einschränkende Auslegung einer solchen Klausel nach der Vertragsfassung als Freizeichnung nur für den Lieferzeitpunkt; Urt. v. 6.3.1968 – VIII 221/65, BGHZ 49, 388 betr. Freiheit von der Lieferpflicht aufgrund Selbstbelieferungsklausel; Urt. v. 14.11.1984 – VIII 283/83, BGHZ 92, 396 ff., = NJW 1985, 738 f. betr. eingeschränkte Auslegung der Selbstbelieferungsklausel im o. a. Sinn auf den Fall des kongruenten Deckungskaufs; Urt. v. 22.3.1995 – VIII ZR 98/94, NJW 1995, 1959 f. = WM 1995, 1106 f. zur Kongruenz Zwischenverkaufs- und Kaufvertrag. 106 107
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handel angesehen wurden.112 Der BGH vertrat dabei freilich auch die nicht unbedenkliche Ansicht, daß eine AGB-Klausel, die einem schriftlich fixierten Handelsbrauch entspreche, einer Inhaltskontrolle nach AGB-Gesetz entzogen sei.113 Dies kann aber nur für einen Handelsbrauch gelten, dessen Übereinstimmung mit den Grundsätzen von Treu und Glauben zuvor (als Kriterium eines Handelsbrauchs) festgestellt worden ist.114 – Die schriftliche Fixierung einer Regelung in einem Vertrag ist, wie der BGH 1993 zutreffend festgestellt hat, noch kein Gegenindiz gegen das Bestehen eines entsprechenden Handelsbrauchs.115 4. Kaufmännisches Bestätigungsschreiben Die Grundsätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben sind ein Paradebeispiel für richterliche Rechtsfortbildung aus einem ursprünglichen Handelsbrauch. Ausgehend von dem Satz, daß im Handelsverkehr unter bestimmten Umständen Schweigen auch Zustimmung bzw. Vertragsannahme bedeuten kann, wurde diese Bedeutung dem Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben schon vom Reichsgericht beigelegt, und in den frühen Urteilen des BGH, z. B. im 7. Band von BGHZ, wird auf die reiche ältere Judikatur ausgiebig Bezug genommen.116 Der BGH konnte also an ein voll ausgebildetes Rechtsinstitut anknüpfen. Gleichwohl hatte er häufig Gelegenheit, sich selbst wiederum mit Einzelheiten dieses Instituts zu befassen, weil in der Praxis immer neue Abgrenzungsfragen auftauchen. Das Institut ist [21] heute also auch in der BGH-Rechtsprechung in allen Aspekten ausgebildet, ohne daß noch auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts zurückgegriffen werden müßte. Die wichtigsten Sätze über das kaufmännische Bestätigungsschreiben sind heute nicht mehr nur Handelsbrauch oder nur als ständige Rechtsprechung zu qualifizieren, sondern objektives Recht.117 Der Empfänger eines kaufmännischen Bestätigungsschreibens muß danach dem Schreiben unverzüglich widersprechen, wenn er dessen Inhalt nicht gegen sich gelten lassen will.118 Das Schweigen führt andernfalls den Vertragsschluß herbei, falls die Parteien sich zwar einig waren (oder glaubten),
BGH, Urt. v. 23.4.1986 – IVa ZR 209/84, BB 1986, 1395. Krit. Schlosser, EWiR 1986, 821 f. 114 Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 24 Rdn. 20. 115 BGH, Urt. v. 25.11.1993 – VII ZR 17/93, NJW 1994, 659 f. 116 BGH, Urt. v. 24.9.1952 – II ZR 305/51, BGHZ 7, 187, 190 ff. 117 Heymann/Horn, HGB, § 346 Rdn. 49; K. Schmidt, Handelsrecht, § 19 III 1; a. A. Baumbach/Hopt, HGB, 29. Aufl. 1995, § 346 Rdn. 15: Handelsbrauch. 118 Der Absender muß freilich ggf. Tatsache und Zeitpunkt des Zugangs beweisen; BGH, Urt. v. 18.1.1978 – IV ZR 204/75, BGHZ 70, 232. 112 113
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der perfekte Abschluß aber erst durch ein solches Schreiben herbeigeführt werden sollte. Oder das Schweigen bestätigt den bereits perfekten Vertragsschluß (Bestätigung i. e. S.). In beiden Funktionen legt das Bestätigungsschreiben, das durch Schweigen akzeptiert wird, den Inhalt des Vertrages auch dann fest, wenn es gegenüber dem zuvor Vereinbarten abändernde oder ergänzende Bestimmungen enthält. Beide Fälle sind bereits in der Rechtsprechung des Reichsgerichts anerkannt und werden vom Bundesgerichtshof nur fortgeführt.119 In der Spannbreite der möglichen Fallgestaltungen zwischen den beiden genannten Funktionen des Bestätigungsschreibens (Perfektion oder Bestätigung des Vertragsschlusses) liegt schon ein erheblicher Bedarf an Abgrenzungen zu solchen Tatbeständen, in denen das Schweigen gerade nicht als Zustimmung anerkannt werden kann. Dies gilt vor allem für die sog. Auftragsbestätigung (im Fall des noch nicht perfekten Vertragsschlusses): wenn der Empfänger einer Bestellung das Vertragsangebot nur mit Abweichungen annimmt, muß der Besteller dem nicht unverzüglich widersprechen.120 Unschädlich ist es, wenn ein echtes Bestätigungsschreiben fälschlich als Auftragsbestätigung bezeichnet wird.121 Weitere Abgrenzungsprobleme erge- [22] ben sich aus dem anerkannten Satz, daß das Schweigen auf ein Bestätigungsschreiben dessen Inhalt dann nicht verbindlich werden läßt, wenn dieser Inhalt so weit von dem zuvor von den Parteien Besprochenen abweicht, daß der Absender vernünftigerweise mit dem Einverständnis des Empfängers nicht rechnen konnte.122 Die Grundsätze über das Bestätigungsschreiben gelten auch, wenn der Bestätigende nicht Kaufmann ist, aber ähnlich wie ein Kaufmann am Geschäftsleben teilnimmt und erwarten kann, daß der Empfänger sich ihm gegenüber als Kaufmann verhält.123 Insgesamt ist das Rechtsinstitut in den wesentlichen Kriterien abgeklärt; die verbleiben-
119 RG, Urt. v. 25.2.1919 – II 254/18, RGZ 95, 48; BGH, Urt. v. 24.9.1952 – II ZR 305/51, BGHZ 7, 187, 190 ff.; Urt. v. 27.10.1953 – I ZR 111/52, BGHZ 11, 1; Urt. v. 29.9.1955 – II ZR 210/54, BGHZ 18, 212, 216; Urt. v. 3.3.1956 – IV ZR 314/55, BGHZ 20, 149; Urt. v. 26.6.1963 – VIII ZR 61/62, BGHZ 40, 42; Urt. v. 9.7.1970 – VII ZR 70/68, BGHZ 54, 236; Urt. v. 8.12.1976 – VIII ZR 108/75, BGHZ 67, 378; Urt. v. 18.1.1978 – IV ZR 204/75, BGHZ 70, 232; Urt. v. 30.1.1985 – VIII ZR 238/83, BGHZ 93, 338; Urt. v. 31.1.1994 – II ZR 83/93, NJW 1994, 1288. 120 BGH, Urt. v. 29.9.1955 – II ZR 210/54, BGHZ 18, 212. Anders, wenn ein mündliches Angebot schon schriftlich angenommen ist: hier kann der Anbieter noch ein Bestätigungsschreiben schicken; Urt. v. 9.7.1970 – VII ZR 70/68, BGHZ 54, 236. 121 BGH, Urt. v. 9.7.1970 – VII ZR 70/68, BGHZ 54, 236, 239; Urt. v. 27.9.1989 – VIII ZR 245/88, NJW 1990, 386. 122 BGH, Urt. v. 24.9.1952 – II ZR 305/51, BGHZ 7, 187, 190; Urt. v. 27.10.1953 – I ZR 111/52, BGHZ 11, 1, 4; Urt. v. 26.6.1963 – VIII ZR 61/62, BGHZ 40, 42, 46; Urt. v. 9.7.1970 – VII ZR 70/68, BGHZ 54, 236, 242; Urt. v. 30.1.1985 – VIII ZR 238/83, BGHZ 93, 338, 343; Urt. v. 31.1.1994 – II ZR 83/93, NJW 1994, 1288. 123 Urt. v. 26.6.1963 – VIII ZR 61/62, BGHZ 40, 42.
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den angedeuteten Abgrenzungsprobleme rechtfertigen keine grundsätzliche Kritik,124 weil die damit verbundenen Unschärfen nicht über das hinausgehen, was auch bei gesetzlich normierten Tatbeständen zum juristischen Alltag gehört. 5. Kaufmännische Sorgfaltspflichten § 347 HGB normiert einen besonderen Sorgfaltsmaßstab für den Kaufmann zur Konkretisierung der Haftungsvoraussetzung fahrlässiger Pflichtverletzung im Zusammenhang mit Handelsgeschäften. Der Gesetzgeber ging davon aus, daß der Handelsverkehr häufig eine gegenüber dem allgemeinen Verkehr gesteigerte Sorgfalt hat; so schon das Reichsgericht125 und ihm folgend der Bundesgerichtshof.126 Der Kaufmann muß den Sorgfaltspflichten seiner Branche genügen; eine Differenzierung nach den verschiedenen Geschäftsfeldern war daher schon im HGB angelegt127 und ist ein Leitgedanke in der Rechtsprechung des BGH.128 Die Rechtsprechung zu den Sorgfaltspflichten der Kaufleute bestimmter Branchen hat geradezu zur Ausbildung neuer Rechtsgebiete geführt. Dies gilt etwa für das Bankrecht. Hier wurden nicht nur für die verschiedenen Bankgeschäfte unzählige Detailfragen der Sorgfaltspflichten geklärt, sondern es wurden zugleich ganze Rechtsinstitute neu entwickelt. Dies gilt insbesondere für die Auskunfts-, Aufklärungs- und Beratungspflich- [23] ten der Banken.129 Der XI. Zivilsenat hat etwa im Bond-Urteil von 1993 grundlegende Ausführungen über die Beratungspflichten der Banken bei Wertpapieranlagen (außerhalb von Vermögensverwaltungs- und Depotverträgen) gemacht;130 sie haben den Gesetzgeber des Wertpapierhandelsgesetzes angeregt und sind heute Grundlage der Beratungshaftung der Banken. Mit diesem knappen Hinweis muß es hier sein Bewenden haben. Denn aus dem allgemeinen Recht der Handelsgeschäfte und der hier geltenden Sorgfaltspflichten ist als Ergebnis einer breiten Rechtsprechung längst das besondere Handelsrecht der Bankgeschäfte geworden, das heute Gegenstand einer eigenständigen Literatur ist und auch in diesem Werk gesondert behandelt wird.
Krit. wegen der Unschärfe der Tatbestände K. Schmidt, Handelsrecht, § 19 III 3. RG, Urt. v. 24.11.1922 – III 79/22, RGZ 105, 389; Urt. v. 7.12.1929 – I 192/29, RGZ 126, 329, 331. 126 BGH, Urt. v. 6.3.1956 – I ZR 154/54, BGHZ 20, 164, 169 betr. Spediteur; Urt. v. 8.6.1978 – III ZR 136/76, BGHZ 72, 92, 103 betr. Aufklärungspflicht der Bank. 127 Vgl. §429 a. F. HGB. 128 Vgl. vorige Fn. 129 Überblick u. a. bei Horn, ZBB 1997, 139 ff.; Nobbe, in: Horn/Schimansky, Bankrecht 1998, 1998, S. 235 ff.; Horn/Balzer, WM 2000, 333, 335 ff. 130 BGH, Urt. v. 6.7.1993 – XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126, 128 = ZBB 1994, 44 = ZIP 1993, 1148; dazu Heinsius, ZBB 1994, 47. 124 125
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6. Geschäftsverbindung und Kontokorrent Die bestehende Geschäftsverbindung ist schon nach § 362 Abs. 1 S. 1 HGB Tatbestandsvoraussetzung für die Bedeutung des Schweigens als Vertragsannahme. Schon das Reichsgericht sah die bestehende Geschäftsverbindung ferner als Grundlage eines besonderen Vertrauensverhältnisses und daraus entspringender Sorgfaltspflichten an, deren Verletzung eine Schadensersatzpflicht auslösen kann.131 Der Bundesgerichtshof hat die Geschäftsverbindung in verschiedenen Zusammenhängen als rechtlich relevant behandelt, z. B. daß Gesellschafter einer früheren OHG ihre alten Geschäftspartner darauf hinweisen müssen, daß sie ihre Gesellschaftsform geändert und ihre Haftung beschränkt haben, widrigenfalls sie unverändert persönlich haften und sich nicht auf § 15 Abs. 1 HGB berufen können.132 Ferner hat der BGH aus der Geschäftsverbindung und den hier entwickelten Gepflogenheiten Anhaltspunkte für die Auslegung und Ergänzung der Verträge, die zwischen den Partnern im Rahmen dieser Verbindung geschlossen werden, gewonnen.133 Die Verletzung der dabei festgestellten Pflichten kann zur Vertragshaftung führen.134 In der Literatur ist eine intensive Diskussion um die dogmatische Einordnung der Geschäftsverbindung und der damit zusammenhängenden Haftungsfragen geführt worden, an der sich der BGH aus guten Gründen nicht oder nur andeutungsweise beteiligt hat.135 [24] Ein besonderes Rechtsinstitut der laufenden Geschäftsverbindung ist das in §§ 355–357 HGB unvollkommen geregelte Kontokorrent, das der Vereinfachung, Einheitlichkeit und Sicherung der anfallenden Zahlungsvorgänge durch Verrechnung dient. Es hat im heutigen Wirtschaftsleben im Bankkontokorrent der Girokonten eine überragende Bedeutung. Der BGH hat immer wieder zu einzelnen Fragen des Bankkontokorrents Stellung genommen; dies kann nicht in allen Einzelheiten nachgezeichnet werden.136 Nur zwei Fragen seien hier herausgegriffen: die Bedeutung des Tagessaldos und des Periodensaldos. In beiden Fragen haben sich bemerkenswerterweise deutliche und langjährige Diskrepanzen zwischen der Lehre und der Rechtsprechung des BGH ergeben. Aus der Sicht der überwiegenden Literatur ist es kurz gesagt so, daß der BGH dem Tagessaldo eine zu geringe Bedeutung beimißt, dem RG, Urt. v. 23.11.1928 – II 166/28, RGZ 122, 351, 355. BGH, Urt. v. 8.5.1972 – II ZR 170/69, NJW 1972, 1418. 133 BGH, Urt. v. 8.4.1957 – III ZR 251/55, NJW 1957, 1105. 134 BGH, Urt. v. 31.5.1989 – VIII ZR 140/88, BGHZ 107, 331: Pflicht zum Hinweis auf die geänderte Beschaffenheit der schon früher häufig im Rahmen der Geschäftsverbindung gelieferten Ware. 135 So wird in BGHZ 107, 331 (s. Fn. 134) pos. Vertragsverletzung angenommen; K. Schmidt, Handelsrecht, § 20 II 2 a, will im Anschluß an Canaris die Geschäftsverbindung als einheitliches Schutzpflichtverhältnis deuten, sieht aber bezeichnenderweise „keinen wirklichen Gegensatz“ zur Meinung des BGH, aaO. 136 Überblick bei Heymann/Horn, HGB, § 355 Rdn. 29 ff. 131 132
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Periodensaldo eine zu große. Einigkeit besteht darüber, daß der Tagessaldo nicht Gegenstand eines besonderen Anerkenntnisses sein kann, da für das Bankkontokorrent üblicherweise ein Periodensaldo vereinbart ist. Aber es ist wenig überzeugend, wenn der BGH den Tagessaldo als bloßes buchungstechnisches Informationsmaterial charakterisiert.137 Das entspricht nicht seiner großen praktischen Bedeutung und der Vorstellung der Parteien. Der Tagessaldo ist maßgeblich für die Zinsberechnung138 und der Kunde kann über ihn durch Abhebung oder bargeldlose Zahlung verfügen. Der Tagessaldo ist pfändbar.139 Er ist selbst das Ergebnis einer laufenden Verrechnung, aus der ein „kausaler Saldo“ hervorgeht.140 Der Periodensaldo ist dagegen nach BGH und ü. M. Gegenstand eines abstrakten Schuldanerkenntnisses i. S. des § 781 BGB.141 Der BGH will aber weitergehend dem Saldoanerkenntnis novierende Wirkung zusprechen,142 wobei er dem Reichsgericht folgt.143 Die heute überwiegende Literaturmeinung hält aber mit guten Gründen wenig von der Vor- [25] stellung, daß das neue Schuldanerkenntnis novierend wirkt, also den zuvor bestehenden kausalen Saldo vernichtet.144 Ob die Kontroverse deshalb so dauerhaft ist, weil sie bisher noch niemandem ernstlich geschadet hat? 7. Die Internationalität des Handelsrechts Im Handelsrecht steckt seit jeher ein internationales Element. Solange im Handel auch Fernhandel mitwirkt, besteht die Notwendigkeit, sich auf fremde Rechtsvorstellungen einzulassen und möglichst gemeinsam akzeptierte Geschäftsformen auszubilden.145 Im HGB ist dieses Element traditionell im Seehandelsrecht und allgemein im Transportrecht präsent. Aber diese Internationalität hat seit 1950 eine neue Qualität wegen der Intensivierung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen erfahren, und auf die Rechtspre137 BGH, Urt. v 29.1.1979 – II ZR 148/77, BGHZ 73, 207, 209; Urt. v. 24.6.1985 – II ZR 277/84, BGHZ 95, 103, 108 = NJW 1985, 2326, 2327. 138 BGH, Urt. v 29.1.1979 – II ZR 148/77, BGHZ 73, 207, 209. 139 BGH, Urt. v. 13.3.1981 – I ZR 5/79, BGHZ 80, 172, 175 f.; Urt. v. 30.6.1982 – VIII ZR 129/81, BGHZ 84, 325, 327; Urt. v. 8.7.1982 – I ZR 148/80, BGHZ 84, 371, 375 f.; Urt. v. 24.1.1985 – IX ZR 65/84, BGHZ 93, 315, 320 f. 140 Heymann/Horn, HGB, § 355 Rdn. 21 und 31; Canaris, HGB, 3. Aufl. 1978, § 355 Anm. 64; K. Schmidt, Handelsrecht, § 21 IV 1. 141 BGH, Urt. v. 2.1.1967 – II ZR 46/65, BGHZ 49, 24, 27; Urt. v. 9.12.1971 – III ZR 58/69, WM 1972, 283, 285; Urt. v. 21.12.1981 – II ZR 270/79, WM 1982, 291, 292. 142 Urt. v. 28.11.1957 – VII ZR 42/57, BGHZ 26, 142, 150; Urt. v. 28.6.1968 – I ZR 156/66, BGHZ 50, 277, 279; Urt. v. 8.3.1972 – VIII ZR 40/71, BGHZ 58, 257, 260. 143 RG, Urt. v. 17.6.1913 – II 584/12, RGZ 82, 400, 404; Urt. v. 7.1.1916 – II 386/15, RGZ 87, 434, 437; Urt. v. 25.3.1931 – I 300/30, RGZ 132, 218, 221. 144 Canaris, HGB, § 355 Rdn. 88 ff.; Blaurock NJW 1971, 2206, 2208; Heymann/Horn, HGB, § 355 Rdn. 27. 145 Vgl. den historischen Abriß bei Heymann/Horn, HGB, Einl. VI vor § 1.
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chung kamen entsprechende Aufgaben zu. Sie seien hier anhand der Stichworte (a) Handelsbrauch, (b) AGB, (c) internationale Vertragstypen und (d) internationales Einheitsrecht präzisiert. a) Handelsbrauch Die nach 1950 schrittweise wiedergewonnene Rolle Deutschlands als führendes Export- und Importland brachte es mit sich, daß sich der BGH häufiger auch mit internationalem Handelsbrauch beschäftigen mußte. Die Klausel „Kasse gegen Dokumente bei Ankunft des Dampfers“ berechtigt den Käufer nicht, die Ware vor Zahlung des Kaufpreises zu untersuchen; denn der entsprechende Handelsbrauch soll gerade die Gewähr dafür geben, daß der Käufer ohne weiteres zahlt.146 In der vereinbarten Gestellung eines unwiderruflichen Dokumentenakkreditivs liegt ein stillschweigender Aufrechnungsausschluß; dieser bleibt auch bei Verfall des Akkreditivs zumindest dann bestehen, wenn die Gründe dafür überwiegend im Verantwortungsbereich des Käufers liegen.147 Die Vereinbarung der Verschiffungszeit in einem überseeischen Abladegeschäft kann u. U. Fixgeschäft bedeuten.148 Handelsbrauch kann zu einer stillschweigenden Schiedsvereinbarung für branchentypische Geschäfte führen.149 [26] b) Internationale AGB Vom internationalem Handelsbrauch zu unterscheiden sind international gebräuchliche AGB. Sie unterliegen der Inhaltskontrolle wie andere AGB; der Schutz des Kunden hat insoweit Vorrang vor einer international einheitlichen Auslegung und Anwendung, wie der BGH 1983 im Hinblick auf Allgemeine Flugbeförderungsbedingungen feststellte. Der Umstand, daß die Bedingungen z. T. den Empfehlungen der IATA entsprachen, z. T. dem Warschauer Abkommen, hindere die Inhaltskontrolle nicht.150 Solche Kritik bleibt auf die Dauer nicht ohne Wirkung. 1995 hat die IATA bestimmte Haftungsbeschränkungen abgeschafft.151 Im Seefrachtrecht sind schon nach HGB weitgehende Freizeichnungen möglich, so z. B. für Charterparties gem. § 663 Abs. 2 S. 4; dies entspricht internationalem Recht (Haager Regeln von 1924; jetzt Hamburger Regeln). Mit Recht hat der BGH diese durch inter BGH, Urt. v. 23.3.1994 – VIII ZR 287/62, BGHZ 41, 215, 221; Urt. v. 21.1.1987 – VIII ZR 26/86, DB 1987, 882, 883 ebenso zu „cash against documents“. 147 BGH, Urt. v. 21.3.1973 – VIII ZR 228/71, BGHZ 60, 262. 148 BGH, Urt. v. 12.12.1990 – VIII ZR 332/89, WM 1991, 464, 466. 149 BGH, Urt. v. 3.12.1992 – III ZR 30/91, NJW 1993, 1798 betr. internat. Fellhandel. 150 BGH, Urt. v. 20.1.1983 – VII ZR 105/81, BGHZ 86, 284, 288. 151 IATA Intercarrier Agreement on Passenger Liability v. 31.10.1995; Text bei Ruhwedel, Luftbeförderungsvertrag, 3. Aufl. 1998, S. 88; vgl. auch Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, § 23 Rdn. 206. 146
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nationale Regeln gesetzlich normierte Freizeichnungsmöglichkeit durch die unabdingbare Kardinalpflicht begrenzt, ein anfänglich see- und ladetüchtiges Schiff zu stellen.152 c) Internationale Vertragstypen Das Vertragsrecht des internationalen Wirtschaftsverkehrs ist häufig von der angelsächsisch geprägten internationalen Kautelarpraxis beeinflußt, und der BGH mußte sich bisweilen mit fremdartigen Vertragskonzepten befassen. Häufiger werden solche Verträge freilich von Schiedsgerichten beurteilt, so daß es an Judikatur des BGH fehlt. 1981 war die Frage zu entscheiden, ob ein Managementvertrag einer internationalen Hotelkette mit der Eigentümer-Personengesellschaft nach §§ 134, 138 BGB nichtig sei, weil er den Grundsatz der Selbstorganschaft aushöhle. Der II. Zivilsenat hat dies mit Recht verneint und damit einer international üblichen Vertragsgestaltung zur Anerkennung verholfen.153 Mehrfach hat der BGH zu Fragen der internationalen Bankgarantie Stellung genommen. Es handelt sich dabei um einen heute weltweit ziemlich einheitlich verwendeten Vertragstyp mit einigen typischen Verpflichtungsvarianten, von denen die Zahlungsverpflichtung auf erstes Anfordern am [27] bekanntesten ist.154 Allerdings war für den BGH der dogmatische Zugang zu diesem Institut leicht, weil der Garantievertrag zwar nicht kodifiziert, aber der deutschen Zivilrechtsdogmatik vertraut ist und die hier vertretene nicht akzessorische, strenge Haftung dem internationalen Verpflichtungstyp entspricht. Der BGH konnte, obwohl viele Rechtsfragen im Eilverfahren entschieden werden und daher den BGH nicht erreichen, mehrfach sowohl zur strengen Verpflichtung des Garanten Stellung nehmen155 als auch zu den engen Voraussetzungen einer Abwehr des Garantieanspruchs wegen Rechtsmißbrauchs.156 Beides, das Konzept der strengen Verpflichtungsform wie auch die Anerkennung der ausnahmsweisen Einwendung des Rechtsmißbrauchs, haben in die UN-Konvention über unabhängige Garantien von 1995 Eingang gefunden.157 Die Konvention ist allerdings von Deutschland noch nicht ratifiziert. Man hört, daß die Bankwirtschaft Befürchtungen 152 BGH, Urt. v. 29.1.1968 – II ZR 18/65, BGHZ 49, 356, 363; Urt. v. 20.3.1978 – ZR 19/76, BGHZ 71, 167, 171; Urt. v. 28.2.1983 – II ZR 31/82, VersR 1983, 549, 551. 153 BGH, Urt. v. 5.10.1981 – II ZR 203/80, NJW 1982, 1817; vgl. auch Schlüter, Management- und Consulting-Verträge, 1987. 154 Horn/Wymeersch, Bank Guarantees, Standby Letters of Credit and Performance Bonds in International Trade, 1990. 155 BGH, Urt. v. 12.3.1984 – II ZR 198/82, BGHZ 90, 287; Urt. v. 23.1.1996 – XI ZR 105/95, ZIP 1996, 454; Urt. v. 12.3.1996 – XI ZR 108/95, ZIP 1996, 784. 156 BGH, Urt. v. 12.3.1984 – II ZR 198/82, BGHZ 90, 287, 292; Urt. v. 29.9.1986 – II ZR 220/85, WM 1986, 1429, 1430. 157 Horn, RIW 1997, 717 ff.
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wegen einer Abschwächung des Verpflichtungstyps habe. Dies ist unbegründet und man kann nur hoffen, daß der BGH nochmals Gelegenheit erhält, seine Rechtsprechung fortzusetzen und damit die Einsicht zu fördern, daß auch die befürchteten Regeln bereits ständige Rechtsprechung sind, mit der sich leben läßt. d) Einheitsrecht Die Internationalität des Handelsrechts zeigt sich schließlich darin, daß auch international einheitliches materielles Recht besteht und von deutschen Gerichten zu beachten ist. Paradebeispiel ist die UN-Konvention über den internationalen Warenkauf von 1980, die seit 1991 in Deutschland als Teil der deutschen Rechtsordnung gilt.158 Schon vor 1991 hat der BGH die UN-Konvention als Auslegungshilfe bei offenen Fragen des (Haager) Einheitlichen Kaufgesetzes herangezogen, weil er sie als Ausdruck international anerkannter Rechtsanschauungen betrachtete.159 Inzwischen liegen allein 10 veröffentlichte Entscheidungen des BGH zum UN-Kaufrecht vor.160 Die inhaltliche Erörterung dieser Judikatur würde den Rahmen dieses Überblicks überschreiten. Nur sei angemerkt, daß die deutschen Gerichte weitaus weniger Berührungsängste mit dem neuen Recht zu haben scheinen als die Gerichte [28] anderer Vertragsstaaten und daß die deutsche Rechtsprechung daher einen wichtigen Beitrag zur praktischen Entfaltung dieses internationalen Gesetzeswerkes leistet.
III. Schlußbemerkung Die vorstehenden Betrachtungen mußten notwendigerweise selektiv bleiben. Nur so war es möglich, einige Charakteristika der ersten 50 Jahre BGH-Rechtsprechung zum allgemeinen Handelsrecht zu beleuchten: den oft schwierigen Umgang der Richter mit einer alten, aber in wichtigen Teilstücken immer wieder durch den Gesetzgeber erneuerten Kodifikation, die gestaltende richterliche Arbeit in den normarmen Bereichen und den allmählichen, bisweilen in der Realität des Wirtschaftslebens stürmischen Wandel vom Recht des Kaufmannsstandes aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Recht des modernen kaufmännischen Unternehmens im 21. Jahrhundert.
Gesetz v. 5.7.1989, BGBl. 1989 II, S. 586. BGH, Urt. v. 2.6.1982 – VIII ZR 43/81, IPrax 1983, 228, 229 = RIW 1982, 594. 160 Dokumentationsstelle des Rechtszentrums für europäische und internationale Zusammenarbeit (R. I. Z.), Köln. 158 159
I. Deutsches Zivil- und Wirtschaftsrecht 2. Einzelfragen
Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht* ZGR 2/1974, 133–178 Inhaltsübersicht I. Einleitung 1. Sozialpolitische Diskussion und freiwillige Unternehmensbeteiligung 2. Zur Aufgabe II. Der Begriff der Beteiligung am Unternehmen 1. Der Begriff der Unternehmensbeteiligung und seine Bestimmung durch das Gesellschaftsrecht 2. Gläubigerstellungen als Beteiligung i. w. S. 3. Mögliche Beteiligungsformen für Arbeitnehmer. Begriff der Partnerschaft III. Überblick über die Beteiligungssysteme der Praxis 1. Reine Gewinnbeteiligung (Ergebnisbeteiligung) 2. Investitionsangebote 3. Kombination von Gewinnbeteiligung und Reinvestition: dynamische Beteiligungsmodelle IV. Die Stellung des beteiligten Arbeitnehmers 1. Grundsätzliche Rechtsstellung 2. Beteiligungsgesellschaften und mittelbare Mitinhaberschaft 3. Die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte 4. Mitbestimmungs- und Verwaltungsrechte; Kollektivorgane V. Auswirkungen auf die wirtschaftliche und rechtliche Situation der Unternehmen 1. Wirtschaftliche Auswirkungen 2. Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen und Auswirkungen VI. Gesamtbeurteilung 1. Zur Problematik der Umverteilung 2. Möglichkeiten und Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Gestaltung der Beteiligung [134]
* Erweiterter und um Fußnoten ergänzter Text eines Vortrages vor der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld am 8.3.1973.
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Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht
I. Einleitung 1. Sozialpolitische Diskussion und freiwillige Unternehmensbeteiligung Die für 1974 geplante Gesetzgebung über Vermögensbildung und Unternehmensmitbestimmung der Arbeitnehmer1 ist jüngstes Resultat der seit Jahren mit wachsender Intensität geführten gesellschaftspolitischen Diskussion über die Vermögensbildung der Arbeitnehmer, ihre Teilhabe am Produktivvermögen und ihren Einfluß auf die Unternehmensleitung, letztlich um die allgemeinen Zielvorstellungen einer breiteren Eigentumsstreuung und der Einschränkung wirtschaftlicher Macht, die mit Eigentum am Produktivvermögen verbunden sein kann. – Diese Diskussion hat bereits früher kleinere Schritte des Gesetzgebers ausgelöst2; weitergehende Pläne wurden von allen Parteien, von Gewerkschaften und Arbeitgebern präsentiert3. Wirtschaftswissenschaftliche Arbeiten haben die vermögens- und verteilungspolitische Problematik präzisiert4. Gegenüber dem Konzept globaler gesetzlicher Regelungen sind die Bemühungen in den Hintergrund getreten, durch individuelle Initiativen eine [135] „Partnerschaft“ der Arbeitnehmer auf Unternehmensebene zu fördern5. 1 Entsprechende Beschlüsse der Koalitionsparteien der Bundesregierung wurden am 19./20.1.1974 gefaßt. Vgl. zur Vorgeschichte u. a.: Vier-Staatssekretäre-Papiere zur sozial gerechteren Vermögensbildung und Sparförderung der Erwerbstätigen vom Oktober 1970, abgedruckt z. B. in: Das Mitbestimmungsgespräch 1971/2–3 S. 53 f. Die erste Regierung Brandt faßte am 11.6.1971 einen Kabinettsbeschluß über die Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Vermögensbildung; vgl. Bulletin, Presse- und Informationsdienst der Bundesregierung Nr. 89 v. 15.6.1971, 942. Der Referentenentwurf des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung wurde in der betr. Legislaturperiode nicht veröffentlicht. In der Regierungserklärung v. 18.1.1973 wurden die vermögenspolitischen Grundsätze wiederholt (Bulletin v. 19.1.1973, S. 45). 2 Zuletzt 3. VermögensbildungsG v. 27.6.1970, BGBl. I, 930; BetrVG v. 15.1.1972, BGBl. I, 13; SparförderungsG, jetzt i. d. F. v. 23.8.1972 (BGBl. I S. 1539). 3 Überblicke bei: Günter Apel/Roland Issen, Miteigentum. Probleme und Lösungen, München 1970, S. 133 ff; Michael Bitz, Pläne und Maßnahmen zur Vermögensbildung, Köln 1971; Wilfried Höhnen, Vermögenspolitik: Methoden und Pläne, WSI-Mitteilungen 1972, 23 (26) = in: Das Mitbestimmungsgespräch 1971/2–3, S. 27 ff; Uwe Liebig, Vermögensbildung. Synopse, in: Der Arbeitgeber 1972, 204 (205). Vgl. ferner W. Engels, Arbeitspartizipation, in: Die Aussprache 1971, Heft 5/6. 4 W. Krelle/J. Schunk/J. Siebke: Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer, 2 Bde. Tübingen 1968; H. Willgerodt/K. Bartel/U. Schillert: Vermögen für alle. Probleme der Bildung, Verteilung und Werterhaltung des Vermögens in der Marktwirtschaft, Düsseldorf-Wien 1971; krit. zum letzteren Werk Wilfried Höhnen, Ideologie und Vermögensanalyse, WSI-Mitteilungen 1972, 100–108; Entgegnung der Autoren dort S. 246–253. – Vgl. auch N. 3. 5 Dem Informationsaustausch und der Beratung dient die „Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Partnerschaft in der Wirtschaft e. V.“ in Köln (AGP). Sie gibt „AGP-Mitteilungen“ und „AGP-Veröffentlichungen“ heraus. In § 3 ihrer Satzung ist Partnerschaft recht weit definiert als „jede durch eine Vereinbarung zwischen Unternehmensleitung und
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Aufsehen erregte im Herbst 1972 das Modell Porst, einmal wegen seines weitreichenden Versuchs einer Umgestaltung der Stellung der Arbeitnehmer, zum andern auch deshalb, weil die gesellschaftspolitische Diskussion damals im Bundestagswahlkampf 1972 einen Höhepunkt erreichte. Bereits lange vor Porst und auch seitdem haben zahlreiche Unternehmen Modelle einer finanziellen Beteiligung ihrer Arbeitnehmer auf Unternehmensebene eingeführt, die z. T. durch Mitbestimmungsmodelle ergänzt werden6. Anfang der fünfziger Jahre propagierte der Unternehmer G. Spindler ein Modell des ‚Partnerschaftsbetriebes‘ mit ‚Mitunternehmerverträgen‘ der Arbeitnehmer, das von zahlreichen kleineren Unternehmen übernommen wurde7, und die Duisburger Kupferhütte führte ein Ergebnislohnsystem mit Mitbestimmungs- [136] rechten der Arbeitnehmer ein8. Starke Beachtung vor allem wegen seiner für die Mitarbeiter ungewöhnlich günstigen Beteiligungsergebnisse fand das 1958 eingeführte, inzwischen abgewandelte Ahrensburger Modell der Metallwarenfabrik Behrens9. In jüngerer Zeit wurden das Modell der Firmengruppe
Mitarbeitern festgelegte Form der Zusammenarbeit, die außer einer ständigen Pflege der zwischenmenschlichen Beziehungen eine Mitwirkung und Mitverantwortung sowie eine materielle Beteiligung am Betriebserfolg zum Inhalt hat“. – Vgl. auch Guido Fischer, Partnerschaft im Betrieb, Heidelberg 1955. 6 Bisher umfassendste Darstellung des neueren empirischen Materials bei Hansgünter Guski, Ausgewählte Modelle betrieblicher Vermögensbeteiligung I, in: Berichte des Deutschen Industrie-Instituts zur Sozialpolitik 4/1970 Nr. 15; II in: Berichte aaO 5/1971 Nr. 9; III in: Berichte aaO 6/1972 Nr. 10. – Vgl. ferner: J. Siebke, Gewinnbeteiligung, in: Management Enzyklopädie III, 1970, S. 225 ff; Michael Jungblut, Wie Arbeitnehmer am Gewinn beteiligt werden, in: Die Zeit 1972, Nr. 2, 7, 9, 11, 14, 16, 18, 23, 38, 39, 43; in Buchform: Nicht vom Lohn allein, Elf Modelle für Mitbestimmung und Gewinnbeteiligung, 1973; Christine Vosfeld, Konkrete Formen der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, in: Ist eine gerechte Einkommensverteilung möglich? ed. Klaus Bolz, München 1972, S. 97–121. Weitere Einzelnachweise i. F. – Außerdem wurden i. F. zahlreiche direkte Auskünfte der betr. Unternehmen verwertet, für die ich auch an dieser Stelle danken möchte. – Zur älteren Beteiligungspraxis vgl. F. Spiegelhalter, Aus der Praxis der Erfolgsbeteiligung, in: Der Arbeitgeber 1957, 311 ff, 352 ff, 377 ff, 413 ff, 457 ff; ders., Ergebnisbeteiligung und Vermögensbildung, Essen 1962; Trabalski, Zur Frage der Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapital der Unternehmungen, WWI-Mitteilungen 1956, S. 120 ff; ders., Die bisher entwickelten Formen der Gewinnbeteiligung, WWI-Mitteilungen 1957, 68 ff. 7 Bedingungen des Spindlermodells abgedruckt in BB 1951, 138 f; krit. Debatin, BB 1951, 451; dagegen Spindler, BB 1951, 587; vgl. ferner: Gert P. Spindler, Mitunternehmertum, Lüneburg 1951; Reinhardt (N. 23), S. B 17 ff; Siebke aaO (N. 6), S. 232; zum begrenzten wirtschaftlichen Effekt Guski I (N. 6), S. 10. 8 Ernst Kuss, Mitbestimmung und gerechter Lohn als Elemente einer Neuordnung der Wirtschaft, Duisburg 1950, S. 12; Reinhardt (N. 23), S. B 23 f; Siebke aaO (N. 6), S. 232. 9 Gesellschaftsvertrag v. 21.3.1958 i. d. F. v. 13.12.1969; mit Vorspruch gedruckt zugän glich; ebenso Vertrag v. 1.1.1972 der Firma Esco Metallwaren Martin Hühnken, die das Modell übernommen hat. Allg. zum Ahrensburger Modell Guski I (N. 6), S. 14 ff, 60 ff.
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Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht
Hettlage10, die Vermögensbildungsmaßnahmen der Rosenthal AG11 und die Partnerschaftsverträge der Arbeitnehmer der Weinhandlung F. Pieroth GmbH12 in der Öffentlichkeit beachtet. Verschiedene, im Ergebnis aber oft ähnliche Systeme der Unternehmensbeteiligung und Vermögensbildung der Arbeitnehmer wurden von zahlreichen mittleren und kleinen Unternehmen eingeführt und z. T. in der Presse vorgestellt13. – Großunternehmen wählen seit langem den bekannten Weg der gelegentlichen oder regelmäßigen Ausgabe von Belegschaftsaktien und -obligationen, so z. B. Siemens, Bayer, Farbwerke Höchst, Commerzbank, Philips14; andere blieben untätig15. Als eines der ersten größeren Unternehmen gab die Bertelsmann Unternehmens- [137] gruppe in Gütersloh 1971 die Einführung eines kontinuierlichen Beteiligungssystems für alle Arbeitnehmer bekannt16. 2. Zur Aufgabe Die verschiedenen Beteiligungsmodelle wurden von ihren eigenen Urhebern sehr unterschiedlich interpretiert, so von Hannsheinz Porst als Überwindung des Unternehmerstatus17, von der Mehrzahl der Unternehmer als
10 Guski I (N. 6), S. 9; Eduard Gaugler/Horst Kuchinka, Mitarbeiterbeteiligung und Steuerrecht (AGP-Veröffentlichungen 2/11), Köln 1972, S. 45. 11 Vermögensreform. Ein Bericht über die Arbeitnehmervermögensbildung bei der Rosenthal AG. Mit Beiträgen von Georg Leber, Franz-Heinrich Ulrich und Philip Rosen thal, hrsg. v. Rosenthal AG Selb, 1970; s. auch Guski I, S. 18 f; Barth, Betrieb 1971, 644. Das Modell wurde 1972 modifizert (Pressemittlg. v. 4.12.72). 12 Zum Pieroth-Modell u. a. Siebke aaO (N. 6); Guski aaO (N. 6) I, S. 5 f; Der Volkswirt 1970 Nr. 18; Jungblut in: Die Zeit 1972 Nr. 23 S. 32; ausführlich Kurt Falthauser, Miteigentum – Das Pieroth-Modell in der Praxis, Düsseldorf 1971. Kritisch dazu: Capital 1971 Nr. 3 S. 21 ff („Vermögensbildner Pieroth“); Barth, Betrieb 1971, 739; Höhnen, Mitbestimmungsgespräch 1971/2–3, S. 29. 13 Vgl. dazu die Berichte von Guski und Jungblut (N. 6). 14 Zu den vier erstgenannten Unternehmen Guski II, S. 6–10; zur Commerzbank Guski III, S. 6; zu Philips AGP-Mitteilungen (vgl. N. 5) 1971 Nr. 163 S. 3–8. Zahlreiche weitere Beispiele zur Ausgabe von Belegschaftsaktien bei Max Wehrli, Mitbeteiligung der Arbeitnehmer durch Belegschaftsaktien, Zürich 1969, S. 98 ff. Statistische Angaben bei Hans Eichele, Forschungsbericht über Belegschaftsaktien, München 1971, S. 56 ff. 15 Als beliebiges Beispiel sei AEG genannt. – Diese Zurückhaltung wurde auch in Arbeitgeberkreisen kritisiert, z. B. von Tacke (Siemens AG); vgl. Interview mit Bundes wirtschafts- und Finanzminister Schmidt u. a. in: Die Zeit 1972 Nr. 44, S. 17 ff (20). 16 Guski I, S. 12 f; Jungblut aaO (N. 6), S. 55 ff, 197 ff; Bertelsmann Gewinnbeteiligung und Vermögensbildung (Erläuterungen für die Mitarbeiter) o. J. 17 Vgl. zur Rede von Hannsheinz Porst bei der Einführung des Modells in einer Versammlung aller Mitarbeiter der Unternehmensgruppe, in der er die „Übergabe“ seiner Unternehmen an die Mitarbeiter bekanntgab und sich unter Beifall „als Arbeitgeber von seiner Belegschaft verabschiedete und sich zugleich wärmstens als ihr künftiger Mitarbeiter empfahl“, Frankfurter Allgemeine v. 9.10.72, S. 15, ferner die Informationsbroschüren der Unternehmensgruppe über das ‚Mitarbeiter-Unternehmen‘.
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fortschrittliches Unternehmerverhalten im Sinn der Partnerschaft18. In der Öffentlichkeit wurden sie teils als praktischer sozialpolitischer Fortschritt oder auch als Anregung für den Gesetzgeber begrüßt, teils als Ablenkungsmanöver der Unternehmer gedeutet oder deshalb abgelehnt, weil sie schlecht zum Konzept überbetrieblicher gesetzlicher Regelungen passen19. Die rechts wissenschaftliche Diskussion konzentrierte sich auf die Mitbestimmungsfrage, wobei auch freiwillige Mitbestimmungsmodelle erörtert wurden20. Die finanziellen und vermögenspolitischen Aspekte des Problemkreises dagegen wurden in jüngerer Zeit – seit der Debatte der sechziger Jahre um Volkskapitalismus und Belegschaftsaktien im Zusammenhang mit der Aktienrechtsreform 196521 – weniger beachtet22. Eine grundsätzliche rechtswissen- [138] schaftliche Behandlung erfuhren sie zuletzt in den Verhandlungen des 39. Deutschen Juristentages, insbesondere durch Reinhardt, sowie im Bericht der damals eingesetzten Studienkommission über ‚Die Partnerschaft der Arbeitnehmer‘23. Die empirische Basis dieser Stellungnahmen ist relativ schmal und heute veraltet; die Thesen der Kommission ‚für eine gesetzliche Regelung der Unternehmensbeteiligung der Arbeitnehmer‘ wurden vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen. Die damals entwickelten Kategorien und Vorschläge sind jedoch trotz einiger Gesetzesänderungen (AktG; BetrVG) z. T. noch von unveränderter Bedeutung. Speziell zur Arbeitnehmerbeteili-
Vgl. allg. die Nachweise N. 6. Kritisch z. B. Höhnen, WSI-Mitteilungen 1971, 24 f. 20 Vgl. statt vieler Gunter Schwerdtfeger, Unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer und Grundgesetz, Frankfurt/M. 1972; ders., Mitbestimmung in privaten Unternehmen, Berlin 1973; ferner Fritz Fabricius, Mitbestimmung in der Wirtschaft, Frankfurt/M. 1970. 21 Vgl. aus der neueren Lit. Wehrli und Eichele aaO (N. 14) sowie Klaus Peterssen, Die Belegschaftsaktie, Berlin 1968. 22 Die jur. Diskussion wurde vor allem von den beteiligten Wirtschaftspraktikern geführt. Zu erwähnen sind hier einige AGP-Veröffentlichungen (vgl. N. 5), so Gaugler/ Kuchinka aaO (N. 10), eine Schrift von Beuter (AGP-Veröffentlichungen I/2) und Eduard Dobroschke, Die Kapitalbeteiligung der Mitarbeiter am arbeitgebenden Unternehmen (AGP-Veröff. II/10), Hilden 1971; ferner die auf steuerliche Fragen allg. der Vermögenspolitik gerichtete, freiwillige Beteiligungsmodelle streifende Aufsatzreihe von Kuno Barth, Die betriebliche Besteuerung im Rahmen der gegenwärtigen Finanz- und Steuerpolitik, in: Betrieb 1970–1972 = Vermögensabgabe – Enteignung der Unternehmen auf Raten?, Düsseldorf 1971. 23 Die Gestaltung der Unternehmensformen unter den Gesichtspunkten der Wirtschafts- und Sozialverfassung, Vhdlg. d. 39. Dt. Juristentages in Stuttgart 1951, Tübingen 1952, mit Referaten von Reinhardt (S. B 5–40), Nikisch (B 41–56) und Raiser (B 57–75); Die Partnerschaft der Arbeitnehmer. Untersuchungen zur Reform des Unternehmensrechts Teil II, Bericht der Studienkommission d. Dt. Juristentages. Tübingen 1957. – Vgl. auch Spiegelhalter aaO; Trabalski aaO (beide N. 6); Werner G. Schmitz, Kapitalbeteiligung der Arbeitnehmer am arbeitgebenden Unternehmen, Berlin 1955. 18 19
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Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht
gung an einer GmbH hat der Arbeitskreis GmbH-Reform 1972 einen neuen Gesetzesvorschlag vorgelegt24. Es erscheint geboten, mehr als bisher auch unter juristischem Aspekt das Erfahrungspotential auszunutzen, das in der bisherigen freiwilligen Beteiligungspraxis der Unternehmen, insbesondere in ihren neueren Entwicklungen, steckt. Die Aufgabe besteht in einer Bestandsaufnahme, Analyse und Beurteilung der Verteilungsmechanismen und der dabei verwendeten Rechtsformen, die bei Beteiligungen von Arbeitnehmern an ‚ihren‘ Unternehmen bisher – und vor allem in letzter Zeit – praktisch geworden sind. Dabei konzentrieren wir uns auf die finanzielle und vermögenspolitische Seite als den primären Aspekt der Beteiligungsproblematik, ohne die konnexen Mitbestimmungsfragen ganz auszuschließen. Eine solche Betrachtung kann zeigen, wieweit die implizierten Rechtsfragen mit den herkömmlichen Kategorien unseres Unternehmensorganisationsrechts befriedigend lösbar sind, ferner die rechtstechnischen Gestaltungsprobleme der geplanten Gesetzgebung verdeutlichen und zugleich zu einer Präzisierung der allgemeinen Verteilungsproblematik unter den Bedingungen unserer Wettbewerbswirtschaft, die auch von den erwähnten Gesetzgebungsplänen unverändert vorausgesetzt werden25, beitragen. [139]
II. Der Begriff der Beteiligung am Unternehmen 1. Der Begriff der Unternehmensbeteiligung und seine Bestimmung durch das Gesellschaftsrecht Vorweg ist eine vorläufige Verständigung über den Begriff der ‚Beteiligung am Unternehmen‘ notwendig. Als ‚Unternehmen‘ sei zunächst jede wirtschaftende Einheit verstanden, d. h. jede Organisation mit der Zielsetzung, wirtschaftliche Leistungen – Erzeugung und Verteilung von Gütern und Dienstleistungen – zu erbringen26, als Beteiligung in Übereinstimmung mit der wirtschaftsrechtlichen Praxis eine primär vermögensrechtliche Beziehung zum Unternehmen27. Die Frage der Beteiligung muß auf solche Unter24 Thesen und Vorschläge zur GmbH-Reform, Band 2, Heidelberg 1972, S. 71 ff: Arbeitnehmerbeteiligung an einer GmbH. 25 Der oben (N. 1) erwähnte Kabinettsbeschluß der Bundesregierung v. 11.6.1971 erklärt u. a., die Vermögensbildung aufgrund gesetzlicher Regelung dürfe nicht zu Wett bewerbsverschiebungen am Kapitalmarkt führen und sie müsse dezentralisiert sein und marktgerechte Renditen vorsehen. 26 Zum Unternehmensbegriff Peter Raisch, Unternehmensrecht 1, 1973, S. 101 ff; rein organisationssoziologische Bestimmung bei Thomas Raiser, Das Unternehmen als Organisation, 1969, S. 111 ff m. w. Nachw. S. 13 ff. S. auch N. 28, 29. 27 Einen weiteren Begriff der ‚Unternehmensbeteiligung‘ legt die Studienkommission des Dt Juristentages aaO (N. 23), S. 17 zugrunde: „... eine Beteiligung, die sich auf das
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nehmen beschränkt werden, zu deren Zwecksetzung die Gewinnerzielung gehört, auch wenn dieses Kriterium nicht generell in den Unternehmensbegriff aufzunehmen sein mag28. Der Begriff der Beteiligung wird nach den herkömmlichen Kategorien unseres Wirtschaftsrechts juristisch präzisiert durch das Gesellschaftsrecht, das die privatrechtliche Organisation der Unternehmen regelt29 und das im Unternehmen organisierte Produktivvermögen rechtlich als Gesellschaftsvermögen zusammenfaßt. Die rechtstechnisch unterschiedliche Gestaltung der [140] Rechtsinhaberschaft an diesem Vermögen – als Gesamthand bei Personengesellschaften und bei Kapitalgesellschaften als Eigentum der juristischen Person, deren Mitglieder die Gesellschafter sind – verdeckt, aber beseitigt nicht die grundsätzliche Gleichartigkeit der Eigentümerposition30. Zugrundeliegt das – häufig als unzulänglich kritisierte, in der Realität stark ausdifferenzierte und modifizierte – Sozialmodell, daß die in den Unternehmen zusammengefaßten Produktivvermögen in Privateigentum stehen und daß die Eigentümer kraft Eigentumsrechts und z. T. auch wegen eigener Unter nehmerleistung den laufenden Unternehmensgewinn, den Wertzuwachs des Produktivvermögens und auch die grundsätzliche Entscheidung über die Unternehmensleitung zu beanspruchen haben, andererseits das Risiko ihres Kapitaleinsatzes (Gesellschaftereinlage) tragen31. Das GesellUnternehmen im Ganzen bezieht. In diesem Sinn können die Arbeitnehmer entweder nur vermögensrechtlich oder nur an der Planungs- und Entscheidungsgewalt oder in beiden Hinsichten beteiligt sein.“ Sie beschränkt aber i. F. (aaO S. 18 ff, 27 ff) ihre Überlegungen bezeichnenderweise ebenfalls auf Beteiligungsformen mit vermögensrechtlichem Kern. 28 Dagegen z. B. Peter Raisch, Geschichtliche Voraussetzungen, dogmatische Grund lagen und Sinnwandlung des Handelsrechts, Karlsruhe 1965, S. 186 ff, 193; ähnlich wohl Th. Raiser aaO, S. 112. Im Kartellrecht herrscht die gleiche Ansicht vor; Müller-Henneberg/Schwarz, GWB Gemeinschaftskommentar, 3. Aufl. 1972, § 1 Bem. 5 m. Nachw. – Differenzierend zu den finanziellen Zielgrößen des Unternehmens aus wirtschaftswiss. Sicht Dieter Schneider, Investition und Finanzierung, Köln/Opladen 1970, S. 54 ff. Zum Changieren der Arbeitnehmerbeteiligung zwischen Betriebsausgabe und gesellschaftsrechtlichem Gewinn i. F. V. 29 Das bedeutet nicht, daß das Gesellschaftsrecht alle organisationsrechtlichen Fragen des Unternehmens als eines interessenpluralistischen Gebildes löst oder lösen will; vgl. dazu zuletzt Konrad Duden, Zur Methode der Entwicklung des Gesellschaftsrechts zum ‚Unternehmensrecht‘, Festschrift für Schilling, Berlin 1973, S. 309 ff; demnächst H. P. Westermann, Unternehmensverfassung und Gesellschaftsrecht, in Festschrift Harry Westermann 1974. 30 Vgl. allg. Fritz Rittner, Die Funktion des Eigentums im modernen Gesellschaftsrecht, in: Marburger Gespräch über Eigentum – Gesellschaftsrecht – Mitbestimmung, Marburg 1967. 31 Allg. zum Zusammenhang von Eigentumsordnung und Unternehmensrecht vgl. etwa die Referate von Reinhardt und Raiser zum 39. Dt. Juristentag (N. 23) m. weit. Nachw.; Ballerstedt JZ 1951, 486 (488 ff) krit. zum ‚Dingcharakter‘ des im Unternehmen gebundenen Eigentums; Franz Böhm, Der Zusammenhang zwischen Eigentum, Arbeitskraft und dem Betreiben eines Unternehmens, in: Das Unternehmen in der Rechtsordnung, Festgabe
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Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht
schaftsrecht regelt die Kooperation mehrerer solcher Unternehmenseigentümer und die Technik der genannten Rechte und Haftungsrisiken32; es gestattet, den Unternehmenszweck der bestimmten, gewinngerichteten wirtschaftlichen Betätigung verbindlich als den Gesellschaftszweck festzulegen. 2. Gläubigerstellungen als Beteiligung i. w. S. Finanzielle Beteiligungen am Unternehmen in einem weiteren Sinn können außerhalb der genannten Formen gesellschaftsrechtlicher Mitinhaberschaft bestehen, namentlich in Form der stillen Gesellschaft, aber auch in sonstigen [141] Gläubigerstellungen (Darlehen; Schuldverschreibung). Eine unmittelbare Teilhabe am Wertzuwachs des Produktivvermögens ist dabei ausgeschlossen33; andererseits entfällt auch die Verlustbeteiligung oder sie ist – im Fall der stillen Gesellschaft – gerade in der zu betrachtenden Praxis ganz oder teilweise abbedungen (§ 336 II HGB)34. Gleichwohl spricht hier die Praxis häufig unpräzise und undifferenziert von ‚Beteiligungen‘. Da es de lege lata offensichtlich unergiebig wäre, alle Unternehmensgläubiger als Unternehmensbeteiligte zu bezeichnen, bedarf dieser Wortgebrauch einer Kontrolle des jeweils Gemeinten. Er knüpft alternativ an zwei verschiedene Kriterien an: einmal an längerfristige Kapitalüberlassung (Investition), zweitens an die Gewährung variabler, gewinnabhängiger Leistungen (Gewinnbeteiligung i. w. S.)35. Nach dem ersten Kriterium ist auch Darlehen und Schuldverschreibung ‚Beteiligung‘, nach dem zweiten nicht. – Bei Gewinnbeteiligungen i. w. S. ist weiter zu unterscheiden, ob sie aufgrund einer Kapitalinvestition gewährt werden oder unabhängig davon (‚reine Gewinnbeteiligung‘)36.
H. Kronstein, Karlsruhe 1967, S. 11 ff; TH. Raiser aaO (N. 25), S. 146 f. Zum Verhältnis von Eigentumsordnung und Frage der Unternehmensleitung auch der Bericht der Sachverständigenkommission, Mitbestimmung im Unternehmen, Januar 1970, Stuttgart, S. 124–135. 32 Allg. zum Anteil am Gesellschaftsvermögen und den Verwaltungsrechten aufgrund Gesellschafterstellung vgl. für die Personalgesellschaft Ulrich Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an den Personengesellschaften des Handelsrechts, Heidelberg 1970, S. 61 ff, 30 ff; für die AG etwa Hans Würdinger, Aktien- und Konzernrecht, 3. Aufl. 1973, § 10. Zum Inhalt der Vermögensbeteiligung (Gewinnanspruch und Teilhabe am Wertzuwachs) Huber aaO, S. 141 ff; Würdinger aaO § 10 III. 33 So auch bei der stillen Gesellschaft; Huber aaO, S. 153 ff; Schilling in Großkomm. z. HGB, 3. Aufl. 1970, § 335 Bem. 29. Zur atypischen stillen Gesellschaft i. F. 34 Dazu unten IV. 1. 35 Auch der Kommissionsbericht von 1957 aaO (N. 23), S. 27, 57, 60 ff, rechnet solche Gläubigerstellungen (der Arbeitnehmer), die Anteil am Gewinn gewähren, zu den ‚Unternehmensbeteiligungen‘. 36 Zur reinen Gewinnbeteiligung i. F. III. 1; III. 3 und IV. 1. b.
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3. Mögliche Beteiligungsformen für Arbeitnehmer Begriff der Partnerschaft Die Arbeitnehmer sind weder Beteiligte im engeren gesellschaftsrechtlichen noch in dem bezeichneten weiteren Sinn. Zwar kann ihre funktionelle Mitwirkung in der Organisation ‚Unternehmen‘ außerjuristisch (organisationssoziologisch) als Mitgliedschaft oder ‚Beteiligung‘ bezeichnet werden37. Aber diese Mitwirkung zur Erreichung des Unternehmenszwecks durch fremdbestimmte Arbeit ist nicht zugleich Beitrag zu einem gesellschaftsrechtlich festgelegten gemeinsamen Zweck. Ihre Stellung im Unternehmen wird durch die Kategorien des Gesellschaftsrechts nicht erfaßt, das auf Beiträge durch Kapitalinvestition und auf die Verknüpfung von Kapitalverfügung und Unternehmerfunktion zugeschnitten ist. Ihren Anteil an der Wertschöpfung des Unternehmens erhalten die Arbeitnehmer als Gläubiger von [142] Lohn und Gehalt, die beim Unternehmen gewinnmindernde Betriebsausgaben darstellen. Dagegen stehen ihnen keine der bisher ausschließlich vom Gesellschaftsrecht geregelten Rechte zu, um die es bei der Beteiligungsproblematik geht: Rechte am Produktivvermögen und dessen Wertsteigerungen und Rechte am laufenden Gewinn sowie damit verbundene Verwaltungsrechte. Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmen im Vollsinn bedeutet Verschaffung der genannten Rechte, d. h. nach geltendem Recht die Verschaffung gesellschaftsrechtlicher Mitinhaberschaft, eine Lösung, die insbesondere durch die Belegschaftsaktie beschritten wurde. Ein Grundproblem besteht hier darin, gerade den spezifischen Arbeitnehmerbeitrag zum Unternehmen, die Arbeitsleistung, zum Gesellschafterbeitrag (Einlage) zu gestalten. Bei Kapitalgesellschaften ist dies schon deshalb nicht möglich, weil die reine Arbeitsleistung nicht als (Sach-)Einlage anerkannt (und bilanziert) werden könnte38. Bei Personengesellschaften ist dies zwar rechtlich möglich39, aber aus praktischen Gründen nur beschränkt realisierbar. Es verbleibt die Gewährung von Gesellschafterstellungen aufgrund Kapitalinvestition. Ihr Ergebnis ist weniger eine Fortentwicklung der Arbeitnehmerposition als
37 Zur Mitgliedschaft der Arbeitnehmer im Unternehmen in diesem Sinn Th. Raiser aaO (N. 26), S. 154 ff. 38 Würdinger, § 9 II 2; M. Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, Karlsruhe 1964, S. 220 ff; krit. zum Kriterium der Bilanzierungsfähigkeit S. 229; als entscheidenden Grund für die mangelnde Einlagefähigkeit persönlicher Dienstleistung bezeichnet er zutr. die mangelnde Eignung, die Garantiefunktion von Kapital zu übernehmen. Ähnlich Barz, Großkomm. z. AktG, 3. Aufl. 1973, § 27 Anm. 7: generell keine Eignung von Dienstleistungen als Sacheinlagen wegen ihres transitorischen Charakters. A. A. für vertretbare Dienstleistungen z. B. Godin/Wilhelmi, AktG, 4. Aufl. 1971, § 27 Anm. 12. 39 Schlegelberger/Gessler, Komm. z. HGB II, 4. Aufl. 1965, § 105 Anm. 5.
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Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht
vielmehr entweder ein Überwechseln vom Arbeitnehmer zum Gesellschafterstatus oder ein Nebeneinanderbestehen beider Positionen. Beteiligung der Arbeitnehmer kann aber auch in der Weise erreicht werden, daß ihnen Ausschnitte der genannten Gesellschafterrechte, also Beteiligungen i. w. S. gewährt werden, etwa Gewinnbeteiligungen nicht als gesellschaftsrechtlichen Mitinhabern, sondern als Gläubigern des Unternehmens39a. Bloße Gläuberstellungen können allerdings keinen unmittelbaren Anteil am Produktivvermögen und seinem Wertzuwachs verschaffen, wohl aber können sie schuldrechtlich der Mitinhaberschaft angenähert werden (atypische stille Gesellschaft). Soweit solchen Rechten eine Kapitalinvestition zugrundeliegt, handelt es sich um Fremdkapital des Unternehmens. Der Begriff der ‚Partnerschaft‘ der Arbeitnehmer wird in einem sehr weiten Sinn verwendet und fügt den verschiedenen Kriterien der Beteiligung [143] nichts hinzu40. Er ist auf freiwillige Beteiligungsformen auf Unternehmensebene bezogen41 – die unser Thema sind – und schließt die verschiedensten Arten einer Vermögensbeteiligung und zugleich von Mitbestimmungsrechten ein. Wenn man die implizierten sozialethischen und betriebspsychologischen Zielvorstellungen in rechtliche Gestaltung umsetzt, so muß man folgerichtig den tendenziellen Schwerpunkt in einer Umgestaltung und Fortentwicklung, nicht aber Aufhebung der Arbeitnehmerposition sehen, die Lösung also zwischen gesellschaftlicher Mitgliedschaft und herkömmlicher Arbeitnehmerposition suchen. Das bedeutet: es geht eher um die Gewährung einzelner Rechte, die bisher den Gesellschafter-Inhabern zustanden, also Beteiligung i. w. S., weniger um die Verschaffung herkömmlicher gesellschaftsrechtlicher Mitinhaberschaft. Es ist im Folgenden zu fragen, wieweit die Beteiligungs praxis dies mit den Mitteln des geltenden Rechts und ohne die 1957 und 1972 vorgeschlagenen gesetzlichen Regelungen erreicht hat. Dabei wäre vom Standpunkt des Gesellschaftsrechts aus auch zu fragen, wieweit Partnerschaft im Einzelfall bedeuten kann, daß nunmehr der Beitrag der Arbeitnehmerleistung zum Unternehmen ein Beitrag zu einem rechtlich gemeinsamen Zweck wird – wobei es allerdings wohl mehr auf konkrete rechtliche Gestaltung als auf rechtsbegriffliche Etikettierung ankommen wird.
39a Auch der Kommissionsbericht von 1957 aaO (N. 23), S. 27, 57, 60 ff, rechnet solche Gläubigerstellungen (der Arbeitnehmer), die Anteil am Gewinn gewähren, zu den ‚Unternehmensbeteiligungen‘. 40 Vgl. die Definition der Partnerschaft durch die AGP oben N. 5 und durch Reinhardt aaO (N. 23), S. B 16 f, der Beteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmensertrag, Teilhabe an der Unternehmenssubstanz und Mitwirkung an der Unternehmensverwaltung aufzählt. 41 So auch der Kommissionsbericht aaO (N. 23), S. 19 f, 25.
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III. Überblick über die Beteiligungssysteme der Praxis Ein erster Überblick über die verwirrende Vielfalt der Beteiligungspraxis sollte zweckmäßigerweise nicht primär an rein juristischen Kriterien orientiert sein, sondern an den zugrundeliegenden finanztechnischen, einkommens- und vermögenspolitischen Grundgedanken. Dabei lassen sich drei Gruppen unterscheiden. 1. Reine Gewinnbeteiligung (Ergebnisbeteiligung) Zahlreiche Unternehmen gewähren seit langem allen oder einem bestimmten Kreis von Arbeitnehmern und leitenden Angestellten eine laufende, variable Beteiligung am wirtschaftlichen Ergebnis des Unternehmens (z. B. Tantieme; Ergebnisbeteiligung). Bei der ‚Ergebnisbeteiligung‘ kann nach der [144] Berechnungsgrundlage unterschieden werden zwischen Beteiligung am Leistungserfolg einzelner Betriebe oder Betriebsteile – dem Regelfall, an den auch die Vermögensbildungsgesetze anknüpfen – und am Ergebnis des ganzen Unternehmens, wobei verschiedene Gewinnbegriffe verwendet werden42. Nur die letztere Gruppe gehört zu unserem Thema; allerdings ist die ganze Unterscheidung nur begrenzt durchführbar und zweckmäßig. Kennzeichnend ist für diese Beteiligungen i. w. S., daß sie im Hinblick auf die Arbeitsleistung und ohne eigene Kapitalinvestition gewährt werden (‚reine Gewinnbeteiligung‘). Rechtlich handelt es sich i. d. R. um variable Teile des Arbeitsentgeltes aufgrund Arbeitsvertrag, ggf. mit Zusatzabrede gem. § 9 3. VermögensbildungsG, und daneben oft Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag43. Allerdings können solche reinen Gewinnbeteiligungen auch Bestandteil eines entwickelten Beteiligungsmodells mit weitergehenden Rechten und Pflichten sein und dann u. U. eine andere rechtliche Qualifizierung erfordern44. Für sich betrachtet, stehen sie wirtschaftlich und i. d. R. auch rechtlich sonstigen Lohn- und Gehaltserhöhungen gleich, wenn man
42 Detaillierte Übersicht über die verschiedenen Formen der Ergebnisbeteiligung mit zahlreichen Beispielen der Praxis (Stand 1961) bei Spiegelhalter, Ergebnisbeteiligung aaO (N. 6); zur genannten Unterscheidung und den verschiedenen Bezugsgrößen der Ergebnisbeteiligung insbes. S. 9 f, 20 f, 26. Vgl. ferner Siebke aaO (N. 6) und § 8 3. VermögensbildungsG (primär für betriebsbezogene Ergebnisbeteiligung). 43 Grundsätzlich zum arbeitsrechtlichen Charakter solcher Entgelte Nikisch aaO (N. 23), S. B 42. – Allg. zum partiarischen Dienstvertrag Heinz Paulick, Handbuch der stillen Gesellschaft, 2. Aufl. 1971, S. 105 ff; i. E. zu den nichtgesellschaftsrechtlichen Grundlagen der Angestelltentantieme Würdinger, Großkomm. z. HGB, 3. Aufl. 1967, § 59 Bem. 37; Schlegelberger/Schröder, Komm. z. HGB, 5. Aufl. 1973, § 59 Bem. 39; für die AG Godin/Wilhelmi, § 86 Anm. 7. 44 Dazu i. F. 3; IV 1 b; V 2 b.
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Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht
von einem gewissen sozialpsychologischen Nebeneffekt absieht45. Sie bewirken eine Einkommenserhöhung, nicht aber ohne weiteres (d. h. wenn sie nicht im Rahmen der VermögensbildungsG geleistet werden) eine Vermögensbildung der Arbeitnehmer und schließen deren Beteiligung am Produktivvermögen nicht ein. 2. Investitionsangebote Vermögenspolitisch unmittelbar wirksam ist dagegen eine zweite Gruppe von Beteiligungssystemen, welche den Arbeitnehmern ganz im herkömmlichen Sinn eine Gewinnbeteiligung nur aufgrund einer Kapitalinvestition im Unternehmen gewähren, ihnen zugleich aber ein vorteilhaftes Investitions[145] angebot machen. Die Arbeitnehmer erhalten hier nicht automatisch einen Anteil am laufenden Ertrag des Unternehmens, wohl aber die Chance, durch Kapitalinvestition im Unternehmen eine Vermögensanlage zu bilden und am künftigen Gewinn teilzunehmen Die Rechtsform dieser Investition ist bei kleineren und mittleren Unternehmen, die als Personalgesellschaften organisiert sind, in der Regel die stille Gesellschaft46, bei Großunternehmen in Form der Aktiengesellschaft meist die Aktie (Belegschaftsaktie)47 und weniger häufig die Schuldverschreibung48. Unternehmen in der Rechtsform der GmbH bieten in selteneren Fällen – und dann nur einem begrenzten Kreis ihrer Mitarbeiter – Geschäftsanteile an der GmbH an49. Der Erwerb solcher Beteiligungen wird in der Regel durch starke finanzielle Vergünstigungen erleichtert. So war z. B. bei der Biffar KG beim Erwerb der angebotenen stillen Beteiligungen, über die gleichlautende ‚Anteilscheine‘ ausgestellt wurden, jeweils nur eine Anzahlung von 10 % des Nennbetrages zu leisten, dem das Unternehmen einen gleichhohen Zuschuß hinzufügte. Gleichwohl besteht sofort Gewinnbeteiligung in voller Höhe des Nominalanteils; die Einlage wird dann aus thesaurierten Gewinnen zur vollen Höhe des Nennbetrages aufgefüllt. Die Distelbrauerei hat öfters einmalige Sonderzuwendungen ausgeschüttet, die zum Erwerb von Anteilen verwen45
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Kritisch zum sozialpolitischen Effekt reiner Gewinnbeteiligungen Debatin, BB 1951,
46 Beispiele solcher Unternehmen: Biffar KG; Distel Brauerei Ernst Bauer KG; Louis Fischer KG; Holz- und Betonwerke G. A. Pfleiderer OHG (jetzt GmbH & Co KG); dazu Guski aaO; Jungblut aaO (beide N. 6). 47 Vgl. N. 14. 48 Beispiele: Allgemeine Deutsche Philips Industrie GmbH (Alldelphi), Hamburg; zugleich wurde ein nicht im Wertpapier verbrieftes Recht auf Umtausch der Obligationen in Aktien gewährt; Nachw. N. 14; ferner: Fränkisches Überlandwerk AG, Nürnberg (Aktien und Obligationen), Guski II (N. 6), S. 17 f, 50 ff. 49 Lenz GmbH, Mainz; Südstahl GmbH, Donauwörth. Die Lenz GmbH hat daneben für alle Mitarbeiter eine Ergebnisbeteiligung mit der Möglichkeit der Reinvestition als Arbeitnehmerdarlehen geschaffen; s. auch i. F. 3.
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det werden konnten. Die Vergünstigungen reichen bis zur unentgeltlichen Zuwendung. Bei ihren hundertjährigen Firmenjubiläen haben z. B. die Farbwerke Höchst Belegschaftsaktien, die Pfleidererwerke stille Beteiligungen unentgeltlich gewährt. Neben die Eigenleistungen der Unternehmen tritt die Ausnutzung der gesetzlichen Förderungsmaßnahmen, insbesondere des 3. Vermögensbildungsgesetzes und des Sparprämiengesetzes sowie steuerlicher Vergünstigungen50. Solche Investitionsangebote haben den strukturellen Nachteil, daß sie im Prinzip punktuell gewährt werden und Einzelmaßnahmen darstellen, die [146] nicht ohne weiteres eine kontinuierliche Vermögensbildung bewirken. Ferner müssen solche Beteiligungen etwa bei Großunternehmen mit vielen Arbeitnehmern relativ klein ausfallen, zumal bei unentgeltlicher Zuwendung, und können dann leicht ihren sozialpolitischen Zweck verfehlen. Dieses Problem wird auch von den beteiligten Unternehmen gesehen. Im Beispiel Biffar ist durch die fortlaufende Auffüllung der (einmalig angebotenen) Beteiligung aus thesaurierten Gewinnen bereits eine gewisse Kontinuität eingebaut. Einige der Großunternehmen bieten jährlich oder zumindest häufig Belegschaftsaktien und -obligationen an51. Dies geschieht z. T. im Zusammenhang mit der Auszahlung einer gleichzeitig vorhandenen Ergebnisbeteiligung (‚Jahresprämie‘)52; hier wird also ein loser Zusammenhang zwischen Ergebnisbeteiligung und Investitionsangebot hergestellt, was für die i. F. (3) zu besprechenden dynamischen Beteiligungssysteme typisch ist und was auch etwa den Vorstellungen des Gesetzgebers zu §§ 194 III, 192 II Nr. 3 AktG entspricht, wo die Ausgabe von Belegschaftsaktien aus bedingter Kapital erhöhung gegen Erträgnisse aus einer den Arbeitnehmern eingeräumten Gewinnbeteiligung als Einlage vorgesehen ist. 3. Kombination von Gewinnbeteiligung und Reinvestition: dynamische Beteiligungsmodelle Die Vorteile der Kontinuität und der vermögenspolitischen Effektivität sucht eine dritte Gruppe von dynamischen Beteiligungssystemen dadurch zu verbinden, daß sie erstens eine laufende Gewinn- oder Ergebnisbeteiligung der Arbeitnehmer auch ohne eigene Kapitalinvestition der Arbeitneh § 8 Gesetz über steuerliche Maßnahmen bei Erhöhung des Nennkapitals aus Gesellschaftsmitteln und bei Überlassung von eigenen Aktien an Arbeitnehmer i. d. F. v. 10.10.1967, BGBl. I, 977. Danach sind Zuwendungen in Form verbilligten Aktienbezugs (bis 50 % des Kurses und insgesamt 500 DM) beim Arbeitnehmer lohnsteuerfrei. 51 Z. B. Rosenthal AG, Selb (ab 1963 Aktien, ab 1968 Investmentzertifikate, also überbetriebliche Investition); Nachw. N. 11; Bayer AG; Guski II (N. 6), S. 42; Siemens AG jährlich seit 1969. Die Tradition der Ausgabe von Belegschaftsaktien geht bei den Siemens-Werken bis in die unmittelbare Nachkriegszeit zurück; s. auch N. 14. 52 Z. B. Bayer AG. 50
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mer vorsehen und zugleich zweitens die gänzliche oder teilweise Thesaurierung und Reinvestierung dieser Gewinnanteile im Unternehmen. Hier werden also Ergebnisbeteiligung (oben 1) und Investitionsangebot (oben 2) eng gekoppelt. Basis dieser Systeme ist daher zunächst eine möglichst großzügig ausgestaltete laufende Ergebnisbeteiligung der Arbeitnehmer. Eine globale Regelung der Verteilung des Unternehmensgewinns, meist in einer Betriebsvereinbarung, teilt den Unternehmensgewinn meist nach Vorabzug einer Eigenkapitalverzinsung und anderen Vorabzügen zwischen Kapital und Arbeit. Die Teilung erfolgt meist hälftig, so im Pieroth- und im Bertels- [147] mannmodell; bei Porst fließt sogar der ganze Jahresüberschuß den Mitarbeitern über eine Beteiligungsgesellschaft zu53. Nur ein geringer Teil der Erträge aus Ergebnisbeteiligung wird an die Arbeitnehmer bar ausbezahlt. Vielmehr ist ihre Ansammlung und Reinvestierung im Unternehmen für eine bestimmte Zeit meist verbindlich vorgesehen. Im Beispiel der Fischer KG ist sie ausnahmsweise freiwillig, wird aber durch ungewöhnlich hohe Sparanreize so gefördert, daß die gleiche Koppelung erreicht wird54. Rechtsform ist entweder das Darlehen (Duisburger Kupferhütte AG; Hoppmann; Spindlerwerke) oder die stille Gesellschaft (Bertelsmann; Porst). Bei Darlehen ist z. T. spätere Umwandlung in stille Beteiligung vorgesehen (Pieroth)55. Vereinzelt ist auch die Rechtsform des Kommanditanteils gewählt worden (Tönnes)56. – Die Ausgabe von Belegschaftsaktien findet dagegen im Rahmen solcher dynamischer Beteiligungsmodelle aus verschiedenen Gründen kaum Verwendung57.
IV. Die Stellung des beteiligten Arbeitnehmers 1. Grundsätzliche Rechtsstellung a. Die Rechtsstellung der beteiligten Arbeitnehmer bleibt oft hinter den weitreichenden programmatischen Ansprüchen der Partnerschaft zurück. Zu Pieroth und Bertelsmann Nachw. N. 12 und 16. Zu Porst vgl. unten IV. 2 und V. Von dem für die Arbeitnehmer bestimmten Anteil des Unternehmensgewinns werden nur 50 % direkt ausgeschüttet, 50 % einem Fonds zugeführt (‚Vermögensbildungsrücklage‘). Bei Reinvestition seines Ausschüttungsbetrages erhält der Arbeitnehmer eine Prämie von 100 % aus diesem Fonds, der ebenfalls reinvestiert wird, verdoppelt also seinen Anteil. 55 Nachw. N. 6 und 12. Abdruck des entsprechenden ‚Partnerschaftsvertrages‘ bei Guski I (N. 6), S. 40. 56 Dazu i. F. IV bei N. 77 und 78. 57 Auch soweit regelmäßig Belegschaftsaktien ausgegeben werden (vgl. oben bei N. 51 und 52; N. 14; ältere Beispiele bei Spiegelhalter, Ergebnisbeteiligung aaO, S. 183 ff), wird eine langfristige Verpflichtung der Unternehmen aus aktienrechtlichen und finanztechnischen Gründen vermieden. Außerdem ist, soweit die Vorteile des (3.) VermögensbildG genutzt werden sollen, auf die Freiwilligkeit der Wahl der Anlage zu achten (§ 6). 53 54
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Eine echte gesellschaftsrechtliche Mitinhaberschaft am Produktivvermögen (am Unternehmen) mit Rechten auf Gewinnanteil und zugleich an der Vermögenssubstanz sowie Verwaltungsrechten ist nur durch Belegschaftsaktien und im seltenen und auf kleine Personengruppen beschränkten Fall der Gewährung von GmbH-Anteilen gegeben. Möglich ist sie natürlich auch in [148] anderen Formen, insbesondere durch Kommanditanteile, die jedoch in der Praxis kaum vorkommen58. In allen anderen Fällen hat der Arbeitnehmer rechtlich die Stellung eines bloßen Gläubigers des Unternehmens ohne gesellschaftsrechtliche Mitinhaberschaft. Ein unmittelbarer Anteil am Produktivvermögen und seinem Wertzuwachs ist demnach nicht gegeben und auch eine entsprechende schuldrechtliche Gestaltung der Arbeitnehmerrechte ist unüblich59. Die Rechte des Arbeitnehmers beruhen teils auf dem Arbeitsvertrag60 und einer Betriebsvereinbarung, die üblicherweise den Gewinnverteilungsplan (das „Beteiligungsmodell“) in Grundzügen regelt, teils auf einer zusätzlichen schuldrechtlichen Beziehung: Darlehensvertrag, Schuldverschreibung, stille Gesellschaft61. Dabei ist der Sache nach der Unterschied zwischen Gewinnrechten hinsichtlich bereits angesammelter Guthaben (Investitionen) und reiner Gewinnbeteiligung zu unterscheiden. Für die letztere werden statt der üblichen Betriebsvereinbarung vereinzelt auch nur unverbindliche einseitige Zusagen gegeben62. b. Oft wird über das Beteiligungsverhältnis in Ausfüllung der entsprechenden Betriebsvereinbarung oder auch eines unverbindlichen Beteiligungsplans ein „Partnerschaftsvertrag“ zwischen Arbeitnehmer und Unternehmer geschlossen, der im Beispiel Pieroth die reine Gewinnbeteiligung, deren Reinvestierung als Darlehen, die Darlehensrendite und die spätere Umwandlung des Darlehens in eine stille Beteiligung zugleich regelt63. Die Rechtsform der Beteiligung der Arbeitnehmer-Partner und der zugrundeliegenden Investition ist in der Praxis teils eindeutig als Darlehen oder stille Gesell-
58 Das Ahrensburger Modell (N. 9) bildete eine Ausnahme; es wurde jedoch von Kommanditanteilen auf stille Beteiligungen umgestellt. Vgl. auch unten IV. 1 c. 59 Eine Ausnahme bildete das Modell der Spindlerwerke (N. 7). 60 Vgl. oben III. 1. 61 Vgl. die Angaben über die Rechtsgrundlagen der Beteiligungen bei Guski I u. II (N. 6), die allerdings ebenso wie die Ausdrucksweise der Beteiligungsmodelle selbst nicht immer präzise sind; vgl. dazu i. F. b. 62 Zwei Beispiele bei Guski II, S. 30, 34. Eine feste Berechtigung der Arbeitnehmer kann sich aber rasch aus der tatsächlichen Praktizierung ergeben, ein Problem, das sich allg. bei freiwilligen sozialen Leistungen stellt; darauf weist auch zutr. U. Pleiss, Freiwillige soziale Leistungen in der industriellen Unternehmung, Berlin 1960, S. 170, hin. Die Unternehmen sind daher mit präzisen rechtlichen Regelungen, ggf. mit klar umrissenen Rechten zur Kündigung oder Änderung, besser beraten. 63 Text dieser und anderer Partnerschaftsverträge bei Guski I (N. 6), S. 40 ff.
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schaft bezeichnet, teils bleibt sie unklar und muß aus dem Gesamtcharakter der Regelung bestimmt werden64. Meist wird man hier ein Gesellschaftsverhältnis annehmen müssen, d. h. entsprechend der Partnerschaftsidee wirken der [149] Inhaber (die Inhabergesellschaft) und der Arbeitnehmer zur Förderung des Unternehmenszwecks als eines gemeinsamen Zwecks zusammen. In der Regel sind die Merkmale der stillen Gesellschaft i. S. §§ 335 ff HGB erfüllt: eine Vermögenseinlage (z. B. thesaurierte frühere Gewinnbeteiligungen) ist dem Inhaber des Unternehmens, der gewöhnlich ein Handelsgewerbe betreibt, gegen Gewinnbeteiligung bei Einräumung gewisser Informations- oder sogar Mitspracherechte65 überlassen. Es fragt sich, ob diese Einordnung auch gilt, wenn es an einer solchen Einlage fehlt, d. h. soweit der Partnerschaftsvertrag zugleich oder ausschließlich eine reine Gewinnbeteiligung (Ergebnisbeteiligung) vorsieht, die keine Kapitalinvestition, sondern nur Arbeitsleistung als Mitarbeiter voraussetzt66. Bei reinen Gewinnbeteiligungen wird oft eine rein arbeitsrechtliche Rechtsgrundlage vorliegen67. Partnerschaftsverhältnisse im Rahmen entwickelter Beteiligungsmodelle, die eine Fortentwicklung der Position des Arbeitnehmers anstreben und z. T. neben der Gewinnbeteiligung gewisse Mitspracherechte68 gewähren, sind jedoch auch hinsichtlich reiner Gewinnbeteiligungen (ohne Kapitalinvestition) nicht als bloße Modifikation des Arbeitsvertrages, sondern als Gesellschaftsverträge anzusehen. Im Grunde will die Partnerschaftsidee den Arbeitnehmer ja gerade hinsichtlich seiner typischen Funktion im Unternehmen, der Erbringung von Arbeitsleistung, zum Partner der Unternehmensinhaber machen. Der erforderliche Gesellschafterbeitrag des Arbeitnehmers, die Einlage i. S. § 335 HGB, ist hier die Arbeitsleistung. Es ist anerkannt, daß auch (künftige) Dienstleistungen Vermögenseinlage in diesem Sinn sein können69. Andererseits besteht gleichzeitig ein Arbeitsvertrag, dessen Beseitigung durch den Partnerschaftsvertrag auch nicht gewollt ist. Der Vertrag über die stille Beteiligung tritt zum Arbeitsvertrag hinzu. Die Arbeitsleistung wird dann sowohl nach Arbeitsvertrag wie nach Gesell-
64 Vgl. z. B. zur Schwierigkeit der rechtlichen Einordnung der ursprünglichen Beteiligungsform im Pieroth-Modell krit. Barth, aaO (vgl. N. 22), BB 1971, 739. 65 Zu diesen i. F. 4. 66 Diese Frage ist unabhängig davon zu stellen, ob als Anlageform für angesammelte Gewinne Darlehen oder stille Gesellschaft gewählt ist. – Beispiele für Partnerschaftsverträge, die reine Gewinnbeteiligung und als Anlageform (zunächst) Darlehen vorsehen: Louis Fischer KG; Gebr. Hoffmann KG; Farben Krauth & Co; Fa. J. Grünbeck; vgl. auch Guski aaO (N. 6) II, S. 23–28; III, S. 44 f. 67 Vgl. oben III. 1. 68 Vgl. unten 4. 69 Baumbach-Duden, HGB, 20. Aufl. 1972, § 335 Bem. 5 A; Schlegelberger/Gessler, HGB, 4. Aufl., § 335 Bem. 14; Heinz Paulick, Handbuch der stillen Gesellschaft, 2. Aufl. 1971, S. 74 f.
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schaftsvertrag geschuldet70. Ein solches Nebeneinander beider Verträge ist [150] privatrechtlich möglich und in der Praxis in anderem Zusammenhang nicht unüblich71. Mangels gesetzlicher Normierung des Partnerschaftsvertrages72 ist die stille Beteiligung i. S. §§ 335 ff HGB die am meisten entsprechende rechtliche Gestaltungsnorm. Natürlich ist die rechtliche Tragweite dieser typenmäßigen Einordnung gegenüber der jeweiligen konkreten Ausgestaltung durch Vereinbarung begrenzt. Sie erlaubt aber bei entwickelten Partnerschaftsmodellen die einheitliche Betrachtung aller in ihrem Rahmen gewährten, für einen Arbeitsvertrag (gegenwärtig noch) untypischen Rechte: der verschiedenartigen Beteiligungsrechte, die z. T. nebeneinander aufgrund Arbeitsleistung wie aufgrund Kapitalinvestition bestehen, sowie der Informations- und Mitspracherechte. Die regelmäßig erstrebte verstärkte Loyalität der ArbeitnehmerPartner läßt sich als gesellschaftsrechtliche Pflicht deuten73. Die Unterscheidung eines selbständigen Gesellschaftsvertrages neben dem Arbeitsvertrag stellt gleichzeitig klar, daß Verletzungen der Partnerschaftspflichten sich primär auf die Partnerschaftsrechte auswirken, nicht ohne weiteres auch auf den Arbeitsvertrag, und daß die aus diesem entspringenden Rechte und allgemein arbeitsrechtlicher Schutz nicht durch die Partnerschaft verkürzt werden. Die Unterscheidung entspricht daher gegenwärtig auch praktischen Bedürfnissen; dem gegenüber muß die erkennbare Tendenz der Partnerschaftsidee zurücktreten, langfristig das ganze Arbeitsverhältnis i. S. des partnerschaftlichen Zusammenwirkens zum gemeinsamen Unternehmenszweck, nach herkömmlichen Kategorien also gesellschaftsrechtlich, umzugestalten. c. Die Tatsache, daß die Praxis Vermögensbeteiligungen der Arbeitnehmer durch Kommanditanteile und auch entsprechende atypische stille Beteiligungen vermeidet, hat seinen Grund nicht in gewissen rechtstechnischen Schwierigkeiten, die bei der Gewährung von Kommanditanteilen an eine wechselnde Vielzahl von Personen auftreten74, oder in haftungsrechtlichen Überlegungen75. Das Motiv liegt vielmehr im Steuerrecht. Durch gesellschaftsrechtliche 70 A. A. wohl der erwähnte Kommissionsbericht aaO (N. 23), S. 58: die Arbeitnehmer erhielten die Gewinnanteile „nicht ... aufgrund einer konkreten Gegenleistung“. 71 RFH, RStBl. 1928, 90: Hedin Brockhoff, BB 1972, 1092. Bei diesem Nebeneinander wird jedoch im Unterschied zu der hier vertretenen Auffassung meist an den Fall gedacht, daß zunächst Arbeitsleistung ausschließlich im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses erbracht wird und das Entgelt dann als Einlage im Rahmen einer stillen Gesellschaft dient; Paulick aaO (N. 69), S. 75. 72 Vgl. etwa die Vorschläge im Kommissionsbericht von 1957 (N. 23) zum ‚Beteiligungsvertrag‘ aaO, S. 30 f. 73 Allg. zur Treupflicht des stillen Gesellschafters Baumbach-Duden, HGB. 20. Aufl. 1972, § 335 Bem. 5 D; speziell zum beteiligten Mitarbeiter Reinhardt aaO (Nr. 23). 74 Dazu unten V. 2. a. 75 Dazu i. F. d.
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Mitinhaberschaft bei Personengesellschaften, etwa als Kommanditist, würde [151] der Arbeitnehmer zum Mitunternehmer i. S. § 15 Einkommensteuergesetz. Seine gesamten Einkünfte aus dem Unternehmen – Gewinnanteil und Lohn – wären einheitlich als Einkommen aus Gewerbebetrieb einkommensteuerpflichtig. Das Unternehmen selbst müßte vom gesamten Lohn seiner derart beteiligten Arbeitnehmer Gewerbeertragssteuer zahlen, anstatt den Lohn als Betriebsausgabe abzusetzen76. In der Beteiligungspraxis wird der Arbeitnehmer daher nicht zum Mitunternehmer gemacht. Das Steuerrecht konserviert die gesellschaftsrechtliche Trennungslinie zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer. Die Praxis zeigt verschiedene Ansätze, diesen Zustand zu überwinden. Große Beachtung fand eine 1972 bei der Fa. Gebr. Tönnes KG eingeführte Beteiligung der Arbeitnehmer durch Kommanditanteile, nachdem die Finanzbehörden eingewilligt hatten, den Mitunternehmerbegriff nicht anzuwenden77. Man kann hier jedoch kaum von einem ‚Durchbruch‘ reden. Die Kommanditanteile bei Tönnes gewähren ausdrücklich keinen Anteil am inneren Wertzuwachs des Vermögens, sondern nur gewisse Verwaltungsrechte, und sind einer stillen Beteiligung angenähert78. – Effektvoller erscheint der Weg einer indirekten Mitinhaberschaft durch Zwischenschaltung einer Beteiligungsgesellschaft79. d. Da die Beteiligungspraxis regelmäßig die personengesellschaftsrechtliche Mitinhaberschaft der Arbeitnehmer vermeidet, ist auch deren unmittelbare Haftung gegenüber den Gläubigern des Unternehmens (der Inhabergesellschaft) ausgeschlossen. Der Umfang einer internen Mitübernahme des wirtschaftlichen Risikos durch Verlustbeteiligung kann ungehindert von zwingenden gesetzlichen Vorschriften vertraglich gestaltet werden. Bei vereinbarter Verlustbeteiligung sind allerdings die §§ 341, 342 HGB zu beachten. – Als Kommanditist dagegen haftet der Arbeitnehmer für Gesellschaftsverbindlichkeiten unmittelbar in Höhe seiner (nicht geleisteten oder zurückgewährten) Einlage (§§ 171 ff HGB); scheidet er z. B. wegen Arbeitsplatzwechsels zugleich als Gesellschafter unter Rückzahlung der Einlage aus, dauert seine unmittelbare Haftung 5 Jahre fort. Diese verschiedentlich als sozialpolitisch [152] unerwünscht bezeichnete Rechtsfolge80 trifft allerdings 76 Vgl. BFH, BStBl. 1958 III S. 112; BFH, BStBl. 1953 III S. 94; zum Ganzen GauglerKuchinka (N. 10), S. 36–40. – Auch bei der atypischen stillen Gesellschaft ist steuerrechtliche Mitunternehmerschaft i. d. R. zu bejahen; Paulick aaO (N. 69), S. 293 ff. 77 Sitz in Düsseldorf; dazu Guski III (N. 6), S. 32; Junge Wirtschaft 1973 Nr. 1 S. 20. 78 Gem. Art. 8 des ‚Gebr. Tönnes-Modells‘ (= Zusammenfassung des Inhalts der ‚Mitbeteiligungsverträge‘) ist die Beteiligung an den stillen Reserven ausgeschlossen. Die Abfindung bei Ausscheiden erfolgt gem. Art. 9 zum Buchwert der Beteiligung. 79 Dazu i. F. 2. 80 Die Kommission des Dt. Juristentages wollte sie de lege ferenda bei den „Arbeitnehmergesellschaften“ ausschließen; aaO (N. 23) S. 53 f (Thesen 191, 192).
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den Arbeitnehmer in den Fällen nicht unvorbereitet, in denen von vornherein die Auszahlung seines Beteiligungsguthabens erst nach einer entsprechenden Karenzzeit vereinbart ist81. 2. Beteiligungsgesellschaften und mittelbare Mitinhaberschaft Größere Unternehmen mit einer Vielzahl von Arbeitnehmern schalten bisweilen eine Beteiligungsgesellschaft ein (z. B. Hettlage; Bertelsmann; Porst). Die Arbeitnehmer sind dann z. B. stille Gesellschafter dieser Gesellschaft (Bertelsmann; Porst) oder sie können etwa Arbeitnehmerdarlehen in Aktien der Beteiligungsgesellschaft umtauschen (Hettlage). Diese ist ihrerseits z. B. als Kommanditistin oder auch nur als stille Gesellschafterin am Unternehmen beteiligt82. Die Beteiligungsgesellschaft hat einmal die Aufgabe einer organisatorischen Zusammenfassung der Vielzahl von Beteiligungsrechten. Ferner ist die Mediatisierung der Beteiligungsbeziehung zwischen Arbeitnehmer und Unternehmen ein einfacher Weg, direkte gesellschaftsrechtliche Mitinhaberschaft und steuerliche Mitunternehmerschaft auszuschließen. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitnehmer Mitinhaber der Beteiligungsgesellschaft werden, z. B. deren Kommanditisten wie im Modell der Fa. Otto Kreibaum KG83. Sie kann darüberhinaus aber auch die Aufgabe übernehmen, zugleich mit der Vermeidung der steuerlichen Mitunternehmerschaft den Arbeitnehmern mittelbar doch eine gesellschaftsrechtliche Mitinhaberschaft am Unternehmen einschließlich der indirekten Teilnahme an den Substanzgewinnen zu verschaffen. Dies ist z. B. im Hettlage-Modell geschehen, wo die Arbeitnehmer Aktionäre der Hettlage Partnerschafts AG werden können, die ihrerseits Kommanditistin der Hettlage KG ist; eine ähnliche Konstruktion wird bei der Hohe KG verwendet84. Eine bemerkenswerte Lösung, welche die noch bestehenden, insbesondere steuerlichen Nachteile der Aktie vermeidet, gleichwohl aber indirekt Mitinhaberschaft unter Vermeidung der steuerlichen Mitunternehmerschaft gewährt, ist im Porstmodell verwirklicht. Die Arbeitnehmer sind hier stille Gesellschafter der Mitarbeiter-Beteiligungs-GmbH, [153] die selbst als Kommanditistin Mitinhaber der einzelnen, jeweils als GmbH & Co KG organisierten, Porstunternehmen ist und so an den Substanzgewinnen teilnimmt. Zur Verdeutlichung diene die folgende Skizze85: Zu derartigen Regelungen i. F. 3 c. Nachweise zu Bertelsmann und Hettlage N. 16 und 10. Die Vertragstexte sind bei Guski I (N. 6) S. 49 f abgedruckt. Im Bertelsmann-Modell ist die Beteiligungsgesellschaft nur still an den Unternehmen beteiligt, bei Porst ist sie Kommanditistin. Dazu i. F. 83 Angaben zu Kreibaum bei Guski III, S. 29 f. 84 Guski II, S. 12. 85 Die Skizze ist von mir aus Informationen der Porstgruppe abgeleitet. Einzelheiten dazu i. F. unter V. 81 82
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Beteiligungsmodell Porst
3. Die Ausgestaltung der Beteiligungsrechte a. Praktisch ebenso wichtig wie die prinzipielle Frage der rechtlichen Mitinhaberschaft sind für den Arbeitnehmer Fragen der konkreten Ausgestaltung seiner Rechte. Dazu gehört einmal die Frage der dauerhaften Berechtigung zum Gewinnbezug, insbesondere hinsichtlich der reinen Ertragsbeteiligungen, die ohne Kapitalinvestition gewährt werden. Man hat bei den dynamischen Beteiligungssystemen z. T. Kautelen vorgesehen, die durch den Expe rimentiercharakter dieser Systeme und die Möglichkeit globaler gesetzlicher Regelungen gerechtfertigt sind; dazu gehören vor allem Kündigungsmöglichkeiten der Betriebsvereinbarung und der Partnerschaftsverträge86. Andere Modelle sehen verbindlich eine dauernde Ergebnisbeteiligung der [154] Arbeitnehmer vor (Porst). Im Beispiel Biffar87 ist diese in Form eines Rechts auf Rendite aus einer Investition gekleidet: der Arbeitnehmer erwirbt eine
86 Z. B. Pieroth; Pfleiderer; Texte bei Guski I, S. 44 und 48; zu Pfleiderer auch Jungblut, S. 217 ff (224 f). 87 Vgl. oben III. 2; Jungblut, S. 243 ff.
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stille Beteiligung gegen geringe Anzahlung des Nennbetrages, ist aber sofort und dauerhaft in Höhe dieses Nennbetrages gewinnberechtigt. b. Wichtig ist ferner der Verteilungsschlüssel für den an die Arbeitnehmer auszuschüttenden Teil des Unternehmensgewinns88. Sowohl bei Ergebnisbeteiligungen wie bei punktuellen Angeboten zum Erwerb stiller Beteiligungen – z. T. auch bei sonstigen Investitionsangaben – wird die Verteilung unter die Arbeitnehmer meist zu einem Teil pro Kopf, zu einem anderen Teil proportional den Einkommen vorgenommen, also der Intention nach ein Kompromiß zwischen egalitärer Gleichheit und Leistungsprinzip angestrebt. c. Es entspricht den sozial- und vermögenspolitischen Zielen der Beteiligungsformen, daß die erworbenen Beteiligungen möglichst in den Händen der Arbeitnehmer bleiben. Man will einmal vermeiden, daß die für die Vermögensbildung und Unternehmensbeteiligung bestimmten Mittel alsbald in den Konsum fließen, aber auch, daß unternehmensfremde Dritte Inhaber der Beteiligungen werden. Belegschaftsaktien und -obligationen werden meist als Leistungen i. S. der Vermögensbildungsgesetzgebung ausgegeben und unterliegen den dort vorgesehenen Sperrfristen89. Im Beispiel Philips werden für die ausgegebenen Belegschaftsobligationen mit den erwerbenden Arbeitnehmern zusätzliche obligatorische Abreden getroffen, durch die die Inhaberschuldverschreibung wirtschaftlich einem vinkulierten Namenspapier ähnlich wird90. Bei allen anderen Beteiligungssystemen ist eine längere Festlegung der stillen Beteiligungen oder der Arbeitnehmerdarlehen vorgesehen, d. h. die Auszahlung erfolgt i. d. R. vor Erreichung der Altersgrenze nur in Notfällen91, im übrigen bei Ausscheiden aus dem Unternehmen nach einer Karenzzeit92. Die Beteiligungen können z. T. bei Eintritt in den Ruhestand fortbestehen und vererbt werden. Oft ist aber ein Rückerwerbsrecht des Unternehmens bei Ausscheiden vorgesehen, um eine Beteiligung Unter[155] nehmensfremder zu vermeiden93. Bei Bertelsmann dürfen die Anteile
88 Zu der zunächst vorzunehmenden Aufteilung des gesamten (bereinigten) Unternehmensgewinns zwischen Kapital und Arbeit oben Text bei N. 53 und i. F. V. 1, N. 113 und 117. 89 3. VermögensbildungsG (N. 2); SparprämienG (N. 2); KapitalerhöhungsG N. 50). 90 Die obligatorische Abrede betrifft sowohl die den Anlegern gewährten besonderen Vergünstigungen wie die Sperrfrist zur Veräußerung; Nachw. N. 14. 91 I. d. R. in Übereinstimmung mit den Regelungen der Vermögensbildungsgesetze (N. 89). 92 Beispiele für solche Regelungen in Betriebsvereinbarungen und Partnerschaftsverträgen bei Guski I, S. 40 ff (Textanhang). 93 Nachw. wie Nr. 92. Zu erwähnen ferner Porst: bei Kündigung wird die Beteiligung in ein nach fünf Jahren zurückzahlbares Darlehen umgewandelt.
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unter den Arbeitnehmern veräußert werden und sie werden regelmäßig an einer Art betriebsinterner Börse gehandelt94. Bei manchen Beteiligungsmodellen sind bereits erste Wartefristen abgelaufen und Gelder zur Rückzahlung oder Anteile zur Weiterveräußerung freigeworden. Die bisherige Erfahrung zeigt, daß die überwiegende Anzahl der Arbeitnehmer an ihren Investitionen festhält95. Insofern erscheint die vermögens- und sozialpolitische Zielsetzung erreicht. d. Soweit eine Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer i. w. S. (im Gegensatz zur reinen Ertragsbeteiligung) vorliegt, ergibt sich die Frage der Verlustbeteiligung. Bei Darlehen der Arbeitnehmer ist sie ausgeschlossen. Bei stillen Beteiligungen wird sie in jedem Fall auf die Höhe der angesammelten Beteiligungsguthaben beschränkt und nicht auf eine etwa höhere Solleinlage bezogen, was nach § 337 II 1 HGB möglich wäre96. Bisweilen ist die Verlustbeteiligung auch auf Teile der angesammelten Beträge beschränkt97. In keinem Fall kann natürlich dem Arbeitnehmer das allgemeine Risiko einer Insolvenz des Unternehmens genommen werden. Ein grundsätzliches Investitionsrisiko bleibt bestehen und tritt zum Arbeitsplatzrisiko hinzu. Bei Belegschaftsaktien wird das allgemeine Investitionsrisiko des Aktienanlegers in den schwankenden Börsenkursen besonders sinnfällig, was bekanntlich – neben steuerlichen Gründen – der Popularisierung der Aktie Schranken setzt. 4. Mitbestimmungs- und Verwaltungsrechte; Kollektivorgane Die Vermögensrechte der beteiligten Arbeitnehmer werden z. T. durch Mitbestimmungs- und Verwaltungsrechte ergänzt. Grundsätzlich ist dabei zwischen gesellschaftsrechtlichen Verwaltungsrechten und Mitbestimmungsrechten aufgrund einer Betriebsvereinbarung und zum Zweck erweiterter Betriebsverfassungsrechte zu unterscheiden, wenngleich auch auf diesem Gebiet gesellschaftsrechtliche und arbeitsrechtliche Ansätze konvergieren und die traditionelle Trennungslinie zwischen beiden Rechtsgebieten auflösen können. Wir müssen uns hier auf einige notwendige Hinweise beschränken; [156] eine eingehende Erörterung der implizierten Mitbestimmungsproblematik ist an dieser Stelle nicht möglich. a. Bei Aktien und GmbH-Anteilen ergeben sich hinsichtlich der gesellschaftsrechtlichen Verwaltungsrechte aufgrund Mitgliedschaft keine Beson94 Nachw. N. 16. Ähnlich bei Pfleiderer für die (ab 1971 eingeführten) „Anteilscheine“ der Mitarbeiter (stille Beteiligung). 95 So fast alle bisher bekannt gewordenen Erfahrungsberichte der Unternehmen; z. B. der Bericht ‚Vermögensreform‘ (N. 11). 96 So in allen hier erwähnten Beteiligungen. Vgl. auch Spiegelhalter, Ergebnisbeteiligung aaO (N. 6), S. 76. 97 Z. B. bei Fischer KG.
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derheiten. – Bei Arbeitnehmerdarlehen und stillen Beteiligungen ergeben sich zwei Probleme, erstens der Koordinierung, ggf. der gleichförmigen Modifizierung und kollektiven Ausübung der Rechte aus den zunächst rechtlich unverbunden nebeneinander bestehenden Beteiligungsverhältnissen der einzelnen Arbeitnehmer mit den Unternehmen, zweitens die Frage eines weitergehenden (gesellschaftsrechtlichen) Einflusses auf die Geschäftsführung. – Das Problem der Koordinierung und kollektiven Ausübung der Einzelrechte wird in den Beteiligungsmodellen auf verschiedenen Wegen organisatorisch gelöst. Die organisatorische Lösung hängt vor allem davon ab, welche Mitspracherechte den Mitarbeitern überhaupt eingeräumt werden sollen. Die naheliegendste und konventionellste Lösung besteht darin, dem Betriebsrat oder dem Wirtschaftsausschuß i. S. § 107 BetrVG gewisse Mitwirkungsaufgaben, z. B. Mitsprache bezüglich des Verteilungsschlüssels, in der Betriebsvereinbarung über das Beteiligungsmodell zu übertragen98. In den Fällen, in denen eine besondere Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft eingeschaltet ist, wird bisweilen dieser die Ausübung eines Informationsoder Mitspracherechtes übertragen99. In der Mehrzahl der Beteiligungsmodelle – sowohl bei Arbeitnehmerdarlehen wie bei stillen Beteiligungen – ist die Bildung besonderer „Partnerschaftsausschüsse“ mit unterschiedlicher Zusammensetzung und Kompetenz vorgesehen, denen gewählte Arbeitnehmervertreter angehören100. Manche Modelle schließlich haben besondere Organe auf der Ebene des Gesellschaftsvertrags der Inhabergesellschaft (Beiräte) eingeführt, also die Mitspracherechte in die gesellschaftsrechtliche Organisation des Unternehmens institutionell eingefügt101. Für die rechtliche Deutung des Zusammenschlusses der beteiligten Arbeitnehmer bieten sich – oft schwer unterscheidbar – arbeitsrechtliche wie gesellschaftsrechtliche Kategorien an. Man kann einmal von der in der Regel abgeschlossenen Betriebsvereinbarung ausgehen. Bei Abschluß von Partnerschaftsverträgen ist zu fragen, ob die Arbeitnehmer auch untereinander gesellschaftsrechtlich verbunden sind. Nach der gesetzlichen Modellvor- [157] stellung der §§ 335 ff HGB steht jeder still Beteiligte nur in Beziehungen zum Unternehmer; die noch vorherrschende Meinung verneint daher eine gesellschaftsrechtliche Verbundenheit mehrerer stiller Gesellschaf-
98 So bei: Pfleiderer (Guski I, S. 7, 48); Fa. R. Rieger & Dietz (Guski III, S. 32); Fa. Chr. Ufer KG (Guski III, S. 48). 99 Z. B. nimmt bei Bertelsmann die Beteiligungsgesellschaft ihre Rechte aus § 338 HGB zugleich im Interesse der Arbeitnehmer wahr. Text bei Guski I, S. 53 (56). 100 Nachweise bei Guski I–III. 101 Beispiele: Ahrensburger Modell (vgl. N. 9) gem. § 27 des Gesellschaftsvertrages; Tönnes-Modell (N. 77, 78), Art. 5; Otto Kreibaum KG (Guski III, S. 29 f); Oskar Biffar KG (aaO S. 12 ff).
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ter untereinander102. Diese Auffassung ist keineswegs unbestritten103. Da unstreitig die Parteien eine solche rechtliche Verbundenheit der Stillen untereinander vereinbaren können, reduziert sich das Problem auf die bloße Einordnungsfrage, ob insoweit noch von einer stillen Gesellschaft i. S. §§ 335 ff HGB gesprochen werden soll oder von einer BGB-Innengesellschaft. Es erscheint unbedenklich und zweckmäßig, mit der vordringenden Meinung auch hier von einer stillen Gesellschaft im technischen Sinn zu sprechen104. Die Kautelarpraxis der Arbeitnehmerbeteiligung sah sich wegen der bisherigen h. M. veranlaßt, zusätzlich zu den einzelnen Partnerschaftsverträgen der Arbeitnehmer mit dem Unternehmen noch eine BGB-Gesellschaft der Arbeitnehmer untereinander ausdrücklich vorzusehen105. Das gleiche Ergebnis läßt sich m. E. je nach den Umständen auch schon durch Auslegung der Partnerschaftsverträge erzielen. b. Die Rechte der Partnerschaftsausschüsse oder sonstigen Kollektivorgane sind häufig auf bestimmte Informationsrechte und im Fall stiller Beteiligungen auf die gemeinsame Wahrnehmung der Kontrollrechte gem. § 338 HGB beschränkt106. Weitergehende Rechte dieser Organe, welche die gesellschaftsrechtlichen Modellvorstellungen des Gesetzgebers (§§ 164, 335 HGB) überschreiten und einen gestaltenden Einfluß auf die Geschäftsführung gewähren würden, werden in den Beteiligungsmodellen z. T. ausdrücklich ausgeschlossen107; auch hier mag das Motiv der Vermeidung steuerlicher Mitunternehmerschaft107a mitspielen. Werden die Aufgaben des Partnerschaftsausschus[158] ses vom Betriebsrat oder Wirtschaftsausschuß i. S. § 107 BetrVG wahrgenommen, so stehen diesem die besonderen Mitbestimmungsrechte in
102 Schlegelberger/Gessler, HGB, § 335 Bem. 5; Heymann/Kötter, HGB, 4. Aufl. 1971, § 335 Anm. 4. 103 Dagegen jetzt etwa Blaurock, NJW 1972, 1119 m. Nachw., der sich vor allem auf BGH, NJW 1972, 338 beruft. Die Frage stand allerdings in der betr. Entscheidung des BGH keineswegs im Mittelpunkt. 104 Zur mehrgliedrigen stillen Gesellschaft allg. Paulick aaO (N. 69), S. 59 f m. Nachw.; Blaurock aaO; speziell bei Arbeitnehmerbeteiligungen jetzt Iher, RdA 1973, 303–306. 105 Im Porstmodell sind die an der Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft still beteiligten Arbeitnehmer untereinander ausdrücklich zu einer BGB-Gesellschaft zusammengeschlossen. 106 So z. B. der ‚Ausschuß der Mitarbeiterpartner‘ im Modell der Fischer KG; vgl. die Unternehmensinformation ‚Partnerschaft – ein Offenburger Modell‘ o. J.; ferner Guski (N. 6) II, 24, 57. – Bei Pfleiderer übt der Betriebsrat die Kontrollrechte nach § 338 HGB aus, ein weiteres Beispiel der Überschneidung von Gesellschafts- und Arbeitsrecht; vgl. Dobroschke (N. 22), S. 24 f. 107 So etwa von den hier genannten Beispielsfällen: Pfleiderer OHG; Bertelsmann; Vertragstexte bei Guski II (N. 6), 48, 56. 107a Vgl. BFH, BStBl. 1958 III S. 112; BFH, BStBl. 1953 III S. 94; zum Ganzen GauglerKuchinka (N. 10), S. 36–40. – Auch bei der atypischen stillen Gesellschaft ist steuerrecht liche Mitunternehmerschaft i. d. R. zu bejahen; Paulick aaO (N. 69), S. 293 ff.
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wirtschaftlichen Angelegenheiten des § 111 BetrVG zu; gesellschaftsrechtliche und betriebsverfassungsrechtliche Kompetenzen überlagern sich. Will man den beteiligten Arbeitnehmern einen weitergehenden Einfluß auf die Geschäftsführung einräumen – was in Abweichung der vorgenannten Praxis bei einer Reihe von Beteiligungsmodellen zutrifft –, so werden mit Zustimmung der Gesellschafter-Inhaber und z. T. aufgrund entsprechender Gestaltung des Vertrages der Inhabergesellschaft besondere Gremien (Beiräte, auch ‚Partnerschaftsausschüsse‘) gebildet, in denen die Arbeitnehmer vertreten sind und die mit bestimmten Rechten zur Überwachung und Beeinflussung der Geschäftsführung ausgestattet sind; diese Gremien fungieren dann z. T. intern ähnlich einem Aufsichtsrat108.
V. Auswirkungen auf die wirtschaftliche und rechtliche Situation der Unternehmen Entscheidend für die Realisierbarkeit und Effektivität der verschiedenen freiwilligen Beteiligungssysteme sind deren Auswirkungen auf die wirtschaftliche und rechtliche Situation der Unternehmen selbst. 1. Wirtschaftliche Auswirkungen In wirtschaftlicher Hinsicht sind hauptsächlich Auswirkungen auf (a) die Gewinnsituation, (b) die Kapitalversorgung und (c) die Kapitalstruktur zu unterscheiden. a. Beteiligungssysteme setzen grundsätzlich Unternehmensgewinne voraus, da sie sich im allgemeinen nicht auf die reine Umverteilung vorhandener Vermögensbeteiligungen erstrecken und umgekehrt nicht mit der Renditelosigkeit solcher Vermögensbeteiligungen begnügen wollen. Es ist nicht ganz überflüssig zu sagen, daß die bekanntesten und wirtschaftlich effektivsten Beteiligungsmodelle bei besonders erfolgreichen Unternehmen mit über[159] durchschnittlichen Gewinnen festzustellen sind109. – Beteiligungssysteme erfordern Aufwendungen der Unternehmen und verändern deren 108 Häufig ein Beirat, der die Geschäftsführung überwacht und z. T. in wichtigen Angelegenheiten vorher zustimmen muß; so im Ahrensburger Modell (N. 9) gem. § 27 Gesellschaftsvertrag und im Tönnes-Modell (N. 77, 78) gem. Art. 5. – Bei Pieroth (N. 12) hat der Partnerschaftsausschuß (2/3 Arbeitnehmervertreter) gewisse Prüfungs- und Mitspracherechte; bei Fischer ist ein paritätisch besetzter ‚Partnerschaftshauptausschuß‘ zur Überwachung der Geschäftsführung und in wichtigen Fragen zur Entscheidung berufen. Bei Porst fungiert ein Beirat mit Mitarbeitervertretern als Kontrollorgan der Porst VerwaltungsGmbH. 109 Dies gilt etwa für Fa. Behrens (Ahrensburger Modell), Pfleiderer, Pieroth, wohl auch z. Zt. der Einführung des Beteiligungsmodells für Porst. Hinzu kommt, daß es sich nicht
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Gewinnsituation. Allerdings wird ein nicht unerheblicher Teil der Aufwendungen durch Steuerersparnisse aufgefangen. Denn die einmaligen Zuschüsse (bei Investitionsangeboten i. S. III.2) oder die laufenden Gewinnanteile, welche die Arbeitnehmer aus reiner Ergebnisbeteiligung (III.1) oder als Partner im Rahmen dynamischer Beteiligungsmodelle für ihre Mitarbeit erhalten (III.3), mindern den Gewerbeertrag und damit die Gewerbesteuer. Diese Leistungen sowie das, was ihnen als Obligationären, Darlehensgebern oder stillen Gesellschaftern (aufgrund Kapitalinvestition) zufließt – mit Ausnahme der Dividenden für Belegschaftsaktien und der Gewinnanteile für Geschäftsanteile an einer GmbH – sind ferner gewinnmindernde Betriebsausgaben; daher wird bei Personengesellschaften das meist hochbesteuerte Einkommen der Gesellschafter-Inhaber entsprechend reduziert und bei Kapitalgesellschaften entfällt insoweit die Körperschaftssteuer, so daß insgesamt der Fiskus hier über 60 % dessen trägt, was der Arbeitnehmer erhält110. Diese Steuerersparnisse sind natürlich bei den Beteiligungsmodellen einkalkuliert. Gleichwohl bleibt, insbesondere bei laufenden ‚reinen‘ Ergebnisbeteiligungen, die also keine Kapitalinvestition der Arbeitnehmer vorausetzen, das Erfordernis bestehen, dem im Unternehmen investierten Eigenkapital – auch bei bewußtem Verzicht auf einen Teil des Gewinns – eine ausreichende Kapitalrendite zu sichern und das Unternehmen in diesem Sinn rentabel zu halten. Daher wird in allen Beteiligungssystemen der zwischen Kapital und Arbeit zu verteilende Gewinn als Gewinn nach Vorabzug einer angemessenen Verzinsung auch des Eigenkapitals definiert111; z. T. wird dabei das von den Arbeitnehmern investierte Kapital ohne Rücksicht darauf, ob es Eigenkapital darstellt, hinsichtlich dieser Vorabverzinsung gleich oder ähnlich gestellt112. [160] Nur der verbleibende Überschuß wird verteilt. – Im übrigen werden verschiedene Gewinnbegriffe zugrundegelegt113, wobei auch Zufälligkeiten der Steuergesetzgebung zu beachten sind114. Die Teilung des Restgewinns, der sich nach Vornahme der genannten und ggf. anderer Vorabzüge115 ergibt, erfolgt meist je zur Hälfte zwischen den um Großunternehmen i. e. S. handelt, die Zahl der Beteiligten also nicht zu groß ist; darauf weist auch Guski I, S. 36 hin. – Vgl. auch N. 157. 110 Zu Einzelheiten vgl. auch Gaugler/Kuchinka (N. 10), S. 17, 43 u. passim; Dobroschke (N. 22), S. 11 und passim. 111 So alle bisher genannten Beteiligungsmodelle. 112 Gleichstellung z. B. bei Fischer, Wilkhan, Pieroth, Bertelsmann. 113 Allg. zu den verschiedenen Gewinnbegriffen Siebke aaO (N. 6); Spiegelhalter, Ergebnisbeteiligung (N. 6), S. 26, zur dividendenorientierten Beteiligung S. 147 ff. – Vgl. auch Michael Günther, Der Einfluß der Partnerschaft und Erfolgsbeteiligung auf die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe, Marburg 1964, und N. 117. 114 Z. B. können hohe Sonderabschreibungen (Berlin) den steuerlichen Gewinn so vermindern, daß kein verteilungsfähiger Gewinn bleibt (falls dieser Bezugsgröße ist), der Inhaber und Eigenkapitalgeber aber hohe Substanzgewinne macht. 115 Vgl. N. 117.
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Unternehmensinhabern (Eigenkapitalgebern) und den Arbeitnehmern116. Dies scheint einem plausiblen Prinzip von Verteilungsgerechtigkeit zu entsprechen. Eine schematische Halbierung mißachtet aber die starken Unterschiede im Verhältnis von Kapitaleinsatz und Arbeitsintensität der Produktion in den verschiedenen Unternehmen und Geschäftszweigen. Bei sehr hohem Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz wird der Kapitalgeber durch hälftige Teilung benachteiligt, bei sehr niedrigem Kapitaleinsatz bevorzugt. Es finden daher auch andere Schlüssel Anwendung ebenso wie unterschiedliche Gewinnbegriffe, wobei z. T. die Unternehmerleistung gesondert berücksichtigt wird117. Wirtschaftlich liegt die Grenze einer jeden Ergebnisbeteiligung der Arbeitnehmer, die nicht auf einer (eigenen oder zugewendeten) Kapitalinvestition beruht, bei dem erwähnten Rentabilitätserfordernis: dem investierten Eigenkapital muß eine einigermaßen marktkonforme und risikogemäße Renditechance verbleiben. Will man diese Grenze aus übergeordneten sozialpolitischen Erwägungen überschreiten, muß der Eigenkapitalgeber bewußt einer Gewinnverteilung zustimmen, die für ihn unterhalb der marktüblichen Renditechance für Eigenkapital bleibt118. Am konsequentesten ist dies im Porstmodell geschehen, wo sich die bisherigen Eigenkapitalgeber mit einer festen Verzinsung begnügen119. b. Betrachtet man die Auswirkungen der verschiedenen Beteiligungsformen auf die Kapitalversorgung der Unternehmen, so entstehen Liquiditätsprobleme dort nicht, wo der Beteiligung tatsächliche Kapitalinvestitionen [161] zugrundeliegen, sei es in der Rechtsform von Aktien, GmbH-Anteilen, Obligationen, Kommanditanteilen, stillen Beteiligungen oder Arbeitnehmerdarlehen. Das Unternehmen verteilt hier Gewinn nur als Gegenleistung für Kapitalüberlassung, also nur soweit ihm zuvor Kapital zugeflossen ist. Anders verhält es sich bei der reinen Ergebnisbeteiligung, die allein im Hinblick auf die Arbeitskraft und ohne Kapitalinvestition gewährt wird, wobei
Z. B. Fischer, Wilkhan, Bertelsmann, Pieroth. Im Pieroth-Modell wird der verteilungsfähige Gewinn nach Vorabzug u. a. einer ‚Risikoprämie‘ ermittelt. – Im System der Spindlerwerke erfolgte die Verteilung im Verhältnis von Jahreslohnsumme zu betriebsnotwendigem Kapital. Zu anderen bereits früher entwickelten Konzepten einer Ergebnisbeteiligung, die dem Anteil der Arbeitsleistung an der Wertschöpfung entspricht, Debatin, BB 1951, 450 ff; Spiegelhalter, Ergebnisbeteiligung aaO. 118 Die Alternative zu dieser freiwilligen Zustimmung wäre eine generelle gesetzliche Regelung, die zugleich generell die Daten für die Rentabilität von Eigenkapital verändert. Hier wäre zu fragen, wie weit dies ohne weitreichende Veränderung unserer Wirtschaftsordnung durchführbar ist, die auch durch die geplanten gesetzlichen Regelungen erklärtermaßen (N. 25) nicht beabsichtigt ist; vgl. auch Günther aaO (N. 113), und i. F. VI. 1. 119 Vgl. Skizze oben IV. 2. Die Hannsheinz Porst KG übernimmc vorerst die Kapitalversorgung der Porstunternehmen gegen festen Zins. 116 117
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es gleichgültig ist, ob diese Beteiligung im Partnerschaftsvertrag in die Form einer stillen Gesellschaft gebracht ist. Die erwähnte Renditeschmälerung beeinträchtigt sowohl die Eigenkapitalbildung wie die Fremdfinanzierung durch Kreditaufnahmen. Dieser Nachteil wird jedoch bei den dynamischen Beteiligungssystemen in etwa dadurch wettgemacht, daß die Gewinnanteile der Arbeitnehmer thesauriert und im Unternehmen selbst reinvestiert werden. Viele dieser Modelle beziehen ihre Attraktivität für Unternehmer und Arbeitnehmer nicht nur daraus, daß ein erheblicher Teil der Arbeitnehmergewinnanteile vom Steuerfiskus mitgetragen wird, sondern auch daraus, daß sich die Unternehmen durch deren Reinvestierung eine zusätzliche Finanzierungsquelle erschließen120: wo das Unternehmen früher von 100 DM Gewinn höchstens 38 DM nach Steuern behielt, kann es nun volle 100 DM als Betriebskapital behalten, soweit es sie an seine Arbeitnehmer verteilt und zugleich als deren Arbeitnehmerdarlehen oder stille Beteiligung einbehält121. – Beim Porstmodell soll die Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft in dem Maß, in dem sich bei ihr die Gewinne zugunsten der Mitarbeiter ansammeln, selbst als Kommanditistin der einzelnen Unternehmen diese mit Kapital versorgen122. c. Schließlich ist der Einfluß auf die Kapitalstruktur der Unternehmen zu berücksichtigen. Sofern die Arbeitnehmer Aktien, GmbH- oder Kommanditanteile erwerben, verbessert sich die Eigenkapitalausstattung des Unternehmens; der Arbeitnehmer wird insoweit voller gesellschaftsrechtlicher Mitinhaber mit allen angedeuteten steuerlichen Nachteilen123. Die Kapital- [162] struktur bleibt zumindest unverändert, soweit bereits bestehende Anteile, z. B. eigene Aktien gem. § 71 I Nr. 2 AktG, gewährt werden. (Lediglich der proportionale Anteil der Altgesellschafter geht in beiden Fällen zurück.) – Anders verhält es sich im Fall der dynamischen Beteiligungsmodelle, bei denen die Arbeitnehmer nur Darlehensgeber oder stille Gesellschafter sind. Sie stehen dann dem Unternehmen als Gläubiger gegenüber und das von ihnen zur Verfügung gestellte Kapital bleibt Fremdkapital. Wachsen diese 120 Dieses Motiv wird von den Schöpfern vieler Beteiligungsmodelle angegeben (z. B. Pfleiderer, Bertelsmann). 121 Zur Berechnung allg. Gaugler/Kuchinka aaO (N. 10), S. 22 f m. Nachw. – Allerdings wird beim beteiligten Arbeitnehmer der Gewinnanteil lohnsteuerpflichtig, weil ihm auch der nicht ausgezahlte Gewinn steuerrechtlich ‚zufließt‘ (eine Frage, die beim PierothModell vom Finanzamt entgegen der h. M. verneint wurde). Dadurch wird der investierbare Gewinnanteil vermindert. Nach dem Bertelsmann-Modell wird daher vom Arbeitnehmer eine Eigenbeteiligung zum Ausgleich dieses Lohnsteuerabzuges verlangt, so daß im Ergebnis tatsächlich 100 % des Gewinnanteils dem Unternehmen als Betriebskapital zur Verfügung steht. 122 Vgl. Skizze oben IV. 2. 123 Vgl. oben IV. 1. c. Belastung mit Gewerbesteuer bei allen Gesellschaften; Belastung mit Körperschaftssteuer bei Kapitalgesellschaften.
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Anteile im Rahmen der dynamischen Beteiligungssysteme durch thesaurierte Gewinnanteile, so wächst der Fremdkapitalanteil des betreffenden Unternehmens. Dabei können zwei nachteilige Folgen eintreten. Erstens kann sich die Möglichkeit zur Aufnahme sonstiger Fremdmittel direkt verringern, weil etwa von den Banken die durch Bankbürgschaften abgesicherten Arbeitnehmerdarlehen voll auf das Bankkreditvolumen angerechnet werden124 und dem Unternehmen damit finanzielle Dispositionsfreiheit verloren geht, die in der Elastizität von Bankkreditfazilitäten liegt. Zweitens verschlechtert sich von einem bestimmten Punkt ab die Kapitalstruktur des Unternehmens125. Ein Ausgleich durch die Aufnahme von Eigenkapital von dritter Seite (Aktienemission, Aufnahme neuer Gesellschafter in die GmbH, OHG oder KG) hängt dabei davon ab, ob die Beteiligungssysteme den Unternehmen noch die Abgabe konkurrenzfähiger Investitionsangebote am Kapitalmarkt erlauben. Stark abgemildert, wenngleich nicht ganz beseitigt, wird der nachteilige Effekt auf die Kapitalstruktur dadurch, daß bei der stillen Beteiligung der Arbeitnehmer durchweg eine Verlustbeteiligung vorgesehen ist und das überlassene Kapital insofern dem Eigenkapital gleichsteht. Beim Porstmodell ist ein Schrumpfen der Eigenkapitalausstattung der Unternehmen der Porstgruppe durch Zwischenschaltung der Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft mbH (MAB) vermieden; diese ist Kommanditistin der Porstunternehmen, stellt diesen also (in wachsendem Umfang) Eigenkapital zur Verfügung, während die Arbeitnehmer selbst stille Gesellschafter der MAB-GmbH sind. Im Ergebnis bleiben die Gewinne, die sich zugunsten der Arbeitnehmer (bei der MAB-GmbH) ansammeln, als Eigenkapital erhalten. Bei dieser Konstruktion bleibt natürlich das Problem des mittelbaren Entzugs von Eigenkapital durch Abzug von stillen Beteiligungen aus der MAB-GmbH seitens aus[163] scheidender Arbeitnehmer, was notfalls die MAB-GmbH zur Reduzierung der Kommanditeinlage zwingen kann und so die Eigenkapitaldecke (bei unveränderter Haftung gem. § 172 IV 1 HGB) verkürzt. Das Problem kann durch Karenzzeiten und Staffelung der Auszahlung an die Ausscheidenden126 entschärft, wenngleich nicht eliminiert werden.
124 Die Sicherung der Arbeitnehmerdarlehen durch Bankbürgschaft wird bei Leistungen i. S. VermögensbildungsG durch § 2 I e vorgeschrieben. – Ein verbotenes Einlagegeschäft i. S. § 3 Nr. 1 KreditwesenG ist i. d. R. zu verneinen. 125 Vgl. allg. Dietrich Härle, Finanzierungsregeln und ihre Problematik, Wiesbaden 1961, S. 25 ff; Pius Hofer, Das Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital etc., Bern/ Frankfurt 1971; krit. zur Bestimmbarkeit der optimalen Kapitalstruktur Dieter Schneider, Investition und Finanzierung (N. 28), 312 ff, 392 ff, 451. 126 Vgl. oben N. 92.
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2. Gesellschaftsrechtliche Voraussetzungen und Auswirkungen Die verschiedenen Beteiligungsformen greifen in unterschiedlichem Ausmaß in die gesellschaftsrechtliche Organisation der Unternehmen und Position ihrer bisherigen Inhaber ein. Zunächst sind hier die gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen für die Schaffung der Beteiligungen zu betrachten, wobei wiederum zwischen der Gewährung voller gesellschaftsrechtlicher Mitinhaberschaft (a) und der Gewährung von Einzelrechten auf Gewinnbezug und gewissen Mitspracherechten (b; c) zu unterscheiden ist: anschließend ist nach Veränderungen der gesellschaftsrechtlichen Organisationsstruktur der Unternehmen zu fragen (d). a. Bei Gewährung der Mitinhaberschaft (Gesellschaftsanteil) an einer Personenhandelsgesellschaft ist grundsätzlich Zustimmung der Altgesellschafter und gesellschaftsvertragliche Regelung erforderlich127; die Altgesellschafter sind insofern gegen eine Veränderung des Personenkreises der Gesellschafter und des Umfangs ihrer eigenen Beteiligung geschützt. In den wenigen Fällen, in denen direkt (Tönnes) oder indirekt (Porst MitarbeiterbeteiligungsGmbH als Kommanditistin) solche Beteiligungen gewährt wurden, war der Gesellschaftsvertrag entsprechend zu gestalten. Im Regelfall der Einräumung stiller Beteiligungen ist dies nicht erforderlich, falls nicht eine obligatorische Angleichung an die Mitinhaberschaft vorgenommen wird (atypische stille Beteiligung)128, die in der Praxis der Arbeitnehmerbeteili- [164] gung aber meist vermieden wird129. In der Praxis ist bei Personengesellschaften die Verschaffung gesellschaftsrechtlicher Mithaberschaft an eine große und fluktuierende Zahl von Arbeitnehmern technisch schwierig; beim Ausscheiden von Arbeitnehmern wegen Arbeitsplatzwechsels ergeben sich Probleme 127 Diese Regelung kann im ursprünglichen Gesellschaftsvertrag oder durch dessen Abänderung getroffen werden; allg. dazu Schlegelberger/Gessler, HGB, 4. Aufl. 1965, § 130 Anm. 2 ff. 128 Zum wirksamen Abschluß eines Vertrags über eine stille Gesellschaft durch den vertretungsberechtigten Gesellschafter einer OHG oder KG allein vgl. RGZ 153, 371 (373 ff); 170, 99 (104 ff); BGH, LM § 128 HGB Nr. 7; BGH, NJW 1971, 375 (376); SCHILLING, Großkomm. z. HGB, 3. Aufl. 1970, § 335 Anm. 38; Baumbach/Duden, HGB, 20. Aufl. 1972, § 126 Anm. 1 D; § 335 Anm. 2 A. Allerdings kann Überschreitung der Geschäftsführungsbefugnis vorliegen (§§ 116 II, 164 HGB); Paulick aaO (N. 69), S. 130; Schlegelberger/Hefermehl, § 335 Anm. 28. Bei Vertragsschluß über eine atypische stille Gesellschaft wird überwiegend und zutr. die Zustimmung aller Gesellschafter wegen des Eingriffs in die gesellschaftsrechtlichen Beziehungen für erforderlich gehalten; Paulick aaO; Schilling aaO; in diesem Sinn wohl auch BGH NJW 1971, 376. – Z. T. wird an die Unterscheidung von vermögensmäßiger und verwaltungsmäßiger stiller Gesellschaft (dazu z. B. Paulick S. 114; Schilling aaO, Bem. 17 u. 18) angeknüpft und nur bei letzterer Zustimmung aller Gesellschafter zum Vertragsschluß gefordert; Aulinger, Die atypische stille Gesellschaft, 1955, S. 42 ff. 129 Vgl. oben bei N. 59. Allerdings sind verwaltungsmäßig atypische Beteiligungen in Betracht zu ziehen; dazu auch i. F. bei N. 141.
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wegen der Auseinandersetzung und wegen der gemäß § 172 IV 1, 159 HGB fortdauernden Haftung130. – Bei der GmbH ermöglicht zwar die freie Veräußerlichkeit der Geschäftsanteile im Prinzip Veränderungen im Personenkreis der Gesellschafter; technische Schwierigkeiten bei einer Beteiligung von Arbeitnehmern ergeben sich jedoch nicht nur aus der notariellen Form der Übertragung (§ 15 GmbHG), sondern vor allem aus der mangelnden Möglichkeit, genehmigtes Kapital zu schaffen130a und damit die Voraussetzungen einer flexiblen Ausgabe von Geschäftsanteilen. Bei der Aktie ergeben sich bekanntlich Einwände aus der steuerlichen Doppelbelastung und den allgemeinen teils psychologischen, teils objektiven Schwierigkeiten einer Popularisierung dieser Investitionsform. Die zuvor genannten rechtstechnischen Schwierigkeiten dagegen sind hier nicht gegeben. Die Ausgabe von Belegschaftsaktien erfolgt entweder aufgrund vorhergehenden Erwerbs eigener Aktien (§ 71 I Nr. 2 AktG), Kapitalerhöhung (§ 182; § 192 II Nr. 3 AktG) oder genehmigten Kapitals (§ 202 IV AktG). Im ersten Fall kann der Vorstand allein handeln131; das Gesetz geht hier davon aus, daß mangels Änderung des Grundkapitals und der Anzahl der ausgegebenen Aktien die Rechte der Aktionäre nicht beeinträchtigt sind; eine Verletzung von Rechten der Aktionäre, die an die Gesellschaft freiwillig Aktien veräußern, kommt nicht in Betracht. Im Fall der Erhöhung des Grundkapitals und der Neuausgabe von Aktien aufgrund einfacher oder bedingter Kapitalerhöhung oder genehmigten Kapitals sind die Aktionäre geschützt einmal durch das Erfordernis eines Hauptversammlungsbeschlusses über die Kapitalerhöhung mit Dreiviertelmehrheit (§§ 182 I, 193, 202 AktG), ferner durch ihr grundsätzliches Bezugsrecht (§ 186 I AktG), das [165] ausdrücklich ausgeschlossen werden muß (§§ 186 III, 192 II Nr. 3, 202 IV, 203 II AktG). Völlig ausgeschlossen wird durch das Aktiengesetz schließlich eine direkte Umverteilung bestehender gesellschaftsrechtlicher Beteiligungen an die Arbeitnehmer durch unentgeltliche Ausgabe neuer Aktien an diese (oder sonst Dritte) aufgrund Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. Das Bezugsrecht des Aktionärs kraft bestehender Mitgliedschaftsrechte ist hier unentziehbar (§ 212 AktG); der Gesetzgeber hat hier bewußt auf eine Ausnahme zugunsten von Belegschaftsaktien verzichtet132, eine direkte Umverteilung bestehender Beteiligungen auf diesem Weg also ausgeschlossen. Ein wirtschaftlich ähnlicher Umverteilungseffekt läßt sich jedoch dadurch erzielen, daß man eine der zulässigen Arten der Ausgabe von Belegschaftsaktien 130 Zu diesen Schwierigkeiten auch allg. Kommissionsbericht aaO (N. 23), S. 23 f. Vgl. auch Arbeitskreis GmbH-Reform aaO (N. 24), S. 74. 130a S. N. 130. 131 Barz in Großkomm. z. AktG, 3. Aufl. 1973, § 71 Anm. 12 m. Nachw.; Godin/ Wilhelmi, AktienG, § 71 Anm. 5; Lutter, Kölner Komm. z. AktG (1970), § 71 Anm. 23, 10. 132 Godin/Wilhelmi, § 212 Anm. 1 m. Nachw.; Lutter aaO (1971), § 212 Anm. 7.
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kombiniert mit direkten oder indirekten einmaligen Zuwendungen an die Arbeitnehmer oder deren laufenden Gewinnbeteiligungen, so daß diese die Aktien stark verbilligt oder (seltener) gratis beziehen können. Dafür kommen verschiedene Wege der unternehmens- oder aktionärsseitigen (Teil-) Finanzierung der Belegschaftsaktien133 in Betracht: bei Aktienausgabe aufgrund genehmigten Kapitals Deckung aus Teilen des Jahresüberschusses, die in die freien Rücklagen eingestellt werden können (§§ 204 III 1, 58 II AktG), bei bedingter Kapitalerhöhung Deckung aus einer Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer (§ 192 II 3)134, ferner sonstige einmalige oder fortlaufende soziale Leistungen, z. B. in Verbindung mit einer verbilligten Ausgabe von Aktien, die der Vorstand nach § 71 I 2 AktG erworben hat. Nicht immer ist hier die Zustimmung der Hauptversammlung speziell zu diesen Zuwendungen erforderlich; dies hängt vielmehr davon ab, ob deren Gewinnverwendungsrecht formell berührt wird oder eine reine Maßnahme der Geschäftsführung vorliegt135. b. Soweit den Arbeitnehmern nicht gesellschaftsrechtliche Mitinhaberschaft gewährt werden soll, sondern nur Anteil am Gewinn oder auch einzelne [166] Mitspracherechte und damit Ausschnitte der Rechte, wie sie gewöhnlich den Gesellschafter-Inhabern zustehen, ist zu fragen, ob dadurch die gesellschaftsrechtliche Position der bisherigen Inhaber berührt und damit deren Zustimmung, ggf. eine entsprechende Änderung des Gesellschaftsvertrages (Satzung) erforderlich wird. Hier sind zunächst alle finanziellen Beteiligungen im weitesten Sinn zu betrachten, d. h. nach der beschriebenen Beteiligungspraxis laufende (‚reine‘) Ertragsbeteiligungen (oben III.1) sowie Gewinnbeteiligung aufgrund stiller Gesellschaft (Partnerschaft) mit und ohne eigene Kapitaleinlage (oben III.2 und 3), ferner einmalige Zuwendungen aus dem Gewinn, etwa im Zusammenhang mit der Gewährung von verbilligten Belegschaftsaktien und unentgeltlichen stillen Beteiligungen. Es ist eine der gesellschaftsrechtlichen Kernfragen der Arbeitnehmerbeteiligung, wann in solchen Fällen ein Eingriff in die Rechte der bisherigen Gesellschafter-Inhaber vorliegt, die ja in allen Gesellschaftsformen grundsätzlich den Gewinn zu beanspruchen und über 133 Allg. zu diesen beiden Finanzierungsarten für Belegschaftsaktien (deren Unterscheidbarkeit umstritten ist), Peterssen aaO (N. 21), S. 33 ff. 134 Formell liegt hier eine Finanzierung durch den Arbeitnehmer vor (so auch Peterssen aaO, S. 32), wirtschaftlich eine durch das Unternehmen. 135 Zur Gewinnzuwendung an Dritte durch Beschluß der HV – ein praktisch bedeutungsloser Fall – vgl. § 58 III 2 AktG. – Bei verbilligter Zuwendung im Fall des § 71 I 2 AktG wird nach h. M. eine zustimmungsfreie Maßnahme der Geschäftsführung angenommen; Barz aaO; Godin/Wilhelmi aaO (N. 131). Allg. zur Zuständigkeit bei Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer i. F. – Gratisaktien sind in der Praxis auf Ausnahmefälle beschränkt (Firmenjubiläum); das Kapitalerhöhungsgesetz limitiert normalerweise die Verbilligung; vgl. N. 50.
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seine Verwendung zu bestimmen haben, soweit nicht der Gesellschaftsvertrag (die Satzung) anders bestimmt. In allen Fällen solcher Gewinnbeteiligungen ist vorweg zu unterscheiden, ob es sich formell um eine Ausschüttung des Gewinns im gesellschaftsrechtlichen Sinn (§§ 120 ff HGB; § 58 AktG) handelt, wozu bei der Aktiengesellschaft ein Hauptversammlungsbeschluß gem. § 58 III 2 AktG erforderlich wäre (eine praktisch fast bedeutungslose Möglichkeit), oder aber um Betriebsausgaben im Rahmen der Gewinn- und Verlustrechnung. Die hier zu betrachtenden Gewinnbeteiligungen der Arbeitnehmer gehören in der Regel zu der letzteren Gruppe. Damit entfallen aber noch nicht ohne weiteres alle Fragen ihrer Zulässigkeit nach Gesellschaftsrecht und ihrer gesellschaftsrechtlichen Voraussetzungen. Vielmehr ist auch hier zu prüfen, ob und wann rechtlich relevante Eingriffe in die Gewinnrechte der Gesellschafter-Inhaber und in die Struktur der Inhabergesellschaft vorliegen; dabei ist, soweit erforderlich, zwischen Personalgesellschaften und Kapitalgesellschaften (AG) zu unterscheiden. Grundsätzlich ist es bei allen Gesellschaftsformen rechtlich möglich und üblich, daß die geschäftsführenden Organe einer Gesellschaft ohne Zustimmung der (anderen) Gesellschafter gewinnorientierte, variable Entgelte mit Dritten vereinbaren, etwa Tantiemen für Vorstandsmitglieder und Angestellte oder Gewinnanteile bei partiarischem Darlehen. Dies gilt bei Personengesellschaften nach der vorwiegenden Meinung auch für den Abschluß einer typischen stillen Gesellschaft136. Erst bei Abschluß einer atypischen [167] stillen Gesellschaft, die den Stillen schuldrechtlich einem Gesamthänder gleichstellt oder ihm besondere Verwaltungsrechte gewährt, ist die Zustimmung der Gesellschafter-Inhaber wegen des Eingriffs in deren Rechte und in die Struktur der Gesellschaft erforderlich137. Dies trifft auf einige Beteiligungsmodelle wegen der besonderen Mitspracherechte der beteiligten Arbeitnehmer zu138. Es fragt sich, ob nicht auch unabhängig von der Gewährung solcher Mitspracherechte die Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer u. U. der Zustimmung aller Gesellschafter-Inhaber bedarf. Die h. M. zur typischen stillen Gesellschaft geht von deren Ähnlichkeit mit einem partiarischen Darlehen und damit einer bloßen Kreditgewährung aus und davon, daß der Stille nicht in die Inhabergesellschaft eintritt. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß auch bei der typischen stillen Gesellschaft der Betrieb des Unternehmens, der bisher nur Zweck der Inhabergesellschaft war, nun zugleich Zweck der stillen Gesellschaft wird, und daß ferner die hier vereinbarte Gewinnbeteiligung – 136 Zu Tantiemen allg. oben N. 45; zur Vertretungsmacht der vertretungsberechtigten Gesellschafter einer Personengesellschaft, eine (typische) stille Gesellschaft mit einem Dritten zu vereinbaren, vgl. N. 128 und z. B. BGH NJW 1971, 375. 137 Nachw. N. 128. 138 Vgl. oben IV. 4 und i. F. d.
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zumindest tendenziell – in die Struktur der Gewinnverteilungsregelung der Inhabergesellschaft eingreift, auch wenn sie formell deren rechtliche Grundlage unberührt läßt. Bei quantitativ bedeutenden Gewinnbeteiligungen stiller Gesellschafter wird man den Eingriff in die Gewinnverteilungsstruktur der Inhabergesellschaft als rechtlich relevant anerkennen und die Zustimmung aller Gesellschafter-Inhaber für erforderlich halten müssen. Eine solche „quantitativ atypische“ stille Gesellschaft liegt aber in aller Regel vor, wenn viele oder alle Arbeitnehmer eines Unternehmens als stille Gesellschafter beteiligt werden. Die Abgrenzungsprobleme sind keineswegs unüberwindlich; die relevanten Fälle lassen sich in der Praxis angeben. Ein solcher Fall ist etwa bei Einführung eines Beteiligungsmodells gegeben, wenn dieses hälftige Teilung des Gewinns zwischen Kapitalgebern und Arbeitnehmer vorsieht, wobei es allerdings auf den verwendeten Gewinnbegriff ankommt139; ganz sicher liegt er vor bei Anwendung des im Porstmodell zugrunde gelegten radikalen Grundsatzes, daß das haftende Eigenkapital (also die Gesellschafter der Inhabergesellschaft) auf eine feste Verzinsung beschränkt sei und aller überschießender Gewinn den Arbeitnehmern zufließen solle. Solche Vereinbarungen überschreiten die Vertretungsmacht (und die Geschäftsführungsbefugnis) des geschäftsführenden Gesellschafters140. [168] Man könnte gegenüber dem genannten quantitativen Abgrenzungskriterium einwenden, daß auch reine Lohnerhöhungen, deren Vereinbarung doch eindeutig in die Kompetenz der geschäftsführenden Organe einer Gesellschaft fällt, im Verteilungskampf der Sozialpartner einschneidende Umverteilungseffekte haben und u. U. einen Gewinn der Gesellschafter tatsächlich für eine bestimmte Periode zum Wegfall bringen können, ohne daß man deshalb auf den Gedanken käme, daß hier alle Gesellschafter zustimmen und den Gesellschaftsvertrag ändern müßten. Bei Ertragsbeteiligungen ist die Lage insofern anders, als sie durch ihre Orientierung am Gewinn zumindest tendenziell in die Struktur der bestehenden Gewinnverteilungsregelung der Inhabergesellschaft eingreifen; dieser Eingriff ist, sofern die Beteiligung nicht quantitativ unbedeutend ist, gesellschaftsrechtlich relevant. Entwickelte Partnerschaftsmodelle treffen dementsprechend die Beteiligungsregelungen auf der Ebene des Gesellschaftsvertrags der Inhabergesellschaft141.
139 D. h. ob vor der Gewinnteilung eine Vorabverzinsung des Kapitals, Investitionsrücklagen u. ä. vorgesehen sind. Vgl. auch oben IV. 3 und V. 1 a. sowie N. 113, 117. 140 In entsprechender Anwendung der Grundsätze zur atypischen stillen Gesellschaft (N. 128). Eine direkte Anwendung nach herkömmlichen Kategorien ist häufig nicht gegeben, weil durchweg keine vermögensmäßig atypische Beteiligung (am Wertzuwachs des Produktivvermögens) und auch nicht in allen Fällen eine verwaltungsmäßig atypische Gesellschaft (Beteiligung an der Geschäftsführung i. w. S.) vorliegt. 141 Vgl. die Nachw. oben IV. 4 b.
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c. Bei der Aktiengesellschaft ist der grundsätzliche Gewinnanspruch der Aktionäre einmal durch das Gewinnverwendungsrecht der Hauptversammlung (§§ 58, 174 AktG), zweitens durch die Regelung der Teilgewinnabführungsverträge in § 292 AktG geschützt. § 58 AktG hindert den Vorstand einer AG jedoch nicht schlechthin, den Arbeitnehmern oder sonst Dritten Gewinnanteile zuzuwenden oder zu versprechen, sofern das Geschäft zu seinem Aufgabenbereich gehört und nicht aus bestimmten Gründen (z. B. nach § 292 AktG) seiner alleinigen Zuständigkeit entzogen ist142. Der Bilanzgewinn ist je nach dem Inhalt dieser Vereinbarungen eine Rechengröße, die Leistung nicht verteilungsfähiger Gewinn, sondern (steuermindernde) Betriebsausgabe143. Die Vereinbarung von Gewinnbeteiligungen kann jedoch ein Teilgewinnabführungsvertrag i. S. § 292 I Nr. 2 AktG sein, der als Unternehmensvertrag der Zustimmung der Hauptversammlung mit [169] Dreiviertelmehrheit gem. § 293 I AktG bedarf. § 292 I Nr. 2 AktG erfaßt nach h. M. alle schuldrechtlichen Verpflichtungen gegenüber Dritten auf Gewinnabführung144. Das Gesetz nimmt in § 292 II AktG Verträge mit einzelnen Arbeitnehmern aus. Bei Vereinbarung dauernder Gewinnbezugsberechtigungen vieler oder aller Arbeitnehmer ist nach h. M. diese Ausnahme nicht gegeben; es liegt vielmehr ein zustimmungsbedürftiger Vertrag gem. § 292 I Nr. 2 AktG vor145. Es kann demnach nicht darauf ankommen, ob die Gewinnbezugsrechte der Arbeitnehmer in einer Betriebsvereinbarung oder nur in einzelnen Partnerschaftsverträgen mit den Arbeitnehmern vereinbart sind. Im letzteren Fall wären die Partnerschaftsverträge insgesamt zu betrachten; die Ausnahme des § 292 II AktG liegt nur vor, wenn tatsächlich nur eine kleinere Anzahl von Arbeitnehmern beteiligt wird. Daraus sollte man schließen, daß bei Gewinnbeteiligungen normalerweise die Zustimmung der Hauptversammlung eingeholt wird. In der Praxis ist das Gegenteil der Fall. Die verschiedenen Formen einer Gewinnbeteiligung i. w. S. der Arbeitnehmer werden i. d. R. allein durch den Vorstand ausgehandelt oder bestimmt; es werden also zustimmungsfreie Zuwendungen gewählt. Falls lediglich einzelne Arbeitnehmer beteiligt werden, gilt die Ausnahme des § 292 II AktG. Bei Beteiligung vieler oder aller Arbeitnehmer läßt sich der Tatbestand des § 292 I Nr. 2 AktG einmal dadurch vermeiden, daß keine feste Verpflichtung zur Teilgewinnabführung begründet wird, vielmehr der Vor Barz, Großkomm. z. AktG, § 58 Anm. 24/25; Lutter, Kölner Komm. z. AktG, 1970, § 58 Anm. 47. – Umstritten ist, ob der Vorstand allein einen Vertrag über eine stille Gesellschaft schließen kann; bejahend wohl Lutter aaO m. Nachw.; für das Erfordernis der Zustimmung der HV wegen § 292 AktG Schilling, Großkomm. z. HGB, § 335 Anm. 37; § 58 II 1 b. 143 Vgl. auch Barz aaO; Lutter aaO. 144 Würdinger aaO. 145 Baumbach/Hueck, AktG, 13. Aufl. 1968, § 292 Bem. 8; Godin/Wilhelmi, § 292 Anm. 4. 142
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stand über Art und Höhe der Zuwendungen an die Arbeitnehmer fallweise entscheidet. Wird eine feste Verpflichtung, etwa durch Betriebsvereinbarung, begründet, so kann man dem § 292 I Nr. 2 AktG gleichwohl dadurch ausweichen, daß man die Berechtigung der Arbeitnehmer nicht unmittelbar auf den Gewinn bezieht, sondern eine andere Bezugsgröße wählt und z. B. eine dividendenabhängige Beteiligung festlegt146. Schließlich ist die Anwendung der weiteren Ausnahme des § 292 II AktG erwägenswert, wonach Gewinnbeteiligungen im Rahmen des laufenden Geschäftsverkehrs zustimmungsfrei bleiben sollen. Der Gesetzgeber wollte unbedeutende Gewinnabführungen zustimmungsfrei lassen147. Man wird diesen Fall annehmen können, wenn eine Ergebnisbeteiligung quantitativ nicht aus dem Rahmen fällt, in dem der Vorstand auch sonst Arbeitsentgelte und soziale [170] Leistungen aushandelt und vereinbart. Man wird die quantitative Grenze im Rahmen des § 292 II AktG allerdings nicht allzu hoch ansetzen dürfen. Entwickelte Partnerschaftsmodelle etwa i. S. der beschriebenen dynamischen Beteiligungsmodelle (oben III 3) könnten nicht auf diesem Weg ohne Zustimmung der Hauptversammlung eingeführt werden. – Ferner ist bei der AG allgemein, d. h. auch bei Zuwendungen an Arbeitnehmer, die nicht unter § 292 AktG fallen, die interne rechtliche Begrenzung der Geschäftsführungsbefugnis des Vorstandes zu beachten, die sich aus der Möglichkeit einer Pflichtverletzung und Haftung gegenüber den Aktionären ergibt148. d. Die durch Arbeitnehmerbeteiligungen bewirkten Veränderungen in der gesellschaftsrechtlichen Organisation der Unternehmen sind im Ergebnis begrenzt. Durch eine gesellschaftsrechtliche Mitinhaberschaft der Arbeitnehmer, etwa Belegschaftsaktien oder die Aufnahme der Arbeitnehmer als Kommanditisten (Tönnes), verändert sich lediglich der Kreis der Gesellschafter (und damit natürlich auch bestehende Mehrheitsverheitsverhältnisse), nicht aber die organisatorische Struktur der Gesellschaft. Möglich ist eine qualitative, durch die Kategorien des Gesellschaftsrechts nur inadäquat ausgedrückte Veränderung der Unternehmensleitung und Geschäftspolitik in dem Maß, in dem der Anteil der Arbeitnehmer im Kreis der Gesellschafter nach Zahl und Kapitalanteil wächst, was bei Aufnahme einer Mitarbeiterbeteiligungsgesellschaft als Gesellschafter besonders augenfällig wird (Porst). – 146 Solche dividendenorientierten Beteiligungen in verschiedenen Spielarten (Dividendensummensystem; Dividendensatzsystem) sind in der Praxis seit längerem üblich; Spiegelhalter, Ergebnisbeteiligung aaO (N. 6), S. 147 ff. Sie sind Gewinnbeteiligungen i. S. § 292 AktG nicht gleichzustellen. 147 Würdinger in Großkomm. z. AktG, 3. Aufl. 1972, § 292 Bem. 15 mit Bezugnahme auf die amtl. Begründung. 148 Vgl. z. B. Godin/Wilhelmi, § 91 Anm. 5 hinsichtlich der Zuwendungen bei verbilligter Ausgabe von Belegschaftsaktien nach § 71 AktG. – Allg. zur Verletzung interner Geschäftsführungsschranken durch den Vorstand einer AG durch Abschluß eines Vertrags über eine stille Gesellschaft Paulick, S. 132 (der aber auf § 292 AktG nicht eingeht).
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Andererseits lassen auch reine Gewinnbeteiligungen in organisatorischer Hinsicht die gesellschaftsrechtliche Struktur des Unternehmens unverändert, ebenso wie Arbeitnehmerdarlehen mit oder ohne Zwischenschaltung einer entsprechenden Beteiligungsgesellschaft. Veränderungen der organisatorischen Struktur werden jedoch durch solche Beteiligungsformen bewirkt, in denen die Arbeitnehmer, ohne gesellschaftsrechtliche Mitinhaber (Aktionäre, Kommanditisten usw.) zu werden, Mitsprache-, Mitwirkungs- und Kontrollrechte erhalten, die über die üblichen Kontrollrechte gem. § 339 HGB oder betriebliche Mitspracherechte im Rahmen des Betriebsverfassungsgesetzes hinausgehen und einen Einfluß generell auf die Unternehmensleitung (Geschäftsführung) gewähren. Hier ist nicht nur zu fragen, ob die Vereinbarung einer solchen Regelung die Kompetenz der geschäftsführenden Organe überschreitet, sondern auch, ob sie überhaupt mit der gesellschaftsrechtlichen Organisationsstruktur des Unternehmens [171] vereinbar ist. Hier sind entwickelte Partnerschaftsmodelle wie das Ahrensburger Modell zu nennen, die neben weitreichender Gewinnbeteiligung der Arbeitnehmer als stiller Gesellschafter (Partner) Verwaltungsrechte dieser Partner verbunden mit der Einrichtung besonderer Organe (Beiräte) vorsehen, in denen Arbeitnehmer vertreten sind. Solche Regelungen sind bei Personengesellschaften durchführbar und anzutreffen149. Die Beteiligungsmodelle nutzen hier die Flexibilität in der Gestaltung der Geschäftsführungszuständigkeiten bei Personengesellschaften aus. Die Begrenzung liegt darin, daß die Mitsprache-, Mitwirkungs- und Kontrollrechte nur intern gegeben sind und die Vertretungsmacht und Verantwortlichkeit nach außen unberührt lassen. Dies wird auch in den Verträgen z. T. ausdrücklich klargestellt. Derartige Regelungen setzen die Zustimmung aller Gesellschafter und die grundsätzliche Regelung der Partnerschaft und ihrer Organe im Gesellschaftsvertrag voraus150. – Bei Kapitalgesellschaften ist ein gleicher Spielraum der rechtlichen Gestaltungsfreiheit nicht gegeben. Für eine GmbH unter 500 Arbeitnehmern kann ein Aufsichtsrat (§ 52 GmbHG) oder ein ähnliche Funktionen übernehmender Beirat durch Gesellschaftsvertrag vorgesehen und die Mitwirkung der Arbeitnehmer darin kann ziemlich frei gestaltet werden. Im übrigen aber sind die zwingenden Bestimmungen der Mitbestimmungsgesetzgebung und die Organisationsnormen des Aktiengesetzes über die Kompetenz des Vorstandes und die Zusammensetzung des Aufsichtsrates zu beachten151. Praktisch bleibt hier neben der Gewährung von Arbeitnehmeraktien die Einrichtung von beson Vgl. allg. oben IV. 4. Vgl. oben IV. 4 und V. 2 b. 151 Insbesondere das ausschließliche und unabdingbare Geschäftsführungsrecht des Vorstandes (§ 76 AktG), mit nur begrenzter Einschränkbarkeit durch die Satzung und begrenzter Abhängigkeit vom Aufsichtsrat gem. § 111 IV AktG. 149 150
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deren Arbeitnehmerbeteiligungsgesellschaften möglich, die entweder selbst Aktien (bzw. GmbH-Geschäftsanteile) halten oder auf die Rechte typischer stiller Gesellschafter beschränkt sind.
VI. Gesamtbeurteilung Bei einer Gesamtbeurteilung der Beteiligungspraxis sind die folgenden wirtschaftlichen und rechtlichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, ohne daß hier Anspruch auf Vollständigkeit erhoben wird. [172] 1. Zur Problematik der Umverteilung a. Die verschiedenen Formen freiwilliger Beteiligung der Arbeitnehmer zeigen im Ausschnitt die allgemeine Problematik jeder Umverteilung von Unternehmensgewinnen und von Produktivvermögen. Geht man zunächst von der (partiellen) Umverteilung der Unternehmensgewinne aus, die als die „mildere“ Form erscheint und sowohl Ansatzpunkt vieler Beteiligungsmodelle als auch Leitidee gesetzgeberischer Pläne ist, so ergibt sich wirtschaftlich primär das Problem der Unternehmensfinanzierung. Dieses Problem ist unabhängig von den im positiven Recht bisher gesellschaftsrechtlich geregelten Eigentumsverhältnissen und Leitungskompetenzen im Unternehmen und beruht auf der Eigengesetzlichkeit der Unternehmen als Wirtschaftseinheit, auf Kapitalversorgung und Renditechancen angewiesen zu sein, und zwar in einer Wettbewerbswirtschaft, in der die Kapitalversorgung der Unternehmen wenigstens im Prinzip marktförmig (nach Knappheitspreisen) erfolgt und insofern einer gewissen externen Rentabilitätskontrolle unterliegt152. Danach ist eine Verteilung von Unternehmensgewinnen an die Arbeitnehmer als reine Gewinnbeteiligung nur in engen Grenzen möglich153, und eine darüber hinausgehende nachhaltige Gewinnbeteiligung erfordert auch eine Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmen. Der Gewinnumverteilung muß also von einer gewissen Schwelle an eine Umverteilung auch des Produktivvermögens entsprechen. Die Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer muß sich in einer Kapitalinvestition im Unternehmen ausdrücken. Die erste Die hier als kennzeichnend für die Wettbewerbswirtschaft angesprochene externe Rentabilitätskontrolle der Unternehmen durch den Kapitalmarkt bedarf angesichts der Besonderheiten des (unvollkommenen) Kapitalmarktes und der Eigengesetzlichkeiten der Unternehmensfinanzierung einer differenzierten Betrachtung. Wohl unstreitig ist, daß der Kapitalmarkt Investitionskriterien für die Unternehmensfinanzierung gibt; D. Schneider aaO (N. 27), S. 183 f, 295 ff, 307 ff, 392 ff. – Es bedarf keiner Ausführungen, daß auch ein verändertes Wirtschaftssystem das Rentabilitätserfordernis nicht eliminieren, sondern nur (gemeinwirtschaftlich) verlagern könnte. 153 Vgl. oben V. 1. 152
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entscheidende Frage ist dann die Quelle und Aufbringung dieser Kapitalinvestition. Die zweite Frage ist die nach der Rechtsform der Vermögensbeteiligung, wobei die Eigenkapitalbedürfnisse der Unternehmen154 es im gewissen Umfang erfordern, daß die Vermögensbeteiligung gesellschaftsrechtliche Mitinhaberschaft, die Investition also die entsprechende gesellschaftsrechtliche Einlage ist; als Zwischenlösung kommt z. T. stille Gesellschaft mit Verlustbeteiligung in Betracht. [173] b. Die Lösung aller genannten Fragen zugleich könnte theoretisch in einer unentgeltlichen direkten Umverteilung bestehender Gesellschaftsanteile zu Lasten der bisherigen Inhaber bestehen. Dieser Weg wird in der freiwilligen Beteiligungspraxis rechtlich nicht beschritten, wirtschaftlich in Ausnahmefällen indirekt erreicht (Gratisaktien). Bei Personengesellschaften müßte er durch (unentgeltliche) Einräumung von Gesellschaftsanteilen unter Umbuchung bestehender Kapitalanteile erfolgen („Einbuchung“155). Für die beschriebenen dynamischen Beteiligungsmodelle ist dies nicht typisch. Direkte Umverteilung vorhandenen Gesellschaftsvermögens ist hier nur insofern festzustellen, als bei Einräumung neuer Gesellschaftsanteile (gegen Einlage) ausnahmsweise vorhandene stille Reserven ohne Gegenleistung miteinbezogen wurden (Porst)156. Im übrigen gehen die Beteiligungssysteme anders vor: Sie lösen das Teilproblem der Unternehmensfinanzierung durch Investition der beteiligten Arbeitnehmer und zeigen zugleich drei Quellen solcher Investitionen: In geringem Umfang Eigenleistungen der Arbeitnehmer, zweitens teilweise Umverteilung der laufenden Unternehmensgewinne durch Gewinnbeteiligung und drittens Steuerersparnisse. Entscheidend ist dabei die Zustimmung der bisherigen Eigenkapitalgeber und gesellschaftsrechtlichen Inhaber zur laufenden Gewinnbeteiligung, wodurch ihre eigenen Gewinnanteile wirtschaftlich und z. T. auch gesellschaftsrechtlich beeinträchtigt werden. Von diesem Beitrag ist letztlich der größenmäßig bedeutendere, nicht ganz unproblematische157 Beitrag des Steuerfiskus durch Steuerersparnisse abhängig. – Das weitere Teilproblem der gesellschaftsrechtlichen Mitin-
Vgl. oben V. 1, b und c. Zur „Einbuchung“ allg. Huber aaO, S. 200 ff. 156 Im Porstmodell hinsichtlich der Beteiligung der MitarbeiterbeteiligungsGmbH an den produzierenden Kommanditgesellschaften. – Allgemein liegt der Grund für solche Umverteilungseffekte bei Eintritt in eine Personengesellschaft darin, daß der Kapitalanteil den Anteil an den stillen Reserven nicht ziffernmäßig ausdrückt und ebensowenig den aus dem Ertragswert folgenden u. U. höheren Firmenwert (der auch in der Bilanz nicht aktiviert werden darf); vgl. auch Huber aaO, S. 223 f, 322; Heinrich Sudhoff, Der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaften, 4. Aufl. 1973, S. 111. 157 Der im Augenblick willkommene und sozialpolitisch akzeptable Beitrag des Fiskus müßte bei allgemeiner Verbreitung der Beteiligungspraxis durch das öffentliche Interesse am Steueraufkommen und an fiskalischer Umverteilung kontrolliert werden. 154 155
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haberschaft der Arbeitnehmer wird dagegen durch die bevorzugte Form der stillen Beteiligung nur sehr unvollkommen gelöst. c. Die geplante gesetzliche Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer, die hier nicht ausführlich zu besprechen ist, unterscheidet sich von der freiwilligen Unternehmensbeteiligung in ihrer üblichen Form157a zunächst durch [174] ihren globalen, nicht auf die Ebene der einzelnen Unternehmen bezogenen Verteilungseffekt. Im übrigen ergeben sich hier die gleichen, bereits erörterten Probleme jeder Umverteilung von Unternehmensgewinnen und von Produktivvermögen, wobei primär die Finanzierungsprobleme der Unternehmen (Kapitalversorgung, Eigenkapitalausstattung) zu respektieren sind. Die Folgerung lautet auch hier, grob gesagt: Umverteilung nicht zu Lasten des Unternehmens als Wirtschaftseinheit, wohl aber zu Lasten der (bisherigen) Inhaber158. Dabei wird wiederum der weniger direkte („mildere“) Weg einer Umverteilung von Gewinnanteilen und deren Reinvestition angestrebt159, also eine für die neueren Partnerschaftsmodelle typische Lösung; für die zu schaffenden Beteiligungsrechte (über die reinvestierten Gewinnteile) ergeben sich entsprechende rechtstechnische Probleme, wie sie für die freiwilligen Beteiligungen erörtert wurden160. Der Gesetzgeber soll dabei eine Gewinnabführung, zu der sich einige Unternehmesninhaber oder Unternehmensleitungen freiwillig entschlossen haben, für alle verbindlich einführen. Der Eingriff in die Rentabilität der Unternehmen aus der Sicht der bisherigen Eigenkapitalgeber (Gesellschafter) und damit aus der Sicht des Kapitalmarktes soll gleichwohl die Wettbewerbssituation der Unternehmen am Kapitalmarkt nicht verändern, weil das Gesetz durch Belastung aller (größeren) Unternehmen die Daten möglichst gleichmäßig ändert161. Die gesetzliche Regelung wird möglicherweise bei Nichtanrechenbarkeit freiwilliger Beteiligungen eine Reihe dieser Beteiligungsformen zum Verschwinden bringen, wobei z. T. vorsorglich vereinbarte Kündigungsmöglichkeiten ausgenutzt werden können162. Andere Modelle werden bestehenblei157a Eine Ausnahme unter den freiwilligen Beteiligungsmodellen bildet insofern Rosen thal, als hier auch eine Form ‚überbetrieblicher‘ Vermögensbildung (Investmentsparen) eingeführt wurde; vgl. oben Nr. 11 und 51. 158 Auf diesen oft kaschierten Grundgedanken weisen Vermögenspolitiker wie Hesselbach und Ehrenberg zutr. hin. 159 Damit werden zugleich diejenigen Enteignungsprobleme vermieden, die eine direkte Umverteilung (Umbuchung) bestehender Kapitalanteile aufwerfen würde. 160 Natürlich besteht für den Gesetzgeber ein größerer Gestaltungsspielraum, der jedoch keineswegs unbegrenzt ist. Zu den Plänen besonderer Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer vgl. den mehrfach erwähnten Kommissionsbericht von 1957 (N. 23) und die Vorschläge des Arbeitskreises für GmbH-Reform aaO (N. 24). 161 Mögliche Lücken der Regelung (kleinere Unternehmen, internationale Kapitalmarktzusammenhänge) sind hier nicht zu erörtern. Die Relevanz solcher Lücken hängt letztlich vom wirtschaftlichen Gewicht der Abgabebelastung ab. 162 Vgl. oben IV. 3 a und c.
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ben, wobei die gesetzliche Gewinnumverteilung auch die bereits beteiligten Arbeitnehmer i. d. R. belasten wird. Ein Fortbestehen der freiwilligen Beteiligungsformen erscheint auch wünschenswert, weil hier ein Experimentierfeld neuer sozialpolitischer, unternehmensorganisationstechnischer und rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten für das Verhältnis des Arbeitnehmers [175] zu ‚seinem‘ Unternehmen gegeben ist, das die Gestaltungsmöglichkeiten globaler gesetzlicher Regelungen überschreitet. d. Auf die allgemeinen Fragen der vermögenspolitischen Effektivität und Tragweite freiwilliger Unternehmensbeteiligungen kann hier nur kurz hingewiesen werden. Die Beteiligungssysteme hängen (natürlich) von der Höhe der nachhaltigen Unternehmensgewinne ab und erreichen spektakuläre Ergebnisse meist bei besonders erfolgreichen mittleren Unternehmen mit einer nicht zu großen Anzahl von Mitarbeitern163. In allen anderen Fällen hält sich die Gewinnbeteiligung (als die Basis der Beteiligung im übrigen) in der Größenordnung sonstiger sozialer Leistungen oder auch von Lohnerhöhungen, erreicht aber bei kontinuierlicher Beteiligungspolitik oder bei dynamischen Beteiligungsmodellen ihre Wirkung über längere Zeit hinweg164. In den angedeuteten wirtschaftlichen und rechtlichen Grenzen wird eine breitere Streuung des Produktivvermögens erreicht. Ob damit die seit Krelle164a oft beschworene Konzentration des Produktivvermögens abgebaut oder nur kaschiert werden kann, hängt von der konkreten quantitativen Ausgestaltung der Beteiligungsmodelle ab. – Zu den sozialpolitischen Zielkonflikten ist alles Erdenkliche gesagt: Man kann gesellschaftspolitisch die Schaffung vieler „Kleinkapitalisten“ wünschen oder ablehnen, wirtschaftspolitisch die (generelle) Dekonzentration von Produktivvermögen für nicht erstrebenswert oder nicht durchführbar halten und vermögenspolitisch darüber streiten, ob die Vermögensbildung der Arbeitnehmer gerade im Sektor des Produktivvermögens (Risikobelastung; geringe Liquidität) erfolgen soll. Positiv ist demgegenüber – außer dem trotz allem unleugbaren vermögenspolitischen Effekt – das gesteigerte Eigeninteresse der beteiligten Arbeitnehmer 163 Im Ahrensburger Modell wurden z. B. 1968 Ertragsbeteiligungen von 152 % des Jahresgrundlohnes erzielt; jährliche Beteiligungsbeträge zwischen 10 000 und 20 000 DM sind nicht ungewöhnlich. Bei Pieroth wurden 1968 durchschnittlich 2500 DM pro Mitarbeiter zugewiesen, bei Pfleiderer 1969 zwischen 1000 und 2000 DM Kapitalbeteiligung übertragen; Guski I (N. 6), S. 35. Zum demgegenüber bescheidenen Erfolg des Spindlermodells wegen der ungünstigen Ertragslage der betr. Unternehmen Guski I, S. 10. 164 Vgl. auch oben V. 1. c. 164a W. Krelle/J. Schunk/J. Siebke: Überbetriebliche Ertragsbeteiligung der Arbeitnehmer, 2 Bde. Tübingen 1968; H. Willgerodt/K. Bartel/U. Schillert: Vermögen für alle. Probleme der Bildung, Verteilung und Werterhaltung des Vermögens in der Marktwirtschaft, Düsseldorf-Wien 1971; krit. zum letzteren Werk Wilfried Höhnen, Ideologie und Vermögensanalyse, WSI-Mitteilungen 1972, 100–108; Entgegnung der Autoren dort S. 246–253. – Vgl. auch N. 3.
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am Unternehmen hervorzuheben. Dadurch wird nicht nur tendenziell die Produktivität der Unternehmen verbessert; vielmehr bietet die Beteiligungspraxis zugleich die Chance zu einer Umformulierung der sozialen Rolle und zu einem neuen Selbstverständnis des abhängigen Arbeitnehmers und ferner jedenfalls zu einem Durchdenken der zugrundeliegenden wirtschaftlichen Zusammenhänge. Schließlich zeigt die Beteiligungspraxis die beschränkte [176] Durchführbarkeit und vielleicht auch den beschränkten Wert eines Versuchs, den Arbeitnehmer zum Mitunternehmer i. S. der traditionellen gesellschaftsrechtlichen Formen zu machen. 2. Möglichkeiten und Grenzen der gesellschaftsrechtlichen Gestaltung der Beteiligung Abschließend ist zu fragen, wieweit die Beteiligungspraxis die rechtlichen Gestaltungsprobleme der Unternehmensbeteiligung der Arbeitnehmer im Grenzbereich von Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht bisher lösen konnte. Bereits in der heute fast vergessenen Beteiligungsdiskussion der fünfziger Jahre hat die Studienkommission des Deutschen Juristentages die Unzulänglichkeit des geltenden Gesellschaftsrechts für die Zwecke der Arbeitnehmerbeteiligung hervorgehoben und Gesetzesvorschläge für neue Beteiligungsformen gemacht165. Die Beteiligungspraxis hat seitdem ohne solche gesetzgeberische Hilfe – abgesehen von einigen rechtstechnischen und steuerlichen Erleichterungen für die Ausgabe von Belegschaftsaktien – auskommen müssen und sich gleichwohl beachtlich fortentwickelt. Insgesamt erwies sich das Gesellschaftsrecht in der Beteiligungspraxis als flexibel genug, um vielfältige Beteiligungsformen in Anpassung an die individuellen Verhältnisse der einzelnen Unternehmen und die konkreten Zielvorstellungen der Beteiligten zu entwickeln. Die Praxis hat jedoch auch gezeigt, daß hier die folgenden Einschränkungen zu machen sind. a. Unter den zwei rechtlich möglichen Wegen einer freiwilligen Unternehmensbeteiligung der Arbeitnehmer, nämlich erstens echter gesellschaftsrechtlicher Mitinhaberschaft und zweitens einer (nur schuldrechtlichen) Beteiligung i. w. S., wirft der erstere mehr Probleme auf und der erwähnte Kommissionsbericht hatte auf ihn den Schwerpunkt seiner Gesetzesvorschläge gelegt166. Die Probleme liegen aber in Wirklichkeit nur z. T. im Gesellschaftsrecht. Hier sind einmal die erwähnten rechtstechnischen Probleme bei Personengesellschaften und GmbH zu nennen167. Die Kommissionsvorschläge hatten vor allem dem sozialpolitischen Problem der Begrenzung des
AaO (N. 23), S. 23 ff. AaO S. 32 ff, 63 ff. 167 Vgl. oben V. 2. a. 165 166
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Unternehmerrisikos der beteiligten Arbeitnehmer große Aufmerksamkeit geschenkt und einmal die Beteiligung durch Bareinlagen der Arbeitnehmer ausschließen, zum andern in vielfältiger Weise das Haftungsrisiko begrenzen wollen168. Der Ausschluß der Bareinlage entspricht weithin der [177] Beteiligungspraxis, ist aber nach heutigen wirtschaftlichen Verhältnissen nicht mehr in jedem Fall geboten; das Haftungsrisiko erscheint bei sorgfältiger Ausnutzung des geltenden Gesellschaftsrechts auch ohne gesetzgeberische Hilfe begrenzbar169. Es bleibt das allgemeine Investitionsrisiko, das etwa bei Belegschaftsaktien in Börsenkursschwankungen sinnfällig werden kann; es erfordert zumindest sorgfältige Aufklärung der Arbeitnehmer über die angebotene Investitionsform. Es ist de lege lata bei gesellschaftsrechtlicher Mitinhaberschaft nicht zu eliminieren; ein besonderer Schutz (Konkursvorrechte) de lege ferenda würde wiederum in die Eigenkapitalausstattung der Unternehmen eingreifen. – Die Hauptprobleme liegen, wie erörtert, gegenwärtig im Steuerrecht, bei Personengesellschaften im Problem der steuerlichen Mitunternehmerschaft, bei Belegschaftsaktien in der körperschaftssteuerlichen Belastung, für die spezielle steuerliche Erleichterungen (Kapitalerhöhungsgesetz)170 nur teilweise einen Ausgleich bieten. Als Alternative zur gesellschaftsrechtlichen Mitinhaberschaft bietet die Beteiligung im weiteren Sinn, insbesondere in Form der stillen Gesellschaft (‚Partnerschaft‘) den Vorteil eines von der Rechtsform der Inhabergesellschaft unabhängigen, allseitig verwendbaren Gestaltungstyps; sie wird allerdings in der Praxis bisher meist bei Personengesellschaften verwendet. In vieler Hinsicht (Haftung, steuerliche Belastung, Mitspracherechte), kann diese Beteiligungsform den Bedürfnissen und Interessen der Arbeitnehmer gut angepaßt werden. Die Nachteile, daß kein Anteil am inneren Wertzuwachs des Produktivvermögens gewährt und die Frage der Eigenkapitalversorgung der Unternehmen nur unvollständig gelöst wird, können durch die Zwischenschaltung einer Beteiligungsgesellschaft, wie das Porstmodell zeigt, partiell ausgeglichen werden. b. Die zweite Einschränkung betrifft die Frage der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen. Diese kann durch Vermögensbeteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmen in den gegebenen gesellschaftsrechtlichen Formen, z. B. durch Aktien, nur sehr begrenzt erreicht werden. Zwar kann die bekannte Schwäche der Position des Kleinaktionärs171 (wie anderer Kleinkapitalgeber) durch organisatorischen Zusammenschluß z. T. kompen AaO S. 64 und passim. Vgl. auch oben IV. 1. d. 170 Vgl. oben N. 50. 171 Zu diesem Problem G. R. Roth, Das Treuhandmodell des Investmentrechts, 1972, S. 184 ff, und demnächst M. Lutter, Der Aktionär in der Marktwirtschaft (Schriftenreihe der jur. Gesellschaft e. V. Berlin, Heft 46), insbes. S. 13 ff, 25 f, m. w. Nachw. 168 169
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[178] siert werden172. Aber angesichts des großen Kapitalbedarfs der modernen Wirtschaftsunternehmen werden die Arbeitnehmer noch lange die Minderheit der Kapitalgeber sein173. Hinzu kommt das grundsätzliche Problem, daß die Verwaltungsrechte z. B. aufgrund Aktie oder GmbH-Geschäftsanteil auf die spezifischen Interessen von Kapitalgebern zugeschnitten sind und nur schwer den andersgearteten Arbeitnehmerinteressen zugleich dienen können174. Das Problem liegt nicht nur in der Doppelrolle z. B. des Arbeitnehmer-Aktionärs, sondern darin, daß das gegenwärtige Gesellschaftsrecht primär ein an der Eigenkapitalinvestition (Einlage) orientiertes Wirtschaftsorganisationsrecht entwirft und nur begrenzt sonstige Organisationsprobleme des Unternehmens als eines interessenpluralistischen Gebildes lösen will. Ansätze neuer Lösungen zeichnen sich in der Praxis der beschriebenen Partnerschaftsmodelle ab, d. h. bei den Beteiligungen im weiteren Sinn, und zwar vor allem dort, wo die organisatorische Flexibilität von Personengesellschaften (und Unternehmen mit Einzelinhabern) weitgehende Mitspracheund Kontrollrechte, die in besonderen Organen institutionalisiert werden, ermöglicht. Ebenso wie hier die Gewinnbeteiligungsrechte wenigtens z. T. auf der Mitarbeit beruhen, so sind hier auch die Verwaltungsrechte nicht allein auf die Interessen von Vermögensbeteiligten zugeschnitten, sondern zugleich auf die spezifischen Mitarbeiterinteressen. Die Komplexität dieser Regelungen, die zunächst vom Arbeitsvertrag (der Mitarbeitereigenschaft) ausgehen und teils in Betriebsvereinbarungen, teils in stillen Gesellschaftsverträgen (Partnerschaftsverträgen) und schließlich in den Gesellschaftsverträgen der Unternehmensinhaber festgelegt sind, zeigt deutlich das Sachproblem, in Konvergenz arbeitsrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Gestaltungsformen über das herkömmliche Konzept des Gesellschaftsrechts hinauszugehen und die soziale Rolle und die Position des Arbeitnehmers im Unternehmen rechtlich neu zu definieren.
172 Etwa Beteiligungsgesellschaften (vgl. oben IV. 2) oder sonstige Zusammenschlüsse (vgl. oben IV. 4). Z. B. besteht eine Beteiligungsgesellschaft für Belegschaftsaktionäre von Bayer. – Vorschläge für Aktionärszusammenschlüsse bei Lutter aaO, S. 35 ff, 39 f. 173 Die Siemens AG, die eine lange Tradition bewußter Vermögenspolitik mit Hilfe von Belegschaftsaktien aufweist, gibt an, daß immerhin 20 % ihrer Aktionäre Arbeitnehmer sind. Sie halten ein Nennkapital von ca. 5 %. 174 Optimistischer in dieser Hinsicht wohl Lutter aaO, S. 31, 35 ff, 39 f.
Bürgschaften und Garantien zur Zahlung auf erstes Anfordern* NJW 1980, 2153–2159 Die im Außenwirtschaftsverkehr üblichen Garantien „Zur Zahlung auf erstes Anfordern“ bieten eine starke Gläubigersicherung, haben aber zu Mißbräuchen geführt. Im Einzelfall ist zur Abwehr die einstweilige Verfügung entgegen der h. M. auch gegen die garantierende Bank möglich. Weiterführende Lösungen zeigt die Analyse der Bürgschaft „Zur Zahlung auf erstes Anfordern“, die der BGH neuerdings anerkennt. Der Akzessorietätsgrundsatz gestattet hier nur eine vorläufige Zahlung. Diese Vorläufigkeit ist rechtlich zu sichern. Die (nicht akzessorische) Garantie ist in diesem Punkt ähnlich zu behandeln.
I. Das Problem widerstreitender Sicherungsinteressen 1. Bürgschaften und Garantien als die wichtigsten rechtlichen Instrumente der personalen Kreditsicherung werden häufig zur „Zahlung auf erstes Anfordern“ des Berechtigten übernommen. Damit werden meist weitere Klauseln verbunden, welche die unbedingte Zahlungsverpflichtung und den weitgehenden Ausschluß von Einreden und Einwendungen des Verpflichteten zum Ausdruck bringen. Diese Verpflichtungsform wurde zunächst für Garantien entwickelt1. Im internationalen Wirtschaftsverkehr sind derartige Garantien, die heute bei Ausschreibungen als Bietungsgarantien (tender guarantees) und im langfristigen Liefergeschäft als Anzahlungsgarantien (repay ment guarantees) und Erfüllungsgarantien (performance guarantees) eine
* Nachtrag 2016: Erstmalige Behandlung des Themas, das ein Jahrzehnt später Gegenstand einer umfangreichen und anhaltenden Diskussion wurde; vgl. die chronologischen Nachweise bei Hadding/Welter, WM 2015, 1545ff, 1547 Fußn. 29 u. 30. 1 Pleyer, Die Bankgarantie im zwischenstaatlichen Handel, WM Sonderbeil. 2/1973, 8ff.; Auhagen, Die Garantie einer Bank, auf ‚erstes Anfordern‘ zu zahlen, Diss. Freiburg, 1966.
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wichtige Rolle spielen2, weitaus vorherrschend3. Aber auch Verträge, die als Bürgschaften bezeichnet und aufgefaßt werden, werden zunehmend als Verpflichtung zur Zahlung auf erstes Anfordern übernommen4. Die Gründe für die Verbreitung solcher Sicherungsformen liegen auf der Hand. Sie verschaffen dem Berechtigten die denkbar stärkste Rechtsposition. Wenn im Valutaverhältnis zwischen Sicherungsgeber (dem künftigen Hauptschuldner) und Sicherungsnehmer (dem künftigen Gläubiger) die Bestellung solcher Sicherheiten als Vertragsbedingung ausgehandelt wird, hat auch der wirtschaftlich starke Sicherungsgeber meist keine durchschlagenden Argumente dafür, seinem Verhandlungspartner die stärkste übliche Sicherungsform zu verweigern. Im Exportgeschäft wird im Kampf um Aufträge nicht gern eine Sicherungsform verweigert, die der Konkurrent ungerührt zugesteht. Auch die Banken sind traditionell an starken Sicherungsformen mit abstrakt definierten, unbedingten Verpflichtungen interessiert. Dies gilt nicht nur, wenn sie selbst als Sicherungsnehmer auftreten5, sondern gerade auch dann, wenn sie im Auftrag ihrer Kunden selbst als Bürge oder Garant fungieren sollen. Denn eine strenge Verpflichtungsform enthebt sie der Aufgabe, bei Inanspruchnahme der Sicherheit schwierige Nachprüfungen hinsichtlich der materiellen Berechtigung anzustellen. Die Bank, die häufiger und intensiver als andere Banken solche Nachprüfungen durchführen oder gar häufiger den Sicherungsnehmern aufgrund materieller Einwendungen die Auszahlung verweigern würde, würde rasch geschäftliches Terrain bei Partnerbanken und Sicherungsinteressenten verlieren. Im Innenverhältnis zum Auftrag gebenden Kunden (Hauptschuldner) suchen die Banken ebenfalls entsprechende Sorgfaltspflichten als Bürgen und Garanten bei der Auszahlung möglichst zu begrenzen6. Die Verpflichtungsform der Bürgschaft oder Garantie im Außenverhältnis soll dem möglichst entsprechen. 2. Andererseits liegen die Mißbrauchsmöglichkeiten solcher stark ausgestalteter Sicherungsrechte auf der Hand. Diese Möglichkeiten haben sich in den letzten Jahren im internationalen Wirtschaftsverkehr in besorgnis-
2 Übersicht über diese Erscheinungstypen z. B. bei Finger, BB 1969, 206; v. Marschall, in: Horn-v. Marschall-Rosenberg-Pavicevic, Dokumentenakkreditive und Bankgarantien im internationalen Zahlungsverkehr, 1977, S. 27 bis 41; Stumpf, AWD 1979, 1. 3 Der Anteil dieser Verpflichtungsform in der internationalen Vertragspraxis der Garantien wird auf 80% geschätzt. 4 Vgl. die Fälle BGH, WM 1976, 422; NJW 1979, 1500. 5 Die von Banken verlangten Bürgschaften Privater sind nach der üblichen Formularpraxis durchweg durch weitgehenden Einrede- und Einwendungsverzicht gekennzeichnet; Bärmann, Recht der Kreditsicherheiten in europäischen Ländern I, 1976, S. 87ff., 390; vgl. schon RGZ 153, 338 ff. 6 Gem. Nr. 13 AGB Banken; dazu u. IV.
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erregender Weise realisiert7. Einige Länder der Dritten Welt sind zu einem unbekümmerten „Abkassieren“ von Garantien übergegangen, ohne sich um die Frage einer materiellen Berechtigung der Inanspruchnahme zu kümmern, oder sie haben die Androhung einer Inanspruchnahme der Garantie als Druckmittel benutzt. So wurden Erfüllungsgarantien trotz Abnahme der einwandfreien (und übrigens nicht bezahlten) [2154] Lieferung vom Käufer/Besteller in Anspruch genommen8, oder sie wurden als Druckmittel zur nachträglichen Erhöhung der vereinbarten Leistungen benutzt. Garantien für Anzahlungen, wie sie bei Anlagenlieferungen üblich sind, dienten als Hebel zur Erlangung von Rabatten, Preissenkungen oder Leistungserhöhungen. Bei Bietungsgarantien wurde die Verlängerung der Garantiefrist durch die Androhung der Inanspruchnahme erzwungen. – Auch bei den Bürgschaften zur Zahlung auf erstes Anfordern suchen die Gläubiger naturgemäß mit ihrem Zahlungsbegehren ohne Berücksichtigung von Einreden und Einwendungen durchzudringen. 3. Die rechtliche Gestaltung von Bürgschaften und Garantien hat seit jeher das Dilemma widerstreitender Sicherungsinteressen zu meistern. Einerseits müssen diese Verträge den Verkehrsansprüchen an eine solche Sicherheit genügen, dem Berechtigten einen raschen und ungehinderten Zugriff auf die Bürgschafts- oder Garantiesumme zu gewährleisten. Andererseits müssen Bürge und Garant sowie vor allem der Sicherungsauftraggeber und Hauptschuldner dagegen geschützt werden, daß der Berechtigte die Bürgschaftsoder Garantiesumme grundlos erhält, d. h. obwohl sich das Risiko, gegen das er geschützt werden soll, nicht verwirklicht hat. Dieses Risiko bezieht sich bei der Bürgschaft immer, bei der Garantie meist auf die Erfüllung eines Anspruchs (auf Vertragsleistung, Rückzahlung oder Anzahlung), den der Berechtigte im Valutaverhältnis zum Sicherungsauftraggeber hat. Starke Sicherung und rasche Zugriffsmöglichkeit des Gläubigers bedeuten rechtlich, daß der Garantie- oder Bürgschaftsanspruch vom Valutaverhältnis möglichst abgekoppelt wird. Umgekehrt schützt die Abhängigkeit der Sicherheit vom Valutaverhältnis den Bürgen oder Garanten und den Hauptschuldner als den Sicherungsgeber. Diese Verbindung zwischen Anspruch aus der Sicherheit und dem gesicherten Anspruch aus dem Valutaverhältnis wird bei der Bürgschaft durch den Grundsatz der Akzessorietät gem. §§ 765, 767, 768 BGB erreicht, bei der Garantie durch eine möglichst ausführliche Definition des Garantiefalles unter Bezugnahme auf das Valutaverhältnis9, also durch sogenannte bedingte 7 Stumpf, AWD 1979, 1 bis. 4; Verein Deutscher Maschinenbau-Anstalten (VDMA), Sonderveröffentlichung Nr. 2/80, Bankgarantien (Vertragsgarantien), 1980. 8 Vgl. den Bericht: Wieder Rechtsstreit um Iran-Bankgarantien, Frankfurter Allgemeine v. 10.4.1980, S. 13. 9 Staudinger-Horn, BGB, 12. Aufl. (1980), Vorb. §§ 765 bis 778 Rdnrn. 74, 78.
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Garantien. Der Entwicklungstrend der deutschen und internationalen Vertragspraxis ging dahin, möglichst starke und abstrakte Sicherheiten zu schaffen, bei denen diese Verbindung fehlt oder nur ganz schwach ausgebildet ist. Dem entspricht der weitgehende Einwendungsausschluß bei Bürgschaften in der Kautelarpraxis der Banken10, die Bevorzugung der Garantie, und schließlich die Ausbildung der hier besprochenen Verpflichtungsformen zur „Zahlung auf erstes Anfordern“. Die genannten Mißbrauchsmöglichkeiten haben aber die Exportindustrie alarmiert und die Banken veranlaßt, den Schutzinteressen ihrer Kunden als Bürgschafts- und Garantieauftraggebern stärkere Beachtung zu schenken. Ein Dokument solcher Bemühungen sind die neuen Einheitlichen Richtlinien für Vertragsgarantien der Internationalen Handelskammer (IHK) von 1978, die einen starken Schutz des Sicherungsgebers anstreben und eine Alternative zu den Garantien zur Zahlung auf erstes Anfordern anbieten11. 4. Im folgenden wird aber die Frage verfolgt, ob auch bei den vorherrschenden Verpflichtungsformen zur „Zahlung auf erstes Anfordern“ die genannten Schutzinteressen in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden können. Unsere Betrachtung setzt bei der Bürgschaft an als dem dogmatisch stärker durchgebildeten Vertragstyp, bei dem die Problematik der hier untersuchten Verpflichtungsform schärfer hervortritt. Grundlage einer sicheren und verkehrsgerechten Vertragspraxis ist eine hinreichende dogmatische Klärung, jedenfalls sofern man Dogmatik nicht als Gegenpol zur Praxis, sondern als hinreichende Theorie der Praxis versteht.
II. Bürgschaft zur Zahlung auf erstes Anfordern 1. Der BGH hat neuerdings die Bürgschaft zur Zahlung auf erstes Anfordern als zulässig anerkannt12. Auf den ersten Blick erscheint dieser Verpflichtungstyp als Widerspruch in sich, die Zahlungsklausel als contradictio in adiecto. Denn nach dem Grundsatz der Akzessorietät ist der Bürgschaftsanspruch des Gläubigers in Entstehung und Fortbestand vom Bestand und Umfang der gesicherten Hauptforderung abhängig; der Gläubiger muß diese Tatsachen dartun und notfalls beweisen13. Der Grundsatz der Akzessorietät wird vom BGH als „zwingendes Recht“ betrachtet14. Beispiel bei Bärmann (o. Fußn. 5). IHK, Einheitliche Richtlinien für Vertragsgarantien vom 20.6.1978 (IHK-Veröffentlichung Nr. 325); dazu Stumpf, AWD 1979, 1 bis 4. 12 BGH, NJW 1979, 1500 = WM 1979, 691 = MDR 1979, 838 = BB 1979, 907. 13 Vgl. z. B. BGH, NJW 1980, 1098 = WM 1980, 128; allg. Staudinger-Horn (o. Fußn. 9), § 767 Rdnr. 3. 14 BGH, WM 1966, 122. 10 11
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Dies bedeutet, daß die Akzessorietät im Rahmen des Bürgschaftsvertrages nicht abdingbar ist15. Man muß angesichts der Anerkennung einer Bürgschaft zur Zahlung auf erstes Anfordern fragen, ob dieser Grundsatz überhaupt noch eine Bedeutung für die Vertragspraxis hat. Die praktische Auswirkung sieht der BGH darin, daß der Bürge nur vorläufig zur Zahlung verpflichtet sei und daher nur vorbehaltlich einer späteren materiellen Nachprüfung der Gläubigerberechtigung leisten müsse16. Darauf ist zurückzukommen17. Zunächst ist nach den grundsätzlichen (dogmatischen) Grenzen der Bedeutung des Akzessorietätsgrundsatzes für die Vertragsgestaltung zu fragen. 2. Bekanntlich kann der Bürge nicht nur gem. § 773 I Nr. 1 BGB auf die Einrede der Vorausklage verzichten, sondern auch auf die anderen besonderen Bürgeneinreden sowie auf sonstige Einreden aus dem Bürgschaftsvertrag, sofern nicht im Einzelfall Treu und Glauben oder die guten Sitten dies verbieten18. Der Bürge kann auch im voraus auf die Einrede verzichten, daß die Hauptforderung verjährt oder daß sie gestundet worden sei19. Das Akzessorietätsprinzip wird in den genannten Fällen nicht beseitigt, weil die Hauptforderung fortbesteht und dem Bürgen nur bestimmte Verteidigungsmittel des Hauptschuldners genommen werden. Auch die Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast des Gläubigers hinsichtlich Bestand und Umfang der Hauptforderung kann, wenn sie den Umständen nach sachlich gerechtfertigt ist, mit dem Wesen eines Bürgschaftsvertrages zu vereinbaren sein20. In allen Fällen dagegen, wo der Einrede- oder Einwendungsverzicht auf eine unverminderte Forthaftung des Bürgen trotz Haftungsminderung des Hauptschuldners hinausläuft, oder wo von vornherein eine über die gesicherte Hauptschuld hinausgehende Haftung des Bürgen gelten soll, ist der Akzessorietätsgrundsatz verletzt. Dies bedeutet aber nur, daß eine solche weitergehende Hafrung einer zusätzlichen, selbständigen Verpflichtung bedarf, etwa in Form einer Garantieabrede, die dann zum Bürgschaftsvertrag hinzutritt21. Dies ist überwiegend etwa für die [2155] Vereinbarung anerkannt, der Bürge solle auch bei einer Herabsetzung der Hauptschuld durch freiwilligen außergerichtlichen Vergleich unvermindert weiterhaften22. Unter diesen Umständen scheint aber BGH, aaO. BGH, NJW 1979, 1500. 17 Unten 5 u. 6. 18 RGZ 153, 338 (345); BGH, WM 1978, 1065; Staudinger-Horn (o. Fußn. 9), § 768 Rdnr. 21. 19 RG, aaO.; unentschieden BGH, WM 1976, 422; vgl. Text zu Fußn. 23. 20 BGH, NJW 1980, 1098f. 21 RGZ 153, 338 (345); BGH, WM 1966, 122; Mormann, in: RGRK, § 768 Rdnr. 6; Staudinger-Horn (o. Fußn. 9), § 767 Rdnr. 4, § 768 Rdnrn. 21 f. 22 RG, aaO; RGZ 92, 121 (123); OLG Frankfurt, BB 1975, 985. – Dagegen ist § 82 II 1 VglO betr. die unverminderte Bürgenhaftung beim gerichtlichen Vergleich auf den freiwil15 16
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der Akzessorietätsgrundsatz für die Vertragspraxis fast bedeutungslos zu sein. Denn immer wenn eine Klausel mit der akzessorischen Haftung nicht zusammenpaßt, scheint der bequeme Ausweg offen, eine Zusatzabrede zum Bürgschaftsvertrag anzunehmen. Auch im Hinblick auf die Bürgschaft zur Zahlung auf erstes Anfordern hat der BGH 1976 dementsprechend angedeutet, es mache keinen Unterschied, ob man diese Klausel noch als innerhalb der Bürgschaft zulässig betrachte oder als zusätzliches selbständiges Schuldversprechen ansehe, das zum Bürgschaftsvertrag hinzutritt23. Nimmt man noch die Möglichkeit hinzu, einen Vertrag in toto auch notfalls gegen seinen Wortlaut als Garantie statt als Bürgschaft anzusehen24, dann muß man fragen, ob denn die Beschwörung des Akzessorietätsprinzips bloße Spiegelfechterei ist. Das dahinter stehende Kernproblem des Vertragsrechts lautet: wieweit kann die inhaltliche Vertragsfreiheit durch einen gesetzlich vorgegebenen Vertragstyp mit zwingenden Einzelnormen eingeschränkt und dadurch ein bestimmtes Schutzproblem gelöst werden? Diese Diskussion ist ausgiebig für andere Gebiete des Privatrechts, namentlich für das Gesellschaftsrecht, geführt worden, und zwar mit überwiegend negativem Ergebnis25. 3. Dennoch hat das Akzessorietätsprinzip keineswegs jeden Einfluß auf die Gestaltungsspielräume bei personalen Sicherheiten und auf die Lösung dabei auftretender Schutzprobleme verloren. Die neue Rechtsprechung des BGH zur Bürgschaft zur Zahlung auf erstes Anfordern gibt Anlaß, diese Rechtsfolgen und Eingrenzungen klarer zu formulieren. Ein solider Restbestand desjenigen rechtlichen Schutzes von Bürgen und Sicherungsgeber (Hauptschuldner), den der Gesetzgeber ursprünglich mit dem Akzessorietätsprinzip erreichen wollte, ist durchaus noch vorhanden. Dies ergibt sich aus dem Zusammenspiel der folgenden Grundsätze: Erstens ist bei einer Verpflichtung zum Einstehen für fremde Schuld im Zweifel Bürgschaft als die gesetzliche Regelform gewollt, nicht Garantie, Schuldmitübernahme oder eine sonstige besondere Verpflichtungsform26. Stellt sich ein Vertrag nach seinem Gesamteindruck (Wortwahl, vorwiegende Regelungen, Umstände) als Bürgschaftsvertrag dar, so kann nicht ohne weiligen außergerichtlichen Vergleich auch nicht analog anzuwenden; BGH, WM 1962, 550; Mormann, WM 1963, 931. 23 BGH, WM 1976, 422. 24 BGH, WM 1970, 159, betr. eine als „selbstschuldnerische Bürgschaft“ bezeichnete Verpflichtung, bei der aber ein weitergehender Verpflichtungswille in casu nach Inhalt und Umständen nicht zweifelhaft war. 25 Überblick bei Wiedemann, GesellschaftsR I, 1980, § 1 IV 1 S. 73 f. 26 RGZ 59, 232f.; 71, 113 (118); 90, 417; BGH, LM § 765 BGB Nr. 1; BGH, WM 1968, 1201; 1975, 348. Dies wird von der Rspr. mit Recht vor allem gegenüber Versuchen, formnichtige Bürgschaften als andersartige formfreie Verpflichtung aufrechtzuerhalten, betont; BGH, NJW 1967, 1021; WM 1975, 348; Staudinger-Horn (o. Fußn. 9). Vorb. §§ 765 bis 778 Rdnrn. 79, 82, 101.
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teres aus einer einzelnen besonderen Klausel auf einen anderen Vertragstyp geschlossen werden27. Zweitens ist auch beim Vorliegen besonderer Klauseln im Zweifel ein einheitlicher Vertrag gewollt28, dessen Charakter aus seinem gesamten Inhalt zu ermitteln ist. Das Vorliegen einer zusätzlichen Verpflichtung außerhalb des Bürgschaftsvertrages muß eindeutig zum Ausdruck kommen29. Die willkürliche Abspaltung einzelner Regelungen als Zusatzabreden wird demgegenüber den Vorstellungen der Parteien regelmäßig nicht gerecht. Drittens sind innerhalb des Bürgschaftsvertrages nur solche Einredeverzichte und solche Klauseln zulässig, welche die Akzessorietät nicht beseitigen. Andere Klauseln sind nichtig; der ganze Vertrag ist im letzteren Fall jedoch regelmäßig gem. § 139 Halbs. 2 BGB nicht unwirksam. Bei Klauseln innerhalb eines Bürgschaftsvertrages, die sich gegen die Akzessorietät der Bürgschaft richten, ist demnach zu prüfen, ob – ausnahmsweise – eine zusätzliche Vereinbarung vorliegt, oder ob die Klausel einschränkend im Sinn der Akzessorietät ausgelegt werden kann. Bei Formularverträgen ist die Unklarheitenregel des § 5 AGB-Gesetz und die Unwirksamkeitsregel des § 9 I, II Nr. 1 AGB-Gesetz zu beachten. 4. Der BGH hat nunmehr bei der Beurteilung der Bürgschaft zur „Zahlung auf erstes Anfordern“ den Weg der genannten einschränkenden Auslegung im Sinne der Akzessorietät beschritten. Nach der bisherigen h. M. ist eine solche Klausel nur als Garantie oder selbständiges Schuldversprechen möglich, gegebenenfalls als Zusatzabrede zu einem im übrigen vorliegenden Bürgschaftsvertrag30. Sie bringt dann einen unbedingten und abstrakten Zahlungsanspruch des Gläubigers zum Ausdruck. Der BGH hält es demgegenüber für möglich, die Klausel als Bestandteil eines Bürgschaftsvertrages anzusehen und dann im Sinne einer bloß vorläufigen Einschränkung der Akzessorietät, nicht aber ihrer Beseitigung auszulegen31. Der Bürge muß danach unverzüglich zahlen, ohne Einreden oder Einwendungen erheben oder eine Aufrechnung erklären zu können. Sobald der Bürge aber gezahlt hat, kann er auf die Einreden und Einwendungen zurückgreifen, die materielle Berechtigung des Gläubigers bestreiten und die Leistung gem. § 812 BGB zurückfordern32. Die Klausel sichert dem Gläubiger also den raschen Zugriff auf die Bürgschaftssumme, indem sie alle Einwendungen und Einreden vorübergehend ausschaltet und damit den Bürgschaftsanspruch – zeitwei-
27 Die h. M. anerkennt diesen Grundsatz insofern, als sie statt dessen eine selbständige Zusatzabrede annimmt; vgl. Fußn. 21, aber auch im folgenden Fußn. 28 u. 29. 28 Insoweit zutr. Marwede, BB 1975, 985; im Ansatz auch BGH, WM 1976, 122 (124). 29 Vgl. o. Fußn. 21; die Rspr. hat dieses Erfordernis aber nicht durchweg betont. 30 LG Frankfurt, NJW 1963, 450; LG München, AWD 1972, 196; Soergel-Fischer, HGB, § 768 Anm. 6; offen gelassen in BGH, WM 1976, 422. 31 BGH, NJW 1979, 1500. 32 BGH, aaO.
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lig – einem nicht akzessorischen und abstrakten Anspruch gleichstellt. Der Bürge kann zur (vorläufigen) Zahlung durch Urteil gezwungen werden. Ab Zahlungsanforderung schuldet er Verzugszinsen und gegebenenfalls Ersatz weiteren Verzugsschadens. Nach Zahlung steht ihm der Rückforderungsanspruch zu wie jedem leistenden Bürgen, dessen Bürgenschuld in Wirklichkeit wegen Nichtentstehens oder Wegfall der Hauptschuld nicht besteht33. § 814 BGB kann nicht entgegenstehen, wenn der Bürge auf die Anforderung hin unter Vorbehalt zahlt. Ist der Bürge gemäß der Zahlungsanforderung verurteilt, so kann dieses Urteil seiner Rückforderungsklage nicht entgegenstehen, weil diese sich auf neue (und nicht präkludierte) Tatsachen stützt. Ein entsprechender Vorbehalt im ersten Urteil liegt nahe, ist aber prozeßrechtlich nicht möglich, außer in dem allerdings häufigen Fall, daß die Klage aus der Zahlungsanforderung im Urkundenprozeß geführt werden kann; hier muß dem Bürgen bereits im Nachverfahren der Rückgriff auf die Einwendungen möglich sein, auch wenn er noch nicht gezahlt hat; der Gläubiger kann derweil aus dem Vorbehaltsurteil vollstrecken34. 5. Der vom BGH anvisierte Lösungsweg erscheint trotz seiner komplizierten praktischen Konsequenzen, die der [2156] BGH im einzelnen nicht erörtert, als insgesamt praxisnah und den Vorstellungen der Parteien entsprechend. Die Zahlungsklausel soll den raschen Zugriff des Gläubigers auf die Bürgschaftssumme sichern und ihn durch deren Empfang in „Besitzvorteil“ bringen. Dies ist gewollt und auch sinnvoll dort, wo die Klärung des Bestandes der gesicherten Hauptschuld schwierig ist, etwa in Fragen der Schlechterfüllung oder Mängelhaftung bei Bauwerken oder Lieferung von Anlagen, wenn eine Partei für die Schwebezeit sichergestellt sein soll. Dem Bürgen und dem Sicherungsgeber (Hauptschuldner) verbleibt ein rechtlicher Schutz insofern, als die materielle Berechtigung des Gläubigers voll nachprüfbar bleibt. Insofern erscheint die Lösung auch mit dem Akzessorietätsprinzip vereinbar. 6. Es verbleiben jedoch offene Schutzprobleme. Die Verschaffung des Besitzvorteils auch einer vorläufigen Zahlung an den Gläubiger widerstreitet dem in der Akzessorietät intendierten Schutz zumindest in zwei Fallgruppen: erstens, wenn die Vorläufigkeit der Zahlung gefährdet ist und zweitens bei Mißbrauch der Zahlungsanforderung. Zur ersten Fallgruppe gehört drohender Vermögensverfall des Gläubigers oder sein Sitz in einem ausländischen Staat, wo eine Rechtsverfolgung schwierig und wenig aussichtsreich erscheint. Auch die nur vorläufige Zahlungspflicht wirkt in solchen Fällen als Staudinger-Lorenz, § 812 Rdnr. 48; Staudinger-Horn, § 765 Rdnr. 28. Zur Bürgschaftsklage im Urkundenprozeß RGZ 97, 162. Zur Möglichkeit des Rückgriffs auf materielle Einwendungen im Nachverfahren vgl. für die Wechselklage BGHZ 57, 292 (300) = NJW 1972, 251. 33 34
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völlige Aushöhlung der Akzessorietät. Diese gebietet daher besondere Vorkehrungen zur Sicherung des vorläufigen Charakters der Zahlung. Dies kann dadurch geschehen, daß der Bürge statt Zahlung die Summe zugunsten des Gläubigers hinterlegt, an den aber erst nach Klärung der materiellen Berechtigung ausgezahlt werden darf, oder dadurch, daß der Gläubiger eine Rückzahlungsbürgschaft oder -garantie beibringt, die den Rückzahlungsanspruch des Bürgen nach Klärung der Nichtberechtigung des Gläubigers sichert. Die zweite Fallgruppe ist weniger leicht zu definieren; ein Mißbrauch des abstrakten vorläufigen Zahlungsanspruchs liegt vor, wenn es offensichtlich an einer materiellen Berechtigung des Gläubigers fehlt, was aus Umständen und Beweislage zu schließen ist; der vorerwähnte Gesichtspunkt, daß ein Rückzahlungsanspruch wenig aussichtsreich wäre, kann hinzutreten. Hier ist dem Bürgen ausnahmsweise der Nachweis der mangelnden Berechtigung des Gläubigers und der Umstände, aus denen sich der Mißbrauch ergibt, gegenüber dem Zahlungsanspruch zu gestatten, ähnlich wie dies auch bei anderen abstrakten Zahlungsansprüchen anerkannt ist35.
III. Garantie zur Zahlung auf erstes Anfordern 1. Da der Garantieanspruch nicht akzessorisch ist, ist grundsätzlich die Einwendung des Garanten, die zu sichernde Forderung sei nicht entstanden oder wieder entfallen, nicht möglich. Denn diese Umstände berühren den Bestand der Garantieforderung nicht. Eine Verbindung zum Valutaverhältnis kann zwar durch eine genaue Definition des Garantiefalles und der bei Inanspruchnahme der Garantie zu erbringenden Nachweise begründet werden36. Der Eintritt des Garantiefalles wäre dann Anspruchsvoraussetzung; die „Inhaltseinwendung“ des Garanten, daß der Garantiefall nicht eingetreten sei, wäre Bestreiten dieser Anspruchsvoraussetzung gegenüber dem beweispflichtigen Gläubiger. Aber all dies ist bei Garantien zur Zahlung auf erstes Anfordern gerade nicht der Fall: der Anspruch ist abstrakt und unbedingt gefaßt. Die praktisch wichtigste hier verbleibende Einwendung ist der Ablauf der Garantiefrist37. 2. Die Garantie zur Zahlung auf erstes Anfordern wird z. T. durch sogenannte Effektivklauseln („falls der Schaden eintritt“) eingeschränkt. Die Bedeutung der Klausel ist umstritten. Man hat daraus ein volles Nachprüfungsrecht der Bank als Garanten und eine Nachweispflicht des Berechtig-
Dazu u. III 3. Vgl. o. Fußn. 9. 37 OLG Stuttgart, WM 1979, 733. 35 36
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ten entnommen, die allerdings auf die Frage des Garantiefalles begrenzt ist38; die Gegenmeinung fordert nur eine Glaubhaftmachung39. Die zweite Auffassung verdient als praxisnäher den Vorzug. Die Effektivklausel soll in der Regel den Garantieanspruch nicht an den vollen Nachweis des Garantiefalls binden und damit akzessorisch zu einer gesicherten Forderung machen. – In der Praxis findet sich häufig auch die Klausel, daß der Garantieberechtigte bei der Zahlungsanforderung formell den Eintritt des Garantiefalles (z. B. Nichtleistung an ihn usw.) bestätigen müsse40. Hier genügt statt der Glaubhaftmachung die Abgabe der geforderten formellen Erklärung. Allerdings wird die garantierende Bank sowohl im Fall der Effektivklausel als auch bei den letztgenannten, abgeschwächten Klauseln in allen Zweifelsfällen verpflichtet sein, beim Garantieauftraggeber rückzufragen, weil immerhin die Klauseln den Garantieanspruch in gewisser Weise mit dem Eintritt des Garantiefalles verbinden. Bei genügendem Anlaß, z. B. glaubwürdiger Nachricht, daß die garantierte Leistung erbracht wurde, wird man die Bank für berechtigt (und gegenüber ihrem Kunden als dem Garantieauftraggeber verpflichtet) halten müssen, vom Berechtigten den vollen Nachweis des Garantiefalles zu verlangen oder nur unter Vorbehalt oder gegen Rückgarantie zu zahlen41. 3. Es ist anerkannt, daß die strenge und abstrakte Haftung des Garanten nicht ausnahmslos gilt. Der Ausschluß aller Einwendungen, die sich auf den Nichteintritt des Garantiefalles und auf das Nichtbestehen der gesicherten Forderung beziehen, muß bei grobem und offensichtlichem, d. h. leicht beweisbarem Mißbrauch des Garantieanspruchs nach h. M. zurücktreten42. Diese Einführung materieller Gesichtspunkte ist trotz der abstrakten Haftung durch den Vorbehalt von Treu und Glauben gerechtfertigt43. Ein solcher Mißbrauch liegt etwa vor, wenn die Garantie einen Erfüllungsanspruch des Gläubigers gegen den Bankkunden, der die Garantie gestellt hat, sichern soll und der Gläubiger nachweislich befriedigt ist44. Die gleiche Problematik ist ausgiebig beim Zahlungsanspruch aus Akkreditiv diskutiert und im gleichen Sinne entschieden worden. Im internationalen Wirtschaftsverkehr haben Akkreditivanspruch und Garantie ähnliche Funktionen; der erstere dient kurzfristig abzuwickelnden Liefergeschäften und ist bereits länger eingebürgert, die Garantie dient meist langfristigen Liefergeschäften. Auch beim Canaris, in: Großkomm. z. HGB III/2, 3. Aufl. (1975/78), Anh. F nach § 357 Anm. 518. 39 Auhagen (o. Fußn. 1), S. 56; Finger, BB 1969, 208. 40 Vgl. den Fall BGH, WM 1979, 457. 41 Ähnlich Auhagen (o. Fußn. 1), S. 56. 42 Pleyer (o. Fußn. 1), S. 18; v. Marschall (o. Fußn. 2), S. 39; Auhagen (o. Fußn. 1), S. 59; Liesecke, WM 1968, 27. 43 Im Ergebnis ähnlich trotz Bedenken Canaris (o. Fußn. 38), Anm. 518, 523f. 44 OLG Hamburg, AWD 1978, 615. 38
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Akkreditiv ist die Abstraktheit des Zahlungsanspruchs von großer Bedeutung für seine Verwendbarkeit im Wirtschaftsverkehr. Gleichwohl hat sich die Notwendigkeit herausgestellt, den Einwendungsausschluß auch hier durch den Vorbehalt von Treu und Glauben einzuschränken45. Die Bank als Akkreditivverpflichtete hat nicht nur die ohnehin auch bei abstrakten Ansprüchen jederzeit zulässigen Gültigkeitseinwendungen, etwa der Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit46 oder des Schein- [2157] geschäfts47, sondern ausnahmsweise auch die Inhaltseinwendung, daß der durch Akkreditiv zu erfüllende Kaufpreisanspruch nicht bestehe, z. B. weil er rechtskräftig abgewiesen wurde48. Die Berufung auf die Mangelhaftigkeit der Ware ist der Bank zwar grundsätzlich verwehrt49; eine Ausnahme wird aber auch hier bei der betrügerischen Lieferung völlig wertloser Ware gemacht50. Dies ist auch international anerkannt51.
IV. Pflichten des Bürgen oder Garanten 1. Die Bürgschaft oder Garantie zur Sicherung einer Forderung kann grundsätzlich ohne Mitwirkung und ohne Wissen und Willen des Hauptschuldners dieser Forderung übernommen werden. In den weitaus meisten und hier allein interessierenden Fällen ist es jedoch der Hauptschuldner, der sich um die Beschaffung einer Sicherheit für seinen Gläubiger bemüht und den Bürgen oder Garanten mit der Übernahme der entsprechenden Verpflichtung beauftragt. Die Übernahme erfolgt regelmäßig entgeltlich, meist durch Banken im Rahmen ihres Avalgeschäftes. Es liegt ein Geschäftsbesorgungsauftrag gem. § 675 BGB vor; der Bankkunde ist zum Aufwendungsersatz und zu einer Provision, teilweise auch zur Leistung eines Vorschusses verpflichtet. Die zur Übernahme und gegebenenfalls zur Abwicklung der Bürgschaft oder Garantie verpflichtete Bank schuldet aus diesem Vertrag ihrem Kunden grundsätzlich eine sorgfältige Wahrung von dessen Interessen. Dazu gehört auch eine sorgfältige Prüfung der Berechtigung dessen, der Zahlung aufgrund der gestellten Sicherheit von der Bank verlangt. Die Ban RGZ 144, 133 (137). RGZ 106, 304 (307); Ulmer, AcP 126, 294f.; Borggrefe, Akkreditiv und Grundverhältnis, 1971, S. 27; zu einem devisenrechtlichen Eingriff RGZ 144, 133. 47 Zahn, Zahlung und Zahlungssicherung im Außenhandel, 5. Aufl. (1976), S. 156f. 48 BGH, WM 1958, 696f. 49 Horn, Internationale Zahlungen und Akkreditive, in: Horn-v. Marschall-RosenbergPavicevic (o. Fußn. 2), S. 19. Die Bank kann regelmäßig den Akkreditivanspruch auch nicht dadurch abwehren, daß sie sich die Ansprüche des Akkreditivstellers (Importeurs) abtreten läßt; BGHZ 28, 129ff. = NJW 1959, 191; BGHZ 60, 262 (264) = NJW 1973, 899. 50 Canaris (o. Fußn. 38), Anm. 430. 51 Schmitthoff, The Export Trade, 7. Aufl. (London 1980), S. 269 m. Nachw. der engl. Rspr.; vgl. auch das SchweizBG, in: Praxis des BG 1974 Nr. 278. 45 46
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ken suchen diese Prüfungspflicht vertraglich dadurch auszuschließen, daß sie gem. Nr. 13 AGB Banken gegenüber dem Kunden berechtigt sein sollen, auf erste Zahlungsanforderung des Gläubigers zu zahlen. 2. Die grundsätzliche Pflicht der Bank, die Interessen ihres Kunden in einer den Umständen nach angemessenen Weise wahrzunehmen, wird dadurch nicht ausgeschlossen52. Der vertragliche Ausschluß regelmäßiger Prüfungspflichten behält zwar seine Bedeutung; aber er verhindert nicht, daß die Bank als Bürgen oder Garanten je nach den Umständen bestimmte Sorgfalts- und Interessenwahrungspflichten treffen. Trotz der grundsätzlichen Trennung von Innenverhältnis Kunde – Bank und Außenverhältnis Bank – Gläubiger wird der Umfang der Sorgfaltspflichten der Bank gegenüber dem Kunden durch die Art ihrer Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger beeinflußt: je abstrakter ihre Verpflichtung, desto geringer ihre regelmäßigen Prüfungspflichten. Die Pflicht etwa des Bürgen gegenüber dem Hauptschuldner, dem Gläubiger bei Inanspruchnahme bekannte und beweisbare Einwendungen entgegenzusetzen53, kann bei der Bürgschaft zur Zahlung auf erstes Anfordern jedenfalls im Regelfall nicht gelten. Bei der Garantie kommt eine Pflicht des Garanten, Einwendungen aus dem gesicherten Anspruch dem Garantieanspruch entgegenzusetzen, von vornherein regelmäßig nicht in Anbetracht, weil mangels Akzessorietät solche Einwendungen nicht möglich sind. Aber auch bei der Garantie bestehen gewisse Pflichten zur Prüfung der Berechtigung des Gläubigers, die sich nach dem Inhalt der Garantieverpflichtung richten. Sieht die Garantie eine Effektivklausel vor oder die Pflicht des Gläubigers zur formalen Bestätigung des Eintritts des Garantiefalles, so muß die Bank zumindest in Zweifelsfällen beim Kunden rückfragen und muß u. U. vollen Nachweis des Garantiefalles verlangen oder darf nur unter Vorbehalt oder gegen Rückgarantie zahlen54. Allerdings kann sich die Sorgfaltspflicht der Bank im Innenverhältnis gegenüber dem Kunden nicht in Widerspruch setzen zu ihrer Verpflichtung im Außenverhältnis; ein solcher Widerspruch würde dem Sinn und Zweck der verschiedenen, auf einander bezogenen Vertragsbeziehungen der Beteiligten widersprechen. 3. In allen Fällen, in denen der abstrakte Zahlungsanspruch des Gläubigers wegen Mißbrauchs und offensichtlicher Nichtberechtigung abgewehrt werden kann, ist die Bank auch ihrem Kunden gegenüber im Rahmen des Geschäftsbesorgungsverhältnisses verpflichtet, nicht auszuzahlen und dadurch die Interessen des Kunden, der letztlich für die Bürgschafts- oder Garantiesumme aufkommen muß, zu schützen. Dieser Grundsatz setzt sich 52 Vgl. auch den Hinweis auf die grundsätzliche Sorgfaltspflicht der Bank vor Nr. 1 AGB Banken. 53 RGZ 59, 207; Staudinger-Horn (o. Fußn. 9), § 765 Rdnr. 39, § 774 Rdnr. 21. 54 Vgl. o. III bei Fußn. 41.
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mit Recht neuerdings in der Rechtsprechung deutlicher durch55. Die Schwierigkeit besteht natürlich darin, die genauen Voraussetzungen solcher Fälle hinreichend präzise zu formulieren und im Einzelfall festzustellen. Die Erfahrung zeigt jedoch, daß häufig der Mißbrauch so offensichtlich und die Beweislage so eindeutig ist, daß im Grunde kein Zweifel an der materiellen Nichtberechtigung des Gläubigers besteht. In diesen Fällen kann weder die Abstraktheit der Sicherungsansprüche noch die Reduzierung der Sorgfaltsund Prüfungspflichten im Innenverhältnis gelten. Die Bank darf die Augen nicht verschließen. Wichtig ist allerdings eine günstige Beweislage. Es müssen zumindest handfeste Anhaltspunkte für den Mißbrauch vorliegen und bewiesen werden können. Es ist der Bank nicht zuzumuten, auf vage Zweifel hin die Auszahlung zu verweigern. Andererseits kann die Bank billigerweise vom Kunden in der Kürze der Zeit, in der solche Entscheidungen zu treffen sind, nicht unter allen Umständen einen lückenlosen Beweis verlangen.
V. Einstweilige Verfügung 1. Der Hauptschuldner als Auftraggeber der Bürgschaft und Garantie kann im Fall einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme der Sicherheit versuchen, die Auszahlung durch eine einstweilige Verfügung gem. §§ 935, 940 ZPO zu verhindern. Eine solche Eilmaßnahme setzt ein Rechtsverhältnis zwischen Antragsteller und Antraggegner und die Gefährdung eines Anspruchs des Antragsstellers voraus. Dieses Rechtsverhältnis ist in dem zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer bestehenden Valutaverhältnis regelmäßig in Gestalt eines Vertrages (Liefergeschäft) gegeben, bei Ausschreibungsgarantien in Gestalt einer vertragsähnlichen Beziehung zwischen Ausschreibungsstelle und Bewerber, die den Ausschreibungsbedingungen unterliegt. Der Sicherungsnehmer ist aus dem Valutaverhältnis regelmäßig verpflichtet, die Sicherheit nicht ohne materielle Berechtigung in Anspruch zu nehmen. Der Antragsteller (Sicherungsnehmer, Hauptschuldner) muß diesen Anspruch und seine Gefährdung glaubhaft machen, d. h. die drohende mißbräuchliche Inanspruchnahme der Sicherheit durch den Gläubiger entge- [2158] gen seiner Pflicht im Valutaverhältnis. Nach vorherrschender Meinung müssen sogar über die bloße Glaubhaftmachung hinausgehende, strengere Anforderungen an die Begründung des Antrags gestellt werden. Denn der Garantieanspruch dient anerkannten Verkehrsinteressen, und seine Abstraktheit darf nicht ohne weiteres durch gerichtliche Eilmaßnahmen unterlaufen werden. Dieses Problem wurde vor allem für den verwandten Akkreditivanspruch erörtert; hier hat man anstelle bloßer Glaubhaftmachung liquide Beweisbar-
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keit zur Begründung einer einstweiligen Verfügung gegen den Akkreditivanspruch gefordert56. Ob man in jedem Fall volle Beweisbarkeit fordern darf, ist zweifelhaft; Einigkeit besteht darüber, daß die Anforderungen an die Glaubhaftmachung streng zu handhaben sind und das Gericht nach seinem Ermessen Nachweise fordern kann. 2. Häufig ist eine einstweilige Verfügung gegen den Gläubiger allein wenig wirkungsvoll, zumal wenn dieser seinen Sitz im Ausland hat. Es kommt darauf an, ob auch der Bank als dem Garanten durch einstweilige Verfügung die Auszahlung an den Gläubiger untersagt werden kann. Dies wird von der bisherigen h. M. deshalb verneint, weil die Bank an dem Rechtsverhältnis zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer (Valutaverhältnis), aus dem sich der zu schützende Anspruch ergibt, nicht beteiligt ist. Daher fehle es an dem für die einstweilige Verfügung vorausgesetzten zu schützenden Rechtsverhältnis57. Ähnlich wird für den Fall des Akkreditivs argumentiert, wo dieses Problem ausgiebiger diskutiert wurde58. Diese Auffassung überzeugt nicht. Wie erörtert, besteht bei grobem und offenkundigem Mißbrauch der Sicherheit durch den Gläubiger durchaus auch ein Anspruch des Bankkunden gegen die Bank aufgrund des Geschäftsbesorgungsverhältnisses, nicht an den Gläubiger auszuzahlen59. Dieser Anspruch ist als Grundlage einer einstweiligen Verfügung gegen die Bank geeignet. Diese Auffassung scheint sich neuerdings auch in der Rechtsprechung durchzusetzen60. Allerdings kann die Bank dem Kunden gegenüber zur Verweigerung der Auszahlung an den Gläubiger nur insoweit verpflichtet sein, als sie wegen des nachweislichen Mißbrauchs auch dem Gläubiger nicht zur Auszahlung verpflichtet ist61. Insofern besteht notwendigerweise eine Kongruenz von Innen- und Außenverhältnis. 3. Auch mit der einstweiligen Verfügung gegen seine Bank ist der Garantieauftraggeber noch nicht alle Sorgen los, jedenfalls nicht im internationalen Geschäft. Meist wird hier eine Korrespondenzbank im Land des Gläubigers (Sicherungsnehmers) eingeschaltet. Wenn diese zweite Bank nur als Zahlstelle fungieren und dabei den Weisungen der ersten Bank folgen soll, kann die erste Bank ohne weiteres die Auszahlung untersagen; sie ist dazu dem Zahn (o. Fußn. 47), S. 164f.; Erman, in: Festschr. f. Rittershausen, 1968, S. 261, 268ff., 271; Borggrefe (o. Fußn. 46), S. 70 bis 86; Canaris (o. Fußn. 38), Anm. 464; Liesecke, WM 1976, 278. 57 v. Caemmerer, aaO., S. 304. 58 Liesecke, WM 1966, 468; Erman (o. Fußn. 56), S. 271; Canaris (o. Fußn. 38), Anm. 431. 59 Vgl. o. IV 3; OLG Hamburg, AWD 1978, 615. 60 So neuere, noch unveröffentlichte Entscheidungen der LGe Frankfurt, Braunschweig und Dortmund; Nachw. in: VDMA Sonderveröffentlichung Nr. 2/80. 61 Ähnlich OLG Hamburg, AWD 1978, 615. 56
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Kunden vertraglich verpflichtet und ggf. durch einstweilige Verfügung gehalten. Häufig übernimmt die zweite Bank durch Bestätigung der Garantie eine selbständige, eigene Verpflichtung gegenüber dem Sicherungsnehmer. Auch dieser zweite Garantieanspruch ist natürlich grundsätzlich dem Einwand des Rechtsmißbrauchs aus den gleichen Gründen ausgesetzt. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die zweite Bank sich nicht gleichwohl auf den Standpunkt stellen wird, sie sei unverändert dem Gläubiger gegenüber zur Auszahlung verpflichtet und insoweit auch der ersten Bank gegenüber zum Aufwendungsersatz berechtigt, was letztlich den Sicherungsauftraggeber trifft. Diese Argumentation wird erleichtert, wenn die zweite Garantie dem Recht des betreffenden Landes unterstellt ist, was mangels anderer Rechtswahl anzunehmen ist62. Die erste Bank muß sich auch in diesen Fällen in jeder Weise um die Nichtauszahlung durch die zweite Bank bemühen und sich dabei auf die zwischen den Banken aus Geschäftsbesorgung bestehenden vertraglichen Pflichten berufen. Ihr stärkstes Argument wird die Verweigerung des Aufwendungsersatzes sein. Diese Waffe ist aber stumpf, wenn die zweite Bank als ständige Korrespondenzbank sich aus den bei ihr unterhaltenen Guthaben der ersten Bank befriedigen kann63. Hier werden faktische Grenzen des Rechtsschutzes gegen den Mißbrauch unbedingter Garantien sichtbar. Die Sicherungsgeber und die beauftragten Banken werden darauf achten müssen, entweder eine Garantiebestätigung zu vermeiden oder klarzustellen, daß auch der Zweitanspruch deutschem Recht unterliegt. Die Banken werden die Beachtung von Weisungen zur Nichtauszahlung in ihren Geschäftsbesorgungsbeziehungen zu Korrespondenzbanken genauer zu definieren haben.
VI. Perspektiven der Rechtsentwicklung 1. Die Häufung von Mißbrauchsfällen bei Bankgarantien im internationalen Bereich führt zur Frage nach den Ursachen. Diese mögen z. T. darin liegen, daß sich bestimmte Länder erst an die rule of law im Wirtschaftsverkehr gewöhnen müssen. Aber der Jurist kann in der heutigen Praxis ganz abstrakter und unbedingter Zahlungsansprüche, die auf erstes Anfordern zu erfüllen sind, auch eine gewisse Überspitzung der Sicherung erkennen. Manchem Sicherungsgeber ist zu spät klargeworden, daß er damit seinem Geschäftspartner juristisch den Griff in seine Tasche nach Belieben ermöglicht. Die Gestaltung lädt zum Mißbrauch förmlich ein. Es fragt sich, ob die Remedur 62 Staudinger-Horn (o. Fußn. 9), Vorb. §§ 765 bis 778 Rdnr. 98. Die h. M. geht generell vom Recht der garantierenden Bank aus; Kegel, in: Gedächtnisschr. f. R. Schmidt, 1965, S. 215 ff.; Meyer (o. Fußn. 1), S. 15; Finger, S. 489 f.; ebenso die zit. Richtlinien der IHK (o. Fußn. 11). 63 So in dem o. Fußn. 8 berichteten Fall.
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dieser Mißbräuche weiterhin nur dem außergewöhnlichen Rechtsbehelf einer Einwendung des Rechtsmißbrauchs plus einstweiliger Verfügung sowie den zuletzt (V 3 a. E.) erwähnten kleineren vertragstechnischen Korrekturen vorbehalten bleiben soll, oder ob nicht die eingangs (I) skizzierten widerstreitenden Sicherungsinteressen anders koordiniert werden müssen. Eine Alternative bieten die erwähnten Einheitlichen Richtlinien für Vertragsgarantien der IHK von 1978; sie stärken die Position von Garanten und Garantieauftraggeber erheblich, indem die Garantien eine ausführliche Definition und Nachprüfung des Garantiefalles vorsehen64. Man muß aber damit rechnen, daß die heute überwiegend gebrauchten unbedingten Garantien nicht so bald aus der internationalen Praxis verschwinden werden. Es gilt demnach, die damit verfolgten Interessen der Sicherungsnehmer mit denen der Sicherungsgeber auf andere Weise in Einklang zu bringen, ohne die Garantie zur Zahlung auf erstes Anfordern ganz preiszugeben. 2. Dabei ist der Vergleich mit der zunächst befremdlichen Figur der Bürgschaft zur Zahlung auf erstes Anfordern hilfreich. Diese vereint nämlich, wie gezeigt, zwei gegenläufige Interessen der Beteiligten. Erstens gewährt sie dem Sicherungsnehmer einen ersten ungehinderten Zugriff auf die Sicherheit; diese übernimmt die Funktion eines Faustpfandes („Besitzvorteil“ durch Zahlung). Dieser Zugriff wird da- [2159] durch ermöglicht, daß die Koppelung an den gesicherten Anspruch, die bei der Bürgschaft durch die Akzessorietät vermittelt wird, zeitweilig entfällt. Andererseits wird aber die Frage der materiellen Berechtigung nicht endgültig abgeschnitten, sondern setzt sich nach der vorläufigen Zahlung durch: die aus der Akzessorietät folgenden Einreden und Einwendungen werden möglich. Es ist ein generelles Problem aller „abstrakten“ Ansprüche, ob aus Schuldanerkenntnis, Wechsel, Saldoanerkenntnis, Garantie, festzulegen, an welcher Stelle sich die Frage der endgültigen materiellen Berechtigung durchsetzen soll65. Die Frage nach der endgültigen Vermögenszuweisung ist nicht eliminierbar; spätestens auf der Ebene des Bereicherungsrechts muß sie entschieden werden. Dann muß auch der Inhaber eines abstrakt und unbedingt gefaßten Garantieanspruchs Farbe bekennen, daß der vertragstypische Zweck für die Garantiezahlung (der nicht causa solvendi und schon gar nicht causa donandi, sondern Sicherungszweck ist) vorgelegen hat. Bei den hier untersuchten Verpflichtungsformen zur Zahlung auf erstes Anfordern ist diese Frage zurückgedrängt. Nimmt man sie wieder in die Anspruchsvoraussetzungen hinein, etwa in Gestalt der bedingten Garantie nach dem Vorschlag der IHK, wird der Verkehr, der das „Faustpfand“ in Gestalt des abstrakten Anspruchs will, dies nicht leicht
Vgl. o. Fußn. 11. Instruktiv zu diesem Problem Kübler, Feststellung und Garantie, 1967.
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annehmen. Der Rückgriff auf die Frage der materiellen Berechtigung muß auf offenkundige Mißbrauchsfälle beschränkt bleiben. Es bleibt die von der Bürgschaft zur Zahlung auf erstes Anfordern vorgezeichnete Alternative, die Vorläufigkeit des unbedingten und abstrakten Zahlungsanspruchs stärker zu berücksichtigen. Bei der Bürgschaft ist dies aus der nicht aufhebbaren Akzessorietät des Bürgschaftsanspruchs leicht ableitbar. Aber auch beim Garantieanspruch kann, wie gezeigt, die Frage der materiellen Berechtigung nicht endgültig ausgeschlossen werden. Wer daher als Garantieberechtigter beim Zahlungsbegehren den Eintritt des Garantiefalles nicht nachzuweisen braucht, muß sich darauf einlassen, daß der Sicherungsgeber diese materielle Prüfung in einem späteren Stadium fordern kann, und kann daher ebenfalls nur vorläufige Zahlung verlangen. 3. Die künftige Praxis der unbedingten Garantien wird dieser Vorläufigkeit des Anspruchs mehr Beachtung schenken müssen. Dies kann dadurch geschehen, daß in den Verträgen Zahlung auf erstes Anfordern nur gegen Übernahme einer Rückzahlungsgarantie vorgesehen wird66; bei den Voraussetzungen ihrer Auszahlung kann dann die erforderliche materielle Prüfung der Berechtigung des ersten Garantieempfängers nachgeholt werden. Für diese materielle Prüfung lassen sich geeignete Verfahren (Schiedsverfahren, Schiedsgutachten) festlegen. Auch ohne eine solche Fortentwicklung der Kautelarpraxis können die Gerichte, die mit Eilverfahren befaßt werden, in bestimmten Fällen Formen vorläufiger Leistung in Betracht ziehen, etwa Zahlung gegen Rückgarantie oder Hinterlegung statt Zahlung. In diesen Fällen, in denen dem Sicherungsnehmer der Zahlungsanspruch nicht abgeschnitten, sondern in reduzierter Form gewährt wird, kann man auch die normalen, weniger strengen Anforderungen der Glaubhaftmachung im Eilverfahren genügen lassen. Künftige internationale Richtlinien für unbedingte Garantien, wie man sie vielleicht in einiger Zukunft von UNCITRAL erwarten kann, werden diese Elemente aufgreifen müssen: Formen vorläufiger Leistung und Formen nachgeholter materieller Prüfung.
66 Hinweise auf die Möglichkeit einer Gegengarantie bereits bei Rhode, in: BergströmSchultz-Käser, Garantieverträge im Handelsverkehr, 1972, S. 46; v. Marschall (o. Fußn. 2), S. 39.
Aktien- und konzernrechtlicher Vermögensschutz der Aktiengesellschaft und der Gang an die Börse ZIP 1987, 1225–1234 Treten Familien-Aktiengesellschaften oder andere Aktiengesellschaften mit bisher geschlossenen Eigentumsverhältnissen (z. B. Konzerntöchter) den Gang an die Börse und ins Publikum an, so sind für den rechtlichen Anlegerschutz nicht nur das Börsenrecht und die Vertrags- und Prospekthaftung zu beachten, sondern auch mögliche Verletzungen der Vermögensschutznormen des AktG durch die bisherigen Eigentümer. Dieser Punkt sollte in der Rechtsberatung von Familien-Aktiengesellschaften vor dem „going public“ nicht übersehen werden. Im Hinblick auf die Gefahr kreditfinanzierter Unternehmensübernahmen nach ausländischem Vorbild zur Ausplünderung der Aktiengesellschaft und anschließender Plazierung der Aktien im Publikum übernehmen die Normen des AktG eine wichtige Schutzfunktion.
I. Die Fragestellung: Neuemissionen und die Bedeutung der aktienrechtlichen Vorgeschichte der Aktiengesellschaft Verbesserter Zugang der Kapitalgesellschaften zum Kapitalmarkt und Förderung des Aktiensparens sind Forderungen, denen eine in den letzten Jahren deutlich belebte Neuemissionstätigkeit und der Gang zur Börse auch mittlerer Unternehmen entsprach.1 Dem Ziel eines ausreichenden Anlegerschutzes dient einmal die Prüfung der Emissions- und Börsenreife des Unternehmens durch die Emissionsbanken, im rechtlichen Bereich die jüngste Reform des Börsenrechts2 und die von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der außerbörslichen Prospekthaftung.3 Im Folgenden soll untersucht werden, welche Funktionen die Normen des Aktienrechts über den Vermögensschutz der AG im Hinblick auf den Vorgang haben, daß einem breiten Anlegerpublikum Aktien von Kapitalgesellschaften angeboten werden, die sich zuvor geschlossen in der Hand einer Person (z. B. Kon Vgl. etwa Wirtschaftswoche 1987, Nr. 41 v. 21.8.1987, S. 98 f. Dazu Schwark, NJW 1987, 2041; F. A. Schäfer, ZIP 1987, 953; Hadding/Uwe H. Schneider, Beiträge zum Börsenrecht, 1987. 3 Zusammenfassend Assmann, Prospekthaftung, 1985. 1 2
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zernmutter) oder einer kleinen, einheitlich handelnden Gruppe von Aktionären (z. B. Familien-AG) befanden. Die schlagwortartige Umschreibung „Gang an die Börse“ ist insofern ungenau, als es primär um den Vorgang der öffentlichen Emission und Plazierung geht, nicht so sehr um die damit etwa verbundene Börsenzulassung. Eine nicht unwichtige Variante unserer Fragestellung bietet schließlich der Fall, daß ein Alleinaktionär oder eine eng zusammen handelnde Gruppe von Mehrheitsaktionären nach nur vorübergehender Eigentümerrolle die Aktien einer (gegebenenfalls bereits börsennotierten) AG durch Plazierung im breiten Publikum unter Verwendung eines Verkaufsprospekts abstößt. Wurde das betreffende Unternehmen schon einige Zeit vor der öffentlichen Plazierung seiner Aktien im Publikum in der Rechtsform einer AG geführt (Familien-AG; Konzerntochter-AG), so unterlag es den Vermögensschutznormen des Aktienrechts, namentlich den §§ 57, 62, 93, 116, 117, 311, 317 AktG. Denkbare Verletzungen dieser Normen vor Plazierung durch die Altaktionäre, insbesondere den Alleinaktionär oder die Gesamtheit der Aktionäre, seien an drei Beispielen veranschaulicht: (1) Die Familien-AG wird vom Senior der Eigentümer-Familie mit deren Einverständnis zur Veräußerung eines wertvollen Firmengrundstückes an den Schwiegersohn des Seniors zu einem [1226] Bruchteil des erzielbaren Kaufpreises veranlaßt; anschließend tritt die AG den Gang an die Börse (z. B. zum neuen sogenannten „geregelten Markt“) an, indem sie (a) die Aktien aus einer Kapitalerhöhung von 25 % veräußert und zugleich die FamilienAktien in einem Pool zusammenfaßt oder (b) alle Aktien veräußert, um Familienstreitigkeiten zu beenden. (2) Die AG (oder Einzelperson) A hält 95 % der Aktien der X- AG; B hält 5 %. Ein Unternehmensvertrag zwischen A und X besteht nicht. Im Rahmen einer notwendigen Umstrukturierung der von A geleiteten Unternehmensgruppe, soll im Einvernehmen mit B die X-AG veräußert, zuvor aber ihr Vermögen, insbesondere stille Reserven, „abgespeckt“ werden. A veranlaßt mit Wissen des B den Vorstand der X-AG daher zur Veräußerung wertvollen Aktienbesitzes und zur Übertragung von Patenten an ihre Tochtergesellschaft Y ohne ausreichenden Gegenwert. Anschließend werden die Aktien der X-AG im Publikum plaziert und an der Börse eingeführt. (3) Die Spekulanten C, D und E, die am amerikanischen und englischen Kapitalmarkt die Möglichkeiten des kreditfinanzierten Unternehmenskaufs (leveraged buy-out) gelernt haben, erwerben teils von der Gründerfamilie, teils aus Streubesitz die Aktien der Z-AG. Sie machen sich sogleich an eine Abspeckung des Vermögens der Z-AG („Stripping the assets“), insbesondere die Auflösung stiller Reserven, indem sie den Vorstand der Z-AG zur Veräußerung wertvoller Grundstücke zu einem Spottpreis an eine von ihnen
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kontrollierte GmbH veranlassen, und zugleich zum Aufkauf überbewerteter Aktien von ihnen kontrollierter ausländischer Gesellschaften.4 Mit diesen Gewinnen werden die Kredite zurückgezahlt und anschließend die Aktien an das Publikum abgegeben. Die in den genannten Fällen möglichen Verletzungen des Aktienrechts sind noch (i. F. II) zu besprechen. Die Beispiele zeigen die Vielfalt der denkbaren Umstände und Motive dafür. Im Familienunternehmen und beim Konzern mag eine gewisse Sorglosigkeit im Umgang mit dem Aktienrecht durch das Gefühl veranlaßt sein, man sei ohnehin Herr im eigenen Haus. Das Bestreben, vor Veräußerung stille Reserven aufzulösen oder gewisse Vermögenswerte herauszunehmen, ist nicht durchweg zu mißbilligen. Das Aktienrecht jedenfalls verbietet dieses nicht, schreibt aber ganz bestimmte Formen dafür vor. Der in Beispiel (3) angesprochene Fall der Plazierung von Aktien nach vorübergehendem Erwerb und Ausplünderung der AG ist eine häßliche Variante des in England und den USA sich rasant verbreitenden Phänomens des kreditfinanzierten Unternehmenskaufs, der häufig unter Beteiligung des Managements erfolgt. Dieses Phänomen ist bei uns noch nicht verbreitet aufgetreten und soll hier nicht umfassend rechtlich erörtert werden.5 Der im Beispiel angesprochene Extremfall soll uns aber interessieren, zumal er als Möglichkeit die deutsche Finanzwelt bereits beschäftigt hat.6 Wenn nach den geschilderten Vorgängen neue Aktionäre die Aktien erwerben, so erscheint die Antwort auf die Frage, ob diese sich auf mögliche frühere Verletzungen der Vermögensschutznormen des AktG berufen können, auf den ersten Blick ohne weiteres zu bejahen zu sein. Gewisse Zweifel können sich ergeben, wenn man zwei Umstände berücksichtigt: (1) Die Vermögenstransaktion war auf Veranlassung oder mit Billigung des Alleinaktionärs oder der Gesamtheit der Aktionäre erfolgt. Daraus läßt sich der Einwand ableiten, wegen weitgehender Identität des Interesses von AG und Aktionären liege eine Verletzung des Aktienrechts nicht vor oder sie sei jedenfalls von geringem Gewicht. 4 Es wird berichtet, daß 1986 Vorstand und Aufsichtsrat der Harpener AG eine solche Forderung ihres damaligen (inzwischen ausgeschiedenen) Mehrheitsaktionärs erfolgreich abwehrten; dazu Welt am Sonntag v. 8.3.1987, S. 35. 5 Zur rechtlichen Diskussion dieses vielschichtigen Phänomens, das hier nicht pauschal kritisiert werden soll, vgl. aus der amerikanischen Literatur Booth, Management Buyouts, Shareholders Welfare, and the Limits of Fiduciary Duty, 60 N.Y. Univ. L. R. 630 (1985); Coffee, Shareholders Versus Management; the Strain in the Corporate Web, 85 Mich. L. R. 1 (1986). 6 Vgl. die scharfe Kritik dieser Gefahr durch H. J. Abs: „Die verbrecherische Neigung, ein Unternehmen mit dem Geld des übernommenen Unternehmens zu bezahlen, hat in Deutschland noch nicht Platz gegriffen, während wir das Unheil schon in den USA und in England haben. Aber auch in Deutschland stehen die Räuber schon vor der Tür; Welt am Sonntag v. 8.3.1987, S. 35.
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(2) Ist die Veräußerung der Aktien aufgrund eines Emissionsprospektes oder sonstiger Verkaufsangaben erfolgt, welche die Vermögenslage der AG zum Zeitpunkt der Veräußerung zutreffend wiedergeben (wenn man einmal von den fraglichen Verletzungen des Aktienrechts absieht), so ist der Einwand möglich, ein Schaden der Neuaktionäre liege nicht vor. Jede Berufung auf Altvorgänge scheide aus, weil die ratio der Vorschriften nicht gegeben oder weil ihre Anwendung rechtsmißbräuchlich sei. Der erste Einwand betrifft die Frage der Anwendung der Vermögensschutznormen des AktG auf einen Sonderfall (dazu II), der zweite Einwand die Kapitalmarktfunktionen dieser Normen (dazu III).
II. Vermögensschutz der Aktiengesellschaft gegen Eingriffe des Alleinaktionärs oder der Aktionärsgesamtheit Bei der folgenden Betrachtung der Vermögensschutznormen des Aktienrechts steht unserer Problemstellung gemäß die Frage im Vordergrund, ob sich bei Anwendung dieser Normen Besonderheiten daraus ergeben, daß der Alleinaktionär oder die Gesamtheit der Aktionäre die relevanten Vorgänge gebilligt oder veranlaßt hat. Im übrigen gelten die Ausführungen selbstverständlich auch außerhalb dieses Sonderfalls. 1. Verbotene Kapitalrückgewähr (§§ 57, 62 AktG) 1.1 Schutzzweck, Tatbestand und Rechtsfolge § 57 AktG dient dem fundamentalen Grundsatz der Kapitalerhaltung der Aktiengesellschaft7 und beruht auf der grundsätzlichen Trennung des Interesses der AG und der Interessen der Aktionäre.8 Der Tatbestand ist weit aufzufassen: Das ganze Vermögen der AG unterliegt der Bindung gem. § 57 Abs. 1 Satz 1 AktG.9 Das Verbot ergreift demnach jede Leistung aus dem Vermögen der AG, soweit diese nicht gesetzlich besonders erlaubt ist, insbesondere als Dividendenzahlung.10 Die AG darf auch [1227] keine verdeckte Rückgewähr an einen Aktionär leisten, indem sie eine Leistung erbringt, die in das Gewand eines an sich erlaubten Umsatzgeschäftes gekleidet ist.11 Typi-
Allgemein Würdinger, Aktienrecht und Konzernrecht, 4. Aufl., 1981, § 9, S. 37. Allgemein KölnerKomm-Lutter, AktG, § 57 Rz. 2; vgl. auch im folgenden III. 3. 2. 9 Lutter (Fußn. 8), § 57 Rz. 3; Geßler/Hefermehl/Bungeroth, AktG, Bd. I, 1973/83, § 57 Anm. 4; RGZ 107, 161, 168; 149, 385, 400; Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, 2. Aufl., 1977, § 1 B II 2a), S. 14f. 10 Allgemein Würdinger (Fußn. 7), § 9, S. 37; Großkomm.-Barz, AktG, 1973, § 57 Anm. 3. 11 Allgemein Lutter (Fußn. 8), § 57 Rz. 10. 7 8
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sche Fälle sind Verkäufe von Vermögensgegenständen der AG an Aktionäre unter dem angemessenen Preis.12 Auch die Leistung an einen Dritten ist nach ganz herrschender Meinung dann als Leistung an den Aktionär selbst anzusehen, wenn der Dritte mit dem Aktionär in einer engen Beziehung steht.13 Dies gilt namentlich für Verwandte14, wie im Beispielsfall 1. Es muß aber auch für Leistung an verbundene Unternehmen gelten15, wie in Beispielsfall 2. Die Steuerrechtsprechung sieht in solchen Veräußerungsgeschäften, die den Aktionär oder einen ihm nahestehenden Dritten begünstigen, eine verdeckte Gewinnausschüttung.16 Die Leistung der AG an einen Dritten wird jedenfalls dann als Leistung an einen Aktionär i. S. d. § 57 AktG angesehen, „wenn der Aktionär hieraus zumindest einen mittelbaren Vorteil erlangt“.17 Diese Grundsätze werden von der Rechtsprechung folgerichtig auch auf den Fall des Alleinaktionärs angewendet. Der BGH hat dazu ausgeführt: „Wird beim Verkauf von Gegenständen, die einer Aktiengesellschaft gehören, ein Teil des hierbei erzielten Erlöses an einen – sei es auch den alleinigen – Aktionär oder auf dessen Veranlassung an eine andere Gesellschaft, an der dem Aktionär eine wesentliche Beteiligung zusteht, abgeführt, so liegt darin eine nach § 52 AktG (= Fassung 1937; jetzt § 57 AktG) unzulässige Ausschüttung an den Aktionär. Dasselbe gilt auch für eine von dem Aktionär einem Dritten zugesagte Beteiligung an solchen Zuwendungen.“18
Die Frage besonderer subjektiver Voraussetzungen für § 57 AktG ist umstritten. Sie ist für uns insofern von Interesse, als der Alleinaktionär oder eine engere Aktionärsgesamtheit (Familie) sich, wie erwähnt, leicht als „Herr im eigenen Haus“ fühlen und jedenfalls auf Interessen von Minderheitsaktionären keine Rücksicht zu nehmen haben. Ein besonderes subjektives Erfor-
Lutter (Fußn. 8), § 57 Rz. 11; Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 17 ff. Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 22 ff; BGH WM 1957, 61. 14 Arg. §§ 89 Abs. 3, 115 Abs. 2 AktG; Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 29; Canaris, in: Festschrift für Fischer, 1979, S. 38; BGHZ 81, 365 = ZIP 1981, 1332 (betreffend § 30 GmbHG). 15 BGH WM 1957, 61 bei Veranlassung durch den Aktionär; unabhängig davon Geßler/ Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 30; Geßler, in: Festschrift für Fischer (Fußn. 14), S. 146 f; umstritten; anderer Ansicht Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Recht der Aktionäre, 1958, S. 366. 16 Vgl. BFH GmbHR 1984, 190: „Das Wesen der verdeckten Gewinnausschüttung (ihr Kern) besteht darin, daß den Gesellschaftern oder ihnen nahestehenden Personen von der Gesellschaft Gewinn in der Form zugeführt wird, in der er nicht als Gewinn erscheint ...“; dazu Streck, GmbHR 1987, 106 m. w. N. 17 OLG Hamburg AG 1980, 275; Döllerer, Verdeckte Gewinnausschüttungen und verdeckte Einlagen bei Kapitalgesellschaften, 1975, S. 32 f. – Auch dieses Kriterium ist nicht als unabdingbar anzusehen, sondern als bezeichnend für eine wichtige Fallgruppe; in diesem Sinn auch Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Anm. 29, 30. 18 BGH WM1957, 61. 12
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dernis wird für den Regelfall des § 57 AktG überwiegend verneint;19 zum Teil wird ein subjektives Moment beim handelnden Vorstand verlangt.20 Grundsätzlich kann es auf besondere subjektive Merkmale auf der Aktionärsseite schon deshalb nicht ankommen, weil das Aktiengesetz den Kapitalabfluß auf jeden Fall verhindern will. Für § 57 AktG kommt es auch nicht darauf an, daß der Aktionär die Veräußerung durch die AG veranlaßt hat, sondern nur, daß die Zuwendung ihren Grund in der Aktionärseigenschaft hat.21 Im Sonderfall der verdeckten Zuwendung ist schon der objektive Tatbestand wohl nur bei einem deutlichen Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung zu bejahen; dies schließt aber regelmäßig auch grobe Fahrlässigkeit der Beteiligten ein. Ist ein Dritter Leistungsempfänger, so muß allerdings verhindert werden, daß er als Nichtaktionär von der Rechtsfolge der §§ 57, 62 AktG überrascht wird; daher ist mit Wiedemann grobe Fahrlässigkeit zu verlangen.22 Letztere ist auch hier aus dem Mißverhältnis der Leistungen wohl leicht zu schließen, so im Beispielsfall 1 bei dem (nicht als Aktionär beteiligten) Schwiegersohn des Seniorchefs der Familien-AG. In den Beispielen 2 und 3 ist wohl die Kenntnis aller Gesellschafter des Empfängers diesem zuzurechnen. Die regelmäßige Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 57 AktG ist die Nichtigkeit des betreffenden Vertrages gem. § 134 BGB.23 Die Nichtigkeitsfolge gilt sowohl für das Verpflichtungsgeschäft wie für das dingliche Übertragungsgeschäft.24 Diese Rechtsfolge ergreift nach herrschender Meinung auch Geschäfte, die eine verdeckte Rückgewähr zum Gegenstand haben.25 Bei Leistung an Dritte soll allerdings die Nichtigkeitsfolge nicht in jedem Fall eintreten.26 Zwar schließt der Umstand, daß der Dritte als Nichtaktionär nicht Normadressat ist und damit das Geschäft nur für die eine Vertragspar-
19 Mestmäcker (Fußn. 15), S. 233; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, § 8 III 1, S. 442. 20 Großkomm-Barz (Fußn. 10), § 57 Anm. 3. 21 Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 23; Canaris, in: Festschrift für Fischer (Fußn. 14), S. 32; für § 30 GmbHG BGHZ 13, 49, 54. 22 Wiedemann (Fußn. 19), § 8 III 1, S. 442. 23 RGZ 77, 71, 72; 107, 161, 166; OLG Koblenz AG 1977, 231 f; OLG München AG 1980, 272 f; OLG Düsseldorf AG 1980, 273 f; OLG Hamburg AG 1980, 275, 279; Wiedemann (Fußn. 19), § 8 III 1, S. 442; Würdinger (Fußn. 7), § 9 II, S. 38; Geßler/Hefermehl/ Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Anm. 71 ff; Großkomm-Barz (Fußn. 10), § 57 Anm. 10; KölnerKomm-Lutter (Fußn. 8), § 57 Rz. 24. 24 RGZ 77, 71, 72f; Wiedemann (Fußn. 19), § 8 III. 1, S.442; Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 71; Sonnenhol/Stützle, WM 1983, 2, 5f. 25 Großkomm-Barz (Fußn. 10), § 57 Anm. 10, 15; Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Anm. 73 ff; Wiedemann (Fußn. 19), § 8 III, S. 442; Geßler, in: Festschrift für Fischer (Fußn. 14), S. 139 ff. 26 Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 77; Canaris, in: Festschrift für Fischer (Fußn. 14), S. 34 ff; OLG Düsseldorf AG 1980, 273, 274 f; Sonnenhol/Stützle, WM 1983, 2, 6; vgl. auch Würdinger (Fußn. 7), § 9 II, S. 38.
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tei (die AG) verboten ist, die Nichtigkeit nach § 134 BGB nicht aus.27 Wohl aber ist der gänzlich unbeteiligte Dritte zu schützen. Die Nichtigkeitsfolge tritt daher ein, wenn dieser in Kenntnis der Zusammenhänge bei der verbotenen Einlagenrückgewähr mitwirkt,28 aber auch dann, wenn seine Unkenntnis auf grober Fahrlässigkeit beruht.29 Das subjektive Merkmal und damit die Nichtigkeitsfolge sind regelmäßig anzunehmen, wenn eine enge Verbindung zwischen Aktionär und dem Dritten besteht.30 [1228] § 62 AktG gibt einen gesellschaftsrechtlichen Rückforderungsanspruch, der dem normalerweise gegebenen Kondiktionsanspruch vorgeht.31 Der Anspruch steht der AG zu. Er kann unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 AktG aber auch von den Gläubigern der AG, im Konkursfall vom Konkursverwalter, geltend gemacht werden. Der Anspruch richtet sich nach herrschender Meinung nur gegen Aktionäre, weil er im Gesellschaftsverhältnis wurzelt, nicht aber gegen Dritte als Leistungsempfänger.32 Von diesem Grundsatz hat der BGH eine Ausnahme bei Leistung an einen nahen Familienangehörigen des Gesellschafters gemacht.33 Gegen Dritte kommen im übrigen Kondiktionsansprüche zum Zuge.34 Da die Nichtigkeit gem. § 134 BGB i. V. m. § 57 AktG auch dingliche Geschäfte ergreift,35 kommen auch dingliche Herausgabeansprüche in Betracht. Daneben können Schadensersatzansprüche nach §§ 823 ff BGB, insbesondere § 826 BGB, bestehen, die durch § 62 AktG nicht ausgeschlossen werden,36 sowie Ansprüche aus § 117 AktG.37 1.2 Bedeutung der Billigung durch die Altaktionäre Da in allen hier betrachteten Fällen die Transaktionen mit Billigung des Alleinaktionärs oder der Gesamtheit der Aktionäre erfolgen, ist zu fragen, ob diese Billigung den Tatbestand des § 57 AktG ausschließt. Der BGH hat
Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., 1980, § 134 Rz 4. OLG Hamburg AG 1980, 275, 279; Sonnenhol/Stützle, WM 1983, 2, 6; ähnlich für § 30 GmbHG BGH WM 1982, 1402. 29 Michalski, AG 1980, 261, 269; ähnlich Wiedemann (Fußn. 19), § 8 III. 1, S.442. 30 Im Ergebnis ebenso Canaris, in: Festschrift für Fischer, S. 36, 38, 43; Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 77. 31 Flume, ZHR 144, 18, 27; KölnerKomm-Lutter(Fußn. 8), § 62 Rz. 17; Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 62 Rz. 26; vgl. auch BGH WM 1957, 61. 32 BGH AG 1981, 227; OLG Düsseldorf AG 1980, 273 f; Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 62 Rz. 20; umstritten. 33 BGHZ 81, 365, 368 = ZIP 1981, 1332 (betreffend GmbH-Recht). 34 Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 62 Rz. 20. 35 Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 75; KölnerKomm-Lutter (Fußn. 8), § 57 Rz. 24; Wiedemann (Fußn. 19), § 8 III 1, S. 442; herrschende Meinung. 36 KölnerKomm-Lutter (Fußn. 8), § 62 Rz. 17. 37 Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 62 Rz. 28; dazu im folgenden II. 4. 27 28
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dies in der bereits erwähnten Entscheidung zutreffend verneint.38 Der Grund dafür liegt letztlich in der Selbständigkeit der juristischen Person gegenüber ihren Mitgliedern und der daraus folgenden strikten Trennung der Interessen der AG und derjenigen ihrer Aktionäre. Dieser Grundsatz durchzieht das ganze Aktienrecht.39 Wesentliche Grundlage der Selbständigkeit der AG ist die Erhaltung ihrer Kapitalbasis, die § 57 AktG garantiert. Daraus folgt, daß die Tatbestände, unter denen den Aktionären Vermögenszuwendungen seitens der AG gemacht werden können, eng begrenzt und nicht beliebig vermehrbar oder manipulierbar sind. „Ein Drittes außer Zahlung von Dividende und Rückzahlung auf Einlage gibt es nicht“.40 Das Verbot der Kapitalrückgewähr gem. § 57 AktG läßt nun eine Einlagenrückgewähr nur in den wenigen, gesetzlich ausdrücklich genannten Fällen zu. Zu diesem numerus clausus der zulässigen Kapitalrückgewähr gehört außer der Einlagenrückzahlung im Rahmen der Abwicklung (§ 271 AktG) die Kapitalausschüttung aufgrund Kapitalherabsetzung (§ 225 Abs. 2 AktG), ferner der Erwerb eigener Aktien, soweit nach §§ 71 ff AktG zulässig, sowie Leistungen aufgrund eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages (§ 291 Abs. 3 AktG).41 In allen oben (I) genannten Beispielsfällen hätte der Alleinaktionär oder die Gesamtheit der Aktionäre Vermögensstücke der AG nur dadurch entnehmen dürfen, daß sie diese zum vollen Wert veräußerten und diesen Gegenwert der AG zufließen ließen. Anschließend wäre, je nachdem, ob bei der Veräußerung eine Auflösung stiller Reserven stattfand oder nicht, eine Ausschüttung außerordentlicher Erträge an die Aktionäre oder eine Einlagenrückgewähr nach Kapitalherabsetzung möglich gewesen. Die Billigung durch den Alleinaktionär oder die Gesamtheit der Aktionäre schließt also nur dann den Tatbestand der verbotenen Kapitalrückgewähr aus, wenn diese Billigung in den vorgeschriebenen Formen der Aktionärsbeschlüsse (über Gewinnverwendung oder Kapitalherabsetzung) gefaßt sind. Der Umstand, daß keine Minderheitsaktionäre vorhanden sind, deren Interessen berührt sein können, ist ohne Einfluß. Dies folgt schon daraus, daß das Gesetz auch die Interessen der Gläubiger berücksichtigt, wie § 62 Abs. 2 AktG, aber auch § 225 und § 230 AktG zeigen. Es folgt vor allem aber aus der erwähnten Unterscheidung des Interesses der AG und der Interessen der Aktionäre. Diese Wertung ist nicht von Einzelumständen der Situation abhängig, sondern generell getroffen und institutionell zu verstehen. BGH WM 1957, 61. Vgl. zu § 93 Godin/Wilhelmi, AktG, 4. Aufl., 1971, § 93 Anm.4; LG Mannheim WM 1955, 116; vgl. auch Kühler, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 1985, § 15 III 3; s. auch im folgenden II. 3. 40 Brodmann, AktG, 1928, § 213 Anm. 1a. Ebenso das Reichsgericht etwa in RGZ 77, 11, 13; 107, 161, 168; Großkomm-Barz (Fußn. 10), § 57 Anm.3. 41 Vgl. dazu den Überblick bei Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 52–70; Emmerich/Sonnenschein (Fußn. 9), § 1 B II 2a), S. 15. 38 39
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Eine andere Frage ist es, daß tatsächlich ein Kapitalrückgewähranspruch regelmäßig dann nicht geltend gemacht wird, wenn die Mehrheitsverhältnisse bei der AG fortbestehen und die Vermögensverhältnisse der AG den Gläubigern keinen Grund zur Besorgnis geben. Wo kein Kläger, da kein Richter. Eine rechtliche Folgerung für den Anspruch der AG gem. § 62 i. V. m. § 57 AktG läßt sich daraus jedoch nicht ziehen. 2. Ersatzpflicht wegen nachteiliger Einflußnahme im faktischen Konzern gem. §§ 311, 317 AktG 2.1 Schutzzweck und Tatbestand Für den Sonderfall, daß Mehrheitsaktionär oder Alleinaktionär der AG ein anderes Unternehmen ist, das damit einen beherrschenden Einfluß ausüben kann (§§ 16, 17 AktG), schreibt das Konzernrecht genau Umfang und Grenzen einer Einflußnahme auf die AG vor. Eine nachteilige Einflußnahme ist, sofern sie nicht aufgrund Unternehmensvertrags oder Eingliederung berechtigt ist (§§ 308, 323 AktG), nur in den Grenzen des § 311 AktG zulässig. Der Nachteil i. S. d. § 311 AktG ist objektiv zu bestimmen. Er liegt immer vor, wenn für eine Leistung der AG bei einem Rechtsgeschäft keine angemessene Gegenleistung vorliegt.42 Es kommt nicht darauf an, ob dem Konzern daraus zugleich ein Vorteil entsteht.43 Der Begriff der Einflußnahme i.S.d. § 311 AktG ist im Gegensatz zum Begriff der Weisung i. S. d. § 308 AktG sehr weit zu verstehen und umfaßt jede Art der Einflußnahme auf die Geschäftspolitik, die für die Vornahme des nach- [1229] teiligen Rechtsgeschäfts kausal ist.44 In unserem obigen Beispielsfall 2 ist die Veranlassung der abhängigen AG zur Veräußerung von Aktienbeteiligungen und Übertragung von Patenten an eine andere Konzerntochter ohne ausreichenden Gegenwert zweifellos als nachteilige Einflußnahme i. S. d. § 311 AktG anzusehen. Wurde der Nachteil, den die AG erlitten hat, weder ausgeglichen noch eine Bestimmung über den Nachteilsausgleich (durch Vereinbarung) gem. § 311 Abs. 2 AktG getroffen, greift die Ersatzpflicht gem. § 317 AktG ein.45 Sie trifft gem. § 317 Abs. 1 Satz 1 AktG das herrschende Unternehmen und daneben gem. § 317 Abs. 3 AktG deren gesetzliche Vertreter. Eine Exkulpation nach § 317 Abs. 2 AktG durch den Nachweis, daß auch ein ordentli42 Godin/Wilhelmi (Fußn. 39), § 311 Anm. 3; Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 311 Rz. 107 ff, 114; GroßKomm-Würdinger (Fußn. 10), § 311 Anm. 7. 43 Godin/Wilhelmi (Fußn. 39), § 311 Anm. 3. 44 Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 311 Rz. 90; Godin/Wilhelmi (Fußn. 39), § 311 Anm. 1. 45 KölnerKomm-Biedenkopf/Koppensteiner (Fußn. 8), § 311 Rz. 43. Zutreffend eine Vereinbarung fordert Kropff, in: Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 311 Rz. 151.
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cher und gewissenhafter Geschäftsleiter einer unabhängigen Gesellschaft das Rechtsgeschäft vorgenommen und die Maßnahme getroffen hätte, kommt nicht in Betracht. Der Umstand, daß im Beispielsfall 2 (oben I) der Minderheitsaktionär der Maßnahme zugestimmt hat, ist ohne Bedeutung, soweit es um den Schaden der AG geht. Die §§ 311, 317 AktG gelten auch für den Fall, daß die Muttergesellschaft Alleinaktionär ist, also keine Minderheitsaktionäre zu schützen sind.46 Das Gesetz unterscheidet in § 317 Abs. 1 AktG eindeutig zwischen dem Schaden der AG und einem Schaden der Aktionäre. Schon das Interesse der Gläubiger erfordert eine genaue Beachtung dieses Unterschiedes. Allenfalls die Geltendmachung eines eigenen Schadens kann dem Minderheitsaktionär durch vorherige Zustimmung zur Maßnahme und damit durch den Einwand des widersprüchlichen Verhaltens verwehrt sein. 2.2 Verhältnis zu §§ 57, 62 AktG Das Verhältnis der speziellen konzernrechtlichen Ansprüche gem. §§ 311, 317 AktG zum allgemeinen Verbot der Kapitalrückgewähr in § 57 AktG und den daran anschließenden Rückforderungsansprüchen (§ 62 AktG und Ansprüche nach BGB) ist umstritten. Der Meinung, daß beide Anspruchsgrundlagen nebeneinander bestehen,47 steht eine andere Meinung gegenüber, daß die §§ 311, 317 AktG als Spezialregelung den § 57 AktG verdrängen.48 Dieser Vorrang kann aber nicht in jedem Fall gelten,49 sondern nur, soweit sich die Normen tatbestandlich decken und ihre Zwecke in Konflikt geraten. Sowohl § 311 AktG wie § 57 AktG dienen dem Schutz und der Erhaltung des Vermögens der betroffenen AG. Die Spezialnorm des § 311 AktG gestattet jedoch vorläufig nachteilige Rechtsgeschäfte und Maßnahmen zugunsten des herrschenden Unternehmens bis zum Nachteilsausgleich gem. § 311 Abs. 2 AktG; dadurch wird das Kapitalausschüttungsverbot des § 57 AktG modifiziert.50 „Ein Einbruch in das aktienrechtliche System der Vermögensbindung ist damit im Hinblick auf die Ausgleichspflicht nicht verbunden.“51 Folge46 Würdinger (Fußn. 7), § 69 VII 1 c. Zum Zweck des Schutzes der Minderaktionäre BGHZ 69, 336 f. Zur Anwendung der §§ 311 ff AktG auf die Einmann-AG vgl. auch Leo, AG 1965, 352. 47 Würdinger (Fußn. 7), § 72 II 2, S. 344; Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 292 Rz. 33; ders., in: Festschrift für Fischer (Fußn. 14), S. 138; zum Teil ähnlich Canaris, in: Festschrift für Fischer (Fußn. 14), S. 42. 48 Geßler/Hefermehl/Kropff (Fußn. 9), § 311 Rz. 65, 103; Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 64; KölnerKomm-Lutter (Fußn. 8), § 57 Rz. 35; ebenda Biedenkopf/ Koppensteiner (Fußn. 8), § 311 Anm. 57; Großkomm-Barz (Fußn. 10), § 57 Anm. 7. 49 Allgemein einschränkend auf Geschäfte im Konzerninteresse Michalski, AG 1980, 263 ff; vgl. auch Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 65. 50 Geßler/Hefermehl/Kropff (Fußn. 9), § 311 Rz. 65 m. N. 51 Geßler/Hefermehl/Kropff (Fußn. 9), § 311 Rz. 65 m. N.
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richtig tritt § 57 AktG nur zurück, solange es um den Ausgleich des Nachteils nach § 311 Abs. 2 AktG geht. Steht fest, daß ein solcher Ausgleich weder gewährt noch gem. § 311 Abs. 2 AktG bestimmt wurde, greift § 57 AktG wieder ein.52 3. Ersatzpflicht des Vorstandes und Aufsichtsrates gem. §§ 93, 116 AktG 3.1 Tatbestand der Sorgfaltspflichtverletzung Die Veräußerung von Vermögensstücken ohne angemessenen Gegenwert und die darin liegende Kapitalrückgewähr stellt grundsätzlich eine Sorgfaltspflichtverletzung i. S. d. § 93 AktG dar. Nach § 93 Abs. 1 AktG haben die Mitglieder des Vorstandes die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden. Aus der Bedeutung der Aufgabe und der selbständigen, treuhandähnlichen Wahrnehmung der Gesellschaftsangelegenheiten ergibt sich nach herrschender Meinung, daß das Vorstandsmitglied eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft, die umfassender ist als diejenige eines normalen Geschäftsmannes.53 Zwar hat der Vorstand bei seinen Entscheidungen ein geschäftspolitisches Ermessen; er muß aber die Verwirklichung des Unternehmenszieles, damit also die Erhaltung und Stärkung des Unternehmens in seiner Lebensfähigkeit und Rentabilität im Auge haben.54 Dazu gehört die Rechtspflicht, den Vorteil der Gesellschaft zu wahren und Schaden von ihr abzuwenden.55 Der Vorstand darf vor allem nicht den Aktionären oder Dritten Sondervorteile zum Schaden der Gesellschaft zuwenden.56 § 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG nennt als ersatzpflichtige Sorgfaltspflichtverletzung die verbotene Einlagenrückgewähr. Die Billigung der Maßnahme durch den Alleinaktionär bzw. die Gesamtheit der Aktionäre oder durch das herrschende Unternehmen schließt den Tatbestand der Sorgfaltspflichtverletzung i. S. d. § 93 AktG nicht von vornherein aus. Dieser Gesichtspunkt ist jedoch beim Verschulden (dazu 3.2), bei der Frage eines besonderen Rechtfertigungsgrundes (dazu 3.3), sowie bei der Frage des Schadens (3.4) noch zu erörtern.
52 Wiedemann/Strohn, AG 1979, 113, 120; unklar Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 57 Rz. 64. 53 Großkomm-Schilling (Fußn. 10), § 93 Anm. 9 ff; KölnerKomm-Mertens (Fußn. 8), § 93 Rz. 32; zurückhaltender Godin/Wilhelmi (Fußn. 39), § 93 Anm. 4. 54 Würdinger (Fußn. 7), § 25 VI 1 c; Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., 1987, § 8 Rz. 28, 32; vgl. auch Wiedemann (Fußn. 19), § 6 III 2. 55 RGSt Recht 1930 Nr. 823; BGHZ 21, 354, 357; Großkomm-Schilling (Fußn. 8), § 93 Anm. 9; Godin/Wilhelmi (Fußn. 39), § 93 Anm. 4. 56 BGHZ 21, 354, 357. Vgl. auch BGHZ 94, 55 f = ZIP 1985, 607 = EWiR § 117 AktG 1/85, 243 (Meyer-Landrut); BGH ZIP 1987, 29 = EWiR § 93 AktG 1/87, 109 (Wiedemann) = WM 1987, 13 ff.
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3.2 Verschulden Der Vorstand haftet im Rahmen des § 93 Abs. 2 AktG für jede Fahrlässigkeit.57 Mit Rücksicht auf den objektivierten Fahrlässigkeitsbegriff, der auch § 93 Abs. 1 AktG zugrunde liegt, ist mit [1230] der objektiven Verletzung der Sorgfaltspflicht regelmäßig auch ein Verschulden, die subjektive Vorwerfbarkeit, zu bejahen.58 Keine Entlastung wäre beim Familienunternehmen eine gewisse Sorglosigkeit hinsichtlich der Einhaltung der aktienrechtlichen Anforderungen aus dem Gefühl heraus, es handele sich letztlich doch nur um das eigene Vermögen (Beispielsfall 1). Wer sich der Rechtsform der AG bedient, muß sich auf die Beachtung aktienrechtlicher Normen einstellen. Etwas anderes könnte gelten, wenn der Vorstand einer Weisung des herrschenden Unternehmens gefolgt ist. Aus der Regelung der §§ 311 ff AktG kann man schließen, daß der Gesetzgeber den faktischen Konzern nicht grundsätzlich mißbilligt und daher Weisungen eines herrschenden Unternehmens vom Vorstand des beherrschten Unternehmens befolgt werden dürfen, daß also § 311 insoweit dem § 93 AktG vorgeht.59 Das herrschende Unternehmen darf jedoch bei fehlender Ausgleichsabsicht eine nachteilige Weisung an das abhängige Unternehmen gar nicht erst erteilen.60 Ebenso darf der Vorstand der abhängigen AG nicht tatenlos zusehen, sondern muß das herrschende Unternehmen auf den drohenden Nachteil hinweisen und auf einen Ausgleich i. S. d. § 311 Abs. 2 AktG hinwirken; andernfalls haftet er nach § 93 AktG.61 Nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG trifft den Vorstand die Beweislast dafür, daß er in objektiver wie in subjektiver Hinsicht die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt hat.62 Die Vorstandsmitglieder können sich nicht schon dadurch entlasten, daß die Geschäftsvorfälle durch den Jahresabschlußprüfer geprüft worden sind.63 3.3 Beschluß der Hauptversammlung oder Billigung durch den Alleinaktionär Ist das fragliche Geschäft durch einen vorhergehenden Beschluß der Hauptversammlung gebilligt worden, so ist gem. § 93 Abs. 4 Satz 1 AktG ein Haftungsanspruch der AG gegen die Vorstandsmitglieder ausgeschlos Großkomm-Schilling (Fußn. 8), § 93 Anm. 14. KölnerKomm-Mertens (Fußn. 8), § 93 Rz. 12 am Ende. 59 Geßler/Hefermehl/Kropff (Fußn. 9), § 311 Rz. 60. 60 Geßler/Hefermehl/Kropff (Fußn. 9), § 311 Rz. 43, umstritten. 61 Geßler/Hefermehl/Kropff (Fußn. 9), § 311 Rz. 61; KölnerKomm-Biedenkopf/Koppensteiner (Fußn. 8), § 317 Rz. 27. 62 KölnerKomm-Mertens (Fußn. 8), § 93 Rz. 48; Großkomm-Schilling (Fußn. 10), § 93 Anm. 17. 63 Großkomm-Schilling (Fußn. 10), § 93 Anm. 20. 57 58
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sen. Eine nachträgliche Entlastung durch die Hauptversammlung beseitigt die Haftung jedoch nicht.64 Das Erfordernis eines förmlichen Beschlusses der Hauptversammlung wird allerdings dann verneint, wenn der Alleinaktionär vorher seine Billigung für die Maßnahme zu erkennen gegeben hat. Man kann daran denken, daß hier die Geltendmachung des Ersatzanspruches durch die AG am Einwand des Rechtsmißbrauchs scheitern könnte.65 Es ist zweifelhaft, ob dieser Meinung für die hier betrachteten Fälle gefolgt werden kann. Allgemein ist anerkannt, daß auch der Alleinaktionär nicht auf die Einhaltung der Sorgfaltspflichten des Vorstandes verzichten kann.66 Zu diesen Sorgfaltspflichten aber gehört die Gesetzmäßigkeit des Geschäftsbetriebes der AG.67 Falls sich allerdings die Eigentumsverhältnisse der AG nicht ändern, kommt ein Arglisteinwand (Einwand des widersprüchlichen Verhaltens als Sonderfall des exceptio doli praesentis) in Betracht, wenn die AG einen Schadensersatzanspruch gegen den Vorstand geltend macht, während noch der gleiche Alleinaktionär hinter der AG steht, so daß dieser wirtschaftlich Schadensersatz wegen Handlungen begehrt, die er selbst veranlaßt hat. Diese Situation ist bei anschließender Veräußerung der Aktien aber nicht gegeben. 3.4 Schaden; Interesse der AG und Aktionärsinteresse Zweifel an einer Haftung des Vorstandes gem. § 93 Abs. 2 AktG können in den hier betrachteten Fällen schließlich im Rahmen des Schadens auftauchen. § 93 Abs. 2 AktG setzt voraus, daß bei der AG ein Vermögensschaden eingetreten ist.68 Der Schaden besteht nach den allgemein anerkannten Kriterien des Schadensbegriffs, die jedenfalls im Grundsatz auch hier anzuwenden sind,69 in der Differenz zwischen dem Stand des Vermögens der AG vor und nach der schädigenden Pflichtverletzung, also in den betrachteten Fällen in der Differenz zwischen dem erzielbaren und dem tatsächlich erzielten Gegenwert. Einwände gegen dieses Ergebnis könnten in der Weise begründet werden, daß man zusätzliche normative Kriterien in den Schadensbegriff einführt und 64 Großkomm-Schilling (Fußn. 10), § 93 Anm. 35; KölnerKomm-Mertens (Fußn. 8), § 93 Rz. 54, 56. 65 KölnerKomm-Mertens (Fußn. 8), § 93 Rz. 54; Godin/Wilhelmi (Fußn. 39), § 93 Anm. 22. 66 Godin/Wilhelmi (Fußn. 39), § 93 Anm. 4; vgl. auch LG Mannheim WM 1955, 116 (betreffend Hauptaktionär). 67 KölnerKomm-Mertens (Fußn. 8), § 93 Rz. 34. 68 Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 93 Rz. 28; KölnerKommMertens (Fußn. 8), § 93 Rz. 14. 69 Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 93 Rz. 28 unter Bezugnahme auf Larenz; vgl. auch allgemein Staudinger/Karsten Schmidt, BGB, 12. Aufl., 1983, § 249 Rz. 4ff m.w.N.
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argumentiert, ein Schaden i. S. d. § 93 AktG sei nur bei solchen Vermögensverlusten der AG anzunehmen, die dem Gesellschaftszweck widersprächen; bei Billigung durch den Alleinaktionär oder die Gesamtheit der Aktionäre sei jedoch eine Verletzung des Gesellschaftszwecks im Ergebnis zu verneinen. In der Tat wird etwa von Mertens das Kriterium der Zweckwidrigkeit beim Vermögensschaden i. S. d. § 93 AktG verwendet;70 damit soll aber vor allem die weitgehend unstreitige Zulässigkeit sozialer oder gemeinnütziger Aufwendungen der AG dogmatisch erklärt werden. Darum geht es hier aber nicht. Der Unternehmenszweck ist objektiv zu verstehen und von den bloßen Interessen der Aktionäre zu trennen. Der durch § 57 AktG sanktionierte Grundsatz, daß der Schaden der AG vom Schaden oder Vorteil der Gesellschafter streng zu trennen ist, ist noch in der neuesten Rechtsprechung des BGH zutreffend bekräftigt worden.71 Man könnte schließlich einwenden, ein Schaden sei schon deshalb zu verneinen, weil der Alleinaktionär oder die Aktionärsgesamtheit die fraglichen Vermögenswerte auch auf andere Weise [1231] dem Vermögen der AG hätten entnehmen können, ohne daß daraus ein Schadensersatzanspruch erwachsen wäre. Wie (oben II. 1.2) erwähnt, wäre es nämlich möglich gewesen, aufgrund von Hauptversammlungsbeschlüssen die Vermögenswerte als außerordentliche Erträge oder nach einer ordentlichen Kapitalherabsetzung zu entnehmen. Dieser Einwand wird im allgemeinen Zivilrecht unter dem Gesichtspunkt des rechtmäßigen Alternativverhaltens erörtert.72 Mit diesem Einwand soll ein Schadensersatzanspruch also dadurch ausgeschlossen werden, daß man geltend macht, der Schaden sei ohnehin – dann auf eine andere, gesetzlich vorgesehene Weise – eingetreten. Der Einwand wird in Rechtsprechung und Lehre uneinheitlich behandelt und in den meisten Fällen nicht anerkannt.73 Der Grund dafür liegt generell darin, daß man nicht zulassen kann, daß der Schutzzweck von Normen ausgehöhlt wird.74 Der Schutzzweck kann nun darauf gerichtet sein, ein bestimmtes Ergebnis zu verhindern bzw. einen Zustand zu sichern, oder auch darauf, die Einhaltung bestimmter rechtlich vorgeschriebener Verfahren zu erzwingen und andere Verfahren auszuschließen.75 Im zweiten Fall kann der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens nicht gelten.
70 KölnerKomm-Mertens (Fußn. 8), § 93 Rz. 14–16; kritisch dazu Geßler/Hefermehl/ Bungeroth (Fußn. 9), § 93 Rz. 28. 71 BGH ZIP 1987, 29 = EWiR § 93 AktG 1/87, 109 (Wiedemann) = WM 1987, 13 ff. 72 Allgemein Staudinger/Karsten Schmidt (Fußn. 69), § 249 Rz. 107 ff. 73 Vgl. den Überblick bei Staudinger/Karsten Schmidt (Fußn. 69), § 249 Rz. 109, 110. 74 Zur Bedeutung des Schutzzwecks in diesem Zusammenhang Hermann Lange, Schadensersatz, 1979, S. 134 f. 75 Staudinger/Karsten Schmidt (Fußn. 69), § 249 Rz. 111, 114.
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Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die hier betrachteten aktienrechtlichen Normen der zweiten Fallgruppe angehören. Das Aktienrecht will keineswegs verhindern, daß die Aktionäre, insbesondere der Alleinaktionär oder die Gesamtheit der Aktionäre, ihre in den Aktienrechten liegenden Eigentumsrechte (im weiteren Sinne) geltend machen. Aber das Aktienrecht verlangt, daß dies in den Formen des Aktienrechts geschieht. Daher verbietet es, wie (oben 1) ausgeführt, den Zugriff auch des Alleinaktionärs auf das gebundene Gesellschaftsvermögen durch § 57 AktG und die Schädigung des abhängigen Unternehmens durch das herrschende ohne Ausgleich durch §§ 311, 317 AktG. Auf das Vermögen der AG darf nur in den durch das Aktiengesetz vorgeschriebenen Wegen zugegriffen werden. Auch § 93 Abs. 2 AktG dient u. a. der Einhaltung aktienrechtlicher Normen.76 Ein Vermögensschaden und damit ein Ersatzanspruch gem. § 93 Abs. 2 AktG ist daher auch in den hier betrachteten Fällen zu bejahen. 4. Ersatzpflicht wegen nachteiliger Einflußnahme gem. § 117 AktG In den Beispielsfällen 1 und 3 kommen schließlich auch Schadensersatzansprüche der AG aus § 117 AktG in Betracht. Danach haftet, wer vorsätzlich unter Benutzung seines Einflusses auf die Gesellschaft ein Mitglied des Vorstandes oder Aufsichtsrates oder einen Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten der Gesellschaft dazu bestimmt, zum Schaden der Gesellschaft zu handeln. Solche Handlungen liegen in den für die AG nachteiligen Veräußerungen von Vermögensgegenständen und Erwerbsgeschäften. Der in § 117 AktG geforderte Vorsatz braucht sich nicht auf die Art und Höhe des eingetretenen Schadens zu beziehen. Es genügt, daß der Täter weiß, daß das betreffende Geschäft objektiv geeignet ist, die Gesellschaft zu schädigen, und daß er dies in Kauf nimmt.77 Ein Schaden der Gesellschaft genügt; es muß kein Schaden bei den Aktionären eingetreten sein, da das Gesetz auch hier klar zwischen dem Schaden der Gesellschaft und dem der Aktionäre unterscheidet.78
KölnerKomm-Mertens (Fußn. 8), § 93 Rz. 34. Großkomm-Meyer-Landrut (Fußn. 10), § 117 Anm. 5; KölnerKomm-Mertens (Fußn. 8), § 117 Rz. 9. Die Sorgfaltspflichten des herrschenden Aktionärs sind im Vergleich zum herrschenden Unternehmen geringer, die subjektiven Haftungsvoraussetzungen bei § 117 AktG entsprechend höher als bei § 317 AktG; allgemein Würdinger (Fußn. 7), § 72 I. 2. a. 78 Vgl. allgemein Großkomm-Meyer-Landrut (Fußn. 10), § 117 Anm. 4; Godin/Wilhelmi (Fußn. 39), § 117 Anm. 5. 76 77
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III. Recht der Neuaktionäre im Hinblick auf die Kapitalrückgewähr- und Haftungsansprüche der AG Wenn demnach die im AktG zum Schutz des Vermögens der AG vorgesehenen Kapitalrückgewähr- und Haftungsansprüche grundsätzlich auch im Sonderfall der Einmann-AG oder der geschlossen handelnden Gesamtheit der Aktionäre bestehen, so ergibt sich doch eine rein tatsächliche Besonderheit daraus, daß bei unverändertem Fortbestehen dieser Eigentumsverhältnisse die Verfolgung dieser Ansprüche der AG jedenfalls von Aktionärsseite nicht betrieben wird; in bestimmten Fällen könnte dem auch der Einwand des widersprüchlichen Verhaltens entgegenstehen, wie bei § 93 AktG erörtert. Die Gläubiger der AG sind keineswegs gehindert, im gesetzlich vorgesehenen Rahmen die genannten Ansprüche geltend zu machen; sie werden freilich nur bei bedenklicher Vermögenssituation der AG handeln. Die Situation ändert sich mit einem Wechsel der Eigentumsverhältnisse. Neuaktionäre sind typischerweise daran interessiert, daß die AG etwa bestehende Ansprüche dieser Art realisiert, weil es sich um Aktiva der AG handelt und der entsprechende Vermögenszuwachs ihnen zugute kommt. 1. Die Verwaltungsrechte der Neuaktionäre Die Erwerber der Aktien erhalten mit der Übertragung der Aktienanteile in Erfüllung des mit ihnen geschlossenen Kaufvertrages die volle Rechtsstellung eines Aktionärs einschließlich aller Verwaltungsrechte.79 In Gebrauch dieser Rechte können Neuaktionäre einen Beschluß der Hauptversammlung (mit einfacher Mehrheit) gem. § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG über die Geltendmachung der Ersatzansprüche aus §§ 93 und 117 AktG herbeiführen; andernfalls genügt auch schon das Verlangen einer Minderheit, die zusammen 10% des Neukapitals hält. Die Geltendmachung des Anspruchs aus § 62 AktG kann nach dem Wortlaut des § 147 AktG nicht auf diese Weise verlangt werden. Die Unterlassung der Geltendmachung des Anspruchs, auf den die AG gem. § 66 Abs. 2 AktG nicht verzichten kann, stellt jedoch eine Pflichtverletzung gem. §§ 93, 116 AktG dar, ebenso wie die Kapitalrückgewähr selbst (§ 93 Abs. 3 Nr. 1 AktG), für die der Weg gem. § 147 AktG gegeben ist; außerdem kann die Hauptversammlung mit Verweigerung der Entlastung und Vertrauensentzug (§§ 120, 84 Abs. 3 Satz 3 AktG) reagieren.80 Den Konzernhaftungsanspruch des § 317 AktG schließlich kann gem. § 317 Abs. 4 i. V. m. § 309 Abs. 4 Satz 1 AktG jeder Neu- [1232] aktionär geltend machen, indem er Leistung an die Gesellschaft fordert. Als vorbereitende Maßnahme kann 79 Allgemein Würdinger (Fußn. 7), § 12 II; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965. 80 Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 62 Rz. 34.
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von der Hauptversammlung gem. § 142 Abs. 1 AktG eine Sonderprüfung mit einfacher Mehrheit beschlossen werden. Kommt ein solcher Beschluß nicht zustande, so kann eine Aktionärsminderheit, die mindestes 10 % des Nennkapitals oder 2 Mio. Nennkapital hält, gem. § 142 Abs. 2 AktG die gerichtliche Anordnung einer Sonderprüfung beantragen. Die zeitlichen Grenzen, die das Aktiengesetz für die Geltendmachung der Ansprüche zieht, sind großzügig bemessen und stellen kein Hindernis dar. Der Kapitalrückgewähranspruch und die erörterten Ersatzansprüche verjähren jeweils erst in 5 Jahren (§§ 62 Abs. 3, 93 Abs. 6, 117 Abs. 6, 317 Abs. 4 i. V. m. 309 Abs. 5 AktG). Nur mit Zurückhaltung und Behutsamkeit hat der Gesetzgeber die Möglichkeit ausschließen oder eindämmen wollen, daß Aktionäre kurzfristig Aktien erwerben, um anschließend die genannten Verwaltungsrechte geltend zu machen. So kann die gerichtliche Anordnung der Sonderprüfung von einer Aktionärsminderheit gem. § 142 Abs. 2 AktG nur beantragt werden, wenn diese glaubhaft macht, daß sie seit mindestens drei Monaten vor dem Tage der Hauptversammlung Inhaber der Aktien ist (§ 142 Abs. 2 Satz 2 AktG). Auch das Verlangen nach einer Geltendmachung von Ersatzansprüchen gem. § 147 Abs. 1 Satz 2 AktG durch eine Aktionärsminderheit ist nur unter der gleichen Voraussetzung zulässig (§ 147 Abs. 1 Satz 2 AktG). Weitere zeitliche Grenzen bestehen nicht. Schon die einfache Mehrheit der Aktionäre ist nicht gehindert, den Beschluß zur Geltendmachung der Ersatzansprüche gem. § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG ohne Rücksicht auf diese zeitliche Grenze zu beschließen. Findet etwa die erste Hauptversammlung schon acht Wochen nach Durchführung der öffentlichen Plazierung statt, so kann ohne weiteres der Beschluß gem. § 147 Abs. 1 AktG gefaßt werden. 2. Bedeutung des Emissionsvorgangs und des Erwerbsgeschäfts Haben die Investoren beim Erwerb der Aktien im Rahmen einer öffentlichen Plazierung auf den Inhalt des Emissionsprospektes oder einer sonstigen Verkaufsinformation vertraut, welche die Vermögenssituation der AG zum Zeitpunkt der Plazierung zutreffend wiedergaben, so könnte man auf den bereits erwähnten Einwand verfallen, daß die Aktionäre den vollen Gegenwert für ihren Kaufpreis in der Wertrelation erhalten, die sich in einem nicht durch Irrtum beeinflußten Spiel der Marktkräfte (durchsetzbarer Emissionspreis) herausgebildet hat. 2.1 Publizitätspflichten Bei unserer Fragestellung kommt es nicht primär auf das Börsenzulassungsverfahren an, sondern auf den Plazierungs- und Erwerbsvorgang, also den Kaufvertrag über die Aktien, und den dabei gegebenenfalls verwendeten Emissionsprospekt und sonstige Erklärungen und Zusicherungen. Dieser
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Emissionsprospekt wird freilich dann, wenn erstmals eine Börseneinführung zusammen mit der öffentlichen Plazierung erfolgt, mit dem Börsenprospekt inhaltlich übereinstimmen. Grundsätzlich muß der Verkaufsprospekt ebenso wie der Börsenprospekt richtige und vollständige Prospektangaben enthalten, d. h. alle Angaben, die für die Beurteilung der Vermögensanlage von wesentlicher Bedeutung sind.81 Erheblich in diesem Sinne sind Kapitalrückgewähr- und Schadensersatzansprüche der AG gem. §§ 62, 93, 117, 317 AktG zumindest dann, wenn sie von nicht unerheblichem Umfang sind und die Vermögenssituation der AG dadurch beeinflußt wird. Dies ist in den hier betrachteten Fällen einer bewußten und umfangreichen Vermögensverringerung der AG, die gegen die genannten Normen verstößt, ohne weiteres anzunehmen. Es ist zutreffend anerkannt, daß etwa Rückgewähransprüche gem. § 62 AktG in der Bilanz zu aktivieren und in den Bericht der Abschlußprüfer aufzunehmen sind.82 Wenn dies unterbleibt, ist die Bilanz unrichtig; bei Rückgewähransprüchen von erheblichem Umfang kann dies zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses gem. § 256 AktG führen.83 Die für den Jahresabschluß geltenden Anforderungen sind auch sowohl an den Emissions-(Verkaufs-) prospekt wie an den Börsenprospekt zu stellen. Es handelt sich um wesentliche Tatsachen sowohl i. S. d. § 38 BörsG bei Zulassung zum amtlichen Handel als auch im Sinne der Anforderungen an den Inhalt des Unternehmensberichts, der gem. § 73 Abs. 1 Nr. 2 BörsG für die Zulassung zum geregelten Markt erforderlich ist.84 Wenn man zutreffend von einem materiellen Prüfungsrecht der Börsenzulassungsstelle ausgeht,85 muß auch diese bei geeigneten Anhaltspunkten ihre Prüfung darauf erstrecken, ob solche Rückgewährund Ersatzansprüche der AG nicht angegeben sind. Da es sich bei diesen Ansprüchen jedoch um Aktiva der AG handelt, führt ihre Nichtangabe im Verkaufsprospekt noch nicht zu einem Schaden des Aktionärs. Ein solcher Schaden ist nur dann denkbar, wenn die Nichtgeltendmachung der genannten Ansprüche durch die AG für diese weitere Nachteile nach sich zieht. Ob ein Schaden der Aktionäre im Sinne der Prospekthaftung dann angenommen werden kann, wenn sie durch die Verschweigung der genannten Ansprüche im Prospekt davon abgehalten werden, deren Geltendmachung durch die AG zu betreiben, ist zumindest zweifelhaft und hier nicht zu verfolgen. Wohl aber ist im Folgenden (3.3) auf die Frage zurückzukommen, ob Unkenntnis der früheren Vermögensminderung der AG einen Vermögensnachteil der Aktionäre bedeutet.
Zusammenfassung Assmann (Fußn. 3), S. 299 ff. Geßler/Hefermehl/Bungeroth (Fußn. 9), § 62 Rz. 32. 83 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, Bd. 2, 4. Aufl., 1968–1972, § 256 Anm. 7. 84 Allgemein dazu Schwark, NJW 1987, 2043, 2045. 85 Schwark, NJW 1987, 2043. 81
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2.2 Rechtsverzicht der Neuaktionäre? Wenn demnach mangels Schadens in der Regel ein Prospekthaftungsanspruch ausscheidet und hier jedenfalls nicht weiter diskutiert werden soll, so ist doch andererseits auch leicht zu erkennen, daß der Emissions- und Erwerbsvorgang keineswegs die erörterten Verwaltungsrechte der Aktionäre im Hinblick auf die Rückgewähr- und Ersatzansprüche der AG beeinträchtigt. Man könnte allenfalls daran denken, daß im Erwerb der Aktien gemäß Prospekt oder entsprechender Verkaufszusicherungen zugleich ein konkludenter Verzicht des Erwerbers auf die Verfolgung weitergehender, ihm (mittelbar) vorteilhafter Ansprüche der AG liegt. Dafür bietet der Emissions- und Erwerbsvorgang aber keinen rechtlichen Anhaltspunkt. Dies folgt schon aus der [1233] Unkenntnis des Erwerbers. Da insoweit, wie gezeigt, eine Publizitätspflicht bestand, liegt sogar eine Irreführung des Erwerbers objektiv vor. Eine andere Frage ist es, ob der Erwerber in Kenntnis der relevanten Vorgänge auf den Gebrauch seiner Verwaltungsrechte insoweit verzichten könnte. Solche Verzichtsvereinbarungen sind bei einem individuellen Kaufvertrag über ein Aktienpaket denkbar. Die Wirksamkeit solcher Zusicherungen wäre begrenzt. Kaufvertragliche Gewährleistungsansprüche (die aber ohnehin hier nicht ersichtlich sind) wären auf diese Weise auszuschließen; ein Stimmrechtsverzicht (§§ 120, 147 AktG) dagegen wäre bedenklich. Auf Rechte der AG könnte der Neuaktionär ohnehin nicht verzichten. Die AG könnte dies im Hinblick auf den Anspruch aus § 93 AktG erst nach drei Jahren und mit Zustimmung der Hauptversammlung gem. § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG tun, sofern nicht eine qualifizierte Aktionärsminderheit von 10% des Nennkapitals widerspricht. Auf den Rückgewähranspruch aus § 62 AktG kann die AG gem. § 66 AktG überhaupt nicht verzichten. Die Frage ist hier nicht weiter zu verfolgen. 3. Institutionelle Funktion und Kapitalmarktfunktion der Vermögensschutznormen des AktG 3.1 Wegfall der ratio legis? Es bleibt der Umstand zu bedenken, daß den Neuaktionären durch das Bestehen von Rückgewähr- und Ersatzansprüchen der AG, die bei der Emission nicht berücksichtigt werden, ein unerwarteter und zusätzlicher Vermögensvorteil in den Schoß fällt. Zwar handelt es sich um Ansprüche der AG und nicht der Aktionäre, aber durch diese Aktiva der AG wird natürlich der Wert der Aktien gesteigert. Man könnte einwenden, die Vermögensschutznormen des AktG seien für diesen Fall nicht gedacht und es entfalle die ratio
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legis dieser Normen mit der Folge, daß die Normen selbst nicht anzuwenden seien.86 Der Gedanke eines Wegfalls der ratio legis ließe sich am ehesten durch die Überlegung konkretisieren, daß die erörterten Normen vor allem den Schutz von Minderheitsaktionären bezweckten,87 während es in den hier hauptsächlich betrachteten Fällen eines Handelns des Alleinaktionärs oder der Gesamtheit der Aktionäre an Minderheitsaktionären jedenfalls im Zeitpunkt der Verletzung gerade fehlt. Eine solche Überlegung greift offensichtlich zu kurz. Erstens sind immer auch die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen, die das Gesetz in den einschlägigen Normen auch ausdrücklich berücksichtigt (§§ 62 Abs. 2, 93 Abs. 5, 117 Abs. 5, 317 Abs. 4 i. V. m. 309 Abs. 4 Satz 2 AktG). Zweitens ist die AG durchweg, auch wenn sie jahrelang als Einmann-AG oder geschlossene Familien-AG geführt worden sein sollte, rechtlich grundsätzlich auf einen Wechsel ihrer Mitglieder angelegt. 3.2 Korporationsrechtliche Funktionen Damit ist die institutionelle, korporationsrechtliche Funktion der Vermögensschutznormen des AktG angesprochen. Diese sichern die Selbständigkeit der AG als juristische Person und Vermögenszusammenfassung gegenüber ihren Mitgliedern, den Aktionären. Es wurde bereits bei den Kapitalrückgewähr- und Ersatzansprüchen der AG (oben II) gezeigt, daß diese Ansprüche auch im Sonderfall des Alleinaktionärs gelten. Der institutionelle Grund dafür liegt darin, daß die Verbandsperson der AG auch im Fall der EinmannAG grundsätzlich fortbesteht.88 Dieser Grundsatz tritt besonders deutlich im Konzernrecht hervor, das die Aufgabe hat, „Vorkehrungen (zu treffen), die abhängige Gesellschaft vermögensrechtlich so zu stellen, wie sie stünde, wenn sie unabhängig wäre“89; dies gilt auch im Fall, daß die Muttergesellschaft alle Anteile der Tochter inne hat.90 Im Sonderfall der Einmann-AG, der Familien-AG oder sonst einer geschlossen handelnden Aktionärsgruppe werden nun die zum institutionellen Schutz der Selbständigkeit und des Vermögens der AG geschaffenen Rückgewähr- und Ersatzansprüche nur aktualisiert, wenn im Zeitablauf ein Aktionärswechsel eintritt, sofern man von dem Sonderfall absieht, daß eine offene Vermögenskrise der AG die Gläubiger auf den Plan ruft. Der unge-
86 Cessante ratione legis cessat lex ipsa; Glosse „Non cohaeret“ zu Dig. 35.1.72 § 6. Die Allgemeingültigkeit dieses Satzes ist nicht anzuerkennen; vgl. schon Dig. 1.3.21. Darauf kommt es aber im folgenden nicht an, weil die ratio legis nicht entfallen ist, wie noch darzulegen sein wird. 87 BGHZ 69, 334, 342 zu §§ 311, 317 AktG. 88 Allgemein Wiedemann (Fußn. 19), § 1 I 1. 89 KölnerKomm-Zöllner (Fußn. 8), Vorbem. 7 vor § 291. 90 Würdinger (Fußn. 7), § 69 VII, S. 322.
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schmälerte Gebrauch der Verwaltungsrechte durch die Neuaktionäre, um die Durchsetzung der Ansprüche der AG zu veranlassen, ist also in diesem Fall der einzige Weg, um die Vermögensschutznormen wegen Verletzung durch den früheren Alleinaktionär oder die Aktionärsgesamtheit überhaupt zu aktualisieren. Daß den Neuaktionären dabei ein besonderer, wenngleich nur mittelbarer Vorteil winkt, ist nicht nur in Kauf zu nehmen, sondern jedenfalls im Regelfall ein billigenswerter Anreiz zur Durchsetzung des institutionellen Schutzes der AG. Dieser Anreiz ist auch im Normalfall, daß nur einzelne Minderheitsaktionäre sich in die AG einkaufen, gegeben und wird vom Gesetz nur in den oben (III. 1.1) erörterten zeitlichen Grenzen mißbilligt. 3.3 Kapitalmarktfunktionen Die Anlage der Verfassung der AG auf einen raschen, ungehinderten Wechsel ihrer Mitglieder begründet ihre einzigartige Stellung am Kapitalmarkt, daß durch Marktpreise für Beteiligungsrechte zugleich die Bedingungen für die Eigenkapitalversorgung gesteuert werden. Voraussetzung dafür ist die rechtliche und vermögensmäßige Selbständigkeit der AG gegenüber ihren Aktionären, die durch die genannten Normen gesichert wird. Damit ist über deren generelle Funktion für den Kapitalmarkt bereits das Wichtigste gesagt. Allerdings scheint es nach den bisherigen Überlegungen (oben III. 2.2) so zu sein, daß spezielle Anlegerschutzüberlegungen scheinbar nicht zum Zuge kommen und daß es regelmäßig nur um einen vor Aktienerwerb eingetretenen Schaden der AG geht, nicht aber um einen durch Aktienerwerb eintretenden Schaden der Aktionäre. Diese Überlegung ist einzuschränken. Nehmen wir an, eine traditionsreiche Familien-AG (Beispiel 1), über deren innere Verhältnisse bislang aber wenig bekannt war, findet den Gang an die Börse und ins Anlegerpublikum. Nicht lange davor werden erhebliche stille Reserven aufgelöst und der AG entnommen, wobei die geschilderten Normverletzungen ein- [1234] treten. Diese Verletzungen werden nicht erkannt, weil die Vorgänge unbekannt bleiben oder ihre rechtliche Bedeutung verkannt wird. Die Bilanz zum Ausgabezeitpunkt der Aktien und der Prospekt sind sonst in Ordnung. Was den Anlegern verborgen bleibt, ist der Umstand, daß die entnommenen Vermögenswerte dem Familienunternehmen in der Vergangenheit in Krisenzeiten mehrfach das Überleben ermöglicht haben und daß Beständigkeit und Ansehen des Unternehmens mit diesen Vermögenswerten zusammenhängt. Die Benachteiligung der Anleger mag hier schwer zu beziffern sein; sie ist aber keineswegs zu leugnen. Schließlich sei an den im Beispielsfall 3 genannten, als Gefahr durchaus realitätsnahen Extremfall eines kreditfinanzierten Kapitalerwerbs der AG zur anschließenden Vermögensausplünderung der AG mit abschließender Weiterveräußerung der Anteile erinnert. Es ist hier nicht der Ort, über die
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volkswirtschaftliche Wünschbarkeit kreditfinanzierter Unternehmenskäufe, die etwa als „management buyouts“ unter bestimmten Umständen sinnvoll sein können, zu philosophieren. Auf jeden Fall ist die Ausplünderung von Gesellschaften aufgrund einer von vornherein nur kurzfristig geplanten Anteilsübernahme eine Perversion der Grundgedanken des Aktienrechts. Die erörterten Vermögensschutznormen bieten eine vielleicht unvollkommene, so doch wirksame Waffe gegen solche Versuche. Der Übernehmer (oder die Übernehmergruppe) kann dadurch zwar nicht schlechthin an der Ausplünderung des Vermögens „seiner“ AG gehindert werden. Diese muß dann aber in den erörterten, gesellschaftsrechtlich vorgeschriebenen Formen erfolgen, wenn der Alleinaktionär (oder die Aktionärsgesamtheit) sich nicht späteren Rückgewähr- und Ersatzansprüchen aussetzen will. Die damit notwendig verbundene Publizität informiert den Kapitalmarkt und schützt künftige Anleger. Diese können abwägen, ob trotz eines noch günstigen Bilanzbildes und im übrigen zutreffenden Prospektes die offengelegte Vermögensverringerung der AG gewisse Risiken für die Zukunft birgt, die keine Bilanz erfassen kann. Dieser Gesichtspunkt gilt natürlich generell und nicht nur in den hier betrachteten Fällen. Aber es ist der Vorzug besonderer Fälle, daß sie allgemeine Einsichten vermitteln oder verdeutlichen.
Globalbürgschaft und Bestimmtheitsgrundsatz In Festschrift für Franz Merz 1992, S. 217–227 I. Das Schutzproblem. Bürgenschutz durch Höchstbetrag 1. Globalbürgschaft Die Verbürgung aller, auch künftiger Ansprüche aus einem Kreditverhältnis (Kontokorrentkreditbürgschaft) oder generell aller Ansprüche aus einer bestimmten Geschäftsbeziehung, insbesondere zwischen einer Bank und ihrem Kunden als dem Hauptschuldner (Globalbürgschaft), ist fester Bestandteil der Kreditsicherungspraxis. Die Wirksamkeit einer solchen Bürgschaft ist vom BGH seit 1957 in ständiger Rechtsprechung anerkannt.1 Eine solche Bürgschaft umfaßt dann z. B. auch die Bürgschaftsverpflichtungen des Kunden (Hauptschuldners) gegenüber der Bank2 oder die Rückgriffsansprüche der Bank aus einer für diesen Kunden übernommenen Bürgschaft (Rückbürgschaft)3. Für den Bürgen ist die Globalbürgschaft viel gefährlicher als die normale Bürgschaft für eine einzelne Forderung, weil er den Umfang der Hauptforderung(en) und damit seiner künftigen Bürgschaftsverpflichtung nicht übersehen kann. Der Hauptschuldner kann die Geschäftsverbindung und damit die Hauptschuld gegenüber der Bank mit deren Einverständnis in einem Umfang ausweiten, den der Bürge nicht voraussehen konnte und der ihn bei Insolvenz des Hauptschuldners selbst in den wirtschaftlichen Ruin mitreißen kann. Natürlich wird die Bank schon im eigenen geschäftlichen Interesse im Regelfall ihr Engagement beim Hauptschuldner nur in dem Maß ausweiten, das ihr in Anbetracht von dessen wirtschaftlicher Situation vertretbar erscheint. Aber gerade in einer kritischen Situation des Hauptschuldners ist die Versuchung für die Bank groß, auf eine Überwindung der Krise durch Ausweitung des Kredits zu hoffen und für den Notfall auf die wirtschaftliche Kraft des Bürgen zu vertrauen. Im Ergebnis kann [218] der Bürge mit einem Schuldenstand konfrontiert werden, der seine Kenntnis oder Einschätzung des üblichen Geschäftsvolumens des Hauptschuldners weit übersteigt. Gene-
BGHZ 25, 318; Staudinger/Horn, BGB, 12. Aufl., 1980/86, § 765 Rz. 10, 12. OLG Bamberg WM 1990, 1019. 3 BGH NJW 1979, 415. 1 2
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rell liegt das Problem in dem Umstand, daß der Globalbürge in besonderer Weise vom Verhalten des Hauptschuldners und der Bank abhängt und das Ausmaß, in dem er für den Hauptschuldner einstehen muß, für ihn unabsehbar ist. 2. Höchstbetragsbürgschaft Der geschäftlich gewandte Bürge kann sich vor dieser Uferlosigkeit seines Risikos dadurch schützen, daß er einen Höchstbetrag seiner Bürgschaft vereinbart (Höchstbetragsbürgschaft)4 oder sich nur für eine durch Höchstbetrag begrenzte Hauptschuld (Kreditlinie) verbürgt. Die Höchstbetragsbürgschaft ist in der Tat weit verbreitet und fester Bestandteil der Kreditsicherungspraxis der Banken.5 Der Bürgschaftshöchstbetrag bedeutet freilich für den Bürgen noch nicht ohne weiteres eine absolute Begrenzung seines Haftungsrisikos. Der Bürge haftet im gesetzlichen Regelfall der Bürgschaft für eine Einzelschuld gem. § 767 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BGB auch für die durch die Leistungsstörung des Hauptschuldners begründeten zusätzlichen Verbindlichkeiten, also rückständige Zinsen, ggf. Kosten der Rechtsverfolgung und sonstige Nebenkosten. Diese Haftung kann auch den Höchstbetragsbürgen treffen. Der Bürge kann dann im Ergebnis mit mehr als dem Doppelten des Höchstbetrages belastet sein.6 Der Bürge, der sich bis zu einem Höchstbetrag für einen Kontokorrentkredit verbürgt, sieht sich ferner dem zusätzlichen Risiko eines ständigen Anwachsens seines Haftungsrahmens dadurch ausgesetzt, daß bei der Saldierung die mitverbürgten Zinsen zum Kapital geschlagen werden. Teilrückzahlungen des Hauptschuldners werden dabei nicht bevorzugt auf die Zinsen angerechnet, weil die Rechtsprechung die §§ 366, 367 BGB nicht auf Teilrückzahlungen im Kontokorrent anwendet.7 [219] Der Bürge kann ungewollten Ausweitungen seiner Haftung dadurch entgehen, daß er den Höchstbetrag als absolute Höchstgrenze seiner Bürgschaftsverpflichtung vereinbart, so daß der Gläubiger auch dann über den Höchstbetrag keinen Pfennig erhalten soll, wenn rückständige Zinsen oder andere Nebenkosten angefallen sind. Diese schärfere Begrenzung (die freilich eine Haftungserweiterung durch eigene Leistungsstörung des Bürgen nicht ausschließt) liegt nach dem Wortsinn und den Vorstellungen von Laien im Staudinger/Horn (Fußn. 1), Vorbem. zu §§ 765–778 Rz. 17. Vgl. Schröter, in: Bankrecht und Bankpraxis, Loseblatt-Sammlung, 1978 ff, Bd. II, Rz. 4/1149. 6 Vgl. den Fall OLG Hamm NJW 1978, 1166: Bürgschaftshöchstbetrag = 20 000 DM; aktuelle Bürgenschuld = 42 000 DM. 7 BGH ZIP 1980, 529 = NJW 1980, 2131; OLG Hamm NJW 1978, 1166; a. A. Capelle/ Canaris, Handelsrecht, 21. Aufl., 1989, § 25 V 2a, Staudinger/Horn (Fußn. 1), Vorbem. zu §§ 765–778 Rz. 22. 4 5
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Begriff der Höchstbetragsbürgschaft, so daß die zusätzliche Haftung für Zinsen, Provisionen und Kosten über den Höchstbetrag hinaus ausdrücklicher Vereinbarung bedarf.8 Eine entsprechende Klausel ist allerdings durchweg üblich,9 und der BGH hält sogar die genannte weitere Haftung für im Zweifel gewollt.10 Die strikte Beschränkung der Bürgenhaftung auf den Höchstbetrag unter Ausschluß der Haftungserweiterung gem. § 767 BGB vermindert den Wert der Bürgschaft als Kreditsicherung stark und taucht jedenfalls in den Formularverträgen der Banken nicht auf,11 auch wenn sie keineswegs gänzlich unüblich ist.12 Für die Sicherung eines typischen Kontokorrentkredits oder einer laufenden Geschäftsverbindung ist sie nur begrenzt geeignet. In ihrer vorherrschenden flexiblen Form bietet die Höchstbetragsbürgschaft dem Bürgen den Schutz einer konkreten Risikobegrenzung, wobei er durch die Haftungserweiterungen i. S. d. § 767 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BGB nicht schlechter gestellt ist als der Bürge der Einzelschuld im gesetzlichen Regelfall.13 3. Globalbürgschaft ohne Höchstbetrag Nach verbreiteter Meinung ist die Globalbürgschaft für künftige Ansprüche aus einer bankmäßigen Geschäftsverbindung mit dem Hauptschuldner nur wirksam, wenn die Haftung des Bürgen durch einen Höchstbe- [220] trag begrenzt ist.14 Der BGH hat dagegen ausdrücklich die Globalbürgschaft für alle Verbindlichkeiten aus Bankverbindung auch ohne Höchstbetrag für wirksam erklärt.15 In dem einen Fall wies der BGH unter anderem das Bedenken der Vorinstanz zurück, eine derartige Formularbürgschaft ohne Höchstbetrag sei überraschend i. S. d. § 3 AGBG.16 In der anderen Entscheidung 8 BGH DB 1978, 629; OLG Hamm NJW 1978, 1166; Staudinger/Horn (Fußn. 1), Vorbem. zu §§ 765–778 Rz. 22. 9 Schröter (Fußn. 5), Rz. 4/1149. 10 BGH DB 1978, 629; zweifelhaft. 11 Vgl. Schröter (Fußn. 5), Rz. 4/1149. 12 Ein entsprechender Effekt (absolute Begrenzung) wird bei Großfinanzierungen häufig mit Garantien erreicht. 13 Wenn man von den Nachteilen der (umstrittenen) Verrechnung von Teilleistungen im Kontokorrent absieht. 14 Staudinger/Horn (Fußn. 1), § 765 Rz. 10; MünchKomm-Pecher, BGB, 2. Aufl., 1986, § 765 Rz. 12; Reinicke/Tiedtke, JZ 1986, 426, 428; dies., Gesamtschuld und Schuldsicherung, 2. Aufl., 1988, S. 100 f; Derleder, NJW 1986, 97, 100. 15 BGH ZIP 1985, 267 = NJW 1985, 848 = WM 1985. 155 (Küchenmöbelfall), vgl. dazu auch EWiR 1985, 83 (Fischer); BGH ZIP 1986, 85 = NJW 1986, 928 = WM 1986, 95 (Fernsehfall), vgl. dazu auch EWiR 1986, 671 (Horn) und WuB I F 1a Bürgschaft 6.86 (Bruchner); OLG Hamm BB 1991, 650. 16 BGH ZIP 1985, 267 (Küchenmöbelfall); entgegen OLG Düsseldorf ZIP 1984, 42 = WM 1984, 82.
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Globalbürgschaft und Bestimmtheitsgrundsatz
wurde der Einwand der Vorinstanz verworfen, die nicht bezifferte Globalbürgschaft genüge nicht der Form des § 766 BGB.17 Dem Bürgen soll es noch nicht einmal helfen, daß er die Bürgschaft für einen zunächst betragsmäßig begrenzten Kontokorrentkredit gegeben hatte, weil er mit der Ausweitung des Kredits rechnen müsse.18 Die Rechtsprechung hat vereinzelt Zustimmung gefunden,19 ist aber überwiegend auf Kritik gestoßen.20 Die Bürgschaftsrechtsprechung des BGH blieb von dieser Kritik so unbeeindruckt und scheint so sehr verbreiteten Vorstellungen der Bankpraxis zu entsprechen, daß eine erneute Erörterung auf den ersten Blick wenig aussichtsreich erscheint, zumal wichtige Gegenargumente von der Kritik bereits ausgiebig diskutiert wurden. Der BGH hat jedoch in neueren Entscheidungen zu Fällen der Mitverpflichtung für Ratenkredite21 und für Geschäftskredite22 Klauseln gem. § 9 AGBG für unwirksam erklärt, die in ähnlicher Weise wie bei der unbegrenzten Globalbürgschaft dem Mitverpflichteten ein unabsehbares Risiko auferlegen. Die Urteile erlauben eine schärfere Verdeutlichung der Problematik der unbegrenzten Globalbürgschaft und verstärken die Argumente der bisherigen Kritik. Nach der hier vertretenen Auffassung verstößt diese Bürgschaftsform gegen Grundprinzipien [221] des Bürgschaftsrechts, die sich im Begriff des Bestimmtheitserfordernisses zusammenfassen lassen. Im folgenden werden andere in der Literatur und Rechtsprechung verwendete Gesichtspunkte (§ 766 BGB; § 138 Abs. 1 BGB; §§ 3 und 9 AGBG) nur insoweit herangezogen, als sie zur Unterstützung oder Verdeutlichung dieses Grundprinzips dienen können.
II. Anwendung des Bestimmtheitsgrundsatzes 1. Bestimmtheit der Bürgschaft Jede Bürgschaft muß dem Bestimmtheitsgrundsatz genügen, d. h. sie kommt wirksam nur zustande, wenn feststeht oder sich durch Auslegung eindeutig ermitteln läßt, welche Hauptforderung gesichert werden soll.23 Diese Bestimmtheit wird in § 765 BGB vorausgesetzt, und an sie knüpft das
BGH ZIP 1986, 85 (Fernsehfall) entgegen OLG Stuttgart EWiR 1985, 155 (Gottwald). BGH ZIP 1986, 85. 19 Rehbein, JR 1985, 506; Bruchner, WuB I F 1 a Bürgschaft 6.86. 20 Derleder, NJW 1986, 97, 100; Horn, EWiR 1986, 671; Reinicke/Tiedtke, JZ 1985, 485 und dies., JZ 1986, 426; Lindacher, JR 1984, 333. 21 BGH ZIP 1989, 968 = WM 1989, 1086; vgl. dazu auch EWiR 1989, 837 (M. Wolf). 22 BGH ZIP 1991, 224 = ZBB 1991, 260; vgl. dazu die Besprechung von P. Bydlinski, ZBB 1991, 263 sowie EWiR 1991, 231 (Ackmann). 23 BGHZ 25, 318; Staudinger/Horn (Fußn. 1), Vorbem. zu §§ 765–778 Rz. 21. 17 18
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Akzessorietätsprinzip der §§ 765, 767 BGB an: Besteht die Hauptschuld nicht, so besteht auch die Bürgschaft nicht. Gleiches gilt selbstverständlich, wenn die Hauptschuld nicht eindeutig ermittelt werden kann. Ein Dissens über den Sicherungszweck der Bürgschaft verhindert daher deren wirksame Begründung.24 Gleiches gilt, wenn die Hauptschuld sich von der in der Bürgschaftserklärung bezeichneten oder vorausgesetzten Hauptschuld in einer wesentlichen und dem Bürgen nachteiligen Weise unterscheidet, etwa wenn statt zweier in der Bürgschaftserklärung aufgeführter Hauptschuldner nur einer davon tatsächlich Hauptschuldner wird.25 Die letztgenannten Fälle zeigen, daß der Bestimmtheitsgrundsatz mehrere Funktionen hat: er ist nicht nur Ausdruck des allgemeinen Grundsatzes, daß jede Schuld inhaltlich hinreichend bestimmt sein muß,26 sondern dient der bei jeder Sicherheit unentbehrlichen Festlegung des Sicherungszwecks und in diesem Rahmen auch dem Schutz des Sicherungsgebers vor unabsehbarer Belastung. 2. Anwendung auf die Globalbürgschaft § 765 Abs. 2 BGB ist das Hauptargument des BGH für die Wirksamkeit der unbegrenzten Globalbürgschaft.27 Nach § 765 Abs. 2 BGB kann eine [222] Bürgschaft auch für eine künftige oder eine bedingte Forderung bestellt werden. Diese Möglichkeit ist für die Praxis der Kreditsicherung in der Tat bedeutsam. Denn wenn kein gleichzeitiger Abschluß von Hauptgeschäft und Sicherungsgeschäft möglich ist, muß regelmäßig der Kreditgeber rechtlich verbindliche Sicherheiten in der Hand haben, ehe er das Risiko der Kreditverpflichtung und Kreditauszahlung übernehmen kann. Dies gilt auch im Fall der Globalbürgschaft, bei der künftige Verbindlichkeiten gesichert werden. Insoweit kann man aus § 765 Abs. 2 BGB Argumente für die grundsätzliche Zulässigkeit der Globalbürgschaft gewinnen, die aber ohnehin niemand bestreitet. Die Norm gibt jedoch nichts her zur Entscheidung der Frage, ob die Globalbürgschaft durch einen Höchstbetrag begrenzt sein muß. Der Gesetzgeber hatte bei § 765 Abs. 2 BGB den Modellfall einer einzigen künftigen oder bedingten Hauptforderung vor Augen; darauf weist auch der BGH in seiner Grundsatzentscheidung von 1957 hin.28 Im Modellfall der Einzelbürgschaft ist regelmäßig eine betragsmäßige Begrenzung der Bürgschaft
OLG Celle WM 1990, 1866. OLG Celle WM 1990, 1866. 26 Allg. Esser/Schmidt, Schuldrecht I, 6. Aufl., 1984, § 14 I. 27 BGH ZIP 1985, 267, 268; BGH ZIP 1986, 85, 86. 28 BGHZ 25, 318, 320. 24 25
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Globalbürgschaft und Bestimmtheitsgrundsatz
weder zur Festlegung des Sicherungszwecks noch zum Schutz des Bürgen notwendig. Selbst wenn der Betrag der Hauptschuld noch nicht abschließend feststeht, z. B. bei der Bürgschaft für die Kosten einer bestimmten Reparatur oder die Durchführung bestimmter Leistungen, ist der Sicherungszweck eindeutig und der Bürge dadurch hinreichend geschützt, daß ein bestimmter Rechtsgrund und Lebenssachverhalt vorliegt, aus dem er den Umfang der Hauptschuld und damit seines maximalen Bürgschaftsrisikos einigermaßen sicher abschätzen kann. Bei der Globalbürgschaft wird jedoch eine unbestimmte Vielzahl von künftigen Verbindlichkeiten (aus einer Geschäftsverbindung) oder die Schuld aus einer Vielzahl von Geschäftsvorfällen, die nur technisch in einem Vertrag zusammengefaßt werden (Kontokorrentkredit), gesichert. Auch hier besteht unstreitig das Bedürfnis für eine Verbürgung i. S. d. § 765 Abs. 2 BGB. Aber die durch die Vielzahl der Forderungen oder Geschäftsvorfälle gesteigerte Ungewißheit über Grund und Umfang der Hauptschuld erfordert zur Präzisierung des Sicherungszwecks und des Umfangs der Bürgenhaftung die Festlegung eines Höchstbetrags im oben erörterten Sinn, die ausdrücklich oder konkludent vereinbart sein kann. § 765 Abs. 2 BGB liefert für die gegenteilige Meinung nicht den geringsten Anhaltspunkt. Vielmehr nimmt das Bürgschaftsrecht in § 767 [223] Abs. 1 Satz 2 BGB ausdrücklich den hier vertretenen Standpunkt ein, wie noch zu zeigen ist (unten III). Der BGH hat die Bedeutung des Bestimmtheitsgrundsatzes auch für die Globalbürgschaft im Prinzip stets anerkannt. Seit seiner Grundsatzentscheidung von 1957 hat er in ständiger Rechtsprechung daran festgehalten, daß die Übernahme einer Bürgschaft „für alle nur irgendwie denkbaren Verbindlichkeiten des Hauptschuldners ohne sachliche Begrenzung“ unwirksam sei.29 Die „uferlose Ausweitung des § 765 Abs. 2 BGB“ sei nicht hinzunehmen.30 Der BGH sah die ausreichende Konkretisierung und Begrenzung darin, daß die gesicherten Forderungen aus der bankmäßigen Geschäftsverbindung mit dem Gläubiger stammen. Die Entscheidung erging für den Fall einer Höchstbetragsbürgschaft und hatte nicht den Zweck, das Erfordernis des Höchstbetrags bei der Globalbürgschaft zu verneinen. Vielmehr ging es nur darum, die Bürgschaft nicht am Mangel der Angabe des Rechtsgrundes und der Art der vielen künftigen Einzelforderungen scheitern zu lassen; diesen Mangel soll das Kriterium der bankmäßigen Geschäftsverbindung ausgleichen. Gerade an diesem zu einem Fall der Höchstbetragsbürgschaft ergangenen Urteil habe ich die Auffassung entwickelt, daß die Globalbürgschaft des Höchstbetrags bedürfe.31 Diese Auffassung hat breite Zustimmung gefun29 BGHZ 25, 318, 321; st. Rspr.; BGH ZIP 1990, 708 = WM 1990, 969; vgl. dazu auch EWiR 1990, 677 (Tiedtke). 30 BGHZ 25, 318, 321. 31 Staudinger/Horn (Fußn. 1), Vorbem. zu §§ 765–778 Rz. 22; § 765 Rz. 10, 12.
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den.32 Die Urteile des BGH von 1985 und 1986 haben freilich das Kriterium der bankmäßigen Geschäftsverbindung für ausreichend gehalten, um auch auf das Erfordernis eines Höchstbetrags zu verzichten,33 und in der Praxis der Kreditinstitute finden auch Formularverträge über Globalbürgschaften ohne Höchstbetrag Verwendung.34 3. Indirekte Einschränkungen durch die Rechtsprechung Die Rechtsprechung sucht bisweilen durch einschränkende Auslegung oder die Annahme einer ausnahmsweisen Rücksichtspflicht des Gläubigers die besonderen Belastungen des Bürgen, die sich aus der unbe- [224] grenzten Globalbürgschaft ergeben, zu mildern. So kann die Auslegung ergeben, daß der Bürge nur für einen bestimmten Kredit und nicht für alle Geschäftsverbindlichkeiten haften soll.35 Die Globalbürgschaft sichert nicht Kreditgewährungen der Bank nach Kündigung der Geschäftsverbindung durch die Bank.36 Wird die Geschäftsverbindung nach Kündigung fortgesetzt und haftet der Bürge daher nur für die vor Kündigung begründeten Forderungen, so ist die Bank gegenüber dem Bürgen verpflichtet, Altforderungen und Neuforderungen rechnerisch getrennt zu halten und bevorzugt die Rückführung der Altforderungen zu betreiben.37 In Ausnahmefällen soll die Bank als Gläubigerin jedenfalls gegenüber dem wirtschaftlich schwachen Bürgen eine Pflicht zur Rücksichtnahme treffen, wenn sie den Kredit ausweite oder seine Ausweitung (bei einem Privatkredit durch Ausgabe von Scheckvordrucken und Scheckkarte an den schwachen Hauptschuldner) fördere.38 Eine grundsätzliche Lösung des Problems der unbegrenzten Globalbürgschaft kann in diesen Urteilen nicht gesehen werden. Freilich verdeutlichen sie diese Problematik und die Richtung ihrer Lösung.
32 MünchKomm-Pecher, § 765 Rz. 12; Reinicke/Tiedtke, Gesamtschuld und Schuld sicherung, S. 100 f; Derleder, NJW 1986, 97, 99 f; OLG Düsseldorf ZIP 1984, 42; vgl. auch OLG München NJW 1976, 1096; vgl. auch die bei Fußn. 20 zit. Kritik am BGH. 33 BGH ZIP 1985, 267, 268; BGH ZIP 1986, 85, 86. 34 Derleder, NJW 1986, 97, 99. 35 BGH ZIP 1987, 1439 = WM 1987, 1430; vgl. dazu EWiR 1987, 1183 (Fischer). 36 BGH ZIP 1988, 1167 = WM 1988, 1301 = NJW 1989, 27, vgl. dazu auch EWiR 1988, 981 (Bülow); BGH WM 1990, 1410, vgl. auch EWiR 1990, 981 (v. Stebut). 37 BGH WM 1990, 1410. 38 OLG München NJW 1976, 1096; KG Berlin WM 1987, 1091 mit krit. Anm. Rutke, WuB I F 1 a Bürgschaft 10.87.
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Globalbürgschaft und Bestimmtheitsgrundsatz
III. Bestimmtheitsgrundsatz und Privatautonomie 1. Das Verbot der Fremddisposition in § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB Einer der wichtigsten, bisher zu wenig beachteten Aspekte des Bestimmtheitsgrundsatzes bei der Bürgschaft liegt darin, daß er den Bürgen davor schützen will, daß Hauptschuldner und Gläubiger ohne sein Zutun den Umfang seiner Bürgenhaftung eigenmächtig ausweiten. Der Bürge muß zwar die Ausweitung seiner Haftung für die (feststehende) Hauptschuld hinnehmen, die sich aus Leistungsstörungen des Hauptschuldners (z. B. Zinsrückständen) und sonstigen mit der Hauptforderung zusammenhängenden Kosten ergibt (§ 767 Abs. 1 Satz 1 und 2 und Abs. 2 BGB). Die nachträgliche Ausweitung seiner Verpflichtung durch Rechtsgeschäfte des Hauptschuldners muß er nach dem ausdrücklichen [225] Verbot des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB nicht hinnehmen.39 Dies widerspräche dem elementaren Schutz der Privatautonomie des Bürgen. Die potentiell unbegrenzte Verpflichtbarkeit des Bürgen durch den Hauptschuldner ist nach unserem Privatrecht nur aufgrund einer Vollmacht oder sonstigen Vertretungsmacht möglich, z. B. im Rahmen einer Personengesellschaft. In beiden Fällen bestehen besondere Voraussetzungen und regelmäßig Kontrollmöglichkeiten über das rechtsgeschäftliche Handeln dessen, der die Verpflichtungsgeschäfte abschließt. Diese hat der Bürge im Hinblick auf den Hauptschuldner im Durchschnittsfall nicht. Zutreffend weisen Reinicke und Tiedtke darauf hin, daß eine unbegrenzte Globalbürgschaft nur dann nicht unangemessen i. S. d. § 9 AGBG sei, wenn eine enge Beziehung zwischen dem Bürgen und dem Hauptschuldner, z. B. aufgrund eines Gesellschaftsverhältnisses, bestehe.40 In dem 1986 entschiedenen Fall war die bürgende Ehefrau die einzige kaufmännische Mitarbeiterin des Hauptschuldners und konnte über die Konten verfügen. Allein dieser Gesichtspunkt konnte u. U. den Mangel des Höchstbetrags der Bürgschaft unbedenklich erscheinen lassen, indem man im Verhalten der Ehefrau die konkludente Einwilligung in die Ausweitung des Bürgschaftsrahmens sah. Versteckte Vollmachten in unbezifferte Globalbürgschaften generell hineinzulesen, widerspricht dagegen elementaren Grundsätzen unseres Privatrechts. 2. Die Rechtsprechung zur Darlehensmitverpflichtung Das Problem einer unkontrollierten Fremddisposition über den Umfang der Verpflichtung anderer Personen tritt in neueren Urteilen des BGH zur Mitverpflichtung bei Krediten deutlich hervor. Es handelt sich dabei nicht Horn, EWiR 1986, 671, 672 zu BGH ZIP 1986, 85. Reinicke/Tiedtke, JZ 1985, 485 ff.
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um Bürgschaften, sondern um gesamtschuldnerische Kreditmitverpflichtungen, bei denen aber deutliche Parallelen zum Bürgschaftsrecht bestehen. Im ersteren Fall stellt der BGH fest, daß mehrere gesamtschuldnerisch haftende Kreditnehmer von Ratenkrediten nicht durch AGB-Klausel der Bank einander bevollmächtigen können, weitere Kredite aufzunehmen; die Klausel ist gem. § 9 AGBG unwirksam, weil den einzelnen Kreditnehmern dadurch unkalkulierbare Haftungsrisiken auferlegt werden.41 Im zweiten Fall hatte die einkommens- und vermögens- [226] lose Ehefrau die Mitverpflichtung für das Geschäftsdarlehen des Ehemanns einschließlich seiner unbegrenzten Überziehung übernommen. Ein Schwerpunkt des Urteils liegt in der Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB, und zwar in deutlicher Kritik an der bisherigen BGH-Rechtsprechung des IX. Senats zu Bürgschaften wirtschaftlich schwacher und unerfahrener Familienangehöriger.42 In beiden Fällen geht es um das Bestreben, durch gesamtschuldnerische Haftung gewisse Nachteile der Bürgschaft zu umgehen, aber eine im übrigen ähnliche Sicherung zu erreichen.43 Für unser Thema wichtiger als die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB sind die Ausführungen zur Formularvollmacht. Der BGH hält es schon für eine unzulässige Überrumpelung i. S. d. § 3 AGBG, wenn die Ehefrau nicht nur für die Rückzahlung der ausdrücklich bewilligten Kredite in Anspruch genommen werden soll, „sondern auch für von ihrem Ehemann veranlaßte und von der Klägerin (Bank) geduldete Kontobelastungen, die den vereinbarten Kreditrahmen weit überschreiten.“44 Zugleich nimmt er Unwirksamkeit gem. § 9 AGBG wegen unangemessener Benachteiligung des Mitverpflichteten an. Der BGH weist mit Recht darauf hin, daß die AGB-mäßige Berechtigung mehrerer Inhaber eines Gemeinschaftskontos, einzeln auch Verbindlichkeiten zu Lasten des Gemeinschaftskontos mit Wirkung für die anderen Inhaber einzugehen, allgemein einschränkend auszulegen ist und nicht zu Kreditaufnahmen oder -erweiterungen in unbegrenzter Höhe berechtigt.45 Die Bedenken gegen die Risiken solcher unkontrollierter Vollmachten lassen sich auch auf das Problem der unbegrenzten Globalbürgschaft und die darin liegende Möglichkeit des Hauptschuldners, ohne Schranken über den Kredit und die Verpflichtungsfähigkeit des Bürgen zu disponieren, übertragen. Dabei ist das vom BGH genannte Überraschungselement nur das kleinere Übel. Es ließe sich durch Aufklärung überwinden, in der Praxis durch BGH ZIP 1989, 968, 969. BGH ZIP 1991, 224; vgl. in diesem Sinne auch die heftigen Ausführungen des LG Münster zum sittenwidrigen Schuldbeitritt der Ehefrau in WM 1990, 1662 ff, dazu EWiR 1990, 1049 (Bender). 43 Vgl. auch Wolf, EWiR 1989, 837 f. 44 BGH ZIP 1991, 224, 225. 45 BGH ZIP 1991, 224, 225; ebenso Liesecke, WM 1969, 546, 553 f; weiter einschränkend Heymann/Horn, HGB, 1990, Anh. § 372 Bankgeschäfte II Rz. 16. 41 42
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Globalbürgschaft und Bestimmtheitsgrundsatz
die Bezeichnung „unbegrenzte Bürgschaft“ im Fettdruck. Das Problem der unbegrenzten Fremddisposition wäre damit noch nicht gelöst. Der Gesichtspunkt des § 9 AGBG, den der BGH ebenfalls heranzieht, ist daher entscheidend. Selbst die Wirksamkeit der [227] Individualabrede einer unbegrenzten Globalbürgschaft ist aus den vorgetragenen Gründen zu bezweifeln. Der Bürge kann diesen Effekt nur durch eine eindeutige Vollmacht an den Hauptschuldner erreichen, wobei die allgemeinen Voraussetzungen und Grenzen des Vollmachtsrechts zu beachten sind, oder er muß jeweils der Erhöhung eines vorhandenen Kreditrahmens zustimmen. Die Frage der Individualabrede ist für die Praxis weniger bedeutsam, weil die Bankpraxis letztlich von der Zulässigkeit bestimmter Formalbedingungen geprägt wird und abhängig ist.
IV. Ergebnisse Die Globalbürgschaft für alle Verbindlichkeiten des Hauptschuldners aus einer Geschäftsverbindung ist als Verstoß gegen § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB in Verbindung mit dem allgemeinen Bestimmtheitserfordernis des Bürgschaftsrechts, in Formularverträgen auch nach § 9 AGBG unwirksam, wenn die Bürgenverpflichtung nicht durch einen Höchstbetrag begrenzt ist, weil eine solche Bürgschaft eine unbegrenzte Fremddisposition über den Verpflichtungsrahmen und Kredit des Bürgen bedeuten würde. Der erforderliche Höchstbetrag kann in der Bürgschaftserklärung enthalten sein, was formularrechtlich die richtige Lösung ist, oder sich durch ausdrückliche oder konkludente Bezugnahme auf einen Kreditrahmen ergeben. Unter der letzteren Voraussetzung sind auch die bisher verbreiteten, ohne Höchstbetrag übernommenen Globalbürgschaften wirksam. Die bisherigen gegenteiligen Urteile des BGH sind im Ergebnis dann richtig entschieden, wenn sich aus den Umständen des Falles ergab, daß der Bürge (z. B. als kaufmännischer Mitarbeiter des Hauptschuldners) die Ausweitung der Geschäftsverbindlichkeiten des Hauptschuldners verfolgen und kontrollieren konnte und sein Verhalten als Einverständnis mit der Ausweitung seiner Bürgschaftsverpflichtungen aufgefaßt werden kann oder wenn der Bürge in enger Zusammenarbeit mit dem Hauptschuldner Einfluß auf dessen Entscheidungen nahm und daher Einzelvollmacht oder ein Gesellschaftsverhältnis angenommen werden kann. Die allgemeinen Aussagen des BGH zur Zulässigkeit der unbegrenzten Globalbürgschaft bedürfen dagegen einer Überprüfung im Lichte des § 767 Abs. 1 Satz 3 BGB und der neueren BGH-Rechtsprechung zur Kreditmitverpflichtung.
Culpa in Contrahendo* In JuS 1995, 377–387 I. Begriff und Rechtsgrundlage 1. Beispielsfälle Culpa in contrahendo (Verschulden beim Vertragsschluß, oder besser: Verschulden bei der Vertragsanbahnung) bezeichnet einen Haftungstatbestand des deutschen Zivilrechts von großer praktischer Bedeutung. Dieser Haftungstatbestand hat ein breites, ständig wachsendes Anwendungsgebiet und berührt schwierige Grundfragen des Systems des deutschen Haftungsrechts. Die Haftung für culpa in contrahendo sei zunächst durch Beispielsfälle aus der Rechtsprechung verdeutlicht. Fall 1: In einem berühmt gewordenen Urteil aus dem Jahre 1911 hat das RG einer Kundin, die in einem Warenhaus von herabstürzender Ware verletzt worden war (an die Wand gelehnte Rollen Linoleum waren umgefallen), einen Schadensersatzanspruch gegen den Warenhausinhaber zuerkannt. Dabei wurde der schuldhaft handelnde Angestellte des Warenhauses so angesehen, als habe er im Rahmen eines bestehenden Vertrages (als Erfüllungsgehilfe i.S. von § 278) gehandelt, obwohl ein Vertrag mit der Kundin nicht zustande gekommen war1. Fall 2: In einem vom BGH entschiedenen Fall hatte eine Gemeinde mit einem Planungsunternehmen längere Zeit zusammengearbeitet, um ein bestimmtes Gelände für den Städtebau zu erschließen und mit Wohnhäusern zu bebauen. Ein erneuter Vertragsabschluß über einen weiteren Geländeabschnitt wurde von der Gemeinde als sicher in Aussicht gestellt; die Vertreter der Gemeinde wußten jedoch, daß die Gemeinde inzwischen den Abschluß
* Überarbeitete und erweiterte Fassung des Manuskripts eines Tagesseminars für die japanische Gesellschaft für Rechtsvergleichung am 30.9.1994 an der Himeji Universität (Himeji/Japan). – §§ ohne Gesetzesangabe sind solche des BGB. – Nachtrag 2016: Das i.F. erwähnte Fehlen einer gesetzlichen Regelung wurde in der Reform von 2002 beseitigt (§§ 311 II,III i.V.m. 241 II). Die wesentlichen Elemente der Reform betr. C.i.c. waren bei Abfassung des Textes 1994 bekannt und sind einbezogen. Der Wert der folgenden Problemanalysen wird durch die Reform nicht berührt. 1 RGZ 78, 239.
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mit anderen Vertragspartnern plante. Das Planungsunternehmen nahm in sicherer Erwartung des Vertragsabschlusses Aufwendungen für die Planung vor, was die Gemeindevertreter wußten. Die Gemeinde wurde hier für verpflichtet erklärt, dem Unternehmen diese Planungsaufwendungen für den erwarteten neuen Vertrag zu ersetzen2. Fall 3: Ein Arbeitgeber wollte einen neuen Arbeitnehmer einstellen und erklärte dem Bewerber, er könne fest mit der Anstellung rechnen. Der Bewerber kündigte daraufhin sein bisheriges Arbeitsverhältnis. Es kam jedoch nicht zum Vertragsschluß. Das BAG sah hier den Arbeitgeber für verpflichtet an, dem Bewerber den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen3. Fall 4: Die Betreiber einer Schnellrestaurant-Kette schlossen einen Vertrag mit einem Ehepaar, das ein solches Restaurant betreiben wollte. Die Bedingungen des Vertrages waren so einseitig zu Ungunsten des Ehepaares gestaltet, daß der Vertrag unwirksam war und u. a. aus diesem Grund die Finanzierung scheiterte. Dem Ehepaar entstand ein Schaden, weil es nicht nur Anzahlungen geleistet, sondern auch sonstige Aufwendungen für das geplante Restaurant gemacht hatte. Diesen Schaden mußten die Betreiber der Schnellrestaurant-Kette ersetzen4. Fall 5: Ein Unternehmen, das in Rechtsform einer GmbH und Co. KG betrieben wurde, war in eine wirtschaftliche Krise geraten und hatte einen Unternehmensberater als Manager auf Zeit eingestellt, der sie über seine mangelnde Qualifikation (Vorstrafen, geringe Sanierungserfolge) getäuscht hatte. Der Berater veranlaßte eine Mitarbeiterin zur Hingabe eines Darlehens von 200.000 DM an die GmbH und Co. KG im Rahmen eines Sanierungsplans. Der Kredit ging wegen Konkurses der GmbH und Co. KG verloren. Der Vermögensberater wurde für schadensersatzpflichtig erklärt, und zwar unabhängig davon, ob er bei der Durchführung des Sanierungskonzeptes Fehler begangen hatte. Denn er hatte bei den Verhandlungen über den Kreditvertrag (bei dem er selbst nicht Vertragspartei war) die Pflicht, die Darlehensgeberin über seine eigene mangelnde Qualifikation als Sanierer aufzuklären5. Fall 6: Ein Verkäufer von Waren, die sich noch im Ausland befanden, hatte dem Käufer die Freiheit von der deutschen Einfuhrumsatzsteuer zugesichert und dies genau begründet. Die Angabe war falsch. Eine Vertragshaftung wegen Zusicherung einer Eigenschaft nach Kaufrecht (§ 459 II) kam nicht in Betracht, weil die Freiheit von dieser Steuer keine Eigenschaft i. S. des Sach-
BGHZ 92, 164 (175f.). BAG, NJW 1963, 1843, 1844. 4 BGHZ 99, 101 (106ff.) 5 BGH, NJW 1990, 1907, 1908f. 2 3
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mängelrechtes war. Der Verkäufer wurde aber wegen seiner unsorgfältigen Angaben zum Schadensersatz verurteilt6. Fall 7: Wer gewerblich Optionsgeschäfte an der Londoner Warenterminbörse vermittelt, muß grundsätzlich seine Kunden schriftlich darauf hinweisen, daß die Gewinnchance für den Anleger sehr gering ist, weil die zusätzliche Prämie für den Anlagevermittler die Gewinnchance fast beseitigt. Selbst wenn er diese Aufklärung im Werbeprospekt gibt, haftet er für Verluste des Kunden, wenn er durch die Gestaltung, Aufmachung und den Inhalt des Prospekts den Eindruck vermittelt, der Kunde könne diese Risiken weitgehend vermeiden, weil der Vermittler ihn besonders gut beraten und betreuen werde7. Fall 8: Ein Auftraggeber (Besteller) hatte nach einer Ausschreibung ein bestimmtes Unternehmen mit Bauarbeiten beauftragt, obwohl dieser Unternehmer nicht das günstigste Angebot abgegeben hatte. Der Unternehmer hatte vielmehr in sein Angebot nur zu niedrige Endsummen eingesetzt; die einzelnen Leistungen waren mit richtigen Preisen angegeben (die höher waren als bei den Wettbewerbern). Der Besteller [378] hatte auf diese Summen vertraut und den Auftrag erteilt; als er den Irrtum bemerkte, verlangte er Schadensersatz. Dieser Anspruch wurde vom Gericht abgelehnt, weil der Besteller nach den Ausschreibungsbedingungen selbst die Pflicht übernommen hatte, die Angebote rechnerisch nachzuprüfen. Dies hatte er unterlassen8. In all diesen Fällen (außer dem letzten Fall) wurde die Schadensersatzpflicht mit einem Verschulden beim Vertragsschluß (Verschulden im Vertragsanbahnungsverhältnis; culpa in contrahendo) begründet. Die Fülle und Verschiedenartigkeit der Fälle zeigt die weitreichende Bedeutung dieses Haftungstatbestandes, der im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht geregelt, heute aber fester Bestandteil des Haftungssystems des deutschen Zivilrechts ist. 2. Begriff der culpa in contrahendo Wer mit einem anderen in Kontakt tritt, um mit ihm einen Vertrag zu schließen (Vertragsanbahnung), hat gegenüber dem künftigen Vertragspartner die Pflicht, auf dessen Rechtsgüter und Interessen angemessen Rücksicht zu nehmen, und haftet ihm bei Verletzung dieser Pflichten in vertragsähnlicher Weise auf Schadensersatz9. Diese vorvertraglichen Pflichten im Rahmen der Vertragsanbahnung (insbesondere in den Vertragsverhandlungen) bestehen unabhängig davon, ob es schließlich zu einem Vertragsschluß kommt oder BGHZ 111, 75 (79ff.). BGH, ZIP 1991, 1207. 8 BGHZ 60, 221 (225f.). 9 Allg. dazu Medicus, Verschulden bei Vertragsverhandlungen, in: BMJ (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des SchuldR I, 1981, S. 479–550. 6 7
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nicht10. Der Inhalt der Pflichten richtet sich nach der Art des Vertrags und dessen Inhalt sowie nach den Umständen der Vertragsverhandlungen; dazu gehören auch die Erwartungen, Kenntnisse und Fähigkeiten der Vertragspartner, soweit sie dem anderen erkennbar sind. Gefordert wird nicht Selbstlosigkeit, sondern das Vermeiden grober Rücksichtslosigkeit und Unfairneß. Geschützt wird nicht ein blindes Vertrauen des Verhandlungsgegners, sondern nur ein berechtigtes Vertrauen. Ob Vertrauen „berechtigt“ ist, hängt von einer Wertung ab. Diese Wertung kann sich auch aus dem (künftigen) Vertrag ergeben, wie der oben (I 1) erwähnte Fall (Nr. 8) der Ausschreibung zeigt11. Im Rahmen der genannten Pflichten darf jeder Vertragspartner seine eigenen Interessen verfolgen. 3. Fehlen einer gesetzlichen Regelung a) Keine generelle Regelung im BGB. Bereits zur Zeit der Schaffung des BGB war in der deutschen Zivilrechtslehre der Gedanke anerkannt, daß „bei Gelegenheit von Vertragsverhandlungen“ Pflichten der Verhandlungspartner gegeneinander bestehen und daß die Verletzung dieser Pflichten zu einer vertragsähnlichen Haftung fuhren könne. Diese Grundgedanken waren vor allem in einem berühmten Aufsatz von Rudolf von Jhering enthalten12. Bei der Schaffung des BGB hat man aber davon abgesehen, einen allgemeinen Haftungstatbestand aufzunehmen, der diese Gedanken zusammenfaßte. Die Väter des BGB sahen in der culpa in contrahendo die Bezeichnung für einige spezielle Fälle, die im Rahmen des Haftungssystems des BGB keinen rechten Platz fanden und wegen ihrer Verschiedenartigkeit, Spezialität und vermeintlichen praktischen Seltenheit auch für eine generelle Regelung im BGB nicht geeignet seien13. b) § 122 als Beispiel einer Einzelregelung. Vielmehr hat sich der Gesetzgeber des BGB damit begnügt, einige besondere Fälle dieses Problemkreises in speziellen Normen zu erfassen. Dazu gehört der Fall der Anfechtung eines Vertrages wegen Irrtums nach § 11914. Hat jemand einen Vertrag geschlossen und später seine eigene Willenserklärung wegen Irrtums angefochten und damit den Vertrag ex tunc unwirksam gemacht (§ 142 I), so muß der Erklärende dem Vertragsgegner oder auch einem Dritten den Schaden ersetzen, den dieser dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung des
So schon RGZ 78, 239; dazu u. II 1 a. Zum Gedanken des Vertrauensschutzes auch u. III 1 a und V 2. 12 Jhering, JhJb 4 (1861), 1 ff. Zu Leben und Werk von v. Jhering (1818–1892) vgl. Erik Wolf, Große Rechtsdenker, 4. Aufl. (1962), S. 622ff. 13 Mot. II 1896, S. 179 zu § 345 Entwurf. Dort heißt es, daß „der Entwurf keine prinzipielle Bestimmung über die culpa in contrahendo enthält“. S. auch Medicus, in: Festg. f. Käser, 1986, S. 169ff, 177. 14 Ein weiterer Fall findet sich in § 307. 10 11
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Anfechtenden vertraut hat (§ 122 I). Der Schadensersatz ist auf das negative Interesse gerichtet; er ist zugleich durch das positive Interesse (falls dieses geringer ist) begrenzt15. Dieser Haftung liegt die Vorstellung zugrunde, daß der Irrende möglicherweise selbst unsorgfältig gehandelt hat, indem er sich nicht selbst ausreichend informierte oder nicht aufmerksam genug handelte. Selbst wenn dies zu verneinen ist, so muß nach der Wertung des Gesetzgebers doch der, der seine Erklärung wegen Irrtums anficht, eher das Risiko der Nichtigkeit des Vertrages tragen als der Vertragsgegner, dessen Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrages Schutz (durch Schadensersatz) verdient. Folgerichtig entfällt die Schadensersatzpflicht dann, wenn der Vertragsgegner oder der Dritte den Anfechtungsgrund kannte oder aus eigener Unsorgfältigkeit nicht kannte (§ 122 II; § 142 II), weil er dann keinen Schutz verdient. Erst recht ist der Vertragsgegner nicht durch einen Schadensersatzanspruch geschützt, wenn er selbst den Irrtum des Erklärenden hervorgerufen hat. Handelte er vorsätzlich16, so hat der Erklärende (auch) ein Anfechtungsrecht wegen Täuschung nach § 123, und bei dieser Täuschungsanfechtung ist eine Schadensersatzpflicht des Anfechtenden naturgemäß nicht vorgesehen. c) Vorschlag einer gesetzlichen Regelung. Der Bundesminister der Justiz hat in den siebziger Jahren Sachverständige zur Überarbeitung des Schuldrechts berufen, und im Rahmen dieser Vorschläge hat Medicus Vorschläge zur Normierung dieses Haftungstatbestandes gemacht17. Er hat vor allem ein Widerrufsrecht desjenigen vorgeschlagen, der durch Verschulden des anderen Teils bei den Vertragsverhandlungen zum Vertragsschluß bestimmt worden ist, sowie einen Schadensersatzanspruch, wenn jemand unter Verletzung vorvertraglicher Pflichten zum Vertragsschluß veranlaßt worden ist und daraus einen Schaden erlitten hat, oder in dem anderen Fall, daß er auf die Gültigkeit eines Vertrages vertraut hat und dieser Vertrag sich später als unwirksam herausstellt. Die später vom Bundesminister der Justiz eingesetzte Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, welche auf Grund der zuvor erarbeiteten Gutachten und Vorschläge tätig wurde, hat ebenfalls eine Aufnahme des Tatbestandes der „Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsanbahnung (culpa in contrahendo)“ in das BGB vorgeschlagen18. Die Kommission hat aber darauf verzichtet, besondere Fälle dieses Haftungstatbestandes (als Regelbeispiele) zu normieren, weil sie meinte, die Rechtsprechung dazu sei noch nicht gefestigt genug und die gesetzliche Regelung solle eine Weiterentwicklung durch die Gerichte offenhalten. Dies ist m.E. ein etwas zu vorsichtiger Standpunkt. Denn man kann nach über achtzig Jahren gefestigter Zum Umfang des Schadensersatzes bei culpa in contrahendo u. III. Zur fahrlässigen Irrtumserregung u. II 2 a. 17 Medicus, aaO (o. Fußn. 9). 18 DJT, Auszug aus dem Abschlußbericht der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts, hrsg. vom BMJ, Diskussionsgrundlage zum 60. DJT, 1994, A 41. 15 16
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Rechtsprechung bestimmte dogmatische Strukturen erkennen und in knappen Regelbeispielen normieren. Nach dem Vorschlag der Kommission soll es nur zu einer sehr generellen Regelung kommen, die im Zusammenhang mit einer neuen Formulierung der allgemeinen vertraglichen Pflichten steht. Diese Neufassung der allgemeinen vertraglichen Pflichten wird in dem neu vorgeschlagenen § 241 II BGB-KE wie folgt definiert: „Das Schuldverhältnis kann unter Berücksichtigung seiner Natur jeden Teil zu besonderer Rücksicht auf die Rechte und Rechtsgüter des anderen Teils verpflichten. Hierauf kann sich das Schuldverhältnis beschränken“. [379]
Die culpa in contrahendo ist sodann recht knapp in einem neuen § 305 II BGB-KE angesprochen: „Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB-KE kann bereits durch Anbahnung eines Vertrages entstehen.“
Immerhin entsprechen die Reformvorschläge einer allgemeinen Überzeugung, daß der Tatbestand der culpa in contrahendo wegen seiner großen Bedeutung im BGB generell geregelt werden soll. 4. Culpa in contrahendo und das Haftungssystem des BGB a) Culpa in contrahendo als vertragsähnliche gesetzliche Haftung. Die culpa in contrahendo ist im Haftungssystem des BGB schwer unterzubringen. Dieses System ist durch die grundlegende Unterscheidung von vertraglichen und gesetzlichen Haftungstatbeständen gekennzeichnet. Die culpa in contrahendo steht zwischen beiden Kategorien. Sie hat, wie schon Jhering bemerkte, eine gewisse Nähe zu den aus einem Vertrag folgenden Pflichten. Andererseits beruht der Haftungstatbestand nicht auf einer rechtsgeschäftlichen Erklärung des Haftenden, sondern auf der bloßen Aufnahme von Vertragsverhandlungen („Vertragsanbahnung“). Daher handelt es sich um einen gesetzlichen, freilich vertragsähnlichen Haftungstatbestand. Denn rechtsgeschäftliche Erklärungen der Parteien werden in diesem Stadium noch nicht abgegeben; es wird nur ein gewisses Interesse an einem möglichen Vertragsabschluß bekundet. An diesen Tatbestand wird die Haftung angeknüpft. Diese Anknüpfung beruht mangels gesetzlicher Regelung auf einem Satz des Gewohnheitsrechts, der durch Lehre und Rechtsprechung entwickelt wurde und inzwischen allgemeine Anerkennung als geltendes Recht19 erlangt hat. Zur „gesetzlichen“ Haftung gehört dann die culpa in contrahendo insofern, als man damit alle nicht durch Rechtsgeschäft begründeten Haftungstatbestände zusammenfaßt.
19 Zu dieser Voraussetzung der Bildung von Richterrecht und seiner Deutung als Gewohnheitsrecht krit. Staudinger/Coing, BGB, 12. Aufl. (1978), Einl. Rdnrn. 228, 237f.
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Die Rechtsfolgen der culpa in contrahendo orientieren sich aber in wichtigen Punkten an den vertraglichen Haftungsregeln. Der Hauptgrund dafür ist, daß die gesetzliche Deliktshaftung (§§ 823–853) in wichtigen Punkten hinter der vertraglichen Haftung zurückbleibt und dem Verletzten daher einen geringeren Schutz bietet. In zahlreichen Fällen der Vertragsanbahnung hat die Rechtsprechung den durch die Deliktshaftung gewährten Schutz nicht für ausreichend gehalten, und gerade dies erklärt den Siegeszug der Haftung aus culpa in contrahendo. b) Grenzen des Schutzes durch Deliktshaftung. Der geringere Schutz durch Deliktshaftung im Vergleich zur Vertragshaftung betrifft vor allem folgende Punkte: aa) Im Rahmen der Deliktshaftung gibt es keinen allgemeinen Schutz des Vermögens vor Verletzungen. Das Vermögen, also der Inbegriff aller Wirtschaftsgüter einer Person, ist nicht als geschütztes Recht im Sinne der Deliktshaftung des § 823 I genannt. Ein Schutz des Vermögens durch Haftung des Schädigers ist vielmehr nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 826 gegeben, daß nämlich der Schädiger gegen die guten Sitten verstößt und mit Vorsatz handelt. Es sei nur am Rande vermerkt, daß diese einschränkenden Voraussetzungen von der Rechtsprechung seit Schaffung des BGB erheblich erweitert wurden und daß die Haftung nach § 826 heute ein sehr breites Anwendungsgebiet hat. bb) Sowohl bei der Haftung aus Vertrag wie auch bei der Haftung aus Delikt ist Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) erforderlich. Bei einer Vertragsverletzung wird aber Verschulden vermutet (§§ 282, 285); bei der Haftung aus Delikt ist das Verschulden nachzuweisen. Auch hier hat freilich die Rechtsprechung den Nachweis erleichtert: Liegt ein objektiver Verstoß gegen Sorgfaltspflichten vor, so spricht dies dafür, daß auch die innere (subjektive) Sorgfaltspflicht verletzt ist20. cc) Eine weitere Einschränkung der Deliktshaftung besteht in der verminderten Haftung für Verrichtungsgehilfen nach § 831. Im Wirtschaftsleben kommt es sehr häufig und in manchen Bereichen ausschließlich vor, daß jemand seine Geschäfte nicht persönlich durchführt, sondern sich dabei Angestellter oder Arbeiter oder sonstiger Hilfspersonen bedient – sogenannter Verrichtungsgehilfen – und diese Personen die schädigende Handlung begehen. Hier kann sich der Geschäftsherr von der Haftung durch den Nachweis befreien, daß er bei der Auswahl der bestellten Personen oder ihrer Überwachung und Leitung die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet hat (§ 831 I 2). Auch diese Einschränkungen sind inzwischen von der Rechtspre20
BGH, VersR 1986, 765; Palandt/Thomas, BGB, 54. Aufl. (1995), § 823 Rdnr. 61.
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chung zurückgedrängt und die Haftung für Verrichtungsgehilfen ist ausgeweitet worden21. Aber immer noch besteht in vielen Fällen die Möglichkeit, durch Exkulpation gem. § 831 die Haftung für den Verrichtungsgehilfen loszuwerden, während nach Vertragsrecht jeder, der sich zur Vertragserfüllung anderer Personen bedient, nach § 278 ohne weiteres für diese Erfüllungsgehilfen haftet, wenn sie den Tatbestand einer Vertragsverletzung erfüllen. dd) Ein vierter Nachteil der Deliktshaftung liegt in der kurzen Verjährung. Zwar gilt auch für die Deliktshaftung grundsätzlich die relativ lange, nämlich dreißigjährige Verjährung (§ 852 I, Hs. 2 und § 195). Hat jedoch der Verletzte Kenntnis von der Verletzung erhalten, und dies ist meist der Fall, so läuft eine kurze Verjährungsfrist von nur drei Jahren ab Kenntnis (§ 852 I). Für die Erfüllung von Verträgen und die Verletzung vertraglicher Pflichten gilt dagegen die regelmäßige Verjährungsfrist von dreißig Jahren (§ 195), die freilich in einer Reihe von Fällen auf zwei bzw. vier Jahre verkürzt ist (§§ 196, 197). Ein Grund für die große Bedeutung des Haftungstatbestandes der culpa in contrahendo in der Rechtsprechung liegt also darin, daß man hier die genannten Grenzen der deliktischen Haftung teilweise vermeidet und die Haftungsgrundsätze der vertraglichen Haftung gelten läßt, soweit es um Vermögensschäden, den Einsatz von Erfüllungsgehilfen (hier: Verhandlungsgehilfen) und die Verjährung geht.
II. Dogmatische Entwicklungslinien der Lehre und Rechtsprechung zur culpa in contrahendo 1. Vertragsanbahnungspflichten und Verkehrssicherungspflichten a) Der Ausgangsfall RGZ 78, 239. Ausgangspunkt der neueren Rechtsprechung ist die eingangs erwähnte Entscheidung des RG aus dem Jahre 191122. In diesem Fall war eine Kundin in einem Warenhaus verletzt worden, als sie einen Linoleumteppich kaufen wollte und zwei eingerollte Teppiche, die ein Angestellter des Warenhauses an die Wand gelehnt hatte, umfielen und auf die Kundin und ihr Kind stürzten. Das RG nahm an, daß durch die Äußerung des Wunsches der Kundin, einen solchen Teppich zu kaufen, und die Einwilligung in diesen Wunsch durch den Angestellten des Warenhauses „ein den Kauf vorbereitendes Rechtsverhältnis zwischen den Parteien“, also zwischen der Kundin und dem Warenhaus, entstanden sei. Dieses Rechtsverhältnis habe „einen vertragsähnlichen Charakter“ und begründe die Pflicht des 21 Durch strenge Anforderungen an die Sorgfaltspflichten bei Auswahl und Überwachung eines Verrichtungsgehilfen und durch die Haftung für Organisationsverschulden; zu letzterem Palandt/Thomas, § 823 Rdnr. 60; § 831 Rdnr. 16. 22 RGZ 78, 239.
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Warenhauses, bei der Vertragsanbahnung, insbesondere bei der Vorlegung und Besichtigung der Ware, „die gebotene Sorgfalt für die Gesundheit und das Eigentum des anderen Teiles zu beobachten“23. Diese Pflichten habe der Angestellte verletzt und das Warenhaus hafte für ihn nach § 278, ohne sich nach § 831 wegen sorgfältiger Auswahl und Überwachung des Angestellten entlasten zu können. [380] In dieser Entscheidung wird also der vertragsähnliche Charakter des Vertragsanbahnungsverhältnisses klar herausgearbeitet. Dieses Rechtsverhältnis ist unabhängig davon, ob es später zum Vertrag kommt. Die Entscheidung hat für die weitere Entwicklung des Rechtsinstituts der culpa in contrahendo große Bedeutung. Sie gibt aber auch Anlaß zu kritischen Fragen. Wie hätte das Gericht entschieden, wenn die Kundin ohne Kaufabsicht das Warenhaus nur betreten hätte, um sich einige Waren anzuschauen, und wenn sie keinen Angestellten angesprochen hätte? Hier wäre ein Vertragsanbahnungsverhältnis zu verneinen. Andererseits steht zweifellos fest, daß auch in diesem Fall das Warenhaus haftet, wenn der Kunde durch umstürzende Ware verletzt wird oder auf andere Weise wegen der Gefährlichkeit der Verkaufsräume zu Schaden kommt, z.B. weil er auf einer Bananenschale ausrutscht. b) Verkehrssicherungspflichten. Nach heutiger Lehre und Rechtsprechung ist der Kunde, der ein Warenhaus betritt und dort wegen der Gefährlichkeit der Verhältnisse einen Schaden erleidet, schadensersatzberechtigt und zwar unabhängig davon, ob er kaufen wollte oder nicht. Es handelt sich aber dann nicht um einen Fall der Vertragsanbahnung. Vielmehr greift die allgemeine Deliktshaftung, insbesondere § 823 ein. Ist der Kunde verletzt oder ist sein Eigentum beschädigt worden, so liegt ein Verletzungstatbestand im Sinne dieser Vorschrift vor. Allerdings hat in den meisten Fällen das Warenhaus weder durch seinen Inhaber noch durch die Angestellten gehandelt. Vielmehr ist der Haftungstatbestand durch Unterlassen erfüllt. Wegen Unterlassung haftet bekanntlich jemand nur, wenn eine bestimmte Pflicht zum Handeln bestand. Eine solche Pflicht sieht man darin, daß der Inhaber eines Warenhauses und seine Leute verpflichtet sind, den Aufenthalt im Warenhaus für alle Kunden sicher zu gestalten. Er muß also eine Bananenschale24 oder ein Gemüseblatt25, auf dem ein Kunde ausrutschen kann, auch dann beseitigen, wenn nicht ein Angestellter, sondern ein anderer Kunde sie auf den Boden geworfen hat, oder hat Ware so aufzustellen, daß sie nicht beim Umfallen oder Herabstürzen Kunden verletzen kann26. Diese Pflichten gehören zur Gruppe der heute
RGZ 78, 240. BGH, NJW 1962, 31. 25 BGHZ 66, 51. 26 RGZ 78, 239. 23 24
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so genannten Verkehrssicherungspflichten oder Verkehrspflichten27. Danach muß jeder, der einen Verkehr für andere Menschen, etwa für seine Kunden, eröffnet, dafür sorgen, daß Gefahren von denen abgewendet werden, die an diesem Verkehr teilnehmen. Die Gruppe der Verkehrssicherungspflichten ist heute durch die Lehre und eine breite Rechtsprechung auf vielen einzelnen Gebieten anerkannt und fester Bestandteil der Deliktshaftung28. Zu der Zeit, als das RG den Linoleum-Fall entschied, war diese Entwicklung noch nicht vorhanden. Das RG konnte daher nicht erkennen, daß dieser Fall eher zur Gruppe der allgemeinen deliktischen Verkehrssicherungspflichten gehört. Diese Pflichten bestehen nicht nur gegenüber demjenigen, der einen Vertrag schließen will, sondern gegenüber jedem Teilnehmer an dem betreffenden Verkehr. Allerdings sind dann auch die beschriebenen Einschränkungen, die bei jeder deliktischen Haftung bestehen, einzurechnen. Auch heute wäre daher ein Gericht bestrebt, bei einem solchen Fall herauszufinden, ob zusätzlich noch die besonderen Voraussetzungen eines Vertragsanbahnungsverhältnisses vorliegen, um dann dem Verletzten den weiterreichenden Schutz eines Schadensersatzanspruches aus culpa in contrahendo zu gewähren. Die besondere Pflicht im Vertragsanbahnungsverhältnis stimmt ihrem Inhalt nach in solchen Fällen allerdings mit der Verkehrssicherungspflicht überein. 2. Haftung für die Veranlassung eines nachteiligen Vertragsschlusses a) Allgemeines – Vertrag als Schaden. Jedermann darf bei Vertragsverhandlungen seinen eigenen Vorteil suchen, und wenn eine Partei später nach Vertragsschluß erkennt, daß sie bei der Wahrung des eigenen Vorteils nicht sehr erfolgreich war, und den Vertrag bereut, muß sie dies hinnehmen. Die vertragliche Bindung soll klare und berechenbare Verhältnisse schaffen. Besondere Umstände können aber die vorvertragliche Pflicht einer Partei begründen, die andere Partei bei den Vertragsverhandlungen über bestimmte vertragswidrige Tatsachen und Risiken richtig und vollständig zu informieren und aufzuklären. So darf der Verkäufer einer Unternehmensbeteiligung kein falsches Bild der Ertragslage des Unternehmens vermitteln (Fall Nr. 5); der Verkäufer von Importware darf nicht fälschlich die Freiheit der Waren von Einfuhrumsatzsteuer versichern (Fall Nr. 6). Der Vermittler von Londoner Warenterminoptionen muß über die geringen Gewinnchancen aufklären (Fall Nr. 7)29. Ist der Vertrag in diesen Fällen wirksam, dann besteht der durch culpa in contrahendo verursachte Schaden gerade in diesem nachteiligen Ver27 Mertens, in: MünchKomm-BGB, 2. Aufl. (1986), § 823 Rdnr. 177; v. Bar, Verkehrspflichten, 1980. 28 Vgl. nur den Überblick bei Palandt/Thomas, § 823 Rdnrn. 64–139. 29 Dazu ausf. u. IV 2.
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trag. Beim Ausgleich dieses Schadens ergeben sich in manchen Fallgruppen Probleme der Abstimmung mit anderen Rechtsinstituten des BGB. Dies gilt vor allem für das Anfechtungsrecht (s. unten b) und das Sachmängelrecht (s. unten c). Außerdem ist allgemein das Verhältnis der vorvertraglichen Pflichten zu den Pflichten zu klären, die durch den wirksam abgeschlossenen Vertrag begründet werden (s. unten d). b) Fahrlässige Irrtumserregung und Anfechtungsrecht. Hat etwa jemand fahrlässig beim Vertragsschluß im Vertragspartner einen Irrtum erregt oder erhalten, zum Beispiel über bestimmte günstige wirtschaftliche Wirkungen des Vertrags, so liegt eine Täuschung nicht vor. Der Irrende kann den Vertrag daher nicht wegen Täuschung nach § 123 anfechten und dadurch vom Vertrag loskommen. Der Irrende kann auch keinen Schadensersatz nach § 826 verlangen, weil es an der Arglist fehlt. Wenn der Irrtum sich nicht auf einen der besonderen Fälle des § 119 bezieht (fehlender Handlungswille oder fehlendes Erklärungsbewußtsein30, Inhaltsirrtum, Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft einer Person oder einer Sache), ist auch die Irrtumsanfechtung ausgeschlossen. Nach dem System des BGB ist also der Irrende durch den Vertrag gebunden, auch wenn dieser Irrtum durch ein fahrlässiges Verhalten seines Vertragsgegners beeinflußt ist. Aber eine Haftung aus culpa in contrahendo kommt in Betracht. Denn für den Verletzungstatbestand der culpa in contrahendo genügt nach der allgemeinen Regelung des § 276 Fahrlässigkeit. Die Rechtsprechung hat daher in den genannten Fällen eine Haftung aus culpa in contrahendo bejaht: derjenige, der fahrlässig unter Verletzung von vertraglichen Aufklärungs- und Informationspflichten den Irrtum des anderen erregt oder aufrechterhalten hat, muß für den Schaden aufkommen, der gerade in der Vertragsbindung besteht31. Der Vertrag ist dann rückabzuwickeln. Hier wird entgegen der Regelung in § 123 die Rechtswirkung einer Anfechtung für „fahrlässige Täuschung“ herbeigeführt. Denn der Schadensersatz führt in diesem Fall zu einem ähnlichen Ergebnis wie die Anfechtung. Dies ist mit Recht kritisiert worden32. c) Die Regelung im Gewährleistungsrecht. Verkauft jemand eine mangelhafte Sache, so hat der Käufer die Gewährleistungsansprüche (auf Wandlung oder Minderung) nach § 459. Hat der Verkäufer den Mangel arglistig verschwiegen, so haftet er dem Käufer wahlweise auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung (§ 463 S. 2). Gleiches gilt, wenn der Verkäufer eine in Wirklichkeit nicht vorhandene Eigenschaft arglistig vorgespiegelt hat (§ 463 S. 2 30 Auch bei fehlendem Erklärungsbewußtsein liegt eine wirksame Willenserklärung vor, die nach §§ 119, 121, 143 angefochten werden kann; BGHZ 91, 324 (329). 31 So etwa BGH, NJW 1962, 1196, 1198. 32 Zur Kritik z.B. Esser/Schmidt, SchuldR I, 7. Aufl. (1993), § 29 II 5 a; Canaris, ZGR 1982, 395, 416ff.
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analog)33. In allen Fällen des Verkaufs einer [381] mangelhaften Sache kann man die Frage stellen, ob der Verkäufer bei der Vertragsanbahnung unsorgfältig gehandelt hat, sei es weil er den Fehler mangels sorgfältiger Prüfung selbst nicht entdeckte, sei es daß er es fahrlässig unterlassen hat, den Käufer auf diesen Fehler hinzuweisen. Auch hier kann man daher eine Haftung des Verkäufers aus culpa in contrahendo erwägen. Hier geht aber nach h.M. die gesetzliche Regelung vor; denn diese gibt für alle Fälle der Fehlerhaftigkeit der Sache ohne Rücksicht auf ein Verschulden des Verkäufers die Gewährleistungsansprüche. Für einen speziellen Anspruch aus culpa in contrahendo ist daneben richtigerweise kein Platz, soweit sich das Verschulden des Verkäufers auf die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes, also auf Freiheit von Fehlern und auf zusicherungsfähige Eigenschaften i.S. § 459, bezieht34. Eine Haftung aus culpa in contrahendo greift aber ein, wenn sich das schuldhafte Verhalten des Verkäufers auf andere Erklärungen und Umstände bezieht, die nicht vom Tatbestand des § 459 erfaßt sind35, oder wenn eine besondere Aufklärungs- oder Beratungspflicht anzunehmen ist36. Außerdem gilt der ausschließliche Vorrang des Gewährleistungsrechts nur für die Sachmängel selbst. Werden durch die Mängel weitere Schäden am Vermögen des Käufers verursacht (Mangelfolgeschäden) – z.B. das gekaufte Tier ist krank (Sachmangel) und steckt andere Tiere des Käufers an (Mangelfolgeschaden) –, so bleibt die Haftung aus culpa in contrahendo möglich37. d) Vorvertragliche und vertragliche Pflicht. In allen Fällen, in denen es nach der Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht zu einem gültigen Vertrag kommt, muß man – über den Fall der Sachmängelhaftung hinaus – fragen, ob nicht die vertraglichen Pflichten die vorvertraglichen Pflichten verdrängen und die Vertragshaftung an die Stelle der Haftung aus culpa in contrahendo tritt. Eine solche allgemeine Aussage läßt sich jedoch nicht machen. Die Frage hat verschiedene Aspekte. Einmal geht es darum, ob sich die vorvertragliche Pflicht im Vertrag fortsetzt. Es gibt in der Tat Fälle, in denen sich die vorvertragliche Pflicht aus Vertragsanbahnung mit gleichem Inhalt auch im Vertrag findet. Man denke z.B. an die Lieferung einer technischen Anlage, etwa eines Großrechners. Hier muß der Lieferant schon vor Vertragsschluß auf wichtige Probleme der Aufstellung, Wartung, Kühlung etc. hinweisen. Ist die Information (einschließlich des Benutzerhandbuchs) lückenhaft, so
33 RGZ 132, 78; Palandt/Putzo, § 463 Rdnr. 13. Hat der Verkäufer diese Eigenschaft zugesichert, folgt die Haftung schon aus § 463 S. 1. 34 RGZ 161, 330 (337); BGHZ 60, 319 (321). 35 BGHZ 111, 75 (79ff.); zu diesem Beispielsfall o. I 1 Nr. 6. Vgl. auch BGHZ 88, 130. 36 Zu diesen Pflichten u. IV 2 b. 37 Larenz, SchuldR II 1, 13. Aufl. (1986), § 41 II c, S. 75f.; einschränkend Medicus, SchuldR II, 6. Aufl. (1993), § 74 IV 3, der im Bereich des § 463 mit guten Gründen nur diese Vorschrift anwenden will.
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besteht die Informationspflicht auch nach Vertragsschluß aufgrund des Vertrages. Gleiches gilt für Gefahren, die von einer gekauften Sache ausgehen können. Solche Informations- und Warnpflichten können also sowohl im Anbahnungsverhältnis als auch nach Vertragsschluß verletzt sein, so daß nebeneinander eine inhaltsgleiche Haftung aus culpa in contrahendo und positiver Vertragsverletzung gegeben sein kann. Eine ausschließende Konkurrenz greift hier nicht ein. Anders nur bei spezieller gesetzlicher Regelung wie im Falle der Sachmängelhaftung. In anderen Fällen hat die Pflicht im Anbahnungsverhältnis mit den Pflichten im Vertrag nicht viel zu tun. Wird ein sehr nachteiliger Vertrag geschlossen, z.B. Kauf risikoreicher Obligationen oder Optionsrechte, so besteht die Aufklärungspflicht nicht auch aus dem abgeschlossenen Optionsvertrag. Dieser Vertrag ist im übrigen bereits der Schaden. Die Unterscheidung von vorvertraglichen Pflichten und Vertrag ist besonders deutlich in allen Fällen, in denen die Vertragspartei und der Haftende aus culpa in contrahendo nicht die gleiche Person sind, wie im Fall des Verhandlungsgehilfen (dazu u. 5). 3. Haftung bei Verhandlungsabbruch Solange ein Vertrag nicht geschlossen ist, besteht grundsätzlich keine rechtliche Bindung für die Parteien, und jede Partei hat das Recht, die Verhandlungen abzubrechen und auf den Vertrag zu verzichten. Hat eine Partei in der Erwartung, der Vertrag werde zustande kommen, bestimmte Aufwendungen gemacht, muß sie den Verlust selbst tragen, wenn der Vertrag schließlich nicht zustande kommt38. Eine Partei kann aber dem Verhandlungsgegner schadensersatzpflichtig sein, wenn sie in diesem durch ihre Erklärungen oder ihr Verhalten das Vertrauen erweckt, der Vertrag werde sicher zustandekommen, und dann die Verhandlungen ohne wichtigen Grund abbricht39. Dieser Grundsatz, der sich auch in der Kommentarliteratur findet40, ist bedenklich weit formuliert. Nimmt man ihn wörtlich, so müßte jeder, der in Vertragsverhandlungen eintritt, mit einer sehr weitgehenden Haftung rechnen. Dies würde die Entscheidungsfreiheit der Parteien über den Abschluß des Vertrages (Abschlußfreiheit), die ein wichtiger Teil der Vertragsfreiheit ist, beeinträchtigen. Der BGH hat in verschiedenen Urteilen selbst auf diese Gefahr hingewiesen und in vielen Fällen im Ergebnis eine solche Schadensersatzpflicht verneint41. Im Wirtschaftsleben kommt es häufig vor, daß ein Kaufmann zugleich noch mit anderen Geschäftsinteressenten verhandelt, ohne dies seinem Verhandlungsgegner mitzuteilen. Ein solches Verhalten ist BGH, NJW 1975, 43. BAG, NJW 1963, 1843; BGH, NJW 1967, 2199; BGHZ 71, 386 (395); 92, 164 (175). 40 Palandt/Heinrichs, § 276 Rdnrn. 72, 74. 41 BGH, NJW 1967, 2199; BGHZ 71, 386. 38 39
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im Grundsatz zulässig, ohne daß eine Haftung entsteht. Es müssen vielmehr zusätzliche Umstände hinzutreten. Weiß z.B. die Vertragspartei, daß dem Vertragsabschluß ein Hindernis entgegensteht, so muß sie dies der anderen Partei mitteilen42. Eine Pflicht, auf die Ungewißheit des Vertragsabschlusses hinzuweisen, kann auch dann bestehen, wenn der Vertragsgegner bereits Aufwendungen im Hinblick auf den Vertragsschluß vornimmt, indem er zum Beispiel Planungsarbeiten ausführt, und der andere dies erkennt. Dies traf bei dem oben (I 1) erwähnten Fall Nr. 2 zu. Hier hatte ein Planungsunternehmen längere Zeit mit der Gemeinde zusammengearbeitet und konnte auf die Zusicherung der Gemeindevertreter vertrauen, es werde zu einem weiteren Vertrag kommen. Dieser Vertrag wurde dann nicht abgeschlossen, was die Gemeindevertreter voraussehen konnten, während das Planungsunternehmen dies nicht wissen konnte. Der BGH hat hier mit Recht die Gemeinde für verpflichtet erklärt, dem Unternehmen die Planungsaufwendungen für diesen weiteren Vertrag zu ersetzen43. Im entschiedenen Fall ging es freilich um den Abschluß eines Vertrages über Grundstücke, der gem. § 313 der notariellen Form bedurfte. Man könnte hier argumentieren, daß ein Vertragsgegner nicht auf das Zustandekommen eines Vertrages vertrauen dürfe, wenn dieser einer besondere Form bedarf, weil er ja weiß, daß er auf diesen Vertrag erst vertrauen darf, wenn die Form tatsächlich erfüllt ist. Dieses Argument hat die Rechtsprechung jedoch im entschiedenen Fall und auch in anderen Fällen zurückgewiesen. Der Schadensersatzanspruch wegen culpa in contrahendo wurde also trotz der Formbedürftigkeit des Vertrages gewährt44. In dem oben (I 1) erwähnten Fall Nr. 3 mußte der Arbeitgeber dafür haften, daß er dem Bewerber um einen neuen Arbeitsplatz versichert hatte, er könne fest mit der Anstellung rechnen. In diesem Fall spielten die besonderen Treuepflichten und Fürsorgepflichten des Arbeitgebers eine Rolle, die das Arbeitsrecht kennzeichnen und bereits bei den Verhandlungen über die Einstellung als Arbeitnehmer zu beachten sind45. 4. Haftung für die Unwirksamkeit eines Vertrages Ist ein Vertrag nicht wirksam zustande gekommen, zum Beispiel weil es in Wirklichkeit an einer Einigung der Parteien fehlt (Dissens; vgl. §§ 154, 155) oder weil die gesetzlich [382] vorgeschriebene Form nicht eingehalten ist (§ 125), wird naturgemäß eine vertragliche Haftung der Parteien nicht 42 BGHZ 71, 386 (396); hier wurde im Ergebnis eine Haftung aus culpa in contrahendo verneint. 43 BGHZ 92, 164 (175f.). 44 BGHZ 92, 175, unter Hinweis auf BGH, WM 1974, 687 (688). 45 BAG, NJW 1963, 1843 (1844).
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begründet. Es fragt sich aber, ob eine Partei der anderen aus Verschulden bei Vertragsschluß haftbar sein kann, wenn sie durch ihr Verhalten schuldhaft die Nichtigkeit verursacht hat und die andere Partei dies nicht erkannte und nicht damit rechnen konnte. Schon Jhering hatte in seinem grundlegenden Aufsatz im Jahre 1861 solche Fälle im Auge, und er hat hier eine Haftung in Betracht gezogen. Dies entspricht auch der heutigen herrschenden Meinung. Schon das RG hat eine Haftung wegen schuldhafter Herbeiführung der Unwirksamkeit eines Vertrages wegen Dissenses angenommen46. Eine solche Haftung kann auch vorliegen, wenn ein Vertrag deshalb nicht wirksam zustande kommt, weil für eine Vertragspartei eine Person verhandelt, die in Wirklichkeit keine Vollmacht zum Abschluß des Vertrags hat47. In diesen Fällen liegt allerdings häufig schon eine sogenannte Duldungsvollmacht vor, das heißt die Partei, die eine andere Person für sich handeln läßt und es dabei duldet, daß diese den Anschein eines Vertreters erweckt, wird so behandelt, als habe sie tatsächlich wirksam Vollmacht erteilt48. Verwendet ein Vertragspartner Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), die wegen eines Verstoßes gegen das AGB-Gesetz unwirksam sind (vgl. §§ 3, 9–11 AGBG), so kann in dieser Verwendung unwirksamer AGB-Klauseln ein Verschulden bei Vertragsverhandlungen gesehen werden. Der BGH hat in diesem Fall der anderen Partei einen Schadensersatzanspruch zuerkannt49. Eine solche Schadensersatzpflicht kann auch bestehen, wenn ein Vertrag wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 I nichtig ist. In vielen Fällen wird man freilich beiden Parteien, die den Vertrag ausgehandelt haben, den Vorwurf machen müssen, daß sie beide für den sittenwidrigen Inhalt des Vertrages verantwortlich sind. Dann kann keiner vom anderen Schadensersatz verlangen. Nicht selten ist aber die Sittenwidrigkeit des Vertrages gegen eine Partei gerichtet, ohne daß diese Partei dies erkennt. So war es in dem oben (I 1) genannten Fall Nr. 4, wo ein Franchise-Vertrag so einseitig zu Lasten der anderen Vertragspartei gestaltet war, daß er nichtig war, das ganze Geschäft (Betrieb eines Schnellrestaurants) nicht zustande kam und der gutgläubige Vertragspartner einen Schaden wegen vergeblicher Aufwendungen hatte50. Vom Schadensersatzanspruch werden nur solche Aufwendungen erfaßt, die eine Partei zu einer Zeit gemacht hatte, als sie noch auf die Gültigkeit des Vertrages vertrauen konnte51. In solchen Fällen kommt neben dem Anspruch aus culpa in contrahendo häufig auch ein deliktischer Schadensersatzan-
RGZ 104, 265 (268). BGHZ 92, 164 (175f.). 48 Allg. dazu Palandt/Heinrichs, § 173 Rdnrn. 10–12. 49 BGH, ZIP 1984, 1198 (1200). 50 BGHZ 99, 101 (106ff.). 51 BGHZ 99, 108 (109) (anderenfalls Schadensteilung nach § 254). 46 47
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spruch nach § 826 in Betracht. Schließlich kann ebenso die schuldhafte Herbeiführung der Formnichtigkeit eines Vertrags durch eine Partei eine Haftung aus culpa in contrahendo begründen52. Häufig wird in einem solchen Fall ein Schaden aber schon deshalb entfallen, weil der betreffende Vertrag trotz seiner Formnichtigkeit als wirksam behandelt wird. Die Rechtsprechung hat nämlich im typischen Fall des formnichtigen Grundstückskaufvertrages (vgl. § 313) anerkannt, daß ausnahmsweise der Vertrag als wirksam zu behandeln ist und zwar dann, wenn die Nichtigkeitsfolge mit Treu und Glauben unvereinbar wäre53. Dies soll insbesondere gelten, wenn eine Vertragspartei in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährdet ist, oder wenn eine besonders schwere Treupflichtverletzung der anderen Vertragspartei vorliegt54. Natürlich muß diese Rechtsfolge auf Ausnahmefälle beschränkt bleiben, weil sonst die Gefahr besteht, daß die Funktion der gesetzlichen Formvorschriften ausgehöhlt würde. Diese besteht darin, Klarheit und Sicherheit im Rechtsverkehr zu garantieren und die Vertragsbeteiligten vor unüberlegten Entscheidungen zu schützen. 5. Haftung des Verhandlungsgehilfen Für die Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen macht es keinen Unterschied, ob die betreffende Vertragspartei die Verhandlungen persönlich geführt hat, oder durch eine andere Person, z.B. einen Angestellten, führen ließ. Ebenso wie eine Vertragspartei bei der Erfüllung eines Vertrages für eine andere Person, die als Erfüllungsgehilfe tätig wird, nach § 278 haftet, so haftet sie auch für ein Verschulden der Person, die sie als Verhandlungsgehilfen vor und bei Abschluß des Vertrages einsetzt55. Daneben kommt aber auch die persönliche Haftung des Vertreters oder Verhandlungsgehilfen aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen in Betracht. Diese Haftung soll immer dann eingreifen, wenn der Verhandlungsgehilfe entweder am Vertragsschluß ein unmittelbares eigenes wirtschaftliches Interesse hat oder wenn er ein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen beeinflußt hat56. Das eigene wirtschaftliche Interesse des Verhandlungsgehilfen wird nicht angenommen, wenn dieser nur mittelbar am Abschluß interessiert ist, etwa weil er eine Provision erhält57 oder weil er sich bei erfolgreichen Verhandlungen für sein Unterneh52 BGH, NJW 1965, 812, 814; Staudinger/Dilcher, § 125 Rdnr. 37; Palandt/Heinrichs, § 276 Rdnr. 77. 53 BGHZ 85, 315 (318f.); 92, 164 (171f.); Staudinger/Dilcher, § 125 Rdnrn. 38–50. 54 BGHZ 85, 319. 55 RGZ 162, 129 (156f.); BGHZ 6, 330 (334); 92, 164 (175). 56 BGHZ 14, 313 (318); 56, 81 (83); 87, 27 (33); BGH, NJW 1986, 586, 587; 1990, 1907, 1908. 57 BGH, NJW 1990, 506.
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men eine Förderung seiner Karriere verspricht. Vielmehr muß der Verhandlungsgehilfe in einer Position stehen, die ähnlich der eines Geschäfts- und Vertragspartners ist58. Das zweite Merkmal, die Inanspruchnahme besonderen persönlichen Vertrauens, trifft auf Angestellte und Handlungsbevollmächtigte in der Regel nicht zu59. Dies gilt auch dann, wenn sie in den Verhandlungen auf ihre sich aus der beruflichen Stellung ergebende Sachkunde hingewiesen haben60. Der BGH hat das Merkmal aber zum Beispiel im oben erwähnten Fall (Nr. 5) eines Unternehmenssanierers bejaht, der selbst nicht Vertragspartei wurde, aber bei den Vertragsverhandlungen mitwirkte und dabei besondere Sachkunde und besonderes Vertrauen für sich in Anspruch nahm61. Auch der Vermittler von Warenterminoptionen an Kapitalanleger wurde wegen Inanspruchnahme persönlichen Vertrauens haftbar gemacht62.
III. Rechtsfolgen der Haftung aus culpa in contrahendo 1. Schadensersatz: negatives Interesse a) Vertrauensschaden. Der Geschädigte kann gemäß § 249 verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne das schädigende Verhalten des anderen Teils gestanden hätte63. Diese Definition des Schadensersatzumfangs gilt für die Haftung aus unerlaubten Handlungen (§§ 823ff.) und ebenso für die Haftung aus culpa in contrahendo. Dieser Schadensbegriff wird auch negatives Interesse oder Vertrauensschaden genannt. Negatives Interesse wird definiert im Unterschied zum positiven Interesse. Das positive Interesse ist ein Schadensbegriff des Vertragsrechts und bedeutet, daß der Geschädigte so zu stellen ist, wie wenn der Vertrag voll erfüllt worden wäre. Beim negativen Interesse ist der Geschädigte dagegen so zu stellen, als ob die schädigende Handlung nicht eingetreten wäre. Für den Begriff des negativen Interesses wird auch der Begriff des Vertrauensschadens verwendet. Dies deutet darauf hin, daß der Geschädigte nur in seinem Vertrauen auf Nicht- [383] Schädigung geschützt wird. Wenn der Geschädigte dagegen mit einem Schaden oder mit der Vergrößerung eines Schadens rechnen muß, ist er nicht ohne weiteres geschützt. In dem bereits erörterten Fall, daß eine Vertragspartei schuldhaft die Unwirksamkeit des
BGHZ 56, 81 (84); BGH, NJW 1984, 2284, 2286; 1988, 2234f. BGHZ 88, 67 (69); BGH, NJW-RR 1988, 348. 60 BGH, NJW 1990, 506. 61 BGH, NJW 1990, 1907, 1908. 62 BGHZ 80, 82; BGH, NJW 1987, 641. 63 BGH, NJW 1981, 1673. 58 59
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Vertrages herbeiführt, kann also die Partei verlangen, so gestellt zu werden, als wenn sie auf die Wirksamkeit des Vertrages nicht vertraut hätte64. Die Partei kann also zum Beispiel die Erstattung von Planungskosten und anderen Aufwendungen verlangen, die sie in Erwartung einer Durchführung des Vertrages gemacht hat. Andererseits ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes auch eine Begrenzung des Schadensersatzanspruches. Mußte nämlich die geschädigte Partei erkennen, daß der Vertrag möglicherweise unwirksam ist, kann sie keinen Ersatz für Aufwendungen verlangen, die sie von diesem Zeitpunkt an gemacht hat. Außerdem kann nicht der Ersatz von Aufwendungen verlangt werden, die sachlich nicht gerechtfertigt waren. Schließlich entfällt ein Schadensersatzanspruch gänzlich, wenn eine Partei auf die Angaben der anderen Partei nicht vertrauen durfte. Dies zeigt der oben (I 1) genannte Fall Nr. 8. Dort hatte der ausschreibende Besteller es selbst übernommen, die Aufgaben des Anbieters rechnerisch nachzuprüfen. Sein Vertrauen auf die Rechenkünste der Anbieter wurde nicht geschützt65. b) Keine Begrenzung durch das positive Interesse. Andererseits kann das negative Interesse einen sehr hohen Schaden umfassen, der über das Erfüllungsinteresse (positives Interesse) hinausgeht. Der Schadensersatz ist in diesen Fällen aber nicht auf das Erfüllungsinteresse beschränkt66. Diese Regel ist wegen der Vielgestaltigkeit der hier auftretenden Fälle nicht ohne weiteres klar und soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Jemand hat durch Erwerb von Gesellschaftsanteilen ein Unternehmen (teilweise) gekauft und dabei auf unrichtige Angaben des Verkäufers über den Bilanzgewinn vertraut. Die falschen Angaben des Verkäufers waren zumindest fahrlässig gemacht und verpflichteten ihn zum Schadensersatz aus culpa in contrahendo. Verlangt der Geschädigte negatives Interesse, so ist in erster Linie an eine Rückgewähr der Gesellschaftsanteile gegen Erstattung des Kaufpreises zu denken. Es kann aber so sein, daß der Käufer inzwischen erheblich in das Unternehmen weitere Mittel investiert hat und deshalb oder aus anderen Gründen an einer Rückgängigmachung des Kaufs nicht interessiert ist. Wenn man ihm hier den vollen Schaden ersetzt, so muß ihm die Differenz gezahlt werden, um die der tatsächliche Gewinn niedriger war als der angebliche Bilanzgewinn. Der Käufer kann hier aber einen weiteren Schaden haben, der über diesen Ausgleich des fehlenden Gewinns hinausgeht, wenn er nämlich den Umständen nach die Gesellschaftsanteile immer noch zu teuer gekauft hat. Dann muß ihm auch die Differenz zum wahren Wert der Gesellschaftsanteile erstattet werden67.
Vgl. BGH, NJW-RR 1990, 229, 230. BGHZ 60, 221 (225f.). 66 RGZ 151, 357 (359); BGHZ 57, 191 (193); 69, 53 (56). 67 BGHZ 69, 53 (58f.). 64 65
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c) Verjährung. Der Schadensersatzanspruch aus culpa in contrahendo unterliegt grundsätzlich der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195. Er verjährt also erst in dreißig Jahren und diese Regelung ist für den Geschädigten natürlich sehr vorteilhaft. Der BGH hat aber entschieden, daß eine kürzere Verjährungsfrist dann gelten soll, wenn auch der Vertrag bei wirksamem Abschluß einer solchen kürzeren Verjährungsfrist nach dem Gesetz unterliegt68. 2. Erfüllungsinteresse Der Ersatzanspruch kann auch auf das Erfüllungsinteresse gehen, d. h. in bestimmten Fällen muß der Geschädigte so gestellt werden, als wenn der Vertrag ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Dies ist vor allem in solchen Fällen interessant, in denen der Vertrag aufgrund Verschuldens des anderen Vertragsteils bei den Verhandlungen mit einem für den Geschädigten ungünstigen Inhalt zustande gekommen ist69. Auch diese Regel bedarf allerdings einer Einschränkung und muß mit Zurückhaltung angewendet werden. Denn hier besteht die Gefahr, unter dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo eine nachträgliche richterliche Inhaltskontrolle des Vertrages einzuführen. Eine Einschränkung hat die Rechtsprechung bereits selbst vorgenommen. Sie verneint nämlich den Anspruch auf Naturalrestitution, d. h. darauf, daß tatsächlich der Vertragsgegenstand geliefert wird. Ist etwa ein Grundstückskaufvertrag wegen Verschuldens des einen Teils bei Vertragsverhandlungen unwirksam, dann kann zwar der Geschädigte verlangen, so gestellt zu werden, als sei der Grundstückskaufvertrag gültig zustande gekommen. Er kann aber nicht die Übertragung des betreffenden Grundstücks verlangen. Dies wäre auch oft nicht möglich, wenn nämlich das Grundstück bereits an einen anderen wirksam übereignet wurde. Der Geschädigte kann aber den Kaufpreis für ein gleichwertiges Grundstück als Schadensersatz verlangen. Dies ist in den Fällen wichtig, in denen inzwischen die Grundstückspreise stark gestiegen sind70. 3. Schadensersatz in Form der Vertragsanpassung In anderen Fällen haben die Gerichte eine inhaltliche Anpassung des Vertrages zugesprochen, wenn aufgrund des Verschuldens bei den Vertragsverhandlungen ein Vertrag mit einem für den Geschädigten nachteiligen Inhalt zustande gekommen ist. Wäre in einem solchen Fall der Vertrag nur zu einem niedrigeren Preis abgeschlossen worden, so kann der Geschädigte BGHZ 57, 191. S. aber auch BGH, ZIP 1994, 115; dazu u. IV 2 d. BGH, BB 1974, 1040; Palandt/Heinrichs, § 276 Rdnr. 101. 70 BGH, WM 1968, 1402. 68 69
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die Zurückzahlung des zuviel gezahlten Anteils des Preises verlangen71. Dies läuft auf eine nachträgliche Anpassung des Vertragsinhaltes unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes hinaus. Beispiel dafür ist der oben (I 1) erwähnte Fall Nr. 6, wo der Verkäufer im Ausland lagernder Ware die Freiheit von der deutschen Einfuhrumsatzsteuer zugesichert hatte, was sich dann als falsch herausstellte. Während hier eine Sachmängelhaftung ausschied, wurde Schadensersatz wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen zuerkannt72.
IV. Zwei wichtige Anwendungsgebiete der Haftung aus culpa in contrahendo In den bisherigen Betrachtungen wurden bereits zahlreiche Anwendungsfälle der Haftung aus culpa in contrahendo vorgestellt. Abschließend sollen zwei in der Praxis des Wirtschaftslebens wichtige Anwendungsbereiche erörtert werden. 1. Die Eigenhaftung des Geschäftsführers der GmbH Die GmbH ist als Kapitalgesellschaft juristische Person und handelt im Rechtsverkehr durch die Geschäftsführer als ihre Organe. Diese haben gesetzliche Vertretungsmacht und können wirksam Verträge für die GmbH abschließen (§ 351 GmbHG). Nach einer verbreiteten Rechtsmeinung sind die Grundsätze über die Eigenhaftung des Verhandlungsgehilfen für Verschulden bei Vertragsverhandlungen (oben II 4) auch auf den Geschäftsführer einer GmbH anzuwenden73. Hat der Geschäftsführer demnach Verhandlungen für die GmbH geführt und dabei vorvertragliche Pflichten verletzt, so soll er persönlich haften, wenn er am Vertragsschluß selbst wirtschaftlich interessiert ist oder wenn er besonderes persönliches Vertrauen [384] in Anspruch nimmt74. Ein solches wirtschaftliches Interesse hat der BGH beim Mehrheitsgesellschafter oder beim Alleingesellschafter einer GmbH bejaht75. Dies ist mit dem Haftungssystem der GmbH schwer zu vereinbaren76. Der BGH ist daher in anderen Entscheidungen auch zurückhaltender in der Beja-
BGHZ 69, 53 (56ff.); 111, 75 (82). BGHZ 111, 75 (79ff.). Die kurze Verjährungsfrist des § 477 I war hier nicht anwendbar, weil Sachmängelrecht nicht anwendbar war; BGH aaO, S. 82. 73 Hachenburg/Mertens, GmbHG, 7. Aufl. (1979), § 35 Rdnr. 282; Scholz/Emmerich, GmbHG, 8. Aufl. (1993), § 13 Rdnr. 64. 74 BGH, NJW 1983, 676f. 75 BGH, NJW 1983, 676f.; BGHZ 87, 27 (34). 76 Krit. Ulmer, NJW 1983, 1577f.; Brandner, in: Festschr. f. Werner, 1984, S. 53ff.; Heymann/Horn, HGB, 1. Aufl. (1989), § 172a Rdnr. 44. 71 72
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hung dieser Haftung77. Man muß dabei berücksichtigen, daß die GmbH als juristische Person eine persönliche Haftung ihrer Gesellschafter ausschließt und daß gerade in diesem Haftungsausschluß der besondere wirtschaftliche Nutzen der GmbH für die Gesellschafter besteht. Die GmbH soll ihnen die Gelegenheit bieten, ihr Investitionsrisiko auf das in der GmbH eingesetzte Kapital zu beschränken. Dieser Vorteil soll nach dem Willen des Gesetzgebers auch dann gelten, wenn eine einzige Person Gesellschafter der GmbH ist (Einmann-GmbH) und diese Rechtsform bewußt dazu verwendet, um ihr persönliches Vermögen gegen Haftung zu schützen. Ein solcher Alleingesellschafter hat stets ein starkes eigenes wirtschaftliches Interesse an allen Verträgen, die er als Geschäftsführer für seine GmbH abschließt. Wenn er hier in jedem Fall einer Verletzung vorvertraglicher Pflichten bei den Vertragsverhandlungen persönlich haften muß, verliert die GmbH insoweit ihre sinnvolle Funktion als Mittel der Haftungsbegrenzung. Es bleibt aber gerechtfertigt, den Geschäftsführer – unabhängig davon, ob er Gesellschafter ist oder nicht – dann haften zu lassen, wenn er in besonderer Weise persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt. Aber auch dieser Gesichtspunkt ist zurückhaltend anzuwenden78. In bestimmten Fällen kann der Geschäftsführer eine Pflicht gegenüber dem Geschäftspartner haben, diesen über bestimmte Tatsachen aufzuklären. Ist zum Beispiel die GmbH überschuldet und besteht daher für den Vertragspartner ein großes wirtschaftliches Risiko, wenn er vorleistet, dann muß ihn der GmbH-Geschäftsführer darüber aufklären. Eine Verletzung der Aufklärungspflicht kann die Eigenhaftung aus culpa in contrahendo rechtfertigen79. 2. Die Haftung gegenüber dem Kapitalanleger a) Anlegerschutz als Aufgabe des Zivilrechts. In den letzten Jahrzehnten ist in den führenden Industrieländern das Sparaufkommen stark gestiegen. Eine große Zahl von Menschen ist in der Lage, größere Geldbeträge zu ersparen, und will diese nicht mehr in den herkömmlichen Sparformen, z.B. in einem Sparkonto oder durch Kauf bekannter Aktien, anlegen, sondern sucht nach neuen Möglichkeiten der Anlage ihres Kapitals zu günstigen Bedingungen. Hier hat sich eine Fülle von Angeboten des „grauen“ Kapitalmarkts (außerhalb der Börse) entwickelt, die teilweise besondere Risiken für den Anleger mit sich bringen. Das Zivilrecht mußte hier in den letzten Jahren in großem Umfang den rechtlichen Schutz des Anlegers übernehmen.
77 BGHZ, ZIP 1986, 27; vgl. auch Lutter/Hommelhoff GmbHG, 13. Aufl. (1991), § 43 Rdnrn. 27–33. 78 Brandner aaO (o. Fußn. 76); Roth, GmbHG, 2. Aufl. (1987), § 13 Anm. 3.2.2. 79 Allg. dazu BGH, NJW 1983, 676ff.; BGHZ 87, 27 (34).
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Die Gerichte haben in einer großen Anzahl von Fällen dem Anleger Schadensersatzansprüche gegen die Personen zugesprochen, die ihm bestimmte Kapitalanlagen verkauft oder vermittelt haben oder die ihn beraten oder auf andere Weise zum Erwerb bestimmter Anlageformen veranlaßt haben. Die Haftungsgrundlagen waren und sind dabei durchaus unterschiedlicher Natur. Teils wurden vertragliche Ansprüche anerkannt, teils solche aus Delikt, insbesondere wegen sittenwidriger Vermögensschädigung nach § 826. Auch die culpa in contrahendo spielt als Haftungsgrundlage eine große Rolle (b). Außerdem wurden aus dem Rechtsinstitut der culpa in contrahendo neue Haftungstatbestände von den Gerichten entwickelt (c und d). Im folgenden können nur die wichtigsten Haftungstatbestände aus culpa in contrahendo und verwandten Gründen besprochen werden. b) Risikoreiche Anlagegeschäfte. Ein typisches Risiko des Anlegers (Investors) besteht darin, daß er die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Anlage nicht einschätzen kann. Besondere Risiken haben sich vor allem bei den folgenden Anlageformen gezeigt: (1) Wertpapiere (Aktien oder Obligationen) ausländischer Emittenten, deren Bonität der Anleger nicht kennt; (2) Beteiligungen an Projekten, z.B. Großbauprojekten, die in Form einer Publikums-Personengesellschaft (Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder Kommanditgesellschaft oder auch stille Gesellschaft) mit einer großen Zahl von Gesellschaftern betrieben werden. Die Gesellschaftsverträge und übrigen Verträge sind oft so gestaltet, daß der Anleger, der einen Gesellschaftsanteil erwirbt, keinen Einblick in die wirtschaftlichen Verhältnisse und keinen Einfluß auf die Geschäftsführung erhält und daß die Personen, die das Projekt entwickelt haben, sich große Gewinne sichern. Andere Investitionsprojekte sind in der Rechtsform einer Gemeinschaft von Miteigentümern organisiert80. (3) Optionsrechte an ausländischen Börsen, insbesondere an den Warenterminbörsen in den USA und Großbritannien, mit unklaren (geringen) Chancen auf Spekulationsgewinne. c) Aufklärungspflichten der Bank oder des Anlagevermittlers aus Beratungsvertrag. Die Rechtsprechung des BGH hat hier weitgehende Aufklärungspflichten der Bank oder des sonstigen Anlagevermittlers angenommen, der Anlagen an interessierte Kunden vertreibt. Die Aufklärungspflicht geht dahin, den Kunden über alle wirtschaftlichen Risiken und Risiken der rechtlichen Ausgestaltung aufzuklären. Der BGH hat häufig einen stillschweigend geschlossenen Beratungsvertrag mit dem Anlagevermittler angenommen. Wenn der Anlagevermittler seine Pflicht zur richtigen und vollständigen Auskunft und Beratung verletzt, so haftet er aus Vertrag81.
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Vgl. z.B. BGH, WM 1990, 1276; ZIP 1994, 115; dazu u. IV 2 c. BGHZ 74, 103 (106); BGH, ZIP 1993, 1148 (1149 [Bond-Anleihe]).
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Die Annahme einer Vertragshaftung ist bemerkenswert. Nach dem bisherigen Überblick über die Entwicklung der Haftung aus culpa in contrahendo sollte man annehmen, daß dieser Haftungsgrund auch hier herangezogen wird. Denn wenn eine Bank oder ein anderes Unternehmen einem Kunden eine Kapitalanlage vermittelt, wird die Bank oder das Unternehmen (meist) nicht selbst Partner des Vertrages über diese Kapitalanlage (z.B. Kauf eines Wertpapiers oder eines Optionsrechts). Aber eine Haftung aus culpa in contrahendo kommt hier unter dem Gesichtspunkt in Betracht, daß die Bank oder das vermittelnde Unternehmen selbst besonderes Vertrauen in Anspruch nimmt und daher als Verhandlungsgehilfe haftet (oben II 5). Die Kriterien für die Eigenhaftung des Verhandlungsgehilfen sind aber in vieler Hinsicht unsicher. Daher erschien es dem BGH offensichtlich besser, in geeigneten Fällen einen Vertrag mit der vermittelnden Bank anzunehmen. Der BGH hat daher entschieden, daß zwischen dem Kunden, der sich für eine Kapitalanlage interessiert, und der vermittelnden Bank ein Auskunftsvertrag oder ein Beratungsvertrag konkludent geschlossen wird82. Ein solcher konkludenter Vertrag soll auch dann vorliegen, wenn die vermittelnde Bank oder der sonstige Anlagevermittler keine besondere Gebühr oder ein sonstiges Entgelt für die Vermittlung verlangt83. Die vertraglichen Aufklärungs- und Beratungspflichten müssen „anlegergerecht“ sein, d.h. sie müssen auf die persönlichen Verhältnisse und Anlageziele des Kunden Rücksicht nehmen. Sie müssen zugleich auch in bezug auf das Anlageobjekt angemessen sein und die besonderen Risiken der ins Auge gefaßten Anlage aufzeigen, z.B. Zweifel an der Bonität des Emittenten oder Kursrisiken bei ausländischen Werten84. [385] d) Aufklärungspflichten aus culpa in contrahendo. Der so bezeichnete Inhalt der Aufklärungs- und Beratungspflichten findet mit Recht allgemeine Zustimmung. Hinsichtlich der rechtlichen Begründung dieser Pflichten – Vertrag oder culpa in contrahendo – bestehen jedoch weiterhin Unsicherheiten. In anderen Fällen hat der BGH die Annahme eines konkludent (stillschweigend) geschlossenen Auskunfts- und Beratungsvertrages abgelehnt. Dies gilt etwa für den bereits mehrfach erwähnten Fall, daß ein Unternehmenssanierer den Abschluß eines riskanten Kreditvertrages veranlaßt (Fall Nr. 5 oben II). Hier hat der BGH statt eines Auskunftsvertrags eine Haftung aus culpa in contrahendo angenommen85. Auch in zahlreichen Fällen der Verletzung von Aufklärungspflichten bei der Vermittlung von Kapitalanlagen, insbesondere von Warenterminoptionen, ging der BGH davon aus, daß Verschulden bei Vertragsschluß (culpa in contrahendo) vorliege86. Dies gilt auch für zahlrei BGHZ 100, 117; BGH, ZIP 1993, 1148. BGHZ 100, 117 (119). 84 Zu beiden Aspekten BGH, ZIP 1993, 1148, 1149 (betr. Bond-Anleihe). 85 BGH, NJW 1990, 1907, 1908 f. 86 Vgl. BGH, ZIP 1991, 1207 m. zahlreichen Nachw. 82 83
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che Fälle des Vertriebs von Anteilen an Publikums-Gesellschaften. Dabei hat die Rechtsprechung den Kreis der Personen, die als Verhandlungsgehilfen oder aus verwandten Gesichtspunkten außerhalb bzw. anstelle des eigentlichen Vertragspartners (der Publikums-Gesellschaft)87 haften, sehr weit gezogen. Dazu zählen die Initiatoren des Projekts, die Gründer und Gestalter der Gesellschaft, sowie die Personen, die hier das Management bilden oder beherrschen88. Besonders scharfe Anforderungen an die Pflicht zur Aufklärung des Anlegers hat die Rechtsprechung bei dem Vertrieb von Optionsrechten an Warenterminbörsen aufgestellt. Diese Geschäfte sind von Natur aus sehr risikoreich. Die Chance, bei solchen Geschäften einen spekulativen Gewinn zu erzielen, wird noch geringer, wenn außer dem ausländischen Börsenhändler noch in Deutschland ein Anlagevermittler tätig wird, der eine besondere Gebühr erhebt und damit das Geschäft für den Anleger verteuert. Die Chance, mit seinem Einsatz noch einen nennenswerten Gewinn zu erzielen, wird dann verschwindend gering. Auf diese Risiken muß der Anlageberater den Kunden zuvor schriftlich aufmerksam machen, wenn er ihn unaufgefordert für ein solches Geschäft werben will. Die Verletzung der Aufklärungspflichten begründet eine Haftung aus culpa in contrahendo89. e) Deliktische Haftung aus § 826. Die Verletzung einer Aufklärungspflicht kann schließlich eine Haftung wegen vorsätzlicher sittenwidriger Vermögensschädigung nach § 826 begründen. Der BGH hat dies in bestimmten Fällen des Vertriebs Londoner Warenterminoptionen angenommen90. Auch in solchen Fällen werden die Aufklärungspflichten dem bestehenden „vorvertraglichen Vertrauensverhältnis“ entnommen, das zwischen Anleger und der Anlagevermittlungsfirma begründet wird91. Diese Pflicht hat bei der Konstruktion des Deliktstatbestandes mehrere Funktionen. Erstens folgt aus ihr die Verletzungshandlung (durch Unterlassen der Aufklärung) ähnlich wie bei der Verletzung einer allgemeinen Verkehrssicherungspflicht92. Zweitens folgt aus ihr das besondere Unwerturteil der Sittenwidrigkeit. Die praktische Bedeutung der Haftung aus § 826 liegt darin, daß auf diese Weise auch die Geschäftsführer oder die Angestellten der Anlagenvermittlungsfirma persönlich haftbar gemacht werden können. Dies ist deshalb wichtig, weil die 87 Dieser haftet den Anlegern nicht, solange andere Gläubiger Forderungen gegen diese Publikums-Gesellschaft haben. Denn die Anleger sind Gesellschafter und müssen das Risiko eher tragen als die Gläubiger der Publikums-Gesellschaft; BGH, NJW 1983, 1604; WM 1985, 258; Heymann/Horn, HGB, 2. Aufl. (1995), § 161 Rdnr. 196. 88 BGHZ 79, 337 (340); ähnlich schon BGHZ 71, 284 (287ff.); Überblick auch bei Heymann /Horn (o. Fußn. 87), § 161 Rdnrn. 197 ff. 89 BGH, ZIP 1991, 1207; ZIP 1993, 1152, 1153. 90 BGH, WM 1988, 291; BGHZ 105, 108 (110) = WM 1988, 1255. 91 BGHZ 105, 108 (110). 92 Vgl. o. II 1 b.
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besonderen Merkmale für die Eigenhaftung des Verhandlungsgehilfen (oben II 5) bei diesen Personen meist nicht erfüllt sind und sie deshalb nicht aus culpa in contrahendo haften. f) Der Sondertatbestand der Prospekthaftung. Im deutschen Börsengesetz93, das den Handel in Wertpapieren des Kapitalmarkts an den Börsen regelt, ist eine Haftung für unrichtige oder unvollständige Angaben im Börsenzulassungsprospekt vorgesehen (§ 45 BörsG). Die Haftung trifft alle Personen, die den Prospekt verfaßt und veröffentlicht oder in sonstiger Weise veranlaßt haben. Eine ähnliche Prospekthaftung ist in Sondergesetzen über die Beteiligung an Kapitalanlagegesellschaften im Inland und Ausland geregelt (§ 20 KAG und § 12 AuslInvestmG). Für Anlageformen des sogenannten grauen Kapitalmarktes (also die bereits erwähnte Beteiligung als Investor an einer Publikumsgesellschaft oder auch durch Erwerb eines Miteigentumsanteils) sind diese Vorschriften nicht anwendbar, ebensowenig auf schriftliche Angebote, in ausländischen Warenterminoptionen zu investieren. Die Rechtsprechung hat jedoch nach dem Vorbild der gesetzlich geregelten Prospekthaftung auch hier eine Prospekthaftung entwickelt. Der Grundgedanke dabei ist, daß durch die Verwendung von Werbeschriften (Prospekten im weiten Sinn) bei der Gewinnung neuer Anleger in typischer Weise das Vertrauen dieser Anleger in Anspruch genommen wird. Die Verfasser dieser Prospekte und Werbeschriften haben daher typische Sorgfaltspflichten. Der Prospekt muß wahrheitsgemäß und umfassend über die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Anlageform, z.B. die wirtschaftlichen Aussichten des Projektes und die rechtliche Organisation des Projektträgers (Personengesellschaft oder Miteigentümergemeinschaft) informieren. Der Prospekt darf zum Beispiel nicht die Angabe enthalten, das Grundstück für das geplante Investitionsprojekt stehe zur Verfügung, wenn in Wirklichkeit dieses Grundstück noch nicht erworben wurde und Hindernisse diesem Erwerb entgegenstehen94. Ein Kurzgutachten von Rechtsanwälten über das Vertragswerk des Projekts darf keinen irreführend positiven Eindruck erwecken95. Der Prospekt muß wichtige personelle und kapitalmäßige Verflechtungen zwischen der geschäftsführenden Gesellschaft (GmbH) und dem Projektunternehmen aufdecken96. Im Ergebnis hat die Rechtsprechung einen gesetzlich nicht geregelten Tatbestand der Prospekthaftung im grauen (außerbörslichen) Kapitalmarkt entwickelt, der heute eine feste Rechtsinstitution bildet97.
93 1896, 1908, oft geändert, vor allem durch eine umfassende Änderungsnovelle von 1990. 94 BGHZ 71, 284 (289f.). 95 BGHZ 77, 172 (177f.). 96 BGH, WM 1981, 483. 97 BGHZ 71, 284; 79, 337; 83, 222.
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Noch schärfere Ansprüche an den Inhalt des Prospekts hat die Rechtsprechung für den Vertrieb von Optionsrechten an ausländischen Warenterminbörsen aufgestellt, weil hier von vorneherein die Gewinnchance des Anlegers äußerst gering ist und in großem Umfang Mißbrauch getrieben wurde. Die Rechtsprechung hat eine schonungslose Aufklärung über die Risiken verlangt; der Vermittler muß schriftlich erklären, daß die Gewinnchance äußerst gering und das Risiko sehr hoch ist. Insbesondere muß der Kunde über die Höhe der Prämie an der ausländischen Börse und die Zusatzprämie des deutschen Anlagevermittlers aufgeklärt werden98. Diese Hinweise dürfen nicht durch beruhigende Erklärungen im Prospekt verwässert werden99. In den genannten Fällen ist häufig eine Haftung aus Delikt wegen sittenwidriger Vermögensschädigung zusätzlich gegeben100. Der Kreis der haftenden Personen im Rahmen der Prospekthaftung im grauen Kapitalmarkt ist weit gezogen: Er umfaßt die Initiatoren, die das Investitionsprojekt entwickelt haben, die Gründer der Gesellschaft, die das Projekt trägt, die Personen, die im Management entscheidenden Einfluß [386] haben und schließlich diejenigen, die den Prospekt gestaltet oder beeinflußt oder in den Verkehr gebracht haben101. Aber nicht jede Person, die im Prospekt genannt ist, unterfällt dieser Haftung. Der BGH hat dies etwa verneint für eine Person, die lediglich als Mitglied des Beirates der Projektträgergesellschaft genannt war oder als deren Mitgesellschafter, aber im übrigen keinen Einfluß auf das Projekt hatte102. Auch nicht jede in den Vertrieb eingeschaltete Person haftet schon nach Prospekthaftungsgrundsätzen. Dies gilt vor allem für die persönliche Eigenhaftung der Angestellten von Anlagevermittlungsfirmen. Für diese Angestellten treffen die Merkmale einer persönlichen Prospekthaftung nicht zu. Sie haften auch nicht als Verhandlungsgehilfen persönlich aus culpa in contrahendo, weil sie häufig kein besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch nehmen. Die Angestellten können jedoch nach den Grundsätzen der Deliktshaftung (§ 823 II i.V. mit § 263 StGB; § 826) haften103. Der selbständige Anlagevermittler und Anlageberater haftet dagegen regelmäßig aus Prospekthaftung104; gleiches gilt für den in das Projekt eingeschalteten Treuhänder105. Personen, die den Organen
98 BGHZ 80, 80 (81); BGH, WM 1985, 81; 1986, 734 u. 1383; 1987, 7 u. 103; 1988, 291 u. 1255; ebenso zum Warentermindirektgeschäft BGH, WM 1990, 61; ebenso zum Geschäft in Aktien- und Aktienindex-Optionen BGH, WM 1991, 127. 99 BGH, ZIP 1991, 1207. 100 Vgl. z.B.: BGH, WM 1990, 971. 101 BGHZ 71, 284; 72, 382; 79, 337. 102 BGHZ 79, 337 (348). 103 OLG München, WM 1989, 1719. 104 BGHZ 74, 103; BGH, WM 1984, 1075. 105 BGH, WM 1983, 1387.
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der Projektgesellschaft angehören, also z.B. Aufsichtsräte und Beiräte, haften regelmäßig ebenfalls106. Rechtsdogmatisch ist der Tatbestand der Prospekthaftung ein Sonderfall der Haftung wegen Verschuldens bei Vertragsverhandlungen. Sind die besonderen Voraussetzungen der Prospekthaftung nicht gegeben, so ist im konkreten Fall jedenfalls zu prüfen, ob die allgemeinen Voraussetzungen der Haftung für culpa in contrahendo vorliegen. Diese ist besonders dann wichtig, wenn bei den Vertragsverhandlungen ein Prospekt oder ein sonstiges Schriftstück nicht verwendet wurde. Nach den Worten des BGH liegt die Besonderheit der Prospekthaftung gegenüber der allgemeinen Haftung aus culpa in contrahendo darin, daß mit Hilfe des Prospekts in typisierter Weise Vertrauen in Anspruch genommen wurde, ohne daß es auf den direkten persönlichen Kontakt, wie er sonst bei culpa in contrahendo vorausgesetzt wird, ankommt. Dies bedeutet eine Erleichterung der Voraussetzungen der Haftung. Andererseits hat der BGH bei der Prospekthaftung in Anlehnung an die spezialgesetzlich geregelten Tatbestände der Prospekthaftung (§§ 45–49 BörsG; § 20 KAG; § 12 AuslInvestmG) eine kurze Verjährung dieser Ansprüche in sechs Monaten ab Kenntnis, spätestens aber in drei Jahren, angenommen107. Diese kurze Verjährungsfrist wurde jedoch vom BGH auf den Fall von Publikums-Personengesellschaften beschränkt, wo eine große Anzahl von Gesellschaftsanteilen ähnlich Aktien auf dem grauen Kapitalmarkt veräußert werden. Auf andere Investitionsprojekte, bei denen die einzelnen Anleger Miteigentümer eines großen Bauprojektes werden (insbesondere nach dem sogenannten „Bauherren-Modell“), ist diese Verjährungsfrist nach Ansicht des BGH jedoch nicht anwendbar108. Hier ist vielmehr die allgemein bei Haftung aus culpa in contrahendo maßgebliche dreißigjährige Verjährungsfrist des § 195 anzuwenden109. g) Berufshaftung. Freiberuflich tätige Fachleute wie Anwälte, Notare, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater können persönlich haften, wenn sie an Vertragsverhandlungen mitwirken und dabei das besondere Vertrauen zur Geltung bringen, das ihrem Berufsstand allgemein entgegengebracht wird110. Sie haften dann aus culpa in contrahendo als Verhandlungsgehilfen nach den bereits oben allgemein erörterten Grundsätzen. Außerdem kann sie die Prospekthaftung treffen, auch wenn sie keinen unmittelbaren Einfluß auf die Gründung oder Geschäftsführung der Projektgesellschaft haben. Es genügt,
BGHZ 72, 382; BGH, WM 1979, 1425; WM 1984, 1640. BGHZ 83, 222 (226f.); BGH, WM 1985, 534, 536. 108 BGH, WM 1990, 1276. 109 BGH, ZIP 1994, 115 = EWIR 1994, 747 (Thode). 110 BGHZ 77, 172. 106 107
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daß sie an der Gestaltung des Prospekts oder Vertriebssystems nach außen erkennbar mitwirken. Voraussetzung der speziellen Prospekthaftung ist in diesen Fällen die namentliche Nennung im Prospekt111. Diese besonderen Grundsätze der Berufshaftung sind vor allem im Zusammenhang mit den Problemen des Anlegerschutzes im grauen Kapitalmarkt von der Rechtsprechung entwickelt worden. Die Haftung der Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte unterliegt den allgemeinen Grundsätzen, die für die Haftung aus culpa in contrahendo oder für die spezielle Prospekthaftung gelten. Steht bei den betreffenden Personen allerdings ihre freiberufliche Tätigkeit im Vordergrund, so gelten die kürzeren Verjährungsfristen ihres speziellen Berufshaftungsrechts112. Die kürzeren Verjährungsfristen des besonderen Berufshaftungsrechts sind dagegen nicht anwendbar, wenn der betreffende Fachmann selbst der Initiator eines bestimmten Investitionsprojektes ist. Bei Bauprojekten gilt dann die dreißigjährige Frist des § 195113.
V. Schlußbetrachtung 1. Vertrags- und Deliktshaftung statt culpa in contrahendo a) Rückverlagerung ins Vertrags- und Deliktsrecht. Es hat sich gezeigt, daß bei bestimmten typischen Fallgruppen, die zur Prüfung einer Haftung aus culpa in contrahendo Anlaß geben, von der Rechtsprechung im Ergebnis eine Rückführung auf die klassischen Haftungstatbestände des Vertrags- und Deliktsrechts vorgenommen wurde. Für die erstere Fallgruppe ist das Urteil des BGH zum Vertrieb der risikoreichen Bond-Anleihe ein Beispiel. Hier hat der BGH die Beratungs- und Aufklärungspflicht der Bank auf einen Beratungsvertrag gestützt (IV 2 c), obwohl culpa in contrahendo (in der Fallvariante der Haftung des Verhandlungsgehilfen) nahegelegen hätte. Dem ist für die angesprochene Fallgruppe zuzustimmen. Umgekehrt kann in den Fällen des Vertriebs von Londoner Warenterminoptionsrechten eine persönliche Haftung der Geschäftsführer oder Angestellten der Anlagenvermittler nur auf § 826 gestützt werden (IV 2 e), während die Anlagenvermittlungsfirmen selbst aus culpa in contrahendo als Verhandlungsgehilfen haften. Hier führt die Verletzung der gleichen Aufklärungspflichten, die ursprünglich im Rahmen der culpa in contrahendo-Haftung in solchen Fällen entwickelt wurden, zur Bejahung einer sittenwidrigen Schädigung i.S. § 826. Pflichten im Vertragsanbahnungsverhältnis fungieren also hier zugleich wie (deliktische) Verkehrssicherungspflichten (vgl. o. II 1). BGH, WM 1986, 904. § 68 SteuerberatungsG (3 Jahre), § 51a WirtschaftsprüferO (5 Jahre), § 51 BRAO (3 Jahre). 113 BGH, ZIP 1994, 115 (betr. Wirtschaftsprüfer). 111 112
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b) Überwindung der Haftung aus culpa in contrahendo? Der letzte Fall führt wieder zurück zur Ausgangsfrage in RGZ 78, 239 (I und II 1 a), ob man nicht generell die Vertragsanbahnungspflichten nur zur Begründung einer deliktischen Haftung heranziehen sollte. Dies verbietet sich aber wegen der bereits oben (I 4 b) besprochenen Grenzen des Schutzes durch Deliktshaftung. Diese Begrenzung ist bei der persönlichen Inanspruchnahme der Angestellten der Vermittlungsfirmen hinzunehmen. Bei der Haftung der Anlagefirmen selbst dagegen ist sie mit Hilfe der vertragsähnlichen culpa in contrahendo-Haftung zu überwinden. Um die culpa in contrahendo-Haftung in der deliktischen Haftung aufgehen zu lassen, müßte man die Deliktshaftung also in ihren Rechtsfolgen der Vertragshaftung stärker annähern. Dies wird vielfach im Hinblick auf die Begrenzung der Haftung für Verrichtungsgehilfen durch § 831 gefordert; es ist aber zweifelhaft, ob man generell die Deliktshaftung in Richtung auf [387] vertragsähnliche Haftungsfolgen ausdehnen sollte. Die Schuldrechtskommission hat umgekehrt die culpa in contrahendo-Haftung jetzt in ihrem Vorschlag stark der Vertragshaftung angenähert, indem sie vorvertragliche Pflichten in die Nähe vertraglicher Pflichten rückt. Die Folgen für die Haftung sind noch nicht hinreichend abgeklärt, sollten sich aber wohl nach Vorstellung der Kommission ungefähr im jetzigen Rahmen bewegen. Aber auch nach der vorgeschlagenen Regelung bleibt die culpa in contrahendo-Haftung eine besondere Fallgestaltung, zwar in der Nähe des Vertragsrechts, aber nach ihrer tatbestandlichen Grundlage unstreitig eine gesetzliche, nicht auf rechtsgeschäftlicher Willenserklärung begründete Haftung. Diese Zwischenstellung erscheint auch in anderen Rechtsordnungen als unentbehrlich, auch wenn dort114 die der culpa in contrahendo entsprechenden Lösungen bei weitem nicht eine solche Intensität und Breite der Anwendung finden wie im deutschen Zivilrecht. Die Zwischenstellung zwischen Vertrag und Delikt gibt dem Institut der Haftung für culpa in contrahendo eine gewisse Unscharfe; aber darin steckt auch ein kreatives Potential zur Bewältigung neuer Aufgaben, wie dies das Problemfeld des Anlegerschutzes gezeigt hat. 2. Vertrauenshaftung Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die Rechtsfigur der culpa in contrahendo durch andere dogmatische Konzepte zu ersetzen oder besser zu erklären. Hier ist insbesondere der Gedanke der Vertrauenshaftung zu nennen.
114
Z.B. im japanischen oder US-amerikanischen Recht.
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Die Vertrauenshaftung wird von ihren Vertretern als selbständiger Verpflichtungsgrund neben dem Vertrag betrachtet. Diese Haftung soll eingreifen, wenn jemand durch sein Verhalten bei einem Dritten Vertrauen weckt und dessen Vertrauen in Anspruch nimmt115. In der Tat handelt es sich um einen wichtigen Aspekt der culpa in contrahendo, der zu ihrem Verständnis beiträgt116 und auch für das Verständnis des besonderen Tatbestandes der Prospekthaftung hilfreich ist. Andererseits ist der Gedanke selbst begrifflich nicht präzise genug, um einen selbständigen Haftungstatbestand zu definieren117, und insofern dem Begriff der culpa in contrahendo rechtstechnisch nicht überlegen. 3. Richterrecht und Gesetzesrecht Betrachtet man die Fülle der Fallgruppen und die weitreichenden Rechts entwicklungen, die von der Rechtsprechung im Bereich der Haftung für culpa in contrahendo hervorgebracht wurden, so möchte man fast meinen, das deutsche Zivilrecht sei kein kodifiziertes Recht, sondern ähnlich dem englischen und amerikanischen Recht ein Fallrecht (case law). Dieses Fallrecht hat eine lange Tradition; es ist höchst differenziert und verzweigt, so daß es kaum möglich ist, es in ein einfaches und übersichtliches logisches System zu bringen. Zugleich wurde auch deutlich, daß das Rechtsinstitut der culpa in contrahendo es der Rechtsprechung ermöglicht, dringende Probleme zum Beispiel eines Schutzes des Anlegers im grauen Kapitalmarkt zu lösen. Diese Lösungen können leichter durch die Rechtsprechung gefunden werden, die sich von einem Fall im Wege der Analogie und Rechtsfortbildung zum nächsten Fall vorarbeitet (reasoning from case to case), während der Gesetzgeber hier überfordert wäre, eine umfassende kodifizierte Regelung zu schaffen. Die Vorschläge zur Reform des Schuldrechts des BGB zeigen, daß weithin Einigkeit darüber besteht, daß die Haftung aus culpa in contrahendo in Form einer sehr allgemein gefaßten Regelung in das BGB aufzunehmen ist. Freilich ist zu bezweifeln, ob es zweckmäßig ist, dies nur in der sehr vorsichtigen und allgemeinen Form zu tun, wie dies die Kommission vorschlägt (oben I 3 c). Der Überblick über die dogmatischen Entwicklungslinien der culpa in contrahendo (oben II) läßt erkennen, daß man einen Schritt weiter hätte gehen können118. Eine abschließende Regelung des ganzen Rechtsinstituts ist
115 Wegweisend Ballerstedt, AcP 151 (1950/51), 501, 507; Staudinger/Coing, Vorb. § 104 Rdnr. 76 und Vorb. § 116 Rdnr. 3; weiterführend Canaris, Die Vertrauenshaftung im dt. PrivatR, 1971; krit. Köndgen, Selbstbindung ohne Vertrag, 1981, §§ 97ff. 116 Vgl. schon Ballerstedt aaO (o. Fußn. 115); Larenz, in: Festschr. f. Ballerstedt, 1975, S. 397ff. 117 Zutreffende Kritik bei Hübner, Allg. Teil, 1984, § 29; Köndgen aaO (o. Fußn. 115). 118 Vgl. auch Medicus aaO (o. Fußn. 13).
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freilich nicht möglich. Die sehr große Fülle der Einzelprobleme muß also weiterhin durch die Rechtsprechung unter Begleitung durch die Rechtslehre auf der Grundlage der bisher erarbeiteten Grundsätze selbständig entschieden werden.
Übermäßige Bürgschaften mittelloser Bürgen: wirksam, unwirksam oder mit eingeschränktem Umfang? WM 1997, 1081–1089 Das Problem der Bürgschaft des mittellosen Bürgen beschäftigt weiterhin den BGH und löst sich dabei teilweise aus der engeren Fallgruppe der Angehörigenbürgschaft. Die neueren Urteile werfen alte und neue Fragen der Anwendung von § 138 Abs. 1 BGB und § 242 BGB auf diese Fälle auf. An die Tatsache, dass die Beteiligten wissen, der Bürge sei weder derzeit noch voraussichtlich bei Fälligkeit zur Tilgung seiner Bürgenschuld in der Lage, knüpft die doppelte Rechtsfrage an, erstens ob und unter welchen einschränkenden Voraussetzungen der Bürge nach § 138 BGB gegen seine Überforderung zu schützen ist, und zweitens ob daneben oder alternativ gem. § 242 BGB ein eingeschränkter Sicherungszweck der Bürgschaft festgestellt werden kann, so dass die Bürgschaft mit eingeschränktem Inhalt wirksam bleibt.
Einleitung: Der mittellose Bürge als Zivilrechtsproblem Die Frage der Wirksamkeit und ggf. des Haftungsumfangs von Bürgschaften mittelloser Bürgen ist Gegenstand neuerer Entscheidungen des IX. Zivilsenats des BGH. In zwei Entscheidungen vom Januar 1997 hat der Senat seine Rechtsprechung zur Orientierung des Haftungsumfangs des Bürgen an dessen Vermögensentwicklung sowie seine Grundsätze zur Sittenwidrigkeit einer Angehörigenbürgschaft wegen Überforderung fortgeführt1. In der Kreditpraxis bestehen Unsicherheiten zur Frage, unter welchen Voraussetzungen man heute noch auf die Rechtsverbindlichkeit einer Bürgschaft naher Angehöriger rechnen kann. Eine weitere Entscheidung des (IX.) Bürgschaftssenats des BGH vom Januar 1997 zur Sittenwidrigkeit der Bürgschaft eines mittellosen GmbH-Geschäftsführers2 erinnert daran, daß natürlich die Kriterien des § 138 BGB oder auch des § 242 BGB nicht auf die Geschäfte eines bestimmten Personenkreises, also z. B. Angehörigenbürgschaften, 1 Urteile v. 23.1.1997 = WM 1997, 467 = WuB I F 1 a. – 5.97 Hennrichs = ZIP 1997, 406 u. WM 1997, 465 = WuB I F 1 a. – 5.97 Hennrichs = ZIP 1997, 409. 2 Urt. v. 16.1.1997 = WM 1997, 511 = ZIP 1997, 446.
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beschränkt sind, und daß die Kriterien der Rechtsprechung zur Angehörigenbürgschaft – ggf. mit entsprechender Modifizierung – auch auf andere Personen angewendet werden können. Die folgenden Ausführungen befassen sich mit den durch die neuen Urteile angesprochenen Fragen der Anwendung des § 138 BGB (i. F. I) und § 242 BGB (i. F. II) und mit dem Verhältnis beider Lösungswege zueinander (i. F. III). Dazu ist ein Rückgriff auf die vorhergehende umfangreiche Judikatur und Diskussion unumgänglich. Umstritten ist bis heute vor allem die Frage, ob der Bürge eher dadurch zu schützen ist, dass ggf. der Umfang seiner Haftung gem. § 242 BGB an die Umstände, insbesondere seine gegenwärtigen und künftigen Vermögensverhältnisse angepasst wird, eine Lösung, die der Bürgschaftssenat bevorzugt3. Der (XI.) Bankrechtssenat neigt dazu, den Schutz des Bürgen (oder Mitschuldverpflichteten) regelmäßig durch Unwirksamkeit der Verpflichtung gem. § 138 BGB zu erreichen, falls die Umstände dies erfordern4. Soweit man hier fortbestehende Divergenzen zwischen dem IX. und dem XI. Senat beklagt5, sollte man nicht übersehen, dass nach einhelliger Meinung der Senate in schweren Fällen der Belastung und Benachteiligung des Bürgen § 138 BGB die richtige Sanktionsnorm ist. Es geht eher darum, ob man daneben in anderen Fällen auch das flexiblere Instrument einer Anpassung des Haftungsumfangs nach § 242 BGB anwenden muß.
I. Die Unwirksamkeit von Angehörigenbürgschaften nach § 138 BGB Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Leitentscheidung von 1993 zur Unwirksamkeit von Angehörigenbürgschaften die beiden entscheidenden Tatbestandskomplexe im Rahmen des § 138 BGB genannt, bei deren Erfüllung die Bürgschaft unwirksam ist: (1) ungewöhnlich starke Belas tung des Bürgen und (2) Vertragsschluss aufgrund „strukturell ungleicher Verhandlungsstärke“6. Die Sittenwidrigkeit einer Bürgschaft nach § 138 Abs. 1 BGB i. S. des wucherähnlichen Geschäfts bleibt auch nach diesem Urteil ein Ausnahmetatbestand, der gegenüber dem Prinzip der Vertragsfreiheit eng zu begrenzen ist. Er dient nach Ansicht des Gerichts dazu, die
3 IX. Senat, z. B. BGH WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = NJW 1995, 592; krit. Reinicke/Tiedtke, NJW 1995, 1449, 1501. 4 BGH WM 1994, 1022 = WuB IV C. § 1 b AbzG 1.94 Medicus = ZIP 1994, 773 (Mitsubishi-Pajero-Fall); dazu Honsell, EWiR 1994, 531. 5 Schimansky, WM 1995, 461, 467. 6 Leitsatz BVerfGE 89, 214 = WM 1993, 2199 = WuB 1 F 1 a. – 4.94 Bydlinski = NJW 1994, 36 = ZIP 1993, 1775.
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Privatautonomie bei einem starken Übergewicht eines Vertragsteils vor Fremdbestimmung zu schützen, darf aber nicht bei jeder Störung des Verhandlungsgleichgewichts eingreifen7. Das Gericht geht aber davon aus, dass sich gerade im Hinblick auf Bürgschaften wirtschaftlich schwacher naher Angehörigen des Hauptschuldners typische Kriterien herausarbeiten lassen. Dem ist zuzustimmen. Allerdings bestehen einerseits Unsicherheiten der Subsumption, andererseits Möglichkeiten der Verallgemeinerungen [1082] über die Fälle der Angehörigenbürgschaft hinaus. Beides kann im Bereich der Anwendung von Generalklauseln nicht überraschen. 1. Ungewöhnlich starke Belastung des Bürgen a) Missverhältnis von Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit Erstes Kriterium ist die ungewöhnlich starke wirtschaftliche Belastung des Bürgen. Es tritt an die Stelle des Kriteriums des groben Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung, das normalerweise beim wucherähnlichen Tatbestand i. S. d. § 138 Abs. 1 vorausgesetzt wird, aber bei der einseitig verpflichtenden Bürgschaft nicht brauchbar ist. Entscheidend ist die Relation zwischen dem Verpflichtungsumfang und der Leistungsfähigkeit des Bürgen8. Zu berücksichtigen sind sowohl die Höhe der Verpflichtung als auch ihre Unübersichtlichkeit, z. B. die Verwendung einer Globalbürgschaft9, die freilich mangels Höchstbetrags ohnehin unwirksam bzw. auf den konkret veranlassenden Kredit beschränkt ist. Auch eine zusätzliche Verbürgung von Nebenforderungen über den Höchstbetrag hinaus trägt zur Unübersichtlichkeit der Bürgenverpflichtung bei10. Bei der Leistungsfähigkeit des Bürgen ist ein etwa vorhandenes Vermögen zu berücksichtigen sowie das laufende Einkommen. Die Rechtsprechung beschränkt die Unwirksamkeit auf Extremfälle: 100 000 DM-Bürgschaft der vermögenslosen Tochter mit niedrigem Arbeitseinkommen von monatlich 1 150 DM11; Millionenbürgschaft des vermögenslosen Zeitsoldaten mit Monatsbezügen von 1 500 DM12. Die bloße Überlastung des Bürgen reicht aber, für sich genommen, für das Urteil der Sittenwidrigkeit nicht aus. Jeder Geschäftsfähige kann kraft seiner durch Art. 2 GG geschützten Privatautonomie Verpflichtungen grundsätzlich ohne Rücksicht auf seine Leistungsfähigkeit übernehmen. Der BGH ließ daher die Einkommens- und Vermögenslosigkeit der Ehefrau, die drei kleine BVerfG WM 1996, 948 = WuB I F 1 a. – 15.96 P. Bydlinski = ZIP 1996, 956, 957. BGHZ 125, 206 = WM 1994, 676 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 520. 9 BGHZ 125, 206 = WM 1994, 676 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski. 10 Beanstandet in BVerfGE 89, 214 = WM 1993, 2199 = WuB I F 1 a. – 4.94 Bydlinski = ZIP 1993, 1775. 11 BVerfGE 89, 214 = WM 1993, 2199 = WuB I F 1 a. – 4.94 Bydlinski. 12 BGHZ 125, 206 = WM 1994, 676 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 520. 7 8
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Kinder versorgt, bei der Übernahme einer Bürgschaft für den Betriebsmittelkredit des Ehemannes von 280 000 DM nicht ausreichen, da der Kredit auch im Interesse der Frau lag13. Die Bürgschaft der Ehefrau mit einem pfändungsfreien Einkommensanteil von rund 900 DM ist trotz der Höhe der Bürgschaftssumme von 211 000 DM und einer daraus folgenden „krassen Überforderung“ nicht nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn die Bürgin zusammen mit dem Ehemann bei Abschluss der Bürgschaft als hinreichend leistungsfähig zur Tilgung erschien14. Auch müssen die i. F. (2) zu erörternden weiteren Umstände hinzutreten, welche die Entscheidungsfreiheit des Bürgen stark einschränken15. Immerhin bleibt die Frage, ob nicht ein besonders krasses Missverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit des Bürgen die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft stärker indiziert und zu geringeren Anforderungen hinsichtlich der übrigen Merkmale des § 138 Abs. 1 BGB führt. Der BGH hat in der zuletzt genannten Entscheidung der überforderten Ehefrau als Bürgin dieses Problem auf andere Weise zu lösen versucht. Er nimmt nämlich eine von vornherein geminderte Bürgenhaftung der vermögenslosen Ehefrau an, wobei er mit den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage und daneben der Möglichkeit eines haftungseinschränkenden pactum de non petendo (i. F. II) operiert. Der XI. Senat sucht den Bürgenschutz dagegen durch § 138 BGB zu verwirklichen. Er nahm in dem der Bürgschaft vergleichbaren Fall, in dem eine mittellose Ehefrau mit Kind die Autokaufpreisschuld des Ehemannes in Höhe von (nur) 40 000 DM mitübernommen hatte, die Nichtigkeit des Schuldbeitritts an16. Nicht immer geht es um die Bürgschaften naher Angehöriger. Die gleichen Kriterien des Missverhältnisses von Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit des Bürgen hat der BGH nunmehr auch auf den Geschäftsführer einer GmbH angewendet, der eine zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Globalbürgschaft für Verbindlichkeiten der GmbH abgegeben hatte17. Die weite Zweckerklärung war zumal bei Fehlen der Angabe eines Höchstbetrags unwirksam18. Sie bleibt freilich teilwirksam hinsichtlich derjenigen Haupt-
13 BGHZ 128, 230 = BGH WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = NJW 1995, 592 = ZIP 1995, 203. 14 BGH WM 1996, 519 = WuB I F 1 a. – 10.96 Medicus = ZIP 1996, 495. 15 BGH wie Fn. 13; BGHZ 128, 230 = BGH WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = NJW 1995, 592 = ZIP 1995, 203; BGH WM 1996, 519 = WuB I F 1 a. – 10.96 Medicus = ZIP 1996, 495; ZIP 1996, 1126, 1127; zum Ganzen i. F. 2. 16 WM 1994, 1022 = WuB IV C. § 1 b AbzG 1.94 Medicus = ZIP 1994, 773 („MitsubishiPajero“). 17 BGH WM 1997, 511 = ZIP 1997, 446. 18 BGHZ 132, 6 = WM 1996, 436 = WuB I F 1 a. – 12.96 Richrath/Schröter = NJW 1996, 924 = ZIP 1996, 456 f. betr. Globalverbürgungen für Forderungen aus künftigen Verträgen und nachträglichen Vertragsänderungen; Staudinger/Horn, BGB, 13. Aufl. 1997, § 765 Rdn. 51, 54.
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schuld, die Anlass der Bürgschaftsbestellung war19. Im entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob diese verbleibende Verbürgung ihrerseits an § 138 BGB scheiterte. Dies nahm der BGH für den Fall an, dass bei völligem Fehlen eigenen Vermögens eine Bürgschaft für einen bereits früher gewährten und in Anspruch genommenen Kontokorrentkredit von über 500 000 DM und ggf. für ein weiteres Darlehen von 400 000 DM übernommen worden war. Der BGH beurteilte dies (vorbehaltlich der noch nachzuholenden Beweise) als Verpflichtung des Bürgen „in einem Umfang, der seine gegenwärtigen und zukünftig zu erwartenden Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit übersteigt“20 und damit das hier erörterte objektive Kriterium des § 138 BGB, nämlich das Missverhältnis zwischen Verpflichtungsumfang und Vermögensverhältnissen erfüllt. Der Bundesgerichtshof hat in anderem Zusammenhang das Merkmal der Überforderung der Leistungsfähigkeit des Bürgen quantitativ präzisiert. Diese Überforderung sei dann anzunehmen, wenn der Bürge mit seinem pfändungsfreien Einkommen voraussichtlich innerhalb von fünf Jahren ab Fälligkeit nicht einmal ein Viertel der Hauptsumme aufbringen könnte21. Diese Präzisierung ist zwar im Rahmen von Erwägungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage (i. F. II) formuliert worden. Es ist aber kein Grund ersichtlich, dieses objektive Merkmal im Rahmen von § 138 Abs. 1 BGB anders zu bestimmen. [1083] b) Mangelndes Eigeninteresse des Bürgen am verbürgten Geschäft Das Missverhältnis von Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit des Bürgen ist im Kontext der Interessenlage und Verhandlungssituation des Bürgen zu bewerten. Hat der Bürge als Sohn kein eigenes Interesse am verbürgten Geschäft, sondern handelt nur seinen Eltern zuliebe, so fällt das Missverhältnis von Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit stärker ins Gewicht22. Hat die mittellose Ehefrau als Bürgin dagegen ein starkes eigenes Interesse an dem verbürgten Geschäft, weil es dem Aufbau oder der Sicherung der gemeinsamen Familienexistenz dienen soll, ist das genannte Missverhältnis von Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit in einem milderen Licht zu sehen23. In einem solchen Fall soll nach BGH der Gläubiger höchstens nach § 242 BGB gehindert sein, einen die Leistungsfähigkeit vollständig übersteigenden Betrag einzufordern; ein Teilbetrag kann ihm geschuldet 19 BGHZ 130, 19, 32, 35; BGH WM 1997, 467 = WuB I F 1 a. – 5.97 Hennrichs = ZIP 1997, 406, 407; Staudinger/Horn, a.a.O. (Fn. 18), § 765 Rdn. 52. 20 BGH WM 1997, 511, 512 rSp. unten. 21 BGH WM 1996, 1124 = WuB I F 1 a. – 16.96 Tiedtke = ZIP 1996, 1126, 1129, 1130; WM 1997, 467 = WuB I F 1 a. – 5.97 Hennrichs = ZIP 1997, 406, 409. 22 BGHZ 125, 206 = WM 1994, 676 = WuB I F 1a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 520. 23 BGH WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = NJW 1995, 592.
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sein24. Für ein Eigeninteresse des bürgenden Ehegatten spricht auch, wenn er (sie) selbst Gesellschafterin oder Geschäftsführerin des Unternehmens ist, das Hauptschuldner wird25. Die bürgende Ehefrau muss sich im Fall eines eigenen wirtschaftlichen Interesses sogar an der hohen Bürgschaft festhalten lassen, wenn sie selbst über ein mäßiges Einkommen verfügt26. Es ist richtig, dass die Berücksichtigung des Eigeninteresses des Bürgen und der Gedanke der Selbstverantwortung dazu führen muss, auch ein gewisses Missverhältnis von Verpflichtungsumfang und Leistungsfähigkeit hinzunehmen, ohne § 138 BGB anzuwenden. In manchen dieser Fälle kommt ausnahmsweise eine Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage in Betracht. c) Wirtschaftliche Sinnlosigkeit der Bürgschaft Die Rechtsprechung hat in krassen Fällen der Überforderung des Bürgen, der kein eigenes Interesse am verbürgten Geschäft hatte, auch von der wirtschaftlichen Sinnlosigkeit der Bürgschaft gesprochen, zumal wenn auch der Gläubiger zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses kein berechtigtes Interesse an einer so weitgehenden Bürgschaft hatte27. Es ist aber ein berechtigtes Interesse an der Bürgenhaftung auch des mittellosen Ehepartners schon unter dem Gesichtspunkt anzuerkennen, dass gerade der geschäftlich tätige Hauptschuldner versucht sein kann, Vermögen auf den an seinem Betrieb nicht beteiligten Ehepartner zu verlagern oder erwirtschaftetes Einkommen nur in dessen Person entstehen zu lassen. Der BGH hat zutreffend das Interesse des Gläubigers anerkannt, dieser Gefahr durch eine entsprechende Ehegattenbürgschaft vorzubeugen28. Dies hat freilich zur Konsequenz, daß bei einer solchen Bürgschaft die Geschäftsgrundlage bei einer Ehescheidung entfallen kann. 24 BGH WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski; im Fall bestand bereits eine titulierte Teilforderung; nach BGH WM 1996, 1124 = WuB I F 1 a. – 16.96 Tiedtke = ZIP 1996, 1126, 1130 = NJW 1996, 2088 soll die Verpflichtung i.d.R. ganz entfallen. 25 LG Zweibrücken NJW-RR 1995, 311. 26 BGH WM 1996, 519 = WuB I F 1 a. – 10.96 Medicus = ZIP 1996, 495 betr. Monatseinkommen der Ehefrau von 2 500 DM netto; Bürgschaftsschuld aufgelaufen auf 208 000 DM; im Fall zust. BVerfG WM 1996, 948 = WuB I F 1a. – 15.96 P. Bydlinski = ZIP 1996, 956; OLG Karlsruhe = WM 1994, 2152 = WuB I F 1 a. – 1.95 Schröter = NJW-RR 1995, 434: den 2,7 Mio.-Kredit für den Ehemann verbürgte eine 46jährige Industriekauffrau mit kleinem Grundbesitz. 27 BGHZ 125, 206, 210 f. = WM 1994, 676 = WuB I F 1 a. – 5.94 P. Bydlinski = ZIP 1994, 520, 522 f; BGHZ 128, 230, 234 = WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = ZIP 1995, 203; BGH WM 1995, 900, 902 = WuB I F 1 a. – 12.95 Pecher= ZIP 1995, 812, 814; WM 1996, 519, 521 f. = WuB I F 1 a. – 10.96 Medicus = ZIP 1996, 495 = WM 1997, 467 = WuB I F 1 a. – 5.97 Hennrichs = ZIP 1997, 406, 408; OLG Koblenz NJW-RR 1994, 682 f. 28 BGHZ 128, 230, 234 f. = WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = ZIP 1995, 203, 204; BGH ZIP 1996, 1126, 1127; str; a.A. Mayer-Maly, EWiR 1996, 208; OLG Koblenz WM 1994, 839 = WuB I E 1. – 10.94 Wenzel = NJW-RR 1994, 682, 683.
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2. Die Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Bürgen a) Unerträglich ungleichgewichtige Verhandlungslage Die wirtschaftliche Überforderung des Bürgen allein, d. h. der Umstand, dass der Bürge, auch der nahe Angehörige, voraussichtlich seine Verpflichtung nicht wird erfüllen können (oder die Tatsache, dass die erwähnte wirtschaftliche Sinnlosigkeit der Bürgschaft zu bejahen ist) machen die Bürgschaft allein noch nicht sittenwidrig; vielmehr müssen weitere Umstände hinzutreten29. Diese weiteren Umstände müssen zu einer dem Bürgen nachteiligen, unerträglich ungleichgewichtigen Verhandlungslage führen, z. B. indem der Gläubiger die Haftung verharmlost30, besondere und dem Bürgen ersichtlich unbekannte Haftungsrisiken verschweigt31, in sonstiger Weise die Geschäftsunerfahrenheit zu seinem Vorteil ausnutzt32, in rechtlich verwerflicher Weise eine Zwangslage für den Bürgen begründet33, oder indem er den klar erkennbaren Druck, den der Hauptschuldner auf den Bürgen (z. B. aufgrund der Familienbeziehung) ausübt, für seine eigenen Sicherungsbedürfnisse ausnutzt34. Auch die Verwendung von ABG-Klauseln, die den Bürgen besonders belasten, kann zusammen mit der wirtschaftlichen Überforderung des Bürgen die Sittenwidrigkeit begründen und zwar ungeachtet der Unwirksamkeit dieser Klauseln nach AGB-Gesetz35, Man muss hier allerdings eine gehäufte oder besonders eklatante Belastung des Bürgen voraussetzen; andernfalls kommt nur der Schutz gegen diese Klauseln nach ABGGesetz zum Zuge.
29 BGHZ 128, 230, 232 = WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = ZIP 1995, 203; dazu Honsell, EWiR 1995, 561; BGH WM 1996, 53 = WuB I F 1 a. – 6.96 Medicus = ZIP 1996, 65, 66; dazu Alisch, EWiR 1996, 537; BGH WM 1996, 519, 521 = WuB I F 1 a. – 10.96 Medicus = ZIP 1996, 495, 496; dazu Bydlinski, EWiR 1996, 547; BGH ZIP 1996, 1126, 1127. 30 BGH WM 1994, 680, 683 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 614, 615; dazu Tiedtke, EWiR 1994, 447. 31 BGHZ 125, 206, 217 = WM 1994, 676 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 520, 524; dazu Honsell, EWiR 1994, 555. 32 BGHZ 125, 206, 217 = WM 1994, 676 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 520, 524; BGH, WM 1994, 680, 682 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 614; aufgrund BVerfGE 89, 214 = WM 1993, 2199 = WuB I F 1 a. – 4.94 P. Bydlinski = NJW 1994, 36 betr. unerfahrene Tochter des Hauptschuldners bürgt. 33 BGH WM 1996, 53, 54 f. = WuB I F 1 a. – 6.96 Medicus = ZIP 1996, 65, 66 betr. Auszahlung des Kredits an den Ehemann vor Abschluß des Bürgschaftsvertrags. 34 BGHZ 125, 206, 213 ff. = WM 1994, 676 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 520, 522 f.; WM 1994, 680, 682 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 614; WM 1994, 1022, 1023 = WuB I V C. § 1b AbzG 1.94 Medicus = ZIP 1994, 773, 774; dazu Honsell, EWiR 1994, 531. 35 OLG Düsseldorf EWiR 1996, 207; zust. Mayer-Maly.
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b) Einzelkriterien bei der Angehörigenbürgschaft Im Einzelnen sind bei der gemeinten ungleichgewichtigen Verhandlungssituation der Rechtsprechung zur Angehörigenbürgschaft die folgenden drei Unterkriterien zu unterscheiden: (a) die geschäftliche Unerfahrenheit des Bürgen. Sie lässt sich vor allem aus [1084] seinem jugendlichen Alter oder aus seiner Ferne zum Berufsleben ableiten, reicht natürlich für sich genommen nicht für eine Bewertung nach § 138 BGB aus. Es geht nicht an, je nach Erfahrungsstand zu einer abgestuften Geschäftsfähigkeit großer Personengruppen (Jugendliche, Erwachsene, Hausfrauen usw.) zum Nachteil des Rechtsverkehrs zu gelangen, (b) Die verwandtschaftlichen Beziehungen des Bürgen zum Hauptschuldner sind geeignet, die Entscheidungsfreiheit des Bürgen erheblich einzuengen. Dies gilt vor allem für das Kind als jungen Erwachsenen, das als Bürge den Eltern Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft zeigen soll, wobei die Eltern ihre Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 1618a BGB verletzen36, aber auch für die Ehefrau, die durch die Verbürgung ihre Liebe oder Loyalität zeigen soll37. (c) Die Ausnutzung der erkennbaren geschäftlichen Unerfahrenheit des Bürgen durch den Gläubiger (Bank). Beruhigende Erklärungen des Vertreters der Gläubigerbank, z. B. man brauche die Bürgschaft „nur für die Akten“38, spielen die Unerfahrenheit des Bürgen in unfairer Weise aus. Dies gilt auch dann, wenn man besondere Aufklärungspflichten des Gläubigers gegenüber dem Bürgen über das Bürgschaftsrisiko verneint. Im Ergebnis ist die für § 138 BGB relevante Ungleichgewichtigkeit der Verhandlungssituation das Ergebnis eines Mosaiks der genannten Einzelkriterien. Daraus muss sich eine erhebliche Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Bürgen ergeben. Diese führt zusammen mit den oben (1 a–c) erörterten wirtschaftlichen Kriterien der Bürgschaft dazu, den objektiven Tatbestand des wucherähnlichen Geschäfts i. S. d. § 138 Abs. 1 BGB zu bejahen. Besteht zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen eine auf Dauer ausgerichtete eheähnliche Lebensgemeinschaft, so wendet der BGH die Kriterien, nach denen Bürgschaften finanziell überforderter Ehegatten gegen die guten Sitten verstoßen, entsprechend an. Diese Grundsätze hat der BGH in der erwähnten neueren Entscheidung bestätigt, in denen im Ergebnis allerdings die Anwendung des § 138 BGB verneint wurde, weil das verbürgte
36 Z. B. BGHZ 125, 206 = WM 1994, 676 = WuB I F 1 a. – 5.94 Bydlinski = ZIP 1994, 520 – Zeitsoldat; BGH WM 1996, 2194 = WuB I F 1 d. – 1.97 Weder – Student. 37 Z. B. BGH WM 1994, 1022 = WuB IV C. § 1b AbzG 1.94 Medicus = ZIP 1994, 773 betr. Schuldbeitritt; zur sittenwidrigen Bürgschaft der mittellosen Ehefrau z. B. schon OLG Frankfurt/M. NJW-RR 1992, 1008; ferner OLG Koblenz WM 1994, 839 = WuB I E 1. – 10.94 Wenzel = NJW-RR 1994, 682; OLG Düsseldorf EWiR 1996, 207; dazu Mayer-Maly ebda. 38 BVerfGE 89, 214 = WM 1993, 2199 = WuB I F 1 a. – 4.94 Bydlinski = ZIP 1993, 1775.
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Darlehen einer aussichtsreichen Investition in einen laufenden Geschäftsbetrieb diente, dessen Erfolg auch der Bürgin Vorteile gebracht hätte39. c) Die Überrumpelung anderer Personen Indem der BGH die bei Angehörigenbürgschaften entwickelten Kriterien der Sittenwidrigkeit im Hinblick auf die Verhandlungssituation im eingangs erwähnten Fall auch auf den Geschäftsführer einer GmbH anwendet40, geht er folgerichtig von der grundsätzlichen Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Kriterien aus. Natürlich können in einem solchen Fall die bei Angehörigenbürgschaften häufig anzutreffenden Kriterien der geschäftlichen Unerfahrenheit fehlen. Jedenfalls entfällt der Gesichtspunkt der emotionalen Bindung an den Hauptschuldner aufgrund familiärer Verbindung. Man kann auch den seelischen Druck, der zahlreiche geschäftliche Entscheidungen in schwieriger wirtschaftlicher Situation begleiten mag, nicht ohne weiteres mit der für Angehörigenbürgschaften typischen seelischen Zwangslage gleichsetzen. Andererseits bleibt es eine Binsenwahrheit, dass die Anwendung der Generalklauseln nicht auf bestimmte Personenkreise beschränkt ist und in extremen Situationen auch einen geschäftlich eher erfahrenen Bürgen schützen. Der BGH sah hier die Schutzbedürftigkeit in der Überrumpelung des Bürgen, d. h. dem Druck zur raschen Entscheidung, obwohl der zu verbürgende Kredit längst ausgereicht war, in der Drohung mit einer Kündigung und damit dem Zusammenbruch des Unternehmens mit entsprechendem Verlust von Arbeitsplätzen sowie darin, dass dem Bürgen keine Zeit zu ruhiger Überlegung gelassen wurde. d) Wirtschaftliche Macht reicht nicht aus Der Fall gibt Anlass, zugleich darauf hinzuweisen, dass jedenfalls die wirtschaftliche Überlegenheit des Gläubigers für sich genommen noch nicht eine Situation indiziert, die zur Bejahung des § 138 BGB führt. Wenn das Bundesverfassungsgericht die im erörterten Fallmaterial erkennbare, für den Bürgen nachteilige ungleichgewichtige Verhandlungsposition mit dem Begriff des „strukturellen Ungleichgewichts“ belegt41, so darf dieser ausgreifende und unscharfe Begriff nicht zu dem Missverständnis beitragen, dass das wirtschaftliche Gewicht des Gläubigers als Wirtschaftsunternehmen ein relevantes Kriterium für Verhandlungs- ungleichgewicht sei. Dass dies nicht so ist, folgt schon aus dem Wettbewerb, der gerade auch zwischen den Banken herrscht. Dies mag anders sein, wenn ein Unternehmen schon stark kre BGH WM 1997, 465 = WuB I F 1 a. – 5.97 Hennrichs = ZIP 1997, 409, 410 f. WM 1997, 511 = ZIP 1997, 446. 41 BVerfGE 89, 214 = WM 1993, 2199 = WuB I F 1 a. – 4.94 Bydlinski = ZIP 1993, 1775; BVerfG WM 1994, 1837 = WuB I F 1 a. – 11.94 Bydlinski = ZIP 1994, 1516. 39 40
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ditverschuldet ist, wie im entschiedenen Fall des GmbH-Geschäftsführers. Wirtschaftliche Abhängigkeiten finden sich in allen möglichen Wirtschaftsbeziehungen außerhalb der Kreditwirtschaft, z. B. wenn Zulieferer von einem Unternehmen abhängen und sich oft extrem nachteilige Bedingungen zudiktieren lassen müssen. Die Übertragung der Bürgschaftsrechtsprechung des BVerfG auch auf solche Erscheinungen des Wirtschaftslebens wird in der Tat erwogen42. Sie entfernt sich aber von den hier betrachteten Fallgruppen und bedürfte erheblicher Umformung. Dies würde vermutlich auf die doch sehr andersartigen Fälle der Begründung oder Ausnutzung einer wirtschaftlichen Knebelung hinauslaufen, was hier nicht weiter zu verfolgen ist. 3. Subjektive Merkmale des Gläubigers Hinzutreten müssen schließlich subjektive Merkmale des Gläubigers (Bank). Der Vertreter der Bank muss die genannten Umstände kennen oder sich ihrer Kenntnis grob fahrlässig verschließen. Er muss ferner auch hinsichtlich des Sittenwidrigkeitsurteils grob fahrlässig handeln. Umstände, die für die Bank nicht erkennbar waren, können ihr nicht zugerechnet werden und den sittenwidrigen Gesamtcharakter des [1085] Bürgschaftsvertrags nicht begründen43. Sind die Kriterien zu (1) bis (3) erfüllt, so ist die Bürgschaft gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig.
II. Einschränkung der Bürgschaftsverpflichtung nach § 242 BGB auf den Fall künftigen Vermögenserwerbs 1. Die Einschränkung des Sicherungszwecks und ihre dogmatische Einordnung a) Eingeschränkter Sicherungszweck der Bürgschaft Der (IX.) Bürgschaftssenat des BGH hat in einer Reihe von Fällen der Verbürgung von mittellosen Bürgen die Kriterien der Sittenwidrigkeit der Bürgschaft i. S. § 138 BGB verneint, zugleich aber Bestand und Umfang der Bürgenverpflichtung von der künftigen Entwicklung des Bürgenvermögens abhängig gemacht. In einer Entscheidung Anfang 1995 wurde der Sicherungszweck der Bürgschaft einer mittellosen Ehefrau für den Geschäftskredit des Ehemannes ausschließlich darin gesehen, dass sich die Bank dadurch – entsprechend einer verbreiteten Anschauung in der bankgeschäftlichen Praxis – nur gegen mögliche Vermögensverschiebungen vom Hauptschuldner
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Graf v. Westphalen, MDR 1994, 5, 7. OLG Karlsruhe WM 1994, 2152, 2153 = WuB I F 1 a. – 1.95 Schröter.
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auf seine Ehefrau schützen wolle.44 Der gleiche eingeschränkte Sicherungszweck wurde bei einer Ehegattenbürgschaft auch in einer weiteren Entscheidung 1996 angenommen.45 Wegen Ehescheidung wurde ein Fortbestehen der Gefahr einer solchen Vermögensverschiebung verneint und im ersteren Fall eine reduzierte Haftung, im zweiten Fall ein Wegfall der Haftung des Bürgen erkannt. In einer 1997 ergangenen Entscheidung hatte der Bürgschaftssenat die Fallvariante zu beurteilen, dass die mittellose bürgende Ehefrau sich im Hinblick auf eine zu erwartende Erbschaft verbürgt habe, und daraus gefolgert, dass der Sicherungszweck der Bürgschaft entsprechend eingeschränkt sei, so dass die Bürgschaftsklage derzeit abzuweisen war.46 Die dogmatische Einordnung dieser Einschränkung des Sicherungszwecks der Bürgschaft schwankt zwischen der Annahme einer entsprechenden vertraglichen Vereinbarung einerseits und der Heranziehung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage andererseits. Beides Mal ist ein Rückgriff auf allgemeine Grundsätze des § 242 BGB im Spiel. b) Vertragsbedingung Die Bürgschaftsverpflichtung kann unter einer Bedingung übernommen werden; der Bürge ist dann nach den allgemeinen Regeln der §§ 158–162 BGB gebunden47. Eine Bedingung, welche die Verpflichtung des Bürgen einschränkt, kann auch in einer Nebenabrede enthalten sein. Eine solche dem Bürgen günstige Nebenabrede bedarf nicht der schriftlichen Form des § 766 BGB, weil hier die Warnfunktion der Schriftform nicht eingreift48. Grundsätzlich kommt daher auch eine konkludente Einschränkung der Bürgenverpflichtung auf einen bestimmten Sicherungszweck in Betracht und schließlich auch eine solche, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung gem. § 242 BGB gewonnen wird. Freilich ist bei der Annahme solcher Einschränkungen Zurückhaltung geboten und die Sicherungsfunktion der Bürgschaft ist zu berücksichtigen. Für die hier betrachtete Fallgruppe der Bürgschaften mittelloser Ehegatten hat schon Westermann die Annahme eines pactum de non petendo für den Fall der fortdauernden Mittellosigkeit des Bürgen vorgeschlagen49, und der
44 Urt. v. 5.1.1995, BGHZ 128, 230, 236 = WM 1995, 237 = WuB I F 1a – 4.95 Bydlinski NJW 1995, 592, 593 = ZIP 1995, 203. Dazu krit. Reinicke/Tiedtke NJW 1995, 1449, 1451 f. 45 Urt. v. 25.4.1996, WM 1996, 1124 = WuB I F 1 a. – 1696 Tiedtke = NJW 1996, 2068, 2069 = ZIP 1996, 1126, 1130. 46 Urt. v. 23.1.1997, WM 1997, 467 = WuB I F 1 a. – 5.97 Hennrichs = ZIP 1997, 406, 408. 47 BGHZ 111, 361 betr. Mietbürgschaft = WM 1990, 1235 = WuB I V A. § 550 b BGB 1.90 Wiek. 48 BGH WM 1967, 1274 = NJW 1968, 393 = MDR 1968, 235; WM 1983, 267; Staudinger/Horn, a.a.O. (Fn. 18), § 766 Rdn. 10 u. 12. 49 Westermann, in: Festschr. Lange, 1992, S. 995, 1008.
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Bürgschaftssenat hat diesen Gedanken auch in der Entscheidung von 1995 erwogen, letztlich aber nicht zur Urteilsgrundlage gemacht. In der Entscheidung von 1997 dagegen überwiegt die vertragsrechtliche Betrachtung. Hier ist vom „besonderen Vertragszweck der Bürgschaft“ die Rede, der durch Auslegung zu ermitteln sei50. Alternativ werden allgemeine Grundsätze nach § 242 BGB erwogen. M. E. ist die ausnahmsweise Vereinbarung eines vertraglich eingeschränkten Sicherungszwecks in den genannten Fällen keineswegs ausgeschlossen, sondern meist sachgerecht. Dabei ist eine doppelte Voraussetzung zu machen, nämlich erstens dass die Beteiligten sich über die Mittellosigkeit des Bürgen und die wahrscheinliche Fortdauer dieses Zustands bis zur Inanspruchnahme im Klaren waren, zweitens aber gleichwohl im Hinblick auf besondere, nicht fernliegende Möglichkeiten einer Vermögensmehrung (durch Vermögensverschiebung, Erbfall o.a.) die Bürgschaft bestellten. c) Geschäftsgrundlage Der Bürgschaftssenat hat in seinen Entscheidungen von 1995 und 1996 stärker auf Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage abgestellt51. Wegfall der Geschäftsgrundlage wird mit Wegfall der Ehe angenommen, weil damit feststeht, dass die befürchtete Gefahr einer Vermögensverschiebung von Hauptschuldner auf seinen bürgenden Ehegatten sich nicht mehr verwirklichen wird. Es liegt nahe, auch hier zunächst eine vertragliche Abrede der Partei über den eingeschränkten Sicherungszweck vorauszusetzen, wobei der Fortbestand der Ehe für diese einschränkende Sicherungszweckabrede die Geschäftsgrundlage ist. Der Senat will aber wohl die Schwierigkeiten tatsächlicher Art, die sich der Annahme einer (ggf. konkludenten) einschränkenden Sicherungszweckabrede entgegenstellen können, vermeiden und neigt daher in den Urteilen von 1995 und 1996 dazu, auch die Einschränkung des Sicherungszwecks selbst als Teil der Geschäftsgrundlage zu formulieren. Dies bedeutet, dass die Parteien die Bürgschaft unter der gemeinsamen geschäftlichen Absicht (Geschäftsgrundlage) geschlossen haben, dass der Bürge nur in Anspruch genommen werden solle, wenn er später Vermögen (durch Vermögensverschiebung, Erbschaft usw.) erwerbe. Eine solche Konstellation ist zweifellos ein Unterfall der „wesentlichen Vertragsumstände“ (Geschäftsgrundlage) i. S. § 242 BGB52, und zwar der WM 1997, 467 = WuB I F 1 a. – 5.97 Hennrichs = ZIP 1997, 406, 408. BGHZ 128, 230, 236 = WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = NJW 1995, 592, 593 = ZIP 1995, 203; BGH WM 1996, 1124 = WuB I F 1 a. – 16.96 Tiedtke = NJW 1996, 2088, 2089 = ZIP 1996, 1126, 1130. 52 Überblick bei Horn, Vertragsdauer als Regelungsproblem, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts (Hrsg. Bundesminister der Justiz) Bd. 1 1981, S. 551 f., 577. 50 51
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jenige, der am meisten der dogmatisch heute vergessenen Windscheid’schen Formel von der „unentwickelten Bedingung“ gleicht53. Ob eine solche unentwickelte Bedingung, die sich aus den erkennbaren gemeinsamen Vorstellungen der Parteien bei Bürgschaftsschluss erkennen lässt, vorliegt, oder aber eine leibhaftige Vertragsbedingung oder Nebenabrede, weil eben diese Vorstellungen sich zu einer konkludenten Vertragsabrede verdichtet haben, ist oft ein haarfeiner Unterschied. M. E. ist im Zweifel die vertragsrechtliche Konstruktion vorzugswürdig, weil sie etwas deutlichere Kriterien verlangt, dafür aber auch eher Klarheit schafft, ob tatsächlich der Sicherungszweck der Bürgschaft entgegen dem Normalfall eingeschränkt ist. Dies bedeutet nicht, dass man die Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage für durchweg unzulässig halten müsste. Man muss sich nur über ihren Ausnahmecharakter gerade bei einem Sicherungsgeschäft wie der Bürgschaft im Klaren sein. Denn der Bürge übernimmt regelmäßig und vertragstypisch das uneingeschränkte Risiko, dass der Hauptschuldner bei Fälligkeit der Hauptschuld leistungsfähig und leistungswillig ist54. Wird eine Bürgschaft vom Ehegatten übernommen und scheitert später die Ehe, so kann im Regelfall nicht angenommen werden, dass der Fortbestand der Ehe Geschäftsgrundlage der Bürgenverpflichtung sei, weil es dem Sicherungsinteresse des Gläubigers widerspricht, den das Risiko eines Fortbestandes der Ehe nichts angeht55. Der bürgende Ehegatte kann u. U. einen Befreiungsanspruch gegen den ehemaligen anderen Gatten als den Hauptschuldner haben, wenn die Vorteile des verbürgten Geschäfts künftig nur noch diesem zu Gute kommen und ein anderer Ausgleich nicht geschaffen wurde. 2. Die Feststellung der einschränkenden Abrede oder Geschäftsgrundlage Es wurde bereits festgestellt, dass in den hier betrachteten Fällen die Unterscheidungslinie zwischen einer einschränkenden Zweckabrede und der Annahme einer einschränkenden Geschäftsgrundlage nur schwer zu ziehen ist. Dem entspricht es, dass die Voraussetzungen in beiden Fällen weitgehend übereinstimmen. Erstens ist erforderlich, dass die Beteiligten, Gläubiger wie Bürge, die mangelnde Leistungsfähigkeit des Bürgen voraussahen (i. F. a). Zweitens ist erforderlich, dass sie gleichwohl im Hinblick auf eine zu erwar53 Windscheid, Lehrbuch der Pandekten, 9. Aufl. bearb. v. Kipp, 1906, Bd. III § 97 (Neudruck Aalen 1963); ders., Die Voraussetzung, AcP 78 (1892), 161 f., 195 f. 54 BGHZ 88, 185, 191 =ZIP 1983, 1042, 1044; BGHZ 104, 240, 242 = WM 1988, 893 = WuB I F 1 a. – 11.88 Nielsen = NJW 1988, 2173 = ZIP 1988, 764, 765; dazu Sonnenberger, EWiR 1988, 675; BGHZ 107, 92, 104 = WM 1989, 480 = WuB I F 1 a. – 12.89 Schröter = ZIP 1989, 427, 431; dazu Medicus, EWiR 1989, 327. 55 BGH WM 1987, 659 = WuB IV A. § 765 BGB 1.87 Lwowski= ZIP 1987, 774, 775; dazu Bülow, EWiR 1987, 461; OLG Köln NJW-RR 1994, 52.
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tende Vermögensmehrung des Bürgen die Bürgschaft abschlossen (i. F. b). Wird eine einschränkende Abrede oder Geschäftsgrundlage bejaht, so ist schließlich die Rechtsfolge zu bestimmen (i. F. c). a) Prognose der Vermögensentwicklung Wie erörtert, berührt die Ehescheidung des Bürgen vom Hauptschuldner nur dann die Geschäftsgrundlage, wenn der Bürge mittellos war und die Bürgschaft nur für den Fall einer Vermögensverschiebung vom Hauptschuldner auf den Bürgen oder einer sonstigen Vermögensmehrung des Bürgen gelten sollte. Gleiches muss gelten, wenn ein sonstiger Angehöriger oder eine dritte Person als mittelloser Bürge auftritt und es um die Frage geht, ob den Parteien dies bewusst war und sie die Bürgschaft nur im Hinblick auf die Möglichkeit einer günstigen Vermögensentwicklung des Bürgen geschlossen haben. Erforderlich ist also ein bei Abschluss der Bürgschaft voraussehbarer Mangel der Leistungsfähigkeit des Bürgen bei Inanspruchnahme56. Dies kann schon dann zu verneinen sein, wenn Bürge und Hauptschuldner voraussichtlich gemeinsam zur Tilgung fähig sein werden57. Wie bereits oben (I 1 a) zu § 138 BGB erwähnt, hat der BGH die mangelnde Leistungsfähigkeit des Bürgen dann angenommen, wenn bei Übernahme der Bürgschaft vorauszusehen war, dass der Bürge innerhalb von fünf Jahren ab Eintritt der Fälligkeit der Bürgenschuld nicht in der Lage sein werde, aus seinem pfändungsfreien Einkommen auch nur ein Viertel der Hauptschuld zu tilgen58. Hinzutreten muss mangelndes persönliches Interesse des Bürgen am verbürgten Geschäft. Nur unter diesen Voraussetzungen kann der Fortbestand der Ehe Geschäftsgrundlage sein oder ggf. bei Hinzutritt weiterer Umstände ein pactum de non petendo für den Fall fortdauernder Vermögenslosigkeit des Bürgen anzunehmen sein. Die genannten Voraussetzungen waren nicht gegeben in einem Fall, in dem sich der Ehemann für ein Rentenversprechen seiner Ehefrau an ihren Vater verbürgt hatte und dieser im Gegenzug der Tochter Geld schenkte, das zur Teilfinanzierung eines gemeinsamen Hauses verwendet wurde; hier haftete der Ehemann-Bürge auch nach der Scheidung weiter59. b) Erwartete und unerwartete Vermögensentwicklung des Bürgen Der Bürgschaftsvertrag mit dem mittellosen Bürgen muss zweitens geschlossen sein in einer bestimmten Erwartung, dass es zu einer Vermögens56 Zu dieser Prognose BGH WM 1996, 1124 = WuB I F 1 a. – 16.96 Tiedtke = NJW 1996, 2088, 2089 = ZIP 1996, 1126, 1129. 57 BGH WM 1996, 1124 = WuB I F 1 a. – 16.96 Tiedtke = NJW 1996, 2088, 2089 = ZIP 1996, 1126, 1129. 58 BGH WM 1996, 1124 = WuB I F 1 a. – 16.96 Tiedtke = ZIP 1996, 1126, 1129 f. 59 BGH WM 1987, 659 = WuB IV A. § 765 BGB 1.98 Lwowski = ZIP 1987, 774.
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mehrung beim Bürgen kommen könnte. In den 1995 und 1996 entschiedenen Fällen wurde diese mögliche Vermögensmehrung des Bürgen in einer Vermögensverschiebung vom Hauptschuldner auf den Bürgen gesehen60, in dem 1997 entschiedenen Fall in einer möglichen Erbschaft der bürgenden Ehegattin61. Man wird in der Tat für eine einschränkende Abrede oder eine einschränkende Geschäftsgrundlage fordern müssen, dass die Parteien eine konkrete Möglichkeit der Vermögensmehrung des Bürgen beim Abschluss des Vertrags im Auge hatten. Andernfalls wird man schwerlich den gesuchten Geschäftswillen feststellen können. Andererseits würde es aber auch nicht recht einleuchten, wenn man den Sicherungszweck der Bürgschaft auf die genannten, von den Parteien als möglich ins Auge gefassten Entwicklungen beschränken wollte. Reinicke/Tiedtke haben in ihrer Kritik am Senatsurteil von 1995 geäußert, dass die Möglichkeit (Gefahr) von Vermögensverschiebungen zwischen Hauptschuldner und Bürgen typischerweise nur ein Umstand unter mehreren sei, der zur Bürgschaftsbestellung geführt habe62. Reinicke/Tiedtke ziehen freilich daraus den Schluss, dass der Sicherungszweck der Bürgschaft in solchen Fällen überhaupt nicht beschränkt sei mit der Folge, dass die Bürgschaft wegen Überforderung des Bürgen sittenwidrig sei. Nimmt man aber einmal an, dass aus der genannten konkreten Vorstellung der Parteien eine Einschränkung des Sicherungszwecks tatsächlich folgt, so muss man andererseits diesen Sicherungszweck aber doch so weit fassen, dass man jede günstige Vermögensentwicklung des Bürgen bis zum Zeitpunkt der Fälligkeit und Inanspruchnahme als mit umfasst ansieht. Der BGH hat mit Recht darauf hingewiesen, dass auch ein Vermögenszuwachs infolge anderer, bei Vertragsschluss nicht voraussehbarer Ereignisse angemessen zu berücksichtigen sei mit der Folge, dass der Bürge, der wieder zu Vermögen gekommen ist, jedenfalls haftet63. In der Tat ist nicht einzusehen, daß der Bürge freikommen sollte, der in der Zeit vor Fälligkeit der Bürgschaft und Inanspruchnahme aus ihr einen großen Lottogewinn macht oder auf sonstige Weise zu Geld kommt. Der BGH verweist hier auf die entsprechende Regelung bei der Restschuldbefreiung (§ 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Man kann dies aber auch dahin präzisieren, dass die Vertragsparteien bei Abschluss des Bürgschaftsvertrags die Leistungsfreiheit des Bürgen nur bei Fortdauer seiner bekannten Mittellosigkeit gewollt (und ggf. verabredet) haben und dass die Inanspruchnahme des Bürgen bei Herstellung der Leistungsfähigkeit bis zur Fälligkeit und Inanspruchnahme den Vorstellungen der Parteien entsprach, unabhängig von den Gründen, aus 60 BGHZ 128, 230 = WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = NJW 1995, 592 = ZIP 1995, 203, 205; BGH NJW 1996, 2088, 2089 = ZIP 1996, 1126, 1130. 61 WM 1997, 467 = WuB I F 1 a. – 5.97 Hennrichs = ZIP 1997, 406. 62 Reinicke/Tiedtke, NJW 1995, 1449, 1452. 63 BGH WM 1996, 1124 = WuB I F 1 a. – 16.96 Tiedtke = ZIP 1996, 1126, 1131.
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denen die Leistungsfähigkeit des Bürgen erwachsen ist. Wenn demgegenüber Reinicke/Tiedtke den mittellosen Bürgen auch im Hinblick auf späteren Vermögenszuwachs schützen wollen, ist dem nicht zuzustimmen64. c) Rechtsfolgen Die postulierte einschränkende Sicherungszweckabrede kann nach § 242 BGB dahin ausgelegt werden, dass der Bürge zwar nicht haftet, wenn seine Vermögenslosigkeit bis zur Fälligkeit der Bürgschaft und seiner Inanspruchnahme fortdauert, dass er aber ggf. teilweise haftet, wenn seine Leistungs fähigkeit teilweise hergestellt ist. Allerdings wird man hier entsprechend der Definition der fortdauernden Vermögenslosigkeit nicht jede winzige Verbesserung der Leistungsfähigkeit des Bürgen genügen lassen, sondern nur eine solche, die ihn in die Lage versetzt, aus den pfändungsfreien Einkommen in fünf Jahren ab Fälligkeit mehr als ein Viertel der Bürgschaftsschuld zu tilgen. Auch bei Anwendung der Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage ist regelmäßige Rechtsfolge die Anpassung des Vertrags, nicht ein völliger Wegfall der Leistungspflicht65. Auch der BGH hat zunächst nur eine Teilunwirksamkeit der Bürgschaftsschuld angenommen66, später aber ausgeführt, dass regelmäßig eine völlige Unwirksamkeit der Bürgenverpflichtung anzunehmen sei67. Die Richtigkeit der letzteren, generellen Aussage ist zu bezweifeln. Wenn man sich schon auf das schwierige Terrain des Wegfalls der Geschäftsgrundlage begibt, so muss man auch in Kauf nehmen, dass es primär um eine Vertragsanpassung geht. Dies bedeutet hier, dass die Gerichte eine teilweise Leistungsfähigkeit des Bürgen berücksichtigen müssen.
III. Der Vergleich der Lösungen nach § 138 BGB und § 242 BGB 1. Vorrangige Prüfung der Sittenwidrigkeit Erfüllt eine Bürgschaftsübernahme die erörterten Kriterien des wucherähnlichen Geschäfts i. S. § 138 Abs. 1 BGB, so ist die Bürgschaft nichtig und damit entfallen alle Erwägungen zu einem möglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage. Zunächst ist also der Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB zu prüfen. Der Bürgschaftssenat hat Überlegungen zu einer Anpassung bzw. Einschränkung der Bürgschaftsverpflichtung nach § 242 BGB in solchen Fällen angestellt, in Reinicke/Tiedtke, NJW 1995, 1449, 1453. BGHZ 47, 48, 51 f. = WM 1967, 303; 58, 355, 363; BGH WM 1990, 1395 = NJW 1990, 2621; WM 1992, 2144 = ZIP 1992, 1787, 1791; Horn, Vertragsdauer, a.a.O. (Fn. 52), S. 579. 66 BGHZ 128, 230 = WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = NJW 1995, 592 = ZIP 1995, 203. 67 BGH WM 1996, 1124 =WuB I F 1 a. – 16.96 Tiedtke = NJW 1996, 2088, 2089 = ZIP 1996, 1126, 1130. 64 65
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denen er zuvor die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des wucherähnlichen Geschäfts (i. S. § 138 Abs. 1 BGB) verneint hatte. So wurde in einem Fall eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der mittellosen bürgenden Ehefrau verneint, die weder vom Ehemann zur Haftung gedrängt worden, noch von der Bank in unzulässiger Weise beeinflusst worden sei68. An der Sittenwidrigkeit kann es auch fehlen, weil die mittellose bürgende Ehefrau ein eigenes Interesse an der Bürgschaft hatte, z. B. weil sie aus der Verbürgung des Geschäftskredits für den Ehemann selbst einen wirtschaftlichen Nutzen erwartete69. Man kann daraus die Regel folgern, dass die erörterte Einschränkung der Bürgenhaftung nach § 242 BGB (Abrede oder Geschäftsgrundlage) überhaupt erst in Betracht zu ziehen sei, nachdem zuvor die Nichtigkeit der Bürgschaft nach § 138 BGB verneint wurde. Demnach wäre die Prüfung der Voraussetzungen beider Tatbestände streng zu trennen. Eine solche Trennung ist aber in einem wichtigen Punkt nicht möglich. Denn es gibt eine Reihe von Fällen, in denen eine übermäßige Belastung der Bürgen und letztlich die Anwendung des § 138 BGB nur deshalb verneint werden kann, weil man die Bürgschaft zuvor in der erörterten Weise auf den Fall späteren Vermögenserwerbs durch den Bürgen eingeschränkt hat. Danach erscheint die Annahme einer einschränkenden Sicherungszweckabrede oder einer im gleichen Sinn eingeschränkten Geschäftsgrundlage geradezu als eine Strategie, um die Nichtigkeit nach § 138 BGB auszuhebeln. Auf diesen Zusammenhang haben schon Reinicke/Tiedtke tadelnd aufmerksam gemacht70. In dem von ihnen besprochenen Urteil von 1995 war allerdings die Sittenwidrigkeit der Bürgschaft der Ehefrau schon wegen deren eigenen Interesses am Geschäft wohl zu verneinen. 2. Berechtigung der eingeschränkten Bürgenhaftung Es gibt demnach zwei Fallgruppen, nämlich erstens Fälle, in denen Nichtigkeit nach § 138 BGB ohnehin verneint werden muss und in denen die vom Bürgschaftssenat verwendeten Kategorien der einschränkenden Zweckabrede oder Geschäftsgrundlage einen wirkungsvollen, zusätzlichen Schutz des Bürgen darstellen. Es gibt zweitens (wenige) Fälle, in denen die Annahme eines eingeschränkten Bürgschaftszwecks dazu führen kann, die Überforderung des Bürgen und damit den Tatbestand des § 138 BGB zu verneinen, obwohl er sonst erfüllt wäre. Aber auch hier ergeben sich keine durchgreifenden Bedenken gegen die Berücksichtigung des eingeschränkten Bürg BGH WM 1997, 467 = WuB I F 1a. – 5.96 Hennrichs = ZIP 1997, 406, 407 f. Vgl. den Fall BGHZ 128, 230 = WM 1995, 237 = WuB I F 1 a. – 4.95 Bydlinski = NJW 1995, 592 = ZIP 1995, 203. 70 Reinicke/Tiedtke, NJW 1995, 1449, 1451 f. Vgl. auch Kritik bei Schimansky, WM 1995, 461, 467. 68 69
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schaftszwecks. Die Nichtigkeit der Bürgenhaftung gem. § 138 BGB ist kein Allheilmittel, sondern wird ohnehin die eng begrenzte Ausnahme bleiben. Die Berücksichtigung des eingeschränkten Sicherungszwecks der Bürgschaft führt in den letztgenannten Fällen zwar zu einer Forthaftung des Bürgen; diese Haftung wird aber auf seine Leistungsfähigkeit beschränkt. Man kann allenfalls Kritik daran üben, dass die Berücksichtigung der einzelnen Merkmale der Leistungsfähigkeit und die Ermittlung des Umfangs einer an die Leistungsfähigkeit anzupassenden Bürgschaft praktische Schwierigkeiten macht71. Aber auch hier werden vom Richter keine rechnerischen Tüfteleien verlangt, sondern eine Beurteilung der Gesamtsituation.
IV. Grundfragen richterlicher Kontrolle von Privatverträgen Die erörterten Fälle der Bürgschaften mittelloser Bürgen führen zu Grundfragen der richterlichen Kontrolle von privaten Verträgen. Diese Fragen wurden vor allem im Hinblick auf das grundlegende Bürgschaftsurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19.10.1993 gestellt72. Die Kritik richtete sich einmal gegen die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als Kontrollinstanz der Zivilgerichtsbarkeit, zum anderen gegen ein Ausufern der richterlichen Inhaltskontrolle privater Verträge. Auf beide Aspekte dieser ausgiebig geführten Debatte kann hier nur knapp eingegangen werden. 1. Zur verfassungsgerichtlichen Kontrolle der Zivilgerichtsbarkeit Die Überlagerung des Zivilrechts durch Verfassungsrechtsprechung ist ein langfristiges Problem unserer Privatrechtsordnung, das hier nicht abzuhandeln ist. Das Bürgschaftsurteil des Bundesverfassungsgerichts hat wiederum den bekannten Vorwurf ausgelöst, das Gericht begebe sich in die Rolle einer Superrevisionsinstanz in Zivilsachen73. Man sollte die grundsätzliche Bedeutung des Bürgschaftsurteils in dieser Hinsicht aber nicht überschätzen. Die Argumentation knüpft an die bewährte Lehre von der Drittwirkung der
Dazu auch die Kritik von Schimansky, WM 1995, 461, 467. BVerfGE 89, 214 = WM 1993, 2199 = WuB I F 1 a. – 4.94 Bydlinski = ZIP 1993, 1775 = NJW 1994, 36. Vgl. auch BVerfG WM 1994, 837 = ZIP 1994, 1516; dazu Tiedtke, EWiR 1994, 1197; P. Bydlinski, WuB I F 1 a. – 11.94 (Brautleute-Fall); BVerfG ZIP 1996, 956 (betr. Ehegattenbürgschaft; Revision in diesem Fall zurückgewiesen durch BGH WM 1996, 519 = WuB I F 1 a. – 10.96 Medicus = ZIP 1996, 495 = NJW 1996, 1274. 73 Kritik am Urteil üben Adomeit, NJW 1994, 2467; Wiedemann, JZ 1994, 411; Zöllner, AcP 196 (1996), 1; dagegen Rittner, NJW 1994, 3330; Groeschke, BB 1994, 725. 71 72
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Grundrechte auch im Zivilrecht an74, ohne sie auszuweiten oder zu überschreiten. 2. Die zivilrichterliche Kontrolle von Vertragsinhalten Das Bundesverfassungsgericht stellt aber zugleich auch ein Programm für die zivilrichterliche Kontrolle von Verträgen auf. Der Zivilrichter muss danach insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung der Generalklauseln des § 138 und § 242 BGB eine Inhaltskontrolle von Verträgen vornehmen, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis „strukturell ungleicher Verhandlungsstärke“ sind. Dieses Programm der Inhaltskontrolle wird ausdrücklich mit der grundrechtlichen Gewährleistung der Privatautonomie durch Art. 2 Abs. 1 GG begründet. Herkömmlich und mit guten Gründen werden umgekehrt die Maßstäbe des § 138 und § 242 BGB gerade als Eingrenzung der Privatautonomie, insbesondere der Freiheit zur inhaltlichen Gestaltung von Verträgen, aufgefasst. Nun ist es keine neue Erkenntnis, dass gerade der schrankenlose Gebrauch von Freiheit zu Freiheitsverlusten führen kann, und diese Einsicht hat z. B. im Kartellrecht weitreichende rechtliche Konsequenzen. Aber es wäre miss verständlich, eine Kontrolle des Inhalts privatrechtlicher Verträge, wie es der Leitsatz der Entscheidung nahelegt, pauschal mit dem Schutz der Privatautonomie zu begründen. Man kommt der Sache näher, wenn man berücksichtigt, dass nicht die inhaltliche Unangemessenheit, nämlich die Überforderung des Bürgen, der Hauptangriffspunkt ist, sondern die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit beim Zustandekommen des Bürgschaftsvertrags, was das Gericht mit dem bereits erörterten, nicht ganz unmissverständlichen Begriff der „strukturell ungleichen Verhandlungsstärke“ belegt. Natürlich kann dabei das Ergebnis dieser Verhandlungslage, der übermäßig belastende Vertragsinhalt, nicht außer Betracht bleiben. Beides zusammengenommen, der Vertragsinhalt (hier: die übermäßige Bürgenverpflichtung) und die Art seines Zustandekommens sind aber traditionelle Ansatzpunkte der Zivilgerichtsbarkeit, die Wirksamkeit von Verträgen nach § 138 BGB zu verneinen oder nach § 242 BGB zu beschneiden. Diese Kontrollen sind unter der Voraussetzung unbedenklich, dass die Rechtsprechung den Ausnahmecharakter dieser Schranken der Privatautonomie beachtet und von ihnen zurückhaltend Gebrauch macht. Auf dem Gebiet der Angehörigenbürgschaften hatten sich vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1993 deutliche und in der Fachöffentlichkeit zu Recht kritisierte Missstände der Überlastung und 74 Allg. Maunz/Düring, Grundgesetz, Stand 1994, Art. 1 Rdn. 127–133; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Grundgesetz, 8. Aufl. 1995, Vorbem. Art. 1 Rdn. 6.
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Überforderung mittelloser und unerfahrener Bürgen ergeben. Die anfänglichen Besorgnisse, die 1993 herbeigeführte Wende in der Rechtsprechung zu den Bürgschaften mittelloser Bürgen könnte dazu führen, die Bürgschaft als wichtige Personalsicherheit insbesondere für Privatkredite auszuhöhlen, sind inzwischen der nüchternen Beurteilung gewichen, dass hier Missstände zurückgeschnitten wurden, während aber die Bürgschaft als wichtige Kreditsicherheit gerade dadurch funktionsfähig erhalten blieb. Daher sollten auch die neueren Urteile mit ihren Schwierigkeiten der Subsumption im Einzelnen kein Anlass sein, diese Rechtsprechung insgesamt infrage zu stellen, sondern weiter an der Präzisierung praktikabler Lösungen zu arbeiten. Dabei hat es sich gezeigt, dass neben § 138 BGB auch dem § 242 BGB bei der Ermittlung eines eingeschränkten Sicherungszwecks der Bürgschaft des mittellosen Bürgen große Bedeutung zukommt.
V. Zusammenfassung 1. Auch eine übermäßige, die Leistungskraft des mittellosen Bürgen übersteigende Bürgschaft ist grundsätzlich wirksam. Sie ist als wucherähnliches Geschäft nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn Umstände hinzutreten, aus denen eine starke Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Bürgen folgt. Solche Umstände sind geschäftliche Unerfahrenheit, ein seelischer Druck wegen enger Familienbande zwischen Bürgen und Hauptschuldner, verharmlosende Äußerungen oder ein sonstiges irreführendes Verhalten des Gläubigers, aber auch Umstände, die zu einer Überrumpelung des Bürgen führen. Die Sittenwidrigkeit ist zu verneinen, wenn der Bürge ein eigenes starkes wirtschaftliches Interesse am verbürgten Geschäft hatte, oder wenn der Gläubiger die Umstände, welche die Sittenwidrigkeit begründen können, weder kannte noch grob fahrlässig verkannte. Haben die Vertragsparteien bei einer wirksamen Bürgschaft die Mittellosigkeit des Bürgen gekannt und für den Zeitpunkt der Fälligkeit vorausgesehen, andererseits unter bestimmten Umständen aber mit einem Vermögenszuwachs des Bürgen gerechnet, so kann die Bürgschaft mit der eingeschränkten Zweckbestimmung wirksam sein, dass der Bürge nur im Falle eines Vermögenszuwachses, der seine Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die Bürgschaft ganz oder teilweise herstellt, in Anspruch genommen werden kann. Diese gemeinsame Vorstellung der Parteien kann sich zu einer entsprechenden vertraglichen Bedingung verdichtet haben. Diese kann konkludent geschlossen sein und bedarf nicht der Form des § 766 Satz 1 BGB. Hilfsweise kommt eine einschränkende Zweckvorstellung i. S. einer gemeinsamen Geschäftsgrundlage in Betracht. Die gemeinsame Vorstellung einer Vermögensmehrung des Bürgen aus konkretem Anlass (z. B. durch Vermögensverschiebung vom Hauptschuldner, durch Erbfall, durch
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Gewinne aus dem verbürgten Geschäft u.a.) ist ein Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien konkludent eine einschränkende Zweckabrede getroffen haben. 3. Steht zu einem bestimmten Zeitpunkt fest, dass mit der erwarteten Vermögensmehrung beim Bürgen nicht mehr gerechnet werden kann, z. B. weil wegen Ehescheidung mit einer Vermögensverschiebung vom Hauptschuldner auf den Bürgen nicht mehr zu rechnen ist, so ist der Bürge frei. Tritt vor diesem Zeitpunkt eine Vermögensmehrung beim Bürgen aus einem anderen, nicht vorhergesehenen Grund ein, haftet der Bürge auch mit diesem Vermögen, weil nur der leistungsunfähige Bürge frei sein sollte.
Clear and Clean and not of Criminal Origin – Betrügereien mit einem Phantom-Markt in Bankgarantien – WM 1994, 864–865 Immer wird es private Anleger geben, die sich von eindrucksvollen Schilderungen künftiger hoher Gewinne für sinnlose Vermögensanlagen begeistern lassen. Lange waren Spekulationen in ausländischen Warenterminoptionsgeschäften der Renner, bis die Rechtsprechung durch ständig verschärfte Aufklärungspflichten und entsprechende Haftung für einen deutlichen Dämpfer sorgte. Seit Jahren sind nun angeblich höchst lukrative Geschäfte im Handel mit internationalen Bankgarantien ein Hit. Im Gegensatz zu den real existierenden ausländischen Warenterminmärkten handelt es sich um einen Phantom-Markt. Er besitzt aber alle sonstigen Voraussetzungen für Anlegerbegeisterung. Denn die Darstellung der Geschäfte ist in geheimnisvolles Finanzenglisch gefaßt - echtes und falsches -, bei dessen Klang dem Laien ein schauriges Gefühl der Ehrfurcht über den Rücken läuft und „a warm feeling“ die Anlegerseele durchzieht. Da ist von „global players“die Rede und von den „30 top European banks“ oder „30 prime banks“, die angeblich solche Garantien ausgeben, aber selbst offenbar zu dumm sind, um damit gewinnbringend zu handeln. Den Gipfel des Glücksgefühls und der Anlagebereitschaft muß wohl der Anleger erklimmen, wenn er der neuerdings auftauchenden Klausel begegnet, die angebotene, auf einen hohen Millionenbetrag lautende Bankgarantie, an deren Handel er sich beteiligen darf, sei „eindeutig, vorbehaltslos und nicht kriminellen Ursprungs“. Diese groteske Klausel, die man unter der neuartigen juristischen Kategorie der Selbstreinigungs-Beschwörung einordnen kann, fand ich nicht nur in den Akten eines Zivilprozesses wegen Schadensersatzes aufgrund Anlagebetrugs. Die gleiche Klausel tauchte wenig später in einem staatsanwaltschaftlichen Verfahren in einem anderen Fall auf. In diesem Fall war bei einer kleinen süddeutschen Bankfiliale die auf einen hohen Millionenbetrag in US-Dollar lautende Garantie einer französischen Bank hinterlegt worden. Die deponierte Garantie war nach Auskunft der Staatsanwaltschaft tatsächlich dem Formular nach echt (was man in diesen Fällen selten zu sehen bekommt), aber von zwei Angestellten der französischen Bank ausgestellt worden, die nach Auskunft dieser Bank inzwischen wegen Betrugs entlassen wurden und strafverfolgt werden. Andere Betrüger hatten
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diese Urkunde bei einer deutschen Bank hinterlegt und sich eine englisch abgefaßte Empfangsbescheinigung oder Verwahrurkunde ausstellen lassen, weil man natürlich in Deutschland mit einer Urkunde, in deren Briefkopf ein deutsches Kreditinstitut auftaucht, besser Geschäfte machen kann. Die zwei arglosen Bankangestellten hatten sich wohl offenbar geehrt gefühlt, ein so bedeutendes Dokument wie die genannte Empfangsbestätigung ausstellen zu dürfen, und den Betrügern dabei bescheinigt, die hinterlegte Garantie sei „clear and clean and not of criminal origin“. Damit ist die Anekdote erzählt. Aber es bleibt das nicht so heitere Thema Anlagebetrug. Schon 1993 hat die Internationale Handelskammer in Paris vor solchen Geschäften gewarnt und man sollte meinen, daß heutzutage deren wirtschaftlicher Unsinn allgemein bekannt sei. Das Gegenteil ist der Fall, und die folgenden Hinweise teils auf das sozialpsychologische Phänomen, teils auf den juristischen Hintergrund erscheinen geboten, nicht zuletzt um Staatsanwaltschaften und Gerichten die Behandlung solcher Fälle zu erleichtern. 1. Es handelt sich offenbar um einen noch immer wachsenden PhantomMarkt. Betrachtet man nur die zahlreichen Strafverfahren und Zivilklagen auf Schadensersatz wegen Anlagebetrugs, so könnte man an sich hoffen, diese seien nur die zeitlich verzögerte Reaktion auf eine bereits abgeflaute Betrugswelle. Aber diese Betrugswelle rollt in Europa ungebrochen weiter, wenn man neueren Presseberichten glauben darf. Immer wieder werden auch mit den rechtlichen Spezialfragen unvertraute Bankangestellte in diese Geschäfte eingespannt, und sei es nur durch Unterzeichnung der vorerwähnten, scheinbar harmlosen Hinterlegungs- oder Verwahrurkunde. Selbst Rechtsanwälte haben sich verleiten lassen, ihre Büroräume für solche Transaktionen zur Verfügung zu stellen, um durch lukratives Wegsehen Geld zu verdienen. In gewisser Weise sind die Betrugswelle und die hier verwendeten Techniken ein verzerrtes Spiegelbild realer wirtschaftlicher Entwicklungen, insbesondere der Globalisierung der Finanzmärkte und der hier im Handel mit Wertpapieren und Derivaten teilweise ungewöhnlich hohen Gewinne, von denen die Presse immer wieder berichtet. Bei vielen Menschen wird dadurch der Eindruck erzeugt, man könne, wenn man sich nur in das internationale Finanzgeschehen irgendwie einschalten könne, mit dem Drücken einiger Computerknöpfe und dem Transportieren kleiner schwarzer Koffer über die Grenze zu unerhörtem Reichtum gelangen. Die geheimnisvolle Welt des Finanzenglisch und der englischen Vertragsklauseln enthält ein wunderbares Potential, um unerfahrenen Anlegern Eindruck zu machen. Die PC-Technik ermöglicht es dabei, alle möglichen Klauseln aus echten Urkunden abzukupfern und mit erfundenen Klauseln geschickt zu mischen. Juristische Absurditäten stehen dann in den Papieren der Betrüger eng neben üblichen Standardklauseln der internationalen Finanzmärkte.
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Daß dieses Nachäffen der internationalen Finanzwelt nicht durch arglose Akteure erfolgt, zeigt dabei der Umstand, daß die entscheidenden Verpflichtungstexte in den verwendeten Kopien angeblicher Urkunden so raffiniert aufgebaut sind, daß sie scheinbar eine sehr strenge Verpflichtung („unconditional and irrevocable“) enthalten, diese aber im Wirrwarr der nachfolgenden Klauseln wieder völlig aufgelöst wird, indem man sie von nicht erfüllten Bedingungen abhängig macht. Gerade dieser Aufbau der (scheinbaren) Verpflichtungserklärungen ist ein Indiz für vorsätzliches Handeln zumindest derjenigen, die solche Texte verfassen oder als Hauptakteure der Geschäfte auftreten. Bemerkenswert ist ferner, daß es eine Art Kommunikationssystem in diesem Phantom-Markt gibt. Urkunden werden ausgetauscht oder kopiert. Eine graue Literatur teils von erfundenen Zeitschriften, die nur dem PC des einzelnen Betrügers entspringen, teils auch von echten Zeitschriften, die z. T. im Kioskhandel angeboten werden, beschreiben solche Geschäfte und stellen sie als aussichtsreich dar. Der Laie merkt nicht, daß diese Darstellungen in sich inkonsistent sind, obwohl dies ins Auge springt, z. B. weil die Überschrift eines Aufsatzes von „SLCs“ (Stand-by Letters of Credit) spricht, während im Aufsatz selbst von Schuldverschreibungen die Rede ist. [865] 2. Die Staatsanwaltschaften, die Gerichte und im Zivilprozeß die Geschädigten haben oft keinen leichten Stand, die Betrugsabsicht nachzuweisen. Zunächst ist die erwähnte Sprachbarriere nicht immer leicht zu überwinden. Die Betrüger hantieren typischerweise mit einer Unmenge meist englischer Texte, die bisweilen von französischen, spanischen oder deutschen Texten durchmischt sind, wobei auch russische oder arabische Briefköpfe auftauchen. Ist diese Sprachhürde im Prozeß überwunden, so mag die objektive Sinnlosigkeit der Geschäfte dann noch relativ leicht nachzuweisen sein. Die konkret eingetretenen Verluste sprechen für sich, wobei natürlich Betrüger immer behaupten, mit ein wenig mehr Zeit hätten sie alles zum großen Gewinn wenden können. Etwas schwieriger ist die subjektive Seite. Es gibt zähe Debatten um die angebliche wirtschaftliche Logik der jeweils angebotenen Geschäfte. Diese sind zwar im Kern alle gleich, weichen aber im Detail weit voneinander ab, was die Orte der Handlung (Libyen, Hongkong, Zürich, New York, Armenien usw.), die eingeschalteten Tochtergesellschaften (die als Briefkastenfirmen z. T. tatsächlich bestehen, wie ich in einem Fall nachgeprüft habe) und andere Details betrifft. Wegen der Verbreitung des Phantom-Markts tauchen neuerdings sogar Zeugen auf, die von sich bekunden, sie seien leibhaftige Händler in internationalen Garantien (und die man noch nicht verhaftet hat). Hat man erst einmal in einem Verfahren lange um die unbeweisbare wirtschaftliche Logik der Geschäfte gestritten, so hofft man zumindest behaupten zu können, man habe selbst an diese Geschäfte geglaubt und sei als Betrüger sozusagen selbst hereingefallen. Bei manchen
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Mitläufern mag diese Taktik auch Erfolg haben. Für die Haupttäter kann dies keinesfalls gelten. 3. Da man von einem Staatsanwalt oder nicht spezialisierten Richter nicht ohne weiteres verlangen kann, daß er sich auf diesem Gebiet auskennt, sei hier noch einmal abschließend festgehalten: Einen Handel mit internationalen Bankgarantien gibt es nicht. Dies kann jeder Bankkaufmann und Bankjurist bestätigen. Der Grund dafür ist allgemein und für alle Fälle in gleicher Weise angebbar. Eine Garantie ist ein Sicherungsgeschäft. Sie mag noch so abstrakt formuliert sein; sie ist immer mit einem bestimmten Sicherungszweck verbunden. Sie ist keine Verpflichtung, auf jeden Fall zu zahlen, sondern nur, wenn dieser Sicherungszweck sich verwirklicht. Eine Übertragung ist zwar möglich, aber nicht ein Handel, d. h. ein ständiger Umlauf, weil dies eine Ablösung vom Sicherungszweck und damit eine Veränderung des Verpflichtungstyps voraussetzen würde. Diese Gründe sind für alle Bankgarantien gleich. Aus den genannten Gründen ist auch ein Handel mit Standby Letters of Credit nicht möglich, die im internationalen Geschäft ebenso wie Garantien als Sicherheiten Verwendung finden und als Gegenstand des Handels oder der lukrativen Investition völlig ungeeignet sind. Der Verfasser hofft, mit diesen kurzen Hinweisen seine Karriere als Sachverständiger in einschlägigen Verfahren beenden zu können.
Die Haftung des Vorstands der AG nach § 93 AktG und die Pflichten des Aufsichtsrats ZIP 1997, 1129–1139 (Zugleich Besprechung der Urteile des Bundesgerichtshofs vom 21. April 1997, ZIP 1997, 883, und des OLG Düsseldorf vom 28. November 1996, ZIP 1997, 27, im Fall ARAG/Garmenbeck.) Die Diskussion um die Haftung des Vorstands der AG nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG und um die Pflichten des Aufsichtsrats im Hinblick auf diese Vorstandshafiung hat durch den Fall ARAG/Garmenbeck an Breite und Tiefe gewonnen. Abschließende Urteile des OLG Düsseldorf vom 28. November 1996, ZIP 1997, 27, zur Vorstandshaftung und des BGH vom 21. April 1997, ZIP 1997, 883, zu den Pflichten des Aufsichtsrats, Ansprüche der AG gegen den Vorstand zu prüfen und geltend zu machen, und über die gerichtliche Überprüfung eines ablehnenden Aufsichtsratsbeschlusses haben wichtige Teilfragen beantwortet. Der Verfasser unternimmt es, Bilanz zu ziehen und den Beitrag dieser Rechtsprechung zum Recht der Vorstandshaftung und der Aufsichtsratspflichten zu bewerten sowie auf noch klärungsbedürftige Teilfragen hinzuweisen.
I. Risikomanagement des Vorstands zwischen Ermessensfreiheit und Pflichtenbindung Unternehmensorganisationsrecht, verstanden als rechtliche Regelung der Aufgabenverteilung und des Zusammenspiels der obersten Leitungsorgane der Aktiengesellschaft (im deutschen Recht also Vorstand und Aufsichtsrat) einschließlich externer Kontrollen, ist heute Gegenstand einer intensiven Diskussion.1 Die wirtschaftliche Effizienz eines Unternehmensorganisationsrechts hängt zu einem guten Teil davon ab, ob es die Führungskräfte der Unternehmen zu unternehmerischen Höchstleistungen veranlasst. Dazu gehört, dass diese selbstverantwortlich die unvermeidlichen Risiken unter1 Baums, ZIP 1995, 11; Assmann, Rock, Wymeersch, AG 1995, 289, 291, 299; Lutter, ZHR 159 (1995), 287; Götz, AG 1995, 337; Picot (Hrsg.), Unternehmensüberwachung auf dem Prüfstand – Corporate Governance, 1995; Niederleithinger, ZIP 1995, 597, 600; Hopt, in: Festschrift Mestmäcker, 1996, S. 909; zur internationalen Diskussion vgl. Buxbaum/ Hertig/Hirsch/Hopt (Eds), European Economic and Business Law, 1996, Kap. 8, S. 241 ff.
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nehmerischen Handelns akzeptieren und zugleich unverantwortliche Risiken vermeiden. Das Recht muss demnach einerseits Handlungsfreiheit und Selbstverantwortung garantieren, andererseits die Bindung an Sorgfaltspflichten vorsehen. Der Vorstand hat daher gemäß § 76 Abs. 1 AktG die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten. Dabei muss, wie der Bundesgerichtshof ausführt, „dem Vorstand für die Leitung der Geschäfte ein weiter Handlungsspielraum zugebilligt werden ..., ohne den unternehmerisches Handeln schlechterdings nicht denkbar ist“.2 Andererseits haben die Vorstandsmitglieder gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns anzuwenden. Die Erkenntnis, dass die Tätigkeit des Vorstands sehr viel mit Risikomanagement zu tun hat, hat das Bundesjustizministerium im Referentenentwurf des „Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG)“ vom November 19963 dazu veranlasst, künftig bei der Normierung der Sorgfaltspflichten des Vorstands auch die besondere Pflicht zur Risikokontrolle ausdrücklich hervorzuheben. Der Vorstand hat danach „geeignete Maßnahmen zu treffen, um zu gewährleisten, dass den Fortbestand der Gesellschaft gefährdende Entwicklungen, insbesondere risikobehaftete Geschäfte, Unrichtigkeiten der Rechnungslegung und Verstöße gegen gesetzliche Vorschriften, die sich auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft oder des Konzerns wesentlich aus- [1130] wirken, früh erkannt werden“ (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG RefE). Der Vorstand muss dazu ein entsprechendes Überwachungssystem einrichten (Satz 3). Damit will der Gesetzgeber auf die Tatsache reagieren, dass viele Unternehmen durch Geschäfte mit Derivaten4 oder sonstige riskante Finanztransaktionen, die meist mit dem Kerngeschäft des betreffenden Unternehmens nichts zu tun haben, schwere Verluste erlitten haben und zum Teil in eine Existenzkrise geraten sind. Auch ohne die geplante gesetzliche Normierung gehört ein angemessenes Risikomanagement schon heute zu den Sorgfaltspflichten des Vorstandes nach § 93 Abs. 1 AktG. Die entsprechenden Pflichten des Vorstands konkretisieren sich in dem Maße, in dem neuere negative Erfahrungen mit bestimmten Geschäften und Risiken allgemein bekannt werden. Es bedarf gewiss nicht des Gesetzgebers, um eine Verpflichtung des Vorstands der AG anzunehmen, die Bonität neuer Geschäftspartner von Finanzgeschäften sorgfältig zu prüfen und dabei tunlichst Millionengeschäfte mit ausländischen Briefkastenfirmen, die von vorbestraften Bankrotteuren gegründet sind, zu unterlassen – um nur einige drastische Fallmerkmale von BGH ZIP 1997, 883, Leitsatz 2 Abs. 2. RefE KonTraG, ZIP 1996, 2129, 2131 f. 4 So die Begründung zum Referentenentwurf, ZIP 1996, 2132; vgl. auch Bea/Scheurer, DB 1994, 2145. 2 3
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ARAG/Garmenbeck aufzugreifen.5 Aber eine Verdeutlichung dieser Pflichten im Gesetz ist sicher zu begrüßen, und das ganze Aktienrecht ist schließlich in weiten Teilen nichts anderes als das historische Spiegelbild auch der verschiedenartigen negativen Erfahrungen in der Geschichte des Aktienwesens und der entsprechenden Reaktionen des Gesetzgebers darauf.6
II. Die Sanktion für Pflichtverletzungen: Amtsverlust und Schadenshaftung 1. Amtsverlust Verletzte bisher ein Vorstandsmitglied seine Pflichten und entstand dadurch der Gesellschaft ein Schaden, so bestand die entscheidende und nach Vorstellung aller Beteiligten angemessene Sanktion darin, dass das betreffende Vorstandsmitglied nicht wiederbestellt wurde (§ 84 Abs. 1 AktG), und in schwerwiegenden Fällen in seiner vorzeitigen Abberufung (§ 84 Abs. 3 AktG), je nach den Umständen mit oder ohne Abfindung. Bei dieser Sanktion wird häufig kein großer Unterschied gemacht zwischen mangelnder Fortune, Ungeschicklichkeit und Pflichtverletzung. In der breiten Grauzone zwischen unbeeinflussbarem äußeren Mitgeschick des Unternehmens und eigener Ungeschicklichkeit des Vorstands sowie zwischen Ungeschicklichkeit und klarem Pflichtenverstoß ziehen es die Beteiligten meist vor, je nach Schwere der wirtschaftlichen Folgen für die AG zwar personalpolitische Konsequenzen zu ziehen, möglichst aber nicht noch zusätzlich den Vorwurf des Pflichtenverstoßes zu erheben, jedenfalls dann nicht, wenn das betreffende Vorstandsmitglied das Feld räumt und keine unakzeptablen Abfindungsforderungen stellt. Bei der Vermeidung des Vorwurfs eines Pflichtenverstoßes spielt auch die Rücksichtnahme auf das Ansehen des Unternehmens eine Rolle. Daher zögern Unternehmen selbst im Extremfall eines strafbaren Verhaltens bisweilen mit der Strafanzeige, jedenfalls solange der Sachverhalt nicht öffentlich bekannt geworden ist. Die Möglichkeit der Nichtwiederberufung oder der vorzeitigen Abberufung gemäß § 84 Abs. 1 und 3 AktG reicht im Großen und Ganzen aus, um die Mitglieder des Vorstands zu sorgfältigem Verhalten zu veranlassen und zu unternehmerischen Leistungen anzuspornen und um längerfristig ungeeignete Personen aus diesem Beruf auszuscheiden. Es handelt sich um Sanktionen von Gewicht, die von den Beteiligten ernst genommen werden, Eingehende Falldarstellung in OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27. Allgemein Horn/Kocka (Hrsg.), Recht und Entstehung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Wirtschafts-, sozial- und rechtshistorische Untersuchungen zur Industrialisierung in Deutschland, Frankreich, England und den USA, 1979; Schubert/ Hommelhoff, Hundert Jahre modernes Aktienrecht (ZGR-Sonderheft 4), 1985. 5 6
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ohne andererseits eine übermäßige Bedrückung und Bedrohung zu erzeugen und die unternehmerische Initiative zu lähmen. Das Sanktionssystem erlaubt auch, wie erwähnt, häufig eine flexible Rücksichtnahme auf das Ansehen des Unternehmens. Andererseits hat dieses Sanktionssystem auch deutliche Schwächen. Es kann durchaus vorkommen, dass personelle Konsequenzen aus einem Fehlverhalten nicht gezogen werden, weil Motive einer persönlichen Solidarität im Aufsichtsrat dies verhindern. Diese Solidarität tritt in verschiedenen Formen auf. Die Führungskräfte der Wirtschaft verbindet allgemein die Erfahrung der oft prekären, von Ungewissheit und Zeitdruck geprägten Entscheidungssituationen, so dass sie für Fehlentscheidungen anderer Vorstandsmitglieder Verständnis aufbringen. Hinzu kommt die spezielle Solidarität von Verbündeten, die man im Aufsichtsrat oder anderswo (bei Vorstandskollegen, im Gesamtbetriebsrat, in der Wirtschaftspresse usw.) sucht und findet. Solche Solidarität kann besonders stark sein, wenn eine bestimmte Eigentümerfamilie ein großes Aktienpaket mit entsprechendem Einfluss auf das Unternehmen hält und es um die Kritik an „ihrem Mann“ im Vorstand geht. Im Fall ARAG bestehen zwei sich heftig befehdende Familienstämme, und die Solidarität der genannten Art eines der beiden Stämme spielte angeblich beim Beschluss des Aufsichtsrats eine Rolle, keinen Schadensersatzanspruch nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gegen den Vorstandsvorsitzenden geltend zu machen.7 Freilich darf man die Gefahr unsachlicher Personalpolitik auch nicht überschätzen. Handfeste geschäftliche Misserfolge diktieren oft auch harte Personalentscheidungen. Und es gehört noch immer zum Berufsethos der Führungskräfte der deutschen Wirtschaft, selbst bei unverschuldetem wirtschaftlichen Misserfolg die Nichtwiederbestellung oder sogar die Abberufung, die oft durch freiwilligen Rücktritt vom Amt kaschiert wird, als Sanktion zu akzeptieren. 2. Haftung auf Schadensersatz nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG Gegen eine Beschränkung auf diese personalpolitischen Sanktionen bei geschäftlichen Verlusten der AG, die durch das Verhalten des Vorstands veranlasst sind, lässt sich einwenden, [1131] sie treffe die Verantwortlichen nicht hart genug (was diejenigen heftig bestreiten dürften, die den schwierigen Markt für freigesetzte Führungskräfte kennen), vor allem aber, sie trage den Vermögensinteressen der AG zu wenig Rechnung. Aus beiden Gründen sei eine Haftung der Vorstandsmitglieder für Schäden der AG aus unsorgfältigem Handeln geboten. Eben dies ist der Standpunkt des Gesetzgebers 7 Vgl. LG Düsseldorf ZIP 1994, 628 (erstinstanzliche Entscheidung zu BGH ZIP 1997, 883) und dazu Timm, EWiR 1994, 629.
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spätestens seit der Aktienrechtsnovelle von 1884, die in Art. 241 Abs. 3 Satz 1 ADHGB eine allgemeine Schadensersatzhaftung der Mitglieder des Vorstands gegenüber der AG bei Verletzung ihrer Sorgfaltspflichten einführte, und zwar in Ablösung einer bereits vorher bestehenden, aber enger gefassten Haftungsnorm in Art. 241 Abs. 2 ADHGB.8 Die Rechtsprechung zu dieser Haftung war seit jeher spärlich.9 Dies bedeutet nicht unbedingt, dass die Haftungsnorm ohne Wirkung blieb. In nicht wenigen Fällen wird in der Praxis bei den Verhandlungen über die Bedingungen des Ausscheidens auf gütlichem Weg die Möglichkeit der Haftung als bargain chip benutzt, um Abfindungen zu begrenzen oder auszuschließen. Die fehlende Lust auf eine gerichtliche Durchsetzung der Haftung lässt sich zum Teil noch aus anderen Gründen erklären. Dazu gehört die Überlegung, dass hohe Schadenssummen ohnehin vom Vorstandsmitglied meist nicht beigetrieben werden können – ein Gesichtspunkt, der aber bei ARAG letztlich nicht den Ausschlag gab. In manchen Fällen mag die Überlegung, dass die Verurteilung die gänzliche wirtschaftliche Existenzvernichtung des Haftenden bedeuten würde, auch die erwähnte Solidarität mobilisieren. Die Aussicht, Unternehmensinterna in langwierigen Verfahren ausbreiten zu müssen, wirkt ebenfalls abschreckend. In der Reformdebatte um das KonTraG sowie in der Diskussion des Falles ARAG/Garmenbeck mehrten sich die Stimmen, die – wie Lutter es ausdrückte – zwar nicht eine Verschärfung, aber eine „Aktualisierung“ der Haftung des Vorstands (und Aufsichtsrats) befürworteten.10 Eine solche Aktualisierung ist durch das Urteil des OLG Düsseldorf vom 28. November 199611 erfolgt. Das Oberlandesgericht hat die Verurteilung eines Vorstandsmitglieds zur Schadensersatzhaftung gegenüber der AG durch die Vorinstanz in der exemplarischen Höhe von 55,8 Mio. DM bestätigt und in der Begründung zur schärferen Konturierung des Haftungstatbestands des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG beigetragen. Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom
8 Novelle v. 18.7.1884, RGBl v. 31.7.1884 (Nr. 1559); vgl. auch die Begründung zum Entwurf der Novelle v. 7.3.1884 zu Art. 241; beide Texte bei Schubert/Hommelhoff (Fußn. 6), S. 560 ff und 508 f. 9 Vgl. BGH ZIP 1987, 29 = EWiR 1987, 109 (Wiedemann); OLG Hamm ZIP 1995, 1263 – Harpener/Omni. Die Mehrzahl der Fälle betrifft die speziellere Konkursverschleppungshaftung gem. § 92 AktG, § 823 Abs. 2 BGB; vgl. BGHZ 75, 96 = NJW 1979, 1823 – Herstatt; BGH NJW 1979, 1829; BGHZ 126, 181 = ZIP 1994, 1103 = EWiR 1994, 791 (Wilhelm). 10 Lutter, ZIP 1995, 441; aus der umfangreichen Literatur zur Haftung der Leitungsorgane vgl. Hübner, Managerhaftung, 1992; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1994; Lutter, DB 1994, 129; Thamm, DB 1994, 1021; Thümmel/Sparberg, DB 1995, 1013; Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten, 1996; Hopt (Fußn. 1), S. 909. 11 OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27.
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21. April 199712 in einem anderen Verfahren zum gleichen Sachverhaltskomplex (Anfechtung eines Aufsichtsratsbeschlusses) trägt ebenfalls zu dieser Konkretisierung bei, wobei es die Haftung des Vorstands nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG aus der Perspektive der Pflichten des Aufsichtsrats beleuchtet. Das Spektakuläre der Urteile zu ARAG/Garmenbeck besteht eigentlich nur darin, dass sie die Grundprobleme wieder sichtbar machen, die seit jeher und vielleicht unvermeidlich mit der Schadenshaftung des Vorstands für unsorgfältige Geschäftsführung verbunden sind. Es geht im Wesentlichen um drei Dinge: (1) die Gefahr der Belastung der Vorstandstätigkeit mit zu weit reichenden Haftungsrisiken, (2) die Rolle des Aufsichtsrats bei der Verfolgung solcher Ansprüche und (3) in beiden Fragen um das Eindringen der gerichtlichen Überprüfung in die internen Willensbildungsprozesse der AG einerseits bei der Frage der sorgfältigen Geschäftstätigkeit des Vorstands und andererseits bei der Behandlung solcher Ansprüche durch den Aufsichtsrat. In diesen Problemen liegen zugleich weitere Gründe für die bisherige Zurückhaltung in der Anwendung des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG.
III. Die Verantwortlichkeit des Vorstands nach § 93 AktG: Haftung für jeden Fehler? 1. Haftung für Verluste aus unsorgfältigem Handeln ohne weiteren Rechtsverstoß Geschäftliche Rückschläge und Verluste gehören zum unternehmerischen Alltag einer AG. Zu einer Haftung gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG können sie nur führen, wenn ein adäquater Kausalzusammenhang zu einem unsorgfältigen, pflichtwidrigen Verhalten des Vorstands besteht. Nun lassen sich zwar bei weitem nicht alle, wohl aber zahlreiche geschäftliche Verluste mit dem Handeln des Vorstands in Verbindung bringen und mit seiner (wie sich meist erst im Nachhinein zeigt) verfehlten Investitions-, Organisations-, Produkt- oder Markenpolitik, mit ungeschickten Lieferbindungen und zu teuren Einkäufen, mangelnder Rationalisierung oder mit vielen anderen Vorstandsentscheidungen oder Unterlassungssünden verknüpfen. Aber auch falsche unternehmerische Entscheidungen sind nun einmal Teil des unter nehmerischen Handelns, und Lutter kann wohl mit allgemeiner Zustimmung rechnen, wenn er ausführt, dies „liege weit vor der Ebene, wo sich Recht und Gerichte einmischen können“.13
12 BGH ZIP 1997, 883; vgl. auch die Vorentscheidungen zu diesem Verfahren OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1183 = EWiR 1995, 629 (Rittner); LG Düsseldorf ZIP 1994, 628 = EWiR 1994, 629 (Timm). 13 Lutter, ZIP 1995, 441.
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Wo aber liegt nun die Grenze zwischen haftungsbegründenden und haftungsfreien Fehlentscheidungen? Lutter sieht die Grenze (nur?) dann überschritten, wenn der Vorstand rechtswidrig handelt, das heißt gegen Gesetz und Recht verstößt. Nun hatte der Vorstand im Fall ARAG/Garmenbeck in der Tat Geschäfte getätigt, die dem Unternehmen nach § 7 Abs. 2 VAG verboten waren.14 Aber auf dieser Gesetzesverletzung beruhte letztlich nicht der Schaden, und für die Verurteilung durch das OLG Düsseldorf spielte dieser Gesichtspunkt mit Recht keine Rolle. Vielmehr entstand der Schaden dadurch, dass der Vorstand (durch eine Tochtergesellschaft) mit einem absolut kreditunwürdigen Unternehmen umfangreiche Finanz- [1132] geschäfte tätigte und dabei einmal einen hohen Millionenbetrag ohne Stellung der vereinbarten Sicherheit auszahlte.15 Dies war, wie das OLG Düsseldorf mit überzeugender Begründung ausführte, ein grob unsorgfältiges Verhalten.16 Es kann also auf eine zugleich begangene sonstige Gesetzesverletzung nicht ankommen; diese bildet vielmehr nur eine besondere Untergruppe des haftungsbegründenden Verhaltens; darauf ist (unten 4) zurückzukommen. Wenn aber unsorgfältiges Handeln per se die Haftung begründet, und so steht es in § 93 Abs. 1 und Abs. 2 AktG, dann stellen sich verschärft die Probleme der Abgrenzung zwischen haftungsbegründendem und haftungsfreiem Verhalten. Denn gehaftet wird nach § 93 AktG für omnis culpa, also auch für leichte Fahrlässigkeit,17 und gehaftet wird für jeden Schaden aus dieser Verletzung der Sorgfaltspflichten.18 Demnach kann im Grundsatz jede unsorgfältig getroffene Entscheidung zur Haftung führen, falls sie nur adäquat kausal mit einem bestimmten Schaden in Verbindung gebracht werden kann. Dies scheint schwindelerregende Haftungsperspektiven zu eröffnen, wenn man nur erst einmal die Scheu vor der Anwendung des § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG abgelegt hat. Beispiele dazu finden sich in beliebiger Zahl in der Wirtschaftspresse. Von einem Getränkekonzern las man, er habe in nur zwei Jahren Verluste von rund 410 Mio. DM hinnehmen müssen. Ein Journalist kommentierte: „Dazu waren nicht etwa illegale Machenschaften nötig. Nein, die alltäglichen Fehlentscheidungen der
Vgl. LG Düsseldorf ZIP 1994, 628 und dazu Timm, EWiR 1994, 629. OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27, 30–35. 16 OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27, 32 f; das Gericht prüft sogar dolus eventualis. 17 Hefermehl, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, 1973, § 93 Rz. 29; Uwe H. Schneider, in: Festschrift Werner, 1984, S. 795, 810 ff; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1997, § 28 II 4; Mertens, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1995, § 93 Rz. 7, 98; Hübner (Fußn. 10), S. 12; Thümmel, Persönliche Haftung (Fußn. 10), Rz. 153; wohl auch: BGHZ 69, 207, 213 (betreffend Aufsichtsrat); BGH EWiR 1985, 131 (Meyer-Landrut) = WM 1985, 384, 385 = AG 1985, 141. 18 Hüffer, AktG, 2. Aufl., 1995, § 93 Rz. 15; Hefermehl (Fußn. 17), § 93 Rz. 28; Mertens (Fußn. 17), § 93 Rz. 23. 14 15
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Unternehmensführung und des ihn kontrollierenden Aufsichtsrats ... haben ausgereicht, um das Unternehmen in die Krise zu steuern.“19 Wer zwei Jahre lang laufend Fehlentscheidungen mit gigantischen Schadensfolgen für die AG trifft, der verletzt doch wohl, so sollte man meinen, seine Pflichten zur Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmannes im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG. Rechtliche Konsequenz könnte eine Schadensersatzklage über 410 Mio. DM sein. Natürlich kann und soll diese Frage einer Sorgfaltspflichtverletzung in casu mangels näherer Kenntnis der Fakten nicht beantwortet werden. Wem die Überkapazitäten und die Wettbewerbssituation auf dem Getränkemarkt bekannt sind, auf dem sich dramatische Umsatzeinbrüche sozusagen über Nacht einstellen können, mag Zweifel haben, ob eine solche Klage leicht zu begründen wäre. Man kann wohl auf allgemeine Zustimmung rechnen, wenn man in dem geschilderten Fall oder den zahllosen vergleichbaren Fällen eine Haftung so lange als nicht gegeben sieht, als nicht zusätzliche Fakten vorgetragen werden, aus denen sich konkretere Sorgfaltspflichtverletzungen ergeben. Und selbst wenn man solche fände und wenn es ferner gelänge, im Geflecht der Entscheidungsvorgänge und geschäftlichen Abläufe bestimmte geschäftliche Verluste bestimmten fehlerhaften Entscheidungen oder Nichtentscheidungen zuzuordnen, bestünde verbreitet die Neigung, sich mit personellen Konsequenzen zu begnügen und die Frage der Vorstandshaftung aus den bereits genannten Gründen tunlichst auszuklammern, unter anderem auch wegen der Aussichtslosigkeit, derartig hohe Beträge auch nur in nennenswerten Bruchteilen erstattet zu erhalten, und natürlich wegen der Belas tung mit jahrelangen Prozessquerelen. Aber rechtlich ist es nicht ganz einfach, die Frage der Haftung des Vorstands in solchen Fällen einfach „auszuklammern“, wenn man den Grundsatz ernst nimmt, dass der Vorstand für jedes Verschulden und auf jeden Schaden haftet, und dazu noch berücksichtigt, dass den Vorstand nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG der Entlastungsbeweis trifft, dass ein Verzicht auf diese Ersatzansprüche nur unter den sehr einschränkenden Voraussetzungen des § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG möglich ist und dass Pflichten des Aufsichtsrats zur Prüfung und Verfolgung der Ersatzansprüche bestehen, was noch (unten IV) zu erörtern ist. Um beim Beispiel zu bleiben: Gerät ein Unternehmen in eine kritische Situation, so bestehen gesteigerte und der Situation angepasste, spezifische Sorgfaltspflichten. Meist werden bei einem Großunternehmen wenigstens in der Krise alle wichtigen Vorstandsentscheidungen durch Studien und Arbeitspapiere der Stäbe und gegebenenfalls externer Berater vorbereitet;
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darin werden die Gefahren und Fehlerquellen analysiert und Strategien zur Lösung der Krise entwickelt. Fehlt es an solchen Situationsanalysen oder die Entscheidung vorbereitenden Maßnahmen, kann schon darin ein Verstoß gegen die spezifischen Sorgfaltspflichten in der Krise liegen. Der Vorstand muss dann sorgfältig zwischen den aufgezeigten Handlungsalternativen wählen. Stellt sich aber später der vom Vorstand eingeschlagene Weg als fehlerhaft heraus und führt er zu (weiteren) verheerenden Verlusten, dann liegt die Möglichkeit nahe, die alten Papiere mit den alternativen Handlungsvorschlägen aus der Schublade zu ziehen, um nachzuweisen, dass alle inzwischen gemachten Fehler und Verluste voraussehbar und vermeidbar gewesen seien, dass also der Vorstand nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsführers gehandelt habe. Man mag solche Art der Beweisführung im Einzelfall als unfair und unsachlich abtun. Praxisfern ist sie keineswegs. Und falls wirklich gravierende Fehler in der Geschäftsleitung vorgekommen sind, so kann eine solche Rekonstruktion der damaligen Entscheidungssituation anhand von Arbeitspapieren und natürlich unter Einbeziehung der Sitzungsprotokolle des Vorstands durchaus ihre sachliche Berechtigung haben. Das Ganze sei hier nur erwähnt, um zu verdeutlichen, dass man die Möglichkeit einer Haftung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG auch in den sozusagen „normalen“ Fällen einer verfehlten oder fehlgeschlagenen Geschäftspolitik nicht ohne weitere rechtliche Begründung von der Hand weisen kann. Vielmehr muss eine rechtliche Unterscheidung zwischen haftungsfreien Fehlentscheidungen und haftungsbegründenden Fehlentscheidungen des Vorstands getroffen werden, und zwar gerade in den Fällen, in denen diese [1133] Entscheidungen keine sonstigen Normen des Aktienrechts oder sonstiger Gesetze verletzten. Für diese Unterscheidung bedarf es inhaltlicher Kriterien. Dazu kann bemerkenswerterweise der vom OLG Düsseldorf entschiedene Fall ARAG/ Garmenbeck20 nur wenig beitragen. Denn dort ging es nicht um haarfeine Unterscheidungen zwischen haftungsfreien und haftungsbegründenden Fehlentscheidungen in komplexen Geschäftsabläufen. Die Fallgestaltung war vielmehr so drastisch, dass Lutter meinte, hier werde die richtige Frage am falschen Gegenstand exemplifiziert.21 Die Sorgfaltspflichtverletzung im Sinne von § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG ist in der Tat kaum fraglich, wenn jemand mehr als 50 Mio. DM aus dem Vermögen der AG an einen Empfänger ohne nachprüfbare Bonität auszahlt und dabei die Tatsache missachtet, dass die vereinbarte Sicherheit für die Rückzahlung noch nicht vorliegt.
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OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27. Lutter, ZIP 1995, 441.
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2. Der Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Vorstands: „haftungsfreie Fehlentscheidungen“ In zahlreichen weniger drastischen Fällen bedarf es aber sehr wohl der gesuchten Abgrenzung der haftungsfreien Fehlentscheidungen des Vorstands von den haftungsbegründenden Fehlern anhand inhaltlicher Kriterien. Ausgangspunkt ist hier der in § 76 Abs. 1 AktG normierte Grundsatz, dass der Vorstand die AG unter eigener Verantwortung zu leiten hat und dass demnach dem Vorstand ein Handlungs- und Entscheidungsspielraum bei der Geschäftsleitung zukommt.22 Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 21. April 1997 hervorgehoben, dass dieser „Handlungsund Entscheidungsspielraum“ des Vorstandes unentbehrlicher Bestandteil unternehmerischen Handelns sei.23 Der Vorstand muss selbstständig Handlungsalternativen und Risiken abschätzen und gegeneinander abwägen. Stellt sich später heraus, dass die Handlungsweise des Vorstands zu einem Verlust geführt hat, und wäre dieser Verlust mit hoher Wahrscheinlichkeit bei einer anderen Vorgehensweise unterblieben, so lässt sich daraus häufig, wie gezeigt, eine Sorgfaltspflichtverletzung konstruieren, vor allem dann, wenn die nachträgliche Betrachtung ergibt, dass für die schadensvermeidende Handlungsweise die besseren Argumente gesprochen hätten. Aber auch hier und gerade hier muss die Ermessens- und Handlungsfreiheit des Vorstands respektiert werden. Eine haftungsbegründende Sorgfaltspflichtverletzung sollte im Ergebnis nur angenommen werden, wenn aus der Perspektive der damaligen Entscheidungssituation das hohe Risiko eines Schadens unabweisbar war und keine vernünftigen geschäftlichen Gründe dafür sprachen, es dennoch einzugehen. Dagegen sind Handlungen zu respektieren und als nicht haftungsbegründend einzustufen, wenn sich aus der damaligen Entscheidungssituation heraus dafür anerkennenswerte Gründe finden lassen – mögen diese auch im Wettstreit mit Gegenargumenten von Gewicht gestanden haben, die sich im Nachhinein als die besseren erwiesen, was möglicherweise schon bei der Entscheidung erkennbar war. Der Vorstand muss gegen solche Vorwürfe frei bleiben, soweit er sich in dem vom Bundesgerichtshof zugebilligten Handlungs- und Entscheidungsspielraum vernünftiger geschäftlicher Erwägungen bewegt und sich um eine sorgfältig vorbereitete und begründete Entscheidung bemüht. Die sachlichen Gründe für einen solchen Freiraum haftungsfreien Handelns lassen sich aus der Natur der unternehmerischen Entscheidung leicht ableiten. Diese erfolgt oft unter Zeitdruck, wobei teils eine Fülle von Daten zu verarbeiten ist, teils aber auch nicht ausreichend Daten zur Verfügung ste-
22 Hefermehl (Fußn. 17), § 76 Rz. 14; Mertens (Fußn. 17), § 76 Rz. 10 ff; Karsten Schmidt (Fußn. 17), § 28 II 4. 23 BGH ZIP 1997, 883, Leitsatz 2 Abs. 2.
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hen, vor allem wenn hochkomplexe Probleme zu beurteilen sind. Unternehmerische Entscheidungen werden regelmäßig unter Unsicherheit getroffen. Dies ist in der betriebswirtschaftlichen Literatur seit langem aufgearbeitet.24 Beispiele aus der Unternehmenspraxis sind tagtäglich zu finden. Als anschauliches Beispiel für die Komplexität des Problems und die Zeitnot bei der Entscheidungsfindung sei aus der jüngsten deutschen Wirtschaftsgeschichte die Krise der Metallgesellschaft 1993/94 genannt, die durch umfangreiche Öltermingeschäfte und die nicht fristenkongruenten Deckungsgeschäfte der amerikanischen Tochtergesellschaft MG Corp. ausgelöst worden war. Die spektakulärste Entscheidung des Krisenvorstandes war hier die Auflösung dieser Termingeschäfte, nachdem auf Grund Veränderung der Ölterminmärkte zur Aufrechterhaltung der Deckung hohe Nachschüsse im geschätzten Umfang von ca. 1,5 Mrd. DM zu leisten waren.25 Die Komplexität der hier zu beantwortenden Fragen liegt auf der Hand. Es beginnt mit der Frage, ob nicht die Technik, langfristige Ölterminverkäufe durch kurzfristige Gegengeschäfte zu decken (stacked hedging), per se ein Kunstfehler war (also auch gegebenenfalls eine unsorgfältige Geschäftsführung im Sinne von § 93 Abs. 1 AktG, soweit die Beaufsichtigung der MG Corp. durch den deutschen Vorstand in Frage stand). Nun hat M. Miller26 als leibhaftiger Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft den Nachweis zu führen gesucht, dass stacked hedging einen vollkommenen Schutz gegen Verluste geboten hätte, hätte man es nur konsequent durchgeführt. Demnach wäre die Auflösung der Termingeschäfte ein Fehler gewesen. Der Vorstand hat demgegenüber geltend gemacht, selbst wenn stacked hedging eine vertretbare Strategie wäre, hätte die ständige Erneuerung der kurzfristigen Gegengeschäfte so hohe Nachschüsse erfordert, dass für MG unlösbare Liquiditätsprobleme entstanden wären.27 Außerdem ist anerkannt, dass nach deutschem Bilanzrecht die Zusammenfassung der Verluste aus den Deckungsgeschäften und der langfristigen Gewinnerwartungen aus den Terminverkäufen nicht zulässig gewesen wäre. Soweit zum Beispielsfall, für den hier keine konkreten Antworten gesucht werden können und sol- [1134] len, dem aber unzählige weitere Beispiele zur Seite gestellt werden könnten. Es liegt nahe zu fordern, dass ein Gericht, bevor es sich in die Prüfung einer möglichen Sorgfaltspflichtverletzung des Vorstandes überhaupt hineinbegibt, vorweg prüft, ob ein bestimmtes Verhalten nicht innerhalb der Band24 Vgl. allgemein zur Unsicherheitsbedingung Korndörfer, Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 10. Aufl., 1992, S. 482; Voigt, Strategische Planung und Unsicherheit, 1992, S. 485. Zum Zeitfaktor bei der Entscheidungsfindung Rühli, Unternehmensführung und Unternehmenspolitik, Bd. 2, 2. Aufl., 1988, S. 227 f. 25 Kropp, Wirtschaftswissenschaftliches Studium 1994, 301; ders., ZBB 1995, 14. 26 Vgl. Culp/Miller, ZBB 1995, 2. 27 Äußerung eines Vorstandsmitglieds der MG, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 14.10.1994, S. 21.
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breite vertretbaren unternehmerischen Handelns lag, so dass im Ergebnis eine Haftung verneint werden müsste, oder ob das Verhalten außerhalb dieses Bereichs lag. Allerdings bietet § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG mit seiner strengen Haftung, die „einer Art Garantiehaftung für eingetretene Vermögensminderungen angenähert“ zu sein scheint,28 für einen solchen Haftungsausnahmetatbestand keinen gesetzlichen Anhaltspunkt, zumal in Satz 2 dieser Norm dem Vorstand auch noch die Beweislast für sorgfältiges Handeln zugeschoben wird. Es hat gleichwohl nicht an Versuchen gefehlt, die Dogmatik der aktienrechtlichen Haftung im Sinne einer Haftungserleichterung fortzubilden. Uwe H. Schneider hat vorgeschlagen, die Gerichte sollten sich jeder Kontrolle der bloßen Zweckmäßigkeit der Handlungen und Entscheidungen des Vorstands enthalten.29 Das mag der Sache nach für die Mehrzahl der Fälle eine denkbare Lösung sein; sie passt freilich nicht für ganz unvernünftige Entscheidungen. Westermann30 will die Haftung der Leitungsorgane auf grobe Fahrlässigkeit beschränken. Auch dies dürfte in vielen Fällen zu akzeptablen Ergebnissen führen. Es ist aber zu bezweifeln, dass der gesuchte Handlungsspielraum sich einfach in einen Verschuldensgrad im Sinne des deutschen Haftungsrechts übersetzen lässt.31 Die größte Resonanz hat in den letzten Jahren in der deutschen gesellschaftsrechtlichen Diskussion der Hinweis auf das amerikanische Aktienrecht gefunden, das auf Grund der richterrechtlichen business judgement rule einen Entscheidungsfreiraum des Management im Sinne eines Haftungsausnahmebereichs anerkennt.32 Eine entsprechende Lösung wird auch für das deutsche Aktienrecht befürwortet.33 Dabei blieb nicht selten offen, ob die Lösung schon de lege lata anzuerkennen sei oder im Sinne einer Aktienrechtsänderung empfohlen wird. Die derzeitige Rechtslage wird jedenfalls
Thümmel/Sparberg, DB 1995, 1013; Thümmel, DB 1997, 261. Uwe H. Schneider (Fußn. 17), S. 795 ff, 811. 30 Westermann, VersR 1993, Sonderheft, S. 15, 18. 31 Dazu auch im Folgenden. 32 Dazu Kronstein/Hawkins, RIW 1983, 249, 251; Buxbaum, in: Kreuzer (Hrsg.), Die Haftung der Leitungsorgane von Kapitalgesellschaften, 1991, S. 79 ff; Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, Rz. 673, 682 ff; Thümmel, Persönliche Haftung (Fußn. 10), Rz. 133 ff. 33 Lehner, Die Verantwortlichkeit der Leitungsorgane von Aktiengesellschaften in rechtsvergleichender und international-privatrechtlicher Sicht, 1981, S. 21; Bastuk, Enthaftung des Managements, 1986, S. 23; Wiedemann, Organverantwortung und Gesellschafterklagen in der Aktiengesellschaft, 1989, S. 13; Kessler, Die Leitungsmacht des Vorstandes einer Aktiengesellschaft, Diss. Tübingen, 1991, S. 251 ff; Paefgen, AG 1992, 133, 169, 170; Hopt, ZGR 1993, 534, 539; ders., in: Festschrift Mestmäcker, 1996, S. 909, 919 ff; Kallmeyer, ZGR 1993, 104, 107; Westermann, VersR 1993, Sonderheft, S. 15, 17 ff; Mutter, Unternehmerische Entscheidungen und Haftung des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft, 1994, S. 206 ff. 28 29
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verbreitet als Hindernis für die sofortige Anerkennung dieser Lösung empfunden, und der Referentenentwurf des KonTraG34 lässt die strenge Haftung unangetastet.35 Dies hat sich durch das Urteil des BGH vom 21. April 1997 geändert. Wie bereits mehrfach erwähnt, wird der für unternehmerisches Handeln unentbehrliche Handlungsspielraum des Vorstandes vom Bundesgerichtshof ausdrücklich anerkannt. Dies geschieht im Zusammenhang mit der Frage der Haftung des Vorstandes. Man mag einwenden, der Hinweis gehöre nicht zu den tragenden Gründen der Entscheidung. In der Tat stehen im Urteil die Pflichten des Aufsichtsrats im Vordergrund und die Haftung des Vorstandes wird in casu gerade nicht auf Grund eines Handlungsspielraums verneint, sondern vorausgesetzt. Aber ein bloßes obiter dictum liegt auch nicht vor. Denn immerhin wird die Aussage mit dem Gewicht eines Leitsatzes versehen.36 Indem der Bundesgerichtshof einen Handlungsspielraum des Vorstandes als Haftungsschranke anerkennt, öffnet er den im Zusammenhang mit der business judgement rule angestellten Überlegungen eine Tür ins deutsche Aktienrecht. Zwar lässt die Entscheidung nicht erkennen, dass auf diese Diskussion Bezug genommen werden soll. Aber die im Zusammenhang mit der business judgement rule gesammelten Erfahrungen des amerikanischen Gesellschaftsrechts lassen sich ohne weiteres auch im Rahmen des deutschen Gesellschaftsrechts verwenden. Denn es handelt sich um Grundsätze, die aus der Natur des unternehmerischen Handelns des Vorstandes folgen. Ähnlich wie im amerikanischen Recht37 kann daher der Handlungsspielraum des Vorstandes als Haftungsausnahmetatbestand dahin gekennzeichnet werden, dass ein Vorstandsmitglied nicht haftet, (1) wenn es sich vor der Entscheidung im Rahmen der Möglichkeiten in ausreichender Weise informiert, (2) sich bei der Entscheidung nicht in einem Interessenkonflikt befindet38 und (3) bei der Entscheidung oder Vorgehensweise glaubt und vernünftigerweise glauben kann, dass es im besten Interesse des Unternehmens handelt. Will man diesen Haftungsausnahmetatbestand des haftungsfreien Handlungs- und Entscheidungsspielraums des Vorstands mit dem deutschen Aktienrecht in Einklang bringen und sich zur Begründung nicht nur hinter der neuen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. April 1997 verschanzen, die für sich genommen vielleicht ein Durchbruch ist, aber jedenfalls Vgl. Fußn. 3. Thümmel, DB 1997, 261. 36 BGH ZIP 1997, 883, Leitsatz 2 Abs. 2. 37 American Law Institute, Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations, Vol. 1, 1994, § 4.01 c; dazu Hopt (Fußn. 1), S. 909, 920. 38 Dazu, dass ein Interessenkonflikt jedenfalls eine Pflichtwidrigkeit nicht entschuldigt, vgl. auch BGH NJW 1980, 1629; dazu Ulmer, NJW 1980, 1603; s. ferner Götz, AG 1995, 337, 346. 34 35
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noch kein gefestigtes „Richterrecht“, dann erscheint mir als nächstliegender Weg ein Rekurs auf § 76 Abs. 1 AktG. Danach hat der Vorstand „unter eigener Verantwortung die Gesellschaft zu leiten“. Die Generalklausel des § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG, dass die Vorstandsmitglieder bei ihrer Geschäftsführung die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters anzuwenden haben, muss in ihrer Doppelfunktion als Rechtsgrundlage von Verhaltenspflichten und Verschuldensmaßstab39 unter Berücksichtigung des § 76 Abs. 1 AktG ausgelegt werden. Daraus folgt, dass die haftungsrechtlichen Folgen aus § 93 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 AktG insoweit nicht eingreifen können, als das Vorstandsmitglied von [1135] demjenigen Handlungs- und Entscheidungsspielraum Gebrauch macht, der zur Erfüllung seiner Aufgabe im Sinne von § 76 Abs. 1 AktG, die AG selbstverantwortlich zu leiten, unabdingbar notwendig ist. Die Notwendigkeit, zum Verständnis des § 93 AktG den Inhalt des § 76 Abs. 1 AktG heranzuziehen, wird in einem Teil der Literatur durchaus anerkannt und hervorgehoben.40 Allerdings bleibt das genaue Verhältnis beider Vorschriften dabei ungeklärt oder § 76 Abs. 1 AktG wird zur Modifizierung des Sorgfalts- und Verschuldensmaßstabs herangezogen.41 Nach der hier vertretenen Auffassung begründet der unternehmerische Handlungsspielraum einen Haftungsausnahmetatbestand, nicht aber einen eigenen Verschuldensmaßstab. Handlungen und Entscheidungen des Vorstandes, die unter Erfüllung der Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestandes vorgenommen werden, bleiben demnach auch dann haftungsfrei, wenn sie im Einzelfall aus den bereits allgemein erörterten Gründen als Sorgfaltspflichtverletzung bewertet werden müssten. Eine pauschale Reduzierung des Haftungsmaßstabs auf grobe Fahrlässigkeit liegt darin nicht,42 und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist an Fälle zu denken, in denen selbst ein solches unternehmerisches Verhalten haftungsfrei bleiben muss, das man an sich als grob fahrlässig einstufen könnte.43 Man denke an Entscheidungen in besonderen Risikobereichen, zum Beispiel im Terminhandel, wo Fehlentscheidungen, auch wenn sie intern festgelegte allgemeine Risikoschranken nicht überschreiten, (nachträglich) als grob fahrlässig erscheinen können. Aber auch schon eine grobe Fehldisposition beim Einkauf saisonaler Modewaren, die der Markt anschließend verschmäht, kann diesem Vorwurf ausgesetzt sein. Die oben als Beispiel erwähnten angeblichen 39 Zu dieser Doppelfunktion Hübner (Fußn. 10), S. 8; Thümmel, Persönliche Haftung (Fußn. 10), Rz. 130. 40 Hefermehl (Fußn. 17), § 93 Rz. 10; Hüffer (Fußn. 18), § 93 Rz. 4; Thümmel, Persön liche Haftung (Fußn. 10), Rz. 130. 41 So am deutlichsten Hefermehl (Fußn. 17), § 93 Rz. 10; Westermann, VersR 1993, Sonderheft, S. 15, 17 ff. 42 Für diese Lösung Westermann, VersR 1993, Sonderheft, S. 15, 17 ff. 43 Zutreffend Hopt (Fußn. 1), S. 909, 920.
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Fehlentscheidungen der Leitungsorgane eines Getränkekonzerns mögen wegen der hohen aufgelaufenen Verluste Häme in der Wirtschaftspresse ernten; im Zweifel dürften sie aber innerhalb des Handlungs- und Ermessensspielraums des Vorstands liegen und daher keine Haftung auslösen, falls nicht besondere Umstände hinzutreten. Zweitens kann umgekehrt auch eine Haftung für nur leichte Fahrlässigkeit nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG dann nicht entfallen, wenn der Vorstand außerhalb des genannten Spielraums handelt. Das Vorliegen des Haftungsausnahmetatbestandes hat das Vorstandsmitglied zu beweisen. Dies folgt aus der Beweislastregelung in § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG. Allerdings hilft hier die nahe liegende Möglichkeit des primafacie-Beweises. Gelingt der Nachweis nicht, so greift die Haftungsausnahme nicht ein. Dies trifft nach den genannten Kriterien dann zu, wenn (1) der Vorstand seine Pflicht zur Einholung wichtiger und erreichbarer Informationen in Vorbereitung seiner Entscheidung verletzt hat oder (2) wenn er in einem Interessenkonflikt handelte, vor allem aber, (3) wenn seine Handlung oder Entscheidung durch keine vernünftige unternehmerische Überlegung gerechtfertigt werden kann. Die letzteren Merkmale scheinen auf das Verhalten des Vorstandsmitgliedes in dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall ARAG/Garmenbeck zuzutreffen.44 Die dort zu beurteilende ungesicherte Auszahlung eines Millionenbetrags war wohl nach allgemeinen Kriterien grob fahrlässig. Zugleich aber war dieses Verhalten durch keinen anerkennenswerten Gesichtspunkt als vernünftig und unternehmerisch vertretbar zu charakterisieren, sondern lag außerhalb des Handlungs- und Entscheidungsspielraums des Vorstands und war daher der Haftung nicht entzogen. 3. Haftung für jeden Schaden; Konzernzusammenhang Gehaftet wird aus der Sorgfaltspflichtverletzung für jeden Schaden, der durch die Sorgfaltspflichtverletzung adäquat verursacht ist. Es gelten die allgemeinen Regeln der Schadensberechnung.45 Häufig wird bei unternehmerischen Fehlentscheidungen die Zurechnung geschäftlicher Verluste zu bestimmten Entscheidungen im Geflecht der geschäftlichen Abläufe schwer nachzuweisen sein. Unüberwindliche Hindernisse bestehen freilich nicht. Ein einigermaßen funktionierendes betriebliches Controlling lässt solche Zurechnungen zu. Im Fall ARAG/Garmenbeck bestanden keine Schwierigkeiten, den Schaden einem bestimmten Fehlverhalten zuzurechnen. Maßgeblich ist die sogenannte Differenzhypothese, das heißt der Vergleich der eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen Vermögenslage, die sich bei ord-
OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27. Hüffer (Fußn. 18), § 93 Rz. 15; Hefermehl (Fußn. 17), § 93 Rz. 28; Mertens (Fußn. 17), § 93 Rz. 23. 44 45
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nungsgemäßem Verhalten des Vorstandsmitglieds ergeben hätte.46 Ein Aktionär der AG kann nicht seinen Schaden, der im geminderten Wert seiner Aktie besteht („Reflex“), neben oder anstelle des Schadensersatzes der AG selbst geltend machen, es sei denn, er hat diesen Schaden der AG bereits ersetzt.47 Im ARAG/Garmenbeck-Fall ergab sich ein Schadensberechnungs- und Zurechnungsproblem dieser Art durch einen Konzernzusammenhang. Der Schädiger hatte seine Pflichten nach § 93 Abs. 1 AktG gegenüber der ARAG verletzt. Aber der Schaden war bei einer Tochtergesellschaft der ARAG entstanden und von der klagenden Muttergesellschaft ausgeglichen worden. Dadurch war der bei der Mutter zunächst nur bestehende Reflexschaden (auf Grund Schädigung der Tochter) in einen unmittelbaren Schaden umgewandelt worden. Auch dieser letztere Schaden war nach überzeugender Begründung des Gerichts adäquat verursacht, weil die Muttergesellschaft anerkennenswerte Gründe hatte, ihre Tochtergesellschaft durch den Schadensausgleich wirtschaftlich zu stützen. Diese Gründe sah das Oberlandesgericht einmal in vorliegenden Patronatserklärungen der Muttergesellschaft zugunsten der Tochter, zum anderen in dem Motiv, eine Schädigung des geschäftlichen Ansehens der Unternehmensgruppe zu vermeiden.48 [1136] 4. Gesetzesverstöße des Vorstands Die Verletzung von Rechtsnormen durch die Vorstandsmitglieder stellt grundsätzlich eine Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG dar.49 Ein Ermessensspielraum oder Handlungsspielraum besteht insofern nicht. Allerdings kann dies nur bei eindeutiger Rechtslage gelten. Es kann Vorstandsmitgliedern nicht verwehrt sein, sich bei einer zweifelhaften Rechtslage auf den für die AG günstigen Standpunkt zu stellen und damit das Risiko einzugehen, dass nachträglich eine Gesetzesverletzung festgestellt wird.50 Auch aus anderen Gründen kann der Tatbestand der Gesetzesverletzung keineswegs als sozusagen sicherer Fall der Haftung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gelten. Es ist nämlich in nicht wenigen Fällen unmöglich, einen bestimmten Schaden gerade diesem Gesetzesverstoß zuzurechnen. Eine einigermaßen sichere Zurechnung mag noch in dem Fall möglich sein, dass der Vorstand durch eine Straftat das Ansehen der AG in der Öffentlichkeit so 46 OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27, 36; allgemein zur Differenzhypothese BGHZ 86, 128, 130; BGHZ 98, 212, 217 = ZIP 1986, 1394, 1396, dazu EWiR 1986, 1071 (Medicus); BGHZ 99, 182, 196 = ZIP 1987, 297, 301, dazu EWiR 1987, 131 (H.-G. Eckert); Palandt/Heinrichs, BGB, 56. Aufl., 1997, Vor § 249 Rz. 8 m. w. N. 47 BGH ZIP 1987, 29, 32 f. 48 OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27, 34 ff. 49 Mertens (Fußn. 17), § 93 Rz. 34 ff; Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555, 570. 50 Mertens (Fußn. 17), § 93 Rz. 38.
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schädigt, dass ein Umsatzrückgang ausgelöst wird. In anderen Fällen ist diese Zurechnung nicht so einfach. So hat im Fall ARAG/Garmenbeck die im Urteil 1. Instanz erörterte Verletzung des Versicherungsaufsichtsrechts durch die fraglichen Finanzgeschäfte im Urteil des Oberlandesgericht keine Rolle mehr gespielt, wie bereits (oben 1) bemerkt. Eine sichere Schadenszurechnung scheint sich dagegen auf den ersten Blick zu ergeben, wenn der Vorstand der AG gegen das Kartellrecht verstoßen hat und die AG deshalb mit einer Buße gemäß § 38 GWB belegt worden ist. Hier ergeben sich aber andere Zweifelsfragen. Sie folgen aus dem Sanktionszweck des Bußgeldbescheides nach § 38 Abs. 1 GWB. Das Kartellamt kann diese Buße sowohl der AG als auch den handelnden Vorstandsmitgliedern auferlegen und von dieser Möglichkeit wird in der Praxis nicht selten Gebrauch gemacht. Dabei wird bei der Bemessung der Höhe der Bußgelder unter anderem auf die Wirtschaftskraft der Adressaten abgestellt. Es bestehen Bedenken, das der AG auferlegte Bußgeld, das regelmäßig einen vielfach höheren Betrag ausmacht als die Buße des Vorstandsmitglieds, nachträglich über eine Haftung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG auf das Vorstandsmitglied abzuwälzen. Diese Zweifel verstärken sich, wenn man berücksichtigt, dass es umgekehrt durchaus als zulässig anerkannt ist, dass eine AG ihren Organmitgliedern Geldbußen und selbst Geldstrafen, die ihnen im Zusammenhang mit ihrer Organtätigkeit auferlegt werden, erstattet. Zwar hat der Vorstand nach herrschender Meinung keinen Anspruch auf Erstattung von Geldbußen und Geldstrafen.51 Mertens vertritt freilich auch hier die meines Erachtens überzeugende Meinung, davon sei eine Ausnahme in den Fällen zu machen, in denen das „Bußgeld der Höhe nach nicht nur auf das Vorstandsmitglied, sondern auch auf die Gesellschaft gemünzt ist“.52 Freistellungsversprechen der AG gegenüber ihren Vorstandsmitgliedern werden nur bei fahrlässiger Begehung von Ordnungswidrigkeiten für zulässig gehalten.53 Aber nach herrschender Meinung ist die Erstattung bereits bezahlter Geldbußen und Geldstrafen der Vorstandsmitglieder durch die AG zulässig.54 Wenn demnach im genannten Umfang die Erstattung von Bußgeldern, die einem Vorstandsmitglied auferlegt sind, durch die AG für rechtlich zulässig gehalten wird, so 51 Hefermehl (Fußn. 17), § 84 Rz. 53; Wiesner, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. IV, 1988, § 21 Rz. 55; Mertens (Fußn. 17), § 84 Rz. 79; Marsch-Barner/ Diekmann, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. 3, 1996, § 43 Rz. 54. 52 Mertens (Fußn. 17), § 84 Rz. 79. 53 Marsch-Barner/Diekmann (Fußn. 51), § 43 Rz. 54 (GmbH); zum Grundsatz der Nichtigkeit von Freistellungsversprechen betreffend Geldstrafen vgl. z. B. Mertens (Fußn. 17), § 84 Rz. 82. 54 Mertens (Fußn. 17), § 84 Rz. 82; Hefermehl (Fußn. 17), § 84 Rz. 53; Marsch-Barner/ Diekmann (Fußn. 51), § 43 Rz. 54 (GmbH); a. A. Rehbinder, ZHR 148 (1984), 555, 557 f: Erstattung nur analog § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG.
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bestehen sehr ernsthafte rechtliche Zweifel daran, ob der umgekehrte Weg, Geldbußen der AG auf Vorstandsmitglieder abzuwälzen, überhaupt rechtlich zulässig ist. Diese Frage ist aber höchstrichterlich noch nicht geklärt. Die genannten Gründe sprechen dafür, dass eine Abwälzung der Buße der AG auf das Vorstandsmitglied dem Sanktionszweck des § 38 GWB nicht entspricht. Insofern ließe sich eine Einschränkung des Schutzzwecks des § 93 Abs. 2 AktG erwägen nach dem allgemeinen Grundsatz, dass eine Haftungsnorm nur Schäden innerhalb ihres normativen Schutzbereichs erfasst.55 Folgt man dem nicht und hält das gegen die AG verhängte Bußgeld grundsätzlich für einen ersatzfähigen Schaden, so muss man noch prüfen, ob ein Schaden überhaupt vorliegt. Hier ist zu beachten, dass das Bußgeld gegen die AG nach der Vorstellung des Gesetzgebers ganz oder teilweise der Abschöpfung eines Mehrerlöses dient, den das Unternehmen durch das wettbewerbswidrige Verhalten erlangt hat. Dies folgt schon daraus, dass die Mehrerlösabschöpfung im Falle des § 37b GWB unterbleiben soll, soweit der Mehrerlös durch Geldbuße ausgeglichen ist (§ 37b Abs. 1 Satz 2 GWB). Der Schadensersatzanspruch nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG kann also nur begründet sein, soweit die Geldbuße darüber hinausgeht; andernfalls fehlt es am ersatzfähigen Schaden.
IV. Die Pflichten des Aufsichtsrats im Hinblick auf die Vorstandshaftung nach § 93 AktG 1. Das pflichtgemäße Ermessen des Aufsichtsrats Im Fall ARAG/Garmenbeck stand die Rolle des Aufsichtsrats im Hinblick auf die Haftung des Vorstands nach § 93 AktG und seine Pflicht zur Geltendmachung dieses Anspruchs namens der AG im Vordergrund des Interesses.56 Der Bundesgerichtshof hatte sich mit der Frage zu befassen, ob ein Aufsichtsratsbeschluss, durch den die Geltendmachung dieses Anspruchs der AG abgelehnt worden war, nichtig war. Der Aufsichtsrat vertritt die AG gemäß § 111 AktG gegenüber dem Vorstand. Der Bundesgerichtshof bestätigt, dass die Geltendmachung von Ansprüchen im Sinne von § 93 Abs. 2 AktG namens der AG gegenüber dem Vorstand zur Aufgabe des Aufsichtsrats gehört, den Vorstand zu kontrollieren, und zwar zur rückwirkenden, nachträglichen Kontrolltätigkeit.57 Zwar 55 Vgl. allgemein BGHZ 116, 209, 212 = ZIP 1992, 166, 167 m. w. N., dazu EWiR 1992, 141 (Büttner). 56 Vgl. Dreher, ZHR 158 (1994), 614–645; Raiser, NJW 1996, 552–554; Lutter, ZIP 1995, 441; Dreher, ZIP 1995, 628 f; Jaeger/Trölitzsch, ZIP 1995, 1157–1163; Jäger, WiB 1997, 10–15. 57 BGH ZIP 1997, 883, 886, im Anschluss an Raiser, NJW 1996, 552, 554.
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kommt dem Aufsichtsrat auch eine vorausschauende [1137] und begleitende Kontrollaufgabe gegenüber dem Vorstand zu58 und diesen Aspekten seiner Kontrolltätigkeit gilt sogar in der heutigen allgemeinen Diskussion um die Aufgaben und Pflichten des Aufsichtsrats59 die hauptsächliche Aufmerksamkeit. Dies ändert aber nichts an der großen Bedeutung dieser nachträglichen Kontrolltätigkeit. Der Bundesgerichtshof betont dabei in seinem Urteil vom 21. April 1997 die eindeutige Pflicht des Aufsichtsrats, Schadensersatzansprüche der AG gegen den Vorstand nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG geltend zu machen. Dabei entwirft er ein System abgestufter Prüfungspflichten und Ermessensspielräume bis hin zu eindeutigen Handlungspflichten. Ausgangspunkt ist der Grundsatz, dass der Aufsichtsrat entsprechend seiner Aufgabe, die Tätigkeit des Vorstandes zu überwachen und zu kontrollieren, auch die Pflicht hat, das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern eigenverantwortlich zu prüfen.60 Diese Prüfungspflicht besteht ungeachtet der Tatsache, dass nach § 147 Abs. 1 AktG die Hauptversammlung die Möglichkeit hat, eine Rechtsverfolgung gegen den Vorstand zu beschließen,61 was im Fall ARAG/Garmenbeck zu der vom OLG Düsseldorf mit Urteil vom 28. November 1996 entschiedenen Schadensersatzklage führte.62 Bei dieser Prüfung steht dem Aufsichtsrat, wie der Bundesgerichtshof zutreffend ausführt, ein unternehmerisches Ermessen zu. Dies folgt teils aus der Natur der Kontrolltätigkeit des Aufsichtsrats, teils aus der Natur des Beurteilungsgegenstands selbst. Beurteilungsgegenstand ist unternehmerisches Fehlverhalten des Vorstands im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AktG, wobei der vom Bundesgerichtshof hervorgehobene und bereits erörterte Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Vorstandes vom Aufsichtsrat zu berücksichtigen ist. Schon wegen dieser Natur des zu beurteilenden Gegenstands kann sich die Beurteilung durch den Aufsichtsrat nur im Rahmen eines Ermessensspielraums vollziehen. Hinzu kommt, dass der Aufsichtsrat von seiner Kontrollaufgabe her grundsätzlich einen eigenen unternehmerischen Ermessensspielraum hat. Dies ist allgemein anerkannt.63
58 Allgemein Semler, Leitung und Überwachung der Aktiengesellschaft, 2. Aufl., 1980; ders., AG 1983, 141–148; Lutter/Krieger, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats, 3. Aufl., 1993. 59 Vgl. Götz, AG 1995, 337–353; Lutter/Bernhardt/Hoffmann-Becking, ZHR 159 (1995), 287, 310, 325. 60 BGH ZIP 1997, 883, Leitsatz 2 Abs. 1. 61 BGH ZIP 1997, 883, Leitsatz 2 Abs. 3. 62 OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27. 63 BGHZ 64, 325, 327; BGH ZIP 1993, 1862, 1867, dazu EWiR 1994, 9 (Crezelius); OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1183, 1190. f; Mertens (Fußn. 17), § 93 Rz. 51; Lutter/Krieger (Fußn. 58), Rz. 19; Hoffmann-Becking, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts,
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Umstritten ist nur die Frage, wie weit sich für die Ermessensausübung des Aufsichtsrats einschränkende rechtliche Grundsätze aufstellen lassen. Das LG Düsseldorf hat diese Frage im Fall ARAG/Garmenbeck im Rahmen eines Verfahrens zur Anfechtung des Aufsichtsratsbeschlusses, der eine Klageerhebung gegen ein Vorstandsmitglied abgelehnt hatte, bejaht.64 Dies hat in der Literatur verbreitet Zustimmung gefunden.65 Das OLG Düsseldorf hat dagegen in zweiter Instanz den weiten Ermessensspielraum des Aufsichtsrats stärker betont und einschränkende Grundsätze nur im extremen Ausnahmefall anerkennen wollen.66 Die gleiche Sichtweise wird vor allem von Dreher vertreten.67 Er betont die Willensbildungsautonomie der Gesellschaft, die sich auch in den Ermessensentscheidungen des Aufsichtsrats ausdrücke, und wendet sich gegen die Auffassung des LG Düsseldorf, dass sich bei bestimmten zu entscheidenden Fragen nur eine Entscheidung als richtig erweisen könne, so dass sich das Ermessen auf Null reduziert.68 Der Bundesgerichtshof ist dieser Auffassung nicht gefolgt, sondern hat vielmehr in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der erstinstanzlichen Entscheidung angenommen, das Ermessen des Aufsichtsrats sei durch bestimmte inhaltliche Schranken gekennzeichnet; diese seien im vorliegenden Fall verletzt.69 Dieser Auffassung ist grundsätzlich zuzustimmen.70 Für die Beurteilungen und Entscheidungen des Aufsichtsrats im Rahmen seiner Kontrolltätigkeit kann im Grunde nichts anderes gelten als für die Entscheidung des Vorstands, für die einerseits in der oben (III) erörterten Weise ein unverzichtbarer Handlungs- und Entscheidungsspielraum besteht, andererseits eine Pflichtenbindung. Zwar sind die Aufgaben von Vorstand und Aufsichtsrat unterschiedlich, indem der Vorstand allein die AG leitet (§ 76 AktG) und der Aufsichtsrat diese Leitung überwacht (§ 111 AktG). Aber beiden gemeinsam ist die Teilnahme an der Leitung des Unternehmens in einem weiteren Sinn und es wurden bereits die Gründe angegeben, weshalb auch der Aufsichtsrat unternehmerischen Entscheidungsspielraum und Handlungsspielraum haben muss. Aus den gleichen Gründen wie der Vorstand ist aber auch der Aufsichtsrat an Pflichten gebunden und seine Kontrolltätigkeit entfaltet sich in diesem Spannungsverhältnis zwischen Handlungsspielraum und Pflichtenbindung. Bd. 4, 1988, § 29 Rz. 26; Dreher, ZHR 158 (1994), 615, 629 ff; Jaeger/Trölitzsch, ZIP 1995, 1157; Raiser, NJW 1996, 552; Fischer, BB 1996, 225; Thümmel, DB 1997, 1117. 64 LG Düsseldorf ZIP 1994, 628. 65 Timm, EWiR 1994, 629; Noack, DZWir 1994, 341; Kindl, WiB 1994, 728; Jaeger/ Trölitzsch, ZIP 1995, 1157; Jäger, WiB 1997, 10–15; Raiser, NJW 1996, 552, 554. 66 OLG Düsseldorf ZIP 1995, 1183. 67 Dreher, ZHR 158 (1994), 614–645; ähnlich Ritter, EWiR 1995, 629. 68 Dreher, ZHR 158 (1994), 614, 634, 645. 69 BGH ZIP 1997, 883. 70 So auch Thümmel, DB 1997, 1117.
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Diese Bindung ist vom Gesetz in § 116 AktG ausdrücklich wie diejenige des Vorstands ausgebildet. Auch die Mitglieder des Aufsichtsrats haften demnach im Grundsatz für jedes Verschulden. Auch für sie muss freilich gelten, dass sie einen bestimmten haftungsfreien Entscheidungsfreiraum in Anspruch nehmen können, wie dies bereits für den Vorstand erörtert wurde. Auch Dreher71 räumt von seinem Standpunkt eines weitestmöglichen Ermessensspielraums des Aufsichtsrats ein, dass „Ermessensfreiheit für den Aufsichtsrat bei seinen Entscheidungen nicht zugleich Freiheit von Rechtsbindungen ...“ bedeutet. Dann aber muss es möglich sein, bestimmte Grundsätze anzugeben, in denen der Ermessens- und Handlungsspielraum den Aufsichtsrat nicht mehr vor dem Vorwurf unsorgfältigen Verhaltens schützt. Eben diese Grenzen versucht der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 21. April 1997 anzugeben. [1138] In dem vom Bundesgerichtshof entwickelten abgestuften System von Prüfungs- und Entscheidungspflichten besteht zunächst eine generelle Pflicht des Aufsichtsrats, das Bestehen von Schadensersatzansprüchen der AG gegenüber Vorstandsmitgliedern eigenverantwortlich zu prüfen. Dabei ist zunächst eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen.72 Fällt diese Prüfung positiv aus, das heißt, hat sich der Vorstand nach Überzeugung des Aufsichtsrats schadensersatzpflichtig gemacht, so schließt sich eine weitere Prüfung der Erfolgsaussichten einer Klage an. Dabei sind mögliche Beweisschwierigkeiten in Rechnung zu stellen. Entscheidende Frage ist, ob durch die Klage ein Ausgleich des entstandenen Schadens ganz oder teilweise herbeigeführt werden kann. Hier ist auch die Frage der Beitreibbarkeit der Klagesumme zu prüfen.73 Führt diese Prüfung zu dem Ergebnis, dass der AG durchsetzbare Schadensersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder zustehen, so hat der Aufsichtsrat diese Ansprüche grundsätzlich zu verfolgen.74 Der Pflicht zur Prüfung folgt in diesem Fall die Pflicht zur Durchsetzung der Ansprüche. Ein Ermessen des Aufsichtsrats ist in dieser Entscheidungssituation fast nicht mehr gegeben. Das Ermessen hat sich, um einer bekannten Formel zu folgen, „auf Null reduziert“. Gerade dieser Punkt ist kontrovers. Würde man aber eine solche Pflichtenbindung nach Vorliegen der erörterten Voraussetzungen verneinen, so bliebe von dieser Pflichtenbindung nicht mehr viel übrig und dies entspräche nicht dem Gesetz (§§ 93, 116 AktG). Der Bundesgerichtshof lässt auch hier noch ein Element der Flexibilität zu, indem er eine anderweitige Entscheidung dann für gerechtfertigt hält, wenn ausnahmsweise gewichtige Gründe des Wohls der AG gegen eine Rechtsverfolgung sprechen und gegenüber den Gründen, die dafür sprechen, überwie Dreher, ZHR 158 (1994), 614, 629. Zu dieser auch Jäger, WiB 1997, 10. 73 BGH ZIP 1997, 883, 885. 74 BGH ZIP 1997, 883, 885, Leitsatz 4 Abs. 1 Satz 1. 71 72
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gen. Schließlich darf der Aufsichtsrat in Ausnahmefällen nach Ansicht des Bundesgerichtshofs sogar Gesichtspunkten Raum geben, die außerhalb des Unternehmenswohls liegen und Vorstandsmitglieder persönlich betreffen. Für die letztgenannte Ausnahme nennt der Bundesgerichtshof die Schonung eines verdienten Vorstandsmitglieds oder das Ausmaß der mit der Beitreibung des Schadens verbundenen sozialen Konsequenzen für das Vorstandsmitglied und seine Familie, also die wirtschaftliche Härte einer umfangreichen Haftung. Gerade der letztgenannte Gesichtspunkt kann rechtlich nur in eng begrenzten und besonders begründbaren Ausnahmefällen anerkannt werden, weil andernfalls die vom Bundesgerichtshof selbst anerkannte Pflicht zur Geltendmachung der Klage gegen das Vorstandsmitglied durch eine generalklauselartige Ausnahme ausgehöhlt würde. 2. Die gerichtliche Kontrolle der Aufsichtsratsbeschlüsse Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs können Aufsichtsratsbeschlüsse, die entweder verfahrensrechtlich unter Verletzung zwingenden Gesetzes- oder Satzungsrechts zustande gekommen sind oder die inhaltlich gegen Gesetz oder Satzung verstoßen, im Wege der Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO für nichtig erklärt werden, ohne dass die einschränkenden Voraussetzungen der §§ 241 ff AktG vorliegen müssen. Das Rechtsschutzinteresse eines jeden Aufsichtsratsmitglieds zur Erhebung einer solchen Feststellungsklage folgt nach zutreffender Ansicht des Bundesgerichtshofs schon aus seiner Organstellung und der für jedes Mitglied sich daraus ergebenden, letztlich gemeinsamen Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der von ihnen gefassten Beschlüsse.75 Das Rechtsschutzinteresse ist vor allem nicht auf den Fall beschränkt, dass eine Verletzung organschaftlicher Mitwirkungsrechte vorliegt oder dass der Aufsichtsrat es ablehnt, einen Beschluss der Hauptversammlung zur Klageerhebung gegen den Vorstand nach § 147 Abs. 1 AktG auszuführen. Vielmehr folgt das rechtliche Interesse bereits aus der Stellung als Mitglied des Aufsichtsrats.76 Das rechtliche Interesse daran, dass die Unwirksamkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses festgestellt werde, mit dem die Klage gegen ein Vorstandsmitglied abgelehnt wurde, entfällt auch nicht dadurch, dass die Hauptversammlung ihrerseits eine Klageerhebung durch besondere Vertreter im Sinne von § 147 Abs. 3 AktG beschließt, was im Fall ARAG/Garmenbeck der Fall war.77
75 BGH ZIP 1997, 883, 884, unter Bezugnahme auf BGHZ 122, 342, 350 = ZIP 1993, 1079, 1081 f, dazu EWiR 1993, 809 (Rittner). 76 BGH ZIP 1997, 883, 884, unter Bezugnahme auf BGHZ 83, 144, 146 = ZIP 1982, 440; vgl. auch Mertens (Fußn. 17), § 108 Rz. 88; Lutter/Krieger (Fußn. 56), Rz. 289. 77 LG Düsseldorf ZIP 1995, 1985 = EWiR 1995, 1149 (Bork).
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Der Aufsichtsratsbeschluss ist unwirksam, wenn der Aufsichtsrat dabei die rechtlichen Schranken verletzt hat, die seinem Ermessen bei der vorliegenden Entscheidung gezogen waren, was der BGH nicht abschließend entscheidet, sondern durch Zurückverweisung der Prüfung durch das Oberlandesgericht überlässt. Die inhaltlichen Schranken für ein Ermessen des Aufsichtsrats, deren Verletzung der Bundesgerichtshof im vorliegenden Fall für möglich hält, wurden bereits erörtert. Kernaussage ist die erwähnte Pflicht des Aufsichtsrats, nach pflichtgemäßer Prüfung mit dem Ergebnis, dass die AG einen durchsetzbaren Ersatzanspruch nach § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG gegen ein Vorstandsmitglied hat, diesen Anspruch auch durchzusetzen. Der Bundesgerichtshof weist darauf hin, dass dieses Prüfungsergebnis einen Ermessensspielraum für die nachfolgende Frage, ob Klage tatsächlich erhoben werden soll, weitgehend ausschließt. Diese Pflicht zum Handeln in der genannten Situation ist rechtliche Konsequenz der nachträglichen Überwachungstätigkeit, mit dem der Aufsichtsrat den Vorstand zur Erfüllung seiner Pflichten anzuhalten hat.78 Der Aufsichtsrat kann diese Konsequenz lediglich gegen die bereits genannten anderen Gesichtspunkte des Unternehmenswohls abwägen. Insgesamt ist aber die Entscheidung durch den Aufsichtsrat hier weitgehend einer gerichtlichen Nachprüfung unterworfen. Der Bundesgerichtshof weist zu Recht darauf hin, dass dies jedenfalls für die Kernfrage gilt, ob ein Ersatzanspruch gegen den Vorstand besteht.79 Für die Abwägung mit anderen Gesichtspunkten des Unternehmenswohls kann dies nicht in gleichem Maß gelten. Hier muss sich das Gericht auf die Prüfung beschränken, ob vertretbare Argumente für die Entscheidung herangezogen wurden. [1139] Gerade diese Überprüfung des Aufsichtsratsbeschlusses und die Anerkennung der rechtlichen Möglichkeit, einen solchen Beschluss über die Ablehnung einer Ersatzklage gegen den Vorstand für nichtig zu erklären, hat Bedenken wegen des Eingriffs in die Willensautonomie der AG ausgelöst.80 Der Bundesgerichtshof hat jedoch keine Beseitigung der Willensautonomie der AG zugunsten einer totalen gerichtlichen Überprüfung befürwortet. Er hat lediglich in einem Fall, in dem in der Tat anders kaum zu entscheiden war, rechtliche Konsequenzen aus der gesetzlichen Pflichtenbindung des Vorstands und des Aufsichtsrats gezogen und aus der Tatsache, dass hier die rechtlichen Schranken der Handlungs- und Ermessensfreiheit der Organe der AG verletzt waren.81
BGH ZIP 1997, 883, 886 unter Bezugnahme auf Raiser, NJW 1996, 552, 554. BGH ZIP 1997, 883, 886 l. Sp. 80 Dreher, ZHR 158 (1994), 614 (615 f, 634 ff, 637 ff) im Hinblick auf die Entscheidung 1. Instanz im Fall ARAG/Garmenbeck, LG Düsseldorf ZIP 1994, 628. 81 Thümmel, DB 1997, 1117; ähnlich Timm, EWiR 1994, 629 zu LG Düsseldorf ZIP 1994, 628. 78 79
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V. Zusammenfassung 1. Um den Vorstand der AG zu einer pflichtgemäß sorgfältigen Geschäftsleitung anzuhalten, reicht in den meisten Fällen das personalpolitische Sanktionssystem aus, das Vorstandsmitglied, das durch fehlerhafte Entscheidungen aufgefallen ist, nicht wiederzubestellen und notfalls vorzeitig seines Amtes zu entheben (§ 84 Abs. 1 und 3 AktG). Daneben besteht die vom Gesetzgeber seit jeher vorgesehene Sanktion der Schadenshaftung des Vorstandsmitglieds gegenüber der AG für unsorgfältige Geschäftsleitung gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG. Diese Haftung spielt in der Praxis bei Verhandlungen über vorzeitiges Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds eine Rolle, bisher aber nur selten vor Gericht. Die Entscheidungen des OLG Düsseldorf vom 28. November 199682 und des Bundesgerichtshof vom 21. April 199783 haben die gerichtliche Durchsetzung dieser Haftung demonstriert und dabei über den Fall hinausgehende Grundsätze ausgesprochen. 2. Eine Schwäche der gesetzlichen Regelung liegt darin, dass nach § 93 AktG für jedes Verschulden gehaftet wird und damit in großem Umfang Fehler bei der Unternehmensleitungstätigkeit des Vorstands, wie sie in der Praxis kaum zu vermeiden sind, unter den Vorwurf eines haftungsbegründenden fahrlässigen Verhaltens geraten können. Demgegenüber ist es geboten, ähnlich wie im amerikanischen Gesellschaftsrecht (business judgement rule) einen haftungsfreien Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Vorstands anzuerkennen, innerhalb dessen der gesetzlich vorgezeichnete Fahrlässigkeitsvorwurf nicht gelten kann. Dies ist anzunehmen, wenn der Vorstand seine Entscheidung durch entsprechende Informationen sorgfältig vorbereitet, nicht in einem Interessenkonflikt handelt und eine vertretbare Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen trifft. Unter diesen Voraussetzungen ist eine Haftung wegen pflichtwidrigen Verhaltens ausgeschlossen. 3. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 21. April 199784 hat erstmals ausdrücklich diesen haftungsfreien Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Vorstandes als Teil seiner unternehmerischen Leitungsaufgabe anerkannt. Dies stimmt mit dem geltenden deutschen Aktienrecht überein, weil der Vorstand die Aktiengesellschaft gemäß § 76 Abs. 1 AktG unter eigener Verantwortung zu leiten hat, das Gesetz damit den für die Leitungsaufgabe unerlässlichen Handlungs- und Entscheidungsspielraum des Vorstandes anerkennt und § 93 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AktG in ihren haftungsrechtlichen Konsequenzen einschränkend im Sinne von § 76 Abs. 1 AktG auszulegen sind. OLG Düsseldorf ZIP 1997, 27. BGH ZIP 1997, 883. 84 BGH ZIP 1997, 883. 82 83
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4. Pflichtwidrige Handlungen und Entscheidungen des Vorstandes außerhalb des bezeichneten Handlungsfreiraums begründen eine Haftung nach § 93 Abs. 1 und Abs. 2 AktG. Der Haftungsfreiraum ist verlassen, wenn sich der Vorstand vor seiner Entscheidung oder Handlung nicht sorgfältig informiert oder wenn er in einem Interessenkonflikt handelt oder wenn seine Handlung oder Entscheidung unter keinem vernünftigen unternehmerischen Gesichtspunkt begründbar ist und der Vorstand nicht nach bestem Wissen und Gewissen handelt. 5. Ein haftungsbegründendes Verhalten des Vorstands im vorbezeichneten Sinn kann unabhängig davon vorliegen, ob dieses Verhalten im Übrigen gegen ein Gesetz oder die Satzung verstößt. Bei gesetzwidrigem Verhalten liegt eindeutig zugleich eine Pflichtwidrigkeit im Sinne von § 93 AktG vor. Hier ist aber stets zu prüfen, ob gerade diese Pflichtwidrigkeit zu einem ersatzfähigen Schaden geführt hat. Soweit das Verhalten zu Geldbußen der AG führt, ist der Normzweck dieser Bußen einschränkend zu beachten. 6. Dem Aufsichtsrat steht bei seiner Kontrolltätigkeit ebenfalls ein Handlungs- und Entscheidungsspielraum zu. Ein solcher Spielraum ist hinsichtlich der Frage, ob Ersatzansprüche nach § 93 AktG gegen Vorstandsmitglieder geltend gemacht werden sollen, jedoch nur sehr eingeschränkt gegeben. Denn diese Überprüfung ist Teil der nachträglichen Überwachungspflicht des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat muss diese Frage eigenverantwortlich prüfen, und zwar sowohl das Bestehen des Anspruchs selbst als auch die Chancen seiner Durchsetzung. Steht der AG nach dem Ergebnis dieser Prüfung ein durchsetzbarer Schadensersatzanspruch zu, hat der Aufsichtsrat diesen Anspruch grundsätzlich zu verfolgen. Er kann nur ausnahmsweise aus Gründen des Unternehmensinteresses und in seltenen Ausnahmefällen aus Gründen der persönlichen Rücksicht auf das betreffende Vorstandsmitglied davon absehen. 7. Aufsichtsratsbeschlüsse, die diese Grundsätze verletzen, können im Wege der Feststellungsklage nach § 256 ZPO für unwirksam erklärt werden. Klageberechtigt ist jedes Aufsichtsratsmitglied. 8. Die neuen Entscheidungen über die Verurteilung eines Vorstandsmitglieds auf Schadensersatz nach § 93 AktG und über die Feststellung der Nichtigkeit eines Aufsichtsratsbeschlusses, der die Verfolgung eines solchen Anspruchs abgelehnt hat, bedeuten nicht, dass künftig eine generelle gerichtliche Kontrolle des Vorstandshandelns oder der Aufsichtsratbeschlüsse angenommen werden muss. Die Urteile bezeichnen nur notwendige rechtliche Schranken, die dem Handlungs- und Ermessensspielraum des Vorstands und des Aufsichtsrats gezogen sind.
Die richterliche Kontrolle von Entgeltklauseln nach dem AGB-Gesetz am Beispiel der Kreditwirtschaft WM Sonderbeilage 1/1997 (23 S.) Inhaltsübersicht I. Die Entwicklung der richterlichen Entgeltkontrolle nach AGB-Gesetz 1. Die höchstrichterliche Rechtsprechung (1) BGHZ 106, 42 (nachschüssige Tilgungsverrechnung) (2) BGHZ 111, 287 (Disagio) (3) BGH WM 1991, 179 (Kontrolle von Zinsanpassungen bei „Idealkredit“) (4) BGHZ 114, 330 (Löschungsbewilligung) (5) BGHZ 116, 117 (Kfz-Kostenpauschale) (6) BGH WM 1992, 940 (Überziehungszins) (7) BGHZ 124, 254 (Barein- und -auszahlung am Schalter) (8) BGHZ 125, 343 (Überziehung bei Kreditkarte) (9) OLG Hamburg NJW 1996, 1902 (Kreditkarte im Ausland) (10) BGH WM 1996, 1080 (Postenpreisklauseln) 2. Aus der Rechtsprechung der Instanzgerichte (11) LG Heilbronn WM 1995, 1621 (Barauszahlung mittels Kreditkarte) (12) LG Mannheim WM 1995, 1805 (Preisaushang einer Volksbank) (13) LG Berlin WM 1996, 1007 (Preisverzeichnis einer Bank) (14) LG Nürnberg-Fürth WM 1996, 1624 (Preisverzeichnis eines Kreditinstituts) und OLG Nürnberg WM 1996, 1637 3. Eine Bewertung der Entwicklung: Entgeltkontrolle versus Privatautonomie a) Verschärfung der richterlichen Entgeltkontrolle? b) Die Fortentwicklung der Bankentgelte c) Das Bedürfnis nach klaren Kontrollkriterien II. System und Dogmatik der richterlichen Entgeltkontrolle nach dem AGB-Gesetz 1. Alle Entgeltklauseln unterliegen § 3 AGBG 2. Keine Inhaltskontrolle für Preise aufgrund § 8 AGBG a) Grundsatz: Preiskontrollverbot des § 8 AGBG b) Das Problem: Gibt es eine Kontrolle der verschiedenen Entgeltgründe? c) Kontrollfreie Teilentgelte und Sonderentgelte d) Sind Klauseln über Nebenleistungsentgelte und fakultative Sonderentgelte kontrollunterworfen? 3. Sonderfall: Die Inhaltskontrolle nachträglicher Entgeltbestimmungen und -anpassungen nach §315 BGB a) AGB-Klauseln über Bestimmungs- und Anpassungsrechte
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Die richterliche Kontrolle von Entgeltklauseln nach dem AGB-Gesetz
b) Die Billigkeitskontrolle der Bestimmung oder Anpassung c) Einbeziehung in die vertragliche Vereinbarung 4. Die Kontrollunterworfenheit von Preisnebenabreden a) Hauptkriterium: Modifikation des Entgeltversprechens (sekundäre Entgeltbestimmung) aa) Definition bb) Keine Anwendbarkeit auf Teil-, Neben- und Sonderentgelte, auch nicht in Preisaushängen und Preisverzeichnissen b) Zusatzkriterium: Abweichung vom dispositiven Recht 5. Inhaltskontrolle primärer Entgeltbestimmungen wegen Abweichung vom dispositiven Recht? a) Die Ausdehnung der Entgeltkontrolle in der Rechtsprechung b) Einwände gegen diese Begründung der Kontrollunterworfenheit aa) Keine Substitution durch dispositives Recht bb) Entgeltverbote des dispositiven Rechts? cc) essentilia und naturalia negotii 6. Kontrollmaßstäbe für die Unangemessenheit von primären Entgeltbestimmungen? a) Abweichung vom dispositiven Recht? b) Kein Entgelt für ohnehin Geschuldetes? c) Verbot einer Kumulierung von Entgelten für die gleiche Leistung? d) Verbot der Abwälzung von Gemeinkosten? e) Kostenerwägungen bei Leistungsbestimmungen und -anpassungen (§ 315 BGB) f) Kontrollmaßstäbe für die Entgelthöhe? aa) Die Entgelthöhe in der Rechtsprechung bb) Kontrollmaßstäbe? III. Das Transparenzgebot als Grundlage richterlicher Entgeltkontrolle 1. Alle Entgeltklauseln unterliegen dem Transparenzgebot 2. Der Zusammenhang von Kontrollfreiheit und Preistransparenz nach AGB-Recht und EG-Recht 3. Die Leistungsfähigkeit des Transparenzgebotes 4. Keine Überspannung der Transparenzanforderungen 5. Kontrollkriterien für die Transparenz primärer Entgeltbestimmungen i.S. §§ 3, 5 und 9 AGBG a) Preisgestaltungsfreiheit, Transparenz und Kundenerwartung b) Kundenerwartung und dispositives Recht c) Die Transparenz von Teil-, Neben- und Sonderentgelten d) Preisaushänge und Preisverzeichnisse e) Transparenz und wirtschaftlicher Nachteil IV. Zusammenfassende Thesen 1. Preisgestaltungsfreiheit. Zulässigkeit von Teil- und Sonderentgelten 2. Ausschluß überraschender Klauseln (§ 3 AGBG) und Transparenzgebot (§ 9 AGBG) 3. Die Bedeutung des dispositiven Rechts oder einer Rechtspflicht des Verwenders für die Kontrolle von Entgeltregelungen nach AGBG 4. Berücksichtigung der Kostenstruktur des Verwenders bei der richterlichen Entgeltkontrolle nach AGBG?
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I. Die Entwicklung der richterlichen Entgeltkontrolle nach AGB-Gesetz* 1. Die höchstrichterliche Rechtsprechung Die Rechtsprechung zur richterlichen Inhaltskontrolle von Entgeltregelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Viele Urteile betreffen Entgeltklauseln der Kreditwirtschaft, deren Entgeltwesen geradezu ein Testfeld für die hier auftretenden Rechtsfragen zu sein scheint. Zahlreiche Einzelfragen wurden geklärt. Die dabei angewandten Grundsätze über die Kontrollunterworfenheit von Entgeltklauseln und über die maßgeblichen Kontrollmaßstäbe haben aber auch viele Zweifelsfragen aufgeworfen und ergeben insgesamt ein unübersichtliches Bild. Die Entwicklung sei zunächst anhand wichtiger Urteile nachgezeichnet1. (1) Der III. Senat des Bundesgerichtshofs hat 1988 eine AGB-Klausel für ein Hypothekendarlehen, nach der die in der gleichbleibenden Jahresleistung enthaltenen Zinsen jeweils nach dem Stand des Kapitals am Schluß des vergangenen Tilgungsjahres berechnet werden (nachschüssige Tilgungsverrechnung), obwohl vierteljährliche Zins- und Tilgungsleistungen vorgesehen sind, wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot gem. § 9 AGBG für unwirksam erklärt2. Das Urteil ist unter zwei Gesichtspunkten von allgemeiner Bedeutung. (1) Es hat das Transparenzgebot neben der inhaltlichen Unangemessenheit zu einem wichtigen Kriterium der Inhaltskontrolle von Klauseln nach § 9 AGBG gemacht3. (2) Es wurde ferner die genannte AGBKlausel verworfen, obwohl § 20 Abs. 2 HypothekenbankG es gestattete, bei der Tilgungsverrechnung von der taggenauen Zinsberechnung abzuweichen. Dies verhinderte nicht die richterliche Bewertung als unangemessen i. S. § 9 AGBG4. Allerdings hat der BGH 1991 bestimmte Tilgungsverrech* Eine Zusammenfassung des folgenden Beitrags wurde auf dem 2. Wissenschaftlichen Symposium für Bankrecht am 18.11.1996 in Bonn vorgetragen. 1 Die folgenden Urteile betreffen mit einer Ausnahme (Nr. 5 BGHZ 116, 117 – Kfz.Kostenpauschale = WM 1992, 533 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.92 Niebling) Entgelte der Kreditwirtschaft. Aus der davorliegenden Rechtsprechung noch hervorzuheben BGHZ 93, 358 = WM 1985, 576 betr. Entgeltregelung für den Bezug von Zusatzwasser, also ebenfalls einen branchenfremden Sachverhalt betreffend. 2 Urt. v. 24.11.1988 = BGHZ 106, 42, 46 = WM 1988, 1780 = WuB I E 4. – 2.89 Canaris = NJW 1989, 222; fortgeführt in BGHZ 112, 115 = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. – 12.90 Westermann = NJW 1990, 2383. 3 Vgl. auch BGHZ 106, 259, 264 = WM 1989, 126 = WuB I A. Nr. 14 AGB-Banken 2.89 M. Wolf = ZIP 1989, 154; BGHZ 112, 115 = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. – 12.90 Westermann = ZIP 1990, 980; BGH ZIP 1991, 791, 792. 4 Nach Canaris, NJW 1987, 609, 611 war die Klausel wegen § 20 Abs. 2 HypothekenbankG nicht kontrollfähig, weil durch diese Erlaubnisnorm gedeckt. Dies wurde vom III. Senat ausdrücklich abgelehnt (S. 45).
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nungsklauseln für nicht unangemessen i.S. § 9 AGBG erklärt5. Dabei wurde sowohl eine Klausel, die ein Hinausschieben des Verzinsungsbeginns für Sparleistungen vorsah, für wirksam erklärt, als auch eine Klausel, nach der Darlehenszinsen vierteljährlich nach dem Stand zu Beginn des Kalendervierteljahres berechnet werden und Tilgungsleistungen sich erst im folgenden Kalendervierteljahr auf die Zinsberechnungen auswirken6. (2) 1990 erklärte der XI. Zivilsenat des BGH eine AGB-Klausel in einem Darlehensvertrag für unwirksam, die im Fall einer vorzeitigen Darlehensrückzahlung die anteilige Rückzahlung des Disagio ausschloß7. Als Ausgangspunkt bezeichnete der BGH den Parteiwillen, der durch Auslegung zu ermitteln sei und darüber bestimme, ob das Disagio als laufzeitabhängiges zinsähnliches Entgelt aufzufassen sei oder als einmalige Kostenvergütung. Der Senat stellte sodann einen Funktionswandel des Disagio fest. Dieses sei heute in der Vertragspraxis nicht mehr Abgeltung der laufzeitunabhängigen Aufwendungen des Darlehensgebers bei der Kreditbeschaffung und -gewährung, sondern weitgehend Bestandteil der laufzeitabhängigen Zinskalkulation geworden. Dies zeige sich auch daran, daß den Kunden häufig wahlweise ein Darlehen ohne Disagio mit erhöhtem Zins angeboten werde. Daraus folge die Auslegungsregel, daß im Zweifelsfall ein laufzeitabhängiges Entgelt gewollt sei. Als laufzeitabhängiges Entgelt aber sei das Disagio anteilig bei frühzeitiger Darlehensbeendigung zurückzugewähren, und dieses Recht könne nicht durch AGB ausgeschlossen werden. Der IX. Zivilsenat hat 1994 diese Rechtsprechung bestätigt8. Im Vordergrund des Urteils steht die Auslegung der Disagio-Vereinbarung (Laufzeitabhängigkeit), die als primäre Leistungsbestimmung nach § 8 AGBG nicht der Inhaltskontrolle unterliegt9. An dieser Auslegung orientiert sich dann die Bewertung der Klausel über den Ausschluß der Rückzahlung, die als Preisnebenabrede der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG unterworfen ist und im Ergebnis als unwirksam beurteilt wird.
5 Urt. v. 9.7.1991 = WM 1991, 1452 = WuB I E 4. – 16.91 M. Wolf = ZIP 1991, 1054 = NJW 1991, 2559 (betr. LBS Berlin); dazu Hensen, EWiR 1991, 841. 6 Vgl.auch BGH WM 1993, 2001 = WuB I E 4.-6.94 Fischer = NJW 1993, 3261. 7 Urt. v. 29.5.1990 = BGHZ 111, 287 = WM 1990, 1150 = WuB I E 4. – 9.90 W. Weber = NJW 1990, 2250. 8 Urt. v. 17.5.1994 = WM 1994, 1163 = WuB I F 1 a. – 9.94 Häuser = ZIP 1994, 938 = NJW 1994, 1790; dazu Olzen, EWiR 1994, 763; vgl. auch das Urt. d. XI. Senats v. 11.7.1995 = BB 1995, 2028. Danach ist bei der anteiligen Erstattung des Disagios wegen vorzeitiger Rückzahlung der Rückzahlungsbetrag nicht nach der Gesamtlaufzeit zu berechnen, wenn für einen Teil der Zeit Zinsfestschreibung vereinbart ist, für einen anderen Teil nicht. Maßgeblich ist nur die Zeit der Zinsfestschreibung; vgl. auch BGH WM 1996, 2047 (XI. Senat) = WuB I E 3. – 1.97 Wenzel: Laufzeitabhängigkeit des Disagio als Regel; keine anteilige Rückerstattung bei vorzeitiger Beendigung des Vertrags wegen Verschulden des Kreditnehmers. 9 Dazu nachstehend II.2.
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Die Disagio-Rechtsprechung verwehrt es den Banken freilich nicht, auch ein laufzeitunabhängiges und zugleich nicht rückzahlbares Einmalentgelt zu verlangen. Dabei sind die folgenden einschränkenden Bedingungen zu beachten: (a) das Einmalentgelt muß ausdrücklich vereinbart und (z.B. als „Bearbeitungsgebühr“) gekennzeichnet sein, um die Auslegungsregel zu überwinden, daß im Zweifel ein laufzeitabhängiges, zinsminderndes Teilentgelt gewollt ist, das bei vorzeitiger Beendigung teilweise zurückzuerstatten ist10, (b) Dieses Entgelt muß sich „noch im Rahmen dessen“ halten, „was Banken, wenn sie einmalige Nebenkosten ausweisen, üblicherweise – etwa als Bearbeitungsgebühr – verlangen“11. Diese Grenze zieht der BGH bei 2–3 % der Darlehenssumme12. (3) Ende 1990 hatte der XI. Zivilsenat einen Kontokorrentkredit mit variablem Zinssatz und festen Rückzahlungsmindestraten („Idealkredit“) zu beurteilen13. Dabei ging es einmal um die richtige Methode der Berechnung des Effektivzinses (auf der Grundlage des anfänglichen Nominalzinses) zur Beantwortung der Frage, ob er der Höhe nach gegen § 138 Abs. 1 BGB verstößt. Im Rahmen unserer Überlegungen ist das Urteil aber aus einem anderen Grund von Interes- [5] se, nämlich soweit sich die Bank die einseitige nachträgliche Änderung des Zinssatzes („Zinsanpassung“) vorbehalten hatte. Der Senat entschied, daß unter der Voraussetzung, daß die anfängliche Zinsvereinbarung nicht gegen § 138 BGB verstößt, jede nachträgliche Zinsanpassung der gerichtlichen Überprüfung nach § 315 BGB unterliegt14. Der im Vertrag vereinbarte Anfangszins unterliegt dieser Kontrolle nicht und darf daher nicht unter Berufung auf § 315 BGB in seinem Grundgefüge zugunsten des Kreditnehmers verändert werden. (4) 1991 erklärte der XI. Zivilsenat eine AGB-Klausel einer Bank für unwirksam, derzufolge für die Ausfertigung einer Löschungsbewilligung für ein Grundpfandrecht durch die Bank nach Darlehenstilgung ein Entgelt zu entrichten sei15. Der XI. Senat führte aus, mit der Erteilung der Löschungsbewilligung erfülle die Bank nur ihre gesetzliche Verpflichtung nach § 1144 BGB. Dafür könne sie zwar Ersatz der Kosten, nicht aber ein Entgelt verlangen. Es handele sich auch nicht um eine Dienstleistung der Bank, für die ein Entgelt nach § 354 HGB verlangt werden könne.
Vgl. BGHZ 111, 287, 290 u. 293 = WM 1990, 1150 = WuB I E 4. – 9.90 W. Weber. BGHZ 111, 287, 293 = WM 1990, 1150 = WuB I E 4. – 9.90 W. Weber. 12 BGHZ 111, 287, 293 = WM 1990, 1150 = WuB I E 4. – 9.90 W. Weber im Anschluß an Hopt/Mülbert, Kreditrecht, 1989, § 608 Rdn. 9 a.E. 13 BGH WM 1991, 179 = WuB I E 2 b. – 4.91 Kessler = NJW 1991, 832. 14 BGH WM 1991, 179 = WuB I E 2 b. – 4.91 Kessler = NJW 1991, 832, Leitsatz 3. 15 Urt. v. 7.5.1991 = BGHZ 114, 330, 333 = WM 1991, 1113 = WuB I A. Nr. 22 AGBBanken 2.91 Sonnenhol = NJW 1991, 1953. 10 11
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Die richterliche Kontrolle von Entgeltklauseln nach dem AGB-Gesetz
(5) Der X. Zivilsenat des BGH hat in einer Entscheidung von 1991 eine Klausel in AGB eines Rohrreinigungs-Unternehmens, die einen pauschalen Kfz-Kostenanteil pro Anfahrt zusätzlich zum sonstigen Entgelt vorsah, von einer Inhaltskontrolle nach §§ 9–11 AGBG ausgenommen, weil sie als Preisabrede nicht dieser Inhaltskontrolle unterliege16. Die Bedeutung des Urteils hegt darin, daß es eine Aufspaltung des Preises in mehrere Preiselemente oder Teil entgelte für unschädlich hält und als einen Umstand bezeichnet, der noch nicht die Kontrollunterworfenheit solcher Entgeltklauseln begründet. Damit war eine Distanzierung von der früheren Rechtsprechung des Senats verbunden, der eine Unterscheidung von Hauptleistungen und Nebenleistungen und entsprechend von Hauptentgelten und Nebenentgelten vorgenommen und Klauseln über Nebenentgelte der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG unterworfen hatte17. Diese Rechtsprechung über die Kontrollunterworfenheit von Nebenleistungen war seinerzeit auf nachdrückliche Kritik gestoßen18. (6) 1992 hat der XI. Zivilsenat AGB-Klauseln in Giroverträgen für wirksam gehalten, die der Bank das Recht einräumen, einem Kunden für nicht genehmigte Überziehungen einen über dem Kreditzins liegenden Überziehungszins zu berechnen19. Eine solche vom Kunden einseitig in Anspruch genommene Überziehung stelle eine zusätzliche Leistung der Bank dar, für die sie einen höheren Zins als für bereits bewilligte Kredite verlangen könne. Dafür spräche auch, daß geduldete Kontoüberziehungen gegenüber den ausdrücklich vereinbarten Krediten regelmäßig einen größeren Arbeitsaufwand und ein erhöhtes Risiko mit sich brächten. Dieser Überziehungszins brauche auch nicht vorher der Höhe nach festgelegt zu werden; ein insoweit der Bank eingeräumtes Leistungsbestimmungsrecht sei unbedenklich, weil einerseits die wechselnden Marktbedingungen ein sachliches Bedürfnis für eine flexible Festlegung des Überziehungszinses darstellen, andererseits die Sparkasse ihr Ermessen bei der Leistungsbestimmung (bzw. Leistungsänderung) nach Billigkeit ausüben müsse. Dabei habe sie die von der Rechtsprechung für diese Fälle entwickelten einschränkenden Kriterien zu beachten, nämlich eine Orientierung an der Marktentwicklung und die Berücksichtigung auch solcher Entwicklungen, die für den Kunden günstig sind20. 16 Urt. v. 19.11.1991 = BGHZ 116, 117 = WM 1992, 533 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.92 Niebling = NJW 1992, 688. 17 Urt. v. 5.6.1984 = BGHZ 91, 316 = WM 1984, 999. 18 Schlosser, ZIP 1985, 449, 455; Stumpf, BB 1985, 963; Thamm, DB 1985, 375; Micklitz, BB 1988, 639; Überblick bei Meder, NJW 1996, 1849, 1850. 19 Urt. v. 14.4.1992 = WM 1992, 940 = WuB I A. Nr. 14 AGB-Banken 2.92 Hadding = ZIP 1992, 751 und 754; dazu Koller, EWiR 1992, 527; vgl. auch BGHZ 95, 362, 370 f. = WM 1985, 1305 = WuB I B 7. – 1.86 Pleyer über die zulässige vorweggenommene Einigung über künftige Zinsen bei Stundung. 20 Unter Bezugnahme auf BGHZ 97, 212, 217 = WM 1986, 580 = WuB I E 1. – 13.86 Stützle = ZIP 1986, 698.
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(7) 1993 erklärte der XI. Zivilsenat Gebührenklauseln für Einzahlungen am Bankschalter für unwirksam; das gleiche Verdikt traf Gebührenklauseln für Auszahlungen am Bankschalter, sofern nicht alternativ dem Kunden die Möglichkeit zur kostenfreien Abhebung an Geldausgabeautomaten der Bank eingeräumt wurde21. Der BGH qualifizierte beide Klauseln als Preisnebenabreden, die der Kontrolle nach AGB-Gesetz unterworfen seien, weil sie vom dispositiven Vertragsrecht des Girokontovertrags abwichen. Sowohl die Bareinzahlung als auch die Barauszahlung beträfen untergeordnete Nebenpflichten aus dem zwischen Kunde und Bank bestehenden Girovertrag. Namentlich die Verpflichtung der Bank zur jederzeitigen Barauszahlung sei eine Nebenpflicht aus dem Darlehensverhältnis, für deren Erfüllung das Gesetz kein besonderes Entgelt vorsehe. Gleiches gelte für die Darlehenstilgung durch Bareinzahlung (wenn das Konto debitorisch geführt wurde). Zwar enthalte der Girokontovertrag auch Dienstleistungspflichten. Die Tätigkeit der Bank bei Bareinzahlungen und -auszahlungen stelle jedoch keine wesentliche, selbständige Dienstleistung dar. Dieses Urteil hat die Diskussion über die richterliche Inhaltskontrolle von Entgeltregelungen der Banken belebt22 und die Bankpraxis verunsichert. (8) Im März 1994 erklärte der XI. Senat AGB eines Kreditkartenunternehmens für unwirksam, die (1) eine pauschale Überziehungsgebühr für Fälle nicht fristgerechter Zahlung durch den Kunden festlegen, (2) Zinspflichten, die durch die Überschreitung eines Zahlungsziels ausgelöst werden, auf davorliegende Zeiträume erstrecken sowie (3) AGB, die dem Unternehmen ein Recht zur fristlosen Kündigung auch ohne wichtigen Grund einräumen23. Die erstgenannte Klausel, die eine Überziehungsgebühr von DM 5,– pro Monat vorsah, sei als unzulässige Vertragsstrafe bereits nach § 11 Nr. 6 AGBG unwirksam. Die zweite Klausel über die rückwirkende Verzinsung des Aufwendungsersatzanspruchs gegen den Kunden bei Überschreiten einer bestimmten Zahlungsfrist wurde vom BGH nicht als kontrollfreie Entgeltregelung für die Hauptleistung eingestuft, sondern als Entgelt für eine fakultativ angebotene Zusatzleistung, nämlich die nachträgliche Umwandlung des Aufwendungsersatzanspruchs in ein verzinsliches Darlehen. Die Regelung des Entgeltes für diese nur möglicherweise später in Anspruch genommene Zusatzleistung sei aber, wie der Senat in Übereinstimmung mit seiner früheren Rechtspre-
21 Urt. v. 30.11.1993 = BGHZ 124, 254 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer = ZIP 1994, 21. 22 Vgl. nur Graf von Westphalen, WM 1995, 1209 ff.; Canaris, WM 1996, 237 ff.; Derleder/Metz, ZIP 1996, 573 ff., 621 ff. 23 Urt. v. 29.3.1994 = BGHZ 125, 343 = WM 1994, 882 = WuB I F 4. – 4.95 Etzkorn.
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chung ausführt, [6] einer Kontrolle nicht entzogen24. Die Regelung führe zu einer Verzinsungspflicht für den Zeitraum vor Fälligkeit und in Fällen einer geringfügigen zeitlichen Überschreitung des Zahlungsziels zu einer unverhältnismäßig hohen Zusatzbelastung; die Regelung verstoße daher gegen § 9 AGBG. (9) Das OLG Hamburg hat eine Klausel in AGB eines Kreditkartenunternehmens für unwirksam erklärt, die für den Einsatz der Karte im Ausland neben der Grundgebühr ein zusätzliches Entgelt festlegt25. Die Klausel sei kontrollfähig, weil sie das Entgelt für den Karteneinsatz modifiziere, indem sie den Auslandseinsatz aus der einheitlichen Leistungsbeschreibung herausnehme. Die Klausel sei unangemessen, schon weil sie die mit der Jahresgebühr abgegoltene Leistung mit einem zusätzlichen Entgelt belaste. Ferner sei die Dienstleistung für Auslandseinsatz im wesentlichen die Währungsumrechnung, die aber Sache des Karteninhabers als des Fremdwährungsschuldners (der Erstattungsbeträge) sei (arg. § 270 Abs. 1 und § 244 Abs. 2 BGB). Schließlich verstoße die Klausel auch insoweit gegen das Transparenzgebot, als sie kumulativ zur Barabhebungsgebühr im Ausland ein Entgelt vorsehe. Das Urteil hat eine Diskussion in der Literatur ausgelöst26 und steht zur Revision beim BGH an. (10) 1996 hat der XI. Zivilsenat des BGH AGB für private Girokonten für wirksam gehalten, die Postenpreisklauseln für Buchungen auf dem Konto vorsehen, und zwar auch dann, wenn sie Bareinzahlungen und Barauszahlungen am Kassenschalter mitumfassen. Diese Postenpreisklauseln verstießen nicht gegen § 9 AGBG, wenn den Kunden zugleich mindestens 5 Freiposten im Monat gewährt werden27. Im gleichen Urteil erklärte der Senat Postenpreisklauseln für die Inanspruchnahme von Geldautomaten für kontrollfrei, weil sie das Entgelt für eine Sonderleistung des Kreditinstituts regeln. Im neuen Urteil betont der Senat den Charakter des Girovertrags als Geschäftsbesorgungsvertrag, der für die Beteiligten „ein Bündel von Rechten und Pflichten“ begründet. Das Kreditinstitut sei berechtigt, für seine Tätigkeit im Rahmen des Giroverhältnisses Vergütungen zu verlangen und diese in Allgemeinen Geschäftsbedingungen festzulegen. Dabei könne es sich auch 24 BGHZ 125, 343, 347 = WM 1994, 882 = WuB I F 4. – 4.95 Etzkorn unter Bezugnahme auf das Senatsurteil BGHZ 118, 126, 127 = WM 1992, 940 = WuB I A. Nr. 14 AGB-Banken 2.92 Hadding (betr. spätere Überziehungszinsen); ebenso BGHZ 95, 362, 370 f. = WM 1985, 1305 = WuB I B 7. – 1.86 Pleyer (betr. spätere Stundungszinsen). 25 OLG Hamburg WM 1996, 1173 = NJW 1996, 1902. 26 Vgl. Meder, NJW 1996, 1849–1854. Meder befürwortet die Zulässigkeit einer isolierten „Bepreisung“ des Auslandseinsatzes von Kreditkarten. Zum Urteil auch Derleder/ Metz, ZIP 1996, 573 ff., 621 ff. Zum Urteil der Vorinstanz Wand, WM 1996, 289 ff. 27 BGH, Urt. v. 7.5.1996 = WM 1996, 1080 = ZIP 1996, 1079; dazu Horn, WuB IV C. § 8 AGBG 2.96.
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an der Kontoführung und deren von Fall zu Fall unterschiedlichem Umfang orientieren. Die Entscheidung ist geeignet, eine gewisse Beruhigung in die Debatte zu bringen, die durch das Barauszahlungsurteil von 1993 ausgelöst wurde. 2. Aus der Rechtsprechung der Instanzgerichte Um ein möglichst vollständiges Bild davon zu erhalten, in wie großem Umfang sich gegenwärtig die Gerichte mit Entgeltklauseln und Preisverzeichnissen der Kreditinstitute befassen und welche Unsicherheiten dabei auftreten, ist ein Blick auch auf jüngste erstinstanzliche Urteile auf diesem Gebiet notwendig. (11) Das LG Heilbronn hat die in AGB eines Kreditkartenunternehmens festgelegte Vergütung von Barauszahlungen mittels Kreditkarte für zulässig nach AGB-Gesetz erklärt28. Die Urteilsbegründung zeigt die Unsicherheit, die in der Dogmatik der Kontrollfähigkeit von Entgeltregelungen entstanden ist. Das Landgericht hält die Regelung für eine kontrollfähige Preisnebenabrede, obwohl es sich nach seiner Bewertung um eine zusätzliche Serviceleistung handele, die von der Hauptleistung zu unterscheiden sei. Die Regelung sei wegen der erhöhten Kosten dieses Service aber nicht unangemessen und daher wirksam. (12) Das LG Mannheim hat die im Preisaushang einer Volksbank unter der Rubrik „Sonstiges“ vorgesehene Entgeltregelung, die für die Bearbeitung eines Freistellungsantrags von der Kapitalertragssteuer (Quellensteuer) für den Kunden eine Bearbeitungsgebühr von DM 12,– vorsieht, für zulässig erklärt. Die Regelung unterliegt nach Meinung des Gerichts nicht der Inhaltskontrolle, weil die Bank mit dem Kunden, der den Freistellungsantrag bei ihr abgibt, einen besonderen Geschäftsbesorgungsvertrag über die Antragsbearbeitung abschließe. Da dies eine neue, selbständige Leistung sei, seien weder die Grundsätze des Ein- und Auszahlungsurteils des BGH29 noch des Löschungsbewilligungs-Urteils30 anwendbar. Die Entgeltklausel im Preisverzeichnis regele nur die Höhe des Entgelts, das schon vertraglich geschuldet sei und sich auf eine besondere, eigenständige Leistung beziehe31. Auch das OLG München hält eine solche Entgeltregelung für wirksam32. LG Heilbronn WM 1995, 1621 = WuB I D 5 a. – 3.96 Harbeke. BGHZ 124, 254 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer = ZIP 1994, 21; vgl. oben Nr. 7. 30 BGHZ 114, 330 = WM 1991, 1113 = WuB I A. Nr. 22 AGB-Banken 2.91 Sonnenhol = ZIP 1991, 857; vgl. vorstehend Nr.4. 31 LG Mannheim = WM 1995, 1805 = WuB IV C. § 8 AGBG 1.96 Schebesta = ZIP 1995, 1506; nicht rechtskräftig. Zum Urteil krit. Metz, EWiR 1995, 1073. 32 OLG München WM 1996, 1769. 28 29
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(13) Das LG Berlin erklärte folgende Klauseln im Preisverzeichnis einer Bank wegen Verstoßes gegen § 9 AGBG für unwirksam: Dauerauftrag-Nichtausführung mangels Deckung DM 3,–; Überweisungs-Nichtausführung mangels Deckung DM 3,–; Scheckrückgabe bis DM 100,– DM 5,–; Scheckrückgabe über DM 100,– DM 10,–; Lastschriftrückgabe bis DM 100,– DM 5,–; Lastschriftrückgabe über DM 100,– DM 10,–33. Alle Klauseln wurden als kontrollfähige Preisnebenabreden bewertet. Die beiden ersten Klauseln über die Nichtausführung von Daueraufträgen und Überweisungen mangels Deckung wurden verworfen, weil sie bei der gebotenen kundenfeindlichsten Auslegung auch den Fall erfaßten, daß es an der Deckung wegen eines Fehlers der Bank (zu späte Ausführung, versehentliche Falschabbuchung) mangelt. Der bedenkenswerte Einwand, ein schuldhaftes Verhalten der Bank müsse auch bei kundenfeindlichster Auslegung außer Betracht bleiben, weil es selbstverständlich zur Haftung der Bank führe und das Entgelt entfallen lasse34, wurde abgelehnt. Mit der gleichen Begründung, daß die Klausel den Fall schuldhaften Verhaltens der Bank nicht berücksichtige, wurde die Entgeltklausel für Lastschriftrückgaben für unwirksam erklärt, und zwar in Übereinstimmung mit Urteilen der Landgerichte Hannover35 [7] und Nürnberg-Fürth36, während das OLG Nürnberg wenig später Ergebnis und Begründung verwarf, weil auch bei kundenfeindlichster Auslegung von der ordnungsgemäßen Vertragserfüllung durch den Verwender auszugehen sei37. Das LG Berlin verwarf schließlich auch die Klauseln über Entgelte bei Scheckrückgaben, weil sie auch die Fälle umfaßten, daß der vom Kunden eingereichte Scheck nicht unterschrieben oder nicht gedeckt sei. Der naheliegende Gedanke, daß dies in den Risikobereich des einreichenden Kunden fällt, wurde nicht erwogen. (14) Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte ebenfalls eine Reihe von Klauseln in Preisverzeichnissen eines Kreditinstituts zu beurteilen und hat einen Teil von ihnen für unwirksam erklärt38. Unwirksam sei die Klausel „Kontopfändung DM 50,–“ nicht nach Grund und Höhe, wohl aber, weil sie nicht nach dem tatsächlichen Aufwand differenziere; schließlich gebe es Mehrfachpfändungen, die kostengünstiger zu bewältigen seien39. Gnade fand dagegen die Klausel „Verpfändungsanzeige von Dritten DM 35,–“, da die Bank in diesen Fällen prüfen müsse, ob das verpfändete Recht rich-
LG Berlin WM 1996, 107. So auch OLG Nürnberg WM 1996, 1627, 1628 betr. Lastschriftrückgabe. 35 LG Hannover WM 1996, 61. 36 LG Nürnberg-Fürth WM 1996, 1624; i.F. Nr. 14. 37 OLG Nürnberg WM 1996, 1627, 1628. 38 LG Nürnberg-Fürth WM 1996, 1624. 39 LG Nürnberg-Fürth WM 1996, 1624, 1626. 33 34
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tig bezeichnet ist und besteht, und weil sie ferner eine Sperre und Sonder überwachung vorzunehmen habe. Die Klausel „Bankauskunft (Fragen an uns) DM 20,–“ wurde nicht beanstandet, zumal die Bank nach ihren AGB Bankauskünfte über Privatkunden nur erteile, wenn diese generell oder im Einzelfall ausdrücklich zugestimmt haben. Die Klausel „Kündigung, Auslagenersatz DM 25,–“ verstoße gegen den Grundsatz, daß die Bank ihre Vertragsbeendigungskosten bei ordentlicher Kündigung (durch die Bank, aber wohl auch durch den Kunden) nicht gesondert berechnen dürfe. Die Entgeltklausel für Grundschuldlöschung wurden in Übereinstimmung mit der BGH- Rechtsprechung40 verworfen. 3. Eine Bewertung der Entwicklung: Entgeltkontrolle versus Privatautonomie? a) Verschärfung der richterlichen Entgeltkontrolle? Schon 1987 hat Canaris im Anschluß an Schlosser von einer sich ständig verschärfenden Praxis des BGH zur Inhaltskontrolle von AGB mit preisrechtlichem Gehalt gesprochen41. Das Problem der richterlichen Entgeltkontrolle in AGB ist also keineswegs neu, sondern Gegenstand einer umfangreichen und anhaltenden Diskussion auch in der Fachliteratur42. Eine Verschärfung der richterlichen Entgeltkontrolle wurde neuerdings vor allem im Urteil des XI. Senats von 1993 über die Unzulässigkeit von Preisklauseln für bare Ein- und Auszahlungen am Bankschalter gesehen43. Die Rechtsprechung der
40 BGHZ 114, 330 = WM 1991, 1113 = WuB I A. Nr. 22 AGB-Banken 2.91 Sonnenhol = NJW 1991, 1953. 41 Canaris, NJW 1987, 609, 617. 42 Bader, BB 1986, 543 ff.; ders., BB 1986, 1797 ff.; ders., BB 1987, 348 ff.; Baums, WM 1987 SBeil. Nr. 2, S. 9 ff.; Brandner, Festschr. Hauß, 1978, S. 1 ff.; Bruchner, WM 1987, 449 ff.; Canaris, NJW 1987, 609 ff.; ders., WM 1996, 237 ff.; Derleder/Metz, ZIP 1996, 573 ff. und 621 ff.; Dylla-Krebs, Schranken der Inhaltskontrolle Allgemeiner Geschäftsbedingungen, 1990 (dazu Baukelmann, WM 1991, 1617); Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, § 9 III; Hasselbach, ZIP 1996, 1457 ff.; Horn, NJW 1985, 1118 ff.; ders., Die AGB-Banken 1993, S 65 ff., 108 ff.; Joost, ZIP 1996, 1685; Köndgen, NJW 1987, 160 ff.; Kollhosser, ZIP 1986, 1429 ff.; Löwe, NJW 1987, 937 ff.; Meder, NJW 1996, 1849 ff.; Niebling, Die Schranken der Inhaltskontrolle nach § 8 AGBG, 1988; ders., ZIP 1987, 1433 ff.; ders., WM 1992, 845 ff.; Trinkner/Wolfer, BB 1987, 425; Schimansky WM 1995, 461 ff., 463 f.; Schlosser, ZIP 1985, 449 ff.; Schmuck, BB 1986, 1794 ff.; Steiner, WM 1992, 425 ff.; Wand, WM 1996, 289 ff.; Wenzel, WM 1995, 1433 ff.; Westermann, in: Heinrichs/Löwe/Ulmer (Hrsg.), Zehn Jahre AGBG (RWS-Forum 2), 1987, S. 135 ff.; Graf von Westphalen, WM 1995, 1209 ff.; Zoller, BB 1987, 421 ff. 43 BGHZ 124, 254 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer, vgl. vorstehend 1 (7).
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Instanzgerichte zeigt eine Tendenz zur verstärkten Inhaltskontrolle von Entgeltklauseln, wie die oben (2 Nr. 13 und 14) genannten Beispiele zeigen. In der Literatur haben namentlich Derleder und Metz eine weitreichende richterliche Inhaltskontrolle von Entgeltklauseln befürwortet44. b) Die Fortentwicklung der Bankentgelte Andererseits ist die Bankwirtschaft in den letzten Jahren dazu übergegangen, das Entgeltwesen im Bereich ihrer vielfältigen Dienstleistungen weiterzuentwickeln und stärker Entgelte aus dem Dienstleistungssektor zu erwirtschaften45. Köndgen hat daher spöttisch von einer „wundersamen Gebührenvermehrung“ bei den Dienstleistungsentgelten der Banken gesprochen46, Schimansky von der „Bereicherung der Entgeltpalette“47. Nun sind die Preisaushänge und Preisverzeichnisse der Kreditinstitute keine neue Erfindung. Sie bestehen seit langem und ihre grundsätzliche Zulässigkeit und wirksame Vereinbarung ist kaum umstritten, obwohl viele Einzelfragen noch klärungsbedürftig sein mögen48. Die Frage der inhaltlichen Unangemessenheit der hier zusammengefaßten Entgeltklauseln fand lange Zeit keine größere Aufmerksamkeit. Das hat sich geändert, und die Verbraucherverbände haben mobil gemacht, wie die zahlreichen Gerichtsverfahren zeigen. c) Das Bedürfnis nach klaren Kontrollkriterien Die Rechtsprechung reagiert, und sie tastet sich vor. In einer Reihe von Urteilen wird der Gestaltungsspielraum der Kreditinstitute bei Entgeltklauseln spürbar beschnitten, und die dafür gegebenen Begründungen sind von sehr unterschiedlicher Überzeugungskraft. Andererseits wurde im Urteil des XI. Senats des BGH von 1996 über Postenpreisklauseln durchaus die Freiheit eines jeden Kreditinstituts betont, für seine Dienstleistungen besondere Entgelte zu verlangen und dafür sachgerechte Anknüpfungskriterien auszuwählen49.
Derleder/Metz, ZIP 1996, 573 ff., 621 ff. Zu dieser Tendenz kritisch Derleder/Metz, ZIP 1996, 573; Reifner, JZ 1994, 474, 476. 46 Köndgen, NJW 1996, 562. 47 Schimansky, WM 1995, 461, 465 im Hinblick auf die unwirksame Entgeltklausel für Bareinzahlungen und -auszahlungen am Schalter und unter Erwähnung der „eindeutig unzulässigen Kontoauflösungsgebühr“. 48 BGHZ 111, 388 = WM 1990, 1785; Überblick bei Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, 3. Aufl. 1994, § 23 Rdn. 708–723; die Zweifelsfragen werden von Derleder/ Metz, ZIP 1996, 573, 578 f. betont. 49 BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. 44
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Das Hauptproblem der derzeitigen Rechtsprechungssituation besteht darin, daß sie ein unübersichtliches Bild bietet und daß viele Zweifelsfragen und Unklarheiten zu verzeichnen sind. Die Entgeltregelungen in der Kreditwirtschaft und ggf. in anderen Branchen sind daher auch mit wirtschaftlichen Ungewißheiten belastet. Werden bestimmte Klauseln [8] für unwirksam erklärt, die man – z.T. seit langem – verwendet hat, ergeben sich im Massengeschäft der Banken nicht unerhebliche Veränderungen der kalkulatorischen Grundlagen. Aus der Rückwirkung der Unwirksamkeit folgen unvorhergesehene wirtschaftliche Belastungen. Diese Rückwirkung ist nur im eher seltenen Fall eines anerkannten „Wertewandels“ begrenzt50. Die sachlichen Anlässe der Rechtsprechung – der Schutz des Kunden vor überraschenden oder unklaren nachteiligen Entgeltklauseln – und zugleich ihr Bemühen, dabei eine allgemeine Preiskontrolle zu vermeiden, sind leicht zu erkennen. Schwieriger ist es, Kriterien für die Ausübung und die Begrenzung der richterlichen Entgeltkontrolle in einer Weise herauszuarbeiten, die Klarheit schafft, auf Akzeptanz bei den Gerichten rechnen kann und der bankgeschäftlichen Praxis eine Orientierung ermöglicht. Dabei geht es einmal um die Frage, inwieweit Kreditinstitute und andere Verwender berechtigt sind, die Entgelte für ihre vertraglichen Leistungen in Teilentgelte und Sonderentgelte aufzuteilen. Eine Kernfrage ist es, ob Entgeltklauseln, die sich auf die Festlegung eines Entgeltes beschränken (primäre Entgeltbestimmungen), einer vollen Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG unterliegen, insbesondere wenn sie in Preisaushängen oder Preisverzeichnissen enthalten sind. Es wird ferner zu untersuchen sein, ob besondere Kontrollmaßstäbe für primäre Entgeltklauseln bestehen oder entwickelt werden können und welche Rolle dabei das dispositive Recht oder die Betrachtung der Kostenstrukturen übernehmen kann. Es wird im folgenden der Versuch unternommen, die richterliche Kontrolle von Entgeltklauseln nach AGB-Gesetz möglichst auf einfache Grundprinzipien zurückzuführen. Diese werden im Ausschluß überraschender Klauseln gem. § 3 AGBG und im Transparenzgebot i. S. § 9 AGBG gesehen. § 3 AGBG kommt andererseits auch bei solchen Klauseln zum Zuge, die nach § 8 AGBG einer Inhaltskontrolle nach §§ 9–11 AGBG entzogen sind, was unstreitig zumindest auf bestimmte Entgeltklauseln zutrifft51. § 3 AGBG kann also gerade bei Entgeltklauseln für Transparenz sorgen. Die Norm teilt diese Funktion freilich mit dem aus § 9 AGBG entwickelten Transparenzgebot, was noch (nachstehend III) zu erörtern ist.
50 Zur grundsätzlichen Rückwirkung der Unwirksamkeit von AGB vgl. BGH WM 1996, 436 = WuB I F 1 a. – 12.96 Richrath/Schröter = ZIP 1996, 456. Krit. Hadding, EWiR 1996, 735, 736. 51 Dazu i.F. II.2.
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Die richterliche Kontrolle von Entgeltklauseln nach dem AGB-Gesetz
II. System und Dogmatik der richterlichen Entgeltkontrolle nach dem AGB-Gesetz 1. Alle Entgeltklauseln unterliegen § 3 AGBG Vorformulierte Entgeltklauseln in AGB oder in Tarifwerken wie z.B. in den Preisaushängen und Preisverzeichnissen der Kreditinstitute sind AGB und unterliegen daher dem AGB-Gesetz52. Für Entgeltklauseln gilt insbesondere § 3 AGBG53; danach werden überraschende Klauseln nicht Bestandteil des Vertrags. § 3 AGBG will Klauseln mit einem Übertölpelungseffekt ausschließen54 und dient auf diese Weise der Transparenz der AGB55. Die Norm tritt in der Praxis bisweilen deshalb etwas in den Hintergrund, weil sich die überraschende Eigenschaft einer Klausel i.S.v. § 3 AGBG und ihre Unangemessenheit i.S.v. § 9 AGBG überlagern56, zugleich aber § 9 AGBG den weiterreichenden Schutz verspricht. Denn erstens wendet sich das abstrakte Kontrollverfahren nach §§ 13 ff. nach dem Gesetzeswortlaut nur gegen Klauseln, die i.S. §§ 9–11 AGBG inhaltlich unangemessen sind. Dagegen sind überraschende Klauseln i.S. § 3 AGBG nach ü.M., die allerdings bestritten ist, nicht erfaßt57. Zweitens kann die Üblichkeit einer Klausel ihren überraschenden Charakter entfallen lassen, steht aber ihrer Bewertung als unangemessen nicht entgegen58. Damit ist eine gewisse Tendenz der Rechtsprechung zur Anwendung des § 9 AGBG erklärt worden59. 2. Keine Inhaltskontrolle für Preise aufgrund § 8 AGBG a) Grundsatz: Preiskontrollverbot des § 8 AGBG Preisvereinbarungen, die sich in AGB, z.B. in Tarifen, Preisverzeichnissen oder privaten Gebührenordnungen finden, unterliegen nach § 8 AGBG 52 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 13, 14; BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. 53 Heinrichs, Festschr. Trinkner, 1995, S.157 ff., 160. 54 Vgl. z.B. BGHZ 84, 109, 112 = WM 1982, 871 = NJW 1982, 2309; BGH WM 1985, 155 = WuB I F 1 a. – 1.85 Schröter = NJW 1985, 848, 849; im Fall verneinend BGHZ 100, 82, 85 = WM 1987, 586 = WuB I F 3. – 12.87 Schröter = NJW 1987, 1885. 55 Heinrichs, Festschr. Trinkner, S. 160; von Hoyningen-Huene, Festschr. Trinkner, S.179, 181. 56 Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, 7. Aufl. 1993, § 3 Rdn. 5; weitergehend Schlosser, ZIP 1985, 449, 456 (überraschende Klauseln sind stets zugleich unangemessen). 57 BGH MDR 1983, 113; WM 1986, 1253 f.; Ulmer, in: Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 3 Rdn. 5; a.A. Hensen, in: Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 13 Rdn. 8; Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 13 Rdn. 42 m.w.N. 58 BGH WM 1984, 999 = ZIP 1984, 966 = NJW 1984, 2160 (betr. Klausel: „Fahrzeiten gelten als Arbeitszeiten“; diese wurde als kontrollfähige Nebenabrede bewertet); krit. dazu Schlosser, ZIP 1985, 449 ff., 455. 59 Krit. zu dieser Tendenz Schlosser, ZIP 1985, 455; Canaris, NJW 1987, 609, 617.
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grundsätzlich nicht der Inhaltskontrolle60. Denn die Vertragsparteien können nach dem im bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie Leistung und Gegenleistung grundsätzlich frei bestimmen, und daraus wird einhellig gefolgert, daß § 8 AGBG die Inhaltskontrolle von AGB-Klauseln verbietet, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistungspflicht (die „Hauptkonditionen“61) und den dafür zu zahlenden Preis unmittelbar regeln62 (primäre Entgeltregelungen). Das Verbot der Preiskontrolle ergibt sich zwar nicht direkt aus dem Wortlaut von § 8 AGBG, aber aus seinem Sinn. Denn § 8 AGBG unterwirft nur Klauseln der Inhaltskontrolle, die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen enthalten, und die Festlegung von Art und Umfang der Hauptleistungspflicht und des Entgeltes sind keine derartige Regelung. Das Verbot der Preiskontrolle findet sich nunmehr ausdrücklich in Art. 4 Abs. 2 der EG-Richtlinie über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen von 199363. [9] b) Das Problem: Gibt es eine Kontrolle der verschiedenen Entgeltgründe? Das Verbot der Preiskontrolle gilt in erster Linie für die Preishöhe64. In Wirklichkeit ist eine Preisbestimmung aber immer in Relation zu den Leistungen der Gegenpartei zu sehen. Der BGH hat dazu ausgeführt: „Da die Vertragsparteien nach dem im Bürgerlichen Recht geltenden Grundsatz der Privatautonomie Leistung und Gegenleistung grundsätzlich frei bestimmen können, unterliegen AGB-Klauseln, die Art und Umfang der vertraglichen Hauptleistungspflicht und den dafür zu zahlenden Preis unmittelbar regeln, nicht der Inhaltskontrolle65.“
Diese Definition der Kontrollfreiheit von „unmittelbaren“ (primären) Entgeltbestimmungen macht auch die Beziehung deutlich, die zwischen den Festlegungen von Leistung und Gegenleistung besteht. In der Tat wird ein Preis nur unter Bezugnahme auf die Gegenleistung festgelegt. Diese Bezug60 Vgl. BGH WM 1986, 991 = WuB I E 2 b. – 6.86 Fischer = NJW 1986, 2564 (betr. Darlehenszinsen); BGH WM 1983, 1138 = NJW 1984, 1113 (betr. Vergütung an eine urheberrechtliche Verwertungsgesellschaft); BGHZ 116, 117 = WM 1992, 533 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.92 Niebling (Kfz.-Kostenpauschale); BGHZ 124, 254, 256 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer, BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079 (Kontrollfreiheit der Entgeltklausel für Geldautomatenbenutzung); Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), §8 Rdn. 14. 61 Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 8 Rdn. 9. 62 BGHZ 124, 254, 256 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer. 63 Richtlinie 93/13 EWG des Rates v. 5.4.1993, EG-ABl. v. 21.4.1993 Nr. L 95, S. 29; abgedruckt bei Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), S. 1869 ff. 64 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 14; Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 8 Rdn. 10, 18 – 20; vgl. auch OLG Frankfurt WM 1993, 742 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.93 Habersack = NJW 1993, 1402; Koller, EWiR 1992, 527, 528; Pfeiffer, EWiR 1993, 419. 65 BGHZ 124, 254, 256 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer.
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nahme ergibt sich ausdrücklich aus der Entgeltklausel oder aus dem Sinnzusammenhang aller Vertragsbestimmungen. Dies führt zu der Frage, ob der AGB-Verwender auch in der Art und Weise frei ist, wie er diese Beziehung des Preises zur Gegenleistung herstellt, d.h. wie er den Entgeltgrund (Preisgrund) definiert. Der BGH hat in der zitierten Entscheidung (über Barein- und -auszahlungen am Bankschalter) die Freiheit des Verwenders, die Anknüpfungspunkte für den Preis zu wählen, nicht verneint, aber begrenzt. Dies geschah vor allem durch den Satz: „Vergütungspflichtig sind grundsätzlich nur Hauptund gegebenenfalls Nebenleistungen66.“ Dieser billigenswerte Satz besagt freilich noch nichts über die Freiheit des Verwenders, wie er den Preis mit der Gegenleistung verknüpft. Der BGH hat im entschiedenen Fall den Schluß gezogen, daß jedenfalls die Bareinzahlung und Barauszahlung am Schalter ein unzulässiger Anknüpfungspunkt sei, weil er nur eine ohnehin bestehende Verpflichtung der Bank und nicht eine besondere Leistung oder Gegenleistung betreffe. Dies wird wiederum aus einer nicht unproblematischen Analyse des dispositiven Rechts des Girokontovertrags abgeleitet, die noch zu erörtern ist. Demnach erscheint die Preisgestaltungsfreiheit hier in einem ganz wesentlichen Punkt, nämlich hinsichtlich der Festlegung des Entgeltgrundes (Preisgrundes), eingeschränkt. Die Freiheit, den Preisgrund zu bestimmen, also zu bezeichnen, wofür etwas zu bezahlen ist, ist aber untrennbar mit der Freiheit verbunden, überhaupt Preise frei (in den Grenzen des § 138 BGB) bestimmen zu können. Die für die Praxis entscheidende Frage ist hier, ob der Verwender berechtigt ist, das Entgelt aufzuteilen. Diese Freiheit wird verschiedentlich lebhaft bestritten. Derleder/Metz haben sich gegen einen „Freibrief für ein wucherndes unkalkulierbares Zweitentgeltsystem“ in der Bankpraxis ausgesprochen67. Im Hinblick auf ein Urteil des AG Frankfurt/M68, das eine Umrechnungsgebührenklausel für Benutzung einer Kreditkarte im Ausland für unwirksam erklärt hatte, haben sie zustimmend ausgeführt, das Gericht habe „insoweit zu Recht einer Aufgliederung der Hauptleistung in einzelne nebenentgeltpflichtige Teildienstleistungen seine Zustimmung versagt69.“ Es wird hier die These vertreten, daß dieses Recht zur Aufgliederung des Preises im Grundsatz aus der Preisgestaltungsfreiheit als Teil der Privatautonomie (Art. 2 GG) folgt und für alle primären Entgeltregelungen auch in AGB anzuerkennen ist, und daß die dagegen angeführten Gründe nicht durchgreifen. Es scheint, daß sich dieser Grundsatz in der höchstrichterli BGHZ 124, 254, 260 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer. Derleder/Metz, ZIP 1996, 573, 577. 68 AG Frankfurt a.M. WM 1993, 1548 = WuB I D 5. – 6.93 Ahlers = NJW-RR 1993, 1136; dazu Huff, EWiR 1994, 109. 69 Derleder/Metz, ZIP 1996, 621, 629. 66 67
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chen Rechtsprechung, wo er lange unangefochten war, seit dem Urteil von 1996 über Postenpreise70 wieder deutlicher durchzusetzen beginnt. Es wird weiter die These vertreten, daß eine primäre Entgeltbestimmung diese Eigenschaft grundsätzlich noch nicht dadurch verliert, daß man sie aufteilt. Hinsichtlich der Möglichkeit der Aufteilung sind in Anlehnung an die Rechtsprechung die folgenden Fälle primärer („unmittelbarer“) Entgeltbestimmungen zu unterscheiden: (1) Einheitliches Entgelt für Hauptleistung und Nebenleistungen (keine Aufteilung; in der Bankpraxis eher selten) (2) Mehrere Teilentgelte für die Hauptleistung oder Teile davon; (3) Nebenleistungsentgelte speziell für bestimmte Nebenleistungen (nicht zu verwechseln mit Preisnebenabreden)71; (4) Sonderentgelte für besondere, zusätzliche Leistungen (Sonderleistungen). Es liegt auf der Hand, daß die Unterscheidung der einzelnen Kategorien Schwierigkeiten macht, welche die Rechtsprechung z.T. durch Rückgriff auf das dispositive Recht zu beheben versucht. Die Unterscheidung ist deshalb von Bedeutung, weil die Rechtsprechung daran Unterschiede in der Kontrollunterworfenheit knüpft. Danach sind Teilentgelte für die Hauptleistung und Sonderentgelte für Sonderleistungen kontrollfrei (i.F. c). Entgelte für Nebenleistungen und solche Sonderentgelte, die sich auf spätere, fakultative Sonderleistungen beziehen, sind kontrollunterworfen (i.F. d). Dabei bleiben nicht nur Zweifelsfragen, welche Sonderentgelte denn nun kontrollfrei sind wie z.B. Entgelte für die Benutzung des Geldautomaten72 – und welche nicht. Es bleiben auch Unsicherheiten, ob ein kontrollfreies Teilentgelt vorliegt oder ein kontrollunterworfenes Nebenentgelt; dies gilt etwa für Entgeltklauseln über Buchungspostenpreise73. Nach der Rechtsprechung wäre noch ein fünfter Fall anzufügen: unwirksame Klauseln über Teil- oder Nebenentgelte für Nichtleistungen (z.B. nach BGH für Barzahlungen am Schalter)74. c) Kontrollfreie Teilentgelte und Sonderentgelte Das Prinzip der Kontrollfreiheit gilt auch für eine Aufschlüsselung des Preises in einzelne Teilpreise oder Preisbestandteile für Teilleistungen oder Leistungselemente, die zusammen die Hauptleistung [10] ausmachen. Dies
BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. Zutr. Canaris, WM 1996, 237, 241. 72 BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. 73 BGH WM 1996, 1080, a.a.O. (Fn. 72). 74 BGHZ 124, 254 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer, vorstehend I 1 Nr. 7. 70 71
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ist im Grundsatz anerkannt75. Dies leuchtet z.B. für die Entgeltregelung eines Kreditvertrages ohne weiteres ein, wo neben dem Zins oft ein Agio und/oder Disagio und eine Bearbeitungsgebühr als regelmäßiges Entgelt vorgesehen werden können. Die Transparenzprobleme, die hier wegen einer Unübersichtlichkeit der Aufteilung auftreten können, sucht das Verbraucherkreditgesetz für einen Teilbereich zu lösen76. Die Zulässigkeit der Entgeltaufspaltung wurde in der Entscheidung des X. Zivilsenats des BGH zur gesonderten Berechnung des Kfz.-Kostenanteils pro Anfahrt für einen Rohrreinigungsdienst in Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung77 besonders hervorgehoben78. Es genügt, daß die Teilentgelte sich auf die Hauptleistung oder einen Teil davon beziehen. Canaris nennt als aktuelles Beispiel die Vergütung der Kontoführung und der dabei auftretenden Buchungsvorgänge. Es handelt sich hier um Teile oder Elemente der Hauptleistung79. Der XI. Senat ist dem in seinem Urteil von 1996 über die Zulässigkeit von Postenpreisklauseln zwar im Ergebnis, aber nur teilweise in der Begründung gefolgt80. Einerseits kommt das Recht des Verwenders zur Aufschlüsselung des Gesamtentgelts in Teilentgelte in diesem Urteil klar zum Ausdruck; das Gericht hebt hervor, daß diese Postenpreise neben einer Grundgebühr (monatlich DM 3,–) erhoben wurden. Zur Preisgestaltungsfreiheit in diesem Sinn führt der XI. Senat wörtlich aus: Das Giroverhältnis ... begründet für die Beteiligten ein Bündel von Rechten und Pflichten, zu denen auch die Pflicht des Kreditinstituts gehört, für die Kunden ein Girokonto zu führen.... Das Kreditinstitut ist berechtigt, für seine Tätigkeit im Rahmen des Giroverhältnisses Vergütungen zu verlangen und diese in Allgemeinen Geschäftsbedingungen festzulegen. Bei der Bemessung der Vergütungen kann es grundsätzlich auch an die Kontoführung und deren von Fall zu Fall unterschiedlichen Umfang anknüpfen81.
Der Postenpreis kann also zusätzlich zur Grundgebühr und, wenn das Konto debitorisch geführt wird, zusätzlich zum Überziehungszins als Entgelt verlangt werden.
Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 17. Zum Transparenzgebot i.F. III. 77 BGHZ 91, 316 = WM 1984, 999 („Fahrzeiten gelten als Arbeitszeiten“). 78 BGHZ 116, 117, 119 = WM 1992, 533 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.92 Niebling = NJW 1992, 688. Zur Entwicklung auch Meder, NJW 1996, 1849, 1850. 79 Canaris, WM 1996, 237, 241 f. 80 BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079: Das Recht zu „Preisdifferenzierung“ (Aufteilung) befürwortet auch Joost, ZIP 1996, 1685, 1691 f. 81 BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079, 1081 unter Bezugnahmen auf Graf von Westphalen, WM 1995, 1209, 1218; Canaris, WM 1996, 237, 243. 75 76
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Der BGH schränkt diese Preisgestaltungsfreiheit des Verwenders insofern anschließend wieder ein, als er die Regelung als kontrollunterworfene Preisnebenabrede qualifiziert und einer Inhaltskontrolle unterzieht. Daraus folgt aber, wie der BGH ausdrücklich betont, nicht ohne weiteres die Unangemessenheit der Klausel; diese wird in der Tat im Ergebnis für zulässig erklärt. Im Rahmen ihrer Inhaltskontrolle fordert der Senat lediglich eine sachliche Anknüpfung der Entgeltklauseln. Dabei soll nicht etwa eine richterliche Überprüfung der internen Kostenstruktur des Verwenders stattfinden. Vielmehr genügt es, daß die sachliche Anknüpfung des Entgelts hinreichend plausibel und transparent ist. Dies war hier dadurch gegeben, daß die Entgelte an die Buchungsposten anknüpften; diese sind zwar ihrerseits nicht primäre Kostenquellen, aber Indikatoren für die Intensität der Nutzung des Kontos. Dabei erscheint es als plausibel, daß die intensivere Nutzung zur relativ höheren Kostenbelastung führt, also eine in diesem Sinn gerechte, dem Verursacherprinzip folgende Kostenverteilung unter den Kunden stattfindet82. Die Berechtigung einer Qualifizierung der Postenpreisklausel als Preisnebenabrede und ihrer Inhaltskontrolle ist zu bezweifeln. Man muß von der Freiheit des Verwenders ausgehen, auch mehrere „gleichberechtigte“, weil gleichgewichtige, Teilentgelte vorzusehen83. Die Summe der Postenentgelte ist bei vielen, intensiv genutzten Privat- und Geschäftskonten von weitaus größerem wirtschaftlichen Gewicht als die Grundgebühr für das Girokonto. Eine Abstufung von Hauptleistung und Gegenleistung könnte also gerade im umgekehrten Sinn verlaufen84. Die Einstufung der Postenpreisklausel als kontrollunterworfene Preisnebenabrede scheint eher durch den Umstand bedingt, daß sie auch Barzahlungsvorgänge am Schalter betrafen und der Senat besondere Entgelte für diese Vorgänge zuvor verworfen hatte85. Es spricht vieles dafür, daß auch in diesem Fall die Freiheit zur Aufspaltung des Preises in Teilentgelte grundsätzlich keiner Inhaltskontrolle unterliegt. Die vom BGH durchgeführte Plausibilitätskontrolle der Postenpreisklausel liest sich daher auch eher wie eine Anwendung des Transparenzgebots, das auch dort zum Zuge kommt, wo eine sonstige Inhaltskontrolle nicht stattfindet (unten III). Auch solche Klauseln sind kontrollfrei, die Sonderentgelte regeln, d.h. Entgelte für Leistungen, die außerhalb der vertraglichen Hauptleistung angeboten werden86. Die Entscheidung des X. Zivilsenats zum Kfz-Kostenanteil Zu diesem Gesichtspunkt auch Derleder/Metz, ZIP 1996, 621, 624. Vgl. auch Canaris, WM 1996, 237, 241 f.; Joost, ZIP 1996, 1685, 1689 ff. 84 Bezeichnend ist die in kritischer Absicht gestellte rhetorische Frage von Derleder/ Metz, ob „Buchungsgebühren als verdeckte Hauptentgelte und Surrogate für unzulässige Nebenentgelte“ anzusehen seien; ZIP 1996, 621, 623. Sie sind gleichwertige Teilentgelte. 85 BGHZ 124, 254, 257, 259 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer. 86 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 17. Sie können von vornherein oder später ad hoc vereinbart werden; zum letzteren Fall siehe LG Mannheim WM 1995, 1805 = WuB IV C. § 8 AGBG 1.96 Schebesta = ZIP 1995, 1506. 82 83
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hat auch diesen Fall erfaßt. Weiteres Beispiel eines kontrollfreien Entgelts für eine Sonderleistung aus der jüngsten Rechtsprechung ist eine Entgeltklausel für die Inanspruchnahme von Geldautomaten87. d) Sind Klauseln über Nebenleistungsentgelte und fakultative Sonderentgelte kontrollunterworfen? Der BGH scheint der Auffassung zu folgen, daß Entgeltklauseln dann einer Inhaltskontrolle unterworfen sind, wenn es sich um die Vergütung für eine bloße Nebenleistung handelt88. Dies wird u.a. aus einer Entscheidung über die Entgelte für den Bezug von Zusatzwasser89 und aus Entscheidungen über Klauseln über einen Eilzuschlag und die Bearbeitungsgebühr [11] für einen Kostenvoranschlag im Rahmen eines Werkvertrags gefolgert90. Möglicherweise kann auch die Entscheidung über Postenpreisklauseln in diesen Zusammenhang gestellt werden91. Auch von der Kontrollfreiheit der Sonderentgeltklauseln hat die Rechtsprechung eine wichtige Rückausnahme gemacht. Steht nämlich bei Abschluß des Vertrags noch nicht fest, ob der Kunde neben der Hauptleistung auch die Sonderleistung zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch nehmen wird, so hat der BGH die Entgeltklauseln über solche fakultativen Sonderleistungen einer Inhaltskontrolle unterzogen92. Die Rechtsprechung macht freilich Einschränkungen. Die Kontrolle soll nur eingreifen, wenn die Sonderleistung und das dieser entsprechende Entgelt gegenüber der Hauptleistung nicht sehr stark ins Gewicht fallen und deshalb der Aufmerksamkeit des Kunden entgehen. Zweitens wird die Kontrollunterworfenheit auf solche Fälle beschränkt, in denen die Zusatzleistung „nur möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in Anspruch genommen wird“93. Auch in der Literatur werden diese Einschränkungen betont94. Gleichwohl bleiben Zweifel, ob diese Entgeltklauseln der vollen Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG unterworfen
87 Urt. v. 7.5.1996 = WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. 88 So die Deutung von Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 16; Canaris, WM 1996, 237, 241. 89 BGHZ 93, 358, 364 = WM 1985, 576, 577. 90 BGH WM 1978, 723, 724 f.; WM 1982, 202, 203; WM 1985, 1305, 1307 = WuB I B 7. – 1.86 Pleyer. 91 BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. 92 Urt. v. 19.9.1985 = BGHZ 95, 362 = WM 1985, 1305 = WuB I B 7. - 1.86 Pleyer (betr. spätere Stundungszinsen); Urt. v. 14.4.1992 = BGHZ 118, 126 = WM 1992, 940 = WuB I A. Nr. 14 AGB-Banken 2.92 Hadding; Urt. v. 29.3.1994 = BGHZ 125, 343, 347 = WM 1994, 882 = WuB I F 4. – 4.95 Etzkorn. 93 So ausdrücklich BGHZ 125, 343, 347 = WM 1994, 882 = WuB I F 4. – 4.95 Etzkorn. 94 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), § 8 Rdn. 17; Canaris, WM 1996, 237, 241.
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werden können, wenn sie im übrigen alle Merkmale einer reinen Preisklausel erfüllen und die besonderen Voraussetzungen einer Preisnebenabrede, die i. F. zu besprechen sind, fehlen. Dafür fehlt eine Begründung. 3. Sonderfall: Die Inhaltskontrolle nachträglicher Entgeltbestimmungen und -anpassungen nach § 315 BGB a) AGB-Klauseln über Bestimmungs- und Anpassungsrechte Die Verträge der Banken enthalten bisweilen ein formularmäßig vereinbartes Recht zur Leistungsbestimmung oder -anpassung i.S. § 315 BGB; Hauptbeispiel sind Zinsanpassungsklauseln in Kreditverträgen95. Hinsichtlich anderer Entgelte für Leistungen, die die Banken im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen, insbesondere im Girokontovertrag, erbringen, haben sich die Banken in den AGB ein Abänderungsrecht i.S. § 315 BGB Vorbehalten (Nr. 12 (3) 2 AGB-Banken 1993). AGB-Klauseln, die dem Verwender (Kreditinstitut) ein einseitiges Leistungsbestimmungs- oder -anpassungsrecht verleihen, unterliegen der Inhaltskontrolle nach AGB-Gesetz96. Zins anpassungsklauseln verstoßen nicht gegen § 9 AGBG, soweit sie durch die wechselnden Verhältnisse der Refinanzierungsmärkte sachlich gerechtfertigt sind97. Die Klauseln sollen möglichst genaue Anpassungsmaßstäbe angeben und nicht nur einseitig Erhöhungen, sondern auch Zinsherabsetzungen ermöglichen98. Auch Abänderungsrechte hinsichtlich der übrigen Entgelte, insbes. für Girokontoverträge und andere Dienstleistungen, können grundsätzlich wirksam in AGB vereinbart werden; eine sachliche Rechtfertigung ergibt sich aus den besonderen Bedingungen des Massenverkehrs und den Schwierigkeiten einer anderen Anpassungsregelung. Freilich sind die Bankkunden hier besonders schutzbedürftig99, zumal für solche Entgeltanpassungen meist genaue Anpassungsmaßstäbe in den AGB nicht vorgegeben werden können.
95 Vgl. den Fall BGHZ 97, 212 = WM 1986, 580 = WuB I E 1. – 13.86 Stützle = NJW 1986, 1803 = ZIP 1986, 698; zur grundsätzlichen Zulässigkeit von AGB, die solche Rechte vorsehen, BGH WM 1985, 127 = NJW 1985, 623; Horn, NJW 1985, 1118 ff.; Canaris, Bankvertragsrecht, Rdn. 2631. 96 BGH WM 1983, 731, 732; BGHZ 93, 358, 361 = WM 1985, 576, 577; BGH WM 1991, 1452 = WuB I E 4. – 16.91 M. Wolf= NJW 1991, 2559, 2564; WM 1985, 127 = NJW 1985, 623 = ZIP 1985, 161; Horn, NJW 1985, 1118, 1121. 97 BGHZ 97, 212 = WM 1986, 580 = WuB I E 1. – 13.86 Stützte; dazu Schwarz, NJW 1987, 626; Herrmann, WM 1987, 1029 und 1057. 98 BGHZ 97, 212 = WM 1986, 580 = WuB I E 1. – 13.86 Stützle; Horn, in: Wolf/Horn/ Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 23 Rdn. 719. 99 Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 23 Rdn. 720.
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Die richterliche Kontrolle von Entgeltklauseln nach dem AGB-Gesetz
b) Die Billigkeitskontrolle der Bestimmung oder Anpassung Die aufgrund eines solchen Leistungsbestimmungsrechts oder -anpassungsrechts vorgenommene Veränderung der Entgelte unterliegt der Kontrolle ihrer Billigkeit nach § 315 Abs. 3 BGB durch die Gerichte. Diese Billigkeitskontrolle unterscheidet sich nach h.M. konzeptionell von der Inhaltskontrolle nach AGB-Gesetz100. Ein Unterschied liegt darin, daß die Bestimmung oder Anpassung i.S.v. § 315 BGB typischerweise die Hauptleistung betrifft, die der Inhaltskontrolle entzogen ist101. Ferner ist der Maßstab der Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB zwar objektiv zu bestimmen, aber nach h.M. auf die individuellen Verhältnisse der Vertragsparteien zu beziehen102. Allerdings sind die Preisaushänge und Preisverzeichnisse der Banken für den Massenverkehr bestimmt; daher sind solche individuellen Rücksichtnahmen der Sache nach ausgeschlossen. Vielmehr kommen hier nur solche objektiven Maßstäbe in Betracht, die generalisierbar sind. Ein Beispiel dafür hat der BGH hinsichtlich einer Zinsanpassungsklausel gegeben, die als Anpassungsmaßstab die Marktentwicklung der Refinanzierungskosten enthält bzw. in diesem Sinne auszulegen ist103. Dies zeigt, daß hier der Struktur nach eine Annäherung an die Inhaltskontrolle nach AGB-Gesetz zu verzeichnen ist. Eine praktisch wichtige Frage ist es, ob die Banken aufgrund der generellen Bezugnahme auf Preisaushang und Preisverzeichnis auch berechtigt sind, gänzlich neue Entgeltarten einzuführen, also neue „Preisgründe“. Für neue Zusatzleistungen (Neben- und Sonderleistungen) kann dies nicht zweifelhaft sein104. Aber auch im Bereich der Hauptleistung kann dieses Recht nicht schlechthin verneint werden105. Allerdings sind bei der Billigkeitskontrolle hier wohl strengere Maßstäbe anzulegen. [12] c) Einbeziehung in die vertragliche Vereinbarung Die neue Entgeltregelung, die in Ausübung des Leistungsbestimmungsoder -anpassungsrechts eingeführt wurde, kann nachträglich noch zum Gegenstand vertraglicher Vereinbarungen gemacht werden, so daß ihre „Einseitigkeit“ entfällt. Dies kann durch eine ausdrückliche oder nach § 10 Nr. 5 AGBG herbeigeführte Zustimmung des Kunden erfolgen. In diesem Fall
Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1991, S. 15 m.w.N. Fastrich, a.a.O. (Fn. 100), S. 16. 102 Fastrich, a.a.O. (Fn. 100), S. 16; Staudinger/Mayer-Maly, BGB, 12.Aufl. 1979, § 315 Rdn. 57-59. 103 BGHZ 97, 212. 104 Vgl. nur LG Mannheim WM 1995, 1805 = WuB IV C. § 8 AGBG 1.96 Schebesta = ZIP 1995, 1506. 105 So aber wohl Derleder/Metz, ZIP 1996, 621, 628. 100 101
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entfällt die Billigkeitskontrolle i.S.v. § 315 BGB; zugleich werden Zweifel beseitigt, ob sich die Einführung einer neuen Entgeltart noch im Rahmen des Leistungsbestimmungsrechtes gehalten hat. 4. Die Kontrollunterworfenheit von Preisnebenabreden a) Hauptkriterium: Modifikation des Entgeltversprechens (sekundäre Entgeltbestimmung) aa) Definition Von den kontrollfreien Klauseln über Leistungsbeschreibungen und Preise sind die kontrollfähigen Preisnebenabreden zu unterscheiden106. Die Rechtsprechung arbeitet dabei im wesentlichen mit zwei unterschiedlichen Definitionen. Nach der ersten Definition handelt es sich um „Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen einschränken, verändern oder aushöhlen“107. Diese Definition ist geeigneter Ausgangspunkt für die Abgrenzung der Preisnebenabreden von den Klauseln über das Entgelt selbst. Preisnebenabreden nehmen auf eine bestehende, kontrollfreie Entgeltregelung Bezug und modifizieren sie, was man als „sekundäre Entgeltbestimmung“ kennzeichnen kann108. In diesem Sinn hat der III. Senat die Kontrollfähigkeit der Tilgungsverrechnungsklausel in seinem Urteil von 1988 damit begründet, daß die streitige Klausel nicht den zu zahlenden Zinssatz, also das vertragliche Entgelt, selbst regelt. „Sie ergänzt nur die darüber getroffene individuelle Vereinbarung, und zwar in der Weise, die ... zu einem höheren effektiven Jahreszins führt109.“ bb) Keine Anwendbarkeit auf Teil-, Neben- und Sonderentgelte, auch nicht in Preisaushängen und Preisverzeichnissen Ist ein Entgelt in mehrere Teilentgelte aufgeteilt, z.B. beim Girokontovertrag in eine Grundgebühr und eine Gebühr pro Buchungsposten (unter Abzug von Freiposten), paßt die vorstehende Definition der Preisnebenabrede nicht. Denn keines der Teilentgelte modifiziert das andere. Alle stehen vielmehr selbständig nebeneinander und summieren sich zum Gesamtentgelt. Eine Unterscheidung nach Hauptentgelt und Nebenentgelt ist dabei oft nicht
Allg. Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 16. So der VII. Zivilsenat in einem Urt. v. 12.3.1987, BGHZ 100, 157, 173 f. = WM 1987, 652 = NJW 1987, 1931 betr. AGB eines Reiseveranstalters („Landesüblichkeit“ der Leistung) im Anschluß an Palandt/Heinrichs, BGB, § 8 AGBG Anm. 2. Ähnlich Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 8 Rdn. 20; Wolf, in: Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 16. 108 Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 23 Rdn. 425 und 464. 109 BGHZ 106, 42, 46 = WM 1988, 1780 = WuB I E 4. – 2.89 Canaris. 106 107
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möglich oder erscheint willkürlich. Bei einem wenig bewegten Girokonto mag das Grundentgelt das Hauptgewicht haben; umgekehrt verhält es sich bei einem Konto mit zahlreichen Buchungen. Alle Teilentgeltklauseln sind primäre Entgeltbestimmungen. Das Gleiche gilt im Grundsatz für die zahlreichen einzelnen Entgelte, die in den Preisaushängen und Preisverzeichnissen der Kreditinstitute aufgeführt sind. Sie sind in den Vertrag zwischen Bank und Kunden dadurch einbezogen, daß in den AGB-Banken auf sie Bezug genommen wird und diese AGB wiederum in gleicher Weise gem. § 2 AGBG einbezogen sind. Diese gestaffelte Einbeziehung ist grundsätzlich wirksam110. Sie sind überwiegend primäre Leistungs- bzw. Entgeltbestimmungen. Denn ihnen fehlt in aller Regel die Eigenschaft, daß sie sich auf ein anderweitig bereits festgesetztes Entgelt beziehen und dieses z.B. durch eine bestimmte Berechnungsart modifizieren111. Gleichwohl hat die Rechtsprechung auch Klauseln über Nebenentgelte, wie (oben 2d) erörtert, einer Inhaltskontrolle unterworfen, weil sie beim Kunden relativ geringere Aufmerksamkeit finde. Ebenso verfahren viele Instanzgerichte mit Klauseln in Preisaushängen und Preisverzeichnissen112. Damit wird aber die ursprüngliche Definition der Preisnebenabrede verlassen, deren Schutzproblem gerade darin besteht, daß der Kunde die darin gegebene Modifizierung des Entgeltes, z.B. durch besondere Berechnungsarten, nicht leicht durchschauen kann. b) Zusatzkriterium: Abweichung vom dispositiven Recht Kontrollfähige Preisnebenabreden werden zweitens definiert als „Abreden, die zwar mittelbare Auswirkungen auf Preis und Leistung haben, an deren Stelle aber, wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlt, dispositives Gesetzesrecht treten kann113.“ Diese letztere Definition setzt ebenfalls bei der Modifikation der Leistungsbestimmung ein. Zugleich nimmt sie aber stärker auf das Konzept des § 8 AGBG Bezug und bezeichnet als kontrollfähig solche Klauseln, die sich im Bereich des dispositiven Rechts bewegen,
110 BGHZ 111, 388, 390 = WM 1990, 1785; Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 2 Rdn. 27; Derleder/Metz, ZIP 1996, 573, 578. 111 Zutr. LG Mannheim ZIP 1995, 1506 = WM 1995, 1805 = WuB IV C. § 8 AGBG 1.96 Schebesta. 112 LG Berlin WM 1996, 107; LG Nürnberg-Fürth WM 1996, 1624; vorstehend I.2 Nr. 13–14. 113 XI. Zivilsenat, Urt. v. 30.11.1993 = BGHZ 124, 254, 256 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer.
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indem sie von ihm abweichen oder es ergänzen114. Die h.M. geht dabei allgemein von einem weiten Begriff des dispositiven Rechts aus115. Für die Kontrollunterworfenheit von Preisnebenabreden hat das Kriterium der Abweichung vom dispositiven Recht trotz seiner grundsätzlichen Bedeutung meist nur eine geringe praktische Rolle gespielt. Es war sozusagen selbstverständlich. Der VIII. Zivilsenat behandelt es in seinem Urteil zur Entgeltregelung für den Bezug von Zusatzwasser eher beiläufig als zusätzliches Kriterium. Er charakterisiert die Preisnebenabreden nämlich zunächst hauptsächlich i.S. der ersteren Definition als sekundäre Entgeltbestimmung, und fügt dann hinzu: „Sie weichen im allgemeinen von Vorschriften des dispositiven Rechts ab oder ihr Regelungsgehalt könnte – wären sie in AGB nicht enthalten – aus §§ 157, 242 BGB gewonnen werden116.“ [13] Im ersten Urteil über die Unzulässigkeit einer Klausel über die nachschüssige Tilgungsverrechnung von 1988 wurde vom III. Senat die Kontrollfähigkeit der Klausel ohne weiteres bejaht, weil sie in der Tat die kontrollfreie Zinsabrede modifizierte117. Im Hinblick auf die Beziehung zum dispositiven Recht wurde hinzugefügt, für die Kontrollunterworfenheit genüge es, daß die Klausel einen vom Gesetz eröffneten Gestaltungsspielraum nutzt118. Bei der Prüfung der Unangemessenheit wurde eine Abweichung von einem ungeschriebenen Satz des dispositiven Darlehensrechts, daß nämlich die Zinsberechnung immer zeitgleich und taggenau erfolgen müsse, verneint119. Die Unangemessenheit wurde schließlich mit der Verletzung des Transparenzgebots begründet. 5. Inhaltskontrolle primärer Entgeltbestimmungen wegen Abweichung vom dispositiven Recht? a) Die Ausdehnung der Entgeltkontrolle in der Rechtsprechung Die jüngste Rechtsprechung des XL Zivilsenats hat die Inhaltskontrolle auch auf primäre Entgeltbestimmungen ausgedehnt und dies mit einer Abweichung vom dispositiven Recht begründet. Zu nennen ist hier zunächst das Urteil von 1991 über die Unwirksamkeit einer Entgeltklausel, die ein besonderes Entgelt für die Erteilung einer Löschungsbewilligung vorsah120.
Diesen Aspekt betont in Übereinstimmung mit der h.M. Joost, ZIP 1996, 1685 ff. Vgl. auch das Urteil des VIII. Senats über die Entgeltregelung für Zusatzwasser in BGHZ 93, 358, 363 = WM 1985, 576. 116 BGHZ 93, 358, 361 = WM 1985, 576. 117 BGHZ 106, 42 = WM 1988, 1780 = WuB I E 4. – 2.89 Canaris. 118 BGHZ 106, 42, 45 = WM 1988, 1780 = WuB I E 4. – 2.89 Canaris. 119 BGHZ 106, 42, 47 =WM 1988, 1780 = WuB I E 4. – 2.89 Canaris. 120 BGHZ 114, 330, 333 = WM 1991, 1113 = WuB I A. Nr. 22 AGB-Banken 2.91 Sonnenhol = NJW 1991, 1953; oben I 1 Nr. 4. Nicht in diese Kategorie fällt m.E. BGHZ 93, 358 114 115
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1993 hat der Senat die Unwirksamkeit der Entgeltklauseln für Bareinzahlungen und -auszahlungen am Bankschalter ebenfalls mit einer Abweichung vom dispositiven Recht, nämlich des Girokontovertrags begründet121. Unter Bezugnahme auf dieses Urteil hat der Senat 1996 die Kontrollfähigkeit von Postenpreisklauseln wegen Abweichung vom dispositiven Recht bejaht122. In allen drei Fällen handelte es sich um primäre Entgeltbestimmungen, d.h. die unmittelbare Festsetzung eines bestimmten Entgeltes für eine bestimmte Leistung. Beim Löschungsbewilligungsentgelt mag man streiten, ob es um ein Teilentgelt ging oder das Entgelt für eine Nebenleistung, was die Eigenschaft als primäre Leistungsbestimmung nicht aufhebt. Bei den Entgelten für Barzahlungen am Schalter und für Buchungsposten liegt eine Beziehung zur Hauptleistung vor; es handelt sich um Teilentgelte, nicht Nebenentgelte. b) Einwände gegen diese Begründung der Kontrollunterworfenheit Auch primäre Entgeltbestimmungen unterliegen, soweit sie überhaupt AGB sind, natürlich auch dem Test des § 8 AGBG und sind kontrollunterworfen, soweit sie von einer Norm abweichen. Dies wird in dem seltenen Ausnahmefall praktisch, daß es eine gesetzliche Preisvorschrift gibt123. In aller Regel erfüllen primäre Entgeltbestimmungen jedoch diese Voraussetzungen nicht, und die Kritik am Barzahlungsurteil des XI. Senats von 1993 ist auch aus dieser grundsätzlichen Schwierigkeit zu erklären124. Dafür gibt es mindestens drei allgemeinere Gründe (aa–cc). aa) Keine Substitution durch dispositives Recht Wenn es nach dem BGH ein Kriterium für die Kontrollunterworfenheit einer Entgeltklausel (oder -sonstigen AGB-Klausel) i.S. § 8 AGBG ist, daß an die Stelle der Klausel, „wenn eine wirksame vertragliche Regelung fehlt, dispositives Gesetzesrecht treten kann“125, so versagt dieser Test etwa bei der Postenpreisregelung. Denkt man sie hinweg, so braucht man eine Regelung anderer Art. Da diese im positiven Recht nicht zu finden ist, hält Canaris die
= WM 1985, 576, 577, weil hier eine Modifikation der Entgeltregelung, also eine kontrollfähige Preisnebenabrede, vorlag. 121 BGHZ 124, 254 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer = ZIP 1994, 21; vorstehend I 1 Nr. 7. 122 BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. 123 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 13; zuletzt Joost, ZIP 1996, 1685, 1691. 124 Fischer, WuB IV B. § 8 AGBG 1.94; Graf von Westphalen, WM 1995, 1209, 1217; Canaris, WM 1996, 237, 238 unter Bezugnahme auf ders., NJW 1987, 609, 613; zweifelnd auch Derleder/Metz, ZIP 1996, 573 ff., und ZIP 1996, 623. 125 BGHZ 124, 254, 256 (XI. Senat) = WM 1993, 2237, 2238 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer, ähnlich (X. Senat) BGHZ 116, 117, 119 = WM 1992, 533 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.92 Niebling.
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Postenpreisregelung nicht für kontrollfähig126. Man muß hinzufügen, daß der Test bei allen primären Entgeltklauseln versagt. Denn das dispositive Recht enthält im Allgemeinen keine Entgeltregelungen. Die wenigen Gesetzesnormen, die ausnahmsweise etwas zum Entgelt sagen, werden zur Begründung einer Kontrollunterworfenheit gerade nicht herangezogen. So gibt es einige Schuldvertragsrechtsnormen zur Höhe des Entgelts, die anordnen, daß mangels Vereinbarung über die Höhe des Entgelts die Taxe oder die übliche Vergütung gelten soll (§§ 612 Abs. 2; 632 Abs. 2 BGB). Diese Normen sind nach h. M. als Kriterium für die Kontrollfähigkeit einer Entgeltklausel nicht geeignet. Denn sie greifen nur ein, wenn es an einer Vereinbarung fehlt, also wenn eine AGB-Klausel über die Entgelthöhe nicht vorliegt127. Die Gegenansicht würde zu einer generellen Kontrollunterworfenheit aller Entgeltklauseln im Bereich der betreffenden Verträge führen und ist schon aus diesem Grund zu verwerfen128. Gleiches gilt für die Bestimmung in § 354 HGB, wonach bestimmte Kaufleute auch ohne Vereinbarung ein Entgelt verlangen können129. bb) Entgeltverbote des dispositiven Rechts? Die Rechtsprechung operiert bei der Kontrolle von primären Entgeltbestimmungen auch gar nicht mit der Vorstellung, daß dispositivgesetzliche Entgeltregelungen an die Stelle der AGB-Klauseln über Entgelte treten würden, sondern umgekehrt mit der These, daß sich aus dem dispositiven Recht im betreffenden Fall die Entgeltfreiheit bezüglich einer bestimmten Teilleistung oder Nebenleistung ergebe. So wird im Löschungsbewilligungsurteil aus §§ 369, 897 und 1144 BGB gefolgert, daß ein Entgelt für die Löschungsbewilligung nicht verlangt werden könne130. Die angezogenen Normen sagen aber darüber nichts. Es handelt [14] sich um Kostentragungsregelungen, und es ist ein Umkehrschluß notwendig, um den gesuchten Satz aufzustellen. Allerdings ist dieser Satz auch in den Kommentierungen zu den genannten Vorschriften zu finden. Nimmt man hinzu, daß der Begriff des dispositiven Rechts weit aufzufassen ist131 und, wie der BGH 1985 im Urteil über Zusatzwasserentgelte sagt, auch „vertragsnatürliche Rechte und allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze umfaßt“132, so mag man hinreichende Interpretati Canaris, WM 1996, 237, 239. BGHZ 116, 117, 119 = WM 1992, 533 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.92 Niebling; BGH WM 1993, 468, 469. 128 Canaris, WM 1996, 237, 240. 129 Canaris, WM 1996, 237, 240. 130 BGHZ 114, 330, 333 ff. = WM 1991, 1113 = WuB I A. Nr. 22 AGB- Banken 2.91 Sonnenhol. 131 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 5; Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 8 Rdn. 6; BGH WM 1985, 780 = NJW 1985, 2585. 132 BGHZ 93, 358, 363 = NJW 1985, 3013, 3014. 126 127
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onsspielräume gewinnen, um auch den gesuchten Satz von der Entgeltfreiheit der Löschungsbewilligung aus dem dispositiven Recht abzuleiten. Man sollte aber die großen Unsicherheiten dieser Begründung der Kontrollunterworfenheit i.S. § 8 AGBG nicht übersehen. Letztlich ausschlaggebend für das sympathische Ergebnis ist es, daß der Kunde durch das Löschungsbewilligungsentgelt i.S.v. § 3 AGBG überrascht wird und daß eine Entgeltregelung, die am Ende des Vertrags noch eine bis dahin nicht beachtete Entgeltregelung enthält, insoweit nicht transparent ist. Die Betrachtung des dispositiven Rechts mag dazu allenfalls eine Hilfserwägung beisteuern. Ähnliche Zweifel ergeben sich, wenn man Sätze des dispositiven Rechts als Begründung der Kontrolle der Entgeltklauseln für Barzahlungen am Schalter und für Postenklauseln für die Kontoführung sucht. Der XI. Senat hat in beiden Urteilen große Sorgfalt auf das Herausarbeiten des dispositiven Rechts verwendet. Er hatte mit der Schwierigkeit zu kämpfen, daß der Girokontovertrag im Gesetz nur indirekt und rudimentär, nämlich durch das Geschäftsbesorgungsrecht, geregelt und im übrigen sehr komplex ist. Denn er enthält eine Vielzahl verschiedener Leistungen, wie im Postenpreisurteil von 1996 auch zutreffend hervorgehoben wird. Es fällt im Hinblick auf das Urteil von 1993 schwer, einen Satz des dispositiven Rechts anzunehmen, der Entgelte für Baraus- und -einzahlungen ausschließt und darüber hinaus ihre Regelung in AGB verbietet, wenn man bedenkt, daß der Kunde auch den besonderen Service eines beliebigen Wechsels von Bargeld in Buchgeld und umgekehrt in Anspruch nimmt, der mit Grundsätzen des Darlehens- und Verwahrrechtes nicht zu erfassen ist133. Zur Frage, ob man die Kontoführung durch Entgelte für Buchungsposten vergüten könnte, sagt das dispositive Recht nichts134. cc) essentialia und naturalia negotii Es gibt schließlich einen prinzipiellen Grund dafür, daß das dispositive Recht hinsichtlich von Entgeltbestimmungen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Höhe, sondern wohl auch hinsichtlich des Entgeltgrundes, relativ unergiebig ist. Entgelte legen zusammen mit der Gegenleistung den Vertrag nach seinen Hauptleistungen überhaupt erst fest. Dies wird seit dem älteren Gemeinen Recht als essentialia negotii bezeichnet. An diese Festlegung knüpft das dispositive Recht an; es enthält die naturalia negotii135. Die gesuchten Kontrollmaßstäbe würden voraussetzen, daß eine umgekehrte Abhängigkeit besteht und daß also die naturalia auf die essentialia zurückwirken und
133 Graf von Westphalen, WM 1995, 1209, 1217; wohl auch Canaris, WM 1996, 237, 239, 241 unter Bezugnahme auf BGH WM 1993, 2237 f. = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer. 134 Zutr. Derleder/Metz, ZIP 1996, 621, 623. 135 Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., Einl. zu §§ 184–185 BGB Rdn. 14; Flume, Allgemeiner Teil des bürgerlichen Rechts, 2. Bd., 3. Aufl. 1979, § 6.2.
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diese begrenzen. Dies ist gerade in einem Zivilrecht, das keinen Typenzwang kennt, eine schwierige Vorstellung. Man mag diesen Gedankengang nicht für zwingend halten, zumal die alte gemeinrechtliche Vertragslehre auch noch die accidentalia des Vertrages kennt, also Zusatzabreden, die das dispositive Recht ergänzen. Man könnte daran denken, daß sich jedenfalls hinsichtlich dieser Zusatzabreden, als die sich manche Teil- und Sonderentgeltklauseln verstehen lassen, eine Einschränkung aus dem dispositivem Recht als den naturalia negotii ergibt. Ein Anhaltspunkt dafür findet sich in der genannten gemeinrechtlichen Doktrin freilich nicht. Es sei hier nicht kategorisch ausgeschlossen, daß sich aus dem dispositiven Recht immer noch gewisse Hilfserwägungen auch im Hinblick auf Entgeltregelungen (ihre überraschende oder intransparente Beschaffenheit) ergeben können. Bestimmte Entgeltverbote oder Teilentgeltverbote lassen sich daraus aber sicher nicht ableiten. 6. Kontrollmaßstäbe für die Unangemessenheit von primären Entgeltbestimmungen? a) Abweichung vom dispositiven Recht? Schon die Begründung der Kontrollunterworfenheit primärer Entgeltbestimmungen i.S.v. § 8 AGBG stößt, wie soeben dargelegt, auf erhebliche und grundsätzliche Schwierigkeiten. Diese Schwierigkeiten treten noch deutlicher hervor, wenn man eine Abweichung vom dispositiven Recht als Grundlage eines Unwerturteils i.S.v. § 9 AGBG gewinnen will136. Mit Recht hat der BGH im Urteil von 1996 über die Postenpreisklauseln den Unterschied zwischen Kontrollunterworfenheit i.S.v. § 8 AGBG und Unangemessenheit i.S.v. § 9 AGBG gerade im Hinblick auf Entgeltklauseln betont137. Die ausführlichste Begründung eines Unwerturteils der gesuchten Art findet sich im Urteil von 1993 über die Entgelte für Barzahlungen am Bankschalter138. Dort mußte zunächst eine Charakterisierung des Girokontovertrags und seiner vertragstypischen Leistungen vorgenommen werden, der hauptsächlich Geschäftsbesorgungsrecht unterliegt139, zugleich aber Elemente des Verwahrungs- und Darlehensvertrags aufweist. Auf die letztgenannten darlehens- und verwahrungsrechtlichen Aspekte legt der XI. Senat in seinem Urteil von 1993 das entscheidende Gewicht und gelangt so zu dem aus dem dispositiven Recht gewonnenen Satz, daß für Bareinzahlungen und Zutr. Pfeiffer, LM § 8 AGBG Nr. 25. BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. 138 BGHZ 124, 254 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer = ZIP 1994, 21. 139 Zutr. Graf von Westphalen, WM 1995, 1209 ff.; vgl auch Canaris, WM 1996, 237, 239; BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. 136 137
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Barauszahlungen kein gesondertes Entgelt verlangt werden könne. Diese Ableitung bleibt, auch wenn man den methodischen Weg des BGH einmal akzeptiert, sehr ungewiß, weil der Girokontovertrag, wie im Postenpreisurteil von 1996 zutreffend hervorgehoben, ein Bündel von Dienstleistungen enthält, und man durchaus die gebotene Möglichkeit zum Wechsel von Bargeld in Buchgeld und zurück als besondere, vergütungswürdige [15] Sonderleistung betrachten kann140. Noch ungewisser wird diese Ableitung, wenn man berücksichtigt, daß daraus ein AGB-rechtliches Entgeltverbot wird. Ähnliche Schwierigkeiten ergeben sich etwa beim Kreditkartenvertrag, wenn man die Kritik der Rechtsprechung an der Entgeltklausel für den Auslandseinsatz der Karte141 auf einen Satz des dispositiven Rechts stützen will. Es handelt sich hier um einen Vertrag, der ebensowenig wie der Girokontovertrag vom Gesetz als Typ geregelt ist, aber ebenso wie dieser unter die weite Kategorie des Geschäftsbesorgungsvertrags paßt; umstritten ist, ob hier eher dienst- oder werkvertragliche Elemente vorherrschen142. Das Leitbild des Kreditkartenvertrags, der von der Geschäftspraxis entwickelt wurde, wird teils in der Bargeldersatzfunktion gesehen143; teils wird die Dienstleistungsfunktion des Kreditkartenunternehmens betont, Verbindlichkeiten des Karteninhabers zu tilgen144. Im Grunde ist ein gesetzliches Leitbild für den Kreditkartenvertrag aber nicht vorhanden145. Ob für den gesonderten Auslandseinsatz entsprechend der Preisgestaltungsfreiheit ein besonderes Entgelt verlangt werden kann oder ob hier ein Entgeltverbot entgegensteht, ist jedenfalls dem dispositiven Recht des besonderen Geschäftstyps Kreditkartenvertrag nicht zu entnehmen. Man mag erwägen, daß die genannten Schwierigkeiten nur bei gesetzlich nicht geregelten Vertragstypen bestehen oder jedenfalls nur im besonderen Vertragsrecht. Aber auch das allgemeine Vertragsschuldrecht bietet keine größere Sicherheit. Als Beispiele diene der verbreitet postulierte Grundsatz, daß keine besonderen Entgelte für Handlungen, die regelmäßig mit der Vertragsbeendigung zusammenhängen, verlangt werden können, wie z.B. für die Erteilung einer Löschungsbewilligung146 oder auch für die Schließung eines 140 Canaris, WM 1996, 237, 240 unter Bezugnahme auf BGH WM 1993, 2237 f. = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer. 141 OLG Hamburg WM 1996, 1173 = NJW 1996, 1902; vgl. vorstehend I.1. Nr. 9. 142 In BGHZ 125, 343, 350 = WM 1994, 882 = WuB I F 4. – 4.95 Etzkorn (betr. rückwirkende Zinspflicht bei verspäteter Erstattung durch den Kreditkarteninhaber) blieb offen, ob Dienst- oder Werkvertrag die Geschäftsbesorgung des Kreditkartenvertrags prägt. 143 Pfeiffer, in: Graf von Westphalen, Vertragsrecht und AGB-Klauselwerke, Kreditvertrag (Stand Januar 1995) Rdn. 12 ff.; Meder, NJW 1996, 1849, 1852. 144 AG Frankfurt a.M. WM 1993, 1548 = WuB I D 5. – 6.93 Ahlers= NJW-RR 1993, 1136 f.; LG Hamburg WM 1995, 2062 = WuB I D 5 a. – 2.96 Haun = NJW 1996, 599 f. 145 Zutr. Joost, ZIP 1996, 1685, 1691. 146 BGHZ 114, 330 = WM 1991, 1113 = WuB I A. Nr. 22 AGB-Banken 2.91 Sonnenhol; vgl. vorstehend I. 1. Nr. 4; zust. Joost, ZIP 1996, 1685, 1691. Zur Kritik allg. auch i.F. b und c.
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Girokontos147. Für die Löschungsbewilligung wurden diese Schwierigkeiten der Ableitung eines Entgeltverbotes aus dem dispositiven Recht bereits (oben II 5. b) bb)) erörtert. Für die Kontoschließungsentgelte sind sie nicht minder groß. Nimmt man einmal an, daß das Ergebnis – die Unzulässigkeit der genannten Entgeltklauseln – gleichwohl durchaus billigenswert ist, so muß man vielleicht nach einer anderen Begründung suchen und könnte diese darin finden, daß diese Klauseln den Kunden überraschen (§ 3 AGBG) und das Transparenzgebot (§ 9 AGBG) verletzen; darauf ist (unten III.) zurückzukommen. Damit ist die Frage, welche Rolle das dispositive Recht bei einer Kontrolle primärer Entgeltbestimmungen spielen kann, aber noch nicht endgültig negativ beantwortet. Eine solche Bedeutung kann z.B. darin bestehen, daß sich hier möglicherweise doch gewisse Hilfserwägungen im Hinblick auf die Kontrolle der Transparenz i.S. § 3 und 9 AGBG ergeben. Zuvor ist aber noch der Frage nachzugehen, ob nicht die Rechtsprechung inzwischen spezifische Sätze einer Inhaltskontrolle primärer Entgeltbestimmungen anhand allgemeiner schuldrechtlicher Erwägungen herausarbeiten konnte, die ebenfalls unter den weiten Begriff des dispositiven Rechts i.S.v. der AGB-Kontrolle fallen. Solche möglichen Sätze sind zunächst noch einzeln zu betrachten (i.F. b–f). b) Kein Entgelt für ohnehin Geschuldetes? Nach der jüngsten Rechtsprechung soll eine Entgeltklausel immer dann in unangemessener Weise vom dispositiven Vertragsrecht abweichen, wenn sich der Verwender ein Entgelt für die Erfüllung einer Vertragspflicht versprechen läßt, die ihm nach dem betreffenden Vertragstyp ohnehin obliegt148. Damit verwandt ist das Argument, der Verwender könne kein Entgelt für etwas verlangen, wozu er gesetzlich verpflichtet sei; denn dann handele er ja in eigenem Interesse und nicht in dem des Kunden. In diesem Sinn haben z.B. Derleder und Metz bezweifelt, daß die Bank für die laufende Kontoführung ein Entgelt beanspruchen dürfe, weil dies ja zugleich Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Buchführungspflicht nach § 238 ff. HGB sei149. Im Ergebnis halten sie aber dann doch die Erhebung eines Kontoführungsentgelts in AGB für zulässig150. Sie haben ferner Zweifel geäußert, ob die Bank für die Bearbeitung der Aufträge zur Freistellung von Steuern auf Zinserträge
147 Schimansky, WM 1995, 461 ff., 464 („eindeutig unzulässig“); zust. Köndgen, NJW 1996, 562. 148 BGHZ 114, 330, 333 = WM 1991, 1113 = WuB I A. Nr. 22 AGB-Banken 2.91 Sonnenhol = NJW 1991, 1953; BGHZ 124, 254, 256 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer = ZIP 1994, 21. 149 Derleder/Metz, ZIP 1996, 621, 623; allg. zu öffentlich-rechtlicher Natur der Buchführungspflichten Horn, in: Heymann, HGB, 2. Aufl. 1995, Einl. I Rdn. 6. 150 Derleder/Metz, ZIP 1996, 621, 624.
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ein Sonderentgelt verlangen könne, weil es sich auch insoweit um Pflichten handele, „die das Kreditinstitut im öffentlichen Interesse erfüllt“151. Auch hier wird im Ergebnis aber eingeräumt, daß „die Inhaber der Kapitalvermögen näher dran sind, den Bankenaufwand für die Freistellungserklärungen zu tragen“152. Grundsätzlich schließt nach richtiger Ansicht das Bestehen einer gesetzlichen Pflicht es noch nicht aus, daß für die betreffende Handlung auch ein Entgelt vom Vertragsgegner beansprucht und in AGB vorgesehen wird153. Gleiches muß auch gelten, wenn sich eine Pflicht aus dispositivem Recht ergibt. Die Formel, man könne nicht für etwas ein Entgelt verlangen, was sowieso geschuldet wird, ist für sich betrachtet mißverständlich. Denn die Vereinbarung eines Entgeltes ist natürlich nicht deshalb nach AGB-Recht zu verwerfen, weil sie für die Erfüllung einer Vertragspflicht versprochen wird, die dem Verwender „ohnehin“ obliegt. Auch der kontrollfrei vereinbarte Hauptpreis wird für die Erfüllung der vertraglichen Pflichten gezahlt, und zwar auch derjenigen, die sich aus dispositivem Vertragsrecht ergeben. Die Unsicherheit in der Verwendung dieser Argumentation zeigt sich auch daran, daß z. B. das OLG Hamburg das Argument auf den Kopf stellt, um zum gleichen Ergebnis zu gelangen. Es führt nämlich im Urteil über die Unzulässigkeit eines Zusatzentgelts für den Auslandseinsatz von Kreditkarten aus, die Wäh- [16] rungsumrechnung und der Währungsumtausch bei der Erstattung der Kreditkartenbeträge seien Sache des Kreditkarteninhabers als des Fremdwährungsschuldners. Wenn ihm das Kartenunternehmen diese Arbeit abnehme, so könne es dafür kein besonderes Entgelt verlangen154. Hier wird also das Unwerturteil gerade umgekehrt darauf gestützt, daß der Verwender eine Pflicht erfülle, die nicht ihm, sondern der Gegenseite obliegt. c) Verbot einer Kumulierung von Entgelten für die gleiche Leistung? Die vom BGH verwendete Formel, der Verwender von AGB könne mit Entgeltklauseln kein Entgelt für Leistungen verlangen, zu denen er ohnehin verpflichtet sei, enthält aber das weitere Sachargument, daß eine Entgeltverdoppelung verhindert werden soll. Der Verwender soll nicht in zulässiger und kontrollfreier Weise zunächst ein Entgelt vereinbaren und sich dann für die gleiche Leistung, die durch dieses Entgelt abgedeckt ist, weitere Entgelte mit Hilfe von Entgeltklauseln verschaffen können. In ähnlicher Weise sagt das OLG Hamburg in seinem Kreditkartenurteil, es sei unzulässig, daß der Kunde für die gleiche Leistung doppelt zahle155. Derleder/Metz, ZIP 1996, 621, 628. Derleder/Metz, ZIP 1996, 621, 628. 153 Canaris, WM 1996, 237, 240, 244. 154 OLG Hamburg WM 1996, 1173 = NJW 1996, 1902, 1904. 155 OLG Hamburg WM 1996, 1173 = NJW 1996, 1902, 1904. 151 152
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So einleuchtend dieser Gedanke zunächst zu sein scheint, so schwer ist er in eine operationale Formel umzusetzen, die der Rechtsprechung und den Rechtssuchenden Sicherheit gibt. Denn das postulierte Verbot der Kumulierung von Preisen für die gleiche Leistung kann nicht abgegrenzt werden von zwei Fällen kontrollfreier und zulässiger Entgeltregelungen: (1) von der zulässigen Preisaufteilung und (2) von dem ebenfalls zulässigen Sonderentgelt für Zusatzleistungen. (1) Wie bereits oben (2b) ausgeführt, darf eine vertragliche Leistung, zumal wenn sie komplexer Natur ist, zulässig in verschiedene Teilleistungen aufgespalten werden, für die dann Teilentgelte nebeneinander verlangt werden können. Dabei kann der Preis in einzelne Preisbestandteile für Einzelaspekte des „Bündels“ von Gegenleistungen des Verwenders aufgeschlüsselt werden156. Diese zulässige Aufteilbarkeit des Leistungsangebots und damit der Preisstellung wird auch im Hinblick auf die Kreditkarte geltend gemacht. Im Kreditkartenmarkt werden durchweg Leistungen nur mit einer gesonderten Preisstellung für den Auslandseinsatz angeboten. Man müßte wohl umgekehrt die besondere Preisstellung für den Inlandseinsatz beanstanden, wenn man die historische Entwicklung betrachtet, daß nämlich die Kreditkarte zunächst für den internationalen Einsatz angeboten wurde und sich erst anschließend einen großen Anwendungsbereich auch im Inland eroberte. Die Zulässigkeit einer besonderen Preisstellung für Inlands- und Auslandseinsatz wird daher auch in der Literatur überwiegend befürwortet157. (2) Ebenso wie die Vereinbarungen und Klauseln über Teilleistungen und Teilentgelte ist auch, wie bereits oben ausgeführt, die Vereinbarung von Sonderentgelten für Zusatzleistungen zulässig und AGB- rechtlich unbedenklich. Der XI. Senat hat diesen Grundsatz der Rechtsprechung zuletzt in seinem Urteil über die Postenpreisklauseln für die Inanspruchnahme von Geldautomaten bestätigt158. d) Verbot der Abwälzung von Gemeinkosten? Es bedarf also einer Abgrenzung der zulässigen Aufspaltung von Teilleistungen und Teilpreisen sowie der zulässigen Entgeltregelung für Sonderleistungen einerseits von andererseits unzulässigen Entgeltregelungen für Leistungen, die bereits mit dem Hauptentgelt abgegolten sind und nicht mehr 156 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 8 Rdn. 17; vgl. vorstehend 2b; BGHZ 116, 117, 119 = WM 1992, 533 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.92 Niebling = NJW 1992, 688; BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. 157 Meder, NJW 1996, 1849–1854; Wand, WM 1996, 289 ff. 158 Urt. v. 7.5.1996 = WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079.
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zum Gegenstand einer zusätzlichen Vergütungsregelung in AGBs gemacht werden dürfen. In seinem Bestreben um diese Abgrenzung hat der XI. Senat sowohl im Urteil über die Löschungsbewilligung159 als auch im Urteil über Entgelte für Barauszahlungen und -einzahlungen am Schalter160 Überlegungen über die Kostenstruktur des Verwenders angestellt. Er hat nämlich ausgeführt, wie bereits dargestellt, daß sich die Bank die Vorhaltekosten für ihre Schalter als allgemeine Kosten, die nicht durch ein konkretes Auszahlungsbegehren eines bestimmten Kunden bedingt seien, nicht besonders entgelten lassen könne161. Er hat dazu den Rechtssatz formuliert: Allgemeine Betriebskosten sowie Arbeiten des Gläubigers zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen sind grundsätzlich nicht gesondert (anteilig) zu vergüten162.
Die Versuche der Banken, die Entgelte für Bareinzahlungen und Barauszahlungen am Schalter mit betriebswirtschaftlichen Kostenargumenten zu rechtfertigen, wurden daher auch mit dem Argument kritisiert, der Kaufmann müsse seine Gemeinkosten in den Preis einkalkulieren und könne sie nicht daneben nach dem Verursachungsprinzip offen abwälzen163. Auch Urteile der Untergerichte zur Zusatzgebühr für Fremdwährungsumsätze bei Kreditkarten lassen Erwägungen zur Kostenstruktur der Banken erkennen164. Rechtlich ist es aber nun nicht so sehr die Frage, ob die Banken eine bestimmte Entgeltklausel mit Kostenerwägungen rechtfertigen können, sondern es ist umgekehrt die Frage, ob es einen Rechtssatz gibt, der dem Kaufmann verbietet, seine Gemeinkosten aufzuteilen und teilweise nach dem Verursacherprinzip zu gestalten, und der ihn statt dessen zwingt, einen alle Kosten deckenden Einheitspreis zu erheben, ggf. mit der Folge von Quersubventionen kostenintensiver Teilleistungen (Schalterdienst). Es fragt sich, ob dabei Betrachtungen zur internen Kostenstruktur eines Verwenders eine tragfähige Grundlage für die Abgrenzung kontrollfreier und kontrollunterworfener Klauseln bieten und zugleich für die Bewertung der Unangemessenheit bestimmter [17] Entgeltklauseln. Dies ist jedenfalls als allgemeine Regel zu verneinen. Man hat in der Literatur zum Teil den Banken, die besondere Entgeltklauseln mit besonderen Kosten rechtfertigen wollen, entgegengehalten, diese Kosten seien betriebswirtschaftlich nicht eindeutig zuzuordnen und die Rechtfertigung der Banken sei in diesem Sinne mißlun BGHZ 114, 330 = WM 1991, 1113 = WuB I A. Nr. 22 AGB-Banken 2.91 Sonnenhol. BGHZ 124, 254, 260 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer. 161 BGHZ 124, 254, 258 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer, in Abgrenzung zu BGHZ 116, 117 ff. = WM 1992, 533 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.92 Niebling (betr. Kfz-Anfahrtpauschale für Werkunternehmer). 162 BGHZ 124, 254, 260 = WM 1993, 2237 = WuB IV B. § 8 AGBG 1.94 Fischer 163 Schimansky, WM 1995, 461, 463 f. 164 Vgl. insbes. AG Frankfurt a.M. WM 1993, 1548 = WuB I D 5. – 6.93 Ahlers = NJW-RR 1993, 1136; LG Hamburg NJW 1996, 606. 159 160
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gen165. Zu den unterinstanzlichen Urteilen bezüglich der Zusatzgebühr für den Fremdwährungsumsatz bei Kreditkarten hat Köndgen kritisch angemerkt, hier zeige sich „eine verhängnisvolle Tendenz, in die interne Preiskalkulation des Anbieters zu intervenieren166.“ Umgekehrt gilt: „Kosten sind in einer marktwirtschaftlichen Ordnung prinzipiell keine Preislegitimation167.“ e) Kostenerwägungen bei Leistungsbestimmungen und -anpassungen (§ 315 BGB) Das Problem einer Rechtfertigung von Entgelten bzw. Entgeltänderungen durch Kostenargumente tritt allerdings in dem vorstehend (II 3) erwähnten Sonderfall auf, daß durch AGB dem Verwender ein einseitiges Leistungsbestimmungs- oder Abänderungsrecht eingeräumt wird168. Der III. Zivilsenat hat dies 1986 bei einer Zinsklausel erkannt: die Bank darf aufgrund einer Zinsanpassungsklausel eine Anpassung, nämlich Erhöhung oder Senkung des Zinssatzes, nur in Übereinstimmung mit kapitalmarktbedingten Änderungen der Refinanzierungskosten vornehmen169. Damit ist eine Rückbindung an die Kosten der Bank gegeben. Dabei ist aber der Maßstab nicht etwa die interne Kostenstruktur, sondern die kapitalmarktbedingten Einflüsse auf diese Kosten, die objektiv feststellbar und nachprüfbar sind. Den gleichen Beurteilungsmaßstab legte der BGH 1992 bei der Prüfung einer Klausel über variable Überziehungszinsen an, die sich nach den Marktkonditionen richten sollten170. Der Gedanke einer Orientierung der Billigkeitskontrolle i.S. § 315 BGB an der internen Kostenstruktur des Verwenders hat sich auch sonst in der Rechtsprechung nicht dauerhaft durchgesetzt. Bei Tagespreisklauseln im Neuwagenverkauf hat der BGH zunächst eine Preisänderung, die über den Ausgleich von Kostensteigerungen hinausging, für unbillig gehalten171. Das Gericht hat jedoch später an diesem Gedanken nicht festgehalten und bei der Anwendung von Tagespreisklauseln Preisanhebungen auch ohne Rücksicht auf die Deckung von Kostensteigerungen für zulässig erklärt, sofern dem Privatkunden ein Lösungsrecht bei einer Preisanhebung gewährt wird, die über den Anstieg der Lebenshaltungskosten hinausgeht172. In der Tat sind auch in Anpassungsklauseln Kosten als So Derleder/Metz, ZIP 1996, 573, 583. Köndgen, NJW 1996, 558, 563. 167 Insoweit zutr. Derleder/Metz, ZIP 1996, 573, 583. 168 Intensive Kostenüberlegungen zu diesem Fall bei Derleder/Metz, ZIP 1996, 573, 583 f.; grundsätzlich schon Horn, NJW 1985, 1118 ff. 169 Urt. v. 6.3.1986 = BGHZ 97, 212 = WM 1986, 580 = WuB I E 1. - 13.86 Stützle = NJW 1986, 1803. 170 BGH WM 1992, 940 = WuB I A. Nr. 14 AGB-Banken 2.92 Hadding= ZIP 1992, 751. 171 BGH, Urt. v. 7.10.1981 = BGHZ 82, 21, 25 = WM 1982, 9 = NJW 1982, 331. 172 BGH, Urt. v. 1.2.1984 = BGHZ 90, 69, 78 = WM 1984, 309 = NJW 1984, 1177; BGH WM 1984, 312 = NJW 1984, 1180 f.; Horn, NJW 1985, 1118, 1122; Ulmer, BB 1982, 1132; 165 166
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Anpassungsmaßstäbe nur begrenzt geeignet und in der Regel auf marktinduzierte Kostenveränderungen zu beschränken173. Kostenklauseln sind schließlich auch volkswirtschaftlich bedenklich, weil sie zu Kostensteigerungen einladen können174. f) Kontrollmaßstäbe für die Entgelthöhe? aa) Die Entgelthöhe in der Rechtsprechung Sofern die Gerichte Entgeltklauseln für voll kontrollfähig halten, finden sich in den Urteilen auch Überlegungen zur Entgelthöhe. Das OLG Hamburg hat in seinem Urteil über die Unzulässigkeit besonderer Entgelte für den Auslandseinsatz von Kreditkarten auch die Höhe des Entgeltes beanstandet. Es hat dabei einen Vergleich zu einem Zins für die Zahlungsbeträge angestellt um darzutun, daß die Entgeltregelung die Jahresgebühr „in erheblicher Weise zu verteuern geeignet ist“175. Der Vergleich mit einem Zins erscheint sachwidrig, weil es um das Entgelt für eine Dienstleistung ging. In seiner Entscheidung zur Angemessenheit des Entgelts für den Bezug von Zusatzwasser hat der BGH 1985 auch direkte Überlegungen zur Unangemessenheit der Preishöhe angestellt. Er bewegte sich dabei aber im besonderen Gebiet des Verwaltungsprivatrechts, wo das Äquivalenzprinzip des öffentlichen Gebührenrechts entsprechend gilt176. Außerdem war in die Berechnung des Sonderentgelts ein vertragsstrafenähnlicher Sanktionsmechanismus eingebaut, der als kontrollfähige Preisnebenabrede auch nach allgemeinen Regeln der Kontrolle nach § 9 AGBG nicht standgehalten hätte. Der XI. Senat hat allerdings sowohl 1993 im Urteil über die Barzahlungen am Bankschalter als auch 1996 im Urteil über die Postenpreisklauseln gewisse Erwägungen auch zur Entgelthöhe angestellt, im letzteren Urteil z.B. indirekt dadurch, daß er den fünf Freiposten pro Monat Bedeutung beimaß und die monatliche Grundgebühr für die Kontoführung der Höhe nach (DM 3,–) erwähnte. Sowohl das OLG Hamburg als auch der BGH vermeiden aber in den genannten Urteilen Aussagen zur richtigen Entgelthöhe. Sie befassen sich vielmehr mit allgemeineren Plausibilitätserwägungen im Hinblick auf die berechtigten Erwartungen des Kunden und seine möglichen Nachteile. Bunte, ZIP 1983, 769. Im kaufmännischen Verkehr wurde auf das letztere Erfordernis verzichtet; BGH WM 1984, 1573 = NJW 1985, 426 = ZIP 1985, 40; BGH ZIP 1985, 284. 173 Zu Kostenelementsklauseln in langfristigen Werkverträgen BGH BB 1958, 1220; zu Energielieferungsverträgen J.F. Baur, Vertragliche Anpassungsregelungen, dargestellt am Beispiel langfristiger Energielieferungsverträge, 1983; Überblick bei Horn, NJW 1985, 1118, 1120 ff. Die Schwierigkeit zeigt sich auch in der Notwendigkeit, hier Korrekturen durch sog. Revisionsklauseln vorzusehen; Horn, AcP 181 (1981), 255 ff., 258. 174 Horn, NJW 1985, 1118, 1125. 175 OLG Hamburg WM 1996, 1173 = NJW 1996, 1902, 1904. 176 BGHZ 93, 358 = WM 1985, 576.
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Die gleiche Zurückhaltung ist auch bei den Instanzgerichten festzustellen, soweit sie sich mit der Entgelthöhe und Kostenerwägungen befassen177. bb) Kontrollmaßstäbe? Der Grund für diese Zurückhaltung liegt letztlich im Fehlen geeigneter Kontrollmaßstäbe für die Ermittlung der richtigen Entgelthöhe. Das jahrtausendealte Problem des iustum pretium wird auch im AGB-Gesetz nicht zu lösen versucht. Das ergibt sich schon aus dem Konzept des AGB-Gesetzes, das in § 8 AGBG eine Preiskontrolle verbietet und damit insbesondere [18] eine Kontrolle der Preishöhe ausschließt178. Damit sind wohl auch Maßstäbe für die Feststellung einer eindeutig unzulässigen Entgelthöhe ausgeschlossen, soweit sich diese nicht aus § 138 BGB ergibt. Sieht man von diesem grundsätzlichen Einwand einmal ab, dann kommen in abstracto drei Kontrollmaßstäbe in Betracht: (1) der Marktpreis, (2) die Gegenleistung und (3) die Kosten des Verwenders. Alle drei Kriterien spielen in der Tat eine gewisse Rolle. (1) Grundsätzlich ist ein Verwender nicht verpflichtet, sein Entgelt am Marktpreis auszurichten. Die erforderliche Kontrolle leistet hier im Grundsatz der Wettbewerb. Nimmt man an, in der Vielfalt der Entgeltregelungen z.B. des Kreditgewerbes fehle es an Wettbewerb, muß man die Transparenz auf diesem Gebiet verbessern und das Verbraucherbewußtsein entwickeln; das ist noch (i.F. III) zu erörtern. Die Gerichte orientieren sich bei Verbraucherkrediten am Marktpreis (Schwerpunktzins), aber nicht um den „richtigen“ Zins zu ermitteln, sondern mit dem doppelten Marktpreis die äußersten Grenzen des frei zu vereinbarenden Zinses zu bestimmen, bei deren Überschreitung die Zinsvereinbarung wegen Sittenwidrigkeit nichtig ist179. Auch hier fügt das AGB-Gesetz dem keine weiteren inhaltlichen Maßstäbe hinzu. Nur bei der Ausübung von Leistungsbestimmungs- und - anpassungsrechten, wo das Anpassungsergebnis der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB unterliegt, können die Gerichte sich - über die Prüfung nach § 138 BGB hinausgehend - an marktnahen Kontrollmaßstäben orientieren, so etwa bei der Tagespreisklausel, wobei der Tagespreis selbst dem Markttest ausgesetzt ist, oder bei Zinsanpassungsklauseln, wo auf die Marktentwicklung der Refinanzierungskosten für Kredite abgestellt wird180. (2) Preisgerechtigkeit i. S. einer Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung ist Inhalt des Äquivalenzprinzips. Dieses Prinzip gilt aber im allgemeinen Privatrecht nicht, sondern ist auf das öffentliche Gebührenrecht 177 Vgl. LG Berlin WM 1996, 107; LG Hannover WM 1996, 61; LG Nürnberg-Fürth WM 1996, 1624; siehe auch vorstehend I Nr. 13, 14. 178 Vorstehend II.2.b. 179 Überblick bei Heymann/Horn, HGB, Bd. 4 1990, § 352 Rdn. 21 ff. m. Nachw. 180 Siehe vorstehend II.3. m. Nachw.
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und das damit zusammenhängende Verwaltungsprivatrecht beschränkt181. Im Privatrecht gilt es nur abgeschwächt, indem bei ganz grober Verletzung § 138 BGB eingreift, und im übrigen nur, wenn es um die Anpassung des bereits bestehenden Vertrags an neue Umstände geht, z. B. mittels Anpassungsklauseln182. Im Rahmen der Inhaltskontrolle kommt nur der abgeschwächte und indirekte Maßstab des wirtschaftlichen Nachteils im Rahmen der Frage der Unangemessenheit in Betracht. (3) Die Überprüfung der Angemessenheit von Preisen anhand der Kosten des Verwenders ist ebenfalls ein generell nicht gangbarer Weg, und zwar aus den schon (vorstehend dd) besprochenen Gründen. In einer Marktwirtschaft resultieren Preise primär aus Angebot und Nachfrage. Natürlich beeinflussen die Kosten, insbesondere die variablen Kosten, die Angebotsentscheidungen. Aber es ist auch die Möglichkeit von Mischkalkulationen zu beachten183. Ferner ist es eine volkswirtschaftliche Binsenwahrheit, daß nicht nur Kosten Preise erzeugen können, sondern umgekehrt auch Preise Kosten. Wer zur allgemeinen richterlichen Kontrolle der Kostengerechtigkeit von Preisen gerade im Bankgewerbe aufruft, muß erhebliche Schwierigkeiten einräumen. So fordern Derleder und Metz einerseits, daß Nebenentgelte nicht von den Kosten gelöst werden dürfen, zumal wenn es an Wettbewerb fehle, und versuchen ziemlich genaue Vorschläge für die unzulässige Höhe von Postenpreisen und anderen Teil- oder Sonderentgelten184. Andererseits sagen sie selbst, daß Kosten in einer marktwirtschaftlichen Ordnung grundsätzlich keine Preislegitimation liefern185. Dem letzten Satz ist zuzustimmen mit der Hinzufügung: Preise bedürfen in einer marktwirtschaftlichen Ordnung grundsätzlich keiner Legitimation durch Kosten.
III. Das Transparenzgebot als Grundlage richterlicher Entgeltkontrolle 1. Alle Entgeltklauseln unterliegen dem Transparenzgebot Das Transparenzgebot als Grundprinzip des neueren AGB-Rechts erfordert, daß AGB-Klauseln so gestaltet sind, daß der Kunde die mit der Klausel verbundene wirtschaftliche Belastung erkennen kann. Dieses Prinzip ist im Zusammenhang mit Preisnebenabreden, nämlich der nachschüssigen Til-
Vgl. BGHZ 93, 358, 363 = WM 1985, 576. Allg. Horn, NJW 1985, 1118. 183 Vgl. auch Koller, EWiR 1992, 528 in Kritik an BGH WM 1992, 940 = WuB I A. Nr. 14 AGB-Banken 2.92 Hadding = ZIP 1992, 751. 184 Derleder/Metz, ZIP 1996, 621, 624 ff. 185 Derleder/Metz, ZIP 1996, 573, 583. 181 182
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gungsverrechnung, entwickelt worden186, dient also der Preisklarheit187. Das Transparenzgebot hat in der Literatur überwiegend Zustimmung gefunden188 und ist fester Bestandteil der Rechtsprechung189. Zutreffend hält die Rechtsprechung dabei an dem Grundsatz der Kontrollfreiheit des Preises selbst nach § 8 AGBG fest. Der XI. Senat hat dazu ausgeführt: „Der Preis selbst ist nämlich gem. § 8 AGBG der materiellen Inhaltskontrolle nach §§ 9-11 AGBG entzogen. Das Gesetz geht davon aus, daß der Kunde der Preisvereinbarung besondere Aufmerksamkeit widmet und sein Interesse an einem angemessenen, marktgerechten Preis selbst wahrt. Das kann er jedoch nur, wenn der Vertragsinhalt ein vollständiges und wahres Bild über Art und Höhe des Preises vermittelt und ihn so auch zum Marktvergleich befähigt190.“
§ 8 AGBG wird nach h.M. aber nicht als eine Begrenzung der Inhaltskontrolle von Entgeltregelungen angesehen, soweit es um die Durchsetzung des Transparenzgebotes geht. Die Norm steht damit der Kontrolle der Transparenz auch von primären Entgeltklauseln unter dem Gesichtspunkt der Preisklarheit nicht entgegen, weil es dabei nicht um eine Kontrolle der Angemessenheit des Preises geht191. Rechtskon- [19] struktiv bedeutet dies, daß § 8 AGBG für primäre Entgeltbestimmungen den Weg der allgemeinen Inhaltskontrolle nach §§ 9–11 AGBG zwar verschließt und Preishöhe und Preisgrund im Grundsatz kontrollfrei hält, daß § 8 AGBG den Weg der Inhaltskontrolle aber eröffnet, soweit es um die Einhaltung des Transparenzgebotes geht. Denn auch Preise können von diesem Rechtsgrundsatz abweichen, so daß sie i.S. § 8 AGBG kontrollfähig sind und bei starker Abweichung der Unwirksamkeit nach § 9 AGBG verfallen. Die mangelnde Transparenz ist Kriterium der Kontrollunterworfenheit, und sie kann zugleich die Unangemessenheit der Klausel begründen192. Dieses Ergebnis wird durch eine EGRichtlinien-konforme Auslegung gestützt (iF 2).
186 Urt. v. 24.11.1988 = BGHZ 106, 42 = WM 1988, 1780 = WuB I E 4. – 2.89 Canaris = NJW 1989, 222 (betr. nachschüssige Tilgungsverrechnung). 187 Urt. v. 10.7.1990 = BGHZ 112, 115, 118 = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. – 12.90 Westermann = NJW 1990, 2383 (betr. Zinsberechnungsklausel für Annuitätendarlehen). 188 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), § 9 Rdn. 143 ff.; Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 9 Rdn. 87 ff.; Köndgen, NJW 1989, 943; Koller, Festschr. Steindorff, 1990, S. 667; Baums, ZIP 1989, 7; Taupitz, JuS 1989, 520; Reifner, NJW 1989, 952. Ablehnend Bruchner, WM 1988, 1873; Wagner-Wieduwilt, WM 1989, 37; Hellner, Festschr. Steindorff, 1990, S. 573, 580; krit. auch H. P. Westermann, ZBB 1989, 36. 189 Vgl. auch BGH WM 1991, 1452 = WuB I E 4. - 16.91 M. Wolf = NJW 1991, 2559 = ZIP 1991, 1054, 1056; BGH WM 1993, 845 = NJW 1993, 2052, 2054; NJW-RR 1995, 749. 190 BGHZ 112, 115, 117 = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. – 12.90 Westermann. 191 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), § 8 Rdn. 14 und § 9 Rdn. 143; Brandner, in: Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 8 Rdn. 20 und § 9 Rdn. 104. 192 Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 8 Rdn. 20 bei Fn. 41; Meder, NJW 1996, 1849, 1853.
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2. Der Zusammenhang von Kontrollfreiheit und Preistransparenz nach AGB-Recht und EG-Recht Die EG-Richtlinie „über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen“ vom 5. April 1993193 bestimmt in Art. 4 Abs. 2, daß die Mißbrauchskontrolle sich nicht auf solche AGB-Klauseln erstreckt, die den Hauptgegenstand des Vertrages festlegen, und auch nicht auf die Frage der Angemessenheit zwischen dem Preis, dem Entgelt und den Dienstleistungen bzw. den Gütern, die die Gegenleistung darstellen, „sofern diese Klauseln klar und verständlich abgefaßt sind“. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie enthält demnach ein klares Verbot, den Hauptgegenstand des Vertrages und das Äquivalenzverhältnis der Leistungen einer richterlichen Inhaltskontrolle zu unterwerfen194. Die Richtlinie ist im Sinne einer Zielvorgabe für die Mitgliedsstaaten verbindlich. Art. 189 Abs. 3 EG-Vertrag überläßt den Mitgliedsstaaten lediglich die Wahl der Form und Mittel bei der Umsetzung der Richtlinie. Diese ist in vollem Umfang in nationales Recht umzusetzen195. Im Kern entspricht § 8 AGBG in der Auslegung, die er durch die h.M. erfahren ist, inhaltlich dem Art. 4 Abs. 2 EG-Richtlinie196. Man kann hinzufügen, daß das in dieser EG-Norm ausgedrückte Prinzip der Kontrollfreiheit von Preisen durch die deutsche Rechtsvorstellung beeinflußt ist, nachdem eine frühere Fassung der Richtlinie eine solche Kontrollfreiheit nicht vorsah und entsprechende Kritik erfahren hat197. Die EG-Richtlinie unterwirft demnach alle Entgeltklauseln der Kontrolle, die nicht klar und verständlich abgefaßt, also nicht transparent sind. Die mangelnde Transparenz ist Kriterium der Kontrollunterworfenheit. Die Unterscheidung von primären (kontrollfreien) und sekundären (kontrollunterworfenen) Entgeltbestimmungen verliert hier ihre Bedeutung. Sobald sich Bedenken gegen die Transparenz einer Entgeltklausel regen, unterliegt sie der Kontrolle. Ist die Intransparenz gravierend, ist die Klausel unwirksam. Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 8 AGBG führt also zu dem Ergebnis, das sich in der deutschen Lehre ohnehin herausgebildet hat, und bestätigt dieses (oben 1). Die richtlinienkonforme Auslegung des ganzen AGB-Gesetzes muß ferner dessen Gesamtkonzeption eines allgemeinen Kundenschutzes beachten. Dies muß m.E. dazu führen, daß auch § 24 AGBG in diesem Sinn auszulegen und die Transparenzkontrolle auch auf Entgelte in Verträgen mit Kaufleuten auszudehnen ist, obwohl die Richtlinie nur den Verbraucher schützen will. RL 93/13/EWG; abgedr. bei Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), S. 1869 ff. Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), Art. 4 Richtlinie Rdn. 15 ff. 195 EuGH EuZW 1991, 405, 408; Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), Art. 1 Richtlinie Rdn. 13. 196 Damm, JZ 1994, 161 ff., 170; Micklitz, ZEuP 1993, 522, 528. 197 Brandner/Ulmer, BB 1991, 701. 193 194
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3. Die Leistungsfähigkeit des Transparenzgebotes Man mag gegen die Leistungsfähigkeit des Transparenzgebotes auf dem Gebiet der Entgelte einwenden, diese reiche nicht aus, weil Entgelte, insbesondere Nebenentgelte, nicht aushandelbar seien. Dies ist zu bezweifeln. Eine gewisse Verhandlungsbereitschaft der Kreditwirtschaft bei bestimmten Entgeltregelungen ist durchaus festzustellen; sie wird sich bei zunehmendem Wettbewerb noch verstärken. Aber auch der Umstand, daß die Entgeltregelungen im allgemeinen starr sind oder vom Kunden als starr hingenommen werden, ist nichts Außergewöhnliches. Der gesamte Einzelhandel in Deutschland mit seinen Millionen von Preisen arbeitet durchweg auf der Grundlage fester, nicht aushandelbarer Preise (mit den bekannten Ausnahmen). Der Kunde ist durch den Wettbewerb geschützt. Passen ihm die Preise nicht, geht er zum nächsten Laden. Die gleiche Situation besteht aber überwiegend im Kreditgewerbe mit seiner großen Filialdichte. Zunehmende Transparenz kann den Wettbewerb der Entgeltkonditionen begünstigen und fördern. Auf diese Bedeutung des Transparenzgebotes, nämlich seine Förderung der Markttransparenz und damit der Leistungsfähigkeit des Wettbewerbs, wurde in Literatur und Rechtsprechung zutreffend hingewiesen198. Der Kunde, der im Einzelfall durch eine Klausel benachteiligt wird, muß dabei keineswegs auf eine ferne glückliche Zukunft durch funktionierenden Wettbewerb vertröstet werden. Ihm wird sofort geholfen, indem eine Entgeltklausel (z.B. in einem Preisverzeichnis) als überraschend i.S. § 3 AGBG qualifiziert oder als intransparent nach § 9 AGBG verworfen wird. 4. Keine Überspannung der Transparenzanforderungen Der BGH hat schon bald nach Beginn seiner Rechtsprechung zum Transparenzgebot begonnen, vor einer Überspannung der Transparenzanforderungen zu warnen. So heißt es in BGHZ 112, 119: „Der Senat verkennt nicht, daß es in bestimmten Rechtsbereichen außerordentliche oder sogar unüberwindbare Schwierigkeiten bereiten kann, alle Auswirkungen einer Regelung für den Durchschnittskunden verständlich darzustellen. Das Transparenzgebot will den Verwender nicht zwingen, jede AGB-Regelung gleichsam mit einem umfassenden Kommentar zu versehen. Er soll aber verpflichtet sein, bei der Formulierung von vornherein auf die Verständnismöglichkeiten des Kunden Rücksicht zu nehmen....“
198 BGHZ 112, 115, 118 = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. – 12.90 Westermann; zur Bedeutung des Transparenzgebots als Instrument der Markttransparenz vgl. Fastrich, a.a.O. (Fn. 100), S. 323 f.; Lindacher, in: Vorträge zur Rechtsentwicklung der achtziger Jahre, 1991, S. 347, 359; Wolf, in: Verbraucherkreditrecht, AGB-Gesetz und Kreditwirtschaft, 1991, S. 73, 77.
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Diese Warnung hat er in späteren Urteilen wiederholt und darauf hingewiesen, daß zu hohe Anforde- [20] rungen an die Transparenz letztlich die Gefahr der Intransparenz mit sich bringen muß199. Daran hat sich der BGH auch gehalten mit der Folge, wie Heinrichs zutreffend bemerkt hat, daß „die Hoffnungen, die Verbraucherschützer an das Transparenzgebot geknüpft haben,... nicht alle in Erfüllung gegangen“ sind200. Selbst im Bereich der Tilgungsverrechnungsklauseln, deren volle Kontrollunterworfenheit als Preisnebenabreden (sekundäre Leistungsbestimmungen) heute kaum noch streitig sein dürfte, wurde mehrfach bestimmten Tilgungsklauseln eine ausreichende Transparenz bescheinigt201. 5. Kontrollkriterien für die Transparenz primärer Entgeltbestimmungen i.S. §§ 3, 5 und 9 AGBG a) Preisgestaltungsfreiheit, Transparenz und Kundenerwartung Der Inhalt des Transparenzgebots ist inzwischen hinlänglich geklärt, seine Anwendung auf primäre Entgeltbestimmungen aber nicht. Die Anforderungen, die an die Transparenz von AGB generell zu stellen sind, sind die Bestimmtheit und Verständlichkeit der Klauseln, wobei auf die Verständnismöglichkeit des Durchschnittskunden Rücksicht zu nehmen ist202. Aus dem Transparenzgebot folgt ein Täuschungsverbot; unrichtige oder irreführende Klauselinhalte sind i.S. § 9 AGBG unangemessen203. Die fehlende Transparenz kann u.U. durch entsprechende Hinweise hergestellt werden204. Die Anwendung dieser Einzelkriterien des Transparenzgebotes auf primäre Entgeltbestimmungen ist noch weitgehend ungeklärt. Bei dieser Klärung ist vom Grundsatz der Preisgestaltungsfreiheit auszugehen. Diese ist durch die Privatautonomie (Art. 2 GG) gewährleistet und sie ist, wie (vorstehend III.2) dargelegt, auch nach EG-Recht unter der Voraussetzung der Transparenz anerkannt. Der Verwender ist in der Höhe der Preise und in ihrer Gestaltung, d.h. in der Bestimmung des Preisgrundes, frei, wenn und BGH WM 1993, 845 = NJW 1993, 2052, 2054. Heinrichs, Festschr. Trinkner, 1995, S. 157. 201 BGH WM 1991, 1452 = WuB I E 4. – 16.91 M. Wolf = NJW 1991, 2559, 2561 betr. vierteljährliche Zinsberechnung und Tilgungsverrechnung in Bausparbedingungen; dazu oben I 1 Nr. 1 a.E.; BGH WM 1993, 2001 = WuB I E 4.–6.94 Fischer = NJW 1993, 3261 betr. vierteljährliche Zins- und Tilgungsleistungen eines Landesbankkredits. 202 BGHZ 106, 42, 46 = WM 1988, 1780 = WuB I E 4. – 2.89 Canaris = NJW 1989, 222; BGHZ 112, 115, 119 = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. – 12.90 Westermann = NJW 1990, 2383; BGH WM 1993, 845 = NJW 1993, 2052, 2054; Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), § 9 Rdn. 145 ff.; Heinrichs, Festschr. Trinkner, 1995, S. 157, 161 ff. 203 BGHZ 104, 82, 92 ff. = WM 1987, 586 = WuB I F 3. – 12.87 Schröter = NJW 1988, 1726; Hellner, Festschr. Steindorff, 1990, S. 573, 586; Heinrichs, Festschr. Trinkner, 1995, S. 157, 168. 204 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), § 9 Rdn. 149. 199 200
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soweit seine Entgeltregelung transparent ist. Aus dem Transparenzgebot können daher keine allgemeinen Verbote abgeleitet werden, die von vornherein bestimmte Preisgestaltungen und Preisgründe ausschließen würden. Demnach ist die Aufgliederung des Preises in Teilentgelte ebenso zulässig wie die Erhebung von Nebenentgelten und Sonderentgelten. Das Transparenzgebot verbietet solche Gestaltungen nicht, sondern gebietet nur ihre Transparenz. Gleiches gilt für die Wahl bestimmter Preisgründe, also die Art und Weise, wie der Verwender seine Entgelte mit bestimmten Kriterien der von ihm selbst angebotenen Leistung verknüpft205. Auch hier gibt es nicht ein generelles Verbot bestimmter Entgeltarten, sondern nur das Gebot ihrer Eindeutigkeit und Verständlichkeit. Maßgebender Ausgangspunkt ist die Kundenerwartung. Denn Kriterium sowohl der Überraschung i.S. § 3 AGBG als auch der Transparenz i.S. § 5 und § 9 AGBG ist die Erwartung des Kunden206. Diese Erwartung ist generalisierend, also im Hinblick auf den Durchschnittskunden, zu bestimmen207. Es handelt sich dabei insofern um einen normativen Begriff, als es auf die berechtigten Kundenerwartungen ankommt208. Für die Ermittlung und Bewertung der Kundenerwartung können demnach allgemeine Verkehrsanschauungen im Hinblick auf bestimmte Produkte, Preisüblichkeit und Leistungsumfang berücksichtigt werden. Dabei kann auch die werbliche Außendarstellung der Leistung des Anbieters in Betracht gezogen werden, soweit sie die Kundenerwartungen beeinflussen. Da Mängel der Transparenz durch besondere Hinweise behoben werden können, ist ferner zu berücksichtigen, ob der Verwender in den AGB oder sonst in geeigneter Weise naheliegende Mißverständnisse ausräumt. b) Kundenerwartung und dispositives Recht Soweit die Kundenerwartung als Maßstab der Transparenz ein normativer Begriff ist, kann allgemein bei der Kontrolle der Transparenz von AGB auch auf das dispositive Recht zurückgegriffen werden. Es ist anerkannt, daß vertragstypische Erwartungen des Kunden zu den Maßstäben der Inhaltskontrolle gehören209. Andererseits hat sich gezeigt, daß im Hinblick auf primäre Entgeltbestimmungen im dispositiven Recht meist keine und allenfalls nur 205 206
148.
Allg. Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), § 8 Rdn. 14. Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O (Fn. 48), § 3 Rdn. 18, 23 ff.; §5 Rdn. 12 ff.; § 9 Rdn. 145,
207 BGHZ 106, 42, 46 = WM 1988, 1780 = WuB I E 4. – 2.89 Canaris = NJW 1989, 222; BGHZ 112, 115, 119 = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. – 12.90 Westermann = NJW 1990, 2383; BGH WM 1993, 845 = NJW 1993, 2052, 2054; Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), insbes. Rdn. 148. 208 Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48); so wohl auch Koller, EWiR 1992, 527, 528. 209 Vgl. nur BGHZ 106, 259 = WM 1989, 126 = WuB I A. Nr. 14 AGB-Banken 2.89 M. Wolf, Niebling, WM 1992, 845, 848.
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sehr unsichere Anhaltspunkte zu gewinnen sind. Preisverbote in AGB lassen sich daraus nicht ableiten. Dies schließt nicht aus, daß auch im Bereich primärer Entgeltregelungen bei der Feststellung der berechtigten Kundenerwartung als Maßstab der Transparenz ein Rückgriff auf das dispositive Recht möglicherweise als Hilfserwägung zum Zuge kommen kann. c) Die Transparenz von Teil-, Neben- und Sonderentgelten Einheitliche Entgelte für die gesamte Vertragsleistung sind regelmäßig transparent, wenn sie die Entgelthöhe mitteilen oder eine einfache Berechnungsgrundlage, aus der das Gesamtentgelt ohne weiteres abgeleitet werden kann. Unklarheiten und Überraschungen hinsichtlich der Entgelthöhe können sich dann nicht ergeben, zumal die Aufmerksamkeit des Kunden sich natürlicherweise auf das Entgelt richtet und der Kunde, den dies nicht interessiert, insoweit nicht schutzwürdig ist. Auch hinsichtlich der Angabe des Preisgrundes ergeben sich keine Probleme der Überraschung oder Intransparenz, wenn sich aus der Bezeichnung oder dem Umstand ergibt, daß das Entgelt den Gesamtpreis für alle Vertragsleistungen darstellt. [21] Probleme der Verständlichkeit und Bestimmtheit i.S. des Transparenzgebotes können sich dagegen in den Fällen ergeben, in denen das Entgelt in Teil-, Neben- und Sonderentgelte aufgeteilt ist und die in der Praxis vorherrschen. Ist der Gesamtpreis in Teilpreise aufgeteilt, so muß für den Kunden erkennbar sein, daß der Gesamtpreis aus mehreren Teilpreisen besteht. Teilpreise oder Teilentgelte in diesem Sinne liegen immer vor, wenn sie bei der Durchführung des Vertrages regelmäßig anfallen, der Kunde sie also auf jeden Fall zu tragen hat. Teilpreis in diesem Sinne ist beim Girokontovertrag der Grundpreis pro Monat plus der Postenpreis pro Buchungskosten plus ggf. die Unverzinslichkeit des Sichtguthabens. Dem Kunden muß das Zusammenspiel dieser Preiselemente bewußt gemacht werden oder er muß zumindest eine Möglichkeit haben, sich einen Überblick über den Gesamtpreis zu verschaffen. Daher ist ein besonderes Entgelt, das regelmäßig bei der Vertragsbeendigung anfällt, z.B. bei der Löschungsbewilligung oder Kontenschließung, überraschend i.S. § 3 AGBG und die Entgeltregelung ist in diesem Sinn nicht transparent, wenn der Kunde nicht in geeigneter Form darauf hingewiesen wird, daß er auch mit diesem „dicken Ende“ des Vertrages regelmäßig rechnen muß und daß dies Teil des Gesamtentgelts ist. Umgekehrt besteht gegen die Erhebung auch dieses Teilentgelts keine Bedenken, wenn ein solcher eindeutiger Hinweis gegeben ist. Der Kunde mag dann entscheiden, ob er ein anderes Angebot annimmt. Der Grundsatz, daß zur Transparenz des Preises auch der Preisgrund zählt, also die Bezugnahme des Entgeltes auf die Gegenleistung, kann bei der Aufteilung des Preises Probleme aufwerfen. Handelt es sich um ein Teil
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entgelt, so muß zunächst dieser Charakter als Teilentgelt dadurch hervortreten, daß dem Kunden eine Zusammenschau aller regelmäßigen Teilentgelte ermöglicht wird. Ist dies gewährleistet, dann ist dem Kunden klar, was er insgesamt für die vertraglichen Leistungen der Gegenseite zu entrichten hat. Eine Zuordnung des Teilentgeltes zu einem bestimmten Leistungsaspekt oder Leistungsteilabschnitt ist dann nicht notwendig. Allerdings hat der BGH im Postenpreisurteil 1996 eine Prüfung in dem Sinn durchgeführt, ob die Anknüpfung an den Buchungsposten sachgerecht sei210. Auch wenn man die Prüfungsprämissen des BGH nicht teilt, daß nämlich die Buchungspostenklausel eine voll kontrollunterworfene Preisnebenabrede sei und das dispositive Recht als Kontrollmaßstab eingreife, wird man die Überlegungen des BGH teilweise auch im Rahmen der Transparenzprüfung anstellen müssen. Denn der vom Verwender gewählte Anknüpfungspunkt darf nicht irreführend sein. Im entschiedenen Fall war die Postenpreisklausel wirksam, weil insgesamt aber für den Kunden einsehbar ein Preis proportional zum Umfang der Kontenbewegungen gewählt war211. Es ging in diesem Sinn nur um eine Plausibilitätsprüfung. Bei Neben- und Sonderentgelten erfolgt durch die Bezeichnung eine Zuordnung zu einer bestimmten Nebenleistung oder Sonderleistung. Diese Zuordnung muß ebenfalls verständlich und sie darf nicht irreführend sein. Sie ist dann irreführend, wenn sie einen besonderen Arbeitsaufwand oder besondere Kosten der Bank vorspiegelt, die nicht vorhanden sind. Auch hier gilt im Zweifel Preisgestaltungsfreiheit, und die Frage, ob die Entgelterhebung unter der betreffenden Bezeichnung oder die Anknüpfung an einen bestimmten Tatbestand irreführend ist, muß auf eine Plausibilitätsprüfung des damit verbundenen Arbeitsaufwandes beschränkt werden. Eine Überprüfung der internen Kostenkalkulation des Verwenders ist nicht zulässig und sie wäre auch praktisch nicht durchführbar. Bei manchen Anknüpfungspunkten mag es zweifelhaft sein, ob es sich um ein Teilentgelt für einen bestimmten Aspekt der Hauptleistung oder eine getrennt zu betrachtende Nebenleistung handelt. Wenn z.B. Entgelte für die Rückgabe einer Lastschrift mangels Deckung vorgesehen sind, so handelt es sich um einen abgetrennten Tatbestand, einen besonderen Geschäftsvorfall, der aber zugleich zur regelmäßigen Durchführung des Girovertrags gehört. Handelt es sich um ein Teilentgelt oder um ein Nebenentgelt? Nach der hier vertretenen Meinung kommt es darauf nicht an, weil beidemal der Grundsatz der Preisgestaltungsfreiheit gilt, eingeschränkt nur durch das Transparenzgebot und die daraus folgende Plausibilitätskontrolle. Danach ist diese Entgelt art wirksam vorgesehen. BGH WM 1996, 1080 = WuB IV C. § 8 AGBG 2.96 Horn = ZIP 1996, 1079. Vgl. auch Canaris, WM 1996, 237, 241. Dies gilt unabhängig von der Frage, welche Kosten der technische Buchungsvorgang verursacht. 210 211
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d) Preisaushänge und Preisverzeichnisse Entsprechend den ausdifferenzierten Leistungsangeboten der Kreditwirtschaft sind Preisaushänge und Preisverzeichnisse praktisch unverzichtbar. Sie sind grundsätzlich zulässig. Aus der Aufnahme einer Entgeltklausel in einen Preisaushang oder ein Preisverzeichnis kann noch nicht auf seine mangelnde Transparenz geschlossen werden, wenn die Klausel im übrigen klar abgefaßt ist. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß der Kunde diesen Aushängen und Verzeichnissen eine relativ geringere Aufmerksamkeit widmet. Dieser Gesichtspunkt spielt bei der Begründung der vollen Kontrollunterworfenheit von Preisnebenabreden (sekundäre Entgeltbestimmungen) eine Rolle212. Die Entgelte in einem Preisaushang oder einem Preisverzeichnis sind aber, wie erwähnt, primäre Entgeltbestimmungen. Die besonderen Bedingungen der Aufnahme in einen Aushang oder ein Verzeichnis, der Umfang dieser Verzeichnisse und die Vielfalt der hier aufgeführten Entgelte, können bei der Frage der Transparenz und bei der Frage, ob der Kunde durch ein bestimmtes Entgelt i.S. § 3 AGBG überrascht wird, Berücksichtigung finden. Dabei kommt wiederum die berechtigte Kundenerwartung als normativer Begriff zum Zuge. Fallen bestimmte Entgelte regelmäßig bei Vertragsdurchführung an (Teilentgelte), erfordert das Transparenzgebot ihre Zusammenfassung in einer bestimmten Klausel, welche die Teilentgelte aufzählt, oder in einer Liste, Tabelle oder besonderen Hinweisen. e) Transparenz und wirtschaftlicher Nachteil Das Transparenzgebot bezieht sich gedanklich immer auf einen möglichen wirtschaftlichen Nachteil des [22] Kunden, nämlich die Abweichung der tatsächlichen wirtschaftlichen Belastung von den Kundenerwartungen. Der XL Senat hat dies so ausgedrückt, daß um so höhere Anforderungen an die Durchschaubarkeit einer Klausel zu stellen sind, je mehr die Regelung inhaltlich den Erwartungen eines solchen Kunden widerspricht213. Die Rechtsprechung trennt einerseits zwischen Transparenzgebot und materiellem Nachteil, der durch die intransparente Klausel verursacht sein könnte214. Bei Entgeltklauseln oder Preisnebenabreden, die für wirksam erachtet worden sind, hat der BGH jedoch die Transparenz und die inhaltliche Unbedenklich-
212 BGHZ 112, 115, 117 ff. = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. – 12.90 Westermann; Köndgen, NJW 1989, 943; Koller, Festschr. Steindorff, 1990, S. 667; Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), § 9 Rdn. 143; Ulmer/Brandner/Hensen, a.a.O. (Fn. 55), § 9 Rdn. 83, 97; krit. Bruchner, WM 1988, 1873; Wagner-Wieduwilt, WM 1989, 37; Hellner, Festschr. Steindorff, 1990, S. 573, 680 f.; H.P. Westermann, ZBB 1989, 36. 213 BGHZ 112, 115, 118 = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. - 12.90 Westermann = ZIP 1990, 980; BGH ZIP 1991, 1054, 1056 (betr. ABB einer Bausparkasse). 214 Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), §23 Rdn.633 m. Nachw.
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keit nebeneinander angenommen215. Andererseits liegt die Verbindung auf der Hand. Erstens kann eine intransparente Klausel nicht dem Verdikt der Unwirksamkeit verfallen, wenn sie den Kunden inhaltlich nicht oder nicht nennenswert belastet. Zweitens sind die Transparenzanforderungen um so höher, je größer der drohende und aufzudeckende Nachteil ist216. Die Literatur zur Rechtsprechung des BGH hat daher auch mit Recht die Bedeutung des materiellen Nachteils des Kunden in verschiedener Weise hervorgehoben217. Dies gilt auch für primäre Entgeltregelungen in AGB. Ihre mangelnde Transparenz führt nur bei Nachteilen für den Kunden zur Unwirksamkeit. Umgekehrt ist bei bedeutender wirtschaftlicher Belastung des Kunden eine besonders sorgfältige Wahrung der Transparenz der Entgeltregelung geboten.
IV. Zusammenfassende Thesen 1. Preisgestaltungsfreiheit. Zulässigkeit von Teil- und Sonderentgelten 1.1 Auch im Bereich der Anwendung des AGB-Gesetzes ist vom Grundsatz der Preisgestaltungsfreiheit aufgrund der Privatautonomie des Verwenders (Art. 2 GG) auszugehen. Der Verwender kann daher seine Entgelte auch in AGB nach Grund und Höhe (im Rahmen des § 138 BGB) frei bestimmen, sofern die Entgeltklauseln nicht überraschend (§ 3 AGBG) und sofern sie transparent (§ 9 AGBG) sind (nachstehend 2). Die Entgeltklauseln unterliegen gem. § 8 AGBG keiner weiteren Inhaltskontrolle ihrer Angemessenheit. 1.2 Die Kontrollfreiheit gilt nur für Entgeltklauseln, die unmittelbar das Entgelt festlegen, indem sie es nach Höhe oder Berechnungsart angeben und auf eine bestimmte Leistung oder einen bestimmten Leistungsaspekt beziehen (primäre Entgeltbestimmungen). Der vollen Inhaltskontrolle unterliegen dagegen solche Entgeltklauseln, die eine anderweitige Entgeltregelung modifizieren und ausdehnen (sekundäre Entgeltbestimmungen) und die üblicherweise als Preisnebenabreden bezeichnet werden. 1.3 Der Verwender (Kreditinstitut) ist grundsätzlich berechtigt, anstelle eines einheitlichen Entgeltes (Preises) in seinen Entgeltklauseln (a) mehrere Teilentgelte (Teilpreise oder Preiselemente) vorzusehen (z.B. im Girokontovertrag Grundentgelt plus Entgelt pro Buchungsposten; im Darlehensvertrag Zins plus Disagio plus Bearbeitungsgebühr usw.) sowie (b) Nebenentgelte für Vgl. z. B. BGH ZIP 1991, 1054, 1056 f. (ABB einer Bausparkasse). BGHZ 112, 115, 118 = WM 1990, 1367 = WuB I E 4. – 12.90 Westermann; BGH WM 1993, 2001, 2003 = WuB I E 4. - 6.94 Fischer; Horn, in: Wolf/Horn/Lindacher, a.a.O. (Fn. 48), § 23 Rdn. 633. 217 Horn, a.a.O. (Fn. 216); H. P. Westermann, Festschr. Steindorff, 1990, S. 817, 830; Wagner-Wieduwilt, WM 1989, 37; Hansen, WM 1990, 1521, 1523. 215 216
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besondere Geschäftsvorfälle (z.B. Scheckeinzug; Rückgabe einer Lastschrift mangels Deckung; Bearbeitung einer Drittpfändungsanzeige) und (c) Sonderentgelte für Sonderleistungen (z.B. Bearbeitung eines Freistellungsantrages). Der Verwender ist dabei frei, für diese Teil-, Neben- und Sonderentgelte die Bezugspunkte zur angebotenen Leistung („Preisgrund“) zu bestimmen, sofern er dabei das Transparenzgebot beachtet. 1.4 Entgeltklauseln in Preisaushängen und Preisverzeichnissen sind ebenfalls grundsätzlich i.S. § 8 AGBG kontrollfrei, wenn sie unmittelbar ein Entgelt festlegen (primäre Entgeltbestimmung) und nicht lediglich eine anderweitig getroffene Entgeltregelung abändern (sekundäre Entgeltbestimmung). Die Bewertung aller in Preisaushängen und Preisverzeichnissen enthaltenen Entgeltklauseln als sog. Preisnebenabreden, die der vollen Inhaltskontrolle unterliegen, ist abzulehnen. 1.5 Wird ein Entgelt nach Vertragsschluß vom Verwender aufgrund einer Bestimmungs- oder Anpassungsbefugnis i.S. § 315 BGB festgesetzt oder abgeändert, so unterliegt das neue Entgelt einer richterlichen Kontrolle seiner Billigkeit. Diese Kontrolle muß nach generalisierenden Maßstäben erfolgen. Die Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB entfällt, wenn die Bestimmung oder Anpassung des Entgeltes dem Kunden mitgeteilt und von ihm ausdrücklich oder gem. § 10 Nr. 5 AGBG gebilligt wird. 2. Ausschluß überraschender Klauseln (§ 3 AGBG) und Transparenzgebot (§ 9 AGBG) 2.1 Alle Entgeltklauseln – einschließlich der primären Entgeltbestimmungen - unterliegen dem Ausschluß überraschender Klauseln (§ 3 AGBG) und dem Transparenzgebot (§ 9 AGBG). Primäre Entgeltbestimmungen erfüllen das Transparenzgebot schon dann, wenn sie klar formuliert sind, es sei denn, daß besondere Umstände dafür sprechen, daß sie der Aufmerksamkeit des Kunden entgehen. Entgeltklauseln sind im Grundsatz klar formuliert, wenn sie die Höhe des Entgeltes entweder unmittelbar mitteilen oder diese aus ihnen ohne weiteres abgeleitet werden kann und wenn sie durch ihre Bezeichnung oder Berechnungsgrundlage erkennen lassen, auf welche Leistung (Hauptleistung, Teil der Hauptleistung, Nebenleistung, Sonderleistung) sie sich beziehen (Entgeltgrund). 2.2 Aus dem Tranzparenzgebot folgt ein Verbot irreführender Bezeichnungen von Entgeltklauseln. Eine Entgeltklausel ist irreführend, wenn sie durch ihre Bezeichnung oder Berechnungsgrundlage eine unzutreffende Vorstellung des Kunden über die Leistung erweckt, auf die sie sich bezieht, und über die Natur des Entgeltes als Gesamtentgelt oder Teil-, Nebenoder Sonderentgelt. Bei der Prüfung der Frage, ob eine Entgeltklausel
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irreführend ist, sind die werbliche Darstellung und die Verkehrsanschauung zu berücksichtigen. Hinsichtlich der betreffenden Leistung oder ihres Kostenaufwandes haben sich die Gerichte auf eine Plausibilitätsprüfung zu beschränken. Eine Überprüfung der internen Kostenkalkulation des Ver[23] wenders ist ausgeschlossen. Im Zweifel gilt der Grundsatz der Preisgestaltungsfreiheit. 2.3 Ist eine Entgeltregelung für eine einheitliche oder zusammenhängende Leistung aus mehreren Teilentgelten zusammengesetzt, die bei der Vertragsdurchführung regelmäßig anfallen, so ist die Entgeltregelung hinsichtlich aller Teile nur dann transparent (§ 9 AGBG) und nicht überraschend (§ 3 AGBG), wenn dem Kunden beim Vertragsschluß in geeigneter Weise ein Überblick über die gesamte Regelung ermöglicht wird, z. B. durch eine zusammenfassende Klausel, eine Tabelle oder besondere Hinweise. Z. B. sind Entgeltklauseln über Teilentgelte, die regelmäßig bei der Beendigung eines Vertrages anfallen sollen (z.B. Entgelt für die Erteilung einer Löschungsbewilligung; Kontoschließungsentgelt), überraschend (§ 3 AGBG) und verstoßen gegen das Transparenzgebot (§ 9 AGBG), wenn der Kunde nicht bei Vertragsschluß auf diese Teilentgelte hingewiesen wird. 2.4 Das Transparenzgebot wird noch nicht dadurch verletzt, daß Entgelt regelungen in einen Preisaushang oder ein Preisverzeichnis aufgenommen sind. Primäre Entgeltbestimmungen werden durch diese Aufnahme noch nicht zu Preisnebenabreden, die einer vollen Inhaltskontrolle unterworfen wären. Allerdings kann der Umstand, daß der Kunde dem Inhalt dieser Aushänge und Verzeichnisse geringere Aufmerksamkeit widmet, bei der Frage berücksichtigt werden, ob eine Entgeltklausel i.S. § 3 AGBG überraschend ist, weil sie berechtigten Kundenerwartungen nicht entspricht. 3. Die Bedeutung des dispositiven Rechts oder einer Rechtspflicht des Verwenders für die Kontrolle von Entgeltregelungen nach AGBG 3.1 Der Grundsatz, daß eine Abweichung vom dispositiven Recht eine Inhaltskontrolle gem. § 8 AGBG begründet und daß bei dieser Inhaltskontrolle die wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts Kontrollmaßstab gem. § 9 Abs. 2 AGBG sind, gilt zwar auch für alle Entgeltregelungen. Aber bei primären Entgeltregelungen, die unmittelbar ein Entgelt nach Grund und Höhe festlegen, kann das dispositive Recht im allgemeinen weder die Kontrollunterworfenheit (§ 8 AGBG) begründen noch Kontrollmaßstäbe (§ 9 AGBG) liefern. Denn das dispositive Recht enthält durchweg keine Normen oder Grundgedanken, die ein bestimmtes Entgelt aus einem bestimmten Entgeltgrund ausschließen und damit eine absolute Schranke für die Preisgestaltungsfreiheit bilden. Preisklauseln, die transparent und nicht überraschend sind, können dadurch nicht ausgeschlossen werden.
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3.2 Bei der Prüfung der Transparenz primärer Entgeltbestimmungen kann die Berücksichtigung des dispositiven Rechts und der hier vorgenommenen Kosten- und Risikoverteilungen bei primären Entgeltregelungen möglicherweise gewisse Anhaltspunkte zur Beurteilung der berechtigten Kundenerwartung i.S. § 3 und des Transparenzgebotes i.S. § 9 AGBG liefern. 3.3 Bei sekundären Entgeltregelungen, die eine anderweitige Entgeltregelung abändern und die der vollen Inhaltskontrolle unterliegen, ist eine Abweichung vom dispositiven Recht i.w.S. eine regelmäßige Erscheinung. Liegt eine Abweichung von einem wesentlichen Grundgedanken des dispositiven Rechts zum Nachteil des Kunden vor, so ist die Klausel nach § 9 AGBG unwirksam. 3.4 Das Bestehen einer Rechtspflicht des Verwenders aus Vertrag oder Gesetz für eine bestimmte Handlung schließt es noch nicht aus, daß der Verwender dafür ein Entgelt in AGB vorsieht. Eine solche Entgeltregelung kann aber aus besonderen Gründen überraschend (§ 3 AGBG) oder intransparent (§ 9 AGBG) sein. 4. Berücksichtigung der Kostenstruktur des Verwenders bei der richterlichen Entgeltkontrolle nach AGBG? 4.1 Grundsätzlich unterliegt die Preishöhe nicht der richterlichen Inhaltskontrolle. Preise müssen nicht durch Kosten gerechtfertigt werden, und eine Kontrolle der Kostenstruktur des Verwenders findet nicht statt. 4.2 Ausnahmsweise unterliegen die Kosten des Verwenders einer Plausibilitätskontrolle unter zwei Gesichtspunkten: (1) um festzustellen, ob ein Entgelt unter irreführender Bezeichnung erhoben wird (oben 2.2); (2) um zu beurteilen, ob ein Entgelt in einem Preisaushang oder -verzeichnis nach Grund und Höhe überraschend ist, weil es den berechtigten Kundenerwartungen nicht entspricht (oben 2.4). 4.3 Im Rahmen der richterlichen Kontrolle einer nachträglichen Entgeltbestimmung oder Entgeltanpassung i.S. § 315 BGB kann die Marktentwicklung von Kosten, die für ein bestimmtes Entgelt von Bedeutung sind (z.B. die Refinanzierungskosten für einen Kredit), berücksichtigt werden.
Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken – Rechtsgrundlagen und Anforderungsprofil* – WM 1999, 1–10 I. Anforderungen an die Anlageberater der Banken 1. Ein umkämpfter Markt Die Durchführung von Geschäften in Wertpapieren und Derivaten für Privatkunden gehört zu den stark wachsenden Geschäftszweigen der Banken. Diese stehen dabei in starker Konkurrenz zu sonstigen Anlagevermittlern. Die Geschäftstätigkeit dieser Vermittler war lange Zeit vom Gesetzgeber nicht geregelt, und die hier entwickelten, oft rüden Vertriebspraktiken haben zu einer scharfen Reaktion der Gerichte geführt, die Mißbräuche durch die Statuierung strenger privatrechtlicher Aufklärungs- und Beratungspflichten zu bekämpfen suchte. Inzwischen ist die Geschäftstätigkeit der Anlagevermittler schrittweise einer gesetzlichen Regelung und aufsichtsbehördlichen Kontrolle unterworfen worden. Seit 1994 gelten für sie die im Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) aufgestellten Pflichten für Wertpapierdienstleister nach §§ 31 ff. WpHG, und seit dem 1. Januar 1998 ist ihre Tätigkeit aufgrund § 31 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 a Nr. 1 KWG i.d.F. der 6. KWG-Novelle erlaubnispflichtig. 2. Die gestiegenen Anforderungen a) Produktvielfalt Parallel zu dem steigenden Interesse der Privatkundschaft an Wertpapieranlagen ist die Produktvielfalt auf diesem Markt in den letzten 10 Jahren rasant gestiegen, und Finanzinnovationen sorgen für eine ständige Verbreite-
* Erweiterte und um Fußnoten ergänzte Fassung eines Vortrags auf der ManagementTagung der Vereinigung für Bankbetriebsorganisation e.V. in Wiesbaden am 25.10.1998. Der Vortragsstil wurde beibehalten.
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Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken
rung und oftmals verwirrende Vielfalt von Anlagemöglichkeiten1. Neben die herkömmlichen und dem privaten Anlegerpublikum zumindest in Umrissen bekannten Anlageformen der Aktie, Schuldverschreibung, des Investmentzertifikats und des freilich schon immer schwer durchschaubaren Optionsscheins sind einerseits exotische Varianten dieser Anlageformen getreten, z. B. Penny Stocks oder Stripped Bonds, vor allem aber die in ständiger Fortentwicklung begriffenen Finanzderivate. Der Gesetzgeber hat mit reichlicher Verzögerung auf die neue Entwicklung reagiert und im Rahmen der 6. KWG-Novelle den Begriff der Derivate in das Wertpapierhandelsgesetz eingeführt. Nach § 2 Abs. 2 WpHG und § 1 Abs. 11 Nr. 2 Satz 4 KWG sind Derivate als Festgeschäfte oder Optionsgeschäfte ausgestaltete Termingeschäfte, deren Preis unmittelbar oder mittelbar abhängt von (1) dem Börsenoder Marktpreis von Wertpapieren oder (2) von Geldmarktinstrumenten, (3) dem Kurs von Devisen- oder Rechnungseinheiten, (4) Zinssätzen oder anderen Verträgen oder (5) dem Börsen- und Marktpreis von Waren oder Edelmetallen. Die genaue Kenntnis all dieser Produkte durch den Mitarbeiter der Bank als Voraussetzung einer sinnvollen Anlageberatung der Privatkunden setzt einen erheblichen und fortgesetzten Schulungsaufwand voraus, den die Bank jeweils abwägen muß gegen die geringere oder größere Häufigkeit, mit der die Bank ihren Privatkunden diese Produkte vermitteln kann oder überhaupt vermitteln will. b) Kundenwünsche Die deutsche Privatkundschaft gehört heute zu der im internationalen Vergleich buchstäblich neugierigsten der Welt: Die Kunden sind auf Neues gierig. Sie sind risikobereit und fasziniert von der Möglichkeit rascher und müheloser Gewinne. Dies mag mit dem generellen Ansteigen privater Geldvermögen zusammenhängen. Jedenfalls hat ein Teil des Publikums seine traditionell eher konservative und vorsichtige Haltung einer früher nie dagewesenen Risikobereitschaft geopfert, die freilich dann, wenn es Verluste hagelt, rasch in Selbstmitleid und die Suche nach dem Schuldigen umschlägt. Dieser Schuldige ist natürlich die Bank oder der sonstige Anlageberater. Vor allem die Bereitschaft, Börsentermingeschäfte zu tätigen und sich dabei ungewohnten Risiken auszusetzen, ist stark gestiegen. Biedere Pensionäre und Hausfrauen mit frischen Kenntnissen über Anlagegeschäfte aus Volkshochschulkursen oder Investmentklubs geben exotische Geschäftsaufträge2. Der ursprüngli1 Vgl. den Überblick bei Allmendinger, Finanzinnovationen, Börsentermingeschäfte und Optionsscheine, in: Horn/Schimansky, Bankrecht 1998, S. 287 – 305. 2 Vgl. z. B. den Fall in BGH WM 1997, 1014 = WuB I G 7. – 8.97 Irmen = ZIP 1997, 972; dazu Horn, ZIP 1997, 1361. Vgl. ferner den von Nobbe, Aufklärungs- und Beratungspflichten bei Wertpapieranlagen, in: Horn/Schimansky, Bankrecht 1998, S. 235, 244, berichteten Fall einer unveröffentlichten BGH-Entscheidung.
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che Sinn von Termingeschäften, geschäftliche Risiken durch Gegengeschäfte auszuschließen, wird dadurch in sein Gegenteil verkehrt. Die Börsenrechtsreform von 1990, die in großem Umfang der Privatkundschaft den Zugang zu Börsentermingeschäften eröffnete, hat zu dieser Entwicklung beigetragen. Die einzige Rechtferti- [2] gung dafür ist, daß es sich um eine Angleichung an internationale Standards handelt. Die für die Anlagegeschäfte der Privatkunden tätigen Mitarbeiter der Bank werden also mit einer Fülle exotischer Kundenwünsche konfrontiert. Als fast beliebiges Beispiel diene der vom BGH 1997 durch Nichtannahme erledigte Fall, daß ein Kunde einer kleinen Volksbank-Filiale in Oberschwaben von der Bank verlangte, abgetrennte Dollaroptionsscheine einer Tochtergesellschaft der Deutschen Bank auf den Niederländischen Antillen zu erwerben3. Der Bankangestellte war mit einer Beratung zu diesem Geschäft oder auch nur einer Auskunft überfordert und tat das Klügste, was man in einem solchen Fall tun konnte. Er erklärte, seine Bank führe selbstverständlich gern den Kundenwunsch aus, nur dürfe der Kunde nicht erwarten, daß die Bank von solchen exotischen Geschäften irgend etwas verstehe. Diese weise Information rettete die Volksbank vor dem späteren Schadensersatzanspruch, den der Kunde nach erlittenem Verlust aus diesem Geschäft wegen mangelhafter Beratung geltend machen wollte. c) Ergebnisziele der Bank Der Bankmitarbeiter, der Privatkundengeschäfte in Wertpapierderivaten auszuführen hat, wird aber nicht nur mit einer Produktvielfalt und mit ebenso exotischen wie dringlichen Kundenwünschen konfrontiert, sondern er spürt auch im Nacken die Erwartungen seiner Bank, durch seine Tätigkeit ein entsprechendes Entgeltaufkommen zu erwirtschaften. Diese Erwartung wird meist in Form von Budgets oder Planziffern sehr konkret formuliert. Jedermann weiß, daß die Aufstellung solcher Planziffern um sehr vieles leichter ist als ihre Erfüllung. Der zuständige Mitarbeiter weiß auch, daß die Banken ebenso wie andere Unternehmen in Deutschland und in allen westlichen Industrienationen den neuen Königsweg zur Ertragssteigerung beschreiten, nämlich Kostensenkung durch Personalabbau. Der Mitarbeiter weiß, daß er seinen Posten auf Dauer nur durch entsprechende Erträge rechtfertigen kann. Er befindet sich zudem in einer gewissen Konkurrenz mit den vorerwähnten freien Anlagevermittlern und den Discount-Brokern, einem Geschäftszweig, der inzwischen allerdings auch zu den Angeboten der Geschäftsbanken gehört. Er muß aktiv werden und zumindest vorhandene Privatkunden von sich aus ansprechen. Er wird dies als geschulter Mitarbeiter mit der gebührenden Höflichkeit und Zurückhaltung tun und nicht mit der Agressi WM 1998, 274 = WuB I G 7. – 4.98 Pfeifer = ZIP 1998, 284.
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vität freier Anlagevermittler. Er wird Neuanlagen und Umschichtungen des vorhandenen Portfolios empfehlen, und vielfach sind diese Empfehlungen durchaus im Interesse des Kunden. Daneben gibt es viele Grenzfälle, wo man so oder so entscheiden, etwas tun oder das Portfolio in Ruhe lassen kann. Hier wird der Mitarbeiter an seine Planziffern denken und im Zweifel dem Kunden zu einer Aktivität raten. Den größeren Teil seines Geschäfts bilden jedoch die Fälle, in denen Kunden oder Nichtkunden an ihn herantreten und telefonisch oder durch Besuch in seinem Büro in der Bank Kundenwünsche und Kundenaufträge vortragen. Hier wird der Berater wiederum sein Bestes tun, damit der Kunde nach Abschluß des Gesprächs eine Order tätigt und nicht ohne Geschäft die Bank wieder verläßt. Denn er wird auch hier an seine Planziele denken müssen. d) Rechtliche Anforderungen Zu allem Überfluß muß der Bankmitarbeiter bei der Betreuung seiner Privatkunden im Hinblick auf die Vermögensanlage in Wertpapieren und Derivaten auch noch rechtliche Anforderungen beachten, die an die Aufklärung und Beratung des Kunden gestellt werden. Er muß dies auch dann tun, wenn eine rückhaltslose Aufklärung und streng objektive Beratung ihn den Kundenauftrag kosten sollte. Vor allem aber, er muß die rechtlichen Anforderungen überhaupt erst einmal kennen. Diese Anforderungen sind durch die Rechtsprechung in den letzten Jahren immer mehr verschärft, ausdifferenziert und in Einzelfällen präzisiert worden, so daß sich ein buntes, ja verwirrendes Bild ergibt. Und ständig werden neue Urteile gefällt und veröffentlicht. Hinzu treten die gesetzlichen Anforderungen, die der Gesetzgeber im Wertpapierhandelsgesetz aufgestellt hat. Die genaue Darstellung der Aufklärungs- und Beratungspflichten füllt in den einschlägigen Handbüchern oft mehrere hundert Seiten4. Der Anlageberater der Bank ist kein Volljurist, und die Besetzung der entsprechenden Posten mit Volljuristen, die überdies noch Spezialkenntnisse betriebs- und volkswirtschaftlicher Art auf dem Gebiet des deutschen und internationalen Kapitalmarkts aufweisen müßten, wäre für die Bank auch zu kostspielig. Ausreichende Kenntnisse seiner Pflichten im Hinblick auf die Aufklärung und Beratung des Kunden kann der Mitarbeiter der Bank aber bei näherer Betrachtung auch dann erwerben, wenn er keine juristische Ausbildung 4 Vgl. Schäfer, in: Schwintowski/Schäfer, Bankrecht 1997, § 11 Rdn. 60 ff.; Jütten, in: Steuer/Hellner (Hrsg.), Bankrecht und Bankpraxis, Stand Juli 1998, Rdn. 7/1 ff.; Kienle, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 1997, Bd. III, § 110; Roth, in: Assmann/Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl. 1997, § 12; Vortmann, Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken, 5. Aufl. 1998; Schäfer, Haftung für fehlerhafte Anlageberatung und Vermögensverwaltung, 2. Aufl. 1995; Überblick bei Horn, Die Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken, ZBB 1997, 139.
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erfahren hat. Denn letztlich handelt es sich bei den vom Gesetzgeber und vor allem von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen um Grundsätze, die sich jedenfalls in der Mehrzahl der Fälle einfach erkennen lassen, wenn man die Eigenarten des Anlageobjekts und seine Risiken, die Wünsche und persönlichen Verhältnisse des Kunden und den Grundsatz beachtet, daß die Bank generell bei ihrer Tätigkeit für den Kunden dessen Interessen gebührend zu berücksichtigen hat. Je besser der Mitarbeiter das in Frage stehende Geschäft versteht und unter Beachtung dieser einfachen Grundsätze beurteilt, umso leichter wird es ihm fallen, die korrespondierenden rechtlichen Anforderungen zu verstehen. Verwirrend ist die Fülle der rechtlichen Einzelanforderungen vor allem für den, der nicht täglich mit den einschlägigen Geschäften zu tun hat, und dies sind Richter, Professoren und andere Juristen, aber auch bisweilen juristische und nichtjuristische Bankmitarbeiter, die angesichts der Fülle und Vielfalt der Geschäftsarten oft nicht alle Feinheiten des Geschäfts durchschauen, falls sie nicht ständig selbst damit befaßt sind. Bei Unkenntnis hilft der Ausweg, dem Kunden diese Unkenntnis ungeschminkt deutlich zu machen5. [3]
II. Begriff und Rechtsgrundlagen der Beratungspflicht der Bank 1. Anlegergerechte Aufklärung und Bewertung des Anlagegeschäfts Wesen und Rechtsgrundlagen der Beratungspflichten der Banken bei Wertpapieranlagen werden noch immer am besten anhand der sog. Bond-Entscheidung des BGH vom 6.7.1993 erläutert6. Im März 1989 suchte ein Ehepaar, das Kunde einer Volksbank war und Ersparnisse von rund 55 000 DM ausschließlich in sicheren Anlageformen ohne Kursrisiko angelegt hatte, seine Bank auf mit dem Wunsch, 20 000 DM möglichst unter Vermeidung der damals noch geltenden Quellensteuer neu anzulegen. Der Anlageberater der Volksbank empfahl die DM-Auslandsanleihe der australischen Bond-Corporation. Diese Empfehlung war von der Erläuterung begleitet, ein Kursrisiko bestehe nicht. Bald darauf erwies sich die Anleihe als wertlos. Die führende australische Rating-Agentur hatte diese Anleihe bereits im Juni 1988 mit BB bewertet, also als spekulativ mit unterdurchschnittlicher Deckung. Im Dezember 1988 hatte sie die Anleihe mit B eingestuft, also als hochspekulativ mit geringer Kapitalabsicherung. In der Finanzpresse waren im letzten Quartal 1988 negative Berichte über eine hohe Verschuldung und Unregelmäßigkeiten im Finanzgebaren der Bond-Gruppe erschienen. Gleichwohl wurde
Vgl. BGH WM 1998, 1391 = WuB I G 7. – 6.98 Einsele = ZIP 1998, 1220, 1221. BGHZ 123, 126, 129 = WM 1993, 1455 = WuB I G 4. – 9.93 Schwark = ZBB 1994, 44 = ZIP 1993, 1148. 5 6
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die Anlage im März 1989 an der Frankfurter Börse zur amtlichen Notierung zugelassen. Mit dem Vorwurf der mangelhaften Beratung des Kunden und einer entsprechenden Schadensersatzforderung konfrontiert, berief sich die Volksbank auf diese Börsenzulassung. Dies konnte nicht ausreichen, da die Volksbank aus allgemein zugänglichen Quellen, insbesondere dem publizierten Rating und den Äußerungen der Finanzpresse, das hohe Risiko dieses Anlagegeschäfts erkennen und den Kunden entsprechend hätte beraten müssen. War sie aber mangels entsprechender organisatorischer Ausstattung nicht in der Lage, weltweit die kapitalmarktrelevanten Nachrichten laufend zu erfassen und zu verarbeiten, dann hätte sie den Kunden darüber informieren müssen, daß sie zu einer Beurteilung der Bond-Anleihe nicht in der Lage war. Dies hat sie nicht getan, sondern dem Kunden vielmehr durch die Erklärung, ein Kursrisiko bestehe nicht, die falsche Vorstellung vermittelt, die Anleihe sei ohne Risiko. Denn die Erklärung war für Laien in höchstem Maße irreführend. Wollte der Anlageberater damit nur den Hinweis geben, daß bei einer DM-Auslandsanleihe das Währungsrisiko ausgeschaltet sei, während das Bonitätsrisiko, das im vorliegenden Fall entscheidend war, natürlich weiter bestehe, so hätte er dies klar sagen müssen. Im Bond-Urteil hat der Bundesgerichtshof in einer seitdem maßgeblichen Weise den Inhalt der Beratungspflicht bei Wertpapieranlagen des Kunden festgelegt. Die Beratung muß danach anlegergerecht und anlagegerecht sein. Anlegergerecht bedeutet, daß die Bank die Anlagewünsche, insbesondere die Risikoneigung, die persönlichen Kenntnisse und Erfahrungen des Kunden sowie seine finanziellen Verhältnisse in Betracht ziehen muß. Vorbild ist der im amerikanischen Bankrecht seit langem anerkannte Grundsatz „Know your customer“. Anlageobjektgerechte Beratung bedeutet, daß die Bank den Kunden über die spezifischen Eigenarten und Risiken des von ihm beabsichtigten Geschäfts genau und umfassend aufklären muß, was im amerikanischen Recht mit den Worten „Know your merchandise“ umschrieben wird. Beide Grundsätze und die daraus folgenden Einzelregeln ergeben insgesamt das, was man als rechtliches Anforderungsprofil für eine moderne Anlageberatung der Privatkunden durch die Bank bezeichnen kann (nachstehend unter III und IV). Die im Bond-Urteil niedergelegten Grundsätze, die auch im Wertpapierhandelsgesetz teilweise ihren Niederschlag gefunden haben und die Rechtsprechung weiterhin bestimmen, sind keineswegs ein Freibrief für sorglose Anleger, die erlittene Verluste nachträglich unter Berufung auf Beratungsfehler auf die Banken überwälzen wollen. Derartige Hoffnungen einzelner Anleger und die entsprechenden Befürchtungen der Banken haben sich nicht bewahrheitet. Die Rechtsprechung hat nach dem Bond-Urteil verschiedentlich Gelegenheit gehabt, die Grenzen der Beratungshaftung am Beispiel zu verdeutlichen. So konnte in einem Fall, den das OLG München entschieden
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hat, ein Anleger, der selbst als anlageerfahren auftrat, keineswegs die Bank dafür verantwortlich machen, daß sie den Eintritt allgemeiner weltwirtschaftlicher Krisen, im konkreten Fall der Ölkrise, nicht vorausgesehen hat. Der erfahrene Anleger kann nur eine weniger weitgehende Beratung erwarten, und für die Einschätzung allgemeiner wirtschaftlicher oder politischer Risiken ist die Bank nicht oder nur in sehr viel geringerem Maße zuständig7. Der Bundesgerichtshof hat ferner entschieden, daß ein Beratungsvertrag als Pflichtengrundlage nicht zustandekommt, wenn der Privatkunde mit einem ganz präzisen Anlagewunsch an die Bank herantritt und dabei zu erkennen gibt, daß er sich bereits aufgrund eigener Fachkenntnisse oder durch Heranziehung eines anderen Anlageberaters eine sichere Entscheidungsgrundlage geschaffen hat und die Beratungshilfe der Bank nicht in Anspruch nehmen will8. Umfang und Grenzen der Beratungspflichten sind, wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird, inzwischen von der Rechtsprechung und Literatur deutlicher herausgearbeitet worden. Dies schließt nicht aus, daß immer wieder Beratungshaftungsfälle zu entscheiden sind. So hat das OLG Nürnberg Ende 1997 eine Beratungshaftung für die Empfehlung des Kaufs von Schuldverschreibungen der Fokker-Anleihe im Jahre 1993 bejaht. Im entschiedenen Fall hatte eine Mitarbeiterin der beklagten Bank, die eine konservative und sichere Anlage für 80 000,– DM suchte, die Empfehlung des Anlageberaters aus dem eigenen Haus erhalten, die Fokker-Anleihe als „absolut sicher, mindestens so gut wie öffentliche Schuldverschreibungen“ zu erwerben, begleitet von dem Hinweis, daß hinter der Fokker N. V. die Daimler Benz AG und der niederländische Staat als einzige Gesellschafter stünden9. Die Fokker N. V. war zu dieser Zeit finanziell schon erheblich angeschlagen und dies war auch in der einschlägigen Finanzpresse diskutiert worden und bekannt. In der bankinternen Bewertung war die Anleihe als spekulativ und mit Risiken behaftet eingestuft worden. Über diese interne Bewertung hatte sich der Berater hinweggesetzt, indem er die Anleihe als absolut [4] sicher empfahl. Dieser Fehler wog so schwer, daß demgegenüber der Umstand, daß die Kundin als Bankkauffrau selbst über gewisse bankgeschäftliche Kenntnisse verfügte, nicht ins Gewicht fiel, zumal sie den Rat des Anlageberaters ausdrücklich in Anspruch genommen und damit einen Beratungsvertrag geschlossen hatte.
7 OLG München WM 1994, 236 = WuB I G 4. – 4.94 Vortmann = ZIP 1994, 121; dazu Horn, ZBB 1997, 139, 143. 8 BGH WM 1996, 906 = WuB I G 1. – 9.96 Schäfer = ZIP 1996, 871; vgl. auch BGH WM 1998, 1441 = ZIP 1998, 1183, 1184. 9 OLG Nürnberg WM 1998, 378 = WuB I G 1. – 2.98 Horn/Balzer = ZIP 1998, 380.
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2. Rechtsgrundlagen Die Beratung bei der Anlage in Wertpapieren, Geldmarktinstrumenten und Derivaten wird in § 2 Abs. 3 a Nr. 3 WpHG in der Fassung der 6. KWGNovelle, die am 1. Januar 1998 in Kraft getreten ist10, als „Wertpapiernebendienstleistung“ eingestuft. Das Wertpapierhandelsgesetz statuiert aber bei den allgemeinen Verhaltensregeln für Wertpapierdienstleister, die es in § 31 aufstellt, keine allgemeine Beratungspflicht11. Dies entspricht den Vorstellungen des Gesetzgebers, der den Wertpapierdienstleistern zwar Aufklärungspflichten zuwies, ihn aber nicht zur Anlageberatung generell verpflichten wollte12. Die Beratung im Hinblick auf Wertpapieranlagen ist im Wertpapierhandelsgesetz nur insoweit geregelt, als § 32 WpHG bestimmte Empfehlungsverbote bei Tatbeständen ausspricht, in denen typischerweise ein Interessenkonflikt zwischen dem Empfehlenden und dem Kunden gegeben ist. Allgemeine Rechtsgrundlage einer Beratungspflicht der Bank bei Wertpapieranlagen ist ein gesonderter Beratungsvertrag, der mit dem Kunden konkludent vor Erteilung und Durchführung des Kundenauftrags hinsichtlich des Wertpapiergeschäfts geschlossen wird. Dies ist seit dem Bond-Urteil des BGH13 die maßgebliche Rechtslage. Der BGH konnte sich bei dem BondUrteil auf vereinzelte frühere Äußerungen der Rechtsprechung in diesem Sinn stützen14 und hat an seiner Auffassung nach dem Bond-Urteil in weiteren Urteilen festgehalten15. Die Annahme eines konkludent geschlossenen Beratungsvertrags ist zum Teil als künstliches Konstrukt kritisiert worden16. Diese Kritik ist aber im Ergebnis nicht berechtigt17, zumal die Banken und Sparkassen die Beratung als eigenständige Dienstleistung werblich herausstellen und gegenüber den beratungslosen Dienstleistungen der Discount-
6. KWG-Novelle v. 22.10.1997, BGBl. I, S. 2518. Koller, in: Assmann/Schneider (Hrsg.), Wertpapierhandelsgesetz, 1995, § 31 Rdn. 96; Kumpel, Wertpapierhandelsgesetz, 1996, S. 168; Horn, ZBB 1997, 139, 149; Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 238. 12 Bericht des BT-Finanzausschusses zum Regierungsentwurf eines Zweiten Finanz marktförderungsgesetzes, BT-Drucks. 12/7918, S. 104. 13 BGHZ 123, 126, 128 = WM 1993, 1455 = WuB I G 4. – 9.93 Schwark = ZIP 1993, 1148 = ZBB 1994, 44. 14 BGHZ 74, 103, 106 = WM 1979, 530; BGHZ 100, 117, 118 = WM 1987, 495 = WuB I G 4. – 5.87 Assmann = ZIP 1987, 500. 15 BGH WM 1997, 662 = WuB I G 1. – 9.97 Schwennicke = ZIP 1997, 580; vgl. auch OLG Nürnberg WM 1998, 378 (Fokker) = ZIP 1998, 380. 16 So schon vor der Bond-Entscheidung Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Bearb. 1988, Rdn. 100; krit. im Hinblick auf das Bond-Urteil u. a Schäfer, Haftung ..., a.a.O. (Fn. 4), S. 8 ff.; Heinsius, Pflichten und Haftung der Kreditinstitute bei der Anlageberatung, ZBB 1994, 47, 49. 17 Horn, ZBB 1997, 139, 143; Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 239. 10 11
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Broker abgrenzen18. Die Annahme eines besonderen Beratungsvertrags stellt überdies auch im Interesse der Kreditinstitute klar, daß die Pflicht zur Beratung von dem beiderseitigen Parteiwillen abhängt und die Parteien sich durchaus auch auf eine beratungslose Wertpapierdienstleistung verständigen können. Eine Beratung schuldet die Bank ihrem Kunden also nur, wenn dies ausdrücklich oder konkludent vertraglich vereinbart ist. Dieser Grundsatz ist allerdings durch zwei weitere wichtige Grundsätze zu ergänzen bzw. einzuschränken. Erstens kann die Bank den Umständen nach dem Kunden Aufklärung auch ohne Beratungsvertrag schulden; über die Abgrenzung von Aufklärungspflicht und Beratungspflicht ist noch sogleich zu sprechen. Zweitens kann eine Haftung für fehlerhafte Beratung die Bank auch dann treffen, wenn sie sich zwar nicht vertraglich zur Beratung verpflichtet hat, gleichwohl aber dem Kunden Ratschläge erteilt. Sind diese Ratschläge falsch oder auch nur unvollständig und dadurch irreführend, verletzt die Bank zwar nicht einen Beratungsvertrag, der ja in dem genannten Fall gerade nicht vorhanden ist, wohl aber Verkehrspflichten, die letztlich aus § 242 BGB abzuleiten sind und deren Verletzung zu einer Haftung aus culpa in contrahendo oder auch aus Delikt, namentlich aus § 826 BGB, führt19. Gerade die deliktische Haftung aus § 826 BGB kann auch die Mitarbeiter der Bank oder den Anlageberater persönlich treffen, und darin liegt die Bedeutung dieser Haftungsgrundlage20. 3. Abgrenzung: Erkundigungs- und Aufklärungspflicht Die Beratung ist von der Aufklärung begrifflich und rechtspraktisch zu trennen21. Aufklärung ist die Mitteilung von Tatsachen (Information). Es geht dabei um Tatsachen, die für die Entscheidung des Kunden wichtig sind. Insofern berührt sich die Aufklärung (Information) mit der Beratung. Beratung geht jedoch weit darüber hinaus. Sie baut auf einer möglichst umfassenden Information auf, liefert aber zugleich die Bewertung dieser Information im Hinblick auf die ins Auge gefaßte Entscheidung des Kunden und mündet in eine Empfehlung, welche Entscheidung der Kunde im Hinblick auf Wertpapiergeschäfte treffen soll. Wie bereits bemerkt, statuiert das Wertpapierhandelsgesetz keine Beratungspflicht der Banken oder anderen Wertpapierdienstleister. Wohl aber verpflichtet es diese in § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, ihren
18 Jütten, Anlageberatung wird neu geordnet, Die Bank 1995, 221; Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 239. 19 Nur im Ergebnis ähnlich OLG Frankfurt a. M. ZIP 1998, 1713, das jedoch auch in diesen Fällen einen Beratungsvertrag als Pflichtengrundlage annimmt. 20 Insofern nicht zutreffend Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 250 f., der die deliktische Haftungsgrundlage bei der Beratungshaftung für praktisch irrelevant hält. 21 Horn, ZBB 1997, 139, 140 f.; Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 236 f., jeweils m. Nachw.
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Kunden „alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen“, legt ihnen also eine Informations- oder Aufklärungspflicht auf. Die Bank kann dem Kunden nur dann die zweckdienlichen Informationen geben, ihn also aufklären und ihn richtig beraten, wenn sie weiß, welche Anlageziele der Kunde verfolgt, über welche Erfahrungen er verfügt und wie seine finanziellen Verhältnisse beschaffen sind. Die Bank muß sich darüber Kenntnisse verschaffen, um richtig informieren und beraten zu können. Eine entsprechende Erkundigungspflicht der Banken und anderen Wertpapierdienstleister ist nunmehr in § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WpHG normiert. Der Kunde ist zu entsprechenden Auskünften über sich nicht verpflichtet (§ 31 Abs. 2 Satz 2 WpHG); die Bank haftet jedoch nicht, wenn sie ihm aufgrund verweigerter oder unrichtiger Auskunft keine oder falsche Auskünfte oder Ratschläge erteilt. Rechtsgrundlage der Aufklärungs- oder Informationspflicht ist die genannte Norm des § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WpHG. Ferner ergibt sich eine solche Aufklärungspflicht bereits aus allgemeinen Grundsätzen des Privatrechts, die aus dem Gebot der Beachtung von [5] Treu und Glauben in § 242 BGB abgeleitet werden. Sie bestehen unabhängig von einer vertraglichen Vereinbarung der Parteien, und zwar gerade schon in der Phase der Vertragsanbahnung. Für diese Phase hat die Rechtsprechung bereits seit Jahrzehnten aus dem Prinzip der Beachtung von Treu und Glauben eine Reihe von Rücksichtspflichten und namentlich Aufklärungspflichten hergeleitet. Dies gilt auch für die Gespräche, die vor Abschluß eines Wertpapiergeschäfts zwischen Bank und Kunden geführt werden22. Diese Aufklärungspflichten bestehen auch, wenn es anschließend nicht zu einem rechtsverbindlichen Geschäft kommt23. Diese Pflichten enden mit der Ausführung des Kundenauftrags24. Der Gesetzgeber hat sich sowohl bei der Erkundigungspflicht der Bank nach den Anlagezielen, Erfahrungen und finanziellen Verhältnissen des Kunden (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WpHG als auch bei der Informationspflicht nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2) an den Grundsätzen orientiert, die der Bundesgerichtshof bereits im erwähnten Bond-Urteil aufgestellt hat. Es handelt sich bei der Normierung im Wertpapierhandelsgesetz primär um öffentlichrechtliche Pflichten, zugleich aber auch um eine Konkretisierung der aus dem BGH WM 1993, 1277 = WuB I G 4. – 8.93 Zeller = ZIP 1993, 1089, 1090; dazu Dreher, EWiR 1993, 815; BGH WM 1996, 1214 = WuB I G 1. – 11.96 Koller = ZIP 1996, 1161, 1162; dazu Schwintowski, EWiR 1996, 791; BGH WM 1997, 309 = ZIP 1996, 2064, 2065; dazu Schwintowski, EWiR 1997, 71. 23 BGH WM 1995, 566 = WuB IV A. § 817 BGB 1.95 Becker-Eberhard = ZIP 1995, 453, 455; dazu Kohler, EWiR 1995, 443; BGH WM 1997, 811 = WuB I G 7. – 7.97 Schwennicke = ZIP 1997, 782, 783; dazu Tilp, EWiR 1997, 839. 24 OLG Karlsruhe WM 1992, 577 = WuB I G 1. – 3.92 van Look; OLG Düsseldorf WM 1994, 1468 = WuB I G 4. – 7.94 Köndgen = ZIP 1994, 1256, 1257. 22
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Grundsatz von Treu und Glauben sich ergebenden privatrechtlichen Aufklärungspflichten. Ihre Verletzung löst eine Haftung der Bank aus Schadensersatz wegen culpa in contrahendo aus25. Daneben kommt eine Haftung aus Delikt wegen Verletzung eines Schutzgesetzes gem. § 823 Abs. 2 BGB und wegen sittenwidriger Schädigung wegen Verletzung von allgemeinen Verkehrspflichten zur Aufklärung gem. § 826 BGB in Betracht. Die deliktischen Anspruchsgrundlagen sind an einschränkende und strengere Voraussetzungen gebunden und werden daher zum Teil als praktisch irrelevant eingeschätzt26, man darf aber nicht übersehen, daß eine solche Haftungsgrundlage durchaus dann in Betracht kommt, wenn es um die persönliche Haftung des Mitarbeiters geht. Der Mitarbeiter haftet nicht aus Vertrag, weil er nicht Vertragspartner des Kunden ist, und meist auch nicht persönlich aus culpa in contrahendo, sofern er nicht persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt. Wohl aber kann er aus Delikt haften, in schwerwiegenden Fällen aus sittenwidriger Schädigung nach § 826 BGB27. Eine Haftung der Bank wegen Verletzung ihrer Informations- und Aufklärungspflicht kommt schließlich in den besonderen Fällen in Betracht, in denen die Bank einen besonderen Vertriebsprospekt benutzt und entweder im Prospekt als Mitwirkende an der Gestaltung des betreffenden Finanzprodukts auftritt oder an der Gestaltung des Prospekts mitwirkt28.
III. Die anlagegerechte Beratung Im folgenden soll der bereits im Bond-Urteil des BGH formulierte und auch in der Normierung in § 31 WpHG genannte Grundsatz der anlagegerechten Information näher konkretisiert werden. 1. Vollständige Information über das Anlageobjekt Die Bank muß ihren Kunden zutreffend, vollständig und verständlich über das Anlageobjekt informieren. Sie muß ihm also alle dazu erheblichen Fakten mitteilen. Die Bank genügt ihrer Mitteilungspflicht, wenn sie diese Fakten aus allgemein zugänglichen Informationsquellen sorgfältig ermittelt29. Eine Wahrheitsgarantie für die so ermittelten Fakten braucht die Bank nicht zu übernehmen. Wichtige Informationsquellen sind insbesondere die Wirtschaftspresse und die Ratings der spezialisierten Rating-Agenturen. Auf Horn, ZBB 1997, 139, 144; Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 250. Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 250. 27 Einzelheiten bei Horn, ZBB 1997, 139, 145. 28 Einzelheiten bei Horn, ZBB 1997, 139, 144 f. 29 Koller, a.a.O. (Fn. 11), § 31 Rdn. 99. 25 26
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Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken
Informationsquellen, die erfahrungsgemäß vertrauenswürdig sind, kann sich die Bank dabei verlassen30. Zu einer verständigen Information gehört, daß die Informationen gedanklich geordnet werden und daß Sachbegriffe zu erläutern sind. Zur Vollständigkeit gehört, daß auch negative Tatsachen nicht verschwiegen werden31. Die Bank muß auch über Risiken aufklären. Dabei unterscheidet die Rechtsprechung zwischen einerseits allgemeinen Risiken, z. B. dem Eintritt einer politischen Krise oder eines Kriegs, den Auswirkungen des Ölpreiskartells usw., und andererseits spezifischen Risiken der entsprechenden Vermögensanlage. Hinsichtlich der erstgenannten allgemeinen Risiken, die nicht mit der Anlageart zusammenhängen, kann die Bank z. T. davon ausgehen, daß der Kunde sich selbst ein Bild verschafft. So hat das OLG München, wie bereits erwähnt, 1993 entschieden, ein Anleger könne seine Bank nicht dafür haftbar machen, daß sie ihn nicht ausreichend vor den Kursrisiken aus der Kuwait-Krise 1990 gewarnt habe; in dem Fall handelte es sich zudem um einen geschäftlich erfahrenen Kunden und die Bank hatte keine vertraglichen Pflichten zur fortlaufenden Betreuung und Beratung des Kunden übernommen32. Die spezifischen Risiken des Anlageobjekts richten sich nach dem Geschäftstyp, der vertraglichen Ausgestaltung und vor allem auch nach der Bonität des Emittenten. Bei Anlagen, die nach dem Geschäftstyp besonders riskant sind, wie z. B. Termingeschäften, hat die Rechtsprechung besonders scharfe Anforderungen an die rückhaltslose Aufklärung gestellt, die noch im einzelnen zu erörtern sind. 2. Die Beurteilung des Anlageobjekts Bei der Beratung muß zu der Vermittlung der erforderlichen Informationen die Bewertung seitens der Bank hinzutreten. Ebenso wie schon die Aufklärung auf die besonderen Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten sein muß, so gilt dies umso mehr für die Beratung. Der Kern ist eine zusammenfassende Bewertung im Hinblick auf die Erwartungen, Kenntnisse und Verhältnisse des Kunden. Die dabei ins Spiel kommenden Werturteile müssen einerseits vernünftig begründbar sein, andererseits ist der Bank dabei aber auch ein Beurteilungsspielraum einzuräumen33. [6]
Koller, a.a.O. (Fn. 11), § 31 Rdn. 100. Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 245 f. 32 OLG München WM 1994, 236 = WuB I G 4. – 4.94 Vortmann = ZIP 1994, 125; dazu Wittkowski, EWiR 1994, 119; vgl. auch OLG Frankfurt a.M. WM 1994, 234, 235 = WuB I G 5. – 3.94 Potthoff; OLG Düsseldorf WM 1994, 1468 = WuB I G 4. – 7.94 Köndgen = ZIP 1994, 1256; dazu Hegmanns, EWiR 1994, 1083. 33 Canaris, a.a.O. (Fn. 16), Rdn. 101; Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 248. 30 31
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3. Anleihen, Aktien, Investmentzertifikate Zu den anlagespezifischen Informationen, welche die Bank den Kunden bei der Anlageberatung schuldet, gehört in erster Linie die Erfassung und Weitergabe aller relevanten Informationen über die Bonität des Emittenten, sei es bei Aktien oder bei Schuldverschreibungen oder Genußscheinen. Unzutreffende, unrichtige oder sonst irreführende Informationen über die Bonität der Emittenten waren der entscheidende Grund für die Haftung von Banken wegen fehlerhafter Anlageberatung in den Fällen der Anleihen Bond34, Fokker35, Polly Peck36, Hafnia37 und Heron38. Das Bundesaufsichtsamt für den Wertpapierhandel hat eine Richtlinie herausgegeben, in der unterschiedliche Aufklärungspflichten zu den einzelnen Wertpapierarten festgelegt sind39. Sie folgt damit dem anerkannten Grundsatz, daß es für Inhalt und Umfang der Pflichten auf den jeweiligen Vertrags typ und die Art des Geschäftes, insbesondere die geschäftstypische Kompliziertheit oder das geschäftstypische Risiko der Anlage ankommt40. Auch bei einfach strukturierten Anlageformen wie Anleihen besteht ein dringendes Bedürfnis an einer genauen Information über die Bonitätsrisiken; dies zeigen die aufgezählten, von der Rechtsprechung zu Lasten der Banken entschiedenen Fälle eindrucksvoll. Bei variabel verzinslichen Anleihen ist auch über das damit verbundene Zinsänderungsrisiko aufzuklären. Bei Fremdwährungsanleihen ist auf das Währungsrisiko hinzuweisen. Bei Auslandsanleihen muß dem Anleger das Durchsetzungsrisiko klar werden. Der Kunde muß auch über das Kündigungs- und das Auslosungsrisiko aufgeklärt werden41. Die 34 BGHZ 123, 126 = WM 1993, 1455 = WuB I G 4. – 9.93 Schwark = ZIP 1993, 1148 = ZBB 1994, 44; OLG Braunschweig WM 1993, 190 = WuB I G 4. – 4.93 Köndgen = ZIP 1992, 1463; dazu Vortmann, EWiR 1992, 965; OLG Celle WM 1993, 191 = WuB I G 4. – 4.93 Köndgen = ZIP 1993, 181; dazu Köndgen, EWiR 1993, 135; OLG Frankfurt a.M. WM 1993, 1030 = WuB I G 4. – 6.93 Assmann. 35 OLG Braunschweig WM 1998, 375 = WuB I G 1. – 2.98 Horn/Balzer; OLG Nürnberg WM 1998, 378 = WuB I G 1. – 2.98 Horn/Balzer = ZIP 1998, 380. 36 OLG Düsseldorf WM 1994, 1468 = WuB I G 4. – 7.94 Köndgen = ZIP 1994, 1256; OLG Braunschweig WM 1994, 59 = WuB I G 4. – 2.94 Herrmann = ZIP 1993, 1457; dazu Staab, EWiR 1993, 1197; OLG Frankfurt a. M. WM 1994, 2106 = WuB I G 1. – 4.95 Rössner und WM 1996, 2049 = WuB I G 1. – 3.97 Lachmair. 37 OLG Schleswig WM 1996, 1487 = WuB I G 1. – 1.97 Vortmann; dazu v. Randow, EWiR 1996, 1117. 38 OLG Koblenz WM 1996, 1089 = WuB I G 1. – 6.97 Rössner, dazu v. Randow, EWiR 1996, 781. 39 Richtlinie des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel gem. § 35 Abs. 2 des Gesetzes über den Wertpapierhandel (WpHG) zur Konkretisierung der §§ 31 und 32 WpHG für das Kommissions-, Festpreis- und Vermittlungsgeschäft der Kreditinstitute v. 26.5.1997 (BAWe-Richtlinie) BAnz Nr. 98 v. 3.6.1997, S. 6586. 40 Horn, ZBB 1997, 139, 146; vgl. auch BGH WM 1981, 552 = NJW 1981, 1440 = ZIP 1981, 845 betr. Warenterminoption. 41 Nr. 3.2.1 BAWe-Richtlinie.
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Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken
Bank muß bei besonders gestalteten Anleihen, insbesondere Zero-Anleihen, Stripped Bonds und Kombizinsanleihen, auf die gesteigerte Volatilität hinweisen42. Bei Aktien ist dem Kunden regelmäßig bekannt, daß deren Preis starken Kursschwankungen unterliegen kann; davon geht auch die Rechtsprechung aus43. Der Kunde weiß auch in der Regel, daß er keine garantierte Dividende erwarten kann und daß er das Risiko selbst tragen muß, wenn sich eine Kurs prognose später als unrichtig erweist44. Der Kunde ist auch bei Aktien auf das Bonitätsrisiko hinzuweisen, was bei Standardwerten in der Regel umproblematisch ist. Er muß darauf hingewiesen werden, wenn eine Aktie nur im Freiverkehr oder am Neuen Markt gehandelt wird. Der Kunde muß nicht auf einen Beschluß der AG hingewiesen werden, Gratisaktien auszugeben45. Eine exotische Variante der Aktie, die sog. Penny Stocks, unterliegen strengen Aufklärungspflichten, weil hier besondere Risiken bestehen. Diese Aktien werden im amerikanischen oder kanadischen OTC-Markt gehandelt und meist nicht von Banken, sondern von Anlagevermittlern vertrieben. Die Spanne zwischen Kaufkurs und Verkaufskurs ist ungewöhnlich groß, so daß der Erwerber nur bei hohen Kurssteigerungen einen Gewinn erzielen kann. Diese OTC-Aktien werden nicht im System NASDAQ gehandelt und häufig nur durch einen einzigen Broker vertrieben. Die Marktenge ermöglicht große Kursmanipulationen durch den Marketmaker; denn die Kursfestsetzungen erfolgen durch diesen, ohne daß ihnen tatsächliche Abschlüsse zugrundeliegen müssen. Auf alle diese besonderen Risiken ist der Kunde ausführlich hinzuweisen46. Diese besonderen Hinweispflichten sind auch in der Richtlinie des Bundesaufsichtsamts für den Wertpapierhandel normiert (Nr. 3.2.2). Bei Investmentzertifikaten ist der aufklärungsbedürftige Anleger über die Zusammensetzung des Fondsvermögens, die Anlagestrategie, ggf. auch über das Kursrisiko47 zu informieren. Die BAWe-Richtlinie schreibt auch eine Aufklärung über die teilweise sehr erheblichen Verwaltungskosten des Fonds sowie über die Differenz zwischen dem Verkaufspreis und dem Ankaufspreis 42 Arendts, Die Haftung der Kreditinstitute bei der Wertpapieranlageberatung, ZAP Fach 8, S. 193, 198. 43 OLG München ZIP 1994, 125. 44 BGH NJW 1971, 2126, 2128; LG Stuttgart WM 1987, 620, 621 = WuB I A. Nr. 14 AGB-Banken 5.87 Hadding/Häuser; LG Darmstadt WM 1994, 1565, 1572 = WuB VII B 1. Art. 13 EuGVÜ 1.94 Nassall; dazu Summ, EWiR 1994, 1187. 45 BGHZ 117, 135, 143 = WM 1992, 479 = WuB I G 5. – 6.92 Häuser = ZIP 1992, 314. 46 BGH WM 1991, 315 = WuB I G 4. – 4.91 Graf = ZIP 1991, 297, 298; dazu Schwark, EWiR 1991, 437; BGH WM 1991, 667 = WuB I G 4. – 4.91 Graf; OLG Frankfurt a.M. WM 1996, 253, 254 = WuB I G 1. – 5.96 Eichhorn; OLG Düsseldorf BB 1996, 1904 = RIW 1996, 859, 860. Dazu aus Joswig, Aufklärungspflichten bei der Vermittlung amerikanischer Billigaktien (Penny Stocks), DB 1995, 2253. 47 AG Frankfurt a.M. WM 1995, 700, 701 = WuB I G 1. – 5.95 Zeller; dazu Bahr, EWiR 1995, 645; OLG Hamm WM 1996, 1812, 1813 = WuB I G 1. – 7.97 Lachmair.
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vor (Nr. 3.2.3). Bei geschlossenen Fonds ist auch über die eingeschränkte Fungibilität aufzuklären48. Bei Genußscheinen besteht die Schwierigkeit, daß die Genußscheinbedingungen sehr unterschiedlich ausgestaltet sein können und eine Beurteilung der Chancen und Risiken nur bei Kenntnis dieser Bedingungen möglich ist. Der Anleger ist über diese Ausgestaltung zu informieren, insbesondere auch darüber, wenn eine Teilnahme am Verlust vorgesehen ist49. 4. Optionen und Termindirektgeschäfte Bei der Anlage in Optionsscheinen wird von der Rechtsprechung zwischen Geschäften einerseits mit aus Anleihen abgetrennten Aktienoptionsscheinen unterschieden, die nach Auffassung des Bundesgerichtshofs Kassageschäfte darstellen50, und andererseits Geschäften mit selbständigen Optionsscheinen, die der BGH als Börsentermingeschäfte einstuft51. Bei [7] Börsentermingeschäften muß bei Kunden, die nicht Kaufleute sind, zunächst deren Termingeschäftsfähigkeit dadurch hergestellt werden, daß ihnen ein Informationsblatt gem. § 53 Abs. 2 BörsG übergeben und dieses von ihnen unterzeichnet wird. Neben diese standardisierte, formale und häufig eine tatsächliche Aufklärung des Kunden nicht bewirkende schriftliche Information über die Risiken von Börsentermingeschäften tritt nach der Rechtsprechung des BGH die zivilrechtliche Pflicht der Bank, über Art und Risiken des geplanten Geschäfts aufzuklären52. Diese Aufklärung kann mündlich erfolgen53. Der Kunde ist insbesondere über die Funktionsweise der verbrieften Option, über Basiswert, Laufzeit und das Risiko eines Totalverlustes aufzuklären, ferner über die Notwendigkeit, das Optionsrecht auszuüben, die Art des Optionsrechts und insbesondere die Ausübungsbedingungen54. Der
Schäfer, Haftung a.a.O. (Fn. 4), S. 92. Schäfer, Haftung a.a.O. (Fn. 4), S. 91. 50 BGHZ 114, 177, 179 = WM 1991, 982 = WuB I G 5. – 8.91 Schwark = ZIP 1991, 714; dazu Canaris, EWiR 1991, 671; BGHZ 133, 200, 206 = WM 1996, 1620 = WuB I G 7. – 11.96 Jaskulla = ZIP 1996, 1459; dazu Tilp, EWiR 1996, 879; BGH WM 1998, 274 = WuB I G 7. – 4.98 Pfeifer = ZIP 1998, 284, 285. 51 BGH WM 1994, 834 = WuB I G 5. – 5.94 Schäfer = ZIP 1994, 693, 695; dazu Tilp, EWiR 1994, 563; BGH WM 1994, 2231 = WuB I G 7. – 1.95 Gesang = ZIP 1994, 1924, 1925; dazu Schwark, EWiR 1995, 141; BGH WM 1995, 2026 = WuB I G 7. – 3.96 Wach = ZIP 1995, 1812; BGHZ 133, 200, 203 = WM 1996, 1620 = WuB I G 7. – 11.96 Jaskulla = ZIP 1996, 1459. 52 BGHZ 133, 82, 86 = WM 1996, 1260 = WuB I G 7. – 10.96 Assmann = ZIP 1996, 1206; dazu Allmendinger, EWiR 1996, 699; BGH WM 1997, 811 = WuB I G 7. – 7.97 Schwennicke = ZIP 1997, 782, 783. 53 BGH WM 1994, 2231 = WuB I G 7. – 1.95 Gesang = ZIP 1994, 1924, 1926. 54 OLG Frankfurt a.M. WM 1993, 684 = WuB I G 5. – 6.93 Redaktion. 48 49
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Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken
Kunde muß bei exotischen Optionsscheinen über besondere Produktrisiken aufgeklärt werden, z. B. bei Caps, Collars, Floors usw55. Die Rechtsprechung hat die Aufklärungspflichten verschärft, soweit es sich um vermittelte Optionsgeschäfte handelt und der Vermittler einen erheblichen Aufschlag auf die Optionsprämie verlangt. Diese Praktiken wurden in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen nicht von Banken getätigt, sondern von gewerblichen Anlagevermittlern. Die Rechtsprechung macht hier einen klaren Unterschied zwischen der Besorgung von Optionsscheinen durch die Banken im Rahmen ihres Effektengeschäfts und sonstigen, zusätzliche Kosten verursachenden Vermittlungen dieser Geschäfte56; sie verlangt bei letzteren, daß der Kunde schriftlich über die wirtschaftlichen Zusammenhänge und die Bedeutung und Höhe der Prämie sowie ihren Einfluß auf das mit dem Geschäft verbundene Risiko hingewiesen wird. Er muß auch darüber informiert werden, daß jeder Aufschlag auf die Optionsprämie die Gewinnerwartung verschlechtert, ja daß bei Aufschlägen, die über 10 Prozent hinausgehen, die Gewinnchance fast ausgeschlossen ist. Der Kunde muß auch wissen, daß die Wahrscheinlichkeit, einen Gewinn zu erreichen, mit jedem weiteren Geschäft abnimmt. Darüber ist der Kunde ungeschminkt und drastisch aufzuklären57. Auch bei der Vermittlung von Termindirektgeschäften gelten diese hohen Anforderungen. Gewerbliche Vermittler von Warentermindirektgeschäften haben hier zahlreichen Kunden erhebliche Verluste zugefügt. Auch hier ist vor allem auf die Risiken und die Verminderung der Gewinnchancen durch überhöhte Provisionen hinzuweisen. Das dem Kunden zugewiesene erhöhte Verlustrisiko ist ohne Beschönigung darzustellen, insbesondere auch der Umstand, daß der geleistete Einsatz durch die hohe Zahl der Provisionen bei einem intensiven Kontrakthandel rasch aufgezehrt wird und daß die Chance, überhaupt einen Gewinn zu erzielen, sich rasch verflüchtigt58. Der BGH läßt den Schutz unerfahrener Kunden durch verschärfte Aufklärungspflichten auch Wirtschaftsunternehmen zuteil werden, wenn diese erkennbar ohne Erfahrungen und Kenntnisse im Termingeschäft handeln. Dies hat der BGH in einem unveröffentlichten Fall entschieden, in dem ein Telefonverkäufer 1992 einer von Ostdeutschen geführten GmbH in der ehemaligen DDR zahlreiche Dollarkontrakte zu zehnfach überhöhten Vermittlungsprovisionen vermittelt hatte59. Schäfer, Haftung ..., a.a.O. (Fn. 4), S. 83 f. BGH WM 1998, 1391 = WuB I G 7. – 6.98 Einsele = ZIP 1998, 1220 ff. 57 BGH WM 1991, 127 = WuB I G 4. – 3.91 Nassall = ZIP 1991, 87, 89; dazu Schwintowski, EWiR 1991, 259; BGHZ 124, 151, 154 = WM 1994, 149 = WuB I G 4. – 3.94 Wach = ZIP 1994, 116; dazu Koller, EWiR 1994, 251. 58 BGH WM 1992, 770 = WuB I G 5. – 3.93 Wolter = ZIP 1992, 612, 613; dazu Schwintowski, EWiR 1992, 467; BGH WM 1997, 309 = ZIP 1996, 2064, 2065. 59 Unveröff.; vgl. den Bericht von Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 260. 55 56
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5. Neue Produkte Der Markt für Kapitalanlagen wartet nach dem Vorbild des US-amerikanischen Marktes und unter dessen Einfluß mit ständig neuen Finanzinnovationen auf60. Sie stellen sich als Fortentwicklung bereits bekannter Finanzinstrumente dar. So wird bei einem Basket-Optionsschein das Recht verbrieft, durch Ausübung des Optionsrechts einen vorher festgelegten Korb von Aktien verschiedener Gesellschaften zu beziehen (call) oder zu verkaufen (put). Meist wird das Recht zum Bezug der betreffenden Aktien ausgeschlossen und lediglich der Differenzbetrag gezahlt, wenn bei Ausübung des Optionsrechts der tatsächliche Börsenkurs zugunsten des Kunden vom Optionspreis abweicht61. Den wirtschaftlichen Sinn eines solchen Basket-Optionsrechts kann man mit etwas Mühe noch darin sehen, daß man Aktiendepots, die eine ähnliche Zusammensetzung wie der Basket aufweisen, auf diese Weise absichern kann. Den meisten Erwerbern geht es freilich nicht darum, sondern um eine abstrakte Gewinnchance. Noch deutlicher tritt dies hervor in sog. Range-Barrier-Scheinen mit Knock-out-Klausel, die dem Anleger das Recht verschaffen, bei Ende der Laufzeit vom Emittenten einen festgelegten Geldbetrag zu beziehen, falls der Kurs des Basiswertes während der Laufzeit die vertraglich festgelegte Bandbreite nicht verlassen hat; wird dagegen die Grenze überschritten, so verliert der Anleger dieses Recht (Knock-out)62. Das allgemeine Anlegerschutzproblem liegt darin, daß nicht immer mit Sicherheit feststeht, welcher Schutzmechanismus hier zur Anwendung kommt. Handelt es sich um Börsentermingeschäfte, so ist zunächst die Börsentermingeschäftsfähigkeit herzustellen und sodann sind die genannten Aufklärungspflichten zu erfüllen. Erleidet danach der Kunde einen Verlust aus dem Geschäft, kann er keinerlei Ansprüche gegen die Bank stellen. Anders dagegen, wenn die betreffenden Geschäfte nicht zu den Börsentermingeschäften zählen, aber die Merkmale eine Differenzgeschäftes aufweisen. Bei verbindlichen Börsentermingeschäften kann der (termingeschäftsfähige) Kunde nach § 58 BörsG den Differenzeinwand nicht erheben, wohl aber bei Geschäften, die keine Börsentermingeschäfte sind63. Die Einordnung als Differenzgeschäft kann dem Kunden also Möglichkeiten eröffnen, gefahrlos auf Kosten der Bank zu spekulieren. Der BGH neigt dazu,
60 Zu Finanzinnovationen auf diesem Gebiet vgl. Allmendinger, a.a.O. (Fn. 1); zu sog. strukturierten Wertpapieren Wohlfarth/Brause, WM 1998, 1859 ff. 61 Allg. dazu Allmendinger/Tilp, Börsentermin- und Differenzgeschäfte, 1998, Rdn. 230 ff. 62 Allmendinger, a.a.O. (Fn. 1), S. 292 m. Nachw. 63 Zur Einordnung einer Basket-Option als Differenzgeschäft LG Stuttgart WM 1996, 1446 = WuB I G 7. – 7.96 Bader = ZIP 1996, 1339; dazu Allmendinger, a.a.O. (Fn. 1), S. 300 f.
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Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken
durch Ausdehnung des Begriffs des Börsentermingeschäfts diesen Weg zu verlegen. So hat er Geschäfte mit selbständigen Basket-Optionsscheinen als Börsen- [8] termingeschäfte eingeordnet64. Dieser Weg wird aber nicht bei allen Finanzinnovationen gangbar sein.
IV. Die anlegergerechte Beratung 1. Grundsatz Die Anlageberatung muß auf die Person des Kunden zugeschnitten sein, wie in der Entscheidung des BGH im Fall der Bond-Anleihe grundlegend ausgeführt. Die Bank muß zunächst die Anlageziele, die Erfahrungen und die persönlichen Verhältnisse des Kunden erfragen. So ist es auch im Wertpapierhandelsgesetz vorgeschrieben (§ 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WpHG). Der Kunde kann die Auskünfte über sich selbstverständlich verweigern (§ 31 Abs. 2 Satz 2 WpHG). Er ist dann auf die Rechtsfolge hinzuweisen, daß eine anlegergerechte Beratung durch die Bank nicht mehr geschuldet wird65. Kann die Bank dagegen die genannten Auskünfte erlangen, so muß sie in einem zweiten Schritt ihre Anlageberatung auf diese Kundenmerkmale ausrichten. Die im folgenden kurz zu erörternden einzelnen Kriterien haben inzwischen in die Bankpraxis Eingang gefunden, indem die Spitzenverbände entsprechende Formulare als Grundlage der Anlageberatung von Kunden entwickelt haben66. 2. Anlageziele Bei den Anlagezielen ist einmal zwischen langfristiger und kurzfristiger Anlage zu unterscheiden, vor allem aber nach den Risiken der Anlage. Anleihen gelten typischerweise als relativ risikolos, falls nicht besondere Risikofaktoren hinzutreten wie vor allem das Bonitätsrisiko in den bereits genannten Fällen. Eine größere Risikobereitschaft erfordert die Anlage in Aktien. Am größten ist die Risikobereitschaft dann, wenn der Kunde in Derivaten investieren will. Die Anlageziele können schließlich danach differenziert werden, ob es um spekulative Gewinne, nachhaltige Erträge oder aber relativ begrenzte Erträge bei langfristiger Wertsteigerung geht.
BGH WM 1998, 1281 = ZIP 1998, 1102 ff. Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 242. 66 Jütten, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 7/12 a (Formular des Bank-Verlages); Lang, Auf klärungspflichten bei der Anlageberatung, 1994, S. 262 (Formular des Sparkassen-Verlages). 64 65
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In einem vom BGH entschiedenen Fall hatten ein Landwirt und seine Frau ihrer Sparkasse den Anlagewunsch vorgetragen, hochverzinsliche Anleihen in australischen und kanadischen Dollar zu kaufen und diesen Erwerb mit einem Kredit zu finanzieren, der durch die Beleihung ihres Hofes zu sichern sei. Die Sparkasse gewährte den Kredit und empfahl erstklassige Anleihen, die einen bedeutend höheren Zinssatz aufwiesen, als die Zinslast des Kredites ausmachte. Gleichwohl endete die Zinsdifferenzspekulation des Landwirt ehepaares mit einem größeren Verlust, weil man die Währungsschwankungen nicht eingerechnet hatte. Der Bundesgerichtshof verneinte eine Verletzung der Pflicht zur anlegergerechten Beratung durch die Bank. Denn die Kunden hätten bereits eine bestimmte feste Zielvorstellung über die Zinsdifferenzspekulation gehabt und die Bank habe sich daher darauf beschränken können, im Rahmen dieser vorgegebenen Anlageziele geeignete Papiere zu empfehlen, was sie auch tat67. Man kann hier fragen, ob die Bank nicht zusätzlich auf das Währungsrisiko hätte hinweisen müssen. Es ist aber auch nicht ausgemacht, ob die Bank es in diesem Fall nicht getan hat. Ihre Hauptaufgabe war es nicht, es sei denn sie konnte erkennen, daß die Kunden dieses Risiko völlig übersehen hatten. In einem anderen vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall wollte sich ein Einzelhändler über die Anlage seiner Ersparnisse von 80 000,– DM von einer Bank beraten lassen. Der Anlageberater empfahl deutsche Standardaktien, wies aber auf die Möglichkeit hin, in viel größerem Umfang solche Aktien zu erwerben, indem der Kunde einen hohen Kredit aufnahm. Der Kunde folgte diesem Rat und baute einen variabel verzinslichen Wertpapierkontokorrentkredit über 1,2 Mio. DM auf. Dies führte im Ergebnis zu einem hohen Verlust. Hier hatte die Bank nach Meinung des BGH ihre Pflicht verletzt, den Kunden über die hohen Risiken einer kreditfinanzierten Wertpapierspekulation aufzuklären, ja sie hatte ihn überhaupt erst auf diesen Irrweg geführt, nachdem der Kunde klar das Anlageziel vorgegeben hatte, nur die von ihm ersparten 80 000,– DM in Aktien anzulegen68. 3. Erfahrungen und Kenntnisse des Kunden Für die Einschätzung der Erfahrungen und Kenntnisse des Kunden ist es wichtig, daß die Bank sein bisheriges Anlageverhalten ermittelt69. Wer Erfahrungen und Kenntnisse in Volkshochschulkursen, Investmentklubs oder durch eifriges Studium der Wirtschaftspresse erwirbt und diese Kenntnisse der Bank mitteilt, kann nicht erwarten, daß die Bank ihn über diese Dinge
BGH WM 1996, 664 = WuB I G 1. – 7.96 Schäfer = ZIP 1996, 667 f. BGH WM 1997, 662 = WuB I G 1. – 9.97 Schwennicke = ZIP 1997, 580, 581. 69 Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 243. 67 68
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Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken
noch näher aufklärt. Der Kunde kann auch ausdrücklich auf Aufklärung verzichten mit der Folge, daß die Bank keine Aufklärungspflicht trifft; dies folgt schon aus § 31 Abs. 2 Satz 2 WpHG70. Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs71. 4. Finanzielle Verhältnisse des Kunden Die beratende Bank muß sich schließlich über die Risikofähigkeit des Kunden vergewissern, die aus seinen finanziellen Verhältnissen folgt. Sie muß daher geeignete Informationen über das Vermögen des Kunden, sein laufendes Einkommen und seine Belastungen verlangen. Je risikoreicher die Anlagegeschäfte sind, umso mehr muß die Bank auf diese Punkte achten72. Will der Kunde sein Geld in fast risikofreien Anlagen anlegen, wie z. B. Bundesoder Landesobligationen, bedarf es dieser Exploration nicht.
V. Discount-Broker Discount-Broker führen lediglich Aufträge aus, ohne eine Beratung durchzuführen. Sie arbeiten damit kostengünstiger und bieten an, einen Teil dieser Kostenersparnis in Form niedriger Gebühren an den Kunden weiterzugeben. Entscheidend für den Ausschluß von Beratungspflichten ist, ob der Discount-Broker es dem [9] Kunden von vornherein in seiner Werbung und bei der Kontaktaufnahme klar macht, daß er von ihm keine Beratung erwarten kann. Während Discount-Broker demnach keine Beratung schulden, können sie sich den Aufklärungspflichten nicht vollständig entziehen. Dies folgt schon daraus, daß sie nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WpHG zur Weitergabe sachdienlicher Informationen an den Kunden verpflichtet sind und daß sie nach § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 WpHG auch die Pflicht zur Einholung von Kundenangaben haben. Beide Pflichten sind aber eingeschränkt. Der Discount-Broker kann sich auf das Minimum einer sachgerecht notwendigen Aufklärung beschränken73. Gleichwohl ist der genaue Umfang der Aufklärungspflichten der Discount-Broker noch nicht bis ins letzte geklärt. Auch die Richtlinie des Bundesaufsichtsamtes für den Wertpapierhandel enthält für Wertpapierdienstlei-
Horn, ZBB 1997, 139, 151; Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 252. BGH WM 1996, 1214 = WuB I G 1. – 11.96 Koller = ZIP 1996, 1161, 1164; WM 1997, 309 = ZIP 1996, 2064, 2066; WM 1998, 274 = WuB I G 7. – 4.98 Pfeifer = ZIP 1998, 284, 285; vgl. auch OLG München BB 1997, 2501. 72 Lang, a.a.O. (Fn. 66), S. 205. 73 Horn, ZBB 1997, 139, 149; Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 252. 70 71
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ster, die lediglich Aufträge ausführen, nur eine sehr bruchstückhafte Regelung in Nr. 3.6. Danach braucht der Discount-Broker seinen Kunden nicht nach den finanziellen Verhältnissen und Anlagezielen zu befragen, wohl aber nach seinen Kenntnissen oder Erfahrungen. Auch der Discount-Broker soll also nach Auffassung des Bundesaufsichtsamtes nicht völlig aus seiner Verantwortung zur Minimalaufklärung entlassen werden und jedenfalls den ersichtlich unerfahrenen Kunden in gewissem Umfang über risikoreiche Geschäfte aufklären74. Eine Empfehlung für die praktische Umsetzung dieser Anforderungen könnte lauten, daß der Discount-Broker seine Kunden aufgrund entsprechender Befragung (soweit diese zur Auskunft bereit sind) in Risikoklassen einteilt und dann ohne weitere Information die entsprechenden Aufträge ausführt, bei Aufträgen, die aus der Risikoklasse herausfallen, aber weitere Informationen geben muß75. Alle Probleme können auf diese Weise freilich nicht gelöst werden, zumal manche Kunden keine oder unzutreffende Auskunft über sich geben.
VI. Anforderungsprofile für die Anlageberatung – Anforderungen an die Bankwirtschaft 1. Umsetzung der rechtlichen Anforderungen in die Beratungspraxis Die Vielfalt und Detailunterschiede in den rechtlichen Anforderungen an die Beratungspraxis der Banken bietet zunächst ein unübersichtliches Bild. Es wurde aber bereits bemerkt, daß für den, der die praktische Seite des Anlageberatungsgeschäfts kennt und seine wirtschaftlichen Auswirkungen übersieht, die Kenntnis der rechtlichen Anforderungen keine unlösbare Aufgabe ist. Die Kreditwirtschaft und ihre Spitzenverbände haben sich rasch auf diese Anforderungen eingestellt und den Mitarbeitern Formulare und Checklisten an die Hand gegeben, nach denen diese Beratungsgespräche zu führen und die Aufklärung und Beratung des Kunden aktenmäßig festzuhalten haben76. Dabei ist natürlich die Aufzeichnung der Details des Gesprächsinhaltes weder vom Gesetz gefordert noch praktisch durchführbar. Gesetzgebung und Rechtsprechung geben freilich auch dem Juristen noch einige ungelöste Probleme auf, so z. B. hinsichtlich der Aufklärungsanforderungen beim Discount-Broking oder auch hinsichtlich eines Kunden, der eine Selbstauskunft ablehnt, oder eines Kunden, der seine eigenen Kenntnisse als besser darstellt, als sie sind. Aber es handelt sich dabei um lösbare Detailprobleme.
Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 253. In diesem Sinne ein Vorschlag meines Doktoranden Siller in seiner noch unveröf fentlichten Dissertation über Rechtsfragen des Discount-Broking. 76 Vgl. Jütten, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 7/6–11 (1996). 74 75
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Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken
Man kann auch nicht sagen, daß sich die gesteigerten rechtlichen Voraussetzungen als prohibitiv auf die Entwicklung des ganzen Geschäftszweiges auswirken. Im Gegenteil darf man nie vergessen, daß immer dann, wenn die Gesetzgebung oder Rechtsprechung es unterläßt, Auswüchse oder Fehlentwicklungen zu bekämpfen, ein ganzer Geschäftszweig in Verruf geraten kann, was den Interessen der Kreditwirtschaft strikt zuwiderläuft. 2. Erziehung des Anlegers zur Selbstverantwortung Es gehört zu den Zielsetzungen dieses Beitrags, nicht nur technische Fragen der Bankwirtschaft zu erörtern, sondern ihren gesellschaftlichen Zusammenhang und die dabei notwendigen sozialethischen Orientierungen. Die von mir geschilderte Rechtsentwicklung zur Anlageberatung spiegelt eine gesellschaftliche Entwicklung wider, in der auch die Privatkunden immer mehr bereit sind, in dynamische und risikobehaftete Vermögensanlagen zu investieren. Wie jede neue gesellschaftliche Entwicklung zeigen sich hier neben positiven auch negative Aspekte. Zu den positiven Aspekten gehört die Erziehung des Anlegers zur Selbstverantwortung. Nicht wenige Privatkunden werden anläßlich ihrer ersten Anlageberatung zum ersten Mal im Leben mit der Notwendigkeit konfrontiert, Rechenschaft über ihr Vermögen, ihre Verbindlichkeiten, Einkünfte und Ausgaben zu geben, wie es das zu § 31 Abs. 2 WpHG entwickelte Formular vorsieht. Sie werden damit zum ersten Mal daran erinnert, daß jeder die Risiken, die er bei seiner Anlage übernehmen will, mit seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen abstimmen muß. Darin liegt eine Erziehung zur Selbstverantwortung. Diese läßt sich auch dort beobachten, wo Privatanleger ihr Geld in Aktien anlegen und die Erfahrung akzeptieren, daß Aktienkurse schwanken und ihr Vermögen insofern keine feste Größe mehr darstellt, sondern variabel ist. Gesellschaftspolitisch steht hinter solchen Entwicklungen das Idealbild des mündigen Bürgers, der privatautonom seine rechtlichen Angelegenheiten regelt und selbstverantwortlich seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse steuert. Anlegerschutz wie Verbraucherschutz durch Recht kann daher in der Hauptsache nur darin bestehen, den Bürger über Risiken aufzuklären, so daß er zur selbstverantwortlichen Entscheidung in die Lage versetzt wird. 3. Die Faszination des mühelosen Gewinns Leider stimmt diese Idealvorstellung des informierten Bürgers, der sich selbstverantwortlich richtig und vernünftig entscheidet, mit der Wirklichkeit nur in geringem Maße überein. Immer wieder ist festzustellen, daß der Kunde eine Risikoaufklärung geistig nicht richtig verarbeitet oder leichtfertig mit ihr umgeht. Die Einschätzung eines Bundesrichters, der im bankrechtlichen
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Senat des Bundesgerichtshofs tätig [10] ist, daß die formale schriftliche Aufklärung zur Herstellung der Börsentermingeschäftsfähigkeit weitgehend eine rein formale Prozedur ist, die kaum einen echten Aufklärungseffekt hat77, ist kaum übertrieben. Mangelnde Einsichtsfähigkeit, Spieltrieb und Geldgier sind mächtige Ratgeber zu einem verantwortungslosen Handeln. Diese allgemeinen menschlichen Schwächen scheinen sich in einer Gesellschaft zu multiplizieren, in denen die Privatvermögen wachsen und z. B. der mühelose Erwerb von Vermögen durch Erben zu Überheblichkeit und Leichtfertigkeit führt, zugleich aber den Sozialneid anderer weckt, die möglichst rasch und mühelos zu ebensolchem Wohlstand kommen wollen. Vor diesem Hintergrund gedeiht die Vermittlung angeblich chancenreicher, in Wirklichkeit ganz chancenarmer und gefährlicher Termindirektgeschäfte, bei denen die Rechtsprechung mit guten Gründen strengste Aufklärungspflichten aufstellt, um die Anlagevermittler zu zwingen, die Unseriosität ihrer Anlageangebote offenzulegen78, und es gedeihen viele Arten von Anlagebetrug, dessen auffälligste Form der noch immer blühende Phantommarkt eines angeblich gewinnbringenden Handels mit Bankgarantien ist79. Die Erwähnung dieser Phänomene überschreitet streng genommen unser Thema, und die Banken haben nicht das Mindeste damit zu tun. Aber die genannten Phänomene bezeichnen das Klima, in dem heute oft Anlageentscheidungen getroffen werden, und die hier vom Anlegerpublikum gesammelten negativen Erfahrungen färben leider auch auf die Einschätzung der Banktätigkeit ab. Zu den unguten Entwicklungen gehört auch die Kreditfinanzierung von Wertpapieranlagen. Das neue Anlageberatungsrecht führt hier unweigerlich zur Bankenhaftung, falls eine Empfehlung zur Kreditaufnahme gegeben wird. Anders, wenn der Kunde fest entschlossen und ohne weitere Erläuterungen einen Kredit bei der Bank annimmt und sich über dessen Verwendungszweck ausschweigt. Eine ungute Erziehung des Publikums zu Glücksrittern liegt auch in der breiten Öffnung der Börsentermingeschäfte und des Handels mit Derivaten für Privatanleger. Der Verlust ist hier für eine große Anzahl von Anlegern nach der statistischen Wahrscheinlichkeit vorprogrammiert. Zugegeben, beim Lotto ist die Gewinnchance sehr viel geringer. Aber auch der Schaden ist hier geringer, weil die Einsätze regelmäßig begrenzt sind und jedenfalls von den Spielern an ihren Einkommensverhältnissen gemessen werden. Der statistischen Wahrscheinlichkeit nach gewinnt ein Lottospieler den Hauptgewinn einmal in 700 Jahren, wenn er jede Woche mit einem größeren Betrag spielt. Der Teilnehmer an Termingeschäften kann schon bei Nobbe, a.a.O. (Fn. 2), S. 235, 257. Vgl. vorstehend unter III.4 und BGHZ 80, 180 = WM 1981, 374; BGHZ 124, 151, 156 = WM 1994, 149 ff. = WuB I G 4. – 3.94 Wach; BGH WM 1998, 1527 = WuB I G 8. – 3.98 Hauptmann. 79 Dazu Horn, Clear and Clean und not of Criminal Origin – Betrügereien mit einem Phantommarkt in Bankgarantien, WM 1997, 864. 77 78
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Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken
ca. zweieinhalb Einsätzen einmal mit einem Gewinn rechnen. Ist dies ausreichend für die Rechtfertigung eines Terminmarktes für Privatkunden, der täglich eine große Anzahl von Privatkunden um ihren Einsatz bringt und nicht selten um ihr Vermögen80? Die Terminmärkte sind selbst weder gut noch schlecht. Aber geschaffen wurden sie ursprünglich zum Hedging von Risiken. Heute dienen sie in großem Umfang zur Eröffnung von Risiken von Privatkunden. 4. Selbstbeschränkung und Selbstkontrolle der Kreditwirtschaft In diesem aufgeheizten gesellschaftlichen Klima der Faszination durch den mühelosen Gewinn muß die Kreditwirtschaft Besonnenheit bewahren und ihren Kunden vermitteln. Gewiß macht die Rechtsprechung zutreffend einen klaren Unterschied zwischen z. B. der kostenträchtigen und chancenarmen Vermittlung von Optionen oder von Termindirektgeschäften mit strengsten Informationspflichten einerseits und der „normalen“ Besorgung von Optionsscheinen im Rahmen des bankmäßigen Effektengeschäfts, bei der die rechtlichen Anforderungen an die Kundeninformationen geringer sind81. Aber unabhängig von den rechtlichen Anforderungen muß die Kreditwirtschaft selbst sehen, daß sie durch Ausbildung und Anleitung ihrer Mitarbeiter sicherstellt, daß diese ihre Kundschaft nicht zu leichtfertigen Risikogeschäften verleitet und in kritischen Fällen lieber auf einen Umsatz verzichtet. Der Mitarbeiter darf nicht darauf fixiert sein, den Umsatz mit dem Kunden auf jeden Fall zu machen. Die Banken würden sonst die wichtigste Grundlage ihrer Geschäftstätigkeit aufs Spiel setzen, das Vertrauen ihrer Kunden.
80 Die einzig nicht so leicht widerlegbare Rechtfertigung für die breite Öffnung der Terminmärkte lautet: Das Publikum will diese Geschäfte, und wenn es sie in Deutschland nicht bekommt, schließt es sie im Ausland ab; dazu krit. Horn, ZIP 1990, 2, 7. Gleichwohl bleiben rechtspolitische Zweifel. 81 Vgl. einerseits BGH WM 1992, 770 = WuB I G 5. – 3.93 Wolter = ZIP 1992, 612, 613, andererseits BGH WM 1998, 1391 = WuB I G 7. – 6.98 Einsele = ZIP 1998, 1220 ff.; dazu vorstehend III, 4.
Die Erfüllung von Wertpapiergeschäften unter Einbeziehung eines Zentralen Kontrahenten an der Börse – Sachenrechtliche Aspekte* WM Sonderbeilage 2/2002 (23 S.) Inhaltsübersicht I. Die Einführung des zentralen Kontrahenten (CCP) an der Frankfurter Wertpapierbörse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsfragen, Problembeschreibung und Thesen. . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Problembeschreibung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Aufrechnung und dingliche Erfüllung im neuen System. . . . . . . b) Anforderungen an das System der dinglichen Erfüllung. . . . . . . 3. Gang der Untersuchung und Thesen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die dingliche Erfüllung im bisherigen System des Effektengiroverkehrs. . 1. Modell der Girosammelverwahrung: Die Wertpapierinhaber sind Miteigentümer und Mitbesitzer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Miteigentümer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelbare Mitbesitzer. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sammelurkunde gem. § 9a DepotG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Namensaktien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Besitzübertragung sammelverwahrter Wertpapierurkunden . . . . a) Änderung des Besitzmittlungswillens. . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt des Besitzmittlungswillens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Einigung über den Eigentumsübergang bei sammelverwahrten Wertpapieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Direkterwerb des Kunden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rolle des Zentralverwahrers bei der Einigung. . . . . . . . . . . . . 4. Die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs. . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die h.M. bejaht gutgläubigen Erwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtstechnische Einzelheiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kein Erwerb nach § 24 Abs. 2 DepotG. . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Einwände gegen die sachenrechtliche Konstruktion des bestehenden Systems der Girosammelverwahrung . . . . . . . . . . . 1. Verneinung der Besitzerstellung der Wertpapierinhaber sammelverwahrter Wertpapiere?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4 7 7 7 7 7 7 8 8 8 8 8 8 9 9 9 11 11 11 11 11 12 12 13 13
* Die folgenden Ausführungen beruhen auf einem dem Bundesverband deutscher Banken und der Deutschen Börse AG im Oktober 2001 erstatteten Rechtsgutachten.
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Die Erfüllung von Wertpapiergeschäften
a) Die Verneinung des mittelbaren Besitzes bei Sammelverwahrung durch Einsele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 b) Die spezialgesetzliche Regelung in §§ 5–8 DepotG . . . . . . . . . . 13 c) Die Wertpapierinhaber haben mittelbaren Mitbesitz nach Bruchteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 d) Mitbesitz und Depotbuchung als zureichende Grundlage für Rechtsverkehr und Gutglaubenserwerb . . . . . . . . . . . . . . 14 e) Zusammenfassung zu 1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Verneinung der Besitzerstellung der Wertpapierinhaber bei Ausstellung einer Dauerglobalurkunde? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 a) Kritik an der h.M. zu § 9a DepotG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 b) Ratio legis des § 9a DepotG: besitzrechtliche Stellung der Wertpapierinhaber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 c) Mittelbarer Mitbesitz in § 9a wie in § 5 DepotG vorausgesetzt . . . 16 3. Die spezialgesetzliche Regelung der Schuldbuchforderungen („Wertrechte“). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 a) Sonderregelung für Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand. 16 b) Kein Argumentum e contrario. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4. Ergebnis zu IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 V. Eigentumsübertragung und Besitzverschaffung im neuen System unter Einbeziehung des CCP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Grundsatz: Keine Veränderung der sachenrechtlichen Voraussetzungen. 17 2. Besitzmittlung auf der Ebene des Zentralverwahrers (CBF). . . . . . . 17 3. Besitzmittlungswille des Zwischenverwahrers (Bank als CM oder NCM). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 4. Disparität zwischen der Änderung des Besitzmittlungswillens des Zentralverwahrers und derjenigen der Zwischenverwahrer. . . . . 18 5. Die dingliche Einigung und der Gutglaubenserwerb. . . . . . . . . . . 19 a) Dingliche Einigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) Gutglaubenserwerb. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 6. Die Zwischenbuchungen auf dem Konto des CCP . . . . . . . . . . . . 19 7. Zeitpunkt des Erwerbs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 a) Dingliches Geschäft und AGB-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . 20 b) Der Lieferreport als einheitlicher Bezugspunkt. Vergleich von altem und neuem System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Frage 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Frage 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Frage 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 Frage 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
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I. Die Einführung des Zentralen Kontrahenten (CCP) an der Frankfurter Wertpapierbörse Im bisherigen System der Frankfurter Wertpapierbörse (FWB) kommen die Geschäftsabschlüsse zwischen den Handelsteilnehmern direkt zustande. Sie werden sodann der Clearstream Banking Frankfurt (CBF) mitgeteilt, die an der dinglichen Erfüllung, d.h. der Übereignung der Stücke (und der Bezahlung) dadurch mitwirkt, dass CBF das bei ihr unterhaltene Depotkonto der Bank des Verkäufers belastet und der Bank, die für den Käufer handelt, eine entsprechende Girosammeldepotgutschrift (GS-Gutschrift) erteilt; gleichzeitig wird der Bank des Verkäufers Gutschrift des Kaufpreises erteilt. Das Risiko einer verspäteten Erfüllung oder Nichterfüllung liegt bei den Handelsteilnehmern. Im künftigen System wird ein Zentraler Kontrahent (Central Counterpart = CCP) in die Geschäftsabschlüsse eingeschaltet. Der CCP wird als Vertragspartei zwischen die beiden Handelsteilnehmer (Käufer und Verkäufer) eingeschoben und unmittelbare Vertragspartei eines jeden Handelsteilnehmers. Will also jemand Wertpapiere verkaufen und findet er einen Käufer, so wird CCP Käufer des Verkäufers und zugleich Verkäufer an den Käufer. Als Vertragspartei ist der CCP für die Erfüllung der Geschäfte verantwortlich, er hat also die Folgen eines Verzugs oder einer Nichtleistung zu tragen. Auf schuldrechtlicher Ebene werden sämtliche Forderungen und Verbindlichkeiten bezüglich Geldzahlungen und Wertpapierübertragungen aufgrund von Börsengeschäften eines Handelsteilnehmers in einem bestimmten Wertpapier, getrennt nach Eigen- und Kundenkonto, beim CCP gebucht und zu einer Nettoforderung bzw. Nettoverbindlichkeit aufgerechnet (Netting). Im Ergebnis besteht nur diese Nettoforderung bzw. Nettoverbindlichkeit bezogen auf eine Geldzahlung oder Wertpapierübertragung. Die in die Clearing-Bedingungen bzw. Clearing-Vereinbarungen des CCP aufzunehmenden Aufrechnungsregelungen finden Anwendung in der Rechtsbeziehung zwischen CCP und den Clearing-Mitgliedern (CMs) (1. Stufe). In der Rechtsbeziehung zwischen Clearing-Mitgliedern und anderen Börsenteilnehmern, die nicht Clearing-Mitglieder sind (NCMs) (2. Stufe), sollen inhaltsgleiche Aufrechnungsregelungen vereinbart werden. Sie bewirken, dass jeweils je Wertpapiergattung, getrennt nach Eigenhandelsund Kundenkonto, nur ein Lieferanspruch entsteht. Es erfolgt somit lediglich ein „Spitzenausgleich“ der Netto-Lieferansprüche. Die Lieferinstruktionen zur Übertragung von Girosammeldepotanteilen werden quantitativ auf diese Netto-Lieferansprüche reduziert. Im Verhältnis zwischen Clearing-Mitgliedern und deren Kunden (Endkunden) sowie im Verhältnis von Nicht-Clearing-Mitgliedern (NCMs) und deren Kunden (3. Stufe) finden die Aufrechnungsregelungen, die in den Clearing-Bedingungen bzw. den Clearing-Vereinbarungen des CCP enthal-
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ten sind, keine Anwendung. Vielmehr obliegt es den Clearing-Mitgliedern (CMs) und den Nicht-Clearing-Mitgliedern (NCMs), im Verhältnis zu ihren Kunden die Abwicklung von Wertpapiergeschäften durch Übertragung von Girosammeldepotanteilen auf diese Kunden vorzunehmen. In diesen Rechtsbeziehungen sind im neuen System quantitativ mehr Übereignungen von Girosammeldepotanteilen (Bruttolieferansprüche) vorzunehmen als auf der vorhergehenden ersten Stufe. Ferner erhalten alle CMs und NCMs verschiedene Berichte (Reports), die bezüglich der von ihnen zu bewirkenden Übertragung von Girosammeldepotanteilen an Wertpapieren auf ihre Kunden alle Einzelgeschäfte aufzeigen. Allen CMs und NCMs werden vom CCP nämlich folgende abwicklungsbezogene Daten zur Verfügung gestellt: (1) Soll-Lieferreport: Welche (aufgerechneten) Geschäfte sind zu erfüllen und welche Einzelgeschäfte (Brutto-Basis) verbergen sich dahinter? Dieser Report beinhaltet auch die internen Geschäfte eines Hauses zwischen dessen Kunden. (2) Ist-Lieferreport: Welche (aufgerechneten) Geschäfte wurden tatsächlich (ganz bzw. teilweise) beliefert und welche Einzelgeschäfte (Kunden) haben dadurch ihre Stücke erhalten? Auch hier sind die internen Geschäfte zwischen Kunden der gleichen Bank enthalten. (3) Fail-Report: Welche (aufgerechneten) Geschäfte wurden nicht (teilweise) beliefert und welche Einzelgeschäfte (Kunden) haben dadurch keine Stücke erhalten? Der Soll-Lieferreport enthält alle relevanten Informationen, die derzeit der Lieferliste von CBF zu entnehmen sind. Der Ist-Lieferreport wiederum enthält alle relevanten Informationen der CBF-Regulierungsliste. Zusätzlich erhalten die CMs und NCMs noch weitere handelsbezogene Daten: Handelsschlussnoten (Geschäftsbestätigungen auf Teilausführungsbasis. Diese Schlussnoten umfassen alle Einzelgeschäfte einschließlich Teilausführungen) und Abwicklungsschlussnoten (Geschäftsbestätigungen auf Netto-Basis. Diese Schlussnoten beinhalten auch auf der Basis der jeweils gewählten Reduktion von Lieferinstruktionen nur zusammengefasste Geschäfte im Account-Level). Im Vergleich zum bisherigen System sind die Lieferreports des Zentralen Kontrahenten (CCP) neu. Ein Lieferreport wird immer am Ende eines Verrechungszyklus bereitgestellt. Nach derzeitiger Praxis gibt es 3 Verrechnungszyklen täglich auf der Wertpapierseite und 2 Verrechnungszyklen auf der Geldseite. Die CMs können aus diesen Reports alle getätigten Geschäfte (brutto) und die Aufrechnungen erkennen. Sie erhalten ferner künftig wie bisher den Regulierungsdatenträger des Zentralverwahrers CBF, aber nunmehr beschränkt auf die übertragenen Lieferspitzen (nach Aufrechnung).
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Die Übertragungen der (aufgerechneten) Spitzen von Wertpapierguthaben von dem bei CBF geführten Depotkonto eines CM auf das Depotkonto eines anderen CM soll künftig so erfolgen, dass jeweils eine Buchung auf dem bei CBF geführten Depotkonto des Zentralen Kontrahenten (CCP) zwischengeschaltet ist. Der CCP soll jedoch nicht Eigentümer dieser bei ihm zwischengebuchten Wertpapiere werden. Die dingliche Erfüllung von Börsengeschäften auf der Ebene der Kunden der Clearing-Mitglieder/Banken bzw. der NCMs (bei Kommissionsgeschäften) soll Zug um Zug in dem Zeitpunkt eintreten, zu dem (i) von der CBF alle Buchungen vom Depot des CCP bezüglich der vom CCP verrechneten Börsengeschäfte auf die Depots der zu beliefernden Clearing-Mitglieder vorgenommen wurden, (ii) der jeweilige CBF-Geldverrechnungszyklus abgeschlossen wurde und (iii) den Clearing-Mitgliedern/Nicht-Clearing-Mitgliedern vom CCP die vorgenannten Ist-Lieferreports (zum Abruf) bereitgestellt wurden. Darüber hinaus soll auch bei Eigengeschäften von CMs und NCMs die dingliche Erfüllung solcher Börsengeschäfte gleichfalls in der vorbeschriebenen [5] Weise bewirkt werden, so dass alle unter Einbeziehung des CCP zu erfüllenden Geschäfte durch ein einheitliches (zentrales) Ereignis, nämlich die zur Verfügungstellung der vorgenannten Ist-Lieferreports durch den CCP, dinglich erfüllt werden (sofern auch die beiden anderen vorgenannten Bedingungen zu (i) und (ii) erfüllt sind). Die Abteilung Legal Affairs der Deutschen Börse AG hat das neue Modell in vier Übersichten dargestellt, die i.F. wiedergegeben werden. Diagramme zum neuen System des CCP
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II. Rechtsfragen, Problembeschreibung und Thesen 1. Rechtsfragen Die folgenden Rechtsfragen sind zu beantworten: a) Kann im neuen System der Geschäftsabwicklung mit Hilfe des Zentralen Kontrahenten (CCP) dem Erwerber sammelverwahrter oder durch eine verwahrte Sammelurkunde repräsentierter Wertpapiere in rechtssicherer Weise Eigentum verschafft werden? Dabei sind auch Einwände gegen das bisher praktizierte System der Girosammelverwahrung und des Effektengiroverkehrs zu berücksichtigen. b) Kann die Eigentumsverschaffung im Kommissionsgeschäft der Banken durch die bloße Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses auf der Stufe Bank-Kunde, d.h. durch die Verschaffung des mittelbaren Besitzes, erfolgen, oder ist hierfür eine Änderung des Besitzwillens der Clearstream Banking Frankfurt (CBF) als unmittelbarem Fremdbesitzer und Besitzmittler im Verhältnis CBF-Bank, d.h. auf der ersten Stufe der Besitzkette, erforderlich? c) Sollte Frage 2 im letzteren Sinne zu beantworten sein, so soll geprüft werden, ob der im jeweiligen Besitzmittlungsverhältnis CBF-Bank beste-
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hende Besitzwille der CBF als so umfassend angelegt angesehen werden kann, dass jede Umstellung eines Besitzmittlungsverhältnisses auf der Stufe Bank-Kunde zugleich zu einer Änderung des Besitzwillens auf der ersten Stufe im Verhältnis CBF-Bank führt. d) Zu welchem Zeitpunkt tritt der dingliche Rechtserwerb ein, falls er gem. 1 bejaht werden kann? 2. Problembeschreibung a) Aufrechnung und dingliche Erfüllung im neuen System Eines der Ziele des neuen Systems des zentralen Kontrahenten (CCP) ist es, die Anzahl der Wertpapiertransaktionen im Verhältnis zwischen dem Zentralverwahrer CBF und den Clearing-Teilnehmern (CMs) zu verringern und auf den Spitzenausgleich zu beschränken. Dieser Spitzenausgleich wird durch entsprechende Zu- und Abbuchungen in den vom Zentralverwahrer CBF geführten Depotkonten ausgeführt; nur hier kann man von einem Nettoprinzip sprechen. Auf der Ebene der von den CMs als Zwischenverwahrern geführten Depotkonten ihrer Kunden (NCMs) werden Depotbuchungen im vollen Umfang der von diesen Kunden getätigten Umsätze vorgenommen; anders nur, wenn ein Kunde am gleichen Tag Stücke der gleichen Wertpapiergattung veräußert und erwirbt. Die sachenrechtliche Seite ist von der schuldrechtlichen Seite nach deutschem Recht grundsätzlich zu trennen (Abstraktionsprinzip). Auf der schuldrechtlichen Seite findet eine Aufrechnung der gegenseitigen vertraglichen Ansprüche auf Lieferung von Wertpapieren der gleichen Art statt. Es handelt sich der Rechtswirkung nach um eine Aufrechnung i.S. §§ 387 ff. BGB mit der Besonderheit, dass die Teilnehmer des Systems zuvor vertraglich (in AGB) die Einzelheiten festgelegt haben, nämlich sowohl die Aufrechnungserklärung (durch bestimmte Buchungsvorgänge) als auch die Aufrechnungswirkung zu einem bestimmten Zeitpunkt. Durch diesen zuvor geschlossenen „Vertrag über Aufrechnung“ wird in rechtlich zulässiger Weise die Schwierigkeit vermieden, dass das einseitige Aufrechnungsgeschäft gem. § 388 Satz 2 BGB bedingungsfeindlich ist1. Als Ergebnis der Aufrechnung entstehen meist Salden nicht aufgerechneter Rechtsansprüche („Spitzen“). Diese Spit-
1 Zum Aufrechnungsvertrag in diesem Sinne grundlegend K. P. Berger, Der Aufrechnungsvertrag. Aufrechnung durch Vertrag, Vertrag über Aufrechnung, 1995. Vgl. auch BGH NJW 1970, 41, 42; BGHZ 74, 254 = WM 1979, 719; 94, 135 = WM 1985, 696 = WuB II G. § 35 GmbHG 1.85 U. H. Schneider u. WuB IV A. § 387 BGB 3.86 U. H. Schneider; Jauernig/Stürner, BGB, 9. Aufl. 1999, § 387 Rdn. 15.
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zen sind sachenrechtlich zu erfüllen. Auf sie bezieht sich die dingliche Erfüllung der Miteigentumsanteile auf den Ebenen CBF-CM und CM-NCM. b) Anforderungen an das System der dinglichen Erfüllung Das derzeit bestehende System und ebenso das neue System muss selbstverständlich eine rasche und eindeutige Zuordnung der erworbenen Wertpapiere zu ihrem neuen Eigentümer ermöglichen. Es muss ferner sicherstellen, dass die vom Kunden veräußerten oder erworbenen Wertpapiere in der Insolvenz der Bank, die als Drittverwahrer (§ 3 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 3 DepotG) oder als Kommissionär fungiert, ausgesondert werden können, also insolvenzfest sind. Zugleich soll das System die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs bei der Übertragung und Verpfändung der Anteile ermöglichen2. Zwar muss man bezweifeln, dass die Fälle gutgläubigen Erwerbs eine größere praktische Bedeutung im Bereich der Girosammelverwahrung haben3. Gleichwohl wird der Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs eine erhebliche Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Wertpapiermarktes beigemessen4. Bereits der Gesetzgeber des BGB hat ein solches Bedürfnis dadurch anerkannt, dass er einen gesteigerten Gutglaubensschutz auch bei abhanden gekommenen Inhaberpapieren in § 935 Abs. 2 BGB vorsah. Man wird bei Girosammelverwahrung die Bedeutung des gutgläubigen Erwerbs vor allen in einem psychologischen Moment sehen müssen: Das Vertrauen des Verkehrs in die Funktionsfähigkeit des Systems und die Sicherheit des Rechtserwerbs muss auf jeden Fall gewahrt werden. 3. Gang der Untersuchung und Thesen Im Folgenden wird zunächst die dingliche Erfüllung nach bisherigem System dargestellt(II). Anschließend werden gesondert die dagegen neuerdings von Einsele und Habersack/Mayer vorgebrachten Einwände erörtert (III). Sodann wird das neue System hinsichtlich der sachenrechtlichen Erfüllung dargestellt und bewertet (IV). Die schuldrechtliche Seite wird jeweils nur insoweit untersucht, als es zur Beurteilung der sachenrechtlichen Seite erforderlich ist. [8]
2 Zu beiden Anforderungen Than, Festschr. Schimansky, hrsg. Horn/Lwowski/Nobbe, 1999, S. 821, 822, 833; Habersack/Mayer, WM 2000, 1678. 3 Zutr. Habersack/Mayer, WM 2000, 1678, 1682. 4 Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Bearb. 1981, Rdn. 2026; Koller, DB 1972, 1905; Gößmann, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. 2, 2001, § 72 Rdn. 114.
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Die Untersuchung gilt der Überprüfung und Bestätigung folgender Thesen: (1) Das bestehende System der Girosammelverwahrung ist sachenrechtlich (und damit auch insolvenzrechtlich) wirksam und zwar sowohl für den Regelfall des § 5 DepotG als auch im Fall der Sammelurkunde gem. § 9a DepotG. Die dagegen vorgebrachten Einwände treffen nicht zu. (2) Aus dem bestehenden System und seiner rechtlichen Bewertung lässt sich ohne weiteres die sachenrechtliche Grundlage des neuen Systems des Zentralen Kontrahenten (CCP) entwickeln.
III. Die dingliche Erfüllung im bisherigen System des Effektengiroverkehrs 1. Modell der Girosammelverwahrung: Die Wertpapierinhaber sind Miteigentümer und Mitbesitzer a) Miteigentümer Bei der Girosammelverwahrung gem. § 5 DepotG hat die Wertpapiersammelbank (Zentralverwahrer), hier die CBF5, den unmittelbaren Besitz an den sammelverwahrten Wertpapieren. Die Wertpapierinhaber haben die Rechtsstellung von „Hinterlegern“6. Sie sind Miteigentümer des Sammelbestandes und bilden eine Gemeinschaft nach Bruchteilen gem. §§ 1008, 741 BGB7. Das Bruchteileigentum besteht nach h.M. an jeder einzelnen Wertpapierurkunde des Sammelbestandes8. Jeder Hinterleger hat eine einheitliche Miteigentumsquote; ihr Umfang errechnet sich aus dem Verhältnis der vom Hinterleger eingelieferten Menge zur Gesamtzahl der in dem betreffenden Sammeldepot verwahrten Wertpapierurkunden der gleichen Art9. Aus diesem Verhältnis ergibt sich das Wertpapier-Guthaben des Einlieferers als Summe seiner Rechte; die Miteigentumsrechte an den einzelnen Stücken haben daneben keine eigenständige Bedeutung10. Über dieses Guthaben, das (ungenau) als Anzahl der einzelnen Wertpapiere („Stücke“) ausgedrückt wird, die dem Hinterleger gehören, kann der Hinterleger (Wertpapierinhaber) ganz oder teilweise verfügen.
CBF ist derzeit einzige Werpapiersammelbank; Einsele, WM 2001, 7, 8; dort auch zur Rolle der EZB als Wertpapiersammelbank. 6 Dies wird auf den Zeitpunkt der Bildung des betr. Wertpapiersammeldepots bezogen. Die aktuellen Wertpapierinhaber sind Rechtsnachfolger dieser Hinterleger. 7 Opitz, DepotG, 2. Aufl. 1955, S. 151; Heinsius/Horn/Than, DepotG, 1975, § 6 Rdn. 16; Kumpel, Depotgeschäft, in: BuB, Rdn. 8/50a; Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2115. 8 Die h.M schließt dies aus § 6 Abs. 1 DepotG; Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2116. 9 Zu den Einzelheiten Kumpel, BuB, Rdn. 8/50a. 10 Zutr. Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2117; Kumpel, BuB, Rdn. 8/50b. 5
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b) Mittelbare Mitbesitzer Die Hinterleger als Wertpapierinhaber und Miteigentümer haben mittelbaren Mitbesitz an den sammelverwahrten Wertpapierurkunden. Dieses Besitzmittlungsverhältnis besteht jedoch nicht direkt zwischen dem privaten Kunden und dem Zentralverwahrer (CBF). Vielmehr sind regelmäßig Besitzmittler zwischengeschaltet, nämlich auf jeden Fall die Banken, die direkt am Clearing teilnehmen (CMs) und Konten bei der CBF unterhalten. Sie sind Zwischenverwahrer i.S. § 3 Abs. 1 Satz 1 DepotG. Hinzutreten aber ggf. noch weitere Zwischenverwahrer (Banken oder Finanzinstitute), die zwar am Börsenhandel, aber nicht am Clearing direkt teilnehmen (NCMs) und den Besitz ihren Kunden mitteln. Auf diese Weise entsteht mehrstufiger mittelbarer Besitz i.S. § 871 BGB mit den Wertpapierinhabern als mittelbaren Mitbesitzern. Diese stehen als Oberbesitzer an der Spitze der Besitzmittlungspyramide11. Das Besitzmittlungsverhältnis wird nach h.M. dadurch konkretisiert, dass der Wertpapierinhaber einen schuldrechtlichen Herausgabeanspruch analog §§ 556 Abs. 3, 604 Abs. 4 BGB hat. Daneben besteht sein dinglicher Herausgabeanspruch als Eigentümer gem. § 985 BGB. Beide Ansprüche sind allerdings modifiziert durch die § 7 Abs. 1 und § 8 DepotG12. c) Sammelurkunde gem. § 9a DepotG Die grundsätzlich gleiche sachenrechtliche Gestaltung (Miteigentum und mittelbarer Mitbesitz der Wertpapierinhaber) gilt nach h.M., wenn eine dauernde Sammelurkunde i.S. § 9a DepotG anstelle einzelner Wertpapiere ausgestellt ist und der Anspruch auf Auslieferung einzelner Stücke gem. § 9a Abs. 3 Satz 2 DepotG ausgeschlossen ist13. Diese Möglichkeit ist in § 10 Abs. 5 AktG generell für Aktien eingeräumt. d) Namensaktien Die Namensaktie, die in den letzten Jahren in der Praxis stark im Vordringen ist und durch das Namensaktiengesetz14 gefördert wurde, ist in den Effektengiroverkehr einbezogen15. Namensaktien werden als Orderpapiere
Allg. zu den Einzelheiten vgl. Einsele, Wertpapierrecht als Schuldrecht 1995, S. 30 f.; vgl. allg. auch Kümpel, BuB, Rdn. 8/14. 12 Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2119; Palandt/Thomas, BGB, 60. Aufl. 2001, § 691 Rdn. 1; Kumpel, BuB, Rdn. 8/ 15. 13 Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 9a Rdn. 1. 14 G zur Namensaktie und zur Erleichterung der Stimmrechtsausübung – NaStraG – v. 18.1.2001, BGBl. I, S. 123; dazu Seibert, ZIP 2001, 53 ff. 15 Zum Abwicklungs- und Verwahrsystem CASCADE der CBF Goedecke/Heuser, BB 2001, 369; Reuter/Tiebrake, FinanzBetrieb 2000, 714 ff. 11
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regelmäßig durch Einigung und Indossament sowie Besitzverschaffung übertragen16. Bei Blankoindossament genügt (in sinngemäßer Anwendung des Art. 14 Abs. 2 Nr. 3 WG) die Übereignung gem. §§ 929 ff. BGB und die Besitzverschaffung; es findet also eine Annäherung an Inhaberpapiere statt17. Für die Sammelverwahrung sind nur blankoindossierte Wertpapiere geeignet. Denn nur sie gelten als vertretbar i.S. § 5 Abs. 1 Satz 1 DepotG und sind damit sammeldepotfähig18. Üblich ist heute auch hier die Ausstellung von Sammelurkunden, die ebenfalls blanko indossiert und beim Sammelverwahrer CBF hinterlegt sind. Es ergeben sich hinsichtlich der Übertragung im Effektengiroverkehr keine wesentlichen Unterschiede zur Inhaberaktie19. Insbesondere ist die Eintragung der Namensaktien im Aktienregister (§ 67 AktG) für die Übertragung ohne Bedeutung. Sie ist nur für die Ausübung der Aktionärsrechte gegenüber der AG maßgeblich (vgl. § 67 Abs. 2 AktG). Die an der Übertragung mitwirkenden Kreditinstitute sind verpflichtet, der AG die Übertragung mitzuteilen und dadurch die Eintragung im Aktienre gister zu ermöglichen (§ 67 Abs. 4 AktG). [9] Vinkulierte Namensaktien können nur dann zu Eigentum erworben werden, wenn der Vorstand der betreffenden AG gem. § 68 Abs. 2 Satz 1 AktG seine Zustimmung erteilt20. Die Vertretbarkeit vinkulierter Namensaktien als Voraussetzung ihrer Eignung zur Sammelverwahrung wird durch die Vinkulierung grundsätzlich nicht beeinträchtigt21. Selbstverständliche Voraussetzung ist auch hier die Blanko-Indossierung22. Allerdings sind vinkulierte Namensaktien trotz Vertretbarkeit nur dann für die Wertpapiersammelverwahrung geeignet, wenn sichergestellt ist, dass durch die Praxis der Zustimmungserteilung durch den Emittenten die Verkehrsfähigkeit der vinkulierten Namensaktien nicht beeinträchtigt wird23. Dies wird durch eine entsprechende Zusage der Emittenten und einen entsprechenden Vorbehalt der Rücknahme der Börsenzulassung sichergestellt24.
16 Auch wenn § 68 Abs. 1 Satz 1 AktG n.F. diese Übertragungsart nur noch fakultativ vorsieht („können“). 17 Hüffer, AktG, 4. Aufl. 1999, § 68 Rdn. 5 m.w.N. 18 Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 5 Rdn. 25 und § 1 Rdn. 25; Gößmann, a.a.O. (Fn. 4), § 72 Rdn. 75 ff. 19 Hüffer, a.a.O. (Fn. 17), m. N. 20 Einzelheiten m. N. bei Hüffer, a.a.O. (Fn. 17), § 68 Rdn. 10 ff. 21 Kümpel, BuB, Rdn. 8/85; Lutter, in: Kölner Komm. AktG, 2. Aufl. 1988, § 68 Rdn. 16; Heißel/Kienle, WM 1993, 1909, 1910. 22 Kümpel, BuB, Rdn. 8/85. 23 Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 5 Rdn. 30; Heißel/Kienle, WM 1993, 1909, 1910; Kumpel, BuB, Rdn. 8/85. 24 Kümpel, BuB, Rdn. 8/85; Heißel/Kienle, WM 1993, 1909, 1910.
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2. Die Besitzübertragung sammelverwahrter Wertpapierurkunden a) Änderung des Besitzmittlungswillens Die Besitzverschaffung an den Erwerber geschieht dadurch, dass – zunächst modellhaft beschrieben – der Verkäufer seinen Besitzmittler anweist, statt für ihn die betreffenden Wertpapiere nunmehr für den Erwerber zu besitzen, und dass der Besitzmittler seinen Besitzmittlungswillen entsprechend umstellt und einen Besitzmittlungswillen für den Erwerber begründet. Darin liegt die Verschaffung mittelbaren Besitzes, ohne dass der Herausgabeanspruch abgetreten wird, so dass kein Tatbestand des § 931 BGB vorliegt25. Nach h.M. liegt darin ein Übergabetatbestand des § 929 BGB26. Die Änderung des Besitzmittlungswillens tritt durch die entsprechenden Buchungsvorgänge nach außen hervor. Bei einer Eigentumsübertragung, an der ein Endkunde oder ein NCM beteiligt ist und wo demnach ein zweistufiges Besitzmittlungsverhältnis i.S. § 871 BGB vorliegt (CBF-CM und CM-NCM/Endkunde; vgl. vorstehend II 1b), sind zwei Fälle zu unterscheiden: (1) die Übertragung findet zwischen zwei Kunden derselben Bank (CM) statt oder (2) zwischen Kunden verschiedener Banken (CMs). (1) Im ersteren Fall muss nur die Bank (CM) ihren Besitzwillen umstellen und neuen Besitzwillen für den Erwerber begründen. Auf der nächsten Besitzmittlungsstufe mittelt CBF unverändert der gleichen Bank (CM) den Besitz bezüglich der betreffenden Wertpapiere; ob CBF dabei ihren Besitzmittlungswillen (gegenüber dem CM) irgendwie ändern muss, ist noch i.F. (b) zu erörtern und im Ergebnis zu verneinen. (2) Im zweiten Fall ist es (im derzeitigen System der Bruttobuchungen bei CBF) erforderlich, dass CBF ihren Besitzmittlungswillen umstellt und für den CM des Erwerbers Besitzmittlungswillen neu begründet, was durch Gutschrift auf dem Konto des betreffenden CM dokumentiert wird. Allerdings stellt im Tagesergebnis CBF seinen Besitzmittlungswillen nur im Umfang des Saldos um, der sich aus der Verrechnung aller
Vielmehr liegt eine Weisung an den Besitzmittler CBF vor. Der Fall stimmt insoweit mit dem Tatbestand des sog. Geheißerwerbs überein; dazu Hübner, Allg. Teil des BGB, 2. Aufl. 1996, Rdn. 1184. Der Fall unterscheidet sich aber in einem wesentlichen Punkt vom Geheißerwerb; dort wird kein Rechtsverhältnis zwischen unmittelbarem Besitzer und Anweisendem vorausgesetzt, während in unserem Fall ein rechtlich begründetes Besitzmittlungsverhältnis zwischen CBF und anweisendem mittelbaren Besitzer (CM) besteht. 26 BGH NJW 1959, 1536; 1537 f.; BGH WM 1971, 742 = NJW 1971, 1608; BGHZ 92, 280, 288 = WM 1984, 1606; Palandt/Bassenge, BGB, 60. Aufl. 2001, § 929 Rdn. 14; vgl. auch Kümpel, BuB, Rdn. 8/ 75a. 25
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Wertpapiergeschäfte ergibt, die dieser CM getätigt hat27. Zugleich muss dieser CM Besitzmittlungswillen für den Erwerber neu begründen, was er auf dem von ihm geführten Depotkonto des Erwerbers durch Gutschrift dokumentiert28. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Clearstream Banking AG (CBF) (Stand März 2001) sehen dazu in Nr. 8 (1) folgendes vor: (1) Übergang des Mitbesitzes an Sammelbestandteilen eines Girosammelbestandes Die CBF verschafft ihren Kunden den Besitz an den bei ihr unmittelbar oder mittelbar verwahrten Sammelbestandteilen eines Girosammelbestandes. Der Übergang des Mitbesitzes ihrer Kunden (Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses) an Sammelbestandteilen in Wertpapieren vollzieht sich in der Weise, dass (a) die CBF auf Anweisung des Kunden 1 dessen Depotkonto belastet und dem Depotkonto des Kunden 2 den entsprechenden Sammelbestandanteil gutschreibt, und (b) die CBF als unmittelbare Besitzerin aufgrund der Anweisung zu a) ihr Besitzmittlungsverhältnis vom Kunden 1 auf den Kunden 2 umstellt. Durch die Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses wird die Übergabe des sammelverwahrten Wertpapiers an den Kunden 2 ersetzt. Nach außen tritt die Änderung des Besitzmittlungswillens des Zentralverwahrers CBF (i.S. Nr. 8 (1) (b) AGB) dadurch hervor, dass die entsprechenden Belastungen und Gutschriften (i.S. Nr. 8 (1) (a) AGB) auf den von CBF geführten Konten der CMs durchgeführt werden. Die an der Übertragung mitwirkenden Banken (CMs und NCMs) stellen ebenfalls ihren Besitzmittlungswillen um, indem sie entsprechende Buchungen auf den bei ihnen geführten Depotkonten ihrer Kunden, die als Veräußerer oder Erwerber aufgetreten sind, (entsprechend dem Regulierungsdatenträger der CBF) vornehmen. b) Inhalt des Besitzmittlungswillens Im Rahmen des bisher bestehenden Wertpapier-Giroverkehrs erhält der Zentralverwahrer (CBF) die Buchungsdaten über alle getätigten Veräußerungs- und Erwerbsgeschäfte über die verwahrten Wertpapiere. CBF kennt
Vgl. auch i.F. b und nachstehend IV.4. Diese Gutschrift erfolgt in der Praxis – vorläufig – bereits aufgrund des Regulierungsdatenträgers. Erst am Liefertag erfolgt die Begründung des entsprechenden Besitzmittlungswillens. 27 28
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also Art und Anzahl der Wertpapiere und die Ordernummer des betreffenden Geschäfts, nicht aber die Identität der Vertragsparteien. Gleichwohl könnte man aus der (freilich beschränkten) Kenntnis der Einzelgeschäfte schließen, dass der Zentralverwahrer CBF jeweils einen auf die Enderwerber gerichteten Besitzmittlungswillen hat, und diesen bei Vornahme der Buchungen entsprechend ändert und auf den neuen Enderwerber abstellt. Gegen diese Annahme spricht aber, dass der Zentralverwahrer CBF Buchungen jeweils nur auf den Depotkonten der Clearing-Mitglieder (CMs) vornimmt. Privatpersonen können nach Nr. 2 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Clearstream Banking AG [10] (CBF) nicht Kunden der CBF sein; der Kreis der Kunden ist auf „Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute mit Sitz im In- und Ausland“ beschränkt, die nach Antrag und Prüfung gem. Nr. 3 der AGB zugelassen sind. Für diese Clearing-Mitglieder (CMs) will der Zentralverwahrer CBF besitzen, auch wenn er weiß, dass die CMs als Zwischenverwahrer den Besitz mit Ausnahme der Eigenbestände an andere Personen, nämlich NCMs und Privatkunden, weitermitteln. Die ClearingMitglieder verarbeiten die Buchungsdaten dann weiter, indem entsprechende Gutschriften und Lastschriften für die Kunden der betreffenden Bank als die Veräußerer und Erwerber der Wertpapiere erteilt werden. Es besteht, wie bereits (II 1b) bemerkt, zweistufiger mittelbarer Mitbesitz der Kunden als Wertpapierinhaber29. Der Zentralverwahrer CBF konkretisiert seinen Besitzmittlungswillen durch Gutschrift auf den Depotkonten der CMs und erklärt damit seinen Besitzmittlungswillen diesen gegenüber. In der Praxis ist freilich die Vorstellung verbreitet, dass sich der Besitzmittlungswille auch des Zentralverwahrers CBF auf die endbegünstigten Wertpapierinhaber (jedenfalls im Fall des Neuerwerbs sammelverwahrter Wertpapiere) richtet, weil CBF weiß, dass der dem einzelnen CM gutgeschriebene Depotbestand, soweit er nicht Eigenbestand der betreffenden Bank ist, vom CM an dessen einzelne Kunden (oder weitere Zwischenverwahrer) weitergemittelt wird. Aus den bereits genannten Gründen mittelt der Zentralverwahrer CBF aber nur seinen CMs den Besitz. Dies führt zu der Frage, welchen Inhalt der Besitzmittlungswille bei mehrstufigem Besitzmittlungsverhältnis i.S. § 871 BGB haben muss, insbesondere, ob und in welcher Weise, der unmittelbare Besitzer (hier: CBF) in seinen Besitzmittlungswillen gegenüber seinem nächsten mittelbaren Besitzer (hier: CMs) die weitere Mittlung des Besitzes an fernere Oberbesitzer (NCMs und Privatkunden) aufnehmen muss. Das BGB geht jedoch in § 871 von einer
29 Im Ergebnis ebenso Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 6 Rdn. 33 und bezüglich Besitzübertragung Rdn. 85, freilich noch auf der Grundlage des alten Systems der roten Wertpapierschecks. Krit. Einsele, WM 2001, 7, 11 (dazu näher nachstehend III 1).
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getrennten Betrachtung der hintereinandergeschalteten Besitzmittlungsverhältnisse und des entsprechenden Besitzwillens aus. Mehrstufiger mittelbarer Besitz kann bei Vorliegen eines einfachen Besitzmittlungsverhältnisses sowohl dadurch entstehen, dass der unmittelbare Besitzer seinen unmittelbaren Besitz abgibt und selbst nur mittelbaren Besitz aufgrund eines entsprechenden Rechtsverhältnisses i.S. § 868 BGB behält, als auch dadurch, dass der mittelbare Besitzer seinen Besitz nunmehr einem Dritten mittelt und mit diesem ein Rechtsverhältnis i.S. § 868 BGB begründet. Der jeweilige mittelbare Besitz auf den verschiedenen Stufen kann dabei gleichzeitig oder nacheinander begründet werden30. Der unmittelbare Besitzer und Besitzmittler muss im Fall des mehrstufigen mittelbaren Besitzes i.S. § 871 BGB seinen Besitzmittlungswillen überhaupt nicht auf die Frage einer weiteren Besitzmittlung durch seine mittelbaren Besitzer an Dritte richten31. Der Bundesgerichtshof hat dazu ausdrücklich entschieden, dass „der höherstufige mittelbare Besitz nicht davon abhängig (ist), dass der unmittelbare Besitzer ihn kennt“32. Er muss erst recht nicht die Personen kennen, denen sein mittelbarer Besitzer den Besitz weitermittelt33. Daraus folgt, dass der Zentralverwahrer CBF als unmittelbarer Besitzer und Besitzmittler in zulässiger Weise seinen Besitzmittlungswillen auf das Besitzmittlungsverhältnis zu seinem (nächsten) mittelbaren Besitzer (hier: die CMs) beschränkt. Unschädlich ist insbesondere, das schon nach dem bestehenden System der Zentralverwahrer CBF im Fall des Erwerbs von Wertpapieren durch NCMs und Privatkunden diese als Person nicht kennt, sondern seine Kenntnis, wie dargelegt, auf die nach Ordernummern identifizierbaren Einzelgeschäfte beschränkt ist. Auf irgendeine konkrete Kenntnis des Besitzmittlungsverhältnisses nächs ter Stufe und einen entsprechenden Besitzwillen kommt es nach alledem im mehrstufigen Besitzmittlungsverhältnisses i.S. § 871 BGB nicht an. Davon streng zu trennen ist die Tatsache, dass natürlich der Besitzmittlungswillen auf allen Stufen des mehrstufigen Besitzmittlungsverhältnisses sich auf die gleichen Gegenstände (hier: die gleichen Wertpapiere) richten muss und insoweit sachlich den gleichen Umfang auf allen Stufen hat. Andernfalls käme es nicht zu einer wirksamen Mittlung des Besitzes über die mehreren Stufen hinweg. Im Ergebnis ist also im gestuften Besitzmittlungsverhältnis i.S. § 871 BGB der Besitzmittlungswille auf beiden Stufen (CBF-CMs und CMs-NCMs/ Endkunden) zwar auf die gleichen Wertpapierbestände gerichtet und inso MünchKomm/Joost, BGB, 3. Aufl. 1997, § 871 Rdn. 2. BGH JZ 1964, 130 = LM BGB § 871 Nr. 1; Staudinger/Bund, BGB, 13. Aufl., § 871 Rdn. 2; MünchKomm/Joost, a.a.O. (Fn. 30), § 871 Rdn. 2. 32 BGH JZ 1964, 130 = LM BGB § 871 Nr. 1. 33 Staudinger/Bund, a.a.O. (Fn. 31), § 871 Rdn. 2; MünchKomm/Joost, a.a.O. (Fn. 30), § 868 Rdn. 17 und § 871 Rdn. 2. 30
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fern im sachlichen Umfang gleich. Aber er unterscheidet sich auf den beiden Stufen hinsichtlich der Personen, denen der Besitz gemittelt wird: Der Zentralverwahrer CBF richtet seinen Besitzmittlungswillen in rechtlich relevanter Weise nur auf seine CMs und zwar hinsichtlich ihrer Wertpapierbestände, die CBF in den für die CMs geführten Verwahrkonten gebucht hat34. Jeder CM richtet seinen Besitzmittlungswillen hinsichtlich der für ihn vom Zentralverwahrer CBF gemittelten Wertpapier(fremd)bestände auf seine einzelnen Kunden (NCMs und Endkunden), deren Verwahrkonten bei ihm geführt werden. Bei Wertpapierumsätzen ist ein Besitzänderungswille erforderlich, d.h. der Wille an Stelle des bisherigen mittelbaren Besitzers nun für einen andern mittelbaren Besitzer zu besitzen. Der Umfang dieses Besitzänderungswillens (im Unterschied zum unveränderten Besitzmittlungswillen) kann nach dem Gesagten auf den beiden Besitzmittlungsebenen unterschiedlich groß sein und er ist es tatsächlich. Im Verhältnis der CMs zu ihren Kunden (NCMs und Endkunden) umfasst der Besitzänderungswille am Ende des Buchungszyklus regelmäßig alle getätigten Geschäfte35. Auf der Ebene CBF-CMs ändert sich der Besitzmittlungswille des Zentralverwahrers CBF am Ende eines Buchungszyklus dagegen nur im Umfang der Salden (Spitzenbeträge) als Ergebnis des Clearing. Dieser Umstand wird freilich im bisher bestehenden System dadurch etwas verdunkelt, dass während des Buchungszyklus alle Einzelgeschäfte nacheinander (brutto) bei CBF gebucht werden. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Zentralverwahrer CBF im Clearing seinen Besitzmittlungswillen in weitaus geringerem Umfang umstellt als die CMs in der [11] nächsten Stufe, kurz dass sein Besitzänderungswille im Tagesergebnis einen kleineren Umfang hat. Dieser Unterschied tritt im neuen System deutlicher hervor, ohne dass sich in der Sache viel ändert (dazu nachstehend IV.4) 3. Die Einigung über den Eigentumsübergang bei sammelverwahrten Wertpapieren a) Direkterwerb des Kunden Für den Regelfall der Auftragsausführung über den Börsenhandel (gem. Nr. 2 Abs. 3 Sonderbedingungen für Wertpapiergeschäfte) erwirbt der kaufende Privatkunde vom verkaufenden Privatkunden direkt ohne Durch Dabei wird lediglich zwischen Eigenbestand und Fremdbestand unterschieden. Davon bestehen Ausnahmen, soweit sich Verrechnungseffekte ergeben: (1) Ist der Kunde ein NCM, so kann sich eine Vielzahl von Verkäufen und Käufen der gleichen Wertpapierart aufrechnen lassen, so dass der CM insofern seinen Besitzmittlungswillen gegenüber dem NCM nicht verändern (und ihm weder Wertpapier zubuchen noch abbuchen) muss. (2) Ein Endkunde kann am gleichen Tag in der gleichen Wertpapierart gegenläufige Geschäfte tätigen (day trading), so dass sein Wertpapierguthaben unverändert bleibt. 34 35
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gangserwerb der Bank, die mit dem Verkauf oder dem Einkauf beauftragt ist. Bei der Verkaufskommission erwirbt der verkaufende Kommissionär (Bank) nach h.M. kein Eigentumsrecht36. Aber auch bei Festpreisgeschäften, bei denen der verkaufende Kunde einen Kaufvertrag mit der beauftragten Bank abschließt, hat diese kein Interesse an einem Durchgangserwerb; die Bank handelt vielmehr bei der Weiterübereignung aufgrund einer Ermächtigung ihres Kunden gem. § 185 Abs. 1 BGB37. Auch die mit dem Einkauf beauftragte Bank erwirbt grundsätzlich kein Durchgangseigentum. Zwar erwirbt der Einkaufskommissionär nach h.M. im Allgemeinen Eigentum, das er anschließend auf den Kommittenten überträgt38. Bei Wertpapieren, die sich in Giro-Sammelverwahrung befinden, sind aber die Voraussetzungen eines Geschäfts für den, den es angeht39, erfüllt, so dass der kaufende Kunde die Wertpapiere direkt erwirbt40. Die Einzelheiten der Einigungserklärung eines solchen Direkterwerbs zwischen einem Bankkunden als Veräußerer und einem anderen Bankkunden (ggf. einer anderen Bank) als Erwerber ergeben sich aus dem Gesagten. Der verkaufenden Kunde ermächtigt seine Bank, in eigenem Namen die Einigungserklärung zur Übertragung des Eigentums an einen Erwerber (den der Verkäufer in der Regel nicht kennt), abzugeben. Die ermächtigte Bank gibt diese Einigungserklärung (die in dem über den Zentralverwahrer CBF geleiteten Buchungsauftrag enthalten ist) gegenüber der Bank eines kaufwilligen Kunden ab und zwar zugunsten dessen, den es angeht. Die Bank des Käufers nimmt diese Erklärung dadurch an, dass sie sich vorbehaltlos den mittelbaren Besitz einräumen lässt und damit zugleich die Annahme der Einigungsofferte mit Wirkung für den Käufer („den es angeht“), erklärt, ohne dass diese Annahmeerklärung der Bank des Verkäufers zugehen muss, weil dies nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist und der Veräußernde konkludent darauf verzichtet hat (§ 151 Satz 1 2. Halbs. BGB)41. b) Rolle des Zentralverwahrers bei der Einigung Umstritten ist die Rolle des Zentralverwahrers, über den nach dem bisher bestehenden System die Buchungsunterlagen (Lieferlisten) aller Wertpapie-
36 BGH WM 1959, 1004, 1006; Koller, in: Großkomm. HGB, 4. Aufl. 1985, § 383 Rdn. 86. 37 Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 1999, 2017; Einsele, WM 2001, 7, 12. 38 Koller/Roth/Morck, HGB, 2. Aufl. 1999, § 383 Rdn. 18. 39 Zu diesen Kriterien Hübner, a.a.O. (Fn. 25), Rdn. 1183. 40 Wolter, Effektenkommission und Eigentumserwerb, 1979, S. 280 ff.; Einsele, a.a.O. (Fn. 11), S. 12. 41 Kümpel, BuB, Rdn. 8/69 und 8/338.
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rumsätze laufen. Nach einem Teil der Literatur wird der Zentralverwahrer (hier also CBF) als Vertreter des Erwerbers angesehen42, nach anderen Stimmen als derjenige, der vom Veräußerer zur Abgabe der Einigungserklärung ermächtigt ist43, nach einer dritten Meinung fungiert er als Empfangsbote des Erwerbers44. Es fällt aber schwer, die beiden ersteren Meinungen, dass der Zentralverwahrer entweder auf Ermächtigung des Verkäufers oder in Vertretung des Käufers bei der Einigung über den Eigentumsübergang mitwirkt, mit der Funktion des Zentralverwahrers und den Vorstellungen der am Effektengiroverkehr Beteiligten in Einklang zu bringen. Dies gilt jedenfalls für den hier betrachteten wichtigsten Fall eines Eigentumsübergangs zwischen privaten Bankkunden. Diese stehen, bevor sie als Käufer ein Wertpapiergeschäft mit einem anderen privaten Kunden als Verkäufer (unter Einschaltung der CMs und ggf. von NCMs) abschließen, mit dem Zentralverwahrer nicht in einer rechtlichen Beziehung und ihre geschäftlichen Erklärungen richten sich an die von ihnen eingeschalteten Banken. Denn nach den Vorstellungen der Marktteilnehmer werden die rechtsgeschäftlichen Erklärungen sowohl auf der obligatorischen wie auf der dinglichen Ebene durch Veräußerer und Erwerber und die für sie handelnden Banken abgegeben und entgegengenommen. Die Rolle des Zentralverwahrers (CBF) ist auf die Umstellung des Besitzmittlungswillens und die technische Übermittlung der Einigungsofferte als Empfangsbote beschränkt. Das Gleiche gilt aber auch für Eigengeschäfte mit oder zwischen CMs. Die beiden zuerst genannten Theorien (Zentralverwahrer als Vertreter des Erwerbers oder Ermächtigter des Veräußerers) sind nicht überzeugend45. Die treffende rechtliche Deutung der tatsächlichen Vorgänge und Vorstellungen der Parteien bietet die Auffassung, dass der Zentralverwahrer Empfangsbote für den CM und dessen Kunden ist, für den die Gutschrift erfolgen soll, und dass der CM seinerseits als Empfangsvertreter des Erwerbers wirkt46. Rein vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Theorien zur rechtlichen Rolle des Zentralverwahrers CBF für die Frage der Umstellung des Systems auf den Zentralen Kontrahenten CCP im Ergebnis nicht relevant sind, weil der CCP auf jeden Fall insoweit (bezüglich der Einigungserklärung) die Rolle von CBF übernehmen soll (nachstehend IV 5a). 42 Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 6 Rdn. 86 mit 93; Einsele, WM 2001, 7, 12 f.; Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2019. 43 Büchner, Die treuhandrechtliche Organisation des Effektengiroverkehrs, 1956, S. 109 f., 111, 113; Schönle, Bank- und Börsenrecht, 2. Aufl. 1971, S. 272. 44 Kümpel, BuB, Rdn. 8/338; vgl. auch Delorme, Die Wertpapiersammelbanken, 1970, S. 64 f. 45 Krit. zur Ermächtigungstheorie Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), die aber der Auffassung folgen, der Zentralverwahrer vertrete den Erwerber. 46 So wohl Kümpel, BuB, Rdn. 8/338, der allerdings die letztgenannte Unterscheidung nicht erwähnt.
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4. Die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs a) Die h.M. bejaht gutgläubigen Erwerb Die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs ist, da ein Erwerbstatbestand i.S. § 929 BGB vorliegt, grundsätzlich im Rahmen des § 932 BGB und § 366 HGB gegeben. Allerdings wird die unmittelbare Anwendbarkeit dieser Vorschriften von einer verbreiteten Ansicht bezweifelt und zwar mit der Begründung, dass nur Alleinbesitz, der hier nicht vorliegt, eine geeignete Grundlage für einen solchen Erwerb sei. Denn der bloße Mitbesitz begründe keine Vermutung über die Hö- [12] he der Quote des Miteigentümers; wegen dieser Vieldeutigkeit sei er als Vertrauenstatbestand ungeeignet47. Die h.M. erkennt aber gleichwohl die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs im Rahmen des Effektengiroverkehrs grundsätzlich an. Dabei verweist sie nicht nur auf ein unabweisbares Bedürfnis für einen Gutglaubensschutz, das im Interesse der Funktionsfähigkeit des stückelosen Wertpapierverkehrs besteht48. Vielmehr bezieht sie sich auf den Umstand, dass die Rechtsstellung der Wertpapierinhaber durch die Buchungen im Verwahrbuch des Sammelverwahrers näher konkretisiert ist und eine Grundlage für das Vertrauen des Rechtsverkehrs bildet49. Dabei wird die Buchung teils anstelle des Mitbesitzes als tauglicher Rechtsscheinträger betrachtet50, teils in Verbindung mit dem Mitbesitz51. Diese Auffassung der h.M. wird im Ergebnis in diesem Gutachten geteilt. Zur weiteren Begründung ist auf die dagegen neuerdings von Einsele und Habersack/Mayer gerichteten Einwände im Folgenden (III.) näher einzugehen. b) Rechtstechnische Einzelheiten Zuvor ist kurz auf Einzelheiten des Gutglaubensschutzes i.S. der h.M. hinzuweisen. Grundlage des Gutglaubensschutzes ist der Mitbesitz der Bank des Verkäufers und deren Sammeldepotguthaben beim Zentralverwahrer in dessen „Verwahrbuch“ i.S. § 14 DepotG. Da der kontoführende Zentralver-
47 Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2026; Palandt/Bassenge, a.a.O. (Fn. 26), § 932 Rdn. 1; Koller, JZ 1972, 646, 649. 48 Koller, DB 1972, 1857, 1859; Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2026; Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 6 Rdn. 91; Kümpel, BuB, Rdn. 8/73. 49 Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 6 Rdn. 91; Kümpel, BuB, Rdn. 8/73; wohl auch Koller, JZ 1972, 646, 649 und DB 1972, 1905 f. Auf die Frage der Publizitätsfunktion des Mitbesitzes und der Buchung wird nachstehend (III.2-4) näher eingegangen. 50 Fabricius, AcP 162 (1963) 481 f.; Wolter, a.a.O. (Fn. 40), S. 306; Brink, Rechtsbeziehungen und Rechtsübertragung im nationalen und internationalen Effektengiroverkehr, 1976, S. 102; Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 6 Rdn. 91; Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2027. 51 Koller, DB 1972, 1905, 1909; Wieling, Sachenrecht, 3. Aufl. 1997, § 9 IX 3; Kümpel, BuB, Rdn. 8/73.
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wahrer (CBF) im derzeit praktizierten System des Effektengiroverkehrs als Empfangsbote der Käuferbank für die Übereignungsofferte tätig wird, wie vorstehend (II 3b) dargelegt, ist analog § 166 Abs. 1 BGB der gute Glaube des Zentralverwahrers für den gutgläubigen Erwerb des Käufers erforderlich52. Auch der Erwerber selbst muss gem. § 166 Abs. 2 BGB gutgläubig sein. Die Verfügung eines Nichtberechtigten mit der Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs liegt vor, wenn der Verkäufer selbst kein Depotguthaben über die betreffenden Wertpapiere hat und seine Bank gleichwohl (irrtümlich) die Übereignung zu Lasten ihres Depotkontos beim Zentralverwahrer (das sie für andere Kunden und getrennt für Eigenbestände unterhält) vornimmt. Der Zentralverwahrer (CBF) kann hier ohne nähere Nachprüfung gutgläubig annehmen, dass der Veräußernde der Berechtigte ist, sofern eine entsprechende Deckung im Guthaben der Bank (CM) in dem bei ihm geführten Depotkonto vorhanden ist. Die entstehende Unterdeckung ist anteilig von allen Kunden mit Guthaben beim CM in der betreffenden Wertpapiergattung zu tragen53; Schadensersatz hat die Bank (CM) ggf. vorrangig aus einem Eigenbestand in den Wertpapieren zu leisten. Kein Gutglaubenserwerb tritt ein, wenn die Verkäuferbank verfügen will, ohne dass ihr eigenes Depotkonto beim Zentralverwahrer Deckung aufweist. Hier ist der Zentralverwahrer als Kontoführer nicht gutgläubig54 und der Käufer kann (analog § 166 Abs. 1 BGB) nicht erwerben. Bei einer Wertpapierübertragung zwischen Kunden derselben Bank (Hausübertragung) ist ein gutgläubiger Erwerb nicht möglich. Denn Grundlage des Gutglaubenserwerbs ist hier für die Bank, die sowohl auf Seiten des veräußernden Kunden wie des erwerbenden Kunden handelt, das von ihr selbst geführte Depotkonto des veräußernden Kunden. Schreibt sie dem erwerbenden Kunden Wertpapiere gut, die der veräußernde Kunde überhaupt nicht innehat und über die er daher auch nicht verfügen kann, so ist dieser Mangel der Bank aufgrund der Kontenführung bekannt oder grobfahrlässig nicht bekannt. Diese Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Bank wird gem. § 166 Abs. 1 BGB dem erwerbenden Kunden zugerechnet, weil die Bank als sein Empfangsvertreter bei der Übertragung fungiert55.
52 Koller, DB 1972, 1905; Canaris, Bankvertragsrecht, 2. Aufl., Rdn. 2029; Heinsius/ Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 6 Rdn. 91; Kumpel, BuB, Rdn. 8/76. 53 Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2030. 54 Kümpel, BuB, Rdn. 8/78. 55 I. Erg. Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 7 Rdn. 18 a.E.
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5. Kein Erwerb nach § 24 Abs. 2 DepotG Gemäß § 24 Abs. 1, 2 DepotG kann der Kunde, der seiner Bank (CM oder NCM) einen entsprechenden Kaufauftrag gegeben hat, mit der Eintragung eines Übertragungsvermerks im Verwahrbuch der Bank, d.h. mit entsprechender Gutschrift auf dem von ihr geführten Depotkonto des Kunden, Miteigentum am Sammelbestand der Wertpapiersammelbank erwerben. Es handelt sich nur um einen subsidiären Erwerbstatbestand, weil § 24 DepotG nur zur Anwendung gelangen will, wenn das Eigentum nicht nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Rechts schon früher auf den Auftraggeber übergegangen ist56. Es handelt sich um einen gesetzlichen Erwerbstatbestand, der an einen Realakt, nämlich die Eintragung im Verwahrbuch, anknüpft und bei dem folglich die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs zu verneinen ist57. Damit wird eine wichtige Anforderung, die der Rechtsverkehr an den Wertpapiergiroverkehr stellt, verfehlt58. § 24 Abs. 2 DepotG ist jedoch regelmäßig auf die Praxis der Übertragungsakte im Wertpapiergirosammelverkehr nicht anwendbar. Denn dort ist vorausgesetzt, dass der Kommissionär z.Zt. der Vornahme des Übertragungsvermerks im Verwahrbuch verfügungsberechtigt ist (§ 24 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. DepotG). Dies ist regelmäßig nicht der Fall, weil in der Praxis die Gutschrift auf dem Depotkonto des Kunden schon - vorläufig – aufgrund der Soll-Lieferliste zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Bank (CM oder NCM) selbst noch keinen endgültigen (mittelbaren) Besitz der verkauften Wertpapiere erhalten hat und daher nicht verfügungsberechtigt ist. Nach h.M. erfasst § 24 Abs. 2 DepotG daher nicht den Regelfall der Eigentumsübertragung girosammelverwahrter Wertpapiere59. Die (vorläufig) erfolgte Buchung (Gutschrift) entfaltet ihre rechtliche Bedeutung, den Besitzmittlungswillen der Bank gegenüber ihrem Kunden zu dokumentieren, erst mit Bereitstellung der Lieferliste, aufgrund deren die Bank ihren Besitzwillen gegenüber dem Kunden begründet. Dabei handelt es sich aber um die Vollendung des bereits beschriebenen rechtsgeschäftlichen Erwerbs. Der subsi- [13] diäre Tatbestand des § 24 Abs. 2 DepotG ist auf diesen rechtsgeschäftlichen Erwerb nicht anwendbar.
Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 24 Rdn. 35. Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 24 Rdn. 26; Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 1993 f.; Einsele, WM 2001, 7, 12. 58 Zutr. Einsele, a.a.O. (Fn. 11). 59 Koller, DB 1972, 1905, Fn. 73; Kümpel, BuB, Rdn. 8/76; Einsele, WM 2001, 7, 12. 56 57
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IV. Einwände gegen die sachenrechtliche Konstruktion des bestehenden Systems der Girosammelverwahrung 1. Verneinung der Besitzerstellung der Wertpapierinhaber sammelverwahrter Wertpapiere? a) Die Verneinung des mittelbaren Besitzes bei Sammelverwahrung durch Einsele Einsele vertritt die Auffassung, dass im bestehenden System der Girosammelverwahrung die einzelnen Wertpapierinhaber, die Kunden der Bank (als des Zwischenverwahrers) sind, keinen Besitz an den Wertpapieren im Sammelbestand haben60. Dabei geht sie von dem unbestrittenen Satz aus, dass nach allgemeinem Sachenrecht ein Besitzmittlungsverhältnis, wie es die h.M. für das Verhältnis zwischen dem Bankkunden als Wertpapierinhaber und der Bank als Zwischenverwahrer postuliert, einen Herausgabeanspruch des mittelbaren Besitzers gegen den unmittelbaren Besitzer (als den Besitzmittler) voraussetzt61. Bei der Girosammelverwahrung hat der Bankkunde als Wertpapierinhaber und Hinterleger aber nur die in § 7 und § 8 DepotG vorgesehenen Ansprüche. Der schuldrechtliche Auslieferungsanspruch gem. § 7 Abs. 1 DepotG aber ähnelt dem Anspruch des Hinterlegers bei unregelmäßiger Verwahrung und ein solcher Anspruch kann nach Einsele keinen Besitz des Hinterlegers am Girosammelbestand begründen62. Aber auch der Anspruch nach § 8 DepotG sei dafür nicht geeignet, weil er dem Miteigentümer nur einen Anspruch auf Auslieferung von Einzelurkunden nach Wahl des Verwahrers einräumt. Der Anspruch nach § 8 DepotG stelle daher lediglich einen modifizierten Anspruch des Miteigentümers auf Aufhebung der Miteigentumsgemeinschaft gem. §§ 741 ff. BGB dar63. b) Die spezialgesetzliche Regelung in §§ 5–8 DepotG Die daraus von Einsele gezogene Folgerung, es bestehe kein Besitz der Wertpapierinhaber als Hinterleger, beruht auf einem unrichtigen methodischen Ansatz. Denn es war die Absicht des Gesetzgebers des Depotgesetzes, dem Anleger eine Mitbesitzer- und Miteigentümerstellung am Girosammelbestand zu verschaffen, wie sich schon aus der gesetzlichen Anordnung des Miteigentums der Wertpapierinhaber am Sammelbestand in § 6 Abs. 1
Einsele, a.a.O. (Fn. 11), S. 88; dies., WM 2001, 7, 11. Einsele, WM 2001, 7, 11; vgl. dazu BGHZ 85, 263, 265 = WM 1982, 1431; Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, § 7 Rdn. 43 f. 62 Einsele, WM 2001, 7, 11; dies., a.a.O. (Fn. 11), S. 83 ff. 63 Einsele, WM 2001, 7, 11; dies., a.a.O. (Fn. 11), S. 84. 60 61
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DepotG eindeutig ergibt. Die Absicht ging unstreitig dahin, dem Anleger „nicht nur Schutz bei Insolvenz des Verwahrers (zu) bieten, sondern auch die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs und damit Verkehrsschutz zu eröffnen“64. Es wird noch zu zeigen sein, dass es bis heute die Auffassung des Gesetzgebers ist, dass das Depotgesetz tatsächlich diese Anforderungen erfüllt65. Dann aber kann man nicht die Normen des § 7 und 8 DepotG einseitig an Grundsätzen des allgemeinen Sachenrechts des BGB messen, sondern muss umgekehrt den Charakter des Depotgesetzes als eines Sondergesetzes für die Spezialmaterie der Wertpapiersammelverwahrung respektieren und fragen, wieweit dadurch allgemeine sachenrechtliche Grundsätze modifiziert worden sind. Es ist methodisch unzulässig, den eindeutigen Willen des Gesetzgebers des Depotgesetzes, die Girosammelverwahrung auf dinglicher Grundlage zuzulassen, beiseite zu schieben. Geht man vom Willen des Gesetzgebers des DepotG aus, so ist der enge gesetzessystematische und sachliche Zusammenhang zwischen § 6 einerseits und §§ 7, 8 DepotG andererseits zu beachten66. Dann erscheint § 7 DepotG nur als Modifikation des schuldrechtlichen Herausgabeanspruchs, der nach allgemeinem Sachenrecht für das Besitzkonstitut vorausgesetzt wird. Dieser Herausgabeanspruch mag als verwahrungsrechtlich qualifiziert werden; entscheidend ist, dass er beim Neuerwerb schon durch die Kontoverbindung zwischen Zentralverwahrer (CBF) und Zwischenverwahrer (CM) und die Umbuchung mit der vorstehend erörterten Umstellung des Besitzmittlungswillens begründet wird67. Der CM mittelt den Besitz dem Kunden weiter, indem er mit entsprechendem Willen dessen bei ihm geführtes Depotkonto erkennt. § 7 DepotG schränkt, wie Einsele richtig bemerkt, diesen Herausgabeanspruch ein und § 8 DepotG enthält die gleiche Einschränkung für den Vindikationsanspruch des Eigentümers. Diese Einschränkungen sind durch die Erfordernisse der Girosammelverwahrung bedingt, die dem Wertpapierinhaber zugleich die Vorteile der sicheren Verwahrung und der raschen Verfügbarkeit im Effektengiroverkehr bieten. Der Gesetzgeber des DepotG wollte gleichwohl dem Wertpapierinhaber eine Besitzposition auch bei Sammelverwahrung verschaffen. Dies zeigt sich auch daran, dass die Reduzierung der Rechtsstellung des Wertpapierinhabers auf eine rein schuldrechtliche Position in § 15 DepotG als enger Ausnahmetatbestand konzipiert ist,
64 Einsele, WM 2001, 7, 12 mit Bezugnahme auf die Begründung zur 2. VO über die Behandlung von Anleihen des deutschen Reiches v. 18.4.1942. 65 Vgl. dazu i.F. die Ausführungen zum KonTraG im Hinblick auf § 10 Abs. 5 AktG n.F. nachstehend 2b. 66 Habersack/Mayer, WM 2000, 1678, 1680. 67 Canaris, a.a.O. (Fn. 4), Rdn. 2020 erwägt dies und lässt es im Ergebnis dahingestellt. Unnötig ist m.E. die von Kümpel vertretene Annahme eines Selbstkontrahierens des Zentralverwahrers in eigenem Namen und im Namen des CM; BuB, Rdn. 8/337.
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der ausdrücklicher Zustimmung bedarf. Man muss daher annehmen, dass die §§ 7 und 8 DepotG zulässige spezialgesetzliche Modifikationen des Besitzkonstituts darstellen68. c) Die Wertpapierinhaber haben mittelbaren Mitbesitz nach Bruchteilen Man kann vom Standpunkt der Kritik69 aus freilich das Argument vorbringen, die genannte Absicht des Gesetzgebers des DepotG sei zwar nicht zu bestreiten, der Gesetzgeber habe aber entgegen der dargestellten h.M. über die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs70 im Ergebnis sein Ziel dennoch nicht erreicht, weil er keine ausreichende Grundlage für eine Publizität und einen daran geknüpften Gutglaubenserwerb geschaffen habe. Der erste Einwand dieser Art geht dahin, dass der Wertpapierinhaber bloßen Mitbesitz habe, der Mitbesitz aber keine Vermutung über die Höhe der Quote des Miteigentümers begründe und wegen dieser Vieldeutigkeit als Grundlage für einen Vertrauenstatbestand ungeeignet sei71. Geht man zunächst mit der [14] h.M. aus den soeben (a) dargelegten Gründen davon aus, dass die Wertpapier inhaber einen (modifizierten) mittelbaren Mitbesitz haben72, so ist zunächst einzuräumen, dass das BGB den im gemeinen Recht noch anerkannten Mitbesitz nach ideellen Bruchteilen nicht mehr regelt73. Die h.M. zu § 866 BGB nimmt an, dass das BGB den Mitbesitz nicht in der besonderen Form einer Aufteilung nach ideellen Bruchteilen kennt74. Da mittelbarer Besitz unstreitig eine mediatisierte, „vergeistigte“ Form von Besitz ist75, wurde schon bald nach Entstehung des BGB auch die Meinung entwickelt, dass Mitbesitz i.S. § 866 BGB jedenfalls in Form des mittelbaren Besitzes nach ideellen Bruchteilen aufgeteilt sein könne, während dies beim Mitbesitz in Form des unmittelbaren Besitzes nicht möglich sei76. Diese Differenzierung von mittelbarem und unmittelbarem Besitz bei der Frage des Mitbesitzes nach Bruchteilen wurde von Becker in einer Untersuchung von 1981 für die rechtliche Analyse der Besitzposition der Zwischenverwahrer und Wertpapierinhaber als mittelbarer Besitzer sammelverwahrter Wertpapiere herangezogen: diese haben danach Mitbesitz nach Bruchteilen am Sam So auch Habersack/Mayer, WM 2000, 1678, 1680. Einsele, a.a.O. (Fn. 11); für den Spezialfall des § 9a DepotG ferner Habersack/Mayer; WM 2000, 1678, 1680 dazu i.F. 2a. 70 Vgl. vorstehend II. 4. 71 Vgl. vorstehend II.4. 72 Koller, DB 1972, 1857, 1861. 73 Einsele, a.a.O. (Fn. 11), S. 81. 74 Statt vieler: Palandt/Bassenge, a.a.O. (Fn. 26), § 866 Rdn. 1; Staudinger/Bund, a.a.O. (Fn. 31), § 866 Rdn. 2. 75 Wolff/Raiser, Sachenrecht, 10. Bearb. 1957, § 8 I.1. 76 Kress, Besitz und Recht. Eine civilrechtliche Abhandlung, 1909, S. 285–287. Ebenso Planck/Brodmann, BGB, 5. Aufl. 1935, § 866 Anm. 1. 68
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melbestand, wobei sich die Bruchteile nach Stückzahl bzw. Nennbetrag ihrer Wertpapiere berechnen77. Letztlich ergibt sich dabei die Größe der Quote also aus den jeweiligen Guthaben auf den Depotkonten. Dies stimmt mit der h.M. überein, die der Depotbuchung eine wichtige Rolle als Verlautbarungstatbestand für den Rechtsverkehr und Gutglaubenserwerb beimißt (i.F. d). Die Analyse von Becker liefert dazu eine brauchbare besitzrechtsdogmatische Deutung. Einsele lehnt dies ab, indem sie ohne jede weitere Begründung die genannte Differenzierung nach mittelbarem und unmittelbarem Besitz in dieser Frage als „nicht mehr nachvollziehbar“ bezeichnet78. Dabei übersieht Einsele, dass diese Differenzierung gerade für die Frage der Ausgestaltung der Rechte von Mitbesitzern auch in anderem Zusammenhang durchaus verwendet wird. So wird bei Gesamthandsgemeinschaften ein unmittelbarer Besitz zur gesamten Hand von einer verbreiteten Meinung verneint79, zugleich ein mittelbarer Besitz zur gesamten Hand dagegen bejaht und zwar aus dem bereits erwähnten und allgemein anerkannten Grund, dass mittelbarer Besitz auf einer Rechtsbeziehung (zum unmittelbaren Besitzer) beruht, unmittelbarer Besitz dagegen auf der tatsächlichen Beziehung zur Sache80. Die von Becker verwendete Differenzierung ist daher in der Besitzrechtsdogmatik durchaus anerkannt; der Einwand von Einsele ist unzutreffend. Im Übrigen werden von der h.M. zu § 866 BGB, die sich begreiflicherweise mit dieser Spezialfrage des Depotrechts nicht beschäftigt, Einwände gegen die Zulässigkeit und Rechtswirksamkeit des des quotalen mittelbaren Mitbesitzes von Zwischenverwahrern und Wertpapierinhabern sammelverwahrter Wertpapiere nicht erhoben und sind auch der Sache nach nicht ersichtlich. Im Depotrecht bejaht die ganz herrschende Meinung, wie bereits (nachstehend II.4) dargelegt, die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs; dabei wird entweder die Depotbuchung (Wertpapierguthaben) allein oder die Depotbuchung zusammen mit dem Mitbesitz als Grundlage des Gutglaubenserwerbs betrachtet. Die letztere Variante der h.M. verdient m.E. den Vorzug, weil sie den Besitzaspekt, der im System der Sammelverwahrung angelegt ist und der zugleich eine klare Abgrenzung vom System der reinen Schuldbuchforderungen („Wertrechte“, dazu i.F. 3) erlaubt, zutreffend hervorhebt. Dies entspricht dem Willen des Spezialgesetzgebers des Depotgesetzes, der in 77 Becker, Das Problem des gutgläubigen Erwerbs im Effektengiroverkehr, 1981, S. 36-38, 40. 78 Einsele, a.a.O. (Fn. 11), S. 82. 79 Staudinger/Bund, a.a.O. (Fn. 31), § 866 Rdn. 6 und speziell zur GbR Rdn. 15 m.w.N.; Palandt/Bassenge, a.a.O. (Fn. 26), § 854 Rdn. 14; wohl auch BGHZ 86, 300, 307 und 86, 340, 344 = WM 1983, 213; die Fortentwicklung dieser Frage durch BGH WM 2001, 408 = WuB II J. § 705 BGB 1.01 Wertenbruch = NJW 2001, 1056 ff. ist hier nicht zu verfolgen. 80 Staudinger/Bund, a.a.O. (Fn. 31), § 866 Rdn. 20 zur Erbengemeinschaft.
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§ 6 Abs. 1 Miteigentum der Wertpapierinhaber sammelverwahrter Papiere anordnete und dabei von vollwertigen, einander korrespondierenden Stellungen der Wertpapierinhaber als Miteigentümer und Mitbesitzer ausging. Zugleich hat der Gesetzgeber durch die Rolle der Depotbuchungen, die in § 14 DepotG geregelt und in § 5–8, 9a DepotG vorausgesetzt sind, auch den praktischen Weg zur Verkehrsfunktion des quotalen Mitbesitzes eröffnet: Die Besitzbruchteile sind in den Depotbuchungen festgehalten und werden in dieser Form der gebuchten Wertpapierguthaben tatsächlich zum Gegenstand der Verfügung gemacht. Die Analyse von Becker liefert also lediglich die geeignete besitzrechtsdogmatische Präzisierung der gesetzlichen Rechtslage, wie sie von demjenigen Teil der h.M. interpretiert wird, der Besitz plus Depotbuchung für maßgeblich hält. Ergänzend sei daran erinnert, dass auch der andere Teil der h.M., der dem Besitz nicht die erörternde Rolle beim gutgläubigen Erwerb sammelverwahrter Wertpapiere zuspricht, die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs bejaht, und zwar ausschließlich auf der Grundlage der Depotbuchungen als geeignetem Verlautbarungstatbestand, so dass in dieser Frage das Ergebnis das gleiche ist. d) Mitbesitz und Depotbuchung als zureichende Grundlage für Rechtsverkehr und Gutglaubenserwerb Es hat sich gezeigt, dass jedenfalls der Depotbuchung (Wertpapierguthaben) eine entscheidende Rolle im Rechtsverkehr bei der Übertragung von sammelverwahrten Wertpapieren und bei der Möglichkeit ihres gutgläubigen Erwerbs zukommt. Dagegen werden von Einsele zwei weitere Einwände erhoben: (1) man könne nicht entgegen dem sachenrechtlichen System des BGB den Besitz durch Buchungen ersetzen und (2) überdies sei die Depotbuchung auch in praktischer Hinsicht keine hinreichende Grundlage für den Gutglaubenserwerb. Diese Einwände können im Ergebnis nicht überzeugen. (1) Es trifft zwar zu, dass im Sachenrecht des BGB nicht generell Buchungen als ersatzweiser Verlautbarungstatbestand anstelle des Besitzes anerkannt sind81. Wohl aber kann den Vorschriften des DepotG entnommen werden, dass die besondere Form der Depotbuchungen im Zusammenspiel mit der (modifizierten und reduzierten) Mitbesitzerstellung des einzelnen Wertpapierinhabers kraft spezialgesetzlicher Regelung einen solchen besitzrechtlichen Verlautbarungstatbestand darstellt82. Der Gesetzgeber hat in § 14 DepotG, der genaue Vorschriften über das Verwahrbuch enthält, die Depotbuchungen vorgesehen und diese zugleich einer besonderen depotrechtlichen Prüfung unterworfen. [15] Diese Regelung gilt gem. § 14 Abs. 3 DepotG auch für die Wertpapiersammelverwahrung. Damit ist ein spezialgesetzlicher Publizitäts Habersack/Mayer, WM 2000, 1678, 1682. Koller, DB 1972, 1905.
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tatbestand hinsichtlich des Besitzübergangs geschaffen83. Der Gesetzgeber des DepotG hat auch in anderem Zusammenhang Buchungsvorgänge als auslösenden Tatbestand für sachenrechtliche Wirkungen anerkannt, so in (dem hier nicht einschlägigen) § 24 DepotG84. (2) Einsele meint ferner, eine Reihe praktischer Gründe spreche gegen die Behandlung der Depotbuchung als Rechtsscheinträger. Sie weist darauf hin, dass im Zeitpunkt der Eigentumsübertragung keine Personen vorhanden sind, die einen guten oder bösen Glauben entfalten könnten, da die Buchungsvorgänge beim Zentralverwahrer völlig auf EDV-Basis umgestellt sind85. Dieser Einwand ist unspezifisch und betrifft alle geschäftlichen Erklärungen und Handlungen im gesamten Rechtsverkehr unter Einschaltung von EDV. Hier gilt allgemein der Grundsatz, dass solche elektronischen Vorgänge, Erklärungen und Buchungen jeweils den dahinter stehenden Personen zuzurechnen sind86. Speziell zur Frage der Gutgläubigkeit gilt, dass hier Kennenmüssen gem. § 932 BGB den guten Glauben zerstört. Daten, die in EDV gespeichert sind, werden aber dem Geschäftsherrn zugerechnet, wenn für ihn Anlaß bestand, die Information abzurufen87. Dies ist hier zu bejahen, so dass die Frage der Bösgläubigkeit eindeutig zu beantworten ist. Einsele meint weiter, der Buchung fehle die für einen Rechtsscheinträger erforderliche Offenkundigkeit für den Rechtsverkehr, da das Bankgeheimnis es den Kreditinstituten verwehrt, die Buchungsvorgänge der Allgemeinheit zugänglich zu machen88. Dies ist unzutreffend. Durch derartige Erwägungen werden die Anforderungen an die Publizität beim mittelbaren Besitz überspannt. Dies steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH. Dieser hat entschieden, dass der Besitzmittlungswillen und das Besitzmittlungsverhältnis nicht für jeden Dritten erkennbar sein müssen; es genügt, dass diese für den Erwerber erkennbar sind89. Einsele räumt selbst ein, dass die Buchungen für die in den Erwerbsvorgang tatsächlich eingeschalteten Stellen, insbeson-
83 Koller, DB 1972, 1905; Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 6 Rdn. 91; Münch Komm/K. Schmidt, BGB, 3. Aufl., § 1008 Rdn. 31. 84 Fabricius, AcP 162 (1963), 456, 459; Pleyer/Schleiffer, DB 1972, 77; Heinsius/Horn/ Than, a.a.O. (Fn. 7), § 6 Rdn. 91. 85 Einsele, WM 2001, 7, 13. 86 Köhler, AcP 182 (1982) 126, 134; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl. 2001, vor § 116 Rdn. 1; Soergel/Wolf, BGB, 13. Aufl., vor § 145 Rdn. 109; Mehrings, in: Hoeren/Sieber (Hrsg.), Handbuch Multimedia-Recht, Stand 12/2000, Teil 13.1 Rdn. 44 ff. 87 BGH WM 1997, 1092 = WuB I D 3. – 6.97 Hellner = NJW 1997, 1917, 1918; NJW 1993, 2807; Palandt/Heinrichs, a.a.O. (Fn. 86), § 166 Rdn. 1. 88 Einsele, WM 2001, 7, 13. Träfe dies zu, so wäre durch das Bankgeheimnis, das die Banken durchweg beachten müssen, die Möglichkeit von sachenrechtlichen Publizitätstatbeständen im gesamten bankgeschäftlichen Verkehr ausgeschlossen. 89 BGH JZ 1964, 130 betr. Aktualisierung des Besitzmittlungsverhältnisses beim vorweggenommenen Besitzkonstitut.
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dere CBF, erkennbar sind90. Dies reicht nach den vom BGH bezeichneten Kriterien aus. Sie meint, dies treffe aber zumindest bei direkten Depotübertragungen zwischen Privatkunden oder bei Übertragung von Eigenbeständen der Bank auf den Privatkunden nicht zu91. Dieser Einwand betrifft nur Sonderfälle des derzeitigen Effektengiroverkehrs; er trifft auch für diese Sonderfälle nicht zu. Gedacht ist offenbar an Fälle, an denen sich die Buchungen nur auf der Ebene der Bank als CM abspielen, nicht auf der Ebene des Zentralverwahrers CBF. Es kommt aber nicht darauf an, ob CBF den Vorgang kennt, wenn CBF daran nicht beteiligt ist. Es kommt darauf an, ob die Beteiligten, also Veräußerer und Erwerber und ihre eingeschaltete Bank, den Vorgang kennen. Dies kann nicht bezweifelt werden. e) Zusammenfassung zu 1 Im Ergebnis sind die Einwände gegen die Besitzerstellung der Wertpapier inhaber sammelverwahrter Wertpapiere unzutreffend. Die Wertpapierinhaber sind mittelbare Besitzer in einer durch §§ 7 und 8 DepotG modifizierten Form. Ihre Besitzerstellung kann im Zusammenwirken mit den entsprechenden Depotbuchungen als spezialgesetzlich zulässiger mittelbarer Mitbesitz nach Bruchteilen qualifiziert werden. Mitbesitz und Depotbuchung begründen einen spezialgesetzlich anerkannten und praktisch tauglichen Verlautbarungstatbestand für die rechtsgeschäftliche Übertragung mit Gutglaubensschutz. 2. Verneinung der Besitzerstellung der Wertpapierinhaber bei Ausstellung einer Dauerglobalurkunde? a) Kritik an der h.M. zu § 9a DepotG Es fragt sich, ob eine Eigentümer- und Besitzerstellung des Wertpapier inhabers auch dann angenommen werden kann, wenn eine Dauerglobalurkunde i.S. § 9a DepotG ausgestellt ist und zugleich die Herstellung und Auslieferung einzelner Wertpapierstücke gem. § 9a Abs. 3 Satz 2 DepotG und § 10 Abs. 5 AktG ausgeschlossen wurde. Dies wird neuerdings von Habersack/Mayer verneint. Sie verweisen dabei auf die durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHZ 85, 263, 264 f. bestätigte Auffassung, dass ein Nebeneinander von Fremdbesitz und Eigenbesitz an der gleichen Urkunde ausgeschlossen sei, die zwischenverwahrenden Banken aber regelmäßig oder häufig auch Eigenbestände an den betreffenden Wertpapieren unterhalten.
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Einsele, WM 2001, 13. Einsele, WM 2001, 13.
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Die Banken könnten nicht gleichzeitig mittelbare Eigenbesitzer (betr. Eigenbestand) und mittelbare Fremdbesitzer (betr. Kundenbestand) im Hinblick auf die gleiche Globalurkunde sein92. Die Auffassung des Bundesgerichtshofes, dass es einen ungleichstufigen Mitbesitz und ein Nebeneinander von Eigenbesitz und Fremdbesitz an der gleichen Sache nicht geben können, wird nicht einhellig geteilt93. Vor allem aber ist zu beachten, dass der BGH den Fall für einen Grundschuldbrief entschieden hat, der im unmittelbaren Eigenbesitz der betreffenden Bank stand. In den hier betrachteten Fällen geht es aber um ein Nebeneinander von mittelbarem Eigenbesitz und mittelbarem Fremdbesitz an den Wertpapieren. Habersack meint zwar, die Feststellung des BGH zur Unvereinbarkeit von Eigen- und Fremdbesitz an der gleichen Urkunde sei in allgemeiner Form getroffen. Er übergeht dabei freilich, dass der BGH keinerlei Veranlassung hatte, in der betreffenden Entscheidung auf die besonderen Bedingungen der Wertpapiersammelverwahrung oder auf die spezialgesetzliche Regelung der Ausstellung einer Globalurkunde für Wertpapiere einzugehen. [16] b) Ratio legis des § 9a DepotG: besitzrechtliche Stellung der Wertpapierinhaber Die Globalurkunde ist in § 9a DepotG vom Gesetzgeber vorgesehen, um damit dem Rechtsverkehr eine vereinfachte Form der Wertpapiersammelverwahrung zur Verfügung zu stellen, bei der die Vielzahl der sammelverwahrten Wertpapierurkunden durch eine einzige Urkunde ersetzt wird94. Damit wurde ein notwendiger Schritt zur Rationalisierung der Effektenverwahrung getan. Die Sammelverwahrung i.S § 5 DepotG ist damit noch stärker in den Vordergrund gerückt95. Unstreitig wird dadurch das Wertpapierelement im Effektenverkehr zurückgedrängt96, nämlich die Bedeutung der Verkörperung der Rechte in Wertpapierurkunden und der Umlauf der Urkunden bei der Übertragung der Rechte; in den praktischen Auswirkungen wurde eine Annäherung an den Schuldbuchgiroverkehr (dazu i.F. 3) vollzogen. Rechtsdogmatisch hält § 9a DepotG aber an dem Prinzip fest, dass Gegenstand des Effektgiroverkehrs und der Sammelverwahrung Wertpapiere sind97. Das folgt schon daraus, dass der Gesetzgeber des § 9a DepotG in der Sammelurkunde einen besonderen Fall der Sammelverwahrung sah und den Wertpapierinha-
Habersack/Mayer, WM 2000, 1678, 1680. A.A. Staudinger/Bund, a.a.O. (Fn. 31), § 866 Rdn. 21 f. 94 Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Verwahrung und Anschaffung von Wertpapieren vom 24.5.1972, BGBl. I, S. 801. 95 Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 9a Rdn. 1. 96 Pleyer/Schleiffer, DB 1972, 77. 97 Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 9a Rdn. 1. 92
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bern bei Ausstellung einer Globalurkunde den gleichen sachenrechtlichen Schutz zuteil werden lassen wollte wie beim Grundfall der Girosammelverwahrung i.S. § 5 DepotG. Die Reduzierung der wertpapierrechtlichen Stellung des Wertpapierinhabers auf eine rein schuldrechtliche Stellung ist, wie bereits erwähnt, in § 15 DepotG als ein dem Wertpapierinhaber nachteiliger Sonderfall behandelt, der deshalb ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung des Wertpapierinhaber bedarf. Hätte der Gesetzgeber bei der Einfügung des § 9a DepotG eine rein schuldrechtliche Regelung vor Augen gehabt, hätte es im Übrigen einer Regelung überhaupt nicht bedurft. Nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit wäre eine solche Gestaltung jederzeit ohne gesetzliche Grundlage möglich gewesen. Man muss also davon ausgehen, dass § 9a DepotG die Vorstellung des Gesetzgebers zugrunde liegt, auch im Fall der Ausstellung einer Sammelurkunde sollten die Wertpapierinhaber (die aus dem „Wertpapier“ Berechtigten) die Stellung von Miteigentümern und mittelbaren Mitbesitzern haben. Dies entspricht auch der Vorstellung des deutschen Gesetzgebers von 1999 beim Erlass des KonTraG, durch das § 10 Abs. 5 AktG geändert wurde. Dabei wurde die Möglichkeit, das Recht des Aktionärs auf Verbriefung seiner Aktien auszuschließen, erweitert. Dies geschah unter der Annahme, dass die betreffenden Aktiengesellschaften bei Ausschluss der Einzelverbriefung jedenfalls eine Dauerglobalurkunde schaffen, um am Effektengiroverkehr teilzunehmen98. Dabei lag die Vorstellung zugrunde, dass die sachenrechtliche Fundierung der Rechte der Wertpapierinhaber und der Wertpapierübertragung im Rahmen des Effektengiroverkehrs unverändert erhalten bleibt99. Den Übergang zu reinen Wertrechten (dazu i.F. 3) hat der Gesetzgeber des KonTraG nicht gewollt100. c) Mittelbarer Mitbesitz in § 9a wie in § 5 DepotG vorausgesetzt Die Umsetzung dieses gesetzgeberischen Willens in eine entsprechende sachenrechtsdogmatische Deutung unter Beachtung der spezialgesetzlichen Vorgaben des § 9a DepotG bereitet im Unterschied zu der von Habersack/ Mayer vertretenen Meinung keine unüberwindlichen Schwierigkeiten. Es ist wahr, dass § 9a DepotG, wie schon bemerkt, einen weiteren Schritt zur Vergeistigung des mittelbaren Mitbesitzes bedeutet, indem nunmehr auch die Ansprüche nach §§ 7 und 8 DepotG abgeschnitten sind. Aber anderer98 BT-Drucks, 13/10038, S. 25: „Unberührt bleibt dagegen die Ausstellung und Hinterlegung einer ... Globalurkunde“; dazu Seibert, DB 1999, 267. 99 Seibert, DB 1999, 267, 269: „Wertpapierrechtlich bleibt aber formal alles beim alten, weil an der Globalurkunde festgehalten wird.“; Hüffer, a.a.O. (Fn. 17), 10 Rdn. 11; Habersack/Mayer, WM 2000, 1678. 100 Seibert, DB 1999, 267, 269; Habersack/Mayer, WM 2000, 1678.
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seits „bringt es der wertpapierrechtliche Ansatz der §§ 10 Abs. 5 AktG, 9a DepotG mit sich, dass eine Urkunde und damit ein körperlicher Gegenstand als taugliches Besitzobjekt vorliegt. Soweit die Clearstream Banking AG diese Urkunde verwahrt, ist sie nach § 854 BGB unmittelbare Fremdbesitzerin derselben“101. Obwohl insoweit Übereinstimmung mit Habersack/ Mayer festgestellt werden kann, soll nach deren Meinung die besitzrechtliche Position des Wertpapierinhabers letztlich daran scheitern, dass der „ideelle Bruchteil des einzelnen Aktionärs an der Globalurkunde dagegen von vornherein als Gegenstand des Besitzes aus(scheidet)“102. Diesem rein begrifflichkonstruktiven Argument ist nicht zu folgen. Mittelbarer Mitbesitz nach Bruchteilen ist, wie bereits oben (III 1 c) dargelegt, begrifflich-dogmatisch durchaus vorstellbar. Der Wille des Spezialgesetzgebers des § 9a DepotG in Verbindung mit der Regelung der Depotbuchungen gibt den Ausschlag dafür, diesen Mitbesitz auch hier anzunehmen, ohne dass die Frage entschieden werden müsste, ob er ansonsten im Besitzrecht des BGB seinen Platz hat103. Es besteht auch kein Zweifel daran, dass die Vorstellung, der Sammelverwahrer besitze die Globalurkunde für die Wertpapierinhaber, die der Regelung des § 9a DepotG zugrunde liegt, bei allen Teilnehmern am Wertpapiergirosammelverkehr vorhanden ist. Die Sammelurkunde konkretisiert nach dem Willen des Gesetzgebers des § 9a DepotG in gleicher Weise durch Vergegenständlichung die Rechte der Wertpapierinhaber wie die Einzelstücke. An dieser Sammelurkunde sollen ausschließlich die Anleger Miteigentum haben. Der Zentralverwahrer mittelt den Besitz an der Sammelurkunde den Clearing-Mitgliedern, deren Anteile in den Depotkonten konkretisiert sind, und zwar in dem Bewusstsein, dass zum größeren Teil der Besitz von diesen Clearing-Mitgliedern ihren Kunden weitergemittelt wird. 3. Die spezialgesetzliche Regelung der Schuldbuchforderungen (Wertrechte) a) Sonderregelung für Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand § 42 Abs. 1 DepotG enthält eine Ermächtigung zum Erlass von Verordnungen in Abweichung vom DepotG, von der durch den Erlass der Verordnung über die Verwaltung und Anschaffung von Reichsschuldbuchforderungen vom 5. Januar 1940104 in einer für das Depot- [17] recht einschneidenden Weise Gebrauch gemacht wurde, indem man einen entmaterialisierten Wertpapierverkehr der öffentlichen Hand einführte. Es folgten die VO über die Behandlungen von Anleihen des Deutschen Reichs im Bank- und Börsenver Zutr. Habersack/Mayer, WM 2000, 1678, 1679. Habersack/Mayer, WM 2000, 1678, 1679. 103 Vgl. dazu die Ausführungen vorstehend III 1b und 2a. 104 RGBl. I, S. 30. 101 102
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kehr vom 31.12.1940105 und die zweite VO über die Behandlung von Anleihen des Reichs- im Bank- und Börsenverkehr vom 18.4.1942106. Alle drei Verordnungen gelten heute gem. § 1 des Anleihegesetzes von 1950 und Art. 2 der Depotgesetz-Novelle von 1972 sinngemäß fort für Schuldverschreibungen aufgrund von Anleihen des Bundes und der Länder und für solche Anleiheforderungen, die in die Schuldbücher des Bundes oder der Länder eingetragen sind107. Dadurch ist der öffentlichen Hand die Möglichkeit eingeräumt, Anleihen anstelle in Form von Schuldverschreibungen (Briefschuld) in Form von Schuldbuchforderungen (Buchschuld) zu begeben. Von dieser Möglichkeit hat die öffentliche Hand bis heute in großem Umfang Gebrauch gemacht. Die Schuldbuchforderungen werden durch Eintragung in das Schuldbuch begründet. Der Schuldbucheintrag genießt öffentlichen Glauben; ein gutgläubiger Erwerb von Schuldbuchforderungen ist möglich, obwohl das Schuldrecht einen gutgläubigen Erwerb von Forderungen grundsätzlich nicht anerkennt108. Die auf den Namen der Wertpapiersammelbank als Treuhänder der Anteilsgläubiger im Schuldbuch eingetragenen Schuldbuchforderungen sind in ihrer rechtlichen Bedeutung als Teil eines Sammelbestandes sammelverwahrten Schuldverschreibungen durch § 2 der ersten Sammeldepotverordnung gleichgestellt109. Die Schuldbuchforderungen sind verwahrungsrechtlich wie Wertpapiere zu behandeln110. Die Veräußerung und Verpfändung der Schuldbuchforderungen vollzieht sich nach den sachenrechtlichen Vorschriften der §§ 929 ff., 1204 ff. BGB111. b) Kein Argumentum e contrario Gegen die von der h.M. vorgenommene sachenrechtliche Deutung der Girosammelverwahrung und des Effektengiroverkehrs könnte man auch einwenden, dass dieser Verkehr im tatsächlichen Ablauf weitgehend entmaterialisiert ist, eine Gleichstellung der Buchungsvorgänge in einem solchen entmaterialisierten Effektengiroverkehr mit sachenrechtlichen Vorgängen einschließlich einer Besitzübertragung aber eine spezialgesetzliche Regelung voraussetze. Gerade die besondere Regelung des Verkehrs mit Schuldbuchforderungen zeige, dass dies einer spezialgesetzlichen Regelung bedürfe. In RGBl. I 1941, S. 21. RGBl. I, S. 183. 107 Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 42 Rdn. 2. 108 Einzelheiten bei Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 42 Rdn. 7 ff. 109 Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), Rdn. 26. 110 BGHZ 5, 31. 111 Büchner, a.a.O. (Fn. 43), S. 188 f.; Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 42 Rdn. 26.; OLG München WM 1962, 588, 589. Die Übertragung richtet sich außerhalb des Schuldbuchs nach den §§ 398 ff. BGB, die Verpfändung nach den §§ 1273, 1280 BGB; Heinsius/ Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 42 Rdn. 2. 105 106
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der Tat hat der Versuch einer Verallgemeinerung der Regelung der Schuldbuchforderungen, vor allem durch die von Opitz begründete Lehre von den „Wertrechten“, sich in der Lehre nicht durchsetzen können112. Nach h.M. handelt es sich um eine gesetzliche Fiktion113. Auch wenn man die Wertrechtslehre nicht für verallgemeinerungsfähig hält, so lässt sich doch andererseits aus der spezialgesetzlichen Regelung der Schuldbuchforderungen keineswegs ein Umkehrschluss herleiten, dass außerhalb der besonderen Regelung dieses Verkehrs depotrechtliche Buchungsvorgänge sachenrechtlich bedeutungslos seien. Es wurde bereits vorstehend (2. und 3.) nachgewiesen, dass dies schon aufgrund der spezialgesetzlichen Regelungen der § 3, 9a, 14 Abs.3 und 24 DepotG nicht der Fall ist. Andererseits vernachlässigen die Kritiker des derzeitigen Systems der Girosammelverwahrung und des Effektengiroverkehrs die Tatsache, dass dieser Verkehr anders als die Wertrechte immer noch an eine Vergegenständlichung anknüpft, nämlich entweder an die im Wertpapiersammelbestand gehaltenen Einzelstücke oder an die Sammelurkunde i.S. § 9a DepotG. Auch mit der Neufassung des § 10 Abs. 5 AktG hat der Gesetzgeber bewußt am Wertpapiercharakter der Aktie festgehalten und die in der Praxis übliche Verkörperung in einer Globalurkunde vorausgesetzt und für ausreichend gehalten114. Es bedarf also insoweit keiner gesetzlichen Fiktion. Eine völlige Entmaterialisierung liegt nicht vor. Man kann umgekehrt sagen, dass der Gesetzgeber der spezialgesetzlichen Regelung für Schuldbuchforderungen eine Fiktion nur insoweit vorgenommen hat, als er das Nichtvorhandensein von Wertpapierurkunden durch eine Fiktion ersetzte. Im Übrigen knüpfte er aber an das bestehende System der Wertpapiersammelverwahrung und des Effektengiroverkehrs an. Darin liegt indirekt eine Bestätigung, dass er dieses System in seiner sachenrechtlichen Deutung voraussetzte und akzeptierte. 4. Ergebnis zu IV Die Einwände gegen die sachenrechtliche Stellung der Wertpapierinhaber als Miteigentümer und mittelbare Mitbesitzer der sammelverwahrten Wertpapiere (§ 5 DepotG) oder Sammelurkunden (§ 9a DepotG), insbesondere gegen ihre Besitzposition, sind rechtlich nicht stichhaltig. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Willen des Spezialgesetzgebers des DepotG verbunden mit der besonderen Ausgestaltung der Depotbuchungen im gleichen Gesetz.
Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), Rdn. 28 m. N. BGHZ 5, 27, 31; OLG Frankfurt a. M. WM 1962, 1149 ff.; OLG München WM 1962, 588 und WM 1970, 973, 974. 114 Seibert, DB 1999, 267, 269; Hüffer, a.a.O. (Fn. 17); § 10 Rdn. 11; Habersack/Mayer, WM 2000, 1678. 112 113
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V. Eigentumsübertragung und Besitzverschaffung im neuen System unter Einbeziehung des CCP 1. Grundsatz: Keine Veränderung der sachenrechtlichen Voraussetzungen Die sachenrechtlichen Fragen der Eigentumsverschaffung im neuen System des Zentralen Kontrahenten (CCP) mit dinglicher Erfüllung nach Aufrechnung lassen sich grundsätzlich aus den sachenrechtlichen Regeln, die im bisherigen System des Effektengiroverkehrs gelten, beantworten, wobei nur begrenzte Besonderheiten zu berücksichtigen sind. 2. Besitzmittlung auf der Ebene des Zentralverwahrers (CBF) Unverändert mittelt der Zentralverwahrer (CBF) auch im neuen System als unmittelbarer Besitzer der sam- [18] melverwahrten Wertpapiere (§ 5 DepotG) und der Sammelurkunden (§ 9a DepotG) den CMs den Besitz und zwar im vollen Umfang der Wertpapierbestände, die auf den von ihm geführten Depotkonten der CMs ausgewiesen sind115. Ein Unterschied zum bisherigen System besteht im neuen System bei der Änderung (Umstellung) des Besitzmittlungswillens der CBF gegenüber den CMs nur in quantitativer Hinsicht. Das neue System des Netting führt dazu, dass auf der Ebene des unmittelbaren Besitzers und Zentralverwahrers (CBF) nur im Umfang der aus dem Netting resultierenden Salden Umbuchungen auf den Depotkonten der Clearing-Mitglieder vorgenommen werden müssen. Der Besitzmittlungswille des Zentralverwahrers (CBF) ändert sich nur im Umfang dieser verändernden Buchungen. Gleichzeitig hat CBF als Zentralverwahrer hinsichtlich des Gesamtvolumens der Tagesumsätze und darüber hinaus hinsichtlich aller verwahrter Wertpapiere einen Besitzmittlungswillen. Dieser Besitzmittlungswille bleibt freilich unverändert wie zuvor bestehen und entspricht den unveränderten gebuchten Beständen der einzelnen Clearing-Mitglieder. Denn es entspricht dem System der Besitzmittlung i.S. §§ 868, 871 BGB, dass der Besitzmittlungswille des Zentralverwahrers bei Girosammelverwahrung alle Wertpapierbestände, die auf den Depotkonten gutgeschrieben sind, umfasst, wie bereits vorstehend (II.2b) dargestellt. 3. Besitzmittlungswille des Zwischenverwahrers (Bank als CM oder NCM) Die Bank (CM) muss als Zwischenverwahrer die Wertpapiergeschäfte aller Kunden, deren Depotkonten sie führt (NCMs und Endkunden) dadurch dokumentieren, dass sie in vollem Umfang der Umsätze entsprechende Vgl. dazu vorstehend II 2b.
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Abbuchungen und Zubuchungen auf den bei ihr geführten Depotkonten vornimmt. Das Volumen der Buchungen ist also beträchtlich höher als auf der Ebene der Depotkonten des Zentralverwahrers. Es entspricht entweder dem Brutto-Umsatz oder bleibt nur wenig darunter, nämlich insoweit als Aufrechnungseffekte auf Depotkonten von NCMs auftreten, die ihrerseits ihren Kunden den Besitz weitermitteln. Der Besitzmittlungswille der zwischenverwahrenden Bank und ebenso der NCMs als ggf. nachgeschalteter Zwischenverwahrer ändert sich also im Umfang aller Geschäftsvorfälle, die zu Abbuchungen und Zubuchungen bei Kunden führen, im Endergebnis im Bruttoumfang der gesamten Umsätze116. 4. Disparität zwischen der Änderung des Besitzmittlungswillens des Zentralverwahrers und derjenigen der Zwischenverwahrer Betrachtet man das System der Besitzmittlung der Girosammelverwahrung einschließlich der zentralverwahrten Globalurkunde, so besteht, wie bereits oben ausgeführt, eine vollständige quantitative Übereinstimmung im Umfang des Besitzmittlungswillens des Zentralverwahrers einerseits, der den CMs als Zwischenverwahrern den Besitz mittelt (Besitzmittlung der 1. Stufe), und der Summe aller Wertpapiere, für die alle CMs den Besitz an Kunden (Endkunden oder NCMs) weitervermitteln (Besitzmittlung der 2. Stufe), wenn man die Eigenbestände der CMs hinzuzählt, für die die CMs mittelbare Eigenbesitzer sind. Andererseits ergibt sich ein Unterschied im Inhalt des Besitzmittlungswillens, weil er auf unterschiedliche Personen gerichtet ist, wie bereits vorstehend (II.2b) ausgeführt: der Zentralverwahrer CBF mittelt Besitz für seine CMs, die CMs mitteln Besitz für ihre Kunden (NCMs und Endkunden). Damit zusammen hängt eine Disparität im Umfang des Besitzänderungswillens auf den beiden Ebenen bei der Erfüllung der Wertpapiergeschäfte. Denn der Besitzänderungswille des Zentralverwahrers CBF bezieht sich nur auf die Spitzenbeträge (Salden), die auf den von CBF geführten Depotkonten der CMs abgebucht oder zugebucht werden müssen, damit die CMs alle Wertpapiergeschäfte hinsichtlich der Besitzverschaffung erfüllen können. Die CMs dagegen begründen gegenüber ihren erwerbenden Kunden (NCMs oder Endkunden) einen neuen Besitzmittlungswillen (Besitzänderungswillen) mit einigen Ausnahmen im Bruttoumfang aller getätigten Wertpapiergeschäfte117. Die CMs können natürlich nicht mehr Besitz wei Zu den Ausnahmen von diesem Grundsatz vgl. die nächste Fußnote. Ausnahmen: Ist der Kunde ein NCM, der selbst ein größeres Handelsvolumen über den CM abwickelt, so ergeben sich insoweit ebenfalls Verrechnungseffekte im Verhältnis CM-NCM; das Volumen der Besitzumstellung ist tendenziell kleiner als im Verhältnis des NCM zu seinen Endkunden. Ist der Kunde des CM ein Endkunde, so können sich 116 117
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termitteln, als sie selbst (auf ihren eigenen Depotkonten bei CBF) haben. Die entsprechende Deckung für die Neubegründung von mittelbarem Besitz ihrer erwerbenden Kunden muss also auf ihren eigenen Depotkonten bei CBF vorhanden sein. Diese Deckung wird nur zu einem Teil durch eine etwa erfolgende zusätzliche Wertpapiergutschrift von CBF auf dem Konto des CM geschaffen, indem CBF einen Wertpapiersaldo (als Ergebnis des Netting) auf dem Konto des CM gutschreibt118. Zu einem anderen Teil ergibt sich die erforderliche Deckung für das CM aber aus seinem unveränderten Depotbestand bei CBF, weil der CM zwar einerseits Wertpapierbestände seiner verkauften Kunden abgeben muss, andererseits aber neue Wertpapiergutschriften der gleichen Art für seine erwerbenden Kunden zu beanspruchen hat119 und sich beides aufhebt (aufrechnen lässt). Insoweit bleibt der Depotbestand des CM bei CBF (und der Besitzwille der CBF !) unverändert; der CM muss lediglich seinen Besitzmittlungswillen von den veräußernden Kunden auf erwerbende Kunden umstellen. Die Disparität im Volumen der Wertpapiere, für die der Zentralverwahrer einerseits und die CMs andererseits ihren Besitzmittlungswillen umstellen, ist besitzrechtlich unbedenklich und kein Hindernis für die Erfüllung der besitzrechtlichen Seite der Wertpapiergeschäfte im vollen Umfang (brutto). Denn besitzrechtlich ist eine Mitwirkung des Besitzmittlers 1. Stufe (CBF) an der Begründung oder Änderung des Besitzmittlungswillens 2. Stufe (CMKunde) nicht erforderlich. Der Besitzmittler 1. Stufe (CBF) braucht irgendwelche Einzelheiten der Besitzmittlung 2. Stufe (CM-Kunde) nicht in seinen Besitzwillen aufzunehmen; sogar die Tatsache weiterer Besitzmittlung kann ihm rechtlich gleichgültig [19] sein120. Es genügt, dass der Besitzmittler 2. Stufe (CM) genügend Besitz (Deckung auf seinem Depotkonto bei CBF) hat, den er weitermitteln kann.
ausnahmsweise Verrechnungseffekte ergeben, wenn dieser Kunde taggleich gegenläufige Geschäfte in der gleichen Wertpapierart (day trading) abschließt. 118 Insoweit begründet der CM gegenüber seinen Kunden das Besitzmittlungsverhältnis neu; er hat also einen „Besitzneubegründungswillen“. Dieser Fall ist im Text z.T. durch den Begriff des Besitzänderungswillens mit abgedeckt. 119 Damit ist keineswegs nur der Fall eines Wertpapiergeschäfts zwischen den Kunden der gleichen Bank (CM) gemeint, sondern auch der Fall, dass Käufe und Verkäufe mit Kunden beliebiger dritter Banken so getätigt werden, dass Zufluss und Abfluss der Wertpapiere sich aufheben. 120 BGH JZ 1964, 130 = LM BGB § 871 Nr. 1; Staudinger/Bund, a.a.O. (Fn. 31), § 871 Rdn. 2; MünchKomm/Joost, a.a.O. (Fn. 30), § 868 Rdn. 17.
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5. Die dingliche Einigung und der Gutglaubenserwerb a) Dingliche Einigung Im neuen System ist der Zentralverwahrer CBF zwar in der erörterten Weise in die Besitzveränderungen eingeschaltet, nicht aber in den Vorgang der dinglichen Einigung. Denn die Buchungsinformationen über die einzelnen Wertpapiergeschäfte laufen nicht in vollem Umfang (brutto) über CBF, sondern über den Zentralen Kontrahenten (CCP). Dieser will selbst nicht Eigentum erwerben (kein Zwischenerwerb). Demnach muss angenommen werden, dass er die Einigungsofferte, die in der Buchungsinformation eines (für sich oder einen Kunden) veräußernden CMs liegt, als Empfangsbote für den Enderwerber entgegen nimmt121 und an diesen (in Erfüllung zugleich seiner eigenen Verkäuferpflicht gegenüber dem Enderwerber) weiterleitet. Die Einigung kommt dann zustande, wenn die weitergeleitete Einigungsofferte an den Zwischenverwahrer des Erwerbers als dessen Empfangsvertreter gelangt. Der Eigentumserwerb ist dann mit der Besitzerlangung (oben 4 und i.F. 6) vollendet. b) Gutglaubenserwerb Grundlage des gutgläubigen Erwerbs der Wertpapiere durch den Erwerber (CM oder NCM) ist unverändert das Wertpapierguthaben auf dem beim Zentralverwahrer (CBF) geführten Depotkonto, das die in den Erwerbsvorgang auf der Seite des Veräußerers eingeschaltete Bank als CM innehat. Es kommt auf den guten Glauben des Enderwerbers, der für ihn handelnden Bank als Empfangsvertreter (§ 166 Abs. 1 BGB) oder des Zentralen Kontrahenten (CCP) als Empfangsboten des Enderwerbers (analog § 166 Abs. 1 BGB) an (vorstehend II 4). Maßgebliche Grundlage des Gutglaubenserwerbs ist die Kenntnismöglichkeit bezüglich der Kontostände auf den bei CBF geführten Konten, jedenfalls soweit es um Erwerbsvorgänge zwischen Kunden verschiedener CMs geht. Würde es an der Möglichkeit der Kenntnisnahme fehlen, so wäre ein Verlautbarungstatbestand nicht gegeben und der vorstehend (III) erörterten Kritk am bestehenden System wäre zu folgen. Im bisherigen System hat der Zentralverwahrer als Kontenführer diese Kenntnismöglichkeit. Da dieser künftig in das Zustandekommen der Einigung nicht mehr eingeschaltet ist, kommt es auf die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Zentralen Kontrahenten (als Empfangsboten des Erwerbers) an. Diese Möglichkeit der Kenntnisnahme muss im künftigen System sichergestellt sein. Dies geschieht durch die vom CBF an CCP gesandte Lieferliste. Sie dokumentiert alle vom Zentralverwahrer CBF vorgenommenen Umbu Zur gleichen Rolle des Zentralverwahrers im bisherigen System vorstehend II. 4.
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chungen auf den von ihm geführten Konten der CMs, die CBF im Umfang der aus der Aufrechnungen sich ergebenden Spitzen (Wertpapiersalden) vornimmt. Diese Transaktionen werden von CBF nur vorgenommen und in der Lieferliste erfaßt, wenn ausreichende Guthaben auf den Depotkonten der CMs vorhanden waren, die auf Verkäuferseite (für sich oder ihre Kunden) tätig geworden sind. Bei einer Wertpapierübertragung zwischen Kunden der selben Bank (Hausübertragung) ist dagegen ein gutgläubiger Erwerb (und damit ein Verstoß gegen § 6 Abs. 2 und § 34 DepotG) aus den gleichen Gründen nicht möglich wie im bisher bestehenden System (dazu vorstehend II.4.b). Denn Grundlage des Gutglaubenserwerb ist hier für die Bank, die sowohl auf Seiten des veräußernden Kunden wie des erwerbenden Kunden handelt, das von ihr selbst geführte Depotkonto des veräußernden Kunden. Schreibt sie dem erwerbenden Kunden Wertpapiere gut, die der veräußernde Kunde überhaupt nicht innehat und über die er daher nicht verfügen kann, so ist dieser Mangel der Bank aufgrund der Kontenführung bekannt oder grobfahrlässig nicht bekannt. Diese Kenntnis oder grobfahrlässige Unkenntnis der Bank wird gem. § 166 Abs. 1 BGB dem erwerbenden Kunden zugerechnet, weil die Bank als sein Empfangsvertreter bei der Übertragung fungiert122. Insgesamt besteht (nach der hier vertretenen Auffassung, dass CBF auch im alten System nur Empfangsbote für die Einigungsofferte ist) kein Unterschied im Gutglaubenserwerb zum alten System. Auch für andere Fälle des Gutglaubenserwerbs ergeben sich keine Unterschiede durch das neue System123. 6. Die Zwischenbuchungen auf dem Konto des CCP Im neuen System werden alle Umbuchungen, die der Zentralverwahrer CBF auf den von ihm geführten Konten der einzelnen CMs ausführt und die nur den Spitzenausgleich der Wertpapiersalden betrifft, in der Weise bewirkt, dass auch hier der CCP zwischengeschaltet ist. Denn die bei dem auf der Verkäuferseite handelnden CM abgebuchte Wertpapiermenge wird nicht direkt dem CM gutgeschrieben, der auf der Erwerberseite handelt, sondern Heinsius/Horn/Than, a.a.O. (Fn. 7), § 7 Rdn. 18 a.E. Zu denken ist an die Fälle der Einlieferung von (a) gestohlenen oder (b) gefälschten Wertpapieren in die Sammelverwahrung. Ist in Fall (a) der Einlieferer bösgläubiger Nichteigentümer (Dieb), so erwirbt er auch keinen Anteil am Sammelbestand; der Anteil kann aber von Dritten gutgläubig erworben werden. (b) Durch gefälschte Wertpapiere kann niemand Inhaber von Wertpapierrechten werden; die betr. Kaufverträge werden nicht erfüllt. Da bei Einlieferung die Stücke genau erfasst werden, kann der Mangel (nach Entdeckung) aber noch sehr viel später korrigiert werden: die einliefernde Bank muss sich echte Stücke bzw. Anteile am Markt beschaffen und an den Zentralverwahrer leisten. Es bestehen keine Unterschiede zwischen altem und neuem System. 122 123
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dem CCP auf einem für ihn vom Zentralverwahrer CBF geführten Konto. Unmittelbar danach wird dieses Guthaben beim CCP wieder abgebucht und dem auf der Erwerberseite handelnden CM gutgeschrieben. Dieses Verfahren dient der bereits angesprochenen Anonymisierung des Wertpapierumlaufs. Der auf der Erwerberseite handelnde CM kann nicht erkennen, von wem die Wertpapiere stammen und geliefert werden. Es fragt sich, wie diese Zwischenbuchung sachenrechtlich zu qualifizieren ist. Ein Eigentumserwerb des CCP (Zwischenerwerb) scheidet aus. Er ist von den Beteiligten nicht gewollt und es gibt keine entsprechende Einigungserklärung. In Betracht kommt die Stellung als mittelbarer Besitzer. Eine solche Position des CCP für den auf der Erwerberseite handelnden CM scheidet aus. Zwar wird der CCP, wie dargestellt, auf dessen Seite als Empfangsbote für die Einigungserklärung tätig, aber es bestehen nach dem Willen und Vorstellungen der Beteiligten keine Ansatzpunkte, ein antizipiertes [20] Besitzkonstitut oder eine antizipierte Besitzdienerstellung des CCP für den CM auf der Erwerberseite anzunehmen. Der CCP ist vielmehr besitzrechtlich der Seite des veräußernden CM zuzurechnen. Er könnte für diesen Besitzmittler sein. Dies entspräche der Funktion der anderen CMs, die hinsichtlich ihrer bei CBF geführten Wertpapierkonten ebenfalls Besitzmittler (für NCMs und Endkunden) sind, soweit es sich nicht um Eigenbestände handelt. Die eigene Besitzposition des CCP folgt daraus, dass der Zentralverwahrer CBF allen CMs, also auch dem CCP als Inhaber eines CM-Kontos, in der bereits erörterten Weise Besitz an den sammelverwahrten Wertpapieren mitteln will und mittelt. Zweifel am Besitzmittlungswillen von CBF für CCP können allenfalls aus dem besonderen Charakter der bloßen Zwischenbuchung folgen, die dem rein technischen Zweck der Anonymisierung dient. Diese greifen aber (mangels besonderer Abreden) gegenüber der Tatsache nicht durch, dass die Besitzmittlung der CBF für die CMs grundsätzlich alle bei ihm geführten Verwahrkonten betrifft. Diesen mittelbaren Besitz, den CCP durch die Zwischenbuchung erhält, mittelt er – im Rahmen eines mehrstufigen Besitzmittlungsverhältnisses i.S. § 871 BGB – weiter an den CM, von dessen Konto die dem CCP gutgeschriebene Wertpapiermenge stammt und der auf der Veräußererseite tätig ist. Das in § 868 BGB vorausgesetzte konkrete Rechtsverhältnis, das als Grundlage des Besitzmittlung dient124, kann in der mit allen auf der Veräußererseite handelnden CMs abgeschlossenen Abrede gesehen werden, zur Erfüllung der abgeschlossenen Verkaufsverträge nicht nur dem CCP eine Einigungsofferte zur Weiterleitung an den jeweiligen Erwerber (ohne Zwischenerwerb des CCP) zu übermitteln, sondern auch für die Besitzverschaffung im Rahmen des Clearingsystems zu sorgen, das nach dem neuen System eine Zwischenbuchung beim CCP und die anschließende Weiterbuchung an andere CMs, Zu diesem Erfordernis allg. RGZ 54, 396; BGH LM § 868 Nr. 6.
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die auf der Erwerberseite handeln, als Ergebnis des Netting (Gutschriften von Spitzenbeträgen) vorsieht. Rein vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass die kurzzeitige Rolle des CCP als Besitzmittler bei der Zwischenbuchung, die nur dem erwähnten Zweck der Anonymisierung der Besitzübertragung vom CMs auf der Veräußererseite auf CMs auf der Erwerberseite dient, keine Bedeutung für den Vorgang der Wertpapierübereignung (Verschaffung der Miteigentumsanteile) hat, die i.F. (7) noch einmal zusammengefasst dargestellt wird. 7. Zeitpunkt des Erwerbs a) Dingliches Geschäft und AGB-Klauseln Die Übereignung soll im neuen System auf der Grundlage der (noch zu erstellenden) AGB der Eurex Clearing AG als CCP dann eintreten, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: (i) Wenn vom Zentralverwahrer CBF alle Buchungen vom Depotkonto des CCP bezüglich der vom CCP verrechneten Börsengeschäfte auf die Depots der zu beliefernden CMs vorgenommen wurden125, sowie (ii) der jeweilige CBF-Geldverrechnungszyklus abgeschlossen126 wurde und (iii) den CMs/NCMs die Lieferliste des CCP über alle getätigten Wertpapiergeschäfte (Brutto) zum Abruf bereitgestellt wurde. Es versteht sich, dass die vorgenannten Voraussetzungen keineswegs ausreichen, um den Eigentumserwerb herbeizuführen. Dazu ist vielmehr der Vollzug der dinglichen Einigung und die Besitzverschaffung erforderlich, die sich in der bereits oben dargestellten Weise durch Buchungsvorgänge vollziehen. Die vom CM auf der Veräußererseite erklärte Einigungsofferte seines Kunden (ohne Aufdeckung von dessen Person) wird vom CCP als Empfangsbote des Erwerbers entgegengenommen (wobei böser Glaube des CCP, der auf der Erwerberseite handelt, den Eigentumserwerb hindern würde) und mit dem Lieferreport dem CM des Erwerbers als dessen Vertreter zugeleitet, der die Einigung mit Entgegennahme des Reports konkludent annimmt. Der Besitz wird übertragen, indem der CM auf der Erwerberseite einen Wertpapierguthabensaldo (soweit erforderlich) auf seinem bei CBF geführten Depotkonto erhält und seinerseits dem Kunden die diesem zustehenden Wertpapiere (die mit dem vorgenannten Saldo nicht notwendig übereinstimmen) auf dessen bei ihm geführten Konto gutschreibt, so dass gestufter mittelbarer Besitz CBF-CM und CM-NCM oder Endkunde entsteht. Allerdings begründet die Bank zum Zeitpunkt der Buchung des Wertpapierguthabens für ihren erwerbenden Kunden regelmäßig nicht sofort einen Besitzmittlungswillen. Denn die tatsächliche Belieferung erfolgt grundsätz Buchungen sind insoweit nur hinsichtlich der Salden erforderlich. Auch hier sind Geldbuchungen nur hinsichtlich der nicht verrechneten Spitzenbeträge erforderlich. 125 126
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lich erst am 2. Tag nach Abschluss des Wertpapiergeschäfts an der Börse und die Bank erhält in der Regel auch erst zu diesem Zeitpunkt entsprechende Deckung auf ihrem Depotkonto beim Zentralverwahrer CBF127. Die eingangs genannten drei Voraussetzungen für den Eigentumserwerb, die im neuen System vorgeschrieben werden, haben hinsichtlich des Vollzugs des dinglichen Erfüllungsgeschäfts eine unterschiedliche Bedeutung. (i) Die erste Voraussetzung, dass die Buchungen der nach Aufrechnung auszugleichenden Wertpapiersalden durch CBF auf den von CBF geführten Konten vorgenommen wurden, ist eine dem dinglichen Übereignungsgeschäft beigefügte Bedingung. Die Beifügung einer solchen Bedingung ist zulässig. Die dingliche Einigung i.S. § 929 BGB kann an eine Bedingung oder Befristung geknüpft werden128. Die Bedingung dient dem Zweck, zu vermeiden, dass die einzelne Bank (CM) dem Kunden eine Gutschrift erteilt, ohne Deckung zu haben129. Zugleich handelt es sich um eine Wirksamkeitsvoraussetzung für das Geschäft. Denn wenn die Bank (vorbehaltslos) gutschreiben würde, ohne Deckung zu haben, so wäre sie zugleich hinsichtlich der fehlenden Deckung bösgläubig und diese Bösgläubigkeit würde gem. § 166 BGB dem erwerbenden Kunden zugerechnet werden, so dass dieser nicht erwerben kann. (ii) Die Voraussetzung, dass der jeweilige CBF-Geldverrechnungszyklus abgeschlossen sein muss, dient der Erfüllung Zug um Zug und soll sicherstellen, dass Geld und Wertpapiere gleichzeitig geleistet werden. Es handelt sich um ein dem Tatbestand des dinglichen Ge- [21] schäfts nicht notwendig angehörendes Element, das der Einigung ebenfalls als Bedingung hinzugefügt ist. (iii) Die Bereitstellung der Lieferliste aller von CCP getätigten Wertpapiergeschäfte ist keine zusätzlich zugefügte Bedingung, sondern ein Element des dinglichen Rechtsgeschäfts selbst, weil in der Lieferliste zugleich die Einigungsofferte enthalten ist. Bereitstellung der Liste bedeutet, dass diese von jedem CM elektronisch abgerufen werden kann. Damit kommt es zur dinglichen Einigung, und zugleich begründet der CM, der für den Erwerber handelt, Besitzmittlungswillen für diesen. Im Fall des eigenen Erwerbs begründet der CM Eigenbesitzwillen. Insgesamt kann die Vollendung des dinglichen Geschäfts in zulässiger und rechtswirksamer Weise an die genannten 3 Voraussetzungen geknüpft werden. 127 In der Praxis wird vorausgesetzt, dass allen veräußernden und erwerbenden Kunden bekannt ist, dass Erfüllung erst am zweiten Tag nach Abschluss des Wertpapiergeschäfts erfolgt. Erforderlichenfalls wäre dies gegenüber dem Kunden klarzustellen. 128 MünchKomm/Quack, BGB, 3. Aufl. 1997, § 929 Rdn. 91 ff. 129 Eine solche Unterdeckung kann nach Saldierung nur in Höhe der auszugleichenden Salden bestehen.
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Die Vorschrift des § 24 Abs. 2 DepotG, die einen gesetzlichen Tatbestand des Eigentumserwerbs durch Eintragung im Verwahrbuch des Kommissionärs enthält, ist dagegen regelmäßig für den Zeitpunkt des Eigentumswerbs bedeutungslos. Denn diese Vorschrift greift regelmäßig nicht ein und zwar aus den gleichen Gründen, die für das bisherige System gelten und bereits oben (II.5) erörtert wurden. Denn § 24 setzt voraus, dass der Kommissionär zur Zeit der Vornahme des Übertragungsvermerks im Verwahrbuch verfügungsberechtigt ist (§ 24 Abs. 2 Satz 1 1. Halbs. DepotG). Dies ist regelmäßig nicht der Fall, weil in der Praxis auch im Rahmen des neuen Systems die Gutschrift auf dem Depotkonto des Kunden schon – vorläufig – aufgrund der Soll-Lieferliste zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die Bank (CM oder NCM) selbst noch keinen endgültigen (mittelbaren) Besitz der verkauften Wertpapiere erhalten hat und daher nicht verfügungsberechtigt ist. § 24 Abs. 2 DepotG erfasst daher auch im neuen System nicht den Regelfall der Eigentumsübertragung girosammelverwahrter Wertpapiere130. b) Der Lieferreport als einheitlicher Bezugspunkt. Vergleich von altem und neuem System Sowohl im bestehenden (alten) System wie im neuen System gibt es einen einheitlichen Bezugspunkt (ein „zentrales Ereignis“) für den Vollzug des Eigentumsübergangs (mit der Einschränkung, dass zusätzlich die Depotbuchung bei CBF erfolgt und der Geldverrechnungszyklus bei CBF abgeschlossen sein muss; vgl. vorstehend a). Im bestehenden (alten) System ist dieser Bezugspunkt die Bereitstellung des Regulierungsdatenträgers von CBF für den Abruf durch die CMs. Im neuen System ist es die Bereitstellung der Ist-Lieferliste des CCP für den Abruf durch die CMs. Die folgende Übersicht zeigt die Gleichartigkeit der Funktionen beider Ereignisse. (1) Funktionen des Regulierungsdatenträgers von CBF (altes System): Die Liste (1.1) transportiert die Einigungsofferte an den CM des Erwerbers. Dabei handelt CBF als Empfangsbote des Erwerbers131, der betreffende CM als Empfangsvertreter des Erwerbers. Der Zugang erfolgt mit der Bereitstellung (= Abrufbarkeit) der Lieferliste; (1.2) sie drückt die Umstellung des Besitzmittlungswillens der CBF gegenüber dem CM des Veräußerers und dem CM des Erwerbers aus und teilt die entsprechenden Buchungen (Abbuchung und Zubuchung) mit;
130 So für das bisherige System die h.M.; vgl. Koller, DB 1972, 1905 Fn. 73; Kumpel, BuB, Rdn. 8/76; Einsele, WM 2001, 7, 12. 131 Nach anderer Meinung handelt CBF als Empfangsvertreter des Erwerbers, wie vorstehend (II 3b) erörtert. Beide Theorien führen in den hier interessierenden Fragen (Zustandekommen u. Zeitpunkt des Eigentumsübergangs) zum gleichen Ergebnis.
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(1.3) sie ist Grundlage dafür, dass die CMs ihren Besitzmittlungswillen gegenüber den erwerbenden Kunden begründen und gegenüber den veräußernden Kunden aufgeben. Sie dokumentieren dies durch entsprechende Buchung (Abbuchung, Zubuchung) auf dem von ihnen geführten Depotkonto des Kunden. In der Praxis erfolgt diese Buchung schon vor dem Liefertag vorläufig aufgrund der Soll-Lieferliste. (2) Funktionen der Ist-Lieferliste des CCP (neues System). Die Liste (1.1) transportiert die Einigungsofferte an den CM des Erwerbers. Dabei handelt der CCP als Empfangsbote des Erwerbers, der betreffende CM als Empfangsvertreter des Erwerbers. Der Zugang erfolgt mit der Bereitstellung (Abrufbarkeit) der Liste; (1.2) sie teilt die Umstellung des Besitzmittlungswillens des CBF gegenüber ihren CMs und die entsprechenden Buchungen (Abbuchungen und Zubuchungen) durch CBF mit, die CBF (nur) im Umfang des Spitzenausgleichs ausführt; CCP hat diese Umstellungen des Besitzmittlungswillens und die entsprechenden Buchungen zuvor durch den Ist-Lieferreport von CBF an CCP erfahren; (1.3) die Liste von CCP ist Grundlage dafür, dass die CMs ihren Besitzmittlungswillen gegenüber ihren erwerbenden Kunden im vollen Umfang des getätigten Geschäfts (brutto) begründen und gegenüber den veräußernden Kunden beenden. Sie dokumentieren dies durch entsprechende Buchung (Abbuchung, Zubuchung) auf dem von ihnen geführten Depotkonto des Kunden. In der Praxis erfolgt diese Buchung schon vor dem Liefertag vorläufig aufgrund der Soll-Lieferliste.
VI. Zusammenfassung Frage 1: Kann im neuen System der Geschäftsabwicklung mit Hilfe des Zentralen Kontrahenten (CCP) dem Erwerber sammelverwahrter oder durch eine verwahrte Sammelurkunde repräsentierter Wertpapiere in rechtssicherer Weise Eigentum verschafft werden? Dabei sind auch Einwände gegen das bisher praktizierte System der Girosammelverwahrung und des Effektengiroverkehrs zu berücksichtigen. Die sachenrechtliche Ausgestaltung und Bewertung des neuen Systems des Zentralvertragspartners (CCP) kann an die sachenrechtliche Bewertung des bisherigen Systems des Effektengiroverkehrs anknüpfen. In sachenrechtlicher Hinsicht sind die Abweichungen vom zuvor bestehenden System begrenzt und stellen die dingliche Rechtstellung des Wertpapiererwerbers nicht in Frage. Das bestehende System der Girosammelverwahrung und des Wertpapiergiroverkehrs verschafft dem Wertpapierberechtigten eine dingliche Rechtsstellung hinsichtlich seiner in der Wertpapierurkunde verbrieften Rechte.
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Diese Rechtsstellung besteht in einem Miteigentümerrecht und in einer Mitbesitzerstellung am Girosammelbestand. Diese Rechtstellung ist insolvenz[22] fest und kann gutgläubig erworben werden. Dies entspricht der ganz h.M. Diese bejaht zutreffend die Möglichkeit gutgläubigen Erwerbs im Wertpapiergiroverkehr und weist lediglich in der Begründung zwei Varianten auf: Teils wird die Depotbuchung (Wertpapierguthaben) als allein maßgeblicher Verlautbarungstatbestand angesehen, teils wird (in m.E. zutreffender Weise) die Depotbuchung im Zusammenspiel mit dem mittelbaren Mitbesitz der Wertpapierinhaber am Sammelbestand oder an der Sammelurkunde, der als quotaler Mitbesitz aufzufassen ist, als maßgeblicher Verlautbarungstatbestand betrachtet. Sind die Rechte der einzelnen Wertpapierinhaber nur in einer sammelverwahrten Globalurkunde verbrieft und ist die Ausstellung von Einzelurkunden und deren Auslieferung an Wertpapierinhaber ausgeschlossen (§ 9a Abs. 3 Satz 2 DepotG; § 10 Abs. 5 AktG), so haben die einzelnen Wertpapier inhaber eine gleichwertige dingliche Rechtsstellung als Miteigentümer und Mitbesitzer wie im Fall der normalen Girosammelverwahrung. Dies folgt aus dem in § 9a DepotG ausgedrückten Willen des Gesetzgebers, die Schaffung von Globalurkunden und ihre Sammelverwahrung dem Tatbestand der normalen Girosammelverwahrung gleichzustellen. Daher ist auch in diesem Fall die Rechtsstellung des Wertpapierinhabers insolvenzfest und sie kann Gegenstand eines gutgläubigen Erwerbs sein. Die gegen das bestehende System der Wertpapiersammelverwahrung gerichteten Einwände, der einzelne Wertpapierinhaber habe bei der Wertpapier-Girosammelverwahrung i.S. § 5 DepotG und v.a. bei Verwahrung einer Globalurkunde unter Ausschluss von Einzelstücken (§ 9a DepotG) keinen Besitz und daher sei seine Rechtsstellung weder insolvenzfest noch könne sie Gegenstand eines gutgläubigen Erwerbs sein, sind unbegründet. Diese Einwände verkennen die in §§ 5, 7, 8 und in § 9a DepotG ausgedrückte Absicht des Gesetzgebers, die sachenrechtlichen Grundsätze über den mittelbaren Besitz im Hinblick auf die Verkehrsbedürfnisse der Wertpapier-Girosammelverwahrung aufrechtzuerhalten und zu modifizieren. Diese Modifizierung knüpft unverändert an den allgemeinen sachenrechtlichen Grundsatz einer Publizität durch unmittelbaren Besitz des ersten Besitzmittlers an und sichert die Publizität der darauf aufbauenden Besitzmittlungsverhältnisse durch die im Wertpapier-Girosammelverkehr gesetzlich vorgesehenen Depotbuchungen, die den Besitzmittlungswillen des Zentralverwahrers und der Zwischenverwahrer zum Ausdruck bringen und die quotale Berechtigung der Wertpapierinhaber als Miteigentümer und mittelbare Mitbesitzer verlautbaren. Entsprechend den Buchungen im neuen System ist der Besitzänderungswille des Zentralverwahrers CBF auf die begrenzten Kontenveränderungen in den von CBF geführten Depotkonten der Clearing-Mitglieder beschränkt, die nur die nach Aufrechnung verbleibenden Salden („Spitzen“) erfassen,
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während der Besitzänderungswille der CMs entsprechend ihren Buchungen auf den Kundenkonten alle Umsätze (mit Ausnahme der Eigengeschäfte) erfasst. Diese Unterschiedlichkeit im Besitzmittlungswillen und im Umfang des Besitzänderungswillens ist sachenrechtlich unbedenklich (siehe Frage 2). Frage 2: Kann die Eigentumsverschaffung im Kommissionsgeschäft der Banken durch die bloße Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses auf der Stufe Bank-Kunde, d.h. durch die Verschaffung des mittelbaren Besitzes, erfolgen, oder ist hierfür eine Änderung des Besitzwillens der Clearstream Banking Frankfurt (CBF) als unmittelbarem Fremdbesitzer und Besitzmittler im Verhältnis CBF-Bank, d.h. auf der ersten Stufe der Besitzkette, erforderlich? Die Eigentumsverschaffung im Kommissionsgeschäft der Banken kann durch die bloße Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses auf der Stufe Bank-Kunde, d.h. die Verschaffung des mittelbaren Besitzes, und die entsprechende Einigungserklärung erfolgen. Eine Änderung des Besitzwillens der Clearstream Banking Fankfurt (CBF) als unmittelbarem Fremdbesitzer und Besitzmittler im Verhältnis CBF-Bank, d.h. auf der ersten Stufe der Besitzkette, ist nicht erforderlich. Denn bei gestuftem mittelbarem Besitz i.S. §§ 871, 868 BGB muss der Besitzmittlungswille jeweils nur auf den eigenen mittelbaren Besitzer gerichtet sein, nicht auf weitere mittelbare Besitzverhältnisse. Diese uneingeschränkt geltende Feststellung ist dahin zu ergänzen, dass für einen Bruchteil der Gesamtumsätze, nämlich die nach Netting auszugleichenden Salden auf den Konten der CMs bei CBF, der Zentralverwahrer CBF zuerst die Voraussetzungen schaffen muss, dass ein CM die Besitzverschaffung an seine Kunden vornehmen kann. Denn wenn in einem Buchungszyklus der Zufluss an Wertpapieren zu einem CM (und seinen Kunden) größer sein soll als der Abfluss (weil an die Kunden mehr Wertpapiere einer bestimmten Art von Kunden anderer CMs übertragen werden sollen als Kunden des CMs ihrerseits an Kunden anderer CMs übertragen wollen) und der CM nach Netting daher einen positiven Saldo (Wertpapierzufluss) zu beanspruchen hat, so kann der CM in diesem Umfang nur dann seinen erwerbenden Kunden Besitz verschaffen, wenn ihm zuvor CBF durch Gutschrift dieses Saldos auf seinem Depotkonto Besitz („Deckung“) verschafft. Bei dieser Gutschrift stellt CBF seinen Besitzmittlungswillen um. Es bleibt aber dabei, dass auch hier CBF nicht am Geschäft der Besitzverschaffung des CM an seine Kunden beteiligt ist und der Besitzmittlungswille von CBF sich nur auf den CM, nicht auf dessen Kunden richtet. Für eine große Anzahl von Geschäften ist freilich eine vorherige Gutschrift durch CBF für den CM nicht erforderlich, weil die vorhandene Deckung auf dem Konto des CM ausreicht, um die Besitzübertragungen an Kunden auszuführen, und Wertpapierzuflüsse zum Bestand des CM überhaupt nicht
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stattfinden sollen (Übertragungen zwischen Kunden des gleichen CM oder Übertragungen von Kunden anderer CMs auf Kunden des CM, denen Übertragungen von Kunden des CM auf Kunden anderer CMs gegenüberstehen, so dass beim Netting kein Saldo verbleibt). Frage 3: Sollte Frage 2 im letzteren Sinne zu beantworten sein, so soll geprüft werden, ob der im jeweiligen Besitzmittlungsverhältnis (CBF-Bank) bestehende Besitzwille der CBF als so umfassend angelegt angesehen werden kann, dass jede Umstellung eines Besitzmittlungsverhältnisses auf der Stufe Bank-Kunde zugleich zu einer Änderung des Besitzwillens auf der ersten Stufe im Verhältnis CBF-Bank führt. Da Frage 2 nicht im letzteren Sinne zu beantworten ist, entfällt Frage 3. Frage 4: Zu welchem Zeitpunkt tritt der dingliche Rechtserwerb ein, falls er gem. 1 bejaht werden kann? Der dingliche Rechtserwerb tritt im neuen System ebenso wie im alten System gem. § 929 BGB durch Ei- [23] nigung und Verschaffung des mittelbaren Besitzes ein, indem die Einigungsofferte des Veräußeres von dem für den Veräußerer tätigen CM an den CCP als Empfangsboten des Erwerbers und von CCP an den für den Erwerber handelnden CM als Empfangsvertreter weitergeleitet und angenommen wird. Der mittelbare Besitz wird dadurch verschafft, dass die Besitzmittler ihren Besitzmittlungswillen entsprechend umstellen, und zwar der Zentralverwahrer CBF in Bezug auf die Gutschrift des Wertpapiersaldos (nach Aufrechnung durch den CCP und Zwischengutschrift des Wertpapiersaldos auf dessen Depotkonto) auf dem Depotkonto des CM, der auf der Erwerberseite tätig wird. Hinzutreten muss die Begründung eines entsprechenden Besitzmittlungswillens für diesen. Diese erfolgt aufgrund der Ist-Lieferliste. Nach außen (gegenüber dem Kunden) wird der Besitzwillen durch Gutschrift auf dem vom CM geführten Depotkonto des Kunden dokumentiert, die schon vorher aufgrund der Soll-Lieferliste erfolgt ist und ab dem Liefertag den Besitzwillen ausdrückt. Die Bestimmung im neuen System, dass der Eigentumserwerb des Kunden dann eintreten soll, wenn (i) vom Zentralverwahrer CBF alle Buchungen vom Depot des CCP bezüglich der vom CCP verrechneten Börsengeschäfte auf die Depots der zu beliefernden CM vorgenommen wurden, sowie (ii) der jeweilige CBF-Geldverrechnungszyklus abgeschlossen wurde und (iii) den CMs/NCMs vom CCP die Lieferreports bereitgestellt wurden, ist zulässig und rechtswirksam. Die Bestimmung bezeichnet zugleich den regelmäßigen (bzw. den frühesten) Zeitpunkt des Eigentumserwerbs. Sie zählt nicht alle o.a. Voraussetzungen des Eigentumserwerbs (insbesondere die Verschaffung des mittelbaren Besitzes) vollständig auf, bezeichnet aber den Zeitpunkt, zu dem auch diese anderen Voraussetzungen regelmäßig erfüllt sind. Bei (i) handelt es sich um eine zulässige Bedingung und zugleich um eine Voraussetzung der Wirksamkeit der dinglichen Einigung, weil ohne eine
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erforderliche Gutschrift durch CBF auf dem Konto des CM der CM nicht gutgläubig ist und gem. § 166 Abs. 1 BGB nicht wirksam für seinen Kunden erwerben kann. (ii) stellt eine zulässige beigefügte Bedingung für die Wirksamkeit der Einigung dar. (iii) bezeichnet mit der Bereitstellung des Lieferreports sowohl den Weg des Zugangs der Einigungsofferte an den CM, der für den Erwerber handelt, als auch die Grundlage für die Begründung des Besitzwillens des CM für seinen Kunden, bei Eigenerwerb für die Begründung des Eigenbesitzwillens. Insgesamt begegnet das neue System des Zentralen Kontrahenten hinsichtlich der sachenrechtlichen Wirksamkeit der Eigentumsverschaffung an sammelverwahrten Wertpapieren keinen rechtlichen Bedenken.
Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen ZHR 173 (2009) 12–66
Das geplante neue Schuldverschreibungsgesetz, das als Referentenentwurf vorliegt (RefESchVG 2008), soll das alte SchVG von 1899 ablösen und ein neues Organisationsrecht für Anleihegläubiger schaffen. Es ermöglicht bindende Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger über einen weitreichenden Teilverzicht auf Gläubigerrechte. Damit folgt es Forderungen einer internationalen Reformdiskussion. Diese hat sich vor allem an Krisen internationaler Staatsanleihen entzündet, ohne freilich die hier auftretenden Probleme massiver Gläubigerbenachteiligung (Argentinienkrise) voll zu berücksichtigen. Der RefESchVG 2008 beseitigt Bedenken, die bisher mit Rücksicht auf das AGB-Recht gegen Anpassungsregeln in Anleihebedingungen vorgebracht werden. Die (eingeschränkte) Fortgeltung des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen im Übrigen führt dazu, dass auch künftig das Transparenzgebot anwendbar bleibt. Die Reformdebatte orientiert sich an der traditionellen Anleihe als Sonderform der Darlehensaufnahme. Der Markt hat den Anleihebegriff jedoch stark ausgeweitet. Hier dominieren heute hunderttausende darlehensferner derivativer Anleihen (Zertifikate). Der RefESchVG nimmt diese Ausweitung des Anleihebegriffs definitorisch auf. Die Stellung der Anleihegläubiger bedarf im RefESchVG einer gewissen Verstärkung. Die obligatorische Bestellung eines Vertreters der Anleihegläubiger ist schon in den Anleihebedingungen vorzusehen. Ein Hauptproblem derivativer Anleihen ist ihre Intransparenz. Bestimmte Produkte wurden so zu Mitursache und Auslöser der globalen Finanzkrise. Dem Transparenzgebot kommt bei den neuen Anleiheprodukten ebenso wie dem Gläubigervertreter besondere Bedeutung zu.
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Die Stellung der Anleihegläubiger Inhaltsübersicht
I. Einleitung: Ein neues Recht für Anleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1. Das neue Schuldverschreibungsgesetz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2. Begriff der Anleihe (§ 1 Abs. 1). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15[13] a) Abschied vom traditionellen Anleihebegriff . . . . . . . . . . . . . . 15 b Der Anleihebegriff des RefESchVG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 c) Ausnahme für Pfandbriefe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 3. Gestaltungsvielfalt der Anleihen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 a) Risiko-Anleihen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 aa) Hochzinsanleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 bb) Hybrid-Anleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 b) Derivative Anleihen (Zertifikate) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 aa) Begriff; Derivate-Markt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 bb) Aktienanleihen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 cc) Optionsscheine. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 dd) Zertifikate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 c) Gedeckte (strukturierte) Anleihen und und Finanzmarktkrise . . . . 22 aa) Gedeckte Anleihen (ABS, CDO). . . . . . . . . . . . . . . . . 22 bb) Ein Markt für intransparente Kreditrisiken . . . . . . . . . . . 23 II. Das neue SchVG als Organisationsrecht der Gläubiger. . . . . . . . . . . 25 1. Geltungsumfang; zwingende Normen (§§ 1, 20). . . . . . . . . . . . . 25 2. Ablösung des alten SchVG 1899. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Anpassungsregelungen in der internationalen Diskussion. . . . . . . . 27 4. Anpassungsregelungen und Interesse der Obligationäre. . . . . . . . . 29 a) Stärkung des deutschen Finanzplatzes. . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Schutz der Gläubiger durch Organisationsmangel? . . . . . . . . . . 29 c) Gläubigerschutz durch verbesserte Organisation. . . . . . . . . . . 31 III. Anleihebedingungen im deutschen Privatrecht und SchVG . . . . . . . . . 32 1. Anleihevertragspraxis nach allgemeinem Vertragsrecht. . . . . . . . . . 32 2. Entstehung der Gläubigerrechte (§ 2). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 a) Entstehung und Verbriefung; Begriff der Anleihebedingungen. . . . 32 b) Gesonderte Urkunde über die Anleihebedingungen (§ 2 Abs. 1 S. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 c) Übertragung; Publizität der Anleihebedingungen . . . . . . . . . . . 34 3. Anwendung des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen und SchVG. . 35 a) Kein Ausschluss des AGB-Rechts durch das SchVG. . . . . . . . . 35 b) Vereinfachte Einbeziehung nach BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 c) Auslegung der Anleihebedingungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 d) Teilweiser Ausschluss der AGB-Inhaltskontrolle durch das SchVG. 38 aa) Bisherige Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Neues Gesetzesrecht der Gläubigerorganisation. . . . . . . . . 38 cc) Gesetzlich zugelassene weitere Klauseln. . . . . . . . . . . . . 38 dd) Verbleibende Inhaltskontrolle (z. B. Mistrade-Klauseln). . . . 39 e) Transparenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 f) Exkurs: Intransparenz des Zertifikatemarktes als Schutzproblem. . 40 4. Inhaltskontrolle nach Völkerrecht bei Staatsanleihen. . . . . . . . . . . 41 a) Vertragsstatut und Immunitätsverzicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Staatsnotstand als Schuldbetreiungsgrund? . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Immunitätsverzicht und Grenzen der Vollstreckung. . . . . . . . . 43
ZHR 173 (2009) 12–66 IV. Die kollektive Bindung der Gläubigerrechte nach RefESchVG . . . . . . . 1. Kollektive Bindung nach § 3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff; Gleichbehandlungsgebot (Abs. 1). . . . . . . . . . . . . . . b) Verschiedene Tranchen einer Anleihe . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umfassende Bindung; Leistungsbeschreibungen (§ 3 Abs. 1, 3). . . d) Die Eingriffskompetenzen für Mehrheitsbeschlüsse (§ 4) . . . . . . 2. Dogmatische Einordnung der kollektiven Bindung. . . . . . . . . . . . a) Risikogemeinschaft?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Obligationäre und Kapitalgesellschaftsrecht . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsgemeinschaft i. S. v. § 741 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . d) Personengesellschaft i. S. v. § 705 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kollektive Bindung bei weiteren Klauseln (§§ 21–23) . . . . . . . . . . a) Sicherheiten (§ 21). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung (default-Klauseln) (§ 22). . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Abschließende Bestimmung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kollektive Ausübung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausschluss des Kündigungsrechts. . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einseitige Schuldnerersetzung (§ 23). . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kollektive Bindung bei Klagen (§ 6 Abs. 2). . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Organe der Anleihegläubiger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abstimmungsgemeinschaft und Gläubigerversammlung . . . . . . . . . a) Stimmrecht (§§ 5, 13). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gläubigerversammlung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einberufung (§ 8, 9, 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anmeldung; Versammlungsort (§§ 9 Abs. 2, 11) . . . . . . . . . cc) Tagesordnung (§ 12). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vertretung (§ 13). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Vorsitz; Beschlussfähigkeit (§ 14). . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Auskunftspflicht; Abstimmung; Bekanntmachung (§§ 15, 16). c) Abstimmung ohne Versammlung (§ 17). . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die Alternative. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Aufforderung zur Abstimmung (§ 17 Abs. 2, Abs. 3). . . . . . cc) Durchführung der Abstimmung; Beschlüsse (§ 17 Abs. 1, Abs. 4). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wirksamkeit und Anfechtung von Gläubigerbeschlüssen . . . . . . 2. Der gemeinsame Vertreter der Gläubiger (§§ 4, 6, 7). . . . . . . . . . . a) Aufgaben und Rechte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Qualifikation und Bestellung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Haftung; Kosten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Gesamtbeurteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Die Stellung der Anleihegläubiger
I. Einleitung: Ein neues Recht für Anleihen 1. Das neue Schuldverschreibungsgesetz Das geplante „Gesetz über Schuldverschreibungen aus Anleihen (Schuldverschreibungsgesetz – SchVG)“ soll die Organisation der Anleihegläubiger auf eine neue Rechtsgrundlage stellen. Es wird im Folgenden nach dem Referentenentwurf vom Mai 2008 erörtert (RefESchVG)1 unter Berücksichtigung [15] der nationalen und internationalen Marktentwicklungen und der daraus folgenden Schutzprobleme und Anforderungen an Anleihebedingungen. Die Organisation der Anleihegläubiger (Obligationäre) und vor allem die Möglichkeit der kollektiven Abänderung und Einschränkung ihrer Rechte ist seit längerem Gegenstand einer umfangreichen rechtspolitischen Diskussion auf deutscher, europäischer und internationaler Ebene.2 Sie konzentriert sich in Deutschland seit 2003 auf die Schaffung des eingangs genannten Gesetzes.3 Neben dem neuen Organisationsrecht des SchVG sind weitere privatrechtliche Aspekte der Anleihebedingungen, insbesondere ihre Auslegung und die Möglichkeit ihrer Inhaltskontrolle, im Lichte des SchVG zu besprechen. Auch die Schutzprobleme, die sich erneut bei Staatsanleihen gezeigt haben, und vor allem diejenigen, die bei den neuen Produkten des Anleihemarktes bestehen, sind zumindest kursorisch einzubeziehen. Dabei sind auch die Auslöser der seit Herbst 2007 schwelenden globalen Banken- und Finanzmarktkrise zu betrachten. 2. Begriff der Anleihe (§ 1 Abs. 1) a) Abschied vom traditionellen Anleihebegriff Das neue Gesetz gilt für „inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Anleihen“ (§ 1 Abs. 1 SchVG). Anleihen sind ein klassisches Instrument der
1 Bundesministerium der Justiz, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Anleihen und zur Anpassung kapitalmarktrechtlicher Verjährungsvorschriften v. 9.5.2008 (NeuregelungsG). Dessen Art. 1 enthält das neue Gesetz über Schuldverschreibungen aus Anleihen (RefESchVG). Text in ZBB 2008, 200ff. 2 Horn, Europäisches Finanzmarktrecht, 2003, S. 74–77; Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004; Hartwig-Jacob, FS Horn, 2006, S. 717–734. Siehe auch die Beiträge zum Seminar des Deutschen Aktieninstituts (Frankfurt a. M.) „Die Novellierung des Schuldverschreibungsrechts“ am 16.9.2008. 3 Diskussionsentwurf des BMJ, April 2003 (DiskE; unveröff.); dazu DAV-Stellungnahme, v. Juni 2003; kritisch zum DiskE Baums, FS Canaris, Bd. 2, 2007, S. 3, 22f. Referentenvorentwurf des BMJ, v. 2006 (RefVorE SchVG 2006; unveröff.). Siehe auch Fn. 1.
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Darlehensgewährung4 und Fremdkapitalüberlassung.5 Sie werden sowohl innerhalb nationaler Kapitalmärkte als auch im grenzüberschreitenden Kapitalverkehr verwendet. Ihre lange Geschichte spiegelt nicht nur ihre Bedeutung und die [16] Vielfalt möglicher Ausgestaltungen, sondern auch die schwierigen Probleme der Durchsetzung und ggf. der Anpassung der Gläubigerrechte bei Krisen der Emittenten und der Kapitalmärkte.6 Nach herkömmlicher Auffassung gehört der wirtschaftliche Vorgang einer Darlehensaufnahme zum Begriff der Anleihe. Diese Darlehensaufaufnahme erfolgt durch den Anleiheschuldner mittels der Emission gleichartiger Schuldverschreibungen, die eine Vielzahl einheitlicher Gläubigerrechte der Geldgeber als Erwerber der Schuldverschreibungen begründen. Dabei führt die wertpapiermäßige Verbriefung der Gläubigerechte zu einer rechtstechnischen Aufspaltung in einem Kaufvertrag über das Wertpapier, in dem zugleich die Geldleistung des Gläubigers als Kaufpreis festgelegt ist, und in die Begebung der Schuldverschreibungen, deren Inhalt darlehensrechtlich geprägt ist. Wirtschaftlich ist die traditionelle Anleihe verbriefte Darlehensaufnahme.7 In der heutigen Gestaltungsvielfalt der Forderungsinhalte von Anleihen8 ist jedoch die Beziehung zu einer Darlehensaufnahme nur noch ein Unterfall der Anleihe. Dabei sind Derivate als neuere, wichtige Gruppe von Leistungsinhalten hervorzuheben. Bei einem Derivat ist die verbriefte Forderung zeitlich verzögert zu erfüllen und ihr Umfang ist von der künftigen Entwicklung eines Basiswertes abhängig, z. B. vom Börsen- oder Marktpreis von Wertpapieren, Geldmarktinstrumenten, Devisen, Zinsen oder anderen Erträgen.9 Die entsprechenden Schuldverschreibungen werden Zertifikate genannt. 4 Zum Anleihebegriff in diesem Sinn Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 1, 224f.; Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, 2001, S. 20f. m. w. N.; Weisensee, Festverzinsliche Wertpapiere, 2. Aufl. 1990; Meier-Hayoz/v. der Crone, Wertpapierrecht, 1985, § 21 Rdn. 3. Weniger deutlich in diesem Sinn unter Erörterung der zunehmenden Erscheinungsvielfalt Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, 1997, S. 22ff., 29ff., der Optionsscheine nicht dazu rechnen will (S. 37; vgl. aber S. 52). 5 Der letztere Begriff ist nur für Unternehmensanleihen aussagekräftig. Zur hier gebotenen Abgrenzung von der Eigenkapitalgewährung eingehend Baums in: Bayer/Habersack (Hrsg.), Aktienrecht im Wandel, Bd.2, 2007, S. 955–994. 6 Zur historischen Dimension vgl. die Hinweise bei Horn (Fn. 4), S. 4ff. 7 Horn (Fn. 4), S. 138f., 230, 235. 8 Zu dieser Gestaltungsvielfalt auch Drygala, Inhaltskontrolle von Wertpapierbedingungen, 1999. 9 Vgl. die umfangreiche und komplexe Definition des Derivats in § 1 Abs. 11 S. 4 KWG. Beispiele: Aktienindex-Futures, Aktienindex-Optionen, Aktienoptionen, Caps, Collars, Edelmetall-Futures, Optionen, soweit durch Barausgleich zu erfüllen oder an einer Börse gehandelt, Floors, Forward Rate Agreements, Swap-Geschäfte, Warentermingeschäfte, soweit durch Barausgleich zu erfüllen oder an einer Börse gehandelt, Zinsoptionen, Zinstermingeschäfte, Kreditderivate; Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG-Kommentar, 3. Aufl. 2008, § 1 KWG Rdn. 227f.
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Derivate sind Forderungen, die zwar dem weiten aufsichtsrechtlichen Begriff des Kredits unterfallen,10 im Gegensatz zu traditionellen Anleihen aber meis tens darlehensfern sind.11 Wetten auf die Entwicklung der Kurse von Aktien und Devisen, Strompreisen und die Wetterentwicklung haben mit Darlehen nichts zu tun.12 Diese Entwicklung greift das neue SchVG auf, wenn es in § 3 Abs. 3 [17] mögliche Leistungsversprechen von Anleihen nennt und dabei in Nr. 1 den Tatbestand erfasst, dass der Inhalt des Leistungsversprechens des Schuldners abhängig gemacht wird z. B. vom Börsen- oder Marktpreis von Wertpapieren, Devisen oder sonstigen Gütern, von Zinssätzen, Dividenden, von Indizes oder Derivaten. b) Der Anleihebegriff des RefESchVG Der klassische Begriff der Anleihe als besondere Form der Großdarlehensaufnahme im erörterten Sinn ist im neuen SchVG daher zugunsten eines weiteren, eher formalen Begriffs aufgegeben. Aus § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 3 SchVG ergibt sich folgende Definition: Eine Anleihe besteht aus inhaltsgleichen Schuldverschreibungen (§ 793 BGB) eines Emittenten, des Anleiheschuldners. Das verbriefte Recht ist gem. § 793 BGB eine Forderung. Daneben kann man die herkömmliche Anleihe, die auf einer Darlehensgewährung beruht, als Anleihe i.e.S. bezeichnen.13 Die Begriffe Schuldverschreibung und Anleihe i. S. des SchVG sind inhaltlich nahe gerückt.14 Als Unterscheidungsmerkmal zwischen der Begebung einer Schuldverschreibung und einer Anleihe bleibt, dass die letztere die massenhafte Begebung gleichartiger Schuldverschreibungen bezeichnet. In den meisten Fällen ist eine Geldforderung verbrieft; begriffsnotwendig ist dies nicht. Nicht erforderlich ist schließlich, dass die Anleihe im Rahmen eines öffentlichen Angebots emittiert und platziert wird und zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen ist. Dies ist nach § 2 Abs. 2 SchVG vielmehr nur ein Unterfall.15 Auch der traditionelle Anleihebegriff (i.e.S.) war vom öffentlichen Angebot oder
10 Vgl. § 19 Abs. 1 und 1a KWG; Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Fn. 9), KWG, § 19 Rdn. 39ff. 11 Eine Annäherung an Darlehen besteht bei der Untergruppe der Zertifikate mit Kapitalgarantie. Ferner besteht eine gewisse Nähe zu Darlehen bei den Kreditderivaten, die der Übertragung der Kreditrisiken aus Darlehen, Anleihen oder anderen Risikoaktiva dienen; vgl. die Definition in § 1 Abs. 11 S. 4 Nr. 4 KWG und unten 3.c.aa. 12 Vgl. Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Fn. 9), KWG, § 1 Rdn. 230 (Stromterminkontrakte ohne Lieferpflicht); Rdn. 231 (Wetterderivate). 13 Natürlich ergeben sich dann auch viele Abgrenzungsprobleme; die Leistungsfähigkeit des Begriffs ist daher begrenzt. 14 Vgl. Birnbaum/Philipp in: Bankrechtstag 2007, 2008, S. 78: „Zertifikate sind Wertpapiere in Form einer Anleihe bzw. einer Schuldverschreibung“. 15 In diesem Fall ist der Anleiheschuldner verpflichtet, die Anleihebedingungen öffentlich zugänglich vorzuhalten. Dazu unten III.2.b und c.
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der Börsenzulassung nicht abhängig. Vielmehr fallen auch privat platzierte Anleihen seit jeher unter den Begriff.16 Die verbriefte Forderung wird durch Begebung des Wertpapiers an den Ersterwerber begründet.17 Aufgrund der Verbriefung können die einzelnen Stücke leicht am Kapitalmarkt gehandelt, gekauft und verkauft sowie beliehen werden.18 Die verbrieften Ansprüche gegen den Emittenten sind Teil einer Gesamtemission gleichartiger Rechte. Dieses Merkmal ist in § 1 Abs. 1 RefESchVG mit dem Wort „inhaltsgleich“ umschrieben. Die Gleichartigkeit ist [18] Voraussetzung der Handelbarkeit. Nur daraus ergibt sich auch das typische Potenzial einer traditionellen Anleihe (Anleihe i.e.S.), Kapital durch einen Appell an ein breites und überwiegend anonymes Anlegerpublikum zu mobilisieren. Der Vorentwurf hatte das Merkmal der Gesamtemission in die Definition des Anwendungsbereichs aufgenommen.19 Es steckt aber bereits im Begriff der Anleihe und war daher entbehrlich. c) Ausnahme für Pfandbriefe Das neue SchVG nimmt Pfandbriefe von seinem Anwendungsbereich aus (§ 1 Abs. 2 RefESchVG), also Schuldverschreibungen i. S. v. § 1 PfandbriefG, die von den spezialisierten Pfandbriefbanken begeben werden.20 Zur Absicherung der Gläubigerrechte dient hier ein besonderer Vermögensfonds, in den erstklassige Vermögenswerte aus erstrangigen, innerhalb festgelegter Beleihungsgrenzen bestellten Hypotheken, Forderungen gegen staatliche Stellen oder Schiffshypotheken eingebracht werden, die eine dem Volumen der ausgegebenen Pfandbriefe kongruente Deckungsmasse ergeben. Die Ausnahme für Pfandbriefe in § 1 Abs. 2 beruht auf der Überlegung, dass die deutsche Spezialgesetzgebung ein eigenständiges Regelungskonzept mit besonderen gesetzlichen Schutz- und Abwicklungsmechanismen vorsieht, das einerseits nicht so leicht in die neue Regelung einzupassen wäre, andererseits einen ausreichenden Schutz für die Gläubiger bietet.21 3. Gestaltungsvielfalt der Anleihen Die neueren Entwicklungen im Bereich der Anlageprodukte von Anleihen lassen sich schlagwortartig nach folgenden Schwerpunkten oder exem-
Horn (Fn. 4), S. 89, 95f. Einzelheiten unten III.2.a. Die Begebung erfolgt durch den dinglichen Begebungsvertrag (i. S. § 929 BGB) und die Übergabe der Schuldverschreibung, letztere typischerweise in Form der Verschaffung mittelbaren Mitbesitzes an einer Globalurkunde. 18 Unten III.2.c. 19 § 1 Abs. 1 RefVorE 2006. 20 Pfandbriefgesetz v. 22.5.2005, BGBl. I (2005), 1373. 21 Begründung zu § 1 Abs. 2 RefE, S. 37. Siehe aber zu „gedeckten“ Anleihen unten 3.c. 16 17
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plarischen Phänomenen kennzeichnen: (a) Im Bereich der Anleihen i.e.S. die Entwicklung der Risiko-Anleihen, die teils ein eigenkapitalähnliches Risiko beinhalten (Hochzinsanleihen), teils auch sonst eigenkapitalnah gestaltet sind (Hybrid-Anleihen): b) die Entwicklung der derivativen Anleihen mit ihren Erscheinungsformen Aktienanleihen, Optionsscheine und Zertifikate, und schließlich (c) die Sonderentwicklung der sog. gedeckten oder strukturierten Anleihen, die als Kreditderivate einen Markt für intransparente Kreditrisiken erzeugt haben und ein systemisches Risiko begründeten. a) Risiko-Anleihen aa) Hochzinsanleihen Eine besondere, ursprünglich in den USA entwickelte, heute aber auch in Europa übliche Gruppe von Anleihen bilden hochverzinsliche Risikoanleihen. [19] Hier stellt sich eine terminologische Frage. Im üblichen Sprachgebrauch sind High yields nicht notwendig eigenkapitalnahe Anleihen, sondern festverzinsliche Wertpapiere schlechterer Kreditqualität, die von den Rating agenturen i.d.R. als BB+ oder schlechter eingestuft werden (high yield bonds, junk bonds). Ihr ungewöhnlich hoher Zinssatz ist das Entgelt für die besonderen, ungewöhnlich hohen Bonitätsrisiken. Solche Risikoanleihen dienen der Finanzierung wirtschaftlich schwacher Unternehmen und bestimmter, riskanter Geschäftsvorgänge, z.B. Zwischenfinanzierungen (Mezzaninekrediten) bei Sanierungen und spekulativen Unternehmenskäufen.22 Die Risiken für das breite Anlegerpublikum liegen auf der Hand und haben sich bei der nur kurzlebigen Blüte der Junk-Bond-Emissionen in den achtziger Jahren in den USA deutlich gezeigt. Auch für die betreffenden Unternehmen sind sie natürlich wegen der hohen Zinsbürde riskant,23 und in der Krise und in Sanierungsphasen oft nur durch Ausplünderung der restlichen Aktiva zu überstehen. Für finanzstarke Marktteilnehmer (institutionelle Investoren, aber auch Hedge Fonds) sind sie wegen der (erhofften) Erträge interessant bzw. waren es zumindest bis zur Krise 2007/08. Immerhin bergen sie im Unterschied zu den ähnlichen, im Folgenden (c) zu besprechenden gedeckten (strukturierten) Anleihen geringere systemische Risiken. Denn ihnen steht das Risiko sozusagen auf die Stirn geschrieben. Die Anleger wissen Bescheid. Die Anleihe wird meist nicht durch öffentliche Emission, sondern in einem
22 Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317ff.; Heitmann, Rechtsfragen von High-Yield-Anleihen, 2007. Zu Mezzanine-Finanzierungen allg. Berger, ZBB 2008, 92ff. 23 Heitmann scheint sie als normales Instrument der Unternehmensfinanzierung anzusehen; vgl. Fn. 22, S. 332. Das ist unzutreffend. Dies gilt umso mehr, als ein rechtlicher Schuldnerschutz gegen die Zinshöhe kaum gegeben ist, etwa durch den Sittenwidrigkeitsmaßstab des § 138 BGB; Horn, BKR 2006, 1ff.
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engen Kreis institutioneller Anleger platziert24 und hat einige Ähnlichkeiten mit einem Konsortialkredit. Die Anleger sichern sich in den Anleihebedingungen durch eine Reihe von besonderen Kontrollrechten und Schuldnerpflichten, um das Risiko einzugrenzen.25 bb) Hybrid-Anleihen Im Bereich der Anleihen i.e.S. sind neben die seit langem vertrauten Ausgestaltungsvarianten der Wandel- und Gewinnschuldverschreibungen (§ 221 AktG) „Hybrid-Anleihen“ getreten, die durch ihre Ausstattung (Langfris tigkeit, flexible Verzinsung, Nachrangigkeit, Ausschluss des Insolvenzantragsrechts) in bilanz- und aufsichtsrechtlicher Hinsicht als Eigenkapital zu behandeln, gesellschaftsrechtlich und steuerrechtlich aber Fremdkapital sind.26 Sie [20] sind oft zugleich als Aktienanleihen ausgestattet, bei denen dem Emittenten das Recht eingeräumt ist, dem Gläubiger statt der Rückzahlung Aktien anzudienen (unten b.bb). b) Derivative Anleihen (Zertifikate) aa) Begriff; Derivate-Markt Derivative Anleihen verbriefen Forderungen, deren Umfang i.S. der o.a. Definition des Derivats von der künftigen Entwicklung eines Basiswertes und weiteren definierten Bedingungen abhängt. Im Oktober 2008 wurden auf dem deutschen Derivate-Markt über 75 000 neue Produkte angeboten.27 Das Volumen des Marktes betrug im September 2008 110 Mrd. €.28 Neben den verbrieften Derivaten besteht ein bedeutender Markt unverbriefter Derivate. Außerdem ist zwischen börsengehandelten Derivaten und dem Markt für außerbörsliche Derivate zu unterscheiden.29 Bei den verbrieften Derivaten unterscheidet die Praxis die Erscheinungsformen Aktienanleihe, Optionsschein und Zertifikat. Es liegt nahe, Zertifikat als Oberbegriff zu verwenden, was auch zuweilen geschieht. Alle Produkte werden hauptsächlich
24 Hoffmann/Baron, ZBB 2005, 317, 319f., 325f.; Heitmann (Fn. 22), S. 62f. Dies schließt ihre Börseneinführung nicht aus; Hoffmann/Baron, a. a. O., 325. 25 Heitmann (Fn. 22), S. 114ff., 148ff. 26 Sester, ZBB 2006, 443ff., 460. Zur grundsätzlichen zivil- und gesellschaftsrechtlichen Unterscheidung von Fremd- und Eigenkapital Baums (Fn. 5). 27 Noch im Oktober 2008, also über ein Jahr nach Ausbruch der globalen Finanzmarktkrise, wurden nach Angaben des Deutschen Derivate Verbandes, der 90 % der deutschen Emittenten repräsentiert, die Rekordzahl von 75 806 neuen Produkten angeboten; www. deutscher-derivate-verband.de. 28 Mit sinkender Tendenz, was durch die Finanzkrise bedingt war. Das Volumen betrug in 12/07 noch 139,4 Mrd.; www.deutscher-derivate-verband.de; FAZ, v. 18.11.2008, S. 23. 29 Zu Letzteren Clouth, Rechtsfragen außerbörslicher Finanzderivate, 2001.
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von Banken emittiert; die deutschen Emittenten sind im Deutschen Derivate Verband zusammengeschlossen. bb) Aktienanleihen Aktienanleihen (equity linked bonds) sind Anleihen, die mit einer erhöhten Verzinsung ausgestattet sind und deren Kurs an den Preis eines Basiswertes geknüpft ist. Der Emittent ist berechtigt, am Ende der Laufzeit dem Anleger statt des Geldbetrags Aktien zu einem vorher festgesetzten Kurs zu liefern.30 cc) Optionsscheine Optionsscheine verbriefen das Recht, eine bestimmte Anzahl eines Basiswertes, insbes. einer bestimmten Aktie, oder deren Gegenwert zu einem vorher bestimmten Preis vom Emittenten zu erwerben (Call) oder an ihn zu verkaufen (Put). Basiswerte sind außer Aktien auch Aktienindizes, eine Währung, Rohstoffe oder Anleihen.31 Optionsscheine weisen im Unterschied zu unverbrieften Optionen, die eine kurze Laufzeit haben und im Inhalt stärker [21] standardisiert sind, eine größere Variationsbreite und häufig eine längere Laufzeit auf.32 dd) Zertifikate Die Verbriefungen aller anderen Derivate nennt die Praxis Zertifikate.33 Der Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers 2008, die ein bedeutender Emittent von Zertifikaten war, machte vielen Anlegern bewusst, dass sie wie bei jeder Anleihe ein Emittentenrisiko tragen.34 Der Markt der Zertifikate zeichnet sich entsprechend der Diversifizierung der Derivate durch eine ungeheure Vielfalt von „Produkten“ aus.35 Schon vor Ausbruch der Finanzmarktkrise wurde die Intransparenz der Leistungsbeschreibungen vieler Produkte kritisiert. Man hat daher Zertifikate über Derivate im Fachjargon auch als „Wundertüten“ charakterisiert, weil sie einer Vgl. die Fälle BGHZ 150, 164 = ZIP 2002, 748; BGHZ 163, 311. Glaser/Schmitz, ZBB 2007, 214ff., 222. Vgl. aus der Rechtsprechung BGHZ 133, 82 (Dollaroptionsscheine); 139, 1 (Basket-Optionsscheine). 32 Glaser/Schmitz, ZBB 2007, 214ff., 215; allgemein Drygala (Fn. 8), S. 13ff. 33 Der Begriff weist auf eine „Zweitverbriefung“ hin, ursprünglich auf Zertifikate für hinterlegte Wertpapiere (certificates of deposit), hier eher auf den derivativen Leistungsinhalt. Es gibt keine Legaldefinition. 34 Die Branche sucht durch neuartige Sicherheiten, insbesondere die Hinterlegung von Wertpapieren, das Vertrauen der Anleger in die Anlageklasse der Zertifikate zurückzugewinnen. Angaben bei www.deutscher-derivate-verband.de; siehe auch FAZ, v. 18.11.2008, S. 23. 35 Vgl. oben Fn. 9. 30 31
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„schier unübersehbaren Produktwelt“ entstammen und man im Einzelfall nicht weiß, „was drin ist“.36 Zertifikate sind oft aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt („strukturiert“).37 Man sucht neuerdings etwas mehr Klarheit in den Produkten und damit im Markt zu schaffen, indem man die Produkte nach Risiko bewertet (value at risk) und verschiedenen Risikoklassen zuordnet.38 Im Zertifikatemarkt unterscheidet die Praxis Anlageprodukte und Hebelprodukte. Die Letzteren enthalten ein kumuliertes Risiko und versprechen hohen Gewinn bei hohem Verlustrisiko, weil der Einsatz (etwa die gezahlte Prämie oder die hinterlegte Sicherheit) überproportional an Preisschwankungen des Basiswertes teilnimmt. Zu den Anlageprodukten zählt man solche mit teilweiser oder hundertprozentiger Kapitalgarantie, Bonuszertifikate, Expresszertifikate, Aktienanleihen und Discountzertifikate. Die Zahl der in Deutschland gehandelten Hebelprodukte wird für 2007 mit über 90 000, der Anlageprodukte mit über 100 000 angegeben.39 Zertifikate mit gesteigertem Risiko können sowohl zur Spekulation als auch zur Risikoabsorption genutzt werden. Die dynamische Entwicklung der Derivatemärkte hat allerdings [22] weltweit eine Spekulationsmentalität gefördert und lebt davon, wie schlaglichtartig an spektakulären Fällen von Spekulationsverlus ten sichtbar wird.40 c) Gedeckte (strukturierte) Anleihen und Finanzmarktkrise aa) Gedeckte Anleihen (ABS, CDO) Der Grundgedanke der gedeckten („strukturierten“) Anleihe besteht darin, dass man zur Sicherung der Rechte der Anleihegläubiger einen besonderen Fonds an Vermögensgegenständen bildet. Der Begriff verheißt also Sicherheit. Auch § 1 Abs. 1 S. 2 PfandbriefG verwendet ihn in diesem Sinn und zwar mit vollem Recht. Der Vorentwurf (2006) zum SchVG sah noch vor, von seinem Anwendungsbereich nicht nur Pfandbriefe i. S. des deutschen Pfandbriefgesetzes auszunehmen, sondern alle sog. „gedeckten Schuldverschreibungen“ i. S. des EG-Rechts.41 Der Referentenentwurf hat
Birnbaum/Philipp (Fn. 14), S. 77ff., 78. Beispiel bei Kienle/Furlan in: Bankrechtstag 2007, 2008, S. 130f.: Discountzertifikat als Kombination von Aktie und Call-Option oder aus Nullkuponanleihe und Put-Option. 38 www.deutscher-derivate-verband.de. 39 Kienle/Furlan (Fn. 37), S. 129 (nur als Bericht). 40 Bekannt wurde am 17.11.2008 der Spekulationsverlust von 1 Mrd. € des württembergischen Unternehmers Merckle, angeblich u.a. aus Optionsgeschäften mit Spekulation auf einen fallenden VW-Aktien-Kurs; FAZ, v. 18.11.2008, S. 11; v. 19.11.2008, S. 19. 41 I. S. v. Art. 22 RiL 85/611/EWG v. 20.12.1985 (OGAW-RiL), ABl. EG Nr. L 375, S. 3; zuletzt geändert durch RiL 2004/39/EG v. 21.4.2004, ABl. EU Nr. L 145, S. 1. Vgl. RefVorESchVG (Fn. 3), § 1 Abs. 2. 36 37
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diese weite Fassung der Ausnahme mit Recht gestrichen und sich auf deutsche Pfandbriefe beschränkt. „Gedeckte“ Anleihen amerikanischer Machart, bekannt unter dem Begriff der „asset-backed securities“ (ABS)42 oder „collateralized debt obligations“ (CDOs), erwiesen sich im amerikanischen und im internationalen Anleihehandel als irreführend und spielten eine unheilvolle Rolle beim Ausbruch der internationalen Finanz- und Bankenkrise.43 Allein 2006 wurden CDOs im Umfang von 560 Mrd. US-$ emittiert.44 Sie dienten jedoch ganz anderen Zwecken als der deutsche Pfandbrief. Denn sie wurden etwa ab den 80er Jahren als Instrument der Weitergabe von Kreditrisiken entdeckt, indem man Darlehensforderungen in Anleihen verbriefte (securitization) und diese an Anleger verkaufte.45 Die Banken sahen den Vorteil, nicht mehr wie bisher Darlehen langfristig zu halten („buy to hold“), was eine gründliche Bonitätsprüfung der Schuldner und ihre laufende Überwachung erforderte, sondern die Forderungen bald nach Vergabe lukrativ zu veräußern („originate to distribute“). Dies wurde als neues Instrument eines aktiven Risikomanagements gepriesen. Abnehmer der Darlehensforderungen waren eigens von den Banken gegründete, kapitalschwache Zweckgesellschaften (special purpose vehicle [23] (SPV); conduits). Diese refinanzierten sich durch die Emission von Anleihen, wobei sie die erworbenen Forderungen in Portfolios zusammenfassten und mit diesem Fonds die Anleihen „unterlegten“ (asset backed, collateralized). Die emittierten Zertifikate sind einerseits darlehensnah, wie schon der naheliegende, wenngleich letztlich doch irreführende Vergleich mit dem Pfandbrief zeigt. Andererseits birgt der Umstand, dass die Zertifikate erklärtermaßen der Weiterschiebung von Kreditrisiken dienen, ein eigenes, oft gesteigertes und intransparentes Risiko (dazu im Folgenden e). Die Zertifikate sind Derivate und unterfallen nach deutschem Aufsichtsrecht der Untergruppe der Kreditderivate i. S. v. § 1 Abs. 11 S. 4 Nr. 4.46 Die verbrieften Zahlungsansprüche sind auf das Schuldendienstaufkommen des Kreditportfolios beschränkt. Dies wurde zur marktüblichen Ausstattung solcher Zertifikate. Dieser Fall der Risikogestaltung findet sich auch in den Tatbeständen vom typischen Leistungsversprechen in § 3 Abs. 3 Nr. 3 RefESchVG (im Folgenden IV.1.c). Die Zertifikate der ABS oder CDO sind Gehring, Asset Backed Securities im amerikanischen und deutschen Recht, 1999. Zum Folgenden Institute of international Finance (IIF), (Hrsg.), Interim Report of the IIF Committee on Market Best Practices, v. 9.4.2008; Hartmann-Wendels, FLF 2008, 252ff.; Horn, BKR 2008, 452ff. 44 Fender/Tarashev/Zhu, BIS Quartely Review, March 2008, S. 87ff. 45 OECD (Hrsg.), Securitisation: An International Perspective, 1995, S. 7. 46 „Festgeschäfte oder Optionsgeschäfte, die zeitlich verzögert zu erfüllen sind und dem Transfer von Kreditrisiken dienen“. Zu dieser Gruppe gehören Total Return Swaps, Credit Default Optionen und Credit Linked Notes; Boos/Fischer/Schulte-Mattler (Fn. 9), KWG, § 1 Rdn. 228. Die hier erörterten Zertifikate gehören zur letzteren Gruppe. 42 43
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meist in Risikoklassen eingeteilt, die Haftungsrangstufen darstellen. In der höchsten Risikoklasse (mit der höchsten Rendite) wird an erster Stelle für den Ausfall der Anleihe gehaftet, auch hinsichtlich der Zertifikate anderer Anleger. Der Investor übernimmt also ein kumuliertes Risiko („equity Tranche“) und muss schon bei Teilverlust der Anleihe ggf. mit dem Totalverlust seiner eigenen Anlage rechnen.47 bb) Ein Markt für intransparente Kreditrisiken Der große Markterfolg der strukturierten Anleihen auf den Finanzmärkten bis zur Krise wird begreiflich vor dem Hintergrund der vorherrschenden anglo-amerikanischen Marktphilosophie, welche die Beherrschung von Risiken in einseitiger Weise allein dem Markt zutraute.48 In der Umgebung der weltweit gigantisch wachsenden Derivatemärkte, die der Absicherung aller erdenklichen Risiken dienen, zugleich aber auch zur spekulativen Übernahme von Risiken genutzt werden, wurde es als normal angesehen, dass auch im klassischen Bankgeschäft der Kredite das Kreditrisiko immer mehr zum isolierten Handelsobjekt wurde. Dafür bediente man sich teils sog. Kreditversi- [24] cherer, die Kreditderivate49 übernahmen,50 teils der beschriebenen Emission und Platzierung gedeckter Anleihen bei Banken, Zweckgesellschaften von Banken oder Privatanlegern. Der letztere, hier allein interessierende Markt war durch ständig steigende und zunehmend weniger transparente Risiken gekennzeichnet. Dazu trug eine Fülle falscher Anreize bei.51 Da die Banken das Darlehensrisiko nur kurz trugen und dann rasch und mit Gewinn loswurden, wurden sie zu leichtfertiger und zunehmend aggressiver Kreditvergabe ermutigt. Dazu trugen falsche Vergütungssysteme bei, die dem Bankmanagement großzügige Boni für kurzfristige Erfolge (Kreditumsätze) bescherten. Die eingesetzten Kreditvermittler (mortgage broker) verdienten hohe Abschluss provisionen ohne Rücksicht auf die kaum geprüfte Bonität der Kreditnehmer. Massen einkommensschwacher Kreditnehmer wurden mit dem Argu47 Bankaufsichtsrechtlich war bisher das reine Kreditvolumen, also der Nominalwert der selbst übernommenen Zertifikate, maßgeblich. Nach Basel II muss eine erhöhte Risikogewichtung erfolgen; Hartmann-Wendels, FLF 2008, 252, 256. 48 Zum Folgenden IIF (Hrsg.) (Fn. 43), Interim Report of the IIF Committee on Market Best Practices, v. 9.4.2008; Horn, BKR 2008, 441ff., 457f. 49 Zum Begriff § 1 Abs. 11 S. 4 Nr. 4; vgl. auch § 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 14 KWG. In Betracht kommen hier Total Return Swaps und Credit Default Options. Dazu aus juristischer Sicht jüngst informativ Berg, Kreditderivate im deutschen Privatrecht, 2008. 50 Die US-Kreditversicherungsunternehmen haben inzwischen gigantische Verluste angehäuft. Allein der führende US-Versicherungskonzern AIG hat bis 10.11.2008 150 Mrd. US-$ an staatlichen Hilfszusagen beansprucht; FAZ, v. 12.11.2008, S. 15. 51 IIF (Hrsg.) (Fn. 43), Interim Report of the IIF Committee on Best Market Practices, v. 9.4.2008; Hartmann-Wendels, FLF 2008, 252ff.
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ment gewonnen, steigende Häuserpreise erleichterten oder absorbierten ihre Kreditbürde, und durch Kreditkonditionen, welche die Hauptlast des Schuldendienstes in die Zukunft verschoben. Die Deckungsmasse bestand daher zunehmend in risikoreichen Forderungen aus einer immer zügelloseren und schließlich kriminell fahrlässigen Kreditvergabe durch viele (amerikanische) Banken.52 Häuserkredite, die ausschließlich auf unterwertigen Immobilienbeleihungen (sub-prime mortgages) ohne persönliche Haftung einkommensschwacher Hauseigner beruhten, die den Kredit teils zur Vollfinanzierung des Hauskaufs, teils für Konsumausgaben nutzten, wurden zum Auslöser der internationalen Finanzmarktkrise. Die Risiken aus solchen Zertifikaten waren noch dadurch gesteigert, dass die Emittenten der Zertifikate bei der „Deckungsmasse“, die ohnehin unzureichend war, schrittweise auf jede Risikomischung53 verzichteten. Außerdem nahmen sie in ihre Portfolios die Anteile an anderen solchen Fonds auf, so dass eine doppelstöckige Anlagestruktur entstand („structured finance CDOs“), deren Risiken nicht mehr zu durchschauen waren.54 Anreize für Anleger boten erhöhte Renditen als Risikoprämien, die jedoch der Höhe der – intransparenten – Risiken nicht im Mindesten gerecht wurden. Während demnach viele Banken Kreditrisiken schufen und durch Verbriefung [25] rasch und gewinnreich wieder loswurden, wurden zahlreiche andere Banken als Anleger angelockt. Dabei spielte das häufig grobfahrlässig zu günstige Rating eine Rolle. Auch eine Anzahl deutscher Banken beteiligte sich, oft durch besondere Zweckgesellschaften an Plätzen mit schwacher Bankaufsicht (special investment vehicle – SIV), als Anleger in großem Umfang,55 wobei diese Anlagen kurzfristig refinanziert wurden und zwar durch die Emission kurzläufiger Anleihen (commercial papers). Man war sich der verschleierten Risiken wohl auch deshalb nicht bewusst, weil man die deutsche Tradition der risikoarmen Pfandbriefe als Inbegriff einer soliden Geldanlage vor Augen hatte.56 Als die Krise ausbrach, waren die Anlagewerte unverkäuflich und zugleich kam ihre Refinanzierung zum Erliegen. Dies
52 IIF (Hrsg.) (Fn. 43), Interim Report of the IIF Committee on Market Best Practices, v. 9.4.2008, S. 2 no. 6. 53 Z.B. von Hauskrediten, Krediten für gewerbliche Immobilien, Kreditkartenforderungen, Autokaufkredite, Forfaitierung von Handelsforderungen u. Ä. 54 Fender/Tarashev/Zhu (Fn. 44), S. 88. 55 Hartmann-Wendels, FLF 2008, 252ff., 254. 56 Diesen Irrtum förderte indirekt auch der deutsche Gesetzgeber, als er in § 13 Abs. 1 PfandBG gestattete, Hypothekenpfandbriefe auch mit Grundpfandrechten an US-amerikanischen Grundstücken zu unterlegen, freilich unter Vorbehalt der Gleichwertigkeit und bei Einhaltung der Beleihungsgrenze des § 14 PfandBG. Dazu Kaufmann, ZBB 2005, 336ff., der erstaunlicherweise die völlige Gleichwertigkeit mit deutschen Pfandrechten attestiert.
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führte zu großen Verlusten, die im Fall der deutschen Hypo Real Estate Bank (HRE) die Dimension eines systemischen Risikos annahmen.57
II. Das neue SchVG als Organisationsrecht der Gläubiger 1. Geltungsumfang; zwingende Normen (§§ 1, 20) Das neue SchVG enthält deutsches Sonderprivatrecht für inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Anleihen (§ 1 Abs. 1 RefESchVG) mit Ausnahme von Pfandbriefen (Abs. 2). Vorausgesetzt ist dabei nur, dass deutsches Recht überhaupt anwendbar ist. Das Gesetz statuiert also keine Eingriffsnormen i.S. Art. 34 EGBGB, die ohne Rücksicht auf das Vertragsstatut anzuwenden wären. Anleihebedingungen enthalten regelmäßig eine Rechtswahlklausel. Fehlt sie, was kaum vorkommen dürfte, wäre das Vertragsstatut durch objektive Anknüpfung zu ermitteln. Das Gesetz gilt für alle deutschem Recht unterliegende Anleihen in allen (oben I.) erörterten inhaltlichen Varianten mit Ausnahme der Pfandbriefe. Insbesondere gilt es demnach für Emittenten der öffentlichen Hand und für ausländische Emittenten (Auslandsanleihen), seien es Unternehmen oder Staaten und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts. Der RefESchVG regelt in § 2 einige skripturrechtliche Aspkete der Entstehung der Gläubigerrechte (im Folgenden III.2.) und in § 3 den Grundsatz [26] ihrer kollektiven Bindung (im Folgenden IV.). Der Schwerpunkt des Gesetzes liegt auf der Neuregelung der Organisation der Anleihegläubiger (§§ 4–19), die bisher im SchVG 1899 geregelt war. Kernpunkt ist die erweiterte Möglichkeit, die Gläubigerrechte durch Mehrheitsbeschlüsse abzuändern und dadurch einzuschränken. Die Organisationsnormen der §§ 4–19 sind zwingend. Von ihnen kann gem. § 20 SchVG in Anleihebedingungen nur abgewichen werden, wenn es im Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist. Dies entspricht dem zwingenden Charakter des Organisationsrechts der AG (§ 23 Abs. 5 AktG). Der zwingende Charakter wird unterstrichen durch die in § 24 SchVG vorgesehenen Bußgeldvorschriften. In Abschnitt 3 erklärt das SchVG bestimmte Klauseln in Anleihebedingungen (über Mitverpflichtete, Kündigung und Schuldnerersetzung) für zulässig (§§ 21–23).
57 Die Rettung der HRE Anfang Oktober 2008 erforderte eine Finanzhilfe von 50 Mrd. €. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen gegen Manager der Bank wegen Betrugs, fehlerhafter Kapitalmarktinformation und Marktmanipulation auf; FAZ, v. 11.11.2008, S. 15.
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2. Ablösung des alten SchVG 1899 Das neue SchVG gilt erst für die Anleihen, die nach seinem Inkrafttreten emittiert werden. Es ist auf Schuldverschreibungen, die vor diesem Datum ausgegeben wurden, nicht anzuwenden. Für diese gilt weiterhin das alte SchVG von 189958 (§ 25 Abs. 1 RefESchVG). Die in Art. 8 des Neuregelungsgesetzes59 angeordnete Aufhebung des SchuldVG 1899 ist insofern missverständlich. Es ist wegen der z.T. langen Laufzeiten der Anleihen vielmehr mit einer längeren Übergangsphase zu rechnen. Allerdings können die Gläubiger einzelner Altanleihen mit Zustimmung des Anleiheschuldners eine Abänderung ihrer Anleihebedingungen durch Gläubigerbeschluss herbeiführen (§ 25 Abs. 2 SchuldVG). Für diesen Beschluss gelten bereits die Bestimmungen des neuen SchVG. Die Ablösung des SchVG 1899 beendet einen unbefriedigenden Rechtszustand. Während das neue SchVG auch und vor allem auf die Bedürfnisse des internationalen Anleihemarktes zugeschnitten ist (im Folgenden 3. und 4.), ist das bisherige Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen vom 4.12.1899 (SchVG 1899)60 in seinem Anwendungsbereich auf Schuldverschreibungen beschränkt, die im Inland von inländischen privaten Emittenten ausgegeben werden (§ 1 Abs. 1). In diesem begrenzten Anwendungsbereich bietet das SchVG 1899 den Anleihegläubigern begrenzte Möglichkeiten, ihre Interessen gemeinsam wahrzunehmen. Zugleich erhält der Emittent die Möglichkeit, in der Krise mit den Obligationären in Verbindung zu treten. Eine Gläubigerversammlung kann mit bindender Wirkung für alle Gläubiger durch Mehrheitsbeschluss über begrenzte Fragen entscheiden, nämlich über die Ermäßigung des Zinssatzes oder die Hinausschiebung des Fälligkeitszeitpunktes für Zinsen und Kapitalrückzahlungen [27] (§§ 1, 10, 11). Auch kann die Anleihe durch Mehrheitsbeschluss oder durch Erklärung eines dazu ermächtigten Vertreters fällig gestellt werden (§ 14 Abs. 1 und Abs. 2). Das SchVG 1899 hat in der Praxis keine nennenswerte Bedeutung erlangt.61 Das liegt zum einen an der Beschränkung des Anwendungsbereichs auf inländische Anleihen privater Emittenten, zum andern u.U. auch an der eingeengten Möglichkeit zur Abänderung der Anleiheschuld. Eine weiter gehende Anpassung der Anleihe an veränderte wirtschaftliche Verhältnisse sieht das Gesetz nicht vor.62
58 Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen v. 4.12.1899, RGBl. (1899), 691, mit Änderungen; BGBl. III, 4134-1. 59 Vgl. Fn. 1. 60 Vgl. Fn. 58. 61 Horn (Fn. 4), S. 431. 62 Schneider in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 69, 79.
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Vereinzelt wurde eine erweiterte Anwendung des Gesetzes auch auf Auslandsanleihen per Analogie befürwortet.63 Nach der entgegengesetzten Extremposition können dem Gesetz entsprechende oder weiter gehende Regelungen über Gläubigerversammlungen und Mehrheitsbeschlüsse in Anleihebedingungen, die deutschem Recht unterstehen, aber nicht dem SchVG 1899 unterfallen (Auslandsanleihen), nicht einmal vertraglich wirksam vereinbart werden.64 Letzteres überzeugt nicht. Näher liegt m. E. die Annahme, dass schon das bisherige deutsche Recht Anleihebedingungen von deutschen Auslandsanleihen im Grundsatz als zulässige Parteivereinbarungen anerkennt. Daher sind sowohl Anleihebedingungen von deutschen Auslandsanleihen, die inhaltlich mit dem SchVG 1899 übereinstimmen, grundsätzlich wirksam,65 als auch davon abweichende alternative Regelungen, die etwa einen Anleihetreuhänder vorsehen.66 Dies ist auch künftig für Altanleihen, deren Anleihebedingungen nicht nach § 25 Abs. 2 neues SchVG an das neue Recht angepasst werden, von Bedeutung. 3. Anpassungsregelungen in der internationalen Diskussion Der Referentenentwurf zum neuen SchVG nimmt eingangs ausdrücklich auf die internationale Diskussion und Marktentwicklung Bezug.67 In den letzten zwei Jahrzehnten wurde international eine Debatte über die Frage geführt, ob und wie man für den Fall einer Krise des Emittenten, sei es ein in- oder ausländisches Unternehmen oder ein Schuldnerstaat internationaler Anleihen, rechtliche Voraussetzungen für eine flexible Anpassung der Anleihebedingungen im Rahmen von Umschuldungen schaffen könne. Dabei ging es stets um traditionelle Anleihen i.e.S. Vor allem die immer wieder auftretenden internationalen Verschuldungskrisen von Schuldnerländern, die umfangreiche Umschuldungsanstrengungen notwendig machten, haben die erheblichen rechtli- [28] chen Hindernisse gezeigt, die einer Anpassung von Anleihen im Rahmen von Umschuldungsverhandlungen entgegenstehen können.68 Seit der Finanzkrise von Mexiko 1994–95 („Tequila-Krise“)69 und der Argentinien-Krise von 2002 gibt es eine Reihe von Vorschlägen, um kol-
Than, FS Coing, 1982, S. 521, 529f.; kritisch Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 551f. Stucke, Die Rechte der Gläubiger bei DM-Auslandsanleihen, 1988, S. 32; kritisch Keller, BKR 2003, 313, 315. 65 Than, FS Coing, 1982, S. 521, 529f.; Keller BKR 2003, 313, 315; Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 554. 66 Horn (Fn. 4), S. 413ff.; siehe auch Than, FS Coing, 1982, S. 521, 529f. 67 RefESchVG v. 9.5.2008, S. 1. 68 Vgl. schon Horn, Int. Bus. Lawyer 400–409 (1984); ders. in: Horn/Norton (Hrsg.), Non Judicial Dispute Settlement in International Financial Transactions, 2000, S. 16. 69 Zu dieser Krise und ihrer Bewältigung durch Neuverhandlungen Berenson in: Horn/ Norton (Fn. 68), S. 251ff. 63 64
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lektive Umschuldungsverhandlungen im Hinblick auf Not leidende Anleihen zu erleichtern.70 Der Internationale Währungsfonds steuerte zu dieser Debatte den Vorschlag eines internationalen Staateninsolvenzrechts (Sovereign Debt Restructuring Mecanism) unter Gründung eines internationalen Insolvenzgerichtshofs bei, der aber keine weitere politische Unterstützung fand.71 Die Staatengruppe G 1072 und eine von sieben internationalen Unternehmensverbänden gegründete Kommission (EMTA-Gruppe)73 haben Vorschläge für Klauseln in Anleihebedingungen gemacht, die eine nachträgliche Anpassung der Bedingungen im Rahmen von Umschuldungen ermöglichen (collective action clauses; CADs).74 Die EU-Mitgliedstaaten haben entsprechende Empfehlungen gegeben.75 In der internationalen Anleihepraxis fanden Regelungen über die Abänderung (Minderung) der Rechte der Obligationäre durch Mehrheitsbeschluss schon in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts insbesondere bei Anleihen, die englischem, luxemburgischem oder japanischem Recht unterstellt waren, Verwendung.76 Diese Entwicklung hat sich ab den Neunziger Jahren verstärkt77 und sich dann in New York durchgesetzt. Dort wurde das Verbot von Mehrheitsbeschlüssen über die Minderung von Obligationärsrechten im Trust Indenture Act 1939, das nur für inländische Anleihen galt, in der Praxis auch bei Auslandsanleihen beachtet, bis 2003 Mexiko im Gefolge der Tequila-Krise erstmals entsprechend den Empfehlungen der G-10-Gruppe Dollaranleihen in New York emittierte, deren Bedingungen eine Anpassung der Anleihebedingungen durch Mehrheitsbeschluss vorsahen.78 [29] 4. Anpassungsregelungen und Interesse der Obligationäre a) Stärkung des deutschen Finanzplatzes Die allgemeinen Vorteile moderner Anpassungsregelungen liegen darin, dass die Anleihegläubiger im Fall einer Krise des Anleiheschuldners leichter zu einem Sanierungsbeitrag herangezogen werden können, wie ihn andere Hartwig-Jacob, FS Horn, 2006, S. 717ff. Choi/Gulati, IFLR Sept. 2005, 15. 72 Group of Ten (Hrsg.), Report of the G-10 Working Group on Contractual Clauses, March 2003. 73 Emerging Markets Trade Association (EMTA) (Hrsg.), Model Collective Action Clauses for Sovereign Bonds, v. 31.1.2003. 74 Keller, BKR 2002, 313, 314f.; Hartwig-Jacob, FS Horn, 2006, S. 717ff. 75 Erklärung des Präsidenten des Rates für Wirtschaft und Finanzen ECOFIN v. April 2003; Hartwig-Jacob, FS Horn, 2006, S. 719. 76 Horn (Fn. 4), S. 357f., 404f., 426, 439f., 450; Hartwig-Jacob, FS Horn, 2006, S. 718. 77 Zur neueren Entwicklung Berensmann, Die Einbindung privater Gläubiger in die Prävention und Bewältigung von internationalen Verschuldungskrisen in: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (Hrsg.), Berichte und Gutachten 7/2003. 78 Hartwig-Jacob, FS Horn, 2006, S. 719. 70 71
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Gläubiger auch leisten, und dass man die Anleihebedingungen auch sonst leicht an eine neue Situation anpassen kann, insbesondere an Veränderungen im rechtlichen Status des Anleiheschuldners, z. B. durch Umwandlung, Fusion oder Veränderung seiner Funktion innerhalb eines Konzerns.79 Diese Vorzüge kommen offenkundig den Interessen der Emittenten als Kapitalnachfrager entgegen, und sie sind es, welche die Entscheidung über die Anleihe und die Wahl des Marktes treffen. Die Begründung zum Referentenentwurf des neuen SchVG nennt als Motiv des Gesetzgebers auch in erster Linie die Erfordernisse des internationalen Marktes, auf dem Deutschland als internationaler Finanzplatz gerade auch für Anleihen eine wichtige Rolle spielt. Es geht also um die Förderung des Finanzplatzes Deutschland und der Wahl deutschen Rechts in den Anleihebedingungen durch die Marktteilnehmer.80 In der Begründung zum Referentenentwurf wird aber auch die Frage bejaht, dass eine verbesserte Organisation der Obligationäre bzw. die Schaffung der rechtlichen Möglichkeiten dazu in deren eigenem Interesse liegt. In der Tat gibt es Anpassungen, etwa bei einem notwendigen Schuldnerwechsel, die den Umständen nach auch im Interesse der Gläubiger liegen können. Auch das Gelingen einer Sanierung kann den Interessen der Obligationäre entgegenkommen, weil deren Befriedigung bei Insolvenz des Schuldnerunternehmens noch viel magerer ausfällt als bei einer erfolgreichen Sanierung nach Teilverzicht.81 Aber die Antwort ist nicht immer eindeutig zu geben. Man kann die Gegenfrage stellen, ob es hier wirklich immer (auch) um Gläubigerschutz geht oder nicht eher um das Gegenteil, nämlich um die Verbesserung der Möglichkeiten, die Rechte der Anleihegläubiger zu verkürzen. b) Schutz der Gläubiger durch Organisationsmangel? Die schwache Organisation der Anleihegläubiger war jedenfalls in vielen internationalen Verschuldungskrisen lange Zeit auch ein Schutz. Sie war der Grund dafür, dass man die Anleihegläubiger nicht an Schuldherabsetzungen und sonstigen Umschuldungsmaßnahmen beteiligte.82 Die Anleihegläubiger hatten dann zwar unter der zeitweiligen faktischen Zahlungsunterbrechung zu leiden, die typischerweise in Verschuldungskrisen eintrat, blieben aber in [30] ihren Rechten weitgehend ungeschoren, während die sonstigen Kreditgeber – Banken bzw. Bankengruppen, Staaten oder internationale Organisationen (Weltbank, Europäische Investitionsbank, KfW) – zumindest Zinszugeständnisse machen, z.T. aber auch deutliche Einschnitte in ihre 79 Allgemein zu diesem Anpassungsbedarf und den Defiziten des alten SchVG in dieser Hinsicht Schneider in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 78ff., 81ff. 80 RefVorE 2006, Begr. S. 24f., 26ff.; RefE 2008, S. 1, 21. 81 Dazu das Fallbeispiel EM.TV bei Schneider in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 78. 82 Horn, Int. Bus. Lawyer 400 (Oct. 1984); ders. in: Horn/Norton (Fn. 68), S. 16.
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Rückzahlungsforderungen hinnehmen mussten. Diese für die Obligationäre günstige Situation beruhte teils auf dem erwähnten Organisationsmangel und der Unmöglichkeit, Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger herbeizuführen, zu einem guten Teil aber letztlich auch darauf, dass man einem Schuldnerstaat, der „nicht einmal“ seine privaten internationalen Anleihen bediente, keinen internationalen Kredit einräumte. Namentlich Staaten, die durch eine wirtschaftliche Krise ihre Existenz nicht verlieren, sahen sich also zur Wiederherstellung ihrer vollen Kreditwürdigkeit nach Abschluss der Umschuldungsverhandlungen mit den anderen Gläubigern genötigt, die noch ausstehenden Anleihen wieder voll zu bedienen. Muss man daraus nicht den Schluss ziehen: je weniger eine rechtliche Organisation der Anleihegläubiger besteht, desto mehr Schutz genießen sie faktisch? Die Regelung mag dem Finanzplatz Deutschland nutzen und den Kapitalnachfragern. Aber nützt sie auch den Obligationären? Das Bild ist freilich nicht eindeutig. Schuldnerunternehmen können anders als Staaten durch eine Krise ihre Existenz verlieren, die Obligationäre den größten Teil ihrer Forderungen. Aber auch bei Staatsanleihen ist der Weg zur vollen Befriedigung der Obligationäre, wenn einmal eine Verschuldungskrise des Staates eingetreten ist, doch eher ein Glücksfall, der zudem nur nach einem dornenreichen Weg der Rechtsverfolgung oder des Abwartens eintritt. Schon das Faktum der Zahlungseinstellung durch den Anleiheschuldner, sei es wegen Zahlungsunfähigkeit oder Zahlungsunwilligkeit ohne Rücksicht auf die Rechtslage, führt zunächst und ggf. dauerhaft zu einer Minderung der Gläubigerrechte. Diese Situation bot den Schuldnerstaaten oft den Ausweg, im Markt möglichst viele dieser Schuldverschreibungen billig zu erwerben und auf diese Weise ihre Anleiheschuld zumindest teilweise zu vorteilhaften Bedingungen zu tilgen. Nach dem Börsenkrach 1929 beschritten auch Unternehmen als Anleiheschuldner in den USA diesen Weg, um anschließend für sie als Emittenten günstige Mehrheitsbeschlüsse herbeizuführen. Dies führte zum Verbot solcher Mehrheitsbeschlüsse im Trust Indenture Act 1939.83 In der jüngeren Entwicklung haben sich die Nachteile, die sich aus dem Fehlen von Anpassungsregelungen und einer kollektiven Vertretung der Gläubiger ergeben, verstärkt. Erstens gab es von der geschilderten Praxis, Anleihen von Umschuldungsverhandlungen auszunehmen, ab den 90er Jahren immer mehr Ausnahmen.84 Vor allem der IWF und der Paris Club gaben die traditionelle strikte Respektierung der bestehenden Rechte von Obligationären auf. Zweitens hat das erwähnte Vordringen der Kautelarpraxis, erweiterte Abänderungsmöglichkeiten in den Anleihebedingungen vorzusehen, zu [31] einem Umdenken geführt. Dies hat die erwähnten offiziellen Empfehlungen zur Förderung dieser Praxis ausgelöst. Dadurch ermutigt, Buchheit/Gulati, 48 UCLA Law Rev. 59, 9. Berensmann (Fn. 77).
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haben drittens staatliche Schuldner in ihrer internationalen Verschuldungskrise einseitige Herabsetzungen von Anleiheforderungen dekretiert. Dies geschah z.B. im Fall der Argentinienkrise 2001/2002. Wer sich diesem Diktat nicht beugte, wurde durch einseitige Aberkennung aller seiner Rechte „bestraft“.85 c) Gläubigerschutz durch verbesserte Organisation Gerade die letztere Fallgestaltung zeigt die Notwendigkeit, solchen einseitigen Schritten des Schuldnerstaates durch ein geschlossenes, organisiertes Auftreten der Gläubiger entgegenzutreten. Man mag die frühere Anschauung, derzufolge die Rechte der Obligationäre von Staatsanleihen im internationalen Markt jedenfalls im Prinzip unantastbar waren und quasi als „senior debt“ angesehen wurden, damit rechtfertigen, dass auch gerade der kleinere private Anleger, der seine Ersparnisse sicher anlegen will, in ausländische Staatsanleihen investiert und dem souveränen Schuldner besonderes Vertrauen schenkt. Aber der Wind hat sich gedreht und in der internationalen Diskussion findet diese traditionelle Auffassung kein Gehör mehr. Vielmehr sind heutzutage diejenigen Anleihegläubiger, die sich an einer Umschuldung nicht beteiligen wollen und eine Verkürzung ihrer Rechte ablehnen, in die prekäre Rolle der Störenfriede geraten, weil sie auf Kosten der anderen Gläubiger, die durch Teilaufgabe von Rechten die Sanierung des Schuldners ermöglichen, einen Sondervorteil, nämlich die ungeschmälerte Erfüllung ihrer eigenen Ansprüche, erlangen wollen.86 Im Ergebnis sprechen heute – man mag sagen: notgedrungen – die stärkeren Argumente für die Fortentwicklung des Rechts der Anpassung der Anleihebedingungen auch bei Staatsanleihen, und zwar heute auch unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes.87 Die Argentinienkrise 2001/02 und das dabei von Argentinien gezeigte Verhalten zeigt die zwei Seiten einer kollektiven Organisation mit Mehrheitsbeschlüssen und Vertretung der Obligationäre. Um den Preis einer erleichterten Verringerung der Gläubigerrechte bietet sie andererseits auch eine gewisse Chance der effektiveren Verteidigung dieser Rechte. Möglicherweise hätte man gegenüber Argentinien eine höhere Quote aushandeln können, und jedenfalls hätte man die willkürliche Sanktion der Rechtlosstellung derjenigen Obligationäre, die das Diktat ablehnten, vermieden. [32]
85 Speziell zum Umschuldungsszenario der Argentinienkrise 2001/2002 Baars/Bökel, ZBB 2004, 445ff.; Sester, NJW 2006, 2891ff.; Cranshaw, DZWir 2007, 133, 135; Horn, SchiedsVZ 2008, 209, 219ff.; Horn, FS Nobbe, 2009 (im Erscheinen). 86 Cranshaw, DZWir 2007, 133, 141. 87 In diesem Sinn auch Berensmann (Fn. 77); Hartwig-Jacob, FS Horn, 2006, S. 717ff.; Sester, NJW 2006, 2891ff.; Cranshaw, DZWir 2007, 133, 141.
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III. Anleihebedingungen im deutschen Privatrecht und SchVG 1. Anleihevertragspraxis nach allgemeinem Vertragsrecht Das neue SchVG beschränkt sich, wie (oben II.1.) erörtert, auf die Schaffung zwingenden Organisationsrechts der Anleihegläubiger und der Eingriffsmöglichkeiten in die einzelnen Klauseln, die noch (im Folgenden IV.) zu besprechen sind. Eine Kodifizierung des Vertragsrechts der Anleihen war nicht beabsichtigt und könnte auch der Gestaltungsvielfalt und dynamischen Fortentwicklung der Anleihebedingungen kaum Rechnung tragen. Es gilt insoweit allgemeines Vertragsrecht. Sowohl der nationale wie der internationale Anleihemarkt haben das Vertragsrecht der Anleihen (i.e.S.) seit jeher spontan gestaltet; dabei wurde durch Standardregelungen der Kautelarpraxis eine gewisse Vereinheitlichung erreicht. Die Praxis hat zugleich die bestehende Vertragsfreiheit zur flexiblen Anpassung an immer neue Regelungsprobleme genutzt. Fachliteratur über internationale Anleihen ist dem Ansatz nach daher Darstellung der (internationalen) Kautelarpraxis, ihrer Standards und wichtigen Gestaltungsvarianten und Spezialregelungen. Diese sind dann jeweils vor dem Hintergrund des gewählten anwendbaren Rechts zu verstehen, wobei der internationale Anleihemarkt nur eine begrenzte Anzahl von Rechtsordnungen akzeptiert.88 2. Entstehung der Gläubigerrechte (§ 2) a) Entstehung und Verbriefung; Begriff der Anleihebedingungen Die Rechte und Pflichten des Emittenten und der Gläubiger bestehen, wenn wir den Unterfall der Anleihe im traditionellen Sinn (Anleihe i.e.S.; oben I.2.b) als Beispiel heranziehen, erstens aus der Leistungsbeschreibung und zweitens aus den Anleihebedingungen zur weiteren Ausgestaltung der beiderseitigen Rechte.89 Zur Leistungsbeschreibung gehören bei einer solchen Anleihe Nennbetrag bzw. Rückzahlungsbetrag, Laufzeit, Zinssatz und Zahlungstermine für die Zinsen sowie ggf. Wandlungs- und Optionsrechte auf Aktien.90 Die Unterscheidung von Leistungsbeschreibung und weiteren Bedingungen ist allgemein im Vertragsrecht, insbesondere im AGB-Recht, üblich.91 An diese etablierte Unterscheidung scheint § 2 Abs. 1 S. 1 anzu Horn (Fn. 4); Siebel (Fn. 4); Hartwig-Jacob (Fn. 4). Ähnlich (vor Schaffung des AGB-Rechts) Horn (Fn. 4), S. 235, 247ff. („Verpflichtungserklärung und Anleihebedingungen“). 90 Horn (Fn. 4), S. 247ff.; Than in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 3, 12ff. 91 Zur Unterscheidung z.B. Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz: Kommentar, 4. Aufl. 1999, § 8 Rdn. 10. Sie wird hauptsächlich im Hinblick auf die Kontrollfreiheit für Hauptleis tungsvereinbarungen getroffen (§ 307 Abs. 3 BGB; früher § 8 AGBG). Dies schließt nicht aus, dass auch die Hauptleistungsbeschreibung in Gestalt von AGB erfolgt. 88 89
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knüpfen, indem er einerseits die „Bedingungen zur Beschreibung der Leis tung“ [33] und andererseits die „Rechte und Pflichten des Schuldners und der Gläubiger“ nennt und in § 4 Abs. 3 Nr. 10 von „Nebenbestimmungen“ spricht. Jedoch wird der Begriff der „Anleihebedingungen“ vom RefESchVG als Oberbegriff für beides gebraucht, so jedenfalls in § 3 Abs. 1–3, weniger eindeutig in § 2 Abs. 1 S. 1. Dies erfolgt nicht ohne Grund. Denn der genannte Unterschied ist nur ein gradueller, und gerade bei Anleiheschuldverschreibungen ist beides in gleicher Weise einheitlich festgelegt.92 Die Anleihebedingungen können die schuldrechtliche Beziehung zwischen Emittenten und Obligationären nur dann bestimmen, wenn sie in der Urkunde enthalten sind, also „sich aus der Urkunde ergeben“ (§ 2 Abs. 1 S. 1 RefESchVG). Die Regelung entspricht dem wertpapierrechtlichen Skripturprinzip der §§ 793, 796 BGB für Inhaberpapiere, das sich auch in anderen Rechtsordnungen findet und den Rechtsanschauungen des internationalen Marktes entspricht.93 Die verbrieften Rechte entstehen nach deutschem Recht durch ihre Verbriefung und die erstmalige Begebung an den Ersterwerber.94 Auch Änderungen des Inhalts der Urkunde oder der Anleihebedingungen werden in Abs. 2 den skripturrechtlichen Anforderungen unterworfen. Dies bedeutet eine Verstärkung des Skripturprinzips. b) Gesonderte Urkunde über die Anleihebedingungen (§ 2 Abs. 1 S. 2) Andererseits hat der Gesetzgeber der Entmaterialisierung des Wertpapier umlaufs, bei dem die Bewegung der Urkunden durch Kontenbewegungen ersetzt wird, Rechnung getragen. Er hat daher das Skripturprinzip in einem wichtigen Punkt aufgelockert. Für den Fall, dass „die Urkunde nicht zum Umlauf bestimmt“ ist, erlaubt das Gesetz, die Anleihebedingungen nicht in die Urkunde selbst aufzunehmen, wo sie früher in oft winzigem Kleindruck ihr Leben fristeten, sondern in der Urkunde auf „außerhalb der Urkunde niedergelegte Anleihebedingungen“ Bezug zu nehmen (§ 2 Abs. 1 S. 2 RefESchVG). Die Urkunde ist jedenfalls dann nicht zum Umlauf bestimmt, wenn über die ganze Anleihe oder einen Teil davon statt einzelner Schuldverschreibungen nur eine Globalurkunde (i.S. v. § 9a DepotG) ausgestellt ist. Sind dagegen Einzelstücke hergestellt (ein heute eher seltener Fall) und lediglich in Sammelverwahrung gegeben (§ 6 DepotG), so können einzelne Stücke aus dem Bestand herausgefordert werden (§ 6 Abs. 2 S. 1 DepotG), so dass die sammelverwahrten Urkunden durchaus zum Umlauf bestimmt sind. 92 Aus dieser Tatsache will v. Randow Argumente gegen die Anwendbarkeit des AGBGesetzes gewinnen; vgl. in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 25ff., 47f. Der BGH verwendet diese Tatsache umgekehrt zur Begründung der erleichterten Einbeziehung von Anleihebedingungen als AGB; BGHZ 163, 311; unten III.3.b. 93 Horn (Fn. 4), S. 235. 94 Hueck/Canaris, Recht der Wertpapiere, 12. Aufl. 1986, § 3 I 2; BGH NJW 1973, 283.
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Über die Art der „Niederlegung“ der Anleihebedingungen ist nichts gesagt. In der heute vorherrschenden Praxis der Verwendung von Globalurkunden (§ 9a De- [34] potG) hat sich bereits die Übung eingebürgert, die Anleihebedingungen in einen Anhang zur Globalurkunde aufzunehmen und diesen ebenfalls zentral zu verwahren. Darauf wird in der Begründung verwiesen.95 c) Übertragung; Publizität der Anleihebedingungen Die technische Handhabung der Verbriefung ist den modernen Anforderungen des Marktes an rasche Zirkulation angepasst. Der Wertpapierverkehr erfolgt heute international ganz überwiegend stückelos, technisch durch Wertpapierkontenbewegungen.96 Dabei hält das deutsche Wertpapier- und Depotrecht weiterhin an der sachenrechtlichen Grundlage des Wertpapierumlaufs fest; danach werden die Schuldverschreibungen durch weitere sachenrechtliche Übertragungsakte, nämlich Begebungsvertrag und Übergabe (auch in Gestalt der Verschaffung mittelbaren Besitzes) weiter übertragen.97 Für den Erwerbsvorgang wird die unmittelbare Übergabe im deutschen Effektengiroverkehr durch Änderung des Besitzmittlungswillens und entsprechende Buchungsakte ersetzt.98 Der RefESchVG nimmt angesichts dieser Praxis nicht weiter Stellung zu der Frage, ob und wie die Schuldverschreibung je physisch an den Gläubiger übergeben wird und er sie je zu Gesicht bekommt; beides ist für den Regelfall zu verneinen. Darauf soll es aber für die Wirksamkeit der Übertragungsvorgänge nicht ankommen. Die praktische Bedeutungslosigkeit der Urkunde und ihres Anhangs als Informationsmedium begründet jedoch ein Informationsdefizit des Erwerbers und wirft die weitere Frage auf, ob dieser einen ausreichend konkretisierten Vertragswillen hat. Dieses Informationsdefizit sucht § 2 Abs. 2 S. 1 RefESchVG dadurch auszugleichen, dass der „Schuldner von öffentlich angebotenen oder zum Handel an einem organisierten Markt zugelassenen Schuldverschreibungen (...) den Wortlaut der Anleihebedingungen im Internet unter seiner Adresse oder Begr. z. RefESchVZ 2008, S. 24. Heymann/Horn, HGB, Bd.4, 2. Aufl. 2005, Anh. § 372 Bankgeschäfte Rdn. IV/13; Horn, FS Hadding 2004, S. 893–904. 97 Anders die vollständig entmaterialisierten Schuldbuchforderungen gegen die öffentliche Hand, die gem. § 42 DepotG eine spezialgesetzliche Regelung erfahren haben. Sie werden auf den Namen einer Wertpapiersammelbank als Treuhänder der Anleihegläubiger im Schuldbuch eingetragen. Die Rechte der Gläubiger sind denen von sammelverwahrten Schuldverschreibungen gleichgestellt und verwahrungs-rechtlich wie Wertpapiere zu behandeln; BGHZ 5, 31; zum Ganzen Horn, WM Sonderbeil. 2/2002, 16f. 98 Die Übertragung der Schuldverschreibung erfolgt durch die Übertragung mittelbaren Besitzes (d.h. des mittelbaren Mitbesitzes an der Globalurkunde) mittels Änderung des Besitzmittlungswillens auf Weisung des bisherigen mittelbaren Besitzers. Dies wird nach h. M. als Erwerbsvorgang gemäß § 929 BGB (und nicht nach § 931 BGB) bewertet; BGHZ 92, 280, 288 = WM 1984, 1606; Horn, WM Sonderbeilage 2/2002, S. 9 m. w. N. 95 96
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auf andere Weise der Öffentlichkeit kostenlos zugänglich zu machen“ hat. Mit der Zugänglichmachung ist eine dauerhafte Informationsquelle gemeint, die auch [35] spätere Anleger nutzen können.99 Dies gilt sowohl für den Internetauftritt als auch für Alternativen, die das Gesetz nicht näher erläutert. Nicht gemeint ist der Emissions- oder Zulassungsprospekt i.S.d. §§ 1–3 WpPG, der keine dauerhafte Informationsquelle darstellt. Die Regelung wird verstärkt durch die Verpflichtung des Emittenten, in Unterlagen und Veröffentlichungen, in denen er auf das Angebot der Anleihe oder wesentliche Merkmale der Schuldverschreibungen hinweist, auch anzugeben, wo die Anleihebedingungen kostenlos zugänglich sind (§ 2 Abs. 2 S. 1 RefESchVG). Immerhin bietet die bereits erwähnte Prospektpublizität durch den Emissions- oder Zulassungsprospekt, der auch die Anleihebedingungen enthalten muss (§§ 5, 7 WpPG) und vor Erlass der Prüfung und Billigung durch die BaFin bedarf (§ 13 Abs. 1 WpPG), einen weiteren Ausgleich des durch die Entmaterialisierung begründeten Informationsdefizits. Die weitere Frage, ob der Vertragswille des Erwerbers (beim Kauf- und Begebungsvertrag) beeinträchtigt ist und von vornherein die Anleihebedingungen nicht umfasst, wenn der Erwerber die Urkunde und deren Anhang nicht zu Gesicht bekommt, ist daher zu verneinen. Wenn die genannten Informationsmöglichkeiten eröffnet sind, sind Anleihebedingungen von diesem Willen im Grundsatz konkludent mit umfasst.100 3. Anwendung des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen und SchVG a) Kein Ausschluss des AGB-Rechts durch das SchVG Anleihebedingungen erfüllen die Merkmale von AGB. Die Frage, ob Anleihebedingungen AGB seien, wurde zwar kontrovers diskutiert, aber mehrheitlich bejaht.101 Der BGH ist dem 2005 gefolgt.102 An die Annahme, dass das AGB-Recht anwendbar sei, knüpfen seit langem Bedenken der deutschen Kautelarpraxis an, bestimmte Gestaltungsformen der Anleihe Begr. z. RefVorE 2006, S. 38. BGHZ 163, 311, 318; allgemein für Fälle der Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 2 (jetzt § 305a BGB) Horn in: Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.) (Fn. 91), § 23 Rdn. 101, 107; Ulmer in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.), AGB-Gesetz, 9. Aufl. 2001, § 23 Rdn. 34, 39f. Einzelheiten im Folgenden unter 3.b. 101 Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 91), § 1 Rdn. 13; § 23 Rdn. 75b m. w. N.; Claussen, ZBB 1989, 25, 27; Habersack, ZHR 155 (1991), 378, 386; Feddersen/Knauth, Eigenkapitalbildung durch Genussscheine, 2. Aufl. 1992; für analoge Anwendung gem. § 7 AGBG (jetzt: § 306a BGB) Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 228ff., 234f.; gegen Anwendung des AGB-Rechts de lege lata Siebel (Fn. 4), S. 343ff.; de lege ferenda v. Randow in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 25ff., 28ff., insbesondere gegen Inhaltskontrolle S. 46f., 49f., 67f. 102 Urt. v. 28.6.2005 – XI ZR 363/04, BGHZ 163, 311; für Genussscheine schon BGHZ 119, 305, 312f. 99
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bedingungen seien mit dem AGB-Recht unvereinbar, insbesondere Regelungen über Mehrheitsbeschlüsse zur Abänderung der Gläubigerrechte bei Umschuldungen („Mehrheitsklauseln“). Dies führte dazu, dass diese Gestaltungen entweder vollständig vermieden wurden oder nur unter Vorbehalt („Angstklauseln“) [36] Aufnahme in Anleihebedingungen fanden, die deutschem Recht unterstellt wurden.103 Solche Bedenken fanden natürlich auch eine beifällige Resonanz auf dem internationalen Finanzmarkt, wo aus Konkurrenzgründen Warnungen vor den angeblichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten des deutschen Rechts recht beliebt sind. Der Vorentwurf von 2006 zum SchVG sah ausdrücklich eine generelle Ausnahme vom AGB-Recht der §§ 305–309 BGB vor.104 Im Referentenentwurf von 2008 ist dieser Ansatz aufgegeben. Als Begründung wird angeführt, dass bisher nicht verbindlich geklärt ist, ob die Richtlinie des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen105 auf Anleihebedingungen in Schuldverschreibungen anwendbar ist und ob diese Richtlinie oder andere allgemeine Überlegungen eine AGB-rechtliche Inhaltskontrolle gebieten.106 Der Referentenentwurf 2008 verfolgt jedoch das Ziel einer Eindämmung des Auswirkungen des AGB-Rechts weiter (im Folgenden 3.d). b) Vereinfachte Einbeziehung nach BGH In der genannten BGH-Entscheidung von 2005 hat das Gericht in Übereinstimmung mit der h. M.107 entschieden, dass die Einbeziehung der Anleihebedingungen in das einzelne Schuldverhältnis mit dem jeweiligen Obligationär nicht von der Erfüllung der besonderen Voraussetzungen gem. § 305 Abs. 2 BGB (§ 2 Abs. 1 AGBG) abhängt. Vielmehr seien in Anlehnung an die Ausnahmevorschrift des § 23 Abs. 1 und Abs. 2 AGBG (jetzt §§ 305a, 310 Abs. 4 BGB), deren Analogiefähigkeit überwiegend angenommen wird,108 103 Zu den entsprechenden „Angstklauseln“ der Praxis RefVorE 2006, S. 23 f.; Bedenken auch bei Kümpel, Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2000, 9.174. Positivere Beurteilung solcher Regelungen bei Horn (Fn. 4), S. 422; Than, FS Coing, 1982, S. 521ff.; Hopt, WM 1990, 1733, 1737. 104 RefVorE 2006, § 2 Abs. 3 S. 4. 105 ABl. EG Nr. L 95, S. 29. Kommentierung in Wolf/Horn/Lindacher (Fn. 91). 106 RefE 2008, Begr. S. 21. 107 Begr. z. RefE des ABGB, BT-Drs. 7/3919, S. 18; Than, FS Coing, 1982, S. 521, 537; Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.) (Fn. 91), § 1 Rdn. 13; § 23 Rdn. 75b; Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.) (Fn. 100), AGBG, § 2 Rdn. 13; Schwintowski/Schäfer, Bankrecht, 2. Aufl. 2004, § 23 Rdn. 103; Hopt, FS Steindorff, 1990, S. 341, 364; Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 232ff.; Kallrath, Die Inhaltskontrolle der Wertpapierbedingungen von Wandel- und Optionsanleihen ect., 1994, S. 41ff.; Stucke (Fn. 64), S. 257; Joussen, WM 1995, 1861, 1863ff.; a. A. Assmann, WM 2005, 1053, 1057f. 108 Ulmer in: Ulmer/Brandner/Hensen (Hrsg.) (Fn. 100), AGBG, § 23 Rdn. 1; Horn in: Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.) (Fn. 91), § 23 Rdn. 3, 5f.; Staudinger/Schlosser, BGB,
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weniger strenge Anforderungen zu stellen. Geboten sei eine „funktionale Reduktion“,109 die auf die Marktbedingungen der vereinfachten Übertragbarkeit Rücksicht nimmt. [37] Einwände gegen die wirksame Einbeziehung der Anleihebedingungen in den Inhalt des Anleiheschuldverhältnisses wurden zuvor u.a. aus dem Umstand hergeleitet, dass Anleihen überwiegend unter Einschaltung von Emissionsbanken emittiert werden (Fremdemission), welche die Schuldverschreibungen meist zunächst selbst erwerben, um sie dann an Anleger weiterzureichen. Dabei werden die Anleihebedingungen meist zwischen Emittent und Banken ausgehandelt und nicht i. S. v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB einseitig gestellt. Zugleich fehlt es in diesem Stadium an einer direkten Vertragsbeziehung zwischen Emittent und Anleger, die als regelmäßige Voraussetzung für das „Stellen“ von AGB und die daran anschließende Inhaltskontrolle gefordert wird.110 Dies ändert aber nichts daran, dass Emittent und Emissionsbanken bei ihrem Aushandeln nach dem Plan handeln, die Schuldverschreibungen auf dem Kapitalmarkt an Anleger zu veräußern und damit in Umlauf zu setzen; diesen werden in diesem Sinn die Anleihebedingungen als AGB (mittelbar) „gestellt“.111 Wichtiger noch, die Anleihebedingungen sind für das in der Schuldverschreibung verbriefte Recht als Gegenstand des Kapitalmarktes konstitutiv und regeln das Schuldverhältnis zwischen dem Emittenten und allen künftigen Erwerbern der Schuldverschreibung als den Anleihegläubigern, wie der BGH zutreffend hervorhebt.112 Bisherige Zweifel hinsichtlich der Einbeziehung der Anleihebedingungen in den Vertrag sind damit für die Praxis erledigt.113 c) Auslegung der Anleihebedingungen Der RefESchVG verzichtet auf die Normierung besonderer Auslegungsregeln. Der Vorentwurf von 2006 hatte noch die Bestimmung vorgesehen,114 dass Maßstab jeder Auslegung die ursprünglich von den Parteien beabsichtigte Risikoverteilung sein müsse. Diese Regel ist entbehrlich, weil es sich 13. Bearb. 2003, § 23 AGBG Rdn. 1; a. A. Soergel/Stein, BGB, 12. Aufl. 1992, § 23 AGBG, Rdn. 2. 109 BGHZ 163, 315. 110 BGHZ 112, 204, 216; Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 224. Zur Berücksichtigung der Interessen Dritter in AGB und bei deren Inhaltskontrolle BGH ZIP 1985, 687, 689; HartwigJacob (Fn. 4), S. 225f. m. w. N. 111 Horn in: Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.) (Fn. 91), § 23 Rdn. 75b. 112 BGHZ 163, 316f. Zum Umstand, dass auch die Leistungsbeschreibung bei Anleihen die Form von AGB hat, schon oben III.2.a. 113 Sie waren schon vor der BGH-Entscheidung überdies zumindest durch den Umgehungstatbestand des § 306a BGB (früher: § 7 AGB-Gesetz) auszuräumen. Dazu v. Randow, ZIP 1994, 23 32; Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 228; Hopt, FS Steindorff, 1990, S. 365. 114 § 2 Abs. 3 S. 2 und S. 4 RefVorE 2006.
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um einen allgemein anerkannten Auslegungsgrundsatz handelt. Es bleibt also bei den allgemeinen Auslegungsregeln des BGB einschließlich der Sonderbestimmungen für AGB. Es gelten also der Ausschluss überraschender Klauseln (§ 305c BGB) und die Auslegung mehrdeutiger Klauseln gegen den Anleiheschuldner als Verwender (§ 305c Abs. 2 BGB), ferner die allgemeinen Auslegungsgrundsätze zu AGB und § 157 BGB. [37] d) Teilweiser Ausschluss der AGB-Inhaltskontrolle durch das SchVG aa) Bisherige Rechtsprechung Die deutsche Rechtsprechung zur Inhaltskontrolle von Anleihebedingungen nach AGB-Recht ist spärlich. Die wenigen Entscheidungen zeigen eine Aufgeschlossenheit der Gerichte für die technischen Anforderungen des Marktes, dem die Anleihebedingungen Rechnung tragen müssen. So ist auch die erörterte Entscheidung BGHZ 163, 311 von 2005 zu verstehen. Das OLG Frankfurt a. M. hatte 1993 über die Regelung in Anleihebedingungen zu entscheiden, dass eine vorzeitige Kündigung durch den Emittenten im Bundesanzeiger bekanntzumachen ist und dass es zur Wirksamkeit der Kündigung keiner Mitteilung an den einzelnen Anleihegläubiger bedarf. Das Gericht entschied, dass diese Regelung nicht gegen § 10 Nr. 6 AGBG (jetzt: § 308 Nr. 6 BGB) verstößt und auch keine unangemessene Benachteiligung der Anleihegläubiger i. S. v. § 9 AGBG (jetzt: § 307 BGB) enthält. Es handele sich vielmehr um die zulässige Vereinbarung eines besonderen Übertragungsweges zur Sicherung des reibungslosen Ablaufs von massenhaften Rechtsvorgängen mit der Vielzahl der Anleihegläubiger, die auch gegenüber privaten Gläubigern wirksam sei.115 bb) Neues Gesetzesrecht der Gläubigerorganisation Andererseits ist bis zum Erlass des neuen SchVG nicht abschließend geklärt, ob die von der Praxis geforderten Möglichkeiten, durch kollektive Vertretung und Mehrheitsbeschlüsse in die Gläubigerrechte einzugreifen, einer Inhaltskontrolle nach AGB-Recht standhalten würden. Solche Einschränkungen des Individualrechts des Gläubigers sind dem deutschen Recht nur innerhalb genau definierter Rechtsgebiete bzw. Rechtsverhältnisse bekannt (Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht, Recht der Gemeinschaft des BGB). Das neue Organisationsrecht des RefESchVG ist (gem. § 20 zwingendes) Gesetzesrecht und als solches der richterlichen Inhaltskontrolle von AGB entzogen. Anleihebedingungen, welche die gesetzliche Regelung im Interesse der Klarstellung gegenüber den Beteiligten wiederholen oder in
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Bezug nehmen, sind gem. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB kontrollfrei. Damit ist ein wichtiges Anliegen der Kritik an der Anwendung des AGB-Rechts erledigt. cc) Gesetzlich zugelassene weitere Klauseln Der RefESchVG nennt in den §§ 21–23 einige Klauseln, die zulässig sind (betr. Mitverpflichtete, Kündigungsrecht, Schuldnerersetzung; unten IV. 2.). Auch diese Klauseln sind damit als gesetzeskonform der Inhaltskontrolle entzogen. Der Entwurf nennt ferner eine Reihe von typischen Leistungsbestimmungen in § 3, die der kollektiven Bindung unterliegen und damit durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger abänderbar sind (im Folgenden IV.1.). Da- [39] mit werden diese Klauseln implizit jedenfalls in ihrer vom Gesetz genannten grundsätzlichen Form als zulässig anerkannt und sind insoweit der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 3 BGB entzogen. dd) Verbleibende Inhaltskontrolle (z. B. Mistrade-Klausel) Im Übrigen bleibt es bei der Inhaltskontrolle nach den allgemeinen Regeln. Sie greift bei Nebenbestimmungen ein, die anders als Leistungsbeschreibungen der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 3 S. 1 BGB unterliegen.116 Von Bedeutung ist dies gerade bei den neueren Produkten des Derivate-Marktes auch hinsichtlich solcher Klauseln, die nicht formal Teil der Anleihebedingungen sind, sondern sich z. B. in den allgemeinen Rahmenbedingungen (Ausführungsbestimmungen) für bestimmte Geschäfte finden. Anstoß haben hier z. B. Klauseln erregt, die dem Emittenten eines Zertifikats ein Lösungsrecht einräumen, wenn bei der Ausführung eines Geschäfts irrtumsbedingt ein nicht marktgerechter Preis zum Nachteil des Emittenten ermittelt wurde und dies in kurzer Frist durch Meldung geltend gemacht wird (Mistrade). Wenn solche Klauseln Willkürentscheidungen ermöglichen oder keine angemessene Schadensersatzregelung für den Kunden enthalten, können sie unangemessen i. S. v. § 307 Abs. 1 BGB sein.117 e) Transparenzgebot Von den zuvor genannten gesetzlichen Bereichen der Kontrollfreiheit ist ferner eine wichtige Ausnahme zu machen. Da das AGB-Recht im Grundsatz anwendbar bleibt, gilt das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S. 2
Allgemein Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.) (Fn. 91), § 8 Rdn. 12ff. Koch, ZBB 2005, 265ff. zu BGH ZIP 2002, 1436, 1438 = WM 2002, 1687, 1688. Der BGH hat dort Nichtigkeit nach § 138 BGB verneint, Schadensersatz wegen Irrtumsanfechtung nach § 122 BGB bejaht und Inhaltskontrolle nach AGB-Recht nicht vorgenommen, weil dies nicht veranlasst war. Kritik an diesen Klauseln auch bei Tilp in: Bankrechtstag 2007, 2008, S. 91ff., 105ff. 116 117
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BGB.118 Es ist auch auf Leistungsbeschreibungen anwendbar und zwar auch dann, wenn diese wegen Übereinstimmung mit dem Gesetz nach § 3 Abs. 3 RefESchVG grundsätzlich zulässig sind (§ 307 Abs. 3 S. 2 BGB). Bei traditionellen, darlehensnahen Anleihen (Anleihen i.e.S.) mag das Transparenzgebot nur selten zum Zuge kommen. Anders ist es aber bei der Vielzahl der Derivate (oben I.3.a und d). Hier ist ein gesteigertes Bedürfnis nach einer Überprüfung der Transparenz der Leistungsbeschreibungen wegen der bereits (oben I.3.) erörterten ungeheuren Gestaltungsvielfalt dieser Anleihen und ihrer Intransparenz bei hoher Risikogeneigtheit anzunehmen. [40] Der Vorentwurf hatte ein eigens normiertes Transparenzgebot mit einer Abschwächung des Schutzniveaus erwogen und vorgesehen, dass es nur auf die Verständlichkeit für einen „sachkundigen Anleger“ ankommt,119 nicht für einen Durchschnittsanleger. Auch nach diesem reduzierten Schutzniveau wären wahrscheinlich viele Zertifikate, die die Finanzmärkte in den letzten Jahren überschwemmten, als intransparent einzustufen gewesen. Da die Einschränkung des Schutzniveaus durch den Maßstab des sachkundigen Anlegers nicht in den Referentenentwurf des SchVG übernommen wurde, bleibt es bei der allgemeinen Rechtslage. Allerdings hat sich im deutschen und europäischen Kapitalmarktrecht ohnehin das graduell reduzierte Schutzniveau des „verständigen“ (nicht: des sachkundigen) Anlegers durchgesetzt.120 Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Intransparenz bestehen in der Unwirksamkeit der betreffenden Klausel gem. § 307 Abs. 1 S. 2, Abs. 4 S. 2 BGB, z. B. von Leistungseinschränkungen, die zulasten des Anlegers getroffen wurden (Beispiel: intransparente Knock-out-Klausel). Nur ausnahmsweise tritt Unwirksamkeit des ganzen Anleiheschuldverhältnisses ein (§ 306 Abs. 3 BGB). Im Regelfall bleibt das Anleiherechtsverhältnis im Übrigen ohne die nichtige Klausel gem. § 306 Abs. 1 und Abs. 2 BGB bestehen. Der Anleger kann bei gänzlicher Unwirksamkeit des verbrieften Rechts den gezahlten Erwerbspreis gem. § 812 BGB vom Emittenten zurückfordern und zwar auch bei Zweiterwerb, weil er in die Rechtsstellung des Vormannes einrückt. Im typischen Fall des Bezugs durch einen Finanzintermediär kann er von diesem aufgrund des Erwerbsvertrags Schadensersatz wegen Rechtsmangels verlangen (§ 437 BGB). Ist nur eine Klausel oder ein Klauselteil unwirksam, kann er die Leistung vom Emittenten ohne Einschränkung Die Rechtsprechung zum AGB-Recht hat das Transparenzgebot schon unter der Herrschaft des AGB-Gesetzes zu § 9 entwickelt. BGHZ 106, 42, 49 = NJW 1989, 222; BGHZ 106, 259, 264 = NJW 1989, 582; BGHZ 112, 115, 117f. = ZIP 1990, 980; BGH ZIP 1997, 496; Horn in: Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.) (Fn. 91), § 23 Rdn. 630. 119 § 2 Abs. 3 S. 1 RefVorE SchVG 2006. Die nicht aufgenommene Vorschrift ist vor dem Hintergrund des ursprünglich geplanten Ausschlusses des AGB-Rechts zu sehen. 120 Veil, ZBB 2006, 162ff., 167. Vgl. auch Assmann/Schütze, Hdb Kapitalanlagerecht, 3. Aufl. 2008, § 1 Rdn. 53ff., § 3 Rdn. 3ff., speziell zum „verständigen Anleger“ als Maßstab für Prospekthaftung § 6 Rdn. 87. 118
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durch die unwirksame Klausel fordern, vom Intermediär Schadensersatz wegen Rechtsmangels und ggf. wegen Verletzung einer Aufklärungs- oder Beratungspflicht. f) Exkurs: Intransparenz des Zertifikatemarktes als Schutzproblem Die Intransparenz des Zertifikatemarktes stellt über den AGB-rechtlichen Aspekt hinaus ein allgemeines Schutzproblem dar. Die Liste der im Zertifikatehandel beklagten Missstände, die zum guten Teil auf Intransparenz teils der Anleihebedingungen, teils der sie begleitenden sonstigen AGB über Geschäftsabwicklung oder auf Mängeln im Prospektmaterial oder sonstigen Marktpraktiken beruhen, ist lang: Intransparenz der Kosten und Preisgestaltung, Beschränkung des Handels durch den Emittenten, kundenfeindliche Mistraderegelungen, unerlaubte Zuwendungen (§ 31d WpHG).121 Als Waffen zur Bekämpfung von Missbräuchen kommen außer dem AGB-Recht die Bör- [41] senregelungen, die Prospekthaftung und andere Instrumente des Kapitalmarktrechts in Betracht, was unser Thema übersteigt. Höchst relevant für unser Thema ist aber die Frage, ob nicht eine effiziente Organisation der Anleihegläubiger gerade in diesen Marktsegmenten eine wirkungsvolle und unentbehrliche Waffe zur Verteidigung der Anlegerinteressen wäre. Darauf ist zurückzukommen (unten V. 2. a und VI. 3. u. 4.). 4. Inhaltskontrolle nach Völkerrecht bei Staatsanleihen a) Vertragsstatut und Immunitätsverzicht Bei Anleihen ausländischer Emittenten, insbesondere der für die Weltwirtschaft wichtigen Gruppe der international emittierten Staatsanleihen, bei denen Probleme der kollektiven Vertretung der Gläubiger besonders deutlich hervorgetreten sind, können sich Sätze des Völkerrechts auf die Anleihebedingungen auswirken. Sie hängen z.T. mit dem Status des Emittenten als souveränem Staat zusammen, z.T. mit staatlichen Eingriffen in sonstige private Rechtsverhältnisse. Es ist heute überwiegend anerkannt, dass privatrechtlich (iure gestionis) begründete Schulden von Staaten gegenüber privaten Gläubigern verbindlich sind.122 Die weltweite Anerkennung dieser Grundsätze ist Tilp in: Bankrechtstag 2007, 2008, S. 91ff., 99ff. BVerfG, Beschl. v. 6.12.1963 – 2 BvM 1/62 (Iran-Beschluss), BVerfGE 16, 27ff., 62ff.; v. Schönfeld, NJW 1986, 2980, 2984; USA: Foreign Sovereign Immunities Act 1976 v. 21.10.1976, in Kraft ab 19.1.1977 (28 U.S.C. §§ 1602–1611; as amended 2002); Großbritannien: State Immunity Act 1978 v. 22.11.1978; Trendtex Trading Corp. v. Central Bank of Nigeria, 1 All ER (1977), 881; Alcom Ltd. v. Republic of Columbia, 2 W. L. R. (1984), 750. Frankreich: Carreau, Droit International, 2e ed. 1988, S. 350. Horn (Fn. 4), S. 61ff.; Siebel (Fn. 4), S. 142ff., 153ff.; jeweils m. w. N. Allgemein Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, 1970. 121 122
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freilich noch immer lückenhaft.123 Es ist daher üblich, dass Staaten bei Auslandsanleihen zusätzlich zu den üblichen Rechtswahl- und Gerichtsstandsklauseln auch einen Immunitätsverzicht im Hinblick auf mögliche Klagen der Gläubiger erklären.124 Das Bundesverfassungsgericht hat sich 2006 und 2007 in Fällen, die Not leidende argentinische Staatsanleihen betrafen, mit Fragen der Auswirkung zwingender völkerrechtlicher Normen, die unmittelbaren Einfluss auf die vertragliche Rechtsstellung der Anleihegläubiger haben, befasst, jedoch im Ergebnis das Bestehen eines einschlägigen völkerrechtlichen Rechtssatzes verneint.125 [42] b) Staatsnotstand als Schuldbefreiungsgrund? In einer Entscheidung vom 8.5.2007126 zu dem schon (oben II.4.c) erwähnten Fall einer argentinischen Staatsanleihe ging es um die Frage, ob der argentinische Staat berechtigt war, seine privatrechtlichen Zahlungspflichten aus einer von ihm begebenen Staatsanleihe gegenüber den Anleihegläubigern mit der Begründung zu verweigern, dass er wegen Zahlungsunfähigkeit 2002 einen zeitweiligen Staatsnotstand und als Rechtsfolge davon ein Moratorium und eine einseitige Schuldherabsetzung erklärt hatte.127 Das Bundesverfassungsgericht kommt unter breiter Auswertung rechtsvergleichenden und völkerrechtlichen Materials, insbesondere Art. 25 des Konventionsentwurfs der International Law Commission von 2001 über Staatenverantwortlichkeit, zum Ergebnis, dass eine solche Regel des Völkerrechts für Verträge zwischen Staaten und ausländischen Privatpersonen nicht feststellbar sei. Anders sei es bei Investitionsstreitigkeiten, wenn ein völkerrechtlicher Investitionsschutzvertrag zwischen dem Gaststaat der Investition und dem Staat besteht, dem der private Investor angehört, und dieser sich auf diesen Vertrag beruft.128 123 Zwei internationale Abkommen über die Einschränkung der Staatenimmunität im Privatrechtsverkehr sind noch nicht in Kraft: (1) UN Convention on Jurisdictional Immunities of States and Their Property, UN Resolution 59/38 v. 2.12.2004; (2) European Convention on State Immunity, Basel v. 16.5.1972. 124 Vgl. den Fall OLG Frankfurt a. M. NJW 2006, 2931: Argentinische Anleihe mit Wahl deutschen Rechts und deutscher Gerichtsstand plus Immunitätsverzicht. Zu den Grenzen dieses Immunitätsverzichts BVerfG, v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, DVBl. 2007, 242ff. Dazu im Folgenden. 125 Zum Folgenden auch Horn, SchiedsVZ 2008, 209, 220f. 126 BVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u.a. mit Sondervotum Lübbe-Wolff, NJW 2007, 2614ff. Zum Fall OLG Frankfurt a.M. NJW 2006, 2931; Cranshaw DZWir 2007, 133ff. 127 Gesetz Nr. 25.561 v. 6.1.2002 über den öffentlichen Notstand und die Reform der Wechselkurssysteme; VO Nr. 256/2002 v. 6.2.2002 über die Umschuldung internationaler Verbindlichkeiten und internationale Zahlungen unter Anordnung eines Moratoriums; Cranshaw, DZWir 2007, 133ff., 135. 128 BVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03, NJW 2007, 2610ff. Zu diesem Schutz allgemein Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004; ders., SchiedsVZ 2008, 209ff., 219ff.
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Es ist allerdings möglich und wird neuerdings in Anleihebedingungen praktiziert, auch Anleihegläubiger dem Schutz von Investitionsverträgen ausdrücklich zu unterstellen.129 Dies ist auch im Hinblick auf Anleihen privater Emittenten des betreffenden Staates denkbar. Würde man in solchen Fällen gerade wegen des völkerrechtlichen Schutzes der Anleihegläubiger durch Investitionsschutzverträge auch das Recht des Gaststaates zu Notstandseingriffen rechtfertigen, dann wären anschließend die einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen des Staatsnotstandes, insbesondere eigenes Verschulden des Staates, zu prüfen130 und es wäre zu berücksichtigen, dass aus diesen Grund- [43] sätzen allenfalls ein Moratorium, nicht aber ein Recht zur (einseitigen) Schuldenminderung abgeleitet werden kann.131 c) Immunitätsverzicht und Grenzen der Vollstreckung In einer weiteren Gruppe von Fällen hatte sich das Bundesverfassungsgericht 2006 mit möglichen Grenzen der Vollstreckbarkeit in Vermögen des Staats (Argentinien) als Emittent und Anleiheschuldner zu befassen.132 Die obsiegenden Anleihegläubiger wollten in ein in Berlin geführtes Konto des argentinischen Staates vollstrecken, das für die Tätigkeit der argentinischen Botschaft eingerichtet war. Sie stützten sich auf eine in den Anleihebedingungen enthaltene Verzichtsklausel des argentinischen Staates auf Souveränitätsrechte im Hinblick auf die gerichtliche Durchsetzung der Rechte der Obligationäre.133 Der Verzicht hat nur deklaratorische Wirkung, soweit die Vollstreckung in Staatsvermögen betroffen ist, das keinen hoheitlichen Zwecken zu dienen bestimmt ist. Anders ist es, wenn Vermögen betroffen ist, das hoheitlichen Zwecken dient. Die Möglichkeit eines Verzichts durch den Staat ist auch im Bereich der Staatenimmunität anerkannt.134 Das Gericht entschied, dass eine allgemein gehaltene Klausel, die einen Verzicht auf Souveränitätsrechte der Anleiheemittentin gegenüber dem Anleihegläubiger ausspricht, nicht zur
129 Dies war in dem im Fall relevanten deutsch-argentinischen Investitionsschutzvertrag nicht erfolgt, wohl aber im italienisch-argentinischen Vertrag; Baars/Böckel, ZBB 2004, 447 m. w. N. 130 Dazu die beiden argentinischen Investitionsstreitigkeiten (1) CMS Gas Transmission Comp. v. The Republic of Argentina, ICSID Arb/01/8, Award 12.5.2005; (2) LG&E Energy Corp., LG&E Capital Corp., LG&E International Inc. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability 3.10.2006. Zu beiden Entscheidungen Schill, SchiedsVZ 2007, 178ff.; Horn, SchiedsVZ 2008, 220f. 131 Zu diesen begrenzten Rechtsfolgen auch BVerfG NJW 2006, 2931ff. und dort LübbeWolff. 132 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, WM 2007, 57 = DVBl. 2007, 242ff. 133 Zur Praxis dieser Klauseln Horn (Fn. 4), S. 61ff., 67; zu den Fällen Baars/Böckel, ZBB 2004, 445, 452 m. Nw. 134 Steinberger in: Bernhardt (u.a.) (Hrsg.), EPIL 2000, Bd. 4, S. 615.
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Aufhebung des Schutzes der Immunität auch für solches Vermögen genügt, das dem Entsendestaat zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit seiner diplomatischen Mission im Empfangsstaat dient. Eine allgemeine Regel des Völkerrechts, die eine so weitreichende Auslegung eines allgemein gehaltenen Immunitätsverzichts begründen könnte, sei gegenwärtig nicht feststellbar.135
IV. Die kollektive Bindung der Gläubigerrechte nach RefESchVG 1. Kollektive Bindung nach § 3 a) Begriff; Gleichbehandlungsgebot (Abs. 1) Der Referentenentwurf des neuen SchVG führt in § 3 den neuartigen Begriff der „kollektiven Bindung“ (Überschrift) ein. Danach können Bestimmungen in Anleihebedingungen während der Laufzeit der Anleihe durch Rechtsgeschäft nur nach Abschnitt 2 des Gesetzes geändert werden. Dabei [44] muss der Anleiheschuldner alle Gläubiger gleich behandeln (S. 2; Gleichbehandlungsgebot). Diese Gleichheit entspricht der Verkehrsanschauung und ist zugleich eine Voraussetzung für die Marktfähigkeit der Anleihe, die auf der Austauschbarkeit aller Wertpapiere derselben Anleihe beruht. Sie wäre beendet, wenn verschiedene Schuldverschreibungen oder Gruppen von Gläubigern nachträglich verschiedene verbriefte Rechte erhalten würden.136 Eine Abänderungsvereinbarung des Schuldners nur mit einzelnen Gläubigern ist daher ausgeschlossen. Mehrheitsbeschlüsse, welche die Gleichheit der Gläubiger verletzen, sind unwirksam, es sei denn, die benachteiligten Gläubiger stimmen ausdrücklich zu (§ 4 Abs. 2 S. 2). Sofern die identische Ausgestaltung für die Handelbarkeit nicht erforderlich ist, besteht die Bindung nicht (§ 3 Abs. 2). Die kollektive Bindung stellt, wie der Begriff „Bindung“ zutreffend verdeutlicht, eine Einschränkung der Individualrechte der Gläubiger dar. Diese Einschränkung ist die Voraussetzung und Grundlage der kollektiven Rechte der Gläubiger, die mit Mehrheitsbeschlüssen nach §§ 4ff. in die Individualrechte der einzelnen Gläubiger eingreifen können. § 3 entspricht demnach § 4 Abs. 1, der den Gläubigern derselben Anleihe das Recht zu Mehrheitsbeschlüssen über die Änderungen der Anleihebedingungen einräumt (Abs. 1) und die Mehrheitsbeschlüsse als für alle Gläubiger verbindlich erklärt (Abs. 2).
135 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, WM 2007, 57 ff., unter C, mit zahlreichen Nachweisen. 136 So auch die Begründung in RefESchVG 2008, S. 25. Vgl. auch BGHZ 163, 311, 317; Masuch, Anleihebedingungen und AGB-Gesetz, 2001, S. 66.
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b) Verschiedene Tranchen einer Anleihe Ist eine Anleihe in verschiedene Tranchen eingeteilt, so stößt man auf die Frage, ob nur die einzelnen Tranchen je für sich eine „Anleihe“ i.S. der kollektiven Bindung darstellen oder aber die ganze Anleihe mit allen ihren Tranchen. Schon bei traditionellen Anleihen gab es häufig verschiedene Tranchen, die z. B. territorial getrennt in verschiedenen Ländern emittiert wurden, wobei die Tranchen bisweilen in verschiedenen Nennwährungen begeben wurden. Von aktuellem Interesse ist der häufige und typische Fall, dass „strukturierte“ Anleihen in Tranchen mit unterschiedlichen Verlustrangstufen (Risikoklassen) aufgeteilt sind: Die Anleger der letztrangigen Tranche (Equity-Tranche) tragen an erster Stelle alle Verluste hinsichtlich der ganzen Anleihe, erleiden also ggf. den Totalverlust, bevor andere Gläubiger vom Verlust betroffen sind (I.3.c.aa a. E.). Diese unterschiedliche Risikotragung ist in § 3 Abs. 3 Nr. 5 als zulässige Gestaltung erwähnt.137 Solche Unterschiede zwischen einzelnen Tranchen, die von vornherein in den Anleihebedingungen angelegt sind, heben die Gemeinsamkeit der einen Anleihe noch nicht auf. Soweit Gemeinsamkeiten bestehen, müssen Abänderungen der Bedingungen alle Tranchen gem. § 3 [45] Abs. 1 S. 2, § 4 gleichmäßig treffen. Betreffen die Abänderungen Regelungskomplexe, in denen Unterschiede bestehen, müssen diese Unterschiede proportional aufrechterhalten werden; anders, wenn alle betroffenen Gläubiger zustimmen. c) Umfassende Bindung; Leistungsbeschreibungen (§ 3 Abs. 1, 3) Die Bindung ist umfassend und erstreckt sich auf alle Anleihebedingungen (§ 3 Abs. 1) mit Ausnahme solcher, welche die einheitliche Handelbarkeit nicht beeinträchtigen (Abs. 2). Der Schwerpunkt der Bindung und damit der Eingriffsmöglichkeiten liegt bei den Leistungsbeschreibungen. Die wichtigs ten Arten davon sind in Abs. 3 ohne Anspruch auf Vollständigkeit aufgezählt: Nr. 1: die Abhängigkeit der Zahlungsverpflichtung vom Marktpreis anderer Wertpapiere, Güter, Devisen, Zertifikate, Indizes und Derivate. Der Gesetzgeber hat hier und in den folgenden Nummern die (oben I.3.) erörterte Vielfalt der Leistungsinhalte und die starke Entwicklung des Derivatemarktes aufgegriffen. Nr. 2: Wahlrecht des Schuldners, statt Geldzahlung einen anderen Vermögensgegenstand zu leisten, z. B. Aktien in einer vorausbestimmten Relation zur Geldforderung (Aktienanleihe), ein Recht, von dem er bei Kursverfall gern zum Nachteil der Anleger Gebrauch machen wird. Nr. 3: Abhängigkeit der Leistung vom Zahlungsverhalten, der Zahlungsfähigkeit oder von sonstigen Verhältnissen Dritter. Nr. 4: Abhängigkeit der Zahlungspflicht des Schuldners von Zahlungseingängen oder sonstigen Erlösen aus Forderungen 137 Nachrangigkeit der Gläubigeransprüche kann nach dieser Norm sowohl gegenüber Ansprüchen aus derselben Anleihe wie „auch“ hinsichtlich anderen Anleihen bestehen.
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gegen Dritte, eine bei „asset backed securities“ amerikanischer Machart übliche Gestaltung (oben I.3.c). Nr. 5: Nachrangigkeit der Forderung gegenüber anderen Forderungen, auch aus anderen Schuldverschreibungen. Damit wird auch der (oben I.3.c.aa) erörterte Tatbestand der Bildung von Risikoklassen bei Zertifikaten, die auf Zahlungseingänge aus bestimmten Forderungen beschränkt sind (Nr. 3) erfasst. Nr. 6: Abhängigkeit der Zahlungspflicht vom Nichteintritt bestimmter Umstände. In den genannten Fällen der Einschränkung des Gläubigeranspruchs durch die Abhängigkeit vom Eintritt bestimmter Ereignisse oder der Haftungsrangfolge hat der Gläubiger also eine bestimmte Garantie übernommen ähnlich einer Versicherung; der Eintritt des Garantiefalls mindert seine Forderung oder vernichtet sie. Hier besagt das Gleichheitsgebot gem. Abs. 1 S. 2, alle Gläubiger derselben Risikoklasse oder Bedingtheit des Anspruchs gleich zu behandeln. Weitere Fälle der kollektiven Bindung sind in §§ 21–23 RefESchVG normiert (im Folgenden 4.). d) Die Eingriffskompetenzen für Mehrheitsbeschlüsse (§ 4) Das große Ausmaß der Bindung und die Tiefe der zulässigen Eingriffe in das einzelne Gläubigerrecht ergibt sich aus der Aufzählung des zulässigen Inhalts von Mehrheitsbeschlüssen der Gläubiger in § 4.138 Mehrheitsbeschlüsse sind nach Abs. 3 „insbesondere“ (also ggf. auch in anderen Fällen) zulässig [46] über Stundung und Verzicht auf Zinsen (Nr. 1), Stundung der Hauptforderung (Nr. 2), über den „teilweisen“ (?) Verzicht auf die Hauptforderung (Nr. 2 und 3), Nachrang der Forderungen im Insolvenzverfahren (Nr. 4), Umtausch in andere Wertpapiere oder andere Leistungsversprechen (Nr. 5), Austausch und Freigabe von Sicherheiten (Nr. 6), Änderung der Nennwährung (Nr. 7), Verzicht auf das Kündigungsrecht und Zustimmung zur Schuldnerersetzung (Nr. 8 und Nr. 9139) und die Änderung oder Aufhebung von Nebenbestimmungen der Schuldverschreibung (Nr. 10). Dies bedeutet die umfassende Disposition über das einzelne Gläubigerrecht durch Beschluss. Dass nur der „teilweise“ Verzicht auf die Hauptforderung vorgesehen ist, bedeutet keine konkrete Grenze, sollte aber als Einschränkung zulässiger Beschlüsse auf eine sachlich begründbare Befriedigungsquote verstanden werden. Eine (an sich selbstverständliche) Grenze zieht nur die Vorschrift, dass den Gläubigern keine zusätzlichen Leistungspflichten aufgebürdet werden können (§ 4 Abs. 1 S. 2). Insgesamt ist die vielfach geforderte Flexibilität der Anpassungsmöglichkeiten erreicht, freilich um den Preis erheblicher Schutzprobleme im Hinblick auf das Zustandekommen solcher Mehrheitsbeschlüsse. Es fällt ferner auf, dass keine Beschlussgegenstände in
Zur Organisation der Mehrheitsbeschlüsse unten V. Dazu näher im Folgenden unter 4.
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§ 4 aufgezählt sind, die eine aktive Wahrnehmung der Gläubigerrechte gegenüber dem Schuldner betreffen (dazu unten V.3. und VI. 3. und 4.). 2. Dogmatische Einordnung der kollektiven Bindung Bei der zivilrechtdogmatischen Einordnung der kollektiven Bindung ist zwei Fragen nachzugehen: (1) ob die Gruppe der Anleihegläubiger einer bestimmten Anleihe auch nach allgemeinem Zivilrecht eine besondere rechtliche Verbundenheit aufweist oder bei bestimmter vertraglicher Gestaltung aufweisen kann, und (2) ob und wie die neue gesetzliche Regelung in bestehende Kategorien des allgemeinen Zivilrechts einzuordnen ist. Beides kann zum Verständnis der SchVG und seiner praktischen Handhabung beitragen. a) Risikogemeinschaft? Die mehreren, meist zahlreichen Inhaber von Schuldverschreibungen einer Anleihe desselben Emittenten sind nicht Teilgläubiger oder Gesamtgläubiger einer identischen Forderung, sondern lediglich Einzelgläubiger vieler gleichartiger Ansprüche gegen diesen Emittenten als ihren Schuldner. Diese Ansprüche stehen nach allgemeinem Zivilrecht rechtlich im Grundsatz unverbunden („parallel“) nebeneinander. Da die Ansprüche wirtschaftlich mit dem Bonitätsrisiko des gleichen Schuldners behaftet sind, mag man von einer faktischen „Risikogemeinschaft“ sprechen. Daraus lassen sich aber keine Folgerungen über ihre rechtliche Verbundenheit ziehen. Vielmehr gilt nichts anderes als für die Gesamtheit aller Gläubiger des Emittenten. Diese stehen im [47] Grundsatz unverbunden nebeneinander, solange kein Insolvenzverfahren eingreift. Der BGH hat dies 1991 hinsichtlich der begrenzten Wirkungen eines außergerichtlichen Sanierungsvergleichs entschieden. Dieser gilt nur für die Gläubiger, die sich ihm angeschlossen haben, nicht aber für die ihm fernbleibenden „Akkordstörer“.140 Der BGH hat es mit guten Gründen abgelehnt, eine rechtlich relevante „Gefahrengemeinschaft“ aller Gläubiger des in eine Krise geratenen Unternehmens anzunehmen mit der Folge einer Zulassung von bindenden Mehrheitsentscheidungen zum Zwecke seiner außergerichtlichen Sanierung. Diese Grundsätze gelten entsprechend für die Teilgruppe der Gläubiger derselben Anleihe, sofern nicht Anleihebedingungen etwas anderes vorsehen, die nach altem oder neuem SchVG zulässig sind.
140 BGHZ 116, 319, 332f. Kritisch Eidenmüller, Unternehmenssanierung zwischen Markt und Gesetz, 1999, S. 584ff., der ein System der Kooperationspflichten der Unternehmensgläubiger (freilich nicht speziell der Anleihegläubiger) zur Unterstützung der außergerichtlichen Unternehmensreorganisation entwickeln will.
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b) Obligationäre und Kapitalgesellschaftsrecht Ist der Emittent und Schuldner der Anleihe eine Kapitalgesellschaft, könnte man überlegen, ob sich aus dem Kapitalgesellschaftsrecht eine rechtliche Verbundenheit der Obligationäre ableiten lässt. Dies ist aber im Grundsatz zu verneinen. Anders als die Aktionäre eines Emittenten sind die Anleihegläubiger nicht durch Kapitalgesellschaftsrecht untereinander verbunden. Aktienoptions- oder -umtauschrechte, eine gewinnabhängige Vergütung oder Zusatzvergütung oder die in der Kautelarpraxis entwickelten Hybridanleihen141 ändern nichts an dieser gerade im deutschen Recht ausgeprägten grundsätzlichen Trennung.142 Das Bezugsrecht auf Aktien in Gestalt eines Wandlungs- oder Optionsrechts verbrieft zunächst nur die schuldrechtliche Verpflichtung zur Verschaffung eines solchen Mitgliedschaftsrechts.143 Auch Gewinnbeteiligungen bei Gewinnschuldverschreibungen und Genussscheinen begründen keine gesellschaftsrechtliche Stellung. Zwar ist beim Genuss schein die Stellung des Inhabers durch seine Verlustbeteiligung der Stellung eines Aktionärs vermögensrechtlich angenähert. Aber es fehlen entsprechende Verwaltungsrechte.144 Der Gefahr, dass den Genussscheininhabern damit ein wirksamer Schutz ihrer Rechte vorenthalten werden könnte, sucht der Gesetzgeber durch die spezifische Schutznorm des § 216 Abs. 3 AktG entgegenzuwirken.145 Für eine einheitliche rechtliche Charakterisierung der Stellung der Ob- [48] ligationäre oder ihrer „Gemeinschaft“ taugen aktienrechtliche Kriterien aber auch deshalb nicht, weil sie die wirtschaftlich wichtige Gruppe der Anleihen der öffentlichen Hand nicht berühren, sondern nur bei Anleihen in Betracht kommen könnten, die von Kapitalgesellschaften emittiert sind (corporate bonds), und hier wiederum nur bei einer Untergruppe, die mit besonderen Gewinn- oder Gewinnsicherungs- oder Bezugsrechten ausgestattet sind, nicht aber sonstigen („einfachen“) Anleihen dieser Emittenten. c) Rechtsgemeinschaft i. S. v. § 741 BGB Abzulehnen nach bisherigem Recht ist auch die Auffassung, dass die Obligationäre typischerweise eine Rechtsgemeinschaft nach Bruchteilen i.S. der §§ 741ff. BGB bilden, wie dies einige Autoren der älteren deutschen Zivilrechtswissenschaft annahmen.146 Es fehlt an der gemeinsamen Innehabung 141 Zu Anleihen, die Eigenkapital angenähert sind, oben I.3.a. Überblick auch bei Wiese/ Dammer, DStR 1999, 867ff. 142 Zu diesen Grenzen Baums in: Bayer/Habersack (Hrsg.) (Fn. 5); vgl. auch zu Genussrechten mit aktienähnlichem Inhalt Hüffer, AktG, 7. Aufl. 2006, § 221 Rdn. 25. 143 Horn in: Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.) (Fn. 91), § 23 Rdn. 75c. 144 BGHZ 119, 305 = BGH WM 1992, 1902 (Klöckner). 145 Horn in: Wolf/Horn/Lindacher (Hrsg.) (Fn. 91), § 23 Rdn. 75c. 146 Kritische Bestandsaufnahme bei Eidenmüller (Fn. 140), S. 597ff.
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eines Rechts. Theoretisch könnte eine solche Rechtsgemeinschaft in den Fällen entstehen, in denen den Anleihegläubigern besondere Sicherheiten an einzelnen Vermögensstücken des Emittenten unter Regelung einer besonderen Verwaltung dieser Sicherheiten bestellt sind. Allerdings sind in diesen eher seltenen Fällen bisher meist Sicherheitentreuhänder bestellt, und die hier getroffene vertragliche Regelung lässt für die Anwendung der §§ 741ff. BGB wenig Raum. Die modernen Formen der asset backed securities sind ebenfalls nicht durch die Rechtsgemeinschaft hinreichend zu erfassen.147 Diese Rechtslage ändert sich durch das neue SchVG, indem hier die Rechtsfigur der kollektiven Bindung eingeführt wird, die dazu führt, dass eine begrenzte Vergemeinschaftung bei der Wahrnehmung der Gläubigerrechte eingeführt wird. Deren Umfang ergibt sich aus dem neuen Gesetz. d) Personengesellschaft i. S. v. § 705 BGB Schon nach bisherigem Recht liegt die Möglichkeit nahe, dass die Obligationäre einer deutschem Recht unterstehenden Anleihe eine BGB-Gesellschaft i. S. der § 705ff. BGB bilden können. Als gemeinsamer Zweck kommt die gemeinsame Wahrung der Rechte und Interessen gegenüber dem Emittenten, insbesondere in einer Krise, in Betracht, sei es durch einen Anleihetreuhänder oder Gläubigervertreter, sei es durch die Regelung einer Gläubigerversammlung mit Mehrheitsbeschlüssen. Allerdings geben die bisher üblichen Bedingungen für Anleihen, die deutschem Recht unterstellt sind, nur begrenzt Anhaltspunkte für eine solche rechtliche Qualifikation.148 Solche Regelungen in den Anleihebedingungen sind nach zutreffender, aber nicht unbestrittener [49] Ansicht schon bisher im Grundsatz rechtlich zulässig.149 Gleiches musste gelten, wenn sich Obligationäre in der Krise des Emittenten spontan zu einer Interessengemeinschaft zusammenschließen. In diesen Fällen ist eine Qualifizierung als BGB-Gesellschaft geboten. Gemeinsamer Zweck ist die gemeinsame Wahrung und Ausübung der Obligationärsrechte gegenüber dem Emittenten. Zwar will jeder Gläubiger letztlich seine eigenen Rechte durchsetzen, aber bei Interessengemeinschaften lässt man zutreffend die Bündelung der Anstrengungen zur Rechtsdurchsetzung oder anderen Zielen (Sanierung des Schuldners) für die gesellschaftsrechtliche Qualifikation ausreichen.150 Auch ein Emissionskonsortium ist i. d. R. BGB-Gesell Gehring, Asset-backed securities im amerikanischen und deutschen Recht, 1999, S. 149ff. Die Spezialregelung der deutschen Pfandbriefe gem. HypothekenbankG bleibt gem. § 1 Abs. 2 SchVG ohnehin außer Betracht. 148 Siebel (Fn. 4), S. 684; Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 555ff.; zur älteren Vertragspraxis in diesem Sinn schon Horn, (Fn. 4), S. 413ff., 435ff., 447f. 149 Than, FS Coing, 1982, S. 532ff.; str. Zur Unsicherheit der Praxis vgl. auch DiskESchVG, S. 24 und oben II.2.–4. 150 Palandt/Sprau, BGB, 66. Aufl. 2007, § 705 Rdn. 9, 42 m. w. N.; Staudinger/Habermeier, BGB, 13. Bearb. 2003, § 705 Rdn. 18. 147
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schaft. Zwar haben die einzelnen Konsorten letztlich nur die Platzierung der von ihnen selbst übernommenen Wertpapiere im Sinn und ihre vertragliche Haftung gegenüber dem Emittenten und dem Konsortium ist auf diesen Anteil ausdrücklich beschränkt. Dennoch arbeiten sie gleichzeitig zum übergreifenden gemeinsamen Zweck der erfolgreichen Durchführung der gesamten Emission zusammen.151 Das neue SchVG enthält sowohl im Hinblick auf die Abstimmungsgemeinschaft der Gläubiger als auch auf den gemeinsamen Vertreter Elemente der gemeinsamen Interessen- und Rechtsverfolgung, die einen gemeinsamen Zweck i. S. v. § 705 BGB darstellen. e) Zwischenergebnis Die im neuen SchVG geregelten Materien sind demnach z. T. mit den Kategorien der Rechtsgemeinschaft und der Personengesellschaft zu erfassen. Diese dogmatische Erfassung muss selbstverständlich stets von der positiven Gesetzeslage ausgehen; sie kann in diesem Rahmen bei der Auslegung und Anwendung des SchVG ggf. gewisse Hilfen bieten. Die Gläubiger derselben Anleihe bilden aufgrund und im Rahmen der kollektiven Bindung ihrer Rechte gem. § 3 Abs. 1 RefESchVG eine Rechtsgemeinschaft, und ihre Rechtsausübung ist im Rahmen der Anwendung des SchVG gesellschaftsrechtlich geprägt. 3. Kollektive Bindung bei weiteren Klauseln (§§ 21–23) In den §§ 21–23 RefESchVG sind weitere optionale Klauseln in Anleihebedingungen aufgezählt mit dem doppelten Zweck, erstens diese Klauseln im Kern von der richterlichen Inhaltskontrolle nach AGB-Recht abzuschirmen152 und zweitens die kollektive Bindung auf diese Klauseln zu erstrecken und dabei zu modifizieren. [50] a) Sicherheiten (§ 21) Die Anleihebedingungen können vorsehen, dass die kollektive Bindung nach §§ 4–19 RefESchV auch auf die Rechtsbeziehungen zu dritten Sicherungsgebern erstreckt wird (§ 21 S. 1). Dies entspricht einer praktischen Notwendigkeit zumindest bei Schuldnerkrisen und anderen Anpassungssituationen und ist in der internationalen Kautelarpraxis üblich.153 Andererseits werden hier Sicherheitsinteressen der Gläubiger oft in schwerwiegender Weise berührt. Man denke nur an den häufigen Fall, dass als Emittenten für Konzerne oft Zweckgesellschaften fungieren, deren Kapitalausstattung und Kre Horn (Fn. 4), S. 413ff. Begründung zum RefESchVG 2008, S. 21. Dazu oben III.3.d.cc. 153 Horn (Fn. 4), S. 288f., 292ff., 434. Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 395ff. 151 152
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ditfähigkeit für Anleiheemissionen untauglich ist und deren Bonität erst durch die Garantie der Muttergesellschaft oder einer Schwestergesellschaft hergestellt wird.154 Wird die Garantin ausgetauscht, muss sichergestellt sein, dass damit nicht eine Bonitätsverschlechterung einhergeht. Der Gesetzgeber überlässt es der Weisheit der Gläubiger, diese Frage selbstverantwortlich zu prüfen und zu entscheiden. Die Gläubiger dürften dazu nur in der Lage sein, wenn sie rechtzeitig und ausführlich informiert werden. Da der gemeinsame Vertreter ihre Entscheidung gem. §§ 8 Abs. 1, 17 vorbereitet und durchführt, ist er verpflichtet, sich gem. § 7 die notwendigen Informationen vom Schuldner zu beschaffen und bei der Einberufung der Versammlung oder Vorbereitung der sonstigen Abstimmung (§§ 11, 12, 17) an die Gläubiger weiterzuleiten. Dies sollte im Gesetz deutlicher zum Ausdruck kommen. Außerdem sollte der Gesetzgeber ausdrücklich Informationspflichten des Schuldners vorsehen, wie dies in § 23 Abs. 3 SchVG (freilich in unvollkommener Weise) geschehen ist. b) Kündigung (default-Klauseln) (§ 22) aa) Abschließende Bestimmung? Nach § 22 Abs. 1 können die Anleihebedingungen das Kündigungsrecht des Gläubigers abschließend bestimmen. Das führt zu der Frage, ob die Vorschrift auch für einen Ausschluss des außerordentlichen Kündigungsrechts gelten soll. Die in den Schuldverschreibungen verbrieften Gläubigerrechte sind jedenfalls dann, wenn es sich um eine Anleihe i.e.S. mit darlehensnahem Charakter handelt (oben I.1.2.a.), ein Dauerschuldverhältnis;155 die Verbriefung des Darlehensgläubigerrechts gem. § 793 BGB ändert daran nichts.156 Dies würde eine gesetzliche Ausnahme von § 314 BGB bedeuten, der bei Dauerschuldverhältnissen ein unentziehbares Recht auf Kündigung aus wichtigem Grund gewährt.157 Die Norm entspricht einem schon zuvor auf gefestigter [51] Rechtsprechung beruhenden Grundsatz des deutschen Privatrechts.158 Das außerordentliche Kündigungsrecht kann durch AGB nicht eingeschränkt werden.159 Da es sich um eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben handelt,160 wäre eine gesetzliche Normierung der Einschränkbarkeit161 von geringem Wert und würde in der Praxis von den Allgemein Horn (Fn. 4), S. 289f. LG Köln ZIP 1994, 1520. 156 A. A. Maier-Reimer in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 129ff., 135. 157 BGH ZIP 1986, 919, 920; Palandt/Heinrichs, BGB, 67. Aufl. 2008, § 314 Rdn. 3. 158 Horn in: BMJ (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. 1, 1981, S. 551, 573 m. w. N. 159 BGH ZIP 1986, 919, 920. 160 BGH ZIP 1986, 919, 920; Horn in: BMJ (Hrsg.) (Fn. 158). 161 Dies wird vorgeschlagen de lege ferenda von Maier-Reimer in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 144. 154 155
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Gerichten vielleicht nicht angegriffen, aber unterlaufen. Der Gesetzgeber müsste hier deutlicher werden, wenn er eine so heikle Ausnahme dekretieren wollte. Man muss davon ausgehen, dass in § 22 Abs. 1 SchVG das außerordentliche Kündigungsrecht nicht gemeint ist. Ein wichtiger Grund ist die schwerwiegende Verletzung der Zahlungspflichten durch den Schuldner. Meist greift hier schon eine vertragliche Regelung ein. Die Einräumung eines vertraglichen Kündigungsrechts bei Vertragsverletzung, insbesondere Zahlungsverzug, ist eine international übliche Standardregelung bei Anleihen i. e. S. mit Darlehenscharakter (default clause); sie ist eine Hauptwaffe des Gläubigers, sich gegen den Zahlungsverzug zur Wehr zu setzen.162 Anders nur bei kurzläufigen Anleihen, insbesondere solchen, die keinen Darlehenscharakter haben, wie viele Derivate.163 Diese Hauptwaffe muss ihm im Kern erhalten bleiben. Problematischer ist die Verschärfung dieser Waffe in der Kautelarpraxis in der Weise, dass auch die Kündigung einer anderen Anleihe oder Kreditverbindlichkeit wegen Zahlungsverzugs des Schuldners einen Kündigungsgrund darstellen oder gar automatisch zur Fälligkeit auch der eigenen Anleihe führen soll (cross default clause; acceleration clause).164 Diese Klauseln dienen einer Sicherung der Gläubiger; ihr unkontrollierter Gebrauch kann freilich zur Verschärfung einer Krise des Schuldners mit nachteiligen Folgen auch für die Gläubiger führen. bb) Kollektive Ausübung Mit dem Grundsatz der Unentziehbarkeit des Kündigungsrechts aus wichtigem Grund bei darlehensnahen Anleihen (Anleihen i.e.S.) verträglich sind Regelungen, die eine kollektive Wahrnehmung des Kündigungsrechts vorsehen und damit Alleingänge einzelner Gläubiger vermeiden. Eine solche Regelung entspricht auch dem erörterten Grundsatz der Gleichbehandlung. Nicht zu beanstanden ist daher § 22 Abs. 3; danach können die Anleihebedingungen vorsehen, dass die Kündigung „nur von mehreren und einheitlich“ erklärt [52] werden kann und dass das für eine solche Kündigung erforderliche Quorum 25 % des ausstehenden Kapitals beträgt. Ein individuelles Kündigungsrecht und ggf. Klagerecht muss dem einzelnen Gläubiger nur verbleiben, wenn er oder eine bestimmte kleine Gruppe von Gläubigern benachteiligt wird, z. B. in diskriminierender Weise nicht den Schuldendienst empfängt, während die übrigen Gläubiger ihn empfangen.165 In der internationalen Anleihepraxis ist es ferner üblich, dass das Kündigungsrecht Horn (Fn. 4), S. 323ff.; Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 302ff., 507ff. Oben I.3.b und c. Dazu auch im Folgenden bb. 164 Wood, International Loans, Bonds and Securities Regulation, 1995, Rdn. 3–42; Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 532ff. 165 Man könnte dies im Gesetzestext dadurch zum Ausdruck bringen, dass das Quorum sich auf 25 % des ausstehenden und vom Schuldner nicht bedienten Kapitals beläuft. 162 163
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durch den gemeinsamen Vertreter der Gläubiger oder den Anleihetreuhänder (soweit vorhanden) ausgeübt wird.166 Das SchVG überlässt es den Parteien, eine solche Regelung zu wählen. cc) Ausschluss des Kündigungsrechts Nach § 22 Abs. 2 RefESchVG kann ein Kündigungsrecht ausgeschlossen werden (1) bei Kurzläufern (bis 1 Jahr), (2) bei Längstläufern (mehr als 75 Jahre) und schließlich (3) auch bei Anleihen, weiche die nachrangige Befriedigung im Insolvenzverfahren des Schuldners vorsehen. Es geht dabei um den Ausschluss des ordentlichen Kündigungsrechts, und zwar aus den bereits (oben aa) erörterten Gründen. (1) Die erste Ausnahme für Kurzläufer umfasst zum einen darlehensferne Derivate (oben I.3.a), zum andern kurzläufige darlehensnahe Papiere (commercial papers). Bei der ersteren Gruppe hat der Gläubiger bei Erwerb des Zertifikats bewusst ein bestimmtes Risiko für die Laufzeit übernommen. Die Regelung ist insofern ohne Weiteres einleuchtend. Bei den kreditnahen Papieren kann man daran denken, dass wegen der kurzen Laufzeit der Ausschluss der Kündigung in den meisten Fällen zumutbar ist. Die gesetzliche Regelung erscheint daher generell gerechtfertigt. Allerdings sind in beiden Fällen Situationen grob treuwidrigen Verhaltens des Emittenten vorstellbar, in denen das unentziehbare Recht zur außerordentlichen Kündigung zum Zug kommt. (2) Bei Längstläufern handelt es sich eher um einen Rentenkauf. Allerdings müsste beim reinen Rentenkauf im Fall der Vertragsverletzung die Möglichkeit der außerordentlichen Kündigung mit Schadensersatzanspruch nach allgemeinem Privatrecht bestehen. Anders wäre es, wenn nach dem Parteiwillen eine Investition ähnlich Eigenkapital mit dessen spezifischem Risiko gewollt ist. Dies würde einen gänzlichen Ausschluss des Kündigungsrechts rechtfertigen. Im Übrigen kommt bei schwerer Vertragsverletzung eine Vertragsanpassung gem. § 313 BGB in Betracht, die z. B. zu einer Entschädigung in Gestalt von Eigenkapitalanteilen führen könnte. (3) Der dritte Fall des nachrangigen Fremdkapitals ist nach dem Parteiwillen ebenfalls nahe an Eigenkapital gerückt, wie dies bei Mezzaninfinanzierungen und Hybridanleihen (oben I.3.b), aber auch bei der höchsten Risikoklasse bei strukturierten Anleihen (Equity- [53] Tranche; oben I.3.c.aa) der Fall ist. Ein Ausschluss der Kündigung ist hier vertretbar, es sei denn die Klausel ist nicht transparent und daher unwirksam (oben III.3.e). c) Einseitige Schuldnerersetzung (§ 23) In einigen Situationen zeichnet sich das Bedürfnis ab, Veränderungen in den Verhältnissen des Schuldners durch eine entsprechende Anpassung der 166
Hartwig-Jacob (Fn. 4), S. 624ff., 641ff., 648ff.
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Anleihebedingungen Rechnung zu tragen. Die Fallgruppe ist aber relativ begrenzt. Denn in Fällen der Restrukturierung des Schuldners durch Formwechsel, Verschmelzungen und Spaltungsvorgänge werden die Rechte der Gläubiger teils durch die eintretende Gesamtrechtsnachfolge gewahrt, bei einer für die Gläubiger nachteiligen Restrukturierung teils durch die besonderen Vorkehrungen des Umwandlungsrechts (§ 23 UmwG), teils durch ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund.167 Den Hauptgrund für eine Schuldnerersetzung im eigentlichen Sinn sieht die Praxis darin, dass der Emittent einem anderen Steuerregime unterworfen wird, das zum Abzug von Quellensteuern zwingt, obwohl die Anleihe marktkonform als quellensteuerfrei konzipiert ist, sofern eine identitätswahrende Sitzverlegung, die das Problem lösen würde, nicht möglich ist.168 § 23 Abs. 1 erklärt eine Klausel für zulässig, die dem Schuldner das Recht gibt, ohne Zustimmung der Gläubiger „eine andere Person als neuen Schuldner“ einzusetzen. Die Überschrift „Schuldnerersetzung“ bestätigt, dass zugleich der alte Schuldner aus der Haftung frei wird. Ein solcher Schuldneraustausch greift tief in die Gläubigerrechte ein. Für die Millionen von Anlegern der mehrere Hunderttausend verschiedenen Zertifikate allein im deutschen Markt (oben I.3.b), die ohnehin unter der Intransparenz mancher Emittenten leiden,169 wäre dieser Freibrief eine böse Überraschung. Aber auch für die Obligationäre von darlehensnahen Anleihen i. e. S. wäre dies eine ungewöhnliche Beschneidung ihrer Rechte. Das Recht zur einseitigen Selbstbefreiung des Schuldners von seiner Verpflichtung durch Einsetzung eines Ersatzmannes ist im deutschen Privatrecht bei Dauerschuldverhältnissen170 nicht bekannt.171 Die Klausel steht auch im Gegensatz zum Konsensprinzip des Referentenentwurfs. Danach geht es bei allen Abänderungen der Anleihebedingungen nach § 4 stets um die „Zustimmung“ der Gläubiger; Ziel ist also die vertragliche Einigung mit dem Schuldner. Überdies sind die Obligationäre dem Schuldner strukturell unterlegen, weil sie verstreut und (trotz SchVG) schwer organisier- [54] bar sind und oft nur kleine Anteile halten. Das einseitige Recht zur Ersetzung des Schuldners öffnet die Tür für Willkürentscheidungen zum Nachteil der Obligationäre und sollte durch ein Zustimmungserfordernis der Gläubiger i. S. v. § 4 ersetzt werden.
Maier-Reimer in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 129ff., 144. Maier-Reimer in: Baums/Cahn (Hrsg.) (Fn. 2), S. 145ff. 169 Tilp (Fn. 121), S. 91ff., 100. 170 Zur Natur der Schuldverschreibung bei Anleihen i. e. S. als Dauerschuldverhältnis oben b.aa. 171 Selbst das besonders zu vereinbarende Recht zur Stellung eines Nachmieters setzt erneuten Vertragsschluss des Vermieters mit dem neuen Mietschuldner oder jedenfalls Zustimmung des Vermieters im Einzelfall voraus; Palandt/Weidenkaff, BGB, 67. Aufl. 2008, § 537 Rdn. 8, § 542 Rdn. 3. 167 168
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Um den hier auftretenden Risiken zu begegnen, ist die Schuldnerersetzung in § 23 Abs. 1 S. 2 RefESchVG allerdings an eine Reihe kumulativ zu erfüllender einschränkender Voraussetzungen gebunden: (1) Der bisherige Schuldner oder Mitverpflichtete muss zu 90 % an dem neuen Schuldner beteiligt sein, es sei denn, ein bisheriger Mitverpflichteter (Garantiegeber) wird selbst neuer Schuldner. (2) Der neue Schuldner muss alle Verpflichtungen übernehmen und dazu rechtlich in der Lage sein. (3) Er muss ferner über gleichwertiges, den Gläubigern haftendes Vermögen verfügen oder haftendes Vermögen des bisherigen Schuldners muss (in welchem Umfang?) auf ihn übergehen. (4) Alle Sicherheiten müssen gleichwertig erhalten bleiben. Der in Voraussetzung 3 genannte Umfang, in welchem Schuldnervermögen übergehen muss, bleibt offen. Ob die Vorkehrungen ausreichen, die eingangs genannten Bedenken zu zerstreuen, ist fraglich. Nach dem Referentenentwurf haben die Gläubiger keine Möglichkeit, die Einhaltung der Voraussetzungen vorab zu überprüfen bzw. durch ihren Vertreter überprüfen zu lassen. Es ist lediglich eine Bekanntgabe erforderlich (Abs. 2), mit der die Gläubiger vor die vollendete Tatsache gestellt werden, weil mit Bekanntgabe der Schuldnerwechsel in Kraft tritt. Ferner ist ein (ebenfalls nachträglicher) Bericht erforderlich (Abs. 3). Es liegt näher, im Interesse eines wirksamen Schutzes der Gläubigerrechte eine vorherige Prüfung durch den Gläubigervertreter vorzusehen. Ein Mehrheitsbeschluss der Gläubiger soll nach dem Referentenentwurf nur erforderlich sein, wenn die genannten Voraussetzungen des § 23 nicht vorliegen (§ 4 Abs. 3 Nr. 9). Das Gesetz sagt nicht, wer dies neutral prüfen soll. Man muss auch fragen, ob der Schuldnerwechsel unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes überhaupt vertretbar ist, wenn die Voraussetzungen des § 23 nicht erfüllt sind. Nach alledem ist es geboten, jeden Schuldnerwechsel von einem Mehrheitsbeschluss der Gläubiger abhängig zu machen. 4. Kollektive Bindung bei Klagen (§ 6 Abs. 2) Jedem Obligationär steht im Grundsatz ein individuelles Klagerecht zu, wenn seine vertraglichen Rechte verletzt sind. Im SchVG wird dies nicht besonders erwähnt, aber z. B. in § 6 Abs. 2 RefESchVG vorausgesetzt, wenn dort als Ausnahme der Fall erfasst ist, dass der gemeinsame Vertreter der Gläubiger zur Geltendmachung der Gläubigerrechte ermächtigt und in diesem Umfang die individuelle Rechtsverfolgung ausgeschlossen wird. Eine solche kollektive Rechtsverfolgung entspricht dem Grundsatz der Gleichbehandlung172 und bie- [55] tet u. U. die Chance einer effektiveren Durchsetzung der Rechte. Nach RefESchVG ist die Geltendmachung der vorgenann172 Die individuelle Verfolgung bleibt möglich mangels kollektiver Regelung und ferner auch in den Fällen der Diskriminierung einzelner Gläubiger.
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ten Rechte durch den einzelnen Obligationär dann ausgeschlossen, wenn ein gemeinsamer Vertreter der Gläubiger nach § 6 bestellt ist und die Gläubiger diesen generell oder im Einzelfall ermächtigt haben, die Gläubigerrechte kollektiv geltend zu machen (vgl. § 6 Abs. 2 S. 2); anders nur, wenn der Gläubigerbeschluss ausdrücklich die Erhebung von Einzelklagen zulässt. Die Beschlusskompetenz zur kollektiven Rechtsverfolgung müsste der Klarheit halber in § 4 aufgenommen werden.
V. Die Organe der Anleihegläubiger 1. Abstimmungsgemeinschaft und Gläubigerversammlung Die Gläubiger haben für die kollektive Wahrnehmung ihrer Rechte zwei handelnde Organe zur Verfügung: die Gemeinschaft der Anleihegläubiger als Beschlussorgan (Abstimmungsgemeinschaft) und den gemeinsamen Gläubigervertreter. Als Abstimmungsgemeinschaft aufgrund der kollektiven Bindung gem. §§ 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 RefESchVG (IV.1.) können die Gläubiger derselben Anleihe gem. § 4 Abs. 1 durch Mehrheitsbeschlüsse Änderungen der Anleihebedingungen zustimmen und einen gemeinsamen Gläubigervertreter bestellen (§ 4 Abs. 1). Die Beschlüsse können entweder in einer Gläubigerversammlung oder ohne eine solche Versammlung getroffen werden (§ 4 Abs. 5). a) Stimmrecht (§§ 5, 13) Jeder Anleihegläubiger nimmt an den Abstimmungen nach Maßgabe des Nennwertes oder des rechnerischen Anteils seiner Berechtigung an der ausstehenden Anleihe teil (§ 5 Abs. 1 S. 1). Es gilt also wie im Recht der Kapitalgesellschaft die „Kapitalanteilsdemokratie“. Das Stimmgewicht des einzelnen Gläubigers ist direkt proportional dem Umfang (Nennwert oder rechnerischer Anteil) seiner Schuldverschreibungen. Sein Stimmgewicht ergibt sich aus deren Relation zur „ausstehenden Anleihe“. Die Tilgung anderer Schuldverschreibungen derselben Anleihe lässt also den nominal unveränderten Anteil an ungetilgten Schuldverschreibungen im prozentualen Gewicht steigen. Das Stimmrecht soll der Wahrung der typischen Interessen eines Anleihegläubigers dienen, unbeeinflusst von Interessen des Schuldners oder Dritter. Das Stimmrecht ruht daher, solange Anteile dem Schuldner oder einem mit ihm verbundenen Unternehmen zustehen oder für Rechung des Schuldners oder eines verbundenen Unternehmens gehalten werden. In dieser Situation dürfen die Schuldverschreibungen auch nicht anderen zum Zweck der Stimmrechtausübung überlassen werden. Auch dem Dritten ist es untersagt, das Stimmrecht zu diesem Zweck auszuüben (§ 5 Abs. 1 S. 2 und S. 3
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SchVG); er begeht bei Zuwiderhandlung eine Ordnungswidrigkeit (§ 24 Abs. 1). Verboten sind ferner Stimmenkauf (§ 5 Abs. 2) und Stimmenverkauf (§ 5 Abs. 3); beides ist als Ordnungswidrigkeit sanktioniert (§ 24 Abs. 1). [56] Vor jeder Ausübung des Stimmrechts ist ein Nachweis der Stimmberechtigung erforderlich. Die Regelung der Einzelheiten dieses Nachweises überlässt das Gesetz den Anleihebedingungen (§ 9 Abs. 3 S. 1). Für den in der heutigen deutschen Praxis vorherrschenden Fall, dass nur eine Globalurkunde (§ 9a DepotG) emittiert und sammelverwahrt ist und die Miteigentumsanteile der einzelnen Anleihegläubiger sich aus den entsprechenden Depotkonten ergeben, reicht für den Nachweis eine entsprechende, in Textform (§ 126b BGB) erstellte Erklärung des depotführenden Instituts aus (§ 9 Abs. 3 S. 2). Die Ausübung der Stimmrechte kann schließlich davon abhängig gemacht werden, dass sich die Gläubiger vor der Versammlung anmelden. Die Einberufungsfrist (von mindestens 14 Tagen; § 9 Abs. 1) muss dann auf den Tag berechnet werden, zu dem die Anmeldungsfrist (als Zugangsfrist) abläuft. Dieser Termin muss mindestens 3 Tage vor dem Tag der Gläubigerversammlung liegen (§ 9 Abs. 2). b) Gläubigerversammlung aa) Einberufung (§§ 8, 9, 11) Die Gläubigerversammlung wird vom Schuldner oder von dem gemeinsamen Vertreter der Gläubiger einberufen (§ 8 Abs. 1 SchVG). Da das Gesetz eine Bestellung des Gläubigervertreters schon zum Emissionszeitpunkt in den Anleihebedingungen nicht vorsieht (siehe auch im Folgenden 2.b), zeigt sich hier das Problem, dass das Zustandekommen einer Gläubigerversammlung von dem guten Willen des Schuldners abhängen kann. Zwar wird die Einberufung häufig im Interesse des Schuldners liegen, aber es kann auch Situationen geben, in denen der Schuldner eine Gläubigerversammlung lieber hinauszögert oder ganz vermeidet, während eine rasche Einberufung im Interesse der Gläubiger liegt. Das Gesetz sieht daher auch die Möglichkeit eine Einberufung unabhängig vom Vorhandensein eines Gläubigervertreters oder vom guten Willen des Anleiheschuldners vor. Gläubiger, die zusammen 5 % der ausstehenden Schuldverschreibungen innehaben, können die Einberufung schriftlich unter Angabe der Gründe verlangen (§ 8 Abs. 1). Wird dem Verlangen nicht entsprochen, so kann das zuständige173 Gericht auf Antrag die Gläubiger ermächtigen, die Gläubigerversammlung einzuberufen; es kann zugleich den Vorsitzenden der Versammlung bestellen (§ 8 Abs. 2 S. 1 und 2). Der Anleiheschuldner hat die Kosten der Versammlung und die Kosten eines erfolgreichen Antragsverfahrens zu tragen (§ 8 Abs. 4). Es bleibt die Frage, 173 Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen Inlandssitz hat; fehlt ein solcher, ist das Amtsgericht Frankfurt a. M. zuständig (§ 8 Abs. 3).
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ob nicht eine anfängliche Bestellung eines Gläubigervertreters in den Anleihebedingungen die Einberufung erleichtern und das Antragsverfahren in den meisten Fällen überflüssig machen könnte. § 11 regelt den notwendigen Inhalt der Einberufung und ordnet deren unverzügliche öffentliche Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger an. Der Anleiheschuldner hat die Einberufung und die genauen Bedingungen für die Teilnahme und die Ausübung des Stimmrechts während der Einberu- [57] fungsfrist und bis zum Tag der Versammlung im Internet unter seiner Adresse den Gläubigern zugänglich vorzuhalten (§ 11 Abs. 3).174 Das neue SchVG verzichtet wie das SchVG 1899 auf eine persönliche Einladung, weil die Gläubiger dem Schuldner regelmäßig nicht bekannt und oft weltweit verstreut sind.175 Auch soll die einmalige Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger genügen. Die ausreichende und rasche Benachrichtigung kann durch die Depotbanken gewährleistet werden. Die Einberufungsfrist beträgt mindestens 14 Tage (§ 9 Abs. 1). bb) Anmeldung; Versammlungsort (§§ 9 Abs. 2, 11) Sehen die Anleihebedingungen eine besondere Anmeldung als Voraussetzung der Teilnahme oder Stimmausübung vor, muss der Endtermin der Anmeldefrist (Zugangstermin) wenigstens drei Tage vor dem Tag der Versammlung liegen; die Einberufungsfrist muss 14 Tage vor diesem Endtermin beginnen (§ 9 Abs. 2). Die Gläubigerversammlung soll am Sitz des Schuldners abgehalten werden, wenn dieser einen Inlandssitz hat. Sind die Schuldverschreibungen an einer Wertpapierbörse innerhalb der EU oder des europäischen Wirtschaftsraums zugelassen, kann die Gläubigerversammlung am Sitz dieser Wertpapierbörse stattfinden (§ 10). Die Norm ist als nicht zwingend formuliert; es kann daher auch ein anderer Ort gewählt werden. Man kann allerdings fordern, dass für die Wahl eines anderen Ortes ein sachlicher Grund gegeben sein muss. cc) Tagesordnung (§ 12) Der Einberufende hat eine vorläufige Tagesordnung zu erstellen und zu jedem Gegenstand einen Beschlussvorschlag zu machen (§ 12 Abs. 1). Mit der Einberufung ist die vorläufige Tagesordnung bekannt zu machen (§ 12 Abs. 2). Jeder Gläubiger kann dazu Gegenanträge ankündigen; diese hat der Schuldner unverzüglich im Internet bekannt zu machen (§ 12 Abs. 4). Schwieriger ist es, neue Beschlussgegenstände auf die Tagesordnung zu brin174 Dies erscheint zu knapp. Nicht rechtzeitig informierte Gläubiger sollten während einer weiteren Nachfrist von einem Monat die Möglichkeit zur nachträglichen Information haben. 175 Begr. z. RefESchVG, S. 32.
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gen. Gläubiger mit zusammen 5 % Kapitalanteil des ausstehenden Anleihekapitals können die Bekanntmachung solcher Anträge verlangen und dies notfalls gerichtlich durchsetzen (§§ 12 Abs. 3, 8 Abs. 2–4). Die neuen Vorschläge müssen spätestens bis zum dritten Tag vor der Versammlung bekannt gemacht sein (§ 12 Abs. 3 S. 2). Die Einhaltung dieser Frist ist schwierig, weil die Gläubiger sich als Fünfprozentminorität formieren müssen und ggf. auf Widerstände stoßen, die ein (im Eilverfahren zu beantragender) Gerichtsbeschluss gem. § 8 Abs. 2 ausräumen muss. Das Gesetz sieht nicht vor, dass durch diesen Gerichtsbeschluss der Versammlungstermin hinausgeschoben werden kann; eine solche Regelung würde auch ein Störpotenzial schaffen und ist nicht ratsam. [58] Die Position der Fünfprozentminderheit wird erleichtert, wenn bereits ein Gläubigervertreter bestellt ist, an den sie sich wenden können. dd) Vertretung (§ 13) Jeder Gläubiger kann sich in der Gläubigerversammlung durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen. In der Einberufung ist darauf hinzuweisen und ebenso auf die (in den Anleihebedingungen festgelegten) Voraussetzungen einer wirksamen Vertretung (§ 13 Abs. 1). Die Vollmacht und Weisungen an den Vertreter bedürfen der Textform des § 126b BGB (§ 13 Abs. 2 S. 1). Die Rolle des Bevollmächtigten wird typischerweise einer Bank, im Zweifel der für den betreffenden Anleihegläubiger depotführenden Bank, zufallen, ähnlich wie beim Depotstimmrecht gem. § 135 AktG. Denkbar und aus praktischen Gründen naheliegend ist es, dass der Anleiheschuldner einen solchen Vertreter vorschlägt, wobei freilich die Gefahr oder zumindest der äußere Anschein einer Interessenkollision besteht. Für den Fall einer solchen Benennung muss der Schuldner drei Jahre lang die Vollmachtserklärungen der Gläubiger aufbewahren (§ 13 Abs. 2). ee) Vorsitz; Beschlussfähigkeit (§ 14) Wer die Versammlung einberufen hat, führt den Vorsitz in der Versammlung (§ 14 Abs. 1). Regelmäßig zur Einberufung berechtigt sind der Anleiheschuldner und der gemeinsame Vertreter der Gläubiger, falls ein solcher bestellt ist (§ 8 Abs. 1 S. 1). In vielen Fällen wird also der Vorsitz dem Anleiheschuldner zufallen, was besondere Anforderungen an seine Neutralität der Versammlungsleitung stellt. Nicht zum Vorsitz berechtigt ist die Fünfprozentminderheit, die eine Einberufung beantragt und gerichtlich erzwungen hat (§ 8 Abs. 2). In diesem Fall fällt aber dem vom Gericht bestimmten Vorsitzenden (§ 8 Abs. 2 S. 2) der Vorsitz zu (§ 14 Abs. 1 2. HS.). Der Vorsitzende hat ein Verzeichnis der erschienenen oder durch Bevollmächtigten vertretenen Gläubiger aufzustellen, zu unterschreiben und den Gläubigern unverzüglich zugänglich zu machen (§ 14 Abs. 2). Die Versamm-
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lung ist beschlussfähig, wenn in ihr wertmäßig die Hälfte der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten ist (§ 14 Abs. 3 S. 1). Nicht zu berücksichtigten sind dabei Schuldverschreibungen, deren Stimmrechte gem. § 5 Abs. 1 S. 2 und S. 3 ruhen, weil sie dem Schuldner gehören oder deren Ausübung von ihm abhängt. Der Vorsitzende hat die Feststellung über die Beschlussfähigkeit der Versammlung zu treffen. Wird die Beschlussunfähigkeit festgestellt, so kann der Vorsitzende eine zweite Versammlung einberufen. Diese zweite Versammlung ist im Grundsatz ohne Quorum beschlussfähig. Allerdings ist für wichtige Beschlüsse, die mit qualifizierter Mehrheit zu treffen sind,176 ein [59] Quorum von (dem Kapital nach) einem Viertel der ausstehenden Schuldverschreibungen erforderlich (§ 14 Abs. 3 S. 3). ff) Auskunftspflicht; Abstimmung; Bekanntmachung (§§ 15, 16) Jeder Gläubiger hat ein Auskunftsrecht, der Anleiheschuldner eine entsprechende Auskunftspflicht. Beides ist sachlich beschränkt auf Auskünfte, die zur sachgemäßen Beurteilung eines Gegenstandes der Tagesordnung oder eines Vorschlages zur Beschlussfassung erforderlich sind (§ 15 Abs. 1). Auf eine Verletzung des Informationsrechts kann eine Anfechtungsklage gegen einen Beschluss der Gläubigerversammlung gem. § 19 Abs. 1 S. 1 nur gestützt werden, wenn dies objektiv einen wesentlichen Einfluss auf das Abstimmungsverhalten haben konnte (vgl. § 243 Abs. 4 AktG). Auf die Abgabe und Auszählung der Stimmen sind die Vorschriften des AktG über die Abstimmung der Aktionäre in der Hauptversammlung anzuwenden, falls die Anleihebedingungen nichts anderes vorsehen (§ 15 Abs. 2). Dies ist eine dynamische Verweisung auf das Aktienrecht einschließlich der technischen Erleichterungen, die sich nach der Umsetzung der EG-Aktionärs-RiL ergeben.177 Beschlüsse müssen in einer über die Verhandlung aufzunehmenden Niederschrift entsprechend § 130 Abs. 2–4 AktG beurkundet werden. Bei Gläubigerversammlungen im Inland ist die Niederschrift durch einen Notar, andernfalls durch den Vorsitzenden aufzunehmen (§ 15 Abs. 3). In letzterem Fall zeigt sich wiederum das Problem, dass der Anleiheschuldner als Einberufender den Vorsitz führt (§§ 8 Abs. 1, 14 Abs. 1) und dies nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht einmal delegieren kann. Hier wäre eine Beurkundung durch einen neutralen Dritten vorzugswürdig. Der Schuldner hat die Beschlüsse der Gläubiger auf seine Kosten „in geeigneter Form“ öffentlich bekannt zu machen. Darunter ist insbesondere 176 Beschlüsse, die den wesentlichen Inhalt der Anleihebedingungen ändern, insbes. in den Fällen des § 4 Abs. 3 Nr. 1–9, bedürfen der qualifizierten Mehrheit von drei Vierteln der teilnehmenden Stimmrechte gem. § 4 Abs. 4. 177 Begr. z. RefESchVG S. 34. Zu den Änderungen bei der Vorbereitung und Durchführung der Hauptversammlung nach dem Referentenentwurf zum ARUG Chr. Horn, ZIP 2008, 1558ff., 1563ff.
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die Bekanntgabe auf der Internetseite des Schuldners zu verstehen. Bei einem Schuldner mit Sitz im Inland sind die Beschlüsse im elektronischen Bundesanzeiger zu veröffentlichen (§ 16 Abs. 1). Außerdem muss der Schuldner die Beschlüsse einen Monat lang unter seiner Adresse der Öffentlichkeit im Internet zugänglich machen (Abs. 2). Die letztere Frist erscheint bei ausländischen Emittenten, die nicht im Bundesanzeiger veröffentlichen, als zu kurz. Gerade wenn Streitigkeiten über Versammlungsbeschlüsse entstehen, wird dies erst mit Verzögerung bekannt. Zwar kann jeder Gläubiger binnen eines Jahres eine Abschrift der Niederschrift vom Schuldner verlangen (§ 15 Abs. 3 S. 3); aber die Vorhaltung im Internet sollte wenigstens für die gleiche Zeit vorgeschrieben werden. [60] c) Abstimmung ohne Versammlung (§ 17) aa) Die Alternative Das Gesetz sieht die Möglichkeit von Gläubigerbeschlüssen ohne die Abhaltung einer Gläubigerversammlung an einem bestimmten Tagungsort vor (§ 17). Diese Möglichkeit hängt nicht davon ab, dass sie eigens in den Anleihebedingungen vorgesehen ist, sondern besteht ex lege (vgl. § 4 Abs. 5 und § 17). Für diese Institution einer „virtuellen Versammlung“ gibt es bisher kein gesetzliches Vorbild, allerdings Ansätze im künftigen Aktienrecht.178 In der Begründung heißt es, man könne auf diesem Weg unnötigen Aufwand vermeiden.179 Vor allem für die bloße frühzeitige Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger biete sich diese Möglichkeit an, oder für die Durchführung einer Abstimmung, wenn eine Gläubigerversammlung bereits stattgefunden hat, dieser Punkt aber nicht erledigt werden konnte. Ferner kann die Möglichkeit immer dann genutzt werden, wenn kein weiterer Diskussionsbedarf besteht.180 bb) Aufforderung zur Abstimmung (§ 17 Abs. 2, Abs. 3) Das Verfahren, das zur Abstimmung führt, wird eröffnet durch eine Aufforderung zur Abstimmung, die im Gesetz nicht näher geregelt ist, aber in § 17 Abs. 1–3 vorausgesetzt wird. Diese Aufforderung kann ebenso wie die Einberufung einer Versammlung vom Anleiheschuldner oder vom gemeinsamen Vertreter der Gläubiger ausgehen (§ 17 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 S. 1). Die Abstimmung kann von Gläubigern, die Schuldverschreibungen i. H. v. 5 % der ausstehenden Anleihe halten, verlangt werden (§ 17 Abs. 1 i. V. m. § 8 Abs. 1 S. 2). Die Abstimmung wird von einem Abstimmungsleiter gelei178 Zum Abrücken vom Grundsatz der Präsenzversammlung durch § 118 AktGE im Referentenentwurf zum ARUG Chr. Horn, ZIP 2008, 1558ff., 1563ff. 179 RefE SchVG, Begr. S. 35. 180 RefE SchVG, Begr. S. 35.
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tet, nämlich durch einen vom Anleiheschuldner beauftragten Notar oder den gemeinsamen Vertreter der Gläubiger, wenn er zur Abstimmung aufgefordert hat, oder durch eine vom Gericht bestimmte Person. Gegen die Beauftragung eines Notars durch den Anleiheschuldner bestehen bei Schuldnern mit ausländischem Sitz, also ausländischen Unternehmen oder Staaten, Bedenken wegen der großen Gefahr der Abhängigkeit vom Schuldner und der möglichen Manipulation der Abstimmung, mehr noch als bei der Durchführung einer Versammlung. Die Vorstellung, ein in Schwierigkeiten geratener ausländischer Schuldnerstaat könnte in einer Überraschungsaktion eine Abstimmung initiieren mit der Härte, die die argentinische Regierung bei der letzten Krise 2001/02 an den Tag gelegt hat, und die Abstimmung würde in Buenos Aires durch einen dortigen Notar durchgeführt und ausgezählt, verbreitet Unbehagen. Wie soll er z. B. die Stimmen von Schuldverschreibungen, deren Stimmrecht ruht (vgl. § 5 Abs. 1), zurückweisen, statt sie zugunsten eines Schuldnervorschlags zu zählen? Hier [61] sollte, wenn nicht ein gemeinsamer Gläubigervertreter vorhanden ist, immer die Regelung eingreifen, dass das (deutsche) Gericht den Versammlungsleiter bestellt, falls nicht eine frühere Gläubigerversammlung oder Abstimmung anderweitig für die Bestellung einer neutralen Person gesorgt hat. cc) Durchführung der Abstimmung; Beschlüsse (§ 17 Abs. 1, Abs. 4) Das Gesetz setzt bei der Abstimmung den Einsatz der modernen elektronischen Kommunikationsmittel voraus. Die Aufforderung zur Stimmabgabe hat den Abstimmungszeitraum festzusetzen, der mindestens 72 Stunden beträgt (§ 17 Abs. 3). In diesem Zeitraum können die Stimmen in Textform abgegeben werden. Daneben (nicht stattdessen) können die Anleihebedingungen andere Formen der Stimmabgabe vorsehen. Aus der entsprechenden Anwendung der Vorschriften über die Versammlung (§ 17 Abs. 1) folgt, dass zwischen der Aufforderung zur Abstimmung und deren Durchführung mindestens 14 Tage liegen müssen (§ 9 Abs. 1). Der Abstimmungsleiter stellt die Berechtigung der Stimmabgabe anhand der eingereichten Nachweise fest und erstellt ein Verzeichnis der stimmberechtigten Gläubiger (§ 17 Abs. 4 S. 1). Er muss zugleich ermitteln, ob das Quorum der Beschlussfähigkeit (50 % Kapital der ausstehenden Anleihe gem. § 14 Abs. 3 S. 1) erreicht ist. Fehlt es daran, kann er eine neue Versammlung einberufen mit geminderten Anforderungen an das Quorum (§ 17 Abs. 4 S. 3). Über die Abstimmung ist eine Niederschrift aufzunehmen. Die in der Abstimmung gefassten Beschlüsse sind ebenso wie die von einer Versammlung gefassten Beschlüsse bekannt zu machen (§ 17 Abs. 1 i. V. m. § 16). Jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen hat, kann binnen Jahresfrist eine Abschrift verlangen (§ 17 Abs. 4 S. 4). Da die Beschlüsse gleichermaßen in die Rechte der Gläubiger eingreifen, die nicht teilgenommen
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haben, sollte auch ihnen das Recht auf eine Abschrift zustehen. Wer an der Abstimmung teilgenommen hat, kann gegen das Ergebnis schriftlich Widerspruch erheben, über den der Abstimmungsleiter entscheidet (§ 17 Abs. 5). Der Schuldner hat die Kosten einer Abstimmung ohne Versammlung zu tragen (Abs. 6). d) Wirksamkeit und Anfechtung von Gläubigerbeschlüssen Gläubigerbeschlüsse können nach § 19 Abs. 1 durch Klage angefochten werden. Klagebefugt ist gem. Abs. 2 jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen und gegen den Beschluss erfolglos Widerspruch erklärt hat, ferner jeder Gläubiger, der nicht teilgenommen hat, wenn bestimmte Mängel in der Einberufung oder Aufforderung zur Stimmabgabe bestehen, ferner bei Mängeln in der Bekanntgabe des Gegenstands der Beschlussfassung oder bei unrechtmäßigem Ausschluss von der Abstimmung. Die Anfechtung ist binnen 4 Wochen nach Bekanntgabe durch Klageerhebung gegen den Schuldner beim zuständigen Gericht181 geltend zu machen (§ 19 Abs. 4). Anfechtungs[62] gründe sind „Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen“, eine Verletzung der Informationspflichten aber nur dann, wenn nach objektivem Maßstab eine „wesentliche Voraussetzung für das Abstimmungsverhalten“ berührt ist (Abs. 1). Baums hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Beschlüsse, die in die Gläubigerrechte eingreifen, im Anfechtungsprozess auch einer materiellen Inhaltskontrolle unterliegen, wie dies auch nach Aktienrecht für Mehrheitsbeschlüsse, die in Aktionärsrechte eingreifen, anerkannt ist. Die dafür maßgeblichen ungeschriebenen Prüfkritierien – Willkürverbot, Verfolgung der gemeinsamen Interessen aller betroffenen Gläubiger, Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der beschlossenen Maßnahmen – bedürfen auch im SchVG keiner Kodifizierung.182 Grundsätzlich entfaltet ein Gläubigerbeschluss mit seiner Beurkundung in der Niederschrift (§ 15 Abs. 3 S. 1) und Bekanntgabe (§ 16) sofortige und unmittelbare Wirkung, da er nicht von einer Eintragung oder anderen Formalitäten abhängig ist.183 Auch die Anfechtungsregelung besagt, dass der Beschluss zunächst wirksam bleibt und erst mit der stattgebenden Entscheidung des Gerichts ex tunc entfällt. Weitere Schritte zur Durchführung des Beschlusses, z. B. die Durchführung eines Sanierungsplans, müssen bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts unterbleiben (§ 19 Abs. 3 S. 3). 181 Örtliche Zuständigkeit: inländischer Schuldnersitz, sonst Landgericht Frankfurt a. M. § 246 Abs. 3 AktG gilt entsprechend. 182 Baums, Die gerichtliche Kontrolle von Beschlüssen der Gläubigerversammlung nach dem Referentenentwurf eines neuen SchVG, ILF Working Paper Series No. 90, 09/2008, S. 12f., 15. 183 Grundsätzlich Baums (Fn. 182), S. 10 (ohne Stellungnahme zur formellen Voraussetzung der Bekanntgabe).
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Für diesen Fall ist aber ein Freigabeverfahren ähnlich § 246a AktG vorgesehen.184 Neben der Anfechtbarkeit ist der Fall zu berücksichtigen, dass der Beschluss an so schweren und offenkundigen Mängeln leidet, dass er nichtig ist. Der RefESchVG konnte auf die Kodifizierung solcher Gründe verzichten und dies der Rechtsprechung überlassen.185 [63] 2. Der gemeinsame Vertreter der Gläubiger (§§ 4, 6, 7) a) Aufgaben und Rechte Ein gemeinsamer Vertreter für alle Gläubiger zur Wahrnehmung ihrer Rechte kann durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger bestellt werden (§ 4 Abs. 1). Er hat die Aufgaben und Befugnisse, die ihm durch Gesetz oder von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt sind (§ 6 Abs. 2 S. 1). Er hat die Weisungen der Gläubiger zu befolgen (S. 2). Die einzelnen Gläubiger sind zur Geltendmachung ihrer Rechte nicht befugt, soweit der gemeinsame Vertreter zur Geltendmachung der Gläubigerrechte befugt ist (§ 6 Abs. 2). Er ist den Gläubigern über seine Tätigkeit berichtspflichtig (§ 6 Abs. 2 S. 4). Der gemeinsame Vertreter kann alle zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Auskünfte vom Schuldner verlangen, Einsicht in dessen Bücher nehmen und an dessen Mitglieder- oder Gesellschafterversammlungen mit Rede- und Fragerecht teilnehmen (§ 7). Er ist berechtigt und verpflichtet, Gläubigerversammlungen einzuberufen (§ 8 Abs. 1). Diese Kompetenz besteht nach § 8 Abs. 1 neben der gleichen Kompetenz des Anleiheschuldners. Man muss aber davon ausgehen, dass die Kompetenz des gemeinsamen Vertreters Vorrang hat, es sei denn dass dieser offensichtlich seinen Aufgaben nicht nachkommt. Der gemeinsame Vertreter hat dann alle Pflichten, die mit der Gläubigerversammlung zusammenhängen, d. h. mit ihrer Einberufung, der Erstellung der vorläufigen Tagesordnung und ihrer Durchführung unter seiner Leitung sowie der Sorge für die Beurkundung der Beschlüsse und ihrer Veröffentlichung.
184 Kritisch dazu Baums mit beachtlichen Gründen, weil es bei den Gläubigerbeschlüssen nicht um die Überwindung einer Registersperre gehe und das Freigabeverfahren zu aufwendig sei (Fn. 182), S. 9f. Vgl. auch Arbeitskreis Beschlussmängelrecht (Hrsg.), AG 2008, 617ff. Baums Gegenvorschlag, dem Schuldner die Möglichkeit einzuräumen, die sofortige Vollziehbarkeit des Beschlusses durch den Hilfsantrag zu erreichen, das Gericht möge sich ggf. auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses und der Wertersatzpflicht gegenüber dem Anfechtungskläger beschränken ((Fn. 182), S. 10), überzeugt nicht ganz. Das wäre eine Einladung, rechtswidrige Beschlüsse zu riskieren, zumal die Ersatzpflicht nur dem Kläger gegenüber bestünde. Erwägenswert ist die Öffnung des KapitalanlegerMusterverfahrensgesetzes für Schadensersatzansprüche der Anleihegläubiger. 185 Zutreffend Baums (Fn. 182), S. 15.
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b) Qualifikation und Bestellung Ein wichtiges Problem der Institution des gemeinsamen Vertreters ist seine Neutralität und Unabhängigkeit, insbesondere von Interesssen, Wünschen und Beeinflussungen seitens des Schuldners. Das Gesetz sucht dem dadurch Rechnung zu tragen, dass es eine Reihe von möglichen Interessenkonfliktsituationen in § 6 Abs. 1 S. 2 aufzählt und daran eine Offenlegungspflicht des gemeinsamen Vertreters bzw. des Kandidaten für ein solches Amt knüpft (§ 6 Abs. 1). Der gemeinsame Vertreter wird durch Mehrheitsbeschluss der Gläubiger bestellt (§ 4 Abs. 1 S. 1); dies kann auch ohne Gläubigerversammlung in vereinfachter Weise durch bloße Abstimmung ohne Versammlung nach § 17 geschehen. Hier wäre zu bedenken, dass es für die Gläubiger von Vorteil i.S. ihrer effektiven Vertretung sein würde, wenn der Vertreter auch schon von vorne herein in den Anleihebedingungen bestellt werden könnte, natürlich ohne die Möglichkeit seiner späteren Abberufung und Ersetzung durch einen anderen Vertreter auszuschließen.186 Zwar kann man einwenden, dass der Einfluss des Schuldners beim anfänglichen Aushandeln der Anleihebedingun- [64] gen besonders stark sein kann; aber ihm stehen die Emissionsbanken als Verhandlungspartner gegenüber. Diese werden zur Wahrung ihrer Reputation bei der Klientel, bei der sie die Erstplatzierung der Anleihen vornehmen, auf die Auswahl eines neutralen Vertreters dringen. Ein solcher kann auch – naheliegenderweise – eine der Emissionsbanken selbst sein. Die tendenziell schwache Stellung der Anleihegläubiger wird dadurch gestärkt, dass sie den gemeinsamen Vertreter jederzeit ohne Angabe von Gründen abberufen können (§ 6 Abs. 4). Dies setzt freilich wiederum den beschwerlichen Weg des Mehrheitsbeschlusses voraus, zumindest in Form der Abstimmung ohne Versammlung. c) Haftung; Kosten Der gemeinsame Vertreter haftet den Gläubigern als Gesamtgläubigern für die ordnungsgemäße Erfüllung seiner Aufgaben. Über die Geltendmachung solcher Ansprüche entscheiden die Gläubiger. Die durch die Bestellung des gemeinsamen Vertreters entstehenden Kosten und Aufwendungen trägt der Anleiheschuldner (§ 6 Abs. 5).
VI. Gesamtbeurteilung 1. Das künftige Schuldverschreibungsgesetz (nach dem RefE) schafft ein erweitertes Organisationsrecht für Anleihegläubiger mit zwingenden Normen der kollektiven Bindung und mit tiefen Eingriffsmöglichkeiten in die So auch Baums (Fn. 182), S. 2 Fn. 2. In diesem Sinn schon Horn (Fn. 4), S. 448.
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Die Stellung der Anleihegläubiger
Gläubigerrechte durch Mehrheitsbeschlüsse (II. und IV.). Es bietet effiziente Möglichkeiten der Anpassung der Anleihebedingungen. Es beseitigt Bedenken, die bisher unter Berufung auf das deutsche AGB-Recht gegen die wirksame kollektive Organisation der Gläubiger in Anleihebedingungen vorgebracht wurden (III.3.). Das Gesetz ist eine Antwort auf eine internationale Diskussion und Marktpraxis, die effiziente Anpassungsregelungen bei Anleihen im Interesse der Anleiheschuldner und ihrer sonstigen Gläubiger fordert und die frühere Sonderrolle der Obligationäre, die von Anpassungsverhandlungen verschont wurden, ablehnt (II.4.). Diskussion und Entwurf orientieren sich an der traditionellen Anleihe als Sonderform der Darlehensaufnahme (Anleihe i. e. S.; I.2.). Die vom neuen SchVG geregelte Gemeinschaft der Anleihegläubiger weist Eigenschaften der Rechtsgemeinschaft (§§ 741ff. BGB) und der Personengesellschaft (§§ 705ff. BGB) auf (IV.2.). 2. Die (eingeschränkt) fortbestehende Anwendbarkeit des AGB-Gesetzes bedeutet, dass die Anleihebedingungen insgesamt dem Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unterliegen (III.3.e). Dies gilt nicht nur für Nebenbestimmungen, sondern auch für die Leistungsversprechen und zwar auch dann, wenn sie mit den im Gesetz normierten Tatbeständen übereinstimmen (§ 307 Abs. 3 S. 2 BGB). Praktische Bedeutung hat das Transparenzgebot insbesondere bei Derivaten und anderen neuartigen Vertragsgestaltungen. Hier könnte es dazu beitragen, mit Unzumutbarkeiten in den Derivate-Märkten [65] aufzuräumen, falls die Emittenten nicht selbst unter dem Eindruck der globalen Krise Abhilfe schaffen. Bei Anleihebedingungen der Staatsanleihen sind Regeln der Staatenverantwortlichkeit und -haftung zu berücksichtigen (III.3.e und f). 3. Das neue Gesetz orientiert sich stark an der Perspektive der Emittenten und sonstigen Gläubiger und der beteiligten Banken mit dem erklärten Ziel, den Finanzplatz Deutschland zu stärken (II.4.a). Die Perspektive der Gläubiger (Obligationäre) bleibt dabei unterbelichtet. Ihr Schutz und ihre Interessen werden zwar in der Begründung des Referentenentwurfs genannt, kommen aber de facto zu kurz. Obligationäre sind den Emittenten, insbesondere im internationalen Markt, strukturell unterlegen. Denn sie sind geografisch verstreut, vor allem bei internationalen Anleihen, schwer organisierbar und oft wirtschaftlich schwach, wobei gerade ausländische Staatsanleihen immer wieder auch von kleinen Anlegern erworben werden. Das neue Recht gibt ihnen nur scheinbar eine ausreichende Organisationsmöglichkeit. Der Hauptmangel liegt darin, dass von Anfang an ein Gegengewicht gegen den Emittenten und Anleiheschuldner fehlt. Dieses muss erst mühsam durch eine Abstimmung über die Bestellung eines Gläubigervertreters geschaffen werden, mit allen Schwierigkeiten der Kontaktaufnahme der Gläubiger untereinander. Die Lösung liegt in der (obligatorischen) Bestimmung eines gemeinsamen Gläubigervertreters oder Treuhänders der Gläubiger schon
ZHR 173 (2009) 12–66
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in den Anleihebedingungen.187 In der Begründung des Referententwurfs wird anerkannt, dass dies „üblichen internationalen Vertragsstandards“ entspricht; man meint aber, der bewusste Verzicht auf deren Übernahme sei mit der Befürchtung „erheblicher Systembrüche mit der Gefahr unübersehbarer Folgen“ zu begründen (Begr. RefE, S. 21). Man muss die absehbaren Folgen einer rücksichtslosen Benachteiligung der Obligationäre durch Anleiheschuldner, die das neue gesetzliche Instrumentarium sehr konsequent und einseitig für ihre Interessen nutzen könnten, als die größere Gefahr ansehen. Die gerichtliche Inhaltskontrolle von Gläubigerbeschlüssen im Anfechtungsprozess nach materiellen Gesichtspunkten (V.1.d) kann diese Gefahr abmildern, aber nicht beseitigen. 4. Die Bestellung des Gläubigervertreters von Anfang an wird daher hier mit Nachdruck befürwortet. Sie lässt sich bruchlos in den Referentenentwurf einfügen, der ja einen Gläubigervertreter vorsieht. Man wende nicht ein, die Bestellung des Vertreters oder Anleihetreuhänders schon in den Anleihebedingungen sei wegen der starken Verhandlungsposition des Emittenten und der Abwesenheit der künftigen Obligationäre am Verhandlungstisch ihrerseits bedenklich. Die internationale Vertragspraxis spricht dagegen. Die Banken, welche die Anleiheemission meist organisieren, können eine neutrale, unabhängige, auch wirtschaftlich starke Vertretung (vorzugsweise juristische Person!) bestellen. Die Kosten dafür müssten zum Teil schon vor der Emission zur Verfügung gestellt werden und zwar als Teil der Emissionskos ten. Die [66] Gläubiger können jederzeit den Vertreter wieder ersetzen (§ 6 Abs. 4). Dieser Vertreter, der auch als Treuhänder hinsichtlich von Sicherheiten (insbesondere Garantien) fungieren kann und soll, müsste u. a. folgende unentbehrliche Funktionen übernehmen: Als Anlauf- und Kontaktstelle für Obligationäre, welche die Einberufung einer Gläubigerversammlung vorschlagen oder die erforderliche Fünfprozentminderheit zur Einberufung bilden wollen (§ 8 Abs. 1 S. 2); zur Vorbereitung und Leitung der Gläubigerversammlung (§§ 8, 11, 14) oder sonstigen Abstimmung (§ 17), zur Führung gemeinsamer Verhandlungen oder Rechtsstreite, zur Koordination der gemeinsamen Kündigung (§ 22 Abs. 3), zur Prüfung der Voraussetzungen der Schuldnerersetzung (§ 23). Erwägenswert ist die Erstreckung des KapMuG auf Anleihegläubiger. 5. Die Marktentwicklung ist gekennzeichnet durch eine rasant wachsende Vielfalt der Leistungsgegenstände von Anleihen, vor allem die Entwicklung eines gigantischen Marktes für verbriefte Derivate (Zertifikate; I.3.b). Letzteres bedeutet eine Entfernung vom traditionellen Typ der an einer Darlehensaufnahme orientierten Anleihe (Anleihe i.e.S.). Gleichzeitig erzeugten in den USA große Emissionsvolumina von sog. gedeckten Anleihen als Kreditderi187
So auch Baums (Fn. 182), S. 2 Fn. 2.
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Die Stellung der Anleihegläubiger
vate einen Markt für gesteigerte und intransparente Kreditrisiken, der zum Auslöser der globalen Finanzkrise wurde (I.3.c). Der RefESchVG berücksichtigt die Ausweitung des Anleihebegriffs definitorisch (§ 1) und in der Aufzählung typischer Leistungsversprechen (§ 3). Das Organisationsrecht des SchVG bleibt aber am traditionellen, darlehensnahen Typ der Anleihe i.e.S. orientiert und hier wiederum vorwiegend an der Perspektive der Emittenten und Banken. Baums hat daraus den Schluss gezogen, dass das Organisationsrecht des künftigen SchVG für die neuen Zertifikate nicht passe. Er schlägt vor, einen Passus in das Gesetz aufzunehmen, der es erlaubt, in den Anleihebedingungen auf wesentliche Kompetenzen der Gläubigergemeinschaft zu verzichten, u.a. auf die Übertragung gemeinsamer Befugnisse der Interessenverfolgung durch die Gläubiger.188 Dies wäre angesichts der unbestreitbaren Schutzprobleme der großen Zahl der Zertifikate-Anleger (III.3.f) m. E. nicht die richtige Antwort. Zwar mag es schwierig sein sich vorzustellen, dass man für die derzeit rund zweihunderttausend verschiedenen Zertifikatprodukte, die auf dem deutschen Markt sind, Gläubigervertreter bestellen soll und kann. Unmöglich ist dies nicht, ebenso wenig, dass derselbe Vertreter einige zehntausend Produkte gleichzeitig betreut. Als Alternative kommt die Einrichtung eines Ombudsmanns in Betracht. Zu finanzieren wäre in beiden Fällen die Vertretung und Interessenwahrung durch die Emittenten, wobei die Einzelbeiträge angesichts der hohen Zahl der Produkte maßvoll blieben. Der gemeinsame Vertreter für die kollektive Wahrnehmung der Rechte der Anleger könnte in diesem neuen und unübersichtlichen Markt dazu beitragen, dass transparente und faire Anleihe- und Geschäftsbedingungen verwendet werden.
Baums (Fn. 182), S. 2.
188
Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt BKR 2009, 446–453 A. Neues Schuldverschreibungsprivatrecht 1. Ein Gesetz für die Kautelarpraxis Das neue Schuldverschreibungsgesetz („Gesetz über Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen“, – SchVG) ist am 5.8.2009 in Kraft getreten1 und hat das alte Schuldverschreibungsgesetz von 18992 abgelöst3. Das alte Gesetz hatte in der Praxis kaum Bedeutung erlangt, weil es nur einen engen Anwendungsbereich hatte, indem es Anleihen ausländischer Emittenten und Anleihen der öffentlichen Hand nicht erfasste, technische Schwierigkeiten insbesondere bei der Einberufung der Gläubigerversammlung bereitete und vor allem nur sehr begrenzte Möglichkeiten zur Abänderung der Anleihebedingungen bot. Dem neuen Gesetz sind eine umfangreiche Reformdiskussion und Vorbereitungsarbeiten, die sich über Jahre hinzogen, vorausgegangen4. Treibendes Motiv für das neue Gesetz war der Wunsch der Kautelarpraxis zur Angleichung des deutschen Rechts an Veränderungen der Vertragspraxis der internationalen Anleihen. [447]
1 Und zwar als Art. 1 des „Gesetzes zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse bei Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen und zur verbesserten Durchsetzbarkeit von Ansprüchen von Anlegern aus Falschberatung“ (NeuregelungsG) v. 31.7.2009, BGBl. I v. 4.8.2009, S. 2512. 2 Gesetz betreffend die gemeinsamen Rechte der Besitzer von Schuldverschreibungen v. 4.12.1899, RGBl. I (1899), 691, mit Änderungen; BGBl. III, 4134-1, zuletzt geänd. d. Art. 54 G. v. 5.10.1994, BGBL I S. 2911. 3 Das alte Gesetz gilt weiter für die vor dem 5.8.2009 ausgegebenen Anleihen, sofern nicht die Gläubiger mit Zustimmung des Schuldners eine Änderung der Anleihebedingungen i. S. der im neuen SchVG vorgesehenen Wahlmöglichkeiten beschließen; § 24 SchVG. 4 Diskussionsentwurf des BMJ April 2003 (unveröff.); dazu DAV-Stellungnahme v. Juni 2003; Referentenvorentwurf des BMJ v. 2006 (unveröff.); Referentenentwurf (RefE) v. 9.5.2008; Text in ZBB 2008, 200 ff. Aus der umfangreichen Diskussion vgl. nur Horn, Europäisches Finanzmarktrecht, 2003, S. 74–77; Baums/Cahn (Hrsg.), Die Reform des Schuldverschreibungsrechts, 2004; Hartwig-Jacob, Festschrift für Horn, 2006, S, 717–734; Seminar des Deutschen Aktieninstituts (Frankfurt/M) „Die Novellierung des Schuldverschreibungsrechts“ am 16.9.2008; Cranshaw, BKR 2008, 504–511; H. G. Vogel, ZBB 2008, 221 ff.; Horn, ZHR 173 (2009) 12–66; Bredow/Vogel, ZBB 2009, 153–157.
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Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt
In den letzten zwei Jahrzehnten wurden auf den internationalen Anleihemärkten neue rechtliche Wege entwickelt, um in einer Krise der Anleiheschuldner die Anleihebedingungen an die neue Situation anzupassen und die Anleihegläubiger an Umschuldungen zu beteiligen. Die Lösung fand die Kautelarpraxis in der Einführung neuer Klauseln in den Anleihebedingungen, den sog. collective action clauses (CACs). Diese sehen ein vertragliches Organisationsrecht der Gläubiger mit Mehrheitsentscheidungen über Anpassungen der Anleihebedingungen und einen Treuhänder der Anleihegläubiger vor, die weitreichende Möglichkeiten zur Abänderung und Beschneidung der Rechte der Anleihegläubiger im Zusammenhang mit Umschuldungen eröffnen5. Bis zur Einführung des neuen Gesetzes bestanden gegen eine Übernahme dieser neuen internationalen Regelungen in die Bedingungen von Anleihen, die deutschem Recht unterstellt sind, rechtliche Bedenken. Nach einer verbreiteten, im Einzelnen umstrittenen Meinung standen Grundsätze des deutschen AGB-Rechts und des europäischen Rechts gegen missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen solchen Klauseln entgegen. Die Hauptforderung der Praxis in der deutschen Reformdiskussion lautete daher, die gesetzlichen Voraussetzungen für flexible Anpassungsregelungen zu schaffen6. Das neue Schuldverschreibungsgesetz will die genannten Hemmnisse beseitigen, um die Wahl deutschen Rechts in den Vertragsbedingungen internationaler Anleihen zu fördern und damit zugleich den Finanzplatz Deutschland, der im internationalen Anleihemarkt eine bedeutende Rolle spielt, zu stärken7. Im Folgenden soll das neue Gesetz in seinen Grundlinien unter unvermeidlichem Verzicht auf manche Details dargestellt und die Frage geprüft werden, wieweit es die gesteckten Regelungsziele erreicht hat. 2. Geltungsbereich (§ 1) a) Weiter Schuldverschreibungsbegriff Das Gesetz findet Anwendung auf „inhaltsgleiche Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen“ (§ 1 (1))8. Der Begriff Anleihe wird in der Definition nicht verwendet. Er findet sich aber in § 4 als Inbegriff aller Schuldverhältnisse, die durch inhaltsgleiche, in derselben Gesamtemission begebene Keller, BKR 2002, 313, 314 f.; Hartwig-Jacob, Festschrift Horn 2006, S. 717 ff. Horn, ZHR 173 (2009), 27 ff. m. Nachw. 7 Begr. zum RegE BT-Drs. 16/12 814 v. 28.4.2009, S. 1, 16. Ebenso schon RefVorE 2006, S. 24 f.; RefE v. 9.5.2008, S. 1, 21; Horn, ZHR 173 (2009) 29. 8 Die vorausgesetzte wertpapierrechtliche Fungibilität besitzen auch Namensschuldverschreibungen, die auf den Namen einer Wertpapiersammelbank ausgestellt sind. Sie können nach entsprechender Ergänzung des Wertpapierbegriffs in § 1 DepotG in das sachenrechtliche Wertpapiergiro nach dem DepotG einbezogen werden; Art. 5 NeuregelungsG (Fußn. 1). 5 6
BKR 2009, 446–453
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Schuldverschreibungen begründet wurden. An zahlreichen Stellen verwendet das Gesetz ferner den Begriff der Anleihebedingungen zur Bezeichnung des Vertragsinhalts. Der klassische Anleihebegriff war mit der Vorstellung einer Kreditaufnahme verbunden, was man heute als „Anleihe i.e.S.“ bezeichnen kann9. Die Anleiheemissionspraxis hat sich aber weit darüber hinaus entwickelt und eine unübersehbare Fülle von Forderungen verbrieft, die mit einer Kreditaufnahme nichts oder wenig zu tun haben, insbesondere durch die Emission von verbrieften Derivaten („Zertifikaten“)10. Auch diese neuen Produkte sind vom Geltungsumfang des SchVG gem. § 1 (1) umfasst. Der Referentenentwurf unterstrich dies noch durch die Normierung typischer Leistungsinhalte von Derivaten (§ 3 (3) RefE 2008), was aber keinen Eingang ins Gesetz fand. b) Geltung für Auslandsanleihen Während das alte SchVG von 1899 seine Geltung auf Anleiheschuldner mit Sitz im Inland beschränkte, findet sich im neuen Gesetz diese Geltungsbeschränkung nicht mehr. Nunmehr sind auch Auslandsanleihen erfasst, d. h. Anleihen von Emittenten, die im Ausland ihren Sitz haben, soweit sie deutschem Recht unterstellt sind (§ 1 (1)). Gerade bei solchen Auslandsanleihen, die mit Schwerpunkt auf dem deutschen Markt platziert und daher deutschem Recht unterstellt wurden, hat sich das Bedürfnis nach einer verbesserten Regelung der Gläubigerorganisation gezeigt, so bei Anleihen von Argentinien, die verschiedentlich die deutschen Gerichte beschäftigt haben11. Der Gesetzgeber folgt damit einer von den EU-Staaten schon 2003 akzeptierten Empfehlung des Rats der EU-Finanzminister (ECOFIN), in die Bedingungen ihrer Staatsanleihen Regelungen über Gläubigervertretungen mit Mehrheitsbeschlüssen i. S. der o. a. collective action clauses aufzunehmen12. c) Deutsche öffentliche Anleihen Ausgenommen von der Geltung des Gesetzes sind nach § 1 (2) „Schuldverschreibungen, deren Schuldner der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land oder eine Gemeinde ist oder für die der Bund, ein Sondervermögen des Bundes, ein Land oder eine Gemeinde haftet“. Damit bleiben nicht nur alle Anleihen der deutschen öffentlichen Hand außerhalb des Anwendungsbereiches, sondern auch alle Anleihen, für die die öffentliche Hand eine Bürgschaft oder sonstige Gewährleistung übernimmt, ein gerade im Hinblick
Horn, ZHR 173 (2009), 12 ff., 16 f. Zur Ausweitung des Anleihebegriffs durch die Praxis Horn, a. a. O., 12 ff., 15–25. 11 Horn, Festschrift Nobbe, 2009, S. 601 ff. 12 Dazu Hartwig-Jacob, Festschrift Horn, 2006, S. 717, 719. Auf diese Empfehlung nimmt die Begr. z. RegE a. a. O., S. 14, Bezug. 9
10
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Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt
auf die Gesetzgebung zur Sanierung der Banken (Absicherung von Anleihen durch den Finanzmarktstabilisierungsfonds) praktisch wichtiger Fall. Diese zuletzt noch in das Gesetz gelangte Ausnahme ist doppelt überraschend. Erstens wurde es jahrelang als ein Defizit des alten SchVG 1899 beklagt, dass es auf Anleihen der (deutschen) öffentlichen Hand keine Anwendung findet. Zweitens besagt die erwähnte Empfehlung der ECOFIN, die Mitgliedstaaten sollten die Regelung der Gläubigerorganisation i. S. der collective action clauses gerade auch für ihre Staatsanleihen vorsehen. Die praktische Tragweite der gesetzlichen Ausnahme ist freilich begrenzt. Die Ausnahme entfaltet ihre Wirkung für die wenigen zwingenden Regelungen in den §§ 2–4 sowie für die Bußgeld- und Übergangsbestimmungen (§§ 23–24). Der Gesetzgeber begründet die Ausnahme – etwas zu knapp – damit, dass Schutzprobleme der Anleihegläubiger wegen der guten Bonität der deutschen öffentlichen Hand und ihrer Insolvenzunfähigkeit nicht beeinträchtigt seien13. Die Ausnahme von § 2 (Skripturprinzip) mag hingehen, weil das Skripturprinzip für öffentliche Anleihen seit langem speziell geregelt ist14. Weniger einleuchtend ist die Ausnahme jedoch im Hinblick auf § 3 (spezielles Transparenzgebot)15 und auf § 4 über die kollektive Bindung der Gläubiger und das [448] Gebot ihrer Gleichbehandlung16. Das Kernstück des Gesetzes, das Gläubigerorganisationsrecht der §§ 5–21, ist ohnehin optional (i. F. 4). Die Begründung des Regierungsentwurfs geht zwar von der Vorstellung aus, dass die Ausnahme vom SchVG durch § 1 (2) auch die Option in §§ 5–21 umfasse17. Das ändert aber nicht an der Tatsache, dass die deutsche öffentliche Hand in Gebrauch ihrer Vertragsfreiheit entsprechende Klauseln in Anleihen einfügen kann und dann vor einer Inhaltskontrolle nach AGBRecht gem. § 307 (3) 2 BGB geschützt ist. Von dieser Option wird sie vermutlich bei Auslandsanleihen Gebrauch machen. d) Pfandbriefe Bereits im Referentenentwurf vorgesehen war die ebenfalls in § 1 (2) SchVG enthaltene Ausnahme für Pfandbriefe i. S. des deutschen Pfandbriefgesetzes. Dies beruht auf der Überlegung, dass die hier bestehende deutsche Begr. RegE zu § 1 SchVG, S. 16. Gem. § 6 BundesschuldenwesenmodernisierungsG v. 12.7.2006, BGBl. I, 1466, in Ablösung des BundeswertpapierverwaltungsG v. 11.12.2001, BGBl. I S. 3519. Zahlreiche Bundesländer haben entsprechende Schuldbuchregelungen. 15 Wegen Ausschlusses des § 3 kommt das allgemeine Transparenzgebot zum Zug; zu beidem unten C.4. 16 Dazu i. F. 3. b. und B. 1. Die Gleichbehandlungspflicht von Emittenten gegenüber Wertpapierinhabern findet sich auch sonst im Kapitalmarktrecht (vgl. § 30 a (1) Nr. 1 WpHG). Sie folgt für die öffentliche Hand auch im fiskalischen Bereich ferner aus dem allgemeinen Diskriminierungsverbot. 17 Begr. RegE zu § 1 (2), S. 16. 13 14
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Spezialgesetzgebung ein eigenständiges Regelwerk mit besonderen gesetzlichen Schutz- und Abwicklungsmechanismen darstellt. Dieses bietet einen ausreichenden Schutz für die Gläubiger, der aber auch nicht so leicht mit dem neuen Gesetz abzustimmen wäre18. Man muss hinzufügen, dass das neue Gesetz erhebliche Benachteiligungen der Anleihegläubiger gegenüber der bisherigen Gesetzeslage ermöglichen würde. Im Unterschied zu Anleihen der deutschen öffentlichen Hand kann man bezweifeln, dass die Emittenten von Pfandbriefen ein Wahlrecht haben, die Gestaltung der Gläubigerorganisation des SchVG zu wählen. Hindernisse ergeben sich insoweit freilich nicht aus der Ausnahme des § 1 (2) SchVG, aber wohl aus dem Pfandbriefgesetz, ohne dass diese Frage hier zu vertiefen ist. Das Gesetz bezeichnet die Pfandbriefe als „gedeckte“ Anleihen. Dies ist der Sache nach richtig, weil die Gläubigerrechte durch einen besonderen Vermögensfonds von erstklassischen Sicherheiten (Grundpfandrechte, Forderungen gegen die öffentliche Hand) gesichert sind, die eine dem Volumen der ausgegebenen Pfandbriefe kongruente Deckungsmasse bilden. Anzumerken ist hier, dass in anderen Staaten begebene gedeckte Schuldverschreibungen z. T. weit geringere Sicherheiten bieten; in den USA emittierte, mit wenig werthaltigen Grundpfandrechten („subprime“) gedeckte Anleihen („collateralized debt securities“) wurden zum Auslöser der globalen Finanzkrise 2007–200919. 3. Zwingendes Schuldverschreibungsrecht; kollektive Bindung a) Überblick Das SchVG enthält nur einen knappen Bestand von zwingenden Regeln in den §§ 2–4 und 23. § 2 regelt in modifizierter Weise das Skripturprinzip: die Anleihebedingungen müssen in der Urkunde oder bei Ausschluss umlauffähiger Urkunden (d.h. bei Verwendung der heute üblichen Globalurkunde) in einer gesonderten Urkunde verbrieft sein. § 3 normiert das Gebot der Transparenz des Leistungsversprechens. Dies ist im Zusammenhang mit dem AGB-Recht (unten C.3) zu erörtern. Die wichtigste grundsätzliche Norm des Schuldververschreibungsprivatrechts enthält § 4 über die „kollektive Bindung“ der Gläubiger. b) Einschränkung der Individualrrechte; Gleichbehandlung Nach § 4 können Anleihebedingungen während der Laufzeit der Anleihe nur durch gleichlautenden Vertrag mit sämtlichen Gläubigern oder nach Abschnitt 2 SchVG (§§ 5–21), in dem Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger 18 19
Begr. RegE zu § 1 (2), S. 16. Näher Horn, BKR 2008, 452 ff., 457 m. Nachw.
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Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt
geregelt sind, geändert werden (§ 4 Satz 1). Dies wird durch die Pflicht des Anleiheschuldners nach Satz 2 ergänzt, alle Gläubiger gleich zu behandeln (Satz 2). Daher sind gem. § 5 (2) 1 Mehrheitsbeschlüsse für alle Gläubiger verbindlich. Beschlüsse, die nicht gleiche Bedingungen für alle vorsehen, sind unwirksam, falls nicht die benachteiligten Gläubiger ausdrücklich zustimmen (§ 5 (2) 2). Diese Gleichheit entspricht der Verkehrsanschauung und ist zugleich die Voraussetzung für eine Verkehrsfähigkeit der Anleihe und die Funktionsfähigkeit des Wertpapierhandels, die auf der Austauschbarkeit aller Wertpapiere derselben Anleihe beruht20. Aus den gleichen Gründen ist schon nach der bisherigen Rechtsprechung auch eine einheitliche Auslegung der Anleihebedingungen ohne Rücksicht auf Besonderheiten in der Person des einzelnen Gläubigers geboten21. Der Begriff der Bindung soll zum Ausdruck bringen, dass es sich nicht primär um zusätzliche Rechte handelt, sondern „dass in der Gemeinsamkeit zugleich eine Einschränkung individueller Rechte liegt“22. c) Umfang der Bindung (i. Zeitlicher Umfang) Die beiden Gebote, dass Abänderungen der Anleihebedingungen für alle Gläubiger gleich sein müssen (S. 1) und der Schuldner die Gläubiger gleich behandeln muss (S. 2), bestehen dem Wortlaut nach nur „während der Laufzeit der Anleihe“. Das macht nur insoweit Sinn, als verhindert werden soll, dass für die weitere Laufzeit künftig Schuldverschreibungen mit unterschiedlichen Inhalten umlaufen. Was aber, wenn die Laufzeit geendet hat, was außer durch Zeitablauf auch durch berechtigte Kündigung (z. B. in der Schuldnerkrise) geschehen kann. Sollen dann die beiden Gebote nicht mehr gelten? Sinngemäß müssen sie jedenfalls für die Zeit weiter gelten, in denen Regeln für ein gemeinsames Handeln der Gläubiger nach §§ 5–21 oder nach alternativen Anleihebedingungen bestehen, weil diese die kollektive Bindung voraussetzen und vertraglich verankern. Aber auch unabhängig davon müssen die kollektive Bindung und der Gleichbehandlungsgrundsatz auch nach Ende der Laufzeit für alle noch ausstehenden, nicht zurückgezahlten Schuldverschreibungen gelten. Das folgt schon daraus, dass § 4 unabhängig von den Regeln über Gläubigerbeschlüsse (§§ 5–21) zwingend gilt. (ii. Sachlicher Umfang) Inhaltlich bezieht sich die kollektive Bindung auf alle Elemente der Anleihebedingungen, also primäre und sekundäre Leistungsbeschreibungen und sonstige Nebenbestimmungen, ohne dass es auf
20 Begr. BT-Drs. 16/12814, S. 17; BGHZ 163, 311; BGH WM 2009, 1500, 1501; Horn, ZHR 173 (2009), 12 ff., 44. 21 BGHZ 28, 259, 265 = WM 1958, 1441; BGHZ 163, 311, 317 = WM 2005, 1567; BGH WM 2009, 1500, 1501. 22 Begr. BT-Drs. 16/12 814, S. 17.
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eine – im Einzelnen ohnehin schwierige – Abgrenzung ankommt23. Die Bindung gilt nur im Rahmen der gleichen Anleihe („Gesamtemission“) i. S. § 1 Abs. 1, nicht für mehrere Anleihen, auch wenn diese deutschem Recht unterstellt sind. Der Schuldner ist nicht verpflichtet, Gläubiger von unterschiedlichen Anleihen gleich zu behandeln. § 4 gibt dafür nichts her, ebenso wenig für die Zusammenfassung der Abstimmung aller Gläubiger mehrerer Anleihen und eine integrierte Berechnung der Mehrheiten. Diese müssen für jede Anleihe geson- [449] dert ermittelt werden. Anders verhält es sich mit verschiedenen Tranchen oder Risikoklassen ein und derselben Anleihe. Aktuelle Beispiele bieten Anleihen, die in Tranchen mit unterschiedlichen Risikoklassen eingeteilt sind. Hier sind abändernde Mehrheitsbeschlüsse nach § 5 (i.F. B) möglich, soweit sie die anfänglich vorgesehenen Unterschiede in der Risikoverteilung aufrechterhalten24. 4. Optionales Gläubigerorganisationsrecht (§§ 5–21) a) Freiwillige Regelung Das Kernstück des SchVG, das neue Gläubigerorganisationsrecht (§§ 5–21), ist eine freiwillige Regelung. Noch der Referentenentwurf 2008 des SchVG ging nach dem Vorbild des § 23 (5) S. 1 AktG davon aus, dass das neue Organisationsrecht für die Anleihegläubiger zwingendes Recht sein sollte (§ 1, § 20 RefE), freilich mit Gestaltungsspielräumen in Einzelfragen. Das SchVG 2009 ist diesem Ansatz nicht gefolgt. Das Organisationsrecht ist auch nicht dispositives Privatrecht im herkömmlichen Sinn, das also immer dann gilt, wenn die Parteien einen bestimmten Rechtsgeschäftstyp gewählt, aber bestimmte Einzelheiten nicht geregelt haben. Vielmehr stellt das SchVG ein optionales Organisationsrecht der Gläubiger in Abschnitt 2 (§§ 5–21) bereit, das die Emittenten in den Anleihebedingungen vorsehen „können“ (§ 5 (1)). Es steht also den Parteien bzw den Emittenten, welche ja die Anleihebedingungen (in Abstimmung mit den Emissionsbanken) vorgeben (und i. S. des AGB-Rechts den Erwerbern „stellen“; dazu unten C), gem. § 5 (1) 1 SchVG frei, überhaupt keine Gläubigerorganisation zu wählen (Nulloption). In diesem Fall bleibt dem Emittenten auch die Freiheit, eine ganz andere Regelung als im SchVG vorgesehen zu wählen. Ausgeschlossen ist dies aber wohl für Regelungen über Mehrheitsbeschlüsse; diese müssen gem. § 5 (1) 1 den Regeln der §§ 5–21 folgen. Man kann aber in den Anleihebedingungen
23 Die Möglichkeit solcher Abgrenzungen ist gerade bei komplexen Finanzmarktprodukten schwierig. Sie behält ihren begrenzten Sinn jedoch im AGB-Recht für die Freiheit von der Inhaltskontrolle für Leistungsbestimmungen; s. unten C.2. 24 Horn, ZHR 173 (2009), 44.
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z. B. einen Anleihetreuhänder für die Verwaltung von bestellten Sicherheiten vorsehen, wie dies bereits die ältere deutsche Kautelarpraxis handhabte25. Die Geltung des gesetzlichen Organisationsrechts der §§ 5–21 hängt also nach § 5 Abs. 1 Satz 1 davon ab, dass der Emittent positiv für die Vereinbarung von Mehrheitsbeschlüssen der Gläubiger und für die Möglichkeit der Bestellung eines gemeinsamen Gläubigervertreters i. S. der §§ 5 ff. SchVG optiert. Dies kann durch eine Optionserklärung i. S. § 5 (1) mit pauschaler Verweisung auf die §§ 5–21 SchVG geschehen, deren Text zweckmäßigerweise mit abzudrucken ist26. Näher liegt eine Aufnahme gesetzeskonformer Klauseln in die Anleihebedingungen, wobei z. B. einige der in § 5 (3) aufgezählten zulässigen Beschlussgegenstande weggelassen (S. 2) und Optionen, die an anderer Stelle im Gesetz vorgesehen sind, gewählt werden können. b) Verbot der Verschlechterung Wird allerdings die gesetzliche Regelung gewählt, so können die Anleihebedingungen „von den §§ 5–21 zu Lasten der Gläubiger nur abweichen, soweit es in diesem Gesetz ausdrücklich vorgesehen ist“ (§ 5 (1) 2). Es handelt sich also um sekundär zwingendes Recht, das im Fall der (freiwilligen) Wahl der Regelung durch die Parteien gilt. Es geht darum, dass bei Option der gesetzlichen Regelung eine weitere Verschlechterung der Position der Anleihegläubiger, als sie das Gesetz in §§ 5–21 vorsieht, verboten bleibt und demnach unwirksam ist. Ausdrücklich verboten sind Mehrheitsbeschlüsse, die den Anleihegläubigern zusätzliche Leistungen aufbürden (§ 5 (1) 3); es können also nicht durch Mehrheitsbeschluss Pflichten zur Bereitstellung weiteren Fremdkapitals begründet werden. Der Emittent kann aber, wenn er sich für die gesetzliche Regelung gem. § 5 (1) 1 SchVG entscheidet, von dieser Regelung auch zu Lasten der Gläubiger abweichen, sofern das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht27. Abweichungen von den §§ 5–21 SchVG zu Gunsten der Anleihegläubiger bleiben unbegrenzt zulässig. Dazu gehören vor allem Einschränkungen oder der Ausschluss von Regelungen über zulässige Beschlussinhalte, die in § 5 Abs. 3 vorgesehen sind. Denn diese laufen durchweg auf eine Beschränkung der ursprünglich gewährten vertraglichen Gläubigerrechte hinaus; die darin liegenden Nachteile können eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
25 Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 414 ff. Zur AGB-Kontrolle der von §§ 5–21 abweichenden Bedingungen allg. unten C. 26 Eine rechtliche Notwendigkeit besteht dazu m. E. aber nicht. 27 Beispiel in § 5 Abs. 6 Satz 2: die doppelte Möglichkeit der Abstimmung in einer Gläubigerversammlung und einer schriftlichen Abstimmung kann auf eine beschränkt werden.
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c) Nulloption und Anleihemarkt; Zertifikate Der optionale Charakter des Gläubigerorganisationsrechts gestattet es der Praxis, jede beliebige Anleihe von dessen Geltung auszunehmen, so dass die Frage nicht fern liegt, welche Anleihetypen überhaupt mit einiger Wahrscheinlichkeit das Gläubigerorganisationsrecht des SchVG in ihren Anleihebedingungen aufweisen werden. Dies dürfte am ehesten bei Anleihen traditioneller Ausgestaltung der Fall sein, die wirtschaftlich mit einer mittel- oder längerfristigen Kreditaufnahme verbunden sind, ggf. auch wenn sie mit Aktienoptionsrechten ausgestattet sind (Anleihen i. e. S.). In Betracht kommen sowohl Unternehmensanleihen als auch Anleihen der öffentlichen Hand, insbesondere dann, wenn sie auf dem internationalen Markt mit anderen Anleihen konkurrieren, die mit CACs ausgestattet sind28, möglicherweise auch High Yield Bond28a. Ein riesiger Bereich des heutigen Anleihemarktes, der Markt für verbriefte Derivate („Zertifikate“), die ebenfalls dem Begriff der „Schuldverschreibungen aus Gesamtemissionen“ und damit dem Anwendungsbereich des SchVG gem. § 1 (1) unterfallen29, wird von den Emittenten wohl nicht dem Gläubigerorganisationsrecht des SchVG unterstellt werden. Die schiere Vielzahl und ungeheure Vielfalt der (verbrieften wie unverbrieften) Derivate sowie ihre meist kurze Laufzeit und der mit einer Option für die §§ 5–21 SchVG verbundene technische Aufwand spricht gegen eine solche Option, auch wenn sie unter dem Gesichtspunkt der bei Derivaten bestehenden Schutzprobleme und aufgetretenen Marktstörungen im Grundsatz auch ihre Vorzüge hätte30. Der noch im Referentenentwurf vorgesehene zwingende Charakter des Gläubigerorganisationsrechts hätte zur Konsequenz gehabt, den gesamten Zertifikatemarkt diesem Recht zu unterstellen. Die Annahme liegt nicht fern, dass man gerade wegen der Hinweise auf diese Konsequenz vom zwingenden Charakter Abstand nahm und die Optionslösung wählte, um den Emittenten der derivativen, strukturierten Anleihen (Zertifikate) die Vermeidung des Organisationsrechts des SchVG zu ermöglichen. [450]
28 Zur Zugänglichkeit der Option nach § 5 (1) auch für die deutsche öffentliche Hand trotz der Ausnahme in § 1 (2) oben A.2.c. 28a Balz, ZBB 2009, 401. 29 Horn, ZHR 173 (2009), 12, 16, 20. Der RefE 2008 bezog diese Gruppe durch Aufzählung der möglichen Hauptleistungspflichten in § 3 (3) ausdrücklich ein. 30 Horn, ZHR 173 (2009) 12, 66.
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B. Die Gläubigerorganisation 1. Gläubiger und Gläubigergemeinschaft a) Wesen der Gläubigergemeinschaft Den Gläubigern stehen für die kollektive Wahrnehmung ihrer Rechte zwei handelnde Organe zur Verfügung: die Abstimmungsgemeinschaft der Gläubiger als Beschlussorgan, wobei die Beschlüsse in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer Abstimmung ohne Versammlung gefasst werden (§ 5 (6) 1), und den gemeinsamen Vertreter der Gläubiger, der vom Emittenten in den Anleihebedingungen vorgesehen oder später von den Gläubigern bestellt werden kann (§ 7, § 8). Das „Wesen“ der Gläubigergemeinschaft nach dem alten SchVG von 1899, d. h. ihre dogmatische Einordnung in das deutsche Zivilrecht, war umstritten geblieben, wobei auch die geringe praktische Bedeutung dieses Gesetzes mitspielte31. Das neue SchVG hat dem gegenüber einmal durch den gesetzlichen Grundsatz der kollektiven Bindung gem. § 4, zum andern durch die Option der Vereinbarung der kollektiven Beschlussfassung nach §§ 5–21, eine neue Situation geschaffen. Bereits § 4 lässt die Kennzeichnung zu, dass die Gläubiger eine Rechtsgemeinschaft bilden, indem sie nämlich mit der kollektiven Bindung, welche ihre Rechte in gewisser Weise einschränkt, zugleich die Option zu einer gesetzlich vorgezeichneten Gläubigerorganisation erhalten haben und damit zusätzlich zu ihren Individualrechten ein gemeinsames Recht i. S. einer Rechtsgemeinschaft32. Für den Fall, dass sie diese Option ausüben, tritt im Organisationsrecht der Gläubiger zugleich das personengesellschaftsrechtliche Merkmal einer gemeinsamen Zweckverfolgung i. S. § 705 BGB hinzu, nämlich die kollektive Durchsetzung ihrer individuellen Rechte33. Bei der Ausgestaltung des Gläubigerorganisationsrechts hat der Gesetzgeber aber auch Elemente des Kapitalgesellschaftsrechts verwendet, namentlich in der Regelung der Anfechtbarkeit von Gläubigerbeschlüssen (i. F. 4). b) Stimmrecht (§ 6) Jeder Gläubiger hat bei Abstimmungen ein Stimmrecht. Dessen Umfang bestimmt sich nach der Höhe seiner Forderungen; das Gewicht des Stimmrechts ergibt sich aus deren Verhältnis zur Gesamtsumme der Forderungen 31 Überblick Horn, ZHR 173 (2009) 46 ff.; vgl. auch Heldt, Festschrift Teubner 2009, S. 315 ff. 32 Zur dogmatischen Einordnung der kollektiven Bindung auf der Basis des RefE schon Horn, a. a. O. Heldt, a. a. O. weist zur Analyse der kollektiven Bindung auf Teubners Verbundtheorie über Vertragsnetzwerke hin, vermeidet es aber zutreffend, daraus über die gesetzliche Regelung hinausgehende normative Folgerungen zu ziehen. 33 So schon zum RefE 2008 Horn, a. a. O. S. 49.
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aus ungetilgten (ausstehenden) Schuldverschreibungen der betreffenden Anleihe. Der Umfang des Stimmrechts wird demgemäß nach dem Nennwert oder dem rechnerischen Anteil seiner Berechtigung an den ausstehenden Schuldverschreibungen berechnet (§ 6 (1) 1). Hat der Schuldner oder ein mit ihm verbundenes Unternehmen Schuldverschreibungen erworben oder sonst unter seiner Kontrolle, so ruhen die betreffenden Stimmrechte (Abs. 1 Satz 2). Sie dürfen auch nicht durch einen Dritten ausgeübt werden (§ 6 (1) 3 u. 4). Stimmenkauf und Vorteilsnahme für ein Stimmverhalten sind verboten (§ 6 (2) u.(3)). Eine Verletzung der genannten Verbote ist eine mit Geldbuße bewehrte Ordnungswidrigkeit (§ 23). c) Kündigungsrecht (§ 5 (5)) Das neue SchVG enthält keine zwingenden Spezialnormen über Kündigung und hat auch auf die im RefE enthaltene Norm verzichtet, dass die Anleihebedingungen das Kündigungsrecht der Gläubiger abschließend bestimmen können (§ 22 (1) RefE). Dies ist zu begrüßen. Denn jedenfalls Anleihen traditioneller Machart mit darlehensnahem Charakter (Anleihen i. e. S.) sind Dauerschuldverhältnisse34. Für Dauerschuldverhältnisse sieht § 314 BGB ein unentziehbares Recht auf Kündigung aus wichtigem Grund vor. Dieses könnte in Anleihebedingungen nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden. § 314 BGB ist freilich regelmäßig kein Problem für die Anleihepraxis. Denn in Anleihebedingungen mit darlehensnahem Charakter (Anleihen i. e. S.) ist regelmäßig eine Kündigungsmöglichkeit bei schwerer Vertragsverletzung, vor allem Zahlungsverzug, vorgesehen. Solche defaultKlauseln entsprechen der internationalen Vertragspraxis35. Das SchVG sieht jedoch in § 5 zwei Möglichkeiten der Einschränkung des individuellen Kündigungsrechts der Gläubiger in den Anleihebedingungen vor. Erstens kann in den Bedingungen gem. § 5 Abs. 5 Satz 1 bestimmt werden, dass die Kündigung von ausstehenden Schuldverschreibungen nur von mehreren Gläubigern und einheitlich erklärt werden kann. Dabei darf der für die Kündigung vorgeschriebene Mindestanteil der ausstehenden Schuldverschreibungen höchstens 25 Prozent betragen. Die Gläubiger können dann binnen drei Monaten mit einfacher Mehrheit beschließen, dass die Wirkung der Kündigung entfallen soll (Abs. 5 Satz 2, 3). Dies ist eine bedeutende mehrfache Einschränkung des individuellen Kündigungsrechts eines jeden Gläubigers. Diese erscheint aber auch im Hinblick auf § 314 BGB zulässig, weil jede individuelle Kündigung die Solvenz des Schuldners beeinträchtigen 34 Horn, ZHR 173 (2009), 50 f. m. Nachw. Für die Vielfalt der sonstigen Anleihen, insbes. Derivate, müsste dies im Einzelnen ermittelt werden. 35 Zur älteren Praxis schon Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 323 ff.; zur neueren Praxis Hartwig-Jacob, Die Vertragsbeziehungen und Rechte der Anleger bei internationalen Anleiheemissionen, 2001, S. 302 ff., 507 ff.
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kann und daher die Interessen aller Gläubiger berührt. Die kollektive Bindung i. S. § 4 SchVG der Gläubigerrechte rechtfertigt daher die genannten gesetzlichen Einschränkungen des Kündigungsrechts jedenfalls in der vorgesehenen Weise als sachlich begründet (Quorum; Möglichkeit der nachträglichen Überstimmung mit einfacher Mehrheit). Zweitens ist in der Liste der zulässigen Klauseln in Anleihebedingungen gem. § 5 (3) unter Nr. 8 als zulässiger Gegenstand eines Mehrheitsbeschlusses „der Verzicht auf das Kündigungsrecht der Gläubiger oder dessen Beschränkung“ vorgesehen. Dies erlaubt keinen generellen Ausschluss des Rechts auf Kündigung aus wichtigem Grund in den Anleihebedingungen selbst, wohl aber eine Anleihebedingung aufzunehmen, die den Verzicht auf das Kündigungsrecht durch Mehrheitsbeschluss im Einzelfall vorsieht, also in einer konkreten Kündigungssituation. Hier gilt der gleiche Gesichtspunkt der kollektiven Bindung. Der einzelnen Gläubiger muss es hinnehmen, dass eine Mehrheit gegen seinen Willen die Kündigung ablehnt. 2. Gläubigerversammlung (§§ 9–17) a) Durchführung (§§ 9–16 (1)) (i. Einberufung) Die Gläubigerversammlung wird, wenn sie nicht in den Anleihebedingungen ausgeschlossen ist (§ 5 (6) 2)36, vom Schuldner oder vom gemeinsamen Vertreter der Gläubiger einberufen (§ 9 (1) 1). Eine Minderheit der Gläubiger, die über mindestens 5 Prozent des ausstehenden Schuldkapitals der Anleihe verfügen, kann die Einberufung unter Angabe besonderer Gründe verlangen [451] (§ 9 (1) 2) und sich, falls dem nicht entsprochenen wird, vom (deutschen)37 Gericht zur Einberufung ermächtigen lassen, wobei das Gericht auch einen Vorsitzenden der Versammlung bestimmen kann (§ 9 (2)). Dies ist in Situationen wichtig, in denen die Einberufung nicht im Interesse des Schuldners, wohl aber in dem der Gläubiger liegt38. Der Anleiheschuldner hat die Kosten der Gläubigerversammlung und im Fall der gerichtlichen Anordnung auch die Kosten des Gerichtsverfahrens zu tragen (§ 9 (4)). (ii. Fristen; Berechtigung) Die Gläubigerversammlung ist mindestens 14 Tage vor dem Tag der Versammlung einzuberufen (§ 10 (1)). Sehen die Anleihebedingungen eine vorherige Anmeldung vor, so ist die genannte Mindestfrist auf den Endpunkt der Anmeldefrist zu berechnen, der mindestens
Eine den Gläubigern eher nachteilige Gestaltung. Vgl. § 9 Abs. 3: Gericht des inländischen Sitzes des Schuldners; fehlt es daran, ist das Amtsgericht Frankfurt/M. zuständig. 38 Begr. BT-Drs. 16/12 814, S. 21; Horn, ZHR 173 (2009) 56. 36 37
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3 Tage vor dem Versammlungstag liegen muss (§ 10 (2))39. Die Berechtigung des Gläubigers kann bei Schuldverschreibungen, für die nur eine Globalurkunde besteht und damit Einzelstücke nicht vorhanden sind, im Zweifel durch eine in Textform ausgestellte Erklärung des depotführenden Instituts nachgewiesen werden (§ 10 Abs. 3). Versammlungsort soll der inländische Schuldnersitz sein, mangels eines solchen der Sitz der Wertpapierbörse innerhalb der EU oder des EWR, an dem die Schuldverschreibungen zugelassen sind (§ 11). Abweichungen sind zulässig (Sollvorschrift). (iii. Tagesordnung) Das Gesetz regelt den Mindestinhalt der Einberufung hinsichtlich Schuldner, Versammlung und Teilnahmevoraussetzungen; die Einberufung ist im elektronischen Bundesanzeiger bekanntzugeben und vom Schuldner im Internet unter seiner Adresse bis zum Tag der Versammlung zugänglich zu machen (§ 12). Der Einberufende hat eine vorläufige Tagesordnung nebst eigenen Beschlussvorschlägen zu erstellen (§ 13 (1) u. (2)). Gläubiger, die zusammen 5 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen innehaben, können die Bekanntgabe weiterer Beschlussgegenstände verlangen (Abs. 3). Jeder Gläubiger kann sich durch einen Bevollmächtigten vertreten lassen (§ 14). Der Einberufende führt den Vorsitz, soweit nicht vom Gericht ein anderer Vorsitzender bestimmt worden ist (§ 15 (1)). Er hat ein Verzeichnis der erschienenen und der durch Bevollmächtigten vertretenen Gläubiger aufzustellen und zugänglich zu machen (§ 15 (1) u. (2)). (iv. Auskunftspflicht) Um eine sachgerechte Beschlussfassung zu ermöglichen, hat der Schuldner in der Versammlung eine Auskunftspflicht, jeder Gläubiger ein entsprechendes Auskunftsrecht. Beides ist sachlich beschränkt auf Auskünfte, die zur sachgemäßen Beurteilung eines Tagesordnungsgegenstandes oder Vorschlages zur Beschlussfassung erforderlich sind (§ 16 (1)). Ein Beschluss der Gläubigersammlung kann wegen behaupteter Verletzung des Auskunftsrechts nur eingeschränkt mit der Klage angefochten werden (§ 20 Abs. 1 Satz 2; unten 4). b) Beschlussfassung; Änderung der Gläubigerrechte (§ 5, § 15 (3), § 16, § 17) (i. Beschlussfähigkeit) Die Versammlung ist beschlussfähig, wenn mindestens die Hälfte der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten ist (§ 15 (3) 1), wobei Schuldverschreibungen, deren Stimmrechte ruhen, nicht zu den ausstehenden Schuldverschreibungen zählen (S. 4). Wird dieses Quorum 39 Nach der amtl. Begründung in BT-Drs. 16/12 814, S. 21, soll die kurze Einberufungsfrist in einer akuten Schuldnerkrise sicherstellen, dass die Gläubigerversammlung möglichst vor Stellung eines Insolvenzantrags (spätestens 3 Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gem. § 15 a InsO) abgehalten werden kann. Dies ist kaum zu erreichen, weil 14 Tage plus 3 Tage nur ein schmales Zeitfenster lassen und weil die 14-TageFrist ohnehin eine Mindestfrist ist.
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nicht erreicht, kann der Vorsitzende eine erneute Versammlung einberufen (S. 2), für die dieses Quorum nicht gilt (S. 3). Allerdings ist für Beschlüsse, die eine qualifizierte Mehrheit erfordern, eine Beschlussfähigkeit nur gegeben, wenn 25 Prozent der ausstehenden Schuldverschreibungen vertreten sind (S. 3 2. Halbs.). Die Anleihebedingungen können höhere Anforderungen an die Beschlussfähigkeit stellen (S. 5). (ii. Mehrheitserfordernisse). Die Gläubiger entscheiden mit einfacher Mehrheit (§ 5 Abs. 4 Satz 1). Beschlüsse, die den wesentlichen Inhalt der Anleihebedingungen ändern, bedürfen der qualifizierten Mehrheit von 75 Prozent der teilnehmenden Stimmrechte (S. 2). Solche wesentliche Änderungen finden sich, wie das Gesetz (a. a. O.) hervorhebt, insbesondere in der Liste der zulässigen Beschlussinhalte in § 5 (3) 1 Nr. 1–9, die in Anleihebedingungen vereinbart werden können. Die Liste enthält weitgehende Eingriffe in die Gläubigerrechte: Veränderung der Fälligkeit der Zinsen und Hauptforderung (Nr. 1, 2), Ausschluss der Zinsen (Nr. 1) und Verringerung der Hauptforderung (Nr. 3), Nachrang der Forderungen im Insolvenzverfahren (Nr. 4), Umwandlung oder Umtausch in Gesellschaftsanteile (debt-equityswap) (Nr. 5), Austausch und Freigabe von Sicherheiten (Nr. 6), Änderung der Nennwährung (Nr. 7), Verzicht oder Beschränkung des Kündigungsrechts (Nr. 8) und Schuldnerersetzung (Nr. 9). Sie sind der Kern des neuen Gesetzes, weil von den hier genannten Eingriffsmöglichkeiten durch Mehrheitsbeschlüsse der mögliche Erfolg von Umschuldungen und anderen wichtigen Anpassungen abhängt. Wie bereits erörtert, geschieht dies um den Preis eines ggf. tiefen Eingriffs in das individuelle Gläubigerrecht. Dieser Eingriff ist aus der Perspektive des Gesetzgebers durch den Grundsatz der kollektiven Bindung der Gläubigerrechte (§ 4) gerechtfertigt. (iii. Abstimmung; Niederschrift; Bekanntmachung) Falls nicht die Anleihebedingungen besondere Regeln über die Abgabe und Auszählung der Stimmen enthalten, sind die Vorschriften des AktG über die Abstimmung der Aktionäre entsprechend anzuwenden (§ 16 Abs. 2). Es handelt sich um eine dynamische Verweisung, welche die Änderungen des Aktienrechts mit einbezieht40. Jeder Beschluss muss beurkundet werden und zwar im Inland durch einen Notar, im Ausland auf gleichwertige Weise (§ 16 Abs. 3). Der Schuldner hat die Beschlüsse der Gläubiger auf seine Kosten in geeigneter Form öffentlich bekannt zu machen, bei Schuldnersitz im Inland im elektronischen Bundesanzeiger oder nach § 30 e Abs. 1 WpHG. 3. Abstimmung ohne Versammlung (§ 18) Das SchVG sieht die alternative Möglichkeit von Gläubigerbeschlüssen durch Abstimmung ohne Versammlung vor (§ 5 (6) 1); die Anleihebedingun Begr. BT-Drs. 16/12 814, S. 23.
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gen können ausschließlich eine der beiden Möglichkeiten vorsehen (S. 2). Die Vorschriften über die Gläubigerversammlung gelten entsprechend, soweit das Gesetz nicht abweichende Bestimmungen trifft (§ 18 Abs. 1). Abstimmungsleiter ist ein vom Schuldner beauftragter Notar oder der gemeinsame Vertreter der Gläubiger, wenn er zur Abstimmung aufgefordert hat, oder eine vom Gericht bestellte Person (Abs. 2). Der Abstimmungszeitraum muss mindestens 72 Stunden betragen (Abs. 3). Ihm muss die Mindestfrist von 14 Tagen gem. § 10 (1), § 18 (1) vorausgehen. Während des Abstimmungszeitraums können die Gläubiger ihre Stimmen gegenüber [452] dem Abstimmungsleiter mittels Textform abgeben (§ 18 (3) 3). Bei der Bestellung eines Notars zum Abstimmungsleiter wird nicht ausdrücklich ein inländischer gefordert; man wird jedenfalls einen dem deutschen Notar gleichwertigen Notar verlangen müssen. 4. Anfechtung von Beschlüssen (§ 20) Gläubigerbeschlüsse können nach § 20 (1) (1) wegen Verletzung des Gesetzes oder der Anleihebedingungen angefochten werden. Wegen Verletzung der Informationspflicht kann der Beschluss nur angefochten werden, wenn ein objektiv urteilender Gläubiger die Erteilung der Information als wesentliche Voraussetzung für sein Abstimmungsverhalten angesehen hätte (S. 2). Auf eine Verletzung von Rechten bei der elektronischen Übermittlung von Erklärungen im Rahmen einer Abstimmung ohne Versammlung (§ 18), die auf einer technischen Störung beruhen, kann eine Anfechtung nur gestützt werden, wenn dem Schuldner grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorzuwerfen ist (S. 3). Klagebefugt ist gem. § 20 (2) jeder Gläubiger, der an der Abstimmung teilgenommen und gegen den Beschluss fristgerecht Widerspruch eingelegt hat; anders, wenn er die Schuldverschreibungen erst nach Bekanntgabe der Versammlung erworben hat. Klagebefugt ist auch jeder Gläubiger, der nicht an der Versammlung teilgenommen hat, wenn er zu Unrecht von der Abstimmung ausgeschlossen wurde oder bestimmte Mängel in der Einberufung oder in der Bekanntmachung der Beschlussgegenstände vorliegen. Die Klage ist binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses zu erheben. Sie ist gegen den Schuldner zu richten. Zuständig ist das Landgericht des Sitzes des inländischen Schuldners, andernfalls das Landgericht Frankfurt/M. § 246 (3) 2–6 AktG gilt entsprechend. Auf Antrag des Schuldners gem. § 246 a AktG kann das Gericht feststellen, dass die Erhebung der Klage dem Vollzug des angefochtenen Beschlusses nicht entgegensteht. In der Praxis bestehen Befürchtungen, dass die Anfechtungsmöglichkeit Verzögerungen mit sich bringt, was als Erpressungspotential bestimmter Gläubiger benutzt werden kann, wie dies im Aktienwesen zu verzeichnen ist. Die Möglichkeit des Freigabeverfahrens nach § 246 a AktG wird nicht als ausreichend ange-
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sehen. Immerhin hat sich der Gesetzgeber im ARUG um weitere Beschleunigung bemüht41. 5. Der gemeinsame Vertreter (§ 7, § 8) a) Bestellung Die Anleihebedingungen können die Möglichkeit der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters der Gläubiger vorsehen (§ 5 (1) 1). Man kann hier fragen, ob die Anleihebedingungen im Rahmen der Vertragsfreiheit auch eine Gläubigerversammlung vorsehen und zugleich die Möglichkeit der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters ausschließen können. Dagegen spricht, dass das Gesetz beides, die Regelung über Gläubigerbeschlüsse und die Möglichkeit der Bestellung eines gemeinsamen Vertreters, in § 5 (1) 1 als Elemente einer einheitlichen Lösung vorsieht. Außerdem ist die (sekundär zwingende) Vorschrift des § 9 (1) 2 zu beachten; danach muss eine Gläubigerversammlung einberufen werden, wenn Gläubiger mit 5 Prozent Anteil an den ausstehenden Schuldverschreibungen dies verlangen, um einen Gläubigervertreter zu bestellen. Das Gesetz nennt keine besonderen Vorschriften über das Verfahren der Vertreterbestellung durch die Gläubiger mit Ausnahme der erwähnten Regelung in § 9 (1) 2. Es stellt in § 7 (1) 2 aber besondere Anforderungen an die Freiheit des Kandidaten von Interessenkonflikten mit entsprechenden Offenlegungspflichten. Die Bestellung des Vertreters kann nach § 8 schon in den Anleihebedingungen erfolgen42. Dies hat den Vorteil, dass in einer Krise schnell reagiert werden kann. Mögliche Gefährdungen wegen mangelnder Unabhängigkeit vom Anleiheschuldner sucht der Gesetzgeber durch entsprechende Anforderungen an die Freiheit von Interessenkonflikten zu begegnen (§ 8 (1) 2–6). Außerdem können die Gläubiger den Vertreter jederzeit ohne Angabe von Gründen abberufen (§ 7 (4)). b) Aufgaben und Rechte; Haftung Der gemeinsame Vertreter hat die Aufgaben und Befugnisse, die ihm vom Gesetz oder von den Gläubigern durch Mehrheitsbeschluss eingeräumt werden. Er hat die Weisungen der Gläubiger gem ihren Beschlüssen zu befolgen (§ 7 (2)). Er ist berechtigt, vom Schuldner alle Auskünfte zu verlangen, die er zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Er kann zur Geltendmachung von Rechten der Gläubiger ermächtigt werden. Die einzelnen Gläubiger sind 41 Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) v. 30.7.2009, BGBl. I 2479, Art. 1 Nr. 37–39. 42 Diese Möglichkeit fehlte noch im RefE 2008, was in der Lit. kritisiert wurde; Horn, ZHR 173 (2009), 63 unter Bezugnahme auf Baums. Ebenso schon Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 448.
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insoweit von der selbstständigen Geltendmachung ausgeschlossen. Etwas anderes soll gelten, wenn der Mehrheitsbeschluss dies ausdrücklich zulässt (S. 3). Die Gläubiger können auch durch Mehrheitsbeschluss einen gemeinsamen Vertreter zur Wahrnehmung ihrer Rechte im inländischen Insolvenzverfahren des Schuldners bestellen (§ 19 (2)). Der Vertreter ist den Gläubigern über seine Tätigkeit berichtspflichtig (S. 4). Er haftet ihnen für die sorgfältige und ordnungsgemäße Erfüllung seiner Pflichten (§ 7 (3)). Die Kosten seiner Tätigkeit sind von Schuldner zu tragen (§ 7 (6)). 6. Geltung für Mitverpflichtete (§ 20) Wenn andere Personen für die Verpflichtungen des Schuldners Sicherheiten für dessen Verpflichtungen aus der Anleihe gewährt haben, so können die Anleihebedingungen vorsehen, dass die Anleihebedingungen i. S. §§ 5–21 über das gemeinsame Vorgehen der Gläubiger und insbesondere für die Anpassung ihrer Rechte auch in Beziehung auf dieses Rechtsverhältnis gelten sollen. Praktische Bedeutung hat dies vor allem im Hinblick auf eine Bürgschaft oder Garantie der Muttergesellschaft des Emittenten oder entsprechende Sicherheiten des Staates.
C. SchVG und ABG-Recht 1. Partielle Ausschaltung der Inhaltskontrolle Anleihebedingungen erfüllen die Merkmale von AGB. Seit der BGH dies 2005 in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung bejaht43 und 2009 erneut bestätigt hat44, ist die Frage entschieden. Zugleich hat der BGH 2005 eine vereinfachte Einbeziehung der Anleihebedingungen in das Schuldverhältnis mit dem einzelnen Erwerber der Schuldverschreibung angenommen und die AGB-rechtlichen Anforderungen „funktional reduziert“, um den Marktbedingungen der vereinfachten Übertragbarkeit der Schuldverschreibungen gerecht zu werden. Von der Möglichkeit der Anwendung des AGB-Rechts auf Anleihebedingungen gingen auch die Vorarbeiten zum Gesetz und geht das SchVG aus, obwohl man noch in der Begründung zum Regierungsentwurf die Anwend- [453] barkeit der Inhaltskontrolle nicht für nicht endgültig entschieden hielt45. Damit ergab sich die Frage, ob die von der Praxis gewünschten weitreichenden Anpassungsmöglichkeiten in Anleihebedingungen (i. S. der collective action clause) einer AGB-rechtlichen 43 BGHZ 163, 311; für Genussscheine schon BGHZ 119, 305, 312 f. Nachw. zur Lit. bei Horn, ZHR 173 (2009), 12, 35 f. 44 Urt. v. 30.6.2009, WM 2009, 1500 m. Nachw. der Lit. 45 Begr. BT-Drs. 16/12 814, 13.
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Inhaltskontrolle standhalten würden. Das neue SchVG erreicht dieses Ziel dadurch, dass es in § 5 und an anderen Stellen bestimmte Anleihebedingungen für gesetzlich zulässig erklärt, die abändernde Gläubigerbeschlüsse für eine Reihe von Regelungsinhalten vorsehen, die für Anpassungssituationen relevant sind. Die betreffenden Anleihebedingungen sind der Inhaltskontrolle entzogen, weil diese nur für Klauseln eingreift, die von der gesetzlichen Regelung abweichen (§ 307 (3) 1 BGB). 2. Fortbestehende Inhaltskontrolle Es bleibt bei der Inhaltskontrolle einmal der Anleihebedingungen, bei denen der Emittent von der Regelung in den §§ 5–21 SchVG keinen Gebrauch macht und keine mit ihr übereinstimmende Regelungen trifft. Aber auch dann, wenn für die gesetzliche Regelung optiert wird, bleiben AGB der Inhaltskontrolle unterworfen, sofern sie Materien regeln, die das SchVG nicht behandelt. Ein Beispiel bieten Klauseln über die einseitige Anpassung von Anleihebedingungen durch den Emittenten46. Ferner bleiben die AGB der Wertpapierumsatzgeschäfte, in deren Rahmen Schuldverschreibungen erworben werden, selbstverständlich der Kontrolle unterworfen. Als Beispiel seien die im Derivatemarkt verwendeten Klauseln über die Folgen von irrtümlich fehlerhaft abgeschlossenen Geschäften („mistrade“) genannt, die den Parteien eines Wertpapierkaufs die eng befristete Möglichkeit eröffnen, sich einseitig vom Vertrag zu lösen, wenn das Geschäft nicht zu einem marktgerechten Preis abgeschlossen wurde47. 3. Transparenzgebot des § 3 SchVG a) Reduziertes Schutzniveau § 3 SchVG enthält eine besondere Normierung des Transparenzgebotes hinsichtlich der versprochenen Leistung: das Leistungsversprechen muss durch einen sachkundigen Anleger ermittelt werden können. Die Vorschrift gilt unabhängig von einer Option der Emittenten für oder gegen ein Gläubigerorganisationsrecht zwingend. Sie tritt in ihrem Anwendungsbereich an die Stelle des allgemeinen AGB-rechtlichen Transparenzgebotes des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Sie gilt nicht für die in § 1 Abs. 2 SchVG ausgenom BGH WM 2009, 1500 (Unwirksamkeit wegen fehlender Eingrenzung). BGH ZIP 2002, 1436 = WM 2002, 1687, 1688 (Nichtigkeit nach § 138 verneint, Schadensersatz nach Irrtumsanfechtung gem. § 122 BGB bejaht und Inhaltskontrolle nach AGB-Recht nicht vorgenommen, weil nicht veranlasst). Dazu krit. Koch, ZBB 2005, 265. Vgl. auch Tilp, Bankrechtstag 2007, 2008, S. 91 ff., 105 ff.; Fridrich/Seidel, BKR 2008, 497. Nach BGH WM 2009, 1500, 1502 (obiter dictum) halten sie einer Inhaltskontrolle stand, sofern sie enge Fristen und den Ersatz des negativen Interesses vorsehen. 46 47
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menen Pfandbriefe und von der deutschen öffentlichen Hand emittierten oder gewährleisteten Anleihen. Diese unterfallen weiterhin dem allgemeinen AGB-rechtlichen Transparenzgebot. Maßstab für die Transparenz der Leistungsbeschreibung ist für § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB das Verständnis des typischen Durchschnittskunden48. Gegenüber dem besonders verbraucherfreundlichen Schutzniveau der früheren BGH-Rechtsprechung hat sich im deutschen und europäischen Kapitalmarktrecht das etwas reduzierte Schutzniveau des verständigen Anlegers durchgesetzt49. Der Gesetzgeber des SchVG hat das Schutzniveau weiter reduziert und bestimmt zum Maßstab den „Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art von Schuldverschreibungen sachkundig ist“ (§ 3 SchVG)50. Die Rechtsfolge einer Verletzung des Transparenzgebotes ist die Unwirksamkeit der betreffenden Klausel gem. § 307 (1) 1 u. 2, (3) 2 BGB, nur ausnahmsweise Unwirksamkeit des ganzen Anleiheverhältnisses (§ 306 (2), (3) BGB). b) Praktische Bedeutung im Anleihemarkt Bei klassischen Anleihen, die nur eine verbriefte Kreditgewährung an den Emittenten darstellen mit den klassischen Leistungspflichten des Emittenten zur Verzinsung der Hauptsumme und ihrer Rückzahlung bei Fälligkeit (Anleihe i.e. S.)51, wird das Transparenzprinzip als Instrument zum Schutz der Gläubiger in der Regel keine große Rolle spielen. Anders verhält es sich mit verbrieften Derivaten, insbesondere den sog. Zertifikaten52. Hier steht der Anleger einer unübersehbaren Produktvielfalt gegenüber und es ist für ihn oft kaum möglich, den genauen Inhalt der Rechte, die ihm angeboten oder scheinbar angeboten werden, zu ermitteln53. Daraus ergibt sich ein Bedürfnis nach mehr Transparenz. Es gibt Bemühungen der Derivatebranche, die Klarheit der Produkte zu fördern, indem man sie nach Risiko bewertet (value at risk) und verschiedenen Risikoklassen zuordnet54.
Wolf, in: Wolf/Lindacher/Pfeiffer, AGB-Recht, 5. Aufl. § 308 RdNr. 245. Veil, ZBB 2006, 162 ff., 167; Assmann/Schütze, Handbuch Kapitalanlagerecht, 3. Aufl. 2008, § 1 RdNr. 53 ff., § 3 RdNr. 3 ff., speziell zum „verständigen Anleger“ als Maßstab für die Prospekthaftung § 6 RdNr. 87. Vgl. aus der Rspr. EuGH GRUR Int. 1998, 798; ähnl. BGH NJW 1996, 2161 f. in Abkehr von seiner früheren Rspr.; allg. Horn, Europäisches Finanzmarktrecht, 2003, S. 57. 50 Keine zusätzliche Hilfe bei der Auslegung des § 3 verspricht der Hinweis in der amtl. Begr. auf den Adressatenkreis der Anlageangebote; vgl. BT-Drs. 16/12 818 S. 17. 51 Zu diesem traditionellen Anleihebegriff als „Anleihe i. e. S.“ Horn, ZHR 173 (2009), 17. 52 Zu den begrifflichen Abgrenzungen der Praxis, die nicht sehr stringent gehandhabt werden, Horn, a. a. O., S. 20 f. 53 Vgl. Birnbaum/Philipp, Bankrechtstag 2007, 2008, S. 77 ff. 54 Vgl. www.deutscher-derivate-verbnd.de. 48 49
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Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt
Es bleibt abzuwarten, ob das neue Transparenzgebot des § 3 SchVG diese Bemühungen dauerhaft anregt und notfalls die Gerichte hier trotz des reduzierten Schutzniveaus der Norm helfend eingreifen.
D. Zusammenfassung Das neue SchVG hat sein Hauptziel erreicht, den Emittenten von Anleihen, die deutschem Recht unterstehen, die Möglichkeit von Anpassungsregelungen zu eröffnen, wie sie heute auf internationalen Finanzmärkten üblich sind. Weitergehende Wünsche der Praxis nach Befreiung vom AGBRecht sind wenig realistisch und zur Förderung des deutschen Finanzplatzes nicht dringlich. Die von der Praxis erhobenen Befürchtungen hinsichtlich der Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Gläubigerversammlung sollten wegen der Möglichkeit des Freigabeverfahrens nach § 246a AktG und weiterer Bemühungen des Gesetzgebers um eine Beschleunigung (ARUG) nicht überbewertet werden. Das neue Organisationsrecht der Anleihegläubiger wird voraussichtlich nur im begrenzten Bereich der klassischen (kreditnahen) Anleihen i. e. S. Verwendung finden, kaum im Derivatemarkt. Das abgeschwächte Transparenzgebot des § 3 wird bei klassischen Anleihen keine Probleme aufwerfen, im Derivatemarkt möglicher Weise die Transparenz fördern.
II. Internationales Wirtschaftsprivatrecht und Währungsrecht 1. Grundlagen
A Uniform Approach to Eurobond Agreements 9 Law and Policy in International Business 753 (1977) Reprint in Spires, Aldi, Mitchell, Corporate Counsel’s Annual-1978, 1359–1386 (1978) INTRODUCTION The Eurobond market is a market for internationally issued and traded bonds. The market was created by European and U.S. banks in the 1960’s, when the United States capital market was closed to most foreign borrowers by the Interest Equalization Tax (IET1) (established in 1963 and suspended only in 19742) and when the international demand for capital far surpassed the supply in other national capital markets. It has since become a well-established market, despite fluctuations in the volume of new placements over the past 10 years. Today it forms part of a greater international financial market where short-term money and medium-term capital loans make up the bulk of the business.3 [1362]
THE EUROBOND MARKET. THE REMOVAL OF NATIONAL LEGAL BARRIERS The Eurobond market encompasses a great number of countries. As a consequence, the floating of and trading in Eurobonds require sophisticated techniques to overcome the barriers of the various national capital markets. These barriers include capital transfer restrictions and exchange controls, securities laws and regulations, and tax laws. While it is not the purpose of this article to describe in details those techniques employed in avoiding and complying with the respective national laws, a few words are in order to
Interest Equalization Tax Act of 1963, Pub.L. No. 88-563, 78 Stat. 809 (repealed 1976). On January 29, 1974, the rate of tax imposed under the Act was reduced to zero by Executive Order of President Nixon acting pursuant to I.R.C. 3 49111 (b)(2). Exec. Order No. 11.766, 39 Fed.Reg. 3807 (1974). 3 For a comprehensive description and analysis of the financial techniques, relevant capital market regulations, and various types of contracts on Eurobond loans, see N. Horn, Das Recht der internationalen Anleihen (1972). For a recent economic analysis, see Emanuel, The Expanding Eurobond Market, 13 Finance & Dev. 33 (1976). 1 2
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A Uniform Approach to Eurobond Agreements
explain how Eurobonds can be floated simultaneously in various countries as if an integrated capital market existed.4 Capital transfer and exchange controls may exclude certain countries from the Eurobond market. At the same time, tight exchange controls contribute to the accumulation of international flight capital in financial centers such as London, Zurich, or New York, and thus create an important source of capital invested in Eurobonds. Great Britain has traditionally protected its domestic capital market against foreign borrowers, but encourages banks and borrowers to use London as an entrepot for Eurobond loans.5 U.S. and German corporations have avoided capital transfer restrictions through the use of foreign and domestic subsidiaries, which borrow in the Eurobond market.6 In addition, national authorities sometimes confer a “transfer guarantee” or similar [1363] protection to hedge the repayments by the borrower against future Capital transfer restrictions.7 It would be difficult and expensive to meet the requirements of the various national securities laws and regulations simultaneously. Such provisions are avoided largely by non-public, semi-private offering and placing techniques and by selected and limited application for stock exchange listing.8 At the 4 See generally, N. Horn, supra note 3, at 23–100; Barriers to the Issuing and Trading of Foreign Bonds and Shares on the National Markets of Certain O.E.C.D Countries (Business and Industry Advisory Committee (BIAC) ed. 1969) (hereinafter cited as BIAC); European Economic Community Comm’m, The Development of a European Capital Market (1966). 5 Exchange Control Act, 1947, 10 & 11 Geo. 6, c.14; Bank of England, E.C. 7 (July 17, 1968). On the British system of exchange control, including capital transfer controls, see P. Jasinski, Régime juridique de la libre circulation des capitaux (1967). For a summary discussion of exchange controls, see J. Chown & R. Valentine, the International Bond Market in the 1960’s, at 86–94 (1968); P. Einzig, The Eurobond Market (rev. ed. 1969). 6 The flow of foreign capital into Germany was temporarily curbed by two measures under the Aussenwirtschaftsgesetz: restrictions on German corporations borrowing capital abroad (cash deposit of part of the money at the Federal Bank); and restrictions on purchases of Deutschemark denominated bonds by foreigners. Both measures could be avoided when a foreign based subsidiary issued the bonds. U.S. corporations could avoid the various restrictions on capital export by using either a foreign subsidiary for borrowing (and subsequent investing) abroad or a domestic subsidiary meeting the requirements of the Foreign Direct Investment Regulations, 15 C.F.R. §§ 1000–1050 (1974) (revoked 39 Fed. Reg. 86, 481 (1974)). These subsidiaries were also used to avoid the U.S. withholding tax on interest paid. 7 See, e.g. statement of the French Minister of Finance (February 15, 1971) assuring the convertibility and transfer of the proceeds needed for investment and repayment of the $20 million Eurobond loan of 1971–1986 by Caisse Nationale des Télécommunications. See also N. Horn, supra note 3, at 25; A. Jacquemont, L’Émission des emprunts Euroobliataires 335 (1976). 8 French and Belgian regulations, for example, apply only to public offerings. See Ordonnance No. 67-883, art. 6 I (France); Loi No. 66-537 du 24 juillet 1966 sur les sociétés commerciales, C. com. 907, art. 72 (France). See generally Mott, Foreign Bond Issues on European National Markets, 24 Bus. Law 1285 (1969). For Belgium, see D. Ponlot, Le
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same time, every Eurobond loan is listed on at least one stock exchange with international standing, such as those in London, Frankfurt, or New York, to win the confidence of prospective investors and to make the bonds eligible for purchase by certain institutional investors (e.g., insurance companies and mutual funds).9 As a rule, investors would avoid Eurobonds were the interest subject to any withholding tax. Eurobond issuers avoid such a tax either by obtaining a special exemption or by issuing the bonds through subsidiaries located in countries which do not impose such a tax.10 Traditionally, the United States has remained outside the placing market for Eurobonds, not only because of the now-suspended IET or for other tax reasons, but also because of the common desire of banks and borrowers to avoid the U.S. securities laws, particularly [1364] the Securities Act of 1933.11 Accordingly, the banks and dealers handling an initial offering or placing, or who deal in Eurobonds, refrain from selling them within the United States or to U.S. citizens or residents.12 It is not uncommon, however, to apply for subsequent listing at the New York Stock Exchange (NYSE) which renders the Securities Exchange Act of 1934 applicable.13 For many years, U.S. corporations have financed part of their overseas operations with Eurobond loans, and U.S. banks have played a very active part in the market.
Statut Légal des Banques et le Controle des Emissions de Titres et Valeurs 421–62 (1969). The regulations in most European countries focus particularly on the application for stock exchange listing. N. Horn, supra note 3, at 23–85. 9 See J. Chown & R. Valentine, supra note 5, at 66–67. 10 Holland does not impose a withholding tax; a special exemption may be obtained in France. For a summary of exemptions, see id. at 123–31; BIAC, vol. 1, supra note 4, at 31–39. The 30 percent U.S. withholding tax can be avoided by U.S. borrowers by using as the issuer either a foreign subsidiary or a U.S. subsidiary which qualifies as a “foreign source income company” under I.R.C. §§ 861(a)(1)(B), and 1441. German corporations avoid the German withholding tax (Kuponsteuer) by using a foreign subsidiary. 11 15 U.S.C. §§ 77a-77aa (1970). Generally, it would be difficult to coordinate the procedural requirements of filing with the Securities and Exchange Commission (SEC) under the Act with other organizational requirements of a Eurobond loan. In addition, some borrowers prefer to avoid exposure to disclosure duties and liabilities under the Act. 12 According to S.E.C. Release No. 4708 (July 9, 1964) the SEC considers an offering exempted if made under circumstances reasonably designed to preclude distribution or redistribution of the bonds within, or to nationals of, the United States. As the IET has been suspended, a new formulation of the SEC policy appears desirable. 13 As the IET no longer deters U.S. investors from buying Eurobonds, it is conceivable that at least those Eurobonds listed on the NYSE may be bought by U.S. investors in the secondary market. To this extent, the Eurobond market and the U.S. domestic market would merge. It is questionable whether this development is consistent with the SEC exemption mentioned in note 12 supra.
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UNIFORM LEGAL PATTERNS IN EUROBOND AGREMENTS This article concentrates on the law of contracts used in Eurobond loans. Eurobond agreements are here defined as all agreements used to create, underwrite and float Eurobonds. This comprises the underwriting agreement, the agreement among underwriters, and the selling group agreement as used in the typical Eurobond syndicate with its system of underwriters, managing underwriters, and selling group members. It further includes the terms of the loan as evidenced by the bonds and the agreements to define and secure the bondholder’s rights (e.g., guarantees and trust indentures). The Eurobond market has produced a common pattern of contracts and created a kind of internationally uniform legal language in accordance with the uniform financial techniques adopted. In other words, Eurobond contracts not only deal with international business transactions, but, in addition, display international legal characteristics important for their interpretation by courts and arbitrators. This uniformity is particularly conspicuous because [1365] Eurobond agreements derive from a multitude of non-uniform sources: borrowers originate in many parts of the world, contracts are drafted in different forms and written in different languages (mainly English, but also German and French); choice of law clauses link Eurobond contracts to a variety of municipal laws, and market participants may be from New York, London, Frankfurt, Luxembourg, Brussels, Paris, Amsterdam, or, more recently, from certain oil producing countries or Tokyo. The following description of the various types of contracts explains in greater detail the international legal elements of Eurobond contracts.14 Underwriting Agreements and Agreements among Underwriters Eurobond underwriting by banks is always by firm commitment. The contract concluded between the issuer and the underwriters is a purchase of bonds by the underwriting banks with a view towards reselling (placing) the bonds to investors. This is the common understanding of the international banking community active in the Eurobond market, despite the different techniques and legal understandings that some banks use in their domestic market.15 Accordingly, an issue of Eurobonds is not regarded as a loan in the 14 The description that follows is based on study of a great number of contacts. The contracts cited herein are intended only as examples. 15 Underwriting agreements drafted by U.S. lawyers for Eurobond as well as domestic bond issues use the term “purchase.” See, e.g., Underwriting Agreement with Fairchild Camera and Instrument International Finance N.V. on $20 million convertible debentures, 1976–91, art. 2 (Nov. 17, 1976) (hereinafter cited as Fairchild Agreement): “Purchase and Sale … the Company agrees to sell to each Underwriter, and each underwriter agrees, severally and not jointly, to purchase from the Company … the Securities.” German managing
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strict sense (as, for example, French legal literature on bond issues suggests16); nor is the underwriting merely a contract to guarantee the success of [1366] the issue. That notion, still found in British and French banking practice, has been abandoned in the Eurobond market.17 The contract is concluded on the day before the issue of the bonds begins, following negotiations and market tests by the banks. The final terms of the loan (i.e., issuing price and interest rate) are determined in the light of the prevailing market conditions. The date of performance of the principal mutual obligations is the closing date, scheduled five to fourteen days after the date of issue.18 On this day, the banks are required to pay the “purchase price” plus accrued interest for the total number of the bonds. The purchase price is the issuing price less commissions (gross spread); managers’ fees and out-of-pocket expenses are paid by the issuer.19 The issuer is required to deliver the bonds in either definite or temporary form.20 In addition, he must
banks use the same term (Kauf). See, e.g., Agreement with International Standard Electric Corp. on 100 million DM bonds, 1969–1984 (Aug. 25, 1969). Subscription agreements drafted in London have the same meaning. See, e.g., Agreement with Tyco International Finance N.V. on $25 million bonds, 1969–84 (Feb. 12, 1969). Compare the “engagement de garantie” with Renault on $20 million bonds, 1967–82 (July 18, 1967), with the “contrat de prise ferme” with Caisse Nationale des Télécommunications (Oct 24, 1967). The Luxembourg banks invariably follow the concept of firm commitment (prise ferme). On the wide acceptance of this pattern, see N. Horn, supra note 3, at 112–32. 16 J. Hamel & G. Lagarde, I Traité du droit commercial no. 548 (1966); G. van Hecke, Problèmes juridiques des emprunts internationaux 9–10 (2d ed. 1964); Bastian, Les obligations, V Jurisclasseur Sociétés 106 (1961–63).The French approach concentrates on the question of how the rights evidenced by the bonds are created. It tends to assume the use of underwriting techniques not involving firm commitment and disregards the contractual relationship between issuer and underwriting bank. The resultant doctrine leads to the conclusion that rights derived from the underwriting contract would vest in the bondholders. In the contracts, generally, this possibility is expressly excluded by a clause stating that no other person but the issuer and the underwriters shall acquire or have any right under or by virtue of the underwriting agreement. See, e.g., Fairchild Agreement, supra note 15, at 15. 17 On British underwriting techniques, see C. Schmitthoff, M. Kay, & G. Morse, I Palmer’s Company Law 231–37 (22d ed. 1961); L. Loss, I Securities Regulation 151–63 (2d. ed. 1961). On French underwriting, see J. Branger, II Traité d’économie bancaire 387 (1965). See also note 15, supra. 18 The specification of the closing date is a typical and important provision. See, e.g., Agreement with American Tobacco International Corp. on $50 million bonds, 1968–88 (Aug. 8, 1968). In addition, the banks may reserve the right to postpone the closing date for a short period. 19 Managers’ fees and certain expenses incurred by the banks may be reimbursed separately by the issuer (borrower); some are paid regardless of whether consummation or termination (described at note 23 infra) occurs. See, e.g., Fairchild Agreement, supra note 15, at 6. 20 Bonds in temporary form (scrip) are normally to be exchanged against definite bonds within 90 days. In lieu of temporary bonds, global bonds evidencing the whole loan have sometimes been used; the International Association of Bond Dealers, however, has urged
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furnish documents evidencing his legal status and that of any guarantor for the bonds, and certain permissions necessary for the issue.21 The risk distribution between the parties is defined in the standard clauses, the most important of which is the widely used, and generally uniform, emergency (force majeure) clause.22 It entitles [1367] the banks to stop the issue and to terminate the contract at any time between the issuing and the closing date if there is, in the opinion of the banks, a substantial change in the national or international financial, political, or economic conditions or exchange rates which is likely to prejudice the success of the proposed placing of the bonds.23 Here, again, the underwriting agreements for Eurobonds follow the same uniform legal pattern, although drafted in different wordings and languages and concluded under different choice of law clauses. The agreement among underwriters is a contract between banks which are to become parties to the same underwriting agreement with an issuer of bonds. In the agreement among underwriters, by which the syndicates of underwriting banks are formed, the uniformity described above is less obvious due to a variety, although limited, of organizational schemes. This variety of schemes can be reduced to two basic types, which themselves share a number of standard clauses and basic ideas. In the first, each underwriter negotiates his contract with the managing underwriter or underwriters who represent the entire group of underwriters in negotiations with the issuer. The second type involves British and French banks acting as managing underwriters. These banks sometimes adopt a two-stage organization by forming a separate group of sub-underwriters who assume part of the risk of the issue
discontinuance of this practice, as the dealers wish to deliver individual instruments to the investors at the outset. 21 The number and scope of documents to be produced and declarations to be made is not uniform. Agreements drafted by U.S. counsel tend to be more detailed than those by their European counterparts. 22 Two other risk-distribution clauses should be noted. An indemnification clause provides that the risk of liability for false or misleading statements in the prospectus be borne by the party who made the statement or caused it to be made. Another standard provision frees the issuer from responsibility with respect to the rights of underwriters to offer or sell bonds in any jurisdiction. See, e.g., Fairchild Agreement, supra note 15, at 11. 23 See, e.g., Underwriting Agreement with Chrysler Overseas Capital Corporation on $60 million bonds, 1968–88, art. 9 (May 1968). For an equivalent clause of European draftsmanship, see Agreement with SIMCA on $15 million bonds, 1967–82, art. 9 (Dec. 8, 1967): “les banques se réservent le droit de mettre fin à leur engagement avant la date prevue (closing date)….s’il survenait dans les conditions politiques, économiques ou financières, nationales ou internationales, un évenement qui, de leur avis, pourrait compromettre le succès de l’opération.” See also the U.S., British, French, and German clauses cited in N. Horn, supra note 3, at 128 n. 107.
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through an conditional purchase from the underwriters of those bonds which the underwriters are unable to sell.24 One seemingly contradictory arrangement is found in all these contracts: while the administrative powers are centralized and vested in the managers, risks are decentralized by spreading them among members of the syndicate. The managing underwriters coordinate he processes of negotiating, drafting and signing the [1368] various contracts between the other underwriters, with the members of the selling group, and finally, with the issuer. They lead and control the resale of the securities by determining time and manner of the offering,25 by monitoring the strict observation of the issuing conditions by the other underwriters (e.g., effective placement; no sale below the issuing price during the offering period), and, most significantly, by placing the bonds themselves on behalf of the other underwriters if they wish.26 In addition, the managers are entitled to undertake market-stabilizing measures such as repurchase of issued bonds in the market or over-allotment of bonds to the members of the syndicate.27 The risk of a failure in placing the bonds is spread among the underwriters in various ways.28 Underwriting by syndicates is itself a way of risk spreading, but other specific provisions are added to maintain the risk distribution. Accordingly, each underwriter obligates himself to the issuer severally, and
24 See, e.g., Subscription Agreement Between Rothchild & Sons and Nine other Banks on several bond issues by Transalpine Finance Holding S.A., Luxembourg, art. 8 (Feb. 2, 1966) (hereinafter cited as Transalpine Agreement). 25 See, e.g., Agreement Among Underwriters on the Issue by American Tobacco of $50 million Eurobonds, 1968–88, art. 11: “We (underwriters) authorize you to act as Manager of the offering …. And to take such action as may seem advisable to you…We authorize you, in your discretion, to determine the time and manner of offering….Advertisement of the offering will be made only by you.” Similar provisions are familiar to agreements on U.S. domestic issues. They are used also in Eurobond agreements drafted in Europe. See, e.g. Agreement on the issue by Electricité de France of 30$ million bonds 1967–79, art. 6 (Jan. 20, 1967). 26 The right of the managers to reserve the bonds and sell them centrally (“out of the pot”) is a common U.S practice, described in United States v. Morgan, 118 F. Supp. 621 (S.D.N.Y. 1953), and accepted by the Eurobond market. See, e.g., Agreement among Underwriters on Issue by Quebec Hydroelectric Commission of $20 million bonds, 1969–74, art. 3 (Oct. 6, 1969). 27 This right, standard in Eurobond agreements drafted by U.S. counsel, can also be found in some European sub-underwriting agreements. See, e.g., Electricité de France Agreement, supra note 25. As a rule, however, the underwriter is liable for effective placement and must compensate the managers for bonds placed by him and subsequently repurchased by the managers during the offering period. See, e.g., Agreement Among Underwriters on the Issue by Asian Development Bank of 60 million DM bonds, 1969–84, art. 4 (Sept. 2, 1969). 28 All the banks are partially protected from the risk of a failure by the force majeure clause. See text accompanying notes 22–23 supra.
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not jointly, with respect to his portion of the bonds.29 Each agrees to take up additional bonds sold to defaulting underwriters; however, this obligation is normally limited to 10 percent of the primary obligation.30 As it would [1369] be extremely difficult for the managers of an internationally floated bond issue to comply with all local laws that could be significant in placing the bonds, each underwriter must himself make certain that he has “the right to sell the bonds in various jurisdictions”.31 A joint and several undertaking of the underwriters can be found only in in the two-staged syndicates mentioned above, which are managed through an additional group of sub-underwriters; this group provides the desired risk spread. Risk spreading is the main purpose of the agreements among underwriters and the less common sub-underwriting agreements. The actual placing of the bonds is usually done through a special selling group, whose members undertake to purchase part of the bonds from the underwriters and to place them with investors in compliance with the terms and conditions of the offering. In addition, selected dealers may be engaged in placing the bonds through standard “selected dealers” contracts. The uniformity that prevails in Eurobond contracts may be traced to the use of identical organizational techniques. The techniques are primarily those of the New York and London banks and issuing houses. Yet it would not be correct to identify these patterns completely with those used in their respective domestic markets. In what ways, one must ask, is the uniformity of Eurobond contracts impaired by the various municipal laws governing the contracts? Under virtually all of the municipal laws, agreements among underwriters could be analyzed as partnership contracts or joint venture agreements.32 In the majority of cases, this would lead to unwanted legal consequences, such
29 See, e.g., Fairchild Agreement, supra note 15. A joint and several undertaking of the underwriters can be found in some two-staged syndicates managed by European banks, in which an additional group of sub-underwriters provides the desired risk spread. See, e.g., Transalpine Agreement, supra note 24. 30 See, e.g., Fairchild Agreement, supra note 15. 31 The necessary guarantees are found both in the underwriting agreement, see, e.g., id.; and in the agreement among underwriters, see, e.g., Agreement on the issue by Chesebrough-Pond’s International Capital Corporation of $25 million bonds, 1969–84, art. 16 (Dec. 25, 1969). 32 For the United States, see N. Lattin, R. Jennings, & R. Buxbaum, Corporations. Cases and Materials, 35–37 (4th ed. 1968). For Great Britain, see Partnership Act 1890, 53&54 Vict., c.39, § 1; J. Daynes, Partnerhip, in 28 Halsbury’s Laws of England 483–87 (3d ed. C. Simmonds 1954). For France, see Loi No. 66-537, supra note 8, arts. 138–40 (concerning société en participation). For West Germany, see BGB § 705 (BGB-Gesellschaft); B. Steinrücke & H. Scholze, Das Konsortialgeschäft der deutschen Banken 17–31 (1956) But see materials cited in notes 33 & 34 infra. For an analysis of the various municipal laws, see N. Horn, supra note 3, at 175–196.
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as joint liability among the underwriters. Therefore, in the unsual case joint liability or, even [1370] more generally, establishment of a partnership or similar business entity is expressly excluded by the contract.33 U.S. court have recognized that not every syndicate is a partnership.34 Under European laws, the syndicate may still fall within the definition of partnership or association, but a relaxed definition of those relationships often excludes the concept of joint liability.35 There is a tendency to avoid the partnership pattern in the majority of the contracts, a choice permitted by municipal laws. Only under the special circumstances in which a partnership is chosen, a few mandatory provisions of municipal partnership law must be taken into account.36 In the many other cases, where a partnership is excluded, the close cooperation of the banks established by the agreement among underwriters, nevertheless leads to the conclusion that the mutual obligations have to be construed as bona fide obligations similar to those of a partnership. The Conditions of the Loan Eurobonds are bearer-bonds and, as such, are negotiable instruments.37 Market participants do not feel that there are significant legal differences among municipal laws governing the bonds through choice-of-law clauses. The Association of International Bond Dealers has made recommendations to issuing houses regarding early delivery of bonds and similar technical questions, but has found no need to deal with possible differences in municipal law relating to negotiable instruments. Institutions which offer transfer and clearance services to participants of the Euro- [1371] market – Euroclear
33 U.S.-drafted Eurobond agreements among underwriters invariably contain a provision stating: “Nothing herein or in the Purchase (underwriting) Agreement shall constitute the several Underwriters partners…. the obligations of each of the Underwriters are several in accordance with their respective interests and are not joint.” Agreement on the issue by the City of Oslo of $15 million bonds, 1970–85, art. 5 (Apr. 1970); see also Agreements cited in note 15 supra. Agreements used by German banks do not flatly exclude partnership, but do exclude its most important consequences under German private law: co-ownership and joint liability. See, e.g., Asian Development Bank Agreement supra note 27, art. 1. 34 E.g., Commissioner v. N.B. Whitcomb Coca-Cola Syndicate, 95 F. 2d 596, 598 (5th Cir. 1938): relationship must be ascertained by examining the agreement. 35 Only in the two-staged organizations is the agreement among underwriters occasionally drafted as a partnership agreement with joint liability. Here, municipal law must be observed. In England, for instance, a banking partnership must not be composed of more than 10 members. Companies Act, 1948, 11 & 12 c.38 §§ 429, 434(1). 36 See note 35 supra. 37 In a few cases, however, the investor has been offered an option to purchase registered bonds. See, e.g., Agreement with Consorzio di Credito per le Opere Publiche on $50 million bonds, 1970–90 (Dec. 16, 1969).
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in Brussels and CEDEL in Luxembourg38 – have not found the existing differences to be serious legal obstacles. It is too early to suppose that there already exists a uniform transnational law of negotiable instruments, and it would not be wise to float bonds as negotiable instruments outside the framework of a specific municipal law. Two important factors do, however, suggest a practical uniformity in this area. Firstly, the market requires that bonds be negotiable to the bearer; investors would not be satisfied with registered bonds or similar instruments.39 Secondly, the laws of both common law and civil law countries, referred to in choice of law clauses, not only follow a largely uniform concept of bonds and debentures as debt securities,40 but also incorporate similar basic rules on the creation and transfer of the rights evidenced by such bearer instruments. The differences which remain are usually doctrinal, for example, the question of whether the delivery necessary for transfer requires an accompanying contract. Other differences are of practical importance, as on the extent to which a bona fide purchaser of lost or stolen instruments is protected.41 The terms of Eurobond loans and the rights of the bondholders (evidenced by the bonds) exhibit a striking uniformity, with differences [1372] only as to the financial terms of the agreement.42 Sinking funds are widely used to
See N. Horn, supra note 3, at 243–46. But see note 37 supra. 40 For a comparative study of securities laws in Europe and the United States, see Institut d’Études euro-péennes, Université libre de Bruxelles, Le Régime juridique des titres de sociétés en Europe et aux Etats-Unis (1970). See also N. Horn, supra note 3, at 222–42. 41 German, Italian, and Swiss law require that delivery be accompanied by a contract (Begebungsvertrag); this is not the case under the law of France or the common law countries. A further difference is found between civil law and common law in the concept of bona fides. On the creation and transfer of bearer bonds in the United States, see U.C.C. §§ 8-301(purchase), I-201(14) (delivery), 8-202 and 8-406 (authentication), and 9-306(1) and 8-202(1), (4) (rights of acquirer); in Great Britain, see Betschuanaland Exploration Co v. London Trading Bank (1898) 2 Q.B. 658, 668–679; M. Cohen and R. Walton, Companies, in 6 Halsbury’s Laws of England 481 (3d ed. C. Simonds 1954); R. Pennington, Company Law 367–71 (3d ed. 1973); for West Germany, see BGB §§ 793–808a; Staudinger/Müller, BGB. Kommentar, § 793 no. 6, 10; § 794 no. 16; § 796 no. 3 (11th ed. 1954); for France, see Loi no. 66-537, supra note 8, art. 265; C. civ. arts 1130–1133, 2279, 2280; G.Ripert & R. Roblot, Traité élémentaire du droit commercial §§ 1748–52 (5th ed. 1963); R. Dalloz, IV Nouveau Répertoire de droit, Valeurs Mobiliers nos. 205–10 (2d ed. 1965); for Switzerland, see OR arts. 965, 967, 979; ZGB art. 935; P. Jaggi, V7a Kommentar zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch arts. 965 note 60, 967 note 169–74, 979 note 97 (1959). See also N. Horn, supra note 3, at 221–42. 42 Financial terms include issuance prices, interest rates, loan date, and redemption schedule. 38 39
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secure redemption and to stabilize the secondary market.43 The borrower (issuer) is sometimes entitled to make premature repayment.44 Typically, the claims of the bondholders are secured only by guarantees and the “negative pledge”.45 The guarantee is employed in cases where a subsidiary issues the bonds to circumvent local obstacles such as tax laws and capital transfer restrictions.46 Here, the parent’s guarantee provides the credit standing necessary for the issue.47 The structure of the guarantee provisions is, again, rather uniform in spite of the variety of applicable laws. The guarantee is always given “unconditionally and irrevocably,”48 and proceedings against the issuer are no condition precedent.49 Some of the [1373] undertakings of the guarantor may, under the applicable law, be qualified as independent obligations; others, as
43 See, e.g., Agreement with Caisse Nationale des Télécommunications on $20 million bonds, 1971–86, art. 7; Agreement on the issue by Republic of Mexico of 100 million DM bonds, 1968–80, para. 3. On the common law practice of sinking funds, see L. Jones, II The law of Bonds and Bonded Securities, ch. 25, § 758 (4th ed. 1935); P. Nash, J. Denny, and A. Connelly, The Regulation of the Issuance and Distribution of Corporate Securities in the United States, in Le Régime juridique, supra note 40, at 29. 44 An optional redemption arrangement enables the issuer to free himself from the burden of high interest rates when market conditions change. Since the arrangement is disadvantageous to the investor, the terms of the loan normally provide that the right be exercisable only after some years. See Agreement with City of Kobe on 100 million DM, 1968–83, para 4. 45 See text accompanying note 51 infra. 46 See text accompanying notes 4–13 supra. 47 See, e.g., Fairchild Agreement, supra note 15, at 24. There, the company was a whollyowned subsidiary of Fairchild Camera and Instrument Corporation. The parent company guaranteed the payment and the (optional) conversion of the bonds into its common stock. 48 See, e.g., Trust Indenture with Beecham International Holdings S.A. on $15 million bonds, 1966–81, art. 3 (July 15, 1966. “Beecham (parent) hereby irrevocably and unconditionally guarantees to the Trustee the due and prompt payment by the Company (issuer).” The same undertaking is contained in Conditions of the Loan, art.8. The guarantees are sometimes declared in the conditions of the loan which are printed on the bonds; sometimes they are mentioned only there. U.S. guarantors sometimes authenticate the bonds; but see U.C.C. § 8-201 (2) (a guarantor is an issuer to the extent of his guarantee, whether or not his obligation is noted on the security). If there is a trust indenture, the declaration of the guarantee in the debenture for the benefit of the bondholder may be sufficient. The same is true under the civil law concept of a contract with the managing bank for the benefit of the bondholders. This concept is unknown in British common law. Beswick v. Beswick (1968) A.C. 58, 85–87; Green v. Russell (1959) 2 Q.B. 226, 240, 249; Dunlop Pneumatic Tyre Co. v. Selfridge & Co (1915) A.C. 847, 853. 49 Under German law, this follows from the concept of Garantie as distinct from Bürgschaft (surety), and from the clauses used by German counsel in loan guarantees. U.S. lawyers use an express waiver by the guarantor. See, e.g., Chesebrough-Pond’s Agreement, supra 31, § 2.05.
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collateral. There is, however, a general tendency to keep them, as far as possible, independent of the primary obligation of the issuer.50 The “negative pledge” is a frequently used standard clause by which the issuer promises not to create any mortgage, charge, lien, or other surety without giving the benefit thereof equally to the bondholders.51 It is often accompanied by a pari passu clause covenanting to refrain from obtaining another loan which would constitute a senior debt with respect to the present obligation.52 The lack of more solid and palpable additional sureties is a result of past adverse experience, when mortgages, liens, and similar sureties given in international loans turned out to be virtually worthless on default.53 The present international practice in the Eurobond market, as well as for other (direct) international loans,54 also reflects the unwillingness of the parties to link a loan too closely with a set of mandatory municipal law rules applicable as the lex rei sitae of a mortgage or similar surety on tangible assets. The close link with municipal law cannot be avoided in cases where the bondholders obtain a conversion right or a purchase warrant for the shares of the company in order to guarantee the loan. These rights can only be created under the law [1374] governing the respective corporation as lex societatis.55 Certain provisions consistently appear irrespective of governing law. One provision confers the power to exercise the conversion or purchase right at any time of the loan.56 While most municipal corporation laws recognize the 50 Under German law, a Garantie is a primary obligation, not mentioned in the Civil Code. Despite the “unconditional and irrevocable” formula, the guarantee will normally qualify as “collateral” under common law; see Chitty, I Contracts § 973 (23d ed. 1968); A. Corbin, Contracts § 351 (1950); L. Jones, supra note 43, ch. 26 § 770. 51 See, e.g., Agreement with Siemens Western Finance N.V on $40 million bonds, 1969– 79, art.8; Agreement with Watney Mann International Finance on $12 million Units of Account bonds, 1969–84, at 14(b), Prospectus at 7 (May 29, 1969). On negative pledges, see. R. Pennington, supra note 41, at 366; G. Delaume, Legal Aspects of International Lending and Economic Development financing 251–55 (1967). Delaume, however, makes no distinction between the negative pledge clause and the “pari passsu” clause, discussed in the following. 52 See, e.g., Sirva-Kvina Krasftselskab Agreement on six million FF bonds, 1968–88, Trust Deed art. 7 (Feb. 22, 1968). Other bond offerings clearly state that the loan is already a subordinated debt. See, e.g. Fairchild Agreement, supra note 15. 53 See generally E. Borchard & W. Wynne, 1 State Insolvency and Foreign Bondholders 7 (1951); S. Quindry, 2 Bonds and Bondholders § 616 at 136 (1934); G. van Hecke, supra note 16, at 254–58; Committee for the Study of International Loan Contracts, League of Nations, Report to the Council and Members of the League 16, Doc. No. C 145M93 (1939) (hereinafter cited as League of Nations Report). 54 See generally G. Delaume, supra note 51, at 215. 55 See N. Horn, supra note 3, at 316; Y. Loussouarn & J. Bredin, Droit de commerce international 373 (1969). 56 See, e.g., Beecham Agreement, supra note 48, art. 10(a). Here, again, the Eurobond market follows U.S. practice, as the purchase right must not be exercised for a certain period of time after the primary offering.
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issue of convertible bonds,57 some restrict the time and manner of conversion.58 Under the influence of the Eurobond market, French corporation law has recently been amended in order to make conversion of bonds possible at any time.59 It is of the essence in a convertible bond that the conversion price be fixed in advance to give the investor a speculative incentive. In addition, anti-dilution provisions are incorporated. All this is reflected in standard clauses which, although varying in phrasing and detail, do not vary in substance within the Euromarket.60 As with other areas of international capital movements, the Eurobond market has witnessed a concern among investors about monetary instability (devaluation, revaluation, and movements of floating exchange rates). Only stable or relatively stable currencies have been chosen for the denomination of bonds, and a variety of currency clauses allocating the monetary risks among parties have been developed.61 In general, such clauses are respected by the monetary laws of most Western industrialized countries. The clauses are carefully drafted to provide a complete lex contractus on monetary risks. Gold clauses are not used. [1375] Representation of Bondholders Defaults on many international loans during the Great Depression demonstrated the then precarious position of individual bondholders and led to the formation of bondholders’ protective committees and, in some cases, legislative measures.62 Finding effective means of bondholders’ representation is still a matter of great concern today. Some Eurobond loans provide for nothing more than a paying agent, technically the minimum requirement for the payment of interest and redemption. Municipal laws dealing with the organi See generally, J. Heenen, Le Régime juridique, supra note 40, at 623. The concept of authorized unissued capital is not found in the civil law countries with the exception of Holland and, in a way, Germany. See B. Glansdorff, Le Régime juridique, supra note 40, at 389. Section 192 of the German Stock Corporation Act of 1965 provides for a conditional capital increase which, however, does not apply to bond issues by subsidiaries. Here, capital authorized for five years under § 202 mustcan be used. See N. Horn, Le Régime juridique, supra note 40, at 273. 59 Loi No. 69-12 du 6 janvier 1969, art. 195 (amending Loi No. 66-537, supra note 8). 60 On anti-dilution provisions for Eurobonds, see P. Dequesne, Les Euro-obligations – Eurobonds (Institut de Relations Internationales, Université de Dijon ed., 1972); N. Horn, supra note 3, at 312. 61 For a recent survey of value maintenance techniques applied in Eurobond loans, see N.Horn (ed.) Monetäre Probleme im internationalen Handel und Kapitalverkehr (1976) at 143. See also N. Horn, supra note 3, at 259. 62 See Ronald, National Organizations for the Protection of Holders of Foreign Bonds, 3 Geo.Wash. l. Rev. 411 (1935). See generally E. Borchard & W. Wynne, supra note 53, at 157–59, 226–27; I L. Loss, Securities Regulation 353–58 (2d ed. 1961); S. Quindry, supra note 53, §§ 628, 662, 671–72. 57 58
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zation and protection of bondholders normally do not apply to internationally floated bond loans.63 Many banks active in the Eurobond market, however, recognizing the need for an effective organization of bondholders, have included in their Eurobond loan agreements a contractual provision on the organization of a bondholders’ representation. There are two schemes widely used: A trustee for the bondholders and an association of bondholders. The use of a trustee for bondholders has a long tradition in the common law countries, and the Eurobond market has widely adopted the common law pattern. Most of the trust indentures are governed by the law of the United Kingdom or of a U.S. State.64 (The U.S. Trust Indenture Act of 1939 is normally not applicable.65) Civil law countries are not familiar with the common law concept of trust.66 Nevertheless, trust patterns have also been adopted by continental European banks under Dutch, Swiss, and Luxembourgian law.67 [1376] The export of the trust scheme into an entirely different legal environment is remarkable, but it is not as dramatic as it might appear at first sight. The bondholders’ trust lies at the margin of the common law concept of trust relationships and its structure is not totally incompatible with certain civil law concepts. In the absence of mortgages and similar sureties for the loans, the res held by the trustee is primarily his power to exercise some of the bondholders’ rights as creditors, especially the right to sue in case of default in his own name, but for the common benefit of all bondholders.68 This flexible and extended power to represent the bondholders is a concept well known in civil law systems. It is interesting that Luxembourg, one of the centers of Eurobond market activities, has enacted a law69 establishing a special institution called représentant fiduciaire which exactly reflects this concept of broad powers of representation.70 The law, passed in 1972, was the immediate consequence of the 63 Neither the Trust Indenture Act of 1939, 15 U.S.C. §§ 77aaa–77bbb (1970) nor the Securities Act of 1933, 15 U.S.C. §§ 77a–77aa (1970), apply to Eurobonds. See S.E.C. Release, supra note 12. 64 See, e.g., for New York law, Fairchild Agreement, supra note 15; for English law, Beecham Agreement, supra note 48. 65 See note 63 and N. Horn, supra note 3, at 421. 66 See C. de Wulf, The Trust and Corresponding Institutions in the Civil Law 7–10 (1965); H. Kötz, Trust und Treuhand (1963); F. Weiser, Trusts on the Continent of Europe (1936). 67 See, e.g., for Switzerland, Trust Indenture with Alusuisse International N.V. on § 60 million bonds, § 11.08 (Mar. 1, 1969); for Holland, Trust Deed with Algemene Kunstzijde Unie N.V. on $50 million bonds (Feb. 18, 1969); for Luxembourg, Trust Indenture with the Reed Paper Group, Ltd., on 12 million EUA bonds (Oct. 7, 1968). 68 See generally Palmer, Trusteeship under the Trust Indenture Act, 41 Colum. L. Rev. 193, 196 (1941). 69 Arreté Grand Ducal Concernant la Représentation Fiduciaire (Lux. Dec. 22, 1972). 70 See G.Delaume, I Transnational Contracts § 5.02 (1976).
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Four Seasons case.71 Four Seasons had issued a Eurobond loan under a trust indenture governed by Luxembourg law. When the trustee tried to exercise the rights of the bondholders in a bankruptcy proceeding in Luxembourg, the court refused to allow the trustee to act on behalf of the bondholders. The court noted that such representation caused technical problems under Luxembourg bankruptcy law and was unknown to Luxembourg company law.72 In addition, the court regarded the whole concept of trust as inconsistent with a civil law system. The Luxembourg legislation removes these essentially formal obstacles and recognizes a legal scheme internationally used in the Eurobond market. Even though the drafting and the details of the provisions in the various trust indentures vary according to the nationality of the banks and the lawyers involved, they evince the same basic structural patterns. The essential provision grants the trustee power to represent the bondholders under precisely defined circumstances. It is invariably accompanied by a “no action clause” preventing the [1377] bondholders from exercising their respective rights concurrently with the trustee.73 Although the powers and duties of the trustee are generally the same in all indentures, there is one exception: Geman banks sometimes provide for a Treuhaender, who is to represent the bondholders in case additional security is later given pursuant to a negative pledge.74 This representative, who has few functions and obligations, is misleadingly referred to as the “trustee” in English translations of the prospectus and conditions of the loan.75 A more effective alternative to the trust concept is the formation of a bondholders’ association where each investor becomes a member upon acquisition of a bond.76 This scheme has been used in France for many years, but has been supplanted under the provisions of the new French Companies Act of 196677 by the masse des obligataires, an organization of all bondholders of 71 Judgement of Jan. 21, 1971, Tribunal d’Arrondissement de Luxembourg, Faillite No. 21/1970, reprinted in Revue critique de droit international privé (R.C.D.I.P.) 51 (1973). For a discussion of the Four Seasons case, see N. Horn, supra note 3, at 395. 72 Loi concernant le régime des sociétés commerciales, art. 88 (Lux. Aug. 10, 1915). 73 This clause is found in all indentures. See, e.g., Fairchild Agreement, supra note 15; Beecham Agreement, supra note 48. 74 See, e.g., Agreement with Tenneco International N.V. on 100 million DM bonds, 1968–83. It should be noted, however, that a number of Eurobond loans issued by U.S. corporations or their subsidiaries and managed by U.S. banks, do not provide for a trustee but only for a fiscal (paying) agent. 75 C. Gunston & C. Corner, German-English Glossary of Financial and Economic Terms (6th ed. 1972). Although the translation is technically accurate, the German Treuhaender performs fewer functions than his U.S. counterpart. 76 Société Civile des Propriétaires d’obligations 6 ³/4 percent, 1967–82, de la Régie Nationale des Usines Renault. Bondholders’ associations a regulated in France by Loi No. 66-537, supra note 8, art. 293 as amended by Loi No. 69-12 du 6 janvier 1969, art. 12. 77 Loi No. 66-537, supra note 8.
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a single issue. When it had become apparent that the scheme of masse des obligataires would not meet the requirements of Eurobond loans, the legislature restricted the application of the law to domestic loans in 1967.78 This enabled French managing underwriters to adopt the old société des obligataires scheme. Here again, national legislation has recognized the needs of an international market. As both the trustee and the société device deal with identical problemes of protecting Eurobond investors, and as there is a constant interchange of experience within the international banking community, it is not surprising to find provisions in the charter of a société similar to those of a trust indenture. For instance, a “no action clause” can also be found in the charter of a société, and in [1378] both types of contracts similar provisions deal with bondholders’ meeting, voting procedures (quorum), and minority rights.79
THE IMPACT OF MUNICIPAL LAW AND THE FUNCTION OF CHOICE OF LAW CLAUSES Freedom of Contract and Choice of Law As most of today’s national laws allow the parties, at least in international business transactions, to select the law governing their agreement freely,80 Eurobond contracts normally contain an express choice of law clause. The law of the managing underwriter is normally chosen in the underwriting agreement, agreement among underwriters, and selling group agreement.81 For the bonds (conditions of the loan) and the guarantee, the law of the managing underwriter or issuer, or the law of the currency in which the loan is denominated, may be selected.82 The same national links influence the choice of law for trust indentures and for a société des obligataires; here, the chosen law is normally that which governs the loan, and only institutions substantially governed by the same law are invited to act as trustee or as representative for the société.83 Sometimes, however, neither the law of the managers Id. Art. 339, as amended by Loi No. 67-559 du 12 Juillet 1967, art. 25. N. Horn, supra note 3, at 431. 80 See generally id. at 482; Y. Loussouarn & J. Bredin, supra note 55, at 592; Schmitthoff, Conflict Avoidance in Practice and Theory, 21 Law & Contemp. Problems 429 (1956); The Sources of the Law of International Trade 3 (C. Schmitthoff ed. 1964). 81 See, e.g., Chesebrough-Pond’s Agreement, supra note 31, art. 15; Underwriting Agreement between Quebec Hydro-Electric Commission and Westdeutsche Landesbank (as leading manager) on 150 million DM bonds, 1969–84, art. 15(1) (Jan. 14, 1969). See also N. Horn, supra note 3, at 105, 146, 202. 82 For examples, see Delaume, Choice of Law and Forum Clauses in Euro-Bonds, 11 Colum.J. Transnat’l L. 240, 241–43 (1972); N. Horn, supra note 3, at 220. 83 See, e.g., Fairchild Agreement, supra note 15; Beecham Agreement, supra note 48. 78 79
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nor that of the issuer, but rather a “neutral” law, is chosen.84 It is indeed difficult to enunciate generally applicable rules for choice of law clauses in Eurobond contracts85 considering that traditional conflict of law rules do not apply.86 [1379] The Function of Choice of Law Clauses Is it correct to conclude from the described choice of law clauses practice that Eurobond agreements, “notwithstanding their transnational setting and implications, remain in the mind (sic) of participants deeply rooted in national legal systems?”87 There are persuasive reasons to believe that this is not correct. There is a widespread feeling among lawyers experienced with Eurobond contracts that the contracts follow internationally recognized uniform legal patterns.88 This feeling may be less marked among U.S. and British lawyers, because U.S. and British practice has strongly influenced the legal techniques used in the international market. These lawyers, therefore, see few differences from their domestic practice. Lawyers from continental Europe or other parts of the world may be more sensitive to the existence of international legal techniques different from those used in their respective domestic markets.89 Notwithstanding these nuances, the existence of a common legal language expressing basic understandings in the international bond market is generally recognized.90 The parties to Eurobond contracts seek to make their contractual provisions as complete and comprehensive as possible. In the majority of cases, they do not prefer to have their relationship regulated by a specific municipal law, believing that these laws “fall short of supplying a definite answer to the Euro-financial community.”91 The parties may even display a lack of
84 See, e.g., Subscription Agreement between Consorzio de Credito per le Opere Publiche and Banca Commerciale Italiana (as leading manager) on $50 million bonds, 1970–90, art. 14 (Dec. 16, 1969) (law of Luxembourg); Underwriting Agreement between Highveld Steel and Vanadium Corporation, Ltd., and Banque de Paris et des Pays-Bas (as manager) on $20 miliion bonds, 1967–79, art. 7, para. 13 (Apr. 1967) (law of Switzerland). 85 See Delaume, supra note 82, at 240. 86 The traditional conflict of laws rule for foreign bond issues confined to one foreign national market is that the law of that market should prevail. See generally G. van Hecke, supra note 16, at 73. This rule has no applicability to Eurobonds, which are floated in many markets. 87 Delaume, supra note 82, at 265. 88 See id., at 241. 89 See id., at 248. 90 See id., at 241. 91 Id., at 265.
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interest in the law chosen. This attitude is evidenced by cases where contracts between the same issuer and the underwriting group concluded in the same year on two different Eurobond loans contain different chaice of law clauses,92 as well as by the choice of a “neutral” law governing the agreement. This leads to the conclusion that the choice of law clauses have primarily the negative function of conflict avoidance. The parties wish protection against the application of an unforeseen national law that may accidentally come into play in an unknown arena [1380] by operation of vague conflictof-law rules. Furthermore, the parties wish to avoid any doubt as to the validity of the contracts, as there is still a widely recognized, although not unchallenged, theory that contracts of private parties cannot be concluded outside a specific municipal law.93 The Impact of Municipal Law Many provisions of national law whose application cannot be limited by the contracting parties, such as exchange controls, securities regulations, tax codes, and monetary laws, strongly influence the legal and organizational techniques of Eurobond transactions and define the scope of the Eurobond market. On the other hand, it was the private initiative of banks and enterprises, and their exercise of freedom of contract, which created the Eurobond market by removing national legal barriers described previously.94 It should also be noted that national legislatures and executives, on occasion, have taken steps to avoid suffocating this new capital market, providing a number of exemptions.95 Here, again, the French and Luxembourgian legislation described above96 indicate a legislative willingness to widen the scope of freedom of contract, traditionally limited in the domestic bond area, to enable the parties to participate in the Eurobond market. Municipal laws have little direct influence on the contents of Eurobond contracts, as these laws do not deal with the specific needs of the Eurobond market. We find, instead, a law of contracts, or at least an international contractual practice, created by the parties. Municipal laws, however, remain relevant to this international practice in another less direct way. If, for example, the parties use the trust concept for the protection of bondholders in order to See, e.g., Agreements with Chrysler Overseas Capital Corp. on § 60 million bonds, 1968–88, and on $25 million bonds, 1969–84 (both managed by White Weld & Co. and S.G. Warburg). The first loan is governed by New York law, the second by English law. 93 See generally League of Nations Report, supra note 53, at 24. 94 See text accompanying notes 4–13 supra. 95 See notes 10–13 supra and accompanying text. See, generally, Bross, A United States Borrower in the Eurobond Market – A Lawyers Point of View, 34 Law & Contemp. Prob. 172 (1969). 96 See notes 72 and 77 supra. 92
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win the confidence of investors, the idea of fiduciary duties for the benefit of the bondholders will be present implicitly97 no matter how little the indenture may say in this [1381] respect, and even if a continental European law is to govern the contract. Generally speaking, if the Eurobond market employs a certain legal pattern taken from a municipal law, the basic philosophy and the standards of ethics developed by this law must be taken into consideration in the interpretation and construction of the contract.
THE TRANSNATIONAL LAW OF EUROBOND AGREEMENTS: International Practice and Usages and Some Rules of Interpretation To speak of uniformity or similarity among Eurobond agreements is not merely to describe them in a convenient way. Uniformity has legal consequences because it reflects a common basis for these contracts: an emerging transnational law of contracts in the specific area of Eurobond loans.98 The development of such a transnational commercial law can be explained by the uniformity of the needs of the market and the demands of the investors, by the uniformity of the financial techniques used, and by the common understanding of the legal aspects of Eurobond loans among the international community of banks and investors active in the Eurobond market. The theoretical concept of a uniform transnational law of contracts is not intended to eliminate, but rather to complement, the traditional concept of an international legal order, according to which every contract concluded between citizens of different countries is governed by a specific municipal law, according to the rules of private international law.99 The transnational approach is a means of interpreting and construing Eurobond contracts in accordance with their terms and the customs and usages of the international Eurobond market without denying that those contracts are still governed by a specific municipal law. This approach takes the international character of the transaction into account as well as the development of a common legal language and well established customs and usages. Parties to Eurobond contracts seem to recognize this by inserting the following clauses: [1382] 97 See generally Rabinowitz v. Kaiser-Frazer Corp, 302 N.Y. 892, 111 N.Y.S.D. 2d 539 (1952); W. Cary, Cases and Materials on Corporations 1262–64 (4th ed. 1969); G. Keeton & L. Sheridan, The Law of Trusts 236–328, 375–83 (10th ed. 1974). 98 See N. Horn, supra note 3, at 497, 521; A. Jacquemont, supra note 7, at 179–83; Kahn, Lex Mercatoria et Euro-obligations, Law & Int’l Trade 215 (1973). See generally Delaume, supra note 82. 99 See Schmitthoff, supra note 80, at 457.
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Those conditions not explicitly mentioned will, in case of need, be supplemented by the usages of the international market in regard to issues of bonds and shares. Failing this, the provisions of French law will be applicable.100 These terms and conditions shall be binding on all parties. Subject thereto, all matters concerning the issue shall be settled in accordance with international practice concerning issues of Bonds on the international market; should such practice in any case prove unsufficient, the Law of the Republic of France shall govern all disputes arising out of the Bonds.101
These clauses indicate three rules of interpretation and the sequence in which they are to be applied. This set of rules should be observed in the interpretation of every Eurobond contract. In the first place, interpretation has to respect freedom of contract; this includes respect for the parties’ intention to make their agreement as complete as possible and to avoid the application of legal provisions they did not foresee as much as possible. In the second place, the customs and usages of the international market must be considered. Finally, the applicable municipal law should be consulted only when the two first approaches fail. It is not possible to discuss within the limited scope of this article all possible general rules of interpretation which can come into play, or to find out the extent to which one can already speak generally of a common international understanding of contract interpretation.102 However, the legal implications of the second rule must be determined, i.e. what is the legal effect of the prevalence of such customs and usages in international commerce? Here, again, it is unwise to offer an overly abstract theory of customs and usages and their legal application. We must consider instead their practical use. [1383] How Interpretation Works One can distinguish three functions of custom and usage in the interpretation of contracts. They can help: (1) to understand the words of the contracts; (2) to supplement the provisions of the contract; and (3) to correct the contents of the contract. The first rule is self-explanatory. In many instances the reader can understand the words of the contract only if he knows the underlying financial techniques of Eurobond loans and their issue. The second and third rules 100 English Prospectus on Loan by Michelin International Development N.V. of $54 million, 1970–85, at 9 (Nov. 1969). 101 Federal Republic of Brazil Eurobond Loan of $25 million, 1974–84. 102 See generally M. McDougal, H. Lasswell, & J. Miller, The Interpretation of Agreements and World Public Order (1967). On interpretation of international loans see Institut International Pour l’Unification du Droit Privé (Unidroit), Avant-Projet de Règles Uniformes Applicables aux Emprunts Internationaux, L’Unification du Droit Privé 22 (Unidroit ed. 1948).
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are less evident and may be challenged, since in many countries courts are reluctant to go beyond the words of a written agreement. Especially in common law countries, courts do not like to “write the contracts for the parties.” Nevertheless, every lawyer practicing in the field knows that no contract can be absolutely complete, and the astonishing differences in the length of Eurobond contracts (the U.S. drafts consistently being the longest) contrast with the often limited differences in legal content. This implies that literal completeness and perfection of a contract are doubtful goals. Agreements among underwriters have sometimes consisted only of telexes, with the usual written or printed contracts left aside; here, the parties simply rely on the assumption that everyone in the market knows what such an agreement is legally, even though there is no specific law shaping its meaning. On the other hand, a written contract deemed comprehensive by the parties may require, in the event of a dispute, supplemental interpretation to avoid absurdity or unfairness. Here, a number of standard clauses used in similar contracts can be helpful. For example, British agreements among underwriters contain the clause “time is of the essence of the contract.”103 This is a general rule governing all contracts of this type; the rule reflects the high priority given in the underwriting business to the strict observance of proposed time schedules. Another example is the rule of the aforementioned force majeure clause, which would likely apply even if the clause itself were missing.104 Where included, this clause simply reflects a common understanding of the limits of risk an underwriting bank will assume and the general idea of rebus sic stantibus.105 Similarly, one can assume that the validity of the [1384] agreement among underwriters depends on the validity of the underwriting agreement, even if this is not specifically stated.106 Furthermore, if a trustee has been given certain powers to exercise the rights of the bondholders, one could ask whether a “no-action clause” preventing the bondholders from concurrently exercising the same rights could be deemed an implied term where the contract does not include this standard clause. There is no clear distinction between supplementing the agreement with intended, but absent, clauses, and correcting and amending the contents of a
103 See, e.g., Subscription Agreement of Chrysler Overseas Capital Corp. on $25 million bonds, 1969–84, art. 12 (Feb. 7, 1969). On the application of British law, see I J.Chitty, Contracts § 1450 (22d ed. 1961). See also U.C.C. § 1-204. 104 See note 23 supra. 105 This does not mean that international business contracts can generally be set aside under the doctrine of rebus sic stantibus.See G. Delaume, supra note 70, §§ 5.07–5.12. The typical risks of the underwriting business in the Eurobond market and the constant use of typical force majeure-clauses, however, permit the conclusion that the clause is always an implied term. 106 However, a clause to this effect is often included. See, e.g., Loan of Teledyne International N.V. of $50, 1968–83, Agreement among Underwriters, art. 11 (Oct. 1968).
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contract in accordance with general principles of law and good faith. Agreements among underwriters are drafted by the managing underwriters, and the underwriters cannot control the drafting. The conditions of the loan are worked out by the managing underwriters and the issuer; here, again, the bondholders have no influence. It can be deemed a general task in the interpretation of Eurobond contracts to help those who had to accept the terms drafted by others. Interpretation contra proferentem is a widely accepted rule of interpretation.107 A clause in a trust indenture to the effect that nothing should be interpreted or construed against the trustee will be held unenforceable under this rule because the trustee takes part in the drafting and obviously intends to assume responsibilities under the deed.108 The protection of the bondholders, together with the contra proferentem-rule, must prevail here. There is no doubt that interpretation alone is insufficient to protect investors; but the confidence of investors in the legal framework of the bond loan as offered in the prospectus must be honored. Thus, the use of the trust concept in the bondholders’ organization necessarily implies the basic idea of a fiduciary relationship with special duties of care and fairness that cannot be renounced by contract.109 The common law concept of a [1385] trust relationship thereby forms part of the customs and usages of the international market. Arbitration and National Courts No municipal court will overlook the fact that Eurobond agreements differ from domestic ones and that often municipal law has no precise answers, or simply cannot be applied. However, one cannot expect courts in various jurisdictions to treat the international element in Eurobond agreements, as described, exactly the same, nor to follow precisely the same rules in interpreting the contracts. The rules of the International Association of Bond Dealers, whose members are active in the Eurobond market, provide for settlement by arbitra-
107 Brazilian Federal Loans, (1929) P.C.I.J., ser. A, No. 21; Serbian Loans, (1929) P.C.I.J., ser. A No. 20. 108 On the other hand, a standard formula reads: “no implied covenants and obligations shall be read into this Indenture against the Trustee”; Indenture Agreement with American Tobacco International Corp. on $50 million bonds, § 7.01 (Aug. 1, 1968). Such clauses can be considered enforceable as long as other provisions fairly state the duties and obligations of the trustee. 109 A number of clauses in trust indentures or trust deeds tend to restrict the liability of the trustee by giving him broad discretion within a narrow range of duties. No indenture tends to exempt the trustee from all liability. The indentures drafted by U.S. lawyers tend to follow domestic practice, where broad exemption clauses would conflict with section 315 of the Trust Indenture Act of 1939, 15 U.S.C. § 77ooo (1970).
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tion among its members.110 This applies primarily to legal transactions in the secondary market, but may also cover the agreements used for issuing and placing the bonds (in the primary market); it will normally not apply to the underwriting itself or to the terms of the Eurobond loans and trust indentures. Arbitration clauses, though sometimes used in Eurobond agreements,111 are not very common. It is, of coure, possible to conclude an agreement on arbitration at any later moment with regard to an arising dispute. The choice of law and forum clauses are no obstacle in this respect. In many cases arbitration will be the convenient way to settle legal disputes over Eurobond contracts. Arbitrators are free to give fuller consideration to the transnational character of the disputed issue and to the international customs and usages of the international bond market. In fact, arbitration promotes the development of international business law in many areas. Yet the activity of municipal courts remains indispensable in cases where enforcement mechanisms are needed for the effective protection of a party. Even though a certain respect for the transnational character of Eurobond agreements can be expected from the courts, the [1386] necessity of their continued involvement in the settlement of disputes concerning these agreements makes a precise articulation of the extent to which transnational custom will be followed impossible. The ultimate and unanswered question, therefore, is to what extent the various national courts will defer to the transnational character of the Eurobond agreements.
See generally Kahn, supra note 98, at 225. See, e.g., Trust Deed with Norsk Hydro-Elektrisk Kvaelstofaktieselskab on $20 million bonds, 1967–82, art. 20 (Sept. 7, 1967). 110 111
Die Entwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts durch Verhaltensrichtlinien. Neue Elemente eines internationalen ordre public* RabelsZ 44 (1980), 423–454 Inhaltsübersicht I. II. III. IV.
Verhaltensrichtlinien als internationaler politischer Konsens mit rechtsnormativen Wirkungen Einzelne Regelungsbereiche des internationalen Wirtschaftsrechts und die Lösungstendenzen der Verhaltensrichtlinien 1. Wirtschaftskollisionsrecht 2. Internationales Kartellrecht 3. Technologietransfer 4. Gesellschaftskollisionsrecht 5. Konzernhaftungsrecht 6. Investitionsschutz 7. Rechtswahl und Gerichtsstand 8. Verträge mit Staaten 9. Materielles Vertragsrecht Die Artikulierung eines internationalen ordre public des Wirtschaftsverkehrs 1. Lernprozesse und ihr Einfluß auf Konfliktlösungen 2. Die rechtsnormative Qualität der Verhaltensrichtlinien 3. Zum Begriff des internationalen ordre public Schlußbemerkung: internationaler ordre public als ein heuristischer Begriff – Summary
I. Verhaltensrichtlinien als internationaler politischer Konsens mit rechtsnormativen Wirkungen Die ständige Ausdehnung des Welthandels und internationalen Kapitalverkehrs und die Zunahme der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Interdependenz führen zu einem ständig ansteigenden Bedarf [424] nach rechtlicher Regulierung und neuen Formen rechtlicher Gestaltung. Viele wirtschaftliche Vorgänge und auftretende Interessenkonflikte verlangen nach einer multinationalen Regelung, im Idealfall nach internationalem * Erweiterte und um Fußnoten ergänzte Fassung des Festvortrages in der Veranstaltung der Bielefelder Juristischen Fakultät am 19.11.1979 anläßlich der Zehnjahresfeier der Universität sowie eines Vortrages vor der Juristischen Studiengesellschaft Berlin am 4.6.1980.
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Einheitsrecht1. Die offizielle Schaffung eines solchen Einheitsrechts für den internationalen Wirtschaftsverkehr ist ein mühevoller, zeitraubender und nicht immer erfolgversprechender Weg. Als Ausweg zur rascheren Überwindung politischer Interessengegensätze und rechtlicher Regelungskonflikte werden zunehmend internationale Verhaltensrichtlinien angesehen2. Die Vereinten Nationen bereiten eine umfassende Kodifizierung von Verhaltensrichtlinien für die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit vor: ein umfassender Verhaltenskodex für transnationale Gesellschaften wird ausgearbeitet; die UN Conference on Trade and Development (UNCTAD) bereitet Richtlinien für den Technologietransfer und gegen Wettbewerbsbeschränkungen vor; schließlich wird ein internationales Abkommen gegen Korruption bei Geschäftstätigkeit erstellt3. Diese Regelungsversuche sind nicht neu. Bereits die Staaten des Andenpaktes von 1969 haben Grundsätze für die Investitionstätigkeit in ihren Ländern erlassen4. [425] Die InternaAbgekürzt werden zitiert: Davidow/Chiles, The United States and the Issue of the Binding or Voluntary Nature of International Codes of Conduct Regarding Restrictive Business Practices: Am.J.Int.L. 72 (1978) 247–271; Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, hrsg. von Horn (Deventer 1980); Neuhaus, Die Grundbegriffe des IPR2 (1976). Weitere Abkürzungen: CIME Report = Committee on International Investment and Multinational Enterprises, Report, in: OECD, Review of the 1976 Declarations and Decisions (1979); OECD Guidelines = Guidelines for Multinational Enterprises, Annex to the Declaration of 21st June, 1976 by Governments of OECD Member Countries on International Investment and Multinational Enterprises (1976); UNCTAD Draft Code = UNCTAD, Draft International Code of Conduct on the Transfer of Technology vom 9.3.1979 (TD/Code TOT/14). 1 Zum Begriff und zur Bildung von internationalem Einheitsrecht Kropholler, Internationales Einheitsrecht (1975); vgl. auch die Textsammlung von Zweigert/Kropholler, Quellen des internationalen Einheitsrechts (1971 ff.). 2 Dazu auch Horn (Hrsg.), Legal Problems (oben N.*). 3 Zum umfassenden Verhaltenskodex für transnationale Gesellschaften vgl. den Entwurf: UN ECOSOC, Commission on Transnational Corporations, Code of Conduct, Formulations of the Chairman vom 13.12.1978 (UN ECOSOC E/C. 10/AC. 2/8). Vgl. dazu auch UN Center on Transnational Corporations, Transnational Corporations – Issues Involved in the Formulation of a Code of Conduct (1976), und: Material Relevant to the Formulation of a Code of Conduct (1977). Zum UNCTAD-Kodex über Technologietransfer siehe den UNCTAD Draft Code, der z. T. verschiedene Vorschläge nebeneinander stellt. Ein eigener Entwurf zum Wettbewerbsrecht liegt noch nicht vor. Zum Plan einer Konvention gegen Korruption vgl. UN Report of the Ad Hoc Intergovernmental Working Group on the Problem of Corrupt Practices (1978) (UN Doc. E 1978/115). Vgl. dazu und zu den im folgenden zitierten Texten auch den Überblick von Baade, in: Legal Problems 407 ff.; ferner Wälde, Der UN Verhaltenskodex für transnationale Unternehmen: RIW/ AWD 1978, 285–290. 4 Abkommen von Cartagena vom 26.5.1969, Int. Leg. Mat. 8 (1969) 910. Die Investitionsrichtlinien sind in Decision no. 24 on a Standard Regime for Treatment of Foreign Capital and Industrial Property vom 31.12.1971 enthalten. – Die OECD erstrebt seit langem eine Koordinierung der staatlichen Wirtschaftspolitik im Kapitalverkehr; vgl. OECD, Code of Liberalisation of Capital Movements (1961).
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tionale Handelskammer in Paris hat 1972 Richtlinien über internationale Investitionstätigkeit veröffentlicht5. Hervorzuheben sind insbesondere die bereits erlassenen Richtlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die in der OECD organisierten westlichen Industrieländer haben 1976 eine Erklärung nebst Verhaltensrichtlinien für multinationale Unternehmen verabschiedet6. Die ILO hat 1977 Richtlinien für internationale Unternehmenstätigkeit, insbesondere im Hinblick auf die Beziehungen zwischen Unternehmen, Arbeitnehmern und Gewerkschaften beschlossen7. Die Richtlinien wenden sich in erster Linie an die privaten Teilnehmer des internationalen Wirtschaftsverkehrs, vor allem an multinationale Unternehmen, daneben z. B. an (sonstige) Partner von Verträgen über Technologietransfer und an die Gewerkschaften. Die OECD-Richtlinien etwa statuieren die allgemeine Pflicht des multinationalen Unternehmens, sich in das rechtliche und politische System des jeweiligen Gastlandes als „gute Bürger“ einzufügen, Pflichten im Hinblick auf Unternehmenspublizität, das Verhalten im Wettbewerb, über die Beachtung der Steuergesetze und fiskalischen Interessen des Gastlandes, über den Beitrag der Unternehmen zur technologischen Entwicklung des Gastlandes und vor allem in Hinblick auf die sozialen Beziehungen zu den Arbeitnehmern. Die Richtlinien wenden sich aber auch in unterschiedlicher Weise an die beteiligten Staaten. Die OECD-Erklärung von 1976, die den Rahmen der Richtlinien bildet, etwa statuiert das Prinzip der Nichtdiskriminierung ausländischer Unternehmen gegenüber Inlandsunternehmen8; die Entwürfe des UNCTAD-Kodex über Technologietransfer formulieren Regeln und Ziele einer internationalen Zusammenarbeit der Staaten, u. a. über die sachdienliche Informa- [426] tion der Entwicklungsländer und die Unterstützung ihrer Bemühungen um Technologietransfer9.
International Chamber of Commerce, Guidelines for International Investment (1972). Declaration of 21 st June 1976 (oben N.*). Gleichzeitig ergingen drei (rechtlich bindende) Entscheidungen des OECD-Ministerrates: Decision of the Council on InterGovernmental Consultation Procedures on the Guidelines for Multinational Enterprises; on National Treatment; on International Investment Incentives and Disincentives. Der OECD-Ministerrat hat im Juni 1979 den Bericht des Überwachungskomitees CIME entgegengenommen und u. a. eine Ergänzung der Verhaltensrichtlinien beschlossen; vgl. OECD, Review (oben N.*). Dort ist auch der Rechenschaftsbericht von CIME abgedruckt. Vgl. zu den OECD-Richtlinien auch Großfeld/Hübner, Erklärung und Leitsätze der OECD für multinationale Unternehmer, ZGR 7 (1978) 156–172. 7 ILO, Tripartite Declaration of Principles Concerning Multinational Enterprises and Social Policy vom 16.11.1977. 8 OECD Declaration II (National Treatment) und die gleichzeitige Decision (siehe oben N. 6). Vgl. dazu Grewlich, Inländerbehandlung von Direktinvestoren und Verhütung von Investitionskriegen: RIW/AWD 1978, 234–240. 9 Wilner, Transfer of Technology, The UNCTAD Code of Conduct, in Horn (Hrsg.), Legal Problems 177–188. 5 6
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Die bestehenden und geplanten Verhaltensrichtlinien zeigen einen Bedarf an international einheitlicher Regelung an. Sie versuchen zugleich, die Hindernisse zu vermeiden, die sich einer Schaffung internationalen Einheitsrechts in herkömmlicher Weise entgegenstellen. Das OECD-Dokument ist als gemeinsame politische Absichtserklärung (Declaration) abgefaßt, und die Richtlinien für multinationale Unternehmen werden ausdrücklich als „freiwillig und rechtlich nicht durchsetzbar“ bezeichnet10. Für die Kodices der Vereinten Nationen ist die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit noch nicht entschieden und umstritten11. Man muß aber auch hier damit rechnen, daß die Verhaltensrichtlinien zumindest zunächst nur in Form einer politischen Erklärung, nämlich als Resolution der Vollversammlung in Form einer Declaration oder Charter, beschlossen werden. Man hat vorgeschlagen, sie daneben zum Gegenstand einer völkerrechtlichen Konvention zu machen, so daß ihr Inhalt in herkömmlicher Weise zu Völkerrechtsnormen und anschließend Teil der nationalen Rechtsordnungen werden kann. Dies ist aber eher eine Zukunftsperspektive. Bestehende und geplante Richtlinien bewegen sich daher bisher auf der Ebene der politischen Erklärungen und Diskussionen und nicht auf der Ebene des Völkerrechts. Gleichwohl wird im folgenden die These vertreten, daß die Richtlinien einen bedeutsamen Einfluß auf die Anwendung des bestehenden und die Entwicklung des künftigen internationalen Wirtschaftsrechts haben. Denn sie formulieren Regeln und Grundwerte internationaler Zusammenarbeit und internationale Standards von fairem geschäftlichen Verhalten, die für das Recht der internationalen Wirtschaft von großer Bedeutung sind. Da jede nationale oder internationale Rechtsnorm politische und rechtsethische Werte und Maßstäbe voraussetzt und zumindest indirekt auf sie Bezug nimmt, ist langfristig ein Einfluß der Verhaltensrichtlinien auf die Praxis und Fortentwicklung des Rechts der internationalen Wirtschaft plausibel und wahrscheinlich. Es wird hier ferner die These vertreten, daß sich aus den in den Verhaltensrichtlinien angesprochenen politischen Grundwerten und rechtsethischen Grundsätzen Elemente eines auf internationalem Konsens beruhenden Bewertungssystems ergeben, das man als internationalen ordre public (international public policy) bezeichnen kann. [427]
10 OECD Guidelines, Einleitung no. 6: „Observance of the guidelines is voluntary and not legally enforceable“. 11 Vgl. UN Center on Transnational Corporations, Transnational Corporations: Material (oben N. 3) §§ 279–370; Davidow/Chiles; UNCTAD, An International Code of Conduct on Transfer of Technology (1975) (TD/B/C.6/AC.1/Supp. 1 Rev. 1) S. 48; Wilner, in Horn (Hrsg.), Legal Problems 177 ff.
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II. Einzelne Regelungsbereiche des internationalen Wirtschaftsrechts und die Lösungstendenzen der Verhaltensrichtlinien Um diese Thesen zu erläutern und zu begründen, müssen wir zunächst einen Überblick über diejenigen Problemfelder des internationalen Wirtschaftsrechts gewinnen, mit denen sich die Verhaltensrichtlinien befassen. Diese Problemfelder werden daher im folgenden jeweils im Zusammenhang mit einschlägigen Aussagen der Richtlinien knapp skizziert, wobei vorerst der normative Charakter der Richtlinien offenbleibt. Der Überblick konzentriert sich auf das für die privaten Teilnehmer am internationalen Wirtschaftsverkehr, also hauptsächlich die Unternehmen, maßgebliche Recht. Dieses Recht wird noch immer primär von der Vielzahl der nationalen Rechtsordnungen einschließlich ihrer Kollisionsregeln gebildet, die durch die Regeln des Völkerrechts nur lose koordiniert werden. Hinzu tritt ein immer dichteres Netz bilateraler und multilateraler internationaler Verträge (über Handel und Schiffahrt, Doppelbesteuerung, Investitionsschutz) und innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaften die bedeutsame, aber regional und sachlich begrenzte Bildung supranationalen Einheitsrechts; schließlich ist die Bildung international einheitlicher Rechtsgrundsätze und Gestaltungsformen auf bestimmten Gebieten des internationalen privaten (nicht völkerrechtlichen) Vertragsrechts zu beobachten. 1. Wirtschaftskollisionsrecht Betrachtet man zunächst die Bereiche des staatlichen Wirtschaftsrechts im engeren Sinne, dessen Gegenstände der Staat generell der Parteiautonomie entzieht – wie im Außenwirtschaftsrecht, Steuerrecht, Kartellrecht –, so steht für den internationalen Wirtschaftsverkehr das Problem des Wirtschaftskollisionsrechts im Vordergrund. Die Tatsache, daß internationale Geschäftstätigkeit sich dem regelnden Zugriff eines einzelnen Staates leicht entzieht, fördert die Tendenz der Staaten, diesen Zugriff auf Tatbestände jenseits des eigenen Territoriums zu erstrecken. Damit ergeben sich fast zwangsläufig Konflikte mit den Regelungsansprüchen anderer Staaten. Als etwa im amerikanischen Kapitalmarktrecht bestimmte Publizitätspflichten auch für solche ausländischen Emittenten vorgesehen wurden, deren Papiere in den Vereinigten Staaten gehandelt wurden, ohne daß die betreffenden Unternehmen selbst ihre Papiere dort emittiert oder eingeführt hatten, sah man sich auf ausländische Proteste hin veranlaßt, erleichternde Ausnahmetatbestände zu schaffen12. Die Anwendung des amerikanischen Kartellrechts auf extraterritoriale Vorgänge ist häufig auf ausländische Kritik und [428] Proteste gesto12 Buxbaum, Securities Regulations and the Foreign Issuer Exemption – A Study in the Process of Accomodating Foreign Interests: Cornell L. Rev. 54 (1968/69) 358–378; E. Reh-
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ßen13. Die privatwirtschaftlichen Teilnehmer des Weltwirtschaftsverkehrs können zwar einerseits bestimmten staatlichen Regelungen international ausweichen, geraten aber andererseits häufig in die Mühlen gehäufter oder gar widerstreitender Regelungsansprüche mehrerer Staaten. Im klassischen Fall Fruehauf sah sich die amerikanische Konzernspitze durch das amerikanische Feindhandelsrecht genötigt, ihrer französischen Tochtergesellschaft ein wichtiges Exportgeschäft mit China zu verbieten; auf Betreiben der französischen Minderheitsaktionäre erzwangen die französischen Gerichte die Mißachtung dieser Weisung14. Man war sich nach alledem darüber einig, das Hauptproblem bestehe darin, daß die extraterritoriale Anwendung von staatlichem Wirtschaftsrecht eingedämmt werden müsse; insbesondere der „Export“ desjenigen Wirtschaftsrechts, dem die Konzernspitze eines multinationalen Unternehmens unterliegt, in die Länder seiner Konzerntöchter wie im Fall Fruehauf erschien als Ärgernis. Inzwischen hat sich aber auch eine gegenteilige Position herausgebildet: die Sitzländer der Geschäftsleitungen von multinationalen Unternehmen, denen man den besten Informationszugang und Regelungszugriff zutraut, sollten selbst durch extraterritoriale Regelungen in ihren nationalen Gesetzen international auftretende Konflikte lösen. So hat man in den Verhandlungen der UNCTAD zu den Wettbewerbsrichtlinien eine entsprechende extraterritoriale Anwendung der Kartellrechte der westlichen Industrieländer gefordert15. Die Vereinigten Staaten haben im Vorgriff auf die geplante Konvention gegen internationale geschäftliche Korruption ein Gesetz erlassen, das in der Hauptsache solche extraterritorialen Tatbestände regelt, nämlich das Verhalten von amerikanischen Unternehmen im Ausland16. Man kann nicht sagen, daß die Verhaltensrichtlinien einen Ausweg aus dem Dilemma des Wirtschaftskollisionsrechts weisen. Aber sie tragen gewiß dazu bei, daß die Problematik überhaupt international klarer zur Kenntnis binder, Neuere amerikanische Entscheidungen zur extraterritorialen Anwendung des Securities Exchange Act von 1934: AWD 1969, 425–428. 13 Z. B. im Zusammenhang mit den Fällen United States v. Imperial Chemical Industries Ltd., 100 F. Supp. 504 (S.D.N.Y. 1951), 105 F. Supp. 215 (S.D.N.Y. 1952); United States v. Watchmakers of Switzerland Information Center, Inc., 1963 Trade Cases No. 70, 600 (S.D.N.Y. 1962), order modified, 1965 Trade Cases No. 71, 352 (1965); Davidow/Chiles 260. 14 App. Paris 22.5.1965 (Soc. Fruehauf Corp. c. Massardy et autres), D.S. 1968 Jur. 147; dazu Contin, L’arrêt Fruehauf et l’evolution du droit des sociétés: D.S. 1968 Chron. 45; Craig, Application of the Trading with the Enemy Act to Foreign Corporations Owned by Americans: Harv. L. Rev. 83 (1969/70) 579–601. 15 UN Doc. TD/B/600, § 7 (1976); Davidow/Chiles 259. 16 Foreign Corrupt Practices Act of Dec. 19, 1977, Pub. L. No. 95–213, 91 Stat. 1494. Seymour, in: Horn (Hrsg.), Legal Problems 219–236; zum Problemkreis schon Horn, Kapitalmarktrecht und Unternehmensverhaltensrecht: Die AG 1977, 297, 300, 305.
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[429] genommen wird. Im Wirtschaftskollisionsrecht ist heute die Faustregel, ein Staat dürfe hoheitliche Regelungen seiner Wirtschaft nur für Tatbestände innerhalb seines Territoriums treffen, längst als ungenügend erkannt. Der Gesetzgeber sucht daher im Einzelfall die Grenzen des internationalen Anwendungsbereichs seiner Gesetze möglichst genau zu bestimmen17. Die Anerkennung dieser Gesetze durch ausländische Behörden und Gerichte hängt davon ab, wie diese die fremden Regelungsinteressen gegenüber denen des eigenen Staates abwägen und anerkennen. Für diese Abwägung geben die bisher vorliegenden Richtlinien und Entwürfe nur undeutliche Anhaltspunkte. Alle Texte betonen die besondere Schutzwürdigkeit der Interessen des Gastlandes ausländischer Konzerne und des Empfängerlandes von Technologie und unterstreichen deren souveräne Rechte18. Dementsprechend betonen die OECD-Texte den Grundsatz, daß sich multinationale Unternehmen als gute Bürger des Gastlandes in dessen Rechtsordnung und wirtschaftspolitische Zielvorstellungen einfügen sollen19. Aber sowohl die OECD-Dokumente wie die Entwürfe für den Kodex der UNCTAD über Technologietransfer betonen zugleich die Notwendigkeit internationaler Kooperation. Der OECD-Text erwähnt zudem ausdrücklich die Möglichkeit, daß ein multinationales Unternehmen widersprüchlichen Regelungsansprüchen unterworfen werden kann, und empfiehlt in diesem Fall ein Konsultationsverfahren20. Will man eine generelle Anleitung aus den Texten entnehmen, so kann man sie in der Empfehlung sehen, daß die Staaten nicht einseitig auf einem Standpunkt nationaler Souveränität beharren, sondern im Konflikt der Regelungsinteressen mit anderen Staaten im Geist internationaler Zusammenarbeit entscheiden sollen. Im Einzelfall können einzelne Wertungen der Texte eine Anleitung geben, etwa die Förderung des Technologietransfers oder auch die – teils ausdrückliche, teils implizierte – Anerkennung der positiven wirtschaftlichen Funktionen der legalen Geschäftstätigkeit von multinationalen Unternehmen21. [430] 17 Hadari, The Choice of National Law Applicable to the Multinational Enterprise and the Nationality of such Enterprises: Duke L. J. 1974, 1–57; allgemein Horn, Das Recht der internationalen Anleihen (1972) 51 ff. Beispiele auch bei Buxbaum und Rehbinder (beide oben N. 12). 18 Z. B. OECD Guidelines, Einleitung no. 7. Allgemein zur Betonung nationaler Interessen und Souveränitätsrechte auf der Ebene der Vereinten Nationen vgl. Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations, GA Res. 2625, 25 GAOR, Supp. (no. 28) 121, UN Doc. A/8028 (1970) = Am. J. Int. L. 65 (1971) 243; dazu Rosenstock, The Declaration of Principles of International Law Concerning Friendly Relations: Am. J. Int. L. 65 (1971) 713; Davidow/Chiles 258 sowie die Hinweise auf die „Neue Weltwirtschaftsordnung“ (unten N. 31). 19 OECD Guidelines, General Policies. 20 OECD Guidelines, Einleitung no. 11. 21 Letzteres besonders nachdrücklich betont in OECD Guidelines, Einleitung nos. 1 und 2: „Multinational enterprises now play an important part in the economies of Member
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2. Internationales Kartellrecht Die Probleme lassen sich konkretisieren, wenn man ein einzelnes Regelungsgebiet wie das Kartellrecht herausgreift. Die nationalen Kartellrechte beschränken sich durchweg darauf, den Inlandswettbewerb zu schützen; bereits dabei müssen sie Sachverhalte außerhalb der eigenen Territorien mit erfassen, soweit sie sich auf den inländischen Wettbewerb auswirken22. Die nationalen Kartellbehörden sind bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben jeweils auf Auskünfte und Unterstützung durch Behörden anderer Staaten angewiesen. Diese behördliche Zusammenarbeit ist sehr umstritten, nicht zuletzt im Hinblick auf die Vertraulichkeit bestimmter behördlicher Informationen. Die OECD-Erklärung von 1976 ermutigt indirekt eine solche behördliche Zusammenarbeit, und das kurz zuvor geschlossene deutschamerikanische Abkommen über die Zusammenarbeit der Kartellbehörden vom gleichen Jahr ist ein Schritt in dieser Richtung23. Inzwischen hat der Rat der OECD in einer Empfehlung von 1978 weitere kartellrechtliche Maßnahmen der Mitgliedstaaten einschließlich neuer Gesetzgebung gefordert; dabei wird der Ausbau des Informationsaustausches besonders betont24. Wichtiger noch ist die Frage, wie weit ein rechtlicher Schutz des Wettbewerbs auf internationalen Märkten erreicht werden kann. Dieser Schutz besteht gegenwärtig nur innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Im übrigen wird der internationale Wettbewerb von den einzelnen Staaten nicht nur durch vielfältige Außenhandelsschranken beeinflußt, sondern die nationalen Kartellrechte erlauben auch in bestimmtem Umfang die Beschränkung des internationalen Wettbewerbs, etwa durch Exportkartelle. Die Verhaltensrichtlinien der OECD enthalten eine umfangreiche Liste mißbilligten wettbewerbswidrigen Verhaltens25. Diese Liste soll offenbar auch dort gelten, wo in den Mitgliedländern keine oder nur schwach entwickelte Kartellrechte vorhanden sind. Die entscheidende Frage aber ist, ob damit nur der Wettbewerb in einem einzelnen nationalen Markt eines Mitgliedlandes geschützt werden soll oder nicht vielmehr auch der Wettbewerb in [431] der Gesamtheit der Märkte der Mitgliedstaaten. Dies ist nach dem Sinn der Texte zumindest in dem Sinne anzunehmen, daß auch extraterritoriale wettcountries... The common aim of the Member countries is to encourage the positive contributions which multinational enterprises can make to economic and social progress ...“ 22 Allgemein zum Problem E. Rehbinder, Extraterritoriale Wirkungen des deutschen Kartellrechts (1965); Schwartz, Deutsches internationales Kartellrecht2 (1968). 23 Abkommen vom 23.6.1976 (in Kraft seit 11.9.1976), BGBl. II 1711; vgl. dazu Grauel, Das deutsch-amerikanische Abkommen über die Zusammenarbeit der Kartellbehörden: WuW 1976, 764–768. 24 OECD, Recommendation of the Council Concerning Action Against Restrictive Business Practices Affecting International Trade, Including Those Involving Multinational Enterprises vom 20.7.1978, OECD Doc. C. (78) 133. 25 OECD Guidelines, Abschnitt „Competition“.
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bewerbswidrige Handlungen von multinationalen Unternehmen im Bereich der Mitgliedstaaten, soweit sie einen nationalen Markt betreffen, von den Richtlinien erfaßt sind. Da die Richtlinien nicht ausdrücklich auf nationale Märkte bezogen sind26 und die OECD-Dokumente sich eindeutig auf die internationale Kooperation der Mitgliedstaaten richten, kann man ferner schließen, daß auch der Schutz des Wettbewerbs auf den internationalen Märkten im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander geschützt werden soll. Dies ist eine neuartige Perspektive. Die von der OECD zur Überwachung der Durchführung der Richtlinien eingesetzte Kommission hat dem OECDMinisterrat 1979 berichtet, daß sich in der Tat eine Reihe nationaler Kartellbehörden bei Wettbewerbsverstößen von ausländischen Unternehmen auf die OECD-Richtlinien berufen haben27. Wegen der Vertraulichkeit der Fälle kann nicht gesagt werden, ob dabei nur der Schutz eines bestimmten nationalen Marktes in Frage stand. Abgesehen von einer möglichen unmittelbaren Anwendung der OECD-Richtlinien, die bisher keine Rechtsnormen darstellen, ist auch die Möglichkeit einer Anwendung nationaler Gesetze im Sinne eines Schutzes auch des internationalen Wettbewerbs in Betracht zu ziehen. Die extraterritoriale Anwendung etwa des amerikanischen Kartellrechts zielt zwar nur auf den Schutz des Wettbewerbs im amerikanischen Markt, kann sich aber auch zumindest im Einzelfall als Wettbewerbsschutz bei internationalen Geschäften auswirken. So hat der Supreme Court kürzlich im Fall Pfizer, Inc. v. Government of India entschieden, daß eine auswärtige Regierung als Käufer amerikanischer Hersteller den Schutz des Clayton Act genießen kann28. Diese Rechtsprechung ist auf Kritik gestoßen und hat im Kongreß Gesetzgebungspläne zu ihrer Bekämpfung hervorgerufen. Aber man muß fragen, ob nicht langfristig der sowohl in den OECD-Texten wie in den geplanten UN-Texten hervortretende Gedanke eines Schutzes des internationalen Wettbewerbs dazu führen muß, die nationalen Kartellrechte im Sinne auch dieses Schutzes auszulegen und fortzuentwickeln, was im Zusammenhang mit den Beratungen für den UNCTAD-Kodex gefordert wurde. Dies müßte auch zu einer Überprüfung der Erlaubnistatbestände nationaler Kartellrechte, z. B. für Exportkartelle, führen, die den internationalen Wettbewerb beeinträchtigen können. Zumindest ergibt sich daraus eine Ermutigung der nationalen Ge- [432] setzgebung zur Förderung des internationalen Wettbewerbs. Ansätze dazu finden sich zum Teil auch in der neueren natio-
26 Der Text erwähnt zunächst die Pflicht zur Beachtung der nationalen Kartellrechte und stellt dann eine Reihe von Verhaltenspflichten im Wettbewerb auf, wobei der Schutz der „Competition in the Relevant Market“ nicht ausdrücklich auf den einzelnen nationalen Markt beschränkt wird. 27 CIME Report §§ 52, 32 sowie Annex I § 5. 28 Pfizer, Inc. v. Government of India, 434 U.S. 308 (1978).
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nalen Patentgesetzgebung, die sich u. a. gegen die Abschottung nationaler Märkte mit Hilfe von Patentlizenzen richtet29. 3. Technologietransfer Im sogenannten Nord-Süd-Verhältnis steht heute die Neuordnung des Rechts des Technologietransfers im Vordergrund. Die Gegenstände des Rechtsverkehrs, Patentlizenzen, Warenzeichen und sonstige gewerbliche Schutzrechte, werden hier von den einzelnen nationalen Gesetzen konstituiert30. Diese Gesetzgebung sucht man seit langem international zu koordinieren, angefangen von der Pariser Verbandsübereinkunft bis zum Münchener Abkommen über die Erteilung europäischer Patente. Die internationale Zusammenarbeit erweist sich hier aber in besonderer Weise als schwierig. Die Entwicklungsländer haben im Rahmen ihrer Forderungen nach einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung“31, die in verschiedenen Entschließungen der Vereinten Nationen zum Ausdruck gekommen sind, auch die Umgestaltung von Patentrechten und gewerblichen Schutzrechten als wichtigen Ansatzpunkt betrachtet, im Gebrauch ihrer nationalen Souveränität und in Verfolgung weitreichender Ziele der weltwirtschaftlichen Umverteilung einen rascheren Zugang zum technologischen Fortschritt zu erreichen32. Ein Beispiel für diese Bestrebungen bietet das mexikanische Gesetz über Erfindungen und Marken von 197633. Es reduziert bewußt das Patentrecht vom geistigen Eigentumsrecht zum staatlichen Privileg, ver- [433] stärkt die Offenbarungsfunktion des Erfinderschutzes und will die Ausübung des Patents durch die Sanktion seines Verfalls erzwingen. Zwangslizenzen können wegen nicht ausreichender Ausübung namentlich zur Erschließung von Exportmärkten und auch sonst im öffentlichen Interesse vergeben werden. Der Schutz der Erfinder
29 Vgl. unten Text zu N. 32–34. Vgl. zu dieser Problematik auch Entwurf einer Verordnung (EWG) der Kommission über die Anwendung von Art. 85 III des Vertrages auf Gruppen von Patentlizenzvereinbarungen, ABl. EG Nr. C 58/12 vom 3.3.1979. 30 Allgemein zum Verhältnis von nationalem Patentrecht und Recht der internationalen Lizenzverträge Langen, Transnational Commercial Law (1973) 34 ff.; ferner von Hoffmann, Verträge über gewerbliche Schutzrechte im IPR: RabelsZ 40 (1976) 208 ff. 31 Declaration and Programme of Action on the Establishment of a New International Economic Order vom 1.5.1974, UN, GA Res. 3201 & 3202, S-7 GAOR, Supp. (no. 1) 3, 5, UN Doc. A/9559 (1974) = Int. Leg. Mat. 13 (1974) 714. – Charter of Economic Rights and Duties of States vom 12.12.1974, UN, GA Res. 3281, 29 GAOR, Supp. (no. 30) 50, UN Doc. 9631 (1974) = Int. Leg. Mat. 14 (1975) 252. Dazu Sauvant/Hassenpflug, The New International Economic Order (1977). 32 Dazu die Beiträge von Wilner, Syquia und Fikentscher, in Horn (Hrsg.), Legal Problems 177, 189 und 210. Allgemeine Problemübersicht in UNCTAD, An International Code of Conduct on Transfer of Technology (1975) (E. 75. II. D. 15). 33 Ley de invenciones y marcas vom 30.12.1975; deutscher Text in GRUR/Int. 1978, 20 ff.
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wird unter anderem durch kürzere Schutzfristen und engere Schutzfähigkeit von Rechten deutlich beschnitten34. Einige dieser Regelungen können als Förderung des internationalen Wettbewerbs begrüßt werden, so namentlich die Möglichkeit von Zwangslizenzen für Exporte. Im übrigen ist zweifelhaft, ob solche Gesetzgebungen dem technologischen Fortschritt der betreffenden Länder wirklich dienen. Noch für lange Zeit wird die internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit die wichtigste Vorbedingung für den technologischen Fortschritt dieser Länder darstellen. Diese Zusammenarbeit setzt einen adäquaten Rechtsschutz für Patente und sonstige gewerbliche Rechte voraus. Die jetzt in der UNCTAD vorliegenden Entwürfe für Verhaltensrichtlinien über Technologietransfer bringen in diesem Punkt bedeutende Fortschritte gegenüber den ursprünglichen politischen Forderungen. Ein angemessener Patentschutz und gewerblicher Rechtsschutz wird als Grundlage des technologischen Fortschritts und damit der Zusammenarbeit der Staaten auf diesem Gebiet ausdrücklich anerkannt35. Wenn diese Überlegungen sich in der Verabschiedung der Verhaltensrichtlinien durchsetzen, werden sie einen bedeutsamen positiven Einfluß auf die weitere Entwicklung des Rechts des internationalen Technologietransfers haben. 4. Gesellschaftskollisionsrecht Für die Kontrolle eines Landes über ausländische Unternehmen, insbesondere die Tochtergesellschaften von multinationalen Unternehmen, ist die Frage, welches nationale Gesellschaftsrecht auf die Kapitalgesellschaft anwendbar ist, von gewisser Bedeutung, wenngleich nicht allein ausschlaggebend. Das Gesellschaftskollisionsrecht steht sozusagen zwischen dem Gebiet der staatlichen Wirtschaftsregulierung und dem Recht der privatautonomen Gestaltung. Nach anglo-amerikanischer Rechtsauffassung ist das Recht des Gründungsstaates für eine Gesellschaft maßgebend, auch wenn diese in einem anderen Land ihre Geschäfte schwerpunktmäßig oder ausschließlich ausübt36. Aus diesem Grundsatz ergaben sich insbesondere im Verhältnis der einzelnen amerikanischen Bundesstaaten zueinander bekannt- [434] lich zahlreiche Mißbrauchsmöglichkeiten, indem man jeweils den Bundesstaat als Gründungsstaat wählte, dessen Gesellschaftsrecht die geringsten Anforderungen aufstellte37. Diese Mißbrauchsmöglichkeiten haben zu Gerichts
34 Überblick bei Kunz-Hallstein, Die Neuregelung des Erfinderschutzes in Mexiko: GRUR/Int. 1978, 14 ff. 35 UNCTAD Draft Code; dazu Wilner, aaO (Fn. 9), 177 ff. 36 Zur Incorporation-Theorie z. B. Hadari (oben N. 17) 7, 19 ff.; Schmitthoff, The Wholly Owned and the Controlled Subsidiary: J. Bus. L. 1978, 222. 37 Dazu Brandeis, Dissenting Opinion, in Liggett Co. v. Lee, 288 U.S. 517, 541 ff. (1933);
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entscheidungen, etwa im Fall Western Airlines, und sodann zu staatlicher Gesetzgebung namentlich in Kalifornien und New York geführt38. Danach sind bestimmte Normen des Gesellschaftsrechts des Landes, in dem die Geschäfte betrieben werden, unabhängig vom Gründungsrecht zwingend zu beachten. In Deutschland und Frankreich will die überwiegende Rechtsmeinung die Kontrollinteressen des Landes der Geschäftstätigkeit dadurch schützen, daß man das Recht des faktischen Geschäftssitzes als für die Gesellschaft maßgeblich erklärt39. Dies kann zur Nichtigkeit der Gesellschaft führen, wenn sie nicht nach dem Recht des faktischen Sitzes gegründet wurde und daher nicht dessen formalen Anforderungen genügt. Die Unsicherheit in der Anwendung der Kriterien, nach denen der faktische Sitz zu bestimmen ist, und die schneidige Nichtigkeitsfolge sind von zweifelhaftem Wert für die Gesellschaftsgläubiger. Die Richtlinien der OECD und der Vereinten Nationen enthalten keine Parteinahme für eine bestimmte kollisionsrechtliche Lösung. Aber indem sie die Regelungsinteressen des Gastlandes betonen, in welchem die Geschäftstätigkeit betrieben wird, erklären sie eindeutig nur eine solche kollisionsrechtliche Lösung für anwendbar, die diese Interessen berücksichtigt. Diesen Ansprüchen genügt die Sitztheorie, aber auch die anglo-amerikanische Gründungstheorie in ihrer neueren, modifizierten Gestalt. Man kann aus den OECD-Richtlinien ferner indirekt entnehmen, daß ausländische Unternehmen möglichst als rechtlich bestehend anerkannt werden sollen; dies ist mit manchen Folgen der Sitztheorie nur schlecht zu vereinen. 5. Konzernhaftungsrecht Das Problem der rechtlichen Kontrolle der internationalen Unternehmen und Konzerne kann nicht allein durch staatliche Wirtschaftsregelungen [435] gelöst werden, sondern es bedarf dazu der Ausbildung adäquater Regeln für Verantwortlichkeit und Haftung. Die Kernfrage des Konzernrechts, um dessen Lösung sich auch etwa das deutsche Aktienrecht in seinen konzernrechtlichen Bestimmungen bemüht, besteht darin, daß die verschiedenen Teile
Horn, Aktienrechtliche Unternehmensorganisation in der Hochindustrialisierung, in: Recht und Entwicklung der Großunternehmen, hrsg. von Horn/Kocka (1979) 135. 38 Western Airlines, Inc. v. Sobieski, 191 Cal. App. 2d 399, 12 Cal. Rptr. 719 (1961); Western Airlines, Inc. v. Schutzbank, 258 Cal. App. 2d 218, 66 Cal. Rptr. 293 (1968). Der kalifornische Corporation Code wurde 1975 mit Wirkung zum 1.1.1977 reformiert; eine entsprechende Änderung wurde auch im Business Corporation Law (1962) von New York vorgenommen; vgl. dazu Sandrock, Die multinationalen Korporationen im IPR: BerDGesVölkR 18 (1978) 192 ff.; ders., Ein amerikanisches Lehrstück für das Kollisionsrecht der Kapitalgesellschaften: RabelsZ 42 (1978) 227 ff. 39 BGH 30.1.1970, BGHZ 53, 181; für Frankreich vgl. Art. 3 des Gesetzes von 1966 über Handelsgesellschaften.
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eines Konzerns als juristische Personen rechtlich selbständig sind, andererseits aber durch die faktische Leitungsmacht der Konzernspitze zu einem Verhalten als wirtschaftliche Einheit veranlaßt werden können. Die OECDErklärung von 1976 spricht dieses Problem an, indem sie erklärt, daß die Verhaltensrichtlinien sich an die verschiedenen Untereinheiten eines Konzerns entsprechend der tatsächlichen Verteilung von Entscheidungsmacht und Verantwortlichkeit innerhalb des Konzerns wenden40. Damit ist die materielle Regel der Übereinstimmung von faktischer Entscheidungsmacht und rechtlicher Verantwortung angesprochen. Dieser Grundsatz wird in anderen Teilen der Richtlinien durch materielle Einzelregelungen konkretisiert. Dies gilt vor allem für den Abschnitt über das Verhältnis der Unternehmen zu den Arbeitnehmern41. Deren schwache Verhandlungsposition gegenüber der ausländischen Konzernspitze ihres Unternehmens soll ausgeglichen werden durch besondere Regeln: die Muttergesellschaft wird verpflichtet, ihrer Tochtergesellschaft rechtzeitige und ausreichende Informationen über Grundsatzentscheidungen der Konzernspitze zukommen zu lassen, die ihr wirtschaftliches Schicksal betreffen. Sie wird ferner verpflichtet, den Vertretern der Arbeitnehmer Zugang zu den eigentlichen Entscheidungsträgern zu gewähren, um innerhalb der Konzernhierarchie Verhandlungen zu ermöglichen, ähnlich wie dies etwa nach dem deutschen Betriebsverfassungsgesetz durch den Gesamtbetriebsrat und den Konzernbetriebsrat möglich ist. Diese Grundsätze sind inzwischen in einer Reihe praktischer Fälle getestet, bekräftigt und weiterentwickelt worden. Auf Betreiben der Vertretung der Gewerkschaftsorganisationen bei der OECD wurden nämlich in den ersten drei Jahren des Bestehens der OECD-Richtlinien zahlreiche Fälle einer behaupteten Verletzung der Richtlinien informell auf der Ebene der OECD diskutiert und zu einem Großteil im Sinne der Richtlinien beigelegt, obwohl die Organe der OECD keine Gerichtsgewalt besitzen oder beanspruchen42. Im Fall Hertz etwa suchte das Unternehmen einen Arbeitskampf seiner dänischen Tochtergesellschaft dadurch zu beeinflussen, [436] daß es Streikbrecher aus anderen Ländern anwarb. Es gab diesen Versuch auf Druck der Gewerkschaften auf, die sich auf die OECD-Richtlinien beriefen, wo aber der Fall nicht ausdrücklich geregelt ist. Eine entsprechende Regel ist inzwischen sowohl Bestandteil der ILO-Richtlinien als auch auf Beschluß
40 OECD Guidelines, Einleitung no. 8: „... the guidelines are addressed to the various entities within the multinational enterprise (parent companies and/or local entities) according to the actual distribution of responsibilities among them ...“ 41 OECD Guidelines, Abschnitt „Employment and Industrial Relations“. 42 Überblick über die Fälle bei Blanpain, The OECD Guidelines and Industrial Relations – Badger and Beyond, in Horn (Hrsg.), Legal Problems 145 ff.; ders., The Badger Case and the OECD Guidelines for Multinational Enterprises (1977) 51 ff. Nur indirekte Bezugnahmen auf diese Fälle finden sich im CIME Report.
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des OECD-Ministerrats von 1979 Bestandteil der OECD-Richtlinien43. Den ersten erfolgreichen Testfall der Richtlinien stellte der Fall Badger dar44. Hier ging die belgische Tochtergesellschaft eines amerikanischen Konzerns in Liquidation. Die amerikanische Muttergesellschaft weigerte sich zunächst, für die Schulden der Tochtergesellschaft aufzukommen und insbesondere die Arbeitnehmer abzufinden. Aufgrund der juristischen Selbständigkeit der Tochtergesellschaft war sie dazu formal berechtigt. Nach zahlreichen Verhandlungen und politischen Interventionen fand sie sich schließlich bereit, für den Sozialplan zugunsten der belgischen Arbeiter aufzukommen. In anderen Fällen ging es und geht es um das Recht einer ausländischen Konzernspitze, auch eine an sich erfolgreiche Tochtergesellschaft oder Produktionsstätte in Verfolgung globaler Geschäftspolitik des Konzerns aufzugeben oder zu beschneiden. Zum Teil spielen dabei mit den Regierungen der Gastländer abgeschlossene Investitionsförderungsabkommen eine Rolle. Die Beilegung des Badger-Falles erfolgte im Vergleichsweg und ausdrücklich freiwillig. Dennoch enthält sie die indirekte Anerkennung des Rechtsgrundsatzes, daß eine Muttergesellschaft unter bestimmten Bedingungen für die Verbindlichkeiten ihrer Tochtergesellschaft aufzukommen hat. Mit diesem Grundsatz ist eines der seit langem meistdiskutierten Probleme des Gesellschafts- und Konzernrechts der westlichen Industrieländer angesprochen. Der Haftungsdurchgriff auf den Mehrheitsgesellschafter oder Alleingesellschafter einer Kapitalgesellschaft, diskutiert unter dem Schlagwort des „Durchstoßens des Schleiers“ der juristischen Person, gewinnt in zahlreichen westlichen Gesellschaftsrechten ständig an Boden. Am weitesten entwickelt ist dieser Gedanke im Konzernrecht des deutschen Aktiengesetzes. Die Gesellschaftsrechte zahlreicher OECD-Mitgliedstaaten enthalten zumindest einige Regeln für verbundene Unternehmen, etwa über Konzernrechnungslegung; die Interessen der Tochtergesellschaften und ihrer Minderheitsaktionäre bei nachteiligen Einflüssen der Konzernmuttergesellschaft können in Einzelfällen durch Sondertatbestände (agency, Mißbrauch der Rechtsform, Unterkapitalisierung) oder aufgrund heterogener Normen (Konkursrecht, Regeln für Übernahmeangebote) geschützt werden45. Innerhalb der [437]Europäischen Gemeinschaften wird eine Angleichung des Kon-
ILO, Tripartite Declaration (oben N. 7) § 52; Änderung der OECD Guidelines, Abschnitt „Employment and Industrial Relations“ no. 8, durch Beschluß der Regierungen der OECD-Mitgliedstaaten vom 13.6.1979 . 44 Blanpain, The Badger Case (oben N. 42). 45 Zum Problemkreis vgl. Keutgen, Le droit des groupes de sociétés dans le C.E. (1973). Zum englischen Recht vgl. Schmitthoff (oben N. 36) 220; zum amerikanischen Gesellschaftsrecht vgl. Lattin/Jennings/Buxbaum, Corporations, (1971) Kap. III; zum Schweizer Recht vgl. z.B. BG 11.12.1945, BGE 71 II 275; 22.1.1946, BGE 72 II 76; 27.3.1966, BGE 92 II 166. 43
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zernrechts durch eine Richtlinie vorbereitet46. Ferner enthält der EG-Verordnungsvorschlag für das Statut einer Europäischen Aktiengesellschaft ein Konzernrecht47. Im Teerfarben-Fall hat der Europäische Gerichtshof unter bestimmten Voraussetzungen eine Verantwortlichkeit der Muttergesellschaft für Verletzungen des EWG-Kartellrechts durch die Tochtergesellschaft angenommen48. Der im Juni 1979 vorgelegte Rechenschaftsbericht der Kommission der OECD zur Überwachung der Durchführung der OECD-Verhaltensrichtlinien spricht das Problem der Konzernhaftung in vorsichtigen Worten an49. Ein genereller Grundsatz der Haftung der Muttergesellschaft für die Tochtergesellschaft wird verneint und der rechtlich nicht bindende Charakter der Verhaltensrichtlinien hervorgehoben. Ein Einstehen für die Verbindlichkeiten der Tochtergesellschaft wird aber als Grundsatz guter Geschäftsführung bezeichnet. Die Fallpraxis der Verhaltensrichtlinien hat gezeigt, daß sich gleichwohl eine praktische Verfestigung der Verhaltenspflichten von herrschenden Unternehmen abzeichnet, namentlich hinsichtlich nicht finanzieller Verpflichtungen wie Information und Zugang zu den eigentlichen Entscheidungsträgern im Konzern, aber auch hinsichtlich finanzieller Verpflichtungen. Die OECD-Richtlinien fördern demnach die Lösung von Rechtsfragen im Bereich der Konzernhaftungsproblematik, indem sie relativ präzise (politische) Grundsätze der Sozialpolitik von multinationalen Unternehmen aufstellen. Im Zusammenhang damit steht die weitergehende Frage einer Abstimmung der Geschäftspolitik dieser Unternehmen mit den nationalen Wirtschaftspolitiken der Gastländer. Bei einigen der im Hinblick auf die OECD-Richtlinien diskutierten Konfliktsfälle wurde die Grundsatzfrage angesprochen, wieweit eine Konzernleitung eine wirtschaftlich arbeitende Produktionsstätte oder Tochtergesellschaft im Interesse einer globalen Konzernstrategie aufgeben darf. Dieses Recht wird nicht grundsätzlich bestritten50. Der gegenteilige Standpunkt liefe auf ein Verbot von [438] Desinvestitionen hinaus und damit auf eine teilweise Verneinung eines privatwirtschaftlichen internationalen Kapitalmarktmechanismus. Andererseits wird im Hinblick auf die OECD-Richtlinien von der Überwachungskom46 Zu den Vorentwürfen der EWG-Richtlinie vgl. Dokument XI/328/74-D, I. Teil; XI/593/75-D, II. Teil. Dazu Immenga, Europarecht (1978) 242–258. 47 Bull. EG, Beilage 4/75, Artt. 223–240 d. 48 I.C.I. and others v. Commission, (1972) C.M.L.R. 557; Commercial Solvents Corp. v. Commission, (1974) C.M.L.R. 309; dazu Schmitthoff (oben N. 36) 223 ff. Dogmatisch ist natürlich zwischen privatrechtlicher Konzernhaftung und der Verantwortlichkeit im Sinne zwingenden Wirtschaftsrechts zu unterscheiden. Die Probleme laufen aber oft parallel und werden z. B. in den OECD-Richtlinien nicht getrennt. 49 CIME Report 17 ff., §§ 41, 42 (S. 30 f.). 50 CIME Report § 45.
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mission der OECD betont, daß auch bei solchen Desinvestitionsentscheidungen der Konzern die berechtigten Interessen des Gastlandes und insbesondere der betroffenen Arbeitnehmer in Rechnung stellen muß.51 6. Investitionsschutz Das Dauerproblem des Schutzes ausländischer Direktinvestitionen und insbesondere Einzelheiten der Entschädigungspflicht und des Rechtsschutzes bei Enteignungen wird durch die Verhaltensrichtlinien bisher einer Lösung nicht näher gebracht. Innerhalb der westlichen Industrieländer der OECD steht dieses Problem ohnehin nicht im Vordergrund, weil diese Länder sich im Grundsatz in der Respektierung des ausländischen Privateigentums an Direktinvestitionen einig sind. Die OECD-Erklärung von 1976 spricht dieses Problem nur indirekt an, indem sie den Grundsatz der Nichtdiskriminierung ausländischer Unternehmen aufstellt, der zumindest eine Gleichbehandlung im Hinblick auf denkbare Enteigungsgesetze enthält, und indem an die Verbindlichkeit bestehender internationaler Verpflichtungen der Mitgliedstaaten erinnert wird52. Auf der Ebene der Vereinten Nationen sind Einzelheiten der hier aufzustellenden Grundsätze noch umstritten53. 7. Rechtswahl und Gerichtsstand Im Hinblick auf Verträge der privaten Teilnehmer des internationalen Wirtschaftsverkehrs sprechen die Verhaltensrichtlinien Probleme der Rechtswahl und Gerichtsbarkeit an. Privatwirtschaftliche oder gemischt privatwirtschaftliche Zusammenarbeit aufgrund von Verträgen macht noch immer den Hauptteil des Weltwirtschaftsverkehrs aus. Diese Verträge gehören dem Privatrecht in dem Sinne an, daß sie jedenfalls nicht völkerrechtlicher Natur sind. Sie regeln nicht nur den Leistungsaustausch inner- [439] halb traditioneller Exportgeschäfte oder internationaler Dienstleistungsgeschäfte, sondern zum Teil die komplexe und langfristige wirtschaftliche Kooperation mehrerer Vertragspartner, z. B. bei Lieferung industrieller Anlagen, Rohstoff
CIME Report § 45. OECD Declaration II und Decision of the Council on National Treatment (beide oben N. 6) sowie OECD Guidelines, Einleitung no. 7. 53 Der bisher vorliegende UN-Entwurf (Formulations of the Chairman, oben N. 3) betont im Abschnitt über die Behandlung von multinationalen Unternehmen durch Staaten den Grundsatz der Beachtung von „international obligations to which States have freely subscribed“ (§ 46). Das Recht zur Enteignung gegen Entschädigung wird anerkannt (§ 52). Zu den bestehenden Streitfragen über diese Regelung gehört das Problem, ob für die Enteignungsentschädigung ausschließlich das nationale Recht maßgeblich ist oder ob daneben allgemeine Grundsätze des internationalen Rechts beachtet werden müssen; vgl. Annex, Comments on Nationalization and Compensation (§ 52). 51 52
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erschließungsvorhaben, bei Konsortien zur Finanzierung und Durchführung von Großprojekten54. Rechtliche Grundlagen sind die Anerkennung des Grundsatzes der Verbindlichkeit von Verträgen und ein Mindestmaß an Freiheit der Vertragsparteien, ihre Rechtsbeziehungen und die Beilegung möglicher Konflikte durch Rechtswahl, Gerichtsstands- und Schiedsklauseln sowie durch Gestaltung des Vertragsinhalts selbst zu regeln. Im Rahmen der Diskussion um eine Neue Weltwirtschaftsordnung und die Verbesserung der Rechtsposition der Entwicklungsländer sind einzelne Aspekte dieser rechtlichen Grundlagen des internationalen Wirtschaftsverkehrs in Frage gestellt worden mit dem Ziel, den Entwicklungsländern bessere Verhandlungs- und Vertragsbedingungen zu sichern55. a) Die Entwicklungsländer haben u. a. den Standpunkt vertreten, daß die Freiheit der Rechtswahl zugunsten der Anwendung des Rechts der Entwicklungsländer auf Verträge z. B. über Technologietransfer oder allgemein auf Verträge mit multinationalen Unternehmen beschnitten werden müsse. Der UN-Entwurf von Verhaltensrichtlinien für transnationale Gesellschaften beschränkt sich auf die Formel, daß sich die Gültigkeit von Rechtswahlklauseln nach dem Kollisionsrecht der beteiligten Staaten bestimme56. Dahinter steht die Vorstellung, Verbote von Rechtswahlklauseln durch die nationalen Kollisionsrechte der Entwicklungsländer zu gestatten oder zu ermutigen. Bei den Verhandlungen der UNCTAD über den Kodex für Technologietransfer hat die Gruppe der Entwicklungsländer vorgeschlagen, daß Rechtswahlklauseln in Technologietransferverträgen nur gültig seien, soweit das gewählte Recht eine „direkte, wirksame und dauerhafte Beziehung“ zu dem betreffenden Geschäft aufweist57. Damit wäre zunächst einmal die Wahl eines sog. neutralen Rechts, z. B. die in der internationalen [440] Wirtschaftspraxis nicht unübliche Wahl Schweizer Rechts, ausgeschlossen. Nach allen im internationalen Privatrecht vertretenen Theorien zur schuldrechtlichen Anknüpfung 54 Vgl. allgemein Wälde, Transnationale Investitionsverträge – Rohstoffvorhaben in Entwicklungsländern: RabelsZ 42 (1978) 28–86. Zur teilweise zu beobachtenden funktionalen Austauschbarkeit von Direktinvestitionen und vertraglicher Kooperation vgl. Jehl, La notion d’investissement technologique à travers les contrats, in: Transfert de technologie et développement, hrsg. von Judet/Kahn/Kiss/Touscoz (1977) 401–433; Kahn, Typologie des contrats de transfert de technologie, ebd. 435–465; Schanze u. a., Mining Agreements in Developing Countries: J. World Trade L. 12 (1978) 135–173, 136 ff. Zum Vertragsrecht internationaler Emissionskonsortien vgl. Horn (oben N. 17). Zur Entwicklung der Vertragstypen und Organistationsformen bei Rohstofferschließungsvorhaben vgl. auch Asante, Restructuring Transnational Mineral Contracts: Am. J. Int. L. 73 (1979) 335–372. 55 Vgl. die Nachweise oben in N. 29 f. 56 Formulations of the Chairman (oben N. 3) § 55. 57 UNCTAD Draft Code, Appendix B, Vorschlag der Gruppe 77, A § 3: „The law applicable to matters of private interests is that which has a direct, effective and permanent relationship with the transaction“. § 4: „The choice of the applicable law by the parties, the judge or the arbitrators shall be made in conformity with the above rule“.
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bliebe danach die Wahl sowohl des Lieferlandes wie des Empfängerlandes möglich. Es besteht aber kein Zweifel, daß nach den Vorstellungen der vorschlagenden Länder allein das Recht des empfangenden Entwicklungslandes maßgeblich sein soll, weil in diesem Land die betreffende Technologie verwendet wird. Dieser Standpunkt wird weder von den westlichen Industrieländern noch von den sozialistischen Ländern geteilt58. Zwar unterliegt jeder Technologietransfer den nationalen Patentgesetzen und Gesetzen über gewerbliche Schutzrechte der Empfängerländer und ist insoweit ohnehin der Parteiautonomie enzogen. Aber es ist hier die Frage, ob den Interessen der Entwicklungsländer an einer Förderung des Technologietransfers wirklich gedient ist, wenn man die Vertragsparteien zwingt, ihre vertraglichen Beziehungen voll dem Recht des Entwicklungslandes zu unterstellen, das für die auftretenden Rechtsprobleme meist keine Antwort enthält59. Unter diesen Umständen erscheint es als ein Lichtblick, daß auch in den Verhandlungen über den UNCTAD-Kodex zum Technologietransfer die Vorstellung vertreten wird, die vertraglichen Beziehungen möglichst international einheitlichen Grundsätzen zu unterstellen. Zwar ist es den Parteien nach der vorgeschlagenen Rechtswahlregelung nicht gestattet, sich allgemein auf internationale Rechtsgrundsätze zu beziehen, was in der Vertragspraxis bisweilen vorkommt. Aber andererseits wird bei den UNCTAD-Verhandlungen auch die Konzeption vertreten, daß die UNCTAD-Richtlinien selbst materielle Regeln über die Vertragsgestaltung enthalten und daß diese den Vorrang vor irgendeinem gewählten nationalen Recht genießen sollen60. Ungeachtet der Schwierigkeit, allgemein akzeptierte inhaltliche [441] Regeln zu schaffen, bedeutet dieser Vorschlag insofern einen Fortschritt, als man erkennt, daß die Verschiedenheit der nationalen Rechte, der Kampf um ihre Anwendung und die kollisionsrechtliche Unsicherheit ihrer Anwendbarkeit
58 Vorschläge der Gruppe D und der Mongolei sowie der Gruppe B, UNCTAD Draft Code, Appendix B 2 und 3. 59 Die wenig überzeugende Idee, die Interessen der Entwicklungsländer durch eine allgemeine Umgestaltung des Kollisionsrechts im Sinne einer Präferenz des Rechts der Entwicklungsländer zu fördern, findet sich zum Teil auch in der Literatur; vgl. Ebenroth, Konzernkollisionsrecht im Wandel außenwirtschaftlicher Ziele (1978) 29. Diese Vorstellung orientiert sich am umstrittenen Konzept eines neuen „Entwicklungsvölkerrechts“; zu diesem vgl. Friedmann, The Changing Structure of International Law (1964) 176 ff.; Virally, Vers un droit international du développement: Ann. fr. dr. int. 11 (1965) 3 ff.; Petersmann, Das neue Recht des Nord-Süd-Handels: ZaöRV 32 (1972) 339–393; ders., Die Dritte Welt und das Wirtschaftsvölkerrecht: ZaöRV 36 (1976) 492; ders., Internationales Recht und Neue Internationale Wirtschaftsordnung: ArchVölkR 18 (1978/79) 17–44. – Vgl. allgemein (und ohne direkten Bezug zu einem Entwicklungsländer-IPR) Kropholler, Das kollisionsrechtliche System des Schutzes der schwächeren Vertragspartei: RabelsZ 42 (1978) 634–661. 60 UNCTAD Draft Code, Appendix B 1 (Vorschlag der Gruppe 77) A § 6.
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am besten überwunden werden können durch eine materielle internationalrechtliche Lösung. b) Parallel zu dieser Diskussion um die Parteiautonomie der Rechtswahl verlief die Diskussion über die Freiheit der Parteien, den Gerichtsstand zu bestimmen, sowie die Möglichkeit der Konfliktsbeilegung durch Schiedsspruch. Selbst in den westlichen Industrieländern ist zumindest der negative Effekt von Gerichtsstandsklauseln (derogatio fori), die Zuständigkeit der Gerichte eines Landes auszuschließen, auf Widerstand gestoßen61. Der Supreme Court der Vereinigten Staaten hat erst 1972 im Fall Zapata diese Gerichtswahlfreiheit der Parteien unter der Voraussetzung anerkannt, daß die Wahl vernünftig begründet sei62. Der Vorschlag der Entwicklungsländer zum UNCTAD-Kodex will die Gerichtsstandsklausel nur unter den gleichen Voraussetzungen wie die Rechtswahlklausel erlauben und den Ausschluß der Gerichtsbarkeit des Entwicklungslandes, das Empfängerland des Technologievertrages ist, nicht zulassen63. c) Eine befriedigende Regelung dieses Problemkreises ist noch nicht in Sicht. Unter diesen Umständen erscheint die neutrale Beilegung von Streitigkeiten durch Schiedsverfahren und Schiedsgerichtsverfahren, die in der heutigen Praxis des internationalen Wirtschaftsrechts eine bedeutende Rolle spielen, als Ausweg. Zwar bedarf auch ein Schiedsspruch zu seiner Durchsetzung letztlich der Anerkennung durch staatliche Gerichte und Behörden64. Aber es macht einen großen Unterschied, ob ein ganzer Streitfall vor einem bestimmten staatlichen Gericht verhandelt und entschieden werden muß, das unter Umständen mit den anstehenden Sach- und Rechtsfragen überfordert ist oder dem die Parteien aus anderen Gründen kein Vertrauen schenken, oder ob es lediglich darum geht, einen bereits vorliegenden Schiedsspruch unter vorwiegend formalen Gesichtspunkten zu [442] prüfen und anzuerkennen. Die Haltung der Entwicklungsländer zur internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit ist zwiespältig. Einerseits stehen sie der Schiedsge61 Delaume, Legal Aspects of International Lending and Economic Development Financing (1967) 113 ff.; Gilbert, Choice of Forum Clauses in International and Interstate Contracts: Kentucky L. J. 65 (1976/77) 1 = Spires/Aldi/Mitchell, Corporate Counsel’s Annual 1978 II, 1285–1357. 62 The Bremen v. Zapata Off-Shore Co., 407 U.S. 1 (1972). 63 UNCTAD Draft Code, Appendix B, Vorschlag der Gruppe 77, B 1 und 2. Wiederum sind die Vorschläge der sozialistischen Länder (Gruppe D) und der westlichen Industrieländer (Gruppe B) dem entgegengesetzt. Der UN-Entwurf (Formulations of the Chairman, oben N. 3) verweist für die Regelung der Gerichtsstandsklauseln auf das nationale Recht und bestehende völkerrechtliche Verträge (§§ 55, 56). 64 Dieses Problem suchen das New Yorker Abkommen über die Anerkennung und die Vollstreckung von ausländischen Schiedssprüchen vom 10.7.1958 und das Europäische Abkommen vom 21.4.1961 zu lösen. Vgl. auch Glossner, Das Schiedsgericht in der Praxis2 (1978).
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richtsbarkeit teilweise mißtrauisch gegenüber, weil sie hier ein Übergewicht ihnen fremder, westlicher Rechtsvorstellungen fürchten. Die UN-Entwürfe sind daher sehr zurückhaltend formuliert. Der Entwurf der Verhaltensrichtlinien für transnationale Gesellschaften weist schlicht die Entscheidung über die Gültigkeit von Schiedsklauseln den nationalen Rechten zu; dahinter steht wieder die Unterstützung der Möglichkeit, solche Schiedsklauseln zu verbieten65. Der Vorschlag der Entwicklungsländer für den Technologie-Kodex der UNCTAD enthält eine ähnliche Regelung und fügt hinzu, daß die Schiedsklausel keineswegs die Gerichtsbarkeit des Technologieempfängerlandes ausschließen dürfe. Wiederum vertreten die westlichen Industrieländer und die sozialistischen Länder den gegenteiligen Standpunkt66. Andererseits befürworten die Entwicklungsländer, welche die UN- und UNCTAD-Kodizes am liebsten zu verbindlichen internationalen Rechtsnormen erheben möchten, die Einrichtung von Durchsetzungsmechanismen für diese Kodizes, welche auch die Möglichkeit einer schiedsgerichtlichen Konfliktsbeilegung einschließen. Es ist zu hoffen, daß sich dieser Standpunkt in Übereinstimmung bringen läßt mit der in den westlichen Ländern verbreiteten Überzeugung, daß internationale Schiedsgerichtsbarkeit ein wichtiges Instrument zur raschen und flexiblen Konfliktsbeilegung im internationalen Wirtschaftsverkehr darstellt. Die Internationale Handelskammer und das bei der Weltbank eingerichtete Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten stellen organisatorische Instrumente für die Einrichtung von Schiedsgerichten bereit67, und die Schiedsregeln der Internationalen Handelskammer und der UN-Organisation UNCITRAL bieten allgemein akzeptierbare Verfahrensregeln an68. 8. Verträge mit Staaten Ein Sonderproblem bilden Verträge von Staaten mit ausländischen Unternehmen. Ihre vieldiskutierte Haupterscheinungsform waren früher Konzessionsverträge über Erdölvorkommen, die inzwischen teilweise abgelöst und im übrigen erheblichen Abänderungen unterworfen wurden; heute sind es Rohstofferschließungsabkommen und Verträge über bestimmte [443] Entwicklungsprojekte, insbesondere über Infrastrukturmaßnahmen. Auch innerhalb der Industrieländer werden Verträge zwischen staatlichen Stellen und Unternehmen nicht selten im Zusammenhang mit Industrieansiedlungs UNCTAD Draft Code § 55. UNCTAD Draft Code, Appendix B. 67 Convention on the Settlement of Investment Disputes Between States and Nationals of Other States vom 18.4.1965; dazu Pirrung, Die Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Weltbankabkommen für Investitionsstreitigkeiten (1972). 68 ICC Arbitration Rules vom 1.6.1975; UNCITRAL Arbitration Rules, UN Doc. A/ NC. 9/127/Add. 1 (1977); Texte auch bei Glossner (oben N. 64). 65 66
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programmen abgeschlossen, wobei ausländische Investoren durch besondere Investitionsanreize gewonnen werden sollen. In der Vergangenheit haben einzelne Entwicklungsländer und Rohstoffländer bisweilen langfristige Verträge mit ausländischen Unternehmen als unfair bezeichnet, einseitig beendet und Neuverhandlungen gefordert und durchgesetzt. Zum Teil waren damit Enteignungsmaßnahmen verbunden69. Läßt man einmal das komplexe völkerrechtliche Problem der Enteignungsentschädigung in diesen Fällen beiseite, so bleibt das Grundproblem des rechtlichen Bestandsschutzes internationaler, nicht völkerrechtlicher Verträge zwischen Staaten und Privaten. Dieses Problem hat zwei Aspekte. Erstens geht es um den materiellen Grundsatz pacta sunt servanda gegenüber der Berufung auf unfaire Bedingungen oder auf die clausula rebus sie stantibus. Zweitens geht es um die Frage, ob ein Staat als Vertragspartner eine andere als die eigene Gerichtsbarkeit anerkennt. a) Die vorliegenden und die geplanten Verhaltensrichtlinien betonen zwar ebenso wie die UN-Erklärungen über das Programm einer Neuen Weltwirtschaftsordnung die Souveränität der einzelnen Staaten im Hinblick auf ausländische Investoren und ausländische Geschäftstätigkeit auf ihrem Gebiet. Der Grundsatz der Verbindlichkeit von Verträgen mit Staaten wird aber nirgends in Frage gestellt und ist als allgemeines Rechtsprinzip nicht bestritten, wenngleich er faktisch nicht durchweg respektiert wird. Sowohl die OECDErklärung von 1976 wie der UN-Entwurf der Richtlinien für transnationale Gesellschaften betonen die Verbindlichkeit internationaler Verpflichtungen von Staaten70. Dies läßt sich dahin interpretieren, daß auch Verträge zwischen Staaten und ausländischen privaten Vertragspartnern grundsätzlich anzuerkennen sind. Diese Verträge sind auch in die Weltbankübereinkunft über Schiedsgerichtsbarkeit bei Investitionsstreitigkeiten einbezogen. Es gibt aus naheliegenden Gründen auch keinen Staat, der von sich selbst behauptet, er werde Verträge mit ausländischen Investoren nicht respektieren. Insofern steht zu erwarten, daß internationale Verhaltensrichtlinien den Grundsatz pacta sunt servanda nicht prinzipiell schwächen, sondern langfristig stärken werden. Soweit sich in den Richtlinien materielle Regeln über einen angemessenen Vertragsinhalt finden, wie dies für den UNCTAD-Kodex über Technologietransfer angestrebt wird (dazu unten 9), kann dies zu einem faktisch gesteigerten [444] Bestandsschutz für Verträge führen, die solchen Grundsätzen entsprechen. Andererseits besteht die Möglichkeit, daß Staaten
69 Vgl. allgemein Wälde, Negotiating for Dispute Settlement in Transnational Mineral Contracts: Denver J. Int. L. Pol. 7 (1977) 33–75, sowie die Fallstudie von Gantz, The Marcona Settlement: Am. J. Int. L. 71 (1977) 474. 70 OECD Guidelines, Einleitung no. 7; UN-Entwurf (Formulations of the Chairman, oben N. 3) §§ 46, 52.
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bei Verträgen, die diesen Grundsätzen nicht entsprechen, die rechtliche Verbindlichkeit bestreiten und Neuverhandlungen fordern werden. b) Hinsichtlich der Gerichtsunterworfenheit von Staaten als Vertragspartnern ist weltweit zumindest der Grundsatz anerkannt, daß die eigenen Gerichte des Staates angerufen werden können. Die Unterwerfung unter eine ausländische Gerichtsbarkeit stößt dagegen traditionell bei den südamerikanischen Staaten und neuerdings bei einigen Entwicklungsländern auf entschiedene Ablehnung. In den westlichen Industrieländern ist der Grundsatz der Gerichtsfreiheit von Staaten gegenüber ausländischer Gerichtsbarkeit in den letzten Jahren stark eingeschränkt worden. Die Europäische Konvention über Staatenimmunität von 197271 und neuere amerikanische und britische Gesetze von 1976 und 1978 erkennen diese Gerichtsfreiheit nicht mehr an in Fällen, in denen der Staat als privater Geschäfts- und Vertragspartner auftritt72. Ob sich dieser Grundsatz auf der internationalen Ebene der Verhaltensrichtlinien der Vereinten Nationen durchsetzen wird, ist höchst ungewiß. Als Lösungsansatz bieten sich wiederum die bei den Verhandlungen zum UNCTAD-Kodex zu beobachtenden Bestrebungen an, Streitigkeiten über solche Verträge durch internationale Schiedsverfahren beilegen zu lassen, denen sich bisher einzelne Staaten schon immer unterworfen haben73. [445] 9. Materielles Vertragsrecht Die Richtlinien befassen sich im allgemeinen nicht mit dem materiellen Vertragsrecht. Eine bemerkenswerte Ausnahme dazu bildet der UNCTAD-
Int. Leg. Mat. 11 (1972) 470. Vereinigte Staaten: Foreign Sovereign Immunities Act of 1976, 90 Stat. 2891, Pub. L. No. 94–583, 28 U.S.C. §§ 1330, 1602–11 (1976) = Int. Leg. Mat. 15 (1976) 1388 ff.; Großbritannien: State Immunity Act 1978 (1978 c. 33) = Int. Leg. Mat. 17 (1978) 1123 ff. Vgl. auch Delaume, Public Debt and Sovereign Immunity – The Foreign Sovereign Immunities Act of 1976: Am. J. Int. L. 71 (1977) 399–422; Higgins, Recent Developments in the Law of Sovereign Immunity in the United Kingdom: ebd. 423–437; Brower, Litigation of Sovereign Immunity Before a State Administrative Body and the Department of State – The Japanese Uranium Tax Case: ebd. 438–460; siehe auch Strebel, Staatenimmunität, oben Heft 1 S. 66–98, und die dort in N. * genannte neueste Literatur. – Zur Anwendung des amerikanischen Foreign Sovereign Immunities Act (gültiger Verzicht auf den Immunitätseinwand durch gültige Schiedsklausel) vgl. Ipitrade International v. Federal Republic of Nigeria, 465 Fed. Supp. 824 (1978). 73 Von der noch offenen Frage, ob für die Durchsetzung der Verhaltensrichtlinien besondere Schiedsgerichte eingerichtet werden sollen, ist die Frage zu unterscheiden, wieweit Schiedsgerichtsklauseln der Parteien zulässig sein sollen. Dies wird in den Vorschlägen und Entwürfen von seiten der Entwicklungsländer nur mit starken Einschränkungen befürwortet; nach dem Vorschlag der Gruppe 77 für den UNCTAD Code soll damit auf keinen Fall die Gerichtsbarkeit des Empfängerlandes der Technologie ausgeschlossen werden dürfen; UNCTAD Draft Code, Appendix B. 71 72
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Kodex über Technologietransfer74. Hier werden detaillierte und weitreichende materielle Verhaltenspflichten und Regelungen vorgeschlagen, die zum Teil in bemerkenswertem Maße von den im internationalen Verkehr einflußreichen anglo-amerikanischen Rechtsvorstellungen abweichen. Ein Teil der statuierten Pflichten bezieht sich bereits auf die Verhandlungsphase. Dem Anbieter von Technologie werden in den Vertragsverhandlungen weitreichende Informationspflichten auferlegt, einschließlich der Aufschlüsselung komplexer Vertragsangebote („unpackaging“), um dem meist unerfahrenen Technologienachfrager die genaue Beurteilung des Angebots zu ermöglichen75. Ein Teil dieser Pflichten ist dem deutschen Juristen in der Rechtsfigur der culpa in contrahendo vertraut, dem Common Law dagegen fast unbekannt (und namentlich vom Konzept der misrepresentation nicht umfaßt). Für den Inhalt der Verträge werden eine Reihe von Regeln aufgestellt, um eine angemessene – d. h. vor allem nicht überhöhte – Gegenleistung für Patentlizenzen, Know-how-Transfer und gewerbliche Schutzrechte (z. B. für Markengebrauch) zu sichern. Eine Reihe von Klauseln wird als unfair verboten, z. B. bestimmte Wettbewerbsklauseln und die Verpflichtung, die Gültigkeit des Patents nicht zu bestreiten oder eine Gegenleistung über die Laufzeit des Patents hinaus zu erbringen. Der Technologieanbieter muß neueste Technologie liefern und den Abnehmer am technischen Fortschritt beteiligen76.
III. Die Artikulierung eines internationalen ordre public des Wirtschaftsverkehrs 1. Lernprozesse und ihr Einfluß auf Konfliktlösungen Der vorstehende, notwendig gedrängte Überblick hat deutlich gemacht, daß die bestehenden und geplanten Verhaltensrichtlinien geradezu ein Schlüssel sind für das Verständnis der Probleme des internationalen Wirtschaftsrechts. Sie enthalten, so unvollkommen sie sein mögen, konzentrierte Zusammenfassungen und Auflistungen der wichtigsten Probleme internationaler wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Sowohl der mühsame Prozeß des Aushandelns solcher Richtlinien auf internationaler Ebene als auch die vor- [446] liegenden Erfahrungen mit den bereits bestehenden Richtlinien spiegeln internationale Lernprozesse. Sie führen zunächst die grundsätzlichen Schwierigkeiten vor Augen, die mit der Bildung internationalen Einheitsrechts verbunden sind, auf die der Weltwirtschaftsverkehr langfristig nicht verzichten kann. Sie zeigen ferner regionale Problemschwerpunkte. Im Wilner, in: Legal Problems 177, 181 f. UNCTAD Draft Code, Title 37 B Negotiating Phase. 76 UNCTAD Draft Code, Vorschlag eines Abschnitts über „Regulation of Practices and Arrangements Involving the Transfer of Technology“. 74 75
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Verhältnis der Industrieländer untereinander haben sich die sozialen Beziehungen zwischen multinationalen Unternehmen einerseits und Arbeitnehmern und Gewerkschaften andererseits als ein Hauptproblem erwiesen, nicht zuletzt wegen der Initiative der Gewerkschaftsorganisationen. Im Verhältnis zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern erscheint die Regelung des Technologietransfers als vordringlich. Dieser Lernprozeß hat alle Teilnehmergruppen des internationalen Wirtschaftsverkehrs erfaßt. Multinationale Unternehmen haben begriffen, daß die Anerkennung internationaler Verhaltensregeln, wie sie in den OECDRichtlinien ausgedrückt sind, unausweichlich ist und sogar in ihrem eigenen Interesse liegen kann, weil darin diese Unternehmen zugleich auch als legitime und wichtige Teilnehmer am Weltwirtschaftsverkehr anerkannt und nach berechenbaren Grundsätzen behandelt werden. Die Gewerkschaften haben mit Erfolg bestimmte Arbeitnehmerinteressen gegen multinationale Unternehmen formulieren und durchsetzen können; dabei haben sie zugleich auch legitime Interessen der Unternehmen und die Grenzen internationaler Solidarität der von ihnen vertretenen Arbeitnehmer besser kennengelernt. Die an der Ausarbeitung oder Verabschiedung von Richtlinien beteiligten Staaten haben genauer erkannt, daß die Betonung ihrer souveränen Rechte in Übereinstimmung gebracht werden muß mit bestimmten Grundbedingungen der internationalen Solidarität. Die Entwicklungsländer haben im Laufe der Verhandlungen über die Verhaltensrichtlinien auf UN-Ebene politische Maximalvorstellungen revidiert77. Ursprünglich waren die Verhaltensrichtlinien der Vereinten Nationen gedacht als Instrumente im Kampf um die Durchsetzung der Neuen Weltwirtschaftsordnung, die auch eine weltweite planwirtschaftliche Umverteilung von Ressourcen, Investitionen und Einkommen einschloß78, also Ziele, die auf Skepsis und Widerstand der westlichen Industrieländer und namentlich der sozialistischen Länder stoßen mußten und die mit Verhaltensrichtlinien auch gar nicht zu erreichen sind. Die Industrieländer mußten schließlich bestimmte berechtigte Interessen der Entwicklungsländer an besseren und ausgeglicheneren rechtlichen Bedingungen wirtschaftlicher Zusammenarbeit zur Kenntnis nehmen. In dem Maße, in dem sich die Diskussion auf konkrete Regelungsprobleme konzentrierte, hat sie sich versachlicht. [447] Die bereits feststellbaren und künftig möglichen rechtlichen Auswirkungen der Verhaltensrichtlinien wurden bereits in dem vorstehenden Überblick angedeutet. Die OECD-Kommission zur Überwachung der Richtlinien erwähnt in ihrem Bericht 1979 an den OECD-Ministerrat nicht nur die Tatsache, daß zahlreiche Konfliktsfälle zwischen multinationalen Unternehmen 77 Zu den Verhandlungen über den UNCTAD-Kodex für Technologietransfer in diesem Sinne Wilner, aaO (Fn. 9) 179 f. 78 Vgl. die Nachweise oben N. 31, 32 und 59.
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und Arbeitnehmern im Hinblick auf die Richtlinien diskutiert und teilweise beigelegt wurden, sondern auch daß sich verschiedene Mitgliedstaaten in Konflikten mit multinationalen Unternehmen z. B. auf dem Gebiet des Kartellrechts auf die Richtlinien berufen haben79. Man kann erwarten, daß nationale Gesetzgeber sich an den Richtlinien orientieren werden, wie dies für Einzelpunkte der OECD-Ministerrat empfohlen hat und wie dies in einigen Staaten schon im Hinblick auf die Zielsetzungen künftiger Verhaltensrichtlinien geschehen ist80. Man darf auch erwarten, daß sich künftig Verträge über Technologietransfer an den in einem UNCTAD-Kodex formulierten Grundsätzen und Regeln orientieren werden. 2. Die rechtsnormative Qualität der Verhaltensrichtlinien Über den rein faktischen Einfluß der Richtlinien hinaus ist aber auch die Frage nach ihrer normativen Qualität zu stellen. Die erklärte „Freiwilligkeit“ der bisher bestehenden Richtlinien verbietet diese Frage nicht. Es wäre falsch, diese Freiwilligkeit als Gegensatz zum Recht zu verstehen, und man würde die erklärte Intention aller Verhaltensrichtlinien geradezu ins Gegenteil verdrehen, wenn man die „Freiwilligkeit“ so auffassen wollte, daß dadurch die Regelungsgegenstände der Richtlinien in einen rechtsfreien Raum entrückt seien81. Die faktischen Hindernisse, innerhalb einer vernünftigen Zeit internationales Einheitsrecht zu schaffen, sind der Hauptgrund für die Freiwilligkeit der Verhaltensrichtlinien. Dies bedeutet zunächst nur den Verzicht auf formelle Verfahren zur Schaffung solchen Rechts. Die Richtlinien stellen jedoch feierliche Erklärungen der Mitgliedstaaten über die internationale Ordnung des Wirtschaftsverkehrs dar, deren Beachtung empfohlen wird. Man hat in der internationalen Diskussion mit Recht darauf hingewiesen, daß die formelle Beschließung selbst unverbindlicher Richtlinien durch viele Staaten auch ein bedeutendes normatives Gewicht habe, das sich im Laufe der Zeit durch längere faktische Respektierung verstärken werde82. Primär an die privaten Teilnehmer des Wirtschaftsverkehrs, insbesondere die Unternehmen gerichtet, können die Richt- [448] linien doch mittelbar im Laufe der Zeit auch für die beteiligten Staaten normative Kraft gewinnen, die sich aus den völkerrechtlichen Prinzipien des Vertrauensschutzes und des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens ergeben kann83.
CIME Report, Annex I no. 5. Siehe oben N. 16 mit Text. 81 Zutreffend Baade, Legal Effects of Codes of Conduct, in Horn (Hrsg.), Legal Problems 3, 21 ff. 82 Davidow/Chiles insbes. 255. 83 Zu den Möglichkeiten der völkerrechtlichen Verbindlichkeit von Verhaltensrichtlinien eingehend Baade, in: Legal Problems 3, 21 ff.; vgl. auch Davidow/Chiles; Blanpain, 79 80
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Dem Inhalt nach sprechen die Richtlinien eine Reihe wichtiger Regelungsprobleme des internationalen Wirtschaftsrechts an, für die sie teilweise in einer rechtstechnisch unpräzisen Sprache, teilweise aber auch relativ genau, normative Lösungen empfehlen. Die Verhaltensrichtlinien sind selbst nicht internationales Wirtschaftsrecht, enthalten aber Vorstellungen und Anforderungen, wie dieses Recht aussehen sollte, in Gestalt politischer und rechts ethischer Grundwerte und einzelner Verhaltensregeln, die durch internationalen Konsens sanktioniert sind. Dieses Bewertungssystem steht zu den im internationalen Wirtschaftsverkehr angewendeten Normen und geschlossenen Verträgen in einer ähnlichen Beziehung, wie innerhalb einer nationalen Rechtsordnung der Grundsatz von Treu und Glauben oder andere rechts ethische und politische Bewertungsmaßstäbe zu den sie konkretisierenden Normen stehen. 3. Zum Begriff des internationalen ordre public Man kann dieses internationale Bewertungssystem als internationalen ordre public (international public policy) bezeichnen. Man hat bisher die Existenz eines solchen internationalen ordre public zwar diskutiert, aber überwiegend bezweifelt, hauptsächlich aus dem guten Grund, daß im internationalen Bereich präzise und zugleich auf Konsens beruhende Regeln nur schwer auffindbar seien84. Die weltweite Bewegung zur Schaffung und Durchsetzung internationaler Verhaltensrichtlinien hat diese Lage für das Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechts verändert und wird sie weiter verändern. Nimmt man diese Veränderungen zur Kenntnis, so muß man den bisher national festgelegten Begriff des ordre public um eine internationale Perspektive erweitern und ergänzen. Traditionell wird der Begriff des ordre public im Bereich des Kollisionsrechts nur auf eine bestimmte nationale Rechtsordnung bezogen85 und umfaßt in den verschiedenen Ländern einen [449] unterschiedlich weiten Bereich grundlegender, im öffentlichen Interesse bestehender Rechtsnormen und rechtsethischer Grundsätze86. Die rein The Badger Case (oben N. 42) 130: „The [scil.: OECD-]Guidelines ... may pass in the course of time in the general corpus of customary international law“. 84 Ablehnend Neuhaus § 49 II 3 (S. 372). Vorsichtige und eingeschränkte Befürwortung bei Jaenecke und Wiethölter, Zur Frage des internationalen ordre public: BerDGesVölkR 7 (1967) 77 ff., 133 ff. 85 Vgl. schon Art. 6 Code civil. 86 Überblick bei Soergel(-Kegel), BGB 10 VII (1970) zu Art. 30; Neuhaus § 49 I (S. 363 ff.); Dicey/Morris, The Conflict of Laws8 (1967) ch. 7 (S. 72–77); Batiffol/Lagarde, D. i. p.6 I (1974) 444 ff.; anschaulich Lauterpacht, Concurring Opinion in the Boll Case (Netherlands v. Sweden), (1958) I.C.J. Rep. 55: ordre public bedeute einmal bestimmte Gesetze, die wichtige öffentliche Interessen ausdrücken, zum anderen „more generally, fundamental national conceptions of law, decency and morality“.
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nationale Ausrichtung des Begriffs führt übrigens zu einer gewissen terminologischen Schwierigkeit für unser Thema, die man aber nicht zu ernst nehmen sollte: die ältere französische Doktrin verwendete den Begriff „ordre public international“ in einem ganz anderen Sinn, nämlich zur Bezeichnung nationaler Rechtsnormen mit universellem Geltungsanspruch87. – Ansätze zu einer internationalen Orientierung sind jedoch seit langem in verschiedenen Rechtsordnungen zu beobachten; nicht immer haben diese Ansätze internationale Resonanz gefunden. Dies gilt etwa für die französische Lehre vom contrat international und vom paiement international, die bestimmte Tatbestände des internationalen Wirtschaftsverkehrs von der Anwendung des nationalen Wirtschaftsrechts ausnimmt und sich dabei auf den „ordre public externe“ oder den „ordre public international“ beruft88. Immerhin steckt darin der richtige Gedanke, bei der Anwendung nationalen Wirtschaftsrechts auf den transnationalen Charakter eines Geschäfts Rücksicht zu nehmen. Der Bundesgerichtshof hat in bestimmten Fällen den Begriff der guten Sitten durch international anerkannte Anschauungen ausgefüllt89. Man spricht heute von Ansätzen eines europäischen ordre public als Inbegriff der den europäischen Ländern gemeinsamen grundlegenden Rechtsvorstellungen90, und die Frage des internationalen ordre public wird „als Fortsetzung des nationalen ordre public mit erweiterten Mitteln“91 erwogen. Gegenüber den bisherigen Bemühungen um die Frage des internationalen ordre public haben die internationalen Verhaltensrichtlinien die Lage verändert: die Aussagen der Richtlinien haben (relativ) größere Präzision und Autorität. Die hier entwickelten Bewertungssysteme sind geeignet, die Bildung und Anwendung des Rechts des internationalen Wirtschaftsverkehrs und Abschluß und Auslegung seiner Verträge zu beeinflussen. Die erörterte [450] Praxis der OECD-Richtlinien hat gezeigt, daß diese Einwirkung keine Illusion, sondern Realität ist. Dabei geht es nicht nur um die rein faktische Beachtung der Richtlinien im Rechtsleben, z. B. die Beilegung eines Arbeitskonflikts durch einen Vergleich im Geist der OECD-Richtlinien wie im Badger-Fall92. Wichtig ist vielmehr auch die Einwirkung auf die Auslegung und Anwendung bestehenden nationalen Rechts. Im Badger-Fall z. B. ergab sich die Rechtsfrage, ob die Geschäftsleitung der Muttergesellschaft überhaupt dem Vergleich zustimmen könne, ohne sich einer Verletzung ihrer Neuhaus § 49 I 1. Cass. 17.5.1927, D. P. 1928. 1. 25 mit Anm. Capitant; 3. 6. und 9.7.1930, 14.1.1931, D. P. 1931. 1.1 mit Anm. Savatier; Cass. civ. 21.6.1950, Rev. crit. 39 (1950) 609 mit Anm. Batiffol. 89 BGH 22.6.1972, BGHZ 59, 82; vgl. auch BGH 30.6.1961, BGHZ 35, 329, 337 und die Nachweise bei Neuhaus N. 1020. 90 Neuhaus § 49 II 3. 91 Wiethölter (oben N. 84) 177. 92 Vgl. oben N. 42. 87 88
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Pflichten nach amerikanischem Gesellschaftsrecht (fiduciary duties) schuldig zu machen: da ursprünglich eine gesetzliche Zahlungspflicht gegenüber den Arbeitnehmern der Tochtergesellschaft nicht bestand, konnten die Aktionäre an sich die Vergleichsverpflichtung als Verschwendung von Gesellschaftsvermögen (waste of assets) angreifen. Es besteht aber kein Zweifel, daß die Berufung der Geschäftsleitung auf die OECD-Richtlinien eine Rechtfertigung im Sinne ordnungsgemäßer Geschäftsführung (sound business practice) darstellen mußte93. Die „normative“ Auswirkung der Verhaltensrichtlinien bei der Auslegung und Fortbildung der (nationalen) Wirtschaftsrechte nach international einheitlichen Bewertungen wird vor allem die Schwerpunkte haben, die im oben versuchten Überblick (II) deutlich wurden: Fortbildung des Konzernhaftungsrechts und „Unternehmensverhaltensrecht“ für multinationale Unternehmen und Fortbildung des Wirtschaftskollisionsrechts durch Harmonisierung der extraterritorialen Auswirkungen staatlicher Wirtschaftsregulierung durch internationale Kooperationsmuster und Bewertungssysteme. Ein weiterer Einwirkungsschwerpunkt betrifft die Gestaltung der privaten (nicht völkerrechtlichen) Verträge, vor allem über Technologietransfer. Damit ist ein Rechtsgebiet angesprochen, das zwar – durch Rechtswahlund Gerichtsstandsklauseln oder sonstige kollisionsrechtliche Anknüpfung – noch einzelnen oder mehreren nationalen Rechten zugeordnet werden kann, sich aber zunehmend durch Ausbildung international gleichförmiger Gestaltungsmuster, Standardklauseln und Auslegungsgrundsätze der vollständigen Einordnung in ein nationales Recht entzieht. Dieses international einheitliche Recht wird heute unter dem Stichwort lex mercatoria beschrieben und diskutiert94. Zu diesem Rechtsbereich gehören auch die [451] von der Internationalen Handelskammer aufgezeichneten Grundsätze und Regeln, etwa die Incoterms und die Einheitlichen Richtlinien für Dokumentenakkreditive, die weltweite Anerkennung gefunden haben. Der größere Teil dieses Rechtsbereichs hat jedoch noch keine derartige Fixierung erfahren, und es ist die Schwäche des Konzepts der lex mercatoria, daß zwar zutreffend eine einheitliche Vertragspraxis beschrieben wird, aber nur die Interessen der unmittelbar Beteiligten darin ihren Ausdruck finden, und zwar je nach ihrer typischen oder durchschnittlichen Verhandlungsstärke. Diese lex mercatoria bietet daher einerseits zwar unentbehrliche Auslegungsanleitungen, anderer93 Allgemein zu den Rechtspflichten von board und management in dieser Hinsicht Horn (oben N. 16) 301, 304. 94 Vgl. Schmitthoff, The Sources of the Law of International Trade (1964) 3–38; Kahn, La vente commerciale internationale (1961); Goldstajn, The New Law Merchant: J. Bus. L. 1961, 12–17; Goldman, Frontières du droit et ‚lex mercatoria‘: APD 9 (1964) 177–192; Horn (oben N. 17) § 19; ders., A Uniform Approach to Eurobond Agreements: L. Pol. Int. Bus. 19 (1977) 753–778, 773; Langen (oben N. 30) 8 ff.; vgl. auch Kropholler (oben N. 1) 121 ff.; Bonell, Das autonome Recht des Welthandels: RabelsZ 42 (1978) 485–506.
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seits sind ihr aber objektivere rechtsethische Maßstäbe kaum zu entnehmen. Gerade diese Funktionen können Verhaltensrichtlinien wie z. B. die in den Entwürfen für den UNCTAD-Kodex über Technologietransfer enthaltenen Vertragsregeln übernehmen. Man kann erwarten, daß die Verhaltensrichtlinien künftig auf dem Gebiet transnationaler Verträge am ehesten eine normative Kraft als rechtsethisches Bewertungssystem entfalten werden. Man hat bereits auf die Funktion des nationalen ordre public als notwendige Schranke des Klauselrechts der Verträge des internationalen Handels hingewiesen95. Mit noch besseren Gründen muß diese Kontrollfunktion dem internationalen ordre public der Verhaltensrichtlinien zugebilligt werden. Damit ist zugleich die Frage des Verhältnisses von nationalem und dem hier beschriebenen internationalen ordre public angesprochen. Auszugehen ist von der Tatsache, daß – zumindest außerhalb des Völkerrechts – die Anerkennung und Durchsetzung von Recht noch immer fast vollständig von den nationalen Rechtsordnungen und Justizsystemen abhängt. Außerstaatliche Sanktionsmechanismen, die gerade in der internationalen Praxis für die freiwillige Befolgung eine große Rolle spielen, vermögen noch kaum über die Anerkennung „als Recht“ das entscheidende Wort zu sagen. Diese Bedeutung der nationalen Rechtsordnungen ist auch ein wichtiger Grund für die weithin fortdauernde Übung, in Verträgen des internationalen Wirtschaftsverkehrs Rechtswahlklauseln beizubehalten. Anerkennung von lex mercatoria heißt demnach deren Anwendung und Anerkennung letztlich durch staatliche Gerichte, etwa in der Auslegung eines Vertrages oder in der Anerkennung eines Schiedsurteils, das zuvor auf eine lex mercatoria gegründet wurde. Diese Anerkennung erfolgt demnach unter dem Vorbehalt und sozusagen durch den Filter der nationalen Rechte. Gleiches gilt für einen internationalen ordre public. Er kann sich nur durchsetzen, soweit die nationalen Rechtsordnungen es gestatten, bei einem internationalen Sachverhalt die international anerkannten Bewertungen rechtlich zu berücksichtigen96. Letztlich geht es also um die Sanktion durch den natio- [452] nalen ordre public; insofern ist die Formel von der Fortsetzung des nationalen ordre public mit anderen Mitteln praktikabel97. Da die internationalen Verhaltensrichtlinien feierliche Erklärungen der beteiligten Staaten darstellen, ist anzunehmen, daß ihre Beachtung in den Rechtsordnungen dieser Staaten dem
Kropholler (oben N. 1) 125. Zum „weltweiten Konsens über die Beantwortung der kollisionsrechtlichen Frage“ im Sinne der grundsätzlichen Anerkennung der Möglichkeit, daß Auslandsberührung die Anwendung der lex fori ausschließen könne, Egon Lorenz, Zur Struktur des IPR (1977) 57. Eine solche Konsensbildung ist auch hinsichtlich der Berücksichtigung international (unter Beteiligung des betreffenden Staates formulierter und) anerkannter Grundsätze und Verhaltensrichtlinien erwartbar. 97 Wiethölter (oben N. 84) 177. 95 96
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nationalen ordre public entspricht und schrittweise und zumindest partiell auf diese Weise rechtliche Anerkennung findet. Nationaler und internationaler ordre public unterscheiden sich in der Herkunft, aber nur graduell in der Wirkungsweise. Gemeinsam ist ihnen die rechtskritische und kontrollierende Funktion. Traditionell werden unter Berufung auf den (nationalen) ordre public teils inländische Rechtsnormen bevorzugt vor ausländischen angewendet, teils fremde oder auch eigene Rechtsnormen, die an sich anwendbar wären, ausgeschlossen98. Zumindest nach der in Deutschland vertretenen Konzeption ist die Berufung auf den (nationalen) ordre public eine seltene Ausnahme, während nach den vorstehenden Ausführungen der internationale ordre public in breiterem Umfang für die Auslegung und Anwendung geltenden Rechts herangezogen werden soll. Darin liegt aber nur ein gradueller Unterschied. Bei einer realistischen Einschätzung wird man auch die Berufung auf internationale Verhaltensrichtlinien eher als den Ausnahmefall ansehen müssen. Ein zweiter Unterschied scheint darin zu liegen, daß der nationale ordre public in engem Zusammenhang mit der kollisionsrechtlichen Frage steht, während der hier beschriebene internationale ordre public nur zum Teil und eher indirekt mit dieser Frage in Beziehung steht. Aber auch die Funktion des nationalen ordre public besteht gerade darin, die kollisionsrechtliche Betrachtung durch eine materielle Betrachtung im Ausnahmefall zu überwinden. Die gleiche Funktion hat der internationale ordre public. Er soll bei internationalen Sachverhalten des Wirtschaftsverkehrs die Anwendung der an sich kollisionsrechtlich berufenen Normen zugunsten der materiellen Grundsätze der Verhaltensrichtlinien korrigieren, teils durch neue kollisionsrechtliche Lösungen, teils durch Korrektur der anwendbaren materiellen Normen. [453]
IV. Schlußbemerkung: internationaler ordre public als ein heuristischer Begriff Die vorstehenden Ausführungen sollen nicht so verstanden werden, als ob Verhaltensrichtlinien unterschiedslos und ausschließlich als Rechtsgrundsätze im Sinne eines ordre public aufzufassen wären. Sie sind zunächst und ihrer Intention nach politische Erklärungen und Programme, und ein Teil ihres Inhalts läßt sich wegen seiner weiten und programmatischen Fassung auch nur schwer in Rechtsgrundsätze umsetzen. Insofern wird der hier verwendete Begriff des internationalen ordre public als heuristischer Begriff verstanden, die rechtsrelevanten Bewertungsmaßstäbe herauszuarbeiten. Ferner soll hier keine Illusion darüber verbreitet werden, daß viele Elemente der Verhaltensrichtlinien im Kampf der politischen Interessengegensätze und Neuhaus § 49 I.
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im wirtschaftspolitischen Egoismus der Staaten und sonstigen Teilnehmer des internationalen Wirtschaftsverkehrs keine oder nur geringe Wirksamkeit entfalten werden oder daß z. B. einzelne Länder bestimmte Richtlinien nur als abdingbare Verhandlungspositionen benützen könnten. Schließlich kann jede Normbildung und Normdurchsetzung im internationalen Bereich durch politische Macht- und Interessenverschiebung erschüttert und gestört werden. Dies sind Bedingungen, die auf dem hier nur am Rande berührten Gebiet des Völkerrechts geläufig sind, und es sollte nicht überraschen, sie auch auf dem Gebiet des internationalen Wirtschaftsrechts (wo es nicht Völkerrecht ist) wiederzufinden. Die wachsende internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit und der aus den Konfliktmöglichkeiten unabweisbar entstehende Regelungsbedarf werden jedoch die Entwicklung und Beachtung der Verhaltensrichtlinien fördern und, manchmal vielleicht auf dem „Umweg“ über die Rechtspraxis, ihre allmähliche, zumindest teilweise Umsetzung in das Recht bewirken, als ordre public des internationalen Wirtschaftsrechts.
Summary THE DEVELOPMENT OF INTERNATIONAL BUSINESS LAW – NEW ELEMENTS OF AN INTERNATIONAL ORDRE PUBLIC International trade, investment and economic cooperation require new and commonly recognized international rules and regulations. As a response to this need, international codes of conduct for multinational enterprises, for transfer of technology and against restrictive business practices are being prepared by UN affiliate organizations. The OECD and other international organizations have already promulgated and partly implemented such codes and guidelines. The potential legal relevance of international codes of conduct and guidelines can be seen in their specific ap- [454] proach to classic issues of transnational economic law. In conflict of laws regulating business and economy, as well as in laws against restrictive business practices and in the question of the proper law of the corporation, the idea of protecting the values and interests of host countries and recipient countries is predominant. Gradually, it is being modified by the idea of international cooperation. Extraterritorial effects of national laws and governmental control might be tolerated to this extent. The rule, imposed on multinational enterprises, to be good citizens of their respective host countries together with the rule that liability and responsibility should follow the factual distribution of decisionmaking power within a combine, amount in a way to a “piercing of the corporate veil”, as can be observed in the implementation of the existing OECD instruments. Party autonomy as to choice of law and forum as well as the legal protection of foreign investment, which are vital elements of free inter-
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national trade and investment, are highly controversial in the debates at the UN level, at least as to their scope of application. It is hoped, however, that the ongoing debates will result in a better understanding of these principles, their scope and limits. The UNCTAD debate on the transfer of technology code has witnessed a remarkable effort to formulate substantive rules of contracts and precontractual negotiation. The codes and guidelines represent rules and values of international economic cooperation and standards of business ethics which, although designed as voluntary and legally not enforceable, constitute elements of an international ordre public (public policy) relevant in the formation and application of the law governing international trade, investment and economic cooperation. It is suggested, that this emerging body of international public policy rules will, together with the national ordre public of the various national legal systems, guide courts and arbitral tribunals in the application of national and international law governing international trade, investment and economic cooperation.
Normative Grundprobleme einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung“* In Norbert Horn (Hrsg.) Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Helmut Coing, 1982, Bd. II, S. 149–166 I. ‚Neue Weltwirtschaftsordnung‘ als Problem der Rechtstheorie und Rechtssoziologie Mehr als je zuvor in der Geschichte der Menschheit hängen Wohlfahrt und Fortschritt einer jeden Nation von der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit ab. Die einzelnen Volkswirtschaften sind immer mehr in weltwirtschaftliche Zusammenhänge integriert worden.1 Die normativen Grundlagen und Rahmenbedingungen der Weltwirtschaft sind seit Anfang der 70er Jahre Gegenstand einer intensiven weltweiten Diskussion. Eine Neuordnung soll die Entwicklungsländer im Kampf gegen den Hunger und für rasche wirtschaftliche Fortschritte wirksamer unterstützen. Elemente einer ‚Neuen Weltwirtschaftsordnung‘ (NWWO) wurden in verschiedenen Resolutionen der Vereinten Nationen formuliert.2 Nun wird versucht, die normativen Einzelelemente einer solchen Ordnung und Mechanismen zu ihrer Durchsetzung zu schaffen. Teil dieser Bemühungen sind die Deklaration der ILO über multinationale Unternehmen und soziale Beziehungen von 1977 und die Vorbereitung internationaler Verhaltensrichtlinien über Technologietransfer und über Wettbewerbsbeschränkungen durch UNCTAD sowie über die Tätigkeit multinationaler Unternehmen durch UN ECOSOC.3 Auch in * Die Ergebnisse der folgenden Untersuchung wurden am 29.7.1981 auf dem Weltkongreß für Rechts- und Sozialphilosophie in Mexiko, am 15.7.1981 am U.P. Law Center in Manila und am 26.8.1981 vor der International Bar Association in Los Angeles vorgetragen. 1 Jan Tinbergen, International Economic Integration, 1965; Neuer interdisziplinärer Problemüberblick bei Behrens, Integrationstheorie, RabelsZ 40 (1981) (Mitarbeiter-Festschrift Konrad Zweigert), 8–50. 2 UN GA Res. 3201 (S-IV) and 3203 (S-VI): Declaration and Programme of Action on the Establishment of a New International Economic Order, 1974; Res. 3281 (XXIX): Charter of Economic Rights and Duties of States, 1974; Res. 3262 (S-VII): Development and International Economic Cooperation 1975. 3 ILO, Tripartite Decaration of Principles Concerning Multinational Enterprises and Social Policy (16.11.1977); cf. UNCTAD, Draft International Code of Conduct on the
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das müh- [150] same Geschäft der Schaffung international einheitlichen Handelsrechts haben sich die VN, insbesondere durch UNCITRAL, verstärkt eingeschaltet.4 Eine völkerrechtlich neuartige, politisch und wirtschaftlich sehr weitreichende Aufteilung der meerbedeckten Erdoberfläche sowie Rohstoffumverteilungsmechanismen erstrebt die 3. UN-Seerechtskonferenz.5 Das ganze Konzept der Neuen Weltwirtschaftsordnung und die anhaltenden Bemühungen um deren normative Umsetzung verdienen große Aufmerksamkeit nicht nur vom Standpunkt der internationalen Wirtschaftspolitik, des Völkerrechts und des internationalen Handelsrechts, sondern auch vom Standpunkt der Rechtstheorie und Rechtssoziologie. Denn hier werden grundsätzliche Fragen der Bildung und Durchsetzung von Rechtsnormen und ethischen Normen auf internationaler Ebene, sowie der gegenseitigen Abhängigkeit von ethischen und rechtlichen Normen einerseits und wirtschaftlicher Gesetzlichkeit andererseits verhandelt. Eine neue Variante des alten Traums der Philosophen von einer Menschheit, die unter gemeinsamen Normen und Werten geeint ist,6 ist vor dem Hintergrund harter politischer und ökonomischer Realitäten der bestehenden weltwirtschaftlichen Verhältnisse6a und anhaltender internationaler Verhandlungen zu bedenken. [151] Im Folgenden werden normative Grundprobleme der NWWO analysiert.7 Unser Interesse gilt Schwierigkeiten der normativen Umsetzung der NWWO, insbesondere möglichen Antinomien, d. h. implizierten widerTransfer of Technology as of June 2, 1980 (TD/Code TOT 25). UNCTAD Code on Resrictive Business Practices; angenommen durch UN GA Res. as of 5.12.1980 (UN DOC TD/ RBP/CONF/10 [1980] D 3; draft of a model law or laws on restrictive business practices to assist developing countries in devising appropriate legislation, UN publication, sales no. E. 79.II. D. 6. UN ECOSOC, Commission on Transnational Corporations, Transnational Corporations: Code of Conduct, Formulations by the Chairman as of Dec. 13, 1978 (UN ECOSOC E/C. 10/AC 2/8). Die TOT Code Verhandlungen sind am 10.4.1981 in Genf vorerst gescheitert. 4 Krit. dazu Puttfarken, RabelsZ 45 (1981) (Mitarbeiter-Festschrift Konrad Zweigert), 91 ff., 94: zum UNCITRAL-Entwurf eines Übereinkommens über internationale Warenkaufverträge eingehend Ulrich Huber, RabelsZ 43 (1979), 413. 5 UN Third Conference on the Law of the Sea: Draft Convention on the Law of the Sea as of August 28, 1981 (A/Conf. 62/L. 78) for the resumed tenth session Geneva 3–28 August 1981. 6 Vgl. Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden, Königsberg 1795 (Kant, Werke hsg. Weich edel, Band VI, Darmstadt 1970, S. 195ff.); Metaphysische Anfangsgründe der Rechtslehre 2. Aufl. Königsberg 1798 (Kant, Werke aaO. Band IV, S. 305 ff.); allg. dazu Helmut Coing, Kant und die Rechtswissenschaft, in: Kant und die Wissenschaften (Frankfurter Universitätsreden Heft 12) 1954, S. 34ff. Vgl. auch Rawls, A Theory of Justice, Cambridge (Mass.), 1972. 6a Cf. William R. Cline (ed), Policy Alternatives for a New International Economic Order. An Economic Analysis, New York 1979; Sauvant-Hassenpflug (ed.), The New International Economic Order, Boulder (col.) 1977: Karl P. Sauvant, Changing Priorities on the International Agenda, 1981. 7 Überblicke über zahlreiche normative Einzelprobleme der NWWO finden sich in: Kamal Hossain (Hsg.), Legal Aspects of the New International Economic Order, London/
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sprüchlichen Anforderungen an die gesuchten Regelungen,8 sowie den Wegen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten. Diese Analyse kann hier nur in streng selektiver Weise geleistet werden. Ihr theoretischer Anspruch liegt unterhalb des Glanzes umfassender theoretischer Konzepte in dem Ziel, die normativen Grundfragen in engem Zusammenhang mit der politischen Praxis zu betrachten. Ohne eine Lösung dieser Grundfragen wird die weltweite Diskussion um die NWWO nicht viel ausrichten können.
II. Ziele und Konzepte 1. Ökonomische Ziele: Unabhängigkeit und Umverteilung Das Konzept der NWWO ist Ausdruck der wichtigsten politischen Forderung der Entwicklungsländer in der nachkolonialen Ära, ihre Position in der Weltwirtschaft zu stärken. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis der Entwicklungsländer, daß ihre politische Unabhängigkeit noch nicht ihre wirtschaftliche Selbständigkeit bewirken konnte. Diese Überzeugung teilen auch die Länder Lateinamerikas, die ihre politische Unabhängigkeit bereits im 19. Jahrhundert errangen, sich aber wirtschaftlich in starker internationaler Abhängigkeit – „dependencia“ – betrachten.9 Die Forderung nach ökonomischer Unabhängigkeit als Ergänzung und Vollendung der politischen Unabhängigkeit war Grundlage für die Formulierung des Konzepts der NWWO. Über die Mittel und Wege zur Erreichung dieser Unabhängigkeit besteht Unklarheit. Einig sind sich die Entwicklungsländer in dem Wunsch, die Regeln des Weltwirtschaftsverkehrs zu ihren Gunsten zu verändern. Eine wichtige Rolle spielt dabei die Forderung nach Meistbegünstigung ohne Gegenseitig[152] keit (non-reciprocal preferential treatment). Weitere Wünsche richten sich auf globale Umverteilungen von Ressourcen. Dies zeigt sich auch in weitreichenden Verteilungs- und Umverteilungskonzepten der 3. UN-Seerechtskonferenz, auf die hier nur pauschal hingewiesen werden kann.9a Ein normatives Problem liegt schon darin, daß nach aller historischer Erfahrung eine Meistbegünstigung nur in Verknüpfung mit der Verbürgung
New York 1980; Norbert Horn (Hsg.), Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, Deventer 1980. 8 Auf inhaltliche Antinomien in den UN-Resolutionen zur NWWO weist schon SeidlHohenveldern, International Economic „Soft Law“, Recueil des Cours 163 (1979/II), 1980, S. 167ff. (177, 217ff.) hin. 9 Vgl. allg. Jaguaribe et al., La Dependencia Politico-Económica de América Latina, 3. Aufl. Mexiko 1971. 9a UN Third Conference on the Law of the Sea: Draft Convention on the Law of the Sea as of August 28, 1981 (A/Conf. 62/L. 78) for the resumed tenth session Geneva 3–28 August 1981.
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der Gegenseitigkeit dauerhaft durchsetzbar ist.10 Dies wird auch bestätigt durch die nur bescheidenen Fortschritte in der Vereinbarung über allgemeine Zollpräferenzen, die 1971 auf Betreiben von UNCTAD im Rahmen des GATT beschlossen wurde,11 sowie durch die Tatsache, daß auch die Abkommen der EG mit Entwicklungsländern von 1975 und 1979 eher auf einen Ausgleich beiderseitiger Interessen abzielen.12 Eine prinzipielle Schwierigkeit besteht jedoch darin, daß die Entwicklungsländer den Grundatz der Gegenseitigkeit im übrigen verteidigen und als rechtlichen Ausdruck ihrer eigenen Selbständigkeit gewahrt sehen wollen.13 Bei den erstrebten direkten internationalen Umverteilungen schließlich zeichnet sich ein Zielkonflikt ab: institutionalisierte Umverteilungen würden nicht nur Lasten für die Nationen, auf deren Kosten umverteilt werden soll, sondern auch eine neue dependencia der Entwicklungsländer schaffen, im neuen Seerecht der 3. UN-Seerechtskonferenz etwa eine dependencia der küstenfernen, rohstoffarmen Länder, aber auch u. U. allgemein aller seefahrenden Nationen, von den Langküstenund Inselstaaten (die ihre Einflußzonen ausdehnen) und von der Internationalen Meeresbodenbehörde.13a 2. Ökonomische Ordnungsvorstellungen: Planwirtschaft und Marktwirtschaft Das Konzept der NWWO war von Anfang an von ausgeprägten planwirtschaftlichen Zielvorstellungen gekennzeichnet.14 Konkrete Beispiele dafür bieten die Forderung nach Inanspruchnahme der Sonderziehungsrechte des [153] IWF für Entwicklungshilfefinanzierung,15 die im Entwurf der Seerechtskonvention vorgesehene, mit weiterreichenden Kompetenzen ausgestattete internationale Meeresbodenbehörde und Pläne für Reglementierungen der Rohstoffmärkte.16 Diese planwirtschaftlichen Vorstellungen 10 Georg Erler, Grundprobleme des Internationalen Wirtschaftsrechts, 1956, S. 52 f., 57ff., 74f., 99, 13 f. 11 Zum begrenzten Nutzen des ‚Generalized System of Preferences‘ vgl. Kreinin-Finger, J.W.T.L. 10 (1976), 491, 501 ff.; Ginnan-Muray in: Sauvant-Hassenpflug aaO. (Fn. 6). 12 Zu den Abkommen von Lomé 1975 und 1979 Tetzlaff, VRÜ 9 (1976), 33, 37; Meyer, Europa-Archiv 35 (1980) 11 ff.; v. Hippel, Grundfragen der Weltwirtschaftsordnung, 1980, S. 15 f. 13 Seidl-Hohenveldern aaO. S. 177. 13a UN Third Conference on the Law of the Sea: Draft Convention on the Law of the Sea as of August 28, 1981 (A/Conf. 62/L. 78) for the resumed tenth session Geneva 3–28 August 1981. 14 Vgl. die Nachw. in Fn. 2 und 6 und den Überblick bei v. Hippel, S. 14. 15 Boeck in Kebschul-Michalsky-Scharrer, Die neue Weltwirtschaftsordnung, 1977, 161, 188 ff. 16 Vgl. UNCTAD, An Integrated Programme for Commodities and Indexation of Prices, in Sauvant-Hassenpflug aaO. S. 134 ff. Eine Interessenanalyse zur Seerechtskonferenz
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auf internationaler Ebene werden dadurch unterstützt, daß neben den sozialistischen Ländern die meisten Länder der Dritten Welt eine bürokratische Planung und Steuerung ihrer wirtschaftlichen Entwicklung aufgebaut haben, die sie, teils wegen der fehlenden sozioökonomischen Voraussetzungen einer Marktwirtschaft, teils wegen umfangreicher Infrastrukturaufgaben von öffentlichem Interesse, auch nicht ganz entbehren können. Planwirtschaftliche Lösungsvorschläge haben seit jeher die Faszinationskraft der iustitia distributiva: sie versprechen die direkte politische Realisierung wirtschaftlicher und sozialer Ziele und damit sozusagen handgreifliche Gerechtigkeit. Marktwirtschaftliche Konzepte haben geringeren sozialethischen Glanz, weil sie zugunsten der freien und dezentralen Entscheidungen der Wirtschaftssubjekte auf die direkte politische Entscheidung ökonomischer und sozialer Prozesse verzichten. Sie haben lediglich das Argument der ökonomischen Effizienz und tatsächlicher Wohlfahrtsgewinne für sich,17 an die dann auch sekundäre soziale Umverteilungen anknüpfen können. Tatsächlich wird der Weltwirtschaftsverkehr im Grundsatz nach den ehernen Marktgesetzen von Angebot und Nachfrage gesteuert, die den größten Teil der internationalen Kapital- und Warenströme koordinieren. Selbst der fatale Erfolg des OPEC-Kartells bestätigt noch diese grundsätzliche Marktverfassung: den „Weltmarkt“. Eine grundsätzliche Änderung erscheint derzeit politisch nicht erreichbar. Für die weitere Diskussion wäre die Erkenntnis förderlich, daß eine solche Veränderung auch nicht wünschbar ist. Diese Erkenntnis setzt sich offenbar allmählich durch. Schon nationale Planungsbürokratien sind ständig auf die Flexibilität und Dynamik privatrechtlicher Anbieter und Nachfrager auf den internationalen Märkten angewiesen. Die Einrichtung supranationaler Planungs- und Verteilungsbürokratien mit politischer Entscheidungsgewalt potenziert die Gefahren bürokratischer Rei[154] bungsverluste und ökonomischer Kosten durch Fehlentscheidungen. Die Rechtswissenschaft kann durch interdisziplinäre Untersuchungen, wie sie unlängst Verloren van Themaat durchgeführt hat,18 notwendige internationale Lernprozesse über die begrenzte Leistungsfähigkeit internationaler Planwirtschaften fördern. Die Befürworter marktwirtschaftlicher Konzepte im Weltwirtschaftsverkehr können sich aber nicht mit dem status quo und der Hoffnung auf ökonomische Entwicklungen begnügen. Sie müssen nicht nur die traditionellen Probleme einer Ausschaltung oder Deformierung des Marktes durch staatlichen Protektionismus einerseits, durch Marktmacht andererseits anpacken. bei Georghiu u. Cameron, Why America is making waves over the seabed’s riches, The (London) Times v. 8.7.81, S. 23; Wright ebda. 17 Zur Bedeutung der Liberalisierung des Welthandels für seinen Aufschwung vgl. z. B. Weltbank, Weltentwicklungsbericht August 1979, S. 23 f. 18 RabelsZ 43 (1979), 632 ff.
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Sie müssen sich vielmehr auch der Grundsatzfrage stellen, welche Aufgaben der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit durch den Marktmechanismus nicht allein gelöst werden können. Verloren van Themaat schätzt, daß fast alle wichtigen Aufgaben der Weltwirtschaft, wie z. B. internationales Währungssystem, Rohstoff- und Energieversorgung, Welternährung, Umweltschutz usw. mit Ausnahme des internationalen Handels, durch Marktmechanismen allein nicht mehr gelöst werden können.19 Die Vorschläge der Nord-Süd-Kommission folgen der gleichen Vorstellung. Dies ist im einzelnen sorgfältig zu prüfen. Dabei sind zwei Grundsätze zu beachten: erstens der Vorrang von Marktprozessen, wo immer dies möglich ist; zweitens der Vorrang von dezentralen Planungsprozessen. Die bisherige Entwicklungshilfe beruht zum größten Teil auf der Zusammenarbeit nationaler Planungsbürokratien, also insoweit dezentraler Entscheidungsträger, und nur zum Teil auf internationaler Zusammenfassung (Weltbank; regionale Entwicklungsbanken und -fonds). Es scheint, daß die NWWO bisher keine dazu eindeutig überlegenen institutionellen Alternativen anbietet. Vor allem ist stets zu prüfen, wieweit die Planungs- und Lenkungsfunktionen ordnungspolitisch so ausgerichtet werden können, daß sie möglichst Eigeninitiative der Wirtschaftssubjekte und damit Marktprozesse fördern und in diese übergeleitet werden können. 3. Souveränität und internationales Recht In den Texten zur NWWO wird die Bedeutung der nationalen Souveränität als rechtlicher Ausdruck des Unabhängigkeitsstrebens der Entwicklungs- [155] länder stark betont.20 Im Konzept der NWWO sind zugleich potenzielle Modifikationen des Begriffs enthalten, die auf dessen normative Grundprobleme hinweisen. Erstens wird der Begriff der Souveränität in Richtung auf wirtschaftliche Unabhängigkeit ausgedehnt.21 Man kann hier fragen, ob eine solche inhaltliche Begriffsausweitung der rechtlichen Tauglichkeit des Begriffs förderlich ist oder ob nicht deutlicher zwischen Rechtsbegriff und politischer Forderung unterschieden werden sollte. Zweitens ist zu klären, wieweit sich Pläne für supranationale Umverteilungsregelungen und -bürokratien mit dem Grundsatz der souveränen Gleichheit der Mitglieder der Vereinten Nationen22 vereinbaren lassen.23 Das Problem der Wahrung des letztgenannten Grundsatzes stellt sich pointiert bei der 3. UN-Seerechtskonferenz, die sowohl eine außer AaO. S. 634. Allg. dazu Seidl-Hohenveldern aaO. S. 177. 21 Vgl. Jankowitsch-Sauvant (Hsg.) The Third World without Superpowers, Dobbs Ferry 1978, S. 5; Böllecker-Stern, in: Kamal Hossain op. cit. (Fn. 7) S. 77f. 22 Vgl. Art. 2 Abs. 1 Charta der V.N. 23 Seidl-Hohenveldern S. 217. 19 20
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ordentliche räumliche Ausdehnung von Souveränitätsrechten der Langküsten- und Inselstaaten zum Nachteil küstenferner und seefahrender Staaten ansteuert, als auch internationale Umverteilungsmechanismen durch eine Meeresbodenbehörde vorsieht. Wichtiger noch ist eine dritte Frage: ob das NWWO-Konzept der Souveränität darauf abzielen soll, die rechtlichen Bindungen und Pflichten der Staaten in ihren internationalen Wirtschaftsbeziehungen abzuschwächen. Die Frage ist insbesondere aktuell im weiten Bereich der Rechtsbeziehungen zwischen den staatlichen Agenturen von Entwicklungsländern und den Privatunternehmen westlicher Industrieländer. Der unterschiedliche völkerrechtliche Status der Partner begründet hier ein Gefälle, das im Interesse der Kooperation und der Rechtssicherheit überbrückt werden muß. Bei den diplomatischen Bemühungen für eine Einigung über die VN-Charta der „wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten“ war die Kontroverse über den international-rechtlichen Bestandsschutz dieser Beziehungen das Haupthindernis.24 Bei den Beratungen über die VN-Verhaltenskodizes über Technologietransfer und über multinationale Unternehmen ergab sich die Hauptkontroverse zu der Frage, wieweit auch Pflichten von Staaten (z. B. zur Entschädigung bei Enteignungen) kodifiziert werden sollten.25 Ebenso kontrovers sind [156] die klassischen Fragen, wieweit ein Staat als Partner im Handelsverkehr ein anderes Recht und eine andere Gerichtsbarkeit als die eigene vertraglich anerkennen soll.26 Lateinamerikanische Staaten haben dies bekanntlich traditionell verneint; eine ähnliche Haltung findet sich heute in manchen arabischen Staaten.27 Ähnliche Probleme können sich bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Staaten ergeben. In allen Fällen erfordert die wirtschaftliche Zusammenarbeit ein Mindestmaß an Festigkeit und auch an Reziprozität rechtlicher Bindungen aufgrund gemeinsam anerkannter Rechtsregeln. Es kommt daher darauf an, den Begriff der Souveränität so zu fassen, daß er mit diesen elementaren rechtlichen Anforderungen des Weltwirtschaftsverkehrs in Einklang steht. Im Programm der NWWO ist selbst eine beachtliche Fortentwicklung und Ausdehnung des Umfangs völkerrechtlicher Regeln angelegt. Es ist eine alte Einsicht der Rechtstheorie, daß Rechte nur soweit begründet werden können, als zugleich Pflichten von Normadressaten begründet
24 Vgl. E.J. de Arechaga, Application of the Rules of State Responsibility to the Nationalisation of Foreign-Owned Property in: Kamal Hossain (Fn. 7) S. 228. 25 Allg. dazu Horn, Legal Problems op. cit. (Fn. 7) S. 54f. 26 Horn aaO. S. 73 ff.; vgl. auch die Resolution „La loi du contrat dans les accords entre un Êtat et une personne privée étrangère“ des Institut du Droit International vom 11.9.1979. 27 Vgl. etwa zur Vertragspraxis im Verkehr mit Saudi-Arabien Krüger, in: Böckstiegel (Hsg.), Vertragspraxis und Streiterledigung im Wirtschaftsverkehr mit arabischen Staaten, Köln 1981, S. 61 ff.
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werden.28 Mangels eines übergeordneten internationalen Gesetzgebers kann dies nur dadurch geschehen, daß Pflichten nach den Prinzipien der Gleichheit und Gegenseitigkeit übernommen werden. Die in der NWWO angelegten neuen Ansprüche an das Konzept der Souveränität sind in diesem Sinn mit den gleichzeitig in der NWWO beschlossenen Bestrebungen nach neuen Normbildungen abzustimmen. 4. Altes und neues Recht Das Konzept der NWWO ist weithin mit der Vorstellung verbunden worden, daß die bestehenden Grundsätze und Formen des internationalen Wirtschaftsrechts durch neue abzulösen seien. Bei den Entwicklungsländern hat sich in der Zeit nach der Entkolonialisierung die Vorstellung verbreitet, daß nicht nur neues Völkerrecht, sondern auch neues Handelsrecht geschaffen werden müsse, weil das bisherige Recht als Instrument für Ausbeutung und Unterdrückung gedient habe. Man hat oft darauf hingewiesen, daß Grundsätze wie der Schutz des Privateigentums, die Anerkennung juristischer Perso- [157] nen und die Respektierung der Bindung an langfristige Verträge sich zum Nachteil der Entwicklungsländer ausgewirkt hätten. Es ist in der Tat nicht überraschend, daß in der Folgezeit der Entkolonialisierung zahlreiche private Rechtsverhältnisse von großer wirtschaftlicher Bedeutung aufgelöst oder abgeändert wurden durch Enteignungen oder die Beendigung und die Neuverhandlung langfristiger Verträge und Konzessionen.29 Auch in Studien der V. N. wird ansatzweise die Auffassung von einer geminderten Bindung von Verträgen im internationalen Wirtschaftsverkehr und zwar zugunsten von Staaten gegenüber privaten Vertragspartnern, deutlich.30 In der wissenschaftlichen Diskussion wird die Frage nach einem Wandel des Satzes ‚pacta sunt servanda‘ im internationalen Wirtschaftsverkehr gestellt.31 Der Schluß, traditionelle Grundsätze und Grundformen des Privat- und Wirtschaftsrechts, deren sich der internationale Handel seit langem bedient, seien per se nicht mehr vertrauenswürdig und daher zu beseitigen, liegt nicht fern.
Vgl. Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 7. Aufl. 1977, S. 20. Asante, Restructuring Transnational Mineral Agreements, 73 Am J. Int.L. 335–371 (1979); vgl. auch Gantz, The Marcona Settlement: New Forms of Negotiation and Compensation for Nationalized Property, 71 Am.J. Int.L. 474ff. (1977). 30 UN (Center on Transnational Corporations): Transnational Corporations in World Development: A Re-Examination (UN Doc E/C 10/38 1978), New York 1978, S. 102–122 (§§ 338–404). 31 Oppetit, L’adaptation des contrats internationaux aux changements de circonstances, J. dr. int. 1974, 794 ff.; nicht unbedenklich Zakariya, Changed Circumstances and the Continued Validity of Mineral Development Contracts, in Kamal Hossain op. cit. (Fn. 7) S. 262 ff. 28 29
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Dieser Schluß wäre verhängnisvoll und würde einer sinnvollen Fortentwicklung des Weltwirtschaftsrechts im Wege stehen. Die implizierte These von „schlechten alten Recht“ der westlichen bürgerlichen Industriegesellschaft, das man beseitigen müsse, und vom guten neuen Recht, das zu schaffen sei, bedarf einer dringenden Korrektur. Zunächst ist eine Unterscheidung zu treffen zwischen den historischen Ungerechtigkeiten kolonialer Herrschaft oder den Zwängen wirtschaftlicher Abhängigkeiten einerseits und andererseits den Funktionen rechtlicher Grundformen wie Eigentum, Vertrag, juristische Person, Verantwortlichkeit und Haftung in einer entwickelten industriellen Verkehrswirtschaft. Es ist Aufgabe der Rechtsgrundlagenforschung aufzuzeigen, daß die genannten rechtlichen Grundformen vielleicht nicht hinreichende, aber notwendige rechtliche Voraussetzungen für das erreichte hohe Wohlstandsniveau und Ausmaß persönlicher Freiheit waren, die trotz aller Schattenseiten und Kritik die fortdauernde Faszination der westlichen Industriegesellschaften ausmachen. Zweifellos wurden Eigentum und [158] Vertragsfreiheit sowohl in der europäischen Industrialisierung wie in der Kolonialperiode auch als Instrumente ungerechter Verteilungen und Abhängigkeiten verwendet. Aber es besteht kein Zweifel, daß Eigentum und Vertragsfreiheit sich historisch auch als höchst effektive und nützliche Instrumente für die Allokation von Ressourcen und die Verteilung ökonomischer Nutzen und sozialer Verantwortlichkeiten erwiesen haben.32 Eine ökonomische Analyse des Rechts kann zur Aufklärung der Interdependenzen zwischen einer freien Wohlstandsgesellschaft und den genannten rechtlichen Grundformen beitragen.33 Die Rechtstheorie ist aufgefordert, sowohl den instrumentalen Charakter dieser rechtlichen Grundkonzepte aufzuzeigen, die damit für gute und weniger gute Zwecke einsetzbar sind, als auch ihre historische und ideelle Beziehung zu menschlichen und bürgerlichen Grundwerten wie persönliche Freiheit, Verantwortung und materieller Existenzsicherung. Die Überzeugung, daß der Weltwirtschaftsverkehr einen hohen Standard von Rechtssicherheit unter Einschluß traditioneller rechtlicher Konzepte des Handelsverkehrs voraussetzt, setzt sich voraussichtlich in Zukunft international wieder stärker durch. Der UNCITRAL-Entwurf der Kaufrechtskonvention zeigt, daß zentrale vertragsrechtliche Konzepte, die an eine Vertragsrechtstradition und eine jahrzehntelange Reformdiskussion anknüpfen und diese in ausgewogener Weise fortzuentwickeln suchen, eine breite interna32 Die klassische Theorie des Zusammenhangs von Marktwirtschaft und bürgerlicher Rechtsordnung, die sich schon bei Adam Smith findet, hat in der sog. Property Rights Theory einen neuen Ausdruck gefunden. Zur wirtschaftsgeschichtlichen Perspektive s. D.C. North/R.P. Thomas, The Rise of the Western World. A New Economic History, Cambridge (Mass.) 1973. 33 Überblick über die Economic Analysis of Law m. Nachw. bei Horn, AcP 176 (1976) 307ff.
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tionale Zustimmung – vorerst bei der Fertigstellung eines Entwurfs – finden können. In den Vorarbeiten für den V.N. Kodex über Technologietransfer ist das Streben nach grundstürzenden Neuerungen abgelöst worden von einem vorsichtigen und sorgfältigen Bemühen um ein funktionsgerechtes Verkehrsrecht, das private Rechte, vertragliche Bindung und nichtstaatliche Konfliktsentscheidungen einschließen soll.34 In dem Maß, in dem pauschale Verdikte gegen „altes Recht“ an Boden verlieren, erhöhen sich die Chancen für die wirklich anstehenden Aufgaben einer Fortentwicklung des Rechts der Welt[159] wirtschaftsordnung. Zu diesen Aufgaben gehören einmal die bereits (oben II.2) genannten ordnungspolitischen Probleme, aber auch behutsame Fortentwicklungen des Vertragsrechts und der neutralen Streitbeilegung, vor allem durch Schiedsverfahren und Verfahren der ‚renegotiation‘ von Verträgen unter möglichst präzisen und allgemein anerkannten rechtlichen Voraussetzungen.
III. Der Normbildungsprozeß 1. Die Rolle internationaler Organisationen und Institutionen Mit der normativen Umsetzung der NWWO ist eine ganze Reihe von Gremien und Unterorganisationen der VN befaßt: in einem allgemeinen Sinn UNIDO,35 bei der Abfassung der erwähnten Verhaltenskodizes UN-ECOSOC und UNCTAD,36 die sich auch um Zollpräferenzen und Regulierungen der Rohstoffmärkte bemüht,37 und UNCITRAL in seinen Arbeiten für einheitliches Welthandelsrecht.38 Diese Aktivitäten sind im Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen, daß die Vorbereitung und Ausarbeitung von internationalen Regelungen durch internationale Institutionen und Organisationen eine ungeheure Ausweitung erfahren hat. Dies gilt vor allem für das transnationale Handelsrecht,39
34 Zum Entwurf des UNCTAD Code über Technologietransfer vgl. die Beiträge von Wilner, Fikentscher und Syquia in Horn, Legal Problems aaO. (Fn. 25), S. 177ff., 189 ff. und 210 ff. Das vorläufige Scheitern der Verhandlungen (oben Fn. 3 a. E.) wird wohl diesen bereits angebahnten Lernprozeß nicht beendet haben. 35 Zur Arbeit dieser Unterorganisation der V.N. vgl. z. B. UNIDO, Industry 2000, Wien/New York 1979. 36 Vgl. oben Fn. 3 und die Beiträge bei Horn, Legal Problems aaO. (Fn. 7), 103ff., 141– 218. 37 Vgl. Fn. 16. UNCTAD unterstützt und berät bestehende Rohstoffabkommen. Zur Arbeit an neuen Regelungen allg. von Hippel aaO. Fn. 14, S. 14 m. Nachw. 38 Vgl. Fn. 4 und Herrmann, The Contribution of UNCITRAL to the Development of International Trade Law in: Horn/Schmitthoff, The Transnational Law of International Commercial Transactions (Studies in Transnational Economic Law. vol. II), Deventer 1982. 39 Allg. Horn/Schmitthoff aaO.
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in gewisser Weise aber auch für das Wirtschaftsvölkerrecht. Während früher die Bemühungen um vereinheitlichtes Privat- und Handelsrecht jahrzehntelanger Vorarbeiten der vergleichenden Rechtswissenschaft bedurften und erst in einer späten Phase auf der politischen Ebene einer Konferenz über eine Konvention verhandelt wurden, und während im Bereich des Völkergewohnheitsrechts die Bildung einer communis opinio hauptsächlich auf der Völkerrechtswissenschaft und der Herausbildung von Lehrautoritäten beruhte, sind [160] nunmehr internationale Institutionen und Gremien in großem Umfang bereits in den Anfangsphasen des Normbildungsprozesses eingeschaltet. Dieser Prozeß hat sich zugleich ausgedehnt, beschleunigt und politisiert. Eine unübersichtliche Fülle von Gremien und Organisationen arbeitet mit Hochdruck an der Herstellung von communis opinio. An dieser Expansion und Akzeleration sind mehrere Faktoren gleichermaßen beteiligt: ein tatsächlich steigender internationaler Regelungsbedarf, das Bestreben, internationale Normbildung stärker als Instrumente der Politik einzusetzen, und die (Parkinson’schen) Eigengesetzlichkeiten internationaler Institutionen. An diese Institutionen hat die Wissenschaft der Rechtsvergleichung und des Völkerrechts ihre früher führende Rolle im Normbildungsprozeß weithin abgeben müssen. Ihr ist dafür die dringliche Aufgabe der wissenschaftlichen Beratung dieser Institutionen zugefallen. 2. Soft Law und die Vermischung normativer Kategorien Der Normbildungsprozeß für die NWWO ist von zwei widersprüchlichen Tendenzen gekennzeichnet. Einerseits will man weithin formelle Rechtssetzungsverfahren vermeiden, andererseits aber gleichwohl eine Verbindlichkeit und Effizienz der angestrebten Regelungen sichern, die derjenigen von Rechtsnormen entspricht. Der Grund für die Vermeidung von formellen Rechtssetzungsverfahren liegt darin, daß solche Verfahren, etwa der Abschluß internationaler Konventionen, nur mit begrenzter Zustimmung der souveränen Staaten rechnen können und daß jedenfalls der Prozeß der Einigung äußerst zeitraubend wäre. Die V.N. haben bisher im Hinblick auf die NWWO nur eine formelle Konvention, und zwar über Korruption, vorgesehen.40 Bei den Verhaltensrichtlinien geht die Tendenz eher dahin, sie zumindest zunächst als rechtlich nicht bindende Richtlinien zu erlassen, vielleicht später gefolgt von einer Konvention. Als Vorbild kann dabei der Verhaltenskodex der OECD von 1976 dienen, dessen Richtlinien für multinationale Unternehmen ausdrücklich als „voluntary and not legally enforceable“ bezeichnet sind.41 Andererseits aber überlegt man, wie man am besten durch Bruce Seymour in Horn, Legal Problems aaO. (Fn. 7), S. 219 ff. OECD, Declaration on International Investment and Multinational Enterprises (21.6.1976), Annex, Preliminary Understanding No. 6. Text bei Horn, Legal Problems aaO. 40
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Kontrollmechanismen (internationale Behörden, Schiedsstellen, Überwa[161] chungsverfahren) erreichen kann, daß die Kodizes und Richtlinien tatsächlich befolgt und durchgeführt werden.42 Insgesamt ist diese Entwicklung durch eine Konfusion normativer Kategorien gekennzeichnet. Es ist eine spezifische Leistung des europäischen, auf dem römischen Recht aufbauenden Rechtsdenkens, Rechtsnormen gegenüber anderen Normen des menschlichen Zusammenlebens möglichst klar abzugrenzen, auch wenn sie mit diesen anderen Normbereichen in einem gewissen Zusammenhang bleiben.43 Recht stellt sich als eigenes Subsystem gesellschaftlicher Ordnung dar, neben ethischen Normen und Werten, konventionellen Normen des Umgangs und neben Systemen politischer Ziele und Konzepte. Jeder Prozeß formeller Rechtsbildung ist dadurch gekennzeichnet, daß die Rechtsnorm aus dem Kontext anderer Norm- und Zielvorstellungen herausgehoben und durch Positivierung abgegrenzt wird. Nur dadurch kann die Norm den spezifischen Geltungsanspruch des Rechts erlangen, der ungeachtet der Schwierigkeiten der Sanktionierung, wie sie insbesondere im Völkerrecht auftreten, als ideeller Anspruch, als hypothetische Grundnorm i. S. von Hans Kelsen, besteht.44 Findet kein formelles Rechtssetzungsverfahren statt, wie sich dies bei der NWWO abzeichnet, so unterbleibt der Prozeß der Ausdifferenzierung von Rechtsnormen aus dem Geflecht politischer Ziele und sozialethischer Wertund Ordnungsvorstellungen. Der erarbeitete und irgendwie beschlossene Text verbleibt dann in der Gemengelage politischer Zielkataloge und ethischer Wertvorstellungen. Diese Zwitterstellung kennzeichnet in der Tat die Resolutionen der V.N. zur NWWO. Sie stellen keine formelle Quelle des Völkerrechts dar und sind auch nur zum Teil in einer juristisch operationalen Sprache abgefaßt; sie sind andererseits aber mit dem Willen und der Absicht vieler Mitgliedsstaaten verabschiedet, ihnen über kurz oder lang auch rechtliche Wirkung zu verschaffen. Eine etwas ratlose oder auch alarmierte Völkerrechtswissenschaft diskutiert ihre potenziellen rechtlichen Auswirkungen daher unter der Bezeichnung des „soft law“45 Entsprechende Fragen stellen sich bei den Verhaltenskodizes.46 [162] Im Bereich internationaler Rechtsbeziehungen ist nun seit jeher die Unterscheidung zwischen Rechtsnormen und anderen Normen und Zielen tradiS. 451 ff., 455. Zum Problem die Beiträge von Baade, Brownlie und Horn aaO. S. 3ff., 39 ff., 45 ff. 42 Überblick bei Horn, Legal Problems aaO. (Fn. 7), S. 315 ff., 277. 43 Allg. zur gesellschaftlichen Ausdifferenzierung des Rechts Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1976, S. 150 ff. 44 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, Leipzig und Wien 1934, S. 66, 71, 83 f. 45 Seidl-Hohenveldern, International Economic „Soft Law“, Recueil des Cours 163 (1979/II), 1980, S. 167ff. 46 Dazu Baade, Brownlie und Horn in: Horn, Legal Problems S. 3 ff., 39ff., 45 ff.
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tionell schwerer zu bestimmen als innerhalb nationaler Rechtssysteme. Im Interesse der Rechtssicherheit des internationalen Wirtschaftsverkehrs und des internationalen Konsenses über die Grundlagen der Weltwirtschaftsordnung ist es aber eine dringliche Aufgabe der Rechtswissenschaft, zur Klärung der Normkategorien beizutragen. Dies kann nicht durch vereinfachte Forderungen geschehen, etwa, man solle rasch formelle Rechtsgrundlagen der NWWO schaffen, oder aber, jede rechtliche Normbildung in diesem Bereich sei abzulehnen. Es geht vielmehr darum, an der klaren Unterscheidung der verschiedenen Normbereiche mitzuwirken und ebenso an der Klärung möglicher Übergänge und Transformationen. Es geht demnach um zwei Fragenbereiche: um gemeinsame ethische Werte und Grundsätze der internationalen Rechtsgemeinschaft im Hinblick auf Fragen der NWWO einerseits (s. 3) und andererseits um Bedingungen und Wege ihrer Transformation im Recht (s. 4). Vorweg sei kurz auf das besondere Phänomen der 3. UN-Seerechtskonferenz hingewiesen. Hier wird in der Tat eine Konvention, also die Schaffung einer eindeutigen völkerrechtlichen Quelle, angestrebt. Probleme des ‚soft law‘ können sich hier einmal durch die Schaffung einer Fülle neuer Rechtskategorien ergeben, deren Auslegung ungewiß ist; dies ist aber kein ungewöhnlicher Vorgang. Zweitens kann sich das Problem des ‚soft law‘ hier dann stellen, wenn die Konvention scheitert, eine Reihe von Staaten aber in unterschiedlichem Maß die Bildung neuen Völkergewohnheitsrechts behauptet, was z. T. schon geschieht. 3. Internationaler Konsens über ethische Normen und Werte Alle Staaten der Welt sind sich in der Diskussion über die NWWO einig, daß Hunger, Elend und fundamentale Ungleichheit in der Welt bekämpft und in internationaler Solidarität überwunden werden müssen. Ungleich schwieriger ist es, internationalen Konsens auch über diejenigen, präziser zu definierenden ethischen und politischen Grundwerte und Prinzipien zu erzielen, die als Grundlage für die Bildung von Normen der NWWO und deren späterer Auslegung dienen können. Diese Schwierigkeiten folgen aus unterschiedlichen kulturellen Traditionen, unterschiedlichen politischen Weltanschauungen und erst in dritter Linie aus den konkreten Interessengegensätzen im Nord-Süd-Verhältnis. [163] Ethische Begründungen der Entwicklungshilfe etwa aus der christlichen Ethik47 oder umfassende philosophische Konzepte über gemeinsame ethische
47 Vgl. z. B. Zwiefelhofer, Neue Weltwirtschaftsordnung und katholische Soziallehre, München/Mainz 1980; Slasinski, Christian Principles in the New International Economic Order, 53/1 Unitas (ed. University Santo Tomas, Manila), 92–110 (1980).
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Werte der Menschheit48 können zwar zur Abmilderung dieser Schwierigkeiten dadurch beitragen, daß sie den Gedanken der internationalen Solidarität stärken. Sie stoßen aber an kulturelle und andere Grenzen der Konsensfähigkeit und sind auch nur sehr begrenzt zur Konkretisierung in den anstehenden Regelungsproblemen der NWWO geeignet. Bei der Betrachtung der internationalen Verhandlungsszene zur NWWO zeichnen sich vielmehr zwei Arbeitsmethoden zur Überwindung der genannten Schwierigkeiten ab: erstens geht es um die Reduzierung kultureller Widerstände gegen Rechtsrezeptionen, zweitens um die Beschränkung der Diskussion über Wert- und Prinzipienfragen durch Minimalkonsense. Viele Entwicklungsländer in Asien und Afrika sind darüber besorgt, daß nicht nur der Import moderner Technologien und entsprechender Zivilisationsformen, sondern auch die Übernahme des Rechts westlicher Industrienationen zu Konflikten mit der eigenen kulturellen Tradition führen kann. Man hat daher auch die entsprechenden Rechtsrezeptionen als „Kulturimperialismus“ verdächtigt. Die Geschichte der Rechtsrezeptionen im 19. u. 20. Jahrhundert zeigt uns aber, daß man diese Probleme dadurch reduzieren kann, daß man die Rechtsrezeption auf die für eine moderne Verkehrswirtschaft wesentlichen Materien, vor allem das Vertragsrecht, beschränkt, und die kulturell sensitiven Bereiche, wie z. B. das Personen-, Ehe-, Familien- und Erbrecht, ausklammert.49 Um so eher muß es möglich sein, kulturelle Unterschiede bei einer Normbildung zu überwinden, die sich auf die Bedürfnisse des internationalen Wirtschaftsverkehrs konzentriert. In der geschilderten Tätigkeit internationaler Gremien und Institutionen liegt ein bedeutender zusätzlicher Vorteil: die hier betriebene Normbildung kann nicht mehr als Übernahme fremder Rechtsformen gelten, weil sie als Konsens gleichberechtigter Partner erarbeitet ist. Damit entfällt der Einwand des „Kulturimperialismus“. Zweifellos bleiben bedeutende Schwierigkeiten in Bereichen, in denen kulturelle Unterschiede zu ganz unterschiedlichen sozialethischen Be[164] wertungen führen, wie vor allem in der schwierigen und kontroversen Materie der internationalen Wirtschaftskorruption.50 Zweitens geht es bei der gesuchten Konsensbildung darum, Grundsatzdebatten über ethische und politische Gesamtkonzepte strikt einzuschränken und sich auf solche Grundfragen zu beschränken, die in unmittelbarem Zusammenhang mit einem konkreten Regelungsproblem stehen. Diese Arbeitsmethode wird heute auch im Zusammenhang mit der NWWO weithin befolgt. Um in Beispielen zu sprechen: über die Funktion des Privateigen48 Zu denken wäre an die erwähnten Ansätze von Kant (Fn. 5) und wohl noch eher an die phänomenologische Philosophie Max Schelers. – Auch der Marxismus beansprucht eine Ethik internationaler Solidarität. 49 Vgl. den Überblick über den fernöstlichen, den islamischen und den Hindu-Rechtskreis bei Zweigert-Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung I, 1971, 419 ff. 50 Allg. Bruce Seymour aaO. (Fn. 40).
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tums im Wirtschaftssystem ist nur schwer internationaler Konsens zu erzielen; etwas leichter scheint es zu fallen, die Rolle gewerblicher Schutzrechte im Technologietransfer im UNCTAD-Kodex zu definieren oder einige Regeln über Investitionsschutz in internationalen Abkommen wie Lomé II einzubauen.51 Statt globaler Konzepte über sozial gerechte Wirtschaftsordnungen zu formulieren, ist es leichter erreichbar, bestimmte Pflichten in den Beziehungen zwischen multinationalen Unternehmen und Arbeiterschaft zu definieren, wie in der ILO-Deklaration geschehen.52 Fairneß im Welthandel kann besser als durch Grundsatzerklärungen durch ausgewogene Vertragspflichten für Kaufverträge im UNCITRAL-Entwurf und für Lizenzverträge im UNCTAD-Kodex rechtlich gesichert werden.53 Die jeweils implizierten Grundwerte und Prinzipien werden auf diese Weise nur indirekt und ausschnittweise induktiv zum Gegenstand eines Minimalkonsenses. Damit wird die erwähnte Herauslösung der Regelbildung aus dem Geflecht ethischer und politischer Werte und Ziele gefördert, die jeden Rechtsbildungsprozeß kennzeichnet und mit der Eigenständigkeit des Rechts gegenüber anderen Normsystemen zugleich dessen ausgleichende, befriedende Kraft begründet. Da es im Normsystem der NWWO auch darum geht, die Rahmenbedingungen für einen freien Handels- und Wirtschaftsverkehr zu wahren und fortzuentwickeln, kann insoweit erwartet werden, daß indirekt durch konkrete Regelungen, sozusagen aus der Natur der Sache, sich auch Rechtswerte des bürgerlichen Rechtsstaates durchsetzen werden, wenngleich notwendigerweise ergänzt und zum Teil transformiert durch ergänzende Rechtswerte sozialer Verantwortung und internationaler Solidarität. [165] 4. Die Transformation in Recht Während die Entwürfe für die geplanten Verhaltenskodizes durch die angedeuteten Minimalkonsense Fortschritte in der Normbildung machen, verharren sie ebenso wie die anderen Texte zur NWWO aus den angegebenen Gründen auf halbem Wege einer Rechtsbildung. Es bleibt die Frage, wieweit diese Texte auch ohne anerkannte internationale Rechtssetzungsverfahren in Recht transformiert werden können. Eine solche Transformation wird teils dringend erhofft, teils im Hinblick auf kontrovers gebliebene politische Programmsätze befürchtet. Im Hinblick auf das Völkerrecht geht es konkret um die Frage, unter welchen Bedingungen im Laufe der Zeit Völkergewohn51 Zum UNCTAD-Kodex Wilner, in Horn: Legal Problems aaO. S. 177ff. Zu Lomé II Meyer, Europa-Archiv 35 (1980), 11 ff. Ein Konsens über Rechtsfragen des Technologietransfers ist allerdings noch nicht erreicht; vgl. Fn. 3 a. E. 52 Vgl. Fn. 3 und Günter in: Horn aaO. S. 155 ff. 53 Vgl. Fn. 4 und 3.
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heitsrecht aus den Texten erwachsen kann.54 Im Hinblick auf das Verkehrsrecht mit privaten Teilnehmern (Unternehmen) des Weltwirtschaftsverkehrs geht es darum, wieweit aus den Texten Wertvorstellungen ableitbar sind und von der internationalen Praxis übernommen werden, die dann – als internationaler ordre public – die Rechtsanwendung in Schiedsgerichten oder nationalen Gerichten beeinflussen und auf diese indirekte Weise zur Bildung internationalen Einheitsrechts beitragen,55 oder auch, ob die Texte als (unverbindliche) Anleitung nationaler Gesetzgebungen dienen.56 Beide Fragen sind hier nicht auszudiskutieren. Es kann im Rahmen dieser Problemskizze nur darum gehen, auf das Transformationsproblem, seine Bedeutung und allgemeinen Voraussetzungen, hinzuweisen. Der Weltwirtschaftsverkehr bedarf ungeachtet der Herkunft der einzelnen Rechtsquelle einer auf internationale Verkehrsbedürfnisse ausgerichteten Auslegung. Soweit die Texte zur NWWO solche Gesichtspunkte enthalten, können sie eine positive Rolle als Interpretationsanleitungen spielen. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß ihre eigentümliche Zwitterstellung darauf beruht, daß ein internationaler Konsens über Normbildung in direktem Anlauf nicht gefunden werden kann, was z. T. mit ungeeigneten, nicht konsensfähigen Programmsätzen zusammenhängen mag. Das Konsensproblem wird damit auf [166] eine andere Ebene verlagert: in einem mühsamen, diffusen Prozeß der Selektion durch die nationalen Gesetzgeber, durch Gerichte und Schiedsgerichte sowie die Vertragspraxis müssen diejenigen Regeln und rechtsethischen Grundsätze aus den Texten zur NWWO herausgearbeitet werden, die der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit dienen und konsensfähig sind. Zugleich muß unter tatkräftiger Mitwirkung der Rechtswissenschaft die Konfusion der Normkategorien abgebaut werden. Denn es geht dabei um eine unverzichtbare Voraussetzung des Weltwirtschaftsverkehrs: seine Rechtsförmigkeit. Internationale wirtschaftliche Zusammenarbeit setzt die rule of law voraus.
54 Dazu Baade, Brownlie und Seidl-Hohenveldern (Fn. 41 und 45) sowie Hailbronner, Völkerrechtliche und staatsrechtliche Überlegungen zu Verhaltenskodizes für transnationale Unternehmen, FS Schlochauer (1981) 329 ff. (346 ff.). 55 Horn, RabelsZ 44 (1980), 423 ff. 56 Die Entwicklungsländer (Gruppe der 77) wollten den UNCTAD-Kodex über Wettbewerbsbeschränkungen nur in diesem Sinne als Modell verwenden; vgl. Arushaa, Programme for Collective Self-Reliance and Framework for Negotiations, 12.–16. February 1979, 77 MM (IV)/21, TD: 236, S. 47, par. 8.
Changes in Circumstances and the Revision of Contracts in Some European Laws and in International Law In N. Horn (Hrsg.), Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, Studies in Transnational Economic (Law vol. 3), 1985, S. 15–29 OUTLINE I. The Basic Questions: Changes in Circumstances in the Context of Contractual Liability . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Legal Responses of the Private Laws of Some European Countries . . . . A. Civil Law. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. The Roman Law Tradition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. French Law: force majeure and imprévision . . . . . . . . . . . . . . 3. German Law: Wegfall der Geschäftsgrundlage. . . . . . . . . . . . 4. Italian Law: eccessiva onerosità and sopravenienza. . . . . . . . . . B. British Common Law: Frustration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Termination or Adaptation. Renegotiation. . . . . . . . . . . . . . . . D. The Law of the German Democratic Republic . . . . . . . . . . . . . . III. Recognized Transnational Rules on Changes in Circumstances in Commercial Contracts?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. A Comparative Look at Public International Law . . . . . . . . . . . . B. Emerging International Concepts of force majeure and Hardship . . . C. International Standards of Fairness. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Contract Adaptation in the North-South Relationship. . . . . . . . . E. What Courts Will Do . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. The Basic Questions: Changes in Circumstances in the Context of Contractual Liability When a change in the circumstances surrounding a transnational commercial contract occurs, a party to that contract seeking relief from contractual liability or a modification of the [16] contract, in the absence of any contractual provision on adaptation or review, may have recourse to the objective norms of the law applicable to the contract. The various legal systems contain very different responses. In order not to get confused and to dig out – perhaps – some common ground in this difficult area of basic problems of contract law, we should first identify our questions.
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Changes in circumstances may have two different effects on a contract: they can render the contractual performance either impossible1 or (only) more burdensome for a party2 so as to create a ‘hardship’ for it. Performance becomes impossible if, e.g. an import license for the delivery of goods is not obtained or an embargo is imposed or the hired vessel is destroyed. Performance is more burdensome when, e.g., the closing of the Suez Canal forces a vendor of Sudanese peanuts to ship them around the continent of Africa at multiplied costs,3 or when the uranium price increases so much as to threaten to ruin a uranium supplier imprudent or cold-blooded enough to have committed itself to a long-term supply at a fixed price.4 Both types of situations seem to be clearly distinguishable – in theory at least – and only the second type, the hardship case, appears to constitute the specific legal problem of a change in circumstances, at least for the civil lawyer. The first type of situation, the case of impossibility, appears as a classical question of contractual liability (which in the civil law system is normally decided according to fault or non-fault). For a full picture, however, we must see our problem of change in circumstances in the context of the general principles of contractual liability and accordingly bear in mind the impossibility situation.5 Moreover, some situations may have elements of both; e.g., if war or riots destroy machines at the construction site of the plant before risk has passed and the delivery of other machines of the same type is still possible, who bears the cost?6 Finally, in most laws overlapping legal concepts can be found; thus, English ‘frustration’ and American ‘impracticability’ contain elements of both impossibility and hardship.7 In the following brief survey
1 To keep our discussion simple, let us assume that the concept of ‘impossibility of performance’ also extends to cases involving mere delays of performance, e.g., where a debtor finds it impossible to perform at the agreed time. Nevertheless, it should be noted that the German law on breach of contract makes a clear distinction between impossibility and delay. See arts. 280, 284, 325, 326 BGB. 2 Performance is more burdensome for the debtor where (a) it is at higher cost or (b) the consideration received in return is of lesser value. 3 Tsakiroglou & Co. Lid. v. Noblee Thörl GmbH [1962] A.C. 93. 4 On the Westinghouse uranium case, see Joskow, Commercial Impossibility, The Uranium Market and the Westinghouse Case, 6 J. Legal Stud. 119 (1977); Buxbaum, Modification and Adaptation of Contracts, infra this volume, at 31 et seq. 5 For a comprehensive view, see Zweigert & Kötz, II Introduction to Comparative Law, chs. 13–14 (1977). 6 The relevant FIDIC model contract clauses are reproduced infra at Part V at 351–55. For a general appraisal of the problem, see Oberreit, Turnkey Contracts and War: Whose Risks?, in The Transnational Law of International Commercial Transactions 191 (N. Horn & C. Schmitthoff eds. 1982). For a quite different approach to risk distribution, see Feliciano, The Role of Investment Agencies, infra this volume, at 141. 7 On frustration, see infra this contribution section II B and C. On impracticability, see Buxbaum, supra note 4, at 44 et seq.
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we will focus on the ‘hardship’ situation (where performance is still possible yet burdensome), but always with an eye on the situation where performance is or has become impossible. [17]
II. Legal Responses of the Private Laws of Some European Countries A. CIVIL LAW 1. The Roman Law Tradition Generally speaking, the Roman law tradition of civil law countries contains two quite different concepts of relief from contractual liability for a party hit by changes in circumstances. If contractual performance was impossible for everyone, no contractual liability existed8; if impossible for the debtor only, the debtor was relieved if there was no negligence (negligentia, culpa) on his side.9 If performance was still possible but a fundamental change in the circumstances surrounding the contract had rendered performance much more burdensome so that continued contractual liability appeared as an unfair hardship for the debtor, the debtor could invoke the principle of clausula rebus sic stantibus, i.e. assert that the contract contained an implied term (clausula) that certain important circumstances must remain unchanged (sic stantes).10 The concept was recognized in international law and found its way into eighteenth century codifications of private law,11 but was subsequently criticized because of its vagueness and lack of certainty. Nineteenth century liberalism, which accorded absolute priority to party autonomy and thus to the literal contents of a contract, either set aside the clausula rebus concept or sharply reduced its influence in most civil law countries. The rule that the will of the parties as freely expressed in their contract is the law of the parties and must not be changed by the courts, became the leading principle of contract law. The clausula rebus sic stantibus principle survived mainly in public international law (the law of nations). In our times, a backswing in legal thinking can be observed under the influence of the ideas of good faith and equity. The results of this backswing differ, however, from country to country.
8 Celsus, D. 50.17.185: impossibilium nulla obligatio. The impact of this rule can be traced in French law in article 1601 of the Code civil, in Italian law in articles 1346 and 1418(2) of the Codice civile. 9 On the role of negligence in the Roman law of contractual liability, see Kaser, II Das römische Privatrecht, ch. 258 (2d ed. 1975). 10 On the historical formation of the clausula unknown in ancient Roman law but developed within the Roman law tradition, see infra note 69. 11 General Law of the Land for the Prussian States of 1794, art. 377 I 2.
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2. French law: force majeure and imprevision The French term force majeure (Roman law: vis maior) is not only used in public international law, but has also made its career as a term of art in private transactions and is often found in standard ‘change of circumstances’ clauses in transnational commercial contracts.12 In French private law, it plays its role in the context of contract liability for breach of contract. According to the Roman [18] law tradition of French private law, a debtor is held liable for non-performance (or delay) only if there is a personal responsibility, normally some negligence (faute), on its side.13 Force majeure (or cas fortuit) denotes an event beyond the debtor’s control causing non-performance so that no negligence can be found and a breach of contract is excluded.14 The concept of clausula rebus sic stantibus was not included in the French codification of private law and an undue burden on a party caused by an unforeseen and uncontrollable event – now called imprévision – was recognized as an excuse for non-performance only in government contracts.15 This strict position of French private law has been made more bearable for the parties through the use of adaptation clauses and commercial arbitration. The recognition of imprévision at least for contracts with the government or other public bodies (contrat administratif), decided by the Conseil d’Etat first in the Gaz de Bordeaux case,16 allows the court to adapt a contract which has become extremely burdensome for one party due to an unexpected change in circumstances, e.g., substantially increased costs in wartime under a long-term supply contract. The court normally expects the parties to first attempt to renegotiate the price. The concept of imprévision is of some significance for contracts in international business, where French law is applicable. Many contracts here are concluded with governmental agencies. Moreover, the concept has inspired corresponding provisions in the civil codes of many Arab countries such as Egypt, Algeria, Iraq, the United Arab Emirates17 and Sudan.18 See infra this volume Part II. Code civil. art. 1147. 14 Id. art. 1148. The debtor is not liable for damages resulting from non-performance if this was caused ‘par suite d’une force majeure ou d’un cas fortuit’. See Tunc, Force majeure et absence de faute en matière contractuelle, 43 Rev. trim. civ. 235 (1945); Zweigert & Kötz, supra note 5, ch. 13. 15 Planiol & Ripert, VI Traité du droit civil français, nos. 391–98 (2nd ed. 1952). The leading decision rejecting imprévision as an excuse from liability, even in long-term contracts, was the Craponne case, Cass. D.P. 1876 I. 197. 16 Conseil d’Etat, March 30, 1916, S. 1916.3.17. Cf. also Delvolvé, The French Law of imprévision in International Contracts, ICLF Rev 1981, 3–10. 17 Egyptian Civil Code, art. 147(2); Algerian Civil Code, art. 107; Iraqui Civil Code, art. 146; Oberreit, supra note 6, at 198; Fontaine, Hardship Clauses, D.P.C.I. 51, 84–87 (1976). 18 See El Sheikh, Legal Criteria, infra this volume, at 99, 104–105. 12 13
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3. German law: Wegfall der Geschäftsgrundlage The concept of force majeure finds no specific counterpart in the German law of contracts but is taken care of by the general principle that contractual liability for non-performance requires at least the negligence of the debtor, unless strict liability (Garantie) has been clearly agreed to. Accordingly, in German law, a party is excused from breach of contract if non-performance (‘impossibility’ or delay) is due to an event beyond that party’s control and, accordingly, he is found not to have been negligent.19 A case may illustrate this. In 1982, the German Federal Court had to decide on a contract for the delivery of equipment to Iran and the installation of such equipment. Contractual performance was stopped midway by the Iranian revolution. This event which easily can be characterized as a case of force majeure, was treated by the court [19] as just another case of ‘impossibility of performance’ where no fault of the obligor was found. The case did not differ in this respect from other cases of impossibility. There are special remedies in German law for fundamental changes in circumstances which will be discussed in a moment; but the court felt no need to resort to them. Instead, it discussed some detailed problems connected with the concept of impossibility: (a) whether the revolution was a temporary impediment only or amounted to a permanent (definite) impossibility; (b) whether, instead of a mere termination of the contract as the regular consequence of non-faulty impossibility, the contractor (who had been fully paid by Iran!) rather had to bear that risk and compensate the claimant subcontractor for partial performance.20 The German Civil Code uses the concept of force majeure as a special form of an excuse from contractual liability only in the rare case of strict liability (art. 701 III BGB). The codification of 1900 does not recognize the rebus sic stantibus rule. The comparable concept of an implied condition (Voraussetzung) proposed by the famous lawyer Windscheid, was rejected. But the Code sanctions the principle of good faith as the basis of contract law (arts. 157, 242, 315 BGB) and this principle has been invoked by the courts when deciding on cases involving problems of force majeure and hardship. In the great inflation of 1923–24, the Imperial Court recognized that a fundamental disturbance of contractual equilibrium caused by inflation justifies an adjustment of a contract to the new situation, e.g., through an increase of the purchase price or the sum repayable under a mortgaged loan.21 These court decisions opened the way for the subsequent formulation of a general principle 19 Horn, Kötz & Leser, German Private and Commercial Law: An Introduction, 93 et seq., 112 (1982). 20 BGHZ 83, 197. The court considered compensation for partial performance per analogiam art. 645 I 2 BGB. 21 RGZ 103, 328; 107, 78; Rheinstein. The Struggle between Equity and Stability in the Law of Post-War Germany, 3 U. Pitt. L. Rev. 91–103 (1936/37).
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on contract revision accepted and widely used by German courts until the present. Under the somewhat strange formula of a ‘collapse of the foundation of the transaction’ (Wegfall der Geschäftsgrundlage), the rule says that an uncontrollable change in the circumstances surrounding the contract that leads to a fundamental disequilibrium in the contract and puts an undue burden on the party who had not anticipated and accepted that risk in the contract, justifies an adaptation or termination of that contract.22 The courts, relying on the principle of good faith as spelled out in art. 242 BGB (Civil Code) have applied this principle to a variety of situations and events, including political developments,23 changes in legislation,24 denial of permission for a contract by authorities,25 and frustration of the purpose of a contract, e.g. where a lease of a shop in a new shopping center is coupled with an obligation to run that shop but the shopping center is a failure.26 In rare cases, the federal court has even adapted long-term contracts to creeping inflation; but this is seen rather as an exception from the principle of [20] nominalism27 and was justified by the idea of social protection.28 In other cases, even substantial inflationary losses in long-term contracts have been declared irrelevant,29 and the courts take care to preserve the basic principle of the binding force of contracts. In some cases, where the criteria of impossibility and hardship (collapse of the foundation of the transaction) are simultaneously met, the courts, guided by the principle of good faith, have given priority to the latter criterion. Thus, in a sale of real estate where the validity of the contract or the transfer of title depends on a grant of permission by the authorities that has been denied but would be given if the contract were modified, the transferor may be obligated to agree to such a modification.30 4. Italian law: eccessiva onerosità and sopravenienza As regards liability for breach of contract, including impossibility of performance, the Italian Codice civile of 1942 follows principles similar to those 22 Horn, Kötz & Leser supra note 19, at 141 et seq. See also infra section C (text accompanying notes 47–65). 23 OLG Düsseldorf NJW 1955, 1797. 24 BGH NJW 1951, 836. 25 BGHZ 38, 146, 149; 67, 34, 36. 26 BGH NJW 1978, 2510. 27 On the principle of nominalism, cf. BVerfGE 50, 57, 92 et seq.; BAG NJW 1973, 959; BGHZ 61, 31, 38. 28 BGHZ 61, 31, 30 (concerning a retirement pension). 29 BGH LM § 242 (Bb) BGB Nr. 34 (1959); Nr. 39 (1960); Nr. 49 (1965) (concerning long-term mining contracts); BGHZ 86, 167 (concerning a rent for an inheritable building right (Erbbaurecht)). 30 BGHZ 38, 146, 159; 67, 34, 36. See also infra C.
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in French and German law: liability for breach, as a rule, requires the negligence of the non-performing party.31 The Italian Civil Code contains a modern form of the clausula rebus concept in arts. 1467, 146832: if unforeseen developments (sopravenienza) have an influence on a long-term contract so as to create an undue hardship for a party (eccessiva onerosità), the contract may be terminated or adapted to the new situation.33 B. BRITISH COMMON LAW: FRUSTRATION The traditional position of the British and American common law of contracts is that the liability to perform a contract is absolute and that the promisor is liable for breach of contract even in non-performance is not due to any fault on his side.34 The court would award compensation for breach in the form of money damages. In addition, if the contractual stipulation not fulfilled ‘goes to the roots of the contract’35 and thus constitutes a condition, the right of the other party to terminate the contract is recognized. However, in a number of cases involving impossibility of performance caused by an unforeseen event without fault of the promisor, the courts have recognized relief from contractual liability. Thus, the courts have relieved a party of the duty to perform where a thing necessary for performance was destroyed (e.g., the music hall where the agreed concert was to take place burnt [21] down,36 or the potatoes of a specified harvest perished because of a disease37) or where war or acts of governments rendered contractual performance impossible.38 In rare cases, courts have granted relief from contractual liability even in cases where performance as to the letter of the contract was still possible but the purpose of the contract had been ‘frustrated’, as in the famous coronation case.39 This doctrine of ‘frustration’ became the label also for the principle underlying the decision in the aforementioned cases where an indispensable Codice civile Art. 1218. Osti, Clausola ‘rebus sic stantibus’, III Noviss. dig. ital. 353 (1959). 33 On details of adaptation see infra C. 34 Paradine v. June (1647) Aleyn 26, 82 Eng. Rep. 897; 1 Chitty on Contracts 6 (25th ed. 1983). 35 Bettini v. Gye [1876] Q.B.D. 183. 36 Taylor v. Caldwell (1863) 3 B. & S. 826, 122 Eng. Rep. 309. 37 Howell v. Coupland (1874) L.R. 9 Q.B. 462. See also § 7 Sales of Goods Act. 38 Fibrosa Spolka v. Fairbairn, Lawson, Ltd. [1943] A.C. 32; Bank Line Ltd v. Arthur Capel & Co [1919] A.C. 435. It is an open question whether denial of export and import licenses and quotas will always be recognized by the courts as a frustrating event; Schmitthoff, Export Trade, 116 et seq. (7th ed. 1980). The same problem has been discussed under New York law as regards governmental decrees barring repayment of credits; see D. Lindskog, Act of State or Act or Desperation, IFL Rev, Dec. 1983, 4–8. 39 Krell v. Henry [1903] 2 K.B. 740. 31 32
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component of the subject-matter of the contract had been destroyed – e.g., the music hall has been destroyed or, to cite another case, where a hired ship had been sunk,40 or where performance would be totally different from what the parties had anticipated.41 Since the doctrine of frustration has been explained by some courts reading into the contract an implied term ‘in order to supply what the parties would have inserted had the matter occurred to them, on the basis of what is fair and reasonable’,42 some cases come close to those involving a mutual mistake by both parties. In general, British courts construe the concept of frustration quite narrowly and have denied its application in cases where a change in circumstances has rendered performance much more burdensome for one party, e.g. where the closing of the Suez Canal multiplied the shipping costs for the vendor of peanuts,43 or where a long-term contract concluded in wartime had to be carried out in the entirely different postwar situation.44 The courts, however, do recognize force majeure and hardship clauses in the contract.45 Sometimes, the adaptation of a long-term supply contract has been attained by the court by assuming an implied right of the aggrieved party to give notice, thus opening the way for negotiations over an adequate price increase.46 This is nothing but adaptation labelled as interpretation. C. TERMINATION OR ADAPTATION. RENEGOTIATION To what extent do the various legal responses to a change in circumstances provide a legal basis for an adjustment of the contract to the new situation instead of mere termination? French law and British law appear not to be very promising in this respect; German and Italian law, in contrast, seem more encouraging. [22] As French law, in general, does not recognize changes in circumstances as grounds for relief from contractual liability, little remains to be said about a contract adaptation in this situation. We should note, however, that French courts, in rare cases involving a change in circumstances by force majeure rendering contractual performance impossible, have awarded a contract
Taylor v. Caldwell, supra note 36; Geipel v. Smith (1872) L.R. 7 Q.B. 404. Davis Contractors Ltd. v. Fareham U.D.C. [1956] A.C. 696, 727 et seq. 42 Bank Line v. Arthur Capel, supra note 38. 43 Tsakiroglou v. Noblee Thörl, supra note 3. 44 British Movietonews Ltd. v. London and District Cinemas Ltd. [1952] A.C. 166. 45 Superior Overseas Development Corporation v. British Gas Corporation [1982] 1 Lloyd’s Rep. 262. 46 Staffordshire Area Health Authority v. South Staffordshire Waterworks Co. [1978] 1 W.L.R. 1387. 40 41
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modification under the label of compensation for damages.47 Moreover, the concept of imprévision recognized for contrats administratifs provides for a real adaptation (e.g., an adequate price increase in a long-term contract to make good for extraordinary and unforeseeable cost increases). In British common law, the regular legal consequence of frustration is the termination of the contract. Formulations such as ‘the court imposes upon the parties the just and reasonable solution that the new situation demands’48 should not obscure the fact that British courts do not recognize the power of a court to modify a contract, i.e. to uphold it with changed terms.49 Only with respect to down payments made or expenses incurred before the contract was frustrated can an adjustment of the pre-existing contractual rights take place, mostly in compliance with the provisions of the Law Reform (Frustrated Contracts) Act 1943.50 A cautious step towards more flexibility is shown by the aforementioned case where a right to terminate a long-term contract by notice was read into the contract by way of interpretation.51 The comparatively greater flexibility of American contract law both with respect to the recognized scope of commercial impracticability and its legal consequences for a contract modification will be analysed by Richard Buxbaum.52 Under the German concept of the ‘collapse of the foundation of the transaction’, in contrast, the normal legal consequence is not the termination of the contract but its adaptation to the new situation.53 For example, such an adaptation may take the form of an increase in a retirement pension to make good for inflationary losses in value, or a modification of a contract on the transfer of real estate to obtain the permission of authorities.54 Under Italian law, where an event of sopravenienza results in hardship (eccessiva onerosità) for a party to a mutual (synallagmatic) contract, the party put at a disadvantage can request termination. The other party, however, is then allowed to propose a fair or acceptable adjustment of the contract as an alternative to termination.55 The question now arises as to who is to carry out the adaptation, the parties or the judge? To be sure, we discuss here not the case where both parties voluntarily come together to discuss and renegotiate the contract but rather 47 Cass. 27. nov. 1950, Gaz, Pal. 1951.1.132. See also Landfermann, Die Auflösung des Vertrages nach richterlichem Ermessen als Rechtsfolge der Nichterfüllung im französischen Recht (Contract termination by discretion of the judge as the legal consequence of nonperformance in French law), 60 et seq. (1968). 48 Cheshire and Fifoot, Law of Contract 515 (10th ed. 1981). 49 British Movietonews Ltd., supra note 44. 50 Schmitthoff’s Export Trade, supra note 38, ch. 11 at 120. 51 Supra note 46. 52 See infra at 44–50. 53 Horn, Kötz & Leser, supra note 19, at 141 et seq. 54 BGHZ 61, 31, 38; 67, 34, 36. 55 Codice civile art. 1467 III.
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the situation where the law confers a right to request an adaptation on one of the parties. Here, it makes a difference, whether the party is entitled immediately to [23] ask the court to adjudicate the request for an adaptation, or whether the parties must first enter into good faith renegotiations, with the court coming into the picture only if these talks fail. Italian legal doctrine holds that it is a duty of the party requesting the adjustment to make an equitable proposal and this cannot be left to the court. The court only decides on the fairness of the offer if no agreement is reached.56 This implies the assumption that the collapse of the foundation of the transaction brings about an adaptation as an automatic consequence. The same assumption can be observed in some decisions of the German Federal Court.57 However, if the attempt to reach an adaptation through renegotiations fails and a party now seeks termination of the contract, the German Federal Court requires at least a declaration by the party to this effect.58 Other courts decisions have recognized a right to give notice and to request renegotiations,59 and the federal court has given priority to renegotiation and a voluntary adjustment in cases where a long-term partnership agreement had to be adjusted. In other words, in these cases, the change in circumstances does not automatically bring about the desired adaptation (a change in the rights of the parties) but only a right to request renegotiations.60 A similar duty to renegotiate and thus to attempt to bring about the required adaptation is also provided by a number of special laws (e.g., regarding the adaptation of money obligations under apartment leases, retirement pensions etc.). If we consider this legislation and the philosophy of many court decisions, it is not difficult to conclude that, in German law, the regular legal consequence of a collapse of the foundation of the transaction is that the parties are initially obligated to attempt to renegotiate on an adaptation in good faith.61 American courts appear to follow this idea even more clearly in recent cases of commercial impracticability as, later in this book, Buxbaum points out.62 French courts have, in cases where imprévision was recognized, pointed to a duty of the parties to themselves negotiate on adaptation,63 and the same can be said about the recent British case, previously cited,64 where the court 56 Giannattasio, in: Rassegna di Giurisprudenza sul Codice civile, art. 1467 no. 19 (ed. Nicolò-Richter, IV/III 1972). 57 BGH, LM § 242 (ha) BGB Nr. 38; BGH NJW 1972, 152 et. seq. 58 BGH LM § 242 (Bb) BGB Nr. 57; BGH WM 1958, 700 et. seq. 59 OLG Karlsruhe. DB 1980, 254 (concerning the long-term delivery of energy). 60 BGHZ 10, 44, 51; 18, 350 f; BGH NJW 1967, 1081; BGH WM 1975, 769. 61 Horn, Neuverhandlungspflicht (Duty to Renegotiate). AcP 191 (1981), 255–288. 62 Infra this volume at 46–50. 63 Gaz de Bordeaux, supra note 16. 64 Staffordshire, supra note 46.
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recognized a right to terminate a long-term contract by notice only to open the way for renegotiations. Even where the law permits the court itself to modify the contract, as in German law, there are two reasons for judicial restraint in this respect. First, courts are called upon to render a decision based on law, not to make a plan for the future cooperation of the parties in general. Second, in attempting to plan the future cooperation of the parties, a court is inherently unable to take into account all of the factors applicable to the deal in the same manner the parties would. Accordingly, if the adaptation problem is not just a change in price or similar measurable adjustment, the court is not capable of writing an adapted [24] contract for the parties. Therefore, there exist some legal and factual boundaries on the capacity of courts to adapt a complex longterm contract the performance of which will continue into the future. We will come back to this question when we discuss the powers of arbitrators and third party interveners.65 D. THE LAW OF THE GERMAN DEMOCRATIC REPUBLIC The GDR’s law on international economic contracts of February 5, 1976, contains a sort of modernized concept of rebus sic stantibus or ‘collapse of the foundation of the transaction’. In article 295, it provides that where circumstances, relevant for attaining the purpose of the contract and presupposed by the parties but beyond their control, have changed fundamentally, the party does not accept the offer or, if the adjustment is not such that the contractual purpose can be attained, the aggrieved party is entitled to terminate the contract immediately; the other party may claim compensation for its own performance and for costs incurred with respect to outstanding parts of its performance. If the law of GDR is applicable to the contract, the parties may specify particular cases of changed circumstances and special risks. The provision demonstrates the willingness of the legislator to recognize such clauses as well as hardship clauses (to be discussed infra Part II) as valid. Under the provisions of article 295, the court is called upon only to decide on the compensation owed in the case of termination, it may not undertake to adapt the contract. One can presume that a hardship clause which gives such powers to a court would be valid because the law in other cases recognizes the ability of a court to effect such an adaptation – e.g., where a third party has been empowered to make such a determination yet fails to do so (article 41(2)). The role of such a court decision in the adaptation of a complex
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long-term contract must be seen, however, within the previously mentioned boundaries of the court’s ability to effect an equitable adaptation.66
III. Recognized Transnational Rules on Changes in Circumstances in Commercial Contracts? Our question whether there exist uniform transnational rules on how changes in surrounding circumstances affect a contract is not intended to resuscitate the famous debate on autonomous sources of lex mercatoria. We do not question here that the majority of contracts in international business are still subject to a specific national law and we leave aside the questions regarding the conditions under which a contract may be insulated from the application of any such law. Transnational rules, accordingly, are relevant here only if compatible with and [25] recognized by the applicable national law either as standards of interpretation or as commercial customs and usages. We therefore simply ask whether there is a de facto transnational uniformity of legal patterns in the use of contractual clauses in international commerce, backed by some uniform ideas about the legal concepts involved, and whether this provides uniform standards of interpretation as do uniform customs and usages.67 This could have two legal effects: first, it could aid in the interpretation of clauses on changes in circumstances (force majeure, hardship and special risk clauses to be discussed in part II of this book) where these clauses have ambiguities or shortcomings. Second, it could perhaps help to identify implied terms to the same effect where the parties have not inserted those clauses. Finally, if the parties have expressly excluded the legal effects of such implied terms, a court may still have recourse the overriding rules of the applicable law or principles of equity and good faith. Here, the answers of the various national laws differ,68 and our search for uniform transnational rules will be rather difficult. A. A COMPARATIVE LOOK AT PUBLIC INTERNATIONAL LAW A comparative look at public international law (the law of nations) is justified by the experience that general problems of contract law are more or less the same in private law and public international law. For instance, the princi-
66 A similar view has been expressed by Maskow in his report for Tagung für Rechtsvergleichung, 1983, Bonn (German Congress on Comparative Law). 67 Horn, Uniformity and Diversity in the Law of International Commercial Contracts. in: The Transnational Law of International Commercial Transactions (Horn & Schmitthoff eds.) 3–18. at 13 et seq. (1982). 68 Cf. infra Part III of this volume, at 180 et seq. (Horn).
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ple of clausula rebus sic stantibus is still recognized in public international law on the basis of an uninterrupted legal tradition.69 This principle has found a modern important and clear expression in article 62 of the Vienna Convention on the Law of Treaties of 1968–69 which deals with ‘Fundamental Change of Circumstances’.70 The legal effect of such a fundamental change of circumstances is the ‘termination and withdrawing the treaty’, subject to a procedure prescribed by article 65 (notification of the claim to the other parties). Treaties on boundaries are excluded and the article is carefully worded so as not to encourage the over-use of the principle and thus to avoid uncertainties as to the sanctity of international contracts. The Vienna Convention is applicable only to treaties between sovereign states. It is not applicable to contracts between private parties or to contracts with an international institution such as the World Bank. But article 62 is a strong argument for the existence of a general legal principle which might also be relevant to transnational contracts with or between private parties. [26] B. EMERGING INTERNATIONAL CONCEPTS OF FORCE MAJEURE AND HARDSHIP This leads us to the important and crucial question as to whether there already exist recognized transnational rules on hardship and force majeure useful for the interpretation of adaptation clauses and even relevant to adapting contracts in the absence of such clauses. With respect to such an international concept, we have to distinguish at least two of its main functions: first, as an extraordinary relief from contractual duties – an exception to the normal contract liability as discussed above71; second, as a source of duties to find a new solution, i.e., to adapt a contract to a new situation with a view toward furthering the cooperation of the parties. The first function is expressed in article 62 of the Vienna Convention. In the United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods of 1980, which is directly relevant to the kind of (private) contracts we are discussing here, this concept has found its expression in article 79. According to this provision, a party is not liable for a failure to perform if the failure was due to an impediment beyond his control. The same kind of relief is provided in many contractual clauses used in international com69 Omnis conventio intelligitur rebus sic stantibus; R. Zouche, Juris et Judicii Fecialis, sive, Juris inter Gentes, et Questionum de eodem Explicatio (1650), 1911, p. 102; Schwarzenberger, A Manual of International Law, 169 et seq. (5th ed. 1967); Verdross-Simma, Universelles Völkerrecht, 418–424 (1976); Brownlie, Principles of Public International Law 599 (2nd ed. 1973). 70 Brownlie, supra note 69. Art. 65 prescribes a notification of the claim to the other parties. 71 Cf. supra part I and II C of this article.
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merce which can be termed as the traditional or ‘old fashioned’ form of force majeure clauses to be discussed later.72 This contractual practice must be seen and construed in the context of an international communis opinio regarding the legal concept of force majeure. The contours of this communis opinio are described in our discussion of comparative law on the subject,73 and confirmed, in a way, by a constant jurisprudence of the European Court of Justice where a concept of force majeure or ‘greater might’ is applied which is derived from a comparative look at various European laws.74 This communis opinio says that a fundamental change in the circumstances beyond the control of the parties affects the existing contractual obligations and is ground for relief from some or all contractual duties. This does not necessarily mean that the contract is totally voided and all prior obligations are to be discarded. Such legal effect would be particularly difficult to accept in cases where one party has performed and the other party not, e.g. where the lender has disbursed the credit,75 in other words, where the contract is in part executed and in part executory.76 Even where termination can be accepted as the proper remedy, there remain duties on the parties concerning the method of liquidation. But in the many cases where either or both parties maintain an economic interest in continued contractual cooperation as is typical for long-term [27] contracts interrupted halfway in their execution, there is a sort of consensus that other solutions must be found. No general concept on how to adapt a contract has yet emerged and it is hard to imagine what the parameters of such concept would be. Only for specific problems of an adaptation such as price adjustments to changing market prices or currency exchange rates, can such concepts be found in special adaptation clauses or in adaptation formulas established by legislators and courts.77 In less ‘quantifiable’ situations, only the parties can really negotiate and execute the necessary changes. There is some evidence to assume that, generally, the parties have a duty to renegotiate in good faith on the needed adjustment. Witnesses for this are Infra Part II of this volume Horn, at 131 et seq.; Böckstiegel, at 159 et seq. See supra parts II A–D of this article. It should be noted, that the European Court has constantly adopted a comparative method to find legal concepts of frustration and force majeure commonly accepted within the European community. 74 For recent decisions of the European Court, cf. e.g., Ministero delle Finanze v. Esercizio Magazzini Generali SpA et Mellina Agosta (5 Oct. 1983, No. 186 and 187/82); Bundesanstalt für landwirtschaftliche Marktordnung v. Firma H. und J. Brueggen (16 Dec. 1982, No 71/82); for a narrow construction of ‘greater might’ see re Acciaierie et Ferriere Busseni di Brescia v. European Commission (14 Feb, 1984). 75 Cf. infra Part IV at 310–12 (Horn). 76 Cf. I.C.J., decision of Feb. 2, 1973, 18 I.C.J. Reports, 62 (1973). 77 See supra text accompanying notes 19–33. For a discussion of adaptation clauses, see generally infra this volume. Part II; on adaptation procedures, see generally infra this volume, Part III. 72 73
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not only found in many modern force majeure and hardship clauses (to be discussed later),78 but also in a number of international texts and proposals. Both the UNCITRAL Conciliation Rules and the ICC Adaptation Rules, without defining the legal concept of frustration, hardship or force majeure, nevertheless promote the idea of adapting contracts through negotiations.79 The UN-ECOSOC Draft Code on Transnational Corporations postulates that, in long-term contracts between governments and transnational corporations, review or renegotiation clauses should be included. The draft goes a step further and states that, in the absence of such clauses, where there has been a fundamental change of the circumstances on which the contract or agreement was based, the parties should act in good faith to review or renegotiate such contract or agreement (art. 11).80 This concept is in accordance with those national laws (e.g. German, French and American law), where the courts faced with situations of force majeure or frustration have pointed to a duty of the parties to themselves negotiate on a solution.81 It appears justifiable to speak today of an internationally accepted concept of force majeure or rebus sic stantibus and, with respect to complex long-term contracts, of a duty of the parties, to renegotiate in good faith. We must be careful, however, not to regard these generally accepted concepts as already operational rules of law. We have seen in our little comparative view of national laws as we will further see in our discussion of standard clauses that the difficulties often are in the details of defining a situation of force majeure. In this respect, however, the standardized use of relevant clauses may help to define the criteria which are necessary to protect the basic principle of the binding force of contracts. These criteria will be discussed in greater detail in Part II.82 But we can state here that international contractual practice is oriented towards uniform general concepts of force majeure and a duty to renegotiate.
78 See infra this volume, Horn, Standard Clauses, at 130–137; Böckstiegel, Hardship, Force Majeure and Special Risks Clauses, at 159 et seq. 79 See the introduction to this volume, supra at 8–10. See also Mezger, infra this volume, at 205 et seq., 215; Herrmann, infra this volume, at 218 et seq.; Lando, Renegotiation and Revision of International Contracts, 23 G.Y.I.L. 37, 57 (1980). 80 U.N. ECOSOC, Draft Code of conduct for Transnational Corporations, U.N. Doc. E/C. 10/1982/6, Annex (1982). 81 For a discussion of the American approach on this matter, see Buxbaum, infra at 31. 82 See Horn Standard Clauses, infra this volume, at 111 et seq.; see also Böckstiegel, Hardship, Force Majeure and Special Risk Clauses, and Feliciano, The Role of Investment Agencies, infra at 159 and 141.
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C. INTERNATIONAL STANDARDS OF FAIRNESS One of the most crucial problems is to provide guidance for an adaptation, the direction it should take and the measures it can be based on. This problem arises both in the context of extrajudicial negotiations and in the case of an adaptation brought about by a court or arbitral tribunal. We cannot expect very clear rules. Nevertheless, we can discover in international contractual practice at least some general ideas that are partially supported by the formulations of some national laws regarding force majeure. One leading idea is that the equilibrium of the original contract should be maintained and therefore neither party should be allowed to profit or forced to suffer a loss as a result of the renegotiation. This ‘no profit – no loss’ rule is widely recognized. Another approach is to not simply look back to the original contract but to determine what is fair in the new situation. This rule should be observed, however, only if it does not contradict the ‘no profit – no loss’ rule.83 The UNCITRAL Rules, when describing the task of a conciliator, give it (and thus to the parties) similar guidance by referring to ‘principles of objectivity, fairness and justice, giving consideration to, among other things, the rights and obligations of the parties, the usages of the trade concerned and the circumstances surrounding the dispute, including any previous business practices between the parties’.84 D. CONTRACT ADAPTATION IN THE NORTH-SOUTH RELATIONSHIP In the years following decolonization, many developing countries, after they had obtained political independence, made strong efforts to achieve economic independence as well. One of the most important steps towards this goal was seen in the restructuring of long-term contracts on economic cooperation, particularly contracts involving the exploitation of natural resources. In 1974 and 1975, the UN promulgated resolutions on permanent national sovereignty over natural resources and on the economic rights and duties of States, and declared the establishment of a New International Economic Order (NIEO) as a goal of the UN and its member states.85 The concept of NIEO, the normative implications of which remain the subject of an ongoing discussion, has nourished the idea that developing countries may use their economic weakness as an additional legal argument to justify either the ter-
83 On this problem, see also Schmitthoff, Hardship and Third Party Intervener Clauses, 1980 J. Bus. Law 409. 84 Art. 7(2). The text of the Rules is reproduced infra part IV of this volume. 85 Horn, Normative Problems of a New International Economic Order, 16 J. World Trade L. 338 (1982).
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mination or the adaptation of long-term contracts in a manner advantageous to them.86 We must make a distinction here. The special case of the liquidation of old [29] colonial regimes and concessions and other contracts inherited from them through adaptation processes forced by political acts is today a closed chapter and hardly a lesson for the future of international contracts. The broad and difficult discussions on the legal implications of NIEO have till today brought about no more than a certain revival of the traditional concept of clausula rebus sic stantibus.87 Within this concept, however, the poor economic health of the debtor is no legal argument.88 The economic weakness of developing countries can be significant as a political argument. However, treating it as a legal argument would lead on to all kinds of dangerous implications. No country can in the long run deny that it is subject to the same legal principles – including the binding force of contracts – as its partners. This is, indeed, the opinion internationally prevailing.89 Accordingly, it would make no sense to define special excuses from contractual liability for developing countries. Such a concept would be a mixed blessing for the countries concerned. Every country likely to use this argument would run the risk of earning the reduced credit standing of a debtor who does not take contracts seriously. Nevertheless, the crisis in international lending has revived this line of argument, i.e. pleading weakness as an argument in its own right. This problem will be discussed later in part IV. Suffice it to say that such an argument, though it might be a very strong one in a given situation, is clearly not a legal one. E. WHAT COURTS WILL DO The real test for the legal weight and significance of a transnational concept concerning changes in circumstances (force majeure) arises when an adaptation problem comes before a national court. Predictably the court will first look at the applicable national law. The question is whether it will allow a furtherreaching concept of adaptation than that provided by the applicable law on the grounds that the contract is an international commercial transaction. We must make a distinction here. Every court would probably honor an adaptation clause agreed to by the parties, and would thus apply international standards of interpretation, if necessary. In the absence of such a clause, how86 See, e.g., some of the contributions in: Legal Aspects of the New International Economic Order (K. Hossain ed. 1980). 87 Horn, infra at 346. 88 On this problem, see also infra this book, Part IV at 305, 310–12 (Horn). 89 Seidl-Hohenveldern, International Economic Soft Law, 163 Recueil des Cours 164 (1980).
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ever, a court would primarily look at the scope of adaptation concepts provided by the applicable national law. If these are very narrow (as is the British common law concept of frustration and the French law concept of the special situation of imprévision) it is an open question, to say the least, whether the court will go the further step of adapting the wider and more flexible concept of adaptation found in international commercial practice.
The United Nations Convention on Independent Guarantees and the Lex Mercatoria* Centro di Studi e ricerche di diritto comparato e straniero, Rom, Saggi, Conference e Seminari 30 ed. M.J.Bonell 1997 I. Introduction: A New Step Towards a Uniform Legal Regime for Bank Guarantees On December 11, 1995, the General Assembly of the U.N., by a resolution taken in its plenary session, adopted the “United Nations Convention on Independent Guarantees and Stand-by Letters of Credit”.1 The Convention has been prepared by the United Nations Commission on International Trade Law (UNCITRAL).2 Since long, independent guarantees have been used in international trade and finance as an instrument for securing payment and performance in international commercial contracts. This international practice generated widely used or commonly accepted concepts and principles as to the meaning and legal effects of bank guarantees, in particular with respect to its independence from the underlying commercial transaction. These concepts and principles can be characterized as elements of an uniform international commercial law: the lex mercatoria or law merchant.3 In a legal investigation * Überarbeitete englische Fassung einer Gastvorlesung an der Universität La Sapienza in Rom am 22.4.1996. 1 UN General Assembly Resolution 50/48. The publication of the text UN 1996 is accompanied by an Explanatory Note by the UNCITRAL Secretariat (p. 13 et seq.). 2 On the preparatory work, see Report of the United Nations Commission on International Trade Law, General Assembly, Fiftieth Session, May 1991, Supplement No. 17 (A/50/17); Report of the Working Group on International Contract Practices, May 1991, A/CN.9/345; Working Group on International Contract Practices, Tentative considerations on the preparation of a uniform law, Sept. 1988, A/CN.9/WG. II/WP.63; Working Group on International Contract Practices, Discussion of further issues of a uniform law: fraud and other objections of payment, injunctions and other court measures, May 1991, A/CN.9/WG.II/WP.70. 3 On lex mercatoria, see Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, Frankfurt a.M. 1972, chpt. 6; Id., Codes of Conduct for MNEs and Transnational Lex Mercatoria: An International Process of Learning and Law-Making, in Horn (ed.), Legal Problems of Codes of Conduct for Multi-national Enterprises, Deventer, 1980, p. 45 et seq.; Id., A Uniform Approach to Eurobond Agreements, in Law and Policy in International Business, 1977, p. 753 et seq.; Id., Normative Problems of a New International Economic Order, in Journal of World Trade Law, 1982, p. 338 et seq.; Id., Uniformity and Diversity in the
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on internation- [2] ally used bank guarantees, carried out in 1989 by Professor Eddy Wymeersch and myself, we wrote in our concluding remarks: “The time has come to formulate uniform rules”.4 Since then, UNCITRAL has formulated these rules and the U.N. General Assembly has adopted them. The new U.N. Convention is an important step towards the international codification of the law of international bank guarantees. In order to better understand the significance of the Convention, we should take into account the previous development in this important area of international contract law. The bank guarantee, over the last decades, has become a typical contract in international trade and finance (II). As the typical legal problems of such bank guarantees are universally the same, it is not surprising that similar or identical solutions were sought and found by international business lawyers and by courts and arbitral tribunals dealing with these guarantees. This applies, in particular, to the problem of an abuse of such guarantees, i.e. an unfair calling. We find a number of court decisions in many countries dealing with this problem. [3] A number of attempts to codify the law of international guarantees has been made before the U.N. Convention (III). It is in this context that some important features of the new U.N. Convention shall be briefly described (IV). Special attention shall be given to the question how the U.N. Convention handles the problem of unfair calling (V) and what provisional court measures can be obtained in such a situation (VI). The problem of unfair calling is of particular relevance for international practice, and if an internationally uniform approach to its resolution can be found, this would mean an important progress in the development of international commercial law. Law of International Commercial Contracts, in Horn – Schmitthoff (eds.), The Transnational Law of International Commercial Transactions, Deventer, 1982, p. 3 et seq.; Berman – Kaufman, The Law of International Commercial Transactions (Lex Mercatoria), in Harvard International Law Journal, 1978, p. 221 et seq.; Carbonneau (ed.), Lex Mercatoria and Arbitration, New York 1990; Bonell, The Relevance of Courses of Dealing, Usages and Customs in the Interpretation of International Commercial Contracts, in UNIDROIT (ed.), New Directions in International Trade Law, 2 vol., New York 1977, p. 109 et seq.; Id., UNIDROIT Initiative for the Progressive Codification of International Trade Law, in ICLQ, 1978, p. 413 et seq.; Id., Unification of Law by Non-Legislative Means: The UNIDROIT Draft Principles for International Commercial Contracts, in American Journal of Comparative Law, 1992, p. 617 et seq.; Id., An International Restatement of Contract Law, New York 1994; De Ly, De Lex Mercatoria, Antwerp 1989; Schmitthoff, International Business Law: A New Law Merchant, in Current Law and Social Problems, 1961, p. 129 et seq.; Id., The New Sources of the Law of International Trade, in International Social Science Journal 1963, p. 259 et seq.; Horn – Schmitthoff (eds.), The Transnational Law of International Commercial Transactions, Deventer 1982; Berger, Formalisierte oder “schleichende” Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts, Berlin 1996; Stein, Lex Mercatoria, Realität und Theorie, Frankfurt a.M. 1995. 4 N. Horn and E. Wymeersch, Bank Guarantees, Stand-by Letters of Credit and Performance Bonds in International Trade, Deventer 1990, p. 73.
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II. The Bank Guarantee as an Instrument to Secure International Commercial Transactions 1. Documentary Letters of Credit (L/C) and Bank Guarantees In international trade, documentary letters of credit, since long, have been the commonly used instruments to secure payment. The documentary letter of credit secures the claim of the seller to obtain payment of the price. The hard core of every L/C is an independent promise by a bank or other issuer of such letter, to pay the purchase price to the exporter against presentation of precisely defined documents. A typical document of this kind is a bill of lading or another document representing the goods sold. Such a document allows the importer to have the goods at his disposal and transfer them to another purchaser just by transfer of the documents. For such documentary letters of credit, the International Chamber of Commerce since long has issued the widely used “Uniform Customs and Practices for Documentary Credits” (UCP), now in a version promulgated in 1993.5 Besides the claim of an exporter for the payment of a purchase price, there are many other movables arising from international commer- [4] cial or financial transactions, where a need to secure these claims is felt but a typical documentary L/C is not suitable as a security. In such a case, guarantees issued by banks, insurance companies or similar institutions, are used to cover the risks that such claims will not be satisfied. This applies e.g. for securing claims by the importer against the exporter for non-conformity of the goods sold (performance guarantee). Another risk to be covered by a bank guarantee can be found in a case where one party has made an advanced payment or has extended a loan and wants to cover its repayment claim. Here, advance payment guarantees and repayment guarantees are used. In complex contracts on the supply and construction of industrial plants, we find the classical documentary L/Cs together with bank guarantees. The L/Cs are used in favor of the exporter for the partial payments of partial supplies by the contractor (exporter). The bank guarantees are used in favor of the importer to cover the risk of complete and timely performance (performance guarantees, performance bonds) or the aforementioned risk of repayment of advance payments or credits. An important difference between L/Cs and bank guarantees can be found in their payment function. The L/C constitutes a normal mode of payment, the bank guarantee does not. When the parties to an export contract agree on an L/C, their common intention is that the exporter (vendor, supplier, contractor) receives his money through the use of that L/C. A bank guarantee, on the other hand, shall only be used if a risk occurs that is to be covered UCP 1993, ICC Publication No. 500.
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by that guarantee, e.g. if the goods are not delivered in time or if they are not delivered in conformity with the contract, or if an advanced payment is to be repaid for lack of performance. The parties do not expect that such a risk materializes, and the party that furnishes the guarantee hopes that it will never be used. In other words, payment on a guarantee is the exception, payment on a L/C is the normal course in the execution of the contract. [5] 2. The Independent Guarantee as a Type of Obligation; Stand-by L/Cs Under an export transaction with an L/C involved, the exporter seeks and obtains the security that he will receive the payment owed to him under the contract in any event, if he only presents the documents prescribed in the L/C. Accordingly, the obligation of the bank that opened that L/C is “independent” from the underlying export transaction (art. 3 and art. 4 UCP). When the exporter claims payment under the L/C presenting the documents, the bank cannot refuse payment on the ground that the money is not owed according to the underlying transaction, since the bank is not involved in this transaction. The beneficiary of a bank guarantee in international trade and finance expects the same legal independence of his claim. He wants an independent, unconditional and irrevocable claim. The guarantee, therefore, should not be linked with the legal existence or the individual conditions of the underlying export contract. The type of obligation prevailing in international bank guarantees therefore is an undertaking to pay unconditionally “on first written demand”.6 We should note, however, that these ‘demand guarantees’, although commonly used, are not the only type of obligation. We find guarantees where payment depends on the fulfillment of additional conditions or even the presentation of a court decision or an arbitral award as to the underlying obligation. In such a guarantee, the legal position of the beneficiary is comparatively less strong. In all guarantees, including the last mentioned types, the obligation remains legally independent from the underlying secured transaction in the sense that its legal existence is not depending on it. This can be clarified in a comparison with a suretyship. In many national laws, including British, German or Italian law, a suretyship is depending on the secured [6] claim. When this secured claim does not exist, the surety cannot be used. Speaking in the terms of continental legal language, the suretyship is “accessory” to the secured claim. The guarantee, in contrast, is independent. It is a type of obligation not mentioned in most civil codes on the continent, but recognized by courts in
6 Horn – Wymeersch, Bank Guarantees, cit., p. 8; R. Jack, Documentary Credits, 2nd ed., London 1993, no. 12.26 et seq.
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civil law and common law countries. This independent guarantee is the main subject of the new U.N. Convention. As most U.S. American banks are not allowed to issue guarantees, they developed the technique to issue so-called stand-by letters of credit where the beneficiary is not bound to present documents as under a normal “documentary” letter of credit, but only his own written declaration that the risk covered by the stand-by L/C has materialized. Such stand-by L/Cs have the same function as bank guarantees and are widely used in international trade and finance. 3. The Risk Covered by the Guarantee or Stand-By Letter In spite of its legal independence, the guarantee must be seen in the economic context in which it is used. The guarantee should cover a certain risk connected with the underlying transaction. This risk is and has to be named in a certain way in the guarantee itself. In this sense, the guarantee can be characterized as showing its economic purpose (causa) in its contents; it is “kausal” in German legal terminology. The German Federal Court recently decided a case where the plaintiff had called a demand guarantee. We have seen that under such a demand guarantee, the beneficiary only has to render a written statement that the risk covered under the guarantee has materialized. The guarantor then has to pay and cannot demand any proof as to the occurrence of the risk. In the case decided, however, the beneficiary had made reference in his demand to a contract not covered by the guarantee. The Federal Court [7] declared that the demand was not valid. The case demonstrates the link between the independent guarantee and the underlying risk.7 In the contract of guarantee, the parties have a variety of options how to define the risk to be covered by the guarantee. If the risk is described in a very abstract and short-cut way, as is often the case, e.g. by just citing the number of the underlying contract to be covered, then the link between the guarantee and the underlying transaction is comparatively weak and, accordingly, the position of the beneficiary is rather strong. Other guarantees define the risk in a very precise way and set out a number of preconditions for payment under the guarantee with the effet that the beneficiary is obliged to bring evidence that the risk has materialized. This way, the link between the guarantee and the secured transaction is strengthened, and the guarantee is similar to a suretyship. Under some guarantees, even the presentation of a court decision or arbitral award is required as an evidence on the occurrence of the risk, as mentioned.8 7 BGH ZIP 1996, 454; Staudinger – Horn, BGB, 13. Aufl. Berlin 1997, Vorbem. 234 zu § 765 BGB. 8 Cf., e.g., Sperry International Trade versus Government of Israel, 532 F. Supp. 901 (1982); art. 9 ICC Rules for Contract Guarantees (Pub. no. 325) 1978.
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4. Conflicting Interests as to the Protection Against Unfair Calling Bank guarantees, in particular, demand guarantees, and stand-by L/C imply the danger to be abused. In fact, in the last decades courts of most trading nations had to deal with cases where a party to an export transaction complained that the other party has used the guarantee or stand-by letter contrary to its purpose, i.e. that he tries to collect money under the guarantee or stand-by L/C in an unjustified or fraudulent way. An abuse of a bank guarantee or a stand-by L/C can be defined as a case where the risk covered by that guarantee or stand-by letter has not materialized and payment is demanded without justification. It is not the bank but the customer who instructed his bank to issue the guarantee (princi- [8] pal) who in the end is hit by the damage caused by such an unfair calling. For this customer has to reimburse the sum paid by the bank as guarantor to the beneficiary on the basis of the contractual relationship between the bank and the customer. The principal who is obliged to furnish the guarantee under his export contract is vitally interested in excluding such abuse of guarantees and stand-by L/Cs. On the other hand, the beneficiary is interested in obtaining a demand guarantee or stand-by L/C that allows him to easily collect the money if he thinks he is entitled to it. The banks share this view because they dislike to be involved in the underlying transaction. They prefer to make payment, when called, on the basis of a formal check of the written demand and of the other documents prescribed, if any.9 As a result of these conflicting interests, the parties involved hold different views as to how the obligation of the guarantor or the issuer of a standby letter should be defined in the guarantee or stand-by letter. On the one side there is the export industry, i. e. the exporters of goods, the suppliers of technical equipment or the contractors of buildings and installations, who often are exposed to the risk of unfair calling of performance guarantees and advanced payment guarantees. They want to have a legal safeguard built in the legal obligation of the guarantor. Generally, the principal wants to have the obligation somehow linked to the underlying transaction to make sure that an abuse is excluded. On the other side there are beneficiaries and banks. They prefer a strict, independent obligation without such links. This conflict of interest is also mirrored in the various attempts for an international unification or codification of the law of bank guarantees and stand-by letters. [9]
Pierce, Demand Guarantees in International Trade, London 1993, p. 110 et seq
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III. The Efforts to Formulate Uniform Rules for International Guarantees 1. Uniform Rules for Contract Guarantees of the ICC 1978 In 1978, the International Chamber of Commerce issued Uniform Rules for Contract Guarantees.10 These rules made the payment claim under the guarantee dependent on certain proofs of the occurrence of the risk. Such proof had to be supplied through a court decision, an arbitral award or a declaration by the counterparty to the contract (art. 9). In this way, the position of the principal was strongly enhanced. He obtained a very good protection against the abuse. The rules satisfied the wishes of export industry because it is the exporter who typically has to furnish tender guarantees if he participates in a tender procedure, repayment guarantees if he receives an advance payment, and performance guarantees for the good and timely execution of his part of the contract (delivery of goods, completion of construction work, etc.). It is exactly these types of guarantees to which the Uniform Rules make reference. As the rules did not satisfy the expectations of beneficiaries of guarantees and of the banks which act as guarantors, the rules could not gain general recognition. It is sometimes said that they are not used at all. But this is simply not true. The rules still hold a limited field of application, wherever exporters can supply guarantees according to their own wishes. 2. Uniform Rules for Demand Guarantees, 1991 In 1991, the International Chamber of Commerce issued new “Uniform Rules for Demand Guarantees”.11 These rules are designed to provide a uniform legal text for the type of guarantee prevailing in international business practice. The decisive point is the regulation of the [10] payment demand. In contrast to art. 9 of the uniform rules of 1978, art. 20 of the rules of 1991 does not require the beneficiary to furnish evidence on the occurrence of the risk covered by the guarantee. Thus, the beneficiary does not have to prove a breach of contract of the contract or the suffering of a damage or any other risk against which the guarantee was to protect him. It suffices that the beneficiary makes a unilateral declaration. This declaration, however, must meet certain requirements. The beneficiary (creditor) must, in addition to his payment demand, expressly declare that the other party has breached its contractual duties. He must furthermore describe the kind of breach. In doing so, the danger of an abuse of the guarantee should somehow be reduced. Under 10 11
ICC Publication no. 325, 1978. ICC Publication no. 458.
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article 21, the bank (guarantor) is obliged to immediately inform the principal (his client) of the written payment demand and must furnish this demand and any accompanying documents. It is expected that this, too, is a certain protection against an abuse of the guarantee.12 3. Uniform Customs and Practices for Documentary Credits, 1993 As mentioned (supra II. 2), U.S. banks since long have used documentary letters of credit as a substitute for bank guarantees, i.e. in transactions outside the traditional scope of application of documentary L/Cs. In such a stand-by L/C, the beneficiary is not obliged to furnish bills of lading or similar documents evidencing the supply and shipping of goods sold, but simply to make a unilateral written declaration that a certain risk covered by the stand-by L/C has materialized. The International Chamber of Commerce has included the stand-by L/C in its world-wide known and accepted uniform customs and practices for documentary credits (UCP).13 In the UCP, the stand-by L/C appears to be only one sub-species or special type of L/C. We should, however, not overlook the fundamental difference between a normal documentary L/C and the stand-by L/C. In the normal documentary L/C, the docu- [11] ments are evidence as to the fact that certain goods sold have been shipped. These documents are issued by a third person, e.g. the shipper, as is the case with the bill of lading. Furthermore, a bill of lading or a similar document represents an economic value. The promise contained in that document by the issuer to deliver the goods to the holder of the bill of lading constitutes such an economic value. The bank that opened the L/C accepts these documents and gives them to its client who is the purchaser of the goods. The documents enable the purchaser to have the goods at his disposal and to transfer them to a third party to whom he has sold the goods in turn. In the case of a stand-by L/C, the document normally is just a written statement issued by the beneficiary party to the effect that the risk covered by the stand-by L/C has occurred. This declaration has no economic value as such. In the worst case of an unfair calling, the written demand is nothing more than a written lie by the beneficiary.
IV. The New U.N. Convention on Independent Guarantees The new U.N. Convention on Independent Guarantees continues the efforts described to reach a uniform legal base of international guarantees. This convention shall not be described in all its details here. We focus on 12 13
Pierce, cit., p. 59 et seq. Art. 1 and 2 UCP 1993, ICC Publication no. 500.
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some major issues: (1) The definition of an independent guarantee; (2) the law applicable to the payment claim; (3) the problem of conditional guarantees. We will then discuss (under V) the legal defense against unfair calling and (under VI) the protection by courts in such cases. 1. The Definition of the Independent Guarantee The new U.N. Convention, in its article 2 (1) defines the type of undertaking regulated by it as “an independent commitment, known in international practice as an independent guarantee or as a stand-by letter of credit, given by a [12] bank or other institution or person (“guarantor/ issuer”) to pay to the beneficiary a certain or determinable amount upon simple demand or upon demand accompanied by other documents, in conformity with the terms and any documentary conditions of the undertaking, indicating, or from which it is to be inferred, that payment is due because of a default in the performance of an obligation, or because of another contingency, or for money borrowed or advanced, or on account of any mature indebtedness undertaken by the principal/ applicant or another person”.
Three features of this definition are noteworthy: (1) The definition takes into account that bank guarantees and stand-by L/ Cs are equally used, and both are covered by the Convention. This is in line with international practice as described. The Convention, accordingly, uses a neutral common denominator of both types of obligation when it speaks of an “independent undertaking”). (2) Furthermore, the Convention is not confined to the widely used guarantee “on first written demand” that is preferred by banks and beneficiaries. This type of obligation is described in the Convention with the word “on simple demand”. The Convention, however, encompasses also other types of guarantees, when it mentions the case that, in addition to the payment demand, other documents are required. This shows that the U.N. Convention serves very different types of guarantees including those where the claim is subject to certain conditions. Which conditions are allowed and which not, must be discussed separately (infra 2). (3) Thirdly, it is noteworthy that the payment demand must contain a declaration that the risk covered has materialized, against which the guarantee is to protect the beneficiary. The conditions of the guarantee can contain a detailed definition of the risk covered. In the usual demand guarantees, this is not the case. But as every guarantee or stand-by L/C secures a certain contractual claim, the payment demand must at least identify the secured contract. The U.N. [13] Convention makes this requirement clear and, accordingly, gives a hint to the connection between the guarantee and the risk.
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2. Conditional Guarantees? The type of guarantee and stand-by letter prevailing in international trade and finance is an unconditional undertaking to pay. The U.N. Convention concentrates on this type of contract, when it defines the type of undertaking regulated by it as an independent commitment in Art. 2(1). The Convention goes on to explain the concept of “independence” in Art. 3, where it says that the undertaking should not be dependent upon the existence or validity of the underlying transaction, or upon any other undertaking (Art. 3(a)). Furthermore, the undertaking should not be subject to any term or condition not appearing in the undertaking, or to any future uncertain act or event, except presentation of documents or another such act or event within a guarantor/ issuer’s sphere of operations (Art. 3(b)). This makes clear that the “independent” undertaking covered by the Convention possesses a “documentary” character.14 This way, the Convention excludes from its scope of application any “accessory” or “conditional” guarantee.15 The payment claim of the beneficiary must not be made subject to any future, uncertain act or event to be proven by the beneficiary through any (undefined) means of evidence. There are, however, two important exceptions to this rule. One is that the claim may well be subject to acts or events “within the sphere of operation of the guarantor/issuer”, as the guarantor may himself easily determine such fact or event, e.g. whether a required monetary deposit has been made in a designated account maintained with that guarantor/issuer.16 The other even more important exception is that those conditions are allowed that can be proven by documents prescribed in the guarantee or stand-by L/C itself. Such a requirement of evidence by documents prescribed in the undertaking is consistent with the documentary character of the undertaking. [14] A great variety of documents of a very different nature is allowed. Such a document may simply be a written declaration of the beneficiary that the risk covered by the guarantee has materialized. Such declarations are commonly used in stand-by L/Cs, and there is no difference between a stand-by L/C and a demand guarantee in this respect. In other cases, however, the guarantee or stand-by letter might prescribe more important additional documents, such as a arbitral award, or a court decision as evidence of the secured claim or underlying risk covered by the guarantee or stand-by letter. This way, the Convention covers also the case of conditional payment claims, as long as these conditions are of documentary nature.
Explanatory Note, as cited, no. 19. Explanatory Note, no. 15. 16 Explanatory Note, no. 19. 14 15
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3. Application of the Convention and of National Laws; Interpretation The Convention only applies to those undertakings that meet the requirements of independent undertakings as defined in Art. 2, and are of international character (Art. 1). This means that the parties must have their place of business or residence in different states (Art. 4). The Convention then applies if the guarantor has his place of business in a contracting state or if the rules of private international law lead to the application of the law of a contracting state (Art. 1 (1) (a) and (b)). As long as the Convention is not yet in force, the parties may choose the Convention as a set of general conditions of contract. Although the Convention is an effort to create a uniform law of internationally used guarantees and stand-by L/Cs, the Convention cannot cover all questions of contract law, e.g. problems of the formation of the contract and the like. In this respect, the applicable national law comes into play. According to widely recognized principles of conflict of law, the parties may make a choice of the applicable law and, if they fail to do so, the law that has the closest connection to the undertaking (where the gravity of the undertaking is found) is applicable. The Convention contains exactly these rules as it provides in Art. 21 that the choice of law by the parties is decisive, and, in the absence of such choice of law, the law of the guarantor should be applicable (Art. 22). [15] In the interpretation of the Convention, its international character must be taken into account as well as the need to promote uniformity in its application. This is in line with generally recognized rules of interpretation of international conventions, e.g. with respect to the U.N. Convention of the International Sales of Goods. Art. 5 of the Convention on Independent Guarantees prescribes this international orientation of the interpretation and adds the observance of good faith in the international practice guiding principle of interpretation. We should add that the Convention is itself an important tool for the interpretation of existing international guarantees and stand-by letters of credit irrespective of its official coming into force. For the Convention lays down rules that are today widely recognized in the international community as the basic legal principles of guarantees and stand-by letters.
V. Exceptions Under the Convention and the Problem of Unfair Calling 1. Exceptions in General Even a strict and unconditional undertaking evidenced in a document does not put a debtor into a totally defenseless situation. Instead, there are a number of legal defenses he may well use in any law and jurisdiction. (1) Firstly,
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he may question the validity of the undertaking, e.g. he may point to the fact that the documents are forged or falsified. (2) Secondly, he may have defenses following from the very contents of the document itself. The debtor may refuse to pay because the expiry date of the guarantee has elapsed or because the declaration of the beneficiary demanding payment is not consistent with the document. We have seen that the German Federal Court decided such a case where the beneficiary, in his payment demand, made reference to another contract than that covered by the guarantee. (3) Thirdly, the debtor may have a personal defense such as a counterclaim to be set off. [16] The Convention mentions all three types of legal defenses or exceptions. The guarantor has the right to refuse payment, (1) if any document is not genuine or has been falsified (Art. 19 (1) (a)), (2) if no payment is due on the basis asserted in the demand and the supporting document. We should mention here that the Convention contains a provision on the expiry of the guarantee in Art. 12. (3) The Convention also provides for a “personal” defense or exception, as it mentions the possibility of a set-off in Art. 18. However, the exclusion of the right of set-off may be stipulated in the guarantee. 2. The Case of Unfair Calling in the U.N. Convention The case of unfair calling is given if the beneficiary draws the guarantee or stand-by letter and demands payment, although he knows or can easily ascertain that the risk covered by the guarantee or stand-by letter has not materialized. If there is a legal defense against this behavior, it is certainly not one of the defenses already discussed and classified. For, in such a case, we have valid documents and a formally correct payment demand in strict conformity with the documentary requirements of the undertaking. Perhaps, the misuse of the guarantee by unfair calling can be classified as a special kind of a personal defense. This personal defense is based on the old principle that parties should act in good faith, and they should not misuse a formal legal position. The exception of fraud or exceptio doli is part of the Civil Law as well as of the Common Law tradition. The problem is that such a defense cannot be recognized by the law too easily as it could, in turn, also be misused and thus destroy the economic function of bank guarantees and stand-by letters as dependable securities in international trade and finance. For a long time, courts, therefore, have been reluctant to recognize easily such legal defenses. But widespread misuse of bank guarantees and stand-by letters have eventually led to a situation where the courts in most Western countries recognized this kind of legal defense.17 The [17] courts invariably have required that the payment
See Horn – Wymeersch, Bank Guarantees, cit., p. 27–71.
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demand constitutes a gross violation of the principle of good faith and this fact has to be proven by strong evidence. The U.N. Convention that is the first to contain a codification of the various situations where fraud is present, it requires strong evidence as to this situation. The definition of unfair calling and the recognition of legal defense is embedded in a more general codification of exceptions to the payment obligation in Art. 19 of the Convention. The situation of unfair calling is generally described as “judging by the type and purpose of the undertaking, the demand has no conceivable basis” (Art. 19, (1) (c)). This is then more specifically described by five cases, and we best follow the wording of the Convention in this respect (Art. 19 (2)): The following are types of situations in which a demand has no conceivable basis: (a) The contingency or risk against which the undertaking was designed to secure the beneficiary has undoubtedly not materialized; (b) The underlying obligation of the principal/applicant has been declared invalid by a court or arbitral tribunal, unless the undertaking indicates that such contingency falls within the risk to be covered by the undertaking (c) The underlying obligation has undoubtedly been fulfilled to the satisfaction of the beneficiary; (d) Fulfillment of the underlying obligation has clearly been prevented by willful misconduct of the beneficiary; (e) In the case of a demand under a counter-guarantee, the beneficiary of the counter-guarantee has made payment in bad faith as guarantor/issuer of the undertaking to which the counter-guarantee relates.
VI. Interim Court Measures If, in case of an unfair calling, the payment required has been made, it is the other party to the underlying contract (principal) providing the guarantee that will suffer the loss. The bank as guarantor will collect [18] the money from its own customer. In international transactions, there is very often no chance to recover this money from the beneficiary in a foreign country under a foreign jurisdiction with a very different political and legal climate. Therefore, parties that provided for bank guarantees, in case they saw the danger of an unfair calling of the guarantee by the other party, have taken emergency measures to stop payment. Under the contractual relationship between a bank and its customer asking the bank to issue a guarantee or a stand-by letter in favor of another party,
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the bank is contractually obliged to safeguard the interests of its customer in the best possible way. In German law, e.g., it is recognized that a bank confronted with an unfair calling has the duty towards its customer not to pay on this demand provided, however, that the unfair calling can be proven, and its customer furnishes suitable evidence to this effect.18 The requirements to obtain an interim court measure such as a payment injunction, are very similar in various national procedural laws. To take again the example of German law, the customer must first have a claim against the bank as described. Furthermore, he must bring enough evidence to make it likely that unfair calling can be proven in a subsequent legal procedure,19 and finally he must explain that, in case of payment by the bank, he would suffer from an irreparable harm. Such harm is easy to prove, as we have seen that after payment has been made, the money normally cannot be recovered but is lost forever. Another legal possibility is a claim against the beneficiary itself under the underlying contract; but this only works if the beneficiary has assets within the jurisdiction of the other party that can be seized. In all Western countries, we can observe applications for court injunctions and other interim measures, and not infrequently, these applications have been successful. There is, however, a certain variety of legal requirements, and courts in some countries like Great Britain are more reluctant to give such remedies as in other countries. [19] The U.N. Convention makes reference to this practice, when it says in its article (Art. 20) that a court may, “on the basis of immediately available strong evidence” issue a provisional order to the effect that the beneficiary does not receive payment or to the effect that the proceeds of the undertaking paid to the beneficiary are blocked (Art. 20 (1) (a) and (b)). This provision may lead to a remarkable modification of the procedural law of a member state that signs the Convention. But at the same time, Art. 20 reflects a common understanding of court measures necessary and adequate to protect international commerce against unfair calling.
VII. Concluding Remark The U.N. Convention is an important step towards a unification of the law of international trade and investment in the important area of guarantees and stand-by letters. It is not sure that a sufficient number of States will sign the 18 For German Law, see BGH ZIP 1985, 1380 = WM 1985, 1387, and Horn, in Horn – Wymeersch, cit., p. 27 and 55. For U.S. Law, see Itek Corp. v. First National Bank of Boston, 511 F. Supp. 1341 (D. Mass. 1981), and Horn, p. 30 and 58. 19 Some remarks by the German Federal Court indicate that the court would require even full proof of the misuse already for the interim measure.
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Convention, and that it will obtain official recognition as law. Irrespective of its official recognition, the text of the Convention may be used by the parties as general conditions of contract by way of reference in their guarantees or stand-by letters. More important, the text of the Convention is a document of the communis legis opinio of the international community as to the legal principles that rule guarantees and stand-by letters. These principles can serve as a guide in the international interpretation and application of bank guarantees and stand-by letters, as they are part of the lex mercatoria of international trade and investment.
The Use of Transnational Law in the Contract Law
THE USE OF TRANSNATIONAL LAW IN THE CONTRACT LAW OF INTERNATIONAL TRADE AND FINANCE In K. P. Berger (Hrsg.), The Practice of Transnational Law, 2001, S. 67–80 I. INTRODUCTION 1. Transnational Sources of Law In 1956, Philip C. Jessup defined transnational law as ‘all law which regulates actions or events that transcend national frontiers’. This definition includes national laws that have extraterritorial effects, as do most national competition laws. We should, however, confine our definition to transnational sources of law, and thus define transnational law as all law stemming from or under the influence of transnational sources of law and regulating acts or events that transcend national frontiers. One can distinguish four types of such transnational sources of law: (1) International Conventions and Treaties. The UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods of 1980 (CISG) is such a transnational source of law. In order to become applicable, however, it was transformed into national legislation. Thus, it became national law that stems from, and remains under, the influence of a transnational source of law. (2) In the special case of European Community law, we have as the legal foundation a source of public international law, i.e., the Treaty of Rome of 1957 (as modified many times, e.g., through the treaties of Maastricht I and II and Amsterdam). Within the existing European Union, we distinguish two layers of law: genuine community law, sometimes termed supranational law, found in the EU Treaty and in (the rather rare) regulations of the EU Council, and a large national legislation that transforms EC-directives into national law. (3) A transnational source of law can also be found in semi-official texts that remain outside any legislative procedure, such as the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts of 1994. (4) Finally, non-codified principles of transnational law, as recognized by courts and arbitral tribunals, and used by lawyers when drafting international commercial and financial contracts, can be termed transnational sources of law.1 [68] With the exception of European Community law, all these sources of law, if 1 Narrower definitions of the so-called ‘lex mercatoria’ only cover the last two sources; see for example Berger, The Creeping Codification of the Lex Mercatoria, 1999, pp. 37 et seq.
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relating to international commercial transactions, can be labelled ‘lex mercatoria’. Sometimes, this term is used only for the latter two sources (3 and 4), which are not a part of formal legislation. It is advisable, however, to follow the aforementioned broader use of the term, and to also include conventions, because codified and uncodified law are closely interrelated, as will be discussed below. 2. Modes of Application of Transnational Law If we speak of the use or application of transnational law, we could be referring to different things. It is, therefore, advisable to distinguish (at least) three modes of ‘application’. (1) The first case is simply the application of codified transnational law to a contract. Leaving aside the rare cases of an immediate application of public international law (treaties) to private contracts, the typical case is the application of national law that stems, in the way described, from a transnational source of law (e.g., CISG). Here, the question of whether the interpretation of such law must be guided by an international perspective, comes into play. (2) The second mode of application is the incorporation of transnational legal principles into a contract by way of reference. (3) The parties to a contract on an international business may also make use of widely used clauses or form contracts that require an internationally uniform or homogenous interpretation. In the following, we undertake a short, paramount view of all four types of sources of transnational law and their modes of application to international commercial and financial contracts.
II. THE APPLICATION OF CODIFIED TRANSNATIONAL LAW The codification of certain areas of law in international conventions is an important step in the creation of transnational law. As the Geneva Uniform Law on Bills of Exchange and Promissory Notes of 19302 demonstrates, however, a real harmonisation will only follow from those conventions if their uniform application is guaranteed. The most efficient way to do so – to entrust a supranational court with the power to give authoritative rulings – is only politically feasible in exceptional cases. Therefore, in most conventions, the uniform application has to be achieved through special means of interpretation.
2 See Publication 22.6.33, RGBl. II 377; for an overview of the differences in the national laws see Jahn, Bills of Exchange, ICC Publication 593, Paris 1999, pp. 9 et seq.
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1. The Rule of Internationally Uniform Interpretation Art. 7 of the UN Convention on Contracts for the International Sale of Goods states: 1. In the interpretation of this convention, regard is to be had to its international [69] character and to the need to promote uniformity in its application and the observance of good faith in international trade.3 2. Questions concerning matters governed by this Convention which are not expressly settled in it are to be settled in conformity with the general principles on which it is based or, in the absence of such principles, in conformity with the law applicable by virtue of the rules of private international law. Art. 5 of the UN Convention on Independent Guarantees and Stand-by Letters of Credit contains similar principles of interpretation: In the interpretation of this Convention, regard is to be had to its international character and to the need to promote uniformity in its application and the observance of good faith in the international practice of independent guarantees and stand-by letters of credit.
Art. 7 CISG addresses the specific problems of interpreting a provision of transnational law. Because legislatures are generally unable to anticipate all of the problems to which a law will be applied, many questions arise concerning the precise meaning of legal provisions relevant for a given case. In applying national laws, the court can rely on long established criteria and principles of interpretation that can be found within every national legal system. An international convention like the CISG, which has been prepared and agreed upon at an international level, cannot be based on such a national system of rules and criteria. It is true that the CISG has been formally incorporated into the various national legal systems of the Contracting States. However, an interpretation of the CISG guided by national rules and criteria would lead to an unacceptable diversity of interpretation by the various national courts. This would, in time, erode the great achievement of developing a uniform transnational law for the international sale of goods. As a consequence, the first and most important rule of interpretation laid down in Art. 7(1) is to have due regard to the international character of the CISG and to the need to promote uniformity in its application. It is not expressly said how this goal can be reached, but from the principles of international and uniform interpretation one can derive the fundamental method of an autonomous interpretation; that is, an interpretation detached from the perspective of a given national law and its principles.4 This is particularly A similar rule is found in Art. 1.6. of the UNIDROIT Principles. Staudinger/Magnus, BGB, 1999, Art. 7 CISG at note 12; Honnold, Uniform Law for International Sales, 1999, at note 88. 3 4
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important in the legal systems of common law countries, where statutes are traditionally interpreted narrowly so as to limit their interference with the law developed through jurisprudence.5 Courts are invited not to stick to the literal and grammatical meaning of a given article of the Convention, but to look, where appropriate, to the underlying purposes and policies of individual provisions [70] and of the Convention as a whole. The same approach had been earlier prescribed for the interpretation of the US Uniform Commercial Code (§ 1-102 (3) UCC).6 When Art. 7(2) CISG makes reference to the general principles on which the Convention is based as a method of filling gaps in the Convention, it simultaneously describes a general principle of its interpretation. The method of making use of general principles when applying a code or convention is well established in civil law countries and also increasingly recognized by common law courts when applying international conventions.7 Such underlying principles and purposes of the Convention can be found in its legislative history and can be further developed by courts through their application of the Convention. When the legislative history is silent on an issue and a guiding principle can also not be found by way of analogy to other provisions of the convention, the question remains of whether other internationally recognized but uncodified rules of international sales law or of other commercial contracts can be applied. These are the rules that often are termed lex mercatoria or transnational law in the narrower sense. The answer is not easy. The CISG itself does not make a reference to such principles clearly outside the convention. It follows that they cannot be used as guidance in the interpretation of the CISG unless it can be proven that there is a substantial connection with principles inside the convention. It can be expected that these substantive connections will be increasingly found as the principles underlying the CISG are elaborated on by jurisprudence. The CISG does not expressly encourage such a method. Instead, Art. 7(2) makes reference to the national law of contract applicable according to the rules of private international law in the absence of general principles. Nevertheless, there are good reasons to believe that the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts might become a suitable common ground for the interpretation of the CISG. The Principles reflect widely recognized rules of the law of commercial contracts. It will be probably not be too difficult to prove that there are substantial connections to the Principles underlying the CISG. Besides, one might argue that the national Bianca/Bonell, Commentary on the International Sales Law, 1987, Art. 7 at note 2.2.1. See for example Rapson, ‘Commercial Law’, in Morrision (ed.), Fundamentals of American Law, 1997, p. 369. 7 Bianca/Bonell, supra note 5, Art. 7, at note 2.3.2. 5 6
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law applicable according to private international law can also lead to the UNIDROIT Principles if it leaves it to the parties’ autonomy to determine the proper law of the contract and the parties make implicit or even express reference to the UNIDROIT Principles. It has been suggested recently by Rosett that the UNIDROIT Principles ‘can be expected to make CISG more workable and a more supple tool of commercial law’.8 2. The Interpretation of the CISG in National Courts In a recent empirical investigation on the use of the CISG in court, and its role on legal teaching in the State of Florida, Michael Gordon provided important empirical [71] insights into the limited extent to which the CISG had penetrated the legal consciousness and culture of Florida in the decade since it became law in the United States.9 Rosett, in his comment on these findings, is of the opinion that they may be representative of other US States.10 Gordon found that Florida case law contains no references to the CISG or the UNIDROIT Principles. He reported a case where the CISG was clearly the applicable law, but a Miami State court judge refused to consider it because he was not convinced that the U.S. had adopted a law which replaced the UCC. In another case before a Tampa State court, a judge was of the opinion that, while the CISG might have been intended to apply in federal courts, it was not going to be applied in a State court in lieu of the State UCC. These findings reflect the well known fact that the US, being a large subcontinent and the leading world power, does not foster a favorable climate for a truly international perspective in legal matters. In one of the few cases reported, the 2nd Circuit Court of Appeals in 1995 observed that ‘there is virtually no case law interpreting the Convention.’11 In the case of Beijing Metals & Minerals Import/Export Corp. v. American Business Center, Inc.,12 defendant sought to avoid summary judgement on a contract claim by relying on evidence of contemporaneously negotiated oral terms that the parties had not included in their written agreement. The plaintiff, a Chinese Corporation, relied on Texas law in its complaint while the defendant asserted that the CISG governed the dispute.13 The court elected Rosett, 46 Am. J. Comp. L. 347 (1998). Gordon, 46 Am. J. Comp. L. 361–378 (1998). 10 Rosett, 46 Am. J. Comp. L. 347 (1998); a similar view is taken by Murray, 17 J.L. & Com. (1998) 365–379. 11 Delchi Carrier SpA v. Rotorex Corporation, US Court of Appeals for the Second Circuit, 6. December 1995, Docket Nos 95–7182, 95–7186, decision at Pace University database: . 12 Beijing Metals & Minerals Import/Export Corp. v. American Business Center, Inc., 993 F. 2d 1178 (5th Cir., 15. June 1993) Docket No. 92–2171. 13 Ibid. at 1183 p. 9. 8 9
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not to rule on the applicability of the CISG to the original contract, stating instead that remedies under this contract could have been pursued under the domestic law of Texas. The court applied the parole evidence rule under Texas law that generally bars enforcement of prior or contemporaneous oral agreements introduced to vary, add to, or contradict terms of a fully integrated written instrument. Under the parole evidence rule, written agreements are presumed to be completely integrated. But this rule is not viable in CISG cases in the light of Art. 8 of the Convention. This has been criticized in a decision of the 11th Circuit Court of Appeals in 1998.14 The only way to apply the parole evidence rule, in the opinion of that court, would have been to prove that the additional oral agreement was not itself a sales contract and thus outside the scope of the CISG. The 11th Circuit Court did not apply the parole evidence rule in the CISG case before it, nor [72] did other US-district courts.15 Moreover, in 1999, the US Court for the Eastern District of Louisiana stressed the principle of international interpretation of the CISG.16 The Court cites a decision of the German Federal Court (BGH) as an authority for the application of Art. 35 CISG. This comparative legal method is very unusual for US courts and can be explained by the special situation of Louisiana as a civil law State. Germany provides a good example of a friendly atmosphere for developing such an international perspective. Though the CISG might still be an exotic creature for some German judges and students, there are numerous court decisions dealing with the application of the CISG, including decisions of the highest court in civil matters, the Federal Court. In the application of the CISG, the Federal Court follows the principles of an autonomous and uniform interpretation of the CISG. A fine example of this method can be found in a decision of March 8, 1995 on a case concerning the sale of New Zealand shell fish by a Swiss importer to a German buyer, where the shell fish were found to contain a high degree of cadmium that remained, however, below the tolerance limit. The question was whether this amounted to a fundamental breach of contract according to Artt. 25 and 49 CISG. In this context, the Federal Court examined the question of whether or not the seller
14 MCC Marble Ceramic Center v. Ceramica Nuova D’Agostino, 11th Cir, 29. June 1998, Docket No. 97–4250 ; see also H. Flechtner, More US decisions on the UN Sales Convention – Scope, Parole Evidence, 14 J.L. & Com. 153 (1995). 15 Calzaturificio Claudia S.n.c. v. Olivieri Footwear Ltd, US District Court, Southern District of New York, 6. April 1998, Docket No. 96 Civ. 8052 (HB) (THK); Mitchell Aircraft Spares, Inc. v. European Aircraft Service AB, US District Court, Northern District of Illinois, Eastern Division, 27. October 1998, Docket No. 97 C 5668 . 16 Medical Marketing International, Inc. v. Internazionale Medico Scientifica, S.r.l., US District Court, Eastern District of Louisiana, 17. May 1999, Docket No. 99–0380 Section ‘K’ (1), .
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can be expected to deliver goods that conform with specific rules of public administrative law (e.g. on public health or on quality standards of food) in the State of the buyer. The Federal Court refused to hold the seller to such a standard based on concurring literature17 in the German, English and French languages.18 In a number of decisions, the Federal Court stressed the principle of autonomous interpretation, pointing to the differences between the CISG and the German Civil and Commercial Codes in their approach to certain problems. The Court showed its readiness to give up traditional German law views on certain problems, in favour of the CISG approach. Thus, in a case involving the supply of cobalt sulphate alleged to be of British or EU origin, but produced in South Africa with minor differences in its chemical quality, the Federal Court noted that the CISG and German Law handle cases where merchandise is different from the one promised (aliud) differently. In the CISG, both cases are treated in the same manner; different merchandise and merchandise of poor quality both constitute delivery under the contract. There remains only [73] the question: whether the difference in merchandise or quality amounts to a fundamental breach of contract within the meaning of Artt. 25 and 49 CISG. This is normally not the case and is only true for extreme differences. The court held that, because of the clear mandate of Art. 7 CISG, principles of German law could not be adopted in the interpretation of the relevant CISG provisions.19
III. EUROPEAN COMMUNITY LAW Within the European Community, the uniform application of primary and secondary law, as well as the uniform application of Conventions concluded within the framework of the EU, are guaranteed by the European Court of Justice on the basis of either Artt. 220 et seq. of the EU Treaty or special referrals of interpretative powers. In its case law, the European Court of Justice has laid down rules governing the interpretation and application of the various sources of law with a European origin.
17 Bianca/Bonell, supra note 5, Art. 35 at notes 2.5.1 and 3.2; Staudinger/Magnus, supra note 4, Art. 35 CISG at note 22; Neumayer/Ming, Convention de Vienne sur les contrats de vente internationale de merchandises, 1993, Art. 35 at note 7. 18 BGH (S.Ct.) (D) No. VIII ZR 159/94, 8 March 1995, BGHZ 129, 75–86 = RIW 1995, 595–597. 19 BGH (S.Ct.) (D) No. VIII ZR 51/95 of 3. April 1996, BGHZ 132, 290–305 = BGH ZIP 1996, 1041–1046 = NJW 1996, 2364–2367.
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1. EU Treaties and Conventions In general, the European Court of Justice has favored an autonomous and thereby uniform interpretation of the Treaty of Rome, as well as of the Brussels Convention on Jurisdiction and the Enforcement of Judgements in Civil and Commercial Matters. In the context of the Brussels Convention, where a special Protocol entrusts the European Court of Justice with the power of authoritative rulings,20 the Court explained in Rutten v. Cross Medical the reason for giving most concepts an autonomous interpretation. It stated that ‘autonomous interpretation alone is capable of ensuring uniform application of the Convention.’21 One of the few exceptions is the concept of ‘place of performance’ in Art. 5 of the Convention. Despite all criticisms, the European Court of Justice has recently confirmed its earlier rulings in this respect. The Court decided that Art. 5(1) of the Convention must be interpreted as meaning that, in the case of a demand for payment made by a supplier to his customer under a contract of manufacture and supply, the place of performance of the obligation to pay the price is to be determined pursuant to the substantive law governing the obligation in dispute under the conflict rules of the court seized.22 In that case, this rule led to the application of provisions of the Uniform Law on the International Sales of Goods (ULIS) and resulted in jurisdiction by the courts at the claimant’s place of business. No interpretative power is referred to the European Court of Justice for the Convention on the Law Applicable to Contractual Obligations of 1980.23 Art. 36 of the [74] Introductory Law to the German Civil Code (EGBGB), however, obliges the courts, in the interpretation of the German conflict of law rules transforming the convention into German Law, to observe the principle of uniformity of application of the Convention. 2. The Interpretation of National Law Enacted in Conformity with EU Directives EU law has been developed and expanded through a great and constantly increasing number of Council directives to be implanted into the national laws of Member States through national legislatures. It is a well established rule that this national legislation has to be interpreted so as to conform with the underlying EU directives. A fine example of such an interpretation can be found in a question concerning the German Law on the Revocation of 20 Luxembourg Protocol of 1971; for a detailed discussion see Hill, International Commercial Disputes. 2nd edn 1998, p. 52 et seq. 21 Petrus Wilhelmus Rutten v. Cross Medical Ltd Case C – 383/95, 1997 E.C.R. I 57. 22 Custom Made Commercial v. Stawa Metallbau GmbH Case C – 288/92, 1994 E.C.R. I 2949. 23 As confirmed by the German Supreme Court in BGHZ 123, 385.
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Contracts Concluded at the Front Door of 1986. As this law was enacted in anticipation of the EC Directive 85/577 on Consumer Protection in Case of Contracts Concluded Outside Business Rooms,24 the German Federal Court (BGH) held that this law was the transformation of said Directive and must be interpreted in conformity with it.25 It was also doubtful whether the German Law applied to sureties or only to those contracts where there was an exchange of values (as in a sales contract). The European Court held that the Directive also applied to sureties, but only in cases where the main debtor’s contract for which the suretyship is given is within the scope of the Directive.26
IV. THE UNIDROIT PRINCIPLES 1. Significance and Modes of Application The UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts of 199427 have become the most influential unofficial source of lex mercatoria. As the UNIDROIT Principles are the subject of a separate contribution, only a few remarks will be made for the sake of a comprehensive overview of the sources of transnational law and their application. With the exception of the U.S., where the Principles are not well known by business lawyers and courts,28 the Principles are often referred to in contracts on international business transactions and adopted by arbitral tribunals. This is evidenced by collections of contracts and arbitral awards referring to the [75] UNIDROIT Principles.29 In general, the UNIDROIT Principles are applicable to a contract in four different ways: (1) first, if expressly or indirectly referred to in the contract; (b) secondly, as general principles for the interpretation of the CISG or other conventions; (c) thirdly, in the application of the applicable national law, and (d) finally, as trade usages to which the parties are bound.30 The last approach overlaps to a certain extent with the other three EC Official Journal, 31.12.1985, L 372/11. BGHZ 131, 1, 5 = NJW 1996, 55. 26 European Court of Justice, Case C – 45/96, Bayrische Hypotheken- und Wechselbank AG v. Edgar Dietzinger, 1998 E.C.R. I 1199; for a detailed discussion of these decisions see Kröll, DZWir 1998, 426. 27 Official Text in UNIDROIT (cd.), Principles of International Commercial Contracts, Rome 1994; for a more detailed account of the history and the importance of the principles see Berger, supra note 1 at p. 141 et seq; Bonell, An International Restatement of Contract law, 2nd edn 1997. 28 Gordon, supra note 9. 29 : Selected case law relating to the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts. 30 For the different modes of application see Berger, supra note 1 at p. 176 et seq. 24 25
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approaches. These four modes of application shall be briefly exemplified in the following by some arbitral awards. 2. Choice of UNIDROIT Principles Both UNIDROIT, and other international institutions such as the ICC, confirm that in numerous cases, the parties have chosen the UNIDROIT Principles as the applicable law. We need not discuss here the controversial question of whether private parties are empowered to detach their contract entirely from the application of domestic law. Let us assume, instead, that most national laws allow at least a partial reference to internationally recognized rules or to any other set of rules as part of party autonomy. According to their preamble, the UNIDROIT Principles are applicable only when the parties expressly agreed so or where the contract refers to ‘general principles of law’, the lex mercatoria, or the like, as applicable law. It is not necessary to cite examples for the corresponding international practice. Two such clauses should be mentioned, however, for the sake of curiosity. The National and International Arbitral Tribunal of Milan had to decide one case where the parties had agreed at the beginning of the arbitral proceeding to apply the UNIDROIT Principles ‘tempered by recourse to natural equity’.31 In 1995, an arbitral tribunal of the International Court of Arbitration of ICC decided that the reference to ‘natural justice’ instead of an express choice of law clause in a number of contracts between a nonEuropean State and a U.K. company allowed the tribunal to adopt the UNIDROIT rules.32 3. The Principles Used to Aid in the Interpretation of the CISG In two arbitral awards rendered by the International Court of Arbitration of the Austrian Chamber of Commerce in Vienna, the Tribunal found that, in a contract under the CISG, a matter not settled by the CISG can be decided through the application of the UNIDROIT Principles.33 The Tribunal found that, although the CISG recognizes, in Art. 74, the principle of full compensation, and provides for the payment of interest in Art. 78, it remains silent as to the applicable interest rate. This, [76] in the sole arbitrator’s view, constituted a gap according to Art. 7(2) CISG rather than a matter falling outside the scope of the Convention. Therefore, it had to be resolved by the applicable national law. The principle of full compensation, as stipulated in Art. 74, leads to the conclusion that the creditor – who, as a business person, must Award of 1.12.1996 – No. A – 1795/51, in Selected Case Law, supra note 29 at p. 8. Ibid. at p. 12. 33 Arbitral Awards of 15. April 1994, No. Sch – 4318 and No. Sch – 4366. 31 32
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be expected to resort to bank credit – was entitled to a rate of interest corresponding to the rate commonly practised in his country for the contract’s currency of payment. In support of this solution, the arbitrator referred to Art. 7.4.9 of the UNIDROIT Principles. In the aforementioned case where the parties had referred to natural justice, the Tribunal, after having decided in favour of the application of the UNIDROIT Principles, went on to say that ‘the UNIDROIT Principles should be regarded as the central component of the general legal rules regarding international contractual rules and principles and enjoying a wide international consensus.’ The tribunal added that these Principles, which draw liberally on the 1980 Vienna Convention on the International Sale of Goods, are tantamount to a ‘Restatement’ by seasoned, neutral and independent experts. Here, we find a confirmation of what was said earlier on the suitability of the UNIDROIT Principles to serve as general principles to be used in the interpretation of the CISG. 4. The UNIDROIT Principles and the Interpretation of Domestic Law In a surprisingly great number of cases, arbitral tribunals from many different parts of the world have come to the conclusion that, in international commercial contracts, even if a given national law is applicable according to choice of law clauses, the UNIDROIT Principles may nevertheless be used as a means of interpreting the applicable domestic law. This is done so with respect to many different provisions of the Principles. To cite just one example, the Arbitral Court of the Economic Chamber and the Agrarian Chamber of the Czech Republic in Prague adopted Art. 6.1.7. of the Principles which provides that ‘an obligee who accepts ... a cheque, any other order to pay or promise to pay, is presumed to do so only on condition that it will be honoured.’ In the case where Polish Law was applicable, the Russian defendant, who owed a sum of money to his Polish counterpart for the repair of a vessel, pleaded that his debt had been taken over by a third party, one of his commercial partners in Poland, and invoked substitution by delegation to a new obligor. The Tribunal found against novation by substitution and held that the obligee was presumed to accept the delegation of payment to a third party only on the condition that it is honoured, a view supported by Art. 6.1.7 of the Principles.34
34 Case No. Rsp. 88/94 of 17. December 1996 in Selected Case Law, supra note 29 at p. 8. Many other cases on the interpretation of domestic law with the aid of the Principles are reproduced there.
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5. The UNIDROIT Principles as Trade Usage Trade usages have to be taken into account when ascertaining the contents of a contract under Art. 9 CISG and under many national laws, such as German Law [77] (German Commercial Code § 346). For unofficial codifications of international principles such as the UNIDROIT Principles, it is not always easy to say whether they can already be treated as international trade usages to which the parties may be bound even if they have not considered this expressly in their contract. The same is true of many texts of the ICC that are widely used but do not reflect international trade usages in their entirety. The problem shall be illustrated by two different views on the matter expressed in arbitral awards. In an award of 1997 in an ad hoc arbitration (Selected Case Law, as cited, at p. 16), the Argentine sole arbitrator had to examine a contract between shareholders of an Argentine company and a Chilean company on the sale of shares. The contract did not contain a choiceof-law clause and authorized the Tribunal to act as amiable compositeurs. The Tribunal decided to apply the UNIDROIT Principles, as it was of the opinion that they constituted ‘usages of international trade law reflecting the solutions of different legal systems and of international contract practice’ and that, as such, according to Art. 28 (4) of the UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, they should prevail over any domestic law. In 1997, a Tribunal acting in an ICC arbitration, found that the provisions of the UNIDROIT Principles on hardship (Artt. 6.2.2 and 6.2.3) cannot be said at present to reflect current practice in international trade.35 The case concerned a contract between a Spanish company and a French company on the construction of works in a third country. Faced with a number of unforeseen difficulties that substantially increased the costs of construction, the contractor requested the renegotiation of the contract invoking hardship according to Artt. 6.2.2 and 6.2.3 of the UNIDROIT Principles. The contract contained a choice of Spanish law. The contractor nevertheless asserted that the UNIDROIT Principles were applicable, as they represented veritable trade usages which the Arbitral Tribunal had to take into account anyway under Art. VII of the Geneva Convention on International Arbitration and Art. 13 (5) of the ICC Rules of Arbitration and Conciliation. The Tribunal, when deciding against the applicability of the UNIDROIT Principles, recalled that according to their preamble, the Principles are applicable only when the parties expressly agreed so, or where the contract refers to ‘general principles of law’, the lex mercatoria or the like as applicable law. The Tribunal also denied the applicability of the Principles within the frame of the
ICC Case No. 8873; UNIDROIT, Selected Case Law, supra note 29 at p. 24.
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application of Spanish law of the contract, as the provisions on hardship did not represent internationally recognized trade usages at that time.
V. OTHER UNOFFICIAL SOURCES OF TRANSNATIONAL LAW OF COMMERCIAL AND FINANCIAL CONTRACTS 1. Types of Sources Principles of transnational law of international commercial and financial contracts can be found (a) in other semi-official texts on contract law such as the [78] ICC INCOTERMS and UCP and, in a way, also in the arbitration rules of UNCITRAL and the ICC. (b) Furthermore, parties may make use of widely recognized standard form contracts, such as the FIDIC Rules or standard clauses found either in INCOTERMS or in established business practice (e.g., banking practice on guarantees to pay on first written demand). An increasingly common understanding of these contracts and clauses allows their uniform interpretation. (c) Finally, courts, arbitral tribunals and legal writers can work out trade usages found in practice, and their common understanding. 2. Modes of Application The sources can be applied to individual commercial and financial contracts (a) if the parties make reference to publicized (semi-official) texts of rules, standard clauses or form contracts in their contract. (b) Certain rules, clauses or form contracts or their interpretation can be identified as international (or regional) trade usage irrespective of any reference the parties may have made in their contract, as ordered by national law (German Commercial Code § 346). 3. The Uniform Customs and Practice for Documentary Credits The Uniform Customs and Practice for Documentary Credits of the International Chamber of Commerce – first published in 1933 and now in force in its 1993 version, after numerous revisions – is known under its publication number 500 (UCP 500) and is used today by the majority of banks worldwide. ‘As an attempt at a worldwide standardisation code for documentary credit transactions, the UCP has been successful almost beyond compare.’36 The operation of documentary credits rests on two fundamental pillars:
36
Arkins, 15 J. Int’l Banking L. 30, at p. 32 (2000).
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The Use of Transnational Law in the Contract Law
(a) the separation of credits from the underlying contracts, and (b) their reliance on documents alone. Let us concentrate for the time being on the second principle alone, as the first one will be discussed in connection with bank guarantees. According to Art. 4 UCP, documentary credits are documentary by definition and nature; banks deal only with documents in such operations. The requirements under a documentary credit must specify which documents must be provided to evidence them (Art. 13c). When the documents do not comply on their face with the terms and conditions of the credit, the bank must refuse to accept the documents (Art. 14b). The bank must use reasonable care in the process of examination of the documents. It has been submitted by an Australian writer, J. Arkins, that these requirements should be interpreted adopting common law principles.37 The writer is of the opinion that ‘the common law doctrine of strict compliance interrelates with UCP’38 and that ‘the UCP has not stripped the [79] common law of operation.’39 It is certainly true that the surrounding contractual relations, if governed by common law, should be interpreted in accordance with common law principles. It is doubtful, however, that common law doctrines should penetrate and influence the autonomous interpretation of the UCP. This leads to the question of whether the UCP can be regarded as international trade usages in their entirety. There are good reasons to doubt this.40 It has been observed that some of the provisions favour banks and are not necessarily in the interests of bank customers. Therefore, it is widely recognized that the application of the UCP depends on a reference to them in the credit contract, at least as a measure of precaution. It is an open question whether the international character of the UCP bars any interpretation from the perspective of a domestic law applicable under conflict of law rules. German courts appear to follow a medium course to interpret UCP having due regard to their international character, but not excluding views of the domestic law altogether. 4. The UN Convention on Independent Guarantees and Stand-by Letters of Credit Bank guarantees are used in all sorts of commercial and financial transactions as a means to secure payment or performance under another contract. The type of obligation is rather uniform, as are its modifications, the prevail Arkins, supra note 36 at p. 33, 37. Ibid. at p. 33, citing another author. 39 Ibid. at p. 37. 40 For the discussion in Germany see Wälzholz, Wertpapier-Mitteilungen (WM) 1994, 1457 at p. 1458. 37 38
In K. P. Berger (Hrsg.), The Practice of Transnational Law, 2001, S. 67–80
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ing type being an unconditional and strict obligation to pay on first written demand. This independence of the guarantee from the underlying transaction to be secured constitutes a striking similarity with documentary credits. In all such independent undertakings, there is a great risk that the creditor may call the payment under the credit or guarantee although the risk covered by the guarantee has not materialized. The risk is comparatively greater with a bank guarantee than with a documentary credit because the documents relating to the merchandise to be delivered reduce the risk of unfair calling.41 The problem of unfair calling has been dealt with in the UNCITRAL preparations of the Text of the UN Convention on Independent Guarantees. Here, we find for the first time an excellent codification of the rules that apply to situations where the bank, despite the fulfilment of the formal conditions for calling the guarantee, is entitled and obliged to refuse payment on the grounds of abuse or unfair calling. One important precondition is that sufficient evidence can be presented. The Convention is not yet in force and has encountered substantial opposition from banks, e.g., in Germany. However, it can be hoped that the principles on refusal of payment on unfair calling adopted by courts in many different countries42 will contribute to the creation of a common opinion worldwide, establishing another rule of lex mercatoria. [80] 5. FIDIC Standard Forms of Contract In international construction contracts, the so-called FIDIC Red Book43 has been widely used and included by the World Bank in their Standard Bidding Documents. Though edited by FIDIC, their revision process for the different editions has involved representatives from nearly all parties involved in the construction projects, the general contractors and development agencies. That fact, in combination with the wide use of the rules and their at least partial endorsement by the prime international institution for the financing of development, has led to the qualification of the FIDIC rules as a lex mercatoria for construction, a lex constructionis.44 In this respect, they can play an important role in supplementing the provision of the chosen national law and providing the required certainty in the interpretation of contractual clauses. There remains the risk, e.g., of forged documents or of furnishing rubbish instead of the goods despite quality certificates submitted. 42 As described by Horn/Wymeersch, Bank-Guarantees, Standby-Letters of Credit and Performance in International Trade, 1990. 43 Fédération Internationale des Ingénieurs-Conseils, Conditions of Contract for Works of Civil Engineering Construction, 4th edition 1987. FIDIC has published four new standard forms in September 1999; see Mallmann, Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW), 2000, 532 et seq. 44 Molineaux, Journal of International Arbitration, 1997, 55, 60 et seq. 41
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The Use of Transnational Law in the Contract Law
As it is quite common that the law of the employer is declared applicable, it is often the law of developing countries which applies, but which is not very sophisticated, and has a dearth of precedents. However, in an arbitral award rendered by the ICC, the arbitrators examined whether the force majeure provisions in the FIDIC Red Book constituted an international usage and could therefore be applied without explicit consent by the parties to a contract.45 The arbitrators responded to this question in the negative, claiming significant differences in the provisions compared to other standard forms.46
VI. CONCLUDING REMARKS Schmitthoff said in 1964 that lex mercatoria applies if and so far as allowed by the national laws. The application of transnational law to commercial contracts is normally not in conflict with an applicable national law. National laws allow it in various ways: by incorporating it into the body of national law (e.g. CISG) and, if not codified, in two ways: (1) through the recognition of usages of international trade by which the parties are bound; and (2) by respecting the will of the parties (party-autonomy), which may have expressly or implicitly referred to internationally used and recognized sets of rules or standard clauses.
See ICC Award no. 8873/1997, Journal du droit international, 1998, 1017, 1019 et seq. Ibid. at p. 1019.
45 46
Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit* SchiedsVZ 2008, 209–222 In der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit stellt sich immer wieder die Frage, in welchem Umfang das Schiedsgericht zwingendes Recht zu beachten hat. Zu berücksichtigende Normenkomplexe sind das zwingende Verfahrensrecht, zwingendes Recht der lex contractus, staatliche und EGrechtliche Eingriffsnormen (z.B. Kartellrecht), deren Anwendung auf den Sachverhalt durch Sonderanknüpfung erfolgt und die z.T. extraterritoriale Anwendung beanspruchen, Normen des Völkerrechts (z.B. zur Staatenverantwortlichkeit und zum Investitionsschutz) sowie nationaler und transnationaler ordre public. Nachfolgend werden die bestehenden Lösungsansätze vorgestellt und im Lichte aktueller Rechtsprechung diskutiert. Dabei wird der mehrdeutige Schlüsselbegriff des ordre public analysiert, sowie die Möglichkeit der Entwicklung international einheitlicher Grundsätze in diesem Rahmen erörtert. A recurring issue discussed in the international arbitration community is the extent to which mandatory law must be taken into consideration by arbitral tribunals. In particular, mandatory rues of procedural law and of the lex contractus, other mandatory provisions of national States and the EC authorizing administrative acts sometimes claiming extraterritorial application (e.g. cartel law), the law of nations (e.g. on the responsibility of States and the protection of foreign investment) and national and transnational ordre public have to be considered. Following, the different practical approaches are presented and discussed in light of current case law. In particular, the ambiguous key notion of public policy is analyzed and the prospects of international uniform substantive rules of public policy are explored.
* Überarbeitete und erweiterte Fassung des Vortrags „El derecho imperativo en el arbitraje comercial internacional“ am 26.9.2007 in Buenos Aires auf der 10. Tagung der deutschargentinischen Juristenvereinigung.
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Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit
I. Einleitung: Parteiautonomie, Ordre public und Eingriffsnormen 1. Fragestellung Im internationalen Wirtschaftsverkehr sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Parteien, unerwünschtem zwingendem Recht auf legalem Wege auszuweichen, relativ größer als bei Transaktionen in einem einzigen staatlichen Rechtsraum. Im Fall eines Schiedsverfahrens können die Parteien überdies damit rechnen, dass das internationale Schiedsgericht eine – freilich begrenzte - Unabhängigkeit von nationalem Recht genießt.1 Das ändert aber nichts daran, dass die Parteien [210] und die Schiedsgerichte internationaler Rechtsfälle zwingendes Recht, das der Parteidisposition entzogen ist, zu beachten haben. In welchem Umfang dies zu geschehen hat und gerichtlicher Kontrolle unterliegt, ist allerdings im Einzelfall immer wieder zweifelhaft und Anlass zu einer ständigen Fortentwicklung der schiedsrichterlichen und richterlichen Entscheidungspraxis.2 Im Folgenden wird eine knappe Skizze der Hauptlinien der bestehenden Lösungsansätze unternommen (II). Anschließend werden beispielhaft zum Thema einige aktuelle Gerichtsurteile und Schiedsurteile erörtert (i. F. III). Sie berühren überwiegend die Rechtsbegriffe des ordre public und der Eingriffsnorm.3 2. Ordre public und Eingriffsnormen Beide Begriffe bezeichnen Normenkomplexe, die gegenüber dem auf den Vertrag anwendbaren Recht (lex contractus) mit dem Anspruch der Kontrolle (Ordre public) oder der vorrangigen Geltung (Eingriffsnorm) auftre-
1 Diese „Autonomie“ wird kenntnisreich beschrieben, aber etwas überzeichnet von Lew, Achieving a Dream. Autonomous Arbitration, Arb. Int. 22/2, 2006, S. 179ff. 2 Neuere Lit.: Schwarz/Ortner, Procedural Ordre Public and the Internationalization of Public Policy, Aust. Arb. Yearbook 2008, 133ff, 152ff; Harbst, Korruption und andere ordre public-Verstöße als Einwände im Schiedsverfahren, SchiedsVZ 2007, 22–30; Mayer / A. Sheppard, Final ILA Report on Public Policy as a Bar to Enforcement of International Arbitral Awards, Arbitration International vol. 19/2, 249–263; A. Sheppard, Interim ILA Report on Public Policy etc, Arbitration Int. vol. 19/2 217–248; v. Hoffmann, Internationally Mandatory Rules of Law before Arbitral Tribunals, in Böckstiegel (ed.), Acts of State and Arbitration, 1997, S. 3–28; Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, Rn. 17–27 ff. Vgl. auch J. Schiffer, Normen ausländischen öffentlichen Rechts im internationalen Handelsschiedsverfahren, 1990. 3 Nichtigkeit einer Schiedsabrede wegen befürchteten (künftigen) ordre-public-Verstoßes (OLG München, WM 2006, 1556); Ordre public und Schranken der Überprüfung des Schiedsurteils (Cour d’Appel Paris 2004 und BGH SchiedsVZ 2006, 161ff); Vorrang der völkerrechtlichen Zuständigkeit nach BIT eines Schiedsgerichts vor innerstaatlichem Recht in einem ICSID-Verfahren (Fall Vivendi 1997–2007); zur Frage der internationalen Auswirkungen des argentinischen Staatsnotstands BVerfG (NJW 2007, 2610) und zwei ICSIDSchiedsverfahren in den Fällen CME (2005, 2007) und LG&E (2006).
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ten. Zwingendes Recht findet sich in allen drei genannten Bereichen, also in der lex contractus, in den als ordre public bezeichneten Normen und in Gestalt der Eingriffsnormen. Der Begriff des ordre public (öffentliche Ordnung) verweist auf die nationale Rechtsordnung des Staates, der mit der gerichtlichen Feststellung oder Durchsetzung privater Rechte einer fremden lex contractus befasst ist (Anwendungs- oder Anerkennungsstaat). Ordre public ist der Inbegriff der Normen, die die Grundlagen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebens regeln und grundlegende Gerechtigkeitsvorstellungen enthalten.4 Eingriffsnormen (vgl. Art. 34 EGBGB, Art. 7 EVÜ) sind zwingendes staatliches Recht zum Schutz von Gemeinwohlinteressen.5 Ihr Anwendungsbereich wird vom Gesetzgeber unabhängig vom Vertragsstatut im Weg der Sonderanknüpfung bestimmt (loi d’application immédiate6), wie z.B. Devisenvorschriften, Ausfuhrverbote oder Kartellrecht.7 Eingriffsnormen können der nationalen Rechtsordnung des Staates des Vertragsstatuts, des Anwendungs- oder Anerkennungsstaates oder eines dritten Staates oder dem Völkerrecht angehören. Nach Art. 34 EGBGB genießen die Eingriffsnormen des deutschen Anwendungsstaates Vorrang. 3. Bedeutungsvielfalt des Begriffs des Ordre public Der Begriff des ordre public (Öffentliche Ordnung) wird in (wenigstens) vier unterschiedlichen Bedeutungen verwendet, von denen jede eine bestimmte Funktion erfüllt. a) Internationalprivatrechtliche Bedeutung In seiner internationalprivatrechtlichen Bedeutung hebt der Begriff ordre public (öffentliche Ordnung) unter den zwingenden Normen einer staatlichen Rechtsordnung diejenigen heraus, die von den Gerichten dieses Staates auch gegenüber einer fremden Rechtsordnung durchgesetzt werden, die als lex contractus (lex causae) Geltung beansprucht. Damit soll das Ergebnis einer Anwendung fremden Rechts abgewehrt werden, das mit wesentlichen Grundsätzen des inländischen Rechts offensichtlich unvereinbar ist (Art. 6 EGBGB).8 Die romanische Doktrin spricht wegen dieser Abwehrfunk4 BGH NJW 1990, 3210, 3211; OLG Dresden SchiedsVZ 2005, 210, 211; OLG Braunschweig SchiedsVZ 2005, 262, 264. 5 Staudinger/Magnus, BGB, 13. Bearb. 2002, Art. 34 EGBGB Rn. 68. 6 Franceskakis, La théorie du renvoi et les conflits de systèmes en droit international privé, 1958, S. 11ff. 7 Vgl. § 130 Abs. 2 GWB; dazu Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Neubearb. 2006, Rn. 164. 8 BGHZ 104, 240, 243ff; 75, 32, 43; Kegel, Internationales Privatrecht, 7. Aufl. 1995, § 16 IV, S. 377; zur Unterscheidung von intern zwingendem Recht und ordre public i.S. Art. 6 EGBGB i. F. das Beispiel des deutschen Wucherverbots; unten II.3.b Fn. 94.
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tion und in Abgrenzung zu dem auf rein interne Sachverhalte anwendbaren zwingenden Recht vom ordre public international.9 Im deutschen IPR ist das Adjektiv überflüssig und insofern verwirrend, als es von der nationalen Grundlage des ordre public ablenkt. Man hat den Begriff mit gewissem Recht verwendet für ein Teilgebiet des Art. 6 EGBGB, nämlich zur Bezeichnung der völkerrechtlich anerkannten Grundwerte (z.B. Menschenrechte), die bei der Anwendung des IPR völkerrechtlich zu beachten sind.10 Dies zeigt die zunehmende inhaltliche Orientierung an international anerkannten Grundsätzen. – Gegenüber der fremden lex contractus (lex causae) wendet das (deutsche) staatliche Gericht neben der Abwehrnorm des Art. 6 EGBGB die vorrangig geltenden (deutschen) Eingriffsnormen i.S. Art. 34 EGBGB an. Das hat zur Folge, dass im Bereich des internationalen Vertragsrechts Art. 34 EGBGB die Anwendung des Art. 6 EGBGB häufig erübrigt.11 Beide Normbestände überschneiden sich inhaltlich; sie unterscheiden sich funktional. b) Transnationaler Ordre public Die Anwendung der Art. 6 EGBGB und 34 EGBGB oder vergleichbarer Normen anderer staatlicher Kollisionsrechte durch ein internationales Schiedsgericht stößt auf die Schwierigkeit, dass dieses nicht in gleicher Weise wie staatliche Gerichte zur Verteidigung einer „heimatlichen“ Rechtsordnung (welcher? der lex causae, des Schiedsorts?) berufen ist. Daher hat ist die Auffassung im Vordringen, internationale Schiedsgerichte sollten sich in Fällen, in denen ein staatliches Gericht Art. 6 EGBGB anwenden würde, primär12 an solchen besonders wichtigen Gebots- und Verbotsgrundsätzen orientieren, die international eine allgemeine oder zu- [211] mindest weit verbreitete Anerkennung genießen.13 Man hat dies unter dem Begriff des transnationalen (d.h. „wirklich internationalen“) ordre public (transnational public policy) zusammengefaßt, weil es nicht mehr um die Herkunft aus einem bestimmten nationalen Recht geht. Es geht vielmehr um international gemeinsame materielle Rechtsgrundsätze, die zugleich eine kollisionsrechtli-
9 Kegel, aaO (Fn 9). Diese Unterscheidung wird auch vom BGH verwendet und zwar beim anerkennungsrechtlichen O.p.; BGHZ 48, 327, 331; 98, 70, 73 (i.F. 3). 10 Staudinger/Blumenwitz, Einleitung z. EGBGB, Neubearb. 2003, Art. 6 EGBGB Rn.63. 11 Staudinger/Magnus, BGB, 13. Bearb. 2002, Art. 34 EGBGB Rn. 40. 12 D.h. nicht ausschließlich. Die besondere Berücksichtigung eines nach einem bestimmten nationalem Recht definierten Ordre public (vgl. Art. 6 EGBGB) kann unter praktischen Gesichtspunkten der Anerkennungs- und Vollstreckungschancen des Schiedsspruchs geboten sein. 13 Lew/Mistelis/Kröll aaO, Rn. 17–32ff, S. 422ff. Zur Anwendung von Eingriffsnormen im Wege der Sonderanknüpfung und zur Kontrolle dieser Anwendung unten II.2.c.
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che (Abwehr-)Funktion entfalten.14 Da der deutsche IPR-rechtliche Begriff des ordre public sich ohnehin auf fundamentale Grundsätze der deutschen Rechtsordnung beschränkt, von denen die Mehrzahl internationale Anerkennung finden kann, und völkerrechtlich anerkannte Grundwerte einschließt, besteht inhaltlich eine weitgehende Übereinstimmung des deutschen ordre public mit dem transnationalen ordre public. c) Anerkennungsrechtliche (prozessuale) Bedeutung Das Verfahrensrecht verwendet den Begriff des ordre public (öffentliche Ordnung) als Prüfungskriterium bei der gerichtlichen Anerkennung und Vollstreckbarerklärung inländischer und ausländischer Schiedssprüche (§ 1059 Abs. 2 Nr. 2 iVm 1060 Abs. 2 ZPO; § 1061 iVm Art. 5 Abs. 2 (b) UNÜ) (anerkennungsrechtlicher ordre public). Dabei hat der BGH den Kontrollmaßstab für ausländische Schiedssprüche15 als „internationalen ordre public“ bezeichnet und relativ eng aufgefasst, d.h. auf fundamentale Grundsätze konzentriert, was eine relativ großzügige Anerkennungspraxis bedeutet.16 Dies steht in Übereinstimmung mit einer international verbreiteten Entwicklungstendenz, für ausländische Schiedssprüche einen relativ zurückhaltenden Prüfungsmaßstab unter der Bezeichnung ordre public international (international public policy) zu verwenden und ihn inhaltlich zugleich an international anerkannten (transnationalen) Grundsätzen auszurichten.17 d) Eingriffsnormen des EG-Rechts Der Begriff des ordre public (public policy) wird aufgrund der Rechtsprechung des EuGH auch für EG-Eingriffsnormen verwendet. So hat der EuGH das EG-Kartellrecht als Teil der „national rules of public policy“ der EU-Mitgliedstaaten qualifiziert.18 Während die Rechtsprechung der Mitgliedstaaten dem naturgemäß gefolgt ist (i.F. II.3.c und III.2.a), hat das 14 Horn, Die Entwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts durch Verhaltensrichtlinien. Elemente eines internationalen Ordre public, RabelsZ 44 (1980), 423–454; Lalive, Ordre public transnational (ou réellement international) et arbitrage international, Rev. arb. 1986, 329ff. Einzelheiten unten II.2.b; vgl. auch III.4.a. 15 Und bei ausländischen Gerichtsurteilen gem. § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. 16 BGH SchiedsVZ 2006, 161, 163ff (dazu unten III.2.2); zur Entwicklung des Begriffs BGHZ 48, 327, 331; 98, 70, 73f; 118, 312, 328; 138, 331, 334. 17 ILA Final Report aaO (Fn 2) S. 251, 261 (Rec. 3(a)); Schwarz/Ortner aaO (Fn. 2). 18 EuGH, Urt. v. 1.6.1999, Rs. C-126/97 (Eco Swiss China Time Ltd v. Benetton International NV), NJW 1999, 3549 = EuZW 1999, 565. So auch auf der kollisionsrechtlichen Ebene (vgl. Art. 34 EGBGB) schon der Sache nach EuGH, Urt. v. 9.11.2000, Rs C-381/98 (Ingmar GB Ltd. v. Eaton Leonard Technologies Inc.), NJW 2001, 2007: EG-Handelsvertreter-Richtlinie als international zwingende Eingriffsnorm; dazu Staudinger/Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 42, 13. Bearb. 2002. S. auch unten III.1.
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schweizerische Bundesgericht die Qualifizierung als ordre public verneint und zwar gerade wegen eines Mangels an allgemeiner internationaler Anerkennung.19 Auch das Verbraucherschutzrecht und das Handelsvertreterschutzrecht der EG werden vom EuGH als Teil des ordre public der EUMitgliedstaaten bezeichnet.20
II. Grundlinien der Anwendung zwingenden Rechts in internationalen Schiedsverfahren Entsprechend dem logischen und zeitlichen Ablauf des Schiedsverfahrens werden nacheinander (1) das Verfahrensrecht des Schiedsgerichts, (2) die Anwendung zwingenden materiellen Rechts durch das Schiedsgericht und (3) die Kontrolle des Schiedsgerichts durch staatliche Gerichte betrachtet. 1. Schiedsverfahrensrecht (lex arbitri) a) Transnationale Grundsätze und nationale Schiedsverfahrensrechte Das auf das Schiedsverfahren i. w. S. anwendbare Recht wird gewöhnlich mit dem (unscharfen) Begriff der lex arbitri bezeichnet.21 Man kann noch weiter unterteilen in die interne lex arbitri, die die innere Struktur (Bestellung und Pflichten und Rechte der Schiedsrichter) und die Verfahrensregeln des Schiedsgerichts (Verfahrensrecht i.e.S.) umfasst, und die externe lex arbitri, die die Beziehungen der Schiedsgerichtsbarkeit zu den staatlichen Gerichten bezeichnet, d.h. die von den Gerichten gewährte Unterstützung und andererseits ausgeübte (begrenzte) Kontrolle der Schiedssprüche.22 Wesentliche rechtliche Grundlagen des Schiedsverfahrensrechts sind nach dem New Yorker UN-Übereinkommen (UNÜ) und den an ihr orientierten Schiedsverfahrensrechten weitgehend vereinheitlicht. Dazu gehören das Erfordernis, dass das Schiedsverfahren eine Grundlage im Schiedsvertrag haben muss, die Gebote der Gleichbehandlung der Parteien und des rechtlichen Gehörs, sowie die Respektierung des ordre public, schließlich im Kern die Gründe für Anerkennung oder Aufhebung von Schiedssprüchen.23
BGE 4P.278/2005 v. 8.3.2006; dazu Meinhardt/Blessing SchiedsVZ 2006, 182ff. Zum möglichen Verstoß einer Schiedsklausel gegen EG-Verbraucherrecht EuGH Urt. v. 26.10.2006, Rs C 168/05 (Mostaza v. Centro Móvil Milenium SL), SchiedsVZ 2007, 46 Anm. Wagner. Zum Verstoß gegen Handelsvertreterschutzrecht s. Fn. 18. 21 Überblick m. Nachw. bei Mistelis, Reality Test. Current State of Affairs in Theory and Practice Relating to „lex Arbitri“, Festschrift N. Horn, 2006, S. 1005ff. 22 Zu letzterer i.F. II.3. Vgl. im übrigen die Übersicht bei Mistelis aaO, S. 1010ff. 23 Art. II und Art. V UNÜ; Art. 7, 18, 34, 36 UNCITRAL Model Law; Lew aaO (Fn.1), S. 189ff. 19
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Diese Grundsätze sind in nationalen Gesetzen über das schiedsrichterliche Verfahren als zwingendes Verfahrensrecht normiert24 und werden in den Schiedsordnungen der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit wiederholt. Die nationalen Gesetze differieren jedoch in der weiteren Ausgestaltung des Schiedsverfahrensrechts. Sie können weiteres zwingendes Recht enthalten, das eine Grenze für die Gestaltungsfreiheit der Parteien (§ 1042 Abs. 3 ZPO) bzw. des Schiedsgerichts (§ 1042 Abs. 4 ZPO) hinsichtlich des Verfahrens bilden. Nationale Unterschiede bestehen auch dort, wo die Grundlinien einer Regelung in der erwähnten Weise transnational vereinheitlicht sind. Beispiele sind die Einschränkung oder Verneinung der Schiedsfähigkeit [212] bestimmter Rechtssachen durch Gesetzgeber oder Gerichte, ferner die grundsätzlich nationale Begründung und Ausrichtung des prozessrechtlichen ordre public, der allerdings heute transnationalen Vereinheitlichungstendenzen unterliegt,25 oder unterschiedliche Auffassungen zum im Grundsatz transnational vereinheitlichten Recht der Anerkennung und Aufhebung von Schiedssprüchen. So ist z.B. der generelle, im Voraus erklärte Verzicht auf Rechtsmittel gegen einen (künftigen) Schiedsspruch, wie ihn Art. 28 (6) ICC-Rules vorsieht, zumindest in dieser Allgemeinheit nach dem zwingenden deutschen Aufhebungsrecht (§ 1059 ZPO)26 nicht anzuerkennen.27 b) Territorialitätsprinzip und Delokalisierung Anknüpfungspunkt für die Anwendung der zwingenden Normen des staatlichen Schiedsverfahrensrechts auf das Schiedsverfahren ist nach dem Territorialitätsprinzip,28 das auch in Art. 1 Abs. 2 UNCITRAL-Modellgesetz zum Ausdruck kommt, der Schiedsort im Rechtssinn.29 Dieser kann von den Parteien oder (nachrangig) von den Schiedsrichtern festgelegt werden (§ 1043 Abs. 1, 1025 Abs. 1 ZPO).30 Manche Rechte erlauben es auch, direkt ein fremdes Schiedsverfahrensrecht frei zu wählen.31 Hinzu kommt, Vgl. z.B. § 1042 Abs. 1 ZPO über Gleichbehandlung und rechtliches Gehör. Dazu Schwarz/Ortner, aaO (Fn. 2), 133ff, 152ff. 26 Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 65. Aufl. 2007, § 1059 Rn. 1. 27 Kühner, ICC Arbitration in Germany, in Böckstiegel/Kröll/Nacimiento (Hrsg.), Arbitration in Germany, 2008, S. 837ff, Rn. 75f. 28 Redfern/Hunter, Law and Practice of International Commercial Arbitration, 4. Aufl. 2004, Rn. 2-08; Fouchard/Gaillard/Goldman, On International Commercial Arbitration, 1999, Rn. 1178; Raeschke-Kessler/Berger, Recht und Praxis des Schiedsverfahrens, 3. Aufl. 1999, Rn. 132; Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit, 2006, Rn. 237. 29 Kröll NJW 2003, 792. 30 Zum englischen Recht Dubai Islamic Bank PJSC v. Paymentech Merchant Services Inc, (2001) Lloyd’s Rep. 65 (QBD) 71–74; danach sind Anknüpfungspunkte der Parteiwille, der Gegenstand des Rechtsstreits, der Ort der tatsächlichen Verhandlung und der Ort des Erlasses des Schiedsspruchs; Mistelis aaO, S. 1019. 31 So der französische Code de procedure civil (Art. 1494) und der englische Arbitration Act von 1996 (sec. 4). 24 25
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Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit
dass die gesetzlichen Regelungen des Schiedsverfahrens oft eine weitgehende Befreiung von Einzelregelungen des staatlichen Zivilprozessrechts gewähren (§ 1042 Abs.4 ZPO). In der modernen Theorie zur internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit wird die Delokalisierung des internationalen Schiedsverfahrens teils festgestellt, teils postuliert.32 Hauptargument ist, dass die Parteien den Schiedsort oft nach ganz anderen Gesichtspunkten aussuchen als dem des anwendbaren Schiedsrechts, und dass dieses Schiedsrecht oft keine oder nur eine geringe sachliche Beziehung zum Streitgegenstand hat. Das Problem wird durch die genannte Flexibilität, die nationale Schiedsrechte hinsichtlich des Verfahrensrechts einräumen, entschärft. Im übrigen führt kein Weg an der Notwendigkeit vorbei, zur Vollstreckbarkeitserklärung ein nationales Gericht anzurufen, das die Anerkennungsvoraussetzungen anhand des staatlichen Verfahrensrechts oder nach der New Yorker Konvention (Art. 5 UNÜ) prüft. Einige Rechte erkennen dabei auch delokalisierte Schiedsprüche als vollstreckungsfähig an oder die Möglichkeit der Parteien, auf gerichtliche Überprüfung begrenzt zu verzichten.33 Andererseits gibt es einen Gegentrend staatlicher Gerichte, zur Durchsetzung zwingenden eigenen Rechts die Wirksamkeit der Wahl eines fremden Schiedsorts und Schiedsrechts einzuschränken (i.F. III.1). c) Völkerrechtliche Verfahrensregeln Bei internationalen Investitionsstreitigkeiten kann Verfahrensrecht auf völ-kerrechtlicher Basis, insbesondere nach den ICSID-Regeln, dem EnergyCharter-Treaty (ETC) oder dem North American Free Trade Agreement (NAFTA) sowie nach den zahlreichen bilateralen Investitionsschutzabkommen (Bilateral Investment Treaties; BITs) zur Anwendung kommen.34 d) EG-Kartellrecht im Schiedsverfahren Die Schiedsfähigkeit von Kartell-Zivilstreitigkeiten ist heute in Deutschland und anderen EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf das nationale und das EG-Kartellrecht grundsätzlich anerkannt.35 Die Entwicklung in den USA ist 32 Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, Rn. 4–55, S. 67; Lew, Arb. Int. 22/2 2006, 179ff . 33 Lew/Mistelis/Kröll Rn. 27–27 m. Nachw. Vgl. aber oben Fn. 28. 34 Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004; vgl. auch die Beiträge in SchiedsVZ 2006/5 von Wegen/Raible (S. 225ff); Füracker (S. 236ff); Parra (S. 247ff); Schramke (S. 249ff); s. auch unten II. 4. b. 35 Landolt, Modernised EC Competition Law, Arbitration International 2006, 92; Eilmannsberger, Entwicklungen der Schiedsgerichtsbarkeit im Kartellrecht in der EU, in Böckstiegel/Berger/Bredow (Hrsg.), Schiedsgerichtsbarkeit und Kartellrecht, 2006, S. 11–32; ders., SchiedsVZ 2006, 5ff; K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, Bd. 1 EG/Teil 2 Komm. z. Europ. Kartellrecht, 4. Aufl. 2007 VO 1/2003 Anh. 2 Rn. 67ff.; ders., BB 2006, 1397. Vgl. auch unten III. 2.c.
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zuvor diesen Weg gegangen.36 Die Schiedsfähigkeit war früher bezweifelt und eingeschränkt worden, weil Schiedsgerichte primär die Aufgabe haben, private Interessen und nicht öffentliche staatliche Interessen durchzusetzen, wie sie das Kartellrecht verfolgt.37 Im Bereich des EG-Kartellrechts (Art. 81, 82 EG, FKVO) ist heute geradezu die gegenläufige Tendenz zu verzeichnen, die Kommission und die staatlichen Gerichte durch die Einschaltung von Schiedsgerichten zunehmend zu entlasten und die Aufgaben der Schiedsgerichte zu erweitern. Das Schiedsgericht hat zwingende Kartellrechtsbestimmungen ex officio anzuwenden,38 kann dies freilich nur im Rahmen des Tatsachenvortrags der Parteien tun. Auch das Vorliegen der kartellrechtlichen Freistellungstatbestände des Art. 81 Abs. 3 EG ist von den Gerichten und Schiedsgerichten zu überprüfen.39 Im Bereich der Fussionskontrolle wird die Schiedsgerichtsbarkeit zur Kontrolle der Einhaltung von Auflagen der Kommission eingesetzt, indem den Fusionsbeteiligten aufgegeben wird, Dritten bei entsprechenden Streitigkeiten das Schiedsverfahren anzubieten.40 Ein generelles Problem bei kartellrechtlichen Schiedsverfahren liegt in den gesteigerten Behauptungs- und Beweisanforderungen im Hinblick auf die hochkomplexen wirtschaftlichen Sachver- [213] halte unter den ordnungspolitischen Gesichtspunkten des Kartellrechts.41 2. Das anwendbare materielle Recht a) Zwingendes Recht des Vertragsstatuts (lex contractus) Das Schiedsgericht hat nach h. M. im Grundsatz das zwingende Recht des Vertragsstatuts oder der sonstigen lex causae anzuwenden.42 Über die 36 Mitsubishi Motors v. Soler Chrysler-Plymouth, 105 S.Ct. 3346 (1985); Blechman, Entwicklungen der Schiedsgerichtsbarkeit im Kartellrecht der USA, in Böckstiegel/Berger/ Bredow aaO, S. 1–9. 37 Für Deutschland Einschränkung durch § 91 GWB a.F.; zur Schiedsfähigkeit nach altem Recht BGHZ 46, 365, 368ff; § 91 GWB wurde durch das SchiedsVG 1997 aufgehoben. Für Österreich vgl. § 124 öKartG a.F., 2005 beseitigt; Eilmannsberger aaO S. 13. 38 Eilmannsberger SchiedsVZ 2006, 5, 10; K. Schmidt aaO Rn. 69. 39 Bekanntmachung der Kommission: Leitlinien zur Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG v. 7.4.2004, ABl. 2004 Nr. C 101/97; K. Schmidt, Kartellrecht im Schiedsverfahren, BB 2006, 1397. 40 EG-VO 139/2004 v. 20.1. 2004 (O.J. L 24/2004); Blanke, The Use and Utility of International Arbitration in EC Commission Merger Remedies, 2006; ders., 12 E.C.L.R., 673 (2007). 41 Allg. Blessing, Arbitrating Antitrust and Merger Control Issues, 2003; ders., Arbitration and EU Merger Control, ASA Special Series No. 24, May 2005, S. 99–234; Landolt, Modernized EC Competition Law in International Arbitration, 2006. Man plädiert daher auch für einen reduzierten Prüfungsmaßstab auch der Schiedsgerichte auf der Linie der Thalès-Entscheidung; zu dieser i.F. III.2.c. Vgl. auch unten II.3.c. 42 v.Hoffmann, Internationally Mandatory Rules aaO, S. 12; Lew/Mistelis/Kröll, Rn. 17–27. Vgl. auch das Beispiel i.F. Fn. 86. Zur relativ geringen Bedeutung dieses Grundsatzes im Hinblick auf Eingriffsnormen i.F. II.2.c.
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begrenzte Reichweite dieses Grundsatzes ist noch (i.F. II.2.c) zu sprechen. Zur Ermittlung des Vertragsstatuts ist für das Schiedsgericht ebenso wie für das staatliche Gericht vorrangig die Rechtswahl der Parteien ausschlaggebend; dies ist vom Gesetzgeber z. T. speziell im Schiedsverfahrensrecht geregelt.43 Die Rolle des Schiedsgerichts beschränkt sich in diesem Fall darauf festzustellen, ob eine solche gültige Rechtswahlvereinbarung vorliegt. Fehlt es daran, muss das Schiedsgericht selbst das anwendbare Recht ermitteln. Die Schiedsrichter sollen dabei einem pragmatischen und funktionalen Ansatz folgen44 und auch hier möglichst den Parteiwillen zu verwirklichen suchen.45 Dabei sind verschiedene Wege (als Teil der lex arbitri) verfügbar. Neuere staatliche Schiedsgerichtsgesetze enthalten eine eigene Kollisionsnorm; danach bestimmen die Schiedsrichter direkt das Recht (des Staates), mit dem der Gegenstand des Verfahrens die engsten Verbindungen aufweist.46 Art. 28 Abs. 2 UNCITRAL Modellgesetz geht dagegen von einem zweistufigen Vorgehen aus, indem das Schiedsgericht zunächst das IPR eines Staates ermittelt, das es für anwendbar erachtet, und mit dessen Hilfe das anwendbare Recht bestimmt. Für die Ermittlung des geeigneten IPR kommen verschiedene Anknüpfungspunkte in Betracht: der (rechtliche) Schiedsort, der aber von weitaus geringerer Bedeutung ist als für das staatliche Gericht die lex loci, die enge Beziehung zur Hauptsache, eine sonstige Geeignetheitsprüfung durch das Schiedsgericht, die Aufsuchung übereinstimmender IPR-Regeln der in Betracht kommenden Rechte oder allgemein anerkannte Konfliktregeln.47 b) Kontrolle der Anwendung der lex contractus; transnationaler ordre public Während das staatliche Gericht das Ergebnis der Anwendung der (ausländischen) lex contractus daraufhin überprüft, ob es dem nationalen ordre public der lex fori widerspricht (vgl. Art. 6 EGBGB) und ob interne zwingende Eingriffsnormen Vorrang beanspruchen (vgl. Art. 34 EGBGB), ist dem internationalen Schiedsgericht eine solcher Kontrollmaßstab nicht mit der gleichen Gewissheit vorgegeben, wie (oben I.3.b) erörtert. Es muss seine Ergebniskontrolle vor allem anhand des transnationalen ordre public (transnational public policy) vornehmen, also international allgemein anerkannter
Art. 28 (1) UNCITRAL Modellgesetz; § 1051 Abs. 1 ZPO. Grigera-Naón, Choice-of-Law Problems in International Commercial Arbitration, 289 RCADI 9 (2001) 28–9. 45 Lew/Mistelis/Kröll , Rn. 17–40. 46 § 1051 Abs. 2 ZPO; England: Sec. 46(3) Arbitration Act; Schweiz: Art. 187 Abs. 1 GIPR. 47 Lew/Mistelis/Kröll, Rn. 17 ff, S. 428–433. Die Frage, welches materielle Recht die Parteien gewählt haben, ist für die Ermittlung des anwendbaren IPR dagegen unerheblich; vgl. Art. 15 EVÜ; Art. 35 EGBGB; § 1051 Abs. 1 S. 2 ZPO. 43 44
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Rechtsgrundsätze von grundlegendem rechtsethischen und ordnungspolitischen Charakter.48 Die rechtsquellentheoretische Grundlegung dieser nicht dem Völkerrecht angehörenden, sondern dem privaten internationalen Wirtschaftsverkehr zuzuordnenden Normschicht (als lex mercatoria oder general principles of law) ist hier nicht zu erörtern. Ihre Beachtung durch Gerichte und Schiedsgerichte im Bewusstsein der Rechtsgeltung ist ein Faktum.49 Dazu gehören z.B. die Grundsätze des Verbots von Korruption,50 Schmuggel, Menschenhandel, Drogenhandel oder illegalem Waffenhandel.51 Aber es geht nicht nur um solche Ausnahmefälle, die in der Mehrzahl der Fälle nicht relevant werden.52 Vielmehr sind fundamentale Gerechtigkeitsgrundsätze des Privatrechts, Wirtschaftsrechts und Verfahrensrechts dazu zu zählen.53 Ergänzend kann die Berücksichtigung eines bestimmten nationalen ordre public unter dem pragmatischen Gesichtspunkt geboten sein, die Anerkennungs- und Vollstreckungschancen des Schiedsspruchs möglichst zu sichern. c) Einheitliche Grundsätze der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen aa) Begrenzte Bedeutung der lex contractus für Eingriffsnormen Der (oben II.2.a) erwähnte Grundsatz, dass das zwingende Recht des Vertragsstatuts anzuwenden sei, kann nur für die privatrechtlichen zwingenden Normen, die kollisionsrechtlich angeknüpft werden, Geltung beanspruchen. Anders verhält es sich mit den Eingriffsnormen (i.S. Art. 34 EGBGB, Art. 7 EVÜ) des Staates, dessen Recht Vertragsstatut ist. Denn der erlassende Staat bestimmt ihren Anwendungsbereich selbständig, und ihre Anwendung im Fall geschieht im Weg der Sonderanknüpfung (i. F. bb und cc). Insofern besteht im Grundsatz zwischen den Eingriffsnormen des Staates der lex contractus und den Eingriffsnormen von Drittstaaten kein Unterschied.54
48 Horn aaO; Lalive aaO (beide Fn. 14); Lew, Applicable Law in International Commercial Arbitration, 1978, S. 532; Derains, Anm. zu ICC-Schiedsspruch Nr. 6142, Clunet 1990, S. 1043, 1046; Berger, International Economic Arbitration, 1993, S. 691 Fn. 266; ders., Wirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen auf internationale Verträge, Festsschrift Horn 1996, S. 148, 157; Vgl. Zum neueren Entwicklungsstand Lew/Mistelis/Kröll aaO, Rn. 17–32. Vgl. auch unten III.4.a. 49 B. v. Hoffmann aaO (Fn. 2), S. 22 ff. 50 Vgl. BGHZ 94, 268, 271 betr. ausländisches Verbot von Bestechung und Schmiergeldzahlungen als Ausdruck „allgemeiner sittlicher Grundsätze“; Staudinger/Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 124, 13. Bearb. 2002. 51 Lew/Mistelis/Kröll aaO Rn. 17–36 m.Nachw. 52 Krit. zum Ordre-public-Einwand unter diesem Aspekt Harbst SchiedsVZ 2007, 22ff. 53 Zum Wirtschaftsrecht in diesem Sinn Horn aaO (Fn. 14), zum Verfahrensrecht Lew aaO (Fn. 1) S. 179, 189. 54 Die deutsche Rspr. hat freilich bisher keine Fälle den Anwendung von Eingriffsnormen von Drittstaaten bei ausländischem Vertragsstatuts entschieden; Staudinger/Magnus, Art. 34 EGBGB Rn. 119ff.
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Dabei können freilich Eingriffsnormen des Staates der lex contractus häufiger zum Zug kommen, sofern den Umständen nach ein enger Bezug des Vertrags zu dem betreffenden Staat besteht.55 Dies ist aber fallweise zu prüfen und kann nicht durch eine automatische Anwendung ersetzt werden. Die gesuchte Beziehung kann sich in einer Einwirkung auf das vertragliche Rechtsverhältnis ausdrücken, was die deutsche Rechtsprechung unter dem (nur begrenzt tragfähigen) Gesichtspunkt der zivilrechtlichen Reflexwirkung fremden öffentlichen Rechts berücksichtigt hat.56 Auch die Auswirkung fremder Eingriffsnormen auf Verträge unter deutschem Vertragsstatut wurde von deutschen Gerichten fallweise anerkannt, z.B. die Auswirkung eines USamerikanischen Embargos, dessen Einhaltung auch im deutschen politischen Interesse lag.57 Der letzte Fall unterstreicht die prinzipielle Unabhängigkeit der Anwendung von Eingriffsnormen vom Vertragsstatut. bb) Normierte Kollisionsregeln Eine international geltende Kollisionsregel auf völkerrechtlicher Basis über die Anerkennung zwingenden staatlichen Rechts anderer Staaten enthält Art. VIII Abs. 2 (b) des IWF-Statuts.58 Die Vorschrift wird auch von Schiedsgerichten angewendet.59 Dabei spielt der Gesichtspunkt eine Rolle, dass sonst die Anerkennung und Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs gefährdet wäre. Die Vorschrift wurde von Argentinien in Investitionsschiedsverfahren ins Feld geführt, um enteignende Wirkungen seiner Notstandsgesetzgebung zu rechtfertigen.60 Das EVÜ wollte in Art. 7 Abs. 1 (ebenso wie der bisherige Entwurf Art. 8 Abs. 3 der Rom I-VO61) generell die Möglichkeit eröffnen, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten die zwingenden Vorschriften (Eingriffsnormen) eines anderen Mitgliedstaates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, unabhängig von der lex contractus anwenden können. Die Bundesre-
55 Vgl. den Fall OLG Hamburg, NJW 1992, 635: syrisches Vertragsstatut; syrisches Verbotsgesetz gegen Einflussnahme auf Amtsträger gem. § 138 BGB anerkannt; Art. 6 EGBGB verneint. 56 Krit. Staudinger/Magnus aaO. 57 BGH 34, 169 (Borax). 58 Danach haben die Gerichte der Mitgliedstaaten Klagen aus Devisenkontrakten als unzulässig abzuweisen, die im Gegensatz zu solchen Devisenkontrollbestimmungen eines Mitgliedstaates stehen, die dieser in Übereinstimmung mit dem IWF-Statut erlassen hat. 59 Ebke, Internationales Devisenrecht, 1990, S. 164 Fn. 39; ders., in Staudinger, Anh. zu Art. 34 EGBGB, 13. Bearb. 2002, Rn. 21; K. P. Berger, Acts of State and Arbitration: Exchange Control Regulations, in Böckstiegel (Hrsg), Acts of State and Arbitration, 1997, S. 99ff. 60 Unten III.4.b. 61 Der Entwurf stößt aber gerade in diesem Punkt auf Widerstand; Jayme/Kohler, IPRax 2007, 493, 495.
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publik hat ebenso wie Großbritannien diese Regelung nicht übernommen.62 Die einzelnen Staaten verfügen jedoch über spezielle Kollisionsnormen des internationalen Wirtschaftsrechts, das deutsche Kartellrecht etwa über die einseitige Kollisionsnorm des Art. 130 Abs. 2 GWB, die auf den Schutz des Wettbewerbs im deutschen Markt zielt und Einwirkungen auf diesen Markt nach dem Auswirkungsprinzip extraterritorial abwehrt.63 Entsprechende Normen anderer Staaten fügen sich zu einem globalen System einseitiger Kollisionsnormen i. S. des eigenen Marktschutzes zusammen.64 cc) Nicht normierte Kollisionsregeln Gleichwohl ist auch in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern heute die Auffassung vorherrschend, dass fremde Eingriffsnormen unter bestimmten Voraussetzungen anzuerkennen sind. Die Diskussion um diese Voraussetzungen wird überwiegend im Hinblick auf die Tätigkeit der Gerichte geführt,65 aber auch für internationale Schiedsgerichte. 66 Hier stellt sie sich in ähnlicher Weise mit dem Unterschied, dass es für Schiedsgerichte keine „einheimischen“ Eingriffsnormen mit vorrangigem Geltungsanspruch i.S. Art. 34 EGBGB gibt. Wohl aber müssen auch sie die allgemeinere Frage beantworten, ob bestimmte, im Fall relevante Eingriffsnormen eine extraterritoriale Anwendung beanspruchen und ob diese anzuerkennen ist. Als methodischer Ansatz hat sich die kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung in drei Schritten durchgesetzt.67 (1) Dabei ist Ausgangspunkt der Geltungsanspruch der fraglichen staatlichen Eingriffsnorm; er ist unabhängig vom Vertragsstatut bestimmt und kann extraterritoriale Anwendung einschließen (extraterritoriale Wirkung; vgl. § 130 GWB); der Streitsachverhalt muss die Tatbestandskriterien dieser Norm erfüllen. (2) Es muss eine enge Verbindung zwischen dem Staat, der die Norm erlassen hat, und dem zu entscheidenden Sachverhalt bestehen. Sie kann u.U. aus dem Vertragsstatut, dem (rechtlichen) Schiedsort, dem Erfüllungsorts oder dem Ort der Anerkennung und Vollstreckung hergeleitet werden.68 Diese Verbindung kann oft schon im Rahmen der Subsumption Vorbehalt gem. Art. 22 Abs. 1a EVÜ. Staudinger/Fezer/Koos, Internationales Wirtschaftsrecht, Neubearb. 2006, Rn. 57ff, 90ff. 64 Staudinger/Fezer/Koos, Rn. 90. 65 Staudinger/Magnus, BGB, Art. 34, 13. Bearb. Rn. 115 ff. m. Nachw. 66 Staudinger/Ebke, Anh. Art. 34 EGBGB, 13. Bearb. 2002, Rn. 21 m. Nachw.; v. Hoffmann aaO (Fn. 2); Schiffer, aaO (Fn.2). 67 Wengler ZVerglRW 54 (1941) 168ff; Zweigert, RabelsZ 14 (1941), 283ff; Berger, Wirkungen drittstaatlicher Eingriffsnormen auf internationale Verträge, Festschrift Horn 1996, S. 148ff; MünchKommzBGB/Martiny, Art. 34 Rn. 33; Staudinger/Magnus, Art. 34 Rn. 115ff. 68 Vgl. dazu allgemein (ohne kartellrechtlichen Bezug) Lew/Mistelis/Kröll, Rn. 17–30. 62 63
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ermittelt werden, im Beispiel des Kartellrechts anhand der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung auf dem relevanten geschützten Markt. (3) Die extraterritoriale Wirkung muss von anderen Staaten nach dem Grundsatz der comitas anerkannt sein. Die damit verbundene Abwägung der Durchsetzungsinteressen der beteiligten Staaten wird auch von Schiedsgerichten vorgenommen.69 Im Kartellrecht z.B. ist international die Auffassung im Vordringen, im begrenzten Umfang die extraterritoriale Geltung fremden Kartellrechts auf der Grundlage der comitas der Staaten anzuerkennen.70 Dabei werden die beiderseitigen Durchsetzungsinteressen der beteiligten Staaten abgewogen. Anders als das staatliche Gericht kann das Schiedsgericht diese Abwägung nicht vom Standpunkt einer lex fori aus vornehmen. Um beim Beispiel zu bleiben, das Schiedsgericht unterscheidet nicht eigenes und fremdes Kartellrecht, sondern prüft die Beziehung der Kartellrechte zum Sachverhalt. Dabei hat es nicht selten die u.U. konfligierenden Eingriffsnormen einer größeren Anzahl von Staaten, zu denen der Sachverhalt eine enge Beziehung hat, in Betracht zu ziehen und abzuwägen. Ist etwa ein Vertrag über einen internationalen Unternehmenszusammenschluss zu beurteilen, bei dem eine – ggf. kaum eingrenzbare – Vielzahl kartellrechtlicher Anmeldeverfahren in vielen Ländern durchzuführen war,71 ist eine Eingrenzung der zu beachtenden Eingriffsnormen vorzunehmen und zwar unter den pragmatischen Gesichtspunkten, den Parteiwillen zu verwirklichen und die Gefahren der Nicht- [215] anerkennung und Nichtvollstreckung des Schiedsspruchs zu begrenzen. Bei der genannten Abwägung der Durchsetzungsinteressen verschiedener Staaten und bei der Gesamtwürdigung und Kontrolle des Ergebnisses muss das Schiedsgericht, da es nicht einem national bestimmten ordre public verpflichtet ist, eine Kontrolle des gefundenen Ergebnisses an Hand von Grundsätzen des transnationalen ordre public (transnational public policy) vornehmen, d.h. von Grundsätzen, die international verbreitet sind und als fundamental angesehen werden.72 Im ICC-Schiedsfall Hilmarton wandte der Einzelschiedsrichter auf einen Vertrag, der schweizerischem Recht unterstellt war und eine Vermittlungs v. Hoffmann aaO (Fn. 2). Staudinger/Fezer/Koos, Rn. 90ff. 71 Horn, in ders. (Hrsg.), Cross Border Mergers and Acquisitions and the Law, 2001, S. 16–18. 72 Lew/Mistelis/Kröll aaO (Fn. 2) Rn. 17–32ff m. Nachw. Zu einem solchen Grundsatz z.B. BGHZ 59, 82 (nigerianische Masken). Das nigerianische Ausfuhrverbot wurde als ausländische Eingriffsnorm respektiert, weil der Schutz eigener Kulturgüter einem „allgemein zu achtenden Interesse aller Völker“ entsprach, das im UN-Übereinkommen v. 14.11.1970 zur Bekämpfung der illegalen Ausfuhr von Kulturgütern Ausdruck gefunden hatte. Vgl. auch OLG Hamburg RiW 1994, 686 Anm. Mankowski; Allg. oben II.2.b. 69 70
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leistung für einem Großauftrag in Algerien betraf, zwingendes algerisches Wirtschaftsrecht an, das die Einschaltung von Vermittlern bei Regierungsaufträgen verbot, und hielt den Vertrag wegen Verletzung der guten Sitten i. S. Art. 20 Abs. 1 OR für unwirksam.73 Die algerische Eingriffsnorm hatte zweifellos eine enge Beziehung zum Sachverhalt. Ein das Vermittlungshonorar zusprechendes Schiedsurteil wäre in Algerien auch nicht vollstreckbar gewesen. Aber auf beides kam es unter praktischen Gesichtspunkten nicht an, weil der Sitz beider Parteien außerhalb dieses Landes lag und die vertragliche Zahlung außerhalb Algeriens abgewickelt werden sollte. Eine relevante enge Beziehung wurde eher durch das Vertragsstatut begründet und ggf. durch den möglichen Vollstreckungsstaat.74 Das Kantonalgericht in Genf hob den Schiedsspruch auf, weil nach dem anwendbaren schweizerischen Recht die Einschaltung von Vermittlern nicht gegen die guten Sitten verstieß.75 Ein schwerwiegender Verstoß gegen die guten Sitten, etwa gegen das Verbot von Korruption, hätte dagegen, wie das Gericht bemerkte, eine Unwirksamkeit des Vertrages auch nach der lex contractus ausgelöst. Beide Wertungen halten einer Überprüfung anhand des transnationalen ordre public stand; die territoriale Begrenzung der erstgenannten algerischen Eingriffsnorm (Verbot der Vermittlungstätigkeit) erschien danach unbedenklich. d) EG Kartellrecht als Eingriffsnorm Zwingendes europäisches Gemeinschaftsrecht, z.B. Kartellrecht (Art. 81, 82 EG, FKVO Nr. 139/2004), das von den Gerichten der Mitgliedstaaten wie anderes staatliches Recht des Mitgliedstaates als Teil von deren ordre public anzuwenden ist, muss gleichermaßen von Schiedsgerichten ex officio angewendet werden.76 Das Schiedsgericht hat nicht nur über das Vorliegen des Kartellrechtsverstoßes zu entscheiden, sondern auch über die Nichtigkeit des betreffenden Vertrages.77 Abreden, die gegen Art. 81, 82 EG-V verstoßen, sind regelmäßig unwirksam.78 Die Auswirkung auf Bestand und Gefüge des
73 Hilmarton v. OTV, Award in ICC case Nr. 5622 (1988), XIX YBCA 112 (1994) (betr. Förderung der Bewerbung um einen Regierungsauftrag für eine Wasseraufbereitungsanlage). 74 Zum Vollstreckungsstaat als engste Beziehung Schiffer, Normen öffentlichen Rechts im internationa-len Handelsschiedsverfahren, 1990, S. 214: „ultima ratio“. 75 Hilmarton v. OTV, 17.11.1989, XIX YBCA 214 (1994); bestätigt vom schweizerischen Bundesgericht 17.4.1990, Rev. Arb. 1993, 315; bestätigt im Vollstreckungsverfahren vom englischen Commercial Court in Omnium de Traitement et de Valeurisation S.A. v. Hilmarton Ltd.(1999), 2 Lloyd’s Rep., S. 222 ff. 76 Oben II.1.4. EuGH Urt. v. 1.6.1999 – Rs. C-126/97 (Eco Swiss China Time Ltd. v. Benetton International NV) betr. Aufhebung eines Schiedsspruchs; dazu unten III.2.1. 77 BGH WuW/E579 (Mikrophos); 810, 817 (Zimcofot); K. Schmidt in Immenga/Mestmäcker aaO Rn. 68. 78 EuGH, Rs C-126/97 Eco Swiss-Benetton, Slg. 1999, I-3055.
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betreffenden Vertrages ist jedoch eine Frage der lex contractus79 und vom Schiedsgericht nach dieser zu ermitteln. Der BGH tendiert dazu, bei der Unwirksamkeit einer einzelnen Klausel im Zweifel den Vertrag im übrigen gem. § 139 BGB aufrechtzuerhalten.80 e) Völkerrecht und materielles Vertragsrecht Wirtschaftsvölkerrecht setzt nicht nur seit jeher die Rahmenbedingungen für den privaten internationalen Wirtschaftsverkehr (z.B. völkerrechtlicher Schutz durch Handels-, Freundschafts- und Schifffahrtsverträge), sondern wirkt sich z. T. unmittelbar in den vertraglichen und verfahrensrechtlichen Rechtsbeziehungen mit Privatpersonen (Unternehmen) aus. Im Vertragsrecht hat die Weltbank eine Vorreiterrolle in der Internationalisierung der Verträge i.S. einer Ablösung der einzelstaatlichen lex contractus gespielt.81 Zur Durchsetzung der Ansprüche privater Wirtschaftssubjekte gegenüber Staaten bestehen multilaterale und bilaterale Investitionsschutzabkommen (Bilateral Investment Treaties; BITs).82 Auf der Ebene des materiellen Rechts verschaffen sie den ausländischen Investoren neben den Vertragsansprüchen aus den über das konkrete Investitionsprojekt geschlossenen Investitionsverträgen (Konzessionsverträgen) mit dem Gaststaat, die regelmäßig dessen Recht unterstehen (contract claims), auch völkerrechtliche Anspruchsgrundlagen gegen den Gaststaat, die aus den Investitionsschutzabkommen abgeleitet sind (treaty claims).83 Insoweit kann auch sonstiges Völkerrecht, z.B. Grundsätze über die Staatenverantwortlichkeit, eingreifen (unten III.4). Im Verhältnis zwischen dem durch BITs geschaffenen Vertragsvölkerrecht und dem EG-Recht, insbesondere EG-Kartellrecht, können sich Konflikte ergeben; dabei wird ein Vorrang des EG-Rechts befürwortet.84 Ein ähnlicher Rangkonflikt kann im Verhältnis zum nationalen Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrecht entstehen (dazu i.F. III.3).
EuGH Rs. 102/81 Nordsee, Slg. 1982, 1095. BGH WuW/E BGH 100 (Kokillenguss); BGH, GRUR 1991, 558 (Kaschierte Hartschaumplatten). 81 Delaume, Legal Aspects of International Lending and Economic Development Financing, 1967. 82 Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004. Sie regeln verfahrensrechtliche und materiellrechtliche Aspekte des Investitionsschutzes; vgl. auch die Nachw. oben II.1.c. 83 Vgl. zu beiden Anspruchsarten Cremades/Cairns, in Horn (Hrsg), Arbitrating Foreign Investment Disputes, S. 325ff; McLachlan/Shore/Weininger, International Investment Arbitration. Substantive Principles, 2007, no. 4.33f, 4.76. 84 Eilmannsberger, Referat bei den Vienna Arbitration Days, 1.2.2008. 79 80
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3. Die gerichtliche Kontrolle von Schiedssprüchen a) Begrenzung der Nachprüfung Der Schiedsspruch unterliegt im Grundsatz keinem Rechtsmittel. Eine volle sachliche Nachprüfung (révision [216] au fond) durch ein Gericht findet nicht statt.85 Die rechtliche Auswirkung des zwingenden Rechts in einer Schiedssache, seine Nichtbeachtung oder die Richtigkeit seiner Anwendung durch das Schiedsgericht, wird durch staatliche Gerichte nur insoweit überprüft, als die gesetzlich normierten Aufhebungsgründe und Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen berührt sind (§§ 1059–1061 ZPO). Die Prüfungskriterien sind durch die New Yorker Konvention (UNÜ) und das UNCITRAL-Modellgesetz überwiegend vereinheitlicht. § 1059 Abs. 2 ZPO, der sich an Art. 34 Modellgesetz orientiert, nennt als Aufhebungsgründe (die zugleich Vollstreckbarkeitshindernisse gem. § 1060 ZPO sind) in Nr. 1 vier Fallgruppen von Mängeln des Schiedsverfahrens und seiner Grundlagen. Hinzukommen in Nr. 2 zwei weitere Fälle, die vom Gericht festzustellen sind: (1) mangelnde Schiedsfähigkeit nach deutschem Recht und (2) Verstoß gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) durch eine Vollstreckung des Schiedsspruchs. Bei ausländischen Schiedssprüchen richten sich die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach dem New Yorker Übereinkommen, das mit weithin übereinstimmenden Kriterien arbeitet (§ 1061 ZPO; Art. 5 UNÜ). Die Frage einer fehlenden oder nur eingeschränkten Schiedsfähigkeit wegen der Natur der Rechtssache, insbesondere weil zwingende Schutznormen und öffentlicher Schutzzwecke das Schiedsverfahren als weniger geeignet erscheinen lassen, war früher u.a. beim Kartellrecht von Bedeutung (oben II.1.d), ist aber heute von abnehmender Bedeutung. Sie ist aber im Hinblick auf die Durchsetzung zwingender EG-rechtlicher Schutznormen für Handelsvertreter erneut aufgetreten (i.F. III.1). Die Möglichkeit einer (begrenzten) gerichtlichen Kontrolle der Frage, ob das Schiedsgericht auf den Schiedsfall anzuwendendes zwingendes Recht berücksichtigt und richtig angewendet hat, eröffnet sich heute vor allem im Rahmen der gerichtlichen Prüfung einer Verletzung des Ordre public. b) Ordre-public-Vorbehalt Der anerkennungsrechtliche Ordre-public-Vorbehalt bezieht sich auf schwerwiegende Verfahrensmängel86 und auf Fälle, in denen die angeordnete (materielle) Rechtsfolge im Ergebnis mit der öffentlichen Ordnung des 85 BGHZ 142, 204, 206; Lachmann, Handbuch für schiedsgerichtliche Praxis, 2. Aufl. 2002, Rn. 1168. Dazu auch Cour d’Appel de Paris, 2004 (unten III.2.a). 86 OLG Köln, SchiedsVZ 2005, 163, 165 (Verstoß gegen geordnetes rechtsstaatliches Verfahren); Kreindler/Schäfer/Wolff, Schiedsgerichtsbarkeit. Kompendium für die Praxis,
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Anerkennungs- und Vollstreckungslandes unvereinbar ist.87 Die Berufung auf diesen Vorbehalt ist einerseits Gerechtigkeitsgarantie, andererseits auch anfällig für Missbrauch durch unbegründeten Einsatz seitens der unterlegenen Partei.88 Dabei überprüft das Gericht zwar nicht die Rechtsmeinung des Schiedsgerichts oder die Frage, ob sich das Schiedsgericht über anwendbare zwingende Rechtsnormen hinweggesetzt hat,89 wohl aber, ob aufgrund selbständiger Prüfung das Verfahren oder das Ergebnis des Schiedsurteils zwingende Normen in einem Maß verletzt, dass eine Verletzung der öffentlichen Ordnung vorliegt.90 Nach der deutschen Rechtsprechung unterliegen ausländische Schiedssprüche, wie (oben I.3.c) erwähnt, einem relativ weniger streng verstandenen Vorbehalt des internationalen Ordre public, der sich nur bei besonders gravierenden Verstößen auswirkt, die (im Fall von Verfahrensverstößen) elementaren Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren nicht mehr entsprechen.91 Für inländische Schiedssprüche sollen strengere Maßstäbe gelten,92 und zwar auch dann, wenn der Schiedsspruch auf der Grundlage eines anderen Rechts ergangen ist.93 Letzterem ist nur hinsichtlich verfahrensrechtlicher Fragen zuzustimmen. Hinsichtlich des materiellen Vertragsrechts sind die Wertungsmaßstäbe der fremden lex contractus grundsätzlich zu respektieren. So kann z. B. bei inländischem Schiedsspruch weder das Schiedsgericht noch das deutsche Anerkennungsgericht ohne weiteres die Maßstäbe der deutschen Rechtsprechung zum Wuchergeschäft auf vertragliche Rechte anwenden, die einem anderen Recht unterstellt sind.94 Im Übrigen ist die Konsequenz, dass bei einem inländischen Schiedsspruch auch dann, wenn es sich nach Parteien und Streitgegenstand um ein internationales Schiedsverfahren handelt, der großzügigere internationale Ordre public keine Anwendung finden soll, sachwidrig und entspricht auch nicht der internationalen Entwicklung.95 2006, Rn. 1105ff. Vgl. auch (im Fall verneinend) BGH SchiedsVZ 2006, 161, 163f; dazu unten III.2.b. 87 Musielak/Voit, ZPO, Zivilprozessordnung. Kommentar, 5. Aufl. 2007, § 1059 Rn. 25. 88 Vgl. nur Harbst, SchiedsVZ 2007, 22ff. 89 BGH NJW 1990, 3210, 3211. 90 Musielak/Voit, § 1059 Rn. 29. Zu diesem Problemkreis unten III.2. 91 Zum anerkennungsrechtlichen ordre public international in diesem Sinn zuletzt BGH SchiedsVZ 2006, 161, 163ff; dazu unten III.2.b. So schon BGHZ 98, 70, 73f; 118, 312, 328; 138, 331, 334; Musielak/Voit, § 1061 Rn. 24. Krit. zum Begriff Borges, Das Doppelexequatur von Schiedssprüchen, 1997, S. 54f m. Nachw. 92 Musielak/Voit § 1061, Rn. 23–26. Zur Unterscheidung von ordre public international und ordre public interne der romanischen Doktrin, oben I.3.a und I.3.c. 93 Musielak/Voit aaO Rn. 25. Vgl. (zum alten Recht) auch BGHZ 27, 249, 256. 94 Das Wucherverbot gem. § 138 BGB wird (bei Kaufleuten) im Zweifel nicht nach Art. 6 EGBGB gegen das ausländische Vertragsstatut durchgesetzt; dazu Horn, Der Wuchereinwand bei gewerblichen Darlehen und im internationalen Finanzmarkt, BKR 2006, 1ff, 5ff; offengelassen in BGHZ 135, 124, 139. Vgl. auch Mülbert/Bruinier, WM 2005, 9–11. 95 Vgl. nur ILA Final Report aaO (Fn. 2), Recommendation 1(f).
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c) Erweiterte Überprüfung bei Ordre-public-Einwendung; Kartellrecht Schon in älteren Entscheidungen zu inländischen Schiedsurteilen mit kartellrechtlichem Einschlag hat der BGH geäußert, bei Ordre-public-Einwand sei das staatliche Gericht im Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht nur (unstreitig) zu einer selbständigen rechtlichen Würdigung der Ordre-public-Einwendung befugt, sondern könne insoweit auch die tatsächliche Grundlage des Schiedsspruchs voll überprüfen, ohne an die Feststellungen des Schiedsgerichts gebunden zu sein.96 Der Ordre-publicEinwand, der wegen der Weite des Tatbestandes viele Anwendungsmöglichkeiten hat, eröffnet danach in begrenztem Umfang die Möglichkeit einer zweiten Instanz, was dem Grundsatz, dass eine révision au fond ausgeschlossen sein soll, zuwiderläuft und zum Nachteil des obsiegenden Schiedsklägers eine beträchtliche Verlängerung des Verfahrens durch Anfechtungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren mit sich bringt.97 Es gibt deshalb [217] Ansätze im Schrifttum und in der neueren deutschen Rechtsprechung, die volle gerichtliche Überprüfung der Tatsachenbasis für den Vorwurf der Ordre-public-Verletzung nur dann zuzulassen, wenn entweder die schiedsrichterliche Tatsachenfeststellung auf einem Verfahrensfehler beruht98 oder das Schiedsgericht sich mit der Frage nicht befasst hat.99 Von besonderer praktischer Bedeutung ist die Frage des Umfangs der gerichtlichen Nachprüfung des Ordre-public-Einwandes im Kartellrecht. Der EuGH hat das europäische Kartellrecht in der Eco Swiss-Entscheidung100 dem Ordre public der Mitgliedstaaten zugerechnet, und der BGH hat deutsches Kartellrecht bereits zuvor in gleicher Weise qualifiziert.101 Anders als der BGH hat der EuGH allerdings zwar einerseits die Nachprüfung eines Kartellrechtsverstoßes durch das Anerkennungs- oder Vollstreckbarkeitsgericht befürwortet, andererseits aber auch die Begrenzung dieser Nachprüfung durch zwingendes Prozessrecht anerkannt; daraus hat dann die Cour d’Appel weitergehende Schlüsse gezogen, die noch gesondert (unten III.2.1) zu erörtern sind. In der neueren Diskussion gibt es Tendenzen, materiellrechtlich die Prüfung der oft hochkomplexen Sachverhalte auf einen Kern-
BGHZ 30, 89, 95; 46, 365, 370f. Dazu eingehend Harbst, SchiedsVZ 2007, 22ff m.w. Nachw. 98 Haas, Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer und internationaler Schiedssprüche, 1991, S. 103; Trappe, BB 2000 Beil. 8, S. 7ff; Harbst, Die Rolle der staatlichen Gerichte im Schiedsverfahen, 2002, S. 199; Zöller/Geimer, ZPO, 25. Aufl. 2005, § 1059 Rn. 53; Nachw. d. neueren Rspr. bei Harbst, SchiedsVZ 2007, 25. 99 Harbst, SchiedsVZ 2007, 26f. 100 Oben I.3.d Fn 18; eingehend III.2.a. Vgl. auch EuGH Rs. 102/81 (Nordsee), Slg. 1982, 1095. 101 BGHZ 30, 89, 95; 46, 365, 370. 96 97
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bereich zu beschränken102 oder einen Einschätzungsspielraum einzuräumen.103 Demgegenüber wird „jedenfalls theoretisch“ die genaue („richtige“) Anwendung der Kartellrechtsbestimmungen durch das Schiedsgericht und die entsprechende gerichtliche Kontrolle („Feinprüfung“) gefordert.104 Diese muß dabei aber von dem durch das Schiedsgericht festgestellten Sachverhalt ausgehen, sofern nicht eine Sachverhaltsermittlung unterblieben oder verfahrensfehlerhaft erfolgt ist.105 Die letztere Eingrenzung der Nachprüfung des Schiedsurteils in diesen Fällen ist in der Tat geboten. Bei der „theoretisch“ richtigen Forderung einer genauen Anwendung des Kartellrechts durch das Schiedsgericht und der entsprechenden Kontrolle durch das Gericht besteht das Bedenken, dass die gerichtliche „Feinprüfung“ der schiedsrichterlichen Anwendung von EG-Kartelllrecht über den Ordre public eine zweite (gerichtliche) Instanz schafft.
III. Neuere Rechtsprechung 1. Eingriffsnormen und Schiedsfähigkeit: Unwirksamkeit einer Schiedsvereinbarung (OLG München 2006) Das OLG München hat 2006 entschieden, dass die in einem Handelsvertretervertrag enthaltene Vereinbarung über ein ausländisches Schiedsgericht unwirksam sei, wenn die nahe liegende Gefahr bestehe, dass das Schiedsgericht wegen einer Rechtswahlklausel im Vertrag die zwingenden Vorschriften über den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nicht anwenden werde.106 Der Vertrag war zwischen einem kalifornischen Unternehmen und einer deutschen Firma als ihrer Handelsvertreterin in Deutschland und anderen europäischen Ländern geschlossen. Er war kalifornischem Recht unterstellt und enthielt eine Schiedsklausel für ein Schiedsverfahren nach AAA in Kalifornien und daneben eine Gerichtsstandklausel zugunsten der kalifornischen Gerichte. Das OLG nahm zutr. an, dass § 89b HGB über den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters bei Vertragsbeendigung, auf die 102 Schlosser, Das Recht der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 1989, Rn. 867; Liebscher, The Healthy Award, 2003, S. 44f. Zum Problem auch unten III.2.a. 103 Heukamp, Schiedszusagen in der europäischen Fusionskontrolle, 2006; Blessing, Arbitrating Antitrust and Merger Control Issues, 2003. 104 K. Schmidt BB 2006, 1397, 1400; ders. in Immenga/Mestmäcker aaO Rn. 69; Eilmannsberger, SchiedsVZ 2006, 5,10. 105 Eilmannsberger, in Böckstiegel,/Berger/Bredow, Schiedsgerichtsbarkeit und Kartellrecht, 2006, S. 11 ff, 31. 106 OLG München, Urt. v. 17.5.2006, WM 2006, 1556 = IPRax 2006, 7, 322; zust. Anm. Thume, IHR 2006, 160; Emde EWiR 2006, 621. Krit. Rühl, Die Wirksamkeit von Gerichtsstand- und Schiedsvereinbarungen im Lichte der Ingmar-Entscheidung des EuGH, IPRax 2007, 294 ff; Quinke, Schiedsvereinbarungen und Eingriffsnormen, SchiedsVZ 2007, 246 ff.
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sich die deutsche Firma als Kläger vor dem deutschen Gericht berief, zwingende Eingriffsnorm i.S. Art. 34 EGBGB sei und zwar als Umsetzung der EG-Handelsvertreterrichtlinie.107 Die Schutzbestimmungen dieser Richtlinie hatte der EuGH 2000 in der Ingmar-Entscheidung als zwingendes europäisches Gemeinschaftsrecht qualifiziert, das sich auch gegenüber der Wahl eines anderen Rechts (außerhalb der EG) durchsetze.108 Das OLG ging über das Ingmar-Urteil des EuGH hinaus, indem es nicht nur die Rechtswahl, soweit sie zu einer Abbedingung der HandelsvertreterRichtlinie führte, für unwirksam hielt, sondern in Anlehnung an ein Urteil des BGH von 1987109 auch die Gerichtsstands- und die Schiedsklausel. Dies läuft auf eine Einschränkung der Schiedsfähigkeit der Sache hinaus und führt zu der Frage, ob generell die Schiedsfähigkeit beim Hereinspielen europäischer oder sonstiger staatlicher Eingriffsnormen eingeschränkt ist (etwa auf Schiedsorte innerhalb der EG), oder ob und wie man diese weitreichende Konsequenz vermeiden oder eingrenzen könnte. Das New Yorker Übereinkommen steht zumindest nach seinem Wortlaut der Auffassung des OLG München nicht entgegen. Dieses gibt hinsichtlich der Nichtigkeitsgründe für Schiedsvereinbarungen (als hinfällig, unwirksam oder nicht erfüllbar) in Art. II Abs.3 nur sehr generelle Vorgaben. Auch Gründe i.S. Art. V, die zu einer Versagung der Anerkennung des Schiedsurteils führen, können auch schon die Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung begründen, und selbst außerhalb des Übereinkommens liegende ernstzunehmende Gründe kommen in Betracht.110 Quinke hat in Kritik an der Entscheidung des OLG München zutr. darauf hingewiesen, dass nach dem Willen des deutschen Gesetzgebers die Schiedsfähigkeit [218] einer Sache – abgesehen von ausdrücklichen gesetzlichen Ausnahmen i.S. § 1030 Abs. 2 und 3 ZPO – nicht schon deshalb verneint werden soll, weil die Sache von zwingendem Recht i.S. Art. 34 EGBGB geprägt ist.111 Dies entspricht der heute international vorherrschenden Auffassung. Er folgert daraus, dass die Schiedsklausel zunächst anerkannt werden müsse. Die Berücksichtigung der EG-Eingriffsnorm könne später im Verfahren der Anerkennung oder Vollstreckbarkeitserklärung erfolgen. Die Klage in Deutschland soll die Beklagte demnach zunächst wirksam mit der Einrede Art. 17 u. 18 Richtlinie 86/653/EWG. EuGH, Urt. v. 9. 11. 2000, Rs. C-381/98 (Ingmar GB Ltd v. Eaton Leonard Technologies Inc.), NJW 2001, 2007. Im Ingmar-Fall war ebenfalls kalifornisches Recht vereinbart; der Handelsvertreter war in England tätig. 109 BGH NJW 1987, 3193, 3194 betr. Unwirksamkeit einer Schiedsklausel wegen international geltenden (heute nicht mehr bestehenden) Termineinwands. Krit. zu dieser Entscheidung Weller, Ordre-public-Kontrolle internationaler Schiedsvereinbarungen, 2005, S. 237, m. Nachw. 110 Rühl, IPRax 2007, 294, 301 m. Nachw. 111 SchiedsVZ 2007, 247 unter Bezugnahme auf BT-Drucks. 13/5274, S. 34 r. Sp. 107 108
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der Schiedsklausel abwehren können. Erst wenn im (hier: kalifornischen) Schiedsverfahren der deutsche Kläger mit seinem Ausgleichsanspruch nicht durchgedrungen sei, könne dem Schiedsurteil in Deutschland die Wirkung versagt werden und danach könne eine Klage vor einem deutschen Gericht Erfolg haben. Allein dieser Weg erlaube auch (im Nichtanerkennungsverfahren) die Prüfung der Frage, ob das kalifornische Schiedsurteil (oder Urteil) im Ergebnis gegen die deutsche und europäische Eingriffsnorm verstoßen habe oder ob ein solcher Verstoß bei Berücksichtigung der sonstigen Aspekte des Falles zu verneinen sei, z.B. weil durch eine im Übrigen großzügige Provisionsregelung die Interessen des Handelsvertreters gewahrt seien. Dieser Weg ist offensichtlich beschwerlich und von ungewissem Ausgang, so dass viele Rechtssuchende ihn nicht gehen werden. Man kann dies freilich als Preis für einen konsequenten Schutz der Wahlfreiheit der Parteien für Schiedsverfahrens verteidigen. Ob der EuGH und die staatlichen Gerichte der EG diese Lösung künftig akzeptieren werden, ist bestenfalls ungewiss. Ausschlaggebend wird vermutlich die Befürchtung sein, einer Aushebelung europäischer Eingriffsnormen durch entsprechende Gerichtsstands- und Schiedsklauseln Tür und Tor zu öffnen. Umso dringlicher ergibt sich dann das Bedürfnis, die Konsequenzen dieser Rechtsprechung für die Schiedsgerichtsbarkeit einzuschränken, etwa auf Fälle offensichtlicher Umgehung. Im Fall des OLG München muss man einerseits das Interesse des kalifornischen Unternehmens in Betracht ziehen, alle Vertriebsverträge dem eigenen Recht zu unterstellen. Andererseits schließt das nicht aus, im Hinblick auf die Ingmar-Entscheidung eine Umgehungsabsicht zu vermuten.112 Der deutsche Gesetzgeber ist bei seiner Entscheidung für die weitgehende Zulässigkeit von Schiedsverfahren, die auch bei der Prägung des Falles durch Eingriffsnormen gegeben sein soll, nicht von Umgehungsfällen ausgegangen. Auch die genannte internationale Auffassung ist von der Erwartung geprägt, dass internationale Schiedsgerichte international zwingende Normen in ähnlicher Weise wie staatliche Gerichte beachten.113 Bei der Lösung, auf die drohende Verletzung von Eingriffsnormen nur in Fällen mit Umgehungsabsicht mit der Einschränkung oder Nichtigkeit von Schiedsklauseln zu reagieren, ergeben sich aber zwei Schwierigkeiten. Erstens ist es faktisch schwierig, Umgehungsfälle von normalen Schiedsklauseln zu unterscheiden. Zweitens führt die Unterscheidung zur problematischen Debatte über das forum non conveniens, eine Kategorie, die zumindest in die (hier nicht einschlägige) EuGVO keinen Eingang gefunden hat.114 112 Man kann annehmen, dass (zumindest kalifornische) Kautelarjuristen aus der Ingmar-Entscheidung des EuGH gelernt haben, man müsse die Abschirmung gegen EGRecht nicht nur über die Rechtswahl, sondern auch die Gerichtsstands- und Schiedsklausel bewerkstelligen. 113 Mitsubishi Motors v. Soler Chrysler-Plymouth, 105 S.Ct. 3346 (1985). 114 Horn, IPRax 2006, 2.
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2. Ordre public und Grenzen der gerichtlichen Kontrolle des Schiedsspruchs a) Cour d’Appel Paris (Thalès 2004) und EuGH (Eco Swiss 1999) Die Entscheidung der Cour d’Appel Paris im Fall Thalès Air Défense beleuchtet Grenzen der gerichtlichen Kontrolle eines Schiedsspruchs über einen Vertrag, der angeblich EG-Kartellrecht verletzt, ohne dass diese Verletzung im Schiedsverfahren gerügt und geprüft worden war.115 Vorausgegangen war ein Schiedsverfahren über eine von Thalès gekündigte Vertragsbeziehung mit Euromissile (Grundvertrag und Vertrag über eine ausschließliche Lizenz) und eine anschließende Schiedsklage von Thalès auf Schadensersatz, die auf die Verletzung des Grundvertrags durch Euromissile gestützt war. Euromissile antwortete mit einer Schadensersatzgegenklage wegen Verletzung des Lizenzvertrags durch Thalès. In einem ersten Schiedsspruch wies das Schiedsgericht die Schadensersatzklage von Thalès ab. In einem zweiten Schiedsspruch sprach sie der Gegenpartei einen hohen Schadensersatz wegen Verletzung des (als selbständig beurteilten) Lizenzvertrages zu. Thalès erhob Nichtigkeitsklage gegen den zweiten Schiedsspruch wegen Verletzung des Ordre public i.S. Art. 1502 Abs. 5 NCPC, weil Grundvertrag und Lizenzvertrag Art. 81 EG verletzten. Die Cour d’Appel Paris wies die Klage ab. Das Gericht betrachtete Art. 81 EG im Anschluss an die Eco Swiss-Entscheidung des EuGH116 als Teil des europäischen und damit französischen Ordre public international i.S. Art. 1502 Abs.5 NCPC. Es bejahte auch wie der EuGH seine grundsätzliche Zuständigkeit zur Entscheidung über eine mögliche Verletzung des Ordre public unabhängig davon, ob die Parteien sich zuvor im Schiedsverfahren darauf berufen und das Schiedsgericht die Verletzung geprüft hatte oder nicht, weil nur Gerichte, nicht aber Schiedsgerichte zur Vorlage an den EuGH berechtigt sind.117 In beiden Fällen hatte das Schiedsgericht mangels Sachvortrags die Kartellrechtsverletzung nicht geprüft.118 Ebenfalls in Übereinstimmung mit dem EuGH nahm das Gericht jedoch an, dass die Überprüfung einer Verletzung des (europäischen wie einzelstaatlichen) Ordre public durch die allgemeinen zwingenden Normen des Verfahrensrechts begrenzt sei. Diese Begrenzung sah das Gericht in zwei Grundsätzen, (1) dass Gerichte keine volle sachliche Überprüfung von Schiedsurteilen (révision au fond) vorzunehmen hätten und (2) dass Cour d’Appel de Paris, Urt. v. 18.11.2004 (SA Thalès Air Défense c. GIE Euromissile), Revue de l’arbitrage 2005, S. 751–760. 116 EuGH, Urt. v. 1.6.1999, C-126/97 (Eco Swiss Time Ltd v. Benetton International N.V.); dazu Loquin, Rev. trim. dr. com. et écon. No. 2 (2005), 263–266; zu Eco Swiss und Thalès Niggemann, SchiedsVZ 2005, 265, 272ff. S. auch oben I.3.d und II.2.d. 117 So auch der EuGH in Eco Swiss; weiterführend Schütze, Die Vorlageberechtigung von Schiedsgerichten an den EuGH, SchiedsVZ 2007, 121ff. 118 Cour d’Appel de Paris, Rev.arb. 2005, S. 756. Ebenso der Hooge Raad in seinem Vorlagebeschluss zu Eco Swiss, im Urteil zitiert. 115
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Art. 1502 Abs. 5 [219] NCPC nur eine schwerwiegende, wirksame und konkrete Verletzung des Ordre public als Aufhebungsgrund ausreichen lasse. Im Fall Eco Swiss hatte der EuGH die Begrenzung einer Nachprüfung durch Verfahrensrecht darin gesehen, dass in einem endgültigen Teilschiedsspruch die Wirksamkeit des beanstandeten Lizenzvertrags festgestellt worden und dieser nach Ablauf der im holländischen Verfahrensrecht vorgesehenen Frist für ein Aufhebungsverfahren in Rechtskraft erwachsen war, so dass er als res judicata für den nachfolgenden zweiten Schiedsspruch über der Schadenshöhe bindend wurde. Die im Interesse der Rechtssicherheit bestehende prozessuale Frist zur Anfechtung des erstens Schiedsspruchs und dessen res judicata-Wirkung seien hinreichender Grund, eine mögliche Verletzung von Art. 81 EG nicht mehr zu prüfen. Im Fall Thalès sah das Gericht die Bindung an den ersten Schiedsspruch nicht als entscheidend an, sondern, wie bemerkt, den engen Prüfungsmaßstab des Art. 1502 Abs. 5 NCPC und das Verbot der révision au fond. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zur vom EuGH wie vom BGH im Grundsatz befürworteten weitgehenden Überprüfungsmöglichkeit,119 hat aber den Vorzug einer im Grundsatz sachgerechten Eingrenzung für sich und ist formal aus Eco Swiss ableitbar. Die Cour d’Appel Paris weist zugleich indirekt auf die Gefahren für die Rechtssicherheit hin, die dann entstehen, wenn man zulässt, dass eine Partei erst zu einem sehr späten Zeitpunkt kartellrechtliche Bedenken taktisch einsetzt.120 b) BGH 2006 (Verfahrensfehler eines ausländischen Schiedsspruchs) Art. 1502 Abs. 2 NCPC findet eine gewisse Entsprechung in der Linie der deutschen Rechtsprechung, bei der Aufhebung ausländischer Schiedssprüche nur erhebliche Verletzungen des „internationalen“ Ordre public ausreichen zu lassen.121 Formal besteht freilich ein deutlicher Unterschied: Art. 1502 Abs. 2 NCPC beschränkt den Prüfungsmaßstab generell, die deutsche Rechtsprechung tut dies nur für ausländische Schiedssprüche. In der praktischen Auswirkung sind die Unterschiede begrenzt. Beidesmal wird die Tendenz zur Ausdehnung der gerichtlichen Überprüfung eingedämmt. Der BGH hatte 2006 über ein Begehren auf Vollstreckbarerklärung eines weißrussischen Schiedspruchs zu entscheiden; dieser war über den Vergütungsanspruch eines deutschen Lieferanten gegen seinen weißrussischen Abnehmer ergangen, der seine Beteiligung am Schiedsverfahren verweigert hatte. Das Schiedsgericht hatte nach ordnungsgemäßen Ladungen an die Beklagte 119 Dazu oben II.3.c; s. aber zur eingeschränkten Kontrolle bei ausländischen Schiedssprühen oben II.3.b und i. F. III.2.b. 120 Dies übersieht Eilmannsberger, in Böckstiegel/Berger/Bredow (Fn. 70), S. 27, der es für unwahrscheinlich hält, dass Kartellrechtsverstöße erstmals im Vollstreckungsverfahren vorgetragen werden. 121 Vgl. oben II.3.b.
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in einem Urteil über seine (bestrittene) Zuständigkeit und zugleich in der Sache über den Klaganspruch entschieden, obwohl das anwendbare weißrussische Schiedsgesetz vorschrieb, dass bei bestrittener Zuständigkeit zunächst in einem Zwischenentscheid über die Zuständigkeit zu entscheiden war. Da der Beklagten im Übrigen rechtliches Gehör ordnungsgemäß eingeräumt worden war, sah der BGH in diesem Verfahrensfehler keinen Verstoß gegen den Ordre public. Es reichte daher nur zu einem Obiter dictum zu unserem Thema, indem der BGH hinzufügte, dass die Vollstreckbarerklärung nur „dem weniger strengen Regime des ordre public international“ unterlag und die Vollstreckbarkeit deshalb nur hätte verweigert werden können, „wenn das schiedsgerichtliche Verfahren an einem schwerwiegenden Mangel litte, der die Grundlagen staatlichen und wirtschaftlichen Lebens berührte“.122 3. Vorrang internationalen Rechts vor internem zwingenden Recht; Kompetenzunterschreitung des Schiedsgerichts im ICSID-Schiedsfall Vivendi Der ICSID-Schiedsfall Vivendi über eine Investition eines französischen Unternehmens in ein Wasserversorgungsunternehmen in Argentinien (Tucumán),123 der sich über elf Jahre hinzog124 und zahlreiche Rechtsfragen von Investitions-Schiedsverfahren berührt,125 liefert ein Beispiel für die Ranghierarchie der einem Schiedsgericht vorgegebenen Schichten zwingenden Verfahrensrechts: Es ging nämlich u.a. um den (an sich selbstverständlichen) Vorrang des völkerrechtlichen Investitionsschutzabkommens (Bilateral Investment Treaty, BIT) vor dem internen (argentinischen) öffentlichen Verwaltungsrecht. Der französische Investor Vivendi, der in das Wasserversorgungssystem der Provinz Tucumán investiert und darüber einen Konzessionsvertrag mit der Provinz abgeschlossen hatte,126 erhob nach einer Streitigkeit über diese Investition mit den lokalen Behörden, die auch unter Vermittlung der argentinischen Zentralregierung nicht beigelegt werden konnte, Schiedsklage gegen Argentinien. Der Investor berief sich dabei nicht auf den Konzessionsvertrag, der ausschließliche Streitbeilegung durch die lokale Verwaltungsjustiz vorsah, sondern auf den argentinisch-französischen BGH, Beschl. v. 22.2.2006 – 34 Sch 02/06 –, SchiedsVZ 2006, 161ff, 163f. Compañia de Aguas del Aconquija and Vivendi v. Argentina; Schiedsspruch v. 21.11.2000, 40 ILM (2001), 426-453 ff; Entscheidung v. 3.7.2002 im ICSID-Nichtigkeitsverfahren Case Nr. ARB/97/3, 41 ILM (2002), 1135. 124 Das Schiedsverfahren wurde im September 2007 mit einem Schiedsspruch über den Umfang des Schadensersatzes, der dem ausländischen Investor zu zahlen war, beendet. 125 Vgl. Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004, mit den Beiträgen von Cremades/ Cairns (S. 325–351) und Larsen (S. 353–386). 126 Vertragspartner war auch die argentinische Tochtergesellschaft. Anders im Fall CMS (unten III.4.b); hier war nur die Tochtergesellschaft Vertragspartner. 122 123
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BIT, das dem Investor u. a. die Option einer Schiedsklage nach den ICSIDRegeln einräumte. Das Schiedsgericht anerkannte grundsätzlich die Passivlegitimation von Argentinien auch für Verhalten der Provinz an, sah sich aber an einer Entscheidung in der Sache gehindert, weil bei dem haftungsbegründenden Verhalten die Verletzung des Konzessionsvertrags durch die Provinz Tucumán und die Pflichtverletzungen den Zentralstaates nach dem BIT nicht klar getrennt werden konnten und es insoweit bei der ausschließlichen Gerichtsbarkeit der lokalen Verwaltungsjustiz bleiben müsse. Auf den Nichtigkeitsantrag des Investors gemäß Art. 52 ICSID-Abkommen127 wurde der Schiedsspruch vom zuständigen Ad-hoc-Komitee gem. Art. 52 Abs. 1 [220] (b) des Abkommens aufgehoben mit der Begründung, dass der Investor im Schiedsverfahren nur Pflichtverletzungen Argentiniens gemäß dem BIT geltend gemacht hatte. Das Schiedsgericht, dessen Zuständigkeit durch den argentinisch-französischen BIT und die darin in Bezug genommenen ICSID-Schiedsregeln (Art. 25) festgelegt war, hätte seine Kompetenz ausschöpfen müssen und durfte nicht infra petita entscheiden. Es hätte seine eigene Zuständigkeit daher hätte bejahen müssen und zwar unabhängig und getrennt von der Frage, ob das Verhalten zugleich eine Verletzung des Konzessionsvertrages durch die Provinz Tucumán darstellte.128 Das erneute Schiedsverfahren führte zu einer Verurteilung von Argentinien mit teilweisem Zusprechen des verlangten Schadensersatzes.129 4. Eine bestrittene internationale Eingriffsnorm: Staatsnotstand als privatvertraglicher Schuldbefreiungsgrund? Die (erneute) argentinische Wirtschaftskrise und der daraufhin erklärte Staatsnotstand und die begleitenden gesetzlichen Maßnahmen 2001/2002 sind nicht nur eine Episode in der langen, bis in die jüngste Vergangenheit reichenden Geschichte der internationalen Verschuldungskrisen von Staaten,130 sondern waren auch Anlass zu einer erneuten Beschäftigung mit der Frage, ob und unter welchen Umständen die begleitende Notstandsgesetzgebung 127 Convention on the Settlement of Investment Disputes between States and Nationals of Other States v. 18.3.1965, 575 UNTS 159. 128 Entscheidung v. 3.7.2002 im ICSID-Nichtigkeitsverfahren Case Nr. ARB/97/3, 41 ILM (2002), 1135. Analyse der Entscheidung, durch Cremades/Cairns in Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004, S. 325-351, insbes. S. 336 und Larsen, dort S. 353–386. 129 In seiner Entscheidung im September 2007 über den Umfang des Schadensersatzes sprach das Schiedsgericht keinen entgangenen Gewinn zu, sondern nur den Wert des investierten Kapitals und damit 1/3 des geforderten Schadensersatzes. 130 Borchard/Wynne, State Insolvency and Foreign Bondholders, 2 Bde, 1951; Horn, The Restructuring of International Loans and the International Debt Crisis, International Business Lawyer 1984, 400–409; ders., Rechtsfragen internationaler Umschuldungen, WM 1984, 713–721.
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Anerkennung außerhalb des Schuldnerlandes als internationale Eingriffsnormen finden könnten. Ihre externen Auswirkungen betrafen einmal das Schicksal der internationalen Anleihen Argentiniens und den Schutz ausländischer Anleihegläubiger und beschäftigten insofern die deutschen Gerichte (i.F. 4.a); zum andern betrafen sie Investitionen ausländischer Investoren in Argentinien und deren Schutz; dazu wurden zahlreiche Schiedsgerichtsverfahren in Gang gesetzt (i.F. 4.b). a) Staatsnotstand und einseitige Schuldbefreiung des staatlichen Anleiheschuldners Gegenüber den Zahlungsklagen von Obligationären argentinischer Staatsanleihen, die in Deutschland erhoben wurden, berief sich Argentinien auf die Erklärung des Staatsnotstands und die darauf beruhende Gesetzgebung, die ein einseitig verkündetes Moratorium und eine einseitige Herabsetzung der Zahlungsansprüche einschloss.131 Auf Vorlagebeschlüsse des AG Frankfurt entschied das Bundesverfassungsgericht, es sei keine allgemeine Regel des Völkerrechts feststellbar, die einen Staat gegenüber Privatpersonen berechtige, die Erfüllung fälliger privatrechtlicher Zahlungsansprüche unter Berufung auf den wegen Zahlungsunfähigkeit erklärten Staatsnotstand zeitweilig zu verweigern.132 Zwar sei im Völkergewohnheitsrecht die Berufung auf den Staatsnotstand als Rechtsfertigungsgrund für die Verletzung von Pflichten aus völkerrechtlichen Rechtsverhältnissen anerkannt, wie sich auch aus dem Konventionsentwurf der Völkerrechtskommission von 2001 über Staatenverantwortlichkeit (Art. 25) ergebe.133 Dieser Grundsatz finde jedoch keine Anwendung auf rein privatrechtliche Ansprüche von Privatpersonen, die Angehörige dritter Staaten sind. In einem Sondervotum hat die Richterin Lübbe-Wolff bemängelt, die beantwortete Vorlagefrage sei so vom Vorlagegericht nicht gestellt; sie hat 131 Gesetz Nr. 25.561 v. 6. Januar 2002 über den öffentlichen Notstand und die Reform der Wechselkurssysteme; VO Nr. 256/2002 v. 6. Februar 2002 über die Umschuldung internationaler Verbindlichkeiten und internationale Zahlungen unter Anordnung eines Moratoriums. Argentinien hat 2004 den betroffenen Anleihegläubigern eine Umschuldung unter Verzicht auf 70 % des Kapitals und aufgelaufene Zinsen angeboten. Im Ergebnis stimmten zahlreiche Gläubiger zu; s. auch Cranshaw, Fragen der gerichtlichen Durchsetzung von ausländischen Staatsanleihen DZWir 2007, 133, 135. Die Notstandsgesetzgebung wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis Ende 2007 (Gesetz Nr. 26.204 v. 13.12.2006), trotz der inzwischen eingetretenen wirtschaftlichen Erholung Argentiniens. Zu dieser Erholung OLG Frankfurt/M, NJW 2006, 2931ff, in einem die Zahlungsklage von Gläubigern einer betroffenen Argentinienanleihe zusprechenden Urteil. 132 BVerfG, 2 BvM 1/03 u.a. vom 8.5.2007 mit Sondervotum Lübbe-Wolf, NJW 2007, 2614ff. 133 Abschnitt B 2 der Begründung. Vgl. International Law Commission (ILC), Draft Convention on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts, United Nations General Assembly A/RES/56/83 v. 12.12.2001.
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zweitens auf die begrenzte Tragweite der Rechtsgrundsätze des Art. 25 hingewiesen, die nur auf ein Moratorium, nicht aber eine Schuldbefreiung hinausliefen, und drittens die Auffassung vertreten, in diesem eingeschränkten Sinn einer nur vorübergehenden Stundung durch Notstand sei (wenn nicht Völkergewohnheitsrecht, so doch) ein international allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz festzustellen, der auch bei privatrechtlichen Auslandsschulden das Recht zu einem Moratorium begründe.134 Nach der oben erörterten Terminologie würde dies bedeuten, dass die genannte Rechtfertigung Teil des transnationalen (internationalen) materiellen Ordre public sei und die beanstandeten argentinischen Eingriffsnormen daher internationale Anerkennung beanspruchen könnten,135 wohlgemerkt nur mit der begrenzten Rechtsfolge eines zulässigen Moratoriums. Argentinien war freilich über diesen postulierten Rechtsgrundsatz weit hinausgegangen und hatte einseitig eine Schuldherabsetzung diktiert, nachdem es bereits in zahlreichen früheren internationalen Verschuldungskrisen jeweils Schulderleichterungen erreicht hatte.136 Vor diesem Hintergrund ist die unnachgiebige Haltung des Gerichts nicht überraschend. Man hatte wohl auch die Gefahr eines Dammbruchs vor Augen, der den in Jahrzehnten mühsam erreichten internationalen Konsens über die volle vertragsrechtliche Verantwortung der Staaten gegenüber ausländischen privaten Gläubigern hinwegfegen könnte. Das Gericht konnte sich de jure auf eine unklare internationale Meinungslage stützen. Dem steht allerdings eine etablierte internationale Praxis der Umschuldungen gegenüber, 137 die [221] freilich wiederum im Hinblick auf Staatsanleihen noch relativ weniger gefestigt ist.138 b) Der argentinische Staatsnotstand in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Die argentinische Staatskrise hatte zahlreiche internationale Schiedsverfahren über staatliche Eingriffe in Investitionen ausländischer Investoren in Argentinien zur Folge. Die Investoren stützten ihre Schadensersatzklagen sowohl auf Verletzungen der einschlägigen bilateralen Investitionsschutzabkommen (BITs) als auch auf die über ihre Investitionsprojekte abgeschlosse134 BVerfG, 2 BvM 1/03 u.a. v. 8.5.2007, NJW 2007, 2610ff; abweichende Meinung der Richterin Lübbe-Wolff NJW 2007, 2614ff, 2616f. 135 Vgl. oben I.3.2 und II.2.2. 136 Allein im Zeitraum 1956–1992 hat Argentinien achtmal internationale Umschuldungen mit Hilfe des Pariser Clubs durchgesetzt; Cranshaw, DZWir 2007, 134 Fn. 13. 137 Vgl. schon Horn, Rechtsfragen internationaler Umschuldungen, WM 1984, 713ff. 138 Die globalen Umschuldungsbemühungen für einzelne Staaten haben lange Zeit Anleihen nicht erfasst (Horn aaO) und erst in jüngerer Zeit aufgrund neuer Klauseln in den Anleihebedingungen auch die privaten Obligationäre einbezogen; Hartwig-Jacob, Neue rechtliche Mechanismen zur Lösung internationaler Schuldenkrisen, Festschrift Horn, 2006, S. 717ff.
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nen Konzessionsverträge. Argentinien berief sich dagegen zur Rechtfertigung seiner in das Eigentum der Investoren eingreifenden Krisengesetzgebung erstens auf Art. VIII Abs. 2 (b) des IWF-Statuts, der die Anerkennung zulässiger Devisengesetzgebung durch alle Mitglieder des IWF gebietet, und zweitens auf die Erklärung des Staatsnotstandes, um die internationale Geltung seiner Eingriffsnormen und den Ausschluss von Entschädigungsansprüchen gegenüber den genannten vertraglichen Schadensersatzansprüchen der Investoren zu begründen. In zwei international stark beachteten, in ICSID-Verfahren ergangenen Schiedsurteilen (CMS-Fall 2005/2007; LG&E-Fall 2006)139 wurde erstens die Berufung auf Art. VIII Abs. 2 (b) IWF-Statut, der sich nur auf Zahlungsverkehr, nicht aber auf den Kapitalverkehr bezieht, verworfen, zweitens aber die Berücksichtigung des (völkerrechtlichen) Staatsnotstandes als Rechtfertigung eines Moratoriums oder ggf. sogar eines (partiellen) Haftungsausschlusses auch im Hinblick auf Schadensersatzansprüche ausländischer Privatpersonen (Investoren) im Grundsatz anerkannt. Dies kann in Anbetracht des völkerrechtlichen Charakters der von Argentinien abgeschlossenen BITs nicht überraschen. In den beiden ähnlich gelagerten Fällen ging es um US-amerikanische Investitionen in argentinische Versorgungsunternehmen. Die Investoren machten enteignungsgleiche Eingriffe durch die dem Staatsnotstand vorausgehende Krisengesetzgebung geltend (Aufhebung der Indexierung der Abnehmerpreise; Aufhebung der Bindung des Peso an den USD). Beidesmal war Staatsnotstand sowohl nach der Notstandsklausel im amerikanischargentinischen BIT als auch nach Völkergewohnheitsrecht zu prüfen. Im CMS-Fall wurden die eng aufzufassenden Voraussetzungen des Notstands nach beiden Tatbeständen verneint und der Schadensersatzanspruch der Investoren auf Völkergewohnheitsrecht gestützt, ausgedrückt in Art. 27 Konventionsentwurf der ILC. Im LG&E-Fall hat das Schiedsgericht die Voraussetzungen des Notstands nach der Klausel des einschlägigen BIT für einen begrenzten Zeitraum (1.12.2001 bis 26.4.2004) als erfüllt angesehen und einen Schadensersatzanspruch verneint, weil der BIT einen solchen Anspruch nicht ausdrücklich vorsieht. Ein möglicher Schadensersatzanspruch nach Völkergewohnheitsrecht wurde nicht in Betracht gezogen.140 Da im CMS-Fall inzwischen auf die Nichtigkeitsbeschwerde Argentiniens hin das ICSID (1) CMS Gas Transmission Comp. v. The Republic of Argentina, ICSID ARB/01/8, Award 12.5.2005; dazu Schill, From Calvo zu CMS. Burying an International Law Legacy?, SchiedsVZ 2005, 285; van Aaken, Zwischen Scylla und Charybdis: Völkerrechtlicher Staatsnotstand und Internationaler Investitionschutz, ZVglRWiss 2006, 285. (2) LG&E Energy Corp., LG&E Capital Corp., LG&E International Inc. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability 3.10.2006. Zu beiden Entscheidungen Schill, Staatsnotstand und internationales Investitionsschutzrecht, SchiedsVZ 2007, 178ff. 140 Zu beiden Entscheidungen eingehend Schill, Staatsnotstand und internationales Investitionsschutzrecht, SchiedsVZ 2007, 178ff. 139
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Ad-hoc-Committee den Schiedsspruch aufrechterhalten hat, soweit dieser eine Schadensersatzpflicht nach Völkergewohnheitsrecht bejaht hatte (Art. 27 Konventionsentwurf),141 ist der Schiedsspruch im LG&E-Verfahren, der diese Entschädigungspflicht nicht behandelt, unter diesem Gesichtspunkt angreifbar.
III. Zusammenfassung Der vorstehende Überblick kann in Anbetracht des weit gespannten Problemfeldes keine Vollständigkeit beanspruchen. Hervorzuheben ist: 1. Bei der Anwendung zwingenden Rechts in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit und der gerichtlichen Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen sind die folgenden Normkomplexe zu berücksichtigen: (a) zwingendes Verfahrensrecht, (b) zwingendes Recht der lex contractus, (c) staatliche Eingriffsnormen, deren Anwendung auf den Sachverhalt durch Sonderanknüpfung erfolgt, und (d) und nationaler und transnationaler ordre public. Eingriffsnormen und ordre public überschneiden sich inhaltlich, sind aber funktional unterschieden. 2. Der Begriff des ordre public (öffentliche Ordnung) wird in vier verschiedenen Bedeutungen verwendet. In den zwei herkömmlichen Bedeutungen (1) des internationalprivatrechtlichen (Art. 6 EGBGB) und (2) des anerkennungsrechtlichen (§1059 Abs. 2 Nr. 2 (b) ZPO) ordre public bezeichnet er die Abwehr der Ergebnisse der Anwendung fremden Rechts, die mit wichtigen Grundsätzen des nationalen Rechts der lex fori unvereinbar sind. Der ordre public in beiden Bedeutungen ist nationalrechtlich geprägt, unterliegt aber heute in zahlreichen Ländern einer Fokussierung auf transnational anerkannte Grundsätze. Die damit übereinstimmende Rechtsprechung des BGH zum anerkennungsrechtlichen internationalen ordre public ist auch auf inländische Schiedssprüche über internationale Streitigkeiten anzuwenden. (3) Internationale Schiedsgerichte orientieren sich zur Kontrolle des Ergebnisses ihrer Rechtsanwendung primär an international anerkannten grundlegenden Rechtsprinzipien, dem sog. transnationalen ordre public, berücksichtigen aber ggf. ergänzend im Interesse der Anerkennung und Vollstreckbarkeit des Schiedsspruchs auch einen dafür relevanten nationalen
141 CMS Gas Transmission Comp. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, (Annnulment Proceedings), 25. Sept. 2007. Das Ad-hoc-Committee nahm Teilnichtigkeit des Schiedsspruchs gem. Art. 52(3) ICSID-Convention mangels ausreichender Begründung an, soweit eine Verletzung von Pflichten des Konzessionsvertrages durch Argentinien nach der umbrella-clause (Art. II (2) (c)) des BIT festgestellt worden war, hielt aber den Schiedsspruch im übrigen aufrecht (par. 99, 100).
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ordre public. (4) Der EuGH qualifiziert Eingriffsnormen des EG-Rechts, insbes. des EG-Kartellrechts, als ordre public. 3. Die lex contractus begründet keine automatische Anwendung der Eingriffsnormen des betreffenden Staa- [222] tes. Staatliche Eingriffsnormen sind nach grundsätzlich einheitlichen Kriterien der Sonderanknüpfung anzuwenden. Diese Kriterien sind: (a) der entsprechende Geltungsanspruch der Eingriffsnorm, der durch ihren Tatbestand festgelegt ist, und die Erfüllung dieses Tatbestandes durch den Sachverhalt, (b) eine enge Verbindung zwischen Sachverhalt und Erlassstaat, und (c) im Fall der Entscheidung durch ein staatliches Gericht die Zulassung nach comitas unter Abwägung mit den Durchsetzungsinteressen des Anerkennungsstaates und dessen ordre public, bei Entscheidung durch ein internationales Schiedsgericht die Abwägung der Durchsetzungsinteressen und comitas der beteiligten Staaten unter Berücksichtigung des transnationalen ordre public. 4. Internationale Schiedsgerichte können im Grundsatz ebenso wie Gerichte über die Anwendung von Eingriffsnormen (z.B. Kartellrecht) entscheiden. Eine Einschränkung der Schiedsfähigkeit bei vermuteter Umgehung von EG-Eingriffsnormen (OLG München) schränkt diesen Grundsatz in problematischer Weise ein. Die Verletzung des ordre public ist im Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren auf der Grundlage der vom Schiedsgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen vorzunehmen, falls diese nicht auf Verfahrensfehlern beruht oder die Prüfung der Rechtsfrage überhaupt unterblieben ist (str.; ähnl. Cour d’ Appel Paris; bei Kartellrecht u.U. weitergehend EuGH und BGH). Die rechtliche Überprüfung der ordre-public-Verletzung ist auf schwerwiegende und offenkundige Verstöße beschränkt (Cour d’ Appel Paris; z.T. auch BGH; str.). Bei Verletzung von EG-Kartellrecht (Art. 81, 82 EG) wird ein schwerwiegender ordre-publicVorstoß im Grundsatz immer angenommen, ein Beurteilungsspielraum des Schiedsgerichts verneint (zweifelhaft). Die gerichtliche Überprüfung ist aber durch das anwendbare Prozessrecht begrenzt (EuGH, Eco Swiss; Cour d’Appel de Paris, Thalès). Eine révision auf fond findet nicht statt (Cour d’Appel Paris; str.). 5. Die Herausarbeitung international einheitlicher Rechtsgrundsätze kann zur Fortentwicklung einheitlicher Kriterien des transnationalen ordre public und zur Präzisierung der Grundsätze der internationalen Anerkennung staatlicher Eingriffsnormen beitragen. Keine solche Anerkennung findet bisher der Grundsatz, dass sich Staaten als Schuldner ausländischer privater Gläubiger einseitig von ihren Schulden durch Erklärung des Staatsnotstandes (vorübergehend) befreien können (BVerfG). 6. Das Schiedsgericht muss auch in internationalen Investitionsstreitigkeiten seine Zuständigkeit hinsichtlich der völkerrechtlich (durch BIT)
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geschützten Rechte der Investoren voll ausschöpfen und darf nicht Beschränkungen durch das interne Verwaltungs(prozeß)recht des Gaststaates, dem der Konzessionsvertrag unterliegt, weichen (Vivendi). Hinsichtlich der Rechte der Investoren aus BIT (treaty claims) ist die Berufung des Gaststaates auf einen Staatsnotstand nach Völkerrecht in Folge einer Wirtschaftskrise im Grundsatz möglich. Er ist aber nur unter sehr engen und objektiven Voraussetzungen anzuerkennen (CMS-Fall; LG&E-Fall). Die rechtliche Wirkung ist auf ein Moratorium beschränkt. Eine Entschädigungspflicht nach Völkergewohnheitsrecht bleibt unberührt (CMS-Fall).
Transnationales Handelsrecht: zur Normqualität der lex mercatoria In Festschrift für Karsten Schmidt, 2009, S. 705–724 Inhaltsübersicht I. Einleitung. Rechtsangleichung in der Diskussion 1. Die Idee der spontanen Rechtsvereinheitlichung 2. Wettbewerb der Rechte II. Lex mercatoria als deskriptiver Sammelbegriff 1. Nichtstaatliche Rechtsbildung (lex mercatoria i.e.S.) 2. Staatlich gesetztes transnationales Recht 3. Methodisch praktische Verbindung zwischen beiden Bereichen 4. Institutionelle Verbindungen III. Grenzen der Autonomie in historischer Sicht IV. Die normativen Eigenschaften der Lex mercatoria 1. Maßgeblichkeit der Perspektive des staatlichen Rechts 2. Standardisierte Vertragspraxis; Lex mercatoria als AGB 3. Transnationale Auslegungsgrundsätze 4. Insbesondere Handelsbrauch 5. Allgemeine Grundsätze des Vertragsrechts 6. Transnationales Gewohnheitsrecht? V. Lex mercatoria als zusammenhängendes Rechtsgebiet? 1. Rechtswissenschaftliche Erschließung der lex mercatoria 2. Dispositive und zwingende Geltung 3. Lex mercatoria als Vertragsstatut? VI. Zwingendes Recht und lex mercatoria 1. Materielles Vertragsrecht und Wirtschaftsrecht 2. Transnationales Recht und Schiedsgerichtsbarkeit 3. Transnationaler Ordre public VII. Zusammenfassung
I. Einleitung. Rechtsangleichung in der Diskussion 1. Die Idee der spontanen Rechtsvereinheitlichung Der globalisierte Handels- und Wirtschaftsverkehr verlangt nach einheitlichen Rechtsformen und ist eine Antriebskraft für ihre Ausbildung. Die internationalen Märkte können nur unter stabilen rechtlichen Rahmenbedingungen dauerhaft funktionieren, und deren Vereinheitlichung vermindert
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Risiken und senkt Transaktionskosten. Die Ergebnisse dieser Vereinheitlichung kann man – in Unterscheidung vom Völkerrecht – als transnationales Handels- und Wirtschaftsrecht bezeichnen. Daneben hat sich der historische Begriff der „lex mercatoria“ eingebürgert. Er verweist primär auf das faszinierende Phänomen der spontanen, nicht durch staatliche Gesetzgeber veranlassten, Vereinheitlichungen der Vertragspraxis des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs. [706] Der Begriff besitzt eine kreative begriffliche Unschärfe, welche die Phantasie der rechtswissenschaftlichen Arbeit beflügelt. Die Leistungsfähigkeit des Begriffs und die juristischen Eigenschaften der damit gemeinten Sache sind seit längerem und bis heute Gegenstand einer lebhaften internationalen Diskussion. Zu dieser Diskussion hat Karsten Schmidt, vielbeschäftigter Autor nicht nur des allgemeinen Zivilrechts nebst Insolvenzrechts, des Gesellschaftsrechts und des Kartellrechts, sondern auch des Handelsrechts, in einer knappen Problemskizze eine Zwischenbilanz gezogen unter dem attraktiven Titel mit drei rhetorischen Fragen: „Lex mercatoria. Allheilmittel? Rätsel? Chimäre?“1 Der folgende Beitrag scheint mir daher zur Ehrung eines um die deutsche Rechtswissenschaft besonders verdienten Kollegen und als Ausdruck kollegialer Verbundenheit geeignet. Der internationale Handels- und Wirtschaftsverkehrs wurde schon immer von Bemühungen zur Rechtsvereinheitlichung begleitet. Beispiele bietet der Gebrauch abstrakter kaufmännischer Verpflichtungspapiere und sowie des Wechsels, der das Clearing im überörtlichen Zahlungsverkehr ermöglichte, schon im Mittelalter,2 oder die Verwendung des Akkreditivs im 19. Jahrhundert. Als die Bemühungen zur Vereinheitlichung des Handelsrechts sich im 20. Jahrhundert verstärkten und die Rechtswissenschaft und Rechtspolitik zunehmend beschäftigten, hat man auf historische Vorbilder im mittelalterlichen3 und frühneuzeitlichen4 teilautonomen Recht der Kaufmannnsgilden und Kaufmannsgerichte zurückgegriffen und die Ergebnisse namentlich der
1 In Murakami/Marutschke/Riesenhuber (Hrsg.), Globalisierung und Recht. Beiträge Deutschlands und Japans zu einer internationalen Rechtsordnung im 21. Jahrhundert, 2007, S. 153–176. 2 L. Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts, Bd. I 1891, Nachdruck Aalen 1957, S. 308, 383ff, 446f; Pohlmann, in Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur zur neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. I, 1973, S. 803ff. 3 Zum Kaufmannrecht der spätmittelalterlichen Kaufmansgerichte L. Goldschmidt, Universalgeschichte (Fn. 2), S. 150 ff, 166ff, 172; Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, 1968, S. 88 ff. 4 Benvenuto Stracca, De mercatura seu mercatore Tractatus, 1553; Scaccia, Tractatus de commerciis et cambio, 1618; Gerard Malynes, Consuetudo vel lex mercatoria or the ancient law-merchant, 1622.
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spontanen Vereinheitlichung im Vertragsrecht unter den historischen Begriff der lex mercatoria gestellt.5 [707] Karsten Schmidt zeichnet insgesamt ein ausgewogenes und facettenreiches Bild der heutigen Diskussion und ihres verwickelten Gegenstandes, den er weder hypostasiert noch als Phänomen bagatellisiert oder hinwegdiskutiert. Dies alles verdient im Ganzen Zustimmung. Freilich geht es i. F. nicht um eine Rezension, sondern darum, den wissenschaftlichen Gesprächsfaden fortzuspinnen. Dabei ist Leitfrage die nach der normativen Qualität der lex mercatoria. Sie lässt sich, wie Karsten Schmidt mit Recht feststellt, nicht einfach mit einem Ja oder Nein beantworten, sondern führt mitten in den Prozess der Rechtsbildung und Rechtsanwendung im internationalen Wirtschaftsverkehr hinein. 2. Wettbewerb der Rechte Die Komplexität und Unübersichtlichkeit der Vereinheitlichungstendenzen im Handelsrecht beruht zum Teil darauf, dass auf transnationaler Ebene vielfältige Wettbewerbsprozesse ablaufen, die teils die Vereinheitlichung befördern, teils ihr zuwiderlaufen.6 Zunächst gibt es Wettbewerb als Element von Optimierungsprozessen der Vertragsgestaltung. Nicht nur der Mustervertrag oder das Regelwerk setzen sich in der Praxis durch, die am bekanntesten oder vom zuständigen Wirtschaftsverband empfohlen sind, sondern der Vertrag oder die Klausel, die darüber hinaus weitere Gestaltungsvorteile versprechen. Daneben gibt es auch weniger wünschenswerten Verdrängungswettbewerb vor allem zugunsten des weltweiten anglo-amerikanischen Einflusses.7 Hier können internationale Organisationen und Agenturen, die der Vereinheitlichung des Privatrechts dienen und auf völkerrechtlicher (UNCI-
5 Schmitthoff (ed.), The Sources of the Law of International Trade, 1964; Goldman, Lex mercatoria et frontières du droit, Archives de Philoophie du Droit vol. 9 (1964) 177–192; Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, § 19; Horn, The Use of Transnational Law in the Contract Law of International Trade and Finance, in Berger (ed.), The Practice of Transnational Law, 2001, S. 67 ff.; Horn, Entgrenzung des Rechts durch wirtschaftliche Globalisierung, in: Brugger/Haverkate (Hrsg.), Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, ARSP Beiheft Nr. 84, 2002, S. 179–200; Stein, Lex mercatoria, 1995; Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts 1996; Berger (ed.), The Practice of Transnational Law, 2001. Weitere Nachweise: CENTRAL, Transnational Law Digest and Bibliography, www.tldb.net. 6 Horn, Enforcing International Commercial Debt, in Meesen (Hrsg.) Law as an Economic Good, 2009; Horn, Entgrenzung des Rechts durch wirtschaftliche Globalisierung (Fn. 5). 7 Die vordringende Vorherrschaft anglo-amerikanischer Gestaltungsformen ist oft beschrieben worden. Vgl. z.B. zu den Amerikanisierungstendenzen im Recht des Unternehmenskaufs krit. Merkt, in Festschrift Sandrock, 2000, 6577ff.
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TRAL, Unidroit) oder auf privatrechtlicher Basis arbeiten (ICC), einen ausgleichenden Einfluss ausüben. Hinzu tritt auf dem Weltmarkt für juristische Dienstleistungen im internationalen Geschäft der Kampf um den angesehensten Finanzplatz oder Transaktionsplatz. Die Anwälte von New York und London und insbesondere ihre Finanzjuristen verkünden ungerührt i.S. einer Marketingstrategie für ihre eigenen Dienstleistungen, dass ihre Vertragstechnik z.B. für Unternehmenskäufe und Fusionen, Projektfinanzierungen und strukturierte Finanzprodukte die weltbesten rechtlichen Instrumente für diese Geschäfte biete und dass das Prädikat „international maßgebliches Vertragsrecht“ mit der Praxis von New York bzw. London gleichzusetzen sei, ganz abgesehen von den [708] Vorzügen des Rechts und der Gerichte an diesen Plätzen.8 Schließlich gibt es hinsichtlich der rechtlichen Rahmenbedingungen des internationalen Handels und Finanzverkehrs den Wettbewerb der nationalen Gesetzgeber, die im öffentlichen Wirtschaftsrecht die Rahmenbedingungen der Märkte abstecken und um den Titel des besten, liberalsten, steuergünstigsten usw. nationalen Standorts wetteifern. Dieser Wettbewerb wird in der EG durch das Gemeinschaftsrecht gemildert, freilich um den Preis einer oft praxisfernen Regulierungswut Brüssels.
II. Lex mercatoria als deskriptiver Sammelbegriff Der Begriff der lex mercatoria verweist in seiner deskriptiven Funktion schlicht auf den Prozess der Rechtsangleichung und Rechtsvereinheitlichung auf dem Gebiet des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs, der sich auf vielen Wegen vollzieht. Man kann parallel dazu und größtenteils deckungsgleich auch den Begriff des transnationalen Handelsrechts verwenden, verstanden als Recht, das in mehreren (vielen) Staaten gleichermaßen gilt und sich auf grenzüberschreitenden privaten Wirtschaftsverkehr bezieht.9
8 Bei einer Vorlesung in Peking im Mai 2008 wurde ich nach meiner Darstellung der USamerikanischen Sub-prime Krise 2007 durch den Einwand meiner Studenten überrascht, amerikanische Professoren hätten ihnen erst kürzlich dargelegt, durch computergestützte Untersuchungen sei nachgewiesen, dass das angloamerikanische Recht für Finanztransaktionen weltweit am besten geeignet sei. Offensichtlich wurde bei dieser Untersuchung das Potenzial des amerikanischen Rechts zur Auslösung weltweiter Finanzkrisen noch nicht miterfasst. 9 In loser Anlehnung an Jessup, Transnational Law, in Selected Readings in Protection by Law of Private Foreign Investment, ed. International and Comparative Law Center (Dallas), 1964, S. 1ff.
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1. Nichtstaatliche Rechtsbildung (lex mercatoria i.e.S.) Der Schwerpunkt des Begriffs der lex mercatoria und der entsprechenden wissenschaftlichen Aufmerksamkeit liegt bei derjenigen Bildung von Einheitsrecht, die sich außerhalb der staatlichen Rechtssetzung vollzieht. Dazu gehören als (nicht staatliche) Kodifizierungen der allgemein anwendbaren Grundsätze des Handelsvertragsrechts die Unidroit Principles von 1994 und 200410 sowie die Lando-Principles, die beide schon ein wenig eine Gesetzgeberrolle nachahmen. Daneben geht es um die in der internationalen Praxis allgemein verwendeten Vertragsklauseln und Vertragsregeln, wie die oft als Paradebeispiel zitierten, von der Internationalen Handelskammer formulierten und regelmäßig revidierten Incoterms11 und die Richtlinien über Akkreditive.12 [709] Andere Standardverträge und Standardklauseln, die sich eingebürgert haben, stammen von einflussreichen Branchenorganisationen, so die FIDICFormverträge für Bauleistungen13 und der Rahmenvertrag für Finanzgeschäfte der Europäischen Bankenvereinigung (EMA).14 Schließlich gehören zu diesem Bestand zahlreiche weitere gebräuchliche Standardverträge und -klauseln. Dieser Bestand an Grundsätzen, Regeln und Vertragsgestaltungsformen bildet nach einer verbreiteten Ansicht sogar allein die lex mercatoria (i.e.S.). Aber auch transnationale Verhaltensrichtlinien, sofern sie international verwendet bzw beachtet werden,15 kann man wohl dazu rechnen. 2. Staatlich gesetztes transnationales Recht Karsten Schmidt versteht in Übereinstimmung mit einem Großteil der Literatur unter lex mercatoria nur das soeben beschriebene spontan entstehende Einheitsrecht und kritisiert, ebenfalls in Übereinstimmung mit einem starken Meinungslager, dessen Lückenhaftigkeit und unklare Geltungsweise.16 Versteht man die Begriffe lex mercatoria oder transnationales Handelsrecht als Sammelbegriff für staatenübergreifende Rechtsangleichung auf dem Gebiet 10 UNIDROIT (Hrsg), Principles of International Commercial Contracts, Rom 1994; Neufassung 2004. Zur Erstfassung Berger, The Creeping Codification of the Lex Mercatoria, 1999. 11 ICC (ed.), International Commercial Terms (Incoterms). Revision 2000, ICC Publication no.560. 12 ICC Uniform Customs and Practices for Documentary Credits, ICC Publication 600 (UCP 600), Paris 2006. 13 Mallmann, Bau- und Anlagenbauverträge nach den FIDIC-Standardbedingungen, 2002. 14 Gillor, Der Rahmenvertrag für Finanzgeschäfte der Europäischen Bankenvereinigung (EMA). Wertpapierpensionsgeschäfte und Wertpapierdarlehen, 2005. 15 Horn (ed.), Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980. 16 AaO (Fn. 1) S. 164ff mit brillanter Zusammenfassung des Meinungsstreits.
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des Handels- und Wirtschaftsverkehrs, ist es zweckmäßig, auch das durch völkerrechtliche Konventionen und ihre Transformation in nationale Rechte geschaffene, staatlich gesetzte Einheitsrecht dazu zu zählen. Dann sind auch die New Yorker Konvention über die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen von 1958, die sich als international vereinheitlichtes staatliches Verfahrensrecht darstellt, und die Wiener Kaufrechts-Konvention von 1980 (CISG) als materielles Privatrecht der Mitgliedstaaten lex mercatoria (i.w.S.). Sie sind jedenfalls und unstreitig transnationales Handelsrecht,17 was schon im Auslegungsgebot von Art. 7 Abs. 1 CISG zum Ausdruck kommt, den internationalen Charakters des CISG zu berücksichtigen. 3. Methodisch-praktische Verbindungen zwischen beiden Bereichen Diese begriffliche Einbeziehung ist in der Sache begründet. Denn es bestehen zwischen den beiden Bereichen, einerseits dem spontan (nicht staatlich) gebildeten und andererseits dem staatlich gesetzten transnationalen Handelsrecht, enge funktionale und institutionelle Verbindungen. Die funktionale Verbindung wird deutlich in der Praxis der Rechtsanwendung. Die Auslegung und Anwendung des durch Konventionen begründeten, also staatlich gesetzten Einheitsrechts führt zur Berücksichtigung auch der zur lex mercatoria i.e.S. gerechneten allgemeinen Vertragsgrundsätze und Regeln von Treu und Glauben. [710] Wenn etwa das Einheitskaufrecht für die Auslegung des CISG die Rücksichtnahme auf dessen internationalen Charakter und die Wahrung von Treu und Glauben im internationalen Handel anordnet, so führt dies zur Berücksichtigung anationaler Grundsätze und Anschauungen, wie sie im Bereich der spontan gebildeten lex mercatoria anzutreffen sind.18 Hinzu kommt das weitere Gebot, Lücken seien durch Rückgriff auf allgemeine Rechtsgrundsätze, auf die das UN-Kaufrecht gründet, zu füllen (Abs. 2). Zu diesen werden auch die Unidroit Principles und die Lando-Principles gezählt.19 Auf der Ebene der Vertragsauslegung sind die Handelsbräuche, die zwischen den Parteien anerkannt sind, zu berücksichtigen (Art. 8 Abs. 3, Art. 9 CISG); auch hier fließen Sätze der spontan gebildeten lex mercatoria (i.e.S.) ein, wie sie etwa von Schiedsgerichten allgemein verwendet oder von Gerichten anerkannt werden (i. F. IV.3).
In diesem Sinn mein Beitrag „The Use of Transnational Law“ aaO (Fn.5), S.67ff, 68. Einzelheiten i.F. IV.3–6. 19 Staudinger/Magnus aaO, Art. 7 Rz. 14 m. Nachw.; Rosett, 46 Am. J. Comp. L. 347 (1998). 17 18
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4. Institutionelle Verbindungen Bezeichnender Weise bedienen sich die mit der internationalen Rechtsvereinheitlichung befassten Agenturen, insbesondere die auf völkerrechtlicher Grundlage arbeitende UNCITRAL, zur Erfüllung ihrer Aufgabe sowohl der Förderung der staatlichen Rechtsetzung als auch der Vereinheitlichung der privatvertraglichen Praxis. Die Instrumente von UNCITRAL zur Vereinheitlichung sind sowohl die völkerrechtliche Konvention wie das UN-Kaufrecht (CISG) und daneben das Modellgesetz, z.B. das (einflussreiche) UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration, als auch privat zu vereinbarende Musterbedingungen wie z.B. die UNCITRAL Arbitration Rules. Die beachtlichen Beiträge zur partiellen oder punktuellen Rechtsvereinheitlichung namentlich durch UNCITRAL machen zugleich die Grenzen der Möglichkeiten der staatlich getragenen Rechtsvereinheitlichung bewusst und zeigen die Notwendigkeit, die Vereinheitlichung der privatvertraglichen Praxis auch außerhalb staatlich gesetzten Rechts voranzutreiben, wie dies auch in erfolgreicher Weise durch die Unidroit-Principles geschieht.
III. Grenzen der Autonomie in historischer Sicht Für die theoretisch reizvolle, vielleicht praktisch nicht ganz so dringliche Frage, in welchem Sinn man von der lex mercatoria als von einem „autonomen“ Recht sprechen kann, ist wiederum der historische Rückblick auf die alte lex mercatoria hilfreich. Schon hier ist gesetztes, statutarisches Recht und daneben nicht kodifiziertes „spontanes“ Recht der Geschäftsformen und Vertragsgrundsätze, die aber von den Kaufmannsgerichten anerkannt wurden (z.B. Wechsel, Klagbarkeit formfreier Verträge, Vertragszinsen),20 zu unterscheiden, [711] aber zugleich als Einheit zu sehen. Die Anerkennung der korporativen Zusammenschlüsse (Bruderschaften, Zünfte) der Gewerbetreibenden und Kaufleute und ihrer eigenen Statuten sowie ihrer eigenen Gerichtsbarkeit (consules, curia mercatorum) ist Ausdruck der andersartigen und geringeren Ausbildung von Staatlichkeit und der stärkeren Bedeutung engerer Rechtsgemeinschaften. Aber ist es nicht heute ähnlich? Der heutige internationale Wirtschaftsverkehr bildet seine eigenen rechtlichen Geschäftsformen, und die Wirtschaftsverbände entwickeln dazu Regelwerke und Musterverträge; im Streitfall entscheiden internationale Handelsschiedsgerichte. Beides vollzieht sich oft fern von staatlicher Einflussnahme.
20 J. Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts I, 1891, Neudruck 1957; Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, 1968, S. 88f, 182ff, 191ff.
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Betrachtet man das historische Beispiel etwas näher, werden die Bedingungen und Grenzen der damaligen Autonomie deutlich, die wir auch heute bedenken müssen. Auch das Kaufmannsrecht des hohen Mittelalters und der frühen Neuzeit lebte nicht in einer vollständig eigenen Welt. Das Verhältnis zum staatlichen (genauer: städtischen und territorialen) Recht musste in der Sicht der damals praktizierenden Juristen geklärt werden. So war es streitig, ob die Kaufmannsstatuten in den oberitalienischen Städten und anderswo auch von den staatlichen (städtischen) Gerichten anzuerkennen und anzuwenden seien. Die maßgebliche Rechtsquelle der Zeit, die Glossa ordinaria des Accursius aus dem 13. Jahrhundert, verneinte dies. Der im nächsten Jahrhundert lebende Jurist Baldus (1327–1400), der sich selbst als Fachmann des Handelsrechts bezeichnen konnte, bejahte es, falls nicht die fraglichen Kaufmannsstatuten selbst die Anwendbarkeit auf die Kaufmannsgerichte beschränkten.21 Die Sache wurde insgesamt nach den kollisionsrechtlichen Regeln der Statutentheorie behandelt,22 wobei die Kaufmannsstatuten ihren Platz als personal begrenzte Rechtsquelle neben den Statuten der Städte und Territorien behaupteten. Aber zur Begründung des autonomen Handelsrechts greift Baldus zugleich auf das „ius gentium“ im alten römischrechtlichen Sinn zurück.23 Im antiken römischen Recht war dieser Begriff nicht auf den modernen Begriff des Völkerrechts als des Rechts der souveränen Staaten und von ihnen gebildeten zwischenstaatlichen Organisationen beschränkt, sondern bezeichnete das allgemeine (transnationale) Verkehrsrecht der Bürger und Fremden, sozusagen einen allgemeinen und gemeinsamen Hintergrund allgemeiner Rechtsgrundsätze und Billigkeitsgrundsätze. Rechtsquellentechnisch waren Sätze des ius gentium natürlich Sätze des römischen Rechts, aber solche mit besonderer Dignität und der Vermutung, dass sie überall Anwendung finden könnten. Das bewog den für Fremdenrecht zuständigen praetor peregrinus im antiken Rom dazu, diese Sätze auf Streitigkeiten mit und zwischen Fremden in Rom anzuwenden. In [712] dieser transnationalen Funktion fanden die mittelalterlichen Juristen die als ius gentium bezeichneten Sätze des römischen Rechts in den von ihnen bearbeiteten römischen Quellentexten vor. Damit haben wir zwei Aspekte der lex mercatoria, auf die wir auch heute stoßen, wenn wir uns mit ihr beschäftigen: (1) die Notwendigkeit, ihr Verhältnis zum allgemeinen („staatlichen“) Recht zu bestimmen, und (2) die Vorstellung, letztlicher Geltungsgrund der lex mercatoria seien allgemein anerkannte Rechtsgrundsätze. Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, 1968, S. 89f. Führender Jurist der Statutentheorie war Bartolus (1313–1357), Lehrer des Baldus. Zu seiner Bedeutung für die Entwicklung der Statutentheorie C. Neumeyer, Die gemeinrechtliche Entwicklung des Internationalen Privat- und Strafrechts bis Bartolus, 1901. 23 Horn, Aequitas, S. 91. 21 22
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IV. Die normativen Eigenschaften der lex mercatoria 1. Maßgeblichkeit der Perspektive des staatlichen Rechts Die beiden vorgenannten Fragen sind vom Standpunkt des geltenden staatlichen Rechts und seiner Rechtsquellendogmatik aus zu bestimmen. Davon geht auch Karsten Schmidt aus.24 Zwar hat man im Hinblick auf die lex mercatoria i. e. S., verstanden als nichtstaatlich entstandenes Recht (oben II 1), geltend gemacht, dass zahlreiche Rechtsfragen des internationalen Handels und Wirtschaftsverkehrs nur in den beteiligten Wirtschaftskreisen zirkulieren und verhandelt werden und dass die Befolgung der dabei verwendeten normativen Sätze meist ohne eine Befassung irgendeines staatlichen Gerichts erfolgt.25 Das mag so sein, und in diesen Fällen ist natürlich die Frage nach der Normqualität vom Standpunkt des staatlichen Rechts müßig, es sei denn, es würden die Grenzen des Strafrechts oder allgemein des ordre public überschritten. Insofern besteht aber kein Unterschied zur ganz überwiegenden Zahl der innerstaatlichen Handels- und Wirtschaftsrechtsfälle, die ohne Rechtsstreit zwischen den Parteien abgewickelt werden. Ein Interesse an der Normqualität der lex mercatoria besteht nur in Fällen, in denen Rechtsfolgen daraus innerhalb der staatlichen Rechtsordnung entstehen und ggf. ein Eingreifen staatlicher Organe eingefordert werden kann, weil die nach lex mercatoria begründeten Rechte staatlich geschützt und ggf. durch staatliche Organe vollstreckt werden sollen. Hier kann die Geltungsweise der lex mercatoria nur aus der Perspektive des staatlichen Rechts beurteilt werden. 2. Standardisierte Vertragspraxis; lex mercatoria als AGB Die Haupterscheinungsformen der lex mercatoria i. e. S. sind standardisiertes Vertragsrecht in Gestalt von Musterverträgen oder sonst tatsächlich in der Praxis stereotyp verwendeten Standardverträgen und -klauseln sowie allgemeinen Vertragsregeln. Sie erlangen eine rechtliche Geltung im Einzelfall jedenfalls als Vertragsinhalt, also wenn sie von den Vertragsparteien in einen konkreten Vertrag einbezogen werden, wie dies bei AGB der Fall ist. Voraus- [713] setzung dafür ist, dass die staatliche Rechtsordnung, sofern sie mit dem Fall befasst wird, diesen Gebrauch der Privatautonomie anerkennt.26 Für Musterverträge und Standardklauseln (z.B. Incoterms) ist dies selbstverständlich. Aber auch für weit verbreitete und anerkannte Regelwerke wie die ICC Einheitlichen Regeln und Gebräuche für Dokumentenakkreditive wird nach deren Art. 1 ausdrückliche Bezugnahme im Vertrag gefordert. Die allge aaO (Fn. 6), S. 170ff und passim. Lew aaO (Fn. 16); Stein, Lex mercatoria. Realität und Theorie, 1995; Teubner (Hrsg.), Global Law without a State, 1997; De Ly, De Lex mercatoria, 1989. 26 Zu den durch zwingendes Recht gezogenen Grenzen unten VI. 24 25
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meinen Vertragsgrundsätze von Unidroit verordnen ebenfalls eine ausdrückliche Bezugnahme. Lex mercatoria ist insoweit nur ein deskriptiver Hinweis auf die faktische Vereinheitlichung. 3. Transnationale Auslegungsgrundsätze Eine normative Qualität enthalten die Standardverträge, -klauseln (z.B. Incoterms) und -Begriffe sowie Regelwerke (z.B. UCP 600) dann, wenn sie als Auslegungsgrundsätze, auch der ergänzenden Vertragsauslegung, in Fällen herangezogen werden, in denen die Parteien nicht (ausdrücklich) auf sie Bezug genommen haben. Sie haben dann die (abgeleitete) normative Qualität, die Auslegungskriterien vermittels gesetzlicher Auslegungsgebote zukommt. Hinzu tritt die Besonderheit, dass diese Auslegungsmaßstäbe in Gestalt von Musterverträgen und -klauseln oder Regelwerken selbst schon rechtlich vorgeprägt sind. Wer etwa im Vertrag bestimmte Formulierungen verwendet, die mit Standardverträgen, -klauseln und -begriffen übereinstimmen, kann und muss damit rechnen, dass diese und die ihnen allgemein beigelegte Bedeutung jedenfalls in Zweifelsfällen zur Klärung des Vertragsinhalts herangezogen werden. Diese Vorstellung liegt auch Art. 9 Abs. 2 CISG zugrunde, der eine stillschweigende Bezugnahme der Parteien auf Gebräuche, die im internationalen Handel weithin bekannt sind und beachtet werden, anordnet. Dieser Grundsatz ist aber auch außerhalb des UN-Kaufrechts anzuwenden Die einzelnen Incoterms etwa sind im ICC-Regelwerk von ausführlichen Erklärungen ihrer Bedeutung und Rechtsfolgen umgeben. Werden die Klauseln gebraucht, ohne dass auf das ICC-Regelwerk Bezug genommen wird, so dass dieses formal nicht Vertragsinhalt ist, kann es gleichwohl mangels entgegenstehender Hinweise im Vertrag zur Auslegung herangezogen werden, auch zu einer ergänzenden Auslegung. 4. Insbesondere Handelsbrauch In manchen Fällen lassen sich übliche und weithin gebrauchte Standardverträge, -klauseln und -begriffe oder Regelwerke als Handelsbrauch qualifizieren. Es handelt sich dann um allgemeine, vom Verkehr allgemein anerkannte Auslegungsmaßstäbe. Die Berücksichtigung von Handelsbrauch ist sowohl nach nationalen Rechten (vgl. § 346 HGB) vorgeschrieben als auch, wie bereits erwähnt, in staatlich gesetztem Einheitsrecht (z.B. in Art. 8 Abs. 3 und Art. 9 CISG) geboten. Dieses Gebot ist allgemein anerkannter Bestandteil der Auslegung von Verträgen im internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr. [714] Allerdings erfüllen viele Standardverträge und Regelwerke nicht ohne weiteres die Voraussetzungen des Handelsbrauchs und seines Nachweises etwa nach deutschem Handelsrecht. Für die weltweit
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verbreiteten UCP 600 für Akkreditive ist dies im Einzelnen umstritten,27 einmal wegen der häufigen Revisionen, zum andern wegen des Konkurrenzregelwerks der ICC über standby letters, das auf amerikanischen Druck hin geschaffen wurde, und schließlich auch deshalb, weil man den UCP seit jeher eine gewisse Bankenfreundlichkeit nachsagt, die freilich funktional durchaus begründet werden kann. Deutsche Gerichte, die mehr als Gerichte im common law zur Korrektur von Vertragsinhalten neigen, ziehen im Zweifel die Charakterisierung als bloße AGB vor, auch weil die Qualifizierung als Handelsbrauch ihnen eine weitere Inhaltskontrolle abschneiden könnte.28 Allerdings ist der etwa im UN-Kaufrecht (Art. 8 Abs. 3 und Art. 9 CISG) verwendete Begriff des „Brauchs“ oder Handelsbrauchs erheblich weiter als der im HGB zugrunde gelegte Begriff. Als Auslegungshilfe geeignet sind nach CISG alle Gebräuche, mit denen die Parteien sich einverstanden erklärt haben, sowie alle Gepflogenheiten, die zwischen ihnen entstanden sind (Art. 9 Abs. 1 CISG); ferner wird angenommen, dass sich die Parteien bei Vertragsschluss stillschweigend auf Gebräuche bezogen haben, die sie kannten oder kennen mussten (Art. 9 Abs. 2 CISG). Hier ist Brauch nicht nur ein objektiver, vom Verkehr allgemein anerkannter Maßstab; vielmehr gehören auch von den Parteien vereinbarten oder sonst zwischen ihnen entwickelten Maßstäbe dazu. Ferner wird nicht nur internationaler Handelsbrauch angesprochen, wie er als Element der lex mercatoria in Betracht kommt; relevant sind auch nationale oder lokale Gebräuche. Es geht also in Art. 9 CISG allgemeiner um Auslegungsmaßstäbe verschiedener Qualität. Handelsbrauch ist nur ein Maßstab unter mehreren, internationaler Handelsbrauch nur ein Unterfall des Handelsbrauchs. Immerhin kann internationaler Handelsbrauch als verobjektivierter Auslegungsmaßstab eine generelle normative Qualität erhalten, die über diejenige vereinzelter fallbezogener Auslegungsumstände hinausgeht. Aber auch solche Klausel- und Regelwerke, die im internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr zwar verwendet werden, aber noch nicht als Handelsbrauch zu qualifizieren sind, können eine generelle normative Wirkung im oben (IV 3) erörterten Sinn als Auslegungsmaßstab aufgrund der entsprechenden Auslegungsgebote (Art. 9 CISG) und letztlich aufgrund des Gebots der Wahrung von Treu und Glauben entfalten. Anders gesagt, die Unterscheidung von Handelsbrauch und verbreiteten Regelwerken, die noch nicht Handelsbrauch sind, ist nur von gradueller Bedeutung. [715]
27 Heymann/Horn, Handelsgesetzbuch Bd. 4, 2005, Anh § 372. Bankgeschäfte Rz. VI/25. 28 Es handelt sich eher um ein semantisches Problem. Bei der Feststellung von Handelsbrauch findet nämlich vorweg ebenfalls eine richterliche Kontrolle statt, ob dieser Handelsbrauch Treu und Glauben entspricht; erst dann ist er der weiteren Inhaltskontrolle nach AGB-Recht entzogen; Heymann/Horn, aaO § 346 Rz. 25.
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5. Allgemeine Grundsätze des Vertragsrechts Mit der (außerhalb staatlicher Rechtssetzung erfolgten) Kodifizierung der allgemeinen Vertragsgrundsätze durch Unidroit und die Lando-Kommission ist das allgemeine Interesse an diesen Rechtsgrundsätzen belebt und der Nachweis ihrer Konkretisierbarkeit geführt worden. Hinsichtlich ihrer normtheoretischen Qualität sind wiederum drei Aspekte zu unterscheiden. (1) Sie gelten ähnlich AGB, wenn sie in den Vertrag ausdrücklich einbezogen werden. Ob sie darüber hinaus in solchen Fällen die (alleinige) Rolle der lex contractus übernehmen können, ist noch gesondert zu besprechen (unten V.3). (2) Sie können mangels ausdrücklicher Einbeziehung als Auslegungsmaßstäbe herangezogen werden. Wenn Art. 7 Abs. 2 CISG zur Gesetzesauslegung auch die allgemeinen Grundsätze, die dem Übereinkommen zugrunde liegt, für maßgeblich erklärt, so kommen dafür, wie (oben II.3) bemerkt, auch diese Vertragsgrundsätze in Betracht. Vorrangig von Bedeutung sind für die Anwendung des CISG sind freilich die in ihm selbst beschlossenen Grundsätze, die bei seiner Auslegung in der Rechtsprechung und Schiedsrechtsprechung hervortreten (i.F. V.1). (3) Schließlich können die Principles oder ein Kernbestand davon mit der Zeit ggf. zum Gewohnheitsrecht erstarken (i. F. unter 6) oder jedenfalls, unter einem kollisionsrechtlichen Gesichtspunkt betrachtet, Teil der transnationalen ordre public werden (unten VI.3). 6. Transnationales Gewohnheitsrecht? Die wirtschaftliche und informationstechnische Globalisierung weist uns darauf hin, dass wir uns im Prozess einer werdenden Weltgesellschaft befinden. Ziemlich unstreitig ist aber auch, dass der weitgespannte und vage Begriff der „Weltgesellschaft“ derzeit nicht als Bezugspunkt für die Ausbildung von Handelsgewohnheitsrecht in Betracht kommt, weil er die Kriterien der Rechtsgemeinschaft i. S. der Rechtsquellenlehre vom Gewohnheitsrecht jedenfalls im Hinblick auf Handels- und Wirtschaftsrecht nicht erfüllt. Das „umfassende Weltgewohnheitsrecht“, das Karsten Schmidt (durchaus in kritischer Absicht) als Voraussetzung für die Rechtswahltauglichkeit der lex mercatoria fordert,29 ist noch nicht greifbar. Denkbar ist es, die für die Bildung von Gewohnheitsrecht vorausgesetzte Rechtsgemeinschaft in den Marktteilnehmern bestimmter Märkte zu suchen, die man nach Branchen und ggf. nach Regionen abgrenzt. Werden hier Standardverträge, -klauseln und -begriffe oder anerkannte Regelwerke gebraucht, haben diese, wie erörtert, den Rang von AGB; andernfalls können sie sich zu Maßstäben für die 29 AaO (Fn. 1) S. 175 These 17. Zur Tauglichkeit der lex mercatoria als lex contractus i.F. V.3.
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Auslegung entwickelt haben. Ein Bewusstsein der Marktteilnehmer und ihrer Juristen, mit einer autonomen [716] Rechtsquelle zu arbeiten, ist aber nicht zu erkennen.30 Die de facto weithin standardisierte internationale Vertragspraxis agiert ganz vorwiegend bewusstseinsmäßig im Flickenteppich der nationalen Rechtsordnungen. Daneben ist hinsichtlich der Annahme bereits existierenden transnationalen Handelsgewohnheitsrechts eine gewisse Zurückhaltung angebracht. Seine Bildung in Zukunft ist freilich eher zu erwarten. Dabei können die erörterten Unidroit und Lando Principles eine wichtige Rolle übernehmen. Aber vielleicht ist die Frage anders zu stellen. Es ist doch so, dass es nicht nur das Faktum der Vereinheitlichung der Vertragspraxis und das Bewusstsein davon gibt, was beides für die Annahme von Gewohnheitsrecht noch nicht ausreichen mag, schon weil an der Vorstellung der nationalstaatlichen Grundlage des Privatrechts festgehalten wird. Aber gleichzeitig existiert schon heute ein Bestand von gemeinsamen Rechtsgrundsätzen (nach Überzeugung der Gerichte, Regierungen, Wissenschaft und z.T. wohl auch der Marktteilnehmer) im Hinblick auf den internationalen Wirtschaftsverkehr, sozusagen als Hintergrund zum Flickenteppich der staatlichen Privatrechte. Er speist sich aus vielen Quellen und taucht innerhalb der Kategorien des staatlichen Kollisionsrechts vor allem als internationaler oder transnationaler ordre public auf. Darauf ist noch (unten VI.3) einzugehen. Zu diesem Bestand gehören auch Sätze des Völkergewohnheitsrechts über die Schadensersatzpflicht von Staaten gegenüber privaten Investoren, die aufgrund (völkervertragsrechtlich begründeter) Investitionsschutzverträge zu einklagbaren transnationalen Ansprüchen gegen Gaststaaten führt.31 So sind bei Verletzung der in diesen Verträgen begründeten Rechte der Investoren (treaty claims) hinsichtlich der Entschädigungsfragen auch die von der International Law Commission erarbeiteten Grundsätze über Staatenverantwortlichkeit relevant, die als Wiedergabe von Völkergewohnheitsrecht betrachtet werden.32
30 Dies stimmt mit empirischen Studien zur internationalen Vertragspraxis von Wirtschaftsjuristen in Deutschland und anderen europäischen Ländern überein. K. P. Berger (Hrsg), The Practice of Transnational Law (Documentation), 2000. Vgl. auch Horn, Entgrenzung des Rechts durch wirtschaftliche Globalisierung aaO (Fn.4), S.189. 31 Zu diesen Verträgen allg. Horn (ed.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004. 32 Und zwar unter dem doppelten Gesichtspunkt der Entschädigungspflicht und ihrer möglichen Suspension durch Staatsnotstand; dazu Schill, SchiedsVZ 2007, 178ff; Horn, Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2008, 209ff; zum Suspensiveffekt des Staatsnotstandes im Fall der argentinischen Staatsanleihen verneinend BVerfG NJW 2007, 2007ff.
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V. Lex mercatoria als zusammenhängendes Rechtsgebiet? 1. Rechtswissenschaftliche Erschließung der lex mercatoria Die häufig gestellte Frage, ob die lex mercatoria über die Beschreibung der spontanen, aber eher punktuellen Bildung vereinheitlichter Vertragsgestaltung hinaus ein kohärentes Rechtsgebiet darstellt, hat durch die Veröffentlichung der Unidroit Principles und der Lando-Principles und ihre Verwendung in der [717] Vertragspraxis in gewisser Weise eine positive Teil antwort erhalten. Zur Erarbeitung dieser Vertragsgrundätze haben erhebliche Anstrengungen der Rechtswissenschaft beigetragen, ähnlich wie dies für die jahrzehntelangen Vorarbeiten zum gesetzten transnationalen Recht, insbesondere zum Wiener UN-Kaufrecht, zutrifft. Zu den genannten Vertragsgrundsätzen hinzu kommen Bemühungen um die Erfassung weiterer Grundsätze der lex mercatoria auf empirischer Grundlage.33 Die lex mercatoria als zusammenhängendes Rechtsgebiet tritt noch deutlicher erkennbar hervor, wenn man neben der spontan (nicht staatlich) entstandenen lex mercatoria das staatlich gesetzte transnationale Einheitsrecht hinzunimmt und beide als Teile des einen transnationalen Handelsrechts zusammen sieht, wie (oben II.3) dargelegt. Die Rechtswissenschaft bearbeitet gleichermaßen beide Bereiche. Sie erfasst die im staatlich gesetzten Einheitsrecht, z.B. dem CISG, beschlossenen allgemeinen Rechtsgrundsätze, auf die Art. 7 Abs. 2 CISG verweist und die bei seiner Auslegung und Anwendung hervortreten.34 Die einschlägige Rechtsprechung wird von UNCITRAL mit Hilfe eines Netzwerks nationaler Korrespondenten erfasst und berichtet („CLOUT“) und in einem Digest zusammenfasst. In gleicher Weise geht UNCITRAL mit der Gerichtspraxis zum Modellgesetz über Schiedsgerichtbarkeit vor.35 Zur Auslegung des CISG können aber auch die Unidroit Principles und Lando Principles beitragen, wie bereits (oben II.3) bemerkt. Der Förderung einer transnational orientierten Betrachtungsweise in der Rechtswissenschaft wie in der Arbeit der Institutionen (UNCITRAL) parallel, lässt sich auch in der Rechtsprechung, etwa zum CISG, eine transnationale Betrachtung feststellen. Die deutsche Rechtsprechung zum CISG suchte von Anfang an dem Gebot der Auslegung i.S. einer internationalen Einheitlichkeit (Art. 7 Abs. 1 CISG) zu folgen. Eher bemerkenswert ist es, wenn ein
33 Berger (Hrsg.), Transnational Law in Commercial Legal Practice, The CENTRALList of Principles, Rules and Standards of the lex mercatoria, 1999, S. 121ff, 146ff. 34 Vgl. den Überblick bei Staudinger/Magnus, Wiener UN-Kaufrecht 2005, Art. 7 Rz. 40–57. 35 Als Beispiel der rechtsvergleichenden Verarbeitung von Rechtsprechung zum UNCITRAL Model Law on International Commercial Arbitration vgl. Horn, The Arbitration Agreement in Light of Case Law of the UNCITRAL Model Law (Art. 7 and Art. 8), Int. Arb. L.R. 10/2005, 146–152.
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US District Court in der Auslegung des CISG eine Entscheidung des BGH zitiert.36 Zu den spontanen vertragsrechtlichen Rechtsentwicklungen gehört neben den bereits erwähnten Beispielen Akkreditiv, FIDIC-Verträge und Incoterms auch die transnationale Angleichung der Bankgarantie und verwandter Sicherungsformen in der internationalen Vertragspraxis. Diese Entwicklung zusammen [718] mit dem Bedarf zur Lösung praktischer Rechtsfragen (Missbrauchsfälle) hat aufgrund rechtsvergleichender Vorarbeiten37 zu einem Konventionsentwurf von UNCITRAL geführt.38 Der Konventionsentwurf stieß auf Bedenken der Bankwirtschaft, stellte aber sozusagen den erreichten, von Interessengruppen unbeeinflussten transnationalen Meinungsstand zum Problem dar. Die Bankgarantie als international allgemein gebräuchliche Rechtsform entwickelt sich auf der Basis einer breiten Rechtsprechung weiter, die heute in umfangreicher rechtsvergleichender Betrachtung verarbeitet wird.39 Auch dieser bedeutsame Gegenstand spontaner transnationaler Rechtsentwicklung zeigt zugleich seine fortbestehende Verwobenheit mit der Vielfalt der nationalen Privatrechte und ihrer Rechtsprechung. 2. Dispositive und zwingende Geltung Soweit die als „lex mercatoria“ bezeichneten Vertragsgestaltungsmuster und Grundsätze mangels ausdrücklicher Bezugnahme der Vertragsparteien in der (oben IV.3–5) erörterten Weise als Auslegungskriterien (einschließlich Handelsbrauch) verwendet werden, ist ihre Wirkung im Vertragsrecht derjenigen von dispositivem Gesetzesrecht durchaus ähnlich. Die Parteien können davon abweichen; aber im Zweifel dient lex mercatoria der Ermittlung des von den Parteien gemeinsam Gewollten und Vereinbarten sowie der Ausfüllung von Vertragslücken. Eine darüber hinausgehende zwingende Wirkung, die also den Willen der Vertragsparteien begrenzt, können Sätze der lex mercatoria insoweit entfalten, als sie sich als nicht umgehbare Gebote von Treu und Glauben darstellen. Man muss zwar mit diesem Begriff in internationalen Rechtsbeziehungen
36 Medical Marketing International, Inc. v. Internazionale Medico Scientifica, S.r.l., US District Court, Eastern District of Louisiana, 17 May 1999, Docket No. 99-0380 Section K(1). Allerdings waren bis vor kurzem die US-amerikanischen Gerichte mit der Anwendung des CISG eher zurückhaltend; zum Ganzen Horn, The Use of Transnational Law aaO (Fn. 5), S. 70–73. Die genannte Zurückhaltung scheint in jüngster Zeit im Rückgang begriffen. 37 Vgl. z.B. Horn/Wymeersch, Bank Guarantees, Standby Letters of Credit and Performance Bonds in International Trade, 1990. 38 UN Convention on Independent Guarantees, 1995, G.A.Res. 50/48; dazu Horn, RIW 1997, 717ff. 39 Bertrams, Bank Guarantees in International Trade, 3.Aufl. 2004.
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etwas zurückhaltender umgehen, als wir dies von der innerdeutschen Rechts praxis gewohnt sind.40 Aber dies ändert nichts daran, dass fundamentale Grundsätze von Treu und Glauben die Gesetzesauslegung beherrschen und damit (auf dem Weg über die Anwendung des CISG auf den konkreten Vertrag) sich auch gegen den Parteiwillen durchsetzen können. Insofern ist ein Kernbereich zwingenden Vertragsrechts auch in den allgemeinen Vertragsgrundsätzen enthalten. Dieser Bestand zwingenden Vertragsrechts ist dem Bereich des transnationalen ordre public zuzurechnen (dazu unten VI). [719] 3. Lex mercatoria als Vertragsstatut? In der internationalen Vertragspraxis begegnen einzelne Verträge, die für die Auslegung nur auf die Unidroit Principles oder die lex mercatoria bzw. international übliche Rechtsgrundsätze des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs verweisen. Bisweilen wird dabei die Anwendung eines jeglichen nationalen Privatrechts ausdrücklich ausgeschlossen; die Verträge sollen also nur den erstgenannten Regelwerken oder Regelbereichen unterstehen. In der letztgenannten Variante behandeln die Parteien die lex mercatoria oder sonst wie bezeichneten Regelbereiche (Unidroit Principles) als lex contractus im kollisionsrechtlichen Sinn, stellen sie also auf eine Stufe neben die nationalen Rechte. Diesen Status hatten mancherorts die mittelalterlichen Kaufmannsstatuten in der legistischen Statutentheorie erreicht (oben III). Ob dies auch schon für die heutige lex mercatoria gilt, ist zweifelhaft. Der von jeder nationalen Rechtsordnung losgelöste und in diesem Sinn „rechtsordnungslose“ Vertrag zwischen Privatparteien unterschiedlicher Nationalität41 stößt noch immer auf das Bedenken, dass der Vertrag zwischen Privaten zu seiner Wirksamkeit der Verankerung in einem nationalen Recht bedarf, das zugleich sozusagen der Garant für den Schutz der Privat- und Parteiautonomie ist.42 Auch Karsten Schmidt schließt sich diesen Einwänden an.43 Dieser Einwand mag in Zukunft an Gewicht verlieren und die Rechtsüberzeugung, dass die Grundsätze der lex mercatoria eine ausreichende Geltungsbasis für Privatverträge und Gegenstand einer kollisionsrechtlichen Verweisung sei, mag sich durchsetzen.44 Das naheliegende Risiko, dass derzeit ein Gericht noch die Loslösung eines Vertrags zwischen Privaten von Zum zurückhaltenden Gebrauch des Maßstabs von Treu und Glauben im Rahmen von Art. 7 CISG Staudinger/Magnus, Wiener UN-Kaufrecht Art. 7 Rn. 25. 41 Anders der internationale wirtschaftliche Vertrag, an dem mindest ein Völkerrechtssubjekt beteiligt ist ; Heymann/Horn, HGB Bd. 4 2. Aufl. 2005, Vor § 343 Rz. 108 m.Nachw. 42 Bonell, RabelsZ 42 (1978) 485, 494ff; Schröder/Wenner, Internationales Vertragsrecht, 2. Aufl. 1998, Rz. 116ff; Heymann/Horn, HGB, Bd. 4 2. Aufl. 2005, Vor § 343 Rz. 110. 43 AaO (Fn. 1) S. 175 These 16 und 17. 44 In diesem Sinn Berger, The New Law Merchant, in ders., The Practice of Transnational Law 2001, S. 1 ff. 40
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jedem nationalen Recht für unwirksam hält, wird dadurch verringert, dass der Richter oder Schiedsrichter den Willen der Parteien ermittelt, ob diese bei Vertragsschluss die Anwendung eines nationalen Rechts notfalls in Kauf genommen hätten, falls die Ausschließung allen staatlichen Privatrechts nicht als gültig anerkannt wird, oder ob sie für diesen Fall lieber die Unwirksamkeit des Vertrages wollten, was ganz unwahrscheinlich ist. Im ersteren Fall kann das Gericht oder Schiedsgericht das Vertragstatut objektiv an ein nationales Recht anknüpfen.45 Die Bezugnahme auf die lex mercatoria, auf die Unidroit Principles oder sonst internationale Rechtsgrundsätze kann dann als materielle Verweisung aufrechterhalten werden.46 Ein weiterer Einwand gegen die Bezugnahme auf lex mercatoria geht dahin, dass es sich nicht um eine präzise und leicht zu ermittelnde Rechtsordnung [720] handele.47 Dieser Einwand verliert allerdings durch die neuere Entwicklung, insbesondere bei Verwendung der Unidroit Principles, an Gewicht. Er ist außerdem dann unproblematisch, wenn man, wie erörtert, (derzeit noch) nur mit der Annahme einer materiellrechtlichen Verweisung arbeitet, so dass für alle offenen Fragen das (nolens volens) hilfsweise anwendbare nationale Privatrecht eingreifen kann, das durch objektive Anknüpfung ermittelt wird.
VI. Zwingendes Recht und lex mercatoria 1. Materielles Vertragsrecht und Wirtschaftsrecht Zwingendes Recht ist seinem Begriff nach der Parteidisposition entzogen und begrenzt die Vertragsautonomie. Die Teilnehmer am internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehr können unerwünschtes zwingendes Recht eines bestimmten Staates, z.B. Steuerrecht, zwar etwas leichter vermeiden als bei rein internen Transaktionen. Dies ändert aber nichts an der Tatsache, dass ihre Verträge im Grundsatz der Einwirkung zwingenden Recht ausgesetzt sind. Lex mercatoria ist keine Zauberformel, diesen Zustand zu ändern. Art. 1.4 Unidroit Principles weist darauf ausdrücklich hin. Zwingendes Recht kann Teil der lex contractus sein, Teil des anwendbaren ordre public oder staatliche Eingriffsnorm.48 Ist es Teil der lex contractus, so haben die Parteien die Möglichkeit, durch geeignete Rechtswahl das zwingende Vertragsrecht eines bestimmten Staates zu vermeiden. Zwingendes staatliches Recht der lex fori setzt sich freilich auch gegenüber Verträgen, die Heymann/Horn, HGB, 2. Aufl. Bd. 4 2005, Vor § 343 Rz. 110. Horn, Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 496; Heymann/Horn, HGB 2. Aufl. Bd. 4, Vor § 343 Rz. 110. So wohl auch K. Schmidt aaO (Fn. 1) S. 175 These 16. 47 Mankowski, RIW 2003, 2, 11ff. 48 Zum Folgenden allg. Horn, Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2008, 209ff. 45 46
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einem anderen Recht unterstellt sind, im Rahmen der Abwehrnorm des ordre public durch (Art. 6 EGBGB). Zwingende Eingriffsnormen der lex fori sind schließlich unabhängig vom Vertragsstatut anzuwenden (Art. 34 EGBGB); denkbar ist auch die Anwendung fremder Eingriffsnormen im Rahmen einer Abwägung der Regelungsinteressen des Anwendungsstaates mit denen des Eingriffsstaates unter Gesichtspunkten der comitas.49 Solches Eingriffsrecht besteht in großem und noch wachsendem Umfang als nationales öffentliches Wirtschaftsrecht der einzelnen Staaten. Auch hier ist eine Tendenz zur Harmonisierung oder Vereinheitlichung zu verzeichnen – sozusagen parallel zur lex mercatoria.50 Diese Harmonisierung vollzieht sich weltweit in bilateralen Verträgen über Handelsbeziehungen, Doppelbesteuerung, Investitionsschutz, im übrigen durch eine gewisse Angleichung des Wirtschaftskollisionsrechts der einzelnen Staaten. Innerhalb der EG ist hat die Harmonisierung wichtiger Gebiete des Wirtschaftsrechts, z.B. bei der Regulie- [721] rung der Finanzdienstleistungen, eine Masse an harmonisiertem oder vereinheitlichtem öffentlichem Wirtschaftsrecht hervorgebracht. Weltweit harmonisiertes Wirtschaftsrecht wird z.B. hinsichtlich der Kapitalausstattung der Kreditinstitute durch die Abkommen Basel I und Basel II angestrebt. Es besteht eine unübersehbare Zahl von Richtlinien und Empfehlungen internationaler Organisationen auf weltweiter oder regionaler Ebene („soft law“). 2. Transnationales Recht und Schiedsgerichtsbarkeit Internationale Schiedsgerichte sind oft besser geeignet, dem transnationalen Charakter eines Vertragswerks Rechnung zu tragen, als staatliche Gerichte, ganz abgesehen davon, dass die Unzuverlässigkeit der Gerichtsbarkeit vieler Länder die Parteien auf den Weg der Schiedsgerichtsbarkeit drängt.51 Die nationalen Schiedsgerichtsgesetze, die dem UN Modellgesetz folgen (z.B. §§ 1025ff ZPO) und die gebräuchlichen Schiedsregeln (z.B. UNCITRAL Rules, DIS-Regeln) geben ferner dem Schiedsgericht größere Flexibilität in der Führung des Verfahrens. Schließlich findet auch eine volle sachliche Nachprüfung des Schiedsspruchs durch das staatliche Gericht nicht statt.52 Dies alles hat dazu geführt, dass man gerade in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ein Fundament der autonomen Entwicklung und Geltung der lex mercatoria sieht. Lew, ein international angesehener Praktiker Einzelheiten bei Horn, Zwingendes Recht aaO. Vgl. künftig Art. 9 Rom-I VO. Berger, Rechtliche Rahmenbedingungen der Globalisierung, in Bierbaum, So investiert die Welt, 2007, S. 33ff. 51 Zum letzteren Aspekt vgl. z.B. die Beiträge in Horn/Norton (Hrsg), Non – Judicial Dispute Settlement in International Financial Transactions, 2000, z.B. Kautz, S. 136f, und in Horn (Hrsg.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004. 52 BGHZ 142, 204, 206. 49 50
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und Autor der internationalen Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, preist die gerade durch diese Schiedsgerichtsbarkeit gewonnene Autonomie i.S. einer weitgehenden Abkoppelung von den Einflüssen staatlichen Rechts als die „Erfüllung eines Traums“.53 Das Schiedsgericht muss freilich im Grundsatz die Regeln des anwendbaren zwingenden materiellen Rechts und Verfahrensrechts beachten. Für die Anwendbarkeit zwingenden Verfahrensrechts ist der (rechtliche, nicht der tatsächliche) Schiedsort maßgeblich.54 Die zwingenden Regeln sind allerdings im New Yorker Übereinkommen (UNÜ) und in den an ihr orientierten nationalen Schiedsverfahrensrechten weitgehend vereinheitlicht. Dazu gehören das Erfordernis, dass das Schiedsverfahren seine Grundlage im Schiedsvertrag haben muss, die Gebote der Gleichbehandlung der Parteien und des rechtlichen Ge- [722] hörs, die Respektierung des ordre public sowie die wichtigsten Gründe für Anerkennung oder Aufhebung von Schiedssprüchen.55 3. Transnationaler ordre public Bei der Anwendung zwingenden Rechts ergeben sich Unterschiede zur Tätigkeit eines staatlichen Gerichts. Zwar muss das Schiedsgericht zwingende privatrechtliche Normen der lex contractus, die nach IPR angeknüpft werden, beachten bzw. anwenden. Bei der Anwendung von staatlichen Eingriffsnormen i.S. Art. 34 EGBGB, die gesondert angeknüpft werden, ergibt sich die Besonderheit, das der Schiedsort das Schiedsgericht nicht mit gleicher Sicherheit wie die lex fori das staatliche Gericht zu einem „einheimischen“ Eingriffsrecht führt. Das Schiedsgericht kann nur die oben (IV1) erörterten allgemeinen Anknüpfungsregeln für Eingriffsnormen von Drittstaaten verwenden. Es kann ferner in geeigneten Fällen auf materielle Regeln eines „transnationalen ordre public“ zurückgreifen.56 53 Achieving a Dream. Autonomous Arbitration, Arbitration International 22/2 (2006) S. 179ff. Zur engen Beziehung zwischen internationaler Handelsschiedsgerichtsbarkeit und Theorie der lex mercatoria vgl. statt vieler die differenzierte Darstellung bei Dasser, Internationale Schiedsgerichte und lex mercatoria (Schweizer Studien zum int.Recht 59), 1989. 54 Zum Territorialitätsprinzip in diesem Sinn Redfern/Hunter, Law and Practice of International Commercial Arbitration, 4. Aufl. 2004, Rz. 2-08; Fouchard/Gaillard/Goldman, On international Commercial Arbitration, 1999, Rz. 1178; Raeschke-Keßler/Berger, Recht und Praxis des Schiedsverfahrens, 3. Aufl. 1999, Rz. 132; Kreindler/Schäfer/Wolf, Schiedsgerichtsbarkeit, 2006, Rz. 237. 55 Art. II und Art. V UNÜ; Art. 7, 18, 34, 36 UNCITRAL Model Law; Lew, Arb. Int. 22/2, 2006, 189ff. 56 Der Begriff des „internationalen ordre public“ wird in vielfältigen Bedeutungen verwendet; dazu Horn, SchiedsVZ 2008, 209, 209f. Der BGH verwendet ihn, um ausländische Schiedssprüche (ausländischer Schiedsort) einem weniger strengen Prüfungsmaßstab zu unterwerfen. BGHZ 138, 331, 334; BGH SchiedsVZ 2006, 161, 163ff.
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Der Begriff des ordre public wird kollisionsrechtlich dann verwendet, wenn es um die Kontrolle und Abwehr unerwünschter Folgen einer „fremden“ lex contractus geht. Das staatliche Gericht prüft dies anhand seines (nationalen) ordre public der lex fori (Art. 6 EGBGB). Für das Schiedsgericht ergibt der vereinbarte Schiedsort aber nicht mit gleicher Sicherheit einen Maßstab für die „Fremdheit“ einer lex contractus; auch fehlt ein überzeugender Grund dafür, dass es zur Verteidigung des nationalen ordre public gerade dieses Schiedsorts berufen sei. Man befürwortet daher als Prüfungsmaßstab einen transnationalen ordre public (transnational public policy). Dazu gehören die allgemein (transnational) anerkannten Grundsätze des Verbots von Korruption, Schmuggel, Menschenhandel, Drogenhandel oder illegalem Waffenhandel.57 Aber es geht nicht nur um solche Fälle.58 Vielmehr sind auch fundamentale Gerechtigkeitsgrundsätze des Privatrechts, Wirtschaftsrechts und Verfahrensrechts dazuzuzählen.59 Damit kommen auch die wichtigsten und grundlegenden Rechtsgrundsätze der Unidroit Principles und der Lando Principles in den Blick. [723] Die rechtstheoretische Qualifizierung aller vorgenannten Grundsätze ist umstritten, zumal sie aus heterogenen (auch völkerrechtlichen60) Quellen gespeist werden. Ihre Beachtung durch Gerichte und Schiedsgerichte im Bewusstsein ihrer Rechtsgeltung ist jedoch ein Faktum.61 Es steht nichts im Wege, dies als Normbereich zwingenden Rechts des transnationalen Handelsrechts oder der lex mercatoria anzusehen. Basis ist die allgemeine Überzeugung, dass dies als Grundbestand allgemeiner Rechtsregeln gilt, der die Grundlage transnationalen Verkehrs bildet, ähnlich wie dies für das alte Konzept des ius gentium der Römer galt. „Was die natürliche Vernunft bei allen Menschen anordnet, das wird von allen gleichermaßen beachtet und Recht der Völker genannt.“62 Es ist dieser Grundkonsens, der das Fundament des
57 Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, Rz. 17–36 m. Nachw. 58 Zur missbräuchlichen Verwendung entsprechender ordre public-Einwendungen zur Abwehr gültiger Schiedssprüche krit. Harbst, SchiedsVZ 2007, 22ff. 59 Zum Wirtschaftsrecht in diesem Sinn Horn, Die Entwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts durch Verhaltensrichtlinien. Elemente eines internationalen ordre public, RabelsZ 44 (1980), 423–454; Lalive, ordre public transnational (ou réellement international) et arbitrage international, Rev. arb. 1986, 329ff. 60 Vgl. z.B. BGHZ 59, 82 (nigerianische Masken) im Hinblick auf UN-Übk zur Bekämpfung der unerlaubten Ausfuhr von Kulturgütern v. 14.11.1970; zur Anwendung von völkerrechtlichen Staatshaftungsgrundsätzen bei Schädigung privater Investoren oben bei Fn. 32. 61 v. Hoffmann, International Mandatory Rules of Law before Arbitral Tribunals, in Böckstiegel (Hrsg.), Acts of State and Arbitration, 1997, S. 3ff, S. 22ff. 62 „Quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes peraeque custoditur vocaturque ius gentium“; Gaius, D. 1.1.9.
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internationalen Rechtsverkehrs und damit auch des transnationalen Handelsrechts bildet. Dieses Fundament ist von staatlichen Gerichten wie von Schiedsgerichten gleichermaßen zu respektieren.
VII. Zusammenfassung 1. Der Begriff „transnationales Handelsrecht“ bezeichnet alles über den Geltungsbereich eines Staates hinaus geltende einheitliche Recht, das die privaten Geschäfte im internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs regelt. 2. Der Begriff „lex mercatoria“ verweist primär auf die spontane Bildung einheitlicher (transnationaler) Gestaltungsformen des internationalen Handels und Kapitalverkehrs (lex mercatoria i.e.S.). Es ist aber zweckmäßig, auch das staatlich, insbesondere aufgrund völkerrechtlicher Konventionen und von Modellgesetzen, geschaffene transnationale Handelsrecht dazu zu zählen, zumal zwischen beiden Bereichen enge praktisch-methodische und institutionelle Verbindungen bestehen (lex mercatoria i.w.S.). 3. Die Rechtsquellenqualifizierung der lex mercatoria ist bei staatlich gesetztem transnationalem Einheitsrecht unproblematisch und vorgegeben (insbes. völkerrechtliche Konventionen und ihre Transformation in staatliches Recht). Sie ist auch bei dem spontan (nicht staatlich) entwickelten Einheitsrecht des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs anhand derjenigen Rechtsquellenkategorien vorzunehmen, die auf der Grundlage des staatlichen Rechts (einschließlich Völkerrechts) gebräuchlich sind. 4. Das als lex mercatoria (i.e.S.) bezeichnete spontane einheitliche Vertragsrecht stellt sich häufig als AGB dar. Daneben gilt es auch ohne ausdrückliche Einbeziehung in den Vertrag, indem es zulässige und gebotene Aus- [724] legungskriterien darstellt, z.T. in Gestalt von Handelsbrauch. Diese, durch gesetzliche Auslegungsgebote vermittelte, Rechtsgeltung ist derjenigen von dispositivem Gesetzesrecht ähnlich. 5. Daneben gibt es zwingendes transnationales Handelsrecht. Dazu zählen nicht alle Grundsätze, die zum nationalen ordre public gehören, und nicht alle staatlichen Eingriffsnormen, wohl aber ein Grundbestand transnational anerkannter Rechtsgrundsätze, die man im Rahmen kollisionsrechtlicher Überlegungen als transnationalen ordre public bezeichnet. Dieser ist insbesondere für die Arbeit internationaler Schiedsgerichte bedeutsam. 6. Die lex mercatoria wächst mit dem Fortschreiten der spontanen und gesetzten Einheitsrechtsbildung unter rechtswissenschaftlicher Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung und Schiedsrechtsprechung zu einem kohärentem Rechtsgebiet. Die Wahl der lex mercatoria oder bestimmter ihr
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zugerechnete Regelwerke als Vertragsstatut unter Ausschließung eines jeden staatlichen Rechts wirft aber derzeit noch ungelöste Geltungsprobleme auf. 7. Der Gedanke der Autonomie der lex mercatoria ist nur insoweit sinnvoll, als dies auf spontane Rechtsbildung sowie auf die relativ unabhängige Arbeitsweise der internationalen Schiedsgerichte verweist. Der Gedanke ist insofern missverständlich, als die Teilnehmer des internationalen Handelsund Finanzverkehrs im Grundsatz zwingendes staatliches Recht nach allgemeinen Regeln beachten müssen.
Rechtliche Aspekte der Finanzkrise KSzW 2010, 67–77 Die globale Finanzkrise hat in allen Industrieländern Grundfragen der Wirtschaftsverfassung und des Rechts aufgeworfen. Es geht um die Rollenverteilung zwischen Staat und Wirtschaft, um die europäische und internationale Zusammenarbeit der Staaten, um die Rolle der Banken und Finanzmärkte, ihre Spielregeln, Transparenz und Kontrolle, und um zahlreiche Einzelfragen des Privatrechts der Unternehmensorganisation, der Kredite und ihre Sicherung, der gehandelten Marktgegenstände, z.B. der sog. Derivate, der Beratung von Bankkunden und andere mehr. Die Staaten haben auf dem Höhepunkt der Krise im Herbst 2008 schnell gehandelt. Viele für die künftige Krisenprävention wichtige Reformen stehen noch an. Dabei ist Überregulierung ebenso wie ein Laissez-faire zu vermeiden.
A. Ist die globale Finanzkrise überwunden? I. Der Höhepunkt der Krise Die Börse ist im Januar 2010 auf dem Niveau gestartet, das der deutsche Aktienindex 2008 unmittelbar vor dem Ende der US-Investmentbank Lehman hatte. Ab dem zweiten Halbjahr 2009 waren leise Anzeichen einer allmählichen Erholung der Weltwirtschaft zu verzeichnen.1 Ist die globale Finanzkrise, die 2007 einsetzte, überwunden? Deren bisheriger Höhepunkt im Herbst 2008 wurde durch den dramatischen Zusammenbruch von Lehman, der viertgrößten Bank der USA, am 15.9.2008 eingeleitet.2 Das Ende von Lehman löste eine Panik bei den Banken und an den internationalen Geldmärkten aus. Das Vertrauen im Interbankenverkehr wurde nachhaltig zerstört; die Kreditvergabe an Unternehmen schrumpfte. Der Markt für kurzfristige Anleihen kam zum Erliegen. Ein Lehrstück über die elementare Rolle des Vertrauens für die Wirtschaft, insbesondere die Finanzwirtschaft. 1 Gymelberg/Hördahl, Continued record low rates spur markets, BIS Quarterly Review Dec. 2009. S. 1 ff. 2 Zu den Gläubigern von Lehman, die von dessen Zusammenbruch betroffen wurden, gehörten auch deutsche Banken des öffentlichen Sektors (Landesbanken und KfW), aber auch 40.000 deutsche Privatanleger, denen deutsche Banken und Anlagevermittler LehmanZertifikate verkauft hatten: s. unten F.
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Besonders hart getroffen wurden die, die fortlaufend immer neue kurzfristige Kredite oder die Ausgabe kurz laufender Schuldverschreibungen (Anleihen) zur Refinanzierung benötigten, nachdem sie riesige Summen längerfristig in hochverzinsliche, aber hochriskante Zertifikate investiert hatten, verlockt von den Zinserträgen und der Zinsdifferenz zwischen Anlage und Refinanzierung. Sie hatten damit die goldene Bankiersregel der fristenkongruenten Finanzierung verletzt. Die Refinanzierungsmöglichkeiten waren plötzlich versiegt. Zugleich waren die Zertifikate unverkäuflich geworden; es gab keinen Markt mehr für sie. Die Betroffenen waren oft „Zweckgesellschaften“ (Finanztochtergesellschaften; structured investment verhicles – SIV). Da deren Muttergesellschaften Garantien für die Kreditaufnahmen ihrer Töchter übernommen hatten, wurden sie in den Strudel gezogen, darunter auch mehrere deutsche Landesbanken und die Hypothekenbank HRE (i.F. D.II.). Den Bankaufsichtsbehörden waren diese Risikoanhäufungen nicht aufgefallen. Denn man hatte die Zweckgesellschaften (SIV) an Plätzen mit schwacher Bankbeaufsichtigung, z.B. in Irland, gegründet und betrieben, und aufgrund von Lücken im Bankaufsichtsrecht, die inzwischen geschlossen sind, waren weder die Schulden der SIVs noch die (kurzfristigen) Garantien der Muttergesellschaften von den Müttern bilanziert oder sonst der Aufsicht gemeldet worden.3 Die Krise setzte sich fort, indem zahlreiche weitere wichtige Banken in den USA, England, Frankreich, Deutschland und anderswo in eine kritische, Existenz bedrohende Situation gerieten, wobei sich wegen der Größe und Bedeutung dieser Finanzunternehmens ein „systemisches Risiko“ abzeichnete, dass heißt eine Bedrohung des gesamten Bankensystems. Daraus ergab sich die Notwendigkeit zur Rettung der betreffenden Banken durch den Staat. Diese Rettungsaufgaben wurden erfolgreich wahrgenommen. Für längere Zeit wurden die Banken ferner bei ihrer Kreditvergabe an die gewerbliche Wirtschaft, die doch volkswirtschaftlich (neben der Durchführung des Zahlungsverkehrs) ihre zentrale Aufgabe ist, so vorsichtig, dass sie diese Aufgabe gemäß vielstimmigen Klagen aus der Realwirtschaft nicht mehr hinreichend wahrnahmen. Der Umfang dieser „Kreditklemme“ ist freilich umstritten. Auch in diesem Punkt ist inzwischen eine gewisse Entspannung eingetreten, das Problem freilich nicht verschwunden.4 II. Noch keine Entwarnung. Ein Berg von Aufgaben Fasst man die bisher genannten Fakten zusammen: Börsenkurs (einigermaßen) erholt, systemisch wichtige Banken gerettet, Kreditklemme verringert, so könnte man versucht sein, Entwarnung zu geben und zur Tagesord Hartmann-Wendels, FLF 2008. 252 ff., 256; Horn, BKR 11/2008, 452 ff., 156. Zur fortbestehenden Kreditklemme z.B. Gyntelberg/Hördahl, BIS Quartely Rev. Dec. 2009, 1 ff. 3 4
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nung überzugehen. In der Tat tun dies nicht wenige Akteure auch in den internationalen Finanzzentren New York und London, die glauben, alte Fehler fortsetzen oder bald wieder aufnehmen und dabei gut verdienen zu können (unten E.VIII.). Auf der Tagesordnung steht aber anderes. Ein radikales Umdenken in der Finanzbranche im Hinblick auf Risikomanagement, Transparenz, Rating, Vergütungssysteme und anderes mehr ist notwendig und durch Rechtsregeln abzusichern. Zumindest die offiziellen Vertreter der internationalen Finanzbranche haben rasch reagiert. Das Institute of International Finance (IIF) hat schon bis Sommer 2008 wichtige Krisenursachen analysiert und Empfehlungen ausgesprochen.5 Die weitere Zuspitzung der Krise im Herbst 2008 konnte dadurch freilich nicht verhindert werden. Für die künftige Vermeidung ähnlicher Krisen ist die (überwiegende) Umsetzung der [68] Empfehlungen in der Branche, flankiert von maßvollen gesetzlichen Schritten, jedoch unabdingbar und inzwischen im Gang. Die bisherigen Auswirkungen der Krise sind nicht verschwunden, sondern nur weniger sichtbar. Riesige Volumina von risikoreichen Finanzmarktpapieren, die vor der Krise geschaffen und gekauft wurden, sind nur an anderer Stelle „geparkt“ in der Hoffnung, sie später allmählich unter begrenzten Verlusten abwickeln zu können. Dies wird die Ertragslage vieler Banken noch lange belasten.6 Ökonomische Maßnahmen zur Abwendung der Krise können langfristig nachteilige Auswirkungen haben, wenn nicht gegengesteuert wird. Dies gilt vor allem für die extreme Verbilligung von Zentralbankgeld zur Eindämmung der Liquiditäts- und Kreditklemme. Diese Geldschwemme ist eine latente Gefahrenquelle für neue Spekulationsblasen und eine (spätere, derzeit freilich noch nicht vorhandene) Inflation. Die Folgen der Finanzkrise für die Realwirtschaft, in Deutschland und anderswo zeitweilig abgemildert durch Teilzeitbeschäftigung und Konjunkturprogramme (Abwrackprämie), sind noch ungewiss und werden unter Umständen durch den erhofften allmählichen Aufschwung abgefedert. Rechtspolitisch gibt es im Bank- und Finanzmarktrecht noch viel zu tun, vor allem in der internationalen und europäischen Koordinierung (i.F. E.I., II.). Das heißt nicht, dass wir eine weitere Gesetzesflut brauchen. Vieles muss nur praktisch umgesetzt und behutsam ergänzt, vieles international abgestimmt werden.
5 Institute of International Finance (IIF), Final Report of the IIF Committee on Market Best Practices: Principles of Conduct and Best Practice Recommendations. Financial Services Industry Responds to the Market Turmoil of 2007–2008, 17 July 2008; www.icco. clarin.com/2008/07/17.iff; s. auch IIF, Interim Report, 9.4.2008. 6 Näheres unten D.III. zum sog. Bad-Bank-Gesetz.
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B. Aus Fehlern lernen I. Der US Subprime-Markt als Auslöser Die Art der Entstehung der Krise und viele Teilursachen sind inzwischen hinlänglich bekannt und sollen hier nur knapp angesprochen werden.7 Die Krise begann bereits im Herbst 2007 im US-Markt für Hauskredite. Als 2007 die Häuserpreise nach einem jahrelangen, öffentlich geförderten Boom verfielen, löste dies eine Vertrauenskrise aus, die sich rasch auf andere Kreditsektoren übertrug und die Börsenkurse stürzen ließ. In den USA hatte eine Politik des leichten Geldes die Banken allgemein zu einer immer aggressiveren Kreditvergabe veranlasst. Um beim Beispiel der Hauskredite zu bleiben; hier hatte man in einer aggressiven Vertriebspraxis, die zum Schluss kriminelle Züge trug, einkommensschwache Hausbesitzer oder Hauserwerber zur massenhaften Kreditaufnahme ermutigt. Dabei wurden alle vernünftigen Kreditvergabegrundsätze missachtet. Die Kreditrückzahlung wurde meist ausschließlich (dass heißt unter Ausschluss der persönlichen Haftung) durch Hypotheken gesichert, wobei vernünftige Beleihungsgrenzen weit überschritten wurden („subprime“). Das Ganze wurde angeheizt durch hohe Abschlussprovisionen für die Vertriebsagenten, denen die Bonität und das weitere Schicksal der Kredite gleichgültig waren. Alle Beteiligten vertrauten dabei in sinnloser Weise auf ständig steigende Häuserpreise. Die Häuserkredite und viele andere Kreditforderungen wurden von den Banken nicht im Portfolio gehalten („buy to hold“), sondern rasch und gewinnreich weiterveräußert („originate to sell,“). Die Kredit gebenden Banken waren damit das Kreditrisiko los. Dazu wurden Zweckgesellschaften (special purpose vehicle, conduit) gegründet, welche die Forderungen erwarben und mit anderen Forderungen in einem Portfolio bündelten. Die Zweckgesellschaften refinanzierten sich durch die Ausgabe von Zertifikaten (Schuldverschreibungen), die mit dem erworbenen Forderungsportfolio und dem Kapitaldienst daraus „unterlegt“ wurden („collateralized debt obligations“ [CDOs]; „asset backed securities“ [ABS]). Die Erwerber der Zertifikate wurden angelockt durch hohe versprochene Zinsen und beeindruckt von der genannten „Unterlegung“. Sie erinnerte fälschlich an den soliden deutschen Pfandbrief und gefiel daher auch gerade deutschen Landesbankchefs, deren Finanztochtergesellschaften bedenkenlos in solche Zertifikate investierten. Übersehen wurde dabei, dass die „Unterlegung“ von einem Fehlen jeglicher sonstiger Haftung begleitet war: die Kredit ausreichende Bank haftete nicht, die Emittentin (Zweckgesellschaft), die ohnehin ganz kapitalschwach war, haftete (nach dem Inhalt der Zertifikate) auch nicht, außer mit dem genann7 Übersicht: Hartmann-Wendels, FLF 2008, 252 ff.; Horn, BKR 11/2008, 452, 156 ff. (Stand Nov. 2008) m. N.; zu den Ursachen s. auch IIF Report (Fn. 5).
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ten Portfolio und mit den aus den einzelnen Forderungen zu generierenden Zahlungsströmen (Zinsen, Tilgung). Der Kreditnehmer des Hauskredits haftete, wie erwähnt, meist auch nicht persönlich, sondern nur mit dem beliehenen Haus. Die Kredite waren schon wegen der Überbeleihung (subprime) oft wenig werthaltig. Das Risiko der Zertifikate wurde dadurch gesteigert, dass die unterlegten Portfolios oft nur gleichartige Forderungen enthielten, also keinen Risikomix. Außerdem wurden Zertifikate zunehmend mit anderen Zertifikaten unterlegt, so dass eine doppelstöckige, völlig intransparente Risikostruktur entstand. Die Rating-Agenturen waren überfordert, gaben aber mit Rücksicht auf die zahlenden Mandanten gute Ratings für die Zertifikate ab, zum Teil wider besseres Wissen, wie die amerikanische Börsenbehörde SEC feststellte.8 Die Zertifikate wurden meist in Risikoklassen eingeteilt, wobei die Anleger in der höchsten Risikoklasse (mit höchster Rendite) für den Ausfall der ganzen Anleihe hafteten, also allein auch für den ersten Verlust, in der niedrigsten Risikoklasse erst nach allen anderen. Letztere Zertifikate wurden daher oft mit einem zu guten Rating ausgestattet. II. Risiken als Marktgegenstand. Intransparente Verbriefungen Hochkomplexe und intransparente Zertifikate wurden gewöhnlich mit dem unpräzisen und beschönigenden Begriff „strukturierte Wertpapiere“ belegt. Auf den internationalen Finanzmärkten hatte sich im letzten Jahrzehnt eine angelsächsisch geprägte Marktphilosophie durchgesetzt, die die Beherrschung der in den Finanzmärkten auftretenden Risiken einseitig dem Markt zutraute. Man glaubte an die Fähigkeit von Märkten, alle Risiken zu absorbieren, indem für jedes Risiko ein adäquater Preis gezahlt werde und derjenige das Risiko kaufe und die gute Risikoprämie dabei verdiene, der am besten mit diesem Risiko umgehen könne. Technisches Instrument dafür sind Derivate. Es handelt sich um Ansprüche, einer Versicherung ähnlich, zur Abdeckung beziehungsweise Übernahme eines Risikos. Dabei ist die Forderung zeitlich verzögert zu erfüllen und ihr Umfang ist von der künftigen Entwicklung eines Basiswertes abhängig, also dem Börsen- [69] oder Marktpreis von Wertpapieren, Geldmarktinstrumenten, Devisen oder anderen Erträgen.9 Zertifikate stellen Verbriefungen von Derivaten dar. Die erörterten Kreditzertifikate zur Refinanzierung von Portfolios von Hauskrediten bilden dabei nur einen kleinen Ausschnitt des Derivatemarktes, der alle erdenklichen Risiken handelbar macht. Sie sind eine verbreitete Technik zur Weiterschiebung von Kreditrisiken von den ursprünglich den Kredit ausreichenden Banken 8 SEC, Bericht v. 9.7.2008, zit. nach FAZ v. 10.7.2009, S. 19; vgl. auch Horn, BKR 11/2008, 457; Horn, ZHR 173 (2009), 12 ff., 22 ff. 9 Vgl. die umfangreiche Definition in § 1 Abs. 11 S. 4 KWG; Horn, ZHR 173 (2009), 16.
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an andere Investoren. Andere Techniken dienten dem gleichen Ziel, so insbesondere die Übernahme von Kreditrisiken (Credit Default Swaps; CDS) durch Kreditversicherer (z.B. AIG), die ebenfalls Kreditderivate darstellen.10 Man sah nicht, dass viele der verbrieften und unverbrieften Risiken nicht transparent waren und ebenso wenig die Märkte, auf denen sie gehandelt wurden. Man kaufte teils unverstandene Risiken ein, teils Risiken, welche die handelnden Personen zwar erkannten, aber persönlich nicht zu tragen hatten, weshalb sie den Erwerb durch ihr Unternehmen betrieben, um vorerst mit Bonuszahlungen für gewachsene Umsätze und (scheinbare) Gewinne belohnt zu werden. Die größte Fehlerquelle lag aber darin, dass die Banken, welche die Kredite vergaben und deren Bonitätsrisiko hätten sorgfältig prüfen müssen, oft leichtfertig handelten, weil sie das Kreditrisiko nicht für die gesamte Kreditlaufzeit trugen, sondern es rasch durch die Weiterverschiebung am Markt los wurden. Dies förderte Verantwortungslosigkeit und brachte die Verbriefungstechnik in Verruf (vgl. unten E.III.). III. Staatsversagen und Marktversagen Die Ursachen der globalen Finanzkrise sind inzwischen häufig diskutiert worden. Sie liegen in einem Zusammenwirken von Staatsversagen und Marktversagen.11 Die Politik insbesondere der USA versagte im Sinn eines maßlosen Laissez-faire. Dazu gehört die Überschwemmung der Märkte mit billigem Geld durch den Federal Reserve Board und das verbreitete Credo, dass deregulierte Märkte besonders effektiv seien, der hinhaltende Widerstand gegen strenge Eigenkapitalvorschriften (Basel II), die weitgehende Zulässigkeit auch solcher Marktprodukte (Verbriefungen), die völlig intransparent waren, die Zulässigkeit der Auslagerung von Risiken aus der Bilanz der Banken, die aggressive Propagierung des Hauskaufs und der Hausbeleihung bei ungenügender rechtlicher Ausgestaltung des Grundpfandwesens, und die ungenügende Beaufsichtigung der Hausfinanzierer Fanny Mae und Freddie Mac. In Deutschland befand sich die neue Eigenkapitalregelung von Basel II gerade erst in der Umsetzungsphase. Basel II enthielt ausführliche Vorschriften zum Risikomanagement und zu Verbriefungen (Asset-BackedTransaktionen), deren exzessive Verwendung zum Auslöser der globalen Finanzkrise wurde.12 Lücken im internationalen Aufsichtsrecht verhinderten, dass die Aufsichtsbehörden die Risiken erkannten, die durch den Einsatz ausländischer Zweckgesellschaften mit ihren spekulativen Geschäften entstanden. Das Versagen der Marktteilnehmer ist mit der oben (II.) geschilderten Durchführung der riskanten Geschäfte bereits umrissen. Zum Begriff § 1 Abs. 11 S. 4 Nr. 4 KWG; vgl. auch § 19 Abs. 1 S. 3 Nr. 14 KWG. Vgl. auch Horn, BKR 11/2008, 452, 456 f. 12 Hartmann-Wendels, FLF 2008, 252 ff., 255. 10 11
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C. Die Rolle des Staates I. Der Staat als Retter Im Zusammenbruch von Lehman verwirklichte sich ein systemisches Risiko, wie die Auswirkungen zeigten. Weitere Krisen dieses Kalibers hätte das Finanzsystem kaum überstanden. Als zwei Tage nach dem Fall von Lehmann der Zusammenbruch des weltweit größten Kreditversicherer American International Group (AIG) drohte, sah sich die US-Regierung daher zum Handeln gezwungen. Sie stellte vorerst 85 Mrd. USD für die Rettung von AIG bereit; die Summe musste wenig später und in der Folgezeit wiederholt erhöht werden. Schon ein halbes Jahr vor Lehman war die US-Regierung mit 30 Mrd. USD zur Rettung der Investmentbank Bear Sterns eingesprungen, um dessen Übernahme durch JP Morgan Chase zu ermöglichen. Nach Lehman wurde die Rettung von Banken durch umfangreiche Regierungsgarantien in den USA zu einem Massenphänomen. Die US-Regierung verkündete noch im September 2008 ein Bankenrettungsprogramm im Umfang von 700 Mrd. USD, das hauptsächlich zum Ankauf „toxischer“ (dass heißt zeitweilig nicht mehr am Markt gehandelter) Verbriefungen und sonstiger Forderungen verwendet werden sollte, um die Bankbilanzen zu entlasten.13 Sie musste die großen Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac in staatliche Obhut nehmen und mit insgesamt 111 Mrd. USD stützen; sie räumte ihnen für neue Hauskredite ein Volumen von 400 Mrd. USD ein. Inzwischen haben einige US-Banken die empfangenen Kredite ganz oder teilweise zurückgezahlt.14 Deutschland blieb von der Bankenkrise und der allgemeinen Vertrauenskrise im Finanzsektor nicht verschont. Nach Lehman kam kurzzeitig die Furcht vor einem globalen Zerfall des internationalen Finanzsystems auf. Rasches politisches Handeln war notwendig. Die Bundeskanzlerin gab am 5.10.2008 im deutschen Fernsehen die politische Erklärung ab, dass die Sparguthaben der deutschen Sparer sicher seien, ein in der Politik einmaliger Vorgang. Bei Treffen der G7-Staaten und der EU-Staaten in der ersten Oktoberhälfte 2008 wurde ein gemeinsames Handeln zur Bewältigung der Krise beschlossen. Die einzelnen Nationalstaaten trafen in diesem Rahmen teils nationale, teils international abgestimmte Maßnahmen und erließen Gesetze,
13 Troubled Asset Relief Program (TARP). Die Regierung hat unter dem Programm für die Banken rund 250 Mrd. USD aufgewendet; diese haben 165 Mrd. USD zurückgezahlt. Der endgültige Verlust aus TARP wird auf ca. 100 Mrd. USD geschätzt und soll durch eine Sondersteuer für Banken ausgeglichen werden; FAZ v. 13.1.2010. S. 1 u. 13. Zur Bilanzentlastung s. auch unten D.III. (Bad Bank-Lösung). 14 Siehe Fn. 13. Dazu ein Einzelbeispiel: Die Citigroup, die bis Ende 2009 45 Mrd. USD Staatshilfe seit der Krise 2008 erhalten hatte, hat durch eine erfolgreiche Aktienemission Ende 2009 17 Mrd. USD eingenommen und will 2010 die staatliche Hilfe zurückzahlen.
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parallel und in Abstimmung mit ihren Zentralbanken, im Fall der EWU mit der Europäischen Zentralbank. In Deutschland wurden Rettungsmaßnahmen für die meisten Landesbanken, im privaten Sektor u.a. für die Commerzbank und vor allem die Hypo Real Estate Bank notwendig. Die Zentralbanken zeigten sich in ihrer Rolle als Liquiditätsversorger letzter Instanz (lender of last resort), während alle anderen Kredit- und Liquiditätsquellen versiegten. Die Staaten erwiesen sich als die unentbehrlichen Koordinatoren, während die Märkte zu versagen drohten. [70] II. Der Staat als Bankunternehmer Lag hier nicht die Folgerung nahe, nunmehr den Bankensektor zu verstaatlichen? Das wäre ganz im Sinne der jahrzehntelangen, heute fast verstummten Kapitalismuskritik von Seiten des Marxismus gewesen, als erster Schritt zur Sozialisierung der Wirtschaft. Solche Stimmen wurden aber kaum vernommen. Zu deutlich steht der westlichen Welt das Scheitern des Sozialismus als staatlich organisierte Wirtschaftsform vor Augen, die die Freiheit unterdrückte und den Wohlstand verfehlte. Niemand glaubt, dass Staaten die Volkswirtschaften effizienter führen könnten, als dies in einer freien Gesellschaft der Markt kann.15 Und dazu gehört auch ein privatwirtschaftlich organisiertes Bank- und Finanzwesen als Schlüsselsektor der Wirtschaft. Der Widerwille gegen eine Verstaatlichung von Banken ist aus diesen allgemeinen Gründen so groß, dass schon der Plan der vollständigen, freilich befristeten Verstaatlichung einer einzigen Bank (HRE) in der Krise kurzzeitig eine etwas kopflose Empörung hervorrief (i.F. D.II.). Das freie Wirtschaftssystem schließt es rechtlich nicht aus, dass die öffentliche Hand selbst über Privateigentum verfügt und es unternehmerisch einsetzt, so z.B. bei Versorgungsunternehmen und auch im Finanzsektor. Dies trifft auf die Sparkassen, die KfW und auch auf die – in der Krise viel gescholtenen – Landesbanken zu. Die Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte hat die Rolle der öffentlichen Hand als Unternehmer kritisiert und zurückgedrängt. Bei der Rettung von Banken ist der Staat nun erneut fallweise und aus begreiflichen Gründen in die Eigentümerrolle gedrängt worden. Es gibt keine Gründe anzunehmen, dass der Staat der bessere Bankunternehmer ist, und in der Stabilisierungspolitik der Regierung wurde dies auch nicht behauptet. Häufig wurden die Aufsichtsgremien in den öffentlichen Landesbanken in der Vergangenheit weniger nach Fachkompetenz als nach
15 Dies hat Deutschland besonders eindringlich nach der Wiedervereinigung in der gewaltigen Aufgabe des Wiederaufbaus der vom Sozialismus ruinierten Wirtschaft und Infrastruktur der zusammengebrochenen DDR erfahren. Zu den rechtlichen und z.T. auch den wirtschaftlichen Aspekten dieses Wiederaufbaus Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl. 1993.
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politischen Einflusskräften besetzt. Mehrere Landesbanken haben sich in der Krise als besonders verlustreich erwiesen, weil sie sich von ihrem Kerngeschäft, der Mittelstandsfinanzierung, abgewandt und hoch spekulativen Geschäften zugewandt hatten. Das Bild ist freilich nicht ganz so eindeutig, wie es oft polemisch zu hören ist. Es war in Deutschland der private Sektor, der in der Krise mit der Hypo Real Estate Bank (HRE) den weitaus größten Verlustbringer stellte, von den US-Banken nicht zu reden. Aufsichtsgremien öffentlicher Banken können auch vom Staat kompetent besetzt werden; s. Bundesbank. Sie können auch unternehmerisch wirken, wenn sie sich den Marktbedingungen anpassen (Sparkassen) und keine den Wettbewerb verzerrenden Privilegien (wie die jetzt beseitigte Gewährträgerhaftung der Sparkassen) genießen. Die Landesbanken haben (nach entsprechender Schrumpfung) u.a. in der Mittelstandsfinanzierung ein sinnvolles, freilich begrenztes Betätigungsfeld. III. Der Staat als Garant des Marktes Im Verhältnis zwischen Staat und Markt fällt dem Staat in einer freiheitlichen Gescllschafts- und Wirtschaftsordnung in erster Linie die Rolle zu, die rechtlichen Spielregeln festzulegen, in denen sich die Freiheit der privaten Wirtschaftssubjekte im Wettbewerb auf dem Markt entfalten kann. Dabei ist seit Adam Smith eine Bindung dieser Freiheit an moralische Regeln immer vorausgesetzt, jedenfalls soweit Recht überhaupt solche Maßstäbe durch Gesetz und Rechtsprechung normieren kann. Die Hauptinstrumente dazu sind rechtliche Verantwortung und Haftung. Wenn Marktteilnehmer ihr Handeln auf ökonomische Effizienz ausrichten, ist diese rechtlich-moralische Begrenzung als Teil der Marktrationalität immer mit zu denken.16 Hinzu tritt die spezielle Aufgabe des Staates, durch Recht den Wettbewerb als Institution zu schützen und die Marktkräfte daran zu hindern, eine Selbstzerstörung des Marktes herbeizuführen. Die globale Finanzkrise ist ein Schulbeispiel für dieses Risiko. Wichtige Mitursache der globalen Finanzkrise war eine vor allem von angelsächsischer Seite propagierte „Deregulierung“, eine damit verbundene zu starke Zurücknahme der Rolle des Staates und Rechts, eine euphorische Überschätzung der Selbstregulierung durch die Marktkräfte, und die durch diese Zügellosigkeit freigesetzte Gier vieler Marktakteure. Die Garantenstellung für den Markt erfüllt der Staat sowohl durch das Privatrecht als Freiheitsordnung (mit den genannten immanenten Begrenzungen) als auch durch hoheitliche Regulierung und Beaufsichtigung der Finanzmärkte (Aufsichtsrecht).
16 Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 2007, § 5 Rz. 122–130; Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, 1978.
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D. Die deutsche Gesetzgebung zur Krisenbewältigung Bei der Krisenbewältigung sah der Gesetzgeber in Deutschland ebenso wie in anderen Staaten seine Hauptaufgabe darin, die wirtschaftliche Existenz und Funktionsfähigkeit der Banken zu erhalten und vor allem die erwähnten systemischen Risiken abzuwenden. Dazu sind im Wesentlichen die folgenden drei Gesetze ergangen: (I.) das FinanzmarktstabilisierungsG, (II.) das ErgänzungsG dazu und (III.) das FortentwicklungsG dazu (BadBank-G). I. Das FinanzmarktstabilisierungsG (FMStG) vom Oktober 2008 Das FinanzmarktstabilisierungsG (FMStG) vom Oktober 200817 dient dem Ziel der Erhaltung von „Unternehmen des Finanzsektors“ durch Hilfe bei der Überwindung von Liquiditätsengpässen und Maßnahmen zur Stärkung des Eigenkapitals.18 Es enthält als Artikelgesetz zwei Gesetze, nämlich in Art. 1 das FinanzmarktstabilisierungsfondsG (FMStFG, FondsG) und in Art. 2 das BeschleunigungsG zur Erleichterung von Maßnahmen des Fonds (FMStBG); in weiteren Artikeln sind flankierende Änderungen des KreditwesenG, des VersicherungsaufsichtsG und der InsO vorgesehen. Das Fondsgesetz (Art. 1 FMStG) führte zur Schaffung des „Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung“ (SoFFin). Das Gesetz sieht drei Stabilisierungsinstrumente vor, nämlich (1) die Übernahme von Garantien des Bundes für neue Kreditaufnahmen der Finanzunternehmen, um ihre Kreditfähigkeit zu stärken; (2) Maßnahmen der Rekapitalisierung durch eine zeitlich begrenzte Kapitalbeteiligung des SoFFin, um Banken in der Krise zur Wiedererlangung der aufsichtsrechtlich notwendigen Kapitalausstattung zu verhelfen; diese wird gleichzeitig durch das sog. BeschleunigungsG (Art. 2 FMStG) erleichtert. (3) Die sog. Risikoübernahme; sie dient der Bilanzhilfe für Banken durch Erwerb von Risikopositionen, das [71] heißt den vor der Krise von der Bank erworbenen, bereits erwähnten „toxischen“ Papiere. Die letztere Maßnahme wurde durch das sog. „Bad Bank-Gesetz“ fortentwickelt (i. F. III.). – Die Rekapitalisierung stellt wegen der unternehmerischen Beteiligung der öffentlichen Hand den stärksten Eingriff dar. Mit ihm sind weitreichende Einschränkungen verbunden, u.a. Begrenzungen der Vergütung der Organmitglieder und Verbot der Ausschüttung von Dividenden an andere
FMStG v. 17.10.2008, in Kraft seit 18.10.2008, BGBl. I 2008, 1982. Zum Ganzen Horn, BKR 2008, 452 ff.
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als den SoFFin.19 Die Commerzbank AG hat diese Maßnahme in Anspruch genommen.20 Im Fall HRE wurde sie ebenfalls eingesetzt und nach Gesetzesänderung vollendet (i.F. D. II.). II. Das ErgänzungsG: Enteignung einer Bank (HRE) 1. Staatliche Übernahme einer Bank (HRE) Das ErgänzungsG zum FinanzmarktstabilisierungsG (ErgänzungsG; FMStEG) vom 7.4.200921 sollte der „weiteren Stabilisierung des Finanzmarktes“ dienen. Es sieht den Erwerb eines Unternehmens des Finanzsektors auf zwei Wegen vor: (1) durch einen erleichterten Beteiligungserwerb, der durch entsprechende Ergänzungen des FondsG (FMStFG) und des BeschleunigungsG (FMStBG) erreicht werden soll (Art. 1 u. 2 FMStEG) und (2) durch das sog. RettungsübernahmeG, das die Enteignung einer Bank ermöglicht (Art. 3 FMStEG). Anlass für das ErgänzungsG war die wirtschaftliche Katastrophe der größten deutschen Hypothekenbank, der Hypo Real Estate (HRE) in München.22 Angesichts der Systemrelevanz dieser Bank mit ihrer starken Rolle auf dem Grundpfandkreditmarkt sah sich der Bund zur Erhaltung der HRE aus Gründen des Gemeinwohls verpflichtet. Die Verschuldung der HRE hatte sich als bodenlos erwiesen.23 Wiederholt und noch im April 2009 hatte sich bei der HRE die Unterschreitung der Mindestkapitalanforderungen nach KWG abgezeichnet mit der Folge, dass die Bank hätte geschlossen werden müssen. Der Ausweg wurde in einer vollständigen Übernahme der Bank durch die öffentliche Hand gesehen. Der politische Wille der Bundesregierung war auf eine 100prozentige Übernahme gerichtet. Das ErgänzungsG sollte die erforderlichen Instrumente zur raschen Durchführung bereitstellen. 2. Das RettungsübernahmeG (Enteignung) Das RettungsübernahmeG ermöglichte „zur Sicherheit der Finanzmarktstabilität“ Enteignungen von Beteiligungen an Unternehmen des Finanzsektors durch Hoheitsakt unter Übertragung u.a. an den SoFFin (§ 1 Abs. 1, 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 RettungsG). Die Enteignung konnte erfolgen durch
§ 10 FMStFG; § 5 Abs. 2 FMStF-VO v. 20.10.2008. Vgl. dazu die nicht angenommene Verfassungsbeschwerde BVerfG v. 26.3.2009 – 1 BvR 119/09. 21 BGBl. I 2009, 725. 22 HypoRealEstate, Zwischenbericht zum 30.9.2009 vom 10.11.2009, abrufbar unter www.hyporealestate.com/pdf/Zwischenbericht_09_11_10. Überblick über den Werdegang der Bank und ihre Krise in http://de.wikipedia.org/wikiHypo_R-eal_Estate. 23 Bis 11.2.2009 hatte die HRE bereits 102 Mrd. Euro Hilfe erhalten. 19 20
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Erlass einer Rechtsverordnung der Bundesregierung (§ 2). Die Entscheidung zur Eröffnung dieses Verfahrens (§ 3 Abs. 1) konnte nur bis zum 30.6.2009 getroffen, die erforderliche Verordnung nur bis zum 31.10.2009 erlassen werden (§ 6 Abs. 1). Die kurze Geltungsdauer des Gesetzes unterstrich den politischen Willen, die Enteignung als eng begrenzte Ausnahmeregelung zur Krisenbekämpfung zu behandeln. Die Bundesregierung hat diese nur kurzfristig gegebene Möglichkeit nicht zur Enteignung der HRE genutzt. 3. Beteiligungserwerb bei Rekapitalisierung Die zweite Möglichkeit bot sich im Wege des Beteiligungserwerbs im Rahmen einer Rekapitalisierung. Diese Stabilisierungsmaßnahme sah bereits das ursprüngliche FondsG (FMStFG) vom Oktober 2008 vor (§ 7). Die Maßnahme besteht im Erwerb von Anteilen am betreffenden Unternehmen durch den SoFFin. Im Fall HRE erwarb die SoFFin bereits im 1. Quartal 2009, also vor Inkrafttreten der neuen Regelung, 20 Mio. Aktien zum Preis von 3 EUR je Aktie.24 Das ErgänzungsG vom April 2009 hat die Möglichkeiten des Beteiligungserwerbs durch Novellierung des FondsG (FMStFG) und des BeschleunigungsG (FMStBG) erweitert und erleichtert. Das FondsG sieht danach im Zusammenhang mit der Stabilisierung eines Unternehmens des Finanzsektors einen Beteiligungserwerb vor, „wenn ein wichtiges Interesse des Bundes vorliegt und der vom Bund erstrebte Zweck sich nicht besser auf andere Weise erreichen lässt“ (§ 5a). Am 17.4.2009 machte der Bund (SoFFin) allen privaten Aktionären ein Übernahmeangebot. Dadurch und durch Zukäufe an der Börse erreichte SoFFin eine Beteiligung von 47,3 Prozent, aber keine Kontrollmehrheit, weil Großaktionär Flowers (21,7 %) sich nicht beteiligte. Bei einer außerordentlichen Hauptversammlung am 2.6.2009 wurde unter den erleichterten Bestimmungen der Novellierung eine Kapital erhöhung von rund 986,5 Mio. Euro unter Ausschluss des Bezugsrechts der privaten Aktionäre beschlossen.25 Sie brachte die Beteiligung des SoFFin auf 90 Prozent. Dieser Schwellenwert reichte nach neuem Recht für einen Ausschluss der restlichen privaten Aktionäre (Squeeze-out) aus.26 Dieser wurde in der Hauptversammlung am 7.10.2009 beschlossen. Der Bund (SoFFin) wurde damit Alleineigentümer.
24 Und zwar auf Grund eines Hauptversammlungsbeschlusscs und nicht aufgrund der ebenfalls im Gesetz vorgesehenen Möglichkeit eines Vorstandsbeschlusses. Gegen die Gültigkeit der letzteren Regelung bestanden Bedenken wegen eines Konfliktes mit der EGKapitalrichtlinie. 25 Geschäftsbericht der HRE per 30.9.2009. 26 § 12 Abs. 4 FMStBG i.d.F. Art. 1 Nr. 7 FMStErgG. Siehe auch i.F. 4.
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4. Verfassungsrechtliche Einwände Ausgeschlossene HRE-Aktionäre haben die Verfassungswidrigkeit ihres Ausschlusses (Squeeze-out) wegen Verletzung von Art. 14 GG gerichtlich geltend gemacht.27 Als Vorfrage ist die Verfassungsmäßigkeit des RettungsübernahmeG als das eigentliche Enteignungsgesetz, das in der Praxis nicht eingesetzt wurde und inzwischen wieder außer Kraft getreten ist, von Bedeutung, weil es wichtige Bewertungsmaßstäbe verdeutlicht. Es hat im Fall HRE überdies eine nicht unwichtige Rolle als Drohkulisse gespielt, um Aktionäre zur freiwilligen Abgabe ihrer Aktien zu bewegen. Die Beteiligung an einer Aktiengesellschaft ist geschütztes Eigentum im Sinne der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG.28 Der gem. Art. 14 Abs. 3 S. 1 GG einzig legitime Enteignungszweck des Allgemeinwohls ist hier im Hinblick auf die Abwehr der schweren Finanz- und Bankenkrise generell erfüllt.29 Die Enteignung einer systemrelevanten Bank erscheint auch als ein geeigne- [72] tes Mittel zu ihrer raschen Sanierung mit öffentlichen Mitteln. Die Enteignung muss ferner erforderlich sein, um das Ziel des Schutzes des Gemeinwohls zu erreichen. Gegen die Erforderlichkeit wurden zwei Einwände erhoben: (1) schon die Möglichkeit des rechtsgeschäftlichen Aktienerwerbs nach Aktien- und Übernahmerecht sei eine adäquate und gangbare Alternative. Das Argument kann nicht überzeugen. Der Gesetzgeber hat die direkte Enteignung durch hoheitlichen Eingriff nur als letzte Möglichkeit vorgesehen; sie sollte zugleich den Aktienerwerb durch den Bund (SoFFin) sichern: Verkauf unter dem Druck der Enteignungsmöglichkeit. Diese Rangfolge ist ausdrücklich im Gesetz festgelegt (§ 1 Abs. 4). (2) Ein weiterer Einwand lautete, der Bund (SoFFin) brauche nicht die alleinige Eigentümerstellung, sondern sei mit 75 Prozent Stimmanteilen auch in der Lage, das Zielunternehmen (HRE) nach seinem Willen zu führen und die notwendigen Sanierungsmaßnahmen durchzuführen. Dabei wird übersehen, dass Minderheitsaktionäre über ein erhebliches Stör- und Obstruktionspotential verfügen und Sanierungsmaßnahmen z.B. durch Beschlussanfechtungen erheblich verzögern und den Mehrheitsaktionär gegebenenfalls erpressen können.30 Eine Verfassungswidrigkeit des RettungsübernahmeG ist zu verneinen.31 27 FAZ v. 29.10.2009, S. 13. Bereits im April 2009 war gegen das neue Gesetz Verfassungsbeschwerde erhoben, aber nicht zur Entscheidung angenommen worden; BVerfG v. 5.5.2009 – 1 BvR 971/09. 28 St. Rspr.; BVerfGE 14, 263. 276 f. – Feldmühle; BVerfGE 25, 371, 407 – Rheinstahl; BVerfGE 35, 377 f. (VW); BVerfGE 50, 290, 341 f. – Mitbestimmung; BVerfG. WM 2007, 1329 – Squeeze-out I; BVerfG, WM 2007, 2199, 2200 – Squeeze-out 11. 29 Dies ist weithin unbestritten; C. Möllers, ZBB 2009, 149, 150; vgl. auch Depenhener, in: Depenheuer. Eigentumsverfassung und Finanzkrise, 2009. S. 3 ff. 30 So auch Hopt u.a., WM 2009, 827, 831. Vgl. auch allg. Eidenmüller/Engert, ZIP 2009, 541 ff. 31 Im Ergebnis C. Mollen, ZBB 2009, 150; Hopt u.a., WM 2009, 827, 831.
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Der Schwerpunkt des Interesses liegt jedoch bei der Frage, ob die Regelung der rechtsgeschäftlichen Übernahme im Rahmen einer Rekapitalisierung nach den erleichternden Regelungen des ErgänzungsG, die der vollständigen Kontrollübernahme bei HRE durch den SoFFin zugrunde liegen, verfassungsrechtlich bedenklich ist.32 Das ErgänzungsG hat die Erwerbsmöglichkeiten durch die öffentliche Hand bis hin zum Vollerwerb aller Anteile durch Absenkung der Mehrheitserfordernisse, Abwehr missbräuchlicher Klagen durch Schadensersatzpflicht, Ausweitung der Squeeze-outMöglichkeit, europarechtskonforme Verkürzung der Fristen und Aufhebung der Begrenzung des genehmigten Kapitals erheblich verstärkt.33 Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, eine Minderheit von einem Drittel der Stimmrechte aus der Gesellschaft herauszudrängen.34 Man hat eingewendet, diese gesetzlichen Regelungen könnten unter Umständen als verfassungswidriges Enteignungsgesetz zu bewerten sein.35 Zwar sei die generelle aktienrechtliche Squeeze-out-Regelung nach BVerfG verfassungsrechtlich unbedenklich und eine bloße Inhaltsschranke des Eigentumsrechts der Minderheitsaktionäre, weil sie einen legitimen Zweck habe, den Großaktionär vor dem Störpotential der Minderheitsaktionäre schütze und einen vollen Wertersatz und effektiven Rechtsschutz vorsehe.36 Da dies aber nur unter der Voraussetzung gelte, dass eine kleine Minderheit (5 %) ohne unternehmerisches Interesse betroffen sei,37 hält man diese Bewertung nicht für übertragbar auf die neue Spezialregelung, die eine unternehmerisch bedeutende Minderheit von einem Drittel aus der Gesellschaft betreffe. Dies überzeugt nicht. Die Situation ist bei der Rettung einer systemisch wichtigen Bank eine ganz andere als im typischen Fall des Squeeze-out. Wirtschaftlich sind die Rechte der Aktionäre entweder völlig wertlos (wie im Fall der HRE) oder jedenfalls auf einen Wert herabgedrückt, der durch das Abfindungsangebot abgedeckt werden kann. Als Vermögenswert kom32 Bereits gegen die ursprünglichen Rekapitalisierungsvorsehriften des FMStFG, FMStBG und der FMStF-VO wurde im Zusammenhang mit der Beteiligung des SoFFin an der Commerzbank Verfassungsbeschwerde erhoben, aber nicht zur Entscheidung angenommen; BVerfG v. 26.3.2009 – 1 BvR 119/09. 33 Überblick bei Hopt/Fleckner/Kumpan/Steffek, WM 2009, 827. 34 Gemäß ErgänzG Art. 2 Nr. 4 gilt: für Kapitalerhöhungen im Rahmen von Rekapitalisierungsmaßnahmen ist nur noch die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich (§ 7 Abs. 2 S. 1 FMStBG). Für den Bezugsrechtsausschluss (§ 7 Abs. 3 S. 1 FMStBG) und die Kapitalherabsetzung (§ 7 Abs. 6 S. 1 FMStBG) genügen jeweils eine Mehrheit von zwei Drittel der abgegebenen Stimmen oder des vertretenen Grundkapitals. Die einfache Mehrheit reicht, wenn die Hälfte des Grundkapitals vertreten ist. Ferner ist der Schwellenwert für den Ausschluss von Minderheitsaktionären auf eine Aktienmehrheit von 90 Prozent abgesenkt (§ 12 Abs. 3 Nr. 1, Abs. 4 FMStBG i.d.F. Art. 2 Nr. 7 ErgänzungsG). 35 Hopt u.a., WM 2009, 821, 828 f. 36 BVerfG, WM 2007, 1329, 1330 – Squeeze-out I. 37 BVerfG, WM 2007, 2199, 2200 – Squeeze-out II.
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men nur noch die verbliebenen Verwaltungsrechte der Aktionäre in Betracht. Diese erweisen sich nun wegen ihres Stör- und Erpressungspotentials als potentielles Hemmnis einer raschen Sanierung. In diesem Bedürfnis nach Ausschaltung von Störpotential liegt wieder das Gemeinsame mit der normalen Squeeze-out-Situation. Nimmt man eine Verpflichtung des verschuldeten Unternehmens gegenüber dem Gemeinwohl an, liegt es nahe, diese auch in der Treuepflicht des Aktionärs wiederzufinden.38 So betrachtet, stellt die Neuregelung nur eine immanente Bindung der Verwaltungsrechte der Aktionäre dar.39 III. FortentwicklungsG: Bilanzhilfe durch Bad-Banks 1. Bilanzhilfe durch Auslagerung von Risikopositionen Banken in Deutschland hatten vor der Krise riskante und intransparente „strukturierte“ Wertpapiere40 im geschätzten Gesamtvolumen von 230 Mrd. Euro erworben. Infolge der Krise und des Wegfalls der Märkte haben diese zeitweilig keinen bezifferbaren Marktwert, müssen aber nach den International Financial Reporting Standards (IFRS) auf der Basis akatueller Marktwerte bilanziert werden.41 Dies erzeugt einen riesigen Abschreibungsbedarf, der das Eigenkapital der Banken belastet und ihre Fähigkeit zur Vergabe neuer Kredite stark einschränkt. Das sog. Bad-Bank-Gesetz (FortentwicklungsG) vom Juli 2009 ergänzt die bisherigen Stabilisierungsgesetze, insbesondere das Gesetz über den Stabilisierungsfonds SoFFin (FMStFG).42 Dieses sah bereits in seiner ursprünglichen Fassung die Möglichkeit der Übernahme von Risikopapieren durch den SoFFin vor (§ 8 FMStFG). Die Novellierung ermöglicht nun die Auslagerung risikoreicher Wertpapiere auf andere Träger („Bad Banks“) (Zweckgesellschaft oder Anstalt) zur Bereinigung der Bilanzen der Banken. Ferner können auch Geschäftsbereiche, die für die künftige Geschäftsstrategie nicht notwendig sind, ausgelagert werden. Diese Möglichkeit ist vor allem für die Neuausrichtung der Landesbanken wichtig. Die Auslagerung soll aber die Eigenkapitalgeber nicht endgültig entlasten. Der Staat soll im Ergebnis nur nachrangig und unter Schonung der Staatsfinanzen haften. [73]
Zum Gesichtspunkt der Treuepflicht der Aktionäre auch Köndgen, ZBB 2009, 142, 144, 147 ff. 39 Im Ergebnis wie hier C Möllers, ZBB 2009, 152. 40 Vgl. oben B.I. und II., D.III. Zu diesen Papieren auch Horn, ZHR 173 (2009), 12–66, 18–24. Das neue Gesetz bestimmt, dass die Papiere bis zum 31.12.2009 erworben sein müssen. 41 Zu diesem Bilanzierungsproblem auch unten E.VI. 42 Gesetz zur Fortentwicklung der Finanzmarktstabilisierung v. 17.7.2009, BGBl. I 2009, 1980. 38
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Die Auslagerung erfolgt durch Aktiventausch. Der neue Träger erwirbt die Risikowertpapiere entweder zu 90 % des Buchwerts vom 30.6.2008 (also vor Lehman) oder des Buchwertes vom 31.3.2009 oder zum tatsächlichen wirtschaftlichen Wert.43 Der Abschlag von 10 Prozent soll pauschaliert die Belastung abbilden, die das Unternehmen in jedem Fall selbst tragen soll. Im Gegenzug erhält das übertragende Unternehmen Schuldtitel, die vom übernehmenden Träger ausgegeben werden. Diese Titel werden vom Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin garantiert und sind daher keinen Bonitätsund Bewertungsrisiken ausgesetzt. Sie können als Sicherheiten bei der Europäischen Zentralbank zur Liquiditätsbeschaffung eingesetzt werden. Die WestLB hat Ende 2009 auf diesem Weg Vermögen im Umfang von 85 Mrd. Euro ausgelagert. Die Hypo Real Estate kündigte im Januar 2010 die Verlagerung von Altlasten i.H.v. 210 Mrd. Euro in eine Bad Bank an. Es geht dabei einmal um „toxische“ Papiere ohne aktuellen Marktwert, die aber langfristig zum größeren Teil verwertbar sein dürften, im Fall der HRE auch um die Auslagerung des ganzen Geschäftsbereichs der irischen Tochtergesellschaft Depfa, die den Hauptteil der Verluste eingefahren hat. Im Gegenzug verlangt die EU-Kommission ein neues, verkleinertes Geschäftsmodell der HRE beziehungsweise ihrer neuen Kernbank, der Deutschen Pfandbriefbank.44 2. Die Akteure: FMSA, Banken, Bad Banks Die Durchführung und Überwachung dieser Stabilisierungsmaßnahme liegt in den Händen der Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA). Die FMSA ist eine rechtsfähige Anstalt (§ 3a lit. b S. 1 FMStFG).45 Die FMSA entscheidet auf Antrag46 nach Ermessen; ein Rechtsanspruch auf die Maßnahme besteht nicht. Für die Gewährung der Garantie hat das übertragende Unternehmen ein laufendes Entgelt zu zahlen. Die Übernahme der Garantie setzt eine Überprüfung der Verlustanfälligkeit des übertragenden Unternehmens (Stresstests), eine ausreichende Kapitalausstattung47 und ein tragfähiges Geschäftsmodell voraus, ferner einen Plan zur Abwicklung des Trägers. Die Rolle des Trägers („Bad Bank“) übernimmt entweder eine Zweckgesellschaft, die von der übertragenden Gesellschaft zu gründen ist, aber von dieser unabhängig und unter Kontrolle der FMSA geführt werden Allerdings darf der Übertragungswert den Buchwert zum 31.3.2009 nicht überschrei-
43
ten.
FAZ v. 22.1.2010, S. 11. Sie war bereits aufgrund des ursprünglichen FMStFG zunächst als unselbständige Anstalt gegründet worden und als ausführendes Organ der SoFFin tätig. Die (neue) FMSA ist selbst nicht Kredit- oder Finanzdienstleistungsinstitut, Wertpapierhandelsunternehmen oder Versicherungsunternehmen (§ 3a lit. e FMStFG). 46 Ein solcher Antrag konnte nur bis 22.1.2010 gestellt werden. 47 Auf den o.a. Abschlag von 10 % auf die zu übertragenden Papiere kann verzichtet werden, wenn dies die Kernkapitalquote von mindestens 7 % beeinträchtigt. 44 45
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soll, oder eine unselbständige Anstalt in der FMSA („Anstalt in der Anstalt“, AidA). Der erstere Weg ist für übertragende Finanzunternehmen in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft naheliegend, freilich nicht zwingend, der zweite primär für öffentliche Banken gedacht (Landesbanken). Die Verwaltung der ausgelagerten Papiere kann durch einen unabhängigen Dritten oder durch das übertragende Unternehmen selbst durchgeführt werden. Das letztere ist zwar nicht mehr Eigentümer, aber mit der Materie vertraut. Andererseits kann es hier zu Interessenkonflikten kommen. Daher ist hier eine funktionelle und organisatorische Trennung vom übrigen Geschäft sicherzustellen. Auf jeden Fall kann der SoFFin, vertreten durch die FMSA, für die Geschäftsführung Weisungen geben (§ 6a Abs. 5 Nr. 5). 3. Fortbestehende Eigentümerverantwortung Der Gesetzgeber sucht die Verantwortung für die tatsächliche Abwicklung der Risikopositionen und übertragenen Geschäftsbereiche möglichst von der FMSA und dem Bund fernzuhalten und den Finanzinstituten zuzuweisen, und Gleiches gilt für die Haftung für Verluste. Die Begründung betont daher das Grundprinzip der Eigentümerverantwortung.48 Dieses Prinzip entfaltet sich in drei Richtungen: durch die erwähnte Entgeltpflichtigkeit der Garantieübernahmen, durch die ebenfalls erwähnte, durch den SoFFin näher festgelegte Gesehäftsführungsverantwortung und durch Verlusttragung und Gewinnberechtigung.
E. Die Gesetzgebung zur Krisenprävention I. Internationale und Europäische Koordination Die Krise hat intensive Bemühungen angestoßen, mit Hilfe des Rechts und behördlicher Überwachung eine ähnliche Krise in Zukunft zu verhindern. Dazu ist eine internationale Koordination unentbehrlich. Die globale Finanzkrise hat die Dringlichkeit gemeinsamen Handelns erneut vor Augen geführt. Da es an einem zentralen Weltgesetzgeber fehlt und dieser nicht einmal wünschenswert wäre, vollzieht sich die Koordination, pauschal gesprochen, in zwei Stufen. (1) Eine Institution, die nach Fachkompetenz und Zusammensetzung internationales Ansehen besitzt, formuliert Grundsätze, die nach Verabschiedung49 maßgebliche Empfehlungen mit politischem Gewicht dar-
48 Vgl. dazu die amtl. Begründung zu den zwei Teilentwürfen des Gesetzes; Teil E 1, Begr. S. 9; Teil E 2. Begr., S. 8. 49 Beispiel: Basel II (dazu i.F. V.) wurde im Juni 2004 durch die Notenbanken und Aufsichtsbehörden der G 10-Länder verabschiedet.
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stellen und gegebenenfalls die Qualität von „soft law“ erlangen.50 Aus der Fülle internationaler Gremien seien hervorgehoben das Financial Stability Board51 und vor allem der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht.52 Dieser hat Grundsätze für die Kapitalausstattung der Banken formuliert (Basel I und Basel II). (2) Die zweite Stufe ist die Übernahme solcher Grundsätze in staatliches Recht, im Fall der EU in zwei Schritten: Schaffung von Gemeinschaftsrecht, die (im Fall von EU-Richtlinien) in nationales Recht umzusetzen sind. So wurden die Kapitalanforderungen aus Basel I 1989 durch Richtlinien in Gemeinschaftsrecht übernommen53 und dann von den nationalen Gesetzgebern umgesetzt; ebenso wurde 2006 Basel II durch Änderungen der BankcnRiLi und die KapitaladäquanzRiLi (CRD 1) umgesetzt.54 [74] II. Neuere Regulierungsschritte EU/Deutschland Die Revision dieses neuen Eigenkapitalrechts auf EU-Ebene (CRD) wurde durch eine weitere ÄnderungsRiLi 2009/11 (= CRD 2), die ohnehin vorgesehen war, in einem ersten Schritt im November 2009 vorgenommen; dabei hat man erste Konsequenzen aus der Krise gezogen.55 Gleichzeitig wurde durch die VO Nr. 1060/2009 ein neues Aufsichtsrecht für Rating-Agenturen geschaffen (i.F. IV.). – Der deutsche Gesetzgeber beschränkt sich nicht auf die Rolle der Umsetzung internationaler Grundsätze und EU-Richtlinien, sondern ergreift auch selbst die Initiative teils in einer Rolle als Vorreiter, teils in Materien, die im Detail international nicht vereinheitlicht werden. Hervorzuheben ist das deutsche Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht vom Juli 2009 (unten V. und IX.). Die deutsche Aufsichtsbehörde BaFin hat eine Neufassung ihrer Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk) im August 2009 herausgegeben (i.F. VII.). Im 50 J. Norton. Devising International Bank Supervisory Standards, 1995: Bertezzolo. The European Union Facing the Global Arena: Standard Setting Bodies and Financial Regulation, (2009) 34/2 European L. Rev. 257; vgl. auch Hupka, WM 2009, 1351 zu den Empfehlungen der Aufsichtsbehörden der EU-Staaten (CESR). 51 Gegründet 1999 durch die Finanzminister der G 7-Gruppe, reorganisiert und erweitert auf die G 20-Gruppe: Arner/Taylor, The Global Financial Crisis and the Financial Stability Board. AIIFL (Asian Institute of International Financial Law) Working Paper No. 6, Hong Kong 2009. 52 Basler Ausschuss für Bankenaufsicht, 1974 von führenden Industrieländern gegründet und bei der Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ; BIS) angesiedelt. 53 Überblick Horn, ZBB 1989, 107 ff. 54 CRD = Capital Requirements Directive = Arbeitstitel für die Änderungen der BankcnRiLi (2006/48/FG) und KapitaladäquanzRiLi (2006/49/FG). Umsetzung in Deutschland vor allem durch die SolvabilitätsVO v. 14.12.2006, BGBl. I, 2926. 55 RiLi 2009/11 L 302 v. 17.11.2009, in Kraft ab 7.12.2009; Umsetzung bis 31.10.2010; Inhaltsüberblick in Deutsche Bundesbank, Monatsber. Sept. 2009, S. 67–83.
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Folgenden werden in knappen Stichworten wichtige gemeinsame Aufgaben der Prävention künftiger Finanzmarktkrisen und ihre regulatorische Umsetzung skizziert. III. Anforderungen an Verbriefungen Infolge der missbräuchlichen Benutzung der Verbriefungen vor der Finanzkrise sind die Märkte für Zertifikate stark zurückgegangen, haben sich aber im Laufe des Jahres 2009 schrittweise erholt. Die Anleger achten nun stärker als zuvor auf das Bonitätsrisiko.56 Die Verbriefung von Krediten, die an mittelständische Unternehmen vergeben werden, stieß 2009 aber noch auf Schwierigkeiten.57 Der deutsche Pfandbriefmarkt als Spezialmarkt ist anders als die ausländischen Märkte mit „gedeckten“ Anleihen aufgrund seiner soliden, auf langen Erfahrungen mit Hypothekenkrediten beruhenden gesetzlichen Grundlage glimpflich durch die Krise gekommen.58 Deutsche Pfandbriefanstalten hatten 2009 auch im Ausland großen Erfolg.59 Es kann bei Reformen nicht darum gehen, Zertifikate zu bekämpfen oder gar speziell die Verbriefung von Unternehmenskrediten, die ein Bindeglied zwischen Unternehmensfinanzierung und Kapitalmarkt darstellen, sondern um die Verhinderung der aufgetretenen Missbräuche. Da Verbriefungen von Kreditforderungen und ihre anschließende Veräußerung die Bank, die die Kredite gewährt, vom Kreditrisiko befreien und daher zu Leichtfertigkeit bei der Kreditvergabe und zur Verschleierung des verbrieften Risikos verleiten können (oben B.II.), ordnet (gemäß CDR 2) der neue Art. 122a Banken-RiLi an, dass die Bank, die eine Verbriefung von Krediten plant, auf diese Kredite die gleichen Kreditprüfungsgrundsätze anwendet wie bei unverbrieften Krediten. Außerdem muss entweder die Bank selbst oder der (von ihr benutzte) Emittent der Verbriefungen (Originator) einen Anteil von mindestens 5 % des Risikos im eigenen Portfolio behalten. Andernfalls dürfen andere Banken als Anleger solche Verbriefungen nicht erwerben. Verstöße führen dazu, dass die betreffenden Kredite mit bis zu 100 % ihres Betrags (= 1.250 % der normalen Unterlegung) mit Eigenkapital unterlegt werden müssen (i.F. V.).
56 Der Deutsche Derivateverband ist jetzt stark um eine verbesserte Transparenz der Risiken bemüht. 57 FAZ v. 9.1.2010, S. 23. 58 Freilich wurde dieser Markt durch die Krise der HRE-Bank, deren Ursachen mit dem deutschen Pfandbriefrecht nichts zu tun hatten, vorübergehend systemisch bedroht (oben D.II.). 59 FAZ v. 9.1.2010. S. 23.
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IV. Europäische Aufsicht für Rating-Agenturen Rating-Agenturen haben für die Markbewertung von Finanzprodukten eine Schlüsselstellung.60 Die unrühmliche Rolle, die sie mit der leichtfertigen positiven Einstufung (rating) von intransparenten und riskanten „strukturierten“ Verbriefungen spielten, wird als Mitursache der Krise angesehen.61 Dabei waren auch Interessenkonflikte von Bedeutung, insbesondere im Hinblick auf lukrative Beratungsmandate derjenigen Banken, deren Produkte zu bewerten waren. Dies hat auf den Weltfinanzgipfeln in Washington (November 2008) und London (April 2009) zu Beschlüssen über die bessere Kontrolle dieser Agenturen geführt. Die EU hat daher in der Verordnung Nr. 1060/200962 Rating-Agenturen, die innerhalb der EU tätig werden, einer Registrierung bei den zuständigen Aufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten und deren Aufsicht unterworfen. Die Rating-Agenturen erhalten die Registrierung nur, wenn sie sich verpflichten, international anerkannte Sorgfaltsstandards einzuhalten.63 Ratings von nicht registrierten Agenturen können für aufsichtsrechtlich bedeutende Bereiche nicht verwendet werden.64 V. Eigenkapitalerfordernisse Die angemessene Eigenkapitalausstattung der Banken ist eine Kernfrage des Bankaufsichtsrechts. Sie entscheidet über die Überlebensfähigkeit der Bank und zugleich darüber, in welchem Umfang Banken Geschäfte tätigen und Gewinne erzielen können. Denn jedes Geschäftrisiko muss mit einem bestimmten Anteil an Eigenkapital ausgeglichen („unterlegt“) werden, derzeit (nach Basel II) im Grundsatz mit 8 Prozent. Diese „Unterlegung“ war schon nach Basel I nach der Bonität („Risikogewichtung“) des Kreditschuldners zu differenzieren.65 Basel II hat dieses System weiter flexibilisiert und dynamisiert. Danach sind die Kreditnehmer im Rahmen des Risikomanagements laufend zu überwachen. Sinkt ihre Bonität, erhöht sich die Eigenkapitalunterlegung und damit auch das Kreditentgelt (Zins). Dieser Mechanismus kann eine Krise des betreffenden Schuldners auslösen oder verstärken; dies 60 Sie konnten auch bisher schon zu bankaufsichtsrechtlichen Risikogewichtungszwecken gem. § 52 SolvabilitätsVO herangezogen werden (externes Rating), falls sie behördlich zugelassen waren: andernfalls greift das interne Rating der Banken (IRBA) gem. §§ 55 SolvVO ein. 61 IIF Final Report on Market Best Practices, July 2008, S. 20 ff.; zu den Missbräuchen Horn, BKR 11/2008, 452 ff., 457 m.w.N. 62 V. 6.9.2009, ABl. L 302 v. 17.11.2009, 1. 63 Die internationale Vereinigung der Wertpapieraufsichtsbehörden IOSCO hat 2004 einen Verhaltenskodex für Rating-Agenturen veröffentlicht und diesen 2008 revidiert. 64 Dies gilt z.B. für die Bestimmung der Eigenkapitalunterlegung von Risikopositionen. Eine solche Regelung findet sich schon in der SolvVO; vgl. Fn. 60. 65 Horn, ZBB 1989, 107 ff., 118 f.
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hat man in gewissen Grenzen in Kauf genommen. Aber in einer globalen Krise kann diese auch verstärkt werden (prozyklische Wirkung); dieses Problem wird heute deutlicher gesehen. Das neue deutsche Gesetz zur Stärkung der Finanz- und Versicherungsaufsicht66 verbessert die Eingriffsmöglichkeiten der BaFin in Krisenzeiten unter Berücksichtigung laufender europäischer und internationaler Re- [75] formvorhaben. Die BaFin kann danach u.a. höhere Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen stellen oder einen Kapitalaufschlag festsetzen. Die Problematik solcher variabler Anforderungen liegt darin, dass sie antizyklisch eingesetzt werden müssen, also bei guter wirtschaftlicher Lage die Unternehmen zu höheren Rückstellungen veranlassen sollen, nicht in der Krise, weil sie diese verstärken. Die internationale Diskussion ist noch nicht abgeschlossen. Zahlreiche Teilreformen, die teils durchgeführt und teils noch in der Diskussion sind, kreisen um die Definition und die Anforderungen an die Eigenkapitalausstattung. Eine umfassende Reform steht noch an (Basel III; CDR 3 und 4). Schon die (oben E.II.) erwähnte Novellierung CRD 2 (RiLi 2009/11/ EG) hat 2009 die Anerkennung hybrider Finanzinstrumente, die also sowohl Eigenkapital- wie Fremdkapitalmerkmale aufweisen, als bankaufsichtsrechtliches Kernkapital eingeführt (Art. 63a). Voraussetzung ist, dass eine dem sonstigen Eigenkapital vergleichbare Haftung gegeben ist; die Kapitalüberlassung muss entweder unbefristet oder mit einer Laufzeit von mindestens 30 Jahren erfolgen.67 Dies dient der Verbreitung der Eigenkapitalbasis. VI. Bilanzierungsstandards: Fair Value Das Regelwerk der Bilanzierungsstandards, das in den International Financial Reporting Standards (IFRS) niedergelegt ist und auf eine internationale Vereinheitlichung der bilanziellen Abbildung der Unternehmen abzielt, folgt (überwiegend) dem Grundsatz der Bewertung der Bilanzpositionen zum Zeitwert beziehungsweise Stichtagswert (Fair Value). Die Finanzkrise hat gezeigt, dass dies bei Marktturbulenzen einen dramatischen Wertberichtigungsbedarf bei Finanzinstrumenten erzeugen und die Krise verstärken kann. Der für die Standardsetzung zuständige International Accounting Standards Board (IASB) hat daher im Herbst 2008 eine Überprüfung eingeleitet. Er hat unter politischem Druck schon am 13.10.2008 eine Ausnahme vom Umwidmungsverbot des IAS 39 gestattet. Danach durften Banken und andere Unternehmen nicht-derivative Finanzinstrumente durch Umwidmung anderen Positionen zuordnen, für die die strikte Bewertung nach aktuellem Zeitwert nicht gilt, so dass stattdessen die historischen Anschaf-
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Gesetz v. 29.7.2009, BGBl. I 2009, 2305. Dazu Bundesbank. Monatsbericht Sept 2009, S. 70 f.
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fungskosten angesetzt werden konnten, die vor der Krise weit höher lagen.68 Der IASB und der US-amerikanische Financial Accounting Standard Board FASB haben eine Arbeitsgruppe gebildet, welche dauerhafte Antworten auf internationaler Ebene suchen soll.69 VII. Risikomanagement Nach § 25a Abs. 1 S. 3 KWG muss ein Institut im Rahmen seiner Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsorganisation ein angemessenes und wirksames Risikomanagement einrichten. Dieses muss die Risikotragfähigkeit des Instituts ermitteln und sicherstellen. Es umfasst außer entsprechenden organisatorischen Vorkehrungen auch Verfahren zur Erkennung, Steuerung und Überwachung von Risiken unter Beachtung der von der BankenRiLi gemachten Vorgaben. Die gleichen Pflichten gelten entsprechend für Institutsgruppen, Finanzholding-Gruppen und Finanzkonglomerate (Abs. 1 a). Die Feinregulierung erfolgt durch die BaFin, die in Rundschreiben die gesetzlichen Mindestanforderungen an Risikomanagement (MaRisk) präzisiert. Durch Rundschreiben vom 14.8.2009 hat die BaFin überarbeitete Grundsätze bekanntgegeben.70 Die MaRisk befassen sich mit den „wesentlichen“ Risiken, zu denen künftig grundsätzlich die vier bekanntesten Risikoarten zählen (Adressenausfall-, Marktpreis-, Liquiditäts- und operationelle Risiken), und ihre Begrenzung durch entsprechendes Risikodeckungspotential, um ein Risikotragfähigkeitskonzept zu entwickeln. Die neuen MaRisk schreiben dazu die regelmäßige Durchführung von Stresstests vor. Darunter versteht man Methoden, mit denen die Institute ihre Verlustanfälligkeit bezüglich möglicher außergewöhnlicher Ereignisse überprüfen. Entsprechende Anforderungen werden auch an Institutsgruppen gestellt. Man darf allerdings die Genauigkeit solcher Verfahren, die ständig verfeinert und komplexer werden, nicht überschätzen. Denn viele Risiken lassen sich nicht genau quantifizieren und damit mathematischen Belastungstests unterwerfen. VIII. Vergütungssysteme Die im Finanzsektor üblichen Vergütungsstrukturen gelten als eine Mitursache der Krise.71 Dies betrifft vor allem die variablen Vergütungsbestand Schütte, die bank 5.2009, 56 ff.; Horn, BKR 11/2008, 252, 259. Diese Arbeiten waren im Januar 2010 noch nicht abgeschlossen. 70 Rundschreiben 15/2009 (BA); dazu Dürselen/Schulte-Mauler, die Bank 10.2009, 48 ff.; Hannemann/Schneider, BankPraktiker 10/2009, 456 ff. 71 IIF, Final Report on Market Best Practices, July 2008, nennt dieses Problem an zweiter Stelle (S. 13 f.). Vgl. auch Seibert, WM 2009, 1489. Dies wird freilich z. T. heute bezweifelt und als Ablenkung von den wahren Krisenursachen abgetan; vgl. nur die Glosse „Billige Boni“ in Süddeutsche. 24.9.2009 S. 4. Dies ist unzutreffend. 68 69
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teile (Boni), sofern sie sich an kurzfristigen Geschäftserfolgen orientieren, z.B. am Volumen der vergebenen Kredite oder vermeintlich profitablen Investitionen ohne Rücksicht auf langfristige Ergebnisse. Boni können dazu verleiten, große Risiken einzugehen. Die deutsche Aufsichtsbehörde BaFin ist mit zwei Rundschreiben um das Abstellen dieser Fehlentwicklungen bemüht.72 Die Bundesregierung plant ein entsprechendes Gesetz.73 Danach müssen Vergütungssysteme so ausgerichtet sein, dass negative Anreize für die Geschäftsleiter und Mitarbeiter zur Eingehung unverhältnismäßig hoher Risiken vermieden werden. Solche Anreize entstehen durch eine signifikante Abhängigkeit von einer variablen Vergütung, aber auch z.B. dadurch, dass hohe Abfindungen ohne Rücksicht auf persönliche Leistungen und Erfolge versprochen werden. Das Problem der falschen Anreizwirkung bei der Gestaltung der Boni wird überlagert und verstärkt vom Phänomen der exorbitanten Größe der Entgelte und Abfindungen bei Organmitgliedern und der für Kreditinstitute tätigen speziellen Wertpapier- oder Rohstoffhändler. Auch dieses Problem nahm von den USA seinen Ausgang und ist dort am stärksten ausgeprägt. Es besteht nicht nur im Bankensektor, sondern allgemein bei Großunternehmen, fand aber in der Finanzkrise besondere Aufmerksamkeit bei den Banken.74 In Deutschland hat das Finanzmarktstabilisierungsrecht vom Oktober 2008 denjenigen Banken, die staatliche Stabilisierungsmaßnahmen in Form der Rekapitalisierung (§ 7 FMStFG) oder [76] Risikoübernahme (§ 8 FMStG) erhalten, strikte Begrenzungen bei der Vergütung auferlegt.75 In den USA hat die Regierung den Empfängern von Staatshilfe ebenfalls nach Zögern Auflagen über Boni gemacht. Dass US-Banken, die nur durch den Staat vor dem Untergang gerettet wurden, bereits bald darauf wieder Boni in Milliardenhöhe ausschütteten, stieß in der Öffentlichkeit auf anhaltende Empörung. In der Tat sind das Marktspiel und sonstige Kontrollen bei den Spitzenentgelten der Großunternehmen in den USA seit langem mit der Folge einer hemmungslosen Bereicherung gestört. Das Gefühl für die Angemessenheit leistungsbezogener Entgelte für Führungsverantwortung ist verloren gegangen. Das Einkommensniveau ist exorbitant.76 Dieses seit län72 Rundschreiben 15/2009 (BA) v 14.8.2009 über Mindestanforderungen an das Risikomanagement; 22/2009 v. 21.12.2009 über aufsichtsrechtliche Anforderungen an Vergütungssysteme. 73 FAZ v. 16.1.2010, S. 13. 74 Im September 2009 ging durch die Presse die Nachricht, dass der für die US-Bank Citigroup tätige Rohstoffhändler A. Hall von seiner Bank, die mit Staatshilfe gerettet wurde, einen Jahresbonus von 100 Mio. USD erhalten solle; Süddeutsche 24.9.2009. S. 4; s. auch Fn. 77. 75 § 10 Abs. 2 Nr. 3 FMStFG; § 5 Abs. 2 Nr. 3–5, Abs. 4 FMStF-VO v. 20.10.2009; Horn, BKR 11/2008, 452, 453, 456. 76 Der Vorsitzende Blankfein des Board der Investmentbank Goldman, darauf angesprochen, dass er 2009 20 Mio. USD verdient, obwohl auch sein Unternehmen zeitweilig
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gerem bekannte Phänomen hat sich dadurch weiterentwickelt, dass aus naheliegenden Gründen die Anzahl der Bonusberechtigten immer mehr erweitert wurde, so dass heute Bonuszahlungen oft das Volumen dessen, was für die Dividende an die Aktionäre übrig bleibt, übersteigen.77 Die Spitzeneinkommen und das Bonuswesen ist nicht nur eine Belastung des sozialen Friedens in Zeiten großer Anlegerverluste und Arbeitslosigkeit, sondern erzeugt auch eine systemische Gefahr, weil es in der Branche eine Atmosphäre der Gier und des Hazardspiels fördert, die unmittelbar zur Krise beigetragen hat. Das rechtliche Problem liegt darin, eine angemessene Begrenzung mit dem Grundsatz der Vertragsfreiheit zu vereinbaren. Der deutsche Gesetzgeber hat dies versucht und auf beide Probleme – die Beseitigung falscher Anreize und die quantitative Begrenzung – mit dem neuen Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) reagiert. Es ist nicht auf den Finanzsektor beschränkt, sondern Teil des allgemeinen Aktienrechts.78 Daneben bleibt das Problem des allgemeinen Vertragsrechts, bestehende vertragliche Zusagen, die sich in einer Krise als unangemessen herausstellen, nach den Grundätzen über die Veränderung der Geschäftsgrundlage zu begrenzen. IX. Stärkung der Finanzaufsicht Das Aufsichtsrecht in der EU soll stärker vereinheitlicht werden. Erste Schritte sind die (oben III.) erwähnte Regelung der Vcrbriefung von Kreditforderungen durch Transparenzpflichten und einen Risikoselbstbehalt, die europäische Beaufsichtigung von Rating-Agenturen (oben IV.) und die Überwindung der institutsfixierten, nationalen Aufsicht durch die Schaffung des europäischen Rats für Systemrisiken (European Systemic Risk Council). Ein Europäisches System für Finanzaufsicht soll aus den drei bereits bestehenden Kooperationsausschüssen der Aufsichtsbehörden geschaffen werden, nämlich eine Europäische Bankaufsichtsbehörde (EBA, London), Versicherungsaufsichtsbehörde (EIOPA, Frankfurt/M) und Wertpapieraufsichtsbehörde (ESA, Paris).79 Das bereits erwähnte deutsche Gesetz zur Stärkung der Finanzmarkt- und Versicherungsaufsicht vom Juli 2009, das u.a. die (oben V.) erwähnte Festsetzung höherer Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen und die Anzeige von Risikokonzentrationen bei Gruppen vorsieht, nimmt
staatliche Unterstützung erhielt, hat seine eigene Arbeit als „Gottes Werk“ bezeichnet. Er hat 2007 68 Mio. USD verdient und besitzt Goldman-Aktien im Wert von 500 Mio. USD: FAZ v. 10.11.2009. 77 Goldman Sachs schüttete im Januar 2010 16,2 Mrd. USD an 32.500 Angestellte aus; es verblieben 13,4 Mrd. USD Gewinn für die Aktionäre; FAZ v. 22.1.2010, S. 16. 78 Gesetz v. 31.7.2009, BGBl. I 2009, 2479; dazu Seibert, WM 2009, 1489 ff. 79 Bericht ZBB 2009, 331.
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zum Teil Regelungsaufgaben vorweg, die noch auf europäischer oder internationaler Ebene zu entwickeln sind.80
F. Anlegerschutz durch Beratungshaftung Auch im Zusammenhang mit der Finanzmarktkrise kommt dem privatrechtlichen Anlegerschutz durch eine Haftung der Banken und sonstigen Anlagevermittler wegen Pflichtverletzung bei der Aufklärung und Beratung der Kunden eine besondere Bedeutung zu. Eine solche Haftung kann auch eine präventive Wirkung entfalten. Viele Anleger haben sich über die Risiken der Investition in Zertifikate getäuscht und Verluste erlitten. Allein vom Zusammenbruch der Investmentbank Lehman im September 2008 wurden auch 40.000 deutsche Privatanleger betroffen, denen zuvor deutsche Banken und Anlagevermittler Lehman-Zertifikate als solide Anlage verkauft hatten. Viele Anleger haben geltend gemacht, nicht gewusst zu haben, dass sie das volle Risiko der Bonität des Schuldners (Emittentenrisiko) selbst zu tragen haben, und von den Banken Schadensersatz wegen fehlerhafter Beratung verlangt.81 Die Rechtsprechung zu dieser Fallgruppe ist noch stark in Fluss. Einen die Haftung begründenden Beratungsfehler hat das LG Hamburg im fehlenden Hinweis der Bank, dass diese Anlage nicht der Einlagensicherung unterfällt, gesehen,82 aber auch in der unterlassenen Aufklärung über besondere Gewinne der Bank durch sog. kick-backs.83 Eine Pflicht, vor dem Lehman-Zusammenbruch Anlegern zum Verkauf zu raten, wurde verschiedentlich verneint.84 Viele Banken (z.B. Sparkasse Hannover, Citibank) haben sich zu freiwilligen Entschädigungen von Anlegern vor allem in Fällen, in denen der Erwerb der Zertifikate kurz vor dem Zusammenbruch erfolgte, auf Kulanzbasis bereit erklärt.85 Die Haftung wird bankaufsichtsrechtlich durch gesetzliche Aufklärungsund Sorgfaltspflichten flankiert, die vor allem im Wertpapierhandelsgesetz zu finden sind. Der deutsche Gesetzgeber hat 2009 die Gelegenheit der Ver Gesetz v. 29.7.2009. BGBl. I 2009 v. 31.7.2009, 2305. Problemüberblick Witte/Mehrbrey, ZIP 2009, 744 ff. Ablehnend LG Frankfurt/M. v. 28.11.2008 – 2–19 O 62/08, ZIP 2009. 184 (betr. Altfall von 2006); ablehnend Veil, WM 2009, 1585 ff. 82 LG Hamburg, WM 2009, 1593 = ZIP 2009, 1311 (betr. Altfall Dez. 2006). Str.; nach LG Chemnitz, WM 2009, 1505, war Anfang 2007 kein Hinweis auf das Emittentenrisiko erforderlich. 83 LG Hamburg, WM 2009, 1593 = ZIP 2009, 1311 und in ZIP 2009, 1948. Diese Hinweispflicht ist umstritten; vgl. z.B. OLG Celle, ZIP 2009, 2091. 84 LG Mainz, ZIP 2009, 1953; LG Berlin, ZIP 2009, 1953. 85 So z.B. Die Sparkasse Hannover und die Citibank. Die Frankfurter Sparkasse erklärte Anfang Januar 2010, von 5000 Anlegern 1600 zu 50 % entschädigen zu wollen (Gesamtkosten: 40 Mio. Euro); FAZ v. 12.1.2010, S. 17. 80 81
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abschiedung des neuen Schuldverschreibungsgesetzes genutzt, um weitere Transparenzpflichten im Hinblick auf das Beratungsgespräch mit dem Kunden zu schaffen: das Beratungsgespräch ist zu protokollieren und das Protokoll dem Kunden zu übermitteln (§ 34 Abs. 1 2a, 2b WpHG). Es besteht ein Rücktrittsrecht. Der Gesetzgeber verspricht sich davon eine bessere Durchsetzbarkeit der Ersatzansprüche der Anleger in Fällen fehlerhafter Beratung.86 Ob damit mehr Schutz produziert wird oder nur mehr Papier, bleibt abzuwarten. Es ist jedenfalls den Versuch wert. [77]
G. Schlussbemerkungen Das deutsche, europäische und internationale Bank- und Finanzmarktrecht befindet sich in einer dynamischen und unübersichtlichen Fortentwicklung. Es geht darum, mehr Transparenz und eine genauere Zuordnung der Verantwortung und Haftung im komplexen Spiel der Bankgeschäfte und Finanzmärkte rechtlich zu sichern. Manche der als notwendig erkannten Reformschritte sind getan, andere stehen noch an. Der vorstehende Bericht und die dazu gegebenen Analysen mussten wegen der großen Dimension des Gegenstandes in vieler Hinsicht lückenhaft und verkürzt bleiben. Gleichwohl ist ein solcher Überblick unentbehrlich wegen der zunehmenden Unübersichtlichkeit des Rechts der Bankwirtschaft und Finanzmärkte als Folge einer immer größeren Ausdifferenzierung. Die nachfolgenden Beiträge werden durch die vertiefte Behandlung einzelner Problemfelder das Bild ergänzen. Die Regelungsaufgaben sind, wie gezeigt, noch lange nicht bewältigt. Bisweilen stößt der Gesetzgeber oder die Aufsichtsbehörde aber auch an Grenzen der Regulierbarkeit. Ein Umdenken der Marktakteure ist notwendig. Gesetzgeber und Aufsichtsrecht können dieses Umdenken teils zu erzwingen suchen, teils anregen und jedenfalls unterstützen. Sie können es aber nicht ersetzen.
Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12814, 14.
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II. Internationales Wirtschaftsprivatrecht und Währungsrecht 2. Einzelfragen
Die neuere Rechtsprechung z. Missbrauch von Bankgarantien im Außenhandel Die neuere Rechtsprechung zum Missbrauch von Bankgarantien im Außenhandel IPRax 1981, 149–154 I. Die neueren Urteile und der Meinungsstand der Literatur Deutsche Gerichte hatten sich in jüngster Zeit ungewöhnlich häufig mit der Frage zu beschäftigen, unter welchen rechtlichen Voraussetzungen die Inanspruchnahme aus Garantien, die von Banken im Auftrag von Exporteuren zur Zahlungssicherung im Rahmen eines Außenhandelsgeschäfts gestellt werden, als unbegründet, insbesondere rechtsmißbräuchlich, abgewehrt werden kann und muß. Die LG Frankfurt und Dortmund haben deutschen Banken, die mit der Besorgung solcher Garantien beauftragt waren, auf Antrag des Exporteurs als des Garantieauftraggebers im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt, erhobene oder bevorstehende Zahlungsanforderungen des Garantieberechtigten (Importeurs) und der dazwischengeschalteten Zweitbank (im Land des Importeurs) zu erfüllen1. Das OLG Saarbrücken und das LG Braunschweig haben ebenfalls diese rechtliche Möglichkeit der Abwehr einer mißbräuchlichen Benutzung der Garantie grundsätzlich bejaht, im gegebenen Fall allerdings deren Voraussetzungen verneint und bereits erlassene Verfügungen wieder aufgehoben2. Grundsätzliche Bedenken gegen diesen Weg äußern LG München und Stuttgart und das OLG Stuttgart3. Bereits früher hatten sich Gerichte mit Fällen des Fristablaufs einer Garantie zu befassen. Dabei geht es zwar nicht um die typische Problematik eines Rechtsmißbrauchs der Garantie; diese Problematik wird aber in verschiedenen Punkten berührt. Das OLG Hamburg hat festgestellt, daß eine Bank nach Fristablauf nicht verpflichtet und gegenüber ihrem Kunden nicht berechtigt sei, eine Garantie zu honorieren, und daher keine Sicherheit für einen Aufwendungsersatzanspruch gegen den Kunden beanspruchen könne4.
1 In diesem Heft S. 165 (= WM 1981, 284; NJW 1981, 56 m. Anm. Hein) u. WM 1981, 280. 2 In diesem Heft S. 168 (= WM 1981, 278) u. WM 1981, 275. 3 LG München, WM 1981, 416 (Begründung nicht ganz deutlich; vgl. i. F. Text zu Fn. 49); LG und OLG Stuttgart, WM 1981, 631 u. 633. Letztere Urteile (die unterschied liche Fälle betreffen) konnten nur in den Fahnen und damit knapper berücksichtigt werden. 4 AWD 1978, 615.
768 Die neuere Rechtsprechung z. Missbrauch von Bankgarantien im Außenhandel
Das OLG Stuttgart hat in einem anderen Urteil den Zahlungsanspruch aus Garantie nach Fristablauf für unbegründet erklärt5. Bei den entschiedenen Fällen handelt es sich durchweg um Garantien „Zur Zahlung auf erstes Anfordern“, die dem Garantieberechtigten (Importeur) nach freier Entscheidung einen raschen Zugriff auf die Sicherheit durch Einfordern der Garantie ermöglichen. Daran knüpfen sich gegenläufige Befürchtungen der Beteiligten6. Die Exportwirtschaft in Deutschland ebenso wie in anderen westlichen Industrieländern befürchtet aufgrund negativer Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit, daß die Garantie mißbräuchlich in Fällen ausgenutzt ist, in denen dies nach ihrem Sicherungszweck nicht gerechtfertigt ist und der Exporteur als Garantiesteller, der gegenüber seiner Bank für die Garantiesumme aufkommen muß, im Ergebnis einen Schaden erleidet, den er wegen der Schwierigkeit der Rechtsverfolgung im Ausland gegen den Importeur (Garantieberechtigten) nicht wieder ausgleichen kann. Umgekehrt befürchten die mit der Garantiebesorgung beauftragten deutschen Banken, daß die rechtliche Möglichkeit einer Abwehr mißbräuchlicher Inanspruchnahme der Bankgarantien sie in einen Streit zwischen Exporteur und Importeur über den Sicherungszweck und damit letztlich auch über das Grundgeschäft hineinzieht, der sie bei der Abwicklung der Garantie im Prinzip nichts angeht. Ferner fürchten sie um ihr geschäftliches Ansehen und letztlich ihre Position im internationalen Geschäft, wenn sie eine Garantieanforderung nicht honorieren, weil dies nach deutscher Rechtsauffassung notwendig oder gar von einem deutschen Gericht im Eilverfahren angeordnet ist, während die Zahlungsablehnung im Ausland auf Unverständnis und möglicherweise auf Gegenmaßnahmen stößt. Es ist daher nicht überraschend, daß das Problem eine lebhafte Diskussion in der Literatur ausgelöst hat. Dabei fehlt es nicht an grundsätzlicher Zustimmung zu Urteilen, in denen eine einstweilige Verfügung gegen die Bank erlassen wurde7. Andere Autoren betonen die Notwendigkeit großer Zurückhaltung bei der Anerkennung von Fällen des Rechtsmißbrauchs8 oder befürchten gefährliche „neue Tendenzen bei Bankgarantien im Außenhandel“, die man abwehren müsse, um nicht das Institut der Bankgarantie als Instrument der Zahlungssicherung im Außenhandel auszuhöhlen und damit „das Kind mit dem Bade auszuschütten“9. Gerade die jüngsten Urteile dürfen daher auf größte Aufmerksamkeit in der Praxis rechnen. Viele praktisch bedeutsame Einzelfragen bedürfen weiterer Klärung. Fast überraschend angesichts der bewegten Diskussion ist demgegenüber die Tatsache, daß in einer Reihe grundsätzlicher Fragen durchaus Übereinstimmung oder zumindest vorherrschende Meinungen festzustellen sind. Es scheint allerdings, daß mit der Zunahme der Judikatur das Bild eher verwirrender wird.
[150] Vorweg sei daher der Meinungsstand und teilweise Konsens in den folgenden Grundfragen festgehalten: (1) Der (abstrakte) Garantieanspruch kann unstreitig Inhaltseinwendungen ausgesetzt sein, namentlich der Einwendung des Fristablaufs. Solche Einwendungen lagen in den vom OLG Hamburg und OLG Stuttgart ent-
WM 1979, 733. Problemanalyse bei Horn, NJW 1980. 2153. Zur seitdem erschienenen Lit. i. F. 7 Horn aaO.; Hein aaO.; Schütze RiW 81, 83. 8 Stockmayer AG 1980, 326. 9 Graf von Westphalen, WM 1981, 294 (304). 5 6
IPRax 1981, 149–154
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schiedenen Fällen vor. Auch im Fall des LG München spielte eine Inhaltseinwendung eine Rolle10. (2) Ausnahmsweise kann dem Garantieanspruch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (des Rechtsmißbrauchs) entgegenstehen. Dies wird von den OLG Saarbrücken und Hamburg ebenso bejaht wie von den LG Frankfurt, Dortmund und Braunschweig, aber auch von den LG München und Stuttgart nicht in Abrede gestellt11. Auch in der Literatur herrscht darüber absolute Einigkeit12. Über den Ausnahmecharakter dieser Einwendung ist man sich ebenfalls einig13. Die Meinungsverschiedenheiten beschränken sich darauf, mit welcher Intensität man diesen Ausnahmecharakter im grundsätzlichen beschwört und im einzelnen durch Herausarbeitung einschränkender Kriterien absichert14. Bei der Präzisierung dieser Kriterien ist noch manches klärungsbedürftig; die neueren Urteile können hier zur Klärung beitragen. Eine Meinungsverschiedenheit besteht schließlich in der rechtspolitischen Bewertung, nämlich ob man die Lösung der Problematik durch Herausarbeitung allgemeinerer Kriterien und ggf. gewisse Korrekturen der Kautelarpraxis fördern kann und soll oder ob man besser am gegenwärtigen Zustand möglichst nicht rührt15. (3) Sofern der Bank, die mit der Garantiebesorgung beauftragt wurde, eine Einwendung gegen den Garantieanspruch gemäß (1) oder (2) zu Gebote steht, ist sie gegenüber ihrem Garantieauftraggeber (Exporteur) verpflichtet, nicht auszuzahlen. Dies ist in der Mehrzahl der Entscheidungen anerkannt, neuerdings aber kontrovers16. (4) Der Garantieauftraggeber (Exporteur) kann seinen Anspruch gegen die Bank, die Garantiesumme nicht auszuzahlen, im Wege der einstweiligen Verfügung sichern. Die Möglichkeit, diese prozessuale Eilmaßnahme in Anspruch zu nehmen, wurde von der Mehrzahl der Gerichte im Grundsatz bejaht (OLG Saarbrücken und LG Frankfurt, Dortmund und Braunschweig), vom LG München und dem OLG Stuttgart jedoch verneint17. Allerdings haben auch das OLG Saarbrücken und das LG Braunschweig im konkreten Dazu i. F. II. Das LG München zitiert insoweit zustimmend BGHZ 60, 264. 12 Vgl. die Lit, zu Fn. 7–9. jeweils mit umfangreichen Nachweisen. Dies gilt auch für die Beiträge von Stockmayer und Westphalen. 13 Hörn, NJW 1980, 2153, 2157; Hein NJW 1980, 58. 14 Zu solchen Kriterien schon Horn aaO.; weitergehend Stockmayer aaO. 15 Dies dürfte der Kern der von Graf von Westphalen aaO. (Fn. 9) dargestellten Kontroverse mit meiner Auffassung sein. 16 OLG Hamburg, Saarbrücken u. Stuttgart (Fn. 2, 4 u. 5); LG Frankfurt, Dortmund, Braunschweig (Fn. 1 u. 2); Gegenansicht: LG München u. 2. Urteil OLG Stuttgart (beide Fn. 3). Zum Ganzen i. F. V. 17 Vgl. oben Text bei Fn. 1–3 und i. F. V. 10 11
770 Die neuere Rechtsprechung z. Missbrauch von Bankgarantien im Außenhandel
Fall im Ergebnis verneint, daß die Voraussetzungen einer einstweiligen Verfügung gegen die Bank erfüllt seien bzw. fortbestünden18. Dies zeigt, daß die Gerichte mit diesem Instrument bei Bankgarantien vorsichtig und zurückhaltend umgehen. Auch in der Literatur überwiegt im Unterschied zum früheren, freilich etwas unklaren Meinungsstand heute die Tendenz, daß der Weg der einstweiligen Verfügung des Exporteurs gegen die beauftragte Bank gangbar ist19. Bedenken äußern das LG Stuttgart und Graf von Westphalen für den Fall, daß eine Zweitbank als Garant im Importland eingeschaltet ist20. Solche „indirekten“ Garantien machen allerdings den Regelfall unseres Problems aus. Dabei ergibt sich die folgende Vertragskette: Garantieauftrag (§§ 631, 675 BGB) des Exporteurs an seine deutsche Bank (Erstbank), sodann Garantieauftrag der Erstbank an eine Bank im Importland (Zweitbank). Die Ausführung der Aufträge ergibt eine Kette von Garantieansprüchen: die Zweitbank wird Garant gegenüber dem Importeur; die Erstbank garantiert der Zweitbank Erstattung der Garantiezahlung (Rückgarantie).
II. Einwendungen gegen den abstrakten Garantieanspruch Alle Urteile betonen die abstrakte Natur der Garantie, d. h. ihre Unabhängigkeit vom gesicherten Anspruch aus dem Grundverhältnis, die bei der indirekten Garantie besonders deutlich ist und durch die Zahlungsverpflichtung auf erstes Anfordern unterstrichen wird. Auch ein abstrakter Anspruch unterliegt jedoch grundsätzlich drei Arten von Einwendungen: gegen seine Gültigkeit, aus seinem Inhalt sowie solchen Einwendungen, die im Verhältnis von Gläubiger und Schuldner direkt begründet sind. Diese Binsenwahrheit, die uns aus dem Recht der Anweisung und aus dem Wertpapierrecht geläufig ist21, ist von erheblicher praktischer Bedeutung und setzt sich in der einen oder anderen Weise in allen Rechtsordnungen durch. Für unser Problem von größter praktischer Bedeutung sind Inhaltseinwendungen. Garantien im Außenhandel sind regelmäßig befristet, und der Ablauf der Frist ist die Inhaltseinwendung mit der größten praktischen Bedeutung. Dies ist noch (i. F. III) zu erörtern. Eine andere Inhaltseinwendung spielte in dem vom LG München entschiedenen Fall eine Rolle. Hier war eine Anzahlungsgarantie gestellt, die den Importeur wegen seiner geleisteten Anzahlung sicherstellen sollte (repayment guarantee). Der Verpflichtungserklärung war die Klausel beigefügt, daß die Garantiesumme sich schrittweise mit der i. F. IV Text zu Fn. 43 und 44. Horn aaO. S. 21, 57 f; Hein aaO. S. 58; im Prinzip auch Stockmayer und Graf von Westphalen aaO.; unentschieden Schütz, WM 1980, 1438 und RiW 81, 83. 20 Westphalen aaO. (Fn. 9) S. 305; LG Stuttgart aaO. (Fn. 3). Wenig später hat das gleiche Gericht den gegenteiligen Standpunkt vertreten (Fall des OLG Stuttgart aaO. Fn. 3). 21 Vgl. §§ 784 I, 796 BGB; allg. Rehfeld-Zöllner, Wertpapierrecht, 12. Aufl. 1978, § 21. 18 19
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Erbringung der Leistung des Exporteurs und entsprechenden Ratenzahlungen des Importeurs ermäßigen solle. Da diese Voraussetzungen inzwischen erfüllt waren, erzielten die Parteien des Eilverfahrens (Exporteur und Bank) Übereinstimmung darüber, daß sich der Garantieanspruch entsprechend ermäßigt hatte, und erklärten daraufhin insoweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt. Auch die deutsche Bank stellte sich damit auf den Standpunkt, daß sie diese Inhaltseinwendung gegen den Garantieanspruch ggf. erheben könne und müsse. Der Fall erinnert daran, daß neben dem Fristablauf andere inhaltliche Einwendungen möglich und nicht unüblich sind. Es handelt sich um eine Frage der inhaltlichen Gestaltung der Garantie durch die Kautelarpraxis. Vor allem kommt es auf die Definition des Garantiefalles an. Meist ist dieser ganz knapp und abstrakt gefaßt. Durch „Effektivklauseln“, die bei Inanspruchnahme der Garantie eine besondere Erklärung über den Eintritt des Garantiefalles in verschiedener Form verlangen, wird eine deutlichere Beziehung zum Sicherungszweck hergestellt22. Weitergehend kann der Garantiefall ausführlich definiert und es können formale Anforderungen für den Nachweis seines Eintritts vorgesehen sein, so daß eine starke Verbindung zum Sicherungszweck (in unseren Fällen: Sicherung einer Forderung) hergestellt wird. Der abstrakte Charakter der Garantie wird hier schrittweise reduziert23. Der Einwand des Mißbrauchs der Garantie wird dann u. U. zur Inhaltseinwendung. Die von der Internationalen Handelskammer 1978 vorgeschlagenen Richtlinien für „Vertragsgarantien“ verfolgen diesen Weg, indem sie ausführliche Bezugnahmen auf den Garantiefall, bestimmte Nachweise und damit auch bestimmte Verzögerungen in der Garantieabwicklung vorsehen24. Dies sind auch die Gründe dafür, daß die Richtlinien bei den Banken nicht auf Gegenliebe gestoßen sind und von verhandlungsstarken Importeuren kaum akzeptiert werden. Immerhin haben Vertragsgarantien dieser oder anderer Art einen [151] kleineren Anteil am internationalen Geschäft, der auf 10–20 % geschätzt wird.
Bei den Garantien „Zur Zahlung auf erstes Anfordern“, mit denen die Urteile befaßt waren, konnte ein Rechtsmißbrauch nicht als Inhaltseinwendung geltend gemacht werden. Es blieb aber die Möglichkeit, hier ausnahmsweise gem. § 242 BGB eine Gültigkeitseinwendung zu gewähren. Im Inhalt der Garantieerklärung findet diese Einwendung allein keine Grundlage. Aber dies ist bei allen Gültigkeitseinwendungen so. Immerhin sei angemerkt, daß auch eine ganz abstrakt gefaßte Garantieerklärung schon zu Zwecken der Identifizierung irgendeine inhaltliche Bezugnahme auf den Sicherungszweck und das Grundverhältnis enthält. Dies geschieht durch generelle Kennzeichnung des Sicherungszwecks als Leistungs- bzw. Erfüllungsgarantie (performance guarantee), als Bietungsgarantie oder als Anzahlungs- bzw. Rückzahlungsgarantie. In den entschiedenen Fällen lagen durchweg Erfüllungsgarantien vor, im Fall des LG München zusätzlich die erwähnte Anzahlungsgarantie. Das Grundverhältnis wird zumindest durch Bezeichnung der
Horn, aaO. S. 2156 m. Nachw. Grundsätzlich dazu Staudinger-Horn, BGB 12. Aufl. 1982, Vorbem. 74 u. 78 zu § 765. 24 ICC, Uniform Rules for Contract Guarantees. Paris 1978; dazu Stumpf, RiW 1979, 1. 22 23
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Parteien und der Vertragsnummer in Bezug genommen. Aus diesen Bezugnahmen sollen hier keine Folgerungen im Hinblick auf Inhaltseinwendungen abgeleitet werden. Immerhin ist hier bei aller Abstraktheit „ein Erdenrest zu tragen peinlich“ zu vermerken, ein unvermeidlicher Hinweis darauf, daß die Bankgarantie natürlich zur Sicherung einer bestimmten Forderung (oder eines Erfolges im Fall der Bietungsgarantie) bestellt ist.
III. Die Garantiefrist Bankgarantien im Außenhandel sind regelmäßig befristet. So war es auch in allen Fällen der oben aufgezählten Urteile. Zweckmäßigerweise wird die Frist so gewählt, daß dem Importeur nach Ablauf der Frist für die Vertragserfüllung noch eine gewisse Nachprüfungs- und Überlegungsfrist verbleibt, ob der Garantiefall eingetreten ist. Die Garantie läuft daher meist einige Wochen oder auch Monate nach Ablauf der Erfüllungsfrist, der vorgesehenen Abnahme des Werkes oder auch der vertraglichen Gewährleistungsfrist ab. Im ersten Fall des OLG Stuttgart5, der ein reines Exporthandelsgeschäft betraf, war die Garantiefrist so ungeschickt gewählt, daß ihr Ende mit dem Ende der Erfüllungszeit zusammenfiel. Der Importeur kann dann erst am letzten Tag feststellen, ob sein Partner erfüllt hat oder nicht, z. B. ob die Waren verschifft oder im Hafen eingetroffen sind. Auch der Exporteur als Garantieauftraggeber kann mit der Garantiefrist Probleme haben. Nicht selten verlangen die Garantieberechtigten eine Fristverlängerung. Sie wird regelmäßig zugestanden, weil andernfalls der Garantieberechtigte die Garantie einzufordern droht („pay or extend“)25. In dem vom LG Frankfurt entschiedenen Fall wurde der Exporteur durch eine solche Drohung mehrfach gezwungen, eine Verlängerung der Garantie zu veranlassen, ohne daß sich der Importeur die Mühe machte, dieses Verhalten irgendwie zu rechtfertigen. Das Gericht hat dies zutreffend als eines von mehreren Indizien für rechtsmißbräuchliches Verhalten des Importeurs als Garantieberechtigten angesehen. Allerdings kann die Fristverlängerung keineswegs für sich betrachtet als Indiz für Rechtsmißbrauch gelten. Häufig wird es vielmehr so liegen, daß die Fristverlängerung gerade dazu dienen soll, in der Zwischenzeit eine Klärung der Frage, ob bei der Abwicklung des Grundgeschäfts der Garantiefall eingetreten ist, und eine gütliche Einigung herbeizuführen. So scheint es auch in dem vom OLG Saarbrücken entschiedenen Fall zu sein, wo die Zweitbank sogar bereit war, gegen Fristverlängerung den bereits an sie überwiesenen Betrag zurückzuüberweisen. Wichtig für die Fristwahrung ist es natürlich, daß der Berechtigte innerhalb der Frist die Garantie unzweideutig einfordert, was im Fall des zweiten Urteils des OLG Stuttgart3 tatsächlich streitig war. Nachw. bei Horn, NJW 1980, 2154.
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Ist die Garantiefrist abgelaufen, ohne daß die Garantie eingefordert wurde, ist der Exporteur als Garantiesteller gleichwohl noch nicht aller Sorgen ledig. Die Garantie (der Zweitbank) untersteht regelmäßig dem Recht des Importlandes (dazu unten VI). Nach den Rechten mancher Länder genügt es, daß der Garantiefall in der Frist eingetreten ist; die Einforderung der Garantie kann dann auch noch später, z. T. in den Grenzen einer gewissen Nachfrist, erfolgen. Es gibt ferner Vorschriften, daß gegenüber staatlichen Stellen eine Garantie bis zur Enthaftungserklärung weitergilt oder daß Erfüllungsgarantien überhaupt nicht befristet werden können und zumindest bis zur Rückgabe der Garantieurkunde weiter in Kraft sind26. Wenig Trost verspricht es, daß die Rechtslage für manche Länder nicht eindeutig zu ermitteln ist. Unter diesen Umständen erhält eine förmliche Enthaftungserklärung des Garantieberechtigten und dann der Zweitbank besondere Bedeutung; gleiches gilt für die Rückgabe der Urkunde. Beides wird daher auch häufig in besonderen Klauseln ausdrücklich vereinbart.
Wichtig ist unter diesen Umständen die klare und zutreffende Feststellung des OLG Stuttgart5, daß der Garantieanspruch mit Fristablauf erloschen ist. Auch die Entscheidung des OLG Hamburg unterstreicht diesen Grundsatz27. Die Verpflichtung der deutschen Bank (Erstbank) aus der Rückgarantie ist jedenfalls nach §§ 163, 158 Abs. 2 BGB erloschen. Gleiches würde z. B. nach englischem common law gelten28. Ganz allgemein ist die strenge Beachtung von Befristungen im internationalen Bankverkehr als Rechtsgrundsatz anerkannt29. Deutsche Banken vereinbaren üblicherweise formularmäßig mit ihren Garantieauftraggebern, daß die Belastung auf Avalkonto erst dann ausgebucht und die Berechnung einer Avalprovision eingestellt wird, wenn entweder die „Gegengarantie zurückgegeben“ oder Haftungsentlassung durch die Zweitbank erklärt ist. Dies geschieht aus der Sorge heraus, aus den vorgenannten Gründen auch nach Fristablauf noch in Anspruch genommen zu werden. Die erwähnten Urteile zeigen, daß diese Sorge jedenfalls de iure unbegründet ist. Das OLG Hamburg stellt ferner klar, daß die Bank nach Fristablauf auch keine Sicherheit wegen ihres Aufwendungserstattungsanspruchs gegen den Garantieauftraggeber hat, weil ein solcher Anspruch nicht mehr besteht. Über die vorerwähnte Klausel hat das OLG Hamburg nicht direkt entschieden. Die Banken selbst bestehen in der Praxis nicht auf deren buchstäblicher Erfüllung und geben zumal in der Frage der fortdauernden Avalprovision nach, wenn das Risiko einer rechtlich begründeten Inanspruchnahme aus der Garantie nicht mehr besteht oder sehr gering ist. Das Urteil des OLG Stuttgart5 beschäftigt sich noch mit einem Sonderproblem des Frist ablaufs im Außenverhältnis zum Garanten. Im Streitfall war am letzten Tag der Garantiefrist der Bankverkehr wegen des Kriegs im Libanon lahmgelegt, eine Einforderung der
Zum Ganzen Pleyer, WM Sonderbeilage 2/73 S. 17; vgl. auch OLG Hamburg aaO. aaO. (Fn. 4 u. 5). 28 Vgl. z. B. Kenneth Smith/Denis J. Keenan, Essentials of Mercantile Law, 3. Aufl. Bath 1973, S. 442: „The duration of the guarantee depends upon its terms“. 29 Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 212 26 27
774 Die neuere Rechtsprechung z. Missbrauch von Bankgarantien im Außenhandel Garantie nicht möglich. Eine frühere Einforderung der Garantie war jedenfalls mit guten Gründen nicht möglich gewesen, weil die Erfüllungszeit noch lief und Erfüllungsfrist und Garantiefrist ungeschickterweise zusammenfielen. Der Garantieberechtigte berief sich daher auf höhere Gewalt. Die Berufung der Bank auf den Fristablauf stellte nach Ansicht des Klägers daher eine unzulässige Rechtsausübung gem. § 242 BGB dar. Das OLG Stuttgart betont demgegenüber, daß die Befristung strikt zu beachten sei, wobei das Gericht eine Parallele zum Grundsatz der Dokumentenstrenge im Recht des Akkreditivs zieht30. [152] Das Urteil wird aber letztlich nicht auf diesen Gesichtspunkt gestützt. Immerhin wird nach deutschem Recht durch höhere Gewalt eine Verjährungsfrist gehemmt und die Vorlegungsfristen für Wechsel und Scheck werden verlängert31. Das Gericht deutet zutreffend an, daß auch gegenüber der Berufung auf den Fristablauf durchaus der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung denkbar sei. Das Gericht prüft auch indirekt diesen Einwand, indem es in einer materiellen Betrachtungsweise den zu sichernden Erfüllungsanspruch aus Vertrag in seine Überlegungen einbezieht. Die gleichen Umstände höherer Gewalt, die den Importeur an der rechtzeitigen Geltendmachung der Garantie gehindert hatten, ließen mit großer Wahrscheinlichkeit auch eine Haftung des Exporteurs als des Garantiestellers wegen nicht rechtzeitiger Vertragserfüllung entfallen und befreiten ihn u. U. von der Leistung. Somit fehlte es auch an einem fortdauernden Sicherungszweck für die Garantie. Der Einwand des Rechtsmißbrauchs des Garantieberechtigten gegenüber der Berufung auf den Fristablauf mußte letztlich an dieser materiellen Überlegung scheitern, die allerdings im Urteil nur angedeutet wurde.
IV. Kriterien für den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung gegen den Garantieanspruch Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (des Rechtsmißbrauchs) gegen den Garantieanspruch, der im Prinzip fast einhellig zugelassen wird32, gehört zur Fallgruppe des Mißbrauchs einer formalen Rechtstellung33. Die Urteile des OLG Saarbrücken und der LG Frankfurt, Dortmund und Braunschweig tragen dazu bei, die Voraussetzungen zu präzisieren, unter denen dieser Einwand anerkannt wird. Notwendiges, wenngleich nicht allein hinreichendes Kriterium für den Rechtsmißbrauch ist die Verwendung der Sicherheit entgegen dem Sicherungszweck. Dieser Sicherungszweck kann auch bei abstrakt definierten Garantien stets und notwendigerweise iden-
30 Zu diesem Grundsatz Horn, in: Horn-von Marschall-Rosenberg-Pavicevic, Dokumentenakkreditiv und Bankgarantien im internationalen Zahlungsverkehr (1977) S. 14 f; vgl. auch Art. 8a Einheitliche Richtlinien und Gebräuche für Dokumentenakkreditive (1974); vgl. auch BGH, MDR 1958, 217 und 407 f. 31 § 203 Abs. 2 BGB; Art. 54 Abs. 1 WG; Art. 48 Abs. 1 ScheckG. 32 Vgl. oben Fn. 11–14 und Text dazu. 33 Allg. dazu Staudinger-Weber, BGB 11. Aufl. 1961, § 242 Rz. D 83 ff; BGH BB 1955, 463; 1958, 541.
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tifiziert werden34. Bei einer Bietungsgarantie (bid bond; tender guarantee) etwa ist der Garantiefall nach dem Sicherungszweck nicht gegeben, wenn dem Garantiesteller der Zuschlag nicht erteilt wurde35. Bei Erfüllungsgarantien, wie sie hier durchweg vorlagen, kann der Garantiefall nach dem Sicherungszweck nicht gegeben sein, wenn der zu sichernde Erfüllungsanspruch aus dem Exportgeschäft nicht (mehr) besteht, insbesondere durch Erfüllung untergegangen ist. Folgerichtig erörtern alle Urteile den Erfüllungsanspruch aus dem Liefervertrag des Exporteurs mit dem Importeur. Erste Voraussetzung für eine einstweilige Verfügung gegen die Bank wegen Rechtsmißbrauchs des Garanten, wie sie auch in den Fällen des OLG Saarbrücken und des LG Braunschweig zunächst erlassen worden war, war die Annahme des Gerichts, daß der zu sichernde Erfüllungsanspruch nicht (mehr) bestand36. Diese Voraussetzung genügt aber unstreitig noch nicht. Alle Urteile betonen den abstrakten Charakter des Garantieanspruchs, der eine Berücksichtigung des gesicherten Anspruchs nur ausnahmsweise zuläßt. Die Urteile sind daher um die Herausarbeitung weiterer Kriterien bemüht, welche die durch Treu und Glauben gebotene Regeldurchbrechung, d. h. die Vernachlässigung der Abstraktheit des Garantieanspruchs, einerseits legitimieren, andererseits im Interesse der Rechtssicherheit und Praktikabilität eingrenzen. Die Gerichte umschreiben diese Kriterien des Rechtsmißbrauchs in zwei Richtungen: die Zweckwidrigkeit muß offenkundig sein37, und es müssen besondere, erschwerende Umstände hinzutreten38. Das Erfordernis der Offenkundigkeit hat mehrere Aspekte. Natürlich hat jeder Schuldner die (objektive) Beweislast für den Einwand des Rechtsmißbrauchs. Sie trifft also die garantierende Bank als Schuldner des Garantieberechtigten. In den hier betrachteten Fällen hat die Beweislast der Exporteur, der von der Bank erreichen will, daß sie nicht auszahlt. – Im Rahmen der Eilverfahren gem. §§ 935, 940 ZPO ist mit der Offenkundigkeit noch ein anderes Problem angesprochen. Grundsätzlich genügt hier Glaubhaftmachung. Andererseits darf die abstrakte Garantie als Instrument des Handels nicht ausgehöhlt werden und die Bank muß jedenfalls in der Lage sein, ihrerseits
Vgl. oben II a. E. Zutr. Schütze, RiW 1981, 83. 36 LG Dortmund: Lieferung und Abnahme von Motorstaplern; LG Frankfurt: 97 von 100 Ziegeleimaschinen geliefert. Rest trotz Holschuld („ex works“) nicht abgeholt; OLG Saarbrücken: Gefrierfleischlieferung erfüllt, aber Gewährleistungsansprüche offen; LG Braunschweig: Produktionsanlage geliefert und abgenommen. 37 Alle Urteile verwenden den Ausdruck „offensichtlich“. 38 Das LG Frankfurt spricht von „gröblicher“ Verletzung von Treu und Glauben durch „extreme Fälle“, das OLG Saarbrücken von „betrügerischem Verhalten“ (als einem Unterfall). 34 35
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erfolgreich den Einwand des Rechtsmißbrauchs zu erheben39, worauf das OLG Saarbrücken zutreffend hinweist. Eine starke Meinung verlangt daher „liquide Beweisbarkeit“40. Die Urteile begnügen sich damit, an die Glaubhaftmachung strenge Anforderungen zu stellen. Das ist gesetzeskonform und praktikabler. Die Glaubhaftmachung sollte allerdings auf „liquide“ Gründe gestützt werden. Eidesstattliche Versicherungen etwa genügen allein nicht41, wohl aber Urkunden und Unterlagen auch dann, wenn für einen Vollbeweis, wie er bei einem Unterlassungsurteil gegen die Bank erforderlich ist, vielleicht andere Voraussetzungen gelten42. – Schließlich bedeutet Offenkundigkeit auch, daß der Mißbrauch offen zu Tage liegen, daß er „eklatant“ (LG Dortmund) sein muß. Dies berührt sich mit dem Kriterium der „Schwere“. Diese Offenkundigkeit haben sowohl das OLG Saarbrücken wie das LG Braunschweig verneint. Im ersteren Fall war eine Sachmängelhaftung des Exporteurs streitig. An der einwandfreien Lieferung bestanden zumindest Zweifel; Anhaltspunkte dafür konnten nicht genügen. In der Tat würde die Garantie entwertet, wenn sie bei jedem Streit im Liefergeschäft ausgeschaltet werden könnte. Dies kann nun nicht heißen, daß der Einwand des Rechtsmißbrauchs immer entfällt, wenn „nur“ ein Streit über das Grundverhältnis besteht, wie etwa Stockmayer meint43. Danach wäre der Einwand des Rechtsmißbrauchs schon ausgeschlossen, wenn der Garantieberechtigte auch ganz unglaubwürdige und widersprüchliche Behauptungen aufstellt, z. B. trotz Abnahme die Erfüllung schlechthin bestreitet. Das LG Braunschweig hat dem Exporteur angekreidet, daß er nach Erlaß der Verfügung nicht das vertraglich vereinbarte Schiedsgericht zur Klärung des Streits bemüht hatte. Er hatte damit nicht genug für eine (fortdauernde) „Offenkundigkeit“ getan. Daß der Exporteur gute Gründe gehabt haben mag, nicht durch ein Schiedsverfahren das Verhandlungsklima mit dem Importeur zu belasten, mag verständlich sein, konnte aber de iure dem Exporteur genauso wenig helfen, wie die Gerichte umgekehrt den Erwägungen der Banken im Hinblick auf die Pflege ihrer Geschäftsbeziehungen im Importland nicht nachgeben44. Das Kriterium der „Schwere“ des Mißbrauchs gewinnen die Gerichte letztlich aus einer Gesamtwürdigung, die bei § 242 BGB immer geboten ist. Die erörterte Offenkundigkeit ist ein Aspekt davon. Im Zusammenhang mit glaubhafter Erfüllung des gesicherten Anspruchs ist z. B. relevant, daß der Berechtigte trotz größter Zweifel an Existenz bzw. [153] Fortbestand der Horn aaO. S. 2157. z. B. Canaris, Großkomm z. HGB III/2, 3. Aufl. 1975/78, Anhang F nach § 357 HGB Anm. 524; Stockmayer aaO. S. 333; weit. Nachw. bei Horn aaO. S. 2158. 41 Zutr. Hein NJW 1981, 58; allg. Horn aaO. S. 2158. 42 Vgl. LG Dortmund: für die Abnahme wurde die englische Übersetzung des Abnahmeprotokolls ohne Unterschrift als ausreichend betrachtet. 43 aaO. S. 335. 44 Vgl. auch i. F. V. a. E.; aA im letzteren Punkt wohl nur LG Stuttgart (Fn. 3). 39 40
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gesicherten Forderung auf Rückfrage schweigt oder ganz fadenscheinige oder widersprüchliche Erklärungen abgibt, indem er sich etwa auf einen geringfügigen, versicherten Transportschaden beruft (LG Dortmund) oder fehlende Restlieferung und mangelnde Montage rügt, obwohl Holschuld vereinbart und keine Montage versprochen war (LG Frankfurt). Immer kommt es auch auf das gegenwärtige Verhalten des Garantieberechtigten an, wie das LG Frankfurt zutreffend betont. In der Tat ist dies seit jeher eine Voraussetzung der exceptio doli generalis vel praesentis. Indiz für ein zu mißbilligendes Verhalten kann außer der Art der Einlassung auch sein, daß ständig und ohne Begründung über längere Zeit die Verlängerung der Garantie erzwungen wird („pay or extend“) (LG Frankfurt). Anders kann es allerdings sein, wenn die Fristverlängerung der gütlichen Klärung dienen soll; dies ist in der Praxis nicht selten und war u. U. im Fall des OLG Saarbrücken zu bejahen. Ob Kenntnis oder zumindest Fahrlässigkeit der Unkenntnis des Rechtsmißbrauchs vorliegen muß, ist umstritten. Das OLG Saarbrücken scheint dies zu bejahen. Zweifellos ist vorsätzliches Handeln, etwa ein Betrug nach Plan, ein wichtiger Unterfall45. Aber begriffsnotwendig ist ein Verschulden, gar ein Vorsatz, nicht, anders als bei § 826 BGB46. Mangelnde Kenntnis kann daher nicht durchweg den Einwand des Rechtsmißbrauchs entkräften. Diese Frage ist wichtig wegen der Einschaltung der Zweitbank im Importland, deren Rückgarantieanspruch die deutsche Bank des Exporteurs ausgesetzt ist. Auf ein Verschulden (Kenntnis) der Zweitbank kommt es also im Grundsatz nicht an. Die naheliegende, aber heikle Untersuchung, ob der Zweitbank ein Verschulden des Importeurs dann zugerechnet werden kann, wenn beide staatliche Stellen sind47, kann daher in der Regel unterbleiben. Der Mißbrauch der Erstgarantie ergreift wegen des funktionalen Zusammenhangs auch die Rückgarantie. Niemand darf den Rechtsmißbrauch eines anderen unterstützen, wie das LG Frankfurt lapidar feststellt. Dieses Ergebnis wird vom LG Stuttgart3 abgelehnt: ein Mißbrauch des Garantieberechtigten berühre bei indirekten Garantien die Zweitbank nicht, außer im Fall einer Kollusion. Wenig später hat das Gericht diesen Standpunkt wieder aufgegebe47a.
45 Vgl. den Leitsatz des OLG Saarbrücken aaO. Ein von Anfang an geplanter Betrug ist nicht häufig anzunehmen und eher denkbar in anderen Fällen, wo der Garantieberechtigte zugleich Lieferant ist (und dann nichts oder wertlos liefert), also bei Fällen von Zahlungsgarantien und Akkreditiven. 46 Staudinger-Weber aaO. Rz. D 36. 47 Vgl. die Erörterungen des OLG Saarbrücken (Fn. 2) einerseits, des LG Stuttgarts (Fn. 3) andererseits. 47a In dem vom OLG Stuttgart (Fn. 3) entschiedenen Fall. Das OLG selbst geht auf diese Frage nicht näher ein, weil im Fall die Frage des Ablaufs der Garantiefrist und der KundeBank-Beziehung im Vordergrund standen (vgl. i. F. V).
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V. Der Anspruch des Exporteurs gegen seine Bank auf Nichtauszahlung der Garantiesumme Sowohl das OLG Saarbrücken wie die LG Frankfurt, Dortmund und Braunschweig bestätigen im Grundsatz die schon vom OLG Hamburg vertretene Auffassung, daß der Exporteur als Garantiebeauftragter gegen seine Bank einen Anspruch aus Geschäftsbesorgungsvertrag hat, bei grobem und offensichtlichem Mißbrauch der Garantie nicht auszuzahlen. Diese Pflicht als Teil der allgemeinen Pflicht zur Interessenwahrung, vom LG Frankfurt als „Treuepflicht“ bezeichnet, ist heute im Grundsatz allgemein anerkannt48. Unklar ist die Haltung des LG München, das einen für eine Eilverfügung gem. §§ 935, 940 ZPO geeigneten Anspruch des Exporteurs gegen seine Bank verneint. Da das LG zugleich den Einwand des Rechtsmißbrauchs gegen die Garantie „bei sehr erheblichen Vertragsverletzungen“ mit dem BGH49 zulassen will, bleibt die Frage, ob dann nicht doch ein Unterlassungsanspruch des Exporteurs gegen seine Bank bestehen muß. Die Bank muß demnach die Berechtigung des Garantieanspruchs prüfen. Von ihrer Prüfungspflicht ist sie weder durch die Abstraktheit der Garantie noch durch Nr. 13 AGB-Banken befreit, der die Bank auch im Innenverhältnis zum Kunden zur Zahlung auf erstes Anfordern berechtigen soll50. Der Umfang der Pflichten der Bank zur Prüfung, Sorgfalt und Interessenwahrung hängt von den Umständen ab. Der Exporteur muß die Bank ggf. rechtzeitig vorwarnen. Regelmäßig muß die Bank den Exporteur vor Auszahlung benachrichtigen. Dieser muß rasch hinreichende Anhaltspunkte für einen Rechtsmißbrauch beibringen. Der Anspruch des Exporteurs gegen die Bank auf Nichtauszahlung kann nur bestehen, soweit die Bank den Einwand im Außenverhältnis dartun und nachweisen kann. Die Beweisbarkeit im Außenverhältnis zum Garanten (hier: Zweitbank) ist daher Voraussetzung des Unterlassungsanspruchs im Innenverhältnis (Exporteur-Bank)51. Diese Beweisbarkeit muß (als eine Anspruchsvoraussetzung) gem. § 920 II ZPO glaubhaft gemacht werden. Das OLG Stuttgart3 hat nunmehr starke Zweifel geäußert, ob ein Unterlassungsanspruch des Kunden gegen die Bank auf Nichtauszahlung besteht. Da der Kunde später die Erstattung verweigern könne, wenn die Bank ohne Verpflichtung auszahle, fehle jedenfalls der Verfügungsgrund i. S. §§ 935, 940 ZPO. Die dabei vorgenommene klare Trennung von Außenverhältnis (Erstbank – Zweitbank bzw. Garantieberechtigter) und Innenverhältnis (Kunde – Erstbank) ist prinzipiell richtig. Die Frage
48 Vgl. oben Fn. 16 und z. B. die Nachw. im Urteil des OLG Saarbrücken; Horn aaO. 2157. 49 Vgl. oben Fn. 11. 50 Allg. Horn aaO. 2157; aA LG Stuttgart aaO. (Fn. 3). 51 Horn aaO.
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ist aber gerade, ob sie bei den Mißbrauchsfällen eingeschränkt werden muß. Das Urteil gibt dazu nichts her, weil es um Garantiefristablauf, also eine Inhaltseinwendung, ging. Immerhin scheint das OLG zu verkennen, daß sich die Situation des Kunden auch im Innenverhältnis durch die bloße Auszahlung nachteilig verändern kann.
Wie erwähnt, greift der Mißbrauchseinwand auch gegenüber dem Rückgarantieanspruch der Zweitbank durch. Man muß auch in Betracht ziehen, daß aufgrund des Garantieauftrags Erstbank – Zweitbank (Geschäftsbesorgung) auch eine gewisse Verpflichtung der Zweitbank angenommen werden muß, glaubhafte Hinweise auf einen Rechtsmißbrauch zu beachten und zu verwenden. Allerdings stößt eine solche Rechtsauffassung im internationalen Verkehr auf Widerstände. Die deutschen Banken befürchten u. U. Verrechnung mit eigenen Guthaben. Bloße Gefahr geschäftlicher Nachteile ist nach Auffassung der Gerichte noch kein Argument, Rechtsmißbrauch zu ignorieren. Ob bei einem konkret eintretenden, bankkaufmännisch nicht zu vermeidenden Schaden die Sache anders aussieht, war nicht zu entscheiden. Es scheint, daß heute zumindest die Anordnung des Gerichts als formaler Grund der deutschen Bank, nicht auszuzahlen, international respektiert wird.
VI. Kollisionsrechtliche Fragen Die Urteile gehen zutreffend davon aus, daß die eigentliche Garantie im Importland dessen Recht untersteht, während die Rückgarantie der Erstbank gegenüber der Zweitbank ebenso wie der Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen Erstbank und Zweitbank deutschem Recht unterliegt. Nach h. M. im deutschen IPR, die mit einer internationalen Rechtsauffassung und der internationalen Bankenpraxis übereinstimmt, unterliegt eine Garantieerklärung mangels anderweitiger Rechtswahlklausel grundsätzlich dem Heimatrecht des Garanten, also dem Recht am Sitz der garantierenden Bank52. Die Anwendung deutschen Rechts auf den Ge- [154] schäftsbesorgungsvertrag läßt sich daraus rechtfertigen, daß auch die Rückgarantie deutschem Recht unterliegt. Die erörterten Einwendungen und Pflichten im Verhältnis von Zweitbank und Erstbank sind also nach deutschem Recht zu beurteilen. Immerhin hat das Schicksal der Garantie der Zweitbank gegenüber dem Importeur Rückwirkungen auf diese Rechtsbeziehungen. Diese Garantie unterliegt dem Recht des Importlandes. Hier besteht die Möglichkeit, daß weder die Einwendung des Fristablaufs noch die des Rechtsmißbrauchs de iure oder de facto anerkannt wird. Für diesen Fall weist das LG Frankfurt mit Recht auf den Vorbehalt des deutschen ordre public gem. Art. 30 EGBGB hin. 52 Vgl. nur: Europäische Gemeinschaft (Kommission), Die Bürgschaft im Recht der Mitgliedstaaten der EG, Studie des Max-Planck-Instituts Hamburg (1971), S. 82 Art. 10; Käser, RabelsZ 1971, 623; IHK Einheitliche Richtlinien (Fn. 24) Art. 10.
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VII. Ausblick Wie man sich in der Praxis auf die erörterte Judikatur und vor allem die zugrundeliegenden Sachprobleme einstellen soll, ist hier nicht auszudiskutieren. Man mag sich auf die – zutreffende – Feststellung zurückziehen, daß Störfälle im Garantiegeschäft prozentual ganz minimal sind53, und sich dann an der Hoffnung wärmen, daß Allah keine vermehrten Störungen im Garantiegeschäft zulassen werde. Man kann aber auch „rechtspolitische“ Überlegungen für die Praxis anstellen. Dafür sind primär die Akteure zuständig: Exporteure und Banken. Sie müssen vertrauensvoll zusammenarbeiten, insbesondere durch rechtzeitige Kontaktaufnahme, wie dies auch aus manchen Urteilssachverhalten abzulesen ist. Sie mögen auch ihre Kautelarpraxis überdenken. Das Instrument der abstrakten Garantie wird von den Urteilen nicht prinzipiell in Frage gestellt. In der Kautelartechnik kann es auch nicht darum gehen, den Einwand des Rechtsmißbrauchs zum Regelinstrument zu machen, sondern die Abwicklung dieses Ausnahmefalls etwas besser zu kanalisieren54. Auch verhandlungsmächtige Nachfrager (Ölländer), die auf abstrakten Garantien zur Zahlung auf erstes Anfordern bestehen, sind in Einzelpunkten gegenüber Rechtsproblemen weniger starr als oft behauptet. Immerhin scheint man heute den wiederholten Versuch aufzugeben, etwa durch Klauseln sogar gerichtliche Anordnungen auszuschalten, indem man sich Auszahlung trotz gerichtlicher Eilverfügung versprechen läßt („LibyenKlausel“). Kurzfristige Zahlungsaufschübe werden in der Praxis bei Unklarheiten durchaus zugestanden, Fristverlängerungen zur Aufklärung benutzt. Mancher bösen Überraschung kann man durch richtige Gestaltung der Garantiesumme und -fristen sowie durch Effektivklauseln und vor allem durch eine intensive Zusammenarbeit mit der Zweitbank vorbeugen.
Graf von Westphalen WM 1981, 304. Dies ist der Kern meiner grundsätzlichen Überlegungen aaO. S. 2158, was von Westphalen aaO. übersieht. 53 54
Rechtsfragen internationaler Umschuldungen WM 1984, 713–721 Inhaltsübersicht 1. Der Umschuldungsprozeß 2. Der Staat als internationaler Schuldner 3. Von Umschuldungen ausgenommene Verbindlichkeiten 4. Nicht erklärter Vertragsbruch – höhere Gewalt? 5. Pflichten der Konsortialführer, Konsortialagenten und Konsorten in der Krise 6. Gleichbehandlung der Gläubiger 7. Die Umschuldungsverträge. Schuldersetzungen 8. Der Sonderfall der Anleihen 9. Offene Fragen der vertraglichen Rechtslage
Bei der Bewältigung der gegenwärtigen internationalen Schuldenkrise sind nicht nur wirtschaftliche und politische Probleme zu lösen, sondern auch Rechtsfragen. Diese stehen zwar beim akuten Krisenmanagement keineswegs im Vordergrund; ihre Beachtung ist aber Voraussetzung jeder Umschuldungsverhandlung und Fundament jeder Lösung. Im Folgenden sollen die wichtigsten dieser Rechtsfragen in einer knappen, synoptischen Problemübersicht gekennzeichnet werden. Ihre erschöpfende Behandlung ist schon aus Raumgründen ausgeschlossen, ebenso eine Beschreibung der wirtschaftlichen Zusammenhänge mit Ausnahme einiger unerläßlicher Hinweise auf den Kontext des Verhandlungsprozesses.1
1. Der Umschuldungsprozeß Umschuldungsverhandlungen mit Ländern, die von internationaler Zahlungsunfähigkeit bedroht sind, hat es in jedem der zehn Jahre von 1974 bis
1 Die folgenden Ausführungen sind die überarbeitete Teilveröffentlichung eines Vortrags vor der Deutsch-amerikanischen Juristenvereinigung am 8. März 1984 in Frankfurt/M. Eine Analyse der Rahmenbedingungen der Umschuldungen und institutionellen Fragen bleibt vorbehalten. – Zu den wirtschaftlichen Zusammenhängen vgl. vorerst die Nachw. in Fn. 2, 4–7 und passim, sowie: „Entwicklungsländer in der Finanzkrise“, Schriften des Vereins für Socialpolitik NF Bd. 136, 1983.
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83 gegeben; ihr Volumen ist aber 1979 und dann 1982 und 1983 sprunghaft angestiegen.2 Viele Umschuldungsverhandlungen sind globaler Natur und umfassen sowohl die Staatsschulden als auch die Schulden aller anderen öffentlichen und privaten Schuldner des betreffenden Landes innerhalb eines bestimmten Fälligkeitsbereiches (meist bis ein Jahr voraus). Globale Schuldenregelungen mit einem Land hat es auch früher gegeben; man denke nur an das Londoner Abkommen zur Regelung der deutschen Auslandsschulden vom 27.2.1953.3 Neu an den globalen Umschuldungen unserer Tage ist das Ziel, die Zahlungsfähigkeit des Schuldnerlandes möglichst ununterbrochen aufrecht zu erhalten, Störungen des Weltwirtschaftsverkehrs zu vermeiden und eine wirtschaftliche Gesundung des Landes einzuleiten, sowie die besonderen institutionellen, organisatorischen und finanziellen Mittel, die dafür heute eingesetzt werden können. Der Neuverhandlungsprozeß beginnt typischerweise damit, daß das Schuldnerland nach vergeblichen Bemühungen um normale Neukredite die Hilfe seiner Gläubiger, bei Mitgliedschaft im internationalen Währungsfonds (IWF) vor allem dessen Hilfe anruft, oder auch in der Not zu einseitigen Maßnahmen greift: Verkündung eines Moratoriums, z. T. Versuch einseitiger gesetzlicher oder administrativer Regelung seiner Auslandsschulden. Letzteres wird bisweilen begleitet von starken Worten des Schuldnerlandes in dem Wissen, daß seine Krise auch den Gläubigern große Sorge macht: den internationalen Institutionen wegen des internationalen Finanzsystems, den Gläubigerstaaten auch wegen ihrer Exportmärkte und aus allgemeinen politischen Erwägungen, den privaten Banken wegen eines drohenden Wertberichtigungsbedarfs. Einig ist man sich in dem Ziel, daß das Land auf den Weg der wirtschaftlichen Gesundung gebracht werden muß und daß dazu auch die Zufuhr neuer Kredite („fresh money“) notwendig ist. Dem IWF fällt die Schlüsselrolle in den Umschuldungsverhandlungen mit einem Mitgliedsstaat zu. Von seiner Kreditvergabe hängt die übrige Kreditfähigkeit des Landes weitgehend ab. Der IWF macht seinen Kredit von der Einigung über ein wirtschaftspolitisches Programm des Landes zur Wiedergewinnung seiner Stabilität abhängig. Nur der IWF besitzt die Informationen und die Autorität, ein solches Programm zu formulieren und trotz mancher Proteste durchzusetzen. Die Gläubigerstaaten koordinieren ihre Verhandlungen in einem „Club“.4 Der Pariser Club koordiniert seit 1956 das Vorgehen der wichtigsten Länder
2 Gesamtvolumen 1974–78: 5,475 Mrd. US-Dollar; 1979: 6,2 Mrd. 1980: 3,75 Mrd.; 1981: 2,54 Mrd.; 1982: 10 Mrd.; 1. Halbjahr 1983: 37 Mrd. Quelle: IMF, External Debt in Perspective, Sept. 1983, S. 27. 3 BGBl II 1953, 331. 4 Zum Verhandlungsprozeß allg. IMF. External Debt aaO. (Fn. 2), S. 26 ff.; s. auch Storck, Umschuldungen am Euromarkt. Die Bank 1983/7 306–312.
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der OECD. Er hat seit seiner Gründung bis Ende 1982 60 Umschuldungen durchgeführt. Das Verhandlungsergebnis wird unter Berücksichtigung der Vorschläge des IWF und anderer internationaler Institutionen (UNCTAD, Weltbank, BIZ) erreicht und dient dann als Grundlage der bilateralen Verhandlungen mit den einzelnen Gläubigerstaaten. Neuverhandelt werden nur staatliche Kredite und Kreditbürgschaften. Für den Hauptteil der Schulden (90–95 %) wird eine Schonfrist bis fünf Jahren angestrebt. Das Schuldner[714] land soll verpflichtet werden, mit den privaten Gläubigern zu vergleichbaren Bedingungen umzuschulden und mit dem IWF eine Übereinkunft zu erreichen.5 Die privaten Geschäftsbanken müssen sich ad hoc zusammenschließen und verhandlungsführende Banken bestimmen. Da an einem einzigen internationalen Konsortialkredit oft mehrere Dutzend Banken beteiligt sind und ein Land oft mehrere Kredite dieser Art mit verschiedenen Konsortien umschulden muß, kommt es zusammen mit den anderen Kreditarten zu einer gewaltigen Zahl von Gläubigerbanken, was eine Koordinierung ebenso schwierig wie unausweichlich macht. Die Verhandlungsführung wird ad hoc von einem Gremium großer, international tätiger Banken wahrgenommen (einschließlich solcher, die als Konsortialführer oder -agent fungiert haben), die wegen ihrer allgemeinen Bedeutung oder ihres Engagements im Schuldnerland besonders geeignet sind. Neuartig für die Geschäftsbanken ist die Situation, daß der IWF ihnen in seinem dem Schuldnerland verordneten Wirtschaftsplan ziemlich genau vorschreibt, in welchem Umfang sie bei den Umschuldungsverhandlungen mit Neuengagements mitwirken müssen, um die Krise zu meistern. Der damit verbundene moralische Druck auf die Banken wird von den Zentralbanken der Gläubigerländer überwiegend unterstützt.6 Da ein Schuldnerland mit neuer Kreditzufuhr erst nach Abschluß der Verhandlungen rechnen kann, werden regelmäßig verschiedene Maßnahmen zur Aufrechterhaltung seiner Zahlungsfähigkeit getroffen; dazu gehören kurzfristige Tilgungsmoratorien und z. T. die Gewährung von Überbrückungskrediten. Diese „bridging finance“ wird von Konsortien der Geschäftsbanken, befreundeten Staaten und vor allem von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) als Agentur der Zentralbanken des Zehnerclubs und der Schweiz gewährt.7
Vgl. IMF, External Debt aaO (Fn. 2), S. 28. Field, Shireff, Ollard, The IMF and the Central Banks Flex their Muscles, Euromoney, Jan. 1983, S. 35 ff. 7 Aufgrund des Basler Konkordats, das 1974 geschlossen und 1983 neu gefaßt wurde. Die Schweiz gehört seit Ende 1983 dem Club an. 5 6
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2. Der Staat als internationaler Schuldner Staaten sind internationale Schuldner in einer doppelten Funktion, erstens als Schuldner eigener Kreditaufnahmen und als Garant, zweitens als außenwirtschaftlicher Koordinator aller in seinem Wirtschaftsgebiet aufgenommener auswärtiger Kredite, für deren Schuldendienst internationale Liquidität erforderlich ist. Staaten haben sich in erheblichem Maß direkt verschuldet; allerdings entfällt bei Umschuldungen außerhalb der sozialistischen Länder der größere Anteil des Schuldenvolumens meist auf nichtstaatliche Kreditnehmer. Staaten haben traditionell insofern eine relativ höhere internationale Kreditfähigkeit als Privatunternehmen, weil sie seltener insolvent werden und ein solches Ereignis jedenfalls in ihrer rechtlichen Existenz überleben. Die wechselvolle Geschichte internationaler Kreditaufnahmen durch Staaten, oft in Form der öffentlichen Anleihen, zeigt allerdings nicht nur, daß das Vertrauen der Gläubiger nicht immer gerechtfertigt war, sondern ist auch begleitet von Versuchen, aus dem souveränen Rechtsstatus des Schuldners für die Gläubiger nachteilige Folgerungen zu ziehen.8 Theoretisch kann ein Schuldnerstaat in der Krise auf den Gedanken kommen, die folgenden rechtlichen Argumente namentlich seinen privaten auswärtigen Gläubigern entgegenzuhalten: (a) rechtliche Unverbindlichkeit der Schuld; (b) ausschließliche Unterworfenheit unter eigenes Recht und eigene Gerichtsbarkeit; (c) Befugnis zur einseitigen Umschuldungsregelung; (d) Staatsinsolvenz; (e) Vorzugsrechte aufgrund Entwicklungsvölkerrecht; (f) Ablehnung alter Regimeschulden (bei Machtwechsel). Die eingehende Erörterung dieser Punkte könnte Bände füllen. Sie ist hier nicht nur unmöglich, sondern auch nicht notwendig. Denn tatsächlich werden in den Umschuldungsverhandlungen diese rechtlichen Gesichtspunkte allenfalls am Rande erwähnt, aber nicht eigentlich eingesetzt – was wiederum Folgen für die weitere Rechtsentwicklung haben mag. Die Argumente sind eher latent vorhanden und können bei weiteren Krisenentwicklungen aktuell werden. (a) Die Auffassung, daß der souveräne Staat seinen privaten Kreditgläubigern im In- und Ausland nicht rechtlich hafte, war im 19. Jahrhundert verbreitet und wurde zuletzt 1907 vom argentinischen Außenminister Drago im Hinblick auf die Venezuela-Krise vorgetragen; danach sind solche Kreditschulden nur „dettes d’honneur“.9 Diese Auffassung ist seit langem
8 Borchard-Wynne, State Insolvency and Foreign Bondholders, 2 Bde. 1951, insbes. I, introd. und die Fallstudien Bd. II (Wynne). 9 L. M. Drago, in: J. B. Scott (Hrsg.), The Proceedings of the Hague Peace Conferences. The Conference of 1907. Bd. II 1921, S. 557 ff.
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überwunden, die Rechtsverbindlichkeit auswärtiger privater Kreditschulden eines Staates heute unbezweifelt.10 (b) Eine Reihe von Staaten besteht darauf, daß sie aufgrund Verfassungsgebots oder nach Grundsätzen ihrer Vertragspolitik Verträge mit ausländischen privaten Gläubigern nur abschließen, wenn der Vertrag ihrem eigenen Recht und ausschließlich der eigenen Gerichtsbarkeit unterworfen ist. In der Praxis ist allerdings die Durchsetzung dieses Grundsatzes in letzter Zeit immer weniger gelungen. Während die Staaten bei Eurobonds oft die Wahl eigenen Rechts und eigener Gerichtsbarkeit durchsetzen konnten,11 ist dies am Markt für Konsortialkredite nur in seltenen Ausnahmen möglich;12 die Kreditnehmer müssen vielmehr zusätzlich ausdrücklich darauf verzichten, sich auf ihre Gerichtsfreiheit als Souverän zu berufen.13 In der jüngsten Schuldenkrise mußte der Grundsatz weiter aufgegeben werden. So hat Argentinien im Rahmen seiner Umschuldungsbemühungen 1982 den Gläubigern Dollar-Bonds und -Notes angeboten, bei denen auf eine Rechtswahl verzichtet wird; bei den Notes ist ausdrücklich auswärtiger Gerichtsstand zugestanden.14 Überdies hat in den letzten Jahren ganz allgemein die internationale Anerkennung des Grundsatzes, daß Staaten bei Verpflichtungen, die sie jure gestionis eingehen, auch ausländischer Gerichtsbar- [715] keit unterworfen sein können, bedeutende Fortschritte gemacht.15 (c) Betrachten wir nun den Fall, daß ein Schuldnerstaat auswärtige Schulden – die eigenen oder die seiner Bürger – durch einseitige Maßnahmen, insbesondere durch die Verkündung eines Moratoriums16 oder eine neue Regelung des Schuldendienstes17 umgestaltet. Solche Maßnahmen bieten sich vor 10 League of Nations, Report of the Committee for the Study of International Loan Contracts (Series of League of Nations Publications II 1939 II A 10), Genf 1939, S. 21; Schwarzenberger, Foreign Investment and International Law, 1969, S. 5; Van Hecke, Problèmes juridiques des emprunts internationaux, 2. Aufl. 1964, S. 20 ff.; Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 62 ff. m. w. Nachw. Vgl. auch die Nachw. bei BorchardWynne, Bd. I. 11 Horn, A Uniform Approach to Eurobond Agreements, 9 Law and Policy in Intl’l Bus., S. 753–778 (770) (1977). 12 Vertrag über den 4 Mrd. Dollar Konsortialkredit Frankreichs vom 27.10.1982, Klausel 28. 13 Zu diesen Verzichtsklauseln allg. Delaume, Transnational Contracts, Bd. II § 11.07. 14 Cárdenas, How Argentina is refinancing its private sector debt. IFLRev June 1983, 28–36 (31). Bei den Dollarbonds nimmt die Praxis die Geltung argentinischen Rechts an (zweifelhaft); bei den Dollar-notes wird nach einer Musterfassung inzwischen altes Recht von New York vorgeschlagen. 15 Delaume aaO (Fn. 13) §§ 11 und 12. 16 Vgl. allg. Ryan, Defaults and Remedies under International Loan Agreements with Foreign Sovereign Borrowers, Univ. III.L. Rev. 1982, 89–132 (97). 17 Solche Maßnahmen wurden z. B. 1982 von Brasilien getroffen. Zu gesetzlichen Maßnahmen Argentiniens vgl. Cárdenas aaO (Fn. 14) Ein historisches Beispiel ist die Schul-
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allem bei Schulden an, die zugleich dem Recht des Schuldnerstaates unterstellt sind und die keine stabilization clause enthalten, welche solche Maßnahmen ausdrücklich ausschließt;18 der Fall ist aber auch bei anderen Schulden denkbar.19 Es ist anerkannt, daß ein Staat seine Währungsgesetzgebung ändern kann, ohne gegen Völkerrecht zu verstoßen, auch wenn dies Nachteile für auswärtige Gläubiger hat; eine Entschädigungspflicht entsteht allein dadurch nicht.20 Auch Devisenverkehrsbeschränkungen des Schuldnerlandes werden unter Mitgliedsländern des IWF gem. Art. VIII 2. b des Abkommens Bretton Woods im Prinzip respektiert; über den Geltungsumfang dieser Vorschrift und ihre Anwendbarkeit auf internationale Kredite besteht allerdings keine Einigkeit. Das Schuldnerland kann allerdings durch Devisenregelungen oder auch andere Regelungen in den Bestand der Rechte auswärtiger Gläubiger in einer Weise eingreifen, die den Tatbestand einer Enteignung oder Teilenteignung erfüllt; dies trifft wohl zu, wenn die Rückzahlung ausländischer Schulden nur noch an die eigene Zentralbank oder nur noch in eigener Währung statt in Devisen erfolgen soll. Ein solcher Eingriff ist nach dem Recht des Schuldnerstaates im Zweifel wirksam. Ob ihn die Gerichte anderer Länder anerkennen, hängt von deren Regeln des internationalen Enteignungsrechts ab. Das Bild ist sehr uneinheitlich. Das deutsche IPR wie manche andere erkennt nach dem Territorialitätsprinzip die Enteignung der im enteignenden Staat belegenen Gegenstände grundsätzlich an, wenngleich unter dem Vorbehalt des ordre public; die Forderung ist im Schuldnerstaat belegen, wenn der Schuldner dort seinen Sitz hat.21 Allerdings muß hier differenzierend der Zweck der Enteignung geprüft und nach einem allgemeineren Grundsatz des neueren deutschen Wirtschaftskollisionsrechts entschieden werden, ob die mit dem Eingriff verfolgte „policy“ vom Standpunkt der Rechtsordnung des Gerichts aus akzeptiert werden kann.22 Das englische und amerikanische Recht knüpfen öffentlich-rechtliche Eingriffsnormen durchweg nach dem
dengesetzgebung des deutschen Reiches 1933; dazu Central Hanover Bank & Trust Co. v. Siemens & Halske AG, 15 F. Supp. 927 (S.D.N.Y. 1936). 18 Zur stabilization clause vgl. P. Weil, Les clauses de stabilisation ou intangibilitè inserées dans les accords de développement économique, Mélanges Rousseau, S. 301–328. 19 Der Wirkungsumfang der stabilization clause ist umstritten. Krit. z. B. Arrechaga, Application of the Rules of State Responsibility to the Nationalization of Foreign Owned Property, in: K. Hossain, Legal Aspects of the New International Economic Order, 1980, S. 220–233. – Nach deutschem Kollisionsrecht ist das Vertragsstatut (Rechtswahl) für die extraterritoriale Anerkennung solcher Eingriffe in Gläubigerrechte nicht unbedingt ausschlaggebend. Dazu i.F. bei Fn. 21. 20 Horn, Anleihen (Fn. 10), S. 263 m. Nachw. 21 BGHZ 31, 168; 32, 97, 101. Weit. Nachw. Reithmann, Internationales Vertragsrecht, 3. Aufl. 1980, Rz. 282 ff. 22 Horn, Anleihen aaO, S. 51 f.
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Vertragsstatut an; die Gerichte gelangen damit in den zahlreichen Fällen, in denen der internationale Konsortialkredit nicht dem Recht des Schuldnerstaates unterstellt ist, zur Verneinung der Enteignungswirkung.23 Allerdings kann dieses Ergebnis durch die „Act of State Doctrine“ eingeschränkt sein.24 Bei der Frage, ob die Enteignung eine Verletzung von Völkerrecht ist, muß man die Entwicklung der 70er Jahre in Richtung auf eine sog. „Neue Weltwirtschaftsordnung“ einrechnen. Der frühere Grundsatz der Völkerrechtswidrigkeit von Enteignungen ist immer mehr abgelöst worden durch die grundsätzliche Anerkennung des Rechts zur Enteignung ausländischer Investoren, allgemein von „ownership of foreign property“.25 Allerdings wird eine Entschädigungspflicht anerkannt, deren Rechtsqualität und Umfang allerdings heute umstritten sind26. Alles in allem scheint die Rechtslage dem auswärtigen Gläubiger, zumal dem privaten, nicht sehr günstig zu sein. Bei der kollisionsrechtlichen Anwendung kann ordre public oder „policy“-Abwägung natürlich ein Ansatzpunkt zugunsten der Gläubiger sein; im amerikanischen Recht wären die Grenzen der Act of State Doctrine zu prüfen. Im Völkerrecht kann man argumentieren, die zunehmende Anerkennung des Enteignungsrechts beziehe sich primär auf natürliche Rohstoffe und jedenfalls nur auf Direktinvestitionen und nicht reine Forderungsrechte; der Wortlaut der UN-Dokumente ist allerdings nicht ganz eindeutig. Ferner läuft bei Forderungen die zumindest im Grundsatz anerkannte Entschädigungspflicht auf die volle Rückzahlung der geschuldeten Summe hinaus.27 Bei Staaten als Kreditnehmern kann man noch einen Schritt weiter gehen: aus dem heute nicht umstrittenen Grundsatz, daß Geldschulden von Staaten auch gegenüber (auswärtigen) Privaten rechtsverbindlich sind, läßt sich folgern, daß der Staat sich nicht einseitig durch Berufung auf Enteignungsrechte von dieser Verbindlichkeit befreien kann. In der Tat wurden zeitweilige Regelungen auswärtiger Verbindlichkeiten durch
23 Für England vgl. National Bank of Greece and Athens S.A. v. Metliss (1958) A. C. 509; Dicey & Morris, The Conflict of Laws, 10. Aufl. 1980, Rule 152, Für die USA vgl. die in Fn zit. Entscheidung. 24 Libra Bank Ltd v. Banco Nacional de Costa Rica, slip op. No. 81-7624, S.D.N.Y. July 11, 1983; Allied Bank International v. Banco Credito Agricola de Cartago, 566 F. Supp. 1440 (S.D.N.Y. 1983); dazu Lindskog, IFLRev 1983, 4; Rendell, IFLRev 1983, 40. Im ersteren Fall wurde die Maßnahme nicht als (extraterritorial) wirksam anerkannt, im zweiten aber doch. „Situs“ der Schuld war wohl beidesmal New York als Erfüllungsort. 25 U. N. Charter of Economic Rights and Duties of States, ch. II article 2 par. 2 lit. c.; dazu Arechaga, Application of the Rules of State Responsibility to the Nationalization of Foreign-Owned Property; in: K. Hossain, Legal Aspects of the New International Economic Order, 1980, S. 220–233. 26 U. N. Charter aaO. Allg. zur Entschädigungspflicht Horn, Anleihen aaO (Fn. 10) S. 65 m. Nachw.; zum heutigen Streitstand Arechaga aaO S. 223 f. und i. F. Fn. 31. 27 Horn aaO.
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Schuldnerstaaten, bei denen sich Merkmale der Enteignung feststellen lassen, zwar mit einer allgemeinen Berufung auf die Souveränitätsrechte des Schuldnerstaates gerechtfertigt, nicht aber mit der Behauptung, daß ein spezifisches Enteignungsrecht bestehe. (d) Der Fall einer offiziell erklärten und praktizierten Staatsinsolvenz28 bringt als solche keine Umgestaltung des rechtlichen Bestandes auswärtiger Schulden mit sich. Allerdings schließt sich regelmäßig eine Umschuldung im Verhandlungswege an. Es wurde schon erwähnt, daß man bei den gegenwärtigen Umschuldungen die völlige Insolvenz zu vermeiden trachtet, – bislang mit Erfolg. Rechtlich ist die Notlage des Schuldnerstaates, die mit der Krise einhergeht, unter den Kategorien des Vertragsrechts bei den Leistungsstörungen in einem weiten Sinn einzuordnen (dazu I.F.4). [716] (e) Im Rahmen der international ausgiebig diskutierten, in wichtigen Details umstrittenen Konzeption einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung“ haben die Entwicklungsländer von den Industrieländern in verschiedener Hinsicht eine Vorzugsbehandlung gefordert.29 Auch bei den Umschuldungsverhandlungen ist dieser Gesichtspunkt aufgetaucht; z. T. war vom „Wirtschaftsimperialismus“ der Industrieländer und ihrer moralischen Verpflichtung zu weiterer Kredithilfe die Rede. Zu einem rechtlich greifbaren Konzept hat dies aber bisher nicht geführt.30 Wie dargelegt, hat die im Zusammenhang mit der „Neuen Weltwirtschaftsordnung“ stehende Betonung von Enteignungsrechten ebenfalls keine direkte Auswirkung. (f) Für den Sonderfall, daß bei Regimewechsel eine Regierung die Schulden der Vorgängerin nicht übernehmen will, ist das Argument aufgetaucht, der Stempel politischer Unmoral, der diesen Schulden anhafte, führe zur Befreiung der Nachfolgeregierung von diesen „odious debts“. Im Grundsatz muß diese jedoch die Schulden übernehmen.31 Insgesamt sind die besprochenen Argumente, – mit zeitweiliger Ausnahme der Argumente zu (c) – nicht von großem Einfluß auf die Umschuldungen gewesen. Die Schuldnerstaaten haben im Grundsatz ihre volle rechtliche Verpflichtung nicht in Frage gestellt, und dies aus einem einfachen Grund. Nur dann konnten sie auf Neukredite hoffen. Ein Schuldner, der seine volle Verpflichtung zur Bedienung von Krediten grundsätzlich in Frage stellt, kann nicht seine Hand nach neuen Krediten ausstrecken. Der weitgehende Verzicht auf die genannten Argumente hat insofern für die weitere Entwicklung Allg. dazu Borchard-Wynne aaO (Fn. 8); Ryan aaO (Fn. 16). Überblick bei Horn, Normative Grundprobleme einer „Neuen Weltwirtschaftsordnung“, Festschrift Coing, 1982, Bd. 2, S. 149–166; K. Hossain aaO (Fn. 25). 30 Horn aaO. 31 Dazu und zu möglichen Ausnahmen Frankenberg und Knieper, Rechtsprobleme der Überschuldung von Ländern der dritten Welt, RiW 1983, 569–580 m. w. Nachw. 28 29
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der internationalen Rechtsvorstellungen Bedeutung, als die vorgenannten Rechtsargumente abgeschwächt werden, andererseits die Anerkennung der Vertragstreue im internationalen Vertragsrecht gestärkt wird. Niemand kann voraussagen, in welchem Umfang die Argumente bei einer Verschärfung der Schuldenkrise wiederbelebt werden.
3. Von der Umschuldung ausgenommene Verbindlichkeiten Von Umschuldungen ausgenommen sind typischerweise bestimmte Arten von Verbindlichkeiten, wobei teils wirtschaftliche, teils rechtliche Überlegungen den Ausschlag geben. Nach den Grundsätzen des Pariser Clubs kommen kurzfristige Kredite traditionell ebenso wie bereits umgeschuldete für eine Umschuldung nicht in Betracht. Allerdings ist dieses Prinzip heute nur schwer durchzuhalten. Die Geschäftsbanken schulden gegenwärtig auch kurzfristige Verbindlichkeiten um. Dies steht z. T. im Zusammenhang mit der Tatsache, daß verschiedentlich Schuldnerländer sogar die im Interbankenverkehr eingeräumten Geldhandelslinien dafür in Anspruch genommen hatten, um bei Devisenknappheit mittelfristige Kredite an inländische Nachfrager einzuräumen. Ziel der Umschuldung kann hier nur die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes sein. Weltbankkredite werden von den Schuldnerländern durchweg bedient und nicht zum Gegenstand von Neuverhandlungen gemacht. Die Gründe liegen nicht nur in den günstigen Kreditbedingungen, sondern in der Besorgnis der Schuldnerländer, daß eine Verletzung der Kreditverpflichtung gegenüber der Weltbank eine besonders tiefgreifende Schädigung der internationalen Kreditwürdigkeit nach sich ziehen würde. Ferner erhofft man von der Weltbank weitere Kredite. Auch emittierte Anleihen werden normalerweise von den Neuverhandlungen ausgenommen. Auch hier spielt der Gesichtspunkt mit, daß wegen der gesteigerten Publizität einer in breit gestreuten Obligationen verkörperten Verbindlichkeit der Schaden für die Kreditwürdigkeit des Schuldnerlandes bei einer Nichtbedienung und Umschuldung besonders hoch wäre. Vor allem stößt die Neuverhandlung einer Anleihe auf technische und rechtstechnische Probleme einer wirksamen Kontaktaufnahme mit den verstreuten Obligationären und ihrer wirksamen Vertretung bei einer Abänderung der bestehenden Anleiheverbindlichkeit.32 Immerhin ist aber eine Neuverhandlung von Anleihen nicht durchweg unmöglich und hat auch vereinzelt stattgefunden. Meist aber willigen die Gläubiger in den Neuverhandlungen letztlich ein, die Anleihen von der Umschuldung auszunehmen.
32
Dazu unter 8.
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4. Nichterklärter Vertragsbruch. – Höhere Gewalt? Ein vertragliches oder sonstiges Recht, einseitig eine Abänderung der bestehenden Kreditverträge zu verlangen, steht den Schuldnerländern regelmäßig nicht zu.33 Die Kreditverträge enthalten keine Klausel, die dem Schuldner das Recht gibt, in der Krisensituation eine Anpassung der Kreditverträge durch Neuverhandlung oder auf andere Weise zu erreichen. Zwar sind Anpassungsklauseln verschiedener Art in den Verträgen des internationalen Wirtschaftsverkehrs weit verbreitet. Bei Kreditverträgen finden sich jedoch Klauseln im Hinblick auf Krisen und äußere Störungen nur zum Schutz der Kreditgeber. Konsortialkreditverträge sehen Rücktrittsrechte der Banken vor bei schweren Marktstörungen (Euromarket disaster clause) sowie bei neuauftretenden rechtlichen Hindernissen gegen die Aufrechterhaltung des Kredits (illegality clause).34 Bei Anleihen finden sich Klauseln im Hinblick auf Marktstörungen und andere Fälle höherer Gewalt nur in den Übernahemeverträgen der Banken mit den Emittenten; sie betreffen nur die kurze Zeitspanne zwischen Beginn der Erstplazierung und Leistungsaustausch (closing).35 Sucht man für das Verlangen von Schuldnerländern und privaten Schuldnern nach Umschuldung eine Rechtsgrundlage unabhängig vom Vertragswortlaut im anwendbaren Recht, so kommen die an eine grundlegende Änderung der Vertragsumstände anknüpfenden Rechtskategorien in Betracht, die in den verschiedenen nationalen Rechten und im Völkerrecht in ver- [717] schiedenen Spielarten entwickelt wurden.36 Es geht einmal um die Kategorie der unverschuldeten Unmöglichkeit, vor allem wegen höherer Gewalt (force majeure), zum anderen um Unzumutbarkeit einer unveränderten Vertragserfüllung wegen grundlegender Änderung der Vertragsumstände (Wegfall der Geschäftsgrundlage; clausula rebus sic stantibus; imprévision; frustration; hardship; commercial impracticability). Als höhere Gewalt ist die eigene Zahlungsunfähigkeit ohne Hinzutritt weiterer Umstände nirgends anerkannt. Eher kommt die zweite Kategorie in Betracht. In der Tat wird es in den Vertragsrechten wichtiger am Weltwirtschaftsverkehr beteiligter Länder ebenso wie in der Klauselpraxis internationaler Verträge anerkannt, daß auch übermäßige wirtschaftliche Belastungen einer Partei in Ausnahmefällen zu einer Aufhebung oder Reduzierung vertraglicher Pflichten führen können. Dabei ist aber immer an eine Veränderung der äußeren Umstände gedacht, 33 Bei isolierter Betrachtung kann sich die rechtliche Situation der privaten Schuldner des betreffenden Landes anders darstellen. Dazu i. F. Text bei Fn. 38. 34 Vgl. Fn. 9 und 10. 35 Delaume aaO (Fn. 13) §§ 11 und 12, insbes. § 11. 06. 36 Neuerer rechtsvergleichender Überblick m. Nachw. demnächst bei Horn, Die Anpassung langfristiger Verträge im internationalen Handelsverkehr, Generalbericht f. Tagung der Rechtsvergleichung in Bonn am 22.9.1983 (im Druck). Zur wirtschaftlichen Unmöglichkeit im amerikanischen Recht vgl. Shenk, RiW 1983, 19.
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die zu einer fundamentalen Verschiebung des vertraglichen Gleichgewichts führt. Davon kann hier kaum die Rede sein. Zwar kann die umfassende wirtschaftliche Krise eines Landes eine wesentliche Veränderung der Vertragsumstände darstellen. Aber es fehlt an der weiter vorausgesetzten Verschiebung des vertraglichen Gleichgewichts. Bei den betroffenen Kreditverträgen bleibt die Relation zwischen Leistung (Kredithingabe) und Gegenleistung (Zinsen und Rückzahlung) im wesentlichen unverändert. Im Völkerrecht wird die Anwendung der clausula rebus auf die von einer Seite bereits erfüllten Verträge bezweifelt.37 Dieser Gesichtspunkt greift nicht immer durch. Andererseits ist in keinem Vertragsrecht der Satz anerkannt, daß die Zahlungsunfähigkeit oder die wirtschaftliche Schwäche des Schuldners für sich genommen einen Leistungsbefreiungsgrund liefern. Für die privaten Schuldner des betreffenden Landes (Banken, Unternehmen) kann sich die Rechtslage insofern anders darstellen, als für sie ein von der eigenen Regierung erlassenes Moratorium oder Devisentransferverbot verbindlich sind. Es ist weithin anerkannt, daß gesetzgeberische oder administrative Eingriffe von hoher Hand den Tatbestand der force majeure erfüllen können.38 Hier kann es zu einer – ggf. zeitweiligen – Leistungsbefreiung des privaten Schuldners von seinen Verpflichtungen aus dem Kreditvertrag kommen. Zwar räumt andererseits die erwähnte illegality clause den Banken ein Kündigungsrecht für den Fall ein, daß rechtliche Hindernisse einer Fortführung des Kredits entgegenstehen. Gedacht ist dabei aber eher an Hindernisse, welche die Banken treffen. Auch ist zweifelhaft, ob das Kündigungsrecht der Banken die Berufung des Schuldners auf force majeure (frustration) überwinden kann. Soweit der dem Schuldnerland angehörende private Schuldner durch dessen Eingriffe von hoher Hand befreit wird, haftet das eingreifende Land selbst dem auswärtigen Gläubiger auf Entschädigung wegen des Eingriffes.39 Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, daß die Schuldnerländer regelmäßig durch die Nichtbedienung der auswärtigen Kredite und durch einseitig verkündete Moratorien einen Bruch bestehender Kreditverträge (default) begehen.40 Um Zweifel auszuschließen, enthalten viele Kreditverträge auch mit Staaten als Kreditnehmern einen weitgefaßten Tatbestand des „extraordinary situation default“.41 Die regelmäßige Rechtsfolge des (erklärten) default ist in internationalen Kreidtverträgen die sofortige Fälligkeit der ganzen Nachw. bei Frankenberg/Knieper aaO (Fn. 31) 574. Vgl. für das englische Recht Schmitthoff, Export Trade, 7. Aufl. 1980, S. 116 ff. m. Nachw. Zum amerikanischen Recht s. Lindskog, Act of State or Act of Desperation, IFLRev Dec. 1983, 4 ff. (str.). 39 Vgl. oben Fn. 19 40 Allg. dazu Clark/Taylor, Events of Default in Eurocurrency Loan Agreements, IFLRev Sept. 1982, 12 ff.; Ryan aaO (Fn. 16). 41 Ryan aaO (Fn. 16) 99. 37 38
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noch ausstehenden Kreditverbindlichkeit. Internationale Kreditverträge sind außerdem regelmäßig mit anderen Kreditverträgen desselben Kreditnehmers durch eine Verbundklausel in der Weise verknüpft, daß der Verzug oder sonstige Vertragsbruch irgendeines anderen (Kredit-)Vertrags bzw. eine deshalb erfolgte Kündigung auch zur Kündigung dieses Kredits berechtigen soll. Nach dieser „cross default clause“ können in einer Kettenreaktion alle oder zumindest alle auswärtigen Kreditverbindlichkeiten des Schuldnerlandes fällig werden. Die von den Erfindern dieser Kautelarpraxis erstrebte scharfe Waffe in der Hand der Gläubiger erscheint aber nicht als geeignet, die Schuldenkrise zu bewältigen und die Umschuldungsprobleme zu lösen. Alle Beteiligten sind sich einig, daß der in den genannten Klauseln programmierte rechtliche und wirtschaftliche Overkill tunlichst zu vermeiden ist. Sind nämlich erst einmal die Rechtsfolgen der globalen Fälligkeit aller Kredite eingetreten, werden die Neuverhandlungen nur schwieriger. Zwar geriete das Schuldnerland in äußerste Bedrängnis, aber eine Rückführung der Kredite wäre dadurch keineswegs nähergerückt. Auch ist es vertragsrechtlich nur schwer möglich, aus der durch den default geschaffenen vertragsrechtlichen Situation wieder in umfassender Weise herauszukommen. Eine Rückgängigmachung der durch default ausgelösten Fälligstellung der Kredite würde auf eine Neuvergabe dieser Kredite hinauslaufen. In der Tat vermeiden es die Gläubiger durchweg, sich formell auf „default“ zu berufen. Dabei kommt ihnen zustatten, daß in den meisten Kreditverträgen der Tatbestand des default erst dann vollendet ist und seine Rechtsfolgen erst dann ausgelöst werden, wenn etwa der für die Konsorten handelnde Konsortialagent (agent bank) förmlich den Vertragsbruch erklärt.42 Eine solche Erklärung unterbleibt in der Regel. Die Verhandlungen finden sozusagen im Schatten des „undeclared default“ statt. Insgesamt sind also die Umschuldungsverhandlungen dadurch gekennzeichnet, daß keine der Parteien einen direkten Gebrauch von vertragsrechtlichen Sanktionen macht, sondern diese nur als rechtliche Rückendeckung in den Neuverhandlungen ausnutzt.
5. Pflichten der Konsortialführer, Konsortialagenten und Konsorten in der Krise Die Verträge über den Konsortialkredit enthalten nur wenige Vorschriften über die Pflichten der beteiligten Banken in der Krise. Der Konsortialagent (agent bank), der mit der laufenden technischen Durchführung des Kredits 42 Allg. zur notification of default durch die agent bank Ph. Wood, Law and Practice of International Finance, London 1980, Kap. 11.2 (6), und durch den Anleihe-Trustee Kap. 9.4 (7).
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betraut ist, hat nach einigen Verträ- [718] gen in eigener Verantwortung zu entscheiden, ob aufgrund eines Schuldnerverzugs oder sonstigen Vertragsbruchs (default) die Kündigung ausgesprochen werden soll. Meist muß darüber jedoch ein Beschluß der Konsorten herbeigeführt werden, wobei die Verträge z. T. Einstimmigkeit, neuerdings meist eine (qualifizierte oder sogar nur einfache) Mehrheit vorschreiben. Damit zusammen hängt die Pflicht der Konsortialagenten, verfügbare Informationen über eine Krise des Schuldners den Konsorten unverzüglich weiterzugeben.43 Bei den globalen Umschuldungsverhandlungen für ein bestimmtes Schuldnerland müssen zahlreiche, rechtlich unverbundene Kredite zugleich verhandelt werden, und es wurde bereits erwähnt, daß die Koordination durch eine ad hoc gebildete Bankengruppe übernommen wird. Diese Banken handeln nicht aufgrund eines globalen Mandates aller nicht an den Verhandlungen direkt beteiligten Gläubiger; sie arbeiten nur einen Vorschlag aus, der dann den Gläubigern zur Annahme empfohlen werden kann. An den Neuverhandlungen sind regelmäßig Banken beteiligt, die für die Konsortien der von den Umschuldungen erfaßten Konsortialkredite als Konsortialagent fungieren oder als lead managers das Konsortium gebildet haben, – wobei wir die Banken, denen in der Praxis die Bezeichnung als co-manager nur honoris causa verliehen wird, beiseite lassen. Die Praxis schwankt allerdings, und manche agent banks und managers berufen sich darauf, daß ihre aktive Teilnahme an den Umschuldungen keine gefestigte Praxis sei. Immerhin ist diese aktive Rolle für das Konsortium oft zu verzeichnen. Ob diese Rolle in den Umschuldungsverhandlungen auf einer Rechtspflicht beruht, ist wenig geklärt und wird von den Praktikern meist spontan verneint. Ebenso offen ist die Frage, welche Pflichten diese Rolle mit sich bringt, wenn sie einmal übernommen ist. In den bestehenden Konsortialverträgen ist weder den Konsortialführern (lead managers) noch dem Konsortialagenten (agent bank) Vollmacht eingeräumt, für die Konsorten Umschuldungsverträge abzuschließen. Solche Vollmacht muß vielmehr im Einzelfall eingeholt werden, und regelmäßig behalten sich die einzelnen Konsorten die Zustimmung zu dem fertig ausgehandelten Umschuldungsergebnis vor. Gleichwohl kann man eine vertragliche Pflicht der Konsortialführer und des Konsortialagenten annehmen, den anderen Konsorten zumindest ihre Dienste als Verhandlungsführer anzubieten und ggf. diese Rolle zu übernehmen. Ihre Grundlage findet diese Pflicht im Konsortialvertrag, im Fall des Konsortialagenten in der Klausel über die Übertragung der technischen Abwicklung des Kredits (agent clause). Sie ist nicht ausdrücklich genannt, aber dem Gesamtzusammenhang und der Funktion des Vertrages als implied term zu entnehmen. Sowohl die Konsortialfüh43 Clarke/Farrar, Rights and Duties of Managing and Agent Banks in Syndicated Loans to Government Borrowers, U. III. L. Rev. 1982, 229–249 (247).
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rung wie der Agent haben für das Kreditkonsortium bereits zu verschiedenen Zeitpunkten Koordinationsfunktionen übernommen, nämlich die Konsortialführer bei den ursprünglichen Verhandlungen mit dem Schuldner und der Bildung des Konsortiums, der Agent bei der laufenden Durchführung. Die Konsortialführer können sich auch nicht auf das Argument zurückziehen, daß mit der erstmaligen Organisation des Konsortialkredits ihre Aufgabe endgültig beendet sei. Denn das Konsortium besteht während der ganzen Laufzeit des Kredits weiter, und auch die einfachen Konsorten haben, wie noch zu zeigen ist, Pflichten. Auch für den Konsortialagenten erwachsen aus seiner laufenden Tätigkeit für das Konsortium bestimmte Pflichten in der Krise, an der Umschuldung koordinierend mitzuwirken. In beiden Fällen läuft die Pflicht im wesentlichen darauf hinaus, zunächst die Konsorten zu informieren44 und ihnen die Führung und Koordination der Umschuldungsverhandlungen für das Konsortium anzubieten und diese durchzuführen. Selbst wenn man die Übernahme der Führung der Umschuldungsverhandlungen für das Konsortium als freiwillige Angelegenheit ansehen wollte, muß man doch annehmen, daß aus der Übernahme Pflichten folgen. Es geht wiederum einmal um die Pflicht zur angemessenen laufenden Information45 und – soweit den Umständen nach möglich – Konsultation, ferner um die Pflicht zur Interessenwahrung bei der Erarbeitung der Umschuldungsvorschläge. Man darf allerdings diese Pflichten nicht überspannen und muß sie im Zusammenhang mit der Krisensituation und in Abwägung zu den Pflichten der Konsorten sehen. Es ist auch zu berücksichtigen, daß die verhandlungsführenden Banken sich oft einem politischen und moralischen Druck durch den IWF und die Regierungen ausgesetzt sehen, wie z. B. mehrfach bei den Polen-Umschuldungen und später bei wichtigen lateinamerikanischen Umschuldungen zu beobachten.46 Ferner ist den Banken neuerdings oft, wie erwähnt, durch den IWF oder den Pariser Club ein Handlungsrahmen vorgegeben. Bei der Interessenwahrung für die Konsorten sind diese grundsätzlich gleich zu behandeln, möglichst auch dann, wenn verschiedene Konsortien im Spiel sind oder andere Interessenkonflikte bestehen. Ebenso wichtig ist die Frage, welche Pflichten umgekehrt die einfachen Konsorten treffen. Diese sind aufgrund des Konsortialvertrages als verpflich44 Informationspflichten sowohl der Konsortialführer wie des Konsortialagenten werden allg. angenommen. Ihr Umfang und die Haftungsfolgen sind im Einzelnen umstritten. Die Haftung der lead managers war vor allem im Colocatronis-Fall umstritten; vgl. re Colocatronis Tankers sec. litig. MDL No. 264 (S.D.N.Y., consolidated Oct. 7, 1976). Vgl. auch Calhoun, Eurodollar Loan Agreements, 32 Bus. Law. 1785, 1789–90 (1977); Note, Liabilities of Lead Banks in Syndicated Loans under the Securities Acts, 58 B.U.L. 45 (1978); Note, International Loan Syndications, The Securities Acts and the Duties of a Lead Bank, 64 Va. L. Rev. 37. 45 Vgl. Fn. 44. 46 Vgl. auch oben Fn. 6.
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tet anzusehen, konstruktiv an der Koordination der Umschuldungsverhandlungen mitzuwirken. Auch hier kann im Ergebnis das Argument nicht gelten, daß der Vertrag eine ausdrückliche Festlegung dieser Pflicht nicht enthält. Zwar können die Konsorten darauf verweisen, daß die Verpflichtung einer jeden Konsortialbank durchweg ausdrücklich auf ihren Anteil am Kredit beschränkt ist, und eine gesamtschuldnerische Haftung nach außen ist durchweg ausgeschlossen. Andererseits ergeben sich aus typischen Standardklauseln wie der Teilungsklausel, welche die Konsorten zur Teilung bei Vorzugsbefriedigung verpflichtet,47 sowie aus den typischen Bestimmungen über Mehrheitsentscheidungen über die Fälligstellung des Kredits bei default und schließlich aus dem Gesamtzusammenhang und der Funktion des Konsortialvertrages starke Argumente dafür, daß alle Konsorten in einer – wenngleich begrenzten – Risikogemeinschaft hinsichtlich des Kredits stehen. Daraus folgt, daß alle Konsorten [719] verpflichtet sind, an angemessenen Maßnahmen zur Abwehr und Begrenzung der gemeinsamen Risiken mitzuwirken. Zu beachten ist, daß die Konsortialverträge in der Regel amendments clauses über die Vertragsabänderung vorsehen, wobei für solche Abänderungen teils Mehrheitsentscheidungen, teils Einstimmigkeit vorgeschrieben wird. Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß bei Anordnung der Einstimmigkeit die Freiwilligkeit der Entscheidung eines jeden Konsorten gewahrt sein soll. Dieses Argument ist jedoch nicht durchschlagend. Aus dem Gesellschaftsrecht ist die Unterscheidung von Abstimmungsregelungen und der Pflicht, sich an einer Abstimmung in einem bestimmten Sinn zu beteiligen, geläufig. Bei der hier vorliegenden Fragestellung geht es lediglich darum, ob in einer außerordentlichen Situation eine rechtliche Pflicht zum Zusammenwirken im genannten Sinn gefolgert werden kann. Man kann demnach eine Pflicht der Konsorten bejahen, konstruktiv an der Koordination der Verhandlungsführung teilzunehmen, aber auch die erforderliche Zustimmung zum Verhandlungsergebnis bezüglich des eigenen Kreditanteils jedenfalls dann zu erteilen, wenn dieses Ergebnis von der Mehrheit der Konsorten gebilligt wird und den Umständen nach angemessen erscheint, insbesondere durch einen Wirtschaftssanierungsplan des IWF für das Schuldnerland oder durch Vorgaben des Pariser Clubs vorgezeichnet ist. Eine solche Zustimmungs- und Mitwirkungspflicht ist natürlich nicht unproblematisch. Dies gilt vor allem, wenn von den Geschäftsbanken nach dem globalen Umschuldungskonzept Neukredite („fresh money“) erwartet werden. Es kann keine Rede davon sein, daß IWF oder Regierungen den Geschäftsbanken Neukredite rechtlich zudiktieren können. Was aber, wenn die Banken letztlich ein solches Konzept mehrheitlich akzeptieren, um ihre Außenstände zu retten oder sonstige Folgen der Krise für sie selbst (Wertberichtigungsbedarf) abzu-
47
Zur Gleichbehandlung auch i. F. 6.
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wenden, einzelne Banken aber nicht mitmachen und die Rettung des Schuldners und ggf. ihrer eigenen Außenstände den anderen überlassen wollen? Aus dem Gesellschaftsrecht sind Nachschußpflichten bekannt. Eine solche Pflicht läßt sich aber Wortlaut und Sinn des Konsortialvertrages nicht entnehmen, jedenfalls dann nicht, wenn damit eine Erweiterung des bestehenden Engagements (der Außenstände) verbunden ist. Nur soweit ein Neuengagement lediglich der Refinanzierung der alten Außenstände dient, kann eine solche Zustimmungspflicht bejaht werden. Denn sie hält sich dann im Rahmen des durch den ursprünglichen Konsortialkredit begründeten und noch bestehenden Engagements und es kann keinen Unterschied machen, ob dieses durch Fristenverlängerung oder Refinanzierung konsolidiert wird.48 Im übrigen ist eine Rechtspflicht zur Beteiligung an Neukrediten wohl aus dem bestehenden Konsortialvertrag nicht herleitbar. Es ist eine theoretisch reizvolle und wohl auch praktisch nicht unwichtige Frage, ob die genannten Pflichten von Konsortialführern, Konsortial agenten und Konsorten als gesellschaftsrechtliche Pflichten gedeutet werden können. In der internationalen Vertragspraxis der Kosortialkredite und im ähnlichen Fall der Anleihen wird alles getan, um gesellschaftsrechtliche Rechtsfolgen auszuschließen. Gleichwohl kann man nach einer Reihe von anwendbaren nationalen Rechten einen Restbestand gesellschaftsrechtlicher Pflichten wohl bejahen.49 Allerdings wird in den von der amerikanischen Rechtspraxis beeinflußten Verträgen ausdrücklich Gesellschaft ausgeschlossen und dies von der Rechtsprechung auch anerkannt.50 Auch hier werden immerhin sonstige „fiduciary duties“ diskutiert.51 Anstelle einer schwierigen rechtsvergleichendrechtsdogmatischen Problemvertiefung sollte uns hier die Überlegung genügen, daß jedenfalls begrenzte vertragsimmanente „fiduciary duties“ zu begrenzten Koordinations- und Mitwirkungsleistungen in der Krise bestehen. Sie zielen auf die Zurückdrängung eines obstruktiven oder „Trittbrettfahrer“-Verhaltens in der Krise. Daß die Praxis dieses Problem deutlicher erkennt, zeigt das allgemeine Vordringen der Klauseln über Mehrheitsentscheidungen und neuerlich die Verwendung von Ausschlußklauseln für nicht kooperationswillige Konsorten. Für die Globalumschuldungen sind die genannten Pflichten nur von begrenzter Bedeutung. Sie können helfen, daß das Konsortium mit einer Stimme spricht. Sie können nicht bewirken, daß die zahlreichen Konsortien und Einzelgläubiger, um deren Koordinierung sich eine für das Land
Dazu auch i. F. 7. Horn, Anleihen aaO (Fn. 10), S. 180 f., 186 ff. 50 Commissioner of International Revenue v. N. B. Whitcomb Coca-Cola Syndicate, 95 F. 2d 596, 598 (1938). 51 Dazu Clarke/Farrar aaO (Fn. 43) krit. S. 233 ff., 244 ff. Anerkannt wird eine fiduciary relationship zumindest für den Konsortialführer, der zugleich agent ist (S. 244 Fn. 55). 48 49
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gebildete „advisory group“ bemüht, untereinander durch Rechtspflichten verbunden sind. Aber auch in diesem übergreifenden Verhältnis haben sich zumindest Leitlinien für die Umschuldung herausgebildet, die sogleich zu besprechen sind.
6. Gleichbehandlung der Gläubiger Bei jeder globalen Umschuldung ergibt sich ein Bedürfnis nach Gleichbehandlung aller Gläubiger ungeachtet ihres unterschiedlichen Rechtsstatus und unterschiedlicher vertraglicher Ausgestaltung ihrer Forderungen, auch wenn im Umschuldungsplan letztlich eine gewisse Staffelung mit unterschiedlichen Fälligkeiten unvermeidlich ist. Theoretisch können sich Unterschiede der Gläubigerstellung schon aus einer unterschiedlichen Besicherung ihrer Forderungen ergeben. Solche Besicherungen sind aber im internationalen Kreditgeschäft wenig üblich, mit Ausnahme von Garantien.52 Garantien des Schuldnerstaates sind bei den Umschuldungsverhandlungen von gewissem Gewicht zugunsten des Gläubigers. Exportgarantien der Gläubigerstaaten führen nur dazu, daß – nach Befriedigung des Berechtigten – der Gläubigerstaat die Gläubigerrolle in den Umschuldungsverhandlungen übernimmt. Garantien einer Muttergesellschaft für ihre Tochter können zum gleichen Effekt des Übergangs der Gläubigerrolle führen: die Muttergesellschaft mit Sitz außerhalb des Schuldnerlandes muß die Gläubiger der Tochter befriedigen und tritt dann selbst als Gläubiger in die Umschuldungsverhandlungen ein. In der Regel allerdings trägt die Mutter durch eine Erweiterung ihrer Garantie die Umschuldung mit. Eine Mutter mit Sitz im Schuldnerland (als Garantin) muß im Zweifel selbst umschulden. [720] In der internationalen Vertragspraxis wird regelmäßig eine Negativklausel (negative pledge) vereinbart, derzufolge der Schuldner seinen anderen Gläubigern keine Sicherheiten einräumen darf, ohne sie auch dem Vertragspartner zu verschaffen. Üblich ist ferner eine Pari-passu-Klausel, welche die Schaffung des Vorranges für eine andere Foderung (eine in der angelsächsischen Praxis übliche Sicherung53) verbietet.54 Diese Klauseln wirken in Richtung auf eine möglichst gleiche rechtliche Behandlung verschiedener, voneinander im übrigen unabhängiger Forderungen55. Zu dieser Tendenz der Gleichstel52 Überblick bei Wood, International Finance aaO (Fn. 42) Kap. 13 u. 15; Horn, Anleihen aaO (Fn. 10), § 9 S. 289 ff. 53 Wood aaO., Kap. 17; Fitzgerald, The Pitfalls and Alternatives to Subordinated Loans, IFLRev Nov. 1983, 17 ff. 54 Zu diesen Klauseln allg. Horn, Anleihen, S. 303 ff.; Wood, Kap. 6.2 und 6.3. 55 Ähnliche Wirkung kann eine Meistbegünstigungsklausel entfalten; dazu auch i. F. 7 bei Fn. 57.
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lung trägt die erwähnte cross default clause bei. Sie erlaubt es den Gläubigern bisher pünktlich bedienter oder noch nicht fälliger Kredite, sich auf den default in anderen Krediten zu berufen und so durch Fälligstellung des eigenen Kredits eine vergleichbare rechtliche Position in Umschuldungsverhandlungen zu haben. Zu erwähnen ist schließlich, daß innerhalb eines Konsortiums die einzelnen Konsortialbanken vertraglich eine gleichrangige, wenn auch im übrigen voneinander unabhängige, Gläubigerstellung erhalten. Dies geschieht unter anderem durch Teilungsklauseln (sharing clause), nach der jeder Konsorte eine besondere Sicherheit oder bevorzugte Befriedigung mit allen anderen Konsorten zu teilen hat. Wie erwähnt, wirken diese Klauseln im Sinne einer Risikogemeinschaft innerhalb des Konsortiums. Der Tendenz zur Gleichbehandlung bei globalen Umschuldungen stehen allerdings zwei wichtige Faktoren entgegen. Erstens weisen die vielen unterschiedlichen Forderungen unterschiedliche Fälligkeiten auf. Auch wenn man die Vielzahl der Fälligkeiten abändert und harmonisiert, so ist doch im Ergebnis die Bildung verschiedener Klassen von Forderungen nach Fälligkeiten unvermeidlich. Zweitens müssen bisweilen für die notwendigen und unvermeidlichen Neukredite Vorzugsrechte zugestanden werden.56
7. Die Umschuldungsverträge. Schuldersetzungen Das Ergebnis globaler Umschuldungsverhandlungen ist ein komplexes Netzwerk aufeinander abgestimmter Verträge. Sofern ein standby-Kredit des IWF ausgehandelt wurde, ist gemeinsamer Bezugspunkt das vom IWF ausgearbeitete wirtschaftliche Stabilisierungsprogramm. Auf dieses Programm beziehen sich sowohl die Umschuldungsabkommen mit den einzelnen Gläubigerstaaten (gem. den Vorgaben durch den Pariser Club) als auch die Abkommen mit den Geschäftsbanken. Der Abschluß des Stand-by-Abkommens zwischen dem Schuldnerland und dem IWF und der Einschluß des Stabilisierungsprogramms ist Vorbedingung (condition precedent) für das Inkrafttreten der Umschuldungsverträge und die Auszahlung von Neukrediten. Die Durchführung dieses Stabilisierrungsprogramms ist dann Geschäftsgrundlage auch der einzelnen Umschuldungsverträge mit den anderen Gläubigern. Hier kommt es auf die Vertragsformulierung an. Problematisch ist der Fall, daß ein Land den Stabilisierungsplan nur teilweise erfüllen kann, oder daß später Änderungen erforderlich sind, die zum Zeitpunkt des Abschlusses der Umschuldungsvereinbarungen noch nicht vorhersehbar waren. Hier muß man im Zweifel einen gewissen Ermessensspielraum des IWF anneh-
56 Zu beiden i. F. 6 und Wood, Debt Priorities in Sovereign Insolvency, IFLRev Nov. 1982, 4.
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men und es genügen lassen, wenn der IWF selbst nicht die Verletzung des Stabilisierungsplanes formell feststellt. Von relativ geringer praktischer Bedeutung ist die Tatsache, daß gemäß dem unterschiedlichen Rechtsstatus der Vertragsparteien – Staaten, internationale Organisation und Private – die abgeschlossenen Verträge verschiedenen Rechtsebenen, dem Völkerrecht oder dem Recht des privaten Rechtsverkehrs, zuzuordnen sind. Von großer Bedeutung ist die verwirrende Fülle unterschiedlicher Fälligkeiten und Rückstände der Vielzahl der Forderungen. Angestrebt wird von den Gläubigern aus Gründen der Gleichbehandlung die Stundung um den gleichen Zeitraum. Der Gesichtspunkt der gleichen Verteilung des Rückzahlungsrisikos und technische Gesichtspunkte sprechen für eine Angleichung der Rückzahlungstermine; nur auf dieser Grundlage läßt sich ein Umschuldungsplan mit hinausgeschobenen Fälligkeiten ausarbeiten und vereinbaren. Sind die Unterschiede in den ursprünglichen Fälligkeiten der Forderung zu groß, müssen die Forderungen in Forderungsklassen mit unterschiedlichen Fälligkeiten zusammengefaßt werden; dazu zwingt auch z. T. die Notwendigkeit, ungünstige Fälligkeitsprofile der Auslandsschuld insgesamt zu beseitigen. Frühere Fälligkeit bedeutet natürlich eine bedeutende Vorzugsstellung, und die Frage der Zuordnung einer bestimmten Forderung zu einer Forderungsklasse und die Bestimmung der Fälligkeit dieser Klasse ist ein schwieriges praktisches Problem. Dabei kann auch die Ausstattung einer Forderung mit einer Garantie des Schuldnerstaates ein Grund für ihre Zuordnung zu einer günstigeren Klasse sein. Innerhalb einer Klasse wird wiederum strenge Gleichbehandlung der Gläubiger vorgesehen, was ggf. zu ihrer proportional gleichen Teilbefriedigung führen kann. Außerdem wird die Forderungsklasse durch weitere Klauseln, z. B. Meistbegünstigungs- oder Pari-passu-Klausel, gegen spätere Verwässerung ihres relativen Ranges geschützt.57 Kein Thema war bisher ein partieller Schuldenerlaß. Darauf ist zurückzukommen. Von großer praktischer Bedeutung ist die Frage, ob bestehende Forderungen nur modifiziert werden, vor allem hinsichtlich ihrer Fälligkeiten, oder ob sie abgelöst und durch neue Kredite refinanziert werden. Auch im letzteren Fall wird kein Geld bewegt. Der neue Kredit wird vielmehr in der Weise ausgezahlt, daß damit der alte getilgt wird. Der nach dem Umschuldungsplan notwendige Zufluß neuer Mittel an das Schuldnerland erfolgt nur, soweit die Neukredite über die Ablösung der alten Schulden hinausgehen. Die Frage, ob die alte Schuld untergeht oder fortbesteht, ist nicht nur theoretischer Natur. Sie ist von praktischer Bedeutung vor allem für zwei Fragen. Erstens muß bei Untergang der alten Forderung eine etwa ausnahmsweise bestehende Besicherung für die neue Forderung neu bestellt werden, wenn der Gläubiger sie nicht verlieren will. Zweitens kann es für den [721] Wood aaO (Fn. 56).
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Gläubiger wichtig sein, doch noch später auf die alte Forderung zurückzugreifen, wenn der Schuldner aus der neuen Forderung seine Verpflichtung nicht erfüllt. Die dogmatische Durchleuchtung dieser Fragen ist schon für ein einzelnes nationales Recht nicht einfach. Wenn bei der Vielzahl der in den Umschuldungen ins Spiel kommenden anwendbaren Rechte die Umschuldungsregelung, sofern sie globaler Natur ist, möglichst auf eine Rechtswahl verzichtet, (wie im Fall der argentinischen Bonds), wird die Sache nicht einfacher. Am klarsten ist der Fall bei der reinen Refinanzierung: der neue Kredit wird zur Tilgung des alten benutzt; die alte Kreditforderung erlischt durch Erfüllung. Am anderen Ende der Skala der Möglichkeiten steht die Novation, also Untergang der alten Schuld durch Schuldumschaffung, ein von den Parteien meist nicht gewolltes Ergebnis. Dazwischen liegen verschiedene andere Varianten. Im Fall der argentinischen Umschuldungsbemühungen hat die Republik Argentinien Dollarnotes und -bonds ausgegeben, welche den Altgläubigern an Erfüllungs Statt angeboten wurden. Nach den Bedingungen sollte die alte Schuld untergehen; es wurde aber auch die Auffassung vertreten, daß die Ausgabe der Wertpapiere nur eine Schuldübernahme darstellte, was für ein Fortleben der alten Schuld spricht.58
8. Der Sonderfall der Anleihen Die Umschuldung internationaler Anleihen stößt, wie erwähnt, vor allem auf das Hindernis, mit den weltweit verstreuten Obligationären eine Einigung über die Umschuldung herbeizuführen. Eine wirksame Vertretung der Obligationäre ist für diese Frage nicht vorhanden und schwer zu schaffen. Viele Anleihen sehen überhaupt keine Vertretung der Obligationäre hinsichtlich der Ausübung der Forderungsrechte vor.59 Soweit eine Vertretung geschaffen ist, so namentlich durch Bestellung eines trustee nach common law oder eines „représentant fiduciaire“ nach luxemburgischen Recht,60 geht der Abschluß eines Umschuldungsabkommens, das ja einen Eingriff in die Forderungen der Obligationäre mit sich bringt, über die dem trustee oder représentant verliehene Rechtsmacht hinaus. Die Zustimmung der Obligationäre ist erforderlich, allerdings genügt nach den Bedingungen des trust indenture oft eine Mehrheitsentscheidung. Gleiches gilt für die nach französischem Recht bei internationalen Anleihen gebildete „masse des obligataires.“61 Diese Möglichkeit, deren Zulässigkeit bejaht werden muß, stellt natürlich bei In diesem Sinn wenig überzeugend Cárdenas aaO (Fn. 14), S. 33. Dazu und zum Folgenden Überblick bei Horn, Anleihen aaO (Fn. 10); ders., Eurobond Agreements aaO (Fn. 11), 767 ff. 60 Horn, Das neue luxemburgische Recht der représentation fiduciaire für Obligationäre, FS Bärmann, 1975, S. 493 ff. 61 Horn, Anleihen aaO, S. 438 ff. 58 59
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den betreffenden Anleihen eine wichtige Erleichterung dar, wenngleich praktische Schwierigkeiten bestehen bleiben.62 Wo es an einer solchen Regelung fehlt, kann schwerlich eine Einschaltung nationaler Schutzgemeinschaften für Wertpapierbesitz (welcher?) weiterhelfen.63 Auch die analoge Anwendung der gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Obligationäre, die ihren Anwendungsbereich auf inländische Anleihen beschränken, begegnet Bedenken.64 – Es bleibt der Ausweg, daß die konsortialführende Bank des Emissionskonsortiums die schwierige Aufgabe einer ad hoc-Vertretung der Obligationäre übernimmt und mit allen Obligationären Kontakt aufnimmt, eine Mühe, der sich auch der trustee zumindest insoweit unterziehen muß, als er einen Mehrheitsbeschluß zum Umschuldungsvorschlag zustandebringen soll. Immerhin sind auf diesem Wege bereits einige Umschuldungen auch von Anleihen erfolgreich abgewickelt worden.
9. Offene Fragen der vertraglichen Rechtslage Bei der bisherigen Praxis der internationalen Umschuldungen sind vor allem zwei Schritte von großer rechtlicher und wirtschaftlicher Bedeutung vermieden worden. Erstens wurde der Bestand der Forderungen nicht angetastet und zweitens wurden die vollen Auswirkungen der Rechtsfolgen eines Vertragsbruchs nicht getestet. Beide Fragen werden sich in Zukunft erneut und deutlicher stellen, wenn die internationale Verschuldungskrise sich verschärft und es deutlicher werden wird, daß bestimmte Schuldnerländer zur vollen Abtragung des Schuldenbergs nicht in der Lage sind. Die bisherigen Neuverhandlungen wurden mit dem Ziel geführt, am vollen Umfang der Kreditforderungen einschließlich der Zinsen festzuhalten. Nur die Fälligkeiten standen zur Disposition. Dies kann sich ändern. Ein Vorschlag geht dahin, einen Teil der Forderungen in Haftungskapital umzuwandeln.65 Technisch ist dies im Hinblick auf industrielle Investitionen vorstellbar. Hier ist ein beträchtlicher politischer Widerstand der Schuldnerländer einzurechnen, der wirtschaftliche Nutzen höchst ungewiß. Für einen teilweisen Schuldenerlaß, z. B. Zinsminderung, aber auch Reduzierung der Hauptsumme, fehlt es an rechtlichen Maßstäben und natürlich (noch) an Bereitschaft. Der Fall, daß sowohl IWF, BIZ und Zentralbanken als auch Geschäftsbanken mit den Rechten aus Vertragsbruch Ernst machen und ein Land der Watkins, How to Reschedule a Bond Issue, Euromoney, January 1983, 103. Dies erwägt Wood, Debt Priorities aaO (Fn. 56). 64 Zum deutschen Recht Than, Anleihegläubigerversammlung bei DM-Auslandsanleihen, FS Coing Bd. II, 1982, 521 ff. 65 Meltzer, A Way to Defuse the World Debt Bomb, Fortune Nov. 28, 1983, 137. 62 63
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Krise überlassen, ist unwahrscheinlich. Er ist aber nicht ausgeschlossen. Denn es ist vorstellbar, daß Schuldnerländer sich auf beruhigende Erfahrungen mit dem bisher erfolgreichen Krisenmanagement allzusehr verlassen und zu erkennen geben, daß sie ihre Kreditverpflichtungen nicht ernst nehmen. Spätestens an dem Punkt, an dem internationale Kreditverbindlichkeiten psychologisch ins Unverbindliche abzugleiten drohen, können sich die Gläubiger genötigt sehen, doch einmal von den vertraglich vereinbarten Sanktionen vollen Gebrauch zu machen. Niemand wünscht dies, aber niemand kann es ausschließen. Der bisherige Verlauf der internationalen Schuldenkrise hat gezeigt, daß man das internationale Finanzsystem am besten dadurch vor Schaden bewahren kann, daß man das Recht flexibel handhabt. Aber es ist ebenso gewiß, daß das internationale Finanzsystem nur erhalten werden kann, wenn man das Recht ernst nimmt.
Das chinesische Außenwirtschaftsvertragsgesetz von 1985 RIW 1985, 688–693 Stichworte: China / Außenwirtschaftsvertragsgesetz / Geltungsbereich / Parteiautonomie / lex mercatoria / Vertragsinhalt / Vertragshaftung / Streitbeilegung
I. Allgemeine Bedeutung Das „Gesetz der Volksrepublik China über Wirtschaftsverträge mit Ausländern“ (Außenwirtschaftsvertragsgesetz; AWVG) vom 21. März 1985, in Kraft seit 1. Juli 1985, stellt die Außenwirtschaftsbeziehungen der Volksrepublik China, die sich in stürmischer Entwicklung befinden, auf eine neue Rechtsgrundlage1. Das Gesetz ist ein bedeutsamer Schritt auf Chinas Weg zu einer Rolle im Welthandel, die seiner Größe und seinem politischen Gewicht entspricht. Es unterstreicht die Politik der chinesischen Führung, die 1979 eingeleitete außenwirtschaftliche Öffnung Chinas [689] fortzusetzen und zugleich schrittweise bestimmte Elemente westlicher Marktwirtschaft in sein Wirtschaftssystem einzubauen. Man hat erkannt, daß beides eine gewisse Rezeption westlicher Grundsätze und Techniken des Handels- und Wirtschaftsrechts voraussetzt. Die wichtigsten Etappen der Außenwirtschaftsgesetzgebung waren bisher das Gesetz über Gemeinschaftsunternehmen (joint ventures) mit ausländischen Investoren von 1979 mit begleitenden steuerlichen und arbeitsrechtlichen Vorschriften von 1980 und nachfolgenden Ausführungsbestimmungen von 19832 sowie das Patentgesetz von 1984 als Grundlage ausländischer 1 RMRB (Renmin-Ribao = Volkszeitung) v. 22.3.1985; das Gesetz wurde angenommen in der 10. Sitzung des Ständigen Ausschusses des 6. Nationalen Volkskongresses. Deutsche Übersetzung von Heuser, RIW 1985 S. 379. Inoffizielle englische Übersetzung (Economic Contract Law of the People’s Republic of China Involving Foreigners) in: Business China, March 28, 1985, S. 44. Kurze Beschreibungen durch Charles J. Conroy, IFLRev May 1985 S. 26–27; Heuser, RIW 1985 S. 377–379. 2 The Law of the People’s Republic of China on Joint Ventures Using Chinese and Foreign Investment v. 1. und 8. Juli 1979; Regulations for the Implementation of the Law ... on Joint Ventures v. 20.9.1983; wichtig sind ferner DurchführungsVOen über die Registrierung der Gemeinschaftsunternehmen v. 26.7.1980, über Arbeitsbeziehungen in Gemein-
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Lizenzvergaben3. Ferner ist die Verordnung von 1982 über die Ausbeutung von Ölvorkommen in Zusammenarbeit mit ausländischen Unternehmen zu nennen4. Diese gesetzgeberischen Maßnahmen zur Regelung des Kapitalimports und Technologietransfers werden ergänzt durch Investitionsschutzabkommen5. Krönung dieser außenwirtschaftlich orientierten Gesetzgebung ist nun das neue Vertragsgesetz von 1985. Die in dieser Gesetzgebung sich vollziehende Rezeption westlichen Rechtsdenkens ist ein Vorgang von großer kultureller und politischer Tragweite6. Die erste Phase der Übernahme westlichen Rechts im Rahmen der Modernisierungsbemühungen des späten Kaiserreichs und vor allem der ersten Republik, in der das deutsche Zivilrecht eine beachtliche Rolle spielt, war mit dem Sieg der sozialistischen Revolution 1949 beendet. Restbestände westlicher Rechtsvorstellungen wurden in den Wirren der Kulturrevolution von 1969 bis 1978 unterdrückt und ausgemerzt. Traditionelle Vorbehalte und Mißtrauen gegenüber der Rolle des Rechts als sozialem Ordnungsfaktor und der gerichtsförmigen Beilegung von sozialen Konflikten verbanden sich dabei mit den neuen Parolen des ideologischen und politischen Kampfes. Erst vor diesem Hintergrund wird das Ausmaß und die Bedeutung des neu eingeleiteten Rezeptionsprozesses westlicher Rechtsvorstellungen als Elementen eines modernisierten Wirtschaftssystems verständlich. Bei ihrer schwierigen gesetzgeberischen Aufgabe bedienen sich die chinesischen Gesetzgebungsorgane vielfältigen ausländischen Rates, ohne sich einseitig an ein Land anzulehnen. Im vielfältigen Konzert der Beratungen ist auch die deutsche Stimme willkommen. Das neue Patentgesetz von 1984 ist von deutschen Rechtsvorstellungen deutlich beeinflußt und auch das neue Vertragsgesetz hat zumindest in einigen Punkten deutsche Anregungen aufgenommen. Hier wie in anderen Gesetzen ist der Gesetzgeber um relativ knappe, übersichtliche Gesetze bemüht, die einfach und anschaulich formuliert sind und nicht auf einen hochdifferenzierten Apparat von Rechtsbegriffen und Rechtsvorstellungen aufbauen. schaftsunternehmen v. 26.7.1980 sowie Gesetze über die Besteuerung dieser Unternehmen und ihrer ausländischen Mitarbeiter v. 10.9.1980 mit DVOen v. 14.12.1980. Lit.: Tao-tai Hsia/Kathryn Haun, China’s Joint Venture Law, China Law Reporter, vol. I, S. 5–24 und S. 61–63; Erich H. K. Lee, The Chinese Joint Venture and Its Taxation, J. Bus. Law 1983 S. 521; Charles J. Conroy, Joint Ventures in China and Their Tax Treatment, IFLRev Jan. 1985 S. 25; zur Besteuerung Münzel, RIW 1981 S. 24. 3 Patent Law of the People’s Republic of China v. 12.3.1984, in Kraft seit 1.4.1984. 4 Regulations of the People’s Republic of China on the Exploitation of Petroleum Resources in Cooperation with Foreign Enterprises v. 30.1.1982. 5 Zum deutsch-chinesischen Investitionsschutzabkommen v. 7.10.1983 vgl. Burkhardt, RIW 1984 S. 28. 6 Ähnlich wohl Conroy, a. a. O. (Fn. 1); zurückhaltender Heuser, RIW 1985 S. 378; allgemein zur Rezeptionsproblematik der Entwicklungsländer Horn, Normative Grundprobleme einer ‚Neuen Weltwirtschaftsordnung‘, Festschrift Coing, Bd. 2, 1982, S. 149 ff., 163f.
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Die Bedeutung des AWVG liegt einmal darin, daß der Vertrag als das zentrale Rechtsinstitut jeder entwickelten Verkehrswirtschaft definiert und zusammenhängend normiert wird. Einige Regelungen lesen sich geradezu wie ein knappes, anschauliches Lehrstück über den Vertrag, indem etwa Art. 12 die wesentlichen Inhalte eines Vertrages aufzählt oder Art. 16 bestimmt: „Wenn ein Vertrag rechtmäßig geschlossen ist, ist er rechtlich bindend. Die Parteien sollen die Vertragspflichten erfüllen.“ – Einen ersten wichtigen Schritt zur Entwicklung seines Vertragsrechts hat China allerdings schon durch das Wirtschaftsgesetz (WVG) vom 13.12.1981 geleistet7. Es regelt die Verträge im Binnenwirtschaftsverkehr zwischen und mit staatlichen und genossenschaftlichen Unternehmen. Bereits das WVG führt eine Reihe rechtstechnischer Regelungen des Vertragsrechts ein, die ähnlich dann im neuen AWVG auftauchen. Aber im WVG von 1981 erscheint der Vertrag noch ganz als Instrument der staatlichen Planwirtschaft8. Im neuen AWVG von 1985 tritt dieses Element naturgemäß ganz zurück. Der Vertrag ist im Welthandel notwendig das Koordinationsinstrument frei entscheidender und gleichberechtigter Partner, der Einfluß des (chinesischen) Staates auf einige, im folgenden zu besprechende Vorbehaltsklauseln und Genehmigungserfordernisse beschränkt. Das AWVG hat in manchem die bereits vorher geübte Außenwirtschaftsvertragspraxis Chinas kodifiziert9 und stellt jedenfalls die Handelspartner Chinas nicht vor schwerwiegende Umstellungsprobleme, sondern schafft vielmehr Rechtssicherheit. Aber schon in der gesetzlichen Anerkennung bisheriger Außenwirtschaftspraxis liegt ein Rezeptionsvorgang. Dieser kann auch für die innerchinesische Vertragsentwicklung und vor allem für das auch im Außenwirtschaftsverkehr noch ungeübte chinesische Rechtsdenken praktisch höchst förderlich sein. Das Gesetz ist Teil eines Lernprozesses Chinas auf dem Weg zum modernen Staatswesen und Partner der Weltwirtschaft. Die noch weit größere Bedeutung haben die kollisionsrechtlichen Elemente des Gesetzes. Der chinesische Gesetzgeber hat nach einigem Zögern das für den internationalen Wirtschaftsverkehr bedeutsame Prinzip der Parteiautonomie mit kleineren Einschränkungen anerkannt und im übrigen eine moderne, flexible objektive Anknüpfung des Vertragsstatuts normiert (Art. 5 Abs. 1 u. 2). Hinzu tritt die Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze des internationalen Handels- und Wirtschaftsrechts (lex mercatoria) als subsidiäre Rechtsquelle (Art. 5 Abs. 3). Damit leistet die Volksrepublik China zugleich einen aktiven Beitrag zur Anerkennung dieser Grundsätze im internationalen Wirtschaftsverkehr. RMRB v. 17.12.1981; deutsche Übersetzung von Münzel, WGO 1981 S. 165. § 4 WVG: „... der Vertrag muß den Anforderungen der staatlichen Richtlinien und Pläne entsprechen.“ 9 Heuser, RIW 1985 S. 378. 7 8
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II. Aufbau, Ziele und Auslegung des Gesetzes Das neue Außenwirtschaftsvertragsgesetz besticht durch seine Kürze und Anschaulichkeit. In nur 43 Artikeln enthält es materielle Normen über die wichtigsten Grundfragen des allgemeinen Vertragsrechts, über Streitbeilegung durch Schiedsgerichte und Gerichte und außerdem im Zusammenhang mit Regelungen über seinen Geltungsbereich auch einige wichtige Kollisionsnormen, vor allem über Rechtswahlfreiheit. Das Gesetz ist in 7 Abschnitte eingeteilt: (1) Allgemeine Bestimmungen (Art. 1–6), (2) Vertragsschluß (Art. 7–15), (3) Vertragserfüllung und Haftung für Vertragsverletzung (Art. 6–25), (4) Abtretung (Art. 26–27), (5) Vertragsänderung, Aufhebung und Erlö- [690] schen (Art. 28–36), (6) Streitbeilegung (Art. 37–38) und (7) Übergangs- und Schlußvorschriften (Art. 39–43). Art. 1 AWVG nennt als allgemeine Gesetzeszwecke erstens den Schutz der legitimen Rechte und Interessen der Vertragsparteien von Verträgen über Außenwirtschaftsgeschäfte und zweitens die Fortentwicklung der Außenwirtschaftsbeziehungen Chinas. Diese Zweckbestimmungen werden durch zwei Generalklauseln in Art. 3 und Art. 4 ergänzt. Nach Art. 3 soll beim Abschluß von Verträgen „das Prinzip der Gleichheit und des wechselseitigen Nutzens“ beachtet und „vollständige Übereinkunft aufgrund von Konsultationen erzielt“ werden. Mit westlichen Augen betrachtet kommt in dieser Norm das Prinzip des Vertragsschlusses durch freie, von Irrtum und Täuschung nicht beeinflußte Übereinkunft und das Prinzip von Treu und Glauben zum Ausdruck. Nach Art. 4 müssen beim Vertragsschluß „die Gesetze der Volksrepublik China beachtet“ und es dürfen seine öffentlichen Interessen nicht beeinträchtigt werden. Legt man auch an diese Norm westliche Maßstäbe an, so enthält sie nicht mehr als zunächst einen Vorbehalt, daß Verträge, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen, unwirksam sind (vgl. § 134 BGB)10. Im zweiten Teil der Norm geht es um einen ordre public-Vorbehalt. Schon bei dieser Erläuterung der Art. 3 und 4 stellt sich das allgemeine Problem, ob man überhaupt an dieses Gesetz mit den Augen eines westlichen Juristen herangehen kann. In der Tat kann niemand voraussagen, in welcher Weise in Zukunft chinesische Regierungsstellen, Gerichte, Schiedsgerichte oder Wirtschaftsjuristen diese Normen deuten werden. Gerade in einem Land, das weder mit westlichen rechtstechnischen Präzisierungen noch rechtsstaatlichen Vorstellungen sehr vertraut ist, läßt sich die Möglichkeit nicht ausschließen, daß solche Generalklauseln eher nach (ggf. wechselnden) wirtschaftlichen und politischen Zweckmäßigkeiten ausgelegt werden als nach durchgängigen spezifisch rechtlichen Kriterien. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß auch in diesem Gesetz der bereits erwähnte Wille 10 Die dem § 134 BGB entsprechende Norm ist Art. 9 des Gesetzes (dazu im folgenden IV). Art. 4 dagegen ist wohl als allgemeine Vorbehaltsnorm aufzufassen.
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zum Ausdruck kommt, westlichen Rechtsvorstellungen Raum zu geben. In den noch zu besprechenden Normen zur Ausgestaltung des Vertragsrechts kommt dies sehr deutlich zum Ausdruck, aber auch im bereits erwähnten Art. 5 sowie in der genannten Zweckbestimmung des Gesetzes, die außenwirtschaftlichen Beziehungen Chinas zu fördern. Der Wille zur Ablösung einer rein politischökonomischen Steuerung der Wirtschaft durch eine rechtliche wird auch durch politische Äußerungen unterstrichen11. Auch mit Rücksicht auf die Konsultation westlicher Juristen bei der Abfassung des Gesetzes bestehen gute Gründe, in einem gewissen Maß den Willen zu einer Rezeption westlicher Rechtsvorstellungen anzunehmen und beim Verständnis des Gesetzes daher auch mit gebotener Vorsicht westliche oder besser international verbreitete Vorstellungen heranzuziehen. Andererseits ist nicht zu verkennen, daß chinesische Auffassungen zum (internen) WVG auch die chinesische Interpretation entsprechender Normen im AWVG beeinflussen werden.
III. Geltungsbereich, Parteiautonomie und lex mercatoria Das Gesetz findet auf Wirtschaftsverträge zwischen chinesischen Unternehmen oder Wirtschaftsorganisationen und ihren ausländischen Vertragspartnern Anwendung mit Ausnahme von Transportverträgen (Art. 2). Der Begriff des Wirtschaftsvertrages (economic contract) ist nicht näher erläutert. Er umfaßt jedenfalls auch alle Verträge des Handelsverkehrs, die im Recht westlicher Länder der Privatwirtschaft und nach kontinentaleuropäischer Auffassung dem Bereich des Privatrechts zugerechnet werden12. Der Begriff des ausländischen Vertragspartners ist nicht näher präzisiert. Anders als Art. 1 der UN-Kaufrechtskonvention von 1980, die den Geschäftssitz entscheidend sein läßt, ist hier wohl primär auf die Staatsangehörigkeit bzw. die lex societatis abgestellt. Art. 5 proklamiert das Prinzip der Parteiautonomie. Die Vertragsparteien können danach grundsätzlich das auf den Vertrag anwendbare Recht frei wählen (Abs. 1 Satz 1). Die Anerkennung der Rechtswahlfreiheit geschieht in einer für westliche Juristen ungewohnten Form, indem das Gesetz erklärt, daß die Parteien die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten in Übereinstimmung mit dem von ihnen gewählten anwendbaren Recht suchen können. Diese indirekte Formulierung trägt zwei Besonderheiten der chinesischen Mentalität Rechnung. Erstens widerstrebt es dem chinesischen Gesetzgeber, sich 11 Die Rede des ranghöchsten Politikers Deng bei der Revolutionsfeier am 1.10.1984 betonte die Bedeutung der „rule of Law“ für die Zukunft Chinas. 12 Im Vorentwurf lautete der englische Text des Art. 2 ursprünglich „economic and trade contracts“.
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direkt über die Anwendung ausländischer Gesetze durch chinesische Staatsorgane zu äußern. Leichter erscheint dies, wenn das ausländische Recht nur als ein von den Parteien benutztes Medium zur Beilegung einer Streitigkeit erscheint. Dies schließt aber ein, daß ein chinesisches Gericht im Ergebnis das von den Parteien gewählte Vertragsstatut respektiert. Zweitens entspricht es chinesischer Mentalität, den Rekurs auf anwendbares Recht nur als allerletztes und äußerstes Mittel der Streitbeilegung anzusehen und zuvor alles zu versuchen, zu einer nichtstreitigen Verhandlungslösung zu kommen13. An der Anerkennung der Parteiautonomie besteht aber im Ergebnis kein Zweifel. Die Rechtswahlfreiheit ist durch Art. 5 Abs. 2 eingeschränkt: auf Gemeinschaftsunternehmen, (gesellschaftsähnliche) Kooperationsverträge und Verträge über die Erschließung und Ausbeutung von Rohstoffen innerhalb chinesischen Territoriums14 findet chinesisches Recht Anwendung. Auch diese Einschränkung ist nicht ungewöhnlich. Die meisten westlichen Rechte schränken im Gesellschaftsrecht, insbes. im Recht der Kapitalgesellschaften, die Rechtswahlfreiheit auf verschiedene Weise ein15, und der Abbau natürlicher Rohstoffe unterliegt auch hier einer bergrechtlichen Gesetzgebung. Ein gewisses Problem besteht allerdings darin, daß der Gesetzgeber möglicherweise auch die bei Gemeinschaftsunternehmen oft üblichen Vorverträge und ggf. begleitende Verträge, z. B. über eine Projektfinanzierung im Zusammenhang mit einem Gemeinschaftsunternehmen oder einem Abbauprojekt, chinesischem Recht unterwerfen will. Aus dem Wortlaut geht dies allerdings nicht eindeutig hervor und gut vertretbar ist eine einschränkende Auslegung des Satzes 3, so daß für die genannten Verträge das allgemeine Prinzip der Rechtswahlfreiheit des Satzes 1 gilt. Allerdings ist die chinesische Vertrags praxis bestrebt, bei joint ventures keine Vorverträge zu schließen, sondern nur den eigentlichen joint venture-Vertrag sowie die Errichtungsurkunde (articles of association) und auch für den ersteren Vertrag durch Rechtswahl die Anwendung chinesi- [691] schen Rechts zu sichern bzw. klarzustellen16. – Die Ausnahmen von der Rechtswahlfreiheit sind im übrigen keineswegs erschöpfend aufgezählt. So hielt es der Gesetzgeber nicht für nötig, z. B. den international ausnahmslos anerkannten Grundsatz der lex rei sitae zu erwäh13 Horn, Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, 1985, S. 10. 14 Zu einem solchen Vertrag Horn, in: Hinsch/Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projektfinanzierungen, Teil 2 Kap. 4, 1985 (im Druck). 15 Durch die Sitztheorie oder, soweit Rechtswahlfreiheit bei der Gründung zugestanden wird (Gründungstheorie) wie in den Gesellschaftsrechten der USA, durch zwingende Normen; Horn, Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980, S. 63f. 16 Vgl. Sample Contract for Joint Ventures Using Chinese and Foreign Investment, Art. 58, in: China Economic News 1985. 4.1 (Supplement No 4).
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nen. Der Erwerb von Grundstücken durch Ausländer ist ohnehin noch nicht möglich. Soweit die Parteien von ihrer Rechtswahlfreiheit keinen Gebrauch machen, findet gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 das Recht Anwendung, zu dem der Vertrag die engste Beziehung aufweist. Die Regelung entspricht den in westlichen Kollisionsrechten verbreitet anerkannten Grundsätzen der „Schwerpunkttheorie“. Art. 5 Abs. 3 schließlich ordnet an, daß bei Anwendung des chinesischen Rechts die Rechtsgrundsätze des internationalen Wirtschaftsverkehrs subsidiäre Anwendung finden. Auch diese Norm unterstreicht die überraschende Offenheit des chinesischen Gesetzgebers gegenüber auswärtigen, international anerkannten Rechtsvorstellungen bei der Beurteilung außenwirtschaftlicher Sachverhalte. Worauf der Gesetzgeber verweisen will, ist begrifflich nicht leicht zu präzisieren. Heuser spricht von „internationalen Usancen“, englische Übersetzungen verwenden die Ausdrücke „international practices“ oder aber „international norms“17. Die Schwierigkeit liegt weniger in der Sprache als in der Sache selbst. Ich sehe in Art. 5 Abs. 3 AWVG eine Verweisung auf die „lex mercatoria“ als Leitidee und Inbegriff inhaltlich einheitlicher Rechtsgrundsätze des internationalen Handels- und Wirtschaftsverkehrs. Dies umfaßt sowohl Rechtsnormen (Einheitsrecht aufgrund von internationalen Konventionen oder Gewohnheit) als auch Regeln und Usancen tatsächlicher Art als Hilfen zur Interpretation von Verträgen und Rechtsnormen18. Art. 5 Abs. 3 AWVG ist zugleich ein wichtiger eigener Beitrag Chinas dazu, daß sich das Konzept einer lex mercatoria international durchsetzt. Art. 5 ist die für die chinesische Rechtsentwicklung und zugleich die Fortentwicklung des internationalen Handelsrechts wichtigste Norm des Gesetzes. Der Gesetzgeber hat sich damit entschlossen von einem Konzept gelöst, das in Anlehnung an traditionelle chinesische Vorstellungen eine deutliche Bevorzugung des eigenen Rechts vorsah. Noch der Vorentwurf enthielt in Art. 5 den Grundsatz der Anwendung chinesischen Rechts auf alle Verträge, die in China abgeschlossen oder zu erfüllen sind (Abs. 1), und nur als Rückausnahme davon eine eingeschränkte Rechtswahlfreiheit bezüglich eines anderen Rechts, das mit dem Vertrag enge Beziehungen hat (Abs. 2). Ferner war eine längere Liste der Fälle unabdingbarer Anwendung des chinesischen Rechts vorgesehen, die alle Geschäfte über Finanzierungen und Sicherheiten, an denen chinesische Banken beteiligt sind, einschloß (Art. 3). Schließlich war Vgl. die Nachweise in Fn. 1. Dazu allg. Horn/Schmitthoff, The Transnational Law of International Commercial Transaction, 1982, insbes. S. 11 ff., 20 ff. Dieses Buch wurde übrigens vom Forschungsinstitut für Wirtschaftsgesetzgebung des Staatsrates der VR China bei der Vorberatung des Gesetzes herangezogen. Vgl. auch Fn. 20. 17 18
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die Maßgeblichkeit des Abschlußortes für das Vertragsstatut in den Fällen, in denen eine Rechtswahl zulässig, aber nicht getroffen ist, angeordnet (Abs. 4). Erfreulicherweise wurde dieser Entwurf jedoch nicht Gesetz. Die Gesetzgebungsorgane folgten meinen Anregungen zur Verbesserung des Entwurfs in vier wichtigen Punkten: (1) die Parteiautonomie (Rechtswahlfreiheit) wurde nicht als Ausnahme, sondern als allgemeiner Grundsatz formuliert, und zwar ohne Einschränkung auf solche Rechte, die mit dem Vertrag enge Beziehung haben; (2) die Zahl der Ausnahmen von der Rechtswahlfreiheit wurde reduziert19; (3) als Anknüpfung des Vertragsstatuts bei fehlender Rechtswahl wurde der Abschluß- und Erfüllungsort zugunsten der flexibleren „Schwerpunkttheorie“ aufgegeben; (4) die subsidiäre Geltung internationaler Rechtsgrundsätze (lex mercatoria) wurde anerkannt20. Schon bei den im Vorentwurf erkennbaren zaghaften Schritten in Richtung Rechtswahlfreiheit und noch mehr bei der endgültigen gesetzgeberischen Lösung wurde vom chinesischen Gesetzgeber ein Denkprozeß über ein Grundproblem des internationalen Privatrechts verlangt und geleistet, das schon bei v. Savigny und in der älteren gemeinrechtlichen Literatur unter dem Stichwort der „comitas“ erörtert wird: Der freundschaftliche Umgang der Staaten in der Völkerrechtsgemeinschaft veranlaßt sie, auch das Recht eines anderen Staates auf internationale Sachverhalte anzuwenden21. Die Anerkennung dieses Prinzips setzt allgemein voraus, daß man die Anwendung fremden Rechts von der Unterwerfung unter den politischen Willen eines anderen Staates klar unterscheidet. Diese Erkenntnis mußte hier verbunden werden mit der Einsicht, daß die Wahl eines anderen Rechts jedenfalls im Hinblick auf die hochentwickelten westlichen Rechte und bei rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen nicht ohne weiteres zu einem Nachteil der chinesischen Vertragspartei führt. Insgesamt ist die Regelung in Art. 5 des Außenwirtschaftsvertragsgesetzes als eine dem Weltwirtschaftsverkehr freundliche, moderne Regelung zu 19 Bei der Streichung der bankmäßigen Finanzierungs- und Sicherungsgeschäfte aus dem Tatbestand der zwingenden Anwendung chinesischen Rechts folgte man dem Argument, daß einerseits schon aus dem Grundsatz der lex bancae häufig die Anwendung chinesischen Rechts in den gemeinten Fällen folgen werde (dazu allg. Horn/Schmitthoff, a. a. O., S. 283), andererseits internationale Finanzgeschäfte bisweilen die Wahl eines anderen Rechts erfordern werden. 20 Die genannten vier Grundsätze habe ich dem Leiter des Forschungszentrums für Wirtschaftsgesetzgebung des Staatsrates, Mitgliedern des Staatsrates und Mitgliedern der Rechtskommission des ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses am 28.9.1984 in Peking im Rahmen einer Konsultation vorgetragen. Gegenstand der Konsultation war Abschnitt 1 des Gesetzes, insbes. Art. 5, in der beschriebenen ursprünglichen Fassung, die dann abgeändert wurde. Zur Beteiligung der genannten Gremien am Zustandekommen des Gesetzes allg. Heuser, RIW 1985 S. 378 unter Bezugnahme auf Wei Yuming, RMRB v. 11.1.1985. 21 v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. VIII, 1849, § 348.
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begrüßen. Demgegenüber sollten gewisse Einwände gegen die rechtstechnische Präzisierung nicht zu hoch bewertet werden. So ist der logische Zusammenhang zwischen der Regelung des Geltungsbereiches des Gesetzes durch Art. 2 und der Rechtswahlfreiheit durch Art. 5 nicht mit letzter Klarheit normiert. Man könnte daran denken, daß das AWVG unbeschadet der Rechtswahlfreiheit gelten will. Dies würde bedeuten, daß z. B. die Vorschriften über den Vertragsschluß unabhängig von der Rechtswahl dem chinesischen Recht folgen, wenn der Vertrag seinem Geltungsbereich gem. § 2 unterfällt. Ähnliches ließe sich für die Grundsätze der Vertragshaftung oder der Abtretung vertraglicher Rechte oder anderer Regelungen des Gesetzes behaupten. Eine solche Schlußfolgerung wäre jedoch wohl voreilig. Der chinesische Gesetzgeber knüpft an das Konzept der Parteiautonomie so an, wie dieses sich auch in westlichen Rechten findet, und läßt nicht erkennen, daß er davon einschränkend abweichen will. Eine gem. Art. 5 zulässige Wahl eines anderen Rechts schließt daher die Anwendung des Gesetzes im übrigen aus mit Ausnahme wohl der Vorbehaltsklauseln der Art. 3 und 4 sowie der Kollisionsnorm des Art. 622. Da die Zweckbestimmung des Art. 1 und die Geltungsbereichsregelung des Art. 2 zumindest für Art. 3–6 AWVG maßgeblich bleiben, ist im Ergebnis der ganze erste Abschnitt des Gesetzes trotz Wahl fremden Rechts weiter an- [692] wendbar. Die anderen Abschnitte des Gesetzes sind es nicht. Immerhin ist der ausländische Verhandlungs- und Vertragspartner gut beraten, wenn er das Gesetz kennt und damit weiß, von welchen allgemeinen Vorstellungen über einen Vertragsschluß sein chinesischer Partner ausgeht. Dazu gehört etwa die noch im folgenden zu besprechende Schriftlichkeit des Vertrages. Da nach deutschem Recht der Vertragsschluß einschließlich der Rechtswahlklausel auch mündlich vollzogen werden kann, könnte hier der chinesische Partner einwenden, Vertragsschluß und damit auch eine gültige Rechtswahlklausel setze nach dem chinesischen AWVG Schriftlichkeit voraus. Da alle Verträge von einigem wirtschaftlichen Gewicht schriftlich geschlossen werden, ist das Problem von geringer praktischer Bedeutung, mag aber als Illustration dienen. China ist inzwischen dazu übergegangen, mit wichtigen Handelspartnerstaaten Handels- und Freundschaftsverträge und insbesondere Verträge über Investitionsschutz und Doppelbesteuerung abzuschließen23. Hier bestand eine gewisse Unsicherheit, ob die chinesische Führung den Vorrang dieser völkerrechtlichen Verträge vor chinesichem innerstaatlichen Recht anerkennen würde. Diese Zweifel beseitigt nun Art. 6, indem er ausdrücklich den Vorrang des internationalen Vertrages anordnet.
22 23
Zu letzteren im Folgenden bei Fn. 23. Vgl. Fn. 5.
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IV. Abschluß und Inhalt von Verträgen Ein Vertrag wird geschlossen durch Einigung der Parteien über alle Vertragspunkte, die schriftlich abzufassen und zu unterschreiben sind (Art. 7 Abs. 1 Satz 1). Ein Vertragsschluß kann auch durch den Austausch von Briefen, Telegrammen und Telex erfolgen. In diesem Fall kann jede Vertragspartei die Unterzeichnung eines Bestätigungsschreibens verlangen; der wirksame Vertragsschluß hängt dann von der Erfüllung von dieser Voraussetzung ab (Satz 2). Die in manchen Bereichen der internationalen Vertragspraxis verbreitete Übung, einen Vertrag durch Anhänge auszufüllen, zu ergänzen oder zu modifizieren, wird von chinesischen Verhandlungspartnern gern benutzt. Zweifel über die Verbindlichkeit solcher Appendices beseitigt das Gesetz, indem es diese zu Bestandteilen des Vertrages erklärt (Art. 8). Ein Vertrag, der die Gesetze oder das öffentliche Interesse (social or public welfare) Chinas verletzt, ist unwirksam. Den Parteien bleibt die Möglichkeit, durch entsprechende Vertragsänderungen den Nichtigkeitsgrund zu beseitigen (Art. 9). Diese Vorschrift wiederholt den Programmsatz von Art. 4. Vieles wird davon abhängen, ob sich die chinesische Rechtspraxis zu einer in unserem Recht üblichen engen Auffassung der relevanten Verbotsgesetze entschließt und darauf verzichtet, jeden Widerspruch zu chinesischen Rechtsvorstellungen als Nichtigkeitstatbestand anzunehmen. Sofern ein Vertrag aufgrund Gesetz oder Verwaltungsverordnung genehmigungsbedürftig ist, wird er erst mit der Genehmigung wirksam (Art. 7 Abs. 2). Auch hier wird es darauf ankommen, daß, vor allem durch die zu erwartenden Ausführungsbestimmungen zum Gesetz, die Voraussetzungen der Genehmigungsbedürftigkeit genauer festgelegt werden, um eine Rechtsunsicherheit zu vermeiden. Ein durch Täuschung oder Drohung zustande gekommener Vertrag ist unwirksam (Art. 10). Eine Partei, die für die Unwirksamkeit eines Vertrages verantwortlich ist, hat die andere Partei zu entschädigen (Art. 11). Diese Vorschrift erfaßt zumindest nach ihrem Wortlaut nicht nur den Fall der Täuschung oder Drohung, sondern auch z. B. die Verantwortlichkeit für die Nichteinholung einer Genehmigung. Das Gesetz gibt eine bemerkenswerte und uns ungewohnte Anleitung über den erforderlichen Inhalt von Verträgen in Art. 12; durch die Worte „im allgemeinen soll ein Vertrag die folgenden Bestimmungen enthalten“ wird angedeutet, daß nicht unbedingt das Fehlen eines solchen Merkmals zur Unwirksamkeit des ganzen Vertrages führen muß. Diese als wesentlich bezeichneten Elemente sind: (1) Titel oder Namen, Nationalität, Adresse des Hauptgeschäftssitzes oder des Wohnsitzes der Vertragsparteien; (2) Datum und Ort des Vertragsschlusses; (3) Vertragstyp, Art und Umfang der Vertragsziele;
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(4) Technische Bezeichnung, Qualität, Standards, Spezifizierung und Zahl der Vertragsgegenstände; (5) Zeit, Ort und Art der Vertragserfüllung; (6) Preisbedingungen, zu zahlende Beträge, Zahlungsweise und zusätzliche Kosten; (7) Übertragbarkeit des Vertrages und Voraussetzungen der Übertragbarkeit; (8) Schadensersatz und sonstige Haftung für Vertragsverletzung; (9) Wege der Streitbeilegung und (10) maßgebliche Vertragssprache. In manchen der bisher besprochenen Vorschriften wird der Einfluß kontinentaleuropäischen Rechtsdenkens eher als der des common law erkennbar. So ist beim Vertragsschluß die in der Tat wohl ziemlich funktionslose Consideration-Theorie nicht aufgegriffen. In der Liste des erforderlichen Vertragsinhalts ist vom Vertragstyp die Rede, was eher kontinentaleuropäischer Denkweise entspricht, allerdings auch – trotz der herrschenden Typenvielfalt – praktischen Gepflogenheiten durchaus entgegenkommt. Dauerschuldverhältnisse sollen eine zeitliche Begrenzung oder eine Kündigungsmöglichkeit, aber auch eine Regelung über die Verlängerbarkeit enthalten (Art. 14). Großen Wert legt der chinesische Gesetzgeber auf die summenmäßige Begrenzung der vertraglichen Haftung. Der Vertrag muß eine entsprechende Regelung enthalten und erforderlichenfalls auch eine Regelung über die Versicherung der Vertragsgegenstände und Vertragsrisiken (Art. 13). Die Parteien können sich darauf einigen, daß ein Garant für die Erfüllung des Vertrages oder einzelner Vertragspflichten einstehen soll (Art. 15). Die Übertragung der Rechte und Pflichten aus einem Vertrag auf einen anderen kann nur mit Zustimmung der anderen Vertagspartei und ggf. der Genehmigungsbehörde erfolgen (Art. 26, 27). Das Gesetz macht damit keinen Unterschied zwischen Übertragung von Rechten und Pflichten und läßt eine Zession nur durch Vertrag zwischen Zedenten und Zessionar nicht zu.
V. Vertragshaftung Die Grundnorm findet sich in Art. 18: Wenn eine Partei ihren vertraglichen Pflichten nicht nachkommt, ist die andere berechtigt, Schadensersatz zu verlangen oder andere Maßnahmen zur Wahrung ihrer Interessen (remedial measures) zu ergreifen. Diese Vertragshaftung setzt nur den objektiven Tatbestand einer Verletzung von Vertragspflichten voraus. Das dem deutschen Recht vertraute Verschuldensprinzip findet sich nicht. Allerdings findet es ähnlich wie im französischen Recht indirekt Berücksichtigung: die Ver-
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tragspartei haftet nicht, wenn sie an der Vertragserfüllung oder rechtzeitigen Erfüllung durch höhere Gewalt (force majeure) gehindert wurde (Art. 24). Der Tatbestand der force majeure wird als ein unvorhergesehenes, unvermeidbares und unüberwindliches Ereignis definiert (Art. 24 Abs. 3). Die Parteien können im Vertrag diesen Tatbestand näher definieren (Abs. 4). Grundsätzlich ist der wirklich entstandene Schaden zu ersetzen (Art. 19). Der Schadensersatz soll aber nicht den zur Zeit des Vertragsschlusses voraussehbaren Schaden überschreiten (a. a. O.). Dies ist wohl als Anerkennung des Adäquanzprinzips zu verstehen. Eine etwas schwankende [693] Haltung nimmt der chinesische Gesetzgeber gegenüber der gerade in der internationalen Vertragspraxis verbreiteten Möglichkeit ein, vertragliche Schadenspauschalen (liquidated damages) zu vereinbaren. Grundsätzlich wird den Parteien diese Möglichkeit ebenso eingeräumt wie die Vereinbarung einer sonstigen Schadensberechnung (Art. 20). Dies entspricht auch der vorerwähnten Notwendigkeit, im Vertrag einen Höchstbetrag der Haftung zu vereinbaren. Andererseits läßt das Gesetz die Anrufung eines Gerichts oder Schiedsgerichts mit der Behauptung zu, der Schaden sei in Wirklichkeit höher oder niedriger (Art. 20 Abs. 2 Satz 2). Unter diesen Umständen ist die Frage, wieweit Schadenspauschalierungen anerkannt oder nur als Beweislastregelung verstanden werden, wohl eher im letzten Sinn zu entscheiden. Die Partei, die einen Schaden erleidet, hat eine Schadensminderungspflicht (Art. 22). Bei beiderseitigem Vertragsbruch sind beide Parteien haftbar (Art. 21). Hat eine Partei hinreichende Anhaltspunkte dafür, daß die andere Partei den Vertrag verletzt, so kann sie ihre eigene Leistung zurückhalten, muß aber die Gegenpartei darüber informieren und bei entsprechender Sicherheitsleistung ihre eigene Leistung erbringen (Art. 17). Nicht ganz deutlich ist die Tragweite des Rechts einer durch Vertragsbruch verletzten Partei, statt Schadensersatz andere interessenwahrende Maßnahmen (remedial measures) zu ergreifen. Das Gesetz macht nicht deutlich, ob es neben Schadensersatz einen Erfüllungsanspruch zuläßt. Mir scheint, daß der Gesetzgeber diese Möglichkeit offenlassen, aber mangels Erfahrung nicht näher ausgestalten wollte. Die Anrufung eines Gerichts zur Durchsetzung eines Erfüllungsanspruchs und ggf. auch von Eilmaßnahmen erscheint daher durchaus offen.
VI. Vertragsänderung und Vertragsbeendigung Jeder Vertrag kann durch weitere Vereinbarungen geändert werden (Art. 28). Genehmigungspflichtige Verträge können nur mit Zustimmung der Genehmigungsbehörde geändert werden (Art. 33). Jede Vertragspartei hat das Recht, den Vertrag durch Erklärung gegenüber der anderen Partei einseitig zu beenden, wenn (1) die Gegenpartei durch Ver-
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tragsbruch die wirtschaftlichen Interessen der Partei ernstlich beeinträchtigt hat; (2) wenn die Gegenpartei in Verzug gekommen ist und nach erneuter Fristsetzung und Mahnung innerhalb der Nachfrist nicht geleistet hat; (3) wenn der Vertrag wegen force majeure nicht erfüllt werden kann, oder (4) wenn Vertragsbedingungen für die Vertragsbeendigung erfüllt sind (Art. 29). Im übrigen wird ein Vertrag beendet durch Erfüllung, Aufhebungsvertrag oder Entscheidung eines Gerichts oder Schiedsgerichts (Art. 31). Über welche materiellen Tatbestände die Entscheidung ergeht, ist nicht gesagt. Man kann an force majeure (Art. 24) denken. Hier genügt jedoch schon einseitige Erklärung einer Partei (Art. 29 Abs. 3). Insgesamt scheint das Verhältnis zwischen materiellrechtlicher und prozeßrechtlicher Ebene hier nicht voll geklärt. Auch Vertragsänderungen und Erklärungen oder Vereinbarungen über Vertragsbeendigung bedürfen der Schriftform (Art. 32). Die Abänderung oder Beendigung des Vertrages läßt bestehende Schadensersatzansprüche im Grundsatz unberührt (Art. 34). Die Vereinbarungen über Streitbeilegung bleiben wirksam (Art. 35).
VII. Streitbeilegung Die Entscheidung eines Rechtsstreits durch ein Gericht oder Schiedsgericht widerstrebt der kulturellen Tradition und dem Rechtsempfinden der Chinesen. Sehr leicht verbindet sich mit einer Niederlage in einem Rechtsstreit, ja schon mit dem förmlichen Eintreten in einen Rechtsstreit, die Vorstellung eines schwerwiegenden Prestigeverlusts („Gesichtsverlustes“). Deshalb genießt die gütliche Beilegung durch Verhandlungen der Parteien, notfalls unter Zuziehung eines Vermittlers oder Schlichters, einen deutlichen Vorrang24. Dies kommt auch im Vertragsgesetz zum Ausdruck, indem Art. 37 in Abs. 1 die Pflicht der Parteien betont, sich nach Kräften um eine gütliche Beilegung des Streites zu bemühen. Wenn die Parteien diesen Weg aber ablehnen oder die gütliche Beilegung scheitert, können sie aufgrund einer im Vertrag vorgesehenen oder später ad hoc schriftlich vereinbarten Schiedsklausel ein Schiedsgericht anrufen (Abs. 2). Den Parteien steht es frei, ein chinesisches oder ein „anderes“ Schiedsgericht zu vereinbaren. Diese Bestimmung eröffnet die Möglichkeit zur Anrufung internationaler Schiedsgerichte. Dies ist eine wichtige Ergänzung des vom Gesetz anerkannten Prinzips der Parteiautonomie. Der Gesetzgeber hat damit die bisher in der chinesischen Führung zu beobachtenden Reserven gegenüber der Möglichkeit, international zusammengesetzte Schiedsgerichte anzurufen, aufgegeben. 24
S. oben Fn. 13.
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Für die Praxis öffnet sich hier die wichtige Möglichkeit eines Kompromisses. Wenn es in Vertragsverhandlungen schwierig erscheint, den chinesischen Partner von der Wahl eines anderen als des chinesischen Rechts zu überzeugen, bleibt immer noch die Möglichkeit der Vereinbarung eines internationalen Schiedsgerichts. Dies kann dann, gestützt auf die gesetzlich anerkannte subsidiäre Geltung internationaler Rechtsgrundsätze (Art. 5 Abs. 3)25, dem westlichen Vertragspartner eine gewisse Sicherheit geben, in Übereinstimmung mit den ihm vertrauten Rechtsgrundsätzen behandelt zu werden. Die Anrufung der chinesischen Gerichte ist für den Fall vorgesehen, daß die Parteien kein Schiedsgerichtsverfahren im Verfahren vorgesehen oder ad hoc vereinbart haben. Über die Möglichkeit und Notwendigkeit, zur Durchsetzung von Schiedsansprüchen die Vollstreckungshilfe chinesischer Gerichte zu erlangen, äußert sich das Gesetz nicht.
VIII. Übergangs- und Schlußvorschriften Die Verjährungsfrist für Ansprüche wegen Verletzung von Kaufverträgen ist 4 Jahre, gerechnet vom Zeitpunkt, zu dem die verletzte Partei Kenntnis der Verletzung erlangt oder erlangen kann (Art. 39 Satz 1). Die Verjährungsfrist ist entsprechend den Rechtsvorstellungen im common law prozessual formuliert als Beendigung der Möglichkeit, Gerichte anzurufen. Bestehende Verträge, die materiell dem Geltungsbereich des Gesetzes unterfallen, bleiben vom neuen Gesetz unberührt (Art. 40); sie können jedoch von den Parteien durch Vereinbarung dem neuen Gesetz unterstellt werden (Art. 41). Der Staatsrat wird ermächtigt, Ausführungsbestimmungen für das Gesetz zu erlassen (Art. 42). Dazu gehört auch die Bestimmung von Verjährungsfristen für andere Vertragstypen außer Kaufverträgen (Art. 39 Satz 2). Es wurde bereits bei der vorstehenden Beschreibung verschiedentlich darauf hingewiesen, daß in der Tat in manchen Punkten weitere Klärung geboten erscheint. Der Staatsrat wird sich dieser Aufgabe vermutlich mit der gleichen Zielstrebigkeit annehmen, die die bisherige Außenwirtschaftsgesetzgebung Chinas kennzeichnet. Er wird aber bei dieser schwierigen Aufgabe ebenso wie bisher die Eile nicht über die Vorsicht stellen.
S. oben III.
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Zinsforderung u. Zinsverbot im kanonischen, islamischen u. deutschen Recht Zinsforderung und Zinsverbot im kanonischen, islamischen und deutschen Recht. Eine rechts historisch-rechtsvergleichende Problemskizze In Festschrift für Hermann Lange, 1992, S. 99–113 I. Die Frage nach der Zulässigkeit von Zinsforderungen 1. Zins als Leistungsgegenstand Dem Zivilrechtler begegnet Zins als Leistungsgegenstand, nämlich als eine zeitproportional bestimmte, auf eine Hauptsumme bezogene Geldleistung, und zwar in zwei Hauptformen: als vertragliches Entgelt, vor allem für die zeitweilige Überlassung von Kapital (Kreditzins), und als Form des Schadensersatzes, insbesondere für die zeitweilige Vorenthaltung von Kapital. Zwischen Zinsrecht und Schadensersatzrecht besteht eine historisch alte Verbindung, die sich aus den römischen Quellen vor allem zum Verzugszins ableitet und die Hermann Lange als Fachmann der historischen Grundlagen und der modernen Ausgestaltung des Schadensersatzrechts beleuchtet hat1. Ethische Einwände gegen die Zinsschuld betrafen seit jeher die erste Fallgruppe, d. h. Zins als vereinbartes Leistungsentgelt. Zinszahlung zum Ausgleich eines Schadens dagegen erschien eher als unverdächtig und lediglich als eine Abwicklungsform eines ethisch und rechtlich gebotenen Schadensausgleichs. [100] 2. Rechtsethische Einwände gegen Zinsforderungen Zinsforderungen können anstößig sein, d. h. den in einer Gesellschaft vorherrschenden Vorstellungen vom ethisch richtigen Verhalten widersprechen, etwa des Inhalts, daß ein sozial Schwacher, dem man Geld überläßt, nicht zusätzlich mit Zinsen belastet werden dürfe, oder daß ihn jedenfalls nicht eine übermäßige, unklare oder sonst ungerechte Zinsschuld treffen solle. Das Problem, wieweit das Recht Zinsforderungen die Anerkennung versa1 Hermann Lange, Schadensersatz und Privatstrafe in der mittelalterlichen Rechtstheorie, Köln/Graz 1955, S. 60 ff.; zu Zinsen im modernen Schadensersatzrecht ders., Schadensersatz (Handbuch des Schuldrechts in Einzeldarstellungen, hrsg. v. J. Gernhuber, Bd. 1), 2. Aufl. Tübingen 1990, § 6 XI 2, XII 4 u. XIII 2 b.
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gen oder sie gar bekämpfen soll, zieht sich durch Jahrhunderte der Rechtsgeschichte; es ist auch heute aktuell und beschäftigt Kreditpraxis und Gerichte. Die Schwierigkeiten einer präzisen und praktikablen rechtlichen Antwort ergeben sich aus der Natur des Konflikts. Auf der einen Seite stehen ethische Maximen von oft begrenzter Präzision, aber großem Gewicht. Auf der anderen Seite stehen wirtschaftliche Überlegungen, aber auch normative Probleme, nämlich der Praktikabilität, Durchsetzbarkeit oder Rechtssicherheit des Verbots von Zinsforderungen. Auf die Frage, wieweit das Recht ethische Bedenken gegen Zinsforderungen als rechtlich relevant (»rechtsethisch«) anerkennen soll, gibt es in der Geschichte dieses Rechtsproblems zwei Anworten. Die eine Antwort ist das generelle Zinsverbot. Danach ist Zins generell verwerflich. Dies ist die Antwort des historischen kanonischen Rechts und – bis heute – die Antwort des islamischen Rechts, aber auch wohl jedenfalls in der Grundtendenz die des Sozialismus sowjetischer Prägung. Von diesem grundsätzlichen Unwerturteil aus ergibt sich dann – je nach Art und Entwicklungsstand der wirtschaftlichen Verhältnisse – das Bedürfnis nach Ausnahmen. Die andere Antwort lautet: Zins ist grundsätzlich vom Recht als Leistungsgegenstand anzuerkennen, aber wenn die Zinsforderung in bestimmten Formen auftritt oder bestimmte quantitative Grenzen überschreitet oder unter bestimmten besonderen Umständen begründet wird, bleibt sie anstößig und ist vom Recht zu bekämpfen. Hier bleibt das Problem der präzisen Abgrenzung der verbotenen Tatbestände, während im ersteren Fall die Abgrenzung der erlaubten Ausnahmen die Aufgabe ist. Im Folgenden soll zunächst die erste Variante beleuchtet werden, also das Zinsverbot und seine Ausnahmen (II); hier liegt der Schwerpunkt der Problemskizze. Anschließend soll das Problem der ausnahmsweisen Verbote bei grundsätzlich erlaubtem Zins kurz beleuchtet werden (III). [101]
II. Das Zinsverbot im historischen kanonischen Recht und im islamischen Recht 1. Die grundsätzliche Ablehnung des Zinses Sowohl im historischen kanonischen Recht wie im islamischen Recht finden wir eine grundsätzliche, religiös begründete Ablehnung des Zinses. Parallelen der Begründung sind unverkennbar. Die Frage nach gemeinsamen historischen Wurzeln, namentlich im Alten Testament und ggf. in der aristotelischen Philosophie, liegt nicht fern, überschreitet aber die Kompetenz des Autors und bleibt daher außer Betracht2. 2 Bekannt ist der starke Einfluß des Judentums auf den Propheten Mohammed. Die Schriften des Aristoteles lagen vollständig in Arabisch erst im 10. Jahrhundert vor, was nicht
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a) Das kanonische Zinsverbot Im Hochmittelalter fand das generelle Verbot des Zinsnehmens Eingang in die Quellen des Kirchenrechts und übte jahrhundertelang einen bedeutenden Einfluß auf das europäische Rechtsleben aus. Dies ist im einzelnen bekannt und hier nur zu resümieren3. Im Alten Testament finden sich mehrere Verurteilungen des Zinsnehmers, teils in bemerkenswerter Unterscheidung von Bruder und Fremden4. Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen, weder für Geld noch für Speise noch für alles, wofür man Zinsen nehmen kann. Von dem Ausländer darfst du Zinsen nehmen, aber nicht von deinem Bruder, auf daß dich der Herr, dein Gott, segne in allem, was du unternimmst ... (Dtn. 23, 20 f.). Wenn Du Geld verleihst an einen aus meinem Volke, an einen Armen neben dir, so sollst du an ihm nicht wie ein Wucherer handeln; du sollst keine Zinsen von ihm nehmen (Ex. 22, 24).
Aus dem Neuen Testament wurde eine Stelle aus der Bergpredigt wichtig, wo Jesus im Zusammenhang mit dem Gebot der Feindesliebe sagt (Luk. 6.35): [102] Gebt Darlehen und erhofft euch nichts dafür (mutuum date nihil deinde sperantes).
Die Aussagen des Alten Testaments und entsprechende Äußerungen der Kirchenväter führten dazu, daß die Ablehnung von Zinsforderungen in das Decretum Gratiani aufgenommen wurde5. Die jüngeren Teile des Corpus Iuris Canonici enthalten eine ausführliche Regelung des Zinsverbots6, wobei sich die Dekretalen ausdrücklich auf die neutestamentarische Aussage in Luk. 6.35 stützen (X 5.19.10). Das Zinsverbot wurde in der Folgezeit erneuert, so 1517 durch das 5. Laterankonzil7. In den römischen Rechtsquellen war dagegen nicht nur ein gesetzlicher Zinsanspruch anerkannt, namentlich bei Verzug mit der Erfüllung von Verträgen bonae fidei8, sondern auch aufgrund vertraglicher Abrede, wenn zusätzlich zu einem – an sich unentgeltlichen – Darlehen (mutuum) eine selb-
ausschließt, daß einzelne (ggf. neoplatonisch vermittelte) aristotelische Lehren auch zur Zeit der Entstehung des Korans im arabischen Raum bekannt waren. 3 Vgl. nur Gabriel Le Bras, Usure, in: Dictionnaire de Théologie catholique, Paris 1950, Sp. 2336–2372; Auguste Dumas, Intérêt et Usure, Dictionnaire du Droit canonique, Bd. 5, Paris 1953, 1475–1518; Jacques Le Goff, Wucherzins und Höllenqualen. Ökonomie und Religion im Mittelalter, Stuttgart 1988. 4 Dtn 23, 20–21; Lev 25, 35–37; Ex 22, 24. 5 D 46c. 9 und 10; D 47 c. 1–8; C 14 q. 1c. 2; q. 3c. 1–4; q. 4c. 1–12. 6 X 5. 19; VI 5. 5; Clem. 5. 5. 7 Ernst Ramp, Das Zinsproblem. Eine historische Untersuchung, Zürich 1949, S. 15 f. 8 D 22. 1. 32. 1 und 34; C 4. 32. 13; C 4. 34. 2; dazu Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 61.
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ständige Zinsstipulation abgeschlossen war9. Gleichwohl wurde das kanonische Zinsverbot von den Legisten im Grundsatz anerkannt. Die Glosse übernahm es ausdrücklich10, folgte ihm jedoch nicht in allen Einzelheiten der Behandlung des Zinsproblems11. Auch die nachfolgende Lehre übernahm das Zinsverbot im Grundsatz, scheute aber nicht davor zurück, praktisch wichtige Ausnahmen zuzulassen12. b) Das islamische Zinsverbot Das islamische Recht (sharia) leitet das Verbot, für ein Darlehen Zinsen zu nehmen oder zu zahlen (Verbot des riba), direkt aus Stellen des Koran her13. Die unterschiedliche Bedeutung der übrigen, außerhalb des Korans bestehenden religiösen Tradition des Islam bei Sunniten und Schiiten ist [103] daher für die Frage des Zinsverbots nicht von Gewicht. Das Riba-Verbot findet sich in mehreren eindringlichen Texten des Koran;14 dort heißt es u. a.: Die welche Wucher verzehren, werden nicht anders sein als einer, den der Teufel mit Wahn geschlagen hat. Deshalb weil sie sagen: Handel ist das gleiche wie Wucher. Aber Gott hat den Handel erlaubt und den Wucher verboten (II. 275). O Ihr Gläubigen, verzehrt nicht Wucher verdoppelt und vervielfacht, sondern fürchtet Gott, auf daß Ihr wahrhaft gedeihet (III. 130).
Mit dem, der aus Not säumig mit der Rückzahlung ist, soll Nachsicht geübt werden; noch besser ist es, ihm die Summe als Almosen (zakat) zu erlassen (Kap. 2 Vers. 280). Aus diesen und anderen Stellen wird ein striktes
D 19. 5. 24; vgl. auch Max Kaser, Das römische Privatrecht, Bd. 2, 2. Aufl. 1975, § 256
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III.
10 Gl. »Petrum Apostolum« C 1. 1. 1 und Gl. »cadat« Auth. »ad haec qui fructus« C 4. 32. 16. 11 Lange, a. a. O., S. 63. 12 Norbert Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, Köln/Graz 1968, § 19 S. 191 ff. 13 Zum Folgenden H. Shirazi (Hrsg.), Islamic Banking, London 1990, S. 7ff.; Hamoud, Islamic Banking, Deventer 1985; vgl. ferner Klingmüller, Recht und Religion im Islam, in: v. Schall (Hrsg.), Fremde Welt Islam, 1982, S. 95; Beate Maiwald, Das Zinsverbot des Islam und die islamischen Banken, RIW 1984, 521–524. 14 Kap. 30 (Sure Rum) Vers 39; Kap. 2 (Sure Baqara) Verse 275, 276, 278–280; Kap. 3 (Sure Aal-i-Imran) Vers 130 und Kap. 4 (Sure Nisaa) Vers 161.
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Zinsverbot abgeleitet; nur eine Minderheit der sunnitischen Tradition befürwortet die Erlaubtheit maßvoller Zinsen15. c) Gemeinsamkeiten der Begründung und Wertung Das historische kanonische Recht und die Sharia weisen Gemeinsamkeiten in der Begründung und Wertungsgrundlage auf. In beiden Rechten wird eine wirtschaftliche und eine sozialethische Begründung wirksam. Die erstere will das Zinsverbot aus wirtschaftlichen Gesetzlichkeiten, letztlich aus der Natur der Sache, herleiten. Ein Grundelement ist dabei die Vorstellung, daß Geld »steril« sei und sich nicht in Gestalt von Zinsen vermehren könne. Sie findet sich schon bei Aristoteles, und ihn zitiert Thomas von Aquin, wenn er das Zinsverbot begründet16. Die gleiche Vorstellung der Sterilität, [104] d. h. daß Geld nicht durch Geld geschaffen werden könne, findet sich im islamischen Denken17. Diese Anschauung beruht letztlich auf der Arbeitswertlehre, d. h. der Auffassung, daß die Vermehrung des Reichtums nur durch menschliche Arbeit bewirkt werde. Auch diesen Gedanken führt Thomas zur Begründung des Zinsverbots an18. Der Gedanke findet sich später, vermittelt durch Ricardo, noch bei Karl Marx als wichtigstes Element seiner Mehrwertlehre. Auch im islamischen Denken ist Arbeit der entscheidende Produktionsfaktor für weitere Wertschöpfung. »Wer Zinsen nimmt, genießt die Früchte der Arbeit anderer«; so äußerst sich noch die moderne islamische Literatur19. Das dritte Element der wirtschaftlichen Begründung des Zinsverbots besagt, daß dem Zins kein Gegenwert entspreche. Da das Darlehen übereignet und später rückübereignet werde, fehle es an einer (fortlaufenden) Leistung des Darlehnsgebers, die der Zinszahlung entspreche, außer der reinen Zeit. Die Zeit aber könne nicht als Gegenleistung gelten, weil sie freies Gut sei; so die scholastische Begründung bei Thomas und bei den Legisten, z. B. Baldus20.
15 The Islamic Foundation (Hrsg.), Monetary and Fiscal Economics of Islam, An Outline of Some Major Subjects for Research, 2. Aufl. 1980, S. 9 ff.; Maiwald RIW 1984, 521. 16 Summa theologiae, IIa IIae qu, 78 art. 1 und 3 (zit. Ausg. P. Caramello, Rom 1962); dazu John T. Noonan, The Scholastic Analysis of Usury, Cambridge (Mass.) 1957, S. 51–57; Günther Steuer, Studien über die theoretischen Grundlagen der Zinslehre bei Thomas v. Aquin, Stuttgart 1936, S. 78–91. 17 Imam Muhammad Ghazali, The Renaissance of Religious Knowledge, zit. nach Shirazi, a. a. O. (Fn. 13), S. 13. 18 Ila Ilae qu. 78 art. 3. 19 Shirazi, a. a. O. (Fn. 13), S. 10. 20 Baldus: »... usura non potest proportionari nisi tempore ... in tempore nulla est proportio: quia communis est sicut aer, et sol«; dazu Horn, Aequitas, a. a. O. (Fn. 12), S. 193 m. Nachw.
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Nicht anders klingt es bei den islamischen Autoren bis in unsere Tage: die Zeit gehört Gott allein und der bloße Zeitablauf (während der Kapitalüberlassung) kann für sich genommen den Zins nicht rechtfertigen21. Ähnliche Parallelitäten lassen sich in der sozialethischen Begründung des Zinsverbots feststellen. Schon die alttestamentarischen Aussagen gehen von der engen Lebensgemeinschaft aus, in der Schuldner und Gläubiger stehen, die von Gott gestiftet ist und dem Armen wie dem Begüterten seinen Platz und seine Pflichten anweist22. Auch Thomas erörtert das Zinsverbot im Hinblick auf die Stadt oder Gemeinde nicht als Handels- und [105] Wirtschaftsplatz, sondern als enge Lebensgemeinschaft23. Das Zinsverbot der Bibel ist am Fall des Notdarlehens (Konsumptivdarlehens) orientiert, der für die überwiegend naturalwirtschaftlich lebende Gesellschaft der Bibel wie des frühen und hohen Mittelalters – von den aufblühenden Handelszentren abgesehen – typisch war24. Bezeichnenderweise hat auch der Koran den Fall des Darlehens an den Bedürftigen im Auge. An einer der oben erwähnten Koranstellen heißt es, daß man sogar die Hauptschuld im Notfall als Almosen (Zakat) erlassen soll (II. 280). 2. Erlaubte Ausnahmen vom Zinsverbot und substitutive Lösungen Die Verhältnisse des neuzeitlichen und modernen Handels- und Wirtschaftsverkehrs entsprachen nicht mehr dem vom Zinsverbot vorausgesetzten Sozialmodell enger Lebensgemeinschaften in einer überwiegenden Naturalwirtschaft; daraus entstand ein Bedürfnis nach Ausnahmen vom Zinsverbot oder substitutiven Lösungen oder nach sonstigen Harmonisierungen mit den Verkehrsbedürfnissen. Auch hier sind Parallelen zwischen kanonischem und islamischem Zinsverbot zu verzeichnen. Die Lösungen im islamischen Recht sind dabei wegen ihrer fortdauernden Bedeutung, die sich möglicherweise auch auf den internationalen Wirtschaftsverkehr auswirken kann, von besonderem Interesse. a) Das historische kanonische Zinsverbot Das kanonische Zinsverbot war trotz seiner langwährenden Geltung für den im Hoch- und Spätmittelalter aufblühenden Handel und Wirtschafts-
21 Zubair Iqbal/Abbas Mirakhor, Islamic Banking, IMF Occasional Paper 49, hrsg. International Monetary Fund, March 1987, S. 2. 22 Hans G. Ulrich, Das Zinsnehmen in der christlichen Ethik – Historische und gegenwärtige Perspektiven, in: Max Vollkommer (Hrsg.), Der Zins in Recht, Wirtschaft und Ethik (Erlanger Forschungen Reihe A Band 47), Erlangen 1989, S. 53, 55. 23 Ulrich, a. a. O., S. 56. 24 Horn, Aequitas, a. a. O. (Fn. 12), S. 193.
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verkehr kein Hindernis25, wohl aber ein prägendes Prinzip, wenn es darum ging, Lösungen erlaubter Zinsnahme zu finden und zu begründen. Am deutlichsten wird dies bei substitutiven Geschäftsformen, die formal nicht auf ein verzinsliches Darlehen gerichtet waren, wirtschaftlich aber den gleichen Zweck verfolgten. Das erfolgreichste substitutive Geschäft dieser Art [106] ist der Rentenkauf. Denn wenn eine Summe ohne feste Rückzahlungsverpflichtung hingegeben wurde, lag kein Darlehen vor und es konnten laufende Zinsen als Gegenleistung vereinbart werden, ohne daß diese als Zins klassifiziert werden mußten; sie waren vielmehr eine Art teilweiser Rückzahlung der Hauptschuld (sors)26. Eine weitere Geschäftsform erlaubter vertraglicher Vereinbarung von Zinsen von großer wirtschaftlicher Bedeutung waren Gesellschaftsverhältnisse. Für die Gesellschaftereinlage war die vertragliche Vereinbarung einer Verzinsung als Form der Gewinnverteilung anerkannt27. Man kann hier zwar nicht im eigentlichen Sinne von einem substitutiven Geschäft sprechen, schon weil der Unterschied von Fremdkapital und Eigenkapital damals wie heute unterschiedliche Risikoverteilungen mit sich brachte, vor allem aber auch deshalb, weil der Gesellschafter häufig zur Mitarbeit berechtigt und verpflichtet war und sich daraus vom Standpunkt des kanonischen Zinsverbotes ein wichtiger Unterschied ergab. Im Gesellschaftsrecht war ferner anerkannt, daß bei Verzug mit der Auszahlung eines Gewinnanteils ein Zinsanspruch gegen den säumigen Gesellschafter gegeben war, der mit dem Geld weitergewirtschaftet hatte. Diese Lösung ergab sich aus den römischen Quellen (D 17. 2. 60. pr) und war von den Legisten anerkannt28. Den allgemeinsten Ausnahmetatbestand vom kanonischen Zinsverbot begründet der Gedanke des Schadensersatzes: Niemand dürfe sich durch Zinsen bereichern, aber andererseits brauche auch niemand einen Schaden hinzunehmen, und wo ein solcher drohe, könne er auch durch Zinszahlung ausgeglichen werden. Die Legistik knüpfte bei der Lehre, daß Zinsen als besondere Form des Interesses verlangt werden könnten, u. a. an die letztgenannte Quellenstelle zum Gesellschaftsrecht an29. Dieser Gedanke wurde
25 Allg. Levin Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts Bd. I, Stuttgart 1891 (Neudruck Aalen 1957), S. 141, 317 ff.; Wilhelm Endemann, Studien in der romanistischkanonistischen Wirtschafts- und Rechtslehre bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts, Bd. I Berlin 1874 (Neudruck Aalen 1962), S. 13, 22f.; Dumas, a. a. O. 479. 26 Allg. Endemann Bd. II Berlin 1883 (Neudruck Aalen 1962), S. 125; Dumas, a. a. O. 1513 ff.; Horn, a. a. O., S. 200. 27 Baldus zu C 1. 1. 1 n. 36 (in Codicem Commentaria, Venetiis 1577); Horn, a. a. O. 28 Gl. »Petrum apostolum« C 1. 1. 1 (Accursius, Glossa Ordinaria, Lugduni 1569); dazu Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 63. 29 Allg. Lange, Schadensersatz und Privatstrafe, S. 60 ff., 63; Hermann Dilcher, Die Theorie der Leistungsstörungen bei Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten, Frankfurt 1960, S. 148 ff.
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auch von der Kanonistik übernommen30. Daraus ergab sich ein weitverzweigtes System erlaubter Zinsforderungen unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes, der auch entgangenen Gewinn einschloß und hier [107] nicht im Detail zu resümieren ist. Bezeichnend für Bedeutung und Gewicht dieses Gedankens ist es, daß man damit sogar bestimmte Formen eines direkten Verstoßes gegen das kanonische Zinsverbot zu rechtfertigen suchte, etwa die Verzinsung der kommunalen Zwangsanleihen, bei denen Depositengelder der Bürger herangezogen wurden, um auswärtige Anleihen zu finanzieren31. b) Islamisches Recht Nach islamischem Recht und islamischer Wirtschaftsethik wird es für erlaubt und mit dem Zinsverbot vereinbar gehalten, daß man Kapital, sei es Geldkapital oder Sachkapital (z. B. Grundbesitz), in gewinnbringenden Unternehmungen einsetzt32. Abgelehnt wird lediglich unsere Vorstellung des Kredits, bei dem der Kreditgeber eine passive Rolle hat, insbesondere an der Durchführung der Investition des kreditierten Kapitals nicht mitwirkt, und das Risiko eines Fehlschlags der Investition allein vom Kreditnehmer zu tragen ist. Diese Rollenverteilung ist in der Sharia ersetzt durch das Modell einer Interessen- und Arbeitsgemeinschaft und einer (ggf. begrenzten) Risikotragung durch den Kapitalgeber. Vorbilder für entsprechende Geschäftsformen der islamischen Banken sind die folgenden, in der islamischen Rechtstradition überlieferten Geschäfte: (1) Der Landpachtvertrag, bei dem der Eigentümer des Landes einen Anteil an der Ernte erhält (Mozara’ha), ist Vorbild für kurzfristige Kredite im Agrarsektor gegen Anteil an der Ernte33. (2) Die kurzfristige Überlassung von Kapital an einen Händler zur Finanzierung einer bestimmten Handelsreise mit Gewinnbeteiligung (Modharabah) ist Vorbild für kurzfristige gewerbliche Kredite, insbesondere im Bereich des Handels34. Die Bank bleibt dabei begrenzt am Verlust beteiligt, meist aber nur in der Form, daß der vertraglich vereinbarte Mindestanteil der Bank am Gewinn bei Verlust gekürzt wird oder entfällt, die Hauptsumme aber zurückzuzahlen ist35. Das [108] Geschäft entspricht also einem partiarischen Darlehen. Die in der Sharia anzutreffenden Grundvorstellungen der Zusammenarbeit und Risikobeteiligung erlau-
Horn, a. a. O., S. 194. Baldus zu X 2. 24. 1 n. 14 (ad tres priores libros Decretalium Commentaria, Augustae Taurinorum 1578). 32 Muhammad Nejatullah Siddiqi, Muslim Economic Thinking, Leicester (The Islamic Foundation) 1981, S. 16. 33 Shirazi, a. a. O., S. 76 ff.; vgl. auch Maiwald, a. a. O., S. 523. 34 Shirazi, a. a. O., S. 31 ff.; Maiwald a. a. O., S. 522. 35 Shirazi, S. 35. 30 31
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ben es den Banken auch, eine Reihe von gesellschaftsrechtlichen Formen der Kapitalbeteiligung zu praktizieren36. Daneben besteht weiter die Modellvorstellung des zinslosen Notdarlehens, das dem Zinsverbot des Koran zugrundeliegt und im Koran als Darlehen an Gott gepriesen wird37. Ihr folgend wird im islamischen Bankwesen und Bankrecht auch das zinsfreie (bzw. mit sehr niedrigem Zins ausgestattete) Darlehen an wirtschaftlich Schwache praktiziert, das diesen entweder die Überbrückung einer Notlage ermöglichen oder kleinere Investitionen zur Begründung oder Verbesserung einer gewerblichen Tätigkeit, z. B. als Handwerker, finanzieren soll (Quard-al-hasanah)38. Die Banken können freilich die dafür benötigten Mittel nur in dem Umfang aufbringen, in dem ihnen zinsfreie oder entsprechend niedrig verzinste Spareinlagen zur Verfügung stehen. Zwischen beidem besteht ein enger wirtschaftlicher und bankbetrieblicher Zusammenhang39. Eine entfernte Parallele findet sich im westlichen Bankwesen im System der Bausparkassen, die nur durch die niedrig verzinslichen Sparguthaben der Bausparer in die Lage versetzt werden, zinsverbilligte Baudarlehen zu geben. Im übrigen findet sich im islamischen Bankwesen eine Reihe von Geschäftsformen der Finanzierung, die wegen ihrer formalen Unterschiede zum Kreditvertrag nicht dem Zinsverbot unterfallen, wie z. B. Leasing. Dies ist hier nicht im einzelnen darzustellen. Hervorzuheben ist, daß mit der Verwirklichung der Sharia im modernen Bankwesen je nach den vorherrschenden politischen Grundvorstellungen und dem Einfluß des Fundamentalismus Ernst gemacht wird, in dem man moderne Gesetze für ein »zinsfreies Bankwesen« erläßt. Ein solches Gesetz hat der Iran 1983 erlassen40. Im internationa- [109] len Wirtschaftsverkehr mit nicht-islamischen Partnern scheint das Bestreben, die Sharia durchzusetzen, freilich nur begrenzt wirksam zu sein, so etwa bei Entwicklungshilfekrediten in islamischen Ländern. Eine generelle Ausnahme vom Zinsverbot bildet zumindest im internationalen Wirtschaftsverkehr der Gesichtspunkt des Schadensersatzes. Das Iran-US-Schiedsgericht im Haag hat in mehreren iranisch-amerikanischen Streitfällen Zinsen unter dem Gesichtspunkt des Verzugsschadens zugesprochen, ohne das Zinsverbot der Sharia zu erörtern41. In einer Grundsatzentscheidung in einem Verfahren, in dem die Regierung des Iran auch auf das
A. a. O., S. 41 ff. Koran Kap. 57 Vers 11. 38 Shirazi, S. 25 ff. 39 A. a. O., S. 26. 40 Shirazi, S. 7; Text a. a.O., S. 93 ff. 41 McCollough & Co, Inc. v. Ministry of Post etc., 11 CTR (= Iran-US Claims Tribunal Report) 1986-II, S. 3, 27–31; Atomic Energy Organization of Iran v. U.S., 12 CTR 1986-III, S. 25, 28 f.; Parguin Private Joint Stock Co. v. U.S., 13 CTR 1986-IV, S. 261, 268 f. 36 37
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iranische Recht des Zinsverbots hinwies und eine Einschränkung der Verurteilung zu Zinsen anstrebte, hat das Schiedsgericht den Grundsatz aufrechterhalten, Zinsen generell als Ausgleich des Verzugsschadens anzuerkennen42. Die islamischen Staaten scheinen ferner geneigt, generell auf eine absolute Durchsetzung der Sharia im internationalen Wirtschaftsverkehr mit nichtislamischen Partnern zu verzichten. Bezeichnend ist dafür die Einlassung der Regierung des Iran im letztgenannten Fall. Zins solle danach – bei internationalen Fällen – beschränkt bleiben auf drei Fälle: (1) ausdrückliche Vereinbarung im Vertrag, (2) unrechtmäßige Enteignung und (3) Bankgeschäfte, soweit der Handelsbrauch es erfordert43. Damit wird der Anspruch aufgegeben, im nicht-islamischen internationalen Wirtschaftsverkehr das Zinsverbot durchzusetzen.
III. Unzulässige Zinsforderungen bei Zinsfreiheit 1. Verkehrswirtschaft und Zinsfreiheit Moderne Verkehrswirtschaft ist Zinswirtschaft. Die Investition von Kapital (Finanzierungsmitteln) zur Erzielung von Erträgen, die als Eigenkapitalrenditen (Residualeinkommen) oder Fremdkapitalrenditen (Zinsen) auftreten, gehört zum Wesen dieser Wirtschaftsform. Über die Bildung des Zinses – also des Preises für Kapitalüberlassung44 – übernimmt der Geld- und Kapitalmarkt die entscheidende Steuerfunktion der optimalen Kapitalallokation. An diese Steuerfunktion knüpfen die währungspolitischen Instrumen- [110] te der Zentralbanken an. Die zentrale wirtschaftliche Bedeutung des Zinses wird eindrucksvoll bestätigt durch den Zusammenbruch der sozialistischen Volkswirtschaften, in denen man aus sozialethischen Prinzipien des Marxismus-Leninismus den Zins zurückdrängte und als Steuerungsinstrument der Wirtschaft eliminierte45. In der kapitalintensiven modernen Verkehrswirtschaft spielt der Zins als vertraglich vereinbarter Leistungsgegenstand eine entsprechend wichtige Rolle, und ein Rechtssystem, das diesen Verkehrsbedürfnissen Rechnung trägt, muß die Vertragsfreiheit auch auf Zinsvereinbarungen erstrecken. Die neuzeitliche Rechtsentwicklung ist daher begleitet von der schrittweisen
The Islamic Republic of Iran v. U.S. (Case No. A 19), 16 CTR 1987-III, S. 285, 289 f. The Islamic Republic of Iran v. U.S. a. a. O., S. 288. 44 Zur Zinstheorie Überblick bei Norbert Reetz, Der Zins als Preis. Zur Funktion des Zinssatzes in einer Marktwirtschaft, in: Vollkommer, a. a. O., S. 29 ff. 45 Zur mangelhaften und ruinösen Kapitalversorgung der Wirtschaftseinheiten in der ehemaligen DDR vgl. Norbert Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, Köln 1991, S. 22, 143, 366. 42 43
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Anerkennung von Zinsforderungen und – als letztem Schritt – der Freigabe auch der Zinshöhe, die in Deutschland durch ein Gesetz von 1867 erreicht wurde46. 2. Unzulässige Zinsforderungen a) Zinsregelung des BGB und neuere Entwicklungen Vor dem Hintergrund der Zinsfreiheit hat unser Recht eine Reihe von Tatbeständen unzulässiger Zinsvereinbarungen entwickelt, die allgemein den Schuldnerschutz oder speziell den Verbraucherschutz verwirklichen wollen. Das BGB begnügte sich ursprünglich mit wenigen Regelungen über Zinsforderungen, nämlich einer Festsetzung des gesetzlichen Zinssatzes (§§ 246, 288), einem Kündigungsrecht bei hohem Zinssatz, was der Gesetzgeber bei über 6% als gegeben ansah, im inzwischen aufgehobenen § 247, und dem Zinseszinsverbot des § 248. Daneben bestand als äußerste Grenze das Wucherverbot des § 138 BGB. [111] Seit Schaffung des BGB hat sich die Rechtslage stark verändert. § 138 BGB hat über Einzelfälle hinaus eine große Bedeutung für umfangreiche Fallgruppen gewonnen. Die Rechtsprechung hat Tatbestände unzulässiger Zinsvereinbarungen herausgearbeitet, und der Gesetzgeber hat neue Sonderregelungen geschaffen. Einige Tatbestände befassen sich allgemein mit der Abwehr von Gefahren der Kreditverschuldung, andere speziell mit unzulässigen Zinsforderungen. Wir begnügen uns hier mit einem Überblick über die wichtigsten Fallgruppen. b) Kündigungsrecht nach § 609a BGB Das Kündigungsrecht des § 609 a BGB, der an die Stelle des § 247 BGB getreten ist, gibt dem Darlehensschuldner in bestimmten Fällen die Möglichkeit, sich durch Kündigung von einer ihm lästigen Kreditschuld zu lösen. Zu diesen Fällen gehört der Kredit mit späterer, nicht abschließend festgelegter Zinsänderung, generell der Verbraucherkredit und der langfristige Kredit über 10 Jahre Laufzeit (Abs. 1 Nr. 1–3). Das Kündigungsrecht soll auch dem Schuldner, der nicht aus eigener Kraft die Kreditschuld zurückzahlen kann,
46 Bundesgesetz des Norddeutschen Bundes betr. die vertragsmäßigen Zinsen vom 14. November 1867, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes 1867, S. 159. Zur Entwicklung weitere Einzelheiten bei Ekkehardt v. Heymann, Die Kündigung von Darlehen nach § 247 BGB, Frankfurt/M. 1984; ders., Rechtliche und wirtschaftliche Aspekte der Kündigung von Darlehen nach § 247 BGB, BB Beilage 8/1983; Max Vollkommer, Zinsschuld und rechtliche Kontrolle der Zinshöhe, in: ders. (Hrsg.), Der Zins in Recht, Wirtschaft und Ethik, a. a. O. (Fn. 22), S. 7, 13 ff.
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Erleichterung dadurch verschaffen, daß es ihm eine Umschuldung ermöglicht. In der Praxis schlagen solche Umschuldungen aber häufig zum Nachteil des Schuldners aus47. c) Information des Kreditnehmers Der Information des Kreditnehmers dient das Gebot zur Angabe des effektiven Jahreszinses in § 4 PreisangabenVO48. Das neue Verbraucherkreditgesetz will den kleineren privaten Kreditnehmer durch Schriftlichkeit des Kreditvertrags mit vorgeschriebenen genauen Angaben über den Nettokreditbetrag, den Gesamtbetrag aller vom Verbraucher zu erbringenden Leistungen, Art und Weise der Rückzahlung, Zinssatz, Kosten und effektivem Jahreszins sowie Kosten für Versicherungen einschließlich der Restschuldversicherung (§ 4) in die Lage versetzen, seine Verschuldung selbständig zu beurteilen. Ferner soll er durch ein befristetes Widerrufsrecht ge- [112] schützt werden (§ 7). Das Gesetz sucht den säumigen Kreditschuldner durch Begrenzung der Verzugszinsen (im Zweifel) auf Bundesbankdiskont plus 5 Prozent zu schützen49. Auf die technischen Defizite des Gesetzes ist hier nicht einzugehen. d) Unzulässige Tilgungsverrechnung Die formularmäßige Vereinbarung einer nachschüssigen Tilgungsverrechnung, bei der also Zinsen teilweise für eine bestimmte Zeit auch hinsichtlich eines bereits getilgten Teilbetrags berechnet werden, ist von der Rechtsprechnung in ihren herkömmlichen Formulierungen als Verstoß gegen das Transparenzgebot i. S. § 9 AGB-Gesetz in zahlreichen Fällen für unwirksam erklärt worden50. Die Rechtsprechung ist dann noch einen Schritt weitergegangen und hat die nicht zeitgleiche Zinsberechnung von unterjährigen Tilgungsleistungen als Verstoß gegen materielle Grundsätze des Darlehensrechts, nämlich gegen den Grundsatz der »Akzessorietät der Zinsforderung« und gegen das Äquivalenzprinzip verworfen51. Hier wird ausdrücklich der Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes durch Information verlassen und ein generelles, materiellrechtliches, sachlich begrenztes Zinsverbot postuliert.
47 BGH ZIP 1991, 299 = WM 1991, 271 (betr. Aufklärungspflicht der Bank bei Umschuldungen); dazu Udo Reifner, EWiR 1991, 299. 48 Wolfgang Steppeler/Thomas Astfalk, Preisrecht und Preisangaben in der Kreditwirtschaft, Köln 1986, S. 45 ff. 49 Überblick bei Peter Bülow, Das neue Verbraucherkreditgesetz, NJW 1991, 129–134. 50 BGHZ 106, 42 = NJW 1989, 222 Anm. Löwe; BGHZ 106, 259 = EWiR 1989, 111 (Köndgen); Heymann/Horn, HGB Bd. 4, Berlin 1990, § 352 Rz. 29. 51 OLG Bremen, ZIP 1991, 436 (nicht rechtskräftig) = EWiR 1991, 319 (Reifner).
In Festschrift für Hermann Lange, 1992, S. 99–113
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e) Wucherähnliche Geschäfte Eine bedeutende Problemgruppe bilden schließlich solche Kredite, deren Zinshöhe unter dem Gesichtspunkt des Verstoßes gegen das Verbot wucherähnlicher Geschäfte in § 138 Abs. 1 BGB beanstandet wird52. Das Hauptanwendungsgebiet sind Ratenkredite für Verbraucher. Beim Bestreben, für die Masse der Fälle formale Kriterien für den überhöhten Zins i. S. des § 138 Abs. 1 BGB herauszuarbeiten, hat der BGH bekanntlich die Formel entwickelt, daß jedenfalls dann, wenn der Effektivzins den marktüblichen Zins um 100% überschreite, ein auffälliges Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung i. S. § 138 BGB indiziert sei53. Ferner nimmt die [113] Rechtsprechung unabhängig davon bei absoluter Überschreitung des Marktzinses um einen bestimmten Prozentsatz (12%) ebenfalls das erforderliche Mißverhältnis an54. Es ist mit Recht darauf hingewiesen worden, daß damit alte Maßstäbe des Verstoßes gegen die Preisgerechtigkeit – die laesio enormis – in neuer Gestalt wiedererstanden sind, freilich relativiert durch das Erfordernis, daß jedenfalls erst die Gesamtwürdigung des Falles einschließlich der subjektiven Merkmale das Unwerturteil rechtfertige55. Die Masse der Fälle kritischer Verbraucherkredite zwingt freilich die Rechtsprechung zu Standardisierungen, um der Kreditwirtschaft einigermaßen handhabbare Kriterien zu bieten, nachdem der Gesetzgeber des Verbraucherkreditgesetzes es aus begreiflichen Gründen unterlassen hat, diesen Bereich ebenfalls zu normieren. Lehre und Rechtsprechung müssen sich also bemühen, die verbotenen Zinsgestaltungen und Zinshöhen für die einzelnen Fallgruppen möglichst präzise herauszuarbeiten. Sie müssen hier und in den anderen genannten Fällen problematischer Zinsvereinbarungen, etwa in der Frage der nicht transparenten Zins- und Tilgungsklauseln, ähnlich viel Mühe aufwenden, wie sie die Juristen unter der Herrschaft des Zinsverbots auf die Herausarbeitung zulässiger Ausnahmen verwendet haben und im Bereich der Sharia noch verwenden.
Überblick Heymann/Horn, § 352 Rz. 20–27; Vollkommer, a. a. O., S. 18 ff. BGHZ 98, 174, 176. 54 KG Berlin MDR 1985, 582; BGH NJW 1990, 1595. 55 Vollkommer, a. a. O., S. 21, 23; vgl. auch Helmut Koziol, Sonderprivatrecht für Konsumentenkredite?, AcP 188, 183, 194; Hammen, Der Maßstab des Doppelten bei der Sittenwidrigkeit von Zinsvereinbarungen, ZBB 1991, 87 ff. Einzelheiten zur Beurteilung der Ratenkredite nach § 138 BGB bei Heymann/Horn, § 352 Rz. 20–27. 52 53
Außergerichtliche Streitbeilegung bei internationalen Finanzgeschäften. Eine Bestandsaufnahme In Festschrift für Otto Sandrock, 2000. S. 385–406 I. Einleitung Es heißt, daß Banker lieber zum Gericht gehen als zum Schiedsgericht1. Insgesamt scheinen internationale Finanzgeschäfte nicht gerade ein Schwerpunkt der Einschaltung von Schiedsgerichten zu sein. Immerhin ist das Thema schon von einem Kenner des internationalen Schiedsgerichtswesens wie Otto Sandrock aufgegriffen worden2 und wird zunehmend Gegenstand der Fachliteratur3. Mit Schlichtung oder Mediation haben die Bankleute traditionell auch nicht viel im Sinn. Aber auch hier ändert sich das Klima4. Es scheint, daß sich mit der zunehmenden Globalisierung der Finanzgeschäfte auch ein größerer Bedarf an außergerichtlicher Streitbeilegung ergeben wird. Unter außergerichtlicher Streitbeilegung wird im folgenden sowohl (1) das Schiedsverfahren verstanden als auch (2) Schlichtung, Mediation oder jede andere Form von Verfahren zur vertraglichen Regelung von auftretenden Konflikten5. Unter internationalen Finanzgeschäften seien (1) in [386] erster 1 Park, Arbitration in Banking and Finance, 17 Annual Review of Banking Law, 1998, S. 213, 215. 2 Vgl. Sandrock, Is International Arbitration Inept to Solve Disputes Arising out of International Loan Agreements?, 11 J.Int.Arb. 3 (1994), S. 34–60; ders., Internationale Kredite und die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, WM 1994, S. 405–414, S. 445–451. 3 Ruiz del Rio, Arbitration Clauses in International Loans, 4 J.Int.Arb. 3 (1987), S. 45–69; Dohm, Bankgarantien und Schiedsgerichtsbarkeit, ASA Bulletin 1987, S. 92–106; Ebenroth/Dillon, Arbitration Clauses in International Financial Agreements, 10 J.Int.Arb. 3 (1993), S. 6–28; Augenblick/Ridgeway, Dispute Resolution in World Financial Institutions, 10 J.Int. Arb. 1 (1993), S. 73–84; Boeglin, The Use of Arbitration Clauses in the Field of Banking and Finance, 15 J. Int.Arb. 3 (1998), S. 19–30; Park, 17 Annual Review of Banking Law, 1998, S. 213; Morgan/Kelly, Banks Seek New Strategy for Financial Disputes, IFLR, März 1999, S. 13–16; Horn/Norton (Hrsg.), Nonjudicial Dispute Settlement in International Financial Transactions, 2000. 4 Golann, Taking ADR to the Bank: Arbitration and Mediation in Financial Services Disputes, The Arbitration Journal, Dec. 1989, S. 3–14. 5 Zur Mediation allg. siehe Breidenbach, Mediation, 1995; Breidenbach/Henssler (Hrsg.), Mediation für Juristen, 1997; zur begrifflichen Abgrenzung von Schiedsgutachter
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Außergerichtliche Streitbeilegung bei internationalen Finanzgeschäften
Linie Kreditgeschäfte verstanden, (2) aber auch Zahlungsvorgänge insoweit, als sie gegenüber dem zu Grunde liegenden Schuldverhältnis, z.B. einem Austauschvertrag auf Lieferung und Leistung, als Problem getrennt werden können, z. B. wegen Anwendung einer besonderen Zahlungstechnik mit Akkreditiv oder Sicherung durch Garantie; (3) schließlich gehören dazu auch alle Geschäfte des internationalen Geld- und Kapitalmarktes. Allerdings würde die letztere Gruppe von Geschäften eine eigene Untersuchung erfordern und kann hier nur am Rande berücksichtigt werden. Bei einer Bestandsaufnahme der Anwendungsfelder von Schiedsgerichtsbarkeit und Schlichtung/Mediation ergibt sich ein uneinheitliches Bild wegen der Unterschiedlichkeit der Vertragsparteien und der Geschäftstypen. Staaten als Kreditnehmer haben andere Bedürfnisse und Erwartungen als Kreditnehmer der Privatwirtschaft, die Schuldner von Direktkrediten andere als die Emittenten von Schuldverschreibungen. Banken müssen bei der Entscheidung, eine Schiedsklausel aufzunehmen oder abzulehnen, bisweilen die Wünsche ihrer Kunden berücksichtigen, wenn sie für diese eine Garantie oder die Zahlungsabwicklung durch Akkreditive übernehmen und auf die besonderen Bedürfnisse des Grundgeschäfts abstimmen müssen. Soweit Staaten an den Geschäften als Kreditnehmer (Emittenten von Schuldverschreibungen) oder nicht selten auch als Kreditgeber (Entwicklungshilfe usw.) beteiligt sind, kommen in begrenztem Umfang auch Fragen des Wirtschaftsvölkerrechts ins Spiel6.
II. Gerichtliche und außergerichtliche Streitbeilegung im Vergleich 1. Gerichtsstandsklauseln Zahlreiche Verträge über internationale Kredite und Bedingungen für international emittierte Schuldverschreibungen und Geldmarktpapiere enthalten Gerichtsstandsklauseln7. Dabei bevorzugen die Banken als Kredit- [387] geber oder Konsortialführer einen Gerichtsstand ihres Sitzlandes oder den Gerichtsstand an einem internationalen Finanzplatz wie New York, London oder Frankfurt. Eine sorgfältig formulierte Gerichtsstandsklausel sieht keinen ausschließlichen Gerichtsstand vor, sondern enthält meist und Schlichter im deutschen Recht siehe z. B. Kröll, Ergänzung und Anpassung von Verträgen durch Schiedsgerichte, 1998, S. 248 ff., S. 259. 6 Vgl. allgemein dazu Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, 1971. 7 Für Konsortialkredite siehe Hinsch, in Hinsch/Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projektfinanzierungen, 1985, S. 153; für Anleihen siehe Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 451 ff.; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, 1997, S. 395 ff.; allg. Wood, International Loans, Bonds and Securities Regulation, 1995, S. 70 ff.
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das Recht, auch bei anderen Gerichten, die nach allgemeinen Vorschriften zuständig sind, Klage zu erheben, um auf diese Weise an Vermögensgegenstände des Schuldners in anderen Ländern heranzukommen8. Ein Vorteil von Gerichtsstandsklauseln liegt darin, daß die Anrufung eines staatlichen Gerichts unter rechtsstaatlichen Bedingungen Rechtssicherheit bietet und zu einem Urteil führt, das zumindest im betreffenden Land ohne weiteres vollstreckt werden kann. Das Vertrauen der Vertragsparteien in staatliche Gerichte ist aber unterschiedlich und dies hat gute Gründe. Der staatliche Richter ist, jedenfalls außerhalb der großen Finanzzentren, häufig in Finanztransaktionen relativ unerfahren und ihm fehlt die Fähigkeit, die differenzierten Interessen der Vertragsparteien und ihren Schutz durch das Vertragswerk zu durchschauen. Ein größeres Problem bildet die Tatsache, daß in einer Reihe von Ländern Gerichte nicht nur aus Mangel an Fachkompetenz, sondern auch wegen ihrer Bestechlichkeit nicht vertrauenswürdig sind. Dies ist auch einer der Gründe dafür, daß in diesen Weltgegenden die Schiedsgerichtsbarkeit bei internationalen Geschäften praktisch die Regel ist. Hinzu treten die bekannten Schwierigkeiten der Vollstreckung eines Gerichtsurteils außerhalb des Gerichtsstaates. Die Vereinigten Staaten und wichtige andere Länder sind nicht Vertragsparteien internationaler Konventionen über die Anerkennung und Vollstreckbarkeit von Gerichtsurteilen anderer Staaten. In Mittel- und Westeuropa gelten dagegen zwar die Konventionen von Brüssel und Lugano über die Gerichtsbarkeit und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen9. Es besteht jedoch keine Möglichkeit, Urteile aufgrund dieser Konventionen in Nichtvertragsstaaten zu vollstrecken, in denen sich etwa Vermögensgegenstände des Schuldners befinden. [388] 2. Schiedsklauseln Im Gegensatz dazu sind Schiedsurteile aufgrund der Konvention von New York von 1958 praktisch weltweit vollstreckbar10. Dies ist einer der Gründe, die dazu geführt haben, daß das Schiedsverfahren für viele Bereiche des internationalen Wirtschaftsverkehr zum natürlichen Streiterledigungsmechanismus geworden ist11. Eine Ausnahme davon bilden jedoch die hier 8 Hinsch, in Hinsch/Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projektfinanzierungen, 1985, S. 154. 9 Konvention von Brüssel vom 27.9.1968, idF von 1990, O. J. (C 189) 2; Konvention von Lugano vom 16.9.1988, 1988, O. J. (L 319) 9. 10 Convention on the Recognition and Enforcement of Foreign Arbitral Awards, June 10, 1958, 21 U. S. T. 2518, 330 U. N.T. S. 3. 11 Derains/Schwarz, A guide to the new ICC Rules of Arbitration, 1998, S. 4; S. auch Russel on Arbitration, 1997, Kap. 1–017, S. 10 f.; Lachmann/König, Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 1998, S. 17 f.; Schütze, Schiedsgericht und Schiedsverfahren, 1998, S. 9.
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Außergerichtliche Streitbeilegung bei internationalen Finanzgeschäften
behandelten internationalen Finanzgeschäfte. Schiedsklauseln kommen bei Konsortialkrediten oder anderen Krediten nur in Ausnahmefällen vor12. Auch bei Anleihebedingungen sind sie relativ selten13, was sich aufgrund des gestiegenen Anpassungsbedarfs in der Zukunft jedoch ändern könnte14. Dieser Befund wirft die Frage auf, warum sich der Siegeszug der Schiedsgerichtsbarkeit gerade bei internationalen Finanzgeschäften bislang so zögerlich vollzieht. Schiedsgerichte versprechen regelmäßig eine größere fachliche Kompetenz, weil es die Parteien in der Hand haben, geeignete Schiedsrichter auszuwählen oder mit Hilfe institutioneller Schiedsgerichte wie dem International Court of Arbitration der ICC solche Schiedsrichter zu finden. Darüber hinaus werden als weitere Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit immer wieder die kürzere Verfahrensdauer und die niedrigeren Kosten genannt15. Dies dürfte jedoch vom Einzelfall abhängen. Für den Beschleunigungseffekt spricht immerhin die Tatsache, daß ein Instanzenzug vermieden wird; andererseits erfordert die Vollstreckbarerklärung einige Zeit. 3. Andere Wege der alternativen Streitbeilegung In einer Reihe von Vertragstypen und Geschäftsarten des internationalen Wirtschaftsverkehrs sind andere Formen alternativer Streitbeilegung üblich, insbesondere Mediation, Schlichtung und Schiedsgutachten eines [389] „expert“16. Unter Mediation sei hier jede Vermittlung Dritter zur Streitbeilegung im Verhandlungswege verstanden, unter Schlichtung ein Verfahren, bei dem ein Dritter einen nicht bindenden Vorschlag zur Einigung unterbreitet. Die Mitwirkung Dritter als Schiedsgutachter (expert) dient der bindenden Entscheidung einer einzelnen Rechts- oder Tatfrage17. Diese und andere Formen, z. B. besondere Verhandlungspflichten der Parteien, scheinen in den
12 Zu einer seltenen Ausnahme wegen nationaler Besonderheiten für Staatsgarantien mit der Folge der Vereinbarung einer Schiedsklausel: Hinsch, in Hinsch/Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projektfinanzierungen, 1985, S. 154; weitere Nachweise bei Sandrock, WM 1994, S. 405, 407. 13 Horn, Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 452; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, 1997, S. 420; zu Ausnahmen vgl. auch III.1.a Fn. 27. 14 Siehe dazu unten III.1.a und V.2. 15 Vgl. nur Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 5. Aufl. 1995, Kap. 1 Rn. 8; Morgan/ Kelly, IFLR, März 1999, S. 15 f. 16 Zu den verschiedenen Formen alternativer Streiterledigung Brown/Marriott, ADR Principles and Practice, 1993, S. 18 ff.; Craig/Park/Paulson, International Chamber of Commerce Arbitration, 2nd. ed. 1990, S. 681 ff.; Spitznagel, Alternative Dispute Resolution (ADR), in: Baudenbacher (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Europäischen und Internationalen Wirtschaftsrechts, 1998, S. 365 ff. 17 Zur expert determination s. Jones, Is Expert Determination a ‚Final and Binding‘ Alternative?, Arbitration 1997, S. 213 ff. Zu allen vorgenannten Begriffen s. auch Kröll a. a. O. (Fn. 5), S. 248 ff., 260 ff., 268.
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letzten Jahren zunehmend an Bedeutung zu gewinnen. Oft findet sich bereits im ursprünglichen Vertrag eine Klausel, die auf entsprechende Regeln verweist, zum Beispiel auf die Conciliation Rules der ICC; in anderen Fällen wird ad hoc ein Verfahren vereinbart. Diese Verfahren der Konfliktbeilegung führen – mit Ausnahme des verbindlichen Schiedsgutachtens – nicht zu einer Entscheidung, die einem bindenden Schiedsurteil vergleichbar wäre. Gleichwohl kann ihnen ein bindender Effekt in verschiedener Hinsicht nicht abgesprochen werden. Erstens können diese Techniken zu einer vereinbarten Vertragsänderung führen, die den gleichen materiellrechtlich bindenden Effekt hat wie der ursprüngliche Vertrag und in diesem Punkt auch dem Schiedsspruch vergleichbar ist, weil dieser seine (in gewisser Weise gegenüber dem Vertrag gesteigerte) Bindungswirkung letztlich vom Parteiwillen ableitet. Aber nicht immer kommt es zu einer solchen formellen Vertragsabänderung; vielmehr liegt der Wert eines Schlichtungsergebnisses oft gerade darin, daß die Parteien sich auf eine Lösung unter der stillschweigenden oder ausdrücklichen Hypothese einigen, daß der ursprüngliche Vertrag unverändert sei und die gefundenen Lösungen nur die vertragskonforme Auslegung des ursprünglichen Vertrages darstellen. Wichtigstes Ergebnis in diesen Fällen ist es, daß die Parteien veranlaßt werden, mit der Erfüllung des Vertrages und der darin beschlossenen Kooperation fortzufahren. Man mag einwenden, daß ein entsprechender Bedarf bei internationalen Kreditverträgen nicht in gleichem Maße vorhanden sei18. In der Tat sind bei diesen auf den ersten Blick keine komplexen Fragen der vertraglichen Zusammenarbeit zu lösen, wie sie z. B. bei der Errichtung einer techni- [390] schen Großanlage oder der Durchführung eines sonstigen Projekts auftreten. Vielmehr geht es primär um die Klärung der im Vergleich dazu einfach erscheinenden Frage, ob sich der Schuldner in Verzug befindet oder nicht und wie man ihn zur Zahlung zwingen kann. Gleichwohl ist auch in dieser Situation die Auslösung rein rechtlicher Sanktionen (Klageerhebung, Vollstreckung) oft nicht der geeignete Weg, entweder weil die Bonität des Schuldners nur langfristig wiederhergestellt werden kann oder weil die Rücksichtnahme auf die finanzierten Geschäfte eine flexible Lösung erfordert. Hinzu kommt, daß die Frage nach der Zahlungsverpflichtung in der Praxis keineswegs immer so einfach ist, wie sie erscheint, sondern mit erheblichen rechtlichen Problemen behaftet sein kann19.
18 S. dazu den Überblick über die Argumente gegen alle Formen außergerichtlicher Streiterledigung bei Connerty, Documentary Credits: A Dispute Resolution System from the ICC, [1999] J.I.B.L. 3, S. 65; Ebenroth/Parche, Schiedsgerichtsklauseln als alternative Streiterledigungsmechanismen in internationalen Konsortialkreditverträgen und Umschuldungsabkommen, RIW 1990, S. 341, 346. 19 Vgl. dazu Sandrock, WM 1994, S. 405, 408 ff.
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4. Unterschiedliche und komplementäre Funktionen der verschiedenen Streitbeilegungstechniken Wenn Mediation, Schlichtung oder sonstige Streitbeilegung im genannten Sinn nicht zu einem Erfolg führt, dann reduziert sich ihre Bedeutung auf ein Vorspiel zur Erhebung einer Klage oder Schiedsklage. Deshalb wird der Wert solcher Verfahren oft bezweifelt. Man muß aber beachten, daß die Verfahrensalternativen für unterschiedliche Situationen bestimmt sind und ihr Erfolg oder Mißerfolg nicht vorausgesagt werden kann. Die sonstigen Streitbeilegungsverfahren sind für Situationen bestimmt, in denen beide Parteien an der Fortsetzung ihrer Kooperation interessiert sind und mit Recht befürchten, daß die Durchführung eines Schiedsverfahrens oder eines Verfahrens vor einem staatlichen Gericht die künftige vertragliche Kooperation der Parteien schwer belasten oder gänzlich ausschließen würde. Aus diesem Grund ist auch bei zahlreichen Standardklauseln über Schiedsverfahren oder Gerichtsstand ein anderes Streitbeilegungsverfahren vorgeschaltet. Gerichts- und Schiedsgerichtsverfahren einerseits und die sonstigen Streitbeilegungstechniken andererseits sind demnach auf verschiedene Bedürfnisse zugeschnitten. Sie haben teils ein alternatives, teils ein komplementäres Verhältnis zueinander. Suchen die Parteien die bindende Entscheidung durch einen Dritten, weil sie mit Mediation bzw. Schlichtung oder ähnlichem nicht weiterkommen und die künftige Kooperation der Parteien entweder wenig aussichtsreich ist oder nicht benötigt wird, bietet sich sofort das Schiedsgerichtsverfahren oder Gerichtsverfahren an. Steht das Interesse an künftiger Kooperation im Vordergrund, werden primär sonstige Streitbeilegungsverfahren gewählt20. Ein komplementäres Verhältnis ist [391] insofern festzustellen, als sonstige Streitbeilegungsverfahren oft nur funktionieren, wenn als letzte Möglichkeit die Anrufung eines Gerichts oder Schiedsgerichts verbleibt und dadurch die an sich kooperationsunwillige Partei veranlaßt wird, am alternativen Streitbeilegungsverfahren mitzuwirken, um ein Schiedsurteil oder Gerichtsurteil zu vermeiden.
III. Schiedsverfahren bei internationalen Finanzgeschäften 1. Anwendungsgebiete a) Allgemeines. Kredite und Anleihen Wie eingangs bemerkt, gilt für das internationale Kreditgeschäft traditionell der Grundsatz, daß Gerichtsstandsklauseln vor Schiedsklauseln deutlich
20 Zu den Möglichkeiten, Schiedsverfahren zur Anpassung von Verträgen zu nutzen, siehe Kröll, Ergänzung und Anpassung von Verträgen durch Schiedsgerichte, 1998, S. 271 ff.
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bevorzugt werden21. Dies gilt auch für internationale Konsortialkredite22 und zwar auch für Streitigkeiten zwischen den einzelnen Mitgliedern des Konsortiums23. Dem liegt die ebenfalls traditionelle Vorstellung zugrunde, daß die Anrufung eines Gerichts im Land des Hauptsitzes des Schuldners bzw. in dem Land, in dem der Schuldner seine Vermögenswerte hat, der sicherste Weg zur Wahrung der Gläubigerinteressen sei. Diese Auffassung galt jedoch keineswegs uneingeschränkt für alle Kreditverträge. Insbesondere bei Verträgen, an denen Staaten in irgendeiner Form beteiligt sind, lassen sich in der Praxis immer wieder Beispiele finden, in denen die Parteien Schiedsklauseln vereinbart haben24. Heute werden Schiedsklauseln zum Teil sogar ganz allgemein für internationale [392] Kreditverträge empfohlen25. Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß bei Schuldnern mit Vermögen in vielen verschiedenen Ländern, wie z. B. bei multinationalen Unternehmen, ein Schiedsspruch die Vollstreckung in verschiedenen Ländern erleichtert oder erst ermöglicht26. Zudem hat die Neuregelung des Schiedsrechts in vielen Ländern wie z. B. in England und Deutschland dazu geführt, daß die Regeln über Schiedsverfahren wesentlich klarer und allgemein verständlicher sind, so daß die Vorteile von Schiedsverfahren deutlicher hervortreten. Ferner wird bei Krediten für Projektfinanzierungen oder BOT-Verträge in den Kreditverträgen zuweilen auf den Umstand Rücksicht genommen, daß die anderen Verträge des Projektes ebenfalls eine Schiedsklausel enthalten. In den Anleihebedingungen internationaler Schuldverschreibungen herrscht ebenfalls die Gerichtsstandsklausel vor, und Schiedsklauseln sind die 21 Delaume, Legal Aspects of International Lending and Economic. Development Financing, 1967, S. 183; Wood, Law and Practice of International Finance, 1980, S. 71 ff.; ders., International Loans, Bonds and Securities Regulation, 1995, S. 85 ff. 22 Nurick, Negotiations of Transnational Bank Loan Agreements Entered into by Developing Country Borrowers, Report of the UNCTC, New York, November 1982; Slater, The Transnational Law of Syndicated Loans – A Hopeless Cause?, in Horn/Schmitthof, The Transnational Law of International Commercial Transactions, 1982, S. 329 ff., S. 350; Hinsch, in Hinsch/Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projektfinanzierungen, 1985, S. 154 (dort auch Fn. 19 zu einer seltenen Ausnahme wegen nationaler Besonderheiten für Staatsgarantien); Gooch/Klein, Annotated Sample Revolving Credit Agreement (International Law Institute, Washington, D.C.) 1994, S. 68 ff.; Boeglin, 15 J.Int.Arb. 3 (1998), S. 19, 23. 23 Boeglin, 15 J.Int.Arb. 3 (1998), S. 19, 23. 24 So z. B. die Umschuldungsvereinbarungen mit Brasilien seit 1983; siehe dazu: Ebenroth/Parche, RIW 1990, S. 341, 346 ff.; Darlehen des Iran an französiche Firmen im Rahmen der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Kernenergie aus den 70er Jahren, siehe dazu: die Entscheidungen des Schweizer Bundesgerichts vom 17.5.1990, Yearbook of Commercial Arbitration, Bd. XVI (1991), S. 182–190. 25 Hellman, Arbitration Clause can Stave off Legal Woes, American Banker, Feb. 4, 1992. 26 Boeglin, 15 J.Int.Arb. 3 (1998), S. 19, 24.
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Ausnahme27. Domke hat darauf hingewiesen, daß im frühen 20. Jahrhundert Schiedsklauseln in internationalen Anleihebedingungen häufig vorgesehen wurden, im Ergebnis dem Inhaber der Schuldverschreibung aber meist dann doch keinen effektiven Schutz gebracht hätten28. Seitdem haben sich die Verhältnisse des internationalen Wirtschaftsverkehrs aber grundlegend geändert. Umfang und Intensität der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit haben beträchtlich zugenommen, ebenso wie die rechtliche Zusammenarbeit zwischen vielen Staaten. Vor allem hat die New Yorker Konvention die Durchsetzbarkeit von Schiedssprüchen entscheidend verbessert. Man kann heute einem Schiedsverfahren in Bezug auf internationale Anleihen nicht von vornherein die Effektivität absprechen, die in vielen anderen Geschäftsarten unbestritten anerkannt ist. Es gibt auch neuerdings Überlegungen, im Zusammenhang mit internationalen Schuldenkrisen bestimmter Länder und im Hinblick auf Anleihen, die im Zusammenhang damit notleidend werden, in stärkerem Umfang Schiedsklauseln zu verwenden, um die unumgängliche Anpassung der Verträge an die neue Situation rechtlich zu ermöglichen. [393] b) Insbesondere Kredite internationaler Entwicklungsbanken Schiedsklauseln sind seit langem der primäre Streiterledigungsmechanismus in den Krediten internationaler Banken, wie der Weltbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau. Die allgemeinen Bedingungen für Kredite und Garantieverträge der Weltbank sehen ein Schiedsverfahren bei Streitfällen unter einem ad-hoc-Verfahren vor29. Vorgesehen ist in der Regel ein Dreierschiedsgericht, bei dem jede Seite einen Schiedsrichter ernennt und der Vorsitzende vom Präsidenten des Internationalen Gerichtshofs oder dem Generalsekretär der UNO ernannt wird, falls die Parteien keine Einigung über den Vorsitzenden erzielen. Zudem enthalten die Schiedsklauseln häufig noch Regeln über die Befugnis des Schiedsgerichts, über seine eigene Kompetenz zu entscheiden, die Verteilung der Kosten und die Möglichkeit von Mehrheitsentscheidungen30. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung bezieht sich in ihren Standard Terms and Conditions vom September 1994 auf die UNCITRAL-Schiedsgerichtsregeln und bestimmt den 27 Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 452, mit Beispielen von Schiedsklauseln in Anleihebedingungen; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, 1997, S. 420. Als Beispiel einer Anleihe aus neuerer Zeit, die in den Anleihebedingungen eine Schiedsklausel vorsieht, ist zu nennen: CESP-COMPANHIA ENERGETICA DE SÃO PAULO, DM 1,075 Mrd. 9,25% Deutsche Mark Bearer Bonds of 1996/2001, Information Memorandum May 1996, S. 134 mit dem Text des Arbitration Agreement zwischen Brasilien als Anleihegarant und der Commerzbank AG als Treuhänder. 28 Domke, International Arbitration of Commercial Disputes, S. 170. 29 General Conditions applicable to Loan and Guarantee Agreements, as amended, 1. Januar 1985, § 10. 4. 30 Siehe dazu Augenblick/Ridgeway, 10 J.Int.Arb. 1 (1993) S. 73, 74 f.
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internationalen Gerichtshof als Ernennungsstelle. Vorgesehen ist ein Schiedsgericht von drei Personen, Englisch als Verfahrenssprache und Den Haag als Sitz des Schiedsgerichts. Die Bevorzugung der Schiedsgerichtsbarkeit durch internationale Banken erklärt sich aus dem Umstand, daß diese Banken mit Verträgen zu tun haben, die sich auf eine Vielzahl von Staaten mit unterschiedlichen Rechtsordnungen beziehen, und daß die Einheitlichkeit der Rechtsgrundsätze und Rechtsanwendungen in ihren Verträgen nur dadurch gewährleistet werden kann, daß eine gewisse Distanz zu einzelnen nationalen Rechtssystemen und Gerichtsbarkeiten durch Einschaltung eines Schiedsverfahrens gewährleistet wird. Ferner schließen diese Banken häufig Verträge mit Staaten oder anderen öffentlichen Körperschaften. c) Staaten als Kreditnehmer Im allgemeinen vermeiden es Staaten bei internationalen Kreditaufnahmen auch heute noch, sich im Vertrag der Gerichtsbarkeit eines fremden Landes zu unterwerfen. Zwar ist inzwischen allgemein anerkannt, daß sich ein Staat bei solchen Verträgen nicht auf seine Gerichtsimmunität als Souverän berufen kann31. Die früher strikt ablehnende Haltung latein- [394] amerikanischer Staaten, Staatsschulden einer fremden Gerichtsbarkeit zu unterwerfen, hat teilweise zu entsprechenden Verfassungsvorschriften geführt, die aber, sofern sie nicht aufgehoben wurden, eher den Effekt haben, dem betreffenden Staat bei der Teilnahme am internationalen Kapitalmarkt Hindernisse in den Weg zu legen. Bisweilen sind heute Staaten als Kreditnehmer bereit, auch eine fremde Gerichtsbarkeit in der Gerichtsstandsklausel zu akzeptieren, zumal wenn sich dafür ein sachlicher Grund anführen läßt, nämlich der Gerichtsstand an einem international bedeutenden Finanzplatz, an dem der betreffende Kredit oder die betreffende Anleihe zahlbar gestellt ist32. Häufiger ist es, daß Staaten eine Schiedsgerichtsklausel akzeptieren. Auf diese Weise vermeiden sie die Unterwerfung unter eine ausländische Gerichtsbarkeit und der Gläubiger muß seinerseits nicht die Gerichtsbarkeit des Schuldnerstaates akzeptieren. Bei Zahlungsverzug kann also der Gläubiger immerhin ein Schiedsurteil erhalten. Der Schiedsspruch mag zwar im Schuldnerstaat schwer oder über-
31 Zum deutschen Recht vgl. BVerfGE 16, 27; vgl. ferner die europäische Konvention über Staatenimmunität vom 16. Mai 1972, BT-Drucks. 11/4307, S. 7; dazu Brownlie, Principles of Public International Law, 3. Aufl. 1979, S. 334, 337, Fn. 1; Wood, Project Finance, Subordinated Debt and State Loans, 1995, S. 103 ff.; für die USA: Foreign Sovereign Immunity Act 1976; für Großbritannien: State Immunity Act 1978. 32 Weitz/Schwarzkopf/Panitch, in Bradlow (Hrsg.), International Borrowing. Negotiating and Structuring International Debt Transactions, 3. Aufl. 1994 (International Law Institute, Washington, D.C.), S. 573 ff.
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haupt nicht durchzusetzen sein. Aber es bleibt die Möglichkeit, Vermögenswerte des betreffenden Staates in einem Drittland als Vollstreckungsobjekte zu verwerten33. Einige südamerikanische Staaten haben erkannt, daß die alte Strategie der strikten Ablehnung fremder Gerichtsbarkeit i. S. der DragoDoktrin oder Calvo-Klausel in ihren Verfassungen kein praktischer Weg sind und haben gesetzlich die Aufnahme von Schiedsklauseln in die internationalen Kreditverträge ihrer Staaten vorgeschrieben34. Gerät ein Staat in eine internationale Schuldenkrise, so sind die zur Beilegung dieser Krise abgeschlossenen Konsolidierungsverträge regelmäßig mit einer Schiedsklausel ausgestattet35. Auch in den Anleihebedingungen von internationalen Staatsanleihen findet sich bisweilen eine Schiedsklausel36. d) Bankgarantien Internationale Bankgarantien und Stand-by-Letters of Credit als ihr amerikanisches Gegenstück weisen heute eine bemerkenswerte Einheit- [395] lichkeit der Vertragsstruktur und Standardklauseln auf37. Die Vertragsdokumentation dieser Garantien und Stand-by-Letters ist oft sehr kurz und enthält keine separaten Gerichtsstands- oder Schiedsklauseln. Die für den Garantiebereich einschlägigen ICC Uniform Rules for Demand Guarantees sehen in Art. 28 eine Streiterledigung durch staatliche Gerichte vor38. In der Praxis werden jedoch heute zunehmend Schiedsklauseln auch bei Bankgarantien verwendet39. Die Schiedsklausel bietet in diesen Fällen meist eine Lösung, die praktischen Bedürfnissen entgegenkommt und effektiv ist. Das Schiedsgericht kann mit Fachleuten besetzt werden, die sich in der Materie auskennen. Ergeht der Schiedsspruch gegen die Bank, die zur Bezahlung der Garantiesumme verurteilt wird, so bedarf es meist auch keines umständlichen Vollstreckbarerklärungsverfahrens. Denn eine Bank mit internationalem geschäftlichen Ansehen wird einen solchen Schiedsspruch ohne weiteres honorieren. Sie kann sich bei ihrem Aufwendungserstattungsanspruch gegenüber ihrem Bankkunden, der sie mit der Stellung der Garantie beauftragt hat, auf diesen Schiedsspruch berufen.
33 Vgl. zum Fall der Vollstreckung in deutsche Guthaben der nigerianischen Zentralbank: LG Frankfurt, NJW 1976, S. 1044 ff. 34 Z. B. Chile; Ley de Mercado de Valores Numero 18.045 vom 22. Oktober 1981, Art. 104h und Art. 105; Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, 1997, S. 422. 35 Zu diesen Schuldenkrisen siehe unten V. 36 Vgl. III.1.a Fn. 27. 37 Horn/Wymeersch, Bank-Guarantees, Stand-by Letters of Credit And Performance Bonds in International Trade, 1990. 38 Vgl. ICC-Publication No. 458, Uniform Rules for Demand Guarantess, 1992. 39 Diese Feststellung beruht auf persönlichen Erfahrungen des Autors als Schiedsrichter; vgl. auch Park, 17 Annual Review of Banking Law, 1998, S. 213, 241.
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2. Schiedsgerichtsbarkeit und Anlegerschutz In den letzten Jahren wurden Schiedsklauseln in zunehmendem Maße in Verträgen über internationale Finanzdienstleistungen verwendet. Nun ist ein internationales Schiedsverfahren für Staaten und große Unternehmen geeignet, nicht aber für kleine Privatanleger, die sich auf das unbekannte Terrain einer Anlage im Ausland unter Inanspruchnahme ausländischer Finanzdienstleistungen gewagt haben. Die Frage, ob solche Schiedsklauseln den heute steigenden Anforderungen an Anlegerschutz genügen, ist in manchen Ländern, vor allem in den USA, schon unabhängig von ihrem internationalen Aspekt gestellt und vielfach verneint worden. Amerikanische Gerichte haben es jedenfalls abgelehnt, in Consumer Contracts Schiedsklauseln anzuerkennen40. Die deutsche Rechtsprechung hingegen ist gespalten und hat zum Teil im Zusammenhang mit Börsentermingeschäften Schiedsklauseln in AGB für wirksam gehalten41. In der Literatur sind erhebliche Bedenken gegen die Wirksamkeit solcher Klauseln erhoben worden, da sie oft sehr zum Nachteil des Verbrauchers gestaltet seien [396] und die Tatsache ausgenutzt werde, daß der normale private Anleger nicht wirksam an einem internationalen Schiedsverfahren mitwirken könne42. Insofern ist es nicht verwunderlich, daß viele der international operierenden deutschen und schweizer Banken in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen keine Schiedsgerichtsklauseln, sondern Gerichtsstandsvereinbarungen vorsehen43. 3. Zur Abfassung der Schiedsklauseln Es mag ein Gemeinplatz sein, ist aber jedenfalls von entscheidender Bedeutung, daß Schiedsklauseln mehr noch als andere Vertragsklauseln möglichst klar und eindeutig abgefaßt werden müssen. Insofern empfiehlt es sich, auf die Regeln der ICC, der deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, des London Court of International Arbitration, oder die UNCITRAL-Regeln, die ICSID-Regeln oder andere anerkannte Schiedsregeln Bezug zu nehmen. Die Klausel soll ferner den Sitz des Schiedsgerichts angeben und im Fall eines souveränen Staates als Vertragspartei einen ausdrücklichen Verzicht auf die Immunität enthalten44. Park, 17 Annual Review of Banking Law, 1998, S. 213, 255 m. w. N. Vgl. nur OLG Düsseldorf, WM 1990, S. 842 ff.; anders jedoch dass., WM 1996, S. 1903 ff. 42 Raeschke-Kessler, AGB-Schiedsvereinbarungen über Börsentermingeschäfte, WM 1998, S. 1205 ff.; für die Wirksamkeit solcher Klauseln hingegen Thorn, Termingeschäfte an Auslandsbörsen und internationale Schiedsgerichtsbarkeit, IPRax 1997, S. 98, 106; Bork/ Stöve, Schiedsgerichtsbarkeit bei Börsentermingeschäften, 1992, S. 39 ff. 43 Vgl. auch Boeglin, 15 J.Int.Arb. 3 (1998), S. 19, 23. 44 Zum Abfassen von Schiedsklauseln siehe auch Born, International Arbitration and Forum Selection Agreements, 1999, S. 37 ff. 40 41
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Eine Klausel, die einer Partei ein Wahlrecht zwischen der Anrufung eines staatlichen Gerichts und eines Schiedsgerichts gibt, bietet zwar Flexibilität, wird aber in verschiedenen Gerichtsbarkeiten nicht anerkannt45. Von besonderem Interesse sind die neuerdings immer stärker in der Praxis vordringenden Klauseln, die andere alternative Streitbeilegungstechniken mit Schieds- oder Gerichtsstandsklauseln kombinieren und zwar in der Weise, daß zunächst ein Schlichter oder Mediator usw. eingeschaltet wird, und nach Scheitern dieses Verfahrens, spätestens aber nach Ablauf einer festgesetzten Frist, der Gang zum Schiedsgericht oder Gericht offensteht. [397]
IV. Andere alternative Streitbeilegungstechniken bei internationalen Finanzgeschäften 1. Anwendungsgebiete im Überblick a) Langfristige Liefer- und Werkverträge Das Hauptanwendungsgebiet für Streitbeilegungsverfahren außerhalb der formalen Schiedsgerichtsbarkeit sind langfristige Liefer- und Werkverträge, z. B. über den Bau schlüsselfertiger Anlagen, BOT-Verträge, Projektfinanzierungen und ähnliche Verträge, die eine intensive langfristige Kooperation der Parteien voraussetzen. Hier entstehen häufig komplexe Streitfragen, die eng mit den technischen Fragen der Vertragsdurchführung verbunden sind. Der typische Konflikt bei der Durchführung eines Finanzgeschäfts ist anderer Art. Es geht schlicht darum, ob der Kreditgeber seine Pflicht zur rechtzeitigen und vollständigen Auszahlung der Kreditsumme verletzt hat, und noch häufiger darum, ob der Kreditnehmer seine Pflicht zur Zins- und Tilgungszahlung eingehalten hat. Kreditverträge beziehen sich typischerweise nicht auf komplizierte technische Fragen, etwa ob ein bestimmter Bauabschnitt den Qualitätsvorgaben des Vertrages entspricht oder ob eine Produktionsanlage die zugesagte Leistung erbringt. Tritt bei Kreditverträgen ein Zahlungsverzug auf, so erscheint es auf den ersten Blick am besten zu sein, unverzüglich das Gericht oder das vereinbarte Schiedsgericht anzurufen, um den Schuldner zur Erfüllung seiner Verpflichtungen zu zwingen. Von einem vorgängigen Verfahren der Schlichtung oder gütigen Verhandlung ist daher in den entsprechenden Kreditverträgen nicht die Rede. Derartige Klauseln könnten den Schuldner geradezu dazu einladen, seine Zahlungs- oder Rückzahlungspflichten dadurch hinauszuzögern, daß er sich zunächst auf diese 45 So z. B. in Mexiko, wo Art. 567 des Código Federal de Procedimientos Civiles ein Verbot solcher Klauseln enthält; generell zu solchen Klauseln: Park, 17 Annual Review of Banking Law, 1998, S. 213, 262; zum deutschen Recht vgl.: BGH WM 1998, S. 2444 mit Anm. Kröll, WuB VII A. § 1025 1.99 m. w. N.
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Verfahren beruft. Umgekehrt enthalten internationale Kreditverträge häufig Klauseln, die scharfe rechtliche Sanktionen für den Fall der Verletzung der Zahlungs- oder Rückzahlungspflichten vorsehen, insbesondere eine Klausel zur sofortigen Fälligstellung der Restschuld und nicht selten zur Fälligstellung aller Verbindlichkeiten aus anderen Verträgen des Schuldners mit dem Gläubiger (Cross Default Clause)46. b) Kreditverträge Bekanntlich machen Gläubiger internationaler Kreditverträge von solchen Sanktionen, insbesondere von der sog. Cross Default Clause, wenig [398] Gebrauch. Ebenso wenig besteht eine Neigung, bei Krediten, die kritisch geworden sind, sofort die Gerichte oder das Schiedsgericht anzurufen. Die Bank versucht vielmehr, unverzüglich mit dem Schuldner Kontakt aufzunehmen und seine wirtschaftliche Lage und Zahlungsbereitschaft bzw. Zahlungswilligkeit genau zu erkunden. Dies gilt gleichermaßen für das nationale wie für das internationale Geschäft. Gleichzeitig besteht aber auch keine Neigung, in diesem Stadium Dritte als Schlichter/Mediator, Experte usw. heranzuziehen. Dies würde die Verhandlungen in der Sicht der Banken eher erschweren und die Diskretion beeinträchtigen. Dies ist einer der Gründe dafür, daß förmliche Streitbeilegungsverfahren, die einem Schiedsverfahren oder Gerichtsverfahren vorgeschaltet sind, bei Bankgeschäften wenig populär sind und in den Verträgen nur selten vorgesehen werden. Als Königsweg zur Meisterung einer Krise des Schuldners wird die direkte Verhandlung der Gläubigerbank oder der (koordinierten) mehreren Gläubigerbanken mit dem Schuldner angesehen. Allerdings kommen bei diesen Verhandlungen auch Experten ins Spiel. Dies gilt einmal, wenn eine Umschuldung ansteht und zuvor eine Sonderprüfung des Schuldners geboten und hilfreich erscheint. Auf internationaler Ebene, bei der Schuldenkrise ganzer Staaten, die noch (unten V.) zu betrachten ist, werden Experten des Internationalen Währungsfonds, anderer internationaler Institutionen und der interessierten Gläubigerstaatengruppen im Schuldnerland tätig. Weitere Experten kommen ins Spiel, wenn der Kredit mit der Finanzierung komplexer Projekte zusammenhängt und es geklärt werden muß, welche Verantwortlichkeit hinsichtlich der Störungen in der Durchführung des Projekts bestehen, und zugleich, wie die Aussichten einer Sanierung des Projekts zu beurteilen sind. Wie bereits bemerkt, ist die Beilegung von Konflikten in internationalen Finanzgeschäften in den Fällen, in denen ein enger Zusammenhang mit komplexen Liefer-, Werk- und Projekt-
46 Zu diesen Klauseln siehe z. B. Horn, The Restructuring of International Loans and the International Debt Crisis, International Business Lawyer, Oct. 1984, S. 400 ff., 406.
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verträgen besteht, dann ähnlichen Verfahren unterworfen, die für die letztgenannten Verträge gelten. Dies ist noch auszuführen. 2. Mediation und Schlichtung Finanzgeschäfte werden solchen Verfahren einmal im letztgenannten Fall des Zusammenhangs mit anderen komplexen Verträgen unterworfen, aber auch dann, wenn eine ernsthafte und längerfristige Schuldnerkrise eingetreten ist und – ggf. nach längerer Zeit der Vertragsstörung – nun ein Weg für die künftige Schuldenbeilegung gefunden werden soll. Hier können auch die Verfahrensregeln benutzt werden, die von internationalen Organisationen entwickelt worden sind, wie z. B. die von der ICC, [399] UNCITRAL47 oder ICSID bereitgestellten Regeln über einvernehmliche Streitbeilegung (Conciliation)48. Das Schlichtungsverfahren der ICC sieht vor, daß die Schlichtungskommission den Fall anhand der eingereichten Unterlagen untersucht und den Parteien einen Vorschlag unterbreitet (Art. 4.1). Wenn die Parteien auf dieser Grundlage eine Einigung nicht erreichen, sind sie frei, den Streit einem Schiedsgericht oder, wenn sie nicht durch eine Schiedsgerichtsklausel gebunden sind, einem Gericht zu unterbreiten (Art. 5). Solche Verfahren können natürlich auch im Hinblick auf internationale Finanzgeschäfte verwendet werden. Dies ist bisher nicht sehr oft der Fall aus dem bereits genannten Grund, daß die Banken lieber direkte Verhandlungen führen, als dritte Personen einzuschalten. Zu einem solchen Verfahren lassen sie sich am ehesten herbei, wenn der Zusammenhang mit anderen komplexen Verträgen dies erforderlich macht. 3. Besondere Verfahren bei internationalen Finanzgeschäften a) London City Dispute Panel Zum Teil sind aber auch spezielle Verfahren und Organisationen für den Finanzsektor geschaffen worden. Ein Beispiel dafür ist das 1994 in London gegründete City Dispute Panel. In Anbetracht der mit Gerichtsverfahren regelmäßig verbundenen Verschlechterung der Beziehungen sollte mit dem City Dispute Panel eine Alternative gerade bei komplexen und besonders brisanten Streitigkeiten in der Finanzindustrie geschaffen werden. Das in der Regel aus einem erfahrenen Anwalt und zwei Mitgliedern der Finanzwelt zusammengesetzte Panel kann je nach Art des Falles zwischen verschiedenen Conciliation Rules [U. N. Doc. A/35/17 (1980)]. ICC Publication No 291 (1975); Art. 1 ICC Rules lautet: Any business dispute of an international character may be subject of a request for settlement by amicable arrangement through the medium of the administrative commission for conciliation established for the International Chamber of Commmerce. 47 48
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Verfahrensarten und Verfahrensformen wählen, die neben Schiedsverfahren auch expert determination, conciliation und mediation umfassen49. b) Sachverständige; ICC DOCDEX-Rules In allen Fällen, in denen der Konflikt hauptsächlich eine Tatfrage betrifft, sind Sachverständige zur Klärung dieser Frage erforderlich. Die Regeln der FIDIC weisen dem Ingenieur des Projekts die entsprechende Rolle zu. Falls der Kredit die mehrfach erwähnte Verbindung mit einem lang- [400] fristigen Vertrag über Bau, Anlagenbau einschließlich BOT-Verträgen, Projektdurchführung usw. aufweist, werden Experten auch für diese Finanzgeschäfte wichtig50. Auch Dokumentenakkreditive weisen trotz ihrer prinzipiellen Trennung vom finanzierten Grundgeschäft eine Verbindung zu diesem Grundgeschäft insofern auf, als bestimmte Dokumente Vorbedingung der Auszahlung sind, die ihrerseits auf bestimmte technische Fragen des zugrundeliegenden Liefergeschäfts verweisen. Nachdem einzelne Banken vermehrt unter Berufung auf marginale Fehler und Diskrepanzen zwischen diesen Dokumenten und dem Akkreditiv die Auszahlung verweigert haben, hat die ICC die „Rules for Documentary Credit Dispute Resolution“ (DOCDEX) entwickelt51. Sie sollen ein schnelles und unkompliziertes Streitbeilegungsverfahren zur Verfügung stellen und verhindern, daß solche Einwände das Dokumentenakkreditiv als eines der primären Zahlungsmechanismen des internationalen Handels entwerten52. Das Verfahren der Streitbeilegung wird organisatorisch von dem ICC Center for Expertise und der ICC Banking Commission begleitet53. Die ICC ernennt die unabhängigen Sachverständigen, die ihre Entscheidung aufgrund der von den Parteien vorgelegten Dokumente treffen sollen. Eine mündliche Verhandlung ist nicht vorgesehen und die ergehende Entscheidung muß nicht den Formerfordernissen eines Schiedsspruchs genügen. Sie ist nicht bindend, falls nicht die Parteien es anders vereinbart haben; eine solche Vereinbarung kann auch noch nachträglich geschlossen werden. Für das Verfahren wird eine Gebühr von 5.000 US$ verlangt, die sich bei Streitwerten über 100.000 US$ bis auf das Doppelte erhöhen kann. Auch wenn eine abschließende Beurteilung über den Erfolg dieser Regeln zur Zeit noch nicht möglich ist, scheinen sie doch von der Praxis gut angenommen worden zu sein. Boeglin, 15 J.Int.Arb. 3 (1998), S. 19, 26 f. Vgl. allgemein zur Entscheidung durch Sachverständige: Kendall, Expert Determination, 2. Aufl., 1996; zur Abgrenzung vom Schiedsverfahren: Kröll, Ergänzung und Anpassung von Verträgen durch Schiedsgerichte, 1998, S. 247 ff. 51 ICC Publication No 577; in Kraft seit Oktober 1997. 52 Vgl. auch Connerty, [1999] 3 J.I.B.L., S. 65, 66 f. 53 Dazu Park, 17 Annual Review of Banking Law, 1998, S. 213, 241 ff. 49 50
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c) Konfliktmanagement langfristiger Verträge und die Entwicklungsbanken Entwicklungsbanken haben typischerweise mit der bereits mehrfach erwähnten Finanzierung komplexer Liefer-, Werk- oder Projektverträge zu tun. Hier hat die Erfahrung gezeigt, daß es nicht genügt, eine möglichst klare Trennung zwischen den Krediten und den Verträgen über die Durchführung der Projekte vorzunehmen. Wird das Projekt notleidend, sei es aus finanziellen oder technischen Gründen, so schlägt dies unwei- [401] gerlich auf die Kreditverträge und ihre Durchführung durch. Daher sind die Entwicklungsbanken dazu übergegangen, das Projekt während seiner ganzen Laufzeit zu verfolgen und sich auch um die Konfliktbeilegungsmechanismen zu kümmern, die in den Werk- und Projektverträgen vorgesehen sind und während der Vertragsdurchführung in Anspruch genommen werden. In der Vertragsgestaltung dieser Verträge hat sich im letzten Jahrzehnt eine bemerkenswerte Vielfalt von Verfahren entwickelt. Häufig vereinbaren die Parteien Schlichtungskommissionen, die paritätisch von beiden Seiten besetzt werden (Dispute Resolution Boards; DRBs)54. Manche Unternehmen betonen die Bedeutung eines frühzeitigen Eingreifens solcher Verfahren und nennen sie in ihren Verträgen programmatisch „Early Dispute Resolution“ (EDR)55. Die Befugnisse der Schlichtungskommission sind unterschiedlich umschrieben. Sie können sich auf eine unverbindliche Empfehlung beschränken, aber auch als verbindlich vereinbart werden. Im letzteren Fall bleibt der Partei, die mit der Entscheidung nicht zufrieden ist, noch der Weg zum Schiedsgericht. Dispute Resolution Boards der verschiedenen Art werden von Entwicklungsbanken heute häufig in ihren Verträgen vorgesehen. d) Mini-Trials Bei solchen Konflikten, bei denen Rechtsfragen im Vordergrund stehen, hat sich in den USA und von dort aus in der internationalen Geschäftspraxis auch die Übung eingebürgert, im Rahmen von Verhandlungen zur Streitbeilegung den Austausch der wichtigen Argumente in einem dem Gerichts- oder Schiedsgerichtsverfahren ähnlichem Vorgehen vorzunehmen und von unabhängigen Dritten eine nichtbindende Entscheidung darüber zu erbitten, also sozusagen einen Probelauf für ein mögliches Verfahren vor dem Gericht oder Schiedsgericht zu führen56. Nun ist der Austausch von rechtlichen Argumenten in aller Welt ein verbreitetes Verfahren, um Vergleichsverhandlungen vorzubreiten. Man tauscht Schriftsätze aus, die noch nicht vor Gericht 54 Dispute Resolution in International Long-Term Construction and Infrastructure Projects, 2nd IBA Arbitration Day 1998 (i. F. IBA Düsseldorf Konferenz). 55 Borke, ADR Concepts and their Effects on the Dispute Resolution in international long-term Contracts, IBA Düsseldorf Konferenz 1998. 56 Allg. zu Mini-Trials: Glossner, in Horn (Hrsg.), Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, 1985, S. 191–204.
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eingereicht sind, weil eine Klage oder Schiedsklage noch gar nicht anhängig ist, und läßt das Mini-Trial das Gewicht der beiderseitigen Argumente gegeneinander abwägen. In den nicht eben häufigen Fällen, in denen Banken bei Streitigkeiten Rechtsgut- [402] achter heranziehen, erfüllt das Rechtsgutachten eine ähnliche Funktion wie die genannten Schriftsätze. Dritte werden nicht oft als Schlichter herangezogen. Der Austausch der Schriftsätze oder Gutachten hat aber die wichtige Funktion, den beiderseitigen Verhandlungsführern eine Einigung zu erleichtern, die sie anschließend vor den Vorständen ihrer Unternehmen oder den Leitern ihrer Behörden vertreten können. e) Gerichtliche Vergleichsverhandlungen und Conflict Management Natürlich werden auch Streitigkeiten über internationale Finanzgeschäfte, wenn sie einmal vor einem Schiedsgericht oder Gericht anhängig geworden sind, Gegenstand von Vergleichsverhandlungen, die das Gericht oder Schiedsgericht in geeigneten Fällen anregt. Eine Besonderheit amerikanischer Gerichtsverfahren besteht darin, daß vor allem bei Gruppenklagen (class action) das Gericht erhebliche Ermessensspielräume und Sanktionsbefugnisse zur Förderung der Vergleichsbereitschaft auf Grund der 1981 neu gefaßten Rule 16z. Fed.R.Civ.Proc. hat. Bereits zu Prozeßbeginn können die Parteien hier zu einer „pretrial conference“ eingeladen werden mit dem Ziel, den Abschluß eines Vergleichs zu erreichen. Dabei wird vom Gericht ein „settlement master“ eingesetzt, der seinen Einfluß zur außergerichtlichen Einigung geltend macht57. Gruppenklagen können in Zukunft vor allem bei der Ausweitung der internationalen Märkte für Finanzdienstleistungen im Hinblick auf die massenhafte Schädigung von Anlegern auftreten.
V. Umschuldungen bei internationalen Schuldenkrisen von Staaten 1. Das Problem Die internationale Schuldenkrise von Staaten oder ganzen Staatengruppen ist seit den frühen 80er Jahren ein allgemeines Problem der Weltwirtschaft geworden und bis heute geblieben. Um die drohende internationale Zahlungsunfähigkeit von Staaten und die davon ausgehenden schwerwiegenden Störungen der Weltwirtschaft abzuwenden, mußten besondere, umfassende Strategien entwickelt werden, die ein Bündel politischer und wirtschaftlicher Maßnahmen umfassen. Diese Maßnahmen gehen weit über die üblichen Techniken einer rechtlich strukturierten Krisenbe- [403] wältigung hinaus. Sie sind aber gleichwohl auf das Recht als Ausgangspunkt und Endziel der 57 Zu dieser Technik: Heß, AG 1999, S. 145 ff., 149 m. w. N.; Duve, Mediation und Vergleich im Prozeß, 1999, S. 69 ff.
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Bemühungen angewiesen58. Es bedarf keiner weiteren Erläuterung, daß die Bewältigung einer solchen Krise die Möglichkeiten eines Gerichts oder Schiedsgerichts bei weitem übersteigt und auch der Internationale Gerichtshof (seine Kompetenz einmal unterstellt) überfordert wäre. Insofern ist von den in den Kreditverträgen zum Teil enthaltenen Schiedsgerichts- oder Gerichtsstandsklauseln bisher in diesem Zusammenhang noch kein Gebrauch gemacht worden. Vielmehr geht es um praktische Anwendungfälle außergerichtlicher Konfliktbeilegung von ungewöhnlich großer Dimension. Ihre Einzelheiten sind inzwischen häufiger in der Literatur analysiert worden und können hier schon des Stoffumfangs wegen nicht im einzelnen erörtert werden. Wir beschränken uns darauf, einige Charakteristika hervorzuheben. 2. Der Umschuldungsprozeß Bei der internationalen Schuldenkrise eines Landes ist eine große Anzahl von Gläubigern des betreffenden Staates oder seiner Unternehmen und Bürger beteiligt. Die erste Schwierigkeit besteht darin, diese Vielzahl von Gläubigern und ihren entsprechenden Schuldnern zu koordinieren und dadurch Verhandlungen überhaupt erst zu ermöglichen. Der Internationale Währungsfond übernimmt eine Schlüsselrolle in diesem Prozeß, und zwar aus mehreren Gründen. Die Mitgliedschaft im Fond ist nicht nur Voraussetzung für eine finanzielle Hilfe durch den Fond, sondern auch unentbehrlich für die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der internationalen Kreditwürdigkeit des betreffenden Landes. Zugleich ist der Fond selbst Gläubiger und potentieller neuer Kreditgeber für die unentbehrliche kurzfristige Finanzierung zur Aufrechterhaltung der internationalen Liquidität des Schuldnerlandes. Der Fond formuliert zugleich wirtschaftspolitische Vorbedingungen für seine Unterstützung und schreibt dem Land die entsprechenden Maßnahmen vor. Das Sanierungs- oder Anpassungsprogramm des Fonds umfaßt nicht nur eine Umschuldung der ausstehenden Kredite, sondern die dringend benötigten neuen Kredite. Zugleich schreibt er eine Reihe von wirtschaftspolitischen Zielen und volkswirtschaftlichen Kriterien vor, die das Land in seiner künftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik erfüllen muß. Wird dieser Plan vom Schuldnerland nicht akzeptiert oder wird es erkennbar, daß es diesen [404] Plan mißachten wird, so entfällt eine Vorbedingung für die Umschul-
58 Horn, Rechtsfragen internationaler Umschuldungen, WM 1984, S. 713–721; ders., in: Hadding/Immenga/Mertens/Pleyer/Schneider (Hrsg.) FS Werner, 1984, Internationale Schuldenkrise und Ansätze ihrer Bewältigung, S. 357–373, ferner die Beiträge in Bradlow (Hrsg.) International Borrowing. Negotiating and Restructuring international Debt Transactions (International Law Institute, Washington D.C.), 3. Aufl. 1994, S. 455–597.
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dung aller übrigen Schulden privater Gläubiger und zugleich jede Grundlage für die Wiederherstellung der internationalen Kreditwürdigkeit59. Die übrigen Gläubiger organisieren sich in Gruppen, so die Gläubigerstaaten im sogenannten Paris Klub, die privaten Gläubiger, insbesondere Banken, unter der Führerschaft der Konsortialführer der gegebenen Kredite und der größten Kreditgeber. Der Paris Klub trifft seine Entscheidung über die Umschuldung meist nach kurzer Zeit auf der Grundlage eines Berichts des Schuldnerlandes und der Beurteilungen der wirtschaftlichen Zukunft des Landes durch den Fond, die Weltbank und andere beigezogene internationale Institutionen. Die Umschuldungen des Paris Klub erfassen nur Kredite, die von Staaten oder öffentlichen Körperschaften der Gläubigerstaaten vergeben oder garantiert worden sind. Erfaßt werden meist sowohl notleidende Kredite als auch solche, die demnächst fällig werden. Internationale Anleihen wurden in den frühen 80er Jahren überhaupt nicht und in der Folgezeit nur beschränkt in den Umschuldungsprozeß einbezogen. Wegen der Vielzahl der privaten Gläubiger (Obligationäre) und der nur begrenzten rechtlichen Vorkehrungen ihrer effektiven rechtlichen Vertretung waren sie für rechtsverbindliche Vertragsabänderungen zu Lasten der Gläubiger durchweg ungeeignet. Dieses Problem ist bis heute nicht gelöst. Schrittweise setzt sich aber die Erkenntnis durch, daß hier kollektive Lösungen gefunden werden müssen. Die Schuldnerländer behalfen sich meist damit, daß sie nach einem entsprechenden Kursverfall der von ihnen emmitierten Papiere diese oft zu einem Bruchteil ihres Nennbetrages am Markt zurückkaufen konnten60. Angesicht der gewaltigen Dimensionen der Schulden und der Vielzahl der beteiligten Personen erscheint es fast überraschend, daß in fast allen internationalen Schuldenkrisen von Staaten schließlich eine Umschuldung erreicht werden und damit erfolgreich eine langfristige Störung des Weltwirtschaftsverkehrs abgewendet werden konnte. Dies erscheint weniger erstaunlich, wenn man bedenkt, unter welchem wirtschaftlichen und politischen Druck einerseits das Schuldnerland steht, in die Bedingungen des Währungsfonds einzuwilligen, anderseits aber auch die Gläubigerstaaten, die aus politischen und wirtschaftlichen Gründen den Schuldnerstaat nicht fallen lassen wollen, und schließlich die privaten Gläubiger (Banken), die bei Scheitern der Verhandlungen keineswegs bes- [405] ser dastehen, sondern mit dem vorläufigen Totalverlust ihrer Forderungen und einem entsprechenden Wertberichtigungsbedarf in ihren Bilanzen rechnen müssen. Auch der faktische Zwang, sich als einzelner privater Gläubiger den kollektiven Verhandlungen anzu59 Vgl. Horn, The Restructuring of International Loans, Intl. Bus. Lawyer, Oct. 1984, S. 400 ff.; Augenblick/Ridgway, 10 J.Int.Arb. 1 (1993) S. 73, 74 f. 60 Horn, Principi del diritto internationale sui debiti esteri dello Stato, in: Gutiérrez/ Schipani (Hrsg.), Il debito internationale, 1998, S. 213 ff.
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schließen, ist durchaus beträchtlich. Es ist für den einzelnen Gläubiger wenig aussichtsreich, Verhandlungen auf eigene Faust mit dem Schuldnerstaat zu versuchen, die dieser im Zweifel ablehnt oder ignoriert. 3. Die Bedeutung einzelner Klauseln Die privaten Gläubiger vereinbaren mit dem Schuldnerstaat und mit den diesem Staat angehörenden privaten Schuldnern (Unternehmen) regelmäßig, daß die Umschuldungsvereinbarungen nur in Kraft treten, wenn der Staat die Auflagen des Internationalen Währungsfonds hinsichtlich der Änderung seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik befolgt. Ferner werden die auch sonst in internationalen Kreditverträgen üblichen Klauseln über die Gleichbehandlung aller Gläubiger (pari-pasu-Klauseln) verwendet. Die meisten Kreditverträge, die vor der Schuldenkrise geschlossen wurden, enthalten bereits eine solche Klausel und verpflichten den Schuldnerstaat, in den Umschuldungverhandlungen in gleichmäßige Bedingungen für alle Gläubiger einzuwilligen61. Zugleich gibt diese Klausel auch dem Schuldnerstaat oder dem privaten Schuldner die Möglichkeit, weitergehende Forderungen einzelner Gläubiger unter Berufung auf die Klausel abzuwehren. Allerdings dringen die Gläubiger, die die für das Gelingen der Umschuldung regelmäßig erforderlichen neuen Kredite vergeben, häufig auf eine bevorzugte Behandlung hinsichtlich der mit diesen Geldern erwirtschafteten Gewinne. Eine weitere Möglichkeit, private Gläubiger zu der Vergabe neuer Kredite zu bewegen, ist die Einräumung einer besonderen Stellung bei der Privatisierung und dem Verkauf von Staatsunternehmen62. Die in Kreditverträgen bisweilen üblichen Klauseln, daß der Kreditgeber sich auch auf den Verzug des Schuldners in anderen Kreditverträgen berufen kann, um die eigenen Kreditforderungen fällig zu stellen (cross default clause), die sich im Vorfeld einer Schuldenkrise meist als wenig tauglich erweisen, um den Schuldner zu einem vertragskonformen Verhalten anzuhalten, entfalten ihre Bedeutung im Umschuldungsprozeß. Sie erlauben nämlich den Gläubigern noch nicht fälliger Schulden, unter Berufung auf diese Klauseln am Verhandlungsprozeß teilzunehmen und damit aktiven Einfluß auf die Umschuldungsverhandlungen zu nehmen. Natürlich muß ein Gläubiger von Forderungen, die erst sehr viel später fällig werden, abwägen, ob er nicht stillhält und dar- [406] auf hofft, daß zum zukünftigen Fälligkeitstermin seiner eigenen Forderungen der Staat wieder zu Kräften gekommen ist und alles tun wird, um seine nunmehr neu fällig werdenden Verbindlichkeiten zu erfüllen und damit sein mühsam zurückgewonnenes credit standig zu wahren.
Horn, Restructuring etc., Intl. Bus. Lawyer, Oct. 1984, S. 400. Vgl. Ebenroth/Parche, RIW 1990, S. 341.
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VI. Schlußbemerkungen Der vorstehende Überblick über außergerichtliche Streitbeilegung bei internationalen Finanzgeschäften zeigt, wie eingangs angekündigt, ein uneinheitliches Bild. Schiedsklauseln finden sich häufig in den Verträgen der Internationalen Entwicklungsbanken, im Privatsektor am ehesten noch bei Bankgarantien und seltener bei Anleihen. Bei Konsortialkrediten und anderen Bankkrediten sind sie dagegen kaum anzutreffen. Verbreitet sind sie jedoch neuerdings bei Verträgen privater Anleger mit Finanzdienstleistern; hier stellt sich das Problem einer Verkürzung des Rechtsschutzes der Anleger. Andere alternative Streitbeilegungen, die das Schiedsverfahren ersetzen sollen und ihm jedenfalls vorgeschaltet werden, wie sie sich in komplexen Vertragswerken über Großbauten, andere Großprojekte und Anlagenlieferungen finden, sind im Finanzsektor noch wenig anzutreffen. Sie finden sich in der Praxis der Entwicklungsbanken. Im Privatsektor sind sie insofern im Vordringen, als Finanzgeschäfte (Kredite, Garantien), die mit den genannten komplexen langfristigen Verträgen über Projekte und Anlagenbau verbunden sind, sich häufiger an die dort üblichen Streitbeilegungsmechanismen anpassen müssen. Die Gründe, die früher gegen Schiedsverfahren im internationalen Wirtschaftsbereich sprachen, sind zu einem guten Teil schon seit gut fünfzig Jahren durch die New York Convention erledigt. Andere Bedenken sind wegen des Ausbaus der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit und der Verbesserung nationaler Schiedsrechte heute von geringerem Gewicht. Auch im Bereich der internationalen Finanzgeschäfte ist die Erkenntnis im Vordringen, daß Schiedsverfahren und andere alternative Streitbeilegungstechniken ein praktikabler Weg der Streitbeilegung sind.
Internationale Unternehmenszusammenschlüsse ZIP 2000, 473–485 Die wirtschaftliche Globalisierung vollzieht sich in großem Umfang durch grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse; spektakuläre internationale Großfusionen sind der auffälligste Ausdruck dieser Entwicklung. Sie werfen zahlreiche Fragen des materiellen Gesellschaftsrechts und der begleitenden Vertragsgestaltung, des Wettbewerbsrechts und des Kapitalmarktrechts auf. Der deutsche und der europäische Gesetzgeber müssen zahlreiche Maßnahmen nicht nur zur Erleichterung solcher Transaktionen treffen, sondern vielmehr auch wichtige Schutzprobleme vor allem im Kapitalmarktrecht lösen.*
I. Internationale Konzentrationsprozesse und Recht 1. Deutschland im Einfluss internationaler Unternehmenskonzentration Kapitalmarkt und Unternehmenslandschaft in Deutschland sind in den letzten Jahren immer stärker von der anwachsenden Woge internationaler Unternehmenskonzentrationen erfasst worden. In der Öffentlichkeit beachtete Beispiele waren im Januar/Februar 2000 das – für deutsche Verhältnisse ungewöhnliche – „feindliche“ Übernahmeangebot von Vodafone an die Aktionäre der Mannesmann AG, das sich kurz vor Ende der Angebotsfrist durch Erhöhung des Angebotspreises und Verständigung der Leitungsorgane noch in ein „freundliches“ Angebot verwandelte, ferner die einverständlichen Unternehmenszusammenschlüsse Hoechst/Rhône-Poulenc (Aventis) 1999 und zuvor Daimler-Benz/Chrysler im Jahre 1998 sowie die Übernahme von Bankers Trust durch Deutsche Bank 1998/99.1 * Überarbeitete deutsche Fassung eines Referats auf der Tagung des Rechtszentrums für europäische und internationale Zusammenarbeit (R.I.Z.), Köln, am 6./.7. April 2000 zum Thema „Cross-border Mergers and Acquisitions and the Law“. 1 Vgl. Umtauschangebot von Vodafone Airtouch an die Aktionäre der Mannesmann AG v. 28.12.1999 bis 7.2.2000; verbessertes Angebot v. 3. 2. bis 17.2.2000. Zu Hoechst/RhônePoulenc Bericht über den Unternehmenszusammenschluss v. 20.5.1999; zu Daimler-Benz/ Chrysler siehe den gemeinsamen Bericht der Vorstände der Daimler-Benz AG und der DaimlerChrysler AG über den Zusammenschluss zur Hauptversammlung der DaimlerBenz AG am 18.9.1998. Zu Deutsche Bank/Bankers Trust vgl. Proxy Statement von Bankers Trust v. 23.3.1999.
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Internationale Expansions- und Konzentrationsstrategien der Unternehmen haben die Entwicklung der Industrie- und Kapitalmarktwirtschaft der westlichen Länder seit dem späten 19. Jahrhundert begleitet.2 In den letzten 25 Jahren sind internationale Käufe von Unternehmen aller Rechtsformen in Gestalt des Anteilserwerbs (share deal) oder Vermögenserwerbs (asset deal) üblich geworden und gehören heute schon zur Routine der internationalen Rechtsberatungs- und Rechtsgestaltungspraxis.3 Dabei sind veritable Märkte für Unternehmenskontrolle entstanden und werden für Konzentrationsstrategien genutzt.4 Die nationalen und regionalen Märkte expandieren, und durch die steigende Zahl der grenzüberschreitenden Unternehmenszusammenschlüsse wachsen sie auch international zusammen. Der weltweite Markt für Übernahmen (mergers and acquisitions; M&As) wird für das Jahr 1999 in seinem wirtschaftlichen Umfang – nur gemessen am Wert der Zielgesellschaften – auf 2 800 Mrd. Euro geschätzt, für Europa allein auf 1200 Mrd. Euro.5 Für das deutsche M&A-Beratungsgeschäft 1999 wird ein Gegenstandsvolumen von ca. 500 Mrd. Euro angegeben.6 Die Bedeutung der Märkte wird durch spektakuläre internationale Zusammenschlüsse von Großunternehmen unterstrichen, die für den Weltmarkt relevant sind (siehe nachfolgend III 1). [474] Die genannten Entwicklungen sind bedeutendster Ausdruck der wirtschaftlichen Globalisierung,7 d. h. der Internationalisierung der wirtschaftlichen Abläufe, Märkte, Kapitalflüsse und Unternehmensstrategien sowie der entsprechenden Vernetzung der zugrunde liegenden Informationstechniken. Dadurch werden Unternehmenszusammenschlüsse mit internationalen Dimensionen immer leichter möglich. Weil sie möglich sind, werden sie auch durchgeführt, selbst wenn ihr wirtschaftlicher Erfolg, insbesondere Synergieeffekte und Marktmacht, sich in vielen Fällen nicht einstellt.8 An den internationalen Großfusionen sind durchweg börsennotierte Kapitalgesellschaften 2 Horn, in: Horn/Kocka, Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert, 1979, S. 123 ff., 169 ff.; Härtner, in: Horn/Kocka, aaO, S. 388 ff. Aktualisierter Überblick bei Horn, in: Festschrift Buxbaum, 2000, S. 315 ff. 3 Merkt, Internationaler Unternehmenskauf, 1997; Picot/Land, DB 1998, 1601, 1602. 4 Herkenroth, Konzernierungsprozesse im Schnittfeld von Konzernrecht und Übernahmerecht, 1994. 5 Zahlen der Securities Data Corporation; Frankfurter Allgemeine v. 12.11.1999, S. 25. 6 Böhmert, Börsenzeitung v. 12.2.2000, S. 9. 7 Newman/di Chicco, in: BenDaniel/Rosebloom (Hrsg.) International Mergers and Acquisitions, Joint Ventures and Beyond, 1998, S. 3–25. Krit. zu den Auswirkungen auf die Entwicklungsländer Jahresbericht 1999 der UNCTAD; krit. und z. T. polemisch zu den politischen Auswirkungen der Globalisierung Martin/Schumann, Die Globalisierungsfalle. Der Angriff auf Demokratie und Wohlstand, 1998. 8 Die Skepsis in dieser Frage wird indirekt bestätigt durch Untersuchungen, dass offenbar makroökonomische Kapitalmarktdaten von größerem Einfluss auf internationale Fusionen sind als unternehmensstrategische Überlegungen; vgl. Vasconcellos/Kish, 8 Journal of Multinational Financial Management, 431 (Nov. 1998); krit. zum wirtschaftli-
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in der Rechtsform der AG beteiligt. Sofern kein Paketerwerb möglich ist, bedeutet dies, dass Aktien am Kapitalmarkt erworben werden müssen, was nicht ohne öffentlichen Apell an die Aktionäre in Form eines Übernahmeangebots zu bewerkstelligen ist.9 Dabei stoßen ganz unterschiedliche Kapitalmarktkulturen zusammen mit erstaunlichen Diskrepanzen; diese zeigen sich vor allem in den durch Marktanalysten inspirierten, zum Teil an zukünftigen Wachstums- und Gewinnerwartungen orientierten Aktienkursen und in den entsprechend unterschiedlichen Marktkapitalisierungen der Unternehmenswerte. 2. Die Akteure des Marktes Hauptakteure und Marktmacher sind die im Investmentgeschäft tätigen Banken, wobei wiederum die in den USA beheimateten spezialisierten Banken einen Vorsprung vor den im gleichen Geschäft tätigen deutschen Universalbanken haben.10 Die Investmentbanken suchen passende Kandidaten für eine Übernahme oder einen sonstigen Zusammenschluss aus und machen den Unternehmensleitungen entsprechende Vorschläge. Daneben sind die maßgeblichen Akteure des Marktes natürlich die Leitungsorgane der Unternehmen. Teils aufgrund eigener marktstrategischer Überlegungen, teils auf Anregung der Investmentbanken bereiten sie Übernahmen und Zusammenschlüsse vor. Die entscheidende Rolle der Leitungsorgane zeigt sich bei der sehr oft streng vertraulichen Vorbereitung von Zusammenschlüssen, bei der Ausarbeitung des Zusammenschlussplans und der zu seiner Durchführung eingesetzten Verträge. Bei der Durchführung aller für den Zusammenschluss notwendigen rechtlichen Schritte ist die aktive vorbereitende und begleitende Rolle der Leitungsorgane selbst dort unentbehrlich, wo die letzte Entscheidung bei der Hauptversammlung der Aktionäre oder beim einzelnen Aktionär liegt. Diese Tätigkeiten der Leitungsorgane werden daher nicht selten zum Gegenstand vertraglicher Zusicherungen gemacht.11 Auch bei den Zielgesellschaften fällt den Leitungsorganen eine Schlüsselrolle zu. Sie entscheiden darüber, ob es zu einem „freundlichen“ oder einem „feindlichen“ Zusammenschluss beziehungsweise Zusammenschlussversuch kommt. Die Leitungsorgane der Zielgesellschaft werden daher in Vorbereichen Erfolg internationaler Zusammenschlüsse auch Immenga, Frankfurter Allgemeine v. 29.1.2000, S. 13. 9 Zu Übernahmeangeboten unten IV 1. 10 Für das auf Deutschland bezogene M&A-Beratungsgeschäft 1999 werden folgende 10 Investmentbanken als führend genannt (Marktanteil in Prozent in Klammern): 1. Goldman Sachs (18,2); 2. Morgan Stanley (15,8); 3. Merrill Lynch (12,3); 4. CSFB (8,0); 5. Dresdner Kleinwort Benson (7,8); 6. J.P. Morgan (7,5); 7. Lazard (5,9); 8. Rothschild (5,8); 9. Deutsche Bank (4,7); 10. Warburg (3,4); vgl. Böhmert, Börsenzeitung v. 12.2.2000, S. 9. 11 Zu den Zusammenschlussverträgen (business combination agreements) unten II 4.
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tung einer Übernahme entsprechend umworben, um ihre Zustimmung zu gewinnen. Im Fall, dass etwa gleich starke Unternehmen beteiligt sind, werden diese Gespräche gegebenenfalls mit dem Ziel eines Zusammenschlusses unter Gleichen (merger among equals) geführt wie in den Fällen DaimlerBenz/Chrysler und Hoechst/Rhône-Poulenc. Die Zustimmung der Leitungsorgane ist in jedem Fall wichtig, um die Zustimmung der Aktionäre zu gewinnen. Dies gilt sowohl beim „merger among equals“ als auch bei der freundlichen Übernahme. In der Situation des feindlichen Übernahmeversuchs haben die Leitungsorgane der Zielgesellschaft nicht nur durch ihre Haltung Einfluss auf die Entscheidung ihrer Aktionäre zum Übernahmeangebot. Sie können auch Abwehrmaßnahmen gegen die Übernahme ergreifen.12 In einigen Fällen sind die Leitungsorgane der Zielgesellschaft tatsächlich zum Gegenangriff übergegangen und haben ein feindliches Übernahmeangebot im Hinblick auf die angreifende Gesellschaft abgegeben.13 Die Leitungsorgane der beteiligten Unternehmen müssen zugleich ihren rechtlichen Pflichtenrahmen beachten. Er ergibt sich teils aus ihrer gesellschaftsrechtlichen Organstellung, nach deutschem Recht also aus den §§ 76 ff., 93 AktG, nach US-amerikanischem Recht aus den Treue- und Sorgfaltspflichten des Board (duty of loyalty and care).14 Ferner ergeben sich Pflichten zur Beachtung des Kapitalmarktrechts, insbesondere im Zusammenhang mit Übernahmeangeboten.15 Akteure der Zusammenschlüsse sind schließlich die Aktionäre, deren persönliche Entscheidung über das Übernahmeangebot letztlich über den Erfolg des Übernahmeversuchs entscheidet. Besonders wichtige Aktionäre sind die institutionellen Investoren, also Versicherungen, Pensionsfonds und andere Kapitalsammler. Bei Kapitalgesellschaften mit international gehandelten Aktien kommt den US-amerikanischen institutionellen Investoren besondere Bedeutung zu.16 Ob zusätzlich Hauptversammlungsbeschlüsse der Aktionäre notwendig sind, hängt von der Art des geplanten Zusammenschlusses ab. Für den bloßen Erwerb der Aktienmehrheit einer anderen Gesellschaft bedarf nach deutschem Aktienrecht der Vorstand der übernehmenden Gesellschaft der Zustimmung der Hauptver- [475] sammlung entsprechend den Grundsätzen der Holzmüller-Entscheidung des BGH17 nur,
Überblick bei Herkenroth (Fußn. 4), S. 92 ff.; vgl. auch Michalski, AG 1997, 122, 131; Kirchner, BB 2000, 105. 13 Gegenseitige feindliche Übernahmeversuche waren zu verzeichnen im Fall Elf Aquitaine und Total Fina; Frankfurter Allgemeine v. 28.7.1999, S. 17. 14 Zum deutschen Recht allg. Horn, ZIP 1997, 1129; zum amerikanischen Recht Merkt, US-amerikanisches Gesellschaftsrecht, 1991, S. 389 ff. 15 Dazu unten IV 1. 16 Dies wurde auch für das Übernahmeangebot Vodafone/Mannesmann berichtet. 17 BGHZ 83, 122, 131 = ZIP 1982, 568. 12
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wenn es sich um einen die wirtschaftliche Struktur des Unternehmens tiefgreifend ändernden Schritt handelt. 3. Begriff des Unternehmenszusammenschlusses 3.1 Übernahme und gleichberechtigter Zusammenschluss Als Unternehmenszusammenschluss kann man jeden Vorgang bezeichnen, als dessen Ergebnis die beteiligten Unternehmen einer einheitlichen Leitung unterliegen. Dies entspricht dem Verständnis in der internationalen Praxis und zugleich dem deutschen Konzernbegriff i. S. des § 18 AktG. Erster Schritt des Zusammenschlusses ist die Zusammenführung der Kontrolle über die Unternehmen in einer Hand, regelmäßig vermittelt durch die Aktienmehrheit.18 Hauptfall ist die einseitige Übernahme; dabei gewinnt die übernehmende Gesellschaft die Aktienmehrheit der Zielgesellschaft selbst oder mittels einer von ihr beherrschten Holdinggesellschaft. Die übernehmende Gesellschaft stellt die künftige gemeinsame Leitung. Bei einem Zusammenschluss unter Gleichen kommt es zu einer Zusammenführung der Aktienmehrheiten an beiden Gesellschaften in einer Hand. Dabei übernimmt entweder eine der beteiligten Gesellschaften die Rolle der gemeinsamen Obergesellschaft,19 oder es wird eine neue Obergesellschaft gegründet.20 An der neuen gemeinsamen Leitung werden die Leitungen beider Unternehmen beteiligt. In beiden Fällen kommt es zu einer Zusammenführung der aktienrechtlichen Beteiligung an allen vom Zusammenschluss erfassten Unternehmen bei den Aktionären der Obergesellschaft, gegebenenfalls vermittelt durch gestaffelte Beteiligungsverhältnisse. Im Fall der einseitigen, insbesondere der feindlichen Übernahme kann es sein, dass die Aktionäre der Zielgesellschaft ausbezahlt oder durch Aktien einer dritten Gesellschaft abgefunden werden; als Aktionäre der neuen Unternehmensgruppe bleiben dann nur die Aktionäre der übernehmenden Gesellschaft übrig.21 Aber in vielen Fällen werden den Aktionären der Zielgesellschaft Aktien der übernehmenden Gesellschaft im Tausch für ihre Aktien angeboten,22 so dass die Aktionäre der Obergesellschaft der neuen Unternehmensgruppe sich aus den Aktionären aller beteiligten Gesellschaften zusammensetzen. Bei einem Zusammenschluss unter Gleichen ist eben dies das erklärte Ziel: Die Aktionäre der beteiligten Gesell18 Nicht ausgeschlossen ist es, dass die Kontrolle auch auf anderen Faktoren als auf der Aktienmehrheit beruht, wie dies zum deutschen Konzernbegriff vertreten wird. Für die hier betrachteten Fälle ist dies aber eher ein Randphänomen. 19 So im Fall Hoechst/Rhône-Poulenc. 20 So im Fall Daimler-Benz/Chrysler. 21 So im Fall der Übernahme von Bankers Trust durch Deutsche Bank. 22 So im Fall Vodafone/Mannesmann.
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schaften sollen in einem möglichst ausgewogenen Verhältnis an der Obergesellschaft der neuen Gruppe beteiligt sein.23 International ist der Unternehmenszusammenschluss dann, wenn die beteiligten Kapitalgesellschaften unterschiedlichen Rechtsordnungen unterstehen. Diese Betrachtung gilt aber nur für das Vertragsrecht, Gesellschaftsrecht und Steuerrecht, nicht für das Wettbewerbsrecht. Denn im letzteren Rechtsgebiet kommt es auf die Auswirkung des Zusammenschlusses auf bestimmte Märkte an. Sind diese Auswirkungen international, d. h. wirken sie über die Grenze auf andere Märkte, dann ist ein internationaler Sachverhalt auch dann gegeben, wenn die beteiligten Unternehmen demselben Land angehören und derselben Rechtsordnung unterstehen.24 3.2 Zusammenführung der Geschäftsinteressen nach GAAP und IAS Eine vorteilhafte bilanzrechtliche und steuerrechtliche Situation ergibt sich für den Zusammenschluss dann, wenn dieser die Merkmale einer gleichgewichtigen Zusammenführung der Geschäftsinteressen („uniting of interests“, „pooling of interests“) bezweckt und nicht eine einseitige Unterordnung der einen Gesellschaft (Zielgesellschaft) unter die Geschäftsinteressen einer anderen, d. h. der übernehmenden Gesellschaft. Die Kriterien für eine solche Zusammenführung der Geschäftsinteressen sind sowohl in den USamerikanischen Generally Accepted Accounting Principles (GAAP) als auch in den International Accounting Standards (IAS) niedergelegt.25 IAS 22.14 stellt für die Möglichkeit einer Bilanzierung nach der „uniting of interests“Methode im Wesentlichen darauf ab, dass bei dem Zusammenschluss kein Erwerber (acquirer) feststellbar ist. Indiz dafür ist erstens der Umstand, dass die Aktionäre der beteiligten Unternehmen vorher und nachher „ähnlich“ an Risiken und Gewinn beteiligt sind. Zweitens müssen beide früheren Unternehmensleitungen an der Leitung der späteren neuen Unternehmenseinheit beteiligt sein. Die Erfüllung dieser Kriterien hat zur Folge, dass bei dem Zusammenschluss die Aktiva und Passiva der beteiligten Unternehmen zu Buchwerten zusammengefasst werden können, erlaubt also die Fortschreibung histori-
23 So in den Fällen Daimler/Chrysler und Hoechst/Rhône-Poulenc; vgl. auch unten I 3 3.2. 24 Zum Wettbewerbsrecht nachfolgend III. 25 Zu GAAP und IAS allg. Biener, in: Horn/Baur/Stern (Hrsg.), Vierzig Jahre römische Verträge, 1998, S. 205 ff.; Großfeld, NZG 1999, 1143. Zum neuen Befreiungstatbestand in § 292a HGB vgl. Henssler/Slota, NZG 1999, 1133. Zum pooling of interests siehe Nr. 22.14–22.17, 22.61–22.67 IAS, abgedr. in: IDW, (Hrsg.), Rechnungslegung nach International Accounting Standards, 1995, Anhang 7, sowie den Kommentar von Baetge/Siefke, in: Baetge/Dörner/Kleekämper/Wollmert, Rechnungslegung nach International Accounting Standards (IAS), 1997, Teil B 22 IAS Rz. 38 ff.
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scher Ansätze ohne Aktivierung stiller Reserven. Dadurch kann insbesondere die Aktivierung der Firmenwerte (good will) vermieden werden, die dann anschließend gewinnmindernd abzuschreiben wären. Diese Methode sichert zugleich die Steuerneutralität des Zusammenschlusses für die Aktionäre. Das Verfahren ist daher in der amerikanischen Zusammenschlusspraxis allgemein verbreitet. Wegen seiner großzügigen Handhabung geriet es unter Kritik des amerikanischen Financial Accounting Standards Board (FASB). Dieser hat 1999 beschlossen, dieses Verfahren ab 1.1.2001 nicht mehr zuzulassen.26 4. Die Rolle des Rechts Unternehmenszusammenschlüsse sind schon dann, wenn sie sich in derselben Rechtsordnung abspielen, hochkomplexe [476] rechtliche Vorgänge. Sind Unternehmen aus verschiedenen Rechtsordnungen beteiligt, so potenzieren sich die rechtlichen Probleme. Bemerkenswerterweise sind aber die Unterschiede der nationalen Rechtsordnungen ganz offensichtlich nicht im Mindesten ein Hindernis für die rasche Bewerkstelligung internationaler Zusammenschlüsse der verschiedensten Art, und zwar gleichgültig, ob es sich um eine feindliche oder eine freundliche Übernahme handelt oder um einen Zusammenschluss unter Gleichen. Die mit der Globalisierung der Wirtschaft entstehende internationale Rechtsgemeinschaft ist in der Lage, unter Inanspruchnahme spezialisierten Expertenwissens diese Vorgänge rasch vorzubereiten und durchzuführen. Dabei spielen schon wegen der führenden Rolle des US-amerikanischen Kapitalmarktes amerikanische wirtschaftliche und rechtliche Vorstellungen eine dominante Rolle, was noch durch die Vorherrschaft der englischen Sprache im internationalen Geschäftsverkehr verstärkt wird. Die Rechtsentwicklung auf diesem Gebiet ist für die Rechtswissenschaft aus mehrfachen Gründen von großem Interesse. In deskriptiv-analytischer Hinsicht geht es zunächst darum, die Harmonisierungs- und Konfliktvermeidungstechniken der Praxis zu erfassen und zu verbessern, die sich aus den fortbestehenden Unterschieden der nationalen Rechte und den Regelungdefiziten des nationalen und des europäischen Gemeinschaftsrechts ergeben. Ferner entwickeln sich in den bestehenden Gestaltungsspielräumen des Vertrags- und Gesellschaftsrechts neue, international sich einander annähernde Vorstellungen der Kapitalgesellschaft, insbesondere ihrer Leitungsorganisation (corporate governance). In rechtspolitischer Hinsicht stellt sich eine doppelte Aufgabe. Erstens gilt es, Regelungsdefizite zu bezeichnen und zu beseitigen, die sich internationalen Kapitalmarktabläufen entgegenstellen.
26 Bernstein, International Financial Law Review July 1999, 15; vgl. auch Kreditwesen 1999, 1057.
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Zweitens aber sind die Defizite im rechtlichen Schutz der Marktteilnehmer, insbesondere also der Anleger als alter und neuer Aktionäre, zu erkennen und zu beseitigen, die sich vor allem im Übernahmerecht, aber auch an anderen Stellen, beispielsweise im Wettbewerbsrecht, zeigen.27
II. Gesellschaftsrechtliche Schritte zum Zusammenschluss 1. Internationales Gesellschafts- und Fusionsrecht 1.1 Anerkennung ausländischer Kapitalgesellschaften Stillschweigende Voraussetzung aller Rechtsakte im Zusammenhang mit internationaler Unternehmenszusammenschlüssen ist die Anerkennung der ausländischen juristischen Person in allen hier relevanten Rechtsordnungen. Eine international einheitliche Rechtsgrundlage hat dieser Satz freilich nicht. Er findet sich in bilateralen völkerrechtlichen Abkommen.28 Auch innerhalb der EU wurde eine einheitliche gemeinschaftsrechtliche Regelung bisher nicht erreicht.29 Die rechtliche Anerkennung der ausländischen juristischen Person richtet sich vielmehr nach den nationalen Kollisionsrechten der einzelnen Länder. Dies gilt grundsätzlich auch innerhalb der EU.30 Allerdings hat der EuGH 1999 in der Centros-Entscheidung diesen Grundsatz unter Hinweis auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EGV zugunsten einer erleichterten Anerkennung der ausländischen juristischen Person innerhalb der EU deutlich eingeschränkt.31 Soweit das Recht, dem die ausländische Kapitalgesellschaft unterliegt, in seinen Gründungs- und Organisationsregelungen nur einen lückenhaften Schutz des Rechtsverkehrs, insbesondere der Gesellschaftsgläubiger, gewährleistet, dringt die Rechtsauffassung vor, dass der Gaststaat berechtigt ist, unabhängig vom Gründungsstatut die ausländische Gesellschaft seinem allgemeinem Recht, zum Beispiel über Gesellschaftspublizität und Haftung, Siehe auch unten V. Z. B. in Art. 25 Abs. 5 Satz 2 Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika v. 29.10.1954, BGBl II 1956, 488. 29 Das EG-Übereinkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen v. 29.2.1968 (BGBl II 1972, 370) ist mangels Ratifizierung durch die Niederlande nicht in Kraft getreten. 30 EuGH, Urt. v. 27.9.1988 – Rs C-81/87, Slg. 1988, 54, 84 = RIW 1989, 304 = NJW 1989, 2186 – Daily Mail. 31 EuGH, Urt. v. 9.3.1999 – Rs C-212/97, ZIP 1999, 438 = EuZW 1999, 216, dazu EWiR 1999, 259 (Neye). Zu dieser Bedeutung der Centros-Entscheidung Sandrock, BB 1999, 1337; Roth, ZIP 1999, 861; demnächst Horn, in: Gedächtnisschrift Lüderitz, 2000; a. A. Kindler, NJW 1999, 1993, 1996; Ebke, JZ 1999, 656, 658; Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721, 726 ff. 27 28
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zu unterwerfen (Überlagerungstheorie). Dieser Grundsatz hat sich in den Gesellschaftsrechten US-amerikanischer Bundesstaaten durchgesetzt.32 Im gleichen Sinn hat sich der EuGH im Centros-Urteil geäußert.33 1.2 Deutsches Kollisionsrecht Das deutsche Internationale Privatrecht bestimmt das auf eine Kapitalgesellschaft anwendbare Recht (Gesellschaftsstatut) nach der Sitztheorie, d. h. dem Ort der tatsächlichen Verwaltung.34 Eine Mindermeinung hält auch nach deutschem IPR den im Gründungsakt ausgedrückten Willen der Gründer für ausschlaggebend (Gründungstheorie).35 Die Sitztheorie ist in den Ländern der EU noch vorherrschend.36 Von den Mitgliedstaaten der EU folgen Großbritannien und mit Einschränkungen Dänemark und Italien der Gründungstheorie.37 Für grenzüberschreitende Konzernrechtsbeziehungen ist nach deutschem IPR das Gesellschaftsstatut des beherrschten Unternehmens maßgeblich.38 Allerdings ist das Gesellschaftssta- [477] tut der Obergesellschaft anzuwenden, soweit es um die Konzernbildungs- und Konzernleitungskontrolle durch die Obergesellschaft geht,39 die der BGH insbesondere im Hinblick auf den Schutz der Minderheitsaktionäre in der Holzmüller-Entscheidung betont hat.40
32 Zur entsprechenden Regelung im California Corporation Code – im Anschluss an die Entscheidungen im Fall Western Airlines – Horn, Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980, S. 64. 33 In diesem Sinne Sandrock, BB 1999, 1337; Ulmer, JZ 1999, 662. 34 BGHZ 97, 269, 271 = ZIP 1986, 643, dazu EWiR 1986, 627 (Großfeld); BGH JZ 1997, 568 = ZIP 1997, 150, dazu EWiR 1997, 229 (Johlke); Soergel/Lüderitz, BGB, Bd. 10, 12. Aufl., 1996, Anh. Art. 10 Rz. 8 ff.; Staudinger/Großfeld, BGB, Neubearb., 1998, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 38 ff.; MünchKomm-Kindler, BGB, Internationales Gesellschaftsrecht, 3. Aufl., 1999, Rz. 258 f. Nunmehr teilweise a. A. OLG Frankfurt/M., ZIP 1999, 1710, dazu EWiR 1999, 1081 (Kindler). 35 Beitzke, Kollisionsrecht von Gesellschaften und juristischen Personen, in: Lauterbach (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personenund Sachenrechts, 1972, 94, 116, 118; Horn (Fußn. 32), S. 64 (beide mit Einschränkungen); Bungert, ZVerglRW 93 (1994), 118, 121 m. w. N. 36 Soergel/Lüderitz (Fußn. 34), Anh. Art. 10, Rz. 4, Fußn. 4; Staudinger/Großfeld (Fußn. 34), Rz. 153. 37 Für England siehe Richter, Die Rechtsstellung ausländischer Kapitalgesellschaften in England, 1980; für Dänemark siehe Werlauff, ZIP 1999, 867; für Italien siehe Staudinger/ Großfeld (Fußn. 34), Rz. 154. 38 OLG Frankfurt/M., AG 1988, 267, 272; Zimmer, Internationales Gesellschaftsrecht, 1996, S. 370 ff.; Wiedemann, in: Festschrift Kegel, 1977, S. 187; Staudinger/Großfeld (Fußn. 34), Rz. 556 ff. Zu den Problemen der Anwendung deutschen Konzernrechts gegenüber der ausländischen Obergesellschaft Maul, NZG 1999, 741. 39 Staudinger/Großfeld (Fußn. 34), Rz. 582. 40 BGHZ 83, 122 = ZIP 1982, 568.
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Auf die grenzüberschreitende Verschmelzung ist nach deutschem IPR das Recht beider beteiligter Gesellschaften kumulativ anzuwenden (Vereinigungstheorie).41 Will sich jedoch an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung eine deutsche Gesellschaft beteiligen, so soll dies gemäß einer noch vorherrschenden Meinung nach deutschem Recht nicht zulässig sein.42 Soll eine ausländische Gesellschaft auf eine deutsche verschmolzen werden (Hineinverschmelzung), steht nach h. M. das Umwandlungsgesetz entgegen. Dieses regelt zwar den Fall nicht ausdrücklich; da aber nach § 1 Abs. 1 und Abs. 2 UmwG die Verschmelzung Rechtsträgern mit Sitz im Inland vorbehalten ist, schließt die h. M., dass die Hineinverschmelzung einer ausländischen Gesellschaft auf eine deutsche Gesellschaft nicht möglich sei.43 Für die Gegenmeinung lässt sich anführen, dass das Umwandlungsgesetz für internationale Sachverhalte keine abschließende Regelung enthält. Vor allem spricht für die Gegenmeinung, dass sich das deutsche Recht an der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 43, 48 EGV orientieren muss.44 Diese Meinung hat durch die Centros-Entscheidung des EuGH Auftrieb erhalten.45 Auch der umgekehrte Vorgang, die Verschmelzung einer deutschen Gesellschaft auf eine ausländische (Hinausverschmelzung), ist nach der noch h. M. nach deutschem Recht nicht möglich. Denn sie ist danach als Verlegung des Gesellschaftssitzes aus Deutschland ins Ausland anzusehen. Da sich nach der im deutschen Internationalen Gesellschaftsrecht noch maßgeblichen Sitztheorie das Gesellschaftsstatut nach dem Sitz der Gesellschaft richtet, führt eine solche Sitzverlegung und ebenso die Verschmelzung zu einer Liquidation der Gesellschaft.46 Dies führt zur Aufdeckung der stillen Reserven und zur Besteuerung der Wertdifferenz. Allerdings wird nach einer vordringenden Meinung auch die Hinausverschmelzung ebenso wie die Hineinverschmelzung für zulässig gehalten, sofern auch das ausländische Recht
41 Beitzke, in: Festschrift Hallstein, 1966, S. 14 ff.; MünchKomm-Ebenroth, BGB, Internationales Gesellschaftsrecht, 2. Aufl., 1990, Rz. 284; Staudinger/Großfeld (Fußn. 34), Rz. 628. 42 BayObLG OLGE 14, 357; Godin/Wilhelmi, AktG, 4. Aufl., 1972, § 339 AktG Anh. 4; Schubert/Küting, DB 1978, 121, 124; Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl., 1981, S. 239 f. Vgl. auch die folgenden Nachweise. 43 Großfeld, AG 1996, 302; Dehmer, UmwG, 2. Aufl., 1996, § 1 Rz. 3; Bermel, in: Goutier/Knopf/Tulloch, Umwandlungsrecht, 1996, § 1 UmwG Rz. 8; Sagasser/Bula, Umwandlungen, 1995, Rz. B 27; MünchKomm-Kindler (Fußn. 34), Rz. 681. Vgl. auch BegrRegE, BT-Drucks. 12, 6699, S. 79; dazu auch Neye, ZIP 1994, 917, 919; a. A. Lutter, in: Lutter (Hrsg.), UmwG, 2. Aufl., 2000, § 1 Rz. 6 ff. 44 Lutter, ZGR 1994, 87, 90; Kallmeyer, ZIP 1996, 535, 537; Kronke, ZGR 1994, 26, 33 ff. 45 Dazu demnächst Horn (Fußn. 31). 46 MünchKomm-Ebenroth (Fußn. 41), Rz. 220; Staudinger/Großfeld (Fußn. 34), Rz. 633; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 781; Heckschen, Verschmelzung von Kapitalgesellschaften, 1989, S. 5; Dehmer (Fußn. 43), § 1 Rz. 5; Bermel (Fußn. 43), § 1 Rz. 5.
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die Verschmelzung (i. S. der Vereinigungstheorie) zulässt.47 Diese Auffassung wird durch die Centros-Entscheidung unterstützt. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass für die gegenwärtige internationale Fusionspraxis die Rechtslage noch zu wenig geklärt ist, um auf ihr aufbauend grenzüberschreitende Verschmelzungen großer Unternehmen mit großer wirtschaftlicher Tragweite zu riskieren. Die derzeitige Praxis internationaler Unternehmenszusammenschlüsse geht daher davon aus, dass nach deutschem Recht die genannten rechtlichen Hemmnisse einer grenzüberschreitenden Verschmelzung unter Beteiligung einer deutschen Gesellschaft fortbestehen. 1.3 USA Die Gesellschaftsrechte der Bundesstaaten der USA folgen bei der Bestimmung des Gesellschaftsstatuts durchweg der Gründungstheorie; anwendbar ist daher das von den Gründern im Statut für anwendbar erklärte Recht.48 Allerdings wird das Gesellschaftsrecht der Einzelstaaten überlagert durch das Bundesrecht zum Kapitalmarkt und Anlegerschutz (securities regulations), das Kapitalmarktrecht der Einzelstaaten und diejenigen einzelstaatlichen Normen des Gesellschaftsrechts, die zum Schutz des Verkehrs und anderer öffentlicher Interessen für unerlässlich angesehen werden.49 Grenzüberschreitende Verschmelzungen werden von einzelstaatlichen Gesellschaftsrechten, insbesondere von dem für die Praxis besonders wichtigen Recht des Staates Delaware, teils im Verhältnis zu Kapitalgesellschaften anderer Bundesstaaten der USA, teils allgemein im Verhältnis zu fremden Kapitalgesellschaften ausdrücklich zugelassen, sofern auch das Recht der fremden Gesellschaft die Verschmelzung (i. S. der Vereinigungstheorie) zulässt.50 2. Beteiligungszusammenführung, Konzernierung und Verschmelzung Da der entscheidende Schritt des Unternehmenszusammenschlusses regelmäßig die oben (I 4) beschriebene Zusammenführung der durch Aktienmehrheiten vermittelten Kontrolle über die beteiligten Gesellschaften ist, ist für das Gelingen des Zusammenschlusses entscheidend, ob die Aktionäre – im Fall der einseitigen Übernahme die der Zielgesellschaft, im Fall des
47 Behrens, Die GmbH im internationalen und europäischen Recht, 1997, Rz. IPR 68; MünchKomm-Ebenroth (Fußn. 41), Rz. 477 ff.; MünchKomm-Kindler (Fußn. 34), Rz. 661 ff.; Kraft, in: Kölner Komm. z. AktG, 2. Aufl., 1990, § 339 AktG Rz. 40; Picot/Land, DB 1998, 1601, 1606 f. 48 Merkt (Fußn. 14), S. 136 ff. 49 Horn (Fußn. 32), S. 64; Großfeld, Internationales und europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl., 1996, S. 47. 50 Delaware General Corporation Law § 252 (a).
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Zusammenschlusses unter Gleichen die Aktionäre beider Gesellschaften – in genügender Zahl dazu bewogen werden können, ihre Aktien zu veräußern beziehungsweise gegen Aktien der neuen Obergesellschaft einzutauschen. Falls sich nicht die benötigten Aktien bereits in der Hand eines verkaufsbereiten Mehrheitsaktionärs befinden und durch Paketerwerb zu erlangen sind, ist ein öffentliches Übernahme- oder Umtauschangebot erforderlich.51 [478] Ist die Zusammenführung gelungen, so fragt es sich, ob noch weitere Schritte geboten oder vorteilhaft sind, insbesondere, ob eine Verschmelzung – soweit möglich – vorzunehmen ist. Gerade im Regelfall der einseitigen Übernahme genügt oft der Erwerb der Aktienmehrheit, um die Zwecke des Zusammenschlusses zu erreichen, insbesondere um dann durch (faktische oder vertragliche) Konzernierung die erstrebten Synergieeffekte zu erzielen. Der Fortbestand der erworbenen Zielgesellschaft als eigene juristische Person mit eigener Firma ist oft erwünscht, um ihr geschäftliches Ansehen in ihren Märkten ungeschmälert nutzen zu können. Soweit ein stärker vereinheitlichter Marktauftritt erwünscht ist, kann dies auch durch Ausbildung gemeinsamer Marken oder das Auftreten als „XY-Gruppe“ geschehen. Als Ergebnis des Erwerbs von Bankers Trust durch Deutsche Bank blieb Bankers Trust als Tochtergesellschaft bestehen. Eine Verschmelzung von Bankers Trust auf Deutsche Bank war nicht nur aus den genannten Gründen wirtschaftlich weniger attraktiv; sie wäre vielmehr auch auf die oben (II 1 1.2) erörterten Hindernisse gestoßen, die das deutsche Recht grenzüberschreitenden Verschmelzungen noch entgegensetzt.52 Dem Gedanken des Zusammenschlusses unter Gleichen entspricht es am besten, der Zusammenführung der Aktienmehrheiten (beziehungsweise des Aktienalleinbesitzes) an den beteiligten Unternehmen nicht nur eine Konzernierung folgen zu lassen, sondern die Verschmelzung zur Bildung einer einheitlichen Gesellschaft. Ist eine deutsche Gesellschaft beteiligt, so stehen dem die genannten rechtlichen Hindernisse entgegen. Im Fall Daimler-Benz/ Chrysler konnte daher nach Zusammenführung der Aktien an Daimler-Benz AG und an Chrysler Corporation in der Hand der neuen Obergesellschaft DaimlerChrysler AG nur einer Verschmelzung der deutschen Gesellschaft Daimler-Benz AG auf die Obergesellschaft durchgeführt werden. Chrysler Corporation blieb hundertprozentige Tochtergesellschaft der neuen Obergesellschaft. Die daraus entstehende asymmetrische Konzernstruktur widerspricht formal dem Gedanken des Zusammenschlusses unter Gleichen. Dieses Ergebnis wird dadurch kompensiert beziehungsweise abgemildert, 51 Dabei treten ungelöste Fragen des Kapitalmarktrechts auf, die noch zu erörtern sind; dazu unten IV. 52 Eine Verschmelzung wurde dabei nur mit einer US-Finanztochtergesellschaft vorgenommen, um den Erwerb von 100% der Anteile an der Zielgesellschaft zu sichern. Dazu nachfolgend III 3.
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dass erstens die bisherigen Aktionäre der Chrysler Corporation in gleicher Weise wie diejenigen der Daimler-Benz AG nunmehr Aktionäre der neuen Obergesellschaft DaimlerChrysler AG wurden, zweitens dadurch, dass in einem „Vertrag über den Zusammenschluss“53 eine Reihe von Vereinbarungen getroffen wurden, um den Charakter des gleichberechtigten Zusammenschlusses zu unterstreichen. Auch im Fall Hoechst/Rhône-Poulenc kam es zu einer asymmetrischen Konzernstruktur. Die deutsche Hoechst AG konnte nicht auf die neue französische Obergesellschaft verschmolzen werden, weil das deutsche Recht auch der Hinausverschmelzung die erörterten Hindernisse entgegensetzt. Sie wurde Tochter der französischen Gesellschaft als der neuen Obergesellschaft, die freilich Namen und Sitz änderte (Aventis, Straßburg). 3. Der Erwerb aller Anteile Öffentliche Übernahmeangebote führen durchweg nicht dazu, dass sich alle Aktionäre beteiligen und ihre Aktien an der Zielgesellschaft gegen Barpreis oder Umtausch in Aktien der erwerbenden Gesellschaft hergeben. Nach deutschen Recht kann das Ziel des hundertprozentigen Erwerbs jedoch durch Verschmelzung herbeigeführt werden (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). Es genügt also, dass in einem ersten Schritt im Wege des öffentlichen Übernahmeangebots die für einen Verschmelzungsbeschluss erforderliche Mehrheit von 3/4 des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals erreicht wird (§ 65 Abs. 1 Satz 1 UmwG). Nach Gesellschaftsrechten US-amerikanischer Bundesstaaten kann ein Zusammenschlussvertrag (merger agreement) vorsehen, dass alle Aktien, auch die der nicht zustimmenden Aktionäre, entweder in Aktien der neuen Obergesellschaft umgetauscht oder gegen einen Barpreis abgekauft werden. Ein solcher Vertrag und der dazugehörige Zusammenschlussplan bedürfen der Billigung durch die Aktionärsversammlung. Diese erfordert beispielsweise nach dem Recht von Delaware eine einfache Mehrheit,54 nach dem Recht von New York eine 2/3-Mehrheit des ganzen außenstehenden Kapitals.55 Dabei kommt es nicht notwendigerweise zur Verschmelzung mit der erwerbenden Gesellschaft. Vielmehr wird häufig die Methode eines DreiParteien-Zusammenschlusses (triangular merger) angewendet. Dabei setzt die erwerbende Gesellschaft eine Finanztochtergesellschaft (financial vehicle) ein, die eigens zum Zweck der Durchführung des Übernahmeangebots und des Erwerbs der erforderlichen Aktienmehrheit gebildet wird. Diese Finanz Zum Zusammenschlussvertrag nachfolgend II 4. Gilson/Black, The Law and Finance of Corporate Acquisition, 2. Aufl., 1995, S. 642 f. 55 New York Business Corporation Law § 903; Gilson/Black (Fußn. 54), S. 643. 53 54
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tochtergesellschaft wird mit Aktien der erwerbenden Gesellschaft ausgestattet und führt den Umtausch in Aktien der Zielgesellschaft derjenigen Aktionäre durch, die dem Übernahmeangebot folgen. Anschließend wird entweder die Zielgesellschaft auf die Finanztochtergesellschaft verschmolzen (forward triangular merger) oder die Finanztochtergesellschaft wird auf die Zielgesellschaft verschmolzen (reverse triangular merger).56 Die Methode hat mehrere Vorteile. Sie vereinfacht den Aktientausch, führt nach Durchführung der Verschmelzung dazu, dass die Zielgesellschaft Tochtergesellschaft wird, und sichert dabei den Erwerb von 100% der Anteile, weil vom merger auch die nicht zustimmenden Aktionäre erfasst werden. Im Fall Daimler/Chrysler war die Ausstattung einer (deutschen oder US-amerikanischen) Finanztochtergesellschaft mit Aktien der erwerbenden Gesellschaft zur Durchführung des Aktienumtauschs nicht möglich, weil das deutsche Aktienrecht in § 71d Satz 2 AktG die Ausstattung einer Tochtergesellschaft mit Aktien der Muttergesellschaft nicht zulässt.57 Für den Aktienumtausch mussten daher Treuhänder eingeschaltet werden. Gleichwohl wurde eine amerikanische Finanztochtergesellschaft eingesetzt, um durch die Verschmelzung mit Chrysler Corporation auch die restlichen Ak- [479] tien der Chrysler-Aktionäre zu erlangen, die nicht freiwillig am Übernahmeangebot teilgenommen hatten. Im Zusammenhang mit der Verschmelzung können auch Bestrebungen der Aktionäre zur Verbesserung des Umtauschverhältnisses eingedämmt und nach amerikanischen Gesellschaftsrechten sogar vollständig ausgeschaltet werden. Danach kann nämlich durch eine Drei-Parteien-Verschmelzung (triangular merger) auch das Recht der Aktionäre auf Berichtigung des Umtauschverhältnisses (appraisal rights) weitgehend ausgeschlossen werden.58 Nach deutschem Recht können Aktionäre, die mit dem Umtauschverhältnis nicht einverstanden sind, gemäß § 15 UmwG auf eine Verbesserung des Umtauschverhältnisses klagen, und zwar selbst dann, wenn sie für die Verschmelzung gestimmt haben.59 Dies lässt sich nur dadurch vermeiden, dass man dem Verschmelzungsbeschluss einen freiwilligen Aktienumtausch vorschaltet und dabei eine möglichst hohe Quote erreicht. Im Fall Daimler/Chrysler wurde ein freiwilliger Umtausch von 80% der DaimlerBenz-Aktien zur Mindestvoraussetzung gemacht, um eine umfangreiche Nachbesserung zu Gunsten einer größeren Gruppe von Daimler-Benz AGAktionären zu vermeiden, die die Chrysler-Aktionäre benachteiligt hätte. Erklärtes und vertraglich festgelegtes Ziel war sogar der freiwillige Umtausch Zu beiden Techniken Gilson/Black (Fußn. 54), S. 668 ff. Baums, Journal of Institutional and Theoretical Economics 155 (1999), No. 1, S. 119,
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Gilson/Black (Fußn. 54), S. 668 ff., 673. Kallmeyer, UmwG, 1997, § 15 Rz. 5; Bork, in: Lutter (Hrsg.) (Fußn. 43), § 15 Rz. 4.
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von 90% der Daimler-Benz-Aktien, um nicht nur die Billigung durch die S.E.C. sicherzustellen, sondern auch die Bedingungen der pooling of interest-Methode (oben I 3 3.2) zu erfüllen.60 4. Zusammenschlussverträge Zusammenschlüsse im hier betrachteten weiten Sinn können ohne den Abschluss besonderer Verträge auskommen. Man kann sich darauf beschränken, die Zusammenführung von Aktienmehrheiten im besprochenen Sinn herbeizuführen und anschließend eine faktische Konzernierung vorzunehmen. Verschmelzungen und die ihnen zugrunde gelegten Verschmelzungsverträge werden nur verwendet, um in der gezeigten Weise den Erwerb aller Anteile zu erreichen. Im Zusammenhang internationaler Zusammenschlüsse beschränken sie sich dann jeweils auf Gesellschaften der gleichen Rechtsordnung.61 Verschmelzungen können nach US-amerikanischem Recht, wie erwähnt, auch dazu benutzt werden, spätere Verbesserungen des Umtauschverhältnisses auszuschließen. Eine Verschmelzung unter Beteiligung einer deutschen Gesellschaft mit einer ausländischen Gesellschaft kommt nach der derzeitigen Rechtslage ohnehin wegen der sich daraus ergebenden Unsicherheiten nicht in Betracht. In solchen Fällen ist es nicht unüblich, zur Schaffung eines guten Klimas der Zusammenarbeit ein internes, rechtlich nicht bindendes Grundsatzpapier (memorandum of understanding) zu verfassen, in dem die Grundzüge künftiger Zusammenarbeit und vor allem die Rolle der Leitungskräfte der Zielgesellschaft dabei festgelegt werden. Wird ohnehin ein merger agreement geschlossen, so kann man diese Grundsätze auch in diesen Vertrag einfügen. Bei den Zusammenschlüssen „unter Gleichen“, wie sie in den Fällen Daimler/Chrysler und Hoechst/Rhône-Poulenc vorgenommen wurden, wurde ein ausführlicher „Vertrag über den Unternehmenszusammenschluss“ (business combination agreement) geschlossen. In ihm werden die gemeinsamen Ziele des Zusammenschlusses und die dafür erforderlichen Schritte festgelegt. Der Vertrag ist vom Verschmelzungsvertrag i. S. des Umwandlungsgesetzes und vom US-amerikanischen merger agreement zu trennen. Letzere Verträge sind einzelne Schritte im Vollzug des Zusammenschlusses und damit Teil des Programms des Zusammenschlusses, das im Zusammenschlussvertrag umfassend festgelegt wird. Im Fall Daimler/Chrysler waren an dem Vertrag sowohl die deutsche Gesellschaft Daimler-Benz AG und die 60 Zusammenschlussbericht Daimler/Chrysler (Fußn. 1), S. 35; vgl. auch dort Zusammenschlussvertrag § 1.1. 61 So wurden im Fall Daimler/Chrysler einmal die deutsche Verschmelzung Daimler Benz AG auf die DaimlerChrysler AG in Deutschland nach deutschem Recht vorgenommen, gleichzeitig die Verschmelzung der Chrysler Corporation mit einem financial vehicle in den USA.
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amerikanische Gesellschaft Chrysler Corporation beteiligt als auch die neugebildete Obergesellschaft DaimlerChrysler AG.62 Der Vertrag enthält eine Reihe von Bestimmungen, die den Geist eines gleichberechtigten Zusammenschlusses verwirklichen sollen, so zum Beispiel über die paritätische Besetzung der Leitungsorgane, die nur als Programmsätze zu verstehen sind, weil in die Kompetenz der gesellschaftsrechtlichen Entscheidungsorgane nicht verbindlich eingegriffen werden kann und soll. Der Vertrag verpflichtet die beteiligten Gesellschaften, handelnd durch ihre Leitungsorgane, die im Einzelnen vertraglich vorgesehenen Handlungen zur Förderung und Durchführung des Zusammenschlusses vorzunehmen, soweit dies in der Kompetenz dieser Leitungsorgane liegt. Zusammenschluss verträge bedürfen nach den Grundsätzen der Holzmüller-Entscheidung des BGH63 gleichwohl der Zustimmung der Hauptversammlung, weil der Zusammenschluss unter Gleichen in die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Kapitalgesellschaft tief eingreift. Entsprechende Hauptversammlungsbeschlüsse wurden in den Fällen Daimler/Chrysler und Hoechst/ Rhône-Poulence auch herbeigeführt.
III. Wettbewerbsrecht 1. Exterritoriale Anwendung Grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse werfen häufig Fragen der wettbewerbsrechtlichen Zusammenschlusskontrolle auf. Dabei geht es um den Schutz des Wettbewerbs in den nationalen Märkten der beteiligten Unternehmen oder in Drittländern, in denen diese Unternehmen bisher tätig waren. Eine internationale Dimension hat der Sachverhalt immer dann, wenn es um eine grenzüberschreitende Marktbeeinflussung geht. Ausschlaggebend sind die Auswirkungen, die der betreffende Zusammenschluss für denjenigen Markt hat, den das jeweilige Wettbewerbsrecht schützen will, so das US-Kartellrecht den amerikanischen Markt,64 das EG-Kartellrecht den europäischen Markt,65 andere nationale Kar- [480] tellrechte jeweils ihre nationalen Märkte. Da es um grenzüberschreitende Marktbeeinflussung geht, ist die Frage, ob ein Unternehmenszusammenschluss selbst grenzüberschreitend ist, nur von untergeordneter Bedeutung. Auch ein nur in einem bestimmten nationalen Markt sich vollziehender Unternehmenszusam Vgl. die Nachweise in Fußn. 1. BGHZ 83, 122, 131 = ZIP 1982, 568. 64 Vgl. Section 7 Clayton-Act (15 U. S. C. § 18). 65 Verordnung (EWG) Nr. 4046/89 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (Fusionskontrollverordnung) v. 21.12.1989, ABl 1990 Nr. L 257/13 = EuZW 1990, 22. 62 63
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menschluss von Kapitalgesellschaften des gleichen Landes und der gleichen Rechtsordnung kann in diesem Zusammenhang ein international relevanter Sachverhalt sein. So sind beispielsweise die amerikanische Kartellbehörde (Federal Trade Commission) 1997 gegen eine rein schweizerische Fusion wegen Beeinträchtigung des amerikanischen Marktes eingeschritten66 und die Europäische Kommission gegen eine rein US-amerikanische Fusion.67 Allerdings sind vor allem grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse von Großunternehmen zugleich wettbewerbsrechtlich problematisch.68 Hinzu treten Fragen des Aufsichtsrechts über bestimmte Wirtschaftszweige, zum Beispiel des Bankaufsichtsrechts.69 Ausgangspunkt für die exterritoriale Anwendung von Wettbewerbsrecht ist jeweils der gesetzliche Tatbestand der internationalen Auswirkung, das heißt der Beeinflussung des geschützten Marktes durch Unternehmen, die außerhalb dieses Marktes und Territoriums agieren.70 Die zweite Frage ist dann, unter welchen Voraussetzungen diese exterritoriale Auswirkung von den Rechtsordnungen derjenigen Staaten anerkannt wird, deren Rechtsordnung die handelnden Unternehmen unterstehen, in dessen Territorium sie ihren Sitz haben und ihre geschäftliche Tätigkeit betreiben.71 2. Transnationale Melde- und Offenlegungspflichten Regelmäßig müssen bei der Vorbereitung eines internationalen Unternehmenszusammenschlusses aus den genannten Gründen wettbewerbsrechtliche Meldepflichten derjenigen Wettbewerbsrechte, deren Geltungsbereich (geschützter Markt) durch den Zusammenschluss berührt wird, erfüllt werden.72 Solche Meldepflichten kennen das US-amerikanische Wettbewerbsrecht,73 das EG-Recht74 und zahlreiche nationale Rechte, zum Beispiel das deutsche Kartellrecht in § 24a GWB. Dies kann im Einzelfall zu
66 Im Fall Ciba-Geigy und Sandoz, in re Ciba-Geigy Ltd. et al., 5 Trade Reg. Rep. (CCH) 24, 182 (FTC 1997). 67 Boeing und Mc Donell Douglas. Die Fusion wurde im Ergebnis genehmigt; 48 Case IV-M.877, (1997) O. J. C 136/3. 68 Allg. Griffin, European Competition Law Review (ECLR) 1998, 12; Sleuwagen, World economy 1998 (Vol. 21/No. 8), S. 1077. 69 Gugler, Journal of International Business Law 1999/5, 155. 70 Zum Auswirkungsprinzip Rehbinder, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., 1992, § 98 Abs. 2 Rz. 16 ff., 40 ff.; allg. Meng, Extraterritoriale Jurisdiktion im öffentlichen Wirtschaftsrecht, 1994, insbes. S. 350 ff., 539 ff.; Meessen, (Hrsg.), Extraterritorial Jurisdiction in Theory and Practice, 1996. 71 Zum Vorrang der ausländischen Regelungsinteressen Rehbinder (Fußn. 70), Rz. 35 ff. 72 OECD, Merger Cases in the Real World. Study of Merger Control Procedures, 1994. 73 Hart-Scott-Rodino Antitrust improvement act 1976, 15 U. S. C. 18 a. 74 Fusionskontrollverordnung v. 21.12.1989 (Fußn. 65) i. d. F. der Änderungsverordnung v. 30.6.1997, ABl 1997 Nr. L 180/1.
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mehr als einem Dutzend Anmeldungen führen.75 Da nach der Anmeldung Wartefristen einzuhalten und unter Umständen einschränkende Auflagen als Vorbedingung einer Genehmigung oder Freistellungserklärung mit mehreren Kartellbehörden auszuhandeln sind, können sich erhebliche Verzögerungen für die Durchführung des Zusammenschlusses ergeben. Eine verspätete Anmeldung, zumal wenn sie erst nach dem Vollzug des Zusammenschlusses erfolgt, stellt einen Gesetzesverstoß dar und kann scharfe Sanktionen nach sich ziehen.76 Zusammenschlussverträge enthalten daher häufig Klauseln über die vorherige Durchführung der wettbewerbsrechtlichen Verfahren.77 Aus der komplizierten internationalen kartellrechtlichen Meldepraxis ergibt sich ein Bedürfnis nach Harmonisierung und Vereinfachung. Die OECD hat 1994 einen Bericht mit Empfehlungen zur Vereinfachung der Fälle wettbewerbsrechtlicher Vielfachanmeldungen vorgelegt78 1995 wurde zwischen den USA und der EU ein Abkommen über die Harmonisierung der Kartellrechtsanwendung und die internationale Zusammenarbeit der Kartellbehörden geschlossen.79 Die USA haben ferner eine Reihe bilateraler Abkommen geschlossen.80 Weitere Schritte zur Harmonisierung sind erforderlich. 3. Eine internationale Kartellbehörde? Großfusionen der jüngsten Zeit haben die Diskussion um die Schaffung eines internationalen Wettbewerbsrechts und die Einsetzung einer internationalen Kartellbehörde belebt.81 Diese Diskussion ist nicht neu.82 Die Gegner solcher Bestrebungen weisen darauf hin, dass bei der Größe der Weltmärkte Monopolisierungen nicht zu befürchten seien. Immerhin haben Großfusionen inzwischen die Zusammenfassung erheblicher Anteile des Weltmarktes, beispielsweise in der Unterhaltungs- und Kommunikationswirtschaft, gezeigt.83 Die akkumulierte Finanzkraft von Unternehmen oder Unter75 Im Fall der Gilette/Wilkenson-Transaktion waren Anmeldungen des Vorhabens in vierzehn Rechtsordnungen notwendig; vgl. OECD (Fußn. 72). 76 Griffin, ECLR 1998, 12–20, mit Fallbeispielen für Sanktionen durch die US-Behörden. 77 Zusammenschlussvertrag Hoechst/Rhône-Poulenc (Fußn. 1), 1.1.5 d und e. 78 OECD (Fußn. 72). 79 Abkommen zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Anwendung ihrer Wettbewerbsregeln v. 10.4.1995, ABl 1995 Nr. L 95/45 und Nr. L 131/38. 80 Nach dem International Antitrust Enforcement Assistance Act, 15 U. S. C. § 6201/12; Griffin, ECLR 1998, 12, 17. 81 Immenga (Fußn. 8), S. 13. 82 Vgl. Davidow, in: Horn (Fußn. 32), S. 193 ff. 83 Die Fusion Dasa/Aerospatiale ergab das drittgrößte Luft- und Raumfahrtunternehmen der Welt; Frankfurter Allgemeine v. 15.10.1999, S. 1. Die Fusion Warner/AOL hat den größten Medienkonzern und den größten Internet-Zugangsdienst der Welt zusammengeführt; vgl. Frankfurter Allgemeine v. 11.1.2000, S. 1, 13, 18. Die Fusion Vodafone/Man-
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nehmensgruppen, die aus Großfusionen hervorgehen, erhöht die Zutrittsschranken für potenzielle Wettbewerber und ermöglicht der betreffenden Unternehmensgruppe ferner das Eindringen in andere Märkte auch mit wettbewerbsfremden Methoden (zum Beispiel Dumping). Die Vorteile einer internationalen Kartellbehörde werden darin gesehen, dass der lückenhafte und nicht harmonisierte Schutz durch nationale Kartellrechte und Kartellbehörden, denen sehr unterschiedliche wettbewerbspolitische Vorstellungen zugrunde liegen, durch eine einheitliche und gleichmäßige Regelung ersetzt wird, die effizient international angewandt werden kann. Diese Kartellbehörde könnte bei der WTO eingerichtet werden.84 Der Weg dahin ist freilich weit. Immerhin muss die wettbewerbsrechtli- [481] che und wettbewerbspolitische Diskussion zu internationalen Großfusionen geführt werden, schon um deren mögliche Nachteile deutlicher zu sehen, die derzeit durch die internationale Fusionseuphorie verdeckt werden.
IV. Kapitalmarktrecht Internationale Unternehmenszusammenschlüsse können sich ohne enge Berührung mit dem Kapitalmarktrecht vollziehen, insbesondere wenn ein bereits bestehender Mehrheitsbesitz an einem Unternehmen verkauft und übertragen wird. In der Mehrzahl der Fälle ist jedoch der öffentliche Kapitalmarkt in verschiedener Weise einbezogen, vor allem im Zusammenhang mit einem öffentlichen Übernahmeangebot sowie mit der Börseneinführung und dem internationalen Handel von Aktien einer neugebildeten Obergesellschaft. 1. Übernahmeangebote 1.1 EU-Recht Der Entwurf einer dreizehnten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie der EU über Übernahmeangebote85 geht in der Fassung des Beschlusses des Minis terrats vom 21.6.199986 vom Grundsatz der strikten Neutralitätspflicht der Leitungsorgane der Zielgesellschaft gegenüber einem Übernahmeangebot aus. Zwar ist das Leitungsorgan der Zielgesellschaft verpflichtet, das Interesse nesmann führte zum weltweit größten Telekommunikationskonzern und zum viertgrößten Unternehmen der Welt; Frankfurter Allgemeine v. 5.2.2000, S. 13. 84 Dazu Immenga (Fußn. 8). 85 Vorschlag für eine dreizehnte Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über Übernahmeangebote (Übernahme-Richtlinie) v. 11.11.1997, ABl v. 13.12.1997 Nr. C 378/10; Text auch in ZIP 1997, 2173; dazu Hopt, ZHR 161 (1997), 368; ders., in: Festschrift Zöllner, 1998, S. 253 ff.; Kallmeyer, ZIP 1997, 2147; Than, in: Festschrift Claussen, 1997, S. 405 ff. 86 Interinstitutionelles Dossier 95/034 (COD) v. 22.6.1999.
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der gesamten Gesellschaft zu wahren (Art. 3 Abs. 1 lit. c Übernahme-Richtlinie); zugleich soll es aber den Aktionären nicht die Möglichkeit vorenthalten, dass Angebot selbst zu beurteilen. Spätestens nach Erhalt der Informationen über das Übernahmeangebot bis zum Ende seiner Durchführung muss das Leitungs- oder Verwaltungsorgan der Zielgesellschaft jede Handlung unterlassen, durch die das Angebot vereitelt würde, es sei denn, dass die Hauptversammlung ihre Zustimmung gegeben hat. Nur die Suche nach konkurrierenden Angeboten ist dem Leitungs- oder Verwaltungsorgan gestattet (Art. 8 Übernahme-Richtlinie). Die Übernahmerichtlinie verpflichtet andererseits das Leitungsorgan der Zielgesellschaft, zum Übernahmeangebot Stellung zu nehmen und dabei auf die Auswirkungen der angestrebten Übernahme auf alle Interessen der Gesellschaft, einschließlich der Beschäftigung, einzugehen (Art. 8 Abs. 1 lit. b Übernahme-Richtlinie). In dieser Stellungnahme muss der Vorstand der Zielgesellschaft selbstverständlich auch nachteilige Auswirkungen der geplanten Übernahme ansprechen; auch der geplante oder möglicherweise drohende Verlust von Arbeitsplätzen ist dabei zu berücksichtigen. Dies entspricht der Pflicht des Vorstandes, in der Situation des Übernahmeangebotes gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. c Übernahme-Richtlinie die Interessen der Gesellschaft zu wahren. Allerdings ist die Definition der Interessen der Zielgesellschaft nicht einfach und führt in die weite Diskussion über die Unternehmensinteressen.87 Im Vordergrund stehen die Interessen der Aktionäre als der wirtschaftlichen Eigentümer. Diese haben aber nach der kapitalmarktorientierten Betrachtung jedenfalls der börsennotierten AG kein rechtlich geschütztes Interesse am unveränderten Fortbestand der Zusammensetzung der Aktionäre. Wohl aber ist ihr Interesse daran anzuerkennen, dass Nachteile des Übernahmeangebots durch genaue Informationen seitens der übernehmenden Gesellschaft erkennbar gemacht werden. Dazu gehören u. a. Informationen über die Bewertung der beteiligten Unternehmen und über Pläne einer (wirtschaftlich nicht begründbaren) Zerschlagung des Unternehmens der Zielgesellschaft. Nur in nachgeordneter Weise zu berücksichtigen sind die Interessen der Arbeitnehmer und der sonstigen Gläubiger des Unternehmens (stakeholders) am Fortbestand des wirtschaftlich gesunden Unternehmens. Denn die Interessen dieser Gruppen werden nicht primär durch das Gesellschaftsrecht oder entsprechende kapitalmarktrechtliche Pflichten geschützt, sondern durch das Arbeitsrecht und das allgemeine Zivilrecht einschließlich des Insolvenzrechtes. Der Vorstand der Zielgesellschaft soll daher zweifellos in einer ablehnenden Stellungnahme zu einem Übernahmeangebot zwar auf einen drohenden Abbau von Arbeitsplätzen hinweisen, wie es Art. 8 Übernahme-Richtlinie vorsieht. Es ist aber zweifelhaft, ob er allein darauf seine Ablehnung stützen kann. Er kann ferner die Bewahrung der Selbstständigkeit des Unternehmens Vgl. die Nachweise bei Heymann/Horn, HGB, 2. Aufl., Bd. I, 1995, Einleitung V.
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nur dann zum Ziel erklären, wenn er dies mit entsprechenden wirtschaftlichen Überlegungen zu langfristiger Rentabilität und Wachstumsaussichten untermauern kann, nicht aber wenn dies letztlich nur geschieht, um die „eigene Haut zu retten“. Immerhin muss man dem Vorstand wie auch sonst einen Beurteilungsspielraum einräumen. Der Richtlinienentwurf ist auf Kritik gestoßen, weil er mit dem Neutralitätsgebot an dem Vorstand der Zielgesellschaft einseitig Pflichten auferlegt, während auf Seiten der übernehmenden Gesellschaft keine entsprechenden Pflichten bestehen.88 1.2 Deutsches Recht: die Pflichten des Vorstandes nach Aktienrecht Eine gesetzliche Regelung von Übernahmeangeboten fehlt im deutschen Recht bisher. Ein entsprechender Gesetzentwurf soll im Laufe des Jahres 2000 vorgelegt und beraten werden. Es steht zu erwarten, dass das Gesetz sich am Entwurf der Übernahme-Richtlinie der EU orientieren wird. Der derzeit der Praxis zur Verfügung stehende Übernahmekodex der Börsensachverständigenkommission beim Bundesministerium der Finanzen89 bindet nur die Unternehmen, die sich ihm freiwillig unterworfen haben, und hat nur begrenzte Resonanz gefunden. Nach Art. 19 des Übernahmekodex darf das Leitungsorgan der Zielgesellschaft nach Bekanntgabe eines öffentlichen Übernahmeangebots während dessen Laufzeit keine Maßnahmen ergreifen, die den Interessen der Wertpapierinha- [482] ber, von dem Angebot Gebrauch zu machen, zuwiderlaufen. Das Leitungsorgan der Zielgesellschaft muss binnen zwei Wochen nach Publikation des Übernahmeangebots eine begründete Stellungnahme zu dem Angebot abgeben und darf nur solche Abwehrmaßnahmen ergreifen, die durch die Hauptversammlung ausdrücklich gebilligt sind (Art. 18 Übernahmekodex). Eine ausländische Gesellschaft, die in Deutschland ein Übernahmeangebot abgeben will und dabei ihre Aktien im Austausch gegen Aktien der Zielgesellschaft anbietet, muss einen Verkaufsprospekt gemäß §§ 1, 5 WertpapierVerkaufsprospektgesetz (VerkProsG) und gegebenenfalls später ergänzende Angaben gemäß § 11 VerkProsG veröffentlichen. Solange es nicht zu einer gesetzlichen Regelung gekommen ist, sind im Übrigen die Verhaltenspflichten der Leitungsorgane der beteiligten Gesellschaften, insbesondere der Zielgesellschaft, aus den allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Pflichten zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft und zur Abwehr von Risiken abzuleiten (§§ 76 ff., § 91 Abs. 2, § 93 AktG).90 Die Pflicht des Vorstandes, das Unternehmen bedrohende gefährliche Risiken Krit. Kirchner, BB 2000, 105, 109 f., 112 f. Text in: Börsensachverständigenkommission (Hrsg.), Standpunkte der Börsensachverständigenkommission zur künftigen Regelung von Unternehmensübernahmen, 1999, S. 36–37; dazu Hopt (Fußn. 85), S. 253, 263 ff. 90 Dazu Horn, ZIP 1997, 1129 m. w. N. 88 89
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von ihm abzuwenden (§ 91 Abs. 2, § 93 AktG), muss bei Übernahmeangeboten, die eine Existenzbedrohung oder sehr nachteilige wirtschaftliche Entwicklungen der Zielgesellschaft begründen, zu entsprechenden Warnpflichten des Vorstandes führen. Weiter reichende Abwehrmaßnahmen, etwa die Schaffung genehmigten Kapitals nach § 202 AktG, kann er freilich ohnehin nur mit Zustimmung der Hauptversammlung der Aktionäre ergreifen. Dies gilt im Zweifel auch für andere Abwehrmaßnahmen.91 Allerdings dürfte es dem Vorstand nicht verwehrt sein, seine begründete Ablehnung des Übernahmeangebotes auch durch weitere Veröffentlichungen zu unterstützen, und zwar auch ohne Zustimmung der Hauptversammlung. Ob man stattdessen nach derzeitiger Rechtslage insoweit von einem strikten Neutralitätsgebot ausgehen kann,92 ist zumindest zweifelhaft. Für dieses Neutralitätsgebot spricht zwar, dass bei einer strengen kapitalmarktrechtlichen Betrachtung der Beteiligungsverhältnisse einer Aktiengesellschaft es nach entsprechender Aufklärung den Aktionären überlassen bleiben muss, sich selbst eine Meinung zu bilden und eine Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Übernahmeangebots zu treffen. Man wird daher einen besonders hohen Werbeaufwand zur Propagierung der ablehnenden Haltung93 dann im Sinne einer Waffengleichheit rechtfertigen können, wenn das übernehmende Unternehmen zu den gleichen Mitteln greift. Der Fall Vodafone/Mannesmann zeigt, dass abwehrende Werbemaßnahmen auch dadurch gerechtfertigt sein können, dass sie den Anbieter zur angemessenen Erhöhung des Angebotes veranlassen, da dies unbestreitbar den Aktionären zugute kommt. Schwerlich mit der aus §§ 76, 93 AktG ableitbaren (begrenzten) Neutralitätspflicht des Vorstandes während der Umtauschangebotsfrist vereinbar dürfte es freilich sein, wenn Vorstandsmitglieder der Zielgesellschaft in dieser Zeit persönliche Abfindungen mit der übernehmenden Gesellschaft aushandeln und vereinbaren. Der Interessenkonflikt liegt auf der Hand. Anders sieht es aus, wenn die angreifende Gesellschaft lediglich zusichert, die bereits rechtlich begründeten Abfindungsansprüche gegen die Zielgesellschaft im Fall eines vorzeitigen Ausscheidens zu respektieren.
91 Diese Folgerung lässt sich aus der Holzmüller-Entscheidung des BGH ziehen; BGHZ 83, 122, 131 = ZIP 1982, 568. 92 Zur Neutralitätspflicht des Vorstandes Hopt, ZHR 161 (1997), 368, 411. 93 Der Werbeaufwand allein von Mannesmann gegen das Übernahmeangebot von Vodafone wird auf 700 Mio. DM geschätzt; Frankfurter Allgemeine v. 5.2.2000, S. 13 („Das Geschäft mit der Stiefmutter“); nach anderen Schätzungen auf 400 Mio DM, Frankfurter Allgemeine v. 9.2.2000, S. 29.
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1.3 USA Bei einem feindlichen Übernahmeangebot auf dem amerikanischen Kapitalmarkt muss die interessierte Kapitalgesellschaft ihr Übernahmeangebot öffentlich bekannt machen und dabei bestimmte Informationspflichten erfüllen, um den Aktionären der Zielgesellschaft eine selbstständige Beurteilung und Entscheidung über das Übernahmeangebot zu ermöglichen.94 Die gesellschaftsrechtlichen Treue- und Sorgfaltspflichten der Mitglieder des Leitungsorgans (board) der Zielgesellschaft enthalten nach vorherrschender Meinung keine Neutralitätspflichten im Falle eines feindlichen Angebotes.95 Dem Board bleibt also ein weiter Ermessensspielraum im Sinne der „business judgement rule“,96 wie er in der Situation die Interessen der Gesellschaft und insbesondere ihrer Aktionäre am besten wahrt. Er kann Abwehrmaßnahmen ergreifen, die eine feindliche Übernahme erschweren, beispielsweise durch die Ausgabe neuer Aktien oder Schuldverschreibungen oder den Erwerb eigener Aktien. Nach dem Recht des Staates Delaware ist dabei eine Ungleichbehandlung der Aktionäre zum Nachteil des Übernehmers zulässig.97 Die Kompetenzen des Boards umfassen sowohl die Aufstellung vorsorglicher, gegen jede Übernahme gerichtete Abwehrpläne (sog. „poison pill“-Pläne) als auch den Erlass von Abwehrmaßnahmen gegen konkrete Übernahmeangebote.98 Sein Ermessen ist allerdings eingeschränkt, wenn mehrere Bieter auftreten und die Gesellschaft mit Zustimmung des Managements zum Verkauf steht; hier muss der Board den besten Angebotspreis respektieren.99
94 Williams Act, U. S. C. § 78 m (d)–(g), § 78 n (d)–(f); Herkenroth (Fußn. 4), S0.132–162; Alstine, EWS 1993, 11. Die einschlägigen Regelungen der Kapitalmarktbehörde S. E. C. über grenzüberschreitende Übernahmeangebote sind zum 24.1.2000 erleichtert worden; dazu Brown/Bird/Kiernan, International Financial Law Review December 1999, 22. 95 Unocal Corp. v. Mesa Petroleum C., 493 A. 2d 946 (Del. 1985); dazu Buxbaum, Corporate Legitimacy, Economic Theory, and Legal Doctrine, Ohio State Law Journal, 1984, 515, 537; Herkenroth (Fußn. 4), S. 168–172; Eisenberg, Corporations and Business Associations, 1995, S. 735 ff. 96 American Law Institute, Principles of Corporate Governance: Analysis and Recommendations, Vol. I, 1984, § 4.01 c; vgl. auch Horn, ZIP 1997, 1129, 1134. 97 Unocal Corp. v. Mesa Petroleum C., 493 A.2d 946, 957 (Del. 1985). 98 Die „business judgment rule“ betrifft dabei entweder die Entscheidung des Boards, einen vorsorglich eingeführten und unmittelbar wirksamen Abwehrplan (pre-planned defense measure) außer Kraft zu setzen, oder aber die Entscheidung über die Durchführung einer konkreten Abwehrmaßnahme; Moran v. Household International Inc., 500 A.2d 1346, 1350 (Del. 1985). 99 Revlon v. Mac Andrews and Forbes Holdings Inc., 506 A.2d, 173 (Del. 1985). Dazu Kirchner, BB 2000, 105, 108 mit weiteren rechtsvergleichenden Hinweisen.
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2. Börsenzulassung Die Notwendigkeit einer Börsenzulassung an einer oder mehreren Börsen ergibt sich im Zusammenhang mit internationa- [483] len Unternehmenszusammenschlüssen nur dann, wenn eine neue Obergesellschaft gebildet wird und diese ihre Aktien international einführen will. Im Fall des Zusammenschlusses von Daimler Benz AG und Chrysler wurden die Aktien der neuen Obergesellschaft DaimlerChrysler AG gleichzeitig an der New York Stock Exchange und an den deutschen Börsen eingeführt. Es waren also die Anforderungen der S.E.C. und der New York Stock Exchange einerseits100 und anderseits die deutschen Börsenzulassungsanforderungen zu erfüllen. Die Börsenzulassung in New York ist von besonderer Bedeutung, weil sie den Zugang zum US-Kapitalmarkt eröffnet. Allerdings haben sich im Fall der DaimlerChrysler AG nicht alle Erwartungen erfüllt, weil der Sitz der Gesellschaft in Deutschland ist und damit ein Hindernis besteht, die Aktie in den Referenzindex Standard & Poor’s aufzunehmen, was wiederum institutionelle Investoren daran hindert, die Aktie in ihrem Portfolio zu halten. 3. Die globale Aktie Da an der New York Stock Exchange nur Namensaktien (registered shares) zum Handel zugelassen werden, die meisten deutschen Werte aber bisher als Inhaberpapiere emittiert waren, hat man in den USA die Praxis entwickelt, die ausländischen Aktien, die in den USA gehandelt werden sollen, dort treuhänderisch zu hinterlegen und dafür handelbare Hinterlegungsscheine (American Depository Receipts – ADRs; American Depository Shares – ADS) auszugeben. Diese Hinterlegungsscheine werden ihrerseits in registrierter Form emittiert. Dies führt freilich dazu, dass die Wertpapiere des gleichen Unternehmens in den USA und in Europa in wertpapiertechnisch sehr unterschiedlicher Form gehandelt werden. Inzwischen sind die deutschen Unternehmen, die den Zugang zum amerikanischen Kapitalmarkt anstreben, dazu übergegangen, sich den amerikanischen Erfordernissen anzupassen und registrierte Namensaktien i. S. des § 67 AktG auszugeben. Die Börseneinführung deutscher Namensaktien in New York ohne Einschaltung von ADS wurde erstmals bei der Emission der Aktien der neuen deutschen Obergesellschaft Daimler-Chrysler AG in Zusammenhang mit der Fusion Daimler/Chrysler vorgenommen. Für die Führung des Aktienbuches wurden je ein Treuhänder (transfer agent and registrar) in Deutschland und den USA bestimmt, die gemeinsam das Akti-
100 Vgl. Form/4 Registration Statement der DaimlerChrysler AG bei der S. E. C. v. 21.9.1998 (Reg.-No. 333-60767).
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enbuch in elektronischer Form führen.101 Im Fall Daimler-Chrysler sind die Namensaktien in Globalurkunden verbrieft und die Auslieferung effektiver Stücke ist nach der Satzung der DaimlerChrysler AG ausgeschlossen, soweit dies (wie in Deutschland) gesetzlich zulässig ist. In Deutschland erfolgt die Übertragung im Wege des Effektengiroverkehrs durch Sammelgutschrift. Zahlreiche deutsche Großunternehmen sind diesem Schritt gefolgt und haben ihre Aktien als Namensaktien ausgestaltet. Der deutsche Gesetzgeber hat reagiert und eine neue gesetzliche Regelung der Namensaktie vorbereitet.102 4. Internationale Rechnungslegung Das Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz103 hat in § 292a HGB die Möglichkeit eröffnet, Konzernabschlüsse nach internationalen Standards mit befreiender Wirkung hinsichtlich der Rechnungslegungspflichten nach HGB vorzunehmen, nämlich nach den International Accounting Standards (IAS) oder den US-amerikanischen Generally Accepted Accounting Principles (GAAP).104 Aus diesen Grundsätzen ergeben sich auch Kriterien für die oben (I 3 3.2) erwähnte Methode der Interessenzusammenführung, wodurch ein Unternehmenszusammenschluss unter Gleichen unter Fortführung der Buchwerte ohne Aufdeckung der stillen Reserven möglich ist.
V. Schlussbemerkungen 1. Wirtschaftlicher Erfolg und Integrationserfolg Ein Unternehmenserwerb ohne jede nachfolgende Integrationsmaßnahme kann wirtschaftlich sinnvoll sein als eine isoliert betrachtet lohnende Inves tition. Regelmäßig wird bei Unternehmenszusammenschlüssen jedoch ein Zusatznutzen durch Integration erstrebt, der hauptsächlich in Synergieeffekten und in Skalenvorteilen der neu erreichten Unternehmensgröße liegen soll. Ob diese Vorteile tatsächlich erzielt werden, stellt sich erst sehr viel später heraus, wenn die Euphorie über die mit einem Zusammenschluss verbundenen Gestaltungsmöglichkeiten und der Aktionärsjubel über gestiegene Kurse und attraktive Umtauschangebote längst vergessen sind. Vielleicht nicht 101 Form/4 Registration Statement der DaimlerChrysler AG (S. E. L. Reg.-No. 333/60767) v. 21.9.1998, S. 126. 102 Dazu Noack, ZIP 1999, 1993. 103 Gesetz v. 20.4.1998, BGBl I, 707. Dazu Horn, in: Horn/Schimansky, Bankrecht, 1998, S. 311, 313 ff. 104 Zu GAAP und IAS allg. Biener (Fußn. 25), S. 205 ff.; Großfeld, NZG 1999, 1143. Zum neuen Befreiungstatbestand in § 292a HGB vgl. Henssler/Slota, NZG 1999, 1133.
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ausreichend, aber jedenfalls notwendig ist es, dass die geplanten Schritte zur Integration rasch durchgeführt werden, beispielsweise die Beseitigung der Überschneidung von Tätigkeitsfeldern oder die Vorbereitung eines geplanten einheitlichen Marktauftritts. Ebenso wichtig ist es, das Arbeitsklima in den betroffenen Unternehmen zu verbessern, das durch notwendige betriebliche Einschnitte und die neuen ungewohnten Aufgaben der Kooperation zwischen Unternehmens- oder Konzernteilen, die bisher einander fremd waren, ohnehin belastet ist. Nur ein Teil der erforderlichen Integrationsmaßnahmen ist rechtlicher Gestaltung zugänglich. Dazu gehören die Einsetzung eines Integrationsausschusses und gewisse Zusagen über Vergütungsniveaus. Über beides finden sich entsprechende Klauseln in Zusammenschlussverträgen. Englisch wird als Arbeitssprache der Kommunikation zwischen den neu verbundenen Unternehmensteilen angesichts der heutigen internationalen Dominanz des Englischen allgemein akzeptiert und ist in manchen Zusammenschlussverträgen ausdrücklich verordnet, nicht nur bei Daimler/Chrysler, sondern auch bei Aventis.105 Dem Unbehagen an der Dominanz des einen Teils über den anderen soll die Festlegung zweier Hauptverwaltungen entgegenwirken.106 Dies ist beispielsweise im Zusammen- [484] schluss Dasa/Aerospatiale und bei Daimler-Benz/Chrysler vorgesehen, bei Vodafone/Mannesmann angekündigt.107 Ebenso wichtig wie entsprechende vertragliche Abmachungen ist die Propagierung des Zusammenschlusses, seiner Ziele und der neuen Unternehmensidentität nach innen und außen durch gezieltes „Fusions-Marketing“.108 2. Harmonisierung des Rechts der Leitungsorganisation für Kapitalgesellschaften (Corporate Governance) Die Zunahme grenzüberschreitender Großfusionen von Unternehmen scheint nicht ohne Einfluss auf die internationale Diskussion über eine Vereinheitlichung der allgemeinen Rechtsgrundsätze der Leitungsorganisation von Kapitalgesellschaften (Corporate Governance) zu sein, die seit längerem in der Rechtswissenschaft geführt wird109 und 1999 zu rechtspolitischen
105 Zusammenschlussvertrag DaimlerChrysler § 4.4; Vertrag Hoechst/Rhône-Poulenc § 3.9. 106 Dies ist nicht im kollisionsrechtlichen Sinn gemeint. 107 Zu Dasa Frankfurter Allgemeine v. 15.10.1999, S. 1; zu Daimler/Chrysler Zusammenschlussvertrag Art. 4.3; zu Vodafone Frankfurter Allgemeine v. 5.2.2000, S. 13. 108 Dazu Niederdrenk, Frankfurter Allgemeine v. 10.1.2000, S. 27. 109 Buxbaum/Hopt, Legal Harmonization and the Business Enterprises – Corporate and Capital Market Law Harmonization in Europe and the USA, 1988; Buxbaum/Hertig/ Hirsch/Hopt (Hrsg.), European Economic and Business Law. Legal and Economic Analyses on Integration and Harmonization, 1996.
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Vorschlägen der OECD geführt hat.110 Die OECD-Grundsätze fördern das gemeinsame Verständnis für Leitungsfunktionen, Leitungsprobleme und Interessenlagen, ohne sich ausschließlich einer bestimmten Lösung zu verschreiben. Vielmehr wird zum Beispiel das deutsche zweistufige Vorstand-Aufsichtsrat-System neben dem einstufigen Board-System behandelt (Abschnitt V), die Rechte anderer Unternehmensinteressenten (stakeholders) wie der Arbeitnehmer werden erwähnt (Abschnitt III). Das Unternehmensinteresse wird überwiegend vom Standpunkt der Aktionäre und vom „shareholder value“-Grundsatz aus definiert (Abschnitt I und II), ohne es allein darin zu sehen.111 Die derzeitige internationale Fusionswelle setzt in dieser Diskussion, wie es scheint, wenigstens drei Akzente: (1) In dem Maße, in dem die Leitungsorgane Herr der Zusammenschlusspläne und -verfahren sind, wächst das Bedürfnis nach klarer Definition ihrer Pflichten gegenüber den Unternehmen und ihren Aktionären, insbesondere zur vollständigen Information. Eine Pflicht zur Neutralität im Sinne einer Funktionsfähigkeit der Kapitalmarktabläufe kann dabei, wie gezeigt, nur in den Grenzen gelten, die sich aus der Pflicht zur Gefahrenabwehr und zur Wahrnehmung von Chancen zur Verbesserung des Umtauschangebots ergeben. (2) Die Notwendigkeit zur engen Zusammenarbeit nach dem Zusammenschluss fördert das Verständnis gleicher Funktionen in unterschiedlichen Institutionen, etwa der unterschiedlichen Board-Systeme. Nur ein Beispiel dafür ist die Einrichtung eines Aufsichtsrates in der französischen Obergesellschaft Aventis. (3) Das Bedürfnis nach Berücksichtigung von Arbeitnehmerinteressen, die bei jedem Zusammenschluss durch drohenden Abbau von Arbeitsplätzen tiefgreifend berührt sind, wird deutlicher und ist in manchen Zusammenschlussverträgen vorsichtig angesprochen. Bereits die OECD-Richtlinien für multinationale Unternehmen vom 21.6.1976 betonen den Grundsatz, dass die Rechte der Arbeitnehmer und ihrer Vertretungen zu respektieren sind.112 Die Grundsätze von 1999 erwähnen nur zurückhaltend die „Unternehmensbeteiligten“ und die Respektierung ihrer gesetzlich verankerten Rechte einschließlich der Rechte auf Beteiligung an der Unternehmensführung (Grundsatz III). Im internationalen Geschäft der Fusionen wurden weitreichende Rechte der Arbeitnehmer auf Bestandsschutz und Teilhabe 110 OECD-Grundsätze der Corporate Governance v. Mai 1999; Text in AG 1999, 340; dazu Seibert, AG 1999, 337. 111 Dazu Seibert, AG 1999, 337, 338. 112 Dazu Blanpain, in: Horn (Fußn. 32), S. 145 ff.; Text der Richtlinien bei Horn (Fußn. 32), S. 454 ff.
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an den Entscheidungsprozessen bisher lediglich als Transaktionshindernis bewertet. Die langjährige Präsenz multinationaler Unternehmen in Deutschland, die mitbestimmte Tochtergesellschaften haben (General Motors, Ford) konnte diese Einschätzung nicht revidieren. Vielleicht bedeutet Vodafone/ Mannesmann hier einen Umschwung. Jedenfalls zeigt das Studium der Verträge über andere Zusammenschlüsse auch, dass man erkennt, wie wichtig die Berücksichtigung der Arbeitnehmerinteressen für die Erhaltung eines guten Betriebsklimas und damit für den langfristigen Erfolg des Zusammenschlusses ist. Dies entspricht den Grundgedanken der OECD-Richtlinien von 1976 und der – freilich sehr vorsichtigen – Grundsätze von 1999. 3. Aufgaben des deutschen Gesetzgebers Man kann die zunehmende Einbeziehung Deutschlands und der deutschen Unternehmen in internationale Fusionsvorgänge vielleicht auch als Anzeichen dafür werten, dass das deutsche Recht solchen Vorgängen keine gravierenden Hindernisse mehr entgegensetzt und generell kapitalmarktfreundlicher geworden ist.113 Man mag darüber streiten, ob internationale Großfusionen immer den Nutzen stiften, den man verkündet. Man mag auch Torheiten internationaler Kapitalmarktentwicklungen beklagen: Überzogene Zukunftserwartungen der Analysten treiben Börsenkurse und führen zu abenteuerlich hohen Börsenkapitalisierungen von Unternehmen in den USA und anderen Ländern. Wenn man sich gleichwohl darüber verständigt, dass rechliche Hemmnisse für Kapitalmarktabläufe der falsche Weg wären, ordnungspolitische Probleme internationaler Großfusionen zu lösen,114 dann muss man der Frage nachgehen, ob und wo sich bei internationalen Zusammenschlüssen Regelungsbedarf für den deutschen und gegebenenfalls den europäischen Gesetzgeber ergibt. (1) Dies gilt einmal für eine Regelung der grenzüberschreitenden Verschmelzung im deutschen Umwandlungsrecht. Deren Zulässigkeit wird zunehmend befürwortet, hat aber bisher keine positive gesetzliche Regelung gefunden. (2) Da unter dem Druck des amerikanischen Kapitalmarktes die Namensaktie international benötigt wird, ist auch auf diesem Gebiet eine Vereinfachung der Regelungen durch den deutschen Gesetzgeber erwünscht und auf dem Weg. (3) Man kann ferner überlegen, ob man die Ausstattung von Tochtergesellschaften mit Aktien der Muttergesellschaft zum [485] Zweck des Positive Einschätzung bei Seibert, AG 1999, 337, 339. Vgl. auch oben III 3.
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erleichterten Aktienaustauschs bei der Abwicklung von Übernahmegeboten zulassen soll und die Regelung des § 71d Abs. 2 AktG entsprechend ändert. Immerhin stehen den damit einhergehenden technischen Vorteilen erhebliche Nachteile gegenüber, insbesondere eine Verunklarung der Beteiligungs- und Eigentumsverhältnisse. (4) Feindliche Übernahmeangebote, insbesondere der spektakuläre Fall Vodafone/Mannesmann, haben gezeigt, dass es an der Zeit ist, endlich eine europäische und deutsche Regelung der Übernahmeangebote zum Schutz der Aktionäre und zur Verbesserung des Kapitalmarktes einzuführen. Der angekündigte Schritt des deutschen Gesetzgebers wird dringend erwartet und kann im geplanten 4. Finanzmarktförderungsgesetz erfolgen. Zum Schutz der Anleger und allgemein des Marktes sind weitreichende Informationspflichten der übernehmenden Gesellschaft zu fordern und ebenso ihre Verpflichtung, im Erfolgsfall den verbleibenden Minderheitsaktionären das gleiche Übernahmeangebot zu machen (Pflichtangebot). Einer der schwierigsten Punkte wird sein, wie streng man die Verpflichtung der Geschäftsleitung der Zielgesellschaft zur Neutralität normieren will. Empfehlenswert ist dies nur bei entsprechenden Pflichten der anbietenden Gesellschaft.115 Ferner ist das Neutralitätsgebot des Vorstandes der Zielgesellschaft eingeschränkt durch seine Pflicht, vor Gefahren des Übernahmeangebotes zu warnen und Möglichkeiten einer angemessenen Erhöhung des Angebots für die eigenen Aktionäre wahrzunehmen. (5) Die weitere Entwicklung des deutschen Rechnungslegungsrechts in Angleichung an internationale Standards der IAS erscheint ebenfalls notwendig und wird durch den Übergangscharakter der Regelung in § 292a HGB unterstrichen. (6) Auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts ist eine weitere Harmonisierung der internationalen Zusammenarbeit der Kartellbehörden und die allmähliche Ausbildung einheitlicher internationaler Kriterien, als Fernziel gegebenenfalls eine internationale Kartellbehörde anzustreben.
Insoweit ist Kirchner, BB 2000, 105, zuzustimmen.
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Entwicklungen im internationalen Kapitalgesellschafts- und Fusionsrecht In Gedächtnisschrift für Alexander Lüderitz, 2000, 303–317 I. Die Anerkennung der ausländischen Kapitalgesellschaft Schmitthoff hat schon vor einer Generation die Anerkennung der ausländischen juristischen Person als einen allgemein anerkannten materiellen Rechtssatz des internationalen Wirtschaftsverkehrs, der modernen Iex mercatoria, bezeichnet. Er hat freilich auch darauf hingewiesen, dass die Iex mercatoria nur insoweit Geltung haben könne, als sie von der einzelnen nationalen Rechtsordnung zugelassen sei.1 Alexander Lüderitz, dessen Andenken dieser Beitrag gewidmet ist, war gegenüber der Theorie der Iex mercatoria immer sehr zurückhaltend, um es milde auszudrücken. Der zweiten Aussage von Schmitthoff, dass letztlich die nationalen Rechtsordnungen über die Anwendung solcher Rechtssätze entscheiden, hätte er zugestimmt und hinzugefügt, dass hier erst die juristische Arbeit eigentlich beginne.2 In der Tat ist bis auf den heutigen Tag das Spannungsverhältnis zwischen beiden Sätzen erhalten. Einerseits ist die Anerkennung der ausländischen Kapitalgesellschaft – und auf sie konzentriert sich die folgende Betrachtung – international ganz allgemein verbreitet und heute unentbehrlich für den internationalen Wirtschaftsverkehr.3 Andererseits gibt es bis heute keine international einheitliche Regelung der Frage, nach welchen kollisionsrechtlichen Kriterien oder materiellrechtlichen Voraussetzungen ausländische Kapitalgesellschaften anzuerkennen sind und welche rechtlichen Anforderungen an ihre geschäftliche Tätigkeit im Inland gestellt werden können. Vertragsvölkerrechtlich ist die Anerkennung [304] der ausländischen Kapitalgesellschaft bisher nur in begrenzten Abkommen verankert, so z. B. im bilateralen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepu1 Clive M. Schmitthoff, in: ders. (Hrsg.), The Sources of the Law of International Trade, 1964, S. 3–38. 2 S. die ausführliche Kommentierung des internationalen Gesellschaftsrechts durch Alexander Lüderitz, in: Soergel, Bd. 10, 12. Aufl. 1996, Anh. Art. 10. 3 Eine nachgeordnete Frage ist es, ob die Anerkennung eines besonderen staatlichen Anerkennungsaktes bedarf oder sozusagen automatisch erfolgt, wie vor allem im Bereich der Sitztheorie üblich; vgl. RGZ 92, 73, 76; Staudinger/Großfeld, Internationales Gesellschaftsrecht, Neubearb. 1998, Rn. 188 ff.
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blik Deutschland und den USA.4 Auch in der Europäischen Union fehlt es an einer gemeinsamen Regelung, nachdem das EG-Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften und juristischen Personen5 mangels Ratifizierung durch die Niederlande nicht in Kraft getreten ist. Die rechtliche Anerkennung der ausländischen Kapitalgesellschaft richtet sich daher auch im Verhältnis der Mitgliedstaaten der EU zueinander nach den Kollisionsrechten der einzelnen Mitgliedsländer, wie der EuGH 1988 in seiner DailyMail-Entscheidung festgestellt hat.6 Über die Anerkennung der ausländischen Kapitalgesellschaft entscheidet danach nicht die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EGV (Art. 52, 58 EGV a.F.), sondern die Niederlassungsfreiheit knüpft umgekehrt an die Anerkennung durch die nationalen Rechte der Mitgliedstaaten an.7 Die Anerkennung der ausländischen Kapitalgesellschaft richtet sich also nach dem auf sie anwendbaren nationalen Gesellschaftsrecht (Gesellschaftsstatut), das wiederum durch die nationalen Kollisionsrechte bestimmt wird. Diese eher passive Rolle der Niederlassungsfreiheit nach. Art. 43, 48 EGV bei der Frage der Anerkennung ausländischer Kapitalgesellschaften ist durch die Centros-Entscheidung des EuGH von 1999 allerdings durch eine aktive Einflussnahme des Gemeinschaftsrechts abgelöst worden: Die Niederlassungsfreiheit wirkt danach auf die Behandlung ausländischer Kapitalgesellschaften durch das Gesellschaftsrecht und Gesellschaftskollisionsrecht des Gaststaates ein.8 Der Umfang und die Folgen dieser Einflussnahme sind höchst umstritten und Gegenstand einer ungewöhnlich umfangreichen Diskussion geworden.9 [305]
II. Sitztheorie und Gründungstheorie. Rechtswahlfreiheit nach Centros? Das deutsche internationale Privatrecht (IPR) bestimmt das auf eine Kapitalgesellschaft anwendbare Recht (Gesellschaftsstatut) nach dem Ort der tat4 Art. XXV Abs. 5 S. 2 Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika v. 29.10.1954, BGBl. 1956 II, 488. 5 V. 29.2.1968, BGBl. 1972 II, 370. 6 EuGH, Urt. v. 27.9.1988 (Rs. C-81/87), Slg. 1988, 54, 84 = NJW 1989, 2186 = RIW 1989, 304. 7 EuGH a. a. 0. 8 EuGH, Urt. v. 9.3.1999 (Rs. C-212/97), ZIP 1999, 438. 9 S. zum Centros-Urteil und seinen Auswirkungen auf das Kollisions- und Gesellschaftsrecht etwa: Behrens, IPRax 1999, 323 ff.; Bungert, DB 1999, 1841 ff.; Ebke, JZ 1999, 656 ff.; Geyrhalter, EWS 1999, 201 ff.; Görk, GmbHR 1999, 793 ff.; Kieninger, ZGR 1999, 724 ff.; Kindler, NJW 1999, 1993 ff.; Lange, DNotZ 1999, 599 ff.; Meilicke, DB 1999, 627 f.; G. Roth, ZIP 1999, 861 ff.; Sandrock, BB 1999, 1337 ff; Sonnnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721 ff.; Ulmer, JZ 1999, 662 ff.
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sächlichen Verwaltung (Sitztheorie).10 Eine Mindermeinung, die neuerdings durch die Rechtsprechung des EuGH Auftrieb erhalten hat, hält dagegen auch nach deutschem IPR den im Gründungsakt ausgedrückten Willen der Gründer für ausschlaggebend (Gründungstheorie).11 Auch soweit das deutsche IPR durch besondere Abmachungen wie den Freundschafts-, Handelsund Schifffahrtsvertrag in den USA von 1954 modifiziert ist und die Anerkennung US-amerikanischer Kapitalgesellschaften vorsieht, insofern also auf die in den USA geltende Gründungstheorie indirekt Bezug nimmt, folgt doch aus der grundsätzlichen Orientierung des deutschen IPR an der Sitztheorie das Erfordernis, dass eine substantielle Beziehung der in Deutschland anzuerkennenden US-Gesellschaft zum Territorium der USA bestehen muss.12 Auch das französische Recht folgt der Sitztheorie.13 Diese kann im Europa der EU noch als vorherrschend betrachtet werden.14 Aber das Recht der USA und der Schweiz15 folgen der Gründungstheorie, und ebenso die Rechte einiger Mitgliedsländer der EU wie Großbritannien,16 und mit Einschränkung Dänemark17 und Italien.18 [306] Die Entscheidung des EuGH im Fall Centros19 hat die eigenständige Bedeutung des Rechts auf Freizügigkeit nach Art. 43, 48 EGV hervorgehoben mit der Folge, dass es den dänischen Registerbehörden untersagt wurde, eine nach englischem Recht gegründete, aber ausschließlich in Dänemark tätige private limited company den Regeln des dänischen Gesellschaftsrechts zu unterwerfen, weil die Gesellschaft nur scheinbar eine ausländische 10 BGHZ 97, 269, 271; BGH JZ 1997, 568; Soergel/Lüderitz, Anh. Art. 10, Rn. 8ff.; Staudinger/Großfeld, IntGesR 1998, Rn. 38 ff.; MünchKomm/Kindler, Internationales Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 1999, Rn. 258 f. Nunmehr teilweise a. A. OLG Frankfurt, ZIP 1999, 1710. 11 Beitzke, Kollisionsrecht von Gesellschaften und juristischen Personen, in: Lauterbach (Hrsg.), Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personenund Sachenrechts, 1972, S. 94, 116, 118 (mit Einschränkungen); Horn, Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980, S. 64; Bungert, ZVerglRW 93 (1994), 118, 121 m. Nachw.; differenzierend Grasmann, System des internationalen Gesellschaftsrechts, 1970. 12 OLG Düsseldorf WM 1995, 808, 811; MünchKomm-Kindler, IntGesR, Rn. 250 m.w.N. 13 Art. 3 Loi sur les sociétés v. 24.7.1966. S. auch Pohlmann, Das französische internationale Gesellschaftsrecht, 1988, S. 46 ff. 14 Soergel/Lüderitz, Anh. Art. 10, Rn. 4 Fn. 4; Staudinger/Großfeld, Rn. 153. 15 Vgl. Art. 154 schweiz. IPRG; s. auch Vischer, in: Heini/Keller/Siehr/Vischer/Volken, IPRG Kommentar, 1993, Art. 154, Rn. 8ff. 16 Richter, Die Rechtsstellung ausländischer Kapitalgesellschaften in England, 1980. 17 Für Dänemark im Hinblick auf die Centros-Entscheidung des EuGH, Werlauff, ZIP 1999, 867; Soergel/Lüderitz, Anm. Art. 10, Rn. 5 Fn. 10; a. A. Staudinger/Großfeld, Rn. 154. 18 Gründungstheorie mit der Einschränkung, dass für Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Italien italienisches Recht gilt; Staudinger/Großfeld, Rn. 154. 19 EuGH, Urt. v. 9.3.1999 (Rs. C-212/97), ZIP 1999, 438.
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Gesellschaft sei, und die Eintragung einer dänischen Zweigniederlassung der Gesellschaft abzulehnen. Zur Anwendung dänischen Rechts hatten sich die dänischen Behörden umso mehr berechtigt gesehen, als die Gesellschaftsgründung nach englischem Recht im entschiedenen Fall als Umgehung des dänischen Gesellschaftsrechts zu bewerten war. Der EuGH hat also den nationalen Behörden eine Waffe aus der Hand geschlagen, scheinausländische Gesellschaften abzuwehren, und daraus erklärt sich zu einem guten Teil die lebhafte Reaktion, die das Urteil ausgelöst hat.20 Da das Urteil zu einem nationalen Recht ergangen ist, das der Gründungstheorie folgt,21 hat man gefolgert, dass die Grundsätze des Centros-Urteils an der Behandlung scheinausländischer Kapitalgesellschaften in Deutschland nicht viel änderten.22 Denn Dänemark folgt der Gründungstheorie, und man kann folgern, die dänischen Registerbehörden seien im Fall Centros gehalten gewesen, nur die Übereinstimmung der Gründung der Gesellschaft mit dem gewählten ausländischen (hier: englischen) Gesellschaftsrecht zu prüfen. Ein deutsches Gericht oder eine deutsche Behörde sei dagegen berechtigt und verpflichtet, den wirklichen Sitz der scheinausländischen Gesellschaft zu ermitteln und, falls dieser sich in Deutschland befindet, ohne weiteres deutsches Recht anzuwenden.23 Ebenso wurde in der Tat bisher mit scheinausländischen Kapitalgesellschaften in Deutschland verfahren.24 Dies gilt auch in dem Fall, dass die Anerkennung von Kapitalgesellschaften, die nach einem bestimmten ausländischen Recht gegründet sind, durch bilateralen Vertrag ausdrücklich vereinbart ist, wie im Verhältnis Deutschland- [307] USA.25 Auch hier wird eine nach einem Recht eines Staates der USA gegründete Kapitalgesellschaft nur anerkannt, wenn sie eine gewisse organisatorische oder sonstige Beziehung zum Territorium der USA aufweist. Fehlt es daran, so wird die ausländische Kapitalgesellschaft nicht anerkannt, auch wenn sie das von ihr gewählte Gründungsrecht (z. B. von Delaware) streng eingehalten hat.26 Man könnte insgesamt annehmen, dass die Länder mit einem an der Sitztheorie orientierten internationalen Gesellschaftsrecht die größeren Chancen hätten, sich auch nach Centros mit Erfolg gegen scheinausländische Kapitalgesellschaften mit den Mitteln ihres IPR zu wehren, und diese voll ihrem Gesellschaftsrecht zu unterwerfen. Es ist aber die große Frage, ob der EuGH dies auch so sieht bzw. sehen wird. Näher liegt die Möglich Sehr kritisch zum letztgenannten Gesichtspunkt z. B. Kegel, EWS 1999 Heft 8, S. 1. Einzelheiten zum dänischen Recht bei Werlauff, ZIP 1999, 867. 22 Kindler, NJW 1999, 1993, 1996; Ebke, JZ 1999, 656, 658; Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721 ff., 726ff.; Görk, GmbHR 1999, 793 ff., 795 ff. 23 Sonnenberger/Großerichter, RIW 1999, 721, 726. 24 BayObLGZ 1998, 195 = DB 1998, 2318. 25 Zum betr. Freundschaftsvertrag oben Fn. 4. 26 OLG Düsseldorf WM 1995, 808, 811; MünchKomm-Kindler, IntGesR, Rn. 250 m.w.N. 20 21
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keit, dass das Gericht die Grundsätze des Centros-Urteils als generalisierbar ansieht und diese auch auf nationale Rechtsordnungen ausdehnen wird, in denen die Sitztheorie gilt.27 Man muss nur zur Kenntnis nehmen, dass das Gericht seine Kernaussagen in ganz allgemeiner und grundsätzlicher Weise formuliert, ohne auf die Unterschiede von Sitztheorie und Gründungstheorie im Mindesten einzugehen: Ziel der Vertragsvorschriften über die Niederlassungsfreiheit ist es jedoch gerade, es den nach dem Recht eines Mitgliedsstaats errichteten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, zu erlauben, mittels einer Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft in anderen Mitgliedstaaten tätig zu werden. (27) Damit kann es für sich allein keine missbräuchliche Ausnutzung des Niederlassungsrechts darstellen, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der eine Gesellschaft gründen möchte, diese in dem Mitgliedstaat errichtet, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen gründet. Das Recht, eine Gesellschaft nach dem Recht eines Mitgliedstaats zu errichten und in anderen Mitgliedstaaten Zweigniederlassungen zu gründen, folgt nämlich im Binnenmarkt unmittelbar aus der vom EG-Vertrag gewährleisteten Niederlassungsfreiheit.28
Demnach müsste z.B. eine scheinenglische Gesellschaft auch in Deutschland anerkannt werden. Dies gilt auch und gerade dann, wenn sie nur von der sekundären Niederlassungsfreiheit Gebrauch macht, in Deutschland durch Niederlassungen tätig zu werden, und schließlich auch dann, wenn die Niederlassung zugleich de facto der Hauptsitz ist. [308] Damit ist zwar die im deutschen IPR anerkannte Sitztheorie nicht beseitigt. Sie gilt auch nach Centros jedenfalls insoweit, als das deutsche Recht bestimmen kann, dass eine Gesellschaft nur dann nach deutschem Recht gegründet und betrieben werden kann, wenn sie ihren Hauptsitz in Deutschland hat.29 Das deutsche Recht kann aber jedenfalls innerhalb der EU nicht mehr festlegen, welche Verknüpfung einer Gesellschaft mit dem ausländischen Gründungsstatut erforderlich ist. Es kann u. U. nicht einmal mehr festlegen, dass eine Gesellschaft mit tatsächlichem Hauptsitz in Deutschland auf jeden Fall dem deutschen Recht unterliegt, wenn die Gesellschafter behaupten, es handele sich nur um eine Zweigniederlassung einer nach englischem Recht gegründeten Company. Die Centros-Entscheidung führt in der Tat innerhalb der Mitgliedstaaten der EU zur Rechtswahlfreiheit hinsichtlich der Gründung von Kapitalgesellschaften.30 Lediglich im Verhältnis zu Kapitalgesellschaften, die einem Gründungsrecht eines Staates außerhalb der EU unterliegen, kann die Sitztheorie noch in der bisherigen Weise angewendet werden. 27 Ein Ende der Sitztheorie nehmen an Werlauff, ZIP 1999, 867, 875; Meilicke, DB 1999, 627 ff.; Geyrhalter, EWS 1999, 201 ff.; Freitag, EuZW 1999, 267 ff. 28 Centros-Urteil, Tz. 26 und 27. 29 Behrens, IPRax 1999, 323, 331. 30 Kieninger, ZGR 1999, 724 ff.
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III. Überlagerungstheorie und Niederlassungsstatut Man muss sich also auf die Frage einstellen, wie in anderer Weise dem Problem der scheinausländischen Gesellschaften beizukommen ist. Die Entwicklung der Gründungstheorie zeigt dazu brauchbare Ansätze.31 Die Schwäche der Gründungstheorie liegt bekanntlich darin, dass dann das Recht mit den geringsten Gründungsanforderungen gewählt wird, und dass ein Wettbewerb der Erleichterungen zwischen den nationalen Gesellschaftsrechten einsetzt. Diesen Wettlauf hat in den USA das besonders laxe Gesellschaftsrecht von Delaware gewonnen. In den USA wurde dieser Mangel der wirksamen gesellschaftsrechtlichen Kontrollen durch die Ausbildung eines relativ strengen Kapitalmarktrechts des Bundes und z. T. auch der Einzelstaaten teilweise ausgeglichen. Außerdem hat die Rechtsprechung in den USA das Gastland, in dem die nach fremdem Recht gegründete Gesellschaft tatsächlich ihre Geschäfte betreibt, für berechtigt erklärt, der fremden Gesellschaft gesellschaftsrechtliche Mindeststandards zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger und [309] der öffentlichen Interessen aufzuerlegen.32 Das fremde Gründungsrecht wird also durch diese rechtlichen Mindeststandards des Gastlandes überlagert. Den gleichen Weg beschreitet das englische Gesellschaftsrecht auf der Grundlage der Gründungstheorie. Die in der Gründungstheorie angelegte Rechtswahlfreiheit bleibt auf den Gründungsakt beschränkt und dieses Gründungsrecht wird durch die behördliche Beaufsichtigung der in England ansässigen Gesellschaften sowie durch zwingende Regelungen des englischen Gesellschaftsrechts und allgemeinen Zivilrechts hinsichtlich der geschäftlichen Tätigkeit überlagert. Diese zwingenden Vorschriften betreffen u. a. das Register- und Bilanzrecht, die Disqualifikation der Geschäftsführer mit der Folge einer Durchgriffshaftung im Fall der Zuwiderhandlung, das Recht der Kreditsicherheiten und das Insolvenzrecht.33 Auch der EuGH sucht Wege, um nachteilige Folgen der Rechtswahlfreiheit bei Gesellschaftsgründungen, die in der Centros-Entscheidung beschlossen ist, für das Gastland abzumildern. Zwar beschränkt sich das Gericht auf wenig deutliche und relativ eng gefasste Formulierungen, dass nämlich die Behörden des betreffenden Mitgliedstaates alle geeigneten Maßnahmen treffen könnten, um Betrügereien zu verhindern oder zu verfolgen, und dass Horn, Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980, S. 64. S. vor allem die Entscheidungen zum Fall Western Airlines: Western Airlines, Inc.v. Sobieski, 191 Cal. App. 2d 399; 12 Cal. Rep. 719 (1961); Western Airlines, Inc.v. Schutzbank, 258 Cal. App. 2 d 218; 66 Cal. Rep. 293 (1968); People v. Western Airlines, Inc. 258 Cal. App. 2d 313; 66 Cal. Rep. 316 (1968). Der California Corporation Code wurde dementsprechend zum 1.1.1977 geändert; Horn, Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises, 1980, S. 64. 33 Zusammenfassend Höfling, DB 1999, 1206, 1208. 31 32
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diese Maßnahmen sowohl gegenüber der Gesellschaft als auch gegenüber den Gesellschaftern ergriffen werden könnten.34 Man kann daraus schließen, dass der EuGH im Centros-Urteil den Weg der Überlagerungstheorie eingeschlagen hat.35 Die Überlagerungstheorie führt dazu, dass – jedenfalls innerhalb der EU – auf die ausländische (oder scheinausländische) Kapitalgesellschaft zwei Rechtsordnungen anzuwenden sind, erstens ihr Gründungsrecht und zweitens das („überlagernde“) Recht des Gastlandes, in dem sie tätig ist. Man hat diesen „Normenmix“ als inpraktikabel und als Schwäche der Überlagerungstheorie bezeichnet.36 Aber man sollte die Praktikabilität der Lösung [310] auch nicht unterschätzen, abgesehen davon, dass derzeit innerhalb der EU dieser Weg vorgezeichnet scheint.37 Die Überlagerungstheorie knüpft an die tatsächliche Geschäftstätigkeit im Gastland an und die dadurch ausgelösten Schutzprobleme für den Rechtsverkehr und öffentliche Interessen. Es kommt wohl darauf an, dass mit dem Gaststaat eine enge und lokalisierbare Beziehung besteht und dort eine Geschäftstätigkeit von gewisser Intensität betrieben wird, gleichgültig, ob dies im Verhältnis zur sonstigen (internationalen) Geschäftstätigkeit der Schwerpunkt der Aktivität der betreffenden Gesellschaft ist.38 Das wäre gewiss noch zu konkretisieren. Diese Detailarbeit kann aber hier unterbleiben, weil das Centros-Urteil jedenfalls für eine besonders wichtige Fallgruppe einen ausreichend klaren Anknüpfungspunkt liefert: die Niederlassung im Inland. Dies erscheint vielleicht nicht als der einzige, aber jedenfalls als ein ausreichender Anknüpfungspunkt für die Anwendung „überlagernder“ Normen des Gastlandes. Man mag diesen Aspekt eine (entfernte) Variante der Sitztheorie nennen. Es ist jedenfalls neben dem Gründungsstatut, das über die Existenz der Gesellschaft entscheidet, noch ein Niederlassungsstatut anzuerkennen, das zur Anwendung des Rechts des Gastlandes für die Geschäftstätigkeit der betreffenden Kapitalgesellschaft im Gastland führt. Die Mitgliedstaaten der EG müssen also den Bestand ihrer gesellschaftsrechtlichen Normen darauf hin durchmustern, welche Normen auch gegenüber einer nach fremdem Recht gegründeten Kapitalgesellschaft jedenfalls durchsetzbar sein sollten. Dies gilt nicht nur für die Mitgliedstaaten mit Gründungstheorie, sondern es gilt auch für solche mit Sitztheorie. Es gilt ferner zwar nur gegenüber solchen Kapitalgesellschaften, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates der EG gegründet sind. Aber es kann nicht ausgeschlos Centros-Urteil, Leitsatz a.E. Höfling, DB 1999, 1206; Sandrock, BB 1999, 1337; ähnlich auch Werlauff, ZIP 1999, 867 ff. 36 Staudinger/Großfeld, Rn. 59. 37 Dies ist auch die Einschätzung von Großfeld, Rn. 32, 131. 38 Den Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit als (primären) Anknüpfungsgesichtspunkt schlägt Wiedemann, FS Kegel, 1977, S. 193 ff. vor; kritisch wegen Unsicherheit dieses Kriteriums MünchKomm-Ebenroth, BGB, Bd. 7, 2. Aufl. 1990, nach Art. 10 EGBGB, Rn. 174 f. 34 35
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sen werden, dass auch Gründer aus anderen Staaten sich an diesem Spiel beteiligen und ein Recht eines Mitgliedstaates der EU in zulässiger Weise wählen. Auch im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht war schon bisher die Unterscheidung solcher Normen, die unbedingt gelten und daher auch Kapitalgesellschaften gegenüber anzuwenden sind, die einem ausländischen Recht unterliegen, und anderen Normen notwendig. Allerdings galt dies nur nach dem gewichtigen Gesichtspunkt des ordre [311] public.39 Künftig wird man den Kreis solcher Normen unter dem Vorzeichen von Centros weiter ziehen müssen. Der Begriff des Gründungsrechts ist eng zu fassen. Alles, was die geschäftliche Aktivität der Gesellschaft nach der Gründung betrifft, kann vom Gastland als dem Land der Geschäftstätigkeit für alle in- und ausländischen Gesellschaften in gleicher Weise (und damit ohne Diskriminierung) im Interesse des Gläubigerschutzes und anderer öffentlicher Interessen geregelt werden.40
IV. Materiellrechtliche Mindeststandards nach Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht Bei der Ermittlung materiellrechtlicher Mindeststandards, die für alle inund ausländischen Kapitalgesellschafteil bei ihrer relevanten (insbesondere auf Niederlassungen gestützten) Tätigkeit im Gastland gelten, ist zuerst an das Gemeinschaftsrecht selbst und an die dadurch herbeigeführte Rechtsangleichung zu denken. Im Bereich des Rechnungslegungsrechts und der Bilanzpublizität (4. und 7. EG-Richtlinie), der Handelsregisterpublizität, der Organvertretungsmacht und der Nichtigkeitsgründe bei Gesellschaften mit besonderer Haftung (2. EG-Richtlinie) und im Bereich der (11.) Zweigniederlassungsrichtlinie wurde weitgehende Rechtsangleichung erreicht. In anderen Bereichen sind die Bemühungen um eine Rechtsangleichung des Gesellschaftsrechts steckengeblieben,41 Deshalb ist zu fragen, in welchem Umfang das nationale Recht des Gastlandes (der betr. Niederlassung) zum Schutz des inländischen Rechtsverkehrs und öffentlicher Interessen eingreifen kann. Dies muss selbstverständlich in gemeinschaftskonformer Weise geschehen. Das Centros-Urteil gibt zu den hier maßgeblichen Kriterien freilich nur magere Hinweise, wenn es dort heißt, das Gastland dürfe Maßnahmen ergreifen, um Betrügereien zu verhindern. Das Urteil enthält aber zugleich den weiterführenden Hinweis, dass nämlich mittelbare Beeinträch Staudinger/Großfeld, Rn. 37, 74 f. Werlauff, ZIP 1999, 867, 875. 41 Zu dieser Entwicklung Behrens, EuZW 1990, 13; Werlauff, Eur.L.Rev. 1992, 207; Hopt, ZIP 1998, 96. 39
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tigungen der Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 (Art. 52, 58 a.F.) EGV durch das nationale Recht dann hinzunehmen seien, wenn das nationale Recht den im Urteil Cassis de Dijon42 genannten [312] Kriterien entspricht, d. h. nicht diskriminiert, zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entspricht, zur Erreichung des Zieles geeignet ist und nicht über dieses Ziel hinausgeht.43 Die Diskussion zum deutschen Recht unter diesen Gesichtspunkten zeigt erste Ergebnisse. Dass es nach Centros schwer, wenn nicht unmöglich sein sollte, gegenüber deutschen Zweigniederlassungen scheinausländischer Kapitalgesellschaften die Kapitalausstattungserfordernisse des deutschen GmbH-Rechts durchzusetzen, liegt auf der Hand, so dass sich die Frage des Erfordernisses dieses Schutzes kaum noch stellt.44 Ein effektiver Gläubigerschutz bei Geschäften mit einer kapitallosen oder kapitalarmen Niederlassung einer ausländischen (scheinausländischen) Kapitalgesellschaft lässt sich am ehesten durch eine Durchgriffshaftung auf die Gesellschafter bewerkstelligen, und dieser Gedanke wird im Gefolge von Centros auch zunehmend befürwortet.45 Der Gedanke der Anwendung einer Durchgriffshaftung in solchen Fällen ist freilich nicht neu.46 Als Haftungstatbestand wird die qualifizierte materielle Unterkapitalisierung angesehen und zwar als Rechtssatz, der unabhängig vom Gesellschaftsstatut zum Zug kommt und kollisionsrechtlich unter dem Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung oder des ordre public angeknüpft wird.47 Nun will der EuGH freilich im Centros-Urteil den Gesichtspunkt der Gesetzesumgehung im Hinblick auf die Niederlassungsfreiheit nicht ohne Weiteres gelten lassen. Man muss diesen Hinweis aber auf das Gründungsrecht i. e. S. beschränken, während das auf die laufende Geschäftstätigkeit anwendbare Recht davon nicht betroffen ist. Im Ansatz ist also die Durchgriffshaftung zu befürworten. Die Durchgriffshaftung bleibt aber weiterhin auf Ausnahmefälle beschränkt. Sind die – noch so geringen – ausländischen Kapitalausstattungserfordernisse bei einer wirksam nach ausländischem Recht gegründeten Gesellschaft erfüllt, so lässt sich eine zusätzliche, ggf. höhere Kapitalausstattung weder der Gesellschaft noch ihrer inländischen Zweigstelle fordern. Die Gesellschafter oder Geschäftsführer, die eine [313] de facto mittellose Gesellschaft bzw. Niederlassung für Geschäfte von großem finanziellem Volumen einsetzen, können aber aus dem Gesichtspunkt der § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB und § 826 BGB EuGH, Slg. 1979, 649ff. = NJW 1979, 1766. Centros-Urteil, Tz. 34. 44 Zu dieser Frage verneinend Ulmer, JZ 1999, 662, 664. 45 Roth, ZIP 1999, 861, 862 f.; Werlauff, ZIP 1999, 867, 875; Ulmer, JZ 1999, 662, 664f. 46 Zur ausnahmsweisen Nichtanerkennung einer durch ausländisches Gesellschaftsstatut begründeten Haftungsbeschränkung in diesem Sinn etwa Staudinger/Großfeld, Rn. 350. Vgl. auch Möllers, Internationale Zuständigkeit bei der Durchgriffshaftung, 1987, S. 39. 47 Ulmer, JZ 1999, 662, 665. 42 43
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haften. Diese Haftung hat freilich mit dem Gesellschaftsrecht wenig zu tun, und es bedarf auch keiner Anknüpfung an eine Niederlassung; die Anknüpfung an den Deliktsort genügt. In diesem Sinn hat die Rechtsprechung seit jeher und auch jüngst z.B. Geschäftsführer ausländischer Gesellschaften bei deliktischen Handlungen mit inländischem Handlungsort oder Erfolgsort haften lassen.48 Ein Verkehrsschutz bei Tätigkeit deutscher Niederlassungen ausländischer Gesellschaften folgt schließlich allgemein aus dem Firmenrecht des deutschen HGB. Bei der Eintragung. solcher Niederlassungen ist nach § 13d HGB deutsches Firmenrecht grundsätzlich maßgeblich.49 Dies gilt auch für den obligatorischen Rechtsformzusatz gern. § 19 HGB, § 4 GmbHG und § 4 AktG, der gem. § 13d Abs. 2 HGB auch hier vorzunehmen ist. Der Rechtsformzusatz „private limited company“ ist dabei im Interesse der Firmenklarheit unabgekürzt zu verwenden, solange sich die Abkürzung (Ltd.) im Verkehr nicht durchgesetzt hat. Ferner ist das Herkunftsland im Klammern beizufügen.50 Auf diese Weise besteht jedenfalls für den rechtsgeschäftliehen Verkehr eine zusätzliche Warnung.
V. Deutsches Mitbestimmungsrecht Das deutsche Unternehmensmitbestimmungsrecht ist eine Besonderheit des deutschen Rechts, das in der EU keine Nachahmung oder Eingang in Rechtsangleichungsschritte findet; es hat sich vielmehr umgekehrt als Hindernis auf dem Weg zu einer weiteren Vereinheitlichung des Gesellschaftsrechts erwiesen.51 Ihm wird in Deutschland so große Bedeutung beigemessen, dass die Unternehmensmitbestimmung zum deutschen ordre public i.S. Art. 6 EGBGB gerechnet wird.52 Es wird daher auch gefordert, deutsches Unternehmensmitbestimmungsrecht auch auf ausländische Gesellschaften mit deutscher Geschäftstätig- [314] keit anzuwenden.53 Da die deutsche Unternehmensmitbestimmung aber an bestimmte Rechtsformen des deutschen Gesellschaftsrechts anknüpft, sind ihr nach h. M. zwar die entsprechenden deutschen Tochtergesellschaften ausländischer Konzerne gern. § 1 Abs. 1 Nr. 1 MitbestG unterworfen, nicht aber die ausländische Konzern-
Vgl. z.B. BGH ZIP 1999, 486 = EWiR 1999, 351 (Tilp). MünchKommHGB-Bokelmann, 1996, § 13 d, Rn. 16 ff., 18. 50 Ulmer, JZ 1999, 662, 663. 51 Vgl. auch Hopt, ZIP 1998, 96 ff. 52 Staudinger/Großfeld, Rn. 510; Ulmer, in: Hanau/Ulmer, MitbestG, 1981, Einl. Rn. 35,40. 53 Großfeld, Internationales und Europäisches Unternehmensrecht, 2. Aufl. 1995, S. 91 ff. 48 49
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spitze.54 Schon vor Centros war demnach auch die Möglichkeit anerkannt, im internationalen Konzern durch Wahl einer ausländischen Konzernspitze und die Beschränkung auf deutsche Niederlassungen (statt Tochtergesellschaften) die Mitbestimmung zu vermeiden. Gleiches gilt auch bei der Beteiligung ausländischer Kapitalgesellschaften an deutschen Personenhandelsgesellschaften. An sich greift hier die besondere Mitbestimmungsregelung des § 4 Abs. 1 MitbestG ein. Ist beteiligter Komplementär aber eine ausländische Kapitalgesellschaft, gilt die Mitbestimmungsregelung nicht.55 Es fragt sich, ob die Centros-Entscheidung neue Ansatzpunkte für eine Vermeidung der deutschen Unternehmensmitbestimmung eröffnet, indem man Unternehmen, die in Deutschland tätig sind und einen mitbestimmungsrelevanten Umfang haben, einer scheinausländischen Holding unterstellt. Die Fallgestaltung in Centros ist dafür aber ohne Belang. Denn wenn diese Absicht besteht und zu diesem Zweck eine Holding in einem Land mit Gründungstheorie gegründet wird, dann können die Gründer den zusätzlichen Aufwand, dieser Holding einen echten Sitz statt eines fiktiven Sitzes in dem betreffenden Land zu verschaffen, ohne Weiteres tragen. Es ist deshalb vermutlich ohne größere praktische Bedeutung, für den Fall der scheinausländischen Gesellschaft entgegen Centros den deutschen ordre public zu bemühen, wie es Ulmer namentlich für den Fall der Einschaltung einer ausländischen Komplementärgesellschaft befürwortet.56 Im übrigen gilt für Konzernsachverhalte, dass es für die Anwendung des deutschen Mitbestimmungsrechts auf den Ort der tatsächlichen Leitung in Deutschland ankommt.57 Wird für die angebliche Konzernleitung im Ausland nur eine fiktive ausländische Holding vorgeschoben, so greift deutsches Mitbestim[315] mungsrecht ein. Es ist nicht erkennbar, dass nach Centros auch in dieser Geltung des Mitbestimmungsrechts ein Eingriff in die Niederlassungsfreiheit gesehen werden müsste.
VI. Internationale Fusion und Sitztheorie Man kann fragen, ob die skizzierten Entwicklungen im internationalen Gesellschaftsrecht zu einer Veränderung der deutschen Rechtslage bei grenzüberschreitenden Fusionen mit Beteiligung einer deutschen Gesellschaft führen. Dabei ist zwischen einer Fusion in Deutschland unter Beteiligung Raiser, MitbestG, 3. Aufl. 1998, § 1, Rn. 13 ff. BayObLG WM 1986, 968, 970 (obiter); OLG Stuttgart ZIP 1995, 1004; Wackerbarth, in: Herrmann/Berger/Wackerbarth (Hrsg.), Deutsches und internationales Bank- und Wirtschaftsrecht im Wandel, 1996, S. 491 ff., 513 f. 56 JZ 1999, 662, 663. 57 Wackerbarth, a. a. O. Auf diesem Grundsatz beruht etwa auch die Fortgeltung der Mitbestimmung für den deutschen Teilkonzern. 54 55
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einer ausländischen Gesellschaft (Hineinverschmelzung) und die Fusion im Ausland unter Beteiligung einer deutschen Gesellschaft (Hinausverschmelzung) zu unterscheiden. Eine einheitliche oder harmonisierte Regelung beider Vorgänge innerhalb der EU durch Gemeinschaftsrecht ist bisher nicht erreicht. Der Vorschlag der EG-Kommission für eine Fusionsrichtlinie58 ist bisher nicht realisiert. Für beide genannten Fälle der grenzüberschreitenden Fusion unter Beteiligung einer deutschen Gesellschaft (Hinein- und Hinausverschmelzung) wird von der bisher überwiegenden Meinung angenommen, dass das deutsche Recht sie nicht zulasse.59 Für die Verschmelzung in Deutschland ist das Umwandlungsgesetz maßgebend. Nach § 1 Abs. 1, 2 UmwG ist die Verschmelzung jedoch Rechtsträgern mit Sitz im Inland vorbehalten. Daraus schließt die h. M., dass eine Verschmelzung unter Beteiligung ausländischer Gesellschaften ausgeschlossen sein solle.60 Dies entspricht den Vorstellungen des historischen Gesetzgebers.61 Der umgekehrte Fall, Verschmelzung einer deutschen auf eine ausländische Gesellschaft im Ausland (Hinausverschmelzung), ist nach h. M. wegen der Sitztheorie nicht möglich.62 Denn [316] nach der Sitztheorie führt sie wie die Sitzverlegung ins Ausland aus der Sicht des deutschen Rechts zur Liquidation der betreffenden Gesellschaft.63 Folge der Liquidation ist die Aufdeckung der stillen Reserven und die Besteuerung der Wertdifferenz. Die EG-Fusionsbesteuerungsrichtlinie64 will diese nachteiligen Folgen vermeiden, kann aber bisher mangels einer Regelung der gesellschaftsrechtlichen Seite der Fusion nicht eingreifen.65 Die Centros-Entscheidung des EuGH ist geeignet, die Rechtslage im Sinne einer Zulassung beider Arten von Fusion herbeizuführen oder zumindest zu fördern. Man mag daran denken, dass dies vor allem für die Hinausfusion gilt, weil deren Haupthindernis bisher der Ansatz der Sitztheorie war, diese aber durch die Centros-Entscheidung zumindest indirekt entscheidend 58 Vorschlag einer zehnten Richtlinie v. 8.1.1985 (Internationale Fusionsrichtlinie), ABl. EG Nr. C 23/11; Lutter, Europäisches Unternehmensrecht, 4. Aufl. 1996, S. 257 ff. 59 BayObLG OLGRspr. 14, 357; Godin/Wilhelmi, AktG, 4. Aufl. 1972, § 339 AktG Anm. 4; Schubert/Küting, Aspekte der aktienrechtlichen Eingliederung und Verschmelzung, DB 1978, 121, 124; Würdinger, Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl. 1981, S. 239f. 60 Bermel, in: Goutier/Knopf/Tulloch, Umwandlungsrecht, 1996, § 1 UmwG, Rn. 8; Großfeld, AG 1996, 302; Dehmer, UmwG, 2. Aufl. 1996, § 1 UmwG, Rn. 3; Sagasser/Bula, Umwandlungen, 1995, Rn. B 27; MünchKomm-Kindler, Rn. 681. 61 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 12/6699, S. 79; Neye, ZIP 1994,917,919. 62 Bermel, in: Goutier/Knopf/Tulloch, § 1 UmwG, Rn. 10ff.; Großfeld, AG 1996, 302. 63 MünchKomm-Ebenroth, Internationales Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1990, Rn. 220; Staudinger/Großfeld, Rn. 633 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht I, 1980, S. 781; Heckschen, Verschmelzung von Kapitalgesellschaften,1989, S. 5; Dehmer, § 1 UmwG, Rn. 5; wohl auch Herzig/Förster, DB 1994, 1, 2. 64 Richtlinie v. 23.7.1990; 90/434/EWG, ABl. EG 1990 L 225/1 = EWS 1990,150. 65 Dehmer, § 1 UmwG, Rn. 6.
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geschwächt wurde. Das Hauptgewicht der Entscheidung liegt aber in der Betonung der Niederlassungsfreiheit, und diese gilt für beide Arten der Verschmelzung. In der Tat haben sich bereits vor Centros die Stimmen gemehrt, die unter Berufung auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 43, 48 EGV grenzüberschreitende Verschmelzungen nach deutschem Recht für zulässig erklärt haben.66 Die Verschmelzung einer ausländischen auf eine deutsche Gesellschaft wird heute von einem starken Meinungslager für zulässig gehalten.67 Weitergehend wird von einer Reihe von Autoren die grenzüberschreitende Verschmelzung unter Beteiligung einer deutschen Gesellschaft generell für zulässig gehalten, sofern auch das beteiligte ausländische Recht Verschmelzung zulässt, so dass also auch die Verschmelzung einer deutschen Gesellschaft auf eine ausländische (Hinausverschmelzung) ohne Auflösung möglich ist.68 Die Gesellschaftsstatute der beteiligten Gesellschaften [317] sind dabei kumulativ i. S. der Vereinigungstheorie anzuwenden.69 Die Praxis ist dagegen vorsichtig und will sich regelmäßig nicht auf den schwankenden Boden einer Rechtslage begeben, die noch nicht durch höchstrichterliche Rechtsprechung und schon gar nicht durch den Gesetzgeber eindeutig abgesichert worden ist. Daher werden grenzüberschreitende Verschmelzungen unter Beteiligung deutscher Gesellschaften aus der Praxis nur vereinzelt berichtet.70 Eine Regelung durch den Gesetzgeber ist daher wünschenswert.
VII. Zusammenfassung Die Anerkennung der ausländischen Kapitalgesellschaft nach deutschem internationalem Gesellschaftsrecht kann im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten der EU nur noch sehr eingeschränkt nach der Sitztheorie erfolgen. Die Centros-Entscheidung des EuGH eröffnet hier eine weitgehende Rechtswahlfreiheit. Diese Rechtswahlfreiheit ist aber auf den Gründungsakt 66 Großfeld/Jasper, RabelsZ 53 (1989), 52, 55 ff.; Lutter, ZGR 1994, 87, 90; Kronke, ZGR 1994, 26, 33 ff.; im Ergebnis auch Kallmeyer, ZIP 1996, 535, 537. 67 Kraft, in: Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl. 1990, § 339 AktG, Rn. 39; KnobbeKeuk, ZHR 154 (1990), 325, 334 f.; Großfeld/Jasper, RabelsZ 53 (1989), 52, 62, 69; Herzig/ Förster, DB 1994, 1, 3; Kallmeyer, ZIP 1996, 535 ff.; Lutter, ZGR 1994, 87, 90 ff.; Rixen/ Böttcher, GmbHR 1993, 572 ff.; wohl auch Bermel, in: Goutier/Knopf/Tulloch, § 1 UmwG, Rn. 13. 68 Behrens, IPR, Rn. 68; ders., ZGR 1994, 1, 11 f.; MünchKomm-Ebenroth, Rn. 477 ff.; Kraft, § 339 AktG, Rn. 40; Picot/Land, DB 1998, 1601, 1606 f.; wohl auch MünchKommKindler, Rn. 661 ff. 69 Beitzke, S. 14 ff.; MünchKomm-Kindler, Rn. 661; Staudinger/Großfeld, Rn. 683; Picot/Land, DB 1998, 1601, 1606 f.; ähnlich Behrens; ZGR 1994, 1, 11 f. 70 Für eine grenzüberschreitende Verschmelzung nach Deutschland Rixen/Böttcher, GmbHR 1993, 572 ff.; und Großfeld, Internationales Umwandlungsrecht, AG 1996, 302 ff., 307; ferner Herzig/Förster, DB 1994 ff.
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Entwicklungen im internationalen Kapitalgesellschafts- und Fusionsrecht
beschränkt. Die Mitgliedstaaten sind frei, auf die geschäftliche Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft im Inland, insbesondere mittels Niederlassungen, ihr eigenes Recht anzuwenden, soweit dies für den Schutz der Gläubiger und öffentliche Interessen i. S. der Cassis de Dijon-Entscheidung notwendig ist. Die inländische Niederlassung bildet dafür den entscheidenden Anknüpfungspunkt. Die Betonung der Niederlassungsfreiheit im Centros-Urteil ebnet den Weg für eine Zulässigkeit grenzüberschreitender Fusionen unter Beteiligung deutscher Gesellschaften.
Sicherungsrechte an Geld- und Wertpapierguthaben im internationalen Finanzverkehr In Festschrift für Walther Hadding, 2004, S. 893–904 Der internationale Finanzmarkt ist auf eindeutige und verläßliche Sicherungsrechte angewiesen. Ein bedeutsames Hindernis im grenzüberschreitenden Finanzverkehr bilden die Unterschiede der nationalen Rechte hinsichtlich der Bestellung, des Inhalts und des Fortbestands von Sicherungsrechten. Diese Hindernisse zu überwinden oder zu neutralisieren ist das Ziel zahlreicher Bemühungen, die in den letzten Jahren zu ersten Erfolgen geführt haben. Dabei hatten Vereinheitlichungen des Kollisionsrechts Vorrang vor einer Angleichung des materiellen Rechts der Sicherheiten in den verschiedenen Ländern, die weitaus schwerer zu bewerkstelligen ist. Walter Hadding, dem die folgenden Ausführungen zu diesem Themenbereich gewidmet sind, hat sich verschiedentlich mit Fragen des Rechts der Kreditsicherheiten befaßt.1 Darüber hinaus hat das Institut für Deutsches und Internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens, in dessen wissenschaftlicher Leitung Walter Hadding viele Jahre tätig war, die rechtsvergleichende Untersuchung von Sicherungsrechten stets zu seinen Forschungsschwerpunkten gezählt.2
I. Geld- und Wertpapierguthaben als Sicherungsgegenstände 1. Sicherungsrecht und Entmaterialisierung des Wertpapierverkehrs Für die Transaktionen der Geld- und Finanzmärkte sind in zahlreichen Fällen rasch zu bestellende und verfügbare Sicherungsrechte, insbesondere zugunsten der Banken, zur Abdeckung von Risiken erforderlich. Die geeigneten Sicherungsgegenstände dafür sind Geldguthaben und Wertpapiergut1 Vgl. etwa Hadding/Schneider (Hrsg.) Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit, 1979; dazu Rez. Horn ZHR 145 (1981), 506; Hadding/Häuser/Welter Bürgschaft und Garantie, in BMJ (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. III (1983), 571 ff. 2 Vgl. dazu die von Bärmann begründete Schriftenreihe „Recht der Kreditsicherheiten in europäischen Ländern“, die ab 1978 von Hadding und Schneider fortgeführt wurde. Neueste Veröffentlichungen in dieser Reihe betreffen Spanien (Teil VII, 1988), Griechenland (Teil VIII, 1999) und Polen (Teil IX, 2000).
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[894] haben, die bei Banken unterhalten werden. Sie sind in Konten repräsentiert, die im Fall von Geldguthaben eine entsprechende Zahlungsforderung gegen die Bank abbilden, im Fall von Wertpapierguthaben einen Anspruch auf entsprechende Wertpapiere. Dieser Anspruch kann ein schuldrechtlicher Lieferanspruch sein oder aber ein dinglicher Herausgabeanspruch im Rahmen eines (meist mehrstufigen) Besitzmittlungsverhältnisses, wie es der sachenrechtlichen Ausgestaltung des deutschen Depotrechts noch immer entspricht. Unabhängig von seiner dogmatischen Rechtsnatur wird der im Wertpapierkonto abgebildete Anspruch gegen die Bank im internationalen Finanzverkehr als Sicherungsgegenstand verwendet. Die Bestellung der Sicherheit kann im Wege der Vollrechtsübertragung erfolgen oder im Wege der Pfandrechtsbestellung. In der deutschen Bankpraxis kommt dabei dem AGB-Pfandrecht eine herausragende Bedeutung zu. Bei der Bestellung von Sicherheiten an Wertpapieren, sei es durch Pfandrechtsbestellung oder Vollrechtsübertragung, ergibt sich bei internationalen Sachverhalten das traditionelle Problem, daß für Wirksamkeit und Inhalt der Sicherheit „an den Wertpapieren“ das Recht des Belegenheitsortes dieser Wertpapiere maßgeblich ist (lex cartae sitae). Dieser Grundsatz würde schon dann große praktische Schwierigkeiten bereiten, wenn sich der Wertpapierumlauf tatsächlich durch körperlichen Transport von Wertpapieren vollziehen würde. Da sich im Wertpapierhandel das Erfordernis der körperlichen Übertragung der gehandelten Wertpapiere seit langem als unannehmbares Hemmnis für den vom Markt geforderten raschen Umlauf großer Massen gehandelter Wertpapiere erwiesen hat, hat die Praxis in Europa, in den USA und weltweit eine Entmaterialisierung des Wertpapierumschlags vorgenommen, indem man den Umlauf der Stücke durch Depotkontenbewegungen ersetzt. Die Kollisionsregel der lex cartae sitae hat durch diese Entwicklung teils ihre tatsächlichen Voraussetzungen verloren, wenn es nämlich an Wertpapierstücken fehlt wie in Frankreich, teils an innerer Berechtigung, nämlich dort, wo zwar Wertpapierstücke fortbestehen, diese aber sammelverwahrt sind und nicht mehr umlaufen. 2. Verschiedene Systeme der nationalen Rechte In Deutschland hat man an der sachenrechtlichen Konstruktion des Wertpapierumlaufs festgehalten: Die Erwerber von Wertpapieren werden dadurch Inhaber der verbrieften Rechte, daß sie Miteigentümer der (überwiegend bei einem Zentralverwahrer) sammelverwahrten Wertpapiere oder Globalurkunden werden und ihnen mittelbarer Mitbesitz durch die depotkontoführenden Banken gemittelt wird.3 Das deutsche Recht kennt von die- [895] 3 Horn Die Erfüllung von Wertpapiergeschäften unter Einbeziehung eines Zentralen Kontrahenten an der Börse, WM Sonderbeilage Nr. 2/2002 zu Nr. 20 v. 18.05.2002, S. 8 ff., 17 ff.
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ser sachrechtlichen Grundlage eine Ausnahme für Schuldverschreibungen der öffentlichen Hand; diese können aufgrund spezialgesetzlicher Regelung ohne Verbriefung durch Eintragung in die Schuldbücher des Bundes und der Länder begründet und übertragen werden.4 Die Praxis macht eine weitere Ausnahme für sog. Gutschriften in Wertpapierrechnung (WR) bezüglich ausländischer Wertpapiere, welche die Bank für ihre Kunden grundsätzlich im Ausland anschafft und verwahren läßt; die dadurch erworbene Rechtsstellung hält die Bank treuhänderisch für ihren Kunden. Die durch WRGutschrift erworbene Rechtsstellung des Kunden ist im Verhältnis zur Bank insolvenzfest und kann übertragen und verpfändet werden.5 Der internationale Effektengiroverkehr ist nach deutschem Recht dadurch erleichtert, daß unter bestimmten Voraussetzungen des § 5 (4) DepotG die deutsche Wertpapiersammelbank gegenseitige Kontenverbindungen mit anerkannten ausländischen Wertpapiersammelbanken begründen kann. Allerdings bestehen Unsicherheiten hinsichtlich der buchmäßigen Übertragung von ausländischen sammelverwahrten Wertpapieren, für die mehrere Verwahrorte bestehen, insbesondere bei Verwendung von Globalurkunden oder der Ersetzung der Verbriefung durch Registereintragungen.6 Auch bei der Wahrung des Zug-um-Zug-Prinzips traten Schwierigkeiten auf.7 In den USA wird der Wertpapierumlauf im Ergebnis ebenfalls durch Depotkontenbewegungen durchgeführt. Die Börsen haben dadurch, daß sie nur Namensaktien zum Handel zulassen, in dem damit verbundenen Registrierungserfordernis ein zusätzliches Umlaufhemmnis geschaffen. Es wird dadurch gelöst, daß Broker treuhänderisch als Berechtigte registriert werden (street names) und sich der Umlauf zwischen Kunden durch Umbuchungen von Wertpapierkonten vollzieht.8 In Frankreich hat der Gesetzgeber die Entmaterialisierung der Kapitalmarktpapiere durch Gesetz von 1981 angeordnet. Die früher verbrieften Rechte werden nunmehr auf Konten des Emittenten (vorwiegend) für Finanzintermediäre geführt, die ihrerseits Konten für ihre Kunden führen. Die Kontenbewegungen bewirken und dokumentieren den Wertpapierumlauf zwischen den Anlegern.9 [896]
Horn aaO, S. 16 f. Heinsius/Horn/Than Depotgesetz 1975, § 22, Rn. 44; Kümpel Bank- und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2000, Rn. 11.254; Than in Festschrift Kumpel, 2003, S. 543, 549. 6 Einsele WM 2001, S. 7 ff., 11; Than in Festschrift Kumpel, 2003, S. 551. 7 Than aaO. 8 Vgl. Uniform Laws Annotated, UCC Vol. 2C, 1991, Cum. Annual Pocket Part 1999– 2000, S. 49f. (prefatory note to Revised Art. 8 (1994) Investment Securities); Stupp Rechtsfragen des Umlaufs von Aktien an ausländischen Börsen. Ein Vergleich des deutschen mit dem US-amerikanischen Aktien-, Börsen- und Wertpapierrecht, Diss. Köln 2003, § 9 II 2. 9 Loi de dématerialisation des valeurs mobilières 30.12.1981, in Kraft seit 03.11.1984 aufgrund Décret 02.05.1983; Gavalda/Stoufflet Droit bancaire, 3’ème éd. 1997, Nr. 748 ff. 4 5
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3. Die Anforderungen des Rechtsverkehrs Es besteht international weithin ein Konsens, daß die Harmonisierung der nationalen Wertpapierrechte der faktisch bereits auf den Finanzmärkten vollzogenen Entmaterialisierung durch Übergang auf reine Kontenbewegungen Rechnung tragen muß. Für handelbare Wertpapiere ist ein System von Wertpapierkonten zu schaffen. Die Kontenbuchungen und Kontenbewegungen müssen den Anforderungen des Verkehrs an die Transaktionssicherheit Rechnung tragen. Dazu gehört vor allem die Möglichkeit einwendungsfreien gutgläubigen Erwerbs, ferner der Schutz der Wertpapierkontenguthaben vor dem Zugriff der Gläubiger der kontoführenden Bank, insbesondere in deren Insolvenz. Die rechtlichen Konturen eines solchen Systems werden derzeit von UNIDROIT erarbeitet.10 Im folgenden werden drei neuere kollisionsrechtliche Lösungsansätze betrachtet, denen gemeinsam ist, daß sie als Anknüpfungspunkt das Konto über Geldguthaben oder Wertpapierguthaben wählen: (1) Die aufgrund der Finalitäts-Richtlinie von 1998 erlassene Kollisionsnorm des § 17a DepotG (i.F. II.), (2) die Finanzsicherheiten-Richtlinie von 2002 (i.F. III.) und (3) die Konvention Nr. 36 von 2002 der Haager Konferenz (i.F. IV.).
II. Finalitäts-Richtlinie und § 17a DepotG Die Finalitäts-RL von 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und -abrechnungssystemen11 sucht die Risiken in diesen Systemen zu vermeiden, die daraus entstehen können, daß durch die Insolvenz eines Teilnehmers die Abrechnung während eines laufenden Abrechnungstages unterbrochen werden könnte, wie dies seinerzeit im Herstatt-Fall geschehen ist. Die Richtlinie erklärt daher Zahlungs- und Überweisungsaufträge und Aufrechnungen für wirksam, wenn diese Aufträge vor dem Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung in das System eingebracht wurden (Art. 3). Diese Regelung ist in § 98 (2) InsO in das deutsche Recht umgesetzt worden. Die Finalitäts-Richtlinie enthält in Art. 9 (2) eine kollisionsrechtliche Regelung, die das Prinzip der lex cartae sitae durch die Belegenheit eines Registers, Kontos oder zentralen Verwahrsystems, in das die Wertpapiere „mit rechtsbegründender Wirkung in einem Register eingetragen“ werden, ersetzt; demnach ist das Recht des betreffenden Mitgliedstaates anwendbar. Der Anwendungsbereich dieser Regelung wirft allerdings Zweifelsfragen [897]
10 UNIDROIT Study LXXVIII; Transactions on transnational and connected capital markets, www.UNIDROIT.org/english/workprogramme/main.htm#NRI. 11 RL 98/26/EG v. 19.05.1998, ABl. L 166/45.
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auf.12 So ist umstritten, ob auch Sicherheitenbestellungen von diesem Statut erfaßt werden; ferner sind die Einzelheiten des Kriteriums einer „Eintragung mit rechtsbegründender Wirkung“ umstritten. Die entsprechende englische Fassung ist dogmatisch weniger präzise und spricht lediglich davon, daß die Wertpapiere „gemäß gesetzlicher Vorschrift in einem Register eingetragen“ werden („legally recorded on a register“).13 In Deutschland ist Art. 9 (2) der Finalitäts-RL durch die Einfügung von § 17a in das DepotG umgesetzt worden.14 Danach unterliegen Verfügungen über entsprechend registrierte oder verbuchte Wertpapiere oder Sammelbestandanteile dem Recht des Staates, unter dessen Aufsicht das Register geführt wird oder in dem sich die kontoführende Haupt- oder Zweigstelle des Verwahrers befindet. Die Norm enthält daher eine Erweiterung sowohl hinsichtlich der Geschäfte (nicht nur Sicherungsgeschäfte, sondern alle Verfügungen über Wertpapierbestände) als auch hinsichtlich des Personenkreises der Sicherungsnehmer. Die Vorschrift stellt entsprechend der Richtlinie auf eine rechtsbegründende Wirkung der Registrierung oder Buchung ab. Eine verbreitete Meinung verbindet damit die Vorstellung einer konstitutiven Depotbuchung i. S. § 24 (2) DepotG. Da die Übertragung und Verpfändung von Wertpapieren aber unstreitig dem Übereignungsrecht des BGB (§§ 929 ff.) folgt und sich nicht nach § 24 (2) DepotG vollzieht,15 haben die Depotbuchungen nach dieser Meinung nur deklaratorische Wirkungen und werden daher von § 17a DepotG nicht erfaßt.16 Diese Auffassung ist zu eng. § 24 DepotG enthält einen gesetzlichen Erwerbstatbestand, der an einen Realakt anknüpft, nämlich die Eintragung im Verwahrbuch, und bei dem folglich die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs zu verneinen ist.17 Es handelt sich um einen subsidiären Erwerbstatbestand, der nur zur Anwendung gelangen soll, wenn das Eigentum nicht nach BGB schon früher auf den Erwerber übergegangen ist,18 und der in der Praxis eine geringe Bedeutung hat.19 Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß Art. 9 (2) Finalitäts-RL und § 17 a DepotG nur für gesetzli12 Keller WM 2000, 1269 ff.; Schefold IPRax 2000, 468, 472; Einsele WM 2001, 2415, 2418. 13 Vgl. auch die Hinweise auf die französische, italienische, französische, spanische und portugiesische Fassung bei Einsele WM 2001, 2415, 2419. 14 G zur Änderung insolvenzrechtlicher und kreditwesenrechtlicher Vorschriften vom 08.12.1999, BGBl I, 2384f. 15 Horn WM Sonderbeil. Nr. 2/2002, S. 12, m.N. 16 Einsele WM 2001, 2415, 2421 ff.; Than in Festschrift Kumpel, 2003, S. 553. 17 Heinsius/Horn/Than DepotG, 1975, § 24 Rn. 26; Canaris Bankvertragsrecht, 2. Bearb. 1981, Rn. 1993 f.; Einsele WM 2001, 7, 12. Damit wird eine wichtige Anforderung, die der Rechtsverkehr an den Wertpapiergiroverkehr stellt, verfehlt; Einsele aaO. 18 Heinsius/Horn/Than aaO, § 24 Rn. 35. 19 Koller DB 1972, 1905, Fn. 73; Kumpel, Bankrecht und Bankpraxis, Rn. 8/76; Einsele WM 2001, 7, 12; Horn WM Sonderbeil. Nr. 2/2002, S. 12.
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che Erwerbstatbestände, die ausschließlich an den Realakt der [898] Buchung oder Registrierung anknüpfen, anwendbar sein sollen. Damit wären alle rechtsgeschäftlichen Erwerbstatbestände ausgeschlossen, bei denen die Registrierung oder Buchung naturgemäß nur ein Element des Erwerbstatbestands sein kann, ein offensichtlich widersinniges Ergebnis. Nach diesen Vorschriften muß es genügen, wenn die Buchung oder Registrierung konstitutives Element des rechtsgeschäftlichen Vorgangs der Verschaffung der Wertpapierinhaberschaft ist. Ausgeschlossen sein sollen lediglich solche Registrierungen oder Buchungen, die eine ausschließlich deklaratorische Bedeutung haben und die für den Rechtserwerb selbst ohne Bedeutung sind. Die Depotbuchung im Rahmen des deutschen Effektengiroverkehrs ist jedoch ein konstitutives Element des rechtsgeschäftlichen Erwerbsvorgangs. Dieser Rechtserwerb vollzieht sich nach der sachenrechtlichen Konstruktion des deutschen Effektengiroverkehrs nach den Regeln der §§ 929 ff. BGB. Im Regelfall erwirbt der kaufende Privatkunde vom verkaufenden Privatkunden die Wertpapiere direkt ohne Durchgangserwerb der Bank, die mit dem Verkauf oder dem Einkauf beauftragt ist. Die Einigung vollzieht sich unmittelbar zwischen Verkäufer und Käufer; die zwischengeschalteten Banken, deren Rolle nach Art des Geschäftes (Kommission oder Kauf) differiert und in den Einzelheiten umstritten ist (Vertreter, Ermächtigter, Bote) sind nur Mittler der Einigung zwischen Käufer und Verkäufer.20 Zwischenerwerb der Bank wird nach h.M. sowohl für die Bank als Verkaufskommissionär21 als auch im Fall der Einkaufskommission22 und schließlich auch bei Festpreisgeschäften verneint, bei denen der verkaufende Kunde einen Kaufvertrag mit der beauftragten Bank abschließt, sofern diese ihrerseits für einen Kunden handelt.23 Die für den Eigentumserwerb an den Wertpapieren nach §§ 929 ff. BGB erforderliche Besitzverschaffung an den Erwerber geschieht dadurch, daß der Verkäufer seinen Besitzmittler (die Bank als Zwischenverwahrer) anweist, nunmehr dem Erwerber Besitz zu verschaffen. Ist der Erwerber Kunde derselben Bank, so erfüllt die Bank diese Anweisung dadurch, daß sie ihren Besitzwillen entsprechend umstellt. Ist der Erwerber Kunde einer anderen Bank, so muß die Bank des Veräußerers dieser anderen Bank über den Zentralverwahrer im Rahmen des Clearingverfahrens Besitz verschaffen. In beiden Fällen handelt es sich nicht um eine Abtretung des Herausgabeanspruchs i.S. § 931 BGB. Nach h.M. liegt vielmehr ein Übergabetatbestand des § 929
Horn aaO, S. 11. BGH WM 1959, 1004, 1006; Koller in GroßKomm. HGB, 4. Aufl. 1985, § 383 Rn. 86. 22 Wolter Effektenkommission und Eigentumserwerb, 1979, S. 280 ff.; Einsele aaO, S. 12. 23 Canaris aaO, Rn. 1999, 2017; Einsele aaO, S. 12. 20 21
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BGB vor.24 Nach außen tritt die Umstellung des [899] Besitzmittlungswillens der Bank des Veräußerers zugunsten des Erwerbers (wenn beide Parteien Kunden der gleichen Bank sind) sowie die Aufgabe ihres Besitzmittlungswillens (wenn der Erwerber Kunde einer anderen Bank ist) sowie die Begründung eines Besitzmittlungswillens der Bank des Erwerbers im letzteren Fall dadurch hervor, daß entsprechende Belastungs- und Gutschriftbuchungen auf den Depotkonten der beteiligten Banken (als Zwischenverwahrer) und, soweit erforderlich, auf den beim Zentralverwahrer geführten Wertpapierkonten der beteiligten Banken vorgenommen werden. Diese Buchungen sind aber keineswegs deklaratorischer Natur. Durch sie wird vielmehr die Umstellung, Aufgabe oder Begründung des Besitzmittlungswillens vollzogen. Dies gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß in der Praxis die Gutschrift vorläufig bereits aufgrund des Registrierungsdatenträgers erfolgt und die Bank nach den Geschäftbedingungen erst mit Wirkung vom Liefertag an den entsprechenden Besitzmittlungswillen begründen will. Die Depotbuchung hat also die Funktion, den entsprechenden Besitzmittlungswillen zu betätigen. Sie hat ferner eine damit eng verbundene weitere Funktion. Sie ist nämlich unentbehrlich zur Erfüllung des in § 929 BGB vorausgesetzten sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes.25 Die Depotbuchung konkretisiert nicht nur den Besitzmittlungswillen, sondern zugleich auch den Einigungswillen i.S. § 929 BGB im Hinblick auf das Wertpapierguthaben, das übertragen werden soll. Wegen dieser konstitutiven Rolle der Depotbuchung ist die Anwendbarkeit des § 17a DepotG im Ergebnis zu bejahen.26
III. Finanzsicherheiten-Richtlinie Die EG-Richtlinie 2002/47/EG über Finanzsicherheiten27 dient der Harmonisierung des Rechts der Kreditsicherheiten an Wertpapieren und Barguthaben. Zu diesem Zweck werden einheitliche Mindeststandards für die Bestellung, Verwertung und Insolvenzfestigkeit von Kreditsicherheiten sowie Kollisionsregeln für das auf die Besicherung anwendbare nationale Recht geschaffen. Die Vereinheitlichung der materiellen nationalen Rechte der Kreditsicherheiten wird mit der Richtlinie nicht in erster Linie ange-
24 BGH NJW 1959, 1536, 1537f.; BGH WM 1971, 742 = NJW 1971, 1608; BGHZ 92, 280, 282 = WM 1984, 1606; Palandt/Bassenge BGB, 62 Aufl. 2003, § 929 Rn. 14; vgl. auch Kümpel, Bankrecht und Bankpraxis, Rn. 8/75 a. 25 Allg. BGHZ 21, 52, 55; 28, 16, 19; Staudinger/Wiegand BGB, Sachenrecht, 13. Aufl. 1995, § 929 Rn. 11 f. 26 Im Ergebnis ebenso Schefold IPRax 2000, 468, 476; Keller WM 2000, 1269, 1281 27 Vom 06.06.2002, ABl. L 168/43.
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strebt, allerdings auch nicht ganz vermieden. Man wollte jedenfalls die mit einer Angleichung der materiellen Rechte verbundenen Widerstände und Schwierigkeiten möglichst klein halten. Im Grundsatz knüpft die Richtlinie [900] an die nationalen Rechte mit ihren unterschiedlichen Sicherungsformen (Pfandrecht oder Vollrecht) an. Die Harmonisierung besteht vor allem darin, daß die Mitgliedstaaten diejenigen Kreditsicherungsformen, welche den Standards der Richtlinie entsprechen, untereinander anerkennen und dafür sorgen, daß diese nach ihren nationalen Rechten im Bestand gegenüber bestimmten insolvenzrechtlichen Bestimmungen geschützt sind (Art. 8). Die genannten Mindeststandards betreffen die folgenden Punkte: (1) Sowohl Sicherungsgeber wie Sicherungsnehmer müssen eine besondere Qualifikation hinsichtlich ihrer Kreditwürdigkeit und Professionalität besitzen: Nur öffentliche Körperschaften, Zentralbanken, beaufsichtigte Finanzinstitute, zentrale Vertragsparteien, Verrechnungsstellen und Clearing-Stellen sowie (mit Einschränkungen) Kaufleute sind zugelassen (Art. 1 (2)). (2) Die Richtlinie gilt nur für besitzgebundene Finanzsicherheiten, bei denen die Besitzverschaffung schriftlich nachgewiesen werden kann, insbesondere durch entsprechende Wertpapier- oder Barguthaben oder Kontogutschriften (Art. 1 (5)). (3) Weitergehende Formerfordernisse sind ausgeschlossen (Art. 3). Bei Vorliegen dieser Voraussetzungen stellen die Mitgliedstaaten sicher, daß die Sicherheiten rasch und einfach verwertet werden können (Art. 4). Finanzsicherheiten in Form der Vollrechtsübertragung werden anerkannt (Art. 6). Die Wirksamkeit der Sicherungsvereinbarung wird gegen bestimmte Insolvenzbestimmungen im Bestand geschützt (Art. 8). Kollisionsrechtlich ist das Recht des Landes, in dem das maßgebende Konto geführt wird, anwendbar (Art. 9 (1)). Die Richtlinie enthält im Kern eine Regelung der Anerkennung von Kreditsicherheiten, die anderen Rechten unterliegen. In Ergänzung der speziellen Kollisionsregel des Art. 9 (1) ist die Richtlinie eine Kollisionsregelung i.w.S., in dem die fremden, nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats begründeten Kreditsicherheiten nach dem Grundgedanken der comitas anerkannt werden. Darüber hinaus hat die Richtlinie jedoch in begrenztem Umfang auch Einfluß auf die Gestaltung des materiellen Rechts der Mitgliedstaaten. Dies gilt einmal hinsichtlich der Anerkennungserfordernisse. Da gem. Art. 3 die Anerkennung nicht von Formerfordernissen abhängig gemacht werden kann, müssen die Mitgliedstaaten insofern gegebenenfalls widersprechendes materielles Recht anpassen. Vor allem aber kann sich ein solcher Anpassungsbedarf hinsichtlich der Rechtswirkungen der Anerkennung ergeben, die bezüglich der Verwertung der Sicherheiten (Art. 4), der Verfügung über die Sicherheiten in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts (Art. 5), der Anerkennung der Sicherheit in Form der Vollrechtsübertragung (Art. 6), der Anerkennung der Aufrechnung infolge Beendigung (Art. 7) und des Bestandsschutzes im Insolvenzverfahren (Art. 8) vorgesehen sind.
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Insgesamt bringt die Richtlinie eine Vereinfachung und Sicherstellung der [901] Verwendung von Wertpapieren und Barguthaben als Sicherheit in Form eines beschränkten dinglichen Sicherungsrechts oder im Wege der Vollrechtsübertragung (einschließlich Wertpapierpensionsgeschäften). Sie dient damit der weiteren Integration des Finanzmarktes und der Stabilität des Finanzsystems sowie der Effizienz der für die Umsetzung der gemeinsamen Geldpolitik notwendigen grenzüberschreitenden Transaktionen des ESZB (Erwägungen 3 und 12). In der Abschirmung der Sicherheiten gegen Einwirkungen des Insolvenzrechts (Art. 8) dient die Richtlinie dem Ziel der insolvenzrechtlichen Transaktionssicherheit in Ergänzung der zuvor (II) erörterten Finalitäts-Richtlinie. Dabei privilegiert sie insbesondere den Bankenverkehr (Zahlungsverkehr und Wertpapiertransaktionen). Die Richtlinie reduziert die Formalitäten bei Abschluß oder Verwendung von Sicherungsvereinbarungen und erspart damit Transaktionskosten. Sie bietet eine wirksame, einheitliche Regelung für die Bestellung von dinglichen Mobiliarsicherheiten und deren Schutz vor Einwendungen und vor den Auswirkungen von Insolvenzvorschriften bei ihrer Verwertung. Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist jedoch begrenzt, und zwar sowohl personell, also hinsichtlich der qualifizierten Parteien der Sicherungsvereinbarung (Art. 1 (2)), als auch hinsichtlich der Sicherungsgegenstände (Barsicherheiten und Finanzinstrumente; vgl. Art. 1 (4) a und Art. 2 (1)).28 Die Europäische Zentralbank hatte in ihrer grundsätzlich zustimmenden Stellungnahme zum Gesetzgebungsvorhaben vom 13.06.2001 vorgeschlagen, den Anwendungsbereich auf alle refinanzierungsfähigen Kreditsicherheiten einschließlich von Bankkrediten auszudehnen.29 Die Richtlinie beschränkt sich den Gegenständen nach auf die praktisch freilich besonders wichtigen banknahen Sicherheiten in Gestalt von Geldguthaben und Wertpapierguthaben. Anknüpfungspunkt sind die entsprechenden Bankkonten. Dementsprechend knüpft die bereits erwähnte Kollisionsnorm des Art. 9 (1) der Richtlinie bei der Bestimmung des maßgeblichen Rechts an das Konto an, das über das betreffende Geld- oder Wertpapierguthaben geführt wird. Im Vergleich zur Finalitäts-Richtlinie ist der persönliche Anwendungsbereich ausgeweitet; insbesondere wird der in der Praxis wichtige Fall einer Sicherheitenbestellung durch ein kaufmännisches Unternehmen gegenüber einem Kreditinstitut umfaßt.30 Es ist bemerkenswert, daß sich auch hier das Anknüpfungskriterium der Belegenheit des Kontos durchgesetzt hat. Allerdings ist die Kollisionsnorm des Art. 9 (2) nur ein Baustein im kollisionsrechtlichen Konzept der Richtlinie. Diese entfaltet, wie dargelegt, ihre 28 Zu den Finanzinstrumenten gehören Aktien, Schuldverschreibungen, verbriefte und unverbriefte Schuldtitel, nicht aber Fondsanteile und Geldmarktinstrumente. 29 ABl. C 196/10. 30 Than in Festschrift Kümpel, 2003, S. 555.
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harmonisierende Wirkung dadurch, daß die einzelnen Länder die nach dem [902] Recht anderer Mitgliedstaaten begründeten Kreditsicherheiten dann, wenn sie dem Standard der Richtlinie entsprechen, in der erörterten Weise anerkennen und in ihrem Bestand schützen.
IV. Konvention Nr. 36 v. 2002 der Haager Konferenz Die Haager Konferenz für IPR hat ein Übereinkommen ausgearbeitet, welches das Recht bestimmt, das auf Verfügungen über sammelverwahrte Wertpapiere anwendbar sein soll, die in mehrstufigen Verwahrsystemen gehalten werden.31 Der Text wurde in der 19. diplomatischen Sitzung am 13.12.2002 als Konvention Nr. 36 angenommen. Als Anknüpfungspunkt wurde der Gesichtspunkt „place of the relevant intermediary approach“ (PRIMA) gewählt. Danach soll das Recht des Staates maßgeblich sein, das kraft ausdrücklicher Rechtswahl entweder das Konto oder die sonstigen Rechtsbeziehungen zwischen dem Finanzintermediär und dem Wertpapierkontoinhaber regelt, sofern der Finanzintermediär eine näher spezifizierte Beziehung zu diesem Staat hat, insbesondere dort ein Büro hat und Wertpapierkonten dort unterhält (Art. 4). Demnach ist der Depotkontovertrag (nebst Rechtswahl) maßgeblicher Anknüpfungspunkt. Bei mehrstufigen Verwahrketten kann daher auf jeder Stufe das maßgebliche Recht ein anderes sein.32 Hilfsweise soll nach Art. 5 das Recht anwendbar sein, das an dem Sitz des Büros des Finanzintermediärs gilt, das den Depotvertrag mit dem Kunden abgeschlossen hat, hilfsweise das Recht des Staates, in dem der Finanzintermediär seinen Sitz oder Hauptsitz hat. Nicht maßgeblich ist nach Art. 6 der Ort, an dem sich die Wertpapierurkunden befinden oder an dem der Emittent seinen Sitz hat oder wo das Register der Wertpapierinhaber geführt wird. Das anwendbare Recht gilt für Verfügungen über die betreffenden Wertpapiere (bzw. über das Wertpapierkonto), insbesondere Sicherheitenbestellungen (Art. 2). Vergleicht man die Kollisionsnorm des Art. 9 (1) FinanzsicherheitenRichtlinie mit der Regelung in Art. 4 und Art. 5 Konvention Nr. 36, so ergibt sich hinsichtlich der Rolle des Kontos als zentralem kollisionsrechtlichem Anknüpfungspunkt eine Übereinstimmung. In den Einzelheiten bestehen jedoch nicht unerhebliche Unterschiede. Art. 9 (1) Finanzsicherheiten-Richtlinie beschränkt sich auf ein rein objektives Anknüpfungskriterium, während die Konvention Nr. 36 zunächst die Parteivereinbarung in den Vordergrund stellt, allerdings die Rechtswahlfreiheit durch einschränkende objektive Vor31 Hague Conference on Private International Law, Convention on the Law applicable to certain Rights in respect of Securities held with an Intermediary, abrufbar unter www. hcch.net/e/conventions/text36e.html. 32 Than aaO, S. 558.
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ausset- [903] zungen, nämlich eine Beziehung des Finanzintermediärs zu dem Staat des gewählten Rechts, eingrenzt (Art. 4); nur hilfsweise ist eine rein objektive Anknüpfung in Art. 5 vorgesehen. Direkte Widersprüche ergeben sich daraus nicht unbedingt. Allerdings ist die Regelung der Konvention Nr. 36 ausdifferenzierter und praxisnäher gestaltet. Die Regelung in der Finanzsicherheiten-Richtlinie sollte dem angepaßt werden, was aber auch der Absicht des EG-Gesetzgebers entspricht.
V. Ergebnis und weitere Entwicklungen Insgesamt bringen sowohl die Finalitäts-Richtlinie und die Finanzsicherheiten-Richtlinie der EG als auch die Konvention Nr. 36 der Haager Konferenz bedeutende Fortschritte in der Harmonisierung des Kollisionsrechts der Kreditsicherheiten an Geld- und Wertpapierguthaben. Sie erleichtern die Bestellung und Verwertung der für Finanztransaktionen benötigten Kreditsicherheiten und deren Beurteilung durch die Markteilnehmer und tragen zu einer Senkung der Transaktionskosten und einer Integration der Finanzmärkte bei. An den Eingrenzungen des Anwendungsbereiches der beiden EG-Richtlinien läßt sich andererseits ablesen, daß weitere Schritte auf diesem Gebiet innerhalb der EU möglich und zu erwarten sind. Als nächstliegender Schritt steht die genauere Abstimmung von Art. 9 (1) FinanzsicherheitenRichtlinie an die Haager Konvention an. Weitere Schritte im Rahmen des EG-Rechts können in einer behutsamen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Finanzsicherheiten-Richtlinie bestehen. Im internationalen Bereich über die EU hinaus wird die vereinheitlichte Fortentwicklung des materiellen Rechts der Kreditsicherheiten durch weitere Initiativen vorangetrieben. Dazu gehört ein von UNCITRAL erarbeiteter Gesetzgebungsleitfaden für Kreditsicherheiten. Er ist einmal für Entwicklungsländer gedacht, die noch kein funktionierendes Kreditsicherungsrecht haben, richtet sich gleichzeitig aber auch an andere Länder, die ihr bestehendes Kreditsicherungsrecht modernisieren oder vereinheitlichen wollen.33 Diese Initiative geht im Anwendungsbereich über die hier erörterten Sicherheiten an Geldguthaben- und Wertpapierkonten hinaus. Der wichtigste Vorschlag zielt auf die Schaffung eines besitzlosen Registerpfandrechts für Mobiliarsicherheiten. Andere Bestrebungen richten sich speziell auf die Rechtstechnik des internationalen Wertpapierumlaufs und wollen der bereits auf den Finanzmärkten vollzogenen Entmaterialisierung des Wertpapierumlaufs dadurch Rechnung tragen, daß generell für handelbare Wertpapiere ein System von 33 S. UNCITRAL, Draft legislative guide on secured transactions, Report of the Secretary-General, A/CN.9/WG.VI/WP.2/Addl, S. 2.
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Sicherungsrechte an Geld- und Wertpapierguthaben
Wertpapierkonten geschaffen wird, das den Anforderungen des Verkehrs (Bestandsschutz im Fall der Insolvenz der kontoführenden Bank; Möglichkeit einwendungsfreien gutgläubigen Erwerbs) Rechnung trägt. Die rechtlichen Konturen eines solchen Systems werden derzeit von UNIDROIT erarbeitet.34 Mit Rücksicht darauf und auf die Haager Konvention will man im UNCITRAL-Projekt Kreditsicherheiten an Wertpapierguthaben ausklammern. Im UNIDROIT-Projekt treten die gleichen rechtlichen Leitgedanken hervor, die die vorstehend erörterten neuen EG-Richtlinien kennzeichnen, Sicherheiten an Kontenguthaben zu ermöglichen, die im internationalen Verkehr Bestand haben.
34 UNIDROIT Study LXXVIII; Transactions on transnational and connected capital markets, www.UNIDROIT.org/english/workprogramme/main.htm#NRI.
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Arbitration and the Protection of Foreign Investment. Concepts and Means* In Horn (ed.), Arbitrating Foreign Investment Disputes (Studies in Transnational Economic Law vol. 19), 2004, S. 3–31 I. THE GROWING ROLE OF INTERNATIONAL INVESTMENT ARBITRATION A. The CME case On 14 March 2003, the tribunal in the arbitration between CME B.V. (Netherlands), a Dutch-based media company, and the Czech Republic, issued its final award ordering the Czech Republic to pay to claimant USD 269 814 000. Two months later, on 15 May 2003, the Svea Court of Appeal1 rejected the annulment procedure initiated by the Czech Republic against the preceding partial award rendered in September 20012 in which the tribunal had assumed jurisdiction and had established the liability of the Czech [4] Republic.3 CME had commenced arbitration in Stockholm under the UNCITRAL Rules, alleging a breach of the Bilateral Investment Treaty (BIT) between the Netherlands and the Czech Republic. This breach was seen in the abrogation by Czech authorities of a television broadcast license to CME, under which license a very profitable TV channel was run by CME in the Czech Republic. In a parallel arbitration, which was commenced in London by Lauder, a major American investor in CME, who asserted a violation of the BIT * Einführungsreferat zur Fachkonferenz “Arbitrating Foreign Investment Disputes” am 12./13.Juni 2003 in Köln, veranstaltet vom Rechtszentrum für europäische und internationale Zusammenarbeit (R.I.Z., Köln) in Verbindung mit der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS, Köln) und dem Centre for Commercial Law Studies der London University (CCLS). 1 Svea Court of Appeal, case no. T 8735 – 01, 18 (6) Mealey’s Intl Arb Rep A-1 (2003); see also H. Bagner, ‘Swedish Appeals Court Strikes Delicate Balance in Czech Republic v. CME’ (2003) 18 (6) Mealey’s Intl Arb Rep 34. 2 CME Czech Republic B.V. (The Netherlands) v. The Czech Republic, Partial Award of 13 September 2001 (hereinafter ‘CME, 1st Stockholm Award’), 14 WTAM 109 (2002). 3 Svea Court of Appeal, case no. T 8735 – 01; 18 (6) Mealey’s Intl Arb Rep A-1 (2003); see also H. Bagner, supra note 1.
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between the United States and the Czech Republic, the Tribunal denied liability of the Czech Republic.4 Although the London tribunal found that respondent breached the American-Czech BIT when the Czech Media Council made the negative decision in question, the tribunal nevertheless held that the investor did not bring ‘sufficient evidence that any measure or action taken by the Czech Republic would have had the effect of transferring his property or depriving him of his rights to use his property or even interfering with his property rights.’5
B. Some Current Legal Issues in Investment Arbitration exemplified A number of current legal issues in investment arbitration can be studied in the various awards in the CME case. Jurisdiction of the arbitral tribunal under the relevant BITs was challenged both in the London and Stockholm proceedings and affirmed in both cases. It was held that there was an investment by claimant in the Czech Republic although claimant, in a transaction outside the Czech Republic, only bought a majority equity interest in a company having made such investment.6 The question of whether the abrogation of the television broadcast license was a violation of the respective BIT was again answered in the affirmative in both the London award and the first Stockholm award.7 The question of whether this caused damage to claimant’s property tantamount to expropriation was denied by [5] the London arbitrators, but answered in the affirmative in the first Stockholm award.8 The questions of whether the arbitral proceedings at Stockholm were barred by parallel London arbitration proceedings and by claims before the Czech state courts were both denied in the first Stockholm award.9 During the second phase of the Stockholm proceedings (quantum phase), the negative award in the London proceedings was issued and respondent invoked the principle of res judicata. This defense was set aside because respondent earlier had refused to consolidate the two arbitrations and also to adjourn the Stockholm proceedings in order to await the outcome of the London pro-
Lauder v. Czech Republic, Final Award of 3 September 2001, 14 WTAM 35 (2002). CME v. The Czech Republic, London Final Award of 3 September 2001, ¶ 222, 201, 202, as cited in CME Czech Republic B.V. (The Netherlands) v. The Czech Republic, Final Award in UNCITRAL Arbitration Proceedings, 14 March 2003 (hereinafter ‘CME, 2nd Stockholm award’), , para. 25. 6 CME, 1st Stockholm Award, supra note 2, para. 418 with reference to Fedax N.V. v. Republic of Venezuela, 37 ILM 1378 (1998); XXIVa YBCA 23 (1999). 7 CME, 1st Stockholm Award, supra note 2, para. 586 et seq. 8 Id., at 575 et seq. 9 CME, 1st Stockholm Award, supra note 2, paras 419 and 413. 4 5
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ceedings; more importantly, res judicata was denied because there were different parties and different BITs involved.10 The most difficult issue in the quantum stage of the Stockholm arbitration proceedings was how to assess the amount of compensation under the BIT criterion of just compensation, more specifically described by a reasonable rate of return and legitimate expectations of the investor. CME had a dominant position in the Czech TV market and this was taken into account in the projection of CME’s loss of future profits to be compensated. One of the arbitrators, in a separate opinion, came to an amount of compensation lower than the award, on the grounds that the term of just compensation under Art. 5 of the BIT ‘is incompatible with profit levels derived from a dominant position in the media market’.11 The arbitrator, however, admitted that the mode of application of the commercial method to calculate compensation adopted in the final award ‘is, on its own terms, moderate’.12 Therefore, the arbitrator confined his position to a separate opinion and did not submit a dissenting vote. The annulment procedure, such as the one commenced by respondent before the Swedish state court, is a remedy that becomes more and more popular in commercial arbitration and was available in the CME arbitration conducted outside the scope of the ICSID-Convention; the self-contained ICSID procedure would have excluded recourse to state courts (Art. 53) and opened the way to the annulment procedure before an ICSID committee (Arts 50–52). Annulment of an award by a state court, however, does not provide full protection against execution of the award. For, even if [6] respondent had succeeded in the Swedish Court, CME could have attempted to enforce the award in some other national courts in third countries.13 Furthermore, the CME case demonstrates the huge economic and sometimes political implications of important investment disputes. The compensation award caused budget problems for the Czech government. In such arbitration, the state-appointed arbitrator may feel under the pressure of high political expectations to avoid the disastrous economic effects of a defeat in the arbitration, a situation conflicting with his obligations of impartiality and professional neutrality. In the CME case, the state-appointed arbitrator 10 CME, 2nd Stockholm Award, supra note 5, paras 426–437, separate opinion by the arbitrator Ian Brownlie (hereinafter ‘Separate Opinion’), para. 13. 11 Separate Opinion, para. 117. 12 Id., at 121. 13 Chromalloy Aeroservices v. Arab Republic of Egypt, 939 Fed Supp 907 (D.D.C. 1996); Brower, The National Law Journal, 7 October 2002, p. 2. Chromalloy, however, has not been followed by other US courts; see e.g. Baker Marine (Nigeria) Ltd. v. Chevron (Nigeria) Ltd., 191 F.3d 194 (2d Cir. 1999). For the enforcement of annulled awards in the US, France and Austria see Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration (Kluwer Law International, The Hague, 2003), chap. 26–104 et seq.
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issued a dissenting opinion to the first (partial) Stockholm award which contained strong accusations against his brethren in the tribunal, and he resigned so that he did not participate in the second (quantum) phase of the CME Stockholm proceedings. A somewhat different aspect of the problems relating to the position of arbitrators in investment arbitration appeared in the Indonesian Himpurna case to be discussed later.14 C. Growing Role of Investment Arbitration The CME case illustrates the growing role the arbitration of foreign investment disputes has gained in recent years. Accordingly, investment arbitration has increasingly attracted the attention of lawyers15 and, in some cases such as the CME dispute, of politicians and the general public. This growing role is based on the proliferation of investor-state arbitration provisions in investment treaties and the expanded investors’ access to arbitration of disputes with Host States through arbitration clauses in investment contracts and investment legislation.16 The driving force behind this development is the beneficial economic effects expected from the cross border transfer of economic resources and the fact that such transfer can only be promoted when the confidence of foreign investors is won through adequate protection. BITs are designed to ‘encourage and create favourable [7] conditions for investors of the other Contracting Party to make investment in its territory’.17 Arbitration is part of the protection concept.
II. THE INTERNATIONAL SYSTEM OF INVESTOR PROTECTION A. Investor Protection 1. Need for Protection By and Against the Host State Foreign investment typically is a medium or long-term financial engagement in another country and, as a consequence, it involves a medium or longterm exposure to the different and less known environment of the host coun See infra III.C. Recent publications: Kaufmann/Kohler/Stucki, Investment Treaties and Arbitration (ASA Special Series No. 19), 2002; Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, pp. 763–806; Stevens, ‘Arbitration and Investment Disputes – Are We Headed in the Right Direction?’ (Spring 2002) Vol. 19 ICSID News no. 1. 16 See infra II.B. 17 Standard provision, cited from the agreement between Japan and the Islamic Republic of Pakistan concerning the promotion and protection of investment as of 29 April 2002, Art. 2. 14 15
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try with its different culture and traditions, mentalities, bureaucracy, legal system and political infrastructures, not to forget potential corruption, and, above all, a specific vulnerability to the interference by the Host State.18 Protection of foreign investment means mainly a compensation for detrimental acts of the government or agencies of the Host State affecting the investment, but also for unlawful and detrimental acts by third parties where the protection by the Host State is in order. The latter situation is illustrated by the arbitration in Companˇ ia de Aguas del Aconquija and Vivendi v. Argentina,19 where a French investor and his Argentine affiliate commenced arbitration against the Republic of Argentina that was not a party to the investment contract (concession), on the grounds that Argentina failed to prevent the province of Tucumán from taking certain actions that infringed the rights of the investors. Every approach to provide legal or non-legal protection of foreign investment has to deal with the problem of the inequality of the parties involved, i.e. the sovereign Host State on one hand, and, on the other, the foreign private investor, typically a foreign company or a domestic company controlled by foreign investors. [8] 2. Various Means of Protection For today’s investors, an elaborate but still developing and expanding system of legal and institutional protection of foreign investment is available, that is internationally widely accepted and designed to put the foreign investor in an investment dispute, as far as possible, on equal footing with the sovereign Host State. This system comprises various means, the most important of which are: (1) the obligation under international law of Host States to respect foreign investment and to expropriate it only under certain legal restrictions and against compensation; (2) arbitration of investment disputes as provided in multilateral and bilateral investment treaties, in national investment laws, and in the investment agreement of the parties; in a number of cases, litigation before state courts is available either alternatively or as a prerequisite to start arbitration; (3) enforcement procedures following arbitration or litigation before state courts; (4) dispute settlement negotiation procedures sometimes preceding arbitration or litigation; (5) diplomatic protection by the home state of the investor.
18 For the peculiar problems associated with foreign investment see A. Escher, ‘Foreign Direct Investment’ p. 35 in D.D. Bradlow/A. Escher, Legal Aspects of Foreign Direct Investment (Kluwer Law International, The Hague, 1999). 19 40 ILM (2001), 427 et seq.; see also Annulment Proceedings ICSID case no. ARB/97/3 of 3 July 2002, 41 ILM 1135.
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B. The Legal Regime of Foreign Investment 1. Customary International Law on the Responsibility of Host States The principle that states should respect the property of citizens of other states (except during war) has gained wide recognition as part of customary international law, at least to the extent that the expropriating state has a duty to compensate the foreign owners.20 The prevailing view at least in the western world is that the expropriating state must pay full or just compensation, or, as the Hull formula put it, adequate, effective and prompt compensation.21 By contrast, the UN-Resolution 1803 on Permanent Sovereignty over Natural Resources, adopted by the General Assembly on 14 September 1962,22 took a less strict position, declaring that: ‘nationalization, expropriation or requisitioning shall be based on grounds or reasons of public utility, security or the national interest, which are recognized as overriding purely individual or private interests, both domestic and foreign. In such case the [9] owner shall be paid appropriate compensation in accordance with the rules in force in the state taking such measures in the exercise of its sovereignty and in accordance with international law’.
The Resolution, in a way, mirrors the experience and attitude of many developing countries in the post-decolonization era. These countries had to cope with the problem to get rid of the old concession system for foreign investors, particularly those relating to the exploitation of natural resources, which dominated their national economy and the expropriation of which confronted them with the problem of burdensome compensation payments. Emphasis was laid on the principle of the permanent sovereignty of states over their natural resources.23 UN General Assembly Resolutions do not constitute international law, and there are reasons to believe that Resolution 1803 does not describe the present state of international law on state responsibility for taking or infringing foreign investment. The Resolution mirrors the internationally prevailing political opinion on that legal issue in the sixties and seventies. The shortcomings of this position explain why in the meantime multilateral and 20 Schachter, International Law in Theory and Practice (1991), p. 324; Brownlie, Principles of Public International Law (Oxford University Press, Oxford, 5th ed., 1998), p. 535. 21 US Norway Arbitration Award 13 Oct. 1922, (1918) 1 RIAA 307; Case Concerning German interests in upper Silesia, PCIJ Series A, Nos. 7, 9, 17, 19 (1926–9); Lowenfeld, International Economic Law (2002) p. 395 et seq. 22 G.A. Res. 1803, 17 UN GAOR Annexes, Vol. I, Agenda Item No. 39 at p. 59. 23 See also Charter of Economic Rights and Duties of States, Res. 3281 (XXIX); UN GA Res. 3201 (S-IV) and 3203 (S-VI): Declaration and Program of Action on the Establishment of a New International Economic Order, 1974; Res. 3262 (S-VII): Development and International Economic Cooperation, 1975; Horn, ‘Normative Grundprobleme eine neuen Wirtschaftsordnung’ (Normative Problems of a New International Economic Order), in Festschrift (Liber Amicorum) Helmut Coing Vol. 2 (1982), pp. 149 et seq.
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bilateral investment treaties have evolved. These shortcomings are (1) a clear definition of expropriation and of measures tantamount to expropriation is lacking; (2) compensation is largely left to the mercy of the domestic legislation of the Host State, somewhat mitigated by reference to the principles of international law; (3) compensation is to be determined by the national jurisdiction of the expropriating state, unless an express agreement provides for settlement of the dispute through arbitration or international adjudication. This last shortcoming relates to a general problem of investment protection under traditional public international law. As the foreign investor is a private person (company) and not a subject of public international law, his locus standi in proceedings with the sovereign Host State depends on his express access to jurisdiction and arbitration provided by a treaty or state law and is not granted by customary international law. The possibility for the expropriated investor to bring suit against the expropriating state before an independent court or arbitral tribunal, however, is vital for the effective [10] implementation of the aforementioned principle that states should respect the property of citizens of other states and pay them just compensation in case of expropriation. The locus standi is the indispensable procedural element of the substantive law principle of just compensation. This is also the view expressed in many investment treaties. 2. Investment Treaties The alternative solution as indicated in Resolution 1803, i.e. the conclusion of treaties that open the way to international arbitration or adjudication, was chosen in the time following the Resolution. a) Multilateral Investment Treaties Part of the solution was a new type of multilateral investment treaty that serves the procedural protection of foreign investment and adequate compensation, and gives the foreign investor a locus standi in an arbitration with the Host State in case of an investment dispute: the International Convention for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) of 1965,24 the North American Free Trade Agreement (NAFTA) of 199325 and the Energy Charter Treaty of 1994.26 At the WTO conference in Cancun on 10–14 September 2003, negotiations on a new international convention on the protection of 24 C.H. Schreuer, The ICSID-Convention: A Commentary, (Cambridge University Press, 2001); Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, chap. 28. 25 Eklund, ‘A Primer on the Arbitration of NAFTA Chapter 11 Investor-State Disputes’ (1994) 11 (4) J Intl Arb 135; Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, pp. 28–26. 26 Wälde, ‘Investment Arbitration under the Energy Charter Treaty – From Dispute Settlement to Treaty Implementation’ (1996) 12 Arb Intl 429; Wälde (ed.), The Energy Charter Treaty. An East-West Gateway for Investment & Trade (1996); Turner, ‘Investment Protec-
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foreign investment were proposed by Germany and other countries. No progress could be made in the matter in Cancun. Such a new convention will, however, most probably remain on the international agenda. b) Bilateral Investment Treaties (BITs) The modern type of bilateral investment treaty (BIT) between capital exporting and importing countries evolved and partially superseded or amended the traditional treaties on friendship, commerce and navigation.27 According to the aim of investment treaties, expressly labelled as ‘the [11] encouragement and protection of Investment’,28 BITs provide for a wide ambit of protection, including a wide concept of investment.29 They typically contain a broad concept of expropriation as ‘any measures depriving, directly or indirectly, investors of the other contracting party of their investments’30; at the same time, they define the limits of the right to expropriate more clearly, e.g. by the following provision: ‘Investments shall not be expropriated or nationalized either directly or indirectly through measures tantamount to expropriation or nationalization (‘expropriation’) except for a public purpose; in accordance with due process of law; in a nondiscriminatory manner; upon payment of prompt, adequate and effective compensation.’31
Such provisions are sometimes accompanied by more precise definitions of how to calculate and settle compensation (infra II.D.). 3. World Bank Guidelines In 1993, the World Bank enacted Guidelines on the treatment of foreign direct investments, designed ‘as a complement to applicable bilateral and multilateral treaties and other international instruments ... and as a possible source on which national legislation governing the treatment for private foreign investment may draw’ (Art. I Guidelines).32
tion through Arbitration: the Dispute Resolution Provisions of the Energy Charter Treaty’ (1998) 1 Intl Arb L Rev 166; Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, pp. 28–34 et seq. 27 Banz, Völkerrechtlicher Eigentumsschutz durch Investitionsschutzabkommen (International Law Protection of Property through Investment Protection Treaties), 1987. 28 Netherlands-Czech BIT, as cited in separate opinion to 2nd Stockholm award in the above (I.1.) cited CME case, supra note 5, at para. 17. 29 Netherlands-Czech BIT, Art. 1. This is in line with the prevailing practice of BITs; see Kühn, at p. 50. 30 Netherlands-Czech BIT, Art. 5. 31 US-Czech BIT, as in contrast to the Czech-Netherlands BIT that calls for ‘payment of just compensation’; both cited in CME Final Award (Stockholm) at no. 23, 24. 32 Shihata (ed.), Legal Treatment of Foreign Investment—The World Bank Guidelines, 1993. Text of Guidelines at pp. 155 et seq.
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4. National Investment Laws Many countries have adopted investment laws. In particular, developing countries typically have special legislation dealing with foreign investment and provide for a special authority (ministry, investment board) to review proposed foreign investment and to confer the necessary permits.33 This [12] legislation is designed to encourage foreign investment and, at the same time, make sure that such investment fits into the overall economic development goals of the country. Investment legislation, as a rule, contains provisions guaranteeing certain minimum protective standards, including most-favoured-nation treatment or national treatment of foreign investors (non-discrimination), and a promise of fair compensation in case of expropriation. Investment laws very often provide for arbitration as a means to settle investment disputes.34 As national investment protection laws generally extend to all foreign investors irrespective of whether or not they are protected by BITs or multilateral treaties,35 a foreign investor can commence arbitration relying on the arbitration provision in the national investment protection law. This is well evidenced by the SPP-Egypt arbitration, where an investor in Egypt, who had no arbitration clause in his investment contract, successfully initiated ICSID arbitration proceedings relying on Article 8 Egyptian investment law, which made express reference to dispute resolution under the ICSID Convention.36 5. Investment Contracts (State Contracts) a) Functions The network of contracts accompanying foreign investment usually includes an investment contract with the government or a governmental agency of the Host State that sets out the details of the intended investment, the obligations of the investor to invest and the obligation of the Host State to support such investment in various ways. The contract typically includes or makes reference to the governmental permit or permits necessary to carry 33 Horn/Schütze (eds), Wirtschaftsrecht und Außenwirtschaftsverkehr der VR China (Economic Law and External Economic Relations of the People’s Republic of China) 1987; Staudenmeyer, Das Wirtschafts- und Vertragsrecht transnationaler Gemeinschafts unternehmen in Entwicklungsländern (Economic Law and Contract Law of transnational joint ventures in developing countries) 1990, p. 35 et seq. 34 Parra, ‘Provisions on the settlement of investment disputes in modern investment laws, bilaterial investment treaties and multilateral instruments’ (1997) 12 ICSID Rev-FILJ 287, p. 314. 35 Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, chap. 28–15. 36 Southern Pacific Properties Ltd. (Middle East) et al. v. Arab Republic of Egypt, 2 awards on jurisdiction, 27.11.1985 and 14.04.1988, XVI YBCA 16 (1991); Lew/Mistelis/ Kröll, supra note 13, chap. 28–16 et seq.
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out that investment, provisions as to the tax treatment and on the transfer of profits to the investor. Investment contracts often contain freezing clauses or stabilization clauses designed to protect the investor against the detrimental [13] effects of subsequent adverse changes in national legislation affecting the investment.37 The use of arbitration clauses including those on ICSID arbitration38 in such contracts gives the investor access to international arbitration and, sometimes alternatively, to national jurisdiction of the Host State. States and state agencies are unwilling to agree on a foreign jurisdiction clause.39 b) State Contracts Contracts between states and foreign enterprises that are private citizens of other states (state contracts) are not treaties under public international law. They are nevertheless binding contracts. The old days when governments pleaded that their debts were only ‘debts of honor’ and not legally enforceable,40 are long gone. It is well established that contracts between states and nationals of other states on commercial and economic subjects are binding.41 This does not exclude that, in a given situation, a government might try to belittle its own declarations relating to an investment project and deny its contractual nature. In the Himpurna case to be discussed later,42 the government of Indonesia held that letters written by the Minister of Finance to the investors that the government of the Republic of Indonesia ‘will cause [certain state-owned companies] to honor and perform their obligations as due under the [investment contract]’ did not create a legally enforceable obligation and were no more than ‘comfort letters’.43 This contention was rejected by the tribunal, and rightly so. Very often, state contracts contain an express choice-of-law clause. The parties today normally choose the national law of the Host State, together with a stabilization clause, sometimes a neutral law of a third state, but rarely 37 The problem is exemplified in C.A. Settebello Ltd. v. Banco Totta and Acores, 1 WLR 1050–1059 (1985). On stabilizing clauses see Merkt, Investitionsschutz durch Stabilisierungs klauseln (Investment Protection through Stabilizing Clauses), 1990, with a collection of clauses at pp. 255–325. 38 Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, chap. 28–47. 39 On jurisdiction, see infra III.A. and B. 40 The issue was particularly discussed regarding the rights of bondholders towards states as issuers of bonds; Politis, Les emprunts d’Etat en droit international (Paris 1894), pp. 16, 280 et seq.; Drago, Rev. gen. droit int. public 1907, 241. 41 Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen (The State as a Contract Party to Foreign Private Enterprises) (1971). 42 Infra III.B.2.a. 43 Himpurna California Energy Ltd. (Bermuda) v. Republic of Indonesia, XXV YBCA 109 201 et seq. (2000); Schwebel, ‘Injunction of Arbitral Proceedings and Truncation of the Tribunal’, (April 2003) Vol. 18/4 Mealey’s Intl Arb Rep, 33 et seq.
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the law of the home state of the investor. In the absence of an express [14] choice of law, the rules of private international law that determine the applicable law in such cases come into play. Merkt rightly observes that stabilization clauses have their legal effect on the assumption that the law of the Host State is chosen.44 It has been submitted that state contracts, in the absence of choice-of-law clauses, are primarily subjected to rules of public international law.45 There are good arguments for this approach in the case of investment contracts of the World Bank or comparable international agencies. In investment contracts between states and nationals of other states, however, the theory of ‘homeless contracts’ is not advisable and does not find much support among courts and arbitral tribunals. Art. 42 (1) 2 ICSID-Convention provides that, in the absence of an agreement as to the applicable law, the tribunal shall apply the law of the contracting State party to the dispute (including the rules on the conflict of laws) and such rules of international law as may be applicable. As regards the economic and commercial aspects of investment contracts, internationally recognized principles of contract interpretation come into play, on the basis of the applicable national private law that makes reference to or at least allows the application of such principles. This is particularly so when parties expressly choose the general principles of contract law such as the UNIDROIT Principles.46 Furthermore, state contracts between Host States and foreign investors, in many ways, indirectly enjoy the protection of public international law in various ways. First, as mentioned, a private investor can be given a locus standi in an [15] arbitration through an arbitration clause in an investment contract or through an investment treaty or investment legislation. More generally, investment agreements define the basic rights and duties of foreign investors and the scope of his investment. Thus, they provide the relevant criteria for deciding whether a given interference by the Host State constitutes a measure tantamount to expropriation and a violation of an existing BIT or multilateral investment treaty. In this respect, Art. 42 (1) 2 ICSID Convention makes express reference to the rules of international law as the applicable law. Finally, the state contract as such and the arbitration clause contained therein enjoy the protection of international law insofar as this law obliges states to honour their investment contracts. A state that refuses to submit to an arbitration to which it had previously consented, or that impedes arbitration through an injunction issued by its state court, violates its duties under the investment contract and under international law. In the Himpurna case,47 Merkt, supra note 37, pp. 124 et seq., 152 et seq. Böckstiegel, supra note 41. 46 Horn, ‘The Use of Transnational Law in the Contract Law of International Trade and Finance’, in Berger (ed.), The Practice of Transnational Law (2001), pp. 67, 74 et seq. 47 Infra III.B.2.a. 44 45
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when the State party to an arbitration, in the eyes of the tribunal, used pressure to stop the arbitral procedure through injunctions by a state court and by kidnapping an arbitrator, the tribunal stated that ‘the sanctity of agreement is a fundamental rule of international law’ and ‘to prevent an arbitral tribunal from fulfilling its mandate in accordance with procedures formally agreed to by the Republic ... is a denial of justice’.48 c) Illegality of Contracts. Corruption Investment contracts often are negotiated and concluded in a difficult environment not only because of the aforementioned meeting of different cultures and mentalities, but also because of illegal activities including corruption. This may later lead to a situation where the validity of the contract can be challenged. International arbitration has repeatedly dealt with the problem of illegality in the formation and performance of contracts. In the HUBCO investment dispute in Pakistan, it was alleged that certain amendments to the tariffs agreed by the foreign investor with the former government were ‘illegal, fraudulent, collusive, without consideration, mala fide and designed to cause wrongful loss to ... the government of Pakistan’.49 In this case, the HUB Power Company Ltd., a Pakistan-incorporated company whose initial shareholders were foreign investors, entered into a Power Purchase Agreement (PPA) with the Pakistan Water and Power Development Authority (WAPDA) in 1992 to develop an electricity generating plant and sell the output to WAPDA. A Sovereign Guarantee was executed on behalf of the President of the Islamic Republic of Pakistan guaranteeing WAPDA’s obligations under the PPA; further guarantees were provided by the World Bank and other banks. The investment agreement was amended by five agreements some of which effected an increase of the tariff payable by WAPDA to HUB under the PPA. In 1996, Pakistan’s government, the Bhutto administration, was dismissed and a new government was established in early 1997. The investment dispute arose in 1998 following the change of government. WAPDA declared that it considered certain amendments to the agreement as void ab initio and of no legal effect on the grounds cited above. The case led to arbitration and to the involvement of the Pakistan courts to be discussed later (infra III). [16] The invalidity of contracts, in particular on grounds of purported unethical behaviour, immorality, corruption or violation of bona fides is an important problem of every contract. Courts and legal literature in all countries are occupied in defining the precise legal criteria of corruption or other unethical
Cited in Schwebel, supra note 43, at p. 35. Cornell/Handley, ‘Himpurna and HUB: International Arbitration in Developing Countries’ (September 2000) Vol. 15/9 Mealey’s Intl Arb Rep 39 et seq. 48 49
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behaviour and in carefully checking whether these criteria are met in a given case based on uncontested facts or evidence.50 A far reaching legal consequence of allegations of corruption would be to deny jurisdiction and arbitrability on the grounds that parties to a contract tainted by corruption or other illegal practices have ‘forfeited any rights for assistance of the machinery of justice (national courts or arbitral tribunals) in settling the disputes’.51 This approach was used in the HUBCO case, where it was argued that the alleged voidness of certain investment agreements because of fraud, collusion and mala fides lead to a lack of arbitrability of the contracts.52 This decision is in contrast to the now prevailing doctrine of severability of the arbitration clause. This clause is not tainted by the alleged corruption which may affect the main contract.53 As a rule, therefore, the validity of contracts and, in particular, the question whether a contract is voided by corruption, is a matter of substantive law and has to be decided on the merits. The better approach, accordingly, appears to be that the arbitral tribunal affirms jurisdiction and rules on the merits of a dispute including the decision whether there is an illegality of the contract. This, in fact, is today the prevailing view in literature and practice54 and has been followed in many awards. In some of these cases, the tribunal has rejected the defence of voidness based on alleged corruption because the defendant failed to substantiate the corruption claim;55 in other cases, the defence of voidness on the grounds of [17] corruption or other illegality has been sustained.56 Courts also refused to enforce awards upholding illegal practices.57 The substantive legal issue involved is to identify the criteria for voidance of a contract due to bribery or corruption. As corruption of government officials is a ubiquitous phenomenon in a number of countries, the problem apparently is of great weight, 50 For a worthwhile attempt to classify these criteria for the purpose of general principles of international commercial and investment law, see Kreindler, ‘Aspects of illegality in the formation and performance of contracts’, 16th ICCA Congress, London May 2002, in (2003) 6/1 Intl Arb L Rev 1 et seq. 51 Award in ICC case no. 1110 (1963), rendered by Gunnar Lagergren, reprinted in Wetter, ‘Issues of Corruption before International Arbitral Tribunals’, (1994) 10 Arb Intl 277; Kreindler, supra note 50. 52 Supreme Court of Pakistan; see Cornell/Handley, supra note 49, pp. 39, 41 et seq.; see also III.2.b.aa. 53 Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, chap. 9–80. 54 Redfern/Hunter, Law and Practice of International Commercial Arbitration (3rd ed., 1999), sec. 3–28 at 153; Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, chap. 9–75 et seq. 55 Establishment of Middle East State v. South Asian Construction Company, ICC award no. 4145 (1984), XII, YBCA 97 (1987); U.S. Partner v. German and Canadian Partners, ICC award no. 6286 (1991), XIX YBCA 141, sec. 22 81994). 56 Iranian party v. Greek party, award in ICC case no. 3916 (1982), (1984) 111 JDI 930; Kreindler, supra note 50, p. 2 (note 3). 57 Soleimany v. Soleimany, (1998) 3 WLR 811 (CA).
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although, in the majority of cases, corruption is not alleged and, if it is alleged, not easy to prove. The question is whether a government can allege the corruption of its own high-ranking officials as a means to get rid of the contract. The counter-question is whether investors, if acting as accomplices of such officials (and not as victims of blackmailing), can reap the fruits of unfair contracts. The test for voidance of a contract is whether corruption has influenced a contract in such a way as to unfairly change the balance of interests in the contract to the disadvantage of one party. Such an imbalance can, if bribery is proven, be identified by comparing the contract with similar contracts to find an unfair deviance from fair business standards. In a number of cases, voidance can be confined to certain parts of the contract or later amendments to the contract (as allegedly in the HUBCO case). In such a situation, the main contract as such is to be upheld and the void parts and amendments must be substituted according to the rules of contract adaptation in case of a fundamental change of circumstances.58 C. Broad Concept of Investment and Expropriation 1. Investment Modern BITs use a broad definition of investment.59 The jurisdiction of the tribunal depends on the existence of an investment and on the applicability of the respective BIT. The ICSID Convention, in Art. 25 on jurisdiction, does not define ‘investment’ as a requirement for commencing arbitration proceedings under the Convention, leaving it to the parties to decide what constitutes an investment.60 An arbitration clause in an investment agreement [18] providing for ICSID arbitration is an implied agreement that the investment covered by the agreement falls under Art. 25. In Cekoslovenska Obchodni Banka, AS v. the Slovak Republic,61 the tribunal adopted a double test declaring that the tribunal has to determine whether the dispute arises out of an investment within the meaning of the ICSID Convention and whether it relates to an investment as defined in the parties’ consent to ICSID arbitration, in their reference to the BIT and the pertinent definitions contained in that treaty.62
On these principles, see Horn, Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, 1985, at p. 15 et seq., p. 111 et seq., p. 173 et seq. On the issue of corruption see infra Raeschke-Kessler, on adaptation of contracts see infra Kröll. 59 Kühn, in Kaufmann/Kohler/Stucki (eds), supra note 15, pp. 43, 49 et seq. 60 Shihata, ‘Towards a Greater Depolitization of Investment Disputes: The Role of ICSID and MIGA’, 1 ICSID Rev-FILJ (1986) 5; Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, chap. 28–56. 61 XXIVa YBCA 44 (1999), p. 61. 62 As cited, p. 62 ¶ 53. 58
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In the ICSID case Fedax NV v. the Republic of Venezuela,63 the Republic of Venezuela refused the payment on promissory notes issued by it and sold by the original note holder to Fedax NV, a company based in the Netherlands. Respondent Republic of Venezuela challenged the tribunal’s jurisdiction since the purchase was not a long-term transfer of financial resources to Venezuela in order to obtain an interest in a corporation or as a portfolio investment. The relevant BIT, however, used in its definition of investment the words ‘every kind of asset’ and the tribunal held that the purchase of promissory notes was covered by this provision. It was regarded as irrelevant that claimant Fedax itself never transferred funds to Venezuela. The same approach was adopted in the Stockholm award in the CME case cited.64 2. Measures Tantamount to Expropriation. The Example of Environmental Regulation A similar broad approach is used to determine whether there is an expropriation or ‘measure tantamount to expropriation’ in the meaning of a BIT. These remarks shall be confined to a current issue: the restrictions imposed on a foreign investment by environmental laws of the host country.65 Foreign investors cannot complain about a Host State’s existing environmental regulations. However, if new regulations creep up after an investment has been made, the investor is often placed in an unfair position. Had the investor known about the environmental obligations before making the investment, he could have assessed the risks and rewards of entering the regime. [19] The European Court of Human Rights and the European Court of Justice have in the past given a large degree of deference to states in matters of public concern and safety and have been reluctant to award compensation. In contrast, commercial arbitrators often use a property-friendly approach.66 For example, in Metalclad v. Mexico,67 the arbitral tribunal awarded the investor damages based on a breach of NAFTA Chapter 11. In that case, authorities in Mexico blocked Metalclad’s operation of a waste treatment facility by requiring and refusing unknown permits and designating the area as a new ecological protection zone for cactus. The tribunal found that the establishment of a new ecological cactus reserve was an expropriation and the ex-post facto permission requirements violated the duty of fair and equitable treatment.
37 ILM 1378 (1998). Supra I.A. and B. 65 On the following, see Wälde/Kolo, ‘Environmental Regulation, Investment Protection and “Regulatory Taking” in International Law’, (2001) 50 ICLQ, 811–848. 66 Id., at p. 823. 67 ICSID Decision of 25 August 2000, . 63 64
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In Myers v. Canada,68 Canada imposed an export ban on Myers who was seeking to export PCB wastes to a conveniently located US processing facility. There was evidence that the intent of this ban was to reserve this business to Canadian competitors. Although the ban was lifted after 15 months, Myers filed suit seeking compensation for loss of business. The tribunal awarded damages based on discrimination. If the investor files a suit alleging that the regulation amounts to expropriation, the following questions should be answered: (1) Whether the environmental regulation is proportionate and necessary for a legitimate purpose; (2) whether the law and the application is discriminatory; (3) whether there is a breach of an agreement or investment treaty or of legitimate, investmentbacked expectations; and (4) whether a reasonable adjustment of a regulation to evolving and accepted environmental standards justifies certain restrictions on such expectations in the exercise of regulatory powers.69 D. Assessment of Compensation Since the aforementioned UN-Resolution 1803 (XVII), in 1962, recognized that, in the case of expropriation of foreign investment, ‘appropriate compensation’ shall be paid, a great number of investment treaties has been concluded that repeat this principle of ‘appropriate’ compensation or the principle of ‘just’ and ‘equitable’ compensation. It appears that these terms are considered to be almost equivalent today and that the restrictive standard [20] of ‘appropriate’ compensation in the UN-Resolution is now understood more in the meaning of the Hull formula (supra II.B.1.). This still leaves, as Schachter observes, ‘considerable latitude to the parties in negotiation or to a third party arbiter.’70 It was the specific experience of developing countries in the decolonization era that large-scale expropriation such as general land reform often raised questions as to the ability of the expropriating states to pay full compensation. It is recognized that, in such cases, less than full value would be a just compensation.71 In a number of cases, the arbitral tribunal has to deal with the expropriation of a going and profitable business enterprise. Here, it is recognized that capitalizing the prospective income of the enterprise may be the appropriate standard of assessing the compensation in light of legitimate expectations and actual conditions. This was the approach chosen by the tribunal in the above-mentioned CME case. In principle, the approach was approved by all three arbitrators. There were, however, detail problems. The tribunal had to SD Myers v. Canada, (Final Award Nov. 2001) . Wälde/Kolo, supra note 65, at p. 827. 70 International Law in Theory and Practice (1991), p. 324. 71 Schachter, supra note 20. 68 69
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evaluate and weigh against each other two different calculations projecting the future income of the expropriated TV company. Moreover, one of the arbitrators, Ian Brownlie, made a reservation relating to legitimate expectations and, as mentioned earlier (supra I.B.), he stated that just compensation cannot be based on the assumption of profit levels derived from a dominant position in the market.72 In a number of recent decisions such as Himpurna and Karaha Bodas,73 the tribunals held that the justified expectations of the investor must be measured on the basis of the contents of his investment contract. On the other hand, projections of future profits to be earned over a long period of time far ahead always induce arbitrators to think of diminishing factors such as alternative profit chances if the investor is paid back the invested sum plus a certain part of the protected profit. In the Himpurna awards, the tribunal did not avoid a certain contradiction, when it first stated that the expectations of the investor measured by the contents of his contract should be protected, but later on said that claiming the full amount of projected [21] profits would be an abuse of rights.74 Here, the arbitral tribunal, taken by its own words, used an adaptation of the contract to moderate the compensation.75 E. Dispute settlement negotiations preceding arbitration or litigation Arbitration and, alternatively or concurrently, litigation before state courts are the essential procedural means for investor protection, which will be dealt with separately in the following section (infra III). In many cases, however, the parties under their contract or the applicable legal rules first have resort to non-judicial dispute settlement procedures. This offers the chance to obtain a solution more swiftly and one that may serve as a basis for the further cooperation of the parties in a project.76 NAFTA and a number of BITs prescribe a cooling off period and prescribe a certain procedure on how to initiate and conduct negotiations as a prerequisite for the commencement of arbitration. If the other party clearly indicates that it is determined not to conduct such
72 Separate opinion to the final award in the CME case, submitted by Ian Brownlie, pp. 46 et seq. 73 Karaha Bodas LLC v. Perusahaan Perambanban Minyak dan Gas Bumi Negera and PT. PLN (Persero), 16 (3) Mealey’s Intl Arb Rep C-1, C-13 (2001); see also the Indonesian cases Himpurna California Energy Ltd. (Bermuda) v. PT. (Persero) Perusahaan Listruik Negara, 14 (12) Mealey’s Intl Arb Rep A-1, A-43 et seq (1999). 74 Himpurna California Energy Ltd. (Bermuda) v. PT. (Persero) Perusahaan Listruik Negara, 14 (12) Mealey’s Intl Arb Rep A-1 (1999) A-50. 75 For a detailed discussion see infra S. Kröll. 76 In general, see Horn/Norton (eds), Non-judicial Dispute Settlement in International Financial Transactions, 2000.
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negotiations or if it obviously obstructs negotiations, the other party may be entitled to go directly to arbitration. Similar to the decision of a court or arbitral tribunal, the result of such negotiations can be a clarification of facts, e.g. whether a certain fact relevant under the contract occurred or not, or a clarification of the meaning of the contract or an adaptation of that contract to new circumstances. The advantage of renegotiations is that the parties can leave this classification open, and it may well be that one party, for reasons of face saving, may flatter itself to have obtained an adaptation of a contract, whilst the other party is of the opinion that this was only a clarification of an unchanged contract. In its request for dispute settlement negotiations or a renegotiation of the contractual terms, sometimes a party can rely on the rules of the applicable law. A number of laws recognize the right of a party to demand an adaptation or variation on the grounds of a fundamental change of the circumstances surrounding the contract.77 This right can imply the duty of the other party to cooperate in this adaptation process through renegotiating the contract. In other legal systems, the right to request the adaptation or variation of [22] the contract is recognized only in rare circumstances or not at all.78 In international business contracts, in particular those including a long term cooperation, the need for a renegotiation and adaptation (variation) of the contract has been long recognized and has induced lawyers to include renegotiation clauses or other clauses on non-judicial dispute settlement.79 This practice is also adopted in modern investment contracts. In particular, the duty the renegotiate the contract in the light of a change of circumstances in order to adapt to the new situation is laid down in a number of typical clauses.80 F. Diplomatic Protection Diplomatic protection by his home state is still a well-established and important means for a foreign investor to obtain reparation from the Host State for treatment of his investment that is counter to that required by international law. Under customary international law, states are entitled to protect their nationals against unlawful acts by other states.81 Companies as legal Horn (ed.), Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Investment, 1985, p. 15 et seq. 78 Id., p. 180; Kröll, Ergänzung und Anpassung von Verträgen durch Schiedsgerichte, (1998), p. 165 et seq. 79 Id., pp. 111 et seq. 80 Berger, in Baur/Hobe (eds), Rechtsprobleme von Auslandsinvestitionen (Legal Problems of Foreign Investment) (2003), at pp. 65 et seq. 81 Geck, Diplomatic Protection, Encyclopedia of Public International Law (Vol. 1, 1996), pp. 145 et seq. 77
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persons also enjoy diplomatic protection, as confirmed by the International Court of Justice in the Barcelona-Traction case.82 The court, however, did not grant the shareholder’s home state the right of diplomatic protection, other than in very exceptional circumstances. In the case, 88 percent of the (Canadian) Corporation Barcelona Traction were Belgians and the Belgian State assumed locus standi in proceedings against the expropriating State of Spain; the Court denied it. Furthermore, diplomatic protection may be given only to investors who have exhausted the effective domestic remedies available under the law of that state against acts or omissions in violation of international law. Diplomatic protection of investors is a procedural corollary to the legal responsibility of states. The expansion of treaty law, in particular investment treaties, many of them containing the most-favored-nation clause, has an ambivalent impact on the role of diplomatic protection. On one hand, the [23] importance of such protection is increased, for the more these treaties recognize property rights of investors, without giving the private investor standing against Host States in international courts and tribunals, the more diplomatic protection is needed. On the other hand, diplomatic protection can be substituted or reduced to the extent investors obtain such standing. Under Art. 27 of the ICSID Convention, no contracting state shall give diplomatic protection in respect of a dispute between an investor that is his national and a contracting state if both parties have consented to submit to arbitration under the ICSID Convention. This provision does not exclude informal diplomatic exchanges for the purpose of facilitating a settlement of a dispute (Art. 27(2)). Some BITs provide for the settlement of disputes by diplomatic means first, and only if these fail, for settlement by ICSID.83 The exclusion of diplomatic measures through Art. 27 (1) ICSID Convention ends if an award has been rendered and the contracting state involved in the investment dispute has failed to abide by and comply with the award.
III. CURRENT PROBLEMS OF FOREIGN INVESTMENT ARBITRATION A. Jurisdiction In contrast to commercial arbitration, where the jurisdiction of the arbitral tribunal is based exclusively on a valid arbitration clause contained in the contract between the parties or concluded ad hoc, the power of the tribunal in an investment dispute often emanates from an interplay of parties’ consent 82 83
ICJ Rep 1970, p. 4, at p. 42. Schreuer, supra note 24, Art. 27 note 40.
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and objective legal rules contained either in the investment protection law of the Host State or in bilateral or multilateral investment treaties. Such laws and treaties, in their provisions for arbitration, contain a public offer of the state that the investor can accept when commencing arbitration procedures.84 ICSID Arbitration was successfully initiated by an investor in Egypt relying on Art. 8 Egyptian Investment Law of 1974, where ICSID arbitration was provided for investment disputes with a foreign investor.85 Egypt challenged jurisdiction, among other issues, by arguing that the investment law did not [24] establish Egypt’s consent to ICSID jurisdiction in a given case; that contention was rejected by the tribunal. The ICSID-Convention, in its preamble, declares that the contracting state does not give such a standing offer for arbitration to investors by the mere fact that it ratified, accepted or approved the ICSID-Convention. Instead, jurisdiction of the Centre, under Art. 25 of the Convention, is established when (1) there is a dispute arising directly out of an investment (2) between a contracting state and (3) the national of another contracting state, and (4) there is a written consent by the parties to submit to the Centre. The investor can obtain the required consent, however, in a unilateral way if there is a standing offer in a BIT or an investment law, as described. Multilateral investment treaties make it clear that their provisions on arbitration do not force the private investor into arbitration. NAFTA Art. 1121 and Energy Charter Treaty Art. 26 (5) require special consent by the investor and they specify that this consent in conjunction with that of the state, as expressed in the treaty provisions, shall be deemed to satisfy the arbitration agreement requirement.86 The ICSID-Convention, for the reasons described, gives the investor equally the freedom to establish arbitral jurisdiction through acceptance of a standing offer in a BIT or investment law. The situation is different, of course, when the investor, in his investment contract with the government or the governmental agency, has already accepted an arbitration clause. B. Arbitration and State Courts 1. Problems with the jurisdiction of Host State courts Normally, a conflict between litigation before the state courts and arbitral procedures between the same parties is, as far as possible, avoided by the 84 Cremades, ‘Arbitration in Investment Treaties: Public offer of Arbitration in Investment-Protection Treaties’ in: Briner, Fortier, Berger and Bredow (eds.), Liber Amicorum Böckstiegel (2001) pp. 149 et seq. 85 Southern Pacific Properties, Ltd. (Middle East) et al v. Arab Republic of Egypt, XVI YBCA 16 (1991). 86 Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, chap. 28–11.
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relevant arbitration laws. A valid arbitration clause, as a rule, gives a party a valid defence against being involved in litigation before a state court.87 State courts only come into play in a limited way, in particular in enforcement procedures and annulment procedures (both outside ISCID procedures). These limits, however, are not always respected, in particular in Host States. It is well known that one of the reasons for multilateral and bilateral investment treaties was and still is the concern of foreign investors about submitting the investment claims exclusively to the state courts of the Host State that are considered to be, at least in some parts of the world, [25] instrumentalities of the Host State’s government. This is the reason why Calvo-clauses in investment contracts or in bond conditions that subject the foreign investor exclusively to the jurisdiction of the courts of the state are no longer used. There are some recent international investment disputes that support the concern that Host State courts may not provide adequate protection to foreign investors. This is the very reason that the frequent clauses in investment contracts that arbitration shall be available only after the exhaustion of relief sought at the state courts, are not very appreciated by investors who look for ways to immediately commence arbitration procedures, if possible. In the ICSID arbitration Maffezini (Argentina) v. the Kingdom of Spain,88 the Argentine investor was obliged, under the Argentine-Spain BIT, to first exhaust local remedies before commencing arbitration. The same BIT, however, contained the most-favored-nation clause that would allow the application of the more favorable dispute settlement provisions of the Chile-Spain BIT, which allowed a party to opt for arbitration without first bringing the claim in the domestic courts. In fact, the arbitral tribunal affirmed jurisdiction on the basis of this contention. 2. Injunction of arbitral proceedings a) Himpurna Case In-court injunctions of arbitral proceedings were used as a weapon against international investment arbitration by host countries in recent investment disputes in Pakistan and Indonesia. In the Himpurna cases in Indonesia, Himpurna California Energy Ltd (Bermuda) undertook to develop geothermal fields in Java for the production of energy and to supply the electricity to the Indonesian state-owned energy supplier company PLN. Pertamina, an Indonesian government energy corporation, participated in these energy sales contracts and the Minister of Finance of Indonesia wrote letters promising that the government would ‘cause Pertamina and PLN... to honor and See, e.g. Art. II New York Convention. XXVII YBCA (2002) 13 et seq.
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perform the obligations as due in the ... contracts’.89 Contracts committed PLN to pay for the electricity over a period of 30 years in USD. Claimants Himpurna and others alleged that PLN had breached and repudiated the contracts, and commenced arbitration. The tribunals ruled that PLN had breached the sales contract and was bound to pay sums that would compensate the claimants for the investment but awarded less than 10 percent of the amount claimed for lost profits. [26] Moreover, arbitral claims were brought against Indonesia relying on the aforementioned letters of the Minister submitting that these letters made Indonesia liable for the non-payment by PLN on the foregoing arbitral awards. Claimants relied on the provision in the letters that any investment dispute should be settled by arbitration under the UNCITRAL Arbitration Rules. Pertamina commenced a lawsuit filed in the Central District Court of Jakarta requesting that the arbitral proceedings against the government be enjoined. PLN brought another lawsuit against claimant seeking annulment of the above awards. Counsel for claimants sought an order from the tribunals directing the Indonesian government to cause Pertamina and PLN, that were termed ‘two wholly owned and controlled entities’ of the government, to cease their efforts to use the Indonesian judicial system to enjoin or otherwise interfere with the pending arbitral proceedings. The government of Indonesia denied that it was conspiring in the Jakarta court cases brought by Pertamina and PLN. The arbitral proceedings were enjoined by the Jakarta court in July 1999 with a threat of heavy fines in case of contravention. In reaction to this injunction, counsel for Indonesia failed to plead further in the arbitral proceedings against Indonesia. The tribunals held that the court’s injunctions were obtained at the instigation of Pertamina and further held that the argument of the Indonesian government that it did not control Pertamina was not credible. The tribunals issued procedural orders holding that Indonesia, through the Indonesian courts, had violated the terms of appointment agreed upon and Indonesia was in default under the terms. Hearings were scheduled to be convened in the Peace Palace in The Hague. A little later, counsel for Indonesia issued a summons against claimants and the arbitrators calling them not to appear in the District Court of The Hague in respect of an injunction sought by Indonesia forbidding them to participate in the hearing in The Hague. The District Court in The Hague refused to grant such injunction.90 Eventually, the arbitration proceedings were successfully continued and the arbitral tribunal, although truncated through the kidnapping of the Indo Schwebel, supra note 43, pp. 33 et seq. Arrondissementrechtbank the Hague, 21 September 1999, Republic of Indonesia v. Himpurna California Energy Ltd. XXV YBCA 469 (2000). 89 90
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nesian arbitrator (infra C.2.), in strong words defended the sanctity of contracts and the binding effect of the arbitration clause concluded as well as the independence of international commercial arbitration vis-à-vis attempted interference by the courts of the Host State.91 [27] b) HUBCO Case In the aforementioned HUBCO case (II.B.S.a.) in Pakistan, the state courts of the Host State effectively interfered with the ICC arbitral proceedings commenced by the foreign investors.92 In this case, the investor, the Pakistan incorporated energy supplying company HUB and its main shareholder, the American Corporation Entergy Pakistan, first were confronted with a letter of the energy buyer WAPDA challenging the validity of certain amending agreements, and it was the investors who first called the state courts seeking an injunction against WAPDA and a court order to oblige WAPDA to seek no other resolution of the dispute but by the agreed ICC arbitration. The court first granted an ex parte injunction, but this injunction was not continued. Later on WAPDA obtained an injunction from a state court restraining HUB from continuing further the ICC proceedings. Eventually, HUB, as a Pakistan based company, was successfully prevented from any further steps in the ICC arbitration since that time. The arbitration was progressed at the request of the American investor Entergy. WAPDA challenged Entergy’s locus standi as a claimant in the arbitration. It was reported that later the parties ended the arbitration through a settlement agreement.93 In the court proceedings in Pakistan, the Supreme Court of Pakistan, in a majority vote, relied exclusively on bare allegations of corruption made by WAPDA to deny the arbitrability of the case and to deprive HUB of its rights to have the dispute determined by ICC arbitration. The minority vote said that the arbitration agreement was freely entered into and valid, on the basis of the doctrine of separability, it was the arbitral tribunal to decide on the allegations of invalidity of the main contract.94 3. Annulment Procedures Within the realm of ICSID Convention procedures, annulment cannot be decided by state courts but only in a special procedure provided in the Convention. Outside ICSID, an arbitral award can be challenged in an annulment procedure according to the national arbitration law of the state court
See also supra II.B.S.b. Cornell/Handley, supra note 49, pp. 33 et seq. 93 Kantor, ‘International Project Finance and Arbitration with Public Sector Entities’ (2001) 24 Fordham Intl L J, 1123, p. 1157 at note 115. 94 Cornell/Handley, supra note 49, p. 41; see also supra II.B.5.c. 91 92
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invoked, as was the case in the CME arbitration where the Stockholm court was unsuccessfully invoked for annulment. Annulment is, of course, a necessary remedy against improper conduct of arbitral proceedings, e.g. [28] denying a party to be properly heard. However, annulment may unfortunately be an effective weapon in parts of the world where the state courts are more inclined to serve as instrumentalities of the host government as was the case in the Himpurna arbitration.95 C. Composition of the Arbitral Tribunal 1. Neutrality and Independence of Arbitrators The generally accepted principle that arbitrators must be independent of each of the parties involved in the dispute and must preserve a strict neutrality throughout the procedure, is subjected to a hard test in investment cases involving huge sums of money and attracting political interest and bias (supra I.A. and B.). 2. Truncation of the Arbitral Tribunal In the Indonesian Himpurna case, when the arbitral tribunal decided, confronted with an injunction by an Indonesian court, to continue its proceedings in the Peace Palace of The Hague in the Netherlands instead of Indonesia, the arbitrator appointed by the Indonesian government, according to the award of the tribunal, was forced to return from the Netherlands to Indonesia without participating in the arbitral tribunal’s proceedings.96 The court declared, in line with established doctrine and practice, that an arbitral tribunal that is truncated this way by an illegal act, is entitled and obliged to continue its task, and that the government, which obviously or most probably caused the kidnapping of the arbitrator, is responsible for denial of justice. There is no doubt that in the Himpurna case, the tribunal could continue and issue a valid award.97 Besides this rather unusual case, arbitral tribunals have sometimes been confronted with the situation that one arbitrator failed to appear and to participate in the work of the tribunal or later withdrew with or without good reasons.98 Most arbitration rules do not contain a comprehensive regulation Schwebel, supra note 43, p. 34. Four years later and after the Indonesian government had changed, the kidnapped arbitrator published his report on the events: Priyatna Abdurasyid, ‘They said I was going to be kidnapped’ (June 2003) Vol. 18/6 Mealy’s Intl Arb Rep 29–33. 97 Schwebel, supra note 43; Veeder, in: Briner, Fortier, Berger and Bredow (eds), Liber Amicorum Böckstiegel (2001), p. 795, 804 et seq. 98 See, e.g., the Swiss decision Ivan Milutinovic PIM v. Deutsche Babcock AG, reported in detail in Schwebel, ‘The Validity of an Arbitral Award rendered by a Truncated Tribunal’, 95 96
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[29] of this problem. Art. 11 of the AAA International Arbitration Rules and Art. 7 of the 1999 Scottish Arbitration Code provide that if an arbitrator in a three-person tribunal, although duly notified, failed without good cause to participate in the work of the tribunal, the two other arbitrators shall have the power to continue the arbitration and to make any award, order or other decision. Veeder rightly observed that ‘this makes the majority sole judge as to what constitutes the third arbitrator’s wrongful failure to participate.’99 This opens the gate for misuse and allows the majority to proceed also at the expense of an innocent party. It appears therefore wise not to grant wider powers to arbitrators in such cases.100 D. Enforcement The ICSID Convention does not provide for enforcement procedures. Instead, it is expected that a state that is obliged to recognize an award under Art. 54 will fulfill this commitment as an international obligation, the general consideration being that its international reputation is at stake. As a matter of experience, ICSID awards are respected, as are the majority of commercial arbitral awards that are fulfilled without enforcement procedures. In state-investor disputes outside the ICSID Convention, the normal enforcement options under the New York Convention are available. An award against a State party, however, can be enforced only if the state cannot successfully plead his immunity against enforcement. The sovereign immunity of states is a well-established principle of international law, based on comity and the equality of states.101 The ICSID Convention makes it clear that its enforcement regulation does not derogate from the law in force in any contracting state relating to immunity of that state or of any foreign state from execution (Art. 55). As a general rule, a sovereign state cannot plead sovereign immunity in acts and contracts of a private and commercial nature in contrast to state activities (acts of state). A sovereign state waives its immunity from jurisdiction if it agrees to a jurisdiction or arbitration clause.102 [30] But waiver of immunity from jurisdiction does not necessarily include immunity from execution: in most laws the exceptions to immunity from execution are narrower than those from jurisdiction. Here again, loss of international reputation and creditworthiness is a strong argument in favor of a state voluntarily fulfilling his commitment under the award. This, however, (1995) 6(2) ICC Bulletin 19; for further cases see Solchi, ‘The Validity of Truncated Tribunal Proceedings and Awards’, (1993) 9 Arb Intl 303. 99 Veeder, supra note 97, at p. 805. 100 Veeder, supra note 97; Schwebel, International Arbitration: Three Salient Problems (1987), p. 296. 101 Lew/Mistelis/Kröll, supra note 13, chap. 27–35. 102 Id., chap. 27–39 et seq.
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Arbitration and the Protection of Foreign Investment
is not always the case. If execution in the country of the state appears without chances, the investor may shop around to find countries where assets are available for him. Here again, state immunity from execution may be a barrier. In this respect, a recent decision of the French Supreme Court may be of considerable interest to investors. In Creighton v. Qatar the Cour de Cassation held that submission to ICC arbitration contained at the same time a waiver of immunity from execution, since the state undertook the obligation to enforce the award.103 It remains to be seen to what extent this development will be followed in other states. Finally, diplomatic assistance of the home state may be of help.
IV. CONCLUDING REMARKS In international investment projects and in the settlement of disputes arising out of them, the Host State has the key role. This role, however, is not so much defined by his sovereign rights, but by the role of the state as a contracting partner in the project. The state confers, at least to a limited extent, upon the foreign investor a position of equal footing and a locus standi in litigation and arbitration. To a limited extent, the contracting state waives its sovereign rights in order to win the confidence of foreign investors and to encourage foreign investment in his country to obtain the beneficial economic effects expected from it. The unique position of sovereign states, however, comes into play if we regard the non-legal context of foreign investment and the political powers a state may use when the rulers of that state want to get rid of burdensome legal obligations. Some recent arbitration cases remind us that treaties and contracts, legal rules and legal procedures have a limited effect in the [31] context of political power as can be studied e.g. in the Himpurna and HUBCO cases. International arbitration, under multilateral and bilateral investment treaties, is the most important instrument for the settlement of disputes over foreign investment. This does not mean to belittle the growing importance of informal dispute settlement procedures often preceeding arbitration. Renegotiation of contracts are more successful if they are conducted in the shadow of potential subsequent arbitration. Both parties may have good reasons to avoid arbitration, because an award is normally not a good basis for 103 Cour de cassation, 6 July 2000, Creighton Limited v. Ministry of Finance and Ministry of Municipal Affairs and Agriculture of the State of Qatar, 15(9) Mealey’s Intl Arb Rep A-1 (2000); see also Meyer-Fabre, ‘Enforcement of Arbitral Awards against Sovereign States, a New Milestone: Signing the ICC Arbitration Clause Entails Waiver of Immunity from Execution Held French Court of Cassation in Creighton v. Qatar, July 6, 2000’ (2000) 15(9) Mealey’s Intl Arb Rep 48; Turck, ‘French and US Courts Define Limits of Sovereign Immunity in Execution and Enforcement of Arbitral Awards’ (2001) 17 Arb Intl 327.
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the further cooperation the parties may be interested in. Moreover, informal negotiations offer the opportunity to settle a dispute in face-saving way. The exercise of political power by the state that is party to an investment and respondent to an investment dispute does not lend itself to easy answers. On one hand, there might be countervailing political powers available. It is not surprising, that some investment projects are easier to be carried out if a strong American investor with a strong government behind him is in the boat. More generally, diplomatic assistance is normally of some help, as questions of political prestige and credit standing in the international economic community are strong arguments to not openly disregard the rule of law in economic relations. On the other hand, political pressure within the legal instrumentalities may pose a number of difficult questions. Annulment procedures and injunctions by state courts of the Host State of the investment are difficult to handle, the more if we consider that annulled awards do not find everywhere recognition outside the Host State. Finally the pressure exercised directly on arbitrators is a problem also in less visible cases than Himpurna. International arbitration of investment disputes, nevertheless, will be of increasing importance. The benefits of international economic cooperation between the states can only be secured if this cooperation is protected by the rule of law, and international investment arbitration is an important factor in this international learning process.
Die Europa-AG im Kontext des deutschen u. europäischen Gesellschaftsrechts Die Europa-AG im Kontext des deutschen und europäischen Gesellschaftsrechts Der Betrieb 2005, 147–153 I. Einleitung Seit dem 8.10.2004 ist die Verordnung über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE-VO) in Kraft1. Das deutsche SE-Einführungsgesetz (SEEG) folgte mit zwei Monaten Verspätung, nachdem bis zuletzt Einzelheiten der Arbeitnehmermitbestimmung umstritten geblieben waren2. Mit der VO steht nach über vierzig Jahren der Vorbereitung und rechtspolitischen Diskussion3 endlich in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ein teilweise vereinheitlichter Rechtsrahmen für eine Aktiengesellschaft zur Verfügung. Die Societas Europaea (SE), von manchen als „Flaggschiff des europäischen Gesellschaftsrechts“ begrüßt4, soll nach dem Willen des europäischen Gesetzgebers die starken Unterschiede zwischen den nationalen Gesellschaftsrechten zu überwinden helfen und (man staune!) die Konzentration von Wirtschaftskräften im Binnenmarkt fördern5. Die deutsche Wirtschaft steht der neuen Rechtsform eher skeptisch gegenüber. Man sieht gewisse Vorteile in der Erleichterung der Sitzverlegung und von grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen6- nach Klärung der Besteuerungsfragen7. Aber für das Interesse großer
1 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8.10.2001, ABlEG Nr. L 294 v. 10.11.2001 S. 1 ff. Dazu Habersack, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2003, Rdn. 392 ff.; Theisen/Wenz (Hrsg), Die europäische Aktiengesellschaft, 2002; Teichmann, ZGR 2002 S. 383 ff. Gleichzeitig war die Richtlinie 2001/86/EG zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer vom 8.10.2001, ABlEG Nr. L 294 v. 10.11.2001 S. 22 ff. in nationales Recht umzusetzen (Art. 14). 2 Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) vom 22.12.2004, BGBl. I S. 3675, beschlossen vom Bundestag am 29.10.2004 i. d. F. der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses v. 27.10.2004, BT-Drucks. 15/4053. 3 Zur Vorgeschichte Lutter, BB 2002 S. 1 ff.; Blanquet, ZGR 2002 S. 20 ff.; Heinze, ZGR 2002 S. 66 ff. 4 Hopt, ZIP 1998 S. 96 (99); Hommelhoff/Teichmann, SZW/RSDA 2002 S. 1. 5 Erwägungsgründe Nr. 1–3; Blanquet, ZGR 2002 S. 20 (29 ff.). 6 Wenz, AG 2003 S. 185 (186 f.); C. Schäfer, NZG 2004 S. 785. 7 Dazu unten III.5.
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deutscher AGs an der Europa-AG wird die, wie es heißt, „diskriminierende Vorgabe zur unternehmerischen Mitbestimmung“ als entscheidendes Hindernis betrachtet8.
II. Bruchstückhaftes Gemeinschaftsrecht 1. Die anwendbaren nationalen Gesellschaftsrechte Die SE-VO schafft keine einheitliche Rechtsform der Europäischen Gesellschaft, sondern nur eine Rahmenregelung, die durch die Satzung und das jeweilige nationale Gesellschaftsrecht des Sitzstaates ausgefüllt wird (Art. 9 SE-VO). Diese Minimalharmonisierung war angesichts der Vielfalt der nationalen Gesellschaftsrechte der einzige Weg zur Societas Europaea. Hinsichtlich des anwendbaren nationalen Rechts sind zu unterscheiden das spezielle Einführungsrecht, das der nationale Gesetzgeber zur Einfügung der SE in die nationale Rechtsordnung schafft, in Deutschland also das SEEinführungsgesetz (SEEG), und das allgemeine Kapitalgesellschaftsrecht, das ergänzend gilt (Art. 9 Abs. 1 c, i und ii SE-VO). Im Ergebnis wird es also die Europa-AG (SE) in einer Vielfalt ihrer Prägungen durch die verschiedenen anwendbaren nationalen Einführungsgesetze und allgemeinen Gesellschaftsgesetze geben. Die Verweisung in Art. 9 Abs. 1 SE-VO auf das nationale Gesellschaftsrecht bezieht sich auf dieses Recht in seiner jeweils gültigen Fassung (dynamische Verweisung)9. Sie ist Sachnormverweisung10 ohne Rückgriff auf die allgemeinen Regeln des IPR11 und dient der Lückenausfüllung der unvollständigen Regelungen der SE-VO. Eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung des nationalen Gesellschaftsrechts ist geboten, soweit es sich um spezielles Recht zur Einführung der SE handelt, in Deutschland also bei Anwendung des SEEG. Bei der ergänzenden Anwendung des übrigen (allgemeinen) nationalen Gesellschaftsrechts, in Deutschland also namentlich des AktG, verbleibt es dagegen bei den allgemeinen und den speziell zu diesem Gesetz entwickelten nationalen Auslegungsgrundsätzen12.
Gemeinsame Stellungnahme der Spitzenverbände der deutschen Industrie, der Banken, des Handels und der Versicherungswirtschaft vom Juni 2003; vgl. FAZ Nr. 139 v. 17.6.2003 S. 18. 9 Brandt/Scheifele, DStR 2002 S. 547 (553); Casper, in: FS Ulmer, 2003, 51 (65). 10 Schwarz, Europäisches Gesellschaftsrecht, 2000, Rdn. 1100; Brandt/Scheifele, DStR 2002 S. 547 (549, 553). 11 Casper, a.a.O. (Fn. 9), S. 66. 12 Casper, a.a.O. (Fn. 9), S. 68 ff.; vgl. auch Hirte, NZG 2002 S. 1 (2); Teichmann, ZGR 2002 S. 383 (397). 8
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2. Statutenwechsel bei Sitzverlegung Das Bild wird noch bunter, wenn man berücksichtigt, dass jede Sitzverlegung einer bestehenden SE von einem Mitgliedstaat in einen anderen einen Statutenwechsel hinsichtlich des ergänzend anwendbaren nationalen Gesellschaftsrechts zur Folge hat. Eine solche Sitzverlegung ist nach einem in Art. 8 SE-VO geregelten Verfahren möglich, und zwar identitätswahrend und ohne Liquidation (Art. 8 Abs. 1 Satz 2 SE-VO). Aber der statutarische Sitz einer SE und der Sitz ihrer tatsächlichen Hauptverwaltung müssen nach Art. 7 SE-VO in demselben Mitgliedstaat liegen, nach deutschem Ausführungsrecht sogar am gleichen Ort (§ 2 SEAG), was der in Deutschland früher herrschenden, durch die Rechtsprechung des EuGH stark reduzierten Sitztheorie13 entspricht. Die deutsche SE, die ihre Hauptverwaltung nach Italien verlegt, muss dies auch hinsichtlich ihres statutarischen Sitzes tun; andernfalls droht ihr die Auflösung (Art. 64 Abs. 2 SE-VO; § 52 SEAG). Mit der Neubestimmung des statutarischen Sitzes in Italien wird italienisches Gesellschaftsrecht anwendbar. Gleiches gilt auch für die englische SE, die ihre Hauptverwaltung und zugleich gem. Art. 7 SE-VO ihren statutarischen Sitz nach Italien verlegt. Lediglich für Schulden, die vor dem Wirksamwerden der Sitzverlegung (durch Registereintragung im neuen Sitzstaat gem. Art. 8 Abs. 10 SE-VO) entstanden sind, bleibt zugunsten der Altgläubiger das vorherige Statut maßgebend (Art. 8 Abs. 16 SE-VO). Der SE ist es also nicht gestattet, beim Wegzug ihr nationales Gesellschaftsrechtsstatut mitzunehmen. Dies wird z. B. die englische SE von einer rein nationalen englischen limited Company unterscheiden14.
III. Die Europa-AG im Kontext des deutschen Gesellschaftsrechts 1. Einfügung ins deutsche Recht (SEEG: SEAG u. SEBG) – Problemschwerpunkte Das deutsche Gesetz zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG) enthält als Artikelgesetz das SE-Ausführungsgesetz [148] (SEAG) zur Regelung der gesellschaftlichen Fragen (Art. 1) und das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG) zur Regelung der mitbestimmungsrechtlichen Fragen nach den Vorgaben der EG-Richtlinie zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer (Art. 2)15. Das SEEG wurde bereits in den verschiedenen Stadien seines Entstehens ebenso wie die SE-VO selbst Gegenstand einer intensiven Diskussion, die sich zwar Überblick bei Horn, NJW 2004 S. 893 ff. Zu letzterer Horn, NJW 2004 S. 893 ff.; zum Ganzen unten IV.1. 15 Richtlinie (EG) Nr. 2001/86 v. 8.10.2001, ABlEG Nr. L 294 vom 10.11.2001 S. 22. 13 14
940 Die Europa-AG im Kontext des deutschen u. europäischen Gesellschaftsrechts
auf vorläufige Texte stützen musste16, dabei aber zugleich den Vorzug einer aktuellen rechtspolitischen Debatte mit der Chance der Einflussnahme auf den endgültigen Text hatte17. Im Folgenden sollen schwerpunktartig die wichtigsten Problemfelder der Europa-AG (SE) und ihrer Einfügung in das deutsche Recht unter Berücksichtigung der Diskussion zusammenfassend und kritisch erörtert werden. 2. Gründung a) Gründungsformen Die Gründung einer SE ist an einschränkende Voraussetzungen gebunden. Der Modellfall der Gründung durch natürliche Personen, der heute allerdings häufiger in Lehrbüchern als in der Praxis vorkommt, ist ausgeschlossen. Die Gründung steht nur den in Art. 2 SE-VO genannten Kapitalgesellschaften (AG, GmbH und ihren ausländischen Äquivalenten) offen; für den Fall der Gründung einer gemeinsamen Tochter-SE sind auch andere juristische Personen des öffentlichen und privaten Rechts zugelassen (Art. 2 Abs. 3 SE-VO). Als Gründungsverfahren kommen hauptsächlich Umwandlungstatbestände in Betracht: Formwechsel, Verschmelzung und die (neuartige) Gründung einer Holding- SE, d. h. einer Gesellschaft, die künftig als Muttergesellschaft der an ihrer Gründung beteiligten Gesellschaften fungieren soll (Art. 2 Abs. 1, 2 und 4 SE-VO); hinzu tritt die Möglichkeit der Gründung einer Tochter-SE (Art. 2 Abs. 3 SE-VO). Erforderlich ist ferner ein internationaler Sachverhalt, d. h. mindestens zwei verschiedene Mitgliedstaaten müssen berührt sein. Die Gründung einer SE durch Verschmelzung und die Gründung einer gemeinsamen Holding oder Tochter sind demnach möglich, wenn mindestens zwei der beteiligten Gesellschaften dem Recht verschiedener Mitgliedstaaten unterliegen. Das Erfordernis eines internationalen Sachverhalts ist aber keine hohe Hürde. Denn alternativ genügt es bei der Gründung einer Holding-SE oder Tochter-SE, dass mindestens zwei der beteiligten Gesellschaften seit mindes tens zwei Jahren eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende 16 Diskussionsentwurf des BMJ für ein SEEG v. 28.2.2003 (beschränkt auf das Gesellschaftsrecht), NZG 2003 Heft 7 Sonderbeilage (DiskE); Referentenentwurf des BMJ u. d. BMWA (mit gesellschafts- und mitbestimmungsrechtlichem Teil) v. 5.4.2004, www.bmj.de (RefE); Regierungsentwurf v. 26.5.2004, BR-Drucks. 438/04 v. 28.5.2004 = BT-Drucks. 15/3405 v. 21.6.2004 (RegE). 17 Handelsrechtsausschuss des DAV: Stellungnahme zu dem Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Einführung der Europäischen Gesellschaft (SEEG), NZG 2004 S. 957 ff.; Teichmann, ZGR 2002 S. 383 ff.; Merkt, ZGR 2003 S. 650 ff.; Hoffmann-Becking, ZGR 2004 S. 355 ff.; Eder, NZG 2004 S. 544 ff.; Gruber/Weller, NZG 2003 S. 297 ff.; Ihrig/ Wagner, BB 2004 S. 1749 ff.; C. Schäfer, NZG 2004 S. 785 ff.; Nagel, NZG 2004 S. 833 ff.; Fleischer, AcP 204 (2004) S. 502 ff.
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Tochter oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat haben (Art. 2 Abs. 2 (b) und Abs. 3 (b) SE-VO). Die letztere Voraussetzung ist schon bei kleineren Unternehmen ziemlich leicht zu erfüllen: Zwei deutsche GmbHs, die jede eine Auslandsniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat der EG haben, können demnach zusammen eine SE-Holding oder SE-Tochter gründen. Bei Gründung einer SE durch Umwandlung einer bestehenden AG oder GmbH genügt schließlich, dass die betreffende Kapitalgesellschaft eine Tochtergesellschaft in einem anderen EG-Mitgliedstaat hat. Danach kann fast jede größere Kapitalgesellschaft in Deutschland, weil diese Voraussetzung in den allermeisten Fällen erfüllt ist, im Alleingang den Weg in die Europa-AG (SE) antreten. Zwar steht nicht zu erwarten, dass auf diese Weise demnächst Deutsche Bank AG, Siemens AG oder Volkswagen AG zur SE mutieren, aber die rechtliche Möglichkeit dazu ist offen. Die einmal gegründete Europa-AG kann sich selbst an der Gründung einer neuen SE durch Verschmelzung oder durch Gründung einer Holding oder Tochter-SE beteiligen (Art. 3 Abs. 1 SE-VO) oder auch allein eine Tochter-SE gründen (Art. 3 Abs. 2 SE-VO). Eine relativ maßvolle Hürde stellt schließlich auch das Mindestkapital von 120 000 € dar (Art. 4 Abs. 2 SE-VO). Immerhin bestätigt es, dass der europäische Gesetzgeber das heute im internationalen Vergleich recht umstrittene Schutzkonzept des festen Mindestkapitals aufrechterhält18. Die Umwandlungstatbestände Verschmelzung, Gründung einer HoldingSE und Umwandlung erfordern jeweils Hauptversammlungsbeschlüsse der beteiligten Gesellschaften (Art. 23 Abs. 1, 32 Abs. 6, 37 Abs. 7 SE-VO). Die Verschmelzung erfolgt gem. Art. 17 Abs. 2 SE-VO nach den Vorgaben der Verschmelzungs- Richtlinie von 197819, die im Umwandlungsgesetz in deutsches Recht umgesetzt worden ist. Für den Verschmelzungsbeschluss ist eine ¾-Mehrheit der Hauptversammlung der beteiligten deutschen AG erforderlich (vgl. § 65 UmwG), bei Umwandlung einer deutschen AG in eine SE ein Hauptversammlungsbeschluss mit gleicher Mehrheit (§ 240 Abs. 1 UmwG). Bei der Gründung einer gemeinsamen Tochter-SE ist die Erforderlichkeit einer Beteiligung der Hauptversammlungen ebenfalls nach dem nationalen Recht der beteiligten Gesellschaften zu beurteilen (Art. 36 SE-VO); sie ist nach deutschem Recht nur gegeben, wenn die Voraussetzungen der Holzmüller-Rechtsprechung vorliegen20. Zusammenfassung der Kritik auf rechtsvergleichender Grundlage Koll-Möllenhoff, Das Prinzip des festen Grundkapitals im europäischen Gesellschaftsrecht, Diss. Köln 2004. Zur skeptischen Einschätzung des Gläubigerschutzkonzepts durch ein festes Mindestkapital seitens des EuGH seit dem Centros-Urteil Zimmer, BB 2003 S. 1 (6 f.). 19 Richtlinie 78/855/EWG v. 9.10.1978 betr. die Verschmelzung von Aktiengesellschaften, ABlEG Nr. L 295 v. 20.10.1978 S. 36. 20 BGHZ 83 S. 122 (130) = DB 1982 S. 795 (Holzmüller); BGH-Urteile vom 26.4.2004 – II ZR 154/02, ZIP 2004 S. 1001 ff. (Gelatine I) und II ZR 155/02, DB 2004 S. 1200 (Gelatine II). 18
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Die Gründung einer Holding-SE setzt wiederum einen Beschluss der Hauptversammlungen derjenigen Aktiengesellschaften voraus, welche die Gründung der Holding anstreben (Art. 32 Abs. 6 SE-VO), wobei für deutsche beteiligte AGs eine ¾-Mehrheit in § 10 Abs. 1 SEAG vorgeschrieben wird. Der Beschluss ist durch einen Beschlussvorschlag der Leitungsorgane der beteiligten Gesellschaften vorzubereiten, in dem die Bildung der Holding in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht begründet wird (Art. 32 Abs. 2 SE-VO). Die Aktionäre können auf dieser Grundlage ihre Entscheidung doppelt treffen, nämlich einmal im Hauptversammlungsbeschluss und, wenn der Gründungsplan durch diesen Beschluss festgelegt worden ist, binnen einer Überlegungsfrist von drei Monaten, innerhalb derer sie ihrer beteiligten Gesellschaft mitzuteilen haben, ob sie ihre Gesellschaftsanteile bei der Gründung der Holding-SE einbringen wollen (Art. 33 Abs. 1 SE-VO). Die Gründung der Holding-SE gelingt nur, wenn der im Gründungsplan festgelegte Mindestprozentsatz der Gesellschaftsanteile in die Holding-SE (im Tausch gegen Aktien der Holding-SE) eingebracht wird, der für jede beteiligte Gesellschaft mehr als 50% der Stimmrechte betragen muss (Art. 35 Abs. 5 i. V. mit Art. 33 Abs. 2, 32 Abs. 2 SE-VO). b) Konzernbildung Typischerweise ist die neue Holding für eine einheitliche Leitung der beteiligten Gesellschaften i. S. § 18 AktG bestimmt, [149] führt also zu einer Konzernbildung. Je nach Zusammensetzung der Beteiligungsverhältnisse der Gesellschaften, die die Holding anstreben, kann die Sache auch so liegen, dass die neue Holding wiederum in die Abhängigkeit einer anderen Gesellschaft gerät. Nach verbreiteter Meinung zum deutschen Aktienrecht ist der (nicht notwendig erforderliche21) Hauptversammlungsbeschluss einer beteiligten deutschen Gesellschaft, der den Weg in die Konzernabhängigkeit ebnet, einer inhaltlichen Beschlusskontrolle unterworfen, deren Umfang umstritten ist22. Ob dies auch für den vorliegenden Fall gilt, ist freilich zweifelhaft, weil die Interessen der beteiligten Aktionäre bereits in der bezeichneten Weise sowie durch den i.F. zu erörternden besonderen Minderheitenschutz gewahrt sind. c) Minderheitenschutz: Austrittsrecht und Barabfindung Sind an der Gründung einer SE im Wege der Verschmelzung oder auch der Bildung einer Holding deutsche AGs oder GmbHs beteiligt, so gewährt
21 Vgl. zu den insoweit fehlenden Vorschriften zum Schutz der unabhängigen Gesellschaft und ihrer Aktionäre gegen abhängigkeits- und konzernbegründende Maßnahmen Habersack, in; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 3. Aufl. 2003, vor § 311 Rdn. 1. 22 Teichmann, AG 2004 S. 67 (71) m. Nachw.
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das deutsche Ausführungsrecht den Gesellschaftern in bestimmten Fällen einen zusätzlichen Schutz durch ein Recht zum Austritt gegen Barabfindung. § 7 Abs. 1 SEAG gewährt ein solches Recht speziell für den Fall der grenzüberschreitenden Verschmelzung einer deutschen AG auf eine ausländische SE. Die Vorschrift trägt der Kritik zum Diskussionsentwurf des SEEG Rechnung, der noch ein Abfindungsrecht bei jeder SE-Gründung durch Verschmelzung vorgesehen hatte23. Sie entspricht dem Grundgedanken des § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG24, der ein Austrittsrecht nur bei mangelnder Rechtsformkongruenz gewährt25. Bei der Gründung einer Holding-SE besteht ein Anspruch auf Barabfindung dann, wenn die Holding-SE ihren Sitz im Ausland nimmt oder ihrerseits abhängig i. S. § 17 AktG ist (§ 9 Abs. 1 SEAG). Die Vorschrift verpflichtet zudem nur eine beteiligte Gesellschaft in der Rechtsform einer AG, nicht einer GmbH26. Die Barabfindung ist im Fall der Verschmelzung im Verschmelzungsplan vorzusehen (§ 7 Abs. 1 SEAG), im Fall der Gründung einer Holding im Gründungsplan (§ 9 Abs. 1 SEAG). Das Abfindungsangebot wird nur wirksam, wenn der Gesellschafter gegen den Verschmelzungsbeschluss bzw. den Zustimmungsbeschluss zum Gründungsplan der Holding Widerspruch zur Niederschrift erklärt. Die Angemessenheit der Barabfindung kann im Spruchverfahren überprüft werden (§ 7 Abs. 7, § 9 Abs. 2 SEAG). Bei der Verschmelzung müssen alle an ihr beteiligten ausländischen Gesellschaften, deren Recht ein solches Verfahren nicht kennt, der Inanspruchnahme dieses Verfahrens durch die deutschen Aktionäre zugestimmt haben (Art. 25 Abs. 3 Satz 1 SE-VO). Die Kosten der Barabfindung sind wegen der Ungewissheit der Zahl der widersprechenden Aktionäre nur schwer abzuschätzen und verteuern und erschweren natürlich das Vorhaben der SE- Gründung durch Verschmelzung oder Holding-Gründung. Die Regelung des Austrittsrechts gegen Barabfindung hat Kritik gefunden27. Sie verfolgt den Gedanken eines verstärkten Konzerneingangsschutzes und lehnt sich an § 305 AktG an28. Dagegen lässt sich einwenden, dass § 305 AktG auf den Vertragskonzern zugeschnitten ist und die Schaffung der Holding-SE nur ein faktisches Konzernverhältnis begründet, für das im deutschen Konzernrecht ein gesellschaftsrechtlicher 23 Vgl. zu dieser Kritik DAV-Handelsrechtsausschuss: Stellungnahme Nr. 65/03 v. November 2003, ZIP 2004 S. 140 und NZG 2004 S. 75; Ihrig/Wagner, BB 2003 S. 969 (972). 24 Vgl. Teichmann, AG 2004 S. 67 (68 f.); vom Ansatz anders Klöhn, ZBB 2003 S. 208 (210), der auf § 305 Abs. 2 AktG abstellt. 25 Vgl. Lutter/Grunewald, UmwG, 2. Aufl. 2000, § 29 Rdn. 2. Allerdings kommt die Vorschrift auch dort zur Anwendung, wo sich die Rechte (wie z. B. zwischen Deutschland und Österreich) weitgehend gleichen und daher das Argument der mangelnden Rechtsformkongruenz nicht trägt, vgl. Ihrig/Wagner, BB 2004 S. 1749 (1752). 26 Kritisch zu dieser Differenzierung Ihrig/Wagner, BB 2004 S. 1749 (1752). 27 Vgl. DAV-Handelsrechtsausschuss, a.a.O. (Fn. 17). NZG 2004 S. 957; Ihrig/Wagner, BB 2004 S. 1749 (1752 f.). 28 Teichmann, AG 2004 S. 67 (73 ff.).
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Konzerneingangsschutz nicht besteht29. Gegen das Kriterium der Abhängigkeit der Holding lässt sich einwenden, dass der herrschende Aktionär der Holding bereits vorher in einer oder mehreren der beteiligten Gesellschaften eine beherrschende Stellung hatte und die Situation der betroffenen Aktionäre sich durch die Holding-Gründung nicht ändert30, was freilich nur teilweise zutrifft. Die Regelung des SEAG ist schließlich nicht mit dem WpÜG abgestimmt, so dass bei der Holding-Gründung die Barangebotspflichten des SEAG neben den Vorgaben des WpÜG bestehen können31. Angesichts des in § 9 SEAG gewährten effizienten Schutzes der Minderheitsaktionäre ist freilich ein Pflichtangebot nach WpÜG nicht mehr erforderlich32. Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Pflichtangebots nach § 35 WpÜG vorliegen, ist eine Befreiung nach § 37 WpÜG geboten33. 3. Leitungsstruktur der SE a) Wahlrecht zwischen monistischer und dualistischer Leitungsstruktur Die Gründer einer SE haben nach der SE-VO ein Wahlrecht hinsichtlich der Leitungsorganisation der Gesellschaft. Sie können neben dem im deutschen Aktienrecht vertrauten dualistischen System von Vorstand und Aufsichtsrat eine monistische Leitungsorganisation vorsehen, nämlich ein einheitliches „Verwaltungsorgan“, das zugleich Leitungs- und Überwachungsorgan der SE ist (Art. 38 (a) SE-VO). Dieses Verwaltungsorgan, im deutschen Ausführungsrecht Verwaltungsrat genannt, führt die Geschäfte der SE (Art. 43 SE-VO). Seine Mitglieder werden von der Hauptversammlung bestellt (Art. 43 Abs. 3 Satz 1 SE-VO). Der deutsche Gesetzgeber hat die ihm in der SE-VO zugewiesene Kompetenz zur Regelung der monistisch verfassten Leitung (Art. 43 Abs. 4 SE-VO) im SEEG wahrgenommen und die gesellschaftsrechtlichen Fragen im SEAG (§§ 20–49) und die mitbestimmungsrechtlichen Fragen im SEBG (§§ 34–38) ausführlich geregelt. Da die monistische Leitungsstruktur im deutschen Kapitalgesellschaftsrecht bisher unbekannt war, ergaben sich zahlreiche Fragen der Einpassung in das deutsche Gesellschaftsrecht und Mitbestimmungsrecht, und die Schaffung der
So DAV-Handelsrechtsausschuss, NZG 2004 S. 957 (958). Eine Konzernbildungskontrolle findet nur dort statt, wo der Weg in die Abhängigkeit über eine Beschlussfassung der Gesellschaft erfolgt, vgl. Timm, ZGR 1987 S. 403 (421 ff.); Habersack, in: Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 3. Aufl. 2003, vor § 311 Rdn. 1, 6. 30 Vgl. Ihrig/Wagner, BB 2004 S. 1749 (1752); Teichmann, AG 2004 S. 67 (74). 31 Vgl. DAV-Handelsrechtsausschuss, a.a.O. (Fn. 17), NZG 2004 S. 957 (958); Teichmann, AG, 2004 S. 67 (77 ff.). 32 Ihrig/Wagner, BB 2004 S. 1749 (1753); vgl. auch Brandt, NZG 2002 S. 991 (995). 33 Teichmann, AG 2004 S. 67 (82 f.). 29
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neuen Regelungen des deutschen Einführungsrechts war von einer intensiven dogmatischen und rechtspolitischen Diskussion begleitet34. Umgekehrt ist das dualistische System der Leitung nunmehr den Unternehmen in Mitgliedstaaten verfügbar, die dieses System bisher nicht kennen. Es hat bisher im internationalen Vergleich eine relativ geringere Verbreitung und Resonanz gefunden. Es besticht [150] durch seine klare Struktur, ist allerdings in Kritik geraten, weil es gegenüber dem Ein-Board-System wegen der größeren Distanz zur Geschäftsleitung eine geringere Effizienz in der Kontrolle aufweise35. Die Empfehlungen im deutschen Corporate Governance-Kodex haben einen Schwerpunkt in der Verbesserung der Effizienz der Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats36. Die Funktionen eines aktiven Managements einerseits und dessen effizienter Kontrolle können letztlich in beiden Systemen sachgerecht erfüllt werden37. Für eine wachsende Akzeptanz auch des dualistischen Systems spricht, dass immerhin in Frankreich seit dessen gesetzlicher Einführung 1996 ein Fünftel der größten börsennotierten Unternehmen davon Gebrauch gemacht hat38. b) Funktionshäufung von Leitung und Kontrolle im Verwaltungsrat Das Grundproblem des Verwaltungsrats besteht darin, dass in diesem Organ die Funktion der Geschäftsleitung und der Kontrolle vereint sind, die im dualistischen System zwischen Vorstand und Aufsichtsrat aufgeteilt sind. Zwischen Geschäftsleitung und Kontrolle der Geschäftsleitung besteht ein natürliches Spannungsverhältnis, und eine mangelnde Trennung der Funktionen führt zu Interessenkonflikten und Ineffizienz. Im Board-System des anglo-amerikanischen Gesellschaftsrechts, das als Vorbild für das monistische Leitungssystem in der SE dient, hat man die Funktionstrennung durch die Unterscheidung von executive directors und non executive directors (independent directors) im board organisatorisch umgesetzt und durch die Bildung besonderer Ausschüsse des board, die entsprechend überwiegend oder ganz mit independent directors besetzt sind, unterstützt. Auch der Gesetz34 Zur monistischen Verfassung nach dem DiskE Merkt, ZGR 2003 S. 650 ff.; Hoffmann-Becking, ZGR 2004 S. 355 ff.; zum RegE Ihrig/Wagner, BB 2004 S. 1749 ff.; Nagel, NZG 2004 S. 833 ff.; allg. zur Einfügung der SE ins deutsche Gesellschaftsrecht Fleischer, AcP 204 (2004) S. 502 ff. 35 Lutter, AG 1994 S. 176: Zöllner, AG 1994 S. 336 (338); Bernhardt, ZHR 159 (1995) S. 310 (316 f.); Hopt, in: FS Everling, 1995, S. 475 (478, 482); rechtsvergleichend zum amerikanischen Ein-Board-System Davies, ZGR 2001 S. 268 (287 ff.); Überblick Horn, Europäisches Finanzmarktrecht, 2003, S. 135 f. 36 Ulmer, ZHR 166 (2002) S. 150 (155). 37 Horn, a.a.O. (Fn. 35); Baums, Bericht der Regierungskommissions Corporate Governance, 2001, Rdn. 18; Henssler, in: FS Ulmer, 2003, S. 193 (200 f.); Fleischer, AcP 204 (2004), 502 (527). 38 Fleischer, AcP 204 (2004) S. 502 (529) m. w. N.
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geber der SE-VO betont die Bedeutung einer klaren Funktionstrennung zwischen diesen beiden Personengruppen39. Rechtspolitisch und dogmatisch umstritten ist, ob die Geschäftsführer dem Verwaltungsrat angehören müssen oder nicht (vgl. unten unter d)). In der angelsächsischen Praxis der Gesellschaftsrechte mit monistischer Struktur finden sich drei Konstellationen: die Geschäftsführer gehören sämtlich dem Verwaltungsrat an, sie gehören ihm sämtlich nicht an oder es handelt sich um eine gemischte Gruppe aus Mitgliedern des Verwaltungsrats und Dritten. Außerdem enthält die SE-VO einen weiteren Ansatz zu einer Funktionstrennung. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO bestimmt: „Der Verwaltungsrat führt die Geschäfte der SE“. Sogleich im Anschluss daran wird jedoch den Mitgliedstaaten die Kompetenz eingeräumt, eine Regelung einzuführen, „dass ein oder mehrere Geschäftsführer die laufenden Geschäfte in eigener Verantwortung und unter denselben Voraussetzungen, wie sie für Aktiengesellschaften mit Sitz im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats gelten, führt bzw. führen“ (Art. 43 Abs. 1 Satz 2 SE-VO). Diese Vorschrift, die auf Vorschlag Schwedens eingefügt wurde, ist nach Zweck und Zielsetzung unklar und umstritten (dazu unten unter d)). c) Die geschäftsführenden Direktoren nach SEAG Das SEAG nennt „geschäftsführende Direktoren“ und trifft eine ausführliche Regelung über ihre Rolle und Funktion neben denen des Verwaltungsrats in den §§ 20–49 SEAG. Die geschäftsführenden Direktoren werden vom Verwaltungsrat bestellt. Die Kandidaten können Verwaltungsratsmitglieder oder Dritte sein. Verwaltungsratsmitglieder können dann nicht bestellt werden, wenn dadurch im Verwaltungsrat die Mehrheit der nicht geschäftsführenden Mitglieder verloren geht (§ 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 SEAG). Die Funktionsteilung zwischen Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren umschreibt der Gesetzgeber des SEAG durch eine unterschiedliche Definition der Aufgaben: „Der Verwaltungsrat leitet die Gesellschaft, bestimmt die Grundlinien ihrer Tätigkeit und überwacht deren Umsetzung“ (§ 22 Abs. 1 SEAG). Und: „Die geschäftsführenden Direktoren führen die Geschäfte der Gesellschaft“ (§ 40 Abs. 2 Satz 1 SEAG). Sie vertreten die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich (§ 41 Abs. 1 SEAG). Diese Vertretungsbefugnis kann nicht beschränkt werden (§ 44 Abs. 1 SEAG). Es gilt lediglich der Grundsatz der gemeinschaftlichen Vertretung, von dem die Satzung allerdings abweichen kann (§ 41 Abs. 2 und 3 SEAG) und in der Praxis z. B. im Sinne des Vieraugenprinzips abweichen wird.
39 SE-VO, 14. Erwägungsgrund: „Eine klare Abgrenzung der Verantwortungsbereiche jener Personen, denen die Geschäftsführung obliegt, und der Personen, die mit der Aufsicht betraut sind ist wünschenswert.“
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Insgesamt ist die Stellung der geschäftsführenden Direktoren in manchen Punkten derjenigen eines Vorstands im dualistischen System angenähert, in entscheidenden Punkten aber nicht. Denn die Rolle des Verwaltungsrats ist eine andere als die des Aufsichtsrats, wie sich aus Art. 38, 43 Abs. 1 SE-VO und aus der Umschreibung der Funktionen von Verwaltungsrat und geschäftsführenden Direktoren im SEAG ergibt (§ 22 Abs. 1 und 40 Abs. 2 Satz 1). Danach sind dem Verwaltungsrat die Grundsatzentscheidungen der Geschäftspolitik sowie die Überwachung der geschäftsführenden Direktoren übertragen, die ihrerseits die laufenden Geschäfte führen und die dabei anfallenden Entscheidungen treffen. Die Frage, ob eine Unterscheidung zwischen den beiden Aufgaben in einer für die Praxis ausreichenden Klarheit durchgeführt werden kann, ist bereits eingehend diskutiert worden und im Ganzen zu bejahen40. Zu den Kernkompetenzen des Verwaltungsrats, die er nicht delegieren kann (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 3 SEAG), gehört die Bestimmung der „Grundlinien der Tätigkeit der Gesellschaft“ und der obersten Organisation, insbes. durch die Bestellung und Abberufung von geschäftsführenden Direktoren. Grundlinien der Tätigkeit sind die strategische Ausrichtung der SE und der Einsatz der dafür erforderlichen Mittel. Die Satzung muss nach Art. 48 Abs. 1 SE-VO die Arten von Geschäften bezeichnen, für die ein ausdrücklicher Beschluss des Verwaltungsrats erforderlich ist; daneben besteht die Möglichkeit, dass der Verwaltungsrat selbst bestimmte Arten von Geschäften von seiner Zustimmung abhängig machen kann, wenn das nationale Recht dies vorsieht (Art. 48 Abs. 1 Satz 2 SE-VO). Das deutsche Ausführungsrecht gibt diese Möglichkeit generell und in gleicher Weise für Aufsichtsrat und Verwaltungsrat (§ 19 SEAG); dies entspricht § 111 Abs. 4 Satz 2 AktG und wird in § 44 Abs. 2 SEAG für das monistische System noch einmal wiederholt. Weitergehend kann aber im monistischen System der Verwaltungsrat den geschäftsführenden Direktoren Weisungen erteilen (§ 44 Abs. 2 SEAG), ähnlich wie es die Gesellschafterversammlung der GmbH gegenüber den GmbH-Geschäftsführern tun kann. Der Verwaltungsrat kann also anders als der Aufsichtsrat bestimmte ihm wichtig erscheinende Entscheidungen auch der laufenden Geschäftsführung an sich ziehen. d) Zulässigkeit der deutschen Regelung Gegen das deutsche Ausführungsrecht der geschäftsführenden Direktoren ist der grundsätzliche Einwand erhoben worden, „mit der Unterscheidung zwischen dem Verwaltungsrat und einem gesonderten Kollegium der geschäftsführenden Direkto- [151] ren“ werde ein „verdeckt dualistisches System“ eingeführt, das Art. 38 SE-VO widerspreche, wonach die SE mit 40 Merkt, ZGR 2003 S. 650 (657 ff.), unter rechtsvergleichender Auswertung der Erfahrung in anderen Ländern.
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monistischem System nur über ein einziges Verwaltungsorgan verfügt41. Diese Kritik überzeugt nicht. Der europäische Gesetzgeber der SE-VO ist bei der zwingenden Einführung einer Option für das monistische System auch in den Ländern, in denen es bisher unbekannt war, von der Notwendigkeit einer klaren Funktionstrennung zwischen Geschäftsführung und Aufsicht ausgegangen42. Insofern hat er auch besondere Regelungen für geschäftsführende Direktoren zugelassen, die z. B. im Interesse des Rechtsverkehrs die unbeschränkte Vertretungsmacht der Direktoren (§ 44 Abs. 1 SEAG) vorsehen. Davon hat der deutsche Gesetzgeber im Rahmen der ihm in § 43 Abs. 4 SE-VO zugewiesenen Regelungskompetenz Gebrauch gemacht. Die Kritik wendet sich vor allem dagegen, dass zugleich Dritte zu geschäftsführenden Direktoren gemacht werden können, ggf. sogar ausschließlich Dritte. Der gewichtigere Einwand geht dahin, dass die geschäftsführenden Direktoren (die ggf. alle oder z. T. Dritte sind) ein vom Verwaltungsrat unterschiedenes weiteres Organ bildeten, das durch Art. 38 SE-VO nicht gedeckt sei. Die Kritik übergeht, dass selbst im Fall einer nur von Dritten besetzten Geschäftsleitung der Verwaltungsrat das Heft in der Hand behält. Die Geschäftsführer sind, wie erörtert, den Weisungen des Verwaltungsrats unterworfen; sie können überdies, wenn die Satzung nichts anderes regelt, jederzeit durch Beschluss des Verwaltungsrats abberufen werden (§ 40 Abs. 5 SEAG). Es ist wahr, dass die im monistischen System angestrebte stärkere Verzahnung von Geschäftsleitung und Kontrolle nicht so gut erreicht wird, wenn nur Dritte die Geschäfte führen. Aber aus Art. 38 SE-VO ist nicht zu entnehmen, dass der Verwaltungsrat nicht die laufende Geschäftsleitung an Dritte delegieren könne, und in zahlreichen Gesellschaften in Ländern mit monistischem System gehört tatsächlich das Top-Management nicht dem Board an. Die These, dies sei aber nach Art. 38 SE-VO nicht zulässig und verletze die Kompetenz des Verwaltungsrats zur Geschäftsführung i. S. § 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO, ist durch den Wortlaut dieser Vorschriften nicht gedeckt und setzt den Nachweis voraus, dass der Verwaltungsrat die Gesellschaft nicht in dieser Weise leiten darf. Ein solches Verbot widerspräche völlig der Grund- idee des monistischen Systems und seiner vielgepriesenen Flexibilität. Die Kritik wirft dem Ausführungsgesetzgeber vor, er sei noch zu sehr dem Denken im dualistischen System verhaftet, zieht sich diesen Vorwurf aber selbst zu. Denn sie definiert das monistische System streng als Negation aller Elemente des dualistischen Systems und hält eine Regelung, die graduelle Annäherungen an dieses System (insbes. in Gestalt einer nur mit Dritten besetzten 41 DAV-Handelsrechtsausschuss, a.a.O. (Fn. 17), NZG 2004 S. 957 (959); ausführlich Hoffmann-Becking, ZGR 2004 S. 355 (369 ff.). 42 SE-VO, Erwägungsgrund 14.
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Geschäftsführung) vorsieht, für Teufelswerk, obwohl Art. 38 SE-VO nichts dafür hergibt. Dem Verwaltungsrat ist es auch bei seiner Leitungspflicht i. S. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 SE-VO überlassen, bei der Besetzung der Geschäftsführung die ganze erörterte Variationsbreite (nur Verwaltungsratsmitglieder, nur Dritte, Mischsystem) auszuschöpfen. Die Kritik will ferner das postulierte Verbot der Delegation der laufenden Geschäftsführung an Dritte mit einem Umkehrschluss aus Art. 43 Abs. 1 Satz 2 SE-VO begründen. Danach bedürfe es einer besonderen Regelung des nationalen Gesetzgebers, Dritten die laufenden Geschäfte anzuvertrauen, und diese Regelung müsse dann auch für alle AGs im Lande gelten. Beides ist dieser (zugegeben etwas rätselhaften) Bestimmung nicht zu entnehmen. Die Vorschrift kann durchaus so gelesen werden, dass die nationale Regelung nur die SE betrifft (nicht alle AGs) und diese die Geschäftsführung der SE ähnlich wie die Geschäftsführung in anderen AGs gestalten kann; im Übrigen liegt nur eine Konkretisierung der Regelungskompetenz des § 43 Abs. 4 SE-VO vor. Insgesamt stellt das deutsche Ausführungsrecht, das die geschäftsführenden Direktoren nur in weniger wichtigen Punkten den Mitgliedern eines Vorstands annähert und sie andererseits der Weisungsgewalt des Verwaltungsrats unterwirft, m. E. eine Regelung i. S. § 43 Abs. 4 SE-VO dar. Die umfassende letzte Entscheidungskompetenz des Verwaltungsrats wird in einer der SE-VO konformen Weise klargestellt, und die darin eingefügte Regelung der geschäftsführenden Direktoren ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. e) Monokratische Unternehmensleitung Die Flexibilität der monistisch strukturierten SE zeigt sich auch bei der Frage, wie weit die SE auf die Leitung durch eine einzige Person zugeschnitten werden kann. Dies ist zunächst bei der kleinen SE der Fall. Die SE-VO erwähnt selbst den Fall, dass das Verwaltungsorgan nur ein Mitglied hat (Art. 43 Abs. 3 SE-VO). § 23 SEAG sieht vor, dass die Satzung einer SE mit einem Grundkapital bis 3 Mio. € von der Mindestregelzahl von drei Mitgliedern auch nach unten abweichen, also ein einziges Verwaltungsratsmitglied vorsehen kann. Ob eine solche Kompetenzhäufung hinzunehmen ist, kann bei einer kleineren AG die Hauptversammlung entscheiden. Dieser fällt dann im Übrigen allein die Kontrolle des Ein-Mann-Verwaltungsrats zu, sofern dieser nicht Alleinaktionär ist. Diese Situation ist aber aus vielen selbstgeführten Ein-Mann-GmbHs vertraut. Umgekehrt wird aber auch die Möglichkeit einer stärker monokratisch ausgerichteten Unternehmensleitung für die große SE diskutiert. Die Satzung kann durchaus so gestaltet werden, dass der Vorsitzende des Verwaltungsrats zugleich die laufende Geschäftsführung leitet, also eine Stellung innehat, die der des Président Directeur Général des französischen Gesell-
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schaftsrechts entspricht43. Ob diese Konstruktion ökonomisch effizient ist, ist freilich zweifelhaft44. 4. Mitbestimmung der Arbeitnehmer a) Besitzstandswahrung Sowohl die Richtlinie 2001/86/EG zur Mitbestimmung in der SE45 als auch das deutsche Ausführungsgesetz dazu (SEBG46) setzen sich zum Ziel, „in einer SE die erworbenen Rechte der Arbeitnehmer auf Beteiligung an Unternehmensentscheidungen zu sichern“ (§ 1 Abs. 1 Satz 1 SEBG)47. Dabei geht es sowohl um die betriebliche Mitbestimmung durch einen SE-Betriebsrat48 als auch um die unternehmerische Mitbestimmung im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE. Vorrangig soll eine Lösung im Verhandlungsweg gefunden und eine Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer in der SE zur Sicherung des Rechts auf grenzüberschreitende Unterrichtung, Anhörung, Mitbestimmung und sonstige Beteiligung der Arbeitnehmer getroffen werden (§ 1 Abs. 2 Satz 1 SEBG)49. Zu diesem Zweck wird ein besonderes Verhandlungsgremium gebildet, für das Mitglieder gewählt oder bestellt werden, welche die in jedem Mitgliedstaat beschäftigten Arbeitnehmer der beteiligten Gesellschaften und betroffenen Tochtergesellschaften oder Betriebe vertreten (§§ 5–10 SEBG). Das Verhandlungsverfahren ist besonders geregelt (§§ 11–20 SEBG). Eine Rahmenregelung nennt die in der Vereinbarung zu regelnden Punkte (§ 21 SEBG)50. [152] Kommt eine Vereinbarung während des gesetzlich vorgesehenen Verhandlungszeitraums von sechs Monaten oder nach einer einvernehmlich um weitere sechs Monate verlängerten Frist nicht zustande (§ 20 SEBG), so greift eine gesetzliche Regelung der Mitbestimmung ein, die die Einrichtung eines SE-Betriebsrats (§§ 22–30 SEBG) und eine Unternehmensmitbestimmung (§§ 34–38 SEBG) vorsieht. Dabei greift ein Grundsatz der Besitzstandswahrung ein. Im Fall der Gründung einer SE durch Umwandlung bleibt die Regelung zur Mitbestimmung erhalten, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat (§ 35 Abs. 1 SEBG)51. Im Fall der Gründung Vgl. auch Eder, NZG 2004 S. 544 ff. Merkt, ZGR 2003 S. 650 (664 ff.). 45 Vgl. oben Fn 1. 46 Vgl. oben Fn 2. 47 S. auch Erwägungsgrund (3) SE-Mitbestimmungs-RL. 48 Der SE-Betriebsrat entspricht dem Vertretungsorgan der SE-Mitbestimmungs-RL (s. Teil 1 des Anhangs). 49 Vgl. Art. 1 (2) SE-Mitbestimmungs-RL. 50 Zum Verhandlungsverfahren s. auch die Vorgaben in Art. 3–6 SE-MitbestimmungsRL. 51 S. Teil 3 a) Anhang SE-Mitbestimmungs-RL. 43 44
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einer SE durch Verschmelzung oder durch Gründung einer Holding-SE oder Tochter-SE soll sich die Zahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan der SE nach dem höchsten Anteil von ArbeitnehmerVertretern bemessen, der in den Organen der beteiligten Gesellschaften vor der Eintragung in der SE bestanden hat (§ 35 Abs. 2 SEBG)52. Andererseits besteht keine Verpflichtung der SE, auch dann eine Vereinbarung über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer einzuführen, wenn vor der Eintragung der SE in keiner der beteiligten Gesellschaften Vorschriften über die Mitbestimmung bestanden haben (Teil 3 b) Satz 2 Anhang SE-MitbestimmungsRL). b) Paritätische Mitbestimmung als Exportartikel? Die in der SE-Mitbestimmungs-Richtlinie (Teil 3 des Anhangs) vorgezeichnete und im SEBG umgesetzte Regelung, dass sich in jedem Fall, in dem Verhandlungen scheitern, jeweils das höchste gesetzliche Mitbestimmungsniveau der beteiligten Gesellschaften durchsetzt, hat zunächst zur Konsequenz, dass sich eine Verhandlungslösung, die ein niedrigeres Mitbestimmungsniveau, insbes. eine geringere Anzahl von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat oder Verwaltungsorgan vorsieht, nur durchsetzen lässt, wenn die Arbeitnehmervertreter davon überzeugt werden können, dass die sonstigen Vorteile der SE-Gründung diese formale Benachteiligung überwiegen. Zugleich wird auf diese Weise die deutsche Unternehmensmitbestimmung, insbesondere die (fast) paritätische Mitbestimmung nach dem Mitbestimmungsgesetz, potentiell zum Exportartikel, weil sich ihr höchstes Mitbestimmungsniveau dann gesetzlich durchsetzt. In der Praxis ist es natürlich umgekehrt. Die Regelung wirkt sich eher als ein Hemmnis für die Beteiligung einer paritätisch mitbestimmten deutschen Kapitalgesellschaft an der Gründung einer SE aus. Denn bekanntlich ist die paritätische Mitbestimmung trotz langjähriger deutscher Praxis und mancher auch positiver Auswirkungen international ohne Akzeptanz geblieben und hat sich bereits bisher zumindest als ein psychologisches Hindernis erwiesen, bei grenzüberschreitenden Fusionen die überlebende Gesellschaft deutschem Recht zu unterstellen53. c) Paritätische Mitbestimmung im monistischen System Nicht bis ins Letzte geklärt sind die Konsequenzen des Grundsatzes, dass das höchste Mitbestimmungsniveau erhalten bleiben muss, für den Fall, dass in der SE eine monistische Leitungsstruktur gewählt wird und etwa eine bisher beste S. Teil 3 b) S. 1 Anhang SE-Mitbestimmungs-RL. Hellwig, Referat über Kapital- und Börsenrecht z. 84, DJT 2002, Tagungsband II/1, P 77 f.; Horn a.a.O. (Fn. 35), S. 135 f.; zur Kritik der Mitbestimmung Ulmer, ZHR 166 (2002) S. 271 ff.; Fleischer, AcP 204 (2004) S. 502 (536 ff.) m. w. N. 52 53
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hende paritätische Mitbestimmung auf den Verwaltungsrat übertragen wird. Hier war es bis zuletzt umstritten, ob sich die paritätische Besetzung durch Aktionärsvertreter und Arbeitnehmervertreter auf alle Sitze im Verwaltungsrat beziehen soll oder nur auf die Anzahl der nicht geschäftsführenden Mitglieder des Verwaltungsrats54. Weder § 35 SEBG über den Umfang der Mitbestimmung noch § 24 SEAG über die Zusammensetzung des Verwaltungsrats treffen eine eindeutige Regelung darüber55. Die paritätische Mitbestimmung ist für die dualistisch verfasste Kapitalgesellschaft entwickelt worden, und der Paritätsgrundsatz bezieht sich dabei auf den Aufsichtsrat als Kontrollorgan56. Der Verwaltungsrat hat wegen seiner umfassenden Leitungsmacht eine erheblich erweiterte Kompetenz, sodass die Erstreckung der Parität auf den ganzen Verwaltungsrat zu einem erheblichen Machtzuwachs der Arbeitnehmerseite führt. Bezieht man den Paritätsgrundsatz auf die Gesamtzahl aller Mitglieder des Verwaltungsrats, so werden die Arbeitnehmervertreter, die regelmäßig nur Mandate als nicht geschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder übernehmen werden, unter diesen eine Mehrheit haben. Dies wirkt sich in allen Fällen aus, in denen einzelne geschäftsführende Verwaltungsratsmitglieder von der Abstimmung ausgeschlossen sind. Das SEAG will dieses Problem dadurch lösen, dass der Vorsitzende des Verwaltungsrats, der von den Aktionären zu wählen ist (Art. 45 SE-VO), für das verhinderte Mitglied eine (weitere) Zweitstimme haben soll (§ 35 Abs. 3 SEAG). Es bleibt das Grundproblem, ob die Erstreckung der paritätischen Mitbestimmung auf das oberste Leitungsorgan der Kapitalgesellschaft noch mit den verfassungsrechtlichen Zulässigkeitsgrenzen der Mitbestimmungsregelung zu vereinbaren ist, die das Bundesverfassungsgericht im Mitbestimmungsurteil gezogen hat57. Auf jeden Fall wird die Bildung einer monistischen SE unter Beteiligung einer paritätisch mitbestimmten deutschen Kapitalgesellschaft als unattraktiv betrachtet werden. 5. Steuerliche Behandlung der SE Hauptproblem ist sowohl bei Gründung wie auch bei Sitzverlagerung die Vermeidung einer Aufdeckung der stillen Reserven und eine Besteuerung der Wertdifferenz. Die Richtlinie 90/434/EWG58 über das gemeinsame Steuer54 Vgl. dazu die abschließenden Beratungen des Rechtsausschusses mit einem entsprechenden, im Ergebnis mit der Regierungsmehrheit abgelehnten Änderungsantrag von CDU/CSU und FDP, BT-Drucks. 15/4053 v. 27.10.2004, S. 116 ff.; vgl. auch die Kritik des DAV-Handelsrechtsausschusses, NZG 2004 S. 957 (960). 55 Vgl. auch Art. 45 Satz 2 SE-VO. 56 Hinzu tritt freilich ein Arbeitsdirektor als Mitglied des Vorstands der AG oder der Geschäftsführung der GmbH. 57 BVerfGE 50 S. 290 ff. = DB 1979 S. 593 ff. Dieses Bedenken äußert auch der DAVHandelsrechtsausschuss, NZG 2004 S. 957 (960). 58 Vom 23.7.1990, ABlEG Nr. L 225 v. 20.8.1990 S. 1.
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system für Fusionen, Spaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sucht hier eine einheitliche Regelung zu erreichen, und die Frage ist, ob und wieweit sie auf die SE anwendbar ist. a) Besteuerung im Gründungsstadium Bei einer Verschmelzungsgründung nach Art. 2 Abs. 1 SE-VO muss zwischen der Hinausverschmelzung einer deutschen AG und einer Hineinverschmelzung unterschieden werden. Die Hinausverschmelzung wird durch das deutsche Umwandlungssteuerrecht nicht erfasst, das nur für Verschmelzungen von Rechtsträgern im Inland gilt (§§ 1 Abs. 5 UmwG, 1 Abs. 1 UmwStG). Die Spezialvorschriften der §§ 11, 12 KStG sind mangels Abwicklung bzw. Sitzverlegung nicht anwendbar59. Verbreitet wird die Anwendung der Fusionsrichtlinie auf die SE befürwortet, obwohl dort natürlich die SE im Anhang (noch) nicht genannt ist60. Um die derzeitig bestehende Unsicherheit zu beseitigen, hat die Europäische Kommission im Oktober 2003 einen Vorschlag zur Änderung der Fusionsrichtlinie vorgelegt, in der die SE als Rechtsform im Anhang aufgeführt ist61. Art. 4 Abs. 1 der Fusi- [153] onsrichtlinie (in der derzeit gültigen Fassung) sieht insoweit vor, dass bei einer Hinausverschmelzung keine Gewinnrealisierung auf der Ebene des übertragenden Unternehmens erfolgen darf, wenn und soweit das Vermögen in einer Betriebsstätte im Mitgliedstaat der übertragenden Gesellschaft verhaftet bleibt und die Buchwerte und früheren Abschreibungsmethoden in der Betriebsstätte der ausländischen Gesellschaft fortgeführt werden. Problematisch verbleibt vor diesem Hintergrund allein der Fall, dass das zu übertragende Vermögen ganz oder anteilig nicht einer Inlandsbetriebsstätte zugeordnet werden kann62. Die Gründung einer Holding-SE durch (mindestens) zwei Gesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten (vgl. Art. 2 Abs. 2 SE-VO) löst für die beteiligten Gesellschaften keine direkten steuerlichen Folgen aus, vielmehr werden, da es sich um einen Anteilstausch im Wege der Einzelrechtsnachfolge handelt, lediglich Fragen der Gewinnrealisierung auf der Ebene der jeweiligen Gesellschafter berührt63. Bei Gründung einer Tochter-SE (Art. 2 Endres, RIW 2004 S. 735 (736); a. A. Schulz/Petersen, DStR 2002 S. 1508 (1512). Herzig/Griemla, StuW 2002 S. 55 (59); Schön, in: Die Europa-AG, Studien des Deutschen Aktieninstituts, Heft 21, 2003 S. S. 75 (81); Endres, RIW 2004 S. 735 (736), der herausstellt, dass nach Art. 10 SE-VO die SE wie eine (im Anhang zur Fusionsrichtlinie aufgeführte) AG des nationalen Rechts zu behandeln ist und daher eine besondere Aufführung nicht erforderlich ist. 61 Vorschlag v. 17.10.2003, KOM (2003) 613. 62 Vgl. hierzu im Einzelnen Rödder, Der Konzern 2003 S. 522 (524); zur aus deutscher Sicht unproblematischen Hereinverschmelzung Endres, RIW 2004 S. 735 (737); Keßler/ Achilles/Huck, IStR 2003 S. 715 (716). 63 Vgl. hierzu Endres, RIW 2004 S. 735 (737). 59 60
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Abs. 3 SE-VO) löst die Einbringung von Unternehmensteilen in eine ausländische Kapitalgesellschaft grundsätzlich auf der Ebene der deutschen AG einen Realisationstatbestand aus, wobei jedoch unter den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 UmwStG die Aufdeckung stiller Reserven verhindert werden kann64. Keine ertragsteuerlichen Folgen ergeben sich bei der formwechselnden Umwandlung in eine SE, da kein Rechtsträgerwechsel und somit auch keine Vermögensübertragung stattfindet. b) Besteuerung bei Sitzverlegung Bei Sitzverlegung einer deutschen SE (oben II. 2.) droht dieser nach gegenwärtiger Rechtslage indes eine Schlussbesteuerung (§§ 11, 12 KStG), die eine Realisation und Besteuerung etwaiger stiller Reserven bedeutet. Diskutiert wird, ob einer solchen Gewinnrealisierung nicht der in Art. 43, 48 EGV verankerte Grundsatz der Niederlassungsfreiheit in der EU entgegensteht65. Der EuGH hat jedenfalls klargestellt, dass die (französische) Wegzugsbesteuerung bei Wohnsitzverlagerung einer natürlichen Person in das EU-Ausland EU-widrig ist66. Es spricht einiges dafür, das Grundprinzip der Entscheidung (Verbot der Besteuerung latenter Wertsteigerungen bei EU-Ansässigkeitswechsel) auch auf juristische Personen zu übertragen67. Durch den erwähnten Änderungsvorschlag zur Fusionsrichtlinie vom Oktober 2003 wird auch diese Problematik entschärft. Der Änderungsvorschlag sieht in Art. 10a Abs. 1 vor, dass die Sitzverlegung einer SE keine Besteuerung des Veräußerungsgewinns auslösen darf, der mit Vermögensteilen der einbringenden Gesellschaft verbunden ist, die nach der Sitzverlegung tatsächlich einer Betriebsstätte der SE in dem Mitgliedstaat zugerechnet bleiben, in dem die Gesellschaft zuvor ansässig war. Folge dieser Regelung ist ein Steueraufschub, da die stillen Reserven erst dann der Besteuerung unterfallen, wenn sie auch tatsächlich realisiert werden68.
IV. Die Europa-AG im Kontext des europäischen Gesellschaftsrechts 1. Kollisionsrechtliche Aspekte Die Regelung der Europa-AG in der SE-VO ist, zusammen mit der SEMitbestimmungsrichtlinie, trotz ihres eingangs (oben II.) bemerkten bruchstückhaften Charakters ein wichtiger Schritt zur Schaffung eines materiel-
Endres, RIW 2004 S. 735 (737). Horn, in: FS Lüderitz, S. 303 (316 f.) m. Nachw. 66 EuGH v. 11.3.2004 – Rs. C-9/02, DB 2004 S. 686 (Lasteyrie du Saillant). 67 Vgl. die Nachw. bei Endres, RIW 2004 S. 735 (738) in Fn. 35. 68 Vgl. hierzu auch Saß, DB 2004 S. 2231 (2233 f.) 64 65
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len europäischen Gesellschaftsrechts. Dieses besteht aber in der Hauptsache nach wie vor aus dem Mosaik der nationalen Gesellschaftsrechte, die ihrerseits durch eine Reihe von gesellschaftsrechtlichen Richtlinien untereinander begrenzt harmonisiert sind. Daher spielt das Kollisionsrecht, das die Frage des jeweils anwendbaren nationalen Gesellschaftsrechts entscheidet, eine wichtige Rolle. Die SE-VO enthält selbst einen Beitrag zur Angleichung des Gesellschaftskollisionsrechts, indem sie in Art. 10 bestimmt, dass vorbehaltlich der Bestimmungen der SE-VO eine SE in jedem Mitgliedstaat wie eine Aktiengesellschaft behandelt wird, die nach dem Recht des Sitzstaates der SE gegründet wurde. Diese Kollisionsnorm baut auf der bereits erörterten Regelung auf, dass der satzungsmäßige Sitz der SE und der Sitz ihrer Hauptverwaltung im gleichen Mitgliedstaat liegen müssen. Die Regelung der SE-VO, dass die Verlegung des Sitzes einer SE in einen anderen Mitgliedstaat einen Statutenwechsel nach sich zieht (II. 2.), steht in bemerkenswertem Kontrast zur Rechtsprechung des EuGH, zuletzt im Fall Inspire Art, zur Zuzugsfreiheit von rein nationalen Gesellschaften; diese können bei Sitzverlegung ihr Gründungsstatut in den neuen Sitzstaat mitbringen, falls sie nach einem Recht gegründet sind, das der Gründungstheorie folgt69. Gleichwohl ist die Regelung der SE-VO über die Sitzverlegung nicht als Verletzung der in Art. 43 und 48 EGV geschützten Niederlassungsfreiheit zu bewerten; diese Freiheit wird vielmehr durch die SE-VO in zulässiger Weise konkretisiert70. 2. Wettbewerb der Gesellschaftsrechte Die Rechtsprechung des EuGH hat dazu geführt, dass viel mehr als bisher ein Wettbewerb der Rechtsordnungen stattfinden kann, indem Gesellschaftsformen, die in einem Land mit Gründungstheorie gegründet sind, wie z. B. die englischen Kapitalgesellschaften, ohne weiteres ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen können und damit in Konkurrenz zu den dort bestehenden Rechtsformen treten. Mit diesen Gesellschaften muss auch die Europa-AG (SE) konkurrieren. Aber ein Wettbewerb wird auch unter den SEs stattfinden, die ja nur zum Teil vom einheitlichen europäischen Gesellschaftsrecht der SE-VO geprägt sind, zu einem guten Teil aber durch das nationale Gesellschaftsrecht (oben II. 1.). Dabei hat die vom deutschen Gesellschaftsrecht geprägte SE nicht die besten Karten, jedenfalls soweit sie dem Mitbestimmungsrecht und hier insbesondere der paritätischen Mitbestimmung unterliegt. Bei kleineren Unternehmen, die lediglich eine betriebliche Mitbestimmung haben, gilt dies nicht. Es steht aus deutscher Perspektive zu erwarten, dass die SE zumindest in den ersten Jahren eine attraktive Zu dieser Rspr. Horn, NJW 2004 S. 893 ff. m. w. N. C. Schäfer, NZG 2004 S. 785 (788); Eidenmüller, JZ 2004 S. 24 (31); a. A. Schindler, RdW 2003 S. 122 (124). 69 70
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Unternehmensform eher für kleine und mittlere Unternehmen einschließlich von Ein-Mann-Gesellschaften sein wird, wobei auch die monistische Gestaltung, wie bereits (oben III. 3. e) erörtert, zum Zuge kommen kann.
V. Zusammenfassung Von der deutschen Sondersituation abgesehen, kann sich die SE auch für Großunternehmen als eine attraktive Organisationsform erweisen. Gerade Unternehmen von (z. B. neuen, kleineren) Mitgliedstaaten, deren Gesellschaftsrecht außerhalb des Landes wenig bekannt ist, sind schon dabei, durch die Annahme der Rechtsform der SE ihr Standing verbessern. Sie können leichter als bisher mit einem Netz von Niederlassungen in anderen Mitgliedsländern operieren und ihren Kreditbedarf leichter auf dem europäischen Kredit- und Finanzmarkt zentral decken. Insgesamt stehen die Chancen, dass die SE in der europäischen Unternehmenspraxis einen beachtlichen Platz einnehmen wird, nicht schlecht.
Der Wuchereinwand bei gewerblichen Darlehen und im internationalen Finanzmarkt* BKR 2006, 1–7 I. Einleitung: Verbraucherschutz und allgemeiner Schuldnerschutz Der Verbraucher als Darlehensnehmer ist gegen übermäßig hohe Zinsen im deutschen Recht durch den Wuchertatbestand im Rahmen des § 138 BGB geschützt. Die Rechtsprechung hat dazu etwa ab 1978 und mit einem Schwerpunkt in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts ein festes Regelwerk entwickelt1. Dieses Regelwerk scheint sich bewährt zu haben; neuere Urteile zu Wucherdarlehen halten daran fest2. Allerdings bedarf dieses Regelwerk der Anpassung, weil der darin verwendete Maßstab des statistisch ermittelten Jahreszinses (Schwerpunktzinses) durch die veränderte Methodik der Zinsstatistik im Rahmen des europäischen Währungssystems ein anderer geworden ist3. Der Wuchereinwand ist nicht auf Verbraucherdarlehen und auf den Verbraucherschutz beschränkt, wie aus der generellen Geltung des § 138 BGB folgt. Immerhin gibt die historische Erfahrung mit dem kanonischen Zinsverbot, das in gewisser Weise die Vorgängerin des Wuchertatbestandes ist, Hinweise auf den Anwendungsschwerpunkt. Das jahrhundertlang anwendbare kanonische Zinsverbot war generell formuliert und theoretisch schon durch Aristoteles fundiert, der eine Variante der Arbeitswertlehre mit der These, dass Geld steril sei, verband. Das Zinsverbot war an dem in einer naturalwirtschaftlich lebenden Gesellschaft typischen Fall des privaten Notdarlehens orientiert. Schon im Spätmittelalter war es zumindest für die am Wirtschaftsverkehr beteiligten Bevölkerungskreise unsachgemäß, hinderlich und ohne durchschlagende Wirkung4. Ausnahmen vom Zinsverbot wurden
* Schriftfassung eines Referats auf dem Symposium zum 65. Geburtstag von Friedrich Graf von Westphalen am 23.9.2005 in Köln. 1 Überblick bei Heymann/Horn, HGB, Bd. 4, 2. Aufl. 2005, § 352 RdNr. 30 ff. (im Erscheinen). 2 Nachweise i. F. 3 Dazu unten I.5. 4 Goldschmidt Universalgeschichte des Handelsrechts, Bd. 1 1891 (Neudruck Aalen 1957), S. 141, 317 ff.; Endemann, Studien in der romanisch-kanonistischen Wirtschafts- und
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unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes (insbes. Verzugszinsen) sowie durch Umgehungsgeschäfte wie insbes. Rentenkauf erreicht5. In ähnlicher Weise wird heute in der islamischen Welt das unentbehrliche Wirtschaften mit Zinsen als Kapitalüberlassungsentgelten durch andere, aber funktionsgleiche Geschäftsformen erreicht6. Man sollte aus einer solchen historischen Parallele keine voreiligen Schlüsse ziehen. Aber vielleicht ist die Vermutung nicht fernliegend, dass im Bereich der gewerblichen Darlehen größere Schwierigkeiten bestehen, den Wuchertatbestand eindeutig und übersichtlich zu definieren, und dass eine Reihe wirtschaftlicher Rechtfertigungsgründe zumindest in Betracht zu ziehen sind. Die grundsätzliche Schutzfähigkeit auch des gewerblichen Darlehensnehmers nach deutschem Recht soll damit nicht generell bezweifelt werden. Im Bereich der gewerblichen Kredite bestehen tatsächlich noch zahlreiche offene Fragen. Die Rechtsprechung ist hier spärlich. Wenn gewerbliche Darlehensnehmer gegenüber ihren Darlehensgebern den Einwand des Wuchers erheben, ist die Kernfrage, ob sich die für Verbraucherdarlehen entwickelten Kriterien auch auf gewerbliche Darlehen übertragen lassen. Einige Entscheidungen des Bundesgerichtshofs deuten in diese Richtung, ohne dass über [2] die Tragweite dieser Urteile Gewissheit besteht. Noch weniger klar ist die Lage, wenn wir internationale Großkredite betrachten, bei denen ausländische Banken oder Bankkonsortien Darlehensgeber sind. Auch wenn solche Verträge deutschem Recht unterstellt sind, bestehen hier zusätzliche Probleme der Anwendbarkeit der Wucherkriterien, die für Verbraucherdarlehen entwickelt wurden. Ist schließlich ein Darlehensvertrag einem ausländischen Recht unterstellt, bleibt zu klären, wie weit sich Wertungen des deutschen Rechts zum Wuchertatbestand auf einen solchen Vertrag indirekt anwenden lassen. Im Folgenden werden zunächst kurz die allgemeinen Regeln der Rechtsprechung zum Tatbestand des wucherischen oder wucherähnlichen Darlehens i. S. v. § 138 BGB resümiert (II); sodann wird die Frage der direkten Anwendbarkeit dieser Regeln auf gewerbliche Kredite erörtert (III). Da diese auf Schwierigkeiten stößt, ist zu überlegen, ob aus Grundgedanken der Rechtsprechung zu § 138 BGB neue Kriterien für gewerbliche Kredite entwickelt werden können, insbesondere unter den Bedingungen der internationalen Finanzmärkte (IV). Abschließend ist zu fragen, ob die Wucherkriterien i. S. v. § 138 BGB auf Darlehensverträge, die einem ausländischen Recht unterstellt sind, angewendet werden können (V).
Rechtslehre bis gegen Ende des 17. Jahrhunderts, Bd. 1 1874, S. 13, 221; Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, 1968, S. 191 ff. 5 Horn, a.a.O., S. 197 ff. 6 Horn, FS Hermann Lange, 1992, S. 99–113.
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II. Die allgemeinen Kriterien des Wuchers i. S. v. § 138 BGB 1. Wucher und wucherähnliches Geschäft Der Wuchertatbestand ist in § 138 Abs. 2 BGB normiert. Diese Norm wird jedoch relativ selten angewendet, weil die dort genannten subjektiven Kriterien nicht immer festgestellt werden können7. Häufiger haben die Gerichte die Generalnorm des Abs. 1 des § 138 BGB angewandt8 (wucherähnliches Geschäft) und dazu aus Abs. 2 das Kriterium verwendet, dass objektiv ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben sein muss9. Hinzutreten muss als subjektives Erfordernis eine verwerfliche Gesinnung10. Es müssen jeweils alle Umstände des Falles in einer Gesamtbeurteilung in Betracht gezogen werden11. Die Kriterien des wucherähnlichen Geschäfts müssen zu dem Zeitpunkt erfüllt sein, an dem das betreffende Geschäft abgeschlossen wird12. Wenn also ein Darlehen zur Zeit seines Abschlusses nicht wucherähnlich und damit sittenwidrig ist, kann es laut BGH nicht später als wucherähnlich bewertet werden, wenn nachträglich ein auffälliges Missverhältnis von Leistung zu Gegenleistung auftritt13. Die Rechtsfolgen des Wuchertatbestandes sind bekanntlich gravierend: Der Darlehensvertrag ist gem. § 138 BGB nichtig14. Dies führt zu einem vollständigen Verlust des Zinsanspruchs des Darlehensgebers; bereits bezahlte Zinsen müssen als ungerechtfertigte Bereicherung gem. § 812 BGB zurückgezahlt werden15. Der Darlehensgeber kann lediglich die Darlehenshauptsumme nach Ablauf der Laufzeit des Darlehensvertrags als ungerechtfertigte Bereicherung zurückverlangen16.
Angewandt z. B. in BGH NJW 1982, 2767. Der BGH wandte Abs. 1 z. B. an in BGH NJW 1991, 1810. 9 BGH WM 1979, 491, 492; WM 1985, 636, 638; BGHR BGB § 138 Abs. 1 – Missverhältnis 3 u. 4; BGHZ 128, 255, 257 ff. 10 BGHZ 98, 174, 178; 104, 102, 107; 128, 255, 267. 11 BGHZ 80, 153, 161; BGH ZIP 1990, 1048–1051; MünchKomm/BGB/K. P. Berger, § 488 RdNr. 109; Heymann/Horn, HGB, Bd. 4, 2. Aufl. 2005, § 352 RdNr. 21. 12 BGHZ 7, 111; 72, 308, 314; 100, 353, 359; 107, 92, 96. 13 BGHZ 123, 281; 126, 226, 240. 14 BGHZ 80, 153; 98, 174; BGH NJW 1982, 2433, 2436; 1983, 2692; 1986, 2568; 1987, 2220; WM 1991, 179; MünchKomm/BGB/K. P. Berger, 4. Aufl. 2004, § 488 RdNr. 106 ff. 15 BGHZ 98, 174, 180; BGH NJW 1991, 1810. Der BGH milderte die wirtschaftlichen Folgen dieses Grundsatzes durch die Anwendung der vierjährigen Verjährung nach § 197 BGB a. F. ab. BGHZ 98, 174, 184; Canaris, WM 1981, 978, 989; ZIP 1986, 273. Für das geltende Recht vgl. § 195 BGB. 16 RGZ 161, 52, 56; BGH NJW 1991, 1810, 1811. 7 8
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2. 100% oder 12%-Regel Anhand von Fällen des Verbraucherdarlehens, insbes. des Ratenkredits, hat die Rechtsprechung die Regel entwickelt, dass ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung i. S. v. § 138 Abs. 1 BGB gegeben ist, wenn der effektive Vertragszins den marktüblichen Zins um 100% überschreitet17. In Ausnahmefällen wurde auch schon eine Überschreitung um 90% für ausreichend erachtet, wenn die übrigen Vertragsbedingungen des Kredits besonders nachteilig waren18, z.B. wenn die Bank den effektiven Vertragszins durch unklare Bedingungen zu verschleiern suchte19, wenn ein Kredit frühere Kredite mit günstigeren Bedingungen ersetzte20 oder wenn der Darlehensvertrag für den Kreditnehmer nachteilige AGB enthielt21. Im letzteren Fall machte der BGH allerdings eine Rückausnahme, wenn der Kreditnehmer Kaufmann war22. Alternativ hat der BGH ein auffälliges Miss verhältnis von Leistung und Gegenleistung dann bejaht, wenn der effektive Vertragszins den üblichen Marktzins um 12 Prozentpunkte übersteigt23. Bei der Ermittlung des effektiven Jahreszinses des betreffenden Darlehensvertrags werden außer dem Nominalzins auch alle anderen Leistungen des Kreditnehmers, die als Gegenleistung für die Kreditgewährung zu betrachten sind, einbezogen24. Daher sind alle an die Bank gezahlten Kosten und Gebühren einzubeziehen25, je nach den Umständen auch ein Disagio26. 3. Der marktübliche Zins als Vergleichsmaßstab Den marktüblichen Zins (Schwerpunktzins) als Vergleichsmaßstab entnahmen die Gerichte bisher für eine Reihe von Darlehensgeschäftstypen den Zinsstatistiken der Deutschen Bundesbank in ihren Monatsberichten mit den Schwerpunktzinsen für einzelne Geschäftsarten. Auf diese Weise haben die Gerichte die Wucherähnlichkeit nicht nur bei typischen Verbraucherdarlehen
17 BGH NJW 1982, 2433; 1983, 2692; 1987, 181; BGHZ 98, 174, 177 ff.; BGH NJW 1991, 1810; BGHZ 128, 255, 259 ff. 18 BGH NJW 1982, 2433, 2435; 1987, 183; BGHZ 104, 102 = NJW 1988, 1659 = WM 1988, 645. 19 BGH NJW 1982, 2436, 2437. 20 BGH WM 1988, 181, 182; 1988, 645 = NJW 1988, 1659 = BGHZ 104, 102. 21 BGHZ 80, 153, 171 ff.; BGH NJW 1982, 2433, 2435; BGHZ 98, 174, 177. 22 BGH NJW 1980, 445, 446. 23 BGHZ 128, 255, 259. 24 BGHZ 110, 336, 338; BGH NJW 1982, 2433, 2436; NJW-RR 1987, 679, 680; WM 1990, 421; Staudinger/Blaschczok, Kommentar zum BGB, 13. Aufl. 1997, § 246 RdNr. 109 ff. 25 BGHZ 80, 153, 165 ff. 26 BGHZ 111, 287; Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl. 2001, Bd. 2, § 82 RdNr. 17 (Gundlach/Halstenberg).
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(Ratenkrediten) festgestellt, sondern z. B. auch bei anderen Privatdarlehen, etwa Hypothekendarlehen für den privaten Hausbau27. Diese Zinsstatistiken haben sich im Währungssystem des Euro verändert. Seit Januar 2003 wird im Euro-Raum die neue EWU-Zinsstatistik nach einheitlicher Methodik erhoben28; insoweit ist eine Anpassung der bisherigen Rechtsprechung geboten. Diese muss ins- [3] besondere den Umstand berücksichtigen, dass die neue Erhebungsmethodik nicht mehr auf einer Erfassung der Nominalzinsen im Standardgeschäft beruht, sondern Effektivzinssätze erfragt, also auch Vorzugszinssätze erfasst29, die die Institute z. B. ihren Mitarbeitern oder Großkunden gewähren oder die bei Autobanken zur Absatzförderung dienen. Ferner sind die Bearbeitungsgebühren nicht erfasst. Dies führt zu einer Absenkung des statistischen Durchschnittszinsniveaus. Bei unveränderter Anwendung der bisherigen Kriterien wäre daher die Wuchergrenze früher überschritten und eine größere Zahl von Darlehen würde dem Verdikt des Wuchertatbestandes unterfallen. Dies ist nicht beabsichtigt und zu korrigieren. 4. Die 40–50%-Grenze Einen alternativen Maßstab zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit (auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung) bietet die bereits früher entwickelte Regel, dass unabhängig vom Marktzins eine bestimmte absolute Zinshöhe die Sittenwidrigkeit begründet. Der BGH hat in diesem Sinne kleinere Geschäftskredite mit einem Jahreszins von 114,3% und 130,9% für sittenwidrig erklärt30, in einem anderen Fall einen Zins zwischen 94,7% und 180%31, einen Darlehenszins von 90%32 und schließlich ein Darlehen mit einem Jahreszins von etwa 40%33. Allerdings hat der BGH wenig später die letztere Grenze abgeschwächt und davon gesprochen, dass „etwa ab 40%, jedenfalls ab 50%“, Sittenwidrigkeit zu bejahen sei34. Dagegen hat der BGH eine absolute Zinshöhe von 28% noch nicht als einen eindeutigen Indikator für Sittenwidrigkeit angesehen35.
27 BGH WM 2000, 1580; OLG Bamberg NJW-RR 2002, 265; OLG Köln, OLGR 2000, 465–469. 28 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 2004, S. 47 ff. 29 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 2004, S. 50. 30 BGH WM 1966, 399–401. 31 BGH ZIP 1982, 1181, 1183 = NJW 1982, 2767. 32 BGH WM 1967, 321, 324. 33 BGH WM 1978, 1349 f. 34 BGHZ 80, 153, 161. 35 BGH NJW 1994, 1275 ff.
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5. Die subjektiven Kriterien Als subjektive Kriterien des wucherähnlichen Geschäfts nennt die Rechtsprechung in Anlehnung an § 138 Abs. 2 BGB die Tatsache, dass der Kreditgeber vorsätzlich oder grob fahrlässig die schwächere Situation des Kreditnehmers ausgenutzt hat36. Sind die objektiven Kriterien erfüllt, wird eine solche Gesinnung vermutet37. Es genügt, dass der Kreditgeber die schwächere Lage des Kreditnehmers und die Nachteiligkeit des Geschäftes für diesen kannte38. Diese für den Verbraucherkredit entwickelte Vermutungsregel gilt aber nicht im Verhältnis zu einem kaufmännischen Kreditnehmer39, es sei denn, der vertragliche Effektivzins übersteigt den Marktzins um 200%40.
III. Übertragung auf gewerbliche Kredite? 1. Ausdehnung begrenzt auf ähnliche gewerbliche Kredite Der BGH hat die Regel, dass eine Zinsbelastung von etwa 40–50% der Darlehenssumme p. a. den Wuchertatbestand objektiv erfüllt, auch auf gewerbliche Kredite angewendet, freilich solche kleineren Umfangs41. Über die Anwendung auf gewerbliche Großkredite war bisher nicht zu entscheiden. Ob die „100% oder 12%-Regel“ nach der Rechtsprechung auch auf Darlehensverträge mit kaufmännischen Kreditnehmern generell anwendbar ist, ist sehr zweifelhaft. Nur scheinbar deuten zwei Entscheidungen des BGH in diese Richtung. In diesen Fällen hat der BGH die Regel ausdrücklich auf „gewerbliche Kredite“ ausgedehnt42. Im ersteren Fall war Kreditnehmer ein Landwirt, im zweiten Fall ein Architekt43. Man kann aus den Urteilen aber nicht schließen, dass der BGH die genannte Regel generell auf alle kaufmännischen Kreditnehmer und gar auf gewerbliche Großkredite ausdehnen wollte. Eher ging es ihm darum, in solchen Fällen, in denen kleinere Darlehen in ähnlicher Weise wie Privatkredite (Verbraucherkredite, Hausbaukredite usw.) vergeben werden, die Anwendung der „100% oder 12%-Regel“ nicht daran scheitern zu lassen, dass der Kredit für einen gewerblichen Zweck ver BGHZ 98, 174, 178; 104, 102, 107; 128, 255, 267. BGH NJW 1984, 2292; BGHZ 98, 174, 178. 38 BGHZ 128, 255, 258. 39 BGH ZIP 1990, 1048, 1049 (betr. Gelegenheitsdarlehen); BGHZ 128, 255, 268. 40 BGH ZIP 1990, 1048, 1049. 41 Vgl. die Nachw. oben II.4. 42 BGH NJW 1991, 1810; BGHZ 128, 255, 267. 43 BGH NJW 1991, 1810: Landwirt; BGHZ 128, 255: Architekt. Im ersteren Fall ist nicht zu erkennen, ob der Landwirt nach § 3 HGB die Kaufmannseigenschaft erworben hatte; es handelte sich um einen mittleren Betrieb mit 22 ha. 36 37
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geben worden war. Dies zeigt insbesondere die Entscheidung BGHZ 128, 255. Das Gericht hebt hier den Umstand hervor, dass die „100% oder 12%Regel“ für Ratenkredite an Verbraucher entwickelt worden ist und führt dann aus, dass im Fall vergleichbare Merkmale gegeben seien. Von solchen „idyllischen“ Fällen sind Großkredite für größere Unternehmen sehr weit entfernt. 2. Unanwendbarkeit der Regel bei fehlendem Marktzinsvergleich Der BGH wendet die Regel ferner nur unter der Voraussetzung an, dass für den Darlehensgeschäftstyp, der zur Beurteilung ansteht, ein Marktzins feststellbar ist. Ist dies nicht der Fall, wird die Anwendung der Regel abgelehnt. Dies geschah im Fall eines Darlehens, das ein insoweit nicht gewerbsmäßig handelnder Geldgeber unter besonderen Umständen gewährte, wobei er einen Jahreszinssatz von 21,6% aushandelte. Hier prüfte der BGH verschiedene Vergleichsmaßstäbe, nämlich die zur Zeit der Darlehensgewährung von den Banken geforderten Durchschnittszinssätze für Kontokorrentkredite, Wechseldiskontkredite und Hypothekarkredite (von jeweils 11,66%, 9,53% und 9,89%) und lehnte sie alle als nicht passend ab. Das Gericht verneinte daher das Vorliegen eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leis tung und Gegenleistung44. In einem 1994 entschiedenen Fall hatte der BGH über einen Überbrü ckungskredit für ein Bauprojekt zu entscheiden, bei dem eine vertragliche Verzinsung von 28% ausbedungen war. Der BGH wies auf die Schwierigkeit hin, einen Marktzins als Vergleichsmaßstab zu finden; insbesondere sei die Marktzinsstatistik für Hypothekendarlehen, die ein Zinsniveau von 6% auswies, kein geeigneter Maßstab. Die „100% oder 12%-Regel“ wurde daher für unanwendbar erklärt45. Die Entscheidungen zeigen, dass der Bundesgerichtshof die Verwendung von Marktzinsstatistiken für bestimmte Darlehenstypen als Vergleichsmaßstab zur Beurteilung eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung dann ablehnt, wenn die Ausgestaltung des Darlehensvertrages im Einzelfall zu stark von den Geschäftstypen abweicht, die der jeweiligen Zinsstatistik zugrunde liegen. Das Problem wird deutlich, dass bei Darlehensverträgen, die Teil einer komplexen und sehr umfangreichen Finanztransaktion sind, Vergleichsmaßstäbe i. S. der „100% oder 12%-Regel“, die den Ansprüchen des BGH genügen, kaum zu beschaffen sind. [4]
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BGH ZIP 1990, 1048–1051. BGH NJW 1994, 1275.
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3. Unanwendbarkeit der Regel bei hohem Risiko In der Entscheidung von 1994 hielt der BGH den Umständen nach die Zinshöhe von 28% auch deshalb für gerechtfertigt, weil es sich um ein ungewöhnlich hohes Kreditrisiko handelte (das sich im Fall später durch Insolvenz des Darlehensnehmers realisierte) und weil der Darlehensnehmer freiwillig in Erwartung eines hohen Gewinns ein Investitionsrisiko einging und dazu den Darlehensvertrag abschloss46. Mit dieser Begründung wird sowohl das objektive wie das subjektive Kriterium des Wuchertatbestandes eingegrenzt. Auf der Ebene der objektiven Kriterien wird der Grundsatz herausgearbeitet, dass ein höheres Kreditrisiko einen höheren Preis erfordert und rechtfertigt. Dies ist der Grundgedanke der neuen Eigenkapitalübereinkunft Basel II und der durch sie bezweckten Differenzierung und Verbesserung des Risikomanagements der Banken durch eine risikoorientierte Eigenkapitalunterlegung, deren Konsequenz eine Differenzierung der Darlehenspreise nach dem Rating der Darlehensnehmer ist47. Zugleich wird vom BGH auch das subjektive Kriterium einer Ausnutzung der schwächeren Situation des Kreditnehmers angesprochen. An einer solchen Ausnutzung fehlt es jedenfalls dann, wenn der Darlehensnehmer sich ohne finanzielle Zwangslage in Erwartung einer gewinnträchtigen Investition freiwillig verschuldet.
IV. Geeignete Kriterien für gewerbliche Kredite 1. Eng begrenzte Anwendbarkeit der bisherigen Kriterien Es hat sich gezeigt, dass die Rechtsprechung des BGH (1) eine Übertragung der für Verbraucherkredite entwickelten objektiven Wucherkrediten nach der „100% oder 12%-Regel“ auf gewerbliche Kredite nur in solchen Fällen befürwortet, in denen der gewerbliche Kredit nach Umfang und Umständen einem Privatkredit (z. B. Ratenkredit) ähnlich ist, (2) dass ein höheres Kreditrisiko wegen geringerer Kreditwürdigkeit des Darlehensnehmers einen höheren Darlehenspreis rechtfertigt und (3) die „100% oder 12%-Regel“ unanwendbar ist, wenn sich ein vergleichbarer Marktzins nicht ermitteln lässt. Daraus folgt, dass einen große Anzahl gewerblicher Darlehen der „100% oder 12%-Regel“ nicht unterfällt. Die 40–50%-Grenze, die sich nicht am Marktzins orientiert, sondern lediglich an der Höhe der Darlehenssumme, ist dagegen – jedenfalls auf den ersten Blick – technisch anwendbar und von der Rechtsprechung – wie erwähnt – in BGH NJW 1994, 1275. Übersicht bei Horn, Europäisches Finanzmarktrecht, Entwicklungsstand und rechtspolitische Aufgaben, 2003, S. 137 ff. 46 47
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der Tat auf kleinere gewerbliche Darlehen angewendet worden48. Ihre Eignung für eine generelle Anwendung im Bereich gewerblicher Kredite einschließlich großer Kredite und internationaler Kredite ist zweifelhaft. Der starre Maßstab, der ohne Rücksicht auf die Marktsituation durch eine feste Prozentzahl der Darlehenssumme fixiert ist, ist unflexibel. In vielen Fällen mag er zu geringen Schutz gewähren, in anderen wird er der Markt- und Risikosituation nicht gerecht. So wird in diesem Kriterium nicht berücksichtigt, dass heute auf den Finanzmärkten, insbesondere auf den internationalen Märkten, eine konsequente Berechnung des Darlehenspreises nach dem Kreditrisiko (Verzugswahrscheinlichkeit) erfolgt und diese Preisberechnung keine Grenzen kennt; der Risikopreis für Darlehen kann dabei über 100% der Darlehenssumme pro Jahr liegen. 2. Eine generelle Ausnahme vom Wucherverbot? Man kann daher durchaus die Frage stellen, ob der Wuchereinwand bei gewerblichen Krediten, jedenfalls soweit diese nach Umfang und Umständen von privaten Darlehen deutlich unterscheidbar sind, überhaupt einen Sinn ergibt. Diese Frage stellt sich mit besonderer Deutlichkeit insbesondere bei internationalen Darlehensgeschäften. Eine Reihe von Ländern kennt ein generelles Wucherverbot nicht, so z. B. England49. Auf den internationalen Finanzmärkten der westlichen Welt spielen Überlegungen zum Wucherproblem in der Praxis kaum eine Rolle. Auch in der islamischen Welt, die heute einen nicht unbeträchtlichen Anteil am internationalen Finanzgeschehen hat, ist dies nicht anders. Hier wird zwar Zins generell als Wucher verworfen; aber er wird durch andere Gestaltungen ersetzt50. Dies ändert freilich nichts daran, dass sich eine Generalausnahme vom Wuchertatbestand des § 138 BGB für Verträge über gewerbliche Darlehen nach deutschem Recht nicht begründen lässt, auch nicht für Darlehensverträge über große Kreditvolumina oder solche mit internationaler Beteiligung. Allerdings bezeichnen diese genannten Kriterien (gewerblich, Darlehensgröße, internationaler Kontext) eine zunehmende Schwierigkeit, geeignete Kriterien für den Wuchertatbestand zu finden, und eine zunehmende Wahrscheinlichkeit, letztlich dem Wuchervorwurf zu entgehen.
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Vgl. die Nachweise oben I.4. Philip R. Wood, Comparative Financial Law, 1995, 5–15; Mülbert/Bruinier, WM 2005, Horn, FS Hermann Lange, 1992, S. 99–113.
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3. Die Suche nach geeigneten Kriterien a. Marktzinsvergleich Geeignete Kriterien lassen sich dadurch finden, dass man Grundgedanken der Rechtsprechung zum Verbraucherdarlehen auf die veränderten Bedingungen gewerblicher, großer und internationaler Kredite in sachlich gebotener Abwandlung anwendet. An der „40–50%-Regel“ wurde bereits gezeigt, dass starre, nicht an den Marktzins gebundene Kriterien für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit im gewerblichen Bereich und insbesondere im internationalen Geschäft im Grunde nicht geeignet sind. Ähnliches gilt aber auch für das 12%-Kriterium der von der Rechtsprechung entwickelten „100% oder 12%-Regel“. Es knüpft zwar an das Marktzinsniveau an, tut dies aber mit einem starren Prozentsatz der Darlehenssumme. In Niedrigzinsphasen liegt diese Grenze weit über dem 100%-Kriterium (das sich auf das Zinsniveau bezieht), gewährt es also keinen zusätzlichen Schutz. In Hochzinsphasen dagegen gewährt es zwar zusätzlichen Schutz, aber in einer starren Weise, die jedenfalls für die vielfältigen Geschäftsformen und Geschäftsumstände des gewerblichen, zumal internationalen Kreditmarktes nicht flexibel genug erscheint. Der entscheidende Grundgedanke der bisherigen Rechtsprechung ist es, den vertraglich vereinbarten Zins mit einem Marktzins zu vergleichen, der nach objektiven Kriterien für vergleichbare Darlehensverträge ermittelt worden ist. Aus der „100% oder 12%-Regel“ ist zumindest das erste Kriterium der 100% im Grundsatz brauchbar, demzufolge der vertraglich vereinbarte Zins nebst allen Nebenentgeltregelungen den Marktzins nicht um mehr als 100% übersteigen, also nicht mehr als das Doppelte sein darf. Es greift zugleich den 2000 Jahre alten Rechtsgedanken des Römischen Rechts zum Wucherproblem auf, dass nämlich ein Entgelt nicht mehr als das Doppelte des „wahren“, sachgerechten Entgelts (verum pretium) sein darf51. Es ist kein grundsätzliches Bedenken ersichtlich, die 100%-Regel als Faustregel und Ausgangspunkt auch im Bereich gewerblicher Kredite einzusetzen, wenn man sachgerechte Einschränkungen und Differenzierungskriterien einbaut. [5] b. Notwendige Differenzierungen Der Ansatzpunkt für solche Differenzierungen – die der BGH im Grundsatz bejaht52 – ist eine enge Definition des Marktzinses für diejenige Geschäftsart, der der betreffende Darlehensvertrag zuzuordnen ist. Die für Zinssätze von Krediten an nicht-finanzielle Kapitalgesellschaften mit einer
Dazu Horn, FS Lange a. a. O. Vgl. oben II. 2 u. 3.
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bestimmten Laufzeit im Neugeschäft ausgewiesenen Zinssätze in der Zinsstatistik in den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank sind in dieser Hinsicht nicht ausreichend differenziert53. Die Geschäftsart ist nach Branche, Markt und vor allem Risikostruktur sowie der gewählten Finanzierungstechnik und nach dem Rating der Darlehensnehmer einzugrenzen. Dabei ergibt sich natürlich ein buntes Bild zahlreicher Teilmärkte oder Marktausschnitte. Statistiken sind von offiziellen Stellen nicht erhältlich, wohl aber von Banken, die auf solchen Teilmärkten tätig sind. Das Verfahren ist relativ aufwendig. Dies ist aber kein Hindernis bei Krediten von großen Volumen, bei denen die Gutachtenkosten relativ weniger ins Gewicht fallen. Die Beschaffung solcher Marktanalysen obliegt dem Darlehensnehmer, der sich auf den Wuchereinwand berufen will. c. Risikopreise Ferner ist der Grundsatz zu beachten, dass in den gewerblichen Kreditmärkten, insbesondere den internationalen Märkten, die Preisgestaltung für Kredite dem Kreditrisiko folgt, das der Darlehensgeber übernimmt. Alle üblicherweise in Betracht gezogenen Kreditrisiken sind zu berücksichtigen, insbesondere also das allgemeine Bonitätsrisiko des Darlehensnehmers, bei internationalen Krediten das Länderrisiko, ferner ggf. ein besonderes Branchenrisiko, und u. U. im Einzelfall auch ein besonderes Investitionsrisiko, wenn das Darlehen für ein bestimmtes Investitionsvorhaben verwendet wird. Das allgemeine Bonitätsrisiko wird heute üblicherweise im Rating erfasst. Alle anderen Risiken sind nur besonders zu berücksichtigen, wenn sie nicht ins Rating eingeflossen sind. Die Berücksichtigung der einzelnen Risikofaktoren führt nur dann zu einer Korrektur des Ergebnisses, das sich aus dem Vergleich mit dem Marktzins ergibt, wenn nicht im Marktzins die gleichen Risikofaktoren bereits widergespiegelt sind. Dies ist z. B. der Fall bezüglich des Branchenrisikos, wenn die Marktdaten sich auf die gleiche Branche beziehen, und wenn die im Marktvergleich erfassten Unternehmen das gleiche allgemeine Rating wie der Darlehensnehmer haben, dessen Vertrag auf dem Prüfstand steht. d. Fälle einer Unmöglichkeit des Marktvergleichs In vielen Fällen wird sich bei sorgfältiger Ermittlung von geeigneten Marktvergleichsdaten ein Maßstab entwickeln lassen, der für einen Vergleich i. S. der 100%-Regel taugt. In anderen Fällen ist dies nicht so, insbesondere wenn die Geschäftsform Eigenarten aufweist, die sich in vergleichbaren Geschäften nicht finden, oder wenn der Darlehensnachfrager ein besonders hohes Risiko aufweist und deshalb für Risikodarlehen und Risikoanleihen 53
Vgl. z. B. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht August 2005, S. 2 f.
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in Betracht kommt. Sind im Markt für neue Kredite und neue Anleihen keine Vergleichsdaten aufzufinden, kann ein Blick in den Sekundärmarkt möglicherweise Anhaltspunkte liefern. Dort werden Kredite und Anleihen von Darlehensnehmern mit verschlechtertem Kreditrisiko z. T. mit großen Abschlägen gehandelt, der das Risiko des Erwerbers der Forderung widerspiegelt. Bezogen auf den Erwerbspreis der Forderung kann der Zins dann auch über 100% des Kapitaleinsatzes liegen. Der Zins würde also auf dieser Basis das Wucherkriterium der oben erörterten „40–50%-Regel“ klar verletzen, aber gleichwohl innerhalb des Marktzinses für diese Risikogruppe liegen und damit dem Wuchervorwurf entgehen. Diese Beispiele verdeutlichen schon die Schwierigkeit, hier noch einen sicheren Vergleichsmaßstab zu finden. Wo dies nicht möglich bzw. zu unsicher ist, muss die vom BGH selbst, wie oben dargelegt, mehrfach angewandte Regel gelten, dass das 100%-Kriterium nicht angewandt werden kann und im Ergebnis die Feststellung des Wuchers nach dem Regelwerk der Rechtsprechung nicht möglich ist. e. Subjektive Kriterien Im Bereich gewerblicher Kredite sind die relevanten Fakten hinsichtlich der subjektiven Kriterien, die für den Wuchertatbestand gefordert werden, von denen sehr verschieden, die bei Verbraucherdarlehen anzutreffen sind. Eine Ausnutzung des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit wird schwerlich bei Geschäften zu bejahen sein, die mit einem großen Beratungsaufwand durch Investmentbanken und Anwaltsfirmen begleitet sind. Dies schließt zwar nicht aus, dass manchmal nicht alle wirtschaftlichen Folgen der sehr komplexen Vertragswerke durchleuchtet werden, aber mit der Ausnutzung von Unerfahrenheit hat dies in der Regel nichts zu tun. Vielmehr kommt dann eher ein Regress wegen Beratungsfehlern gegenüber den eigenen Beratern in Betracht. Es bleibt aber die Möglichkeit, dass der betreffende Kredit in Ausnutzung einer wirtschaftlichen Notlage gegeben wurde. Zwar ist die Notlage eines Unternehmens, das um sein Überleben kämpft, durchaus von der Notlage einer natürlichen Person als Darlehensnehmer zu unterscheiden. Aber das Gesetz macht im Grundsatz diesen Unterschied nicht. Damit kommen die zahlreichen Fälle in den Blick, in denen Unternehmen Darlehen nachsuchen, nachdem sie in eine finanzielle Zwangslage geraten sind. Die große Frage ist hier, ob die darlehensgebenden Banken, die diese Notlage natürlich kennen und sorgfältig prüfen, sich dem Vorwurf des § 138 BGB hinsichtlich des subjektiven Tatbestandes aussetzen, wenn sie einen dem Risiko entsprechend höheren Preis verlangen. Dies ist auszuschließen, solange dieser Preis sich im Rahmen dessen hält, was für solche Risikokredite marktüblich ist, oder solange eine Abweichung nach oben unterhalb der 100%-Schwelle bleibt.
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Dies lässt genügend Spielraum und hilft zu vermeiden, dass Banken in einer Sanierungssituation allzu schnell in die Nähe des Wuchervorwurfs geraten. Geldgeber für eine Sanierung sind andererseits gut beraten, ihre Risikopreise zugleich auch nach der Leistungsfähigkeit und den Überlebenschancen des Schuldners auszurichten. Häufig sind in einer Sanierungssituation auch die Banken oder sonstigen Geldgeber in einer gewissen Zwangslage, weil sie bereits früher Kredite an den notleidenden Schuldner vergeben haben und sich nun zur Zuführung neuer Kreditmittel veranlasst sehen, um ihre früheren Kredite auf längere Sicht zu retten.
V. Wuchereinwand bei ausländischem Vertragsstatut 1. Ausländisches Vertragsstatut Hat ein deutsches Gericht über einen Darlehensvertrag zu entscheiden, der einem ausländischen Recht untersteht, das einen allgemeinen Wuchertatbestand (ggf. außerhalb des Verbraucherschutzes) nicht kennt, so ist zu fragen, ob sich Grundsätze und Wertungen des deutschen Rechts mittelbar durchsetzen können. a. § 138 BGB keine zwingende Norm i. S. v. Art. 34 EGBGB Nach Art. 34 EGBGB sind zwingende Normen des deutschen Rechts auf ein Rechtsverhältnis anzuwenden, auch wenn dieses nach den Regeln des Kollisionsrechts (IPR) im Übrigen einem [6] ausländischen Recht unterliegt. Nach Ansicht des BGH und der heute h. M. ist § 138 BGB keine zwingende Norm im Sinne dieser Vorschrift54. b. § 138 BGB und deutscher ordre public (Art. 6 EGBGB) Grundsätze des Verbots der Sittenwidrigkeit i. S. v. § 138 BGB können aber als Teil des deutschen ordre public gem. Art. 6 EGBGB eine mittelbare Anwendung auf Rechtsverhältnisse finden, die einem ausländischen Recht unterstehen. Entsprechend dem Ausnahmecharakter des Art. 6 EGBGB sind nur schwerwiegende Fälle einer Verletzung der guten Sitten i. S. v. § 138 BGB relevant. Es kann theoretisch nicht ausgeschlossen werden, dass in extremen Fällen eines wucherischen Darlehens die Grundsätze des § 138 BGB über Art. 6 EGBGB Anwendung finden. In der Rechtsprechung sind freilich keine einschlägigen Entscheidungen zu finden. Das OLG Celle hat in einem Fall eines französischen Verbraucherkredits mit einem hohen Zinssatz Art. 6
54 BGHZ 135, 124, 139 (= RIW 1997, 875, 879); Mankowski, RIW 1996, 8 ff.; Staudinger/Magnus, Kommentar zum BGB, 13. Aufl. 2002, Art. 34 EGBGB RdNr. 85.
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EGBGB erwogen und im Ergebnis verneint55. Im Übrigen gibt es, soweit ersichtlich, keine deutschen Gerichtsurteile, in denen § 138 BGB mittelbar über Art. 6 EGBGB auf Kreditverträge mit ausländischem Vertragsstatut angewandt wurde56. Für diese Zurückhaltung der Gerichte lässt sich ein allgemeiner Grund angeben. Beim Einwand des Wuchers oder des wucherähnlichen Geschäfts geht es um Fragen der vertraglichen Fairness. Es ist anerkannt, dass nach deutschem Kollisionsrecht Maßstäbe der vertraglichen Fairness einschließlich der Frage der Ausgewogenheit von Leistung und Gegenleistung in erster Linie von dem Recht bestimmt werden, das auf den Vertrag anwendbar ist57. Es kommt also darauf an, ob das anwendbare ausländische Recht selbst vergleichbare Maßstäbe enthält und demnach das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung als unfair zu beanstanden ist und ob die anderen Gesichtspunkte des deutschen Sittenwidrigkeitsbegriffs in ähnlicher Weise anerkannt werden. Für eine mittelbare Anwendung von § 138 BGB über Art. 6 EGBGB bleibt jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des Wuchereinwands regelmäßig kein Raum. 2. Ausländisches Urteil Hat ein ausländisches Gericht eine Darlehensforderung aus einem Darlehensvertrag mit ausländischem Vertragsstatut anerkannt und wäre nach deutschem Recht der Wuchereinwand begründet, so ist zu fragen, ob das deutsche Gericht die Anerkennung des Urteils verweigern kann. Der BGH hat den Grundsatz entwickelt, dass im Falle eines ausländischen Urteils, das nach internationalen Konventionen anzuerkennen ist, diesem Urteil nur in extremen Fällen einer Verletzung des deutschen ordre public die Anerkennung zu versagen sei; der BGH spricht hier vom internationalen ordre public58. Deutsche Urteile zur Verletzung des internationalen ordre public sind kaum zu finden59. Die Haltung des BGH stimmt mit einer Entscheidung des EuGH überein, der hinsichtlich der Anerkennung von Urteilen der Gerichte eines anderen Mitgliedstaates der EU ausführt, dass Gesichtspunkte des ordre public innerhalb der Europäischen Union nur in sehr begrenztem Umfang von den Gerichten dazu verwenden werden können, die Anerkennung zu versagen60.
OLG Celle RIW 1993, 587. So auch Mülbert und Bruinier, WM 2005, 9–11. 57 MünchKomm/BGB/Martiny, 3. Aufl. 1998, Art. 34 EGBGB, RdNr. 62 b. 58 BGHZ 138, 331–339, 334 ff. m. w. N. 59 Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2004, Art. 34 EuGVO, RdNr. 15. 60 EuGH, Urt. v. 28.3.2000 – C-7/98 (BGH) (Krombach), ZIP 2000, 859, 861 ff. 55 56
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3. Auswirkungen einer Anwendung von Art. 6 EGBGB Nimmt man an, es liege einer der Extremfälle vor, in denen der Wuchereinwand doch über Art. 6 EGBGB mittelbar Anwendung finden könnte, würde das deutsche Gericht den Darlehensvertrag nicht gänzlich für nichtig erklären, sondern lediglich die Teile des Vertrages, die dem deutschen ordre public widersprechen, insoweit nicht anerkennen61. In der spärlichen Rechtsprechung zur Frage der Rechtsfolgen der Art. 6 EGBGB bei Verträgen finden sich keine Entscheidungen über wucherische Kreditverträge. Es gibt aber einige Entscheidungen, die dem Grundsatz folgen, dass sich das Gericht auf eine nur teilweise Nichtanerkennung des Vertrages und auf eine entsprechende Reduzierung der Vertragspflichten beschränkt. Der BGH hatte 1965 über den Umfang eines Rechtsanwaltshonorars zu entscheiden. Das Honorar war in einem Rechtsanwaltsvertrag, der dem Recht eines US-Bundesstaates unterlag, mit einem deutschen Mandanten vereinbart worden. Das Honorar war siebenmal so hoch wie es das Honorar nach deutschem Rechtsanwaltsgebührenrecht gewesen wäre. Der BGH reduzierte die Gebühr von 35% auf 20% der Klagesumme62. Auch in anderen Fällen haben Gerichte in diesem Sinne Teile des streitigen Anspruchs aufrechterhalten. So z. B. bei der Anerkennung eines amerikanischen Gerichtsurteils, in dem ein Strafschadensersatz (punitive damages) ausgesprochen worden war. Das Gericht hat die Vollstreckung aus diesem Urteil nicht untersagt, aber nur zum Teil zugelassen63.
VI. Zusammenfassung 1. Die heute geltenden Kriterien für Wucher und wucherähnliches Geschäft i. S. v. § 138 BGB, insbesondere die Präzisierung des Tatbestandsmerkmals eines unangemessenen Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung und der subjektiven Kriterien, sind von der Rechtsprechung nicht im Hinblick auf gewerbliche Kredite entwickelt worden, sondern im Hinblick auf Verbraucherdarlehen (Ratenkreditverträge und andere Privatdarlehen). Der effektive vereinbarte Zins darf danach nicht höher als das doppelte des Marktzinses sein (100%-Regel) oder nicht absolut 12 Prozentpunkte über dem Marktzinsniveau liegen. Hinzutreten muss ein subjektives Kriterium (verwerfliches Verhalten). Der Marktzinsvergleich muss heute an die geänderten Zinsstatistiken angepasst werden. Unabhängig von der genannten Regel hat die Rechtsprechung schon zuvor eine Grenze in der absoluten Zinshöhe gezogen (40–50% der Darlehenssumme p. a.).
Mülbert und Bruinier, WM 2005, 111. BGHZ 44, 183, 190. 63 OLG Düsseldorf, RIW 1991, 594–597. 61 62
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2. Nach einigen Äußerungen des BGH können diese Kriterien auch auf gewerbliche Kredite übertragen werden. Die Äußerungen des BGH beziehen sich jedoch auf Fälle, in denen Ähnlichkeiten mit Verbraucherdarlehen vorlagen. Es ist unsicher, ob darüber hinaus eine generelle Anwendbarkeit befürwortet wird. 3. Eine generelle Anwendung der Regeln auf gewerbliche Kredite einschließlich von Geschäften auf den internationalen Finanzmärkten stößt auf eine Reihe von Schwierigkeiten. Der BGH hat anerkannt, dass bei Fehlen eines Marktvergleichszinses die genannten Wucherkriterien der 100% oder 12%-Regel nicht anwendbar sind, ferner dass ein besonders hohes Risiko einen besonders hohen Zins rechtfertigt. 4. Man muss andererseits davon ausgehen, dass der Wuchertatbestand nach deutschem Recht grundsätzlich auch bei großen [7] gewerblichen Krediten und Krediten auf den internationalen Finanzmärkten anwendbar bleibt, soweit deutsches Recht anwendbar ist. Die Tatsache, dass auf den internationalen Märkten dieser Gesichtspunkt praktisch nur eine nur geringe Rolle spielt, kann sich in einer Tendenz zur Vermeidung deutschen Rechtes bei Verträgen mit Zinszahlungsverpflichtungen auswirken. 5. Bei der Suche nach geeigneten Kriterien des Wuchertatbestandes bei gewerblichen Großkrediten bestehen Bedenken, starre Kriterien wie die 40–50%-Regel oder relativ starre Kriterien wie das 12%-Kriterium anzuwenden. Dagegen kommt der Grundgedanke der sog. 100%-Regel, d. h. dass der vereinbarte Zins nicht mehr als das doppelte des Marktzinses betragen darf, in analoger Anwendung der Rechtsprechungsgrundsätze in Betracht, sofern man die folgenden Einschränkungen beachtet. a. Mangels geeigneter Zinsstatistiken für die meisten Geschäftsarten ist fallweise ein Marktzins durch die Untersuchung vergleichbarer Geschäfte zu ermitteln. b. Ferner ist das spezielle Risiko des betreffenden Darlehensvertrags zu berücksichtigen. Unter diesen Umständen ist zu erwarten, dass in einer Reihe von Fällen der objektive Tatbestand des Wuchers (Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung analog der 100%-Regel) sicher beurteilt (d. h. bejaht oder verneint) werden kann, während in anderen Fällen schon mangels geeigneter Vergleichsmaßstäbe die objektiven Kriterien eines wucherähnlichen Geschäfts verneint werden müssen. Letzteres stimmt mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überein. 6. Untersteht ein Darlehensvertrag einem ausländischen Recht, so kann § 138 nicht gemäß Art. 34 EGBGB unmittelbar angewendet werden. In Betracht kommt nur eine mittelbare, abgeschwächte Anwendung über Art. 6 EGBGB in eher seltenen und extremen Ausnahmefällen. Hat ein ausländi-
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sches Gericht einen Zinsanspruch aus einem solchen Vertrag zugesprochen, ist die Versagung der Anerkennung des betreffenden Urteils nur in engen Ausnahmefällen zulässig. In beiden Fällen der mittelbaren Anwendung von § 138 BGB wird sich das deutsche Gericht darauf beschränken, nur dem Teil des Vertrages bzw. des Urteils die Anerkennung zu versagen, der Art. 6 EGBGB verletzt, und im Übrigen die Wirksamkeit des Vertrages nicht in Frage zu stellen.
Current Use of the UNCITRAL Arbitration Rules in the Context of Investment Arbitration* Vol. 24/4 Arbitration International, 587–601 (2008) ABSTRACT UNCITRAL Arbitration Rules play their part in international investment arbitration; between 20 to 30 per cent of the publicized investment cases are conducted under these Rules. NAFTA and many bilateral investment treaties provide an option for arbitration under the UNCITRAL Rules. In light of ongoing work for the revision of the Rules, it is time to reconsider their suitability for the special needs of investment arbitration and to ask whether the revision of the Rules should include special provisions in this respect. In the discussion on the specific needs of investment arbitration, much attention was paid to the question whether and to what extent transparency of the proceedings should be established in investment arbitration. An overall appraisal of the suitability of the Rules for investment claims must include other aspects as well, not to forget that, in contrast with ICSID arbitration, in UNCITRAL investment arbitration the role of state courts in enforcement and annulment procedures comes into play. A review of recent arbitral and court decisions relating to UNCITRAL investment arbitration shows that UNCITRAL investment arbitration is still an attractive alternative to ICSID arbitration. Decisions under the UNCITRAL Rules have given answers to key issues of transparency in investment arbitration. These decisions have achieved a balance between the interests of those who wanted to open the proceedings to non-disputing parties and the public, on the one hand, and the interests of the parties to have an efficient dispute settlement without undue delay, extra costs and lack of confidentiality, on the other, on the basis of a flexible interpretation of Art. 15 of the Rules on the power of the tribunal, and Art. 25 (4) on confidentiality. The decisions may serve as an inspiration for the amendment of the Rules and, if such amendment is not carried out, they will give guidance in future UNCITRAL arbitration proceeding involving investment claims. [588] * Dr. Norbert Horn is Professor of law at the University of Cologne Faculty of Law. He is a National Correspondent for Germany to UNCITRAL. The article is based on a paper submitted at the VIAC-UNCITRAL 2008 Conference in Vienna, 13 and 14 March 2008.
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I. Proportion of UNCITRAL Arbitration Proceedings in Current Investment Arbitration Since their promulgation in 1976, The UNCITRAL Arbitration Rules1 have not only found their place in international commercial arbitration, but also played their part in international investment arbitration proceedings. Investment claims can be defined as claims by a foreign investor against the government of the host state relating to his investment in that State. Investment arbitration proceedings conducted under the UNCITRAL Arbitration Rules include some famous investment cases such as Methanex Corp. v. United States (2001–2005)2 and CME v. Czech Republic (2001–2005) with parallel arbitration proceedings in Stockholm and London.3 (a) Statistical Aspects A study on Investor-State Disputes Arising from Investment Treaties: A Review, published by UNCTAD in 2005, shows a cumulative number of 219 treaty-based investment claims by November 2005; there exists an unknown number of undisclosed cases. 60 percent were brought under ICSID, 30 percent under the UNCITRAL Arbitration Rules.4 From this date until the present, the internet site relating to Investment Claims (IIC) (covering decisions of arbitral tribunals and of State courts relating to investment claims),5 in its last 100 entries (=decisions) stretching from October 2005 to January 2008 and covering 75 different cases, shows a 66 per cent share of 50 cases (68 entries) under the ICSID Convention6 and ICSID Arbitration Rules7, followed by 17,3 per cent (i.e. 13 cases, 20 entries) under UNCITRAL Arbi-
1 15 International Legal Materials (1976) 701. A comprehensive appraisal of the Rules has been undertaken in: UNCITRAL, 30 Years UNCITRAL Arbitration Rules (Joint Conference) Vienna 2006. 2 Decision on petitions of third persons to intervene as amici curiae of 15 January 2001; Final award on jurisdiction and merits of 3 August 2005, http://naftaclaims.com/Disputes/ USA/Methanex/ Methanex_Final_Award.pdf. Case analysis by Mistelis in Weiler (ed.), International Investment Law and Arbitration (Leading Cases etc.) 2005, p. 169 et seq.; Knahr, (2007) vol. 23/2 Arbitration International, p. 327, 328 et seq. 3 Cf. Horn, Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004, at p. 3 et seq.; in-depth analysis by Bjorklund in Weiler (as cited), at p. 471, 507 et seq. 4 UNCTAD/ITE/IIT/2005/4, p. 4 et seq. 5 Published by Oxford University Press; httw://www.internationalinvestmentclaims. com. 6 Convention on the Settlement of Investment Disputes Between States and Nationals of Other States (Washington Convention), 18 March 1965, 575 UNTS 159. 7 Rules of Procedure for Arbitration Proceedings (‘ICSID Arbitration Rules’), 1984, 1 ICSID Rep. 157; Rules of Procedure for the Institution of Conciliation and Arbitration Proceedings, 1984, 1 ICSID Rep. 153; cf. ICSID Convention Art. 44.
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tration Rules.8 The 20 entries of the latter group cover 15 decisions of arbitral tribunals and five state court decisions. (b) Arbitration Clauses on the Use of the Rules The use of the UNCITRAL Arbitration Rules in investment cases can be established by an arbitration clause in the respective individual investment or concession agreement with the government or by an ad hoc agreement when a dispute arises. Furthermore, national legislation on foreign investment of capital 589] importing states may open the way for arbitration under the UNCITRAL Rules.9 But the use of the Rules for the settlement of international investment claims is mainly based on investment treaties’ provisions conferring an option on the investor to initiate arbitration under these Rules. It is now well established doctrine and practice that such a provision, if it clearly expresses the willingness of the contracting states to settle investment claims by arbitration, constitutes a standing offer by the contracting State to the investor that he can accept and thus bring about a binding arbitration agreement.10 Part V Chapter 11 of the North American Free Trade Agreement, in its Article 1120, gives a disputing investor the right to submit to arbitration under (a) the ICSID Convention, provided that both the disputing Party and the Party of the investor are parties to the Convention; (b) the Additional Facility Rules of ICSID, provided that either the disputing Party or the Party of the investor, but not both, is a party to the ICSID Convention; or (c) the UNCITRAL Arbitration Rules.11 In fact, a number of cases involving the use of UNCITRAL Arbitration Rules contained in the afore-mentioned statistics are NAFTA cases. Similar options are provided by other multilateral investment treaties such as the
8 Followed by three cases of the SCC and one case each of the ICC, LCIA, PCA and Arab Investment Court. 9 McLachlan, Shore and Weiniger, International Investment Arbitration, 2007, p. 41 et seq. 10 Cremades, in N. Horn (ed.), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004, p. 346 et seq; Swiss Federal Court, anulment procedure in Saluka Investments BV v. Czech Republic, Judgement, 7 Sept. 2006, at 4.1, IIC 211 (2006). 11 NAFTA makes reference to the UNCITRAL Arbitration Rules also in arts 1126 (1) (establishing of arbitral tribunal in case of consolidation of claims), Art. 1130 (b) (place of arbitration), and Art. 1137 (1) (c) (notice of arbitration).
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ASEAN Agreement for the Promotion and Protection of Investments of 1987 (Art. X).12 Some bilateral investment treaties (BITs) contain an arbitration clause that exclusively provides for an ad hoc arbitration under the UNCITRAL Arbitration Rules. This is the case with the BIT between the Netherlands and the Czech and Slovak Federal Republic that gained some prominence through the CME v. Czech Republic case13 and more recently, European Media Ventures v. Czech Republic14 and Saluka v. Czech Republic.15 Under the BIT between the United Kingdom and Argentina, Argentina and the investor may agree on referring their dispute either to ICSID or UNCITRAL arbitration, and failing such agreement after a period of three month the parties are bound to submit their dispute to UNCITRAL Rules arbitration.16 The examples show that a number of BITs, either by express reference or implicitly, make a direct and exclusive reference to the UNCITRAL Arbitration Rules. [590] The former US Model BIT of 1994 also gave the UNCITRAL Arbitration Rules some preference providing that ‘in the absence of an agreement by the Parties to the contrary, the UNCITRAL Arbitration Rules shall govern’ (Article X (1) 2).17 The US 2004 Model BIT gives claimant a choice between ICSID, UNCITRAL Rules or, ‘if the claimant and the respondent agree, to any other arbitration institution or any other arbitration rules’ (Article 24 (3)).18 The UK Model BIT expressly provides for a choice between ICSID, ICC Arbitration and ad hoc arbitration under the UNCITRAL Arbitration Rules.19 We find similar provisions in Model BITs of Asian countries.20 The German Model BIT is less prescriptive as to the use of the UNCITRAL Arbitration Rules, simply providing for reference to the ICSID Convention ‘unless the parties in dispute agree otherwise’.21 Other Model BITs confine their dispute settlement provision to a reference to ICSID.22 This does not
12 See ASEAN Agreement for the Promotion and Protection of Investments of 1987, Art. X; Text in McLachlan, Shore and Weiniger, supra n. 9, at pp. 374, 377. This Agreement, however, deals with UNCITRAL as an arbitration institution, and does not refer to the UNCITRAL Arbitration Rules. 13 Cf. supra n. 7. 14 2007 EWHC 2851 (Comm), 5 December 2007 (High Court); see IIC 316 (2008). 15 Swiss Federal Court, 7 Sept. 2006, IIC 211 (2006). 16 AWG Group Ltd v. Argentina, Decision on jurisdiction, 3 August 2006, IIC 21 (2006). 17 Text see in McLachlan/Shore/Weiniger, supra n. 9, at p. 390. 18 For text, see ibid. p. 407. 19 UK Model BIT, Art. 8; for text, see Mclachlan, Shore, Weiniger, supra n. 9, at p. 383. 20 Art. 8 Sri Lanka Model BIT, Art. 8; for text see McLachlan, Shore, Weiniger, supra n. 9, at p. 429. 21 German Model BIT, Art. 11. For text, see McLachlan, Shore and Weiniger, supra n. 9, at p. 420. 22 Dutch Model BIT, Art. 9; France Model BIT, Art. 8; for text, see McLachlan, Shore and Weiniger, supra n. 9, at pp. 425 and 435.
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necessarily exclude the option that, in an individual investment contract concluded between the host state and the foreign investor, the parties may agree on an arbitration procedure outside ICSID, as the ICSID Convention requires the consent of both parties (Art. 25).23
II. Suitability of the UNCITRAL Rules for Investment Arbitration (a) Successful Test in Practice The first broad test of the UNCITRAL Rules in practice was their use in the proceedings before the Iran-United States International Claims Tribunal beginning in 1981. The Claims Settlement Declaration specifically provided for the application of the UNCITRAL Arbitration Rules that were only slightly modified in the specific Tribunal Rules.24 These claims comprised not only export sales, credits and public procurement contracts, but many foreign investments, and the core question of the claims was compensation for taking of property of nationals of other States; 25 thus, legal issues found also in current international investment disputes had to be settled. The surprising success of the tribunal26 is strong evidence that the UNCITRAL Arbitration Rules are suitable for arbitral proceedings on investment disputes. This success story was continued by the use of UNCITRAL Arbitration Rules in modern investment cases under NAFTA and BITs (to be discussed infra). [591] (b) Revising the Rules to Address Investment Arbitrations? There are, however, characteristic features of international investment arbitration that clearly distinguish them from international commercial arbitration. It is not so much the fact that one party is a state, a situation which is equally found in international commercial arbitration, e.g. in a dispute on an international procurement contract or bond issue of a state. In investment arbitration, however, claims are based on international law established by investment treaties (treaty claims). Moreover, the arbitral tribunals for invest-
23 For details, cf Schreuer, The ICSID Convention: A Comentary, 2001, Art. 25 no. 246 et seq. 24 Ch. N. Brower and J.D. Brueschke, The Iran-United States Claims Tribunal (1998), p. 16 et seq. 25 Cf. ibid., passim. 26 Ibid. p. 657 et seq.
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ment claims exercise a sort of administrative review of governmental acts.27 More generally, investment cases involve issues of public interest and public policy that attract the interest of the public and gave rise to a political discussion for more transparency of investment arbitration and the acceptance of amicus curiae briefs.28 This led to deliberations how to amend the UNCITRAL Arbitration Rules to better match the needs of investment arbitration. In this discussion, a number of issues were identified29: (1) how to define “investor” and “investment” in the context of BITs and NAFTA or to handle the relationship between treaty claims and contract claims to decide whether jurisdiction is established under the treaties; (2) how to overcome the multiplicity of fora by a consolidation of cases; (3) how to handle the conflict between domestic jurisdiction of the Host State and international arbitration of investment conflicts; (4) how to cope with treaty shopping by investors through a transfer of shares to obtain the shelter of a BIT; (5) how and to what extend transparency of the proceedings should be assured. This final issue comprises a wide range of questions, from the mere publicly visible registration of investment arbitration cases, to the full disclosure of documents, the access of third persons or groups to the hearings or their active participation as amicus curiae or as parties.
III. Some Recent Decisions relating to Investment Claim Arbitration under the UNCITRAL Arbitration Rules (a) What Might be Learned from the Decisions The following very brief discussion of a number of arbitral decisions in investment claim arbitrations under the UNCITRAL Arbitration Rules and their review in court serves a threefold purpose: (1) to reconsider whether and why, [592] for investment claims, the UNCITRAL Arbitration Rules today are still an attractive alternative to ICSID arbitration; (2) to find out whether a revision or amendment of the Rules is needed in order to adapt them to the needs of investment claims. In this respect, it is interesting to 27 Van Harten/Loughlin, Investment Treaty Arbitration as a Species of Global Administrative Law, 17 Europ. J. of Int’l Law (2006), 121, 146. 28 Cf. Wälde, Transparency, Amicus Curiae Briefs and Third Party Rights, 5 J World Investment and Trade (2004) 37, and the further references infra. 29 Cf. UNCTAD, Investor-State Disputes, supra n. 4, and accompanying text, p. 15–30; Center for International Environmental Law (CIEL) and Int. Institute for Sustainable Development (IISD), Revising the UNCITRAL Arbitration Rules to Address State Arbitrations, (February 2007) (available at [email protected]); UNCITRAL Working Group II (Arbitration) 46th session New York 5–9 February 2007 (A/CN.9/WG.II/WP.145 and Add.1); 48th session 4–8 February 2008 (A/CN.9/WG.II/WP.149).
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review to what extent arbitral tribunals and courts have already resolved all or part of the respective problems with the effect that a revision of the Rules may either be unnecessary or can be confined to incorporating these experiences into some new rules. By comparison, it has been observed that the revision of the ICSID Arbitration Rules in 2006 with respect to new transparency requirements closely followed the criteria that were spelled out in arbitral practice.30 (3) Irrespective of a revision of the UNCITRAL Rules to address the particular needs of investment arbitration, arbitral awards and other decisions of arbitral tribunals as well as related decisions of state courts, are of increasing importance in the field of investment claims to give guidance to arbitral tribunals although these decisions are no binding precedents.31 In this respect, an enhanced publication system is important. (b) Role of State Courts (i) Judicial review of arbitral awards in annulment proceedings It has often been said that a particular advantage of an arbitration under the ICSID Convention and Rules can be seen in the fact that this arbitration is self-contained and not subject to any review or check by State courts. In fact, foreign investors in many host countries try to avoid a judicial review by the courts of that country. The same effect, however, can be reached also outside ICSID proceedings through the determination of the place of arbitration in a third country, where the judiciary is regarded by investors as impartial and highly qualified. A review in the narrow scope of an annulment procedure under the ICSID ad hoc committee procedure and an annulment procedure under say, Swiss, English, German or Austrian law appear at least equivalent alternatives. In France Telecom Mobiles Int’l and FTML v. Lebanon, the place of arbitration was Geneva, and Respondent Lebanon, after an award was issued in early 2005 ordering it to pay claimants more than US$266 million, made a public law appeal to the Swiss Federal Court for annulment of the award; the appeal was rejected.32 Similarly, the same court, in Saluka Investments v. Czech Republic, in 2006 had to decide in an annulment procedure under Swiss law on a partial award affirming the jurisdiction of the arbitral tribunal, deciding that the Czech Republic was in breach of a provision of the DutchCzech BIT, and deferring the quantum of compensation to a second award. Cf. C. Knahr, supra n. 2 at p. 342. Precedents can only be found in arbitration related state court decisions in common law countries; their binding authority on subsequent arbitral awards is depending on the applicable substantive law. On the problem of precedents in ICSID arbitration see A. Reinisch, The Role of Precedents in ICSID Arbitration, in (2008) Austrian Arb. YB, 495. 32 Decision of 10 November 2005, IIC 2284 (2005). 30 31
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The claimant argued that an annulment recourse to a state court was excluded [593] by the arbitration clause in the investment treaty declaring an arbitral award final and binding upon the parties. The Swiss Federal Court found that the arbitration clause could not be construed this way, because the Swiss Private International Law, article 192 (1) requires that such a waiver must be express.33 The Federal Court took the opportunity to state that arbitration under the ICSID Convention also provides for a limited review of arbitral awards in the annulment procedure before the ad hoc committee.34 The Federal Court furthermore affirmed the jurisdiction of the arbitral tribunal and rejected the annulment claim of the Czech Republic.35 In European Media Ventures v. Czech Republic, the London High Court, on application by the Czech Republic, in 2007 had to decide whether to set aside an award on jurisdiction dated May 15, 2007, pursuant to Arbitration Act 1996 section 67 (1)(a), on the grounds that the arbitral tribunal lacked substantive jurisdiction.36 The challenge to the award raised the question of the scope of jurisdiction under Art. 8 of the Czech-Luxembourg-Belgian Investment Treaty and the High Court stressed the fact that it had the power to decide whether the tribunal was correct in its decision on jurisdiction.37 Applicant contended that the clause in the BIT providing for arbitration “concerning compensation” limited the jurisdiction of the arbitral tribunal to the amount of compensation; the investor was of the opinion that the jurisdiction of the arbitral tribunal also extended to whether compensation should be paid to the investor. The court took the latter view.38 The decisions demonstrate that the State Courts had to interpret the relevant investment treaty in order to determine whether the arbitration tribunal had jurisdiction, and this task does not differ from the task of an ad hoc committee under the ICSID Convention. (ii) Active role of state courts at the enforcement stage of investment cases The active role of State courts in the enforcement stage can be studied in a case that is not a BIT case but relates to an investment dispute between a foreign investor and State entities of the host state. In a long-running and infamous dispute, Kahara Bodas Company (KBC) v. Pertamina dispute, fought out in an UNCITRAL ad hoc proceeding and relating to an investment in
33 Swiss Federal Court, Czech Republic, Saluka Investments BV Judgement of 7 Sept. 2006, at no. 5.2., IIC 211 (2006). 34 Swiss Federal Court, as cited, at no. 5.4.2.3. 35 Swiss Federal Court, as cited, at no. 5.6 and 7. 36 Czech Republic v. European Media Ventures (2007) EWHC 2851 (Comm.), Judgment on Jurisdiction 5 December 2007; IIC 313 (2007). 37 Ibid. 13. 38 Ibid. 53 and 54.
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a geothermic power plant to be built by KBC in Indonesia, the final award in 1999 held the Indonesian Parties liable for breach of contract, ruling that certain Presidential decrees were force majeure events for KBC but not for government-controlled Pertamina.39 In KBC’s efforts [594] to enforce the arbitration award against sums in bank accounts in the name of Pertamina, the District Court for the Southern District of New York fined Pertamina US$500.000 for contempt of court, on the grounds that Pertamina’s CFO intentionally lied in his testimony about the sources of the funds pretending that they were assets of the Indonesian Ministry of Finance. The court abstained from fining also the Ministry for its support to the CFO of Pertamina. Pertamina did not appeal the sanctions decision of the court. Later on, the 2d Circuit Court of Appeals enjoined Pertamina from proceeding with a Cayman Islands court ruling alleging that the original arbitral award was obtained through fraud. The District Court made reference to the prior sanctions.40 The case illustrates the difference in procedural posture of the investor between an ICSID proceeding and a UNCITRAL ad hoc proceeding. One should mention here that Argentina, as late as March 2008, had not paid one cent in fulfilment of its obligations under the many awards against it in the numerous ICSID arbitration proceedings initiated as a reaction to the Argentinian crisis of 2001–2002. (c) Jurisdiction and Treaty Interpretation (Definition of Investor, Treaty Shopping, etc.) UNCITRAL Rules arbitration tribunals often have to decide questions of interpretation of a BIT or NAFTA in order to determine whether jurisdiction is established under the arbitration clause of these treaties, in a similar way as ICSID arbitrators do. In the NAFTA/UNCITRAL proceeding Canadian Cattlemen for Fair Trade v. United States, relating to restrictions imposed by the US government on the cross-border sale and transport of livestock and bovine meat, the arbitral tribunal had to decide on the status of claimants as investors. Claimants were Canadian exporters of such livestock and meat to the U.S. but claimed the status of investors within the U.S. on the grounds of the remarkable theory that all cattle in the U.S. and Canada constituted ‘one herd’. In a jurisdiction award signed 28 January 2008, the tribunal decided the question whether the arbitral tribunal had jurisdiction to consider claims under NAFTA Art. 1116 for an alleged breach of NAFTA 39 Kahara Bodas Co. LLC v. Perusahaan Pertambangan Minyak Dan Gas Bumi Negara et al. (Pertamina), UNCITRAL final award, 30 September 1999, Mealey’s Int’l Arb. Rep. (March 2001), at par. 54; short analysis in Rubins/Kinsella, International Investment, Political Risk and Dispute resolution (2005), p. 58. 40 500 F. 3d 111, 118 n. 10; comment by Thomas Wälde.
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Art. 1102 (1) where all of the claimants’ investments at issue are located in the Canadian portion of the North American Free Trade Area, and the claimants do not seek to make and have not made any investments in the territory of the US.41 The tribunal denied its jurisdiction, referring the claimants to the state-to-state dispute resolution mechanism of Chapter 20 of the NAFTA.42 In other cases, the problem was discussed that an investor seeking protection against acts of the host state of its investment may transfer the shares in this investment (subsidiary company) to a ‘mail box company’ in a country that has a BIT with the host country that offers the most favorable protection.43 This and other problems of treaty interpretation such as the status of investor or the 595] relationship between treaty claims and contract claims and the legal effects of umbrella clauses, are not specific issues of the UNCITRAL Arbitration Rules or any other arbitration rules, but have to be discussed more generally in the context of multilateral and bilateral investment treaties. (d) Consolidation of Cases In situations where there are several investment claims of different investors with a similar or identical factual background, the parties in dispute or the tribunal may find it appropriate to consolidate these cases into one proceeding. A revised Art. 15 (4) b of the UNCITRAL Rules that is still under discussion is designed to take care of the issue. NAFTA Part V chapter 11 Art. 1126 provides a procedure for such consolidation. A recent example is the UNCITRAL/NAFTA case Canadian Cattlemen for Fair Trade v. U.S., terminated by jurisdiction award of 28 January 2008.44 In this case, 51 Canadian nationals engaged in beef and cattle business brought 30 claims against the U.S between March and June 2005. By agreement of the parties, the claims were consolidated before one tribunal and all claimants were represented by the same counsel.45 The possibility to consolidate an ad hoc UNCITRAL arbitration with ICSID cases is demonstrated in the Decision on Jurisdiction of 3 August 2006 in the AWG Group Ltd v. Argentina ad hoc UNCITRAL arbitration case.46 The respective claim was originally filed with ICSID at the same time when three claims of other investors (Suez and others v. Argentina) were IIC 316 (2008), at no D. 3.6. Ibid. at I.V. 43 UNCTAD, Investor-State Disputes, supra n. 4 at p. 21 et seq.; N. Rubin, infra n. 48, at p. 9. 44 Jurisdiction award, at no. 1, IIC 316 (2008). 45 Ibid. nos. 1 and 4. 46 IIC 232 (2006). Cf. Suez and others. v. Argentina, ICSID Case No ARB/03/19. Decision on jurisdiction, 3 August 2006. 41 42
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filed. The factual background of all cases was very similar. The privatization campaign of Argentina since 1989 designed to restore its ailing public utility system, in particular the water and sewerage service of Buenos Aires, had attracted a number of foreign investors under a system of newly concluded BITs. The subsequent and well known financial crisis of Argentina and the restrictive measures imposed on foreign investors triggered a great number of investment claims. The AWG contract was under the British and Argentina BIT providing for either ICSID or UNCITRAL arbitration and, failing an agreement after a period of three month, the parties were bound to submit their dispute to UNCITRAL arbitration. After the three month had elapsed without agreement, AWG, in its request for arbitration, nevertheless invited Argentina to agree to ICSID arbitration. Argentina insisted on UNCITRAL arbitration but allowed the case, although subject to UNCITRAL rules, to be administered by ICSID. In this way, a common arbitral tribunal was constituted with the assistance of ICSID, and the Claimants filed a joint Memorial on the Merits with accompanying documentation with respect to the ICSID case and the arbitration under UNCITRAL arbitration rules. When Argentina raised objections to jurisdiction with respect to the two cases, the tribunal confirmed suspension [596] of the proceedings on the merits in accordance with ICSID Arbitration Rules article 41 (3) and UNCITRAL Rules article 21 (4) 1. Eventually, the tribunal rejected the objections to jurisdiction in its jurisdiction award of August 2006. (e) Amendment of Claims (Art. 20) In investment claims arbitration as in commercial arbitration, the claimant not unfrequently seeks to amend or supplement its claim in the light of discussion on issues of jurisdiction. In granting such amendments or supplements as provided in article of the UNCITRAL Arbitration Rules, arbitral tribunals seek to obtain some guidance, preferably from decisions in other investment rather than commercial arbitration proceeding. In its decision on objections to jurisdiction in the NAFTA/UNCITRAL case Grand River Enterprises Six Nations Ltd and others v. United States, the tribunal considered Respondents’ objections based on the claimant’s unjustifiable delay and prejudice to respondent United States, and admitted the amendment ‘in the interest of judicial economy, efficiency and coherence.’47 In doing so, the tribunal found that Art. 20 of the Rules “accords wide latitude to a party who seeks to amend the claim”, making reference to practice of the Iran-U.S. Claims Tribunal in adopting an almost identical rule derived from UNCITRAL Rules, article 20. 47
Decision, 20 July 2006, at nos. 98–100, 102, 104; ICC 128 (2006).
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(f) Transparency v. Confidentiality (Art. 25 (4)) As the commonly accepted advantage of commercial arbitration is confidentiality, the high volume of discussion on the need for more openness of investor-state arbitration48 has encouraged and contributed to the considerable publicity accompanying some investor-state arbitration proceedings under UNCITRAL Rules, such as the NAFTA/UNCITRAL cases Methanex v. United States and UPS v. Canada,49 where NGOs played their role, and the parallel UNCITRAL Rules proceedings in London and Stockholm in Lauder v. Czech Republic and CME v. Czech Republic. Apart from the public debate that an investment case may stir up in the media or in political discussion, the so called arbitral transparency has three procedural or institutional aspects: (1) post-award disclosure, (2) pre-award disclosure that allows third persons access to oral or written arbitration proceedings, and (3), as a separate issue in the pre-award phase, any active participation of non-parties in the proceeding.50 Post award disclosure means the publication of the awards in publicly accessible media similar to judgments of state courts, and perhaps of other information about [597] the dispute once the proceedings have drawn to a close. In contrast to ICSID cases, where the regular publication of all awards and other decisions is provided by the Center, there is no such an institutional publication system for investment claims arbitration under the UNCITRAL Arbitration Rules,51 with the important exception that awards in NAFTA cases including those under UNCITRAL Arbitration rules are regularly published.52 Under the present and future article 32 (5) of the UNCITRAL Arbitration Rules, the making public of an award still requires the consent of all parties.53 In recent years, however, an unofficial but regular and comprehensive website publication has been established of all known awards and other decisions in investment cases (also outside NAFTA) including the deci-
48 UNCTAD, Investor-State Disputes, supra n. 4; CIE and IISC, Revising the UNCITRAL Arbitration Rules, supra n. 29; N. Rubins, ‘Opening the Investment Arbitration Process: At What Cost, for What Benefit?’ Volume 3 (3) Transnational Dispute Management (June 2006); C. Knahr, Transparency, Third Party Participation and Access to Documents in International Investment Arbitration, in (2007) 23(2) Arb. Int’l 327. 49 Decision of the Tribunal on Petition for Intervention as amici curiae, 17 October 2001. 50 Cf. Rubins, supra n. 48, at p. 2. 51 With the exception of cases administered by the Center because they are consolidated with an ICSID arbitration case, as, e.g., in the afore-mentioned AWG v. Argentina investment arbitration. 52 UNCTAD, Investor-State Disputes, supra n. 4 at p. 23. 53 Draft Revision of the UNCITRAL Arb. Rules adds the alternative: ‘or where and to the extent disclosure is required of a party by legal duty, to protect or pursue a legal right or in relation to legal proceedings before a court or other competent authority’.
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sion of state courts relating to such cases.54 It is still possible that an investment claim is not covered by this system, but one may assume that the majority are. Pre-award disclosure comprises various aspects. The systematic publication of basic information about an investment dispute as carried out by ICSID does not exist for cases not administered by ICSID. The circulation of pleadings and hearings transcripts, however, is practised in NAFTA/UNCITRAL cases.55 In The Methanex Corp. v. United States arbitration under NAFTA and UNCITRAL Rules, the Canadian Government, „although mindful of the confidentiality obligations imposed by Art. 25(4) of the UNCITRAL Arb. Rules, ... supported disclosure of arbitral submissions, orders and awards to the fullest extent possible“.56 One step further is the access by non-party stakeholders or of the general public to attend or observe oral hearings which, under UNCITRAL Arbitration Rules, article 25 (4), requires the consent of all parties. In Canadian Cattlemen for Fair Trade v. United States, decided in January 2008, the parties agreed to endeavor to make arrangements for a one-way video conference transmission of all substantive hearings including the hearing on the preliminary issue, so that those hearings might be viewed by the public in a room separate from the hearing room.57 The United States, in their recent Free Trade Agreements and BITs, provided for hearings open to the public.58 There is no general rule of confidentiality written into the UNCITRAL Arbitration Rules that would prohibit public discussions of the arbitration proceedings, and each of the parties is still free to speak publicly of the arbitration, unless the parties agreed on a limitation.59 [598] (g) Amici curiae (Art. 15 (1)) In the investment cases Methanex v. United States and UPS v. Canada, two NAFTA/UNCITRAL arbitrations, the arbitral tribunals, in decisions made in 2001, found that they had discretion to admit written amici curiae briefs under the provisions of Art. 15 (1) UNCITRAL Arbitration Rules, which give them power to conduct the arbitration in such a matter as it con-
See supra n. 5. Cf. NAFTA Chapter 11; UNCTAD, Investor-State Disputes, supra n. 4 at p. 23; N. Rubins, supra n. 48 at p. 2. 56 Methanex Corp. v. United States, Decision, 15 January 2001, at no. 10. 57 Jurisdiction Award, signed 28 January 2008, no. 3, IIC 316 (2008). 58 UNCTAD, Investor-State Disputes, supra n. 4, at p. 23. 59 Obiter dictum of the ICSID arbitrators in Metalclad v. Mexico, ICSID Case No. ARB(AF)/97/1, Determination, 27 October 1997, cited in final award, 30 August 2000; Volume 16 ICSID Review (2001), p. 168. 54 55
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siders appropriate, provided that the parties are treated with equality and each party is given a full opportunity of presenting its case.60 The tribunals held that this provision did not grant them the power to add the petitioners in the arbitration as new parties. They furthermore found that they were not empowered to give them access to the oral hearings unless the parties agreed otherwise (UNCITRAL Arbitration Rules, article 25(4)). The tribunals found that the intervention of an amicus curiae assisted in providing a fuller picture of the legal and socio-economic consequences of their awards for the public, was appropriate to render the arbitral process more transparent and would favor the acceptance of the legitimacy of international investment arbitration in the general public.61 In 2005, an ICSID arbitral tribunal in Aguas Argentinas, Suez, S.G.A.Barcelona, S.A. and Vivendi Universal, S.A. v. Argentina followed the example of admitting an amicus curiae, on the grounds that Art. 44 of the ICSID Convention gives the tribunal similar powers as those found under UNCITRAL Rules, Article 15 by the Methanex tribunal.62 The admission of an amicus curiae appears to be now established practice, as can be seen, e.g., in AWG Group Ltd. v. Argentina, a UNCITRAL arbitration joined with an ICSID case, where the tribunal issued an order in response to a petition for participation as amicus curiae setting out the conditions for such participation.63 In admitting amicus curiae briefs, the arbitral tribunals were inspired by WTO practice and the practice of domestic U.S. courts. The tribunals spelled out the criteria for accepting non-disputing party submissions as amicus curiae which a tribunal must evaluate on a case to case basis. A case must be appropriate for the participation of non-disputing parties and the parties must be suited for such participation. The case will be appropriate when a significant public interest is involved. In Methanex, where claimant sought compensation in the amount of US$ 930 million resulting from losses caused by a ban to use a certain gasoline additive, important issues of protection of the environment and future environmental legislation in the three NAFTA countries were asserted by the third entities seeking [599] participation and accepted by the tribunal. The arbitrators equally affirmed the suitability of 60 Methanex Corp. v. United States, Decision on petitions to intervene as amici curiae, 15. January 2001; United Parcel Service of America Inc. v. Canada, Decision on petitions for intervention as amici curiae, 17 Oct. 2001. In-depth analysis by C. Knahr, supra n. 48. 61 Methanex, supra n.60 at para 49; UPS, supra n. 59 at para 70; cf. A. Mourre, ‘Are amici curiae the proper response to the public’s concerns on transparency in investment arbitration?’, 21th Annual Joint Symposium of Arbitrators Vienna March 2006; Knahr, supra n. 48. 62 Compania de Aguas del Aconquija and Vivendi Universal v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/97/3, Order to admit amici curiae, 19 May 2005, para 22. 63 Decision of 19 May, 2005, available at www.worldbank.org/icsid; cf. also Decision on jurisdiction, 3 Aug. 2006, IIC 232 (2006).
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the petitioners that were NGOs, apparently independent of the parties in the dispute and with credentials of expertise in environmental issues. In UPS, claimant asserted anti-competitive conduct of Canada. A Canadian trade union and another Canadian NGO petitioned to be admitted as parties or at least as amici curiae, claiming both to be adversely affected by an award, but also asserting broader public policy implications of the case.64 In Aguas Argentinas, Vivendi and others v. Argentina, the dispute centred on the water distribution and sewage system of a large metropolitan area and this public service, in the tribunal’s view, represented an important public interest. The tribunal held that the participation of certain civil society groups could offer the tribunal valuable arguments and expertise and enhance the transparency of the proceedings. The tribunal, however, adopted a thorough examination of the petitioners as to their competence, background, membership, financial resources and independence of the parties in dispute, and as a result of insufficient evidence, it denied them admission as amici curiae.65
IV. Reactions to the Arbitral Decisions on Transparency and Amicus Curiae Participation (a) NAFTA The NAFTA Free Trade Commission (FTC), in July 2001, adopted an interpretation of Chapter 11 provisions on access to documents and the minimum standard of treatment.66 It made clear that nothing in the NAFTA precludes the parties to a dispute from providing public access to documents submitted to, or issued by, a Chapter 11 tribunal. The parties will enter into an agreement on the public availability of documents; confidential business information that is protected by law can be kept confidential. Not only final awards, but also parties’ submissions and orders of the tribunal have been made public this way.67 In October 2003, the FTC issued a statement on the participation of non-disputing parties.68 The statement provides for a two step procedure: an application for leave to file a brief, followed by the actual submission if leave is conferred. In determining whether to grant admission, the tribunal will examine whether the non-disputing party’s submission
64 Decision of the Tribunal on Petitions for Intervention and participation as amici curiae , 17 Oct. 2001. 65 For a detailed analysis, cf . C. Knahr, supra n. 48 at p. 350 et seq. 66 NAFTA Free Trade Commission, Notes of Interpretation of Certain Chapter 11 Provisions, 31 July 2001. 67 Cf. C. Knahr, supra n. 48 at p. 343 et seq. 68 Statement of the Free Trade Commission on non-disputing party participation, 44 ILM 796 (2005).
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would assist the tribunal through a new perspective, information or expertise beyond the submissions of the parties to the dispute, the submission will address issues within the scope of the dispute, the non-disputing party has an significant interest in the arbitration, and there is a public interest in the subject matter of the arbitration.69 [600] (b) ICSID In April 2006, Rule 32 and Rule 37 of the ICSID Arbitration Rules were amended to handle the new issues of transparency and amici curiae participation.70 Under Rule 32 (2), unless either party objects, the tribunal, after consultation with the Secretary General, may allow other persons to attend or observe oral hearings. The tribunal, however, must in such cases establish procedures for the protection of proprietary or privileged information. Under Rule 37 (2), the tribunal, after consulting both parties, may allow a non-disputing party to file a written submission with the tribunal regarding a matter within the scope of the dispute. The rule provides criteria for an admission of non-disputing party submissions similar to those laid down by the NAFTA FTC. (c) Discussion of Pros and Cons The pros and cons of enhanced transparency and amicus curiae participation were intensely discussed in legal literature and, to some extent, by the general public. Most of the arguments advanced had already been put forward in the leading decisions Methanex, UPS and Aguas Argentinas. Enhanced transparency of investment arbitration involving issues of public interest was described as ‘filling a democratic gap’, the participation of amici curiae seen as a way to provide more information and arguments for the decision of the tribunal, and as beneficial for a harmonization of arbitral jurisprudence.71 Among the arguments against were increased costs and time, as already addressed in the Methanex case. Reduced confidentiality could do harm to a party; on this point, some safeguards are possible and have already been adopted by the tribunals and in the amendment of the ICSID Arbitration Rules. More important, however, are the effect of repoliticization of investment disputes and the reduced chances for an amicable settlement.72
Cf. Knahr, supra n. 48 at p. 340. New Amendments to the ICSID Rules and Regulations and the Additional Facility Rules, effective 10 April 2006, available at www.worldbank.org/icsid/052405-sgmanual.pdf. 71 Cf. Rubins, supra n. 48 at. p. 3 et seq.; Reinisch, supra n. 31 at pp. 495, 498 et seq. 72 Rubin, at p. 6. 69 70
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V. Concluding Remarks From the beginning, UNCITRAL Arbitration Rules have proved to be suitable also for investment arbitration, although the text does not address the specific issues of investment claims against governments (and the revision of the Rules that is under way will not address them either). Decisions and awards in investment cases under the UNCITRAL Arbitration Rules have paved the way for the new responses to the claims for transparency and third party submissions which have been voiced over the last seven years or so. These decisions have aimed to balance the interests of those who wanted to open the proceedings to non-disputing parties and the public, on the one hand, and the interests of the [601] parties to have an efficient dispute settlement without undue delay, extra costs and lack of confidentiality, on the other. The underlying philosophy of the Rules allowing them to be interpreted and adopted in a flexible way, in particular, article 15 on the power of the tribunal, and article 25 (4) on confidentiality, was a sufficient legal basis to open the proceedings for transparency requirements and the admission of amicus curiae briefs and submissions, and to define certain limits in this respect. One could conclude that a revision of the Rules is not needed. As NAFTA and ICSID, however, have given express answers to these issues, it would surely preferable to amend the UNCITRAL Rules, to make it expressly clear that the Rules have been kept up to date with these challenges and remain as fit for investment claims as they have always been.
Erfüllungsverweigerung wegen Notstandes bei internat. Staatsanleihen Erfüllungsverweigerung wegen Notstandes bei internationalen Staatsanleihen In Festschrift für Gerd Nobbe, 2009, S. 601–618 Inhaltsübersicht I. Ein Problem des internationalen Anlegerschutzes II. Der argentinische Staatsnotstand 2001/2002 III. Staaten als Schuldner von Auslandsanleihen IV. Haftungseinschränkung durch staatliche Notstandsgesetze? V. Völkerrechtlicher Staatsnotstand als zeitweiliger Erfüllungsverweigerungsgrund? VI. Zum Vergleich: Notstandseinrede bei völkerrechtlichem Investorenschutz VII. Notstandseinrede als allgemeiner Rechtsgrundsatz? VIII. Kein Schuldaufhebungsgrund IX. Vollstreckungszugriff auf Vermögen des Schuldnerstaates im Inland X. Umschuldungsverhandlungen und Moratorium
I. Ein Problem des internationalen Anlegerschutzes Zu den rechtsethischen und rechtspolitischen Konstanten des Banks- und Finanzmarktrechts gehört die Frage, wieweit das Recht private Anleger, Kreditnehmer und Sicherungsgeber vor Risiken schützen kann, die sie nicht übersehen.1 Dabei spielt neben dem deutschen Recht das europäi- [602] sche 1 Als Beispiel ist zu nennen die eindrucksvolle (unendliche?) Geschichte der Rechtsprechung des XI. Senats des BGH zum Schutz glückloser Anleger kreditfinanzierter Kapitalanlagen in verbundenen Geschäften. Vgl. nur die drei Urteile v. 25.4.2006 – XI ZR 29/05, ZIP 2006, 987 = ZfIR 2006, 513 (realkreditfinanzierte Immobilienfondsbeteiligung), dazu EWiR 2006, 351 (Kindler/Libbertz); v. 25.4.2006 – XI ZR 106/05, ZIP 2006, 1084 = ZfIR 2006, 509 (Finanzierung eines Immobilienfondsbeitritts), dazu EWiR 2006, 477 (Häublein); v. 25.4.2006 XI ZR 193/04, BGHZ 167, 223, 239, 252 = ZIP 2006, 940 = ZfIR 2006, 461 (Widerruf nach HWiG), dazu EWiR 2006, 445 (Medicus); ferner: BGH, Urt. v. 16.5.2006 – XI ZR 6/04, BGHZ 168, 1 = ZIP 2006, 1187 = ZfIR 2006, 623 = ZBB 2006, 365 (Aufklärungsverschulden bei kreditfinanziertem Immobiliengeschäft), dazu EWiR 2006, 463 (Rösler); BGH, Urt. v. 19.9.2006 – XI ZR 204/04, ZIP 2006, 2262 = ZfIR 2007, 287 = NJW 2007, 357 (Nachweis von Täuschung und Schaden bei institutionalisiertem Zusammenwirken), dazu EWiR 2007, 295 (Häublein); BGH, Urt. v. 21.11.2006 – XI ZR 347/05, ZIP 2007, 264 = ZfIR 2007, 132 = NJW 2007, 1127 (Aufklärungsverschulden der Bank bei institutionalisiertem Zusammenwirken mit arglistig handelnden Fondsinitiatoren), dazu EWiR 2007, 321 (Kulke); BGH, Urt. v. 24.4.2007 – XI ZR 191/06, ZIP 2007, 1152 = ZfIR 2007,
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Gemeinschaftsrecht eine gewichtige Rolle.2 Der folgende Beitrag führt geografisch darüber hinaus und behandelt ein aktuelles und zugleich klassisches Problem des internationalen Anlegerschutzes: Schutz und Durchsetzung von Rechten der Anleger internationaler Anleihen (Obligationäre). Mit solchen Fragen hat sich in jüngerer Zeit das Bundesverfassungsgericht in Urteilen von 20063 und 20074 im Hinblick auf argentinische Auslandsanleihen befasst; dabei waren Grundsatzfragen des internationalen Rechtsschutzes berührt. Die Entscheidungen sind Anschauungsmaterial für die Tatsache, dass sich auch im Bank- und Finanzmarktrecht die immer stärkere globale Verflechtung unserer Wirtschaft und ihres Rechts spiegelt und dass die wirtschaftlichen und rechtlichen Auswirkungen der Wirtschaftskrisen ferner Länder auch in Deutschland Rechtsfragen aufwerfen, die von den Gerichten zu beantworten sind. Der Beitrag ist Gerd Nobbe gewidmet, der als langjähriges Mitglied und Vorsitzender des für Bankrecht zuständigen Senats des Bundesgerichtshofs die Entwicklung dieses für das allgemeine Zivil- und Wirtschaftsrechts immer wichtiger gewordenen Rechtsgebiets verantwortlich begleitet und mitgestaltet hat und dem unsere Glückwünsche für seine erfolgreiche richterliche Tätigkeit und für die Zukunft gelten. Meine Hoffnung, mit dem Beitrag das Interesse des Jubilars zu finden, gründet sich nicht nur darauf, dass er mit der im Folgenden besprochenen Problematik meines Wissens befasst war, sondern auch darauf, dass der Untersuchungsgegenstand ein etwas anderes Licht auf die klassischen Fragen wirft, die ihn sein ganzes Berufsleben beschäftigt haben: Anlegerschutz, Vertragstreue, Schuldnerschutz. [603]
II. Der argentinische Staatsnotstand 2001/2002 Anlass für die genannten Urteile des Bundesverfassungsgerichts und vorgängiger instanzgerichtlicher Befassung war die argentinische Wirtschaftskrise 2001/2002 und der daraufhin erklärte Staatsnotstand und die beglei761 = NJW 2007, 2762 (Zusatz zur Widerrufsbelehrung nach HWiG bei kreditfinanziertem Fondsbeitritt; Aufgabe von BGH, Urt. v. 14.6.2004 – II ZR 385/02, WM 2004, 1527, 1528), dazu EWiR 2007, 597 (Rösler). 2 Zum vorstehend (Fußn. 1) genannten Beispiel vgl. nur EuGH, Urt. v. 25.10.2005 – Rs C-350/03 – Schulte, ZIP 2005, 1959 = ZfIR 2005, 815 = ZBB 2005, 436 = WM 2005, 2079, dazu EWiR 2005, 835 (Derleder), und EuGH, Urt. v. 25.10.2005 – Rs C-229/04 – Crailsheimer Volksbank, ZIP 2005, 1965 = ZfIR 2005, 821 = ZBB 2005, 442 = WM 2005, 2086, dazu EWiR 2005, 837 (Derleder); dazu BGH, Urt. v. 16.5.2006 – XI ZR 6/04, BGHZ 168, 1 = ZIP 2006, 1187 = ZBB 2006, 365 = ZfIR 2006, 623, dazu EWiR 2006, 463 (Rösler). 3 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, WM 2007, 57 = DVBl 2007, 242; dazu unten IX. 4 BVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u. a., NJW 2007, 2610, 2614, mit Sondervotum Lübbe-Wolff.
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tenden gesetzlichen Maßnahmen 2001/2002. Ihre externen Auswirkungen betrafen zahlreiche ausländische Direktinvestitionen in Argentinien und daneben auch das Schicksal der internationalen Anleihen Argentiniens und den Schutz ausländischer Anleihegläubiger Argentiniens. Sie beschäftigten die deutschen Gerichte erstens mit der Frage der einseitigen Haftungsbefreiung oder Haftungseinschränkung des Schuldnerstaates unter den besonderen Bedingungen des Staatsnotstandes. Zweitens ging es um den Zugriff auf Vermögen des Schuldnerstaates in Deutschland. Argentinien wurde 2001/2002 von einer tiefgreifenden und allgemeinen Wirtschaftskrise erfasst, die längere Zeit andauerte und u. a. zur Vernichtung des größten Teils der Sparvermögen argentinischer Bürger führte. Argentinien erklärte Anfang 2002 den öffentlichen Notstand und die Reform der Wechselkurssysteme. Eine Umschuldung internationaler Verbindlichkeiten und internationaler Zahlungen unter Anordnung eines Moratoriums wurde verfügt.5 Argentinien hat 2004 den betroffenen Anleihegläubigern eine Umschuldung unter Verzicht auf 70 % des Kapitals und auf die aufgelaufenen Zinsen angeboten. Im Ergebnis stimmten zahlreiche Gläubiger zu.6 Andererseits ist aus Anwaltskreisen in Buenos Aires zu hören, dass sich ausländische Banken, die an der Emission und Platzierung der Auslandsanleihen des argentinischen Staates mitgewirkt hatten, zu Teilentschädigungen von argentinischen (!) Anlegern dieser Anleihen vergleichsweise bereitfanden. Die Notstandsgesetzgebung wurde mehrfach verlängert, zuletzt bis Ende 2007,7 trotz der inzwischen eingetretenen wirtschaftlichen Erholung Argentiniens.8 [604]
III. Staaten als Schuldner von Auslandsanleihen Das Problem notleidender Staatsanleihen, die international emittiert und von Angehörigen anderer Staaten erworben werden, ist sozusagen ein Klassiker in der modernen Geschichte der internationalen Wirtschaftsbeziehungen
5 Gesetz Nr. 25.561 vom 6. Januar 2002 über den öffentlichen Notstand und die Reform der Wechselkurssysteme; VO Nr. 256/2002 vom 6. Februar 2002 über die Umschuldung internationaler Verbindlichkeiten und internationale Zahlungen unter Anordnung eines Moratoriums. 6 Cranshaw, Fragen der gerichtlichen Durchsetzung von ausländischen Staatsanleihen, DZWIR 2007, 133, 135. 7 Gesetz Nr. 26.204 vom 13.12.2006. 8 Argentinien hat 2005 seine gesamten Verbindlichkeiten gegenüber dem Internationalen Währungsfonds vorzeitig zurückgezahlt. Zur wirtschaftlichen Erholung Argentiniens siehe auch OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, NJW 2006, 2931, dazu EWiR 2006, 557 (Schmeter), in einem die Zahlungsklage von Gläubigern einer betroffenen Argentinienanleihe zusprechenden Urteil.
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und völkerrechtlichen Beziehungen.9 Argentinien ist als staatlicher Anleiheschuldner seit langem aktiv an dieser Geschichte beteiligt,10 Die neuere Entwicklung nimmt ihren Ausgangspunkt11 bei der um 1900 praktizierten Kanonenboot-Diplomatie der europäischen Staaten und Nordamerikas zur Eintreibung auswärtiger Schulden, die gerade in Lateinamerika eine heftige rechtliche Abwehrreaktion hervorrief, nämlich die Drago-Doktrin über die Unverbindlichkeit staatlicher Anleiheschulden12 und die Calvo-Doktrin, welche die Intervention ausländischer Staaten (d. h. diplomatischen Schutz) bei der Durchsetzung der Rechte ausländischer Privatgläubiger ablehnte. Calvo forderte entsprechende Verzichtsklauseln der Anleihegläubiger in den Anleihebedingungen, die dann in der Praxis auch üblich wurden (CalvoKlausel).13 Die Bewältigung dieser für die Gläubigerrechte ausländischer Privatpersonen und Privatunternehmen ganz unbefriedigenden Position führte dann schrittweise zum heutigen internationalen Rechtszustand. Er besagt, dass privatrechtliche Schulden von Staaten aus Verträgen mit Privatpersonen (Unternehmen) dritter Staaten im Grundsatz international verbindlich sind14 und Staaten bei Verbindlichkeiten aus privatwirt- [605] schaftlichen Geschäften (iure gestionis) gegenüber Klagen der Gläubiger vor den Gerichten eines anderen Staates ihre Immunität nicht einwenden können.15 Die weltweite Anerkennung dieser Grundsätze ist freilich noch immer lückenhaft.16 Über9 Borchard/Wynne, State Insolvency and Foreign Bondholders, 2 Bde, 1951; Horn, The Restructuring of International Loans and the International Debt Crisis, International Business Lawyer 1984, 400–409; ders., Rechtsfragen internationaler Umschuldungen, WM 1984, 713–721. 10 Vgl. nur Cranshuw, DZWIR 2007, 133, 134 Fußn. 13. Dazu unten VIII. 11 Rechtshistorisch ist diese Zäsur etwas missverständlich. Die Geschichte notleidender Anleihen reicht sehr viel weiter zurück; vgl. nur die Hinweise bei Borchard/Wynne (Fußn. 9), passim, und Siebel, Rechtsfragen internationaler Anleihen, 1997, S. 155 f und passim. 12 Drago, Les emprunts d’Etat et leurs rapports avec la politique internationale, Rev. gén. de droit international public, 1907, 251; dazu Görtz, Auswärtige Anleihen, 1926, S. 224 und passim; siehe schon Politis, Les emprunts d’Etat en droit international, Paris 1894. 13 Borchard/Wynne (Fußn. 9), Bd. I, S. 244; Brownlie, Principles of Public International Law, 1990, S. 546. 14 Horn, Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 61 ff; Siebel (Fußn. 11), S. 142 ff, 153 ff; jeweils m. Nachw. Allg. Böckstiegel, Der Staat als Vertragspartner ausländischer Privatunternehmen, 1970. 15 BVerfG, Beschl. v. 6.12.1963 – 2 BvM 1/62, BVerfGE 16, 27 ff, 62 ff (Iran-Beschluss); v. Schönfeld, NJW 1986, 2980, 2984; USA: Foreign Sovereign Immunities Act 1976 vom 21.10.1976, in Kraft ab 19.1.1977 (28 U.S.C. §§ 1602–1611 (as amended 2002); Großbritannien: State Immunity Act 1978 vom 22.11.1978; Trendtex Trading Corp. v. Central Bank of Nigeria, 1 AllER (1977), 881; Alcom Ltd v. Republic of Columbia, 2 W.L.R. (1984), 750. Frankreich: Carreau, Droit International, 2e ed. 1988, S. 350. 16 Zwei internationale Abkommen über die Einschränkung der Staatenimmunität im Privatrechtsverkehr sind noch nicht in Kraft: (1) UN Convention on Jurisdictional Immu-
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dies sind Einzelheiten der Abgrenzung des privatwirtschaftlichen Handelns der Staaten (iure gestionis) von hoheitlichem Handeln (iure imperii) noch weiter klärungsbedürftig. Es hat sich daher eingebürgert, dass Staaten bei Anleihen, die sie bei ausländischen Anlegern platzieren wollen, in den Anleihebedingungen ausdrücklich auf ihre Immunität verzichten, so auch bei den hier angesprochenen argentinischen Anleihen.17
IV. Haftungseinschränkung durch staatliche Notstandsgesetze? Gegenüber den Zahlungsklagen von Obligationären argentinischer Staatsanleihen, die in Deutschland erhoben wurden, berief sich Argentinien u. a. darauf, dass seine Notstandsgesetzgebung, die ein einseitig verkündetes Moratorium und eine einseitige Herabsetzung der Zahlungsansprüche einschloss, gemäß Art. VIII 2 (b) Satz 1 des Statuts des Internationalen Währungsfonds internationale Anerkennung beanspruchen könne. Die extraterritoriale Anwendbarkeit wirtschaftsrechtlicher Eingriffsnormen, wie sie die argentinische Notstandsgesetzgebung darstellt, folgt nicht den Regeln des Internationalen Privatrechts,18 sondern wird selbständig vom erlassenden Staat bestimmt. Dieser legt die extraterritoriale Wirkung der eigenen Norm nach bestimmten Tatbestandsmerkmalen (namentlich nach [606] dem sog. Auswirkungsprinzap19) fest. Im Ergebnis ist aber die extraterritoriale Anerkennung solcher Eingriffsnormen durch ein ausländisches Gericht oder eine ausländische Behörde davon abhängig, dass entweder ein bilaterales völkerrechtliches Abkommen zwischen dem Erlassstaat und dem Anwendungsstaat besteht (z. B. ein Doppelbesteuerungsabkommen) oder dass das angerufene ausländische Gericht oder die Behörde in einer Abwägung des Geltungsanspruchs der ausländischen Norm mit den öffentlichen Interessen der eigenen Rechtsordnung die Anwendung nach comitas zulässt.20 nities of States and Their Property, UN-Resolution 59/38 vom 2.12.2004; (2) European Convention on State Immunity, Basel 16.5.1972. 17 Vgl. den Fall OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, NJW 2006, 2931, dazu EWiR 2006, 557 (Schroeter): Argentinische Anleihe mit Wahl deutschen Rechts und deutscher Gerichtsstand plus Immunitätsverzicht. Zu den Grenzen dieses Immunitätsverzichts BVerfG, Beschl. v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, WM 2007, 57 – DVBl 2007, 242. Dazu unten IX. 18 Vgl. für deutsche Eingriffsnormen Art. 34 EGBGB. 19 Ein Beispiel bietet das Wettbewerbsrecht, wo § 130 Abs. 2 GWB als einseitige Kollisionsnorm Einwirkungen auf den deutschen Markt extraterritorial nach dem Auswirkungsprinzip abwehrt. Entsprechende Normen anderer Staaten fügen sich zu einem System einseitiger Kollisionsnormen des Schutzes des eigenen Marktes zusammen; Staudinger-Fezer/ Koos, BGB, Neubearb. 2006, Int. WirtschaftsR Rz. 57 ff, 90 ff. 20 Allg. Heymann-Horn, HGB, 2. Aufl., 2005, Vor S 343 Rz. 104; K. P. Berger, in Herrmann/Berger/Wackerbarth, Bank- und Wirtschaftsrecht im Wandel (Symposium N. Horn), 1996, S. 148 ff.
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Art. VIII 2 (b) Satz 1 IWF-Statut als Norm des Vertragsvölkerrechts regelt dagegen einen der seltenen Fälle, dass ein Staat für seine wirtschaftsrechtlichen Eingriffsnormen eine internationale Anerkennung der extraterritorialen Wirkung dieser Normen durch alle anderen Vertragsstaaten einer Konvention (IWF-Statut) erhält. Danach kann aus Devisenkontrakten, die die Währung eines Mitgliedstaats berühren und den von diesem Mitgliedstaat im Einklang mit dem IWF-Statut erlassenen Devisenkontrollbestimmungen zuwiderlaufen, vor den Gerichten der anderen Mitgliedstaaten nicht geklagt werden. Der Umstand, dass die Schuldwährung der Anleihen nicht die argentinische Währung, sondern die deutsche Währung war, hinderte die Anwendung der Norm im vorliegenden Fall nicht; es kommt nur auf den Schutz der Devisenbestände des Erlassstaates an.21 Da aber die Norm nur Devisenkontrakte und damit den internationalen Zahlungsverkehr erfasst, nicht aber Geschäfte des Kapitalverkehrs, haben schon die Instanzgerichte22 in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Anwendbarkeit der [607] Norm im vorliegenden Fall zutreffend verneint.23 Außerdem standen die Notstandsgesetze nicht im Einklang mit dem IWF-Statut. Denn da sie nach dem Beitritt Argentiniens zum Internationalen Währungsfonds erlassen wurden, hätte es der Genehmigung durch den Fonds bedurft.24
V. Völkerrechtlicher Staatsnotstand als zeitweiliger Erfüllungsverweigerungsgrund? Der Schuldnerstaat Argentinien berief sich weiterhin darauf, dass der erklärte Staatsnotstand nach Völkerrecht einen Ausschluss oder eine Beschränkung der Haftung des argentinischen Staates als des Anleiheschuldners bewirke. Der Tatbestand des Staatsnotstandes ist eine Institution des allgemeinen Völkergewohnheitsrecht, kann aber auch seine besondere Regelung in völkerrechtlichen Verträgen finden. Das Völkergewohnheitsrecht hat eine Konkretisierung der Rechtsinstitution in Art. 25 des Konventionsentwurfs der International Law Commission von 2001 über Staatenverant-
Auch diese Kollisionsnorm folgt dem Auswirkungsprinzip (Einfluss auf den Devisenbestand des Mitgliedslandes); Grothe, Fremdwährungsverbindlichkeiten, 1999, S. 122. 22 LG Frankfurt/M., Urt. v. 14.3.2003 – 2–21 O 294/02, WM 2003, 783, 785; OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, NJW 2006, 2931, dazu EWiR 2006, 557 (Schroeter). 23 BGH, Urt. v. 8.11.1993 – II ZR 216/92, ZIP 1994, 132 = NJW 1994, 390; Pfeiffer, ZVglRWiss 2003, 141, 178. 24 BGH, Urt. v. 10.3.1994 – IX ZR 98/93, ZIP 1994, 720 = NJW 1994, 1868, dazu EWiR 1994, 473 (Grub). 21
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wortlichkeit gefunden.25 Dieser Entwurf, der noch nicht zum Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags geführt hat, kann zwar noch nicht als Völkergewohnheitsrecht qualifiziert werden, ist aber ein Indiz einer allgemeinen Rechtsüberzeugung, wie sie für die Bildung von Völkergewohnheitsrecht vorausgesetzt wird, und findet, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 8. Mai 2007 ausführt, eine Entsprechung in neueren Äußerungen des Internationalen Gerichtshofs.26 Der Staatsnotstand kann Maßnahmen des Staates rechtfertigen, die an sich völkerrechtswidrig wären, wenn die Maßnahmen die einzige Möglichkeit für den eingreifenden Staat sind, ein wesentliches Interesse vor einer schweren und unmittelbar drohenden Gefahr zu schützen, und andererseits kein wesentliches Interesse anderer Staaten oder der gesamten [608] internationalen Gemeinschaft ernsthaft beeinträchtigt wird. Ausgeschlossen ist die Berufung auf den Staatsnotstand, wenn die verletzte völkerrechtliche Norm diese Verteidigungsmöglichkeit ausschließt oder wenn der eingreifende Staat selbst zur Notstandssituation beigetragen hat. Die Republik Argentinien machte geltend, eine Notstandssituation bestehe, wenn wesentliche Interessen des Staates gefährdet seien. Bei der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Staates handele es sich um ein solches schutzwürdiges wesentliches Interesse, weil die Zahlungsunfähigkeit des Staates die Erfüllbarkeit aller Staatszwecke beeinträchtige. Die Notstandsmaßnahmen seien die einzige Möglichkeit zur Abwehr gewesen und entsprächen auch der geforderten Interessen- und Güterabwägung. Die Frage, ob der Staat die Wirtschaftskrise selbst verschuldet habe, sei wegen der Komplexität der Frage und der globalen Abhängigkeit der nationalen Wirtschaft einer gerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich; das Gericht müsse sich auf eine Kontrolle beschränken, ob der Staat willkürlich gehandelt habe.27 Die letztere Auffassung läuft darauf hinaus, dass die Frage, ob überhaupt ein Notstand vorliege, der gerichtlichen Überprüfung weitgehend entzogen sei; sie wird weder in der deutschen und internationalen Rechtsprechung noch in der Schiedsgerichtsbarkeit geteilt.28
25 Draft Convention on State Responsibility for Internationally Wrongful Acts, United Nations General Assembly A/RES/36/83 vom 12.12.2001. 26 Das BVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u. a., NJW 2007, 2610, 2612, Rz. 35–46, nennt die Entscheidung des IGH v. 25.9.1997 im Fall Gabcikovo-Nagymaros Project (Hungary/Slovakia), I.C.J.Reports 1997, 7 ff Rz. 51, und die Advisory Opinion des IGH zum Bau der israelischen Sperrmaßnahmen, 43 ILM 2004, 1009 ff. 27 Zum Vortrag Argentiniens BVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u. a., NJW 2007, 2610 (A III 3). 28 Vgl nur OLG Frankfurt/M., Urt. v. 13.6.2006 – 8 U 107/03, NJW 2006, 2931, dazu EWiR 2006, 557 (Schroeter); Lübbe-Wolff, Abweichende Meinung in BVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u. a., NJW 2007, 2610, 2614 f, Rz. 73; zur Schiedsgerichtsbarkeit Schill, Staatsnotstand und internationales Investitionsschutzrecht, SchiedsVZ 2007, 178,
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Auf Vorlagebeschlüsse des AG Frankfurt/M. entschied das Bundesverfassungsgericht, es sei keine allgemeine Regel des Völkerrechts feststellbar, die einen Staat gegenüber Privatpersonen berechtige, die Erfüllung fälliger privatrechtlicher Zahlungsansprüche unter Berufung auf den wegen Zahlungsunfähigkeit erklärten Staatsnotstand zeitweilig zu verweigern.29 Zwar sei im Völkergewohnheitsrecht die Berufung auf den Staatsnotstand als Rechtfertigungsgrund für die Verletzung von Pflichten aus völkerrechtlichen Rechtsverhältnissen anerkannt. Dies finde jedoch keine Anwendung auf rein privatrechtliche Ansprüche von Privatpersonen, die [609] Angehörige anderer Staaten sind.30 Die Anerkennung des Staatsnotstandes mit Auswirkung auf Privatrechtsverhältnisse sei gewohnheitsrechtlich nicht verankert.
VI. Zum Vergleich: Notstandseinrede bei völkerrechtlichem Investorenschutz Etwas anderes kann gelten, wenn Privatpersonen (Unternehmen) gegenüber fremden Staaten, die in ihre Rechte eingreifen, völkerrechtlichen Schutz genießen. Dies gilt für Investoren, die in einem Land investieren, das mit ihrem Heimatland ein bilaterales oder multilaterales Investitionsschutzabkommen abgeschlossen hat, das eine direkte völkerrechtliche Verpflichtung des Gaststaates zum Schutz der Investition gegenüber dem Investor begründet und diesem die Möglichkeit eröffnet, vor einem Schiedsgericht Klage gegen den eingreifenden Staat zu erheben.31 Die bilateralen Investitionsschutzabkomrnen (Bilateral Investment Treaties – BITs32) als Instrument zur Gewinnung ausländischen Kapitals haben in den letzten fünfzehn Jahren eine rasante Verbreitung erfahren und durch zahlreiche erfolgreiche Klagen von Investoren Aufsehen erregt.33 Die Schiedsverfahren werden häufig in ICSIDVerfahren durchgeführt, die vom International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) verwaltet werden. Das Center, das der Weltbank angeschlossen ist, wurde selbst durch einen völkerrechtlichen Vertrag
183, und unten VI. Auf diese Frage kam es für die im Folgenden besprochene Entscheidung des BVerfG nicht an. 29 Entscheidungsformel in BVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u. a., NJW 2007, 2610. 30 BVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u. a., NJW 2007, 2610, 2611 f Rz. 29–33, 48 ff. 31 Horn (Hrsg), Arbitrating Foreign Investment Disputes, 2004. 32 Modellverträge und Textbeispiele bei Rubins/Kinsella, International Investment, Political Risk and Dispute Resolution, 2005, S. 451 ff. 33 United Nations Conference on Trade and Development, Investor-State Disputes arising from Investment Treaties: a Review, New York Geneva 2005.
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gegründet.34 Allerdings werden auch zahlreiche Schiedsverfahren von Inves toren gegen Staaten in anderweitigen institutionellen oder Ad-hoc-Schiedsverfahren durchgeführt, vor allem nach den UNCITRAL-Rules.35 Die argentinische Krise hat eine Fülle von Investitionsstreitigkeiten ausgelöst. Den auf die relevanten BITs gestützten Ansprüchen der Investoren (treaty claims) hat Argentinien ebenfalls Staatsnotstand entgegengesetzt, und in einigen Verfahren wurde diese Einwendung als grundsätzlich [610] zulässig anerkannt. In zwei ähnlich gelagerten Fällen ging es um US-amerikanische Investitionen in argentinische Versorgungsunternehmen, In einem Verfahren wurden die eng aufzufassenden Voraussetzungen eines Notstandes sowohl nach Völkergewohnheitsrecht als auch nach dem einschlägigen (US-amerikanisch-argentinischen) BIT geprüft und ihr tatsächliches Vorliegen verneint. Daher wurde ein Schadensersatzanspruch der Investoren nach Völkergewohnheitsrecht anerkannt, ausgedrückt in Art. 27 des Konventionsentwurfs der International Law Commission.36 In einem anderen Verfahren hat das Schiedsgericht die Voraussetzungen des Notstandes nach der Klausel im einschlägigen BIT für einen begrenzten Zeitraum von 17 Monaten (1. Dezember 2001 bis 26. April 2003) als erfüllt angesehen und einen Schadensersatzanspruch insoweit verneint, weil der BIT einen solchen nicht vorsah, im Übrigen aber zugesprochen.37 Das bedeutet immerhin einen Teilerfolg für die Notstandseinrede Argentiniens; die Entscheidung bleibt aber angreifbar schon deshalb, weil das Schiedsgericht die Prüfung des Entschädigungsanspruchs nach Völkergewohnheitsrecht unterließ. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Fälle mit der gebotenen Knappheit erwähnt. Zu einer tiefergehenden Erörterung bestand kein Anlass, indem man konsequent an dem Grundsatz festhielt, dass der völkerrechtliche Notstandstatbestand nicht für privatrechtliche Ansprüche gelten kann.38 34 Convention on the Settlement of Investment Disputes Between States and Nationals of Other States (Washington Convention) vom 18.3.1965, 575 UNTS 159. 35 Horn, Current Use of the UNCITRAL Arbitration Rules in the Context of Investment Arbitraton, Arb. Int. 2008. 36 CMS Gas Transmission Comp. v. The Republic of Argentina, ICSID ARB/01/8, Award 12.5.2005; dazu Schill, From Calvo zu CMS. Burying an international Law Legacy?, SchiedsVZ 2005, 285; van Aaken, Zwischen Scylla und Charybdis: Völkerrechtlicher Staatsnotstand und Internationaler Investitionschutz, ZVglRWiss 2006, 285. Auf die Nichtigkeitsbeschwerde Argentiniens nahm das zuständige Ad hoc Committee zwar Teilnichtigkeit des Schiedsspruchs mangels ausreichender Begründung gemäß Art. 52(3) ICSIDConvention an, erhielt aber den Schiedsspruch im Übrigen aufrecht (par. 99, 100). CMS Gas Transmission Comp. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8 (Annulment Proceedings), 25.9.2007. 37 LG&E Energy Corp., LG&E Capital Corp., LG&E International Inc. v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/1, Decision on Liability 3.10.2006. Zu beiden Entscheidungen Schill, SchiedsVZ 2007, 178. 38 Zur abweichenden Meinung von Lübbe-Wolff in BVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u. a., NJW 2007, 2610, 2616 ff, Rz. 65 ff siehe unten VII.
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Ein völkerrechtlicher Schutz für Obligationäre besteht nach den bestehenden BITs bisher meist nicht. Man diskutiert zwar in der Schiedspraxis die Frage, ob der Schutz durch BITs nur solchen Kapitalgesellschaftern gelten soll, die eine echte Direktinvestition mit dem Ziel der unternehmerischen Einflussnahme vornehmen, oder doch eher sich auch [611] auf Portfolioinvestitionen in Aktien und vergleichbaren Beteiligungsrechten erstreckt. Aber die Abgrenzung zur reinen Gläubigerstellung einer Zahlungsforderung, wie sie der Obligationär innehat, wird dadurch nicht aufgehoben. Natürlich steht es den Staaten frei, in ihren Investitionsschutzabkommen auch den Schutz der Obligationäre einzubeziehen, und dies geschieht neuerdings. Die Vorteile für Gläubiger hängen davon ab, ob und mit welchen Auswirkungen ein völkerrechtlicher Schutz sogleich durch die Hintertür auch die rechtliche Möglichkeit des Notstandseinwands mit sich bringen würde.
VII. Notstandseinrede als allgemeiner Rechtsgrundsatz? In dem erörterten Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Mai 2007 hat die Richterin Lübbe-Wolff in einer abweichenden Meinung ausgeführt, neben dem Gewohnheitsrecht seien die anerkannten allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich vor allem als Gemeingut in den nationalen Rechtsordnungen auffinden lassen, eigenständige Quellen des Völkerrechts. Die Einrede des Staatsnotstandes sei ein solcher allgemeiner Rechtsgrundsatz und bedeute, dass im Notfall „die Pflicht einer Regierung, für die Funktionsfähigkeit seiner essentiellen öffentlichen Dienste zu sorgen, sich gegen die Pflicht zur Bezahlung seiner Schulden durchsetze“. Dieser Einwand sei nicht auf genuin völkerrechtliche Rechtsverhältnisse beschränkt.39 Sie verweist dazu auf ausländische Rechtsprechung, welche die Berufung auf Staatsnotstand als dilatorischer Einrede auch vor nationalen Gerichten, also in Beurteilung privatrechtlicher Rechte, anerkennt, und ihn insbesondere zur Begründung einer befristeten Aussetzung mit Rücksicht auf laufende Umschuldungsverhandlungen beachtet.40 Im Zusammenhang mit der Argentinienkrise haben Bothe/Hafner gutachtlich den Standpunkt vertreten, die Notstandseinrede sei zu beachten, und zwar bereits im Erkenntnisverfahren.41 Es ist Lübbe-Wolff zuzugeben, dass es Normen des Völkerrechts gibt, die als Teil des ordre public,42 als Teil der materiellen zivilrechtlichen Gene Lübbe/Wolff (Fußn. 38), Rz. 80 ff. Wörtliches Zitat als referierte Lehrmeinung Rz. 83. Lübbe/Wolff (Fußn. 38), Rz. 93, verweist dazu u. a. auf die US-amerikanische Entscheidung in EM Ltd. et al. v. Republic of Argentina, U.S.C.A. 2d Cir., 13.5.2005 No. 05-1525-cv. 41 Zitiert bei Lübbe/Wolff (Fußn. 38), Rz. 94. Im Ergebnis ebenso Cranshaw, DZWIR 2007, 133, 139. 42 Staudinger-Blumenwitz, BGB, Einl. EGBGB, Neubearb. 2003, Art. 6 EGBGB Rz. 63. 39 40
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[612] ralklauseln oder als Verbotsgesetze auch auf der Ebene des Zivilrechts ihre Wirkung entfalten, und dass die allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze, die ja überwiegend im Zivilrecht entwickelt sind, eben diese Wirkung haben können. Das deutsche Zivilrecht kennt die Einrede des Staatsnotstandes ausländischer Staaten als eine die Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung hemmende Einrede von Hause aus nicht. Sie könnte aber via Art. 25 GG in das deutsche Recht importiert worden sein. Dies ist zu verneinen, weil ein völkerrechtlicher Grundsatz, der eine Geltung der Notstandseinwendung im Verhältnis zu Privaten anerkennt, mangels Staatenpraxis nicht besteht, wie das Bundesverfassungsgericht in den Entscheidungsgründen feststellt.43 Die Geschichte des Verhaltens der Schuldnerstaaten weltweit ermutigt aber auch wenig dazu, die Notstandseinrede als generelle rechtliche Abwehrwaffe gegen privatrechtliche Gläubiger zu schmieden. Es klingt zwar eindrucksvoll, wenn man die elementaren Versorgungsbedürfnisse der breiten Bevölkerung den Interessen der Geldgläubiger gegenüberstellt, die „Staatsanleihen mit ungünstigen Risikobewertungen und entsprechend günstigen Zinsversprechen bewusst als spekulative Anlage gekauft haben“44 Bei näherem Hinsehen kommen aber Zweifel, ob das Recht hier eine andere Lösung als das Prinzip der Vertragstreue bieten kann. Es ist wahr: Die letzte Wirtschaftskrise in Argentinien – eine von vielen – war für die Bevölkerung besonders bitter. Die kleine Mittelschicht wurde noch tiefer gestoßen, die Sparer wurden ausgeplündert. Dass der Staat vorübergehend in einer Notsituation elementaren Bedürfnissen der Daseinsvorsorge Vorrang vor den Zahlungsansprüchen ausländischer Gläubiger gibt, ist gewiss ein Grundsatz der politischen Moral. Es ist zugleich ein Grundsatz der schlichten politischen Praxis, die ein in wirtschaftlichen Notlagen und internationalen Verschuldungskrisen so versierter Staat wie Argentinien ohnehin praktiziert. Aber: Niemand hat in Argentinien deshalb gedarbt, weil in der Krise ein einziger Dollar an ausländische Gläubiger geflossen wäre. Gedarbt wurde, weil eine fiskal- und währungspolitisch verantwortungslose politische Klasse und eine Kultur der allgemeinen Korruption das Land trotz seines [613] natürlichen Reichtums von Krise zu Krise taumeln lässt. Argentinien hat allein im Zeitraum 1956–1992 achtmal internationale Umschuldungen mit Hilfe des Pariser Clubs durchgesetzt.45 Die Erholungszeiten zwischen den einzelnen Krisen werden nicht zu den notwendigen Reformen des Fiskal- und Währungspolitik genutzt. Die Anlockung neuen Auslandskapital führt hauptsächlich dazu, dass die dann verfügbaren Devisen zu einem nicht 43 BVerfGBVerfG, Beschl. v. 8.5.2007 – 2 BvM 1/03 u. a., NJW 2007, 2610, 2614, Entscheidungsgründe A III, IV und C Rz. 29 ff, 62–64; a. A. Lübbe-Wolff (Fußn. 38), Rz. 80 ff, 91 ff. 44 Lübbe/Wolff (Fußn. 38), Rz. 94. 45 Cranshaw, DZWIR 2007, 133, 134 Fußn. 13.
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unerheblichen Teil auf vielfältigen erfindungsreichen Wegen (insbesondere Korruption und Betrug im Zusammenhang mit Staatsaufträgen) in private Taschen umgeleitet werden und als Fluchtgeld wieder das Land verlassen, bevor die unvermeidliche nächste Krise kommt. Die Anerkennung eines Rechts zur einseitigen Verkürzung der Gläubigerrechte durch den staatlichen Schuldner, wie es von Argentinien tatsächlich gehandhabt wurde, erscheint danach als ungerechtfertigte Prämie für falsches Verhalten.46 Soweit man auf den Vorrang elementarer Bedürfnisse der Bevölkerung verweist, sollte man gerade im Beispielsfall der Argentinienkrise auch berücksichtigen, dass viele ausländische Investoren, die dann vor Schiedsgerichten um Entschädigung für Eingriffe in ihre Investitionen kämpfen (oben VI), vor der Krise gerade zur Deckung elementarer Versorgungsbedürfnisse der breiten Bevölkerung ins Land gerufen worden waren: Sanierung der maroden Versorgungssysteme für Strom, Gas, Wasser und Abwasser. Auch Staatsanleihen sollen typischerweise öffentlichen Investitionen in die Infrastruktur dienen. Der zusätzliche Gesichtspunkt, dass in der Krise aussichtsreiche Umschuldungsverhandlungen nicht gestört werden sollen, ist bedenkenswert und noch näher (unten X) zu betrachten. Man hat freilich in der letzten Argentinienkrise mit den Obligationären gerade nicht verhandelt, sondern ihnen einseitig einen Verzicht auf 70 % ihrer Forderungen zudiktiert (oben II). Es würde die Verhandlungsposition der Obligationäre weiter schwächen, wenn man dem Schuldnerstaat einen zusätzlichen Rechtfertigungsgrund für den Zahlungsverzug in die Hand gäbe. – Zuzugeben ist, dass Umschuldungen dadurch erschwert werden können, dass ein Teil der Obligationäre sich nicht beteiligt und einen Titel über die eigenen Forderungen erstreitet. [614] Darüber ist im Zusammenhang mit dem Umschuldungsprozess zu reden (unten X).
VIII. Kein Schuldaufhebungsgrund Die dargestellten konträren Positionen (Vertragstreue kontra Schutz des staatlichen Schuldners) liegen etwas weniger weit auseinander, wenn man berücksichtigt, dass es bei der Einrede des Staatsnotstandes nicht um eine endgültige Schuldenbefreiung geht. Auch im Sondervotum von Lübbe-Wolff wird die begrenzte Tragweite der Rechtsgrundsätze des Art. 25 des Konventionsentwurfs der International Law Commission betont, die nur auf ein Moratorium, nicht aber eine Schuldbefreiung hinauslaufen. Nur in diesem eingeschränkten Sinn einer vorübergehenden Stundung durch Notstand sei 46 Das Schiedsgericht in CMS Gas Transmission Comp. v. The Republic of Argentina, ICSID ARB/01/8, Award 12.5.2005, hat den Tatbestand des Notstandes im Sinne des Konventionsentwurfs u. a. wegen Mitverschuldens des Staates Argentinien abgelehnt.
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ein international allgemein anerkannter Rechtsgrundsatz festzustellen, der auch bei privatrechtlichen Auslandsschulden das Recht zu einem Moratorium begründe.47 Selbst Zinsen sind für die Zeit des durch den Notstand bedingten Zahlungsaufschubs zu leisten.48 Argentinien war freilich über diesen postulierten Rechtsgrundsatz weit hinausgegangen und hatte einseitig eine Schuldherabsetzung diktiert, nachdem es bereits in zahlreichen früheren internationalen Verschuldungskrisen jeweils Schulderleichterungen erreicht hatte. Auch in den vorerwähnten Investitionsschiedsfällen hat Argentinien, wie erörtert, den Notstand als Schuldbefreiungsgrund eingesetzt und einen Teilerfolg errungen.49 Umgekehrt wurde in dem Schiedsspruch, der Notstand im Ergebnis verneinte und eine Entschädigungspflicht annahm, nur ein Teil der beanspruchten Entschädigung zugesprochen.50
IX. Vollstreckungszugriff auf Vermögen des Schuldnerstaates im Inland Die Vollstreckung gegen einen fremden Staat hinsichtlich seines im Inland belegenen Vermögens aufgrund eines Titels, den Privatgläubiger ge- [615] gen ihn in einem zulässigen, nicht durch die Staatenimmunität verwehrten Verfahren (oben II) erstritten haben, ist grundsätzlich zulässig.51 Dabei gibt es einen objektbezogenen Vollstreckungsschutz, der dasjenige Vermögen des Schuldnerstaates, das zur Durchführung hoheitlichen Handelns im Ausland notwendig ist, an dem insoweit fortbestehenden Immunitätsschutz des Schuldnerstaates teilhaben lässt. Das Bundesverfassungsgericht hat demgemäß die Vollstreckung in Konten der argentinischen Botschaft in Deutschland, die unmittelbar der Tätigkeit der Botschaft dienen, für vollstreckungsfrei erklärt, obwohl der Schuldnerstaat in den Anleihebedingungen einen ausdrücklichen Immunitätsverzicht hinsichtlich der Vollstreckungsmaßnahmen von Obligationären erklärt hatte, freilich ohne speziell die genannten Konten der Vollstreckung zu unterwerfen.52
Lübbe/Wolff (Fußn. 38), Rz. 75 ff. Schill, SchiedsVZ 2007, 178 m. Nachw. 49 LG&E Energy Corp. v. Argentine Republic, Schiedsspruch v. 3.10.2006, ICSID Nr. ARB/02/1, Rz. 261, 264, 267e. 50 CMS Gas Transmission Comp. v. The Republic of Argentina, ICSID ARB/01/8, Award 12.5.2005; dazu Schill, From Calvo to CMS, SchiedsVZ 2005, 285; zu beiden Fällen ders., SchiedsVZ 2007, 178. 51 BVerfG, Beschl. v. 13.12.1977 – 2 BvM 1/76, BVerfGE 46, 342 ff = NJW 1978, 485 (Philippinen-Beschluss); BVerfG, Beschl. v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, WM 2007, 57 = DVBl 2007, 242 (Argentinien-Beschluss). 52 BVerfG, Beschl. v. 6.12.2006 – 2 BvM 9/03, WM 2007, 57 = DVBl 2007, 242. 47 48
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Es bleibt die Frage, ob man im Vollstreckungsverfahren die aufschiebende Einrede des Staatsnotstands anerkennen sollte. Die rechtlichen Begründungen dafür sind hier freilich genauso wenig überzeugend wie bei der Nostandseinrede überhaupt. Wenn der Schuldnerstaat Vermögen besitzt, in das im Inland des Obligationärs oder in einem Drittland vollstreckt werden kann, fällt außerdem schon die Behauptung schwer, der Staat werde gerade dieses Vermögen zur Linderung der Not im eigenen Land dringend benötigen. Im Umschuldungsprozess, der auf die internationale Verschuldungskrise eines Staates folgt (unten X), wird ein einseitig vom Schuldnerstaat verkündetes Moratorium als Faktum akzeptiert und ist Teil des Verhandlungsszenarios. Darüber hinaus ein „Recht zum Moratorium“ anzuerkennen, ist nicht erforderlich und würde die ohnehin heikle Balance der Verhandlungspositionen der Beteiligten nur stören. Den Autoren, die eine rechtliche Anerkennung der Einrede des Staatsnotstands (außerhalb der völkerrechtlich geregelten Investitionsschutzfälle) nicht für notwendig halten,53 ist daher zuzustimmen. [616] Es hat sich freilich heute verbreitet die Auffassung durchgesetzt, dass auch die Obligationare sich ausnahmslos an allgemeinen Umschuldungsbemühungen beteiligen sollten und nicht durch Einzelklagen und anschließende Vollstreckungsmaßnahmen einen dem Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger zuwiderlaufenden Sondervorteil erhalten dürften.54 Ein Staatsinsolvenzrecht, das einen solchen Gleichbehandlungsgrundsatz rechtlich begründen könnte, existiert freilich nicht.55 Der Begriff des Staatsnotstands ist jedenfalls nicht geeignet, über den engeren Kreis der für hoheitliche Funktionen unerläßlichen Vermögensgegenstände hinaus einen Vollstreckungsschutz für alles Auslandsvermögen des Schuldnerstaates herbeizuführen. Staatsnotstand ist kein geeignetes Zwangsinstrument für eine – gegebenenfalls wünschenswerte – Koordinierung der Obligationäre im Umschuldungsprozess.
X. Umschuldungsverhandlungen und Moratorium In der harten Realität der internationalen Wirtschaftsbeziehungen kann und will der Schuldnerstaat Umschuldungsverhandlungen nicht ausweichen, sondern diese möglichst zügig führen, um seine internationale Zahlungsfähigkeit zu wahren und sich die notwendige Unterstützung des Internationalen Währungsfonds zu sichern. Zugleich will er ein möglichst hohes Maß an 53 Ohler, Der Staatsbankrott, JZ 2005, 590, 592, 594 f; Baars/Böckel, Argentinische Auslandsanleihen vor deutschen und argentinischen Gerichten, ZBB 2004, 445, 461; ablehnend zitiert von Lübbe-Wolff (Fußn. 38), Rz. 88. 54 Cranshaw, DZWIR 2007, 133, 141. 55 Ohler, JZ 2005, 590.
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endgültigen Schuldbefreiungen herausholen. Dies führt zu einem Nachgeben der Gläubiger auch dann, wenn sich die Lage des Schuldnerstaates wieder gefestigt hat. Im internationalen Management der externen Überschuldung von Staaten hat sich seit langem eine Umschuldungspraxis mit eben diesem Inhalt herausgebildet.56 Diese globalen Umschuldungsbemühungen für einzelne Staaten haben allerdings lange Zeit Anleihen nicht erfasst.57 Das hing u. a. mit der Schwierigkeit einer Koor- [617] dination der über die ganze Welt verstreuten Obligationäre einer Vielzahl von Anleihen zusammen, aber auch damit, dass früher der Internationale Währungsfonds und die im Pariser Club koordinierten Gläubigerstaaten auf die Erfüllung der Anleiheverpflichtungen drängten. Dieser Druck ist vor einigen Jahren weitgehend entfallen. Man ist dann dazu übergegangen, neue Klauseln über ein gemeinsames Handeln der Obligationäre in die Anleihebedingungen aufzunehmen (collective action clauses) und dem entsprechend die Obligationäre in den Umschuldungsprozess einzubeziehen.58 In der neueren internationalen Umschuldungspraxis hat sich inzwischen ein Klima herausgebildet, dass weniger der Schuldnerstaat wegen verfehlter Wirtschaftspolitik auf der Anklagebank sitzt als vielmehr diejenigen Obligationäre, die sich an den Umschuldungsverhandlungen nicht beteiligen wollen („hold outs“). Entsprechend ruppig und mit einseitigem Schuldermäßigungsdiktat wurden die Verhandlungen von Argentinien geführt. Gegen die „hold outs“ als Einzelkämpfer unter den Obligationären lässt sich anführen, dass ein Teilverzicht der umschuldungswilligen Gläubiger um den Erfolg gebracht werden kann, wenn größere Gruppen abseits stehen und auf ihre spätere volle Befriedigung spekulieren, und dass im Ergebnis die „hold outs“ indirekt von den Gläubigerverzichten der anderen profitieren. Zugleich haben sie oft nur geringe Chancen, ihr Recht selbst im Wege der Einzelvollstre ckung durchzusetzen.59 Vieles spricht heute dafür, in der erwähnten Weise in den Anleihebedingungen durch collective action clauses Vorsorge zu treffen, was in den hier besprochenen Fällen nicht geschehen war. Durch Ausschluss der Einzelklagen, Bestellung von Anleihevertretern oder Treuhändern sowie durch die erweiterte Zulassung von Mehrheitsbeschlüssen auch über Schuld56 Vgl. schon Horn, Rechtsfragen internationaler Umschuldungen, WM 1984, 713, Strategien und Techniken dieser Verhandlungen haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Zur neueren Entwicklung Berensmann, Die Einbindung privater Gläubiger in die Prävention und Bewältigung von internationalen Verschuldungskrisen, hrsg. vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, Berichte und Gutachten 7/2003; speziell zum Umschuldungsszenario der Argentinienkrise 2001/2002 (mit Stand Sommer 2004) Baars/Bökel, ZBB 2004, 445; Sester, Argentinische Staatsanleihen: Schicksal der „Hold Outs“ nach Wegfall des Staatsnotstands, NJW 2006, 2891. 57 Horn, WM 1984, 713. 58 Hartwig-Jacob, Neue rechtliche Mechanismen zur Lösung internationaler Schuldenkrisen, in: Festschrift Horn, 2006, S. 717. 59 Sester, NJW 2006, 2891.
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herabsetzungen wird dann der Weg für umfassende Umschuldungen geebnet. Diesen Regelungen gehört vermutlich die nähere Zukunft.60 Es wird auf die kautelartechnische Ausgestaltung und praktische Handhabung dieser Mechanismen ankommen, ob dadurch die Rechte [618] der Obligationäre durch den Schuldnerstaat noch leichter ausgehebelt oder aber künftig dem Schuldnerstaat gegenüber effektiv vertreten werden.61
60 Berensmann (Fußn. 56); Hartwig-Jacob (Fußn. 58), S. 717; Sester, NJW 2006, 2891; Cranshaw, DZWIR 2007, 133, 141 ff. 61 Die vorstehenden Ausführungen konzentrierten sich auf die materiellrechtlichen Aspekte einschließlich des Völkerrechts, da die fraglichen Argentinien-Anleihen deutschem Recht unterstellt waren. Wertvolle weiterführende kollisionsrechtliche Ausführungen enthält der Beitrag von Derstadt, in diesem Band, S. 507 ff, der mir erst nach Satz des Textes bekannt wurde und auf den nicht im Einzelnen eingegangen werden kann. Den allgemeinen Ausführungen zur (fallweisen) Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen von Derstadt ist zuzustimmen; dazu ausführlich (ohne Beschränkung auf die ArgentinienFälle) Horn, Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2008, 209. Die Belegenheit der Forderungen aus den DM-Anleihen Argentinien, die deutschem Recht und Gerichtsstand unterliegen, in Argentinien ist zu bezweifeln; dies gilt auch hinsichtlich des „internationalen Enteignungsrechts“, das im Grundsatz territorial zu begrenzen ist. Anders, wenn ausnahmsweise die von Derstadt erörterten Kriterien für eine extraterritoriale Anerkennung vorliegen, was man m. E. hier verneinen muss.
II. Internationales Wirtschaftsprivatrecht und Währungsrecht 3. Währungsunion
Währungsunion als Instrument der Integration? Deutsche Erfahrungen und europäische Perspektiven In Festschrift für Ernst-Joachim Mestmäcker, 1996, S. 381–395 I. Ausgangsfragen. Die Währungsunion und die sichtbare Hand des Rechts 1. Währungsunion und Währungszonen Eine Währungsunion ist dadurch gekennzeichnet, daß sie ein einheitliches Währungsgebiet für mehrere staatliche Territorien schafft. In diesem Sinn hat die deutsche Währungsunion 1990 das DM-Währungsgebiet auf das Territorium der DDR ausgedehnt.1 Die Europäische Union will ein einheitliches Währungsgebiet für die Unionsstaaten schaffen, sofern diese die Beitrittsbedingungen (Konvergenz-Kriterien) erfüllen.2 Nach der klassischen staatlichen Theorie des Geldes von Knapp hat eine Währungsunion zur Folge, daß die ihr angehörenden Staaten ihre Unabhängigkeit verlieren und eine »Staatsgemeinschaft« bilden, »die als Ganzes aufzufassen ist«.3 Für das Verhältnis der DDR zur Bundesrepublik im Sommer 1990 hat diese Auffassung noch heute analytischen Wert (i.F. II). Für die Europäische Union wird diese Schlußfolgerung vom Bundesverfassungsgericht noch nicht gezogen, wenn es feststellt: »Der Unions-Vertrag begründet einen Staatenverbund zur Verwirklichung einer immer engeren Union der – staatlich organisierten – Völker Europas (Art. 1 AEUV), keinen sich auf ein europäisches Staatsvolk stützenden Staat«.4 Dies entspricht der allgemeinen Rechtsauffassung.5 Die altmodische Theorie von Knapp enthält freilich einen 1 Vertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR, BGBl II 1990, 537. 2 Vertrag über die europäische Union vom 07.02.1992, BGBl II 1992, 1253; in Kraft getreten am 01.11.1993 gem. Bek. v. 19.10.1993, BGBl II 1993, 1947. Text auch bei Läufer (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), Der Vertrag. Europäische Union und Europäische Gemeinschaft, 3. Aufl. 1994. 3 Georg Friedrich Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, 1905, S. 34. 4 Urt. v. 12.10.1993, BVerfGE 89, 155ff, 156, Leitsatz 8); vgl. auch S. 186ff. 5 Vgl. zum Urteil des BVerfG Lenz, NJW 1993, 3038; Albrecht Weber, JZ 1994, 53ff. Zuvor schon Lenz, NJW 1993, 1962ff; Oppermann/Classen, NJW 1993, 5ff, 11.
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wichtigen Hinweis: es ist die Frage, ob auf die Dauer eine Währungsunion funktionieren kann, die nicht in eine staatliche Einheit oder zumindest eine weitgehende politische Integration einmündet. Als Gegenbegriff zur Währungsunion wird üblicherweise der »Wettbewerb der (nationalen) Währungen« genannt, und in der Diskussion um die Europäische Währungsunion (EWU) wird dieser Wettbewerb, wie wir ihn heute in Europa haben und [382] ohne rechten Erfolg durch das bestehende Europäische Währungssystem (EWS) abzumildern suchen, als die Alternative zur EWU bezeichnet. Dies ist aber ungenau. Denn dabei bleibt die tatsächliche Dominanz bestimmter Währungen unerwähnt und die Existenz von Währungseinflußzonen. Eine solche besteht für weite Teile der Welt hinsichtlich des US-Dollars. Mittel- und Westeuropa samt EWS kann als DMZone bezeichnet werden,6 wobei die DM die Rolle der »Ankerwährung« übernommen hat. Währungszonen haben mit einer Währungsunion eine Gemeinsamkeit. Kennzeichnend für eine Währungsunion ist die Diskrepanz zwischen dem einen Währungsgebiet und den mehreren Staatsgebieten und damit auch zwischen der vergemeinschafteten Währungspolitik und den mitgliedstaatlichen Haushalts- und Wirtschaftspolitiken. Dies ist auch die Erklärung dafür, daß Währungsunionen bisher keine dauerhafte Bedeutung erlangt haben7 und nur bei kleinem Umfang zwischen Ländern mit ganz homogenen Wirtschaftsund Politikstrukturen funktionieren (Schweiz-Liechtenstein; BelgienLuxemburg etc.). Eine ähnliche Diskrepanz finden wir aber in abgeschwächter Form auch in Währungseinflußzonen. Denn hier wird die dominierende Währung über ihren Heimatstaat, seine Gesetzgebung und Wirtschaftspolitik und vor allem durch die Währungspolitik seiner Zentralbank beeinflußt und gesteuert;8 die Auswirkungen dieser Einflüsse betreffen aber auch alle anderen Staaten, die sich in dieser Einflußzone befinden. Groß war die Klage der in US-Dollar verschuldeten Länder über die amerikanische Hochzinspolitik während der internationalen Verschuldungskrise der achtziger Jahre.9 Die teilweise politische Unterstützung der Europäischen Währungsunion in Europa hängt auch damit zusammen, daß man in manchen Nachbarstaaten Deutschlands mit dem Bestehen einer DM-Zone nicht zufrieden ist. Andere
Bofinger, Das Europäische Währungssystem und die geldpolitische Koordination in Europa, Kredit und Kapital 21 (1988), 317–345; ders., in: Hasse/Schäfer (Hrsg.), Europäische Zentralbank, 1990, S. 181ff, 184. 7 Instruktiv Theurl, Währungsunionen ohne politische Integration: die lateinische und skandinavische Münzunion, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Auszüge aus Presseartikeln Nr. 76 v. 10.11.1995, S. 4ff. 8 Bofinger (Fn 6). 9 Horn, Internationale Schuldenkrise und Ansätze ihrer Bewältigung, FS Werner, 1984, S. 357, 359. 6
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sind es zufrieden und richten ihre Währung inoffiziell und freiwillig (d. h. jederzeit änderbar) nach der DM, so Österreich und Holland. 2. Die Frage der politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Währungsunion Sowohl die vollzogene deutsche Währungsunion als auch die anstehende Europäische Währungsunion stellen einschneidende Eingriffe in das politische und wirtschaftliche System mit Mitteln des Rechts dar. Denn jedes Währungssystem steht in enger Wechselbeziehung mit dem politischen System, der Wirtschaft und dem Rechtssystem seines Währungsgebietes. Verändert man das Währungssystem, werden alle drei genannten gesellschaftlichen Teilsysteme von der Veränderung ergriffen. Der Hebel zur direkten und unmittelbaren Änderung des Währungssystems ist [383] die Schaffung der entsprechenden rechtlichen Grundlagen. Denn »das Geld ist ein Geschöpf der Rechtsordnung«.10 Dies bleibt auch dann wahr, wenn man berücksichtigt, daß der tatsächliche Zustand eines Währungssystems keineswegs nur von seinen rechtlichen Grundlagen bestimmt wird, sondern daß er in hohem Maß von der Politik, insbesondere der staatlichen Haushaltspolitik, und letztlich vom Zustand der Wirtschaft seines Währungsraumes abhängt. Die Interdependenz mit Politik und Wirtschaft bringt es ferner mit sich, daß zu den rechtlichen Grundlagen des Währungssystems nicht nur das Währungsrecht und Zentralbankrecht im engeren technischen Sinn gehört, sondern die rechtliche Wirtschaftsverfassung in einem weiten Sinn.11 Die Frage, in welcher Weise in einem freien Wirtschafts- und Gesellschaftssystem »die sichtbare Hand des Rechts« eingreift und eingreifen muß und welche Maßstäbe der Gesetzgeber dabei zu beachten hat, hat Ernst-Joachim Mestmäcker stets lebhaft interessiert.12 Diese Frage soll hier im Hinblick auf die Schaffung eines neuen Währungssystems für die Europäische Union skizziert werden. Dies soll im Vergleich mit der vollzogenen deutschen Währungsunion geschehen. Leitfrage ist die Tauglichkeit einer Währungsunion als Instrument der politischen und wirtschaftlichen Integration.13 Wird auf der Basis von Rechtsakten (Vertrag von Maastricht und Folgebeschlüsse) eine Europäische Währungsunion herbeigeführt, so ist zu fragen, Knapp, Staatliche Theorie des Geldes, S. 1. Sie umfaßt alle Gesetze, die normative Elemente der »Gesamtentscheidung der Ordnung des Wirtschaftslebens eines Gemeinwesens« sind; zu dieser Gesamtentscheidung Eucken, Die Grundlagen der Nationalökonomie, 8. Aufl. 1965, S. 52. 12 E.J. Mestmäcker, Die sichtbare Hand des Rechts, 1978; ders., Die Wirtschaftsverfassung in der Europäischen Union, 1993 (Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht Bonn Nr. 28). 13 Dazu jetzt Steindorff, Währungsunion, Beitritt, Finanzausgleich und Maastricht II, EuZW 1996, 6ff. Aufschlußreich in wirtschaftshistorischer Sicht Theurl, (Fn 7). 10 11
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ob dies als isolierte Vergemeinschaftung nur der Währung (im Rahmen des vollendeten Binnenmarktes) möglich ist, während die mitgliedstaatlichen Haushalts- und Wirtschaftspolitiken selbständig bestehen bleiben. Oder bewirkt die Währungsunion wegen der Interdependenz von Währungsrecht, Wirtschaft und Politik14 sozusagen automatisch (»monetaristisch«) auch die Vergemeinschaftung dieser mitgliedstaatlichen Politiken? Oder müßten – als dritte Alternative – eben wegen dieser Interdependenz nicht weitergehende wirtschaftliche und politische Integrationsanstrengungen zur Abstützung der Währungsunion unternommen werden, und zwar über das Programm des Vertrags von Maastricht hinaus, wobei diese Integrationsanstrengungen möglichst auf weiterreichende rechtliche und institutionelle Regelungen zu gründen wären. Dazu soll i. F. eine knappe Problemskizze versucht werden, auch wenn die Frage der Auswirkung neuen Rechts wie gewöhnlich über die Kompetenz des Juristen hinausgeht. Auch läßt sich einwenden, die politische Karriere der Europäischen Währungsunion hänge so sehr von den Ungewißheiten der künftigen Politik ab, daß jede [384] wissenschaftliche Äußerung dazu schon am Tage, an dem sie gedruckt erscheint, überholt sein kann.15 Es gibt aber eine Konstanz der Problematik im raschen Wechsel der Lösungsversuche, und ihr gilt das wissenschaftliche Interesse.
II. Die deutsche Währungsunion von 1990 1. Die Übertragung der Währungshoheit der DDR Durch den Staatsvertrag vom Mai 1990 zwischen den beiden deutschen Staaten über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion wurde ab 1.7.1990 die DM einziges gesetzliches Zahlungsmittel auch auf dem Gebiet der DDR (Art. 1 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 1 StaatsV). Die Deutsche Bundesbank übernahm hier die selbständige währungspolitische Verantwortung und sorgte für die Umstellung von Forderungen in Mark der DDR auf DM. Das Bundesbankgesetz wurde auf das Gebiet der DDR erstreckt.16. Die Deutsche Bundesbank wurde ermächtigt, die zur Durchführung des Staatsvertrages in ihrem Aufgabenbereich erforderlichen Regelungen und Anordnungen auch mit Wirkung für das Gebiet der DDR zu erlassen.17. Die DDR verlor ihre Währungshoheit und verpflichtete sich dementsprechend im Staatsvertrag, 14 Dazu Berthold, Währungsunion, Sozialunion und politische Union – Anmerkungen zur Interdependenz von Ordnungen, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Auszüge aus Presseartikeln Nr. 76 v. 10.11.1995, S. 21ff. 15 Bearbeitungsstand ist der 15.1.1996. 16 StaatsV Anlage II Abschn. II Nr 1. 17 StaatsV Anlage I Art 10; Haferkamp, DtZ 1990, 151.
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die Staatsbank der DDR als Notenbank der DDR aufzulösen und ihre Kompetenz zur Bankaufsicht zu beseitigen.18 Die DDR übernahm es, ihr öffentliches Haushaltswesen dem der Bundesrepublik anzupassen.19 Mehr noch: das Währungssystem der DM setzte eine freie Marktwirtschaft auch in der DDR voraus, und rasch setzte sich die Erkenntnis durch, daß die Ausdehnung des Währungsgebiets der DM auf die DDR es erforderte, daß dort nicht nur die Währungsgesetze der Bundesrepublik galten, sondern allgemeiner die rechtlichen Grundlagen der freien Marktwirtschaft.20 Dies geschah durch die Verfassungsgrundsätze der DDR vom 17.6.1990,21 durch den Staatsvertrag über die Währungsunion selbst22 und durch das sog. Mantelgesetz, das in großem Umfang bundesdeutsches Recht einführte.23 Die deutsche Währungsunion wirkte also in der Tat als machtvolles Instrument der politischen Integration. [385] 2. Die Transformationsaufgabe und der Verlust von Anpassungsparametern Natürlich brachte die Währungsunion erhebliche wirtschaftliche Probleme und Kosten mit sich. Zu unterscheiden sind einerseits die einmaligen technischen Probleme und Kosten der Umstellung auf die neue Währung. Dazu gehören auch die Umstellungsgewinne der Inhaber von Guthaben in Mark der DDR, die zu einem unrealistisch günstigen Kurs auf DM umgestellt wurden,24 einschließlich der Umstellung von Transferrubelguthaben aus Ostgeschäften für eine kurze Übergangszeit.25 Diesen einmaligen und in ihrer Höhe begrenzten Posten stehen andererseits die viel größeren und
18 StaatsV Anlage III Abschn. I Nr. 1. Zum Ganzen. Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl 1993, § 2. 19 StaatsV Art. 26; dazu Horn, (Fn 18), § 2 Rz 24. 20 Horn, Die Freiheit fordert ihr Recht, Frankfurter Allgemeine v. 10.3.1990, S. 15. Zu o.a. Frage hat Verf. im April 1990 der Deutschen Bundesbank ein unveröffentlichtes Gutachten erstattet. 21 Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Verfassung der DDR, DDR-GBl. I Nr. 33, S. 299. 22 Über die soziale Marktwirtschaft als Staatszielbestimmung im Staatsvertrag über die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion Horn, Zivil- und Wirtschaftsrecht (Fn 18), § 2 Rz 35ff. 23 Gesetz über die Inkraftsetzung von Rechtsvorschriften der Bundesrepublik Deutschland in der DDR v. 21.6.1990, DDR-GBl I Nr. 34, S. 357. 24 Einzelheiten bei Horn (Fn 18), § 2 Rz 14. Zur Verfassungsmäßigkeit des begrenzten zusätzlichen Vorzugskurses 1:1 für DDR-Bewohner vgl. BVerfG DtZ 1990, 253; 1991, 190; ZIP 1991, 469; zur Verfassungsmäßigkeit des schlechteren Umtauschkurses 1:3 für die ab 1.1.1990 erworbenen DDR-Mark-Guthaben BVerfG ZIP 1991, 469. 25 Der mißbräuchliche Erwerb von Transferrubelguthaben hat die Rechtsprechung bis Ende 1995 beschäftigt; BGH, Urt. v. 7.11.1995 (XI ZR 261/94), vorgesehen zum Abdruck in BGHZ. Allg. Horn (Fn 18), § 7 Rz 34.
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längerfristigen Probleme und Kosten gegenüber, die sich aus der völlig unterschiedlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Struktur der DDR-Wirtschaft und aus ihrem desolaten Zustand ergaben. Ab dem 1.7.1990 umfaßte das Währungsgebiet der DDR nunmehr zwei Staaten mit völlig unterschiedlichen politischen und wirtschaftlichen Systemen. Die DDR-Wirtschaft mit ihren ökonomisch sinnlosen Unternehmensstrukturen (Stichwort: Kombinate), ihrer Kapitalauszehrung, ihrem technischen Rückstand und ihrer dürftigen Infrastruktur wurde schockartig der harten Währung und den sonstigen Bedingungen der hochentwickelten westlichen Wirtschaft ausgesetzt, unter denen sie nicht überleben konnte. Verbleibende Anpassungsparameter wie das deutlich niedrigere Lohnniveau wurden durch lohnpolitischen Druck rasch eingeebnet.26 Für diese Erschwerung der Anpassung boten Investitionszulagen und steuerliche Investitionsanreize nur einen bescheidenen Ausgleich.27 Der politische Ausweg blieb eine massive Subventionierung der öffentlichen Haushalte der neuen Bundesländer und der von der Treuhandanstalt verwalteten Betriebe, die zur Privatisierung anstanden. Die Dimension der hier anfallenden Kosten kann ausschnittartig an zwei Punkten verdeutlicht werden. (1) die DM-Eröffnungsbilanz der Treuhandanstalt zum 1.7.1990 wies einen Fehlbetrag von 209,291 Mrd DM auf. (2) Die Transferleistungen der öffentlichen Hand von West nach Ost betrugen allein 1991 rund 140 Mrd DM, 1992 rund 180 Mrd DM.28 Der wirtschaftliche Ausweg war die forcierte wirtschaftliche Sanierung und Modernisierung der Wirtschaft im Zusammenhang mit der Privatisierung der Unternehmen und außerhalb durch Neugründung. Soweit die öffentliche Hand bei der Privatisierung Einflußmöglichkeiten auf die Investitionen nehmen konnte, wurden wiederholt industriepolitische Wunschvorstellungen (insbes. Erhaltung »industrieller Kerne«) formuliert, denen [386] die Treuhandanstalt nicht nachkommen konnte.29 Bei der Transformation der sozialistischen Wirtschaft war ein schmaler Grat zu beschreiten zwischen einer Subventionierung, die überhaupt erst den Start in die freie Wirtschaft des Währungsgebietes ermöglichte, und andererseits der Heranzüchtung einer marktunfähigen Subventionswirtschaft. Das Bewußtsein für dieses Problem war in der Öffentlichkeit nur begrenzt vorhanden. Daher wurden auch hochsubventionierte Treuhandbetriebe Lohnkämpfen ausgesetzt.
Überblick bei Horn (Fn 18), § 3 Rz 44ff; § 25 Rz 20ff. InvestitionszulagenG v. 24.6.1991, BGBl. I, 1333; steuerliche Anreize durch das FördergebietsG vom gleichen Tag, BGBl. I, 1322; Horn (Fn 18), § 25 Rz 32ff. 28 Zu den letzteren Zahlen vgl. Monatsbericht der Deutschen Bundesbank vom März 1992, S. 15. Zum Problem der Transferleistungen allg. Rudorf, ZKW 1992, 142ff. 29 Horn (Fn 18), § 3 Rz 54 und § 18 Rz 8ff. 26 27
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3. Die politische Motivation der deutschen Währungsunion Die deutsche Währungsunion war, als sie im Frühjahr 1990 von der Bundesregierung anvisiert wurde, politisch motiviert und nicht wirtschaftlich. Das Verlangen der Deutschen in der DDR nach der DM war überwältigend groß. Jedes Hinauszögern der Währungsunion hätte den Zustrom von Menschen aus der DDR, der nach dem Fall der Mauer ungehindert eingesetzt hatte, anschwellen lassen. Vor allem aber erschien die Währungsunion als ein wirksamer Hebel zur Herbeiführung der politischen Wiedervereinigung Deutschlands. Als die Währungsunion geplant wurde, gab es noch keine demokratische Regierung in der DDR und weder das Ja der Sowjetunion noch die Zustimmung Frankreichs und Englands zur Wiedervereinigung standen fest. Es ließ sich aber absehen, daß mit der Währungsunion der Prozeß der Integration der beiden Teile Deutschlands unumkehrbar wurde. Wirtschaftlich konnte die Währungsunion nur gelingen, wenn die totale Andersartigkeit der Wirtschaft der DDR, die im Währungsgebiet der DM als gefährlicher Fremdkörper wirken mußte, rasch und mit allen Mitteln beseitigt wurde und für die vorhersehbar schwierige Übergangszeit gewaltige öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Die überlegene Wirtschaftskraft der Bundesrepublik konnte diese Belastung auf sich nehmen, wenngleich um den Preis weiterer Staatsverschuldung und nicht ohne deutliche Auswirkungen auf die EG.30 Die Kosten der Währungsunion waren Kosten der politischen Wiedervereinigung. Als in der politischen Diskussion im Sommer 1990 die Bundesregierung wiederholt aufgefordert wurde, die Kosten der Wiedervereinigung »endlich vorzulegen«, war dies genauso unsinnig wie umgekehrt die Reaktion darauf, diese Kosten herunterzuspielen. Die wirtschaftswissenschaftlichen Sachverständigen haben Anfang 1990 auf die Schwierigkeiten der Währungsunion hingewiesen. Die Höhe der Kosten aber konnte niemand angeben. Die Währungsunion wurde gewagt, weil man das Ziel der Wiedervereinigung wollte und sich die Tragung der Kosten in jedem Fall zutraute. – Läßt sich Gleiches auch von der Europäischen Währungsunion sagen? [387] 4. Das Ende der deutschen Währungsunion Mit dem Wirksamwerden des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 war die deutsche Währungsunion dem Begriff nach beendet. Denn von nun an stimmten Währungsgebiet und Staatsgebiet wieder überein. Die Knappsche These wurde zumindest in dem Sinn bestätigt, daß Währungsgebiet und Staatsgebiet nicht auf die Dauer 30 Zu diesen Auswirkungen Jahreswirtschaftsbericht 1993 der EG, 93/258/EWG, ABl. 1993 L 119/1; Wulf-Henning Roth, Der rechtliche Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion, EuR-Beiheft 1/1994, 45, 70f.
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auseinanderfielen und von Anfang an die Währungsunion, die zugleich eine »Wirtschafts- und Sozialunion« war, auf die staatliche Einheit zustrebte. Wirtschaftlich gesehen war allerdings die spezifische Problematik der Währungsunion am 3.10.1990 noch keineswegs überwunden, sondern begann sich erst jetzt voll auszuwirken: nämlich, daß zwei völlig unterschiedliche Wirtschaftssysteme unter dem Dach eines Währungssystems zusammengebunden waren. Das Wirtschaftsgebiet der DDR wirkte wie ein Fremdkörper im Währungs- und Wirtschaftsgebiet der Bundesrepublik und darüber hinaus im Gebiet der EG. Die (oben 3) genannten Transformationsaufgaben setzten erst nach dem 3.10.1990 voll ein. Die durch die Währungsunion verschärften Anpassungsschwierigkeiten wirkten weiter und der gewaltige Subventionstransfer begann. Man kann nicht genau sagen, wann die deutsche Währungsunion in diesem Sinn – verstanden als Disparität zweier Wirtschaftsgebiete in einem Währungsgebiet – durch die wirtschaftliche Homogenität des deutschen Währungsgebietes überwunden sein wird. Der Angleichungsprozeß ist jedenfalls im vollen Gange und die Disparitäten verschwinden allmählich.
III. Die Europäische Währungsunion 1. Die Übertragung der Währungshoheit der Bundesrepublik Der EG-Vertrag in der Fassung des Vertrages von Maastricht sieht die Errichtung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) vor (Art. 4a; 105ff). Es besteht aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und aus den Zentralbanken der Mitgliedstaaten (Art. 106 Abs. 1). Diese werden mit Beginn der dritten Stufe der Währungsunion integraler Bestandteil der ESZB und sind dann gegenüber der Europäischen Zentralbank weisungsgebunden (Art. 14.3 ESZB-Satzung). Die Europäische Zentralbank ist ihrerseits gegenüber den anderen Organen der Gemeinschaft und den Regierungen der Mitgliedstaaten unabhängig (Art. 107 EG-Vertrag). Die vier grundlegenden Aufgaben des ESZB werden in Art. 105 Abs. 2 EG-Vertrag festgelegt: (1) Die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und auszuführen; (2) Devisengeschäfte durchzuführen; (3) die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedstaaten zu halten und zu verwalten und (4) das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zu fördern. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat das ausschließliche Recht, die Ausgabe von Banknoten innerhalb der Gemeinschaft zu genehmigen (Art. 105a Abs. 1 S. 1 EG-Vertrag). Der Vertrag spricht nicht generell von der Kompetenz der EZB zur Geldschöpfung. Dies ist aber gemeint. Die geldpoliti- [388] schen Beschlüsse der Europäischen Zentralbank werden vom Rat der EZB getroffen und vom Direktorium der EZB im Zusammenwirken mit den nationalen Notenbanken ausgeführt. Oberstes Entscheidungsorgan ist demnach der Rat. Ihm gehören die Präsidenten
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der nationalen Zentralbanken und die Mitglieder des EZB-Direktoriums an. Über den Rat der EZB können die nationalen Zentralbanken Einfluß auf die Geldpolitik der EZB nehmen. Allerdings ist dieser Einfluß begrenzt. Jedes Mitglied des Rates hat nur eine Stimme.31 Mit der Errichtung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (dritte Stufe der Währungsunion) geht die Währungshoheit der Bundesrepublik Deutschland und der anderen Mitgliedstaaten der Union auf das ESZB über. Dies folgt schon aus den genannten Aufgaben des ESZB und der erwähnten Weisungsgebundenheit der Zentralbanken der Mitgliedstaaten. Es folgt ferner aus der Unabhängigkeit des ESZB gegenüber den Staatsorganen der einzelnen Mitgliedstaaten. In Art. 107 EG-Vertrag heißt es, daß »weder die EZB noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlußorgane Weisungen von Organen oder Einrichtungen der Gemeinschaft, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen« darf (Art. 107 S. 1). Ferner wird jede Einflußnahme auf die Mitglieder der Beschlußorgane der EZB oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben verboten (Art. 107 S. 2). Die Mitgliedstaaten werden durch Art. 108 EG-Vertrag verpflichtet, ihr innerstaatliches Recht betreffend ihre Zentralbank an den Vertrag anzupassen und damit deren Unabhängigkeit rechtlich zu sichern. Die Übertragung der Währungssouveränität auf das ESZB wurde in Deutschland verfassungsrechtlich durch die Einfügung von Satz 2 in Art. 88 GG abgesichert.32 Danach können die Aufgaben und Befugnisse der Deutschen Bundesbank im Rahmen der Europäischen Union der Europäischen Zentralbank übertragen werden, »die unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität verpflichtet«. Das Bundesverfassungsgericht hat die Übertragung der Währungssouveränität durch den Vertrag von Maastricht unter der Voraussetzung entsprechender parlamentarischer Kontrolle des ESZB gebilligt.33 Welches politische Gewicht der Verlust der nationalen Währungshoheit hat, ist nach zwei Kriterien zu beurteilen: erstens nach seinen Auswirkungen auf die nationale Politik und Wirtschaft der Mitgliedstaaten und zweitens nach der Möglichkeit, sich aus der Währungsunion wieder zurückzuziehen. Hinsichtlich der ersten Frage hat Verloren van Themaat die Meinung vertreten, die Währungsunion sei von relativ geringerem Gewicht für die Souveränität der einzelnen Unionsstaaten als die Vollendung des Gemeinsamen Marktes.34 Dies trifft sich nur teilweise mit der in der ökonomischen 31 Beschlüsse werden mit grundsätzlich mit einfacher Mehrheit gefaßt; Art. 10.2 ESZBSatzung. Einzelheiten bei Poctas, EuR 1993, 23, 32ff. 32 Eingefügt durch Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 21.12.1992, BGBl. I S. 2086, 2087. 33 BVerfG 89, 155ff. 34 FS Börner, 1992, S. 459ff, 469f.
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Theorie verbreiteten Einschätzung, daß die Spielräume der nationalen Währungspolitiken durch die Marktintegration innerhalb der EU ohnehin einge[389] schränkt seien; langfristig lasse sich diese Marktintegration aber nur bei Wechselkursstabilität, diese nur bei Überwindung der Vielfalt der nationalen Währungen verwirklichen.35 Dabei wird die große positive Bedeutung des Anpassungsparameters flexibler Währungskurse für die weiterhin unterschiedlichen Volkswirtschaften verkannt. Die Beseitigung dieses Parameters hat höchtwahrscheinlich große negative Auswirkungen. Die Bedeutung der Währungsunion kann also kaum überschätzt werden; sie liegt aber in ihren zu befürchtenden negativen Auswirkungen für die einzelnen Staaten und für Europa (dazu i. F. 2–5). Hinsichtlich der zweiten Frage heißt die Antwort der Väter des Vertrags von Maastricht: Unumkehrbarkeit der Währungsunion.36 Hinzu kommt der strikte Zeitplan, der in Art. 109j EG-Vertrag vorgegeben ist; danach ist der Eintritt in die dritte Stufe der Union zum 1.1.1999 vorgesehen. Die Staats- und Regierungschefs der Union haben bei ihrem Treffen in Madrid am 15.12.1995 die Entscheidung über die Teilnehmer der Währungsunion auf das zeitige Frühjahr 1998 festgelegt. Diese Entscheidung soll im Lichte der Konvergenzkriterien für das Stichjahr 1997 getroffen werden. Hier besteht natürlich der Ausweg, die Erfüllung dieser Kriterien bei allen Kandidaten zu verneinen. Wie weit ein Automatismus gegeben ist, hängt also auch davon ab, ob man die Konvergenzkriterien des Vertrages als rechtliche Kriterien im technischen Sinne ansieht37 oder bei ihnen eher den Charakter als Orientierungspunkte,38 bzw. politische Regulative und Zielgrößen,39 betont. Niemand bestreitet freilich, daß die Konvergenzkriterien als rechtlich verbindlich vereinbart sind.40 Ebenso unbestreitbar sind sie nach den verwendeten Begriffen und den damit gemeinten wirtschaftlichen Größen so weit gefaßt, daß sich unvermeidlich 35 Scharrer, Probleme einer Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion im Spiegel des Delors-Berichts, in: Mayer/Scharrer/Schmal (Hrsg.), Der europäische Binnenmarkt, 1989, S. 261, 266; Krugman, Konzepte der wirtschaftlichen Integration in Europa, in: Padoa-Schioppa-Gruppe, Effizienz, Stabilität und Verteilungsgerechtigkeit, 1988, S. 113, 139f; Bofinger, Europäische Zentralbank versus europäisches Währungssystem, Wirtschaftsdienst 1992, 457; Wulf-Henning Roth (Fn 30), S. 45ff, 79. 36 Protokoll zum EU-Vertrag über den Übergang in die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion; Text auch bei Läufer (Fn. 2), S. 78. 37 So wohl Roth (Fn 30), S. 55. 38 H. J. Hahn, Der Vertrag von Maastricht als völkerrechtliche Übereinkunft und Verfassung, 1992, S. 50; P. J. Tettinger, Weg frei für die Europäische Währungsunion?, RIWBeilage 3 zu Heft 12/1992, S. 1, 5. 39 Stern, Die Konvergenzkriterien des Vertrags von Maastricht und ihre Umsetzung in der bundesstaatlichen Finanzverfassung, FS Everling, 1995, S. 1469ff, 1475. 40 S. auch A. Weber, JZ 1994, 53ff, 56f; Nicolaysen, Rechtsfragen der Währungsunion, 1993, S. 24.
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politische Entscheidungsspielräume ergeben.41 Diese sind aber i. S. der vertraglichen Verpflichtung zur Währungsstabilität, die im EG-Vertrag in der Fassung von Maastricht (Art. 2, 3a Abs. 2 u. 3; 103, 104a–c, 105, 107 EGVertrag) festgelegt ist,42 auszufüllen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Automatismus des Wegs in die Europäische Währungsunion ebenso verneint wie seine rechtliche Unumkehrbarkeit.43 Hier zeichnet sich ein Konflikt mit dem deutschen Verfassungsrecht ab, der letztlich po- [390] litisch im Sinne einer weiteren Zustimmung des Deutschen Bundestags entschieden werden muß.44 2. Das Problem der Konvergenz der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitiken Während die deutsche Währungsunion den abgrundtiefen Unterschied der zusammengebrochenen sozialistischen Planwirtschaft der DDR im Verhältnis zur hochentwickelten freien Marktwirtschaft der Bundesrepublik zu bewältigen hatte, wird ein solcher Kraftakt der EWU nicht aufgebürdet. Dies wäre auch bei der ungleich größeren Dimension der Union eine unmögliche Aufgabe. Die Mitglieder der EU sind demokratische Rechtsstaaten mit unterschiedlich entwickelten Marktwirtschaften, verfügen also über eine ähnliche politische und wirtschaftliche Struktur. Die Vollendung des Binnenmarktes und die rechtliche Verwirklichung der vier Grundfreiheiten, auf denen er beruht, wirkt im Sinne einer weiteren Annäherung. Andererseits bestehen unverändert erhebliche wirtschaftliche und andere Unterschiede. Und anders als bei der deutschen Währungsunion handelt es sich um einen riesigen Wirtschaftsraum, der mit all seinen wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Unterschieden unter das einheitliche Dach des EURO soll. Im Vertrag von Maastricht ist dieses Problem erkannt, und eine Reihe von Vorschriften sucht die Mitgliedstaaten auf eine Annäherung ihrer Wirtschaftspolitiken festzulegen (Art. 2; 3, 3a Abs. 1; 102a; 103; 104c EG-Vertrag). Dazu gehört auch die Verpflichtung, »im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb« zu handeln (Art. 102a S. 2 EGVertrag). Ferner heißt es: »Die Mitgliedstaaten betrachten ihre Wirtschaftspolitik als eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse und koordinieren sie im Rat nach Maßgabe des Artikel 102a« (Art. 103 Abs. 1 EG-Vertrag) und: »Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite« (Art. 104c Abs. 1 EG-Vertrag). Dies sind politische Programmsätze im In diesem Sinn auch Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Februar 1992, S. 53. BVerfGE 89, 155, 200ff; Weber (Fn 40), S. 58. 43 BVerfG 89, 155, 157, Leitsatz 9c und S. 204. 44 So auch die Entschließung des Deutschen Bundestags v. 2.12.1992, BT-Drucks. 12/3905; Plenarprotokoll v. 2.12.1992, S. 10809ff, 10882; s. auch EuGRZ 1992, 621. Zweifelnd hinsichtlich der Verbindlichkeit der Entschließung Nicolaysen, Rechtsfragen der Währungsunion, 1993, S. 25. 41 42
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Gewande weit formulierter rechtlicher Verpflichtungen.45 Ein genereller rechtlicher Sanktionsmechanismus zu ihrer wirkungsvollen Durchsetzung besteht nicht und ist auch nur schwer politisch durchsetzbar. Allerdings ist im Hinblick auf die Haushaltsdisziplin in Art. 104c EG-Vertrag ein durch umständliche Verfahrensweisen stark abgeschwächter Sanktionsmechanismus vorgesehen. Das Konzept der EWU beruht aber darauf, daß die Beitrittsfähigkeit jedes einzelnen Mitglieds durch den Nachweis seiner mit den anderen Mitgliedern konvergierenden Haushalts- und Wirtschaftspolitik erbracht werden muß. Die Erfüllung dieser vier Konvergenzkriterien gem. Art. 109j EG-Vertrag ist der harte Kern der wirtschaftlichen und politischen Vorbedingungen für den Eintritt in die EWU. Danach darf (1) die Inflationsrate eines Mitgliedlandes nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte über derjenigen der – höchstens drei – Länder der Union mit der niedrigsten Teuerungsrate lie- [391] gen; (2) das öffentliche Haushaltsdefizit darf höchstens 3 Prozent des BIP betragen, und der staatliche Schuldenstand soll nicht mehr als 60 Prozent des BIP ausmachen; (3) die langfristigen Zinsen dürfen das Niveau in den – höchstens drei – preisstabilsten Ländern maximal um 2 Prozentpunkte übersteigen, und (4) der Wechselkurs eines Mitglieds darf während der letzten zwei Jahre nicht abgewertet worden sein und muß sich ohne große Spannungen innerhalb der Bandbreite des EWS gehalten haben.46 Die Tauglichkeit der Konvergenzkriterien ist unter Wirtschaftswissenschaftlern nicht unumstritten.47 Hinzu kommt, daß die Kriterien der Inflationsrate und des Zinsniveaus in Relationen zu anderen Mitgliedsländern definiert sind, diese Werte also durchaus auch in einer Inflationsgemeinschaft ihre Anwendbarkeit behalten. Eine ausgiebige Diskussion der Tauglichkeit der Konvergenzkriterien ist hier nicht möglich; es mag genügen, auf bestimmte Schwächen hinzuweisen. Immerhin nehmen die Anstrengungen in den Mitgliedstaaten zur Erreichung der Konvergenzkriterien zu, und diese scheinen sich als ein wirtschaftspolitisch disziplinierendes Element des Vertrages zu erweisen.48 Aber noch 1994 haben nur Deutschland und Luxemburg die Konvergenzkriterien erfüllt; 1995 hat auch Deutschland sie verfehlt.49
45 Gleiche Charakterisierung des Art. F Abs. 3 EUV (betr. Finanzausstattung der EU) durch BVerfGE 89, 155, 198. 46 Vgl. auch das Protokoll zum EU-Vertrag über die Konvergenzkriterien; Text bei Läufer (Fn 2), S. 75. 47 Vgl. das »Manifest von 60 Ökonomen gegen Maastricht«, in: R. Hrbek, Kontroversen und Manifeste zum Vertrag von Maastricht, Integration 1992, S. 229; B. Nölling, Unser Geld. Der Kampf um die Stabilität der Währungen in Europa, 1993; W. H. Roth, EuR Beiheft 1994, S. 45ff, 79 mit Fn 106. Siebert, Staatsverschuldung muß begrenzt werden, Handelsblatt Nr. 231 v. 29.11.1995, S. 2. 48 Roth, EuR Beiheft 1/1994, S. 50. 49 Köhler, Sparkasse 1995/5, 198, 199.
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Das Konzept der EWU verzichtet auf eine Kongruenz des wirtschaftlichen Entwicklungsstandes in den Mitgliedstaaten. Ein solcher Verzicht ist in gewisser Weise die Vorbedingung dafür gewesen, überhaupt mit einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu beginnen.50 Es ist aber sehr die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang ein solcher Verzicht auch bei der Einrichtung einer Währungsunion sinnvoll ist. Das Konzept der EWU sucht mit den Konvergenzkriterien einen mittleren Weg. Er wird nicht verhindern können, daß in diesem Punkt ein Europa der zwei Geschwindigkeiten entsteht,51 falls nicht an der mangelnden Erfüllung der Konvergenzkriterien die Währungsunion überhaupt scheitert. Wenn man eine Währungsunion will (was als Frage weiter offenzuhalten ist), kann man damit sicher nicht warten, bis der Entwicklungsstand der Mitgliedstaaten sich angeglichen hat und die Währungsunion nur noch den »krönenden Abschluß« bildet. Man kann andererseits aber auch nicht erwarten, daß die Währungsunion, die einem völlig unterschiedlichen Entwicklungsstand der einzelnen Mitgliedsländer übergestülpt würde, sozusagen automatisch (»monetaristisch«) die Angleichung herbeiführen könnte.52 [392] 3. Auswirkungen der Währungsunion: der Transfer von Inflationswirkungen und Subventionen Während die Europäische Währungsunion nach dem Vertrag als Stabilitätsgemeinschaft beabsichtigt ist und auch so bewertet wird,53 sind keine hinreichenden rechtlichen Sicherungen getroffen, daß sich daraus nicht eine Inflationsgemeinschaft entwickelt. Denn die Mitgliedstaaten, die durch die Erfüllung der Konvergenzkriterien den Eintritt in die Währungsunion errungen haben, sind durch den EG-Vertrag keineswegs zur dauerhaften Einhaltung dieser Kriterien veranlaßt. Der Vertrag sieht lediglich bei einem übermäßigen Haushaltsdefizit – unabhängig von der Mitgliedschaft im ESZB – das erwähnte schwerfällige Verfahren der Beanstandung vor (Art. 104c EG-Vertrag). Es ist mit der hohen Wahrscheinlichkeit zu rechnen, daß ein Teil der Länder, die in die Währungsunion eingetreten sind, anschließend in eine inflationsfördernde Politik zurückfällt. Dies gilt sowohl für die staatliche Haushalts- und Wirtschaftspolitik als auch für die vom Staat nicht unmittelbar zu beeinflussende Lohnpolitik der Tarifpartner. Die Erfahrungen mit dem EWS zeigen dies. Das EWS ist mit der Ausweitung der Band50 Für einen solchen Verzicht daher von der Groeben/Mestmäcker (Hrsg.), Verfassung oder Technokratie für Europa, 1974, S. 120ff. 51 Röller, Perspektiven für Europa, Die Bank 1994, 572. 52 Zu den wirtschaftspolitischen Zielen der Währungsunion (befürwortend) Lipp/Reichert, Konfliktfelder auf dem Weg zur Europäischen Währungsunion, in: Weber (Hrsg.), Europa auf dem Weg zur Währungsunion, 1991, S. 31, 35ff. 53 BVerfG 89, 155, 200f.
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breiten auf +/– 15% im August 1993 praktisch gescheitert. Grund dafür war die mangelnde Konvergenz der Volkswirtschaften seiner Mitglieder,54 und dies nach einer längeren Zeit leidlichen Funktionierens. Allerdings wäre in der EWU eine inflationäre Politik sowohl durch den Vertrag als auch durch die Existenz der einheitlichen Währung selbst erschwert. Die Möglichkeit der Finanzierung von Haushaltsdefiziten durch das ESZB ist durch den EGVertrag abgeschnitten (Art. 104); die Gemeinschaft haftet auch nicht für die Schulden eines Mitgliedstaates (Art. 104b). Zugleich wird durch die (relative) Stabilität des EURO der Schuldner stärker belastet, seien es der Staat, Unternehmen (die zu hohe Löhne zusagen) oder private Kreditnehmer. Die schuldnerfreundliche Wirkung der Inflation kommt Geldschuldnern also nur noch teilweise zugute. Es ist aber bestenfalls ungewiß, ob sich die Wirtschaftssubjekte bei der Entscheidung über zu hohe Staatsausgaben, zu hohe Löhne oder zu hohe Kreditaufnahmen von diesen – erst künftig eintretenden – Belastungen abschrecken und damit auf Dauer disziplinieren lassen. Auf der anderen Seite entfällt das Warnsignal des inflationären Geldwertverfalls der nationalen Währung und ihres Außenwertes, der bisher rascher und deutlicher Indikator wirtschaftspolitischer Sünden einer Volkswirtschaft war. Zugleich entfällt der Anpassungsparameter des sinkenden Außenwertes der nationalen Währung, der bisher zumindest kurzfristig die Exportchancen der betreffenden Volkswirtschaft erhöht hat. Die Inflationswirkungen verbreiten sich künftig gleichmäßig und in entsprechend abgeschwächter Form auf das ganze Währungsgebiet des ESZB. Länder, die eine verantwortliche Stabilitätspolitik treiben, haben somit die Lasten der (proportional abgeschwächten) Inflationswirkungen mitzutragen. Andererseits leiden Länder mit geringerer Haushalts- und Wirtschaftsdisziplin unter den relativen Stabilitätseffek- [393] ten des ESZB. Diese Gefahren werden zwar dadurch abgemildert, daß die Europäische Zentralbank selbst auf eine strikte Stabilitätspolitik verpflichtet ist (Art. 105 Abs. 1 S. 1). Ihre Unabhängigkeit soll sie auch in die Lage versetzen, diese Stabilitätspolitik tatsächlich durchzusetzen. Man mag hoffen, daß der Zwang zur monetären Disziplin die Versuchung der Mitgliedsländer und ihrer Tarifpartner zu inflationärer Politik vermindern könnte. Man muß freilich im Gegenteil auch befürchten, daß der politische Druck auf das ESZB im Hinblick auf eine Abmilderung des Stabilitätskurses so lange wächst, bis er Wirkungen zeitigt. Die Inflationsgemeinschaft kann auf Dauer nicht ausgeschlossen werden. Die Wirtschaftsgeschichte bietet für die Probleme internationaler Währungspolitik Anschauungsmaterial etwa in der Lateinischen Münzunion, die 1865 von Frankreich, Belgien, Italien und der Schweiz geschlossen wurde, bald aber die von ihr erhofften Wirkungen einbüßte. Die jährlichen Verhandlungsrunden über Prägekontingente wer Knappe, EWS vor neuem Anlauf, Die Bank 1993, 693ff.
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den wie folgt beschrieben: »Es folgte der Auftritt (meist der italienischen) Delegation, die glaubhaft darlegen konnte, daß eine außergewöhnliche Notlage zur Forderung nach zusätzlichen Prägekontingenten zwinge ...«.55 Ob sich die Psychologie und die Interessenlage der Völker in 120 Jahren geändert hat? Je stabiler umgekehrt der EURO bleiben wird, umso größer werden die wirtschaftlichen Anpassungsschwierigkeiten der schwächeren Regionen. Man kann mit der Migration in stärkere Regionen rechnen, die kaum erwünscht sein kann. Privates Investitonskapital bleibt in den schwächeren Regionen in Zweifel aber aus. Die Notwendigkeit der öffentlichen Subventionierungen zeichnet sich ab. Der Vertrag sieht in der Tat eine Fülle von Maßnahmen vor, um die Angleichung der verschiedenen Regionen Europas innerhalb des Währungsgebietes voranzutreiben »und den Rückstand der am stärksten benachteiligten Gebiete, einschließlich der ländlichen Gebiete, zu verringern« (vgl. Art. 130a Abs. 2). Besondere Bedeutung hat hier die in Art. 130 vorgesehene Industriepolitik.56 Hier entsteht ein riesiger, grundsätzlich marktferner – und daher dem Grundgedanken der Union widersprechender – Umverteilungsmechanismus. Die hier unausweichlichen Umverteilungskämpfe können kaum überschätzt werden. 4. Die weitere institutionelle Absicherung der Währungsunion Derzeit wird eine weitere institutionelle Absicherung der Währungsunion diskutiert. Diese könnte die gezeigten Gefahren keineswegs ausschalten, wohl aber abmildern. Dazu gehört der von Bundesfinanzminister Waigel vorgeschlagene Stabilitätspakt. In ihm sollen sich die Mitgliedstaaten verpflichten, die Konvergenzkriterien für den Eintritt in die Währungsunion nach ihrem Eintritt dauerhaft zu halten. Dies ist gewiß ein Schritt in die richtige Richtung, wenn man denn die Währungsunion will. Aller- [394] dings besteht wenig Aussicht, diese Verpflichtung in eine rechtlich effektive Form zu bringen, insbesondere durch Einrichtung eines Sanktionsautomatismus bei Nichteinhaltung der erforderlichen Haushaltsdisziplin. Die Tarifpartner schließlich können rechtlich zur Stabilitätspolitik nicht verpflichtet werden. Es wird daneben darauf ankommen, einen dauerhaften politischen Konsens über die Währungsstabilität zu erzeugen. Dieser muß natürlich institutionell verankert sein. Das Bundesverfassungsgericht hat darauf hingewiesen, daß mit dem Fortschreiten der Vergemeinschaftung auch die parlamentarische Kontrolle schrittweise von den nationalen Parlamenten auf das Europäische Parlament übergehen könnte. Eine institutionelle Absicherung der Theurl (Fn 7), S. 7. Warnender Hinweis bei Mestmäcker, Die Wirtschaftsverfassung in der Europäischen Union, 1993, S. 26. 55 56
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Währungsstabilität ist davon aber nur begrenzt zu erwarten. Parlamente sind mit Fragen der Währungspolitik erfahrungsgemäß überfordert und es ist nicht ausgeschlossen, daß sich im Europäischen Parlament mit der Zeit die Mentalität einer (abgemilderten?) Inflationsgemeinschaft breitmachen wird. Unter diesen Umständen ist es aussichtsreicher, darauf hinzuarbeiten, daß die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank in die Rechtswirklichkeit umgesetzt wird und daß diese Institution – allmählich und in einem Lernprozeß mit ungewissem Ausgang – die Tradition der Stabilitätskultur der Deutschen Bundesbank fortsetzt. Ohne die rechtlich effektive Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur dauerhaften Einhaltung der Konvergenzkriterien wird dies aber nicht ausreichen, um von der Union das Schicksal einer Inflationsgemeinschaft abzuwenden. Das Dilemma besteht freilich darin, daß die Union in dem Maß, in dem sie zur Stabilitätsgemeinschaft werden sollte, umso stärker Subventionsverteilungskämpfen unterliegen wird. 5. Die politische Zielsetzung des ESZB Man hat häufig die wirtschaftlichen Vorteile des ESZB gegenüber der Vielfalt der nationalen Währungen in Europa betont.57 Es ist nicht zu leugnen, daß diese Vielfalt der Wirtschaft mannigfache Transaktionskosten aufbürdet. Allerdings hat niemand eine fundierte Berechnung dieser Kosten und damit der durch das ESZB erreichbaren Kostenersparnisse vorlegen können. Ein Teil der mit schwankenden Wechselkursen verbundenen Risiken der Export- und Importwirtschaft können durch die Devisenterminmärkte absorbiert werden. Die relativen Anpassungsvorteile schwankender Wechselkurse nationaler Währungen dürfen andererseits nicht unterschätzt werden. Immerhin ist nicht zu leugnen, daß die heutige Volkswirtschaftstheorie sich von der günstigen Beurteilung des Systems flottierender Wechselkurse, wie sie in den siebziger Jahren einsetzte, wieder entfernt hat. Aber die wirtschaftlichen Vorteile der Währungsunion bleiben umstritten. Für ein Land mit stabiler Währung scheinen die Nachteile, bzw. die naheliegenden Risiken von Nachteilen zu überwiegen. [394] Man kann das ESZB daher viel eher aus seiner politischen Zielsetzung verstehen. In der Tat verspricht man sich von der einheitlichen Währung eine Förderung des Gedankens der politischen Einigung Europas und jedenfalls eines stärkeren Gemeinschaftsgefühls, wie er auch in der einheitlichen Währung EURO zum Ausdruck kommen kann. Auch dafür gibt es historische Vorbilder in der Begeisterung der »Weltgeld«-Bewegung Mitte des 19. Jahr57 Lipp/Reichert, Konfliktfelder auf dem Weg zur Europäischen Währungsunion, in: Weber (Hrsg.), Europa auf dem Weg zur Währungsunion, 1991, S. 31ff; Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium für Wirtschaft, Europäische Währungsunion, BAnz Nr. 44 v. 3.3.1989, S. 1112.
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hunderts.58 Falls eine Politik der Stabilität dauerhaft durchgesetzt werden könnte, was auch von der genannten weiteren rechtlichen und institutionellen Absicherung abhängt und gleichwohl höchst ungewiß bleibt, würde dies in der Tat zu einer dauerhaften Koordinierung der nationalen Haushalts- und Wirtschaftspolitiken beitragen, freilich bei verschärften Subventionsverteilungskämpfen auf Unionsebene. Ob dies alles schließlich zur politischen Akzeptanz eines europäischen Bundesstaates beitragen würde, die derzeit bei den Völkern Europas fehlt, und damit wiederum zur Kongruenz von Währungsgebiet und Staatsgebiet, ist ebenfalls ungewiß. In der politischen Motivation der EWU liegt ein weiterer Vergleichspunkt zur deutschen Währungsunion. Dabei werden freilich auch signifikante Unterschiede sichtbar. Das politische Motiv der deutschen Währungsunion, die Wiedervereinigung Deutschlands, war unabweisbar; das Ziel der vollständigen wirtschaftlichen Integration des Währungsgebiets in einer begrenzten Zeitspanne konnte bzw. kann unter hohen Kosten realisiert werden. Für das – allgemein erwünschte – Zusammenwachsen Europas gelten andersartige Ziele und Bedingungen. Das Zusammenwachsen Europas braucht Zeit und politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die derzeit fehlen und durch die EWU weder ersetzt noch herbeigezwungen werden können.
58
Dazu Theurl (Fn 7), S. 5.
Rechtliche und institutionelle Aspekte der Europäischen Währungsunion im politischen und wirtschaftlichen Kontext ZBB 1997, 314–324 Die Vollendung der Europäischen Währungsunion durch die Einführung des Euro steht vor der Tür. Die Diskussion über diesen Schritt von größter Tragweite muß die rechtlichen und institutionellen Aspekte mit den wirtschaftlichen und politischen Aspekten zusammenführen. Dies wird im folgenden Beitrag aus juristischer Perspektive versucht.* Inhaltsübersicht I. Der Vorrang der politischen Entscheidung II. Der Übergang zur Europäischen Währungsunion 1. Konvergenzkriterien 2. Die Entscheidung über den Eintritt in Phase 3 im Frühjahr 1998 2.1 Gemeinschaftsrecht 2.2 Deutsches Verfassungsrecht 3. Die nationalen Währungen in der Übergangszeit III. Das Funktionieren der EWWU: Stabilitäts- oder Inflationsgemeinschaft? 1. Rechtliche Vorkehrungen zur Erhaltung der Stabilität des Euro 2. Keine Sanktionen zur Verteidigung der Stabilität. Der Stabilitätspakt von Amsterdam 3. Vorteile und Nachteile der EWWU 4. Die EWWU und die Außenwelt IV. Der Einfluß des Übergangs des Euro auf bestehende private Geldforderungen 1. Lex monetae und Vertragskontinuität 2. Extraterritoriale Anerkennung der lex monetae 3. Vertragskontinuität und Vertragsanpassung nach der lex contractus 4. Nationale Gesetzgebung über die privatrechtlichen Auswirkungen der Einführung des Euro V. Schlußbemerkung. Eine Inflationsgemeinschaft mit Dauerkonflikten?
I. Der Vorrang der politischen Entscheidung Die Einführung der einheitlichen Währung Euro für eine große Anzahl von Ländern im Rahmen der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU) zum 1. Januar 1999, kaum zu einem späteren Zeitpunkt,
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steht derzeit (im November 1997) zu erwarten. Ausschlaggebend dafür scheint nicht so sehr die Frage, ob die für die Einführung des Euro im Vertrag von Maastricht gesetzten Kriterien nach Buchstaben und Geist des Vertrags genau erfüllt werden, als vielmehr die politische Entschlossenheit der Hauptakteure. Die Bundesregierung und die sie tragenden Parteien sind seit langem und gegen Ende 1997 besonders deutlich zu diesem Schritt entschlossen; eine politische Opposition zu dieser Frage ist nicht vorhanden. Die deutsche Kreditwirtschaft ist von der Idee eines einheitlichen europäischen Finanzmarkts fasziniert, und die Exportwirtschaft, also ein großer Teil der gewerblichen Wirtschaft in unserem exportabhängigen Land, ist von der Idee begeistert, die Währungsrisiken aus Exporten in Weichwährungsländer zu reduzieren. Die Besorgnisse breiter Bevölkerungskreise, die Geldersparnisse künftig einer stärkeren Inflation ausgesetzt zu sehen und sozusagen ein Daueropfer für den Euro erbringen zu müssen – was die internationalen Finanzmärkte durch eine Abschwächung der D-Mark 1997 gegenüber Dollar und Pfund bereits antizipiert haben –, findet keine politische Stimme, ebensowenig die Sorge, daß in einem Hochlohnland wie Deutschland die durch den Euro verstärkte Globalisierung noch mehr Arbeitsplätze gefährden kann. Der politische Wille unserer Nachbarländer, vor allem Frankreichs, zur Einführung der einheitlichen Währung ist seit langem vorhanden und stetig gewachsen. Die Abhängigkeit von den währungspolitischen Entscheidungen der Deutschen Bundesbank, die als Diktat empfunden wurden, soll beseitigt werden. Dies ist ein seit mindestens 25 Jahren deutlich artikulierter politischer Wunsch Frankreichs, und die französische Presse ist derzeit voll von währungspolitischen Wunschträumen, von denen deutsche Bundestagsabgeordnete nichts ahnen. Alle europäischen Regierungen, die sich nicht wie Holland und Österreich seit langem dem Stabilitätskurs der D-Mark angeschlossen haben, wünschen den Tag herbei, an dem die Gefahr eines sinkenden Außenwertes der eigenen Währung als lästiger Mahner an die eigene inflationsfördernde Haushalts- und Wirtschaftspolitik verschwindet. Über die Nachteile der in diesen Ländern dann durch den Euro bewirkten relativen Stabilität wird kaum diskutiert; dies sind Probleme, über die man glaubt, später nachdenken zu können. Die Kommission rechnet mit der pünktlichen Einführung des Euro und propagiert sie.1 Ursprünglich schien es so, als werde nur eine kleine Kerngruppe von Ländern die Konvergenzkriterien (dazu unten II 1) erfüllen und erste Teilnehmer der einheitlichen Währung werden: Deutschland, Frankreich, Österreich, die Niederlande [315] und Luxemburg, vielleicht Belgien und Irland. Dieses Sze* Überarbeitete und erweiterte deutsche Fassung eines am 2.10.1997 in Tokio an der Bank von Japan gehaltenen Vortrags. 1 Yves-Thibault de Silguy, Die Wirtschafts- und Währungsunion – Der Stand des Prozesses, ÖBA 1997, 753.
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nario enthielt nur eine bedeutsame Neuerung: die Währungsunion zwischen Frankreich und Deutschland. Inzwischen drängen sehr viel mehr Kandidaten dazu, Teilnehmer der ersten Stunde zu sein. Italien pocht trotz weithin fehlender wirtschaftlicher und politischer Voraussetzungen auf sein Recht, als Erstunterzeichner der Römischen Verträge von 1957 auch zu den ersten Teilnehmern der einheitlichen Währung zu zählen, und Portugal und Spanien wollen nicht zurückstehen. Die EWWU entfaltet, noch bevor sie endgültig beschlossen ist, inzwischen bereits eine beträchtliche politische Sogwirkung. Alle wollen mitmachen, und auch Englands und Schwedens vorläufiges Nein wird immer wieder in Frage gestellt. Ist der Euro erst einmal etabliert, so ist es nach Einschätzung von Finanzkreisen nur eine Frage der Zeit, bis diese Länder, aber auch z. B. die Schweiz, ihr Interesse an der Teilnahme anmelden werden. Derzeitige Leitlinie für die anstehende Entscheidung über die Einführung des Euro ist sowohl bei der Bundesregierung wie bei den Nachbarländern das Ja zur Währungsunion, gestützt auf ein sogenanntes „Primat des Politischen“, d. h. die „politische Bereitschaft, die EWWU notfalls in einem ungesunden ‚Augen-zu-und-durch‘-Ansatz durchzudrücken“.2 Gemeint ist dabei aus deutscher Sicht ein vage definiertes und unterschiedlich interpretiertes Ziel der Stärkung der europäischen Integration, gegebenenfalls bis hin zu einer – sonst nirgends in Europa angestrebten – politischen Union.3 Dem liegt die gefährliche Vorstellung zugrunde, diese mit einer Währungsunion – d. h. ohne erhebliche sonstige politische Anstrengungen – herbeizwingen zu können.4 Wirtschaftliche Bedenken wegen der nicht ausreichenden Vorbereitung der EWWU werden um dieses vagen Zieles willen hinweggefegt. Politisches Ziel der Nachbarn ist die Beseitigung der selbständigen deutschen Währungspolitik. Diese politischen Vorgaben muß man vor Augen haben, wenn man über die rechtlichen und institutionellen Aspekte der EWWU spricht.
II. Der Übergang zur Europäischen Währungsunion 1. Konvergenzkriterien Der EG-Vertrag in der Fassung des Vertrags von Maastricht macht die Teilnahme an der einheitlichen Währung von der Erfüllung rechtlicher und wirtschaftlicher Kriterien abhängig. Das wichtigste rechtliche Kriterium, die 2 Zutr. Jochimsen, Perspektiven der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, Rede in Grainau am 17.10.1997, hrsg. von der LZB Nordrhein-Westfalen, 1997, S. 6. 3 Krit. Watrin, in: Willeke (Hrsg.), Die Zukunft der D-Mark, 1997, S. 177 ff. 4 Krit. Horn, Währungsunion als Instrument der Integration? Deutsche Erfahrungen und europäische Perspektiven, in: Festschrift Mestmäcker, 1996, S. 381–395; Watrin (Fußn. 3), S. 177, 188.
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rechtliche und faktische Sicherung der Unabhängigkeit der nationalen Zentralbank (Art. 108, 109j Abs. 1 Satz 2 EGV), um diese zur Teilnahme am europäischen System der Zentralbanken (ESZB) zu qualifizieren, ist inzwischen von den meisten Teilnahmekandidaten erfüllt. Im Vordergrund des Interesses der Öffentlichkeit steht die Erfüllung der wirtschaftlichen Konvergenzkriterien, die anzeigen sollen, „ob ein hoher Grad an dauerhafter Konvergenz erreicht ist“ (Art. 109j Abs. 1 Satz 3 EGV), und die zusammengefaßt sagen: (1) Erreichung eines hohen Grades an Preisstabilität, ersichtlich aus einer Inflationsrate, die von der Inflationsrate der drei stabilsten Länder um nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte nach oben abweicht; (2) Dauerhaftigkeit der vom Mitgliedstaat erreichten Konvergenz, die in einem langfristigen Zinsniveau zum Ausdruck kommt, das nicht um mehr als 2 % das Zinsniveau der drei stabilsten Mitgliedstaaten übersteigt.5 (3) eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand, ersichtlich daraus, daß das jährliche Haushaltsdefizit nicht 3 % des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen und (4) der öffentliche Schuldenstand nicht 60 % des Bruttoinlandsprodukts zu Marktpreisen überschreitet; (5) Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems seit mindestens zwei Jahren ohne Abwertung gegenüber der Währung eines anderen Mitgliedstaates. Das erste und zweite Kriterium sind relativ definiert, könnten also auch bei allgemein hohem Inflationsstand erfüllt werden. Tatsächlich aber hat sich in den letzten Jahren die Inflationsrate in allen künftigen Teilnehmerländern deutlich gesenkt, was mit Recht als positive Vorwirkung der Währungsunion verzeichnet wird.6 Eine Reihe von Ländern hat auch erhebliche Anstrengungen zur Verbesserung des Standes der öffentlichen Verschuldung unternommen, so namentlich Irland,7 und ebenso wurden erhebliche Anstrengungen unternommen, das jährliche Haushaltsdefizit zumindest kurz vor der Entscheidung über den Eintritt in die vollendete Währungsunion der Norm von 3 % anzunähern. Tatsächlich hat aber ausweislich der nachfolgenden Übersicht des Europäischen Währungsinstituts im Jahresbericht von 1996 kein Land außer Luxemburg bis Ende 1996 alle Konvergenzkriterien erfüllt.8 Tat Die genauen Konvergenzkriterien ergeben sich aus Art. 109j Abs. 1 Satz 3 EGV i. V. m. dem Protokoll über die Konvergenzkriterien nach Art. 109j EGV (Art. 1 – 4) und dem Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit (Art. 1). 6 Vgl. Europäisches Währungsinstitut (EWI), Jahresbericht 1996, S. 3; dazu auch YvesThibault de Silguy, ÖBA 1997, 753. 7 Irland zeigte bei der ersten Überprüfung der Konvergenzkriterien 1994 einen öffentlichen Schuldenstand von 90 % des Inlandsozialprodukts. Der ECOFIN-Rat hat dies formell nicht beanstandet. Irland hat bis 1996 seinen Schuldenstand auf 74,7 % abgesenkt. 8 EWI (Fußn. 6), S. 59. 5
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sache ist auch, daß der durchschnittliche Stand der öffentlichen Schulden der 15 EU-Länder in den Jahren 1992–1996 nicht gefallen, sondern von 55 % auf 74 % des BIP gestiegen ist9 (siehe Tabelle Seite 316). Auch bis Spätsommer 1997 blieben die Aussichten für eine Erfüllung aller Kriterien auf breiter Front düster. Die deutsche und französische Regierung blieben jedoch unbeeindruckt, und eine politische Diskussion über eine gewisse Aufweichung der Kriterien wurde entfacht und zeigte Wirkung. Öffentliche Aufmerksamkeit fanden aber auch Nachrichten über punktuelle Schönungen des Haushaltes, z. B. durch Privatisierungsverkäufe der öffentlichen Hand oder durch eine vorüber- [316] gehende und später anrechenbare Sondersteuer. Statistische Kunstgriffe, z. B. das Herausrechnen der Schulden der öffentlichen Krankenkassen aus der Berechnung des öffentlichen Schuldenstandes, wurden ebenfalls diskutiert. All dies konnte das Vertrauen der deutschen und ausländischen Öffentlichkeit in die Stabilität des Euro nicht stärken. Konvergenzkriterien 1996 auf einen Blick Inflations- Langfristiger rate Zinssatz
Haushaltsdefizit des Staates
Bruttoverschuldung des Staates
Teilnahme am Wechselkursmechanismus
Belgien
1,8
6,5
–3,3
130,6
ja
Dänemark
1,9
7,2
–1,4
70,2
ja
Deutschland
1,2
6,2
–4,0
60,8
ja
Griechenland
7,9
14,8
–7,9
110,6
nein
Spanien
3,6
8,7
–4,4
67,8
ja
Frankreich
2,1
6,3
–4,0
56,4
ja
Irland
1,7*
7,3
–1,6
74,7
ja
Italien
4,0
9,4
–6,6
123,4
ja
Luxemburg
1,2
6,3
+0,9
7,8
ja
Niederlande
1,5
6,2
–2,6
78,7
ja
Österreich
1,8
6,3
–4,3
71,7
ja
Portugal
2,9
8,6
–4,0
71,1
ja
Finnland
1,5
7,1
–3,3
61,3
ja
Schweden
0,8
8,0
–3,9
78,1
nein
Groß britannien
2,8*
7,9
–4,6
56,2
nein
EU-15
2,4
7,5
–4,4
73,5
Alle Angaben in Prozent Erfüllte Konvergenzkriterien: fett; * Schätzung Europäische Kommission Quellen: Jahresbericht des Europäischen Währungsinstituts 1996
Jochimsen (Fußn. 2), S. 20.
9
1034 Rechtliche und institutionelle Aspekte der Europäischen Währungsunion
Am 14. Oktober 1997 veröffentlichte jedoch die Kommission eine Vorausschätzung, derzufolge alle Länder außer Frankreich und Griechenland das Kriterium des Budgetdefizits (maximal 3 %) erfüllen werden; selbst Italien habe eine gute Aussicht, dieses Kriterium zu erfüllen, wenn es seine auf Stabilitätspolitik gerichteten Haushaltspläne verwirkliche.10 Man kann darüber streiten, ob die Konvergenzkriterien des Vertrags einer strengen Subsumtion zugängliche juristisch fixierte Voraussetzungen für den Beginn der dritten Phase der Währungsunion sind, oder ob es sich eher um politische Zielgrößen handelt, die dann allerdings wiederum in den rechtlichen Rahmen des Vertrags von Maastricht eingebettet und dort verankert sind.11 Nicht streiten kann man darüber, daß nach Buchstaben und Geist des Vertrags die Erfüllung der Konvergenzkriterien so beschaffen sein muß, daß sie einen verläßlichen Anhaltspunkt dafür abgibt, daß „ein hoher Grad von dauerhafter Konvergenz erreicht ist“ (Art. 109j Abs. 1 Satz 3 EGV). Dieses Ziel ist nach der derzeitigen Situation schon jetzt verfehlt. Allgemein politisch und rechtlich akzeptierte Voraussetzung der Währungsunion war und ist, daß sie als Stabilitätsgemeinschaft beginnen solle, und daß dies nur gewährleistet sei, wenn die Teilnehmer die Konvergenzkriterien über längere Zeit vor Beginn der Währungsunion erfüllt haben und wenn dies ohne Manipulationen zur Schönung der Staatshaushalte erreicht worden ist. Bis 1998 ist dies nicht mehr zu erreichen.12 Inzwischen hat sich die politische Öffentlichkeit und es haben sich ebenso die Finanzmärkte darauf eingestellt, daß die eingangs (oben I) geschilderte politische Gesamtsituation dazu führen wird, daß der Euro gleichwohl zum 1. Januar 1999 kommen wird. Sie haben sich ebenso darauf eingestellt, daß der Euro nicht so stabil sein wird wie die D-Mark. Dies zeigt sich an der bereits erwähnten Abschwächung der D-Mark 1997 gegenüber Dollar und Pfund. Es zeigt sich ebenso daran, daß die Zinsspreads zwischen D-Mark, Escudo, Peseta und Lira bei langfristigen Anleihen fast verschwunden sind, weil die Finanzmärkte mit einer Teilnahme dieser Länder am Euro von Anfang an
10 EU-Commission, Autumn Economic Forecasts, IP 97/873; vgl. auch Handelsblatt vom 15.10.1997, S. 1. 11 Zum Charakter der Kriterien als politische Zielgrößen vgl. Hahn, Der Vertrag von Maastricht als völkerrechtliche Übereinkunft und Verfassung, 1992, S. 50; ders., Zum Geltungsbereich der Europäischen Währungsunion, JZ 1993, 481, 485 f; Tettinger, Weg frei für die Europäische Währungsunion?, RIW 1992, Beilage 3, S. 1, 5; Stern, Die Konvergenzkriterien des Vertrags von Maastricht und ihre Umsetzung in der bundesstaatlichen Finanzverfassung, in: Festschrift Everling, 1995, S. 1469, 1475; krit. Horn, Europäische Währungseinheit oder Wettbewerb der Währungen?, in: Baur/Watrin (Hrsg.), Das europäische Gemeinschaftsrecht auf dem Prüfstand, 1997, S. 42 ff. 12 Willeke, in: Willeke (Hrsg.), Die Zukunft der D-Mark, 1997, S. 191, 195; ähnlich Jochimsen (Fußn. 2), S. 8 f, 20 f.
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rechnen.13 Von Politikern wurde diese Vorausschätzung der Märkte fälschlich als Erfolg z. B. italienischer Stabilitätspolitik bewertet.14 2. Die Entscheidung über den Eintritt in Phase 3 im Frühjahr 1998 2.1 Gemeinschaftsrecht Nach den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs der EU wird die Entscheidung über den Beginn der einheitlichen [317] Währung (Phase 3 der EWWU) und den Teilnehmerkreis im Frühjahr 1998 getroffen. Das in Art. 109j Abs. 4 EGV vorgesehene Verfahren schreibt eine Entscheidung des Rats in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs mit qualifizierter Mehrheit vor. Der Entscheidung geht ein mehrstufiges Verfahren voraus. Zunächst berichten Kommission und Europäisches Währungsinstitut dem Rat darüber, wie weit die einzelnen Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen zur Vorbereitung der Durchführung der EWWU nachgekommen sind, insbesondere über die rechtliche Unabhängigkeit der nationalen Zentralbank und die Erfüllung der Konvergenzkriterien (Art. 109j Abs. 1 EGV). Sodann prüft der Rat (in der Zusammensetzung der Wirtschafts- und Finanzminister, ECOFIN), ob die einzelnen Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für die Einführung der einheitlichen Währung erfüllen und ob eine Mehrheit der Mitgliedstaaten diese Voraussetzungen erfüllt. Diese Entscheidung wird mit qualifizierter Mehrheit (62 von 87 Stimmen) getroffen und als Empfehlung an den Rat in der Zusammensetzung der Staats- und Regierungschefs geleitet. Dieser trifft die endgültige Entscheidung ebenfalls mit qualifizierter Mehrheit mit dem zusätzlichen Erfordernis, daß zumindest zehn Mitgliedstaaten für die Einführung stimmen. Die Entscheidung wird zugleich über den Zeitpunkt der Einführung getroffen. Zwar ist in Art. 109j Abs. 4 Satz 1 EGV bereits festgelegt, daß die dritte Stufe am 1. Januar 1999 beginnt, sofern bis Ende 1997 der Zeitpunkt für den Beginn der dritten Stufe nicht festgelegt worden ist. Dieser scheinbare Automatismus kann aber nicht gelten. Denn der Zeitpunkt kann der Sache nach nur im Zusammenhang mit der Qualifizierung der Teilnehmerländer beurteilt werden. Der Rat ist frei, auch einen späteren Zeitpunkt festzusetzen. Die Mehrheitsentscheidung bedeutet, daß kein Staat ein Vetorecht hinsichtlich der Teilnahme eines anderen Staates hat. Ein solches ist nicht einmal für die eigene Teilnahme oder Nichtteilnahme vorgesehen. Aber auch aus
Jochimsen (Fußn. 2), S. 22 f. So in der Entschließung der Bundestagsfraktion der CDU/CSU im September 1997, Frankfurter Allgemeine vom 17.9.1997, S. 10. 13 14
1036 Rechtliche und institutionelle Aspekte der Europäischen Währungsunion
der viel beschworenen Unumkehrbarkeit des Wegs zur EWWU kann nicht geschlossen werden, daß ein Mitgliedstaat gegen seinen eigenen Willen in die dritte Stufe der Währungsunion hineingezwungen wird. 2.2 Deutsches Verfassungsrecht Mit der dritten Stufe der Währungsunion ist eine Übertragung währungshoheitlicher Befugnisse der Bundesrepublik Deutschland auf ein Organ der Europäischen Union verbunden, und zwar auf das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) und die Europäische Zentralbank (EZB). Nach Art. 24 Abs. 1 GG kann der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen, und Art. 23 GG sieht eine entsprechende Mitwirkung bei der Entwicklung der Europäischen Union vor. Art. 88 Satz 2 GG, eingefügt 1992, sieht vor, daß die Aufgaben und Befugnisse der Bundesbank auf die Europäische Zentralbank übertragen werden können, die unabhängig und dem vorrangigen Ziel der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet ist. Auf die genannten Normen wird die Zustimmung zum Vertrag von Maastricht15 gestützt. Das Bundesverfassungsgericht hat durch Urteil vom 12. Oktober 1993 entschieden, daß die Übertragung der Geld- und Währungspolitik von der Bundesrepublik auf das Europäische System der Zentralbanken mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar ist.16 Das Gericht hat zugleich grundsätzliche Ausführungen darüber gemacht, daß die demokratische Legitimierung in diesem Integrationsprozeß durch Rückbindung an die nationalen Parlamente, später durch stärkere Beteiligung des Europäischen Parlaments gesichert werden muß. Das Gericht hat ferner betont, daß die Ratifizierung des Unionsvertrags die Bundesrepublik „nicht einem unüberschaubaren, in seinem Selbstlauf nicht mehr steuerbaren Automatismus zu einer Währungsunion“ unterwirft.17 Damit wird zugleich die Haltung des Bundestags unterstützt, der am gleichen Tag, an dem er dem Vertrag von Maastricht zustimmte, eine Entschließung faßte, daß die Stabilität der Währung unter allen Umständen gewährleistet sein müsse und daß beim Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion die Stabilitätskriterien eng und strikt auszulegen seien. Der Deutsche Bundestag will sich jedem Versuch widersetzen, diese Stabilitäts-
15 Durch Gesetz zum Vertrag vom 7.2.1992 über die Europäische Union vom 28.12.1992, BGBl II, 1251. 16 BVerfGE 89, 155 = ZIP 1993, 1636, dazu EWiR 1993, 1081 (Kluth). Zum Urteil des BVerfG Lenz, Der Vertrag von Maastricht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, NJW 1993, 3038; A. Weber, Die Wirtschafts- und Währungsunion nach dem MaastrichtUrteil des BVerfG, JZ 1994, 53. Zuvor schon Oppermann/Classen, Die EG vor der Europäischen Union, NJW 1993, 5, 11. 17 BVerfGE 89, 155, 157 Leitsatz 9c = ZIP 1993, 1636.
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kriterien aufzuweichen. Dies bedeutet, daß auch geprüft werden muß, ob die anderen Teilnehmerländer die Konvergenzkriterien erfüllen. Das Parlament will sich damit eine Letztentscheidung vorbehalten und erwartet, daß die Bundesregierung diese respektiert. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zu dem im EG-Vertrag vorgesehenen Verfahren des Übergangs. Dieses Problem ist aber lösbar, wenn man den Vertrag so interpretiert, daß kein Mitgliedstaat gegen seinen Willen in die dritte Stufe der Währungsunion aufgenommen werden kann. Schließt man sich der (oben 1) vorgenommenen Bewertung an, daß die Konvergenzkriterien jedenfalls nicht nachhaltig im Sinne des Vertrags erfüllt sind, so muß der Bundestag und ihm folgend die Bundesregierung eine Verschiebung des Beginns beschließen. 3. Die nationalen Währungen in der Übergangszeit Mit Beginn der dritten Phase wird der Euro eine eigenständige Währung (Art. 1091 Abs. 4 Satz 1 EGV) und die nationalen Währungen der Teilnehmerländer verlieren ihre eigenständige Bedeutung. Der Rat der EU hat den Entwurf einer Verordnung über die Einführung des Euro veröffentlicht, der die technischen Details präzisiert.18 Der Euro tritt dann zu festgelegtem Wechselkurs an die Stelle der nationalen Währungen. Während der Übergangszeit bleiben diese zwar weiter im Umlauf, sind aber nur noch Untereinheiten der einheitlichen Währung Euro (Art. 3 und 6). Die Bezeichnungen von Geld- [318] forderungen und Geldbeträgen in nationalen Währungen werden während der Übergangszeit nicht automatisch geändert, sondern bleiben bestehen (Art. 7). Dies gilt auch z. B. für in nationaler Währung denominierte, bereits emittierte Schuldverschreibungen. Die Teilnehmerländer können jedoch nach Art. 8 Abs. 4 des Verordnungsentwurfs bereits während der Übergangszeit Maßnahmen treffen, um solche Titel auf Euro umzustellen. Damit soll erreicht werden, daß möglichst rasch für die sich neu bildenden Finanzmärkte in Euro ein ausreichendes Volumen in diesen Titeln erreicht wird und daß für die Inhaber der Alttitel mögliche Nachteile, die sich aus dem Schrumpfen der Märkte in den alten Währungen ergeben, vermieden werden. Dies stimmt mit den Vorschlägen der Kommission in ihrem Grünbuch vom Mai 1995 überein. Die Bundesregierung hat daher den Entwurf eines „Gesetzes zur Umstellung von Schuldverschreibungen auf Euro“ vorgelegt.19 Am Ende der Stufe 3 werden die nationalen Währungen endgültig aus dem Geldumlauf verschwinden. Ihre Eigenständigkeit haben sie bereits zuvor 18 Entwurf des Rates einer Verordnung über die Einführung des Euro vom 18.10.1996 (Dokument Nr. 96/0250 (CNS) der Kommission), ABl Nr. C 369/10. 19 Art. 6 des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Einführung des Euro, BR-Drucks. 725/97.
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mit Beginn der dritten Stufe eingebüßt. Dieser einschneidende Vorgang wird noch de facto dadurch vorverlagert, daß nach den Beschlüssen von ECOFIN in Mondorf im September 1997 zugleich mit dem Beschluß über Beginn und Teilnehmerkreis der dritten Stufe auch die Umtauschkurse der Teilnehmerwährungen endgültig festgelegt werden sollen. Bereits mit diesem Beschluß im Frühjahr 1998 wird also ein erster wichtiger Schritt zur Aufgabe der Eigenständigkeit der Teilnehmerwährungen getan.
III. Das Funktionieren der EWWU: Stabilitätsoder Inflationsgemeinschaft? 1. Rechtliche Vorkehrungen zur Erhaltung der Stabilität des Euro Das Vertragswerk von Maastricht sucht die künftige dauerhafte Stabilität des Euro hauptsächlich mit drei wichtigen rechtlichen Festlegungen zu sichern: (1) die vollständige Autonomie der Europäischen Zentralbank; (2) die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur koordinierten Stabilitätspolitik; und (3) die Nichthaftung der Gemeinschaft für öffentliche Schulden der Mitgliedstaaten. (1) Die Europäische Zentralbank (EZB) ist grundsätzlich weisungsunabhängig (Art. 107 EGV). Weder die EZB selbst noch eine nationale Zentralbank (die im EZB-Rat vertreten ist) noch ein Mitglied von deren Beschlußorganen darf Weisungen von dritter Seite, insbesondere von den Organen der Gemeinschaft oder den nationalen Regierungen, entgegennehmen. Letztere verpflichten sich, die Autonomie zu respektieren und jeden Versuch einer Beeinflussung der EZB zu unterlassen. Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) ist vorrangig auf das Ziel der Preisstabilität verpflichtet (Art. 105 Abs. 1 Satz 1 EGV). Das ESZB legt autonom seine eigene Währungspolitik fest (Art. 105 Abs. 2 EGV). Geldpolitische Hauptinstrumente werden Offenmarktgeschäfte sein, mit denen das ESZB die laufende zins- und liquiditätspolitische Steuerung des Geldmarktes vornimmt.20 Zentrales Instrument werden voraussichtlich die wöchentlich angebotenen 14tägigen sogenannten Hauptrefinanzierungsgeschäfte sein, die an die Tradition der regelmäßigen Wertpapierpensionsgeschäfte der Bundesbank anschließen. Mit ihrem Zinssatz wird die geld-
20 EWI (Hrsg.), Die einheitliche Geldpolitik in Stufe 3 – Festlegung des Handlungsrahmens, Januar 1997; dass., Die einheitliche Geldpolitik in Stufe 3 – allgemeine Regelungen für die geldpolitischen Instrumente und Verfahren des ESZB, September 1997.
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politische Grundlinie des ESZB vorgegeben. Hinzu tritt ein monatlich im Tenderverfahren angebotenes Refinanzierungsgeschäft mit einer Befristung von drei Monaten. Damit werden Funktionen des in dieser Form nicht mehr aufrechterhaltenen Diskontgeschäfts fortgeführt. Bei den Besicherungstechniken treten neben die Eigentumsübertragung an Vermögenswerten im Pensionsgeschäft künftig auch Verpfändungen, wie sie vom Lombardkredit bekannt sind, wobei an eine Poolbildung zur Globalsicherung des Gesamtwerts der vorgenommenen Refinanzierung gedacht wird. Zu den Offenmarktgeschäften treten ständige Fazilitäten für einen Geschäftstag („über Nacht“) zur Spitzenfinanzierung von Sollsalden, aber auch umgekehrt spiegelbildliche Einlagefazilitäten zur verzinslichen Anlegung. In Betracht gezogen wird schließlich auch eine Mindestreservepflicht, wobei der Kreis der reservepflichtigen Finanzinstitute noch in der Diskussion ist. (2) Die Mitgliedstaaten haben sich im Vertragswerk von Maastricht verpflichtet, ihre Wirtschaftspolitiken so auszurichten, daß sie zur Verwirk lichung der Ziele der Gemeinschaft beitragen (Art. 102a EGV), wozu auch ein „nichtinflationäres ... Wachstum“ (Art. 2 EGV) gehört. Sie haben sich ferner auf eine Koordinierung ihrer Wirtschaftspolitiken verpflichtet (Art. 103 EGV). (3) Die Gemeinschaft übernimmt keine Haftung für Schulden des öffentlichen Sektors irgendeines Mitgliedstaates (Art. 104b EGV). Es ist unzulässig, daß ein Mitgliedstaat oder eine öffentliche Körperschaft oder sonstige öffentliche Einrichtung eines Mitgliedstaates Überziehungs- oder andere Kreditfazilitäten bei der ESZB in Anspruch nimmt (Art. 104 Abs. 1 EGV). Die EZB darf auch nicht unmittelbar von diesen Stellen emittierte Schuldtitel ankaufen. Damit soll einem ungezügelten Schuldenmachen durch Inanspruchnahme direkter Liquiditätsversorgung durch die EZB vorgebeugt werden. 2. Keine Sanktionen zur Verteidigung der Stabilität. Der Stabilitätspakt von Amsterdam Trotz dieser eindrucksvollen rechtlichen Vorkehrungen sind starke Zweifel an einer wirksamen Sicherung der Stabilität begründet, es sei denn, man folgt einer nur in Deutschland zu beobachtenden Neigung und setzt Normen und ihre tatsächliche Befolgung gleich. Denn anders als in der Zeit vor Eintritt in Stufe 3 der Währungsunion sind die Teilnehmerstaaten [319] nach dem Eintritt auf keinerlei konkrete Konvergenzkriterien mehr festgelegt. Als souveräne Staaten entscheiden sie allein über ihre Haushaltspolitik. Die vagen programmatischen Formulierungen des Vertrags sind viel zu schwach, um eine echte verpflichtende Wirkung zu entfalten. Es gehört nicht zuviel Phantasie dazu sich vorzustellen, daß die Parlamente der Länder, in denen eine
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Stabilitätskultur keine Tradition hat, zu alten haushaltspolitischen Gewohnheiten zurückkehren, nachdem einmal die mühselige Hürde des Eintritts geschafft ist. Und von den Tarifparteien kann auch nicht ein höheres Maß an Einsicht erwartet werden. Selbst die scharfe und eindeutige Drohung in Art. 104b EGV, die Gemeinschaft werde für öffentliche Schulden eines Mitglieds nicht aufkommen („no bailing out“), wird nicht recht ernst genommen. Dies gilt zumindest für die Finanzmärkte, welche die Bonität der öffentlichen Anleihen bisheriger Weichwährungsländer allmählich ähnlich einstufen wie die anderer Länder, weil niemand daran glaubt, daß man ein durch übermäßige Haushaltsdefizite oder aus anderen Gründen in Schwierigkeiten geratenes Land allein läßt. Für Schwierigkeiten, von denen ein Mitgliedstaat „aufgrund außergewöhnlicher Ereignisse“ betroffen ist, sieht der Vertrag überdies „einen finanziellen Beistand der Gemeinschaft“ vor (Art. 103a Abs. 2 EGV). Zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin durch die Teilnehmerländer enthält der Vertrag einen kraftlosen Sanktionsmechanismus. Der Rat überwacht anhand von Berichten der Kommission die wirtschaftliche Entwicklung in jedem Mitgliedstaat und nimmt eine Gesamtbewertung vor (Art. 103 Abs. 3 EGV). Wird festgestellt, daß die Wirtschaftspolitik eines Mitgliedstaates nicht mit den Empfehlungen des Rats über Grundzüge einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik (Art. 103 Abs. 2) übereinstimmt, so kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit die dann erforderlichen besonderen Empfehlungen an den betreffenden Mitgliedstaat richten (Art. 103 Abs. 4). Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden, und die Kommission überwacht dazu die Entwicklung der Haushaltslage und des öffentlichen Schuldenstandes der Mitgliedstaaten (Art. 104c Abs. 1 und Abs. 2 EGV). Als Sanktion gegen eine gemeinschaftswidrige Haushaltspolitik ist nach einem umständlichen Verfahren eine Empfehlung des Rats an den betreffenden Mitgliedstaat vorgesehen, die Lage in einer bestimmten Frist zu ändern (Art. 104c Abs. 7 EGV), ein anschließender Beschluß des Rats, den Mitgliedstaat in Verzug zu setzen, innerhalb einer bestimmten Frist Maßnahmen für den zur Sanierung erforderlichen Defizitabbau zu treffen (Art. 104c Abs. 9 EGV), und schließlich zur Durchsetzung dieses Beschlusses sogar „Geldbußen in angemessener Höhe“ (Art. 104c Abs. 11 4. Spiegelstrich EGV).21 Das Europäische Parlament kann die verhängten Sanktionen ganz oder teilweise wieder aufheben (Art. 104c Abs. 12 EGV). Um den Befürchtungen hinsichtlich der Stabilität der künftigen gemeinsamen Währung22 entgegenzuwirken, wurde auf deutschen Vorschlag auf 21 S. dazu auch Kuschnick, Die Währungsunion und der Stabilitätspakt von Amsterdam, DZWir 1997, 315, 319 ff. 22 Zu diesen Befürchtungen Hasse/Hepperle, Kosten und Nutzen einer Europäischen Währungsunion, in: Caesar/Scharrer (Hrsg.), Maastricht – Königsweg oder Irrweg zur
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der Tagung der Staats- und Regierungschefs der EU in Dublin im Dezember 1996 ein „Stabilitäts- und Wachstumspakt“ ausgehandelt23 und in Amsterdam am 16./17. Juni 1997 endgültig angenommen.24 Der Stabilitätspakt soll die Lücken in der Überwachung der Haushaltsdisziplin nach Art. 104c EGV abmildern. Der Begriff des „übermäßigen Defizits“ bleibt aber weiterhin undefiniert, ganz abgesehen von den vielfältigen Möglichkeiten der kurzfristigen Haushaltsbeschönigung und von den Manipulationsmöglichkeiten der Statistik. Der Stabilitätspakt will die Überwachung der Haushaltslage der Mitgliedstaaten verstärken, indem diese regelmäßig die Kommission über die nationalen Haushaltsdaten informieren. Der Pakt soll das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit beschleunigen und die Sanktionen rascher zur Geltung bringen.25 Von einem Automatismus der Sanktionen kann aber weiterhin nicht die Rede sein.26 Es bleibt bei der unüberbrückbaren Kluft zwischen der haushaltspolitischen Eigenständigkeit der souveränen Mitgliedstaaten und den Stabilitätserfordernissen der Währungsunion, die der Vertrag von Maastricht nicht überbrücken konnte und die auch der Stabilitätspakt von Amsterdam nicht überbrücken kann. Außerdem wurde auf französischen Wunsch eine währungs- und wirtschaftspolitisch problematische Entschließung zu „Beschäftigung und Wachstum“ dem Stabilitätspakt von Amsterdam an die Seite gestellt. Es bedarf wenig Phantasie um vorauszusehen, daß damit den Teilnehmerstaaten eine weite Möglichkeit eröffnet wird, künftige Haushaltsdefizite mit beschäftigungspolitischen Notwendigkeiten nach Keynesianischem Muster zu rechtfertigen. Das Defizit an Sanktionen gegen die Nichteinhaltung einer Stabilitätspolitik durch einzelne Teilnehmerländer ist rechtlich und institutionell nicht zu beheben. Hier zeigt sich ein grundlegender Fehler der ganzen Konstruktion der Europäischen Währungsunion, nämlich die Disparität einerseits der Verantwortlichkeiten für die Geld- und Währungspolitik, die vergemeinschaftet wird, und andererseits der Verantwortlichkeiten für die Finanzpolitik, insbesondere Haushaltspolitik, die in der nationalen Verantwortung belassen wird. Man kann diese Disparität mit dem föderativen Prinzip der Europäischen Union erklären. In der Tat muß man einräumen, daß eine Vergemeinschaftung der Finanzpolitiken der einzelnen Länder zu einer weitgehenden Aufgabe ihrer Souveränität und zur Bildung eines echten Bundesstaates führen würde. Zu einem solchen Bundesstaat sind die Völker Europas derzeit noch nicht bereit, und es ist jedenfalls außerhalb Deutschlands eine offene Wirtschafts- und Währungsunion?, 1994, S. 165–169; Horn (Fußn. 4), S. 381–395; Willeke (Fußn. 12), S. 39 ff, 63 ff. 23 Text im Bulletin der Bundesregierung 1997, Nr. 19, S. 189–216. 24 Kuschnick, DZWir 1997, 315, 319. 25 Kuschnick, DZWir 1997, 315, 319 f. 26 Kuschnick, DZWir 1997, 315, 321. Jochimsen (Fußn. 2), S. 17, der auch drastisch von einem „schmählichen Scheitern“ der Konferenz von Amsterdam spricht, S. 8.
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Frage, ob es sich um ein erstrebenswertes Ziel handelt. Dieses grundlegende Spannungsverhältnis ist kaum zu überwinden. Die Alternative wäre eine Aufschiebung oder eine Aufgabe des Ziels der dritten Stufe der Währungsunion und [320] der Ausbau des bestehenden europäischen Währungssystems kontrollierter Wechselkurse. Man kann allenfalls hoffen, daß die Völker Europas freiwillig in einem allmählichen Lernprozeß zu einer gemeinsamen Stabilitätspolitik finden. Eine Gewähr dafür besteht freilich nicht. Im übrigen handelt es sich nicht um eine rechtliche und institutionelle Frage, sondern hier geht es um die allgemeinen Auswirkungen der EWWU, die nun zu betrachten sind. 3. Vorteile und Nachteile der EWWU Das Grünbuch der Kommission von 1995 nennt stichwortartig als Vorteile der EWWU einen effizienteren gemeinsamen Markt, einen Anreiz für Wachstum und Beschäftigung, die Vermeidung von Zusatzkosten, die aus der Vielzahl der Währungen entstehen, eine verstärkte internationale Stabilität und eine verbesserte gemeinsame Währungssouveränität der Teilnehmerstaaten. Der letztgenannte Punkt, die (im Originaltext) „enhanced joined monetary sovereignty for the Member States“, ist leicht zu übersetzen mit der Beseitigung der Dominanz der währungspolitischen Entscheidungen der Deutschen Bundesbank als politisches Ärgernis für manche Nachbarstaaten, wie bereits eingangs (oben I) bemerkt. Vom deutschen Standpunkt aus ist dieses Ziel bestenfalls bedeutungslos, zumal es nicht um einen ernsthaften Konfliktherd geht. Eine Verbesserung der politischen Stabilität in Europa kann dagegen nur erreicht werden, wenn die EWWU nicht zu neuen, noch ungeahnten Dauerkonflikten führt, was noch zu erörtern ist. Das gewichtigste Argument scheint die Verbesserung des gemeinsamen Marktes zu sein. In der Tat scheint vieles dafür zu sprechen, daß die einheitliche Währung das Funktionieren des gemeinsamen Marktes erleichtert. Dies gilt einmal für die Ausbildung internationaler Finanzmärkte, zum anderen für den Wegfall von Verlusten der Exportindustrie beim Export in Weichwährungsländer. Hinzu kommt der Wegfall von Transaktionskosten durch den Wegfall der Notwendigkeit des Währungsumtausches. Einige dieser Vorteile werden überschätzt, andere sind auch jetzt schon – ohne EWWU – erreichbar. So können Exporteure häufig ihr Wechselkursrisiko durch Fakturierung in einer starken Währung vermeiden oder, wenn dies dem Importeur zu beschwerlich ist, durch Devisentermingeschäfte. Die Transaktionskosten durch reinen Währungsumtausch oder Währungsumrechnung sind nach Einschätzung durch manche Unternehmen relativ gering. Unbestreitbar bleibt, daß der Euro die Ausbildung größerer Finanzmärkte ermöglicht und daß er der Exportwirtschaft das Problem abnimmt, bei starkem Währungsverfall in einem bisherigen Weichwährungsland die
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Preise trotz großer Verluste halten zu müssen, um den Exportmarkt nicht auf Dauer zu verlieren. Insgesamt ist aber die Ausbildung des gemeinsamen Marktes, wie die bisherige Erfahrung zeigt, auf den Euro der jetzt vorgesehenen Konstruktion jedenfalls nicht angewiesen.27 Die Voraussage, die EWWU werde Wachstum und Arbeitsplätze bringen, ist jedenfalls hinsichtlich der Sicherung der Arbeitsplätze in einem Hochlohnland wie Deutschland, das durch den Euro verstärkt den Auswirkungen der Globalisierungen ausgesetzt ist, nicht überzeugend zu begründen. Zu den großen Nachteilen der EWWU gehört die bereits erörterte fehlende Absicherung gegen eine inflationsfördernde Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Einzelstaaten. Die Hoffnung, daß diese Staaten allmählich in einem Lernprozeß eine Stabilitätskultur entwickeln, mag für die unmittelbaren Akteure in der EZB zutreffen, ist aber für die nationalen Parlamente, den gesamten öffentlichen Sektor und die Tarifparteien in den einzelnen Ländern ganz unwahrscheinlich, wenn nicht illusionär. Indem künftig die Außenkurse der nationalen Währungen, jedenfalls im Verhältnis zu den anderen Teilnehmern der EWWU, wegfallen, entfällt zugleich ein Warnsignal und lästiger Mahner, der Parlamente und Regierungen sowie Tarifpartner zur Disziplin veranlaßt. Künftig werden sich die Inflationswirkungen gleichmäßig in der ganzen EWWU verteilen.28 Die Finanzmärkte nehmen dies auch schon ungerührt vorweg, indem sie mit einer Inflationsrate des Euro rechnen, die zwar deutlich unter den Raten der bisherigen Weichwährungsländer liegt, aber deutlich über der bisherigen geringen Inflationsrate der D-Mark. Die zuvor genannten, begrenzten Vorteile der einheitlichen Währung werden durch die Inflationsbelastung der Sparkonten in Deutschland, Österreich und den Niederlanden erkauft. Gleichwohl steht zu erwarten, daß für viele bisherige Weichwährungsländer der Euro zu stabil sein wird. Diese gegenüber dem bisherigen Zustand relativ deutliche Währungsstabilität bedeutet eine stärkere Belastung der Schuldner, der öffentlichen Haushalte und der Unternehmen. Da diese Folgen aber nur mit zeitlicher Verzögerung spürbar sind, ist es sehr fraglich, ob von hier aus eine disziplinierende Wirkung auf die Ausgabenpolitik der Regierungen, Parlamente und Unternehmen ausgeht. Viel wahrscheinlicher ist es, daß man versuchen wird, den nunmehr fehlenden Anpassungsparameter der Nachgiebigkeit des Außenkurses der nationalen Währungen durch 27 Zur umstrittenen Bedeutung der EWWU für den gemeinsamen Markt vgl. Ver Loren van Themaat, Einige Bemerkungen zu dem Verhältnis zwischen den Begriffen Gemeinsamer Markt, Wirtschaftsunion, Währungsunion, Politische Union und Souveränität, in: Festschrift Börner, 1992, S. 459, 464 f; Horn (Fußn. 4), S. 381, 388 f; Ramb, in: Willeke (Hrsg.), Die Zukunft der D-Mark, 1997, S. 109 ff. 28 Matthes, Adäquate Regeln für die Fiskalpolitik der EG-Länder?, Wirtschaftsdienst 1992, S. 409, 413; Nicolaysen, Rechtsfragen der Währungsunion, Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft Berlin, Heft 132, 1993, S. 32 Fußn. 78.
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zwei Strategien zu kompensieren: einmal durch Druck auf das ESZB, eine nachgiebige Währungspolitik zu treiben, und zum anderen durch die Forderung nach zusätzlichen Subventionen für die Regionen, die unter der relativen Stabilität des Euro leiden. Der bereits 1992 gegründete sogenannte Kohäsionsfonds, der die Entwicklung wirtschaftlich schwächerer Länder forcieren und ihnen eine Teilnahme an der EWWU erleichtern soll, und der mit 0,3 % des BIP der EU ausgestattet ist, ist ein naheliegender Ansatzpunkt für neue Umverteilungsforderungen. Streitigkeiten auf der Ebene der Währungspolitik und im Hinblick auf eine Lastenumverteilungspolitik widersprechen dem erklärten Ziel der EWWU, [321] zur politischen Einigung Europas und zu seiner politischen Stabilität beizutragen. 4. Die EWWU und die Außenwelt Zu den Vorzügen der EWWU wird es gerechnet, daß damit eine große Währungszone geschaffen wird, die ein Gegengewicht gegen Dollar und Yen bildet. Diese Funktion hatte freilich bereits bisher die D-Mark-Zone übernommen. Der Außenwert des Euro wird sich zunächst an den Wechselkursrelationen der Teilnehmerwährungen orientieren, die bereits im Frühjahr 1998 bei der Entscheidung über die Einführung der EWWU festgelegt werden. Der Euro wird nicht automatisch das hohe Ansehen der D-Mark übernehmen können, weil die Finanzmärkte die mangelnden Vorkehrungen für eine wirkliche Stabilitätspolitik aller Teilnehmerländer einrechnen. Der Euro dürfte aber in der Anfangsphase kaum unter Druck geraten, weil zunächst viele Partnerländer der EWWU sich mit Euro eindecken müssen, was sich auf den Kurs stärkend auswirkt. Über die Wechselkurspolitik des Euro entscheidet letztlich eine politische Instanz, und zwar der Rat (Art. 109 EGV). In der Frage, ob das ESZB eine aktive Wechselkurspolitik treiben soll, liegen die Vorstellungen, z. B. in Deutschland und in Frankreich, das historisch einem stärkeren Staatsinterventionismus anhängt, weit auseinander.29 Zur Förderung der europäischen (französischen) Exportwirtschaft wird man versuchen, den Wechselkurs des Euro niedrig zu halten. Auf der anderen Seite gibt es starke Argumente dafür, daß das ESZB sich am Anfang jeder aktiven Wechselkurspolitik überhaupt enthält, um die Kursbildung dem Spiel der Märkte zu überlassen und gerade auf diese Weise allmählich ein Vertrauen in die Stabilität des Euro aufzubauen. Die Länder, die außerhalb der EWWU bleiben und dem EWS II angehören werden, werden vermutlich eine betonte Stabilitätspolitik betreiben, um einen späteren Eintritt in die EWWU zu erreichen. Daß die EWWU trotz ihrer genannten konstruktiven Mängel einen starken Sog auf andere europä Vgl. dazu auch Kopper, Die Bank lebt nicht vom Geld allein, 1997, S. 129.
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ische Länder ausüben wird, ist abzusehen, und ein Land wie Großbritannien wird wahrscheinlich nicht lange abseits stehen wollen, auch um die Stellung des Finanzplatzes London nicht zu gefährden.
IV. Der Einfluß des Übergangs des Euro auf bestehende private Geldforderungen 1. Lex monetae und Vertragskontinuität Die in der nationalen Währung eines an der EWWU teilnehmenden Landes denominierten privaten Geldforderungen, insbesondere aus Vertrag, unterliegen ohne weiteres den währungsrechtlichen Veränderungen, die sich aus dem Eintritt in die EWWU ergeben und die im Entwurf einer Verordnung des Rats der EU über die Einführung des Euro niedergelegt sind.30 Danach ändert sich die bisherige Nennwährung der in einer nationalen Währung ausgedrückten Geldforderungen nicht (Art. 7). Diese Geldforderungen sind aber ohne weiteres von den währungsrechtlichen Veränderungen, die mit der Einführung des Euro zusammenhängen, betroffen, insbesondere der Tatsache, daß mit Beginn der dritten Stufe die nationalen Währungseinheiten nur noch Untereinheiten oder Substitute des Euro zum festgelegten Kurs sind (Art. 6). Diese Veränderung ist von den Vertragsparteien und den Gläubigern und Schuldnern sonstiger in einer teilnehmenden nationalen Währung denominierter Geldforderungen ohne weiteres hinzunehmen. Dies bedeutet auch, daß die betreffenden Geldforderungen ohne weiteres fortbestehen und keine Partei sich auf ihre Beendigung berufen oder diese verlangen kann (Vertragskontinuität). Der Grundsatz der Vertragskontinuität ist ausdrücklich in der Verordnung des Rats der EU Nr. 1103/97 enthalten.31 Art. 3 dieser Verordnung bestimmt: „Die Einführung des Euro bewirkt weder eine Veränderung von Bestimmungen in Rechtsinstrumenten oder eine Schuldbefreiung, noch rechtfertigt sie die Nichterfüllung rechtlicher Verpflichtungen, noch gibt sie einer Partei das Recht, ein Rechtsinstrument einseitig zu ändern oder zu beenden. Diese Bestimmung gilt vorbehaltlich etwaiger Vereinbarungen der Parteien.“ Der Grundsatz, daß das Währungsrecht Vorrang genießt und die Parteien seine Veränderungen hinzunehmen haben, verbunden mit dem Grundsatz der Vertragskontinuität, wird in der kontinentaleuropäischen Rechtslehre und darüber hinaus mit der Unterscheidung von Währungsstatut (lex monetae)
Entwurf des Rates einer Verordnung über die Einführung des Euro (Fußn. 18). Verordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates vom 17.6.1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro, ABl Nr. L 162/1. 30 31
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und Vertragsstatut (lex contractus) begründet und ist weithin anerkannt.32 Der Grundsatz der Kontinuität der Geldschulden, die in einer am Euro teilnehmenden nationalen Währung denominiert sind, bei Einführung des Euro wird im siebten Erwägungsgrund der VO (EG) Nr. 1103/97 hervorgehoben und ist in der deutschen Diskussion zu dieser Frage allgemein anerkannt.33 2. Extraterritoriale Anerkennung der lex monetae Es kann damit gerechnet werden, daß die währungsrechtliche Veränderung, die mit der Teilnahme bestimmter nationaler Währungen an der EWWU verbunden ist, auch außerhalb der Teilnehmerländer und außerhalb der EU allgemein anerkannt wird. Diese Anerkennung würde bedeuten, daß Vertragsparteien, die keinem der Teilnehmerländer angehören und ihren Vertrag auch nicht dem Privatrecht eines Teilnehmerlandes (als lex contractus) unterstellen, ihre vertraglichen oder sonstigen privaten Geldforderungen aber in einer teilneh- [322] menden Währung denominiert haben, ebenfalls die währungsrechtliche Veränderung im Grundsatz hinnehmen und daß die Gerichte dieser Länder den Fortbestand der Geldforderungen in Euro zum offiziellen Umrechnungskurs zugrunde legen. Dies kann aus der allgemeinen Anerkennung des Prinzips des Vorrangs der lex monetae geschlossen werden.34 Es handelt sich um einen Sonderfall der extraterritorialen Anerkennung von ausländischem Wirtschaftsrecht. Eine solche extraterritoriale Anerkennung ist keineswegs eine allgemein in allen Bereichen des Wirtschaftsrechts geltende Regel, sondern eher die Ausnahme, die durch besondere rechtspolitische Erwägungen unter dem Leitgedanken der internationalen Comitas zu begründen ist. Für die besondere Frage der Anerkennung der lex monetae kann aber eine internationale Anerkennung der extraterritorialen Auswirkung angenommen werden. Diese Frage ist in letzter Zeit Gegenstand einer lebhaften internationalen Diskussion geworden, insbesondere im Hinblick auf das Recht bedeutender internationaler Finanzplätze wie New York, Hongkong, Japan, Singapur und der Schweiz. In London hat sich eine internationale Arbeitsgruppe konstituiert und die Frage für die genannten Finanzplätze mit dem Ergebnis unter32 Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, S. 263 ff; Karsten Schmidt, Geldrecht, Sonderausg. Staudinger §§ 244–248, 12. Aufl., 1983, Vorbem. A 30 zu § 244; Mann, The Legal Aspects of Money, 5. Aufl., 1992, Kap. 2 S. 50 ff, Kap. 9 S. 259 ff; Hahn, Währungsrecht, 1990, § 26 I 2. 33 Fischer/Klanten, Langfristige Bankverträge und die Euro-Währung, ZBB 1996, 1, 3; Sandrock, Der Euro und sein Einfluß auf nationale und internationale privatrechtliche Verträge, RIW 1997, Beilage 1, S. 7, 13; Schefold, Die Europäischen Verordnungen über die Einführung des Euro, WM 1996, Beilage 4, S. 1, 13 f. 34 Zu dieser internationalen Anerkennung vgl. Horn (Fußn. 32), S. 263 ff; Mann (Fußn. 32), Kap. 9 S. 261 ff.
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sucht, daß die Anerkennung der lex monetae im Hinblick auf die Einführung des Euro und der damit verbundene Grundsatz der Vertragskontinuität nach dem Recht der genannten Finanzplätze anzunehmen sei.35 Befürchtungen, daß nach dem Recht von New York diese Anerkennung nicht gesichert sei, sind wohl unbegründet,36 haben aber inzwischen zu einer vorsorglichen Gesetzgebung in New York, Kalifornien und Illinois geführt, die diese Anerkennung sichern soll.37 3. Vertragskontinuität und Vertragsanpassung nach der lex contractus Art. 3 VO (EG) Nr. 1103/97 sieht in seinem letzten Satz selbst die Möglichkeit vor, daß die Parteien eine Ausnahme vom Grundsatz der Vertragskontinuität vereinbaren können. Damit ist anerkannt, daß der Grundsatz des Vorrangs der lex monetae sich nicht blindlings und unterschiedslos durchsetzt, sondern daß in gewisser Weise auf den Parteiwillen und die nach der lex contractus bestehenden privaten Rechte Rücksicht genommen wird. Hätten die Parteien etwa vereinbart, bei Einführung des Euro solle der Vertrag beendet werden – ein eher seltener Fall –, so würde diese Klausel respektiert. In Zweifelsfällen sind herkömmliche Währungs- oder Wertsicherungsklauseln eher im Sinne der Vertragskontinuität auszulegen. Die Klausel etwa, der Vertrag solle enden, wenn die Vertragswährung nicht mehr verfügbar sei, führt nicht zur Beendigung, weil der Euro sich währungsrechtlich als Fortsetzung der alten Währung darstellt. In der Praxis der Anleihebedingungen und langfristigen Kreditverträge sind neuerdings umgekehrt Klauseln üblich, die bei Einführung des Euro die Vertragskontinuität und die Umrechnung der Geldforderung nach dem offiziellen Umrechnungskurs der nationalen Währung in Euro ausdrücklich vorsehen.38 Dies führt zu der weiteren Frage, ob die Einführung des Euro nicht doch nach dem anwendbaren Vertragsrecht (lex contractus) bestimmte Anpassungsrechte der Parteien auslösen kann. Art. 3 VO (EG) Nr. 1103/97 bezeichnet die Grenzlinie zwischen lex monetae und lex contractus, wenn er in seinem letzten Satz auf die Berücksichtigung der Vereinbarungen der Parteien verweist. Dieser Satz läßt sich auch so lesen, daß den Parteien ein 35 Financial Law Panel Ltd., London, Economic and Monetary Union. Continuity of Contracts outside the European Union. Vgl. z. B. den Bericht über Japan (The Position under the Law of Japan), July 1997. 36 Gruson, Altwährungsforderungen vor US-Gerichten nach Einführung des Euro, WM 1997, 699. 37 New York: 1997 N.Y. S. B. 5049 (April 16, 1997); Illinois: 1997 Ill. H. B. 1418 (July 30, 1997); Kalifornien: 1997 Cal. A. B. 185 (August 29, 1997). 38 Beispiel bei Hafke, Währungsrechtliche Fragen auf dem Wege zur Europäischen Währungsunion, Europa-Institut der Universität des Saarlandes, Vorträge, Nr. 358, 1997, S. 18 f.
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Recht zur Neuverhandlung und, wenn Vertrag oder lex contractus es vorschreiben, eine Neuverhandlungspflicht zugewiesen wird, wie sie im deutschen Recht und im internationalen Wirtschaftsverkehr im Zusammenhang mit einem Recht auf Vertragsanpassung anzunehmen ist.39 Tatsächlich ist in zahlreichen nationalen Privatrechten sowohl des kontinentaleuropäischen als auch des angelsächsischen Rechtskreises sowie in Japan grundsätzlich eine Vertragsanpassung bei Veränderung wesentlicher Vertragsumstände („Wegfall der Geschäftsgrundlage“, frustration, force majeure, hardship, change of circumstances) zulässig, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß und stets nur als strenge Ausnahme vom Grundsatz der Vertragsbindung.40 Allerdings besteht bei einem generellen Einsatz dieser privatrechtlichen Instrumente der Vertragsanpassung und notfalls Vertragsaufhebung anläßlich einer bedeutsamen währungsrechtlichen Veränderung, wie sie die Einführung des Euro darstellt, die Gefahr, daß letztlich der Vorrang der lex monetae bei bestehenden Verträgen zu stark eingeschränkt werden könnte. Anders ausgedrückt: Vom Standpunkt der lex monetae aus ist der Einsatz dieser privatrechtlichen Instrumente der lex contractus unerwünscht. In diesem Sinne läßt sich auch Art. 3 VO (EG) Nr. 1103/97 lesen. Auch in der deutschen Literatur wird der Standpunkt vertreten, eine Berufung auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage oder, genauer ausgedrückt, auf die Veränderung vertragswesentlicher Umstände aufgrund Einführung des Euro zum Zweck der Anpassung bestehender (langfristiger) Verträge sei ausgeschlossen.41 Die Kommission hat zu dieser Frage schon 1995 festgestellt: „Der Übergang zur Währungsunion stellt weder im ökonomischen noch im rechtlichen Sinne eine tiefgreifende Änderung dar.“42 [323] Dieser Position kann jedenfalls insoweit zugestimmt werden, als es rechtlich nicht möglich erscheint, unter Berufung auf die Rechtsgrundsätze der Änderung wesentlicher Vertragsumstände (des Wegfalls der Geschäftsgrundlage) die Auswirkung einer Einführung des Euro auf bestehende privatrechtliche Geldschulden generell auszuschließen. Hier ist der genannte Vorrang 39 Vgl. zum deutschen Recht Horn, Neuverhandlungspflicht, AcP 181 (1981), 255; zum Recht des internationalen Wirtschaftsverkehrs Horn (Hrsg.), Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, 1985; siehe ferner Fecht, Neuverhandlungspflichten zur Vertragsänderung, 1988; Nelle, Neuverhandlungspflichten. Neuverhandlungen zur Vertragsanpassung und Vertragsergänzung als Gegenstand von Pflichten und Obliegenheiten, 1994; Eidenmüller, Neuverhandlungspflichten bei Wegfall der Geschäftsgrundlage, ZIP 1995, 1063. 40 Überblick bei Horn, Adaptation (Fußn. 39), S. 15 ff. 41 In diesem Sinn Fischer/Klanten, ZBB 1996, 1, 3 ff; Schefold, WM 1996, Beilage 4, S. 1, 13 f; Schwung, Rechtliche Vorwirkungen des Euro, WiB 1997, 113, 117; vgl. auch Sandrock, RIW 1997, Beilage 1, S. 7 f. 42 Grünbuch der EG-Kommission über die praktischen Fragen des Übergangs zur einheitlichen Währung (KOM (95) 333) vom 31.5.1995, BT-Drucks. 13/2307; in Auszügen abgedruckt in: ZBB 1995, 401 ff.
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des Währungsrechts vor dem Privatrecht zu beachten. Ferner ist der derjenige Fall einer Veränderung der Nennwährung, der zur Ausbildung der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage durch das Reichsgericht geführt hat, nämlich ein exorbitanter Geldwertschwund aufgrund einer Hyperinflation, offensichtlich nicht gegeben.43 Der Grundsatz des Vorrangs des lex monetae darf jedoch nicht dazu benutzt werden, generell alle zivilrechtlichen Reaktionen auf die währungsrechtliche Veränderung ausschließen zu wollen. Daß dies nicht gewollt sein kann, ergibt sich schon aus der ausdrücklichen Ausnahme in Art. 3 VO (EG) Nr. 1103/97, daß besondere Parteivereinbarungen zu berücksichtigen seien. Es ergibt sich ferner aus der Erwägung, daß die EU keine Gesetzgebungskompetenz auf dem Gebiet des allgemeinen Privatrechts hat44 und Art. 3 VO (EG) Nr. 1103/97 daher eine solche generelle Kompetenz auch nicht in Anspruch nehmen kann. Nimmt man den dort ausdrücklich anerkannten Vorrang des Parteiwillens ernst, so muß ohne weiteres eine solche Vertragsanpassung in Reaktion auf die Einführung des Euro möglich sein, die sich mit Hilfe einer ergänzenden Vertragsauslegung erreichen läßt. Ergänzende Vertragsauslegung und Berücksichtigung einer Veränderung wesentlicher Vertragsumstände (Veränderung der Geschäftsgrundlage) betreffen aber Tatbestände und Rechtsbehelfe, die sehr ähnlich und eher graduell als grundsätzlich unterschiedlich sind.45 Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß die Veränderung der Nennwährung durch Einführung des Euro bei bestimmten Verträgen zu einer Regelungslücke führt, die nach den Grundsätzen der ergänzenden Vertragsauslegung gemäß § 157 BGB zu füllen ist, oder zu einer wesentlichen Veränderung der Vertragsumstände, die einen Anpassungsanspruch gemäß § 242 BGB begründen kann. Das allgemeine Interesse, die wirtschaftlichen und rechtlichen Auswirkungen einer Einführung des Euro nicht zu dramatisieren, mag zwar ein Argument dafür liefern, das nicht generell die „Geschäftsgrundlage“ aller bestehenden, in einer Teilnehmerwährung denominierten Geldansprüche „wegfällt“. Aber abgesehen davon, daß das Bild vom „Wegfall der Geschäftsgrundlage“ gegenüber der Tatbestandsdefinition „Veränderung wesentlicher
43 RGZ 107, 78; Überblick bei Horn, Die Vertragsdauer als schuldrechtliches Regelungsproblem, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.), Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts Bd. I, 1981, S. 551 ff, 576 ff. 44 Vgl. Sandrock, RIW 1997, Beilage 1, S. 11; von der Groeben/Thiesing/EhlermannTaschner, EWG-Vertrag, 4. Aufl., 1991, Art. 100 Rz. 13, 28 ff; Lenz/Röttinger, EGV, 1994, Art. 100 Rz. 7. 45 Eine umstrittene Lehre folgert daraus, daß alle Vertragsergänzungen letztlich nicht aus ergänzender Vertragsauslegung, sondern aus § 242 BGB abzuleiten seien; dagegen krit. Staudinger/Roth, BGB, 13. Aufl., 1996, § 197 Rz. 8; MünchKomm-Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., 1993, § 157 Rz. 30. Allgemein zu den Grenzen der ergänzenden Vertragsauslegung Staudinger/Roth, BGB, § 157 Rz. 39.
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Vertragsumstände“ überspitzt und ungenau ist,46 kann es hier nur darum gehen, daß für bestimmte, hauptsächlich langfristige Verträge ein unbestreitbarer Anpassungsbedarf entsteht und daß dieser mit bewährten privatrechtlichen Instrumenten zu beheben ist, die durch den Vorrang der lex monetae keineswegs ausgeschlossen werden können. Ein Beispiel für eine Regelungslücke, die durch ergänzende Vertragsauslegung i. S. v. § 157 BGB behoben werden kann, ist die Frage der Kostentragungspflicht, wenn während der Übergangszeit der Stufe 3 nach Art. 8 Abs. 4 des Entwurfs der Verordnung des Rates der EU über die Einführung des Euro47 bereits emittierte, auf nationale Währungen lautende Schuldtitel des Staates auf Euro umgestellt werden sollen und dabei erhebliche Kosten der Depotkontenumstellung entstehen. Hier kann die ergänzende Vertragsauslegung anhand der in den Anleihebedingungen vorgenommenen Verteilungen der Pflichten und Lasten dazu führen, daß diese Kosten vom öffentlichen Emittenten, nicht von den Banken und nicht von den Obligationären zu tragen sind. Beispiele für eine Anpassung von Verträgen nach § 242 BGB wegen Veränderung wesentlicher Vertragsumstände lassen sich vor allem bei langfristigen Anleihen, langfristigen Krediten und vertraglichen Zinsregelungen in langfristigen Versicherungsverträgen finden.48 Sind diese Verträge in einer Weichwährung ausgestellt, deren nationaler Finanzmarkt ein entsprechend höheres Zinsniveau aufwies, und sind die Zinsen daher an diesem höheren Niveau orientiert, so bringt die Teilnahme dieser Nennwährung am Euro mit seiner gegenüber der Weichwährung relativ höheren Stabilität bei vermindertem Zinsniveau der Finanzmärkte dem Gläubiger einen Vorteil, dem Schuldner eine möglicherweise nicht zumutbare Belastung. Die VO (EG) Nr. 1103/97 des Rates der EU nimmt zwar im siebten Erwägungsgrund die Position ein, „daß bei Festzinsinstrumenten der vom Schuldner zu zahlende nominale Zinssatz durch die Einführung des Euro nicht verändert wird.“ Diese Position ist für das anwendbare Privatrecht (lex contractus) jedoch nicht verbindlich.49 Vielfach wird in der Literatur die Auffassung vertreten, eine wesentliche Veränderung der Vertragsumstände könne nur dann ein Anpassungsrecht begründen, wenn die betreffende Veränderung nicht vorhersehbar war.50
So schon Horn (Fußn. 43), S. 578. Entwurf des Rates einer Verordnung über die Einführung des Euro (Fußn. 18). 48 Vgl. Sandrock, RIW 1997, Beilage 1, S. 12 ff. 49 Sandrock, RIW 1997, Beilage 1, S. 11 f. 50 Ulmer, Wirtschaftslenkung und Vertragserfüllung, AcP 174 (1974), 167, 185; Köhler, Vertragsrecht und „Property Rights“ – Theorie, ZHR 144 (1980), 589, 594; Schwung, WiB 1997, 113, 117. 46 47
ZBB 1997, 314–324
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Dies mag bei den meisten Altverträgen ohne weiteres gegeben sein. Das Merkmal der Nichtvorhersehbarkeit der Umstände wird von der deutschen Rechtsprechung aber zutreffend nicht gefordert. Auch vorhersehbare Entwicklungen können eine Vertragsanpassung auslösen, falls nicht eine Partei das Risiko bewußt in Kauf genommen hat.51 [324] 4. Nationale Gesetzgebung über die privatrechtlichen Auswirkungen der Einführung des Euro Der deutsche Gesetzgeber ebenso wie die nationalen Gesetzgeber anderer Länder, die mit einer Teilnahme an der Stufe 3 der EWWU rechnen, sind derzeit damit beschäftigt, Gesetze vorzubereiten, welche die vielfältigen rechtlichen Auswirkungen der Einführung des Euro insbesondere auf dem Gebiet des Privatrechts regeln. Als Beispiel eines solchen Gesetzes wurde bereits der Entwurf des Schuldverschreibungsumstellungsgesetzes genannt. Die Bundesregierung hat inzwischen den Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Euro (Euro-Einführungsgesetz – EuroEG) beschlossen und ins Gesetzgebungsverfahren eingebracht.52 Das Gesetz enthält die erforderlichen Rechtsänderungen zur reibungslosen Einführung des Euro während der dreijährigen Übergangszeit. Darin wird in 15 Artikeln eine Fülle von Rechtsänderungen vorgenommen, die hier nicht im einzelnen dargestellt werden können. Sie betreffen z. B. Änderungen auf dem Gebiet des Verfahrensrechts, des Gesellschaftsrechts, des Bilanzrechts, des Börsenrechts, der Umstellung von Schuldverschreibungen auf Euro, des Entschädigungsgesetzes und der Schuldverschreibungsverordnung, des Münzwesens, des Währungsrechts, des Gesetzes zur Regelung der Miethöhe, des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes, des Landbeschaffungsgesetzes, des Außenwirtschaftsgesetzes, des Versicherungsaufsichtsgesetzes. Nur als Beispiel sei hervorgehoben, daß Artikel 1 ein Diskontsatz-Überleitungsgesetz enthält, das der Tatsache Rechnung trägt, daß in zahlreichen Vorschriften des deutschen Rechts auf den Diskontsatz der Bundesbank Bezug genommen wird, um eine dynamisierte Festlegung von Zinssätzen zu erreichen, so z. B. in § 11 VerbrKrG (Diskontsatz plus 5 %). Diese Referenzgröße steht künftig nicht mehr zur Verfügung und muß durch eine neue Basisgröße ersetzt werden, die der Verordnungsgeber nach Kenntnis der währungspolitischen Instrumente der EZB bestimmen soll.
51 52
BGHZ 112, 259, 261, dazu EWiR 1991, 577 (Kollhosser); vgl. auch BGHZ 2, 176, 188. Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Euro (Fußn. 19).
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V. Schlußbemerkung. Eine Inflationsgemeinschaft mit Dauerkonflikten? Im emsigen Treiben des Bundesgesetzgebers zur Lösung der rechtlichen Fragen des Übergangs zum Euro und im Treiben der Banken, Industrieunternehmen und Verbände zur Lösung der technischen Fragen dieses Übergangs sollte nicht übersehen werden, daß die Grundfrage des Nutzens einer sofortigen Einführung der EWWU zum 1. Januar 1999 weiterhin ungeklärt ist. Die Art und Weise, wie derzeit die Erfüllung der Konvergenzkriterien betrieben, verfehlt und beschworen wird, widerspricht dem vielfach zitierten Geist einer auf Stabilität gegründeten Währungs- und Wirtschaftsgemeinschaft und läßt größte Zweifel an der Verfolgung einer Stabilitätspolitik durch alle Teilnehmer der EWWU bestehen. Die in Finanzkreisen vorherrschende, öffentlich nicht häufig ausgesprochene Erwartung, daß der Euro deutlich weniger stabil sein wird als die D-Mark, ist realistisch. Zugleich bleibt der grundlegende Konstruktionsfehler der EWWU ungelöst und fast undiskutiert, der in der Diskrepanz zwischen der fortbestehenden Selbständigkeit der Haushalts- und Wirtschaftspolitiken der Teilnehmerländer einerseits und der vergemeinschafteten einheitlichen Währung andererseits besteht. Es handelt sich eben nicht um eine „Wirtschafts- und Währungsunion“; die Wirtschaftsunion fehlt. Zahlreiche Teilnehmerländer, die bisher ihre Anpassungsprobleme zum Teil über den sinkenden Außenwert ihrer nationalen Währungen gelöst haben, werden ungewohnten Bürden der relativ größeren Stabilität ausgesetzt, während Länder mit stabiler Währung mit den Lasten des größeren Geldwertschwundes werden leben müssen. Über die sich daraus ergebenden wirtschaftlichen und sozialen Spannungen kann derzeit nur spekuliert werden.53 Auf der Ebene der europäischen Institutionen sind Dauerkonflikte absehbar einmal im Hinblick auf den Stabilitätskurs in der Währungspolitik der EZB, zum anderen hinsichtlich eines zu erwartenden Umverteilungskampfes um Subventionen zur Abmilderung von Spannungen, die durch das ungewohnte Korsett der EWWU entstehen. Die Frage, wie dies zur stärkeren politischen Integration Europas beitragen soll, bleibt unbeantwortet.
53 Aufschlußreich Bender, Ist eine Europäische Währungsunion unter sozialpolitischen und ökonomischen Aspekten zu verantworten?, EWS 1996, 1.
Die Verteidigung des Euro. Ein historischer Rückblick auf die Euro-Krise im Mai 2010 In Festschrift für Georg Maier-Reimer 2010, 245–263 Den folgenden Beitrag zum derzeit größten rechtspolitischen Problem des internationalen und europäischen Währungsrechts1 verbinde ich mit herzlichen Glückwünschen für den Jubilar, der auf eine höchst erfolgreiche Tätigkeit als Rechtsanwalt mit internationaler Ausrichtung zurückblicken kann, die er stets mit einem Engagement auch in rechtspolitischen Fragen verbunden hat. Der Beitrag wird „historischer Rückblick“ genannt, weil in der Zeit zwischen Ablieferung dieses Manuskripts und seinem Erscheinen weitere unvorhersehbare Veränderungen des Gegenstandes eintreten können. Die hier analysierten Probleme sind jedoch längerfristiger Natur und werden uns in der einen oder anderen Form noch lange begleiten.
I. Einleitung: Der Euro und die globale monetäre Stabilität Ein möglichst hoher Grad an Geldwertstabilität einschließlich der Wechselkursstabilität ist unentbehrliche Grundlage des internationalen Handels und Kapitalverkehrs. Der Euro hat sich bislang als eine der stabilsten Währungen erwiesen und seit seiner Einführung dazu beigetragen, das internationale monetäre System stabil zu erhalten. Er ist eine der wichtigsten Zahlungs- und Reservewährungen geworden. Die interne Inflationsrate in der Eurozone war bisher (Mai 2010) niedrig.2 Der Wechselkurs des Euro zum Dollar stieg seit seiner Einführung kontinuierlich, wenngleich nicht ohne Schwankungen, und verzeichnete insgesamt einen deutlichen Wertzuwachs des Euro. Der letztere Trend hat sich in der zweiten Hälfte 2009 allerdings umgekehrt und der US-Dollar hat seitdem an Außenwert gegen den Euro 1 Ausgangspunkt war meine Vorlesung „A Greek Test for the European Monetary Union“ am 13. April 2010 im Rahmen meiner Lehrtätigkeit als Paul Hastings Visiting Professor of Corporate and Financial Law am Asian Institute of International Financial Law (AIIFL) der Rechtsfakultät der Universität Hong Kong. Die notwendige Aktualisierung erfolgte mit Stand 1. Juni 2010. 2 Sie betrug EU-standardisiert per April 2010 1,5 %. Quellen: Bundesbank, Eurostat; zit. nach Financial Times Deutschland, 14.05.10, S.18.
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deutlich gewonnen, ungeachtet der gewaltigen Verschuldung der USA. Sichtbare Ursache dieser Talfahrt war die verminderte Kreditwürdigkeit bestimmter Länder der Eurozone aufgrund ständig gewachsener Staatsverschuldung. Griechenland zog die meiste Aufmerksamkeit auf sich; aber auch andere Länder [246] wie Portugal, Spanien, Irland und Italien gerieten allmählich unter die Beobachtung der internationalen Finanzmärkte. Dann überschlugen sich die Ereignisse und es wurden im April und Mai 2010 politische Entscheidungen getroffen, die die bisherige faktische Struktur der Europäischen Währungsunion (EWU)3 schwerwiegend verändert haben. Ein Schritt weg von der Stabilitätsunion und hin zu einer „Transferunion“ scheint getan, in Abwendung vom Geist des Vertrags von Maastricht. Die Frage ist, ob der Euro und die EWU auch künftig zur globalen monetären Stabilität beitragen können.
II. Die Griechenlandkrise machte den Anfang 1. Eine absehbare Krise und ein Sparprogramm Am 11.11.2009 stellte die EU-Kommission in ihrem Bericht über den Stabilitäts- und Wachstumspakt eine bemerkenswerte Verschlechterung der Lage des griechischen Staatshaushalts und ein völliges Fehlen von Maßnahmen gegen das wachsende Staatsdefizit fest.4 Griechenland hatte bis dahin eine exzessive Kreditaufnahmepolitik betrieben. Durch die Aufnahme in die Europäische Währungsunion (EWU) 2001, die das Land bekanntlich mit Hilfe grob gefälschter Haushaltszahlen und aufgrund der Unfähigkeit der EU-Behörden zur effektiven Kontrolle dieser Zahlen erschlichen hatte,5 hatten sich für das Land die Kreditmöglichkeiten verbilligt und verbessert, weil für die Kreditgeber das landesspezifische Inflationsrisiko weggefallen war. Griechenland nutzte die durch die EWU-Mitgliedschaft eröffneten verbesserten Kreditmöglichkeiten aber nicht zur investiven Wirtschaftsförderung, sondern zur Bedienung politischer Interessengruppen und zur Bereicherung 3 EWU als Kurzbezeichnung von Stufe III der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (EWWU III), die am 1. Januar 1999 begann und heute 16 Mitglieder umfasst („Euro- oder EWU-Mitglieder). An der durch den Maastricht-Vertrag von 1991 begründeten EWWU sind alle EU-Mitglieder beteiligt, nicht aber an Stufe III. 4 Press release IP/09/1663; http://ec.europa.eu/cgi-bin/etal.pl. Dies vor dem Hintergrund der Tatsache, dass dem Bericht zufolge fast alle Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion (EWU) in Folge der 2007 einsetzenden internationalen Finanzkrise die Stabilitätskriterien des Paktes nicht mehr einhalten konnten. S. unten IV.1. 5 Den Ruf der Unzuverlässigkeit seiner statistischen Angaben ist das Land bis heute nicht los geworden. Noch im April 2010 musste Eurostat die griechischen Angaben über das aktuelle Haushaltsdefizit 2009 von 12,7 % auf 13,6 % korrigieren; eurostat pressemitteilung. euroindikatoren 55/2010-22. April 2010, S. 1,2.
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der korrupten politischen Klasse. Im Februar 2010 forderten die Europäische Zentralbank (EZB) und die EU Griechenland zu energischen Maßnahmen gegen seine ständig steigende Verschuldung auf. Das Land hatte zu dieser Zeit eine Staatsschuld von fast 300 Mrd. € und einen Tilgungsbedarf für 2010 von rund 50 Mrd. €. Die Krise wurde in der Öffentlichkeit erst wahrgenommen, als die Risikozuschläge für griechische Anleihen stark stiegen und ein spekulativer Handel mit Kreditversicherungen für griechische Titel einsetzte. Diese Spekulation wurde von politischer [247] Seite als unverantwortlich kritisiert. Sie hatte freilich das Verdienst, auf bestehende wirtschaftliche Ungleichgewichte aufmerksam gemacht zu haben. Am 3. März 2010 verkündete der griechische Ministerpräsident Papan dreou erstmals ein als ernstgemeint eingeschätztes Sparprogramm, das u. a. Einkommenskürzungen und eine Mehrwertsteuererhöhung umfasste.6 Politische Unterstützung durch Frankreich und Deutschland ermöglichten dem Land im März 2010 die Aufnahme neuer Kredite.7 Das Programm wurde danach schrittweise noch verschärft, ohne im Ergebnis die Märkte8 und die Wirtschaftsfachleute zu überzeugen, dass Griechenland auf diese Weise ohne Umschuldung seine Probleme lösen könne.9 2. Kollektive Griechenlandhilfe (bail out) Am 25. März 2010 vereinbarten die EWU-Staaten vorläufig ein Maßnahmenpaket finanzieller Hilfen für Griechenland,10 wobei man den Internationalen Währungsfonds (IWF) nach einigem Zögern einbezogen hatte. Es sah u.a. auf deutschen Druck zunächst nur bilaterale Kredite einzelner EWUMitgliedsländer zu marktnahen Bedingungen vor, um den Anstrich einer Subvention zu vermeiden und die Nichtbeistands- und Nichthaftungsklausel (no bail out) des Art. 125 (1) AEUV zu respektieren; auch eine enge zeitliche Befristung der Maßnahmen auf vorerst ein Jahr wurde von deutscher Seite lange befürwortet.11 Das Hilfsprogramm entfernte sich dann mehr und mehr von diesen Einschränkungen, mit denen man zunächst den Geist des 6 www.zeit.de/wirtschaft/2010-03/griechenland. Das überarbeitete und z.T. verschärfte Programm wurde am 06.05.2010 vom griechischen Parlament gebilligt. 7 Je eine 5 Mrd €-Anleihe am 4 und am 29 März 2010; vgl. Frankfurter Allgemeine (i.F. FAZ) 30.03. 2010, S.17. 8 FAZ 24.04.2010, S.11. 9 Skeptische Äußerungen des Chefs der Deutschen Bank Ackermann am 13. Mai 2010 (Financial Times Deutschland 14.05.10 S. 1). Da die Banken inzwischen durch die Rettungsmaßnahmen, die keine Umschuldung vorsahen, und durch die Ankäufe von Griechenlandanleihen seitens der EZB ihre Forderungen an Griechenland in vollem Umfang gerettet hatten, rief die Äußerung Empörung hervor; man hielt die Einschätzung aber überwiegend für zutreffend. 10 FAZ 25.03.2010, S. 1, 12; 26.03.2010, S. 1, 12. 11 FAZ 24.04.2010, S. 11.
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Maastricht-Vertrages hatte wahren wollen.12 Aufgrund von Beschlüssen der EWU-Regierungen und entsprechender Erklärungen der EWU-Finanzminister v. 11. April und 2. Mai 2010 kam es zu einer kollektiven Hilfe aller 15 EWU-Staaten für Griechenland in Höhe von 80 Mrd. €; 30 Mrd davon sollten im ersten Jahr bereitgestellt werden. Der Gesamtanteil Deutschlands an dieser Hilfe beträgt 22,4 Mrd E, davon bis zu 8,4 Mrd im ersten Jahr. Die kollektive Hilfe der EU-Staaten wurde in der amtlichen Sprache umschrieben als „koordinierte bilaterale Kredite“.13 Durch die bilaterale Struktur wollte man den – unabweisbaren - Eindruck einer kollektiven Hilfe der EWU entgegen dem Geist der Nichthaftungsklausel des Art. 125 AEUV zumindest abmildern. [248] Immerhin verbietet Art. 125 AEUV streng genommen nicht die „freiwillige“ (wenngleich durch eine Notsituation erzwungene) bilaterale Hilfe der anderen EWU-Staaten. Verneint wird nur ein Rechtsanspruch des Schuldnerstaates oder gar seiner Gläubiger. Art. 125 AEUV wurde also formal nicht verletzt. Dass die Norm in einer Krise faktisch eine kollektive Hilfe nicht verhindern würde, war schon bei Gründung der EWU vorauszusehen.14 3. Die Mitwirkung des IWF . Der Verzicht auf Umschuldung Diese kollektive Hilfe wurde in den Rahmen eines dreijährigen Programms des Internationalen Währungsfonds (IWF) von 110 Mrd. € gestellt.15 Damit waren die zuvor erörterten Pläne eines „Europäischen Währungsfonds“ und die Bedenken gegen die Einschaltung des IWF als „fremde“ Interventionsmacht zunächst vom Tisch.16 Der IWF besitzt eine große, weltweit anerkannte Erfahrung in der Bewältigung internationaler Verschuldungskrisen von Staaten; er macht dabei dem Schuldnerstaat wirtschaftliche Auflagen zur Verbesserung seiner Situation, die in den meisten Fällen eingehalten werden.17 Der Fonds hat zudem den Vorteil, nicht direkt in innereuropäische Interessenkonflikte zwischen denen, die Hilfe beanspruchen und denen, die South China Morning Post 13.04.2010 B4. BT-Drucks 17/1544 v. 02.05.2010, Begr. 14 “The “no-bailing-out-rule” of Art. 104b (1) (= jetzt Art. 125 1 AEUV) is meant as a safeguard. It is unlikely, however, that the international financial markets will heed the warning of this rule. In fact, it is difficult to believe that this rule would be strictly applied in an emergency situation”; Horn, The Institutional and Legal Framework for the European Monetary Union, in Horn (ed.), German Banking Law and Practice in International Perspective, Berlin 1999, S. 15-35, S. 27. 15 Zum Ganzen vgl. die Begründung des Entwurfs zum deutschen „WährungsunionFinanzstabilitätsgesetz“ (WFStG); BT-Drucks. 17/1544 v. 03.05.2010. 16 Der Plan eines europäischen Fonds kehrte aber wenig später zurück in der neuen Gestalt als „Euro-Rettungsschirm“; dazu i. F. 3. 17 Horn, The Restructuring of International Loans and the International Debt Crisis, Int. Bus. Layer 1984, 400–409. 12 13
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sie gewähren sollen, verwickelt zu sein. Die Hilfe des IWF ist grundsätzlich kurzfristig und auf das Ziel der Behebung von Zahlungsbilanzschwierigkeiten (Devisenmangel) zur Aufrechterhaltung des internationalen Zahlungsverkehrs beschränkt. Die Griechenlandhilfe, die der Finanzierung von Staatsschulden Griechenlands in eigener Währung diente, übersteigt als Haushaltshilfe diesen Zweck. Die Beteiligung des IWF ist höchst hilfreich, aber für den statutarischen Zweck des IWF eher ein Grenzfall.18 Hilfen des IWF sind ferner regelmäßig mit Umschuldungen der Staaten durch Verhandlungen mit ihren Gläubigern begleitet. Auch in der Griechenlandkrise wurde mit Recht immer wieder eine Umschuldung gefordert, jedoch von der Mehrzahl der EWU-Länder, auch von deutscher Seite, abgelehnt.19 Ausschlaggebend dafür war offenbar die Tatsache, dass Banken innerhalb und [249] außerhalb der EWU mit 236 Mrd € in griechischen Anleihen und Krediten engagiert waren, darunter die deutschen Banken mit 45 Mrd €, und bei einer Umschuldung beträchtliche Verluste hätten hinnehmen müssen.20 Außerdem waren die großen griechischen Banken, die hohe Bestände griechischer Staatspapiere hielten, in ihrer Existenz bedroht. Aber auch anderen EWU-Staaten widerstrebte der Gedanke einer Umschuldung, die in der Krise auch sie selbst treffen könnte. Eine Umschuldung war demnach politisch aus vielen Gründen nicht durchsetzbar. Der Verzicht auf die Umschuldung hatte jedenfalls zwei fatale Folgen. Erstens setzte er einen Mechanismus außer Kraft, der zur wirtschaftlichen Gesundung Griechenlands unentbehrlich war, indem er dessen Schuldenlast durch Teilverzicht der Gläubiger erleichtert hätte. Eine wirtschaftliche Erholung Griechenlands, die nunmehr bezweifelt werden musste,21 hätte dann mehr Chancen gehabt. Zweitens gab es das falsche Signal an die Märkte und an die Mitgliedstaaten, dass die EWU keine Umschuldungen im Euroraum dulde. Damit wurde, gewollt oder ungewollt, für den nächsten Schritt, den Euro-Rettungsschirm, der falsche Weg vorgezeichnet. Der Ausschluss von Umschuldungen muss später unter Schmerzen korrigiert werden, falls man die Zukunft der EWU sichern will.
18 Bundesbankpräsident Axel Weber sprach von der Notwendigkeit der „Refokussierung des IWF auf sein Kernmandat“, Interview, FAZ 26.04.2010, S. 15. 19 Äußerung der Bundesregierung vom 22.04.2010 zur Griechenlandhilfe, eine Umstrukturierung (der Schulden) werde dabei keine Rolle spielen; FAZ 23.04.2010, S. 13. 20 FAZ 24.04.2010, S. 11 (nach Blomberg u. BIZ). Bezeichnender Weise beurteilte Theo Waigel die Folgen einer Umschuldung als „dramatischer“ als die Vermeidung einer Umschuldung; Interview, Rhein. Merkur 06.05.2010, S.11. Dies ist sehr zweifelhaft; s. aber auch unten IV.4. 21 B. Schulz, Griechenlands Umschuldung erscheint unausweichlich; FAZ 27.04.2010, S. 13. Vgl. auch oben Fn. 9.
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4. Die EZB akzeptiert griechische Staatsanleihen als zentralbankfähig Das 110 Mrd. schwere Rettungspaket der EU und des IWF für Griechenland verfehlte nach seiner Verkündung am 2. Mai sein erklärtes Ziel, die Finanzmärkte zu beruhigen. Die Frage der Bonität der Griechenanleihen und anderer schwacher Schuldnerländer blieb unklar. Die EZB ging dazu über, solche Anleihen als zentralbankfähige Kreditsicherheit zu akzeptieren. Sie dementierte aber noch am 6. Mai 2010 die an den Märkten erwartete weitere Möglichkeit, sie werde solche Anleihen ankaufen,22 was sie in der folgenden Woche dann doch tat. 5. Die Griechenlandkrise wird zur Eurokrise erklärt Bei all diesen Maßnahmen spielte ein schwerwiegendes Missverständnis eine Rolle, nämlich die Gleichsetzung von Griechenlandkrise und Eurokrise. Dies hätte man angesichts des geringen Volumens der griechischen Volkswirtschaft innerhalb der EWU-Länder (Anteil von 2,6 % am BIP der EWU) leicht aufklären können. Stattdessen trieb die politische Diskussion in Europa, geführt von Frankreich und südeuropäischen Ländern, diese Gleichsetzung voran und hämmerte sie auch den Märkten ein. Selbst der deutsche Gesetzgeber übernahm sie schließlich, indem er [250] im Titel des deutschen Gesetzes zur Griechenlandhilfe von der „für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik“ sprach.23 Die politische Rhetorik, auch der Bundeskanzlerin, erklärte die EWU zur „Schicksalsgemeinschaft“.24 Die gleiche Argumentation verwendete die Bundesregierung auch vor dem Bundesverfassungsgericht in der Verhandlung über den Eilantrag, der mit einer Verfassungsbeschwerde gegen das deutsche Gesetz über die Griechenlandhilfe verbunden worden war. Das Gericht lehnte den Eilantrag ab, weil die Bundesregierung eine Gefährdung der Stabilität der ganzen EWU geltend machte und das Gericht bei der Folgenabwägung des Eilantrags die politische Beurteilungsprärogative der Regierung respektierte.25 Aber war diese Einschätzung richtig? Jedenfalls vom Standpunkt des Maastricht-Vertrages aus ist für den Erhalt der Stabilität der EWU und des Euro die Zahlungsfähigkeit eines jeden Mitgliedstaates zwar wünschenswert, aber nicht unbedingt erforderlich. Im Maastricht-Vertrag ist die wirtschaftliche und monetäre Selbstverantwortung eines jeden Staates durch die Nichtbeistands- und Nichthaftungsklausel des Art. 125 AEUV klar festgelegt. FAZ, 07.05.2010, S. 25. BT-Drucks. 17/1544 v. 03.05.2010. 24 Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am 19.05.2010 zu den Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro, BT-Plenarprotokoll 17/42, S. 4125 B, D. 25 BVerfG, Beschluß v. 07. 05. 10, 2 BvR 987/10. 22 23
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Danach haftet weder die EWU noch eines ihrer Mitglieder für die Schulden eines anderen Mitgliedstaates. Ein finanzieller Beistand der EU ist nur für den Fall gravierender Schwierigkeiten eines Mitglieds aufgrund Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, vorgesehen (Art. 122 AEUV). Hätte man die Zahlungsunfähigkeit einzelner Länder bei der Gründung der EWU per se als einen Fall des Art. 122 AEUV angesehen, hätte man Art. 125 AEUV weglassen müssen. Dies hätte zugleich die Gründung der Währungsunion verhindert. Vielleicht wurde in der Griechenlandkrise die erste und letzte Chance vertan, das Prinzip der finanziellen Selbstverantwortung eines jeden EWU-Staates durch eine – begrenzte und kontrollierte – Insolvenz nebst rascher Umschuldung und, soweit nötig, mit anschließender Liquiditätshilfe zu festigen. Das hätte auch Griechenland genutzt und seine wirtschaftliche Erholung gesichert. Ob die unmittelbar nach der Griechenlandhilfe eintretende Verschärfung der Krise dadurch hätte verhindert werden können, ist freilich nicht sicher. Wenn nicht, dann hätte alle Welt die Umschuldung als Auslöser der verschärften Krise angeklagt. Man könnte auch daran denken, dass wegen der monetären Verflechtung innerhalb der EWU selbst ein zeitlich kurzer Ausfall auch nur eines EWUStaates als Schuldners die Zahlungssysteme und Interbank-Beziehungen in der ganzen EWU so durcheinandergebracht hätte, dass ein systemischen Risiko entstanden wäre. Hier sind zumindest Zweifel angebracht. Die Insolvenz Griechenlands, das 2,6 % des BIP der EWU aufweist, hätte nicht viel anders gewirkt als die Insolvenz eines Großunternehmens in einem kleinen nationalen Währungsraum, d.h. äußerst belastend, aber beherrschbar. Das ESZB muss technisch für einen solchen Fall gewappnet sein. [251] Nach der Griechenlandkrise festigte sich weltweit der Eindruck, dass die externe Schuldenkrise eines EWU-Landes zugleich die Krise des Euro bedeute, und zwar nach Selbsteinschätzung der EWU.26 Das wurde rasch zu einer sich selbst erfüllenden Prophetie, weil Geldwert und Geldstabilität auch mit Geldillusion zu tun hat. Der Vertrag von Maastricht hat, wie bemerkt, die Schuldenkrise eines Landes freilich anders gesehen. Im Namen der Schicksalsgemeinschaft EWU wurde der Grundgedanke von Maatsricht, die Nichbeistands- und Nichthaftungsklausel des Art. 125 AEUV, zunächst in der Griechenlandkrise und eine Woche später in der „Eurokrise“ beiseite geschoben zugunsten des Konzepts, kollektive Hilfe aller EWU-Staaten für Schuldnerstaaten zu leisten. Die EWU ist heute durch die Krisenmaßnahmen 26 Schließlich wurde sogar der Fortbestand der Europäischen Gemeinschaft als bedroht und rettungsbedürftig bezeichnet; Regierungserklärung der Kanzlerin am 19.05.2010, BTPlenarprotokoll 14/42, S. 4125 B ff; Äußerung des Präsidenten der EU-Kommission Barroso, Interview, FAZ 25.05.2010, S. 4. Der Fortbestand der EU aber hängt prinzipiell vom Fortbestand der EWU nicht ab.
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in einem höheren Maß zu einer Schicksalsgemeinschaft geworden, als dies ursprünglich gedacht war, und zugleich zu einer verwundbareren. Das muss und kann man ändern.
III. Der Euro-Rettungsschirm 1. Der „europäische Stabilisierungsmechanismus“ In einer dramatischen Beratung in Brüssel am Wochenende des 7. und 8. Mai 2010 haben die Regierungschefs der Euro-Länder unter Führung von Deutschland und Frankreich nach Beratung mit der EZB einen „europäischen Stabilisierungsmechanismus“ in den Grundzügen vereinbart, und zwar in einem Volumen von bis zu 750 Mrd. €, einen Beitrag des IWF eingerechnet. Auf dieser Grundlage hat der Rat der EU am 10. Mai 2010 „Maßnahmen zur Sicherung der Finanzstabilität“ beschlossen. Danach soll es künftig möglich sein, auf Vorschlag der EU-Kommission Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen finanziellen Beistand der Europäischen Union (aus einem mit 60 Mrd. € ausgestatteten Fonds) zu gewähren, falls diese Mitgliedstaaten durch außergewöhnliche Ereignisse, die sich ihrer Kontrolle entziehen, von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht sind (Art. 122 AEUV).27 Ob eine jahrelange maßlose Haushaltspolitik der betreffenden Länder zu den „außergewöhnlichen Ereignissen“ zählt, „die sich ihrer Kontrolle entziehen“, blieb offen.28 Ferner haben die Mitgliedstaaten in einer intergouvernementalen Vereinbarung Vorsorge getroffen, um nach Ausschöpfung dieses Instruments einer weiteren Eskalation auf den Finanzmärkten durch eine zusätzliche Unterstützungsmöglichkeit zu begegnen. Es ist beabsichtigt, eine Zweckgesellschaft zu gründen, die durch die Gewährung von Krediten von bis zu 440 Mrd. € eine drohende Zahlungsunfähig- [252] keit von Staaten abwenden soll. Diese Zweckgesellschaft soll sich am Kapitalmarkt refinanzieren. Sie erhält dafür Garantien der Euro-Mitgliedstaaten. Deren Umfang richtet sich nach dem Anteil am Kapitalschlüssel der EZB. Für Deutschland ergibt dies einen Anteil von 123 Mrd. €. Bei unvorhergesehenem und unabweisbarem Bedarf kann die Garantieermächtigung mit Einwilligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages um zwanzig Prozent überschritten werden.29 Als der Deutsche Bundestag das „Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus“ am
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21. Mai 2010 beschloss,30 waren wichtige Details dieses Mechanismus zwischen den Partnern noch ungeklärt, so die interne Haftungsbegrenzung jeden Mitgliedsstaats auf seinen Anteil, der Ausschluss eines automatischen Zugriffs des bedürftigen Staates auf die Mittel (Erfordernis eines einstimmigen Beschlusses der Euro-Gruppe) und die Auflagen, die der Schuldnerstaat als Voraussetzung der Hilfe akzeptieren müsse.31 Der Rettungsschirm ist vorerst auf drei Jahre befristet; die Kommission hat aber vorgeschlagen, ihn zu verstetigen.32 2. Die EZB kauft kritische Staatspapiere im Markt Parallel zu den Beschlüssen über den Stabilisierungsmechanismus erklärte sich die EZB bereit, ab 10.05.2010 Staatspapiere von Mitgliedstaaten, deren Kreditwürdigkeit in Kritik geraten war, im Markt anzukaufen. Diese Maßnahme stand in Kontrast zum Geist und Zweck des strikten Verbotes des Art. 123 (1) AEUV, dass die EZB keine Staatstitel ankaufen oder sonst diesen Kredit gewähren solle. Auch hier ließ der Wortlaut freilich ein Schlupfloch. Verboten ist nur der „direkte“ Ankauf, formal zulässig also der „indirekte“ am Markt. Aber es war klar, dass die EZB damit nicht nur überflüssige Liquidität in die Märkte pumpte und die Inflationsgefahr vergrößerte,33 sondern einen weiteren Schritt zum Zerfall der bisherigen faktischen Struktur der EWU tat. Denn sie schirmte schwache Schuldnerländer von jeder Marktverantwortung ab und dies, ohne dass diese Länder irgendeine Bedingung erfüllen müssten, weil die EZB den Ankauf autonom entscheidet. Die EZB hat in der Öffentlichkeit durch diese Maßnahme an Glaubwürdigkeit verloren.34 Nicht jeder glaubte auch ihren Versicherungen, sie sei bei diesem Schritt nicht von der Politik getrieben worden und sie habe den Grundsatz ihrer politischen Unabhängigkeit gem. Art. 130 AEUV gewahrt. Wichtiger noch ist, dass die Maßnahme nicht überzeugt. Die Banken, die in den kritischen (und gerade daher hoch rentierenden) Staatspapieren investiert waren, konnten sich vom [253] Gläubigerrisiko befreien;35 wer noch zuletzt diese Anleihen zu Tiefstkursen erworben hatte, konnte exorbitante Gewinne einstreichen.
http.//www.bundestag.de/documente/textarchiv/201029882585_kw20. FAZ, 19. Mai 2010, S. 11. 32 EU-Kommissionspräsident Barroso, Interview, FAZ 25.05.2010, S. 4. 33 Was die EZB vehement bestritt, weil sie durch gegenläufige Geschäfte Geld aus dem Markt zu nehmen versprach. Vgl.auch die (wenig überzeugende) Verteidigung von Trichet, Interview, FAZ 22.05.2010 S. 12. 34 Deges, Verlorenes Erbe, Rhein.Merkur 18/2010, 14; P. Welter, Rettungsschirm schwächt Euro, FAZ 12.05.2010, S. 21. 35 Zahlreiche Banken, die durch übermäßige Kredite und Anleiheerwerb die griechische Verschuldung verschärfen halfen, haben sich nach der Ankündigung der EZB sofort von diesen Papieren getrennt und sichere Anleihen gekauft; FAZ 15.05.10, S. 21. 30 31
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3. Eine Verschwörung gegen den Euro? Die Gründe für die überraschenden und weitreichenden Beschlüsse am 7. und 8. Mai 2010 über den Euro-Rettungsschirm sind nur unvollständig geklärt. Die Unruhe an den internationalen Finanzmärkten hatte sich auch in der ersten Maiwoche nicht gelegt, nachdem die Rettungsmaßnahmen für Griechenland bekannt waren. Das Treffen der Staats- und Regierungschefs der EWU in Brüssel am 7. Mai, das eigentlich der abschließenden Beurteilung der Griechenlandrettung dienen sollte, stand plötzlich unter dem Eindruck einer unmittelbar bevorstehenden globalen Finanzkrise des Euro, die EZB-Chef Trichet den Teilnehmern des Brüsseler Treffens als systemische Krise beschrieb.36 Schon am 6. Mai sprach Bundeskanzlerin Merkel von „Attacken gegen den Euro“; am folgenden Morgen soll sie eine direkte Krisenwarnung durch Präsident Obama erhalten haben.37 Angeblich stand eine beispiellose Spekulation gegen den Euro bevor, die durch Absprachen von Spekulanten vorbereitet sei und die ganze EWU und letztlich die globale Finanzwelt mit einem systemischen Risiko bedrohte. Der Chefvolkswirt der EZB Jürgen Stark berichtete über die entscheidenden Tage des 6. und 7. Mai: „Wir registrierten am Donnerstag und Freitag eine panische Haltung vieler Marktteilnehmer.“38 Also Verschwörung und Panik? Und wie stand es um die Teilnehmer der Brüsseler Zusammenkunft, denen der Präsident der EZB Trichet die Krise in den internen Beratungen verkündete? Was waren die dahinter stehenden Gründe für ihre Beschlüsse? Man unterscheidet hier zweckmäßiger Weise zwischen den (situationsbedingten) Krisenauslösern und den (fundamentalen) Krisenursachen. 4. Krisenängste und Krisenauslöser Stellen wir zunächst das Problem der Verschuldung der EWU-Länder als fundamentale Krisenursache zurück (dazu i. F. IV). Die unmittelbaren Ursachen der Krisenstimmung am 7. Mai 2010 blieben für Außenstehende undeutlich. Sie bedürften einer vertieften Analyse, die hier nicht geleistet werden kann. Sie sind wissenswert, weil sie uns erzählen könnten, was uns im Euroraum auch künftig begegnen kann und wie verwundbar das System der EWU ist. Marktsignale in der betreffenden ersten Maiwoche im Sinn einer Euro-Krise waren eher unauffällig. Aber das soll es ja bei Verschwörungen öfter geben. Es gab Turbulenzen an den amerikanischen [254] Börsen.39 Die in der Diskussion FASZ 16.05.2010, S. 3. Financial Times Deutschland, 14.05.2010, S. 29. 38 FASZ 16.05.2010, S. 31. 39 Der Dow-Jones-Index für Industriewerte fiel am Donnerstag, den 06.05.2010, um bis zu 1000 Punkte. Dies war u.U. technisch bedingt; die Ursachen blieben aber zunächst unklar: FAZ 12.05.2010, S. 22. 36 37
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oft beschworenen Spekulationen in Kreditversicherungen gegen den Verfall bestimmter (insbes. griechischer) Staatstitel konnten andererseits wegen der begrenzten Volumina kaum als konkrete Gefahr ausgemacht werden.40 Aber auch spekulative „Attacken“ generell auf den Euro am Geldmarkt kommen schwerlich in Betracht, wenn man das riesige Volumen des globalen Geldmarktes für Euro bedenkt. Nicht ausgeschlossen war gleichwohl ein dramatischer Absturz des Eurokurses. Den hätte man aber vermutlich aussitzen können und müssen. Irgendwann wäre den Geldmarktakteuren eingefallen, dass es wirtschaftlich starke Euroländer gibt und dass kein Heimatland einer anderen „harten“ Währung (USA; GB, Japan) geringere öffentliche Schulden hat als der Euroraum. Ein Eurokurs deutlich unter der Kaufkraft hätte zumindest mit der Zeit (wann?) Gegenspekulation ausgelöst. Und große Euro-Gläubigerländer wie China hätten dem Verfall ihrer Währungsreserven in Euro nicht tatenlos zugesehen. Dies alles sind natürlich unerprobte Hypothesen hinsichtlich möglicher Krisenfolgen. Als Krisenauslöser eher in Betracht kommen die Schwierigkeiten der schwachen EWU-Länder, die nach Verkündung der Griechenlandhilfe in der kritischen ersten Maiwoche fortdauerten. Man berichtete, dass Banken aus diesen Ländern sich nur schwer am Geldmarkt mit Liquidität versorgen konnten.41 An den Anleihemärkten verzeichnete man Engpässe und schrumpfende Umsätze der betreffenden Staatspapiere mit entsprechend erhöhter Volatilität.42 Die Kurse für griechische Anleihen und solche anderer südeuropäischer Staaten fielen; die Rendite für zweijährige Anleihen stieg auf bis zu 38 %.43 Zwar waren dies Probleme von begrenztem Volumen. Aber zugleich zeichnete sich ein Dominoeffekt ab, der Staatstitel mehrerer EWUStaaten mit großen Schuldenproblemen erfasste, nach Griechenland auch Irland, Portugal, Spanien und Italien mit der Folge, dass diese Staaten keine Kredite an den internationalen Finanzmärkten mehr erhalten würden.
IV. Krisenursachen und Krisenmanagement 1. Die Verschuldung der EU-Länder und der ausgehöhlte Stabilitätspakt Der fundamentale Grund der Euro-Krise 2010 liegt in der übermäßigen Verschuldung vieler EWU-Länder. Darüber bestand bald Einigkeit. Wichtige Problemländer der EWU wie Spanien, Italien und Portugal und andere 40 Der Markt für Kreditversicherungen (CDS) für griechische Staatsschulden (von knapp 300 Mrd. €) wird auf 8 Mrd € geschätzt; davon hat die griechische Postbank 1 Mrd. übernommen; Felsenheimer, Interview FAZ 18.05.2010 S. 19. 41 Financial Times Deutschland, 14.05.2010, S. 29. 42 Financial Times Deutschland, 14.05.2010, S. 29. 43 FASZ 16.05.2010, S. 3. Begehrt waren nur „Bunds“; aaO.
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haben unter dem [255] Eindruck der Krise und des gigantischen Rettungsschirms noch im Mai 2010 energische Maßnahmen zum Abbau des Budgetdefizits beschlossen. Die Länder der EU hatten in Erwartung der Währungsunion 1997 auf Initiative vor allem Deutschlands den Stabilitäts- und Wachstumspakt geschlossen.44 Der Pakt legte Stabilitätskriterien fest, die jedes Mitgliedsland einzuhalten hatte, insbes. die Pflicht, das jährliche Budgetdefizit unter 3 % des BIP zu halten, und die Gesamtverschuldung des Landes unter 60 Prozent des BIP. Ziel war die allmähliche Konvergenz der Volkswirtschaften aller Mitgliedstaaten der EU. Die Einhaltung der Kriterien war Voraussetzung für die Teilnahme an der dritten Stufe der Wirtschaftsund Währungsunion (EWWU III = EWU); die Euro-Länder sollten diese Konvergenz dauerhaft wahren und verbessern. Art. 126 AEUV regelt Informationspflichten der Staaten über die Einhaltung dieser Kriterien. Der Rat kann Verfahren gegen Länder, welche durch „übermäßige Verschuldung“ die Kriterien verletzen, einleiten (Art. 126 (9)ff). Die Effizienz und Weisheit des Paktes waren von Anfang an umstritten. Manche hielten ihn für zu streng und unflexibel,45 andere für zu weich und ineffizient.46 Verfahren wegen übermäßiger Verschuldung wurden gegen Portugal 2002 und gegen Griechenland 2005 durchgeführt. Aber die vorgesehenen Strafen wurden nie durchgesetzt, was der damalige Präsident der EU-Kommission Romano Prodi schon 2002 als „Dummheit“ bezeichnete.47 Nachdem Frankreich und Deutschland die Stabilitätskriterien für einige Zeit verletzt hatten, einigte man sich 2005 auf eine Reform, die eine mehr flexible Handhabung der Stabilitätskriterien gestattete. Man behielt zwar die Kriterien bei (Budgetdefizit nicht über 3 % des BIP; Gesamtdefizit nicht mehr als 60 % des BIP), knüpfte aber die Erklärung des „übermäßigen Defizits“ an weitere, situationsabhängige Kriterien (insbes. die konjunkturelle Lage).48 Von da an war der Stabilitätspakt ein zahnloser Tiger. Das Problem der Einhaltung der Kriterien verschärfte sich infolge der globalen Finanzkrise 2007-10.49 Daher haben die meisten Mitglieder der EWU z.B. 2009 die Stabilitätskriterien nicht erfüllt.50 Trotz all dieser Widrigkei VO des Rates (EG) No. 1466/97, OJ L 209, 02. 8. 997. Grauwe, Economics of Monetary Union, Oxford 2005. 46 Cato Institute, Milton Friedman and the Euro (http://www.cato.org/pubs/ journal/ cj28n2/cj28n2-10.pdf), 2008. 47 BBC News article; (http//news.bbc.co.uk/I/hi/business/2336823.stm). 48 Europäischer Rat; Gipfel am 22-23 März 2005; Spring summit of EU leaders – presidency conclusions (Annex II – p. 21-39 on stability pact) (http://ue.eu.int/ ue.Docs/cms_ Data/docs/pressData/en/ec/84335.pdf); Senior Nello, The European Union: Economics, Policies and History, 2nd ed. New York 2009, at p. 250. 49 Zu den rechtlichen Aspekten der Finanzkrise Überblick bei Horn, BKR 2008, 452; ders., KSzW 2 (2010) 67–77. 50 Eurostat, Pressemitteilung Euroindikatoren, 55/2010, 22. April 2010. Das Defizit lag für 2009 demnach bei 6,3 % des BIP. 44 45
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ten haben die Stabilitätskriterien ihre Bedeutung und sie sollten sie auch in Zukunft haben. Deutschland ist auf einem guten Weg, die Kriterien wieder zu erfüllen.51 Die Kommission hat für jeden Mitgliedstaat der EU Fristen für die Rückkehr zu diesen Kriterien [256] gesetzt.52 Die Lage zeigt deutliche Unterschiede; die südeuropäischen Länder Portugal (15,43 %), Griechenland (13,6 %), Spanien (11,2 %) heben sich negativ ab.53 2. Die diffuse monetäre Verantwortlichkeit in der EWU Die Verschuldung vieler EWU-Länder ist noch keine ausreichende Erklärung der Krise. Die USA, Großbritannien und Japan als Heimatstaaten international verwendeter Währungen häufen ebenfalls immer größere Haushaltsdefizite auf, und die internationale Akzeptanz dieser Währungen war jedenfalls in der Zeit, in der die diffuse Gefahr einer globalen Euro-Krise auftauchte, nicht in Frage gestellt.54 Die EWU weist jedoch die Besonderheit auf, dass sie viele souveräne Staaten mit eigener Wirtschaftspolitik und Budgethoheit unter einer einheitlichen Währung zusammenbindet. Diese Staaten sind für ihre Kredit- und Verschuldungspolitik selbst verantwortlich. Die Union und die einzelnen Mitgliedstaaten sind nach der no-bail-out-Klausel des Art. 125 AEUV für die Schulden eines anderen Mitglieds nicht verantwortlich (kein Beistand, keine Haftung). Der Markt fürchtete zunehmend dieses Prinzip und sah es – mit Recht – durch die Griechenlandhilfe noch nicht ausgeräumt; niemand wusste, was mit Spanien und den anderen Ländern geschehen würde. Letztlich akzeptierte der Markt im Mai 2010 im Hinblick auf die kritischen Länder nicht mehr die hybride Struktur der EWU: Einerseits das einheitliche monetäre System des Euro als international akzeptierte Währung, die durch die EZB (und das ESZB) zentral gesteuert wird, andererseits aber die heterogene wirtschaftliche und politische Basis dieses Systems, das auf einer bunten Vielzahl einzelner Staaten und Volkswirtschaften beruht, mit unterschiedlicher Budgetpolitik souveräner Parlamente und unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen. Zum Ausgleich dieses Mangels musste plötzlich der Euro-Rettungsschirm her, aus dem Nichts geschaffen, als eine Art kollektiver Haftungsverbund, obwohl er genau genommen dies schon wegen Art. 125 AEUV und der quotalen Beteiligung der EWU-Staaten am ESZB nicht ist. 51 Nach Eurostat (aaO) liegt in Deutschland das Budgetdefizit mit 3,3 % nur knapp über dem Soll. 52 EU Commission, press release, http://ec.europa.eu/cgi-bin/etal.pl. 53 Budgetdefizit in Prozent des BIP in Klammern; Eurostat aaO. 54 Allerdings waren in der globalen Finanzkrise 2007–2010 auch in den genannten Ländern massive Interventionen des Staates, in den USA des Federal Reserve Board, zur Stabilisierung auch des monetären Systems notwendig; vgl. allg. zur globalen Finanzkrise BIZ, 75. Jahresbericht Juni 2009, S. 19ff.
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3. Die Möglichkeit der Staatsinsolvenz eines EWU-Mitgliedes Bundeskanzlerin Merkel hat anlässlich der Verabschiedung des deutschen Gesetzes zum Euro-Rettungsschirm die Ermöglichung geordneter staatlicher Insolvenzen für die Mitgliedstaaten der EWU gefordert.55 Andernorts ist in der EWU dieses [257] Thema höchst unbeliebt. Es ist schwer vorstellbar, dass Deutschland mit einer Initiative zur Vertragsänderung in diesem Punkt durchdringt. Aber das ist auch gar nicht notwendig. Es gibt genügend positive Erfahrungen mit Staatsinsolvenzen ohne förmliches Verfahren. Daher war auch einem Vorschlag des IWF zu einer internationalen Regelung für Staateninsolvenz56 keine Zustimmung beschieden. Die Staaten lieben den Gedanken nicht, einem formellen Insolvenzverfahren unterworfen zu werden, und ziehen es vor, die informellen, aber bewährten Umschuldungsverfahren unter Führung des IWF in Anspruch zu nehmen.57 Die Welt hat in den letzten Jahrzehnten internationale Verschuldungskrisen zahlreicher Länder erlebt und mit Hilfe des IWF bewältigt. Nur als wichtige Beispiele aus einer umfangreichen Liste seien erwähnt Brasilien (1982/83), Mexico (1994–95; „Tequila-Krise“), Russland (1998–2000), Pakistan (1999), Ukraine (2000), Argentinien (2001/02). Das Krisenmanagement war regelmäßig mit Umschuldungen verbunden, an denen sich die Gläubigerstaaten (Paris Club) und Privatgläubiger kollektiv beteiligen.58 Umschuldungen bedeuten im Ergebnis nicht nur Fristenverlängerungen, sondern Teilverzichte der Gläubiger. So mussten die Anleger bei 13 Zahlungsausfällen von Staaten 1998-2008 Abschläge von durchschnittlich 50% auf Anleihen hinnehmen.59 Gleichzeitig erhielten die Schuldnerländer durch die Umschuldungen die Möglichkeit zu einem Neuanfang, meist auf der Grundlage der mit dem IWF ausgehandelten und von ihm durchgesetzten Auflagen zu wirtschaftlichen Reformen.
55 Regierungserklärung zum Euro-Rettungsschirm am 19.05.2010; BT-Plenarprotokoll 17/42, S. 4125 B ff. 56 Choi/Gulati, Int. Fin. Law Review, Sept. 2005, 15. 57 Horn, The Crisis of International Lending and Legal Aspects of Crisis Management, in Horn (Hrsg.), Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Investment, 1985, 295 ff;; Berenson, Reflections on the Use of Non-judicial Dispute Mechanisms in the Latin-American Debt Crisis, in Horn/Norton, Non Judicial Dispute Settlement in International Financial Transactions, 2000, S. 251ff, 258. 58 Horn aaO; Berensmann, Die Einbindung privater Gläubiger in … internat. Verschuldungskrisen, hrsg. Deutsches Institut f. Entwicklungspolitik, Berichte u. GA 7/2003; zur Argentinienkrise 2001/02 Baars/Bökel, ZBB 2004, 445ff; Sester, NJW 2006, 2891ff; Horn, Festschrift Nobbe, 2009, 601, 616. 59 Zu 1998–2008 nach einer Untersuchung durch Moody’s, B. Schulz, FAZ 27.04.2010; dort weitere Angaben zu insges. 7 Ländern. Argentinien verzeichnete allein 1956–1992 acht internationale Umschuldungen mit Hilfe des IWF; Cranshaw, DZWiR 2007, 133, 134. Zur argentinischen Krise 2001/02 Horn, Festschrift Nobbe 2009, 601ff, 603ff.
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Die Durchführung eines solchen informellen Insolvenzverfahrens entspricht der in Art. 125 AEUV niedergelegten finanziellen und monetären Selbstverantwortung der EWU-Staaten, wie bereits (oben II.3) erörtert. Obwohl dieser Weg bei Griechenland nicht gewählt wurde, ist er jedenfalls rechtlich nicht versperrt. Der Weg für künftige Umschuldungen wird durch das Beispiel Griechenland freilich politisch erschwert. 4. Aushöhlung des Verbots von ESZB-Kreditfazilitäten für Staaten Wären nach Griechenland alle kritischen Länder Portugal, Irland, Spanien und Italien u.a.m. im Mai 2010 gleichzeitig in eine Verschuldungskrise geraten, wäre das [258] bei Griechenland (oben II.3) schon erwähnte Problem der Gläubigerbanken in vervielfachtem Umfang aufgetaucht. Ausländische Banken (auch außerhalb der EWU) hatten bei diesen 5 Schuldnerländern im Dezember 2009 Forderungen im Volumen von 3951 Mrd. US$, Deutschland Forderungen von 704 Mrd US$.60 Selbst wenn man die Zahlen nicht mit dem Umschuldungsvolumen gleichsetzt,61 lassen sich hohe mögliche Umschuldungsverluste für Gläubiger vermuten, die z.B. auch die deutschen Banken nicht schultern könnten. Der deutsche Staat hätte dann mit einem weiteren nationalen Rettungsschirm einspringen müssen62 und letztlich für diese Schulden anderer Staaten entgegen dem Sinn und Zweck der Nichthaftungsklausel des Art. 125 (1) 2 AEUV gehaftet. Die exzessive Kreditvergabepraxis der Geschäftsbanken und der entsprechende ungehemmte Zugriff der Schuldnerstaaten auf Kredite erklären sich zum guten Teil aus dem europäischen Bankaufsichtsrecht. Dieses verlangt von den Geschäftsbanken für Kredite an Staaten und den Erwerb von Staatsanleihen seit jeher keine Vorhaltung von Eigenkapital.63 Das Volumen dieser Kreditvergaben durch die Geschäftsbanken ist also nicht durch ihr Eigenkapital begrenzt. Diese fatale Lücke im Bankenaufsichtsrecht64 lädt die Banken zur ungehemmten Kreditversorgung der Staaten und diese zum ungehemmten Schuldenmachen ein. Um letzteres zu unterbinden, hat der Vertrag von Maastricht in Art. 123 AEUV verboten, dass die ESZB oder die nationalen Zentralbanken ihren Staaten Kreditfazilitäten verfügbar machen. Für die FAZ 24.04.2010, S.11 (nach Blomberg und BIZ). Die Zahlen beziehen außer den Schuldnerstaaten auch Unternehmen und Private ein. Nicht alle Forderungen wären in Umschuldungsverhandlungen einzubeziehen gewesen. Zudem stellt sich innerhalb der EWU nicht das Problem der Devisenknappheit wie bei der Umschuldung von Weichwährungsländern. 62 Zur deutschen Finanzmarktstabilisierungs- und Bankenrettungsgesetzgebung Horn, BKR 11/2008, 452ff; KSzW 2/2010, 67ff. 63 EWS-Staatsanleihen und Kreditforderungen an EWS-Staaten haben die Risikogewichtung 0 Prozent; § 26 (1) Nr. 2 SolvV. 64 Zutr. Kritik bei Ruhkamp, Die geölte Schuldenmaschine, FAZ 31.05.2010, S. 11. 60 61
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Geschäftsbanken gilt dass Verbot nicht. Das Verbot in Art. 123 AEUV wird durch die Kreditvergabepraxis der Geschäftsbanken praktisch unterlaufen. Hier ist eine Änderung des Kreditaufsichtsrechts dringend angezeigt. Die Kreditvergabe der Geschäftsbanken an Staaten war bisher freilich begrenzt durch die Einschätzung der Bonität der staatlichen Schuldner (internes oder externes Rating). Aber in diesem Punkt hat der Euro-Rettungsschirm das fatale Signal an die Märkte gegeben, dass die EWU dieses Bonitätsrisiko von den Banken möglicherweise künftig fernhalten wird. Ergänzt wird dies durch die (oben II.4 und III.3) erörterte, höchst problematische Praxis der EZB, Anleihen der EWU-Staaten, die Kreditprobleme haben, als Sicherheit zu akzeptieren und am Markt aufzukaufen. Überdies wird die Forderung erhoben, künftig Euro-Anleihen der EU oder der EWU zu emittieren. Das ganze System der Staatenfinanzierung innerhalb der EWU hat sich derart unkontrolliert und exzessiv entwickelt, dass die EWU schon jetzt an den internen Schuldenlasten, die kaum noch eine Umschuldung erlauben, zu ersticken droht. [259] 5. Die verschiedenen Funktionen des Euro-Rettungsschirms Der Euro-Rettungsschirm ist der Versuch einer Antwort auf verschiedene, krisenhaft zugespitzte Probleme der EWU. Unabhängig von den konkreten Motiven der politischen Entscheidungsträger lassen sich objektiv folgende Funktionen nach Art der Probleme unterscheiden: Problem 1: Einzelne EWU-Mitgliedstaaten werden international insolvent oder drohen es zu werden. Hier geht es zunächst um eine zeitlich begrenzte Liquiditätskrise. Dies ist die Hauptaufgabe des IWF. Der Fonds gleicht freilich typischerweise Devisenknappheit von Weichwährungs-Schuldnerländern aus, nicht aber Solvenzprobleme innerhalb des gleichen Währungssystems einer harten Währung. Schon deshalb ist neben dem IWF auch ein Eingreifen der EZB und der EWU erforderlich. Schon im Zusammenhang mit diesen vorläufigen Liquiditätshilfen müssen strikte Bedingungen für ein wirtschaftliches Erholungsprogramm vereinbart werden. Dies war auch in der Griechenlandhilfe, die sozusagen der Vorläufer des Schirms war, der Fall. Freilich kam es bedauerlicher Weise nicht zur Umschuldung (oben II.3). Es ist ein Verdienst der Bundesregierung, im übrigen auf dieser strikten Konditionalität bestanden zu haben trotz mancher öffentlichen politischen Kritik, die angeblich nicht vertretbare Verzögerungen geltend machte, und trotz politischen Drucks mancher EWU-Staaten, die sich einen bequemen Zugriff auf EWU- und EUMittel in Krisen wünschen. Problem 2: Ein mittel- oder längerfristiger Kreditbedarf einzelner Mitgliedstaaten kann nicht am Markt gedeckt werden. Hier handelt es sich um eine Aufgabe primär des Mitgliedstaats selbst, seine Kreditwürdigkeit durch ein Reformprogramm wieder herzustellen. Diese Selbstverantwortung ist
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durch Art. 125 AEUV festgelegt. Die Möglichkeit einer Umschuldung gehört dazu. In Betracht kommt ausnahmsweise eine Hilfe der EWU nach § 122 AEUV. Auch dies ist eine Aufgabe der EWU. Hier soll der Euro-Rettungsschirm eingreifen. Allerdings muss die EWU zugleich geeignete Bedingungen eines wirtschaftlichen Reformprogramms festlegen. Die Einzelheiten dazu sind noch nicht endgültig geregelt (Ende Mai 2010). Problem 3: Mit einer Liquiditätskrise verbunden können systemische Gefährdungen für die Zahlungssysteme und den Interbankenkredit innerhalb der EWU entstehen. Hier ist in erster Linie die EWU selbst in der Verantwortung, nicht der IWF. Der Rettungsschirm kann hier präventiv wirken. Problem 4: Mit dem Verlust an Bonität einzelner Mitgliedsländer kann schließlich ein generelles, diffuses Misstrauen gegen den Euro entstehen, das sich, wie erörtert, nicht aus dem absoluten Umfang der Schulden speist, sondern mit der hybriden Struktur der EWU verbunden ist (oben 2). Der Euro-Rettungsschirm soll als eine Art kollektiver Haftungsverbund diesem Misstrauen entgegenwirken. Er kann diese Rolle vermutlich auch erfüllen, obwohl genau genommen die interne Haftung der einzelnen Mitglieder quotal beschränkt bleibt und eine Außenhaftung der einzelnen Mitgliedstaaten für die Schulden anderer Mitglieder gem. Art. 125 AEUV nicht begründet wird. [260]
V. Der Kampf um die Stabilität des Euro und der EWU 1. Der doppelte Begriff der Stabilität Wenn bisher von der EWU als von einer Stabilitätsgemeinschaft die Rede war, so hatte man dabei stets die Erhaltung des Geldwertes des Euro, also seine Kaufkraft und nachgeordnet seinen Kurswert, im Sinn. Die Krise im März-Mai 2010 hat gezeigt, dass durch ungehinderte und unkontrollierte Schuldenpolitik der Staaten die Stabilität des ganzen Systems gefährdet wird. Es geht heute um Systemstabilität, innerhalb derer man hoffentlich auch noch ein Stück Geldwertstabilität retten kann. Systemstabilität verlangt, wie vielfach angekündigt, eine Reform und Stärkung des Regelwerks (i.F. 3). Noch wichtiger aber ist eine Wiederbelebung der Marktelemente der EWU (2). 2. Die Wiederherstellung der Marktelemente der EWU Die Mitglieder der EWU haben schon mit dem Beitritt zur Währungsunion zwei wichtige marktbezogene Mechanismen aufgegeben, mit denen sie eine Anpassung ihrer unterschiedlichen und wechselnden wirtschaftlichen Entwicklung und Budgetpolitiken an die Weltmärkte vornehmen konnten: die Möglichkeit der Abwertung ihrer (nationalen) Währung und (teilweise)
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die Flexibilität des Zinses. Zugleich gingen damit die disziplinierenden Wirkungen dieser Mechanismen auf die nationale Budget- und Verschuldungspolitik verloren. Das ist in der Diskussion zur Eurokrise 2010 und schon 1999 bei Einführung des Euro oft gesagt worden. Verblieben sind in der Währungsunion aber andere, wichtige und auf das Marktgeschehen bezogene Disziplinierungsmechanismen: (1) Der erörterte Grundsatz der finanziellen Selbstverantwortung eines jeden Euro-Mitgliedstaats aufgrund der Nichtbeistands- und Nichthaftungsklausel des § 125 AEUV. Danach muss auch jeder Mitgliedsstaat selbst für seine Kreditwürdigkeit sorgen. Grundsätzlich kann es auch bei unterschiedlichen Bonitätsniveaus der Länder bleiben, wenngleich man auf die Politik der wirtschaftlichen Konvergenz hoffte. Hatte die Bonität eines Staates gelitten, mussten (und müssen) höhere Zinsen gezahlt werden.65 Insofern bleibt eine Variabilität des Zinses bestehen. Ferner zeigen fallende Kurse von Schuldtiteln die verschlechterte Einschätzung durch den Markt an. Im Extremfall verschließen sich die Kapitalmärkte der weiteren Kreditaufnahmen. Das ist die einzige wirklich wirksame Waffe zur Eindämmung der Verschuldungslust uneinsichtiger souveräner Parlamente. (2) Eine Umgehung des Marktmechanismus durch direkte Kreditaufnahme bei der EZB oder ihren Mitgliedzentralbanken ist strikt untersagt (Art. 123 (1) AEUV). (3) Nicht im Vertrag geregelt, aber generell möglich bleibt bei nicht anders behebbarer Verschuldungskrise die Umschuldung. [261] Alle diese drei am Markt orientierten Kontrollmechanismen wurden in der Krise und z. T. schon davor de facto wirkungslos gemacht. Die zentralen Normen Art. 125 und Art 123 AEUV wurden durch die geschilderten Maßnahmen nicht frontal verletzt, aber doch ihrer unmittelbaren praktischen Auswirkungen beraubt. Schuldnerstaaten können ohne große Hemmnisse weiter Kredit aufnehmen, Banken und Investoren ihnen relativ risikolos diese Kredite gewähren. Der Kreditaufnahme von Staaten bei Geschäftsbanken sind kaum Grenzen gesetzt und der letzte Rest eines Risikos ist durch die Politik des Ankaufs problematischer Staatspapiere von EWU-Mitgliedern durch die EZB weggenommen. Umschuldungen sind derzeit nicht möglich, weil das Ausmaß der Staatenverschuldung und der Risikopositionen der Gläubigerbanken so abschreckend hoch ist, dass das System kollabieren könnte, wenn man diese Mechanismen voll anwenden wollte. Das System droht an sich selbst oder besser gesagt am Missbrauch seiner Verschuldungsmöglichkeiten zu ersticken. Eine zentrale Rettungsstrategie muss sein, die genannten Mechanismen behutsam, aber konsequent, schrittweise wieder herzustellen. Dazu braucht es keine Vertragsänderungen, die ohnehin kaum zu erreichen sind. Stärkstes Argument für die Rückkehr zu 65 Dieser „spread“ im Vergleich zu den am besten bewerteten Anleihen, z.B. den „Bunds“, war lange ein Indikator für die Einschätzung der Bonität eines Schuldnerstaates durch den Markt.
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marktorientierten Disziplinierungen ist es, dass Art. 123 und 125 AEUV weiterhin als geltendes Recht strikte Beachtung erfordern. Das Bundesverfassungsgericht hat im Maastricht-Urteil festgestellt, dass diese Stabilitätsgarantien die Voraussetzung für Deutschlands Beitritt zur EWU waren und dass die deutsche Regierung eine fortdauernde Verpflichtung hat, die Geldwertstabilität auf dieser Grundlage zu verteidigen.66 Unabhängig von Diskussionen über Vertragsänderungen ist praktisches politisches Handeln auf dieser bestehenden Rechtsgrundlage dringlich. Der Euro-Rettungsschirm darf nicht als Selbstbedienungs-Automatismus ausgestaltet werden. Man müsste auf eine Beendigung der Ankäufe von Staatspapieren durch die EZB dringen. Der Unfug gemeinsamer Euro-Anleihen der EWU oder EU, welche die Kreditverantwortung der einzelnen Staaten weiter verkleistern würden, ist zu verhindern. Umschuldungen sollten bei Gelegenheit (ggf. wieder bei Griechenland? Oder bei Spanien67?) begrenzt gewagt werden, in Abwägung der Situation der Schuldnerstaaten und ihrer Gläubigerbanken. Die Rückkehr zu den im Maastrichtvertrag vorgezeichneten, marktorientierten Kontrollen ist für den Fortbestand der EWU unabdingbar. 3. Exitregelungen Zu Beginn der Griechenlandkrise hat die Bundeskanzlerin im Bundestag in einer Nebenbemerkung die Möglichkeit erwogen, ein EWU-Mitglied, das ständig die Regeln der EWU verletzt, auszuschließen, und damit naives Entsetzen ausgelöst. Seitdem haben viele interne Gutachten und Artikel in Presse und Fachpresse diese Möglichkeit rechtlich verneint. Wahr ist, die Europäische Union kennt zwar [262] ein Austrittsrecht, aber kein Recht zur Ausschließung eines Mitglieds. Mit etwas politischem Realismus wird man auch davon ausgehen müssen, dass eine ausdrückliche Vertragsregelung zum Ausschluss eines Mitglieds nie und nimmer zustande kommen wird. Für ein kurzfristiges Ausscheiden aus der EWU bietet aber schon das bestehende Recht hinreichende Handhaben. In den Kategorien des Maastrichtvertrages bedeutet das Ausscheiden eines Mitglieds aus der EWU seine Rückstufung auf den Status eines EU-Mitglieds „mit Ausnahmeregelung“ i.S. Art. 139 AEUV. Dies bedeutet Ausscheiden aus der Vollmitgliedschaft von Stufe III der EWWU (= EWU). Primär kommt eine freiwillige Lösung in Betracht, bei der der Vorwurf der schweren Vertragsverletzung ausgeklammert bleibt. Das Einvernehmen wäre kurzfristig im Rahmen des Krisenmanagements zu erzielen. Man müsste in einer Verschuldungskrise die Rettung BVerfGE 89, 155, 159ff = NJW 1993, 3047 = EuZW 1993, 667. Auch der Euro-Rettungsschirm hat die Frage der Bonität der einzelnen EWU-Staaten (noch) nicht ausgeschaltet; Spanien wurde am 30.05.2010 von der Rating-Agentur Fitch herabgestuft; FAZ 31.05.2010, S. 11, 20. 66 67
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Die Verteidigung des Euro
und die dabei meist doch notwendige Umschuldung an die Bedingung knüpfen, dass das Land dann seine Rückstufung i. S. Art. 139 AEUV sofort beantragt und die EWU verlässt, und zwar auf der gleichen Basis der „Freiwilligkeit“, mit der die anderen Länder Hilfe mobilisieren. Aber auch ein unfreiwilliges Ausscheiden muss im Grundsatz rechtlich zulässig sein, also eine „Rückstufung“ des Landes (aus EWWU III in EWWU II). 68 Ungeachtet des Streites, ob in der EU die allgemeinen Regeln des Völkerrechts durch Gemeinschaftsrecht verdrängt werden können, muss man diesen Ausschluss aus der EWU („Rückstufung“) nach allgemeinen Regeln des Völkerrechts bei schweren Vertragsverletzungen für zulässig halten und aufgrund des Ausnahmetatbestandes der clausula rebus sic stantibus.69 Denn es setzt sich allmählich die Erkenntnis durch, dass ohne eine solche Exit-Möglichkeit das System der EWU kaum eine Überlebenschance hat. Die Lösung des Problems ist rechtlich und wirtschaftlich einfach, weil sie an das bestehende Recht und den Eintritt einer Krise anknüpft. Politisch ist sie freilich nur äußerst schwer zu erreichen, wenn man die politische Entschlossenheit bestimmter Länder einrechnet, sich an den Transfervorteilen der EWU solange festzuklammern, wie es eben geht, und wenn man die Solidarität möglicher anderer Ausschlusskandidaten bedenkt. 4. Stärkere vertragliche und politische Kontrollen Bundeskanzlerin Merkel proklamierte in ihrer Regierungserklärung zum Euro-Rettungsschirm den Primat der Politik.70 Dies findet in Europa viel Zustimmung und hat die Krisenmaßnahmen für Griechenland und zum Euro-Rettungsschirm begleitet. Richtig ist, wie schon die Maßnahmen zur globalen Finanzkrise gezeigt haben, dass in der Krise staatliches Handeln notwendig ist.71 Richtig ist ferner, dass [263] die EWU einen effizienteren und strikteren Ordnungsrahmen braucht. Ein gefährliches Missverständnis wäre es aber, wenn manches Euro-Land unter Berufung auf den Primat der Politik die erforderliche Wiederbelebung der Marktelemente im System der EWU zu hintertreiben suchte. Zur Ergänzung, nicht zur Ersetzung der derzeit entscheidend geschwächten Marktmechanismen werden allgemein schärfere rechtliche und politische Kontrollen zu Recht gefordert. Der ursprüngliche Stabilitätspakt muss verjüngt und verstärkt wiedererstehen. Wie groß der politische Wille dazu in der Eine solche Rückstufung i.S. Art. 139 AEUV erwägt auch Behrens, EuZW 2010, 121. Oppenheims’s International Law Vol. 1/2 Peace, 9th ed. 2008 ed. by Jennings/Watt, p. 1305; Delbrück/Dahm/Wolfrum, Völkerrecht (International Law) Bd. 1 2002, § 161 m. w. Nachw. 70 Regierungserklärung der Bundeskanzlerin am 19.05.2010 zu den Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro, BT-Plenarprotokoll 17/42, S. 4125 B, D. 71 Horn, BKR 2008, 452ff; ders., KSzW 2/2010, 67ff, 69f. 68 69
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EU und der EWU tatsächlich ist, ist ungewiss. Immerhin haben Portugal, Spanien, Italien und weitere Länder im Mai 2010 einschneidende Einsparungen in ihren Haushalten angekündigt. Das darf ernst genommen werden, aber man darf es auch nicht überschätzen. Die südeuropäischen und andere Problemländer werden Ordnungspolitik im Sinn des Stabilitätspaktes auch gewiss mit einem Anflug von Ernsthaftigkeit unterstützen, bis die Deutschen sich beruhigt haben und nicht mehr latent mit einem Rauswurf fauler Schuldner oder dem eigenen Austritt drohen. Trotz aller erzieherischen Appelle wird aber kein europäischer Staat seinen Nationalcharakter und seine politische Kultur ändern, und viele werden weiter still an der Umwandlung der EWU in eine Transferunion zu ihren Gunsten arbeiten. Ohne die erwähnte Wiederbelebung der Marktelemente im System der EWU kann dem nicht dauerhaft Einhalt geboten werden. Der Primat der Politik darf nicht die Marktmechanismen weiterhin lähmen. Nicht bezweifelt werden soll, dass künftig ernsthafter an strukturellen Reformen gearbeitet wird: Modifikation und Stärkung des Stabilitätspaktes, mehr Informationsrechte für die Statistikbehörde, Straffung des Sanktionsverfahrens. Mehr noch: man fordert eine Pflicht zur Vorlage verbindlicher Haushaltsansätze aller EWU-Länder, Rückführung der staatlichen Defizite unter die 3-Prozentmarke, Ausgabenpläne für unterschiedliche Wachstumsszenarien, Kontroll- und Eingriffsrechte eines neu zu bestellenden Finanzkommissars, härtere Sanktionsmöglichkeiten (Zurückhaltung oder Streichung von EU-Mitteln) bis hin zum potentiellen Ausschluss aus der Währungsunion.72 Auf diese Weise soll es gelingen, das Vertrauen der Märkte in die Sanierungsfähigkeit der Staatsfinanzen zurückzugewinnen. Viele dieser Vorschläge sind notwendig und aussichtsreich, andere sind es nicht. So wird es kaum gelingen, die Budgetarbeit der souveränen nationalen Parlamente durch Brüssel in der vorgeschlagenen Weise unter Kuratel zu stellen. Andererseits müssen Kontrollen für Banken und Kapitalmarkt hinzukommen, z.B. auch hinsichtlich einer Begrenzung der Ausleihungen an Staaten durch Eigenkapitalunterlegung. Wenn man die Notwendigkeit einer Verbesserung der rechtlichen und politischen Kontrollen bejaht, sollte man freilich bedenken, dass sie zum Scheitern verurteilt sind, wenn man nicht die erörterten, im Vertrag angelegten Marktmechanismen wiederbelebt, die in der Krise zugedeckt wurden.
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Statt vieler: Heise, Vertrauen zurückgewinnen, FAZ 17. Mai 2010, S. 20.
Die Reform der Europäischen Währungsunion und die Zukunft des Euro NJW 2011, 1398–1404 Die beschlossene Reform der Europäischen Währungsunion ist der weitreichende Versuch einer dauerhaften Stabilisierung. Der Aufsatz beschreibt nach einem Blick auf die Vorgeschichte und die Ursachen der Krise die Instrumente des Reformwerks unter rechtlichen und institutionellen Gesichtspunkten in Ergänzung anderweit geäußerter volkswirtschaftlicher Kritik. Die Frage, ob die Reformziele erreicht wurden oder erreichbar erscheinen, ist von schicksalhafter Bedeutung.
I. Einleitung – Der neue Stabilitätsmechanismus Die Beschlüsse des Europäischen Rats der Staats- und Regierungschefs vom 24. und 25.3.2011 über die Reform der Europäischen Währungsunion (EWU) und die Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) sind als vorläufiger Abschluss des Reformwerks gedacht1. Rechtsgrundlagen und institutionelle Struktur der EWU waren durch die Eindämmung der Griechenland-Krise im Frühjahr 2010 sowie durch die hastige Aufspannung des „Euro-Rettungsschirms“ in der anschließenden so genannten Eurokrise Anfang Mai 2010 tiefgreifend verändert und beschädigt worden2. Eine große Rechtsunsicherheit war entstanden, wie die fortbestehenden Rechtsgrundlagen der EWU künftig zu handhaben sind. Diese Unsicherheit soll nun ein Ende haben. Oberstes Reformziel ist es, dass „die dauerhafte Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt gewährleistet“ wird3. Es geht also um die Sicherung der EWU (Systemsicherheit), nicht um ein einzelnes Land. Zugleich soll „die wirtschaftliche Steuerung der Europäischen Union
1 Zusammenfassung der Beschlüsse in: Rat der Europäischen Union, 24./25.3.2011, Schlussfolgerungen EUCO 10/11, http://www.consilium. europa.eu/uedocs/cms_data/ docs/pressdata/de/ ec/120313.pdf. Vgl. auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Der Europäische Stabilitätsmechanismus, 25.3.2011 (http://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/ Artikel/2011/ 03/2011-032-24esm.html). 2 Überblick bei Horn, in: FS. Maier-Reimer, 2010, S. 245. 3 EUCO 10/11, S. 1.
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gestärkt“ werden4. Gemeint ist nicht die Steuerung durch den Markt, sondern politische Steuerung im Rahmen neuer rechtlicher Vorgaben5. Zum Verständnis der Reform sind im Folgenden in der gebotenen Kürze die bisherigen rechtlichen Grundlagen der EWU in Erinnerung zu rufen (unter II) sowie die Aufweichung dieser Grundlagen vor und in der Krise (unter III). Sodann sind die Hauptpunkte der Reform zu skizzieren (unter IV) und Regelungsdefizite zu nennen (unter V). Abschließend ist die [1399] Tauglichkeit der reformierten Instrumente der EWU zur Wahrung der Systemstabilität und die Zukunftsfähigkeit des Euro zu bewerten (unter VI).
II. Die bisherigen Rechtsgrundlagen der Währungsunion (EWU) 1. Lissabon-Vertrag und Stabilitätspakt Die bisherigen und fortbestehenden rechtlichen Grundlagen des EWU sind im Lissabon-Vertrag6 niedergelegt, und zwar im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Titel VIII7. Die EWU beruht auf dem Grundsatz der finanziellen und wirtschaftlichen Eigenverantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten. Daher ist ein finanzieller Beistand der Union nur bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Ereignissen zulässig (Art. 122 II AEUV). Die direkte Kreditgewährung der Europäischen Zentralbank (EZB) oder ihrer Mitgliedsbanken an die Mitgliedstaaten oder der Ankauf von deren Schuldtiteln ist verboten (Art. 123 AEUV). Art. 125 AEUV normiert die Selbstverantwortung der Mitgliedstaaten durch das Verbot einer Haftung der Union und ihrer Mitglieder für Schulden von Mitgliedstaaten (Nichthaftungsklausel; no-bail-out-Regel). Die EU-Mitgliedstaaten sind nach Art. 126 AEUV zur Haushaltsdisziplin verpflichtet. Für die engere Gruppe der Staaten mit Euro-Währung gilt dies besonders; hinzu tritt deren Pflicht zur Angleichung der Wirtschaftspoli-
EUCO 10/11, S. 1. Es geht um sechs Gesetzgebungsvorschläge zur verschärften Haushaltsdisziplin und zur Vermeidung übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte; drei Vorschläge betreffen die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes; EUCO 10/11, Nrn. 9 ff., S. 4. 6 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft v. 13.12.2007, ABl Nr. C 306 S. 1, ber. ABl 2008 Nr. C 111 S. 56 und ABl 2009 Nr. C 290 S. 1. Er umfasst eine Änderung des Vertrags über die Europäische Union (Art. 1) und eine Änderung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der jetzt Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) heißt (Art. 2). 7 Die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der Europäischen Zentralbank (EZB) ist im beigefügten Protokoll 4 enthalten. 4 5
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tik (Art. 136 AEUV) sowie zu regelmäßigen Treffen (Art. 137 AEUV). – 1997 haben die EU-Staaten zudem den Pakt für Stabilität und Wachstum geschlossen8. 2. Internationales Umschuldungsrecht Nicht im Lissabon-Vertrag geregelt ist der Fall einer internationalen Verschuldungskrise eines Mitgliedstaats der EWU, obwohl es seit jeher häufig solche Krisen von Staaten gegeben hat und gibt. Dazu besteht eine etab lierte Praxis des Wirtschaftsvölkerrechts, in einer konzertierten Aktion der Gläubigerstaaten unter Führung des IWF und des so genannten Paris Club Umschuldungsverhandlungen durchzuführen, wobei dem Schuldnerstaat regelmäßig ein Teil seiner Schulden erlassen wird9. Zum Erlass müssen auch die privaten Kreditgläubiger beitragen („haircut“). Bei den Gläubigern von Staatsanleihen ist dies schwieriger; aber es bleibt auch hier möglich und wurde oft praktiziert. Es ist international üblich geworden, die Einbeziehung dieser Gläubiger durch so genannte collectiveaction-Klauseln in den Anleihebedingungen zu erleichtern; diese sehen Mehrheitsbeschlüsse über den „haircut“ vor10. Dieses Ziel kann freilich auch ohne solche Klauseln erreicht werden. Den Vätern der EWU erschien es politisch nicht opportun, an den naheliegenden Fall der Notwendigkeit einer Umschuldung bei einem EWUMitglied auch nur zu denken. Aber man bringt Probleme nicht dadurch zum Verschwinden, dass man sie ignoriert. Das Reformwerk enthält jetzt halbherzige Annäherungen an den Umschuldungsgedanken (unten V 1). 3. Der Geburtsfehler: Einheitswährung und Staatenvielfalt Es war der Geburtsfehler der EWU, souveräne Staaten mit fortbestehender Budgethoheit und ganz unterschiedlicher wirtschaftlicher Entwicklung in das Korsett eines einheitlichen Währungssystems zu zwängen, sie aber in ihrer souveränen Budget- und Wirtschaftspolitik ansonsten nicht einzuschränken. Das einheitliche Währungssystem nahm ihnen die bis dahin bestehende Möglichkeit, sich auch bei unterschiedlicher wirtschaftlicher Ent-
VO des Rats (EG) No. 1466/97 u. 1467/97, ABlEG Nr. L 209, 2.8.1997; dazu i. F. III 1 u. IV 1. 9 Horn, in: Horn, (Hrsg.), Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Investment, 1985, S. 295 ff.; Berenson, in: Horn/Norton (Hrsg.), Non Judicial Dispute Settlement in International Financial Transactions, 2000, S. 251 ff. (258); Berensmann, in: Deutsches Institut f. Entwicklungspolitik, Berichte und GA 7/2003. Zur Argentinienkrise 2001/02 Baars/Bökel, ZBB 2004, 445; Sester, NJW 2006, 2891; Horn, in: Festschr. f. Nobbe, 2009, S. 601 (616). 10 Horn, BKR 2009, 446 (447); ders., ZHR 173 (2009), 12 (28 m. w. Nachw). 8
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wicklung und negativer Leistungsbilanz durch Abwertung des Außenwerts ihrer nationalen Währung international wettbewerbsfähig zu halten. Es war daher schon zur Zeit der Gründung der EWU nicht schwer, die heutigen Schwierigkeiten und eine Aushöhlung des Prinzips der finanziellen Selbstverantwortung der Staaten vorauszusagen11. Die Entwicklung hin zur Krise hat dies leider bestätigt.12
III. Die Erosion der Rechtsgrundlagen der EWU 1. Die Aufweichung des Stabilitätspakts Der Stabilitätspakt13 verpflichtet die Mitgliedstaaten, bestimmte Stabilitätskriterien einzuhalten (Budgetdefizit unter 3 % des BIP, Gesamtverschuldung unter 60 % des BIP). Bei Verstößen ist ein Defizitverfahren mit Sanktionen vorgesehen. Die Effizienz und Zweckmäßigkeit des Pakts waren von Anfang an umstritten. Teils hielt man ihn für zu streng und unflexibel14, teils für zu weich und ineffizient15. Nach Einführung der EWU scherten sich viele Mitgliedstaaten wenig um die Gebote der Haushaltsdisziplin. Sanktionen wegen Verstößen gegen die Regeln des Stabilitätspakts wurden nicht geahndet. So blieb ein Defizitverfahren gegen Portugal 2002 ohne Sanktion, was schon der damalige Präsident der EU-Kommission Prodi als Dummheit bezeichnete16. 2005 waren begrenzte und vorübergehende Schwierigkeiten von Deutschland und Frankreich bei der Einhaltung der Stabilitätskriterien der Anlass, diese Kriterien aufzuweichen. Der Stabilitätspakt wurde zum zahnlosen Tiger. Die internationale Finanzkrise 2008–2010 führte dazu, dass zahlreiche Länder, auch Deutschland, die Stabilitätskriterien nicht mehr einhalten konnten17.
11 „We cannot rule out that some countries will fall back to their usual habit of deficit spending and accumulating public debt with the hope that the no-bail-out-rule will not be applied against them“, Horn, in: Horn, (Hrsg.), German Banking Law and Practice in International Perspective, 1999, S. 15 (25, 35). 12 Zum Folgenden Überblick bei Horn (o. Fußn. 2), S. 245. 13 Vgl. o. Fußn. 8. 14 Grauwe, Economics of Monetary Union, Oxford 2005. 15 Cato Institute, Milton Friedman and the Euro (http://www.cato.org/pubs/journal/ cj28n2/cj28n2-10.pdf), 2008. 16 BBC News article; http//news. bbc. co. uk/2/hi/ business/2336823. stm. 17 Vgl. die im September 2010 von der Kommission aufgestellte Tabelle über die Konsolidierungsziele der einzelnen Länder; Deutsche Bank Research 30.9.2010 (www.dbresearch. de).
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2. Die Griechenlandkrise 2010 Die Griechenlandkrise im Frühjahr 2010 war bekanntlich das Ergebnis einer durch falsche Daten erschlichenen [1400] Mitgliedschaft Griechenlands in der EWU und einer durch diese Mitgliedschaft gesteigerten Kreditfähigkeit. Diese ermöglichte eine exorbitante Verschuldung, ohne wirtschaftlichen Nutzen für das Land. Die privaten Banken u. a. in Deutschland und Frankreich hatten durch eine entsprechende Kreditvergabe mitgewirkt, gelockt von höheren Zinsen und durch keine bankaufsichtsrechtliche Schranke behindert. In der Rettungsaktion für Griechenland, die fälschlich als Aktion zur Rettung des Euro ausgegeben wurde, und in der kurz darauf ausgerufenen Eurokrise von Anfang Mai 2010 wurden durch die Rettungsmaßnahmen wichtige rechtliche und institutionelle Grundlagen des Euro schwer beschädigt. Im Einzelnen: Die durch Art. 122 II AEUV eröffnete Möglichkeit, bei Naturkatastrophen und anderen unverschuldeten Krisen einem Mitgliedsland finanziell zu helfen, wurde bei Griechenland auf den Fall der offensichtlich selbst verschuldeten Schuldenkrise ausgedehnt18. Die no-bail-out-Regel des Art. 125 AEUV wurde dadurch umgangen, dass man formal ein Bündel bilateraler Hilfen aller anderen Mitgliedstaaten einrichtete19. Das Verbot des Art. 123 für die EZB und ihre Mitgliedsbanken, einzelnen Mitgliedstaaten direkten Kredit zu gewähren oder deren Schuldtitel direkt von ihnen zu erwerben, wurde (formal zulässig) dadurch umgangen, dass die EZB ab Mai 2010 Staatsanleihen von Problemländern (zuerst von Griechenland) im Sekundärmarkt aufkaufte. In der Griechenlandkrise wurde eine Umschuldung unterlassen, obwohl diese zum finanziellen Überleben des Landes unabweisbar war und ist. Hauptgrund für diese Unterlassungssünde war, dass viele europäische Banken Großgläubiger Griechenlands waren. Man befürchtete bei dem dann notwendigen Forderungsverzicht auch der Privatgläubiger („haircut“) eine Verschärfung der Bankenkrise; dabei wurden auch unbegründete Zweifel an der Zulässigkeit eines Forderungsverzichts vorgebracht. Die Banken haben später sukzessive ihre Portfolios an gefährdeten Staatsanleihen weitgehend abgebaut. 3. Die so genannte Eurokrise und der Euro-Rettungsschirm (EFSF) vom Mai 2010 In einer Krisensituation Anfang Mai 2010, als angeblich der Euro durch eine feindliche internationale Spekulation bedroht und tatsächlich eine starke Beunruhigung der Marktteilnehmer eingetreten war, wurde binnen weniger 18 Wenig später diente die Norm als Grundlage des europäischen Rettungsschirms (s. unten III 3). 19 Zur Zulässigkeit freiwilliger bilateraler Hilfen z. B. Herrmann, EuZW 2010, 413 (415); für eine strikte Verbotsnorm Frenz/Ehlenz, EWS 2010, 65 (67); Diskussionsüberblick bei Schröder, DÖV 2011, 61.
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Tage der „Euro-Rettungsschirm“ beschlossen20. Natur und wirtschaftliche Tragweite dieser Krise sind bis heute nur teilweise geklärt; die Bewertung ist umstritten21. Immerhin war eine Vertrauenskrise der Finanzmärkte gegenüber schwachen Schuldnerländern der Eurozone (PIIGS22) zu verzeichnen, und man befürchtete einen Dominoeffekt. Der Rettungsschirm (Europäische Finanzstabilisierungsfazilität; EFSF) wurde durch Regierungsabkommen der im ECOFIN-Rat vertretenen Eurostaaten und durch VO des Rats ins Leben gerufen; diese stützt sich (wohl zu Unrecht) auf die Nothilfeklausel des Art. 122 II AEUV23. Die (privatrechtlich organisierte) EFSF stellt Mittel bereit, um einem Mitgliedstaat in einer Notsituation finanziellen Beistand zu gewähren und damit seine drohende Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Sie ist mit einem Fonds in Höhe von 440 Mrd. Euro ausgestattet. Grundlage dafür sind quotale Gewährleistungen der Euro-Mitgliedstaaten entsprechend ihrem Beteiligungsschlüssel an der EZB24. Hinzu kommt ein 2002 eingerichteter EU-Fonds für Bilanzhilfen im Umfang von 60 Mrd. Euro25. Mit einem weiteren Beitrag von 250 Mrd. durch den IWF steht ein Volumen von insgesamt 750 Mrd. Euro bereit. Dieses System ist bis 2013 befristet. Die Bundesregierung hat wiederholt versichert, an dieser Befristung werde festgehalten. Die EFSF wurde erstmals in der Irland-Krise im Herbst 2010 in Anspruch genommen26.
IV. Die Reform der Europäischen Währungsunion Die Reform der EWU umfasst drei Elemente: (1) eine Reform des Stabilitätspakts, (2) einen von Deutschland neu vorgeschlagenen Pakt für den Euro, und (3) eine Ersetzung des bis 2013 befristeten Euro-Rettungsschirms (EFSF) durch einen dauerhaften Euro-Krisenfonds (ESM). Überblick Horn (o. Fußn. 2), S. 245 (251 ff.); Schröder, DÖV 2011, 61. Zum systemischen Charakter der Krise bejahend EZB, Monatsbericht Juni 2010, 38–43; Louis, SMLRev. 47 (2010), 971 (982 ff.); Frenz/Ehlenz, EWS 2010, 65 (67 f.); zweifelnd Horn (o. Fußn. 2), S. 245 (251 f.); krit. zur Annahme einer Währungskrise des Euro auch Fuest/Hellwig/Sinn/Franz, Zehn Regeln zur Rettung des Euro, FAZ v. 18.6.2010, S. 10; Plumpe, FAZ 6.1.2011, S. 27. 22 Portugal, Irland, Italien, Griechenland, Spanien. 23 VO 407/2010/(EU) des Rats v. 11.5.2010, ABl Nr. L 118/S. 1; zu den Rechtsgrundlagen des Rettungsschirms Thym, EuZW 2011, 167; Schröder, DÖV 2011, 61. Zur Terminologie: Die VO spricht von „Mechanismus“; später hat sich „Fazilität“ eingebürgert (vgl. EFSF) und „Mechanismus“ wird nun für den neuen ESM (s. unten IV 3) verwendet. 24 Beschl. des Rats der Vertreter der Euroländer v. 10.5.2010; Ratdokument 9614/10. 25 Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanzen der Mitgliedstaaten, Verordnung (EG) Nr. 332/2002 des Rats v. 18.2.2002, ABl Nr. L 53 v. 23.2.2002, S. 1. 26 Einzelheiten Wieland, NVwZ 2011, 340 m. Nachw. 20 21
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1. Die Erneuerung des Stabilitätspakts Zur Erneuerung des Pakts für Stabilität und Wachstum hat die EU-Kommission im Mai und Juni 2010 neue Vorschläge ausgearbeitet, die mit den Ende September 2010 vorgelegten Ergebnissen der Arbeitsgruppe van Rompuy konsolidiert wurden. Man strebte einen strikten Sanktionsmechanismus im Defizitverfahren an: Die Kommission entscheidet über einen Regelverstoß; dies gilt, falls der ECOFIN-Rat nicht binnen 10 Tagen mit qualifizierter Mehrheit widerspricht (Entscheidungsumkehr). Die Vorschläge wurden vom Rat modifiziert und dabei abgeschwächt27. Eingeführt wurde ein politischer Entscheidungsprozess im Rat, bei dem die Mitgliedstaaten Herren des Verfahrens bleiben. Nur in dessen letzter Stufe entscheidet die Kommission und der Rat kann dem widersprechen (Entscheidungsumkehr). Das Kriterium, dass das jährliche Budgetdefizit nicht über 3 % des BIP liegen darf, wird beibehalten. Größere Bedeutung erlangt die Überschreitung der Gesamtverschuldung (über 60 % des BIP); sie löst eine Pflicht zur Schuldenrückführung nach einem mit der Kommission abgestimmten Konsolidierungsplan aus. Der Pakt sieht härtere Sanktionen gegen Mitgliedstaaten vor, die gegen die Stabilitätskriterien verstoßen28. Ergänzend sollen die nationalen Haushaltsvorschriften und -politiken harmonisiert und Pflichten zur Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte eingeführt werden29. [1401] 2. Der Pakt für den Euro (Euro-Plus-Pakt) In der europäischen Reformdebatte war häufig der Wunsch zu hören, die EWU im Hinblick auf eine einheitliche Wirtschaftsregierung weiter zu entwickeln. Schon bei ihrer Gründung wurde die EWU auch als Motor einer stärkeren politischen und wirtschaftlichen Integration propagiert. Mahnungen, man müsse erst die politische und wirtschaftliche Einheit bauen und dann die einheitliche Währung einführen, blieben ungehört. Die Erwartungen, haben sich nicht erfüllt. Die Divergenz der wirtschaftlichen Entwicklungen und Budgetpolitiken der EWU-Staaten erzeugt im starren Rahmen des einheitlichen Währungssystems Spannungen. Diese haben sich dramatisch verschärft. Leistungsbilanzdefizite bestimmter Länder erweisen sich
27 Überblick bei Franke, Wirksame Neuregelungen zur Lösung der Finanz- und Eurokrise?, 2011, S. 24, in: Wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, Ev. Ak. Bad Boll 3./4.2.2011, TagNr. 620311 (www.ev. akademie-boll.de); Deutsche Bank Research 30.9.2010 (dbresearch.de). 28 Hinterlegung einer Sicherheit von 0,2 % BIP; bei Nichtbefolgung der Empfehlungen von Rat und Kommission Umwandlung in eine Geldbuße. Wegfall der Wartezeit von 16 Monaten. 29 EUCO 10/11 (o. Fußn. 1), S. 4.
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unter den Bedingungen der gemeinsamen Währung als strukturelles Dauerproblem30. Will man an der Währungsunion mit diesen Ländern festhalten, und dies ist der derzeitige politische Wille, muss man die Angleichung der nationalen Wirtschafts- und Haushaltspolitiken betreiben. Die Bundesregierung hat daher einen Pakt für Wettbewerbsfähigkeit durchgesetzt, jetzt „Euro-Plus-Pakt“ genannt31. Er sieht jährliche Treffen der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone vor, bei denen sich diese zu Reformmaßnahmen in ihren Ländern verpflichten sollen. Die Wettbewerbsfähigkeit soll verbessert werden, u. a. durch Orientierung der Lohnentwicklung an der Produktivität, durch Maßnahmen zur Erhöhung der Beschäftigung z. B. mittels Steuerreformen, zur Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen durch Rentenreformen und Schuldenbremsen und durch Stärkung der Finanzstabilität etwa im Bereich der Bankaufsicht. Der Pakt will politische Lernprozesse und Konvergenzentwicklungen fördern, indem er die im Vertrag bereits bestehenden Verpflichtungen zur Haushaltsdisziplin (Art. 126, 136–138 AEVU) präzisiert und Probleme der Konvergenz verdeutlicht. Der Pakt sieht keine Sanktionen vor und stimmt nicht hoffnungsvoll32. 3. Der endgültige Euro-Krisenfonds ESM Kernpunkt des Umbaus ist die Ablösung des bisherigen Euro-Rettungsschirms (EFSF) durch einen dauerhaften und endgültigen Krisenfonds, den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM)33. Er soll seine Rechtsgrundlage in folgendem zusätzlichen Abs. 3 von Art. 136 AEUV haben: „Die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, können einen Stabilitätsmechanismus einrichten, der aktiviert wird, wenn dies unabdingbar ist, um die Stabilität des EuroWährungsgebiets insgesamt zu wahren. Die Gewährung aller erforderlichen Finanzhilfen im Rahmen des Mechanismus wird strengen Auflagen unterliegen.“34
Der ESM wird durch Vertrag der Mitgliedstaaten der EWU nach Völkerrecht eingerichtet und seinen Sitz in Luxemburg haben. Die Organisationsstruktur orientiert sich am IWF. Der ESM hat einen Verwaltungsrat, dem die Finanzminister der Euro-Zone angehören und der alle wichtigen Beschlüsse fasst. Einstimmigkeit ist erforderlich bei den Beschlüssen über die Gewährung der Finanzhilfe und die Bedingungen, unter denen sie gewährt wird (Konditionalität), die Darlehenskapazität des ESM und Änderungen des Instrumentariums. Die laufenden Geschäfte führt ein Direktorium.
Gerken, Ein Fass ohne Boden, FAZ v. 30.3.2011, S. 12. Europäischer Rat, EUCO 10/11 (o. Fußn. 1), Anhang I. 32 Gerken, Ein Fass ohne Boden, FAZ v. 30.3.2011, S. 12. 33 Europäischer Rat 24./25.3.2011 – EUCO 10/11, Anlage II, S. 21–35 (vgl. Fußn. 1). 34 EUCO 10/11, Anl. II 21. 30 31
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Der ESM hat ein gezeichnetes Kapital von 700 Mrd. Euro, um mit einem Top-Rating 500 Mrd. Euro Finanzierungsmittel mobilisieren zu können. Hinzukommen 250 Mrd. des IWF, so dass insgesamt ein Kapitalfonds von 750 Mrd. für Hilfen zur Verfügung steht. Die Beiträge zum ESM orientieren sich im Grundsatz am Kapitalschlüssel der EZB35. Anders als die derzeitige EFSF wird der ESM nicht nur mit Bürgschaften der Euro-Staaten ausgestattet, sondern auch mit Barmitteln von 80 Mrd. Euro. Ein Teil der Sicherheiten wird zudem in Form besonders leicht verfügbarer Zahlungsverpflichtungen gewährt (abrufbares Kapital). Deutschland trägt gem. seiner Kapitalbeteiligung an der EZB von rund 27,1 Mrd. Euro die größte Last: 21,7 Mrd. Bareinzahlung und 168,3 Mrd. Gewährleistungen. Vor dem (einstimmig zu fassenden) Beschluss zur Hilfe erfolgt eine „Schuldentragfähigkeitsanalyse“ durch die EU-Kommission, den IWF und die EZB. Die finanzielle Hilfe soll nur auf Grund strenger wirtschafts- und finanzpolitischer Auflagen („Konditionalität“) gewährt werden, d. h. gemäß einem makroökonomischen Anpassungsprogramm für den Schuldnerstaat. Dessen Einhaltung wird von der Kommission und dem IWF in Absprache mit der EZB überwacht36. Das Direktorium beschließt auf der Grundlage der laufenden Überwachung über die Auszahlung weiterer Tranchen der Hilfe. Auch dies folgt dem Vorbild des IWF. Die Hilfe wird in Form von Krediten gewährt. Der ESM kann alternativ vom Schuldnerstaat begebene Schuldtitel erwerben. Die Zinsbürde ist gegenüber der jetzigen Praxis des Rettungsschirms EFSF erleichtert. Sie orientiert sich an den Zinskonditionen, die für Hilfskredite des IWF gelten. Eine Beteiligung des Privatsektors am Teilverzicht auf Gläubigerrechte („hair cut“) ist nur sehr eingeschränkt vorgesehen (s. unten V 1). 4. Zustimmung des deutschen Gesetzgebers Die Annahme des neuen Art. 136 III AEUV soll im vereinfachten Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 VI EUV erfolgen37. Die Norm tritt erst in Kraft, wenn die Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen Verfassungsvorschriften zugestimmt haben. Der Deutsche Bundesrat hat darauf hingewiesen, dass die Vertragsänderung seiner Zustimmung bedarf. Dabei müsse gesetzlich sichergestellt werden, dass bei Einrichtung des Stabilitätsmechanismus (ESM) und bei der Inanspruchnahme von Finanzhilfen jeweils
35 EUCO 10/11, Anlage II 24 f. Vier osteuropäische Staaten, u. a. Estland, haben eine Minderung zu ihren Gunsten erreicht; o. Fußn. 1 S. 34. 36 EUCO 10/11 (o. Fußn. 1), S. 27. 37 Europäischer Rat 16./17.12.2010 Schlussfolgerungen, EUCO 30/10; Anh. Bundesrat BR-Dr 872/10 v. 22.12.2010.
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die notwendige Beteiligung von Bundestag und Bundesrat erfolgt38. Mit der Abstimmung befindet das Parlament zugleich indirekt über das ganze Vertrags- und Regelungswerk zum ESM, das auf dem neuen Art. 136 III AEUV aufbaut39. 5. Keine Euroanleihen neuer Art In der Reformdebatte wurde vielstimmig die Ablösung der herkömmlichen externen Staatsanleihen der einzelnen Euro-Staaten durch so genannte EuroAnleihen gefordert. Gemeinsam ist diesen Vorschlägen, dass die Haftung für Staatsanleihen nicht mehr allein bei dem Kapital aufnehmenden Staat verbleibt, sondern ganz oder teilweise auf die Währungsunion [1402] verlagert wird, indem entweder die EZB als Emittent fungiert oder auf andere Weise die Haftung ganz oder teilweise kollektiviert wird40. Der Begriff „Euroanleihen“ wird seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts in ganz anderer Bedeutung gebraucht, nämlich für Anleihen einzelner Staaten oder Unternehmen auf dem internationalen Markt, die auf eine international akzeptierte Währung lauten41. Dagegen dienen die neuen Euroanleihen dem Zweck, schwache staatliche Emittenten gänzlich dem Markttest zu entziehen, also den letzten Funken an finanzieller Selbstverantwortung der Mitgliedstaaten im Sinne Art. 125 AEUV auszulöschen. Dies stieß daher auf Kritik42, und erfreulicher Weise hat das Reformwerk die Vorschläge nicht aufgegriffen. Der derzeitige Euro-Rettungsschirm EFMF und sein künftiger Nachfolger ESM eröffnen freilich Möglichkeiten der kollektiven Haftung der Mitgliedstaaten, indem die Refinanzierung des EFSF (und künftig des ESM) auf dem Kapitalmarkt durch Anleihen erfolgt. Die schwachen Schuldnerstaaten können auf diese Mittel aber nur auf dem Umweg über Hilfen seitens des ESFS
38 Bundesrat Pressemitt. Nr. 41/2011 v. 18.3.2011. – Dies kann durch Ergänzung der Gesetze über die Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem Parlament in Angelegenheiten der EU v. 12.3.1993 erfolgen, BGBl I, 311 (Bundestag); I, 313 (Bundesrat); s. auch Gesetz über Integrationsverantwortung in Angelegenheiten der EU v. 22.9.2009, BGBl I, 3022. 39 Vgl. auch oben zu den Rechtsgrundlagen des Rettungsschirms III 2 und 3; zu Art. 136 AEUV Häde, JZ 2011, 333. 40 Bonnevay, Pour un Eurobond – Une stratégie coordonnée pour sortir de la crise, Institut Montaigne, 2010; De Grauwe/Moesen, Gains for All: A proposal for a common Eurobond, Intereconomics, May/June 2009; Leterme, Pour une Agence européenne de la Dette, Le Monde v. 25.2.2010; Delpla/v. Weizsäcker, The Blue Bond Proposal, bruegelpolicybrief 2010, Nr. 3. 41 Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972. 42 Horn, Wirtschaftsdienst 12/2010, S. 797 m. Nachw.; Axel Weber, Finanzpolitische Herausforderungen der Wirtschafts- und Finanzkrise (Ludwig-Erhard-Lecture 14.10.2010), Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr. 2, 12.1.2011, S. 5 f.
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(und ab 2013 des ESM) zugreifen; dabei müssen sie die festgelegte Konditionalität akzeptieren. Damit bleibt ein Funke finanzieller Selbstverantwortung des Schuldnerstaates erhalten. Dabei sollte es bleiben.
V. Regelungsdefizite 1. Staateninsolvenz und Umschuldungen Die von Deutschland lange geforderte Regelung einer Staateninsolvenz wurde unterlassen. Dies war vorhersehbar und ist an sich noch kein Unglück, solange man Umschuldungen nicht tabuisiert und verhindert. Denn ein Staateninsolvenzrecht ist heikel und wenig konsensfähig. An seiner Stelle kann die bereits (oben II 2) erwähnte etablierte internationale Praxis von Umschuldungen bei staatlichen Schuldenkrisen in Anspruch genommen werden. Die vorrangige Berücksichtigung dieser Umschuldungsmöglichkeiten im Reformpaket wäre daher höchst wichtig gewesen43. In der Schlussphase des Reformwerks kam es aber anders. Nachdem noch die Finanzminister der Eurostaaten eine grundsätzliche Beteiligung der privaten Gläubiger am 21.3.2011 beschlossen hatten, findet sich im endgültigen Vertragswerk zur Umschuldung nur eine sehr eingeschränkte Regelung. Von dem betreffenden Staat „wird je nach Einzelfall eine Beteiligung des Privatsektors in angemessener und verhältnismäßiger Form erwartet“. Dies gilt aber nur, wenn in der vorgängigen Schuldentragfähigkeitsanalyse der Staat als dauerhaft zur Schuldentragung unfähig (insolvent) eingestuft wird, nicht aber, wenn er nur illiquide ist44. Das ganze läuft auf einen politischen Entscheidungsprozess anstelle eines notwendigen Automatismus der Umschuldungsverfahren hinaus. Da hilft es wenig, dass ab 2013 Anleihen der Euro-Mitgliedstaaten die erwähnten collective-actionKlauseln enthalten sollen, die Teilverzichte der Anleihegläubiger durch Mehrheitsbeschluss regeln45. Im Ergebnis schränkt die Reform für den Euroraum die Möglichkeit von Umschuldungen, die nach allgemeinem Wirtschaftsvölkerrecht bereits besteht (oben II 2), in bedenklicher Weise ein. 2. Ankauf von Staatsanleihen im Sekundärmarkt? In der Schlussphase der Verhandlungen hat sich Streit darüber entzündet, ob der neue Krisenfonds befugt ist, Anleihen notleidender Staaten im Sekundärmarkt zu kaufen, was im Vertragsentwurf nicht ausdrücklich vorgesehen 43 Will man dies abmildern, z. B. durch Übergangsfristen, um Marktturbulenzen als Reaktion auf den Übergang zu Umschuldungen zu vermeiden (so Fuest, ifo Schnelldienst 3/2011, S. 10), sollte man zugleich alternativ eine Exitregelung anbieten. 44 Europäischer Rat, EUCO 10/11, Anh. II, S. 29. 45 Europäischer Rat, EUCO 10/11, S. 29 (31 f.); vgl. auch o. II 2.
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ist46. Solche Ankäufe überschreiten eindeutig den rechtlichen Auftrag des ESM. Danach sind finanzielle Hilfen an konkrete Eingreifkriterien, Auflagen und Verfahren gebunden. Sind diese erfüllt, können die unter strengen Auflagen gewährten Kredite auch gegen Begebung neuer Schuldverschreibungen des Schuldnerstaats gewährt werden, also als Erwerb im Primärmarkt. Dagegen überschreiten Offenmarktgeschäfte in Gestalt des Ankaufs der bereits emittierten Anleihen schwacher Staaten (also im Sekundärmarkt), die den Kurs und damit die Kreditwürdigkeit dieser Schuldnerstaaten stützen sollen, den rechtlichen Auftrag des ESM. Sie würden überdies die schwache noch verbliebene Außensteuerung der einzelnen EWU-Staaten durch die Kräfte der Finanzmärkte schwächen und ihren Sanierungswillen untergraben (s. auch unten VI 4). 3. Exit-Regelungen Exit-Regelungen sind unabdingbar, weil viele Länder den Anpassungsprozess ihrer Wirtschaft innerhalb des starren Korsetts der einheitlichen Währungsordnung verfehlen werden und nur ihr Ausscheiden diesen systemischen Fehler der EWU beseitigen kann. Das alte und neue Vertragswerk sieht keine Regelung des Ausschlusses eines Mitgliedslands vor, obwohl dies für manches Land der beste Weg wäre, gestützt auf eine eigene (weiche) Währung seine wirtschaftliche Anpassungsfähigkeit an die internationalen Märkte wieder zu gewinnen. Die EU kennt zwar ein Austrittsrecht, nicht aber ein Recht zum Ausschluss. Die Einführung eines Ausschlussrechts aus der EWU ist derzeit politisch nicht erreichbar. Erwägenswert bleibt es, ein solches Ausschlussrecht aus allgemeinem Völkervertragsrecht herzuleiten47. Selbst wenn sich dies politisch nicht durchsetzen lässt, müsste es doch möglich sein, ein Mitgliedsland in der Krise, das beharrlich gegen die Regeln der EWU verstößt, durch entsprechende Konditionalitäten des ESM zu bewegen, freiwillig die EWU im Weg einer Rückstufung nach Art. 139 AEUV zu verlassen, ohne seine Mitgliedschaft in der EU aufzugeben48.
VI. Gesamtbeurteilung 1. Ein weiterer Schritt zur Transferunion Das neue Reformwerk ruft bei vielen die Befürchtung hervor, dass die Euro-Zone sich endgültig vom Prinzip der finanziellen Selbstverantwortung der Staaten, verkörpert in der no-bail-out-Regel des Art. 125 AEUV, verabschiedet und unabänderlich den Marsch in eine Transferunion angetreten FAZ v. 14.3.2011, S. 1. Horn (o. Fußn. 2), S. 261 f. 48 Dazu auch Behrens, EuZW 2010, 121. 46 47
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hat, in der die schwachen Staaten für immer am Tropf der indirekten Transfers durch die wirtschaftlich stärkeren Staaten hängen49. In der Tat zeichnet sich die Gefahr ab, dass [1403] mittelfristig immer mehr EWU-Staaten den ESM in Anspruch nehmen werden, ohne sich aus ihren Schulden befreien zu können, und dass dies schließlich zu einer Überforderung der wenigen leistungsfähigen Mitglieder und einem Zusammenbruch des Systems führt. Ob es noch eine Hoffnung gibt, dies abzuwenden, indem man die bescheidenen im System verbliebenen Instrumente zum Umsteuern einsetzt, oder ob man gar auf weitere politische Lernprozesse setzen kann50, mag jeder selbst beurteilen. Nachdem in der vielstimmigen Kritik über die volkswirtschaftlichen Gefahren der Reform bereits das Nötige gesagt worden ist51, konzentrieren sich die folgenden Bemerkungen komplementär auf die institutionellen Aspekte. 2. Automatismus der Krisenhilfen. Gegen einen Automatismus der Krisenhilfen bietet das Reformwerk mehrere nur scheinbar wirkungsvolle Instrumente. Hilfe gibt es danach nur (i) nach einer Schuldentragfähigkeitsprüfung des Kandidaten, (ii) unter strenger Konditionalität und (iii) auf einstimmigen Beschluss. Also kann die Hilfe auch abgelehnt werden, so scheint es (These a). Und nach Art. 136 AEUV n. F. gibt es (iv) Hilfe nur, wenn die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt gefährdet ist, nicht die eines Staats. Das heißt doch, dass nicht jede Krise eines EWU-Mitglieds zugleich eine Krise des Euro ist, so scheint es (These b). In der politischen Wirklichkeit der EWU sind aber beide Thesen nicht (oder fast nicht) durchsetzbar. Denn der Schuldnerstaat in Not ist nicht nur Hilfeempfänger, sondern zugleich Mitträger des Währungssystems und seiner politischen Entscheidungsprozesse. Ein ernsthaftes Hilfsersuchen kann regelmäßig nicht abgelehnt werden (Gegenthese a). Niemand zweifelt an der Fähigkeit eines Schuldnerstaats, so viele Schulden anzuhäufen, dass er nach dem Tragfähigkeitstest geeigneter Empfänger der Hilfen ist. Dieser Staat wird in der Not auch strikte Auflagen 49 Vgl. nur die Beiträge in: ifo Schnelldienst 3/2011: EU Rettungsschirm: Folgt der Einstieg in die Transferunion?, mit den Beiträgen von Stark, S. 6 (9); Fuest, S. 10, Fahrholz, S. 12 (15 f.); Eilfort/Mertins, S. 17 ff., jew. m. w. Nachw.; a. A. Bundesfinanzminister Schäuble, S. 1, der auf S. 4 vor unbegründeten Ängsten warnt. Zur verbreitet sehr kritischen Beurteilung der Entscheidungen v. 24./25.3.2011 vgl. nur Steltzner, Transferunion, FAZ v. 25.3.2011; Donges/Feld/Möschel/Neumann, Das Reformpaket – ein starkes Stück, FAZ v. 28.3.2011, S. 13; Gerken, Ein Fass ohne Boden, FAZ v. 30.3.2011, S. 12; zur Kritik der EWU-Reform durch den wissenschaftlichen Beirat beim Bundesfinanzministerium als Verfestigung der Fehlsteuerung in der Finanzpolitik FAZ v. 28.3.2011, S. 13. 50 So mit Nachdruck Schäuble (o. Fußn. 49), S. 1; im Ergebnis wohl auch Stark (o. Fußn. 49), S. 6. 51 Vgl. o. Fußn. 49.
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akzeptieren. Dabei ist die Abmilderung der Konditionalität wahrscheinlich, weil im Entscheidungsprozess auch andere Krisenkandidaten mitwirken. Es bleibt das Vetorecht jedes Staats. Es sind Szenarien denkbar, wo dies eingesetzt werden kann. Aber das Veto ist ultima ratio und eher ein Verhandlungsinstrument. Auch Deutschland wird zögern, es einzulegen. Immerhin kann die Rückbindung der wichtigen Entscheidungen des ESM an das nationale Parlament die Effizienz der Kontrolle verbessern. – Es gibt auch vermutlich keine Fälle, in denen die Schuldenkrise eines Landes nicht als Krise des Euro gilt. Jede Staatsschuldenkrise wird (bisher) de facto mit einer Krise des Euro gleichgesetzt (Gegenthese b). Die Krise Griechenlands 2010, eines Landes mit einem sehr kleinen Anteil am BIP der EWU, hat dies gezeigt (oben III 2). Man wird also regelmäßig bei Krisen einzelner EWU-Staaten einen Automatismus der Hilfe annehmen müssen. Dies bedeutet, dass letztlich der ESM als eine umfassende („all risks“) Insolvenzversicherung aller EWU-Staaten wirkt. Ist dies gewollt? 3. Ineffektivität der Krisenhilfen Der Empfängerstaat kann mit der Hilfe des ESM die Schuldenkrise wahrscheinlich nicht überwinden52. Die Hilfe kommt spät. Sie setzt erst ein, wenn die Krise längst eingetreten ist. Das mit der Hilfe verbindlich vorgesehene Anpassungsprogramm (oben IV 3) mag Chancen aufzeigen, sichert aber nicht die Lösung. Die jetzt vorgesehene maßvolle Verzinsung der Hilfskredite hilft immerhin auf diesem schwierigen Weg. Sie reicht aber bei weitem nicht aus, wenn der Schuldnerstaat seine Altschulden mit sich weiterschleppt. Dies wird häufig der Fall sein, weil eine Umschuldung mit „haircut“ nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen vorgesehen ist oder gegebenenfalls politisch verhindert werden wird. 4. Ausweitung der Hilfen der EZB Die Praxis der EZB, Anleihen schwacher Schuldnerstaaten im Sekundärmarkt aufzukaufen (III 2), ist problematisch. Denn dies schirmt den Problemstaat gegen die Außensteuerung durch den Markt ab und ermutigt ihn, seine Verschuldungspolitik fortzusetzen. Damit zusammen hängt die ungeregelte Frage nach dem Verhältnis von Hilfen der EZB und den Aufgaben des ESM. Kann es nicht sein, dass man, wenn sich auf Grund der Aufkaufpolitik der EZB ein größeres Portfolio von Schuldtiteln schwacher EWU-Staaten gebildet hat, auf die Idee kommt, der ESM könnte diese Last der EZB abnehmen? Die EZB ist auch sonst in vielfältiger Weise mit der Stützung schwacher Schuldnerländer befasst. Sie gewährt kurzfristige Liquiditätshilfen, wie im Gerken, FAZ v. 30.3.2011, S. 12.
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Fall von Irland. Wie aber ist es, wenn der Schuldnerstaat mittel- oder langfristige Liquiditätshilfen erbittet53? Hier würde die EZB in einer Aufgabe tätig, die dem ESM zugewiesen ist. 5. Zu großes Volumen des ESM Das gewaltige Volumen des Hilfsfonds des ESM wird teils als zu groß kritisiert; andererseits plädieren die EU-Kommission und die EZB für eine deutliche Erhöhung der Mittel. Auf den ersten Blick erscheint das Volumen in Anbetracht der Größe der EWU nicht zu groß, wenn man an Interventionen einer Zentralbank denkt. Aber darum handelt es sich nicht. Es geht um eine Insolvenzversicherung für EWU-Staaten und ihre Gläubiger. Nimmt man an, dass weder der sanktionslose Pakt für den Euro (oben IV 2) noch der mit Sanktionen ausgestattete Stabilitätspakt (oben IV 1) eine strikte Stabilitätspolitik der Problemstaaten herbeizwingen können und dass einige nicht in der Lage sein werden, ihr strukturelles Leistungsbilanzdefizit zu beseitigen, solange sie dem Euroraum angehören54, dann ist jeder zusätzliche Euro im Hilfsfonds nur ein weiterer Anreiz zum Laissezfaire der Verschuldungspolitik in der Hoffnung auf weiche Landung im ESM55. So betrachtet, ist das Volumen des ESM nicht zu klein, sondern zu groß. Vorschläge zur Erhöhung sind strikt abzulehnen. Dies heißt nicht, dass man auf den Krisenfonds gänzlich verzichten könnte. Aber die Abkehr vom Rettungsautomatismus ist dringlich. Und die Ratlosigkeit für den Fall der Staatsinsolvenz ist nicht behoben. Umschuldung ist unabdingbar, gegebenenfalls für eine Übergangszeit mit flexiblen Lösungen56, aber auch mit der Option zum Exit. [1404]
VII. Zusammenfassung Die Reform sichert nicht die Systemstabilität der EWU und die Zukunft des Euro. Bundestag und Bundesrat ist zu empfehlen, das Vertragswerk in seiner jetzigen Form abzulehnen57. Die möglichen europapolitischen Folgen einer solchen Ablehnung darf man nicht scheuen. Die Folgen einer Annahme sind langfristig gravierender. Mindestforderungen hinsichtlich einer Verbesserung des Reformwerks sind die Einführung einer unbedingte Pflicht des Schuldnerstaates zur Umschuldungsbemühung nach Vorgaben des ESM als Zu diesem neueren Hilfsersuchen Irlands FAZ v. 28.3.2011, S. 13. Gerken, FAZ v. 30.3.2011, S. 12. 55 Für den EFM gilt der Erfahrungssatz, dass jede Versicherung den Versicherungsfall wahrscheinlicher macht (moral hazard); zutr. EZB-Direktoriumsmitglied Stark, ifo Schnelldienst 3/2011, S. 9. 56 Fuest, ifo Schnelldienst 3/2011, S. 10. 57 Durch Verweigerung zur Zustimmung zum Art. 136 III AEUV n. F.; dazu oben IV 4. 53 54
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Teil der Konditionalität bei jeglichem Hilfsersuchen, die strikte Begrenzung (besser: Verkleinerung) des Volumens des ESM und die Erleichterung und Befürwortung von Exit-Möglichkeiten. Kommt es zur Einrichtung des ESM (sofort oder besser erst nach den genannten notwendigen Verbesserungen), müssen Mitspracherechte des deutschen Gesetzgebers bei jeder Grundsatzentscheidung über Hilfen des ESM (Bewilligung, Konditionalität, Aufstockung der Fondsmittel, Änderung des Instrumentariums) in Deutschland gesetzlich verankert werden.
Das Recht zum Austritt und Ausschluss aus der Europ. Währungsunion Das Recht zum Austritt und Ausschluss aus der Europäischen Währungsunion* BKR 2015, 353–358 1. Grexit: die politische Karriere eines Unwortes In der bisher dritten Griechenlandkrise der Europäischen Währungsunion (EWU),1 die sich im Sommer 2015 zuspitzte, lag erstmals die Option des Ausscheidens eines Mitgliedsstaats (Griechenlands) aus der EWU („Grexit“) auf dem politischen Verhandlungstisch, und zwar anlässlich der Konferenz der Finanzminister der EWU-Mitgliedstaaten (Euro-Gruppe) und anschließend ihrer Regierungschefs am 10.–12.7.2015 in Brüssel. Es kam zu einem Beschluss über die Aufnahme von Verhandlungen mit Griechenland über ein drittes Hilfsprogramm. Darin wurden vorweg griechische Zugeständnisse hinsichtlich der Maßnahmen zur Gesundung der griechischen Wirtschaft und des griechischen Staatswesens als Bedingungen („Konditionalität“) für dieses noch auszuhandelnde Hilfsprogramm festgelegt.2 Dies war Vorbedingung dafür, endgültige Verhandlungen über die Finanzhilfen dieses Hilfsprogramms aufzunehmen und eine flankierende Brückenfinanzierung einzuleiten.3 Nach allgemeiner Einschätzung spielte die Abwendung eines „Grexit“ beim Zustandekommen des Beschlusses unausgesprochen eine entscheidende Rolle. Dieser Begriff war seit Frühjahr 2015 in der öffentlichen Diskussion
* Bearbeitungsstand ist der 20. Juli 2015. 1 Erste Griechenlandkrise: Antrag Griechenlands auf Finanzhilfe der Eurostaaten und des IWF am 23.4.2010; Zusage von 110 Mrd. € bis 2012 am 2. Mai 2010; Horn, FS MaierReimer, 2010, 245ff. – Am 25.3.2011 beschlossen die Staats- und Regierungschefs eine Gesamtstrategie zur Stabilisierung der Währungsunion; dazu Horn, NJW 2011, 1398ff. Zweite Griechenlandkrise: Schon am 21.7.2011 wurde zur Abwendung einer Staatsinsolvenz Griechenlands ein 2. Hilfspaket der Euro-Staaten (unter Einschaltung des EFSF) und des IWF in Höhe von 109 Mrd. beschlossen. Es folgte am 20.10.2011 ein Beschluss, der u.a. für private Gläubiger einen Schuldenschnitt zugunsten Griechenlands vorsah; am 21.2.2012 einigte man sich über die Details des 2. Hilfspakets im Volumen von 230 Mrd. €; Überblick in FAZ 14.7.2015, S. 17. 2 Eurogroup Consilium Council of the EU, Euro Summit Statement Brussels 12 July 2015 SN 4070/15 (13/7/2015 11.00). 3 Zur Brückenfinanzierung Council of the EU, 17.7.2015 15.20, Press Release 593/15.
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immer öfter aufgetaucht, in der offiziellen Politik aber lange tabu.4 Erst kurz vor den genannten Verhandlungen erwähnte der EU-Kommissionspräsident Junker diese Möglichkeit, bis dann der deutsche Finanzminister Schäuble in einem inoffiziellen Papier (non paper) den „Grexit auf Zeit“ als alternatives Verhandlungsergebnis („Plan B“) ins Spiel brachte und damit (außerhalb der Beratungen) heftige ablehnende, aber auch zustimmende Reaktionen hervorrief.5 Der Hinweis wurde zum entscheidenden Antrieb für die schließlich am Morgen des 13. Juli 2015 erzielte vorläufige Einigung. Seitdem spaltet der Begriff „Grexit“ die europapolitische Diskussion in Deutschland, Griechenland und anderen Staaten der Euro-Währungsunion. Dieser Streit hat einen wichtigen politischen und rechtlichen Lernprozess eingeleitet.
2. Ein rechtliches Phantom? Über die Rechtsgrundlage für ein Ausscheiden (Exit) eines Mitgliedstaats der EWU aus diesem Verbund herrscht Unklarheit. Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) kennt den freiwilligen Austritt (Art. 50 EUV), nicht aber den unfreiwilligen Ausschluss.6 Um die Mitgliedschaft in der EU geht es hier freilich nicht, sondern [354] nur um das Ausscheiden aus dem besonderen Regelwerk der EWU als gesteigerte Integrationsstufe einer Teilgruppe von Mitgliedstaaten der EU.7 Insofern geht es nur um eine Teilbeendigung des Vertrags.8 Dieses Regelwerk ist in seinen Grundsätzen im Vertrag über die Arbeitsweise der EU (Art. 119–144 AEUV) enthalten. Es schweigt zu Austritt und Ausschluss.9 Das überrascht nicht. Ausdrückliche Exit-Regelungen im Vertragstext hätten negative Phantasien angeregt,10 – die inzwischen von der Wirklichkeit freilich weit überholt worden sind –, und dies hätte dem Vertrauen in die Stabilität der damals jungen Währung nachteilig sein können. Man hat also den ganzen Fragenkomplex im AEUV aus4 Zu Beginn der 1.Griechenlandkrise forderte die Bundeskanzlerin in der Haushaltsdebatte am 17.3.2010 für die Zukunft die vertragliche Möglichkeit eines Ausschlusses vertragsbrüchiger Staaten aus der EWU als ultima ratio. Danach blieb die Frage aus der öffentlichen politischen Diskussion strikt ausgeklammert. 5 FAZ 13.7.2015, S. 2. 6 Das Verfahren nach Art. 7 EUV zur Aussetzung bestimmter Mitgliedschaftsrechte befasst sich nicht mit einem Ausschluss oder Teilausschluss eines Mitgliedstaates. 7 Mit besonderen Vertragspflichten (Art. 136–138 AEUV u. Protokoll Nr. 14); Bandilla, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der Europäischen Union Bd. II EUV/AEUV, Art. 119 AEUV Rn 16 (Stand Mai 2011). 8 Chr. Herrmann, EuZW 2010, 413, 417; Hanschel, NVwZ 2012, 995. 9 Das Vertragsverletzungsverfahren der Art. 258–260 AEUV hat nicht die Mitgliedschaft in der EWU zum Gegenstand und ist auch technisch ungeeignet, in einer Krise der EWU eingesetzt zu werden. 10 Ähnlich Scott, International Finance 1998, 207, 213ff.
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geklammert. Zur Frage eines Ausscheidens (Exit), also eines Austritts oder Ausschlusses, besteht rechtlich eine Lücke des Vertragswerks.11 Diese Lücke ist insofern „planwidrig“, als objektiv ein Bedarf für eine Regelung des Ausscheidens besteht.12 Die EWU wurde freilich seit ihrer Gründung häufig als unumkehrbarer Prozess beschworen,13 obwohl das Vertragswerk dies nicht hergibt.14 Auch während der dritten Griechenlandkrise wurde in manchen Stellungnahmen die rechtliche Möglichkeit verneint, aus der Währungsunion freiwillig oder gar unfreiwillig auszuscheiden.15
3. Exit als Naturereignis Wäre dies richtig und wäre ein Grexit durch das Recht ausgeschlossen, wie konnte dann schon die vorsichtige Andeutung einer solchen Möglichkeit im Juli 2015 Aufregung hervorrufen und als realistische Drohung verstanden werden? Wie konnte in den dramatischen Verhandlungen des 12./13. Juli 2015 der griechische Regierungschef veranlasst werden, Konditionalitäten zu akzeptieren, die viel schwerer wiegen als diejenigen, über die er noch eine Woche zuvor sein Volk mit Nein abzustimmen aufgerufen hatte?16 Die Erklärung ist einfach. Alle Beteiligten rechneten mit der Möglichkeit oder Gefahr einer Insolvenz Griechenlands, die ein faktisches Ausscheiden des Landes aus der EWU – sozusagen als „Naturereignis“ – zur Folge hätte, nämlich als automatische Konsequenz seiner internationalen Zahlungsunfä-
Zutr. Dirk Meyer, EuR 2013, 334f. H. Scott, International Finance 1998, 207, 221ff. 13 Herdegen, EWU-Monitor Nr. 52, hrsg. Deutsche Bank Research, 1998, S. 3. 14 Eingehende Kritik an der These von der angeblichen Unumkehrbarkeit der EWU bei Seidel, ifo-Schnelldienst 6/2015, 26.3.2015, S. 9ff. Zur Möglichkeit der Beendigung der EUMitgliedschaft gem. EUV Dörr in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU. Kommentar, Bd I EUV/AEUV Art. 50 EUV Rn 8 (Stand 2011). Zum Austritt und Ausschluss aus der EWU i.F. 5–7. 15 Siekmann, Interview-Bericht der FAZ v. 1.7.2015, S. 17; Darvas; Interviewbericht Deutschlandfunk, Die zwei Varianten eines Grexit, 9.7.2015; a. A. Horn in den beiden genannten Interviewberichten und in FS. Maier-Reimer, 2010, S. 245, 262, ders., NJW 2011, 1398, 1402. Siekmann und Darvas machen allerdings Einschränkungen: Siekmann zieht das langwierige Verfahren nach Art. 7 EUV in Betracht, dem zufolge temporär einzelne Mitgliedschaftsrechte in der EU entzogen werden können. Der Weg ist für die rasche Lösung schwerer Störungen des Euro-Währungssystems nicht gedacht und technisch ungeeignet, wie S. selbst andeutet. Darvas erwägt ein freiwilliges Ausscheiden im Verhandlungsweg unter Abänderung der bestehenden Verträge. Letzteres weist in die richtige Richtung, greift aber m.E. zu kurz; dazu i. F. 5 u. 7. S. auch Fn. 14. 16 In Griechenland fand am 5.7.2015 eine Volksabstimmung darüber statt, ob man die Bedingungen für eine Verlängerung des 2. Hilfsprogramms ablehnen sollte, die wegen Abbruchs der Verhandlungen durch die griechische Regierung freilich ohnehin erledigt waren. 61,31 % der Wähler stimmten für Ablehnung, wie von der Regierung empfohlen. 11 12
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higkeit und Überschuldung. Nach dem Regelwerk der Währungsunion sind dann weitere Hilfsmechanismen nicht mehr verfügbar, insbesondere weitere kurzfristige Liquiditätshilfen der EZB an das Bankensystem (emergency liquidity assistance; ela), weil dies solvente Banken voraussetzt; überdies wäre die Gefahr des unzulässigen Staatsfinanzierung durch die EZB (Art. 123 AEUV) unvermeidbar.17 Die Inanspruchnahme des EWU-Hilfsfonds ESM wäre nicht möglich.18 Das Krisenland könnte nicht mehr durch seine Zentralbank am Geschäftsverkehr des ESZB, am Zahlungsverkehr und an der Kreditvergabe (Geldschöpfung) teilnehmen. Die rechtliche Mitgliedschaft wäre damit freilich nicht automatisch entfallen, aber sie könnte in den wichtigsten Funktionen nicht mehr ausgeübt werden. Hier ergeben sich die folgenden Rechtsfragen (i. F. 4–7).
4. Fragen der Staatsinsolvenz in der EWU (a) Internationale Staatsinsolvenz. Das Schicksal der drohenden oder eingetretenen Staatsinsolenz hat im letzten halben Jahrhundert zahlreiche Staaten außerhalb der Euro-Währungsunion betroffen.19 Eine Insolvenzordnung für Staaten, vom IWF befürwortet,20 2010 von der Bundesregierung für die EWU gefordert21 und von Fachleuten noch 2014 im Hinblick auf die 3. Griechenlandkrise vorgeschlagen,22 gibt es nicht. Wohl aber gibt es ein international eingespieltes Rettungsverfahren.23 Unter Führung des IWF werden Verhandlungen mit Gläubigerstaaten und privaten Gläubigern aufgenommen
17 Zur Gefahr der indirekten und rechtswidrigen Staatsfinanzierung insolventer Staaten durch den Ankauf von Staatstiteln mit Ela-Mitteln Weidmann, FAZ 26.6.2015 S. 25. 18 Im Fall der gleichzeitigen Überschuldung mangels Schuldentragungsfähigkeit, aber auch, wenn die Krise kein systemisches Risiko für die EWU darstellt; Horn NJW 2011, 1398, 1401, 1403. 19 Ein prominentes Beispiel ist Argentinien, das allein 1956-1992 achtmal internationale Umschuldungen mit Hilfe des Pariser Clubs durchsetzte; Cranshaw DZWir 2007, 133, 134 Fn.13. Zur erneuten Argentinienkrise 2001/2002 Cranshaw aaO; Horn FS Nobbe 2009, 601–618. 20 Choi/Gulati, Int. Fin. Law Review, Sept. 2005, 15. 21 Regierungserklärung zum Euro-Rettungsschirm am 19.5.2010, BT-Plenarprotokoll 17/42, S. 4125B ff. Zu den geringen Erfolgschancen des Vorschlags Horn, FS Maier-Reimer, 2010, 245, 256f. 22 Paulus (Hrsg.), A Debt Restructuring Mechanism for Sovereigns – Do We Need a Legal Procedure, 2014; ders. (Hrsg.), Restrukturierung in Krisenzeiten – dargestellt am Beispiel Griechenlands, 2014. Vgl. auch Sachverständigenrat, Gutachten, FAZ 29.7. 2015. 23 Horn, WM 1984; 713–721; ders., Int. Bus. Lawyer 1984, 400-409; Berensmann, Die Einbindung privater Gläubiger in die Prävention und Bewältigung von internationalen Verschuldungskrisen, hrsg. Dt. Institut für Entwicklungspolitik, Berichte u. Gutachten 7/2003; Paulus aaO.
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mit dem Ziel, die Zahlungsfähigkeit des Schuldnerstaates wieder herzustellen und durch einen ausgehandelten Schuldenschnitt dem Schuldnerstaat einen Neustart zu ermöglichen, auch die Wiedererlangung der internationalen Kreditfähigkeit. Die Staatsinsolvenz eines Mitglieds der EWU ist bisher nicht eingetreten. Aufgetretene Krisen wurden durch besondere Hilfsanstrengungen der anderen Mitgliedstaaten abgewendet und führten zum Erfolg (Irland, Portugal, Spanien). So soll es auch bei der 3. Hilfsaktion für Griechenland sein, die von Skeptikern freilich als Insolvenzverschleppung kritisiert wird.24 (b) Insolvenz eines EWU-Mitglieds; Schuldenschnitt. Die Insolvenz eines Mitglieds der EWU wirft besondere Probleme auf. Sie ergeben sich einmal aus der bestehenden Integration des Schuldnerlandes in [355] das ESZB, die in kürzester Zeit aufgelöst und durch ein nationales Währungssystem ersetzt werden muss.25 Ferner wäre entsprechend internationalen Standards ein Schuldenschnitt vorzusehen. Dieser wird unter Hinweis auf die no-bailout-Regel (Art. 125 AEUV) abgelehnt, die eine Haftung der EU-Staaten für Schulden anderer Mitgliedsländer verbietet. Nach Auffassung der Bundesregierung steht dieses Verbot jedenfalls während des Bestehens der EWU-Mitgliedschaft einem Schuldenschnitt entgegen.26 Viele Gläubigerländer Griechenlands innerhalb der EWU fürchten freilich diesen Schuldenschnitt wegen des enormen Wertberichtigungsbedarfs, der sie dann trifft; – ein Grund mehr, sich gegen die Insolvenz und den Exit Griechenlands zu stemmen. Man war auch rasch mit dem Argument zur Hand, dass die Krise dieses einen EWUMitgliedstaates mit einer Krise des ganzen Euro-Systems gleichzusetzen sei, obwohl das Vertragswerk namentlich des ESM sehr wohl zwischen Staatskrise und Euro-Systemkrise unterscheidet27 und im Fall Griechenlands die wirtschaftlichen Fakten diese Gleichsetzung nicht rechtfertigen. Die EWU war in der 3. Griechenlandkrise nicht in Gefahr, auch wenn dies häufig behauptet wurde. (c) Keine Insolvenzabwendungspflicht in der EWU. Aus dem Fehlen einer Exit-Regelung im Regelwerk der EWU (oben 2) könnte man schließen, dass ein rechtliches Ausscheiden aus der EWU nach deren Recht unzulässig und rechtswidrig wäre. Daraus könnte man eine Rechtspflicht aller anderen Mitgliedstaaten folgern, die Insolvenz eines Mitglieds um jeden Preis abzuwenden, als Teil der allgemeinen Pflicht aller EU-Mitgliedstaaten zur För-
Statt vieler sei der Bund der Steuerzahler genannt; Handelsblatt 22.07.2015. Technische Details sind hier nicht zu erörtern; dazu Dirk Meyer, EuR 2013, 334, 340ff. 26 Im Grunde besteht dieses Verbot auch bei einem Ausscheiden aus der EWU fort. Es kann dann aber leichter wegverhandelt werden, während ein Schuldenschnitt bei Verbleib in der EWU dessen Regelwerk dramatisch aushöhlen würde. 27 Krit. zu dieser Gleichsetzung Horn, NJW 2011, 1391ff, 1403. 24 25
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derung der Wirtschafts- und Währungsunion.28 Als Konsequenz wäre dann hinzunehmen, dass die Euro-Zone sich entgegen dem Sinn und Inhalt des Vertragswerks in eine unbegrenzte Transfer-Union verwandeln würde, in der ein Krisenland die Bedingungen seiner Hilfe faktisch diktieren könnte. Der Beschluss vom 12./13.7.2015 und die quälenden, monatelangen Verhandlungen zuvor sowie die begleitende politische Argumentation, Griechenland müsse unbedingt im Euro gehalten werden, scheinen diese irrige Rechtsansicht zu spiegeln. Eine Insolvenzabwendungspflicht der anderen EWU-Mitglieder scheitert freilich schon an der no-bail-out-Regel des Art. 125 AEUV. Das war und ist auch die Rechtsüberzeugung der Beteiligten am Beschluss vom 12./13.7.2015. Die darin festgelegten „harten“ Konditionen, die vor dem Hintergrund eines möglichen Grexit ausgehandelt wurden, bestätigen, dass alle beteiligen Staaten der Eurogruppe eine Rechtspflicht zur Abwendung der Insolvenz verneint haben, selbst Griechenland, dessen Regierungschef Tsipras wenig später das Beschlussergebnis als durch „Druck“ erzwungen kritisierte.29
5. Die Rechtsgrundlage des Exit liefert das Völkerrecht (a) Erforderlichkeit einer Regelung. Die Tatsache der Insolvenz eines EWU-Mitgliedes und die dadurch ausgelöste Lähmung seiner weiteren Teilnahme am Geschäftsverkehr und an den Hilfsmechanismen der EWU genügt freilich nicht, um die rechtliche und technische Herauslösung eines Schuldnerlandes aus der EWU durchzuführen. Es bedarf dafür einer klaren materiellen Rechtsgrundlage, aus der sich ergibt, dass bei Vorliegen bestimmter Tatbestände das mitgliedschaftliche Rechtsverhältnis des Krisenstaates zur EWU beendet ist und sich in ein Liquidationsverhältnis verwandelt hat. Auf dieser Rechtsgrundlage ist dann der Exit technisch zu vollziehen, dessen Durchführung weitere Rechtsakte erfordert. Man muss auch bedenken, dass das „Naturereignis“ der Insolvenz nicht die einzige denkbare Erscheinungsform einer Krise ist, die ein Ausscheiden aus der EWU gebieten kann.30 (b) Austrittsrecht analog Art. 50 EUV? Ein Austrittsrecht eines EuroLandes aus dem Euro-Währungssystem ohne weitere Vorbedingungen, das freilich im Verhandlungsweg durchzuführen wäre, wollen manche schon aus einer entsprechenden Anwendung von Art. 50 EU-Vertrag über den Aus28 Allg. zu dieser Förderungspflicht Bandilla in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU Bd II EUV/AEUV, Art. 119 AEUV Rn. 18f (Stand Mai 2011). 29 FAZ 16.7.2015, S. 15. 30 Zu denken ist auch z.B. an eine Volksabstimmung mit dem Ergebnis einer pauschalen Ablehnung der Konditionalitäten von Finanzhilfen (Fn 16). In der 3. Griechenlandkrise wurde dies freilich politisch nicht als Grund für ein Ausscheiden aus der EWU bewertet.
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tritt aus der EU herleiten.31 Es ist nicht zweifelhaft, dass bei einem Austritt aus der EU auch die Mitgliedschaft in der EWU endet und abgewickelt werden muss. Es bestehen aber Zweifel, ob ein Mitgliedsland umgekehrt ohne Begründung analog Art. 50 EUV aus der EWU austreten kann, wenn es weiter in der EU bleibt. Als EU-Mitglied hätte das austrittswillige Land die fortbestehende Pflicht, den gemeinsamen Zweck der Währungsunion gem. Art. 119 (1) EAUV zu fördern.32 Es müsste also schwerwiegende Gründe geltend machen (dazu i. F. c) und den Verhandlungsweg suchen (dazu i. F. 6). Derzeit erscheint die Option eines freiwilligen Austritts eher fernliegend, weil man vermuten kann, dass kein Krisenland die EWU freiwillig verlassen will, weil es dann die derzeit noch reichlichen Finanzquellen des Systems verlieren würde. Unrealistisch ist diese Möglichkeit aber keineswegs, wie gerade das Beispiel Griechenland zeigt.33 (c) Exit nach Art. 60 (2), 62 WKVR. Ein Recht zum Austritt und das praktisch wichtigere Recht zum Ausschluss eines Mitgliedstaates aus der EWU aus schwerwiegenden Gründen unter besonderen Umständen folgt aus anerkannten Normen des Völkerrechts. Die Vertragstreue ist im Völkerrecht wie im Privatrecht ein hohes Gut („pacta sunt servanda“). Nach Völkerrecht kann ein bestehender (auch mehrseitiger) Vertrag aber wegen erheblicher Vertragsverletzung durch eine Vertragspartei von den anderen Vertragsparteien im Verhältnis zum vertragsbrüchigen Staat beendet werden (Art. 60 (2) Wiener Konvention über das Recht der Verträge; WKRV). Gleiches gilt bei einer „grundlegenden Änderung der Umstände“, die mit einem Mitgliedsland zusammenhängt, wenn die Vertragsfortsetzung für andere Vertragspartner unzumutbar ist ( Art. 62 WKRV).34 Diese Grundsätze sind nicht neu, sondern im Kern schon lange Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts. Dies gilt auch für den Tatbestand des Art. 62 WKVR, der als “clausula rebus sic stantibus“ eine lange völkerrechtliche Tradition hat.35 Er findet im [356] Privatrecht einschließlich des Rechts des internationalen Wirtschaftsverkehrs seine Entsprechung in den Tatbeständen des „Wegfall der Geschäftsgrund31 Teilaustritt als Minus gegenüber dem Vollaustritt; so Seidel, EuZW 2007, 617; Chr. Herrmann, EuZW 2010, 413, 417. 32 Bandilla in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 119 AEUV Rn. 18 (Mai 2011). 33 Die Medien berichteten über Geheimpläne des Finanzministers Varoufakis für einen selbst initiierten Grexit mit Einführung einer Parallelwährung; Financial Times 25.7.2015; FAZ 28.7.2015. Zur fortbestehenden Ablehnung des 3. Hilfspakets durch Teile der Regierungspartei Syriza FAZ 30.7.2015 S. 1. 34 Zu beiden Rechtsbehelfen Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, 2. neubearb. Aufl., Bd I/3, 2002, § 159 S. 731ff betr. Vertragsbeendigung wegen Vertragsverletzung; § 161, S. 742ff, betr. Grundlegende Änderung der Umstände; Oppenheim’s International Law Vol. I/2 Peace, 9. Aufl. 2008 ed. Jennings/Watt S. 1305. 35 Rabl-Blaser, Die clausula rebus sic stantibus im Völkerrecht, 2012.
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lage“ und der „hardship“.36 Die gewohnheitsrechtliche Verankerung dieser Rechte, insbesondere der Tatbestand der clausula rebus sic stantibus, ist praktisch bedeutsam, weil manche Staaten, z.B. Frankreich, die WKVR nicht ratifiziert haben. Ein Rückgriff auf das Völkerrecht ist entgegen einer verbreiteten Meinung nicht dadurch ausgeschlossen, dass das speziellere Gemeinschaftsrecht der Union den Rückgriff auf das Völkerrecht angeblich versperre.37 Zwar hat sich das Unionsrecht inzwischen als weitgehend autonome und speziellere Rechtsordnung etabliert. Diese Rechtsordnung kann aber in grundsätzlichen Fragen nicht ohne Rückgriff auf das Völkerrecht auskommen.38 Die Regelungen über die Währungsunion sind Teil eines völkerrechtlichen Vertrages, des AEUV, der primäres Gemeinschaftsrecht („Verfassungsrecht“) der EU begründet.39 Das allgemeine Völkerrecht legt die allgemeinen Voraussetzungen für die Geltung dieses Vertrages fest. Wo der Vertrag schweigt und damit eine Vertragslücke aufweist wie im Fall der fehlenden Regelung eines Exits aus der EWU,40 greift allgemeines Völkerrecht ein. Dieses ist „subsidiäre Rahmenordnung für das Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten, wie auch zwischen diesen und der Union“.41 Das gilt insbesondere auch für die Regeln über die Beendigung völkerrechtlicher Verträge.42 Daher wird hinsichtlich des (weiterreichenden) Ausscheidens aus der EU als ultima ratio ein „Ausschlussrecht der anderen Mitgliedstaaten der EU nach den Regeln des allgemeinen Völkerrechts“ in Fällen „eines beharrlichen vertragswidrigen Verhaltens“ i.S. Art. 60 (2) WKVR anerkannt.43 Dies muss auch für den weniger weitreichenden Fall des Ausschlusses aus der EWU gelten, wenn eine schwere Verletzung der vertraglichen Pflichten eines Mitgliedslandes (Art. 60 (2) WKRV) oder eine grundlegende Änderung der Umstände (62 WKVR) vorliegt.44
36 Horn, Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, 1985, S. 15 ff; K.P. Berger, Trans-lex Law Research, Principles with Commentary, S. 107f (hardship) (Stand April 1914). 37 So aber z.B. Bonke, ZEuS 2010, 493–520, anlässlich der 1. Griechenlandkrise. 38 Kempen ArchVölkR 35 (1997), 271, 283; Hanschel NVwZ 2012, 995, 999. 39 Zur völkerrechtlichen Natur des EUV Dörr in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union Bd. I EUV/AEUV, Art. 50 EUV Rn 7ff; zur Einheit von EUV und AEUV Bandilla, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Art. 119 AEUV Rn 6ff. 40 Dazu oben 2 bei Fn. 10–12. 41 Dörr in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU. Kommentar, Art 50 Rn 11 u. 12. 42 Dörr aaO Rn. 12. 43 Pechstein/Streinz in Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art.49 EUV Rn 18. 44 So schon Horn, FS. Maier-Reimer, 2010, 245, 261f; ders., NJW 2011, 1398, 1402. In diese Richtung auch Hanschel NVwZ 2012, 995, 1000; Dirk Meyer EuR 2013, 334, 339.
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6. Mögliche Beendigungsgründe Für die Tatbestände des Vertragsbruchs oder der Störung der Geschäftsgrundlage im Fall Griechenland kamen oder kommen künftig folgende Sachverhalte in Betracht. (a) Mangelnde Vertragstreue; (b) Reformunfähigkeit; (c) Überschuldung; (d) internationale Insolvenz. a) Mangelnde Vertragstreue. Die nachhaltig praktizierte und z.T. ausdrücklich erklärte Unwilligkeit zur Einhaltung vertraglich vereinbarter Auflagen über notwendige Reformen, die bei Hilfskrediten unerlässlich sind (Konditionalität), ist Vertragsbruch i.S. Art. 60 (2) WKVR) und begründet ggf. zugleich einen grundlegende Änderung der Umstände i.S. Art. 62 WKVR. Diese Unwilligkeit wurde von der Regierung Tsipras von Anfang ihrer Regierung im Januar 2015 an erklärt, in Verhandlungen Februar-Juni 2015 (über die Fortsetzung bzw Verlängerung des 2. Hilfsprogramms) praktiziert und durch das von der Regierung geförderte Nein-Votum der griechischen Wähler am 5.7.2015 unterstrichen. Damit war die Vertrauensbasis für Vertragstreue auch bei künftigen Krediten entfallen. Durch den Beschluss der Regierungschefs am 12./13.7.2015 wurde allerdings implizit zum Ausdruck gebracht, dass jedenfalls das bisherige Verhalten der griechischen Regierung noch nicht als Grund angesehen werden solle, Griechenland aus der EWU auszuschließen oder ihm auch nur den Austritt nahezulegen. Das Thema „Vertrauen“ wurde aber in der Verhandlung ausdrücklich problematisiert und seine Wiederherstellung wurde zum wichtigen Vertragsziel der weiteren Verhandlungen für das 3. Hilfspaket erklärt.45 Die Erklärungen des griechischen Regierungschefs nach dem Beschluss, er habe zwar zugestimmt, es sei aber ein Text, „an den er nicht glaube“,46 und Ankündigungen verschiedener griechischer Gruppen, die künftige Vertragserfüllung zu sabotieren, zeigen an, dass das Problem der Vertragstreue ungelöst ist und künftig wieder relevant werden kann.47 (b) Reformunfähigkeit. Die Unfähigkeit Griechenlands zur Verbesserung seiner wirtschaftlichen Lage durch die bisherigen Hilfsprogramme ist unbestritten. Die vereinbarten Auflagen wurden nur zum kleineren Teil umgesetzt. Zwar hatte Griechenland vor Tsipras bescheidene Fortschritte erzielt.48 Die wichtigsten Reformaufgaben waren liegen geblieben (Bekämpfung der Korruption, Steuergerechtigkeit, Rentenreform, Privatisierung von Staats-
Vgl. die Erklärung des Rates der EU aaO (oben Fn. 2). FAZ 16.07.2015, S. 15. 47 Noch am 29.7.2015 hatte die griechische Regierung keine eigene Mehrheit für die Reformschritte und Teile der Partei Syriza bevorzugten weiterhin einen Exit aus dem Euro, FAZ 30.7.2015 S. 1. 48 Hermann, Das Hilfsprogramm funktionierte, bis Syriza kam, FAZ 4.7.2015, S. 2. 45 46
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unternehmen). Ob das auf dem Fehlen einer tragfähigen staatlichen Infrastruktur beruht oder auf der Unwilligkeit der politischen Eliten, die durch das Wählervotum vom 5.7.2015 noch gestärkt wurde, kann dahinstehen. Die entmutigende Erfolgsbilanz der beiden bisherigen Hilfsprogramme hätte die Merkmale einer grundlegenden Änderung der Umstände i.S. Art. 62 WKRV wohl erfüllt. Aber politisch war dies aus vielen Gründen nicht gewollt. Den Ausweg suchte man in einer besonderen „Strenge“ der nunmehr (vorläufig) ausgehandelten Auflagen. Der Ausgang ist ebenso ungewiss wie die dem Hilfsprogramm zugrunde gelegten Zahlen.49 (c) Überschuldung. Die Überschuldung Griechenlands wurde bisher bei der Gewährung der Hilfsprogramme nicht als grundlegende Änderung der Umstände i.S. Art. 62 WKRV behandelt. Hier besteht ein politischer Beurteilungsspielraum. Man muss aber fragen, ob nicht auch hier ein kritischer Punkt erreicht ist, ab dem man bei der Hilfspolitik für Griechenland das bisher praktizierte fiktive Denken, die Hilfsprogramme würden Erfolg haben („extend and pretend“), durch realistisches Denken ersetzen muss. Eine Umschuldung würde, wie (oben 4 b) erörtert, ein Ausscheiden aus der EWU voraussetzen. (d) Internationale Insolvenz. Unabhängig davon bedeutet die bereits (oben 3 und 4 b) erörterte, durch eine internationale Staatsinsolvenz begründete Unfähigkeit des Krisenlandes, am Währungssystem der EWU weiter teilzunehmen, schon für sich genommen eine grundlegende Veränderung der Umstände i.S. Art. 62 WKVR, [357] falls die Insolvenz nicht abgewendet oder rasch beseitigt werden kann. Das Bemühen, das Krisenland weiter im Währungssystem des Euro zu halten, würde rasch zu dessen Erosion führen, z.B. bei Aufrechterhaltung der dann unzulässigen Ela-Kredite und deren Missbrauch für eine Staatsfinanzierung,50 durch unzulässige ESM-Kredite und die Gefahr regelwidriger, aus der Not geborener Bankkredite an andere Kreditnehmer mit mangelnder Kreditfähigkeit, letztlich durch Umwandlung der EWU in eine Transferunion und Zerstörung des Vertrauens in sein Regelwerk.
7. Rechtliche Konsequenzen (a) Austritts- und Ausschlussrecht. Die EWU-Mitgliedstaaten haben bei Vorliegen der genannten Tatbestände (Vertragsbruch, Art. 60 (2) WKVR; grundlegende Änderung der Umstände, Art.62 WKRV) das Recht und im 49 Letzteres gilt z.B. für die Schätzung, in den geplanten Fonds zu Privatisierung griechischen Staatseigentums ließen sich Vermögenswerte in Höhe von 50 Mrd. € einbringen; dazu FAZ 15.7.2015, S. 6 („Siegeszug einer Phantasiezahl“). 50 Vgl. oben Fn. 17.
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Interesse der Erhaltung der gemeinsamen Währung51 gegebenenfalls sogar die Pflicht, den betreffenden Schuldnerstaat auch gegen seine Willen aus dem Euro auszuschließen. Der Krisenstaat kann ggf. ebenfalls das Recht haben, seinen Austritt zu erklären.52 Bei Vorliegen eines der Tatbestände Vertragsbruch oder grundlegende Änderung der Umstände kann sich jeder Mitgliedstaat einzeln auf diesen Tatbestand berufen, unbeschadet seiner Kooperationspflichten mit den anderen Mitgliedstaaten. Denn die Mitgliedstaaten bleiben die „Herren der Verträge“.53 Die Mitgliedschaft des Krisenstaates in der EU bliebe von seinem Austritt oder Ausschluss aus der EWU unberührt. Der Staat würde lediglich auf den Status eines „Mitglieds mit Ausnahmeregelung“ i. S. Art. 139 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU zurückkehren, den viele EU-Länder ohnedies seit jeher innehaben (Großbritannien, Schweden). Eine spätere Wiederaufnahme in den Euro-Währungsverbund wäre nach gewissenhafter Prüfung der Frage, ob dieser Staat die erforderlichen Voraussetzungen für die Einführung des Euro erfüllt (Art. 139 (1) AEUV), ohne weiteres möglich. Die Einschränkung des Vorschlags vom Juli 2015, der Grexit solle nur „auf Zeit“ stattfinden, erinnert also nur an eine Selbstverständlichkeit. (b) Prozedurale Aspekte. Wie der Austritt oder Ausschluss aus der EWU prozedural herbeizuführen ist, ist nicht geregelt. Die Suspensionsvorschrift des Art. 7 EUV und das Vertragsverletzungsverfahren der Art. 238ff AEUV bei einzelnen Vertragsverstößen eines Mitgliedstaats „sehen nur Sanktionen vor, deren Intensität weit unterhalb eines Ausschlusses (aus der EU) liegt“54 und, so muss man hinzufügen, auch unterhalb eines Ausschlusses (nur) aus der EWU. Die genannten Regeln sind auch für ein rasches Handeln nicht geeignet. Die künftige, vorsorgliche Schaffung passender Regeln durch Änderung des AEUV oder seine Ergänzung durch ein Protokoll ist politisch illusorisch. Sie ist auch praktisch nicht notwendig. Denn wenn man zutreffend den Austritt oder Ausschluss eines EWU-Mitglieds wegen „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ (Art. 62 WKVR) einen europapolitischen „GAU“ nennt,55 muss man hinzufügen, dass dieser GAU im typischen Fall schon eingetreten ist oder unmittelbar bevorsteht, etwa die Insolvenz des Krisenstaates (oben 3). Hier geht es darum, im Interesse der Erhaltung des Währungssys tems die Scherben rasch aufzukehren. Für eine rasche Klärung können vor Allg. zu Förderungspflicht bezüglich der Wirtschafts- und Währungsunion Bandilla, aaO Art. 119 AEUV Rn. 18ff. 52 Die eigene Krise kann er nur dann als Grundlage eines Austrittsrechts (gem. Art. 62 WKRV) geltend machen, wenn kein eigenes Verschulden vorliegt (vgl. Art. 62(2)b). Man wird in der Krise aber vermutlich die Schuldfrage aus diplomatischen Rücksichten ausklammern. 53 BVerfG 123, 267 = NJW 2009, 2267, 2271. 54 Hanschel, NJW 2012, 995, 999. 55 Meyer, EuR 2013, 334, 341. 51
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handene, erprobte politische Verfahren im institutionellen Rahmen der EWU genutzt werden. Diese Mechanismen haben als spezielleres Recht Vorrang vor den prozeduralen Vorgaben der Art. 65ff WKVR. Zuständiges Organ ist der Rat der EU in der Zusammensetzung der EuroGruppe. Er kann durch einstimmigen Beschluss feststellen, dass ein Austritts- oder Ausschlussgrund i.S. Art. 60 (2), 62 WKRV gegeben ist. Ein solcher Beschluss ist freilich in dieser Frage politisch schwer zu erreichen. Er ist aber auch rechtlich nicht erforderlich. Denn umgekehrt sind Hilfsmaßnahmen einstimmig zu beschließen. Jeder EWU-Mitgliedstaat ist bei Vorliegen eines rechtlichen Ausschlussgrundes i.S. Art. 60 (2), 62 WKVR berechtigt, seine Stimme in diesem Sinn zu gebrauchen. Er muss eigenverantwortlich prüfen, ob ein Beendigungsgrund vorliegt, und – weitergehend –, ob nicht die Verteidigung der Funktionsfähigkeit der EWU den Ausschluss des Krisenlandes sogar gebietet. Er ist zwar i.S. seiner allgemeinen Kooperationspflicht gehalten, mit den anderen Mitgliedsstaaten über diese Frage zu beraten und einen gemeinsamen Beschluss über das Vorliegen eines Austritts- oder Ausschlussgrundes anzustreben, unbeschadet seines Rechtes und seiner Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung und Entscheidung. Kommt der erforderliche einstimmige Beschluss über neue finanzielle Hilfen nicht zustande, ist der faktische Exit z.B. durch Insolvenz endgültig und die dadurch nach Völkerrecht eingetretene Rechtslage ist lediglich deklaratorisch festzustellen. Das politisch und rechtlich Nächstliegende ist es, innerhalb der Eurogruppe gemeinsam den Verhandlungsweg mit dem Krisenland rasch zu beschreiten. Ergibt sich nach Beratung, dass Einstimmigkeit für weitere finanzielle Hilfe bei Verbleib des Krisenlandes in der EWU nicht zu erzielen ist, könnte das rechtliche Ausscheiden des Schuldnerstaates aus der Eurozone durch Rückstufung auf den Status eines Mitgliedstaates mit Ausnahmeregelung (Art. 139 (1)) AEUV) zur Konditionalität für weitere Hilfen gemacht werden. Der Schuldnerstaat könnte dann selbstverantwortlich an seiner eigenen wirtschaftlichen Gesundung arbeiten – als Mitglied der EU, aber außerhalb der Währungsunion.
8. Ausblick Während dieser Kommentar entsteht, zeichnet es sich nach Zustimmung auch des Bundestags am 17.7.2015 und anderer Parlamente zur Aufnahme der Verhandlungen ab, dass das dritte Griechenland-Hilfspaket zügig durchverhandelt wird und dass sich damit eine kleine Chance zu wirklichen Reformen in Griechenland auftut. Aber alle vorgenannten Risiken bleiben. Und die grundlegenden Antworten des Rechts für den Fall, dass es nicht gut geht, bleiben auch bestehen. Die rechtlichen Möglichkeiten zum Austritt und zum Ausschluss führen nicht zu einfachen Lösungen. Weitere Finanz-
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hilfen und Schuldenschnitte werden unvermeidlich und auch politisch geboten sein, zumal wenn das ausscheidende Land Mitglied der EU bleibt. Aber die EWU könnte an Stabilität gewinnen und der Aushöhlung des Eurosys tems von innen, sowohl seiner finanziellen Stabilitätsmechanismen als auch der Respektierung seines Regelwerkes, würde entgegengewirkt. Außerhalb der EWU erhielte Griechenland die Chance eines Schuldenschnitts und die (derzeit ungeliebte) Möglichkeit einer eigenen Währung, die dem Land nach Übergangsschwierigkeiten einen wirtschaftlichen Aufstieg ermöglichen könnte.
9. Zusammenfassung Das Vertragswerk über die EWU enthält keine rechtliche Regelung des Austritts oder Ausschlusses eines EWU-Mitglieds. Bei internationaler Insolvenz eines EWU-Mitgliedes ist dieses Mitglied [358] von der weiteren Teilnahme an den Finanzoperationen des ESZB ausgeschlossen. Sofern die Krise nicht durch Kredite des ESM (oder Kredite Dritter) abgewehrt werden kann, weil die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt sind, besteht keine Rechtspflicht der anderen EWU-Mitglieder oder der Organe des ESZB, die Insolvenz des EWU-Mitglieds in der Krise abzuwenden. Ein Rechtsrahmen für den Fall der internationalen Insolvenz eines Staates besteht nicht. Es gibt aber ein praktisch bewährtes Verfahren der Wiederherstellung seiner internationalen Zahlungs- und Kreditfähigkeit durch Neukredite des IWF und Verhandlungen mit den Gläubigern unter dessen Führung über eine Umschuldung (Moratorium und Schuldenschnitt). Die internationale Insolvenz eines EWU-Mitglieds wurde bisher vermieden. Träte dieser Fall ein, so wäre der Schuldnerstaat rechtlich aus der EWU herauszulösen, weil er an deren Operationen nicht mehr teilnehmen kann, und um einen Schuldenschnitt mit den Gläubigern vereinbaren zu können. Eine rechtliche Regelung über Austritt und Ausschluss eines EWUMitglieds ergibt sich aus allgemeinem Völkerrecht, das ergänzend auch auf das Primärrecht der EU anzuwenden ist. Im Fall einer schweren Vertragsverletzung durch ein Mitgliedsland sind die anderen Mitglieder berechtigt, dieses Land aus der EWU auszuschließen (Art. 60 (2) WKVR). Gleiches gilt, wenn im Hinblick auf ein Mitgliedsland eine grundlegende Änderung der Umstände (Geschäftsgrundlage) eingetreten ist, der die Fortsetzung des Vertrages für die anderen Länder unzumutbar macht (Art. 62 WKRV). Im letzteren Fall kann auch ein Austrittsrecht des Krisenlandes selbst gegeben sein. Unzumutbarkeit liegt insbesondere vor, wenn der weitere Verbleib des Mitglieds die Funktionsfähigkeit oder die Vertrauensbasis der EWU bedroht. Hier ist sogar eine Rechtspflicht zum Ausschluss anzunehmen. Jeder Mitgliedsstaat ist im Rahmen seiner allgemeinen Kooperationspflicht in der
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EWU gehalten, sich mit den anderen Mitgliedern über das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes zu beraten. Er entscheidet aber eigenverantwortlich im Rahmen der Beschlüsse des Rates der Eurogruppe über finanzielle Hilfen. Naheliegend ist die Möglichkeit, das Ausscheiden des Krisenlandes zur Kondition weiterer finanzieller Hilfen für dieses Land zu machen und in diesem Rahmen einvernehmlich das Ausscheiden herbeizuführen.
III. Rechtsphilosophie und Rechtstheorie
Zur Bedeutung der Topiklehre Theodor Viehwegs für eine einheitliche Theorie des juristischen Denkens* NJW 1967, 601–608 Diederichsen hat unlängst in dieser Zeitschrift topisches und systematisches Denken in der Jurisprudenz untersucht.1 Indem er dem topischen Denken allenfalls gewisse Hilfsdienste in den „Unvollkommenheiten“ unseres Fachs zubilligt, als Methode der Jurisprudenz jedoch einer heftigen Kritik unterzieht,2 berührt er methodische Grundfragen, die für Lehre und Praxis des Rechts von ganz zentraler Bedeutung sind. Denn die Beantwortung dieser Fragen entscheidet darüber, ob und wieweit unsere Disziplin dem rechtsstaatlichen Postulat nach rationaler Nachprüfbarkeit der Rechtsfindung wissenschaftlich genügen kann. Die theoretische Klärung der Verfahren, deren sich die Rechtswissenschaft und die juristische Praxis bedienen, gehört zu den Aufgaben der rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Diese konnte in Zusammenarbeit mit der Grundlagenforschung anderer Disziplinen in letzter Zeit in Deutschland und in der internationalen Diskussion erneut lebhaftes Interesse wecken. Die von Diederichsen herangezogene, 1965 in dritter Auflage erschienene Schrift „Topik und Jurisprudenz“ von Theodor Viehweg ist an dieser Entwicklung maßgeblich beteiligt.3 Viehweg schlägt vor, in der Diskussion um das Wesen der Jurisprudenz einen alten Gesichtspunkt neu zu beachten. Er kennzeichnet nämlich die Jurisprudenz als „Topik“ und diese als eine in der Antike entwickelte Technik des Problemdenkens. Er stellt diesen Denkstil dem Denken in einem deduktiv-axiomatischen System gegenüber, dessen Modell das neuzeitliche Wissenschaftsideal bestimmt hat und auch die Vorstellungen über das Wesen der Jurisprudenz steuerte. Dieses Modell wird aber heute auch * Der vorliegende Aufsatz wurde im wesentlichen im August 1966 abgeschlossen, später erschienene Literatur nur unvollständig nachgetragen. Nicht berücksichtigt ist insbesondere der Beitrag von E. Schneider in MDR 67,6 und Flume, Richter und Recht, München 1967. 1 NJW 66, 697. 2 aaO, insbes. S. 700, 702 u. 704. 3 Topik und Jurisprudenz; Ein Beitrag zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung, 3. Aufl. 1965 (1. Aufl. 1953); Übersetzungen: Topica e Giurisprudenza, Mailand 1962 (m. Einl. v. Crifò); Topica y Jurisprudencia, Madrid 1965 (m. Einl. v. Garcia de Enterría).
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auf anderen Gebieten nur noch mit erheblicher Modifizierung anerkannt.4 Viehweg stellt nun die These auf, die Jurisprudenz könne ihrem Wesen nach nur als problemgebundenes, topisches Denken richtig verstanden werden.5 Die Gedanken Viehwegs haben lebhafte Zustimmung, z. T. aber auch Ablehnung erfahren. Den eben angedeuteten größeren wissenschaftstheoretischen Zusammenhang hat insbesondere Coing frühzeitig hervorgehoben, indem er Viehwegs Schrift als „grundlegend für eine ganze wissenschaftliche Disziplin“ und als „Neuerscheinung von höchster Wichtigkeit“ bezeichnete. Das Werk zeige „einen Ausweg aus der undurchsichtigen Lage, in welche die Rechtswissenschaft durch die Auseinandersetzung zwischen systematischer und soziologischer Schule gekommen“ sei.6 Die ungewöhnlich große Resonanz der Arbeit Viehwegs zeigt sich einmal darin, daß sein Hinweis auf die Topik in Arbeiten aus den verschiedenen juristischen Fächern, insbesondere aus der Grundlagenforschung, fruchtbar geworden ist,7 vor allem aber in der Tatsache, daß Viehwegs Gedanken heute auch in der internationalen rechtsphilosophischen Literatur zahlreichen zustimmenden oder verwandten Äußerungen begegnen.8 Die Topik oder die Technik des Problemdenkens wird über den Rahmen unseres Fachs hinaus allgemein in der modernen Wissenschaftstheorie diskutiert.9 Dem stehen andere Stimmen gegenüber, die von zurückhaltender Zustimmung10 bis zu scharfer Ablehnung reichen. Engisch stimmt Viehweg in der Ablehnung der deduktiv-axiomatischen Methode für unser Fach und in der Hervorhebung der Problemgebundenheit des juristischen Denkens zu, hält aber dessen Hinweis auf die „doch wohl antiquierte Topik“ nicht für befriedigend.11 In der Methodenlehre von Larenz wird Viehwegs Schrift als eine unberechtigte Ablehnung des systematischen Anliegens der Rechtswissenschaft kurz abgetan.12 Nach Enneccerus-Nipperdey hebt die Topiklehre (Viehweg, Esser) die Selbständigkeit des entscheidenden Richters auf Kosten seiner Bin-
4 Vgl. etwa Popper, Logik der Forschung, 2. Aufl. 1966; Polya, Mathematik und plausibles Schließen, 2 Bde (Basel) 1962/63. 5 aaO S. 1 f., S. 53 ff., S. 64 ff. (66). 6 ARSP 41 (1955), 436, 444. 7 Vgl. z. B. Würtenberger, Die geistige Situation der deutschen Strafrechtswiss., 1957 (S. 10); H. Ehmke u. P. Schneider, Prinzipien der Verfassungsinterpretation, VVDStRL 20 (1963); Arndt, NJW 63, 1273 (1277 f.); insbes. aber Coing, Systemgedanke (1955), in: Zur Geschichte d. Privatrechtssystems, 1962, S. 9; Esser, Grundsatz und Norm in der richterl. Fortbildung d. Privatrechts, 1956, S. 46 ff., 101 ff., 218 ff.; dazu Wieacker, JZ 57, 701 (703 f.); Wieacker, Gesetz und Richterkunst, Schriftenreihe d. Jur. Studienges. Karlsruhe, Heft 34 (1958), insbes. S. 11, 14; Bäumlin, Staat, Recht u. Geschichte, Zürich 1961; Ballweg, Zu einer Lehre von d. Natur der Sache, 2. Aufl. Basel 1963; Engisch, Wahrheit u. Richtigkeit im jur. Denken, Münch. Univ.-Reden NF 35, 1963 (krit., vgl. auch N. 11); Erik Wolf, Das Problem d. Naturrechtslehre, 3. Aufl. 1964, S. 201; Henkel, Einführung in die Rechtsphilosophie, 1965, S. 418 ff. 8 Viehweg kann in der Einl. zur dritten Aufl. aaO vor allem auf Perelman (Brüssel), Recasens-Siches (Mexiko) und J. Stone (Sidney) verweisen. Vgl. auch neuestens ‚La logique du droit‘, Archives de Philosophie du Droit (APD) 11 (1966) mit den Beitr. v. Perelman (1 ff.), Jaeger (59 ff.) und Giuliani (S. 87 ff.). 9 Vgl. vorerst die umfangreichen Nachweise bei Viehweg, aaO S. 2 f. 10 Vgl. z. B. Zippelius, Das Wesen d. Rechts, 1965, S. 64–67; Troller, Überall gültige Prinzipien d. Rechtswiss., 1965, S. 205. 11 ZStrW 69, 596 (600); vgl. auch ders. in Studium Generale 10 (1957), 173 ff. u. N. 7. 12 Methodenlehre d. Rechtswiss., 1960, S. 133 f.
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dung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) zu stark hervor.13 Diederichsen hat die bisherige Kritik in verschärfter Form zusammengefaßt. Systemfeindlichkeit und damit Leugnung der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz, letztlich das Aufgeben einer rationalen und nachprüfbaren Rechtsfindung sind nach ihm die Hauptsünden Viehwegs, bei dem er „ein Bekenntnis zur geltenden Rechtsordnung“ und zum Grundsatz der Bindung [602] des Richters an das Gesetz vermißt.14 Der Leser erfährt, die Topiklehre sehe die Jurisprudenz als „Gemenge unzusammenhängender Fragen“ und als „Labyrinth sinnlos nebeneinander stehender Problemstücke“. Nicht das Gesetz, sondern beliebige ‚Topoi‘ wie z. B. der Satz „Bürgen soll man würgen“ (!) könnten künftig die Rechtspraxis bestimmen.15 Dabei gründeten die methodischen Forderungen Viehwegs auf einem „Scheingefecht“ gegen die deduktive Methode, die heute ohnehin in unserem Fach nicht mehr vertreten werde.16
Um zu vermeiden, daß unsere eigene Stellungnahme ihrerseits ein Scheingefecht für oder gegen die Topik werde, müssen wir von einer gewissenhaften Analyse der Thesen Viehwegs unter tunlicher Vermeidung polemischer Entstellungen ausgehen.17 Zunächst ist die allgemeine wissenschaftstheoretische Konzeption der Topiklehre zu betrachten (I, II). Sodann ist zu fragen, ob die Topik allgemein als Theorie unseres juristischen Denkens taugt (II, III). Erst dann können die Folgerungen aus der Topiklehre für den juristischen Systembegriff (IV) und für die Möglichkeit einer rationalen und nachprüfbaren Rechtsfindung (V) erörtert werden.
I. Topik als Grundtypus wissenschaftlichen Denkens Jede Wissenschaft strebt danach, ihren Gegenstand in der Weise zu erfassen, daß eine eindeutige und rational nachprüfbare Begründung ihrer Einzelsätze möglich ist. Dabei wird ein vollkommenes Erkenntnis- und Beweisverfahren dann erreicht, wenn die Einzelsätze aus bekannten Axiomen in einem ausschließlich durch die Gesetze der Logik bestimmten eindeutigen Schließen gewonnen werden können.18 Ein solches Verfahren setzt die Erfassung des Stoffs in einem Deduktivsystem voraus.
Allg. Teil d. Bürgerl. Rechts, 15. Aufl. 1959, § 23 II (S. 124 f.). aaO S. 697 ff. u. S. 702.–S. 701 Fußn. 64 bemerkt D. allerdings, daß der von ihm herausgestellte Gegensatz von topischem und systematischem Denken „nicht recht paßt“, ohne daß dies seiner Beurteilung der Topiklehre zugute kommt. Vgl. auch neuntens NJW 66, 2005. 15 aaO S. 699, 704, 703. 16 aaO S. 700. 17 Zuverlässige Referate zu Viehwegs Schrift insbes. bei Coing, ARSP 41 (1955), 436 ff. und Engisch, ZStrW 69, 596 ff. 18 Zur Beweistheorie von Frege vgl. Bochenski, Formale Logik, 2. Aufl. 1962, S. 329. 13 14
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Der Entwurf solcher Systeme hat seit Descartes das Wissenschaftsideal der Neuzeit bestimmt.19 Mit Hilfe der modernen Logikwissenschaft ist es möglich, ziemlich genau die Bedingungen eines solchen Systems, das ein strenges Schließen ermöglicht, anzugeben:20 1. Erfassung der unableitbaren, unter einander unabhängigen (möglichst wenigen) Axiome, auf die sich alles anderen Sätze des Wissensgebietes zurückführen lassen; 2. genaue Bestimmung der logischen Relationen der in einem Wissensgebiet verwendeten Begriffe21 und Sätze zur Sicherung der logischen Ableitbarkeit der Einzelsätze (Theoreme) aus dem System; dabei ist eine strenge Formalisierung unter Ausschaltung der Ungenauigkeiten der normalen Sprache erforderlich;22 3. Festlegung der in dem System vorzunehmenden logischen Operationen in Gestalt des Kalküls.
Nehmen wir nun einmal an, auf irgendeinem Gebiet sachhaltigen Wissens außerhalb der Mathematik, die ja das maßgebliche Vorbild für das neuzeitliche Denken war, sei die Konstituierung eines solchen Deduktivsystems vollkommen gelungen.23 Wir haben ein Gerüst logischer Beziehungen und formalisierter Zeichen vor uns. Jede Sachhaltigkeit ist aus dem System selbst verbannt. Wir können zwar jede Aussage, die sich über das betreffende Gebiet „wissenschaftlich“ machen läßt, aus dem System ableiten. Wenn wir aber den sachlichen Gehalt, die eigentliche Begründung und die praktische Verwertbarkeit des Ergebnisses überprüfen wollen, werden wir auf die Axiome, die ja das ganze System und ebenso unser Einzelergebnis tragen, verwiesen. (Sind auch die Axiome formalisiert, müssen wir uns an die ihnen beigegebenen sachhaltigen Deutungsvorschriften halten.) Da die Axiome nun die unableitbare Grundlage des ganzen Systems darstellen, ist ihre Festlegung (bzw. die ihrer Deutungsvorschriften) i. S. des Systems logisch willkürlich.24 Wir gelangen zu dem zunächst befremdlichen Ergebnis, daß an den Punkten, die über die Sachhaltigkeit des Systems und damit über die eigentliche Begründung unseres Einzelergebnisses entscheiden, die logische Ableitung fehlt. Hier zeigt sich eine schlichte, aber grundlegende Bedingung menschlichen Denkens und Erkennens, die seit der Antike allbekannt, seitdem aber nicht immer genügend beachtet worden ist. Denn jedes sachhaltige Beweisverfahren muß sich zunächst in einem ersten Schritt seiner Prämissen vergewissern, aus denen dann in einem zweiten Schritt logische Schlüsse gezogen werden sollen. Die Festlegung der Prämissen aber kann, wie schon Aristote19 Dazu Perelman, Justice et raison, Brüssel 1963, S. 95 ff. u. 235 ff.; Villey, APD 10 (1965), 369. 20 Vgl. Hilbert-Ackermann, Grundzüge d. theoret. Logik, 3. Aufl. 1949; dazu ausführl. Viehweg, aaO § 7; vgl. auch Engisch, Studium Generale 10, 173 f. 21 Zum ‚Konstitutionssystem‘ (axiornatisches System von Ausdrücken) vgl. Bochénski, Die zeitgenöss. Denkmethoden, 1954, S. 81 f. 22 Zur Notwendigkeit der Formalisierung außer Viehweg aaO auch Perelman, Justice et raison. S. 206 ff. u. 218 ff.; Simitis bei Frank, Kybernetische Maschinen, 1964, S. 351 ff. (359). 23 Zum folgenden Viehweg, aaO § 7. 24 Viehweg, aaO S. 56.
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les hervorgehoben hat, selbst nicht in einem logisch ableitenden Verfahren erfolgen,25 oder, um mit Cicero zu sprechen: die Suche der Prämissen (ars inveniendi) muß der demonstrierenden Logik (ars iudicandi) vorausgehen.26 In den Prämissen, nicht in den damit ausgeführten logischen Operationen, entscheidet sich aber letztlich, ob ein Beweis sachhaltig und überzeugend ist. Perelman sieht daher in seiner Argumentationstheorie zutreffend das entscheidende Schwergewicht eines jeden Beweises in der „argumentation“ (Prämissenerweis), nicht in der „demonstration“ (logischen Schlußform).27 Das deduktiv-axiomatische Systemdenken als beherrschender Grundtypus der neuzeitlichen Wissenschaft bedarf also eines vorausgehenden und ergänzenden Verfahrens der Prämissensuche, falls man es nicht vorzieht, diese einfach irrationalem Belieben zu überlassen. Eine solche Haltung müßte sich besonders fatal für solche Wissensgebiete auswirken, in denen die Errichtung eines geschlossenen Deduktivsystems bisher nicht gelungen ist, in denen vielmehr nach der Beschaffenheit der auftretenden Probleme und der menschlichen Erkenntniskräfte die Prämissen ständig neu erarbeitet und überprüft werden müssen. Wenn man die Prämissen nicht ableiten kann, muß es einen Weg geben, sich über diese zu verständigen, und wir müssen annehmen, daß dies in einer Wissenschaft im Wege der wissenschaftlichen Diskussion geschieht. Es liegt auf der Hand, daß diese Diskussion methodisch geordnet sein muß, wenn man den Anspruch auf wissenschaftliche Erkenntnis nicht begraben will. Hier bietet sich nun als mittelbares Erkenntnis- und Begründungsverfahren die Topik an. Aristoteles hat sie erstmals in seiner Schrift ‚topika‘ beschrieben; CICERO hat diese Gedanken in ‚de inventione‘ und ‚topica‘ aufgegriffen, im Hinblick auf praktische juristische Bedürfnisse dargestellt und ihnen zu nachhaltiger historischer Wirksamkeit verholfen. Diese Anknüpfungspunkte greift Vieh- [603] weg auf, wenn er in seiner Schrift die Topik als allgemeinen Grundtypus wissenschaftlicher Arbeitsweise analysiert und für die Jurisprudenz in Anspruch nimmt.28 In der aristotelischen Topik wird die aristotelische Logikwissenschaft auf das Gebiet des „Dialektischen“ angewendet. Die Dialektik in diesem Sinn umschreibt das weite Gebiet der Problemerörterung durch Disputation, wie sie in der antiken Rhetorik gepflegt und u. a. im Gerichtsbetrieb praktiziert wurde. Aristoteles unterscheidet das Dialektische als dasjenige Gebiet, auf dem mit ‚meinungsmäßigen‘ Sätzen (ἔνδοξα) gearbeitet wird, vom Gebiet des ‚Apodeiktischen‘, wo gesicherte und unangreifbar wahre Sätze zur Verfügung stehen. Die dialektischen Schlüsse sind logisch korrekt, aber man hat hier als Prämissen nur solche Sätze zur Verfügung, die – ohne daß ihr Wahrheitsgehalt Topika I 2 (101a–101b); dazu Perelman, aaO S. 135. Topica 2.1; dazu Viehweg, aaO S. 12, 22. 27 Grundlegend: Perelman u. Olbrechts-Tyteca, Traité de l’argumentation, Paris 1958, wo bei Erörterung der Topik auf Viehweg verwiesen wird (S. 112); vgl. auch Justice et raison, S. 206 ff. und APD 11 (1966), S. 1 f. 28 aaO §§ 2, 3 und 8. 25 26
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unangreifbar feststeht – „allen oder den meisten oder den Weisen wahr erscheinen“,29 die also in der dialektischen Problemerörterung als gemeinsame Grundlage einer Problemlösung akzeptiert werden.30 Der Kunst, derartige Prämissen zu gewinnen, gilt nun das Hauptinteresse des Aristoteles; er gibt verschiedene, z. T. aus seinen logischen Schriften bekannte Einteilungsmöglichkeiten und vor allem Anweisungen für die Auffindung (εὕρεσις, inventio) solcher Gesichtspunkte (Topoi), die der Problemerörterung den festen Halt geben. Ansatzpunkt ist beim topischen Verfahren immer das jeweilig anstehende Problem. Topoi sind „vielseitig verwendbare, überall annehmbare Gesichtspunkte, die im Für und Wider des Meinungsmäßigen gebraucht werden und zum Wahren hinführen können“.31
Viehweg kennzeichnet dementsprechend die Topik zutreffend als ein problemorientiertes Denkverfahren, als die Technik des Problemdenkens.32 Es handelt sich dabei nach Viehweg um einen zweiten Grundtypus wissenschaftlichen Denkens überhaupt. Es wäre nun völlig verfehlt, anzunehmen, daß das topische Denken unter Mißachtung der Gesetze der formalen Logik arbeiten würde.33 Es verzichtet keineswegs auf Ableitungen, die den deduktiv-systematischen Ableitungen ähneln können. Aber die Ableitungen spielen bei ihm eine geringere Rolle gegenüber dem Hauptanliegen: der Auffindung möglichst aller für die Problemlösung in Betracht kommenden Prämissen, der „Herbeiholung des Denkstoffes“ (Viehweg), der in den logischen Schlüssen verarbeitet werden soll. Einer Fülle von Prämissen stehen hier nur kurze Ableitungen gegenüber, und für eine Reihe der verwendeten Schlußformen ist es fraglich, ob sie überhaupt formallogisch restlos darstellbar sind.34 Indem die Topik die für ein bestimmtes Wissensgebiet wichtigen Prämissen aufsucht und in einer ‚Fachtopik‘ zusammenstellt, erstrebt sie kein geschlossenes System i. S. des oben skizzierten Modells. Man könnt nun daran denken, die Topik als das weniger exakte Verfahren dadurch aus einem Wissensgebiet auszuschalten, daß man die Axiome dieses Gebietes ein für allemal (topisch) erweist, um dann künftig nur noch mit einem daran angeknüpften Deduktivsystem zu arbeiten. Ob dies auf irgendeinem Gebiet sachhaltigen Wissens außerhalb der Mathematik erreicht werden kann, ist hier nicht zu untersuchen. Wir müssen aber die allgemeinen Konsequenzen bedenken, die sich bei einem derartigen Versuch ergeben und auf die Viehweg wiederholt hinweist.35 Solange man sein Augenmerk auf die sachlichen Probleme richtet, kann man zwar möglicherweise (kleinere) Deduktivsysterme ausbilden. Sie bleiben aber an die Probleme gebunden; man nimmt u. U. eine Vielzahl solcher Systeme in Kauf (Systemauslese). Verfährt man umgekehrt, um dies zu vermeiden, so stellen sich die Folgen ein, die Nicolai Hartmann für das philosophische Denken treffend beschrieben hat und die Viehweg für seine allgemeine wissenschaftstheo-
Topika I 1 (101b). Auf die Notwendigkeit solcher Bindungen im dialektischen Verfahren weist Viehweg, aaO S. 23, hin; vgl. auch Perelman, Justice et raison S. 132 ff. 31 Viehweg, aaO S. 10. 32 aaO S. 15 ff. 33 Viehweg, La logique moderne du droit, APD 11 (1966), 207 ff. (209). 34 Siehe unten Fußn. 62. 35 Topik, S. 4 f., 17, 57. 29 30
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retische Typisierung auswertet.36 Der Systemdenker geht danach vom System als einem vorweg eingenommenen Standpunkt aus. Von hier aus „werden die Probleme ausgelesen. Problemgehalte, die sich mit dem Standpunkt nicht vertragen, werden abgewiesen. Sie gelten als falsch gestellte Fragen ... Die Folge ist die Selektion der Probleme unter dem Gesichtspunkt des Systems, die Vergewaltigung ihrer Eigengesetzlichkeit ...“.
II. Topik als Methode der Handlungswissenschaften Es fragt sich nun, auf welchen Wissensgebieten die sachlichen Probleme so beschaffen sind, daß die Gefahren des Deduktivsystems besonders groß sind und bei denen daher das problemgebundene, topische Verfahren nicht nur bei der (einmaligen) Beschaffung der Axiome dient, sondern sich ständig der Probleme wegen als notwendig erweist und daher als das eigentlich konstituierende des ganzen Wissensgebietes angesehen werden muß. Wir können dabei wiederum einem Hinweis des Aristoteles folgen. Er denkt, wenn er in der Topik ein Erkenntnisverfahren für das Gebiet der Dialektik (der meinungsmäßigen Sätze) entwickelt, offenbar an die Wissensgebiete, die sich mit dem menschlichen Handeln selbst befassen, an die praktische Philosophie im weiten Sinn: Ethik, Ökonomik und ‚Politik‘, d. h. Jurisprudenz und politische Wissenschaft. Es ist bezeichnend, daß die Beispiele der aristotelischen Topik zum größten Teil der Ethik entnommen sind.37 In der Nikomachischen Ethik weist Aristoteles einleitend darauf hin, daß man auf dem Gebiet der Ethik die Anforderungen an die Präzision der Begriffe, Sätze und Schlüsse nicht überfordern dürfe und sich „mit demjenigen Grad von Bestimmtheit begnügen müsse, der dem gegebenen Stoff entspricht“ und nur „soviel Präzision verlangen dürfe, als es die Natur des Gegenstandes zuläßt“.38 Ähnlich beurteilt er die Möglichkeit, menschliches Handeln durch Gesetze zu regeln. Ein Gesetz könne nie vollkommen und lückenlos sein. „Nichtsdestoweniger ist dieses Verfahren (des Gesetzgebers) richtig. Denn der Fehler liegt nicht am Gesetz noch am Gesetzgeber, sondern in der Natur der Sache. Denn im Gebiet des Handelns ist die ganze Materie von vornherein so.“39
In der Tat müssen wir in den Wissensgebieten, wo die Frage nach der „Richtigkeit“ menschlichen Handelns auftaucht – gleich ob man nach der ethischen, der politischen, der rechtlichen Richtigkeit fragt – mit Schwierigkeiten der Materie und mit Unzulänglichkeiten der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten rechnen, welche die Möglichkeit der Gewinnung von Ein-
36 N. Hartmann, Diesseits von Idealismus und Realismus, Kant-Studien Bd. 29 (1924), S. 160 ff. (163 f.). 37 v. Arnim, Das Ethische in Aristoteles’ Topik, Sitztmgsber. d. Ak. d. Wiss. Wien. Bd. 205 (1934), 4. Abhdlg S. 4. 38 Eth. Nik. I 1 (1094b). 39 Eth. Nik. V 10 (1137b). Aristoteles begründet damit aaO die Zulässigkeit einer Korrektur des generell gefaßten Gesetzes im Einzelfall (durch die ἐπιείχεια).
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zelsätzen allein durch logisches Schließen aus einem deduktiv-axiomatischen System verschließen. Der erste Grund dafür liegt in der unüberschaubaren und unberechenbaren Vielgestaltigkeit menschlichen Handelns. Der zweite Grund ist darin zu sehen, daß die Frage nach dem „Richtigen“ nicht durch bloße logische Denkakte zu erledigen ist, sondern eine Bewertung verlangt. Als dritter Grund tritt hinzu, daß die Frage nach dem ‚Richtigen‘ gleichwohl unabweisbar ist und in der Situation, in der sie auftritt, eine schnelle Beantwortung verlangt. Man kann auf diesen Sachverhalt – je nach der philosophischen Grundeinstellung – verschieden reagieren. Man kann sich etwa darauf versteifen, das deduktivsystematische Denken sei das einzig „wissenschaftliche“. Dann kann man entweder die Sachproblematik, den Zwang zur dauernden Prämissensuche, durch Scheindeduktionen kaschieren. Man kann z. B. in marxistischer Gläubigkeit behaupten, die notwendigen Prämissen (Axiome) auf Grund einer übergreifenden (geschichtlichen) Weltdeutung zu besitzen, die es erlaubt, die gesellschaftliche Gesamtsituation zu deuten und daraus die [604] ‚Richtigkeit‘ im einzelnen sozialen Konflikt zu deduzieren.40 Man kann auch die ganze Sachproblematik einfach als „unwissenschaftlich“ abtun und einem unkontrollierbaren Irrationalismus überlassen.41 Der Fehler dieser Haltung liegt darin, daß sie auf einem verengten, durch die neuzeitliche Wissenschaftsideologie und die unbestreitbaren Erfolge der sog. exakten Wissenschaften bestimmten Vorstellung der Vernunft beruht. Was nicht durch Experiment und logische Operation überprüft werden kann, wird aus dem Gebiet der Vernunft ausgeschieden. Dies muß im Gebiet der ‚Handlungswissenschaften‘ zu einer Kapitulation vor den eigentlichen Kernfragen führen. Die Topiklehre lehnt diese im Grunde wirklichkeitsfremde Haltung ab. In der Erkenntnis, daß in den ‚Handlungswissenschaften‘ ein streng formalisiertes deduktives Verfahren der eigentlichen Probleme nicht habhaft werden kann und bei aller Perfektion immer inhaltsleerer und wirklichkeitsfremder wird, verweist sie auf die praktische Vernunft, das vernünftige Sich-in-derWelt-Zurechtfinden, auf das Gebiet der allgemeinen in einer Zeit und in einer Gesellschaft vorhandenen Einsichten und Erfahrungen. Sie will eine Methode an die Hand geben, die mittelbaren Erkenntnismöglichkeiten einer weiter verstandenen menschlichen Vernunft wissenschaftlich auszuschöpfen. „Man bezieht sich ... auf einen anerkannten menschlichen Wissens- und Erfahrungsschatz, der nicht nur vages Vermeinen enthält, sondern ein Wissen im anspruchsvolleren Sinn verbürgen soll. Mit anderen Worten: auch im
40 Analyse dieser Haltung bei Viehweg, Zwei Rechtsdogmatiken, Emge-Festschrift, 1960, S. 108 ff.; vgl. auch Perelman, Justice et raison, S. 95 ff. 41 Kritik dieser Haltung bei Perelman, Justice et raison, S. 95 ff., 234 ff.; Villey, APD 10 (1965), 369; Viehweg, APD 11 (1966), 208.
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Rahmen des Meinungsmäßigen werden wirkliche Einsichten angestrebt.“42 Dabei wird eine geordnete und übersichtliche Zusammenstellung der Prämissen (Topoi), die für die Lösung bzw. für die rationale Entscheidung der auftretenden Probleme in Betracht kommen, erarbeitet. Dieses topische Verfahren wird heute wieder vielfach „als eine für alle Disziplinen der praktischen Philosophie grundlegende Methode“ angesehen.43
III. Topische Merkmale der juristischen Argumentation Die Topiklehre bietet sich demnach als Theorie der juristischen Methode an. Ihre grundsätzliche Tauglichkeit für unsere Disziplin läßt sich durch eine Analyse der juristischen Argumentation überprüfen. Wir können dabei an Merkmale anknüpfen, die jedem Juristen bekannt sind. Sie finden sich, mit einigen Unterschieden in der Verteilung der Schwergewichte, sowohl in der praktischen Rechtsfindung, also vornehmlich in der Tätigkeit des Richters, als auch in der Rechtswissenschaft, die ja in ihrer dogmatischen Arbeit die Entscheidung von Rechtsfällen abstrakt vorbereitet. Zunächst ist hier das Verbot der ‚non liquet‘-Entscheidungen zu nennen. Dem Richter ist es nicht gestattet, einen Rechtsfall, der mit den vorhandenen Normen nicht entscheidbar ist, unentschieden zu lassen. Er kann also gerade das nicht tun, was N. Hartmann als typisch für den Systemdenker beschrieben hat: die Probleme von einem feststehenden System her auslesen und die nicht systemgerechten Probleme ausscheiden. Das Problem, der konkrete Rechtsfall, ist vielmehr das primäre; von ihm muß der Richter ausgehen. Dies entspricht dem Denkstil des Problemdenkens, also der Topik. – Zweitens: der Vorgang der richterlichen Rechtsanwendung wird regelmäßig mit dem Modell eines Subsumptionsschlusses Norm-Sachverhalt, also einer logischen Operation, umschrieben. Um aber diese logische Operation zu ermöglichen, sind zunächst zwei schwierige Aufgaben zu bewältigen, welche den Hauptteil der richterlichen Arbeit ausmachen: Auffindung und Interpretation der anzuwendenden Rechtssätze und Ordnung des Sachverhalts. Die in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkte und die ‚relevanten‘ tatsächlichen Umstände werden dabei in einem ständigen „Hin- und Herwandern des Blicks“44 schrittweise einander angenähert. Beherrschend ist dabei jeweils die topische Ermittlung (inventio) der Prämissen, aus denen sich der Subsumptionsschluß zusammensetzen soll. Logische Denkoperationen spielen demgegenüber eine vergleichsweise geringe Rolle. Meist meint man, wenn Viehweg, Topik, S. 25. Hennis, Politik und praktische Philosophie, 1963, S. 92; vgl. auch Grimm, JZ 65, 434 (438); Kuhn, Z. f. Politik, 1965, 1. 44 Engisch, Logische Studien z. Gesetzesanwendung, 2. Aufl. 1960, S. 14 f. 42 43
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man hier von ‚Logik‘ spricht, Denkrichtigkeit in einem weiteren Sinn, wobei Lebenserfahrung, soziales Verständnis, Einfühlungsgabe usw. die Hauptrolle spielen. Die Führung hat hier die Vernunft in einem weiteren, nicht auf formallogische Operationen beschränkten Sinn. Dies zeigt sich auch, wenn man die typischen Schlußformen betrachtet, die in der Rechtsfindung verwendet werden, wie Analogie (argumentum a simili), argumentum a maiore ad minus, e contrario usw. Sie stammen aus der Topik45 und sind nach richtiger Ansicht in der formalen Logik nicht restlos darstellbar;46 man könnte mit Recasens-Siches sagen, sie gehören zur „Logik des Vernünftigen“ (lógica de lo razonable).47 Dementsprechend finden wir in den juristischen Begründungen abgestufte Bewertungen rechtlicher Gesichtspunkte (‚relevant‘, ‚vertretbar‘, ‚annehmbar‘ und ihre Verneinungen). Sie sind logisch nicht streng kontrollierbar und in einem Deduktivsystem unstatthaft, wohl aber leisten sie in der topischen Argumentation brauchbare Dienste.48 Ihre Berechtigung ergibt sich nicht nur daraus, daß „Rechtsanwendung ... grundsätzlich Subsumption einer unendlichen Zahl von Fällen unter eine endliche Zahl von Normen ist“49 und daher unablässig mit abgestuften Annäherungen an die Wirklichkeit (Analogie i. w. S.) arbeiten muß, sondern vor allem daraus, daß der Kern der juristischen Argumentation aus Wertungen besteht. Schließlich sei an die bekannte Erscheinung erinnert, daß in der Begründung rechtlicher Entscheidungen meist mehrere Gründe aufgeführt werden. So hat Diederichsen einige Beispiele streitiger Fragen des Sachenrechts anhand des Lehrbuchs von Westermann zur Demonstration des Systemdenkens angeführt. Westermanns Begründung dafür, daß es bei § 868 BGB nur auf die Willensrichtung des unmittelbaren Besitzers ankomme, wird von Diederichsen zutreffend mit den Worten analysiert: „Erst im Anschluß an diese begriffliche Deduktion (d. h. aus dem Wesen des Besitzers) wird die Lösung am Interessengegensatz kontrolliert.“50 Wir haben also zwei Begründungen. Diederichsen gibt damit ungewollt ein Beispiel für topisches Argumentieren. „Bei einem streng logischen, d. h. nicht topisch-dialektischen Beweisverfahren wäre es sinnlos, eine Sache dadurch besser begründen zu wollen, daß man sie auf verschiedene Weise begründet. Anders beim topisch rhetorischen Beweis. [605] Hier ist eine Sache um so besser und sicherer begründet, je mehr Beweiszeichen angeführt werden.51
Viehweg, Topik, S. 9, 22. García-Maynez, ARSP Beiheft 41 (1965), S. 115 ff.; Recasens-Siches, ebda S. 269 ff.; Perelman, Justice et raison, S. 220. 47 aaO S. 285 ff. und ausf. in: Panorama del pensamiento juridico del siglo XX, Mexiko 1963, Bd. I S. 536 ff. 48 Viehweg, Topik, S. 24. 49 Simitis, aaO (Fußn. 22), S. 355. 50 aaO S. 698, Beisp. Nr. 1; da Diederichsen selbst am Deduktivsystem nicht festhalten will (S. 700), bleibt die Qualifizierung der Ableitung bei ihm ungeklärt. Es handelt sich in Wahrheit um einen topischen Schluß. 51 Wieland, Hermes 86 (1958), S. 335 in einer Analyse der Argumentation bei Aristoteles. 45
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Wesentliche Züge der juristischen Argumentation bei der Gewinnung rechtlicher Entscheidungsgrundlagen entsprechen demnach offensichtlich dem Denkstil der Topik. Wir müssen uns nun der Frage zuwenden, welche methodischen Folgerungen sich daraus für den juristischen Systembegriff und die Handhabung des Gesetzes ergeben und wieweit diese Folgerungen unter den Gesichtspunkten der Wissenschaftlichkeit und der Rechtssicherheit akzeptabel sind.
IV. Der juristische Systembegriff und die Einheit der Rechtswissenschaft Wenn Wissenschaft planvolle Gewinnung von Erkenntnissen ist, kann sie ohne Systematik im allgemeinen Sinn einer rationalen Ordnung ihres Erkenntnisgegenstandes nicht betrieben werden. Für die Rechtswissenschaft ist dies zugleich ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Die Topiklehre hat das systematische Anliegen unserer Disziplin in diesem weiteren Sinn, nämlich einer „in der Art der Topik verfahrenden Gruppierung des Erkenntnisstoffes nach gewissen Leitgesichtspunkten“ (Coing),52 mit keinem Wort je bestritten. Sie ermöglicht es vielmehr, die Bedingungen sachgerechter juristischer Systematisierung besser zu erkennen. Wenn es der praktische Zweck des Rechts ist, rationale (‚gerechte‘) Entscheidungen sozialer Konflikte zu ermöglichen, dann muß eine sachgerechte Rechtssystematik diesem Zweck entsprechen. Sie ist daher auch nach dem praktischen Kriterium zu beurteilen, welche Dienste sie bei der rationalen Gewinnung rechtlicher Entscheidungsgrundlagen leisten kann. Dabei kommen zwei Funktionen einer Systematisierung in Betracht. Erstens kann eine Systematik durch eine äußere Ordnung der Menge der geltenden Einzelrechtssätze eine Hilfe bei der Auffindung der im Einzelfall in Betracht kommenden Sätze bieten. Solche Dienste leistet z. B. schon jede äußere Gliederung eines Gesetzes – unabhängig von dessen weiterer wissenschaftlicher Durchdringung – selbst, indem der Gesetzgeber die Vorschriften äußerlich ordnet. Ja schon die fortlaufende Numerierung der Paragraphen oder Artikel leistet eine solche Hilfe in Gestalt eines einfachen seriellen Systems;53 jeder Kommentar schließt sich in seiner äußeren Gliederung an dieses serielle System an. Ähnliche Dienste leisten die Paragraphen- und Stichwortregister der Fachliteratur. Der große Nutzen solcher äußerlich ordnenden Systematiken in der täglichen Praxis bedarf keiner Hervorhebung. Sie dienen einer 52 Systemgedanke aaO (Fußn. 7) S. 9; vgl. allg. zum ‚topischen System‘ auch Diemer, Grundriß d. Philosophie, Bd. II, 1964, S. 92, speziell zum Rechtssystem unter Verweis auf Viehweg: S. 432, 435, 451. 53 Vgl. etwa Diemer, aaO Bd. I (1962), S. 129, 496 f.
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Rationalisierung der Information und lassen sich durch eine entwickelte Dokumentationstechnik – ggf. unter Zuhilfenahme kybernetischer Maschinen54 – in Zukunft noch verbessern. Andererseits ist klar, daß solche äußeren Stoffordnungen noch keine ‚innere‘, wissenschaftliche Durchdringung des Rechts darstellen, sondern eher z. T. an diese anknüpfen.55 Wenn man von Rechtssystematik als Ergebnis einer wissenschaftlichen Durchdringung des Rechts spricht, ist damit die Vorstellung einer zweiten, weitergehenden Funktion verknüpft, daß nämlich die Systematik selbst eine entscheidende Rolle in der Begründung rechtlicher Entscheidungen übernehme. Hier bestand und besteht nun die große Gefahr anzunehmen, man könne bei entsprechender Perfektion des Rechtssystems die Entscheidungsgrundlagen durch rein logische Operationen aus dem System ableiten. Dies führt letztlich zu der Fehlvorstellung, die Rechtswissenschaft könne ein deduktiv axiomatisches System des Rechts bieten, das ja allein ein sicheres Schließen ermöglicht. In der neuzeitlichen Begriffsjurisprudenz ist in der Tat dieses Systemideal, bei dem das System nicht nur der Übersicht, sondern der Normgewinnung dient, vertreten worden,56 wenngleich ohne die Präzisierungen der modernen Logikwissenschaft. Teile dieser Auffassungen haben sich lange erhalten.57 Zwar ist heute diese Auffassung, hauptsächlich infolge der Kritik durch die sog. Interessenjurisprudenz,58 aufgegeben.59 Die dadurch entstandene „undurchsichtige Lage“ (Coing) ist aber noch keineswegs behoben. So ist auch bei Diederichsen die Vorstellung anzutreffen, die „begriffliche Deduktion“ könne wenigstens eine rechtliche Begründung (von mehreren?) liefern.60 Viehwegs kritische Analyse des Deduktivdenkens ist daher kein „Scheingefecht“. Zwar gibt auch Diederichsen zu, daß es heute nicht möglich ist, „das logische Gewicht irgend eines Satzes im rechtlichen Gesamtzusammenhang einwandfrei zu bestimmen“ (Viehweg); er setzt jedoch seine Hoffnungen auf „weitere Arbeiten über die Bedeutung der Logik für die Jurisprudenz und ihre Systemzusammenhänge“.61 Wir vermö Dazu Simitis, aaO (Fußn. 22) S. 357 ff. Eine entwickelte Informationstechnik erfordert wiss. Vorarbeiten, insbes. hinsichtlich einer strengeren Standardisierung der Rechtssprache; Simitis, S. 359. 56 Auf die historische Entwicklung dieses Denkens (z. B. bei Pufendorf, Domat, Wolff) kann hier nicht näher eingegangen werden. Für das 19. Jh. seien Puchta (dazu Wilhelm, Zur jur. Methodenlehre im 19. Jh., 1958, S. 74 ff., 80 ff.) und Jhering, Geist des röm. Rechts II. 2, 1883, § 41, genannt. 57 Vgl. Binder, Philosophie d. Rechts, 1925, S. 843; Stammler, Theorie d. Rechtswiss., 1911, S. 364; Felix Kaufmann, Logik u. Rechtswiss., 1922, S. 3. 58 Vgl. Heck, Begriffsbildung u. Interessenjurisprudenz, 1932, insbes. S. 139 ff., 163 ff. 59 Vgl. Coing, Systemgedanke (Fußn. 7), S. 9; Engisch, Studium Generale 10, 173 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 133 ff., 322 ff.; Raiser, NJW 64, 1204; auch Diederichsen, aaO S. 700. 60 S. oben Text zu Fußn. 50 und 51. 61 aaO S. 701. 54 55
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gen diese Hoffnung nicht zu teilen, zumal in der modernen internationalen Diskussion über juristische Logik die Bedeutung der formalen Logik – die allein ein eindeutiges Schließen erlaubt – für die juristische Argumentation mit Recht nicht allzu hoch veranschlagt wird.62 Zwar kann das juristische Denken die Gesetze der formalen Logik keineswegs außer acht lassen.63 Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, kleinere überschaubare logische Ableitungszusammenhänge herauszuarbeiten. In diesem begrenzten Sinn ist auch der Einsatz kybernetischer Maschinen in der Rechtspraxis sinnvoll,64 die heute z. B. bei der Einkommensteuerveranlagung oder bei der Berechnung von Unterhaltsansprüchen und Renten verwendet werden.65 Der Computer kann dabei einen Teil der Subsumptionsarbeit leisten, die Wertung als den Kern der juristischen Entscheidung kann er nicht übernehmen. Hinsichtlich der eigentlichen juristischen Begründung können logische Beziehungen und Operationen also nur das formale Gedankengerüst liefern. „Denn hier ist bei den einzelnen logischen Schritten so- [606] viel Materie zu bewältigen, daß hinter den dafür erforderlichen Denkakten das rein Deduktive zurücktritt.“66 Man muß die Rolle der Rechtssystematik bei der Gewinnung rechtlicher Entscheidungsgrundlagen demnach bescheidener ansetzen. Freilich braucht sich diese Rolle keineswegs auf eine äußere Stoffordnung zu beschränken. Nach der Topiklehre lassen sich die Bedingungen einer wissenschaftlichen Systematik, die eine rational überprüfbare juristische Argumentation ermöglicht, angeben. Angelpunkt einer solchen Systematisierung, die der topischen Struktur der Jurisprudenz Rechnung trägt, können nur die Rechtsprobleme sein. Darauf hat schon Salomon hingewiesen.67 und Viehweg folgert aus seiner Untersuchung der juristischen Argumentation für die juristische Systematisierung, „die Begriffe und Sätze der Jurisprudenz können ... nur in eine Implikation gebracht werden, die an das Problem gebunden bleibt“.68 Als ‚Rechtsproblem‘ ist allgemein die Frage zu verstehen, was in einem bestimmten Lebensverhältnis (einer Situation, einem sozialen Konflikt) gerecht ist. Wir können also zwei Aspekte des Problems unterscheiden: den tatsächlichen Aspekt (Lebensverhältnis, Konfliktsituation usw.) und zweitens die darin auftauchende Gerechtigkeitsfrage.
62 Vgl. d. Nachw. Fußn. 46 sowie Villey, APD 10 (1965), 368 u. vor allem ‚La logique du droit‘, APD 11 (1966) mit den Beitr. v. Perelman, S. 1; Jaeger, S. 59; Viehweg, S. 207. 63 Viehweg, APD 11, 209. 64 Dazu Klug, Elektron. Datenverarbeitungsmaschinen im Recht, Festschrift f. Jahrreiss, 1964, 189 ff.; Simitis, aaO; neuestens Fiedler, JZ 66, 689. 65 Vrecion, Právník 1966, 243 ff. über den versuchsweisen Einsatz des Computers Zuse „Z 23“ bei der Alimentenfestsetzung; Fiedler, Deutsche Rentenversicherung 1962, 149 ff. und 1964, 40 ff. 66 Engisch, Stadium Generale 10, 176; vgl. auch Reimer Schmidt, AcP 166, 1 ff. (27). 67 Grundlegung d. Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 1925, S. 26 ff., 54 ff., 103 ff. 68 Topik, S. 66.
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In der Tat folgen die großen Einteilungen des Rechts und der Rechtswissenschaft in ‚Rechtsgebiete‘ und ‚Fächer‘ zunächst dem ersten, tatsächlichen Problemaspekt, nämlich den verschiedenen Bereichen des Gemeinschaftslebens und ihren typischen Konfliktsituationen. Ganze ‚Rechtsgebiete‘ wie Arbeitsrecht, Urheber- und Patentrecht, Wettbewerbsrecht, Sozialversicherungsrecht u. a. sind neu entstanden, weil entsprechende Lebensverhältnisse infolge der gesellschaftlichen Entwicklung neue Fragen nach dem (menschlich) Gerechten aufwarfen und neue Regelungen forderten. Das gleiche gilt für wichtige Einteilungskriterien innerhalb der einzelnen Gebiete, die an bestimmte soziale Sachverhalte (Warenaustausch, Arbeitsverhältnis, Ehe, Erbfall) und wiederkehrende Konfliktsfälle (Irrtum, Täuschung, Eigentumsverletzung) anknüpfen. Betrachten wir den zweiten Aspekt der Rechtsprobleme, nämlich die Gerechtigkeitsfrage, so zeigt sich, daß für bestimmte Problemkreise nur eine beschränkte Anzahl rechtsethischer Gesichtspunkte und technischer Lösungsmöglichkeiten zur Auswahl steht. Es ergibt sich jeweils für ganze Problembereiche eine Reihe von Fragen und möglichen Antworten. Je nachdem, welche Gesichtspunkte im historischen Ablauf der Problemdiskussion in den Vordergrund treten und welches Gewicht sie gewinnen, z. B. im Zivilrecht der Grundsatz der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit, andererseits des Vertrauensschutzes, im Strafrecht die verschiedenen Strafzwecke.69 werden gewisse Grundentscheidungen getroffen, m. a. W. es werden generelle Problemantworten versucht. Diese Grundentscheidungen lassen wiederum nur bestimmte technische Ordnungsmöglichkeiten zu.70 In der Herausarbeitung dieser Grundentscheidungen und der daraus folgenden Strukturen der weiteren Problemantworten liegt eine Hauptaufgabe rechtswissenschaftlicher Systematisierungen. Ein systematischer Stufenbau nach allgemeinen Problemgruppen und generellen Lösungsgesichtspunkten und andererseits untergeordneten Einzelproblemen widerspricht demnach keineswegs der Konzeption des topischen Systems. Allgemeine, immer wiederkehrende Problemlagen lassen allgemeine Beantwortungen zu. Die weitere Entfaltung des Systems erfolgt nun aber nicht so, daß daraus Einzellösungen „more geometrico“ deduziert werden könnten. Die übergreifenden Problemgruppierungen und ihre generellen Lösungen stecken vielmehr nur den Rahmen ab, in dem sich die Entscheidung der Einzelprobleme bewegt. Auch für diesen Vorgang liefert Diederichsen ungewollt ein treffendes Beispiel, indem er Westermanns Begründung für die beschränkten Rechte des Sicherungseigentümers in der Zwangsvollstreckung (§ 805 ZPO statt § 771 ZPO) heranzieht.71 Anstatt aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Eigentümerstellung die Anwendung des § 771 ZPO zu deduzieren, wird, wie Diederichsen zutreffend referiert, der aus der besonderen Problemlage des Sicherungseigentums folgende Gesichtspunkt
69 Zur Systembedeutung der Entscheidung über die Strafzwecke Engisch, Studium Generale 10, 177 ff. m. Nachw. 70 Zum Ganzen Coing, Naturrecht als wiss. Problem, 1965, S. 24 u. Engisch, aaO. 71 aaO S. 698, Beisp. Nr. 2.
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(Topos) des beschränkten Sicherungszwecks zur Grundlage der Lösung gemacht. Hier zeigt sich das Eigengewicht des Einzelproblems gegenüber der generellen Lösung. Auch der Gesetzgeber selbst geht so vor. Viele Vorschriften sind nur als Ausnahmen zu allgemeineren Regelungen verständlich; man denke nur an das Verhältnis vieler Vorschriften des HGB zu denen des BGB. Die Entfaltung des Systems erfolgt, wie Viehweg im Anschluß an v. Hippel bemerkt, jeweils in der Weise, daß zunächst das in der Erfassung der Probleme gewonnene „Fragengefüge“ weiter differenziert wird, und die „Antwortseite“ dann an dieses Gefüge anschließt.72
Der innere Zusammenhang rechtlicher Systematisierungen wird letztlich durch die Problemzusammenhänge hergestellt. Das Verbindende ist einmal der Sachzusammenhang, in dem die Probleme in ihrer tatsächlichen Seite stehen können, zum andern die gemeinsame, für unsere Disziplin grundlegende Gerechtigkeitsfrage, zu deren Beantwortung allgemeine, immer wiederkehrende rechtsethische Topoi zur Verfügung stehen.73 Eine Wissenschaftliche Systematik ist für die juristische Argumentation umso verwendbarer, je mehr sie die Mittel der Begriffsbildung, der Formulierung allgemeiner Grundsätze und der Herausarbeitung von Einteilungskategorien in den Dienst der Problemerkenntnis und der Problemformulierung stellt. Die begrifflichen Ergebnisse der Systematik beeinflussen natürlich den weiteren Verlauf der Problembehandlung. Aber wer daraus den Schluß zieht, die Begriffe und ihre Systematik und logische Eigengesetzlichkeit seien das Primäre und Wesentliche des Rechtssystems, verkennt ihre Aufgabe.74 Die Begriffe sind der Probleme wegen gebildet, nicht umgekehrt, und gleiches gilt für die juristische Systematik.
V. Die topische Struktur von Gesetz und Rechtsdogmatik und die Rechtssicherheit Wir sind im Bereich des kontinentalen Rechts gewohnt, als maßgebliche und verbindliche Grundlage rechtlicher Entscheidungen in der Hauptsache das positive staatliche Gesetz anzusehen. Dabei begnügt man sich heute freilich nicht mit der Annahme, der Geltungsumfang eines Gesetzes sei durch seinen Wortlaut endgültig und abschließend bestimmt, seine Verbindlichkeit folge fraglos aus seiner äußeren Autorität. Die Rechtspraxis zeigt, daß der Wortlaut des Gesetzes oft nicht mehr als ein erster Anhaltspunkt v. Hippel, Zur Gesetzmäßigkeit jur. Systembildung. 1930: dazu Viehweg, Topik, S. 67. Dazu auch Esser, Rechtswissenschaft, in: Hdwb. d. Sozialwiss. Bd. 8 (1964), S. 772 (775). 74 Für die hier auftretenden Mißverständnisse kann wiederum auf ein Beispiel von Diederichsen verwiesen werden. Er nennt (aaO S. 700) als Beispiel ‚kategorialen Systemdenkens‘ die Wirkung des kaufmännischen Bestätigungsschreibens. Dabei verschweigt er, daß nicht die kategoriale Verwendung des Vertragsbegriffs, sondern der Topos des Vertrauensschutzes die juristisch stichhaltige Begründung liefert. 72 73
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für [607] eine Entscheidung ist, und daß eine Fülle von Erklärungen, Auslegungsgesichtspunkten und von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen, die sich um den Gesetzestext ranken, entscheidendes Gewicht gewinnen. Die beim Umgang mit dem Gesetz offenbar unentbehrliche Heranziehung ‚allgemeiner Grundsätze‘ wirft die Frage nach deren Geltungsweise auf. Noch dringlicher wird diese Frage bei der Ausfüllung gesetzlicher Lücken oder gar bei einer „offenen Fortbildung des Rechts durch Wissenschaft und Rechtsprechung“, deren Zulässigkeit hinsichtlich einzelner, im Voraus aber nicht bestimmbarer Probleme heute anerkannt wird.75 Zugleich mit der Frage nach der Geltung des Gesetzes ist also die Frage nach der Geltungsweise ‚anerkannter Rechtsgrundsätze‘ und ‚Prinzipien‘ zu stellen, die teils in Anwendung des Gesetzestextes, teils aber unabhängig von ihm in der juristischen Entscheidung wirksam werden. Auf die Unklarheiten über das Zusammenspiel und die Geltungsweise von ‚Grundsatz und Norm‘ hat Esser in seiner rechtsvergleichenden Analyse der richterlichen Fortbildung des Privatrechts hingewiesen.76 Die juristische Argumentationstheorie der Topiklehre ermöglicht eine einheitliche theoretische Betrachtung der hier auftretenden Fragen. Sie geht allgemein davon aus, daß eine verbindliche Entscheidungsgrundlage für die Frage nach der ‚Richtigkeit‘ auf dem Gebiet menschlichen Handelns nur in der Weise gefunden werden kann, daß man in einem (klassisch-)dialektischen Verfahren passende Sätze, über die Verständigung besteht, heranzieht, und daß die in der abwägenden Argumentation mit diesen Sätzen erzielte Verständigung die Entscheidungsgrundlage abgibt. Die allgemeine Qualifizierung der hier zur Verfügung stehenden Sätze durch Aristoteles als ‚meinungsmäßig‘ (ἔνδοξα) kennzeichnet treffend die Situation: wer nicht eine alles durchschauende Vernunft für sich in Anspruch nimmt, mit der er die auftretenden Tatsachen- und Wertungsfragen nach Art einer Rechenaufgabe lösen kann, muß auf Sätze zurückgreifen, über die in der sozialen Gemeinschaft, in der die Frage nach der ‚Richtigkeit‘ auftritt, Verständigung besteht. Man wählt als Prämissen solche Sätze, die innerhalb einer sozialen Ordnung – nach Wissen und Erfahrung, Tradition und Überzeugung – allgemein feststehen. Der Jurist wird, wenn er den Rückgriff auf solche ‚Vorverständigungen‘ betrachtet, sofort an unsere Zitiertechnik sowie an vertraute Begriffe wie ‚herrschende Meinung,‘ ‚anerkannte Grundsätze‘. ‚Erfahrungstatsache‘ u. ä. erinnert. Methodisch bedeutet also ‚meinungsmäßig‘ das, was außer Frage steht. Nicht ausgeschlossen ist dadurch, daß der Satz im Einzelfall „auf eine erkenntnistheoretisch zu verantwortende Weise“ gewonnen ist77, ja diesem Larenz. Methodenlehre, II, 4. Kap., insbes. S. 320 ff. Siehe oben Fußn. 7. 77 Engisch, ZStrW 69, 601, der zutreffend diese Voraussetzung einer „methodisch verfahrenden Topik“ unter Bezugnahme auf Viehweg, Topik, S. 25, hervorhebt. 75 76
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Umstand seine für eine Entscheidungsgrundlage ganze unentbehrliche Autorität verdankt. Dieses notwendige Bestreben nach Verständigung, nach allgemeinen Festlegungen, nach Beherrschung der vielgestaltigen und drängenden Probleme durch das Außer-Frage-Stellen bestimmter Sätze, ist eine der maßgeblichen Triebkräfte einer jeden Gesetzgebung. Es kennzeichnet insbesondere auch die neuzeitlichen Kodifikationsbestrebungen. Diese waren freilich von einer Überschätzung der Möglichkeiten legislatorischer Festlegungen begleitet, einer Begeisterung für das eindeutige und perfekte Gesetzeswerk, die heute verflogen ist.78 Die Erfahrung, daß die Rechtsentwicklung trotz Kodifikation praeter legem und contra legem fortschreitet, führte zu einem Unbehagen, das sich in Schlagworten wie dem von der „Knochenerweichung des BGB“ Luft machte. Das dringende Bedürfnis nach einer weiteren Stabilisierung der Rechtsfindung, die offenbar durch den Gesetzestext allein nicht hergestellt werden kann, wird durch die Arbeit der Rechtsdogmatik befriedigt. Diese dient dem Zweck, die juristische Argumentation mit dem Gesetzestext dadurch zu stabilisieren, daß sie gemeinsame Vorverständigungen über den Gesetzestext (‚herrschende Meinungen‘) herstellt und kontrolliert; – allgemein in der Sprache der modernen Wissenschaftstheorie ausgedrückt: eine Dogmatik hat zum Ziel, eine mit Autorität ausgestattete Meinung aus-zudenken und dabei möglichst den gedanklichen Inhalt dieser Meinung nicht zu überschreiten.79 Dies geschieht in einem topischen Verfahren. Rechtsdogmatik muß von der Erkenntnis getragen sein, daß das Gesetz Problementscheidungen enthält;80 diese sind notwendigerweise in verkürzter und genereller Form getroffen. Die Dogmatik muß daher die dem Gesetzgeber vorliegende Problemlage und die seiner Entscheidung zugrunde gelegten Lösungsgesichtspunkte (Topoi) herausarbeiten. In der Tat tut sie dies heute auch weitgehend, indem sie eine teleologische oder wertende Jurisprudenz anstrebt. Die Erkennbarkeit und Annehmbarkeit dieser Gesichtspunkte in der juristischen Argumentation der Praxis garantiert allein die ‚innere‘ Autorität des Gesetzes, seine Verankerung in der Rechtsüberzeugung, und ist damit Voraussetzung für seine dauerhafte Geltung. Die Dogmatik kann freilich nicht ausschließlich an den Gesetzestext anknüpfen. Es gibt sogar ganze Rechtsgebiete, auf denen die Dogmatik ohne gesetzlichen Rückhalt funktioniert und die Rechtsprechung gesteuert hat; man denke nur an den Allgemeinen Teil des Verwaltungsrechts oder an die Entwicklung des Arbeitsrechts. Auch der Rückhalt in einer Rechtsprechung Dazu etwa Wieacker, Gesetz u. Riehterkunst (Fußn. 7) S. 4 ff.; Arndt, NJW 63, 1277. Vierweg, Zur Geisteswissenschaftlichkeit der Reehtsdisziplin, Studium Generale 11 (1958), 334; Tuhl, ARSP 46 (1960), 241 ff. (259). 80 Vgl. v. Hippel, aaO (Fußn. 72) S. 2 ff. (9); dazu Viehweg, Topik, S. 66 f. 78 79
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kann freilich nach dem Gebot der Rechtssicherheit keine endgültige Grundlage der Dogmatik sein. Die Dogmatik knüpft also nur z. T. an das Gesetz an, auch wenn dieses als Ergebnis früherer dogmatischer Arbeit bereits technische Begriffe, rechtsethische Grundsätze und Systemansätze enthält, die sich für einen behutsamen Weiterbau der Dogmatik eignen. Die Dogmatik beachtet vielmehr auch solche Topoi, die vom Gesetz nur stillschweigend vorausgesetzt werden oder sonst in der opinio iuris enthalten sind, in deren Gesamtzusammenhang das Gesetz steht. Zweiter Anknüpfungspunkt der Rechtsdogmatik ist daher die materiale Rechtstheorie, d. h. die Summe der in einer Rechtsgemeinschaft vorhandenen grundsätzlichen Vorstellungen von dem, was Recht ist, die Grundsätze der „bewährten Lehre und Überlieferung“ (vgl. Art. 1 Abs. 3 ZGB).81 Wer ihre Beachtung aus der rechtswissenschaftlichen Arbeit ausklammern will, erweist der Praxis keinen Dienst. Es besteht dann nur die erhöhte Gefahr einer unkontrollierten Berufung auf solche allgemeinen Prinzipien in der richterlichen Rechtsfortbildung, die dann z. T. durch legalistische [608] Scheinbegründungen kaschiert wird.82 – Die Dogmatik kann freilich nur die Grundsätze verwerten, die Bestandteil der allgemeinen Rechtsmeinung geworden sind83 und in diesem Sinn (‚meinungsmäßig‘) feststehen. Indem sie diese Topoi umformt und ihren „konkreten Weisungsgehalt“ (Esser) herausarbeitet und rechtstechnisch präzisiert, schafft sie die Voraussetzung für ihre kontrollierte Anwendung in der Praxis.84 Die Dogmatik muß insgesamt auf die topische Struktur der juristischen Argumentation zugeschnitten sein. Abschließende Fixierung der Argumentation in einem starren Begriffssystem hätte zur Folge, daß die eigentlichen Sachprobleme der Dogmatik mit der Zeit entgleiten würden. Nicht die Rechtsentwicklung würde verhindert, wohl aber ihre wissenschaftliche Kontrolle. Den Versuch, auf den Weiterbau der Rechtsdogmatik zugunsten einer „endgültigen“ Fixierung zu verzichten, zeigt die Geschichte der „Zitiergesetze“, die einen gesetzlichen Kanon rechtswissenschaftlicher Autoritäten herzustellen suchten und meist ein Nachlassen der rechtswissenschaftlichen Kräfte anzeigten.85 Stabilität und zugleich Elastizität gewinnt eine Rechtsdogmatik durch ihre Bezugnahme auf die materiale Rechtstheorie. Wenn auch die Grundsätze der materiellen Rechtstheorie unabhängig von ihrer legalistischen Einkleidung wirksam werden,86 so müssen wir doch abschließend auf die besondere Lage hinweisen, daß das Grundgesetz, insbesondere in seinem Grundrechtsteil, eine große Anzahl dieser allgemeinen Grundsätze aufgenommen und damit einen Teil unserer materialen Rechts Dazu Esser, Grundsatz u. Norm (Fußn. 7). Esser, aaO insbes. S. 40 ff. (44, 50) und S. 161 ff. 83 Thul, aaO; Viehweg, aaO (Fußn. 79). 84 Esser, aaO S. 50 ff., 80 ff., 358 ff. 85 Vgl, teipel, Zitiergesetze in der romanist. Tradition, SavZ Rom. Abt. 73, 245 ff. 86 Esser, aaO S. 5. 81 82
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theorie verfassungsrechtlich positiviert hat. Wir haben damit im GG einen Versuch gesetzgeberischer Festlegungen bis in die Grundlagen juristischer Argumentation vor uns. Das Durchdenken unserer materialen Rechtstheorie wird insoweit in den Rahmen einer Verfassungsdogmatik gestellt. Dies enthebt freilich nicht der Aufgabe, auch außerhalb dieses Rahmens diese Grundsätze einer wissensmäßigen Kontrolle zu unterwerfen. Dies geschieht in der wissenschaftlichen Grundlagenforschung,87 also in der Rechtsphilosophie, der Rechtsgeschichte, der Rechtsvergleichung. der Rechtssoziologie mit ihren Zweigfächern (Kriminologie). Hier findet wiederum eine topische Diskussion der Probleme statt,88 um in wissenschaftlicher Forschung die Grundsätze zu erarbeiten, die als Basis der Rechtsdogmatik und letztlich der Rechtspraxis geeignet sind. VI. Die Topiklehre ermöglicht eine Analyse des juristischen Denkens, die sich an den allgemeinen Bedingungen und Begrenzungen wissenschaftlichen Denkens überhaupt orientiert. Sie versucht damit die Gesamtsituation aufzuzeigen, in der sich die wissenschaftliche Erforschung und Anwendung des Rechts notwendigerweise vollziehen. Weit davon entfernt, „mühsam Erarbeitetes ... zu verschleudern“, sucht sie den Blick für den hier zu erreichenden Grad von Sicherheit und Beständigkeit zu schärfen und damit jene methodische Ehrlichkeit der juristischen Argumentation zu fördern, die allein der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dienlich ist.
87 Viehweg, aaO (Fußn. 79) stellt in diesem Sinn Meinungsdenken (Dogmatik) und Forschungsdenken gegenüber. 88 Vgl. z. B. Henkel, Rechtsphilosophie (Fußn. 7), S. 418 ff.
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Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus Philosophus Ius Commune* I (1967), 104–149 Seit jeher gilt Baldus de Ubaldis (1327–1400) als der philosophische Kopf unter den Kommentatoren. „Cum civilis sapientia, tum Philosophiae Mysteriis instructissimus“; mit diesen Worten stellt ihn die Ausgabe seiner CodexVorlesungen Lugduni 1545 vor1. Dumoulin (1500–1566) nennt ihn den „iuris professorum φιλοσοφώτατος“2, und Matthaeus Wesenbeck (1531–1586) sagt von ihm: „haud scio an inter nostros extet, qui philosophetur uberius“.3. Was bei Dumoulin als Lob gemeint ist4, ist bei Wesenbeck eher ein Tadel; dieser sieht hier nämlich einen Grund für die geringere Kraft der Argumentation des Baldus und dessen mindere wissenschaftliche Autorität im Vergleich zu Bartolus5. Wesenbeck nimmt damit teilweise das allgemeine Urteil v. Savignys über die Kommentatorenzeit vorweg. Denn v. Savigny sieht einen der Gründe für ein angeblich abfallendes wissenschaftliches Niveau der Kommentatoren in einer oberflächlichen und formalistischen Verwendung dialektischer Formen, die einen verderblichen Einfluß auf die rechtswissenschaftliche Methode ausgeübt habe. Dieser Einfluß werde auch durch eine etwa günstige Wirkung der Philosophie auf die Rechtswissenschaft dieser Zeit in Gestalt einer „allgemeinen Anregung des Denkens“ und der „Ausbildung und Übung der Disputierkunst“ nicht wettgemacht6. [105] Savignys Urteil wird heute allgemein nicht mehr geteilt7. Ihm liegt aber eine auch heute aktuelle rechtsgeschichtliche Fragestellung zugrunde. Denn in welchem Stil und mit welchen Ergebnissen die Jurisprudenz während * Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte Frankfurt a. M. 1 Praelectiones in Codicem, Bd. I (C. 1–3) und Bd. II (C 4 u. 5), jeweils zu Beginn und am Ende. 2 Tractatus contractuum, n. 11, in: Opera omnia, Parisiis 1681, Bd. II. 3 M. Wesenbeccii ... Commentarii, Lugduni 1633, C 1.17 n. 4. 4 Dumoulin zieht l. c. die Meinung des Baldus für seine eigene Argumentation (Einschränkung des Zinsverbotes) heran. Das Lob erklärt sich also nicht nur aus D.’s positiver Einstellung gegenüber dem mos italicus. 5 l. c.; dazu Hermann Lange, Schadensersatz und Privatstrafe in der mittelalterlichen Rechtstheorie, 1955, p. 165. 6 Geschichte des römischen Rechts im Mittelalter VI, 2. Ausg. 1850, p. 6 ss (10). 7 Erich Genzmer, Kritische Studien zur Mediaevistik I, SZRom 61 (1941) 296; Paul Koschaker, Europa und das römische Recht, 4. Aufl. 1966, p. 87 N. 1.
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einer bestimmten Epoche unserer Rechtskultur betrieben wurde, hängt zum guten Teil davon ab, in welcher Weise diese Jurisprudenz an der allgemeinen Geistigkeit ihrer Zeit teilhatte, wieweit die Juristen bereit und imstande waren, sich das außerjuristische Wissen ihrer Zeit zunutze zu machen. Das Verhältnis der Jurisprudenz zur Philosophie als der Grundlage wissenschaftlichen Denkens ist dabei für das Verständnis der Geschichte der gelehrten Rechte besonders bedeutsam. Sowohl die endgültige Ausbildung des mos italicus als des maßgeblichen rechtswissenschaftlichen Stils, der jahrhundertelang an europäischen Universitäten „magistraliter“ gepflegt wurde, als auch die heftige Kritik dieses Stils durch die Humanisten ist ohne die genannten Zusammenhänge nicht voll zu verstehen. Die wissenschaftliche Diskussion der angedeuteten Fragen ist noch nicht abgeschlossen. Wir besitzen Einzeluntersuchungen zu den allgemeinen geistes- und philosophiegeschichtlichen Einflüssen auf die Jurisprudenz8 und zu den zeitgenössischen juristischen Methodenlehren9 sowie methodenkritische Gesamtbeurteilungen unter verschiedenen Aspekten10. Die sichere [106] Beantwortung der auf diesen Gebieten auftretenden Fragen setzt umfangrei8 H. Ratjen, Vom Einfluß der Philosophie auf die Jurisprudenz, Schrift. d. Universität Kiel VI/1, Kiel 1855, p. 3–11; Biagio Brugi, Per la storia della giurisprudenza etc., nuovi saggi, Turin 1921, p. 15–57; Erich Genzmer, Die iustinianische Kodifikation und die Glossatoren, Atti Bologna I, Pavia 1934, p. 347 ss (p. 362–65, 380–88); ders., Vorbilder für die Distinktionen der Glossatoren, Atti Roma II, Rom 1935, p. 349 ss; Fritz Schulz, Die Quare-Sammlungen d. Bologneser Glossatoren und die Problemata des Aristoteles, Atti Congresso Mailand 1948 I, p. 297–306; Helmut Coing, Zum Einfluß der Philosophie des Aristoteles auf die Entwicklung des römischen Rechts, SZRom 69 (1952) 24–59; Gaines Post, Philosophantes and Philosophi in Roman and Canon Law, Arch. d’hist. doctrinale et litt. du moyen-âge, 1954, 135–38. Martin Grabmann, L’Aristotelismo italiano al tempo di Dante con part. riguardo all’Università di Bologna, Riv. di filosofia neo-scol. 38 (1946) 260–277. 9 Z. B. Woldemar Engelmann, Die Wiedergeburt der Rechtskultur in Italien durch die wissenschaftliche Lehre, Leipzig 1938, p. 128 ss; dazu krit. Genzmer, SZRom 61 (1941) 276–354; Vicenzo Piano Mortari, Il problema dell’interpretatio iuris nei Commentatori, Annali 2 (1958) 29 ss. 10 Emil Seckel, Das römische Recht und seine Wissenschaft im Wandel der Jahrhunderte, Berlin. Rektoratsrede 1921; Fritz Pringsheim, in: Beryt und Bologna, Festschrift f. Lenel 1921, p. 204 ss; Brugi l. c. (N. 8) und: Il metodo dei glossatori bolognesi, in Studi Riccobono I, Palermo 1936, p. 23–31; Genzmer l. c. (N. 8 und 9); Coing, Die Anwendung des Corpus Iuris in den Consilien des Bartolus, Studi Koschaker I, Mailand 1954, p. 71–97; Lange, l. c. (N. 5) p. 151–170 und: Klassische und nachklassische Lehren in der mittelalterlichen Rechtswissenschaft, SZRom 72 (1955) 211–244; Mortari, L’argumentum ab auctoritate nel pensiero dei giuristi medievali, Riv. italiana per le scienze giuridiche XC (1954) 457–468; Theodor Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 3. Aufl. 1965 § 5; George Chevrier, Sur l’art de l’argumentation chez quelques Romanistes médiévaux au XIIe et au XIIIe siècles, Arch. de phil. du droit XI (1966) 115–148. Mortari, Cultura medievale e principio sistematico nella doctrina esegetica accursiana, Studi Medievali VI/II (1965), p. 289–328. – Von der Literatur zur Glossatorenzeit ist in N. 8–10 nur die genannt, die auch für das Verständnis der Kommentatorenzeit besonders nützlich ist.
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che und geduldige Detailstudien der mittelalterlichen juristischen Literatur voraus, die bislang der Wissenschaft nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Die folgende Untersuchung will dazu einen Beitrag leisten. Es geht um eine Bestandsaufnahme des philosophischen Wissens bei Baldus, seine mögliche Herkunft und die Rolle, die Baldus diesem Wissen in der Jurisprudenz zuweist. Zunächst wird die Frage untersucht, wie Baldus das Verhältnis von Philosophie und Jurisprudenz theoretisch bestimmt (I). Anschließend wird eine Bestandsaufnahme der von Baldus zitierten philosophischen Autoren und Werke (II) und der wichtigsten von ihm verwendeten philosophischen Termini und Sätze (III) versucht. Danach wenden wir uns der Frage zu, woher Baldus seine philosophischen Kenntnisse bezog (IV) und in welcher Weise diese Kenntnisse in der Jurisprudenz angewendet werden (V). – Die Untersuchung stützt sich auf Druckausgaben der Kommentarwerke des Baldus11.
I. 1. Baldus bezeichnet den Kreis der außerjuristischen Autoritäten, die der Jurist bei seiner Arbeit heranziehen müsse, sehr weit. Außer den in erster Linie maßgeblichen Rechtsquellen seien auch die Heilige Schrift, die Philosophen und die Dichter zu beachten: ... non solum divina scriptura, sed etiam philosophorum et poetarum allegatur authoritas ... ; X 1.31.15 n.1.
Die Philosophie spielt unter diesen Autoritäten für Baldus eine besonders wichtige Rolle12. Das Recht führt selbst zur Philosophie hin, und die maß[107] geblichen römischen Rechtsquellen weisen der Philosophie nach Baldus eine besondere Bedeutung zu: ius ... causat in nobis affectum vere et non simulate philosophie; D 1.1.1. pr. Add.
Baldus hat dabei den Text Ulpians vor sich: iustitiam namque colimus et boni et aequi notitiam profitemur ... veram ... philosophiam, non simulatam affectantes; D 1.1.1.1.
Die Tatsache, daß die maßgeblichen römischen Quellen von der „philosophia“ der Juristen sprechen, führt zu einer gewissen Doppeldeutigkeit des 11 Baldi Perusini Commentaria in Digestum vetus; in Infortiatum, Digestum novum, Lugduni 1562; Baldi Ubaldi Perusini Commentaria in IV Institutionum libros, Venetiis 1576; in Codicem Commentaria vol. I–IV, Venetiis 1577; Baldi Perusini ad tres priores libros Decretalium Commentaria, Augustae Taurinorum 1578. 12 Zur Zitierung der Hl. Schrift und der ‚poetae‘ i. F. II. 3.
1130 Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus Philosophus
Wortgebrauchs. So wird bisweilen die Jurisprudenz selbst ‚philosophia legalis‘ genannt13, die Juristen werden als ‚philosophi legum‘ bezeichnet14. Dieser durch die Quellen selbst nahegelegte Wortgebrauch verdeutlicht Verwandtschaft und Ebenbürtigkeit von Jurisprudenz und Philosophie. Wo Baldus von der ‚philosophia‘ und den ‚philosophi‘ ohne besonderen Zusatz (‚legum‘, ‚legalis‘) spricht, meint er jedoch allgemein die Philosophie als eigene Wissenschaft15. Eifrig greift er solche Quellenstellen auf, die ihm gestatten, seine allgemeine Hochschätzung der Philosophie mit spezifisch juristischen Argumenten, nämlich der Allegation einer lex, zu legitimieren. So weist er in seinem Dekretalenkommentar (X 1.2.6 n. 37) auf D 46.3.36 hin, wo sich eine – im Grunde beiläufige und unwichtige – Erwähnung des Aristoteles findet16. Die Stelle ist Baldus wichtig genug, um aus ihr zu folgern: per hoc redditur philosophiae debitus honor.
2. Die Rechtswissenschaft wird von Baldus theoretisch als ein Teil der ‚moralis philosophia‘ bestimmt. Er folgt damit einer alten Tradition im Bereich der Jurisprudenz. Die gleiche Einordnung findet sich nämlich schon in der Expositio des Liber Papiensis17, also in vorbologneser Zeit, [108] sowie bei den Glossatoren18 und Kanonisten19. Baldus entnimmt den Gedanken wahrscheinlich der Decretalenglosse19a. – Wenn die Rechtswissenschaft ein Teil der Ethik ist, so folgt daraus, daß ihre anerkannten Sätze für den Juristen bindend und wie das Gesetz selbst zu beachten sind: No. authoritatem moralis philosophi20 pro lege servari in causis allegari. Et est ratio, quia scientia nostra supponit(ur)21 morali philosophiae; X 1.2.6 n. 37.
13 C 8.37.13 n. 5 spricht Baldus von der ‚vera philosophia legalis‘ im Gegensatz zur Dialektik; dazu unten V. 1. c. 14 X 1.6.16 n. 1: ‚philosophi legum imitati sunt philosophos naturae‘; dazu allg. Post, l. c. (N. 8). 15 Zu ‚philosophia‘ vgl. z. B. X 1.2.6 n. 37; D 1.1.1.2 n. 4 (zit. i. F. unter 2); zu ‚philosophi‘ vgl. z. B. C 6.15.5 n. 6 ‚sicut philosophi dicunt‘. Zum Ganzen auch i. F. V. 1. c. 16 Aristoteles wird dort für die Frage angeführt, ob die Geburt von Fünflingen möglich sei. 17 Dazu Brugi, Metodo l. c. (N. 10) p. 23. 18 Azo, Summa Codicis, Venetiis 1581, materia n. 25: ‚Supponitur ethicae philosophiae, quia de moribus tractat‘; Accursius, Glossa ordinaria, Dig. Vet., Antverpiae 1575, D. 1 Ru. gl. ‚collecti‘. 19 Gl. ‚Gregorius‘ Proem. X 1, Decretales cum glossis, Lugduni 1584. 19a Gl. ‚Gregorius‘ Proem. X 1, Decretales cum glossis, Lugduni 1584. 20 Möglicherweise hieß der Text ursprünglich ‚philosophiae‘, was auch der folgende Satz nahelegt. Andernfalls ist mit ‚philosophus‘ Aristoteles gemeint, der l. c. einen Satz später zitiert wird und der als der Philosoph schlechthin galt (dazu i. F. II. 1 u. IV. 1). 21 Zur logischen Bedeutung der Supposition in der scholastischen Logik vgl. Josef M. Bochénski, Formale Logik, Freiburg/München, 2. Aufl. 1962, p. 186 ss.
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Dementsprechend finden wir bei Baldus die bemerkenswerte Erwägung, Vorlesungen über Ethik in das Rechtsstudium selbst aufzunehmen: ... sapientes studii iuris possunt eligere unum qui legat philosophiam moralem, que est legum mater et ianua ...; D 1.1.1.2 n. 4
Der Jurist muß jedoch außer der Ethik auch die anderen Gebiete der Philosophie beachten. Denn die Philosophie lehrt die allgemeinen Grundlagen menschlichen Denkens und Erkennens, auf denen auch das Recht der überlieferten Quellen beruht. Treffend kommt dies in den Worten zum Ausdruck, mit denen Baldus von Aristoteles als dem maßgeblichen Lehrer der Philosophie spricht: ... cuius dicta tanquam fontem intellectus ius civile sequitur. C 7.4.17 n. 9.
Dies gilt nicht nur für die Gebiete der Logik, Erkenntnistheorie und Metaphysik. Denn Baldus fand einen weiten, nicht durch die neuzeitliche Herauslösung der Einzelwissenschaften verengten Begriff der Philosophie vor. Zu dieser gehörten auch die allgemeinen Grundlagen der Naturwissenschaften, insbesondere die aristotelische Naturphilosophie. Baldus bezeichnet dementsprechend den Aristoteles neben Hippocrates als maßgebliche Autorität ‚in materia naturali‘22. Er folgt darin seinem Lehrer [109] Bartolus, der Aristoteles und Hippocrates als Beispiele solcher nichtjuristischer Autoritäten erwähnt, die wegen ihrer allgemeinen wissenschaftlichen Autorität auch vom Juristen anzuerkennen seien23. – Die nächste Frage lautet nun, in welchem Maß außerjuristische Autoritäten tatsächlich von Baldus in seinen Kommentarwerken herangezogen wurden.
II. 1. Der theoretischen Hochschätzung der Philosophie entspricht eine häufige Erwähnung philosophischer Autoren und Werke in den Schriften des Baldus. Um nun ein genaues Bild vom Kenntnishorizont des Baldus zu gewinnen, erscheint das mühevolle und vielleicht pedantisch anmutende statistische Verfahren am besten geeignet. Ich gebe daher zunächst eine Literaturstatistik der wichtigsten in den Kommentaren des Baldus zitierten Philosophen1. Dabei erheben die im Folgenden mitgeteilten absoluten Zahlen 22 X 1.2.6 n. 37: ‚sic in materia naturali allegantur Hippocra(te)s et Aristoteles, ff. (= D 1.5.12; D 46.3.36)‘; in D 1.5.12 ist Hippocrates erwähnt, in D 46.3.36 findet sich das N. 16 erwähnte beiläufige Aristoteleszitat. 23 Bartolus, Comm. Dig. Vet., Basileae 1589, D 12.1.1. pr. n. 21–23. 1 Auch in kleineren Abhandlungen des Baldus sind Zitate von Philosophen anzutreffen, die hier unberücksichtigt bleiben. Als Beispiel sei der ‚Tractatus de carceribus‘ genannt, abgedruckt in Vol. X Tractatum collectorum, Lugduni 1549, wo vor n. 1‚Tullius primo de officiis‘ zitiert ist.
1132 Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus Philosophus
keinen Anspruch auf 100%ige Richtigkeit. Dies liegt einmal an den Mühen der Durchsicht und den dabei kaum vermeidbaren technischen Fehlern und Versehen, zum andern an der Quellenlage, die bei der Benutzung bestimmter Druckausgaben unsicher bleiben muß2, schließlich an gewissen Schwierigkeiten in der Verifizierbarkeit der Zitate und der Bewertung bei der Zählung3. Ich gehe schätzungsweise von einer 80%igen Vollständigkeit aus. Auch unter diesem Vorbehalt haben die mitgeteilten absoluten Zahlen m. E. einen positiven Aussagewert; außerdem sind die Zahlen aber vor allem in ihren Relationen untereinander bedeutsam, für die sich naturgemäß eine größere Genauigkeit ergibt. [110] Die folgende Übersicht ist nach der Zitathäufigkeit gegliedert. Um einen ersten Eindruck von der Beschaffenheit und Genauigkeit der Zitate zu vermitteln, ist außer den Gesamtzahlen (a) auch angegeben, wie oft ein Autor mit Namen und Werk (b), nur nach seinem Werk (c), nur mit dem Namen (d) oder gar ohne direkte Namensnennung und Werkangabe, etwa in einer Umschreibung (e)4, zitiert ist. Übersicht A5 Autor
Aristoteles Cicero Boethius Thomas v. Aquin Averroes Seneca Augustinus
a Gesamtzahl der Zitate 103 17 10 8 7 6 6
e d Zitate nur Zitate nur mit mit Namen Umschreibung
b Zitate mit Namen u. Werk 31 9 2 1
c Zitate nur mit Werk 13 2 – –
51 6 8 7
8 – – –
– 2 1
– – –
6 4 5
1 – –
2 Eine breitere Untersuchung anhand von Handschriften ist nach dem gegenwärtigen Stand der Quellenforschung unmöglich. Es besteht auch keine Gewißheit über die Überlegenheit einer bestimmten Druckausgabe. Vgl. auch oben N. 11. 3 Nicht alle Zitate sind eindeutig. Bisweilen bestehen Zweifel, ob mit ‚philosophus‘ Aristoteles und ob z. B. mit ‚aristoteles cum commentatore‘ Averroes (oder Porphyrius, Boethius, Albertus, Thomas) gemeint ist; vgl. auch C 6.35.11 n. 1: ‚Princeps philosophiae plenus‘. – Weiterhin: wenn z. B. Aristoteles im gleichen Textzusammenhang mehrmals genannt wird, ist nur ein Zitat gezählt (z. B. C 1.18.8 n. 3); bei Nennung verschiedener Werke in dicht aufeinanderfolgenden Zitaten des gleichen Autors ist dagegen getrennt gezählt. Zweifelsfälle sind hier nicht auszuschließen. 4 z. B. Aristoteles als ‚philosophus‘. 5 Nachweis der Stellen im Anhang. Nicht mitgezählt sind bloße Erwähnungen des Plato (z. B. in Aristoteleszitaten), X 2.19.2 n. 11; X 2.20.7 n. 24.
1133
Ius Commune I (1967), 104–149 Autor
Albertus Magnus Plato
a Gesamtzahl der Zitate 4 2
e d Zitate nur Zitate nur mit mit Namen Umschreibung
b Zitate mit Namen u. Werk
c Zitate nur mit Werk
3
–
1
–
–
2
– –
Die Übersicht erfaßt nur die am häufigsten zitierten Autoren. Sie zeigt, daß der weitaus bevorzugte Autor Aristoteles ist; er ist mehr zitiert als alle anderen Autoren zusammen6. – In den Kommentaren des Baldus lassen sich vereinzelte Zitate weiterer Autoren nachweisen; ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien genannt: Porphyrius, Cassiodorus, Isidorus, Anselmus, Avicenna und Aegidius7. [111] 2. Die Beschaffenheit der Zitate gibt uns weitere Anhaltspunkte für die Beurteilung der Kenntnisse des Baldus. So finden wir häufig nur den Namen ohne nähere Angaben zitiert (oben d). Soweit sich dagegen eine größere Anzahl genauerer Zitate mit Angaben über ein bestimmtes Werk finden, ergibt dies einen Hinweis, daß der Autor näher bekannt ist. So lassen sich für Aristoteles 44 genauere Zitate (oben b + c) nachweisen; das ist fast die Hälfte aller Aristoteleszitate8. Ähnliches gilt für Cicero, für den 65% genauere Zitate ersichtlich sind. Alle übrigen Autoren sind dagegen nur selten mit ihrem Werk zitiert, so Thomas v. Aquin nur einmal, Boethius zweimal im Dekretalenkommentar mit seinem Hauptwerk ‚De consolatione philosophiae‘. Die genaueren Zitate liefern uns zugleich ein Bild der bekannten und (mittelbar oder unmittelbar) benutzten Werke. Im einzelnen sind bei Baldus folgende Werke des Aristoteles, aufgegliedert nach der Häufigkeit der Erwähnung und der Art des Zitats, zitiert:
6 Bereits die Übersicht A widerlegt damit die von Chevrier, Baldi de Ubaldi, DDC II (1937) col. 39 vertretene These, Baldus habe bevorzugt Cicero studiert und Aristoteles vernachlässigt. CH. konnte sich nur auf allgemeine Eindrücke und Vermutungen stützen. Die literaturstatistische Analyse ermöglicht demgegenüber trotz der zugestandenen Fehlerquellen erstmals einigermaßen zuverlässige Aussagen. 7 X 2.20.37 n. 37 (Porphyrius); X 2.20. Ru (Cassiodorus); D 2.14 Ru. n. 3 (Isidorus); D 12.6.6. pr. n. 1 (Anselmus, d. h. von Canterbury, mit Angabe des Werkes ‚de libero arbitrio‘); C 6.51.1.9 n. 3 (Avicenna); D 12.1 15 (Aegidius, d. h. Aeg. Romanus, wie sich aus der beigefügten Werksangabe ‚de regimine principium‘ ergibt). 8 Näheres zur Frage der unmittelbaren Kenntnis der Schriften des Aristoteles unten IV.3.
1134 Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus Philosophus
Übersicht B9 Werk des Aristoteles
Gesamtzahl der Zitate
Metaphysica Ethica (Nik.) De anima Politica Problemata Topica Physica De caelo De causis (unecht) Secreta secretorum (unecht)
13 9 8 7 2 1 1 1 1 1
Zitate mit Nennung des Aristoteles 5 6 7 6 2 1 1 1 1 1
Zitate ohne Namensnennung 8 3 1 1 – – – – – –
[112] Für Cicero ergibt sich das folgende Bild: Übersicht C10 Werk des Cicero De officiis Rhetorica Quaestiones Tusc. De re publica (somnium Scipionis)
Gesamtzahl der Zitate 8 1 1
Zitate mit Nennung des Cicero 7 1 1
Zitate ohne Namensnennung 1 – –
1
–
1
Die meisten der in den Übersichten B und C erfaßten Aristoteles- und Cicerozitate enthalten außer der Angabe des Werkes einen Hinweis auf das betreffende Buch, z. T. auch das Kapitel, und weitere Hinweise auf die genauere Textstelle, z. B. ‚ut dicit Arist. in primo Ethicorum c. ij‘11, ‚ut dicit Aristot. xij Metaphysicae in fi.‘12. Die meisten Zitate sind verifizierbar13; manche sind wörtlich oder fast wörtlich. Als Beispiel dafür sei einmal das zuletzt erwähnte Zitat aus Buch 12 der Metaphysik des Aristoteles genannt,
9 Einzelnachweise im Anhang. – Die Übersicht B enthält ebenso wie die Übersicht A auch die von der modernen Forschung als unecht erkannten Aristotelesschriften, die Baldus für echt hielt. Zur Unechtheit von ‚de causis‘ und ‚secreta secretorum‘ vgl. UeberwegGeyer, Grundriß d. Geschichte d. Philosophie II, 11. Aufl. Berlin 1928, p. 349 s. Die ‚Problemata‘ gehen auf Aristotelische Aufzeichnungen zurück; Johannes Hirschberger, Geschichte d. Philosophie I, 3. Aufl. Freiburg 1957, p. 139. 10 Einzelnachweise im Anhang. 11 C 6.61.8.5a n. 5. 12 Proem. C 1. n. 31. 13 Vgl. z. B. die Einzelnachweise unten IV.3 und V 1 d.
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das wörtlich die Schlußworte dieses Buches in der lateinischen Übersetzung wiedergibt14, sowie ein Cicerozitat: ‚ut ait author in princ. de somnio Scipionis ibi dum dicit iustitiam cole et pietatem etc.‘15. 3. Baldus zieht außer den Philosophen auch sonstige außerjuristische Autoritäten in seinen Schriften heran, auf die hier der Vollständigkeit wegen zumindestens kurz hinzuweisen ist. Wir haben gesehen, daß Baldus auch die Heilige Schrift und die ‚poetae‘ als für den Juristen maßgeblich bezeichnet16. Die grundsätzliche Autorität der Bibel in allen Bereichen des Geisteslebens ist für das christliche Mittelalter eine Selbstverständlichkeit. Eine andere Frage ist es, mit welcher Intensität die biblischen Texte inner- [113] halb einer bestimmten Wissenschaft konsultiert wurden. – Bibelzitate sind bei Baldus keine Seltenheit. Sie dienen aber meist nur einer ausschmückenden Darstellung. Als Beispiel dafür sei die Einleitung des Institutionenkommentars genannt. Hier finden wir zahlreiche z. T. genaue Bibelzitate, etwa das Wort von dem Blinden, der einen Blinden führt, so daß beide in die Grube fallen, aus der Bergpredigt17, und das auf Christus bezogene Wort aus dem Anfang des Johannesevangelium ‚lux in tenebris lucet‘18. Ähnliche Beispiele lassen sich auch aus der Einleitung zum Dekretalenkommentar des Baldus aufzählen. Innerhalb der juristischen Erörterungen sind Bibelzitate verhältnismäßig selten. Wir finden freilich auch hier bisweilen bekannte und einprägsame Bilder; so werden der Verlust des Erstgeburtsrechts durch Esau19 und die Wahl Davids zum König20 erwähnt. Oft handelt es sich dabei um solche Bibelstellen, die bereits in den kanonischen Rechtsquellen erwähnt und mit bestimmten kanonischen Rechtsproblemen verknüpft sind. Solche Probleme sind etwa die Erlaubtheit des Eides21 und das kanonische Zinsverbot22. Oft ist der sekundäre Bezug dieser Bibelzitate zu erkennen23, und insgesamt
14 In Proem. C 1 n. 31 zitiert Baldus: ‚entia nolunt male disponi: nec est bona pluralitas principatuum: unus ergo princeps‘. Für Baldus war die von Wilhelm v. Moerbeke gegen 1260 verfaßte lat. Übersetzung (vgl. Ueberweg-Geyer l. c. p. 345) maßgebend. Die von mir benutzte Ausgabe des Aristoteles latinus, vol. VIII, Venetiis 1562 mit der Überarbeitung von Bessario Nicenus weicht nur geringfügig ab (‚gubernari‘ statt ‚disponi‘). 15 D 1.14.3 n. 6, Das Zitat trifft den Text von ‚de re publica‘ VI, 16. 16 Vgl. oben I. 1. 17 Luc. VI, 39. 18 Jo. I.5. 19 C 7.58 Ru. n. 5; C 6.20.3 n. 6. 20 X 1.6.12 n. 1. 21 Vgl. C. XXII q.1a.c.1. 22 Vgl. Luc. 6.35 und X 5.19.10; dazu Baldus z. B. D 12.2.2. Rep. 23 Der Verzicht des Esau z. B. ist in C 7 q. 1 c. 8 und in der Decretalenglosse ‚adiicere‘ X 1.6.57 behandelt. Baldus zitiert die Decretstelle in C 6.20.3. n. 6 und C 6.30.19 n. 15. – In X 1. Initium n. 3 zitiert Baldus das Buch Ezechiel ‚sec. Inn.‘, gibt also auch hier den sekundären Bezug an (von Innocenz).
1136 Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus Philosophus
kann nicht von einer besonders intensiven Heranziehung des Bibeltextes in der juristischen Erörterung bei Baldus gesprochen werden24. Die von Baldus zitierten kirchlichen und theologischen Autoritäten sind wegen der engen Verwandtschaft der mittelalterlichen Philosophie mit der Theologie z. T. bereits aufgezählt: Augustinus, Isidor v. Sevilla, Anselm v. Canterbury, Albertus Magnus und Thomas v. Aquin. Es ist bezeichnend, daß etwa das einzige genauere Zitat aus den Werken des Thomas eine spezifisch theologische Frage betrifft, nämlich die Schutzengel25. An weiteren kirchlichen Autoritäten sind Ambrosius, Bonifacius und Bern- [114] hard v. Clairvaux zu nennen26. Es handelt sich dabei um vereinzelte Zitate, ohne daß ein bevorzugter Autor zu erkennen wäre. 4. Noch seltener finden wir Zitate der ‚poetae‘. Die traditionellen mittelalterlichen Schulautoren aus der antiken Literatur27 sind nur ganz vereinzelt erwähnt. Für den im Hochmittelalter angesehensten antiken Dichter Virgil etwa lassen sich nur ganz wenige Zitate nachweisen28; für Horaz, den noch Azo zitiert29, ist mir kein Zitat erinnerlich. Cato ist erwähnt30, Sallust mit dem Werk über den jugurthinischen Krieg zitiert31, außerdem der spätantike Militärschriftsteller Vegetius32. Die Versdichtung ‚historia evangelica‘, die von dem spätantiken Schriftsteller Juvencus stammt, ist von Baldus ohne Autorenangabe erwähnt33. – Ganz selten nur zitiert Baldus Verse wörtlich; im Codexkommentar finden wir (C 6.43.3 n. 9) zugleich mit einem Zitat des Hippocrates folgenden Vers ohne Nennung des Autors: Qui binos lepores una sectabitur hora Uno quandoque quandoque carebit utroque.
Es handelt sich um einen mittelalterlichen versus leoninus34. Schließlich treffen wir bei Baldus auch Hinweise auf ‚historia scholastica‘ ohne Autoren24 Der allgemeine Einfluß christlicher Gedanken ist selbstverständlich und hier nicht zu untersuchen. 25 C 6.43.3 n. 1. 26 Proem. D 1 (Ambrosius); C 6.41.1 n. 9 (Bonifacius); C 1.19.7 n. 8 (Bernhard; das beigefügte Zitat ‚de contemplatione ad Eugenium‘ zeigt, daß es sich um B. v. Clairvaux handelt.) 27 Dazu allgemein unten IV.1. 28 X 1.3.23. n. 4; X 1.9.11 n. 1; X 2.24.26 n. 3. 29 Summa Codicis, materia n. 2. 30 C 4.6.11 n. 6; X 1.5.4 n. 10. Cato ist freilich auch in den justinianischen Quellen erwähnt. 31 D 1.14.3 Rep. 32 C 7.5.1 n. 2 (‚de re militari‘). Zu diesem Autor vgl. Curtius, p. 61; Meier p. 19 (s. unten IV N. 1). 33 X 3.1. Ru. n. 10; zu Juvencus (+ 330) vgl. Meier p. 20 (s. IV N. 1). 34 Diesen Hinweis verdanke ich Dr. Ernst Tabeling, Wiesbaden. Der Vers ist ohne Autorenangabe nachgewiesen bei Jul. Wegeler, Philosophia Patrum, in lateinischen Versen und ihren Übersetzungen, Koblenz 1877, Nr. 2414.
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angabe und damit auf ein weiteres damals allgemein gebräuchliches Schulwerk35. Als vorläufiges Ergebnis ist festzustellen, daß unter den außerjuristischen Autoritäten, die Baldus heranzieht, die Philosophen [115] an erster Stelle stehen und daß unter diesen wiederum Aristoteles eine beherrschende Stellung einnimmt.
III. Eine genauere Vorstellung vom philosphischen Wissen des Baldus und den in seinen Kommentaren verwendeten philosophischen Denkformen und Erkenntnissen ergibt sich, wenn wir uns einen Überblick über die wichtigsten von Baldus verwendeten philosophischen Termini und die z. T. damit verbundenen philosophischen Erläuterungen verschaffen. Dabei sind in größerem Umfang auch die zahlreichen einschlägigen Texte heranzuziehen, in denen Baldus kein Zitat eines bestimmten philosophischen Autors oder Werks bringt. Das umfangreiche Material wird zweckmäßig in Anlehnung an übliche fachphilosophische Einteilungsgesichtspunkte und Sachzusammenhänge gruppiert. 1. Zahlreiche Texte enthalten logisches Wissen. Baldus verwendet die wichtigsten logischen Grundbegriffe und fügt häufig eine, wenngleich nicht immer genaue, Erläuterung ihrer Funktion bei. Die wichtigsten Hilfsmittel der Begriffsanalyse, ‚definitio‘ und ‚divisio‘, gehören nach Baldus zum methodischen Handwerkszeug des Juristen1. Mit der Definition von Begriffen beginnt das juristische Denken: No(ta) iurisconsulti incipere a diffinitione; D 7.1.1.
Die Funktion der ‚definitio‘, nämlich die ‚essentia‘ von etwas festzulegen2, ist Baldus aus der Philosophie ebenso bekannt wie die Technik, die definitio aus ‚genus‘ (proximum) und ‚differentia‘ (specifica) zu bilden3. Das Begriffspaar ‚genus-species‘ wird durchweg verwendet4, sein Verhältnis durch den
35 C 6.30.19 n 15; ähnlich X 2.9.5 n. 2: ‚histori(c)a scholastica Actuum‘ mit genauen Zitaten; X 3.1 Ru n. 10: ‚magister historiae scholasticae.‘ Mit diesem (auch in X 1.6.12 n. 1 erwähnten) ‚magister‘ ist Petrus Comestor (gest. 1179) gemeint; sein Werk war eine beliebte und einflußreiche biblisch-geschichtliche Enzyklopädie.
D 1.1.1. pr. n. 1. D 7.1.1: ‚Diffinitio autem est que demonstrat essentialia rei diffinite. unde dicit Aristo. si vis essentialia alicuius rei cognoscere, accipe nominis diffinitionem, illa enim hec demonstrat‘; vgl. auch C 1.18.10 n. 5 und C 6.9 n. 2 (dort Boethius zit.) 3 X 2.14.9 n. 37. 4 Z. B. D 1.1.1. pr. n. 5 in Anwendung auf die aequitas-Lehre; über das Argumentieren mit dem Begriffspaar C 1.3.15 n. 5; D 12.1.2.3 n. 1. 1 2
1138 Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus Philosophus
Satz ‚genus representatur in qualibet specie‘ bestimmt5. Desgleichen wird ‚universale‘ im Verhältnis zu ‚integrale‘, ‚speciale‘ und ‚singulare‘ gebraucht, meist um das logische Verhältnis der Begriffe untereinander zu bestimmen6. [116] Grundsätzliche Betrachtungen über Gegenstand und Grundlagen der Logik sind nur verstreut anzutreffen und theoretisch nicht zusammengefaßt. Zu nennen ist hier etwa der von Baldus häufig zitierte und dem Boethius zugeschriebene Satz: voces sunt note earum que in anima sunt passionum; D 2.14.7.8 n. 2.
Der Satz stammt aus der von Boethius übersetzten aristotelischen Schrift Perihermenias (de interpretatione)7 und ist wohl aus dem Interesse, das die mittelalterliche Theorie der Logik an semiotischen Erörterungen zeigte8, zu verstehen9. Die Lehre von den Prädikabilien und den Prädikamenten (Kategorien) und damit wichtige Elemente der aristotelischen Aussagenlehre10 sind Baldus vertraut. Wir finden alle vier Prädikabilien verwendet, nämlich außer definitio und genus auch proprium und accidens (accidentale)11. Die Lehre von den zehn Prädikamenten stellt Baldus mehrmals dar12, wobei er die Haupteinteilung ‚substantia-accidentia‘ hervorhebt13. Dabei klingt auch die für die mittelalterliche Logik wichtige und charakteristische Suppositionslehre14 an, wenn Baldus einleitend sagt: praemitto quod suppositum omnium praedicamentorum est ens ... ens igitur est praedicamentum praedicamentorum; X 2.20.37 n. 37.
D 1.3.32. n. 39; D 12.1.1. n. 3; D 12.1.2.3 n. 1. D 2.14.7.2 n. 15; D 12.1.1; X 1.6.55 n. 1. 7 16 a 1; Vgl. Aristoteles Latinus II 1, ed. L. Minio-Paluello, Brüssel Paris 1965. 8 Bochénski, op. cit. § 26 A. – Vgl. auch die Unterscheidung von ‚modus essendi‘ und ‚modus loquendi‘ durch Baldus zu D 4.4.43. 9 Unwahrscheinlich ist eine Bezugnahme auf den Universalienstreit; Zu verwandter Argumentation dort vgl. C. Prantl, Geschichte d. Logik im Abendland II, 2. Aufl. 1885, p. 119. 10 Vgl. Topika I (dazu Bochénski op. cit. § 11 B) und Teil I des Organon. 11 Zu ‚proprium‘ und ‚accidentale‘ z. B. C 1.3.15 n. 9; vgl. auch D 1.3.32 n. 38. 12 X 2.20.37 n. 37; vgl. auch D 1.3.32 n. 38; zu den acht Prädikamenten, in denen das ‚argumentum de praeteritu ad praesens‘ möglich ist, C 4.19.3 n. 2 und 3. 13 X 2.20.37 n. 38. 14 Vgl. allg. Bochénski, op. cit. § 27. 5 6
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Die Begriffe von Satz und Problem erscheinen als ‚propositum‘15 und ‚dubitatio‘. Den letzteren, von Boethius in die lateinische Terminologie eingeführten16 Begriff erläutert Baldus in der Definition: Dicit. Aristo. quod dubitatio est aequalitas contrariorum determinationum ...; D 4.4.38 Rep. n. 1117. [117]
Der Satz von der Identität ist erkennbar18, desgleichen alle Elemente der aristotelischen Theorie der Gegensätze in deren vierfachem Sinn der Relation, Kontrarität, Beraubung-Habitus und Bejahung-Verneinung19. So finden wir den Satz ‚(relatio) requirit duo extrema‘20, und die Begriffe ‚contrarie positiones‘,21 ‚habitus-privatio‘,22 und ‚negatio‘.23 – Der Satz von der Widerspruchsfreiheit wird z. B. bei der Erörterung beweisrechtlicher Fragen eingesetzt24. In den Texten, in denen Baldus die Lehre vom Schluß berührt, läßt sich ebenfalls die enge Berührung philosophischer und spezifisch juristischer Interessen beobachten. Baldus spricht zwar allgemein vom ‚sillogizare‘ und dem wichtigsten Element des Syllogismus, dem mittleren Begriff (‚medium‘)25, aber die Fragen des Beweises (probatio), von denen der Text handelt, sind für Baldus vorwiegend juristische, nicht rein philosophische Fragen26. Freilich zieht er überall die Philosophie dabei heran, indem er etwa ‚necessarie probationes‘ und ‚probabiles‘ unterscheidet und dazu ‚epicheremata‘ und ‚icotes‘ als die entsprechenden aristotelischen Ausdrücke zitiert27, oder wenn er ausführt: est optima probatio quae est per causam et differentiam priori; D 1.1.1.1. pr. Add.
C 4.45.1 n. 6. Martin Grabmann, Geschichte d. scholast. Methode I, Basel/Stuttgart 1909, p. 157. 17 Ähnlich C 4.19. Ru. n. 13. 18 Implicite etwa in C 4.25.5 n. 28. 19 Vgl. allg. Bochénski, op. cit. § 12 A. 20 C 4.25.5 n. 27: ‚comparatio requirit duo extrema, sicut relatio‘; zur Relationsgegensätzlichkeit auch C 6.46.6 n. 16: ‚.. medium in quantum medium, est (in) extremitatibus oppositum‘. 21 D 4.4.43; vgl. auch C 1.3.15 n. 5. 22 C 1.3.15 n. 5. 23 C 4.19.23 n. 7. 24 D 4.4.43: ‚.. impossibile est quod due contrarie positiones sint ambe negative: nam si contrari(ar)um una est negativa alia ex necessitate est affirmativa ...‘; es folgt l. c. die Unterscheidung von ‚modus loquendi‘ und ‚modus essendi‘. Der Text behandelt insgesamt Fragen des Negativbeweises und der Beweislastumkehr. 25 C 4.19.23 n. 8: ‚.. per rationem sillogizandi, quae fit per medium‘. 26 In C 4.19.23 n. 8 z. B. geht es um Fragen des Negativbeweises. 27 C 4.19.3 n. 3. 15 16
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Vom Schluß spricht er zugleich logisch-rhetorisch und juristisch (prozeßrechtlich), wenn er bei der Erörterung der ‚conclusio libelli‘ auf Cicero verweist: conclusio est exitus et determinatio totius orationis; D 12. 1. Ru28. [118]
Einzelne Schlüsse, ihre Zulässigkeit und Brauchbarkeit, erörtert Baldus in der Regel entweder im Hinblick auf beweisrechtliche Fragen29 oder im Hinblick auf eine allgemeine juristische Argumentationstheorie, wobei er entsprechend Cicero’s Topik definiert: argumentum est ratio rei dubiae faciens fidem; C 1.3.15 n. 430.
Diese Argumentationslehre, ihre Grundlage in der ciceronischen Topik, aber auch ihre spezifisch juristische Ausprägung, verlangt eine eigene Darstellung, auf die hier verzichtet werden muß. Bemerkt sei nur, daß Baldus in dieser Lehre ein Arsenal von Schlußformen vorführt. Als Vorbild ist insbesondere De modis arguendi des Dinus zu nennen31. Logisch-grammatische Erörterungen finden wir im Bereich der Interpretationslehre32. Diese ist ein Kernstück juristischer Methodenlehre mit alter juristischer Tradition33. Die hier verwendeten Termini können insofern nicht mehr als rein philosophische gelten; dies trifft auf Begriffe wie ratio, mens, significatio, similitudo und extensio zu34. Aber diese Begriffe haben ihre Herkunft aus der Philosophie keineswegs ganz abgestreift und sind bisweilen bei Baldus Gegenstand philosophischer Erläuterungen. So setzte z. B. nach herrschender Meinung das schon in den Quellen (D 1.3.12) vorgesehene ad similia procedere eine Ähnlichkeit in der ratio voraus. Baldus erläutert dies unter Verwendung des der scholastischen Philosophie vertrauten Begriffspaares ‚similitudo-differentia‘: ... differentia rationis constituit speciem adversativam: sed differentia terminorum subjectorum praedicamento eiusdem rationis constituit similitudinem ...; X 1.3.4 n. 10.
28 Vgl. auch D 4.4.38 Rep. n. 11: ‚conclusio et conclusum convertantur sicut diffinitio et diffinitum‘; das formallogische Interesse tritt dabei hinter dem erkenntnistheoretischen und argumentationstechnischen (juristischen) Interesse zurück. 29 z. B. D 1.3.32 n. 39; C 1.3.15 n. 6–11. 30 Vgl. Cicero, Topica 8. 31 Baldus C 1.3.15 n. 4 sq; für Dinus vgl. die Edition von Severino Caprioli, De ‚modus arguendi‘ scripta rariora: 1. Dini opusculum, Studi Senesi 75 (1963) 30–55. Zur Topiklehre vgl. allg. Th. Viehweg op. cit. (Einl. N. 10). 32 Typisch die häufige Erörterung der Bedeutung der Copula ‚et‘ bei Auslegungsproblemen; vgl. Baldus z. B. D 1.1.1. pr. n. 5. 33 Vgl. z. B. W. Engelmann, op. cit. (Einl. 9). p. 128 ss; V. Piano Mortari, l. c. 34 Einzelnachw. demnächst Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, § 4.
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Auf anderen Gebieten der Methodenlehre macht sich die maßgebliche Rolle der Philosophie stärker bemerkbar. Hier ist vor allem die Lehre von den ‚consequentia‘ und die in ihr verwendeten Begriffspaare wie antecedensconsequens‘ zu nennen, die in der mittelalterlichen Aussagenlogik von [119] großer Bedeutung war35. Aus den Kommentaren des Baldus sind etwa folgende Texte hervorzuheben: Qui vult scire consequens debet prenoscere antecedens ... qui vult scire principiata debet noscere principia; D 1.1.1.pr. vor n. 1. und n. 1. principium concludat in fine et finis in suum principium retro procedat.. ; D 4.4.38 Rep. n. 11. correctis principiis corriguntur ea quae post principia sunt ... ; C 6.20 Ru. n.12.
Für Baldus dürfte hier die erkenntnistheoretische und methodische Fragestellung im Vordergrund gestanden haben.36 Denn die zitierten Texte sind für die wissenschaftstheoretischen und methodischen Vorstellungen von den ‚principia doctrinarum‘ und vom ‚rectus modus theorice procedendi‘ bedeutsam37. 2. Aus einer Reihe von Äußerungen lassen sich die Grundzüge einer Erkenntnistheorie ablesen, die im wesentlichen aristotelisch ist. Wissen ist danach auf das Allgemeine gerichtet (die zweite Substanz), ist ein Kennen der Prinzipien und Gründe: ad cognitionem specierum debet precedere cognitio generis; D 12. 1. 1. n. 1; dicit Aristot. scire est rem per causas cognoscere; D 29.2.9.38.
Im übrigen kann auf die zuvor zitierten Texte über ‚principia‘ und ‚antecedens‘ verwiesen werden. – Hinzu tritt ein objektivistischer Wahrheitsbegriff, wie er die aristotelisch-thomistische Philosophie auszeichnet. ... ens, et verum convertuntur. et unumquodque sicut se habet ad esse, sic ad veritatem, secundum Methaphi.; C 7.45.2. n. 9 39.
Aristotelisch ist auch die Betonung der Sinneswahrnehmung im Erkennen, der Hinweis auf ‚sensus‘, ‚experientia‘ und ‚experimentum‘.40 Häufig zitiert
Bochénski, op. cit. § 30. Er kennt aber z. B. auch die ontologische Bedeutung dieser Begriffe; zu ‚principium‘ vgl. etwa X 1.1.1 n. 5; X 2.20.37 n. 10. 37 Proem. D 1. und D 1.1.1. pr. vor n. 1 und n. 1. 38 Vgl. auch C 6.15.5 n. 6: ‚.. resolutio in elementa dedit nobis cognoscere ....‘. 39 Vgl. auch Thomas v. Aquin, Expositio in Perihermeneias I l.3.30 (Ausg.: ed Spiazzi, 2. Aufl. Turin 1964). 40 C 2.9.2 n. 7 (‚sensus‘); C. 4.19.23 n. 7: ‚secundum Aristo. ... omnis sensus sit passio ... ingenium hominis est ... connexum sensui ..‘; D 1.1.1. pr. n. 3 (‚experientia facit artem‘); X 2.20,37 n. 1: ‚experimentum verorum sermonum est ut concordet rebus sensatis (mit Zitat von Aristoteles und Averroes); ähnl. C 4.20.18 n. 37. 35 36
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Baldus – unter Berufung auf Aristoteles oder seinen maßgeblichen Kommentator Averroes – den Satz: [120] requirere rationem, ubi sensum habemus, est infirmitas intellectus41.
Neben der empiristischen kommt jedoch auch die rationalistische Komponente der Erkenntnistheorie des Aristoteles zum Ausdruck: dem ‚visus corporalis‘ wird der ‚visus mentalis‘ gegenübergestellt42, und mehrfach begegnet die Wendung ‚intellectus videt‘43. Insgesamt erscheinen die Äußerungen meist im Zusammenhang mit Beweisproblemen44; dabei bilden sie jedoch oft typisch philosophische, von der rein juristischen Betrachtung unterscheidbare Exkurse. 3. In den Kommentaren das Baldus finden wir auch alle wichtigen Grundbegriffe einer im wesentlichen aristotelischen Ontologie, so etwa ‚ens‘, ‚essentia‘, ‚substantia‘ und ‚natura‘45, ebenso die wichtigen Begriffspaare ‚substantia-accidentia‘, ‚materia-forma‘, ‚causa-effectus‘ und ‚potentia-actus‘. Art der Verwendung und z. T. beigefügte Erläuterungen lassen erkennen, daß Baldus die philosophische Bedeutung der Begriffe und die mit ihnen angesprochene ontologische Problematik zumindest in Grundzügen vertraut ist. Das zeigt sich am besten in der Verwendung der genannten Begriffspaare. Die Unterscheidung ‚substantia-accidentia‘, die sowohl in der Logik wie in der Ontologie eine Rolle spielt, wird auch verbunden mit ontologischen Begriffen, etwa in der Unterscheidung von ‚forma substantialis‘ und ‚forma accidentalis‘, benutzt46. Die Unterscheidung von ‚forma-materia‘, ein Kernstück der aristotelisch-thomistischen Metaphysik, wird in zahlreichen Texten herangezogen und z. T. näher erläutert. So heißt es in der Einleitung des Kommentars zum Digestum Vetus bei der Besprechung der ‚causa materialis‘: [121]
C 4.19.23. n. 5; C 4.20.18 n. 37; C 7.53.8 n. 48. C 7.58 Ru. n. 6. 43 l. c. und D 12.1.1 n. 3; vgl. auch X 1.29.43 § statuimus n. 14. 44 So z. B. die N. 40 nachgewiesenen Texte; vgl. auch D 12.1.1. n. 3: ‚... dictum testis debeat fundari in sensu, tamen et intellectu debet fundari secundum Aristo. in problematibus‘. 45 Zu ‚ens‘ vgl. z. B. 2.20.37 n. 37 (ens = ‚praedicamentum praedicamentorum‘); X 2.19.4 n. 3 (‚non entium non sunt causae‘); Proem. D 1. Add (‚forma entis‘); D 1.3.32 n. 39 (‚ratio entis‘ und: ‚anima sit ens divinum‘); zu ‚substantia‘ und ‚essentia‘ vgl. z. B. C 1. 18.10 n. 5; D 2.14.27.2 n. 15; zu ‚individuum‘ vgl. z. B. C 6.46.6 n. 12; zu ‚natura‘ D 14.6.1. pr. 46 C 1.19.4 n. 2; zu ‚forma substantialis‘ auch C 1.18.10 n. 5: ‚forma substantialis advenit rei existenti in potentia‘. Zur Verwendung von ‚substantiale-accidentale‘ in der Vertragslehre Baldus D 12.1.31.1 (Vertretungsprobleme); D 18.1.72 pr.; zur Unterscheidung von ‚essentialia-naturalia-accidentalia‘ in der Vertragslehre Baldus D 2.14.7.7 n. 1; dazu unten V. 2c. 41 42
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... causa materialis ... potest sumi dupliciter. Uno modo prout materia est subiectum forme entis in actu. Alio modo prout materia est futurum subiectum forme entis in potentia; Proem. D 1 Add.47.
An gleicher Stelle findet sich im weiteren Verlauf der Erörterung auch der Begriff der zweiten Materie (der bereits geformten Materie) und damit ein weiterer Hinweis darauf, daß Baldus die Grundvorstellungen der ‚formamateria‘-Lehre geläufig sind48. Der zitierte Text zeigt auch die Verwendung des Begriffspaares ‚potentia-actus‘, die sich an zahlreichen weiteren Stellen nachweisen läßt49. Am häufigsten schließlich ist das Begriffspaar ‚causa-effectus‘50, die Lehre von den vier causae (materialis, formalis, efficiens, finalis)51 sowie weitere Distinktionen des causa-Begriffes anzutreffen52. Baldus kennt die platonische Ideenlehre in Umrissen und teilt ihre Ablehnung durch Aristoteles. Der betreffende Text findet sich in der Kommentierung zu X 1.1.1 (n. 5). Im Quellentext ist die Dreifaltigkeit als ‚unum universorum principium‘ genannt. Während frühere kanonistische Kommentierungen die theologische Bedeutung der Stelle hervorheben53, sieht Baldus in ihr eine Ablehnung der platonischen Philosophie: Ibi principium not. contra Platonem, qui posuit ideas tanquam principium formarum esse in caelo ... Et ideas intelligit primarias causas entium formalium quas non dicebat esse in Deo sed a Deo creatas: tanquam imagines et exemplaria specierum, ut hominis, canis, et caeterorum, quae suo praedicamento sunt subjecta. quod reprobat Aristo. in primo ethicorum.
Der Text ist einmal deshalb bemerkenswert, weil er die Darstellung einer [122] philosophischen Kontroverse enthält, was bei Baldus selten ist54, zwei-
= zweite Kommentierung zu Const. ‚Deo auctore‘. l. c. in Anwendung auf die allg. Rechtstheorie: ‚materia est ipsum factum et est materia secunde materie, que secunda materia est ius incertum‘; zu ‚forma‘ als ontolog. Grundbegriff auch X 1.6.42 n. 13: ‚Forma naturalis est propria essentia rei‘. 49 z. B. C 1.19.4 n. 2; D 5.3.20.4; D 12.4.8 und X 1.6.53 n. 1: ‚dicit philosophus, nihil est in actu quod prius non sit in potentia‘. 50 z. B. C 1.3.40 n. 5; D 12.2.2 Rep.: ‚cessante causa efficiente cessat effectus‘; vgl. auch D 4.9.1.6 Add: ‚quod non est causa cause non est causa causati‘. 51 z. B. D 1.3.32. pr. n. 14. 52 D 1.1.1. pr. n. 4 (‚causa essentialis et intrinseca‘); D 39.1.5.9 (‚causa naturalis, causa accidentalis‘); C 1.3. 40 n. 5 (‚causa impulsiva‘). 53 Hostiensis, Commentaria, Venetiis 1581, X 1.1.1. n. 13; Johannes Andreae, Commentaria, Venetiis 1581, X 1.1.1 n. 16–17. – Die Stelle wird als Verwerfung der Irrlehre der Marcionisten gedeutet, welche zwei göttliche Weltprinzipien annahmen (vgl. Decretum C 24. qu. 3 c. 34 § 20). 54 Eine andere Kontroverse, und zwar angeblich zwischen Boethius und Aristoteles über die Elemente der ‚actus humani‘ (nämlich: scientia, potestas, voluntas) ist C 1.18.8 n. 3 erwähnt. 47 48
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tens weil er als Zeugnis für die Vorherrschaft des Aristotelismus geeignet ist. Das von Baldus verwendete Aristoteleszitat ist zutreffend55. 4. Der Versuch einer Übersicht über die von Baldus verwendeten Begriffe der Ethik stößt auf die Schwierigkeit, daß sich auf diesem Gebiet die rein philosophische von der juristischen Betrachtungsweise nur schwer trennen läßt und die philosophische Tradition hier kaum isoliert zu erfassen ist. Als bekanntes und wichtigstes Beispiel für diese Schwierigkeit sei hier der Begriff der aequitas und die zahlreichen mit ihm zusammenhängenden ethischen Gesichtspunkte genannt56. Andererseits spielen rechtsethische Begriffe in der Jurisprudenz des Baldus eine erhebliche Rolle, und häufig wird mit ethischen Grundsätzen argumentiert wie z. B. dem Satz ‚ordinata charitas incipit a seipso‘57, welcher dem christlichen Aristotelismus der thomistischen Ethik entstammt58. – Wir finden bei ihm auch größere zusammenhängende Ausschnitte der Ethik als bekannt vorausgesetzt und andeutungsweise dargestellt. Dazu gehört etwa die Lehre von den vier Kardinaltugenden (prudentia, iustitia, fortitudo, temperantia), zu der er Cicero zitiert59. Baldus kennt auch weitere Einzelheiten der Tugendlehre, z. B. den Unterschied zwischen ‚virtus moralis‘ und ‚virtus theologica‘60. – Bei Begriffen, die einerseits eine spezifisch juristische Bedeutung haben, andererseits aber allgemein in der Ethik eine Rolle spielen, wie arbitrium und conscientia, finden wir bei Baldus auch häufig die philosophische Erläuterung dieser allgemeinen (ethischen) Bedeutung61. Die mit diesen ethischen Begriffen sachlich zusammenhängenden psychologischen Grundbegriffe der Willens- und Handlungslehre finden ebenfalls [123] das philosophische Interesse des Baldus. So äußert er sich mehrfach zum Verhältnis und zum Zusammenwirken von Erkenntnis und Wille: voluntas reponitur sub rationali parte animae; C. 7.1.Ru. nihil prius est in voluntate, quin sit prius in intellectu, secundum sanctum Thom.; C 4.24.5. n.2.
Der letztere Text steht im Rahmen einer Erörterung von Fragen der Schuldlehre, insbesondere der Entschuldigungsgründe, die Baldus l. c. nach den drei ‚potentiae animae‘ (intellectus, voluntas, memoria) aufgliedert. – An
55 Die von Baldus gemeinte Polemik des Aristoteles gegen die platonische Ideenlehre findet sich Eth. Nik. I cap. 6. 56 Dazu demnächst Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus. 57 X 1.3.14 n. 6; X 2.21.8 n. 5; C 3.34.6 n. 1. 58 Vgl. Eth. Nik. VIII cap. 1–4 (1155 a 1–1156 b 32); Thomas v. A., S. theol. Ia IIae 65 5 c. Resp. 59 Inst. 1.1. pr. n. 4. 60 C 4.32 Ru. n. 6 im Vergleich von ‚temperantia‘ und ‚charitas‘. Zu weiteren Einzelheiten der Tugendlehre z. B. D 1.1. Ru. n. 1 (zu ‚habitus‘) oder C 7.49.2 n. 9 (zu ‚iustitia‘). 61 Dazu Horn, op. cit. § 15.1 und § 11.6.
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anderen Stellen erörtert Baldus die drei Elemente menschlicher Handlungen (scientia, potestas, voluntas) unter Berufung auf Aristoteles62 und berührt Zusammenhänge von Psychologie und Handlungslehre63. 5. Auch in der politischen Theorie lassen sich Einflüsse der Philosophie feststellen. Sie sind jedoch fast noch schwieriger als die Einflüsse der Ethik isoliert zu erfassen, wenn man sich mit dem hier verfolgten, formalen Verfahren einer Bestandsaufnahme der philosophischen Termini und Sätze begnügt. Denn der Zusammenhang zwischen politischer Theorie und Jurisprudenz ist zu eng, und die meisten hier verwendeten Ausdrücke stammen aus der Rechtssprache64. Der Einfluß der aristotelischen Gedanken auf die politischen Theorien des Mittelalters kann hier nicht untersucht werden65. Für die Legisten ist er nur schwer zu ermitteln, und noch die politischen Theorien des Bartolus beruhen nach dem Urteil Woolfs fast ausschließlich auf legistischen, nicht auf aristotelischen Grundlagen66. Immerhin lassen sich bei Baldus Bezugnahmen auf die Philosophie, insbesondere auf Aristoteles, bei der Behandlung von Fragen der politischen Theorie nachweisen. Zu Beginn seines Kommentars zum Digestum Vetus erscheint unter Hinweis auf die aristotelische Politik der Gedanke, daß der Mensch animal sociale sei67. Im Codex-Kommentar zitiert Baldus [124] wörtlich die Schlußsätze von Metaphysik XII, daß nur einer Herrscher sein könne, und wendet sie auf den Kaiser an68. An anderer Stelle beruft er sich auf Aristoteles dafür, daß gute Gesetze möglichst wenig der Entscheidung des Richters überlassen sollten69, sowie dafür, daß die Bauern von der politischen Regierung ausgeschlossen seien70. Die aristotelische Politik wird auch z. B. für das juristische Einzelproblem zitiert, ob Rauschtaten milder bestraft werden sollten71. – Das Werk ‚De regimine principum‘ des Aegidius Romanus C 1.18.8 n. 3. z. B. in X 2.20.37 n. 10, wo er von der ‚anima intellectiva‘ als Grundlage der ‚operationes hominis‘ spricht; dort auch weitere Ausführungen zur Psychologie. – Vgl. auch C 7.58 Ru. n. 1 zur Lehre von den fünf Sinnen. 64 Vgl. allg. Gaines Post, Studies in medieval legal thought, Princeton 1964, p. 565 ss; R. W. u. A. J. Carlyle, Medieval political theory of the west I, 5. Aufl. London 1962, p. 3. 65 Dazu etwa Martin Grabmann, Studien über den Einfluß der aristotelischen Philosophie auf die mittelalterlichen Theorien über das Verhältnis von Kirche und Staat, München 1934; Sten Gagnèr, Studien zur Ideengeschichte der Gesetzgebung, 1960. 66 Cecil N. S. Woolf, Bartolus of Saxoferrato, Cambridge 1913, p. 387. 67 D 1.1.1. pr. Add. 68 Proem. C 1. n. 31; Text dieses Zitats oben II. 2. Note 14. Baldus behandelt l. c. die Frage der konstantinischen Schenkung, die er zugunsten des Papstes entscheidet. – Das gleiche Aristoteleszitat verwendet B. in X 1.30.4 n. 1 zur Beurteilung der Befugnisse eines päpstlichen Legaten. 69 D 3.2.13.7 n. 6. 70 X 1.31.3 n. 5. 71 C 8.4.1 n. 40. 62 63
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wird bei einer anderen Einzelfrage, nämlich der Grenzen des kanonischen Zinsverbotes, erwähnt72. – Erwähnenswert ist schließlich die Erläuterung des Wortes ‚politicus‘; sie zeigt einerseits ein richtiges sachliches Verständnis, andererseits den damals üblichen Mangel an philologischen Kenntnissen: ... politica, dicta a polis, quod est civitas, et icos quod est scientia, quasi scientia de regimine civitatis; Inst. 1.1. pr. n. 2–3.
IV. Die Zusammenstellung der Zitate philosophischer Autoren und Werke in den Kommentaren des Baldus (II) und der – freilich kurze und unvermeidlich unvollständige – Überblick über die dort verwendeten philosophischen Begriffe und Sätze (III) zeigen uns, daß Baldus über beachtliche Kenntnisse auf dem Gebiet der Philosophie verfügte. Dieser Befund führt uns zu der Frage, woher Baldus sein Wissen bezog. Eine Antwort darauf kann nur in einer differenzierenden Weise versucht werden, wobei nicht in jeder Detailfrage auf Sicherheit gerechnet werden kann. Offensichtlich liegt bei Baldus mehr als eine nur flüchtige und oberflächliche Berührung mit der Philosophie vor. Aber es wäre wohl verfehlt, die Ursache dafür in einer einzigen, historisch genau fixierbaren Tatsache, etwa in dem Einfluß eines bestimmten Lehrers oder in neuen und völlig selbständigen Studien, suchen zu wollen. Wir müssen vielmehr die bildungsgeschichtliche Tradition, in der Baldus steht, insgesamt betrachten. [125] 1. Grundlage des mittelalterlichen Bildungssystems waren die sieben freien Künste (artes liberales), die an den mittelalterlichen Schulen und später an den Artistenfakultäten der Universitäten gepflegt wurden. In der Spätantike ausgebildet, stellen sie die klassische Form dar, in der jahrhundertelang das Bildungsgut der Antike an das Mittelalter weitergegeben wurde1. Das Studium der drei ersten artes (Grammatik, Rhetorik, Dialektik), das sogenannte Trivium, bildete auch nach der Entstehung der Universitäten, insbe-
D 12.1.15.
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Ihre für das Mittelalter maßgebliche Darstellung der artes gab Martianus Capella (zwischen 410 u. 439 n. Chr.); in den Digesten sind die ‚studia liberalia‘ in D 50.13.1 erwähnt. – Eine Übersicht ‚de septem liberalibus disciplinis‘ gibt Isidor v. Sevilla († 636) in Ethym. I 2; die drei ersten Bücher der Ethymologien folgen dieser Einteilung; (Ausg.: Isidori Ethymologiarum libri XX ed. W. M. Lindsay, Oxford 1957/62). – Lit.: P. Gabriel Meier, Die sieben freien Künste des Mittelalters, Einsiedeln 1886/87; Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 4. Aufl. Bern/München 1963, p. 46 ss, 71 ss, 89 ss; Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts I, 3. Aufl. Leipzig 1919, p. 13–52. 1
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sondere der wissenschaftlichen Rechtsstudien, die Grundlage der allgemeinen Schulbildung und demnach auch der propädeutischen Studien der künftigen Rechtsstudenten2. Das Trivium vermittelte seit jeher die Kenntnis antiker Autoren, die als Schulautoren des Grammatik- und Rhetorikunterrichts den Rang verbindlicher Autoritäten gewonnen hatten3. Ein Teil dieser auctores, deren Zahl schwankt und zu denen neben heidnischen christliche Schriftsteller, neben antiken mittelalterliche Autoren zählen, ist uns bei Baldus begegnet4: Cicero, Cato, Sallust, Virgil, Seneca, Iuvencus, Vegetius, Cassiodor, Boethius, Isidor5. Im Grammatikunterricht vermittelte z. B. das im Mittelalter angesehene Werk ‚de officiis‘ des Cicero ein Stück antiker Ethik6; durch den Rhetorikunterricht waren u. a. die rhetorischen Schriften Ciceros7, insbesondere sein Jugendwerk ‚de inventione‘8 und damit Elemente der aristotelischen Topiklehre bekannt. Die Dialektik (Logik) bot in Grundzügen das, was sich vornehmlich durch Vermittlung des Boethius an Kenntnissen der antiken Philosophie erhalten hatte. Von den logischen [126] Schriften des Aristoteles waren Teil I und II des Organon (Κατηγορίαι sowie πεςὶ ἑρμενείας) in der lateinischen Übersetzung des Boethius ‚categoriae vel praedicamenta‘ und ‚de interpretatione vel perihermenias‘ sowie die ebenfalls von Boethius übersetzte und kommentierte Einführung des Porphyrius in die Kategorien9 bekannt10. Sie wurden etwa seit dem 10. Jahrhundert ebenso wieder studiert wie die sonstigen philosophischen Werke und Kommentare des Boethius, die manches aus den unbekannten Werken des Aristoteles enthielten11. Ebenso wie sich ein Teil der Autorenzitate des Baldus auf die überlieferten Kanones der auctores zurückführen läßt, so läßt sich auch ein großer Teil der bei Baldus anzutreffenden philosophischen Begriffe und Sätze sachlich der genannten philosophischen Tradition des Trivium zuweisen. Die von Bal-
2 Hastings Rashdall, The universities of Europe in the middle ages, ed. F. M. Powicke und A. B. Emden, vol. I, Oxford 1936, p. 234; Meier, p. 11; Heinrich Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, Berlin 1885, p. 206. 3 Curtius, p. 58 ss. 4 S. oben II. 1, 3 und 4. 5 Vgl. Meier, p. 4, 6 s, 17–19, 25–27; Curtius, p. 58 ss. 6 Meier, p. 19. 7 Meier, p. 24 ss. 8 Thaddäus Zielinski, Cicero im Wandel der Jahrhunderte, 2. Aufl. Leipzig 1908, p. 162. 9 Porphyrius (233–305) Εισαγωγὴ εἰς τὰς Ἁριστοτέλους Κατηγορὶας; Übers.: Eugen Rolfes, Aristoteles Organon I, 2. Aufl. Leipzig 1925, p. 1 ss. 10 Vgl. Isidor, Ethym. II B cap. 4–6; mod. Lit.: Ueberweg-Geyer II, p. 205; Grabmann, Methoden und Hilfsmittel des Aristotelesstudiums im Mittelalter, München 1939, p. 17–20; Prantl II p. 98 ss. Zum Text vgl. Aristoteles latinus, ed. L. Minio-Paluello, I 1–5, ParisBrüssel 1961; II 1–2, 1965. 11 Grabmann, l. c. Auf diese Weise war auch z. B. näheres aus der Topik des Aristoteles durch die boethianische Schrift ‚de differentiis topicis‘ bekannt.
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dus mehrfach erörterte Prädikamentenlehre, die bei Aristoteles Cat. 1 b 25 abgehandelt ist, z. B. war ein Kernstück der im Trivium gepflegten ‚Logica vetus‘12. Ein isolierter Nachweis dieser alten, durch das Trivium seit jeher vermittelten philosophischen Tradition bei Baldus ist jedoch nur von beschränktem Wert. Denn bis zur Zeit des Baldus hatte das mittelalterliche Bildungssystem einschneidende Veränderungen erfahren. Das Aufblühen der Wissenschaften in der ‚Renaissance des 12. Jahrhunderts‘ führte zur Entstehung der Universitäten (Paris, Bologna); die artes liberales wurden nun in der Artistenfakultät gepflegt13. Infolge der im 12. Jahrhundert einsetzenden und im 13. Jahrhundert vollendeten vollständigen Aristotelesrezeption14 war nunmehr die ganze aristotelische Philosophie bekannt und Grundlage der Philosophie der bedeutendsten Denker der Scholastik, Albertus Magnus und Thomas v. Aquin, geworden. An der Artistenfakultät wurde nicht nur die ‚Logica vetus‘ von der ‚Logica nova‘ [127] überlagert, sondern das schon früheren Zeiten fragwürdige15 Schema der septem artes wurde durch die Fülle der neuen Kenntnisse gesprengt. Bezeichnend dafür ist das Urteil des Thomas v. Aquin: septem liberales artes non sufficienter dividunt philosophiam theoricam16.
An der Artistenfakultät wurde nunmehr der ganze Aristoteles studiert17. Seine Werke waren in lateinischer Übersetzung bekannt18, wobei z. T. auch pseudoaristotelische Schriften, wie der von Baldus zitierte neuplatonische Liber de causis, als authentisch benutzt wurden19. Im Laufe der angedeuteten Entwicklung wurde manches aus dem oben betrachteten älteren Bildungsgut des Trivium zurückgedrängt. Insbesondere die Pflege der alten auctores ging seit dem 12. Jahrhundert stark zurück20, und logische Studien und Übungen nahmen selbst in der Grammatik einen beherrschenden Platz ein21.
12 Sie wurde u. a. in der pseudoaugustinischen Schrift ‚Categoriae decem‘ studiert: Grabmann, Scholast. Methode II, 1911, p. 64. 13 Rashdall I, p. 223 ss; p. 439 ss; Maier, p. 11. 14 Ueberweg-Geyer II, p. 342–351. 15 Meier, p. 7. 16 In librum Boetii de Trinitate expositio, Lect. II q. 1 art. 1 ad 3; Ausg.: S. Thomae A. opuscula theologica II, ed. R. M. Spiazzi und FR. M. Calcaterra, Rom 1954. 17 Ueberweg-Geyer II, p. 351 s. Grabmann, Aristotelismo italiano (Einl. N. 8) p. 265 ss. 18 Zur Übersetzungsgeschichte Ueberweg-Geyer II, p. 343–349; einen Eindruck von der Textkenntnis z. Zt. des Baldus vermitteln Drucke des Aristoteles latinus aus dem 16. Jahrhundert, z. B. die Ausgabe Venetiis (apud Junctas) 1562–74. 19 In der N. 18 genannten Aristotelesausg. vol. 7 fol. 211 v. enthalten, allerdings mit Hinweis auf die zweifelhafte Autorenschaft; schon Thomas v. Aquin war die Unechtheit bewußt; Ueberweg-Geyer II, p. 349. 20 Curtius, p. 62. 21 Meier, p. 21 s; Curtius, l. c.
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Im Werk des Baldus läßt sich ein ziemlich getreues Spiegelbild dieser bildungsgeschichtlichen Situation mit allen charakteristischen Merkmalen erkennen: die alten auctores werden von Baldus nur vereinzelt und beiläufig zitiert. Nur Cicero behauptet in etwa seinen Platz, während die ‚poetae‘ geringes Interesse finden22. Das ‚Wellental‘ des Interesses an der antiken Literatur wird deutlich, das zwischen der (abnehmenden) Pflege der mittelalterlichen auctores und der späteren Literaturbegeisterung der Renaissance liegt, die sich in der exceptionellen literarischen Bildung Petrarcas eben erst ankündigt23. Überall finden wir dagegen das Interesse an der Logik24, und selbst grammatische Erörterungen, wie sie z. B. bei Inter- [128] pretationsfragen auftreten, werden von Baldus bezeichnenderweise im Gewand logischer Denkformen entwickelt25. Hinzu kommt bei Baldus das allgemeine Interesse auch an allen anderen Fragen der Philosophie und an Aristoteles als der überragenden philosophischen Autorität. All dies entspricht dem Zuschnitt der Bildung des 14. Jahrhunderts, für die nicht ein so herausragender Zeitgenosse des Baldus wie Petrarca der Maßstab ist, sondern der Lehrbetrieb der Schulen und Universitäten. 2. Die Grundlagen der philosophischen Bildung des Juristen Baldus treten noch deutlicher hervor, und seine wissenschaftlichen Leistungen lassen sich sicherer beurteilen, wenn wir nun zusätzlich die vielfältigen Berührungen des römischen Rechts mit der Philosophie berücksichtigen. Als erstes müssen wir hier die Tatsache in Rechnung stellen, daß bereits die justinianischen Rechtsquellen philosophische Begriffe und Gedanken enthalten. Diese spiegeln den Einfluß, den Rhetorik und Schulphilosophie in den verschiedenen Epochen des römischen Rechts von der Frühklassik bis zu Justinian ausgeübt haben26. Es ist bezeichnend, daß die Quellen selbst von den ‚studia liberalia‘ und damit von derjenigen Bildungstradition sprechen, die später Grundlage der mittelalterlichen Bildung wurde27. Dementsprechend finden sich in den Texten des Corpus Iuris Grundbegriffe der (aristotelischen) Logik wie genus-species sowie die Technik der Definition und begrifflichen Unterscheidung28. Die Interpretationsregeln der Quellen, die auf der rhetorisch-philosophischen Unterscheidung verba-voluntas aufbauen, verwenden
Vgl. oben II 1 (a. E.) und II. 4. Über den Umfang von Petrarcas Kenntnis der antiken Autoren vgl. Pierre de Nolhac, Pétrarque et l’Humanisme, 2 Bde Paris 1907. 24 Vgl. oben III 1. 25 Vgl. oben III zu N. 32. 26 Für Einzelheiten sei auf H. Coing, Zum Einfluß der Philosophie des Aristoteles auf die Entwicklung des römischen Rechts, SZRom 69 (1952) 24–59, verwiesen. 27 D 50. 13.1. 28 Coing l. c. p. 29 ss m. Nachw. 22 23
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topische Schlußformen wie argumentum a similitudine und e contrario29. Die nachklassischen und byzantinischen Tendenzen einer Ethisierung des Rechts haben christliche und philosophische Gedanken unter Begriffen wie aequitas und benignitas eingeführt30. Diese Einflüsse der Philosophie in den römischen Quellen gaben den mittelalterlichen Legisten Anregung und Ermutigung, an die Auslegung der Quellentexte mit philosophischem Rüstzeug heranzugehen. Dieses gewan[129] nen sie aus dem Studium der artes und demnach aus einer Bildungstradition, die z. T. schon in den Quellen selbst wirksam geworden war. Nun steht zwar am Beginn des wissenschaftlichen Rechtsstudiums durch die Glossatoren eine Herauslösung der Jurisprudenz aus dem Schulbetrieb des Trivium; aber dieses behielt weiterhin seine Bedeutung als propädeutisches Studium auch für die Juristen31. Die in Bologna fortbestehende bedeutende Artistenschule übte ihren Einfluß auch auf die Rechtsstudien aus, und die Rechtslehrer bedienten sich trotz des wissenschaftlichen Selbstbewußtseins der Juristen gegenüber den Artisten weiterhin des durch die artes liberales vermittelten philosophischen, insbesondere logischen Wissens32. In den Schriften der Glossatoren lassen sich zahlreiche Spuren dieser philosophischen Grundkenntnisse nachweisen33. Ein guter Teil der bei Baldus anzutreffenden philosophischen Kenntnisse findet sich daher schon in der Glossatorenliteratur34. Die Tatsache etwa, daß Baldus Aristoteles, Porphyrius, Cicero und Boethius zitiert, stellt an sich kein Novum dar. Die Kenntnis des Boethius und der von ihm vermittelten aristotelischen Logik (Logica vetus) sowie des Aristoteleskommentators Porphyrius und des Cicero (Rhetorica, Topica) spiegelt sich schon in entsprechenden Autorenzitaten bei Johannes Bassianus, Hugolinus, Placentinus
29 Zum Einfluß der insbes. durch Cicero vermittelten aristotelischen Logik vgl. Coing l. c. p. 33 ss. 30 Pringsheim, Ius aequum und ius strictum, in SZRom 42 (1921), p. 643–668; ders., Römische aequitas der christlichen Kaiser, Atti Roma I, Rom 1935, p. 119–152; Coing, l. c. 31 Brugi, Storia n. s. (N. 8), p. 24 ss; ders., Metodo, p. 23 ss; Rashdall I, p. 234; Denifle p. 206. 32 Brugi, Storia n. s., p. 28 ss; ders. Metodo p. 25 s. 33 Brugi, Storia n. s., p. 26 s, p. 30–36; Metodo p. 26–28 Genzmer, iustinian. Kodifikation, p. 385 ss. Zur Frage, wieweit neben der alten Tradition des Trivium die zeitgenössische (scholastische) Philosophie von Einfluß war, meint Brugi, Metodo p. 27: ‚i glossatori ... parlano il linguaggio filosofico del loro tempo‘. Möglicherweise geht dieses generelle Urteil etwas zu weit. 34 Mit Recht wendet sich Brugi, Storia n. s. p. 32 s; Metodo p. 25, daher gegen die These, erst die französischen Legisten hätten die Anwendung der Dialektik (Logik) in der Jurisprudenz der Kommentatoren begründet.
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und Azo35. In der Glosse finden sich solche Zitate in größerer Zahl36, und auch in der kanonistischen Literatur lassen sie sich nachweisen37. – Bisweilen nimmt Baldus auf solche Stellen in der Glossatorenliteratur direkt Bezug. So referiert er z. B. im Institutionenkommentar die Lehre von den vier Kardinaltugenden nach Cicero, wobei [130] er dessen Werke unmittelbar zitiert38. Zugleich aber bezieht er sich auf die Glosse und auf Jacobus Butrigarius, und bei der näheren Erörterung der Tugend der prudentia fügt er ausdrücklich hinzu: ‚Quae verba scripsit idem Ja. But. in l.iustitia ff. eod. tit.‘39. Entsprechende Feststellungen lassen sich hinsichtlich der Verwendung philosophischer Begriffe und Sätze treffen. Brugi hat darauf hingewiesen, daß sich schon bei Irnerius philosophische Fachausdrücke wie genus-species, forma, contrarium, differentia, consequentia, argumentum und conclusio, z. T. mit entsprechenden Erläuterungen, finden40. Der Hinweis des Baldus auf den unterschiedlichen Gebrauch des Begriffspaares genus-species durch ‚dialectici‘ und ‚legistae‘41 findet sich schon in der Glosse42 ebenso wie Ausführungen des Johannes Bassianus zur aristotelischen Lehre vom Schluß43. Als besonders markante Beispiele für Abhängigkeiten des Baldus von der Tradition der Glossatoren seien die causa-Lehre und die Lehre von den Prädikamenten genannt. Söllner hat zuletzt darauf hingewiesen, daß den Glossatoren die traditionelle aristotelische Ursachenlehre in der von der mittelalterlichen Philosophie fortgebildeten Gestalt vertraut war44; in der Erörterung von Einzelfragen dieser Lehre verweist Baldus auf Azo und die Glosse45. – Azo behandelt auch die Lehre von den zehn Prädikamenten46. Baldus bezieht sich bei der Behandlung dieser Lehre einmal in seinem Dekretalenkommentar
35 Brugi, Storia n. s. p. 27; Metodo p. 27. Ich nenne ergänzend ein Aristoteleszitat des Azo, Summa Codicis, C 1 Ru. n. 8. 36 Brugi, l. c. p. 26; i. E. seien genannt: Gl. ‚Ius est ars‘ D 1.1.1. pr. mit Zitat des Porphyrius und zusätzlich zu den Nachweisen Brugis: gl. ‚mulier bona sua‘ D 23.3.73 mit einem Zitat der ciceronischen Topik. 37 Decretalenglosse ‚incommutabilis‘ X 1.1.1 mit Zitat des Boethius. Ausg.: Decretales una cum glossis, Lugduni 1584, col. 8. 38 Inst. 1.1. pr. n. 3–4; Baldus zitiert ‚sec. Tullium ii. Rhetoricae‘ und ‚secundum eundem in lib. de officiis‘. 39 Als weiteres Beispiel sei D 3.5.9.1 genannt, wo sich Baldus auf eine Erwähnung des Boethius durch die Glosse bezieht. 40 Metodo, p. 23 unter Bezugnahme auf Besta, Glosse inedite d’Irnerio al Digestum vetus, in: L’opera d’Irnerio, Turin 1896. 41 D 2.11.4.4. n. 4. 42 Gl. ‚huius studii‘ D 1.1.1 und gl. ‚servitut‘ D 50.16.25; dazu Brugi, Metodo p. 23. 43 Gl. ‚qui quod extremum‘ D 2.3.1; dazu Brugi, Storia n. s. p. 31 s. 44 Die causa im Kondiktionen- und Vertragsrecht des Mittelalters, SZRom 77 (1960) 183–188. 45 D 1.1. Ru. n. 1 und D 1.1. Ru. Rep. 46 Dazu Brugi, Storia n. s. p. 27 m. Nachw.
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auf Placentinus und Azo’s Summa Codicis47, ein andermal in seinem Codexkommentar auf den nachaccursischen Juristen Nicolaus Matarellus48, den er wohl durch seinen Lehrer Bartolus kannte49. Dabei leitet er seine Darlegungen über die [131] Prädikamentenlehre, die sich im Rahmen einer juristischen Untersuchung zur praesumptio finden, mit den Worten ein: Hanc materiam tradit Nic de Mat. Doc. copiosus et subtilis, in d 1. sive possidetis (= C 4.19.16). idcirco ut dicta antiquorum non supprimantur, ipsum referam de verbo ad verbum ... ; C 4.19.3 n. 2–3.
Die Stelle zeigt, daß Baldus ausdrücklich auf juristische Quellen seines philosophischen Wissens hinweist. Dies läßt sich auch sonst beobachten50. 3. Die philosophischen Kenntnisse des Baldus lassen sich demnach zu einem gewissen Teil aus einer bereits innerhalb der mittelalterlichen Jurisprudenz vorhandenen philosophischen Tradition erklären. Wir müssen uns sogar fragen, ob seine Kenntnisse überhaupt deutlich über dieses traditionelle Wissen früherer Juristen hinausgeht und ob Baldus selbst einen nennenswerten Beitrag zu dem Prozeß der Einbeziehung philosophischer Kenntnisse in die Jurisprudenz geleistet hat. Eine einigermaßen zuverlässige Antwort darauf verspricht die Prüfung der Einzelfrage, ob Baldus eine bessere und genauere Kenntnis des Aristoteles als frühere Juristen hatte. Unsere literaturstatistische Analyse hat gezeigt (oben II.1–2), daß Baldus in seinen Kommentaren den Aristoteles nicht nur häufig, nämlich mehr als alle anderen Philosophen zusammengenommen, zitiert, sondern daß eine große Zahl genauerer Zitate (44 von 103) auf nähere Kenntnisse der aristotelischen Schriften hindeuten. Bemerkenswert ist nun, daß unter den genaueren Zitaten die logischen Schriften des Aristoteles fast völlig fehlen51. Eifrig zitiert sind dagegen diejenigen Werke des Aristoteles, die erst im 13. Jahrhundert allgemein wieder bekannt wurden: Metaphysik, (Nikomachische) Ethik, De anima, Physik, Politik52. Die Geschichte der Aristotelesrezeption läßt es als unwahrscheinlich erscheinen, daß diese Schriften schon von
X 2.20.37 n. 37. Vgl. Savigny V, p. 430–433. 49 Dies zeigt ein Zitat in C 4.19.23 n. 4: ‚Nic. de Ma. et Bart. post eum‘. – Baldus zitiert den Nicolaus auch sonst häufig, z. B. C 3.36. 13. n. 11; C 4.1. Ru. n. 3; C 4.19.16 n. 14; nicht immer spricht er so respektvoll von ihm; so sagt er C 8 48.1 Rep. n. 29: ‚... in hac materia disputavit Nic. de Ma. Sed ego Dei gratia utiliora dixi, et sapidiora‘. 50 Für genus-species verweist Baldus D 2.11.4.4. n. 4 auf Dynus. 51 Vgl. oben II. 2 Übersicht B. 52 Vgl. zur Geschichte der Kenntnis dieser Schriften Grabmann, Aristotelesstudium im Mittelalter, p. 25 s; Ueberweg-Geyer II, p. 343–349; Étienne Gilson, La philosophie au moyen-âge, 2. Aufl. Paris 1962, p. 377 ss; A. Chollet, Aristotelisme de la scolastique, in DTHC I. 2, ed. A. Vacant, Paris 1931, col. 183–184; Grabmann, Aristotelismo (N. 17). 47 48
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Azo und Accursius benutzt wurden53; für die ältere Glossatorenliteratur ist dies ausgeschlossen. Aber auch die Kommentatoren [132] vor Baldus scheinen Aristoteles nicht eifrig benutzt zu haben54. Bei Cinus, einen von Baldus bevorzugt benutzten Autor, stellt Maffei keine bemerkenswerte Benutzung des Aristoteles fest55. Bartolus, der wichtigste Lehrer des Baldus, hat nach Woolfs Urteil den Aristoteles in seinen Schriften nur sehr selten zitiert56. In den Kommentaren des Baldus finden wir demnach eine viel häufigere und intensivere Verwendung der Schriften des Aristoteles als in der vorhergehenden legistischen und wohl auch der kanonistischen57 Literatur. All dies spricht dafür, daß Baldus seine Kenntnisse des Aristoteles im wesentlichen nicht aus der juristischen Literatur bezogen hat. Dem entspricht die Analyse seiner Zitate: wenn logische Grundkenntnisse behandelt werden, zitiert Baldus ungenau (ohne Angabe der logischen Schriften i. E.) oder gar nicht; wohl aber nennt er, wie gezeigt, Sekundärquellen, etwa Azo oder die Glosse. Wenn dagegen weitergehende philosophische Kenntnisse eingeführt werden, nennt Baldus keine juristischen Sekundärquellen, wohl aber zitiert er genau die entsprechenden philosophischen Werke des Aristoteles. Wir müssen daher annehmen, daß Baldus seine Kenntnisse des ‚neuen Aristoteles‘ nicht aus der philosophischen Tradition der Jurisprudenz gewonnen hat; er bringt sie vielmehr zu einem großen Teil neu in die Jurisprudenz ein58. Als Grundlage seiner Kenntnisse müssen wir neben den üblichen propädeutischen Studien aus verschiedenen Gründen auch spätere eigene Studien annehmen. Einmal sind bei der möglicherweise frühen Aufnahme der [133]
53 Brugi, Storia n. s., p. 26 s. Brugi hält daher mit guten Gründen ein Zitat der aristotelischen Physik in der Glosse, das sich in der ältesten Glossenausgabe nicht findet, für unecht. 54 In diesem Punkt fehlen mir eigene systematische Studien. 55 Domenico Maffei, La ‚lectura super Digesto Veteri‘ di Cino da Pistoia, Mailand 1963 p. 34 N. 98: Aristoteles fehlt in der (unbelegten) Aufzählung der von C. zitierten nichtjur. Autoren. Vgl. auch Luigi Chiapelli, Cino da Pistoia, 1911, p. 92 s. 56 Woolf, op. cit. (III N. 66) p. 384 ss; Woolf kann nur zwei Aristoteleszitate bei Bartolus angeben; p. 385 N. 3. Freilich ist zu berücksichtigen, daß W. diesen Punkt nicht systematisch untersucht, sondern nur aus seiner allgemeinen, freilich guten Textkenntnis urteilt. Er erwähnt z. B. nicht ein genaues Zitat von Eth. Nik. im Tractatus de testimoniis, zit. bei Mortari, Problema dell’interpretatio, p. 10 N. 50. – Gleichwohl bleibt das Verhältnis zu den zahlreichen bei Baldus nachgewiesenen Aristoteleszitaten beachtlich. Vgl. zu Bartolus auch Lange, Schadensersatz p. 163. 57 In die Kanonistik dringen aristotelisch-thomistische Lehren, die meist die allg. Rechtslehren betreffen (iustitia, ius naturale etc.) im 13. und 14. Jhd. zögernd ein; vgl. Charles Lefebvre, L’âge classique, in: G. Le Bras, Histoire VII, Paris 1965, p. 268, 363, 392, 410, 430, 463. 58 Woolf l. c. urteilt wohl zu pauschal; umgekehrt wird oft zu undifferenziert allgemeine Kenntnis des Aristoteles bei den Kommentatoren vorausgesetzt. Baldus hat wahrscheinlich trotz einzelner Kenntnisse seiner Vorgänger (s. N. 56) an Breite und Intensität der Aristoteleskenntnis kein Vorbild.
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Rechtsstudien durch Baldus59 eindringendere philosophische Studien an der Artistenfakultät unwahrscheinlich; seine zahlreichen und genauen Zitate können auch nicht als Reminiszenzen bloßen Schulwissens angesehen werden. Außerdem ist ungewiß, ob die Artistenfakultät überhaupt die Möglichkeit tiefergehender philosophischer Studien bot; denn sie pflegte zwar im Grundsatz den ganzen Aristoteles, aber gründliche Philosophiestudien wurden mehr ins theologische Fachstudium verlagert60. – Gegenstand der eigenen Studien des Baldus könnten einmal die ins Lateinische übersetzten Texte des Aristoteles (Aristoteles latinus) gewesen sein61, andererseits aber auch Sekundärliteratur zu Aristoteles. Diese ist im 13. und 14. Jahrhundert in reichem Maß vorhanden; Grabmann hat die verschiedenen Literaturgattungen, Compendia, Quaestiones, Tabulae, die Zusammenstellung von Flores und Auctoritates eingehend beschrieben62. Solche Werke ermöglichten auch z. T. ein genaues Zitieren. Die Genauigkeit der Zitate läßt also allein keine Rückschlüsse auf die von Baldus verwendeten Vorlagen zu. Aber auch die Art der Verwendung der Zitate gibt uns keine sicheren Anhaltspunkte. Denn wir finden einerseits Wiederholungen der gleichen Zitate, was für die Benutzung von Exzerptenliteratur und Zitatsammlungen (Tabulae, Flores etc.) spricht63; andererseits sind die gleichen Werke bisweilen auch unter verschiedenen Gesichtspunkten und mit verschiedenen Textstellen zitiert, was eher für die Kenntnis zusammenhängender Stücke des zitierten Textes spricht64. [134] Die Frage, ob Baldus die Texte des Aristoteles latinus oder Sekundärliteratur zu Aristoteles benutzt hat, läßt sich also nicht sicher entscheiden. Wir müssen uns auf die Feststellung beschränken, daß Baldus einerseits, wie seine Zitate 59 Der zeitliche Umfang der propädeutischen Studien des Baldus hängt von seinem noch immer umstrittenen Geburtsjahr ab. Nimmt man das Jahr 1327 an, – so Savigny VI p. 512, zustimmend Icilio Tarducci in: L’opera di Baldo, Perugia 1901, p. 458 N. 17 – so ist wegen der Aufnahme der Rechtsstudien im 14. Lebensjahr (Savigny VI p. 214 N. g) wenig Raum für vorhergehende philosophische Studien. Anders, wenn man 1319 oder 1320 als Geburtsjahr ansetzt; so namentlich Oscar Scalvanti in: L’opera di Baldo, p. 181 ss (188); Chevrier, DDC II col. 39; Maria A. Benedetti, Baldo degli Ubaldi, Nov. Dig. Ital. II, Turin 1957 p. 204. 60 So allg. Ueberweg-Geyer ii, p. 353. In Perugia, wo Baldus zumindest einen Teil seiner Studien absolvierte (Savigny VI p. 214 N. g), waren an sich in dieser Zeit die Bedingungen für ein Studium der artes nicht ungünstig; Denifle, p. 542–44. Einzelheiten über das Niveau philosophischer Studien dieser Zeit in Perugia lassen sich aber nicht sicher ermitteln; vgl. Giuseppe Ermini, Storia della università di Perugia, Bologna 1947, p. 144 ss, 160 s. 61 Dazu die N. 52 nachgewiesene Lit. Vgl. auch oben N. 18. 62 Aristotelesstudium im Mittelalter, passim. 63 z. B. ‚ii de anima. ibi naturalissimum‘, sowohl in D 1.1.1.2 n. 3 wie in D 1.1.1.3 Add zitiert; vgl. auch die wörtl. Zitate von ‚xii Metaphysicae. in fi.‘, die sich Proem. C 1 n. 31 und X 1.30.4 n. 1 finden. 64 Vgl. etwa die i. F. (N. 66–68) nachgewiesenen Zitate aus Eth. Nik. I sowie die sachlich verschiedenen Zitate von De anima II in C 2.9.2 n. 7; C 6.46.5 n. 10; C 9.2.3 n. 4.
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zeigen, gute Einzelkenntnisse der aristotelischen Texte hatte, andererseits aber seine Kenntnisse wohl nicht auf tiefdringenden und systematischen Textstudien beruhten. Zur Verdeutlichung sei die Nikomachische Ethik genannt. Baldus zitiert wichtige Gedanken und bekannte Wendungen aus dieser Schrift, etwa den berühmten Lobpreis der Gerechtigkeit (V.1)65, die Polemik gegen die platonische Ideenlehre (I.6)66 und den Gedanken, daß ein Erkenntnisverfahren seinem Gegenstand angepaßt sein müsse (I.1)67; er verwendet ferner einzelne Bemerkungen wie diejenige, daß die Ehre mehr in der Verfügung des Ehrenden als des Geehrten stehe (I.5)68. Andererseits findet sich bei Baldus kein Zitat der klassischen Darstellung der Epikie (‚aequitas‘) in Eth.Nik. V.10, obwohl Baldus in der theoretischen Erfassung der aequitas bemerkenswerte Fortschritte macht und zu Ergebnissen kommt, die der aristotelischen Lehre entsprechen und wahrscheinlich mittelbar von ihr beeinflußt sind69. 4. Zusammenfassend läßt sich folgendes über den philosophischen Bildungsweg des Baldus sagen: bei seinen Vorstudien in der Schule bzw. an der Artistenfakultät wurde Baldus mit den Schulautoren des Trivium wie Cicero und Boethius, aber auch mit dem ‚neuen Aristoteles‘ bekannt. Er konnte hier besonders Kenntnisse der Logik einschließlich der ‚Logica nova‘ erwerben. Bei seinen Rechtsstudien und später bei seiner rechtswissenschaftlichen Arbeit traf er auf eine vorwiegend aus den artes gespeiste, weit zurückreichende philosophische Tradition innerhalb der Jurisprudenz, die sich wiederum hauptsächlich auf die Logik bezog und die Baldus überall, wo er sie fand, mit Interesse aufgriff. Zugleich aber trieb Baldus weitere Aristotelesstudien, sei es der übersetzten Originaltexte, sei es der Sekundärliteratur zu Aristoteles. Seine Kenntisse sind noch lückenhaft, reichen aber hin, daß er in einem bis dahin nicht üblichen Ausmaß Gedanken und Zitate des ‚neuen Aristoteles‘ in die juristische Literatur einführte. [135]
V. Das Hauptinteresse des Rechtshistorikers wird sich nun auf die Frage richten, in welcher Weise Baldus seine philosophischen Kenntnisse juristisch verwertet und welche konkreten Auswirkungen die Philosophie in der Jurisprudenz möglicherweise hat. Zu dieser schwierigen und vielschichtigen Frage sollen abschließend einige Teilantworten vorgelegt werden. D 1.1.1. pr. Add. X 1.1.1. n. 5; wörtl. zit. oben III, 3. 67 C 3.33.14 n. 4; ähnlich wohl in C 6.24.14 n. 52. 68 D 17.1.6; Baldus gibt hier nur ‚i. lib. ethi. circa fi.‘ an, bezeichnet also nicht das Kapitel (= 5). 69 Hauptstelle: D 1.1.1. pr. n. 5; dazu demnächst Horn op. cit. § 5. 65 66
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1. Zunächst ist die Art und Weise, in der Baldus philosophische Kenntnisse und Zitate im Rahmen juristischer Erörterungen verwendet, zu betrachten. a) Baldus will das Gesetz allgemein mit dem Auge des philosophisch, insbesondere logisch geschulten Juristen sehen; denn wenn die Philosophie die allgemeinen Gesetze menschlichen Denkens und Erkennens aufzeigt, dann liefert sie auch die allgemeinen Grundlagen juristischen Denkens1. Juristische Probleme können daher bisweilen auf allgemeine philosophische Probleme reduziert werden. Bezeichnend dafür ist die Bemerkung des Baldus in der Kommentierung von D 18.1.72. pr., wo spätere Vertragsänderungen von bloßen späteren Nebenabreden unterschieden werden. Baldus wendet hier die Unterscheidung essentialia-naturalia-accidentalia contractus an2 und löst damit u. a. Fragen der Formerfordernisse; er schließt mit den Worten: unde subtilitas istius legis consistit a principiis philosophicis3.
Häufig sind auch Bemerkungen, in denen die Übereinstimmung juristischer Gedankengänge mit der Philosophie festgestellt wird; wir finden Wendungen wie ‚concor. Aristo. secundo de anima ...‘4, ‚concordat regula Philosophi dicentis ...‘5 und ‚sicut philosophi dicunt‘6. – Wie erwähnt, werden juristische Begriffe bisweilen auch in ihrer allgemeinen, philosophischen Bedeutung gewürdigt7. b) Die philosophischen Autoritäten, insbesondere Aristoteles, werden von Baldus nicht nur theoretisch anerkannt, wie wir dies auch bei früheren [136] Juristen antreffen8, sondern wir finden sie öfters im Rahmen juristischer Erörterungen mit den maßgeblichen juristischen Autoritäten, also etwa einer lex oder einer Meinung der Glosse, formal gleichgestellt. Dies zeigt sich einmal in Parallelzitierungen. Baldus erörtert z. B. zu C 6.24.14 die bei Erbeinsetzungen zulässige Ausdrucksweise, wobei er n. 49 ss. auf die ‚locutio propria‘ und die ‚locutio impropria‘ zu sprechen kommt. Er zitiert dabei (l.c. n. 52) gleichberechtigt Aristoteles und die Institutionen:
Dazu oben I. 2. Dazu i. F. V. 2c (N. 57) 3 Diese Kommentierung von D 18.1.72 pr. (pacta conventa) ist in der von mir benutzten Ausgabe (vgl. Einl. N. 11) innerhalb der Kommentierung von D 18.1.72.1. mit dem Hinweis abgedruckt, daß es sich um eine frühere Vorlesung handelt. 4 D 1.1.1.2. n. 3. 5 C 7.45.2 n. 9. 6 C 6.15.5 n. 6. 7 Vgl. oben III. 4 (N. 61). 8 z. B. bei Bartolus; vgl. oben I. 2 (N. 23). 1 2
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... vero propria locutio est aperte loqui, secundum propriam et subiectam materiam. Nam oportet rebus de quibus loquimur, cognitos, familiares et consonantes esse sermones. primo Ethicorum. et Insti. de don. § est et aliud9.
Die Beispiele lassen sich vermehren10. – Interessanter noch sind Texte, in denen Baldus Kontroversen zwischen der Glosse und Aristoteles erörtert. Solche Texte sind freilich nicht sehr häufig, und wir können auch nicht beobachten, daß die Meinung der Glosse mit Hilfe eines Aristoteleszitates völlig verworfen wird. In der Kommentierung zu D 17.1.16 z. B. ist vielmehr das Gegenteil festzustellen. Diese lex spricht von einem ‚honor‘, das dem Mandatar gewährt wird. Die Glosse ‚honor‘ l.c. versucht die angesichts der Unentgeltlichkeit des Mandats etwas schwierige Erklärung der Rechtsgrundlage des ‚honor‘. Accursius fügt seiner Deutung als ‚donatio vel remuneratio aliqua‘ hinzu: ‚... ideo sic dicta quia honor est ei cui datur‘. Baldus stellt dem die angeblich abweichende Meinung des Aristoteles gegenüber, indem er auf Eth.Nik. I verweist. Dort ist in der Tat in Kap. 5 bei einer allgemeinen Betrachtung menschlicher Güter gesagt, die Ehre sei mehr in der Verfügung des Ehrenden als in der Verfügung des Geehrten und damit von zweifelhaftem Wert: no. ex ista gl. quod honor est eius cui fit honor. Arist. tamen voluit contrarium, dicens, quod honor est illius qui facit honorem.j. lib. ethi. circa fi. Sed dic quod ista gl. hoc non dicit ... unde non sequitur quod sit magis facientis honorem. [137]
Hier bleibt also Baldus im Ergebnis ohne weiteres bei der Meinung der Glosse; immerhin ist festzuhalten, daß er die Aristotelesstelle als ernsthaften juristischen Einwand behandelt. – Im Codexkommentar wird eine solche Kontroverse, die Auslegungsfragen des Dos-Versprechens betrifft, ausführlicher behandelt: ... pone, quod ... dicit uxor viro, ego trado vel committo me et mea tibi, utrum intelligatur omnia bona in dotem dedisse? Arist. in Topicis determinavit quod sic, sed gl. videtur sentire contrarium, ff ... (= D 23.3.72); C 5.12.4 n. 6.
Im Folgenden schlägt sich Baldus nicht kurzerhand auf die Seite der Glosse, sondern bietet eine differenzierende Lösung, die der Meinung des Aristoteles Rechnung trägt11.
9 = Inst. 2.7.3; dort ist u. a. die richtige Bezeichnung der ‚donationes propter nuptias‘ geregelt; das Aristoteleszitat bezieht sich wohl auf Eth. Nik. I. 3. 10 Vgl. D 1.3.32: ‚Teste Labeone ac Boetio ...‘; vgl. auch C 6.35.11 n. 1. In D 1.14.3 wird die Meinung der Glosse (gemeint sind wohl gl. ‚servo‘ und ‚effecisset‘ D 1.14.3) von Baldus durch Hinweis auf Boethius unterstützt. 11 l. c.; –es zweifelhaft, ob das Aristoteleszitat l. c. auf Textkenntnis beruht, denn die Glosse ‚mulier bona sua‘ D 23.3.72 erwähnt die Gegenmeinung als aus der Topik des Cicero stammend.
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c) Baldus hält jedoch trotz bereitwilliger Heranziehung philosophischer Erkenntnisse und Autoritäten an der Abgrenzung der Jurisprudenz von den anderen Wissenschaften und an der Eigenständigkeit der juristischen Methode fest. Ähnliches ist bereits für die Glossatoren festgestellt worden12. – Wir finden bei Baldus etwa Hinweise auf die Abgrenzung der Jurisprudenz gegenüber anderen Wissenschaften. Baldus kommt z. B. bei Beweisfragen auf die verschiedenen Arten der Sinneswahrnehmung, u. a. den Geruchssinn zu sprechen; er bemerkt dazu: ... Qualiter autem causentur sapores, non pertinet ad Legislatores inquisitio, sed ad Physicos ... ; C 9.1.9 n. 13.
Beiläufig spricht er ein andermal von den Schutzengeln; er zitiert dazu Thomas v. Aquin, fügt aber sogleich hinzu: Sed hoc Theologis relinquitur; C 6.43.3 n. 1.
Wichtiger sind in diesem Zusammenhang die Texte, in denen Baldus die methodische Eigenständigkeit der Jurisprudenz hervorhebt, indem er die Denkweise der ‚legistae‘ von derjenigen der ‚grammatici‘, ‚dialectici‘ und ‚artistae seu philosophi‘ unterscheidet. Auf derartige Unterschiede, die sich teils aus eingebürgerten juristischen Fachausdrücken, teils aus sachlichen Notwendigkeiten juristischer Probleme erge- [138] ben, haben schon die Glossatoren hingewiesen13. Baldus unterscheidet z. B. die grammatische und die juristische Bedeutung von ‚meus‘ und ‚tuus‘14 und weist auf die Unterschiede im philosophischen und juristischen Sprachgebrauch von genus-species hin15. Bisweilen wird die Auffassung erkennbar, daß die Rationalität der Jurisprudenz nicht schlechthin mit derjenigen der Schullogik gleichzusetzen sei: die ‚vera philosophia legalis‘ ist mehr als nur ‚philosophia dialectica‘. So lesen wir in der Kommentierung zu C 8.37.13 n.5: Ibi, paulominus16. no. de paulo minore impletione in factum non curandum. Istae leges fuerunt verae philosophiae legalis, non dialecticae.
Brugi, Metodo p. 31; Lange, Schadensersatz p. 165. Gl. ‚huius studii‘ D 1.1.1 und gl. ‚servitut.‘ D 50.16.25; dazu Brugi, Metodo p. 23. Es handelt sich um den unterschiedlichen Gebrauch von ‚genus-species‘ durch Juristen und Philosophen. 14 D 1.2.2.: ‚Grammatici dicunt quod meus et tuus sunt pronomina possessiva. legiste dicunt quod sunt proprietatis denotativa ...‘. 15 D 2.11.4.4 n. 4; zur Tradition dieser Frage s. N. 13. 16 d. h. C 8.37.13.2: ‚Et quare, cum paene similis omnium natura est, non et facta omnes vel plus vel paulo minus adimplere possint, ne ex huiusmodi subtilitate cadant hominum voluntates‘, betr. Vererblichkeit von stipulationes in factum conceptae und ihre Erfüllbarkeit durch Dritte (Erben). 12 13
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Am deutlichsten tritt diese Unterscheidung von juristischem und formallogischem Denken bei der Behandlung der häufig diskutierten Frage hervor, ob ein direkter Negativbeweis möglich sei. Baldus führt dazu aus, ‚... apud artistas, seu philosophos‘ sei ein solcher Beweis nach den Sätzen der Logik nicht möglich; der Jurist könne sich jedoch in diesen Fällen an eine zwingende Evidenz halten17. An anderer Stelle greift Baldus in der gleichen Frage ‚quosdam Moderniores subtilizantes‘ scharf an, die mit formallogischen Argumenten die juristische Möglichkeit eines Negativbeweises zu Unrecht ablehnten: ... quod est negativa probatio intuitive cognitiva non per rationem sillogizandi, quae fit per medium. unde hanc notitiam habet asinus, sicut homo, quod mons parvus non sit magnus, et tamen asinus non sillogizat, nec scit istam Dialecticam. et ideo more Legistarum dicatis, quod sunt negativae directe probabiles ... ; C 4.19.23. n. 9.
Er untermauert seine These mit allgemeinen erkenntnistheoretischen Erwägungen, beschränkt sich also l. c. keineswegs auf das polemische Argument mit dem ‚asinus‘18. Baldus lehnt also keineswegs eine phi- [139] losophisch fundierte Betrachtung des juristischen Problems ab. Aber der Text zeigt auch deutlich, daß Baldus den Fehler vermeidet, den v. Savigny als größte methodische Schwäche der Kommentatoren gerügt hat, nämlich die unbesehene und oberflächliche Übernahme dialektischer Denkformen19. d) Schwierigkeiten bereitet die Frage, welches Gewicht philosophische Zitate in der juristischen Argumentation besitzen, ob sie eher als äußerer Bildungszierat dienen20 oder als echte juristische Argumente sachlich wirksam werden, wobei die mittelbaren Einflüsse philosophischer Kenntnisse, etwa auf die juristische Methode, hier außer Betracht bleiben. Zweifellos gibt es eine Reihe von Texten, in denen das philosophische Zitat unmittelbar als juristisches Argument dient. Aus der Fülle der bereits betrachteten Texte seien nur einige Beispiele genannt: der Satz ‚unus ergo princeps‘ aus Metaphys. XII wird auf den Kaiser angewendet21, die Nikomachische Ethik zur Frage der Strafmilderung bei Rauschtaten herangezogen22, C 2.9.2 n. 7 unter Hinweis auf Cinus. l. c. n. 7 und 8: ‚ingenium hominis est ita connexum sensui immediate objecto, quod non potest intelligere unum, nec scire sine altero: et ideo ista dicitur probatio directa, quia oculus hominis dirigit se in veritatem ... unde a sensibili limitato inducitur limitata notitia, quod ultra limites nihil est ...‘ (es folgt der oben zit. Text). 19 Vgl. oben Einl. N. 6. – Die kritischen Bemerkungen des Baldus über die Dialektik waren vielleicht auch durch das kanonische Recht angeregt. Denn das Dekret äußert sich ablehnend gegenüber der ‚dialectica‘ und ‚secularis sapientia‘; Decretum Dist. 37 c 3, 4 und 6. Natürlich wurde dieser auch innerhalb der Kanonistik inzwischen bildungsgeschichtlich überholte Standpunkt von Baldus nicht voll geteilt. 20 Auf dieses Kriterium weist mit Recht Lange, Schadensersatz p. 169 hin. 21 Vgl. oben III. 5 (N. 68). 22 Vgl. oben III. 5 (N. 71). 17 18
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und wir haben gesehen (oben b), daß philosophische Autoren bisweilen wie juristische Autoritäten behandelt werden. Aber wir müssen uns fragen, ob nicht gleichwohl für die Mehrzahl der Fälle das philosophische Zitat ‚Ornament, nicht Fundament‘ (Grabmann) der Gedankenführung ist. Ein Urteil läßt sich am besten aus der Analyse solcher Stellen gewinnen, in denen das philosophische Zitat auf den ersten Blick als bloße Ausschmückung erscheint. Zunächst zwei Beispiele. Am Anfang seines Digestenkommentars zitiert Baldus den berühmten Lobpreis der Gerechtigkeit aus Eth.Nik. V.1: iustitia praeclarissima, neque Hesperus nec Lucifer ita admirabilis.v.ethi.; D 1.1.1. pr. Add. [140]
Im Dekretalenkommentar erörtert Baldus im Anschluß an die Unterscheidung von Person und Amt den Unterschied von ‚nomen appellativum‘ und ‚nomen proprium‘. Als Beispiel für letzteren wird der Phoenix genannt. Dieses einzigartige Fabelwesen zeichnet sich nach Baldus dadurch aus, daß bei ihm ausnahmsweise genus und individuum zusammenfallen. Baldus spinnt seinen Faden anschließend mit einigen Zitaten über den Phönix weiter: Est autem phenix avis unica singularissima in qua totum genus servatur in individuo. et dicit Seneca quod bis vix in quingentesimo anno nascitur. Sie enim inquit bonus vir vix in quingentesimo anno nascitur sicut phenix. et nascitur in Arabia ut ait Albertus in suo opere de proprietatibus rerum lib. xij. c.xv; X 1.29.14 n. 2.
In beiden Texten (D 1.1.1. pr. Add und X 1.29.14 n. 2) werden aus den zitierten außerjuristischen Quellen (Aristoteles, Seneca, Albertus) keine konkreten juristischen Folgerungen gezogen. In beiden Fällen erscheinen diese Quellen dem modernen Betrachter als reine Ausschmückung. Wir müssen freilich bedenken, daß Baldus selbst wahrscheinlich unterschiedlich geurteilt hätte: die Bemerkungen über den Vogel Phoenix hätte er sicherlich selbst als bloße unterhaltsame und gelehrsame Ausschmückung, jedenfalls als obiter dicta betrachtet. Anders den Lobpreis der Gerechtigkeit aus der Nikomachischen Ethik. Dieses Zitat war in seinen Augen sicherlich kein bloßes Ornament, keine Zutat, sondern ein ernsthafter autoritativer Beleg für seine grundsätzliche Auffassung vom Vorrang ethischer Gesichtspunkte im Recht. Die Antwort auf die Frage, ob die rein ornamentale Verwendung überwiegt, hängt also z. T. von dem gewählten Blickpunkt ab. Wir wollen nun noch eine Reihe von Zitaten betrachten, die bei Baldus als Standardzitate auftauchen und entweder im Unterricht der artes oder durch entsprechende Zitatsammlungen vermittelt sein mögen:
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... una hyrundo non facit ver ... ; D 1.3.2 Add n.123. dicit Aristo. nocte vagat adulter; D 8.4.14. Nam ut ait Arist. consuetudo est altera natura; D 3.1.1.6. dicit Aristoteles quod nummus est fideiussor future necessitatis24; [141] ... ut ait Aristoteles, qui parum transgreditur, non vituperatur ... 25; ut ait boetius, voces sunt note earum que in anima sunt passionum ...26; Aristoteles dicit, quod quaerere rationem, ubi habemus sensum, nihil aliud est quam infirmitas intellectus27.
Alle Zitate enthalten Sprichwörter und Redensarten; mit Philosophie haben in unseren Augen allenfalls die beiden letztgenannten zu tun. Die Zitate sind wie geschaffen für eine im Grunde unverbindliche Illustration. Gleichwohl läßt sich keines der Zitate mit dem oben betrachteten Exkurs über den Vogel Phoenix gleichstellen. Zunächst ist allen Zitaten gemeinsam, daß sie für Baldus als philosophische Zitate gelten28. Zweitens werden alle Zitate innerhalb einer juristischen Gedankenführung verwendet, wenngleich mit unterschiedlichem Gewicht. Nur bildhafter Erläuterung etwa dient ‚nummus est fideiussor ...‘, und zwar im Rahmen einer allgemeinen Erörterung der juristischen Besonderheiten des Geldes29. Der Spruch von der Schwalbe illustriert den Satz ‚unus casus non facit legem‘. Andere Zitate haben größeres Gewicht. Der Satz ‚voces sunt note ...‘ wird etwa zu Beleg des wichtigen Grundsatzes angeführt, daß der verborgene, nicht ausgedrückte Wille in der Auslegung eindeutiger Erklärungen nicht berücksichtigt werden kann30; der Satz ‚qui parum transgreditur ...‘ wird von Baldus als Argument dafür erwogen, daß die Folgen der laesio enormis nicht eintreten sollten, wenn nur eine Münze weniger als die Hälfte des wahren Preises bezahlt worden ist31. – Andere Sätze stehen gar für eine volle juristische Begründung: ‚nocte vagat adulter‘, genommen als bildhafter Hinweis auf die mit der Nachtzeit verbundenen Gefahren, reicht hin, die Ausübung einer Wegeservitut zur Nachtzeit
23 Zitat aus Eth. Nik. I. 7; in der Ausgabe des Aristoteles latinus Venetiis 1562/74 heißt es: ‚ver nam neque una hirundo, neque unus dies facit‘. 24 D 3.5.12; ähnl. D 12.1.15. 25 X 1.3.42. n. 4; ähnl. C 4.44.2 n. 38. 26 D 2.14.7.8 n. 2; C 9.1.9 n. 13; D 1.3.32 n. 41. 27 C 4.20.18; ähnl. C 4.19.23 n. 5. Den gleichen Ausspruch schreibt Baldus in C 7.53.8 n. 48 dem Aristoteleskommentator Averroes zu. 28 Für das erste Zitat von der Schwalbe ist dies nicht ausdrücklich gesagt; es stammt aus Eth. Nik. (s. N. 23); das vorletzte Zitat stammt nicht von Boethius, sondern aus dessen Übersetzung der aristotelischen Schrift Perihermenias (de interpretatione), und zwar Kap. 1 (Bekker 16 a 1). 29 D 12.1.15. 30 D 2.14.7.8 n. 2. 31 C 4.44.2 n. 38.
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als unzulässig zu bezeichnen32. Das Zitat ‚consuetudo est altera natura‘ taucht bei [142] einem aktuellen Rechtsproblem auf: es gibt die Begründung dafür ab, daß Repressalien gegen eine fremde Stadt nicht gegen diejenigen langjährigen Bewohner der eigenen Stadt angewendet werden dürfen, die aus jener fremden Stadt stammen: ... et est ar(gumentum) ad represalias concessas perusinis contra florentinos quod non trahatur contra florentinos hic habitare consuetos et habitantes ... ; D 3.1.1.6.
Zusammenfassend läßt sich also sagen: eine große Anzahl von philosophischen Zitaten erscheint zunächst rein ornamental verwendet; wir müssen in Wirklichkeit jedoch mehrere Verwendungszwecke unterscheiden. Zweifellos dienen die Zitate einmal der Illustration und entsprechen dem zeitgemäßen Bedürfnis nach bildhafter Darstellung, vor allem aber Unterrichtsbedürfnissen. Auf diese Weise erklärt sich wohl auch ein großer Teil der weiter oben (II.3) erwähnten Bibelzitate. Wichtig ist jedoch, daß Gegenstand dieser Illustrationen rationale Überlegungen sind, wie sie sich bei einer rational betriebenen juristischen Erörterung einstellen33; diese Überlegungen erweisen sich sogar z. T. als durchschlagende Argumente, wie die beiden letzten Beispiele gezeigt haben. Das philosophische Zitat verleiht diesen Überlegungen sinnfälligen Ausdruck, zugleich aber auch die in der juristischen Erörterung erforderliche Autorität. Gerade die auf den ersten Blick rein ornamentalen Zitate zeigen damit eine wichtige Aufgabe philosophischer Autoren in der Jurisprudenz: sie sind geeignet, rationale Überlegungen, die an den Gesetzestext herangetragen werden und sich nicht durch eine legistische Allegation abstützen lassen, zu legitimieren. Nur zum geringeren Teil dienen sie reinen Schulzwecken. 2. Der Einfluß der Philosophie auf die Jurisprudenz entfaltet sich in vier Richtungen, die im Folgenden wenigstens andeutungsweise zu kennzeichnen sind: allgemeine Rechtslehren, Methode, Dogmatik und Beweisfragen. a) Die theoretischen Leistungen auf dem Gebiet der allgemeinen Rechtslehren sind ohne philosophische Grundlage nicht vorstellbar. Einmal werden hier philosophische Termini und Denkformen verwendet, so z. B. materia-forma und actus-potentia zur Erläuterung des Gegen- [143] standes der Rechtswissenschaft und des Verhältnisses von ius und factum34, causaleformale zur Klärung des Verhältnisses von iustitia und vorpositivem und positivem Recht35. – Weiterhin werden wichtige Lehrstücke der Ethik her D 8.4.14. Dies gilt selbst für den wohl reinen Unterrichtszwecken dienenden Exkurs über den Phönix; er verdeutlicht die Unterscheidung von genus und individuum, die wiederum für juristische Überlegungen wichtig ist. 34 Proem. vor D 1. Add; teilw. oben zitiert III. 3 (N. 47 u. 48). 35 D 1.1.1. pr. n. 4; dazu demnächst Horn op. cit. § 2.2. 32 33
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angezogen, etwa die traditionelle, in der Scholastik aktualisierte Lehre von den Kardinaltugenden für die Theorie der iustitia36. Die praktische Auswirkung dieser allgemeinen Lehren, die sich in wesentlichen Zügen schon bei den Glossatoren finden, ist schwer abzuschätzen. Sie sind wahrscheinlich in einer schrittweise selbständiger werdenden Haltung gegenüber den Quellen und bei Baldus in einer größeren Wirksamkeit ethischer Argumentation in der Jurisprudenz zu sehen37. Wichtigster Teil der allgemeinen Rechtslehren ist die Rechtsmethodologie. Hier zeigt sich ebenfalls ein – meist weit zurückreichender – Einfluß der Philosophie. Dies gilt einmal für die Interpretationslehren, die in den Quellen überliefert sind und lediglich in Einzelpunkten mit Hilfe der Schulphilosophie theoretisch verfeinert werden; so erläutert Baldus etwa im Hinblick auf den Analogieschluß die Begriffe ‚similitudo‘ und ‚differentia‘38. Die übrigen methodologischen Lehren sind noch augenfälliger von der Philosophie bestimmt, so etwa die allgemeinen wissenschaftstheoretischen Betrachtungen unter Verwendung der Begriffe ‚principium-consequens‘, ‚principium-finis‘ u. a.39, die Hervorhebung der Bedeutung der ‚definitio‘ für die juristische Methode40, insbesondere aber die aus der aristotelisch-ciceronischen Topik stammende, von Baldus ausführlich dargestellte allgemeine juristische Argumentationslehre41. b) Methodologie und tatsächlich praktizierte Methode sind zweierlei. Eine eingehende methodenkritische Analyse über den Einfluß der Philosophie auf die Jurisprudenz kann hier nicht vorgelegt werden42. Es besteht wohl heute weitgehend Einigkeit darüber, daß zumindest die formale Schulung der Juristen in der durch das Trivium übermittelten [144] Dialektik maßgeblich zur Herausbildung der von der mittelalterlichen Jurisprudenz angewandten Verfahren beigetragen hat43 und daß sich in dieser Hinsicht zwischen Glossatoren und Kommentatoren kaum eine scharfe Trennungslinie ziehen läßt44. Die Dialektik ermöglichte die begriffliche Arbeit der Juristen und stellte für die Distinktion der Begriffe eine große Zahl von logischen Denkformen zur Verfügung, die wir bei Baldus in besonders reichem Maß wiedergefunden
Dazu oben III. 4. Zur Argumentation mit der aequitas bei Baldus Horn op. cit. 38 X 1.3.4 n. 10; dazu oben III. 1. 39 D 1.1.1. pr. vor n. 1 und n. 1; D 4.4.38 Rep. n. 11; C 6.20. Ru n. 12; dazu oben III. 1. 40 D 7.1.1; dazu oben III. 1. 41 Vgl. oben III. 1 (zu N. 31). 42 Diese müßte auch überprüfen, wieweit sich für einzelne methodologische Sätze eine entsprechende Praxis nachweisen läßt. 43 Vgl. die oben Einl. N. 8–10 zit. Lit. 44 Brugi, Storia n. s., p. 24 ss; Lange, Schadensersatz p. 158, 169. 36 37
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haben45. Hinzu tritt bei Baldus eine eifrige Verwendung von bestimmten philosophischen Einzelsätzen als materialen juristischen Argumenten46. Als bekannte Beispiele philosophischer Denkformen, die in der Jurisprudenz Verwendung fanden, sei die Unterscheidung ‚substantialis-accidentalis‘ und die causa-Lehre genannt47. Das erste Begriffspaar verwendet Baldus etwa – um ein beliebiges Beispiel herauszugreifen – zur Unterscheidung zwischen ‚forma substantialis‘ und ‚forma accidentalis‘ bei der Untersuchung der Wirkung von Formverstößen48. Die causa-Lehre lieferte in der Unterscheidung der vier causae (materialis, formalis, efficiens, finalis) zunächst ein – im Mittelalter wohl allgemein beliebtes – Darstellungsschema, das wir bei Baldus u. a. bei der Darstellung allgemeiner Lehren im Digestenkommentar wiederfinden49. c) Von der methodischen Verwendung solcher Denkformen bis zur Entwicklung neuer dogmatischer Ergebnisse ist nur ein Schritt. Baldus wendet etwa bei den verschiedensten juristischen Problemen das erwähnte causaSchema zunächst zum Zweck der Distinktion an; so behandelt er die vier ‚causae iudiciorum‘50, die vier causae ‚dissolvendi iurisdictionem‘51, die vier causae der consuetudo52. War ein juristisches Problem erst einmal in diesem Schema erfaßt, so konnte mit den Sätzen der causa-Lehre operiert werden. Von besonderer Bedeutung [145] war dabei der Satz ‚cessante causa cessat effectus‘53, den wir bisweilen bei Baldus gleich in einer juristischen Umformung finden: ‚cessante causa cessat privilegium‘54. Krause hat die Bedeutung dieses Satzes für die mittelalterliche Rechtsquellenlehre untersucht55, Söllner die Auswirkungen im Vertrags- und Kondiktionsrecht des Mittelalters56. – Ähnliche Bedeutung hat die Unterscheidung ‚essentialia-naturaliaaccidentalia‘ im Vertragsrecht erlangt57. Baldus wendet sie in verschiedenen Einzelfragen an, etwa bei der Frage der Gültigkeit und Wirkung von Nebenabreden58 und der Beachtlichkeit des Irrtums59. Er führt durch den Einsatz Vgl. oben III. 1. Vgl. oben III. 4 und 5; V 1 b und d; zur Argumentation mit ethischen Grundsätzen demnächst Horn op. cit. 47 Nachw. oben III. 1 und 3. 48 C 1.19.4 n. 2 unter Bezugnahme auf Aristoteles und Averroes. 49 Proem. D 1 Add (zur Const. ‚deo auctore‘); D 1.1.1. pr. n. 4; D 1.1. Ru. Rep. 50 X 2.1. Ru. n. 2. 51 C 8.48.1 Rep. n. 29. 52 D 1.3.32. pr. n. 14. 53 D 12.2.2. Rep. 54 C 1.3.40 n. 5. 55 ‚Cessante causa cessat lex‘, SZKan 77 (1960), 81 ss. 56 SZRom 77 (1960), 182 ss. 57 Coing, SZRom 69 (1952), 32. 58 D 18.1.72. pr. (dazu oben V 1 a und N. 3); D 2.14.7.7 vor n. 1 und n. 1. 59 X 1.3.34 n. 1. 45 46
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philosophischer Denkformen bei der Lösung dogmatischer Fragen eine vorhandene Tradition fort und kommt dabei bisweilen zu neuen und bedeutsamen Ergebnissen60. Insbesondere zeigt sich bei ihm auch eine philosophisch fundierte rechtsethische Betrachtung als dogmatisch fruchtbar61. d) Eine auffallend große Anzahl philosophischer Ausführungen widmet Baldus Beweisproblemen, insbesondere Fragen der Verwertung des Zeugenbeweises. Er bietet in diesem Zusammenhang ganze Exkurse über Psychologie, Erkenntnistheorie62 und richtiges Schließen63; insbesondere weist er auf den Unterschied zwischen Wahrnehmen und Schließen hin64. Die logischen Ausführungen zum Negativbeweis wurden bereits erwähnt65. Die intensive Behandlung philosophischer Fragen im Bereich des Beweises ist für die Einschätzung der Philosophie durch den Juristen Baldus sehr aufschlußreich. Wir müssen uns vor Augen halten, daß der spätmittelalterliche römischkanonische Prozeß die Ermittlung der Wahrheit als das oberste Prozeßziel grund- [146] sätzlich mit rationalen Mitteln zu erreichen suchte. Die ‚inquisitio veritatis‘ in diesem Sinn mußte die Aufmerksamkeit auf das Studium der Gesetze menschlichen Denkens und Erkennens lenken, wie sie die Philosophie, insbesondere der Aristotelismus, bot66. Der Einfluß der Philosophie wirkt sich also, wie unser letzter Überblick gezeigt hat, sowohl in den allgemeinen Rechtslehren wie in Methode, Dogmatik und Beweisfragen aus; er erfaßt mithin alle Bereiche der Jurisprudenz. Man mag nun im einzelnen darüber streiten, welches Gewicht man der Philosophie in der Jurisprudenz des Baldus insgesamt beimessen soll, ebenso wie man darüber streiten kann, ob über 100 Aristoteleszitate ‚viel‘ oder ‚wenig‘ sind. Sicherlich ist die Jurisprudenz des Baldus von der Philosophie mitgeprägt. In dem Maß, in dem Baldus die Philosophie für juristische Probleme heranzieht, ordnet er sie jedoch in die juristische Arbeitsweise ein: die philosophischen Denkformen werden nach den jeweiligen juristischen Bedürfnissen verwendet; Philosophenzitate werden gegenüber juristischen Autoritäten vorsichtig gehandhabt, bisweilen zeigt sich Kritik an logischen Überspitzun60 Z. B. in der theoretischen Begründung der Klagbarkeit der pacta nuda mit Hilfe der causa-Lehre; dazu Söllner, l. c. p. 247–250 m. Nachw. und demnächst Horn, op. cit. § 18.2 c. 61 Dazu Horn, insbes. Kap. IV und V. 62 Über die fünf Sinne, über Sinneswahrnehmung und Erkennen im Hinblick auf Zeugen Baldus in C 7.58 Ru. n. 1 und 2. 63 Über Schlüsse aus Sinneswahrnehmungen D 1.3.32 n. 39; C 1.3.15 n. 9; C 9.1.9. n. 13; über Schließen mit dem Satz vom Widerspruchsverbot D 4.4.43. 64 Z. B. X 2.20.37 n. 1. 65 Vgl. oben V 1 c (zu N. 18). 66 Vgl. z. B. X 2.20.37 n. 37 (im Zusammenhang mit Beweisproblemen): ‚veritas quidem non mutatur et iustitia eam prospexit et tuetur ...‘ Es folgt wenig später l. c. eine philosophische Erörterung von ‚ens‘ als ‚praedicamentum praedicamentorum‘.
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gen und Künsteleien. Ausgangspunkt ist also die juristische Fragestellung; zu ihrer Bewältigung soll die Philosophie helfen.
VI. Das Studium der Philosophie in den Kommentaren des Baldus zeigt in einem Ausschnitt die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen mittelalterlichem gelehrten Recht und allgemeiner Bildungsgeschichte. Basis der begrifflich-rationalen Verfahren, deren sich die mittelalterliche Jurisprudenz bediente, um ihre autoritativ verbindlichen römischen und kanonischen Rechtsquellen wissenschaftlich zu beherrschen, war die alte, im Trivium übermittelte Schulphilosophie, die fortlaufend in die Jurisprudenz Eingang fand. Infolge des besonderen Interesses des Baldus für die Philosophie spiegelt sein Werk diese philosophisch-juristische Tradition besonders deutlich wieder. Wenn sich auch in dieser Tradition bereits manches von den Fortschritten fand, die infolge der Aristotelesrezeption von der hochmittelalterlichen Philosophie gemacht worden waren, so bedeutet doch andererseits das Werk des Baldus eine neue Querverbindung in der Geschichte von Jurisprudenz [147] und Philosophie. Denn Baldus macht wohl als erster in starkem Umfang von der durch die vollendete Aristotelesrezeption gebotenen Möglichkeit Gebrauch, den ‚neuen Aristoteles‘ als wissenschaftliche Autorität für die Jurisprudenz auszuwerten. Inwieweit Baldus durch diese verstärkte Einbeziehung der (aristotelischen) Philosophie in die Jurisprudenz eine dauerhafte Tradition philosophisch-juristischer Arbeitsweise begründet hat, war hier nicht zu untersuchen. Bei späteren Juristengenerationen mußte infolge des Niedergangs der scholastischen Philosophie und der einsetzenden Kritik am mos italicus ein philosophisches Argumentieren in der Jurisprudenz nach Art des Baldus eher Mißtrauen hervorrufen als Nachahmung finden67; die eingangs zitierte, kritische Äußerung von Wesenbeck über den Rang des Baldus mag dafür als kleiner Hinweis dienen68. Andererseits finden wir z. B. in der Praefatio einer Praktikerschrift über die Rechtsprechung des Königsgerichts von Aragon aus dem 16. Jahrhundert rechtstheoretische Betrachtungen mit Aristoteleszitaten, die ihrerseits von Hinweisen auf Baldus begleitet sind69. Insgesamt dürfte eine einheitliche Antwort schwierig sein, da die von Baldus mitrepräsentierte Jurisprudenz der Kommentatoren als europäische Erscheinung in 67 Kritik am Philosophieren zeigt sich schon in der mittelalterlichen Jurisprudenz. Vgl. Brugi, Storia n. s. p. 28; Lange, Schadensersatz p. 164–166; vgl. auch oben V 1 c und N. 19. 68 Einl. N. 3 und 5. 69 Decisionum sacrae regiae audientiae causarum civilium Regni Aragonum ... Liber unus, von Martinus Montero à Cueva, Marpurgi Cattorum 1601, praefatio z. B. n. 4, 5 und 11.
Ius Commune I (1967), 104–149
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den verschiedenen Ländern des Kontinents in unterschiedlichen Bedingungen weiterlebte70. – Die größere geschichtliche Wirkung der Philosophie im Werk des Baldus liegt sicher in der Weitergabe von konkreten methodischen Einzelanweisungen und vor allem von neuen und praktikablen dogmatischen Ansätzen, die durch die philosophischen Kenntnisse des Baldus ermöglicht oder gefördert wurden. Eine Betrachtung der Arbeitsweise des Baldus erscheint noch unter einem allgemeineren Gesichtspunkt nützlich. Baldus sieht in den Werken des Aristoteles eine neue Erkenntnisquelle für die rationale Behandlung der juristischen Quellentexte, zugleich ausgestattet mit der für die juristische Argumentation erforderlichen Autorität. Indem er das juristische Denken [148] fortlaufend durch die Philosophie überprüft und deren anerkannten Lehrmeister Aristoteles mit seinem ganzen Werk praktisch in den Kreis der juristisch maßgeblichen Autoritäten einbezieht, versucht er mit den verfügbaren Mitteln der Bildung seiner Zeit einer ständigen Aufgabe unserer Rechtskultur zu dienen: eine autoritätsgebundene Rationalität der Jurisprudenz zu sichern.
ANHANG Im Folgenden sind die Autorenzitate in den benutzten Druckausgaben der Werke des Baldus (vgl. Einl. N.11) nachgewiesen, die in den oben (II) aufgestellten statistischen Übersichten verwertet sind. Die Nachweise folgen der Gliederung der ersten, allgemeinen Übersicht (A); die Nachweise für die speziellen Übersichten B (Werke des Aristoteles) und C (Werke des Cicero) sind dabei jeweils in den Untergruppen A.b und A.c mitenthalten. Aristoteles: Zitate mit Namen und Werk (A.b): D 1.1.1.2 n.3; D 1.1.1.3 Add; D 1.3.32 n.38; D 1.14.3 Rep.; D 2.14.27.2 n.15; D 3.2.13.7 n.6; D 3.3.43; D 12.1.1 n.3; D 17.1.6; D 28.1.18; Proem. C 1 n.31; C 1.1.1 n.10; C 1.3.15 n.9; C 2.9.2 n.7; C 3.33.14 n.4); C 4.19.23. n.7; C 5.12.4 n.6; C 6.46.5; C 6.61. 8.5a n.5; C 7.44.1 n.4; C 7.58 Ru. n.6; C 8.4.1 n.40; C 8.4.1 Rep. n.13; C 9.2.3 n.4 u. 5; X 1.1.1 n.5; X 1.6.49 vor n.1; X 2.1.10 n.1; X 2.20.37 n.10 u. n.37. Zitate nur mit dem Werk (A.c): Proem. D 1.1; D 1.1.1.pr. n.3; D 1.1.1.pr. Add; D 1.3.10; D 1.3.10 Add; C 6.24.14 n.52; C 7.45.2 n.9; C 9.1.3 n.13; X 1.30.4 n.1. Zitate nur mit Namen (A.d): D 1.1.1 pr. n.5; D 1.1.10 Add; D 1.3.12; D 1.3.32 n.39; D 1.7.2 n.2; D 3.1.1.6; D 3.1.1.pr. Add n.2; D 3.5.12; D 5.2.19 n.3; D 7.1.1; D 8.4.14; D 10.2.4 n.1; D 12.1.1 n.3; D 12.1.15; D 12.2.2 Rep.; D 12.2.31 n.4; D 12.4.8; D 29.2.9; D 45.1.74; X 1 Initium n.3; X 1.2.6 n.37; X 1.3.42 n.4; X 1.6.42 n.24; X 1.31.3 n.5; X 2.19.2 n.10; X 2.19.4 n.3; X 2.20.7 n.24; X 2.20.37 n.1, n.10, n.37 und n.42; X 2.23.6 n.3; X 2.27.20 n.2; X 2.28.25 n.4. 70 Für unsere Frage wäre dabei zu unterscheiden, wieweit das philosophische Argumentieren am konkreten Problem praktiziert und wieweit nur philosophisch begründete allgemeine Lehren des Baldus übernommen wurden; für das genannte Werk von Montero à Cueva trifft wohl eher das letztere zu.
1168 Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus Philosophus Zitate mit Umschreibung (A.e): D 1.1.1.pr. n.2; D 29.7.14; C 6.35.11 n.1; C 7.58 Ru. n.2; C 8. 48.1 Rep. n.8; X 1.6.53 n.1; X 1.6.55 n.1; X 2.27.20 n.2. Cicero: Zitate mit Namen und Werk (A.b): Inst. 1.1.pr. n.4; D 1.3.20 Add; D 3.1.1.5 n.2; D 3.1.1.pr. Add n.1 u. n.2; D 14.6.1. pr; C 7.5.1. Zitate nur mit dem Werk (A.c): D 1.1.1.3 Add; D 1.14.3. Zitate nur mit dem Namen (A.d): D 1.3.10; D 1.1.4.3 Rep.; D 12.1. Ru; X 1.9.10 n.7; X 2.23.16 n.6. [149] Boethius: (A.b): X 1.1.1 n.6; X 1.1.2 n.4. (A.d): D 1.3.32 n.41; D 1.14.3 n. 11; D 2.14.7.8 n.2; D 3.5.9.1; C 1.18.8 n.3; C 1.18.10 n.5; C 6.9. Ru. n.2; C 9.1.9 n.13. Thomas v. Aquin: (A.b): C 6.43.3 n.1; (A.d): D 1.3.32 Add; C 4.6.11 n.5; C 4.24.5 n.2.10 und 11; C 4.25.5 n.69; C 4.32 Ru. n.6. Averroes: (A.d): C 1.3.15 n.5; C 1.19.4. n.2; C 4.20.18; C 7.53.8 n.48; X 2.20.37 n.1. X 1.1.1 n.7. (A.e): D 1.3.32 n.39. Seneca: (A.b): Proem. C 1n. 31; C 6.43.3 n.1. (A.d): D 2.15.8. pr. n.1; Proem. X 1 n.20; X 1.29.14 n.2; X 2.23.16 n.6. Augustinus: (A.b): D 2.14 Ru. vor n.1. (A.d): D 1.1.10 Add; D 2.14 Ru. n.3; X 1.29.43 § statuimus n.14; X 2.9.5 n.2; X 3.1 Ru. n.3. Albertus Magnus: (A.b): X 1.5.4 n.4; X 1.29.14 n.2; X 2.20.37 n.10. (A.d): X 2.19.2 n.10. Plato: D 1.2.2; X 1.1.1 n.5.
Rationalität und Autorität in der Juristischen Argumentation* Rechtstheorie 2/1975, 145–160 Unser Thema ist juristische Argumentation, also Recht als Denken und Reden1. Wenn nach der Rationalität dieses Denkens gefragt wird, so sind hier die Bedingungen gemeint, unter denen es mit der Chance intersubjektiver Gewißheit seiner Inhalte, ihrer Mitteilbarkeit, Nachvollziehbarkeit, Kontrolle, vollzogen wird2. Von Interesse sind für unser Thema primär strukturelle Bedingungen, nicht institutionelle und sonst politische. Zusammenhänge der einen mit den anderen werden vorausgesetzt und hoffentlich deutlich. Wir fragen nach solchen strukturellen Bedingungen, deren Kenntnis Voraussetzung ist für die Formulierung kritischer und emanzipatorischer Ansprüche an das juristische Denken. Solche Ansprüche sind heute aktuell. Man fordert, das juristische Denken solle kritischer Rationalität (Popper, Albert) entsprechen3. Von einem anderen Ansatzpunkt aus kann man die Emanzipation dieses Denkens von geistiger Bevormundung (Habermas) verlangen4, sozusagen als methodische Entsprechung politischer Demokratisierungsbestrebungen zum Abbau auto* Text meiner Antrittsvorlesung im Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Frankfurt/M. am 4. Juli 1972, ergänzt um eine Zusammenfassung und einige Literaturhinweise. Von der zwischenzeitlich erschienenen Literatur im Umkreis des Themas, die jedoch keine Revision des Vorgetragenen erforderlich gemacht hat, seien noch genannt: J. Esser, Möglichkeiten und Grenzen des dogmatischen Denkens im modernen Zivilrecht, AcP 172 (1972), S. 97–130; S. Simitis, Die Bedeutung von System und Dogmatik, dargestellt an rechtsgeschäftlichen Problemen des Massenverkehrs, AcP 172 (1972), S. 131–154; R. Dubischar, Juristisches Denken als Objekt juristischer Selbstreflektion und sozialwissenschaftlicher Forschung, in: Der neue Jurist, Ausbildungsreform in Bremen als Planungsund Lernprozeß, Darmstadt/Neuwied 1973, S. 89–106; N. Luhmann, Rechtssystem und Rechtsdogmatik, Stuttgart 1974. 1 Vgl. allg. zum Gegenstand den Sammelband ‚Die juristische Argumentation‘ (Vorträge zum Weltkongreß in Brüssel 1971), ARSP Beiheft n. F. Nr. 7, Wiesbaden 1972. 2 Das philosophiegeschichtlich bedingte Mißverständnis einer strengen Trennung von Rationalität und Empirie wird hier nicht aufrechterhalten. 3 Vgl. im Anschluß an Karl Popper und Hans Albert, Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1969; Peter Schwerdtner, Rechtswissenschaft und kritischer Rationalismus, in: Rechtstheorie 2, 1971, 67 ff., 224 ff. 4 Jürgen Habermas, Erkenntnis und Interesse, Frankfurter Antrittsvorlesung 1965, in: ders., Technik und Wissenschaft als Ideologie, 4. Aufl. Frankfurt/M 1968, 146 ff. Habermas bezieht sich nicht ausdrücklich auf die Rechtswissenschaft.
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Rationalität und Autorität in der Juristischen Argumentation
ritärer Strukturen. Man hat ferner von wiederum [146] einer anderen Position aus alle diese Ansprüche relativiert, indem man die sozialtechnischen Funktionen des Rechts in den Vordergrund rückt (Luhmann). – Für eine Diskussion stehen erfreulicherweise gewisse Erfahrungen mit der Funktionsweise juristischen Denkens zur Verfügung. Davon ist im Folgenden die Rede.
I. 1. Wir gehen davon aus, daß juristisches Denken immer in pragmatischem Situationsbezug steht. Alles juristische Denken zielt auf Entscheidungen: des Gesetzgebers bei der Rechtsetzung, der Gerichte und Behörden bei der Rechtsanwendung, der vertragschließenden Parteien, der Rechtswissenschaft bei der Formulierung von Rechtsgrundsätzen. Juristisches Denken soll Entscheidungen vorbereiten und ermöglichen durch Erarbeitung und Formulierung der Entscheidungsinhalte in Gestalt von Handlungsanweisungen. Juristisches Denken hat primär dieses praktische Erkenntnisinteresse. Die Entscheidungsinhalte sollen „richtig“ sein. Das ist ein Denkanspruch und hier zugleich ein rechtsstaatlicher Anspruch. Es wird Rationalität gefordert. Das heißt vorläufig: der Entscheidungsinhalt muß verstehbar, mitteilbar, begründbar, nachvollziehbar, plausibel sein. – Man kann weiter sagen: der Entscheidungsinhalt muß in einem rationalen Verfahren gewonnen werden. Das ist doppeldeutig wie der Begriff des Verfahrens. Man kann damit den Rechtsgang meinen primär in seiner sozialen Funktion, Konflikte zu absorbieren, und dann mit Luhmann als rational jedes Verfahren bezeichnen, das diesem sozialtechnischen Zweck genügt5. Juristische Rationalität ergibt sich dann aus Verfahrensspielregeln und deren sozialer Effektivität. Nachvollziehbarkeit und Plausibilität der Entscheidungsinhalte sind zweckabhängig und nachgeordnet. Zweitens kann man unter rationalem Verfahren primär den Denkprozeß verstehen, der die Entscheidungsinhalte herstellt. Dies ist unser Thema. Auch auf diese Weise können wir auf Spielregeln stoßen, Denkspielregeln oder Denkstrukturen. 2. Welche Spielregeln können nun die Rationalität des juristischen Denkens sichern? – Grundsätzlich erscheint die Rationalität eines Denkprozesses am besten verbürgt durch die ausschließliche Anwendung wissenschaftlicher Verfahren. Moderne Modelle dafür liefern die exakten – mathematischen und empirischen – Verfahren der Naturwissenschaften6. Eine andere, historischsystematische Wissenschaftlichkeit meinte von Savigny, als er 1814 dem Niklas Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969. Karl Popper, Logik der Forschung, 2. Aufl. 1965, S. 15, dementiert zwar die Beschränkung des kritischen Rationalismus auf empirisch-analytische Verfahren, sieht diese jedoch auch im Bereich der Sozialwissenschaften als maßgeblich an. 5 6
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Modell der automatischen Anwen- [147] dung kodifizierten Rechtes durch den Richter das Ideal gegenüberstellte, daß „für jeden Rechtsfall der Richter das Recht zu finden hätte, wobey durch die Sicherheit einer streng wissenschaftlichen Methode dennoch alle Willkür ausgeschlossen wäre“7. Die Jurisprudenz scheint nun nach heutiger Einsicht Wissenschaftlichkeit weder in dem einen noch dem anderen Sinn zu besitzen. Der Anteil exakter Verfahren ist hier gering. Funktion und Tragweite logischer Deduktion sind beschränkt8. Die methodenkritische Durchleuchtung der juristischen Hermeneutik hat gezeigt, daß deren technische Interpretationsregeln samt logischer Schlußformen keine Eindeutigkeit des Ergebnisses gewährleisten9. Diese und andere methodische Regeln scheinen auf Formalisierungsdienste beschränkt, die den Gedankengang bestenfalls ordnen, wenn sie ihn nicht verschleiern. Sie lassen dem Rechtsanwendenden einen Spielraum der Methodenwahl, wie sie Esser für den Zivilrichter beschreibt10. 3. Die Ausbildung exakter Methoden für das juristische Denken scheitert ständig an der Komplexität der Erkenntnisaufgabe, richtige Entscheidungsinhalte herzustellen. Diese Komplexität ergibt sich erstens aus dem pragmatischen Bezug des Entscheidungsproblems auf eine bestimmte soziale Situation und zweitens aus den implizierten, nicht quantifizierbaren Bewertungsfragen, die man herkömmlich als Gerechtigkeitsfrage zusammenfaßt. Richtigkeit wird unter diesen Bedingungen durch Konsens ermittelt: Konsens der Beteiligten, letztlich der Rechtsgemeinschaft, innerhalb der Recht entschieden wird. Diesen Bedingungen entsprechen spezifische Anforderungen an die Rationalität des Denkverfahrens. Die Komplexität der Erkenntnisaufgabe erfordert die Bereitschaft zu Methodenwahl und Methodenpluralismus11, die umsichtige und weitausholende Beschaffung und Berücksichtigung aller problemrelevanten Informationen und Meinungen12. Konsens erfordert deren Verarbeitung in Kommunikation und Argumentation mit dem Ziel der Verständigung. Beiden Ansprüchen genügt ein Denken, das die Entscheidungs7 Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814; zit. nach J. Stern, Thibaut und Savigny, 1914, S. 147 f. 8 Die Kritik des begrifflich-deduktiven Systemdenkens in der juristischen Methode wurde in neuerer Zeit vor allem von Theodor Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 1. Aufl. München 1954, 5. Aufl. 1974, geführt. 9 Dazu schon Helmut Coing, Die juristischen Auslegungsmethoden und die Lehren der allgemeinen Hermeneutik, 1959; aus der neueren Lit. vgl. etwa Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967. 10 Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl. Rationalitätsgrundlagen richterlicher Entscheidungspraxis, Frankfurt/M 1970, 2. Aufl. 1972. 11 Esser, a.a.O.; zum Methodenpluralismus des ‚kritischen Rationalismus‘ vgl. Schwerdtner, a.a.O. (Fn. 3), S. 225. 12 Viehweg, a. a. O., § 3 und 7; Horn, NJW 1967, 601–608.
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Rationalität und Autorität in der Juristischen Argumentation
inhalte in einem dialektischen Prozeß her- [148] stellt. Dialektik ist dabei ohne Hegelsche Hypostasierung verstanden im klassischen Sinn der Abwägung gegensätzlicher Argumente im Dialog mit dem Ziel der Verständigung über einen Entscheidungsinhalt13. Juristisches Denken ist Argumentation im Hinblick auf Entscheidungen. 4. Der skizzierte Denkstil hat mit zwei strukturellen Problemen zu tun: erstens, woher bezieht das Denkverfahren konsensfähige Argumente? Zweitens, wie sichert es seine Entscheidungsfähigkeit? Zur ersten Frage erscheint eine Antwort einfach. Eine rationale Argumentation muß ihre Argumente aus der genauen Ermittlung der feststellbaren Fakten gewinnen, die dem zu entscheidenden Konflikt zugrundeliegen. Sie muß Erfahrung ausnutzen. Damit ist aber nur die eine Seite der Argumentationsbasis bezeichnet. Es ist noch nichts darüber gesagt, wie die Argumentation die implizierten Bewertungsfragen im Hinblick auf entscheidungsfähigen Konsens verarbeitet. Denn sie muß klären: welche Tatsachen sind relevant im Hinblick auf die Entscheidung. Welche Informationen sind verläßlich? Welche Entscheidungskriterien sind verfügbar? Dies erfordert Rückgriff auf gemeinsame Vorverständnisse. Aristoteles, auf den die moderne Argumentationstheorie zurückgreift, nennt es das „am meisten Wißbare“. Das dialektische Denken verwendet daher, so sagt er in seiner heute wieder viel zitierten Formel, als Argumente Sätze, „die entweder allen oder den meisten oder den Weisen wahr erscheinen“14. Die mittelalterliche Jurisprudenz drückt mit eben dieser Formel ihr dialektisches Selbstverständnis aus. Bei den Kommentatoren finden wir den Satz: „Was entweder allen oder den meisten oder den Weisen gerecht erscheint, das gilt als natürliche und positive Gerechtigkeit15.“ Was diese Formel politisch und fachjuristisch abdeckt, ist leicht zu exemplifizieren. „Was alle für richtig halten“, das heißt in möglichen Übersetzungen: der Wille des Volkes, la volonté de tous, die allgemeine Rechtsüberzeugung, die geltenden Gesetze. Was die meisten für richtig halten kann heißen: die Mehrheit in Abstimmungen, die öffentliche Meinung, die zur Führung berufene Klasse, alle billig und gerecht Denkenden, das demokratisch zustandegekommene Gesetz, die herrschende Meinung von Lehre und Rechtsprechung. Als „Weise“ kommen für den Argumentationsbetrieb in Betracht: Zu den ursprünglichen Bedeutungen von ‚Dialektik‘ in der griechischen Philosophie vgl. Chaim Perelman, Dialektik und Dialog, in: Hegel-Jahrbuch 1970 (ed. W. R. Beyer), S. 11–21. 14 Topik A 1 (100 b). Die Formel wurde vor allem durch Viehwegs Buch (§ 2 S. 8) wieder in die Diskussion gebracht. 15 Baldus de Ubaldis, X 1.6.8. n. 6 (Ausgabe Augustae Taurinorum 1578); dazu Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, Köln/Graz 1968, S. 12 f. Zur Methodologie der mittelalterlichen Jurisprudenz unter dem hier behandelten Aspekt werde ich demnächst eine gesonderte Untersuchung ‚argumentum ab auctoritate‘ vorlegen. 13
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politisch die herrschende Klasse; der [149] Vorsitzende Mao; der Führer, dessen Wille das Recht schafft; demokratisch gewählte Parlamente und Regierungen, allgemein die Fachleute der Wissenschaft; fachjuristisch: das Bundesverfassungsgericht, überhaupt die Gerichte, die Rechtsprofessoren. Gemeinsam ist diesen Argumentationsquellen ihre relative Eignung zur Herstellung von Konsens je nach der geistigen und politischen Situation; die Aufzählung läßt zugleich die Möglichkeiten politischer Konsenszwänge erkennen. Auffällig ist, daß die genannten Meinungsinstanzen mit dem Anspruch der Rationalität auftreten – als das (derzeit) Vernünftige, Aktuelle, Richtige, Beachtliche –, zugleich aber auch als Autoritäten, die Verbindlichkeit in der Argumentation beanspruchen. Ferner fällt auf, daß je nach historischer Situation und geistigem Standort die Berufung auf solche Autoritäten als rational, weniger rational oder auch völlig irrational erscheint. 5. Das zweite Strukturproblem des dialektischen Denkens liegt in der Frage: wie kann ein Denkverfahren, das Rationalität durch maximale, prinzipiell unbegrenzte Erfassung von Argumenten sichern will, entscheidungsfähig sein16? Es besteht doch die Gefahr, daß je nach der Komplexität der Probleme und der Masse der Argumente der dialektische Prozeß ins Unendliche läuft: Rechtsstreite werden unbeendbar im Dickicht der Rechts- und Tatfragen, Beweise und Gutachten; rechtspolitische Entscheidungen versanden im endlosen öffentlichen Palaver. Der anstehende Konflikt erfordert aber eine Entscheidung und erzeugt ein starkes Bedürfnis nach Eingrenzungen und Stabilisierungen des Denkens, nach Denk- und Verfahrensökonomie im Interesse der Entscheidbarkeit. Diese Eingrenzung wird bekanntlich zum Teil durch eine äußere Formalisierung des Rechtsgesprächs erzielt; sie erfolgt durch Prozeßspielregeln im Rechtsgang, durch Gesetzgebungsverfahren, in der Rechtswissenschaft durch wissenschaftliche Stile. Zugleich werden die Gesprächsteilnehmer beschränkt: auf Prozeßparteien und Richter, auf Gesetzgebungsorgane, in der Rechtslehre auf Fachzunft und Zitierzusammenhänge. Vor allem werden Entscheidungskompetenzen eingeführt: der Richter kann das Rechtsgespräch beenden und in Entscheidungsbegründungen integrieren, wobei der fehlende Konsens der Parteien durch die richterliche Darstellung von Konsens der Rechtsgemeinschaft überspielt wird. Ebenso wichtig für die Entscheidungseffizienz des Rechtsgesprächs ist die inhaltliche Stabilisierung der Argumentation. Nur im seltenen Idealfall setzen sich Argumente allein aufgrund ihrer evidenten Rationalität durch, die durch aktuellen Konsens festgestellt wird. Meist bedarf es zusätzlicher,
16 Zur Bedeutung des Entscheidungszwangs für das juristische Denken zutr. Otmar Ballweg, Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, Basel 1970, S. 108 f., 112 f.
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Rationalität und Autorität in der Juristischen Argumentation
vorgegebener Verbindlichkeit der Argumente, die zu ihrem [150] materiellen Inhalt hinzutritt und ihre Kritikfestigkeit und Annehmbarkeit fördert. 6. Man kann diese Verbindlichkeit argumentative Autorität nennen. In der aristotelischen Tradition der Argumentationstheorie findet sich ein Modellfall dafür in der Berufung auf die Aussageautorität bestimmter Personen, deren Urteil Ansehen genießt. Die Methodologie des mittelalterlichen gelehrten Rechts, das auf diese dialektische Tradition zurückgreift17 und Spezialschriften zur Argumentationslehre hervorbringt, ‚de modis arguendi‘ genannt, etwa des Dinus, Rainerius de Forlivio, Caccialupus, gibt im Katalog der Argumentationsformen dem argumentum ab auctoritate einen festen Platz. Caccialupus begründet dessen Wirkung mit den Worten: „Einem hervorragenden Kenner seines Faches ist Glauben zu schenken18.“ Eine ähnliche Kennzeichnung ist in modernen argumentationstheoretischen Untersuchungen anzutreffen, etwa bei Perelman und Perez Perdomo19. Mir scheint, daß das argumentum ab auctoritate aber nicht nur die spezielle Strategie bezeichnet, Ansehen einer Person für ein Argument zu nutzen, sondern daß es zugleich im Modell ein allgemeines Strukturmerkmal der Argumentation überhaupt zeigt: jede offene oder verdeckte Berufung auf die zusätzliche Verbindlichkeit von Argumenten ist argumentum ab auctoritate. Alle früher aufgezählten Meinungsinstanzen sind solche argumentative Autorität. Diese erfüllt genau den denkökonomischen Zweck der Stabilisierung des dialektischen Denkprozesses und macht es möglich, daß als Konsens ausgewiesene Entscheidungsinhalte zustandekommen. 7. Argumentative Autorität bezeichnet zugleich das Kernproblem juristischer Rationalität. Denn die denkökonomischen und konsensbildenden Wirkungen des argumentum ab auctoritate bedeuten doch zugleich, daß die eigene kritische Reflexion begrenzt wird, daß bestimmte Argumente verdrängt werden, daß insgesamt die Rationalität der Entscheidungsfindung, die doch gerade durch selbständige Verwertung aller Gesichtspunkte gesichert werden soll, eingeschnürt wird. Autorität – eine der neuzeitlichen autonomen Vernunft unseriöse Führerin20 – erscheint [151] auch hier als Gegensatz zu Rationalität, für kritisches, wissenschaftliches Denken völlig unannehm17 Dazu Norbert Horn, Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren, Jus commune I (1967) 104–149; Gerhard Otte, Dialektik und Jurisprudenz, Frankfurt/M 1971. 18 ‚Cuilibet doctissimo in arte sua est credendum‘; Text bei Severino Caprioli, De modis arguendi scripta rariora, Studi Senesi 77 (1965), 355–414 (372). 19 Chaïm Perelman und L. Olbrechts-Tyteca, La nouvelle rhetorique. Traité de l’argumentation, 2 Bde. Paris 1958, Bd. 2 S. 411; Rogelio Perez Perdomo, L’argument d’autorité dans le raisonnement juridique, APD 16 (1971), 227–244. Vgl. auch allg. H.-G. Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1960, S. 261–269. 20 Vgl. etwa Friedrich Engels, Von der Autorität, in: K. Marx und F. Engels, Werke Bd. 18, Berlin 1962, S. 305–308.
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bar. „Wir würden niemals Philosophen sein“, bemerkt Descartes, „wenn wir alle Beweise des Plato oder Aristoteles gelesen hätten, über vorgelegte Sachen dagegen ein stichhaltiges Urteil zu fällen nicht imstande sind. Auf diese Weise nämlich würden wir offenbar nicht Wissenschaften, sondern historische Kenntnisse erworben haben“21. Den gleichen Angriffspunkt wählt Poppers Kritik am Elend des Historizismus22. Ein entsprechendes Klagelied über das Elend der Jurisprudenz liegt nahe: Wir werden niemals Juristen sein, wenn wir zwar alle Gesetze, Kommentare und BGH-Entscheidungen zitierbereit im Kopf haben, aber nicht imstande sind, über eine Rechtsfrage ein eigenes stichhaltiges Urteil zu bilden. Die entsprechende Kritik, juristisches Denken erschöpfe sich in der Übernahme fremder Denkinhalte, ist oft erhoben worden. Das hängt offenbar mit dieser Restriktion des Rechtsgesprächs durch argumentative Autorität zusammen. Ansprüche und Chancen einer kritischen Rationalität und eines emanzipatorischen Erkenntnisinteresses im juristischen Denken können sinnvoll nur im Hinblick auf dieses Problem argumentativer Autorität formuliert werden.
II. Wir präzisieren diese Problematik, wenn wir näher angeben können, wie rational und wie autoritativ juristische Argumente sind. Man kann juristische Argumente, die als vorgefertigte Teilantworten auf die Frage nach dem Recht auftreten, drei verschiedenen Argumentationsebenen zuweisen: erstens dem Gesetz und sonstigen positiven Rechtstexten; zweitens der Rechtsdogmatik und drittens der Basistheorie des Rechts. 1. Es gehört zu den grundlegenden politischen Ordnungsvorstellungen des bürgerlichen Rechtsstaates, daß Rechtsfindung die Anwendung positiven Rechts ist und zwar möglichst in Gestalt des formellen Gesetzes. Juristische Argumentation soll Argumentation aus und mit dem Gesetz sein. Das Gesetz ist dabei der Intention nach eine perfekte Synthese von Rationalität und Autorität, Vernunft und Gemeinwille zugleich, Konsens der Rechtsgemeinschaft über Recht. Wie rational ist nun das Argument mit dem Gesetz? Für eine gesetzespositivistische Auffassung genügt es, die Rationalität des Gesetzes im Einzelfall durch einfache Subsumption zu reproduzieren. Die Frage nach der Vernünftigkeit für die einzelne Entscheidung tritt zurück, dementsprechend
21 Regulae ad directionem ingenii III (Règles pour la direction de l’esprit), zit. nach der lat.-dtsch. Ausg. von Heinrich Springmeyer u. a., Hamburg 1973, S. 15 f. 22 Karl Popper, Das Elend des Historizismus, Tübingen 1965.
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Rationalität und Autorität in der Juristischen Argumentation
die Frage zusätzlicher rationaler Kontrollen, also weiterer [152] Argumente. Grundlage dieser Auffassung ist eine hohe Einschätzung der generellen Vernünftigkeit des Gesetzes. Sie tritt besonders bei den großen Kodifikationen hervor, die am Beginn des bürgerlichen Rechtsstaates auf der Grundlage von Vernunftrecht und Aufklärung entstehen23. Diese Einschätzung mußte abnehmen mit dem Altern dieser Kodifikationen, der abnehmenden Kraft der ihnen zugrundeliegenden politischen Ideen, dem Wandel der sozialen Wirklichkeit, der differenzierenden Anwendung in der Rechtspraxis24. Es wurde deutlich, daß etwa der Code civil nicht die Vernunft schlechthin konkretisierte, sondern die bürgerliche Vernunft in einem bestimmten historischen Zustand. – Es ist ferner eine Einsicht der modernen Diskussion um juristische Hermeneutik, daß selbst dann, wenn ein Gesetzestext eine hinreichende rationale Begründung für eine bestimmte Entscheidung enthält, diese Rationalität überhaupt nur durch selbständige gedankliche Verarbeitung im sozialen Kontext reproduziert werden kann, wobei selbstverständlich nicht im Gesetz fixierte Argumente mitspielen25. Die Berufung auf Gesetz ist immer zugleich argumentum ab auctoritate. Das ist eine tradierte Selbstverständlichkeit. Gesetz transformiert politische Autorität in rechtliche Autorität hohen Ranges, in Bindung des Rechtsgesprächs. Argumentationstechnisch funktioniert diese Bindung dadurch, daß das Recht in bestimmten Texten fixiert (positiviert) wird und diese Texte der Argumentation als feststehend vorgegeben sind. Diese Positivität von Recht ist nicht einmal notwendig von der formellen Gesetzesgeltung der Texte abhängig. Privat verfaßte Texte können Autorität erwerben und die Funktion positiven Rechts übernehmen. Dies gilt z. B. für manche privaten Rechtsaufzeichnungen des Mittelalters; es gilt auch etwa für Erzeugnisse des rechtswissenschaftlichen Positivismus der deutschen Pandektistik. Der Sachsenspiegel und die Coutumes de Beauvaisis des Beaumanoir funktionierten als positives Recht; ähnliches läßt sich vom Lehrbuch Windscheids sagen. Das Kodifikationszeitalter überschätzte bekanntlich die Möglichkeit der Positivierung von Recht in Gesetzestexten. „Ich lehre nicht das Zivilrecht, ich lehre nur den Code civil“, heißt diese Haltung. Das ALR kennt Interpretationsverbote. Wir wissen heute, was man im Guten wie im Schlechten mit einem Gesetzestext alles machen kann. Die Emanzipation des Rechtsdenkens
23 Zur Kodifikationsbewegung allg. Franz Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, § 19, §§ 24 ff. 24 Zur heutigen Einschätzung und Realisierbarkeit von Kodifikationen Friedrich Kübler, Kodifikation und Demokratie, JZ 1969, 645–651. 25 Dazu z. B. Martin Kriele, Theorie und Rechtsgewinnung, Berlin 1967, insbes. S. 157 ff.
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vom Gesetzestext ist eine Erfahrung der juristischen Praxis und der politischen Zeitgeschichte26. [153] Insgesamt erweisen sich die Möglichkeiten, die juristische Argumentation durch Gesetz entscheidungsfähig zu stabilisieren, als ebenso begrenzt wie die Möglichkeiten, durch Gesetz allein die Rationalität von Entscheidungen zu sichern. 2. Für die juristische Argumentation ergibt sich daraus das Bedürfnis, die Mängel in beider Hinsicht auf der Ebene des Vorverständnisses der Juristen vom positiven Recht auszugleichen. Rationalität und Homogenität dieses Vorverständnisses soll traditionell die dogmatische Jurisprudenz sichern. Diese nimmt von ihren Anfängen im gelehrten Recht des Mittelalters die soziale Position einer Wissenschaft ein und behauptet sie die meiste Zeit. Das war zunächst unproblematisch, weil das gelehrte Recht vollauf den zeitgenössischen Wissenschaftsstandards der Scholastik entsprach. Institutioneller Ausdruck ist die Pflege an Universitäten27. Auch später versuchen die Juristen, sich an neuere Wissenschaftsstandards anzupassen: so die humanistische Textkritik, ihre Systemversuche und die des Vernunftsrechts bis hin zu den modernen Wünschen, die Jurisprudenz zu einer neuartigen Sozialwissenschaft umzugestalten. Am erfolgreichsten bei diesem Streben nach Wissenschaftlichkeit war zweifellos die historische Rechtsschule unter der Führung von Savignys. Sowohl die historische Dimension ihres Programms, dessen empirisches Engagement bald vergessen wurde, als auch die systematische Dimension lieferten dabei den zeitgenössischen Wissenschaftsnachweis. – Wissenschaftlichkeit war zu allen Zeiten für die Juristen attraktiv, weil sie eine auf die generelle Vermutung von Rationalität gegründete Autorität verleiht. Wissenschaftlichkeit ist wirksames argumentum ab auctoritate. Welche Denkstruktur besitzt nun Dogmatik tatsächlich? Die Argumentation ist auf dieser Ebene in zweifacher Hinsicht durch autoritative Bindungen gekennzeichnet. Erstens Bindung an den Gegenstand, das positive Recht, das nach den Argumentationsspielregeln als feststehend behandelt und nur ausgedeutet wird. Zweitens hinsichtlich der eigenen Produkte. Ziel der Argumentation ist Herstellung oder Ersetzung verbindlicher Vorverständnisse von Recht: eben Dogmatik, die selbst als argumentum ab auctoritate dient. Struktur und damit Rationalität dieses Denkens werden von drei Faktoren bestimmt: wie groß ist der offizielle Spielraum der Dogmatik gegenüber dem positiven Recht? Welchen methodischen Regeln folgt sie? [154] Wie groß ist
26 Bernd Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, Tübingen 1968. 27 Eingehender Überblick bei Helmut Coing, Die juristische Fakultät und ihr Lehrprogramm, in: ders., Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. I (Mittelalter), München 1973, S. 29–128.
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ihre Fähigkeit, soziale Erfahrungen und ethische und politische Wertungen aufzunehmen? Dazu einige Hinweise. Zur ersten Frage: Autorität des positiven Rechts und Eigengewicht der dogmatischen Jurisprudenz stehen in Wechselbeziehung. Objekt der europäischen Jurisprudenz waren jahrhundertelang primär die römischen und kanonischen Rechtsquellen. Deren Rationalität wurde als überlegen betrachtet, ihre Autorität als traditionsgegeben nicht bezweifelt, sondern nur erklärt. – Die tatsächliche Bindungswirkung der römischen Quellentexte für die Argumentation war von Anfang an begrenzt. Die Textmassen waren so umfangreich und widerspruchsvoll, daß für die Praxis Argumentationsspielraum gegeben und dogmatische Initiative erforderlich war. Das Eigengewicht der Dogmatik war daher zu allen Zeiten des gemeinen Rechts ziemlich groß; die Lehrtradition überlagerte die Quellentexte. – Die Kodifikationen verändern diese Situation. Die neue Autorität des modernen rationalen Gesetzeswerkes, z. T. sogar abgesichert durch Interpretations- und Kommentierbeschränkungen28, drängte die Jurisprudenz zeitweilig auf die dienende Funktion einer rein exegetischen Wissenschaft zurück; dem entspricht das Programm der école de l’exegèse. Wo die Kodifikation zunächst ausbleibt, in Deutschland, rückt dagegen die Jurisprudenz der Pandektistik selbst in die Position und Autorität des positiven Rechts, auch wenn sie im Argumentationsbetrieb daran festhält, die alten römischen Quellentexte als verbindlich vorgegebenes Recht zu behandeln. Zur zweiten Frage nach den dogmatischen Methoden: Aus der Objektbeziehung der Dogmatik zu autoritativ vorgegebenen Texten ergibt sich, daß methodische Regeln von Anfang an Interpretationsregeln zur Ausdeutung dieser Texte sind, wobei von Beginn der gelehrten Rechte an die antike Logik-Dialektik eine Rolle spielt29. Dogmatische Jurisprudenz ist, jedenfalls den Argumentationsspielregeln nach, bis auf den heutigen Tag in einem für viele enttäuschenden Ausmaß hermeneutisch orientiert. – Das Produkt der Jurisprudenz, verbindliche Dogmatik, erfordert bestimmte Konsenstechniken. Dogmatik tritt teils als Ableitung aus positivem Recht oder vorhanderner Dogmatik auf, teils unmittelbar als behaupteter Konsens der Fachjuristen, als herrschende oder vordringende Meinung. Dem entspricht ein Bedarf an Lehrautoritäten, die Berufung auf Glosse, angesehene Kommentare und communis opinio doctorum, auf Argumente, die durch Zitate gedeckt sind30. Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten etwa verbietet zwar nicht die Interpretation, sucht sie aber zu beschränken und gebietet in Zweifelsfällen Anzeige an die Gesetzeskommission; ALR, Einl. § 46; Berücksichtigung älterer Lehre und Rechtsprechung wird verboten, Einl. § 6; Lehre und Rechtsprechung darf die Geltung des positiven Gesetzes nicht beeinflussen, Einl. § 60 (benutzte Ausg.: Berlin 1817). 29 Vgl. die Nachweise in Fn. 17. 30 Beispiele für diese Konsentechniken im älteren gemeinen Recht bei Norbert Horn, Römisches Recht als gemeineuropäisches Recht bei Arthur Duck, in: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte ed. W. Wilhelm, Frankfurt/M 1972, 170–180 (174). 28
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Die Verbindung von Ar- [155] gumentation und Zitiertechnik ist bis auf den heutigen Tag jedem Juristen vertraut31. Zur dritten Frage: Die Schwäche der Dogmatik, die Argumentation hinsichtlich von Erfahrungswissen und konkreter Erfassung der Fakten zu steuern, ist heute mehr bewußt als früher. Vielleicht zum Teil deshalb, weil das dogmatische Begriffs- und Satzgefüge gegenüber dem raschen Wandel der sozialen Wirklichkeit zunehmend als antiquiert erscheint. Aber es gibt auch strukturelle Gründe: je mehr es um Erfassung von Fakten und Verwertung von Erfahrung geht, um so mehr versagen die Konsensmöglichkeiten der Rechtsdogmatik, um so weniger werden Feststellungen und Bewertungen wirklich mitteilbar und nachvollziehbar. Die dogmatische Sprache verfremdet daher Sachverhalte. Sie versperrt dem Juristen nicht Erfahrung, aber sie zwingt ihn nicht methodisch zu ihrer Verarbeitung. Unser Prozeßrecht kompensiert diesen Mangel wohl nicht ausreichend und überläßt dies zum größeren Teil richterlicher Initiative. Die Dogmatik behilft sich zum Teil mit dehnbaren Standardargumenten meist rechtsethischer Etikettierung, etwa unseren Generalklauseln, die von den Fakten her ausfüllbar sind, oder Formeln wie der Berufung auf die wirtschaftliche Betrachtungsweise, die im Begründungsstil des Reichsgerichts und der späten Pandektistik auftaucht. 3. Über Sinn und Unsinn dogmatischer Argumentation wird letztlich nicht auf der Ebene der Dogmatik entschieden. Denn hier werden immer bewußt oder unbewußt grundsätzliche sozialethische und politische Wertungen wirksam, die nicht voll in die Dogmatik integriert sind, aber letztlich deren Deutung und Steuerung übernehmen, also über ihre Rationalität entscheiden32. Man kann diese Betrachtungs- und Argumentationsebene Basistheorie des Rechts nennen; sie bezeichnet die in einer Gesellschaft oder in den Köpfen ihrer Juristen wirksamen grundsätzlichen Anschauungen über den richtigen oder erstrebenswerten Zustand dieser Gesellschaft und das entsprechende Verhalten ihrer Mitglieder. Die dogmatische Jurisprudenz hat spätestens seit dem 19. Jahrhundert ihre Abhängigkeit von Basistheorie zunehmend ignoriert, sich gegen die implizierten sozialethischen und politischen Fragen abgeschirmt und unpolitisch verstanden. In Wirklichkeit sind etwa Leistungen und Fehl- [156] leistungen der deutschen Pandektistik gar nicht zu verstehen ohne einerseits die dort vorausgesetzten politischen und sozialethischen Grundwerte Freiheit und 31 Je nach den sozialen Bedingungen des Juristenstandes ist dabei das persönliche Ansehen von Juristen von Bedeutung in der juristischen Argumentation der Praxis; zu den ‚Rechtshonorationen‘ vgl. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft I, 2. Teil Kap. 7 § 4, Ausg.: J. Winckelmann, Köln/Berlin 1964, S. 583–598. Der juristensoziologische Aspekt kann hier nicht verfolgt werden. 32 Das Verhältnis ist allerdings wechselseitig; zur Beziehung von Dogmatik und ‚Basisdoktrin‘ in diesem Sinn Hinweise bei Ballweg, a.a.O., S. 118 ff.
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Eigentum, andererseits die langwährende Ignorierung anderer Grundwerte, etwa des Schutzes der sozial Schwachen im Kräftespiel der sich entfaltenden liberalen Wirtschaft. In unserem Jahrhundert hat der Nationalsozialismus gezeigt was geschieht, wenn eine politische Bewegung auf eine Jurisprudenz trifft, die ihre Basistheorie nicht reflektiert und sich unpolitisch versteht: bei intakter Rechtsdogmatik und Methodologie, ja oft ohne Gesetzesänderungen, wird die Rechtspraxis sozialethisch und politisch umgedreht33. Heute erscheint uns gerade dieses isolierte und unpolitische Selbstverständnis der Dogmatik als Defizit an Rationalität. Wie aber steht es mit der Rationalität der Basistheorie selbst? Daß Basistheorie des Rechts Parameter des Erkenntnisstandes und politischen Gesamtzustandes einer Gesellschaft ist, ist hier nicht auszuführen. Argumentationstheoretisch interessiert, daß Basistheorie grundsätzlich direkter und unverhüllter als Dogmatik wertungsorientiert ist; sie ist deshalb den landläufigen Angriffen gegen die Rationalität von Wertungen ausgesetzt. Die Argumentation arbeitet hier mit Begriffen und Sätzen, die entsprechend unpräzise und elastisch sind, was ihnen die partiell zutreffende und wirkungslose Anklage der Leerformel einträgt. Sie sind durch Tatsachenargumente, durch Bezug auf die soziale Wirklichkeit, ausfüllbar und werden mit Hilfe von Rechtsdogmatik ausdifferenziert. Die argumentative Autorität der Basistheorie beruht allgemein auf dem Rang und der Verbindlichkeit von Weltanschauungen und zwar solchen, die als Konsens der Rechtsgemeinschaft wirksam auftreten. Die institutionelle und politische Ausgestaltung dieser Autorität ist unterschiedlich. Sätze der Basistheorie können positiviert sein in Verfassungen, wie z. B. die Grundrechte und die Entscheidung für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat im Grundgesetz, – oder in einfachen Gesetzen, wie in den Generalklauseln des BGB. Basistheorie kann abgestützt sein durch die Autorität religiöser Offenbarung oder philosophischer Metaphysik, was lange Zeit für die im Traditionsbereich unserer Gesellschaft wirksamen Naturrechtslehren und Gesellschaftstheorien zutraf. Die Funktion der Basistheorie kann ferner von einer offiziellen Staatsideologie übernommen werden, die institutionell durch eine Staatspartei als Trägerin abgesichert ist; das Etikett der Wissenschaflichkeit kann ihr zusätzliche Autorität sichern. Basistheorie kann schließlich in sehr großem Umfang als völlig unreflektierte Ideologie unbewußt auf die juristische Argumentation Einfluß gewinnen. Insgesamt hängt der Stabilisierungseffekt, den Basistheorie auf die juristische Argumentation ausüben kann, von ihrer Ausformung und [157] ihrer (ideologischen, sozialen oder i. e. S. politisch gesicherten) Autorität ab, während die materiellen Gehalte der Basistheorie die Rationalität der Argu-
Beispiele bei Rüthers, a.a.O. (N. 26).
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mentation (mit-)bestimmen. In einer offenen, pluralistischen Gesellschaft mit der Chance zur wirksamen Kritik von Basistheorie stellt sich nicht nur das Problem der Ablösung veralteter und erstarrter Elemente darin, sondern umgekehrt zugleich das Problem, wie man überhaupt Basistheorie als Stabilisierungsfaktor erhalten kann. Punktuelle Symptome sind Grundsatzdiskussionen zu konkreten Rechtsfragen wie Wehrdienstverweigerung, Demonstrationsrecht, Strafbarkeit der Abtreibung. Man muß hier unterscheiden zwischen einer aufklärerischen Umschichtung von Basistheorie, die gewisse alte Verbindlichkeiten abbaut, und einem prinzipiellen Pluralismus, der zur „Minimierung von Gemeinschaftswerten“ – also Basistheorie – tendiert. Bezeichnend für diese Situation ist die neuerdings erhobene Forderung, die Zukunft müsse angesichts der Pluralität der Gesellschaft in verstärktem Maß dem positiven Gesetz gehören34. Fehlender Konsens auf der Ebene der Basistheorie soll also durch gesetzesförmigen Konsens kompensiert werden, was nach historischer Erfahrung und methodologischer Einsicht nur begrenzt möglich ist. Eine vordringend technologische Ideologie erhofft dagegen eine Entschärfung des Problems dadurch, daß die Steuerung der Gesellschaft zunehmend von objektivierten Sozialtechniken übernommen werden kann.
III. 1. Unsere knappe Übersicht über Argumentieren mit Gesetz, mit Dogmatik und Basistheorie zeigt, daß der dialektische Prozeß der Entscheidungsfindung und -begründung auf allen Argumentationsebenen von Aussageautoritäten stabilisiert und gesteuert wird. Diese argumentativen Autoritäten prägen die Struktur des juristischen Denkens im Sinn einer Restriktion der eigenen Reflexion der Teilnehmer am Rechtsgespräch. Autorität formt Rationalität. Oder: Autorität deformiert Rationalität? – Wenn es sich so verhält, welche Chance rationaler Argumentation besteht überhaupt? Wie ist argumentative Autorität zu bewerten? Eine mögliche Antwort der Systemtheorie könnte lauten: Es kommt nicht auf die Argumentation an sich an, sondern nur auf Entscheidungseffizienz. Denn Richtigkeit von Entscheidungsinhalten ist schon wegen der Komplexität der zu entscheidenden Konflikte nicht zu erreichen. Sozialtechnisch wichtig ist, daß überhaupt entschieden wird. Argumentative Autorität beschreibe eine bestimmte Funktion des Entscheidungssystems, nämlich Legitimationstechnik. Die materiellen Inhalte der Argu- [158] mente seien nur von Interesse, soweit sie dieser Funktion dienten. Diese Deutung ist ebenso bestechend wie einseitig. Sie berücksichtigt nicht, daß soziale Ent34 Hans F. Zacher, Pluralität der Gesellschaft als rechtspolitische Aufgabe, Der Staat 1970, 161–186 (170 ff.).
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scheidungssysteme, dessen Akteure argumentierende und damit vermutlich denkende Menschen sind, auf die Dauer nicht funktionieren, wenn es sich herumspricht, daß es auf Denkinhalte allenfalls funktional ankommt, wenn das Reden „als ob“ Prinzip wird. Allgemeines Augurenlächeln ist tödlich. Argumentative Autorität funktioniert nur, solange sie nicht als irrational erkannt ist. Andernfalls kann nur blanke Macht das System erhalten. Eine mögliche Alternative könnte die Emanzipation des juristischen Denkens von den gegebenen Argumentationsautoritäten sein. Sie könnte Aufklärung bewirken, in Abwandlung der Worte Kants den „Ausgang der Juristen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit“. Sie könnte zugleich die dahinter stehenden politischen Autoritäten und Bevormundungen treffen. Es ist nützlich, sich hier über das genaue Programm einer solchen Emanzipation zu verständigen. Nehmen wir an, es wäre die radikale Beseitigung aller argumentativen Autorität im juristischen Denken. Damit würden zugleich die darin liegenden Kommunikations- und Konsensmöglichkeiten beseitigt, zugleich die eben damit verbundenen politischen Funktionen des Rechts. – Tatsächlich würde natürlich etwas ganz anderes eintreten. Denn eine solche Emanzipation würde natürlich in der gesellschaftlichen Realität das Bedürfnis nach rechtsförmiger Absorption von Konflikten nicht ebenfalls im gleichen Ausmaß beseitigen. Der Jurist wird weiterhin vor der Notwendigkeit stehen, rechtliche Entscheidungen herzustellen und darzustellen. Solange man mitteilbare, nachvollziehbare und konsensfähige Entscheidungsinhalte fordert, werden neue Autoritäten an die Stelle der abgeschafften treten, neue Regeln, Dogmatiken und wissenschaftliche Stile, neue Ideologien, möglicherweise unreflektierte und unkontrollierte. Die im Recht maßgeblichen Aussageautoritäten können substituiert werden, nicht aber endgültig eliminiert, es sei denn um den Preis einer entsprechenden Reduktion des Rechtsbereichs, die nur partiell möglich und insoweit der historischen Betrachtung geläufig ist35. Ein emanzipatorisches Programm des juristischen Denkens kann demnach sinnvoll nur formuliert werden, wenn es dessen pragmatischen Bezug auf komplexe Konfliktssituationen anerkennt und sein praktisches Erkenntnisinteresse an Entscheidungsinhalten beibehält. Das Programm kann nicht lauten: Beseitigung des argumentum ab auctoritate, sondern seine rationale Kontrolle. Dies bedeutet: Abbau solcher Autoritäten, die [159] sich nicht als rational erweisen, durch wirksame Kritik, und Mitwirkung bei der Herstellung neuer Autoritäten, welche die Fähigkeit des juristischen Denkens zu rationaler Entscheidung sichern. 35 Anschauliche Beispiele für die Reduktion des Rechtsbereichs als Folge des Abbaus von Verbindlichkeiten im Bereich der Basistheorie bietet die Geschichte der Abschaffung von Straftatbeständen, angefangen von Tierstrafen, Leibesstrafen, Zaubereidelikten bis hin zu modernen Reduzierungen des Sexualstrafrechts. Diese Reduktion scheint aber nicht unbegrenzt möglich.
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Diese rationale Kritik ist möglich, ohne die Argumentation zu zerstören. Wir haben bisher die Rationalität des juristischen Denkens vom argumentum ab auctoritate her beschrieben und Abhängigkeiten gezeigt. Aber diese Abhängigkeit ist nicht einseitig. Zwar gilt die Abhängigkeit: verbindliche Argumente erzeugen Konsens. Konsens entscheidet über Richtigkeit. Aber dies schließt nicht aus, die Verbindlichkeit selbst dialektisch anzugreifen. Ebenso wie die Teilnehmer des Rechtsgesprächs den Sinn eines jeden juristischen Arguments, etwa eines Gesetzesparagraphen, im Hinblick auf die anstehende Entscheidung im sozialen Kontext neu herstellen müssen, ebenso können und müssen sie seine – letztlich auf einem Rationalitätsanspruch beruhende – Verbindlichkeit kritisch reflektieren und notfalls verwerfen. Sie haben gerade im dialektischen, argumentativen Denken die Chance kritischer Reflexion darüber, aus welchem Grund und in welchem Umfang es sinnvoll ist, sich auf eine bestimmte argumentative Autorität zu berufen und sie im Denken zu akzeptieren. Die erwähnten institutionellen Sicherungen der Verbindlichkeit von juristischen Argumenten, insbesondere durch gesetzliche Positivierung, restringieren zwar Kritik; diese bleibt aber möglich vor allem innerhalb der Interpretationsspielräume und jedenfalls durch rechtspolitische Infragestellungen. Die rationale Überprüfung rechtlicher Argumente muß fragen, ob das betreffende Argument zwei Kriterien standhält: erstens; ist es, wie Aristoteles sagt, das „am meisten Wißbare“, d. h. ist es gemessen am zeitgenössischen Stand von Wissen und Erfahrung kritikfest? Zweitens: ist es wirklicher Konsens der Rechtsgemeinschaft, oder vormaliger und überholter, oder durch Macht manipulierter oder vorgetäuschter Konsens? Die Entzauberung herrschender Meinungen, die aus einem Referentenkommentar und zwei Aufsätzen interessierter Fachanwälte hergestellt sind36, ist dabei eine relativ harmlose Aufgabe. Die großen Probleme liegen darin, daß die Juristen ihres Gegenstandes immer weniger sicher sein können und zunehmend auf Informationen aus anderen Wissensdisziplinen angewiesen sind. In deren Einbeziehung liegen neue Rationalitätschancen, aber auch neue Gefahren: was uns in der Zukunft unserer wissenschaftsorientierten Gesellschaft die technokratischen Fachleute an rechtlich relevanten argumenta ab auctoritate bescheren werden, darf nicht gläubig und unbesehen übernommen werden; hier sind vielmehr ständig Kriterien rationaler Gegenkontrolle neu zu entwickeln. [160] Insgesamt werden die Juristen ihr Geschäft, vorgegebene Denkinhalte zu verwalten, auch in Zukunft nicht los werden. Aber sie sind in der Lage und verpflichtet, diese Denkinhalte unablässig kritisch auf ihren Anspruch 36 Kritisch zum Problem der Herstellung und Darstellung herrschender Meinungen in der Rechtsprechung z. B. Alexander Lüderitz, Recht von anonymen Richtern?, AcP 168 (1968) 329–350.
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hin zu überprüfen, unter dem sie allein argumentative Verbindlichkeit haben können, nämlich ob sie rationaler Konsens der gegenwärtigen Rechtsgemeinschaft sind.
IV. Zusammenfassung: 1. Juristisches Denken ist Argumentation im Hinblick auf Entscheidungen. Die Rationalität dieses Denkprozesses kann wegen der Komplexität der Erkenntnisaufgabe und wegen der Notwendigkeit zur Entscheidung nur in einem (klassisch-)dialektischen Verfahren, das auf Konsens ausgeht, gesichert werden. Das doppelte Problem der Konsensfähigkeit und der Entscheidungsfähigkeit erfordert den Rückgriff auf argumentative Autorität, d. h. vorgegebene Verbindlichkeit von Argumenten, zur Kommunikation, Stabilisierung des Dialogs und Letztbegründung von Entscheidungen (Aussageautorität). 2. Argumentative Autorität erweist sich damit als Strukturmerkmal juristischer Rationalität. Es ist auf allen Ebenen juristischer Argumentation – der des positiven Rechtstextes (insbes. Gesetzes), der Rechtsdogmatik und der Basistheorien des Rechts – in historisch wechselnden Gehalten und Gewichtungen ständig gegeben. Aussageautorität tritt mit Konsensbehauptung und Rationalitätsbehauptung auf. Im Bereich des kontinentaleuropäischen Rechts hat sich die „Wissenschaftlichkeit“ der Rechtsfindung als dauerhafte Aussageautorität erwiesen. 3. Autorität ist damit zugleich das Kernproblem einer so strukturierten Rationalität. Es wäre verfehlt, aus dem (zu 2) genannten Sachverhalt nur sozialtechnische Konsequenzen zu ziehen, weil eine rein funktionale Auffassung von Aussageautorität diese bereits partiell (als Rationalitätsbehauptung) auflöst. – Andererseits können Ansprüche kritischer Rationalität oder emanzipatorische Forderungen an das juristische Denken sinnvoll nur unter Berücksichtigung des genannten Sachverhaltes formuliert werden. Kritische Rationalität bedeutet hier kontrollierende Reflexion über argumentative Autoritäten, Emanzipation ihren Abbau. Dieser ist – ohne gleichzeitige Reduktion des Rechtsbereichs – nur möglich durch Substitution. Die Rationalität emanpizatorischer Ansprüche erfordert daher die Aufdeckung der neuen, substitutiven Autoritäten und die Überprüfung ihrer Konsens- und Entscheidungsfähigkeit.
Argumentum ab auctoritate in der legistischen Argumentationstheorie In Festschrift für Franz Wieacker, 1978, S. 261–272 1. Die mittelalterliche Wissenschaft vom römischen Recht unterschied sich von ihrem antiken Vorbild und Erkenntnisobjekt durch einen kontinuierlich zunehmenden Begründungsaufwand. Dieser unterlag den Regeln eines wissenschaftlichen Stils, den die Legistik auf der Grundlage der trivialen Schulphilosophie und später unter gewissem Einfluß der neuen Aristotelesrezeption parallel zu anderen scholastischen Disziplinen ausbildete1. Die Begründung rechtlicher Entscheidungen durch explizite und regelhaft verwendete Argumente ist seitdem traditionelles und selbstverständliches Kriterium rechtswissenschaftlicher Arbeit2; sie gilt uns zugleich als Voraussetzung rechtsstaatlicher Rechtsanwendung. Die Legisten haben keine geschlossenen Darstellungen ihrer Fachmethodik ausgearbeitet, wohl aber bestimmte Ausschnitte ihrer Arbeitsweise zunehmend methodentheoretisch reflektiert. Am bemerkenswertesten sind hier Darstellungen der Argumentationslehren de modis arguendi, in der Hauptsache kleine Kataloge der für Juristen verwendbaren Argumentationsformen mit Erläuterungen und Quellenbelegen sowie z. T. theoretischen Vorbemerkungen. Diese Darstellungen finden wir – nach eher beiläufigen und sporadischen Bemerkungen der Glossatoren3 – zuerst im späten 13. Jhdt. und dann kontinuierlich und mit wachsendem Umfang als Traktate, auf die
1 Gerhard Otte, Dialektik und Jurisprudenz. Untersuchungen zur Methode der Glossatoren, Frankfurt/M. 1971 (dazu Rez. N. Horn, SZRom 90 (1973) 494–503); Norbert Horn, Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus philosophus, in: Ius commune I (1967) 104–149. 2 Wieweit die antike römische Jurisprudenz dieses Kriterium erfüllt oder überhaupt an ihm gemessen werden darf, ist eine lebhaft erörterte Frage. Dazu zuletzt Franz Wieacker, Die Rolle des Arguments in der römischen Jurisprudenz, in: Festschrift für Max Kaser zum 70. Geburtstag, ed. Medicus/Seiler, München 1976, 3–27. S. auch Franz Horak, Rationes decidendi. Entscheidungsbegründungen bei den älteren römischen Juristen bis Labeo, Aalen 1969 (dazu Rez. F. Wieacker, SZRom 88 (1971) 339–355). 3 Überblick mit Beispielen bei Otte, a.a.O. 189ff. – Die Glossatoren stellten allerdings Listen (vor allem konträrer) juristischer Argumente zusammen; Peter Weimar, Argumenta brocardica, Studia Gratiana XIV (1967), 89–124. Es handelt sich jedoch um problemorientierte Fachargumente, nicht allgemeine Argumentationsformen, wie sie mit den modi arguendi vor allem gemeint sind.
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vor allem Caprioli durch seine Editionen aufmerksam gemacht hat4, oder als geschlossene Exkurse in den Kommentaren5. Die Literatur beginnt mit den kleinen Traktaten des Dinus de Mugello und [262] des Jacobus de Arena; es folgen eine Arbeit aus der Schule des Cinus, Darstellungen des Rainerius de Forlivio und des Baldus de Ubaldis, im 15. Jahrhundert die breitere Abhandlung des Johannis Baptista de Caccialupis. – In der humanistischen Jurisprudenz wird die Literatur in den besser bekannten Schriften zur dialectica legalis weitergeführt, etwa des Cantiuncula, Gammarus, Everardus6, und mündet in eine massenhafte populäre Literatur zur juristischen Logik7. – Die folgende Betrachtung konzentriert sich auf die früheren und grundlegenden Texte der Kommentatorenzeit8. Die Abhandlungen de modis arguendi stellen sich im Kern als Listen von ciceronischen loci communes dar, wobei nächste Einflußquelle die Schrift des Boethius »De differentiis topicis«, Grundlage letztlich Aristoteles’ Rhetorik und Topik ist9. Das Interesse an der allgemeinen Form und logischen Struktur von Argumenten steht dabei im Vordergrund10. Argumente in diesem Sinne in den genannten Texten sind z. B. argumentum ab antecedente destructo, ab absurdis, ab accidenti, a causa efficienti, finali, formali, a diffinitione. Daneben werden zunehmend auch juristische Fachargumente aufgenommen:
Severino Caprioli, De modis arguendi scripta rariora, Studi Senesi 75 (1963) 30–55 (1. Dini opusculum); 107–124 (2. Raineri summa super modo arguendi); 230–234 (3. de variis modis arguendi nach Jacobus de Arena); 234–250 (4. anonyme Londoner Lectura aus der Schule des Cinus); 77 (1965) 355–414 (5. Johannis Baptista de Caccialupis opusculum). 5 So bei Baldus, bekannt als Teil seiner Kommentierung zu C. 1.3.15 (benutzte Ausg. Venetiis 1577). – Zugleich als selbständiger Text ›De modis arguendi‹ überliefert in MS Bologna CS, 193 (Nachw. Gero Dolezalek, Verzeichnis d. Handschr. z. röm. Recht bis 1600; Frankfurt 1972, in Bd I u. III). 6 C. Cantiuncula, Topica legalia, Basileae 1545; P. Gammarus, Dialectica legalia, Venetiis 1533; N. Everardus, Loci argumentorum, Lugduni 1568. Dazu Vincenzo Piano Mortari, Dialettica e giurisprudenza. Studi sui trattati di dialettica legale del sec. xvi, in: ASD 1 (1957) 293–401; neuester Überblick bei Hans-Erich Troje, Die Literatur des gemeinen Rechts unter dem Einfluß des Humanismus, in: Coing, Handbuch II. 1, München 1977, 731–738 mit Quellennachweisen 738ff. 7 Troje, a.a.O., 735ff. 8 Für diese Zeit sind neben den erwähnten Werken (N. 4,5) auch kürzere Erläuterungen in den Kommentaren ergänzend zu berücksichtigen, z. B. Bartolus zu D. 1.3.31 (benutzte Ausgabe Venetiis 1603; dort no. 21). 9 Zur Bedeutung der (von Themistios stärker als von Cicero beeinflußten) Schrift des Boethius für die Glossatoren sowie zu den einzelnen in der Legistik rezipierten loci vgl. Otte, a.a.O., 188 ff. – Zur neuen Aristotelesrezeption und ihrem Einfluß auf die Kommentatoren (der hinsichtlich der Logik im einzelnen weniger deutlich nachzuweisen ist) vgl. Horn, a.a.O. (N. 1). 10 Genau genommen muß nach der ciceronischen Topik zwischen loci communes als sedes argumenti und den Argumenten selbst unterschieden werden. Die Unterscheidung ist aber bei der Betrachtung des einzelnen Arguments (und seines locus) ziemlich unergiebig. 4
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argumentum ab actibus legitimis, a bona fide, a bonitate, de contractibus ad iudicia, a diligentia11. Der Begriff des argumentum ist in seiner allgemeinen Bedeutung als ›Argument‹, als ›Grund-Satz‹ im Beweis bereits den Glossatoren vertraut, wobei gewöhnlich die ciceronische Definition des argumentum als ratio quae rei dubiae faciat fidem verwendet wird12. Baldus sagt dementsprechend: Omnis bona ratio potest dici argumentum ... nam argumentum est ratio rei dubiae faciens fidem ... quicquid ergo facit fidem de re dubia, potest dici argumentum13. [263]
Das Denkverfahren der Legisten, in dessen Rahmen die Argumente zum Beweis verwendet werden sollen, ist nach den von ihnen rezipierten philosophischen Lehren, nach ihrem methodischen Selbstverständnis und wohl auch in der wissenschaftlichen Praxis der Legistik durch zwei Kriterien gekennzeichnet: es werden Prämissen i. S. der Topik verwendet, d. h. durch Konsens anerkannte Argumente. Zweitens erfolgt die Argumentation nicht im strengen Schlußverfahren, sondern Schlüsse bilden nur Einzelelemente im Rahmen einer dialogischen, auf die Abwägung von pro und contra angelegten Begründung. Dies ist heute im wesentlichen geklärt14. Beide erwähnten Aspekte werden im hier betrachteten Zeitabschnitt theoretisch reflektiert, wie Äußerungen des Baldus demonstrieren. Danach haben es die Juristen erstens mit Prämissen (und Ergebnissen) zu tun, die auf Anerkennung und Konsens beruhende Sätze darstellen: quod videtur aequum omnibus, vel pluribus, vel saltem sapientibus censetur aequitas naturalis et scripta15.
Hier ist die gängige aristotelisch-boethianische Formel verwendet, mit der die ›topische‹ Beschaffenheit anerkannter (und möglicherweise wahrer) Sätze umschrieben wird, die probabilis heißen im Gegensatz zu wahren und zwingenden (aber nur möglicherweise anerkannten) Argumenten, die als necessarium bezeichnet werden16. Zweitens wird von Baldus das Verfahren, in dem Argumente von Juristen verwendet werden, als disputatio, als Verarbeitung widerstreitender Gesichtspunkte, gekennzeichnet: 11 Vgl. die synoptische Argumentenliste für Dinus, Jacobus, die anonyme Londoner HS, Rainerius und Johannes de Caccialupis bei Caprioli, a.a.O. (N. 4), Studi Senesi 77 (1965), 409ff. 12 Cicero, Topica II 8 (Ausg.: De inventione. De optimo genere oratorum. Topica, London/Cambridge Mass. 1960); zur Rezeption bei den Glossatoren Weimar, a.a.O. 96f.; Otte, a.a.O. 164f. 13 A.a.O. (N. 5). 14 Vgl. statt aller Otte, a.a.O. 186ff., 226, 229f.; unter allg. rechtstheoretischen Gesichtspunkten Theodor Viehweg, Topik und Jurisprudenz, 5. Aufl. München 1974. 15 Baldus, Dekretalenkommentar, X. 1.6.8.n.6 (Ausg. Augustae Taurinorum 1578). 16 Aristoteles, Topik A 1 (100 b) (ed. Bekker, Neudruck Darmstadt 1960); Boethius, De differentiis topicis libri quattuor (Opera omnia, ed. Migne tom. 64, Paris 1860) II 1180 CD; dazu Otte, a.a.O. 186ff.
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Argumentum ab auctoritate in der legistischen Argumentationstheorie
argumentum proprie est artistarum et legistarum ... et hoc est quod lex dicit: argumentatione causa deciditur, ut (D 36.1.76.1.), id est per rationem disputandi, que potius est indicium quam testimonium17.
II. 1. In den meisten Darstellungen der modi arguendi wird das argumentum ab auctoritate behandelt18. Es verdient besondere Aufmerksamkeit nicht nur, weil mit auctoritas ein Begriff von großer rechts- und geistesgeschichtlicher Reichweite angesprochen ist, sondern auch weil das argumentum ab auctoritate in seiner noch zu besprechenden potentiellen Verallgemeinerungsfähigkeit argumentationstheoretische Probleme aufwarf. Hier sind daher gewisse Aufschlüsse über methodisches Selbstverständnis und methodische Praxis der Legisten zu erwarten, worauf zuerst Piano Mortari aufmerksam gemacht hat19. Daraus wie- [264] derum können sich rechtshistorische Anregungen für moderne rechtstheoretische Fragestellungen ergeben20. Mit dem argumentum ab auctoritate bezeichnen die Autoren – meist ohne weitere Erläuterung – die Berufung auf die Tatsache, daß ein bestimmter Satz durch die Aussage einer Person, deren Urteil Ansehen genießt, unterstützt wird. Dinus beschränkt seine Erklärung des argumentum ab auctoritate auf die kommentarlose Aufzählung einiger Quellenstellen, in denen die auctoritas des Hippocrates, Homer, Aristoteles und des Kaisers Claudius berufen wird21. Bei Bartolus tritt der Gedanke der Fachkompetenz als Grundlage der Autorität deutlicher hervor: authoritas poete vel alterius excellentis viri probat in arte sua ... Ergo authoritas excellentis doctoris22.
Johannis de Caccialupis stellt in breiter Aufzählung die verschiedenen Wissensbereiche und Fächer nebeneinander, deren kompetente Beherrschung
Baldus, C. 4.19. Ru. (iudicium statt indicium?). Von den oben (bei N. 4,5) genannten Autoren: Dinus, Rainerius, Baldus, Caccialupus. Dazu i. F. 19 Vincenzo Piano Mortari, L’argumentum ab auctoritate nel pensiero dei giuristi medievali, RISG 1954, 457–468, der aber u. a. die von Caprioli später edierten Texte noch nicht beürcksichtigen konnte und das Thema nicht erschöpft. 20 Rogelio Perez Perdomo, L’argument d’autorité dans le raisonnement juridique, APD 16 (1971) 227–244; Norbert Horn, Rationalität und Autorität in der juristischen Argumentation, in: Rechtstheorie 6 (1975) 145–160; krit. Enrique P. Haba, Rechtstheorie 8 (1977), 145–163. 21 Dinus, a.a.O. (N. 4) 42: D 1.5.12 (Hippocrates); D 18.1.1 (Homer); D 46.3.36 (Aristoteles); Inst. 3.23.2 (Homer); C 2.13 (14). 1 (Claudius). 22 D 1.3.31 (Ausg.: Augustae Taurinorum 1573); dazu auch Piano Mortari, a.a.O. (N. 19) 462. 17 18
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Aussageautorität verleiht, wobei er deren Relevanz für die juristische Argumentation durch Quellenbelege nachweist: cuilibet doctissimo in arte sua est credendum: de iureconsulto habes in (D 12.1.1) (Inst 1.2.3), in (D 39.2.32), in (D 40.2.5). De poeta habes in (D 18.1.1) in (D 1.8.6.5), in (D 33.10.9.1) (Inst 2.7.1; 3.23.2). De philosophis habes in (D 50.11.2), ubi dicitur quod plato fuit summe auctoritatis apud grecos propter suam prudentiam; item (C 11.19.1; 6.22.10). De medico habes in (D 1.5.12; 5.4.3; 46.3.36). Item de auctoritate sanctorum habes ...23.
Die Aufzählung wird ergänzt durch weitere Autoritäten, die vor allem für Kanonistik und Theologie wichtig waren: auctoritas sanctorum, Papst, Kirchenväter. 2. Das argumentum ab auctoritate konnte sich demnach sowohl auf außerjuristisches Ansehen beziehen, wobei zwischen Fachkompetenzen im engeren Sinn (doctissimus in arte sua) und sonstigem Ansehen – Lehrautorität der Kirchenväter, Amtsautorität des Papstes – zu unterscheiden ist, als auch auf die juristische Kompetenz des iureconsultus (Fachkompetenz und Amt). Bei dieser Bedeutungsvielfalt ist zusätzlich zu beachten, daß in den römischen Quellen auctoritas als juristischer Terminus in vielfältigen Bedeutungen gebraucht wird24 und daß in der Sprache der Legistik bisweilen die Quellen selbst als auctoritates bezeichnet werden25. Man muß daher mit der Möglichkeit rechnen, daß sich das argumentum ab auctoritate in sehr viele Bedeutungsrichtungen ausdehnte, wobei sich theoretische Abgrenzungsprobleme ergeben konnten. [265] Dieses Abgrenzungsproblem konnte entweder durch Einschränkung des Begriffs der auctoritas i. S. des argumentum ab auctoritate gelöst werden oder dadurch, daß man auctoritas als Grundbegriff der ganzen Argumentationslehre verwendete und innerhalb dieses Begriffs differenzierte. Für die letztere Möglichkeit sprechen mehrere allgemeine Gründe. Einmal wird im Mittelalter in allen Wissenschaften der Begriff der auctoritas mit großer Bedeutungsfülle gebraucht und zwar in Nähe und Spannungsverhältnis zu ratio, wodurch die Funktion der auctoritas als Erkenntnisquelle und Erkenntnisanleitung sinnfällig wird26. Auctoritas erscheint als eine sehr allgemeine Kategorie wissenschaftlicher Erkenntnis. Zweitens ergibt sich eine sachliche Nähe zum allgemeinen Begriff des Arguments i. S. der aristotelischboethianischen Topik, die ja der Lehre von den modi arguendi zugrunde lag. Denn wenn dort die Zulässigkeit eines Arguments von seiner Anerkennung A.a.O. (N. 4), 372. Vgl. Heumann/Seckel, Handlexikon zu den Quellen des römischen Rechts, 10. Aufl. Graz 1958, 43f., v. auctoritas. 25 Vgl. Otte, a.a.O. 211, N. 152. 26 Vgl. dazu den i. F. zit. Text von Rainerius (u. bei N. 28 Ende). Allg. zum Begriff der auctoritas Piano Mortari, a.a.O. (N. 19). Nützlicher ergänzender Überblick zur antiken Begriffsgeschichte bei Karl Heinrich Lüttcke, auctoritas bei Augustin, Stuttgart 1968, I. Teil (S. 13 ff.). 23 24
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abhängig gemacht wird, diese aber wiederum vom Urteil der sapientes, der Fachautoritäten abhängt, wobei unter den Fachautoritäten wiederum das größte Ansehen den Ausschlag gibt, dann wird auctoritas zu einem allgemeinen Kriterium von Argumenten. Das argumentum ab auctoritate ist insoweit mehr als eine unter mehreren Schlußformen; denn es weist auf eine allgemeine Eigenschaft von topischen Prämissen hin. Argumentationstheoretische Überlegungen zur auctoritas mußten sich dann auf eine Differenzierung der Prämissen, also eine unterschiedliche Gewichtung der verschiedenen auctoritates, richten. Im folgenden soll anhand der knappen theoretischen Ausführungen der Legisten zum argumentum ab auctoritate, insbesondere des Rainerius und des Baldus, geprüft werden, wieweit sich diese latente Verallgemeinerungsfähigkeit der auctoritas in der Argumentationstheorie auswirkte und wie die angedeuteten Abgrenzungsprobleme gelöst wurden27. 3. Rainerius geht getreu der Tradition von einem engen Begriff des argumentum ab auctoritate aus. Er teilt die Argumente allgemein in drei Klassen: ex lege, ex ratione, und exemplo, wozu argumentum ab auctoritate und argumentum a communiter acciden- [266] tibus gezählt werden. Die ersten beiden werden als modi validi et necessarii bezeichnet, der dritte, zu dem das arg. ab auctoritate gehört, als multum probabile: Si vis scire quot modis arguatur in iure nostro, dic plenius aliquo: quia enim duobus modis validis et necessariis valde et tertio multum probabile, s(cilicet) exemplo. Possumus vero duobus modis s(cilicet) lege et ratione. Lege ut (C 6.20.19; D. 47.15.3.3; 48.1.1; auth 3.5.5/Nov. 18.5). Vel ratione, videlicet naturali, ut (D 48.20.7; 50.16.220.3; C 1.3.36(37).2; 8.2.3). Et quante virtutis existat dic quia veritas, ratio et deus equiparantur ... Que specialia habere debeat, dic quod ... duo per iura nostra civilia ... quod concludat necessario et generaliter ... Dic per exempla i. di. consuetudo (c. 5). Quem secundum modum arguendi peroptime sciunt ignorantes; sed miscere unum cum aliis pulcherrimum philosophicum sylogisticum et scientificum est. Circa exempla dic quod ad istud argumentum reducitur argumentum ab auctoritate et argumentum a communiter et frequenter accidentibus, unde non solum videtur probabile, ymmo necessarium, quod tamen inducat rationem. Nam dicitur ›Omnis maioris actus nostra debet esse instructio‹, ut (Inst. 4.11.7)28.
Das argumentum ab auctoritate wird mit dem argumentum a communiter et frequenter accidentibus, also der Berufung auf Erfahrungssätze und »Alltagstheorien«, zusammen dem argumentum ab exemplo zugerechnet und den anderen Argumenten gegenübergestellt. Dies entspricht einer traditionellen ciceronischen Einteilung, wonach die aus der Sache entstammenden Argumente (argumenta intrinseca) und das argumentum ab exemplo als extrinsecum unterschieden werden, wobei die Berufung auf auctoritas Hauptbeispiel
27 28
Dazu die Textbeispiele i. F. (II). Vgl. auch einige Nachweise bei Piano Mortari, a.a.O. A.a.O. (N. 4) 111ff.
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des letzteren ist29. Dieser Gedanke ist in der legistischen Tradition rezipiert30. Die Unterscheidung des argumentum ab auctoritate vom Argument mit dem Gesetz (Quellentext) erfolgt nach dem geläufigen boethianischen Begriffspaar necessarium-probabile31. Das Argument mit der auctoritas ist demnach annehmbar, plausibel, aber nicht zwingend; diese Feststellung wird am Schluß wieder eingeschränkt (necessarium, quod tamen inducat rationem). Isoliert verwendet sei das Argument ein Zeichen von Ignoranz; zusammen mit anderen Argumenten Zeugnis bester Gelehrsamkeit. Bei der Erläuterung der einzelnen Argumente erörtert Rainerius erneut die Frage der offensichtlich geringer eingeschätzten Beweiskraft. Das Argument sei fragile und probabile non necessarium. Nach Belegen pro und contra dieser These entscheidet Rainerius, daß die vom Gesetzestext selbst anerkannte (außerjuristische?) auctoritas ein zwingendes Argument begründe, jede andere dagegen nur ein annehmbares: Solve sic cum queritur an per se inducat necessarium vel probabile; et dico quod probabile tantum: ita loquuntur primo all(egata). Aut queritur quoties de iure recepta est autoritas, et tunc inducit necessarium non propter se, sed propter iuris auctoritatem32.
Baldus33 geht dagegen von einem weiten Begriff der auctoritas aus. Er nimmt einleitend eine grundsätzliche Kennzeichnung der juristischen Argumentation vor, indem er die rechtliche Argumentation dem Tatsachenbeweis durch Zeugen gegenüberstellt: Tractabo autem de argumentis dupliciter. Uno modo de argumento artificiali, sive disputatorio, prout convenit Legistis pro proposito ostendo. Secundo de argumento a ratione naturali, prout convenit testi: nam ratio testis debet esse naturalis, non civilis, nisi quando adhibentur super peritia, ut infra patebit. Revertor ad primum et dico quod in legibus habemus multa argumenta ...
Bei der Abhandlung der einzelnen Argumente, die dem Juristen zur Verfügung stehen, wird das argumentum ab auctoritate nur knapp erörtert. Er nimmt [267] aber innerhalb dieses Arguments eine interessante Unterscheidung nach der verschiedenen Beweiskraft vor, differenziert also nach verschiedenen auctoritates oder – i. S. der oben bezeichneten Fragestellung – nach verschiedenen Arten von juristischen Prämissen: Item est argumentum ab authoritate, et hoc sumitur dupliciter. Uno modo ab authoritate probabili et necessaria, (D 40.9.12). Alio modo a probabili authoritate tantum, et tunc Topica 4.24. Bei Rainerius selbst wird auf Azos Summa verwiesen. Vgl. auch allg. Otte, a.a.O. 211 mit Hinweis auf Johannes Bassianus. 31 Diese Unterscheidung bezieht sich genau genommen auf Prämissen, nicht auf Schlußformen; vgl. oben und auch Otte, a.a.O. 187ff. 32 A.a.O. (N. 4) 140. – Die Lösung entspricht der, welche bereits die Glossatoren für den Konflikt von aequitas und lex durch die Lehre von der aequitas scripta gefunden haben; Nachweise Norbert Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, Köln 1968, 26, 20ff. 33 C. 1.3.15 (N. 5). 29 30
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tale argumentum vincitur per rationem manifestam: unde authoritas gl. convincitur per tex. vel per rationem necessario inferentem, contra glo. (D 33.10.7.2). Sed ab authoritate probabili vel incerta nullum sumitur argumentum33a.
Probabilis und necessarium erscheinen hier noch weniger als bei Rainerius als Gegensatz. Das argumentum ab auctoritate wird als allgemeine Kategorie juristischer Argumente in Abstufungen seiner Geltung behandelt. Für den ersten Fall des ›zwingenden und plausiblen‹ Arguments wird ein Quellentext angeführt, der als Standardbeleg für rigor iuris und ius strictum gilt34. Man könnte daran denken, daß die vorgenommene Dreiteilung der Unterscheidung von lex (Quellentext), juristischer Fachautorität und außerjuristischer Autorität entspricht. Mit Rücksicht auf andere Äußerungen des Baldus ist jedoch anzunehmen, daß er nicht alle außerjuristischen auctoritates als incertae verwerfen wollte, sondern viele von ihnen, z. B. die Berufung auf Aristoteles und allgemein auf die Philosophie, zumindest der mittleren Gruppe der annehmbaren Argumente zurechnete35.
III. Nach Bartolus und Johannes de Caccialupis war demnach die Berufung auf juristische wie auf außerjuristische Fachautorität zulässiges argumentum ab auctoritate36, nach Baldus war auch die Berufung auf die lex selbst in die Lehre vom argumentum ab auctoritate einbezogen. Wie diese drei Argumentationsweisen im einzelnen argumentationstheoretisch bewertet wurden, soll abschließend näher geklärt werden. 1. Ursprünglich verband sich in der Legistik mit dem argumentum ab auctoritate die Vorstellung von außerjuristischen Autoritäten37. In den römischen Quellen fanden die Legisten Bezugnahmen auf Homer, Hippokrates, Vergil; diese Stellen deuteten sie mit der genannten Kategorie38. Die Berufung auf poetae und philosophi sowie allgemein Fachleute anderer Wissenschaften wird von Bartolus und Baldus sowie im ausführlichen Fächerkatalog des
C. 1.3.15 (N. 5). D. 40.9.12.1: quod quidam perquam durum est, sed ita lex scripta est. Zur Verwendung der Stelle als Standardargument in diesem Sinn Horn, Aequitas, a.a.O. 25 N. 40. 35 Zur Bedeutung der Philosophie, insbes. der Ethik für die Jurisprudenz und zur häufigen Zitierung des Aristoteles durch Baldus Horn, Philosophie, a.a.O. (N. 1). 36 Vgl. die Texte oben bei N. 22 und N. 23. 37 Dies ist der wohl zutreffende Eindruck von Otte für die Glossatoren; a.a.O. 211. 38 Bei Dinus erschöpft sich Erläuterung des arg. ab auctoritate weithin in der Aufzählung solcher Quellenstellen; vgl. oben II. 1 N. 21. 33a 34
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Johannes de [268] Caccialupis ausdrücklich als zulässig bezeichnet39. Über die Beweiskraft der Berufung auf die authoritas poetarum äußert sich allerdings schon die Glosse – mit Rücksicht auf die römischen Quellen – recht unsicher40. Immerhin ist das Argument nach der Doktrin auch der Folgezeit durchweg zulässig und besitzt argumentative Kraft: es ist probabile41. Soweit es auf der Fachkompetenz der ars sua beruht, wird seine Reichweite dadurch zugleich theoretisch begrenzt42. Dem Gesetzestext als argumentum necessarium muß dieses Argument jedoch weichen; dies wird von Rainerius und Baldus betont43 und war schon durch die Quellen nahegelegt44. Der allgemeine Eindruck, den die legistische Literatur dem heutigen Betrachter vermittelt, geht nun zweifellos dahin, daß solche Argumente nicht allzu häufig gebraucht wurden; – unhistorisch gesprochen: die Vorliebe der Legisten für interdisziplinäres Argumentieren scheint nicht sehr groß gewesen zu sein. Die Bezugnahme auf außerjuristische auctoritates ist in der Argumentation relativ selten. Zieht man die reinen Paraphrasierungen von Quellen, wo auctoritates genannt werden, und ferner die rein ausschmückende Zitierung ab, so bleibt quantitativ nur wenig. Dennoch sollte man solche Argumente – praktisch: Zitate – nicht einfach als marginal abtun. Sie bleiben nicht nur ein Spiegelbild bildungsgeschichtlicher Entwicklungen, sondern ein wichtiger Indikator der Einflüsse anderer Disziplinen, deren Einwirkung über den Bereich der Zitate weit hinausgeht, auf die Jurisprudenz. So sind – im Gegensatz zu der wohl durchweg marginalen Rolle der poetae – die etwa von den Glossatoren zitierten Texte zur Logik (Dialektik) ein wichtiger Hinweis auf die Grundlagen ihrer Methode45. Die seit den späten Glossatoren deutlicher auftretenden46, bei den Kommentatoren (Baldus) sehr häufigen Aristoteles-Zitate spiegeln die neue Aristoteles-Rezeption47. Im Zusammenhang mit der Berufung auf außerjuristische Autoritäten ist auch kurz auf das Argument mit der ratio einzugehen. Da es sich um einen 39 Vgl. für Bartolus und Johannes de Caccialupis die oben N. 22 und 23 zit. Texte, für Baldus dessen Dekretalenkommentar, wo er zu X 1.31.15 n. 1 (Ausg. Augustae Taurinorum) sagt: non solum divina scriptura, sed etiam philisophorum et poetarum allegatur authoritas. 40 Gl. Virgilius zu D 1.8.6.4 (Ausg. Venetiis 1598). Dort ist im Quellentext Virgilius als testis für eine Auffassung genannt, die sogleich in D 1.8.7 wieder verworfen wird. 41 Vgl. die Texte oben bei N. 28 und 32. Soweit die auctoritas im Quellentext anerkannt wird, gibt sie sogar ein argumentum necessarium ab; vgl. Text bei N. 32 a. E. 42 So vor allem Johannes de Caccialupis; vgl. Text oben bei N. 23. 43 Vgl. die Texte oben bei N. 28 und 33. 44 Nicht nur durch den N. 40 erwähnten Quellenbefund, sondern allgemein durch die von den Quellen eingeschärfte, von den Legisten akzeptierte Gesetzestreue; Nachw. Horn, Aequitas a.a.O. 22 ff. u. passim. 45 So die These von Otte, a.a.O. 21f.; Nachweis der Zitate aus der Glossatorenliteratur dort S. 17–40. 46 Zu vereinzelten Zitaten des Aristoteles bei Azo s. Otte, a.a.O. 24 und 59; zu Aristoteleszitaten der Glosse s. ders., SZRom 85 (1968) 368–393. 47 Horn, Philosophie, a.a.O. (N. 1) mit Zitatstatistiken für Baldus S. 110ff.
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Elementarbegriff der Rechtssprache der römischen Quellen und der aus ihnen von der Legistik entwickelten Interpretationslehren handelt, dessen Bedeutungsvielfalt [269] hier nicht nachgegangen werden kann, beschränken wir uns auf die Frage, wie in den betrachteten Argumentationslehren das Verhältnis der ratio zum argumentum ab auctoritate theoretisch bestimmt wird. Sowohl Rainerius wie Baldus trennen im Ansatz beides streng voneinander, wobei sie einer unterschiedlichen Auffassung von der ratio naturalis folgen; im Ergebnis zeigen sich jedoch bei ihnen interessante Berührungspunkte beider Größen. Rainerius meint, wenn er das argumentum ex ratione vom argumentum ab auctoritate unterscheidet, die in den Quellentexten oft berufene, in der lex beschlossene ratio naturalis, wie seine Zitate zeigen48. Diese ist bekanntlich durch Interpretation zu ermitteln und kann dort, wo die lex schweigt (casus omissus), Argumentations- und Entscheidungsgrundlage sein (extensio legis), was aber Rainerius nicht weiter ausführt. Im weiteren Verlauf der Darlegung stellt Rainerius wieder eine Verbindung insofern her, als auch durch eine auctoritas oder ein exemplum eine solche ratio zum Ausdruck gebracht werden kann, wodurch sich ein argumentum necessarium ergibt49. Dahinter steht die dem mittelalterlichen Denken geläufige Vorstellung einer engen sachlichen Beziehung von ratio und auctoritas. Baldus meint etwas ganz anderes, wenn er das argumentum a ratione naturali erwähnt. Dieses betrifft den Tatsachenbeweis durch Zeugen und ist streng zu trennen von der Ebene der ratio civilis, der rechtlichen Überlegung, die durch das argumentum artificiale seu disputatorium prout convenit Legistis pro proposito ostendo geführt wird50. Dieser Ebene der rechtlichen Überlegung gehören die von ihm beschriebenen Argumentationsformen einschließlich des argumentum ab auctoritate an. – Baldus sieht jedoch, daß die ideelle Trennung von Tatsachenebene und Rechtsebene, die er auch sonst bei der Kennzeichnung des Zeugenbeweises betont51, insofern nicht ganz aufrecht erhalten werden kann, als auch auf der Tatsachenebene Fragen der Bewertung, etwa der Glaubwürdigkeit und Erfahrung des Zeugen, zu beantworten sind: ratio testis debet esse naturalis, non civilis, nisi quando adhibetur super peritia, ut infra patebit51a. Solche Bewertungsfragen sind daher nach der ratio civilis zu entscheiden. Da auf dieser Ebene auch das argumentum ab auctoritate nach Baldus wichtig ist, liegt es nahe zu fragen, ob nicht grundsätzlich zum Beweis allgemeiner, juristisch relevanter Tatsachenfragen die auctoritas 48 Rainerius zitiert u. a. D 48.20.7 (ratio naturalis); D 50.16.220.3 (natura). Vgl. Text oben bei N. 28. 49 Rainerius, a.a.O. (a.E.): argumentum ab auctoritate ... non solum videtur probabile, ymmo necessarium, quod tamen inducat rationem. 50 C 1.3.15; vgl. N. 5 und Text bei N. 33. 51 C 4.19 Ru.; dazu auch Weimar, a.a.O. (N. 3). 51a C 1.3.15; vgl. N. 5 und Text bei N. 33.
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des Fachmanns, wie sie Johannes de Caccialupis aufzählt (z. B. des medicus), maßgeblich ist. Diese Verknüpfung wird nicht nur durch die mittelalterliche Denkweise nahegelegt, in der Naturerkenntnis den anerkannten Lehrautoritäten wie Aristoteles zu folgen, sondern auch dadurch, daß das argumentum ab auctoritate in den Argumentationslehren traditionell in enge Nähe zum Nachweis von Erfahrungssätzen (Rainerius: argumentum a communiter et frequenter accidentibus) gerückt wird. Diese Gedankengänge werden [270] aber von Baldus hier nicht verfolgt und es muß offenbleiben, ob seine knappen Andeutungen a.a.O. so verstanden werden dürfen. 2. Die Zulässigkeit der Berufung auf juristische Fachautorität, insbes. anerkannte Lehrer, wird von den Kommentatoren häufig betont. Die authoritas doctoris wird von Bartolus und Johannes de Caccialupis ebenso erwähnt wie bei Rainerius in der Textbearbeitung bei Albericus52; Baldus hebt die authoritas glossae hervor53. Die praktische Funktion dieser Lehre, der zufolge eine juristische Begründung durch die Berufung auf eine Lehrautorität ergänzt oder gar ersetzt werden konnte, für die Kommentatoren liegt auf der Hand54. Während bei den Glossatoren diese Argumentationsweise noch keine große Rolle zu spielen scheint, auch wenn das Zitat der Meinung anderer Rechtslehrer üblich wird55, ist für die Kommentatoren zunächst die authoritas glossae bei jeder Quellenexegese von großem Gewicht; im Laufe der Zeit treten die maßgeblichen Meinungen anderer angesehener Rechtslehrer immer stärker hinzu56. Die argumentationstheoretische Deutung der authoritas doctoris fand daher schon im frühen 14. Jahrhundert ein durch praktische Bedürfnisse angeregtes Interesse57. Dieses Interesse hatte eine doppelte Richtung. Einmal galt es, die Zulässigkeit dieses Arguments zu begründen, zweitens aber auch mußte seine argumentative Kraft relativiert werden, um die Argumentation nicht durch Lehrautoritäten zu erdrücken. Dieses Bedürfnis bestand anfänglich vor allem gegenüber der Glosse. Die Legisten fanden in den römischen Quellen Belege für die besondere Autorität der Juristen, denen vom Kaiser das ius respondendi verliehen worden war und damit eine besondere Amtsautorität (authoritas publica), die sie zum facere oder condere leges befähigte. Schon die Glossatoren haben bei ihrer Quellenexegese klargestellt, daß sie selbst keineswegs diese auctoritas
52 Bartolus D 1.3.31; (vgl. oben N. 22); Johannes de Caccialupis, a.a.O. (oben N. 4 und Text bei N. 23); Text von Rainerius/Albericus bei Caprioli, a.a.O. (bei N. 4) 113. 53 C 1.3.15; vgl. Text oben bei N. 33. 54 Zu diesem Aspekt auch ausführlich Piano Mortari, a.a.O. (N. 19). 55 Otte, a.a.O. 211. 56 Allg. dazu Horn, Die juristische Literatur der Kommentatorenzeit, in: Coing, Handbuch I, München 1973, 261 f. 57 Vgl. die zitierten Bemerkungen von Albericus und Bartolus (N. 52).
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Argumentum ab auctoritate in der legistischen Argumentationstheorie
in Anspruch nehmen konnten58. Rainerius/Albericus unterschied daher bei der Erörterung des argumentum ab auctoritate die schwächere Autorität der Legisten von derjenigen der antiken Juristen: ... secundum dialecticos locus ab authoritate est infirmus ... vel dic clarius, quod si argumentum sumitur ab authoritate illius, qui non habet potestatem condendi legem, ut doctoris, tunc est probabile et non necessarium59.
Baldus hebt hervor, daß die Berufung auf die authoritas glossae argumentativ überwunden werden könne durch Berufung auf den Quellentext oder einen Rechtsgedanken, der dem Quellentext eindeutig entnommen werden könne: au- [271] thoritas glossae convincitur per tex. vel per rationem necessario inferentem60. Ein drittes praktisches Bedürfnis ergab sich erst gegen Ende der hier betrachteten Epoche: die zunehmende Masse der Lehrtradition und die abnehmende Selbstständigkeit der Doktrin machte nicht nur die Fixierung neuer Lehrautoritäten notwendig, sondern auch Regeln über ihre Rangverhältnisse und ihre Gewichtung bei Kontroversen61. Solche Konsensermittlungsregeln im Rahmen des argumentum ab auctoritate finden wir in der hier betrachteten Literatur erst bei Johannes de Caccialupis und auch dort nur für den fachfremden Bereich der Theologie, in dem er Regeln für den Fall der Kontroverse zwischen Kirchvätern erwähnt62. 3. Die Berufung auf die lex wurde von den Glossatoren wohl nicht dem argumentum ab auctoritate zugeordnet, auch wenn die Quellen gelegentlich als authoritates bezeichnet werden63, was mit dem ursprünglich wohl engen Bedeutungsumfang dieser Argumentationsfigur und ihrer zunächst eher marginalen theoretischen Rolle übereinstimmt. Auf den ersten Blick erscheint eine solche Zuordnung auch als theoretisch unergiebig, weil die Quellen ja ohnehin Gegenstand der Wissenschaft der Legistik sind und »wie sollte über sie gesprochen werden, ohne daß man sich auf sie beruft«64? Die Berufung auf die lex ist auch genau genommen kein modus arguendi, sondern bezeichnet ganz allgemein die Prämissen des Juristen. – Bei den Kommen58 Gl. Publice zu Inst. 1.2.3: id est, quorum interpretatio fiebat publica auctoritate concessa a principe ut Ulpianus et Papinianus et similes, qui fecerunt leges. Vgl. auch Teipel, SZRom 72 (1955) 255–257. 59 A.a.O. vgl. N. 52. 60 A.a.O. vgl. Text bei N. 33. 61 Dazu allgemein Horn, Römisches Recht als gemeineuropäisches Recht bei Arthur Duck, in: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte (ed. W. Wilhelm), Frankfurt/M. 1972, 170ff., (174); vgl. auch Teipel, a.a.O. 62 A.a.aO. (N. 4) am Ende des bei N. 23 teilweise zit. Textes: quando doctores ecclesie sunt discordes, in dispositionibus (!) credendum est augustino, in Istoriis credendum est Ieronimo, et in translat(ionibus) et in moralibus gregorio. 63 Otte, S. 211. 64 A.a.O.
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tatoren wird jedoch, wie gezeigt, die Berufung auf die lex in unterschiedlichem Umfang in den Kontext der Lehre von den modi arguendi einbezogen (Rainerius) und von Baldus sogar dem argumentum ab auctoritate selbst zugeordnet65. Es scheint, daß darin nicht etwa einfach nur eine Verunklarung und Verkennung tradierter Auffassungen zu sehen ist, sondern vielmehr ein gewisser Fortschritt der methodischen Selbstreflexion, der zugleich den sich schrittweise verändernden Argumentationsbedingungen der Kommentatoren Rechnung trug. An sich verweist die Bezeichnung des Arguments mit der lex als modus validus et necessarius i. S. der geläufigen aristotelisch-boethianischen Tradition auf Prämissen, die als zwingender (und hinreichender) Beweisgrund dienen für Ergebnisse, die nur durch logischen Schluß aus ihnen gewonnen werden66. Andererseits war bereits den Glossatoren im Umgang mit den römischen Quellen bewußt, daß ihre Problemlösungen in einem argumentativen (topischen) Verfahren erarbeitet wurden, wobei das Ergebnis aus der (unterschiedlichen) Überzeu- [272] gungskraft mehrerer, oft entgegengesetzter und gegeneinander abzuwägender Quellenaussagen (und aus ihnen abgeleiteter Argumente) gewonnen werden mußte67. In den oben (I) betrachteten Texten des Baldus tritt diese methodische Erkenntnis deutlich hervor: argumentatione causa deciditur ... id est per rationem disputandi68. Auf die Geeignetheit eines Arguments in diesem Verfahren kam es letztlich an; sie wird durch die Eigenschaft probabile ausgedrückt. Diesen Sachverhalt erkennt Baldus an, wenn er die lex als authoritas probabilis et necessaria bezeichnet69. Eine solche Eigenschaftshäufung widerspricht an sich der aritotelisch-boethianischen Lehrtradition der Logik, die beide Eigenschaften verschiedenen Bereichen zuordnet, auch wenn sie logisch widerspruchsfrei gehäuft werden konnten70. Im hier genannten Kontext verändert jedoch die Eigenschaft necessarium ihre Bedeutung: während sie in der Logik einen wahren und zwingenden Satz (unabhängig von Anerkennung) bezeichnet, bedeutet sie nun den höchsten Rang innerhalb abgestufter Möglichkeiten der Anerkennung. Es besteht kein Anlaß, dies als theoretische Eigenwilligkeit des Baldus abzutun; näher liegt, daß er deutlicher als andere Autoren die Eigenschaft der lex als topische Prämisse trifft sowie die Art und Weise, wie sich die Geltung der lex in der argumentativen Rechtsfindung auswirkt und durchsetzt. Die Legistik hatte von Anfang an – anders als unter Vgl. die Texte oben bei N. 28 und 33. Entsprechend noch Rainerius a.a.O.: per iura nostra civilia, quod concludat necessario et generaliter. 67 Allg. dazu A. Giuliani, L’elemento »giuridico« nella logica medievale, Jura 15 (1964) 1–28; Otte, a.a.O. 220–230. 68 Vgl. oben Text bei N. 17 und N. 15. 69 Vgl. Text bei N. 33. 70 Otte, 187f. 65 66
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Argumentum ab auctoritate in der legistischen Argumentationstheorie
den Bedingungen des modernen Gesetzgebungsstaates – vieldeutige und konträre Quellenaussagen zu verarbeiten, die ihr Gewicht, ihre auctoritas, dem pro und contra der anstehenden Rechtsfrage verliehen. Sie hatten ferner mit einer zunehmenden Masse der Lehrtradition zu tun, welche die Quellenaussagen überlagerten und in deren Meinungskontroversen die Autorität der Glosse und dann anderer Rechtslehrer eine gewisse stabilisierende Funktion ausübte. Unter diesen Bedingungen erscheint die Berufung auf eine lex als ein Argument unter mehreren, ebenfalls auf eine lex gestützten Argumenten, und die Höherrangigkeit der lex als argumentum necessarium et probabile gegenüber bloßen Lehrmeinungen der Glosse und der doctores reduziert sich auf die elementare Argumentationshypothese der Juristen, daß jedes Argument mit dem Anspruch auftritt, aus der lex und nicht gegen sie entwickelt zu sein.
Person und Kontinuität, Versprechen und Vertrauen: die Perspektive des Zivilrechts In R. Schenk (Hrsg.), Person und Kontinuität. Versprechen und Vertrauen, 1996, S. 35–68 ABSTRACT Versprechen und Vertrauen sind Grundbegriffe sowohl der Ethik wie des Rechts. Auch im Recht ist zentraler Bezugspunkt die Person; sie ist Träger von Rechten und Pflichten (Rechtssubjekt). Im Zivilrecht kann der einzelne eigenständig (in Privatautonomie) seine Rechtsbeziehungen durch Rechtsgeschäfte gestalten und sich durch einen schuldrechtlichen Vertrag rechtswirksam verpflichten. Das Recht schützt das Vertrauen in dieses Versprechen, indem es den Vertrag durchsetzt. Es schützt aber auch das Vertrauen in ein sonstiges Verhalten, das Vertrauen hervorruft, vor allem bei der Vertragsanbahnung, durch eine Haftung für culpa in contrahendo. Anthropologische Grundannahme des Zivilrechts ist die Fähigkeit des geschäftsfähigen Menschen zur Willensfreiheit im Rechtsgeschäft. Rechtsethische Grundannahme ist die Verbindlichkeit des vertraglichen Versprechens, aber auch das Einstehen für ein sonstiges, Vertrauen begründendes Verhalten. Diese Grundannahmen finden sich auch im Verfassungsrecht; sie gehören zu den geistigen Wurzeln des bürgerlichen Rechtsstaates (Liberalismus, soziale Bewegungen, Aufklärung, Hobbes, christliche Gedanken). Das Zivilrecht und seine Grundannahmen sind in Europa aber über 2000 Jahre alt (römisches Recht). Dies ist ein Hinweis auf die Konstanz dieser Grundannahmen; ihr entspricht eine Konstanz der zentralen zivilrechtlichen Lösungsansätze. Person and Continuity, Promise and Trust from the Perspective of Private Law. Promise and trust (confidence) are basic concepts in ethics as well as in law, where the human person is the central point of reference; the person can have rights and duties. In private law, the individual himself can form his legal relations with others through legal acts and can bind himself in a contract. The law protects the faith of the creditor in the contract by enforcing it. The law also protects confidence in a conduct initiating such confidence, especially in negotiations, through a [36] liability for culpa in contrahendo. A basic anthropological assumption of private law is that a person endowed with legal capacity is able to make a free decision when contracting. The basic ethical
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Person und Kontinuität, Versprechen und Vertrauen
assumption of private law is that a contractual promise is binding and that a person is responsible for his conduct inviting the confidence of other persons. These basic assumptions are found also in constitutional law and belong to the spiritual roots of modern democracy under the rule of law (comprising ideas of liberalism, social movements, illuminism, Hobbes, and Christian thoughts). Private law and its basic assumptions, however, are more than 2000 years old in Europe and go back to Roman law. This is a sign that these basic assumptions are lasting, as are the main technical concepts of private law (such as legal capacity, contract, liability etc.). [37]
1. Einleitung: Ethische und rechtliche Werte 1.1. Ethik und Recht Die Grundbegriffe Person und Kontinuität, Versprechen und Vertrauen beschreiben ein Untersuchungsprogramm auf dem Gebiet der Ethik. Der vorliegende Beitrag soll interdisziplinäre Bezüge zur Rechtswissenschaft, insbesondere zum Zivilrecht, herstellen. Die Begriffe Person und Kontinuität bezeichnen in der Tat Bezugspunkte und Grundwerte auch der Rechtsordnung; die Begriffe Versprechen und Vertrauen stehen mit Institutionen und Prinzipien, insbesondere des Zivilrechts, in engem Zusammenhang. Dies kann nicht überraschen, weil Ethik und Recht ihrer Struktur nach eng verwandt sind. Beide befassen sich mit Sätzen des Sollens und damit, wie Kant es ausdrückt, mit „einer Notwendigkeit, die sonst in der ganzen Natur nicht vorkommt“1 Sowohl die Sollenssätze der Ethik als auch die des Rechts orientieren sich an Wertvorstellungen als Orientierungspunkten der Handlung.2 Rechtsnormen unterscheiden sich von sittlichen Normen freilich in verschiedener Hinsicht. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal der Rechtsnorm von der sittlichen Norm ist ihre äußere Erzwingbarkeit durch staatlichen Zwang, also notfalls z. B. die Gefängnisstrafe bei einer Straftat oder die Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher zur Erfüllung eines zivilrechtlichen Anspruchs. Diese äußere Erzwingbarkeit der Rechtsnorm fehlt der sittlichen Norm. Auch deren Verletzung ist nicht sanktionslos. Die hauptsächliche Sanktion besteht aber im Unwerturteil des eigenen Gewissens, teilweise auch im Unwerturteil durch andere Menschen. [38] Die Werte, an denen sich die Rechtsnormen orientieren und deren Durchsetzung sie dienen, stimmen oft mit den Wertvorstellungen, welche die sitt1 I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl. 1787 (Akademie-Ausgabe Bd. 3, Berlin 1911), 575: „Das Sollen drückt eine Art Notwendigkeit und Verknüpfung mit Gründen aus, die in der ganzen Natur sonst nicht vorkommen.“ 2 Zum Verhältnis von Ethik und Zivilrecht vgl. F. Bydlinski, Th. Mayer-Maly (Hrsg.): Die ethischen Grundlagen des Privatrechts, Wien u. a. 1994.
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lichen Normen prägen, überein. Man denke nur an den Respekt vor dem Eigentum anderer: das Verbot des Diebstahls ist eine sittliche und eine rechtliche Norm. Rechtsnorm und sittliche Norm laufen hier parallel. Das Recht beschränkt sich aber darauf, bestimmte, von der Rechtsgemeinschaft allgemein anerkannte sittliche Werte durchzusetzen, es bescheidet sich mit dem „ethischen Minimum“. Ferner muß sich das Recht seinem Zweck als äußere Friedensordnung und Freiheitsordnung nach auf die äußere Ordnung des guten Zusammenlebens beschränken. Es kann nicht alle sittlichen Gebote in Rechtsnormen umsetzen; so kann es z. B. nicht die aus dem Eheversprechen folgenden sittlichen Gebote zur liebevollen Behandlung des Ehegatten und zur ehelichen Treue mit rechtlichen Sanktionen ausstatten. 1.2. Die Person als Bezugspunkt des Rechts Wie in der Ethik steht auch im Recht der Mensch als handelnde Person im Mittelpunkt. Er ist Bezugspunkt und Adressat aller rechtlichen Normen. Das Recht erlegt der einzelnen Person Pflichten auf. Aus diesen Pflichten erwachsen spiegelbildlich Rechte anderer Personen. Die menschliche Person ist Rechtssubjekt. Rechtssubjekt sein bedeutet, Inhaber von Rechten und Pflichten sein zu können. Das Zivilrecht regelt die Rechtsbeziehungen der einzelnen Bürger untereinander. Diese Personen stehen sich dabei prinzipiell gleichberechtigt und frei gegenüber. Anders das öffentliche Recht. Es regelt die Tätigkeit des Staates und die Beziehung zwischen Staat und Bürger, wobei sich auch im demokratischen Rechtsstaat ein Unterordnungsverhältnis des Bürgers ergibt. Auch im öffentlichen Recht steht im demokratischen Rechtsstaat freilich der Bürger im Mittelpunkt; er ist vor allem Inhaber der Grundrechte, namentlich der Freiheitsrechte, die als Abwehrrechte gegenüber Eingriffen des Staates konzipiert sind. Der [39] Schutz von Freiheit und Eigentum durch die Verfassung ist Voraussetzung für die Entfaltung des Zivilrechts. Indem das Verfassungsrecht die Freiheit des einzelnen schützt, garantiert es auch die Vertragsfreiheit (Privatautonomie) und damit die Fähigkeit des einzelnen, auf der Ebene des Zivilrechts seine Angelegenheiten auch durch die Abgabe rechtsverbindlicher Versprechen zu gestalten. 1.3. Kontinuität als Rechtswert Alles Recht ist in gewisser Weise auf Beständigkeit, Berechenbarkeit und Kontinuität angelegt. Rechtsstaatlichkeit bedeutet formal, daß die Handlungen des Staates an das Recht gebunden sind und damit die Ausübung staatlicher Macht berechenbar wird. Beim Rechtsstaat tritt inhaltlich die Orientierung an Gerechtigkeitswerten hinzu, wie sie etwa in unserer Verfassung, dem Grundgesetz niedergelegt sind. Man kann also sagen, daß in gewisser Weise
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Kontinuität ein allgemeiner Rechtswert ist. Er ist ein Aspekt des Rechtswertes der Rechtssicherheit. Rechtssicherheit besteht, wenn das Recht eindeutig und berechenbar ist und zugleich die Gewähr seiner tatsächlichen Durchsetzung und seiner Dauerhaftigkeit besteht. Vor allem müssen die Rechte des einzelnen, die er unter der geltenden Rechtsordnung erworben hat, von Bestand sein. Dies gilt vor allem für die nach den Regeln des Privatrechts erworbenen subjektiven Rechte, also z. B. das Eigentum des einzelnen an einer bestimmten Sache oder die Rechte, die er aus einem Vertrag erworben hat, müssen Bestand haben und notfalls mit staatlicher Hilfe durchsetzbar sein. [40]
2. Versprechen und Vertrag im Zivilrecht 2.1. Versprechen und Vertrag a) Rechtsverbindliches Versprechen Die Privatperson kann ihre rechtlichen Beziehungen mit anderen aufgrund eigener Entscheidung regeln, indem sie Rechtsgeschäfte abschließt. Kern jedes Rechtsgeschäfts ist eine Willenserklärung. Das wichtigste privatrechtliche Instrument zur Gestaltung der Rechtsbeziehungen mit anderen ist der Vertrag. An ihm sind immer mindestens zwei Personen beteiligt. Sie müssen übereinstimmende Willenserklärungen abgeben, d. h. in der Sprache des Rechts: Es muß ein Vertragsangebot und eine Annahme dem anderen erklärt werden (§§ 145 ff BGB). Ein Versprechen wird rechtlich bindend, wenn es im Rahmen eines schuldrechtlichen Vertrags abgegeben wird, z. B. einer Schenkung.3 Austauschverträge enthalten sogar zwei gegenseitige Versprechen: Beim Kaufvertrag verpflichtet sich der Verkäufer zur Übereignung und Übergabe der Ware, der Käufer zur Zahlung des Kaufpreises (S 433 BGB). Kern des schuldrechtlichen Vertrags ist also das Versprechen des Schuldners und die Annahme dieses Versprechens durch den Gläubiger. Das heißt: Niemandem wird einseitig ein Versprechen aufgedrängt; niemand soll Gläubiger gegen seinen Willen werden. Das Versprechen ist nur dann rechtsverbindlich, wenn die Vertragserklärungen von einem rechtsgeschäftlichen Willen getragen sind und von geschäftsfähigen Personen abgegeben werden. Der Geschäftswille ist also Voraussetzung für die Begründung eines zivilrechtlichen Anspruchs des Gläubigers gegen den Schuldner auf Erfüllung. [41]
3 Das Versprechen bedarf zu seiner Wirksamkeit der notariellen Beurkundung; anders nur bei einer „Handschenkung“, d. h. wenn der geschenkte Gegenstand tatsächlich übergeben wird (§§ 516, 518 BGB).
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b) Rechtlich nicht verbindliches Versprechen Fehlt es dagegen am rechtsgeschäftlichen Willen, so liegt ein Vertrag nicht vor. Das Versprechen kann gleichwohl je nach seinem Inhalt und den Umständen, unter denen es abgegeben wurde, eine sittliche oder eine gesellschaftliche Verpflichtung begründen. Verspricht eine Friedhofsgärtnerei, gegen Entgelt ein Grab zu pflegen, so liegt natürlich ein Vertrag vor. Hinzu tritt eine sittliche Verpflichtung. Denn man muß von einer sittlichen Pflicht ausgehen, rechtsverbindlich geschlossene Verträge auch einzuhalten.4 Verspricht jemand einem Freund, sich um das Grab der Eltern dieses Freundes zu kümmern, ohne daß nähere Einzelheiten vereinbart werden, so liegt im Zweifel nur eine sittliche Verpflichtung und kein Vertrag vor. Ein Versprechen an Freunde, demnächst ein schönes Fest zu veranstalten, begründet weder eine Rechtspflicht noch eine sittliche Pflicht, weil es am Willen zur rechtsgeschäftlichen Bindung fehlt. Es entsteht nur eine gesellschaftliche Pflicht. Die Sanktion beim Bruch dieses Versprechens ist demnach eine rein gesellschaftliche, nämlich Mißbilligung und Spott seitens der Freunde. 2.2. Funktionen des Vertrages a) Güteraustausch Der schuldrechtliche Vertrag enthält das Leistungsversprechen einer Partei, häufiger die Leistungsversprechen beider Parteien im Sinne eines Austausches (z. B. Kaufsache gegen Geld; Mietzahlung gegen Wohnraum; Geschäftsbesorgung gegen Vergütung usw.). Viele Verträge beschränken sich auf das Programm eines punktuellen Güteraustau- [42] sches. Der Privatmann, der als Kunde etwa Waren kauft, bemerkt das Versprechenselement im Vertrag kaum. Er geht in ein Geschäft und kauft in Form des „Handkaufs“ Ware gegen Geld. An eine längerfristige Bindung denkt er nicht, außer in dem besonderen Fall, daß eine Ware längerfristig bestellt werden muß, wie dies beim Kraftfahrzeugkauf und zum Teil beim Möbelkauf der Fall ist. b) Planungsdatum Im Wirtschaftsverkehr der Unternehmen untereinander ist allerdings die hinausgeschobene Erfüllung des Vertrages häufig. Ein Unternehmen muß bei seinen Zulieferern rechtzeitig die Gegenstände, die es zur Produktion braucht, vorher bestellen. Es muß sich andererseits möglichst frühzeitig um den Warenabsatz kümmern, auch hier möglichst durch Vorausbestellungen 4 Gesetzestreue ist, auch wenn die Einhaltung der Gesetze zugleich vom Staat erzwungen werden kann, zugleich ein sittliches Gebot. In der Ethik Kants kommt dies nicht deutlich zum Ausdruck, weil Kant ein sittliches Handeln bei der Möglichkeit der Ausübung staatlichen Zwanges verneint oder jedenfalls bezweifelt.
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seiner Kunden. In dieser Konstellation wird die längerfristige schuldrechtliche Bindung wichtig. Sie ermöglicht dem Kaufmann die Planung und Disposition. Er muß sich bei der Produktion z. B. darauf verlassen können, daß ein bestimmter Auftragsbestand tatsächlich vorliegt, d. h. daß seine Abnehmer ihm auch die Ware abnehmen und bezahlen werden, weil sie eine rechtsverbindliche Bestellung aufgegeben, also einen Vertrag mit ihm geschlossen haben. Der Vertrag wird hier zur Grundlage der wirtschaftlichen Planung der Wirtschaftssubjekte. c) Kooperationsprogramm Die Parteien vereinbaren im Leistungsaustausch ein Kooperationsprogramm. Dieses Merkmal des Vertrags, ein Kooperationsprogramm festzulegen, tritt bei punktuellem und flüchtigem Güteraustausch, z. B. beim Kauf von Brötchen, natürlich kaum in Erscheinung. Anders bei komplexen Verträgen, z. B. beim Kauf einer großen technischen Anlage. Hier arbeiten Lieferant und Besteller oft monatelang zusammen, bis die Anlage installiert ist und in Betrieb genommen werden kann. [43] Bei der Anlagenlieferung werden zugleich begleitende Leistungen erbracht, z. B. die Schulung des Bedienungspersonals für die neue Anlage durch den Lieferanten. Hier wird deutlich, daß die Parteien auf der Grundlage des Vertrages für längere Zeit zusammenarbeiten. Noch deutlicher tritt das Kooperationsprogramm eines Vertrages zutage, wenn ein Gesellschaftsvertrag geschlossen wird. Das BGB definiert die Gesellschaft als ein Versprechen der Vertragsparteien, einen gemeinsamen Zweck, eben den Gesellschaftszweck, zu fördern und dazu die vereinbarten Beiträge zu leisten, also z. B. Arbeit oder Geldbeiträge (§ 705 BGB). Bei einer Personengesellschaft des bürgerlichen Rechts oder des Handelsrechts (OHG, KG) sind die Parteien oft viele Jahre miteinander verbunden und teilen den Arbeitsalltag ebenso wie das Schicksal ihrer Vermögensverhältnisse. Gelingt das in Form der OHG betriebene Unternehmen, werden sie gemeinsam wohlhabend, mißlingt es, werden sie gemeinsam im Konkurs des Unternehmens vermögenslos. Gerade bei der längerfristigen Kooperation zeigt sich das Bedürfnis nach rechtlicher Bindung, etwa durch den Gesellschaftsvertrag. Es kann nicht ausbleiben, daß bei längerfristiger Kooperation auch Konflikte entstehen, Meinungsverschiedenheiten, Streit und Ärger. Ohne rechtliche Bindung würde die betreffende Gesellschaft rasch zerfallen, meist mit großem Vermögensschaden für alle Beteiligten. Die rechtliche Bindung und die Möglichkeit der Sanktion hält sie zusammen.5 [44] 5 Nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes (d. h. Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung) kann sich eine Partei vor dem vertraglich geregelten normalen Ende des Vertrags im Wege der außerordentlichen Kündigung vom Vertrag lösen; vgl. allg. N. Horn:
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d) Vertrag und Marktwirtschaft In einer Marktwirtschaft vollziehen sich die wirtschaftlichen Planungen dezentral. Jedes Wirtschaftssubjekt plant für sich. Die unsichtbare Hand des Marktes sorgt für den Ausgleich durch Angebot und Nachfrage und ist in der Lage, die Güter zum Ort ihres höchsten Nutzens zu bringen, also zu einer optimalen Allokation zu führen, und zwar sowohl der Konsumgüter als auch der Produktivkräfte. Die im Markt übliche dezentrale Planung der Wirtschaftssubjekte ist nur möglich auf der Grundlage der Vertragsfreiheit und der Tatsache, daß geschäftsfähige Bürger jederzeit Verträge über Wirtschaftsgüter abschließen können und daß sie bei dem Versprechen, das im Vertrag beschlossen liegt, darauf vertrauen können, daß dieses Versprechen eingehalten wird. In einer Planwirtschaft ist dagegen die Funktion des Vertrages verkümmert. Die Verträge der Wirtschaftseinheiten sind hier nur ein Instrument zur Ausfüllung und Ausführung des vorgegebenen Wirtschaftsplans.6 Die Unflexibilität der Planwirtschaft hat bekanntlich zu ihrem Scheitern geführt. 2.3. Das Eheversprechen Auch das Eheversprechen weist Elemente auf, die wir auch beim bisher besprochenen schuldrechtlichen Vertrag finden. Zur Zeit von Kant hatte die schematische Systematisierungswut des jüngeren Vernunftsrechts die Ehe ziemlich unterschiedslos unter die übrigen Verträge eingereiht, und daraus erklärt sich die schnöde Definition der Ehe, die wir bei Kant finden. Dort ist sie definiert als „Verbindung zweier Personen verschiedenen Geschlechts zum lebenswierigen wechselseitigen Besitz ihrer Geschlechtseigenschaften“.7 Von den bisher besprochenen Ver- [45] trägen unterscheidet sich die Ehe nach der Form der Eheschließung, nach ihrer Bedeutung und ihren Rechtswirkungen. Kern der Eheschließung ist freilich das beiderseitige Eheversprechen, d. h. die Erklärung beider Brautleute, die Ehe miteinander eingehen zu wollen. Diese Erklärungen müssen persönlich und bei gleichzeitiger Anwesenheit vor dem Standesbeamten abgegeben werden (§ 13 Abs. 1 Ehegesetz). Zum beiderseitigen Versprechen im Sinne eines Vertrages tritt also nicht nur die besondere Formvorschrift (persönliche Erklärung bei beiderseitiger Anwesenheit), sondern auch die Mitwirkung des staatlich handelnden Standesbeamten. Über den Gegenstand des Versprechens sagt § 1353 Abs. 1 BGB: „Die „Vertragsdauer als schuldrechtliches Regelungsproblem“, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. 1, Köln 1981, 551 ff., 573. 6 N. Horn: Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, Köln 21993, § 3 Rdn. 6 und § 7 Rdn. 6. 7 I. Kant: Metaphysik der Sitten, Rechtslehre, § 24.
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Ehe wird auf Lebenszeit geschlossen. Die Ehegatten sind einander zur ehelichen Lebensgemeinschaft verpflichtet.“ Die besondere Erwähnung der Tatsache, daß die Ehe auf Lebenszeit eingegangen wird, war früher eine Selbstverständlichkeit und nicht im BGB erwähnt. Erst seitdem dieser Satz wegen steigender Scheidungszahlen und der Erleichterung des Ehescheidungsrechts nicht mehr selbstverständlich ist, wurde er ins Gesetz aufgenommen.8 Die Wirkungen der Ehe gehen weit über die eines schuldrechtlichen Vertrages hinaus. Es ändert sich der zivilrechtliche Status der verheirateten Personen. Dies zeigt sich im Namensrecht und im ehelichen Unterhaltsrecht, in der Rechtsbeziehung zwischen Vater und ehelichem Kind sowie in den Rechtsfolgen der Ehescheidung, die ebenfalls weitreichende Unterhaltsansprüche einschließlich einer Aufteilung der Versorgungsansprüche enthalten, falls die Ehegatten dies nicht in einem Ehevertrag ausgeschlossen haben. Die Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft ist im Gesetz zwar als Rechtspflicht enthalten. Sie kann aber vom Recht nicht durchgesetzt werden, und in der Tat sieht die Rechtsordnung keinerlei Vollstreckungsmöglichkeiten in diesem Bereich vor. Auch indirekte [46] Sanktionen, wenn einer der Ehegatten die Pflicht zur Lebensgemeinschaft in schwer schuldhafter Weise verletzt, sind nicht vorgesehen. Im Ehescheidungsrecht ist das Verschuldensprinzip, das auf diese Verletzungen Bezug nahm, aufgegeben worden. Es lebt lediglich in versteckter Form bei der Regelung der Ehescheidungsfolgen fort. Dort kann es nämlich nach der sogenannten Härteklausel (§ 1579 BGB) bei der Zumessung von Unterhalt berücksichtigt werden, ob der Ehegatte, der Unterhalt verlangt, sich in grob schuldhafter Weise ehewidrig verhalten hat. Nur darin liegt eine ferne und indirekte Sanktion des Bruchs des Versprechens zur ehelichen Lebensgemeinschaft. Die Rechtsordnung zieht damit die Konsequenz aus der Tatsache, daß es sich um sittliche Pflichten handelt, die in ihren Einzelheiten weder formalisiert noch mit genauen rechtlichen Sanktionen belegt werden können.
3. Vertrauen im Zivilrecht 3.1. Vertrauen und Vertragsrecht a) Vertrauen und der Grundsatz von Treu und Glauben Vertrauen bezeichnet ganz allgemein eine Erwartung an einen anderen Menschen, sich in bestimmter Weise zu verhalten. Beim Schuldvertragsrecht geht es um das Vertrauen des Versprechensempfängers, der Versprechende 8 Er findet eine weitere Ausprägung in der Bestimmung, daß das Eheversprechen nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung abgegeben werden kann (§ 13 Abs. 2 Ehegesetz).
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werde sein Versprechen erfüllen. Dieses ist generell durch die beschriebenen Sanktionsmechanismen des Rechts geschützt.9 Bei dem Stichwort Vertrauen denkt der Zivilrechtler freilich nicht an diese allgemeine Eigenschaft des Vertragsrechts, sondern an das beherrschende Prinzip von Treu und Glauben. Nach § 157 BGB sind Verträge so auszulegen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die [47] Verkehrssitte es erfordern. Nach § 242 BGB ist der Schuldner verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Ein Standardkommentar zum BGB schreibt dazu: „Treue bedeutet... eine auf Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Rücksichtnahme beruhende äußere und innere Haltung gegenüber einem anderen; Glauben das Vertrauen auf eine solche Haltung.“10 Beide genannten Vorschriften wollen das Vertrauen, d. h. die berechtigten Erwartungen beider Parteien in den Vertrag schützen. b) Vertragsauslegung nach Treu und Glauben (§ 157 BGB) Es kommt bei der Auslegungsregel des § 157 BGB darauf an, den Vertrag im Hinblick auf Einzelheiten, die dem Text nicht erschöpfend zu entnehmen sind, so auszulegen, daß die berechtigten Erwartungen der Parteien nicht enttäuscht werden, d. h. daß weder eine Auslegung gewählt wird, die den Schuldner übermäßig und entgegen seinen berechtigten Erwartungen belastet, noch eine Auslegung, die die Rechte des Gläubigers verkürzt. Als beliebiges Beispiel sei die Auslegung der sog. Selbstbelieferungsklausel nach Treu und Glauben gem. § 157 BGB genannt. Durch diese Klausel kann ein Kaufmann seine vertragliche Lieferpflicht einschränken: er wird dann von der Haftung für die Nichtlieferung frei, wenn er selbst von seinem Vorlieferanten nicht beliefert wird. Diese Klausel wird aber nur anerkannt, wenn der Kaufmann, der diese Selbstbelieferungsklausel vereinbart, sich zuvor durch einen Vertrag mit dem Vorlieferanten zu sichern suchte und dieser ihn dann im Stich läßt. Hat er dagegen bei Abschluß seines Liefervertrags (plus Klausel) mit seinem Abnehmer überhaupt noch keinen Vertrag mit einem Vorlieferanten („Deckungsvertrag“) geschlossen und kann er deshalb später die Ware nicht beschaffen, so soll er sich nicht auf die Selbstbelieferungsklausel [48] berufen dürfen und für die Nichtlieferung gegenüber seinem Abnehmer voll haften. Die Selbstbelieferungsklausel wird also nach Treu und Glauben einschränkend ausgelegt und soll nur gelten, wenn ein Deckungskauf vor-
9 Um im Jargon der Rechtssoziologie von Niklas Luhmann zu sprechen: das Recht erzeugt „enttäuschungsfeste Verhaltenserwartungen“. 10 Palandt/Heinrichs: Bürgerliches Gesetzbuch. Kommentar, München 541995, § 242 Rdn. 3.
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genommen wurde.11 Auch bleibt der Lieferant verpflichtet, alle zumutbaren Anstrengungen zur Beschaffung der Ware und zur Lieferung zu unternehmen.12 c) Vertragsdurchführung nach Treu und Glauben (§ 142 BGB) Als beliebiges Beispiel für die Art und Weise, wie ein Schuldner seine Pflichten erfüllen soll, sei die Situation genannt, daß ein Handwerker sich in einem Werkvertrag verpflichtet hat, an einem Bau bestimmte Leistungen zu erbringen, etwa Fliesen zu verlegen. Bei Aufnahme der Arbeiten bemerkt er, daß der betreffende Raum nicht ordnungsgemäß isoliert worden war. Gleichwohl führt er die Fliesenarbeiten aus und, als später die Undichtigkeit des Raumes bemerkt wird, beruft er sich darauf, daß die Isolationsarbeiten nicht Teil der von ihm geschuldeten vertraglichen Leistung waren. Der Fliesenleger hatte aber aufgrund seines Sachverstandes das Problem erkannt und hätte den Bauherrn vor Aufnahme seiner eigenen Arbeiten darauf aufmerksam machen müssen. Diese Hinweispflicht war natürlich in seinem Vertrag nicht vorausgesehen und daher nicht ausdrücklich geregelt worden. Das Gericht verurteilte den Handwerker aber nach § 242 BGB wegen Verletzung seiner „allgemeinen Leistungstreuepflicht“, die sich hier in einer Hinweispflicht an den Bauherrn ausprägte.13 [48] d) Generalklausel und objektivierende Maßstäbe Treu und Glauben werden wegen ihrer weiten Bedeutung und ihrer Beziehung zu ethischen Maßstäben als Generalklauseln bezeichnet. Sie erfordern im besonderen Maß die Fähigkeit des Richters, einen gegebenen Sachverhalt nach den berechtigten Erwartungen der Parteien zu überprüfen und danach bei der Auslegung von Verträgen und bei der genauen Bestimmung der Einzelheiten der Leistung des Schuldners zu berücksichtigen. Es geht dabei nicht nur um die Erwartungen der Parteien, sondern um die Berechtigung dieser Erwartungen. Dies ist ein objektiver Maßstab, wobei sich der Richter nach dem Willen des Gesetzes an der Verkehrssitte, also an den allgemein geltenden Anschauungen und Verhaltensweisen orientieren soll. Die Generalklauseln haben naturgemäß wegen der Vielgestaltigkeit der Fälle zu einer Fülle von Entscheidungen und Literaturäußerungen geführt.
11 BGHZ 92, 396, 398; Heymann/Horn: HGB. Kommentar, Bd. 4, Berlin 1990, § 346 Rdn. 2, 118 und 127 f. 12 Heymann/Horn, a.a.O., Rdn. 118; vgl. auch BGHZ 49, 388, 394. 13 OLG Hamm, NJW-RR 1989, 982.
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3.2. Vertrauen und vorvertragliche Pflichten a) Haftung für culpa in contrahendo Bereits wenn die Parteien in Kontakt treten, um über einen künftigen Vertragsabschluß zu verhandeln, entstehen in diesem „Vertragsanbahnungsverhältnis“ Pflichten zur gegenseitigen Rücksichtnahme. Natürlich steht es jeder Partei frei, ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen bei den Vertragsverhandlungen durchzusetzen. Jede Vertragspartei muß damit rechnen, daß die andere ebenso handelt, und sie muß ihre Interessen selbstverantwortlich schützen. Aber auch im Vertragsanbahnungsverhältnis besteht das Vertrauen, daß der Gegner sich fair verhält und auf die Interessen der anderen Seite Rücksicht nimmt. Diese Pflicht zur Rücksichtnahme kann vor allem dazu führen, daß man bestimmte Informationspflichten in den Verhandlungen hat. Die Ver- [50] letzung dieser Pflichten kann eine Haftung auf Schadenersatz aus culpa in contrahendo begründen.14 b) Anwendungsbeispiele Dies sei hier an zwei Beispielen erläutert. Das Bundesarbeitsgericht hatte einen Fall zu entscheiden, daß ein Arbeitgeber eine Stelle ausgeschrieben hatte und dann einem Bewerber versicherte, daß er mit der Anstellung fest rechnen könne. Daraufhin kündigte der Bewerber seine bisherige Arbeitsstelle. Später wurde der neu ausgeschriebene Arbeitsplatz anderweitig vergeben. Der Arbeitgeber haftete wegen der falschen Versicherung auf Schadensersatz.15 Die Rechtsprechung hat in den letzten Jahren große Anwendungsbereiche der culpa in contrahendo entwickelt. Ein wichtiges Beispiel ist der Schutz von Kapitalanlegern. Seit Jahrzehnten wächst die Zahl unseriöser Angebote für Kapitalanlagen und für angeblich besonders gewinnträchtige Spekulationsgeschäfte. Der private Anleger wird hier oft in die Irre geführt. Als beliebiges Beispiel seien die Angebote einer Spekulation in Londoner Warenterminoptionen herausgegriffen. Die Spekulation in Warenterminoptionen kann grundsätzlich zum Totalverlust des gesamten Einsatzes führen, wenn der Markt sich anders als erwartet entwickelt. Gleichwohl kann ein Marktkenner mit einigem Geschick über längere Zeit hinweg etwas mehr Gewinne als Verluste einfahren und damit vielleicht eine Rendite erzielen, die über den
14 Dieser Haftungstatbestand ist aus dem Prinzip von Treu und Glauben, wie es in den genannten Generalklauseln des BGB enthalten ist, von der Rechtsprechung ohne genaue Grundlage im Gesetz entwickelt worden und heute ein allgemeiner Haftungstatbestand von großer Bedeutung und weitem Anwendungsbereich. Allg. dazu D. Medicus: „Verschulden bei Vertragsverhandlungen“, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. I, Köln 1981, 479–550; N. Horn: „Culpa in contrahendo“, JuS 35 (1995) 377–387. 15 BAG NJW 1963, 1843, 1844.
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üblichen Renditen liegt. Diese Chance wird aber dadurch fast völlig zunichte gemacht, daß der deutsche Anlagevermittler einen Aufschlag auf [51] die Optionsgebühr erhebt, welche die Kosten für diese Anlage so in die Höhe treibt, daß die Chance einer profitablen Anlage fast Null ist. Der Bundesgerichtshof hat hier scharfe Aufklärungspflichten für die Vermittler solcher Optionsgeschäfte aufgestellt. Sie müssen in ihren Werbeschriften, pauschal als Prospekte bezeichnet, auf die hohen Risiken und geringen Gewinnchancen hinweisen. Selbst dies genügt nach einer neueren Entscheidung nicht, wenn gleichzeitig durch die graphische Gestaltung des Prospekts und beruhigende Versicherungen der Eindruck erweckt wird, als sei das Geschäft zwar riskant, in diesem besonderen Fall aber sei durch die Geschicklichkeit des Anlagevermittlers sichergestellt, daß Gewinne anfallen werden.16 Die Rechtsprechung schafft in diesen und anderen Fällen durch die Fortentwicklung anerkannter Rechtsgrundsätze einen Rechtsschutz, den der Gesetzgeber in dieser Schnelligkeit und Präzision gar nicht schaffen könnte. Andererseits fällt es vermutlich dem nichtjuristischen Beobachter auf, daß dieser Vertrauensschutz hier mit relativ flüchtigen menschlichen Kontakten des Wirtschaftslebens zu tun hat und nicht mit den länger dauernden, engen und vielfältigen Beziehungen zwischen Familienangehörigen, Freunden oder Berufskollegen. Die interpersonalen, eigentlich menschlichen Beziehungen sind hier sehr reduziert. Mancher mag auch fragen, ob der Anleger wirklich diesen hohen Schutz verdient, oder ob man nicht seine Leichtgläubigkeit, oft gepaart mit einer naiven Geldgier, der gerechten Strafe anheimgeben soll. Es geht aber nicht, daß die Rechtsprechung tatenlos zuschaut, wenn eine ganze Industrie von Anlagevermittlern auf unseriöse Weise zu Einkommen und Einfluß gelangt. Sie muß Wildwüchse im Wirtschaftsleben zurückschneiden. Dies hat sie im genannten Beispiel mit Erfolg getan. [52]
4. Die versprechende Person im Zivilrecht 4.1. Geschäftsfähigkeit und Schutz der Entscheidungsfreiheit Nur das Versprechen einer voll geschäftsfähigen Person ist rechtlich bindend. Denn nur ein voll Geschäftsfähiger kann eine wirksame rechtsgeschäftliche Erklärung abgeben und sich in einem schuldrechtlichen Vertrag verpflichten. Geschäftsfähig ist nur, wer volljährig ist, also das 18. Lebensjahr vollendet hat (§ 2 BGB) und nicht an einer geistigen Erkrankung leidet, die seine freie Willensbestimmung ausschließt (§ 104 Nr. 2 BGB).17 Im Rechts-
BGH ZIP 1991, 1207. Der Geschäftsunfähige, also der geistig nicht Gesunde oder das Kind unter sieben Jahren, können sich wirksam nur dadurch verpflichten, daß für das Kind die gesetzlichen Ver16 17
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verkehr kann man sich also nur auf die Erklärung eines Geschäftsfähigen verlassen.18 Auch das Versprechen einer voll geschäftsfähigen Person bleibt rechtlich ohne Wirkung, wenn diese zwar generell geistig gesund ist, ihre Erklärung im Einzelfall aber durch eine Störung der Geistestätigkeit beeinflußt ist (§ 105 Nr. 2 BGB). Im Rechtsverkehr kann man sich also nur auf die Erklärung eines Geschäftsfähigen verlassen. Nur insoweit wird das Vertrauen auf die Verbindlichkeit eines Versprechens tatsächlich vom Recht geschützt. Das Gesetz stellt also bestimmte Anforderungen an die Person des Versprechenden. Dieser muß das Volljährigkeitsalter erreicht haben, dem man generell eine Mindestreife an Erkenntnis- und Entscheidungsfähigkeit zur Abgabe einer rechtsgeschäftlichen Erklärung beimißt, und diese geistigen Kräfte dürfen nicht durch Krankheit oder vorübergehende Störung entfallen sein. Ferner ist die Willenserklärung eines Geschäftsfähigen, die von Drohung, Täuschung oder Irrtum be- [53] einflußt ist, zwar wirksam, aber anfechtbar. Der Erklärende kann also, wenn er darlegen kann, daß seine Willenserklärung durch Drohung oder Täuschung oder Irrtum beeinflußt ist, erklären, daß er an diese Willenserklärung nicht gebunden sein will. Seine Erklärung gilt dann als von Anfang an unwirksam (§ 142 Abs. 1 BGB).19 4.2. Privatautonomie nur in den Grenzen des Rechts (§§ 134, 138 BGB) Der voll Geschäftsfähige kann durch schuldrechtliche Verträge nur dann die Ansprüche anderer begründen und eigene Ansprüche erwerben, wenn er sich im Rahmen der Rechtsordnung hält. Ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist unwirksam (§ 134 BGB). Gleiches gilt für einen Vertrag, der gegen die guten Sitten verstößt (§ 138 BGB). Wer also z. B. einen Kaufvertrag über Heroin abschließt, begründet keine rechtlich wirksamen Ansprüche. Der Vertrag ist aus beiden genannten Gründen unwirksam, denn er verstößt sowohl gegen ein gesetzliches Verbot, in diesem Fall das Betäubungsmittelgesetz, als auch gegen die guten Sitten, denn der Handel mit gefährlichen Rauschgiften verstößt gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“.20 treter, also die Eltern (§ 1629 BGB) oder ein Vormund (§§ 1773, 1793), für den Geisteskranken sein Betreuer (§ 1902 BGB) als Vertreter die rechtsgeschäftliche Erklärung abgeben. 18 Wer einen anderen irrtümlich für geschäftsfähig hält, wird in seinem Vertrauen darauf nicht geschützt; der Schutz des nicht Geschäftsfähigen hat Vorrang; RGZ 120, 170, 174; BGH ZIP 1988, 829, 831. 19 Wer selbst getäuscht oder gedroht hat, ist natürlich im Vertrauen auf die Gültigkeit der Erklärung des Getäuschten oder Bedrohten nicht geschützt (§ 123 BGB). Bei der Anfechtung wegen bloßen Irrtums ist der Versprechensempfänger geschützt und kann Ersatz des Schadens verlangen, den er dadurch erleidet, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut hat (§ 122 Abs. 1 BGB). 20 So die Definition des Reichsgerichts; vgl. RGZ 80, 219, 221. Ihr folgt auch der Bundesgerichtshof, vgl. BGHZ 10, 228, 232; 69, 295, 297.
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Auf das unwirksame Versprechen kann sich niemand verlassen. Wer einen sittenwidrigen oder gesetzeswidrigen Vertrag abschließt, wird in der Regel in seinem Vertrauen auf den Bestand dieses Vertrages nicht geschützt. Immerhin kann er einen Schadensersatzanspruch haben, nämlich dann, wenn die Sittenwidrigkeit gerade darin besteht, daß der andere Vertragsteil ihn grob übervorteilen will. So hatte der Bundesge- [54] richtshof in einem Fall zu entscheiden, in dem ein Franchise-Vertrag über den Betrieb einer Schnellgaststätte so nachteilig zu Lasten des Franchise-Nehmers ausgestaltet war, ohne daß dieser es bemerkte, daß der Vertrag wegen Sittenwidrigkeit unwirksam war. Der Franchise-Nehmer hatte aber bereits Aufwendungen im Hinblick auf die Vertragsausführung gemacht. Er konnte hier Schadensersatz wegen dieser Aufwendungen verlangen.21 4.3. Der Schutz des Versprechenden vor sich selbst (Verbraucherschutz, Anlegerschutz) a) Das Problem: Riskante, nutzlose und schädliche Geschäfte Zur Vertragsfreiheit gehört grundsätzlich auch das Recht, solche Verträge abzuschließen, die im Ergebnis gar nicht in seinem wohlverstandenen Interesse liegen. Gerade bei steigendem Wohlstand in einer Gesellschaft mehrt sich die Zahl wirtschaftlich sinnloser oder unter dem Gesichtspunkt einer vernünftigen Lebensführung törichter Geschäfte. Kredite zur Anschaffung von Luxusautos oder zur Vorfinanzierung einer Ferienreise sind keine Seltenheit. Riskante Anlagegeschäfte werden auf Kredit getätigt. Mittellose Familienangehörige werden veranlaßt, Kredite durch Bürgschaften zu sichern. Gesetzgeber und Gerichte müssen sich häufig mit dem Problem befassen, ob und wie weit in einer freien und auf Selbstverantwortung gegründeten Gesellschaft der einzelne vor den Folgen seines eigenen unbedachten Handelns bewahrt werden kann und soll. Die Stichworte der rechtspolitischen Diskussion heißen Verbraucherschutz und Anlegerschutz; sie beeinflussen auch die Rechtsangleichung im Rahmen der Europäischen Union. [55] b) Schutz durch Aufklärung Grundsätzlich sind hier zwei rechtliche Strategien denkbar. Die eine kann man als „Aufklärungsmodell“ bezeichnen. Sie besteht darin, daß man dem Verbraucher oder Anleger vor seiner Entscheidung die notwendigen Informationen sichert, damit er sein Risiko richtig einschätzen und tatsächlich selbstverantwortlich seine Entscheidungen treffen kann. Hat er sie dann
21 BGHZ 99, 101, 105. Der Anspruch kann sich aus dem Gesichtspunkt der culpa in contrahendo oder der sittenwidrigen Schädigung i. S. § 826 BGB ergeben.
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getroffen, so muß er allerdings auch die Folgen selbst tragen und muß die rechtliche Bindung an sein vertragliches Versprechen hinnehmen. Das Aufklärungsmodell liegt etwa dem Verbraucherkreditgesetz von 1991 zugrunde. Es geht auf eine Richtlinie der EG zurück, und in der Tat haben alle anderen Mitgliedsländer der EG ähnliche Gesetze auf diesem Gebiet inzwischen erlassen. Das Verbraucherkreditgesetz schreibt genau vor, welche geschäftlichen Merkmale des Kredits der schriftliche Vertrag enthalten muß, so daß der private Kreditnehmer davon Kenntnis nehmen kann. Eine besondere Rolle spielt dabei die Angabe des effektiven Jahreszinses. Die schärfste Sanktion bei Verletzung der genannten Vorschriften über den schriftlichen Vertragsinhalt besteht darin, daß die Bank, die den Kredit gewährt, nur einen recht niedrigen Zins erhält und dabei an den Vertrag gebunden bleibt. – Der Aufklärungsgedanke liegt auch den erwähnten Urteilen über unseriöse Kapitalanlageangebote zugrunde, auf die sich Anleger ohne genaue Information über die Risiken eingelassen haben. c) Schutz durch Unwirksamkeit von Verträgen Die andere Schutzstrategie besteht darin, daß Gesetzgeber oder Gerichte bestimmte Verträge für unwirksam erklären, insbesondere indem man sie mit einem gesetzlichen Verbot belegt (§ 134 BGB) oder als sittenwidrig i. S. § 138 BGB bewertet. Auch dafür seien zwei praktisch wichtige Beispiele genannt, nämlich einmal Konsumentenkredite mit wucherisch hohem Zins und zweitens unbedachte Bürgschaftsübernahmen durch Familienangehörige. [56] Die erste Fallgruppe ist dadurch gekennzeichnet, daß sich vor allem Verbraucher mit geringem Einkommen und geringem geschäftlichen Urteilsvermögen oft auf sehr ungünstige Kreditverträge einlassen, die ihnen von Kreditvermittlern, die mit hoher Provision arbeiten, oder von kleinen Kundenkreditbanken angedient werden. Meist wird der Kreditnehmer mit einer Fülle von Kosten, nämlich einem relativ hohen Kreditzins, einer Maklerprovision, einer besonderen Kreditgebühr, einer Bearbeitungsgebühr und ggf. einem Disagio belastet, so daß die effektive Verzinsung dieses Kredites weit über dem Marktniveau liegt. Dieses Problem des überhöhten Zinses wird durch das vorerwähnte Verbraucherkreditgesetz nicht gelöst. Die Rechtsprechung hat hier § 138 Abs. 1 BGB angewendet und solche Kredite als wucherähnliches Geschäft für unwirksam erklärt, wenn der effektive Jahreszins über dem Doppelten des sogenanten Schwerpunktzinses liegt, den die Deutsche Bundesbank monatlich für bestimmte typische Bankgeschäfte ermittelt. Dann nämlich sei regelmäßig ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung anzunehmen, wie es § 138 BGB voraussetzt. Auch wenn diese Grenze nicht erreicht ist, kann eine Gesamtwür-
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digung aller Umstände die Sittenwidrigkeit und damit Nichtigkeit des Vertrages ergeben.22 Bei den Fällen der Bürgschaftsübernahme naher Angehöriger geht es um das Problem, daß sich die Banken bei der Gewährung von Krediten an Privatpersonen häufig als Sicherheit eine Bürgschaft der Ehefrau oder der Kinder des Kreditnehmers geben lassen ohne Rücksicht darauf, ob diese nach ihren Vermögens- und Einkommensverhältnissen notfalls als Bürge auch zahlen können. Der Bundesgerichtshof hat in der Rechtsprechung des für Bürgschaften zuständigen IX. Senats sehr lange an der Wirksamkeit solcher Bürgschaftsverpflichtungen festgehalten. Er hat dabei betont, daß eine volljährige, geschäftsfähige Person grundsätzlich für ihre Verpflichtungen einstehen muß. Der Grundsatz [57] der Privatautonomie schließe auch die Selbstverantwortung ein. Den Umstand, daß die Bürgschaft oft unter Ausnutzung der emotionalen Bindungen der Kinder oder des Ehegatten veranlaßt wurde, hat der Bundesgerichtshof lange Zeit nicht i. S. einer Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB berücksichtigt.23 Das Bundesverfassungsgericht hat in einer aufsehenerregenden Entscheidung 1993 eine Kurskorrektur dieser Rechtsprechung eingeleitet. Das Gericht hatte zwei Bürgschaftsfälle zu beurteilen. Im ersten Fall hatte die vermögenslose Tochter eines Immobilienmaklers, die keine Berufsausbildung hatte und überwiegend arbeitslos war, für ihren Vater gegenüber der Bank eine Kreditbürgschaft im Höchstbetrag von DM 100.000 zuzüglich Nebenleistungen übernommen. Zur Zeit der Übernahme hatte sie ein Monatseinkommen aus der Arbeit in einer Fischfabrik von DM 1.150 netto. Die Klagsumme der Bank betrug mit aufgelaufenen Zinsen während des Verfahrens weit mehr als DM 160.000. Das Verfassungsgericht hielt die Bürgschaft wegen Sittenwidrigkeit für unwirksam. In einem gleichzeitig entschiedenen Fall hielt das Gericht die Bürgschaft einer Ehefrau in Höhe von DM 30.000 für ein sogenanntes Versicherungsdarlehen, das ihr Ehemann aufgenommen hatte, trotz fehlenden eigenen Einkommens der Ehefrau für wirksam. Als Leitlinie gab das Bundesverfassungsgericht den rechtlich etwas rätselhaften Grundsatz mit auf den Weg, mit Hilfe der Generalklausel des § 138 BGB den Inhalt von Verträgen zu kontrollieren, die einen Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und die das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke seien. Diese Inhaltskontrolle sei durch die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG geboten.24 22 BGHZ 104, 102, 106; Überblick bei N. Horn, in: Heymann/Horn: HGB. Kommentar, Bd. 4, Berlin 1990, § 352 Rdn. 19–27; Palandt/Heinrichs: BGB. Kommentar, München 541995, § 138 Rdn. 25–33. 23 BGH ZIP 1989, 219; 1989, 427; 1989, 629; Überblick und Kritik bei N. Horn: Bürgschaften und Garantien, Köln 71997, 42–45. Vgl. auch den Überblick bei H. Becker: Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 4 (1994) 397 ff. 24 BVerfG, Beschluß v. 19.10.1993, NJW 1994, 36.
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Die Herausarbeitung brauchbarer Abgrenzungskriterien ist in der Fachdiskussion noch nicht voll gelungen. Man muß beachten, daß die [58] wirtschaftliche Stärke eines Unternehmens, z. B. einer Bank, noch allein kein strukturelles Ungleichgewicht begründet. Denn die Unternehmen stehen meist im Wettbewerb, und dieser wirkt als „Entmachtungsinstrument“. Zweitens kann man nicht so leicht präventiv zum Schutz der Bürger bestimmte Arten von Geschäften, die im übrigen erlaubt und sinnvoll sind (Kredite, Bürgschaften) für unwirksam erklären. Dies liefe auf einen Schutz durch Teilentmündigung hinaus. Darin liegt in der Tat heute ein Problem des Verbraucherschutzes. 4.4. Kontinuität der Vertragshaftung Wer sich vertraglich verpflichtet, kann sich nicht später ohne weiteres von seiner Verpflichtung wieder lossagen. Es gibt bestimmte Verträge, insbesondere die sogenannten Dauerschuldverhältnisse, die über einen langen Zeitraum und bisweilen sogar ohne ein vorher bestimmtes Ende immer neue gegenseitige Verpflichtungen erzeugen. Man denke nur an einen auf unbestimmte Zeit geschlossenen Mietvertrag, der ständig Pflichten des Vermieters und des Mieters erzeugt und oft die Grundlage für ein lebenslanges Mietverhältnis zur beiderseitigen Zufriedenheit ist. Ein allgemeiner Rechtssatz des Zivilrechts lautet, daß man sich von solchen Dauerschuldverhältnissen jedenfalls dann durch Kündigung befreien kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, d. h. Umstände eingetreten sind, die eine Fortsetzung des Vertrages für eine Partei unzumutbar machen.25 Im übrigen ist bei einer einmal begründeten Verpflichtung, z. B. einer Geldforderung aufgrund eines Kauf- oder Werkvertrags, eine zeitliche Begrenzung dadurch gegeben, daß der Anspruch der Verjährung unterliegt. Ein Anspruch verjährt regelmäßig erst in 30 Jahren (§ 195 BGB). Aber die meisten Austauschgeschäfte des täglichen Lebens un- [59] terliegen einer kürzeren Verjährungsfrist von zwei oder vier Jahren (§§ 196 und 197 BGB). Unter besonderen Umständen kann die Verpflichtung aus einem bestehenden Vertrag veränderten Umständen angepaßt oder sogar ganz aufgehoben werden, wenn vertragswesentliche Umstände sich so geändert haben, daß die unveränderte Fortsetzung bzw. Erfüllung des Vertrages für eine Partei unzumutbar ist. Solche Fälle sind vor allem bei Kriegszeiten, Naturkatastrophen, Wirtschaftskrisen oder auch unter den besonderen Verhältnissen der deutschen Wiedervereinigung in Betracht gezogen worden, kommen aber auch im normalen Rechtsleben häufig vor. Die Vertragsanpassung wird in diesen 25 Vgl. allg. N. Horn: „Vertragsdauer als schuldrechtliches Regelungsproblem“, in: Bundesminister der Justiz (Hrsg.): Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. 1, Köln 1981, 573.
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Fällen aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hergeleitet.26 Die Parteien haben eine Neuverhandlungspflicht zur Anpassung des Vertrages.27 Grundsätzlich ändern sich schuldrechtliche Ansprüche und schuldrechtliche Pflichten einer Person nicht durch eine Veränderung der persönlichen Eigenschaften oder Verhältnisse, also z. B. den Verlust der Geschäftsfähigkeit, die Änderung der Staatsangehörigkeit, die Verlegung des Wohnsitzes, usw. Selbst der Konkurs ändert die einmal begründete schuldrechtliche Verpflichtung nicht. Diese besteht sogar über den Tod der Person hinaus insofern fort, als die Erben der betreffenden Person in die Rechte und Pflichten des Erblassers im Wege der sogenannten Universalsukzession eintreten (§§ 1922, 1967 BGB). [60]
5. Rechtsanthropologie und Rechtsethik von Versprechen und Vertrauen 5.1. Die Fragestellung und die Methode ihrer Beantwortung a) Voraussetzungen des Zivilrechts Die Normen des Zivilrechts über das Versprechen und über die versprechende Person legen eine bestimmte Vorstellung vom Menschen und seinem Handeln zugrunde, ohne dies explizit auszusprechen. Die Frage nach dem Menschenbild des Zivilrechts und nach den philosophischen und sozialtheorethischen Grundlagen dieses Menschenbildes ist daher berechtigt. Man könnte sogar daran denken, daß die Erarbeitung dieser philosophischen und sozialtheoretischen Grundlagen mit einem Schlag einen neuen Schlüssel zum Verständnis und zur Anwendung des Zivilrechts bieten könnte. Vor übertriebenen Erwartungen im letztgenannten Sinn ist allerdings zu warnen. So berechtigt die Frage nach den philosophischen und sozialtheoretischen Grundlagen des Zivilrechts sein mag; die Antworten auf diesem Gebiet sind nur von begrenzter praktischer Tragweite. Dies hat mehrere Gründe. Erstens sind bestimmte normative Grundlagen des Zivilrechts bereits im Verfassungsrecht positiv ausgedrückt. Wie bereits bemerkt, ist das allgemeine Freiheitsrecht des Art. 2 GG Grundlage der Privatautonomie. Der Schutz des Privateigentums (Art. 14 GG) tritt hinzu. Bei der Auslegung dieser Grundrechte ist das allgemeine Gebot der Achtung der Menschenwürde (Art. 1 GG) zu beachten. Wie das Bundesverfassungsgericht im erwähnten Beschluß von 1993 ausführt, ist bei der Umsetzung der Grundsätze der Privatautonomie sogar das in der Verfassung enthaltene A.a.O., 576 ff. N. Horn: „Neuverhandlungspflicht“, AcP 181 (1981) 255–288.
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Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG), das eigentlich auf das Verhältnis des Staates zu seinen Bürgern gemünzt ist, in den Vertragsbeziehungen der Bürger zu beachten. Zu diesen genannten Grund- [61] rechten gibt es eine überaus breite Literatur und Rechtsprechung. Wer in diesem Sinne nach den Grundlagen des Zivilrechts fragt, wird also zunächst viel im deutschen Verfassungsrecht zu tun haben. Er wird gleichwohl die Erfahrung machen, daß schon hier die Genauigkeit der Antworten für konkrete Fragen des Zivilrechts abnimmt. b) deengeschichte des bürgerlichen Rechtsstaats und seines Zivilrechts Der nächstmögliche Schritt ist dann die Frage nach den philosophischen Voraussetzungen und Grundannahmen unserer Verfassung, des Grundgesetzes. Damit befinden wir uns in der verfassungsrechtlichen Ideengeschichte Deutschlands und Europas und damit vor allem in der Ideengeschichte des bürgerlichen Rechtsstaates, dessen geistige Grundlagen hauptsächlich im 18. und 19. Jahrhundert gelegt wurden. Dazu gehört auch die Geschichte des politischen Liberalismus, der unser Bürgerliches Gesetzbuch mit geprägt hat, sowie die Ideengeschichte des Sozialstaates mit seinen teils christlichen, teils sozialistischen Elementen. Für die Vorgeschichte speziell unseres Zivilrechts sind weiterhin die ideengeschichtlichen Voraussetzungen des französischen Code Civil von 1804 und damit auch diejenigen der Französischen Revolution und ihrer Grundwerte Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit ein naheliegender Weg zur weiteren philosophischen Aufhellung. Damit befinden wir uns in der Frage nach dem Menschenbild der europäischen, insbesondere der französischen Aufklärung. Nach den vorherrschenden Lehrmeinungen zum Code Civil handelt es sich dabei um ein idealistisches und optimistisches Menschenbild, das den Menschen in seiner Freiheit, Würde und Verantwortlichkeit zeigt. So heißt es in einer Abhandlung über das französische Zivilrecht: L’homme, dans le code civil, est traité essentiellement comme une volonté: ce n’est pas l’être de chair, sujet à des faiblesses, en proie de ses besoins, écrasé par des forces économiques; c’est une volonté toujours forte, éclairée, tendue vers un [62] but, et libre. La responsabilité suppose la volonté; l’accord de deux volontés, le contrat, est l’égal de la loi (a. 1134), comme par un écho de Jean-Jacques Rousseau.28
Xavier Martin hat demgegenüber nachgewiesen, daß sich sowohl anhand der Materialien zum Code Civil als auch anhand ideengeschichtlicher Äußerungen der Zeit leicht nachweisen läßt, daß das individualistische Menschenbild der Aufklärung den Menschen eher als einen Seelenmechanismus von Eigeninteressen zeigt und das Recht und die Sozialordnung nur auf den Aus-
28 Xavier Martin: „Mythologie du Code Napoléon“, Himeji International Forum of Law and Politics No. 1 (1993) 27 f.
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gleich dieser Interessen aufbaut.29 Dieses Menschenbild ist nicht weit von demjenigen der englischen Empiristen des 17. Jahrhunderts, etwa des Thomas Hobbes (1588–1679) entfernt. Für diesen ist bekanntlich der Mensch dem Mitmenschen ein Wolf. Aber die Rede von Hobbes über den Menschen und über die Sozialordnung, die durch den Staat und durch das von ihm gesetzte Recht verwirklicht werden soll, ist weitgehend in die Konvention der gesellschaftlich vorherrschenden christlichen Werte eingekleidet. Zwischen dem Menschenbild des Hobbes und der christlichen Ideenwelt besteht eine Spannung. In der Tat läßt sich das neuzeitliche Menschenbild des Individualismus und der Triebhaftigkeit des Menschen am besten aus diesem kritischen Spannungsverhältnis zum Menschenbild des Christentums verstehen. Dieses war in der Gesellschaft des Thomas Hobbes wie derjenigen von JeanJacques Rousseau maßgeblich und beherrschte die Rechtsauffassungen und die Rechtsbildung, wenn man von besonderen Momenten wie der französischen Revolution absieht. Unsere Suche nach den historischen Wurzeln der philosophischen Grundanschauungen vom Menschen und seinem Handeln in der Gesellschaft führt uns also letztlich in den großen Bereich des christlichen Menschenbildes [63] und seiner vielfältigen historischen Brechungen und in die Geschichte der neuzeitlichen Emanzipationsversuche von diesem Menschenbild. Dies alles zusammen findet sich in einer Synthese oder doch in einer Gemengelage auch im Gedankengut des Grundgesetzes und in den Verfassungen und Rechtsordnungen anderer westeuropäischer Staaten. In dieser Gemengelage sind die alten kontroversen Aspekte der moralischen Eigenschaften des Menschen, Altruismus und Egoismus, als Konstanten seiner Natur in immer neuen Varianten aufzufinden. Es mag niemanden überraschen, daß sie sich bis heute in der zeitgenössischen Philosophie und Sozialtheorie finden. Als fast beliebiges Beispiel diene etwa die durch die Nobelpreisverleihung von 1994 in die öffentliche Aufmerksamkeit gehobene Spieltheorie, die dem kooperativen Handlungsmodell ein Modell des nichtkooperativen Handelns gegenüberstellt. c) Die Konstanz zivilrechtlicher Probleme und Lösungen Ein dritter Grund spricht dafür, bei der Suche nach einem der Rechtsordnung zugrundeliegenden philosophischen und sozialtheoretischen Menschenbild nicht zu hohe Ansprüche im Hinblick auch auf die theoretische Perfektion zu stellen. Die Geschichte des europäischen Rechts, namentlich des Zivilrechts, ist alt, – weit älter als der neuzeitliche bürgerliche Rechtsstaat 29 Xavier Martin, a.a.O.; vgl. auch ders.: „Liberté, Egalité, Fraternité: Inventaire sommaire de l’idéal révolutionnaire français“, Himeji International Forum of Law and Politics No. 1 (1993) 3 ff. betr. eine scharfe Kritik der moralischen Fehldeutungen dieser Werte in der französischen Revolution.
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in Europa – und reicht im Hinblick auf die starke Verbindung zum römischen Recht fast zweieinhalbtausend Jahre zurück. Dabei hat sich eine gewisse Konstanz der zivilrechtlichen Probleme und Lösungen gezeigt. Danach verlangt das Zivilrecht zwar zu seinem Funktionieren nach bestimmten Rahmenbedingungen, so etwa einem Mindestniveau der Verkehrswirtschaft und der persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit der Bürger; dementsprechend ist es in der sozialistischen Zwangswirtschaft verkümmert.30 Das Zivilrecht ist auch bereit, in vielen Fragen die sozialethischen Auffassungen sei- [64] ner Zeit aufzunehmen. Es bleibt aber relativ indifferent gegenüber ausgebildeten philosophischen Systemen und bis zu einem gewissen Grad auch gegenüber politischen Verhältnissen. Man kann daraus zwei gegensätzliche Schlüsse ziehen. Der erste, eher resignative Schluß besteht darin, daß man auf die Suche nach einer engeren Verbindung von Recht und Philosophie/Sozialtheorie verzichtet, weil entweder die Juristen in diesem Punkt Banausen sind oder weil beide Bereiche der Sache nach wirklich nur wenig miteinander zu tun hätten. Der andere, eher optimistische Schluß, zu dem ich neige, besteht darin, daß es eine gewisse Konstanz in der menschlichen Natur, im menschlichen Verhalten und in den für dieses Verhalten maßgeblichen Normen gibt, die dazu führt, daß ein gewisser Grundbestand von Problemen und Lösungen des Zivilrechts die vielen Varianten und Abwandlungen der Philosophiegeschichte und der Ideengeschichte sozusagen überdauert, aber gleichzeitig auf permanente menschliche Bedürfnisse und Maßstäbe seines Handelns hinweist. Diese lassen sich am besten dadurch erschließen, daß man in einem induktiven (bzw. reduktiven) Verfahren aus dem konkreten Normbestand des Zivilrechts bestimmte Konstanten ermittelt, die dann von der Philosophie und Sozialtheorie aufgegriffen und weiterverarbeitet werden mögen. Dies soll im folgenden in ganz knappen Hinweisen geschehen. 5.2. Rechtsanthropologie von Versprechen und Vertrauen a) Selbstbestimmung und Verantwortlichkeit Das Zivilrecht will, wie wir gesehen haben, nur das Versprechen der voll geschäftsfähigen Person für rechtlich bindend erachten. Maßgeblich ist dabei das in § 104 Nr. 2 BGB indirekt angesprochene Merkmal der Fähigkeit zur „freien Willensbestimmung“. Nach diesem Menschenbild hat der Mensch die Freiheit zur Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten. Diese Freiheit setzt zunächst eine hinreichende Erkenntnismöglichkeit der Situation und anstehenden Ent- [65] scheidungsmöglichkeiten voraus, ferner aber auch 30 N. Horn: „Die Aufgabe des Zivilrechts im Prozeß der Wiedervereinigung Deutschlands“, AcP 194 (1994) 177–230, insbes. 184 f.
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die Fähigkeit zur Willensbetätigung. Wird eine freie Willensentscheidung durch eine rechtsgeschäftliche Erklärung betätigt, so wird sie dem Erklärenden zugerechnet. Er ist für sie verantwortlich. Er ist gebunden und muß das, was er versprochen hat, erfüllen. Zugleich hat er den Vorteil, daß auch der andere gebunden ist oder gebunden sein kann und er einen Anspruch gegen den anderen erwirbt. Freiheit und Selbstverantwortung werden durch die Rechtsverbindlichkeit der geschäftlichen Willenserklärung verknüpft. Im Ergebnis liegt dem also ein Menschenbild zugrunde, daß von einem Mindestmaß der Erkenntnisfähigkeit des Menschen, vom Verständnis der Situation, in der er sich befindet, und von der Fähigkeit zur freien Willensentscheidung ausgeht. Diese Voraussetzungen sind an keine bestimmte Philosophie gebunden. Ebenso wie sich die Regeln über die Geschäftsfähigkeit bereits im römischen ius civile finden, so müssen wir auch diese Grundannahme über die menschliche Natur bereits im römischen Recht zugrunde legen. Es versteht sich, daß dieses Menschenbild eine besondere Bedeutung und eine besondere Dimension im bürgerlichen Rechtsstaat der Neuzeit und im modernen sozialen Rechtsstaat der Gegenwart gewinnt. b) Vertrauen: Entlastung durch Bindung Der Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung für das Verständnis des Versprechens ist die eine Seite. Die andere anthropologische Vorgegebenheit ist das Urbedürfnis des Menschen, sich in seinem Existenzkampf in Familie, Gesellschaft und Staat zu organisieren und – in diesen sozialen Kontexten – auf das Versprechen anderer vertrauen zu können. Dieses Bedürfnis entspricht der hohen Bedeutung der fides in der römischen Sozialethik und im römischen Recht. Fides bedeutet die Pflicht zum Worthalten, auch gegenüber Fremden oder Abhängigen.31 Mit diesem Begriff des römischen Rechts wurde das Bedürfnis [66] nach Verläßlichkeit und dem darauf aufbauenden Vertrauen immer wieder von Juristen und Philosophen umschrieben. Aber auch in der modernen Anthropologie wird dieses Bedürfnis nach Vertrauen beleuchtet, etwas durch das von Arnold Gehlen entwickelte „Entlastungsprinzip“, das die Existenzsicherung durch soziale, auch rechtliche Institutionen und Bindungen umschreibt. 5.3. Rechtsethik von Versprechen und Vertrauen Mit dem Begriff der Rechtsethik bezeichnet man gemeinhin ethische Normen, die mit verbreiteter sozialer Anerkennung ausgestattet sind und aus eben diesem Grunde in das Recht dort übernommen werden, wo das Recht selbst auf ethische Prinzipien verweist, wie etwa in den genannten General31
M. Kaser: Römisches Privatrecht, München 161992, § 3 III 3 c; § 13 I 2b.
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klauseln über Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder über gute Sitten und Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB). Die Rechtsethik des Versprechens liegt zunächst einmal darin, daß der Versprechende gebunden ist und das Recht ebenso wie die Sozialethik den Bruch des bindenden Versprechens mißbilligt. Zugleich aber hat sich schon früh im Recht auch der Gesichtspunkt herausgebildet, daß eine formalistische und schematische Bindung an das Versprechen und eine entsprechende Erfüllung des Versprechens nicht befriedigt, vielmehr bisweilen dem Schuldner und bisweilen dem Gläubiger damit Unrecht getan wird. Schon im römischen Recht haben sich bestimmte Vertragstypen ausgebildet, die bonae fidei binden und bonae fidei zu erfüllen sind. In den Quellen des römischen Rechts ist bona fides einmal der innere Geltungsgrund für die Verbindlichkeit dieser Verträge; zum anderen dient sie zur Konkretisierung des Leistungsinhalts.32 Andererseits taucht die bona fides auch als allgemeines Prinzip des Ver- [67] tragsrechts im römischen Recht auf.33 Rechtsethische Überlegungen, die mit diesem Begriff verbunden sind, lassen sich bereits im vorjustinianischen römischen Recht erkennen und umschreiben allgemein die Vorstellung der redlichen Gesinnung im Rechtsverkehr und das Vertrauensprinzip. Dieses Prinzip hat zwei Aspekte, die wir bereits bei der Erörterung der §§ 157, 242 BGB betrachtet haben: Einmal soll dem Schuldner die Erfüllung seines Versprechens nicht dadurch erschwert werden, daß er in schematischer und starrer Weise an diesem Versprechen festgehalten wird. Er muß es vielmehr nur so erfüllen, wie der Gläubiger es redlicherweise erwartet oder redlicherweise erwarten darf. Dies bedeutet eine Erleichterung für den Schuldner. Umgekehrt darf aber auch der Schuldner nicht eine formalisierte Auffassung seiner Vertragspflichten als Ausflucht benutzen. Er muß auf die Bedürfnisse und Erwartungen des Gläubigers Rücksicht nehmen und das tun, was er redlicherweise beanspruchen kann. Beide Funktionen der bona fides finden sich bereits im römischen Recht und in der mittelalterlichen wissenschaftlichen Fortbildung [68] des römischen Rechts durch die Legistik.34 Im Grundsatz ist der Unterschied zwischen diesen Ansätzen und den oben dargestellten modernen Ansätzen der Vertragsauslegung und Erfüllungskonkretisierung nach Treu und Glauben nicht groß.
32 Institutiones 4.6.30: „In bonae fidei autem iudiciis libera potestas permitti videtur iudici ex bono et aequo aestimandi, quantum actori restitui debeat“; vgl. auch Digesten 16.3.31; 19.1.11.1. 33 Codex 4.10.4. 34 Dazu N. Horn: Aequitas in den Lehren des Baldus, Köln 1968, § 16, 162 ff.
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5.4. Rechtliche und sozialethische Konstanten im interkulturellen Rechtstransfer In solchen historischen Beobachtungen zeigen sich bestimmte rechtsethische Konstanten, die wir im Zivilrecht der kontinentaleuropäischen Länder zumindest in den Grundsätzen weithin finden. Diese Gemeinsamkeiten erklären sich aus der gemeinsamen Geschichte des europäischen Zivilrechts, die sich aus der wissenschaftlichen Rezeption des römischen Rechts im Zusammenhang mit der Entstehung der Universitäten in Europa im Mittelalter erklärt. Darin ist ein Grundbestand an rechtsethischen Überzeugungen und technischen Normen beschlossen, der von den spezifischen sozialen und ökonomischen Verhältnissen einer bestimmten Epoche oder Region ebenso unabhängig zu sein scheint wie von den Entwicklungen und Moden der Sozial- und Staatsphilosophie. Dies mag auch ein Grund dafür sein, daß sich das europäische Zivilrecht als übertragbar auf andere Kulturen erwiesen hat, die an der modernen verkehrswirtschaftlichen und industriellen Zivilisation teilnehmen. Kernbestände des europäischen Rechts finden sich daher nicht nur im Bereich der europäischen Kolonialisation wie in Südamerika, sondern auch etwa in China und Japan. Beziehungen und Überschneidungen ergeben sich mit dem Common Law, das insbesondere im Bereich der Equity (u. a. durch die Vermittlung des kirchlichen Rechts) vom Denken des kontinentaleuropäischen Zivilrechts beeinflußt ist, und seine Herrschaft auf ganz Nordamerika und im Bereich des ehemaligen Commonwealth ausgedehnt hat. Bei dieser Verpflanzung in andere kulturelle Zusammenhänge erweist sich immer wieder, daß Grundanforderungen des menschlichen Zusammenlebens, nicht zuletzt im Wirtschaftsverkehr, die Verbindlichkeit des Versprechens und den Schutz des Vertrauens durch das Recht in einem vom Verkehr im einzelnen festgelegten Umfang erfordern und durchsetzen.
Vom jüngeren und jüngsten Naturrecht In Festschrift für Martin Kriele, 1997, S. 889–901 Die Frage nach der Gerechtigkeit von Rechtsnormen und rechtlichen Entscheidungen, welche die Gesetzgebung, die Rechtsanwendung und die Rechtswissenschaft wie ein Schatten begleitet, ist in der Geschichte des europäischen Rechtsdenkens lange Zeit und bis heute fortwirkend mit der Vorstellung eines vorgegebenen Naturrechts beantwortet worden. In den letzten zweihundert Jahren überwog die Kritik am Naturrecht. Zu dieser Kritik gehörte erstens der Einwand der mangelnden philosophischen Begründbarkeit, zum anderen der Einwand, ein solches Naturrecht könne inhaltlich nicht hinreichend konkretisiert werden, – jedenfalls nicht mit wissenschaftlichen Methoden – und der Begriff bleibe daher relativ leer. Gegenüber dem letzteren Einwand hat Martin Kriele stets die Auffassung vertreten, daß die wichtigste inhaltliche Konkretisierung des Naturrechtsdenkens in der Entfaltung des neuzeitlichen und modernen Rechts- und Verfassungsstaates zu sehen sei.1 Diese Sichtweise soll im Folgenden unter einigen Aspekten der Entwicklung der Rechtsphilosophie und der jüngeren Rechtsgeschichte weiterverfolgt werden.
I. Das jüngere Naturrecht als letztes Kapitel? Aus heutiger Sicht erscheint das jüngere Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts als das letzte und philosophisch unrühmliche Kapitel eines großen Themas der europäischen Rechtsphilosophie. Das Naturrechtsdenken hebt in der griechischen Antike an, wirkt vor allem in seiner stoischen Fassung auf Cicero und die römische Antike, wird von Augustinus aufgenommen und für das Christentum fruchtbar gemacht, um dann eine Hochblüte im christlichen Aristotelismus des Hochmittelalters zu erleben und bis in die [890] Neuzeit mächtig fortzuwirken,2 bis dann das jüngere Naturrecht,3 nachdem es seine theologischen Begründungen abgestreift hatte, auch den philosophi1 Vgl. z.B. Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre. Die geschichtliche Legitimitätsgrundlage des demokratischen Verfassungsstaates, 5. Aufl. 1994, z.B. S. 121, 131, 278, 296. 2 Überblick bei N. Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 1996, Kap. 3. 3 Zum jüngeren Naturrecht K. Luig, Vernunftrecht, in: A. Erler/E. Kaufmann (Hrsg.), Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4, 1993, Sp. 781–790.
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schen Boden unter den Füßen verlor und in der Metaphysikkritik zuerst der englischen Empiristen wie Hobbes, dann des „Alleszermalmers“ Kant sein Ende fand.4 1. Die neuzeitlichen Vernunftrechtssysteme Das Naturrecht des 17. und 18. Jahrhunderts, nach seinem philosophischen Schlüsselbegriff auch „Vernunftrecht“ genannt, ist durch die Auffassung kennzeichnet, daß man das Recht auf oberste, allgemein einsehbare und verbindliche, weil der menschlichen Vernunft zugängliche, Prinzipien gründen könne, um dann aus diesen Prinzipien in einem ebenfalls vernünftig nachvollziehbaren Verfahren „more geometrico“ ganze Rechtssysteme mit vielen wohlgeordneten Einzelregelungen abzuleiten. K. Luig hat auf die relative Beliebigkeit dieser Systementwürfe hingewiesen. Er sagt dazu: „Die Inhalte des Vernunftrechts wurden durch das bestimmt, was die einzelnen Rechtslehrer in der Natur glaubten beobachten zu können. In diesem Punkte war jeder Vernunftrechtler frei. Und in dieser Hinsicht bestehen auch so große Unterschiede, daß man kaum noch von ‚dem‘ Vernunftrecht sprechen kann. Hauptthemen waren die Rechte und Pflichten des Einzelnen gegen Gott, gegen sich selbst und gegen seine Mitmenschen im privaten Bereich und in der Gesellschaft auf ihren verschiedenen Stufen von Familie, Haus, Stadt, Staat und Völkergemeinschaft“.5 Die Vernunftrechtssysteme kamen gleichwohl vielfach zu ähnlichen Ergebnissen. Denn sie bewegten sich in festen Traditionen des römischen Rechts und des deutschen oder sonst heimischen Rechts. Zudem nahmen sie Impulse des philosophischen und politischen Zeitgeistes, in der letzten Phase die der Aufklärung in sich auf; dies sicherte ihnen Akzeptanz. Das Vernunftrecht wurde so bekanntlich zur Grundlage der großen Kodifikationen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Es ist zugleich Teil und Ausdruck jener naturrechtlich-aufklärerischen Sozialtheorie, die man als gedankliche Grundlage des modernen bürgerlichen Rechtsstaates betrachten kann. [890] Bezeichnend ist die Emanzipation des jüngeren Vernunftrechts oder Naturrechts von tradierten Autoritäten. Es ging um die Etablierung einer neuen Grundlagenwissenschaft. „Die Juristen nahmen damals die Grundlagen ihres Faches unter Verzicht auf päpstliche und kaiserlich-römischrechtliche Autorität in die eigenen Hände.“6 Dieser emanzipatorische Ansatz setzte
4 Diese Feststellung gilt nur für die allgemeine rechtswissenschaftliche Diskussion. In Teilbereichen lebte das Naturrecht auch im 19. Jahrhundert fort, insbesondere in der Lehre; dazu ist eine Untersuchung von Klippel angekündigt. 5 Vernunftrecht a.a.O., Sp. 786. 6 Luig a.a.O., Sp. 782.
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beachtliche wissenschaftliche Energien frei, so daß sich mit dieser Epoche der Rechtswissenschaft glanzvolle und unangefochtene Namen wie Grotius, Pufendorf, Thomasius und Wolff verbinden. 2. Die Auktion der Dinge an sich Die philosophische Grundlage dieser Systeme mußte, wie bereits eingangs bemerkt, in dem Augenblick entfallen, in dem man die philosophisch-wissenschaftliche Erweisbarkeit oberster vernünftiger Grundsätze des Rechts bezweifelte. Dies hängt mit jener Entwicklung in der allgemeinen Philosophie zusammen, welche die Metaphysik als philosophischen und wissenschaftlichen Holzweg abtat und damit Erfolg hatte.7 Seit Platon wurde die Frage der Erkennbarkeit und Ergründbarkeit allgemeingültiger ethischer Gebote mit der Frage verbunden, ob sich allgemeingültige Aussagen über die Wirklichkeit überhaupt machen lassen. Letztere Möglichkeit wird seit Aristoteles als Metaphysik bezeichnet. Die Möglichkeit metaphysischer Aussagen über Ethik und oberste Gerechtigkeitsgebote des Rechts wurde in der klassischen Philosophie der Antike, des Mittelalters und der frühen Neuzeit bejaht. In der Neuzeit wurde die Möglichkeit einer Metaphysik auf dem Gebiet der praktischen Philosophie noch von Descartes ohne weiteres vorausgesetzt, im englischen Empirismus etwa von Thomas Hobbes ebenso nachdrücklich verneint. Die Auffassung von Hobbes gewann Einfluß auf das Denken von Christian Thomasius und Christian Wolff. Die Rechtsordnung ist bei Thomasius ganz im Sinne von Hobbes eine Ordnung des Trieb- und [892] Affektlebens der Menschen unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit. Recht ist demnach eine äußere Zwangordnung. Es ist eine mit staatlichen Mitteln erzwungene vernünftige und nützliche Ordnung. Eine Verbindung mit einer inneren sittlichen Verpflichtung ist beim Recht nicht vorausgesetzt. Die Religion ist nur Gegenstand eines persönlichen inneren Gefühls. Mit Thomas Hobbes hat das jüngere Vernunftrecht also die Ambivalenz des Naturrechtsbegriffs übernommen. Denn schon bei Hobbes ist die menschliche Natur teils Trieb- und Affektleben, teils die Fähigkeit zur vernünftigen Überwindung des Kampfes aller gegen alle. Zugleich wurde aber vom englischen Empirismus die Unmöglichkeit einer metaphysischen Begründung der sittlichen Ordnung importiert. Kant sah sich dadurch veranlaßt, in seiner Suche nach einer Metaphysik der Sitten die Erkennbarkeit allgemeingültiger metaphysischer Sätze der Ethik mit materialen Inhalten im Sinne des tradierten Naturrechts zu verwerfen und sich auf die Möglichkeit einer Metaphysik des subjektiven Bewußtseins
Zum folgenden Überblick bei Horn, Einführung a.a.O. (Fn. 2), Kap. 3 und 4.
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zu konzentrieren. Dieses Bewußtsein war aber, so lehrte es der Empirismus, nicht in der Lage, über die Erfahrung hinauszugelangen. Den Ausweg sah Kant dann im Formalismus des kategorischen Imperativs als der vermeintlich einzig möglichen Weise einer allgemeinen Formulierung sittlicher Grundsätze. In Deutschland machte die insbesondere durch die Erkenntniskritik Kants verordnete Aufgabe der Metaphysik einen nachhaltigen Eindruck, und Goethe und Schiller notieren teils verblüfft, teils amüsiert, in ihren gemeinsamen Xenien von 1797 unter dem Titel „Auktion“: Da die Metaphysik vor kurzem unbeerbt abging, werden die Dinge an sich morgen sub hasta verkauft.8
3. Wissenschaftlichkeit und Rechtspositivismus Der historischen Schule der Rechtswissenschaft kam diese Auktion gerade recht. Denn damit hatte sie auch eine philosophische Begründung für die Überwindung des jüngeren Naturrechts mit seiner abstrakten Begrifflichkeit und Systematik. Ihr neues wissenschaftliches Programm der Hinwendung zur Geschichtlichkeit des Rechts, seiner Verflochtenheit mit den historischen Lebensverhältnissen und seine dadurch bedingte Wandelbarkeit erschien damit auch philosophisch als der richtige Weg. Die begriffliche Arbeit des jüngeren Naturrechts lebte in der Pandektistik erfolgreich fort, freilich zunehmend unter dem Vorzeichen eines wissenschaftlichen Positivismus. Inhaltliche Urteile über Gerechtigkeitsgebote und ethische Werte waren danach wissenschaftlich nicht begründbar. Die Pandektistik nahm am wissenschaftlichen Positivismus wenig Schaden. Sie war trotz ihrer befremdlichen historisierenden Arbeitsweise bekanntlich von Realitätssinn geleitet. In Grundfragen der Ethik und der Gerechtigkeit, soweit sie bei der Findung und Anwendung des Rechts gebraucht [893] wurden, konnte sie die in der Gesellschaft vorhandenen christlich geprägten Wertvorstellungen stillschweigend voraussetzen und sich im übrigen an den neuen Grundwerten des liberalen bürgerlichen Rechtsstaates orientieren. Der Gesetzespositivismus des frühen 20. Jahrhunderts, der aufgrund der zunehmenden Gesetzgebung und vor allem der Kodifikation des Zivilrechts den rechtswissenschaftlichen Positivismus zurückdrängte, schnitt dann die Rückbindungen der Rechtswissenschaft an vorpositive Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen in stärkerem Maße ab. Dies führte zu einer zunehmenden Orientierungslosigkeit in Grundentscheidungen des Rechts, indem die tradierten, in der Gesellschaft vorhandenen Wertvorstellungen sich auflösten, insbesondere der öffentliche Einfluß des Christentums schwächer wurde und Goethe, Gedichte. hrsg. von H. Nicolai, 1992, S. 396.
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zugleich die Vorstellungen des bürgerlichen demokratischen Rechtsstaates sich in Deutschland (und andernorts) nicht dauerhaft durchsetzen konnten, bis schließlich im Nazi-Staat das den Zeitgenossen unbegreifliche Phänomen eines von Verbrechern beherrschten Staates jede Wertgrundlage des Rechts und der öffentlichen Moral infrage stellte.
II. Die Naturrechtsrenaissance nach 1945 1. Positivismuskritik und oberste Grundsätze des Rechts Man hat nach 1945 die geistige Wehrlosigkeit der Juristen in Deutschland gegenüber dem Nationalsozialismus zum Teil mit der Erziehung der Juristen zu einem gesetzespositivistischen Denken erklärt. Dieses habe die Juristen gelehrt, das Recht ohne Rücksicht auf seine leitenden, übergeordneten ethischen Wertmaßstäbe auszulegen und anzuwenden. Der blinde Gesetzesgehorsam habe dem totalitären Staat zugearbeitet.9 Mit dieser Kritik am Rechtspositivismus ging eine Renaissance des Naturrechtsdenkens einher. Rommen sprach von der ewigen Wiederkehr des Naturrechts,10 und Coing formulierte „oberste Grundsätze des Rechts“, die er als Versuch einer Neubegründung des Naturrechts bezeichnete.11 Radbruch wandte sich ebenfalls [894] vom Wertrelativismus ab und postulierte oberste objektive Gerechtigkeitsprinzipien, die er vor allem im Kernbereich der Menschenrechte annimmt.12 Eine philosophische Begründung ist freilich bei Radbruch nicht zu finden. Sie wurde dagegen von Coing unternommen. Dabei ist zunächst zu vermerken, daß Coing natürlich nicht an den Begriff des Naturrechts i.S. des jüngeren Vernunftrechts des 18. Jahrhunderts anknüpft. Er greift auf die gesamte Tradition des europäischen Naturrechtsdenkens in seiner christlichen Ausprägung zurück. Als Stichworte der philosophischen Begründung bei Coing seien der Gedanke der Eigenständigkeit der geisteswissenschaftlichen Methoden i.S. der Hermeneutik, die Phänomenologie des Moralischen i.S. der materialen Wertethik (Hartmann, Scheler) und die Ablehnung reduktionistischer und monistischer Theorien genannt. Diese Position ist sowohl hinsichtlich der Positivismuskritik (i.F. b) als auch hinsichtlich ihrer philosophischen Begründung bald ins Kreuzfeuer der Kritik geraten (i.F. c). H. Coing, Die obersten Grundsätze des Rechts. Versuch einer Neubegründung des Naturrechts, 1947, insbes. S. 7. 10 H. Rommen, Die ewige Wiederkehr des Naturrechts, 2. Aufl. 1947. 11 So in der zit. Schrift von 1947 (vgl. Fn. 9). Fortgeführt in seinen „Grundzügen der Rechtsphilosophie“, 1. Aufl. 1950, 6. Kap. (S. 151 ff.); 5. Aufl. 1993, S. auch ders., Naturrecht als wissenschaftliches Problem, Sitzungsberichte der Wissenschaftlichen Gesellschaft der J.W. Goethe-Universität Frankfurt/M., III/1 1965, S. 25; wiederabgedruckt in H. Coing, Gesammelte Aufsätze 1947–1975 (Hrsg. D. Simon), Bd. 2 1982, S. 23 ff. 12 G. Radbruch, Vorschule der Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1965, S. 29. 9
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2. Die Ehrenrettung des Rechtspositivismus Die am Rechtspositivismus von Coing und anderen nach 1945 geübte Kritik wird heute allgemein nicht mehr geteilt. Das im Gesetzespositivismus beschlossene Gebot, das geltende Recht in Gesetzesgehorsam anzuwenden, erscheint als elementare Voraussetzung eines funktionierenden Rechtsstaates und in ruhigen und rechtsstaatlichen Zeiten als bare Selbstverständlichkeit. Dabei gerät in Vergessenheit, daß die „Naturrechtsrenaissance“ an extreme Erfahrungen des Unrechtsstaates anknüpft, etwa das Gesetz vom 3. Juli 1934 zur Legalisierung der von Hitler (zur Liquidierung der Röhm-Gruppe) angeordneten Morde.13 Und es wird übersehen, daß kein Gegensatz zum Rechtspositivismus i.S. des allgemeinen Gesetzesgehorsams konstruiert werden sollte, der ja Gerechtigkeitsgebot (der iustitia legalis) ist, sondern daß eine komplementäre, stabilisierende Funktion des Naturrechtsdenkens als „ein Element der positiven Rechtswissenschaft“ postuliert wurde.14 Für den moralischen Bankrott in Teilen der deutschen Justiz in der Nazizeit15 hat man statt der genannten Kritik am Rechtspositivismus andere [895] Erklärungsversuche angeboten. B. Rüthers hat die doppelte These von der Ideologieanfälligkeit der Juristen und von der unbegrenzten Manipulierbarkeit der juristischen Arbeitsmethoden aufgestellt.16 K. Luig hat dem letzeren Befund mit guten Gründen widersprochen und dargelegt, daß typische Unrechtsurteile der Nazizeit gerade durch die Mißachtung und Verbiegung anerkannter methodischer Grundregeln gekennzeichnet sind.17 In der Tat erscheint es so, daß der politischen Brutalität des Nationalsozialismus eher die Rechtsbeugung unterhalb der Gürtellinie jeder verantwortlichen methodischen Reflexion entsprach.18 Aber auch die These der Ideologieanfälligkeit bedarf weiterer Überlegung. Rüthers hat die Ideologieanfälligkeit von Richtern später als allgemeine menschliche Schwäche betont, vor der natürlich auch der Richter im demokratischen Rechtsstaat nicht gefeit sei.19 Dem läßt sich zustimmen. Es bleibt aber die Frage, wie optimistisch oder pessimistisch man die Chance 13 Auf dieses Beispiel bezieht sich Coing in: Naturrecht als wissenschaftliches Problem, Gesammelte Aufsätze, Bd. II, S. 27. 14 Coing a.a.O., S. 49. 15 Aus der umfangreichen Literatur zur Justiz 1933–45 vgl. nur G. Gribbohm, JuS 1969, 55 ff., 109 ff.; W. Wagner, Der Volksgerichtshof im nationalsozialistischen Staat, 1974; G. Spendel, Rechtsbeugung durch Rechtsprechung, 1974; F. v. Hippel, Die Perversion von Rechtsordnungen, 1955; I. Müller, Furchtbare Juristen, 1987; M. Stolleis, Recht im Unrecht. Studien zur Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus, 1994. 16 Die unbegrenzte Auslegung, 1968, 4. Aufl. 1991. 17 Macht und Ohnmacht der Methode, NJW 1992, 2536. 18 In diesem Sinne auch G. Spendel, Rechtsbeugung durch Rechtsprechung, 1974. 19 Ideologie und Recht im Systemwechsel: ein Beitrag zur Ideologieanfälligkeit geistiger Berufe, 1992.
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einschätzt, daß der einzelne Jurist – zumal unter den Informationsbedingungen der freien Gesellschaft – dieser Gefahr entrinnen kann. Rüthers scheint hier zu pessimistisch zu sein. Damit zusammen hängt ein anderes Problem: die Gleichsetzung von Ideologie und Naturrecht. Die Nazi-Ideologie wird von Rüthers gerade in ihrem quasinaturrechtlichen Anspruch gesehen, der die Bindung an das Gesetz aufgeweicht und damit den Rechtsstaat unterminiert habe. Dieses Phänomen ist wohl richtig gesehen, aber falsch benannt. Wenn Coing und andere die Rückbesinnung auf die Idee des Naturrechts befürworten, so meinen sie die große Tradition des Naturrechts in seiner stoischen und christlichen Prägung, nicht aber das, was seit der Sophistik immer wieder – bei Machiavelli, Hobbes, Marx, Lenin, Stalin und Hitler – ebenfalls als quasinaturrechtliche Machtideologie auftrat. Hier muß man schon unterscheiden können. 3. Das fortwirkende Metaphysikverbot und das Problem unverfügbarer Rechtsgrundsätze Die Renaissance des Naturrechtsdenkens nach dem 2. Weltkrieg wird heute als kurzlebige Epoche abgetan.20 Der grundsätzliche Einwand ging dahin, [896] daß der Beweis für die Richtigkeit der Werturteile, für die Vorzugswürdigkeit dieser oder jener Position, nicht erbracht werden könne.21 Letztlich wirkt bis heute die Metaphysikkritik des 18. Jahrhunderts nach, die „Auktion der Dinge an sich“ und das daraus resultierende Denkverbot für wissenschaftliche Betrachtungen, die auf objektive ethische Maßstäbe zielen. Bis heute werden Arbeitsweise und Denkstile der Philosophie und der Sozialwissenschaften, aber auch der Jurisprudenz in der Bundesrepublik ab den fünfziger Jahren davon beherrscht. J. Habermas hat denn auch die Naturrechtsrenaissance als „unter dem Niveau der Philosophie“ geblieben abqualifiziert.22 In der Diskussion über die Grundlagen des Rechts besteht heute das Dilemma, daß man einerseits inhaltlich die Positionen von Coing und anderen hinsichtlich oberster Grundsätze des Rechts durchaus bejaht, wie unlängst Kühl festgestellt hat,23 andererseits aber ihre philosophische Begründung ebenso ablehnt wie die Verwendung des ehrwürdigen Begriffs Naturrecht. Arthur Kaufmann, Die Naturrechtsrenaissance der ersten Nachkriegsjahre – und was daraus geworden ist, in: FS Sten Gagnèr, 1991, S. 221. 21 K. Engisch, Auf der Suche nach der Gerechtigkeit, 1971, S. 261; R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 1982, S. 129 ff. Vgl. auch die Beiträge in: W. Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, 2. Aufl. 1972. 22 Theorie und Praxis, 4. Aufl. 1971, S. 118. 23 Kristian Kühl, Rückblick auf die Renaissance des Naturrechts nach dem Zweiten Weltkrieg, in: Köbler/Heinze/Schapp, Geschichtliche Rechtswissenschaft (FS Alfred Söllner) 1990, S. 331 ff. 20
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Dabei wird wiederum das jüngere Naturrecht oder Vernunftrecht des 17. und 18. Jahrhunderts als abschreckendes Beispiel argumentativ zitiert. Die Denkverbote der Metaphysikkritik wirken weiter nach. Bezeichnend ist dafür die Art und Weise, wie Arthur Kaufmann das Problem unverfügbarer, vor gegebener Grundsätze oder Werte der Gerechtigkeit in seinen „Grundproblemen der Rechtsphilosophie“ von 1994 anspricht. Die Suche nach solchen Grundsätzen hält er für unabweisbar, beeilt sich aber hinzuzufügen, daß man natürlich nicht daran denken dürfe, hinter Kant zurückzugehen,24 und man keineswegs daran gehen könne, an einem substanzontologischen Rechtsbegriff festzuhalten und das Sittengesetz als etwas Substanzielles, Zeitloses, Überpositives zu beschwören, als etwas, was fertig da ist, ein Bestand, ein Zustand, aus dem man konkrete Folgerungen, also Rechtsentscheidungen rein deduktiv ableiten könne.25 Ein Zurückgehen auf einen bestimmten früheren Zustand der Rechtsphilosophie, etwa den des aufgeklärten Naturrecht des 18. Jahrhunderts, hat freilich auch niemand vor. [897]
III. Verfassungsrecht als positiviertes Naturrecht Rechtswissenschaft und Philosophie halten also bis heute überwiegend am Verdikt des Naturrechts fest. Zugleich wird die darin liegende Verneinung einer philosophischen und in diesem Sinn rationalen Begründbarkeit oberster Rechtsgrundsätze und Rechtswerte akzeptiert. Man müßte sich eigentlich über das Kunststück wundern, daß eine Rechtskultur – die deutsche wie die französische und angelsächsische – ohne rationale Letztbegründung ihrer eigenen Grundlagen auskommt. Der Versuch einer umfassenden Erklärung kann hier nicht unternommen werden; er müßte in viele Richtungen führen. Aber ein ins Auge springender Grund dafür, daß die philosophische Mangellage bei den Juristen und allgemein im öffentlichen Rechtsleben nicht oder nur sehr abgemildert empfunden wurde, liegt in der Positivierung des Naturrechts. 1. Vernunftrecht und bürgerlicher Verfassungsstaat Der neuzeitliche und moderne Staat hat die Frage einer Letztbegründung oberster Gerechtigkeitswerte durch ihre Positivierung in den Verfassungen gelöst. Geht man zu den Wurzeln dieser bemerkenswerten Entwicklung zurück, muß man wiederum auf die Epoche des jüngeren Naturrechts zurückgreifen. Hier liegt die eigentliche historische Bedeutung dieser ebenso bewunderten wie aus den bereits genannten Gründen kritisierten Epoche der A.a.O., S. 33. A.a.O., S. 32, 36.
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turopäischen Rechtsgeschichte. Der Einfluß des jüngeren Naturrechts auf das positive gemeine Recht des Usus modernus mag relativ gering geblieben lein.26 Der Einfluß dieser Epoche auf der Makroebene der verfassungsrechtlichen Grundlagen des modernen Staates dagegen ist schlechthin konstituierend. Die naturrechtlich-aufklärerische Philosophie hat jene Menschenrechte entwickelt, die dann als Bürgerrechte in den Verfassungen positiviert wurden. Ob hier der französischen Aufklärungsphilosophie des 18. Jahrhunderts und hier insbesondere Rousseau das größere Verdienst zukommt oder der angelsächsischen Tradition, und was die deutschen Rechtsdenker dazu beigetragen haben, mag hier auf sich beruhen.27 Ebenso wenig ist die Entwicklung nachzuzeichnen, die das moderne Verfassungsrecht seit dem 18. Jahr[898] hundert genommen hat, nämlich in der Verfeinerung rechtsstaatlicher Grundsätze und der Ergänzung der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat durch den Gedanken des sozialstaatlichen Schutzes. Die Frage einer Begründung naturrechtlicher Grundsätze ist jedenfalls für die Juristen weitgehend aus der allgemeinen Philosophie herausgenommen und in die Diskussion des positiven Verfassungsrechts verlagert worden. Die Positivierung der Menschenrechte zu Grundrechten ist zugleich ein bedeutender Beitrag dazu, die strikte Trennung zwischen dem positiven Recht einerseits und allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen andererseits zu überwinden. Das Verfassungsrecht ist heute die bedeutendste Verbindungslinie zwischen dem positiven Recht und allgemeinen Gerechtigkeitserwägungen, eine Verbindung, die in anderer Form natürlich auch schon in der älteren Tradition des kontinentaleuropäischen Rechts zu finden ist. 2. Naturrechtsrenaissance und Grundgesetz Das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland ist in einer geistigen Atmosphäre geschaffen worden, die nach 1945 eine sittliche Neuorientierung der Staats- und Rechtsordnung suchte und eben deshalb die genannte „Naturrechtsrenaissance“ hervorbrachte. E. Spranger hat gegen Coings „oberste Grundsätze des Rechts“ eingewendet, sie seien historisch bedingt und keineswegs überzeitlich, zugleich aber hinzugefügt, daß sie das moderne, europäische, christlich beeinflußte Wertbewußtsein widerspiegelten, wie es in den Grundrechten der neueren Verfassungen zu finden sei.28 Dieser Befund unterstreicht, wie sehr die Schaffung unserer Verfassung auch als Positivierung der historisch gewachsenen naturrechtlichen Gedanken ver26 So unlängst eine Kölner Dissertation von Reinhard Voppel, Der Einfluß der Naturrechtslehre auf den Usus modernus. Eine Untersuchung anhand der Literatur zum geltenden Recht im 17. und 18. Jahrhundert. Köln 1994. 27 Zum französischen und angelsächsischen Anteil an den Grundrechten und Menschenrechten siehe Martin Kriele, Einführung in die Staatslehre, 5. Aufl. 1994, § 33 (S. 130 ff.). 28 In: W. Maihofer (Hrsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus?, 2. Aufl. 1972, S. 90 f.
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standen werden kann und verstanden worden ist. Man schien dann nach der Schaffung des Grundgesetzes das Naturrecht nicht mehr zu brauchen; man hatte es ja zu einem guten Teil in der Verfassung positiviert. Diese Positivierung war so erfolgreich, daß unser Verfassungsrecht heute in alle Rechtsgebiete ausstrahlt, in sie eingreift, sie umprägt und überlagert. 3. Verfassungsrechtspraxis und Vernunftrechtsmethodik Es wäre einmal reizvoll, Parallelen zwischen der heutigen Methodik der Verfassungsrechtsdogmatik und -praxis einerseits und den Methoden des Vernunftrechts zu ziehen. Das muß den Verfassungsrechtlern vorbehalten bleiben. Aber einige Hinweise auf Parallelen seien erlaubt. Erstens ist die Aus- [899] bildung einer zweiten, höheren Betrachtungsebene gegenüber dem (einfachen) positiven Recht zu nennen. Das Vernunftrecht hat eine solche höhere, abstraktere Betrachtungs- und Wertungsebene ausgebildet und damit einen Einfluß auf die Dogmatik des Gemeinen Rechts ausgeübt.29 Dem entspricht es, daß unser Verfassungsrecht die entscheidende höherrangige Bewertungsebene für alles einfache Recht ist. Zweitens sieht man heute wieder deutlicher die Grenzen der Positivierbarkeit des Rechts, d.h. daß „Recht“ mehr ist als die Summe der gesetzlichen Normen. Es werden also in der Verfassungsrechtsprechung durchaus naturrechtliche Züge des Rechts, d.h. der von Rechtsprechung und Rechtswissenschaft verwalteten und weiterentwickelten Kenntnis des „Rechts“ angenommen, so in der Aussage: „Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch. Gegenüber den positiven Satzungen der Staatsgewalt kann unter Umständen ein Mehr an Recht bestehen, das seine Quelle in der verfassungsmäßigen Rechtsordnung als einem Sinnganzen besitzt und dem geschriebenen Gesetz gegenüber als Korrektiv zu wirken vermag; es zu finden und in Entscheidungen zu verwirklichen, ist Aufgabe der Rechtsprechung ...“.30
Drittens besteht eine Parallele in dem Optimismus, mit dem man aus sehr hohen, sehr allgemeinen Grundsätzen und Werten sehr konkrete, spezielle Rechtsgebote ableitet.31 Diese Ableitungen hielt man im Vernunftrecht nach einer sicheren logischen Methode „more geometrico“ für möglich,32 also im Rahmen eines deduktiv-axiomatischen Begriffsystems. Die Verfassungsrechtsprechung unserer Tage ist ebenfalls von großer Ableitungsfreudigkeit gekennzeichnet. Ihr methodisches Selbstverständnis ist zwar im einzelnen ein ganz anderes, aber die Arbeitsergebnisse kommen ebenfalls dadurch Horn, Einführung a.a.O. (Fn. 2), S. 86. BVerfGE 34, 269. 31 Diese Detailfreude zeigt sich auch im preußischen ALR, das auch in diesem Punkt ein Kind des Vernunftrechts ist. 32 Dazu P. Raisch, Juristische Methoden vom antiken Rom bis zur Gegenwart, 1996, S. 64 ff. 29 30
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zustande, daß man aus sehr allgemeinen Normen und Wertbegriffen sehr spezielle Detailregelungen ableitet, z.B. aus Art. 2 GG nicht nur den Schutz der Privatautonomie, sondern aus dieser wiederum die Unwirksamkeit eines bestimmten Vertragsschlusses über eine Ehegattenbürgschaft aufgrund einer bestimmten Verhandlungssituation und wirtschaftlichen Situation der Beteiligten.33 Und gibt es nicht letztlich auch bemerkenswerte Ähnlichkeiten auch in der Methode? Die kritischen Bemerkungen von A. Kaufmann über die „substanzontologische“ Argumentation des jüngeren Vernunftrechts beschreiben auch Eigenschaften der Verfassungsrechtsprechung. Eine Parallele zeigt [900] sich schließlich auch in der relativen Freiheit der begrifflichen und inhaltlichen Konstruktion, die K. Luig für das Vernunftrecht konstatiert34 und die eine Entsprechung in der Verfassungsrechtsprechung dort findet, wo diese überraschende neue Begriffskonzepte als in der Verfassung beschlossen plötzlich ans Licht hebt,35 Und ebenso wie im jüngeren Naturrecht geht es in der Verfassungsrechtsprechung um konkrete Gerechtigkeitsgebote, etwa in der Frage der Steuergerechtigkeit.36
IV. Die Gerechtigkeitsfrage als philosophisches Problem Mit dieser weitreichenden Positivierung von grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen ist die Frage einer philosophischen Begründbarkeit freilich nicht erledigt. Eine philosophische Behandlung der Grundwerte und unverfügbaren Grundsätze unserer Verfassungs- und Rechtsordnung wird zumindest aus zwei Gründen gebraucht, zum einen i. S. einer geistigen Stabilisierung dieser Ordnung und zum anderen zum Zweck ihrer kritischen Überprüfung. 1. Hinter jedem positiven Recht, auch wenn es den Rang von Verfassungsrecht genießt, steht die Frage seiner tatsächlichen Geltung und Anerkennung durch die Rechtsgemeinschaft, und jede Rechtsprechung kann nur dann in sicheren, auf den Konsens der Rechtsgemeinschaft gegründeten Bahnen verlaufen, wenn die Grundwerte und Grundnormen der Rechtsgemeinschalt, die Achtung der Menschenwürde, der Freiheit, des Eigentums und der anderen Grundwerte tatsächlich in den Überzeugungen einer Mehrzahl, wenn nicht aller Mitglieder der Rechtsgemeinschaft und vor allem der Juristen verankert sind. Für eine solche Überzeugungsbildung wirkt die noch immer So das (inhaltlich billigenswerte) Bürgschaftsurteil des BVerfG ZIP 1993, 1775. Vernunftrecht, in: A. Erler/E. Kaufmann, Handwörterbuch der deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 4 1993, Sp. 781 ff. 35 Vgl. dazu nur das Recht „auf informationelle Selbstbestimmung“, BVerfGE 65, 1, 45 = NJW 1984, 419. 36 Vgl. nur BVerfGE 82, 60, 85 ff. und 198, 206 zum steuerfreien Existenzminimum. 33 34
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verkündete These, es handele sich bei grundlegenden Gerechtigkeitsfragen nicht um wissenschaftliche Fragen und auf diesem Gebiet ließe sich nichts sicher ausmachen und begründen, destruktiv. Und es ist die Erfahrung auch unserer Republik mit den vielen, die zeitweilig eine ganz andere Republik wollten und dazu ihre Ideologie anpriesen, daß am Anfang ihrer Propaganda jeweils die Behauptung stand, die tradierten Gerechtigkeitsvorstellungen des [901] bürgerlichen Rechtsstaats seien wissenschaftlich nicht erweisbar und in diesem Sinn beliebig. Der Mangel philosophischer Begründung wird heute wieder deutlicher als Problem gesehen, und man behilft sich derzeit mit dem Postulat oberster Rechtswerte.37 Daß man einen Schritt weiter gehen und die wissenschaftliche Zulässigkeit und Notwendigkeit der Gerechtigkeitsfrage wieder anerkennen muß, habe ich an anderer Stelle dargelegt.38 Es ist hier nicht der Platz, es zu erörtern. Martin Kriele müßte davon, so vermute ich, auch nicht erst überzeugt werden. 2. Eine philosophische Behandlung der Gerechtigkeitsfrage hat ferner gegenüber der Verfassungspraxis eine kritische Funktion, mit der die reine Verfassungsrechtsdogmatik überfordert ist. Eine Diskussion um die von der Verfassung zu schützenden Werte kann nicht nur als Dogmatik geführt werden. Sie muß auch als philosophische Wertediskussion möglich sein. Es geht also nicht nur darum, die wissenschaftliche Zulässigkeit der Gerechtigkeitsdiskussion wieder philosophisch zu begründen, sondern auch darum, die auf der Ebene des Verfassungsrechts geführte Gerechtigkeitsdiskussion kritisch zu begleiten und anzuleiten. Dieses Bedürfnis wird schmerzlich deutlich bei sensiblen Grundfragen, wie z.B der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Abtreibung, oder, um ein anderes von vielen Beispielen zu nennen, hinsichtlich des geringen verfassungsrechtlichen Ehrenschutzes. Zur kritischen Funktion könnte auch gehören, daß man die Kritik, die man gegenüber den Methoden des jüngeren Vernunftrechts mit guten Gründen geübt hat, einmal in der bereits angedeuteten Weise auf die Verfassungsrechtspraxis als unser positiviertes „jüngstes“ Natur- und Vernunftrecht anwendet.
37 Instruktiv der Überblick bei K. Kühl, Rückblick auf die Renaissance des Naturrechts, in: Köbler/Heinze/Schapp (Hrsg.), Geschichtliche Rechtswissenschaft, 1990, 331 ff., 357. 38 Einführung a.a.O., S. 207 ff.
Entgrenzung des Rechts durch wirtschaftliche Globalisierung1 In W. Brugger/G. Haverkate, Grenzen des Rechts als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie (Referate der Tagung der deutschen Sektion der IVR Heidelberg 2000), ARSP-Beiheft Nr. 84, 2002, S. 179–200 I. Die Fragestellung: Globalisierung und Rechtsbildung 1. Entgrenzung des Rechts. Grundbegriffe Recht ist nach unserer Erfahrung vor allem staatliches Recht. Die Staatsgewalt ist sein Geltungsgrund und Garant, und Staatsgebiet und Staatsgrenzen sind seine räumlichen Bezugspunkte. Entgrenzung des Rechts bedeutet für unser Thema, daß Rechtsnormen über staatliche Grenzen hinweg gelten.2 Dies ist in einem zweifachen Sinn möglich. Erstens kann staatliches Recht über die Grenzen des betreffenden Staates hinaus extraterritoriale Rechtsgeltung bei internationalen Sachverhalten beanspruchen und tatsächlich Anwendung finden. Zweitens kann Entgrenzung eine Umschreibung sein für die Bildung transnationalen Rechts, also Normen, die nicht einem einzigen Staat zuzuordnen sind. Dies ist in erster Linie das Völkerrecht, dessen Geltungsbasis die internationale Zusammenarbeit der Staaten als der geborenen Völkerrechtssubjekte ist. Hinzu treten Normbestände transnationalen Handels- und Wirtschaftsrechts, die nur zum Teil vermittels völkerrechtlicher Konventionen gelten, zum Teil aber ohne sie aufgrund der Privatautonomie und (kollisionsrechtlichen) Parteiautonomie der Marktteilnehmer. Die Entgrenzung des Rechts soll hier im Hinblick auf die Auswirkungen der wirtschaftlichen Globalisierung untersucht werden.
Überarbeitete Fassung eines Vortrags auf der IVR-Tagung Heidelberg September 2000. Man kann mit Entgrenzung des Rechts auch Rechtsphänomene bezeichnen, welche die herkömmlichen Definitionsgrenzen des Rechts überschreiten. Dieser Aspekt wird i.F. zumindest teilweise mitbehandelt. Vgl. auch B. Goldman, Frontières du droit et lex mercatoria, APD 9 (1964) 177–192. 1 2
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2. Das Phänomen der Globalisierung Globalisierung ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts die gängigste Charakterisierung des Weltwirtschaftsverkehrs. Gemeint ist damit vor allem die internationale, oft weltumspannende Vernetzung nationaler und regionaler Märkte durch intensive Informationsbeziehungen, die durch die neuen elektronischen Informations- und Datenverarbeitungstechniken ermöglicht werden. Genereller gesprochen bedeutet Globalisierung das Handeln über Staatsgrenzen hinweg in weltweiten Beziehungen; wirtschaftliche Globalisierung ist demnach weltweites wirtschaftliches Handeln, insbesondere die Ausbildung internationaler Märkte. In diesem allgemeineren Sinn ist Globalisierung ein Prozeß, der lange vor EDV und Internet vorhanden war und historisch weit zurückreicht. Fernhandel [180] z.B. mit Salz, Bernstein oder Seide gab es schon in prähistorischer Zeit. Von Weltmärkten kann man schon seit der Ausbildung der merkantilistischen Handelsstaaten und Kolonialreiche der Neuzeit sprechen; freilich waren diese Märkte z.T. durch politische Einflußsphären aufgeteilt, andererseits durch Handels- und Freundschaftsverträge teilintegriert.3 Diese Entwicklungen verstärkten sich durch die Industrialisierung im 19. und 20. Jahrhundert.4 Eine erste wirtschaftswissenschaftliche Begründung der Vorteile des internationalen Handels hat Anfang des 19. Jahrhunderts David Ricardo in seiner Theorie der komparativen Kosten unternommen.5 Sie gab weiterwirkende theoretische Anstöße6 und fand große politische Resonanz in den englischen Forderungen nach Freihandel im 19. Jahrhundert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Welthandel im Rahmen von GATT und jetzt der WTO unter den Teilnehmerstaaten schrittweise und partiell liberalisiert, und diese Liberalisierung erfaßt nun auch viele Schwellenländer. Sichtbarster institutioneller Ausdruck der Globalisierung der Wirtschaft seit dieser Zeit ist die Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) 1944 durch das Abkommen von Bretton Woods. Der IWF dient der Erleichterung und Stabilisierung des internationalen Zahlungsverkehrs zwischen den Staaten. Die Tatsache, daß der IWF bei Zahlungskrisen einzelner Länder kurzfristige Liquiditätshilfen teils gibt, teils organisiert, hat die Begehrlichkeit vieler Länder angestachelt, hier eine neue Quelle auch für langfristige Kreditaufnahmen oder Geldschöpfung aufzutun. Der IWF hat G. Erler, Grundprobleme des internationalen Wirtschaftsrechts, 1956. Vgl. allg. zur einschlägigen Wirtschaftsgeschichte M. North, Deutsche Wirtschaftsgeschichte, 2000, mit den Beiträgen von North, S. 108 ff, Ziegler, S. 198 ff und Ambrosius, S. 286 ff. Für den rechtlichen Aspekt N. Horn, Geschichte des Handelsrechts, in: ders. (Hrsg.), Heymann, Handelsgesetzbuch. Kommentar, Band 1, 2. Aufl. 1995, Einleitung VI, 62; G. Erler (Fn. 3). 5 David Ricardo, On the Principles of Political Economy and Taxation, 1817. 6 Zur Fortentwicklung und Korrektur dieser Theorie vgl. z.B. K. Rose (Hrsg.), Theorie der internationalen Wirtschaftsbeziehungen, 2. Aufl. 1966, 14 und passim. 3 4
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diesen Bestrebungen bis heute widerstanden. Die seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts immer häufiger auftretenden Verschuldungskrisen vieler Staaten haben den IWF veranlaßt, das Krisenmanagement zu übernehmen und in Zusammenarbeit mit der Weltbank, den Staaten des sog. Pariser Clubs und den Privatbanken Hilfe zu organisieren. Dabei werden den Schuldnerstaaten strenge wirtschaftliche Auflagen gemacht,7 so daß der IWF allmählich in die Rolle einer begrenzten währungspolitischen Weltregierung geriet. Diese vom IWF nur unfreiwillig übernommene und von ihm auch häufig dementierte Rolle ist vielleicht stärkster Ausdruck der wirtschaftlichen Globalisierung. Kennzeichen der sich heute vollziehenden Globalisierung sind die Konzentration bei bestimmten Wirtschaftsgütern auf wenige globale Anbieter, z.B. bei Automobilen oder in der Telekommunikation, ferner der Zwang für viele Unternehmen, auch dann, wenn sie nicht selbst globale Akteure sein wollen, in weltumfassenden Zusammenhängen zu agieren und zu planen. Kennzeichnend ist ferner die Welle der internationalen Unternehmensübernahmen und [181] Unternehmenszusammenschlüsse.8 Weiteres Kennzeichen ist der Umstand, daß das Internet auch kleinen Anbietern die Möglichkeit eröffnet hat, einen globalen, weltweiten Marktauftritt zu planen und zu realisieren und ggf. entsprechende wirtschaftliche Erfolge zu erzielen, insbesondere wenn sie selbst Güter der Informationsindustrie anbieten. Aber auch die klassischen Weltmärkte für Rohstoffe und Fertigerzeugnisse werden durch die modernen Informationstechniken einem globalen Wettbewerb ausgesetzt. Hinzu kommt die immer stärkere Interdependenz der Aktienmärkte und sonstigen Kapitalmärkte. Bemerkenswert ist schließlich, daß immer mehr Privatpersonen direkte Teilnehmer der internationalen Märkte werden – man denke etwa an die Touristik oder die Nutzung des Internet, wo sie Nachfrager für Waren, Dienstleistungen und Kapitalanlagen sind. 3. Fragen und Thesen Wirtschaft braucht Recht, sucht sich ihr Recht und bewirkt seine Schaffung auf verschiedenen Wegen. Die erste Frage lautet daher: Fördert die wirtschaftliche Globalisierung die Entgrenzung des Rechts in den beiden genannten Bedeutungen. Wenn dies zutrifft, so lautet die anschließende Frage: Wird durch diese Entgrenzung im zweiten Sinn der Fortbestand staatlichen Rechts eingeschränkt, d.h. wird dieses staatliche Recht durch transnationales Recht verdrängt, überlagert oder in seinem Inhalt verändert? Die Antwort für beide Fragen kann vorweg in kurzen Thesen zusammengefaßt werden. (1) Die wirtschaftliche Globalisierung fördert die Ent N. Horn, Rechtsfragen internationaler Umschuldungen, WM 1984, 713–721. N. Horn, Internationale Unternehmenszusammenschlüsse, ZIP 2000, 473 ff.
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grenzung des Rechts sowohl im einen wie im anderen Sinn, nämlich sowohl durch Zunahme der extraterritorialen Anwendung staatlichen Rechts als auch durch Fortentwicklung des transnationalen Rechts, insbesondere zum internationalen Wirtschaftsverkehr. Die letztgenannten Rechtsbildungsprozesse sind freilich diffus und undeutlich und bedürfen besonderer Aufmerksamkeit. (2) Staatliches Recht wird punktuell durch internationales Recht ersetzt oder überlagert, teils inhaltlich an transnationale Grundsätze angepaßt. Es wird aber nicht in seinem Kernbestand verdrängt. Es bleibt vielmehr unverzichtbares Element der internationalen Rechtsordnung. Soweit diese auf transnationalen Quellen beruht, bleibt doch das nationale Recht teils zu seiner inhaltlichen Ergänzung, teils aber auch als Geltungsgrundlage des transnationalen Rechts und als Voraussetzung seiner Durchsetzung unentbehrlich. Im übrigen bleibt staatliches Recht in seinem Hauptanwendungsgebiet, dem innerstaatlichen Rechtsverkehr, im wesentlichen noch unangefochten. Es wird freilich auf wichtigen Gebieten durch transnationale Rechtsbildungsprozesse beeinflußt und umgeformt, in Europa hauptsächlich durch EG-Recht, das die nationalen Rechte harmonisieren soll. [182] 4. Ein Rechtsquellenproblem. Rechtstheoretischer und rechtsphilosophischer Ertrag? Die hier vorgetragenen Fragestellungen und dazu gegebenen Thesen sind primär empirisch-deskriptiver Art. Das analytische Problem, das zugleich zu bewältigen ist, ist ein Beitrag zur Rechtsquellenlehre, insbesondere zu den Rechtsquellen des internationalen Wirtschaftsverkehrs und deren möglicher Veränderung durch intensivierte Globalisierungsprozesse. Diese Rechtsquellenprobleme werden natürlich in der Wissenschaft des Völkerrechts, des internationalen Handels- und Wirtschaftsrechts sowie des internationalen Strafrechts und der Rechtsvergleichung diskutiert. Eine Ausbreitung dieser Meinungsstände ist hier nicht möglich. Wir müssen uns mit einer Klassifizierung der Rechtsquellen begnügen sowie einer Beschreibung der Rechtsbildungsprozesse in Stichworten. Daß dabei der eine oder andere neue Gesichtspunkt erarbeitet werden kann, ergibt sich schon aus der Schwierigkeit der Materie. Die Frage bleibt, welchen Beitrag man damit zu den allgemeineren Fragestellungen der Rechtsphilosophie oder Rechtstheorie leisten kann. Rechtsquellenlehre ist sicher auch ein Gegenstand dieser Disziplinen. Dabei arbeitet die Rechtstheorie, wenn wir etwa an die Arbeitsweise von Hans Kelsen oder die Systemtheorie von Parson und Luhmann denken, mit einer gesteigerten Abstraktionshöhe, um zu möglichst allgemeingültigen Aussagen zu gelangen. Bei dieser Arbeitsweise muß man sich freilich des materialen Inhalts der betrachteten Normbestände weitgehend entledigen. Das ist verführerisch für jeden, der mit einer ungeheuren Materialfülle zu kämpfen hat und ihr entflie-
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hen möchte. Der Preis für dieses Verfahren ist relative Inhaltsleere und Praxisferne. Der bessere Weg ist es wohl, nicht über eine mittlere Abstraktionshöhe hinauszugehen und dabei diejenigen analytischen Begriffe zu benennen, die bei der Bewältigung der Praxisprobleme der Rechtsbildung und Rechtsanwendung im globalisierten Wirtschaftsverkehr helfen können. Ob man dies dann noch Allgemeine Rechtstheorie oder doch nur Rechtsquellenlehre nennen kann, ist eine geringere Sorge und die Antwort mag anderen überlassen bleiben. Die eigentlich philosophischen Fragen in der Rechtsphilosophie sind diejenigen nach der Gerechtigkeit einer Norm oder eines Normkomplexes. Wer diese Fragen für unbeantwortbar und weder für wissenschaftlich noch für philosophisch hält, braucht sie auch hier nicht zu stellen. Er muß aber zumindest diese Fragen kennen, weil sie die Diskussion im Rechtsleben steuern9 und damit natürlich auch die Diskussion um extraterritoriale Rechtsgeltung und transnationales Recht. Auch auf diese Fragen ist daher in folgenden hinzuweisen. [183]
II. Die internationale Rechtsordnung im Zeitalter der Globalisierung Die internationale Rechtsordnung besteht traditionell aus der Vielzahl der einzelnen nationalen Rechte der souveränen Staaten einschließlich ihrer Kollisionsrechte, die über die Anwendung fremden nationalen Rechts im Inland und die Anwendung eigenen nationalen Rechts auf ausländische Sachverhalte entscheiden, ferner aus dem die Staaten verbindenden Völkerrecht, dessen primäre Rechtssubjekte sie sind, und schließlich aus einer wachsenden, noch unübersichtlichen Schicht transnationalen Rechts des Wirtschaftsverkehrs, das nicht Völkerrecht ist. Eine Auswirkung der wirtschaftlichen Globalisierung auf das Recht kann entsprechend unseren Ausgangsfragen (oben I.1.) sowohl bei der nationalen Gesetzgebung als auch bei der Ausbildung transnationalen Rechts festgestellt werden. 1. Extraterritoriale Anwendung nationalen Rechts Der Gesetzgeber muß auf die Tatsache, daß die nationalen Grenzen für wirtschaftliche Abläufe und andere Vorgänge (Internet, Migrationsströme, Umweltbelastungen) immer durchlässiger werden, reagieren. Das Rad der Entwicklung zurückdrehen kann er nicht. Der Internationalität der Wirtschaftsabläufe z.B. hohe Zollschranken entgegenzusetzen, wäre wirtschaft9 N. Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 2001, Rz 1, 221, 415 f.
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lich nicht sinnvoll und rechtlich in großem Umfang heute ausgeschlossen, so innerhalb der europäischen Union und – in geringerer Intensität – innerhalb der weltumspannenden WTO. Ein anderes Phänomen der Globalisierung, das den Gesetzgeber stark beschäftigt, sind Migrationsprozesse. Neben dem allgemeinen Flüchtlingsproblem und den Rechtsfragen des Asylrechts ergeben sich Fragen insbesondere daraus, daß Arbeitskräfte aus Ländern mit niedrigeren Sozialniveaus mit Arbeitskräften in Ländern hohen Sozialniveaus in Wettbewerb treten, so z.B. mexikanische Arbeitskräfte in den USA und osteuropäische Arbeitskräfte in der EU. Der nationale Gesetzgeber hat hier z.T. mit Mindestlohnbestimmungen reagiert. Generell formuliert stellt sich für den staatlichen Gesetzgeber heute immer häufiger das Problem, gegen bestimmte unerwünschte Einflüsse auf das eigene Territorium, deren Quelle aber außerhalb dieses Territoriums liegt, rechtliche Maßnahmen zu ergreifen. Ein aktuelles Beispiel bietet wiederum das Internet mit seinen Angeboten über Waren oder Dienstleistungen, insbesondere Finanzdienstleistungen. Da solche Angebote technisch weltweit zugänglich sind, kann der nationale Gesetzgeber oder die zuständige nationale Behörde nur dann reagieren, wenn das auswärtige Internet-Angebot auf den Markt des eigenen Territoriums gerichtet ist.10 In der Tat wird heute im Verbraucherschutzrecht und im Kapitalmarktrecht sowohl in den USA als auch in der EU hauptsächlich dieser Ansatz verfolgt; im einzelnen sind hierbei die [184] Kriterien herauszuarbeiten, aus denen sich ergibt, daß ein bestimmtes Internetangebot gezielt auf einen bestimmten nationalen Markt gerichtet ist. Als weiteres Beispiel für extraterritoriale Anwendung nationalen Rechts sei ferner das Kartellrecht genannt, insbesondere die Zusammenschlußkontrolle. Nach einem weithin in den verschiedenen Kartellrechten anerkannten Grundsatz ist ein Zusammenschluß mehrerer Unternehmen dann ein kartellrechtlich relevanter Tatbestand, wenn der Zusammenschluß sich in dem durch das betreffende nationale Kartellrecht geschützten Markt auswirkt, auch wenn er sich fernab in einem anderen Land vollzieht. In diesem Sinne hat die Federal Trade Commission der USA einen europäischen Zusammenschluß verboten und umgekehrt hat die Kommission der EG einen Unternehmenszusammenschluß wie den von Boeing und MacDonell-Douglas, der nur US-Unternehmen betraf, seiner Kontrolle unterworfen.11 Die Entgrenzung des wirtschaftlichen Vorgangs, hier die extraterritoriale Auswirkung einer Fusion auf ferne Märkte, führt also zu einer entsprechenden Entgrenzung der Wirkungen des betreffenden nationalen Rechts i.S. seiner extraterritorialen Anwendung. 10 Dazu N. Horn, Banking in the Electronic Age. Legal Issues, in: N. Horn (Hrsg.), Legal Issues in Electronic Banking, 2002, 1 ff. 11 Zu Einzelheiten siehe N. Horn (Fn. 8), 473 ff, 479 ff.
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Die einzelnen Staaten, ihre Exekutive, aber auch der Gesetzgeber und die Rechtsprechung, sind demnach in immer größerem Umfang veranlaßt, internationale Sachverhalte, die sich im Inland auswirken, zu regeln. Dies gilt natürlich nicht nur für das Gebiet des Kartellrechts, sondern auch für viele andere Rechtsgebiete, nicht zuletzt das Strafrecht; man denke nur an den großen Komplex der internationalen Computer- und Internetkriminalität sowie an die im elektronischen Wirtschaftsverkehr möglichen umfangreichen Urheberrechtsverletzungen. Diesen Phänomenen kann man aber nicht allein durch die Schaffung internationaler Normtatbestände des nationalen Rechts begegnen. Es muß auch zu einer Kooperation der nationalen Behörden der verschiedenen betroffenen Ländern kommen, wie sie in der EU schon in großem Umfang, z. B. durch eine Harmonisierung der Aufsichtsrechte über Banken und Versicherungen und durch das EU-Wettbewerbsrecht, vorgenommen wurde. Eine solche Kooperation findet auch über die EU hinaus im Wettbewerbsrecht tatsächlich statt. Die nationalen Kartellbehörden arbeiten zusammen, um einerseits die Kontrolle zu verbessern, andererseits aber auch den Unternehmen das Leben nicht dadurch schwer zu machen, daß sie sich zum Beispiel bei internationalen Unternehmenszusammenschlüssen einer unübersichtlichen Vielfalt nationaler Anmeldungspflichten gegenüber sehen. Diese Notwendigkeit zur Zusammenarbeit der nationalen Behörden läßt sich auch auf anderen Gebieten beobachten. 2. Harmonisierung und Angleichung der nationalen Rechte Die nationalen Gesetzgeber gehen immer mehr dazu über, das nationale Recht nicht nur an internationale Sachverhalte anzupassen, sondern dabei auch untereinander abgestimmte Lösungswege zu beschreiten. Im Idealfall [185] handelt es sich um die Einführung von Einheitsrecht aufgrund internationaler Konventionen, und es kommt zur Kodifizierung transnationalen Wirtschaftsrechts, was noch gesondert (i.F. 4.) zu besprechen ist. Innerhalb der Europäischen Union, die sich allmählich zu einer Rechtsgemeinschaft entwickelt,12 gerät die nationale Gesetzgebung immer mehr unter den Einfluß der Vorgaben des Gemeinschaftsgesetzgebers, der auch im Kerngebiet des Privatrechts unter dem Konzept des Verbraucherschutzes immer mehr Materien der Harmonisierung unterwirft.13 Auf vielen Gebieten des internationalen Wirtschaftsrechts erweist sich eine Harmonisierung, die auf die EU beschränkt ist, aber als unzureichend. Als fast beliebiges Beispiel sei die Vereinheitlichung des Rechts der internationalen Überweisung genannt, die 12 Horn/Baur/Stern (Hrsg.), 40 Jahre Römische Verträge. Von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union, 1998. 13 Dazu die Beiträge von N. Horn und P.-Chr.Müller-Graf in: Horn/Baur/Stern (Fn. 12), 105 f, 107 ff, 151 ff.
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Gegenstand mehrerer EU-Richtlinien ist. Da sich die gleichen Probleme auch im Verkehr außerhalb der EU stellen, ist eine Lösung wünschenswert, die weltweit Anerkennung finden kann. Dazu ist ein UNCITRAL-Modellgesetz für internationale Überweisungen vom 15.05.1992 entwickelt worden. In der Tat lehnen sich die EU-Richtlinien zum Teil an die dort gefundenen Lösungen an.14 Auch außerhalb der vereinheitlichenden Rechtssetzung aufgrund internationaler Konventionen oder innerhalb einer supranationalen Gemeinschaft wie der EU vollzieht sich weltweit eine Angleichung der nationalen Gesetzgebung auf vielen Gebieten. Dieses Phänomen ist an sich nicht neu. Fortschrittliche oder aus sonstigen Gründen einleuchtende rechtliche Lösungen haben schon immer Nachahmung gefunden, und rechtsvergleichende Studien gehören seit über 100 Jahren zur Technik der Vorbereitung wichtiger neuer Gesetze. Dieser Prozeß hat sich in den letzten Jahrzehnten aber intensiviert und beschleunigt. 3. Wirtschaftsvölkerrecht und kodifiziertes transnationales Wirtschaftsrecht Rechtliche Grundlage des internationalen Wirtschaftsverkehrs ist das Völkerrecht. Das Wirtschaftsvölkerrecht ist zum überwiegenden Teil Vertragsrecht.15 Einzelne Staaten schließen Freundschafts- und Handelsverträge sowie Doppelbesteuerungsabkommen, oder sie schließen sich zu regionalen Freihandelszonen wie EFTA, NAFTA oder MERCOSUR zusammen. Eine gesteigerte Form der wirtschaftlichen und rechtlichen Integration weit über die Qualität einer bloßen Freihandelszone hinaus hat die europäische Union erreicht. Das Wirtschaftsvölkerrecht bildet den allgemeinen Rahmen für die (überwiegend privaten) Subjekte des internationalen Wirtschaftsverkehrs und hat in vielen [186] Punkten unmittelbare rechtliche Auswirkungen für sie, nicht nur im Abgabenrecht, sondern z.B. auch hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Kapitalgesellschaften.16 Von größerer unmittelbarer Auswirkung sind freilich solche Normen des Einheitsrechts, die sich auf der Ebene des internationalen Handelsrechts (Wirtschaftsrechts) zur Regelung der Rechtsbeziehungen zwischen den einzelnen privaten Wirtschaftssubjekten herausbilden. Zum Ganzen N. Horn, Recent Trends in E.C. Payment Systems, in: l. Fletcher, L Mistelis, M. Cremona (Hrsg.), Foundations and Perspectives of International Trade Law, 2001, 455–461. 15 Zum Wirtschaftsvölkerrecht in historischer Perspektive G. Erler (Fn. 3). 16 Vgl. Art. XXV Abs. 5 S. 2 Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika v. 29.10.1954, BGBl. 1956 II, S. 488; dazu N. Horn, Rechtsfragen internationaler Unternehmenszusammenschlüsse, in: Baums/Hopt/Horn (Hrsg.), Corporations Capital Markets and Business in the Law. Liber amicorum Richard M. Buxbaum, 2000, 315 ff, 320. 14
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International einheitliches Wirtschaftsrecht wird regelmäßig durch zwischenstaatliche Konventionen geschaffen. Einen beachtlichen Teilerfolg hatte die Genfer Wechselkonvention von 1930, die allerdings die Unterschiede zwischen den kontinentaleuropäischen Rechten und dem Common Law nicht überbrücken konnte. Größten Erfolg hatte die New Yorker Konvention über die Anerkennung von Schiedsurteilen von 1958, die praktisch weltweite Geltung erlangt und dazu geführt hat, daß heute die Streiterledigung im internationalen Wirtschaftsverkehr vorzugsweise durch Schiedsgerichte vorgenommen wird. Einen beachtlichen Erfolg hatte auch die Wiener UNKonvention über einheitliches Kaufrecht von 1980, der immerhin eine Reihe europäischer Staaten, die USA und die Volksrepublik China beigetreten sind. Der Erfolg der UN-Konvention über unabhängige Garantien von 1995 läßt sich noch nicht sicher abschätzen.17 Die Vertragsparteien sind jeweils gehalten, den Inhalt der Konvention, der sie beigetreten sind, anschließend nach Maßgabe ihres eigenen Verfassungsrechts in innerstaatliches Recht zu transformieren. Das UN-Kaufrecht gilt also in Deutschland als innerstaatliches deutsches Recht für die von ihm erfaßten internationalen Tatbestände. Um die Einheitlichkeit der Anwendung sicherzustellen, gilt regelmäßig das Gebot, die Bestimmungen der Konvention so auszulegen, daß dabei der internationale Charakter der Konvention berücksichtigt wird und die Einheitlichkeit seiner Anwendung und Treu und Glauben im internationalen Handel gewahrt bleiben.18 Aus dieser Regel einer international orientierten Auslegung wird allgemein das Gebot einer autonomen Auslegung gefolgert, so daß das anwendende Gericht das im übrigen anwendbare nationale Recht möglichst nicht bei der Auslegung der Konvention heranziehen soll.19 Die UN-Kaufrechtskonvention verweist für die Ausfüllung von Lücken der Konvention auf allgemeine Rechtsprinzipien, auf denen die Konvention auf- [187] baut.20 Erst in letzter Linie soll auf das im übrigen anwendbare nationale Recht zurückgegriffen werden. Bei der Frage, ob international einheitliche Rechtsgrundsätze zur Verfügung stehen, kann zunächst auf die 17 Dazu N. Horn, The United Nations Convention on Independant Guarantees and the Lex Mercatoria (Centro di Studi e ricerche di diretto comparato e straniero 30), Rom 1997. 18 Art. 7 (1) UN-Kaufrechtskonvention: „In the interpretation of this Convention, regard is to be had to its international character and to the need to promote uniformity in its application and the observance of good faith in international trade.“ Ähnlich Art. 5 der UN-Konvention über unabhängige Garantien. 19 U. Magnus in: Staudinger (Hrsg.), Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Wiener UN-kaufrecht (CISG), 1999, Art. 7 Anm. 12; J. Honnold, Uniform Law for International Sales, 1999, note 88. 20 Art. 7 (2): „Questions concerning matters governed by this Convention which are not expressly settled in it are to be settled in conformity with the general principles on which it is based or, in the absence of such principles, in conformity which the law applicable by virtue of the rules of private international law.“
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Materialien bei der Erarbeitung der Konvention zurückgegriffen werden. Meist ist dies aber ein nicht sehr ergiebiges Verfahren, weil und soweit hier unerledigte Kontroversen niedergelegt sind. Man kann aber erwarten, daß mit zunehmender Anwendung des UN-Kaufrechts durch die verschiedenen nationalen Gerichte immer mehr allgemeine Prinzipien, die in der Konvention enthalten sind, herausgearbeitet werden und dann zur Ausfüllung von Lücken dienen können. Außerdem hat man mit guten Gründen die Erwartung geäußert, daß die neuen Vertragsgrundsätze von Unidroit hier von Bedeutung werden können.21 Auf die besonderen Bedingungen der Entwicklung von Gemeinschaftsrecht innerhalb der EU kann hier nicht näher eingegangen werden. Zu erinnern ist aber an den Grundsatz, daß solches nationales Recht, das in Umsetzung einer EU-Richtlinie ergangen ist, so auszulegen ist, daß es Buchstaben und Geist der Richtlinie entspricht. Diese richtlinienkonforme Auslegung ist fester Bestandteil der gerichtlichen Auslegungspraxis.22 4. Nicht kodifiziertes transnationales Handelsrecht In der Praxis des internationalen Wirtschaftsverkehrs sind primär die zwischen den Teilnehmern ausgehandelten und abgeschlossenen Verträge die Rechtsgrundlage. Ihre Verbindlichkeit wird durch das nach kollisionsrechtlichen Regeln anwendbare nationale Recht gewährleistet. Standardverträge, die üblicherweise verwendet werden, spiegeln eine gewisse Einheitlichkeit der Rechtsauffassungen. Dies kann dazu führen, daß Handelsbräuche entstehen, die wiederum nach den meisten anwendbaren Rechten eine Hilfe bei der Auslegung sind (vgl. § 346 HGB). Wichtige Vertragstypen werden von interessierten internationalen Wirtschaftsverbänden ausgearbeitet, so der FIDICVertrag über Bauleistungen, der in seiner jeweils neuesten Fassung weltweite Verwendung findet. Eine gesteigerte Form der Standardisierung finden wir in der Vereinheitlichung international anerkannter Handelsklauseln durch die internationale Handelskammer, die sog. Incoterms. Die Parteien können von diesen Klauseln Gebrauch machen, und die Vereinheitlichung der praktischen Anwendung dieser Klauseln wird durch eine Festlegung ihrer Bedeutung in den Incoterms gesichert. Gleiches gilt für die von der internationalen Handelskammer veröffentlichten und laufend überarbeiteten Einheitlichen Regeln über Dokumentenakkreditive (ERA). [188] Einen bedeutenden weiteren Schritt zur Vereinheitlichung nicht kodifizierten transnationalen Wirtschaftsrechts finden wir schließlich in den Grundre Rosett, 46 Am. J. Comp. L. 347 (1998). EuGH v. 13.11.1990, Slg. I 1990, 4135 Tz. 8 – Marleasing; EuGH v. 14.7.1994 – Dori, NJW 1994, 2473, 2474. 21 22
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geln für internationale Handelsverträge von Unidroit von 1994.23 Hier geht es nicht um einzelne Handelsklauseln oder spezielle Regelwerke, sondern um Rechtsgrundsätze des allgemeinen Vertragsrechts, die allgemeine Anerkennung beanspruchen. Diese Grundsätze haben nicht nur in der Wissenschaft große Beachtung gefunden, sondern werden auch in zahlreiche transnationale Verträge zwischen Unternehmen oder auch mit Regierungsstellen durch Bezugnahme in den Vertragsinhalt einbezogen. Ferner ist, wie erwähnt, bereits ihr Wert für die Auslegung des UN-Kaufrechts erkannt worden.
III. Theorie der lex mercatoria 1. Autonomie als Phänomen oder Rechtsquellenqualität Aus der zunehmenden Masse vereinheitlichter Vertragspraxis im internationalen Wirtschaftsverkehr, aus der verbreiteten Verwendung von Standardverträgen wie dem erwähnten FIDIC-Vertrag, aus der Existenz weithin anerkannter Klauseln (Incoterms) und Vertragsregelungen wie z.B. der Einheitlichen Richtlinien für Dokumentenakkreditive, hat man seit langem den Schluß gezogen, im internationalen Wirtschaftsverkehr entstehe eine von den einzelnen nationalen Rechtsordnungen abgelöste autonome Rechtsordnung des internationalen Handels, die auf der Praxis und der Anerkennung durch die Beteiligten beruhe. Sie wurde mit dem historischen Namen der lex mercatoria oder des law merchant in Anlehnung an das spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Fernhandelsrecht bezeichnet. Diese Lehre ist bis heute heftig umstritten, gewinnt aber ständig an Anhängern.24 Die Terminologie ist uneinheitlich und manches spricht dafür, auch das bereits erwähnte auf internationalen Konventionen beruhende, kodifizierte vereinheitlichte Handelsrecht wie das UN-Kaufrecht in diesen Begriff einzubeziehen.25 Darauf kommt es aber letztlich nicht an. Die Einwände gegen diese Theorie, soweit sie sich auf das nicht kodifizierte Recht bezieht, lauten: Entscheidungen nach der lex mercatoria seien reine Billigkeitsentscheidungen, wie sie allenfalls Schiedsgerichten bei entsprechender Ermächtigung durch die Parteien zustehen; der lex mercatoria fehle die für Gesetze notwendige Publizität und eine Legitimation durch Verfahren; die
Unidroit (Hrsg.), Principles of International Commercial Contracts, 1994. C. M. Schmitthoff, The Sources of the Law of International Trade, 1964; B. Goldman (Fn. 2), 177–192; N. Horn, Das Recht der internationalen Anleihen, 1972, § 19. Überblick über die neuere Diskussion bis 1995 bei U. Stein, Lex mercatoria, 1995, und K. P. Berger, Formalisierte oder „schleichende“ Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts, 1996, §§ 7–9. 25 N. Horn, The Use of Transnational Law in the Contract Law of International Trade and Finance, in: K. P. Berger (Hrsg.), The Practice of Transnational Law, 2001, S. 67 ff. 23 24
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lex mercatoria erleichtere oder ermögliche die Umgehung von Normen mit ordre public-Gehalt und die nationalen Gesetzgeber und Gerichte erkennten die lex mercatoria nicht an.26 [189] Demgegenüber wird auf die Notwendigkeit flexibler, praxisorientierter Entscheidungen im internationalen Wirtschaftsverkehr hingewiesen und die Tatsache, daß auch nationale Rechtssysteme keineswegs als geschlossene Systeme zu verstehen seien, sondern schon die nationale Rechtsordnung immer auch eine Öffnung und Fortentwicklung des Rechts angesichts neuer Rechtsprobleme aufweise.27 2. Weltgesellschaft und rechtsbildende Gemeinschaft Die wirtschaftliche und kommunikative Globalisierung gibt Anlaß, in verschiedenen Aspekten schon von einer werdenden Weltgesellschaft zu sprechen. Diese hat eine gemeinsame Gesetzgebungskompetenz aber noch nicht ausgebildet und dies ist in naher Zukunft auch nicht zu erwarten, auch nicht durch die UN.28 Auch als rechtsbildende Gemeinschaft im Sinne der Rechtsquellenlehre vom Gewohnheitsrecht taugt der vage Begriff der Weltgesellschaft noch nicht. Die Vertreter der Lehre von der lex mercatoria betonen, daß sich die Teilnehmer des internationalen Wirtschaftsverkehrs selbst ihr Recht als außerstaatliches Rechtssystem schaffen; die Gegenmeinung bestreitet ihnen die Kompetenz dazu. Man kann daran denken, auf diese Weise die Bildung von internationalem Gewohnheitsrecht nach den traditionellen Kategorien der Rechtsquellenlehre anzunehmen.29 Die dafür erforderliche abgrenzbare Rechtsgemeinschaft läßt sich bei bestimmten internationalen Märkten in den Marktteilnehmern und in ihren Rechtsberatern vielleicht finden. Das wäre zu vertiefen und vor allem im Verhältnis zum Staatsbürgerstatus abzuklären. Zweifelhafter ist es aber, ob hier im Bewußtsein einer autonomen Rechtsbildung und Rechtsanwendung gehandelt wird. Zwar kann man davon ausgehen, daß z.B. die Finanzjuristen von New York überzeugt sind, die in ihren Schubladen und Computern schlummernden Vertragstexte über internationale Fusionen, Unternehmenskäufe und Projektfinanzierungen seien quasi Weltrecht. Diese Überzeugung ist zugleich Kernelement der erfolgreichen Strategie, gestützt auf den wichtigsten Finanzplatz der Welt ihre eigene kautelarjuristischen Dienste als unentbehrlich zu vermarkten. Aber das Bewußtsein der Juri-
Überblick über diese Kritik bei Berger (Fn. 25), 50–85. Berger (Fn. 25), 85 ff. 28 Ob wir Ansätze eines Weltbürgerrechts i. S. Kants auf dem Gebiet der Menschenrechte feststellen können, ist hier nicht weiter zu verfolgen. 29 Dazu N. Horn (Fn. 24), § 19 II.1., 522 ff, wo von „werdendem Gewohnheitsrecht“ die Rede ist. 26 27
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sten und Marktteilnehmer, eine autonome Rechtsquelle vor sich zu haben, ist nicht festzustellen.30 Davon zu unterscheiden ist die bereits mehrfach erwähnte Tatsache, daß dieses Recht weitgehend in der Tat autonom funktioniert und die meisten dieser Geschäfte nach den ausgehandelten Verträgen ohne Intervention eines nationalen Gerichtes abgewickelt und vollzogen werden. [190] Sehr viel praxisnäher ist es, viele Gestaltungsformen als Elemente von Handelsbrauch anzusehen und damit als Interpretationshilfen bei der Auslegung der Verträge. Ferner kommen allgemeine Grundsätze wie die Unidroit-Principles als eine communis opinio über grundlegende Rechtssätze in Betracht, die wiederum im nationalen Recht etwa über Generalklauseln Einfluß nehmen können. Es geht in der internationalen Wirtschaftspraxis tatsächlich regelmäßig nicht darum, daß die Akteure internationale Gesetzgeber sind, sondern um die schlichte Tatsache, daß sie ähnlich wie alle Kaufleute innerhalb des innerstaatlichen Rechtssystems agieren, indem sie sich im Rahmen der Vertragsfreiheit eine einheitliche Vertragspraxis und Handelsbräuche schaffen. Ebenso wie sie dies mit Billigung des nationalen Rechts innerhalb eines Staates können, können sie dies grundsätzlich auch umsomehr im Bereich des internationalen Wirtschaftsverkehrs. 3. Grenzen der Emanzipation vom staatlichen Recht Allerdings bleibt die zugespitzte Frage, ob sie damit auch nationale Normen mit ordre public-Character ausschalten können. Dies ist zu bezweifeln.31 Dahinter steht die theoretische Frage, ob die Parteien in ihrem Vertrag, der im übrigen nationalem Recht untersteht, auf die lex mercatoria nicht nur materiellrechtlich verweisen können, z.B. indem sie den FIDIC-Vertrag vereinbaren, sondern ob sie auch eine kollisionsrechtliche Verweisung vornehmen können, die das nationale Recht gänzlich ausschaltet.32 Nur im letzteren Fall haben wir es mit einer buchstäblichen Entgrenzung des Rechts zu tun. In der Praxis verläuft die Abgrenzung zwischen materiellrechtlicher und kollisionsrechtlicher Verweisung jedoch fließend. Wenn ein internationales Schiedsgericht die lex mercatoria anwendet, geht es regelmäßig von einer nur materiellrechtlichen Verweisung auf die lex mercatoria aus. Nationales Recht bleibt nur dann aus dem Spiel, wenn die Materie
30 Diese Erfahrungstatsache hat mein Schüler Klaus Peter Berger zwar nicht für das genannte Beispiel New York, wohl aber allgemeiner für Deutschland und Europa in einer empirischen Untersuchung bestätigt; vgl. K.P. Berger (Hrsg.), CENTRAL Study, The Practice of Transnational Law (Documentation), 2000. 31 Gleiches gilt auch für die Wahl irgendeines anderen nationalen Rechts. 32 So eine neuere Richtung; vgl. Berger (Fn. 30), § 9.
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vollständig durch die verwendeten Verträge (und durch anerkannte Auslegungsgrundsätze) abgedeckt ist. Eine Parallele findet dieser Befund in der schlichten Tatsache, daß auch bei einem Vertrag, der in klassischer Weise nationalem Recht unterstellt ist, der aber alle Regelungsfragen zwischen den Parteien vollständig und ausführlich anspricht, kaum ein Paragraph des BGB Anwendung findet außer den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 138, 157 und 242 BGB. Bei einer Regelungslücke der lex mercatoria muß das Schiedsgericht oder Gericht auf das sonst anwendbare nationale Recht zurückgreifen. Nur bei ausdrücklichem Ausschluß der Rechtswirkungen des nationalen Rechts (durch negative Rechtswahlklausel33), unterbleibt dieser Rückgriff. [191] Ein ausdrücklicher Ausschluß der Anwendbarkeit von nationalem Recht auf den Vertrag wird von den Vertragsparteien aber regelmäßig wegen der damit verbundenen Unsicherheiten vermieden; nur in Einzelfällen läßt sich eine solche Regelung beobachten. Anders, wenn Staaten Verträge auf dem Gebiet des Wirtschaftsrechts schließen. Staaten wollen regelmäßig nicht, daß dieser Vertrag dem Recht eines anderen Staates unterstellt wird. Ferner findet sich auch bei internationalen Verträgen privater Parteien (Unternehmen) zunehmend eine Bezugnahme auf die Allgemeinen Vertragsgrundsätze von Unidroit von 1994. Gelangt ein Fall, bei dem die (privaten) Parteien die Anwendung nationalem Rechts gänzlich ausgeschlossen haben, vor ein staatliches Gericht, so wird das staatliche Gericht auch hier auf nationales Recht insoweit zurückgreifen, als es um die Bestimmung der Vertragsfreiheit der Parteien (Privatautonomie) einschließlich ihrer kollisionsrechtlichen Parteiautonomie geht und um die damit verbundene Frage der möglichen Verletzung des (nationalen oder internationalen) ordre public.34 Auch wenn ein Vertrag im Streitfall vor einem Schiedsgericht zu verhandeln ist, kommt das staatliche Gericht immer dann ins Spiel, wenn es um Vollstreckung des Schiedsspruchs in einem Land geht, wo als Vollstreckungsgegenstand geeignete Vermögensstücke der unterlegenden Partei vorhanden sind. Diese Hinweise mögen verdeutlichen, daß die nationalen Rechtsordnungen auch in den Bereichen des internationalen Wirtschaftsvertragsrechts eine Rolle spielen, die in der vertraglichen Gestaltung tatsächlich weitgehend vereinheitlicht sind und quasi autonom funktionieren. Diese unentbehrliche Rolle des staatlichen Rechts folgt aus der einfachen Tatsache, daß die internationale Rechtsordnung noch immer auf dem Mosaik der einzel33 Die Wirksamkeit einer vollständigen Ausschließung des nationalen Rechts ist in den einzelnen nationalen Kollisionsrechten umstritten. 34 Zur Frage der Herausbildung eines internationalen Ordre public s. N. Horn, Die Entwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts durch Verhaltensrichtlinien, RabelsZ 44 (1980) 423 ff.
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staatlichen Rechtsordnungen beruht. Diese Tatsache ist durchaus ärgerlich in allen Fällen, in denen Vollstreckungsgegenstände in Staaten belegen sind, deren Gerichtsbarkeit unzuverlässig, insbesondere korrupt ist. Denn letztlich ist einer der großen Triebkräfte zur Bevorzugung von Schiedsgerichten das weitverbreitete Mißtrauen in staatliche Gerichte, das für weite Teile der Welt durchaus begründet ist.
IV. Die veränderte Rolle des Staates Man muß hier die Frage stellen, ob aus den geschilderten Entwicklungen oder auch aus anderen Phänomenen sich nicht insgesamt der Befund einer stark reduzierten Rolle des Staates ableiten läßt. Die Vorstellung eines „Absterbens des Staates“ war nicht nur Teil der marxistisch-leninistischen Utopie, sondern ist auch – in andere Terminologie – heute eine verbreitete Vorstellung. Ein solcher Befund ist aber nicht festzustellen. Zwar trifft es zu, daß heute vor allem international operierende Großunternehmen und allgemeiner gespro- [192] chen die quasi autonome Macht der internationalen Märkte ein immer größeres politisches Gewicht erlangt haben. Man spricht bisweilen generell von einer Ersetzung der Politik durch die Ökonomie. Diesem weitem Thema kann hier nicht nachgegangen werden. Immerhin entbehrt es nicht einer gewissen politischen Naivität zu glauben, politische Macht als eigenständige Kategorie des menschlichen Zusammenlebens habe sich vollständig in Ökonomie aufgelöst oder werde dies künftig tun. Wenn man sich auf das hier verhandelte Thema der Rechtsquellen des internationalen Wirtschaftsverkehrs beschränkt, um die Frage einer Reduzierung der Rolle des Staates zu beantworten, so ergeben sich gegenläufige Befunde. Es ist richtig, daß der nationale Gesetzgeber sich immer mehr veranlaßt sieht, das nationale Recht nach international vereinbarten oder informell anerkannten Grundsätzen und Standards auszurichten, und dementsprechend müssen Gerichte und andere Rechtsanwender immer mehr transnational anerkannte Rechtsgrundsätze bei der Auslegung und Anwendung nationaler Normen anwenden. Ferner trifft es zu, daß im Rahmen der EG die Nationalstaaten allmählich einen Teil ihrer Souveränitätsrechte an die Gemeinschaft abgegeben haben, wie sich in der erweiterten Zuständigkeit des Rates und des Europäischen Parlaments für die Rechtssetzung und in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, nicht zuletzt aber auch in der Tatsache der Währungsunion zeigt. Betrachtet man die Praxis des internationalen Wirtschaftsverkehrs und die hier im Vordergrund stehende autonome Gestaltung der Rechtsbeziehungen durch die Vertragsparteien nach international immer mehr standardisierten Vertragsmustern, so kann man in der Tat auch von einem Zurücktreten der Bedeutung des staatlichen Rechts in diesem besonderen und wichtigen
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Bereich sprechen. Schließlich ist die Ausbildung international einheitlichen Rechts durch Konventionen wie des UN-Kaufrechts und anderer Regelwerke ein Phänomen, das auf eine reduzierte Rolle des nationales einzelstaatlichen Rechts hinweist. Dem stehen jedoch auch andere Gesichtspunkte von Gewicht gegenüber, die auf eine fortbestehende starke Rolle des Staates hindeuten. Schon innerhalb der EU ist trotz der besonders starken Einbindung der einzelnen Mitgliedsstaaten die Rolle des Einzelstaates bei der Schaffung und Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, aber auch als Bezugspunkt der weiterhin fortbestehenden eigenständigen nationalen Rechtsordnungen, von großer Bedeutung. Im Bereich des transnationalen Wirtschaftsrechts ist es weniger die auf punktuelle Regelungen beschränkte Einheitsgesetzgebung wie das UN-Kaufrecht, das hier von Bedeutung ist, sondern die geschilderte Kautelarpraxis und die auf sie bezogenen Regelwerke. Es bleibt aber letztlich doch immer der nationale Staat, der die Geltung und Durchsetzung des transnationalen Rechtes in vielen Fällen erst ermöglicht und garantiert, und wenn auch die Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit viele Fälle der nationalen Gerichtsbarkeit entzieht, so sind es doch letztlich nationale Gerichte, die zumindest bei der zwangsweisen Durchsetzung von Schiedsurteilen eingeschaltet werden müssen. Es bleibt bei der schon von Clive Schmitthoff 1964 getroffenen Feststellung, daß transnationales Recht nur in dem Maße Bestand haben kann, als es [193] von den einzelnen nationalen Staaten und ihrer Rechtsordnung anerkannt wird. Der einzelne nationale Staat wird bei zunehmender internationaler Zusammenarbeit einzelne Funktionen an übergeordnete Instanzen abgeben, er wird aber auf absehbare Zeit weiterhin wichtigster Bezugspunkt, Quelle und Garant der Rechtsordnung sein. Er wird es auch in der internationalen Rechtsgemeinschaft in sofern sein, als er an ihr als souveräner gleichberechtigter Staat teilnimmt und damit Mitträger einer internationalen Rechtsordnung ist.
V. Internationale Lernprozesse und die Gerechtigkeitsfrage 1. Internationale Lernprozesse und Einflußkämpfe a. Kautelarpraxis Interessanter noch als dieser notwendig knappe Abriß der Rechtsquellenlehre wäre nun eine phänomenologische und rechtssoziologische Beschreibung der Lernprozesse, die der Herausbildung von internationalem Einheitsrecht zugrunde liegen, und der Kämpfe um den Einfluß einzelner nationaler Rechte, die sie begleiten. Wir müssen uns auch hier auf knappe Stichworte beschränken. Betrachten wir zunächst die internationale Vertragspraxis. Es gibt kein Gebiet der menschlichen Geistestätigkeit, wo so eifrig und konsequent die Texte, die andere entworfen haben, kopiert werden, wie das Gebiet
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der Kautelarjurisprudenz. In der nationalen und internationalen Praxis gibt es dazu Formularbücher, und jeder Anwalt oder Notar, der Verträge entwirft, benutzt daneben eigene Sammlungen von Verträgen und Klauseln, fremde und natürlich auch selbst entworfene oder verbesserte Klauseln, heute regelmäßig in Computerdateien erfaßt und abrufbar. Die Arbeit des guten Kautelarjuristen erschöpft sich freilich nicht im Kopieren; sie beginnt nur häufig damit. Dann wird geprüft, ausgewählt, redigiert, an den konkreten Fall angepaßt. Aber das Element der Nachahmung, das in jeder Kautelarjurisprudenz steckt, fördert natürlich die Vereinheitlichung des internationalen Wirtschaftsvertragsrechts. Ein mächtiger Gestaltungsfaktor zur Vereinheitlichung ist vor diesem Hintergrund der starke anglo-amerikanische Einfluß. Bekanntlich ist der internationale Wirtschaftsverkehr in weiten geographischen und sachlichen Bereichen fast vollständig von der englischen Sprache beherrscht. Dies und die Rolle der USA als in der Welt führender Wirtschaftsmacht führen dazu, daß in zahlreichen internationalen Wirtschaftsverträgen anglo-amerikanische Vertragstechniken die Vorherrschaft übernommen haben. Dies ist häufig beschrieben und auch beklagt worden.35 In Teilbereichen Kontinental-Europas und in Südamerika herrscht allerdings noch eine nur oberflächlich anglifizierte Vertragstechnik vor, die größere Kürze, begriffliche Abstrahierung und Systematisierung im Sinne der römischrechtlich geprägten Rechtskulturen aufweist. Schrittweise [194] wird diese Vertragspraxis durch amerikanischen Vertragsstil und Vertragstechnik überformt oder verdrängt. Wer heute im internationalen Wirtschaftsverkehr einen Vertrag über einen Konsortialkredit (syndicated loan) abschließt oder über eine Projektfinanzierung,36 über Anlagebau („turnkey delivery“ oder „Build Operate Transfer“ – BOT) oder über Unternehmenszusammenschlüsse und Unternehmenskäufe („mergers and acquisitions“ – M&As),37 wird meist einen Vertrag amerikanischer Machart erhalten und meist auch verlangen. Ein solcher Vertrag ist mit einer breiten Präambel ausgestattet (recitals), mit Definitionen der wichtigsten Begriffe (definitions), die teils erhellen, teils verwirren, und mit einer großen Zahl von Zusicherungen und Garantieerklärungen („representations and warranties“), welche die Unsicherheiten des Gewährleistungsrechts beseitigen sollen.38 Der Vertrag wird oft begleitet von „Offenlegungsschreiben“ („disclosure letters“) und rechtlichen Beurteilungen des konkreten Geschäfts durch Rechtsberater („legal opinions“); dem Vertragsschluß (signing; execution) folgt ein besonders vereinbarter Stichtag 35 Anschaulich H. Merkt, Grundsatz- und Praxisprobleme der Amerikanisierungs tendenz im Recht des Unternehmenskaufs, in: K. P. Berger (Hrsg.), Festschrift für Otto Sandrock, 2000, S. 657 ff. 36 Chr. L. Hinsch/N.Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projektfinanzierungen, 1985. 37 Überblick bei Horn (Fn. 8), 473 ff. 38 Merkt (Fn. 35), 657 ff, 676 ff.
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der Vertragsdurchführung („closing“). Diese Vertragstechnik mag manche Archaismen des common law und manche professionellen Verumständlichungen mit sich schleppen, so daß man nicht alles unbesehen übernehmen sollte. Andererseits kann sich die angelsächsische Vertragstechnik auf die größten Finanzplätze der Welt, insbes. New York und London, mit der größten kautelarjuristischen Erfahrung in vielen Geschäftsformen stützen, und sie verspricht eine sehr ausführliche und möglichst vollständige vertragliche Regelung. Zur Verbreitung der anglo-amerikanischen Vertragspraxis trägt bei, daß die law schools vor allem der USA für ganze Generationen junger europäischer Wirtschaftsjuristen praktisch ein Monopol für den Erwerb einer Zusatzqualifikation im Wirtschaftsrecht, den begehrten „LL.M“, besaßen und besitzen.39 Ergänzend oder verstärkend tritt das Selbstbewußtsein amerikanischer Juristen hinzu, ihre Unwilligkeit zur Akzeptanz anderer Auffassungen und die Überzeugung, daß ihnen der Einfluß des amerikanischen Rechtsdenkens geschäftliche Vorteile und einen größeren Anteil am Weltmarkt der Rechtsund Wirtschaftsberatung sichert. Daß dies eine zutreffende Einschätzung ist, kann man derzeit an der verbreiteten Anlehnung großer deutscher Anwaltsfirmen an die noch viel größeren Anwaltsfirmen aus dem angelsächsischen Raum beobachten. Alle diese Einflußfaktoren treffen auf die Bereitschaft der Akteure des internationalen Wirtschaftsverkehrs und ihrer Rechtsberater, ihr Verkehrsrecht möglichst ohne Zuhilfenahme umständlicher und zeitraubender Konventionen [195] und Gesetzgebungsverfahren selbst in die Hand zu nehmen und in der Vertragspraxis zu gestalten.40 b. Konventionen Daneben bestehen selbstverständlich die offiziellen Bemühungen um eine formalisierte Schaffung von Einheitsrecht, insbesondere durch internationale Konventionen. Auch hier spielen sich Lernprozesse und Einflußkämpfe um den Inhalt des zu schaffenden Einheitsrechts ab. Verschiedene nationale Rechtsauffassungen prallen aufeinander und häufig setzt sich die angloamerikanische durch. Dies gilt etwa für die Anwendung der amerikanischen Rechnungslegungsgrundsätze GAAP, deren Beobachtung unumgänglich ist, wenn ein Unternehmen in den USA börsennotiert sein will, um Zugang 39 R. Stürner, Die Rezeption des US-amerikanischen Rechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: H. Eyrich (Hrsg.), Festschrift für Kurt Rebmann, 1989, 839 ff; W. Wiegand, The Reception of American Law in Europe, Am. J. Comp. L. 39 (1991), 229 ff; ders., Americanization of Law: Reception or Convergence?, in: L. M. Friedman/H. N. Schreiber (Hrsg.), Legal Culture and the Legal Profession, 1996, 137 ff. 40 Allg. zu dieser Rechtsbildung Horn (Fn. 24), § 19; H. Kötz, Alternativen zur legislatorischen Rechtsvereinheitlichung, RabelsZ 56 (1992) 216 ff; K. P. Berger (Fn. 24).
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zum amerikanischen Kapitalmarkt zu haben. Selbst in den Bemühungen um eine internationale Vereinheitlichung dieser Grundsätze unter Einbeziehung anderer Länder setzt sich der amerikanische Einfluß stark durch. So sind die international ausgehandelten International Accounting Standards (IAS) weitgehend von den Vorstellungen der GAAP geprägt.41 Bei den großen internationalen Konventionen wie der Wiener Konvention über das UN-Kaufrecht findet dagegen in langjährigen, mühsamen aber zugleich ausgewogenen Verhandlungen eine Einigung statt, bei der die Auffassungen verschiedener Rechtskulturen und Länder einfließen, im Fall des UN-Kaufrechts insbesondere auch die Auffassungen der Länder der Dritten Welt, die zuvor das Haager Einheitliche Kaufrecht als einseitiges Diktat abgelehnt hatten. Ist erst einmal nach jahrzehntelangen Bemühungen eine Konvention geschaffen wie das UN-Kaufrecht, setzt ein neuer Lernprozeß ein. Denn, wie schon Pomponius bemerkt, kann das Recht nur bestehen, wenn es Juristen gibt, die es kennen und anwenden.42 Das UN-Kaufrecht z.B. trifft vor amerikanischen Gerichten auf Unverständnis und Ablehnung. Der amerikanische Richter kennt den Uniform Commercial Code, aber ein Weltrecht für Kaufverträge ist für ihn noch sehr gewöhnungsbedürftig. Hier bestehen starke psychologische Hemmschwellen, wie auch die geringe Zahl der von amerikanischen Gerichten entschiedenen Fälle, in dem UN-Kaufrecht angewandt wurde, zeigt.43 Aber dies ist nichts Ungewöhnliches. Mühsame Lernprozesse begleiten immer die Rezeption oder den Transfer fremden Rechts. Dies ließ sich sehr gut beim Transfer westdeutschen Rechts auf das Gebiet der ehemaligen DDR im Zuge der Wiedervereinigung Deutschlands beobachten.44 Wenn sich der[196] zeit die Staaten des östlichen Mitteleuropas auf die begehrte Aufnahme in die Europäische Union vorbereiten, so bedingt dies nicht nur die gesetzgeberische Übernahme der ungeheuren Masse des europäischen Gemeinschaftsrechts, des acquis communautaire, sondern auch eine entsprechende Schulung von Verwaltungsbeamten und Richtern. Nicht selten wird dabei das fundamentale Lernziel übersehen, daß es überhaupt darum geht, dem Recht Respekt zu verschaffen und Normen als etwas anzusehen, was tatsächlich befolgt werden soll, und die Vorstellung vom rein fiktiven Charakter des Rechts zu überwinden, die das sozialistische System, aber auch einige Vorgängersysteme, auszeichnete.
41 Biener, Internationale Perspektiven der Unternehmenspublizität, in: Horn/Baur/ Stern (Fn. 12), 205 ff. 42 Constare non potest ius, nisi sit aliquis iuris peritus; D1.2.2.13. 43 Dazu Horn, The Use of Transnational Law in the Contract Law of International Trade and Finance, in: Berger (Fn. 25). 44 Dazu allg. N. Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl., 1993, insbes. § 1 Rn. 3 ff.
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Dies führt zu dem allgemeinen Problem, daß der Transfer von Recht in ein Land mit einer anderen kulturellen Tradition als derjenigen, aus der das Recht stammt, auf große Schwierigkeiten stößt, das Recht als Sozialtechnik wirklich zu beherrschen und so zu handhaben, daß es die ersehnten Modernisierungseffekte mit sich bringt. Dieses Problem besteht weniger auf dem Gebiet der internationalen Handels- und Wirtschaftsverträge. Denn die dort agierenden privaten Parteien sind mental weitgehend an die Bedingungen des modernen Wirtschaftsverkehrs angepaßt und verfügen über entsprechende Rechtsberater. Anders, wenn international angeglichenes Recht in nationales Recht eines Landes transformiert wird, das mit diesem oder ähnlichem Recht noch keinerlei Erfahrungen hat und wo die Menschen noch wenig Neigung verspüren, dieses Recht ernst zu nehmen. 2. Gerechtigkeit als Leitfrage im Lernprozeß a. Interessendurchsetzung und Gerechtigkeit Es ist leicht, rhetorisch effektiv und des Beifalls sicher, wenn man internationale Lernprozesse der Rechtsbildung nur als Funktion nackter Interessenverfolgung darstellt. Amerikanische Großunternehmen und Rechtsanwälte benutzen ihre wirtschaftliche Macht und das Gewicht des amerikanischen Kapitalmarkts gewiß, um ihre Rechtsvorstellungen durchzusetzen und zu exportieren, was den Unternehmen eine (oft nur vermeintlich) größere Transaktionssicherheit, den Rechtsanwälten einen Weltmarkt für ihre Dienstleistungen verspricht. Die Staaten des östlichen Mitteleuropas akzeptieren den aquis communautaire nicht zuletzt deshalb, weil sie auf allgemeine wirtschaftliche Vorteile hoffen und auf reichliche Subventionen, die nach bisheriger Erfahrung nicht selten zweckwidrig verteilt werden. Internationale Wirtschaftsverbände formulieren Musterverträge mit dem Ziel ihrer allgemeinen Verbreitung natürlich, weil sie die Interessen ihrer Klientel in den Verträgen schützen wollen. In all diesen Einflußkämpfen bleibt gleichwohl die Gerechtigkeitsfrage unausweichlich präsent. Wenn allgemein akzeptable Gerechtigkeitsvorstellungen nicht in einem gewissen Mindestmaß berücksichtigt werden, haben die propagierten Regelungen längerfristig keine Aussicht auf Akzeptanz in der öffentlichen Meinung, in den Parlamenten und Gerichten. Gleiches gilt, wenn bestimmte Partner die Sache nicht ernst nehmen und die Regelungen nur pro forma akzeptieren, um [197] sie dann zu mißachten. Materielle Gerechtigkeitsvorstellungen sind typischerweise sowohl beim Aushandeln der Verträge oder der Schaffung neuen internationalen Rechts als auch bei der Umsetzung dieses Rechts in unterschiedlichem Ausmaß präsent und wirksam.
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b. Vertragsgerechtigkeit Vertragsbeziehungen werden seit Aristoteles und nach der hochmittelalterlichen Aristotelesrezeption durch Thomas von Aquin und andere45 bis heute der Tauschgerechtigkeit (dikaion diorthotikon; iustitia commutativa) unterstellt. Gerechtigkeit bedeutet im Vertragsrecht nach modernen Vorstellungen generell eine ausgewogene Verteilung der Risiken und zugleich eine Transparenz dieser Verteilung. Dabei muß es den Parteien überlassen bleiben, ihr Interesse beim Aushandeln zu wahren; im Idealfall kommt es zur Erzielung des Pareto-Optimums. Wird der (frei ausgehandelte oder vorformulierte) Interessenausgleich stark verfehlt, so wird auch die vereinbarte Regelung möglicherweise vor einem Gericht oder Schiedsgericht nicht akzeptiert oder stark einschränkend ausgelegt. Ist eine unausgewogene Standardklausel oder ein solcher Mustervertrag im Spiel, werden beide mit der Zeit nicht mehr verwendet werden. Schon bei der Entstehung von Regelwerken, die für den internationalen Markt bestimmt sind, sind deshalb häufig die formulierenden Organisationen bemüht, eine gewisse ausgewogene Repräsentanz der verschiedenen Interessengruppen zu sichern. Dies ist etwa bei der Internationalen Handelskammer zu beobachten. Gleichwohl ist auch hier eine gewisse Reserve geboten. So gelten etwa die Einheitlichen Richtlinien für Dokumentenakkreditive als relativ bankenfreundlich. Dies hat bisher verhindert, daß trotz der weltweiten Verwendung dieser Richtlinien eine allgemeine Anerkennung ihres Inhalts als internationaler Handelsbrauch stattgefunden hat. Eine solche Qualifizierung kann nur für Teilregelungen beansprucht werden. Im übrigen kommt es darauf an, daß die Parteien die Richtlinien eindeutig und ausdrücklich in ihren Vertrag einbezogen haben. Bei der Frage, ob bei der Auslegung und Anwendung vereinbarter Regelwerke Gerichte oder Schiedsgerichte korrigierend durch einschränkende oder ausdehnende Auslegung oder gar durch Verwerfung bestimmter Regelungen eingreifen können, sind die Auffassungen sehr geteilt. In Deutschland und allgemein in Kontinentaleuropa – in den Einflußbereichen des Römischen Rechts – neigt man eher dazu, einen solche Korrektur für möglich zu halten, während im Bereich des Common Law sich der Richter möglichst an den Buchstaben des Vertrages hält und an den Grundsatz, daß das Gericht nicht berufen ist, den Vertrag für die Parteien zu schreiben.46 [198]
N. Horn (Fn. 9), § 11 III.3. und § 14 IV.3. Zur Teilfrage, ob das Gericht den Vertrag an veränderte Umstände anpassen kann, vgl. N. Horn, Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, 1985, 15, 21f, 180. 45 46
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c. Verbraucher- und Anlegerschutz Eine der Leitideen des gegenwärtigen Zivil- und Wirtschaftsrechts ist außer der ausgewogenen Verteilung der Vertragsrisiken der Gedanke des Verbraucherschutzes und des Anlegerschutzes. Die Privatperson, die geschäftlich weniger erfahren ist und sich einem Informationsvorsprung und Gestaltungsvorsprung des gewerblichen Anbieters gegenübersieht, soll durch ausreichende Information, notfalls sogar durch Ungültigkeit bestimmter Klauseln, und durch Widerrufs- oder Rücktrittsrechte geschützt werden. Diese Grundsätze und Leitideen finden sich heute in allen Zivil- und Wirtschaftsrechten der entwickelten westlichen Industrieländer. Sie sind ein Leitgedanke bei der Harmonisierung des Privatrechts innerhalb der Europäischen Union.47 Man kann also sagen, daß die hier formulierten Grundsätze heute eine grenzüberschreitende Geltung erlangt haben und zu einer gewissen Konvergenz der Privatrechte und des damit zusammenhängenden Wirtschaftsrechts führen.
VI. Schlußbemerkung Unsere Betrachtung hat die eingangs (I.3.) aufgestellten Thesen, daß die wirtschaftliche Globalisierung die Herausbildung internationalen Rechts fördert, zugleich aber keineswegs ein Absterben des staatlichen Rechts einläutet, bestätigt. Dies soll hier nicht noch einmal ausführlich resümiert werden. Vielmehr ist auf zwei Eigenschaften des Rechts einzugehen, die im Globalisierungsprozeß besonders deutlich werden. Dies ist einmal die Verbreitung der Rechtsidee und zum anderen die eng damit zusammenhängende Idee der Universalität des Rechts. 1. Das Vordringen der Rechtsidee Moderne Staaten kommen ohne ein hochdifferenziertes, transparentes, zugleich durchsetzbares und damit zuverlässiges Rechtssystem nicht aus. Die Rechtsbeziehungen treten dabei häufig an die Stelle anderer personaler Beziehungen, wie sie in früheren Gesellschaften stärker ausgebildet waren und heute häufig fehlen. Der Anonymität des weltweiten Wirtschaftsverkehrs, die mit den neuen Informationstechniken eine neue Qualität erreicht, entspricht ein technisches Verkehrsrecht in diesem Sinn. Gleichzeitig werden in diesem Recht aber auch unter der Idee der Vertragsgerechtigkeit, insbesondere der ausgewogenen und transparenten Risikoverteilung, und unter den 47 N. Horn, EG-rechtlicher Verbraucherschutz im deutschen Privatrecht, in: Horn/ Baur/Stern (Fn. 12), 105 ff.
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Ideen des Verbraucher- und Anlegerschutzes Gerechtigkeitsvorstellungen transportiert. Die wirtschaftliche Globalisierung fördert in diesem doppelten Sinn das Vordringen der Rechtsidee, nämlich der Überzeugung von der Notwendigkeit [199] einer rechtsförmigen Abwicklung der wirtschaftlichen Interaktion unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten. Dieses so gekennzeichnete Vordringen der Rechtsidee läßt sich eindrucksvoll und mit großer Durchschlagskraft bei der Ausbildung des Vertragsrechtes internationalen Wirtschaftsverkehrs („lex mercatoria“) beobachten. Dieses Vertragsrecht ist das notwendige und im ganzen vorzüglich funktionierende Instrument der wirtschaftlichen Globalisierung. Die Regelungsfragen und Gerechtigkeitsprobleme, die als Folgen der Globalisierung auftreten können und vorstehend nur stichwortartig kurz angesprochen wurden, werden damit freilich nicht gelöst. Außerdem ist Vorsicht geboten bei der Betrachtung der Modernisierungsprozesse in vielen Ländern des ehemals sozialistischen Lagers und der sogenannten dritten Welt, die in großem Umfang modernes westliches Recht importieren, weil sie davon eine Modernisierung der Wirtschaft erhoffen. Es wurde bereits (oben V.1.b) darauf hingewiesen, daß diese Länder kulturell auf dieses hochdifferenzierte, technische Recht und seine Gerechtigkeitsideen schlecht vorbereitet sind, weil sie in kulturellen Vorstellungen leben, die von vorindustriellen Wirtschaftsformen und der Tradition von personalen Verbindungen in Familien, Klans und Gruppen bestimmt sind. 2. Die Universalität des Rechts Als Universalität des Rechts kann man die Eigenschaft bestimmter grundlegender Rechtsnormen bezeichnen, inhaltlich auf allgemeine Akzeptanz rechnen zu können. In diesem Sinn sprachen die römischen Juristen – unter dem Einfluß der griechischen Philosophie – von dem Recht der Völker: „Was die natürliche Vernunft bei allen Menschen anordnet, das wird von allen gleichermaßen beachtet und Recht der Völker genannt.“48 Diese Auffassung, daß es vernünftige Rechtssätze gibt, die überall auf Akzeptanz rechnen können, hat sowohl die Rezeption des römischen Rechts in Europa als auch die davon zu unterscheidende Ausbildung des Fernhandelsrechts im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit gefördert. In einem ähnlichen Sinn ist der bürgerliche Rechtsstaat und Verfassungsstaat europäischer und nordamerikanischer Prägung heute ein Modell für Rezeptionsprozesse in aller Welt, was nur mittelbar zu unserem Thema gehört, das 48 „Quod vero naturalis ratio inter omnes homines constituit, id apud omnes peraeque custoditur vocaturque ius gentium ...“; Gaius, D.1.1.9. Dies entspricht nicht dem neuzeitlichen und modernen Begriff des Völkerrechts als dem Recht der souveränen Staaten und abgeleiteten Völkerrechtssubjekte.
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Phänomen aber treffend beschreiben kann.49 Daß es auch im privatrechtlich organisierten internationalen Wirtschaftsverkehr solche Vorstellungen gibt, zeigt der heutige Erfolg der genannten Unidroit-Grundsätze für internationale Handelsverträge. Der Erfolg dieser Regeln, die heute durch Bezugnahmen in den [200] einzelnen Verträgen zunehmend Verwendung finden, liegt in der Überzeugung der Teilnehmer des internationalen Wirtschaftsverkehrs, daß hier konkretisierte Grundsätze der Vertragsgerechtigkeit zu finden sind, die unabhängig von unterschiedlichen kulturellen Traditionen der einzelnen Teilnehmer Geltung beanspruchen können.
49 M. Kriele, Die demokratische Weltrevolution. Warum die Freiheit sich durchsetzen wird, 1987, 2. Aufl. 1988; P. Häberle, Europäische Rechtskultur, 1994, 149 ff und passim.
Utilitarismus im aufgeklärten Naturrecht von Thomasius und Wolff. Historische und aktuelle Aspekte In Usus modernus pandectarum. Festschrift für Klaus Luig, hrsg. von Haferkamp/Repgen, 2007, S. 45–64 1. Naturrechtliche Zwecke von Staat und Recht 1.1. Glück des Einzelnen und Gemeinwohl Glück (felicitas) und Glücksstreben sind ein zentraler Gedanke der Staatsund Rechtsphilosophie des 17. und 18. Jahrhunderts. „Conveniunt omnes homines ... in eo etiam, quod vitam velint transigere in summa felicitate“, lesen wir bei Christian Thomasius.1 Die Leitfrage lautete, wie Staat und Rechtsordnung Nutzen und Glück der Menschen fördern und sichern können. Christian Wolff umreißt das Programm des jüngeren Naturrechts zur Beantwortung dieser Fragen in seinen „Grundsätze des Natur- und Völkerrechts“ (1754)2 schon im Untertitel mit den Worten, daß in diesem Werk „alle Rechte aus der Natur des Menschen in einem beständigen Zusammenhang hergeleitet werden“, und führt in der Widmung des Werkes an August Wilhelm Prinz in Preußen aus, dass das „heilige Recht, welches die Natur selbst unter einzelnen Menschen und Völkern gestiftet hat, ... der Grund ... von der Glückseligkeit des ganzen menschlichen Geschlechts sein sollte“. Der „beständige Zusammenhang“ verweist auf das methodische Programm des mos geometricus, eine systematische Erfassung der Mechanik menschlichen Handelns und Zusammenlebens im vernunftrechtlichen Sinn. Klaus Luig gibt in seinem Buch „Römisches Recht, Naturrecht, nationales Recht“3 dazu aufschlussreiche Hinweise, insbesondere in seinen Arbeiten über natürliches Privatrecht in den naturrechtlichen Gesellschaftsentwürfen des 17. und 18. Jahrhunderts, über die Wurzeln des aufgeklärten Naturrechts bei Leibniz, über das Privatrecht bei Christian Thomasius zwischen Abso1 Fundamenta iuris naturae et gentium, 4. Aufl. Halae et Lipsiae 1718 (Nachdruck 1963) I 1. § 122. 2 Grundsätze des Natur- und Völckerrechts, Halle 1754. Lateinische Ausgabe: Institutiones iuris naturae et gentium, Halle 1754. 3 1998 (Aufsatzsammlung).
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Utilitarismus im aufgeklärten Naturrecht von Thomasius und Wolff
lutismus und Liberalismus, und über die Pflichtenlehre des Privatrechts in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff4. Zur weiteren Entfaltung der [46] Frage sei aus Klaus Luigs Ausführungen zitiert: „Was ist aber – das ist die von Leibniz wieder und wieder erörterte Frage – das Glück des Menschen? Ist es das Glück des einzelnen Menschen oder das Glück aller Menschen? Und wenn die Interessen des Glücks eines Einzelnen kollidieren mit dem Interesse des Glücks der menschlichen Gesellschaft insgesamt, was ist dann vorzuziehen, das Glück des Einzelnen oder das der Gesellschaft?“ Klaus Luig stellt fest, dass Christian Thomasius, der führende Kopf der deutschen Frühaufklärung, eine eindeutige Antwort auf diese Frage verweigert und sich in seinem Werk „Fundamenta iuris naturae et gentium“5 auf die Auskunft zurückzieht, man könne die Frage nur von Fall zu Fall lösen. Leibniz dagegen versucht es mit einer grundsätzlichen Antwort, die aber so facettenreich ist, dass seine Position für verschiedene Deutungen in Anspruch genommen wurde. So verspottet Voltaire die soziale Utopie von Leibniz, in dem er in seinem Werk „Candide“ den einäugigen Doktor Pangloss, der für alles eine Erklärung hat, die Worte in den Mund legt: „das Unglück des Einzelnen ergibt das Glück der Allgemeinheit, so dass es um das Gemeinwohl desto besser bestellt ist, je mehr Unglück der Einzelne erleidet“.6 Klaus Luig weist darauf hin, dass es sich um ein boshaftes Missverständnis handelt.7 Denn bei Leibniz finden sich zahlreiche Äußerungen, die das individuelle Interesse und Glück in den Vordergrund stellen, und gerade deshalb ist Leibniz später auch als Vordenker der egoistischen Seiten der bürgerlichen Gesellschaft attackiert worden. 1.2. Freiheit und Glück Mit der Frage, ob Nutzen und Glück des Einzelnen oder der Allgemeinheit vorzugswürdig sind, ist die weitere Frage eng verbunden, ob das Glück eher durch eine Freiheitsordnung und die Entscheidungen der Individuen verfolgt und verwirklicht werden soll oder durch die lenkende Hand des Staates. Die Frage nach dem Glück führte historisch und führt bis heute also geradewegs zur Frage nach der Freiheit des Einzelnen. Im aufgeklärten Naturrecht gewann die Frage daher eine emanzipatorische Dynamik, die sich in einem Streben nach der Herstellung rechtstaatlicher Verhältnisse ausdrückte. Wolff selbst verharrt freilich politisch noch in der Vorstellungswelt des aufgeklärten Absolutismus. Aber die Glücksuche des Einzelnen wird anderswo zur politischen Forderung nach Freiheit gegenüber staatlicher Gewalt, und in diesem A. a. O., S. 133 ff., 217 ff., 233 ff., 259 ff. A. a. O. (Fn. 1), 1.6. §§ 25–27. 6 Candide, dtv Bibliothek in R2410, 1980, bis 26; hier zit. nach Luig a. a. O., S 64. 7 A. a. O. 4 5
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Sinn hat Thomas Jefferson in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776, bei der er sich im Übrigen weithin von John Lo- [47] cke inspirieren ließ, „Life, Liberty and the pursuit of Happiness“ zu unveräußerlichen Menschenrechten erklärt.8 1.3. Geltungsweisen des Naturrechts Fragen wir nach den Geltungsweisen des Naturrechts bei Thomasius und Wolff, so stoßen wir zunächst auf die Frage nach der Rechtsquellenqualität. Der Begriff des Naturrechts oder natürlichen Rechts (ius naturale, ius naturae) ist in den Quellen des Römischen Rechts verankert und dadurch jedem Juristen der Zeit des Vernunftsrechts vertraut. Seine zwei hauptsächlichen Aspekte sind einmal die in der Natur vorgezeichneten allgemeinen Lebensgesetze aller Lebewesen nach der bekannten Definition von Ulpian „Quod natura omnia animalia docuit“ (D 1.1.1.3), zum anderen Regeln, die für den Menschen als Vernunftwesen gelten und von ihm mit der Vernunft, der naturalis ratio, erkannt werden (D 1.1.9). Es handelt sich in den Quellen um Regeln von besonderer Dignität, die im Gewissen verpflichtend sind.9 Der Begriff des Naturrechts gehört zu den wichtigen Ansatzpunkten, mit denen sich in der Antike der Einfluss der griechischen Rhetorik und Philosophie im Sinne einer Durchdringung des Römischen Rechts mit verallgemeinerungsfähigen rechtsethischen Gesichtspunkten ausgewirkt hatte.10 Die im Corpus Juris Civilis enthaltenen Sätze über Naturrecht hatten natürlich die Rechtsquellenqualität des Römischen Rechts, die im neuzeitlichen Europa in differenzierter Weise weithin anerkannt war.11 Jedoch tritt im Zeitraum 1650–1800 Gewicht und Vorrang des ius positivum vor dem ius naturale immer stärker hervor; das ius naturale behält aber grundsätzlich seine Rolle als subsidiäre Rechtsquelle.12 Für den hier betrachteten Zeitraum des aufgeklärten Vernunftrechts hatte der Begriff des Naturrechts sich ferner durch theoretische Reflexion und Systematisierung von den römischen Quellen gelöst und verselbständigt. Die Naturrechtsysteme von Grotius, Pufendorf, Leibniz, Thomasius und Wolff
8 In Abweichung von John Locke ersetzt er den Begriff „Eigentum“ durch den Begriff des Strebens nach Glück. 9 Allg. Horn, Aequitas in den Lehren des Baldus, 1968, S. 65–72. 10 Horn, a. a. O. 11 Dazu Horn, Römisches Recht als gemeineuropäisches Recht bei A. Duck, in: Wilhelm (Hrsg.), Studien zur europäischen Rechtsgeschichte, 1972, S. 170–180; ders., Die legistische Literatur der Kommentatoren und die Ausbreitung des Römischen Rechts, in: Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. I, 1973, S. 261, 264 ff. 12 J. Schröder, Recht als Wissenschaft. Geschichte der juristischen Methode vom Humanismus bis zur historischen Schule, 2001, S. 111 ff., 116.
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Utilitarismus im aufgeklärten Naturrecht von Thomasius und Wolff
traten als eigenständige Darstellungen auf. Diese Systeme wurden, wie Klaus [48] Luig bemerkt, nirgends als unmittelbar geltendes Recht vorgestellt. Sie wenden sich vielmehr an die Fürsten als die staatlichen Gesetzgeber.13 Naturrecht in diesem Sinn ist also in erster Linie rechtspolitisches Programm. Es ist zugleich, wie Luig zutreffend bemerkt, Rechtstheorie. Die Naturrechtssysteme beschreiben die gute, die ideale Einrichtung eines Staates und seines Rechtssystems. Darin liegt eine potenzielle politische Dynamik. Da die Naturrechtsysteme nur noch sehr begrenzt an der Rechtsquellenqualität des Corpus Juris teilhatten, mussten ihre Autoren einen anderen allgemeinen Geltungsgrund für ihre Systeme anstreben. Dieser ist schon seit jeher in den Quellenaussagen zum Naturrecht angelegt; es ist ihr Rang als sittliche Gebote. Daher werden alle in der Zeit anerkannten Geltungsgründe für sittliche Regeln aufgeboten, sowohl die religiöse Begründung als auch die aus der naturalis ratio in ihren vielfältigen Facetten. Folgerichtig treten die Systeme von Thomasius und Wolff als Systeme sittlicher Pflichten auf. Gleichzeitig hatten die Naturrechtsysteme Auswirkungen auf das geltende römische und partikulare Recht, indem sie als Interpretationshilfe bei seiner Anwendung dienen konnten. Ferner regten die Naturrechtsysteme die systematisierende Darstellung auch des geltenden Rechts an und inspirieren zur Bildung von systematischen und dogmatischen Allgemeinbegriffen wie z.B. dem Begriff des Rechtsgeschäfts. Sie leisten damit eine praktische Vorarbeit für die großen Kodifikationen des Privatrechts. Wie groß der letztere Einfluss ist, kann man leicht erkennen, wenn man etwa den Traité du contrat de société von Pothier, Paris 1764, mit der fast wörtlich übereinstimmenden Regelung der société civile im Code civil vergleicht.14 Ferner ist seit langem die Vorstellung verbreitet, daß insbesondere das Naturrechtssystem von Wolff Einfluß auf den code civil ausgeübt hat: „Il y a du Wolff dans le code civil“.15 1.4. Utilitaristische Ethik Die Frage nach Nutzen und Glück im aufgeklärten Naturrecht hat ihre philosophische Basis in der seit Bentham als Utilitarismus bekannten Ethik, die wir aber auch schon in der Philosophie von Hobbes, Locke und Hume finden. Schon Hobbes beschreibt das Streben nach Vorteil und Macht zur 13 Luig a. a. O. S. 235. Dies weicht nur wenig vom zuvor zitierten Befund von J. Schröder ab. Die Autoren der Naturrechtssysteme konnten für ihre Systeme nicht die Rolle eines Gesetzgebers beanspruchen. 14 Dazu Horn, Gesellschaftsrecht Frankreich, in Coing (Hrsg.); Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III/3, 1986, S. 3190. 15 Vorsichtig zu dieser These des deutsch-französichen Juristen Warnkönig Luig, S. 133.
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Be- [49] friedigung der unaufhörlichen menschlichen Begierden (continual progress of the desire) als Ziel und Richtschnur der menschlichen Handlungen.16 Die Anregungen dazu fand Hobbes im sophistischen Gedankengut der klassischen griechischen Philosophie, das er vor allem bei seinen Studien des Thukydides kennen gelernt hatte. Auch in Platons „Staat“ wird von Thrasymachos im Dialog mit Sokrates Vorteil und Nutzen (symphéron, ophélimon) als oberste Richtschnur des Handelns gepriesen. Hobbes geht philosophisch von einem materialistischen Weltbild und einem sensualistischen Bild des Menschen aus, dessen Erkenntniskräfte auf die Sinneserfahrungen beschränkt sind. Daher stieß Hobbes z. T. auf heftige Ablehnung, obwohl er vorsichtig genug ist, seine Ausführungen in christliche Betrachtungen einzukleiden und in seine ethischen Betrachtungen auch Sätze der Bergpredigt einzubeziehen.17 Die von der Vernunft angeleitete Verfolgung des eigenen Nutzens führt zur Schaffung von Staat und Recht mit Hilfe des Staatsvertrags, weil die dadurch garantierte Friedens- und Rechtsordnung die Nachteile des Naturzustandes mit seinem Kampf aller gegen alle überwindet und daher allen nützt.18 Staat und Recht sind die vernünftigen und nützlichen Instrumente, um den chaotischen ersten Naturzustand loszuwerden und sozusagen einen vernünftigen Naturzustand auf höherer Ebene herzustellen. Darin liegt die Faszination dieses Gedankens für die Theoretiker des Naturrechts. Um eine Friedens- und Rechtsordnung gegenüber dem individuellen Machtstreben durchzusetzen, muss der Staat die Macht bei sich konzentrieren und zu einem übermenschlichen Machtwesen, dem „Leviathan“ werden. Der Staat schafft bürgerliche Gesetze, indem er den von der Vernunft erkannten natürlichen Gesetzen folgt. Deren oberste Regeln sind, sich um Frieden zu bemühen und nur soviel Freiheit zu fordern, wie man auch anderen gegen sich selbst einräumen würde. Ein weiteres Gebot gilt der Vertragstreue. Die bürgerlichen Gesetze gewähren also dem Bürger einen Freiraum. Glaubensfreiheit muss der Staat freilich nicht gewähren; vielmehr muss der Staat selbst die Religion bestimmen. Daraus spricht bei Hobbes nicht nur eine relativ geringe Einschätzung des Wertes religiöser Wahrheiten, sondern auch vor allem die negative Erfahrung seiner Zeit mit der Politisierung der Religion. Ebenfalls unter dem Leitgedanken des Nutzens hat John Locke (1632– 1704) seine grundlegenden Two Treatises of Civil Government (1690) über die Einrichtung des bürgerlichen Rechtstaates und die diesen tragende bür-
Leviathan, Hrsg. I. Fetscher, übersetzt von W. Euchner, 4. Aufl. 1991, Kap. 13. Leviathan, Kap. 14. 18 Überblick bei Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 2004, Rdn. 317 ff. 16 17
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gerliche Eigentümer- und Erwerbsgesellschaft geschrieben. Als Moraltheorie [50] hat der Utilitarismus seine bis heute fortwirkende Form durch Jeremy Bentham (1748–1832) in dessen Werk „An introduction to the principles of morals and legislation“ (1789) – also nach Wolff und lange nach Thomasius – erhalten. Das Nützlichkeitsprinzip nach den Naturgegebenheiten von Lust und Schmerz wird konsequent als Maßstab menschlicher Handlungen anerkannt. Eine Handlung ist dann zu billigen, wenn sie das individuelle Glück und das der Gemeinschaft vermehrt. Anzustreben ist nach Bentham das größtmögliche Glück der größtmöglichen Anzahl von Menschen. Einen Gegensatz zwischen Individualwohl und Gemeinwohl sah Bentham nicht, ebenso wenig wie sein Zeitgenosse Adam Smith. Die Analyse der Regeln menschlichen Handelns unter dem Gesichtspunkt von Glück und Nutzen unter Abwägung der jeweils erstrebten Güter war das große Thema der vorangegangenen Naturrechtsdebatte in England und auf dem Kontinent. Man kann diese Methode, der sich die kontinentalen Theoretiker more geometrico bedienen wollten, verallgemeinert als utilitaristische Methode bezeichnen, wenn man Differenzierungen innerhalb dieses Begriffes zulässt. In den Grundauffassungen gab es Unterschiede, wobei Hobbes die extreme Position des Materialismus und der wölfischen Natur des Menschen einnimmt. Die anderen Naturrechtsdenker verkennen diesen Aspekt nicht. Aber Leibniz etwa setzt der einseitigen Betonung des Machttriebs der Menschen ihre Bereitschaft zu Wohlwollen und Freude am Nutzen anderer entgegen, und diese benevolentia universalis ermöglicht erst das harmonische Zusammenleben der Menschen.19 Bei Thomasius finden wir das Gebot und die Fähigkeit der socialitas, der zwischenmenschlichen Solidarität.20 Im Übrigen finden wir bei Thomasius zahlreiche Anklänge an das von Hobbes gezeichnete Bild des Menschen und der Antriebe seines Handelns, freilich in weniger zugespitzter Form.21 Der Mensch folgt seinen Affekten Lust, Geldgier und Machtstreben. Die Vernunft greift zügelnd ein und wählt Handlungsziele des Guten aus. Das Gute wird als eine Vielfalt von irdischen Glücksgütern konkretisiert, die christliche Vorstellung von der jenseitigen Bestimmung des Menschen wird aber nicht aufgegeben.22 Staat und Recht müssen eingreifen, um im Streben nach Glück den Kampf aller gegen alle zu vermeiden. [51]
19 Dazu Küchenhoff, Leibniz, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, hrsg. Erler/Kaufmann, Bd. 2 1978, Sp. 1791 ff., 1799. 20 Luig, S. 238. 21 Zum Folgenden Luig, S. 237 ff. 22 Luig, Thomasius, in: Handwörterbuch a. a. O., Bd. 5 1998, Sp. 186 ff., 189.
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2. Eigentum und Freiheit im Kontext der naturrechtlichen Sozialethik 2.1. Leibniz: Verteilungsstaat oder Eigentümergesellschaft Die Förderung des Glücks der einzelnen Menschen als Ziel des Staates und der Rechtsordnung könnte nach Leibniz am besten in einem von christlicher Sittlichkeit angeleiteten umfassenden Verteilungsstaat als der Optima Res Publica verwirklicht werden. Hier wären die Güter sämtlich in der Hand des Staates, der sie den Einzelnen nach Anteil an der Arbeit und nach sonstigen Verdiensten sowie nach Bedürftigkeit zuweisen würde; Freiheit und Gleichheit der Bürger würden in einem solchen Idealstaat freilich wenig gelten.23 Leibniz hält einen solchen Staat aber nicht für realisierbar, weil es zu endlosen Streitigkeiten über die Verteilungsmaßstäbe des Staates kommen würde und weil die bestehende, historisch gewachsene Eigentumsordnung nicht ohne Gewalt und Umsturz verändert werden könnte. Daher geht Leibniz unter Verzicht auf den idealen Verteilungsstaat von einer Eigentümergesellschaft aus und weist dem Staat nur begrenzte Verteilungsfunktionen zu. Im privaten Bereich ist der Mensch in seinen Handlungen frei und kann über sein persönliches Eigentum verfügen; er muss sich freilich selbst um seinen Erwerb und Unterhalt kümmern. In allen privaten Geschäften, die der Staat nicht seiner Verteilungsgewalt reserviert hat, sondern die der privaten Verfügung unterstehen, gilt Gleichheit und Tauschgerechtigkeit. Der Staat legt freilich Grenzen des Privatrechts und seine eigene Zuständigkeit für öffentliche Verteilungsgerechtigkeit fest. Damit ergibt sich eine gewisse Schwebelage. Einerseits müssen Staat und Recht die private Eigentümer- und Erwerbsgesellschaft und die hier vorausgesetzte Handlungsfreiheit und den Eigentumsschutz garantieren, andererseits aber auch Verteilungsaufgaben bis hin zur Fürsorge für die sozial Schwachen organisieren. Dieses Bild entspricht im Ergebnis dem erwähnten Standpunkt von Thomasius, der in der Frage, ob zur Verfolgung des Glücks die Initiative des Einzelnen oder die lenkende Hand des Staates berufen ist, eine differenzierte, fallweise Betrachtung fordert. Hervorzuheben in dieser differenzierenden Betrachtung ist ferner der Gedanke der Abwägung zwischen verschiedenen Nutzen. Abwägung ist freilich schon ein Instrument der klassischen Ethik. Leibniz bezieht sich auf Aristoteles und den dort mit dem Gerechtigkeitsbegriff verbundenen Proportionalitätsgedanken. Was gerecht ist, ergibt sich im Einzelfall erst als
23 Die folgende Skizze folgt Luig, Römisches Recht, Naturrecht, nationales Recht, S. 224 ff.
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Ergebnis ei- [52] ner Güterabwägung. Für die Gesellschaft insgesamt ist gut, was den dadurch begünstigten Gliedern der Gesellschaft mehr nützt, als es anderen schadet.24 2.2. Christian Thomasius: Privatrecht als rechtlich geschützter Freiheitsraum Im Werk von Christian Thomasius nehmen privatrechtliche Fragen einen breiten Raum ein, so in der Hauptschrift Fundamenta iuris naturae et gentium von 1705.25 Im System des Naturrechts wird ihm unter den Rahmenbedingungen des bevormundenden absolutistischen Staates eine wichtige Rolle zugewiesen. In der Beschreibung des Naturrechts folgt Thomasius Denkmustern des Utilitarismus. Der Mensch erstrebt mit seinen Affekten und seinem Willen verschiedene Glücksgüter. Die Vernunft muss steuernd eingreifen, wie bereits (oben 1.4.) erwähnt. Bei diesen Normen unterscheidet Thomasius drei Bereiche von Regeln, das Honestum als Inbegriff sittlicher Normen, das Decorum als Inbegriff sittlich angeleiteter Regeln des gesellschaftlichen Umgangs, also der Rücksichtnahme und Wohlanständigkeit, und Justum als Inbegriff der Regeln, deren Einhaltung das Recht erzwingen muss, um eine äußere Friedensordnung im Staat zu gewährleisten. Oberste Regel des letzteren Bereichs ist das Gebot des neminem laedere, d.h. niemand anderen beim Gebrauch seiner Rechte zu stören oder zu behindern. Aus diesem Gerechtigkeitsgebot sind konkrete und erzwingbare Rechtspflichten ableitbar. Für die anderen sittlichen Pflichten gilt dies nicht. Man kann darin eine grundsätzliche Trennung von Recht und Moral sehen, wie dies Klaus Luig im Anschluss an Schneiders tut.26 Allerdings muss man daran festhalten, dass die Regeln in allen drei Bereichen die Dignität sittlicher oder moralischer Regeln haben. Die rechtliche Durchsetzbarkeit von Regeln des Justum findet gerade darin seine Rechtfertigung, dass es an sich um Regeln geht, die jeder Mensch ohnehin freiwillig befolgen soll, und die von der Mehrheit auch eingehalten werden. Auch der Bereich des Decorum orientiert sich am sittlichen Gebot, wenngleich modifiziert durch Konvention. Im Ergebnis wird aber nur ein Ausschnitt dieser sittlichen Normen vom Recht erfasst und damit werden im Ergebnis in der Tat die rein sittlichen Gebote und die Gebote des guten gesellschaftlichen Umgangs von den rechtlichen Geboten getrennt. Mit dieser Trennung, die Thomasius in den Fundamenta vornimmt, schafft er die Voraussetzungen für einen freien Raum der sittlichen Entfaltung des Einzelnen unabhängig von Rechtsgeboten und an-
Luig, a. a. O., S. 225. Zum Folgenden Luig, Römisches Recht, Naturrecht, nationales Recht, S. 233, 237 ff. 26 W. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, 1972, S. 290; Luig, a. a. O., S. 237. 24 25
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[53] dererseits die Voraussetzungen für den rechtlichen Schutz im geschäftlichen Verkehr mit anderen, der zu den Voraussetzungen der bürgerlichen Gesellschaft zählt.27 In den Fundamenta wird bei der Ausgestaltung des obersten Prinzips des Privatrechts wiederum die Frage gestellt, ob es beim rechtlichen Schutz eher um das Wohl der Allgemeinheit geht oder um das Wohl des Einzelnen. Thomasius hält diese Frage nicht für generell lösbar, wie bereits erwähnt, sondern gibt die Auskunft, dass beides miteinander verwoben ist. Wenn es daher dem Einzelnen nicht gut geht, kann auch die Gesamtheit nicht glücklich sein. Und das Glück des Einzelnen ist nicht vollkommen, wenn es nicht mit dem Glück der Mehrheit verbunden ist. Thomasius lehnt sowohl die Lehre der Scholastiker ab, die im Konfliktsfall dem Bonum commune immer den Vorrang geben wollen, als auch die Position von Hobbes, der das individuelle Glück dem Glück der Gesellschaft vorziehe. Man müsse vielmehr manchmal das Gemeinwohl voranstellen und manchmal den Eigennutz.28 Hier wird die für den Utilitarismus so typische Methode einer Güterabwägung sichtbar; sie wird auch auf das Verhältnis zwischen Gemeinwohl und Einzelwohl angewendet. Aus dem Verletzungsverbot folgen absolut geschützte Rechte, insbesondere der Schutz des Lebens und des Vermögens. Rechte, die aus Vertrag entstehen, sind durch das Gebot der Vertragstreue geschützt. Obwohl Thomasius das Privatrecht als Teilsystem eines Systems sittlicher Pflichten konzipiert, gelangt er dadurch, dass er das Verletzungsverbot als oberstes Gebot des Privatrechts annimmt, im Ergebnis dazu, dass im Privatrecht im Grunde Freiwilligkeit herrscht. Niemand ist zu einem bestimmten Tun gezwungen, sondern nur zur Respektierung der Rechte anderer und zur Befolgung dessen, was er freiwillig versprochen hat. Damit wird das Privatrecht zum Bereich der Freiheit in einem doppelten Sinne. Erstens ist der Einzelne hinsichtlich der Gestaltung seiner rechtlichen Beziehungen frei, sofern er die Rechte anderer respektiert. Zweitens erteilt das Privatrecht im Bereich der übrigen moralischen Pflichten oder der Pflichten des gesellschaftlichen Umgangs keine Befehle und überlässt dem Einzelnen dadurch einen persönlichen Freiraum. Damit sind wesentliche Elemente einer freiheitlich organisierten Zivilgesellschaft bei Thomasius theoretisch angelegt, im Kontrast zu den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen und Abhängigkeiten des absolutistischen Staates und der Ständegesellschaft seiner Zeit. [54]
27 28
W. Schneiders, Naturrecht und Liebesethik, 1972, S. 290; Luig, a. a. O., S. 237. Luig, a. a. O., S. 242 f.
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2.3. Christian Wolff: Vertragsethik der Nutzenmaximinierung Auch in der Naturrechtsphilosophie von Christian Wolff ist das Privatrecht als Pflichtenlehre konzipiert. In den Institutiones juris naturae et gentium von 175029 liegt der Schwerpunkt seiner privatrechtlichen Darstellungen im Teil 2 über das Eigentum und die Rechte und Verbindlichkeiten, die daraus entspringen. Er umfasst das gesamte Eigentums- und Vertragsrecht.30 Beim Eigentum geht Wolff davon aus, dass von Natur aus alle Menschen gegenüber allen Sachen die gleiche Berechtigung haben und daher alle Sachen gemeinschaftlich sind (Inst. § 186). Dieser Gedanke gehört zur Naturrechtstradition. Wir finden ihn schon bei Thomas von Aquin, bei Locke und bei den hier betrachteten Autoren Leibniz und Thomasius. In Anlehnung an Leibniz betrachtet Wolff die verschiedenen Erwerbsarten des Eigentums und das Bedürfnis der Menschen, ihre unterschiedlichen Eigentumsbestände, die sie durch eigenen Fleiß oder auch durch Glück erworben haben, für sich zu behalten. Das private Eigentum ist als unentbehrliche Notordnung anzuerkennen (Inst. § 194). Die einzelnen Pflichten des Eigentümers im Gebrauch seines Eigentumsrechts und die Grenzen der Eigentümerbefugnisse werden von Wolff anhand der einzelnen Vorteile, die das Eigentum bieten kann, bestimmt. Im Notfall muss Eigentum auch einem anderen, der dessen dringend bedarf, zur Verfügung stehen (Inst. §§ 304, 305). Die Übereignung einzelner Gegenstände wird vom freien Willen der Parteien abgeleitet (Inst. § 317). Dieser Gedanke wird dann auf den Abschluss auch schuldrechtlicher Verträge übertragen (Inst. § 327 ff.). Beide Parteien haben die natürliche Pflicht, bei ihrer Willensbildung und vor Abgabe ihrer Willenserklärung zunächst zu prüfen, ob Veräußerung oder Erwerb einer bestimmten Sache dem eigenen Nutzen wirklich dient (Inst. 386).31 Die Einbettung sowohl des Eigentumsrechts als auch der Institution des Vertrags in eine Fülle ethischer Pflichten betrifft Regeln von ganz unterschiedlicher Normqualität. Viele Pflichten, die der Eigentümer beachten muss, sind rechtlich relevant, und wir würden sie heute der Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Verfassungsrecht und Privatrecht zuordnen. Andere sind bloße Regeln der wirtschaftlichen Vernunft wie etwa das Gebot, Eigentum zu bewahren und nicht zu verschleudern (Inst. § 208, § 255). Auch in Zusammenhang mit dem Vertragsschluss sind solche verschiedenen Normqualitäten festzustellen, einmal Regeln, die wir heute dem Grundsatz von Treu und Glauben zuordnen würden, zum anderen rein ökonomische Regeln, die ununterschieden im Wolffschen System stehen. [55]
Vgl. oben Fn 2. Zum Folgenden Luig a. a. O., S. 259 ff. 31 Dazu Luig, a. a. O., S. 285. 29 30
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Die erwähnte Regel etwa, dass Veräußerer und Erwerber sorgfältig ihren Nutzen abwägen sollen, den sie aus einem Veräußerungsgeschäft haben, bevor sie es vertraglich besiegeln (Inst. § 386), ist (auch) ökonomische Theorie im Gewande der Ethik, formuliert ein Vierteljahrhundert vor Adam Smiths klassischem Werk zur Marktwirtschaft und ihrer Tauschvorgänge.32 Erst 150 Jahre später hat Pareto in seiner Theorie der ökonomischen Wahlakte das Problem intensiv bearbeitet.33 Angeleitet werden diese Wahlakte danach vom subjektiv empfundenen Nutzen; dieser bestimmt als nicht messbare Ordinalgröße die Präferenz. Pareto hat daran die wohlfahrtsökonomische These geknüpft, daß der größte Nutzen (ophélimité) für das Kollektiv dann erreicht ist, wenn die größtmögliche Anzahl persönlicher Präferenzen realisiert ist.34 Dieses Pareto-Optimum als Wohlfahrtskriterium beschäftigt bis heute die Nationalökonomie.
3. Fortwirkungen der utilitaristischen Sozialethik 3.1. Staatstheorie und Wirtschaftstheorie Die umfassenden Systeme der Sozialethik der bürgerlichen Eigentümergesellschaft, die von den deutschen Autoren des aufgeklärten Naturrechts und von den englischen Gesellschaftstheoretikern des 17. und 18. Jahrhunderts entworfen wurden, wirken in zwei Stoßrichtungen bis heute fort, erstens als Prinzipien des bürgerlichen Rechtstaats, wie sie sich in der amerikanischen und französischen Revolution artikulierten und dann in ganz West- und Mitteleuropa sowie inzwischen in vielen weiteren Teilen der Welt durchsetzten. Dabei ist anzumerken, dass bei den hier betrachteten deutschen Autoren Thomasius und Wolff diese politische Stoßrichtung noch fehlt; allenfalls retrospektiv kann man Teile ihrer Lehren für den bürgerlichen Rechtstaat in Anspruch nehmen. Die andere Stoßrichtung ist eine liberale ökonomische Theorie, die von den englischen Klassikern der Nationalökonomie begründet wurde und im 19. und 20. Jahrhundert durch die hohe wirtschaftliche Effizienz von Marktwirtschaften ihre Bestätigung fand. Bis heute beschäftigt die westlich geprägten Gesellschaften die Frage, wie größtmöglicher Wohlstand mit größtmöglicher Freiheit erzielt werden kann, und die damit eng zusammenhängende Frage, wie Allgemeinwohl und Individualwohl in möglichst größte Übereinstimmung zu bringen sind. [56] Das von Leibniz theoretisch erwogene und abgelehnte Gegenmodell der Optima Res Publica als perfekt gerechter Verteilungsstaat hat ebenfalls im
An Inquiry into the Nature and the Causes of the Wealth of Nations, 1776. Manuale di Economia Politica, 1906. 34 Kloten, Pareto, in Herder Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 4 1995, S. 291. 32 33
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20. Jahrhundert eine teuer erkaufte empirische Überprüfung erfahren. Die sozialistischen totalitären Verteilungsstaaten haben es nicht vermocht, die um den hohen Preis von Freiheitsverlusten versprochene Gerechtigkeit der Güterverteilung zu erreichen, und sind an wirtschaftlicher Ineffizienz gescheitert. Der bitter erkaufte Erkenntnisertrag ist es, dass am Rezept der wirtschaftlichen Freiheit schon um der ökonomischen Effizienz willen kein Weg vorbei führt. 3.2. Ökonomisierung der Politik Utilitaristisches Zweckdenken wird im Vergleich zur Zeit von Thomasius und Wolff in der Gegenwart immer stärker auf den ökonomischen Erfolg fokussiert. Dies ist in der liberalen aufklärerischen Sozialtheorie von vornherein angelegt, kommt aber heute nach allmählichem Schwinden anderer sozialethischer Regeln im Sinne eines einseitigen Ökonomismus zur Vorherrschaft. Als Höchstmaß des kollektiven Nutzens hat man den materiellen Wohlstand akzeptiert, als dessen Maß das Bruttoinlandsprodukt gilt, „ohne zu fragen, in welchem Verhältnis der Wunsch nach bestimmten Gütern zu den Anstrengungen steht, die man einkalkulieren muss, um solche Güter zu erwerben.“35 Dabei bringen die neoklassischen Wachstumsmodelle das Wachstum vor allem mit technischer Entwicklung in Zusammenhang. Planbare Wachstumsmodelle werden gesucht. Sie würden die beste aller Welten versprechen: Einen Staat, der die Wirtschaft zu höchster Effizienz steuert, ohne in die Freiheit der Bürger einzugreifen, aber zugleich ausreichende Steuereinnahmen hat, um große Umverteilungsleistungen zu erbringen. Wirtschaftpolitik als Staatsaufgabe finden wir bereits im 17. und 18. Jahrhundert insofern, als im merkantilistischen Handelsstaat der Neuzeit Außenhandelspolitik, verbunden mit abschirmender Kolonialpolitik und abgemildert durch Meistbegünstigungsklauseln, bereits fester Bestandteil der Staatsaufgaben war. Innenpolitisch wurde der Staat durch Infrastrukturmaßnahmen, Gewerbeförderung und eine ständig verfeinerte wirtschaftliche Organisation der Staatstätigkeit (Kameralistik, Budgetpolitik) tätig. Die Rolle der Wirtschaftpolitik ist bekanntlich im modernen Versorgungs- und Betreuungsstaat mit dem hohen Staatsanteil am Bruttosozialprodukt und dem hohen Anteil von Transferausgaben in einer damals unvorstellbaren Weise gewachsen. [57]
35 Colombatto, in: Zöller (Hrsg.), Vom Betreuungsstaat zur Bürgergesellschaft – Kann die Gesellschaft sich selbst regeln und erneuern? (Veröff. d. Hans Martin-Schleyer-Stiftung Bd. 55), 2000, S. 28 ff., 29.
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3.3. Ein Detail: Ökonomische Analyse des Rechts Die Ökonomisierung des gegenwärtigen Denkens über Staat und Recht in der westlichen Welt ist an einer interessanten Entwicklung der juristischen Arbeitsweise abzulesen: der in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entstandenen Chicagoer Schule der Economic Analysis of Law.36 Das Recht wird hier unter dem Gesichtspunkt seiner ökonomischen Funktionalität betrachtet, die Allokationsleistung des Marktes zu fördern, insbesondere durch die Senkung von Transaktionskosten, im Hinblick auf die dadurch erzielten Wohlfahrtsgewinne. Die Kosten-Nutzen-Analyse der einzelnen rechtlichen Institutionen und Rechtsgeschäfte lässt sich in manchem mit der Nützlichkeitsanalyse des Rechts in den Schriften des aufgeklärten Naturrechts vergleichen. Die Economic Analysis of Law ist geeignet, bestimmte rechtliche Institutionen und Vorgänge in ihren ökonomischen Aspekten zu erklären und rechtspolitische Ziele im Sinne wirtschaftlicher Optimierung zu formulieren. Ich habe als früher Importeur und Kritiker dieser Lehre in der deutschen Fachdiskussion37 mit Interesse, aber auch mit gewisser Überraschung ihren unaufhaltsamen, bis heute andauernden Siegeszug im US-amerikanischen rechtswissenschaftlichen Betrieb verfolgt. In Deutschland kann man von einem solchen Siegeszug nicht sprechen, auch wenn eine Rezeption in der Lehrbuchliteratur erfolgt ist.38 Die kontinentaleuropäische Rechtswissenschaft ist von einer totalen Ökonomisierung aus guten Gründen noch weit entfernt, und der Utilitarismus als allgemeine Sozialtheorie ist nicht so stark etabliert wie im angelsächsischen Bereich.
4. Leistungen und Defizite des Utilitarismus 4.1. Die Unentbehrlichkeit der utilitaristischen Argumentation Die philosophische Schule des Utilitarismus hat eine anhaltende Wirkung in der ganzen westlichen Welt entfaltet – mit einem Schwerpunkt im angelsächsischen Bereich – und wirkt bis heute fort. Überall da, wo grundsätzliche Fragen nach Sinn und Zweck von Staat, Recht und Wirtschaft gestellt werden, ist sie von großem Einfluss. Dies gilt insbesondere für die Bereiche der Staatstheorie, der Wohlfahrtsökonomik und mit Einschränkungen der allge[58] meinen Sozialtheorie. Ebenso wie marktökonomische Betrachtungen ohne den utilitaristischen Ansatz nicht auskommen, lässt sich dies auch für
36 H. Coase, The problem of social cost, J. of Law and Economics, 3 (1960), 1–44; R. Posner, Economic analysis of law, Boston 1973. 37 Horn, Zur ökonomischen Rationalität des Privatrechts, AcP 176 (1976), 307–333. 38 H. P. Schäfer/C. Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 2. Aufl. 1995.
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den politischen Meinungskampf sagen. Wer nicht utilitaristisch argumentieren kann, hat dort verloren. Positiv ausgedrückt: Jedes Argument, das den einzelnen Menschen auf seinen Nutzen und Vorteil anspricht und eine positive Antwort auf die banale Frage „Was bringt mir das“ anbietet, hat große Überzeugungskraft. Auch eine Erziehung der Jugend zu Demokratie und Rechtstaat kommt ohne utilitaristische Argumente kaum aus. 4.2. Traditionelle Utilitarismus-Kritik Es gehört andererseits zur deutschen Tradition des philosophischen und staatstheoretischen Denkens, über die Defizite des Utilitarismus die Nase zu rümpfen. Allzu platt und banal und in manchen Konsequenzen auch unmenschlich erscheint schon dem Juristen die Analyse einer Norm oder gar ihre Rechtfertigung, die diese Norm nur aus dem Vorteil des Einzelnen oder auch der Mehrheit begründet. Als Ihering utilitaristisches Denken für die Rechtstheorie entdeckte, wurde dies zwar gebührend bestaunt, aber noch Philipp Heck musste sich gegen Anrüchigkeiten des Zentralbegriffs des „Interesses“ in seiner Interessenjurisprudenz zur Wehr setzen. Wir sind es in der Tat gewohnt, auch in der Praxis des Rechts sozialethische Grundsätze, die über ein reines Vorteilsdenken hinausgehen, unter Rückgriff auf die Verfassung und auf die Generalklauseln des Zivilrechts zur Geltung zu bringen. In der Philosophie ist es nicht anders. In der aktuellen bioethischen Debatte über das fälschlich so genannte therapeutische Klonen etwa wird der „Konsequentialismus“, d. h. das utilitaristische Denken in Nützlichkeitsfolgen, die aus diesem oder jenem Handeln folgen, und das sozusagen geschäftsmäßige Abwägen in einer Kosten-Nutzen-Analyse scharf angegriffen und dem die Absolutheit bestimmter ethischer Gebote, z.B. des Schutzes des werdenden menschlichen Lebens, gegenübergestellt (Spaemann). Letztlich geht es darum, dass Nützlichkeitsdenken eine innere Gesetzmäßigkeit hat, in der Jagd nach dem banalen, profanen Vorteil die wölfische Natur des Menschen, wie Hobbes sie beschrieben hat, immer stärker wieder zum Vorschein zu bringen. Das Ergebnis einer konsequenten Verfolgung des Nützlichkeitsdenkens ist dann eine Gesellschaft von Egoisten, die den Kampf aller gegen alle fortsetzt, allerdings nun in einem Regelwerk, das einer möglichst großen Zahl einen möglichst großen Nutzen bringt. In der amerikanischen Literatur ist die utilitaristische Sozialethik nach der Formel von Bentham ein Standardgegenstand, wie sich am Lehrbuchbeispiel vom Sheriff illustrieren lässt. Der Sheriff hat einen Gefangenen, den das Volk für schuldig hält, von dem aber der Sheriff weiß, dass er unschuldig ist. Das Volk verlangt die Hinrichtung. Verweigert der Sheriff die Hinrichtung, [59] brechen Unruhen aus; es wird vermutlich zu Schießereien kommen und unschuldige Menschen werden sterben. Nach dem Grundsatz, dass das größte Glück der größten Zahl erreicht werden soll, müsste der Sheriff
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den Gefangenen opfern. Dies meinen jedenfalls Autoren der utilitaristischen Sozialethik.39 Damit wird in der Tat das Abwägen nach Nützlichkeitsfolgen ad absurdum geführt. 4.3. Ein utilitaristisches Schreckenskabinett Der Vorwurf, es handele sich um eine Vorteilsethik des Egoismus, lässt sich aus dem „homo homini lupus“ bei Hobbes und aus den Werken von Locke oder Bentham leicht veranschaulichen. Das Problem tritt bei modernen Vertretern des Utilitarismus wie bei Peter Singer verschärft hervor.40 Singer entwickelt eine Ethik nach Bentham’s Grundsatz vom größten Glück der größten Zahl, den er durch den Grundsatz der Gleichheit ergänzt. Das klingt alles recht annehmbar. Ein erschreckendes Defizit ergibt sich aber hinsichtlich des dahinter stehenden Menschenbildes. Es geht Singer nicht so sehr um die wölfische Natur des Menschen, sondern darum, dass bestimmte menschliche Wesen nicht Person sind, weil ihnen das entsprechende Bewusstsein fehlt, so z. B. das behinderte Kleinkind, während Schimpansen, Wale und Delphine durchaus die Personeneigenschaft haben.41 Hier wird mit einem materialistischen und atheistischen Menschenbild Ernst gemacht und Person nach bestimmten Bewusstseinsfähigkeiten definiert. Bekanntlich ist diese Sichtweise auch in der deutschen Rechtstheorie zu finden, etwa bei Hoerster.42 Ein Großteil von Singers Buch beschäftigt sich mit der Erlaubtheit von Euthanasie, wie Hruschka eindringlich darstellt. Diese erschreckenden und heute aktuellen Defizite des Utilitarismus könnten Grund genug sein, ihn als Sozialethik gänzlich zu verwerfen und ihm allenfalls eine ganz begrenzte instrumentelle Funktion bei einigen speziellen Sozialtheorien wie z. B. der Markttheorie zuzuweisen. Die vom Utilitarismus aufgezeigte Sozialmechanik der Verfolgung des Vorteils durch die einzelnen Menschen ist aber ein bedeutendes Element unserer Kenntnis vom menschlichen Zusammenleben. Es kommt nur darauf an, es vernünftig zu [60] nutzen. Im Sheriff-Beispiel etwa lässt sich die Tötung des Unschuldigen natürlich nicht utilitaristisch rechtfertigen. Hier steht ein absolutes Verbot gegenüber, dass aus der Achtung vor dem Leben eines anderen, unschuldigen Menschen folgt. Aber auch utilitaristisch lässt sich dieses Verbot begründen, J. J. C. Smart, An outline of a system of utilitarian ethics, in: J. J. Smart and B. Williams, Utilitarianism For and Against, 1973, S. 69 f.; zit. nach Hruschka a. a. O., S. 262. 40 Practical Ethics, 2nd ed. 1993; Deutsche Übersetzung: P. Singer: Praktische Ethik, Neuausg., übersetzt von Bischoff/Wolf/Klose, 1994. Eindringliche Kritik bei Hruschka, JZ 2001, 261 ff. 41 Dazu Hruschka a. a. O., S. 263. 42 Hörster, Neugeborene und das Recht auf Leben, 1995; ders., Sterbehilfe im säkularen Staat, 1998. 39
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weil seine Beachtung auch für die Gemeinschaft langfristig besser ist, indem sie Lynchjustiz mit unabsehbaren Folgen zurückdämmt. 4.4. Utilitarismus im Kontext der naturrechtlichen Sozialethik Bei Thomasius und Wolff ist die utilitaristische Betrachtungsweise in eine insgesamt christlich inspirierte Sozialethik eingebettet. Bei ihnen und bei Leibniz ist von Pflichten des Menschen gegen Gott, gegen sich selbst und gegen den Nächsten die Rede. Hobbes bezieht das Gebot der Nächstenliebe aus der Bergpredigt in seine vernünftige Ordnung des bürgerlichen Zusammenlebens ein. Es kommt hier nicht darauf an, ob Hobbes persönlich am christlichen Glauben festhielt, oder ob er Deist oder noch eher Atheist war. Auch die aufklärerischen deutschen Autoren Leibniz, Thomasius und Wolff hatten verschiedene Auffassungen zumindest hinsichtlich der Vereinbarkeit des christlichen Glaubens mit ihrem wissenschaftlichen Weltbild, wobei Wolff in diesem Punkt am optimistischsten ist. Gottesbeweise fanden sein großes Interesse. Im Ergebnis trat jedenfalls die utilitaristische Betrachtung der sozialen Mechanik im Kontext eines christlichen Welt- und Menschenbildes auf. Man mag hier einwenden, dass dies nur durch Brüche im System und Ungereimtheiten erkauft sei. Zumindest für den Zentralbegriff des Nutzens oder Glücks gilt dies aber nicht. Denn der Begriff des Nutzens ist dehnbar. Dies bedeutet keine Begriffsakrobatik, sondern die Anerkennung einer anthropologischen Tatsache. Das utilitaristische Denken wird, wie erwähnt, schon in der platonischen Philosophie behandelt. In der Politeia wird der Begriff des Vorteils oder Nutzens zunächst von Thrasymachos in einem sehr primitiven Sinn verstanden, dann aber im sokratischen Dialog allmählich in einem epagogischen Verfahren43 sublimiert. Höhere Zwecke treten in den Blick und werden realisiert, bis schließlich eine anspruchsvolle, nicht materialistische Ethik erreicht ist. Diese Sublimierung des Vorteilsbegriffs ist auch in der christlichen Glückssuche durch jenseitige Heilserwartung und das Ziel des diesseitigen Seelenfrieden angelegt, und in ebendiesem Sinn wird die Glückssuche auch in der aufklärerischen Sozialtheorie des Naturrechts bei Leibniz, Thomasius und Wolf diskutiert.44 Allerdings tritt diese [61] Betrachtung allmählich zurück, weil man in der Faszination durch die neu entdeckten Sozialmechaniken des Zweckdenkens immer mehr veranlasst wird, diese als die im politischen und rechtlichen Leben vorherrschenden Kräfte in den Vordergrund zu stellen. Aber es kommt im aufgeklärten Naturrecht von Thomasius und Wolff nicht zu den erwähnten ethischen Defiziten. Das 43 Dazu Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 2004, Rdn. 237, 409. 44 Luig, Römisches Recht, Naturrecht, nationales Recht, 1998, S. 218, 228, 153, 260 ff.
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Medium des Christentums war hier noch voll wirksam. Auch wer sich vom christlichen Glauben entfernte, hielt an einer Ethik des christlichen Humanismus im wesentlichen fest. 4.5. Die Chimäre des libertären Wohlfahrtsstaates In dem Maß, in dem das Christentum in der westlichen Welt im öffentlichen Bewusstsein an Einfluss verlor und verliert, treten die ethischen und kulturellen Defizite des Utilitarismus sehr viel schärfer hervor. Dies konnte an zwei Beispielen gezeigt werden, einmal an einem einseitigen Ökonomismus, zum anderen an der hemmungslosen Befürwortung der Euthanasie. Der im zwanzigsten Jahrhundert zu verzeichnende Teilrückzug des christlichen Menschenbildes aus dem öffentlichen Bewusstsein hat das utilitaristische Zweckdenken vergröbert. Dieser Teilrückzug hat auch Auswirkungen auf den Freiheitsbegriff als den Zentralbegriff jeder aufklärerischen Staatsund Markttheorie. Den gewandelten Freiheitsbegriff beschreibt Di Fabio in seinem Buch „Die Kultur der Freiheit“45 im Untertitel mit dem Schlagwort: „Der Westen gerät in Gefahr, weil eine falsche Idee der Freiheit die Alltagsvernunft zerstört.“ Dem Teilrückzug des Christentums im öffentlichen Bewusstsein entspricht eine Kulturkritik der Verneinung der kulturellen Tradition, die ihrerseits keine Kritik an sich selbst duldet46 und die Josef Ratzinger einmal als den Selbsthass des Westens bezeichnet hat.47 In diesem kulturellen Kontext ist in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ein neuer Freiheitsbegriff entstanden, der sich an der These von Herbert Marcuse ablesen lässt, „es sei an der Zeit, die Freud’sche Annahme, Kultur gedeihe auf sublimierter Triebunterdrückung, aufzugeben, und unter dem Motto der Triebbefreiung eine neue, freie, von entfesselter Libido durchwirkte Gesellschaft zu schaffen.“48 Den Sozialtheoretikern des aufgeklärten Naturrechts wie Thomasius und Wolff war ein Freiheitsbegriff, der auf reiner Triebbefriedigung aufbaut, zwar theoretisch seit Hobbes bekannt. Aber sie argumentierten auf der Ebene [62] natürlicher Gesetze, welche die ratio naturalis diktiert. Problem und Nutzen der bürgerlichen Freiheiten sind daher in den Rahmen einer christlich geprägten Pflichtethik gestellt. Zu ihren Entwürfen zurückkehren können wir freilich nicht. Aber wir können ihrem Werk und ihrer Methode Hinweise auf Defizite entnehmen, die das heute propagierte verfehlte Modell einer libertären Freiheit im Rahmen eines Wohlfahrtsstaates aufweist. 2005. Di Fabio, S. 29 f. 47 Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs, 2005, S. 87; vgl. auch S. 26. 48 Eros and Civilization, Boston 1955; deutsche Ausgabe: Trieb, Struktur und Gesellschaft, 17. Aufl. 1995. Zitat aus Di Fabio, S. 30. 45 46
Philosophische und historische Grundlagen des bürgerlichen Rechtsstaates In Festschrift für Jan Schapp, 2010, S. 267–282 Der bürgerliche Rechtsstaat und die ihm entsprechende freie Wirtschaftsordnung findet weltweit großes Interesse als attraktives Modell der politischen Organisation. Dies gilt vor allem in Ländern, die einen starken wirtschaftlich-technischen Modernisierungsprozess durchlaufen wie die Volksrepublik China. Will man dieses Modell den Menschen eines anderen Kulturkreises verständlich machen, muss man auf die philosophischen und historischen Grundlagen des bürgerlichen Rechtsstaates zurückgreifen. Dies ist eine Arbeitsweise, die Jan Schapp in seinem rechtsphilosophischen Werk vorbildlich und fruchtbar angewendet hat.1 Ich hoffe daher, mit den folgenden Ausführungen, welche die überarbeitete Fassung eines Vortrags vor chinesischem Fachpublikum sind, sein Interesse zu finden.2 Der Jubilar wird, so denke ich, auch nicht Anstoß nehmen an den notwendigen Vereinfachungen, die der Vortragsform und dem Auditorium geschuldet sind. Sie sind eine Vorbedingung jedes Lernprozesses, und ohne sie kann man weder im Hörsaal noch im politischen Raum etwas ausrichten.
I. Einleitung. Die Suche nach der besten Staatsform 1. Das Glück der Menschen zu fördern, das müsste das Ziel des Staates und der Rechtsordnung sein. Wie man dieses Ziel erreichen kann, darüber haben die Menschen zu allen Zeiten nachgedacht, in Europa besonders intensiv im 17. und 18. Jahrhundert. Der deutsche Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) zog dazu zwei Staatsformen in Betracht.3 Der ideale Staat (optima res publica) würde alle Wirtschaftsgüter umfassend verteilen; er müsste dabei sittlichen Grundsätzen folgen und die Güter den einzelnen
Jan Schapp, Freiheit, Moral und Recht, 1994. Vortrag am 7. Mai 2008 in einer universitätsöffentlichen Veranstaltung des Instituts für chinesisch-deutsche Rechtsstudien der China-Universität für Politik und Recht in Beijing. Der Autor ist Honorarprofessor dieser Universität und liest dort regelmäßig. 3 Zum Folgenden Luig, Römisches Recht, Naturrecht, Nationales Recht, 1998, S. 213ff; Riley, Leibniz. Political Writings. Cambridge Texts in the History of Political Thought, 1977, Reprint 2001. 1 2
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Bürgern je nach ihrem Anteil an der Arbeit, ihren sonstigen Verdiensten oder nach ihrer Bedürftigkeit zuweisen. Den gleichen Gedanken treffen wir später bei Karl Marx. Er findet noch [268] heute bei vielen Menschen Anklang, vor allem dort, wo Not herrscht. Freiheit und Eigentum der Bürger aber würden in einem solchen Staat wenig gelten. Leibniz hält einen solchen Staat auch nicht für realisierbar. Denn erstens könne man die bestehende Eigentumsordnung nur mit Gewalt und Umsturz verändern. Zweitens käme es zu endlosen Streitigkeiten über die Verteilungsmaßstäbe des Staates. Obendrein würden die Menschen faul; sie hätten keinen Antrieb mehr, selbst etwas zu tun. Deshalb hält Leibniz eine andere Staatsform für richtig. In ihr gibt es Privateigentum und private Entscheidungen in der Wirtschaft; der Staat übernimmt nur begrenzte Verteilungsaufgaben. Diese Vorstellung ist heute weltweit verbreitet. Sie hat in vieler Hinsicht und mit manchen Einschränkungen auch die Wirtschaftspolitik und Rechtspolitik Chinas in den letzten 25 Jahren bestimmt, und zwar mit glänzendem wirtschaftlichen Erfolg. Die Gesellschaft der Eigentümer, an die Leibniz dachte,4 hat historisch ihre politische Form im „bürgerlichen Rechtstaat“ gefunden. Diese Staatsform wird gegenwärtig in weiten Teilen der Welt als die relativ beste Form der Organisation eines Staates betrachtet. Der bürgerliche Rechtsstaat ist nicht von einem einzelnen Philosophen erfunden oder in einem einzelnen Land entwickelt worden. Er ist vielmehr das Ergebnis einer wirtschaftlichen, politischen und geistesgeschichtlichen Entwicklung in Mittel- und Westeu ropa und Nordamerika seit dem 17. Jahrhundert.5 Diese Entwicklung hat sich auf andere Teile der Welt ausgedehnt. China hat bestimmte Elemente dieser Staatsform übernommen, andere nicht. Es ist ein ständiger Lernprozess, die Elemente des bürgerlichen Rechtsstaats zu verstehen, sie in veränderlichen gesellschaftlichen Bedingungen in die politische Praxis umzusetzen und neuen Entwicklungen anzupassen.
II. Der bürgerliche Rechtsstaat 1. Begriff Der bürgerliche Rechtsstaat lässt sich definieren als die Staatsform, in der freie Bürger unter allgemeinen Gesetzen leben, die ihre Freiheit und ihr Eigentum schützen, wobei der Staat diese Gesetze garantiert und selbst bei seinem Handeln an sie gebunden ist. Darin stecken die Schlüsselbegriffe: 4 Diese Eigentümergesellschaft steht auch im Mittelpunkt der Philosophie des eng lischen Philosophen John Locke (1632–1704); dazu unten V. 5 Kriele, Einführung in die Staatslehre, 5. Aufl. 1994, S. 93ff; Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 2007, § 1 I.3.
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Rechtsstaat und Bürgerrechte. In einem solchen Staat geht alle Staatsgewalt vom Volk aus. Darin steckt der Gedanke der Volkssouveränität. Die Staatsgewalt wird vom Volk in gleichen, freien und geheimen Wahlen ausgeübt. Wir stoßen hier auf den Schlüsselbegriff der Demokratie. Die Grundlagen der Organisation des Staates sind in einem grundlegenden Gesetz, der Verfassung, niedergelegt. Die Staatsgewalt ist nicht in [269] einer Person oder Gruppe von Menschen konzentriert, sondern geteilt; wir finden hier den Schlüsselbegriff der Gewaltenteilung. Die Gesetzgebung wird durch ein demokratisch gewähltes Parlament ausgeübt (Parlamentarismus). Wir wollen im Folgenden die Schlüsselbegriffe Rechtsstaat, Bürgerrechte, Volkssouveränität, Demokratie, Gewaltenteilung und Parlamentarismus in ihrer historischen Entstehung betrachten. Anschließend wollen wir die Frage nach der moralischen (sittlichen) Fundierung des bürgerlichen Rechtsstaats untersuchen. 2. Die Herrschaft des Rechts In einem Rechtsstaat herrscht das Recht. Das klingt einfach, ist es aber nicht. Als die Volksrepublik China im Oktober 1984 nach 15 Jahren Pause ein großes Revolutionsfest auf dem Platz des himmlischen Friedens veranstaltete, forderte der damalige politische Führer und Begründer der Öffnungspolitik Deng Xiao Ping in seiner großen Rede auch „die Herrschaft des Rechts“. Was war damit gemeint? Grundsätzlich hat die Herrschaft des Rechts zwei Seiten: Erstens bedeutet sie Gesetzesgehorsam der Bürger. Ohne ein Minimum an Recht, also Regeln des Zusammenlebens, kommt ein Volk nicht aus. Ohne Recht gibt es auch keine stabile politische Macht. Recht ist Basis und Instrument dauerhafter Macht. Wenn politische Führer von der Herrschaft des Rechts sprechen, denken sie zuerst an diese Funktion des Rechts. Zweitens aber bedeutet Herrschaft des Rechts zugleich den Schutz der Rechte der Bürger durch den Staat und den Schutz vor staatlichen Eingriffen. Gutes Recht soll staatliche Macht begrenzen. Dies ist das Kennzeichen des bürgerlichen Rechtsstaates. Die Überzeugung, dass das Zusammenleben der Menschen durch feste Rechtsregeln geordnet werden muss und jedem einzelnen Bürger bestimmte Rechte zustehen, die der Staat schützen soll, hat in Europa eine uralte Tradition. Wir finden diesen Gedanken schon in der Antike in Griechenland und vor allem im römischen Reich. Dessen Macht und Dauerhaftigkeit beruhen zu einem guten Teil auf dem hohen Entwicklungsstand des römischen Rechts. Sein Kern ist das Recht der römischen Bürger (civis), an denen freilich Sklaven keinen Anteil hatten. Der Kaiser (princeps) beanspruchte, das Recht der römischen Bürger zu schützen. Er war nach spätrömischer Auffassung aber selbst nicht an das Recht gebunden (princeps legibus solutus). Auch die christlich geprägte mittelalterliche Gesellschaft lebte in einer Rechtsord-
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nung. Danach hatten die einzelnen Personen bestimmte Rechte, die auch der Herrscher achten musste. Allerdings fehlte es an Gleichheit; die Gesellschaft war nach Ständen gegliedert: Adel, oft mit großem Landbesitz, Bürger, freie und unfreie Bauern. 3. Der souveräne Staat der Neuzeit Der Staat im heutigen Sinn entstand in der Neuzeit etwa ab dem im 17. Jahrhundert allmählich durch eine immer stärkere zentrale Verwaltung beim König (Frankreich, [270] Spanien, England) oder bei den einzelnen Fürsten (Deutschland). Könige und Fürsten in Europa behaupteten in dieser Zeit, für sie gelte der Satz des spätrömischen Rechts, dass der König oder Fürst selbst nicht dem Recht unterworfen sei (Absolutismus). Denn er sei Inhaber der höchsten Staatsgewalt (Souveränität). In England wurde im 17. Jahrhundert der Absolutismus abgewehrt. Als dort der König unumschränkte (absolute) Macht beanspruchte, kam es zum Bürgerkrieg zwischen dem Parlament unter der Führung von Cromwell und dem König. Der Krieg endete mit dem Sieg des Parlaments und der Hinrichtung des Königs Charles I. 1649. Damit wurde der alte Grundsatz gewahrt, dass für alle das Recht gilt (rule of law), auch für den König. Wenig später mussten die Rechte des Parlaments neu erkämpft werden in der „glorreichen Revolution“ von 1688. Achtzig Jahre später forderte das englische Parlament von den Siedlern in den amerikanischen Kolonien Gehorsam für alle Gesetze des Parlaments. Die Siedler hatten aber keine eigenen Vertreter im Parlament. Das Parlament trat also gegenüber den amerikanischen Siedlern wie ein absoluter Herrscher auf. Die politische Antwort war die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und der Krieg für die Unabhängigkeit. In Frankreich fand der Absolutismus nur vorläufig sein Ende durch die französische Revolution. In der Verfassung von 1791 heißt es: „Es gibt in Frankreich keine Autorität über dem Gesetz. Der König regiert nur durch das Gesetz“. Diese Verfassung wurde aber bald wieder abgeschafft. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts verschwand der Absolutismus der Könige und Fürsten in den einzelnen Ländern Europas. 4. Die staatliche Gesetzgebung Die staatliche Gesetzgebung wurde in dieser Zeit immer umfangreicher. Zugleich bildete sich in Deutschland und anderswo der „Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung“ heraus. Er besagte, dass alle Eingriffe staatlicher Behörden in die Rechte der Bürger nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen dürfen. Eine Behörde durfte Bürgern Grundeigentum nur dann wegnehmen, z.B. um eine Straße zu bauen, wenn ein allgemeines Gesetz dies regelte und zugleich eine gerechte Entschädigung des Eigentümers anord-
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nete. Im 19. Jahrhundert wurden z.B. in Preußen, einem wichtigen Teil Deutschlands, besondere Verwaltungsgerichte geschaffen. Die Bürger konnten vor diesen Gerichten gegen die Behörden klagen, wenn diese Rechte der Bürger verletzt hatten. Diese Verwaltungsgerichte sind für den Rechtsstaat bis heute sehr wichtig. Es ist bezeichnend, dass in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR), also im sozialistischen Teil Deutschlands, keine Verwaltungsgerichte bestanden. Erst kurz vor dem Ende der DDR wollte man sie dort einführen. [271]
III. Bürgerrechte und Menschenrechte 1. Der Schutz der Bürger vor staatlicher Willkür Mit einer formalen Bindung der Staatsgewalt an das Recht allein konnte der Zustand eines freiheitlichen Rechtsstaats, wie wir ihn heute verstehen, freilich nicht erreicht werden. Es kommt vielmehr auf den Inhalt des Rechts an. Für den modernen Rechtsstaat ist die Entwicklung der Bürgerrechte entscheidend geworden. Diese Bürgerrechte wehren Eingriffe der staatlichen Macht ab und begrenzen diese Macht. In ganz Mittel- und Westeuropa gibt es eine alte Tradition der Bürgerrechte. Sie entwickelten sich vor allem in den Städten. Aber sie wirkten im mittelalterlichen Ständestaat auch gegenüber dem Fürsten oder König als dem obersten Lehnsherrn. Auch er war an das Recht gebunden. Selbst im Absolutismus bestand die Vorstellung, dass die Bürger herkömmliche, „wohlerworbene“ Rechte haben und dass der Fürst diese achten soll. Ein wichtiges Bürgerrecht war traditionell der Schutz vor willkürlicher Verhaftung. Dieses Recht ist ein elementarer Schutz der persönlichen Freiheit vor der Staatsgewalt des Königs oder Fürsten. Dieser Schutz hat vor allem in England eine lange Tradition. Schon 1215 haben die englischen Adeligen den König Johann ohne Land gezwungen, einen großen Verfassungsvertrag über ihre Freiheitsrechte abzuschließen, die Magna Charta Libertatum. Darin ist der Schutz vor willkürlicher Verhaftung enthalten. Ein Gesetz von 1689 bestätigte dieses Recht (Habeas Corpus Acte). 2. Die Erklärung der Menschenrechte Für die Entwicklung des bürgerlichen Rechtsstaats in der Neuzeit sind vor allem die Ereignisse in Nordamerika und in Frankreich Ende des 18. Jahrhunderts von Bedeutung. Als sich die amerikanischen Kolonien 1776 für unabhängig von England erklärten, verkündeten sie zugleich eine Anzahl von „Menschenrechten“ (Virginia Bill of Rights 1776). Diese Rechte wurden in die amerikanische Verfassung von 1787 aufgenommen; sie wurden damit zu Verfassungsrechten. Art. 1 nennt die Freiheit der Religion, die Freiheit
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der Rede, der Presse, der Versammlung, und das Recht zur Petition. In Art. 4 wird der Schutz vor willkürlichen Verhaftungen und Durchsuchungen festgelegt. In der französischen Revolution beschloss die Nationalversammlung eine „Erklärung der Menschenrechte und Bürgerrechte“ nach dem Vorbild der Virginia Bill of Rights. Die Erklärung war ein allgemeines politisches Programm für die ganze Welt. Sie war aber nicht Gesetz. Ihr Inhalt wurde dann in die französische Verfassung von 1991 aufgenommen. Diese Verfassung war freilich nur von kurzer Dauer. Die Menschenrechte und Bürgerrechte fanden Eingang in viele Verfassungen in aller Welt, auch in die deutsche Verfassung, das Grundgesetz. Die Vereinten Nationen haben den Schutz der Menschenrechte zu ihrem Ziel erklärt und am [272] 10.12.1948 eine „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ beschlossen. Diese Erklärung ist aber bisher nicht Gegenstand einer verbindlichen völkerrechtlichen Konvention geworden. Die Mitgliedsstaaten des Europarats haben am 4.11.1950 in Rom die europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten abgeschlossen; diese Konvention trat 1952 in Kraft. 1959 wurde der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg geschaffen.
IV. Volkssouveränität und Gewaltenteilung 1. Souveränität Die Bindung der Staatsgewalt an das Recht ist eng verbunden mit dem Gedanken der Volkssouveränität. Darin steckt der allgemeinere Begriff der Souveränität. Er bezeichnet die oberste politische Gewalt in einem Staat, die keine fremde Macht über sich anerkennt. Das ist bis heute ein zentraler Begriff des Völkerrechts. Der Begriff der Souveränität hat aber auch in der inneren Verfassung der werdenden Staaten der Neuzeit eine wichtige und zugleich freiheitsfeindliche Rolle gespielt. Schon der Machttheoretiker und Diplomat Niccolò Machiavelli (1469–1527) sagte, dass die oberste Macht im Staat in der Person des Fürsten oder Königs konzentriert sein müsse. Daran anknüpfend hat der französische Staatsphilosoph Jean Bodin (1530–1596) die Lehre von der Souveränität der Staaten entwickelt. Er sagte, dass es für den Inhaber der Staatsgewalt keinen Richter gebe. Der englische Philosoph Thomas Hobbes (1588–1670) dachte diese Gedanken weiter; er versteht den Staat als die Machtballung des kollektiven Egoismus aller Bürger. Die Konzentration der Staatsmacht – auch in Fragen der Religion – brauche man, so meinte er, um überhaupt eine Friedensordnung unter den Menschen zu schaffen. Daher schließen die Menschen einen „Gesellschaftsvertrag“ zur Begründung dieser Staatsmacht als Friedensordnung.
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2. Der Gesellschaftsvertrag Sein Zeitgenosse, der englische Staatsphilosoph John Locke (1632–1704), betont in seinem großen Werk „Zwei Abhandlungen über die bürgerliche Regierung“6 (1690) dagegen den Gedanken der fortdauernden Volksouveränität. Dieser Gedanke war politisch durch den Sieg des Parlaments über den König 1649 und erneut in der „glorreichen Revolution“ von 1688 durchgesetzt worden. Volkssouveränität bedeutet, dass alle politische Gewalt im Staat vom Volk ausgeht und auf der Zustimmung des Volkes beruht. Ausdruck dafür ist der Gesellschaftsvertrag über die Bildung und die vernünftige Organisation des Staates. Die Bürger schließen [273] diesen Vertrag; dabei denkt Locke vor allem an die besitzenden Schichten. Alle politische Macht im Staat, auch die Macht des Königs, leitet sich davon ab. Die Lehre vom Gesellschaftsvertrag wird dann im 18. Jahrhundert von den führenden Autoren der Aufklärung vertreten, namentlich von Jean Jacques Rousseau (1712–1778), der ein bekanntes Werk über den Gesellschaftsvertrag schrieb, und von dem deutschen Philosophen Immanuel Kant (1724–1804). 3. Gewaltenteilung Die Idee der Volkssouveränität bedeutet im Ergebnis, dass eine „souveräne“ Machtballung in einer Person verhindert wird. Man kann pointiert sagen: Volkssouveränität bedeutet, dass es den Souverän als Person nicht gibt. Aber wie kann man die Volkssouveränität sichern? Seit die Welt besteht, haben die Inhaber politischer Macht behauptet, dass sie im Namen des Volkes handeln und dass ihre Macht dem Willen des Volkes entspreche. Oft war diese Behauptung falsch. Sie wird erst richtig, wenn die Inhaber politischer Macht dazu gebracht werden, den politischen Willen des Volkes tatsächlich zu beachten. Die Instrumente dafür sind die Gewaltenteilung, die Repräsentation des Volkes durch Parlamente, und die Legitimation dieser Parlamente durch freie demokratische Wahlen. Den Gedanken der Gewaltenteilung finden wir schon bei Locke. Der französische Staatstheoretiker Charles de Montesquieu (1689–1755) hat in seinem klassischen Werk über den „Geist der Gesetze“ diesen Gedanken näher ausgearbeitet. Danach soll die politische Macht in einem Staat in die drei selbständigen Teilgewalten der Gesetzgebung (Parlament), der Exekutive (Regierung und Verwaltung) und der Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte aufgeteilt sein. Dieser Gedanke war von großem Einfluss bei der Schaffung der amerikanischen Verfassung und hat Eingang in alle Verfassungen der
Two Treatises of Civil Government, 1690, London 1970, introd. Carpenter.
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westlichen Welt gefunden. Auch die erste Revolution in China unter Dr. Sun Yatsen hat diesen Gedanken aufgegriffen.
V. Parlamente und Demokratie 1. Das Volk als Gesetzgeber Als die Siedler der englischen Kolonien in Amerika 1766 den Machtanspruch des englischen Parlaments zurückwiesen, haben sie sich auf den Grundsatz gestützt, dass nur ein Parlament, in dem sie vertreten sind, Gesetze für sie beschließen und ihnen z.B. Steuern auferlegen könne. Sie folgten damit Gedanken der europäischen politischen Literatur der Aufklärung. Bei Rousseau lesen wir: „Das Volk, das den Gesetzen unterworfen ist, muss selbst diese Gesetze schaffen.“7 [274] Ähnlich hat sich der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) geäußert. Das Instrument, das den Volkswillen in Gesetze umsetzen kann, ist das Parlament. Es repräsentiert das Volk als Gesetzgeber. 2. Freie Wahlen; Pflichten der Abgeordneten Repräsentant des Volkes kann das Parlament nur sein, wenn es in freien, gleichen und geheimen Wahlen vom Volk gewählt wird. Dieses demokratische Prinzip rechtlich zu sichern und tatsächlich durchzusetzen, ist bis heute in aller Welt eine fortdauernde Aufgabe. Zweitens müssen die Rechte und Pflichten des Parlaments in der Verfassung genau bestimmt sein, insbesondere die Unabhängigkeit der Abgeordneten. Und drittens müssen die gewählten Mitglieder des Parlaments für ihre wichtige Aufgabe qualifiziert sein. Dazu gehört vor allem eine demokratische Gesinnung. Die Abgeordneten müssen sich dem Willen und Wohl des Volkes verpflichtet fühlen. Sie müssen die Rechtsordnung respektieren und sie verteidigen. Sie dürfen nicht korrupt sein. Sie müssen es ertragen, dass andere politische Meinungen als die eigene bestehen und dass diese Meinungen im Parlament und allgemein in der Öffentlichkeit geäußert werden. Die Abgeordneten müssen auch bereit sein, in neuen Wahlen ihre Macht wieder abzugeben. Als im Sommer 1792 die Mitglieder der französischen Nationalversammlung neu gewählt worden waren, war ihre Mehrheit nicht bereit, die Verfassung zu achten. Sie duldete auch keine andere politische Meinung. Unter dem neu gewählten Justizminister Danton wurden im September 1792 über tausend politische Gegner ermordet. Die Revolution entfernte sich vom Recht und von der demokratischen Idee und endete in einem Terrorregime. Le peuple, soumis aux lois, doit en etre l’auteur; Rousseau, Du contrat social II.6.
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3. Meinungsfreiheit Parlamente können schließlich nur richtig arbeiten, wenn Freiheit der Meinung herrscht, insbesondere die Freiheit der Presse und allgemein der Medien. Wenn die Autoren der Aufklärung Freiheit der Bürger fordern, so meinen sie auch diese politischen Freiheiten, die „Freiheit der Feder“, wie Kant es nennt. In unserer Zeit hat man den Begriff der Informationsfreiheit hinzugefügt. Jeder soll sich aus Presse, Funk, Fernsehen und Internet informieren können, ohne dass die Regierung Informationen abschneidet oder manipuliert.
VI. Die Frage nach dem moralischen Fundament 1. Die innere Überzeugung der Bürger Stellen wir die Frage, aus welchen historischen Gründen der bürgerliche Rechtsstaat entstanden ist und sich in der Welt ausgebreitet hat, so sind viele Ursachen [275] zu nennen. Sehr wichtig ist zunächst die wirtschaftliche Entwicklung im 18. und 19. Jahrhundert, also das Entstehen einer neuen Klasse des Besitzbürgertums, und die verbesserte Erziehung und Bildung dieser Schichten. Von diesem Besitzbürgertum, der „Gesellschaft der Eigentümer“, sprechen Locke, Leibniz, Thomasius und Wolff. Ferner ist in Europa eine alte und entwickelte rechtliche Tradition, die auf das römische Recht zurückgeht, vorhanden. Auf dieser Grundlage ließen sich die neuen Ideen entwickeln. Aber das ist nicht alles. Eine Verfassung und die Ideen des Rechtsstaats, der Bürgerrechte und der demokratischen Herrschaft können nur funktionieren, wenn eine hinreichend große Zahl von Bürgern von der Richtigkeit dieser Ideen innerlich überzeugt ist und diese verteidigt. Andernfalls bleiben auch die schönsten Verfassungstexte mit vielen Bürgerrechten völlig wirkungslos. Die Parlamente versagen, wenn die Abgeordneten unfrei sind oder an der Demokratie gar kein Interesse haben. Die besten Gesetze versagen, wenn die Richter korrupt sind. Es muss also ein moralisches Fundament vorhanden sein. Der Staat kann dieses Fundament nicht dadurch schaffen, dass er eine bestimmte Ideologie befiehlt. Der bürgerliche Rechtsstaat kann und will keine Ideologie befehlen. Auch er und gerade er ist auf die freiwillige Bejahung durch die Bürger angewiesen, kann aber selbst diese Voraussetzungen nicht schaffen. 2. Philosophie, Religion, Zivilreligion Wir stoßen hier auf die Frage nach den moralisch-weltanschaulichen Grundvorstellungen einer Gesellschaft und damit auf die Religion. Denn auch die Bücher von Philosophen allein können das gesuchte moralische Fundament nicht liefern. Ein drastisches Beispiel dafür liefert das Werk von
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Rousseau. Auch der meinte, für einen Staat sei die Religion wichtig; diese müsse sein moralisches Fundament bilden. Er glaubte aber, die vorhandenen Religionen, die Religion der Lama, der Japaner und die christliche Religion der katholischen Kirche, in deren Glauben er erzogen worden war, seien politisch ungeeignet. Rousseau betrachtete also die Religion nur als politisches Instrument. Damit missverstand er ihr Wesen. Er empfahl eine von ihm selbst erfundene, abstrakte Religion: die Verehrung eines „höchsten Wesens“. Als die französische Revolution ihren Höhepunkt der Rechtlosigkeit und des Terrors erreicht hatte, hat der Revolutionsführer Robespierre im Frühjahr 1794 diesen „Kult des höchsten Wesens“ eingeführt. Er hielt sich dabei genau an die Vorschläge von Rousseau. Der Kult war kurzlebig und ohne Wirkung. Man kann eine Religion nicht am Schreibtisch erfinden. Rousseau hat aber immerhin das Problem gesehen, dass sich die Bürger eines Staates auf ein gemeinsames moralisches Fundament einigen müssen. Dieses Problem wird heute, wo wir in vielen Ländern eine Vielfalt religiöser Gemeinschaften und bei vielen Menschen auch Gleichgültigkeit gegenüber der Religion finden, in Europa diskutiert. Man fragt, ob eine „Zivilreligion“ für alle eine Art gemeinsame [276] Basis sein kann.8 In den sozialistischen Staaten übernahm die Ideologie des Marxismus-Leninismus lange diese Rolle, konnte sie aber nicht ausfüllen und zieht sich aus dieser Rolle zurück. Die von der europäischen Kultur geprägten Staaten schreiben einen Teil der moralischen Grundsätze, auf die jede Gesellschaft angewiesen ist, in ihre Verfassung, insbesondere in Gestalt der Grundrechte. Die Frage aber, wie der Inhalt einer Verfassung zur moralischen Überzeugung vieler Bürger werden kann, ist eine Frage der Erziehung. Sie ist vermutlich ohne Religion nicht zu lösen.9
VII. Christentum und Aufklärung 1. Die französische Revolution Die französische Revolution ist mit ihrem Ziel, einen bürgerlichen Rechtsstaat zu schaffen, kurzfristig politisch gescheitert. Das lag auch daran, dass es keine Versöhnung zwischen den revolutionären Kräften und den zahlreichen Christen gab. Die französischen Revolutionäre führten vielmehr einen Kulturkampf gegen die christliche Kirche. Das war nicht ganz überraschend. Denn die hohen Vertreter der christlichen Kirchen waren bisher Teil des alten und verhassten politischen Systems der absolutistischen Monarchie („Ancien Régime“) gewesen. Eine entsprechend feindliche Kritik finden wir 8 Dazu kontrovers Pera/Ratzinger, Ohne Wurzeln. Der Relativismus und die Krise der europäischen Kultur, 2005., insbes. S. 86ff. 9 Diese Frage ist natürlich umstritten; zur Problematik Habermas/Ratzinger, Dialektik der Aufklärung. Über Vernunft und Religion, 2005.
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vor der Revolution bei französischen Autoren der Aufklärung, zum Beispiel bei Voltaire (1694–1778). Viele Christen betrachteten wiederum die revolutionären Ideen mit Misstrauen, weil diese das Christentum anfeindeten. Die blutigen Ereignisse der Revolution, die Ermordung und Verfolgung vieler Priester, und der blutige Bürgerkrieg hat später noch lange die Vorstellung in Europa genährt, dass die freiheitlichen Ideen der französischen Revolution und der Demokratie religionsfeindlich seien. Umgekehrt hat man sich darüber beklagt, dass die christlichen Kirchen Feinde der Freiheit und Demokratie seien. Über einen längeren Zeitraum hin haben sich in Europa diese Konflikte und Missverständnisse abgebaut. Staat und christliche Kirchen sind heute politisch getrennt und von einander unabhängig. Es herrscht Religionsfreiheit. In Deutschland erkennt der Staat im Erziehungswesen in begrenztem Maß die christliche Prägung unserer Kultur an. Die Religion ist auch im öffentlichen Bewusstsein präsent, wenngleich in schwächerem Masse als früher. [277] 2. Die christlichen Grundlagen der Aufklärung Der bürgerliche Rechtsstaat hat sich in Mittel- und Westeuropa und in Nordamerika und später in anderen Teilen der Welt auf dem moralischen Fundament der christlichen Religion entwickelt. In dieser Frage gibt es freilich bis heute Meinungsstreit und Missverständnisse. Man darf aber nicht übersehen, dass das Christentum die ganze europäische Kultur geprägt hat und früher fast alle Menschen in dieser Religion erzogen wurden. Die christliche Religion ist selbst weder an ein politisches Programm noch an eine bestimmte Kultur gebunden. Sie passt sich verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen und Kulturen an, ohne ihren Kern zu verändern. Als sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse im 17. und 18. Jahrhundert änderten, hat die Aufklärungsphilosophie auf dem Boden christlicher Vorstellungen die politischen Gedanken der Menschen- und Bürgerrechte und die Ordnungsvorstellungen des bürgerlichen Rechtsstaates ausgeformt. Diese These ist im Folgenden zu entfalten.
VIII. Menschenwürde und Freiheit 1. Person und Menschenwürde Der geistige Kern des bürgerlichen Rechtsstaats und der Menschenund Bürgerrechte ist der Begriff der Menschenwürde. Er besagt, dass jeder einzelne Mensch als Person zu achten ist.10 Der deutsche Staatsphilosoph 10 Zum Folgenden Horn, Utilitarismus im aufgeklärten Naturrecht von Thomasius und Wolff, in: Haferkamp/Repgen (Hrsg.), Usus modernus pandectarum. Festgabe Luig, 2007, S. 44ff.
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Samuel Pufendorf (1632–1694) unterscheidet Pflichten gegen Gott, gegenüber den anderen Menschen und gegenüber sich selbst. Die höchste Pflicht gegenüber anderen Menschen ist die Achtung seiner Menschenwürde (dignitas). In diesem Punkt sind alle Menschen gleich zu behandeln. Das ist der christliche Keim der späteren politischen Gleichheit im Verfassungsrecht. Hinter dem Begriff der Menschenwürde steht die christliche Vorstellung von der Einmaligkeit und dem hohen Wert eines jeden einzelnen Menschen, der ein Geschöpf Gottes ist. Immanuel Kant sagte später im gleichen Sinn, niemand dürfe einen anderen Menschen nur als ein Mittel missbrauchen, um irgendein anderes Ziel („Zweck“) zu erreichen; vielmehr müsse der Respekt vor dem Menschen der Zweck des Handelns sein. Dies ist nichts anderes als das christliche Gebot der Nächstenliebe, eingekleidet in die abstrakte und rationale Sprache der Philosophie des 18. Jahrhunderts. [278] 2. Freiheit und Pflicht Die von Gott gegebene Freiheit des einzelnen Menschen hat schon Locke zum Ausgangspunkt seiner politischen Überlegungen gemacht. Im Zentrum der Philosophie Kants steht der Begriff der Freiheit und der Pflicht. Freiheit bedeutet Selbstbestimmung des Menschen aufgrund selbständiger Entscheidung. Aber diese Freiheit steht unter der Pflicht, gut zu handeln. Jeder Mensch muss seine Pflichten erkennen und sie erfüllen. Der bürgerliche Rechtststaat, der Kant vorschwebt, muss dem Menschen Freiheit lassen und diese Freiheit schützen. Im Gebrauch dieser Freiheit sollen die Menschen dann ihre Pflichten zum guten Handeln freiwillig erfüllen. Auch dies entspricht der christlichen Auffassung, dass der Mensch nach seinem eigenen Gewissen handeln und sich entscheiden muss. Der konkrete Inhalt dieser Pflichten war Kant vertraut als Teil des christlichen Milieus, in dem er lebte.
IX. Pflichten und Naturrecht 1. Naturrecht. Historische Wurzeln Der Begriff der sittlichen Pflicht, der im Mittelpunkt der Philosophie Kants steht, ist allgemein in der Aufklärungsliteratur verbreitet. Die wichtigen deutschen Autoren Pufendorf, Leibniz, Thomasius und Wolff haben Systeme von Pflichten entworfen. Dies geschah auf der Grundlage des Begriffs des Naturrechts. Der Begriff des Naturrechts geht bis in die Antike zurück und findet sich schon um 500 vor Christus in der griechischen Literatur. Wichtig für die europäische Tradition wurde die philosophische Schule der Stoa, die um 300 von Zenon begründet wurde. Es gibt danach ein ewiges, vernünftiges „Weltgesetz“. Die Menschen können Ausschnitte daraus erken-
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nen, das „natürliche Recht“. Der römische Philosoph Cicero (106–43) sagte, auch der Gesetzgeber müsse das natürliche Recht beachten, wenn er Gesetze schafft. In den Texten des römischen Rechts wird das Naturrecht doppelt begründet: einmal ist es das, was alle Lebewesen kennzeichnet, z.B. die Sorge für die Kinder. Zum andern ist es das, was die natürliche menschliche Vernunft (ratio naturalis) uns lehrt. Diese Gedanken stammen aus der griechischen Philosophenschule der Stoa. 2. Christliches Naturrecht Die Lehre vom Naturrecht wurde seit der Spätantike mit christlichen Gedanken ausgefüllt. Der Wille Gottes, der die Welt erschaffen hat, ist das Weltgesetz; die Menschen können es in Teilen erkennen als Naturrecht. Diese Vorstellung prägte die Philosophie der christlichen Spätantike, z.B. des Augustinus (354–430), und des Mittelalters, z.B. des Thomas v. Aquin (1224– 1274), der [279] an die ethischen (moralischen) Lehren des griechischen Philosophen Aristoteles (384–322 v. Chr.) anknüpft. Die Idee des Naturrechts wirkte fort in der Neuzeit und war Grundlage der bereits erwähnten Naturrechtssysteme, die in der Philosophie des 17. und 18. Jahrhunderts entworfen wurden. Die darin beschriebenen natürlichen Rechte und Pflichten wurden nicht mehr selbst als geltendes Recht verstanden, sondern als eine ideale Ordnung des Zusammenlebens der Menschen. Diese Ordnung war auf die menschliche Vernunft (ratio) gegründet. Die Naturrechtssysteme haben den bürgerlichen Rechtsstaat geistig vorbereitet. Der Naturrechtsgedanke traf in der marxistischen Philosophie und trifft heute in vielen Lagern der modernen Philosophie auf Ablehnung. Aber ein wichtiges Stück dieser Naturrechtstradition hat sich in der Neuzeit in der genannten Vorstellung der Menschen- und Bürgerrechte konkretisiert. In dieser Form wird sie bis heute politisch ganz überwiegend akzeptiert. Der Streit um die philosophische Begründbarkeit der Naturrechtslehre ist daneben von geringem Gewicht. 3. Aufklärung: Freiheit. Recht und Moral In der Aufklärungsphilosophie trat schrittweite der Gedanke der Freiheit des Einzelnen immer mehr in den Vordergrund. Christian Thomasius (1655–1728) beschreibt in seinem Werk „Grundlagen des Naturrechts und Völkerrechts“11 ein System dieser moralischen (sittlichen) Pflichten und trifft dabei eine wichtige Unterscheidung. Nur ein Teil der moralischen Pflichten ist rechtlich durchsetzbar; andere sind es nicht. Nur so ist Freiheit möglich. Wenn der Staat alle wirklichen oder angeblichen moralischen Pflichten der 11
Fundamenta iuris naturae et gentium 1705.
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Menschen durchsetzen will, nimmt er jede Freiheit und wird „totalitär“. Totalitäre Systeme sind freiheitsfeindlich. Sie sind auch unmoralisch, weil der Respekt vor der Freiheit moralisches Gebot ist. Der Gedanke, dass das Recht nicht die ganze Moral erfassen und durchsetzen solle, hat später Kant veranlasst, eine strikte Trennung von Recht und Moral zu fordern. Darin steckt der richtige Gedanke, dass das Recht vor allem die Freiheit schützen und damit freiwilliges sittliches Handeln ermöglichen soll. Aber Kant übertreibt diese Trennung. Denn auch die Befolgung des Rechts, die „Gesetzestreue“, hat einen moralischen Wert.
X. Freiheit und Glücksuche 1. Nutzensmaximierung durch freie Wahlakte Bei Christian Thomasius wird das Privatrecht beschrieben als ein rechtlich geschützter Freiheitsraum. In ihm kann der einzelne Bürger sein Leben gestalten, erwerbstätig sein, Verträge frei schließen, über sein Eigentum verfügen. Der [280] Respekt vor dem Privateigentum ist Gebot der Gerechtigkeit und zugleich ein Satz des geltenden Rechts. Eine Generation später beschreibt Christian Wolff (1679–1754) in seinem Werk „Grundsätze des Naturrechts und Völkerrechts“ (1750) die Bürgerpflichten und Bürgerrechte in ähnlicher Weise. Dazu gehört auch, dass bei einem Vertrag beide Parteien sorgfältig ihren Nutzen abwägen, den sie aus dem Geschäft haben. Das ist ein Gedanke, den wir wenig später bei dem klassischen Autor der Marktwirtschaft Adam Smith (1723–1790) finden. 150 Jahre danach hat ihn der Ökonom und Soziologe Pareto (1848–1923) in seiner Theorie der ökonomischen Wahlakte weiterentwickelt. Darin steckt der Gedanke des ökonomischen Nutzens, den jeder verfolgen soll und kann, wenn er wirtschaftliche Handlungsfreiheit hat. Die Steigerung des Nutzens vieler bringt dann auch einen allgemeinen Nutzen hervor (Pareto-Optimum). Es ist ein Leitmotiv der Aufklärungsliteratur, dass das Streben nach dem eigenen Vorteil und Nutzen das Handeln der Menschen steuert („Utilitarismus“). Aber die Frage bleibt: Ist das die ganze moralische Grundlage des bürgerlichen Rechtsstaats und seiner Marktwirtschaft? Ist das Gebot zu sittlichem Handeln nicht etwas anderes und mehr? 2. Utilitarismus als Antriebskraft Wir sehen hier ein doppeltes Gesicht der Moral des neuzeitlichen Naturrechts und der Aufklärung. Einerseits gilt hier der utilitaristische Grundsatz, in „vernünftiger Weise“ nach dem eigenen Vorteil zu streben, nach wirtschaftlichem Wohlstand und Lebensgenuss. Der chinesischen Gesellschaft
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sind, wie mir scheint, solche Gedanken nicht fremd. Dies gilt schon nach der kulturellen Tradition Chinas, und besonders stark im heutigen rasanten Aufschwung der Wirtschaft. Dieses Streben nach eigenem wirtschaftlichem Vorteil ist die starke und unentbehrliche Antriebskraft jeder freien Marktwirtschaft. Aber auch in der Politik ist das utilitaristische Argument von großer Bedeutung. Jede Politik muss den Nachweis führen, dass sie allen oder der Mehrzahl nützt. 3. Libertäre Selbstsucht und Moral Dieses Denken birgt aber eine Gefahr der Verengung auf den ökonomischen Vorteil und den primitiven nächstliegenden Nutzen. Schon Hobbes hat gemeint, bei der Verfolgung ihres eigenen Vorteils verhielten sich die Menschen wie Raubtiere. Staat und Recht müssten die Freiheit der Menschen daher zügeln und sie zum vernünftigen Handeln zwingen. Die globale Finanzkrise, die die Welt seit dem Herbst 2007 bedroht, ist ein Beispiel dafür, dass ungezügelte, rechtlich und moralisch nicht kontrollierte Marktkräfte und das Gewinnstreben einzelner den Wettbewerb auf freien Märkten bedrohen.12 [281] Das von Hobbes entworfene Bild der Raubtiernatur des Menschen ist eine bittere Wahrheit. Aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Bei seiner Glücksuche stößt jeder Mensch auch auf sittliche Werte jenseits des ökonomischen Vorteils. Anders als Hobbes verwenden Autoren wie Locke oder Leibniz den christlichen Gedanken, dass der Mensch auch die Fähigkeit hat, anderen Menschen mit Wohlwollen zu begegnen, sie zu respektieren und auch auf ihr Wohl zu achten. Auch der bedeutende Ökonom und Philosoph Adam Smith (1723–1790), der als Begründer der Theorie der Marktwirtschaft bekannt ist, lehnt in seinem bedeutenden und damals viel beachteten Werk über die „Theorie der moralischen Gefühle“ die Auffassung von Hobbes ab, dass der Egoismus die Triebkraft der Moralität sei. Vielmehr sei es die Sympathie, die Fähigkeit, Verständnis für die Lage anderer Menschen zu haben und daraus allgemeine Regeln des Umgangs mit anderen zu entwickeln. Kant, der Adam Smith gelesen hat und das utilitaristische Denken scharf ablehnt, spricht vom moralischen Gesetz als allgemeinen Regeln, die jeder Mensch in seinem moralischen Bewusstsein entdecken kann und muss. Ohne die genannten Eigenschaften der Rücksicht auf andere und des Wohlwollens und der Fürsorge für andere könnte auch eine Marktwirtschaft langfristig nicht funktionieren und ein Staat nicht existieren. Alle Menschen- und Bürgerrechte, die 12 Die globale Finanzkrise war im Mai 2008 Gegenstand einer eigenen Vorlesung in Beijing (vgl. Fn. 2). Ihre Ursachen waren zu dieser Zeit schon erkennbar; vgl. Institute of International Finance (IIF), Interim Report on Market Best Practices, 9. April 2008. Zur späteren Entwicklung Horn, Rechtliche Aspekte der Finanzkrise, KSzW 2/2010.
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Prinzipien von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat könnten keine Wirkung entfalten.13
XI. Der Soziale Gedanke Im 19. und 20. Jahrhundert haben der bürgerliche Rechtsstaat und die Marktwirtschaft überlebt, weil Staat und Wirtschaft an neue Entwicklungen angepasst wurden. Die Entstehung der Industriewirtschaft und später der modernen Dienstleistungswirtschaft mit ihren Massen von lohnabhängigen Arbeitnehmern warf neue Probleme auf. Ein Leitgedanke zur Lösung dieser Probleme wurde der Gedanke der sozialen Gerechtigkeit und der sozialen Fürsorge für sozial schwache Menschen. Soziale Fürsorge hat eine uralte christliche Tradition. Im 19. Jahrhundert entstanden neue soziale Bewegungen auf christlicher Grundlage. Zugleich wurden vom christlichen Naturrecht abgeleitete, aber vom Christentum völlig gelöste (säkularisierte) Ideen des Sozialismus entwickelt. Beide Strömungen haben den politischen Kampf um Reformen beeinflusst. Sozialversicherungssysteme, welche die Arbeitnehmer bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und im Alter schützen, wurden z.B. in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen. Es bildeten sich Gewerkschaften zur Vertretung der Interessen der Arbeitnehmer. Im 20. Jahrhundert wurde ein Arbeitsrecht geschaffen, das die Rechte der Arbeitnehmer schützt. Aber die Freiheit unternehmerischer Entscheidung und damit [282] die Marktwirtschaft wurden erhalten. Der Markt wird durch ein Wettbewerbsrecht geschützt.
XII. Die Übertragbarkeit in andere Kulturen Es bleibt die Frage, ob und wie sich der bürgerliche Rechtsstaat und die Marktwirtschaft in andere Kulturen übertragen lassen, die keine christliche Tradition kennen. Die Ideen der Marktwirtschaft haben in Japan, Korea, Singapur und nun in China zu großen ökonomischen Erfolgen geführt. Mir scheint, dass auch die Grundgedanken des bürgerlichen Rechtsstaates, der Menschen- und Bürgerrechte und der sozialen Gerechtigkeit moralische Werte enthalten, die allen Menschen in aller Welt einleuchten können. Denn diese Werte finden auch außerhalb der westlichen Welt großes Interesse. Sie können übernommen werden, wenn sie sich mit der moralischen Tradition einer Kultur verbinden lassen. Dies erscheint möglich, nicht als einseitiger
Di Fabio, Die Kultur der Freiheit, 2005.
13
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Transfer, aber in einem interkulturellen Dialog.14 Der Vater der ersten Republik in China, Sun Yatsen, hat die westliche Idee der Volkssouveränität mit dem Satz des Konfuzius begründet, den in China jedes Schulkind kennt: Alles unter dem Himmel gehört dem Volk (Tien xia wei gung). Für die Zukunftsprobleme Chinas, die Fortentwicklung der Bürgerrechte, eine sozial gerechte Einkommenspolitik und den Ausbau von Sozialversicherungssystemen lassen sich Lösungen finden, die auch moralisch akzeptiert werden. Lernprozesse dieser Art sind auch im Westen ständig aufs Neue notwendig. Ein Rechtsstaat freier Bürger beruht auf moralischen Grundlagen, die der Staat selbst nicht schaffen kann.
14 Zu diesem Dialog Ratzinger, in Habermas/Ratzinger, Dialektik der Aufklärung, S. 57.
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Human Rights: Philosophical Foundations and Legal Dimensions In: M. Marcelo Galuppo et al (ed.), Human Rights, Rule of Law and the Contemporary Social Challenges in Complex Societies (Proceedings of the 26th World Congress of IVR in Belo Horizonte 2013), ARSP Beiheft 146, 2015, S. 89–104 I. The phenomenon 1. Human rights, the modern State and international order What is justice? Justice can best be defined as the respect for and the protection of human rights. This at least appears to be worldwide the most accepted answer of our time to this perennial question. Human rights define fundamental rights such as the right to life and freedom that are believed to vest in every human being.1 The rise of the modern State with a democratic parliament and a government under the rule of law has been promoted and accompanied by declarations of human and civil rights.2 Today, human rights are recognized and protected in many constitutions of Western democracies and elsewhere in the world where they form part of a set of protected and warranted civil rights. In the twentieth century, human rights became part of public international law. On the basis of the United Nations Universal Declaration of Human Rights of 1948,3 there emerged a UN human rights treaty system that encompasses nine major treaties, i.e. on the elimination of racial discrimination, on civil and political rights, on economic, social, and cultural rights, on the elimination of discrimination against women, against torture, on the
1 Cf. Brieskorn, Norbert; Menschenrechte. Eine historisch-philosophische Grundlegung (Human Rights. A Historical and Philosophical Foundation) 1997; Buergenthal, Thomas / Thürer, Daniel, Menschenrechte. Ideale, Instrumente, Institutionen, (Human Rights. Ideals, Instruments, Institutions), 2009; Wellmann, Carl, The Moral Dimensions of Human Rights, 2011. 2 Virginia Bill of Rights of June 12, 1776; US Declaration of Independence of July 4, 1776; French Declaration of the Rights of Man and of the Citizen of August 26, 1789; Kriele, Martin, Einführung in die Staatslehre (Introduction to the Theory of State), 6th ed. 2003. 3 UN General Assembly Res. 217 A (III) of 10 December 1948.
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rights of the child, on the protection of the rights of migrant workers, on the rights of persons with disabilities, and for the protection of all persons from enforced disappearance.4 On the basis of the UN Declaration, conventions with a regional character were concluded, such as the American Convention on Human Rights of 1969 and the African Charter on Human and Peoples’ Rights of 1982. Already in 1950, the European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms was promulgated that established the European Court of Human Rights and came in force in 1953.5 [90] 2. The growing list of human rights Since the human rights movement entered the historical scene in the late 18th century, the number, contents and scope of human rights expanded considerably. In the beginning, the movement was mainly confined to the rights of life and freedom with their political implications, i.e. free elections, freedom of press and free exercise of religion, protection against unlawful acts by the government, e.g. freedom from taxation unless approved by a freely elected parliament. Political rights of citizen were confined to men only. Female voting right was gained and legal equality of women with men was achieved in the 20th century in the Western world, social rights for the working class and the socially weak were established, 6 as well as rights to freedom from racial discrimination and for the protection of children.
II. The legal dimensions of human rights 1. Normative structure; equality and universality Human rights are subjective rights of a human being; they share the normative nature of all rights. Rights invariably imply a command addressed to
4 The UN established a number of committees with the task to monitor the implementation of treaty obligations.UNTCDatabase (4.Oct.2012) http://treaties.un.org/pages/Treaties.aspx?id=4&subid=A〈 Introduction to UN Human Rights Treaty System; http:// www.bayefsky.com/introduction.php. 5 In 2000, the European Union proclaimed the Charter of Fundamental Rights of the European Union of 7 December 2000, 2000/C 364/01, O. J. 18.12.2000. 6 Art. 22–28 Universal Declaration of 1948, inspired by the Atlantic Charter’s promise of “freedom from want”. Joint declaration of the President of the US and the British prime minister of 14 Aug. 1941 (Atlantic Charter) Art. 6; Schapp, Jan, Probleme der universellen Geltung der Menschenrechte (Problems of a universal validity of human rights), 2000, reprinted in SCHAPP, Über Freiheit und Recht (On freedom and law), 2008, p.181 et seq; Kaufmann, Franz-Xaver, Die Entstehung sozialer Grundrechte (The Rise of social fundamental rights), 2003.
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other persons who are obliged to respect such rights.7 The main thrust of human rights is to establish obligations of the State. Human rights such as the right to life and freedom are broadly termed, and Wellman describes them as a “rights package” with manifold correlative obligations,8 not only to respect those rights, but also to protect them actively. Human rights are elements of the basic political and legal principles of a democratic State under the rule of law. They are claimed to vest in every human being and thus are categorically linked to the idea of equality of men and to the idea of a universal, global ambit of validity. Under the conventions, human rights constitute obligations of the States under international law, including those towards private persons that are citizens of other States, e.g. foreign refugees or investors. Finally, human rights can have horizontal effects in the relationship between private persons, as in the Ogoni v. Shell case, where a Nigerian ethnic minority, suffering from the destruction of its natural habitat through oil exploitation and from suppression by its own government, brought suit against Shell.9 [91] 2. Political, moral and legal rules a. The different categories. Since the beginnings of the human right movement, human rights were the subject of political claims. At the same time, they were meant as moral prescriptions. The moral dimensions of human rights appear indispensable to their understanding (Wellman).10 Many human rights were cast into legal rules. Human rights, in their majority, are law. Some formally promulgated human rights, however, are too broadly defined to be law. Art. 28 of the Universal Declaration declares that “Everyone is entitled to a social and international order in which the rights and freedoms set forth in this Declaration can be fully realized”. This is a general principle of political ethics. It needs further specification to become law. A number of
7 This is a prerequisite of the validity of all and any right, not only of so-called claim rights, as proposed by Wellmann (note 1), p. 41, but also of so-called liberty (privilege) rights, power rights or immunity rights; these categories are borrowed by Carl Wellmann, (note 1) 19 et seq, 4, from Hohfeld, Wesley, Fundamental Legal Conceptions as Applied in Judicial Reasoning, 1919. 8 See Wellmann (note 1), 42. 9 Center for Constitutional Rights http://ccrjustice.org/learn-more/faqs/factsheet-caseagainst-Shell; Vanguard http://vanguardngr.com/2012/03/0goni-shell-us-supreme-court.; Frankfurter Allgemeine 1 Oct. 2012, p. 10. In a law suit before US courts under the Alien Tort Statute of 1789, a 15.5 mio US$ settlement was reached in favour of Ogoni victims in 2009. The case was still pending in 2012 before the US Supreme Court. 10 See Wellmann (note 1).
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social rights in constitutions and conventions do not confer subjective rights, others do.11 Both moral and legal norms prescribe or forbid a certain behaviour. There are, however, differences. Legal norms are guaranteed by the State, and compliance with the law is enforced by legal sanctions. Moral rules, in contrast, are not enforced by the State. According to classic moral philosophy, moral rules are designed to give guidance for the decisions between good and evil, right and wrong.12 Moral judgments of each individual depend on the individual’s conscience; they may vary greatly and differ from one another. Nevertheless, every human society develops commonly recognized moral principles and rules that H. L. A. Hart labelled “positive morality”.13 b. The interrelation of law and morals. Lawyers know that a safe and predictable functioning of the legal system requires that moral rules, that are not clearly covered by the wording and purpose of a law, cannot be the basis of a legal decision.14 The legislator also cannot cast all consented moral rules into law. Law mainly deals with actions and forbearances15 and sometimes with intentions or negligence accompanying them (criminal law, fraud etc). Moral principles or rules encompass the personal mental and emotional life and moral consciousness of the individual. Making them a subject of law outside defined acts or forbearances would suffocate personal freedom in a totalitarian system. E.g., there are good reasons to believe that husband and wife have the moral duty to protect the integrity of their marriage and to [92] foster their mutual love. But the legislator must not penalize the lack of love nor marital unfaithfulness.16 The differences between law and morals caused Kant17 and many others to believe that both categories and sets of rules must be kept strictly separate. Such separation is the highest virtue also of legal positivism. On the 11 Kradolfer; Matthias, Verpflichtungsgrad sozialer Menschenrechte (Degrees of Obligatory Effects of Social Human Rights) Archiv des Völkerrechts 50 (2012) 225–284 (2012); Kaufmann, Franz-Xaver, Variations of the Welfare State, 2013. 12 Thomas Aquinas, Summa Theologica 1–2 q. 94 a.2 c: Bonum est faciendum et malum vitandum (Leonine ed. Rome 1862–1948); Grisez, Germain, The First Principle of Practical Reason, 10 Nat. L. F. (1965) 168 et seq. On moral scepticism infra III.1.c–d. 13 Hart, Herbert L. A., Liberty and Morality, 1963, reprint 1984, 19, 20. 14 On the exceptional case of a bluntly unjust law infra note 20. 15 Cf. Thomas Aquinas, “Iustitia est circa actiones” (Justice is about actions); In Ethicam Nikomacheiam 5,1; No. 886; Pieper, Josef; Gerechtigkeit (Justice), 2d ed. 1954. 16 The death penalty for adultery of women exists still in some countries, as a gross violation of human rights on the basis of morally mislead cultural traditions. 17 Kant, Immanuel, Metaphysik der Sitten (Metaphysics of Morals) 1797, introduction AB 6,7; Horn, Norbert, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie (Introduction to Legal Science and Philosophie of Law; hereinafter cited: Introduction), 1st ed. 1996; 5th ed. 2011, no. 334, 339. (Portuguese translation of the 2d ed. by Antoniuk 2005: Introduçâo à ciência do direito e à filosofia jurídica).
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other hand, such strict separation would be a mistake in the administration of law. Human rights are strong evidence for the fact that legal rules also have a moral dimension. This is not exceptional. Every law wants to carry out an aspect of justice, e.g. safety in road traffic, trust in freely agreed contracts, protection from crime. This widely accepted insight has found an expression in the three-dimensional theory of law of the renowned Brazilian philosopher Miguel Reale.18 The moral purpose of a legal rule is crucial for its interpretation and application. This does not mean that the validity of a law can be challenged because of its moral short-comings. Classical moral philosophy teaches that abiding by the law is as such a moral duty and virtue (“justitia legalis”).19 In extreme cases only, a law violating supreme moral principles of justice may be void.20 3. Legal and moral interpretation of human rights Basic human rights are broadly termed and judges have difficulties in their application, a problem we meet in all constitutional civil rights.21 The right to life can serve as an example. The Pretty case (in 2002) before the European Court of Human Rights raised the question of whether the right to life includes the right to commit suicide including the right (of a paralysed patient) to the assistance of other persons for this aim.22 Could the British legislator penalize such assistance? The court confirmed this law and denied a human right to suicide assistance. The logic operation involved runs that a right to a good (life) does not include the contrary of this good (death). It was, however, rightly accompanied by value oriented reasoning, taking into account the cultural moral tradition and widespread opinion which, under the [93] influence of Christian religion, consider life as a gift and a value that man cannot freely dispose of. The court furthermore took into account the social defence against the criminal misuse of a permitted assistance to suicide.
18 His theory integrates sociology of law, legal positivism and natural law. Cf. Filosofia do Direito, 1st ed. 1953, 19th ed. (3d print) 2003, chap. xxxvi et passim; Moreira Lima, Augusto C., A Brazilian Perspective on Jurisprudence: Miguel Reale’s Tridimensional Theory of Law, Oreg. Rev. Int’l Law vol 10 (2008) 77 et seq. 19 Aristoteles, Ethica Nikomachea 1130b; Thomas Aquinas, S.Th.II.II, 57–79. 20 Radbruch, Gustav; Grundzüge der Rechtsphilosophie (Outline of Legal Philosophy) 1914, 171; Id. Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht (Legal injustness and Law above the Law) 1946; Horn, Norbert, Introduction (note 17) no. 428; Finnis, John, Natural Law and Natural Rights, 2nd ed. 2011, 26-28, 281 et seq. 21 See Alexy, Robert, A Theory of Constitutional Rights, 2002; Dworkin, Ronald, Taking Rights seriously, 1977. 22 Pretty v. the United Kingdom (application no. 2346/02) Chamber judgment of 29 April 2002 (http://www.echr.coe.int.).
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4. Conflict of human rights It is widely held that human rights protecting high ranking primary goods such as the right to life, are absolute rights and must never be the target of a direct action against this protected good.23 This does not exclude the necessity to weigh one protected good against the other in a conflict. A German somewhat untypical case relating to the strict prohibition of torture illustrates the problem. A man had kidnapped a schoolboy to blackmail his wealthy parents. He was arrested and confessed the kidnapping, indicating that the child was still alive, but refusing to disclose the place where it was kept. After two days, the chief police investigator threatened to apply torture against the suspect to squeeze out the information where the child was kept, in order to save its life. The man gave up under pressure and led the police to the place where the dead body of the child was found, killed by the kidnapper. The district court of Frankfurt found the police investigator guilty of having violated the prohibition of torture by his menace, though for honourable reasons; the court did not impose a penalty. In my view, the prohibition of torture was not violated. The victim’s right not to be tortured and killed outweighed the kidnapper’s right not to be tortured.24
III. Philosophical foundations of human rights 1. The need for a rational foundation of moral rules a. The question. When we ask whether human rights exist as moral rules irrespective of their legal quality or political prestige, we need a moral-philosophical foundation. The answer must explain whether and why human rights have a morally binding validity. Such foundation is of interest also for lawyers. For it supports the legal authority of a corresponding legal human right and helps lawyers in their interpretation of such right.25 Good moral quality is also relevant for human rights as political rules; for political ideas cannot survive when their moral authority is challenged for good reasons. b. The historical answer: God and natural law. The historical answer is well known. The authors of the Virginia Bill of Rights and of the American Declaration of Independence saw human rights founded in God and natural law.26 Christian religion was the [94] decisive spiritual force behind the Ame-
Finnis, Natural Law (note 20), chap. VIII.7, 223–226. Horn, Introduction (note 17) no 420d. 25 Alexy, Robert, The Existence of Human Rights, ARSP-B 136 (2013), 9–17, at 9–10. 26 The same applies to the French Declaration of 1789; its preamble invokes the natural rights of man and the presence and protection of the „Highest Being“. 23 24
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rican Revolution.27 John Locke, an author most influential on both documents, in 1690 recognized human rights of life, freedom, equality and property as vested in every man by the “law of nature and reason” that “teaches all mankind…that being all equal and independent, no one ought to harm another in his life, health, liberty or possessions; for men being all the workmanship of one sovereign Master…”.28 With these two inter-related foundations – God and natural law – human rights became the basis of modern Western societies, of States and legal systems, and this basis warranted the high political and moral prestige of human rights. c. Moral scepticism. In the meantime, these foundations in God and in natural law have lost their universal approval in the Western countries, though this approval partially continues to exist. Western philosophy of the last two and a half centuries struggled to emancipate philosophy from religion and to exclude religious thought from philosophical discourse.29 The same happened to the great tradition of natural law as a guide for positive law. Classical moral philosophy was attacked by utilitarian, empiricist and sensualist philosophy30 and David Hume told the Western intellectual world that “the distinction between vice and virtue is not .. perceived by reason”.31 A little later, Kant, in an attempt to defend the reasonability of morals against empiricism and moral scepticism, declared that the universality and binding force of moral laws cannot be found in human nature but only in the notions of pure reason.32 Today, the possibility of a philosophical foundation of human rights as moral rules remains controversial, though the value and prestige of human rights is mostly unchallenged. The critique comes from different angles. When MacIntyre says that there are no such rights, he argues from the point of view of classical moral philosophy, criticizing the rationalism at the time of enlightenment.33 Rorty, in contrast, argues from a sceptic perspective of blunt anti-rationalism, when he rejects as futile any moral discourse on human
27 Middlekauff, Robert, The Glorious Cause. The American Revolution 1763–1789, 2nd ed. 2005, 4–5, 52, 302, 622. 28 Two Treatises of Civil Government, 1690 (reprint 1970 by Dent, London) II, chap.II no 6 p. 119. Locke was inspired by the Glorious Revolution (1688) and the Convention Bill of Rights (1689) in England. 29 We will postpone here the issue of religion; cf. infra III.4.b. 30 Hume, David, Enquiry concerning human understanding, 1748; Enquiry concerning the principles of morals, 1751. 31 Hume, David, A Treatise of Human Nature, 1740, Book III Part i sec. 1 (Raphael, British Moralists 1650–1800, 1991, para. 504). 32 Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Foundation of the metaphysics of morals), 1785, 389, 410. 33 Macintyre, Alasdair; After Virtue (1981), 3rd ed 2007; Whose Justice? Which Rationality? (1988) in MacIntyre Reader ed. Knight (Notre Dame University Press), 107.
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rights grounded on rationality and universalism.34 Habermas says that philosophy has no answers of its own to questions of morals that could compete with personal moral intuition: “It is before all philosophy that [95] we experience and learn what moral and immoral behaviour is.”35 This is certainly true and applies to all sectors of intellectual and moral life, but it misses the point. The question, instead, is whether philosophy can explain morality and help to better understand and perhaps improve our moral capacities. The position of Habermas, however, is in line with widespread moral scepticism.36 d. Rebuttal of scepticism. The restrictive theories of empiricism, subjectivism and positivism that see a cognizable world only in the material world that can be sensually perceived, measured and counted, and thus exclude (“metaphysical”) moral reasoning from a rational discourse, are useless. For this exclusion cannot be justified by the methods they adopt, and constitutes itself an unfounded metaphysical hypothesis.37 Moreover, this sceptic position is in contrast to the fact that human rights enjoy a substantial moral prestige, and their core moral values and principles – universal justice, equality, freedom and self-rule – are widely accepted by different philosophical schools.38 These values are constantly discussed in private and public life on the assumption that they exist and can be ascertained in a rational way. Scepticism cannot end this discussion, but at most could exclude philosophers from taking part in it. 2. Evasive philosophical strategies Since David Hume and the rejection of a metaphysical foundation of morals by the English empiricists and their many followers, we can identify evasive philosophical strategies that substitute the rational foundation of morals by other approaches. The most prominent ones still in our days are utilitarianism (a) and consented truth (b and c). 34 He recommends instead education for more tolerance and empathy; Rorty, Richard, Human Rights, Rationality and Sentimentality, in On Human Rights. The Oxford Amnesty Lectures ed. Shute/Hurley, 1993, p. 111–134; crit. Hayden, Patrick, in Philosophy in the Contemporary World vol 6 Nos 3–6, 1999, 59–66. 35 Habermas, Jürgen, Diskursethik (discourse ethics), 2009, 254. 36 Further references on moral scepticism in jurisprudence in Horn, Introduction (n. 17), no. 158, 337, 349, 359. 37 Horn, Introduction (n. 17), no. 402 et seq. On the different methods of humanities (hermeneutics, phenomenology and rationality of moral values) as opposed to natural sciences cf. infra III.3.d–f. For a defense of philosophical scepticism in morals, Habermas, Jürgen Nachmetaphysisches Denken (Post-metaphysical reasoning), 1988; critical of Habermas: Schapp, Jan, Metaphysisches und nachmetaphysisches Denken (Metaphysiscal and post-metaphysical reasoning), ARSP 1997, p. 193, reprint in Schapp, Über Freiheit und Recht (On Freedom and Law), 2008, p. 117. 38 Taylor, Charles, Sources of the Self: The Making of Modern Identity, 1989.
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a. Utilitarianism. Utilitarianism substitutes the classical moral distinction of good and evil by something else: utility. According to the utilitarian argument, man, “governed by pain and pleasure” in his actions, does not make a choice between good and evil, but each individual follows its own interest and utility to attain happiness as its predominant goal. Utilitarian ethics aim at “the greatest happiness to the greatest number”, as Bentham puts it.39 In fact, human rights can be partially explained as serving this aim. Historically, utilitarian philosophy had a strong influence on the human rights movement and its success. Art. 1 of the Virginia Bill of [96] Rights cites the pursuit of happiness as a human right. This utilitarian argument is indispensable in political life of all times, e.g. to win the majority in a democratic vote. But utilitarianism, by substituting the core notions of morals, the distinction of good and evil, by pleasure and pain, has substantial defects as to its moral dimensions. Utilitarianism, at least as advocated by some of its followers, neglects and sacrifices the interests of individuals if the greatest happiness of the greatest number so requires.40 Moreover, many phenomena of ethics, in particular unselfishness, are not considered. b. Rawls’ consensual approach. John Rawls undertakes a consensual approach to justice in the tradition of the doctrine of social contract as the basis of States (Hobbes, Locke, Rousseau, Kant).41 He defines the preconditions for a consensus on distributive justice within a society. A man in a free and unbiased ”original position”, entrusted with the task to establish, together with others, just principles of a society, without knowing what his own position in that society will be, would make a rational choice for Rawls’ proposed principles of distributive justice and fairness in the pursuit of the primary goods of self-respect, liberty, opportunity, and wealth. On this basis, fair principles of a just society can be worked out by consensus. The optimistic conclusion from consensus (of a few) to fairness is logically weak.42 It is not convincing as a justification of principles of morals and justice, whatever merits Rawls may else have in the rational analysis of those principles. The desired justification of moral principles can only be brought about by moral arguments, as Dworkin rightly observes.43 c. Discourse theory. In a similar way, the discourse theory proposes that men can come to a reasonable consent about moral values and rules through a procedure, i. e. a discourse or exchange of arguments (Habermas, Apel, Introduction to the Principles of Morals and Legislation, 1789. Singer, Peter, Practical Ethics, 2nd ed.1993; Smart, J.J.C. / Williams, Bernard; Utilitarianism for and against, 1973, p.69. 41 A Theory of Justice, 1971. 42 Finnis, John, Rawls’ theory of justice (1973), in Finnis, Human Rights and Common Good (coll. essays vol III) 2011, p. 72, 75. 43 Dworkin, Ronald, A matter of principle, 1985, p. 171–177. 39 40
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Alexy). Habermas, in his theory of communicative action,44 claims that the ideal discourse must be free and unbiased between participants vested with similar capacities. Their words must have the inherent aim to be true and honest and must not be confused by ideology and other errors. This communicative process can lead to moral answers by consent. The discourse theory remains silent as to the moral values and rules as the very substance of a moral discourse, on the grounds that we allegedly live in a “post-metaphysical era”,45 and moral values belong to the realm of “metaphysics” that, as Habermas and many others believe, are not suited for scientific reasoning. At the same time, however, moral values can, as the discourse theory presupposes, be the subject of a rational [97] discourse, and the outcome of such discourse should, even more surprisingly, be the establishing of a justified moral rule or decision, at least in questions of justice.46 The silence of the discourse theory as to the contents and meaning of moral values and rules has been rightly criticised by Taylor as defining practical reason as exclusively procedural. These theories “utterly mystify the priority of the moral by identifying it not with substance but with a form of reasoning around which they draw a firm boundary. They then are led to defend this boundary all the more fiercely in that it is their only way of doing justice to the hyper-goods [i.e. freedom, altruism, universalism]47 which move them although they cannot acknowledge them”.48 The emptiness of discourse theory as regards moral values and principles renders it unfit to explain the moral dimensions of human rights. There are, however, attempts by prominent proponents of discourse theory to cure this deficiency, to be discussed in a moment (infra III.3.b). 3. In quest of truth and objectivity in morals a. The transcendence of morals. The philosophical foundation of moral human rights depends on the capacity of human reason to find true and objective answers against empiricist scepticism (supra III.1.c). Can human reason perceive and answer the core question of good and evil, justice and
44 Theorie des kommunikativen Handelns, 2 vols. 1981 (= Theory of Communicative Action vol. I 1984 ); Moralbewusstsein und kommunikatives Handeln, 1983 (= Moral Consciousness and Communicative Action, 1992). 45 Habermas, Jürgen, Diskursethik (Discourse ethics), 2009, 250–254, 443; id., Nachmetaphysisches Denken (Post-metaphysical Reasoning), 1992; Critique of Habermas: Schapp, Jan; Über Freiheit und Recht (On Freedom and Law), 2008, p. 117 et seq. Cf. supra III.1.c. 46 Habermas, Diskursethik as cited (note 45), p. 13. 47 Brackets added. 48 Taylor, Charles, Sources of the Self. The Making of the Modern Identity, 1989, 88 et seq. Countercriticism by Habermas, Diskursethik (Discourse ethics), 2009, 248 et seq.
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unjustness (supra II.2.a)? Moral questions undeniably transcend our empirical world, if one understands by this the material world of space, time and matter and its sensual and rational perception. But the realm of human experience does not end here. The “transcendent” 49 experience of morals and its rational analysis are the subject of moral philosophy.50 Is such rational analysis possible? This is the question. Two affirmative answers are to be considered. One is given by Kant: man can find the rational answers in the innate (a priori) notions of pure practical reason independently of any experience. The result is the strictly formalistic “moral law” that can be generalized. The other answer [98] could be that human reason can find substantive moral answers in a general and objective way. b. Kantian answers. Among the many legal philosophers influenced by Kant’s rationalism and universalism, Ronald Dworkin is one that came closest to a workable theory of human rights in discussing substantive moral issues. His work, however, focuses on the judicial review of legislation by the US Supreme Court. A decided critic of legal positivism (Hart) and its strict separation of law and morality, Dworkin submitted a theory of general legal principles and their application in court, comparable to jurisprudence in civil law countries. In this framework, he put forward a legal theory of civil (human) rights of the individual based on equality, the integrity of the rights holder and the overriding authority of civil rights as basic rights.51 Within discourse theory, attempts were made to overcome the stunning Kantian emptiness of this theory as to substantive moral values and rules. Such values and rules are found in the necessary preconditions for the ideal discourse. Apel uses them as an ultimate foundation of the discourse;52
49 The term can denote 4 different things:(1) the existence of the object perceived outside the consciousness of the individual cognizing subject (gnoseological transcendence); (2) the (inter-subjective) intellectual sphere beyond the material empirical world of empiricism (Aristotelian logic and metaphysics being a reflective part of it), (3) the (inter-subjective) moral sphere beyond the material world (a subject of “metaphysics” according to Kant) and (4) something beyond our world as a whole (God; special metaphysics). We use here the third meaning without excluding the fourth one. We find the term “transcendent” in context with the controversial, today ill-famed but hardly dispensable term “metaphysics”. On the discredit and indispensability of metaphysics see Kant, Immanuel, Prolegomena zu jeder künftigen Metaphysik (Prolegomena to all Future Metaphyiscs), 1783, 367; id., Grundlegung der Metaphysik der Sitten (Foundation of the Metaphysics of Morals) 1785, 410 et seq. 50 The answers are called “metaphysics” by Kant, Metaphysics of Morals, 1797, and note 49. On the proclamation of the “post-metaphysical” era that allegedly holds sway today, see Habermas (supra III.1.c). John Finnis keeps metaphysics and morality strictly separate; Philosophy of Law (coll.essays vol. IV, 2011), 94. 51 Taking Rights Seriously, 1977; A Matter of Principle, 1985; Law’s Empire, 1986. 52 Karl-Otto Apel strives to establish those rules as an “ultimate foundation” of the moral discourse; Auseinandersetzungen in Erprobung der transzendental-pragmatischen
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Habermas disagrees.53 Alexy puts forward a foundation of the existence of human rights through an analysis of the essential preconditions of the discourse:54 the required freedom and equality of the participants is the basis of respect for others and thus of human rights and human dignity (“explicative argument”). He supports this result by an “existential argument”: if a person takes the results of such discourse as guidance of the correctness of his own actions, he subscribes to these values and rules in an existential manner.55 The last argument is not convincing; for the fact that a person follows a certain rule does not mean that this rule exists morally. As a result, Alexy analyses certain human rights as elements of an aprioristic structure of the discourse.56 Is this new “metaphysics” of morals? If so, then unintentionally and, so to speak, through the backdoor. For both Apel and Alexy apparently want to stay within the formal boundaries of the discourse theory. c. In quest of ontological answers beyond subjectivism. Is it possible to find an ontological foundation of moral human rights beyond the subjectivist and formalistic approach [99] of Kant? The core thesis of Kant that man discovers the moral law by virtue of his own moral consciousness and recognizes it autonomously, is a universal thesis, i.e. it is claimed to apply evenly to every reasonable human being. Could it – against Kant - not better be interpreted as an ontological statement on human reasonable nature? In fact, Kant strived to save the universality of moral philosophy from the attacks of empiricism,57 and Finnis rightly observes that Kant’s Metaphysics of Morals “is in some ways the most sophisticated exposition of modern natural law theory”.58
Ansatzes (Disputes in testing the transcendental-pragmatic approach),1998. This reasoning, however, is not seen by Apel as ontological, but as internal to the discourse theory. 53 Habermas, Jürgen, Diskursethik (Discourse ethics), 2009, p. 435 et seq. 54 Alexy, Robert, The Existence of Human Rights, ARSP Supp. 136 (2013) p. 9–17; id., Discourse Theory and Human Rights, Ratio Juris 9 (1996), 209–235; id., Recht, Vernunft, Diskurs. Studien zur Rechtsphilosophie (Law, Reason, Discourse. Studies in Legal Philosophy), 1985; critical comment by Norbert Brieskorn, Menschenrechte (note 1)158. See also Günther, Klaus, Liberale und diskurstheoretische Deutungen der Menschenrechte (Interpreting Human Rights under Liberal and Discourse-Theorical Aspects), in Brugger/ Neumann/Kirste (eds), Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert (Philosophy of Law in the 21st century), 2008, 338–359. 55 Alexy, Robert; The Existence of Human Rights, as cited, at p. 16 et seq. 56 A similar approach is used by Nino who strives “to uncover an underlying structure of moral reasoning, discourse or action which supports basic moral rights”; Carlos S. Nino, The Ethics of Human Rights, 1991, 83. Critical comment on Nino’s theory by Alexy in Festschrift (Liber Amicorum) Kriele, 1997, 187 et seq. 57 Kant, Immanuel, Prolegomena (note 49), preface p. 255–264; id., Grundlegung der Metaphysik der Sitten (Foundation of the Metaphysics of Morals), 1785, preface p. 387– 392; Horn, Introduction (note 17), no. 330, 333. 58 Philosophy of Law (coll. essays vol. IV, 2011) 97.
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For practising lawyers and judges, an ontological approach to moral values contained in the law (supra II.2.b) – be it in legal human rights or other legal rules – is implicitly common ground in their daily work. These implied values are conceived, interpreted and applied in law as objective criteria independent of the persons involved in a given case. This is simply a description, not yet an argument, but it contradicts the wrong description of an alleged “post-metaphysical era”. Ontological arguments are submitted by legal philosophers from many countries, who developed theories of supreme principles, values and rules of justice that are prior to any human choice and that are not at the disposition of the legislator. The Brazilian author Miguel Reale can again be named here,59 together with a number of German60 and American authors. Wellman defines the grounds of moral human rights as “morally relevant facts that exist independently of our social practices or moral convictions”.61 Dworkin and Finnis endorse the philosophical possibility to ascertain the truth, or objectivity, of moral judgements; they insist that arguments pro and con the truth of a moral judgement have to be moral arguments.62 There are various methodological approaches to an ontological cognition of morals, the most prominent ones are: (i) hermeneutics, (ii) phenomenology of (objective) morals, and (iii) modern theories of natural law. d. Hermeneutics and phenomenology of good and evil. (i) The hermeneutic method (Dilthey, Gadamer) teaches the understanding of texts with the genuine methods of humanities as opposed to the methods of natural sciences that are unfit for this purpose. Hermeneutic methods are suited to understand and describe moral phenomena. They lend themselves for subjectivist or ontological theories. (ii) Phenomenology originally [100] designates an attempt to overcome cognitive subjectivisms63 and to define 59 Reale, Miguel, Filosofia do Direito, 19th ed. 1999 3rd print 2002, p. 481 et seq.; Moreira Lima, 10 Oreg. Rev. Int’l Law 77, at 95 (2008). 60 Coing, Helmut, Grundzüge der Rechtsphilosophie (Outlines of a Philosophy of Law), 5th ed. 1993, chap. IV; Kaufmann, Arthur, in Kaufmann/Hassemer/Neumann, Einführung in die Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart (Introduction to Legal Philosophy and Legal Theory of Today), 8th ed. 2011, 143–146; HORN, Introduction (note 17), nos 417–422; Schapp, Jan, Freiheit, Moral und Recht (Liberty, Morals and the Law), 1994; Dreier, Ralf, Rechtstheorie 18 (1987), 372: Hassemer, Winfried, Festschrift (Liber Amicorum) Maihofer, 1988, 185. 61 The Moral Dimensions (note 1), 85 and also 41 et seq. Similarly Taylor, Charles, Sources of the Self: the Making of the Modern Identity, 1989, 14. The most prominent systematic ontological approach is provided by Finnis, John, Human Rights and Common Good (coll. essays vol. III) 2011, 7; id., Natural Law (note 23). 62 Dworkin, Ronald, A Matter of Principle, 1985, 171–7; Finnis, John, Human Rights and Common Good (coll.essays vol. III) 2011, 25. 63 Edmund Husserl, in his earlier work, adopts an understanding of “phenomenology”that is directed against the psychologism of his time and towards objectivism; Logische Unter-
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moral phenomena that we experience in the “life-world” 64 as a reality that exists independently of our feelings or moral convictions. This way, the German philosophers Scheler and Hartmann described and analyzed substantive ethics of values (materiale Wertethik), declining Kantian formalism.65 The perception of moral values has emotional elements (“feeling of values”), but this supports and does not dominate the rational cognition and analysis of those values. The descriptive and analytical aspects of moral phenomenology have been enriched by modern empirical and analytic work of moral psychologists that finds a remarkable cross-cultural uniformity in the ontogenetic evolution of young peoples’ moral conscience (Kohlberg), “a universal moral grammar” of each child despite persisting cultural variations (Hauser).66 The phenomena of immorality and unjustness, as the counterpart of the good and just, have their own strong evidence complementary to the evidence of moral goods, values and rules. The substance of moral human rights can be understood best when we look at the evils those rights were designed to cure. The legal history of human rights explains these rights as normative responses to a certain unjustness, e.g. the suppression of religious belief or taxation without representation in parliament. The main subject of classical moral philosophy was the problem how man can overcome “evil”, i.e. his own inclination for wrongdoing, and what efforts he must make in this respect through reason (sapientia, prudentia) and self-control (temperantia). This philosophical position of morality according to reasonableness67 (logos, ratio) was enriched and transformed by the Christian ideas of human free-
suchungen (Logic investigations), 1900/01. Later on, he returns to Kantian subjective approaches. 64 “Lebenswelt”; Husserl introduced this ambiguous notion in phenomenology. 65 Scheler, Max, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik (Formalism in ethics and the substantive ethics of values), 2 vols, 1913, 1916. See also Hartmann, Nicolai, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis (Outline of methaphysics of cognition), 1921; id., Ethik (Ethics), 3 vols. 1926. Scheler’s approach was used in legal philosophy by Coing, Grundzüge der Rechtsphilosophie (Outline of Legal Philosophy) 5th ed. 1993. 66 Kohlberg, Lawrence, The Claim to Moral Adequacy of a Highest Stage of Moral Judgment, J. of Philosophy vol. 70 no. 18 p. 630–646 (1973); id., Die Psychologie der Moralentwicklung (The Psychology of Moral Development) 1995, p. 345 Horn, Introduction (n. 17) no. 411, 412; Hauser, Marc, Moral Minds, 2006, p. 429 et seq et passim. The critics of Kohlberg give more emphasis to the emotional aspects and cultural environment of moral decisions and acts; Hoffmann, Martin L., Empathy and Moral Development, 2000, p. 3; Nussbaum, Martha, Emotionen and der Ursprung der Moral (Emotions and the Source of Morals), in Edelstein/Nunner-Winkler (eds), Moral im sozialen Kontext (Morals in Social Context), 2000, p. 82 et seq. 67 On Platon and Aristotle in this respect, see Finnis, Natural Law (note 23), chapt. xiii.3.
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dom, sin and grace.68 “Post-metaphysical” philosophy has gradually lost sight of the problem of the evil.69 [101] e) Human rights as natural rights. The quest for an ontological approach to human rights as moral rights inevitably leads to the great European tradition of natural law.70 This tradition has survived until today in various forms. Since the time of enlightenment, however, it was accompanied by a fierce critique (supra III.1.c) to the effect that, for many today, natural law means something irrational and below scientific standards. Remarkably, the moral prestige of human rights remained unaffected by this critique. The survival of natural law as a subject of philosophical and practical curiosity can be explained by its perennial core idea that there are goods, values and rules prior to human choices and suitable to guide the making and practising of law. Modern proponents of the idea of natural law since the mid-20th century eschew the ambiguous notion of ‘nature’71 and prefer to focus on human reason.72 They furthermore reject the historical concept of a complete system of rules of natural law.73 Instead, they assume the existence of supreme objective rational values (goods) and principles of justice that, though invariable in their core ideas, need to be adapted to varying situations that do not allow such a system.74 68 Schapp, Jan, Freiheit, Moral und Recht (Freedom, Morals and Law) 1994; id., Metaphysisches und nachmetaphysisches Denken (Metaphysical and post-metaphysical reasoning) 1997, in: Schapp, Über Freiheit und Recht (On Freedom and law), 2008, 117, 123 et seq.; Kobusch, Theo, Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Menschenbild (The discovery of the person. Metaphysics of freedom and modern idea of man), 2nd ed. 1997, 23 et seq, 44 et sec. For a historical overview, see Horn, Introduction (note 17) 5th ed. 2011, §§ 10–16. 69 Schapp, Metaphysical and post-metaphysical reasoning (note 68), 125. On the problem of the evil, Ricoeur, Paul, Philosophie de la volonté (Philosophy of Will), 2 vol 1950/60, especially part II on the symbolism of evil (English translation 1967). 70 Arthur Kaufmann, in Kaufmann/Hassemer/Neumann (note 60a), 27, and historical survey, 26–147; Horn, Introduction (note 17), nos. 401–421, and historical survey, no. 221–390. 71 This ambiguity of the notion of nature (physis) is found already in classical Greek philosophy. Roman law absorbed the stoical double meaning of the nature of man as (a) rational (naturalis ratio) and (b) animality (quod natura omnia animalia docuit); Horn, Introduction (note 17) no. 271. 72 Coing (note 65), chap IV, III.2; Finnis, Natural Law (note 20), chap. xiii.1 p. 374; Horn, Introduction (note 17), no. 374–382. 73 Critical on the dogmatism and abstractness of natural law theories in the 17th –mid20th centuries Böckenförde, Wolfgang, and Kaufmann, Franz-Xaver, in Böckle/Böckenförde, Naturrecht in der Kritik (A critical appraisal of Natural Law), 1973; Coing (note 65); Horn, Introduction (n. 17) no. 403; Reale, Filosofia do Direito, p. 482 no. 185. 74 Kaufmann, Arthur, as cited (notec 60), and Naturrecht und Geschichtlichkeit (Natural Law and Historicity) 1957, p. 8, 16 et seq.; Coing, Helmut (note 65), chap. iv; Horn, Norbert (note 17), no. 402–414; Kühl, Kristian, Rückblick auf die Renaissance des Naturrechts nach dem 2. Weltkrieg (Looking back on the Post-WW-II Renaissance of Natural
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A renowned proponent of such modern theory of natural law and natural rights, John Finnis, undertakes an ontological approach based on human reason in a revised understanding of the classical moral philosophy of Aristotle and Thomas Aquinas. A reasonable human conduct is oriented towards the pursuit of a limited number of basic goods such as life, freedom or knowledge that are self-evident and not reasonably questionable. The pursuit of these various and sometimes conflicting goods can be structured by principles of practical reasonableness (right or wrong).75 As a result, universal rules of morals can be found, including rules of justice and individual basic rights. Some of those basic moral rules are a part of Christian tradition, such as the Golden Rule or the last six of the Ten Commandments. Practical moral rules of reasonableness are to be worked out for the unlimited number of individual situations and moral conflicts. Such a flexible natural rights theory, based on the evidence of basic goods and of rules of reasonableness (rules of justice) to be applied in the pursuit [102] of such goods, offers a rational philosophical foundation of human rights that, in the classical tradition, would be called natural rights.76 f) Ascertaining moral human rights beyond subjectivism Moral values and rules are understood and ascertained by the individual through intuition and reasoning. Intuition helps us to build up moral experience (supra III.3.d) and initiates its rational reflection. This reflexion must be balanced and use all reasonably available arguments for and against. 77 Moral evidence of goods or values has an emotional element of attraction that may be amplified by the contrary element of indignation at an unjustness to be cured (conscience). These and other emotional elements (contrary inclinations), however, can be controlled by reason. Moral evidence and intuition are the starting point for an ontological reasoning of morals. There are few logical operations involved. Both the basic values and the rules of reasonableness, to cite Finnis, “are not inferred or derived from anything”, not from speculative principles nor from facts.78 Law), in: Giessener Rechtswiss. Abhandlungen vol. 6 1990, p. 331. Furthermore, Reale, Miguel, as cited p. 482, can be named here, and among the Anglo-American authors John Finnis, Natural Law (note 23); id., Human Rights and Common Good (Coll.Essays Vol. III) 2011;. George, Robert P, In Defense of Natural Law, 1999; Dworkin, Ronald, Taking Rights Seriously, 1977; Carl Wellmann (note 1), 41 et seq., 81; Taylor (note 48). 75 Finnis, Natural Law (note 23), chapt. III–V. 76 On the qualification of human rights as natural rights Horn, Introduction (note 17). no. 381; id., Festschrift (Liber Amicorum) Jan Schapp, 2010, 267, 271 et seq., 279, 281; Finnis, Natural Law chap. VIII.1 p. 274. 77 Carl Wellmann (note 1), 41, describes it as a “wide reflective equilibrium”; a similar approach is used by Brieskorn (note 1), 159 et seq., and Finnis, Human Rights and Common Good (Coll. essays vol. III, 2011), p. 7. 78 Finnis, Natural Law (note 23), 33, 34.
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Moral values and rules are perceived as intersubjectively valid or true. Communication of various kinds, education and learning, play their roles. Since Plato wrote his dialogues, we know the merits of a discourse as an argumentative procedure for the (“maieutic”) finding of the moral truth, not to forget the internal dialogue of the individual that weighs different arguments. Substantive arguments are required. Communication is needed for the social acknowledgement of such values and rules. Here, the theories of discourse have their instrumental place. The history of the human rights shows the dynamics of the social learning processes concerning the basic moral values and principles involved. This movement started when the political emancipation from autocratic political systems was at stake. This epoch gave particular weight to the “autonomy” of the individual as a citizen, a view we today would express less forcefully in consideration of our responsibility for the common good. Moreover, inconsistencies in the historical movement had to be overcome. The equality of all men was proclaimed, but originally not conceded to women and not to Indians and blacks. Property was protected, but the social protection of workers was only much later taken into account. This learning process will go on and promote the further development of most human rights, perhaps put less emphasis on or skip some others. 4. Human person and human dignity a. Freedom and human dignity. It is widely held that the basic human rights to freedom and equality dwell in the dignity of man as a person. This dignity can be explained by human freedom. Freedom is the solid core of human personality. It [103] confers to persons the dignity of self-direction and of being responsible agents.79 Human dignity is another expression for the immeasurable value of human personality (Kant).80 This basic value of human dignity and the rights of freedom and equality that follow from it, are – at least in our days – strongly self-evident, and this can be seen as one further step in the rational foundation of human rights.81 b. Religious and intercultural aspects of human rights. We can end here our quest for such foundation. Though the classical texts on human rights name God as the final source of those rights, we may eschew such further
Finnis, Natural Law (note 23), chapt. X.4. Kant, Immanuel, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (Foundations of Metaphysics of Morals), 1785, 428; Finnis, Natural Law (note 23), 225. 81 Brieskorn, as cited; Finnis, John, Human Rights and Common Good (Coll. Essays vol. III), 7: the identity of a person with interests “that are truly intelligible goods … is the ontological foundation of its human rights”. 79 80
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explanation,82 taking into account widespread agnosticism. There is, how ever, “an awareness of what is missing” also among agnostic philosophers. As Habermas puts it, key notions such as human dignity, morality and ethics, freedom and emancipation cannot be totally understood by people of the Western culture unless they know their own Christian religious tradition.83 In fact, the ideas of personal freedom and equality of all men as the leading ideas of the human rights movement have their roots in Christian tradition.84 On this basis, Christian theology early developed the concept of the human person as a moral being (ens morale) vested with freedom and thus vested with dignity.85 This person is later on seen as vested with individual (“subjective”) natural rights. These rights became the leading political idea of enlightenment and found their way into the declarations of human rights. What do Christian roots mean today? Habermas holds that “modern reason will only learn to understand itself, if it clarifies its position to the contemporary religious consciousness that has become reflexive”.86 In western societies, where believers and agnostics have to discuss issues of public morality and law making in common, rules of mutual tolerance and respect must be adopted so that the semantic potential of religion is not lost.87 – Besides, philosophical ideas have only a limited impact on the mentality of societies. Also in secularized Western societies, a morality based on religious belief in God can contribute to the building of a mentality of society that supports the rule of law and the respect of human dignity and of human rights of others. [104] In the worldwide discussion on human rights, we must take into account cultural and religious differences. The optimism that those boundaries can be crossed, is supported by empirical and analytical psychological findings (supra III.3.d). Remarkably, the idea of human rights, despite its visible Christian roots, appears to be also attractive to men and nations of other cultures, who may, in their own religious tradition, find elements that support the ideas of human rights.88 For a worldwide success of human rights, this is crucial. 82 Finnis, Natural Law (note 23), 49, not excluding that such further explanation is available, 371–410. 83 Habermas, Jürgen, Nachmetaphysisches Denken (Post-metaphysical Reasoning), 1988, p. 23; id., in: Reder/Schmidt (eds), Ein Bewusstsein von dem, was fehlt (An awareness of what is missing), 2008, 26, 29 et seq. 84 Schapp, Jan; Freiheit, Moral und Recht (Freedom, Morals and Law) 1994, p. 25–79. 85 Kobusch (note 68), 23 et seq. 86 Habermas, in Reder/Schmidt (note 83), 29. 87 Habermas, in Reder/Schmidt (note 83), 29–34; Habermas, Jürgen/Ratzinger, Joseph, Dialektik der Säkularisierung: Über Vernunft und Religion (Dialectics of Secularization: On Reason and Religion), 2012; Knapp, Markus, Glaube und Wissen bei Jürgen Habermas (Faith and Knowledge with J. Habermas), Stimmen der Zeit 4/2008, p. 270–280. 88 In this sense, with reference to Confucian tradition, Norbert Horn, Festschrift (Liber amicorum) Jan Schapp, 2010, 267 et seq, 282. For a more detailed discussion, see Charles Taylor, Conditions of an unenforced Consensus on Human Rights, in Bauer/Bells,
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IV. Concluding Remarks Human rights represent a strong movement towards the building of a worldwide consent on the moral foundations of law and political systems. The moral prestige of human rights helps their implementation in a world that is full of violations of human rights through unjust political regimes, corrupt authorities and many other causes. The moral philosophical foundation of human rights, however, remains controversial, and some progress in this matter is highly desirable, for human rights as political ideas, legal principles and moral rules will, on the long run, lose their momentum if such foundation is not available. Legal positivism has little to contribute in this respect. Utilitarianism, influential from the beginning of the human rights movement, in a way can still support this movement, because the appeal to human self-interest is a powerful political argument. The moral deficiencies of utilitarianism, however, make it unfit as a moral philosophical foundation. This foundation can only be found in human reason. Discourse theory strives to promote a reasoned discourse; it defines practical reason, however, in a strictly formal way and refuses to engage in substantive moral arguments. This is far away from a philosophical foundation of human rights. To fill this gap, Alexy identifies some human rights as a priori principles of the discourse. Preferable to this still formalistic approach is an ontological approach on the basis of a broader and realistic concept of human reason that is unimpressed by the argument of a “post-metaphysical era” and the empiricist selfmutilation of moral human reason. Basic human values can be reasonably discerned and rules of reasonableness and justice for the attainment of those values can be found (Finnis) which every reasonable person can understand. This is natural law in a modern sense. Human rights are the most prominent part thereof.
(eds), The East Asian Challenge for Human Rights, 1999, p. 129; Morita, Akihito, A Difference in the Concept of the Self as the Subject of Human Rights Between the West and Japan: Can Confucian Self be strong enough to exercise positive Liberty in an Authoritarian Society?, ARSP-B 136 (2013), 23–34.
Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn Monographien* und Lehrbücher Aequitas in den Lehren des Baldus (Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte Bd. 11), IX, 244 S., Köln/Graz 1968 (jur. Diss. Frankfurt/M. 1966). Das Recht der internationalen Anleihen (Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik, Hrsg. E. J. Mestmäcker, Bd. 27), Frankfurt/M. 1972, XXVI, 572 S. (Habilitationsschrift Frankfurt/M. 1972). Die legistische Literatur der Kommentatoren und die Ausbreitung des gelehrten Rechts, in Coing, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte I, München 1973, S. 261–364. Geldwertveränderungen, Privatrecht und Wirtschaftsordnung (Schriftenreihe der juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe Heft 122), Karlsruhe 1975, 46 S. Trends in International and Comparative Commercial Law, Manila 1980 (ed. Philippine Branch of the International Law Association), 64 S. Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank-, Unternehmens- und Außenwirtschaftspraxis, 1. Aufl. Köln 1981, 8. Aufl. 2001, 202 S. German Private and Commercial Law. An Introduction, by Norbert Horn, Hein Kötz und Hans G. Leser, Oxford 1982, 400 S. Die Allgemeinen Feuerversicherungsbedingungen (AFB) und das AGBGesetz (Veröffentlichungen der Hamburger Ges. z. Förderung des Versicherungswesens) 1984, 145 S. Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projekt finanzierungen (Recht des internationalen Wirtschaftsverkehrs Bd. 2) von L. Christian Hinsch u. Norbert Horn, Berlin 1985, XXXV, 337 S. Bank-Guarantees, Standby Letters of Credit and Performance Bonds in International Trade, von Norbert Horn und Eddy Wymeersch, Deventer 1990, 73 S., Russische Ausgabe (Bankowje Garanzije) übers. v. K. Petrov, Sofia 1992, 93 S. * einschließlich kleinerer selbständiger Schriften und monographischer Handbuchbeiträge
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, Köln 1991, XLIV, 608 S.; 2. Aufl. 1993, XLVIII, 1244 S. Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie (Schwerpunkte, hrsg. Harry Westermann, Bd. 21), Heidelberg 1996, XIX, 250 S.; 5. Aufl. 2011, XXIV, 307 S.; 6. Auflage 2016; Chinesische Ausgabe der 3. Auflage von Li Luo, Beijing 2005; portugiesische Ausgabe der 2. Aufl. (2001) von Elisete Antoniuk, São Paulo 2005. The United Nations Convention on Independent Guarantees and the Lex Mercatoria, Rom 1997. Europäisches Finanzmarktrecht. Entwicklungsstand und rechtspolitische Aufgaben (R.I.Z.-Schriften Band 20), München 2003, XIX u. 163 S.
Kommentare Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, §§ 765–778 (Bürgschaft), 12. Bearb., Berlin 1982, 13. Bearb. 1997, 423 S.; Neubearbeitung. 2013, IX u. 566 S. AGB-Gesetz. Kommentar, von Wolf/Horn/Lindacher, 1. Aufl. München 1984, XXIII, 1152 S. (§§ 23–30 S. 905–1115); 4. Aufl. 1999, XXVII, 2186 S. (§§ 23–30, S. 1549–1964). Heymann, Handelsgesetzbuch. Kommentar, 1. Aufl. Band I, (Einleitung vor § 1 (S. 1–67), Band II, (§§ 161–177a, 230–237 S. 326–546), Berlin, New York 1989; Band IV (§§ 343–360 Anh., § 372, S. 1–470), 1990; 2. Aufl. Bd. I u. II 1995 (Einl. vor § 1, S. 1–78; §§ 161–237, S. 430–701), Bd. IV 2005 (§§ 343–372 u. Anhang Bankrecht, S. 1–644, 659–791).
Herausgeberschaften a. Kommentare Heymann, Handelsgesetzbuch, ab 2. Aufl. Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz. Kommentar, 1. Aufl. 1984, 4. Aufl. 1999 (Mitherausgeber).
Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
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b. Studies in Transnational Economic Law (Bandherausgeberschaft) Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises (Studies in Transnational Economic Law vol. 1), Deventer 1980, XIV, 509 S. The Transnational Law of International Commercial Transactions, ed. Norbert Horn and Clive M. Schmitthoff (Studies in Transnational Economic Law vol. 2), Deventer 1982, XII, 486 S. Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance (Studies in Transnational vol. 3), Deventer 1985, XIX u. 421 S. The Law of International Trade Finance (Studies in Transnational Economic Law, vol. 6), Deventer/Boston 1989, XXXVIII u. 708 S. Non-Judicial Dispute Settlement in International Financial Transactions (Studies in Transnational Economic Law vol. 13), ed. Norbert Horn and Joseph J. Norton, London, The Hague, Boston, 2000, XIV u. 307 S. Cross-Border Mergers and Acquisitions and the Law (Studies in Transnational Economic Law, vol. 15), The Hague, London, New York 2001, XV u. 380 S. Legal Issues in Electronic Banking (Studies in Transnational Economic Law, vol. 17), The Hague/London/New York 2002, XXIV u. 399 S. Arbitrating Foreign Investment Disputes. Procedural and Substantive Legal Aspects (Studies in Transnational Economic Law, vol. 19), The Hague 2004, XXIII u. 535 S. c. Andere Sammelbände; Festschriften Monetäre Probleme im internationalen Handel und Kapitalverkehr. Rechtliche und wirtschaftliche Risikokontrollen (Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik, Bd. 45), Baden-Baden 1976, 309 S. Sozialwissenschaften im Studium des Rechts. Bd. I. Zivil- und Wirtschaftsrecht (Schriftenreihe JuS Didaktik Bd. 3), hrsg. Norbert Horn u. Reinhard Tietz, München 1977, XII u. 282 S. Dokumentenakkreditive und Bankgarantien im internationalen Zahlungsverkehr, hrsg. N. Horn, W. v. Marschall u.a. (Arbeiten zur Rechtsvergleichung Bd. 87), Frankfurt/M. 1977, 68 S. Sozialwissenschaften im Studium des Rechts. Bd. IV. Rechtsgeschichte (Schriftenreihe JuS Didaktik Bd. 6), hrsg. Gerhard Dilcher und Norbert Horn, München 1978, XII u. 200 S. Pro und Contra Arbeitspartizipation, Königstein 1978, 186 S.
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert (Law and the Formation of Big Enterprises in the 19th and Early 20th Centuries) (Kritische Studien zur Geschichte Bd. 40), hrsg. N. Horn und J. Kocka, Göttingen 1979, 685 S. Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag, Bd. 1 XXI u. 717 S., Bd. 2 XIII u. 624 S., München 1982. Die Anpassung langfristiger Verträge im internationalen Wirtschaftsverkehr, hrsg. Horn/Fontaine/Maskow/Schmitthoff, (Arbeiten zur Rechtsvergleichung Bd. 120), Frankfurt/M. 1984, 126 S. Vergleichender Warentest. Testpraxis, Testwerbung und Rechtsprechung, hrsg. N. Horn u. H. Piepenbrock, Landsberg 1986, 204 S. Wirtschaftsrecht und Außenwirtschaftsverkehr der Volksrepublik China (Recht des internationalen Wirtschaftsverkehrs Bd. 3), Hrsg. Norbert Horn u. Rolf A. Schütze, Berlin/New York 1987, XVI u. 666 S. Die AGB-Banken 1993 (Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung Bd. 4), Berlin, New York 1993, 247 S. Handelsrecht und Recht der Kreditsicherheiten in Osteuropa, (R.I.Z.-Schriften, Band 5), hrsg. Norbert Horn u. Klemens Pleyer, Berlin – New York 1997, VIII u. 215 S. 40 Jahre Römische Verträge – Von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union (R.I.Z.-Schriften, Bd. 9), hrsg. Norbert Horn, Jürgen F. Baur u. Klaus Stern, Berlin, New York 1998, X u. 352 S. Bankrecht 1998 (RWS-Forum 12), hrsg. Norbert Horn u. Herbert Schimansky, Köln 1998, VIII u. 358 S. German Banking Law and Practice in International Perspective, Berlin, New York 1999, XVII u. 361 S. Festschrift für Herbert Schimansky, hrsg. Norbert Horn, Hans-Jürgen Lwowski, Gerd Nobbe, Köln 1999, XV, 855 S. Corporations, Capital Markets and Business in the Law. Liber Amicorum Richard M. Buxbaum, hrsg. Theodor Baums, Klaus J. Hopt u. Norbert Horn, Deventer 2000, XV u. 687 S. Gedächtnisschrift für Alexander Lüderitz, hrsg. Heimo Schack, Norbert Horn, Manfred Lieb, Klaus Luig, Jens Peter Meincke, Herbert Wiedemann, München 2002, XXII u. 868 S.
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Die Neugestaltung des Privatrechts in Mittelosteuropa und Osteuropa (R.I.Z.-Schriften, Bd. 17), München 2002, XII u. 161 S. Bankrecht 2002 (RWS-Forum 22), hrsg. Norbert Horn u. Achim Krämer, Köln 2003, VIII u. 456 S. d. Schriftenreihen Studies in Transnational Economic Law, ed. Norbert Horn, Clive M. Schmitthoff† and Richard M. Buxbaum, seit 1980 (Band 20 2004).* Recht des internationalen Wirtschaftsverkehrs, hrsg. Norbert Horn i.V.m. Ulrich Drobnig, Rolf Herber, Rolf A. Schütze; ab 1984; Bankrechtliche Sonderveröffentlichungen des Instituts für Bankwirtschaft und Bankrecht an der Universität zu Köln, hrsg. N. Horn u. K. P. Berger (früher: N. Horn mit K. Pleyer, U. Klug, U. Meyer-Cording, H. E. Büschgen), ab Bd. 43 1989 (Bd. 54 2002). Bank- und kapitalmarktrechtliche Schriften des Instituts für Bankrecht, ab Band 11 1999, ab 2002 zus. mit Klaus Peter Berger (Band 39 2015); Schriften des Rechtszentrum für europäische und internationale Zusammenarbeit (R.I.Z.), hrsg. Norbert Horn, Jürgen F. Baur, Stephan Hobe, ab 1996 (Band 29 2005).
Chronologisches Gesamtverzeichnis 1960 Staat und Kirche. Internationales rechtssoziologisches Seminar in Nizza. Bericht JZ 1960, 100 f. Der Ersatzpflichtige im zivilrechtlichen Notstand, JZ 1960, 350–354. 1961–62 Rechtsprechungsübersicht in: JuS, Februar 1961 – Mai 1962, zus. mit P. Bähr. Darin von Horn Dokumentation und Besprechung von 50 Urteilen auf dem Gebiet des Zivil-, Handels-, Arbeits- und Verfassungsrechts. Letztere wiederveröffentlicht in: Hermann Weber (Hrsg.), Die Grundrechte Bd. I und II, München 1977, (JuS-Schriftenreihe)
* s. auch oben b.
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
1967 Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus philosophus, Ius Commune I (1967), 104–149. Zur Bedeutung der Topiklehre Theodor Viehwegs für eine einheitliche Theorie des juristischen Denkens, NJW 1967, 601–608. 1968 Aequitas in den Lehren des Baldus (Forschungen zur neueren Privatrechtsgeschichte Bd. 11), IX, 244 S., Köln/Graz 1968 (jur. Diss. Frankfurt/M. 1966). Besprechungen: SZRom 86 (1969) 535–538 (H. Dilcher); Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 37 (1969) 280–184 (W. Ullmann); Revue historique du droit français et étranger 46 (1968) 677 f (P. Legendre); Archiv für das katholische Kirchenrecht 1968, 636–639 (R.Weigand); Schweizerische Juristenzeitung 1969, 163 (Th. Bühler); Revista española de Derecho Canónico 26 (1970) 466–468 (J. Funk). Mitteis-Lieberich, Deutsches Privatrecht. Ein Studienbuch, 5. Aufl. München 1968, Besprechung in NJW 1968, 1871 f. 1969 Literaturgeschichtliche Aspekte der Rezeption in Spanien, Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 37 (1969) 487–514. Die juristische Literatur der Kommentatorenzeit, Ius Commune II (1969) 84–129. 1970 Les valeurs mobilières en droit allemand, in: Le régime juridique des titres de sociétés en Europe et aux États-Unis, ed. Institut d‘Études européennes, Brüssel 1970, S. 225–303. 1971 Hermann Eichler, Gesetz und System (Schriften zur Rechtstheorie 20), Berlin 1970; Besprechung in NJW 1971, 416 f. Uwe Diederichsen, Einführung in das wissenschaftliche Denken, Düsseldorf 1970; Besprechung in NJW 1971, 742. Severino Caprioli, Indagini sul Bolognini. Giurisprudenza e filologia nel quattrocento italiano, Mailand 1969; Besprechung in: SZRom 88 (1971), 498– 500.
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Robert Feenstra, Philipp of Leyden and his treatise ‘De cura rei publicae et sorte principantis’, University of Glasgow 1970; Besprechung in: SZRom 88 (1971) 498–500. 1972 Wertpapiergeschäfte von Innenseitern als Regelungsproblem, ZHR 136 (1972) 369–396. Das Recht der internationalen Anleihen (Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik, ed. E.J. Mestmäcker, Bd. 27), Frankfurt/M. 1972, XXVI und 572 S. (Habilitationsschrift Frankfurt/M. 1972). Römisches Recht als gemeineuropäisches Recht bei Arthur Duck, in: Studien zur europäischen Rechtsgeschichte ed. W. Wilhelm, Frankfurt/M. 1972, S. 170–180. 1973 Die legistische Literatur der Kommentatoren und die Ausbreitung des gelehrten Rechts, in Coing, Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte I, München 1973, S. 261–364. Siegfried Borggrefe, Akkreditiv und Grundverhältnis (Untersuchungen über das Spar-, Giro- und Kreditwesen Bd. 59), Berlin 1971; Besprechung in: ZHR 137 (1973), 278 f. Jörg Pirrung, Die Schiedsgerichtsbarkeit nach dem Weltbankübereinkommen für Investitionsstreitigkeiten. Schriften zum Prozeßrecht Bd. 29, Berlin 1972; Besprechung in: ZHR 137 (1973), 280 f. Gerhard Otte, Dialektik und Jurisprudenz. Untersuchungen zur Methode der Glossatoren, Ius commune Sonderhefte. Texte und Monographien I, Frankfurt/M. 1971; Besprechung in: SZRom 90 (1973), 494–499. Pier Giovanni Caron, ‘Aequitas’ romana, ‘misericordia’ patristica ed ‘epicheia’ aristotelia nella dottrina dell ‘aequitas’ canonica (dalle origini al rinascimento), Mailand 1971; Besprechung in: SZRom 90 (1973), 500–503. 1974 Monetare i zastitne klausule vrijednosti u pravu savezne republike njemazke (Währungs- und Wertsicherungsklauseln im Recht der Bundesrepublik Deutschland; Referat beim deutsch-jugoslawischen Juristentreffen in Freiburg (1973), veröffentl. in: Cetvrto savetovanje pravnika SFR Jugoslavije i SR Nemacke; Zbrika referata Freiburg 1973, ed. Institut za uporedno pravo, Belgrad 1974, S. 19–36.
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
Das Wirtschaftsrecht der Banken (Rezensionsabhandlung zum gleichnamigen Buch von W. Möschel), ZHR 138 (1974) 379–386. Die Verwendung von Scheckkarten für Kreditzwecke, NJW 1974, 1481–1485. Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht, ZGR 1974, 133–178. Gero Dolezalek, Verzeichnis der Handschriften zum römischen Recht bis 1600. Materialsammlung, System und Programm für elektronische Datenverarbeitung, Bde. I–IV, Frankfurt/M. (Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte) 1972/73; Besprechung in: SZRom 91 (1974) 529–532. 1975 Rationalität und Autorität in der juristischen Argumentation, in: Rechtstheorie 1975, 145–160. Geldwertveränderungen, Privatrecht und Wirtschaftsordnung (Schriftenreihe der juristischen Studiengesellschaft Karlsruhe Heft 122), Karlsruhe 1975, 46 S. Das neue luxemburgische Recht der Représentation fiduciaire für Obligationäre, in: Festschrift J. Bärmann, München 1975, S. 493–507. Bernardo Alonso Rodriguez (Ed.), Juan Alfonso de Benavente, Ars et doctrina studendi et docendi. Edición critica y estudio, Salamanca 1972; Besprechung in: SZKan 92 (1975), 427 ff. Klaus J. Hopt und Michael R. Will, Europäisches Insiderrecht. Einführende Untersuchung. Ausgewählte Materialien, Stuttgart 1973; Besprechung in: AcP 175 (1975), 543–548. 1976 Werksparkassenverbot und Vermögensbildung durch Belegschaftsdarlehen und -obligationen, ZGR 1976, 435–446. Zur Ökonomischen Rationalität des Privatrechts. – Die privatrechtstheoretische Verwertbarkeit der “Economic Analysis of Law”, AcP 176 (1976), 307–333. Bologneser doctores und iudices im 12. Jahrhundert und die Rezeption der studierten Berufsjuristen (Rezensionsabhandlung), Zeitschrift für historische Forschung 1976, 221–232. Die Rechtsgrundlagen des Handels in Pfandbriefen “per Erscheinen”, in: WM 1976, 862–867.
Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
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Monetäre Probleme im internationalen Handel und Kapitalverkehr. Rechtliche und wirtschaftliche Risikokontrollen (Wirtschaftsrecht und Wirtschaftspolitik Bd. 45), hrsg. Norbert Horn, 309 S., Baden-Baden 1976, darin: Der Einfluss der monetären Risiken auf den internationalen Handel und Kapitalverkehr und die Möglichkeit rechtlicher und wirtschaftlicher Risikokontrollen, S. 13–38. H. Beyer-Fehling – A. Beck, Die deutsche Börsenreform und Kommentar zur Börsengesetznovelle, Frankfurt/M. 1975, Besprechung in: WM 1976, 335–336. 1977 Sozialwissenschaften im Studium des Rechts. Bd. I. Zivil- und Wirtschaftsrecht (Schriftenreihe JuS Didaktik Bd. 3), hrsg. Norbert Horn und Reinhard Tietz, München 1977, XII u. 200 S., darin: – Das Unternehmen als Gegenstand des Rechts und der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, S. 117–136 – Über eine wirtschaftswissenschaftliche Einführung für Juristen, S. 245– 248. Kapitalmarktrecht und Unternehmensverhaltensrecht. Die neuere amerikanische Rechtsentwicklung im Test der “corporate bribery”, AG 1977, 297– 306, 341–346. A Uniform Approach to Eurobond Agreements, in: 9 Law and Policy in International Business 753–778 (1977); wieder abgedruckt in: Spires-AldiMitchell, Corporate Counsel’s Annual 1978, New York 1978, 1359–1386. Dokumentenakkreditive und Bankgarantien im internationalen Zahlungsverkehr, hrsg. N. Horn, W. v. Marschall, L. Rosenberg, B. Pavicevic, (Arbeiten zur Rechtsvergleichung Bd. 87), Frankfurt/M. 1977, darin: Internationale Zahlungen und Akkreditive, S. 9–25. Jacquemont, André, Les emprunts euro-obligationaires. Pouvoir bancaire et souverainetés étatiques, Paris 1976, Besprechung in: ZHR 141 (1977), 86–89. Korruption und Geschäftsmoral. Verhaltensregeln für multinationale Unternehmen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 12.2.1977, S. 11. Unternehmensrecht und Marktwirtschaft, in: Wirtschaftstag 1977 Frankfurt, Protokollband Frankfurt/M. 1977 S. 57–64. Teilabdruck auch in: Frankfurter Allgemeine v. 13.10.1977, S. 16. Gert Brüggemeier, Entwicklung des Rechts im organisierten Kapitalismus, Bd. I Frankfurt 1977; Besprechung in ZRP 1978, 119.
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
1978 Pro und Contra Arbeitspartizipation (Veröffentl. der Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Partnerschaft in der Wirtschaft e.V. Bd. 17), Königstein 1978, 186 S.; darin: – Neue Rechtsformen einer Beteiligung der Arbeitnehmer am arbeitgebenden Unternehmen, S. 66–118. Development of Company Law and Economic Growth, especially in Germany, in: M. Flinn (ed.), Proceedings of the 7th International Economic History Congress Edinburgh 1978, vol. II, S. 223–232 (mit J. Kocka). Argumentum ab auctoritate in der legistischen Argumentationstheorie, in: FS Wieacker, Göttingen 1978, S. 261–272. Sozialwissenschaften im Studium des Rechts. Bd. IV. Rechtsgeschichte (Schriftenreihe JuS Didaktik Bd. 6), hrsg. Gerhard Dilcher und Norbert Horn, München 1978, darin: – Rechtsgeschichte und sozialwissenschaftliche Ausbildung der Juristen, S. 1–3; – Soziale Stellung und Funktion der Berufsjuristen in der Frühzeit der europäischen Rechtswissenschaft, S. 125–144. Empresa y económica del mercado, in: ESIC Market. Revista internacional de economía y empresa 26 (1978), p. 33–43. Herstatt Case; no Liability of German Federal Bank, J. Business Law 1978, p. 397–399. Rolf Knieper, Weltmarkt, Wirtschaftsrecht und Nationalstaat, 1976, Besprechung in RabelsZ 42 (1978), 572–577. 1979 Aktienrecht und Entwicklung der Großunternehmen. Über Zusammenhänge rechtlicher und wirtschaftlicher Entwicklungen beim Übergang zum modernen Industriestaat, Ordo XXX 1979 (Festschrift v. Hayek), S. 313– 324. Die interdisziplinäre Ausbildung der Juristen in Deutschland. Landesreferat z. Int. Kongreß für Rechtsvergleichung in Budapest, veröff. in Z. f. Rechtsvergleichung 1979. Recht und Entwicklung der Großunternehmen im 19. und frühen 20. Jahrhundert (Law and the Formation of Big Enterprises in the 19th and Early 20th Centuries) (Kritische Studien zur Geschichte Bd. 40), Göttingen 1979, 685 S., hrsg. N. Horn und J. Kocka (Mitherausgeber und Autor); darin:
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– Aktienrechtliche Unternehmensorganisation in der Hochindustrialisierung (1860–1920). Deutschland, Frankreich, England und die USA im Vergleich, S. 123–189. Marktwirtschaftliche Anforderungen an die Unternehmensverfassung, in: Sicherung und Fortentwicklung der sozialen Marktwirtschaft, Symposium der Ludwig Erhard-Stiftung III, Stuttgart 1979, S. 24–33. La importancia de la legislación estatal para la economía, ESIC Market, Revista internacional de economía y empresa 29 (1979), 39–48. Neue Spielregeln für die Weltwirtschaft, Frankfurter Allgemeine v. 25.8.1979, S. 13. 1980 Bürgschaften und Garantien zur Zahlung auf erstes Anfordern, NJW 1980, 2153–2159. Vermögensschutz als Rechtsproblem, in: Vermögenssicherung und Kapitalmarkt (Schriftenreihe d. Instituts für Kapitalmarktforschung Frankfurt/M. Bd. 19), Frankfurt/M. 1980, S. 85–110. Die Entwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts durch Verhaltensrichtlinien. Neue Elemente eines internationalen ordre public, RabelsZ 44 (1980), 423–454. Trends in International and Comparative Commercial Law, Manila 1980 (ed. Philippine Branch of the International Law Association), 64 S.: (1) German Commercial and Economic Law in Comparative Perspective (S. 1–19); (2) Codes of Conduct for MNEs: A Lawyer’s Comment (S. 20–45); (3) International Monetary Law: Monetary Instability in International Trade and Investment (S. 46–63). Legal Problems of Codes of Conduct for Multinational Enterprises (Studies in Transnational Economic Law vol. 1), ed. N. Horn, Deventer 1980, XIV, 509 p; darin: – Codes of Conduct for MNEs and Transnational Lex Mercatoria: An International Process of Learning and Law Making, p. 45–81. Thomas W. Wälde, Juristische Folgenorientierung, “Policy Analysis” und Sozialkybernetik, Königstein 1979; Besprechung in RabelsZ 44 (1980), 607– 611. Gesellschaftsrecht (Stand 1978) in: Evangelisches Staatslexikon, 7. Aufl. 1980, Sp. 5.8–5.10.
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
1981 Neuverhandlungspflicht, AcP 181 (1981), 255–288. Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank- und Unternehmenspraxis, Köln 1981, 48 S. Die Freiheit des Kapitalverkehrs in der EWG und der einheitliche Kapitalmarkt, in: Uwe Blaurock (Hrsg.), Das Bankwesen im Gemeinsamen Markt, Baden-Baden 1981, S. 47–66. International Rules for Multinational Enterprises: The ICC, OECD and ILO Initiatives, 30 American University L.R. 923–940 (1981). Die neuere Rechtsprechung zum Mißbrauch von Bankgarantien im Außenhandel, IPRax 1981/5, 149–154. Topik in der rechtstheoretischen Diskussion, in: Topik. Ein Beitrag zur interdisziplinären Diskussion, hrsg. Breuer und Schanze, München 1981, S. 57–64. Die Rechtssicherheit im Außenwirtschaftsverkehr, in: trend, Zeitschrift für soziale Marktwirtschaft 6/1981, 49–53. W. Hadding und U. Schneider (Hrsg.) Gesellschaftsanteile als Kreditsicherheit, 1979, Besprechung in: ZHR 145 (1981), 506–508. Hans-Günther Guski, Mitarbeiterbeteiligung, Tatsachen, Meinungen, Möglichkeiten (Beiträge zur Wirtschaft und Sozialpolitik. Institut der deutschen Wirtschaft, 59/60), Köln 1978; Besprechung in: Recht der Arbeit 1981, 317 f. Sylvia Hühne, Überbetriebliche Vermögensbeteiligung und Vermögenswert. Auswirkungen einer überbetrieblichen Vermögensbeteiligungsabgabe auf den Aktienwert des Unternehmens (Wirtschaftswissenschaftliche Forschung und Entwicklung Bd. 48), München 1979; Besprechung in: Recht der Arbeit 1981, 317 f. Helmut Coing und Walter Wilhelm (Hrsg.), Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert, Bd. V. Geld und Banken, Frankfurt/M. 1980; Besprechung in SZRom 98 1981, S. 434 ff. 1982 Staudinger, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 12. Auflage, §§ 765– 778, Berlin 1982, S. 281–466. The Transnational Law of International Commercial Transactions, ed. Norbert Horn and Clive M. Schmitthoff, (Studies in Transnational Economic Law vol. 2), Deventer 1982, VIII, 486 p.; darin:
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– Uniformity and Diversity in the Law of International Commercial Contracts, S. 3–18. – Securing International Commercial Transactions: Standby-Letters of Credit, Bonds, Guarantees and Similar Sureties, S. 275–303. Legal Responses to Inflation in the German Law of Contracts, Torts and Unjust Enrichment, in: Deutsche Landesreferate zum Privatrecht und Handelsrecht, XI. Intern. Kongreß für Rechtsvergleichung in Caracas (Sept. 1982), (hrsg. Drobnig/Puttfarken), 1982, S. 1–7. Normative Problems of a New International Economic Order, in: 16 Journal of World Trade Law (1982), 338–351 (Referat auf dem Weltkongreß für Rechtsphilosophie in Mexico im August 1981); englische Fassung von: Europäisches Rechtsdenken in Geschichte und Gegenwart. Festschrift für Helmut Coing zum 70. Geburtstag, München 1982 (Herausgeber und Mitautor); darin: – Vorwort des Herausgebers, Bd. I, S. V–XI; – Normative Grundprobleme einer “Neuen Weltwirtschaftsordnung”, Bd. II, S. 149–166. Vertragsdauer als schuldrechtliches Regelungsproblem, in: Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, hrsg. Bundesministerium der Justiz, Bd. I, Bonn 1982, S. 551–645. German Private and Commercial Law. An Introduction, by Norbert Horn, Hein Kötz und Hans G. Leser, Oxford 1982, 400 S. (Mitherausgeber und Mitautor); darin: Historical Introduction; Commercial Law; Partnerships and Companies: Business Organisation; The Law of Competition; Conflict of Laws and Nationality. 1983 Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank-, Unternehmens- und Außenwirtschaftspraxis, 2. Aufl. 1983. Arbeitsrecht und soziale Beziehungen in der Bundesrepublik Deutschland in historischer Sicht, in: Conze/Lepsius (Hrsg.), Sozialgeschichte der Bundesrepublik Deutschland, 1983, S. 324–338. Robert C. Effros, Emerging Financial Centers. International Monetary Fund, Washington D.C. 1982; Besprechung in: WM 1983, 667–668. 1984 AGB-Gesetz. Kommentar, von Manfred Wolf, Norbert Horn, Walter F. Lindacher, München 1984, XXIII, 1152 S.; §§ 23–30, S. 905–1115.
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The Restructuring of International Loans and the International Debt Crisis, International Business Lawyer 1984, 400–409. Die Allgemeinen Feuerversicherungsbedingungen (AFB) und das AGBGesetz (Veröffentlichungen der Hamburger Ges. z. Förderung des Versicherungswesens) 1984, 145 S. Die internationale Schuldenkrise und Ansätze ihrer Bewältigung, in: Festschrift Winfried Werner, 1984, S. 357–373. Rechtsfragen internationaler Umschuldungen, WM 1984, 713–721. Die Anpassung langfristiger Verträge im internationalen Wirtschaftsverkehr, in: Horn/Fontaine/Maskow/Schmitthoff, Die Anpassung langfristiger Verträge. Vertragsklauseln und Schiedspraxis (Arbeiten zur Rechtsvergleichung Bd. 120), 1984, S. 9–71. Die Neufassung 1984 der AGB der Banken, WM 1984, 449–465. L’entreprise personelle à responsibilité limitée. L’expérience allemande, Revue trimestrielle de droit commercial et de droit économique, 1984, 1–14. Wertsicherung und das Vertragsrecht der internationalen Anleihen, in: Die Wertsicherung der Young-Anleihe (Studien z. ausl. und intern. Privatrecht Bd. 10, Hrsg. Max-Planck-Institut Hamburg), 1984, S. 107–127. Friedrich Graf von Westphalen, Die Bankgarantie im internationalen Handelsverkehr, 1982; Besprechung in: ZHR 148 (1984), 635–639. Die internationale Verschuldenskrise – rechtliche und institutionelle Aspekte ihrer Lösung, in: Internationale Verschuldung. Währungs-, finanz- und handelspolitische Konsequenzen, Symposium Bonn, November 1984 (hrsg. Wirtschaftsrat), S. 27–40. 1985 Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance (Studies in Transnational Economic Law vol. 3), ed. Norbert Horn, Deventer 1985, XIX, 480 p.; darin: – The Concepts of Adaptation and Renegotiation in the Law of Transnational Commercial Contracts, p. 3–11; – Changes in Circumstances and the Revision of Contracts in Some European Laws and in International Law, p. 15–29; – Standard Clauses on Contract Adaptation in International Commerce; p. 111–140; – The Procedures of Contract Adaptation and Renegotiation in International Commerce, p. 173–190;
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– The Crisis of International Lending and Legal Aspects of Crisis Management, p. 295–316. Das chinesische Außenwirtschaftsvertragsgesetz von 1985, RIW 1985, 688– 693. Vertragsbindung unter veränderten Umständen, NJW 1985,1118–1125. Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank-, Unternehmens- und Außenwirtschaftspraxis, 3. überarb. Aufl., Köln 1985, 92 S. Das Vertragsrecht der internationalen Projektfinanzierung, in: L. Christian Hinsch/Norbert Horn, Das Vertragsrecht der internationalen Konsortialkredite und Projektfinanzierungen (Recht des internationalen Wirtschaftsverkehrs Bd. 2), Berlin 1985, 337 S. (S. 201–267, 307–330). Diritto commune e diritto particolare nella prima età moderna; domande alla storiografia di diritto veneziano, in: K. Nehlsen v. Stryk/D. Nörr (ed.), Diritto commune, diritto commerciale, diritto veneziano, Venedig 1985 (Centro Tedesco di Studi Veneziani Quaderni 31), S. 7–16. Sichtermann, Bankgeheimnis und Bankauskunft, 3. Aufl. von Feuerborn/ Kirchherr/Terdenge, 1984, Besprechung in: NJW 1985, 726. Dietrich von Stebut, Der soziale Schutz als Regelungsproblem des Vertragsrechts. Die Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmern und Wohnungsmietern, Besprechung für RdA 1985, 176. Carl Heinrich Frhr. von Gablenz, Die Haftung der Banken bei Einschaltung Dritter (Münchener Universitätsschriften, Reihe der jur. Fakultät Band 57), 1983, Besprechung in: ZHR 149 (1985) 346–349. Georg Rotthege, Die Beurteilung von Kartellen und Genossenschaften durch die Rechtswissenschaft (Schriften zur Kooperationsforschung Band C/16), 1982; Besprechung in: Zeitschrift f. Neuere Rechtsgeschichte, 1985, Nr. 1/2, 115–117. Karsten Schmidt, Geldrecht. Geld, Zins und Währung im deutschen Recht, 1983, Besprechung in: ZIP 1985, 511. BGH EWiR § 774 BGB 1/85; 85–86. BGH EWiR § 768 BGB 1/85; 973–974. BGH EWiR § 1025 ZPO 2/85; 919–920. OLG Stuttgart EWiR § 765 4/85; 669–670. OLG München WuB 1 K 3. Bankgarantie 1.85.
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1986 Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank-, Unternehmens- und Außenwirtschaftspraxis; 3. Aufl. 1986, 120 S. Vergleichender Warentest. Testpraxis, Testwerbung und Rechtsprechung, hrsg. N. Horn u. H. Piepenbrock, Landsberg 1986, 204 S.; darin: – Der vergleichende Warentest im Spiegel der Rechtsprechung, S. 67–90. – Rechtsprechungsübersicht S. 91–169. Der Konsortialvertrag. Lehrbrief der Projektgruppe Technischer Vertrieb der FU Berlin hrsg. W. Plinke, Berlin 1986. Das französische Gesellschaftsrecht im 19. Jahrhundert. in: Helmut Coing (Hrsg.), Handbuch der Quellen und Literatur zur neuen europäischen Privatrechtsgeschichte, Bd. III. Das 19. Jahrhundert Teilband 3, München 1986, S. 3188–3208. BGH WuB IV § 1 Abs. 2 AGBG 1.86. BGH WuB II F § 115 HGB 1.86. BGH WuB IV A § 824 BGB 1.86. 1987 Aktien- und konzernrechtlicher Vermögensschutz der Aktiengesellschaft und der Gang an die Börse, ZIP 1987, 1225–1234. Aktuelle Rechtsfragen internationaler Konsortialkredite, JurBl 1987, 409– 419. Wirtschaftsrecht und Außenwirtschaftsverkehr der Volksrepublik China, hrsg. Norbert Horn u. Rolf A. Schütze, Berlin 1987, 660 S.; darin: – Chinas Wirtschaftsrecht und Außenwirtschaftsrecht, S. 3–27; – Die Gesetzgebung zu materiellem und internationalem Vertragsrecht, S.67–103; – Die Vertragspraxis des chinesischen Außenwirtschaftsverkehrs, S. 118–149. Consensual Variation of Contracts in German Law, in: P. Schlechtriem (Hrsg.), XII. Internationaler Kongreß für Rechtsvergleichung 1986 Sydney/ Melbourne, Deutsche Länderberichte 1987, S. 27–37. Graf von Westphalen, Rechtsprobleme der Exportfinanzierung, 3. Aufl. 1987, Rezension in ZIP 1987, 1627–1628.
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1988 Zum Ausgleichsanspruch des Eigenhändlers: Kundenstamm und werbende Tätigkeit, ZIP 1988, 137–146. 1989 AGB-Gesetz. Kommentar von Wolf/Horn/Lindacher, 2. völlig neubearb. Aufl., München 1989, 1603 S. (§§ 23–30, S. 1269–1546). Heymann, Handelsgesetzbuch, Kommentar, Berlin, New York 1989; Band I, Einleitung vor § 1 (S. 1–67); Band II, §§ 161–177a, 230–237 (S. 326–546); Recht und Entwicklung der Unternehmen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Archiv und Wirtschaft 1989, 89–98. Bankrecht auf dem Weg nach Europa, in: ZBB 1989, 107–121. The Law of International Trade Finance, ed. Norbert Horn (Studies in Transnational Economic Law, Bd. 6), XXXVIII u. 708 S., Deventer 1989; darin: – Payment and Financing Arrangements in International Trade, S. 3–21; – Bank-Guarantees, Standby Letters of Credit and Performance Bonds in International Trade(zus. mit Eddy Wymeersch), S. 455–529. Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank-, Unternehmens- und Außenwirtschaftspraxis, 4. überarb. Aufl., Köln 1989; VIII u. 130 S. 1990 Heymann, Handelsgesetzbuch, Kommentar, Berlin, New York 1990; Band IV (1990), §§ 343–372 u. Anh. § 372 (S. 1–470). Bank-Guarantees, Standby Letters of Credit and Performance Bonds in International Trade, by Norbert Horn and Eddy Wymeersch, Deventer 1990, 73 S. (Buchausgabe des gleichnamigen Beitrags in: The Law of International Trade Finance, 1989). Russische Ausgabe (Bankowje Garanzije) übers. v. K. Petrov, Sofia 1992, 93 S. Börsentermingeschäfte nach neuem Recht, ZIP 1990, 2–18. Das Zivil- und Wirtschaftsrecht der DDR. Stand 25. August 1990, RWSDokumentation 1, Köln 1990. Das Zivil- und Wirtschaftsrecht in den neuen Bundesländern ab 3. Oktober 1990, RWS-Dokumentation 2, Köln 1990. Die Freiheit fordert ihr Recht, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 10.3.1990 (Nr. 59), S. 15.
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1991 Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, Köln 1991, XLIV, 608 S. Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank-, Unternehmens- und Außenwirtschaftspraxis (RWS-Skript 94), 5. neubearb. Aufl., Köln 1991, X u. 147 S. Privatisierung und Reprivatisierung von Unternehmen. Eigentumsschutz und Investitionsförderung im Lichte der neuesten Gesetzgebung, in: Hommelhoff (Hrsg.): Treuhandunternehmen im Umbruch, Köln 1991, 133–172. Kreditfähigkeit und Kapitalausstattung umgewandelter Unternehmen im neuen Bundesgebiet, in: Festschrift Heinsius, Berlin/New York 1991, 323– 335. Markt und Recht. Der Übergang der DDR in die Marktwirtschaft. Vortrag am 5. Juli 1990, in: Kölner Juristische Gesellschaft, Bd. 13, 1991, 1–39. Gesellschaftsrechtliche Probleme der Umwandlung der DDR-Unternehmen, in: Festschrift Kellermann, Berlin 1991, 201–210. Aufwendungsersatz bei Auslandsüberweisung, Besprechung von BGH WM 1991, 797 in: WuB I 1 Überweisungsverkehr 4.91. Diskussionsbeitrag zum Thema AGB-Gesetz und Kreditwirtschaft, in: Bankrechtstag Frankfurt 1990, hrsg. Bankrechtliche Vereinigung 1990. Die Tücken einer Vorfahrtsregelung. Der Respekt vor dem Privateigentum gehört zu den Grundlagen des Vertrauens in den Rechtsstaat. Zur Debatte über Rückgabe oder Entschädigung, Aufsatz in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 24.8.1991, 13. Clive M. Schmitthoff. Nachruf, NJW 1991, 1399. Enteignungen 1945–49, Ausschluß der Restitution, Rezension eines Urteils des BVerfG, in: EWiR 1991, 1087–1088. Die Privatisierung der Wirtschaft und die Herstellung gleicher Lebensbedingungen im neuen Bundesgebiet, in: FIW-Schriftenreihe, H. 142, Mittel- und Osteuropa im marktwirtschaftlichen Aufbruch, Referate des XXIX. FIWSymposiums, Köln 1991, S. 33–56. Schriftliche Stellungnahme bei der öffentlichen Anhörung am 8. November 1991 zum Gesetz zur Regelung der Wohnungsbauförderung; Gesetzentwurf der Landesregierung (Drucks. 11/2329) vor dem Haushalts- und Finanzausschuß des Landes NRW in Düsseldorf; als Landtagsdrucksache veröffentlicht.
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Low and Non-Equity joint ventures, in: Current developments in international investment law (Singapore Conferences in International Business Law V), ed. Ho Peng Kee, Singapore 1991. 1992 Zinsforderung und Zinsverbot im kanonischen, islamischen und deutschen Recht. Eine rechtshistorisch-rechtsvergleichende Problemskizze, in: Festschrift Hermann Lange, Stuttgart 1992, 99–113. The Lawful German Revolution: Privatization and Market Economy in a Reunified Germany, American Journal of Comparative Law, vol. XXXIX (1991) Nr. 4, 725–746. Die heutige Auslegung des DDR-Rechts und die Anwendung des § 242 BGB auf DDR-Altverträge, DZWiR 1992, 45–52. Das 2. Vermögensrechtsänderungsgesetz und die Verfügbarkeit von Grundeigentum im neuen Bundesgebiet, DZWiR 1992, 309–316. Anpassung einer Urhebervergütung durch Neuverhandlung nach § 36 UrhG, DZWiR 1992, 109–111. Akzessorietät der Bürgschaft, Abtretungsausschluß und Transparenzgebot, Urteilsbesprechung in: WuB I F 1a–2.92. Assmann/Schütze (Hrsg.), Handbuch des Kapitalanlagerechts, Besprechung in WM 1992, 461–463. Ebke, W. F., Internationales Devisenrecht, Besprechung in DZWiR 1992, 131–132. Adaptation and Modification of Contracts in View of a Change of Circumstances, in: 11 Tel-Aviv University Studies in Law, 137–149, 1992. 1993 Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl., Köln 1993, XLVIII, 1296 S. Die AGB-Banken als Grundlage des Bankprivatrechts. Systematische Darstellung und rechtsdogmatische Analyse der neuen AGB der Kreditinstitute, in: N. Horn (Hrsg.), Die AGB-Banken 1993 (Schriftenreihe der Bankrechtlichen Vereinigung Bd. 4, 247 S.), Berlin/New York 1993, S. 65–133. Grundpfandrechte im neuen Bundesgebiet, ZIP 1993, 659–663. Grundmann, Das europäische Bankaufsichtsrecht wächst zum System, 1990, Besprechung in ZBB 1993, S. 204 f.
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Haftung der Bundesrepublik Deutschland für die Schulden der DDR, DZWiR 1993, 412–414. Kartellrechtliche Aspekte des Kreditkartengeschäfts, ZHR 1993, 324–348. Das neue Währungsumstellungsfolgengesetz, ZRP 1993, 283. Le crédit à la consommation et la protection du consommateur en droit allemand, in: Les Annales de Clermont-Ferrand vol. 27/28 1991–1992, S. 151– 164. Bruchner/Wagner-Wieduwilt, Verbrauchergesetz. Kommentar 1992; Besprechung in DZWIR (1993). 1994 AGB-Gesetz. Kommentar, von Wolf/Horn/Lindacher, 3. Aufl. München 1994, 2081 S.; §§ 23–30, S. 1515–1867. Entwicklungslinien des europäischen Bank- und Finanzdienstleistungsrechts, ZBB 1994, S. 130–141. Die Rolle des Zivilrechts im Prozeß der Wiedervereinigung Deutschlands, AcP 194 (1994), 177–230. Andreas Nelle, Neuverhandlungspflichten. Neuverhandlungen zur Vertragsanpassung und Vertragsänderung als Gegenstand von Pflichten und Obliegenheiten, Besprechung in ZHR 158 (1994), 425–430. Hadding/Schneider (Hrsg.), Rechtsprobleme der Auslandsüberweisung, Besprechung in WM 1994, 1641–1644. Die Rechtsbeziehung Bank-Kunde, insbesondere die neuen AGB der deutschen Banken, in: Wiegand (Hrsg.), Aktuelle Probleme im Bankrecht, Bern 1994, S. 87–128. Kiethe, Nachverhandlung mit der Treuhandanstalt, Besprechung in DZWiR 1994, 438–439. 1995 Heymann, Handelsgesetzbuch. Kommentar, 2. Aufl., hrsg. von N. Horn, Berlin/New York, Bd. 1 1995, XXVIII, 859 S. (Einl. S. 1–78); Bd. 2 1995, XXVI, 760 S. (§§ 161–237, S. 430–701). Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank- und Unternehmenspraxis, 6. Aufl. Köln 1995, XI u. 157 S.
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Institutional Aspects of Banking Supervision in Germany, in: Banking Supervision in the European Community: Institutional Aspects, Etudes Européennes, Brüssel 1995 (mit Peter Balzer). Freedom and Private Property. German legislation on the transformation of socialism, in: Markus Hellmonds (Hrsg.), Le droit de proprieté en Europe occidentale et orientale. Mutations et limites d’un droit fondemental, Louvain la Neuve, S. 167–192, 1995. Die Durchführung der Privatisierungsverträge im neuen Bundesgebiet, – (I) Vertragsmanagement zwischen öffentlichem und privatem Recht, in: Der Betrieb 1995, S. 309–313; – (II) Vertragsanwendung und Vertragsanpassung, in: Der Betrieb 1995, S. 359–364. Die Kreditkarte im europäischen Gemeinschaftsrecht und in der deutschen Rechtsprechung, in: ZBB 1995, 273–281. The Bank-Customer Relationship in German and European Law, in: Butterworth Journal of International Banking and Financial Law, 1995, S. 116–121. Culpa in Contrahendo, JuS 1995, S. 377–387. 1996 Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie (Schwerpunkte Bd. 21), Heidelberg 1996, XIX, 250 S. Person und Kontinuität, Versprechen und Vertrauen. Die Perspektive des Zivilrechts, in: Person und Kontinuität. Versprechen und Vertrauen, hrsg. v. R. Schenk, 1996, S. 35–68. Der Rückforderungsanspruch des Garanten nach ungerechtfertigter Inanspruchnahme, FS Brandner, Köln 1996, S. 623–634. Währungsunion als Instrument der Integration. Deutsche Erfahrungen und europäische Perspektiven, Festschrift Mestmäcker, Baden-Baden 1996, S. 381–395. Ohne Hast und große Ungeduld, in: Rheinischer Merkur, Nr. 15 v. 12.4.1996, S. 5 (betr. die europäische Währungsunion). Urteilsrezension BGH v. 7.5.1995, in: WuB IV C 2.96. Zwei Urteilsrezensionen zur Haftung bei Vermögensverwaltung, in: EWiR 5/96, 499–500 und 6/96, 589–590. (mit Peter Balzer) Das trojanische Pferd der Europäischen Währungsunion, in: Handelsblatt Nr. 53 vom 14.03.1996.
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1997 Staudinger, Kommentar zum BGB, Recht der Schuldverhältnisse, §§ 765–778 (Bürgschaft), 13. Bearb., Berlin 1997, 423 S. Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank-, Unternehmens- und Außenwirtschaftspraxis, RWS-Skript 94, 7. Aufl. Köln 1997, XXI, 172 S. Zur Zulässigkeit der Globalbürgschaft, ZIP 1997, 525–530. Die richterliche Kontrolle von Entgeltklauseln nach dem AGB-Gesetz am Beispiel der Kreditwirtschaft, WM-Sonderbeilage Nr. 1/1997, 23 S. Übermäßige Bürgschaften mittelloser Bürgen: wirksam, unwirksam oder mit eingeschränktem Umfang?, WM 1997, 1081–1089. Clear and Clean and not of Criminal Origin, WM 1997, 864–865. OLG Frankfurt v. 11.7.1996, Urteilsrezession in WuB I A 1. 97 (zus. mit Georg Borges). Die Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken, ZBB 1997, 139–152. Die UN-Konvention über unabhängige Garantien, RIW 1997, 717–723. Die Bankgarantie im internationalen Umfeld, Berner Bankrechtstag 1996, hrsg. W. Wiegand, Bern 1997, S. 85–100. The United Nations Convention on Independent Guarantees and the Lex Mercatoria, Centro di studi e ricerche di diritto comparato e straniero, Saggi, conference e seminari, Roma 1997. Claussen, Bank- und Börsenrecht, Besprechung in AG 1997, 287. Haftung und interner Ausgleich bei Mitbürgen und Nebenbürgen, DZWir 1997, 265–271. Vom jüngeren und jüngsten Naturrecht, in: Festschrift M. Kriele 1997, S. 889–901. Zur Haftung von Banken bei der Kreditfinanzierung von Vermögensanlagen, in: Festschrift C. P. Claussen, Köln/Berlin 1997, S. 469–481. Die Haftung des Vorstands der AG nach § 93 AktG und die Pflichten des Aufsichtsrats, ZIP 1997, 1129–1139. Zur Information des privaten Anlegers bei Börsentermingeschäften, ZIP 1997, 1361–1366. Die Zahlung mittels Universalkreditkarte im Ausland, in: Grenzüberschreitender Zahlungsverkehr im Europäischen Binnenmarkt, Band 18, Schriften-
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reihe der Europäischen Rechtsakademie Trier, hrsg. von Walther Hadding und Uwe H. Schneider, Köln 1997, S. 107–116. Stein, Lex Mercatoria. Realität und Theorie, Besprechung in ZHR 161 (1997), 735–737. Bankwirtschaft und Bankrecht in interdisziplinärer Perspektive, in: Festschrift Büschgen, S. 221–243. Rechtliche und institutionelle Aspekte der europäischen Währungsunion im politischen und wirtschaftlichen Kontext, ZBB 1997, 314–324. Culpa in Contrahendo, Himeji International Forum of Law and Politics, No. 3, 1997, S. 65–106. Handelsrecht und Recht der Kreditsicherheiten in Osteuropa, hrsg. Horn/ Pleyer, Berlin – New York 1997 (R.I.Z.-Schriften, Band 5). 1998 Bankrecht 1998, hrsg. Horn/Schimansky, Köln 1998, VIII, 358 S., darin: – Sorgfaltspflichten bei der Vermögensverwaltung, S. 265–286; – Gesellschaftsrechtliche Aspekte der Beziehung zwischen Banken und Kundenunternehmen, S. 311–330. Angehörigenbürgschaft; Höchstbetragsbürgschaft, Mitbürgenausgleich, WuB I F 1 a. Der Vertriebsfranchisenehmer als selbständiger Unternehmer, ZIP 1998, 589–600, (mit Martin Henssler). The European Monetary Union. Legal and Institutional Aspects in Their Economic and Political Setting, Journal of International Banking Law 1998, 71–79. Aufklärungs- und Beratungspflichten beim Erwerb von DM-Auslandsanleihen (“Fokker”), WuB I G 1 – 2.98 (mit Peter Balzer). Europäische Währungseinheit oder Wettbewerb der Währungen?, in: Baur/ Watrin (Hrsg.) Recht und Wirtschaft der Europäischen Union auf dem Prüfstand, Berlin – New York 1998 (R.I.Z.-Schriften, Band 6), S. 42–62. 40 Jahre Römische Verträge – Von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union, Berlin/New York 1998 (R.I.Z.-Schriften, Band 9), hrsg. Norbert Horn, Jürgen F. Baur und Klaus Stern; darin: – Privatrechtsvereinheitlichung und Verbraucherschutz. Einführung, S. 105 f.; – EG-rechtlicher Verbraucherschutz im deutschen Privatrecht, S. 151–173; – Unternehmensrecht und Unternehmenspublizität im europäischen Markt, S. 179 ff.;
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– Die Europäische Währungsunion und die europäische Integration, S. 313, 329 ff. The Monetary Union and the Internal Market for Banking and Investment Services, in: Yearbook of International Financial and Economic Law, ed. Joseph J. Norton, London/The Hague/Boston 1998, S. 127–143. Principii del diritto internazionale sui debiti esteri dello Stato, in: D. A Gutiérrez/S. Schipani (ed.), Il Debito Internazionale, Mursia 1998, S. 213–222. 1999 AGB-Gesetz. Kommentar von Wolf/Horn/Lindacher, 4. Aufl. München 1999, XXVII, 2186 S., §§ 23–30, S. 1549–1964. German Banking Law and Practice In International Perspective, Berlin/New York 1999, ed. Norbert Horn, darin: – The Institutional and Legal Framework for the European Monetary Union, p. 15–35; – The Internal Market for Banking and Investment-Services, p. 69–84; – The UN-Convention on Independent Guarantees and the Lex Mercatoria, p. 189–203. Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken, WM 1999, 1–10. Zur Entwicklung des Finanzbinnenmarktes in Phase drei der europäischen Währungsunion, ZBB 1999, S. 1–9. Bankrechts-Handbuch, hrsg. Schimansky/Bunte/Lwowski, Besprechung in JR 1998, 216–218. Ein Sonderfall der Vertragsbindung: Das Recht zur Vertragsanpassung und die Rechtspflicht zur Neuverhandlung, in: Himeji International Forum of Law and Politics, No 4, 1999, S. 35–74. Die Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken, in: Himeji International Forum of Law and Politics, No 4, 1999, S. 75–116. Der Ausschluss von Aufklärung und Beratung im Anlegerschutzrecht, in: Festschrift Schimansky, hrsg. Horn/Lwowski/Nobbe, Köln 1999, S. 653– 666. Monetary Union and the Internal Market for Banking and Investment Services, in: EEA-EU Relations, hrsg. von P.-Ch. Müller-Graff/E. Selving, 1999; Abdruck auch in: European Business Law Review, vol. 10, 1999. German Banking Law, in: Ross Cranston (Hrsg.) European Banking Law: The Banker-Customer Relationship, London 1999, p. 63–81.
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Comparative Legal Studies and the Globalization of Law, in: International Law School Deans’ Conference on Legal Education for the 21th century, ed. China University of Politics and Law, Beijing 1999, S.178–203. 2000 Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, 40–46. Internationale Unternehmenszusammenschlüsse, ZIP 2000, 473–485. Non-Judicial Dispute Settlement in International Financial Transactions, ed. Norbert Horn, Joseph J. Norton (Studies in Transnational Economic Law, vol. 13), London/The Hague/Boston 2000, XV, 307 p.; darin: – Non-Judicial Dispute Settlement in International Financial Transactions. An Introduction, p. 1–16. Europäisches Wirtschaftsrecht, Euroland und Kreditwirtschaft – Harmonisierung und Wettbewerb, Kreditwesen 2000, 16–19. Zur Anwendbarkeit des Verbraucherkreditgesetzes auf Kreditvollmachten im Rahmen des Anlegerschutzrechts (mit Peter Balzer), WM 2000, 333–342. Corporations, Capital Markets and Business in the Law. Liber Amicorum Richard M. Buxbaum, hrsg. Baums/Hopt/Horn, 2000, darin: – Hommage à Richard M. Buxbaum, S. XI-XV. – Rechtsfragen internationaler Unternehmenszusammenschlüsse, S. 315– 337. Entwicklungen im internationalen Kapitalgesellschafts- und Fusionsrecht, in: Schack/Horn/Lieb/Luig/Meincke/Wiedemann (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Alexander Lüderitz, 2000, S. 303–317. Außergerichtliche Streitbeilegung bei internationalen Finanzgeschäften. Eine Bestandsaufnahme, in: Berger/Ebke/Elsing/Großfeld/Kühne (Hrsg.), Festschrift für Otto Sandrock zum siebzigsten Geburtstag, 2000, S. 385–406. Verträge über internationale Unternehmenszusammenschlüsse, in: Drygala/ Grunewald/Hommelhoff/Schmidt/Schneider/Timm (Hrsg.), Festschrift für Marcus Lutter, 2000, S. 1113–1131. Zum Fortbestand des mitbestimmten Aufsichtsrats bei Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft (mit Ulrich Wackerbarth), in: Festschrift für Alfred Söllner, hrsg. von Köbler/Heinze/Hromadka, 2000, S. 447–459. Allgemeines Handelsrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band II, hrsg. von Heldrich/Hopt, München 2000, S. 3–28.
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
The Development of Arbitration in International Financial Transactions, in: Arbitration International. The Journal of The London Court of International Arbitration, Vol. XVI/III, 2000, 279–295. Anmerkung zu BGH, Urt. v. 29. Mai 2000 – II ZR 280/98, WuB I G 8 – Prospekthaftung – 2.00 (gemeinsam mit Klaus Felke). Anmerkung zu BGH, Urt. v. 9. Mai 2000 – XI ZR 159/99, WuB I G 1 – 4.00 (mit Klaus Felke). Anmerkung zu BGH, Urt. v. 10. Februar 2000 – XI ZR 397/98, WuB I F 1 a. – Bürgschaft – 15.00 (mit Ulrich Wackerbarth). Anmerkung zu BGH, Urt. v. 7. Dezember 1998 – II ZR 266/97, WuB II C – § 32 a GmbHG – 1.00 (mit Jochen Wilkens). Klemens Pleyer (Nachruf), NJW 2000, 3479–3480. Helmut Coing (Nachruf), ARSP Vol. 86/4 2000, 569–572. 2001 Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 2. Aufl. 2001, XXIV, 284 S. Bürgschaften und Garantien. Aktuelle Rechtsfragen der Bank-, Unternehmens- und Außenwirtschaftspraxis, 8. neubearb. Aufl. 2001 (RWS-Skript 94), XXIII, 203 S. Cross-Border Mergers and Acquisitions and the Law (Studies in Transnational Economic Law, vol. 15), ed. Norbert Horn, The Hague/London/New York 2001, XVII, 380 p.; darin: Cross-Border Mergers and Acquisitions and the Law. General Introduction, p. 3–27. Recent Trends in E.C. Payment Systems, in: Fletcher/Mistelis/Cremona (Hrsg.), Foundations and Perspectives of International Trade Law, 2001, p. 455–461. Anlageberatung, Bankrecht und Bankpraxis (BuB), hrsg. Hellner/Steuer, 9.01 Rn. 7/1250-7/1444, 2001. Bürgschaftsrecht 2000, ZIP 2001, 93–103. The Use of Transnational Law in the Contract Law of International Trade and Finance, in: Berger (Hrsg.), The Practice of Transnational Law, The Hague/London/Boston 2001, p. 67–80. Ein neues Schlichtungsverfahren für Bankgeschäfte, Liber Amicorum Böckstiegel, Köln/Berlin 2001, S. 305–312.
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2002 Die Neugestaltung des Privatrechts in Mittelosteuropa und Osteuropa (R.I.Z.-Schriften Bd. 17), hrsg. Norbert Horn, München 2002; darin: Die Rolle des Privatrechts in der Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft in Mittelosteuropa und Osteuropa, S. 3–49. Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für DDR-Unrecht bei Altkrediten?, BKR 2002, 427 ff. Die Erfüllung von Wertpapiergeschäften unter Einbeziehung eines Zentralen Kontrahenten an der Börse, WM 2002, Sonderbeilage Nr. 2 (23 S.). Legal Issues in Electronic Banking, (Studies in Transnational Economic Law, vol. 17) ed. Norbert Horn, The Hague/London/New York 2002, XXIV, 399 p.; darin: Banking in the Electronic Age. Legal Issues, p. 3–27. Entgrenzung des Rechts durch wirtschaftliche Globalisierung, in: Brugger/ Haverkate (Hrsg.), Grenzen als Thema der Rechts- und Sozialphilosophie, ARSP Beiheft Nr. 84, 2002, S. 179–200. Vertragsrechtliche Aspekte der Liberalisierung des Strommarktes, in: Festschrift Jürgen F. Baur, 2002, S. 175–186. 2003 Europäisches Finanzmarktrecht. Entwicklungsstand und rechtspolitische Aufgaben (R.I.Z.-Schriften Band 20), München 2003, XIX u. 163 S. Zur Haftung der AG und ihrer Organmitglieder für unrichtige oder unterlassene Ad-hoc-Informationen, in: Festschrift Peter Ulmer, 2003, S. 817–828. Anlegerschutz durch Information bei Finanztermingeschäften nach neuem Recht (mit Peter Balzer) in: Festschrift Siegfried Kümpel, 2003, S. 275–287. Bankrecht 2002 (RWS-Forum 22), hrsg. v. Horn/Krämer, Köln 2003, VIII u. 456 S.; darin: Aufklärungs- und Beratungspflichten der Banken – Systematik der Rechtsentwicklung, S. 73–130. Entwicklung eines europäischen Kapitalmarktrechts, in: Banken und Bankrecht im Wandel, Tagungsband des 10. Berner Bankrechtstags, hrsg. W. Wiegand, Bern 2003. Regulierung und Wettbewerb am Beispiel des Strommarktes, in RdE 2003, 85–128.
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
2004 Arbitrating Foreign Investment Disputes. Procedural and Substantive Legal Aspects (Studies in Transnational Economic Law, vol. 19), ed. Norbert Horn, The Hague 2004, XXIII, 535 p.; darin: Arbitration and the Protection of Foreign Investment: Concepts and Means, p. 3–31. Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 2004, XXIV, 300 S. Chinesische Ausgabe von Li Luo, Beijing 2005; portugiesische Ausgabe der 2. Aufl. (2001) von Elisete Antoniuk, São Paulo 2005. Sicherungsrechte an Geld- und Wertpapierguthaben im internationalen Finanzverkehr, in: Festschrift W. Hadding 2004, S. 893–904. Deutsches und europäisches Gesellschaftsrecht und die EuGH-Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit (Inspire Art), NJW 2004, 893–901. Laudatio Melvin A. Eisenberg, in DAJV Newsletter 4/2004, S. 167 f. Probleme der Vereinheitlichung des Privatrechts in Europa, in: Chinese-German-Japanese Colloquium of Law Beijing 2004, 10.9–11, Chinese-German Institute of Law of CUPL, Beijing 2004, S. 21–28. 2005 Die Europa-AG im Kontext des deutschen und europäischen Gesellschaftsrechts, Der Betrieb, 2005, 147–153. Zur Vereinheitlichung des europäischen Privatrechts. Die Beispiele des Verbraucherschutz- und Kapitalmarkthaftungsrechts, in: Festschrift G. Otte 2005, S. 135–144. Die UN-Konvention über Forderungsabtretungen als Einheitsrecht, in: Festschrift W. Wiegand, Hrsg. Bucher/Canaris/Honsell/Koller, 2005, S. 373–386. The Arbitration Agreement in light of case law of the UNCITRAL Model Law (Art. 7 and Art. 8), International Arbitration Law Review, 10/2005, 146– 152. Heymann, Handelsgesetzbuch, Kommentar (hrsg. N. Horn) Bd. 4, 2. Aufl. 2006; darin Bearb. v. §§ 343–372 u. Anh. § 372 Bankgeschäfte (S. 1–644, 659– 791). 2006 Der Wuchereinwand bei gewerblichen Darlehen und im internationalen Finanzmarkt, BKR 2006, 1–7.
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Einwand des Rechtsmißbrauchs gegen eine Gerichtsstandsvereinbarung i.S. Art. 23 EuGVO?, IPRax 2006, 2ff. Inflationsverluste des Geldgläubigers als Verzugsschaden und Res Judicata im internationalen Schiedsverfahren, SchiedsVZ 2006, 17–21. 2007 Utilitarismus im aufgeklärten Naturrecht von Thomasius und Wolff. Historische und aktuelle Aspekte, Symposium Klaus Luig, hrsg. v. Haferkamp/ Repgen, 2007, S.48–64. Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 4. Aufl. 2007, XXVI, 301 S. Arbitration of Banking and Finance Disputes in Germany, in: Böckstiegel/ Kröll/Nacimiento (Hrsg.), Arbitration in Germany, 2007, S. 919–931. 2008 Unternehmerisches Ermessen und Vorstandshaftung, in: Festschrift H. P. Westermann, 2008, S. 1053–1065. Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2008, 209–222. Current Use of the UNCITRAL Arbitration Rules in the Context of Investment Arbitration, Vol. 24/4 Arbitration International, 587–602 (2008). Das Finanzmarktstabilisierungsgesetz und das Risikomanagement zur globalen Finanzkrise, BKR 2008, 452–459. 2009 Transnationales Handelsrecht: zur Normqualität der lex mercatoria, Festschrift Karsten Schmidt, 2009, S. 705–724. Die Stellung der Anleihegläubiger nach neuem Schuldverschreibungsgesetz und allgemeinem Privatrecht im Licht aktueller Marktentwicklungen, ZHR 173 (2009), 12–66. Erfüllungsverweigerung wegen Notstandes bei internationalen Staatsanleihen, Festschrift G. Nobbe, 2009, S. 601–618. Enforcing International Commercial Debts. From Schmitthoff to Investment Arbitration, in: Meesen (Hrsg.), Law as an Economic Good, 2009, S. 139– 148.
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
Ordre public in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Festschrift Eugen Bucher, 2009, S. 285–296. Elektronische Kommunikation im internationalen Schiedsverfahren und öffentliche Ordnung, in: F. Graf v. Westphalen (Hrsg), Deutsches Recht im Wettbewerb – 20 Jahre transnationaler Dialog, 2009, S. 169–177. Arbitration and Electronic Communication: Public policy, Int. A.L.R. 12 (2009), 107–113. Das neue Schuldverschreibungsgesetz und der Anleihemarkt, BKR 2009, 446–453. 2010 Rechtliche Aspekte der Finanzkrise, KSzW 2/2010, 67–77. Anlegerschutz und neues Schuldverschreibungsrecht, in: Festschrift Graf v. Westphalen, 2010, S. 353–367. State Intervention in the Financial Crisis and International Investment Arbitration, Liber Amicorum Bernardo Cremades, 2010. Die Verteidigung des Euro. Ein historischer Rückblick auf die Euro-Krise im Mai 2010, Festschrift Georg Maier-Reimer, 2010, S. 245–263. Rechtsfragen einer Schuldenordnung für EU- und Euro-Staaten. Externe Anleihen und Bankkredite, in: Wirtschaftsdienst. Zeitschrift für Rechtspolitik 2010, 797–800. Philosophische und historische Grundlagen des bürgerlichen Rechtsstaats, Festschrift Jan Schapp, 2010, S. 267–282. Die Finanzierung von Staaten durch externe Anleihen in der künftigen Architektur der Europäischen Währungsunion, in: Festschrift für Hans-Jürgen Hellwig, 2010, S. 487–496. 2011 Recht als Grundlage und Gegenstand internationaler Märkte. Anmerkungen zur globalen Finanzkrise, Festschrift Harald Herrmann, 2011, S. 63–80. Ungeschriebene Hauptversammlungskompetenz bei Rekapitalisierung eines Kreditinstituts, in: Festschrift Günther H. Roth, 2011, S. 287–298. Die Reform der Europäischen Währungsunion und die Zukunft des Euro, NJW 2011, 1398–1404. Philosophy and Interdisciplinary Research in Legal Science, China-EU School of Law at China University of Political Science and Law, Beijing
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(hrsg.) A Collection of Papers. Opening Ceremony and Inaugural Symposium of the Institute for Legal Philosophy and Interdisciplinary Research, Beijing 21.5.2011, S. 3–7. Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 5.Aufl. 2011, XXIV u. 307 S. 2012 Staudinger, BGB, §§ 765–778 (Bürgschaft), Neubearbeitung 2013, X u. 566 S. Änderung der Anleihebedingungen und Skripturakt, in: Weitsicht in Versicherung und Wirtschaft. Gedächtnisschrift Ulrich Hübner, 521–530. 2013 Bürgschaft und Gesellschaftsrecht, Festschrift U. Blaurock, 2013, S. 131–142. Human Rights. Philosophical Foundations and Legal Dimensions. Keynote, IVR XXVI World Congress for Philosophy of Law and Social Philosophy 2013, Belo Horizonte, (Brasilien), Human Rights, Rule of Law and the Contemporary Challenges in Complex Societies, S. 87–101 (Tagungsband) 2013) = Marcelo Campos et al. (Hrsg.) Human Rights etc., ARSP Beiheft 146, 2015, S. 89–104. 2014 Arbitration of Banking and Finance Disputes in Germany, in: Böckstiegel/ Kröll/Nacimiento (Hrsg.), Arbitration in Germany, 2d ed. 2014, S. 875–888. UNCITRAL Transparency Rules 2013 for Investment Arbitration, in: Sabahi, Birch, Laird, Rivas (eds.), A Revolution in the International Rule of Law: Essays in Honor of Professor Don Wallace, (Juris Publishing) 2014, S. 133ff. Der gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger in der Insolvenz, BKR 2014, 449–453. 2015 Die UNCITRAL-Transparenzregeln und die Zukunft der internationalen Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, in: Festschrift Bruno M. Kübler, 2015, S. 301–307. Das Recht zum Austritt und Ausschluss aus der Europäischen Währungsunion, BKR 2015, 353–358.
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Gesamtverzeichnis der Schriften von Norbert Horn
2016 Investitionsschutz für Gläubiger von Staatsanleihen nach der Washington Convention?, IWRZ (Zeitschrift für internationales Wirtschaftsrecht) 1/2016, 8–13. Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 6. Aufl. 2016.
Horn, Gesammelte Schriften. Verlagsnachweise Die Veröffentlichung dieser Gesammelten Schriften von Norbert Horn wäre nicht möglich ohne die Unterstützung jener Verlage, in denen die Werke und Beiträge des Jubilars erstmals erschienen sind. Herausgeber und Verlag sprechen daher den nachfolgend aufgeführten Häusern ihren herzlichen Dank für die freundliche Zustimmung zur Zweitveröffentlichung der im Einzelnen nachgewiesenen Schriften aus. Ebenso danken wir Norbert Horn selbst aufs Herzlichste für die Freigabe seiner Aufsätze und Veröffentlichungen in diesem Werk. C.H. Beck oHG, München Ein Jahrhundert Bürgerliches Gesetzbuch, NJW 2000, 40–46 Allgemeines Handelsrecht, in: 50 Jahre Bundesgerichtshof. Festgabe aus der Wissenschaft, Band II, hrsg. von Heldrich/Hopt, München 2000, S. 3–28 Bürgschaften und Garantien zur Zahlung auf erstes Anfordern, NJW 1980, 2153–2159 Normative Grundprobleme einer “Neuen Weltwirtschaftsordnung”, Festschrift Helmut Coing 1982, Bd. II, S. 149–166 Zwingendes Recht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, SchiedsVZ 2008, 209–222 Der Wuchereinwand bei gewerblichen Darlehen und im internationalen Finanzmarkt, BKR 2006, 1–7 Die Verteidigung des Euro. Ein historischer Rückblick auf die Euro-Krise im Mai 2010, Festschrift Georg Maier-Reimer, 2010, S. 245–263 Die Reform der Europäischen Währungsunion und die Zukunft des Euro, NJW 2011, 1398–1404 Das Recht zum Austritt und Ausschluss aus der Europäischen Währungsunion, BKR 2015, 353–358 Zur Bedeutung der Topiklehre Theodor Viehwegs für eine einheitliche Theorie des juristischen Denkens, NJW 1967, 601–608 Vom jüngeren und jüngsten Naturrecht, in: Festschrift Martin Kriele 1997, S. 889–901
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Horn, Gesammelte Schriften. Verlagsnachweise
Böhlau-Verlag GmbH & Co KG, Köln Utilitarismus im aufgeklärten Naturrecht von Thomasius und Wolff. Historische und aktuelle Aspekte, in: Usus modernus pandectarum. Festschrift Klaus Luig, hrsg. v. Haferkamp/Repgen, 2007, S. 48–64. Duncker & Humblot GmbH, Berlin Rationalität und Autorität in der juristischen Argumentation, Rechtstheorie 1975, 145–160 Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am Main Die Freiheit fordert ihr Recht, Frankfurter Allgemeine v. 10.3.1990 (Nr. 59), S. 15. Frommann-Holzboog-Verlag, Stuttgart Person und Kontinuität. Versprechen und Vertrauen. Die Perspektive des Zivilrechts, In: R. Schenk (Hrsg.) Person und Kontinuität. Versprechen und Vertrauen, 1996, S. 40–68 Ernst und Werner Gieseking GmbH, Bielefeld Die neuere Rechtsprechung zum Missbrauch von Bankgarantien im Außenhandel, IPrax 1981, 149–154 De Gruyter, Berlin Unternehmensbeteiligungen der Arbeitnehmer und Gesellschaftsrecht ZGR 1974, 133–178 Sicherungsrechte an Geld- und Wertpapierguthaben im internationalen Finanzverkehr, Festschrift Walther Hadding 2004, 893–904 Handelsblatt Fachmedien GmbH Der Betrieb, Düsseldorf Die Europa-AG im Kontext des deutschen und europäischen Gesellschaftsrechts Der Betrieb 2005, 147–153
Horn, Gesammelte Schriften. Verlagsnachweise
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Vittorio Klostermann, Frankfurt/Main Philosophie in der Jurisprudenz der Kommentatoren: Baldus philosophus, Ius Commune I (1967) 104–149 Kluwer Law International The Hague, London Changes in Circumstances and the Revision of contracts in some European Laws and in International Law, in N. Horn (ed.), Adaptation and Renegotiation of Contracts in International Trade and Finance, 1985, p. 15–29 The Use of Transnational Law in the Contract Law of International Trade and Finance, in: Berger (ed.), The Practice of Transnational Law, 2001, p. 67–80 Current Use of the UNCITRAL Arbitration Rules in the Context of Investment Arbitration, Vol. 24/4 Arbitration International, 587–602 (2008) W. Kohlhammer, Stuttgart Zinsforderung und Zinsverbot im kanonischen, islamischen und deutschen Recht. Eine rechtshistorisch-rechtsvergleichende Problemskizze, in: Festschrift Hermann Lange, Stuttgart 1992, 99–113. Law and Policy in International Business International Law Institute Washington, D.C. USA A Uniform Approach to Eurobond Agreements, 9 Law & Policy in Int’l Bus. 753–778 (1977) (Georgetown University Law Center) Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart (Vorgänger: Gustav Fischer:) Aktienrecht und Entwicklung der Großunternehmen 1860–1920, ORDO Bd. 30 (FS. von Hayek) 1979, 313–324 Mohr Siebeck GmbH & Co KG, Tübingen Zur Ökonomischen Rationalität des Privatrechts. – Die privatrechtstheoretische Verwertbarkeit der “Economic Analysis of Law”, AcP 176 (1976), 307–333 Neuverhandlungspflicht, AcP 181 (1981), 255–288
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Horn, Gesammelte Schriften. Verlagsnachweise
Die Rolle des Zivilrechts im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands, AcP 194 (1994), 177–230. Die Entwicklung des internationalen Wirtschaftsrechts durch Verhaltensrichtlinien. Neue Elemente eines internationalen ordre public, RabelsZ 44 (1980), 423–454 Philosophische und historische Grundlagen des bürgerlichen Rechtsstaats, Festschrift Jan Schapp, 2010, S. 267–282 Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co KG, Baden-Baden Währungsunion als Instrument der Integration. Deutsche Erfahrungen und europäische Perspektiven, Festschrift Mestmäcker, Baden-Baden 1996, S. 381–395. Recht und Wirtschaft GmbH im dfv, Frankfurt/Main Außergerichtliche Streitbeilegung bei internationalen Finanzgeschäften. Eine Bestandsaufnahme, Festschrift Otto Sandrock 2000, S. 385–405 RWS-Verlag Kommunikations-Forum GmbH, Köln Globalbürgschaft und Bestimmtheitsgrundsatz, Festschrift Franz Merz, 1992, S. 217–227 Die Haftung des Vorstands der AG nach § 93 AktG und die Pflichten des Aufsichtsrats, ZIP 1997, 1129–1139. Internationale Unternehmenszusammenschlüsse, ZIP 2000, 473–485 Erfüllungsverweigerung wegen Notstandes bei internationalen Staatsanleihen, Festschrift für Gerd Nobbe, 2009, S. 601–618 Rechtliche und institutionelle Aspekte der Europäischen Währungsunion im politischen und wirtschaftlichen Kontext ZBB 1997, 314–324 Dr. Otto Schmidt KG, Köln Transnationales Handelsrecht: zur Normqualität der lex mercatoria, Festschrift Karsten Schmidt, 2009, S. 705–724. Rechtliche Aspekte der Finanzkrise, KSzW (Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht) 2.10 (2010) 67–77
Horn, Gesammelte Schriften. Verlagsnachweise
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Franz Steiner Verlag, Stuttgart Human Rights. Philosophical Foundations and Legal Dimensions, in: M. Campos Galuppo u.a (Hrsg), Human Rights, (Proceedings of the 26th World Congress for Philosophy of Law in Belo Horizonte 2013), ARSP Beiheft 146, 2015, S. 87–101. Vandenhoek & Rupprecht GmbH & Co KG, Göttingen Argumentum ab auctoritate in der legistischen Argumentationstheorie, in: FS Wieacker, Göttingen 1978, S. 261–272. Wertpapiermitteilungen GmbH & Co KG, Frankfurt/Main Übermäßige Bürgschaften mittelloser Bürgen: wirksam, unwirksam oder mit eingeschränktem Umfang?, WM 1997, 1081–1089. Clear and Clean and not of Criminal Origin, – Betrügereien mit einem Phantom-Markt in Bankgarantien, WM 1997, 864–865. Die richterliche Kontrolle von Entgeltklauseln nach dem AGB-Gesetz am Beispiel der Kreditwirtschaft, WM-Sonderbeilage Nr. 1/1997, 23 S. Anlageberatung im Privatkundengeschäft der Banken – Rechtsgrundlagen und Anforderungsprofil, WM 1999, 1–11 Die Erfüllung von Wertpapiergeschäften unter Einbeziehung eines Zentralen Kontrahenten an der Börse – Sachenrechtliche Aspekte – WM Sonderbeilage 2002/2